This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project to make the world's books discoverable online.

It has survived long enough for the Copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject to Copyright or whose legal Copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books are our gateways to the past, representing a wealth of history, culture and knowledge that 's often difficult to discover.

Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book's long journey from the publisher to a library and finally to you.

Usage guidelines

Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken Steps to prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying.

We also ask that you:

+ Make non-commercial use of the file s We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for personal, non-commercial purposes.

+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google's System: If you are conducting research on machine translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the use of public domain materials for these purposes and may be able to help.

+ Maintain attribution The Google "watermark" you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find additional materials through Google Book Search. Please do not remove it.

+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other countries. Whether a book is still in Copyright varies from country to country, and we can't off er guidance on whether any specific use of any specific book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search means it can be used in any manner any where in the world. Copyright infringement liability can be quite severe.

About Google Book Search

Google's mission is to organize the world's Information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers discover the world's books white helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the füll text of this book on the web

at|http : //books . google . com/

I

1

LIBRARY

. OF THE

UNIVERSITY OF CALIFORNIA.

%eceivea JUN23 1892 ,189 c/lccessions No. 'Yo'</^ . Class No.

dby

Google

Digitized by VjOOQIC

Digitized by

Google

ReligioEsphilosophie.

Von

Gustav Teichmllller,

ordentl. E^fessor der Philosophie an der üniTersitftt Doipat

-^^^

\,-"": ■•■'■■■■•■ -; •;

Breslau.

Verlag von Wilhelm Koebner.

Digitized by VjOOQIC

^ S /y^

Digitized by VjOOQIC

Meiner Tochter Anna

gewidmet

, 29. Apnl ,„^ den ,, JT- 1886. 11. Mai

Digitizelby Google

Digitized by

Google

Vorrede.

Die empirischen Forscher hatten mehrere Jahr- zehnte hindurch so viel mit neuen Entdeckungen '^^oh^^Mr" zu thun, dass sie erst bei dem Versuch, den er- ^^"^^^ worbenen Reichthum zusammenzurechnen und in Be- griflPen auszudrücken, die Philosophie bemerkten, in deren Gebiet sie plötzlich gerathen waren. Da Philosophie ja nur der gebildete, sich selbst und seine Thätigkeiten erkennende Geist ist, so ver- steht es sich ohne Weiteres, weshalb in allen Erfahrungswissen- schaften die geistvolleren Forscher zu philosophiren begannen und den Ruf nach der Philosophie laut werden Hessen; denn ohne Geist Hessen sich ja die Dinge nicht deuten und begreifen.

Sehr beachtenswerth ist aber zugleich das Phänomen, dass die empirischen Forscher fast tiberall auf eigene Faust zu philo- sophiren versuchten, in derselben Weise, wie man nach dem Ableben der mittelalterlichen Scholastik „juxta propria principia" sogar auf den Titel der Bücher setzte. Der Grund dieser Er- scheinung ist zwar darin zu erkennen, dass die bisherige Philosophie eben nicht im Stande war, die erforderlichen Begriffe zu liefern; da man aber den Grund vielleicht auch auf die Naivität und die Ignoranz der Empiriker in philosophischen Dingen schieben könnte, so ist es gut, zur Gonfirmation für dieses erste Zeichen des Ablebens der früheren Philosophie noch ein zweites, sichereres anzuführen. Es zeigte sich nämlich auch bei früheren Vertretern

uiymzeu uy x^j vyVjy Iv^

n

der Philosophie selbst eine Verzweiflung an der metaphysischen Erkenntniss, und sie gingen deshalb bettelnd zu den Erfahrungs- Wissenschaften, um sich empirische Methoden und etliche induc- tive Allgemeinheiten als Principien zu holen, nannten sich offen Positivisten, beschränkten sich auf blosse Kritik des Erkenntniss- vermögens und suchten eine Thatsachenphilosophie einzuftihren, d. h. sie erklärten den Banquerott der Philosophie.

Wie nun Äristophanes darüber spottete, dass die heroischen Könige bei Euripides im Costtime und in der Sinnesart der Armuth und des Elends auftraten, so könnten auch wir nur mit Humor die königliche Wissenschaft in dieser tragischen Ernie- drigung betrachten, wenn nicht ein Umstand dabei unser wissen- schaftliches Interesse reizte. Es geht nämlich diese ganze Hin- wendung zu der Empirie und zu den sogenannten Thatsachen von der Unbefriedigtheit an dem Idealismus aus. Man verlangt instinctiv nach Realität und nach einem Verkehr mit wirk- lichen Wesen. Dieses Bedtirfiiiss ist das Wahre und Aner- kennenswerthe an der sonst so schwachen und entarteten Richtung, die ihr Ziel und die Wege, es zu erreichen, so wenig erkennt, dass sie da Hülfe sucht, wo ihr, wie in der Naturwissenschaft, nur Erscheinungen, also nur Ideelles geboten werden kann. Man sieht daher, dass auch Diejenigen, welche den Realismus offen auf ihre Fahne schreiben, gezwungen sind, zum Idealismus zurückzukehren, wenn sie z.B. den vollen Begriff der Erschei- nungen für das Reale halten. Darum müssen sie auch Raum und Zeit, welche eine Mitgift der Anschauungsbilder sind, in ihre reale Welt aufnehmen und auch folglich das Nichts flir ein unentbehrliches Ingrediens der Realität halten. Kurz alle die Fehler und Verlegenheiten des Idealismus folgen nothwendig ihren Fersen, wie der Geruch, der die Verwesung anzeigt.

Aus allen diesen Zeichen ist es unverkennbar, dass ein Be- dürfniss nach einer neuen Philosophie überall verbreitet ist und dass auch in gewisser Weise die Art dieser neuen Metaphysik

Digitized by VjOOQIC

m

sich bestimmen lässt, wenn sie dem Bedürfniss gentigen soll. Sie muss nämlich das Sein nicht, wie der Idealismus, bloss in der Region der Erkenntniss suchen und muss unseren Verkehr mit wirklichen Wesen ausser uns, die von allen Begriffen unabhängig sind, zu begründen wissen.

Da dieses Ziel nur zu erreichen ist, wenn man

Die neue

eine neue Erkenntnissquelle für das Sein und das BrkenntniM-

quelle«

Wesen der Dinge findet, so scheint guter Rath theuer; denn wie sollten in der langen Zeit philosophischer Arbeit nicht schon alle dem Menschen überhaupt zugänglichen Quellen der Erkenntniss gefunden und benützt sein! Und man darf doch im Gebiete der Wissenschaft nicht vom Pferde auf den Esel steigen, um, wie einige schwache Reiter thaten, auf dem spiri- tistischen Grauschimmel „verkehrt statt des Zügels den Schwanz in der Hand** in das Land der Narrheit zu reiten.

Wenn also die Erkenntnissquellen der Wissenschaft wohl als bekannt anzunehmen sind, so könnte eine neue Quelle nicht anders als durch Analysis, d. h. durch Zerlegung einer alten gefunden werden. Wie aber die Chemie erst von der Stelle gekonmien ist, seitdem sie die bekannten Körper in bisher unbekannte zerlegte, so hoffe ich, dass auch der Metaphysik Schwungfedern wachsen, wenn sie aufhört, mit der bisherigen Philosophie das Bewusstsein ftlr einen Akt der Erkenntniss- fnnction zu halten. Diese Zerlegung habe ich in meiner „Neuen Grundlegung der Metaphysik" zu vollziehen gesucht und be- sonders auf die Schwierigkeit aufmerksam gemacht, die von Seiten der Sprache entgegensteht, da die naive Verwechselung von Bewusstsein und Wissen eben so alt wie die Sprache ist. Alle unsere Thätigkeiten aber, alle Gefllhle und alle Erkennt- nisse und Wissenschaften können uns ebensowohl bewusst wie unbewusst zukommen und angehören, wie z. B. der Virtuose in jeder Kunst alle seine Bewegungen unbewusst ausübt, wie ein Schmerz im Schlaf bestehen und uns erst beim Erwachen

Digitized by

Google

IV

bewusst werden kann, wie alles, was wir wissen, als sogenanntes Gedächtniss unbewusst in uns vorhanden ist. In meiner Metaphysik ist dies nun genauer erörtert; ich bemerke nur, dass es durch diese Zerlegung des sogenannten Wissens und Erkennens in das Element des Bewusstseins und in das Element des Denkens möglich wird, eine neue Erkenntnissquelle nachzuweisen und dadurch die Philosophie von Grund aus umzugestalten. Denn wir werden nun als Erkenntnissfiinction im specifischen Sinne nur das gelten lassen, was als Vorstellung, Meinung, Begriff, Urtheil oder Schluss auf bestimmte Beziehungspunkte hinblickt, wie z. B. unsere astronomischen, geographischen, grammatischen, geometrischen Erkenntnisse immer ihre zugeordneten Beziehungspunkte haben, da etwa die Vorstellung von der Abplattung der Erde auf etwas anderes hinblickt, als der Begriff der Lautverschiebung. Alle solche specifische Erkenntnisse können nun in mir sein, ohne dass ich gerade „daran denke ^ oder mir ihrer im Augenblicke bewusst "" werde. Mithin wird man sich nicht einfallen lassen, das Bewusstsein oder Bewusstwerden dieser Erkenntnisse nun selbst fär eine Erkenntniss zu halten; denn das Bewusstwerden ist weder die specifische und bestimmte Erkenntniss, die ich ja schon hatte, ohne mir ihrer bewusst zu sein, noch etwa eine lächerlich verdoppelte Erkenntniss der Erkenntniss, da eine Er* kenntniss nicht durch etwas anderes als durch ihre eigenen zugehörigen Beziehungspunkte entstehen kann und deshalb einer Verdoppelung oder Stellvertretung unzugänglich ist. Also hat das Bewusstsein mit der specifischen Erkenntnissfunction oder dem Wissen und Denken gar nichts zu thun.

Durch diese Analysis wird nun der Begriff des Bewusst- seins in eine ganz neue Lage gebracht und erfordert eine neue Topik; denn es zeigt sich, dass dem Erkennen und Wissen nicht etwa das Unbewusste entgegengesetzt ist, während das Bewusst- sein zum Wissen gehörte. Beides, das Bewusstsein und das Un- bewusste, ist vielmehr seinem Gattungscharakter nach ein

Digitized by

Google

und dasselbe, d. h. das Unbewnsste mass selbst als ein gewisses Bewusstsein betrachtet werden, da es in verschiedener Quantität (Intensität) vorhanden sein kann. Wenn ich einen freien Vortrag halte, so sind mir die Worte, die ich im nächsten Augenblick sprechen werde, unmittelbar vorher unbewusst, d. h. in einem geringeren Grade bewusst, als in dem Augenblicke, wo ich sie anspreche. Gleichwohl müssen sie mir in einem gewissen Grade auch bewusst gewesen sein, da ich sie aus der Menge der übrigen möglichen Worte auswählte und doch also darauf hinblickte. Ebenso sind sie mir beim Aussprechen selbst zwar deutlicher bewusst, aber doch nicht in dem Grade, wie wenn mich Jemand unterbricht und über die Etymologie und den Sinn der gebrauch- ten Wörter Rechenschafk verlangt Mithin ist das Bewusstsein und das Unbewnsste ein und dasselbe und nur gradweise ver- schieden. Es wird deshalb für den Menschen ein Minimum (Di£ferential) und ein Maximum der Bewusstheit für jeden be- liebigen Inhalt geben und der Inhalt selbst hat mit diesem Grade nichts zu thun (d. h. in Bezug auf qualitative Identität, obwohl er in bestimmter Goordination dazu stehen muss). Eine Analogie möge die Sache verdeutlichen. Der Inhalt des Bewusstseins soll mit verschiedenen Körpern, der Grad der Bewusstheit mit der Bewegung verglichen werden. Nun wird eine Bleikugel nicht ihre Qualität ändern und zu Silber werden, auch wenn sie ebenso schnell rollt, und ein Pferd wird nicht zur Kuh, auch wenn es ebenso langsam wie diese geht Aber die Geschwindigkeit eines Körpers kann so gering und so bedeutend sein, dass dadurch für den Menschen die Möglichkeit der Wahrnehmung entweder schlechthin, oder für die Unterscheidung der Theile aufhört, und es wird auch einen Grad geben, der für die Auffassung des Menschen am Meisten angemessen ist Ebenso verhält es sich mit dem Inhalt des Bewusstseins, ohne dass ich etwa materia- listisch das Bewusstsein fttr einen physischen Bewegungszustand der Nervenelemente erklären will; es giebt aber ein dem Menschen

Digitized by VjOOQIC

VI

gefahrliches (pathologisches) Maximum und ein flir die wissen- schaftliche Arbeit zu geringes Mass der Bewusstheit. Wie aber die Bewegung selbst weder eine Bleikugel, noch ein Pferd ist, so ist auch das Bewusstsein in allen seinen Graden nicht der ideelle Inhalt, dessen wir uns bewusst werden.

Indem ich nun so die Erkenntnissfunction mit ihrem spe- cifischen Inhalt von dem Bewusstsein in allen seinen Graden vollständig ablöse und jedes Element chemisch rein fbr sich dar- stelle, wird es mir möglich, das Gebiet der Erkenntniss beträcht- lich zu erweitern; denn die Erkenntnissfunction schliesst sich immer an gewisse Beziehungspunkte an, die zu einem gewissen Grade der Bewusstheit gelangt sind, und es kommt also fttr die Erweiterung des Wissensgebietes darauf an, der Erkenntniss- function neue Beziehungspunkte darzubieten, die sie dann nach allen ihren Methoden zu bearbeiten hat So z. B. kann Jemand aus dem Volke wie ein Nestor reden, aber sein eigenthümliches ihm bewusstes Thun braucht noch nicht durch die Combinationen der Erkenntnissfunction an andre Beziehungspunkte angeknüpft worden zu sein, so dass er etwa selbst eine Theorie der Rhe- torik ausarbeiten könnte. Ebenso fühlen die Kinder Scham, Liebe, Ehrfurcht u. s. w., und sie haben sicherlich ein Bewusst- sein ihres Gefühls; aber erst, wenn wir denkend auf diese Bewusstseinsinhalte hinblicken und sie mit anderen Beziehungs- punkten verknüpfen, entsteht uns auch eine Erkenntniss dieser Gefühle, so dass sie sich benennen, definiren und nach ihren causalen Elementen systematisch und genetisch ordnen lassen, ohne dass diese Psychologie der Affecte etwa selbst ein patho- logischer Vorgang wäre. In derselben Weise hat Jeder ein Bewusstsein von seinem singulären Ich; aber dies ist nicht etwa ein Begriff, Urtheil oder Schluss, sondern soweit davon entfernt, dass vielmehr alle die Realisten und Idealisten, wie Kant, Fichte, Herbart und die meisten Neueren, welche das Ich als Product der Erkenntnissfunction suchten, es natilrlich nicht

Digitized by

Google

vn

finden konnten und deshalb jure eliminirten. Darum ist es aber nicht de facto eliminirt, sondern es spottet bloss über die Jäger, welche das Wild da suchen, wo es nicht ist; denn das Ich kommt zu allen Graden der Bewusstheit, ohne irgend einen Akt der Erkenntnissfunction dazu nöthig zu haben, und es ist nur ein Idolen fori, wenn man z. B. Fichte flir einen Vertreter des Ichs hält, der so wenig davon ahnte, dass er es mit dem Wissen identificirte, d. h. völlig annullirte.

Da ich also die Erkenntnissfunction mit ihrem specifischen Inhalte von dem Bewusstsein abgetrennt habe, so gewinnt die Erkenntniss dadurch neue Beziehungspunkte für ihr Räsonnement, d. h. es eröffiien sich ihr neue Erkenntnissquellen. So in erster Linie ist das Ich, welches sich bewusst wird, eine eigene Er- kenntnissquelle, ebenso das Bewusstsein unserer Thätigkeiten. Die Erkenntnissfunction wird diese Beziehungspunkte wissen- schaftlich verwerthen und daraus die Kategorien Substanz, Äcci- denz, Activität, Passivität, Ursache u. s. w. ableiten und fär die Psychologie, Naturphilosophie u. s. w. eine Menge der wichtigsten Destructionen früherer Vorurtheile, wie die Handhabe zu neuen Constructionen gewinnen. In derselben Weise hoffe ich (in meiner später herauszugebenden „Philosophie des Ghristenthums'O zeigen zu können, dass die Gottheit, welche nicht absoluter Begriff und nicht unser Ich ist, uns doch unmittelbar bewusst und nicht bloss semiotisch erkannt wird, wie die ausser uns vorhandenen Wesen, die sich in den Perceptionen unserer Sinnlichkeit bloss symboli- siren, ohne dass wir von ihnen selbst ein Bewusstsein hätten. Dadurch dass bisher, so viel ich sehen kann, überall das Bewusst- sein, d. h. der eigenthümliche Inhalt, welcher bewusst wird, mit dem darauf bezogenen Inhalte des Wissens heillos durcheinander- gemischt und erzartig verbunden war, konnten die Erkenntniss- quellen, deren Producte alle schon im Umlaufe waren, dennoch nicht als solche anerkannt und nach ihrer Autorität und ihrem wissenschaftlichen Ort verwerthet und gebraucht werden. Es

Digitized by VjOOQIC

vin

wäre daher zwar lächerlich, wenn ein Philosoph neue Erkenntniss- quellen entdecken oder schaffen wollte; wie es aber für die Handschriftenkunde, Geographie und Geschichte eine Erweiterung der Erkenntniss mit sich bringt, wenn sich feststellen lässt, dass unter den Handschriften, die man schon kennt. Eine Handschrift archetypisch, dass unter den Berichterstattern, die man vergleicht. Ein Berichterstatter selbst die Reise gemacht oder selbst die diplomatischen Verhandlungen geftihrt hat, so ist auch fllr die Philosophie durch die Aufweisung einer Erkenntnissquelle als Erkenntnissquelle zugleich eine Erweiterung des Wissens ge- geben. Ein Californier würde seine Farm für wenig Dollars verkaufen-, sobald er sich aber im Besitz einer Goldader weiss, ist er sofort wirklich viel reicher geworden, ohne dass sein Grundeigenthum im Mindesten verändert wäre. Das Gebiet der Eiuc nothwcndigc Folge der Muth- und Kraft- phiiosophie. i^jgigk^it der Philosophie war auch der Zweifel, ob sie überhaupt noch irgend ein Gebiet besitze, auf das sie mit Recht Anspruch erheben dürfe. Wie bei Schiller der Poet sich verspätet, als Zeus die Erde vertheilte, und deshalb nur noch, so oft er kommt, im Himmel willkommen geheissen werden soll, so schien auch bei wachsender Kraft der empirischen Special- forschung die Philosophie in's Blaue, in ein transscendentes Spukreich jenseits der Wirklichkeit gedrängt zu werden. Allein Schiller's Zeus hatte vergessen, dass die Irdischen den heimath- losen Himmelsgästen gern Quartier gewähren, wenn diese nur irgendwie zahlen können. Es handelte sich also eigentlich nur darum, den Poeten mit einem tauschftlhigen Gute auszustatten, damit ihm, wie dem Philosophen, der Verkehr unter den Spezia- listen und Empirikern bereitwillig zugestanden würde. Die Frage war also nur, ob es solch ein Gut gebe, das nicht specia- lisirt und auf die einzelnen Gebiete der Erfahrung vertheilt werden könnte; denn man kann es den Specialisten nicht ver- denken, dass sie ein stark entwickeltes Rechtsgeftthl zur Schau

Digitized by VjOOQIC

IX

tragen und, wie die tücbtigen Bauern, das Eigenthum nicht dem Gommunismus preisgeben wollen. Es beruhen ja alle Leistungen auf einer ernstlichen Einseitigkeit, auf der Concentrirung aller Kräfte auf einen Punkt, und es ist darum ganz in der Ordnung, dass jeder Forscher wie einen hütenden Zaun einen eigenthtim- lichen Namen ftlr sein Fach sucht, um sich innerhalb dieses Eigenthumes zu verschanzen. Ohne Theilung der Arbeit in Anatomie, Physiologie u. s. w. wäre die allgemeine Wissenschaft nicht weit gekommen.

Bei diesem strammen Geist der besitzenden Klassen sind nun einige Philosophen in der Noth zu dem Entschluss ge- kommen, sich einem der anerkannten Specialgebiete anzuschliessen, die Bearbeitung gewisser bisher yernachlässigten Erscheinungen zu übernehmen und dies für die eigentliche Philosophie zu er- klären. So wurde z. B. ein ausgezeichneter Physiker als grosser Philosoph ausgerufen, und obgleich Fechner in der Philosophie nichts geleistet, sondern nur phantasievoUe und für die Philo- sophie werthlose Reveries geschrieben, dennoch auf den Schild erhoben, weil er fllr die heruntergekommene Philosophie einen neuen Erwerbszweig in den Zäunen der Physiologie durch seine Psychophysik ausfindig gemacht hatte. Denn nun konnte man unter dem starken Schutz einer Erfahrungswissenschaft sich un- gescheut für einen Philosophen ausgeben, konnte Experimente machen, messen, zählen und rechnen, ganz wie die anderen an- erkannten Herren. Dass Fechner als unentbehrliche Voraus- setzung seiner Gedanken sich unter der Hand die Principien von dem halbseitig gelähmten*) Spinoza holte, von einem Spi- noza, der wohl nie in seinem Leben einen eigenen Gedanken gehabt hat, das wurde thunlichst vertuscht, indem man moderae Ausdrücke an die Stelle der Spinozistischen termini setzte. Kurz ein Theil der Philosophen war auf diese Weise wieder zu Be- schäftigung und Anerkennung gekommen.

*) Vergl. meine Neue Studien zur Geschichte der Begr. III. Bd. S. 399.

Digitized by VjOOQIC

Nach der andern Seite war es ja natürlich, dass die Spe- cialisten an die Gränzen ihrer Gebiete kommen und zu philo- sophiren anfangen mussten. Ich habe darüber S. 399 ausführ- licher gesprochen und will hier nur einen ansehnlichen Natur- forscher namentlich anführen. So zeigt z. B. Bauber, der 1879 die wichtige Entdeckung oder Deutung des Personaltheiles und des Germinaltheiles in dem Individuum machte, als geistvoller Mann die Neigung, sofort die Entdeckung in philosophischer Weise zur Erklärung der Vererbung auszubeuten, wie er über- haupt als einer der eifrigsten Förderer der Entwickelungstheorie die philosophischen Fragen, als sei das Sache der Biologie, un- genirt zu behandeln liebt. Am Auffallendsten ist mir dies in seiner kleinen Schrift „Homo sapiens ferus'^ gewesen, die ich mit dem grössten Vergnügen und Nutzen gelesen habe. Ich kann nicht sagen, dass darin der natürliche, noch uncivilisirte Mensch vom Standpunkte der Anatomie oder der Physiologie betrachtet würde; der Verfasser nimmt vielmehr in der liebens- würdigen und geistreichen Art von Rousseau alle philosophischen Gebiete für sich in Anspruch und schreibt rechtsphilosophisch den Juristen vor, wie sie Staat und Recht auffassen, religions- philosophisch den Theologen, wie sie die Religion behandeln, pädagogisch den 'Schulmännern, wie sie erziehen und die Schul- pläne einrichten müssten u. s. w. Ebenso vne Rousseau un- gemein anregend gewirkt hat, kann auch Rauber's Homo ferus wie mich, so gewiss viele Andre fesseln und zu manchen neuen Ueberlegungen reizen, obwohl man von beiden Schriftstellern sich nicht gerade durch eine zvringende Dialektik irgendwie gebunden und zur Annahme ihrer Thesen genöthigt sieht. Dies ist aber ftir unsere Frage Nebensache; unser Interesse dreht sich an diesem Ort nur um die Thats^^che, dass die empirischen Specialforscher selbst auf eigene Hand zur Ueberschreitung ihrer Gränzen getrieben werden und Lust zum Anbau der Philosophie verspüren.

Digitized by

Google

XI

Soviel Genuas man aber auch aus Arbeiten solcher Art schöpfen mag, so ist doch in die Augen fallend, dass dabei der Begriff der Philosophie selbst und das Bewusstsein ihres Special- gebietes ganz verschwunden ist; und wenn wir auch gern ein- räumen, dass die Philosophie in gewisser Weise Gemeingut werden könne und als Ingrediens in die Bildung aller guten Köpfe gehöre, so muss die Philosophie doch immer ein Special- gebiet besitzen und eine eigenthümliche Function des Geistes bleiben, weil sie sonst überhaupt nicht lehrbar und kein wirk- licher und nennbarer Inhalt der Erkenntniss sein könnte, wie das Blut zwar in allen Organen des Leibes verbreitet ist und allen zu Gute kommt, dennoch aber ein eigenes und von allen übrigen verschiedenes Gewebe bildet.

Nun hat der Vater des Idealismus, Plato, zwar die Gränzen der Philosophie schon durch den Begriff des apriorischen oder angeborenen Vernunftinhalts abzustecken gesucht und Kant hat in diesem Sinne den Inhalt reiner Vernunft genau auszumessen und abzuzählen unternommen; allein es zeigte sich sehr bald, dass dies transscendentale Gebiet zu klein war; denn der Idea- lismus von Piaton bis Hegel wollte nur das Allgemeine und Formale erfassen, und obgleich er scheinbar das Leben mit er- griff, da er das Subject nicht vergass, sondern es in dem abso- luten Geiste in das Object durch das Denken des Denkens auf- hob, so war dieser Geist doch bloss wieder das Allgemeine, Ewige und Formale der Vemunftftinction, in welches alle Indi- vidualität unterschiedslos verschwindet, und erregte gegen sich gerade die oben erwähnte Entrüstung der Erfahrungswissen- schaften, welche sowohl in der Natur als in dem geschichtlichen sittlichen Leben mit Bealität und wirklichen Wesen zu thun haben wollten, wie auch den Widerspruch der positiven Theologie, welche nach einem lebendigen Gott und einem realen, nicht bloss logischen Verkehr der individuellen Seele mit ihm verlangte.

Digitized by

Google

xn

Darum muss ein Fehler in dem IdealismuB und seiner Gebiets- bestimmung der Philosophie stecken.

Diesen Fehler wird man an den monströsen Verbildungen der Kantischen Kritik am Bequemsten zeigen. Denn erstens fällt wohl Jedermann gleich bei Kant auf, was man als Schielen bezeichnen könnte, dass er mit dem rechten Auge praktisch postulirend alle die Gegenstände erblickt, die er angeblich mit dem linken Auge theoretisch nicht sehen kann. Dadurch ver- setzt Kant den unglücklichen Menschen in eine heimliche Bi- gamie mit zwei Welten, indem der Mensch jeder seiner beiden Ehehälften das Verhältniss zur andern verbergen muss und mit praktischer Vernunft zwar seine freie Seele zur Unsterblichkeit und zu Gott führt, seine theoretische Vernunft aber in der Sinnen- welt sitzen lässt Zweitens sprach Kant von der Einheit der Apperception und vollzog mit ihrer Hülfe all* sein Denken; dennoch fehlte ihm das singulare und individuelle Selbst- bewusstsein des Ichs, wie wenn das Herz seine nöthigen Con- tractionen taschenspielerisch vollziehen könnte, ohne von arteriellem wirklichen Blut erregt zu werden. Drittens wollte Kant im Menschen transscendentale oder „angeborene" Brillengläser der Zeit und des Baums gefunden haben, die sich doch bei keinem gesund geborenen Menschen nachweisen lassen, und mit diesen Brillen, behauptete er, sollte der Mensch beständig die Unendlichkeit der Zeit und die Unendlichkeit des Baums als Anschauung geniessen, was doch keinem normalen Menschen jemals zu Theil werden kann, weil ein solcher Unendlichkeits- Unsinn in der wirklichen Welt nicht existirt und auch nie ohne Geisteskrankheit ange- schaut oder vorgestellt zu werden vermag.

Da nun die Kantischen Fehler mit modificirtem, mehr oder weniger gutartigem Charakter dem ganzen Idealismus anhaften, so muss eine Beformation der Philosophie sich nicht bloss gegen diese oder jene einzelne Bichtung, sondern gegen die gesammte bisherige Philosophie von Plato, ja von Thaies an richten; denn

Digitized by

Google

xm

bis auf unsre Zeit hin ist alles, was man Philosophie genannt hat, durch die Hellenische Auffassungsweise gestempelt gewesen. Selbst der Materialismus, Skepticismus, Positivismus und ver- wandte Sichtungen machen davon keine Ausnahme, da sie höchstens nur von dem Dogmatisieren im abstracten Gebiete ab- sehen, sich aber doch nur im ICreise des ideellen Seins drehen, welches ja die Sinnenwelt ebenso wie die intellectuale umfasst Der Fehler der bisherigen, von dem Hellenismus abhängigen Philosophie besteht also darin, dass sie dem Bedürfniss des Menschen, die Wirklichkeit zu erleben und mit realen Wesen zu verkehren, kein Gentige leistete, sondern die Welt in einen blossen Erkenntnissprocess verwandelte; denn indem sie das Bewusst- sein selbst als eine Art oder Stufe der Erkenntniss auffasste, musste ihr das Reale und das Wesen in ideelles Sein tibergehen. Sie macht es also, wie wenn Jemand einem Menschen, der in der Fremde nach seiner Heimath und nach dem Verkehr mit seinen Lieben Sehnsucht empfindet, alles dies nur im Spiegel zeigte, indem sie die Spiegelbilder der Erkenntniss für das „wahr- hafte^^ Sein der Dinge ausgiebt. Darum ist das Gebiet der Philosophie fraglich geworden und befindet sich unter Sequester gelegt von der Empirie, sodass allererst eine neue Definition der Philosophie zu fordern ist.

Wenn man nun eine Reform und nicht bloss Dienene einen An- oder Umbau der Metaphysik versuchen p^uosophie. will, so hat man mit einem jahrtausendealten historischen Riesen- bau zu thun und zieht den Verdruss der unzähligen Bewohner, die in ihrer Ruhe gestört werden, auf sein Haupt; denn es kann, wie oben erwähnt, ohne eine neue Grundlegung, d. h. ohne eine neue Erkenntnissquelle, in der Metaphysik nicht gebaut werden. Es ist eine sittliche Forderung, mit aller Bescheidenheit seine Ankündigungen zu prtifen, aber auch ungescheut die Wahrheit heraus zu sagen. Dazu kommt, dass es im theoretischen Ge- biete ein Zeichen der Unklarheit ist, wenn ein Forscher den

Digitized by

Google

xrv

Umfang und die Tragweite seiner Begriffe nicht übersieht und sich das Verhältniss seines Vorhabens zu den früheren literari- schen Leistungen nicht deutlich gemacht hat. Die Wissenschaft- lichkeit selbst fordert deshalb die bestimmteste Bezeichnung des Neuen, welches man gegen das Alte zu setzen und zu begründen sucht; weshalb es auch von Kant keine Prahlerei war, dass er sein Unternehmen mit dem des Kopemikus verglich; nur fehlte ihm die geschichtliche literarische Gelehrsamkeit, so dass er sein Verhältniss zu den Griechen nicht erkannte.

Bei der neuen Grundlegung meiner Metaphysik bedarf ich nun, wie ich schon am Schluss der Vorrede meines Buches be- merkte, „keines Zaubers der Rede und keiner Bundesgenossen** und auch keiner Protection, wie sie die Hegersche Philosophie in Preussen, die Herbart*sche in Oesterreich in officiellen Kreisen fand; ich wende mich mit voller Zuversicht an die ganze Ge- lehrtenrepublik; denn es fehlt nie an selbständigen Köpfen, welche sich durch die Tradition nicht binden lassen, sondern unberückt wie von der Mode, so vom Nimbus des Alterthums, schliesslich nur das brauchbar finden, was wirklich wahr ist. Für die schwächeren Naturen aber, die ihrem eigenen Urtheil nicht völlig vertrauen, sondern sich, wie auf den heiligen Geist, auf die Mehrzahl der Stimmen verlassen, will ich hinzufügen, dass die neue Metaphysik nicht bloss kriegerisch auftritt, indem sie die früheren Weltansichten mit dem Schwerte der Kritik entwaffnet und ihre Thttrme in den morschen Unterbau stürzt, sondern dass sie auch mit der grössten Einfachheit und Bescheidenheit im Bürgerkleide einhergeht, weil sie in der That des allermächtig- sten Schutzes friedlich gemessen kann. Denn ihr erster Beschützer ist die unvertilgbare Ueberzeugung der ganzen Menschheit selbst, da Niemand, wenn er nicht eine paradoxe These ver- fechten will, sich weigern wird, zuzugestehen, dass er an seine eigene Existenz, an die Bealität seiner Thätigkeiten, an seine Pflicht und an den wirklichen Verkehr mit anderen Wesen ausser

Digitized by

Google

XV

ihm glaubt, weshalb diese Philosophie auch mit der Erfahrung und allen positiven Wissenschaften, wie mit dem Gefühl und Gewissen aller besseren Naturen im Einklänge steht. Die zweite Schutzmacht bildet das Christenth um, welches, wie der Apostel Paulus nachdrücklich hervorhob, mit der ewigen Bedeutung der Persönlichkeit steht und fällt; denn wenn die sinnliche Erschei- nung des Menschen in irdischer Zeit mit dem ihr anhängenden kurzen Bewusstseinsinhalt Alles ist was denn auch geboren und wieder begraben wird so ist das ganze Evangelium eitel. Wer deshalb vor der Neuheit und Grösse der Ankündigung er- schrickt, der mag gutes Muthes sein, weil dies Neue das allge- mein im Stillen Geglaubte und dies Grosse die demtithige Ueber- zeugung jedes Christen ist. Es handelt sich aber auch bei allen Entdeckungen nicht darum, durch unser künstlerisches Vermögen, wie bei den Erfindungen, unsere Macht über die Natur zu ver- mehren, sondern nur für die Erkenntnissfunction etwas, das schon ist oder schon gilt, zur Auffassung und zum Begriff und wissen- schaftlichen Aufdruck zu bringen. Das Gebiet der Entdeckungen ist darum ganz uhbeschränkt, und wenn auch im Kreise der Natur mehr der Nutzen in die Augen springt, so weiss doch der Verstand mehr das Neue im Gebiete des Geistes zu schätzen. Pier soll nun nicht etwa, was die vom Asthma der Zeitbildong Gequälten verlangen, eine neue Religion empfohlen werden, sondern es gilt, die alte, gute und wahre aus ihren hellenischen Fesseln zu befreien und die Philosophie zu neuem Leben zu erwecken. Diese Angelegenheit ist freilich keine ephemerische und geht über den Gesichts- und Geschäftskreis der gerade en vogue befindlichen positivistischen Richtungen hinaus; denn es > dreht sich um die Philosophie der Jahrhunderte.

Die Definition ist immer, wie Leibnitz mit Recht Definition sagt, ein Meisterstück der Wissenschaft; denn sie der phiioaopbie. fasst die Resultate aller zugehörigen Untersuchungen in dem kürzesten Ausdruck zusammen, in welchem nichts überfliessen

Digitized by VjOOQIC

XVI

und nichts fehlen darf. Wir haben hier nun die schwierige Auf- gabe, die Philosophie zu definiren.

Die Definition der Positivisten *) eines Mill U.A., brauche ich gar nicht zu erwähnen, weil sie von Philosophie keine Ahnung haben; Kant aber und seine Anhänger, welche unter Philosophie bloss Erkenntnisstheorie verstehen, bleiben nicht nur in theoretischer Ignoranz über alle eigentlich wissenswerthen Dinge, wie über das Wesen der Natur, über die Seele und Gott, sondern sie verfallen auch, indem sie die transscendentalen Form- demente der Erkenntniss studiren, demselben Vorwurfe, wie Aristoteles und die Idealisten, da sie alle der Vernunft oder der Philosophie nur das Allgemeine und Ewige und Intelligible vindiciren; denn sie berauben auf diese Weise die Vernunft des Rechtes, über das Einzelne zu urtheilen, und der Möglichkeit, überhaupt zu wirklichem Gebrauch zu gelangen. Hat z. B. die Aristotelische Vernunft nur mit den intellectuellen Principien zu thun, so ist sie folglich abgeschnitten von den Sinneswahrneh- mungen, den Meinungen (Sö^ot), den Begehrungen, den Hand- lungen und dem singulären Selbstbewusstsein. Da sie nun als

*) Soeben geht mir noch ein Buch zu unter dem Titel: The final science or spiritual materialism (Funk & Wagnalls, New- York und London 1885). weiches wahrscheinlich von Z. Test in Richmond (Indiana) verfaast ist und mit ganz vorzüglicher Dialektik die unlogische Beschaffenheit des modernen Materialismus, Darwinismus, Positivismus, Spencerianismus und Atheismus aufzeigt. Der Verfasser ist von einer edlen Gesinnung beseelt und es ist fast Schade, dass er so viel Witz und Scharfsinn an die Weg- räumung herrschender Vorurtheile verschwendet. Das Buch erinnert mich an die geistvollen Ironien Swift's und ist ein schönes Zeichen für den ge- sunden Geist, der in den Vereinigten Staaten, wie auch N. Port er 's Werke beweisen, die Oberhand zu gewinnen scheint. Besonders lesenswerth ist auch der Abschnitt Über die Religion, wo der Verfasser den Agnosticism von Kant, Hamilton, Hansel und Herbert Spencer als einen religio us Know- Nothingism mit äxiht Sokratischer Ironie und gutem Humor zu Boden streckt. Die ganze lebhaft polemische Arbeit des Verfassers wird aber von dem hohen, christlichen Geist und einer zugehörigen Metaj)hysik getragen, so dass sie nicht in blosser Negation stecken bleibt, sondern auf eine befriedigende Weltausicht indirect hinweist.

Digitized by

Google

XVII

reine Vernunft nichts von allen diesen guten Dingen erfahrt, so kann sie auch nichts darüber urtheilen, von Rechtswegen in der Logik nicht einmal ein Beispiel anführen und folglich überhaupt gar nicht gebraucht werden. Denselben Fehler machen Plato, Fichte, Hegel und die andern Idealisten; sie verwandeln zum Erstaunen für den unbefangenen Zuschauer die Seele und Gott in unpersönliche Vemunftallgemeinheiten, wodurch denn aller Verkehr dieser hohen und vornehmen Clique des „Allgemeinen" mit dem Pöbel des Einzelnen und der Erfahrung gänzlich unter- sagt ist, so dass die Ich- Allgemeinheit nicht einmal mehr äussern dürfte: „ich bin hungrig", oder „ich gehe spazieren". Wenn deshalb die Geschichtsschreiber der Philosophie nicht gar zu liebenswürdig und nachsichtig wären, so würden sie als Kritiker die naive Inconsequenz, durch welche allein es den Idealisten möglich ist, überhaupt noch zu philosophiren, nicht durchgelassen haben, sondern hätten längst die idealistische Vernunft mit ihren Kategorien, Ideen oder wie sie ihre Allgemeinheiten benennen, zu Eiszapfen erstarren lassen. Und vor diesem tödtlichen Frost würde auch Hegel trotz seiner dialektischen Bewegung nicht gerettet sein, da seine Dialektik ja in kyklischem Abschlüsse ein starr identisches System von Allgemeinheiten liefert, welches sich hoch über den warmen Pulsschlag des individuellen Ichs in die Aetherregion des reinen Denkens erhoben hat und sich daher zu Tode philosophiren muss.

Die Definition der Idealisten leidet an zwei Fehlern; man sucht nämlich erstens eine völlige Abgränzung der Philosophie von den positiven Wissenschaften durch eine selbständige Geistes- kraft, welche die Lebensgemeinschaft mit der Erfahrung ver- läugnet, und zweitens kennt man noch nicht die logische Chemie, welche das Bewusstsein von der Erkenntnissthätigkeit zu trennen vermag.

Was den ersten Fehler betriflft, so wird ausser Augen ge- lassen, dass der Geist nicht bloss mit dem Formalen, Intellec-

uiyiiized by VjOOQIC

xvm

tualen, Principiellen und Universalen, sondern auch mit der M^aterie der Erkenntniss, mit dem Sensiblen, Einzelnen, Zufälligen und Bedingten zu thun hat, weil er nur, wenn er darauf hin- blickt, zu den Gesichtspunkten kommt, die (wie die Zahl, Qualität, Relation, Gesetz u. s. w.) sinnlos und unmotivirt sein würden, wenn sie nicht als Beziehungsgründe und Beziehungseinheiten mit den Beziehungspunkten der Erkenntniss in Coordination ständen. Die Philosophie kann darum zwischen sich und den Erfahrungswissenschaften das Tischtuch nicht zerschneiden, sondern ist auf connubium und commercium mit ihnen angewiesen, da ebenso die Emperie in demselben Masse zur Wissenschaft wird, als sie sich mit philosophischem Geiste durchdringt. Wenn daher Piaton die Philosophie als königliche Wissenschaft bezeichnet hat, weil sie allein das höchste Gut des einzelnen Menschen und des Staates in's Auge fasse, so können wir diese Bezeichnung annehmen, sie aber zugleich gegen Piaton und den Idealismus kehren, indem wir die königliche Vernunft nöthigen, aus ihrer ewigen und abstracten Himmelsregion herabzusteigen und sich auch mit den Sinnen und den Gefühlen und Trieben abzugeben, damit sie doch wisse, was sie zu regieren hat und ob es in der unteren Region nicht so hergeht, wie sie wünschen möchte. Die speculative Vernunft also darf nicht mehr nach dem Vorgange des Anaxagoras, Piaton, Aristoteles, Kant, Hegel und der andern Idealisten in ein von den übrigen Kreisen des Seelenlebens ganz abgetrenntes Formen - Palais geführt werden, sondern muss als sociales Glied in dem Coordinatensystem ded geistigen Lebens sich acht königlich auch um das Einzelne und um die gegebenen empirischen Beziehungen bekümmern und alles selbst sehen und nichts geringschätzen. Der Geist ist ein einiger und also giebt es auch nur eine einzige Wissenschaft. Die Theilung in Special- gebiete ist eine Arbeitstheilung, bei welcher jedoch alle Arbeiter an der Herstellung eines und desselben grossen Gebäudes zu- sammenwirken, so dass der Empiriker, welcher von der Philo-

Digitized by VjOOQIC

XIX

Sophie absehen zu können meint, nur die Tagelöhnerstellung wählt, und der Philosoph, welcher das Einzelne der Erfahrung geringschätzt, nur wie ein Commis in optischen oder chirurgischen Magazinen Waaren verkauft, von deren Ursprung und Gebrauch er keine Rechenschaft geben kann. Wie bei der Baukunst die Fundamente in Hinblick auf das Gewicht und die Höhe der zu errichtenden Mauer und Bedeckungen gelegt und umgekehrt diese wieder nur in Verhältniss zu den Fundamenten aufgerichtet werden, während beide Arbeitskreise doch in der That von ver- schiedenem Charakter sind, so können auch die Erfahrungs- wissenschaften, wenn sie die Erforschung des gegebenen Mannig- faltigen auf sich nehmen, von der Philosophie, welche den forschenden Geist selbst zu ihrem Untersuchungsobjecte wählt, zwar getrennt werden, beide aber müssen in beständiger Ge- meinschaft bleiben, weil die getrennten Arbeitsgebiete doch ein einziges Ziel verfolgen und der Empiriker auch nicht ohne Geist, wie der Philosoph nicht ohne Hinblick auf gegebenes Mannig- faltiges denken kann.

Während nun der antike Idealismus die speculativC; das „Allgemeine" erkennende Vernunft (voü(:) als ein von dem übrigen Seelenleben völlig abgetrenntes Wesen (xwpt'STöv) hinzustellen suchte, und der moderne Piatonismus HegeUs auf dem Wege dialektischer Entwickelung zu demselben Ziele kam, ging ein andrer Zweig der idealistischen Zunft mit Kant auf die erkenntniss- theoretische Unterscheidung der Erfahrungswissenschaft von der Philosophie aus. Und dabei zeigt sich der zweite Fehler, den ich andeutete. Es fehlte nämlich bisher die Einsicht in die Natur des Bewusstseins, welches man mit dem Wissen und Er- kennen vermengte. Der Unterschied aber ist so zu formuliren, dass Wissen und Erkennen nur dem Erkenntnissvermögen zuge- hört, Bewusstsein aber sowohl der Erkenntnissfunction, als dem Begehren (Fühlen), Handeln und dem Ich zukommen oder fehlen kann, ohne dass diese Lebensmächte dadurch in ihrem Wesen

Digitized by VjOOQIC

XX

und Wirken aufgehoben würden. Zweitens ist Bewusstsein einfach und ohne Hinblick auf Anderes (obgleich diejenige Function, welche bewusst wird, natürlich realiter in Coordination zu anderen steht), während alles Erkennen, Wissen und Denken ein Schluss ist, also immer mindestens zwei Beziehungspunkte und einen medius verlangt. Drittens ist das Bewusstsein von seinem Inhalte nicht trennbar, alles Erkennen aber beruht auf der Gegensetzung der Erkenntnissfunction gegen ihren Gegen- stand, der sowohl unbewusst als bewusst sein kann; denn selbst in der specifischen Erkenntniss (nicht bloss in der semiotischen) ist eine solche Trennung nothwendig, da zwar das erkennende Subjective mit dem erkannten Object ideell identisch, das Sub- jective aber als einzelner realer Act von dem Object als ideell Allgemeinem verschieden ist. Mithin kann die Philosophie nicht als die Wissenschaft von der Erkenntnissfunction oder als Ver- nunftwissenschaft definirt werden, weil wir in der Philosophie semiotisch auch die anderen beiden Functionen, das Wollen (Ethik) und das Handeln (Politik, Kunst) und auch das Ich und die Gottheit (Metaphysik) mit umfassen, von denen das erkennende Vermögen als solches völlig verschieden ist Wir müssen also eine andere Definition auf anderem Wege suchen.

Nun bezeichnen wir die über das bloss Animalische hin- ausgehende Entwickelungsstufe des Seelenlebens, auf welcher sowohl das Ich, als die einzelnen Functionen in allen ihren Coordinationen bewusst werden, als „Geist" oder als geistiges Leben im weiteren Sinne, weshalb ein Mensch auch geistlos sein kann, ohne seine Existenz zu verlieren. Wenn das im Bewusstsein gegebene Mannigfaltige dann nach seinen Beziehungen von der Erkenntnissfunction verarbeitet wird, so entstehen die empiri- schen Wissenschaften. Da das Ich sich von diesen Gegen- ständen unterscheidet, so werden in den empirischen Wissen- schaften die Gegenstände immer nach Aussen projicirt, weshalb sogar auch die empirische Psychologie anfänglich die Vor-

Digitized by

Google

XXI

Stellungen and Gefühle und das ganze geistige Leben naiv wie äussere Gegenstände auflfasst, die Seelenvermögen im Kopf,* Herzen und Bauche mit Piaton und Aristoteles logirt und auch noch heute womöglich Alles im Gehirne localisirt und alle geistigen Beziehungen durch eigentlich gemeinte Metaphern aus der Sphäre des Raums, der Bewegung und der Physik und Chemie bezeichnet. Sobald aber diese empirischen Erkenntnissfunctionen ebenfalls wieder bewusst und als Beziehungspunkte von der Erkenntnissftinction auf's Neue zu Beziehungseinheiten nach dabei entspringenden Gesichtspunkten oder Beziehungsgrtinden coordinirt werden, so ei\tsteht Philosophie und zwar zunächst die Wissenschaftslehre. Dieser Entwickelung der Erkenntniss entsprechen dann zugleich in den übrigen Functionen höhere Stufen, die wiederum bewusst werden können und zusammen den „Geist" im engeren, aristokratischen Sinne bilden. Wenn die Erkenntniss nun auf alle diese Bewusstseinsinhalte des Geistes hinblickt und sie wissenschaftlich bearbeitet, so ist dies die ganze Philosophie, die also kurz als Wissenschaft des Geistes definirt werden kann. Die Anwendung der philosophischen Be- griffe in den Erfahrungswissenschaften giebt dann die sogenannte geistvollere Auffassung der Natur, der Geschichte u. s. w. und bringt die vielen philosophischen Fragen in jedem empirischen Forschungsgebiete hervor, wodurch die allgemeine Einheit aller Wissenschaft und der Zusammenhang aller Gegenstände der Erkenntniss begründet mrd. Die Definition der Philosophie ist aber nicht so zu deuten, als sollte damit nur die sogenannte Geisteswissenschaft im Gegensatz gegen die Naturwissenschaft abgegränzt werden; daran fehlt viel; denn die Geisteswissen- schaft (z. B. die Geschichte, die Jurisprudenz, die Religionslehre) kann ebenso empirisch betrieben werden, wie die Naturwissen- schaft. Ich habe darum die weitere und die engere Bedeutung des Wortes „Geist" unterschieden und beziehe die Philosophie nur auf den Geist im engeren Sinne, in welchem die Sphären

Digitized by VjOOQIC

xxn

der Natur- und der Geisteswissenschaften als blosse Beziehungs- punkte gegeben sind.

Die Eigenthtimlichkeit der neuen Philosophie und ihrer De- finition beruht also im Gegensatz gegen den hellenischen Idealis- mus auf der Unt^scheidung des Bewusstseins von der Erkenntniss- function, da die Philosophie als blosse Erkenntnissarbeit den Geist nicht in sich verschlucken soll, sondern als Glied in einem Coordinatensystem die übrigen Functionen des Geistes und das Ich als selbständige Mächte anerkennt.

Um dieses noch deutlicher auszuführen, möchte

Stellung

Eo Hegel, ich mit ein paar Worten das S. 517 erwähnte aka- demische Memoire des ausgezeichneten Hegelianers Spaventa erörtern, welches er zur Versöhnung meiner Metaphysik mit der HegeVschen Dialektik verfasst hat. Ich gehe gleich mitten in die Sache. Wenn Hegel die Philosophie als Wissenschaft des absoluten Geistes bestimmt, so soll dieser Geist alle materielle Natur und alles subjective, mit der Ichheit behaftete Seelen- leben in sich aufgehoben haben und an der äussersten Spitze der Weltentwickelung erscheinen, indem er nichts mehr ausser sich lässt, sondern als absolute Wahrheit selber Alles ist. Dieser Auffassung setze ich entgegen, dass die Philosophie nur die Arbeit der theoretischen Function ist und deshalb von Allem, was nicht Denken ist, nur eine Semiotik bringen kann. Der abso- lute Geist, wenn er als Wissen bestimmt wird, kann daher nur Gedanken in sich schliessen, aber weder die wirklichen Wesen der Natur, noch das Ich, noch die nicht-theoretischen Functionen unserer Seele. Durch die beste Pomologie kommt man nicht in Besitz des kleinsten Obstgartens und durch die grösste geo- graphische Erkenntniss wird man kein Reisender, weil man nur semiotisch die Dinge erkennt, ihr Wesen und ihre Wirkungen aber durch den blossen Gedanken nicht in sich hat Ebenso- wenig ist das Ich im absoluten Geist aufgehoben und conservirt, vielmehr verschwindet der absolute Geist, wenn das Ich ein-

Digitized by

Google

xxrn

schläft^ und das leb kann durch gewisse äussere Handlungen, z. B. durch Herbeiholen und Lesen der Hegerschen Logik, be- >Yirken, dass der absolute Geist im Denken geboren wird. Dass meine Definition der Philosophie also mit der ähnlich lautenden Hegers auch nicht entfernt verwandt ist, es sei denn wie Namens- vettern, die aber keine Erbansprttche an einander haben, das ist augenfiLllig genug. Ich kann das Verhältniss aber kurz noch nach der Topik der Ideen ausdrücken, da Hegel unter die Idee der Wahrheit Alles subsumirt, während ich lehre, dass die Wahrheit bloss dem ideellen Inhalte des Denkens zugeordnet ist, aber nur semiotisch die Idee des Wesens und der Realität und die Idee des Guten und Schönen umfasst, dass alle diese Ideen also nicht in dem Verhältniss dialektischer Unterordnung stehen, sondern in einem Coordinatensystem einander zugeordnet sind. Spaventa will nun seinen Meister vertheidigen und meint*), dass das Ich als Einheit der drei Functionen, da es nicht nach der formalen Logik bloss die nota communis sei, als Activität sich nothwendig negativ zu seinen Functionen verhalten und die- selben nach der Idee der Entwickelung (sviluppo) in sich auf- heben und conserviren müsse. Ich sehe aus dieser Argumen- tation, dass es Spaventa nicht gelungen ist, meinen neuen Ge- dankenweg aufzufassen, weshalb er sich bloss die Alternative der früheren philosophischen Denkweise vorstellt und das Ich zwar nicht nach der formalen, aber wohl nach der Hegerschen Logik begreifen zu können meint. Es handelt sich aber um einen neuen Weg, und es dürfen die Begriffe von Sein, Thätig-

*) Esamc di un 'obbiezione di Teichmüller alla dialettica di Hegel. Memoria del socio B. Spaventa p. 20. Ora V Jo di Teichmüller, come prin- cipio, sostanza, la cui attivitk identica ha la forma del conoscere, del sen- tire, del volere, h fuori di certo della logica formale: non h una nota com- mune; b, di nome almeno, essenzialmente attivo. E impossibile concepire qnalsiaai xmiik di opposti, se questi non sono apuntati o negati in quella: Jiegati, non annichiliti; cioe, se l'unitli como attivitU non h insieme una potenza negativa.

Digitized by

Google

XXIV

keit, Entwickelung, Einheit u. s. w. nicht mehr so ohne Weiteres, als wüBste man schon, was das wäre, gebraucht werden; viel- mehr ist durch meine Metaphysik gezeigt, woher wir den Be- griff des Seins und Wesens schöpfen und die Merkmale, die ihm zukommen, bestimmen können. Demgemäss sieht man jetzt, dass das Ich nicht eine solche Einheit ist, wie die Zahl, in welcher als in einer Beziehungseinheit wir im Denken die Summanden oder Factoren aufheben und conserviren, da die Zahl nur alle ge- gebenen Theile als Ganzes zusammenfasst, sondern das Ich hat als Wesen ein selbständiges Bewusstsein von sich und steht als Wesen mit anderen Wesen in realen Beziehungen und ist so wenig bloss die negative Einheit aller seiner Functionen, wie der Hirt nicht die Einheit der Schafherde und der Oberst nicht die Einheit der in ihn verschwundenen Soldaten seines Regi- mentes ist; denn wenn die Functionen der Seele zwar auch nicht, wie in diesen Analogien, selbständige Wesen bilden, so sind sie doch sowohl untereinander real verschiedene Akte, als sie im Yerhältniss zum Ich, wenn sie überhaupt bewusst werden, ihr eigenes unvermischtes Bewusstsein haben. Spaventa erwidere ich also, dass man nicht neuen Wein in alte Schläuche fassen soll, sondern die neue Methode der Deduction der speculativen Begriffe zuerst zu erörtern hat.

Bei Hegel, wie bei den darwinistischen Entwickelungslehrern spielt auch die Zeit ihr Gaukelspiel, da man allerdings, wenn die Taschenspielerkünste dieses Begriffes nicht aufgedeckt sind, wozu auch Lotze nicht kam, in den ganzen Taüz des Werdens und der Entwickelung, in das Verschwindenlassen und Aus-dem- Nichts-Zaubcrn u. dergl. hineingeräth, wie man auch, was das Schlimmste ist, nicht naiv mit Hobbes die Gegenwart als das allein wahrhaft Seiende ruhig geniessen kann, sondern in jedem Augenblick auf der haltlosen Kippe zwischen dem Grabe der Vergangenheit und dem Abgrunde der Zukunft steht und seines Lebens keinen Augenblick sicher wird, da der Augenblick keine

Digitized by VjOOQIC

XXV

Breite hat, sondern die Negativität oder der Tod dem unglück- lichen Zeitgläubigen nicht bloss jeden Tag und jede Secunde, sondern selbst das individuelle Differential seiner Zeiteinheit ver- gällt. Ich verkünde aber diesen Armen und Geängsteten Ruhe und Frieden; denn ich lehre ihnen, dass jenes Nichtsein, vor dem sie sich fürchten, nicht ist, dass die Zeit bloss unsre Ord- nungsform der perspectivisch aufgefassten Welt bildet, dass also das Vergangene und Zukünftige ebenso fest steht, wie die Gegen- wart, und dass das Unbewusste nur einen minimen Grad des Bewusstseins -ausdrückt und je nach der Ordnung in dem heil- samen System der Welt wieder die volle Stärke der Bewusstheit erhalten kann, so dass Nichts verloren geht, nichts ewig vergessen wird, dass das lebendige und selbständige Ich über alle die negativen, summativen, organischen und sonstigen Einheitstypen spottet, in die man es, wie unter dem Stempel, prägen will, da der Denker umgekehrt erst aus dem Studium des Ichs die eigen- thümliche Einheit kennen lernen muss, die dem Ich mit seinen Functionen zukommt, um dann einen neuen Typus fbr seine Stempelungen zu gewinnen; denn das Ich ist frei und steht über den Kategorien, die der Verstand bei der Auffassung der Er- scheinungen findet

Wenn Spaventa darum auch die Functionen der Seele in eine Entwickelungsreihe stellen will, so dass die Erkenntniss das Erste wäre, das Gefühl das Zweite und der Wille das Dritte, da die Reihe, wie er meint, niemals umgekehrt abfolgen könnte, so siegt mein Goordinatensystem leicht über diesen chronologischen Schematismus, da man doch auch zuerst den Willen haben kann, z. B. Spaventa's akademisches Memoire kennen zu lernen, und dann erst die Erkenntniss davon ge- winnt; oder wie man erst Zahnschmerz fühlt und dann erst er- kennt, wer der Uebelthäter ist, wie er aussieht und dass man ihn ausreissen lassen muss. Die Functionen sind also bloss ein- ander zugeordnet, keine aber entwickelt sich aus der andern,

Digitized by VjOOQIC

XXVI

sondern sie haben selbständige Lebensquellen, die nicht von ein- ander erzeugt, sondern nur in Zuordnung zueinander ausgelöst werden.

Obgleich die neue Philosophie in allen Disci-

Deatractiver

und plinen einen neuen Standpunkt aufzeigt, von welchem

^Tharertl?^'^ aus die früheren philosophischen Auffassungen theils

der neuen g^jg falsch, thcils als Woss pcrspcctivisch richtig oder

Philosophie. ' r r o

einseitig erscheinen, so wäre es doch sehr leicht, nach dem HegeF sehen Programm bei der Darstellung der früheren Philosophie die Fragen hervorzuheben, wo das Bedttrfhiss nach dem neuen Standpunkte fühlbar wird und wo auch etwa schon eine richtige Tendenz zu misslungenen Versuchen der Annäherung geführt hat. So z. B. zeigen Xenophanes, Parmenides, Plato und Aristoteles schon in der Annahme der identisch abgeschlossenen Weltkugel die Tendenz zu dem technischen Weltsystem, indem sie das ^pag dem aneipov vorziehen; aber in der naiven räum- lichen Fassung, in dem übriggebliebenen ^icstpov der Materie und in der Zufalls- und Zeitillusion behalten sie das begrifflose Un- endliche. So suchten auch Aristoteles und seine scotistischen Gommentatoren schon das aTO{xov £i8o<; und die ultima realitas, die haecceitas, das incommunicabile; da sie aber dem illusorischen Begriff der Materie und der projectiven Auffassungsweise noch preisgegeben sind, so können sie den Begriff des Wesens, der nach dem Ichbewusstsein abzuleiten ist, noch nicht finden und bleiben in allen Widersprüchen stecken. So suchten Piaton, Aristoteles, die Scholastiker, Leibnitz, Hegel u. A. schon eine series veritatum aetemarum, aber wegen des perspectivischen Begriffs des Zufalls konnten sie immer nur einen Theil der Welt, das ideell Allgemeine, damit umfassen und verfehlten das Wichtigste, die wirklichen geschichtlichen Zusammenhänge der lebendigen Wesen. So strebten auch Piaton, Aristoteles, Leibnitz, Kant und viele Moderne darnach, dem Menschen die Freiheit des Willens zu vindiciren, da sie aber das Wesen des Willens

Digitized by VjOOQIC

xxvn

nicht gefunden hatten, so blieb der Alp der Nothwendigkeit immer drückend über ihnen. In dieser Weise könnte man ftlr jeden neuen Lehrsatz die Tendenzen und Versuche der Früheren freundschaftlich aufsuchen; diese completive und exsolutorische Leistung der neuen Philosophie mag aber später hervorgehoben werden*) ; die erste Aufgabe ist die Destruction, da die hemmenden Schranken falscher und einseitiger Auffassung erst niedergerissen werden müssen, um die richtigen Tendenzen aus der Erstarrung zu befreien. In dieser Beziehung muss eine neue Philosophie immer auch einen destructiven Charakter haben.

Es wird aber von den Vertretern des Christen- thums immer sehr viel Werth darauf gelegt, dass nenepwiosophie durch Christus etwas von Gott unmittelbar offenbart ^^^ ^^

Ohristenthnm.

sei, was die Vernunft und also die Philosophie nicht von sich aus finden könnte. Deshalb scheint eine jede Philosophie, die sich nur auf ihre eigenen Erkenntnissquellen beruft und die Autorität der Offenbarung nicht zu Hülfe nimmt, dem Christen- thum feindlich zu sein, nicht bloss wenn sie auf andre Resultate konmit, sondern auch wenn» sie den Offenbarungsinhalt vernünftig und richtig findet; denn die Offenbarungsidee verlange eben, dass ihr Inhalt nicht anders als nur durch die geschichtliche Offenbarung vermittelt werden könne. Eine solche auf ihr Eigen- thumsrecht poch%nde Monopolgesellschaft, wie demgemäss die

*) Wenn z. B. die Psychologie durch meine neue Eintheilung der Seelenvermögen und geistigen Functionen wesentlich umgestaltet wird (vgl. S. 26 ff.), so ist es sehr interessant zu sehen, dass die Theologen zwar nicht durch Selbstbeobachtung, aber durch natu rliche Gruppirung der Manifestatio- nen bei ihrer Psychiologie Gottes zu demselben Resultate gekommen sind, indem sie allgemein potentia, amor, sapientia unterschieden. Die idealisti- schen Dogmatiker, wie z. B. Augustin, geriethen von einer anderen Seite auf denselben Weg, indem sie im Anscbluss an die alte Eintheilung der Philosophie in Physik, Logik und Ethik die trinitarischen Personen in Vater (Schöpfung = potentia), Sohn (Xo^oc z=: sapientia) und Geist (Gemüth = amor) gliederten, was zwar unhaltbar ist, jetzt aber exsolutorisch von der neuen Philosophie richtig gedeutet werden kann, da die Psychologie Gottes eben die Unterscheidung der drei wirklichen Functionen des Geistes forderte.

Digitized by

Google

xxvm

Kirche ist, muss sich nun freilich recht ungesellig und unver- träglich ausnehmen, so dass es scheint, als wenn die ehrlichen Philosophen um keinen Preis dieses Monopol anerkennen dürften, ohne sich um alles Ansehen und alle Selbständigkeit zu bringen. Allein die Dinge sehen oft schlimmer aus, als sie sind. Der Philosoph, der die Geschichte seiner Wissenschaft kennt, wird unmöglich verkennen, dass in der That kein vorchristlicher Philosoph die Ideen, durch welche die Oflfenbarung des Evan- geliums ihre Metaphysik, Ethik und Philosophie der Geschichte ausgedrtickt hat, auch nur von fem in seinem Systeme besitzt und, ohne sein System zu zerstören, besitzen könnte. Es ist deshalb ein einfacher Act der Gerechtigkeit und der Sach- kenntniss, wenn man den Theologen diesen ihren Prioritäts- anspruch ofifen zugesteht.

Eine andre Sache freilich wäre es, wenn die Theologie noch jetzt der Philosophie gegenüber das Monopol zum Vertrieb der überkommenen Wahrheit aufrecht erhalten wollte. Denn die Wahrheit der evangelischen Offenbarung ist nun einmal mit Macht überall verbreitet worden und, wenn man auch einräumt, dass nur ein Charakter wie Columbus im Stande gewesen wäre, bis zur neuen Welt durchzudringen, so getraut sich doch jetzt jeder kleine SchiflFscapitän und Steuermann den Weg dahin zu finden. Ich glaube darum, dass die Theologie, da sie nicht, wie Schelling meinte, eine Mysterienlehre ist, sondern von jeher oflTen Propaganda gemacht hat, nicht mehr auf ein Monopol der Wahr- heitserkenntniss Anspruch machen darf, sondern die Philosophie völlig freigeben muss, da ein Jeder nach seinen Kräften das zu sehen suchen wird, worauf die Offenbarung aufmerksam gemacht hat. Daher kann in dieser Beziehung zwischen einem Theologen und einem Philosophen gar kein Unterschied sein; man müsste sonst behaupten, dass ein vernünftiger Mensch diese durch die Offenbarung gezeigten Dinge gar nicht sehen könnte, sondern dass sie nur durch den sogenannten Glauben erblickt würden;

Digitized by VjOOQIC

XXIX

allein diese aach von der Bitschrschen Schnle getragene Behauptung erinnert zu sehr an das so fein gesponnene, prächtige Gewand des Kaisers von China bei dem Dichter Andersen, das angeblich nur die Klugen und Gerechten sehen konnten und das deshalb allgemein bewundert wurde, bis ein Offenherziger zum Schrecken und zum Lachen damit herauskam, dass der Kaiser ja ganz nackt einherginge. Die Philosophie hat solchen Theologen darum den Bath zu ertheilen, den Glauben nicht zu einem Organ von Illusionen zu machen. Die Wahrheit kann zwar zuerst von Einem gesehen sein; wenn sie aber von diesem offenbart ist, so muss sie mit der übrigen Wahrheits- erkenntniss im Einklang stehen und von aller Wirklichkeit bezeugt werden, so dass man Jedem Fehler nachweisen könnte, der sie läugnen wollte, und es darf nicht mehr auf einen grund- losen Glauben ankommen, wie bei den Quacksalbern.

Der Grund aber, weshalb man bisher zwißchen der Philo- sophie und dem Christenthum das rechte Yerhältniss nicht finden konnte, liegt tief versteckt Schopenhauer nahm die Sache zu oberflächlich und glaubte witzig die natürliche Feindschaft zwischen beiden Elementen dadurch zu erklären, dass sich beide wie Wolf und Lamm im selbigen Käfig verhielten, woraus folge, dass das Lamm unfehlbar gefressen werden würde. Allein so richtig diese Folgerung, so irrig ist seine Annahme, als wenn die Philosophie selbstverständlich der Wolf wäre, da die Weltgeschichte doch genügend zeigt, dass die Kirche kein Lamm ist, dass sie viel- mehr alle philosophischen Schulen des Alterthums durch den Kaiser Justinian, den sie als beweglichen Unterkiefer benutzte, schon im Jahre 52% aufgefressen hat Im ganzen Mittelalter wurde der angebliche Wolf als knechtischer Kettenhund vom Lamm gehalten und in der neuen und neuesten Zeit haben sich alle bedeutenderen philosophischen Systeme trotz ihrer unbehin- derten Freiheit vor dem Christenthum in aufrichtiger Bewunde- rung oder aus Furcht vor dem Stärkeren verneigt. Der Vergleich

Digitized by VjOOQIC

XXX

Schopenhauer's war also, wie fast alle seine Einfillle, nur flir Kurzsichtige überzeugend.

Der wahre Grund der Schwierigkeit, das Verhältniss zwischen Philosophie und Christenthum zu bestimmen, liegt darin, dass sich so schwer in Begriffen ausdrücken lässt, was eigentlich das Christenthum und die Philosophie sei. Das Christenthum ist nicht nothwendig bloss eins der heutigen Bekenntnisse; es wird wohl auch nicht sicher genug durch die compara- tive Dogmatik festgestellt, die Freiherr H. von der Goltz in seinem interessanten und verdienstvollen Werke ( die christ- lichen Grundwahrheiten") einzuführen suchte, weil das Christen- thum schon ein paar Jahrtausende alt ist und auch ohne formu- lirte Dogmatik auskam. Ich kann auch den Apostel Paulus und den Verfasser des Johannesevangeliums nicht als Photo- graphen des Christenthums, sondern nur als Theologen auffassen, die vielleicht die ersten Versuche zu seiner theologischen Dar- stellung machten, ohne dass man verpflichtet wäre, ihre Auf- fassungsformen für allgemein bindend und ftir die organischen Gewebe des Christenthums selbst zu halten. Was ist also eigent- lich das Christenthum? Denn es wird doch kein feinerer Kopf der geist- und gemüthlosen Definition zustimmen, die jüngst von der herrschenden Richtung fortgerissen der angesehene Kirchen- historiker Adolph Harnack formulirte, als wenn das Christen- thum bloss eine abgeschmackte Illusion jüdischer Bauern gewesen wäre, die (wie die ehstnischen Bauern hier vor etwa zwanzig Jahren) den 'Weltuntergang und die Aufrichtung des Paradieses in ihrem Lande erwarteten. Solche Geschichtsauffassung huldigt zu sehr der heutigen positivistischen und dai*winistischen Mode, als dass sie Aussicht auf längeren Beifall hätte; denn es wider- strebt zu sehr dem gesunden Gefühl, das Grösste und Herrlichste, was die Menschheit besitzt, aus einem verächtlichen und durch die Geschichte widerlegten Aberglauben hervorgehen zu lassen; und nur diejenigen, welche im Stillen wenigstens über die Wahrheit

Digitized by VjOOQIC

XXXI

des heutigen Gfaristenthams dasselbe abfällige Urtheil haben, wie ttber seinen Ursprung, werden mit Harnack's Resultaten sympathisiren. Das Christenthum ist also schwer zu definiren. Wer soll es aber definiren? Weltansichten definiren kann nicht die Ge- schichte, sondern nur die Philosophie. Dadurch kommen wir auf den zweiten Partner; denn die bisherige Philosophie trägt eben die Schuld der vorhandenen Schwierigkeiten. Das Christen- thum ist Geist und hat darum seine eigene Metaphysik, Ethik, Aesthetik, Geschichtsphilosophie; aber die Ausarbeitung der ihr zugehörigen philosophischen Formen bedui*fte langer Zeit, ehe sie dem mächtigen Geiste zum angemessenen Ausdruck hätten dienen können. Um den Inhalt des Ghristenthums schnell zu schöpfen und zu verbreiten, benutzte man daher die alten, einem andern und weit geringeren Geiste entsprechenden Formen des früheren griechischen Idealismus. In diesen hellenischen Formen trat die Dogmatik auf. Was ist natürlicher, als dass sie nirgends recht passten und dass überall Widersprüche sichtbar wurden. An diesen Widersprüchen ergötzte sich nun der unreife Verstand und glaubte das Christenthum sich selbst zersetzen zu lassen. Klügere, die aber nach ihrer intellectualen Stellung der vor- christlichen Bildung angehörten, suchten den Geist aus dem Christenthum herauszuziehen und zogen natürlich nichts anderes als wieder den griechischen Idealismus heraus, wie dies z. B. Fichte und Hegel und seine Schule machte. Das Christenthum wartet aber geduldig, bis es auch von den Philosophen ver- standen wird; denn die dem Geiste des Christenthums hin- gegebenen, aber nicht gerade speculativ angelegten Naturen wissen von selbst, was sie an ihm haben, auch wenn sie dieses mächtige Leben philosophisch nicht befriedigend auszudrücken im Stande sind. Darum kann erst eine neue Philosophie, die auf dem Boden des Christenthums selbst gewachsen, zugleich aber über die Formen und Grundlagen der bisher allein herr- schenden hellenischen Philosophie hinausgekommen ist, das

uiyiiized by VjOOQIC

xxxu

Christenthom definiren. Denn der Geist wird durch nichts offen hart, als durch sich selbst.

zweck ^^° ^^^^ ^^^ *^^ ^^^ ersten Blick sehen, dass

dieses Buches. |q ^q^ \^qy Vorgelegten Religionsphilosophie ein anderer Geist mit einer anderen Methode auf andre Ziele hin- arbeitet, als man unter solchem Titel bisher zu suchen und zu finden pflegte. £s handelt sich um eine logische Chemie des religiösen Lebens; die empirisch gegebenen Religionen werden in ihre Elemente zerlegt, die in constanten Coordinationen stehen; dadurch werden scharfe und feste Definitionen, exacte Ein- theilungen möglich; die Kritik verliert ihren subjectiven Charakter, da die zu beurtheilenden Standpunkte sich selbst begränzen und die natürlichen Typen für die gemischten empirischen Religions- formen liefern. Eine praktische und politische ätellungnahme zu den Parteifragen der Gegenwart wird aber hier hoffentlich nirgends sichtbar; man wird kaum erkennen, ob der Verfasser Katholik oder Protestant, ob er flir oder gegen den Culturkampf, die grosse Stöcker'sche Bewegung u. s. w. ist; das Interesse ist ein rein wissenschaftliches, vor welchem die Parteistandpunkte in blaue Feme versinken. Etwas zu sehr in die Augen fallend aber wird wohl die Verachtung sein, die das Modegeschwätz der Zeit hier findet; das Urtheil der Majorität, das Coquettixen mit den Entwickelungstheorien,*) die Huldigungen vor den Götzen

*) Ich möchte lieber mit Stillschweigen über das eben erschienene Buch von W. Wundt »Ethik, eine Untersuchung der Thatsachen und Gesetze des sittlichen Lebens« hinweggehen, aber als öffentlicher Lehrer der Wissen- schaft fühle ich die Pflicht, mein Urtheil auszusprechen. Das Buch gehört jener Richtung an, die mit Ironie jetzt, wie lucus a non lucendo, exacte Philosophie benannt wird, und giebt ein Beispiel dafür, wie das sogenannte Philosophieren ohne philosophischen Geist der Verwahrlosung und Verwilde- rung preisgegeben ist.

Zum Beweise genügt es hier, ein paar Proben vorzulegen. So will Wundt 8. 83 feststellen, was man überhaupt unter Religion zu verstehen habe, und erklflrt dazu: »Hier sind aber nicht weniger als drei Ansichten aufgetreten.« Nach welcher Methode sind diese Ansichten aufgesucht? nach welchem Fundameute eingetheilt? wie können wir erfahren, ob diese

Digitized by

Google

XXXIIl

des Positivismus, die demokratisch- geologische Geschichtsauf- fassung ä la Buckle und Anderen, die den schöpferischen Einfluss der grossen Naturen wegdeuten und das Leben des menschlichen Geistes nach dem Vorbilde der Gletschertheorien erklären, ferner die beliebten Prophezeiungen vom Sieg des Judenthums über das Christenthum oder die Marktschreierei über die Zersetzung des Christenthums alle dergleichen von einer augenblick-

Ansichten überhaupt von Belang und ob nicht viele andre wichtigere ausser Augen gelassen sind? Um solche pedantische Fragen der Logik kümmert sich das Buch nicht und weiss nichts davon, dass die Zucht im Denken den Nach- weis des Nicht mehr und nicht weniger verlangt, da es sich nicht um eine Historie von drei Burschen, die über den Rhein zogen, handelt, sondern um Begriffe und Wissenschaft.

Dann meldet Wundt S. 38: »Der natürliche Entstehungsort der reli- giösen Ideen ist aber das Völkerbe wusstsein.« Woher mag er diese Depesche * erhalten haben? Sind das »Untersuchungen«, wenn man ohne alle Untersuchung Orakel zum Besten giebt? Und was für Orakel! In Zukunft darf man also nicht mehr von Buddha, Jesus, Mohamet sprechen, sondern muss ein fabel- haftes »Völkerbewusstsein« als Entstehungsort für alle Religion aufsuchen. Warum nicht lieber gleich ein Erd- oder Planetenbewusstsein ! Und man muss nach der Analogie erklären: »der natürliche Entstehungsort aller Häuser sind die Städte.«

S. 41 giebt Wundt die Definition der Religion: »Religiös sind so kann, glaube ich, allein geantwortet werden alle diejenigen Vor- stellungen und Gefühle, die auf ein ideales, den Wünschen und Forderungen des mensclilichen GemÜthes vollkommen befriedigendes Dasein sich beziehen.« Ich habe in keiner, auch der schlechtesten Logik, nicht gefunden, dass man mit »glaube ich« Definitionen zu Stande bringt. Welche Sehnsucht empfindet man in dieser »Untersuchung der Thatsachen und Gesetze« nach einer wirklichen Untersuchung, nach Methode und Beweis.

Nachdem Wundt dann wieder seinen gläubigen Lesern erzählt hat, dass »Phantasie und Gefühle« die Quellen der Religion sind, lobt er Feuerbachs Satz: »die Götter sind die verwirklicht gedachten Wünsche der Menschen.« Sollten die Phönicier in der That den Moloch nur so lange verehrt haben, als sie wünschten, Menschenfleisch zu fressen und die Erstgeborenen zu morden? Allein solche Fragen brauchen in einem Buche nicht beantwortet zu werden, das Thatsachen und Gesetze untersuchen will; denn bald erfahren wir wieder, dass »die Götter die sittlichen Ideale« gewesen wären und die Religionastifter sittliche Vorbilder u. dergl, alles aber ohne Beweise, um den Leser nicht durch unnütze Anstrengungen zu belästigen.

Wir aber sagen mit Parmenides: iUa ab rfjoS' ä^' 6Söö hl^-rpity; slpf« v6-nua.

m*

Digitized by VjOOQIC

XXXIV

liehen Fluthbewegung getragenen Wichtigkeiten werden hier getrost der Ebbe überlassen, die sie bald wieder vom Schauplatz wegführen wird. Für die Aufregungen des Tages arbeitet die Wissenschaft nicht; denn sie ist ihrem Wesen nach aristo- kratisch und schaut in die Jahrhunderte; über den Tumult der Vielen siegt auch immer das Herakleitische: et«; [i6p loi. Ebenso deutlich wird sich zeigen, dass der Verfasser in dem Christen- thum die Offenbarung einer neuen religiösen Gesinnung von ewiger Bedeutung anerkennt, einer Gesinnung, welche man ebenso vergeblich, wie den Menschen aus dem Affen, aus dem Juden- thum oder aus dem Piatonismus oder dem römischen Kosmo- politismus oder gar aus dem Buddhismus abzuleiten sucht. Das Christenthum wird aber in diesem Buche, welches schon zu um- fangreich wurde, nicht mehr behandelt; ich möchte deshalb die Leser, welche meiner Methode und Auffassung ihre Sympathie schenken, im Voraus darüber beruhigen, dass meine Philosophie des Christenthums nicht etwa auf eine dürre abstracto Formel im Sinne der bisherigen idealistischen Metaphysik hinauslaufen wird, sondern die neue und wahre Metaphysik trifft gerade das Leben im Mittelpunkt und geht auf die Persönlichkeit und die Geschichte, weshalb zwar das historisch und specifisch Neue des Evangeliums frei sein muss von alF den specifischen Elementen der untergeordneten Religionen, diese Elemente aber in einem höheren und allumfassenden religiösen Coordinatensysteme an ihrem Orte gehörig verwerthen kann. So ist z. B. die Erlösungs- idee und die Stellvertretung zwar nichts specifisch Christliches; wie der Geist aber das seelische Leben, das wir mit den Thieren theilen, und die vegetativen Processe, die uns mit den Pflanzen gemein sind, nicht von sich abstösst, sondern in und über ihnen lebt, so hat auch der neue Geist des Christenthums die alten und untergeordneten religiösen Lebensformen in seinem Sinne umgewandelt und benutzt.

Für diejenigen, welche ein Bedürfniss nach einer neuen Philosophie lebhafter empfinden und der Arbeit des- Denkens

uiyiiized by v^nV^ v^^pc iv^

XXXV

nicht abgeneigt sind, bemerke ich noch, dass die philosophischen Voraussetzungen des Buches genauer in meiner „Wirklichen und scheinbaren Welt" erörtert sind. Für meine Schüler habe ich auch dem alphabetischen Inhaltsverzeichniss Sorgfalt zugewendet, damit man die massgebenden Begriffe und Methoden immer in vielen Anwendungen verfolgen kann.

Ich möchte noch ein Wort über meine Stellung

Schluss.

dem Geiste der Zeit gegenüber sagen. Wie sollte man die wirklichen Arbeiten, die vielen und erfolgreichen Forschungen der Zeitgenossen nicht aufnehmen, schätzen und bewundem! Nur vermisse ich in den leitenden Gesichtspunkten der jetzigen Fluthwelle den philosophischen Geist. So z. B. verfolge ich mit grossem Interesse die feinen physiologischen Experimente über die Functionen des Gehirns; aber es ver- wundert mich fast die Komik der Deutungen, die man den Phä- nomenen giebt; denn ihre monarchische und metaphysische Psyche wollen die Forscher aus der Welt gebracht und die geistigen Functionen alle demokratisch vertheilt und im Gehirn localisirt haben, ganz in der Art, als wollte man etwa Bismarcks Existenz gänzlich läugnen, da experimentell nachgewiesen wäre, dass dies mächtige Wesen aus lauter einzelnen, von vielen Um- ständen bedingten Functionen bestände, die bestimmt localisirt nur in Varzin, im Reichstag, im königlichen Schlosse u. s. w. vollzogen würden; denn wenn man die Summe dieser Phänomene zusammenstellte, so käme gerade das heraus, was man sich bis- her als den angeblichen Fürsten Bismarck vorgestellt hätte. Um die Sachlage allgemeiner auszudrücken, müssen wir die Stellung der Parteien aus den Verhältnissen der Elemente in unserem geistigen Leben selbst erklären. Ein Jeder findet in sich einen zur Herrschaft in der Seele geborenen Geist, der die christlich religiöse Gesinnung, die speculative Vernunftkraft, die höheren sittlichen Geftlhle und die frei gewordene Thatkraft umfasst; dieser im Einzelnen mehr oder minder starken Region steht aber nun eine bei Weitem umfangreichere mit den Wurzeln

uiymzeu uy x^j vyVjpt Iv^

XXXVI

in der thierischen und pflanzlichen Natur steckende Masse von demokratischen Elementen gegenüber, die das nackte selbstische Leben mit dem Tumulte der zufölligen Meinungen, den roheren Trieben und Genüssen und den abhängigen, dem Nutzen dienenden Arbeiten zum Bewusstsein bringt. Das politische Verhältniss, in welchem diese beiden Elemente unseres geistigen Lebens stehen, spiegelt sich daher nothwendig in dem ganzen Zustande der Gesellschaft, der Staatsverfassung, den wissenschaftlichen Rich- tungen und den Kunstbestrebungen ab. Um hier nun bloss die wissenschaftlichen Richtungen herauszuheben, so kann Jeder, der etwas zu vergleichen und zusammenzufassen versteht, leicht er- kennen, dass zwar alle Forschungen als solche dem höheren Geiste dienen, dass diejenigen Tendenzen oder leitenden Gesichts- punkte der Forschung aber, welche darauf abzielen, den Menschen zum Thier zu machen, den Staat auf blinden socialen Mechanismus zurückzuführen, die Freiheit des Gewissens in den Zwang zu- fälliger Entwickelungsverhältnisse aufzulösen, das Christenthum als einen Kehrichthaufen aus den Abfilllen früherer Culturelemente zu beschreiben, den Geist aus den Erzitterungen des Nerven- gewebes zu erklären, das Denken in Verdichtungen von Vor- stellungswolken umzudeuten, die Philosophie in Empirie umzu- wandeln, die zweckmässigen Lebensformen aus blinden DiflFeren- zirungen und Integi'irungen herzuleiten, die grossen Genien der Menschheit durch Massenwirkungen unbedeutender Männlein zu ersetzen, ich sage, dass alle diese und ähnliche Tendenzen offen- bar das politische üebergewicht des von Natur untergeordneten geistigen Lebens über die rechtmässigen, aber in Unmündigkeit erhaltenen höheren Mächte des Geistes ausdrücken. In sofern nun tritt die neue Philosphie diesen sich als Herren geberdenden Sclaven geringschätzig entgegen und nimmt ihr rechtmässiges Erbe hier und da scheinbar mit harter Hand wieder an sich.

Kesmo, am esthländischen Strande, Juli 1886.

Digitized by

Google

Inhalts -Verzeichniss.

Seite

Erster Theil. Grundlegung. EinleituDg.

Erstes Capitel. Definition der Religion 14

§ 1. Naturalistische Erkenntniss der Religion ... 14

§ 2. Frühere Definitionen der Religion 15

Modus deuin cognoecendi et colendi

Lebendiger Glaube an das höchste Gut 17

Schleiermacher's Definition 18

HegeFs Definition 19

Krause 20

Lotze 21

0. Pfleiderer's Definition 22

A. Ritschrs Definition 23

§ 3. Die Eintheilung der Functionen der Seele ... 26

Die elementare Wichtigkeit dieser Frage 26

Die bisherige Eintheilung der Seelenvermögen 27

Das Erkenntnissvermögen ist nicht receptiv 28

Das Begehren ist nicht spontan 30

Das GefQhl ist nicht Embryonalzustand der andern

beiden Functionen 31

Idolon fori, Gefühl als unklares Denken 32

Die Platonisch -Aristotelische Auifassung und Spinoza . 32

Der neue Lehrsatz 34

Wille und Bewegung 34

Identität von Wille und Gefühl 35

Die Ideen des Wahren, Schönen und Guten 37

Zur Methode 41

Die Analyse des sogenannten Willens führt auf das Gefühl 41

1. Erste Stufe des Begehrens 41

2. Zweite Stufe des Begehrens 42

3. Dritte Stufe des Begehrens 44

Digitized by VjOOQIC

J

xxxvm

Seite

Corollar: Der GrundbegrifF der Jurisprudenz 47

Zwaug im Recht 53

Bechtsent Wickelung] 57

Synthetische Methode 59

Erste Synthesis 60

Zweite Synthesis 62

Resultat 66

§ 4. Definition der Religion 67

Eintheilung der Definitionen 67

^1. Systematische 67

2. Individuelle, generische, ideale 69

3. Anlage, Akt, lebendige Kraft 71

Die Elemente der Coordination 72

1. Der erste Beziehungspunkt. Fundamentum relationis 72

2. Der zweite Beziehungspunkt. Terminus relationis. 78

3. Die Function 79

a. Religion als Anlage 81

b. Religion als Act 84

Excurs über eine verbreitete Häresie 87

c. Religion als lebendige Kraft 89

Conclusion . .' 91

Zweites Capitel. Eintheilung der Religionen. 93

Nothwendigkeit einer Eintheilung der Religionen. ... 93

Die genetische Eintheilung 94

Die speculative Eintheilung 97

Der Eintheilungsgrund in dem Gotteabewusstsein .... 99

1. Die projectivische Theologie 102

2. Die pantheistischen Religionen 103

3. Das Christenthum 104

Entwickelungslehre, Topik und Geschichte 107

Zweiter TheiL Projectivische Religionen.

Die projectivischen Religionen' 113

1. Die Religion der Furcht 116

Erstes Capitel. Die Ethik der Religion der Furcht 116

§ 1. Apriorische Methode 116

§ 2. Deduction des Eintheilungsprincips 117

§ 3. Deduction des ersten religiösen Motivs 117

Alle persönlichen Gefühle haben eine Beziehung auf'

die Zukunft 117

Hofinung und Furcht 118

Die Furcht bildet das erste religiöse Gefühl 119

Formulirung der zugehörigen Coordinationen .... 121

Digitized by

Google

XXXIX

Seite

Zweites Capitel. Die zugehörige Dogmatik .... 123 § 1. Eintheilungen des Objects der Furcht im Erkenntniss-

yermögen 123

Erstens nach dem Gesichtspunkt der Macht 123

Zweitens nach dem Gesichtspunkt der Erkennbarkeit . 124

§ 2. Deduction des ersten Gottesbegriffs 125

Gott ein böser Geist ohne alle Moralität 126

§ 3. Die Zahl der Götter 126

§ 4. Die constitutiven Sätze der Dogmatik dieser Religion 128 Nicht die Phantasie, sondern der Verstand erzeugt die

Dogmatik 129

1. Veränderlichkeit Gottes 131

2. Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch .... 131

3. Stimmungen Gottes Ton den Handlungen des Menschen abhängig 131

4. Der Wille und das Interesse Gottes entwickelt

sich mit dem Menschen 133

5* Der Mensch ein Mitstreiter Gottes 134

Der Animismus bildet nur eine einzelne Form

der Beligion 135

§ 5. Unbestimmbarkeit des theologischen Objectes . . . 136

Scblangenkult und Thierkult überhaupt 136

Menschenkult 138

Stemdienst 139

Gott als Kind und Leichnam 140

Die Symbole 142

Drittes Capitel. Der zugehörige Cultus 144

§ 1. Deduction der Principien des religiösen Handelns . 144

§ 2. Eintheilung der Arten des religiösen Handelns . . 146

1. Versöhnung des Zornes des Gottes ....... 146

a. Durch Erregung seiner Eitelkeit 146

b. Durch Erregung seines Interesses 147

2. Die Mittel, unsere Hoflfoungen zu erreichen .... 148

a. Die Gebete 14S

b. Die Theurgie 149

§ 3. Das Priesterthum 151

Die auswärtige Angelegenheit in der Religion .... 152 Die Religion bezieht sich auf das Zufällige und Ein- zelne, nicht auf das Allgemeine 153

Erste Aufgabe des Priesters: die Erkenntniss .... 154 Zweite Aufgabe des Priesters: die Praxis.

a. Verkehr mit dem Gott 155

b. Therapeutische Behandlung der Gläubigen . . 157

OL. Die Beruhigung 157

p. Das Orakel . . , . 158

Digitized by VjOOQIC

XL

Seite

§ 4. Die Inspiration 161

1. UnbewTisstheit des Seelenlebens 161

2. Kein specifischer Unterschied zwischen Priester und

Gläubigen 161

Wesen der Inspiration 162

Die Inspiration ist ein wirkliches Ereigniss .... 163

Dämonischer Charakter dieser Inspiration 164

Viertes Capitel. Allgemeine Fragen 166

§ 1. Das Wunder 166

Heuristische Methode 168

Erste heuristische Forderung 168

Zweite heuristische Forderung 169

Dritte heuristische Forderung 170

a. Der Begriff des Wunders in der Furchtreligion 171

1. Die Erkenntniss der Wunder 173

2. Die Psychagogie 177

b. Die Kritik der Wunder 180

Die Kritik der Zeichen 181

Kritik der Deutung 183

1. Wirkung 185

2. Die Wahrheit 186

c. Philosophischer Begriff des Wunders 191

1. Die Thatsachen-Frage 192

2. Deduction 194

a. Die Zusammenhänge und der Satz vom Grunde 194

b. Die zweite Prämisse. Zusammentreffen

des Einzelnen 194

c. Der Satz vom Grunde und das Zufällige 195

d. Deduction der Gültigkeit des Satzes vom Grunde für das Gebiet des Zufälligen.

Die Welttechnik Gottes 197

e. Begriff des Wunders 198

f. Normirung der Anwendung des Satzes vom Grunde und des Zufälligen . . . 200

Speculative Erörterung d. Principien dieser Deduction.

Nachweis der Neuheit dieses Beweises . . . 203

Recapitulation 206

Kritik der angeblichen Unerklärlichkeit und

Voraussetzungslosigkeit des Princips . . . 207

1. Erklärung des Satzes vom Grunde . . 208 Kritik der Logik von Wundt .... 209

2. Begründung des Satzes vom Grunde . 214 Corollar über das Causalitätsprincip . 215 Recapitulation 217

Digitized by VjOOQIC

XLI

Seite

d. Gebrauch des Wunders in der wahren Religion 217

1. Die Erkenntnisa der Wunder 218

2. Die Psychagogie 220

Epilogus 226

§ 2. Das Schicksal 227

Zur Logik und Methode 227

Kritischer Excurs gegen die HegeFsche Dialektik

und den Darwinismus 229

Anwendung auf die Schicksalsidee 234

Erste Form der Schicksalsidee. Der Fluch 235

Drei Ursachen des Glaubens an die Macht der Flüche 238

1. Verwechselung von Voi-stellung und Wahr- nehmung 239

2. Wahrscheinlichkeit des Eintreffens 241

3. Die Sicherheit des Todes 241

Segen 242

Der Fluch und der Ursprung der Beligion .... 243

Zweite Form der Schicksalsidee 244

Der neue Beziehungspunkt 245

Die neue Coordination 246

Religiöser Charakter dieser Schicksalsidee .... 247

Rolle der Priester 250

Dritte Form der Schicksalsidee. Auflösung der Reli- gion der Furcht 252

Beurtheilung des Zufallsglaubens 254

§ 3. Die zugehörige mythologische Weltanschauung . . 256

Weltanschauung 256

Perspectivischer Standpunkt 256

Kosmologie 257

Entstehung und Wesen der Mythologie 258

Wieweit Mythologie ein Gegenstand der Philosophie ist 260

Stellung der griechischen Mythologie 262

§ 4. Der Islam 264

1. Dogmatik . 264

2. Ethik 267

3. Cultus 267

2. Die Religion der Sünde oder die Recbtsreligion.

Erstes Capitel. Die zugehörige Ethik 270

§ 1. Das Eintheilungsprincip der Geföhle 270

§ 2. Ursprung der Moralitftt und des Rechts ..... 273

Kant's verunglückter Erkl&rangsversuch 273

Mitleidstheorie widerlegt 274

Digitized by VjOOQIC

xLn

Seite

Ursprung des Rechts und der Moralität 275

1. Unrecht und Entrüstung 276

2. Eechtsbewusstsein 277

3. Die Sünde 277

Beweis, dass die pittliche Stufe die höhere ist ... . 278

Inhalt des Rechtsbewusstseins 280

Zweites Capitel. Die zugehörige Dogmatik .... 281

§ 1. Die Theologie der Religion der Sünde 281

§ 2. Unbestimmtheit des Gottes ' 283

§ 3. Die* numerische Bestimmung des Gottes 285

Monotheismus 285

Polytheismus 285

Dualismus 286

Der reine Monotheismus bei den Juden 289

§ 4. Die UnVeränderlichkeit Gottes 292

Das Princip der geschichtlichen Theologie liegt in der

Furchtreligion 292

Princip für die Deduction der Unveränderlichkeit Gottes 295

Drittes Capitel. Der zugehörige Cultus 299

§ 1. Der spflcifische Cult . 290

1. Die Uneinigkeit 301

2. Die Einigkeit 305

Der specifische Unterschied der Rechtsreligion in Be- ziehung zu den höheren Religionsformen 306

§ 2. Der Priester 307

Viertes Capitel. Die concrete unreineRechtsreligion 312

§ 1. Die zugehörige Ethik und Dogmatik 312

Die homologen Glieder und ihre Verquickung .... 312 Verderbniss des Gewissens, des Gottesbewusstseins und

der Geschichtsphilosophie 313

Zur Beurtheilung der hebräischen Propheten 314

Piaton, das Christenthum und die natürliche Lebens- kraft der unreinen Rechtsreligion . 316

Die Sophistik der unreinen Rechtsreligion 318

Das jüdisch-Eantische Ideal des höchsten Gutes . . 318

Der zugehörige Optimismus und Pessimismus. . . 319

Zur Kritik 320

§ 2. Der zugehörige Cultus 322

Die Idee der Sühnung 322

Die Einth eilung der Sühnungen 323

1. Opfer 323

2. Körperstrafen und Freiheitsentziehung *j24

3. Die Stellvertretung 324

Das Christenthum und die neue Religions- philosophie 328

Digitized by VjOOQIC

XLin

Seite

Die Wirksamkeit der Sühnungen 330

Irreligiosität des unendlichen Schuldgefühls. ... 331

Wirksamkeit der Sühnung durch Opfer und Gebete 332

Wirksamkeit der Sühnung durch Askese 333

Wirksamkeit der Sühnung durch Stellvertretung . 333

Fünftes Capitel. Der sociale Charakter der Religion 335

§ 1. Religiöse Geselligkeit überhaupt 335

Die allgemeine Begründung und die Kritik der Schleier-

macher'schen Theorie 335

Die Arten 339

§ 2. Die specifischen Formen der politischen Organisation 342

Sechstes Capitel. Die Religionsphilosophie .... 347

Lessing's Standpunkt 848

Eant's Religionsphilosophie 349

Ritschrs Theologie 351

Dritter Thell. Die pantheistischen Religionen.

Die Uebergangsform. Der Atheismus 356

Ursprung des Atheismus 356

Ist ein religiöser Standpunkt 358

Systematischer Ort des Atheismus 359

Der Positivismus 360

Die zugehörige Ethik 364

Die zugehörige Dogmatik 367

Der zugehörige Cultus 370

Die drei pantheistischen Religionen.

§ 1. Definition und Charakteristik des Pantheismus .... 874 Voraussetzung: Die im Atheismus gegehene pessimistische

Stimmung 374

Die constitutiyen Elemente des Pantheismus: Das Ich als

Geist und das Verschwinden der Götter 375

1. Die Verlegung des Schwerpunkts des Ichs .... 377

2. Das Ich verschwindet selbst 378

Charakteristik des Pantheismus 380

1. Vergottung und ewiges Leben 380

2. Keine Gläubige mehr 381

§ 2. Division des Pantheismus 382

Das Eintheilungsfundament des Pantheismus .... 382

Die Eintheilung des Pantheismus 383

Reihenfolge und Werthbestimmung der Arten .... 384

1. Der Pantheismus der That 387

Eintheilung 387

Digitized by

Google

XLIV

Seite

ErsteB Capitel. Der Fortschrittaenthusiasmus. . . 389

Ethik 390

Dogmatik 392

Oultus 393

Zur Kritik . 395

Excurs über die letzte Revolte gegen die Philosophie. 399

Zweites Capitel. Die pantheistische Werkheiligkeit 402

Zur Methode 402

Apriorische Synthesis 403

Empirische Confinnation 404

Der Buddhismus 406

Apologie des Buddhismus gegen Oldenberg. ... 408 Drittes Capitel. Pantheistischer Staats - Enthu- siasmus 412

Dogmatik 413

Ethik 414

Cultus 415

Die unreine Form 416

Viertes Capitel. Der pantheistische Eirchenenthu-

siasmus 418

Zur Topik 418

Aetiologie und Semiotik 419

Dogmatik 420

Ethik 421

Cultus 422

A. V. Oettingen 422

Zur Kritik

1. Erster Fehler: Die Wesen werden zu blossen historischen Erscheinungen herabgesetzt .... 427

2. Zweiter Fehler: Die Ethik und Dogmatik werden durch Feldherrnklugheit normirt, und es fehlt

ein Princip des Werthes und der Wahrheit . . 428

3. Dritter Fehler: Die Ethik wird Social-Ethik und verliert ein Princip der Autorität 429

4. Das antagonistische Princip indicirt die perspec- tivische Einseitigkeit des Standpunktes .... 430

Fünftes Capitel. Der pantheistische Kunstenthu- siasmus 432

Definition 432

Schiller 434

Dogmatik 435

Ethik 437

Cultus 438

Zur Kritik 440

Digitized by

Google

XLV

Seite

2. Pantheismus des Gefühls.

Erstes Capitel. Definition 442

Kein Pantheismus kann Volksreligion werden .... 442

Einseitigkeit der Menschen 443

Definibilität des Gefilhls 443

Ort des Gefühls in dem Coordinatensystem der geisti- gen Functionen 444

Die Gegensätze des GefQhls und das Coordinatensystem

der Welt 446

Allgemeine Eintheilung der Gefühle 446

Die Arten der objectiven Gefühle 447

Das religiöse Gefühl 447

Excurs über die Aristotelische Ethik 448

Fortsetzung: Das religiöse Gefühl 450

Zweites Capitel. Die reine Form 453

§ 1. Dogmatik und Cultus 453

Dogmatik. Mysticismus 453

Cultus. Quietismus 454

§ 2. Ethik 455

Ethik 455

§ 3. Die religiöse Gesinnung 456

Der Schmerz ist kein der Lust nebengeordnetes Princip 456

Die Hemmungen der Acte 458

Der quietistische Weg zur Freude 458

Die Seligkeit des Quietisten und Mystikers .... 460

§ 4. Die zugehörige Beligionsphilosophie 462

Schleiermacher 462

§ 5. Zur Kritik der Religion des Gefühls 464

Drittes Capitel. Unreine Form des Gefühlspan- theismus.

Naturschwärmerei 469

Musikalische Phantasieschwärmerei 470

Pietistische Richtung 471

Methodismus 472

Anmerkung über Kem's »Job. Scheffler's cherubin.

Wandersmann« 473

3. Die pantheistische Religion des Gedankens.

Erstes Capitel. Die zugehörige Ethik 474

§ 1. Das ethische Motiv.

Ueberordnung der Wahrheit über das Gute, Nützliche

und Schöne 475

§ 2. Das religiöse Motiv 477

Der zugehörige religiöse Charakter des Pantheisten . 478

uiyiiized by VjOOQIC

XLVI

8oiU»

§ 3. HistoriBche Confirmationen.

Piaton 479

Aristoteles 480

Fichte 480

Hegel 481

Gnosis und Pistis 482

Nachweis des Paralogismus 484

Zweites Capitel. Der zugehörige Cultus 487

Piaton und die unreinen Formen 488

Drittes Capitel. Die zugehörige Dogmatik .... 491

Anfang der wissenschaftlichen Theologie 491

§ 1. Die alterthfimliche Form des Idealismus 492

Materie und Idee 493

Idee und Individuen 494

Gemeinschaft von Idee und Materie 495

Gott und Mensch 495

§ 2. Der Platonische Idealismus 497

Kein Dualismus aber Hylozoismus 503

§ 3. Theologie 504

Die Aristotelische Theologie 504

Im Platonischen Idealismus giebt es keinen Gott als

selbständiges "Wesen 509

§ 4. Von der Erlösung 512

§ 5. Moderne Idealisten 515

Fichte 515

Hegel 517

§ 6. Verlegenheiten christlicher Dogmatik 522

§ 7. Zugehörige positive Religionen 527

Brahmanismus 527

Zwei kritische Bemerkungen.

1. Die allgemein menschlichen Lebensausserungen sind

bei den Indern niemals ganz unterdrückt gewesen 52S

2. Die indische Volksreligion und der Brahmanismus sind specifisch verschiedene Beligionsformen . . . 528

Wissenschaft und religiöse Speculation 532

Der ächte Brahmanismus 583

Aegyptische Religion 536

§ 8. Zur Kritik des Idealismus 537

Digitized by

Google

Erster Theil.

Grundlegung.

DigitizedbyOoOgle

Digitized by

Google

^ .'^^ OTT . "/'

Einleitung.

Unter allen, die ttber die Religion reden, mnss zuerst der Unterschied der Meinenden und der Wissenden hervorgehoben werden. Wer bloss seine Überzeugung ausspricht, kann sehr WerthvoUes und Wahres zur Mittheilung bringen; er ist aber doch nur ein Meinender zu nennen und kann nicht lehren, sondern nur durch Autorität oder Beifall wirken, bis er seine Behaup- tungen begründet hat. Die Gründe, welche die allgemein zu- gänglichen und offenbaren Beziehungspunkte des Denkens ent- halten, gewähren dem Inhalte seiner Überzeugung den Character des Schlusssatzes. Wenn solche Begründungen allgemein durch- geführt sind, müssen alle Wege der Erkenntniss blossgelegt worden sein. Damit ist dann die Methode der Forschung zu- gleich gezeigt und eine wissenschaftliche Rede über solche Dinge gewonnen.

Demgemäss haben wir zuerst die positive Religionslehre und die Religionswissenschaft zu unterscheiden.

Die positive Religionslehre giebt, wie die Lehre des positiven Rechts, bloss eine geordnete Darstel- ^**^»ve »«"■ lung des Geltenden. Ob das jetzt Geltende wahr oder falsch sei, ist eine Frage, die gar nicht aufgeworfen werden darf. Was gegenwärtig Rechtens ist oder gegenwärtig von den- jenigen, deren Religion dargestellt werden soll, geglaubt wird, das wird in den sogenannten positiven Disciplinen zusammen- gefasst.

Telohmüller, Religionsphilosophie. ^.^.^.^^^ b^GoOQlC

4 Einleitung.

Da man aber sehr bald erkennen muss, dass

Yergleichende

Reiigions- die jedesmal behandelte Religion nicht die einzige wisBenschaft Religion, sondern nur eine neben andern ist, wie denn auch früher andere Religionen von den Völkern bekannt wurden: so kann die Aufgabe einer vergleichenden Religionswissen- schaft entstehen, wonach die Religionen aller Zeiten und Völker, wie die Pflanzen und Thiere, in gewisse Arten, Gattungen und Glassen geordnet und auch möglichst ethnologisch, literarhistorisch, chronologisch und psychologisch aus einander abgeleitet werden. Wer dies aber versucht und es sind schon viele vergeb- liche Versuche gemacht , der wird bald die Schwierigkeiten empfinden, die rechten Eintheilungsgrttnde zu bestimmen. Denn ohne Unterscheidung des Wesentlichen und Constituirenden von dem Zufälligen und Consecutiven ist eine wahre Eintheilung un- möglich. Ist z. B. die Zahl der Gottheiten filr eine Religion wesentlich? Ist das Geschlecht der Götter constituirend? Ist die Function Eintheilungsgrund der Götter und der Religion? Alles dies geht in den Mythologien vieler Völker durcheinander. Die Eine Gottheit erscheint nach den Hauptcultsitzen als der Zahl und Function nach verschieden und die verschiedenen Functionen werden bald getrennt, bald vereinigt Kurz ohne ein Princip der Eintheilung wird selbst die blosse Beschreibung immer räthselhaft und rathlos bleiben.

Ausserdem hat jeder Forschende selbst eine Religionskritik, ßgiigj^^ ^^^ jj|^gg ^q^Jj g^^^jj ^j^ jfremden Religionen

ihren Motiven nach verstehen wollen. Mithin wird sich ein Urtheil ttber die verschiedenen Religionen einstellen, und die Religions- wissenschaft setzt daher in erster Linie eine Reiigions kritik voraus. Ehe wir eine Religion classificiren können, milssen wir sie verstanden und aus unserem Gefühl und unserer eigenen Erfahrung begriffen haben, weil dieser Gegenstand selbst Leben ist und daher nur durch identisches oder analoges inneres Leben erfasst werden kann. Wenn wir aber auch das Fremde irgendwie nachfühlen könnten, so wfLrden wir es doch nur nach unserem Standpunkte beurtheilen; denn da die Religionen eine Offenbarung ttber Gott und Welt und die Schicksale der Menschen und den Werth ihrer Gesinnungen und Handlungen darbieten, so dreht es sich um die Frage, ob diese Aussagen auch wahr sind, und hierauf wird jeder nach seinem Glauben antworten. Da

Digitized by VjOOQIC

Einleitung. 5

unsre eigene Religion aber ebenfalls als eine Religion unter anderen mit beurtheilt werden muss, so zeigt sich, dass wie der vergleichenden Religionswissenschaft die Religionskritik, so dieser wieder eine Kritik der Kritik, d. h. eine höhere Wissenschaft Yorhergehen muss, welche allererst das Fundament und die Prin- cipien aller dieser Arbeiten in's Reine bringt.

Der wahre Anfang aller wissenschaftlichen Unter- suchungen über die Religion liegt deshalb in der ^*« Philosophie, welche allein die Principien alles Wissens zu ihrem Gegenstande macht und darum über alle Wissenschaften regiert, sofern diese nur die Aufgabe haben, die von der Philo- sophie empfangenen Principien in den besonderen Gebieten der Erfahrung geltend zu machen und das Erfahrungsmaterial nach diesen Principien aufzufassen, zu beurtheilen und zu ordnen.

Da die Bildung jedes Zeitalters nun immer von den bisher kund gewordenen philosophischen Gedanken durchdrungen ist, so wird mit der Schule und der Specialwissenschaft und durch die Berührung mit der Literatur und Gesellschaft von einem Jeden inmier ein mehr oder weniger grosser Kreis von philosophischen Gedanken aufgenommen, weshalb sich Jeder auch befähigt glaubt, ohne weitere Beschäftigung mit der Philosophie über Alles zu urtheilen. Zudem werden die bloss realistisch gebildeten Köpfe durch die vielen Erfahrungskenntnisse aufgebläht und glauben mehr zu wissen und besser unterrichtet zu sein, als die arme Philosophie, die sich nur mit dem Allgemeinen und dem Apriori- schen beschäftigt, ja sie glauben, weil sie ihren philosophischen Gedankengehalt in den empirischen Fächern eingearbeitet und versteckt aufgenommen haben, wie die Gitronensäure in und mit der Citrone, dass sie ihre Gedanken nicht sowohl der Philosophie als vielmehr den Sinnen oder der Erfahrung verdankten. Je weniger sie sich nun der Quelle ihrer Erkenntnisse bewusst sind, desto lauter wagen sie gegen die Philosophie aufzutreten und möchten am liebsten wie durch einen Sclavenaufstand ihre Herrin absetzen und umbringen, wodurch sie sich doch selbst nur um alle Arbeit und Lebenskraft brächten.

Besonders wird von diesen Plebejern gegen die apriorische Erkenntnissart der Philosophie geredet, da sie ja selber sich so viel Mühe mit dem historischen und empirischen Material geben und deshalb nicht begreifen können, wie man aus sich heraus ohne

uiymzeu uy V^jOOy IC

Q Einleitung.

Erfahrung etwas Wissenswerthes Bpinnen könne. Da sie nämlich sich selbst nicht nm die Philosophie bemüht haben, so müssen sie natürlich auch nur ganz schattenhafte und verkehrte Ansichten und Meinungen von ihr haben, ähnlich wie die Franzosen eine Zeit lang über die Deutschen urtheilten, die sie nur für Pen- dulendiebe und rohe Barbaren hielten. Schon der alte griechische Sensualist Antisthenes und nicht erst der moderne Engländer Locke bildete sich ein, die apriorische Erkenntniss mttsste sich als eingeborene in dem Säugling und in jedem rohen Menschen fertig vorfinden, wenn sie wirklich apriorisch sein sollte. Dass der Geist des Menschen an den Erfahrungen zuerst unbewusst arbeitet, ehe er sich allmählich seiner eigenen Thätigkeit be- wusst wird, das kam ihnen nicht in die Gedanken. Deshalb begriffen sie nicht, dass das Apriorische nichts andres als das Bewusstsein der Thätigkeiten des Geistes selbst ist. Da diese geistige Thätigkeit nun bei jedem beliebigen Er- fahrungsgegenstande ausgeübt wird, so bildet sie das apriorische Element in aller Erfahrungswissenschaft und geht mithin aller empirischen Erkenntniss voran, weil man ohne gebildeten Geist überhaupt keine wissenschaftlichen Erfahrungen machen kann, wie die Wilden beweisen, welche zwar mit ihren Sinnen mancherlei Naturerscheinungen auffassen, aber auch nicht zu der geringsten Naturwissenschaft gelangen. Obgleich daher menschlicher Ver- stand unbevmsst erst viele Erfahrungen machen musste, ehe er sich seiner Thätigkeit des Zählens bewusst wurde, so bildet doch dieses Bewusstsein unserer geistigen Thätigkeit, des Zählens, eine rein apriorische Wissenschaft, und die reine Arithmetik geht a priori allen denkbaren empirischen Anwendungen voran und beherrscht gesetzgebend alle Operationen, die in denErfahrungs-. Wissenschaften angestellt werden. Ebenso ist nun alle Philo- sophie eine apriorische Erkenntniss und deshalb, weil sie das Bewusstsein des Geistes von sich selbst und seinen Thätigkeiten ausmacht, natürlich und von rechtswegen die Königin aller Wissenschaften, die zu ihr nicht in feindlichen Beziehungen stehen können, sondern von ihr grade das Bewusstsein ihres Verstandes und ihrer lebendigen Geisteskraft erhalten. Deshalb können die Erfahrungswissenschaften zwar von einander getrennt und von verschiedenen Forschem bearbeitet werden; keine einzelne Wissen- schaft ist aber von der Philosophie abtrennbar, wie die Pro-

uiyiiized by VjOOQIC

Einleitung. 7

yinzen zwar von yerschiedenen Gouverneuren verwaltet werden, jeder Gouverneur aber von dem Minister und dem Souverain inspirirt wird. Die hervorragenden Forscher in den empirischen Wissen- schaften sind sich auch zu allen Zeiten dieses natürlichen Ver- hältnisses bewusst geworden und haben Achtung vor der Philo- sophie und Liebe zu ihr an den Tag gelegt, weil sie selbst von ihrem Geiste kräftiger erfüllt waren und deshalb, wie dies ja in der Natur der Sache Uegt, die Philosophie als einen nothwendigen Bestandtheil ihrer allgemeinen Bildung betrachteten.

Obgleich aber die Philosophie als einfaches und wahres BewuBStsein des Geistes von sich selbst und seinen Thätigkeiten nur in einer einzigen Gestalt auftreten kann und unfehlbar sein muss, so finden wir sie gleichwohl geschichtlich immer in vielen Systemen vor, die sich einander bekämpfen und des Irrthums zeihen. Diese Thatsache einer „metaphysischen Anarchie*', wie ein modemer Skeptiker sich ausdrückt, setzt Viele in Verwirrung und flösst ihnen Misstrauen gegen die philosophische Arbeit ein. Wenn man aber bedenkt, dass die Thätigkeiten des Geistes gar nicht so leicht zum Bewustsein konunen, dass vielmehr sowohl im einzelnen Forscher, als in ganzen Völkern dies Bewusstsein sich nur allmählich und bruch- stückweise ereignet, wie auch in der Regel noch die beson- deren Gegenstandsgruppen, bei denen man sich der geistigen Thätigkeitsweise bewusst wurde, von dieser nicht ganz los- gelöst werden: so ist nichts natürlicher, als dass die Philo- sophie auch ihre Entwickelung, ihre Fehden und ihre Geschichte haben muss, wie jede andre Wissenschaft. Wo es aber je ge- lang, eine Geistesthätigkeit ftir sich rein aufzufassen, da ist auch eine apriorische Erkenntniss geftinden, die ihrer Natur nach noth- wendig von ewiger und allgemeiner Gültigkeit sein muss und in einfacher Gestalt unfehlbar alles Denken regiert. Die Geschichte der Begriffe hat diese Funde einzutragen und den Besitzstand der Philosophie zu verzeichnen. Aber selbst, wo die endgültige apriorische Erkenntnissform noch nicht rein ausgeschieden ist, da bleibt dennoch der jeweilige Stand der philosophischen Forschung das letzte Princip, nach welchem in allen Einzel- forschungen der Erfahrungswissenschaften gedacht wird, so dass, wenn die Philosophie über einen Grundbegriff noch im Streite mit sich liegt, auch die positiven Wissenschaften, welche diesen

Digitized by VjOOQIC

g Einleitang.

Grundbegriff gebrauehen, nicht zu befriedigender Klarheit und BeBtinimtheit gelangen können (so jetzt z. B. die Jurisprudenz, wie sie selbst klagt), da ohne das Denken nichts gedacht werden kann und jedes besondere Gedachte die jedesmal zugehörige allgemeine Form des Denkens voraussetzt.

Mithin bedarf jede positive Religion, wenn sie Die Reiigions- HxiQji Bcsitzcr uicht bloss erfüllen und beherrschen, sondern auch ihrem Werthe und ihrer Wahrheit nach gemessen werden soll, erstens der vergleichenden Beligions- Wissenschaft, wodurch wir statistisch auf alle ähnlichen und un- ähnlichen positiven Religionen hinblicken können, und zweitens der Religionskritik, durch welche gewisse Grundsätze oder Gesichtspunkte zur Unterscheidung und Weiiihbestimmung der positiven Religionen dargeboten werden. Um aber wieder die Wahrheit dieser Gesichtspunkte festzustellen und die Eintheilungs- gründe der Religionen zu beweisen und das Wesen der Religion selbst zu begreifen, bedürfen wir allem zuvor einer Philosophie der Religion, d. h. den Rückgang auf die apriorische Erkenntniss, durch welche die Thätigkeiten des Geistes, welche alle Religion hervorbringen und im Leben erhalten, bewusst werden. Ohne diese Grunderkenntniss ist alles Reden über die Religion dilet- tantisch, unsicher, rathlos, widerspruchsvoll, subjetiv und niemals endgültig abzuschliessen.

Ueber die Möglichkeit einer wahren Religionsphilosophie.

Die Vollkommenheit in der Wissenschaft ist immer die Wahr- heit; denn jeder Mangel der Erkenntniss beruht entweder darauf, dass man die erforderliche Wahrnehmung des jedesmal zu- gehörigen Gebietes der Thatsachen nicht besitzt und also einen Theil irriger Weise fftr das Ganze hält, oder dass man von irrigen Voraussetzungen, Begriffen, Principien, Gesetzen u. s. w. ausgeht, oder drittens, dass man die Verknüpfungen der Begriffe mit den Begriffen, der Thatsachen mit den Thatsachen und der Begriffe mit den Thatsachen falsch ausführt. Die Vollkommen- heit einer Religionsphilosophie hängt deshalb ab von der Wahr- heit der zur Auffassung benutzten Metaphysik, von der Richtig- keit der dialektischen Bewegung des Forschenden und drittens

Digitized by

Google

Einleitung. 9

zuletzt und zumeist von der yoUständigen Wahrnehmung des religiösen Lebens; denn wer den religiösen Geist in allen seinen Lebensäusserungen nicht vollständig in sich wahrgenommen hat, der kennt die Thatsachen nicht, welche er durch metaphysische Begriffe nach dialektischer Methode darstellen soll

Welches nun die richtige Metaphysik sei, von der man aus- zugehen hat, darüber habe ich in meiner Neuen Grundlegung der Metaphysik gehandelt. Die richtige Dialektik und Logik hier zu erörtern, ist ebenfalls nicht angezeigt Der aufinerksame Leser wird auch selbst alle Bewegungen des Gedankens und alle Technik der Methode bei ihrer Anwendung zu prttfen haben. Was hier aber noch besonders zu erwägen bleibt, das ist die Kenntniss der Thatsachen oder die Erfahrung des religiösen Lebens; denn ohne diese spricht ein Blinder von den Farben.

Da nun über die Religion die verschiedensten und entgegengesetztesten Meinungen herrschen und »^»«iJgton«- Jeder die Meinung des Andern nach seiner Meinung beurtheilt, so scheint zunächst wenig Hoffiiung vorhanden zu sein, eine wahre Philosophie der Religion herstellen zu können. Da aber jede Meinung als eine Art Erkenntniss auf den drei eben dargelegten Momenten beruht, so ist jede falsche Meinung auch schlimmer daran, als der Sohn der Thetis, da sie nothwendiger Weise an drei Achillesfersen tödtlich verwundet werden kann. Dies ist der dreifache Grund, weshalb die Meinungen der Menschen veränderlich sind und sich auch wirk- lich sowohl über weltliche als über religiöse Dinge mit der Zeit immer verändert haben. Die thatsächliche Verschiedenheit religiöser Meinungen ist daher an sich kein Hindemiss ftlr den Aufbau eines wissenschaftlichen Systems, da die richtigen Mei- nungen zur Unterstützung dienen und als testimonia gebraucht werden können, die falschen aber auf drei Wegen verschwinden, wie im Halbdunkel entstandene Sinnestäuschungen bei anbrechen- dem Tageslicht

Diejenigen jedoch fallen einer Illusion zur Beute, welche noch einen vierten Weg zur Entfernung einer falschen Meinung, nämlich den freien guten Willen, zu kennen glauben. Die Meinung ist aber eine nothwendige Function ihrer jedesmal zugehörigen Goordinaten in dem Lebenszustand jedes Menschen, indem ein Jeder nach dem Umfange seiner Erfahrung und der Kraft seiner

Digitized by VjOOQIC

1 0 Einleitung.

Erkenntniss sicherlich seine Meinungen über dieses und jenes Dogma und über diese oder jene Form des Cultus und dergleichen haben wird und zugleich nicht anders, als er wirklich meint, meinen kann. Die Meinung ist nicht Sache der WillkfLr, sondern geht jedem willkürlichen Entschlüsse vorher. Wie Niemand mit freiem Willen machen kann, dass er meint, sein Vater wäre sein Bruder, oder eine Tanne wäre eine Weide, so kann auch Nie- mand sich irgendwie zwingen, zu meinen, Christus wäre aufer- standen oder die Bibel wäre inspirirt Die Meinungen flber religiöse Dinge vom sogenannten freien Willen abhängig zu machen, wird man verleitet, weil die religiösen Dinge zu einem grossen Theile Zustände des Willens sind und weil deshalb gesetzmässig das Bewusstsein des Menschen flber die in ihm selbst vorhandene oder fehlende Gesinnung immer auch ent- sprechende Meinungen in ihm hervorbringt. Wenn man deshalb aber die Meinungen verurtheilt und andre Überzeugungen von dem Menschen verlangt, so kann man höchstens eine Verheim- lichung des Unglaubens und Zweifels, d. h. Heuchelei, hervor- bringen, während man die Meinungen bei Seite lassen und das Herz des Menschen ergreifen sollte, da ein verwandeltes Herz von selbst die alten Meinungen schmilzt und oft mit Tbränen auslöscht, um nach gewonnener tieferer Erfahrung sofort eine andre und zuweilen bessere Meinung in religiösen Dingen zu haben und zu bekennen.

Die Meinung der Menschen und also auch die Kritik, die sie anderen Standpunkten gegenüber geltend machen, fusst aber nicht bloss auf dem zufalligen individuellen Erfahrungskreise des Urtheilenden, sondern zweitens auch auf den in's Bewusst- sein aufgenommenen Gedanken der herrschenden Systeme. Es ist darum ausserordentlich leicht, jeden Urtheilenden nach seinem Urtheile sofort zu errathen und ihn mit seinem kritischen Stand- punkte unter ein System zu rubriciren, wie wir eine Pflanze sofort nach ihren Merkmalen in eine grössere Familie und Ordnung bringen und sie dadurch bestimmen. Die in einem jeden Zeitalter zur Kenntniss gekommenen philosophischen Theorien erobern sich ja unmerklich von selbst ein Herrschafts- gebiet in allen Geistern, da jeder genöthigt ist, das was er denkt, unter gewissen Gesichtspunkten aufzufassen. Wenn einer nun nicht selbst diese Gesichtspunkte entdeckt und also kein

Dig^izedbyGoOQle

Einleitang. 11

sehöpferischer philosophischer Genius ist, so benutzt er einfach und häufig sogar unbewusst die von seinen Lehrern oder aus Büchern flbemommenen Gesichtspunkte und wird dadurch willenlos ein Unterthan eines philosophischen Systems. Ist er ein klarer Kopf, so bleibt er bei einem System; ist er von etwas schwäch- lichen Muskeln des Verstandes, so mischt er die unvereinbarsten Gesichtspunkte durcheinander; ist er grösser als die herrschenden Systeme, aber zu selbständiger Schöpfung nicht fähig, so wird er die Unzulänglichkeit der bisherigen Auffassungsformen er- kennen und zwar nicht der feigen und geistlosen Skepsis der Positivisten verfallen, aber doch entweder mit einer gewissen Traurigkeit auf die Arbeit der Wissenschaft blicken, oder in glttcklicherer Wendung mit einer schönen Hoffnung dem neuen Genius der Philosophie entgegenkommen.

Da nun die Philosophie nichts anderes als das dialektisch ausgebildete Bewusstsein des Geistes von ^^"* christu.. sich selbst und von seinen Thätigkeiten ist, so wird Jeder eine einseitige Philosophie haben, der bloss in einseitiger Weise geistig thätig ist und sich nur diese Thätigkeit zu Bewusstsein bringen kann. Daher legt jedes philosophische System zugleich Zeugniss ab über die Begabung und den Arbeitskreis des Philosophen selbst. Am augenfälligsten wird dies für Jeden, der die philo- sophischen Systeme der Ethik und Keligionslehre beachtet; denn wessen die Philosophen in ihrem eigenen Gefühl und ihrer eigenen Erfahrung sich nicht bewusst geworden sind, weil der- gleichen in ihnen nicht vorkam, dafür haben sie auch in ihrem System keinen Begriff aufstellen können. Wie darum die voll- kommene Beligion nur in einem vollkommenen Menschen an's Licht treten wird, so kann auch die vollkommene Beligions- philosophie nur von einer göttlichen Natur geschaffen werden.

Es wäre sonach wenig Hoffnung, eine wahre Beligions- philosophie zu erhalten, da ein göttlicher Mann dazu erforder- lich ist und ein solcher doch selten in der Geschichte auf- tritt; wie aber, wenn ein Licht entzündet ist, Viele, die selber Feuer anzufachen nicht im Stande waren, mit ihren Kerzen herankommen können, um sie an dem schon brennenden Lichte zu entzünden, so giebt es auch. Gottlob! eine grössere Menge von Naturen, die wenigstens fähig sind, das von einer gött- lichen Natur ausströmende vollkommene Leben in sich aufzu-

uiyiiized by VjOOQIC

J

12 Einleitung.

nehmen, es sich anzueignen und mitzageniessen, so dass sie, wenn anch nicht als Schöpfer des göttlichen Lebens, doch als Erben und Theilnehmer das Wesen desselben in sich em- pfinden und zum Bewusstsein bringen können. Und glücklicher Weise ist sogar mit dieser zweiten Stellang noch ein gewisser Vorzug yerknüpft. Wie die Enkel eines den Adel begründenden Vorfahren vornehmer und von älterem Geblüt sind als der ohne Ahnen auftretende Ahnherr; so dass sich sogar Napoleon wünschte, sein eigener Enkel zu sein: so ist es auch ftlr die Wissenschaft von Vortheil, wenn derjenige, welcher eine geistige Lebensmacht zu klaren Begriffen bringen soll, sie nicht selber erst erzeugt hat. Shakespeare hätte nicht wohl vermocht,* eine dramatische Theorie auszuarbeiten, die doch seiner Leistung und des Genusses derselben bedarf, um zu einer höheren Stufe zu gelangen. Alle Dinge sind eben an die Quantität gebunden, so dass, wer in Einem Gebiete gross ist, nothwendig seine Arbeit von den andern Gebieten zurückziehen muss. Der grosse Dichter kann nicht zugleich gross als Philosoph sein und umgekehrt. Dies ist der Grund, weshalb auch die Religionsstifter, die Reformatoren und alle vorherfschend religiösen Naturen fUr die philosophische Auf- fassung ihres göttlichen Lebens nichts oder wenig geleistet haben, und weshalb ein in der Religion bloss receptiver und mit- geniessender Geist ftlr die Philosophie der Religion gerade der rechte Mann ist, weil er nicht mühsam durch die Wurzeln die Nahrung aus dem Boden zu saugen braucht, sondern als Rebe den edlen Saft des Weinstocks fertig empftlngt und als Erbe den Reichthum des göttlichen Lebens nun registriren und unter wohl- geordneten Titeln überschauen kann.

Dennoch bleibt die Wahrheit immer bestehen, dass wer die vollkommene wissenschaftliche Erkenntniss der Religion lehren soll, entweder zugleich die vollkommene Religion selbst in sich offenbaren oder in Gemeinschaft und Sympathie mit einem voll- kommenen religiösen Genius stehen muss. Denn da die Religion Geist ist, so kann Niemand die Religion vollkommen verstehen, der ihren Inhalt nicht als geistiges Leben in sich besitzt. Wer niemals von Zorn und Entrüstung ergriffen wird, der kann auch diese Affekte nicht in Wahrheit verstehen und also auch von den Begriffen des Rechts und der Ehre niemals eine genügende Er- klärung geben. So muss in der Geschichte nothwendig das

uiyiiized by VjOOQIC

Einleitung. 13

Auftreten der yerschiedenen Keligionsstifter vorhergehen, ehe die jedesmal zugehörige Religionsphilosophie aufkommen kann. Die YoUkonmiene Philosophie setzt deshalb eine vollkommene religiöse Persönlichkeit voraus, von deren Lebensmacht der Philosoph ergriffen und belebt sein muss, wenn er den Inhalt, den er sich zu Bewusstsein und zu Begriffen bringen will, nicht verfehlen soll. Es ist daher nicht zu verwundem, dass das Heidenthum, Judenthum, der Buddhismus u. s. w. keine beMedigende Religions- philosophie hervorgebracht haben und dass erst durch das von Christus ausgehende Leben eine allgemeine Erkenntniss aller Religionen und eine alle Religionslehren beurtheilende und sich ihrer eigenen Wahrheit methodisch bewusstwerdende abschliessende Religionsphilosophie möglich wird.

Digitized by

Google

Erstes Capitel.

Definition der Religion.

§ 1. Naturalistische Erkenntniss der Religion.

Wenn wir die Religion definiren wollen, so müssen wir anf das zu Definirende als auf einen Beziehungspunkt unserer Ur- theile hinblicken. Wir setzen also voraus, dass wir schon wissen, was das sei, was wir mit dem Namen Religion bezeichnen. Diese vorausgesetzte Erkenntniss ist aber keine wissenschaft- liche, sondern nur ein Bewusstsein um gewisse Thatsachen und Erlebnisse. Darum kann ein kleines Kind und ein reiner Realist nichts verstehen, wenn man ihnen auch die beste Definition der Religion mittheilte, weil sie die Bekanntschaft mit jenen That- sachen nicht gewonnen haben und die erforderlichen inneren Erlebnisse nicht in ihrem Bewusstsein vorfinden.

Wie nun das Kind an der Uniform und der Wehr erkennt, was ein Soldat ist im Unterschied von einem Civilisten, so giebt es auch gewisse, äusserlich erkennbare Handlungen der Menschen, die wir der Religion zuschreiben. Wer z, B. irgendwo einen Juden sieht, der sich einen Gebetsriemen um den Arm schnallt, einen Sack über den Kopf zieht, murmelt und dergleichen thut, der merkt sehr bald, dass dies nicht eine diätetische Übung ist zur Erhaltung der Gesundheit, auch nicht zum Handel dient oder zur Wissenschaft und Kunst, sondern dass sich das, was die Menschen Religion nennen, auf diese seltsame Weise äusserlich kund thut Wer im Orient reist, kann den mahometanischen Kaufinann in seinem Laden täglich gewisse Handlungen ausüben sehen, die mit dem Verkauf der Waaren nichts zu thun haben, sondern Religion sind. Der Araber steigt auch auf der Reise oft plötzlich vom Pferde, breitet ein Gewand auf der Erde aus, netzt seine Lippen und Hände mit Wasser oder Wüstensand, wirft sich nieder, berührt mit der Stirn die Erde^ ruft Allah und andere

Digitized by VjOOQIC

Frühere Definitionen. 15

Worte ans und reitet dann weiter, ohne dass er sich hätte ansrohen oder trinken oder irgend ein weltliches Geschäft yoU- ziehen wollen. Was war das alles? Religion.

Ebenso kennt man anch mit dem sogenannten inneren Sinne bestimmte Gesinnungen, Gedanken oder GefUhle, die man als religiös oder Religion, oder als Andacht, Frömmigkeit, Gottes- furcht und dergl. bezeichnet. Man kennt sie naturalistisch in derselben Weise, wie man weiss, wann man sich zornig oder traurig fühlt und wie man Hass und Liebe in sich unterscheidet

Diese Kenntniss von der Religion ist von derselben Art, wie der Hund seinen Herrn von andern Personen wohl zu unter- scheiden versteht Der Mensch ist aber bei dieser Kenntniss um eine Stufe höher, da er das, was er unterscheidet, durch gewisse Lautzeichen charakteristisch zu stempeln und sich darüber Anderen yerständlich zu machen weiss.

Eine solche naturalistische Erkenntniss setzt voraus, dass die religiösen Zustände der Seele qualitativ verschieden von anderen Zuständen sind und dass der Mensch schon so weit entwickelt ist, um, wie er z. B. Farbenempfindungen von Ton- empfindungen unterscheidet, so auch die verschiedenen GefUhle in sich nach ihrer qualitativen Verschiedenheit zu beachten und davon ein Bewusstsein zu gewinnen. Da der Mensch ein ge- selliges Wesen ist, so lernt er dann auch schnell, die bei den- selben äusseren Veranlassungen in ihm und den Andern gleich- massig entstehenden Gefühle mit den entsprechenden äusseren Geberden zu coordiniren und aus diesen als den charakteristischen Zeichen auf die entsprechenden inneren Gefühle der Andern zu schliessen.

§ 2. Frühere Definitionen der Religion.

Wer nun keine wissenschaftliche Bedürfnisse hat, der bleibt auf dieser naturalistischen Stufe der blossen Kenntniss der Re- ligion stehen und würde, wie Demokrit den Menschen als das- jenige Wesen, welches uns allen bekannt wäre, definirte, so auch bei der Religion sich mit dem Hinweis auf unsre vorauszusetzende Kenntniss derselben begnügen.

Die Höhergebildeten aber sind schon daran gewöhnt, die einzelnen Acte der Seele oder die sogenannten Erscheinungen

uiumzeu uy "V-j vy\J>t Iv^

16 Definition der Religion.

des änBBeren nnd inneren Lebens znsammenznfaBsen und all- gemein auszudrücken. Allein die Wenigsten sind sieh bewusst, dass hierbei eine sichere Methode befolgt werden muss und dass es auch filr die geistige Welt eine ganz bestimmte Topographie giebt, wonach jeder Begriff, wie im Raum jeder Punkt, seine durch bestimmte Bedingungen fest und nothwendig geordnete Lage in einem allgemeinen Systeme der Begriffe hat. Darum findet man zwar in den wissenschaftlichen Werken über die Beligion fast immer irgend eine Definition, in der Regel aber eine beinahe zuföllig aufgeraffte, die weder eine methodisch ge- folgerte Ortsbestimmung des Begriffes enthält, noch für die Er- scheinungen, die dadurch begriffen werden sollen, hinreicht, sondern bald zu weit, bald zu eng ist und das Wesen der Sache überhaupt nicht deckt.

Um die Schwierigkeit, diesen Begriff zu be- cognoBoandi et stimmcu, vor Augcn zu haben, wollen wir wenigstens coiendL ^jn p|^j. Beispiele fehlerhafter Definitionen beurtheilen. Die älteren Theologen definirten die Religion als modus deum cognoscendi et colendi, also als eine Art und Weise der Gottes- erkenntniss und Gottesverehrung.

Nun ist jede Definition durch zwei Coordinaten zu leisten, von denen man die Eine bei abgeleiteten Dingen als Gattung (genus proximum), die andre als Differenz (differentia specifica) zu bezeichnen pflegt. Jedes Ding hat aber nur Eine Gattung, unter die es untergeordnet werden muss, wie z. B. das Dreieck eine Figur, die Lampe eine künstliche Lichtquelle ist Sobald man daher in der Definition zwei Gattungen nennt, so hat man nicht mit einem, sondern mit zwei yerschiedenen Dingen zu thun. Ist der zu definirende Gegenstand nun keine Summe, sondern von einheitlichem Wesen, so heben die angegebenen zwei Gat- tungen sich wechselseitig auf, da die Eine Gattung eben nicht die andre und mithin der Gegenstand weder das Eine noch das Andre ist, wie z. B. ein Thier, das als Fisch und Vogel bestimmt wird, weder das Eine noch das Andre und also insoweit nichts ist. Aus dieser logischen Betrachtung ergiebt sich, dass die angefthrte Definition der Religion nichts definirt; denn sollte die Gottesverehrung als Gattung gelten, so wäre die Religion, da Verehrung nicht Erkenntniss ist, auch keine Gotteserkenntniss. Ist sie aber dies letztere, so wäre sie aus demselben zwingenden

u.quizeauy Google

Frühere Definitionen. 17

Grande keine Gottes Verehrung. Es ergiebt sich also ohne Weiteres aas dieser schlechten Definition, dass entweder Gottes- Erkenntniss und Verehrung dasselbe ist und man unntttz zwei Kamen genannt hat, oder dass die Religion weder Gotteserkennt- niss, noch Gottesverehrung ist, und dass man daher die Frage von Neuem aufzuwerfen hat, was denn Religion sei.

Ausserdem wurde die Religion als modus, als eine Art und Weise bestimmt Dadurch wird angezeigt, dass es ausser dieser Modalität noch andre Arten der Gotteserkenntniss und Gottes- verehrung giebt, die nicht Religion sind. Da wir nun durch die Definition nicht erfahren, wie sich die Religion als Art von den andern Arten, die nicht Religion sind, unterscheidet, so wird die Religion definirt als gleichgültig gegen die Frage, ob damit die religiösen oder die nicht-religiösen Acte des geistigen Lebens begriffen würden.

Geht man aber von der Form auf die Sache, so wird die Definition um nichts lehrreicher. Denn eine Gotteserkenntniss ist doch die Religion nicht, da Professor und Priester, Experiment und Sacrament nicht identisch sind. Wäre die Religion Er- kenntniss, so würde derjenige, der am Wissenschaftlichsten erkennt, der religiöseste sein, und die Religion wäre bloss eine Wissenschaft, wie die Physik oder die Geographie. Ebenso ist zweitens die Religion auch keine Gottesverehrung; denn da der Cultus (modus colendi deum) in äusseren Handlungen besteht, so kann, wie jedermann weiss, auch ein Unreligiöser diese Hand- lungen ausüben, das Abendmahl nehmen, die Hände falten oder Opfer zum Altare bringen u. dergl. Also ist durch diese Definition die Beligion nur etwa so erklärt, wie wenn man den Sturmwind als eine Erscheinung definirte, bei welcher man eine gewisse Vorstellung von der Luft hätte und zuweilen seinen Hut verlöre.

Der Kantianer Krug definirt die Religion als

Lebendiger

»lebendigen Glauben an das höchste Guf Diese eunbe an dM Definition lahmt an allen Gliedern. Denn erstens ist »»ochste Gut. das Attribut „lebendig^^ unbestimmt und unbestimmbar, da es der Quantität unterliegt und die Grenze nicht festzustellen ist, wann der Glaube anfängt, lebendig, also Religion, zu werden. Da er femer mehr oder weniger lebendig sein kann, so wäre die Re- ligion auch mehr oder weniger Religion, was ebenso seltsam ist, als wenn ein Dreieck dreieckiger als das andre sein sollte. Der

Teichmüller, BeUgloniphü<Mophie. uigiizeu uy GoOQIc

18 Definition der Religion.

„Glaube", zweitens, wird dabei als Überzeugung oder Erkenntniss aufgefasst; dass aber Erkenntniss und Wissenschaft nicht Religion sind, haben wir schon gesehen. Drittens, es bedeutet das „höchste Gut" bei den Kantianern die Übereinstimmung der Naturgesetze mit den Sittengesetzen in der Weise, dass auf gute Handlungen sinnliches Glück, auf böse aber Unglück folge. Dieses höchste Gut kann aber nicht gut sein, weil seine Verwirklichung die Beligion aufheben würde, die nur wegen der Nichtwirklich- keit jener erwünschten Uebereinstimmung als lebendiger Glaube möglich ist. Beligion und höchstes Gut verhalten sich daher bei den Kantianern wie Hunger und Speise, die man niemals gatten kann, ohne sie beide zu vernichten. Ausserdem wird jeder Religiöse zu sagen wissen, dass das inhaltlose Kantische höchste Gut mit dem inhaltreichen Wesen der Religion nichts zu thun hat und dass Kantische Moralität nicht Religiosität ist.

Schleiermacher' s Definition der Religion als Ge- schieiermacher'8 fuij! gj^^j ^^^^ Gcschmack flir's Unendliche würde

Definition. . . ,

erspnesshcher sein, wenn er nicht, erstens, den leeren BegriflF „des Unendlichen" an die Stelle von Gott gesetzt hätte; denn das Unendliche bedeutet ja bloss, dass man einen Gedanken- gang weiter fortsetzen könnte, wobei das etwa zu erreichende Ziel unbestimmt und also unerkannt bleibt; Gott ist aber durchaus bestimmt und also erkennbar, sonst sollte man lieber von ihm nicht sprechen. Zweitens weiss Schleiermacher den Gattungs- begriff der Religion nicht zu finden; denn schon die bunte Zu- sammenstellung von „Sinn, Geftihl, Geschmack" beweist, dass er im Unklaren über das Wesen der Religion war. Dies wird noch weiter dadurch bestätigt, dass er das Gefühl in Gegensatz gegen das Wollen stellt und sich also ebenso wie Spinoza, Kant, Hegel und die Späteren, wie die Früheren, über das Wesen des Gefühls nicht orientiren konnte. Deshalb musste auch HegeFs Kritik, als wäre Gefühl bloss eine Sache des unvernünftigen Geistes und Schleiermacher's Religion daher etwas Thierisches, weit vom Ziele treffen; es wussten eben beide Philosophen nicht, was Gefühl sei. Drittens haben wir nun noch die Combination der beiden Elemente in der Schleiermacher'schen Definition zu betrachten und werden dabei wohl bekennen müssen, dass sich kaum etwas Leereres angeben lasse, als ein Gefühl für das Un- endliche. Denn da das Unendliche eine Quantitätsbestim-

Digitized by VjOOQIC

Frühere Definitionen. 19

mnng ist und so viel bedeutet, wie „nur immer weiter", so ist der Geschmack für solche leere Unbegränztheit und Mass- losigkeit entschieden pathologisch; denn alles gesunde Gefühl hält sich an das rechte Mass und hat Geschmack für das gut nnd schön Begränzte. Dächte man aber Schleiermacher zu Ge- fallen bei dem Unendlichen auch an etwas Qualitatives, so wäre dieser Inhalt doch jedenfalls nur negativ bestimmt, und Niemand dürfte sagen, was er sich bei diesem Gefühl etwa denken könnte, da jeder Inhalt ja dem Unendlichen eine Gränze setzte. Also ist es besser, Schleiermacher bei seinem Kitt in's Blaue und in's Bodenlose seinen Gefühlen zu überlassen.

Um weiter die Rathlosigkeit der Denker zu ver- folgen, wenden wir uns Hegel zu. Ich habe schon Hegers

° Definition.

in meiner Grundlegung der Metaphysik gezeigt, dass bei Hegel die ganze Welt zu einem bloss logischen Processe wird und ihm mithin bloss das ideelle Sein bekannt war. Da Hegel weder ftlr das reale, noch ftir das substanziale Sein die Erkenntnissquelle gefunden hatte, sondern die specifischen und die semiotischen Erkenntnissformen mit völliger Naivetät durch- einander mischte, so musste sich, das Besultat ergeben, dass auch, wie die Dinge, so der Wille und die Beligion bloss eine gewisse Stufe des allgemeinen Erkenntnissprocesses wären. Da die Religion nun nicht die Philosophie ist, welche den ganzen Erkenntnissprocess beschreibt, so blieb ihr nur eine untergeordnete Stelle übrig, nämlich die zweite, die subjective Stufe des abso- luten Geistes zu sein, in welcher dieser aus der objectiven An- schauung, die er in der Kunst hat, zu dem in sich vermittelten Wissen übergeht als Offenbarung seiner selbst, als Geist flir den Geist, aber nur in der Form der Vorstellung und nicht im Begriff. Die Fehler der HegeFschen Theorie sind crass. Die Kunst wird bloss als Erkenntnissfoim verstanden und daher mit den Kunstwerken zugleich das ganze reale Wesen der Kunst völlig übersehen. Ebenso ist ihm die Keligion völlig unverstanden geblieben, da er als Gattungsbegriff nur Erkenntniss und als Artbestimmung wieder nur eine bestimmte Form der Erkenntniss, nämlich die sogenannte „Vorstellung" anzugeben wusste, von der specifischen Natur der Religion also gar nichts merkte. Es ist daher nur natürlich, dass die Religiösen die nicht so unrichtige „Vorstellung" hatten, etwas Anderes und Besseres zu besitzen

uiyiiizeu uy V^jOOV IC

20 Definition der Beligion.

and zu keimen, als was Hegel für Religion hielte, und von ihm überhaupt gar nicht verstanden zu sein. Dies ist auch der einzige Grund, weshalb sich sogar Schleiermacher, trotz der sonst vehiichtenden Kritik Hegels, gegen ihn halten konnte. In Schleier- macher's Gefllhl lag ein von ihm selbst nicht erkanntes reales Element, welches trotz der dialektischen Schwäche Schleier- macher's über Hegel triumphirte.

Die neueren Definitionen der Religion, welche in Krause. ßg^ug auf die bisher gerügten Mängel entschieden einen grossen Fortschritt anzeigen, scheinen, wie 0. Pfleiderer mit Betonung hervorhebt und worin er vielleicht auch Recht hat, durch die Philosophie von Krause beeinflusst zu sein. Ich kann mich aber dennoch nicht entschliessen, im Einzelnen auf diese Philosophie näher einzugehen. Sie hat einen gewissen Werth durch mancherlei richtige Impulse und durch manche nicht un- bedeutende Behauptungen; aber sie steht an wissenschaftlicher Schulung nicht über Schelling; also unter der Stufe, die ich für beachtenswerth halten kann. Von seinen seltsamen Ausdrücken will ich gar nicht reden; denn man würde sie sich gefallen lassen, wenn man dadurch etwas Neues lernte; das Unerträgliche dieser Art von Philosophie ist aber die ausführliche Breite von Dar- legungen, die mit lauter unbestinmiten und alle eigentliche For- schung lähmenden begriffslosen Wörtern operiren. So z.B. kann man nach Krause (Syst. d. Phil. 1828 S. 171) Wesen und Wesenheit nicht definiren, Dasein wird ganz vergnügt als Eigen- schaft bezeichnet, Einheit des Ichs kann nach seiner Meinung nicht erklärt werden, ebensowenig die sogenannte „Formheit" oder „Satzheit" des Ichs; will man erfahren, was Krause unter Gott versteht, so hört man (Psych. Anthrop. 1848 S. 125), er sei „überwesenliches Wesen als übergeistiges und übernatürliches Wesen", ohne dass diese prachtvollen Wörter durch irgend eine Erfahrung mit der Wirklichkeit verknüpft würden. Raum, Zeit, Bewegung, Causalität, die doch Begriffe von einem gewissen Rang sind, nimmt Krause ganz in dem volksmässigen Sinne, als wenn Krethi und Plethi darüber verftigen könnten. Natur heisst bei ihm „vorherrschende Ganzheit" und Geist „vorherrschende Selbst- ständigkeit"; eine Erklärung, wie wenn er sagte, ein Rubel sei vorherrschende Russheit und ein Thaler vorherrschende Deutsch- heit. Was soll man lernen, wenn ein Philosoph nicht einmal

Digitized by VjOOQIC

Frühere Definitionen. 21

die Probleme stellen kann. Ich will deshalb aus Achtung vor 0. Pfleiderer, der aber die Philosophie von Krause tiberschätzt, gern zugeben, dass die Behauptungen Krause's über die Religion einen gewissen Einfluss auf manche Philosophen und Theologen ausgeübt haben; dasselbe wäre aber doch auch von jedem bekannteren Dichter zu sagen, ohne dass man die Dichter in der Geschichte der Philosophie abzuhandeln pflegt.

Lotze's Genialität, die allgemein anerkannt ist, besteht besonders in der Selbständigkeit seiner Ur- ^°**®' theile, die sich von der Tradition nicht binden lassen, und in seiner Fähigkeit, die verschiedensten Gebiete geistiger Forschung wie ein Einheimischer zu betreten und sie zu neuen Gombinationen fruchtbar zu vereinigen. Man wird deshalb seine Schriften immer mit reicher Anregung lesen, das Gemüth des Mannes lieben und die Originalität seiner Gedankenbewegung bewundem.

Es fehlt aber bei Lotze doch die Totalität der wissen- schaftlichen Functionen, sofern er eine Antipathie gegen den systematischen Geist der Griechen, gegen ihre speculative Archi- tektonik hatte. Darum hat uns Lotze nicht in eigentlichem Sinne ein System hinterlassen, und wer in der Schule der Griechen auferzogen ist, der wird bei ihm immer die Akribie der Defi- nitionen und die Kunst eines überall durchgeftlhrten, Alles um- fassenden und übersichtlichen Aufbaus vermissen.

Wenn man in den „Grundzügen der Eeligionsphilosophie", die uns aus seinen Diktaten glücklich erhalten sind, nach einer Definition der Religion sucht, so wird man mit Erstaunen be- merken, dass der Verfasser gar nicht das Bedürfniss, oder wie er sich auszudrücken liebt, die Pflicht fühlt, eine Definition über- haupt zu geben. Es ist vielmehr so seine Art, vorauszusetzen, man wisse schon, um was sich die Sache drehe, und es handle sich nur darum, diese oder jene Streitfrage zu entscheiden. Er ftlngt deshalb gleich mit dem Gegensatz von Wissenschaft und Religion an und spricht über die Streitfragen, die sich auf Offen- barung und Glauben beziehen.

Sollten wir uns aber so etwas wie eine Definition aus seiner Schrift heraussuchen wollen, so könnte am Besten wohl der § 4 dienen, bei dem Lotze drei Gruppen von inneren Zuständen unterscheidet: 1) die persönlichen Gefühle der Furcht, der schlechthinnigen Abhängigkeit von unbekannten Mächten, die das

u.quizeuuy Google

22 Definition der Religion.

rohe Motiv bilden, in einer nicht-erfahrungsmässigen Weltansicht Trost zu suchen; 2) die ästhetischen Gefühle, die sich dem Schönen mit Bewunderung hingeben und zur Bildung einer Ideal- welt anregen; 3) die sittlichen Geftthle, die zu dem Versuch führen, einen Weltbau auszudenken, der sie begreiflich macht. Auf diese Gruppirung folgt dann die Äusserung: „Denken wir uns nun die religiöse Wahrheit aus allen diesen Datis durch unser Nachdenken entwickelt, so kommen wir allerdings zu dem, was man als Religion innerhalb der Grenzen der blossen Ver- nunft bezeichnen könnte, aber doch nicht zu dem, was man so genannt hat.^^

Wie man sieht, hat Lotze nur in seiner Weise zu einer überlieferten Streitfrage Stellung genommen und dabei die engere Kantische Auffassung durch Hinzufügung der ästhetischen Ge- fühle bereichert, eine eigene systematische Grundlegung ist damit aber nicht entfernt gegeben. Ich will von dem nachlässigen, obwohl charakteristischen, circulus in definiendo absehen, dass er „Religion" mit dem Merkmal „religiöse" Wahrheit definirt; aber soll denn nun die Religion bloss als eine Wahrheit durch unser reich instruirtes Nachdenken entwickelt werden? Dem- nach wäre sie doch immer bloss eine Wissenschaft, und es ist unmöglich, aus diesen Sätzen zu einer anderen generischen Bestimmung zu kommen. Gleichwohl wissen wir, die wir Lotze kannten und verehrten, sehr wohl, dass er in seinem Leben unter Religion etwas ganz anderes verstand. Wir sehen deshalb, dass s.eine Antipathie gegen Systematik leider den üblen Erfolg ge- habt hat, dass Niemand definiren kann, was nach Lotze die Religion eigentlich ist.

Wenn Otto Pfleidererin seinem Werke „Genetisch- ""rlfluHiT' speculative Religionsphilosophie" (1884 S. 29) den „gemeinsamen Kern der Religion in allen ihren Formen" definirt als ,jene Lebensbeziehung auf die weltbeherrschende Macht, welche zur Lebensgemeinschaft mit ihr werden will", so ist damit ein entschiedener Fortschritt über Schleiermacher und Hegel hinaus gemacht. Die Definition ist auch durch Analyse der wirklichen Religionen klar und reich vorbereitet; allein es bleiben einige dunkle Punkte darin. Denn wenn auch, abgesehen von dem metaphorischen „will", welches die Religion auf eine schiefe Ebene setzt, der im Vergleich mit den vorher angeführten

u.quizeauy Google

Frühere Definitionen. 23

Definitionen erfreuliche Reichthum in dem Begriff „Lebens- beziebung^^ anzuerkennen ist, so fehlt doch fbr eine Definition die genauere Angabe des Begriffs; denn das Thier hat ja auch eine Lebensbeziehung zu Gott, sofern der Gläubige annimmt, dass Gott es erschaffen, ihm seine Nahrung angewiesen und selbst den Sperling auf dem Dache nicht vergessen hat, und doch schreibt man dem Thier nicht Religion zu. Ebenso ist yyLebensgemeinschaft^' mit Gott zu unbestimmt; theils weil sie unbewusst sein kann, wie die des Kindes im Uterus mit der Mutter; theils weil der bei einer bewussten Gemeinschaft sonst still vorausgesetzte Antheil und Gewinn, den Gott daran haben könnte, bei der Definition unbestimmt und unerfindlich bleibt; theils endlich, weil das Mittel des Verkehrs zwischen den beiden Contrahcnten nicht angegeben ist

Vielleicht ist wegen des grossen Einflusses, den die Göttinger Theologie gegenwärtig ausübt, auch ^- R*^««^*'«

Dcflnition.

Ritschrs Definition zu erwähnen. Ritschi verhält sich meinen philosophischen Arbeiten gegenüber noch mit keuscher Jungfräulichkeit und kann deshalb über eine ganz unfruchtbare Auffassung der Religion nicht hinauskommen. Er sagt (Recht- fertigung und Versöhnung, m.Bd. 2. Aufl. 1883 S. 17): „Nun ist der Gedanke von Gott in der Religion gegeben. Die religiöse Weltanschauung aber ist in allen ihren Arten darauf gestellt, dass der Mensch sich in irgend einem Grade von den ihn um- gebenden Erscheinungen und auf ihn eindringenden Wirkungen der Natur an Werth unterscheidet. Alle Religion ist Deutung des in welchem Umfang immer erkannten Weltlaufs, in dem Sinne, dass die erhabenen geistigen Mächte (oder die geistige Macht), welche in oder über demselben walten, dem persönlichen Geiste seine Ansprüche oder seine Selbständigkeit gegen die Hemmungen durch die Natur oder die Naturwirkungen der menschlichen Ge- sellschaft erhalten oder bestätigen.^^

Diese nicht sehr klaren Erklärungen erregen, wenn wir sie gutwillig interpretiren, unsere Verwunderung; denn worauf nach Ritschi erstens „die religiöse Weltanschauung in allen ihren Arten'^ gestellt sein soll, das hat ja mit Religion nichts zu thun. Der Mensch, sagt Ritschi, „unterscheidet sich in irgend einem Grade von den ihn umgebenden Erscheinungen der Natur an Werth"; nun ja, das ist wahr; denn wenn er sein Vieh schlachtet und den

Digitized by VjOOQIC

24 Definition der Religion.

Ofen heizt, so mugs er sich und seine Bedürfnisse doch höher schätzen, als die Thiere und die Bäume, die er vernichtet. Damit legt der Mensch aber nur seine physische Superiorität über die sonstige auf der Erdrinde hausende Creatur an den Tag. Die „religiöse Weltanschauung in allen ihren Arten" ist hierauf jedoch, wie Ritschi meint, nicht gestellt, da z. B. in dem griechischen Polytheismus, in allem Sterndienst und vielen Thierculten nicht bloss Sonne und Mond, sondern auch Granges^ Krokodil, Schlange u. s. w. einen viel höheren Werth angewiesen erhielten als der Mensch, der ihnen geopfert wurde. Ja ein grosser, aber zugleich frommer indischer König opfert sich selbst für eine Taube. Also ist mit dieser Ritschrschen Behauptung, die uns auch ohne Be- weis geschenkt wird, eben nichts anzufangen, weil sie nicht wahr ist und das Wesen der Religion nicht trifft.

Die Ritschl'sche Definition aller Religion aber, die dann mit vielen Gautelen geschützt und mit Einschachtelungen und Gliederungen wohl ausgerüstet, wie ein fllr einen Monat ver- proviantirtes Kamel daherwandelt, stellt uns erstaunlicher Weise die Religion nur als eine Deutung vor. Eine Deutung oder Interpretation ist jedoch immer, worauf sie sich auch beziehen möge, ein blosser Akt des Erkenntnissvermögens, und mithin hat Ritschi, ob mit oder ohne Absicht, die Religion bloss als etwas Theoretisches definirt. Also gehörte sie zur Wissenschaft, entweder als eine Function derselben, oder als eine Art mit bestimmtem Umkreis von Gregenständen, oder in Hegerscher Weise als eine Entwickelungsstufe derselben. Sieht man die weitere Differenzirung dieses Gattungsbegriffes bei Ritschi näher an, so zeigt sich wirklich, dass er sie als einen besonderen Zweig der Wissenschaft, nämlich als sogenannte Geschichte versteht, und zwar, wie es scheint, da er dem Menschen ja auch die Naturwirkungen der menschlichen Gesellschaft gegenüberstellt, als individuelle Geschichtsbetrachtung, wobei der Indi- vidualhistoriker den Weltlauf sich dadurch erklären oder deuten soll, dass erhabene geistige Mächte, die er annehmen muss, ihn in seinen individuellen Ansprüchen erhalten und gegen Natur und Gesellschaft schützen.

Gegen diese Definition ist nun vielmehr erstens die Religion in Schutz zu nehmen, weil der Religiöse doch nicht gar so bomirt zu sein braucht, um das ftlr eine zur „Bestätigung seiner

uiymzeu uy V^jOOV IC

Frühere Definitionen. 25

Ansprüche^' bestimmte Leitung des Weltlanfs durch die hohen geistigen Mächte zu halten, dass ihm etwa sein Haus abbrennt, sein Vieh stirbt, sein Weib und seine Kinder geraubt werden und er selbst von den Blattern ergriffen oder von einem Tyrannen gepeitscht und in die Steinbrüche geschickt wird. In der That ist es auch gar nicht wahr, dass die Beligiösen so seltsam den Weltlauf gedeutet hätten, sondern sie wähnten sich beim Unglück von bösen Mächten verfolgt, die sie deshalb durch Opfer zu ver- söhnen suchten, oder gegen die sie die guten um Hilfe anriefen, oder sie hielten dergleichen flir eine Strafe wegen ihrer Sünden, aber nicht, wie Ritschi, flir eine „Bestätigung ihrer Ansprüche gegen die Hemmungen der Natur und der Gesellschaft." Und da Beligion nach Ritschi nur eine „Deutung" ist, soll der Re- ligiöse dann, wenn es ihm auch beim besten Willen nicht möglich ist, sich den Weltlauf nach RitschFs Norm zu deuten, sofort ohne Religion sein?

Damit kommen wir auf die übrigen Mängel dieser Definition; denn es fehlen darin natürlich die beiden andern Elemente des geistigen Lebens. Soll der anspruchsvolle Individualhistoriker, der nach Ritschi der Religiöse ist, ausser seinen theoretischen Interpretationsversuchen nicht auch noch bitten und wünschen, danken, bereuen, ftirchten und hoffen, kurz seine Willensfunc- tionen ins Spiel setzen dürfen? Und warum sollen wir ihm im Hinblick auf alle wirklichen Religionen, an die Ritschi bei seiner wer weiss woher entstandenen Definition gar nicht ge* dacht zu haben scheint, alle Handlungen versagen, warum soll der Religiöse nicht auch seinem Gotte Thiere schlachten und ihm Lieder singen, sich in den Staub werfen u. dgl.

Ritschl's Definitition ist also ein Muster von Einseitigkeit und Unvorsichtigkeit und verdient bloss wegen des berühmten Namens des Stifters der Göttinger Schule die ihr hier gewordene Beachtung.

Wenn man aber von der ganzen Ungewandtheit dieses Theologen in philosophischem Denken absieht und mit dem Secir- messer den Thorax der Definition eröfinet, um das Herz heraus- zunehmen, so zeigt sich, dass Ritschi bei der Religion nur an das persönliche Glück oder Unglück der Menschen in der Sinnen- welt denkt, also, wie wir später sehen werden, nur die unreine, egoistisch interessirte Rechtsreligion im Auge hat. Darum müssen

Digitized by VjOOQIC

26 Definition der Religion.

ihm alle die höheren Formen der Religion, ich meine schon die pan- theistischen and um so mehr dann das Christenthum, überhaupt unverständlich sein, weil in diesen das Ritschl'sche eudämonisti- sehe Herz der Religion nur eine untergeordnete Rolle spielt und gebührender Weise dem Leben des Gehirns zu dienen hat.

§ 3. Die Eintheilung der Functionen der Seele.

Die elementare ^^ ^^^ RcHgion in dcu Krcis der Functionen Wichtigkeit der Seele einzuführen, müssen wir uns erst über diese

dieser Frage. puuc^Queu sclbcr orieutiren; denn bis heute ist die fast wichtigste Frage der Philosophie in eine undurchdringliche Dun- kelheit gehüllt, und doch wüsste ich nicht, wie man bei fast allen Untersuchungen in der Wissenschaft ohne eine Klarheit über das Wesen und die Arten der geistigen Thätigkeiten irgend einen sicheren Weg einschlagen könnte. Ueberall wenigstens, wo nicht bloss das theoretische Object, das ideelle Sein, ins Auge gefasst wird, sondern wo man auch das forschende und irgendwie thätige Subject mit berücksichtigt, da wird die Entscheidung über un- sere Frage auch von cardinaler Bedeutung sein.

Sieht man die Sache aber noch etwas genauer an, so muss man staunen über die Arglosigkeit, mit der die Forscher vorge- schritten sind. Sie benutzen mit gutem Glauben ihre Augen und denken nur an die Gegenstände, die sie sehen, untersuchen aber die Augen selbst nicht, mit denen sie sehen; oder wenigstens verfahren sie bei dieser Rücksicht mit einer solchen Sorglosig- keit und Gleichgültigkeit, als müsse man möglichst schnell über ' diesen bedauerlichen Aufenthalt hinwegkommen; während doch hier das eigentliche Goldland der Philosophie liegt, von dem aus die Werthe nach allen Seiten getragen werden. Für eine Lei- stung in der Wissenschaft hält man es ja immer, Reihen von Erscheinungen, die früher abgesondert für sich aufgefasst und deshalb nicht verstanden wurden, durch Auffindung einer gemein- samen Wurzel mit andern zusammenzufassen und so die Zahl der Principien und Gesetze, nach denen wir die Welt zu erklären suchen, zu vereinfachen. Eine Leistung solcher Art ist schon immer beachtenswerth und erfreulich, auch wenn sie nur die untersten Erscheinungen betrifift, wie wenn es gelingt, ein paar

Digitized by VjOOQIC

Eintheilung der Functionen der Seele. Kritik. 27

ftir getrennt gehaltene Arten von Pflanzen oder Thieren auf eine gemeingame Art oder Gattung,, oder auf einen gemeinsamen Ascen- denten zurückzuführen. Die Wichtigkeit der Arbeit wird aber natürlich die höchste Stufe erreichen , wenn es sich um die elementaren Begriffe handelt, weil diese, wie die Buchstaben in allen Wörtern der Sprache, in dem gesammten Umkreise der Wissenschaft immerfort verwendet werden und weil durch eine Veränderung in dieser gouvernementalen Kegion alles Unter- geordnete mit verändert werden muss. In unserem Falle hier dreht es sich nun um die elementaren Thätigkeiten des Geistes. Da nun alle unsere Erkenntnisse im Geiste wurzeln, so muss die Frage nach den Thätigkeiten des Geistes nothwendig von uni- versaler Bedeutung sein und alle Wissenschaften berühren, da die Formen des Geistes die Begriffe der Wissenschaft bilden.

Die bisherige Eintheilung der Seelenvermögen.

Nun findet man seit Kant fast überall die Eintheilung der Seelenvermögen in Gefühl, Begehren und Erkenntnis, und es dreht sich zunächst um die Frage, ob Gefühl und Begehren wirklich von einander zu trennen sind. Zur Trennung glaubte man sich veranlasst zu sehen, weil man bei dem Willen oder dem Begehren und Verabscheuen immer an einen Impuls, einen Stoss, der eine Bewegung hervorruft, dachte. Man stellte sich deshalb den Willen als das active Princip vor, worin die Initiative der Be- wegung oder die Spontaneität der Seele liege, und setzte ihm das Erkennen als das receptive Princip gegenüber, da vnr in dem sinnlichen Empfinden und Wahrnehmen und den höheren Functionen des Denkens von den äusseren Gegenständen und ihrer Einwirkung auf uns abhängig zu sein scheinen oder, wie Aristoteles dies ausdrückte, da wir Wahres oder Falsches denken, wenn wir die Vorstellungen verknüpfen oder trennen, jenachdem die ihnen entsprechenden Dinge in der Wirklichkeit verknüpft oder getrennt sind. Das Gefühl aber schien unmittelbar keine Bewegung auszuüben, sondern ein Zustand von Lust oder Schmerz zu sein und deshalb auch nicht unmittelbar eine Erkenntniss von Gegenständen zu enthalten, so dass man drei Functionen des Geistes oder der Seele trennen zu können meinte, von denen die eine receptiv, die andere spontan oder wenigstens activ wäre, während die dritte entweder einen eigenthümlichen Mittelzustand

u.quizeauy Google

J

28 Definition der Religion.

oder eine ursprüngliche Indifferenz der beiden anderen bildete, wie sich dies letztere Schleiermaclier bei seiner Theorie der Re- ligion gedacht hatte.

Am Wunderlichsten hat Herbart über diese Dinge geschrie- ben. Denn obwohl dieser Philosoph den Kaum und die Zeit aus dem Gebiete des Seins streicht, so beruht doch seine ganze Theorie der Seele auf räumlichen und zeitlichen Bestimmungen. Wenn man deshalb seine Erklärungen von dem Sinken und Auf- streben der Vorstellungen, von den Wölbungen und Zuspitzungen derselben, von dem Sich-einander-Drticken und Verschmelzen, von den Geschwindigkeiten u. s. w. liest und die Begehrungen und Geftlhle und Affecte in diesen räumlich-zeitlichen und Bewegungs- Verhältnissen der Vorstellungen „sitzen*" sieht: so muss man mit einigem Erstaunen fragen, ob denn Wollen und Geflihl gar nichts Wirkliches sein sollen, da sie doch in dem Nichtseienden ihren Sitz erhalten? Und zweitens wenn sie, wie es doch scheint, ebensogut wie die Vorstellungen etwas Wirkliches sind, was sie denn an sich selbst und qualitativ nach seiner Psychologie sein sollen, da sie doch eben keine Vorstellungen sind, auf welche er gleichwohl Alles in der Seele zurtickfllhrt Und drittens, welche von beiden Annahmen eigentlich in Herbart's Systeme gelten solle, die metaphysische, die den Raum und die Zeit psychologisch erklärt, oder die psychologische, die den Ranm und die Zeit als metaphysische Wirklichkeit voraussetzt, um überhaupt etwas erklären zu können? Herbart's ganze Philo- sophie besteht so bloss aus zusammenhangslosen Aphorismen, die man nie zusammenbringen darf, wenn sie sich nicht wie Feuer und Wasser gegen einander benehmen sollen. Das Erkennt- ^^^ ^^* *^^^ crstcns Icicht cinzuschen, dass der

nistyermögen Gcgcusatz vou^ Reccptivität uud Spontaneität, den man *** ceptw. ^ ^^^ Scheidung von Erkenntniss und Begehren herbeizog, mit der Beobachtung und Auffassung der Thatsachen nicht stimmt. Denn die Erkenntniss wäre nur dann ein receptives Vermögen und eine receptive Thätigkeit, wenn der Inhalt der Er- kenntniss, d. h. die empirische und speculative Wahrheit schon draussen vorhanden wäre, wie dies z. B. bei demVer- hältniss von Lehrer und Schüler sich wirklich findet, da der Lehrer die Wahrheit, welche er lehrt, schon erkennt und der Schüler sie re- cipirt Wie aber ist dies bei unserer Erkenntniss der Natur? Die

Digitized by VjOOQIC

Eintheilung der Functionen der Seele. Kritik. 29

Idealisten^ and so anch Trendelenbnrg, haben, um ihre Thesis zu halten, die poetische Wendung gebraucht, dass sie eine geheimniss- volle Idee oder Vernunft in den Dingen als Urbild annahmen, wel- ches vom Menschen bloss nachgebildet und recipirt würde. Sie haben sich auf die Sprache berufen, welche ein Nach-Denken fordert, um die schon von Gott oder der Natur vorgedachte Wahr- heit zu finden. Allein dies ist Poesie und gehört nicht in die Wissenschaft.

Gehen wir kurz alle Stufen der Erkenntniss durch! Bei der untersten Stufe, nämlich der Sinneserkenntniss, zeigt sich gleich, dass die Empfindungen (die Farben, Töne, Gerüche u. s. w.) das erkannte Object selber sind, welches ausser der empfindenden Seele gar nicht existirt, also nicht von aussen her in uns herein- genommen werden könnte. Aber auch zweitens die complexen Anschauungsbilder der Dinge und der Vorgänge isind draussen nicht vorhanden, sonst müsste die Wirklichkeit der nackte Wider- spruch sein, wenn sie allen perspectivischen Anschauungsbildem und subjectiven Vorstellungen entsprechen sollte. Gehen wir zu der intellectualen Stufe der Erkenntniss über, so müssten auch die Resultate des Rechnens, die Logarithmen, die Decimalstellen, und die Gesetze der Physik draussen vorhanden sein. Wenn ich ftlnf Finger zähle, so müsste ausser den Fingern auch die Fünf ein räthselhaftes Dasein draussen besitzen, damit ich diese Erkenntniss von Aussen recipiren könnte. Ebenso müsste die Ehre, das Recht u. s. w. ausser dem Geiste mysteriös und poe- tisch irgendwo im Lande hausen, um mich zur bloss recipirenden Erkenntniss anzutreiben. Kurz, man sieht, dass diese Rede keine wissenschaftliche Bedeutung hat, d. h. dass sie nicht wahr ist

Man könnte aber zur Vertheidigung der Thesis noch die Analogie beibringen, dass die Wahrheit, welche wir durch das Erkenntnissvermögen recipiren sollen, in Gott, wie in dem Lehrer, vorhanden sei und dass, wie dieser durch physische Zeichen, d. h. durch Worte oder Schrift, seine Erkenntniss vermittelt, so auch Gott die ganze Natur als sein Buch der Welt benutzte und dadurch docirte. Diese schöne Vergleichung würden wir mit Vergnügen annehmen, daraus aber eine für den Defendenten der Thesis verdriessliche Selbstwiderlegong ableiten; denn wie in den physischen Worten des Lehrers oder in den Lettern des Buches noch keine Erkenntniss liegt, welche der Hörer oder

uiymzeu uy V^jOOV IC

30 Definition der Religion.

der Leser vielmehr erst durch seine eigene Erkenntnissarbeit in sich erzeugen muss, so läge dementsprechend auch in der ganzen Welt als dem blossen Vermittelungsworte Gottes keine Wahrheit und Erkenntniss, die man recipiren könnte, sondern diese müsste erst in dem Erkennenden durch seine Activität hervorgebracht werden. Du Begehren Ich wciss uuu wohL dass solche Eateeorien wie

ist nicht . . JA.. X

spontan. Keccptivität Und ActiYität jungen Leuten ganz aus- nehmend gefallen, wenn sie damit nur irgend etwas machen können, und dass sie sich daher die brillante Unterscheidung von Erkennen und Wollen kaum freiwillig werden nehmen lassen.

Wenn wir deshalb auch die Eine Redoute genügend zer- schossen haben, so werden sie sich in die andere flüchten und sich noch immer sicher genug fühlen, da das Begehren oder der Wille doch di^ Activität und Spontaneität des Menschen offen an den Tag legt; denn von welcher andern Ursache sollten wohl die Handlungen nnd die Umgestaltungen der Dinge ausgehen, als allein von dem selbstherrlichen Willen, der das, was noch nicht ist, ins Dasein ruft, während die Erkenntniss das, was schon ist, aufnimmt und sich zu eigen macht.

Unsere Aufgabe muss also sein, nachzuweisen, erstens, dass der Wille oder das Begehrungsvermögen ebenso wie die Erkennt- niss von einem vorher Gegebenen bedingt ist, und zweitens, dass die Erkenntnisskraft ebenso etwas Neues in's Dasein ruft oder Daseiendes umgestaltet. Der letztere Nachweis ist nun z. B. sofort geliefert, wenn uns der erstere Nachweis gelingt; denn es würde dadurch ja etwas Neues, nämlich eine neue Erkennt- niss in demjenigen, der sie nicht schon hatte, entstehen und seine früher daseiende falsche Meinung entfernt oder umge- staltet werden. Das Erstere aber kann gleich an Beispielen gezeigt werden, die man bloss zu analysiren braucht, um das Allgemeine herauszuheben. Wer wüsste z. B. nicht, dass das Be- gehren nach einer schönen Frucht nicht von uns selbst hervorge- bracht, sondern durch Erinnerung an einen früheren Genuss in uns erregt wird. Niemand will etwas von sich aus, wenn nicht in den gegebenen äusseren Lebensverhältnissen dazu die Veranlassungen und Aufregungen und Anregungen dargeboten werden. Wenn wir uns also beim Erkennen receptiv verhielten, dann sicher ebenso beim Begehren. Wo aber ein Begehren ohne thatsächlich ge-

Digitized by VjOOQIC

Eintheilung der Functionen der Seele. Kritik. 31

gründeten Anlass hervortritt, wie z. B. bei dem edlen Ritter Don Qnijote de la Mancha, da weiss man, dass man mit einem Yer- , rückten zu thnn hat, und selbst bei diesem ist ein äusseres Motiv der Auslösung der Willensenergieen immer vorhanden; denn wenn auch kein zu bekämpfender Riese vorhanden war, so zeigte sich doch wenigstens eine Windmühle.

Es liegt also auf der Hand, dass der Gegensatz von Recep- tivität und Spontaneität unbrauchbar ist, um Begehren und Er- kenntniss von einander zu scheiden.

Die Schleiermacher'sche Meinung aber, als wenn Das Gefühl ist das Geffthl ein Zustand der Indifferenz der beiden °**^^* ^™*''y<*-

nalzustftDd der

anderen Seelenvermögen, oder ihr Embrjonalzustand andern beiden wäre, ist nicht nur ohne wissenschaftliche Gründe ^n««onen. vorgetragen, sondern auch nachweislich falsch. Das Falsche muss man wie Unkraut mit seinem Grunde entwurzeln.

Den Grund des Schleiermacher'schen Irrthums kann man aber leicht auffinden. Das Bewusstsein hat nämlich eine be- stimmte Grösse, so dass es, wie ein Raum, nicht mehr, als nun einmal hineingeht, fasst. Je stärker und umfangreicher nun ein Element im Bewusstsein wird, desto mehr andere Elemente, die sich früher mit ihm in dem Bewusstsein theilten, müssen ver- drängt werden, d. h. verschwinden oder unbewusst werden. So können blosse Erkenntnisse das Bewusstsein allein zu füllen scheinen, oder blosse Begehrungen oder Gefühle. Und bei dem Gefühl ist es ja bekannt, dass einem, wenn es sehr heftig ist, die Besonnenheit und alle Gedanken vergehen können. Da nun das Gefühl, wenn es aufhört zu wachsen, abnehmen muss, so ist klar, dass dann auch, allmählich wieder das Denken und die Motive zu Handlungen in's Bewusstsein treten, so dass nun der Schleiermacher'sche Schein entstehen kann, als wären diese bei- den anderen Elemente aus dem mütterlichen Boden des Gefühls herausgeboren, was aber ebensowenig wahr ist, als wollte man meinen, ein dicker Kerl, der bei einem Gedränge allein die Thür verstopft, hätte die ihm nachfolgenden anderen Personen in der Geschwindigkeit erzeugt Ist das Gefühl aber weniger stark, so weiss Jeder, dass zugleich mit demselben auch Erkenntnisse und Bewegungstendenzen im Bewusstsein vorhanden sein können. Der Irrthum Schleiermacher's ist also ebenso erklärlich, wie er abgethan werden muss.

Digitized by VjOOQIC

32 Definition der Beligion.

idoionforL Ge- Wenn man nun das Wesen des Gefllhls verstehen fühl »18 unklare« ^jn g^ ^j^gg zunächst das Idolon fori beseitigt werden,

Denken.

wonach aach unklare Erkenntnisse als GefUhle gelten. Diese Täuschung der Sprache hat die Meinungen der Philoso- sophen in einem erstaunlichen Grade beherrscht, wenigstens bei den Deutschen. Und wenn man die bekannte Stelle in Goethe's Faust nimmt oder Jacobi, Sehleiermacher, Maass, Hegel und an- dere vergleicht, so sieht man sie alle als Beute dieser unschul- digen Synonymik. Die Engländer und Franzosen konnten in dieser Beziehung exacter sein, weil ihre wissenschaftliche Sprache auf das Lateinische zurückgeht und in diesem, wie im Griechi- schen, zu solcher Täuschung keine Veranlassung ist; denn die itd^Ti und affectus sind keine Stdvotoi und cogitationes. Die Platonisch- ^^^ ^^® Erklärung des Gefühls betriflft, so ist Arintoteiiacbe ausscrhalb der Herbart'schen Schule, deren Resultate nnd^^toM». ^^^ Gedankengänge aber nicht den wissenschaftlichen Anforderungen entsprechen, seit Aristoteles und Piaton kein selbständiger Versuch aufgekommen, sondern alle modernen Denker schliessen sich, wie Spinoza, eng an Aristoteles an.

Spinoza hat zwar keine Ahnung davon, woher ihm seine Gedanken gekommen sind; aber das thut nichts zur Sache; denn, wenn er die Gefühle als Lust und Schmerz (laetitia et tristitia) scheidet und sie als die leidenden Zustände bestimmt, in welchen der Geist zu grösserer oder geringerer Vollkommen- heit übergeht, so hat er zwar in gewohnter Weise die Geschichte dieser Begriffe verhtlllt, dennoch aber wird jeder Kundige un- schwer errathen, dass als letzte Quelle Platon's Definition der Lust als eines „merklichen Uebergangs zum Wesen'' und des Aristoteles „Eintreten der Entelechie" hier zu Grunde liegt. Spinoza's Definition verdeckt diese letzte Quelle dadurch, dass er bloss das Grösser- und Kleiner- Werden der Kraft hervorhebt; allein dies ist ein in die Augen springender Fehler, weil es sich dabei um eine Messung und also um einen Massstab zur Mes- sung handelte, den er doch nicht angiebt. Wenn nun der jewei- lige vorhergehende Zustand allein als objectiver Vergleichungs- punkt genommen werden sollte, so wäre die ganze Definition unbewiesen; denn die Summe des jeweiligen individuellen Kräfte- zustandes des Geistes konnte weder zu Spinoza's Zeit berechnet werden, noch kann sie es jetzt. Zweitens sollen die Affecte als

uiyuizeu uy x^jv^v^

ö'"

Eintheilimg der Functionen der Seele. Kritik. 33

Passionen nur bei inadäquaten Ideen stattfinden (cf. IQ. 3), der Fortschritt zu grösserer Macht könnte also auch nicht etwa an den adäquaten Ideen gemessen werden, die dabei nicht vorhan- den sind. Zudem entspricht diese Behauptung auch den That- Sachen nicht, da z. B. bei einer Gefahr gar keine Lust entsteht, wenn man sich die Gründe der Trostlosigkeit seiner Lage auch noch so exact vorstellt, wie z. B. der banquerotte Kaufmann nicht vergnügter wird, wenn er die Ursachen seiner Verluste bis auf die beiden Attribute der Natur reducirt

Die Naivität, mit welcher Spinoza die Lehrsätze und De- finitionen, welche ihm wohl gefallen, vorträgt, zeigt sich beson- ders in der hierher gehörenden Behauptung, dass jedes Wesen sein Sein zu erhalten strebe, und es ist geradezu komisch, wie Spinoza mit der geometrischen Feierlichkeit seines Vortrags über die Abgründe seines Systems hinweg stolzirt, da es ja kein in- dividuelles Wesen und kein zu erhaltendes Sein in seinem System geben kann. Es liegt aber seiner ganzen Vorstellungsweise un- bewusst der Platonisch-Aristotelische Idealismus zu Grunde, den er durch Aufhebung der Teleologie beseitigt hat, ohne zugleich das mit dahinfiiessende Wesen und Sein der einzelnen Dinge auch aufgeben zu wollen. Dass der Körper des Menschen nach Aufgebung seiner organischen oder teleologischen Einheit keine Einheit mehr hat, ebensowenig wie sein Geist, das merkte der sogenannte subtile Denker nicht Und dass statt nach endlosem Fortschritt der Kräfte zu streben und die Verminderung zu fliehen, der Mensch vielmehr zwischen dem Zuviel und Zuwenig das in seinem Wesen geforderte organische Mass suchen müsse, wenn er der Lust und der Selbsterhaltung theilhaftig werden will, das entging dem Geometer ebensosehr, wie die Einsicht, dass Lust und Schmerz teleologische Bestimmungen sind, da das blosse Grösser- oder Kleiner- Werden ja nur unsere Auffassungen und Vergleichungen betrifft, in den Dingen aber, wenn kein innerer Massstab vor- handen ist, nichts bedeutet Spinoza's Definition hat also über- haupt nur Sinn, wenn man die von ihm aufgegebenen und zu- gleich dennoch im Stillen festgehaltenen Platojiisch- Aristotelischen Begriffe immer hinzudenkt, was denn auch mit zu grosser Gut- müthigkeit die Historiker der Philosophie in der Regel wirklich thun, während die Geschichte der Begriffe nicht so rücksichts- voll sein darf.

Teiohmüller, Beliglonspblloftophie. Digitiz^ll by VjOOQIC

34 Definition der Religion.

Der neue Lehrsatz. Wille und Be- Die Chemie giebt uns herrliche Vorbilder, um die

wegung. ^^fgabe des Forschers auch im Gebiete der Specu- lation vor Augen zu stellen. Wer in allen früheren Jahrhunderten hätte es auch nur im Traume ftir möglich gehalten, die Säure aus der Citrone zu ziehen und als einen durchsichtigen Krystall flir sich hinzustellen! Wie aber beim Genuss jener Frucht das Zusammengesetzte als einfach betrachtet wurde, so finden wir uns auch bei der Auffassung unseres geistigen Lebens immerfort in Illusionen verstrickt, indem wir die in Coordination zusam- menwirkenden Functionen für eine qualitative Einheit nehmen.

Die Function, welche fUr uns hier die grösste Bedeutung hat, ich meine den Willen, wird bisher von allen Philosophen und folglich auch von den Theologen, Juristen und Pädagogen immer mit dem Bewegungsvermögen znsammengefasst, so dass der Wille oder das Begehrungsvermögen als das Bewegende im Menschen gilt. Ich habe nun schon in meiner Schrift über das „Wesen der Liebe" und in meiner „Neuen Grundlegung der Meta- physik^ gezeigt, dass Wille und Bewegung zwei verschiedene Dinge sind. Ich kann wollen, ohne dass mein gelähmter Arm sich bewegt. Wäre beides ein und dasselbe, so würde mit der Lähmung des Nervenapparates auch der Wille ausgerenkt und entwurzelt sein. Umgekehrt finden viele Bewegungen im Körper und der Seele statt, die nicht bloss unabhängig, sondern auch gegen unseren Willen sind, z. B. allerlei zerstreuende Zwischengedanken oder traurige Erinnerungen, ebenso das Erröthen, das den Men- schen so verwünscht ist, und das Erblassen und Zittern beim Schreck, wodurch sich Mancher wider Willen verräth. Dass sich eine solche Trennung beider Functionen aber nicht so leicht bei jedem Akte des Willens oder Begehrens zeigen lässt, das be- weist nichts gegen die Verschiedenheit, sondern bestätigt bloss die Coordination unserer Vermögen und Thätigkeiten, durch welche die logische Chemie ihre Täuschungen und Schwierig- keiten findet

Wenn man jedoch das ganze Gebiet der Bewegungen über- blickt, so lässt sich gleich erkennen, dass die Bewegungen all- mählich in Kunstfertigkeiten tibergefllhrt werden, wobei dann schon zur Ueberraschung einleuchten muss, dass die Künste doch

uiymzeu uy "V-j v-zv^'pt i^-

Eintheilung der Functionen der Seele. 35

nicht die Eigenschaften des Willens an sich tragen nnd von dem gesunden Menschenverstände nicht als Tugenden oder Laster be- zeichnet werden. Bei der ersten Bewegung der Hand auf dem Ciavier oder der Violine wünscht und will man die Finger so oder so trennen und in dieser oder jener Reihenfolge bewegen und doch werden immerfort Fehler begangen, d. h. immer zeigt sich im Anfang, dass Wille und Bewegung nicht von Haus aus constant coordinirt, geschweige denn identisch seien. Sind die Bewe- gungen aber erst eingelernt, so kann der Wille gar nicht so schnell nachkommen, um den Fingern jedesmal Befehle zu er> theilen, sondern er muss es geschehen lassen, dass das geübte Bewegungsvermögen für sich allein arbeitet Wenn nun auch immerhin des Kutschers Wille die Pferde leitet, so wäre es doch lächerlich zu sagen, dass der Wagen durch den Willen des Kut- schers und nicht durch die Pferde gezogen würde. Die Coordi- nation von Bewegung und Wille soll nicht geleugnet werden, aber das Kunsttalent, die Kunstausübung und die Kunstfertigkeit sind keine Willensbestimmungen und Charaktereigenschaften.

Man wird daher gut thun, in Zukunft mit etwas feinerer Chemie das Bewegungsvermögen von dem Begehrungsvermögen zu scheiden; denn dass mit der Coordination, die zur Vermischung beider geführt hat, nicht einmal eine annehmbare Ausrede oder Entschuldigung vorgebracht werden kann, sieht man daraus, dass ja auch das Erkenntnissvermögen zugleich coordinirt ist. Denn ohne sich dies oder das vorzustellen, kann man ja weder wollen, noch bewegen. Wenn man weder die Noten sähe, noch die Tasten fühlte, noch die Töne hörte, also nicht jedesmal eine coordinirte Erkenntnissfunction ausübte, so würden auch die grössten Künstler ihre künstlerischen Bewegungen auf dem Cia- vier nicht mehr ausftlhren können, und doch wird es Niemandem einfallen, die Sinnesperceptionen und Vorstellungen für Bewe- gungsacte zu erklären. Also soll auch der Wille von dem Be- wegungsvermögen abgelöst und chemisch rein für sich dargestellt werden.

Es handelt sich nun um die Aufstellung eines neuen i^g^y^j^ y^^ Lehrsatzes in der Philosophie, der bisher noch nie- wnie und ee- mals in den Gesichtskreis der Wissenden kam, dessen ^^^' Bedeutung aber elementar und darum universell ist. Bei dieser Ankündigung fUUt mir natürlich sofort Horazens Frage ein: Quid

uiumzeu uy V^J W\J>t l^

36 Definition der Religion.

dignum tanto feret bic promissor hiatu? Es kann aber nicht Pflicht der Forschung sein, die deutlich erkannte Wichtigkeit eines Prin- cips unter dem schäbigen Mantel der Bescheidenheit zu ver- stecken; sondern man soll das Licht auf einen Leuchter setzen, damit es leuchte Allen, die im Hause sind. Dieser neue Lehr- satz heisst: Wille und Gefllhl ist dasselbe.

Da dieser Satz streng bewiesen werden muss, und ftir den Beweis auch die Methode festzustellen ist, so soll hier einleitend nur noch einmal an die Einfachheit der Auffindung des Satzes und an die frühere Verwirrung des Urtheils erinnert werden.

Zunächst also ist ersichtlich, dass dem Willen oder Begeh- rungsvermögen seine sogenannte Spontaneität genommen werden musste, womit dann auch der Gegensatz gegen die sogenannte Receptivität der Erkenntniss verschwindet; denn die bisher von der Philosophie angenommenen drei Seelenvermögen, Wille, Ge- Alhl und Erkenntniss, fimctioniren eben nur, wenn sie ausgelöst werden, d. h. wenn eine entsprechende Coordination oder eine sogenannte hinreichende Ursache vorhanden ist. Wenn man daher dem Willen all sein Reissen und Stossen und Ziehen nimmt, seine angebliche Anstrengung und Energie, sein Ringen, seine Wildheit und Lähmung, und die ähnlichen vermeinten Leistungen, die in der lateinischen Sprache etwa wie nisus, Im- petus, vigor u. s. w. bezeichnet werden (weil dies nach der Seite des Bewegungsvermögens hingehört und für den Willen unwie- derbringlich verloren ist), so wird man durch einen ganz neuen Anblick überrascht. Die GefUhle nämlich, die man früher von dem bewegenden Willen getrennt hatte, fangen plötzlich an sich zu nähern und sich ganz von selbst und unauflöslich mit dem von der Bewegungs-IUusion befreiten Willen zu vereinigen.

Welche grenzenlose Unklarheit aber über diese Fragen bis- her geherrscht hat, kann man gleich erkennen, wenn man die erschienenen Psychologien durchsieht. Maas z. B. ist nicht ein- mal im Stande, die Empfindungen der Sinne (Gefllhl als Tast- sinn) von den Geftlhlen als Affekten abzusondern, und geräth dann in noch grössere Verlegenheiten, weil er die Gefühle von dem Willen trennen zu müssen glaubt, was ihm denn auch nicht gelingt. Herbart und seine Schule, Waitz, Volkmann, Drobisch, Nahlowsky u. A. trennen die Gefühle von dem Wollen ganz rathlos und vermischen das Wollen mit dem Bewegungsvermögen

uiymzeu uy "V-j v-zv^'pt iv^

Eintheilung der Functionen der Seele. 37

80 anachtsam, dass sie fUr die E an st demgemäss gar keine Seelenfanction mehr übrig behalten. So habe ich bisher nirgends eine wissenschaftlich befriedigende Behandlang dieser Frage vor- gefanden and sehe in der Vemachlässigang dieser wichtigsten elementaren Erkenntniss die Ursache, weshalb aach die Religions- philosophie nicht za einer festen Grandiegang gelangen konnte.

Die Kandigen aaf dem Gebiete der Philosophie werden nan zwar die angeheare Tragweite dieses ^*jj"^*°^^j*^^ neuen Lehrsatzes überblicken, doch möge es mir er- und schönen. laabt sein, selbst einige der wichtigsten Folgen vor Aagen za stellen. So erinnere ich an die völlige Rathlosigkeit der Alten in Betreff der Principien and Urkategorien, die sie als geheinmissvoUe Eigenschaften oder Wesenheiten von dem Sein selbst, von der Sabstanz oder Gott aassagten, nämlich be- sonders die Einheit, die Wahrheit, das Gate. Diese Begriffe bildeten nicht bloss für Aagastin, sondern aach ftir alle moderne Idealisten ein blindes Fatum, indem gerade die principielle oder goavemementale Region der Yemanft mit der modernen Drei- einigkeit des Gaten, Schönen and Wahren gewissermassen nicht vernünftig war and über den Ursprang and Sinn dieser Ideen keine Rechenschaft gegeben werden konnte. Erst durch den neuen Lehrsatz löst sich dasRäthsel; denn in diesen Ideen kann auf keine Weise ein metaphysischer, logischer, physischer, oder überhaupt blosä' theoretischer Inhalt aasgefunden werden, da sie nichts Sachliches an und ftir sich, sondern als Werthbestimmun- gen nur Beziehungen zum Gefühl ausdrücken.

Für die Idee des Schönen hat man diese Beziehung in mehreren Schalen erkannt, aber nicht durchftihren können, weil man die zugeordnete Auflösung der andern Idee nicht beherrschte. Bei der Idee des Guten sind seltsamer Weise nicht die besten Köpfe, wie Piaton, sondern nur die unspeculativsten, die Sensna- listen, Hedoniker und Materialisten auf dem rechten Wege der Erkenntniss gewesen. Weil ihre Begabung aber zu gering war, so blieben sie auf der untersten perspectivischen Stufe des Ge- ftihls stehen und modellirten alle Dinge in der Welt nach dem Belieben des angenehm oder unangenehm afficirten Subjects. Wären sie zu der objectiven Stufe fortgeschritten, so hätten sie auch die allgemeinen und darum logisch formulirbaren Normen des Gewissens anerkennen müssen, wären dann aber mit dieser

Digitized by VjOOQIC

38 Definition der Religion.

Anerkennung dem Idealismas in die Arme gesunken , wovor es ihnen graute.

Der Grund aber, weshalb man weder in der Aesthetik, noch in der Ethik und Rechtslehre über die principiellen Schwierig- keiten hinwegkonmien konnte, lag wesentlich in der Idee der Wahr- heit, die nicht den coordinirten Ausdruck gefunden hatte und darum als ein auch bei Tageslicht erscheinendes Gespenst die Combinationen der Denker lähmte; denn wenn etwas, so scheint sicherlich die Wahrheit immer unabhängig von aller Willkür und allem subjectiven Gefühl zu bleiben und daher, als allein fest, auch alles Andere von sich aus normiren zu können; die Wahr- heit aber führte in das bloss theoretische Gebiet der Logik, Ma- thematik und Physik, mit deren Gesetzen man die ethische und ästhetische Welt doch nicht regnliren konnte. Also lag ein Bann auf der Forschung. Nun muss aber in Folge unseres Lehrsatzes dies Gespenst des falschen Wahrheitsbegriffs plötzlich verschwin- den; denn es hat kein Recht und kein Licht mehr in dem Gebiete der Erkenntniss. Die Idee der Wahrheit ist die Erkenntniss keines Gegenstandes und auch nicht die Erkenntniss der Er- kenntniss; denn einen gewissen Inhalt der Erkenntnissthätigkeit bilden allgemein gefasst auch alle sogenannten Irrthümer, also auch die Träume und Phantasien, weil dergleichen nur vorkom- men kann, wo ein Erkenntnissvermögen vorhanden ist; es han- delt sich hier, um etwas als Erkenntnissinhalt^ zu bezeichnen, überhaupt bloss um die Frage, ob es als Vorstellungsverknüpfimg wirklich im Bewusstsein vorkomme.

Wie sollen wir diese Formen nun als wahre und falsche unterscheiden? und was insonderheit ist demgemäss die Wahr- heit? Gönnen wir dem früheren Standpunkte alle Freiheit und erlauben wir seinen Vertretern sogar das Unerlaubte, um sie nachher bereitwilliger zu finden, bei uns einzukehren, wenn sie bei sich selbst am Ende ihres Weges die Thttre verschlossen sehen. Lassen wir jetzt also, ohne Einspruch zu erheben, die Erkenntniss ihre Erkenntnissgegenstände ordnen in solche Gruppen^ die sich einander widersprechen, und in solche, die sich nicht widersprechen. Ist in der letzteren Gruppe nun die Idee der Wahrheit gegeben, wie man meint? Giebt es innerhalb der bloss vorstellenden Thätigkeit überhaupt irgend einen Grund, um diesen oder jenen Vorstellungsinhalt einem beliebigen andern vorzu-

uiyiiized by VjOOQIC

Eintheilung der Functionen der Seele. 39

ziehen? sich mit demselben mehr za beschäftigen nnd ihn als wahr jenem andern als falschen gegenüberzustellen? Sind nicht vielmehr die widerspruchslosen Vorstellungsinhalte von den sich widersprechenden bloss so verschieden, wie die Vorstellung einer Pflanze von der Vorstellung einer andern Pflanze, etwa wie Laubholz von Nadelholz 1 Woher kommt dieser eigenthtimliche Beigeschmack, den die Idee der Wahrheit noch ausserdem hat und der es mit sich bringt, dass die Wahrheit immer noch etwas mehr bedeutet, immer noch ein anderes Element in sich enthält, als den blossen theoretischen Charakter der Widerspruchs- losigkeit der auf Grund der Erkenntnissquellen gebil- deten Urtheile?

Auf diese Fragen wissen wir jetzt die Antwort; denn wenn wir das GeAihl aus dem Geiste eliminirten, so würde sofort alle intellectuelle Geistesthätigkeit gleichgültig sein und keine Form könnte vor einer anderen Form bevorzugt oder höher ge- achtet und ausgewählt werden. Mithin gäbe es dann keinen Unterschied mehr zwischen Wahrem und Falschem. Sobald wir aber das Gefühl wieder in den dreistimmigen Chor der geistigen Functionen einrücken lassen, so muss sich auf der Stelle der in- tellectuelle Inhalt dem werthgebenden Gefühl coordiniren. Es zeigt sich nun, dass die Widersprüche und das Unbegründete dem Gefühle nicht behagen, dass sie keine Gnade vor seinem Auge finden, dass dagegen die Einstimmigkeit der Gedanken und das Wohlbegründete mit Wohlgefallen und Befriedigung auf- genommen wird. Das Bewusstsein dieser Coordination der gei- stigen Vermögen ist die Idee, welche wir die Wahrheit nennen, und um des zugeordneten Gefühles willen allein kommen wir überhaupt dazu, uns zu bemühen, Widerspruchslosigkeit und Be- gründung zu suchen und die oben angeführte Gruppirung alles Gedankeninhalts vorzunehmen, weil sonst kein Motiv vorhanden wäre, auf diesen Unterschied zu achten, weshalb wir eben jene Eintheilung schon als unerlaubt hätten untersagen können, da ohne Motiv nichts geschehen kann. Denn was hindert uns, weiter zu gehen und alles Denken der Hegemonie des GefUhls zu un- terwerfen ? Ohne das Gefühl würde das Denken ja keinen Schritt thnn, da ohne Werthunterscheidung jeder Gedanke dem andern völlig gleichwerthig wäre und alle Gedanken überhaupt gar keinen Werth hätten, sondern wie ein todter Hund unbeachtet und re-

Digitized by VjOOQIC

40 Definition der Religion.

gangslos bleiben würden. So zeigt sich das Gefühl in seiner Coordination sowohl znr Bewegung des Denkens als zum ideellen Inhalte der Gedanken als die massgebende Function', ohne die wir, weil sie den terminus relationis enthält, keine Idee der Wahrheit haben würden, wie auch die sogenannte Gewissheit (certitudo) nur die verschiedenen Stufen der Befriedigung des Gefühls ausdrückt. Alles dies ist anderswo in ganzem Zusam- menhange darzulegen, hier würde es ein Fehler der Dialektik sein, diese Zusammenhänge alle zu entwickeln, da die Aufmerk- samkeit nur auf einen Punkt, auf unser Problem gesammelt werden soll.

Nun hat allerdings hier und da einmal dieser oder jener mehr dilettantische Denker nicht umhin gekonnt zu bemerken, dass der Wille auch im Denken eine Rolle spielt und dass z. B- die grösseren zusammenhängenden Untersuchungen nicht möglich wären, wenn nicht ein stranmier Wille die Gedanken zusammen- hielte; allein Keiner, soweit ich die Litteratur kenne, hat ein- gesehen, dass dieser sogenannte Wille nichts anderes als das Gefühl ist. Sehr nahe hätte es doch Schopenhauer liegen müssen, bei seiner Willensphilosophie zu dieser Einsicht zu kommen; er ist aber himmelweit davon entfernt geblieben, wie man z. B. daraus sieht, dass er die Idee des Schönen in allen Künsten auf die willenlose Anschauung begründet, als wenn eine An- schauung schön und also werthvoU sein könnte, wenn der allein werthgebende Wille eliminirt wäre! Wer würde denn die Künste ausüben, und wer sich bemüssigt sehen, die Kunstwerke zu be- trachten oder zu kaufen, wenn kein Wille auf diese Anschauun- gen gerichtet wäre! Schopenhauer steckt eben noch bis zum Halse in dem romantischen Intellectualismus, den er von Kant, Fichte und Schelling eingesogen hat. Dass aber auch die Idee der Wahrheit nicht innerhalb des theoretischen Gebietes allein verstanden werden kann, das ist bis jetzt, soweit ich sehe, noch von Niemand geahnt, weil man als Tradition überall die Tren- nung von Erkenntniss, Wille und Geftlhl vorfand und in Bezug auf die letzteren beiden freilich wohl einen sachlichen Kitzel verspürte, das Verhältniss zu prüfen, dennoch aber immer bloss versuchte, beides in irgend eine Gausalverknüpfung zu versetzen und etwa den Willen aus dem Gefühle herzuleiten, ohne zu merken, dass man keinem besseren Ziele zusteuerte, als wenn

Digitized by VjOOQIC

Eintbeilung der Functionen der Seele. 41

man Friedrich den Grossen endlich als Vater des alten Fritze ausfindig zn machen hoffte.

Die Methode, die Identität von Wille und Gefühl zar Methode. zn zeigen, mnss zwei Wege einschlagen; denn erstens mnss die Analyse der Function, die man allgemein als Willen bezeichnet, nach Absonderung der nicht wesentlichen Be- ziehungen auf denjenigen Begriff führen, dessen Umfang allge- mein dem Gefühl eingeräumt wird; und zweitens muss ebenso umgekehrt synthetisch gezeigt werden, dass, wenn wir zu dem Gefühl gewisse nicht wesentliche Beziehungen desselben hin- zunehmen, dann auch ftlr den gemeinen Menschenverstand der Charakter des Willens hervortritt.

Den Willen analysiren wir am besten in drei Stufen, als sogenannten Trieb, als unüberlegtes leidenschaftliches Begehren und drittens als völlig besonnene und vernünftig freie Ent- Schliessung.

Die Analyse des sogenannten Willens führt auf das Gefühl.

Allgemein geht man, um die Natur des Willens d Ente stafe zu erklären, von den höheren Formen des Willens auf ^^ Begehrene. die untersten Formen zurück und glaubt diese in den Trieben vorzufinden. Als einen der niedrigsten Triebe fasst man z. B. den Nahrungstrieb auf. Dieser soll nun den Willen oder das Streben und Begehren nach Nahrung enthalten. Da nun, wie man einsieht, die jungen Hunde oder auch die menschlichen Säuglinge nicht schon wissen oder ahnen, dass ihrem Körper Milch zuträglich sein würde und dass diese Flüssigkeit durch Saugen an dem Mutterkörper herausgezogen und in ihren Magen durch Schlucken befördert werden könnte, so nimmt man, um die Wunderlichkeit einer solchen vorauszusetzenden Erkenntniss zn vermeiden, einen Instinct an, d. L ein Wissen und Wollen ohne Wissen und Wollen. Dieser Widerspruch giebt natürlich keine Erklärung, sondern stempelt die unbegriffene That- Sache bloss lexikalisch durch ein Wort

Sobald man nun meinem Bathe folgt und den Willen von der Bewegung trennt, so ist das Problem des Nahrungstriebes gleich aufgelöst Denn der Körper ist ein Coordinatensystem von Bewegungen und Bewegungsorganen; wird ein Muskel an-

Digitized by VjOOQIC

42 Definition der Religion.

gespannt, so kommt ein Knochen in Bewegung and jede Inner- virung zieht Maskelthätigkeiten nach sich u. s. w. Wie nun der Thorax ganz von selbst za athmen an&ngt, sobald die Laft in die Bäume der Lunge eindringen kann, was wieder durch andere Vorgänge vermittelt ist, so bilden auch die Bewegungen des Saugens und Schluckens und die Digestionsbewegungen ein ganz fertig vorbereites System von Coordinationea Und dieses System kommt gleich in Gang, möge man Zuckerwasser, Fenchelthee oder Muttermilch zwischen die Lippen schieben. Bei diesem ganzen Bewegungsapparate und seinen Functionen ist also vom Willen keine Rede.

Wo steckt nun der Wille? Man würde ihn ganz vergeblich suchen, wenn man zu der Idee von Bedtlrfiuss und Nahrung und ihrem teleologischen Zusammenhange seine Zuflucht nehmen wollte; denn der Säugling weiss nichts davon. Aliein alles ist gleich in Ordnung, wenn man den Willen als Gefühl fasst und in dem Geschmack sucht; denn jenachdem das Eingeführte schmeckt oder widerlich ist, entstehen die Schluck- oder Brech- bewegungen. Nun brauchen wir die Mystik des Instincts mit seinen sich selbst widersprechenden Bestimmungen nicht mehr, da wir sehen, dass der uns wohlbekannte Geschmack, der auch in dem kitigsten Menschen nicht kluger wird als er von Anfang war, mit dem Bewegungssystem unseres Digestionsapparates ohne alles Streben und Stossen in Coordination steht Das Ge- ftlhl ist der Wille, der gar nicht weiss, dass er etwas Vernünftiges will oder thut Ebenso wie mit dem Nahrungstrieb verhält es sich mit dem Geschlechtstrieb und allen tibrigen Trieben.

Wir kommen jetzt an die Stufe des unüberlegten 2) Zweite stufe leidenschaftlichen Begehrens, möge es in Handlungen ' des Hasses, Zorns, Neides, der Liebe, Schadenfreude, Bache u. s. w. erscheinen. Bei allen Handlungen dieser Art wird ein Wille als Ursache angenonunen. Dieser Wille setzt aber inmier gewisse Beziehungspunkte voraus, ohne welche er nicht functionirt Man nennt dieselben die Motive. Diese Motive sind aber nicht Wille; denn sie enthalten blosse Vorstellungen, d. h. ideelles Sein. Der Wollende muss sich, ehe er wollen kann, etwas vorstellen, z. B. Worte oder Handlungen anderer Menschen. Der Dieb muss Werthsachen sehen und sich vor- stellen, der Neidische Glttcksznstände eines Andern, der Zürnende

Digitized by VjOOQIC

Eintheilnng der Functionen der Seele. 43

mnss beleidigende Worte gehört haben. Da nun alle diese Vor- stellungen der Erkenntnissfunction angehören, so sind sie offenbar nicht dem Willen als einer von dem Erkenntnissvermögen ver- schiedenen Function zuzuschreiben and mithin nicht wesent- lich für den Willen, sondern nur Bedingungen seiner Auslösung; denn wenn die Peitsche auch die Pferde antreibt, so ist sie doch kein wesentlicher Theil des Pferdes,

Ebensowenig gehört zweitens die Handlung oder die aus dem Willen folgende Bewegung zum Willen selbst, wie wir das schon oben (S. 34) erörtert haben.

Als Wille ist also ausschliesslich die zwischen der aus- lösenden Vorstellung einerseits und der Bewegung andererseits liegende Function zu bezeichnen. Was ist nun diese Function? Um dies ganz klar und deutlich zu erkennen, müssen wir uns die sogenannten Motive oder die auslösenden Vorstellungen zum Bewusstsein bringen. Othello z. B. stellte sich die Handlungen der Desdemona vor. Er fLLhlte dabei einen Schmerz in seinem Gemüthe, möge man dies Geftahl Eifersucht oder Entrüstung nennen; einerlei, er wollte die vorgestellten Dinge also nicht. Macbeth stellte sich vor, wie es wäre, wenn er die Krone erhielte, und es füllte sich seine Seele mit Lust: das wollte er also. Er stellte sich die Hindernisse und Gegner vor und empfand tiefe Unlust: diese Umstände also wollteer nicht Was ist der Wille bei allen den Vorstellungen, die durch ihre Seele gehen, anders, als der Beifall oder die Lust, die bei einigen Vorstellungen eintritt, und das Missfallen oder die Unlust, die bei andern Vorstellungen ausgelöst wird. Jenachdem nun diese Gefiihle im Augenblick functioniren, coordiniren sich die Be- wegungen und zwar einerseits die des Vorstellungsvermögens, wodurch die geeigneten Mittel und Wege nach dem Goordinations- system der Erkenntniss ausgedacht werden, und andrerseits die Bewegungen des körperlichen Bewegungsapparates, welche die sogenannten Handlungen dem Resultate jener Überlegung ent- sprechend hervorbringen. Ist Beifall und Missfallen bei den im Bewusstsein gegenwärtigen Vorstellungen in gleichem Masse vor- handen, 80 geschieht keine Handlung.

Man sieht also, dass die Analyse des sogenannten Willens uns als das Gonstitutive der gesuchten Function nur das Gefühl zeigt Und diejenigen Gelehrten, welche schon oft allen Willen

Digitized by VjOOQIC

J

44 Definition der Religion.

der Menschen auf die Gefühle von Last und Schmerz als auf die Ursache zurückgeführt haben, wären zu loben, wenn sie nicht von einer Abhängigkeit, von Ursache und Wirkung, also von mindestens zwei Elementen gesprochen hätten, wobei GefUhl und Wille als verschieden gilt, während wir nur eine einzige Function, nämlich nur das Gefühl, als den sogenannten Willen anerkennen dürfen. Da man dies Gefühl nun nicht objectiv anders beschreiben kann, als durch die Vorstellungen, bei denen es functionirt, so nennt man gewöhnlich diesen ideellen Beziehungs- punkt den Willen, indem man z. B. sagt: Othello wollte sein Weib erdrosseln, Macbeth wollte König werden u. dergl. Dieser Beziehungspnnkt ist aber ein blosses Vorstellongsbild, gehört dem Erkenntnissvermögen an und dient bloss zur ideellen Unter- scheidung und Bezeichung der Gefühle, die ihrer eigenen Natur nach nicht ideell sind und daher ohne Beziehung auf die in dem Erkenntnissvermögen gegebenen Vorstellungen nicht für unsre Erkenntniss genauer bestimmt werden könnten.

Diese letzteren Betrachtungen sind nebenbei auch dadurch von besonderem Interesse, weil sie uns mit Einem Schlage die Stellungnahme der bedeutendsten neueren Psychologie, der Her- bartischen, erläutern. Denn bei Herbart müssen demgemäss die Gefühle ihren „Sitz in den Vorstellungen" haben, weil ja zur Auslösung und Specificirung derselben immer Vorstellungen erforderlich sind, die auch allein zur Benennung derselben taugen. Zugleich aber konnte diese blosse Vorstellungspsychologie der Herbartianer das eigenthümliche Wesen und die Selbständigkeit der Funktion des Gefühls nicht begreifen, sondern liess die Vor- stellungen bloss gymnastische Übungen machen in einem fingirten Räume und in fingirter Zeit und mit fingirten Bewegungs- erscheinungen und deducirte aus diesen Fictionen recht lächer- lich die sehr realen Gefühle, die doch genau denselben Rang von Wirklichkeit haben wie die Vorstellungen und sich nicht bloss nach den athletischen Leistungen derselben, sondern auch nach dem qualitativen Vorstellungsinhalte richten.

Es bleibt uns nun die dritte Stufe, die des wohl- 3) Dritte stufe besonnenen und freien Willens, übrig. Um hier nicht

des Begehrens.

durch die Undurchsichtigkeit des individuellen Seelen- lebens die Klarheit zu beeinträchtigen, ziehe ich immer vor, das grössere und in seinen Akten deutlicher gegliederte Bild eines

uiyiiized by VjOOQIC

Emtheilung der Functionen der Seele. 45

solchen Willens in dem Gerichtshofe oder dem Parlamente, wo viele Seelen denselben Act social vollziehen, za betrachten.

Die auslösenden Vorstellungen im Gerichtshöfe sind durch die Prämissen, also erstens durch die Paragraphen des Gesetzes als Obersatz und zweitens durch die Inquisition und Zeugenaussagen und vorgefundenen Documente und die Geständnisse u. dergL als Untersatz gegeben. Durch alles dieses hat der Richter also ein möglichst richtiges Vorstellungsbild von dem Angeklagten und seiner Handlung ^nd dem Verhältniss derselben zu dem Gesetze vor Augen. Es wird vorausgesetzt, dass er selbst nicht im Mindesten dabei persönlich interessirt ist, sondern mit voller Be- sonnenheit, objectiv, wie man sagt, anschaut und urtheilt.

Nun kommt der zweite Akt, das sogenannte Urtheil oder die richterliche Entscheidung, die scheinbar eine rein logische Conclusion ist Allein man muss dabei etwas feiner distinguiren; denn es findet zwar zunächst die logische Schluss- folgerung statt; diese ist aber nur die auslösende ideelle Be- dingung fbr das darauf erfolgende im Befehl, d. h. als Wille, gesprochene Urtheil: der Dieb soll hängen, soll sitzen oder soll verschickt werden. Die logische Conclusion gehört deshalb noch in den ersten Akt; die Entscheidung des Gerichtshofes in der ausgesprochenen Sentenz aber bildet den zweiten Akt

Und darauf folgt dann der dritte Akt, nämlich die Be- wegung der coordinirten Bewegungsorgane, die hier durch die dem Gerichtshofe zugeordneten Executivbearaten, Gensdarmen und Gefilngnisswärter u. dergl. vertreten werden.

Nun fragt sich, was dieser im zweiten Akte vorliegende Wille des Gerichtshofes eigentlich bedeutet Dass er keine Denk- thätigkeit oder blosse Vorstellung ist, springt in die Augen; denn das Sollen ist ein Begriff, der nicht in das Gebiet des Seins und der Erkenntniss, sondern in das Gebiet des Willens gehört Und auch die Ausdrücke, die ich in meiner Neuen Grund- legung der Metaphysik S. 82 und 102 schon angefahrt habe: sie volo, jubeo, placet, Soxst, car tel est notre bon plaisir u. dergl. gehen alle auf das Gebiet des sogenannten Willens. Es wird mit diesen Ausdrücken also eine neue Function, eine Stellung- nahme der Seele zu dem im ersten Akte vorliegenden Urtheile ausgedrückt Um diese Stellungnahme nun zu begreifen, müssen wir nothwendig noch ein wenn auch flüchtig auftauchendes

u.quizeauy Google

46 Definition der Religion.

zweites Yorstellungsbild hinzofügen. Der Richter muss sich nämlich anch das Gegentheil vorstellen, z. B. der Dieb laufe in Znkunft frei umher. Das missfällt ihm und erregt seine Ent- rüstung. Aber das Bild: der Dieb sitzt fest, befriedigt ihn und löst das Gefühl aus, welches in der gerechten Seele entstehen muss. Man sieht also, dass die Entscheidung des Bichters nicht von seiner Logik abhängt, sondern von seinem Gewissen oder seiner Gerechtigkeit; denn wenn der Angeklagte sein Bruder oder Sohn wäre, so wiürde ihm yielleicht der unlogische Schluss besser gefallen, und es ist ja bekannt genug, wie namentlich in Russland seit Einführung der Geschworenengerichte die frei- sprechenden Verdikte der Geschworenen aller Vernunft und Logik zum Trotze sehr häufig wurden, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil die vom Gesetz angeordneten Strafen zu hart waren, sodass es gegen das Gefühl oder Gewissen der Geschworenen ging, einen Brief boten, der aus Noth eine Veruntreuung begangen, nach Sibirien zu schicken. Es war ftü- sie ein weniger unbe- friedigendes Geftlhl, den sein Verbrechen eingestehenden Ange- klagten gegen die Wahrheit für nicht-schuldig zu erklären und frei zu machen, als ihn einer grausamen Strafe zu unterwerfen.

Auch bei dieser höchsten Stufe des Begehrens, wo ein ruhi- ges und ganz objectives Räsonnement der Willensentscheidung vorhergeht und genügende Zeit verstreicht, um alle zufällig ent- standenen unrichtigen Vorstellungen über den Angeklagten und die Umstände der That zu beseitigen, besteht also der sogenannte Wille auch bloss in dem Gefühl, indem die eine Vorstellungs- verknüpfung angenehm ist oder uns befriedigt, die andere un- angenehm ist oder uns nicht befriedigt. Der Wille wird hier frei genannt, weil er nicht durch verworrene Vorstellungen und falsche Einbildungen und schlechte Gewöhnungen ausgelöst, son- dern durch möglichst unfehlbare Erkenntniss der Thatsachen be- stinmit wird. Man sieht aber deutlich, dass gar keine andere Ursache in letzter Instanz, warum man sich so oder so ent- scheidet, angefllhrt werden kann, als das Gefühl, das hier ge- wöhnlich Gewissen genannt wird.

Dies lässt sich durch indirecten Beweis völlig sicher stellen; denn sobald man das Gefühl wegdächte, so hätte man blosse Vorstellungsbilder, von denen das eine vor dem andern gar keinen Unterschied an Werth und Beifall oder Missfallen

uiyiiized by VjOOQIC

Eintbeilnng der Functionen der Seele. 47

besässe, wovon also anch keins^ wie man sagt, gewählt oder gewollt werden könnte, weil dieser Werth oder Beifall, oder dieses Wählen nnd Wollen eben das Gefühl ist, welches wegge- dacht werden sollte. Der Dieb sitzt gefangen, der Dieb ist frei, er bricht in Dein eigenes Hans ein, der Mörder bringt Deine Fran nm n. s. w., alle diese Gedanken würden völlig indifferente Yorstellnngsyerkntipfangen sein, wenn wir kein Gefühl hätten nnd nicht bei jedem dieser Gedanken sofort nns angenehm oder schmerzlich bewegt fühlten. Wenn wir deshalb sagen, ich will, dass der Dieb gefangen sitze; ich will nicht, dass er frei sei: so bezeichnen wir bloss diejenige Yorstellungsverknüpfang als unseren Willen, bei welcher wir jenes angenehme oder schmerz- liche Gefühl hatten, and der sogenannte Wille ist also nur das in den coordinirten Vorstellnngsyerknttpfnngen ausgedrückte und dadurch beschriebene oder semio tisch angedeutete Gefühl. Das Wesen des Willens ist aber nicht die Vorstellung, sondern das zugehörige Gefühl, ohne welches die Vorstellung völlig gleich- gültig wäre und bloss dem Erkenntnissvermögen zufallen würde.

Corollar: Der Grundbegriff der Jurisprudenz.

Wenn man bedenkt, wie gegenwärtig die bedeutendsten Lehrer der Jurisprudenz an der Grundlage ihrer Wissenschaft zweifelhaft geworden sind nnd das Wesen des Rechts nicht mehr zu definiren wagen, so wird man diesen so merkwürdigen Zn- stand einer so hoch ausgebildeten Wissenschaft begreiflich finden; denn man hatte bisher das Gefühl nicht als die Grundlage dieser Wissenschaft erkannt.

Da ich hier nur einen kleinen Seitenweg einschlage, um die Fruchtbarkeit der neuen Theorie zu zeigen, so halte ich es für angezeigt, auf die grosse juristische Literatur nicht näher einzugehen; ich will nur eine Probe geben, indem ich aus dem mit subtilen philosophischen Erörterungen reich ausgestatteten und von einem feinen Kopfe herrührenden Werke „Irrthum und Rechtsgeschäft von Zitelmann 1879^^ ein paar Stellen anflihre, um zu zeigen, wie bisher überall sowohl in der Philosophie, als in den Specialwissenschaften die Grundbegriffe unserer geistigen Functionen in einem unerhellbaren Dunkel lagen, das selbst die besten Köpfe nicht lichten konnten, so lange einerseits die Neben- einanderstellung und Trennung von Gefühl und Wille fortdauert

uiuuizeu uy "V-j vy\J>t Iv^

48 Definition der Religion.

und andererseits die Bewegung, oder Handlung nicht als eigene geistige Function aufgenommen wird.

Zitelmann sagt S. 36: ,^ie Selbstbeobachtung unterscheidet sehr deutlich den Willensakt (Wollen, Wille) von andern psychischen Akten, Air die wir den Namen Vorstellung und Fühlen haben: er hat gar keine Aehnlichkeit mit diesen, sondern ist etwas speci fisch von ihnen Verschiedenes. Zudem bemerkt sie, dass jedesmal, dieser unbekannte psychische Akt X (Willensakt) von einer körperlichen Bewegung gefolgt ist, wohingegen die blosse Vorstellung, das blosse Fühlen für sich noch keinerlei körperliche Bewegungen nach sich ziehen/^ Niemand wird leugnen, dass Zitelmann hier in scharfen und klaren Linien die bisher in der Philosophie gültige Auffassung der geistigen Functionen zum Ausdruck gebracht hat. Aber es lässt sich gerade bei dieser Schärfe und Klarheit des Verfassers nun auch die Verlegenheit der früheren Auffassung deutlich zeigen.

Erstens sieht man, dass hiemach die Bewegung, die bloss als körperliche gefasst wird, in das geistige Leben gar nicht mit hineingehört, da sie nur eine äussere Folge bilden soll, wie ja der Schatten kein Theil des Körpers ist. Es fehlt also bei dieser Auffassung, wie ich oben erinnerte, die Möglichkeit, die Kunstfertigkeiten und künstlerischen Functionen (im Denken, Gomponiren und auch in den industriellen Arbeiten) und das Ar- beiten überhaupt als eine Function des Geistes selbst zu ver- stehen, so dass ein sehr grosser Theil des Seelenlebens, der nicht dem Willen, also nicht der sittlichen und juridischen Sphäre angehört, unbegriffen bleibt.

Zweitens tritt bei Zitelmann eine nothwendige Sophistik hervor; denn wenn er S. 63 den Willen definirt: „Wille ist der- jenige psychische Akt, durch welchen unmittelbar die motorischen Nerven erregt werden," oder S. 97 „der Wille bringt unmittelbar die körperliche Bewegung hervor," so ist doch einleuchtend, dass die Unterlassungen keine Willensakte wären. Es kann nicht helfen, wenn Zitelmann das Unterlassen des Schreiens beim Ausziehen eines Zahnes als eine körperliche Bewegung nach- weist, was wir ihm mit Vergnügen zugestehen wollen, ohne doch die Sophistik dieses a minori ad majus schliessenden Beweises weniger deutlich zu finden; denn wenn Jemand im moralischen

uiyiiized by VjOv

rQ.y

£intheilung der Functionen der Seele. Grundbegriff der Jurisprudenz. 49

oder juridischen Gebiet seine Pflicht zu thun unterlässt, so liegt solche pflichtwidrige Unterlassung nicht in einer Erregung der motorischen Nerven, deren Thätigkeit oder Unthätigkeit dabei vielmehr gleichgültig ist oder erst in zweiter Linie Berücksich- tigung verdient, sondern in einem Wollen, welches einen ganz anderen Sinn hat, als bloss die Ursache von körperlichen Be- wegungen zu sein.

Drittens ist einleuchtend, dass der Wille bei Zitehnann bloss ein Name werden muss, der nur an einen Inhalt, an die eigent- lich entscheidenden Geistesfunctionen erinnert, ohne selbst einen Bestandtheil dieser Functionen zu bilden; denn zum Willen müs- sen, damit er flir die Rechtssphäre etwas zu bedeuten habe, erstens immer gewisse Absichten, Entschlüsse, also Erkennt- nisse und Vorstellungen hinzugenommen werden und zwei- tens muss der Mensch sich in seinem Gefühl dazu stellen, in- dem er eine Unlust zu entfernen, eine Lust zu erreichen sucht durch gewisse Bewegungen. Also kommt ein Wille, der bloss Ursache von körperlichen Bewegungen wäre und qualitativ weiter Nichts, in der Rechtssphäre gar nicht vor, und wenn man die ftar alles Juridische entscheidenden drei Elemente hat, näm- lich die bewusste Vorstellung des Thatinhaltes, die Stellung des Geftihls (animi motus) und die Handlung selbst, so braucht man diesen blossen Namen „Wille", der angeblich Ursache der motori- schen Nervenerregung ist, gar nicht mehr. Wodurch sich zeigt, dass Wille entweder überhaupt als elementare geistige Function iden- tisch mit dem GefUhl ist, wie ich zu beweisen suche, oder ein blosser Name, mit welchem man ein Conglomerat der eigentlichen und elementaren geistigen Functionen zusammenfasst.

Ich will nun versuchen zu zeigen, wie der Ursprung des Rechts aus dem Willen gleich einleuchtend wird, sobald man das Specifische und Elementare der Willensfunction bloss als Gefühl auffasst und die frühere Nebeneinanderordnnng und Tren- nung von Wille und Geftthl fahren lässt.

Wenn ein Bauer einen Boden urbar macht und mit vieler Mühe bedient, so wird er sicher ein Geflihl des Zornes und der Entrüstung haben, wenn nachher ein Anderer kommt und die Emdte wegführt. Demgemäss sagt man dann, er habe ein Recht auf die Emdte, und der Andere sei im Unrecht, wenn er sie heimlich oder mit Gewalt für sich wegnimmt, weil Jeder in

Teichmüller, RellglonBphiloeophie. ^,y 4^^ ^^ GoOQIc

50 Definition der Religion.

gleichem Falle das gleiche Gefühl haben würde. Wenn aber z. B. nach Abführung der gefällten Bäume in einem Walde die Armen kommen, um die liegen gebliebenen trockenen Zweige davon zu tragen, so regt sich in dem Grundherrn kein Gefahl des Zorns oder Unwillens, sondern er lässt es gleichmüthig ge- schehen, weil die Arbeit des Aufsanmielns mit dem etwaigen Verkaufswerth sich ausgleicht und ihm also weder Gewinn noch Schaden dabei in Frage kommt. So sagt man dann, es sei kein Unrecht, fremden Besitz in dieser Weise sich anzueignen, oder die Armen hätten ein Recht auf diese Nachlese.

So wird man überall finden, dass immer, was in einem Volke und in einer Zeit für Recht oder Unrecht gilt, auf dem allgemeinen Beifall oder Missfallen, auf dem Gefühl der Befrie- digung oder des Zorns und der Entrüstung beruht. Und zwar ist der erste Grund alles Rechts immer die schmerzhafte Erregung, also der Zorn; denn erst muss ein Unrecht hervor- treten, ehe man den normalen Zustand, welcher keinen Zorn erregt, als das Recht erkennen wird. Das Gefühl, welches den Zorn balancirt, ist die Furcht; diese wird aber als mitwirkende Macht der Rechtserzeugung in dem Privatrecht weniger bemerk- lich, weil sich die Contrahenten im privatrechtlichen Verkehr ziemlich in der gleichen Lage befinden und daher an Kraft und Gefährlichkeit als nicht verschieden in Betracht konunen.

Genau denselben Ursprung, wie das Civilrecht, hat auch das Staats- und Völkerrecht. Nur tritt hier noch das zweite Gefühl zur näheren Bestimmung deutlicher hervor, ich meine die Furcht Ein Grundherr verlange z. B. von den Bauern wöchentlich einige Tage unentgeltlicher Arbeit. Natürlich werden sie darüber zürnen und unwillig sein. Wenn er aber seine Bewaffneten schickt und sie peitschen lässt, so wird das Gefühl der Furcht ihren Zorn löschen, und es wird dem Grundherrn ein Recht auf diese Ar- beitsleistung eingeräumt werden. Vermindert sich aber durch Veränderung der Verhältnisse die Macht des Grundherrn, so wirkt als vis inertiae noch eine Zeit lang die Gewohnheit weiter, allmählich aber muss die Furcht aufhören und mithin der Zorn und Unwillen wieder hervortreten, bis das Privileg abge- schafft ist. Ebenso ruht alles Völkerrecht auf Handlungsweisen der Völker, die sie ohne Erregung von Entrüstung im Verkehr mit einander vollziehen können. Nur ist auch hier die Furcht

u.quizeauy Google

Eintheilung der Functionen der Seele. Grundbegriff der Jurisprudenz. 51

immer mit in Rechnung zu bringen; denn ein schwächeres Volk erträgt ohne Zorn, was ein furchtloses grösseres Volk niemals ertragen könnte. Je nach dem Geftihlszustande werden demge- mäss die Verträge unter den Völkern abgeschlossen, wie z. B. die Franzosen den Verlust von Elsass und Lothringen zuerst nicht ertragen zu können schienen, während nachher durch Nach- lassen Yon Nancy einerseits, andererseits durch Erregung von Furcht der zu mächtige Unwille sich legte und das Becht durch Friedensschluss festgestellt wurde. Sollte aber Deutschland durch Coalition seiner Feinde einmal an Macht herabsinken, so würde auch sofort die Furcht in Frankreich vermindert werden und die Entrostung wieder wachsen und folglich der gegebene iriedens- rechtliche Zustand als Unrecht empfunden werden, bis durch Concessionen oder Krieg das Gefühl wieder beruhigt ist

Wollte man nun mit hochfahrendem Tone diese Begründung des Rechts als subjectiv abweisen, da ja sachliche Gründe, be- stinmite Zweckzusammenhänge und gewisse formulirte gesell- schaftliche Verhältnisse immer als Principien vorhergingen, welche dann beiläufig und nebensächlich auch etwa diese gleichgültigen Gefühle erregten, so würde der Vorwurf der Subjectivität wie ein Echo dem Rufenden wieder entgegentönen, da ja alle sach- lichen Formeln keinen Schuss Pulver werth sind und keinen Menschen zu irgend einer Handlung bestimmen, wenn sie kein Gefühl erregen, d. h. gleichgültig sind. Wir erkennen aber die Gefühle nicht durch irgendwelche sachliche Räsonnements, son- dern ermitteln umgekehrt den Werth und den Inhalt aller Zweck- zusammenhänge und aller objectiven Rechtssätze nach dem Gefühl. Das, womit wir zufrieden sind, mag man objectiv formuliren und in die Rechtsparagraphen aufiiehmen; wenn wir aber anfangen^ damit unzufrieden zu werden, so muss man es wieder abän- dern und eine neue Rechtsordnung herstellen. Die jeweilige positive Rechtsordnung ist nur der jeweilige objective und all- gemeine Ausdruck für die Verhältnisse-, die wir ohne Zorn er- tragen, und hat so viel Sicherheit, als mehr oder weniger Ge- sellschaftsmitglieder dadurch zufrieden gestellt werden. Mehrt sich die Zahl der Unzufriedenen, so kommt das Recht wieder in Fluss. Mithin ist das Gefühl die Grundlage der Jurisprudenz. Die positive Rechtswissenschaft hat deshalb die historischen und überhaupt empirischen Coordinaten für das historisch und

u,(^t*euüyGOOQle

52 Definition der Religion.

überhaupt empirisch gegebene Gefühl aufzusuchen, die Rechts- philosophie aber möglichst die apriorischen Formeln der Ver- hältnisse zu finden, welche den zugehörigen Gefühlen coordinirt sind. Die Definition des Rechts soll hier nicht gegeben werden, weil wir erst das Wesen des Gefühls und seiner Arten, zu denen ja auch das Gewissen gehört, genauer bestimmen müssten, was hier zu weit abliegt; aber es folgt aus unsem Betrachtungen, dass das Recht als apriorisches, unbekümmert um alle römi- sche oder moderne Jurisprudenz zu dednciren und durch zwei Constanten festzulegen ist, während die Definition des positi- ven Rechts durch einen algebraischen Syllogismus eine Variable zu construiren hat, welche durch eine Gonstante (nämlich das apriorische Recht) und durch zwei Variablen (nämlich die varia- blen Gesellschaf tszustände und die variablen persönlichen Geftihle) determinirt wird.*)

*) Ein Romanist, dem ich obige Darlegungen mittheilte, erklärte sich besonders dadurch befriedigt, dass hiermit, was durchaus erforderlich, das Völkerrecht auf dasselbe Princip, wie das Privat- und Staatsrecht zurückge- führt wäre, da die früheren Theorien das Völkerrecht immer abseits gelassen hätten. Sodann machte er mich auf den Sprachgebrauch im Römi- schen Recht aufmerksam, der mit meiner Auffassung merkwürdig über- einstimmte, sofern das sentire, consentire und der tacitus consensus dort die Grundlage des Vertrages und des Gewohnheitsrechts bestimmte, cf. Dig. 11 tit. 14. de pact. L. 1 § 2 Est autem pactio duorum pluriumve in idem pla- citum oonsensus. § 9. 11 Inst, de jur. nat. (l. 2).

Obgleich die Frage hier nur ein nebensächliches Interesse hat, so er- laube ich mir doch ein paar Worte über das Resultat, das sich mir aus meiner darauf angestellten Untersuchimg ergeben hat, mitzutheilen. Wenn man nämlich die lateinischen Definitionen der .Römischen Juristen genau interpretirt, wie wir dies bei unserem Aristoteles gewöhnt sind, so kann man weder die Auffassung Röver's und Zitelmann's annehmen, wonach der Con- sensus nur eine „innerliche Willensübereinstimmung" oder ,,Ueberein8tim- mung der Absichten" wäre, noch die Interpretation Leonhard's (Vergl. „Der Irrthum bei nichtigen Verträgen" 1882 I § 2), wonach „der Consensus nichts Innerliches, sondern ein Aeusserliches'* sei; denn so sehr Leonhard Recht hat, die äusserliche tmd sinnliche Darlegung und Handlung bei diesem Be- griffe zu betonen, so verhält es sich doch dabei wie bei jeder symbolischen Handlung, bei der Sprache und bei jedem Zeichen, dass nämlich alle Zeichen (a*r]{Uia) etwas bedeuten und dass man deshalb bei dem Consensus als immerhin äusserlicher Manifestation doch nicht von dem, was dadurch mani- festirt werden soll, absehen kann, ebensowenig wie bei den Worten von dem Sinn, den sie durch articulirte Töne andeuten. Mir scheinen deshalb von den beiden streitenden Parteien, die ich nach Leonhard angeführt habe, beide

.uy Google

Eintheilung der Functionen der Seele, Grundbegriff der Jurisprudenz. 53

Ich möchte noch eio Wort über das Obligirende ^^^^ '™ im Recht hinzufügen. Es ist nämlich eine blosse Un- klarheit, wenn man in dem Zwang des Rechts einen ganz be- sonderen Zauber sieht, der das Recht von der Moral unterscheide. Diese zwingende Kraft stammt aber ganz einfach aus denselben Geftlhlen, die das Recht erzengen. Wenn nämlich eine Hand- lungsweise die allgemeine Entrüstung der massgebenden Ge- sellschaftsmitglieder hervorrufen würde, so weiss man wohl, dass aus diesem Gefühl energische Reactionen entspringen müssten, und geräth deshalb in Furcht

je ein Moment der Sache zur Hauptsache zu machen. Soweit der Gegenstand principieller Natur und auch die Methode der philologischen Interpretation allgemein ist, so darf ich mir ein eigenes Urtheil zutrauen.

Für mich ist nun besonders interessant, dass in den zugehörigen Defi- nitionen der letzte Rechtsgrund des Vertrages auf den consensus in dem Sinne zurückgeführt wird, dass bei den von beiden Contrahenten vorge- stellten Dingen (Bedingungen der Uebergabe, des Umtausches, des Han- delns und Leidens u. s. w.) immer das Gefühl in beiden zufrieden ge- stellt wird, so dass keiner von beiden etwa mit dem Modus des Geschäfts, der dann auch in der Declaration durch äusserliche Handlung dargestellt wird, unzufrieden wäre.

Auf diese Weise ist es ganz in die Augen fallend, dass wirklich das Gefühl (Zufriedenheit, Unzufriedenheit) sich als Princip herausstellt. Ich citire nur ein paar Belegstellen, indem ich die entscheidenden Wörter her- vorhebe:

L. 7 § 19 dig. de pactis 2, 14 Ulpianus: Hodic tarnen ita demum pactio hujusmodi creditoribus obest, si convenerint in unum et communi con- sensu declaraverint, quota parte debiti contenti sint; si vero dissentiant cet. Das entscheidende Wort ist contenti, d. h. negativ: keiner von beiden Contrahenten ist unzufrieden, hat ein Gefühl der Unlust oder der Entrüstung. Also ist es ein in idem placitum consensus, wobei placitum theils das Ge- fühl (placere, plaisir), theils den vorgestellten Inhalt der Abmachung be- deutet, bei welchem dies Gefühl entspringt.

L. 55 dig. de obligat, et action. '14. 7. (Javolenus). In omnibus rebus, quae dominium transfcrunt, concurrat oportet affectus ex utraque parte con- trahentium. Nam sivc ea conditio, sive donatio, sive conductio, sive quaelibet alia causa contrahendi sit, nisi animus utriusque consentit, perduci ad effectnm id quod inchoatur, non potest. Hier ist also das Gefühl (affectus und animus) der Befriedigung von beiden Seiten ebenfalls anerkannt, ohne welches die äusserliche Darlegung oder die blosse Vorstellung keinen Vertrag bilden kann. Dasselbe liegt in der Definition der Conventio in L. 1 § 3 Dig. de pactis 2. 14: qui ex diversis animi motibus in unum con- sentiunt.

Digitized by VjOOQIC

54 Definition der Religion.

Dergleichen Handlungen werden also, auch wenn man grosse Lust dazu hätte, unter dem Zwange dieses Geflihles unter- lassen; denn es werden die Executivorgane der Gesellschaft dem alle Bewegungen des Menschen bestimmenden Geftlhle mit seinem Bechtsausdruck zur VerfUgung gestellt, um alle missfal- lenden Handlungen nicht zu dulden. Das Recht hat daher eine obligirende Kraft, weil es der in den Formen des Erkennt- nissvermögens gegebene Ausdruck der in dem massgebenden Theile der Gesellschaft herrschenden GefUhle ist Die Ent- rüstung der massgebenden Gesellschafl»gruppe bestimmt die Be- wegung, erregt in den anders ftlhlenden Gesellschaftsgliedem die entsprechende Furcht und erzwingt daher auch in ihnen eine Auslösung von Handlungen und Unterlassungen, welche aus dem freien Process ihres Seelenlebens nicht hervorgegangen wären. Der BegriflF Zwang bedeutet daher eine Handlungsweise, die der Unlust und nicht dem Beifall coordinirt ist Während die mass- gebenden Theile der Gesellschaft in dem Recht nach Möglich- keit nur den Ausdruck dessen formuliren, was ihnen beliebt, und für sie daher das Recht keinen Zwang bildet, das dem Recht Widersprechende vielmehr ihre Entrüstung hervorbringt, so müssen umgekehrt alle diejenigen in dem Recht einen Zwang anerkennen, welche den Inhalt dessen, was ihnen geftlUt, anders formulieren würden, und daher nur ungern und aus Furcht das thun, was das Recht gebietet.

Aus diesem Grunde ist auch die zwingende Kraft des Rechts variabel, wie jeder aus Erfahrung weiss. Die Geftlhle nämlich, welche den jederzeit gegebenen Gesellschaftsverhältnissen ent- sprechen, sind ein lebendiges und also variables Element, wäh- rend die aus ihnen entspringenden Rechtsformulirungen und Institutionen kein eigenes Leben haben, .sondern als abstracto Symbolisirungen in den Formen des Erkenntnissvermögens noth- wendig starr und mit sich identisch bleiben müssen. Wenn des- halb im Laufe der Zeit die lebendigen Gesellschaftszustände sich ändern, so sehen die Unerfahrenen mit, die Klügeren aber ohne Erstaunen, dass das bisher geltende Recht allmählich oder plötz- lich seine obligative Kraft verliert, bevor es auf dem legitimen Wege aufgehoben oder, wie man sagt, „ausser Kraft gesetzt" wurde; die Ursache seiner natürlichen Entkräftung liegt aber darin, dass die Entrüstung nicht mehr hinter ihm steht und

Digitized by VjOOQIC

Eintbeilimg der Functionen der Seele Grundbegriff der Jurisprudenz. 55

Niemand den Zwang auszuüben sich geneigt fühlt, wie auch kaum Jemand noch in Furcht vor dieser früher zwingenden Autorität sich beugt. Der Zwang im Recht hat also seinen Ursprung in den natarlichen Machtverhältnissen der Gefbhle, von denen alle Bewegungen und Handlungen der Menschen abhängen, und ist in allen Stücken, in der Ausübung überhaupt und in dem Modus derselben und im Strafinass durchaus seinem Ur- sprung gemäss variabel.

Daher kommt es, dass die Gränzen zwischen Moral und Becht fliessende sind*); denn wenn z. B. die überwältigende Mehrheit der Gesellschaftsglieder sogenannten moralischen oder religiösen Gefühlen leidenschaftlich unterworfen sind, so wird sofort, was man sonst dem moralischen oder religiösen GeftihI in Freiheit überliess, zu einem zwingenden Rechtstitel, und der

*) Einen scharfen Ausdruck findet diese Unsicherheit der Jurisprudenz über ihr Princip in der Rede von Edgar Löning (jetet Professor in Rostock), die im Jahre 1879 von der Universität Dorpat publicirt wurde. Indem er darlegt, weshalb (S. 5) „ganz ähnlich wie die Naturwissenschaft sich heute auch die Rechtswissenschafb wieder veranlasst sieht, zu der lange gering geschätzten Philosophie zurückzukehren", unterwirft er in historischer Über- sicht alle firüheren deutschen, französischen und englischen Theorien einer scharfen Kritik, behält aber die Lösung der Aufgabe der Zukunft vor, weil, wie er sagt (S. 28), „die Erkenntniss der tieften Grundlage des Rechtes nicht möglich ist, bevor nicht der Zusammenhang zwischen Recht und Moral aufgedeckt ist."

Auch in der neueren Arbeit von Dilthey (Geisteswissensch. I. S. 68 ff.)» wo er sagt: „das Recht ist ein auf das Rechtsbcwusstsein als eine beständig wirkende psychologische Thatsache gegründeter Zweckzusammen- hang**, finde ich nur den Ausdruck der Schwierigkeit, aber keine Lösung des Problems; denn wenn man schon wüsste, was das Rechtsbewusstsein ist, danii würde kein Mensch mehr eine Erklärung des Rechts suchen. Über- haupt arbeitet Dilthey mit den sogenannten Thatsachen, als wären es Er- klärungsgründe und nicht blosse Probleme. Die ganze Welt aber ist eine Thatsache und trotzdem die Wissenschaft von der Welt erst in den An^gen. Psychologische Thatsachen aber sind, wenn auch von vornehmerem Stande, dennoch nicht der Legitimation enthoben, sondern vor dem Gesetze der Wissenschaft gleich. Alle Thatsachen sind wie Sätze, die das Kind und der unbefangene Redner ausspricht, ohne die darin verborgene Gonstruction mannigfaltiger Elemente zu bemerken; der pedantische Grammatiker aber löst den Satz in die Satztheile, ihre elementaren Formen und ihre Verbin- dungen auf. Darum sehe ich nicht, wie man eine Wissenschaft auf sogenannte Thatsachen begründen kann, die doch bloss Probleme aufgeben, aber nichts erklären und beweisen.

Digitized by

Google

56 Definition der Keligion.

Dreieinigkeitsleugner muss in's Feuer springen, wie der Plnder- hosenliebhaber in's Geiängniss kommt, weil die Entrüstung der ausschlaggebenden Gesellsehaftsglieder die Äusserung solcher Gedanken und die Ausübung solcher Handlungen nicht dulden kann. Die Zwangskraft des Rechts bildet deshalb keine inhalt- liche Gränze gegen die Moral, sondern bloss eine historische, indem es immer von dem jeweiligen Gesellschaftszustande und den coordinirten variablen Geflihlen abhängt, was in die Sphäre des Rechts und was in die Moral gehört. Wer da eine inhalt- lich bestimmte Gränze sucht, der könnte auch gewiss an der Küste der Nordsee eine Linie ziehen, bis zu welcher das Meer in jedem Augenblicke reicht, über welche es nie hinausgeht und hinter welcher es nie zurückbleibt. Recht und Moral ist viel-

Eine Lösung unseres Problems konnte Dilthey aber schon aus dem Grunde nicht finden, weil er die bisherige Eintheilung der geistigen Functionen in seine Denkweise hinübemimmt und deshalb überall vom Wollen, Fühlen, Vorstellen spricht und den Menschen schlechtweg immer als „wollend fühlend vorstellendes Wesen" bezeichnet. Denn bei dieser Dreitheilung fehlt erstens die Function der Bewegung oder Handlung und damit zugleich die Möglichkeit, die Kunst unter die geistigen Processe aufzunehmen; und zweitens kann der Wille, da er neben das Fühlen (mit welchem er in Wahrheit identisch ist) gestellt wird, nur zu einer höchst mysteriösen Per- sönlichkeit werden, in welcher etwas Gefühl vorkommt, die auch etwas vorstellt, da sie Absichten hat, und die endlich auch Handlungen verübt. Der Wille muss also im Geheimen die Elemente der drei von mir angegebenen Functionen auftiehmen, und jeder Autor, der das Wollen neben das Fühlen stellt, also etwas Nichtvorhandenes in Reih und Glied einordnet, wird immer freiwillig oder unfreiwillig den Schleier der Unklarheit Über diese Maske werfen, weil er einen complicirten Process mit einer elementaren Function verwechselt.

Dass ich Dilthey*s Richtung, die durch die Parole des modernen Positivismus und Skepticismus charakterisirt wird, nicht für gesund halte, ist selbstverständlich; denn aller Zweifel an der Wissenschaft überhaupt ist, wie bei Agrippa ab Nettesheini , Symptom eines nicht genügenden Gebrauchs unserer Denkfunctionen. Wenn deshalb Dilthey als Parole ausspricht: „alle Wissenschaft ist Erfahrungswissenschaft", um bloss mit sogenannten That- Sachen ohne Begriffe operiren zu dürfen und die Philosophie aus der Welt zu schaffen, so kann ich diese Beschränkung des Allgemeinen auf das Specielle nur far einen Scherz halten , da dieser Satz , als ein Oxymoron, selbst ja die Erfahrung übersteigt, also speculativ ist, und doch die Speculation be- seitigen will. Es ist so, wie wenn ein Heir beim Bezahlen ausriefe: „alles Geld ist Papiergeld" und dann zum Spass ein falsches Markstück auf den Tisch würfe.

Digitized by

Google

Eintheilung der Functionen der Seele. Grundbegriff der Jurisprudenz. 57

mehr dem Begriffe nach ganz ein und dasselbe; nur ist man gewöhnt, dasjenige £echt, welches für den Einzelnen oder die Gesellschaft aus dem apriorischen Verhältniss der Gefühle specnlativ abgeleitet werden kann und welchem sich daher die Gesinnung der höher und feiner entwickelten Mitglieder der Ge- sellschaft mehr oder weniger annähert, vorzugsweise Moral zu nennen, während man im Änschluss an die geschichtliche Aus- drucksweise im Staatsleben den Inbegriff der lebendig geltenden Bestinunnngen, welche die empirisch gegebene Gesinnung der massgebenden und deshalb herrschenden Gesellschaftsgruppe con- stituiren, schlechtweg als Recht bezeichnet. Obgleich daher das Recht oder die Moral im ersten Sinne ebenso zeitlos und unver- änderlich ist, wie die mathematischen Verhältnisse der Zahlen und der Raumfiguren, so spricht man doch in Rücksicht auf die empirisch und geschichtlich gegebenen und variablen Gesinnungen der Einzehnenschen und der Staatsgesellschaften von einer Variabilität und Ent Wickelung der Moral und des Rechts, und aus diesem Grunde wird der Gegensatz zwischen Moral und Recht niemals aufhören und die Gränze zwischen beiden nie- mals endgültig aufgehellt werden können, weil man mit zwei continuirlich variablen Grössen zu thun hat, da sowohl das augen- blicklich geltende Recht als die augenblicklich in den besseren Elementen der Gesellschaft gegebene Gesinnung nur eine augen- blickliche Feststellung erlaubt, während die Thür zu weiterem Fortschritte schon offen steht.

Genau dem Ursprung des Rechts entsprechend, findet deshalb auch seine sogenannte Entwickelung aechta- statt. Diese Entwickelung wird aber nur in meta- phorischem Ausdruck auf das juristische Recht selbst bezogen, welches viehnehr als der von dem Erkenntnissvermögen formu- lirte Ausdruck ein an sich lebloses, weil bloss semiotisches Element ist. Eine Analogie mag dies verdeutlichen. Wenn ein Mensch erst erfreuliche und dann schmerzliche Nachrichten erhält, so wechselt jedesmal sein Gefühl, und es coordiniren sich diesem Gefühl entsprechend die Bewegungen, welche den Gesichtsausdruck hervorbringen. Nun entwickeln sich aber nicht im eigentlichen Sinne die Gesichtsausdrücke auseinander, sondern die neuen Muskel- bewegungen stammen aus den neuen Gefühlen her und nur, weil die früheren Bewegungen in dem bisherigen Autdm^ -äts- €k-

-•' .< X "^ ' 'j '.^ -" 'üy" ^^-^ OOQ IC

58 Definition der Religion.

sichts noch fortdauerten, so wird auch der neue Ausdruck sich, wie hei dem Parallelogramm der Kräfte, theils nach dem neuen Bewegnngsantrieh, theils nach der noch bestehenden Form richten. Genau nach dieser Analogie ist da^i Recht aufzufassen einmal nach der realen Seite als der iixirte Bewegungszustand oder die lebendige Kraft aller in der Gesellschaft gegebenen Be- wegnngstendenzen, andererseits als der diesen Zustand semiotisch in Erkenntnissform ausdrückende Begriff, der irgendwie als bekannter Gebrauch oder in geschriebenem und publicirtem Aus- druck oder in Lehrbüchern niedergelegt werden mag. Die Bechts- entwickelung trifft aber zuerst die den variablen äusseren Ver- hältnissen entsprechenden Gefühle, in zweiter Linie den sich entsprechend diesen Gefühlen coordinirenden Bewegungs- zu stand und erst in dritter Linie den formulirten Ausdruck desselben in Bechts begriffen. Die Veränderung derselben ist deshalb unmöglich eine rein inmianente, weil die Begriffe selbst an sich identisch und unveränderlich sind, und das Denken nur durch Hinzunahme neuer empirischer Beziehungspunkte den Grund zur Hervorbringung neuer Erkenntnisse oder Begriffe findet.

Nur darf man nicht glauben, als wenn das Massgebende in der Rechtsbildung und Rechtsentwickelung die sogenannte Ma- jorität wäre. Wie die kleine und dünne Nadel, die man zwischen die Rippen in das Herz sticht, den grössten Menschen tödtet, so sind auch in der Natur die Bewegungserscheinungen nicht an die Anzahl der Elemente gebunden, sondern von compli- cirten Bewegungsbedingungen abhängig, wie man ja auch an einem langen Hebelarm mit Einem Finger die grössten Massen aufheben kann. Daher ist das Ausschlaggebende im Recht, welches, wie wir sahen, einen Bewegungsorganismus oder auch bloss eine sociale Maschinerie ausdrückt, zuweilen ein einzelner Mensch, zuweilen eine Anzahl Familien, zuweilen die grosse Masse. Wie die obligatorische Natur des Rechts zuweilen auf den Volkswillen, d. h. auf dasjenige, womit die Menge sich be- friedigt fühlt, zurückgeflihrt wird, so zuweilen auf das Belieben oder das Vergnügen eines einzelnen Herrn (car tel est notre plaisir), während das Gegentheil die Entrüstung der Menge oder des Herrn hervorrufen würde.

Da nun die Gesellschaft allmählich eine äusserst complicirte Maschinerie entwickelt, so ist es auch begreiflich^ dass die

u.quizeauy Google

Eintheilung der Functionen der Seele. Grundbegriff der Jurisprudenz. 59

Kenntniss von dem ausschlaggebenden und also rechtsbildenden und rechtsentwickelnden und obligirenden Princip nicht immer Allen zukommen kann, weshalb es denn wieder sehr begreiflich ist, dass das Obligatorische im Recht einen mysteriösen Cha- rakter bekommt, dem die Meisten sich beugen, während zu- weilen erst durch eine Rebellion enthüllt werden muss, woher eigentlich das Recht stammt und welches Princip bisher die Zwangsmacht bildete und welches neue Geftlhl jetzt die sociale Bewegung dirigirt.

Die Rechtsentwickelungs-Geschichte ist deshalb äusserst schwierig, und sie hat nothwendiger Weise zwei ganz verschiedene Principien. Das eine Princip ist rein historisch und beruht auf del* Kenntniss der gesellschaftlichen Zustände und ihrer Ver- änderung; das andre Princip ist apriorisch oder speculativ und besteht in der Psychologie und Ethik, d. h. in der Wissen- schaft von den Geftihlen und ihren Werthunterschieden« Da nun die Geflihle, die wir hier im Allgemeinen als Furcht oder als Entrüstung bezeichnen, nicht alle untereinander gleichartig sind, sondern eine Reihe qualitativer Unterschiede durchlaufen, die einem immer umfassenderen ideellen Objecto entsprechend einen immer höheren Werth darstellen, so ist es auch möglich, dass die Rechtsentwickelungsgeschichte nicht bloss gleichgültige Ver- änderungen zu registriren braucht, sondern einem sich verfeinern- den sittlichen Geftlhle entsprechend auch eine Entwickelung in eigentlichem Sinne wenigstens in einigen Perioden der Geschichte erforschen kann.

Synthetische Methode. Wie nun musikalische Naturen sich nicht leicht genug thun können im Anhören und Ausüben der Musik, so versteht es sich von selbst, dass wir als Philosophen von einer ganz unersätt- lichen Passion für Beweise und Methoden und ftlr alle Mittel und Wege, die Wahrheit zu erforschen, ergriffen sind. Wenn deshalb der neue Lehrsatz, dass Wille und Geftlhl dasselbe ist, auch durch die analytische Methode genügend bewiesen zu sein scheinen möchte, so wollen wir doch gern unserer Neigung, die flir uns Pflicht ist, gehorchen und auch noch den umgekehrten synthetischen Weg versuchen, um zu sehen, ob wir auch genau bei demselben Ziele herauskommen werden. Wie wir vorher

Digitized by VjOOQIC

60 Definition der Religion.

vom Willen ausgingen and. auf allen Wegen das Gefühl fanden, so müssen wir jetzt von dem Gefühle ausgehen und auf den Willen herauskommen. Synthetisch heisst diese zweite Methode, weil wir zu dem Gefühle gewisse nicht wesentliche Beziehungs- punkte hinzunehmen müssen, damit der durch die Sprache irre- geleitete Verstand bei dieser Mischung leichter erkennt, dass das Gefllhl der sogenannte Wille ist. Wir setzen dem Dinge also gewissermassen nur einen Hut auf; dann weiss Jeder gleich, dass es ein Mann ist, obgleich der Hut keinen wesentlichen Theil des Mannes bildet.

Die hinzuzunehmenden Beziehungspunkte sind uns aber durch unsere Methode, die ein Coordinatensystem voraussetzt, fest vor- geschrieben, da das Gefühl in der Mitte steht zwischen den aus- lösenden Vorstellungen einerseits und den Bewegungen der zugeordneten ausführenden Organe andererseits.

Die erste Synthesis bezieht sich also auf Ge-

Erste Syuihcsis. __, -,,x ^, -r^r-ii i tt

ftlhl und Vorstellung. Den Schmerz oder die Lust für sich allein hält das gewöhnliche Bewusstsein der Menschen nicht für einen Willen; sobald aber die zugehörige Vorstellung hinzugefügt wird, ist der Wille da. Z. 6. nach Italien reisen als blosse Vorstellung ist kein Wunsch oder Wille; sobald aber bei dieser Vorstellungsverknüpfung in dem vorstellenden Subjecte Lust entsteht, sagen wir, er hat den Wunsch, dahin zu reisen, oder geradezu auch: er hat Lust dazu. Treten andere Vor- stellungen hinzu, die sich auf die Kosten, die Entfernungen, die hindernden Berufspflichten und dergleichen beziehen, so vermin- dert sich vielleicht die Lust und es hört die Bewegung im Denken auf, welche man das Plänemachen und die Ueberlegung zur That nennt. Die Grade und Arten des Willens werden daher durch die immer enger und bestimmter zur Bealisirung oder Vermitte- lung erforderlichen Vorstellungscombinationen ausgedrückt und der sogenannte Zweck ist die ideelle Goordinate des Gefühls, d. h. die Vorstellung, bei welcher man das Gefühl der Lust in erster Linie hat. Da nun das synthetische Ganze von Jeder- mann in diesem Falle ein Begehren oder Wille genannt wird, die hinzugenommenen Vorstellungen selbst aber kein Wille sind, so muss der Wille in dem Gefühle liegen.

Um dies nicht einzuräumen, könnte man zwei andere An- nahmen versuchen, erstens die, dass der Wille zwar nicht in der

Digitized by VjOOQIC

Eintheilang der Functionen der Seele. 61

Vorstellung und nicht im Gefllhl, aber doch in der Synthesis beider liege, wie z. B. das Messing zwar nicht Kupfer und nicht Zink, aber doch die Synthesis beider ist Allein dieser Versuch würde sich als eine Gedankenlosigkeit herausstellen; denn das Messing ist ein neuer Körper mit anderen Eigenschaften als denen der Componenten; die Synthesis von Vorstellung und Ge- fühl giebt aber nichts Neues und von den Goordinaten Verschie- denes, da das Gefühl ja überhaupt ilir sich gar nicht abgelöst werden kann, sondern erst bei der Vorstellung entspringt und daher von Haus ans in der Synthesis mit der Vorstellung steht, sofern es in Coordination mit den Vorstellungen so oder so func- tionirt. Vorstellung: abreisen: Lust; Vorstellung: nicht reisen können: Unlust

Die zweite Annahme, die man versuchen könnte, bestände in der Ansetzung eines unbekannten X, welches in der Synthesis mit der Vorstellung das Gefühl als sein Prodnct erzeugte. Jenes X wäre dann der Wille. Dies Hesse sich hören, wenn das X durch irgend eine Gedankenoperation bekannt werden könnte. Wollte man nun etwa sagen, es sei X ein gewisses „Streben^', so hätte man sich eines doppelten Fehlers schuldig gemacht Denn erstens ist das „Streben^^ ein weniger bekanntes Phänomen als das Gefühl,- und man hätte also obscura per obscuriora erklärt. Zweitens aber müsste man fragen, wodurch wir zu diesem „Stre- ben'^ veranlasst werden könnten; denn ohne Ursache und Grund wird man doch nicht streben. Es würde sich dann zeigen, dass Lust oder Schmerz alles Streben veranlassen und dass uns also effectus pro causa angeboten wurde. Das Streben bedeutet eben nichts anderes, als die von der Lust an einer vorgestellten Sache angeregte Bewegung in den Bewegungsorganen, mit denen ja das Gefühlsvermögen in Coordination steht

Ich denke also, man muss sich dabei beruhigen, dass die Geflihle gerade das sind, was wir eigentlich meinen, wenn wir von unserem Willen sprechen, indem wir die vorgestellten Dinge, um die Coordination mit dem Gefühl oder Willen auszudrücken, sprachlich in bestimmten Formen bezeichnen, wie z. B. mit dem Imperativ: leb' wohl, stirb; mit dem Optativ, oder mit den be- kannten Hülfsverben, oder durch die finalen Partikel, oder durch sonstige Formen des Heischens, wie z. B. ad mit dem Gerun- dium, oder durch das Supinum u. s. w. Denn alle diese Formen

Digitized by VjOOQIC

g2 Definition der Betigion.

sollen nichts anderes thnn, als den Inhalt der Vorstellung auf unser Gefühl beziehen, sofern wir das, was dabei vorgestellt wird, gern oder ungern sähen, Lust oder Unlust dabei empfsLnden. Zweite Unsere zweite Synthesis besteht darin, zu zeigen,

synthesifl. dass diejenigen, welche in dem blossen Geftlhl den Willen nicht leicht erkennen können, ihre Zustimmung nicht verweigern, sobald mau zu dem Gefühl das ihm nicht wesent- liche, aber zugeordnete Element der Bewegung hinzufligt. Die Bewegungserscheinungen werden nämlich nothwendig zuerst bemerkt, weil das Gefühl sich nur dem Fühlenden selbst offen- bart, die durch das Gefühl ausgelösten Bewegungen aber in die Sinne fallen, und so hat man ganz natürlich den Willen auch zuerst sinnlich an seinen Aeusserungen gefasst und als Suchen oder Fliehen, Begehren, Gieren oder Verabscheuen, sich von etwas abwenden u. s. w. bezeichnet. Diese Handlungen oder Bewegungen sind aber bloss Zeichen für die Modificationen unseres Gefühls und geben an sich ebensowenig den Willen an, wie die Marionetten durch ihre Bewegungen das Leben. Der an die feinere Analyse nicht herantretende Verstand fasst des- halb das Gefühl und die Bewegung wie ein Ganzes zusammen als Willen, und so ist indirect und synthetisch bewiesen, dass das Gefühl, welches die an sich gleichgültigen 'Bewegungs- erscheinungen erst zu Willensäusserungen macht, eigentlich und wesentlich der Wille selber ist.

Unter Bewegung oder Handlung meine ich hier aber ganz allgemein das, was ich in meiner Grundlegung der Meta- physik als das reale Sein nachgewiesen habe. Darum sind die Bewegungen durchaus nicht auf das sogenannte Gebiet der Sinne und speciell des Gesichts- und Tastsinns beschränkt und nicht bloss räumlich, sondern beziehen sich auf alle Gebiete der Realität

Man braucht aber nicht gleich die einzelnen elementaren Akte der Bewegung aufzusuchen; da nämlich jedem Akt ein an- derer Akt coordinirt ist und so fort, so wird eine Bewegung oft erst bei sehr entfernten Bewegungsgliedem wahrgenommen, wie z. B. das Lachen erst aus den Gesichtszügen oder dem zuge- hörigen Lachgeräusch, obgleich diese letzteren Effekte eine lange Kette von Zwischengliedern voraussetzen und die ersten Akte, welche der komischeu Vorstellung entsprechen, gar nicht wahr-

Digitized by VjOOQIC

Eintheilung der Functionen der Seele. 63

nehmbar sind. Zweitens wird man zu erwägen haben, dass viele Akte stattfinden können, ohne dass irgend eine sogenannte Ver- änderung als ideelles Sein bewusst wird, indem erst eine be- stimmte Anhäufung von einzelnen Akten einen sogenannten psychischen Effekt erzielt. Drittens darf man nicht vergessen, dass die Zeit überhaupt nur ideelle Ordnungsform ist und daher alle Akte zeitlos bestehen bleiben, auch wenn man sich ihrer nicht mehr bewusst ist Hieraus erklärt sich die Entstehung der sogenannten lebendigen Kräfte oder Kraftmagazine, deren Macht sich nur gelegentlich zeigt, wie z. B. erst beim Abspringen aus dem Wagen die lebendige Kraft, mit der man vorwärts ge- gangen war, durch den Fall bemerklich wird.

Nach diesen Vorerinnerungen wird es nun verständlich sein, dass die Bewegungen, welche unserem Gefühl coordinirt sind, sich nicht bloss in den in die Augen fallenden körperlichen Ver- änderungen zeigen, sondern auch in dem sogenannten Vorstellen und Denken verfolgt werden müssen. Diese zweite Sphäre der Bewegung verdient deshalb eine besondere Beachtung, weil sie bisher noch keine geftmden hat. Das Denken enthält nämlich, abgesehen von seinem ideellen Inhalte, eine bestimmte Reihen- folge von Akten, die eine bestimmte Einübung, ein Können, eine Kunst verlangen. Darum mag Jemand einen Lehrsatz seinem ideellen Inhalt nach verstanden haben, er kann ihn darum aber noch nicht in kunstmässiger Gedanken-Bewegungentwickeln, was vielmehr erst durch Schulung erreicht wird. Die Pädagogen haben dies in praxi schon längst seiner Wichtigkeit nach er- kannt, indem sie zwischen „Können'* und „Wissen" unterscheiden, aber man hat bisher nicht die dritte Function des Geistes darin gesehen, sondern sich mit einer blossen Analogie mit dem Ge- schehen in der Sinnenwelt abgefunden, als wenn solche Analo- gien überhaupt gestattet wären, wenn die Analoga nicht der Gattung nach identisch wären.

Ebenso werden zweitens die einzelnen Akte des Vorstellens durch gewisse Maschinentheile, die nicht fehlen dürfen, mit ein- ander vermittelt, und dies geschieht besonders durch die Sprache, welche als ein System von Maschinentheilen- oder Agitationsmit- teln und reell ^ wie ideell vermittelten lebendigen Kräften ange- sehen werden kann. Dass die Sprache an sich sinnlos ist, d. h. kein ideelles Geftige enthält, wird ja Jedermann, der eine ihm

u.quizeauy Google

g4 Definition der Religion.

fremde Sprache hört, völlig evident finden, weil er eben bei dem Gehörten nichts denkt und vorstellt Gleichwohl kann darch Aneignung dieses sprachlichen Bewegungsapparates das Denken zu einer bestimmten Reihenfolge der Auslösung des ideellen Seins, d. h. der Vorstellungen, veranlasst werden.

Dass nun beide geistigen Functionen, die Erkenntnissthätig- keit und die Bewegung des Denkens, trennbar sind, lässt sich schon daraus erkennen, dass man Verse und Formeln ganz ge- dankenlos hersagen kann, wobei sich also der Bewegungsapparat von dem Denkinhalt reinlich flir unsre Distinction abtrennt; denn man kann umgekehrt auch bei jedem Akte, d. h. hier bei jedem Worte, den zugehörigen ideellen Inhalt auffassen und dann zu neuen Gedanken kommen oder frtthere Gedanken reproduciren.

Alles dies muss man erwägen, wenn man die neue Lehre, welche ich hier vorlege, prüfen will; denn wie der Erkenntniss- inhalt sich von den Bewegungsakten abtrennen lässt, so auch die Gefühle oder Wollungen. Für den Dialektiker ist die Di- stinction leicht; es lässt sich aber auch zeigen, dass in concreto wegen der eigenthümlichen Maschinerie in dem Bewegungs- apparat manche Bewegungen der Extremitäten und des Herzens und manche Äusserungen in Worten hervortreten können, die nur als seelische Reflexbewegungen aus dem erworbenen mechanischen Zusammenhang der Akte, nicht aber aus den augenblicklichen Gefühlen erklärlich sind; denn sie geschehen oft ohne und gegen unseren Willen und erregen rückläufig unangenehme Gefühle, wie z. B. angewöhnte Bewegungen, welche Anstoss erregen, oder zweideutige Wörter, deren zweiten Sinn wir erst, nachdem sie gesprochen, hinterher bemerken. Keine Bewegung freilich, die von der Seele ausgeht, kann erfolgen ohne ein coordinirtes Ge- fühl, das jedoch durchaus nicht immer zu Bewusstsein zu kommen braucht; denn auch jene aus der allmählich entstandenen psy- chischen Maschinerie hervorgegangenen unfreiwilligen Be- wegungen sind ursprünglich durch ein GefUhl ausgelöst und erst dann in den psychischen Mechanismus übergegangen. Die Unterscheidung der seelischen Reflexbewegungen von den schon bekannten physiologischen lasse ich hier als zu weit abführend bei Seite.

Es könnte nur noch eingewendet werden, dass einige Ge- flihle doch keine Handlungen mit sich brächten und gerade wegen

Digitized by VjOOQIC

Eintheilung der {Functionen der Seele. 65

ihrer Thatlosigkeit und Verschlossenheit auf den Unterschied von Wille und Gefühl hingeführt hätten. Obgleich nun dieser Ein- wand eine gewisse Popularität für sich hat, so fehlt ihm doch eben die feinere Beobachtung; denn es giebt wegen der Coordi- nation der geistigen Functionen keine Gefühle ohne zuge- hörige Bewegungen. Der Geist ist eine Dreieinigkeit, da niemals Eine Function ohne die beiden andern zur Wirklichkeit kommt und doch eine jede von der andern verschieden ist. Hier z. B. darf man unter Handlung oder Bewegung nicht bloss die in die Sinne fallenden Manipulationen und die auf die Aussen- welt umgestaltend wirkenden Muskelarbeiten verstehen, sondeni wir müssen immer auch die im Gehirn, in der MeduUa oblongata und im Herzmuskel verlaufenden Bewegungen und die nach Aussen hin unmerklichen Thätigkeiten des Denkens und Phanta- sirens hinzurechnen. Die Gefühle des Forschers leiten seine intellektuellen Operationen, die Gefühle des Dichters und Musikers seine Compositionen in Worten und Tonbildem. Der Inhalt dieser Gedanken ist ideelles Sein, Vorgestelltes, Gedachtes, Wissen- schaft, Kunstwerk, Irrthum, Traum oder Wahrheit; die Be- wegungen aber, welche all dies hervorbringen, sind reales Sein, wirkliche Handlungen und wirkliche Veränderungen im Leben etlicher Organe und besonders des Gehirns. Darum wird man auch müde vom blossen lautlosen Denken und Rechnen, wie auch der Puls Zeichen für die dem Gefühl zugehörigen Bewegungen giebt. Ebenso sind auch die ganz stillen Gefühle der Wehmuth, Schwermuth, der verschlossenen Liebe und Freude nicht ohne zugehörige Bewegungen, nur dass diese nicht nach Aussen treten; denn es werden dabei gewisse Vorstellungen festgehalten, andere unterdrückt oder abgewehrt, so dass die gewollte Vorstellung, das geliebte Bild im Bewusstsein bewahrt und durch immer neue Gedankenverknüpfung wieder hervorgerufen und fort- gesetzt wird. Alles dies ist Handlung und Bewegung, und selbst die sogenannte Lähmung ist eine Folge der Bewegung, da ent- weder die von entgegengesetzten Gefühlen ausgehenden Be- wegungen sich äquilibriren, oder die bewegende Kraft des Gefühls, z. B. des Schrecks, so gross ist, dass sie durch ihren zu heftigen Innervationsschlag die abhängigen kleinen Agenten in den Muskel- fasern alle zusammengenommen überwegt und wie ein Blitz die Telegraphenapparate ausser Function setzen kann. Die feinere

Telchmäller, BeUglon.phllo«>phle. ^.J^^^ by GoOQIc

66 befinition der Religion.

Analysis zeigt also auch hier überall die Goordination des Ge- fühls mit der bewegenden Thätigkeit, und mithin wird man nach populärem Sprachgebrauch, wenn man von der Betrachtung der Bewegungen ausgeht, dafür als Ursache einen zugehörigen be- wussten oder unbewussten Trieb, Willen oder irgend eine Art des Begehrens suchen und dann nothwendig eben das Gefühl als den eigentlichen Agitator finden, dem man nur den Hut auf- zusetzen braucht, da er in dieser seiner Beziehung zu den Be- wegungen gerade unter dem Namen Wille oder Trieb wohl- bekannt ist.

Als Resultat der synthetischen Methode ergiebt Reauiut. gj^j^ ^jg^^ ^^gg dasjenige, was von dem gewöhnlichen

Bewusstsein als Wille angesprochen und bezeichnet wird, in dem blossen Geflihl nicht kenntlich genug hervortritt, dass aber die Bezeichnung des Gefühls durch die zugehörigen Vorstellungen und die Andeutung der dem Gefühl zugeordneten Bewegungen hinreicht, um auch von dem gewöhnlichen Bewusstsein die An- erkennung des Charakters des Willens dafür zu gewinnen. Mit den Combinationen der synthetischen Methode wollen wir nicht etwa das Gefühl als ungenügend hinstellen, um uns das Wesen des Willens zu zeigen; nein, wenn wir die auswärtigen Be- ziehungen einerseits zur Vorstellung oder Erkenntniss, anderer- seits zu dem Bewegungssystem hervorheben, so sollen damit nur die Beziehungspunkte angegeben werden, welche ausserhalb des Gefühls liegen und demselben also nicht wesentlich sind, da sie eben nicht das Gefühl ausmachen, sondern mit demselben nur in Beziehung stehen. Das Gefühl selbst ist Wille und ent- hält alles in sich, was man aus der Vorstellung vom Willen irgend herausziehen kann; es steht aber in fester Goordination mit der Erkenntniss von Objecten und giebt die Auslösung von zugehörigen Bewegungen. Darum dürfen wir jetzt mit grösster Freiheit auch die Beneficien der Sprache wieder flir uns in Anspruch nehmen, indem wir ganz nach Gutdünken die Aus- drücke Wille und Gefühl vermischt als Synonyma gebrauchen, jenachdem sich etwa eine gewisse Redewendung eingebürgert hat, oder jenachdem auch irgend eine Nebenbezichung und Schat- tierung des Gedankens durch das Eine oder das andere Wort vortheilhafter zum Ausdruck kommen kann; denn da wir der Tyrannei der Sprache ledig geworden sind, so können wir

Digitized by VjOOQIC

Eintheiiung der Definitionen. ßt

mit gutem Gewissen ihre etwaigen Beneficien geniessen, ohne uns darum zu kümmern, ob nicht am Ende die vergleichende Sprachforschung auch die Wurzeln von Fühlen und Wille, deren Formen sehr anklingen, wie vüelen, vülen und velle u. s. w. auf eine gemeinsame Grundbedeutung und einheitlichen Ursprung zurückführen wird.

§ 4. Definition der Religion.

Alles bis hierher Erörterte würde bloss eine lange und un- nütze Vorrede bilden, um auf unseren eigentlichen Zweck, die Definition der Religion, zu kommen, wenn es sich hier um eine praktische Unternehmung drehte; da wir aber die Philosophie der Religion im Auge haben, so ist der Weg ebenso wichtig, wie das Ziel. Das Philosophieren besteht eben in der Auffindung der Gedanken wege und in der Ordnung aller Begriffe, weshalb eine Definition, die nicht in dem ihr zugehörigen Coordinaten- system ihren bestimmten Ort auf richtigem Wege findet, für den Philosophen eine blosse Frage und keine befriedigende Antwort ist. Wir haben deshalb auch jetzt noch gar keine Eile, uns auf die sogenannten Resultate su stürzen, sondern wollen uns in aller Müsse und Freiheit erst über unsre Aufgabe orientiren, da wir ja gesehen haben, dass die früheren Definitionen der Theologen und Philosophen so übel abgelaufen sind.

Eintheilung der Definitionen.

Von den Definitionen lassen wir diejenigen, welche bloss den gebräuchlichen Namen flir die gesuchte ^- systemii- Sache oder einige charakteristische Eigenschaften und Wirkungen derselben anführen, ganz bei Seite, da sie es zwar für die erste Orientirung zu einer mehr oder weniger deutlichen Distinction einer Aufgabe von andern Aufgaben bringen, aber keine Erklärung des Wesens der Sache darbieten.

Die systematische Definition, die wir suchen, besteht in der Auffindung der Coordinaten, wodurch ein Begriff in derjenigen Weise bestimmt wird, wie der Astronom den Ort eines Sterns durch seine Rectascension und Declination festlegt. Man darf nicht meinen, als würde von dem Astronomen das Wesen der Sache

uiymzfc^ uy x^j v-/ v^'pc l V-

68 Definition der ReligioA.

nicht gesucht, sondern bloss eine Beziehung angegeben; denn es handelt sich dabei ja nicht um das Wesen des Sterns, sondern nur um seinen Ort, dessen ganzes Wesen in diesen geometrischen Beziehungen erschöpft ist. Bei den Begriffen aber sind die Coordinaten auch Begriffe, und jeder Begriff hat in dem all- gemeinen Coordinatensystem der Begriffe seinen Ort, so dass ein Begriff nur durch seine Coordinaten zu bestimmen ist, da alles Begreifen und Erkennen nur in Beziehungen und den sich dabei ergebenden neuen Gesichtspunkten und Beziehungseinheiten besteht. Denn alles Erkennen ist entweder specifisch oder semiotisch. Unter specifischer Erkenntniss verstehe ich die- jenige, deren Gegenstand selbst Erkenntniss ist, wie z. B. die Zahlen, die Zeit, die Kategorien. Semiotisch aber nenne ich diejenige, deren Gegenstand niemals erkannt werden kann, weil er nicht als Theil zur Erkenntnissthätigkeit gehört, sondern als ein ausserhalb der Erkenntnissfunction liegendes Element durch ein unmittelbares Bewusstsein gegeben sein muss. So ist z. B. „blau, grtin, traurig, Liebe, „Ich" niemals zu erkennen, weil alle Demon- strationen und Definitionen eines solchen Objects der Forschung voraussetzen, dass man durch unmittelbares Bewusstsein den Gegenstand schon kenne und ohne dieses Bewusstsein auch dureh die gründlichste Wissenschaft nicht zur Erkenntniss desselben gelangen werde, wie z. B. selbst die modernste Wellentheorie den Blinden nicht zur Empfindung von blau oder grtin verhilft. Über diese Unterscheidung bitte ich meine „Grundlegung der Metaphysik" zu vergleichen.

Während nun die Mathematik eine specifische Wissenschaft ist, sofern ihr ganzer Gegenstand aus blossen Erkenntnisselementen besteht, welchen kein andres Sein als in der Erkenntnissftinction selbst zukommt, so ist umgekehrt die Religionswissenschaft semiotisch, sofern ihr Gegenstand, dieEeligion, nicht bloss ein Begriff, ein Urtheil oder Schluss, sondern eine von aller Er- kenntniss verschiedene geistige Function ist, die, wenn sie auch eine gewisse Erkenntniss voraussetzt, doch nicht in dieser Er- kenntniss besteht. Wenn wir daher die Religion definiren sollen, so kann es sich nur darum drehen, in semiotischer Erkenntniss die Beziehungen aufzufinden, in welchen dieser uns durch un- mittelbares Bewusstsein bekannte Gegenstand seine flir die Er- kenntniss bestimmbare und allgemein und fest geordnete Stelle hat.

u.quizeauy Google

Elntheilung der Definitionen. 69

Allein diese Eintheilung der Definitionen ist noch

, .11. 2. Individuelle,

nicht genügend; wir müssen vielmehr einen neuen generiache. wichtigen Unterschied hinzunehmen. Der Gegenstand, *^«*^®- den wir definiren wollen, bildet nämlich keinen individuellen Lebensakt, sondern wiederholt sich bei derselben Persönlichkeit sowohl, als auch bei unendlich vielen, oder allen Persönlichkeiten in den verschiedensten Formen. Ausserdem finden wir in uns bei Betrachtung dieser verschiedenen Formen Äusserungen unseres Gefühls, wonach wir über die Wahrheit, die Güte und die Schön- heit dieser Gegenstände urtheilen. Demgemäss muss es bei der Religion, wie bei den analogen Gegenständen, drei Arten von Definitionen geben: erstens die individuelle, wodurch der singulare in der Geschichte nur einmal vorkommende Akt be- stimmt wird, zweitens diegenerische, wodurch wir alle die wirk- lichen und möglichen Formen durch gewisse Coordinaten in einen allgemeinen Ausdruck zusammenfassen, und drittens die Definition des Ideals, wodurch diejenige Form semiotisch erkannt wird, welche unser wissenschaftliches, sittliches und ästhetisches Ge- fühl vollkommen befriedigt und deren Selbsterfahrung sich zugleich in dem eigenen Bewusstsein über alle die andern Formen erhebt.

Die individuelle Definition im strengen Sinne ist Sache der individuellen Selbsterkenntniss; im weiteren Sinne aber, wo sie das gesammte religiöse Leben eines Individuums umfasst, kann sie jenachdem zur Aufgabe der Biographie, der Welt- geschichte und auch, wenn die Persönlichkeit religionsstiftend war, zum Hauptgeschäft der positiven Theologie werden. Der Philosoph aber hat mit dieser Aufgabe zunächst nichts zu thun. Ich sage zunächst; denn ich habe ja in meiner Metaphysik genügend gezeigt, dass der Idealismus in der Philosophie, welcher nur das sogenannte Allgemeine oder die Idee für das Wesen der Dinge hält und deshalb mit Geringschätzung auf das Individuelle sieht und es für immmer von der Philosophie ausschliesst, nicht bloss gar kein Verständniss für die Geschichte hat, sondern auch überhaupt eine falsche und ganz unbefriedigende Auffassung der Welt darbietet. Ich lasse es daher zunächst offen, ob die Erforschutig der Religion uns nicht an einen Punkt führt, wo sich zeigen könnte, dass die Definition des Ideals der Religion in der individuellen Erkenntniss des religiösen Lebens einer

uiymzeu uy V^jOOV IC

70 Definition der Religion.

historischen Persönlichkeit allein die zugehörigen festen Grund- linien findet Denn da die Welt ein technisches System bildet, so ist in ihr auch alles in der ideellen Form der Geschichte für jeden perspectivischen Standpunkt gegeben, und mithin ist es Yon vornherein nicht unwahrscheinlich, dass unter den vielen Formen der Religion auch die ideale einen historischen Vertreter hat, durch dessen Leben allein die Auslösung und Erweckung der zugehörigen religiösen Kräfte Vielen und auch uns zu Theil geworden ist.

Zunächst aber liegt gar keine Veranlassung vor, auf eine Betrachtung der Geschichte überzugehen. Ebensowenig freilich können wir sofort eine Definition des Ideals der Religion zum Besten geben; denn wenn wir nicht vorher alle die verschiedenen möglichen Religionsformen kennen und durch viele Beweisftlhrungen ihren Werth oder ünwerth ausgemacht haben, so würde eine solche Definition eine blosse Behauptung sein, die nur für einen Neugierigen ein gewisses Interesse hätte. Wenn wir deshalb diese Definition bis auf das Ende unserer Untersuchung ver- schieben, so wollen wir nicht säumige Schuldner sein, sondern die an sich gerechte Forderung ist nur vor dem Termin nicht fällig.

Andrerseits ist aber das Versprechen mehrerer Definitionen auch keine unnütze Liberalität, da man meinen könnte, auf eine Frage gehöre nur eine Antwort, sondern man muss wissenschaft- licher Weise mehr als eine Frage stellen, da es nicht genügen kann, z. B. alle Augen, die weitsichtigen, die kurzsichtigen, die pathologisch afficirten und die gesunden bloss als Sehwerkzeuge zu definiren, während wir doch ohne Zweifel auch zu wissen verlangen, ob nicht eine dieser Erscheinungsformen die bessere sei und worin die Vollkommenheit des Auges bestehe.

Die generische Definition, die wir also zunächst zu finden haben, werden wir als Philosophen nicht durch historische Ver- gleichung suchen, auch nicht wie Quetelet statistisch durch Er- mittelung des Durchschnittlichen-, denn die sogenannte Abstraction, wie sie von den früheren Logikern, z. B. von Wundt, erklärt wird, ist eine Illusion, da wir niemals durch Elimination von Merkmalen eines Gegenstandes abstrahieren, sondern um- gekehrt nur durch Uinzufügung neuer Beziehungspunkte und Gesichtspunkte. Daher würden wir durch historische und sta- tistische Betrachtungsweise au8 der Sphäre der blossen Er-

Digitized by VjOOQIC

Eintbeilung der Definitionen. 7 1

scheinungsformen nicht heraustreten. Wir müssen also die Kennt- niss der historischen Erscheinungen zwar voraussetzen, das Wesen der Sache aber, welches sich nur in unserem unmittelbaren Be- wnsstsein offenbaren kann, durch die unabhängig von allem Historischen gegebenen apriorischen Coordinationen unserer gei- stigen Functionen zu bestimmen suchen. Wenn wir aber nicht, wie es in den Lehrbüchern Brauch ist, sofort eine Definition abfeuern, sondern wieder mit einer gewissen Umständlichkeit verfahren, so werden wir uns erinnern, dass wir keine Eile haben, sondern philosophieren wollten, und dass nur die vollkommen begründete Erkenntniss befriedigend ist.

In meiner Schrift „über das Wesen der Liebe" 3 Anlage. Akt. habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass die lebendige Kran. Definition der Liebe entweder die Anlage und Fähigkeit zu lieben in's Auge fasst^ oder den Akt und die Ausübung der Liebe, oder drittens die durch viele Akte erworbene und bleibende Gesinnung der Liebe. Da wir also drei verschiedene und sich jenachdem widersprechende Definitionen der Liebe gewinnen, jenachdem wir uns nämlich auf den einen oder den anderen dieser drei Gesichtspunkte stellen, so müssen wir auch bei der Religion uns fragen, ob wir bloss die Anlage zur Religion, wie sie schon der Säugling im Unterschiede vom Thier besitzt, studiren wollen, oder die Eigenthümlichkeit der Akte des hervorbrechenden religiösen Lebens, wie dies Schleiermacher in einseitiger Weise für das religiöse Gefühl allein in's Auge fasste, oder endlich die erworbene lebendige Kraft und religiöse Gesinnung, die auch im Schlaf und selbst bei irreligiöser Handlung und einzelnen Sünden im Grunde der Seele fortdauert. Allein obgleich diese Unterschiede von dem grössten Interesse sind und unser Urtheil über viele Erscheinungen des religiösen Lebens allein zurecht- iilhren können, so bringt doch unsere nächste Aufgabe, eine gcnerische Definition zu gewinnen, einen Standpunkt mit sich, von welchem aus jene drei Unterschiede zugleich berücksichtigt werden und also nicht mehr in ihrer Besonderheit hervorgehoben zu werden brauchen; denn wenn wir die Religion als ein be- stimmtes geistiges Coordinatensystem auffassen, so ist durch die apriorische Construction desselben sowohl die Anlage zur Religion, als der Akt und endlich auch die bleibende Gesinnung mit bestimmt.

Digitized by VjOOQIC

72 Definition der Religion.

Durch die generische Definition wird zugleich auch die Frage nach dem Ursprünge der Religion zwar nicht beantwortet, aber doch zur Beantwoi-tung vorbereitet, da die befriedigende genetische Erklärung zwar erst durch die wahre Eeligion geboten werden kann, die generische Definition aber doch schon die Coordinationen aufzeigt, welche eine unerklärliche Illusion der Menschheit bilden würden, wenn der lebendige Gott nicht von Anfang an in dem menschlichen Geiste sich irgendwie oflFen- barte. Doch diese Frage gehört noch nicht hierher;' studieren wir vielmehr jetzt die Elemente der Definition.

Die Elemente der Goordination. 1. Der ereie Bc- Indem wir an unserem Auge alles das vorüber-

zieht! DgHpunkt,

Fuiidamentiim zlchcn lasscu, was die Menschen Religion oder re- rcuuoni». ügiösc Lebensäusscrung genannt haben, so zeigt sich sofort, dass wir davon nur eine semiotische Erkenntniss gewinnen können, d. h., dass wir davon nur soviel verstehen, als wir durch analoge eigene Erfahrung zu deuten vermögen. Wir bemerken dabei, dass es sich in allen diesen eigenen oder fremden Akten immer um eine Beziehung zwischen uns selbst und einem andern Wesen, dem sogenannten Gott, handelt. Die genaue Feststellung dieser Goordination ist die generische Definition der Religion.

Was zunächst den ersten Beziehungspunkt, den Menschen betrifft, so ist der Mensch ein vielßlltig zusammengesetztes Ganzes, und es kommt eben darauf an, denjenigen Punkt darin zu iso- liren, der flir die Religion die Coordinate bildet.

Zunächst sind aus dem Ganzen, welches wir Mensch nennen, die Körperbestandtheile und ihre Functionen wegzulassen, weil diese nur physische Beziehungen haben und keine religiöse Thätigkeit ausüben. Im geistigen Leben jedoch sind auch wieder verschiedene Functionen zu unterscheiden und zwar Geflihl (= Wille), Handlung, Erkenntniss. Nun haben die früheren Ge- lehrten häufig die Religion in eine dieser Functionen eingeordnet und sie bloss nach der dogmatischen, ethischen oder cultischen Seite aufgefasst. Wir müssen daher zunächst fragen, ob wirklich der gesuchte Beziehungspunkt in einer dieser Functionen liegt

Das erkennende Vermögen des Geistes und die Erkenntniss steht aber, wie alle Wissenschaft zeigt, nur in Beziehung zu den sogenannten Wahrheiten, also z. B. zu dem Pythagoreischen Lehr-

uiumzeu uy 'v_JvyVjVlv^

Analysis der znsammenge hörigen Elemente. 73

Satze, za dem Gesetze der Erhaltung der Kraft, zu den Gesetzen der Lautverschiebung u. s. w. Und wenn es auch in der heiligen Schrift heisst, dass Gott die Wahrheit ist, so bedeutet dies doch etwas ganz anderes, als den Gegenstand und Inhalt der wissen- schaftlichen Thätigkeit, da Gott in der Religion überall als ein Wesen aufgefasst wird, welches nicht wie die Wahrheit blosser Inhalt der Denkthätigkeit eines Forschers sein kann. Wenn die Wahrheit daher auch, wie wir später erforschen werden, durch Gottes Wesen bedingt ist, so geht sein metaphysisches Wesen doch nicht in diese logische Function auf. Darum können selbst die Religiösen theologische Forschungen anstellen und Gott seinen Eigenschaften und seinem Wesen nach bestimmen und darüber disputieren, ohne dass diese Thätigkeit zugleich eine religiöse wäre, weil es bei der Religion, wie uns die historisch bekannten Religionen und unser deutendes eigenes Bewusstsein bezeugt, nicht auf die Wahrheit und Falschheit der Urtheile ankommt; denn wir nennen selbst den Fetischanbeter religiös und zuweilen einen theologischen Disputax irreligiös, obgleich der letztere viel richtigere wissenschaftliche Begriffe als jener besitzt. Die logische Erkenntniss bildet also nicht den Beziehungspunkt für die Religion.

Ebensowenig kann das Geftlhl oder der sogenannte Wille allein ftlr sich als Beziehungsgrund der Religion gelten; denn das Geftihl kommt eben überhaupt gar nicht isolirt vor, sondern setzt schon immer einen Gegenstand in dem Erkenntnissvermögen voraus, durch dessen Vorstellung erst Gefühle von Lust oder Unlust ausgelöst werden. Schleiermacher's Isolirung des Ge- fühls ist also schon psychologisch unhaltbar.

In derselben Weise lassen sich auch die Handlungen nicht isoliren, da sie immer erst erfolgen, wenn vorher etwas percipirt oder vorgestellt und dann durch das Gefühl ein Werthunterschied constatirt ist, welchem gemäss Bewegimg oder Handlung entsteht.

Also kann das Fundament der Religion in keiner der drei geistigen Functionen selber liegen. Ausser dieser Dreiheit ist aber nichts Andres bei dem Menschen mehr übrig, als das Ich, das Bewusstsein seiner selbst als Wesen, d. h. das Selbst- bewusstsein oder das persönliche Bewusstsein. In diesem Bewusstsein sind natürlich die geistigen Functionen alle ein- geschlossen, aber alle bezogen auf das Ich, welches zu sich sagt: „Ich denke, Ich ftlhle, Ich handle." Mithin müssen wir von den

Digitized by VjOOQIC

74 Definition der Religion

Functionen zu dem Herrn derselben tibergehen, wenn wir das Wesen der Religion begreifen wollen.

Durch die neue Philosophie, von deren Gestalt ich in meiner „Grundlegung der Metaphysik^^ den Umriss gegeben habe, ist es möglich geworden, neben den drei Functionen des Geistes noch diesen Herrn und Eigenthümer des geistigen Lebens kennen zu lernen, der in der früheren Philosophie vor der zu nahen Beachtung der einzelnen Erscheinungen des Geistes, wie der Wald vor den Bäumen, nicht bemerkt wurde. Man hat bisher nämlich immer Bewusstsein mit Erkenntniss verwechselt und hielt deshalb das Selbstbewusstsein, wozu man ja durch die Sprache auch berechtigt war, für ein Wissen und Erkennen oder Denken, kurz für einen Akt des erkennenden geistigen Vermögens. Ich habe aber in meiner Metaphysik schon darauf hingewiesen, dass man die Leitung durch die Sprache gänzlich aufgeben muss, wenn man philosophirt; denn sie enthält bloss die populären ersten Unterscheidungen, die der Mensch bei dem Anfange seiner Cultur macht und die deshalb jetzt ebensowenig brauchbar oder gar mass- gebend sind, als etwa seine steinernen Aexte und seine Bögen und Pfeile flir unsre moderne Kriegsflihrung. Es ist darum hier nur ohne alle Verwunderung anzumerken, dass die Menschen sich schwer aus der Gewohnheit und am Schwersten aus der durch die angelernte und eingewöhnte Sprache begründeten geistigen Knechtschaft befreien. Zum Philosophieren aber gehört Freiheit.

Es wird deshalb nöthig sein, wenigstens ganz kurz das Kecht zur Abtrennung des Selbstbewusstseins von der erkennenden Function zu beweisen. Nun ist jedes Wissen und Erkennen an gewisse vorauszusetzende Beziehungspunkte gebunden; denn wenn wir z. B. erkennen sollen, dass ein Planet lichtreicher ist als die Fixsterne, in deren Nähe er augenblicklich steht, so müssen wir sowohl den Planeten, als diese Sterne sehen können. Wenn ihn aber eine Wolke verdeckt, so wird unser erkennendes Ver- mögen seine Arbeit einstellen. So sind die Beziehungspunkte bei aller Erkenntniss entweder, wie hier, unmittelbar, d. h. ohne selbst Producte der Erkenntnissfunction zu sein, gegeben, oder sie können auch wieder aus solchen gewonnenen Producten be- stehen, wie man z. B. über das Verhältniss von Staats- und Criminalrecht forschen kann, deren BegrifiFe beide selbst erst durch einen Erkenntnissprocess gefundeii werden. Aller spätereii Er-

Digitized by VjOOQIC

Analysis der zusammengehörigen Elemente. 75

kenntnissarbeit liegen aber immer zuletzt einfache schlechthin gegebene Beziehungspnnkte zu Grunde, die durch keine Erkennt- nissthätigkeit erst erworben werden können, wie z. B. die oben angeführten Sinnesempfindungen von dem Planeten und den Fix- sternen, oder wie die Kundgebungen des inneren Sinnes, wodurch wir uns unserer Gefühle und unseres Thuns und Leidens unmittelbar bewnsst werden. Solche Data sind nun als einfaches Bewuss t- sein gegeben, wobei wir das etymologisch angedeutete Wissen eben als ein irreführendes und mit dem Sinn von Wissenschaft unvereinbares Wort hervorheben und rechtskräftig annuUiren müssen. Wir haben aber nicht die Leidenschaft, neue Wörter zu bilden. Warum sollte man z. B. unseren Planeten nicht mehr Erde nennen, obwohl Kinder, welche Wasser, Erde und Luft zu unterscheiden gelernt haben, daran Anstoss nehmen könnten, dass der Planet Erde nun doch auch noch Wasser und Luft mit ent- halte? Darum wollen wir ruhig das Wort Bewusstsein und Selbstbewusstsein beibehalten, ohne flir die falschen Folgerungen aus der Etymologie zu haften, als wenn dadurch ein Wissen gegeben würde.

Wenn wir uns nun soweit durch das Gestrüpp durchgearbeitet haben, so gewinnen wir eine freie Aussicht und sehen jetzt ganz klar, wie unser Ichbewusstsein nicht das Fichtesche, Hegeische oder Platonische Subject Object, oder Wissen vom Wissen ist, sondern ein neuer einfacher, als Bewusstsein gegebener Be- ziehungspunkt, der durch keine Erkenntnissarbeit gefunden werden kann, sondern uns ebenso gegeben werden muss, wie der Planet, wenn wir ihn mit einem andern Stern vergleichen sollen. Wenn wir sagen: Ich erkenne, Ich fUhle, Ich handle, so meinen wir nicht, das Erkennen erkennt, das Erkennen fühlt und das Er- kennen handelt, sondern wir wissen sehr wohl, dass das Erkennen nicht fühlen und handeln kann, dass aber das Ich alle drei Functionen ausübt und mit keiner derselben identisch ist. Wie sollten wir von den Farben etwas wissen, wenn wir blind wären und sie sich nicht selbst in unserem Bewusstsein offenbar machten? Wie sollen wir den Aerger, die Lust, die Scham u. s. w. kennen lernen, wenn diese Geftlhle nicht selbst sich kundgäben und unmittelbar bewnsst würden, und also nicht durch Vennittelung eines anderen Princips, welches nichts von solcher Qualität besitzt Ebenso wird auch das Ich oder das Selbst sich selbst

Digitized by VjOOQIC

J

76 Definition der Religion.

bewusst ohne Erkennissarbeit und Schluss. Denn, da wir sagen : Ich denke, Ich sehe, Ich freue mich, Ich habe Schmerz u. s. w., so können diese prädicativen Bewusstseinsqualitäten das Ich nicht in sich bergen, welches vielmehr dem Verschiedenen in einerlei Weise zukommt, sich zu ihnen bloss in einem Verhältniss befindet, und also durch ein eigenes Bewusstsein offenbar werden muss, wenn wir überhaupt etwas davon wissen sollen.

In der Erkenntnisstheorie, Logik und Metaphysik muss diese Frage nun ausfuhrlicher erörtert werden; hier würde uns bei weiterer Beweisführung nur ein Tadel der Kritiker treflfen, dass wir zu sehr abschweiften. Die Neuheit des meta- physischen Lehrsatzes möge aber hier das Recht oder wohl auch die Verpflichtung zu dieser kürzeren Abschweifang vertheidigen oder erweisen.

Wenn wir nun das Ich als Ganzes mit seinen zugehörigen Functionen nehmen und es sich seiner Beziehung zu einem anderen Wesen ähnlicher Art bewusst werden lassen, so werden wir ihm eine Gesinnung zuschreiben. Mit diesem Worte darf aber ebensowenig, wie mit dem Worte Selbstbewusstsein ein Wissen gemeint war, etwa an einen blossen Willen gedacht werden. Die ganze frühere Philosophie und also auch die von philosophischen Begriffen abhängige theologische Dogmatik und Ethik hat diesen Punkt nicht in^s Reine bringen können, weil der Begriff des Seins bisher noch keine hinreichende Erklärung gefunden hatte. Gleichwohl haben die Theologen viel besser als die Philosophen immer für den Begriff der Religion unsere per- sönliche Stellung zu Gott in Anspruch genommen, nur konnten sie diesen Begriff des Persönlichen nicht anders als durch den Willen verstehen, weil ihnen die Philosophie keinen anderen Begriff dafür zur Verfügung stellte. Der Wille sollte eben, wie man sich ausdrückte, das Centrale, die Ganzheit, die Persönlich- keit, die Centripetalkraft u. s. w. vorstellen. Durch die neue Metaphysik wird es uns aber jetzt möglich, das Ich von seinen Functionen zu unterscheiden und demgemäss auch den Willen von der Persönlichkeit zu trennen.

Die Frage hat eine so grosse Wichtigkeit, dass selbst hier wieder eine Abschweifung erlaubt sein muss. Nehmen wir also zum Substrat der Analyse zwei Persönlichkeiten und lassen sie durch Freundschaft oder Liebe verbunden sein, Die Frage ist

Digitized by VjOOQIC

Analysis der zuoammengehörigeii Elemente. 77

jetzt, ob sie bloss durch den Willen verbunden sind. Es ist nun zwar richtig, dass sie sich einander gefallen und sich an einander freuen und also durch das Geflihl oder den Willen auch zusammen- hängen; wäre aber die VerknUpfiing möglich, wenn wir bloss das verknüpfende Band besässen, während die Wesen, welche ver- knüpft werden sollen, uns aus den Händen glitten? Denn wenn der Wille die Persönlichkeit ist, so ist das Band das zu Ver- bindende, und man würde statt der Brautleute zwei Ringe copu- lieren können. Man sieht hieraus die Unthunlichkeit, Wille und Persönlichkeit zu identificieren.

Ausserdem muss die Eine Persönlichkeit von der andern doch auch Vorstellung und Erkenntniss haben; sie müssen sich ihre Gedanken mittheilen, wenn sie sich lieben sollen. Also gehört zur Freundschaft und Liebe auch noch das Erkenntniss- vermögen und nicht bloss der Wille. Das persönliche Verhältniss ist mithin kein einfaches Willensverhältniss.

Endlich müssen die Freunde doch auch etwas thun in Be- ziehung auf einander; sie müssen sich besuchen, mit einander reden und allerlei zusammen unternehmen. Wer wollte also drittens das Vermögen der Handlung oder Bewegung aus der Freundschaft wegnehmen dürfen und dann noch von einem per- sönlichen Verhältniss sprechen!

Es zeigt sich daher, dass Wille und Persönlichkeit nicht identisch ist Der Begriff der Persönlichkeit ist aber erst mög- lich durch die neue Metaphysik, da man nun ein Ich hat mit Functionen, die es von sich unterscheidet und in denen es sich ausdrückt oder symbolisirt. Das Bewusstsein von Beiden, d. h. vom Ich und von den Functionen, fällt auch nicht zusammen; denn jeder Akt des Erkennens, WoUens oder Thuns hat sein eigenes Bewusstsein, wenn er überhaupt zu Bewusstsein kommt, und sein Bewusstsein kann nicht das Bewusstsein irgend eines anderen Aktes desselben oder eines Aktes der anderen Vermögen in sich schliessen. Das Bewusstsein des Ichs schliesst aber so- wohl das Bewusstsein der andern Akte in sich, als es auch weit entfernt ist, bloss die Summe oder Totalität dieser Bewusstseins- akte zu sein, da das Ich sich selbst als selbständiger und blei- bender eigener Beziehungspunkt gegeben und bewusst ist. Dies konnte alle frühere Philosophie nicht erkennen, weil ihr dazu die erforderliche Metaphysik des Seins fehlte.

Digitized by VjOOQIC

78 Definition der Beligion.

Ich nehme nun für das persönliche Verhalten den alten Ausdruck „Gesinnung" in Gebrauch, und mit diesem Worte können wir daher, wie mir scheint, am Zutreffendsten das fnndamentum relationis in der Beziehung des Menschen zu Gott bezeichnen, weil man bei dem Worte Gesinnung sowohl eine gewisse Erkenntniss des Gegenstandes, als einen Willen oder ein Gefühl, und drittens auch eine entsprechende Handlungsweise einschliesst und dies Alles doch immer auf die Persönlichkeit selbst bezieht. Dies Wort „Ge- sinnung" ist auch besser als Gemeinschaft, weil der Fötus auch Gemeinschaft mit der Mutter hat, ohne darum zu wissen. Zar Religion gehört aber Bewusstsein. Die Bedeutung des Wortes „Gesinnung" wird auch in den verschiedenen Anwendungen klar, z. B. bei der politischen Gesinnung und bei der Gesinnung in der Freundschaft und Feindschaft u. s. w. Also mag dies Wort als das passendste gelten; wer aber ein besseres weiss, dem soll nicht präjudicirt werden unter der Bedingung, dass der zuge- hörige Begriff der gleiche bleibt.

Da wir die Religion nicht durch eine umfassen-

2. Der zweite _ i . -rx -i . ^ . n

Beziohungfl- dcrc spcculative Deduction bestimmen wollen, so punkt haben wir auch den zweiten Beziehungspunkt nicht tionte. a priori abzuleiten, sondern als gegeben in dem reli- giösen Bewusstsein anzunehmen, und es kommt nur darauf an, flir die Definition im Gegensatz gegen die Unbestimmt- heit und Verworrenheit der uncontroUirten Meinungen eine exacte Isolirung des gesuchten Elementes zu erreichen.

Wenn nun Gott als zweiter Beziehungspunkt für die Religion in den Meinungen erscheint, so könnte man zunächst Gott als ein metaphysisches, physisches oder irgendwie real wirksames, substantiales Wesen in Betracht ziehen. Allein als ein solches Wesen würde Gott auch auf die Natur wirken und den Lauf der Sonne regeln, unsere Knochen und Blutge&sse bilden u. s. w., ohne dass doch diese körperlich erscheinenden Dinge, die über- haupt nur in physischen Beziehungen stehen, irgend eine re- ligiöse Beziehung zu Gott hätten. Auch kann ein uns gänzlich Unbekannter in der Feme durch irgend einen Umstand von uns wissen und uns Gutes oder Uebles erweisen, ohne dass wir irgend eine freundliche oder feindliche Gesinnung gegen ihn haben könnten, weil wir eben von seinem Dasein und seiner Ge- sinnung kein Wissen, keine Ahnung und überhaupt kein Be-

Analysis der ztisammengehörigen Elemente. 79

wnsstsein haben. Mithin kann Eeligion nicht eine Gesinnung sein, die sich schlechtweg auf Grott als metaphysisches Wesen bezieht, sondern es dreht sich um Gott, sofern er auf irgend eine Weise in unserem eigenen Bewusstsein gegeben ist. Ich sage auf irgend eine Weise; denn ob Gott bloss als eine Illusion, wie bei dem Fetischismus, oder als eine falsche Vorstellung, wie im Astarte-Cult, oder sonst als Meinung und BegriflF, durch Schlüsse vermittelt, gegeben ist, oder sich selbst unmittelbar im Bewusstsein offenbar macht, das muss hier, wo wir die gene- rische Definition suchen, unerörtert bleiben. Deshalb wollen wir zwar den Fehler vermeiden, als Beziehungspunkt für die Eeli- gion schlechtweg Gott zu setzen; müssen aber doch die Unbe- stimmtheit suchen, die etwa in dem Ausdruck Gottesbewusst- sein liegt, wobei man sich irgend ein mittelbares oder unmittel- bares, wahres oder falsches Erkennen oder Meinen über Gott vorstellen kann.

Eine nähere Bestimmung ist aber noch hinzuzuftlgen. In dem Gottesbewusstsein muss Gott nämlich immer als Wesen vorgestellt, geglaubt und angenommen werden. Ob dies Wesen als persönlich und menschenähnlich gedacht wird, wie bei den Griechen und Römern, ob als wir selbst, wie im Pantheismus, ja ob Gott auch, wie im Atheismus, geläugnet wird, ist dabei einerlei; denn die Gesinnung, selbst des Atheisten, gehört als irreligiöse dadurch in das Gebiet der Religion, dass sie sich auf den als Wesen vorgestellten und geläugneten Gott bezieht. Man darf aber nicht Persönlichkeit statt „Wesen" fordern, weil im Pantheismus der Begriff der Person verschwindet, und man doch nicht umhin kann, pantheistische Religionen als ge- geben anzuerkennen. Deshalb ist der Begriff Wesen allein statt- haft, wobei es aber unbestimmt bleiben muss, wie dies Wesen gedacht werde, wenn man nur festhält, dass es den metaphysi- schen, d. h. dem Ich analogen Grundbegriff bezeichnen soll; denn ob man polytheistisch viele solcher Wesen annehme, oder mono- theistisch ein einziges, oder ob man pantheistisch Wesen und Ichheit in die Idee aufhebt, das ist ftlr den allgemeinen (gene- rischen) Begriff der Religion gleichgültig.

Die Function endlich, welche die Gesinnung des Menschen in Beziehung zu seinem Gottesbewusstsein ausdrückt, ist nothwendig, da es sich um zwei Wesen handelt,

uiumzeu uy x^jvy\J>t Iv^

80 Definition der Beligiori.

ein persönliches Verhalten. Es kann dasselbe daher nur verglichen werden mit unserem Verhalten zu einem Wesen, das wir als einen Freund oder Feind, als Vater oder Fürsten oder überhaupt als irgend ein selbstständig seiendes Wesen und nicht als einen Gegenstand der Einbildungskraft oder der blossen Abstraction betrachten. Mithin war es ganz verkehrt, dass man diese Function in das Erkennen oder Gefühl oder Handeln setzte; denn diese Functionen sind an sich keine persönliche, da man ja einen Lehrsatz erkennt, bei Sonnenschein sich freut, gegen die Winterkälte sich schützen will und diese oder jene Vorkeh- rungen triflPt. Die religiöse Function, welche die Gesinnung des Menschen zu dem göttlichen Wesen angiebt, kann deshalb nur eine persönliche sein, wie sie z.B. auch in den sittlichen und rechtlichen Beziehungen der Menschen untereinander hervortritt. Da der Mensch aber nur drei geistige Vermögen besitzt, so kann er auch sein persönliches Verhalten nicht anders als in diesen Formen ausdrücken, und es ist nur der Unterschied zu machen, dass für die Religion, wie flir jedes persönliche Ver- halten diese Äusdrucksformen bloss symbolisch oder semiotisch sind, d. h. Zeichen, in denen die persönliche Beziehung sich offenbart. Wenn man z. B. dem Freunde die Hand drückt, so kommt es nicht auf die Handlung des Drückens an, wozu man auch einen Schraubstock verwenden könnte, sondern symbolisch auf die Bedeutung dieser Handlung, da man das metaphysische Wesen, die Persönlichkeit des Freundes nicht selbst berühren oder drücken will und kann, sondern nur durch diese conven- tioneile Behandlungsweise der von ihm abhängigen und mit seinem Sensorium in Coordination stehenden Glieder unsere per- sönliche Gesinnung als freundliche bezeichnet. Ebenso ist das Gefühl der Demuth, der Furcht, der Hoffnung u. s. w. nicht als solches ein religiöses, sondern nur, sofern diese Gefühle auf das Gottesbewusstsein bezogen sind und unsere persönliche Haltung zu dem göttlichen Wesen offenbaren. Endlich sind auch die theologischen Beg-riffe, Auslegungen und Deductionen nicht schon an und flir sich religiös, sondern nur Symbole für die persön- lichen Beziehungen, die der Mensch zu Gott hat und als solche erkennt, da er sich z. B. anders zu Gott stellt, wenn er ihn flir feindlich und zornig, als wenn er ihn flir gütig und liebevoll erkennt, anders zu Christus, wenn er ihn flir einen vortreftlichen

Digitized by VjOOQIC

Analysis der zaBammengehÖrigen fllemente. gl

Lehrer, als wenn er ihn für Gott selber hält. Ebensowenig wie meine Freundschaft in der yorstellungsmässigen oder wissen- schaftlichen Erkenntniss meines Freundes besteht, ebensowenig kann auch die dogmatische Erkenntniss oder der philosophische GottesbegriflF die Religion selbst ausmachen, weshalb z. B. Hegel das Wesen der Religion gar nicht traf, da er sie als eine Vor- stellungsweise neben den philosophischen Begriff stellte.

Zum Schluss muss ich noch einmal auf die all- gemeinen Betrachtungen über die Definition zurück- *' ^^IJfJg" *^" kommen. Wir wollen versuchen, in der generischen Definition die drei Formen unseres Gegenstandes auf gleiche Weise zu berücksichtigen, d. h. sowohl die Anlage zur Religion, als den religiösen Akt und drittens, die lebendige Kraft. (Vgl. oben S. 71). Die Anlage oder Fähigkeit zur Religion be- steht nun darin, dass der Mensch überhaupt zu einem Selbstbe- wusstsein und Gottesbewusstsein gelangen kann im Unterschiede vom Thier, und dass er demgemäss auch seine Gesinnung in den ihm zugehörigen geistigen Functionen irgendwie einmal in's Spiel setzen wird. Da hier nun keine weitere Descendenztheorie und vergleichende Psychologie vorgetragen werden soll, so mag nur daran erinnert werden, dass der Säugling zwar noch nicht actuell religiös ist, dass man aber, sobald man überhaupt mit einem Menschen zu thun hat, das Aufkommen der beiden Go- ordinaten der Religion voraussetzen kann.

Ein jeder Mensch ist daher als Mensch fähig zur Religion und also religiöser Einwirkung und Erweckung in irgend einem Grade zugänglich. Es ist eine eitle Selbsttäuschung einiger Gläu- bigen, wenn sie meinen, nicht alle Menschen seien zur Religion ßihig oder „berufen", sondern nur gewisse „auserwählte", denen durch übernatürliches Geschenk ein undefinirbares Organ, das sie Glauben nennen, inoculirt werde. Einen weiteren Grund für diese Annahme können sie nicht angeben; sie verweisen bloss auf ihre Wahrnehmung, dass die meisten andern Menschen ihre eigenen absonderlichen Gefühle und Vorstellungen nicht theilen und dass sie nun einmal von diesem Sachverhalt überzeugt wären. Das Befriedigende und also die Wahrheit, die trotzdem in dieser Annahme liegt, besteht darin, dass die Religion, wie alle Lei- stungen des Menschen, in verschiedenen Graden der Begabung vor- kommt und sich in dieser Beziehung nicht anders verhält, als die

Tcichmüller, ReUgionsphUoeophie. u^^n^A uy GoOQIc

82 Definition der Religion.

Fähigkeit zu sehen, zu hören, zu dichten, zu denken n. s. w. Wenn es darum natürlich ist, dass ein stark Musikalischer einem Schwachen gewissermassen den Sinn für Musik ganz abspricht, so können auch die religiösen Naturen sich gewissermassen allein als die „Berufenen" fühlen, während sie eigentlich nur das Recht hätten, sich als „Auserwählte" zu betrachten, da die Berufung oder Fähigkeit allgemein mit dem Charakter der Mensch- heit verknüpft ist. Denn die Annahme eines besonderen Organs für die Religion, nämlich des sogenannten Glaubens, ist natürlich fiir die Religion selbst ganz unwürdig, weil die Religion dadurch zu einer blossen Specialität herabgesetzt und aus den allge- meinen Angelegenheiten der Menschheit ausgeschieden würde. Da es überhaupt keine solche besondere Organe giebt, könnten wir einen Vergleich also nur durch Umkehrung an dem Mangel gewisser allgemeiner Organe illustriren und die Blinden und die Blindeninstitute als das invertirte -ATnalogon für die Stellung be- zeichnen, welche sich diese Gruppe von Religiösen selbst an- weisen. Zweitens ist diese Annahme aber auch ohne rechtes Einsehen in das religiöse Leben aufgestellt, weil der Glauben oder die Religion, wenn sie ein besonderes Organ wäre, keine Kunde von dem Inhalt und der Thätigkeit der übrigen Organe haben könnte, wie das Ohr zwar hört, aber nichts vernimmt von Farben, Gestalten und Gerüchen und nichts vom Denken und vom Lieben und HoflFen u. s. w. Der Glaube aber hat keinen abgesonderten Geschäftskreis, wie die einzelnen sogenannten Or- gane, sondern umfasst das gesammte geistige Leben des Men- schen, soweit dasselbe auf seine persönliche Stellung zu Gott bezogen wird. Darum ist die Fähigkeit und der Beruf zur Re- ligion mit der Anlage des Menschen zugleich gegeben, so dass der Mensch aufhören müsste, Mensch zu sein, wenn er nicht auch zu einer religiösen Gesinnung gelangen könnte, da die Religion auf den wesentlich menschlichen Eigenschaften beruht, auf seiner Persönlichkeit und seinem Gottesbewusstsein.

Ebenso eitel und unwürdig wie diese aristokratische An- nahme, wonach die Religion als aus persönlicher Zuneigung ge- währtes Geschenk, Gnadengehalt, Ordensverleihung und dergl. einigen Wenigen zu Theil wird, ist die etwas plebejischere an- dere, welche heute viele Anhänger zählt, wonach die Religion durch ein blosses historisches Ereigniss in die Welt gekommen

Analysis der zusammeiigeliörigen Elemente. 83

Bein soll, was sie mit Vorliebe „Offenbarung" nennen und als ein allgemein zugänglich gewordenes Gesammtgut betrachten. Sie wollen eben von „natürlicher Religion*^ nichts mehr wissen, son- dern sehen die Religion in der Art an, wie die historischen Ent- deckungen, den Gebrauch des Eisens, das Herabbringen des Feuers durch Prometheus u, dergl. Sie glauben der Religion dadurch eine Ehre zu erweisen, dass sie als etwas Menschen- unmögliches, oder als eine ganz besondere geschichtliche Einzelthat der Gottheit plötzlich unter die Güter der Civilisation eingeführt sei. Auch ftir diese Annahme lässt sich ein Motiv finden, das berechtigt ist, nämlich die Thatsache, dass alle grossen Ent- deckungen in der Erkenntniss und alle grossen Leistungen in der Kunst immer nur durch diesen oder jenen einzelnen Genius in die Welt gekonunen sind und sich erst durch Berührung mit ihm verbreitet haben. Allein diese richtige Prämisse reicht zu dem Schlüsse nicht hin; denn alle diese grossen Offenbarungen aus der höheren geistigen Welt fanden ja schon mindere Leistungen derselben Art vor und begegneten der natürlichen Empfänglich- keit iUr ihre Aufnahme, so dass in dem Historisch -Neuen nur eine mehr oder weniger erreichte Vollkommenheit in der Erfül- lung schon vorhandener Leistung, Bestrebung und Erwartung ge- boten werden konnte. So ist alle Religion, aucli die vollkom- mene des Christenthums, nicht aus der Art geschlagen, sondeni nur Erflillung der in der menschlichen Art gegebenen Anlage, ohne welche der Mensch keine Hände hätte, um die Gaben des Genius oder auch des Gottes entgegen zu nehmen. Statt also der Religion durch diesen Ausschluss der Natürlichkeit und durch diese Behauptung der üebematürlichkeit oder des bloss Histo- rischen des Ursprungs einen besonderen Werth zu verleihen, ver- eitelt man vielmehr diesen Werth; denn eine Schusswaffe wird der Wilde zwar begehrlich finden, wenn er vorher schon Bogen und Pfeile besass und nach besseren Waffen Verlangen trug; der in friedlichen Zuständen lebende Ackerbauer wird aber den besten ihm geschenkten Lancaster -Vorderlader mit allen Patro- nen ungebraucht in seinen Kasten legen oder abweisen, weil seine Bedürfnisse nichts damit zu thun haben. Darum hat das Christenthum die allein wahre und ganz befriedigende Auffassung gezeigt, indem es sich, trotzdem es die grösste Neuerung in die Welt brachte, doch nur als eine Erfüllung einführte, also die

uguzecffi; Google

g4 Definition der Beligion.

allgemeine Anlage in der Menschheit und das zugehörige Be- dürfhiss voraussetzte.

Was zweitens die Definition des Akts betrifft, b. Religion tiB gQ ^yA dieser in der religiösen Function berück- sichtigt. Da nun keine der drei specifisch ver- schiedenen geistigen Thätigkeiten für sich isolirt Religion ent- hält oder religiös ist, die Gesinnung des Menschen sich vielmehr in ihnen nur symbolisiren kann, so muss der religiöse Akt in der unauflöslichen Coordination dieser drei Thätigkeiten liegen, so dass z. B. ein Gefühl nur dann religiös ist, wenn es bei einer zugehörigen Vorstellung von Gott oder göttlichen Dingen in Beziehung auf den Menschen entsteht und nur so lange diese Vorstellung fortdauert, und wenn zugleich eine Bewegung aus- geübt wird, die aber nicht bloss in sinnenfälligen Culthandlungen zu bestehen braucht, sondern sich auch durch sogenannte Vor- sätze, Betrachtungen, Gebete, oder in künstlerischer Phantasiethätig- keit, z. B. in religiöser Poesie oder Musik u. dergl. äussern kann. So- bald aber durch fortschreitende Thätigkeit sich entweder die Vor- stellungen und das Denken, oder die Bewegungen und mit ihnen die Gefühle von der zugehörigen an die beiden Coordinaten der Ge- sinnung und des Gottesbewusstseins gebundenen Beziehung in ihrer zusammengehörigen Function entfernen, so hört gleich- massig auch der religiöse Charakter des zugehörigen geistigen Lebens auf, indem es einen, wie man sich ausdrückt, weltlichen Charakter annimmt.

Es ist ftlr die hier durch speculative Analysis entwickelte Definition der Religion von entscheidender Wichtigkeit, dass die drei specifischen geistigen Thätigkeiten des Menschen in einen und denselben Akt des Bewusstseins fallen. Schleiermacher hat eine Ahnung von diesem Charakter des religiösen Lebens gehabt; er war aber bei seiner an Piaton und Spinoza gebundenen Auf- fassungsweise und seiner dadurch veranlassten Unselbständigkeit und Unfreiheit in philosophischem Denken nicht dazu geeignet, mehr als eine blosse Anregung zu stiften, da sein Stichwort „Abhängigkeitsgefühl" zwar unzählige Mal nachgesprochen wurde, aber eine ganz haltlose Vorstellung und Ausdrucksweise blieb. Man darf nun aber meine Definition nicht so deuten, als wenn die Drei- einigkeit der geistigen Thätigkeiten in der Religion etwa so erklärt werden sollte, wie die Trinität Gottes von den Theologen

uiymzeu uy x^j v^' v^'pt Iv^

Analysis der zusammengehörigen Elemente. 85

durch Einheit der Natur und Dreiheit der Personen ausgelegt wird, da ich vielmehr die Einheit der Natur der geistigen Thätig- keiten entschieden läugne und also eine wirkliche Dreiheit spe- eifisch verschiedener Elemente nachweise. Ebensowenig wie die drei Akte in ihrem Grunde oder in ihrer Natur eins sind, ebenso- wenig bilden sie auch eine Einheit des Products nach der Ana- logie einer chemischen Verbindung, indem sie etwa wie Schwefel und Quecksilber sich zu der neuen und andersartigen Natur des Zinnobers vereinigen, eine von ihren Componenten verschiedene und neue Erscheinung, nämlich die des religiösen Lebens, her- vorbrächten. Die Einheit, welche unsere Analysis verlangt, ist anders, es ist die Einheit der Coordination. Sind die Coordi- naten gegeben, so ist die Function gegeben und umgekehrt. Mithin sind die drei Thätigkeiten im religiösen Leben zusammen- gehörig und jede der andern zugeordnet, so dass keine ohne die anderen fnnctioniren kann. Das Bewusstsein des Menschen hat aber eine bestimmte Grösse und umfasst in einem Akt mehrere Theilakte der einzelnen geistigen Thätigkeiten, so dass dadurch der Schein entsteht, als wäre das religiöse Leben ein neues von den Componenten verschiedenes und einheitliches Element, während es doch nur das einheitliche Bewusstsein der drei zusammengehörigen Akte bildet. In meiner „Grund- legung der Metaphysik^' habe ich durch eine analoge Betrachtung auch das alte Problem der Bewegung aufgelöst, die einen bisher unauflösbaren Widerspruch für den Begriff bildete. Mithin ist z. B. das Beten des Vaterunser als Bewegung kein religiöser Akt, wenn es bloss mechanisch gesprochen wird und der Betende die Vorstellungen, welche in den Worten angedeutet sind, nicht bestimmt oder unbestimmt durch eine gewisse Denkthätig- keit vollzieht und wenn nicht zugleich mit diesen Vorstellungen die zugehörigen Geftihle in ihm ausgelöst werden. Ebenso- wenig braucht eine theologische Disputation ein religiöser Akt zu sein, sofern dieses Denken sich nicht an die Goordinaten, die in unserer Gesinnung in Beziehung zu dem Gottesbewusstsein liegen, anschliesst und nicht zugleich von der zugeordneten Stimmung begleitet wird.

Diese Definition ist daher auch weit entfernt davon, das religiöse Leben als eine blosse Summe von drei verschiedenen und an sich nicht-religiösen Akten aufzufassen. Gleichwohl

uiymzeu uy V^jOOv IC

36 Definition der Religion.

könnte es so scheinen, als wollten wir das Religiöse aus nicht- religiösen Elementen aufbauen, da wir doch behaupten, dass jeder Akt in seiner Isolining nicht religiös sei, wie z. B. ein mechanisches Gebet oder eine sophistische Disputation. Ich be- haupte vielmehr, dass jeder dieser Gomponenten au sich religiös sei. Dieser scheinbare Widerspruch erklärt sich leicht durch das Coordinatensystem. Da nämlich jeder Akt überhaupt immer einem andern Akte zugeordnet ist, so kann er auch nur in dieser Zusammengehörigkeit sein specifisches Wesen haben. Am Deutlichsten sehen wir dies bei den sogenannten organischen Geschöpfen, bei denen auch der ungeübteste gesunde Menschen- verstand sofort, was wir im Sinne haben, begreift; denn wenn z. B. die camivorisch lebenden Menschen auf ihren Tisch eine Ochsenzunge bringen lassen, so weiss Jeder, dass dies keine Zunge mehr ist, da sie keine der Functionen mehr ausübt, die sie in Zusammengehörigkeit mit dem lebenden Thier früher leisten konnte. Dagegen übt sie jetzt in Zuordnung zu den auf- lösenden Yerdauungssäften und zu den Geschmacksempfindungen eine ganz neue und verschiedene Function aus. Ebenso wie dies Conglomerat von Wesen, so hat auch jedes Elementärprincip und jeder Akt eines derselben in dem Ganzen des Coordinatensystems der Welt einen bestimmten und specifisch verschiedenen Cha- rakter und darum sind auch die Gedanken, die Geftthle und die Bewegungen, welche zu dem religiösen Leben zusammengehören, an sich specifisch religiös, sofern diese Gedanken, Gefühle und Bewegungen eben nur für diese Coordination dasind und nur in dieser Zusammengehörigkeit ihr Wesen haben. Löst man daher ein Glied aus seiner Zuordnung, so tritt es einerseits in den Zustand, den wir Gcdächtniss und Erinnerung nennen, anderer- seits kann es auch in neue Zusammenhänge geratheu, in welchen es den in seiner früheren Zuordnung besessenen specifischen Charakter verliert. Jeder Akt existirt in der ganzen Welt nur ein einziges Mal und lässt sich nicht wiederholen, weil immer die zugeordneten Umstände andere sind. Darum müssen auch die Gedanken, die man früher einmal hatte, entweder nur in perspectivischer Beleuchtung als Erinnerungen auftauchen, oder unter neuen Umständen neu und dann auch immer anders ge- dacht werden. Nur wegen der Aehnlichkeit bildet man sich in der ßegel ein, denselben Gedanken in beliebig neuen Beziehungen

Digitized by VjOOQIC

Analysis der zusammengehörigen Elemente. 87

wiederholen za können. Der Professor, der nach seinem alten Hefte docirt, reproducirt nach dem Masse der Erinnerung die früheren Gedanken; sobald er neue literarische Erzeugnisse mit berücksichtigt, entwickelt er neue Gedanken, bei denen die alten nur mitwirken, und zwar meistens nur durch das Hebelwerk der Sprache. So können auch die religiösen Gedanken als religiöse aus ihrer Coordination mit dem religiösen Gefühl und der religiösen Bewegung nicht gelöst werden; denn sie haben ihren logischen Ort und ihren Sinn nur in dieser Zuordnung. So ist z. B. das Drehen der buddhistischen Gebetsmühle eine wenn auch falsch-religiöse, doch immerhin eine religiöse Bewegung, weil sie von einer zugehörigen religiösen Stimmung ausgeht, die durch die zugehörigen Vorstellungen über den Gott, seinen Cha- rakter und was auf seinen Willen Einfluss hat, ausgelöst wird. Trennt man diese cultische Handlungsweise von den zugehörigen Elementen, so wird sie völlig sinnlos und kann durch keine anderen Gedanken und durch keine Wissenschaft sonst erklärt werden. So sind auch alle theologischen Gedanken an die zu- gehörigen Geflihle gebunden und nur insoweit religiöse Gedanken. Nimmt man z. B. in der unreinen ßechtsreligion die religiöse Vorstellung von einem über unsre Sünde zürnenden Gott aus der Coordination mit dem Gefühl der Sünde heraus, so ist dieser Gedanke sofort sinnlos, ein blosses Wort, und kann weder naturwissenschaftlich, noch metaphysisch, noch sonstwie als ein durch irgend eine andre Coordination mit andern Dingen in der Welt nothwendige oder mögliche Vorstellungsweise wiederkehren. Diejenigen Gedanken von Gott aber, die der Philosoph durch seine Untersuchungen in dem Coordinatensystem der Begriffe findet, sind eben philosophische Gedanken und nicht religiöse. Sobald sie aus ihren begrifflichen Zugehörigkeiten herausgenommen werden, hören sie auf, philosophische Gedanken zu sein. Wenn. z. B. die speculativen Schlüsse zu einem Begriffe von Gott führen und dieser Gedanke nun in Coordination mit dem Selbstbewusst- sein des Menschen tritt, so entstehen sofort die zugehörigen religiösen Geflihle und Bewegungen, der Gedanke selbst wird dann ein religiöser Gedanke, indem zugleich seine wissenschaft- lichen Coordinaten aus dem Bcwusstsein verschwinden.

Auf diesem Gesetze beruht die richtig gemeinte, ^'^^"''^ ^^^'^ aber sich selbst missverstehende Behauptung vieler uäreaie.

Digitized by VjOOQIC

gg Definition der Religion.

Religiösen, als liessen sich die theologischen Wahrheiten nicht beweisen. Durch den Beweis nämlich tritt der Begriff, um den es sich handelt, immer aus der religiösen Stimmung heraus, indem er in die kältere Zone der allgemeinen, wissenschaftlichen Fragen versetzt und nach den allgemeinen logischen Methoden unter- sucht wird. Da nun durch solche logische Arbeit das Bewusst- sein mit ganz andersartigen Beziehungspunkten, Gedanken- bewegungen und Stimmungen angefüllt wird, so kann der Re- ligiöse weder diese Arbeit, noch ihr Resultat mit seiner Stimmung und seinen Gedanken in Einklang bringen. Ebensosehr wie er daher mit diesem seinem musikalischen Urtheil im Rechte ist, ebenso irrig ist trotzdem seine Meinung, weil durch den philo- sophischen Beweis zwar die religiöse Beleuchtung des Objects, nicht aber das Object selbst verschwindet. Der Anatom, der die Leiche eines von uns geliebten Wesens zergliedert, kann wissen- schaftlich seine Aufgabe befriedigend lösen, ohne dass er dabei fühlt und symbolisch in den Gesichtszügen angedeutet findet, was den Sohn oder die Gattin bei dem Anblick desselben Gegen- standes so tief bewegt. Wer deshalb nicht, wie die Positivisten und die Anhänger RitschFs, seinen Gott flir eine subjective, durch zufallige historische Umstände in Umlauf gesetzte und vom blossen Gefiihl und Glauben der Hörenden abhängige Vorstellung hält, sondern von Gottes wirklicher Existenz und von seinem wahren, die Welt bedingenden Wesen überzeugt ist, der braucht auch nicht zu fürchten, dass die weltliche Wissenschaft nirgends das wirkliche Object seiner Gottesvorstellung antreffen würde, sondern darf sicher sein, dass wie Leverrier die Existenz, das Gewicht und die Bahn des den Augen bisher verborgenen Planeten Neptun durch den wirklichen Einfluss, den dieser auf die Bewegungen der übrigen Planeten übte, entdecken konnte, so auch der Philo- . soph durch die Thatsachen der Natur und des Geistes gezwungen sein wird, den wirklichen und nicht bloss mit einer Illusion und historischer Infection als leeren Glaubensartikel überlieferten Gott überall zu bemerken und seine Wirkungen überall zu spüren. Wenn wir überzeugt sind, dass der Gott wirklich ist, so muss er dem Philosophen auch ebenso nachweisbar sein, wie von dem Astronomen die Existenz und Wirksamkeit der Sonne im Kreise ihrer Planeten erkannt und besiegelt wird. Wer deshalb die weltliche Wissenschaft von der Theologie ausschliessen will und

Digitized by

Google

Analysis der zusammengehörigen Elemente. 89

seinen Gott nur für ein Gebeimniss seines Glaubens bält, der ist kein äcbter Gläubiger, dem der Gott vielmehr so gewiss und offenbar, wie die Sonne, ist, sondern verhält sich so, wie gewisse Schwärmer, die mit ihrer subjectiven und eitlen Vorliebe für eine Person oder ein Volk oder sonst etwas nicht herausrücken wollen, weil sie die gutbegründete Furcht haben, dass man ihre Illusionen und Eitelkeiten durch vernünftige Ueberlegung zerstören würde.

Um also das Besultat dieser Argumentationen wieder zu- sammenzufassen, so definirten wir die Religion als Akt durch die zusammengehörige Function der drei geistigen Vermögen in ihrer Zuordnung zur Gesinnung des Menschen und seinem Gottes- bewusstsein.

Es bleibt daher nur übrig, die Religion auch ^ Religion ais als lebendige Kraft zu berücksichtigen. Dieser Be- lebendige Kn». griff liegt nun in der persönlichen Haltung und Gesinnung, die ja die nächste Gattungsbestimmung in unserer Definition bildet; denn eine solche Gesinnung kann zwar auch als ein vorüber- gehender einzelner Akt aufgefasst werden, wie man ja auch über die veränderte Gesinnung eines Freundes klagt; es ist aber natürlich, dass die Gesinnung durch häufige Auslösung ähnlicher Akte zu einer lebendigen Kraft wird, welche, wie die Tugend, die Kunstfertigkeit und die Wissenschaft, eine bleibende Haltung und Festigkeit gewinnt und ein Gesammtbewusstsein mit sich ftihrt

Durch diese Begriffe finden mehrere Probleme ihre Auflösung. Erstens nämlich ist es bekannt, dass auch Meister in der Musik, welche also die Kunst als lebendige Kraft besitzen, doch durch irgend welche äussere Umstände veranlasst oder durch Affekte und Zer- streutheit zuweilen Fehler machen, die bei dem ungehinderten Ge- brauch ihrer Kunst unmöglich wären; ebenso muss es auch möglich sein, dass der Religiöse trotz seiner Gesinnung einiges denke, ftihle (wolle) und thue, was mit seiner religiösen Gesinnung in Widerspruch steht und deshalb als irrreligiös gilt. Wollte man ihm deswegen aber die Religiosität absprechen und ihn ftlr einen Heuchler erklären, so müsste man auch einem Künstler die Kunst absprechen, wenn er einmal fehlgreift. Diese Thatsachen erklären sich vielmehr sehr einfach durch die allgemeinen Quantitätsgesetze des Bewusstseins. Da derjenige perspectivische Punkt unseres zeitlich aufgefassten Lebens, welchen wir den jedesmal gegenwärtigen Augenblick nennen, eine bestimmte Aus-

Digitized by VjOOQIC

90 Definition der Religion.

lösung unserer psychischen Thätigkeiten in Zuordnung zu der Aussenwelt und unserem inneren Zustande enthält, so wird bald diese, bald jene Gruppe von Thätigkeiten in den Vordergrund treten und wegen der beschränkten Grösse des Bewusstseins die übrigen Kräfte in Schatten setzen oder lähmen. Wie dem Ge- lehrten daher dies oder das, was er sehr gut weiss, im Augen- blick „entfallen" sein kann, so kann auch jede Thätigkeit und erworbene Kraft des Geistes vorübergehend unbewusst und an einer angemessenen und erwünschten Ausübung verhindert werden. Der Unterschied zwischen dem Nichtvorhandensein einer leben- digen geistigen Kraft, möge sie Kunst, Wissenschaft, Tugend oder Religion heissen, und der blossen „Zur-Disposition- Setzung" nach den Quantitätsgesetzen des Bewusstseins lässt sich aber leicht nachweisen, da der Nichtbesitzer der Kunst den gemachten Fehler auch nachher nicht einsieht und der Nicht- religiöse auch nachher nichts weiter empfindet, während der Künstler seinen Fehler selbst mit Verdruss oder Humor bemerkt und der Religiöse nach dem Akt die Dissonanz seines Wesens schmerzlich empfindet und sich selbst beschuldigt.

Ausser diesen bewussten Akten des Menschen, bei welchen die religiöse Gesinnung mehr oder weniger unbewusst vorkommt, finden sich aber auch regelmässige und unregelmässige Unter- brechungen des religiösen Bewusstseins, z. B. täglich im Schlaf, dann gelegentlich in der Ohnmacht, in Fieberphantasien, im Wahn- sinn und in dergleichen Zuständen. Obwohl dies nun ganz be- kannt ist, so dürfen wir dennoch diese Zustände in die Definition der Religion nicht mit einschliessen, weil der Mensch in der That bei solchen Zuständen keine Religion hat, sondern sie erst mit Rückkehr seines Bewusstseins wiederfindet. Nur die Mög- lichkeit solcher Zustände wird durch den Ausdruck „Gesinnung**, welcher sowohl den einzelnen Akt, als die lebendige Kraft be- deutet, offen gelassen; die Religion selbst aber als eine wirkliche kann nur bei wirklichem Bewusstsein stattfinden, weshalb wir in der Definition immer den Ausdruck der Gesinnung durch die geistigen Thätigkeiten des Menschen fordern müssen.

Man könnte mir zwar erwidern, dass es auch eine Religions- ausübung gebe, wie z. B. bei den Derwischen und im Demeter- Cult, wobei ein ekstatischer Zustand und entweder Rausch oder eine ähnliche Beraubung des Bewusstseins stattfinde; allein wenn

Digitized by VjOOQIC

Analysis der zusammengehörigen Elemente. 91

dies auch zugegeben werden soll, so besteht die Religion doch nicht in dieser Religionsausübung, sondern in der Gesinnung des Menschen, welche ihn mit Rücksicht auf sein Gottesbewusstsein veranlasst, sich cultisch in diesen Zustand zu versetzen und seine Gesinnung dadurch zu symbolisiren, weshalb er denn auch seine Religion nicht verloren hat, wenn er wieder zu Vernunft gekommen ist, sondern sich dann nur der geschehenen Ausübung eines Cult- aktes erinnert. Der Einwand würde deshalb nur unter der Be- dingung gültig sein, dass man solche Leute, wie die Derwische, in bewusstem Zustande ftlr religionslos erklärte und ihnen nur in der Haschisch-Ekstase Religion zuschreiben wollte, was doch Niemand thut Es ist merkwürdig, dass man diese Bemerkung auch gegen den grossen Theologen Schleiermacher wenden muss; denn wenn er die Religion bloss in das Gefiihl setzt und beim Hervortreten der vernünftigen Betrachtungen und der zuge- hörigen Handlungen schon ein Erkalten und Absterben der re- ligiösen Innigkeit und geradezu der Religion selbst annimmt, so bekommt bei ihm die Religion doch den Charakter eines Rausches, wenn er auch kein Betäubungsmittel, wie Haschisch oder Opium, dazu gebraucht Jedenfalls sieht man, wie wichtig das Merkmal in der Definition der Religion ist, dass die Gesinnung sich immer in allen geistigen Funktionen symbolisiren muss.

Aus diesen Untersuchungen erschliessen wir als generische Definition: Religion ist diejenige Gesin- ^***'*^^"^*°°- nung, welche sich dem Gottesbewusstsein zugeordnet in zusammen- gehöriger Function von Erkenntniss, Geftlhl und Handlung sym- bolisirt.

Die Merkmale, Momente oder Coordinationsglieder in dieser Definition sind Punkt ftir Funkt von uns erörtert und bewiesen. Zu dem Merkmal „Gesinnung^', welches das Fundament bildet, braucht nicht hinzugefügt zu werden: „des Menschen", weil nur der Mensch eine Gesinnung in eigentlicher Bedeutung hat. Die Unbestimmtheit dieser Definition aber ist gerade Zweck, weil wir eine Gleichung wie in algebraischen Ausdrücken suchten, durch welche alle wirklichen und möglichen Fälle und Arten von Religion zusammengefasst werden sollen. Deshalb durfte ftir Erkenntniss, GefQhl und Handlung kein bestimmter dogma- tischer, ethischer und cultischer Begriff an die Stelle rücken. Deshalb wird auch das Irreligiöse absichtlich eingeschlossen,

uiuuizeu uy "»fc^j vy\J>t Iv^

92 Definition der Religion.

weil es in die Sphäre der Religion gehört; denn die imanente Negation y wie z. B. die des Atheismus, verlässt den üoordina- tionskreis nicht, wie deshalb ja auch das Laster der Tugend entgegengesetzt und doch zu dem Sittlichen gerechnet wird. Sobald aber die Zuordnung zum Gottesbewusstsein wegfallt^ ge- rathen wir sofort in nicht-religiöse Kreise, z. B. bei der Gesin- nung als Kameradschaft, Freundschaft, Patriotismus u. dgl.

Digitized by

Google

Zweites Capitel. Eintheilnng der Religionen.

Viele halten es für eine unmögliche Unterneh- mung, die Religionen einzutheilen. Es gebe einmal keu einer Ein- eine grosse Menge verschiedenartiger Religionen, die *>»«""o« *«' zufällig hier und da entstanden wären-, man könne sie allenfalls geographisch nach den Ländern, wo man sie vor- findet, ethnographisch nach den Völkern, die sich zu ihnen be- kennen, und historisch nach den Zeiten, in denen sie aufkamen oder übertragen wurden, gmppiren und beschreiben, aber eine wissenschaftliche Eintheilung wäre bei einem Dinge, das von so vielen Zufälligkeiten abhängig sei, unthunlich und widersinnig.

Diese Annahme ist aber leichtfertig oder ungebildet; denn da man zu grossem Vortheil sogar die Formen der scheinbar zufölligsten Gebilde, ich meine die Wolken, eingetheilt hat, so ist es von vornherein wahrscheinlich, dass die schon Jahrhun- derte und Jahrtausende hindurch bestehenden grossen und festen Massen der Religionen einer Ordnung und Eintheilung zugäng- lich sind. Und wenn man eingesehen hat, dass die Religion überhaupt eine nothwendige Erscheinung im menschlichen Leben ist und dass sie dem Menschen ebenso charakteristisch zugehört wie die Sprache (da man den Menschen als das der Sprache oder der Religion fähige lebendige Wesen definiren und ihn da- durch sicher von allen übrigen Wesen unterscheiden kann), so folgt, dass nur Mangel an Energie in der Forschung oder ein falsch und unglücklich gewählter Standpunkt der Betrach- tung verhindert hat, die natürliche und nothwendige Ordnung und Eintheilung der Religionen zu entdecken. Denn so gewiss die Dreiecke und Parallelogramme einer festen und ewigen Ein- theilung unterliegen, so gewiss und ewig, unveränderlich und erschöpfend muss die Eintheilung der Religionen sein,

u.quizeauy Google

94 Eintheilungf

die an Noth wendigkeit ihres Ursprunges und Bestimmtheit ihres Wesens nicht im mindesten hinter den Formen des Raumes oder der Zahlen zurückstehen. Gäbe es überhaupt keine Möglichkeit, die Religionen wissenschaftlich einzutheilen und zu ordnen, so wäre die Religion kein Gegenstand wissenschaftlicher Unter- suchung; und da nichts in der Welt sich der wissenschaftlichen Erforschung entziehen kann, so wäre folglich die Religion über- haupt nichts in der Welt. Wir müssen daher den Verzicht auf eine wissenschaftliche Eintheilung nur als das Bewusstsein man- gelnder Einsicht und als eine daraus hervorgehende Bescheiden- heit auffassen, die mit der Natur der Sache und den Aufgaben der Wissenschaft nichts gemein hat.

Nun ist man in der neuesten Zeit immer bereit, Eintheiiuug. die Eutstchung aller Dinge zu suchen und demge- mäss auch eine genetische Erklärung und Eintheilung der Religion zu fordern.

Alle Entstehung ist aber doppelt, entweder nämlich historisch und von menschlichem Standpunkt aus zufällig, oder ewig. So z. B. ist die Entstehung unserer Kenntnisse von dem Saturnringe oder der Geographie des Mondes historisch und zufällig, da zuvor natürlich das Fernrohr erfunden werden musste; wenn wir aber die Kugel durch Umdrehung eines Halbkreises um seine Axe ent- stehen lassen, so ist dies eine ewige Entstehung, die von allen historischen und zufUUigen Umständen unabhängig in allen Zeiten vorgestellt werden kann.

Nun haben die Darwinisten, weil sie philosophisch unge- schult waren, alle Naturformen historisch durch zufällige äussere Einflüsse erklären wollen. Diese Erklärungsweise kann aber nur richtig sein ftir solche Formen, welche keinen Sinn und keine innere Ordnung haben, wie z. B. für die Gebirgsformen; denn in dem Kampf um's Dasein werden etwa die krystallinischen Steincolosse durch Wasser und Eis alhnählich zersprengt, durch Gletscher zerstreut, ihre durch Bindemittel verkitteten Breccien zu Conglomeraten in zufälligen Formen zusammengeballt u. s. w. Bei all solchen Formen ist aber keine zweckmässige Ordnung, kein einheitliches Zusammenwirken der physischen und chemi- schen Functionen zur Erhaltung eines organischen Systems wahr- nehmbar, wie wir solche Ordnungen doch in den Organismen der Pflanzen und Thiere erkennen, deren Theile eine innere

uiymzeu uy V^jOOV IC

der Religionen. 95

Beziehung zu einander haben. Wie es deswegen lächerlich wäre, wenn mau die Entstehung der Disputa von Kafael oder des Kölner Domes darwinistisch erklären wollte, so muss es noch viel mehr für unbesonnen gelten, wenn man die Organismen der Thiere und ihre Arten durch zufällige äussere Umstände, Kampf um's Dasein, Anpassung, kleine Abändemngen, Vererbung und dergleichen zu erklären versucht. Ich habe dies schon in meiner Schrift „Darwinismus und Philosophie" dargelegt, und es ist auch bisher nichts dagegen eingewandt worden.*)

*) Unter den mancherlei ßecensionen, die meine Schrift erfahren, sind mir besonders zwei in der Erinnerung geblieben. Die eine rührt von einem eigentlichen Philosophen her, von Eucken in Jena (Jenaer Literaturzeitung 1878 No. 8), und ist im Wesentlichen zustimmend; die andere von dem be- kannten leidenschaftlichen Darwinisten Prof. Otto Caspari (Kosmos lU. Jahr- gang, lieft 8 und 9). Dieser Apologet des von mir verurtheilten Stand- punktes sagt S. 82 : „Bei dieser Voreingenommenheit gegen den grossen Re- formator der Erkenntnisskritik (Kant) ist es denn wohl verstilndlich, dass Teichmüller nicht in vollem Masse in sich die Erschütterungen verspürte, die, einem Erdbeben gleich, durch die Schriften Darwins erzeugt wurden." Obgleich dies ein Vorwurf gegen mich sein soll, räume ich die Thatsache gern ein; ich bedurfte diese Erschütterung eben nicht, weil ich den natür- lichen Tendenzen der Untersuchungen, die Darwin ausführte, nie einen blin- den Widerstand entgegengesetzt, sondern sie immer getheilt hatte. Wer nicht schläft, braucht also auch nicht geweckt zu werden. Gegen meinen Standpunkt, den Caspari als Eleatismus und Dogmatismus bezeichnet und darum unannehmbar findet, weil dabei feste Gesetze und eine absolute Te- leologie in der Welt herrschten, macht er nun seinerseits den Darwinismus als einen Heraklitismus und Empirismus geltend, weil er „eine real fortstre- bende ewige Zeit" (S. 166) liebe und „für die grosse Welttragödie" (S. 171) „tausende von kleinen Missbildungen und das übergrosse Heer von üebeln" brauche und eine „Werde- und Veränderungslehre" haben wolle, damit „das sogenannte Ganze (der Welt) niemals vöUig abgeschlossen und absolut ganz" sei (S. 173). Caspari erkennt mir dabei die Ehre zu, von allen Gegnern des Darwinismus die consequenteste Theorie aufgestellt zu haben: „Es sind in der Literatur seit zwanzig Jahren neben der Darwin'schen Transmutations- und Selektionslehre sehr viele Umbildungslehren aufgetaucht, die der von Teichmüller aufgestellten mehr oder weniger ähnlich sind; dennoch muss zugestanden werden, dass eine consequentere Lehre über Umformung auf Grrund von einigen Urtypen und auf Grund einer ewig herrschenden und planmässig lenkenden Uridee nicht erfunden werden konnte." (S. 171). Auf dieses aufrichtige Bekenntniss kann ich nur meinerseits erwidern, dass mir, weil ich das Darwinjsche Erdbeben nicht mit erlebt habe, alle diese Bestre- bungen von Darwin, Häckel, Caspari, Eauber u. A. durchaus ei'wünscht sind und dass ich den ganzen Standpunkt vollkommen anerkenne als das nämlich,

uiymzeu uy "V-j vyVjpt Iv^

96 Eintheiliiiig

Wenn nun die Religionen bloss aus irrigen Meinungen, krankhaften Geftlhlen und absurden Gebräuchen beständen, so könnte ireilich die darwinistische Ableitung aus zufälligen äusse- ren Umständen die allein berechtigte sein. Wenn wir aber sehen, dass die Formen der Religionen und ihre wesentlichen Charaktere sich bei allen Völkern und in allen Zeiten und auch bei allen einzelnen Individuen in gesetzmässiger und constanter Weise wiederholen, so ist von vornherein anzunehmen, dass ihre For- men auf den wesentlichen und allgemeinen Functionen

woför er sich giebt, als Empirismus, d. h. als Versuch, möglichst viel Er- fahrungen zu machen und perspectivisch die Linien der Naturformen zu Überblicken. Nur darf sich dieses durchaus berechtigte Streben nicht Theorie und Philosophie nennen, wovon es sich doch gerade abwendet. Wenn einer auf Reisen geht, kann er nicht zugleich in der Heimath bleiben. Darum kann von einer Widerlegung meiner Philosophie oder auch nur von einer Einwendung gegen dieselbe in Caspari's Becension gar keine Rede sein; denn Begriffe können nur durch Begriffe widerlegt werden; bei Caspari sind aber alle Begriffe wie Zeit, Gausalität, Zufall, Ganzes, Relativ, Absolut, Ge- setz u. 8. w. nur nach dem Sprachgebrauch aufgenommen und wie ein tumul- tuarischer Yolkshaufen gegen ein geordnetes Heer bloss durch Murren in Bewegung gesetzt. Jede Analyse jedes beliebigen Begriffs, den Caspari ver- wendet, würde aber sofort zeigen, dass im Denken alles fest ist, Identi- tätsgesetz, Satz des Grundes, Methode des Begreifens u. s. w. Mithin ist absolute Veränderung und allgemeines Werden ein nicht zu denkender Ge- danke, eine blosse Einbildung. Denn selbst wenn das, was wir heute für wahr halten, in hundert oder tausend Jahren nicht mehr wahr sein sollte, so bliebe doch der Gegensatz von Wahr und Falsch ganz unveränderlich fest und ebenso der Gegensatz von Ruhe und Veränderung, Zweck und Zu- fall u. s. w. Mit einem einzigen festen Begriff sind aber sogleich minde- stens zwei feste Beziehungspunkte gegeben, mit jedem von beiden wieder je zwei und so fort, bis mit einem Schlage fOr den Denkenden das Ganze der Welt überhaupt feststeht. Wer aber ein so grosser Freund der Veränderung ist, dass er alle Begriffe wie alle Dinge in's Werden und Fliessen bringen will, der wird also auch den Begriff der Wahrheit zur Veränderung treiben mQssen und damit also nicht bloss seine eigene bisher fQr wahr gehaltene Ueberzeugimg aufgeben und als falsch erkennen, sondern überhaupt keinen Unterschied mehr zwischen Wahr und Falsch machen, also auf Wissenschaft verzichten. Ebenso wird er die Veränderung zur Veränderung, d. h. zur Ruhe treiben und zwar nicht bloss die Dinge, bei denen das ja allerdings vorüber- gehend immer so erscheint, sondern auch die Begriffe, so dass er sich also mit der sich verändernden Veränderung zur Ruhe setzt und seine frühere Theorie widerlegt. Kurz von Philosophie ist bei Caspari und den Darwinisten keine Rede; die blosse Empirie als ein Forschungsversuch wird aber von jedem Philosophen immer gutgeheissen und anerkannt werden.

uiymzeu uy V^jOOv IC

der Religionen. 97

der menschlichen Seele beruhen, und mithin mnss wie bei den Formen der Parallelogramme und der Winkel eine transcen- dentale und apriorische Eintheilung nicht bloss möglich, sondern auch nothwendig sein.

Eine mittelbare Gonfirmation dieses Resultates können wir auch daraus entnehmen, dass in der That alle Versuche einer bloss historischen Ableitung und Eintheilung der Seligionen euhemeristischer Art oder auf inductiver Grundlage und nach den Stufen der Gulturentwickelung, oder wie man es nennen möchte, bisher verunglttckt sind. Die bloss geschichtliche Betrachtung kann eben nur die Thatsachen constatiren, aber weder ein Ein- theilungsprincip , noch einen hinreichenden Grund für die ver- schiedenen Arten der Religion und ihre Zahl ausfindig machen, noch auch einen Massstab darbieten, um den Werth derselben abzumessen.*)

Alles dies muss eine speculative Eintheilung j^,^ gpecniative leisten oder als unreif und ungenügend verurtheilt Eintheiinng. werden, um endlich derjenigen Speculation Platz zu machen, die ohne alle Schwierigkeiten die Frage lösen kann.

*) Den neuesten Versuch einer Eintheilung der Religionen hat 0. Pfleiderer gemacht. Er hebt in seiner „Genetisch- ü»*»«' speculativen ReUgionsphüosophie" 1884 (ö. Reimer) mit Recht E,^jf^\^i^''^ hervor, dass Sagengeschichte, Sprachvergleichung und Ethnologfie nicht im Stande sind, uns den Ursprung der Religion zu erklären, weil wir einer Deutung der Thatsachen bedürfen und daher die Psychologie und also überhaupt die Philosophie in erster Linie für dieses Problem in Anspruch nehmen müssen. Allein im weiteren Fortgang seines Werkes begnügt sich 0. Pfleiderer doch mit einer nur historischeu Gruppirung der Religionen, die er unter den Titeln: 1. Anfänge der Religion, 2. Indogermanische Religion (Inder, Perser, Germanen, Griechen, Römer), 3. Semiten (Juden, Islam), 4. Christenthum behandelt. Dabei liegt kein psychologisches oder meta- physisches Eintheüungsprincip zu Grunde, was ja auch unmöglich wäre, da die verschiedenen Völker nicht bestimmten Oertem in dem Organismus der Seele oder in dem System der Begriffe entsprechen können. Auch die Be- handlung der einzelnen Religionsgruppen ist von Pfleiderer nicht so durch- geführt, dass man etwa schliesslich immer zu einem festformulirten Religions- typus gelangte, sondern wir begegnen vielmehr nur einer anmuthigen und kritischen Zusammenfassung aller bisherigen positiven Forschungsarbeit, sowie an mehreren Stellen sehr interessanten eigenen Forschungsresultaten des Verfassers. Im Ganzen also ist diese jüngste bedeutende Arbeit ein Zeichen, dass man bis jetzt noch keine Eintheilung der Religionen finden und kein Eintheüungsprincip aufstellen konnte, dass mithin eine grosse Lücke in der Religionsphilosophie besteht und ihrer Ausfüllung harrt. ^-^ ,

Teichmüller. Religlonaphlloaophle. Digitized b7V^OOglC

98 Eintheilung

Nun mnss jede Eintheilnng auf das Wesen der Sache, welches in der Definition formulirt wird, zurückgehen, sofern nicht eine äusserliche, also zufallige Anordnung, sondern eine wesentliche, also nothwendige und naturgemässe Gliederung erreicht werden soll. Wesentlich für die Religion war aber die Bethätigung der dem Gottesbewusstsein zugeordneten Gesinnung durch Handlung, Ge- fUhl und Erkenntniss, und es müssen daher zuerst diese geistigen Manifestationen nach ihrer Brauchbarkeit ftlr ein Eintheilungs- princip untersucht werden.

Da nun die Handlung als religiöse nur insofern erscheint, als sie aus einer gewissen Vorstellung von göttlichen Dingen und aus einem damit in Zusammenhang stehenden Gefühle her- vorgeht, so kann das Element der Handlung in der Seligion nur als zweiter Hand und abhängig gelten, obgleich es allerdings charakteristisch (proprium) und von dem Specifischen unabtrenn- lieh sein mag. Wir dürfen daher zwar nicht bestreiten, dass sich eine richtige und natürliche Eintheilung der Religionen aus dem Eintheilungsgrunde der religiösen Handlungen ableiten lassen könne, müssen jedoch behaupten, dass eine solche Eintheilung, wenn sie versucht und gelungen wäre, nur als Confirmation für die Richtigkeit einer anderen vorhergehenden gelten könne, die aus der ursprünglichen Coordination von Geflihl und Gottes- erkenntniss stammt, wodurch in erster Linie alle Religion be- stimmt wird.

Wenn wir aber nun wieder diese beiden wesentlichen Ele- mente prüfen, so möchte zunächst das Wollen oder Gefühl als der eigentliche Sitz der Religion erscheinen, dagegen das zuge- hörige Wissen, worin die Gotteserkenntniss liegt, nur als Be- ziehungspunkt; denn Niemand wird etwa blosse Erkenntnisse und Begriffe, die schulmässig definirt, discutirt und demonstrirt werden können, auch wenn sie sich auf Gott und göttliche Dinge beziehen, flir Religion halten. Dagegen gilt das Geflihl überall, wo es auftritt, sofort selbst als Religion, wenn es sich nur auf Gott und göttliche Dinge bezieht, ohne dass diese Dinge einer schärferen, schulmässigen Fassung bedürften. Es scheint daher, als wenn die Eintheilung der Religion am Wissenschaft- lichsten zum fundamentum divisionis das Gefühl selbst nehmen müsste. Allein zwei Gründe stehen entgegen. Erstens nämlich ist das Geflihl seinem Wesen nach keine Erkenntniss und kann

u.quizeauy Google

der Eeligionen. 99

deshalb auch nnr durch Zeichen (semiotisch) oder durch gewisse dem GefUhl selbst heterogene Beziehungen ftir die Erkenntniss dargestellt werden. Und zweitens kann das Gefühl nur dann als ein religiöses gelten, wenn es in Beziehung zu einer be- stimmten Gottesvorstellung entsprungen ist. Lassen wir diese Beziehung weg, so giebt es keinen Grund mehr, die Gefühle zu unterscheiden, und einige als weltlich, andere als religiös zu bezeichnen.

Mithin bleibt nichts übrig als das Element der Erkennt- niss, welches zum richtigen Eintheilungsprincip der Eeligion gebraucht werden könnte. Da diese Erkenntniss aber nicht selbst die Beligion ausmacht, so muss ihr entsprechend immer ein be- stimmtes Gefühl als zugeordnet nachgewiesen werden, mit welchem zusammengenommen sie erst eine bestimmt charakteri- sirende Art des religiösen Geistes ausmachen kann, ebenso wie auch bestimmt zugehörige Handlungen als charakteristisch Air jede gefundene Eeligionsform anzugeben sind.

Wenn wir die Gotteserkenntniss selbst als Ein- theilungsgrund, der also wiederum eingetheilt werden theiiungsgrond muss, betrachten, so ist klar, dass die Frage zunächst ^ **«" oottes-

_ 1 bewusstsein.

an das Tnbunal der Metaphysik verwiesen werden muss. Diese Bestimmung des Forums für unsere Frage könnte vielleicht bezweifelt werden; denn es ist ja fllr die Eintheilung selbst gleichgültig, ob das Gottesbewusstsein in der Form strenger BegriflFe mit sicherer Ableitung auftritt, oder ob es in dem wärmeren und dunstreicheren Elemente des Volksglaubens athmet. Immer ist ftlr uns bei aller Betrachtung der Religion nur das Specifische des theologischen Bewusstseins massgebend, und wir können aus dem Volksglauben meistens ohne grosse Schwierigkeit die verdunkelnden Nebenvorstellungen absondern und die bildliche Ausdrucksweise in ihren eigentlichen Sinn über- setzen; denn die speculative Vernunft, aus welcher alle Gottes- erkenntniss hersl^mmt, ist gar nicht an Gelehrsamkeit gebunden, sondern kann in jedem selbständigen Kopfe mit den einfachsten Ausdrücken ihre Schauungen darlegen, wenn sie fi-eilich auch für die Anerkennung ihres Werthes eine wissenschaftliche Aus- einandersetzung mit den bisherigen metaphysischen Lehren be- darf. Wenn wir deshalb hier die Metaphysik anrufen, so soll unsre Frage damit nicht etwa aus der Region des Volksglaubens

uiymzeu uy x^_j vyVjy Iv^

100 Eintheilung

weggeführt und bloss den trockenen Disputirübungeu der Schule übergeben werden, sondern ich will damit nur erklären, dass das Gottesbewusstsein in den Völkern überhaupt ihre metaphysische Vernunft ist und daher flir die Gelehrten am Kürzesten und Be- quemsten in den speculativen Begriffen der Metaphysik aus- gedrückt werden kann.

Ich trete hiermit natürlich den Comte'schen und verwandten modernen Auffassungen entgegen, die aber auch keine irgend beachtenswerthe philosophische Begabung ihrer Besitzer an den Tag legen; denn die Metaphysik ist eine ebenso natürliche Thätigkeit der Vernunft, wie das Sehen flir das Auge und das Hören ftir das Ohr; es kann deshalb einem Philosophen nur wunderlich vorkommen, wenn Jemand wie Comte behauptet, dass es eine Zeit gegeben habe vor der Metaphysik und dass eine Zeit nach der Metaphysik mit der Morgenröthe des Positivismus angebrochen sei; denn solche Zeiten hat es nie gegeben. Sollte aber der Positivismus, der ein blosser Skepticismus, d. h. ein Be- wusstsein persönlicher Unfähigkeit ist, die Morgenröthe der neuen Zeit bilden, so müsste der Zeitordnung entsprechend bald die Sonne wieder aufgehen und sich also eine neue Metaphysik aus- bilden, damit die Menschheit nicht in dem Schatten einer geist- armen Dämmerungswelt lichtscheu verkümmere.

Der Positivismus ist aber nicht etwa zu tadeln; er bezeugt vielmehr die Wahrheit, dass die früheren metaphysischen Systeme in der That vor der Kritik nicht bestanden und noch keine neue Grundlegung mit der Kraft überzeugender Wahrheit hervorgetreten war. Darum konnte auch die bisherige Philosophie die richtige Eintheilung des Gottesbewusstseins nicht finden, weil sie über die Natur des Seins sich nicht berathen und mit Einschluss von Kant, Herbart, Hegel, Krause, Lotze und wen man von den Mo- dernen noch nennen möchte, sich immer an die Begriffe der griechischen Philosophie bewusst oder unbewusst angeschlossen hat. Es bleibt uns also nichts übrig, als positivistische Resi- gnation oder ein neuer Versuch. In meiner Grundlegung der Meta- physik habe ich nun den einfachen und natürlichen Weg in speculativen Begriffen beschrieben, auf welchem die Idee des Seins in der Menschheit unbefangen gewonnen ist und dadurch die Möglichkeit einer neuen Weltbetrachtung erwiesen, die ge- rade mit der christlichen überall zusammentrifft:.

Digitized by VjOOQIC

der Religionen. 101

Ich lasse hier aber die kritische Erörterung der früheren Auffassungen bei Seite und gebe, indem ich auf meine Meta- physik daflLr verweise, jetzt nur die positive Eintheilung des Gottesbewusstseins. Dieses darf jedoch nicht allein auf die wahre Metaphysik bezogen werden, weil man sonst nur eine einzige Religion, nämlich die wahre Religion des Christenthums erhalten würde. Um die einseitigen und falschen Religions- formen mit zu umfassen, muss man auch die zugehörige Meta- physik hinzunehmen. Demgemäss gehen wir von dem Gedanken aus, dass zuerst unmöglich in der Menschheit ein Interesse vor- handen sein konnte, das Sein und Wesen aller Dinge wissen- schaftlich zu erkennen und Gott als das Seiende an sich zu be- stimmen. Vielmehr musste alle Nachforschung nach den Ur- sachen sich zuerst auf die Gegenstände unserer Leidenschaften nach Furcht und Hoffnung und später auf die sittlichen Gefühle beziehen, welche den Menschen beseelen, wenn er als erscheinende Persönlichkeit unter anderen seines Gleichen handelt Mithin hatte der Mensch zuerst mit der scheinbaren Welt zu thun und musste deshalb alle Ursachen und also auch den Gott als Gegenstände bestimmter oder unbestimmter Art in diese Welt ver- setzen und von sich unterscheiden und sich gegenüberstellen, d, h. projiciren. Darum nenne ich die unterste Stufe der Religion, auf welcher der Mensch den Gott (welchen er glaubt, fürchtet und verehrt) von sich dem Subject als ein äusserliches Object abtrennt, projectivische Religion.

Später aber wird die Metaphysik kritisch und es stellt sich heraus, dass der geglaubte Gott als Object eines glaubenden oder erkennenden Subjects von diesem Subject unabtrennlich ist als ein Subject-Object. Dadurch entstehen die pantheisti- schen Religionen.

Beide Formen des Gottesbewusstseins gehören aber ein:r unreifen Metaphysik an, die erste der naiven, die zweite der ein- seitig subjectiven. Darum erhob sich siegreich über sie das Ghristenthum, welches das ganze menschliche Bewusstsein um- fasste und dadurch die BegriflFe von Wesen (Substanz), Sein, Zeit und Ewigkeit, Erkennen, Object und Subject in einer neuen und wahren Gestalt ausprägte, wodurch die Stellung des Menschen als selbständiger Persönlichkeit Gott gegenüber ohne projectivischen

Digitized by VjOOQIC

J

102 Eintheilung

Schein and ohne pantheistische Verflüchtigung mit einem Mal verständlich wurde.

So haben wir ausser dem Ghristenthum nur zwei specifisch verschiedene Religionstypen. Diese lassen sich aber nach a priori erkennbaren Eintheilungsgrtinden wieder in mehrere Gattungen scheiden, von denen eine jede ein specifisch bestimmtes System von zusammengehörigen Elementen bildet.

1) Die ^* nämlich von dem Religiösen das Gottes-

projecUTiBche bcwusstseiu uicht in wissenschaftlichem Interesse ans- Theologie, g^bü^gt wird, soudem der Gott vielmehr immer nur die Goordinate fUr die Gesinnung des Menschen ausmacht, der diesem Bewusstsein gemäss denkt, ftlhlt und handelt, so kann es auch keine projectivische Religion geben, die bloss unserem Ge- fllhl für das Wahre entspräche, d, h, worin der Geist bloss als Object schlechthin, als das Sein und Wesen der Dinge betrachtet würde; denn eine solche Theologie würde gegen die Hypothesis sein, sofern sie nur in Coordination zu dem Erkenntnissvermögen, aber nicht zu der Gesinnung stände, die das persönliche Ver- halten des Menschen zu einem solchen Wesen ausdrückt. Also giebt es keine projectivische Theologie, die bloss dem Gefhhl der Wahrheit coordinirt wäre.

Demgemäss bleiben, da die Theologie vielmehr selbst die dem Gefühl der Wahrheit entsprechende Erkenntnissleistung bildet, nur zwei Gattungen von projectivischer Religion möglieh, nämlich erstens dasjenige Gottesbewusstsein, welches die Goordi- nate für un^er der bewegenden und handelnden Function zu- geordnetes Gefühl bildet, und zweitens dasjenige, welches dem Gefühl als Gefühl, d. h. dem der Ordnung der geistigen Functionen selbst zugeordneten Gefühle entspricht.

Durch die Bewegung und Handlung sind wir mit der Aussen- welt verflochten und haben dadurch unsere Existenz oder unseren Tod, Gesundheit oder Krankheit, Besitz oder Verlust, Nahrung oder Noth, Gelingen oder Misslingen, Glück oder Unglück, Ehre oder Schande, Freiheit oder Knechtschaft, und alles dies auch wieder in Bezug auf jedes Ding und jede Person, die wir be- sitzen. Da nun all dieses unser Gefühl zunächst nur nach der negativen Seite erregt, so entspricht diesem Gottesbewusstsein die Furcht, und ich nenne deshalb die zugehörige Religion die Religion der Furcht,

Digitized by VjOOQIC

der Religionen. 103

Wenn wir aber dies ganze Gebiet eliminiren, so bleibt als Coordinate für das Gottesbewusstsein nur das Gefühl als Gefühl schlechthin übrig, d. h. die Ordnung der geistigen Functionen selbst abgesehen von einem bestimmten Inhalt. Diese Ordnung und die entsprechende Unordnung hat sich coordinirt immer den Begriff des Gesetzes oder des Rechtes, des Guten und Heiligen und umgekehrt den Begriff der Sünde und Gesetzesübertretung. Da nun auch hier das Positive nicht zum Bewusstsein kommt ohne vorherige Empfindung des Negativen, so muss das Gottes- bewusstsein in seiner Zuordnung zur Gesinnung des Menschen hier eine Religion der Sünde oder Rechtsreligion bilden. Das Gesetz wird darin aber projectivisch gefasst, indem der Grund und das Wesen dieser Ordnung mit seinem zugehörigen Gefbhl unerkannt bleibt.

Eine dritte Gattung ist nicht möglich, weil der Mensch nicht mehr geistige Functionen als drei besitzt, welche durch die Ein- theilung erschöpft sind. Dieser apriorischen Eintheilung ent- spricht aber die historische Wirklichkeit niemals völlig, da die Functionen zusammenwirken und höhere Stufen schon bemerklich werden, wenn auch die Masse der Gläubigen noch auf der nie- deren Stufe steht, so dass die Wirklichkeit lauter unreine Formen enthalten muss, deren Elemente, Mischungsverhältnisse und Werthbestimmungen aber nur durch die a priori vollzogene Eintheilung verständlich werden können.

Den Uebergang zu einem zweiten Typus von Re- ligionen bildet nun der Atheismus, der den unge- theisttBchcn bildeten Gährungszustand des Bewusstseins enthält, B«i*8ioncn in welchem die frühere Auffassungsweise der Welt sich zerstört, die neue aber noch nicht geordnet ist Der Atheist hat deshalb nur das Geschäft des Schinders und im besten Fall des Rich- ters, der den Delinquenten zum Tode verurtheilt Der Atheis- mus heisst deshalb Skepticismus, Kriticismus, Positivismus, Em- pirismus, wenn noch keine höhere Form eines gebildeten Be- wusstseins gewonnen ist; als relativer Atheismus aber muss jeder höhere Standpunkt dem niederen projectivischen gegenüber er- scheinen, weil er die aussen stehenden Götter wegnimmt, wes- halb die Kirchenväter dem Heidenthum gegenüber einen atheisti- schen Anstrich hatten nnd auch die allgemeinen Mittel des Atheis- mus, z. B. Spott und Hohn, anwendeten.

Digitized by VjOOQIC

104 Eintheilang

Der neue Typus des religiösen Bewusstseins besteht aber in der Ueberftihrung des projecti vischen Objects in das Öubject In dem Pantheismus nimmt der Geist seine Geburt, den Gott, in sich zurück, und es ist daher der Gott unser Geist selbst. Da der Geist aber in drei Thätigkeitsformen sich offenbart, so lassen sich a priori drei Gattungen der pantheistischen Religion construiren, jenachdem jede dieser Thätigkeitsformen zur Haupt- sache und die andern beiden entsprechend zu Nebensachen oder dienenden Begleitern gemacht werden.

Der Pantheismus der That oder Handlung erstens lässt sich aber wieder in verschiedene Arten a priori zerlegen, weil das bewegende Vermögen des Geistes verschiedene a priori er- kennbare Gebiete bildet, in welchen die Bewegung einen spe- cifisch verschiedenen Charakter besitzt Diese Division ist an ihrem Orte zu vollziehen.

Der Pantheismus des Gefühls dagegen ist seiner Natur nach einartig, weil die Unterschiede des Gefühls sich nur durch Ausbildung der handelnden Function oder der Erkenntniss entwickeln könnten, welche aber gerade in das Gefühl ver- schwinden sollen.

Der Pantheismus der Erkenntniss endlich ist auch einartig, weil es zwar mehr oder weniger verschiedene idealisti- sche Auffassungen Gottes geben kann, das specifisch Religiöse dabei aber immer das Geflihl flir das Subject-Object bleibt, welches durch die Denkbewegung als gegenwärtiger göttlicher Geist vorhanden ist.

Ausser diesen drei reinen Gattungen kann es keine andere mehr geben; die bei den Menschen vorgeftmdenen pantheistischen Religionszustände werden aber inmierhin durch mancherlei Mischun- gen viele Nuancen enthalten, welche flir die Wissenschaft von wenig, flir die persönliche Annehmlichkeit jedoch von grosser Wichtigkeit sind.

In dem Pantheismus ist mit Recht der projec- 3. Dm ohriaten- tivischc Gott aus dcu Wolkcu abgcholt, um in die That, das Herz und den denkenden Geist des Men- schen einzukehren. Allein mit dem Object muss leider auch das Subject, das Ich, die Persönlichkeit abhanden kommen und trans- figurirt werden, so dass schliesslich nur die Bewusstseins -Er- scheinung übrig bleibt, d. h. die Reihe der einzelnen Akte, in

Digitized by

Google

der Beligionen. 105

welchen das menschliche Bewnsstsein bald diesen, bald jenen ideellen Inhalt umfasst. Das Verschwinden des Ich's, oder der Persönlichkeit ist für den Pantheismns ebenso specifisch, wie das Verschwinden der projectiven Aeusserlichkeit des Gottes. Es zeigt sich also, dass dem Pantheismus die Erkenntniss des selbstän- digen Seins fehlt; denn dem Pantheisteu gilt als Sein nur die bestimmte (concrete) einzelne Bewusstseinserscheinung, oder die unbestimmte (abstracto oder ideelle) Totalität des Inhalts der Er- scheinungen, welche wegen der absoluten Unbestimmtheit einge- standenermassen gleich Nichts ist

Es muss daher eine neue Metaphysik aufgebaut werden, welche sich auf den Ursprung unserer BegriflFe vom Sein wissen- schaftlich besinnt und nicht so rathlos in der Sprache vorgefun- dene Wörter, wie Sein und Nichts, ausgiebt, ohne die Aechtheit und Gültigkeit dieser cursirenden Münzen zu prüfen. Diese neue Metaphysik bedarf aber keiner künstlichen Apparate und ver- wickelten Gedanken-Constnictionen, sondern sie ist die einfache Philosophie der Menschheit von Anbeginn bis auf den heutigen Tag, und Jeder braucht sich nur selbst zu befragen, so kann er die wahre und natürliche Methaphysik als Antwort erhalten. Denn wer zweifelte daran, dass er selbst existirte und ein wirk- liches lebendiges Wesen wäre! Welches Kind wäre nicht ebenso wie jeder noch so kluge Mann von sich selbst aus Entdecker und Bekenner der wahren metaphysischen Erkenntniss, dass seine Verwandten, Freunde und alle Personen, mit denen er verkehrt, wirkliche lebendige Wesen, „Dinge an sich" und nicht bloss Er- scheinungen in seinem Bewusstsein sind! Diese einfache Mensch- heitsphilosophie wird nun unsicher durch die vielen späteren Er- fahrungen, und dies ist der einzige Grund, weshalb man sich in den philosophischen Fragen nicht auf das unbefangene Urtheil von Jedermann berufen kann; denn überall, wo die Gegenstände zu mannigfaltig oder unabsehbar und die Bedingungen und Hülfs- mittel des Urtheils zu verwickelt werden, da tritt der einfache Mann vor dem Techniker zurück. Gleichwohl müssen die letzten und elementaren Gründe aller Urtheile immer für Jedermann verständlich sein und ihre Gewissheit aus der allgemeinen Ver- nunft schöpfen. Aus demselben Grunde, weshalb die Philosophie technisch wird, stammen aber auch sowohl die verschiedenen und entgegengesetzten Urtheile der Techniker, als ihre zahllosen

Digitized by VjOOQIC

106 Eintheilung

Irrthümer. Und dasjenige System wird immer siegen, welches die Quellen der Irrthümer der anderen aufdecken kann, und wird soweit die Wahrheit treflfen, als es auf die einfache Ver- nunft der Menschheitsmetaphysik als auf seinen letzten Grund zurückgeht und dadurch die verwickelten Phänomene zu deuten versteht.

Diesen Versuch habe ich in meiner ,,Neuen Grundlegung der Metaphysik" unternehmen wollen. Da aber eine neue Metaphysik sich erst Bahn brechen muss durch die vielen künstlichen und einseitigen Theorien, die alle Köpfe der mehr oder weniger ge- schulten Gelehrten erftlllen, so muss die positive Darstellung mit einem lebhaften Gefecht nach allen Seiten, d. h. mit Kritik beginnen. Deshalb habe ich die Quellen der Irrthümer der frü- heren Metaphysik aufgedeckt; ich habe gezeigt, dass wir nicht in der Weise von Xenophanes und Piaton von dem BegriflF der Zeit ausgehen dürfen, um in dem ideellen Inhalte desBewusst- seins das Immerbleibende dem Wechselnden gegenüber als das Wahrhaftseiende zu bestimmen; nicht in der Weise des Aristo- teles ein Anschauungsbild zum Modell nehmen dürfen, um an ihm, wie an dem Bilde vom Ochsen und seiner Farbe, Substanz und Accidenz kennen zu lernen; endlich auch nicht wie Fichte und Hegel das Wissen und den Erkenntnissprocess als Grund- lage brauchen dürfen, um von dieser einseitigen Function aus das Allgemeine (Idee) als die Substanz und das Einzelne als das Accidentelle oder Scheinende und Aufzuhebende zu begreifen. Vielmehr erwies sich, dass der natürliche und exact wissen- schaftliche Anfang mit dem ganzen Bewusstsein zu machen ist, in welchem wir mit Zustimmung der ganzen Menschheit das Ich als selbständiges und zeitloses Wesen antreffen, welches den Typus aller Substanzbegriffe bildet, und in welchem wir auch die realen Acte in verschiedenen Thätigkeitsformen unterschei- den, ebenso wie ihren zugehörigen ideellen Inhalt. Dadurch tritt das blosse Wissen von dem Throne zurück und stellt sich zugeordnet in die Reihe der drei geistigen Thätigkeiten.

Durch diese neue Metaphysik ist der Boden gewonnen, um den Begriff des selbständigen Wesens (Substanz) fruchtbar zu machen; denn es ergiebt sich nun die Möglichkeit, nicht bloss die bisher unlöslichen Probleme der Zeit und Bewegung aufzu- lösen und die Unendlichkeit der Erscheinungen perspectivisch zu

Digitized by VjOOQIC

der Religionen. 107

erklären, sondern anch die volle Wesenhaf tigkeit and Selbstän- digkeit andrer Persönlichkeiten und einer ausser dem Bewusst- sein liegenden Welt zu verstehen, mit der wir, obwohl sie nur in dem Bewusstsein erscheint, verkehren und deren Ordnung und Gesetzmässigkeit wir semiotisch feststellen können. Zugleich eröffnet sich durch diese Gemeinschaft der Wesen der Blick ftlr eine weitere Fassung des Substanzbegriffes, da, wie die Akte und ihr Inhalt dem selbständigen und zeitlosen Ich zugehören, alle Wesen mit ihren Akten und ihrem ideellen Sein wiederum offenbar einem einzigen Wesen zugeordnet sind, welches jedes Wesen in seiner zeitlosen, d. h. in aller Zeit identischen Selb- ständigkeit lässt und sich doch, wie das Ich von seinen Akten, von allen diesen Wesen unterscheidet, und so mit eigenem, nicht sunmiirten Bewusstsein, Kraft, Wissen und Liebe sich in aller Natur und in dem technischen System der Geschichte offenbart.

Diese neue Basis der Theologie ist aber im Christenthum schon historisch gegeben und von den Philosophen und philoso- phirenden Theologen nur wegen ihrer Abhängigkeit von den hellenischen Kategorien nicht begriffen. Die Philosophie des Ghristenthums hat daher .die Aufgabe, diese falschen hellenischen Auffassungsformen bei Seite zu lassen, um von dem neuen und allgemein menschlichen Standpunkte aus das specifisch Christ- liche zu erkennen und das ihm zugeordnete dogmatische, ethische und cultische System zu construiren, speculativ aus den tiber- lieferten Grundgedanken der Lehre, und philologisch und histo- risch aus den überlieferten Schriften und der Geschichte der Kirche. Die Philosophie des Ghristenthums braucht daher nicht mehr bloss apologetisch zu sein, weil die philosophischen Schulen, von welchen bisher die Angriffe gegen das Christenthum aus- gingen, selbst in ihrer principiellen Unrichtigkeit sich ausgewie- sen und durch ihr historisches Resultat, den Positivismus, sich ein Armuthszeugniss ausgestellt haben; es dreht sich vielmehr um einen positiven Aufbau in wissenschaftlicher Form.

Es ist die Frage, ob die gegebene Eintheilung E^t^ekeiunge. nicht dadurch zu verbessern sei , dass man sie zu lehro. Topik einer Entwickelungsgeschichte im Darwinisti- '""^ »«»cwchte. sehen oder HegePschen Sinne umarbeitete. Gegen solches Vor- haben muss man sich aber im Interesse der Wissenschaft ener- gisch verwahren. Die Darwinistische von der Zeitillusion

uiymzeu uy "V-j vyVjVt Iv^

108 Eintheilung

beherrschte EntwickeluDgslehre zwar würde ich gleich annehmen, sobald man vorher bewiesen hätte, wie die Richtungen nach Oben und Unten sich allmählich aus den Richtungen nach Rechts und Links entwickelt hätten und welche Art der Parallelogramme zuerst vorhanden gewesen sei und die anderen Arten durch An- passung und Vererbung hervorgebracht hätte. Da aber selbst die philosophisch nicht besonders geschulten Gelehrten einsehen, dass alles dies als sogenannte ewige Wahrheit zeitlos ist, so könnte überhaupt nur Hegers Entwickelungstheorie in Betracht kommen, wonach die Formen als ideelle Entwickelungsstufen zwar ewige Momente des dialektischen Processes bilden, wegen der Identität des Realen und Idealen jedoch eine der logischen Ordnung entsprechende geschichtliche Abfolge beobachten, da der historische und der logische Process nach Hegel zusammen- fällt Doch diesen Irrthum HegeFs haben die Empiriker der Natur- und Geschichts-Forschung ja schon überall widerlegen können. Auch ich habe in meinen Arbeiten zur Geschichte der Be- griffe an vielen Punkten im Einzelnen nachgewiesen, dass die sich einander logisch folgenden Erkenntnissstufen in der Ge- schichte gleichzeitig nebeneinander stehen bleiben, weil der zur Geburt gelangende Mensch die Producte der früheren Geistes- entwickelung nicht erbt und mit in die Wiege bringt, sondern immer von vom anfängt, und auch die Seelen der kommenden Geschlechter den Seelen der verflossenen Welt nicht tiberlegen an natürlicher Begabung sind. Aus diesem Grunde ist der Hegersche Versuch zu oberflächlich und kann mit der wirklichen Weltgeschichte nicht übereinstimmen, die sich auch durch die künstlichsten dialektischen Operationen nicht in den logischen Process eingliedern lässt

Darum lege ich Werth darauf, nicht eine solche Darwinisti- sche oder Hegel'sche Entwickelungsgeschichte , sondern eine Topik aufzustellen. Denn einerseits sind die durch die Defi- nition und die Eintheilung gegebenen Begriffe fest bestimmte Oerter in dem Goordinatensystem der religiösen Sphäre und an- dererseits wird durch alle Jahrhunderte jeder Mensch nach seinen Anlagen und seiner geistigen Entwickelung immer eine religiöse Gesinnung haben, die durch den einen oder den andern dieser Oerter zu bestimmen ist, wie jedes mögliche Parallelogramm, welches gezeichnet oder vorgestellt wird, immer zu Einer

Digitized by VjOOQIC

der Religionen. 109

der vier Arten gehören muss. Es ist mir deshalb gar nicht verwunderlich, dass mitten im neunzehnten Jahrhundert eine Menge Christen eigentlich Gläubige der Furchtreligion und selbst Fetisch-Anbeter sind, wie andererseits dass mitten im Heiden- thum umgeben von Götzendienern einzelne fieligiöse lebten, die so ziemlich den Standpunkt des modernsten Pantheismus inne- hatten, wie deshalb ja z. B. Schelling, Hegel und Schopenhauer ihre eigentlichen Grundgedanken bei den alten Griechen oder den Indern wiederfanden, oder z. B, die modernen Positivisten, wie Laas, ihr Ebenbild in Protagoras anlachten.

Gleichwohl will ich den Gedanken einer Entwickelung nicht verwerfen, sondern vielmehr befestigen. Es ist durchaus richtig, dass die Arten der Pflanzen und Thiere auseinander stufenweise zu erklären sind und dass die grösseren Zahlen, ob- wohl sie zeitlos zusammen mit den kleineren in das Zahlensystem gehören, dennoch logisch aus den kleineren abfolgen, ebenso dass alle individuellen Organismen sich in einer Stufenfolge ihrer Processe entwickeln. Gleichwohl sind nicht alle Formen Stufen, sondern es giebt auch mehrere nebeneinanderstehende Formen derselben Stufe, wie ich dies in meiner Schrift „Darwinismus und Philosophie^' bewiesen habe. Darum ist zwar die Rechts- religion eine höhere Stufe, als die Furchtreligion, der Pantheis- mus höher als die projectivische Religion und das Christenthum die höchste Stufe überhaupt; aber z. B. innerhalb des Pantheismus giebt es mehrere Formen, die sich nicht auseinander entwickeln, sondern gleichzeitig und gleichwerthig nebeneinander ordnen.

Es ergiebt sich hieraus, dass unsre Theorie sowohl als Ent- wickelungslehre, als auch als Topik aufzufassen ist, da sie, was an der Entwickelungslehre richtig ist, durchaus nicht verschmäht und nicht entbehren kann. Das Richtige kann von der Wissen- schaft niemals entbehrt werden. Zu diesen beiden Auffassungs- weisen wird dann aber noch ein dritter Gesichtspunkt hinzu- kommen, nämlich die geschichtliche Betrachtung. Soweit freilich als sich die Entwickelungslehre mit der Geschichte ver- quickt, verwerfe ich solche Geschichte als ungeschichtlich, da es sich zeigt, dass alle die Oerter oder systematisch bestimmten Grundformen der religiösen Gesinnung sich in allen Jahrhunderten wiederholen, ebenso wie die blonden und brünetten Menschen, die Kurzsichtigen und Weitsichtigen, die Phlegmatiker und die

u.quizeauy Google

110 Eintheilang der Religionen.

Choleriker u. s. w. Was die positivistische Culturgeschichte be- triflft, so ist das Statistische darin von Interesse, und gewisse Gleichförmigkeiten der Stimmungen und Vorstellungsweisen in den verschiedenen Jahrhunderten sind ja beachtenswerth; aber es fehlt allen diesen Geisteshistorikern eine philosophische Schulung, da sie mit lauter unbestimmten Begriffen arbeiten und deshalb die gröbsten Fehler machen. Es giebt auch weder eine Volks- seele, noch nur einmal eine Familienseele und keine Kirchen- seele. Trotz aller Bedingungen, die wie Schule, Kirche, Zeitungen und Geselligkeit eine gewisse Gleichförmigkeit des Seelenlebens hervorbringen, bleibt immer constant die individuelle Differenz der Anlage und die individuelle Verschiedenheit der Arbeit. Man vergisst eben, . dass die Seelen nicht Producte von Producten und Erscheinungen von Erscheinungen sind, sondern die wirklichen, selbständigen Wesen und zeitlosen Träger aller Erscheinungen. Darum muss an die Stelle dieser eitlen und phänomeno- logischen Geschichtsbetrachtung die ächte Geschichte treten, wie sie das Ghristenthum zuerst erkannt hat, wonach das Ganze in einen providentiellen Blick zusammengefasst und als ein tech- nisches System betrachtet wird. In diesem System oder Drama, wie der Alexandriner Clemens es nennt, hat jede Seele als Actor eine bleibende Bolle, ist von Ewigkeit ersehen und wird bis in Ewigkeit mitspielen. Die Geschichtsbetrachtung wird aber nicht munkeln von Dingen, die verborgen sind, sondern nur das Offen- bare hervorheben und die Gesetze zu finden suchen; das Uebrige aber, was von unserem perspectivischen Standpunkt aus noth- wendig unübersehbar und verborgen bleibt, wird sie nicht ver- rathen; denn nur ein Narr sagt, was er nicht weiss. Die Be- deutung der geschichtlichen Betrachtung ist aber erst durch das Christenthum erkannt, in welchem der Gott selbst geschichtlich wird und durch welches zuerst, als durch eine neue und wahre Metaphysik, die Persönlichkeiten als die wirklichen Wesen und als die Träger des geschichtlichen Lebens offenbar geworden sind.

Digitized by

Google

Zweiter Theil.

Projectivische Religionen.

Digitized by VjOOQIC

I

Digitized by

Google

Die projectivischen Religionen.

Der Mensch gelangt sehr früh zum Bewnsstsein seines Ichs, so frtth, dass wir keine Zeit anzugeben wüssten, wann dies Bewnsstsein nicht vorhanden wäre. Alles, was wir über diese metaphysische Erkenntniss in Bezug auf die Zeit ihres Ursprungs zu sagen wissen, kann sich nur um die Klarheit und Wissenschaftlichkeit dieser Erkenntniss drehen, nicht aber um das Bewusstsein selbst. Darum giebt es auch, wenn wir vom Einzelnen absehen und in die Urgeschichte der Mensch- heit blicken oder die jetzt noch uncivilisirten Völker berück- sichtigen, keine Epoche und keinen Zustand, in denen der Mensch ohne Selbstbewusstsein, ohne Erkenntniss seines Ichs an- getroffen würde.

Coordinirt mit diesem Bewusstsein läuft dann auch die zweite metaphysische Erkenntniss des Menschen, dass es andre Menschen und andre Wesen ausser ihm giebt, die er von sich unterscheidet und mit denen er irgendwie in einen wirklichen Verkehr tritt.

In diesem Verkehr mit den Wesen ausser ihm dreht sich Alles um zwei Angeln, nämlich um das persönliche In- teresse und um das Recht. Zunächst nämlich ist durch die Thatsache der Ichheit oder Persönlichkeit ein individueller Mittel- punkt gegeben, auf welchen die ganze Welt ausser ihm be- zogen wird; denn da die einzelne Person nicht in völliger Selbstgenügsamkeit und Bedür&isslosigkeit ftlr sich dasteht, sondern durch Hunger, Durst, Liebe, Neugier, Herrschsucht und Thätigkeitstrieb überhaupt als ein blosses Glied auf den Zusammen- hang mit der übrigen Welt angewiesen ist, so entsteht sofort

Teichmüller, ReligionsphUoBophie. uiumzlu uy ^jOOQIC

114 Frojectivisclie Eeligionen.

eine perspectiyische Auffassung derselben, indem alle Dinge und Menschen flir uns als nützlich oder schädlich, als Gutes oder Uebel erscheinen.

Wenn die gesellige Entwickelung der Menschen fortschreitet, so bildet sich denn auch allmählich das Bewnsstsein des Rechtes aus. Da dieses moralische Bewnsstsein den höheren Bang ein- nimmt und später in den Mittelpunkt der Lebensauffassung rückt, wollen wir hier davon nicht weiter reden.

So lange nun das Bewnsstsein keine andren Beziehungs- punkte verknüpft, als die unseres Ichs und der übrigen Menschen und Naturwesen nach den Gesichtspunkten des individuellen Interesses und des Rechts, so lange giebt es auch keine Spur von Religion. Sobald aber wegen der Vernunftanlage des Menschen als neuer Beziehungspunkt noch der Gott auftritt, so entspringt sofort eine religiöse Stinmiung, ein religiöses Handeln, kurz die Religion.

Ein Gott aber kann nicht als einzelnes Wesen dem Menschen als einzelnem Wesen sinnenfällig gegenübertreten, sondern muss zunächst nur als eine Vorstellung oder Auffassungsweise in dem Bewnsstsein des Menschen vorkommen. Wie der ungebildete Mansch aber seine Bilder von Erde und Meer, von Hinmiel und Wolken, von Menschen, Thieren und Pflanzen ohne Umstände nach Aussen wirft und sich von allen diesen Dingen wirklich umgeben glaubt, obgleich alle diese Bilder nur in seinem Be- wnsstsein vorhanden sind und sonst nirgends, so projicirt er auch seine Gottesvorstellung nach Aussen und erschafft sich dadurch einen Gott ausserhalb der übrigen Welt der einzelnen Wesen. Aus diesem Grunde nenne ich diese erste Stufe der Religion und Theologie projectivisch, weil bei derselben noch keine Kritik der Vernunft und Erkenntniss vorhanden ist, sondern das ganze Seelenleben nur nach den unmittelbaren und natürlichen Beziehungsweisen der Vorstellungen, Thätig- keiten und Gefühle abläuft.

Da es sich auf dieser Vorstufe nun nothwendig um zwei Mittelpunkte dreht, um das Interesse und das Recht, so werden wir auch zwei verschiedene Religionen zu studiren haben. Ich will aber gleich nachdrücklich hervorheben, dass wir Höher- gebildete uns nicht etwa in den Sinn kommen lassen dürfen, diese beiden projectivischen Religionen wären bloss eine Antiquität

u.quizeauy Google

Projectiviache Religionen. 115

und gehörten nur der Urzeit oder den mehr oder weniger rohen Anfängen der Cultur an, ohne für uns ein anderes Interesse als das der Curiosität hervorzurufen; nein jeder von uns ist auch ein solcher Urmensch und hat in sich auch die rohen Anlange der Cultur behalten. Wie wir das Alterthum nur begreifen, sofern wir das Aehnliche in uns selber erkennen, so soll auch jeder von uns sich nur sagen: de te fabula narrat; denn nach Abzug der alterthümlichen Vorstellungen von Natur und Himmel bleibt als Best und Essenz immer dasjenige übrig, was jeder in's Leben kommende Mensch immer von Neuem in seinem Busen findet, weil es das Herz des Menschen selber ist.

Digitiz§dbyG00Qle

1. Die Religion der Furcht.

Erstes Kapitel. Die Ethik der Religion der Furcht.

Wenn wir nun die erste und älteste Religion der ■Chi Methode. Menschen erforschen wollen, so wird es uns nicht mehr einfallen, womöglich die prähistorischen Denkmäler zu untersuchen-, wir werden auch nicht mehr zu den Hottentotten und Malaien gehen, um ihre sonderbaren Gebete aufzuzeichnen und ihre seltsamen Gottesdienste zu beschreiben: dieser Weg würde wegen der endlosen Details scheinbar zu reicher Weide ftihren, uns aber in Wahrheit blosse Thatsachen liefern, die erst nach einer andern schon vorausgesetzten Erkenntniss gedeutet werden müssten, und wir würden daher keine Sicherheit über das Wesen der gesuchten Religion gewinnen; wir müssen einen sicherem und fruchtbarem Weg nehmen. Da die Religion näm- lich immer in gewissen Handlungen erscheint, die veranlasst werden durch gewisse Gefühle oder Willensbestimmungen bei gewissen Vorstellungen über göttliche Dinge, so zeigt sich, dass die Gottesvorstellung immer in Goordiuation zu dem Ge- fühle steht. Das Gefühl ist die Coordinate der Theologie und mithin ist es specifisch, d. h. artbildend, ebenso wie die reli- giösen Handlungen eigenthümlich, d. h. charakteristisch sein müssen. Wegen dieser Coordination nenne ich das zugeordnete Gefühl das Motiv der Religion, weil die Gottesvorstellungen ohne dieses Gefühl blosse theoretische Betrachtungen, aber keine religiöse Gedanken sein würden, und weil nur wegen dieses Ge- Alhls der Mensch auf die Vorstellungen in Handlungen reagirt Mithin verlangt die Methode, die Motive der Religion psycholo- gisch darzulegen, damit man sowohl die Arten, als die Zahl

uiyiiized by VjOOQIC

Ethik. 117

derselben a priori erkennen könne. Erst wenn wir anf diese Weise die Arten der Religion bestimmt haben, werden wir ohne Bedenken die erfahrungsmässig bekannten Religionen zur Ver- deatlichnng der Begriflfe als Beispiele anführen dürfen.

Um nun diese religiösen Motive zu finden, brauchen ^ ^ Bedacwo» wir uns nicht in das induetive Studium aller mög- «•■ Einthei- lichen Affeete psychologisch zu vertiefen, um dabei ^■■»■p'*"*'*!»"- den Zweck unserer Untersuchung schliesslich aus den Augen zu verlieren. Nein, wir deduciren das Gefühl. Alle Gefühle näm- lich, die der Mensch haben kann, müssen nothwendig von zweierlei Art sein. Entweder betrachtet er die Welt perspectivisch nach sich als ihrem Mittelpunkt, oder er betrachtet sie objectiv und ordnet sich selbst in das Ganze ein nach einer von ihm selbst unabhängigen Ordnung. Die erste Stellung heisst im All- gemeinen Selbstsucht, die zweite aber Sittlichkeit. Mithin müssen alle Gefühle, welche der einen oder der andern Stellung entsprechen, ihrem Wesen nach jedesmal von einem und dem- selben Gattungscharakter sein, und wir sind der Arbeit über- hoben, erst die ganze Psychologie der Affeete abzuhandeln; da es sich für unsere Frage eben nur um den Gattungscharakter dieses Gefühls dreht, und nicht um seine Modificationen und Nuancen. Dass die selbstsüchtige Stellung des Menschen aber die erste und älteste ist und war, versteht sich von selbst, da schon eine höhere, viele perspectivische Lebenskreise umfas- sende Intelligenz dazu gehört, um der sittlichen Gesichtspunkte und Gefühle fähig zu werden.

Die Selbstsucht ist also das allgemeine Wesen ^ Dednction der Geffthle, die auf dem perspectivischen Standpunkt %num r». der Weltbetrachtung möglich sind. Demgemäss igt"»*^*""*»"" unsere Aufgabe jetzt, unter allen dahin gehörigen Gefühlen das- jenige zu deduciren, welches als Motiv der ersten Religion an- zusehen ist

Nun bezeugt sich das Gefühl oder der Wille AUopewön- ursprünglich und nothwendig immer im Annehmen ucuen Gefühle oder Verwerfen, Beifall oder Missfallen in Bezug auf ^^^J^^"^^^^^^ alle Objecte, die auf der Fläche des Bewusstseins die Zukunft. auftauchen. Da der Mensch aber die Welt als ein zeitlich geordnetes Ganzes auffassen muss, so folgt, dass die Goordination seiner eigenen Functionen immer derart ist, dass

Digitized by VjOOQIC

118 Religion der Furcht.

die dem persönlichen Gefühl coordinirte handelnde Function auf das Zukünftige geht and nicht auf das Gegenwärtige oder Vergangene. Niemand kann den Willen haben, etwas in der Vergangenheit herzustellen oder umzuändern. Ebensowenig ist die Gegenwart Object des persönlichen Willens oder Gefühls, da das Gegenwärtige, sobald es wahrgenommen ist, schon der vergangenen Ordnung angehört. Mithin hat der auf die Persön- lichkeit bezogene Wille nur mit der Zukunft zu thun. Gleich- wohl glauben die Psychologen, dass es Gefühle geben könne, die bloss der Vergangenheit gelten, z. B. die Wehmuth, die man als süssschmerzliche Erinnerung an vergangenes Glück auffasst. Hierbei wird vergessen, dass erstens die Vorstellung von Glück nur angenehm sein kann und nichts Wehmüthiges an sich hat, und dass nur durch einen zweiten Beziehungspunkt , nämlich durch den Blick in die Zukunft, wo wir das Wiederauftreten der schönen Dinge leider versagt finden, die Hemmung unserer Thätigkeit ein schmerzliches Geftlhl mit sich flihrt. Also geht das Gefühl der Wehmuth nicht bloss auf die Vergangenheit. Ebenso- wenig bezieht sich z. B. die Dankbarkeit etwa bloss auf die Vergangenheit, sondern sie ist ein allgemeiner Wille, dem Wohl- thäter künftig Gutes zu erweisen. Auch die Reue kehrt der schmerzlichen Erinnerung nur den Bücken zu, wendet aber ihr Antlitz immer in die Zukunft, um sich ein andermal vor der- gleichen zu hüten. Ohne diese zweite Beziehung ist das Gefühl im Organismus des Seelenlebens unmöglich. Kurz alle Gefühle, welche an die Persönlichkeit anknüpfen, müssen ihrer Natur nach wegen der Goordination mit dem handelnden Vermögen nothwendig auf die Zukunft bezogen sein; denn auch die soge- nannte gegenwärtige Lust und Unlust muss sofort die Bewe- gungstendenz auslösen, die Fortdauer der lustverursachenden Objecte zu erhalten oder das Schmerzliche abzuwenden, wie ja Jeder weiss, dass Thier und Mensch sich sofort dem Lustbrin- genden entgegenstrecken, wie z. B. die Katze ihren gesträubten Rücken an die krauende Hand des Menschen andrängt

Mithin wird sich in allen Arten der Selbstsucht ^"^r^t!*"^ nothwendig ein Element von Hoffnung und Furcht finden, d. h. eine Beziehung auf die Zukunft durch die Goordination mit unserer handelnden Function.

Digitized by

Google

Ethik. 119

Hofinung und Furcht sind aber nur zwei Ausdrücke für einen und denselben Willen; denn man fürchtet nur die Ver- wirklichung dessen, was man nicht liebt, und hofft nur auf das, was man liebt. Der Unterschied beider Gefühle liegt also darin, dass der Gegenstand der Liebe unter verschiedenen Umständen vorgestellt wird, wobei aber zugleich, was die Psychologen nicht beachtet haben, nothwendig eine Mischung des Vertrauen- erweckenden und Misstrauenswerthen in beiden Gefühlen vor- handen sein muss. Denn die Zukunft ist allemal ungewiss und bietet ftlr jeden nicht völlig Gedankenlosen immer verschiedene Chancen. Die eine Chance begünstigt, die andere hindert die Verwirklichung des Gegenstandes unserer Liebe; wir hoffen aber, wenn das Günstige im üebergewichte ist, wir fürchten, wenn wir die feindlichen Ursachen vorherrschend finden. Hofinung und Furcht durchlaufen deshalb alle Grade der Mischung von dem Zustande des Gleichgewichts bis zur vollen Verzweifelung und zur vollen Zuversicht.

Die Frage ist nun, welches von beiden Gefühlen ^*® ^"'>* den Ursprung der Religion bildet, ob die Hoffnung, reugiöse oe- oder die Furcht? Je vollkommener die Religion ist, ^" desto mehr sehen wir die Furcht schwinden, da die Liebe und das Vertrauen zu dem als gut erkannten Gotte die Furcht aus- treibt Es wäre deshalb schon der mathematischen Analogie nach zu erwarten, dass auf der tiefsten Stufe der Religion sich auch die meiste Furcht vorfände. Allein solche Betrachtungen, bei denen wir schon ohne Beweis klug zu sein glauben, sind für Andersgesinnte nicht zwingend; wir müssen daher ohne blinde Voraussetzungen über Werth und Stufe der Religionen die Frage durch apriorische Deduction beantworten.

Zu diesem Zwecke muss untersucht werden, welches Motiv zuerst den Gedanken an einen Gott hervorgerufen hat? Nun ist die Lust und die Erwartung von lauter angenehmen Dingen nicht geeignet, überhaupt eine Thätigkeit hervorzurufen, es sei denn die, den Mund aufzumachen, um die gebratene Taube zu empfangen. Was Mensch und Thier zuerst in Bewegung setzt, ist umgekehrt der Schmerz und die Aussicht auf verderbenbrin- gende Ereignisse, weshalb die Lotophagen von Odysseus nur durch Prügel und Zwang weggeführt werden konnten. Denn wollte man einwenden, dass Hoffnung auf Vortheile und Genüsse

Digitized by VjOOQIC

120 Beligion der Furcht.

doch auch Thätigkeit hervorrufe, so ist zu bemerken, dass der Hoffende das, was er hofft, noch nicht besitzt, also im Zustande des Entbehrens ist und zugleich fürchten muss, ohne seine Anstrengung das Erwünschte nicht zu erreichen. Mithin ist die verneinende Seite der Grund der Bewegung und Thätigkeit.

So lange wir nun in dem ganzen Vorstellungskreise von Lust und Schmerz, Gütern und liebeln nur die jedesmal coordi- nirten Beziehungspunkte als Ursachen anerkennen, die uns flir Sinn und Anschauung gegeben werden und bekannt sind, so lange wird von Beligion keine Bede sein; denn wir fUhren ja bei jeder Lust und jedem Schmerz dieses oder jenes bekannte Ding, diese Frucht und Speise, dieses Thier, diesen Pfeil, diesen Menschen als Ursache von Leid und Lust an. Mithin ist die ganze Gegenwart, welche immer den Zusammenhang mit ein- zelnen Dingen der Sinnenwelt zur Vorstellung bringt, als Ursache der Beligion zu eliminiren. Ebenso die Vergangenheit, weil sie nur den in Erinnerung gebliebenen Bodensatz der Gegenwart enthält. Also bleibt allein die Zukunft übrig und ihr coordinirt das Gefühl der Furcht.

Die Furcht hat die Ehre, der religiösen Entwickelung der Menschheit das Thor zu öffnen; denn da sie den Menschen an allem, was ihm lieb und werth ist, packt und ihn dadurch in alle seine vorsorgende Thätigkeit hinüberleitet, so erregt sie zugleich für seine Phantasie und seine Beflection die Vorstellung eines unbestimmten Etwas, das als mögliche zukünftige Ursache von Schaden und Leid aufgefasst wird, dem auch die irüher erlittenen Schädigungen und Schmerzen zuzuschreiben wären. Die Furcht erzeugt die erste rohe Theologie; denn wir müssen hier mit einem Punkte beginnen, der die Gränzscheide von Thier und Menschheit ist. Wenn ein Hund sich vor einem Wolf, einem Menschen oder sonst einem Gegenstande fürchtet, so liegt darin nichts der Beligion Aehnliches; wenn aber etwa ein Pferd in der Abenddämmerung bald nach rechts, bald nach links angst- voll blickt und vor Schauder über unbestimmte, nicht wirkliche, sondern nur in seiner Einbildungskraft erzeugte Gefahren zittert und bebt, so ist eine gewisse äusserliche Aehnlichkeit mit der Beligion des Wilden nicht abzuweisen, der bei dem Anblick eines links fliegenden Vogels erschrickt, oder vor einem für un- heilvoll gehaltenen, ganz unschädlichen Buf erzittert, oder tau-

Digitized by VjOOQIC

Ethik. 121

senderlei andre Dinge des Aberglaubens fUr todtbringend hält und demgemäss in Gemüthsbewegung geräth. Der specifische Unterschied liegt jedoch darin, dass das Thier bei den Gemttths- bewegangen und den daraus folgenden blinden Beflexthätigkeiten stehen bleibt, der Mensch aber wegen seines dem Thiere fehlenden Ichbewasstseins im Stande ist, das unbestimmte Etwas weiter auszudenken, eine Theologie daraus zu machen, und gemäss diesen Vorstellungen eine Reihe von Handlungen zu yollziehen, die keine weitere praktische Bedeutung haben, sondern als religiöse Handlungen sich bloss auf die Vorstellung seines Ichs im Verhältniss zu jenem zuerst unbestimmten und später immer bestimmter ausgedachten Gotte beziehen.

Da die Ursprünge aller Begriffe von der grössten Wichtigkeit sind, um die Bahnen des Denkens in der zugehörigen den späteren complicirteren Formen wiederzuerkennen, coordiii»tionen. so möge es gestattet sein, noch einmal genau das gewonnene Ergebniss zu formuliren. Die Furcht der Thiere ist also niemals religiös, weil sie immer entweder bloss einen sinnenfälligen Gegenstand (z. B. die Peitsche oder den Wolf) fürchten, sofern sie bei diesem in ihrer Erinnerung gebliebenen Bilde einst Schmerz empfanden, oder, wenn kein vollständiges Erinnerungs- bild reproducirt wird, sondern blosse Theile oder Accidenzen eines solchen ihre Einbildungskraft erregen, doch immer mit einem gegenwärtigen bestimmten oder unbestimmten Etwas der Sinnenwelt zu thun haben und weder dieses Etwas theologisch ausbilden können, noch irgendwelche Handlungen, religiöse Cere- monien und dergl. in Bezug auf dieses Etwas vollbringen. Die Furcht des Menschen aber wird religiös, wenn sie von den be- stimmten sinnlichen Veranlassungen auf eine allgemeine un- bestimmte Ursache tibergeht und diese durch das Selbst- bewusstsein und Vernunftvermögen vermittelt werden kann. Der Vernunft gehört eben die Fähigkeit zu, die Seelenzustände, welche verflossen sind, in der Erinnerung zurückzurufen und vor dem betrachtenden Blicke festzuhalten. Dadurch können die Thätigkeiten und Affecte der Seele selbst zu Beziehungspunkten einer neuen Thätigkeit, des sogenannten Denkens werden. Durch das Denken entspringt dann sowohl die Verallgemeinerung, als die Verknüpfung der Beziehungspunkte nach dem Gesichts- punkte einer Ordnung, d. h. nach der sogenannten Causalität

Digitized by VjOOQIC

122 Religion der Fuixsht

Somit kann eine vermeinte Ursache von Schaden und Leid als anbestimmtes Object der Furcht allgemein festgehalten and näher bestimmt werden und zweitens lassen sich nun im Hinblick auf einen wirklich in der Seele vorhandenen theologischen Gedanken und in Beziehung auf unser Ich auch irgendwelche specifische, d. h. religiöse Handlungen ausüben, die, wie z. B. Gebet, Opfer und dergl., mit dem ursprünglich erlittenen Leid und Schaden und seiner sinnen&lligen Ursache nichts zu thun haben, sondern in dieser Rücksicht schlechterdings unnütz sind und sich bloss auf das in dem religiösen Gedanken befindliche Object beziehen.

Digitized by

Google

Zweites Capitel. Die zugehörige Dogmatlk.

Wie bei allen zusammengehörigen Dingen die |i. Binthei- Beziehungspunkte nicht ohne einander denkbar sind, uagendMOn. so konnten wir auch bei dem Motiv der Religion {Ji^ Mwlltebl! nicht von dem Gegenstande oder der Ursache der ▼«rmogea. Furcht absehen. Was wir aber fürchten, das sind zunächst immer sinnenfällige Dinge, welche uns entweder selbst früher Schmerz oder Schaden brachten, oder welche solchen Leid- ursachen ähnlich sind, z. B. einen bissigen Hund, von dem man schon eine Narbe hat, oder einen andern ihm ähnlichen. Nun fragt sich, wie wir von solchen Furchtursachen zum Gott kommen, und diese Frage ist ebenso grundlegend als anziehend.

Wir nennen die Thiere nicht religiös, obwohl sie sich fürchten. Kleine Kinder sind auch nicht religiös. Es wäre aber falsch, wenn man die Säuglinge irreligiös neimen wollte, wie Heinrich Heine witzig zu sein glaubte, weim er sagte: „unschul- diger Atheist in derWiege^^! Denn man könnte den Hund und den Ochsen ebensogut unschuldige Atheisten nennen, was aber ebenso falsch wäre, da sie weder eine religiöse Ueberzeugung haben, noch gegen eine solche in unreligiöser Weise sich auf- lehnen; der Säugling und das kleine Kind ist vielmehr in einem Zustande vor der Entwickelung des religiösen und theologischen Bewusstseins, kann aber, was die Thiere nicht können, zu einem solchen Bewusstsein fortschreiten.

Die Furcht ist nun allemal ein Zeugniss dafür, dass wir die Macht des geftlrchteten Gegenstandes l^^l^^^ anerkennen. Bei genauer Durchmusterung dieser punkte psychischen Vorgänge können wir aber zwei Arten *^'**' derselben unterscheiden. Bei einigen furchtbaren Dingen nämlich erkennen wir den ganzen Hergang, wie sie Schaden und Schmerz

Digitized by VjOOQIC

124 Religion der Furcht.

hervorbringen, weshalb wir die Grösse ihrer Macht hinreichend ermessen können und den Entschluss fassen, ihrer Machtäusserung Widerstand zu leisten, sie zu bekämpfen und auszutilgen; bei andern aber nehmen wir eine solche Grösse der Machtentfaltung wahr, dass an einen Widerstand gar nicht zu denken ist, wie z, B. bei dem Blitz, dem sturmbewegten Meere und dergl^ wes- halb wir ganz rathlos sind und uns waffenlos ihren Wirkungen ergeben. Obgleich das Eintheilungsprinzip hier nur das Mehr und Weniger der Macht ist^ so liegt doch ein festes Princip der Messung vor, da der Mensch mit seiner Macht zum Massstab dient und nach diesem Massstab alles Andre entweder sich unter- ordnet, oder es sich gleichstellt, oder es als eine tibergeordnete höhere Macht anerkennt. Das erstere wird ohne Furcht gering- geschätzt oder verachtet, das zweite kann wohl Furcht erregen, aber man kämpft dagegen, das dritte aber entwaffnet uns von vornherein und wir empfinden nicht bloss Furcht, sondern erkennen es zugleich als übermenschlich an.

zweiteoB nach Zu dicscr crstcu Einthcilung kommt eine zweite

puiSto d!lr*Er. ^^^^ einem anderen Eintheilungsgrunde, die aber

konnbarkeit. dcunoch mit der ersten zusammengehört. Die Welt ausser uns wird nämlich von dem Menschen ursprünglich nach der Analogie mit dem einzigen metaphysischen Wesen, welches wir unmittelbar kennen*), d. h. mit uns selbst, als aus geistigen und persönlichen Wesen bestehend aufgefasst^ die in den Natur- erscheinungen sich äussern. Nun mögen immerhin im Laufe der Zeit schon manche sogenannte Dinge als leblos und seelenlos betrachtet werden; gleichwohl blieb für die ursprüngliche Mensch- heit immer der grössere Theil der Natur als Verkörperung seelischer Naturen übrig. Unter dieser Voraussetzung können wir nun eine zweite Eintheilung der Gegenstände der Furcht machen. Zwischen Ursache und Wirkung liegt nämlich immer eine grössere oder kleinere Kette von Zwischengliedern. Man fallt z. B. auf einen Stein und verwundet sich am Knie; der Fall ist die Ursache, und die Wirkung liegt nahe dabei. Der Wilde aber stellt den Thieren mit Netzen nach, oder trifft sie mit dem weithin fliegenden Pfeile. Hier ist zwar Netz und Pfeil die nächste Ursache, aber nicht die letzte eigentliche, die man

*) Vergl. meine „Wirkl. und scheinbare Welt'* S. 129 ff.

Digitized by VjOOQIC

Dogmatik. 125

selber wohl erkennt; es liegen also eine Menge verborgener Kettenglieder zwischen der endlichen Wirkung und dem ursäch- lichen Plane des Jägers. Auch lernt der Mensch bald die lauernde Hinterlist des Nächsten kennen, der nicht unmittelbar angreift, sondern von weiter Hand durch Gifte, abgeschickte Mörder und dergleichen seinen Willen ausftlhrt. Mithin muss die Furcht in zwei Arten auseinander gehen. Die erste Art bezieht sich auf Dinge oder Personen, bei denen wir die Ursachen un- mittelbar in Wirkung zu sehen glauben und nichts weiter dahinter vermuthen; bei der zweiten Art der Furcht aber wird das gegen- wärtige Object für einen blossen Boten gehalten, der von einer unsichtbaren, gefahrlichen Macht geschickt ist. Weim z. B. plötzlich ein Gewitter losbricht, oder die Sonne sich verfinstert, oder ein Heuschreckenschwarm sich auf die Saaten wirft u. dergl., so weiss man die nächste Ursache dieser schlimmen Ereignisse nicht zu erkennen, setzt aber voraus, dass Jematid diese Uebel geschickt hat, indem man einen geheimen Urheber der sonst ganz unerklärlichen Ereignisse annimmt, ebenso wie man innere Krankheiten, plötzliche TodesßUle u. dergl. als Schickungen be- trachtet und auf eine entfernte und verborgene Macht zu- rttckftLhrt.

Beide Eintheilungen treffen nun das ganze Ge- enteB biet aller Dinge, die wir ftirchten, und mithin können Gotteibegriiik. gj^ combiuirt werdcu. Demgemäss erhalten wir erstens solche Schaden- und Schmerz-verursachende Dinge, die wir uns an Macht mehr oder weniger gleich stellen und deshalb allein, oder mit Htilfe Mehrerer bekämpfen können und wollen. Bei diesen Dingen liegen Ursache und Wirkung nahe bei einander. Zweitens aber ftirchtet der Mensch Dinge, die weit über seine Kräfte hinausgehende Wirkungen hervorbringen und also als übermenschliche Mächte betrachtet werden. Die Wirkungen werden dabei zugleich als geschickt von einer verborgenen, in unbekannter und unerreichbarer Region wohnhaften Ursache aufgefasst Die Ursache aber muss drittens nach der psycho- logischen Metaphysik projicirt und personificirt werden. Es ist ersichtlich, dass hierdurch die psychologische Geburt des Gottes vollbracht ist; denn die erste Theologie der Menschen kennt nur einen übermenschlichen, verborgenen und gefilhrlichen Geist als Gott.

Digitized by VjOOQIC

126 * Religion der Furcht.

Da wir auf den höheren Stufen der Religion

Gott ein böser ^ -,■, ^ r^ >ii-»t -itwi

Geist ohne aue Überall dcu Gott auch als Vertreter des Rechts und Moraiitit. ^QY Moralität antreffen, so ist die Frage natürlich, ob nicht die ursprüngliche Gottheit der Menschen schon irgend- welche moralische Eigenschaft besessen habe. Allein auch der schnellste Blick auf die Geburtsstätte dieses Gottes genügt, um uns schon hinreichend zu überzeugen, dass es nur Schmerz und Schaden gewesen sind, welche uns einen verborgenen, macht- vollen Beziehungsgrund dafür in das Unbekannte projiciren Hessen. Genauer betrachtet zeigt sich der Gott dementsprechend als böse, aber nicht als moralisch böse, weil von Moralität ursprüng- lich überhaupt nicht die Rede sein kann, sondern bloss als Ur- heber von Uebeln. Wenn es dem Menschen gut geht, so nunmt er alles gedankenlos hin, wie er es findet; wenn er sich aber in Gefahr und Unglück verwickelt sieht, so spürt er nach den Ursachen, um sich zu wehren, oder muss dafllr, wenn er keinen sinnenfälligen Urheber entdecken kann, eine geheimniss- volle ihm ungünstige Macht annehmen, welche ihm das Unheil schickt und ihn mit unsichtbaren Mittelgliedern umgarnt Die Religion der Furcht hat nothwendig einen bösen Gott.*)

Man ist immer für die Frage sehr interessirt

fS^BieZahi gewcscu, ob die ursprüngliche Religion sich als polytheistisch oder monotheistisch erweisen würde. Nach unserer Ableitung dieser Theologie ist die Frage nicht sehr wichtig; denn es liegt auf der Hand, dass die Göttererzeugung des Menschen sich zunächst nach den Verschiedenheiten der Wirkungen, also der Gefahren und Uebel richten werde, welche der Mensch zu fürchten hat. Es ist darum natürlich, dass er für die furchtbare Hitze und Dürre als X in seiner Gleichung einen anderen Gott ansetzen wird, als für den Hagel und Schnee und Frost Wie er, wenn er im Walde Stimmen hört, für diese akustischen Erscheinungen sofort durch Reproduction die ent-

*) Auch wo der gute Gott später daneben tritt, spielt doch in der Religion der böse nothwendig die Hauptrolle. So schreibt jüngst Freiherr von Bülow aus Ost- Afrika über seine Wahrnehmungen an seine Schwester (vergl. Berl. Tagebl. 1885): „Es giebt hier (in Mrokoro) einen guten und einen bösen Geist. Der gute ist und bleibt gut; um den braucht man sich gar nicht zu bekümmern. Der böse Geist dagegen muss durch Zauberer und Medicinen beschworen werden."

Digitized by VjOOQIC

Dogmatik. 127

sprechenden optischen Bilder als yermeinte Ursachen heranzieht, and die eine Stimme auf einen Löwen, die andere auf einen Schakal oder einen Geier zurtickftlhrt, so wird er fär die ver- schiedenen gefährlichen und unerklärlichen Naturerscheinungen auch verschiedene Götter in das Unbekannte hinein projiciren und darum Polytheist sein. Von einer bestimmten Zahl der Götter und einer bestimmten Ordnung derselben kann aber selbst- vertändlich keine Bede sein, da nichts im Wege steht, immerfort neue Götter zu schaffen und die Götter anderer Völker und ein- zelner Menschen, die man kennen lernt, auch anzunehmen und zu fürchten.

Da nun die ganze Theogonie von der Erfahrung von Leid und Schaden anhebt und von der Furcht inspirirt wird, so muss, wenn die Naturerscheinungen sich verändern und entweder mit ihrem Schrecken nachlassen oder umgekehrt Lust und Segen aus ihrem Füllhorn giessen, auch in dem projectivischen Gott eine Wandlung vorgehen, d. h. er muss entweder nicht mehr böse oder umgekehrt freundlich geworden sein. Da der Mensch von jeher social lebte, so hat er in sich oder in anderen, be- sonders in den herrischen und gefährlichen Menschen seiner Um- gebung immer die genügenden Vorbilder vor Augen gehabt, um seinen Gott darnach auszumalen. Statt aber dem Gotte ver- schiedene Stimmungen zu geben, könnte er ihm auch einen an- dern Gott im Kampfe entgegensetzen; denn Kampf und Krieg war doch das allergewöhnlichste Erlebniss der Urzeit. Wie z. B. ein mächtiger Mensch allein oder mit seinen Stammgenossen einen gefährlichen Ueberfall macht und Wunden, Tod und Zer- störung des Eigenthums hervorbringt, dann jedoch, wenn Hülfe kommt, etwa von einem noch stärkeren und zahlreicheren Geg- ner vertrieben und überwunden wird, so konnten in der Phantasie der religiösen Urahnen sehr wohl auch die Götter dualistisch auseinander treten und verschiedene Heerlager bilden. Und diese Theologie ist psychologisch die nächstliegende; denn jeder Wechsel der Erscheinung bedingt schon einen Dualismus, und alles Natür- liche lässt sich immer irgendwie in einen Gegensatz stellen, wie Himmel und Erde, Tag und Nacht, Frost und Hitze, Sturm und Buhe, Wachen und Schlafen, Leben und Sterben, Wasser und Feuer u. s. w. Da nun die Erzeugung der Götter nicht eine müssige Spielerei zur Classification der Naturerscheinungen ist,

u.quizeauy Google

128 Religion der Furcht.

sondern lediglich aus einer unwillkürlichen Nöthigung der Furcht hervorgeht, so lag es nahe, dass für den massgebenden und grundlegenden Gegensatz von Furcht und Hoffnung, Schaden und Yortheil, Schmerz und Lust auch eine dualistische Ursache ge- sucht wurde.

Bs wäre aber ungenügend, wollte man hier nur Eine Äuf- lösungsweise der durch die Thatsachen gegebenen Gleichung zu- lassen. Vielmehr ist das Gegebene so wenig bestimmt, dass die Phantasie sehr wohl yerschiedene Lösungen des Problems liefern kann. Darum mag auch inmier in Völkern, bei denen leicht Einer vor Allen gewaltig wurde und, soweit der Blick des Einzelnen reichte, überall despotisch, zu herrschen schien, die Ueberzeugung aufgekommen sein, dass ein Gott die Ober- gewalt über alle anderen Dämonen habe. Ein solcher Mon- archismus ist immer ein Zeichen grösserer socialer Entwicke- lung, indem die Götter, die ursprünglich jeder Mensch für sich und seine Familie, später auch gemeinsam für Gau und Stamm hat, sich im Kampf der Stämme durch hergestellte Friedensge- meinschaft zu einem monarchischen Despotismus ausgeglichen haben. Der Dualismus liegt dann entweder noch in dem Ge- gensatz des Nationalgottes gegen die Götter des auswärtigen Feindes oder in den Stimmungen und Launen des despotischen Götterherm selbst.

Jedenfalls sieht man, dass die Frage, ob die Urzeit und unterste Stufe menschlicher Religion polytheistisch war, zwar keine grosse Wichtigkeit hat, weil die Theologie dieser Religion der Furcht überhaupt zu keiner höheren Entwickelung gelangen konnte, aber dennoch entschieden bejaht werden muss, da ein streng genommener Dualismus und Monotheismus schon eine weiter fortschreitende Arbeit des Denkens fordern. Wir werden sehen, dass es noch besonderer Veranlassungen bedarf, damit die verschiedenen göttlichen Ursachen zu einem grossen Gegen- satz gruppirt und alle Götter schliesslich zur Einheit des Allge- meinen der Macht zusammengefasst werden können. §4.DieeoBsti- Wcuu wir uuu die Dogmatik dieser Theologie utiTeB 8«ue gtudircu wollen, so könnten wir zwar empirisch aus

der Dognatlk _ . . -r^ ,. . >•. . , ^

dieser Bell- dcu zugchöngcn Rchgionen die emzelnen Gottesvor- »*•■• Stellungen sammeln, wir thun aber besser, nach un- serer Methode die Dogmatik aus derselben Erkenntnisstheorie

uiymzeu uy x^jv^'v^'

ö'"

Dogmatik. 129

specnlatiy abzuleiten, nach welcher sie sich psychologisch bei den verschiedenen Völkern gebildet hat Denn da Niemand diese Baals und Qiva's, diese Schu's und Setis und all die obscuren Götter der Wilden gesehen hat, so ist klar, dass sie sich durch einen allgemein, also speculativ, nachweislichen Gedankenprocess gebildet haben. Da sie blosse Gedanken waren, so müssen sie durch's Denken jederzeit neu erzeugt werden können, wenn wir nur die Beziehungspunkte combiniren, deren Beziehungseinheit sie bildeten. Dadurch muss auch ihre ganze Qualification und also ihre Dogmatik sich ergeben.

Es giebt zwar einige Schriftsteller, die ihren Blick u,chtcUePh»n- besonders auf die Abbildungen der Götzen und die dich- taaie, sondern terischen Schilderungen der Götter in Mythen ^»d 'Jj^'^^*"!^^^ *^ Hymnen gerichtet haben und deshalb die ganze Theo- m»tik. logie und Dogmatik für ein Werk der Phantasie halten; allein bei solcher Annahme kommt der Verstand etwas zu kurz; denn in der Religion ist das Bild der Phantasie, welches sinnenfällig durch die Kunst dargestellt werden kann, von geringer Bedeu- tung; alles aber kommt darauf an, was der Gläubige bei solchen Bildern denkt und fflhlt Das Denken, z. B. dass der Gott über unsere Handlungen zürnt oder sich durch Opfer versöhnen lassen wird, kann nicht sinnenfällig dargestellt werden und ist deshalb keine Phantasie, sondern eine Beziehung, die wir so zu sagen zwischen die Phantasiebilder stellen, d. h. wodurch wir dieselben auf nicht-sinnliche Weise verknüpfen. Weil nun diese Gedanken und die zugehörigen Gefühle sich unmittelbar an die Phantasiebilder anschliessen, ohne selbst Bilder zu sein, so gerathen diejenigen Schriftsteller, die bloss ihre Sinne be- nutzen und auf den Verstand nicht viel Werth legen, zu der Täuschung, es drehe sich in der Beligion bloss um Phantasie- bilder. Sie haben eben nur die Schale vor Augen, den Saft und die Kraft in der Sache lassen sie ungebraucht. Alle Phantasie- bilder der Mythologie aber müssen gedeutet werden, und diese Deutung ist eine Enträthselung dessen, was die Gläubigen bei jenen Bildern dachten und fühlten. So ist das Denken nicht zu vermeiden und wenn dieses in der ältesten Religion auch noch so primitiv und fehlerhaft ist, so muss es sich doch durch eine richtige Methode aufdecken lassen.

Telctamüller, Beligionsptailoaopbie.

Digi^zedby Google

130 Religion der Furcht.

Wenn z. B. die Athener einen Stein oder ein Beil, durch welche ein Bürger umgekommen war, vor Gericht ziehen, das leblose Ding aburtheilen und es dann in gerichtlicher Procession bis an die Oränzen des Landes tragen, um es mit Flüchen weg- zuwerfen, so giebt uns die blosse Phantasievorstellung dieser Dinge und Personen keinen Aufschluss über die Religion. Erst wenn wir uns znm Bewusstsein bringen, dass sie den Stein und den getödteten Bürger unter der Kategorie von Schuld und Ver- brechen auf einander beziehen, also, wie man sich ausdrückt, „etwas dabei denken^^, was man nicht sehen und hören und in der Phantasie vorstellen kann, erst dann verstehen wir den religiösen Akt. Es ist dabei ganz einerlei, ob wir jetzt mit richtiger Welterkenntniss den Stein fQr leblos und unschuldig halten und uns darüber wundem, dass solche gerichtliche Pro- ceduren noch bei dem aufgeklärten Athenischen Volke nach der Zeit seiner grossen Tragiker, Bedner und Philosphen vorkamen; wichtig für unsere Frage ist nur, ob hier bloss Phantasie im Spiele war, oder ob vielmehr gewisse Beziehungen, die nicht sinnlich, sondern nur mit dem Verstände aufgefasst werden kön- nen, den Erklärungsgrund bilden. Nun werden durch die Erin- nerung bloss zwei sinnliche oder in der Phantasie gegebene Bilder, Stein und Leiche, vorgestellt; die Verknüpfting oder Be- ziehung derselben aber ist nicht sinnlich, sondern ein Gedanke, eine unrichtig angewendete Kategorie. Also kann ohne Denken» ohne Speculation die Religion nicht erklärt werden.

Wenn daher alle diejenigen näheren Ausmalungen und Er- zählungen, welche die einzelnen Völker über ihre Götter und deren Handlungen und Leiden liefern und durch welche sich die verschiedenen Formen der Furchtreligion als geographisch und national charakteristisch von einander absondern, der Phantasie angehören und mithin als accidentell betrachtet werden müssen weshalb die wissenschaftliche Untersuchung darüber Sache des Ethnologen, Philologen und Historikers, d. h. mit einem Worte Aufgabe der Empirie ist: so kann es unsere Sache hier nur sein, die allgemeinen und nothwendigen Folgesätze zu finden, welche sich speculativ ans der Erkenntnisstheorie dieser Religion und den fest gegebenen Beziehungspunkten des Motivs der Re- ligion einerseits und des zugehörigen Gottesbewusstseins anderer- seits ableiten lassen. Diese Sätze constituiren die Dogmatik

Dogmatik. 131

der Furchtreligion, sind aber ftlr die zugehörige Theologie nur consecutiv, da sie den Gottesbegriff in seiner allgemeinen Coor- dination zum Motiv schon voraussetzen.

Wie nun erstens der Gott selbst als Wesen aus der Furcht und den Furcht erregenden Ereignissen nchkeit Gotic«. sich mit psychologischer Logik bildete, so müssen diese Ereignisse, da sie (wie Gewitter, finstere Nacht, Seuchen, plötzliche Todesfillle, unerklärliche Krankheiten, Dürre, Stürme, schreckliche Kälte, giftige und reissende, in Menge oder unüber- windlich auftretende Thiere u. dergl.) immer einem natürlichen Wechsel unterworfen sind, auch den Gott als wandelbar er- scheinen lassen. Erstes logisches Dogma der Religion ist also: Gott ist zwar böse, aber veränderlich.

Da zweitens jede Veränderung immer ftir den

_. , -rr .1 .>! A. 1 * 1 . -•.▼ 1 2. Gemeinschaft

Emen einen Vortheil , für den Andern emen Nach- awi«chen oott theil bedeutet, so muss die Projection auf den Gott "°^ Mensch. zu dem Dogma flihren, dass Gott in Beziehung zu den Menschen stehe und sowohl zornig als gnädig, günstig und feindlich sein könne. Und weil die Religion ja eine Stimmung und Vor- stellung in den Menschen ist, die entsprechend ihrer Stimmung und Vorstellung zu bestimmten Handlungen in ihrer Angst und Freude getrieben werden, während inzwischen auch die bedroh- lichen Ereignisse sich irgendwie verändern, so liegt die Logik auf der Hand, dass die Handlungen der Menschen im Zusammenhang mit den göttlichen Gemüthsstimmungen und deren Veränderungen stehen, dass die Menschen also durch ihre Handlungen einen gewissen Einfluss auf Gott haben und mit ihm in einer gewissen geheimnissvollen Gemeinschaft stehen.

Da drittens der Gott nach dem Bilde des Men-

1 1 »• . i*i.Ai«i 3- SUmmxingen

sehen geschaffen ist, wobei die Analogie aber nur ootte« von den auf das geistige Wesen des Menschen führt Handlungen und nicht etwa auf menschliche Erscheinungsform, so abh&ngig. muss bei den Göttern, wie bei den gefilhrlichen Men- schen, ein bestimmter Wille angenommen werden. Obgleich nun dieser Wille von der Laune eines Despoten nicht verschie- den ist, so muss der gottesfürchtige Mensch ihn dennoch als Zorn oder Gnade aus den jedesmaligen schädlichen oder vor- theilhaften Naturereignissen zu erkennen glauben. Aber nicht diese aus Zeichen geschöpfte Erkenntniss der Stimmungen der

uiymzeu uy VwJv^\JVt Iv^

132 Beligion der Furcht,

Götter, sondern die Erforschung der Ursachen ihrer gütigen und zornigen Stimmungen ist von ganz besonderer Wichtigkeit, weil der Mensch sich selbst in die natürliche Causalreihe der Motivation der göttlichen Stimmungen einschieben muss. Denn da der Gott für ihn und von ihm erzeugt ist, so muss auch jede geglaubte Stimmungsveränderung des göttlichen Beziehungspunktes auf die eigenen Handlungen des Menschen und die glücklichen oder traurigen Ereignisse bezogen sein und demgemäss müssen göttliches Leben und menschliches als zwei variable Beziehungs- punkte mit einander in Coordination stehen. So bildet sich der Begriff Schuld (culpa) nicht im Sinne der Moralität, sondern im Sinne von Veranlassung oder Ursache von Uebeln, da der Mensch ja die abhängigen Variationen von X = Gott aus den ihm bekannten Variationen seiner selbst ableiten muss. In un- vermeidlicher Zugehörigkeit steht damit zugleich bei glücklicher Wendung der Dinge die Ueberzeugung, angenehm vor dem Auge des Herrn zu sein, seiner Gnade sich zu erfreuen, oder anders ausgedrückt, dass das Wohlgefallen des Herrn auf dem Menschen ruhe. Dass die Beligiösen in dieser Weise schliessen und sich demgemäss ihrer Schuld, ihres Verdienstes, ihres Gnaden- standes und ihrer Gottesfeindschaft und ihres Verfolgtseins be- wusst werden, ist eine unbestreitbare Thatsache. Die Logik des religiösen Paralogismus ist aber nicht so leicht durchsichtig und erfordert eine subtile Analyse, weil man mit vielen Beziehnngs- gruppen zu thun hat, die zwar mit einem Schlage zusammen- wirken, aber dennoch in die einzelnen wirksamen Fäden aufge- löst werden können. Als Ausgangspunkt nehmen wir die Er- eignisse in der Sinnenwelt. Setzen wir diese erstens in Corre- lation zu unserem Gefühl, so erscheinen sie als Glück oder Un- glück; in Correlation mit dem Erkenntniss vermögen zweitens er- zeugen wir für sie als Ursache einen Gott. Fassen wir nun diese beiden Correlationen combinatorisch zusammen und be- ziehen sie drittens auf unser Ich, so erhält der Gott in Beziehung auf uns eine Gesinnung, Zorn oder Gnade. Da viertens dieser Gott aber kein objectiv gegebenes Wesen, sondern nur unser Gottesbewusstsein ist, welches genau nach der Analogie mit dem Ich gebildet wird, so muss das Gottesbewusstsein in die Coordinationsform der drei Functionen unseres Geistes eingehen und folglich einzig und allein von unserem handelnden Vermögen

/Goog^v

Dogmatik. 133

abhängig werden, welches Realität schafft nnd demgemäss so- wohl die zugehörigen Gefühle als die zugehörigen Gedanken be- stimmt. Mithin ist auf dem Grunde des gegebenen Paralogismus die übrige Dogmatik ganz logisch vermittelt, indem die Stim- mungen Gottes nun nothwendig von den Handlungen des Men- schen hergeleitet werden und ihnen coordinirt sind.

Da aber die objectiven Ereignisse in der Sinnen- ^ j^^ ^^^ weit, welche auf Gott bezogen werden, unmöglich und d»a mter- einen stetig harmonischen Zusammenhang mit den enl^ckeUBteh subjectiven Zuständen des Einzelmenschen haben kön- mit dem Men- nen, so muss sich die Erklärung der Stimmungen ^^'^^' Gottes aus den Handlungen des Menschen nothwendig als unzu- länglich herausstellen. Mithin muss der Wille Gottes, obwohl die eben dargelegte Motivationsweise niemals verlassen werden kann, doch zugleich auch noch als uner forschlich oder als launenhaft oder als aus übermenschlichen anderen Einflüssen be- stimmt erscheinen. Jedenfalls aber wird er immer post eventum, d. h. durch die zu unserem Gefühl in Beziehung stehenden objec- tiven Ereignisse enthüllt.

Da nun das Gottesbewusstsein in die Coordination mit un- serem Gefühl und also mit unseren Lebensinteressen gestellt ist, so muss es nothwendiger Weise variabel und historisch wer- den, weil seine Goordinaten in Handlungen und den zugehörigen Gefühlen bestehen. Das Wohl und Wehe des Menschen ist aber nicht auf die Gränzen seines Leibes eingeschlossen, sondern steht in nächster Beziehung zu seinem Eigenthum, seiner Hütte, seinem Nahrungsgebiet, seinem Jagdglück in Wald und Meer u. 8. w. Da nun an dergleichen Glück oder Unglück seine Fa- milie theilnimmt, so muss der Gott Hausgott werden, demnächst Dorfgott und so weiterhin Nationalgott. Der Gott bildet sich also mit dem Menschen, und je umfassender dieser seinen Willen ausstreckt, desto bestimmter und objectiv gewisser wird im Allgemeinen der Wille 'des schützenden und zürnenden Gottes. Es kann daher nicht fehlen, dass diese Religion mit der socialen Entwickelung des Menschen nothwendig einen moralischen Bei- geschmack bekommen muss, von dem sie ursprünglich ganz frei war. Doch diese zweite Form der Religion lassen wir hier noch bei Seite und betrachten den Gott bloss als mit den egoistischen

uiyiiizeu uy V^jOOV IC

134 Religioxi der Furcht.

Interessen des Menschen und seiner Fandlie, seines Standes und Volkes verwachsen.

5. Der Mensch Sofcm nun Dorf gegen Dorf, Volk gegen Volk ein MitBtreiter kämpft, 80 wird der Gott nothwendig Kriegs- und Gotte«. Kampfgott, da wir ihm ja nach dem vierten Dogma unsere egoistischen Lebensinteressen attribuirt haben. Mithin sind wir die Mitstreiter Gottes, seine Knechte und haben ihm zu helfen bei seinem Werke. Feigheit in der Schlacht, Weglaufen u. dergl. ist Verrath an dem Gotte. Da das Volk aber andere Völker und also der Gott auch andere Götter sich gegenüber hat, so wird sich dies nothwendig zuweilen in den Naturerscheinungen, welche dem Gotte zugehören, zeigen. Es ist darum in der Ordnung, dass wir auch bei solchen Gelegen- heiten, die gewissermassen den Gott in seinem Privatinteresse betreffen und uns zunächst nichts angehen, zur Hülfe verpflichtet sind, um unseren Herrn und Helfer nicht schwächen zu lassen. Verfinstert daher der Mond die Sonne, so haben die Gottesstreiter mit Paucken und Trommeln und Geschrei den bösen dunkeln Dämon zu erschrecken und zu verscheuchen, um den segnenden Lichtgott zu befreien. Wenn jedoch 0. Pfleiderer in seiner genetisch-speculativen Religionsphilosophie U S. 27 im Anschluss an Schwartz „Ursprung der Mythologie" diese Unterstützung der Götter „allem Kultus von Anfang als Motiv zu Grunde" legt und „die allerältesten religiösen Gebräuche ftlr eine Nachahmung des Thuns der höheren Mächte" erklärt, so fehlt mir eine Er- klärung ftlr das religiöse Motiv; denn die blosse Nach- ahmung ist schon längst als dem Gebiete der Kunst angehörig erkannt Diese Annahme von Schwartz kann daher auch gar nicht bewiesen werden; denn die Anftthrung gewisser Gebräuche bei wilden Völkern verschlägt nichts, da auf diese Weise nicht das Ursprüngliche von dem allmählich Hinzugekommenen unter- schieden wird. Der Gegenbeweis aber liegt auf der Hand; denn jedes Kind macht den psychologischen Entwickelungsprocess der Menschheit durch, und nie wird man Kinder finden, die von sich aus durch Beobachtung oder Nachahmung der Himmels- erscheinungen eine Theologie ausbildeten. Vielmehr wurzelt ihr erstes religiöses Geffthl, ebenso wie bei allen rohen Völkern, in der Furcht, und Gespenster sind ihre ersten Götter. Nicht was den Göttern begegnet, ist der erste Gegenstand der Gedanken,

Digitized by VjOOQIC

Dogmaidk. 135

sondern was uns begegnet, unser Wohl und Wehe, und die Götter werden in unser Interesse verflochten, nicht wir in das ihrige; diese letzte Wendung ist vielmehr eine spätere secundäre Entwickelung, d^ die Interessen und das Wohl und Wehe der Götter erst von unserem perspectivischen Gesichtspunkt aus be- stimmt werden können.

Die Götter sind aber von jeher nie etwas an- ^'^ AnimitmuB deres als geistige Wesen, Personen wie wir gewesen. einMine^Fom* Ich habe diesen Satz schon in meiner Grundlegung <*«' Beiigioii. der Metaphysik bewiesen. Steine, Bäume, Winde, Thiere u. s. w. sind niemals Götter gewesen, sondern nur Erscheinungsformen hinter ihnen verborgener Personen; denn der Mensch kennt ur- sprünglich durch sein Selbstbewusstsein nur sich und personificirt alle Dinge nach Analogie mit sich. Niemals haben darum die Menschen Sterne verehrt, niemals die Sonne und den Mond, son- dern immer nur geistige, persönliche Wesen, deren Auge oder Erscheinung die Sonne war. Und dies ist so natürlich, dass selbst der grosse Philosoph Aristoteles, der über die Theologie des Volksglaubens nicht hinaus konnte, hinter der Sonne und den übrigen Sternen göttliche Geister mit fester Ueberzeugung annahm. Wenn ich nun dieses Dogma nicht als eine blosse Hypothese zur Erklärung aller Beligionsgebräuche hinstelle, son- dern es als einen logisch nothwendigen und völlig sicheren Schlusssatz aus psychologisch gewissen und unzweifelhaften Prä- missen ableite, so fragt sich, wie zu meiner Theorie der soge- nannte Animismus steht, der die Beligion aus dem Ahnencultus herausziehen will. Die Frage ist leicht beantwortet; denn die Väter sterben uns ja niemals mit ihrem Tode. Ob aber Menschen überhaupt im Leben oder Tode ausser uns und unabhängig von uns ein selbständiges Leben ftlr sich ftlhren, das ist jedem an- dern Menschen von Natur gleichgültig und höchstens ein Gegen- stand seiner Neugierde, wie z. B. ob es Menschen auf dem Monde giebt; für uns kommt immer nur in Betracht, was für uns ist. Die Väter aber waren etwas ftlr uns. Wir sahen sie, wir hörten sie, wir hatten Hülfe und Freude, Schrecken und Schmerz von ihnen. Für uns waren sie da, so lange sie lebten. Nach ihrem Tode sitzen sie noch ebenso fest in unserem Be- wusstsein wie vorher; denn ihre Bilder, ihre Stimmen, die Erin- nerung an ihre Thaten und an ihr Wesen, all dieses, was sie

Digitized by VjOOQIC

136 Religion der Furcht.

für uns waren, das kann ja nicht mit der äusseren Erscheinung ihres Leibes verschwinden. Mithin müssen sie für uns noth- wendig weiter existiren, auch wenn wir sie nicht mehr in ge- wohnter Weise sehen und hören. So werden sie zu Gespenstern, zu Laren und Larven. Es kann darum gar keinem Zweifel unterliegen, dass die Penaten zur ursprünglichen Religion ge- hörten, dass sie in vielen Visionen erschienen, und dass man namentlich nach dem Tode von schlimmen und gestrengen Herren vieles Unerklärliche und Schlimme auf die Einwirkung des Haus- gespenstes zurückführte. Allein dieser Animismus bildet nur eine einzelne Form, eine besondere Veranlassungsweise der ur- sprünglichen Religion, die, wie ich gezeigt habe, einen allgemei- neren Ursprung hat Wir können deshalb den Animismus gelten lassen^ geben ihm aber nur eine Provinz in dem grossen Reiche der Religion der Furcht

Unsere speculative Ableitung der Religion wird •tiMMbarkeit s^bcr uicht ftLr das sicher erkannte Motiv der Religion dM theoioffi- nim einen ebenso fest bestimmten theologischen Gegen- ' stand ausmalen wollen, als müsse der zugehörige Gott schlechterdings bei allen Völkern die gleiche Phantasie auslösen. Diese Thorheit folgt nicht aus unseren Prämissen. Vielmehr liegt umgekehrt die Unbestimmbarkeit und Zufälligkeit der theolo- gischen Vorstellung in der Consequenz unserer Gedanken; denn alles und jedes, was Furcht erregt und zugleich das Mass unseres Verstandes und unserer Kräfte über- schreitet, muss in die theolologische Sphäre rücken, d. h. als etwas Dämonisches und Göttliches betrachtet werden.

Bchiangencnit ^^ ^' ^* ^r^ählte mir hier in Dorpat ein Arme- nnd Tbienmit nicr, dass in seiner Heimath noch jetzt auf dem Lande überhaupt, gehlaugcncultus herrsche. An jedem Morgen und Abend bringt unter Murmeln und Singen von Zauberformeln der Landmann dem Schlangenkönig ein Opfer in einer Schale Milch dar, und der König kommt, schlürft sie aus und beschützt dafür das Haus. Dies ist mir völlig verständlich; denn die giftigen Schlangen sind dort, wie ich von dem Armenier hörte, wegen ihrer grossen Menge häufig eine Veranlassung des Todes von Menschen und Vieh, also eine beständig das Leben umringende Gefahr, die durch keine menschliche Kraft besiegt, durch keinen

Digitized by VjOOQIC

Dogmatik. 137

Verstand ihrem Ursprung nach erklärt werden kann. Wenn wir aber dem Schlangenkönig, d. h. einer einzelnen Schlange, opfern, 80 bewahrt sie Hans and nächste Umgebung yor dem Zugang der übrigen, wie ein Hahn und Hund keinen andern auf dem Hofe duldet Sie beweist sich also als König und Herr, sie yerschafit ruhigen Schlaf, Freiheit von Angst und Sorge beim Anbruche der Nacht; sie ist ein gegenwärtiger Gott, unverletzlich, unbegreiflich mächtig und doch nur eine Schlange. Dies Bei- spiel mag uns verdeutlichen, wie auch ein einzelnes Individuum aus dem Thierreich in den Bang der Gottheit rücken kann und wie der bei den südlichen Völkern fast allgemeine Schlangen- cultus wenigstens nach einer Seite hin zu deuten ist Die andre Seite aber, um derentwillen Thiergattungen, wie Tiger, Krokodil und andre zu göttlicher Ehre gelangten, liegt wohl erstens darin, dass sie böse und gefährlich genug waren, um ein Gott zu werden, und zweitens darin, dass sie ihrem Ursprung und ihrer Zahl nach so verborgen sind und sich untereinander so sehr ähneln, dass in jedem einzelnen keine Individualität, sondern nur die ganze Gattung vorgestellt wird, weshalb die Tödtung eines Individuums ganz unnütz erscheint, da immer dasselbe Princip mit demselben Charakter wieder vorhanden ist und die Gefahr und Angst also kein Ende nimmt

Interessant ist, dasa der Gott darum an seiner göttlichen Natur Einbusse erleidet, wenn er intelligenter, gutmüthiger und bekannter ist; denn er nähert sich dadurch dem Mittelschlage der Menschen, und mithin muss die Theologie eine sonderbare Mischung zeigen und der zugehörige Gultus humoristisch werden. Man sieht dies bei dem Bären-Gult in Sibirien, wo man dem zottigen Gk)tte zwar als einem immerhin gefährlichen Teufel mit obligatem Bespecte begegnet, dennoch aber mit ihm, da er kein reiner Fleischfresser, also weniger böse ist und von stärkeren Männern auch besiegt und gebunden werden kann, allerlei possir- liehen Gottesdienst treibt

Nicht ganz nach demselben Gesichtspunkte darf man die humoristischen Seiten in dem christlichen Gottesdienste erklären; denn wenn man, wie ich dies z. B. in den Weihnachtstagen in Malaga sah, der Jungfrau ein lebendiges Lamm, welches heimlich zum Blöken gereizt wird, auf die Bühne bringt und die zart und sittig dasitzende Andalusierin dann mit Höflichkeit „muchisima

uiyiiizeu uy V^jOOV IC

138 Religion der Furcht.

gracia Senor^' („besten Dank^ mein Herr^O sagt, so amüsirt sich zwar Jung und Alt und das religiöse Schauspiel wird mit eben- soviel Grandezza als Heiterkeit durchgeführt; gleichwohl wäre dieser Humor nur einseitig yerstanden, wenn man bloss die mangelnde Gefährlichkeit des Gottes und die Abwesenheit des Butzemanns, vor dem man sich ängstigt, hier in Bechnung ziehen wollte. Es liegt vielmehr in dem christlichen Humor noch ein viel tieferer Sinn verborgen, den wir aber erst bei der Philo- sophie des Christenthums zu erforschen haben.

Wie die Thiere, so können auch die Menschen Henschencait. ^^ Dämoncn wcrdcu, wenn sie recht scheusslich und boshaft sind und durch irgend einen Zufall flir die geheimniss- volle und übernatürliche (magische) Ursache von Schaden und Leid gehalten werden. Wenn wir die Beisebeschreibungen, namentlich die aus den letzten zwanzig Jahren, über die Wilden im inneren Afrika lesen, so müsste man glauben, es gäbe nichts Dümmeres in der Welt als den Menschen, solche wahnwitzige Vorstellungen und Gebräuche sind dort an der Tagesordnung, die alle Augenblick einem Unglücklichen das Leben kosten. Gleichwohl ist die dort herrschende Theologie für den Philo- sophen völlig verständlich, da die Furcht das Motiv abgiebt und die Gottesvorstellungen ohne alle wissenschaftliche Einsicht durch das unwillkürliche Spiel niechanischer^Ideenassociation gebildet werden. Es ist darum in der Ordnung, dass es Hexen und Zauberer giebt und dass diese theils Opfer empfangen und ehr- erbietig behandelt werden, wenn man sich vor ihnen fürchtet, theils todtgeschlagen und verbrannt werden, wenn man dies un- gestraft thun zu können vermeint Wie viele Götter werden nicht geprügelt I Ich sah selbst in Spanien, dass der Gekreuzigte an seinem Kreuze von seinen gläubigen Verehrern mit faulen Orangen geworfen wurde, weil er keinen Begen gegeben hatta Wenn das im Kreise der höchsten und vollkommensten Beligion vorkommt, was soll man von den Wilden erwarten!

Es ist wohl natürlich, dass auch die Könige zu Göttern wurden, nicht etwa bloss nach ihrem Tode, sondern schon zu Lebzeiten, und zwar oft um so mehr, je scheusslicher und grau- samer sie ihre unermessliche Macht ausübten. Die Macht scheint zwar natürlich zu sein und durch Soldaten ausgeübt zu werden, das Königskind kommt aber durch Schicksalsfügung ohne Ver-

Digitized by VjOOQIC

Dogmatik. 139

dienst zur Gebart und in den Besitz dieser unübersehbar ver- ketteten und gleichsam magischen MachtfllUe. Ein Gott, sagten die Inder, kann mit dem Blitz einen Menschen tödten, ein König aber tödtet ein ganzes Dorf und verheert ein ganzes Land, er ist mächtiger als die Götter, er ist selbst ein gegenwärtiger Gott

Im zweiten Bande meiner ,,Neuen Studien zur Geschichte der Begriffe" habe ich namentlich die «^^^•»•^ ägyptische Religion ihrem Ursprünge nach genauer untersucht Es zeigte sich dabei mit völliger Evidenz, von wie massgebender Bedeutung die astronomischen Vorstellungen auf die Dogmatik und die Formen des Cultus gewesen sind. Dass die Sonne vor allen andern Sternen sowohl als Ursache von Licht und Wärme und damit von Fruchtbarkeit des Bodens, Nahrungsfblle und Lebensannehmlichkeit, wie auch im Winter, wenn sie in den süd- lichen Zeichen des Thierkreises steht, durch ihre Abwesenheit als Veranlassung von Kälte und Dunkel und Feuchtigkeit u. s. w. die grösste Bolle im Leben des Naturmenschen spielen muss, liegt auf der Hand. Der von der Dunkelheit und den unerkenn- baren Gefahren der Nacht geängstigte Wilde sehnt sich nach dem Lichtauge des Himmels und begrüsst den Horus-£a oder Helios als segnenden Gott, der freilich auch im August durch seine versengenden Strahlen wieder als böses Princip, als Seti oder Schu betrachtet werden muss. Dass aber auch der Mond für vieles Unglückliche und Glückliche dem armen Menschen An- zeichen bringt, nach denen ängstlich gespähet wird, ist z. B. noch aus des Aratos gelehrtem Werke über die Wetterzeichen v. 772 817 deutlich zu erkennen.

Bedenkt man noch, dass die Sonne auf ihrem Wege durch den Thierkreis, jenachdem sie in diesem oder jenem Hause des Himmels steht, eine glückliche oder unglückliche Lage des vom Klima abhängigen Menschen herbeiführt und dass ihre Stellung nothwendig jedesmal das Verschwinden oder Auftreten gewisser anderer Sterne coordinirt mit sich bringt, so erklärt sich leicht, wie auch den sonst so unschuldigen Fixsternen eine enge Be- ziehung zu menschlichem Glück oder Unglück zuwachsen musste. In analoger Weise konnten auch gewisse periodische für Wohl und Wehe des Menschen entscheidende Ereignisse, wie z. B. das regelmässige Austreten des Nils in Aegypten, durch das Wieder- erscheinen gewisser Sterne, wie hier z. B. des Sirius, der lange

uiyiiized by VjOOQIC

140 Beligion der Furcht

in den Strahlen der Sonne verborgen bleibt, verkündigt werden, so dass nach psychologischer Logik dadurch ein innerer Zu- sammenhang zwischen diesem Fixstern and jenem localen Er- eigniss mit seinen Folgen für die Menschenwelt zu constatiren war. Dass man deshalb überall in der Furchtreligion Gott niB Kind j^^^jj Sounencult und Sterndienst überhaupt vorfindet,

und LeiohnAm.

ist ganz selbstverständlich; dass man aber auf dieser ersten Stufe religiösen Denkens auch der Vorstellung vom Gott- kinde und der Verehrung des Oottleichnams begegnet, das bedarf einer Untersuchung. Zu einer exacten Beweisführung wird man es dabei schwerlich bringen, doch verlangt dies die richtige Me- thode hier auch nicht, da die Dogmatik der hierher gehörigen Beligionen durch blosse Ideenassociation gebildet wurde. Mithin kommt es nur darauf an, solche natürliche Vorstellungsver- knttpfungen anzuzeigen. Nun ist aber principiell schon fest- gestellt, dass die Gottesidee immer nach dem Bilde des Menschen geschaffen wurde; also sind auch die Sterne Himmelsherren männlichen und weiblichen Geschlechtes. Da nun dem Menschen Geburt und Tod zukommt, so entspricht es der Analogie, auch den himmlischen Herrschaften Aehnliches anzudichten. Es dreht sich daher vor Allem um das Mittelglied der Lebensdauer. Allein diese war ja leicht durch Analogie zu bestimmen, da die Sonne von ihrem Aufgange bis zu ihrem Untergange täglich und vom Frühling bis Winter jährlich eine gewisse Lebensdauer hat. So ist es denn auch verständlich, dass man den täglichen Auf- gang und den Frühlingsanfang der Sonne als ihre Geburt und den täglichen Untergang und den Winteranfang als ihren Tod betrachtete und beide Ereignisse mit diesen Bildern in vielen Liedern besang. Mithin ist die Sonne in beiderlei Anfängen der Analogie entsprechend ein Kind und in der Nacht wie im Winter ein Leichnam. Da aber beides zu dem eigentlichen Leben und Wesen des Gottes hinzugehört und sich auch periodisch wieder- holt, so muss Kind und Leichnam des Gottes schliesslich eben so wichtig für die Vorstellung werden, wie die ursprüngliche Hauptidee. Daher kommt es, dass bei Aegyptem, Griechen und wohl den meisten hierher gehörenden Völkern auch Geburts- und Todesfeste der Götter gefeiert werden und dass man ftir den Cultus auch eine bestimmte tägliche und jährliche Periode ein- führte. Obgleich nun die allein wahre und vollkommene christ-

Digitized by VjOOQIC

Dogmatik 141

liehe Religion mit ihrer seligen Botschaft himmelhoch über diese rohen AniUnge religiösen Lebens hinansragt, so scheint sie sich doch mit ihrem Kirchenjahr an diese heidnischen Galtformen angeschlossen und auch das Gott-Kind (il bambino, Dios nino), wie z. B. bei Homs^ und den Gottleichnam, wie z. B. bei Osiris und Adonisy angenommen zu haben. Wollte man dies nach der Aristotelischen Kegel: ,Les extremes se touchent^ erklären, so hätte man ganz ohne Verstand geurtheilt, erstens weil das Christen- thum kein Extrem ist und zweitens weil auch bei den ver- schiedenen Religionen nicht ein Mehr und Minder, d. h. kein blosses Quantitätsyerhältniss artbildend werden kann. Vielmehr liegt der Grund erstens in der Geschichte, sofern das sich ausbreitende und Völkern und Zeiten anpassende Christen- thum wirklich fremde Elemente aufnahm, die nicht zu seinem constitutiven Wesen gehören und zum Theil geradezu wider sein eigen Wesen streiten, zum Theil aber durch Allegorie assimilirt und in symbolische Darstellungsformen umgesetzt werden können. Der zweite Grund ist aber merkwürdiger und eigenthümlicher; da nämlich die älteste Religion von projectivischer Personification ausging, indem der wirkliche Sinn und Ursprung des Wesens- und Substanz-Begriffs bei dem ersten Denken der Menschheit naiv und ungeschult angewandt wurde, so gelangte im Ghristen- thum nach der Niederlage der falschen materialistischen und idealistischen Metaphysik das wahre und reife Denken zum Durchbruch, und es wurde daher die Weltauffassung historisch, und der Gott erschien wirklich als Mensch, was für die neue Metaphysik ebenso unentbehrlich, wie es fQr die alte wider- spruchsvoll ist. Aus diesem Grunde erklären sich nun viele Analogien zwischen allen den ältesten Mythologien und der ein- zigen rein geschichtlichen Religion des Ghristenthums, soweit nicht blosse Aufsaugung und Assimilation stattfand. Es ist hier aber nicht der Ort, dies näher auseinander zu setzen. Ich kehre deshalb zur Betrachtung der Furchtreligion zurück; denn es kam uns nur darauf an zu verstehen, wie mit psychologischer Nothwendigkeit die Analogie mit dem Menschenleben auch für die Dogmatik dei' Naturgötter solche Freudenfeste der als Kind zu Weihnachten wiedergeborenen Sonne und solche leidenschaft- liche Trauerfeierlichkeiten bei dem Tode der Götter und Göttinnen und ähnliche jährliche auf Emdte von Korn und Früchten und Wein bezügliche Feste mit sich bringen musste. ^ ^^^ GoOqIc

142 Religion der Furcht.

Da diese ganze Religion, von der wir handeln,

JDIg Symbole«

auf die Gefühle von Furcht und Hoffnung aufgebaut ist, so kann als theologisches Object eigentlich nur die lebendige mächtige Persönlichkeit gelten, welche als Ursache aller uns treffenden Wohl- und Wehethaten angenommen wird. Da diese Ursache aber nicht durch einen wissenschaftlichen Schluss mit naturwissenschaftlicher Methode, wie es erforderlich wäre, rein- lich erbaut, sondern durch blinde und uncontroUirte Ideenassocia- tion und Phantasie ausgestattet wird, so mtlssen viele zufällige Umstände, die an sich gar nicht zu den Bedingungen des uns treffenden Gltlcks oder üngltlcks gehören, nothwendig zu einer mit Angst geftlhlten Bedeutung anwachsen und nach den psycho- logischen Gesetzen der Erinnerung mit der Vorstellung von Glück und Unglttck und deshalb auch mit der theologischen Annahme verschmelzen. Es ist daher ganz in der Ordnung, dass sich allerlei Symbole der Gottheit bilden werden, indem entweder die Erscheinungsform des Gottes, wie der Sonnendiskus, oder das Phantasiebild, womit wir es vergleichen, wie das Auge, oder irgend eine zufällige Form, die uns ängstigt, wegen der Erin- nerung mit dem Gott selbst so eng verknüpft wird, dass wir keinen Unterschied mehr machen. Es ist überhaupt nicht die Sache der Religion, auf deutliche Unterscheidungen und klare Begriffe auszugehen, da sie nicht Wissenschaft zu ihrem Ziele hat, sondern dieselbe nur zur Bezeichnung der persönlichen Ge- sinnung benutzt. Mithin schiebt sich leicht die blinde Ideen- association an die Stelle der Erkenntniss, und so wird Götzen- dienst und Bilderverehrung eine ihr immer nahe liegende Gefahr, und es ist darum z. B. ganz erklärlich, dass noch jetzt der Leichnam des heiligen Antonius in Padua Wunder thut und dass der Stein in Mekka göttliche Kräfte hat, denn wie der Magnet einen Nagel trägt, der wieder durch Mittheilung der ge- wonnenen Kraft andere und wieder andere Eisentheile anzieht, so wird auch die religiöse Stimmung durch Ideenassociation weit über ihr eigentliches Object fortgeftlhrt. Wie die Thiere mit einer gewissen Angst oder Freude Kleidungsstücke ihrer Herren, den Hut oder das Halstuch des Jägers beschnuppem und dann mit dem Schwänze wedeln, wie die Spatzen den Strohmann fürchten und wie der Verliebte den Handschuh der Geliebten ktisst, so wird dem Religiösen alles zum Fetisch, was durch Ideen-

Digitized by VjOOQIC

Dogmatik. 143

association mit dem Gegenstande seines Glaubens sieh verknüpfen lässt, und es ist daher natürlich, dass die Menschen sich mit Apotropäen, Talismanen, Beliquien, Götzenbildern und allerlei dahin gehörigen Schutzmitteln umgeben und behängen. Statt des Blitzableiters der wissenschaftlichen Menschen dient hier ein Gmcifix oder ein Bild der Jungfrau Maria, statt Guano zu streuen, richten sie zu unserm Erstaunen den Priapus in den Feldern auf und statt die wirthschaftlichen Bedingungen des Beichthums zu pflegen, bewahren sie angstyoU den Heckerling im Beutel

Zusammenfassend können wir also sagen, dass das theolo- gische Object in der Beligion der Furcht unmöglich deutlich be- stimmt werden kann. Es wird aber immer nach der Analogie mit dem persönlichen Geist des Gläubigen aufgefasst, und wenn der Gott auch, wie z. B. bei den Griechen, als Mensch, oder wie bei den Egyptem oft als Thier, oder wie bei den In- dem oft gemischt aus Thier und Mensch erscheint, so sind diese Gestalten doch immer nur Erscheinungsformen; denn auch hinter dem Fetisch muss stets das eigentlich Wirksame als ein seiner Natur nach unbestimmbarer, unsichtbarer aber mächtiger Geist nach Analogie mit dem unsrigen gedacht werden.

Digitized by

Google

Drittes Capitel. Der zngehörige Cnltns.

Mit dem Namen Cnltiis fassen wir alle Handinngen nnd Be- wegungen, alles psychische und physische Thun in einem Worte zusammen, um damit die specifische Beaction zu bezeichnen, welche das religiöse GeftLhl (Ethik) nnd die religiöse Erkennt- niss (Dogmatik) in der dritten Function des menschlichen Geistes auslöst

§ 1. Deduction der Princlpien des religiösen Handelns.

Um nun diese religiösen Handlungen zu verstehen, müssen wir die zugehörigen Beweggründe ableiten. Wenn wir dem Menschen die Lage geben, dass er Schmerz und Schaden bloss hinzunehmen hätte, ohne dabei an eine Ursache zu denken, so könnte er zwar convulsiyische Bewegungen und allerlei unver- nünftige Beactionen in Folge des in ihm erregten Affekts zur Aeusserung bringen, aber keine von Vorstellungen ' geleiteten Handlungen vollziehen. Ebenso würde es sich verhalten, wenn er zwar eine Ursache, also einen Bösen, voraussetzte, sich jedoch vollständig unfähig ftlhlte, die Ursache abzuändern und die Stimmung des Bösen zu wenden. Diese Lähmung zur That würde natürlich noch vollständiger sein, wenn der leidende und von Gefahr bedrohte Mensch die Ursache für leblos hielte und sie auf allgemeine Naturereignisse zurückführte, die mit ihm und seinem Schicksale in keinem Zusammenhang ständen, so dass das Uebel nicht einmal für ihn selbst bestimmt wäre.

Nehmen wir nun das Gegentheil dieser Voraussetzungen an, so erhalten wir die Principien der religiösen Handlungen; denn jede Handlung setzt erstens eine Willensbestimmung, d. h. ein

Digitized by VjOOQIC

Der zugehörige Gultus. 145

Gefühl von Leid und Lust, voraus und zweitens eine Vorstellung, worin die Mittel, dem Leid zu steuern oder die Lust hervor- zubringen, vor das Bewusstsein treten. Da nun das Gefühl der Furcht und HofiEhung uns als das ethische Motiv der Religion schon gegeben ist, so bleibt bloss die Vorstellung zu be- stimmen. Für diese ist aber die erste Bedingung, dass wir unser Leiden auf eine Ursache zurückführen, die uns Leid zu- fügen will. Diese Voraussetzung ist aber die natürlichste; denn wie das Kind und jeder unverständige Mensch, wenn er sich ver- letzt oder irgendwie Schaden leidet, immer anderen Dingen oder Menschen die Schuld beimisst und gegen sie leicht in Groll, Hass und thätlichen Zorn tibergeht, wie schon vorbildlich der Hund den Stock beisst, den man ihm entgegen hält, so ist es überhaupt psychologisch nothwendig, dass vor der wissenschaft- lichen Erkenntniss der Ursachen immer nach mechanischer Vor- stellungsverknüpfung das erfahrene Leid mit seinen näheren Um- ständen in Beziehung gesetzt und nach der natürlichen Analogie mit unserer eigenen Handlungsweise auf eine bewusste Ab- sicht uns zu verletzen, zurückgeführt wird.

Die zweite Bedingung, damit Handlung entstehe, liegt in der Vorstellung von gewissen Mitteln, wodurch wir unserem Leide abhelfen können. So tödten wir die Mücke, die uns sticht, weil wir sie erstens als Ursache des Schmerzes erkennen und zweitens uns auch vorstellen, dass ein Druck oder Schlag mit der Hand geeignet sei, diese Ursache zu vernichten.

Wenn dieses nun allgemeine Principien des Handelns sind, so doch noch nicht die des religiösen Handelns; denn die theo- logische Vorstellung muss uns ja eine Ursache zeigen, die an Macht über unsere Kräfte und unsere Erkenntniss hinausgeht, derart, dass wir sie nicht wie unseres Gleichen betrachten und uns mit ihr nicht in einen Ringkampf einlassen könnten. Soll nun dennoch die Möglichkeit einer Handlung von unserer Seite vorgestellt werden, so muss sich die übermenschliche Ursache in einer anderen Weise als veränderlich und umstimmbar denken lassen. Hierfür haben wir wieder die Analogie in uns, da wir uns sehr wohl dessen bewusst sind, was in unserem Gemüthe vorgeht, wenn wir einem weit unter uns Stehenden, z. B. einem Kinde, einem Knechte, einem Bettler und dergL, gegenüber treten. Mithin müssen die Principien des religiösen Handelns, d. h. des

Telobmüller, BeUglontplillosopbie. 10 C^OOqIc

146 Religion der Furcht.

Cultus, nothwendig von demjenigen Verhältniss der Menschen entlehnt werden, welches am Typischsten in dem Verhältniss des Knechtes dem Herrn gegenüber und der Unterthanen und der Höf- linge dem Despoten und Tyrannen gegenüber offenbar wird.

§ 2. Eintheilung der Arten des religiösea Handelns.

Die Handlungen des Höflings und des Religiösen zielen auf Zweierlei, erstens den Zorn des gestrengen oder bösen Herrn zu besänftigen und zweitens ihn zur Gewährung gewisser Güter, über die er verfügt, geneigt zu machen. Das erste Ziel wird uns durch die Furcht, das zweite durch die Hoflfeung an die Hand gegeben.

Das erste Ziel suchen die Menschen bei Despoten

dM zomii des ^D^ Göttcm dadurch zu erreichen, dass sie entweder

GotteR. die Eitelkeit oder das Interesse des Herrn in*8

Spiel bringen; denn beide Gefühle vertragen sich nicht mit

dem Zorn.

Die Eitelkeit wird dadurch erregt, dass die aus- regung Beiner bündigstcu Schmeicheleien vorgetragen werden; also Eitelkeit, durch Preisen (Hymnen) aller Vortrefflichkeiten des Herrn, durch Hervorhebung seiner alles übertreffenden Macht, durch Erzählen seiner grossen Thaten, durch Anführung aller Titel seiner Herrschaft, seiner Tempel, seines Keichthums. Dieser auf den Herrn bezogenen Lobpreisung ist dann zugeordnet die Heruntersetzung des eigenen Werthes (7cpo(;x6v7]at(;). Der Höf- ling und der Gläubige bezeichnet sich als Gebundenen,' als Knecht und Sclaven, als einen Schatten und ein Nichts dem Herrn gegenüber; er wirft sich wie ein Gefangener auf die Kniee; er beugt, wie ein ganz Unwürdiger, der den Herrn nicht ansehen darf, ohne zu sterben, das Haupt; er wirft sich in den Staub und berührt mit der Stirne die Erde, um seine gänzliche Be- siegtheit und Nichtigkeit, seine völlige Niedergeschlagenheit und Demuth zu bezeugen u. s. w. Es ist natürlich, dass man einem Menschen gegenüber, der unsre Macht so bedingungslos anerkennt und seine eigene Widerstandslosigkeit so augenfällig bekennt, keinen Zorn mehr hegen kann. Der Höfling mag, wenn er schlau ist, diese Mittel als List anwenden, ursprünglich aber ist mit dieser Handlungsweise nur das wirkliche Verhältniss und die

u.quizeauy Google

Der zugehörige Coltus. 147

durch Schicksalsschläge in Wahrheit hervorgebrachte Stimmung des Leidenden und Besiegten ausgedrückt, dem die Furcht ganz von selbst dieses nützliche und erfolgreiche Benehmen an die Hand giebt Dasselbe Benehmen dem Gotte gegenüber hat für den Gläubigen noch den weiteren Vortheil, dass in ihm selbst dadurch die Furcht allmählich verschwindet, weil er nach der Analogie eigener Erfahrungen die Annehmlichkeit seiner Lob- preisungen und Selbstdemüthigungen nothwendig fbhien muss und daher eine Beschwichtigung des Zorns des Herrn hoffen kann.

Das zweite Mittel, den Zorn des Gottes zu be- sänftigen, besteht in der Erregung des Interesses, Erregung seine« d. h. es müssen dem Herrn Vortheile zugewendet i»*«'«««»- werden, an denen er sich freut, weshalb er dann von seiner Un- gnade zurückkommt Denn da der Gläubige sich den Gott nur nach seiner eigenen Gemtlthsart vorstellen kann, so muss er überzeugt sein, dass der Gott auch an gewissen Geschenken oder Opfern seine Freude habe. Daher werden im Allgemeinen als Opfer dergleichen Dinge dargebracht, die für die Gläubigen selbst von Werth sind, als Hühner, Tauben, Schafe, Binder, oder auch Früchte und Sclaven, auch die eigenen Kinder und dergl. Diese Dinge werden in der Regel verbrannt oder in den Fluss geworfen, jenachdem man sich den Wohnort des Gottes denkt, damit er an dieselben kommen könne. Wenn sie von den Gläu- bigen mit verzehrt werden, so liegt offenbar die Vorstellung zu Grunde, dass der Gott versöhnt sei und wie bei Versöhnung der menschliehen Feinde zu einer gemeinschaftlichen Friedensmahl- zeit komme. Alle diese Opfer sind nicht nur bei dem Cultus der Wilden bekannt, wo oft Hunderte von Sclaven für den Gott geschlachtet werden, sondern es ist auch aus den Sagen der Hebräer von Abraham und Isaak ersichtlich, dass die Opferung der Kinder auch bei diesem Volke die älteste und später von ihrem sittlichen Bewusstsein verworfene Versöhnungsweise des Gottes war. Bei den Phöniciem aber dauerte die Opferung der Kinder noch in der römischen Zeit fort.

Im Allgemeinen ist anzunehmen, dass das Interesse, auf welches der Gläubige rechnet, wenn er sein Opfer darbringt, nicht die Habsucht des Gottes ist, sondern die Ess- oder Fress- lust Aus dem ägjrptischen Todtenbuch kennen wir den ftlr uns nicht sehr anmuthenden Ehrentitel des Gottes „Fresser von

10* CooctIp

uiymzeu uy V^JV^V^pt IV^

148 Religion der Furcht.

Millionen^', aber aach der althebräische Gott, der nicht Todten- gott ist, mass doch ,,den lieblichen Gerach vom Brandopfer des Noah erst riechen", ehe er sich entschliesst, von seiner Ver- flnchung der Erde und Ton seinem Zorne abzulassen. So sind auch die griechischen Götter sehr ftlr ihre Mahlzeiten interessirt und der Mensch ist ihnen wichtig, weil er durch seine Opfer ihnen dergleichen Geruchs- und Geschmacksgenüsse verschafft. In Greta und bei einigen andern Culten tritt zwar auch die Ge- schlechtslust des Gottes auf, und die Götter stellen den schönen Jungfrauen und Knaben vielfältig nach; doch darf man solche Ge- schichten, die wie z. B. bei Jo und Zeus und wie bei der Jung- frau Maria auch in höhere und in die höchste und wahre Religion Eingang gefunden haben, nicht so einfach und roh abfertigen, sondern muss mit höheren Motiven und complicirteren Vorstel- lungen rechnen, auf die wir weiter unten zurückkommen; die Lust an dem Essen ist aber flir den Wilden am Natürlichsten. Für den Himmelsgott ist aus diesem Grunde die Verbrennung der Opfer angezeigt; für den Wassergott die Ersäufung, wie z. B. im Ganges.

Wenn der Gott nun durch Loben und Schmeicheln

'ävsere^Hoff-' *^ sciucr Eitelkeit gefasst und durch Opfer in seiner

iioB«eii er- Gcfrässigkeit befriedigt ist, so kann, nach Beseitigung

reich«.!. der Furcht, fllr den Gläubigen die Hoffnung an die

Reihe konunen.

Um die Gegenstände seiner Wünsche und Be- ^*® Gebete, gj^^^^jj y^^ j^^j Qotte ZU erhalten, wendet der Gläubige zwei Mittel an, die überall bei Menschen im Gebrauch stehen. Das erste sind die Bitten. Die Selbstbeobachtung und die psychologische Analyse zeigen nämlich, dass der Mensch, wenn er satt, zufrieden und ohne Zorn ist, einem Bittenden gegen- über in eine unangenehme Stimmung kommt, wenn er die Bitte nicht erfUUt, während umgekehrt die Gewährung ein angenehmes Gefahl mit sich führt Darum ist es natürlich, dass der Gläu- bige, wenn er den Zorn des Gottes beseitigt und ihn durch Fett- dämpfe und andere Genüsse im eine behagliche Stimmung gebracht hat, seine Bitten vorzutragen den Muth findet Dies ist so bekannt und so allgemein im Gebrauch, dass ich gleich zu dem etwas verständlicheren zweiten Mittel über- gehen kann.

Digitized by VjOOQIC

Der zugehörige Gultus. 149

Da der Gläubige in der Religion der Furcht mit einer göttlichen Persönlichkeit zu thun hat, die ohne*''^**^^*''***- alle Moralität ist, ebenso wie der Gläubige selbst noch zu keinem sittlichen und gerechten Leben fortgeschritten sein kann, so ist es natürlich, dass der Mensch auch dem Gott gegenüber gewisse Kniffe anzuwenden geneigt ist Nicht bloss, dass er versuchen wird, ihn bei den Opfern zu betrügen, wie dies so ausserordent- lich anschaulich in der Prometheussage überliefert ist, wie es die unzähligen Contracte mit dem Teufel zeigen, bei denen dieser geprellt werden soll, und wie es sich noch bei den Natural- lieferungen der Bauern an die Kirche findet, wo sicherlich nie- mals das Beste geliefert wird; sondern es versteht sich auch, dass jedes Thier, jeder Mensch und also auch jeder Gott seine schwache Seite hat, an der man ihn packen kann. Ein Ele- phant soll sich vor der Maus fürchten, ein Löwe vor dem Hahn*, viele Thiere fürchten gewisse Gerüche, gewisse Töne, gewisse Bewegungen. Da nun die Aufinerksamkeit im natürlichen Zu- stande der Menschen und Thiere niemals allumfassend ist, son- dern immer nur die auffallenden Züge eines Objectes berück- sichtigt, so müssen sich von selbst auch für den Verkehr der Personen und überhaupt der belebten Wesen untereinander Ab- kürzungen bilden, indem nach ungefährer Aehnlichkeit mit gewissen Merkmalen des Objects Töne nachgeahmt oder Ge- berden vorgezeigt werden, die für das unbefangene Bewnsstsein sofort das ganze zugehörige Object in die Erinnerung rufen und die zugehörigen AflFekte hervorbringen. So ruft* der Jäger durch seinen Lockton den Auerhahn herbei, der nach dem blossen un- gefähren Ton schon das Weibchen erwartet und wegen seines Affekts erlegt wird. Ebenso können namentlich die südlichen Völker durch Stellung der Finger, indem sie in der rohesten Weise gewisse Theile des Körpers nachbilden, ein Weib, einen Mann und ganze Handlungen darstellen. Es ist auch bekannt, dass Menschen, indem sie ihr Gesicht fratzenhaft verstellen, Kinder, Weiber und viele Männer bis zum Tode erschrecken können. Es zeigt sich daher, dass der Mensch durch gewisse Zeichen (Symbole) eine nicht unbeträchtliche Kraft über andere Menschen, über Thiere und also nach der Analogie auch über die Götter hat. Diese Mittel oder Kniffe heissen nun Zauber, und sie unterscheiden sich von den natürlichen Ursachen (caussae

150 Eeligion der Furcfat

efficientes) dadurch, dass man die Wirkungsweise des Mittels nicht einsehen kann. So muss man ^^Sesam, Sesam, öffne Dich^' rufen, damit der Berg gehorcht und sich öffnet. Wer das Wort des Zauberers vergessen hat, bringt die verzauberten Besen nicht wieder zum Stehen. Jeder Gott liebt bei einem bestimmten Namen gerufen zu werden, und es ist gefährlich, ihn anders zu nennen. Ein Dämon kann in ein Baumloch, eine Flasche und dergleichen gebannt werden, wenn man nur drei Kreuze auf den Pfropf kritzelt. Auf bestimmte Worte oder Formeln oder bei gewissen Zeichen muss ein Gott erscheinen, beim Beiben einer Lampe uns dienstwillig werden, beim Drehen eines Binges uns unsichtbar machen und so noch tausenderlei.

Aus all diesem ergiebt sich, dass der Mensch in seinem Ver- halten zu Gott auf die schwache Seite desselben immer ein Augenmerk gerichtet hat, um das mächtige und übermenschliche Wesen auf irgend eine Weise sich unterthänig und willig zu machen. Man nennt diese ganze Gattung von Handlungsweisen Theurgie, und sie findet sich deshalb in allen Beligionen der Furcht und als grösseres oder geringeres Element auch in den höheren Beligionen, sofern theils Budimente der alten Beligion darin vorkommen, theils Bückfälle in dieselbe geschehen, was bei der Plebs unter den Gläubigen überall eintreten wird. Je- nachdem nun der Gott als bloss in einer bestimmten Beziehung mächtig, oder in vielen oder in allen Gebieten der Natur und des Menschenlebens gebietend vorgestellt wird, kann begreiflicher Weise auch die theurgische Praxis verschiedene Formen an- nehmen. So wird der Gott Glaukos im Netz gefangen und muss dann weissagen und Schätze zeigen, ähnlich wie der goldene Fisch im Volksmärchen, durch welches die alte Beligion noch abgespiegelt wird. Auch im alten Testament ist das Bingen Jacobs mit dem Herrn noch ein Echo aus dieser Urzeit, und das: „ich lasse Dich nicht, Du segnest nuch denn'', muss auf erhofften Beichthum gedeutet werden, obgleich man ja diese ein- fachen und rohen Verkehrsformen des Menschen mit Gott für eine höhere Stufe des religiösen Bewusstseins auch sehr geist- reich allegorisch umdeuten und befriedigend benutzen kann. So lange Moses die Hände erhebt, siegen die Kinder Israel; wenn er sie sinken lässt, die Feinde. Er lässt sich deshalb, um Gott theurgisch zu leiten, von Anderen unterstützen, weil seine Muskel-

Digitized by VjOOQIC

Der sugehörige Cultus. 151

kraft nicht ausreicht, die zur Bewältigung des Gottes erforder- liche Manipulation mit den Armen allein auszuführen. Auch im neuen Testament ist von der Plebs unter den Gläubigen die Stelle: ,,was Ihr bitten werdet in meinem Namen'^ u. s. w. so missverstanden, als wenn die Anwendimg des Namens Jesus eine Zaubermacht wäre, ebenso wie später auch die schöne Sitte der Bekreuzigung vielfach zu einem Zaubermittel herabsank, wo- durch man sich oder andere werthvolle Dinge vor bösem Ein- fluss schützen wollte. In unserem Jahrhundert, und zwar in dem letzten Jahrzehnt, ist die Theurgie besonders in einer zeitge- mässen Art des Gebets wieder lebendig geworden. Die sogenannte Heilsarmee nämlich ordnet bestimmte Stunden an bestimmten Tagen an, in welchen womöglich in allen Welttheilen zu gleicher Zeit von möglichst Vielen ein und dasselbe Gebet an Gott ge- richtet wird, um ihn wie einen weltlichen Fürsten durch ein Monstremeeting zu erschüttern und zur Gewährung willig zu machen. Diese allzu schlauen Gläubigen merken nicht, dass sie einen Kniff des rohesten Aberglaubens, der in das tiefste Heiden- thum gehört, gegen ihren allwissenden Gott in Anwendung bringen.

§ 3. Das Priesterthum.

Die Religion hat jeder zunächst für sich, weil er seine Furcht für sich hat. Es ist daher die Religion und die Theologie zu- nächst keine Sache, die man wie ein Phänomen am Himmel oder auf der Erde astronomisch oder physikalisch allgemeinverständ- lich jedermann zeigen und erklären kann, sondern sie ist ihrer Natur nach subjectiv wie die Gegenstände, die man im Traume selber zwar deutlich sieht, ohne dass man sie jedoch einem anderen zur Anschauung bringen könnte. Obgleich aber jeder seine eigenen Träume hat, so ist das Träumen selbst doch allen geroeinsam, und so stellt sieh auch bei der Religion heraus, dass trotz aller subjectiven Verschiedenheiten der Veranlassung und des Inhalts das Geftlhl der Furcht und die Beziehung auf eine übernatürliche Ursache doch allgemein ist. Daher ist es mög- lich, dass die Religion (wie oben S. 133 erwähnt) zunächst auf die ganze Familie übergeht und Hausreligion wird, dann aber auch einen mehr socialen Charakter gewinnt und auf ein ganzes Volk ausgedehnt werden kann. Eine bestimmte einzelne Form

u.quizeauy Google

152 Religion der Furcht.

der Religion der Farcht könnte aber niemals Weltreligion wer- den, weil sich überall schon Local- und Nationalreligionen finden müssen, die sich nur von einer höheren, nicht aber von einer gleich niedrig stehenden Beligion überwinden lassen.

Da es nun bei der Beligion der Furcht ganz besonders darauf ankommt, den bösen und gefährlichen Geist zu versöhnen oder zu bannen oder ihn geneigt zu machen, so gehört dazu erstens, um sich die Natur und die Stimmung und Wirkungs- weise des Gottes vorzustellen, eine mehr oder weniger beweg- liche Phantasie und Denkkraft und zweitens, um die theurgische Praxis auszuüben, ein mehr oder weniger verschlagener Geist Sobald es sich aber um Unterschiede der Begabung han- delt, so werden sofort einige Menschen bemerkbar werden, welche die zugehörigen Eigenschaften in höherem Grade, als die übri- gen, besitzen, und darum finden sich auch überall anerkannt die Begenmacher, Zauberer und Priester vor.

Die auswärtige ^^ ^^ Verstehen, was das Priesterthum in der Angeiegenbeit Meuschheit bedeuten will, muss man sich einmal vor- inderReugion.g^^jj^j^ die Beligiou wärc bloss, wie heute die be- schränkten Köpfe, die Bationalisten und Positivisten annehmen, ein moralisches Verhältniss in uns zwischen unserer Sinnlichkeit und unserer Vernunft Dann könnte natürlich ein Priester dabei keine andere Bolle spielen, als wie der Arzt; denn wie dieser unsere körperlichen Störungen beseitigt und die Functionen zur Gesundheit znrückflihrt, so würde der Priester die Furcht und die Leidenschaften uns ausreden müssen, um wieder ein rahiges und vernünftiges Gleichgewicht der Seele herzustellen. Das Thun des Priesters wäre dann also nur auf den Menschen gerichtet als auf seinen Patienten. Damit wäre aber nur die eine Seite der Beligion verständlich gemacht, während die ganze Geschichte der Beligionen uns noch auf eine andere Seite hinweist; denn wie der Beligiöse als solcher nicht bloss mit sich zu thun hat, sondern mit Gott, so sollte auch der Priester vor allen Dingen auf den Gott wirken und diesen befriedigen und versöhnen oder zum Dienste willig machen, um dementsprechend dann erst das Gemüth des Menschen zu beruhigen. Es giebt keine Beligion, die sich bloss auf Moralität zurückführen liesse; in allen, auch im Christenthum, ist die auswärtige Angelegenheit, das Verhält-

Digitized by VjOOQIC

Der zugehörige Cultus. 153

nisB zu Gott die Hauptsache. Wer dies nicht versteht, kann auch die Function des Priesters nicht begreifen.

In der Religion der Furcht tritt natürlich die j^.^ Reugion Aufgabe des Priesters auch deutlich hervor, allein bezieht «ich auf wegen der niedrigen Stufe dieser Religion nur in ^^^^Xt^^t einer fratzenhaften Erscheinung. Denn da man nur auf Aiige- mit Furcht und Hoffnung hinblickt auf die Gttter "''*°** und Uebel des Lebens, auf seine Heerden, ihre Vermehrung, ihre Milch, auf das Wetter und den Blitz, auf Krankheiten, gefähr- liche Thiere, auf die Feinde u. s. w., so wird ein Gott unbe- stimmt als Ursache aller gtlnstigen oder ungünstigen Umstände in diesem grossen Gebiete des menschlichen Interesses voraus- gesetzt. Dieser Gott aber kann, weil jene Umstände nur acci- dentell mit dem Weltlauf zusammenhängen, in seinem Wesen nicht bestimmt werden; denn das Einzelne, z. B. dass jetzt Dieser oder Jener krank wird oder stirbt, lässt sich nicht auf ein allgemeines Gesetz des Charakters Gottes zurückführen. Nur das Allgemeine geht auf ein Allgemeines zurück, und mithin löst die Naturwissenschaft, welche die allgemeinen Gesetze findet, nur die Frage, wie es im Allgemeinen oder durchschnittlich in der sinnlichen Welt zugeht. Die Religion hat aber mit dem Einzelnen zu thun, warum dieser oder Jener jetzt von einer Seuche befallen wird und sterben muss und nicht ein Anderer. Dies kann deshalb auch nur auf etwas Einzelnes und Acciden- telles in der Ursache zurückgeführt werden; es hat einen historischen und keinen allgemein wissenschaftlichen Grund, da das Einzelne wegen der unübersehbaren Gomplication von der Wissenschaft nicht berücksichtigt werden kann, sondern nur als eine zufällige Anwendung der allgemeinen Ordnung erscheint. Denn wenn man auch weiss, dass der Blitz tödten kann, so folgt daraus doch nicht die Einsicht, dass und warum jetzt gerade dieser Mensch, der mein Sohn, mein Vater, oder mein Freund oder Feind ist, getroffen und getödtet wird. Für die reifgewor- dene Philosophie liegt die Erklärung in einer alles Individuelle verwerthenden Weltökonomie, die ich das technische System der Welt nenne ; in dem früheren Idealismus Hegers und Platon's und in dem Materialismus aber musste man, wegen der unwissen- schaftlichen Auffassung der Materie und des Geschehens, daftlr den Zufall der Verkettung der Dinge in Anspruch nehmen; die

u.quizeauy Google

154 Beligion der Furclit.

primitive Religion der Furcht aber kann die Ursache nur in der Laune, d. h. in der unberechenbaren Willensbestimmung eines Gottes suchen.

Hierdurch lassen sich die ^beiden Aufgaben des

des Priestern: Pricsters bestimmen, die wir jetzt festzustellen haben.

die Erkennt- Von ciucr Thcologic in wissenschaftlichem Sinne kann in der Religion der Furcht nicht die Rede sein, son- dern es dreht sich alles um die Erforschung der zeitweiligen Launen und zufälligen Absichten des Gottes. Da das Einzelne aber immer durch das Allgemeine erkannt wird, so konnten nur diejenigen zu Priestern werden, welche die grösste Erfahr ungs- erkenntniss besassen und aus der Beobachtung der Sterne und Wolken, aus dem Vogelflug und dem Verhalten der Thiere zu einer Voraussagung der nächsten Zukunft in Bezug auf das Wetter befähigt waren, d. h, die angehenden Meteorologen und Astrologen-, nur diese konnten weissagen und wurden Wetter- macher. Ebenso konnten nur durch Erfahrungen im Gebiete der Heilkräfte der Pflanzen und der Gifte die sogenannten Me- dicinmänner hervorgehen. Da diese Erfahrungserkenntniss aber ohne Einsicht in den Zusammenhang, der ja noch nicht wissenschaftlich festgestellt war, nothwendig allerlei Accidentelles^ d. h. zufällige Umstände bei der Beobachtung der Thatsachen mit aufnehmen musste, so war es ganz in der Ordnung, dass die Priester dieser Religion eine so grosse und mannigfaltige Summe von Albernheiten und Hokus-Pokus in ihre Erkenntniss sowohl, als in die Mittheilung derselben einmischten. Denn weder war ihre Erkenntniss ihnen selbst rein und gewiss, noch durften sie hoffen, ohne solche geheimnissvolle und unverständ- liche Einhüllung mit ihren geringen und unsicheren Beobachtung gen grossen Eindruck bei den Gläubigen zu machen.

Die Erklärung der abergläubischen Gebräuche in dieser Re- ligion kann speculativ nicht auf die Einzelheiten ausgedehnt werden; diese entziehen sich sogar auch fast überall der empiri- schen Erklärung, da ihre Entstehung in die ersten Anfänge menschlicher Cultur zurückgeht, wo weder Bewusstsein des Thuns, noch bestimmte Absicht vorausgesetzt werden darf. Gleich- wohl kann und muss das Princip für b1\^ diese Dinge einer spe- culativen Ableitung fähig sein. Und zwar liegt das Princip in zwei Coordinationssystemen, welche die Aufgabe des Priesters

uiyiiized by VjOOQIC

Der zugehörige Coltus. 155

bestimmen und von denen das Eine die Entstehung der Er- kenntniss in dem Priester, das zweite die Mittfaeilung an die Gläubigen betrifft.

Die Frage nach der Entstehung der religiösen Erkenntniss führt uns den besser begabten Gläubigen vor, der die für die Menschen wichtigen Lebensereignisse, bei denen sich Furcht und Hoffnung stärker regen, klug beobachtet und in Erinnerung be- hält Er konnte als wissenschaftlich Ungebildeter den Zusam- menhang Ton Ursache und Wirkung, von Naturgesetz und An- wendung nicht erkennen; er beobachtete aber das zeitliche Nach- einander der Vorgänge. Darum musste er das blosse Vorher mit der Ursache verwechseln und konnte die nebensächlichen Umstände nicht eliminiren. Flog deshalb gerade ein Adler auf, als kurz nachher eine Kriegsthat glücklich ablief, so war es natürlich, dass an diesen nebensächlichen Umstand des Anblicks eines in der Segel siegreichen und starken Raubvogels nun später das Gelingen eines Unternehmens geknüpft wurde. Denn da nicht bloss objectiv die Thatsachen in die Augen traten, sondern mit ihnen sofort wegen des Motivs der Furcht die Vorstellungen von Göttern sich verflochten, deren Absichten, Launen, Zorn, Hass und Neid in die zui&lligen Nebenerscheinungen durch die Phantasie verwoben wurden, so musste bei der Erinnerung nun die subjective Zuthat einerseits und das Wesentliche und Neben- sächliche des Geschehens andererseits in einem unentwirrbaren Durcheinander sich dem Bewusstsein darbieten, wie dies heut- zutage noch ebenso die psychologische Analyse bei Kindern und Ungebildeten überall und immer nachweisen kann, weshalb diese Erklärung wissenschaftliche Gewissheit besitzt.

Das zweite Goordinationssystem betrifft den zweiie Aufgabe Priester und den Gläubigen. Der Gläubige ist von ^^ Prieete«: Furcht erfüllt über die Ereignisse seines Lebens oder ». verkehr mit die Schicksale seines Stammes und hat mithin das ^®™ ^°"- Bedürfhiss, von seiner Furcht befreit oder erlöst zu werden. Da er aber den Grund seines Unglücks in den erzürnten Göt- tern sieht, so verlangt er eine Beschwichtigung und Versöhnung der Götter. Zweitens steht der Gläubige vorwärtsblickend vor der Zukunft, in welcher er dies oder das, was flir ihn von der grössten Wichtigkeit ist, zu thun oder zu leiden hat. Er ver- langt von dem kundigen Priester eine Berathung und Weis-

Digitized by VjOOQIC

156 Religion der Furcht.

sagung, damit er möglichst ohne Besorgniss oder mit froher und stärkender Hofihung an's Werk gehen könne. Da aber das Zu- künftige von dem Einflasse der geheimen und viel mächtigeren Gespenster und Götter abhängt, so verlangt er vom Priester, dass dieser durch seine Künste die Götter banne oder geneigt und hülfreich mache. Mithin ist die Einwirkung des Priesters auf den Gläubigen inmier an einen Umweg gebunden, da es sich in beiden Fällen immer zunächst um eine auswärtige Angelegen- heit, um einen Verkehr mit dem Gotte dreht, welcher pacificirt, befragt und herbeigerufen werden muss. Weil dieser Gott aber nicht bestimmt erkannt werden kann, sondern nur, wie gezeigt, durch eine ungeordnete Ideenassociation mit allerhand zufalligen Erscheinungen verwoben ist, so folgt, dass der Gläubige von dem Priester nur richtig behandelt wird, wenn er durch allerhand ge- heime und abenteuerliche Gebräuche, die er nicht begreift, aber auf einen Verkehr desselben mit der gegenwärtigen Gottheit be- zieht, zuerst selbst in Schrecken versetzt wird, um dann später die Entscheidung des Priesters, die er ftlr das Resultat des Kampfes, der Beschwörung oder Bestechung des Gottes ansieht, willig anzunehmen. Wenn unseren modernen Reisenden die immer grässlichen Verunstaltungen des Gesichtes der Priester der Wilden und ihre abenteuerliche Kleidung, sowie ihre grotes- ken Tänze und wilden Bewegungen lächerlich erscheinen, so haben sie den wahren Zusammenhang nicht verstanden und sich nicht recht in das Gemüth der wilden Gläubigen hineinversetzt; denn fllr diese ist es durchaus nothwendig, einen Vorgang an- zusehen, der sich auf einen unsichtbar gegenwärtigen Partner bezieht und deshalb einerseits ihnen immer unverständlich sein muss, andererseits ihnen Furcht oder Vertrauen erweckt, da sie aus den Bewegungen des Priesters und dem endlichen Ausgang seines Ritus inunerfort auf die jeweilige Stellung, das Vorwärts- dringen oder Zurückweichen des bösen Geistes schliessen müssen. Ohne die heftigsten Zuckungen, Seh weiss und Zittern, Stöhnen und Ringen konnte selbst bei den klugen Griechen die Sibylle keine OflFenbarung von dem Gotte erlangen, der von ihr Besitz nahm. Die Rudimente dieser Vorstellung vom Priester sind noch in imseren civilisirten Religionen darin zu erkennen, dass der Priester in der Regel ein von der herrschenden Tracht des Volkes völlig abweichendes Costüm anziehen und verschiedene symbo-

u.quizeauy Google

Der Zugehörige Cultus. 157

lische Bewegungen ausführen muss, in denen, wie oft auch in dem Gebrauch einer fremden Sprache (lateinisch oder hebräisch) eine geheimnissvoUe Bedeutung geachtet und ein auswärtiger £influss geglaubt wird.

Kommen die Menschen aber selbst durch weitere Cultur- entwickelung in eine ruhigere und friedlichere Stimmung, so brauchen sie nicht mehr in einen Ringkampf mit dem herbeige- rufenen Gotte sich einzulassen, und er verlangt von ihnen auch keine wilden Metzeleien der Gefangenen mehr und ver- schmäht die Verbrennung ihrer Kinder und anderes Grässliche. Durch ruhige Darbringung ihrer Geschenke, die sie als Tribut dem anerkannten Herrscher zahlen müssen, und durch Beobach- tung der geheimen Zeichen, woran der Priester das Wohlgefallen oder Missfallen des Herrn über die Gabe erkennt, wird der Gott versöhnt und befragt, indem dem Priester nur die Herbeirufung des Gottes und seine Beschwörung durch feierliche Hymnen oder geheime Worte zukommt, wie auch die Deutung des Erfolges und die Prognose der Zukunft. Da ihm vor Allem die Ueber- mittelung des Opfers an den Gott zukommt, so hat er auch über die den Andern nicht erkennbare Stimmung und Gesinnung des Gottes zu orakeln.

Wir sahen, dass in erster Linie der Priester nicht mit den Gläubigen, sondern mit dem Gotte zu thun sehe ßThMä- hat. In zweiter Linie aber steht dieser Verkehr mit '"°8 ^^^ ^'"- den unsichtbaren Geistern doch immer auch in Coor- dination mit den Gemüthem und Vorstellungen der Gläubigen. Es fragt sich darum, was die Gläubigen durch die Kunst der Priester gewinnen sollen. Dies ist leicht einzutheilen; denn es dreht sich nothwendig um eine Beschwörung ihrer Affekte und um eine Erkenntniss der Zukunft zur Leitung ihrer Handlungen.

Was zunächst die Beruhigung der Affekte betrifft,

,,.T^, , . 1 T^. ,. ^ ,.«• DieBemhi-

80 habe ich darüber m dem Bishengen schon die gang. nöthigen Beziehungspunkte hervorgehoben; denn der Priester muss, da die Affekte, d. h. Furcht und Hoffnung, von den Vorstellungen über die göttlichen Geister und ihre Stim- mung abhängen, nothwendig eine Psychagogie verstehen und ausüben. Wenn es ihm gelingt, durch seine gottesdienstliche Kunst dem Gläubigen gewissermassen vor Augen zu stellen, wie der herbeigerufene Gott zuerst wild auftritt und dem ringenden

uiyiiizeu uy V^jOOv IC

158 Religion der Fiircht.

Priester die grösste Mühe und Angst macht, nachher aber sich bannen lässt oder freundlich wird, so geht der Gläubige in fort- währender Sympathie mit dem Cultus von seinen Angstgeftlhlen zur Ruhe über, und die Beruhigung des Gottes ist auch seine eigene Beruhigung. Wird von dem Priester, der sich selbst nicht vergisst, ein bestimmtes Opfer, zu hinterlegende Geschenke» Speise, Opferung von Menschen und Thieren u. dergl. verlangt, so beruhigt sich der Gläubige, wenn er diese Opfer gebracht hat. Der kluge Priester wird es den Gläubigen niemals zu leicht machen, zum Frieden zu kommen; denn da der Gott in genauem Spiegelbild alle die Gemtithseigenschaften der Menschen, und zwar besonders der in der Gesellschaft vorherrschenden be- sitzt, so wird der Gott auch noth wendig mit keiner anderen Versöhnungsweise zufrieden sein, als wodurch die Gläubigen selbst zufrieden sein würden. Indem der Gläubige dies vollkom- men einsieht und zuversichtlich anninunt, so wird er auch (wenn der Gott nicht hintergangen werden kann, was natürlich lieber gesehen wird) mit den darzubringenden Opfern sich selber be- ruhigen. Darum kann man aus der Grösse oder Kleinheit der Opfer, wie wir dies z. B. noch so deutlich und bestimmt in dem Leviticus verzeichnet sehen, einen sicheren Schluss auf die Ge- müthsart der Menschen machen und erkennen, wie leicht oder wie schwer sie die ihnen widerfahrenen Unbilden ertrugen, da diese an den coordinirten Opfergaben, wie Tauben, Lamm, Ochs u. s. w., ihr Mass finden, das sich schliesslich auf einen bestimmten Geldwerth zurückflihren lässt.

Der Gläubige will aber nicht bloss beruhigt wer- p. Dt» Orakel. ^^^^ sondcm auch einen bestimmten Rath empfangen. Die drohenden Ereignisse des Lebens haben ihn erschreckt; er erkennt die Gefährlichkeit Gottes und vermuthet, dass demselben gewiss diese oder jene Thaten missfiillig gewesen sind. Davor muss man sich also in Zukunft hüten, um nicht seinen Zorn zu erregen, und es ist vor Allem wichtig zu wissen, welche Hand- lungsweise seinen Beifall oder seine Unterstützung und daher eine glückliche Vollendung finden könnte.

Es dreht sich also vor Allem um die Unterscheidung unseres Thuns in gottwohlgefälliges und gottmissfäl- liges. Nun ist aber dieser Unterschied durch keine Wissenschaft en'cichbar ; denn die Wissenschaft stellt Allgemeines fest und kommt

u.quizeauy Google

Der zugehörige Cultus. 159

auf überall und immer gültige Gesetze. Davon kann hier keine Kede sein, einmal, weil es im Anfange der Cultur keine ausge- bildete und sichere Naturwissenschaft gab, und zweitens, weil, auch wenn es dergleichen gegeben hätte, dadurch doch das ein- zelne Ereigniss nicht hätte festgestellt werden können. Der Gläubige will wissen, ob dies oder das den Göttern gefallen, ob sein Fischfang gerathen, ob es ihm gelingen wird, seinen Feind zu überfallen und zu tödten, ob die Krankheit seiner Kuh Yon dem bucklichten Kerl mit den bösen Augen herrührt, ob sein Stamm in diesem Kriegszuge siegen wird u. s. w. Für solche Einzelheiten giebt es keine Wissenschaft; der Mensch hat aber nothwendig das Bedürfniss, eine Antwort auf solche für ihn prak- tische Fragen zu erlangen. Wenn es nun schon eine Ethik und Rechtslehre gäbe, so könnte der Gläubige sein Thun aus allgemeinen Gesetzen regeln. Da dergleichen aber noch nicht vorhanden ist, so kann die Antwort auch nur durch ein Einzel- urtheil abgegeben werden, und dies ist das Wesen des Orakels. Es fragt sich nun, woher der Priester sein Orakel schöpfen könne, d. h. woher er wisse, welche Handlungen dem gefähr- lichen Dämon gefallen, und welche ihm missfallen Verden, oder was dasselbe ist, welche Ereignisse nach Wunsch ausfallen und welche missrathen werden. Die Frage scheint schwierig zu lösen, und es ist auch so, wenn man nämlich voraussetzt', dass der Orakelnde wirklich die Erkenntniss und Wissenschaft des Ver- borgenen und Zukünftigen besässe. Wenn man aber diese Vor- aussetzung als den Thatsachen widersprechend fallen lässt, so ist es schon leichter zu sagen, woher er zu einem Resultat über- haupt kommen kann. Bei allen Einzeldingen dreht es sich näm- lich um Verkettung des Geschehens nach der wirkenden Ur- sache. In diesem Gebiete hat derjenige, welcher der Schlauste und Scharfsinnigste ist und die meiste Erfahrung besitzt, den Vorzug vor allen Andern. Wenn einer also z. B. durch eigene Anschauung oder durch Bericht von Kundigen genau weiss, wie gross die Zahl der Feinde ist, wer sie ftlhrt, ob sie gute Waffen und Nahrungsmittel haben^ ob sie von Muth oder Furcht erfüllt sind u. s. w., und andererseits dieselbe Kenntniss von seinen Stammgenossen hat, so kann er schon ein ziemlich sicheres Orakel abgeben. Kennt einer auch die sämmtlichen Zugehörigen eines Gaues, so kann er mit einer gewissen Menschenkenntniss, vor-

uiumzeu uy V^J v^\J>t l^

160 Religion der Fm-cht.

Züglich wenn er noch manche Einzelnheiten erfahren hat, etwa 80 sicher, wie unsere Geschworenen sagen, dass Dieser oder Jener den fraglichen Mord oder Diebstahl verübt habe. Das Orakel beruht also auf Analogien der Erfahrung und Con- jecturen.

Es ist daher natürlich, dass in den Religionen der Furcht überall die Priester in Ansehen kommen; obgleich es sich auch ebenso erklären lässt, dass sie oft nicht bloss gehasst, sondern auch verachtet und misshandelt werden. Es muss sich nämlich herausstellen, dass ihre Weissagungen oft nicht eintreffen, und dass sie Unschuldige, die ihnen feind sind, beschuldigen, um sich ihrer zu entledigen, dass sie bestochen werden, dass sie, um den Schein der Erfüllung ihrer Orakel zu erzeugen, eine Menge Be- trügereien ausüben u. dergl. Mithin ist es unmöglich, dass das Friesterthum der Religion der Furcht jemals eine ungetheilte Achtung geniesst. Gleichwohl konnten und können die rohen Völker auch niemals diesen Stand der Wettermacher und Zau- berer entbehren, weil nothwendig die Erfahrung und die Schlau- heit da geschätzt sein muss, wo sich alles um Furcht und Hoff- nung dreht und das höchste Interesse in dem glücklichen oder unglücklichen Ausgange der Dinge liegt

Wollte man gegen meine Deductionen einwenden, dass doch bei den hochgebildeten Völkern in Aegypten, Kleinasien, Hellas und Italien die Orakel eine grossartige und selbst von fremden Völkern befragte und reich beschenkte Autorität bildeten, die einen Vergleich mit dem Fabst in Rom gestatte, so muss ich auf eine Täuschung des Urtheils aufmerksam machen. Jene Orakel gehören nämlich zur Hälfte nur der reinen Religion der Furcht an, der andern Hälfte nach aber schon der folgenden Religion des Rechts, da sie eine Menge sittlicher Gedanken auf- nehmen. Sofern sie aber ihre Antworten nicht bloss aus allge- mein sittlichen Motiven ableiten, sondern auch das Zukünftige und Verborgene errathen wollen, soweit haben sie das zugehörige Element aus der Religion der Furcht eingemischt; und dieses eingemischte Element ist es, welches ihnen den Todesstoss ver- setzte, als die Völker gebildeter und sittlicher wurden.

Digitized by

Google

Der zugehörige Gultus. 161

§ 4. Die Inspiration. Wenn ich nun als Erkenntnissquellen flir die Orakel der Priester Erfahrung und Schlauheit angegeben habe, so könnte man mir entgegnen, dass doch in der That diese Quellen nie- mals als Gründe von den Priestern angeführt werden und dass auch die Gläubigen in den Priestern eine höhere Autorität an- erkennen, als sie bloss verständigen Conjecturen zukommen dtlrfte; denn sonst würden die Gläubigen sich über die Gründe der Con- jecturen Bechenschaft geben lassen und mit den Priestern deli- beriren und debattiren; kurz, es würde auch nicht entfernt so etwas, wie ein Orakel, herauskommen.

Dieser Einwand wäre sehr überzeugend, wenn ^ unbewnB8t- nicht dabei zwei der wichtigsten Umstände vergessen heitdeaseeien- wären, nämlich erstens, dass unser Seelenleben im ^''^^"''* Anfang seiner Entwickelung (noch heute und also auch im Alter- thum der Völker) immer unbewusst functionirt Die Priester so wenig, wie die Gläubigen, waren sich darüber klar, vrie ihre Seele zu ihren Annahmen und Ueberzeugungen kam. Wenn wir deshalb jetzt mit ausgebildeter Psychologie und Logik den Er- kenntnissprocess wissenschaftlich classificiren können, so folgt daraus nicht, dass auch die Urzeit darüber ein Bewusstsein ge- habt hätte. Uebrigens sehen wir, dass, wo in politischen und militärischen Unternehmungen irgend ein Anderer, z. B. ein Fürst, selbst Erfahrungen, Kundschaft und Scharfsinn besass, seine Autorität sofort neben oder über die des Priesters trat, den man dann nur bei zweifelhaften Dingen befragte.

Der zweite Umstand aber liegt darin, dass ur- 2. Kein specw- sprünglich die Priester auch Gläubige waren und *^^^^^^l' dass sich in ihre Yorstellungsoperationen überall die scheD Priester Phantasie der Dämonen und deren Absichten und '^^^ öiauw.

gen,

Wirkungen einmischte, so dass ihr schliessliches Ur- theil gar nicht aus einer mit Besonnenheit angeordneten Schluss- folge hervorging, sondern ein instinctives Resultat war. Es ist zwar nicht zu läugnen, dass sehr bald in das Geschäft des Prie- sters eine Masse von Lüge und Betrug sich einmischen musste; dennoch aber konnte kein klarer und bewusster Gedankengang herrschen, da bei allen solchen nicht wissenschaftlich geschulten Menschen die schliessliche Meinung oder Vermuthung, die sie

Teiohmüller, Religionsphilosophie. 11 r^ ,-^r^r^Jr-^

uiyiiized by VjOOQ ivL

162 Beligion der Furcht.

haben, aus einer nnübersebbaren Menge kleiner Beobachtungen und Erfahrungen einerseits, und andererseits aus allerlei eigenen Absichten, die mit den Absichten der Gläubigen zusammen dunkel vorgestellt wurden, hervorgehen mussten, wie dij Resultirende, welche in dem Parallelogramm der Kräfte aus vielen Seiten- kräften bestimmt wird. Der Mensch ist dabei gewissermassen nur der Schauplatz, auf welchem ihm unbekannte Mächte ihr Spiel treiben, und da hier nun die eingemischten theologischen Vorstellungen immer für das Gefühl die mächtigsten sind, so musste es sich von selbst zu ergeben scheinen, dass die Priester von den Göttern, mit denen sie im Cultus verkehrten, ohne dass die Gläubigen diese tibersinnlichen Wesen wahrnehmen konnten, inspirirt wurden.

weeeu der Die Inspirationslehrc setzt daher eine Besessen-

inspiration. jj^j^ voraus odcr wenigstens einen geglaubten wirk- lichen Verkehr mit den Göttern, die zwar hier und da allen Gläubigen, besonders aber dem Priester in wunderbarer Weise erscheinen, so dass er ihre Gestalten sieht, ihre Stimme hört und ihre Absichten und Leidenschaften gewissermassen unmittel- bar wahrnimmt. Wie der aufgeregte Mensch laut mit sich spricht, so kamen auch die in der aufgeregten Seele des Prie- sters gewaltig wogenden Bilder und Vorstellungen zur eigenen Sprache, und dies ist wohl der Ursprung des InspirationsbegrifFs, dass der in uns angeschaute und vorgestellte Dämon oder Gott selbst spricht. Wer die ungekünstelte Weise un- gebildeter oder aufgeregter Menschen beachtet, wird denselben Vorgang immer von Neuem zur Erfahrung bringen können, und so erklärt es sich auch, dass den Träumen so viel Bedeutung beigelegt wird, deren Nichtigkeit Kinder, Ungebildete und Wilde nicht so bald einsehen können, und dass man gewisse Stimmen in sich ertönen hört und bestimmte Worte und Aufforderungen veminunt. Kurz, das selbständige Leben der Vorstellun- gen ist das ursprüngliche und darum die Inspirations- lehre hiervon eine natürliche und nothwendige Folge. Erst die später erlangte Oberherrschaft des Ichs und die logische Ausbildung des Verstandes setzen die Vorstelhmgen zu blossen Kechenelementen herab und verdrängen die Annahme und Macht der Inspiration, die hier in der Religion der Furcht

Digitized by

Google

Der zugehörige Cultus. 163

noch in der rohesten Form auftritt, dagegen erst in den höheren Religionen zu ihrer wahren Bedeutung gelangt.

Wenn man nun fragt, ob also wirklich eine In-

« , , , , , 1 , . 1 Die Inspiration

spiration stattgefunden habe und ob es dergleichen m em wirk- noch giebt und geben wird, so muss man zunächst "^'^^^ ^''«*«"*"- den Gegensatz feststellen. Der Gegensatz aber wird durch Unterscheidung des Ichs von anderen Wesen und Mächten ge- funden; denn was ich selbst thue mit Bewusstsein meiner Mittel, Gründe und Zwecke, das halte ich niemals fllr inspirirt. Mithin bedeutet Inspiration, dass andere Wesen oder Mächte in mir und durch mich ohne meine Erlaubniss und Anstrengung reden und handeln. Darum inspirirt der Souffleur den Schauspieler nicht, weil dieser auf die Worte wartet und sie in seinem eigenen Interesse und mit seiner eigenen bewussten Betonung wiederholt. Was aber die Inspirirten sagen und thun, das geht von einer fremden Macht aus, die sie bloss zum Instrumente macht. Eine solche Inspiration ist nun eine einfache Thatsache; sie findet wirklich statt, und es kommt nur darauf an, festzustellen, wer der eigentliche Thäter ist

Diejenigen, welche alle Inspiration läugnen und damit also bekennen, dass sie das Wesen derselben überhaupt nicht ver- stehen, das sind schlechte Beobachter und wenn auch ver- ständige Naturen, doch mit engem Horizonte, die weder selbst jemals etwas Grosses hervorbringen, noch zum Genüsse der höheren Dinge in der Menschheit fähig sind. Es sind die Klein- krämer im Leben und in der Gelehrsamkeit

Wir wollen also den Urheber der Inspiration suchen. Zu- nächst ist die inspirirte Persönlichkeit selbst zu eliminiren; denn sie ist sich nicht bewusst, die nöthige Wissenschaft und Kunst zu besitzen, um ihre inspirirten Dichtungen, Weissagungen und Aussprüche absichtlich hervorzubringen. Zweitens könnte man auch keine andere Persönlichkeit nennen, die sich gasartig verflüchtigte und eingeathmet von dem Inspirirten nun die Seele desselben regierte und zu Schöpftmgen triebe. Ebensowenig giebt es einen Baum oder ein Thier oder einen Stein und dergl., der in die Seele zu dringen, zu sprechen und dergleichen Wunder- kraft auszuüben vermöchte. Mithin bleibt nichts übrig, als die allgemeinen Kräfte der Natur, die in allen Dingen und also auch im Menschen wirken und die von der ganzen Menschheit

11*

uiymzeu i

.uy Google

164 Religion der Furcht.

als das Göttliche bezeichnet, oder auf Gott zurückgeführt werden. Wer daher inspirirt ist, der wird nothwendig und mit Recht seine Thätigkeit nicht auf sich oder eine andere Creatur, sondern auf die ausser ihm liegende göttliche Kraft be- ziehen, und dies haben alle Inspirirte von jeher gethan. Wenn die Gegner der Inspirationslehre aber hervorheben, dass die Leistung des Inspirirten doch nicht über seine Kräfte hinaus- ginge, dass er vielmehr in seiner eigenen Sprache und nach seinen Kenntnissen und nach seiner besonderen Eigenthümlich- keit wirkte und dass also das Eingegebene vielmehr sein eigenes Werk sei, so ist dieser Einwand ganz kurzsichtig; denn wie der Baumeister allerdings nur mit den vorhandenen Balken und Steinen bauen kann und nicht mit Dingen, die nicht vorhanden sind, so wird die göttliche Kraft auch nur mit dem in der Seele des Inspirirten gegebenen Material wirken und nichts hervor- bringen, was nicht aus dem Vorhandenen erklärlich wäre; trotz- dem flihrt man das Haus auf den Baumeister zurUck und nicht auf das Material, aus dem es gebaut ist, und ebenso ^eiss sich der Inspirirte unschuldig an seiner Leistung, die über seine erworbene Kunst hinausgeht und die er ebensowenig wie seine Träume mit Absicht hervorbrachte, weshalb er sie mit Recht Gott oder den Musen oder anderen Dämonen zuschreibt.

Um nun zu entscheiden, ob wir schon in der cbarakter dipaer niedrigen Religiou der Furcht den Opferschauern, Inspiration. Zaubercm, Regenmachern, Auguren und Sibyllen eine Inspiration, zugestehen sollen, müssen wir erwägen, ob wir ihren Versicherungen soweit trauen können, dass wir nicht Alles auf Betrug zurückführen. Sicherlich aber wären überhaupt keine Auguren aufgekommen, wenn sie sich von Anfang schon einander angelacht hätten. Da aber, wie wir oben sahen, ihre Erfahrungen und ihr Scharfsinn ihnen den möglichen oder wahrscheinlichen Zusammenhang der Dinge zeigten und auch eine Prognose ge- statteten, so mischten sie frühzeitig ihr Interesse, ihren Hass und Ehrgeiz in ihren Beruf und wurden dadurch zu Betrügern. Gleichwohl ging das Gelingen und glückliche Treffen ihrer Aus- sprüche nicht ursprünglich von ihrer eigenen schlauen Bewerk- stelligung aus, sondern war die Resultante der in ihnen unbe- wusst arbeitenden geistigen Kräfte. Es ist darum nicht un- richtig, wenn die Kirchenväter ihre Leistungen auf Dämonen

Digitized by VjOOQIC

Der zugehörige Cultu». 165

zurückführten, wenn man nur darunter die Selbständigkeit der in ihnen arbeitenden Aflfckte, Vorstellungen und Denkoperationen versteht. Denn da keine höheren sittlichen Mächte dabei in Wirksamkeit kommen, so konnte auch von einem die Weltordnung bestimmenden Gotte, der sie inspirirt hätte, nicht die Eede sein, und sie selbst wissen auch von einer solchen Ofifenbarung nichts; dagegen kann man als dämonisch diejenige Macht bezeichnen, die den Elementen unseres Seelenlebens zukommt, wenn sie selbständig, d. h. ohne bewusste Leitung und Absicht der Persönlichkeit thätig sind und an Kraft die bewusste Sphäre des persönlichen Lebens überragen, so dass sich der Mensch von ihnen fortgerissen und unfreiwillig bestimmt fühlt. Daher hat die Inspiration auf der Stufe der Religion der Furcht mit der Leidenschaft die grösste Aehnüchkeit; denn wie die selbständig auftretenden Erinnerungen der Wollust, des Zorns und Hasses und dergl. mit ihren Bildern allerlei Einflüsterungen und heftige, ja angeblich unwiderstehliche Bewegungen hervor- bringen und den Menschen zu vielen thörichten und verderb- lichen Handlungen fortreissen, so sind auch auf dem Gebiete der Conjectur die selbständig wirkenden Elemente des Seelenlebens bestimmend und machen den Menschen klüger als er sich selbst weiss, da ohne seine bewusste Arbeit die glücklichen Treffer ihm eingegeben werden. Mithin kann die Inspiration auf dieser Stufe als dämonisch bezeichnet werden.

Digitized by

Google

Viertes CapiteL Allgemeinere Fragen.

Nachdem wir nun die drei Sondergebiete, in welche das religiöse Leben sich nothwendig gliedern muss, einzeln betrachtet haben, bleiben einige Fragen übrig, welche alle drei Gebiete in ziemlich gleichem Masse betreffen. Unter diesen wähle ich die wichtigsten aus und behandle sie unter den Ueberschriften: Wunder, Schicksal, Mythologie und Islam. Der Islam kommt mir nämlich hier zur Untersuchung, weil eine Religion charakteri- sirt werden muss, welche den Typus der hier behandelten Gat- tung von Religionen am Yollkonunensten und Reinsten heraus- stellt Die Lehre vom Wunder aber hätte auch bei dem Cultus abgehandelt werden können; doch kommen so viele dogmatische und ethische Gesichtspunkte dabei zur Anwendung, dass es mir richtiger schien, es unter die allgemeineren Fragen zu stellen. Das Schicksal gehört zwar auch zum Ressort des Priester- thums, kann aber seiner Idee nach nicht ohne die andern beiden Gebiete begi-iffen werden. Die Mythologie betrifft näher die Dogmatik, doch musste der perspectivische Standpunkt, der zur Ethik flihrt, stärker betont werden, als dies bisher üblich war, da man gern nur die Speculation und die Phantasie als Geburts- stätte der Mythen betrachtet.

§ 1. Das Wunder.

Wenn man die Abhandlungen der Theologen und Philosophen liest, die noch heute über das Wunder geschrieben werden, so findet man zu seiner Ueberraschung blosse Disputationen über die Thesis, dass die Naturgesetze durchbrochen werden können. Die Opponenten läugnen dies und verwerfen deshalb die Wunder, die Dcfendenten aber räumen entweder dem allmächtigen Hcitu selbstverständlich das Recht ein, nach seinem Gutdünken zu ver-

Digitized by VjOOQIC

Allgemeinere Fragen. Das Wunder. 167

fahren, da er sich keine Gesetze vorschreiben lassen könne, oder sie suchen zu zeigen, dass die Durchbrechung seiner eigenen Gesetze zwar nur ein Schein sei, dass der all weise Schöpfer aber durch höhere und deshalb noch mehr oder weniger ver- borgene Naturgesetze die niedrigeren und deshalb bekannteren Gesetze aufhebe, dass die sogenannten Wunder also nicht bloss keinen Widerspruch gegen die allgemeine göttliche Naturordnung enthielten, sondern zugleich als Wunder, d. h. als „aus den bisher wirksamen Natnrursachen unerklärliche Erscheinungen'^ anzu- erkennen wären.

Diese ganze Behandlungsweise der Wunder von Seiten der Gelehrten muss überraschen, weil man nach den allgemeinen Forderungen der Wissenschaft zunächst ein Studium des Begriffs des Wunders selbst erwarten sollte; denn es dreht sich ja flir den Mann der Wissenschaft zunächst nicht um praktische Fragen, wie in der Politik und in der Heilkunst, sondern um die Er- kenntniss selbst Nun ist aber weder der Begriff des AVunders schon sicher festgestellt, noch ist es an sich selbstverständlich, dass es überhaupt einen Begriff vom Wunder geben müsse. Folglich ist es doch wohl unvorsichtig oder unbesonnen, wenn man so aufs Gerathewohl das Verhältniss der Wunder zu den Naturgesetzen bestimmt oder die pädagogische Nothwendigkeit und Herrlichkeit der Wunder bestreitet oder feiert. Denn wie kann man die Menschen auf dem Monde loben oder tadeln, wenn man gar nicht weiss, ob sie existiren. Dass es aber nicht von jedem Worte auch einen Begriff zu geben braucht, ist doch wohl nicht schwer zu beweisen. Ich erinnere nur an die be- rühmte Seeschlange, oder an die vielbesungene Lorelei: wer wäre im Stande, einen Begriff für irgendwelche diesen Namen ent- sprechende reale Wesen zu finden! Da es sich also möglicher Weise bei den Wundem nur um eine leere Einbildung, um eine flüchtig und unbestimmt malende Phantasie handelt, so muss die erste Pflicht sein, den Vorstellungskreis der sogenannten Wunder zu Studiren, um zu sehen, ob man überhaupt auf einen festen Begriff kommt. Und wenn ein solcher hervortritt, so darf man nicht die nächsten Veranlassungsbilder mit in die Region des Denkens hinübernehmen; denn wenn die Pythagoreer auch den gerechten Mann einen quadratischen nannten, so gehört der geo- metrische Ansatz ihres Denkens doch nicht mehr in den Begriff

jiyiii2eu"uy VdOOV IC

168 Beligion der Furcht

der Gerechtigkeit Es scbeint mir daher, dass über das Wander eine wissenschaftliche Untersuchung erforderlich ist, die nur des- halb nicht als neu bezeichnet werden darf, weil es noch keine frühere giebt

Meine Methode ist die heuristische, welche ich ^Mcthodk»!"* schon in meiner „Neuen Grundlegung der Metaphysik" und für historische Fragen im zweiten Bande meines Buches „Literarische Fehden im vierten Jahrhundert vor Christo" an mehreren Beispielen dargelegt habe. Es kommt nämlich für alle Erkenntniss nicht auf das Monstrum an, welches jetzt in der Logik ein Begriff heisst und welches von Wund t als eine „kate- goriale Verschiebung" verherrlicht wird, da aus Eigenschaften und Verben ein GegenstandsbegriflF und eine sogenannte „Ver- dichtung des Denkens" entstehen soll. Diese „kategoriale Ver- schiebung" ist aber eine blosse grammatische Erscheinung und hat mit der Logik nichts zu thun, da sich Begriffe nicht verschieben lassen; eine „Verdichtung des Denkens" als Resultat solcher Vorstellungsgewebe ist allerdings zuzugeben, doch leider nicht, wie man präconisirt, in bonam partem, sondern als eine Ver- dunkelung und Verfilzüng der Vorstellungen, wobei das ver- nünftige Denken Luft und Licht verliert Mit erbarmungsloser Strenge müssen diese „Verdichtungen" und „Verschiebungen" aus der Logik ausgekehrt werden, da sie nur als blinde Passagiere durch die ungezügelte Ideenassociation rechtlos und passlos in den Bewegungsorganismus des Denkens abgesetzt sind.

Unsere Aufgabe ist, das Coordinationssystem zu finden, in

dem die Wunder ihre feste und gesetzlich geordnete Stelle haben.

Die Erkenntniss dieser Goordination ist der Begriff des Wunders.

Als Beligionsphilosophen müssen wir nun zunächst

heuristische fragen, ob die Wunder, wie die Sprache, sich sowohl in

ForderuDg. ^Is ausscr dcr Beligion, oder ob sie, wie die Kirchen,

sich nur im Herrschaftskreise religiöser Vorstellungen finden. Es

zeigt sich dann gleich, dass das Wunderbare auch ausser, die

sogenannten Wunder aber nur in der Religion vorkommen, dass

sie also eine specielle Frage der Religionsphilosophie bilden.

Gehören die Wunder aber zum Wesen der Religion? Vocale und Consonanten z. B. finden sich in allen Sprachen; der trochäische Anlaut sämmtlicher Wörter aber nur in der finnischen Sprachgruppe. Giebt es also nicht auch Religionen ohne Wunder?

Digitized by

Google

Allgemeinere Fragen. Das Wunder. 169

Ja freilich, den Atheismus, Positiyismus und Pantheismus. Folgt daraus nun, dass Wunder nur eine Absonderlichkeit gewisser Beligionsgruppen bildeten? Aber es giebt doch auch patho- logische Erscheinungen, blindgeborene, bucklichte und verstüm- melte Menschen; soll darum das sehende Auge, die regelmässige Wirbelsäule und überhaupt die normale Bildung der Organe nicht zum Wesen des Menschen gehören? Und könnten also dem- gemäss nicht auch die Keligionen ohne Wunder zu den patho- logischen Erscheinungen gerechnet werden? Diese Frage ist so von der Schwelle der Untersuchung ab nicht wohl zu ent- scheiden. Doch hilft gleich die Auffindung einer Goordinate zu einer vorläufigen Orientirung; denn das Normale wird sich doch in den meisten Fällen durchsetzen, während das Pathologische als Störung accidentelle und also particuläre Ursachen hat Die Religion, die sich in den meisten Fällen durchsetzt, ist aber Volksreligion, und keine Yolksreligion ist ohne Wunder; also wäre vorläufig wenigstens der Atheismus, Positivismus und Pantheismus als eine Yerkrtippelung des religiösen Bewusstseins zu betrachten und bildete keine Instanz gegen die Universalität und Wesentlichkeit des Wunders für die Religion.

Bei Annahme dieses präliminarischen Resultates würden wir dann gleich diejenigen theologischen Apologeten abweisen müssen, welche die Wunder durch den christlichen GottesbegriflF ver- theidigen ; denn sie argumentiren, als wenn sie die Nothwendig- keit von Steuern aus dem Wesen der Preussischen Monarchie und nicht aus dem allgemeinen Wesen des Staates ableiten müssten. Es ist aber sehr wichtig zu wissen, wohin ein Begriff gehört, und es ist die Sache der logischen Bildung, die zuge- hörigen Coordinaten jedes Begriffs zu kennen; oder man soll keinen Anspruch auf Wissenschaft erheben; denn es dreht sich hier nicht um einen privatrechtlichen Process, den das Christen- thum für sich allein zu gewinnen oder zu verlieren hätte, sondern um eine allgemeine Angelegenheit der Religion.

Wollten wir nun, durch diese heuristischen Finger- zeige geleitet, zur Analysis der Religion übergehen, zweite heurisu. um die Coordinationen festzustellen, so würden wir eines grossen Httlfsmittels entbehren, das uns erst noch zu Gute kommen soll. Zum allgemeinen Wesen jeder Sache gehören nämlich immer Bestimmungen von verschiedener Herkunft, und

Digitized by VjOOQIC

170 Religion der Furcht.

wenn man diese principiell scheiden kann, so hat man das beste Licht zur Arbeit. Nehmen wir z. ß. den Menschen, so ist Ver- nunft sowohl, wie Durchblutung des Körpers, allgemeine Wesens- bestimmung. Aber diese letztere sogenannte generische Be* Stimmung geht nicht auf ein fabelhaftes genas zurück, sondern vielmehr auf einen realen, uralten und sehr unansehnlichen Vor- fahren, dessen Abkömmlinge sich durch viele neue Verbindungen specificirt und veredelt haben.

Wenn ich die gemeinsame Grundlage, das genus proximum in der Definition, auf die unterste Art form zurUckftlhre, so bedarf diese Neuerung in der Logik einer Erklärung. Die alte Logik nahm nämlich seit Aristoteles das Generische und die Notae communes als eine Natura secunda an, deren Substanz und Existenz Niemand ausfinden konnte und worüber man sich namentlich im Mittelalter ohne allen Nutzen und endgültigen Erfolg herumstritt. Die moderne Logik hat durch den ganz falschen Begriff der Ab str actio n zu helfen gesucht und dabei zugleich den Boden der Kealität verloren und das alte Unding behalten. Eine richtige Logik muss zeigen, dass in dem Ge- biete des technischen Systems die untersten Entwickelungsstufen ihren Typus vererben, der durch neu hinzutretende Coordinationen, aber nicht in darwinistischer Weise, specificirt wird. Ich habe die Grundlage dieser neuen Auffassung in meiner Schrift über Darwinismus und Philosophie gegeben; in der ausführlichen Logik muss dies genauer gezeigt werden. Hier genügt es ein- zusehen, dass man von der untersten Religionsstufe ausgehen muss, da sich erst, wenn man den Begriff des Wunders in der Furchtreligion kennt, beurtheilen lässt, ob die Wunder in den übrigen Keligionen von einer anderen Beschaffenheit sind, oder vielmehr den Typus ihres Ursprunges beibehalten.

Zu ieder Arbeit muss man aber Muth haben.

Dritte

iiouriKtische Ehe wir deshalb die ausführliche Analyse des Be- Forderuiig. g^ffg unternehmen, ist es angezeigt, eine prälimi- narische Topik des Begriffs zu versuchen; denn wenn uns nicht die allgemeine Möglichkeit oder besser auch die Richtigkeit des vorweggenommenen Resultates schon einleuchtet, so wtisste ich nicht, wie man Lust zur Forschung haben sollte.

Wer nun in speculativer Behandlung der Begriffe etwas geübt ist, wird in dem durch vielfache Erfahrung gegebenen

Digitized by VjOOQIC

Allgemeinere Fragen. Das Wunder. 171

Vorstellungsmaterial der Wunder sofort gewisse Bestimmungs- stücke herausfinden, die in die Augen fallen und ihre Zuord- nung zu den Grundbegriffen einer der verschiedenen Religionen an den Tag legen. So ist hier z. B. auf den ersten Blick klar, dass die Wunder zwar nur selten eine erstaunliche und gefährliche Macht über die Natur, immer aber durch gewisse Ereignisse etwas bekunden, was mit unseren persönlichen Interessen zusammen- hängt und daher unsere Furcht oder unsere Hoffnung in's Spiel setzt. Mögen die Wunder daher in gefährlichen oder gewöhn- lichen Ereignissen zum Ausdruck kommen, immer dreht es sich dabei um unser Wohl und Wehe, und mithin ist die Coordinate zu diesem Begriff in keiner anderen Religion zu finden, als nur in der Religion der Furcht. Wegen der Wichtigkeit des Begriffs des Wunders und wegen der Neuheit der Untersuchungsmethode und der Resultate möge man die Länge der Darlegungen ent- schuldigen, da ich gewissermassen die früheren Arbeiten als nicht zur Sache gehörig und das Problem als terra virgo betrachte.

a. Der Begriff des Wunders in der Furchtreligion. Fangen wir der Ordnung gemäss mit dem Bekannten an. Das Wunderbare steht immer im Gegensatz zu dem Gewöhn- lichen und Alltäglichen. Beide entgegengesetzten Begriffe be- zeichnen aber keinen Gegenstand, kein Ereigniss, keine Er- scheinungen, sondern als Kategorien der Modalität nur eine Auffassungs weise, d. h. wie wir uns in unserer Erkenntniss- thätigkeit zu den Erscheinungen verhalten. Diejenigen Erschei- nungen, die wir alle Tage sehen, begegnen, wenn sie zur Per- ception kommen, sofort unserer Erinnerung (Apperception) an frühere Wahrnehmungen ebensolcher oder verwandter Erschei- nungen und werden daher ohne Weiteres, d. h. ohne Aufre- gung des GefUhls hingenommen. Wenn wir z. B. die Sonne am Himmel stehen sehen, so wundern wir uns nicht, weil wir diese Feuerscheibe ja unzählige Male schon gesehen haben und unser Wille sich dadurch also nicht in Aufregung versetzen lässt, son- dern sich längst darin gefunden hat, dass es so ist in der Welt. Sobald aber eine gewöhnliche oder ungewöhnliche Erscheinung durch irgend einen Umstand eine neue Beziehimg fordert, um ihren Zusammenhang begreifen zu lassen, so geräth das Gefiihl in Unruhe und setzt das Denken in Bewegung. Das Nicht-

Digitized by VjOOQIC

172 Religion der Furcht.

gelingen des Erklärungsversuches versetzt uns in das GeftLhl des Staunens, welches wir auf das Object als auf die Ursache des ganzen psychischen Vorganges projiciren, indem wir dies Object wunderbar nennen. So wunderte man sich schon über viele Handlungen Bismarck's und z.B. jüngst noch allgemein darüber, dass er den Papst zum Vermittler zwischen Deutschland und Spanien erkor, weil diese Handlung eine verborgene Beziehung zu ihrer Erklärung forderte, die man nicht gleich fand, indem man an das Mittelalter erinnert wurde und doch die Coordi- nationen der politischen Kräfte im neunzehnten Jahrhundert be- stimmen sollte.

Allein das Wunderbare in diesem Sinne ist kein Wunder und hat gar keinen religiösen Charakter. Dazu gehört viel- mehr umgekehrt das Gelingen der Denkbewegung, die gelun- gene Deutung. Da nämlich unsere ganze Erkenntniss ihrem Wesen nach ein durchgängiges Beziehen aller ihrer Elemente aufeinander, und das Bewusstsein dieser beziehenden Thätigkeit das sogenannte Gesetz des Grundes ist, so verlangt der Mensch als erkennendes Wesen, er möge wissen, was er verlangt, oder davon noch keine Ahnung haben, durchaus eine Befriedigung dieses Gesetzes, also eine Erklärung oder Deutung.

Die Deutungen sind aber von zweifacher Art; durch die Eine Art verschwindet, durch die andere entsteht das Wunder. Wenn z. B. ein Erdbeben eintritt und die Gebildeten sich dies dadurch erklären, dass grössere Wassermassen bis auf die feurig- flüssigen Schichten des Erdinnem durchgedrungen wären und nun bei ihrer Verwandlung in Dampf die oberflächlicheren Schichten der Erdrinde erschütterten oder durchbrächen, so ist dem auffallenden und ungewöhnlichen Ereigniss durch eine ge- lingende physikalische Deutung der Charakter des Wunderbaren schlechthin und also auch in religiösem Sinne entzogen. Wenn dagegen die Gläubigen das Ereigniss auf die Stimmung eines unsichtbaren Dämons beziehen, der dadurch seinen Zorn an den Tag lege und das Leben der Menschen bedrohe, so gerathen sie in eine religiöse Furcht und betrachten das Ereigniss als Wun- der, als eine für ihr Wohl oder Wehe wichtige Kundgebung ihres gefährlichen Herrn. Durch solche Erklärung oder Deutung ver- schwindet das Wunder also nicht nur nicht, sondern es entsteht erst dadurch. Hieraus ergiebt sich, dass Wunder überhaupt

Digitized by VjOOQIC

Allgemeinere Fragen. Das Wunder. 173

nicht als Objectives oder Wirkliches in der Sinnenwelt vorkommen können, da es sich immer nur am wirkliche Naturerschei- nungen, also um etwas Natürliches handelt. Der Sitz des Wunders beruht in der religiösen Deutung, also in dem Ver- stände des Gläubigen. Da nun das specifische Wesen des Gläu- bigen am Stärksten und typisch in dem Priester heraustritt, so gehört die Lehre vom Wunder in erster Linie zur Lehre vom Priester, d. h. zu seiner Erkenntniss der religiösen Dinge und zu seinem Amte, die Seelen der Gläubigen zu leiten.

1. Die Erkenntniss der Wunder. Unsere erste Auf- gabe ist also, genauer zu erforschen, wie Wunder entstehen? Obgleich sie in der Erkenntnissthätigkeit des Gläubigen ihren Sitz haben und ihrem objectiven Beziehungspunkte nach Er- scheinungen der sogenannten äusseren Natur oder der Seelen enthalten, so können wir doch nicht mehr vermuthen, dass die Wunder durch einen objectiven Erklärungsversuch, also durch naturwissenschaftliche oder psychologische Hypothesen entstän- den. Wir müssen vielmehr finden, dass seit Spinoza, Leibnitz, Schleiermacher, Hegel u. A. die Frage am unrechten Orte ange- fasst wird, und ich kann auch die neuesten Betrachtungen von Otto Pfleiderer in seiner Religionsphilosophie (H S. 435) von diesem Vorwurfe nicht ganz ausnehmen. Denn seine Polemik gegen die Wunder setzt eben voraus, dass der Wundergläubige ,,die Lebendigkeit und Freiheit Gottes" wahren und demselben „eine gesetzwidrige Durchbrechung der Naturordnung" gestatten wolle, indem er dabei „der Natur Elasticität" zutraue und sie „höherer Eingriffe für fähig und bedürftig" halte. Ich sehe wohl, dass Pfleiderer's Kritik am Platze ist den modernen Apologeten gegenüber*), aber ich finde nicht, dass er nöthig

*) Das Neueste, was ich in Zeitschriften über unsere Frage gesehen, steht in den „Theolog. Studien und Kritiken vom Jahre 1886, Heft 3, S. 403 bis 646 unter dem Titel »Wunder und Naturgesetz«". Von dem Verfasser Paul Gloatz, Lic. theol. , habe ich schon oben S. 167 die DeJBnition des Wunders angef&hrt und bemerke, dass ich mit grosser Befriedigung S. 527 auch von ihm den Standpunkt RitschTs als unphilosophischen und leeren „religiösen Illusionismus" charakterisirt fand. In dem systematischen Theile aber, wo er (z. B. S. 643) wieder die „neu hervortretende Causalitat Gottes" bei dem Wunder gegen die Naturgesetze ausspielt, arbeitet der Verfasser, wie die übrigen Philosophen und Theologen, noch mit den Kategorien früherer Metaphysik und bringt die Frage daher nicht vom Fleck.

Digitized by

Google

174 Religion der Furcht.

hätte, solche Kücksichten zu nehmen, und fordere deshalb eine strengere Topik des l^griflFs des Wunders. Denn der wirklich Wundergläubige fühlt ja nicht das mindeste Bedürfhiss, sich auf die Naturgesetze einzulassen, und besitzt auch keine physikali- sche oder psychologische Erkenntniss des natürlichen Verlaufes der Ereignisse, wie er auch im Traume nicht an eine feste Naturordnung oder an eine Elasticität der Natur u. dergl. denkt. Die Erkenntniss eines Widerspruchs ist nur möglich, wenn man die als eins gesetzten sich widersprechenden Begriffe beide beherrscht. Darum können zwar die modernen Kritiker Änstoss an den Wundergeschichten nehmen, weil ihre Seele zugleich von ße- spect vor den sogenannten Naturgesetzen erflillt ist; das Be* wusstsein der Gläubigen kann aber solchen Begriff von einem Wunder gar nicht fassen, da sie ja in allen Naturereignissen freies Schalten und Walten von Göttern und Dämonen sehen und ohne alle naturwissenschaftliche Scrupel Zeus donnern, Garm heulen und Wertra mit Indra Krieg in den Wolken führen lassen. Die Wunder geschahen aber lange in der Menschheit, ehe die modernen Kritiker sich darüber wunderten, und mithin mnss der Begriff des Wunders etwas anderes enthalten, als den mo- dernen Widerspruch, der erst seit Beginn exacter Naturwissen- schaft im Bewusstsein entspringen konnte. Also hat man die Frage, wie zu beweisen war, am unrechten Orte angefasst; denn alle Religionen, welche ja voll von Wundern sind, wissen nichts von dem Widerspruche zwischen unsem naturwissenschaftlichen Hypothesen und den wunderbaren Handlungen ihrer Götter. Folglich entsteht der moderne Wunderbegriff erst durch die mo- derne Kritik*) und kann uns also ziemlich gleichgültig sein, da wir von den Wundem zu handeln haben, die in dem religiösen Glauben der Menschheit eine Rolle spielen.

'*') Ich sehe, dass auch z. B. Adolf Haruack in seinem Lehrbuch der Dogmengeschichte l S. TiO A. 4 nur die herkömmliche Vorstellung von einem Wunder hat und deshalb einerseits die Wunder aus dem Gebiete der geschichtlichen Forschung ausschliessen will , andererseits« sich auch, wie er sogt, einen starken religiösen Glauben denken kann, der koiner Wunder mehr bedürfe. Wer möchte es ihm verargen, dass er die Wunder satt hat, wenn er sie durchaus in der herkömmlichen Weise auffassen müsste; aber warum verlilsst er diese ungenügende Auffassung nicht?

Digitized by

Google

Allgemeinere Fragen. Das Wunder. 175

Daher hat die moderne ungenügende Analyse des Wunder- begriffs noch einen zweiten Fehler. In diesem BegriflFe fehlt ein constituirendes Merkmal, die Bedeutung oder Erkenntniss des Wunders. Das erste Misslingen der Verstandesthätigkeit in der Ausdeutung der Wundererscheinung löst nämlich, wie oben (S. 172) schon angegeben, eine unbestimmte Furcht aus, welche den zweiten Beziehungspunkt bildet; denn kaum ist diese Furcht im Gemttthe hervorgebrochen, so kommt die Verstandesthätigkeit wieder in Fluss, weil sie nun die zugeordneten Beziehungspunkte finden kann. Die Furcht setzt ja eine zu fllrchtende mächtige Ursache voraus. Der dem Gläubigen immer wohl bekannte, die Natur beseelende Dämon ist also in Zorn und zwar sicherlich über uns, weil wir ja Furcht haben und von unserer Furcht aus das Ereigniss perspectivisch deuten. Mithin hat das Ereigniss etwas zu bedeuten; es ist zu einem reli- giösen Ereigniss, zu einem Wunder geworden. In der Be- deutung eben besteht die Erkenntniss des Wunders und zwar in der Bedeutung für uns; denn es ist ein einzel- nes Ereigniss und bezieht sich auf einen in der Zeit gege- benen einzelnen Gemüthszustand des Gläubigen, und es dreht sich niemals um Bezeugung der abstracten dogmatischen Wahr- heit, dass die Götter mächtig sind und die modernen Natur- gesetze durchbrechen können. Der Gläubige und vor Allen der Priester hat daher in dem Ereigniss ein Wunder zu erkennen, indem er in der Handlungsweise der Gläubigen etwas heraus- findet, was in Beziehung zu ihrem Gott steht und seinen Zorn erregen konnte, wodurch das, was das Ereigniss von Gottes Seite her bedeutet, sofort befriedigend zu erklären ist. So star- ben z. B. die Maulthiere und nachher auch die argivischen Krieger vor Troja massenhaft an der Pest Die Todesursache kommt geheimnissvoll. Staunend sieht man die starken Helden ohne greifbare Veranlassung ins Grab sinken, und ein Schrecken er- fasst die Argiver. Nun tritt der Seher Kalchas auf und erklärt ihnen das Ereigniss; denn sie haben mit Chryscs, dem Priester des Apollo, auch den Gott selbst beleidigt, und der Gott ist es, der sie durch seine unsichtbaren Pfeile tödtet. Das Ereigniss ist jetzt befriedigend erklärt, es hat etwas zu bedeuten und ist als Wunder, als eine Offenbarung Gottes erkannt.

Digitized by

Google

176 Religion der Furcht.

Die moderne Kritik ist daher an dem Problem des Wunders vorbeigegangen. Denn die Wahmehmang eines Phänomens, das man nicht gleich erklären kann und das daher die Aufmerksam- keit und das Nachdenken hervorruft, braucht ja gar nicht immer die armen Naturgesetze zu beunruhigen. Wir könnten vielmehr die als Wunder bezeichneten Phänomene in zwei Grup- pen scheiden. Die eine enthielte dann lauter ganz bekannte und gewöhnliche Erscheinungen, die nur für die bestimmte Lage des Menschen etwas Ueberraschendes haben, z. B. wenn bei einem gefährlichen Unternehmen ein Adler aufsteigt oder der Feldherr zur Erde föllt, oder wenn, wie Aristoteles erzählt, eine Bildsäule, während sie einmal betrachtet wird, zulUllig umfallt, und gerade den Mörder des Dargestellten erschlägt. Bei allen diesen und ähnlichen Vorgängen werden die Naturgesetze nicht aufgehoben, obwohl man solche Phänomene als Wunderzeichen betrachtete. Die zweite Gruppe enthielte allerdings Phänomene, die heute als unmöglich gelten, z. B. einen brennenden Busch, der nicht ver- brennt, Auferstehung Gestorbener, hungrige Löwen, die den Daniel nicht fressen, u. s. w. Wenn man aber aus Rücksicht auf die moderne Kritik eine solche Eintheilung der Wunder machte, würde sich zugleich der Fehler zeigen, dass der Eintheilungs- grund transscendent ist und mit dem Wesen der Sache nichts zu thun hat, ebensowenig, wie wenn man die Vögel darnach ein- theilen wollte, ob sie auf den Hüten der Damen zur Decoration dienen könnten oder nicht. Vielmehr wurden die Phänomene, welche in den Wundergeschichten vorkommen, alle für natür- lich und wenn auch fUr ungewöhnlich, doch immer für möglich gehalten, weshalb es ja auch nach dem Volksglauben beständige und regelmässig wiederkehrende Wunderzeichen gab, wie z. B. AratoB in volksthümlicher Weise die Himmelserscheinungen als Wunderzeichen des Zeus beschreibt, der offenkundig durch die regelmässigen Aufgänge der mit den furchtbaren Elementen coor- dinirten Gestirne dem Geschlechte der Menschen heilsame Winke gebe und zu ihnen spreche ()i7ei). Darum ftllt bei jedem Wun- der der Accent immer auf die Deutung und nicht auf die Er- eignisse, welche zur Deutung Veranlassung bieten. Nicht wie es zuging, dass die Löwen den Daniel nicht frassen, wird von den Gläubigen hervorgehoben und gepriesen, sondern dass seine Unschuld und seine Wohlgefillligkeit vor Gott oflfenbar werden

Digitized by VjOOQIC

Allgemeinere Fragen. Daa Wunder. 177

sollte; nicht woher die Heuschrecken überEgypteri kamen, son- dern dass die Egypter wegen der Bedrückung der Juden ge- straft werden sollten ; nicht wie der materielle Leichnam Christi verschwinden und sich in einen unverweslichen neuen Leib ver- wandeln konnte, sondern dass unsere zukünftige Auferstehung und die jenseitige Welt der Geister dadurch in's Bewusstsein träte und zu Hofhung und Glaube würde. Eben weil die auf- fallenden Phänomene der Natur nur den Anlass bilden, um auf das eigentlich Religiöse, auf die ftir das persönliche Leben allein wichtige Deutung der Sprache Gottes, tiberzugehen, darum wer- den jene wunderbaren Umstände auch nirgends mit einer solchen Genauigkeit erzählt, dass ftir eine gerichtliche oder natur- wissenschaftliche Untersuchung genügendes Material darge- boten würde. Das Interesse des religiösen Menschen besteht ja zunächst gar nicht in einer Vergleichung von Dogmatik und Naturwissenschaft. Vielmehr nehmen diejenigen, welchen die Zeichen gedeutet werden, mit den gegebenen Erzählungen immer vorlieb, und wer den ftir das Wunder erforderlichen Gemüths- znstand nicht besitzt, auf den können dieselben keinen Eindruck machen. Man darf den historischen Standpunkt, die perspec- tivische Betrachtungsweise nicht vergessen. Die Gänse auf dem Capitol wurden nicht für Moltke geflittert, und die Auf- erstehungsgeschichte wurde nicht für Langenbeck erzählt. Die moderne Kritik ist deshalb mehr als einseitig, weil sie von den vielen und verschiedenen Momenten der Sache nur ein einziges berücksichtigt und dieses nur nach derjenigen Seite auffasst, die nicht zur Sache gehört, sondern eine transscendente Beziehung enthält, d. h. eine Beziehung auf Menschen einer anderen Zeit und einer anderen Bildungsstufe. Das Wunder aber ist bestimmt zu wirken und so kommen wir auf die Psychagogie.

2. Die Psychagogie. Ist die Idee des Wunders in der Erkenntniss der Gläubigen erst einmal geboren, so muss sie sich auch fi-uchtbar vermehren; denn wenn durch das Wunder eine Sprache Gottes erkannt und ein Verkehr mit dem Gotte hergestellt ist, so kann der Gläubige sich auch dem Willen des Gottes entsprechend verhalten und sein Diener und Mitkämpfer werden, und so ist es ganz in der Ordnung, dass man von dem Gotte bei jeder wichtigen Unternehmung ein Wunderzeichen ver- langt, damit man der göttlichen Leitung, der Ermuthigung oder

Telchmüller. BeligloiiBphllawphle. ^12^^ GoOQIc

178 Religion der Furcht.

der Abmahnung nicht entbehre. Die Wander in den Eingeweiden der geschlachteten Thiere, die plötzlich erschallenden ünheilstöne eines Vogels, die plötzlichen Verfinsteningen der Sonne u. s. w. haben deshalb als ebenso viele Willenserkläningen Gottes viele Unternehmungen plötzlich gehemmt, wie umgekehrt die siegver- heissenden Zeichen, der rechtsfliegende Adler, der Blitz u. dergl. den göttlichen Beistand versprachen und die Seelen der Gläu- bigen mit unbezwinglichem Muth erfüllten.

Hieraus ergiebt sich, dass die Wunder nicht bloss zu er- kennen, sondern auch zur Psychagogie zu gebrauchen Sache des Priesters ist, der den Willen Gottes deuten und verkünden muss. Darum entwickelt sich in allen Religionen der Furcht eine sehr umfangreiche Augurenwissensehaft, eine Geheimlehre über die Sprache der Götter, und wie unwissenschaftlich und lächerlich uns auch eine solche Gelehrsamkeit erscheinen möge, so musste sie nun doch einmal sich bilden; denn die Gläubigen wandten sich in grösster Bathlosigkeit und tiefer Angst des Ge- müthes an den Priester als den Interpreten der Götter, der aus sicheren Zeichen ihren Willen erkannte. Mit erstaunlicher Kraft hat uns Sophokles z. B. in seiner Antigene und in seinem Oedi- pus diese Rolle des Priesters vor Augen gefllhrt Dem aufge- regten Volke und dem rathlosen Könige tritt mit einer feierlich festen Autorität der greise Tiresias gegenüber und verkündigt mit hinreissender Gewalt, was er allein weiss und offenbaren kann, den Grund des göttlichen Zorns. Und vor dieser Verkün- digung bricht das Königthum zusammen; denn die Gottesfurcht beherrscht die Welt.

Die Psychagogie des Priesters hat darum zwei Aufgaben. Zunächst die natürlichen Ereignisse so zu deuten, dass die Furcht erweckt, verstärkt und rege erhalten wird. Der Priester muss daher die vergangenen und gegenwärtigen gesellschaftlichen und persönlichen Verhältnisse, Handlungen und Lebens-Ereignisse der Gläubigen genau kennen, um, wenn er weiss, was sie mit Leiden- schaft begehren, demgemäss die Furcht in ihren Gemüthem er- regen zu können; denn die Deutung der Götterzeichen und Wun- der muss ja nach dem subjectiven Beziehungspunkte, d. h. nach den persönlichen Sorgen und Leidenschaften der Menschen geleitet werden und daher immer individuelle Gestalt annehmen. „Wenn Du über den Halys gehst, wirst Du ein grosses Reich zerstören^'. Der

Digitized by VjOOQIC

Allgemeinere Fragen. Das Wunder. 179

Gott weiss genau von den politischen Verhältnissen Bescheid und kennt die ehrgeizigen Absichten. Zugleich rührt hierher die berüchtigte Vieldeutigkeit der Orakel, die, wie Aristoteles mit Recht hervorhebt, den Priestern zur Nothwendigkeit wurde-, denn da sie doch nur durch Conjectur die Zukunft bestimmten, so mussten sie oft durch Unbestimmtheit und Zweideutigkeit (Am- phibolie) ihre Verkündigungen sicherstellen, damit der Gott, wie bei Kroisos, inuner Recht behielte. Entsprechend der Furcht hat der Priester aber auch die zugehörige Hoffnung, das Ver- trauen, den Muth zu heben, damit die Gläubigen durch die günstigen Wunderzeichen gestärkt mit Energie ihre Unterneh- mungen ausführten und nicht sich, sondern den helfenden und rettenden Göttern den Erfolg verdankten.

Die zweite Aufgabe des Priesters besteht in der Anordnung von Handlungen, wodurch der Verkehr mit der Gottheit einen sichtbaren Ausdruck empföngt. Davon ist schon oben gesprochen,* und ich erwähne nur, welche Wichtigkeit die Pflege dieser Handlungen für den Priester hat; denn durch diese Handlungen bekommt die innerliche Frömmigkeit erst das Bewusstsein über sich und die Wirklichkeit der Gemeinschaft mit den Göt- tern. Mithin kann dadurch allein auch eine sociale Religion und eine Infection der Gottesfurcht stattfinden, so dass im guten wie im schlimmen Sinne dadurch die Macht und der Einfluss des Priesters wie des Glaubens und Aberglaubens anwächst. Darum müssen die Wunderzeichen und ihre Deutungen möglichst mit den Opferhandlungen und dem ganzen Gottesdienste verwoben werden; denn auf die vorher erfolgten Gaben und Demüthigungen ergiebt dann erst die Opferschau, ob der Gott gnädig den Büssen- den annehme und ihm die Erfüllung seiner Wünsche verheisse. So muss schon die Annäherung an die heiligen Stätten, wo des Gottes Kraft für gegenwärtig und wirksam geglaubt wird, durch Gaben erkauft werden; denn nicht ohne Hingebung an die Ma- jestät und Anerkennung ihrer Autorität kann der Gläubige in Gemeinschaft mit Gott treten. Naiv sagt Jon bei Euripides v. 221: „Sobald Ihr im Vorhof Opfer gebracht und von Phöbos ein Wort zu vernehmen begehrt, dann schreitet hinein; doch, schlachtetet Ihr kein Lamm, dann meidet den heiligen Raum." In den höheren Religionen fällt nun zwar das Blut der Opferthiere weg, aber was an sinnlicher Wirklichkeit verloren geht, muss doch im

ucMtauv Google

180 Beligion der Furcht.

Symbol und wenigstens in der Allegorie der Sprache erhalten bleiben, weil wir auch bei höherer geistiger Entwickelung doch immer nur als Menschen, welche fürchten und hoffen, in Fleisch und Blut dasein können. Darum hat man vernünftiger Weise die Pflicht, die oft seltsamen Gebräuche der Kirche zu verthei- digen, indem man sie erklärt. So erfolgt z. B. auch in unserem christlichen Cult erst nach der in sichtbarer Handlung symbo- lisch dargelegten Busse und Demüthigung die Verkiindung der Gnade, indem in der katholischen Kirche noch das Wunder- zeichen der Messe durch die Glocke gemeldet wird.

b. Die Kritik der Wunder. Nachdem wir die Entstehung und das Wesen der Wunder in der Furchtreligion erkannt haben, ist es erforderlich, auch einen Blick auf die höheren Religionen zu werfen. Es zeigt sich dann sofort, dass auch das Jndenthum, der Islam und selbst das Christenthum eine unzählbare Menge von Wundem aufzuweisen haben, und zwar gerade auch von Wundem in dem alten ächten Sinne der Furchtreligion. Wie soll man sich dies erklären? Offenbar doch nur dadurch, dass wir die Furchtreligion auch bei allem Fortschritt sittlicher und intellectueller Bildung nicht los werden können. Und waram nicht? Weil diese alte Religion auf Furcht und Hoffnung aufgebaut ist, d. h. auf die allgemein- sten Affekte der Selbstsucht, die alle leiblichen, persönlichen und socialen Interessen der Menschen umfassen und deren der Mensch nicht ledig wird, so lange er „er selbst" bleibt. Folglich wird sich in jede höhere Religion entweder rechtmässig oder unrecht- mässig auch ein aus der Religion der Furcht stammendes Ele- ment einmischen, und mithin ist a priori einzusehen, dass und wamm die dahin gehörenden Wunder eine so allgemeine Ver- breitung finden müssen. In jeder höheren Religion sind sie aber ein dem specifischen Charakter derselben fremdes Element, da sie, wie oben nachgewiesen, nur der Religion der Furcht eigeu- thümlich zukommen. Solche fremde Elemente werden nun entweder mit dem eigenen Gewebe der höheren Religion durch eine besondere Gedankenfolge vereinigt, oder sie mischen sich ganz unorganisch ein. In der unreinen Rechtsreligion, z. B. im Judenthum, werden sie als Strafen oder Belohnungen für Bundes- treue oder Bundesbmch angesehen und in die Nationalgeschichte,

Digitized by VjOOQIC

Allgemeinere Fragen. Das Wunder. 181

wenn auch theilweise von sehr engem Gesichtspunkte aus, doch im Ganzen mit einem grossartigen und nur den Juden eigenen Sinn ftlr eine religiöse Weltgeschichte so wirksam verwerthet, dass sie aus dem Gewebe der ganzen religiösen Gesinnung gar nicht abzulösen sind. Im Islam dreht es sich meist um blosse Spektakelstücke, da diese Keligion ja ihrem Wesen nach Furcht- religion ist und die höheren Ideen bloss als unorganische Ele- mente eingeschoben enthält. Im Christenthum als Volksreligion, wenn man darunter alle die verschiedenen Gonfessionen zusam- menfasst, welche überhaupt den Namen von Christus angenommen haben, findet man auch alle die verschiedenen Formen der Wunder vertreten.

Da wir nun als Beligionsphilosophen auf alle Formen der Religion hinblicken, so werden wir auch die Frage nicht um- gehen können, ob die Wunder wahr gewesen sind, d. h. wie wir uns von christlichem oder von philosophischem Standpunkte zu den früheren Wundergeschichten kritisch verhalten sollen. Das Wunder ist aber, wie wir sahen, keine einfache Sache; es ist deshalb ganz in der Ordnung, dass die Kritiker bald auf dieses, bald auf jenes Element ihr Auge gerichtet und auch nach dem Locus de pluribus interrogationibus die Gesichtspunkte durch- einandergemischt und verwechselt haben. Unsere nächste Auf- gabe ist daher, das Verschiedene auch fttr die Betrachtung zu scheiden. Nun geht das Wunder als Deutung der Sprache Gottes immer von gewissen äusseren Erscheinungen als Zeichen aus, und mithin werden wir zwei Aufgaben zu lösen haben, die Kritik der Zeichen und die Kritik der Deutungen.

Ueber die Zeichen möchte ich rasch hinweg- ^^^ ^^"^ **«' gehen; denn es sind ja nur die geringeren Kritiker, die sich an dies Aeusserliche machen. Da aber auch der grössere Theil der Religiösen immer mehr oder weniger ungebildet blei- ben muss, so ist es ganz . natürlich, dass man in der Regel, wenn vom Wunder gehandelt wird, die leidenschaftlichsten Reden ftir oder gegen die Annahme der Zeichen zu vernehmen hat, und die Apologeten, wie ihre Kritiker, überbieten sich dabei in Ge- schmacklosigkeit und in Unkenntniss der Sache, um die es sich eigentlich dreht.

Die Apologeten einerseits pflegen den grössten Werth darauf zu legen, dass die Zeichen so absurd wie möglich sind, damit

182 . Religion der Furcht.

die gefahrliche and erstaunliche Macht ihres Dämons recht haar- sträubend werde. So mtissen Menschen von einem Orte zu einem tausende von Meilen entfernten anderen in einem Augen- blicke versetzt, der Mond muss vom Himmel hemiedergezogen werden, das Meer muss, wie bei Anepu, um einer Haarlocke willen bis auf die Berge laufen, die Leute müssen im Magen eines Fisches, den es nicht giebt, einige Tage residiren, die Erde muss zittern, die Sonne stillstehen, die trockenen Zweige müssen in einer Nacht Blätter treiben u. s. w., kurz es fehlte nur, dass sie die Sonne und den Mond Mazurka tanzen Hessen, um so recht ihren Mangel an Sinn für die Wahrheit, ihre Un- kenntniss der Natur und ihren niedrigen religiösen Standpunkt an den Tag zu legen.

Die Kritiker aber machen es nicht eben besser, indem sie wie die Aasfliegen bloss um diese armselige Speise herumsum- men; denn was lohnt es sich, das noch weitläufig zu beweisen, dass man heut zu Tage in der Zeit einer reichen naturwissen- schaftlichen Bildung und einer grossen Uebung in historischer Kritik uns durch. alte Wundergeschichten nicht mehr imponiren kann. Was gehen uns jetzt die gestauten Wellen des rothen Meeres an und die redenden Esel und die Himmelfahrten u. dergl. Es ist nicht eben klug, durch solche Antiquitäten, in die sich der moderne Mensch nur mit Mühe hineindenkt, die Gemtither unserer Zeit bewegen zu wollen, gerade als wollte man in die Rüstkammern laufen und die alte Lanze eines Ritters oder eine verstaubte Armbrust holen, um damit gegen die Krupp' sehen Kanonen zu kämpfen. Die Wunder wirken ja nicht, wenn die Hörer nicht vorher in Furcht waren und das Bedürfhiss fühlten, einen Seher zu befragen oder das Orakel eines apokalyptischen Propheten zu vernehmen. Und selbst wenn dies der Fall wäre, so würden doch nur gegenwärtige Ereignisse Eindruck machen und nicht unbeglaubigte Geschichten aus einer Culturstufe, die uns als kindlich und unmündig ersc&einen muss.

Da nun jeder Gebildete hierüber im Reinen ist, so müssen die Apologeten mit ihren Kritikern, wie der Jude und der Mönch bei Heinrich Heine, ziemlich denselben Eindruck machen; denn sie verstehen beide das Wesen des Wunders nicht, behandeln die Zeichen als Dinge, die in die Naturwissenschaft und Welt- geschichte gehörten, und reissen sie so aus ihrem natürlichen

uiymzeu uy V^jOOV IC

Allgemeinere Fragen. Das Wunder. 183

Zusammenhange heraus. Es muss eben mit dem Wunder noch eine andere Bewandniss haben, denn wo man nur in das reli- giöse Leben der Menschheit hinblickt, überall findet man Wunder in Menge, und sie haben grosse Wirkungen gethan, ganze Völker ermuthigt, mächtige Fürsten vom Throne geworfen, Recht und Unrecht geschieden oder geschützt und die Politik getragen; immer aber streckten sie ihre Wurzeln in den mütterlichen Boden des Glaubens, in die Angst der Herzen, in die Rathlosigkeit der Köpfe. Wer sie ohne diese zugehörigen perspectivischen Um- stände betrachtet, verfährt so klug, wie Jemand, der die östliche und westliche Seite des Himmels bestimmen wollte, ohne auf die Erde Rücksicht zu nehmen.

Wir sahen oben, dass das Wesen des Wunders ^^"^ **'

Deuttmg.

in der Deutung liegt, durch welche irgendeine ge- wöhnliche oder ungewöhnliche Erscheinung, welche eine unbe- stiminte Furcht und demgemäss ein religiöses OefQhl erregte, als Zeichen Gottes oder als Wunder erkannt wird. Der tiefer- blickende Scharfsinn muss sich deshalb mit der Kritik der reli- giösen Deutungen beschäftigen; denn nur aus dieser neuen Defi- nition des Wunders erklärt sich auch der alte Satz, dass Wunder bloss geschehen, wo sie geglaubt werden, dass Wunder des Glaubens liebstes Kind sind, dass die Propheten in ihrer Heimath keine Zeichen thun u. s. w., was ja alles gar nicht wahr sein könnte, wenn die Wunder an und für sich ausserordentliche Er- eignisse wären, während sie vielmehr an und für sich irgend- welche natürliche Ereignisse sind, die nur durch die Deutung, d. h. durch den Glauben, als Zeichen oder Sprache Gottes, zu einer Besonderheit gelangen und als Wunder betrachtet werden. Da nun die Wunder Deutungen sind und vom Priester zur Belebung der Gottesftircht und zur Leitung der Gläubigen be- nutzt werden, so erklärt es sich auch leicht, dass selbst in der Furchtreligion sehr häufig die Kritik gegen sie aufsteht Denn wenn das Wunder, d. h. die Auslegung eines Ereignisses, etwa einem Mächtigen zu nachtheilig ist, so empört er sich gegen den Priester und erkennt die Auslegung und also das Wunder nicht als wahr an, wie z. B. Agamemnon und Oedipus und Kreon \l A. Dann hört man: „Nach Gelde giert das Volk der Priester nur^*, oder „Um des Thrones willen schleicht mir Kreon nach, der mich aus der Stadt zu treiben strebt, anstellend diesen Zaubermann

184 Religion der Furcht.

(Teiresias), den Ränkeschmied, den listenvollen Gaukler, der im Wucher bloss scharfsichtig und in seiner Kunst ein Blinder ist," oder man lässt die Gänse, die nicht fressen wollen, ersäufen. Darum gelten auch die Wunder der Einen Religion in einer andern nichts, was ja natürlich ist, da sie alle vom perspectiv vischen Standpunkte Wohl und Wehe für den Einzelnen oder für den Stamm bedeuten und deshalb niemals eine allgemeine Bedeutung haben können.

Wenn wir nun als Philosophen über die Wahrheit der Wunder urtheilen sollen, so haben wir die Frage zu stellen, ob die gegebenen Zeichen zu der perspectivischen Deutung derselben zwingen und ob also die Wundergeschichte insofern eine rich- tige religiöse Interpretation ist. Dass diese Art der Stellung des Problems nicht so paradox ist, wie sie scheinen könnte, da man bisher über die Wunder ganz anders zu raison- nieren pflegte, lässt sich leicht beweisen, wenn man sich in die Religionsgeschichte näher einlässt. Denn man weiss doch, dass reiche Leute unter den Hellenen und Barbaren häufig meh- rere Orakel mit vielen Geschenken befragten, um eine Deutung zu finden, die ihrem Gemüthszustande, ihren Meinungen von den Göttern und den bezüglichen Ereignissen am Besten entspräche. So fragte auch der biblische Pharao die egyptischen Priester, alle Wahrsager des Landes und den Joseph, um eine seinem ganzen Zustande entsprechende, perspectivisch richtige Inter- pretation seiner Träume zu erhalten. Es ist daher nicht paradox, sondern gerade der Sache und der religiösen Ueberzeugung an- gemessen, wenn ich die Kritik der Wunder in dieser Weise for- muliere.

Freilich ist guter Rath theuer, wenn wir jetzt eine gescheidte Antwort auf eine so schwierige Frage geben sollen; denn wir haben, wenn wir die Gleichung ansetzen, lauter x, y, z, da die bekannten Grössen, nämlich die Träume, die Blitze, die Adler u. s. w. ja nicht nach ihrer naturwissenschaftlichen Qualification in Frage kommen, sondern nach ihrer Bedeutung in der Sprache der Götter, flir welche es weder Lexikon, noch Grammatik giebt. Glücklicher Weise ist aber die Welt so eingerichtet, dass die Noth die Mutter der Erfindungen ist, und so führt uns auch die peinliche Verlegenheit unserem Problem gegenüber sehr bald zu der Entdeckung, dass die Interpretationsgesetze der Wunder

uiyiiized by VjOOQIC

Allgemeinere Fragen. Das Wunder. 185

durchatis nicht in irgend einer theoretischen Sphäre liegen. Mit bloss didaktischem Vortrage kann man keinen Hund vom Ofen locken und weder die Völker und Könige leiten, noch das ge- ängstete Herz der Gläubigen befriedigen; dazu gehört vielmehr eine grosse und mächtige Kunst, die hier in ihr Recht eingesetzt werden muss, die unbeschränkte Herrin über alle Entschlüsse der Menschen, die Beredtsamkeit, und folglich geht die Frage in eine neue Fassung über, nämlich in die Kritik der religiösen Rhetorik.

So ganz handlich und spruchreif ist uns übrigens hiermit die Sache doch noch nicht zurechtgemacht; ^* Wirkung. denn die Kritik der Rhetorik hat wieder ihre zwei Seiten, die nicht mit einem Worte erledigt werden können. Zunächst sehen wir aber sofort, dass alle Redner den Werth ihrer Leistung nach dem Erfolge beurtheilt wissen wollen. Hätte deshalb Kalchas bei Homer seine Rede, worin er die religiöse Interpretation der Pest gab, flir Brettschneider, R^nan u. A. plausibel machen wollen, so wäre seine Rhetorik verfehlt gewesen; denn diese Kritiker würden nicht tiberzeugt worden sein; es genügte ihm aber, dass er, der alte schwache Mann, den gössen König Agamemnon und das gewaltige Heer der Griechen zum Gehorsam zwang und sie durch die in ihnen erregte eigene Ueberzeugung von der Richtigkeit seiner Interpretation dazu nöthigte, eine sehr kostspielige und zeitraubende Expedition zur Versöhnung eines entfernt wohnenden Priesterkönigs auszusenden. Für die Medicin ist hierdurch zur Diagnose der Pest nichts gewonnen und nichts für die Therapie; die vielen Generationen der Griechen aber, die sich an solchen alten Wundergeschichten berauschten, be- urtheilten die Leistung des Kalchas offenbar nach dem Erfolge. Mithin müssen wir von dieser Seite der Beredtsamkeit aus- gehend die Kritik der Wunder zu der Entscheidung führen, dass nur diejenigen Wunder anzuerkennen sind, welche Glauben ge- funden haben, und dass nur diejenigen Wunder noch jetzt er- zählt und irgendwie benutzt werden dürfen, welche noch jetzt in dem jedesmal zugehörigen Kreise Glauben finden oder eine gemüthbewegende Wirkung ausüben können. Wenn sich deshalb die Griechen, die Inder, die Israeliten und auch die Christen viele Jahrhunderte lang ihrer alten Wunder bedienten und sie in ihre Gesänge, Tragödien und Reden verflochten, so ist nichts

Digitized by VjOOQIC

186 Religion der Furcht.

dagegen einzuwenden, weil vom Standpunkt der Beredtsamkeit dieses Mittel brauchbar und erfolgreich war; wenn man aber heutzutage bei modern Gebildeten damit Fiasco macht, so ver- urtheilt die Ehetorik mit Recht einen so ungeschickten Gebrauch. Jede fiede ist ungeschickt und verfehlt, die durch Argumente wirken will, welche nicht wirken und nicht mehr wirken können. Deshalb würde auch heutzutage das Christenthum keinen Schuss Pulver mehr werth sein, wenn seine Macht bloss auf Verwandeln von Wasser in Wein, auf Todtenerweckungen, Himmelfahrten und Auferstehungen gestützt werden müsste; denn die Religion ist keine Antiquität, sondern eine lebendige Macht, und sie müsste für unwahr gelten, wenn sie nicht auf gegenwärtig wirkenden Kräften ruhte. Der Redner und also auch der Prediger hat seine Zuhörer nicht überzeugen zu wollen mit Argumenten, die vor zweitausend Jahren Eindruck machten, sondern mit solchen, die jetzt unser Herz bewegen. Nirgends auch haben die grossen Redner und Propheten ihre Beredtsamkeit auf Er- zählung alter Geschichten begründet, sondern immer auf gegen- wärtige Ereignisse, die sie als Wunder deuteten, und sie haben das Alte nur als eine Bestätigung mit erwähnt, sofern sie auf die geeignete Glauben^tmosphäre rechnen konnten.

Obgleich nun die grossen Meister der Beredt- 2. Die Wahrheit, g^mkeit als höchstes Gesetz und Kriterium ihrer Kunst immer nur die Wirkung und den Erfolg hinstellen und also bloss die Macht über die Gemüther in's Auge fassen, so werden wir Philosophen dennoch der warnenden Stimme des göttlichen Piaton folgen, der eine solche Kunst für gesinnungslos und staatsgefahrlich erklärt und auch ihr gegenüber eine noch höhere Norm, die Wahrheit, geltend macht

Die Frage nach der Wahrheit wirft uns aber nicht etwa in die schon oben erledigten Schwierigkeiten zurück, sondern thürmt uns vielmehr Berge von neuen und grösseren Schwierigkeiten auf, die nicht so leicht zu überwinden sind. Deshalb ist es gut, die Arbeit zu theilen, und zwar wollen wir zunächst als Kritiker die religiösen Redner nach diesem Gesichtspunkte der Wahrheit beurtheilen und dann erst in speculativer Forschung den philo- sophischen Begriff des Wunders zu finden suchen.

Wenn es sich nun um die Wahrheit des Wunders dreht, so müssen sowohl die angeführten Zeichen, als auch die darauf

uiuuizeu uy V^J vJVJ V In-

Allgemeinere Fragen. Das Wunder. 187

begründeten Deutungen wahr sein, beides aber darf nicht vom Standpunkte der Naturwissenschaft oder der Geschichte, sondern nur nach dem populären Bewusstsein beurtheilt werden, weil es sich um Beredtsamkeit und um Lebensfragen handelt und nicht um Erörterungen theoretischer Wissenschaft; denn Jeder richtet sich im Leben nach dem, wovon er tiberzeugt ist, und nur in den seltensten Fällen hat man Zeit und Veranlassung, vor seiner Entscheidung noch Theoretiker zu befragen und Experimente anzustellen. Auch beziehen sich die Handlungen auf das individuelle Gebiet, von dem der Theoretiker nichts wissen kann, wie z. B. kein Naturforscher mit aller seiner Wissenschaft zu ergründen im Stande ist, warum mein Pferd John heisst und von wem ich es gekauft habe. Ebenso sind die Werthabschätzungen aller der- jenigen Dinge, die wir in jedem Augenblicke erstreben, per- spectivischer Art, und der Nationalökonom wird den Werth eines Ringes immer anders taxieren, als die glückliche Braut. Aus diesem Grunde ist der logische Satz vom Widerspruch nur mit Vorsicht zu gebrauchen, da widersprechende Urtheile sehr wohl zu gleicher Zeit wahr sein können, wenn man nur die perspec- tivisch gegebenen Umstände hinzunimmt. Ebendarum befindet man sich den alten Wundern gegenüber meistens in einer ftlr dieselben sehr ungünstigen Lage, da man die damalige augen- blickliche Gemüthsaufregung nicht theilt und da auch die augen- blicklichen Hoffiiungen und Befürchtungen, auf welche damals die Deutung begründet wurde, ausser unserem Gesichtsfelde liegen. Wie man um Mittagszeit keine Gespenstergeschichten erzählen wird, sondern erst am späten Abend, so sind wir auch den Wundergeschichten gegenüber in einer meistentheils ganz ungeeigneten Gemüthsverfassung. Nun bekennen wir uns aber zum Christenthum und haben mithin ein Interesse daran, über die Wahrheit der in den christlichen Schriften erzählten Wunder ein festes Bewusstsein zu gewinnen. Da es aber hier unsere Aufgabe nicht sein kann, alle die Einzelheiten durchzugehen und zu prüfen, so muss es uns genügen, ein Princip zu gewinnen, nach dem wir über alle die Einzelheiten zu urtheilcn haben.

Zunächst ist darum aus dem früher Bewiesenen in Erinne- rung zu bringen, dass die Zeichen für die Wunder immer nur Anlass und Nebensache sind, da das Wunder in der Deutung besteht Mithin muss uns als Princip gelten, die Nebensache

uiumzeu uy "V-j vy\J>t Iv^

188 Beligion der Furcht.

für die Nebensache zu halten und die Hauptsache für die Haupt- sache. Es dreht sich daher um die Deutungen und diese zer- fallen in zwei grosse Gnippen. Die erste Gruppe gehört der Furchtreligion und umfasst alle diejenigen Deutungen, die nur für die Damaligen ein perspectivisches Interesse hatten, z. B. ob sie siegen oder unterliegen würden, ob ein Kind ihnen vom Tode gerettet oder sterben werde u. s. w. Die zweite Gruppe aber findet sich in den höheren Religionen und bietet Deutungen, die ein sittliches oder allgemein menschliches Interesse berühren. Für unsere Kritik kommt natürlich nur diese zweite Gruppe in Betracht und wir können als Princip aufstellen, dass der Glaube an die sogenannten Wunder nur von dem Werthe ihrer Deutung abhängt. Je tiefer die sittlichen Ideen sind, die der Prophet dabei erschliesst, je wichtiger das allgemein menschliche Interesse der Furcht und der Hoflhung ist, das dabei erregt wird, je schöner und geistvoller die Allegorie erscheint, welche sich an die Wundergeschichte anschliesst, desto lieber, desto wichtiger, desto überzeugender werden uns auch die Wunder; denn nicht der Glaube an die angeblichen wunderbaren That- sachen trägt den Inhalt und Sinn des Wunders, sondern die geraüthbewegende Macht dieses geistigen Werthes verklärt auch die oft trivialen und für die moderne Auffassung unerträglichen Zaubergeschichten und wirft den Glanz der Poesie, den warmen Hauch des Herzens und den tiefen Ernst des Gedankens wie einen schützenden Mantel über sie.

Um diese Principien für die Kritik der Wunder zu erläutern, wollen wir ein paar Beispiele analysieren. Savonarola befand sich 1496 in Florenz mit seinen Gläubigen in der äussersten Bedrängniss; die Hungersnoth war so gross, dass die Landleute nach Brot in die Stadt kommen mussten und dort elend in den Strassen lagen; die Pest wüthete; der Hafen war von den Feinden fest blockirt; die Franzosen kamen nicht zu Hilfe; nirgends Hoffnung. Da lässt Savonarola eine ungeheure Pro- cession durch die Strassen ziehen und plötzlich sprengte ein Reiter mit grünem Zweige, den er schwenkte, durch das Ge- dränge der Menschen und verkündete jubelnd die Landung eines Getreideschiffes. Die Noth war zu Ende; Gott hatte durch ein Wunder geholfen und sich seinem Propheten Savonarola zu- geneigt. — Hier ist gegen das Zeichen nichts einzuwenden, und

Allgemeinere Fragen. Das Wnnder. 189

die Deutung ist perspectivisch richtig; aber das ganze Wunder wirkte nur auf die Betheiligten, stärkte sie in ihrer Ueberzeugung und ihrem Muthe, und gehOrt, weil es sich bloss um Furcht und Hoffnung in Bezug auf äusserliche Dinge dreht, wesentlich in die Furchtreligion.

Betrachten wir jetzt das Wunder, ohne welches, wie der Apostel Paulus sagt, die Predigt des Evangeliums eitel sein soll. Was sind die Zeichen? Er und viele Gläubige haben den Auferstandenen gesehen. Man braucht aber kaum von den juridischen Schwierigkeiten, Indicien und Gautelen etwas zu wissen, die bei jeder Frage der Identification einer Person auf- tauchen, um sofort darüber im Beinen zu sein, dass auch nicht der Schatten eines gerichtlich oder wissenschaftlich gültigen Beweises ftr die Auferstehungs-Thatsache zu erkennen ist Denn da Paulus jenen Jesus, so lange er lebte, niemals gesehen oder ge- hört hatte, so konnte er auch nicht darüber urtheilen, ob das Bild in seinem Gesichtssinne und die Stimme in seinem Gehörs- sinne dem ihm Unbekannten angehörten. Um über Aehnlichkeit oder Identität zu urtheilen, muss man das zu Vergleichende kennen. Allein gerade an diesem Beispiele kann man sehen, wie nebensächlich die Zeichen sind, und wie verkehrt die modernen Apologeten verfahren, die daraus eine Zänkerei mit den Naturforschern machen und die Kanzeln mit leeren Dispu- tationen entweihen; denn der religiöse Beweis gehört in die Beredtsamkeit, und was dem Gemüthe genügt, das genügt schlechthin. Des Paulus Beweis war deshalb bloss eine kurze Appellation an die Glaubwürdigkeit derer, welche das Ereigniss verkündeten: „Ich, dem ihr glaubt, hab' ihn gesehen; viele, die ihr kennt und denen ihr glaubt, haben ihn gesehen.^^ Kein Wort von gerichtlicher oder naturwissenschaftlicher Beweisftlhrung; es genügt, wenn Paulus selbst überzeugt war und als Meister der Beredtsamkeit seine hohe religiöse Begeisterung den Gläubigen mitzutheilen verstand. Diese Begeisterung entsprang aber aus der Deutung, in welcher das Wesen des Wunders liegt; denn Gott eröffnete damit den Blick in die jenseitige Welt, in die Welt, wo wir unverweslich weiter leben sollen, wo die Macht und die Tyrannei der Menschen aufhört und Gott in seinem Königreiche herrlich und beseligend regiert.

Digitized by

Google

190 Religion der Furcht.

Sollen wir uns nun an die Kritik der Zeichen hängen? Sollen wir eine Frage, die der Beredtsamkeit und der unmittel- baren Ueberzeugung angehört, vor das gerichtliche und natur- wissenschaftliche Forum bringen, oder gar durch die Analogien des albernen Spiritismus die Sache herabziehen? Ich denke, wir überlassen diese Geschmacklosigkeiten solchen Leuten, die weder der Wissenschaft, noch der Religion zu dienen fähig sind und der Schulung der Methodik entbehren 5 denn wir können ja gleich a priori erkennen, dass nach allem Für und Wider sich nur ergeben wird, dass die angeftihrten Beweise der Auf- erstehung für einen gerichtlichen Urtheilsspruch und für eine naturwissenschaftliche Erkenntniss nicht ausreichen, und dies wussten wir ja schon, da es sich um ein Wunder dreht, also um eine Deutung, bei welcher die Zeichen als blosse Veran- lassung nur nebenbei mit weiser Beschränkung angeftihrt werden dürfen, da jedes Vordrängen dieser Nebensachen den Eindruck des Wesentlichen, die Erftilluug der Seele mit dem Inhalte der Deutung beeinträchtigen muss. Und welches Urtheil hat die Geschichte über die Beredtsandteit des Paulus gefällt? Wir könnten daraus ein neues Wunder machen; denn mit einem Strohhalm von Beweis hat seine eigene Ueberzeugung Tausende seiner Zeitgenossen überwältigt, hat die christliche Kirche be- gründet und schon Jahrhunderte, ja ein paar Jahrtausende hin- durch die ganze höher gebildete Menschheit ergriffen, getröstet und zu der schönsten und kräftigsten Hofihung begeistert. Spricht daraus nicht Gott, der mit den schwächsten Mitteln die grössten und theuersten Wahrheiten zur Anerkennung bringt und mit seinen gering beglaubigten, aber mit unmittelbarer Kraft überzeugenden Geheimnissen ein die Welt überwindendes und be- seligendes Leben begründet?

Wir können deshalb als Princip der Kritik aufstellen, dass die Richtigkeit der religiösen Interpretation eines Zeichens und mithin das Wunder anzuerkennen ist, wenn erstens die Zeichen für den Zweck der Beredtsamkeit genügen und das mehr oder weniger gebildete gläubige Publikum nicht abschrecken und nicht zu nicht- religiösen Reflexionen veranlassen und zweitens wenn die Deutung den perspectivisch gegebenen Umständen ent- spricht und zugleich auch eine ftir uns werthvolle religiöse Wahr- heit enthüllt. So z. B. sind bei dem Paulinischen Auferstehungs-

Digitized by VjOOQIC

Allgemeinere Fragen. Das Wunder. 191

wunder die Zeichen in der Art angegeben, wie sie für Leute, die nicht erkenntnisstheoretisch und kritisch geschult sind, in der Regel genügen. Es bleibt nämlich die Gränzlinie zwischen der Subjectivität und Objectivität des Phänomens unbestimmt, da der blosse Eindruck und die unmittelbare Ueberzeugung entscheiden, ohne dass ein naturwissenschaftliches Interesse zu kritischer Nachforschung wachgerufen würde. Mithin wird durch die zweck- entsprechende Kürze in der beredten Mittheilung der Zeichen unsere moderne Kritik entwaffnet, weil der Apostel sogar auch etwa die Subjectivität der Erscheinung zugeben und dennoch daraus seine Deutung ableiten könnte. Die Deutung aber ent- hüllt ein Geheimniss, das viel grösser und merkwürdiger als das Zeichen ist, nämlich die ewige Bedeutung der Persönlichkeit, die neue Metaphysik des Christenthums, welche die sinnlichen, sogenannten Gegenstände oder Erscheinungen als bloss vergäng- liche Beziehungen hinstellt und die ewige Welt der wahrhaften Wesen zu einer entzückenden Anschauung bringt. Wegen der Wahrheit dieser Deutung hat Paulus mit seinem Wunder gesiegt; diese Wahrheit, welche von einer wirklich exacten Philosophie anerkannt wird, muss das offenbare Geheimniss und die geheim- nissvolle Offenbarung des Evangeliums bleiben, und mit diesem Wunder steht und fällt, wie der Apostel sagt, die Wahrheit des Christenthums.

c. Philosophischer Begriff des Wunders. Nachdem wir den Begriff des Wunders in der Furchtreligion bestimmt und die allgemeinen Grundsätze der Kritik der Wunder- geschichten abgeleitet haben, bleibt uns die Frage übrig, ob wir uns auch eine Beligion ohne Wunder denken können. Es giebt ja unter den sogenannten Gebildeten immer noth wendig eine grosse Masse von Plebejern, wie sie Cicero nennt, die fiir die höchsten Gesichtspunkte der Menschheit kein Auge haben und die deshalb auch die Beligion auf blosse Moralität zurückftihren möchten, weil, der unmittelbare und tageshelle Verkehr des Menschen mit Gott, den jede Beligion fordert, ihnen eine Schatten- welt bleibt, während sie, wie die Fledermäuse nach Aristoteles Metapher, in dem Dämmerlicht der Sinnlichkeit sich mit ihrem Gesichte wohl zurechtfinden können. Da nun die Wunder noth- wendig und immer einen vermeinten oder wirklichen Verkehr

Digitized by VjOOQIC

192 Religion der Furcht.

mit dem göttlichen Wesen bedeuten, das durch Menschen oder Naturerscheinungen zu uns spricht, und ohne solchen Verkehr zwar ein achtbares Verhalten der Menschen untereinander und eine verständige Erkenntniss der Naturerscheinungen, aber keine religiöse Stimmung möglich ist, so dürfen wir die Mühe nicht scheuen, noch den philosophischen Begriff des Wunders zu er- örtern, mit welchem die Religion unzertrennlich verknüpft ist. 1. DicThat- Erörtern wir zunächst die Thatsachen-Frage, ob

Mcben-Fragc. in uuscrcr aufgeklärten Zeit und zwar nicht etwa bloss bei den verschrieenen Gläubigen, sondern auch bei den so- genannten Ungläubigen noch Wunder geschehen. Das oberfläch- liche Urtheil wird zwar sofort bereit sein, das Aufhören der Wunder zu constatiren, weil die kindliche Form der Auffassung und Mittheilung von Wundem im Grossen und Ganzen aufgehört hat; der Philosoph aber, dem die Urtheile der Presse und über- haupt alle die Tagesmeinungen, welcher Art sie auch sein mögen, vollständig gleichgültig sind, wird gerade, weil er seine Schlusssätze auf besseres, nämlich auf ewiges Fundament zu legen hat, die allgemeinen und unveränderlichen Goordinationeu in dem menschlichen Geiste selbst studiren, um dann zu erkennen, dass Wunder geschehen werden, so lange Menschen vorhanden sind, für die sie sich ereignen können, ganz einerlei, in welcher Zeit sie leben mögen, und ob sie gebildet oder ungebildet, Natur- forscher oder was auch immer sind. Ehe ich diesen Satz be- weise, will ich an die äusseren Thatsachen erinnern. Als Philo- soph wird man natürlich für die Constatirung einer Wunder- geschichte nicht den ganzen scenischen Apparat der verschie- denen einzelnen Religionen mit ihren zugehörigen Götter- und Dämonen-Vorstellungen fordern, sondern nur die allgemeinen Be- dingungen, die in der Definition des Wunders liegen.

Da wir aber Wundergeschichten bei ganz Ungläubigen nach- weisen sollen, so müssen wir natürlich die Gottesvorstellung durch die dem Unglauben zugehörige Coordinate ersetzen, weil die Gleichung sonst fehlerhaft würde. An die Stelle des per- sönlichen Gottes tritt also bei dem trivialen Ungläubigen als homologes Glied der Zufall. Sobald man diese noth wendige Correctur angebracht hat, kann nun Jedermann auch heute noch überall die Wunder mit Händen greifen, wohin er nur auch mit geschlossenen Augen seine Finger ausstrecken möge. Denn ganz

Digitized by VjOOQIC

Allgemeinere Fragen. Das Wunder. 193

abgesehen von solchen bedeutenden Natnren, die, wie Göthe, von der Bildung vieler Jahrhunderte berührt, doch zu keinem streng wissenschaftlichen Abschluss ihrer Ueberzeugung gelangt sind, weshalb bei den wunderbaren Fügungen in ihrem Leben, die sie zu erzählen pflegen, der eigentliche Agent unklar bleibt, so kann man auch tagtäglich auf der Strasse hören, wie Crethi und Plethi sich über irgend einen wunderbaren Zufall unter- hält. Bald dreht es sich um grosse und wichtige Ereignisse, wie eine gewonnene oder verlorene Schlacht, deren Entscheidung an einem Haare hing, durch einen wunderbaren Zufall zu Gun- sten des Einen, zum Unglück des Andern gewendet wurde; bald aber betrifft der wunderbare Zufall auch nur die kleineren Privatangelegenheiten, z. B. wie seltsam es sich fügte, dass der Hans seine Grethe fand, oder wie der sich schon verloren Ge- bende durch zufölliges Vorbeikommen eines Andern aus den Hän- den eines Banditen gerettet wurde, oder wie es sich fügte, dass ein Reicher plötzlich sein Vermögen verlor und ein Armer zu Gelde kam u. s. w.

Um nun den Schluss zu begründen, dass diese Zufalls -Ge- schichten der Ungläubigen ächte Wundergeschichten sind, müssen wir den terminus medius, d. h. die in der Definition des Wun- ders gegebenen constitutiven Beziehungspunkte herausheben. Nun dreht es sich in allen diesen imd unzähligen anderen Fällen um Ereignisse, die für uns ein Unglück oder Glück in sich sdiliessen und also auf Furcht und Hoffnung bezogen sindj zugleich wird hier trotz der völligen Natürlichkeit der Vorgänge das Ereigniss dennoch überall wunderbar genannt, d. h. also als ein Wunder betrachtet, weil die Vorgänge nicht nach ihrer natur- wissenschaftlichen Seite in Frage kommen, sondern nach der perspectivischen Beziehung, sofern sie flir unser persönliches Wohl oder Wehe etwas bedeuten. Und es wird die Ursache des Ereignisses auch ganz wie bei den angeblich prähistorischen Wundem nicht in den physischen Agentien gesucht, weil diese ja nach allgemeinen Naturgesetzen wirken, gleichgültig gegen das Individuelle sind und also mit unserem Wohl und Wehe nichts zu thun haben, sondern in dem Zufall, der hier die Stelle des Gottes vertritt. Die Zweifler und Spötter thun also gut, sich stille zu verhalten und zu beruhigen; denn die Gläubigen könnten ihnen den Spott reichlich zurückgeben, da die wunder-

Teichxnüllor, RellgionsphlloBophie. 13 C^ r\r\rs}r>

uiyiiizeu uy Vj WvJV IC

194 Keligion der Furcht

barcii Zufiille als triviale Wundergeschicliten heute noch ebenso dicht gesäet sind, wie einst die poetischen und gemüthvolleren Wunder.

Um nun unserer zweiten Aufgabe zu genügen, nämlich die unentbehrlichkeit der Wunder für den religi()8en Menschen schlechthin mit mathematischer Gewissheit zu beweisen, so gehen wir am besten von dem Begriflf aus, der bei dieser Constatirung der Thatsachen hervorsprang, nämlich von dem Begriflf des Zufalls.

a Die zusam- ^^^ Mcusch ist durch seine Fähigkeit zu denken nienhauge und in vicl höherem Grade als das Thier darauf ange- ^^Grimdc^"^ legt, den Zusammenhängen von Allem, was ge- schieht, nachzuspüren; denn wenn schon das Thier in seinem beschränkten Lebenskreise sich unbewusst dazu getrieben fühlt, so geht bei dem Menschen dieser Trieb in's Unendliche, da der Mensch seinen Lebenskreis mit dem Universum in Con- gruenz setzt und alle Zusammenhänge in der ganzen Welt zu erforschen sucht, wie er selbst die entfernten Nebelflecke jeiiseit der Milchstrasse dazu benutzt, um sich die Vorgänge bei der Bildung unseres Sonnensystems und überhatipt den physischen Bau der Welt zu erklären. Im Anfang der Cultur freilich wird nur, was nützt oder schadet, beachtet, und die Furchtreligion steht deshalb noch hart an der Gränze der Thierheit, da sie auf die selbstsüchtigen AflTecte von Furcht und Hoflfnung aufgebaut ist, wenn auch die Erhebung zur Gottesvorstellung schon eine tiefe Kluft an dieser Gränzregion reisst, über welche das Thier nie in das Gebiet des Menschen hinübergelangen kann. Bei höherer Bildung aber kommt der Mensch dazu, alles Geschehen auf Gesetze zurückzuführen, und so hält er sich für klug, wenn es ihm gelingt, darin die sogenannten Gründe zu erkennen. b Die zweite Unübertrefflich wäre nun diese Klugheit und viel-

präiiiiwe. leicht sogar hinreichend, die Religion auf den Aiis- trTffeuTc" Sterbeetat zu setzen, wenn die empirischen Schlüsse Einzelnen, uicht dic unglticklichc Mitgift von zwei Prämissen besässen, von denen bloss der Obersatz den Gesetzen eingeräumt wird, während der Untersatz immer durch die nicht erschliess- bare Oflfenbarung der Sinne gegeben werden muss. So weiss ich z. B. durch den Obersatz nur, dass brennbare Körper ver- brennen können; dass aber im Jahre 1G92 gerade in der Ab-

Digitized by VjOOQIC

Allgemeinere Fragen. Das Wunder. 195

Wesenheit Newton's ein Leuchter umfallen und sein fertiges Manu- seript über Optik Feuer fangen musste, das kann in keinem Lehrbuche der Physik jemals bewiesen werden. Wenn nun aber schon die Nothwendigkeit des Untersatzes, d. h. die Kenntniss der Thatsaehen und der unerschliessbaren einzelnen Existenz und des wirklichen Zustandes der Dinge, der Wissenschaft eine untibersteigliche Gränze setzt, so noch mehr der leidige Umstand, dass die einzelnen Dinge sich nicht bloss in ihrem Gebiete halten, sondern in das Gebiet der anderen Dinge irgendwo, irgendwann und irgendwie hinübergreifen und so die Erscheinungen hervor- rufen, die wir zufällige zu nennen gewöhnt sind. Was hat das Feuer seiner Natur nach mit Newton und seinem Manuscript zu thun? Und wenn aucli, dass die Hunde beissen können, in jeder Naturgeschichte steht, so kann doch, dass Euripides bei seinem Aufenthalt am macedonischen Hofe von Hunden zerrissen werden musste, keine Wissenschaft auf Naturgesetze zurückführen und aus einem einleuchtenden Grunde erklären, weil die Gründe immer nur das Allgemeine, aber weder das Einzelne, noch die unübersehbaren Möglichkeiten des Zusammentreffens der einzelnen Dinge darzulegen vermögen. Wenn dies gelingen könnte, so würde sofort der Begriff des Zufalls aus der Welt verschwinden, und der Name Zufall würde nur als eine cultur- geschichtliche Antiquität schwerverständlicher Art überliefert werden, wie etwa seit Torricelli der „Abscheu der Natur vor dem leeren Kaum" nicht mehr bei der Anlage von Brunnen im Munde gefiihrt wird. Wenn aber die Wahrscheinlichkeit des Nichtgewinnens bei einer Prämienanleihe für ein oder mehrere Loose und ebenso die wahrscheinliche Sicherheit vor dem Blitz- strahl leicht auszurechnen ist, so ist damit auch nicht entfernt der Zufall erklärt, und kein Statistiker und kein Physiker hat jemals ergründet, warum gerade Hinz und nicht Kunz das grosse Loos gewann und warum gerade Melanchthon vom Blitz nieder- geworfen wurde.

Wir stehen hier vor einer sehr wichtigen Frage

^ ° c. Der Satz

der Beligionsphilosophie, vor einer Frage, die den vom orunde Schlüssel des Wunderlandes des Glaubens in Gewahr- ™^ ^** ^""

fällige.

sam hält, und müssen daher mit Vorsicht und exacter Wissenschaftlichkeit die Untersuchung führen. Besinnen wir uns also auf den Ausgangspunkt. Es handelte sich dort um die

uiyiiized by VjOOQIC

196 Religion der Furcht.

Privilegien der Menschheit, alle Zusammenhänge aller Dinge zu er- forschen und den unbedingten Gebrauch vom Satze des zureichen- den Grundes zu fordern. Demgemäss verlangen wir zunächst die mechanische Erklärung alles Geschehens nach den Gesetzen der Physik und Chemie und nach allen erreichbaren Wissen- schaften. Nun kommt aber die Thatsache der einzelnen Dinge und ihres ZusammentreflFens. Sollen wir hier die Waffen strecken? d. h. sollen wir die Forderung des Gebrauchs unseres Verstandes und unserer Vernunft hier fallen lassen und auf Gründe ver- zichten?

Der Gläubige der Furchtreligion hält nun die Forderung des Vernunftgebrauchs aufrecht-, aber er erlaubt seiner schweifenden Phantasie, die Ursachen durch uncontroUirbare Vorstellungen zu bestimmen, indem er z. B. den Schiffbruch des Odysseus, der durch das ZusammeAtreffen von Meer und Sturm und Schiff ent- stand, auf den .Zorn Poseidons als auf seinen hinreichenden Grund zurückführt, weil dieser ja zürnte und ein Zürnender seinem Feinde immer Gram, Noth und Schaden zu bereiten sucht. Wir können daher in der Furchtreligion nur das Geltend- machen der Vemunftforderung loben, müssen aber die naive Methode ihrer theologischen Interpretation der Naturerscheinungen aufgeben.

Was sagt jedoch der Klügling unserer Zeit? Was weiss er Wissenschaftlicheres an die Stelle zu setzen? Es ist zum Lachen und zum Spotten; denn er weiss Nichts als ein Wort auf den Markt zu bringen, den Zufall. Dass alle Ereignisse, die uns Wohl oder Wehe verursachen, das Resultat mechanischer oder chemischer Kräfte und nach allgemeinen Gesetzen aus den Eigen- schaften der zusammentreffenden einzelnen Stoffe oder Dinge möglich sind, das wussten wir ja freilich; aber weshalb dies Er- eigniss uns oder unseren Freunden und Feinden jetzt gerade hier und unter diesen Umständen nützen oder schaden musste, das wollten wir gern erfragen. „Das war zufällig und hat weiter keinen Grund", lautet die Antwort. Da sind wir also an die Rechten gekommen, d. h. an die Schlechten, die nicht den Muth haben, die Forderungen der Vernunft unbedingt geltend zu machen. Wir werfen sie daher bei Seite zu den Uebrigen; denn sie erklären bloss, was unserer Frage vorher geht, und halten sich bei der weiter vorwärts drängenden Frage ausser Schussweite.

Digitized by VjOOQIC

Allgemeinere Fragen. Das Wunder. 197

Giebt es denn aber eine Möglichkeit und ein

d. Deduction

Recht, den Satz des Grundes wirklich auch auf das der Gültigkeit Gebiet des Zufillligen zu erstrecken, und ist der «^o« »•t.e« vom

TT iT^, . -ii-i. * rw Grunde für dafi

Hunger nach Erkenntniss, d. h. hier einen Zusammen- oebict den zu. hang von Grund und Folge, Ursache und Wirkung, ftiüRen. Zweck und Mittel einsehen zu wollen, nicht vielleicht Gottes. eine durch übertriebene Wissenschaftlichkeit entstan- dene krankhafte üeberreizung der Nerven? Das ist jedoch nur die Frage und das Bedenken der Denkmatten und Yemunftlah- men; Vernünftige aber können ein für alle Mal nicht ohne Ver- nunft auskommen, und dies Bedürfniss ist ihre Stärke und giebt ihnen auch das Gefühl ihrer Stärke. Vernunft aber ohne Gründe, ohne Zusammenhang der Erkenntnisse ist ein Eunuch, der als Sclave im Harem dient. Also wollen wir die Zufallsgläubigen dorthin senden und unsererseits die Forderungen der Vernunft unbekümmert weiter durchftihren.

Alles also, was die Menschen Zufall nennen, müssen wir, wenn Vernunft gebraucht werden soll, als ein vernünftig Geord- netes betrachten. Wie in einer grossen Fabrik alle einzelnen Functionen der Arbeiter und alle Maschinen ineinandergreifen, indem z. B. die Spannkraft der Dämpfe bei einem gewissen Drucke das Ventil öfihet und dadurch die Wände des Kessels entlastet, so muss auch, wenn wir unsere Vernunft nicht bekom- men haben, um sie nicht zu gebrauchen, angenommen werden, dass alles naturgesetzlich nothwendige Zusammentreffen der Dinge mit allem Wohl oder Weh, was dadurch auf die einzelnen Betheiligten zurUckfliesst , einen vernünftigen Zusammenhang habe und sich mithin für die vollendete Erkenntniss in der Ord- nung von Grund und Folge darstellen lasse. Da nun der Grund des Zusammenhangs nicht in dem einen und nicht in dem an- deren der zusammentreffenden Dinge oder Ereignisse liegen kann, weil dabei ein jeder Theil bloss mechanisch sein Werk thut, ohne im Mindesten verantwortlich zu sein für die zufälligen Nebenerfolge, die dadurch fiir Drittß entstehen, so muss eine über den Theilen und vor ihnen vorauszusetzende Ursache von der Vernunft gefordert werden, welche die Gemeinschaft und Zu- sammenhänge der Theilwirkungen geordnet hat. Ein Baum z. B. entwickelt sich nach seinem Gesetz, ohne als Ursache daftir in Anspruch genommen zu werden, dass ein Fink sein Nest darin

uiymzeu uy V^jOOV IC

198 Religion der Furcht.

baut oder ein Unglücklicher sich an einem seiner Aeste erhängt. So lebt das Mädchen ahnungslos flir sich, ohne durch ihr Wissen und Wollen die Ursache zu sein, dass ihr Anblick flir schön ge- halten wird und bei den Männern Liebe erregt, wie auch die Männer ursprünglich nicht im Traum daran gedacht haben wür- den, flir Nachkommenschaft; zu sorgen, wenn nicht dieser zu- fallige Nebenerfolg der Coordination der Geschlechter zur Er- fahrung gekommen wäre, worauf er dann auch mit Absicht gesucht werden kann. Wie aber die Coordination des Geschlechts im Allge- meinen und die einzelnen zugehörigen Thatsachen von Jedermann als nach Grund und Folge zusammenhängende Ereignisse beur- theilt und von jedem Unbefangenen auf einen Zweck der Natur zurückgeführt werden, so müssen wir auch jene anderen Zufällig- keiten, deren zweckmässiger Zusammenhang nicht ersichtlich ist, ohne Zögern auf die ganze Einheit der Natur beziehen und nach der Analogie aus dem Ganzen und der darin waltenden Vernunft alle Coordinationen aller Dinge mit allen zuföUigen Nebener- folgen und allem perspectivischen Wohl und Wehe ebenso ab- fliessen lassen, so lange wir nur im Besitze unserer Vernunft; bleiben. Denn die Vernunft besteht ja in der Beachtung der Zusammenhänge und also in der Ausübung des Satzes vom zu- reichenden Grunde und fordert mithin eine Anerkennung der Vernünftigkeit der Welt, weil jeder Punkt, den wir davon ausnehmen möchten, sofort die Vernunft zur Unthätigkeit und Ungültigkeit verurtheilen würde. So lange Jemand aber bei Vernunft ist, lässt er sie auch nicht um ihr Recht kommen.

Der vernünftige Zusammenhang der Welt ist aber nicht die Summe ihrer einzelnen Theile, da diese ja gerade durch den Zusammenhang erst ihre Existenz und ihren Platz und ihre den anderen Theilen entsprechende Coordination erhalten. . Mithin muss der Grund des Zusammenhanges noch über und ausser den Theilen vorhanden sein, und die Vernunft hat flir diesen allge- meinen Beziehungsgrund aller Dinge früh den Begriff Gottes ge- funden und deshalb alles Zufilllige auf die Weltteclmik Gottes, auf seine Oeconomie oder Regierung zurückgeführt, e Bc riff des ^^ '^* darum schlechterdings vernünftig, nicht

Wunder«, bloss cineu vernünftigen Zusammenhang zwischen der Sonne und dem Thier- und Pflanzenleben, zwischen Auge und Hand, zwischen Ohr und Sprache und zwischen dergleichen

uiymzeu uy "V-j v-zv^'pt iv^

Allgemeinere Fragen. Das Wunder. 199

oflFenkundigen Coordinaten anzunehmen, sondern wir müssen, so lange wir bei Vernunft sind, auch bei den vielversehlungetien Fäden des Gewebes unseres Lebens, deren Woher und Wohin wir nicht enträthseln können, immer als letzten Beziehungsgrund Gott setzen, durch dessen Vorsehung alle individuellen Verkettungen der Dinge mit ihrer perspectivischen Beziehung auf unser Wohl und Wehe bestimmt sind, und mit dem wir durch diese Auf- fassung unsererseits in einen persönlichen und lebensvollen Ver- kehr treten, da andererseits alles was geschieht, Zeichen und Sprache Gottes ist, die wir zu deuten und in Beziehimg worauf wir Stellung zu nehmen haben. Da wir nun in solcher Sprache des Gottes und ihrer Deutung für unser persönliches Leben das Wesen des Wunders erkannten, so befinden wir uns bei aller nüchternen naturwissenschaftlichen Erklärung der Phä- nomene doch durch die tiberall gegebenen zufälligen Neben- erfolge der Dinge, welche weder heute noch jemals zur Natur- wissenschaft gehören, in einem übernatürlichen Verkehr mit Gott, sofern wir als metaphysische Wesen zu ihm als metaphysischem Wesen Stellung nehmen, seine physisch wahrnehmbaren Zeichen deuten und perspectivisch in die objectiven Phänomene der Natur und Geschichte auch noch einen für uns bestimmten gött- lichen Sinn hineinlegen.

Ich will dies noch an dem Beispiele des Dichters erläutern; denn dass z. B. Kraniche zuweilen über unseren Köpfen hin- ziehen, ist ein natürliches Ereigniss, dessen Erklärung keine be- sondere Mühe erfordert; damit ist aber nicht ausgeschlossen, dass vom perspectivischen Standpunkte Timotheus sich dabei seines Mordes erinnerte und diese Erscheinung darum mit dem Hilferuf des Ibikus in Verbindung setzen musste. Da er nun an Götter glaubte, musste er auch in dieser für die übrigen Zu- schauer ganz gleichgültigen und gewöhnlichen Erscheinung ein Wunderzeichen, eine Fügung des rächenden Gottes erkennen, was in seiner durch die Tragödie erschütterten Seele die Furcht mächtig auslöste, ihn zum Bekenntniss der Schuld trieb und so einen Wendepunkt in seinem Leben herbeiführte. Wer weiss nicht, dass in dem Leben der bedeutenden wie der unbedeuten- den Menschen immer einmal Zeiten äusserster Bedrängniss oder Beklemmung eintreten; wenn dann durch ganz natürliche, aber nicht vorgesehene und nicht allgemein bestimmbare Umstände,

uiumzeu uy "V-j vy\J>t Iv^

200 Religion der Furcht.

die wir zufällig nennen, ein Mensch erscheint, der nns beiläufig Rettung bringt, so wird derselbe vom perspectivischen Stand- punkte aus immer als ein Engel Gottes angesehen werden. Und diese Auffassung widerspricht nicht der natürlichen Erklärung durch die näheren Umstände, bleibt vielmehr neben derselben zu Recht bestehend, weil ja nur die Beschränkung des Blicks auf die einzelnen Theile und Umstände der Sache den Begriff des Zufälligen erzeugt, während diese scheinbaren Zufälligkeiten, wie alles Einzelne mit einem Plane und einer Regierung des Ganzen zu verknüpfen sind.

So scheint es, wenn wir nur das Einzelne, z. B. die Zähne betrachten, zufallig zu sein, dass unter dem Zwerchfell sich ein Magen befindet und dass auf dem Felde ein Bauer Korn mäht und dass der Wind eine Mühle treibt u. s. w., gleichwohl gehören alle diese Zu&Uigkeiten zu einem technischen Systeme zusammen und sind nothwendige Schlusssätze zwingender Prämissen für eine das Ganze und das Einzelne ordnende Intelligenz. Darum kommen wir zu dem mit streng philosophischer Methode gefun- denen Resultate, dass die Wunder unentbehrlich sind in jeder, auch der höchsten Religion, weil Religion immer den Vernunft- gebrauch voraussetzt und weil nur die Bomirtheit auf freien Vemunftgebrauch verzichtet, indem sie Wunder läugnet und dafür den hirnlosen Gott, ich meine den Zufall, walten lässt.

Wenn in einem Staate Gesetze gegeben werden, der Anwendung 80 kommcn die Wirkungen derselben bei tausend Ge- dea Satzes vom legcnheitcn jedem Einzelnen einmal zu Gute; gleich- de«™afÄi»gen. wohl wird sich kein einzelner Bürger einbilden dürfen, dass der Gesetzgeber ihn gekannt, seine zukünftigen Wünsche bei dieser oder jener Gelegenheit vorgesehen und in seinem Interesse berücksichtigt hätte. Deshalb wird er es auch nur einen glücklichen Zufall nennen können, wenn er bei solchen Gelegenheiten aus dem Zusammentreffen der Institutionen und Gesetze mit seinen Lebensverhältnissen einen Vortheil zieht, und es wäre lächerlich, wenn er darin ein politisches Wunder sehen wollte, d. h. eine über die natürlich erkennbaren Gesetze des Staates hinausgehende geheime Kundgebung der souveränen Staatsgewalt, die mit ihm in einem übernatürlichen persönlichen Zusammenhange stände und durch solche Zeichen ihre Gunst ihm offenbaren wollte; denn der Souverän und die Gesetzgeber

Digitized by VjOOQIC

Allgemeinere Fragen. Das Wunder. 201

haben auch im Traume nicht an Hans und Peter gedacht, die bei der Zolterhöhung nun etwa gerade ihre gr<5sseren Yorräthe mit Glück absetzen können. Wenn hier also der Begriff des Zufalls und des Glücks und Unglücks am rechten Platze ist, so folgt dies aus der unendlichen Mangelhaftigkeit des mensch- liehen Staates, der nur das Allgemeine nothdürftig berücksich- tigen kann, weil das Individuelle gänzlich über den Bereich seiner Intelligenz hinausgeht Die Vernunft darf hier darum nicht bloss, sondern muss auf die Geltendmachung der Vernunft- forderung verzichten, weil sie die natürliche Schwäche und die Schranken der Vernunft in dem Gesetzgeber erkennt, der das Leben der Einzelnen nujr nach wenigen gemeinsamen Beziehun- gen mühsam und oft recht misslungen zu ordnen versucht.

In der grossen Natur der Welt ist die Sache aber Gottlob 1 anders bestellt, und es ist noch Niemand aufgetreten, der die Welt hätte besser einrichten können. Die erste Handlung eines solchen klügeren Weltschöpfers hätte auch sein müssen, die Vernunft in dem Menschen abzuschaffen, um zu verhindern, dass der Satz vom Grunde überall geltend gemacht und eine durchgehende Vemünftigkeit alles Geschehens in der Welt verlangt würde; denn dann wären die Wunder und das Bedürfniss nach Wun- dem verschwunden und dafür der Zufall und die Dummheit zur Anerkennung gekonunen und somit das Becht, den Weltverbes- serer zu kritisiren und auch eine individuelle Berücksichtigung und Leitung von ihm zu erwarten, beseitigt Wir werden daher jenem grossen Menschenkenner und klugen Staatsmanne zwar nicht widersprechen, wenn er sagt, „es sei erstaunlich, mit wie wenig Verstand die Welt (d. h. der Staat oder die Menschen- welt) regiert werde"; da wir aber durch die Ordnung der Natur selbst unsere Vernunft mit ihren logischen Forderungen erhalten haben, so können wir der Natur der Welt gegenüber, die nicht von Menschen regiert wird, auf unsere Vemunftforderung nicht verzichten. Es ist darum zweifellos, dass wir den Zufall als ein unwissenschaftliches Erklärungsprincip der Ereignisse verwerfen müssen, da er bloss aus dem Gebiete menschlicher und mangelhafter Vernunftthätigkeit seinen Ursprung genommen und nur aus Unwissenheit über die Coordinationen der Begriffe und nach uuberechtigter Analogie auf die Natur übertra- gen ist

Digitized by VjOOQIC

202 Religion der Furcht.

Die Naturforscher, welche so gern die menschlichen Vorur- theile und Illusionen verspotten, sind deshalb, weil ihnen die philosophische Schulung fehlt, und weil sie die Geschichte der- jenigen Begriffe, die sie arglos gebrauchen, nicht studiren, selbst in eine solche Illusion geratheu und haben, mit Ausnahme natür- lich der grossen, philosophisch gebildeten Forscher, den perspec- tivischen und subjectiven Begriff des Zufalls harmlos auf die ganze Natur ausgedehnt, obwohl sie den zugeordneten Begriff des Zweckes und der Absichten bei der Erklärung der Natur- erscheinungen nicht geltend machen, was ebenso lächerlich ist, als wenn ein Schulmeister zwar Fehler constatiren, aber die zugeordnete Regel über das Richtige verleugnen wollte. Wie wir aber in der Natur tiberall die strengste Ordnung nach den Gesetzen antreffen ohne das mindeste Versehen, ohne die min- deste Beschränktheit der Kraft und der Wirkung, so haben wir auch keinen Grund, um auf die natürliche Vemunftforderung ihr gegenüber zu verzichten. Streichen wir aber den nach dem Vorbilde menschlicher Verhältnisse in die Natur hineingedichteten Begriff des Zufalls, so verschwindet sofort die Bomirtheit der Naturordnung und mithin die sinnlose Blindheit des Zusammen- treffens der Körper und der Ereignisse, und wir stehen staunend vor dem Riesenwerke göttlicher Technik, welches wir die Welt nennen und in welchem, wie in einer klug organisirten Fabrik, alle Vorgänge in sinnvollem Zusammenhange stehen und für einander etwas wirklich und wahrhaft bedeuten, weil sie alle auf einander berechnet und durcheinander vermittelt sind. Der Ausdruck Znfall bedeutet dann, wenn wir ihn im Gebiete der Natur gebrauchen, nicht mehr einen Tadel der Weltordnung, son- dern weist nur auf die Schranken der menschlichen Erkenntniss hin, welche allerdings nicht hinreicht, dies grösste Kunstwerk ganz zu durchschauen und zu erklären; denn wir müssen, indem wir einige Ereignisse als zufallig bezeichnen, mit diesem Aus- druck bloss die Gränze unserer Fassungskraft angeben, da es uns nicht mehr geziemt, was unser menschliches Können über- steigt, auch der Natur abzusprechen.

Diese Normirung der Anwendbarkeit des Begriffes des Zu- fälligen und die Begränzung des subjectiven und objectiven Ge- brauches können wir aber nur finden, sofern wir eine unbedingte Anwendung vom Satze des Grundes machen, d. h. sofern wir

Digitized by VjOOQIC

Allgemeinere Fragen. Das Wunder. 203

denken; denn wir müssen immer einen hinreichenden Grund haben, um auf einen hinreichenden Grund Verzicht leisten zu wollen. Dem Denken aber entspricht das Denkbare und das Denkbare ist die Welt; mithin ist die absolute Vemtinftigkeit der Welt ebenso sicher, wie die Vemünftigkeit der Vernunft, da das Denkbare als Denkbares nur im Denken vorhanden ist. Wie aber alles Sichtbare unbedingt den Gesetzen des Auges unter- liegt, obgleich nicht alles von uns gesehen wird, so braucht auch die Vemtinftigkeit aller Dinge nicht von unserer Vernunft überall erkannt zu werden. Die Vernunft kann deshalb ihre eigenen Gränzen abmessen, da sie einen absolut gültigen Mass- Stab besitzt, und kann mit derselben unfehlbaren Sicherheit sich zur Bescheidenheit verweisen, wie sie mit schrankenloser Kühn- heit den Begriff der absoluten göttlichen Welttechnik aufbaut.

Speculative Erörterung der Principien dieser Deduction.

Ich will das Neue in dieser Argumentation exact hervorheben. Früher hatte man mit Kant das Zu- der Neuheit fällige als dasjenige definirt, was durch keine Ur- «»ieae« Beweises. Sachen bestimmt wird, und dagegen die apriorische Gausali- tätsforderung geltend gemacht, um eine allgemeine mechanische Noth wendigkeit alles Geschehens anzunehmen, wonach bei ge- nügender Kenntniss der Daten alle Ereignisse wie eine Sonnen- und Mondfinstemiss im Voraus bestimmt werden konnten. Man hatte zweitens auch ausser dem Gegensatz des Zufälligen gegen die mechanische Ursache noch den Gegensatz gegen die Zweck- ursache gefunden und gestützt auf die organischen Erscheinungen und einige in der Natur wahrgenommene Zweckmässigkeiten die empirische Hypothese gewagt, dass alle Dinge nach einem Zwecke könnten hervorgebracht sein, weshalb auch die Nachforschung nach Zwecken in der Natur als regulatives Princip für den Gebrauch der Vernunft zulässig sein sollte. Ich erkenne nun erstens einen Fehler Kant's darin, dass er das Zufällige in Gegensatz zu dem mechanisch Nothwendigen stellte, während der Begriff des Zufalligen nur und ausschliesslich in Coordination zu dem Begriff des Beabsichtigten, d. h. des nach einem Zweck Bestimmten gedacht werden kann. Denn was

uiymzeu uy V^nOOy IC

204 Religion der Furcht.

nicht verursacht ist, das ist auch überhaupt nicht geschehen und nichts Wirkliches; was aber nicht beabsichtigt war, das ist zu- fallig. Zweitens erkläre ich den apriorischen Satz vom zu- reichenden Grunde als zugeordnet nicht der mechanischen Ur- sache, sondern der Vernünftigkeit überhaupt, d.h. der Ein- heit des in jeder Beziehung zusammenstimmenden und geordneten Ganzen, wobei der mechanische Zusammenhang nur eine zwar selbstverständliche, aber« doch nur abhängige und untergeordnete Folgerung bildet Ich kann daher das Resultat meiner Beweise auch so ausdrücken, dass statt der früher angenommenen pro- blematischen Behauptung einer Teleologie, di&auf eine empi- rische Hypothese gestützt war, jetzt eine apodiktische For- derung der Teleologie tritt, gestützt auf eine apriorische Er- kenntniss der Vernunft. Die Nothwendigkeit des mechanischen Zusammenhangs der Dinge, die für Kant schon befriedigend er- schien, erweise ich als dreifach zufällig, erstens wegen des bloss thatsächlichen und also zufälligen Charakters jedes Naturge- setzes an sich selbst betrachtet, zweitens wegen der im Unter- satze zu liefernden bloss thatsächlichen und also zufälligen Um- stände, bei denen das Naturgesetz erst zur Anwendung kommen kann; drittens wegen des bloss thatsächlichen und also zufälligen Vorhandenseins der Kategorie selbst, auf welche Kant das Gausalitätsgesetz begründete.

Es ist aber nicht nur interessant zu erforschen, warum eine gewonnene Erkenntniss nicht schon früher gefunden wurde, son- dern es ist auch die Pflicht ftir denjenigen, der die Neuheit einer Erkenntniss behauptet, zu beweisen, weshalb dieselbe früher nicht gewonnen werden konnte. Ein solcher Beweis erscheint nun für Nichteingeweihte ausserordentlich schwer, da sie glauben, es müssten unzählige literarhistorische Untersuchungen angestellt werden; die Sache ist aber für Dialektiker leichter anzufassen, weil sie wissen, dass jeder Begriff seine zugehörigen Coordinaten hat, und man daher durch Hervorhebung derjenigen Begriffe, welche mit unserem Satze unverträglich sind, die Frage sofort entscheidet, ebenso wie die Unschuld eines Angeklagten sofort feststeht, sobald sein Alibi erkannt ist.

Nun kann Jedermann einsehen, dass der apriorische Cha- rakter des Beweises alle diejenigen Schulen unverzüglich von der Concurrenz ausschliesst, die der empirischen und positivisti- schen Richtung huldigen. ^,^, .^^^ ^^ GoOqIc

Allgemeinere Fragen. Das Wunder. 205

Es bleiben also nur die speculativen Systeme übrig. Diese lassen sich darnach scheiden, ob sie das Unendliche und mithin Zeit and, Baum und Nichts in den Begriff des Seins aufnehmen oder nicht Die erste Richtung ist durch den antiken und auch den modernen Idealismus von Fichte, Schelling, Hegel, Lotze u. A. vertreten, und alle diese Philosophen können von vornherein für eine etwaige Concurrenz nicht in Frage kom- men, da sie durch den Begriff der Sealität von Zeit, Baum,*) Unendlichkeit und Negativität immerfort ein verschwindendes, unnützes und zufalliges Sein gebrauchen, das durch seinen nicht bloss perspectivischen, sondern realen Contrast diö Idee in ihrer Lebendigkeit und Würde erhalten muss. Die Unendlichkeit ist der Todfeind des Zwecks und die Negativität im Sein tödtlich jeder bleibenden Bedeutung des Individuellen und jeder Provi- denz des individuellen Geschehens im Sein, weshalb die idealisti- sche Welt ja auch wie von der Tarantel gestochen in rasender Bewegung ist und immerfort in die nichtseiende Vergangenheit zerstiebt, wie sie sich athemlos in die nichtseiende Zukunft stürzt und dort umsonst zu retten sucht

Ausser diesen auf solche Art sich selbst eliminirenden Nega- tivitäts- oder Unendlichkeitssystemen bleibt nur das Herbarti- sche übrig, welches vernünftiger Weise das Seiende individuell fixirte, dagegen Zeit und Baum und Unendlichkeit idealisirte. Allein dieses System, welches nun allein noch concurriren könnte, wird dadurch sofort ausgeschlossen, dass es den Ursprung des Seinsbegriffs nicht entdeckte und darum die realen Wesen wie sinnenföUige Körper in bloss mechanische Zusammenhänge brachte und überhaupt wegen speculativer Schwäche des Urhebers in nackten Mechanismus und mathematische Spielerei verfiel, wo- durch eine apriorische und apodictische Forderung der Teleologie für alles individuelle Dasein unmöglich wurde, was Herbart ja selbst erkannt und offen bekannt hat, indem er Kant's regula- tives Princip bloss in eine ästhetische Auffassungsform umwandelte.

*) Lotze giebt in seiner Metaphysik zwar den Raum auf, behält aber die Zeit und das Nichts als Ingredienzen des Seins zurück und rechnet sich daher selbst unter diese Idealisten, die es ihm freilich verdenken werden, dass er den schönen unendlichen Raum sich hat rauben lassen.

Digitized by

Google

206 Religion der Furcht.

Somit glaube ich hinreichend gezeigt zu haben, weshalb weder die antike noch die moderne Philosophie den Gedanken- gang finden konnte, der in dem obigen Beweise eingeschlagen ist. Für denjenigen, der meine „Neue Grundlegung der Meta- physik" kennt, war dieser Beweis nicht erforderlich; denn die neue Erkenntniss des Seins, die dem individuellen Wesen einen ewigen Platz in Gottes technischem Weltsystem einräumt und die neue Auffassung des Denkens, das nicht mehr die übrigen Functionen des Geistes zu verschlucken sucht, sondern sich be- scheiden als eine Function neben den beiden andern der Ein- heit der Persönlichkeit unterordnet, verbürgen von selbst einen nach allen Seiten gerichteten Neubau der Philosophie.

Die Religion erfordert das Wunder: das Wunder erfordert den schrankenlosen Gebrauch der Vernunft; dieser erfordert als Voraussetzung die Vemünfkigkeit der Welt; die Vemünftigkeit der Welt erfordert die Abhängigkeit aller mechanischen Ursachen von einem letzten Zweck. Die Frage ist daher: wie lässt sich die schrankenlose Zweckmässigkeit alles Seins und Geschehens in der Welt erweisen? Wir haben die Antwort darauf gefunden; denn die Vernunft ist der Mittel- begriflf (terminus mcdius) aller hierzu erforderlichen Schlüsse. Die Vernunft ist uns thatsächlich gegeben und hat als zuge- hörig den Satz vom Grunde, der nur durch unbedingte Zweck- mässigkeit der Welt befriedigt werden kann; andererseits ist die Keligion nur wahr, wenn sie mit der Vernunft übereinstimmt, so dass nichts Religiöses gegen die Vernunft streitet und nichts Vernünftiges gegen die Religion.

Was also die früheren Philosophen zu Gunsten des Glau- bens an die unbeschränkte göttliche Weltregierung, d. h. an die unbedingte Zweckmässigkeit der Welt, angeführt haben, das haben wir als noch ungenügend erkannt. Kant's Spiel zwischen Einbildungskraft und Verstand und seine subjective Maxime zur Beurthcilung der in der Sinnlichkeit gegebenen organischen Formen ist ebenso wie Herbart's ästhetische Auffassung gewissermassen eine pneumatische Exegese des allegorischen Platonischen Mythus, wonach Gott die Materie zu überreden sucht, sich der Idee zu fiigen; denn die Materie bedeutet Philonisch und Kantisch die Sinnlichkeit oder die Einbildungskraft, die Idee aber die Ver- nunft, und die Ueberredung bedeutet den Mangel der Nothwendig-

* uiyiiizedby VjOOQIC

Allgemeinere Fragen. Das Wunder. 207

keit oder das Spiel und die Subjectivität. Ebenso unbefriedigend war uns die moderne Ausdrucksweise, wonach in Gott die Idee der Güte und Liebe den Vorzug haben sollte vor der Idee des Gesetzes und der Nothwendigkeit; denn obwohl man demgemäss wohl auch mit Güte und Liebe den bei solchen Versicherungen her\^ortretenden Mangel an einem gesetzlich zwingenden und nothwendigcn Beweise zudecken müsste, so geht uns dies doch gegen das Gewissen und widerstreitet unserer Neigung zur reinen Wissenschaft

Mithin bleibt als einzig genügend nur der oben ausgeführte neue Beweis übrig, dass vernünftige Wesen sich nur als solche benehmen können, wenn sie gemäss dem Satz vom zureichenden Grunde eine unbedingte Zweckmässigkeit alles Denkbaren fordern, weil dieser Satz vom Vemunftgebrauch unabtrennbar ist; mithin ist jeder Verzicht auf einen Zweckznsammenhang, d. h. jede An- nahme eines Zufalls, unvernünftig und beleidigend fbf Jeden, der Vernunft besitzt; mithin sind Wunder nothwendig flir vernünftige Welt- und Geschichtsauffassung; Leugnung der Wunder aber ist ein Zeichen unreifer Vernunft.

Diese Wiederholung der obigen Argumentation soll die Frage einleiten, die wir nun als das schwie- Kritik rige speculative Problem zu erörtern haben, ob sich ifneAi&rulhkei" nicht auch über den Urspnmg dieses so ungeheuer nnd vorau«- weit gebietenden Satzes vom zureichenden Grunde ^^^eH^principa!^*^ eine Bechenschaft geben lasse. Logiker von ge- wöhnlichem Schlage werden nun zwar glauben, dass jetzt an sie die Reihe zum Lachen gekonmien sei, da die Frage nach dem Ursprung oder dem Grunde des Satzes vom Grunde ja die Gültigkeit dieses Satzes schon voraussetze. Allein die selbst- ständigeren Köpfe werden sehen, dass uns solche schon von Aristoteles her ererbten Einwendungen*) natürlich nicht .fremd sind und dass es sich um ein neues Problem handelt, das nicht einmal leicht aufzufassen, geschweige denn zu lösen ist ftir Jemand, der bloss die bisherige Philosophie beherrscht.

Denn um zunächst den alten Einwand des Aristoteles zu beseitigen, als könne man über ein Princip, nach dem man sich

*) Aristot. Metaphysicorum lib, IV C, 1011 a 13 a::oo*i|s(i>; y«P ^VJi

Digitized by VjOOQIC

208 Religion der Furcht

immer richtet, nicht hinausgehen and als wäre deshalb der Satz vom Grunde ein voraussetzungsloses und unerklärliches Princip, welches erklären zu wollen, widersinnig sei: so ist der Gedankengang dieser Instanz nach beiden Seiten sehr mangel- haft. Erstens nämlich steht nichts im Wege, das Princip, nach dem man sich richtet, zu studieren, es in eine Reihe von Gleichungen aufzulösen und es dadurch zu erklären, so dass es zwar noch voraussetzungslos bliebe, aber nicht mehr uner- klärlich heissen könnte. Was zweitens die Yoraussetzungs- losigkeit betrifft, so konnte sie von Aristoteles natürlich nur indirect bewiesen werden, nämlich nur dadurch, dass Jeder, der einen Grund (eine Voraussetzung) daftLr giebt oder fordert, das Princip selbst schon voraussetzt. Dieser Beweis vernichtet sich aber selbst, weil wir uns dadurch nur jau eine Kette angeschmiedet fUhlen würden, ohne zu begreifen, weshalb wir gefangen sind, d. h. ohne den Satz vom Grande anzuwenden, der ja als Gesetz keine Ausnahme gestattet. Der Satz vom Grunde verlangt des- halb gerade begründet zu werden, wenn er ein Gesetz ist und befolgt werden soll.

Unsere neue Philosophie kann nun diese Schwierig- 1. Erkiiran^ keitcu leicht aus dem Wege räumen; denn erstens Tom Grunde. ^*®^* ®^^^ ^^® Priucip durch Glcichung vollkommen erklären. Bei einiger Besinnung muss man nämlich darüber bald in's Beine kommen, dass kein Denkender sich. im Denken durch irgendwelche Gesetze einschränken lassen wird; das Denken ist ja eine freie Thätigkeit, wie das Sehen und Hören. Wenn jenes Gesetz also angeblich über alles Denken herrschen soll, so kann dies nur bedeuten, dass es das freie Denken selbst beschreibt und fremdartige Elemente ab- wehrt. Solche fremde Elemente sind aber die gedankenlos ein- gemisphten Producte der mechanischen Ideenassociation und der schaffenden Phantasie. Das Gesetz * gilt also nur fllr seine Ueber- treter, oder für die Fremden, die nicht zu den Kindern des Hauses gehören. Das Denken selbst kennt kein Gesetz, sondern seine eigene Natur ist das, was dem Fremden als das Gesetz erscheint. Das Denken besteht in Vergleichung von Beziehungs- punkten (minor und major), die nach einem Gesichtspunkte (medius) vereinigt oder getrennt werden. Diesen Gesichtspunkt nennt man den Grund, und weil wir auf diese Weise denken

Digitized by VjOOQIC

AllgemeineFe Fragen. Das Wunder. 209

im Unterschiedo von blinden Associationen und Phantasien^ so sagt man, es sei ein logisches Gesetz anzuerkennen, das Gesetz des Grundes. Mithin ist uns jetzt dies Gesetz durch eine Gleichung vollkommen erklärt, und wir begreifen seine ausnahms- lose Allgemeingültigkeit, weil es ja nur ein anderer Ausdruck ftir das Denken selbst ist. Ich will es erläutern an einem Bei- spiel concreten Denkens.

Wenn der Arzt an das Krankenlager tritt, nach dem Puls flihlt, nach dem Athem horcht, die Wärme misst, die Muskel- reactionen prüft und dann zu den Kindern sagt: „Euer Vater ist todt", so hat er zwei Beziehungspunkte verglichen, die An- schauung von dem Menschen dort und die Begriffe von Leben und Tod. Der Satz, den er ausspricht, wäre aber kein Urtheil, wenn er nicht den Gesichtspunkt oder Grund (medius), nach welchem er das Subject mit dem Prädicat verknüpft, in dem selbigen Bewusstsein vereinigte. Ebenso verhielte es sich, wenn der Arzt sagte: „er ist nicht todt, er lebt" Denn immer musste er die beiden Beziehungspunkte nach dem Gesichtspunkte ver- gleichen, ob ein Puls merkbar, ob der Athem hörbar oder irgend- wie wahrnehmbar, ob die erforderliche Wärme vorhanden wäre u. 8. w. Lässt man den Gesichtspunkt unausgesprochen, so nennt man den Satz ein Urtheil, fligt man ihn durch einen cau- salen Satz hinzu, so heisst das Ganze ein Schluss. Ein Denk- act aber ist das Urtheil nicht, wenn der Gesichtspunkt oder Grund dem Urtheilenden nicht gegenwärtig war. Deshalb ist jeder Denkact ein Schluss. Da er aber als Ganzes mehrere Beziehungspunkte enthält, so kann man seinen Blick auch bloss auf einen Punkt richten und diesen dann in Beziehung zu dem Ganzen nach dem Gesichtspunkt der Theilung einen terminus nennen, wie man auch auf die Verknüpfung und Trennung von zwei termini blicken mag, um diese Beziehung in ihrer Isolirung in Hinsicht auf das Ganze ein Urtheil zu nennen. Folglich ist das Denken ein Schliessen und mithin gehört zum Denken immer ein Grund. Also ist das Gesetz vom zureichenden Grunde bloss eine Beschreibung des freien Denkens selbst.

Um aber nicht den Schein zu erregen, als ob wir bloss aus Neigung neue Wege suchten, müssen ^»^"^ «^«^ ^o«*"^ wir erst darlegen, weshalb die jetzt betretenen und üblichen Wege nicht an's Ziel flihren können. Wir vergleichen

Teicbmäller» Religiouspbilosopbie. uiymzelAjy ^^.jOOQIC

210 Religion der Furcht.

dazu das Compendium von Wundt Da werden ¥jir nun sofort nicht begreifen, wie Wundt (Logik S. 515) sagen konnte: «Der Satz des Grundes als allgemeines Gesetz der Abhängigkeit der Begriffe beherrscht dieser seiner Bedeutung gemäss insbesondere auch diejenige Denkform, in welcher die Abhängigkeit der Urtheile von einander ihren Ausdruck findet, den Schlüsse Denn es müsste darnach doch erstens Denkformen geben, die keinen Schluss in sich enthielten, also nicht gedacht wären. Und zweitens scheint nach Wundt der Schluss unter der Herrschaft jenes Gesetzes zu stehen, also nicht vollkommen frei zu sein und bloss seinen Ausdruck oder seine Beschreibung in demselben zu finden. Auf die Freiheit wollen wir aber nicht verzichten und bedürfen beim Denken auch keines Parlamentes, um uns eigenen Zwangsgesetzen zu unterwerfen.

Wir wollen aber genauer auf die herrschenden Gedanken- gänge eingehen, um sie erst nach vollständiger Erkenntniss ihrer Unzugänglichkeit zu verlassen. Sehen wir also zunächst, wie Wundt (Logik L S. 517) den „Satz vom Grunde" definirt: „er ist das Grundgesetz der Abhängigkeit unserer Denkakte von einander^^ Bei dieser Definition kann ich nicht vermeiden, an zwei Punkten Anstoss zu nehmen; denn erstens bedeutet das Wort „Abhängigkeit" doch die Bedingtheit durch eine Ursache, die, wenn sie von einem Denkenden geltend gemacht wird, einen Grund bildet, weshalb ein circulus in definiendo vorliegt; zweitens werden in der Definition „Denkakte" genannt, die von „Denkakten" abhängig sein sollen, so dass es also, wie Wundt auch sonst annimmt, Urtheile ohne Grund gicbt, d. h. Denkakte vor dem Schluss, also Denkakte ohne Denken. Er zerlegt das Denken in Denkakte, wie einen äusseren Gegenstand in seine Theile, die auch äussere Gegenstände sind. Nun ist jeder Theil eines Körpers von den anderen Theilen physikalisch und chemisch abhängig, und so soll auch jeder Denkakt von einem anderen abhängig sein. Es giebt aber keinen Denkakt ohne Grund, und dieser Grund liegt nicht draussen, wie im Raum der andere Körper, der etwa weit entfernt als Sonne die Bahn der Erde bestimmt, sondern der Grund gehört in den Denkakt selbst hinein.

Wenn darum Wundt sagt (I S. 516): „Der Satz vom Grunde drückt aus: Mit dem Grund ist die Folge gegeben; mit der Folge

uiyiiized by VjOOQ i^

Allgemeinere tVagen. Baa Wunder. 211

ist der Grund aufgehoben; aber nicht: mit der Folge ist der Grund gegeben^', so ist dies ebenfalls gar zu ungenau ausgedrückt, wie schon der Indicienbeweis zeigt. Es wird bei all diesen Lehrsätzen immer das Sprachliche mit dem Logischen ver- mischt Denn man kann bei complicirten Denkakten allerdings mit blossen Worten einen Theil als eine Folge bezeichnen und allein für sich aussprechen, ohne dass man damit sofort die Gründe wüsste. Man hat dann zwar zwei Wörter, die zu einem Satze verknüpft sind; aber man weiss darum diesen aus einem Gedankenzusammenhang sprachlich abgelösten Theil nicht als Folge, sondern kann ihn These oder Problem nennen und muss, um etwas dabei zu denken, durch Hypothesen die er- forderlichen Gesichtspunkte oder Gründe suppliren, sofern dies thunlich ist Sagt Jemand : „also ist der Kreis viereckig*', so hat er keine Folge (conclusio), d. h.. keinen Gedanken, sondern nur einen grammatischen Folgesatz ausgesprochen, weil man wegen der Natur des Denkens nichts isolirt, d. h. ohne Coordination, denken kann. Soll die Folge als Folge gelten, so muss der die Coordination bestimmende Gesichtspunkt mit angegeben oder supplirt werden.

Wenn man z. B. hört: „Die Freiheit ist Nothwendigkeit", so supplirt man, dass diese Leute dabei an die Motivation aller so- genannten freien Entschlüsse denken. Daher kommt es auch, dass bei einer seltsamen Behauptung geäussert wird: „Du denkst wohl, dass u. s. w.", oder „er denkt da1)ei an u. s. w." weil man immer voraussetzen muss, dass zu einem Denkakt auch ein Gesichtspunkt oder Grund gehört, wenn man nicht sagen soll: „es sind leere Worte".

Um aber zu zeigen, wie Wundt's Auffassungsweise auch tiberall Selbstwiderspruch hervorbringen muss, will ich an den Abschnitt über „die logische Evidenz*' erinnern. Dort er- klärt Wundt (I S. 72 ff.): „Da die logische Evidenz nicht in den Processen des Denkens liegt, so kann sie nur auf dessen Re- sultaten beruhen. In der That zeigt es sich uns an jedem beliebigen Beispiel, dass die Sicherheit der Resultate des Denkens die einzige Quelle dessen ist, was wir logische Ge- wissheit nennen." Hier wird jeder denkende Leser einen kleinen Schreck zu überwinden haben, weil er früher, wie z. B. beim Lesen dieser Argumentation bei Wundt, die Resultate seines

212 Religion der Furcht.

Denkens arglos in seinem Denken selbst zn besitzen glaubte, während nun plötzlich wie mit einem Ruck „die logische Evi- denz'^ und „Sicherheit^' aus seinem Gedankenzusammenhang her- ausgerissen und wer weiss wohin geschleudert wird. Es ist aber wichtig zu wissen, wohin diese Sicherheit fliegt. Wir lesen des- halb weiter S. 75: „Die unmittelbare Evidenz dieses Denkens hat ihre Quelle stets in der unmittelbaren Anschauung.^' „Die äussere und innere Erfahrung ist die einzige Quelle der unmittelbaren Evidenz." Also in die Anschauung und Erfah- rung soll die Sicherheit versetzt werden, d. h. in diejenige Region, welche die Thiere bewohnen. Wir wollen gewiss auf diese breite Grundlage der menschlichen Entwickelung nicht ver- zichten, legen auch hohen Werth auf Anschauung und Erfahrung und glauben, dass Wundt gewiss an etwas Vernünftiges bei Formulirung seiner Thesis gedacht hat Wenn aber die empi- rischen Forscher ihm gleich zustimmen werden, so hat der Philo- soph leider die üble Rolle, sein Veto geltend zu machen, weil alle seine Begriffe in keiner Anschauung anzutreffen sind. Mit welchem Sinne könnte das Gute, Schöne, die Freiheit, Noth- wendigkeit, die Beziehung, Eigenschaft, das Sein u. s. w. an- geschaut werden, da alle diese Ideen oder Begriffe ohne Farbe, geruchlos, unfassbar, unhörbar u. s. w. sind und auch durch keine innere Erfahrung gegeben werden! Wenn Wundt aber unter „innerer Erfahrung" etwa das Denken meinte, so würden die Philosophen freilich ihm auch zustimmen, dann jedoch nicht mehr begreifen, weshalb die Sicherheit der Resultate des Denkens nun noch ausserhalb des Denkens liegen könnte. Bei der ersteren Interpretation ist also Wundt's Behauptung für alle Ver- nunftwissenschaft zu cassiren; bei der zweiten Interpretation ent- hält sie einen Selbstwiderspruch.

Machen wir einmal die Probe der Wundf sehen Behauptung bei seinem Axiom oder Satz vom Grunde ! An der äusseren Er- fahrung lässt er sich nicht prüfen, weil „Gründe" weder als Elemente oder Processc der Chemie, noch als Pflanzen oder Thiere bekannt sind; ebensowenig aber reicht die innere Erfah- rung Hülfe, denn wer hätte jemals „Gründe" erfahren, ich meine solche Zustände, die weder Zorn, noch Neid u. s. w. sind, sondern keine andere Eigenschaft besässen, als nur „Gründe" zu sein. In der Erfahrung ist der Satz vom Grunde also nicht anzn-

uiymzeu uy V^jOOV IC

Allgemeinere Fragen. Dos Wunder. 213

treffen; aber gesetzt, er wäre es, d. h. wir hätten die nöthigen Exemplare der Species Grund im Hinterlande von Zanzibar oder irgendwo aufgefunden, so würde daraus der Satz vom Grunde durch Induetion abzuleiten sein, dann aber zugleich aufhören ein Axiom zu bilden und unbedingte Gültigkeit zu besitzen; er würde nur problematische oder inductive Gewissheit beanspruchen können. Mit welchem Recht hätten wir dann aber die Induetion als Beweisverfahren anwenden dürfen, da der Begriff „Beweis" schon den Satz vom Grunde voraussetzt? Auch hier also läuft die Auffassung Wundt's in einem Cirkel.

Wir legen Wundt's Auffassung daher vernünftiger Weise nur die gute Schulung des ausgezeichneten Physiologen zu Grunde, der dabei an die vielen Hypothesen der Physiologie dachte und natürlich Beweise dafür ad oculos oder durch's Mikroskop oder durch's Experiment forderte. Allein bei allen Gedankenprocessen zur Erklärung der Naturerscheinungen werden die philosophischen Fragen schon als abgemacht Yorausgesetzt, und so hat Wundt's Behauptung nur eine praktische, aber keine logische Bedeutung. Denn eine Anschauung oder eine äussere und innere Erfahrung hat ja an und fUr sich genommen niemals Evidenz, da sie eben- sowohl Hallucination und Traumvision sein kann, und da erst das Denken Sicherheit und Evidenz der Erkenntniss verleiht. Evidenz ist kein Prädicat der unmittelbaren Anschauung, wie Wundt behauptet, sondern des Denkens in seiner Coordi- nation mit dem Gefühl. (Vgl. oben S. 39.) Die Thiere haben auch Anschauungen, aber wissen nichts von Evidenz und Er- kenntnisssicherheit, weil dergleichen dem Denken zugehört. Wundt's Logik ist deshalb zwar flir angehende Naturforscher ausserordentlich schätzbar, weil er sie mit den Methoden und der Anwendung vieler philosophischen Begriffe auf die Erfah- rungswissenschaft bekannt macht; die Philosophie selbst aber findet ihr eigenes Gebiet darin nicht bearbeitet. Für den Philo- sophen können die sogenannten Resultate des Denkens nicht in sogenannten Anschauungen und Erfahrungen zur Evidenz ge- bracht werden, weil Anschauungen und Erfahrungen, wenn man sie auch dem Thier zugesteht, nur blinde und mechanische Ver- einigungen von Empfindungen sind; wenn man sie dem Thier abspricht und nur dem Menschen vindicirt, selbst durch Denk- akte zu Stande kommen und jedenfalls in den Denkakt als

Digitized by VjOOQIC

214 Religion der Furcht.

Beziehnngspuukte mit hineingehören. Denn wenn man auch dem Bauer das Kesultat des Experiments zeigt, so gewährt ihm die Anschauung doch keine Evidenz, weil er sie nicht als Mo- ment in den ganzen complicirten Denkakt, der z. B. das Gesetz des Falls betrifft, einschliessen kann. Dass ich Wundt so aus- führlich berücksichtige, möchte ich als ein Zeichen der Achtung und als Anerkennung seiner durch lange Schulung in der Natur- forschung erworbenen Umsicht und Sorgfalt angesehen wissen; denn z. B. solche ungeschulte und stammelnde Versuche in der Logik, wie die eines Lange, halte ich der Erwähnung flir un- werth.

Es fragt sich nun, weshalb das Princip des zu- 2. Begründung reichenden Grundes flir voraussetzungslos ge- vom"G^ndo. ^^^^^^ wird. Die Frage scheint schnell abgemacht, weil es nämlich bei jeder weiteren Erforschung seines Grundes schon selbst vorausgesetzt wird. Es ist darum zwar keine Frage mehr, dass es wirUich für unser Denken all- gemeingültig ist; voraussetzungslos braucht es darum aber noch nicht zu sein, und nur der falsche Idealismus, der schliesslich alles Sein und Geschehen auf das Denken oder auf die Idee zurückflihrt, ist daran schuld, dass man nicht einmal den Ver- such machte, das Princip auf eine höhere Instanz zurückzuführen. Wie hätte man auch an einen solchen Versuch denken können, da man bisher zwischen der Sphäre des Wissens und Erkennens einerseits und der Sphäre des Bewusstseins andererseits noch nicht zu scheiden vermochte, sondern das Bewusstsein auch als einen Erkenntnissprocess auffasste.

Für die neue Philosophie aber liegt die Lösung der Frage auf der Hand; denn das Princip vom Grunde ist das blosse Be- wusstsein der Function des Denkens überhaupt, welches in der Wahrnehmung und Auffindung von Coordinationssystemen beruht, wodurch immer zwei Punkte durch einen Gesichtspunkt einander zugeordnet werden, wie Sohn und Vater durch die Erzeugung. Mithin gilt das Princip flir alles Denken. Da aber auch Ge- dankenlosigkeit, Confiision und allerlei Vermengung von Gedanken mit den Einschiebseln mechanischer Reproduction stattfindet, so fehlt dem Princip der autoritative Charakter, wenn nicht noch etwas hinzukommt; denn an sich genommen bildet das richtige Denken nur Eine Gruppe unter den verschiedenen Formen von

Digitized by VjOOQIC

Allgeraeinere Fragen. Das Wunder. 215

Vorstellungsverknüpfungen und hat an sich keinen Vorzug vor den anderen, da es nur anders, aber nicht besser ist, als das Uebrige. Diese Quelle der Autorität kann unsere neue Philo- sophie nun angeben, während der Idealismus, der bisher in dieser Frage allein das Wort führte, dies nicht vermag; denn die kriti- sche und empirische Richtung in der Philosophie brauche ich nicht zu erwähnen, da sie entweder überhaupt nicht mehr zur Philosophie gerechnet werden darf oder sich der BegriflFe des früheren Idealismus bedient. Der Grund der Autorität oder Geltung des Satzes vom Grunde, d. h. des Vorzugs des Den- kens vor dem bloss thierischen Beproductionsmechanismus und seiner Einschiebung in die Denkarbeit, liegt einfach in der Coordination der Functionen unseres Geistes, da sich je nach dem ideellen Inhalt und nach den realen Bewegungen ein zu- gehöriges Gefühl auslöst und das dem Denken zugeordnete Ge- fühl befriedigender und stärker ist, als alle die übrigen, so dass dieselben vor ihm verschwinden. Demgemäss erkennen wir das dem mächtigeren und allein befriedigenden Gefühle zu- geordnete Denken als das Wert h vollere an und nennen seinen Inhalt wahr oder die Wahrheit. (Vergl. oben S. 40). Hier- durch ist die Autorität des logischen Princips erklärt. Es ist zwar voraussetzungslos für das Gebiet der Erkenntniss, weit es nichts anderes bedeutet, als eine Beschreibung des Denkens und Erkennens selbst; es ist aber nicht voraussetzmigslos seiner Autorität nach; für diese bildet vielmehr die Voraussetzung eine andere geistige Function, das Gefühl, welches allein den Begriff von Werth und Autorität begründet.

Durch diese AuflFassung wird uns nun auch das Causalitätsgesetz verständlich; denn durch die dMCauHaiuäte- Coordination der bewegenden Function mit dem prfncip. ideellen Inhalt ist das Bewusstsein von Ursache und Wirkung gegeben, da die Veränderung als ideelles Sein in's Bewusstsein tritt und in Zuordnung zu unserer Bewegungsfunction, welche Ursache heisst, Wirkung genannt wird. Indem wir aber durch unsere Bewegung jetzt dieses, jetzt jenes Phänomen unseres Be- wusstseins auslösen, nennen wir uns jedesmal die Ursache und jenes die Wirkung und projiciren die Wirkungen in die soge- nannte Aussenwelt. Wenn nun die Bewegung durch das Er- kenntnissvermögen unter Leitung des Gefühls auf eine bestimmte

Digitized by

Google

216 B«ligion der Furcht.

Wirkung als Zweck gerichtet ist, die das Gefühl befriedigt, aber nicht durch eine einfache Bewegung erreicht wird, so sind wir genöthigt, mehrere Bewegungen auszuflihren, welche die ge- wünschte Wirkung vermitteln. Es sei z. B. der Apfel am Baum Zweck; nun müssen erst die Bewegungen des Gehens und Klet- terns ausgeführt werden, dann das Greifen und Brechen des Zweiges, und endlich ist das Ziel erreicht. Diese Vermitte- lung zwischen Zweck und Bewegung giebt die Idee des Nütz- lichen, und die Zugehörigkeit jeder Veränderung zu jeder Be- wegung die Idee des Nothwendigen und Mechanischen, die aber nicht so einfach entspringt, sondern durch eine Reihe an- derer Coordinationen fest bestimmt wird. Alles Nothwendige und Mechanische muss sich aber wegen der Goordination unserer Functionen als dem Zweck untergeordnet darstellen, weil es nur dadurch begriffen wird; denn ohne das dem Zweck zugeordnete befriedigende Geflihl und die vorhergehende Unlust würde keine einzige Bewegung ausgelöst werden. Mithin verstehen wir zwar präliminarisch die mechanische Causalität ohne den Zweck- begriff, nämlich als die blosse Goordination zwischen unserer be- wegenden Function und der im Bewusstsein auftretenden Ver- änderung des ideellen Inhalts; aber wir begreifen sie nur voll- ständig, wenn wir den vollständigen Inhalt des Bewusstseins vergleichen und die bewegende Function als ausgelöst erkennen in jedesmaliger Zuordnung zu einem Gefühl, so dass der Zweck den ganzen Zusammenhang des in uns vorhandenen Goordinaten- systems ausdrückt.

Diese ftlr unsere perspectivische Auffassung nothwendigen Begriffe wenden wir aber ohne Bedenken auf die wirklichen Wesen ausser uns und also auf die ganze Welt an, weil ja der Verkehr mit diesen wirklichen Wesen erst unsere Functionen in's Spiel setzt, und die auswärtige Ordnung also mit unserer indivi- duellen Ordnung tibereinstimmt; denn jedes Nichtübereinstimmen, z. B. das Nichterreichen eines Zieles, bestätigt uns ja die Rich- tigkeit unserer Begriffe, z. B. den Begriff der Nothwendigkcit und des Mechanischen. Es ist daher undenkbar, dass in der äusseren Welt eine andere Ordnung herrsche, als die Begriffe anzeigen, welche uns durch unseren Verkehr mit der äusseren Welt entsprungen sind.

Digitized by

Google

AJIgemeinere Fragen. Das Wunder. 217

Wir suchten also den Satz vom aOireichenden

_,_. __, _ •_ TT-. RecapituUUoir.

Grunde, wie er selbst es verlangt, zu begründen. Da nämlich dieses Gesetz für das Denken gilt, das Denken aber semiotisch die ganze Wirklichkeit umfasst, so kann das Denken nur dann eine Erkenntniss der Wirklichkeit enthalten, wenn es in seiner Form die Foim der Wirklichkeit ausdrückt. Die Form der Wirklichkeit ist aber, wie wir gesehen haben, die Coordi- nation, indem eine jede Coordinate ihre Function in Zuordnung zu ihrer zugehörigen Coordinate hat Folglich müssten die ein- zelnen Elemente des Erkenntnissvermögens sinnlos, also keine Erkenntnisse, sein, wenn sie, wie einzelne Farbenempfindungen oder Töne, für sich sollten gedacht werden und nicht mit ein- ander durch einen Gesichtspunkt in Coordination träten. Die durch Coordination begründende Forüi des Denkens ist deshalb die Zeichensprache der Wirklichkeit und wiederholt in seiner specifischen Natur, als ideelles Sein, die in Wirklichkeit gege- bene Coordination aller Functionen, wie die Schriftzeichen in ihrem eigenthümlichen Wesen dennoch das eigenthümliche Wesen der Töne oder der Gedanken zu einem entsprechenden Ausdruck bringen. Da nun in dem jedesmal zugehörigen Gesichtspunkte der sogenannte Grund angegeben wird, so kann nichts ohne zu- reichenden Grund gedacht werden, was als Denken und Erkennen gelten soll, und mithin ist das Gesetz zureichend begründet

d. Gebrauch des Wunders in der wahren Religion.

Durch diese Untersuchung des Begriffs des Zufalls wird nun der Religion, was ihr gehört, zurückgegeben, der Begriff und der Gißbrauch des Wunders. Die Philosophie übt damit nicht bloss einen Akt der Gerechtigkeit aus, indem sie die Ucbergriflfe kurz- sichtiger und beschränkter Köpfe abweist, sondern sie befriedigt zugleich ihren eigenen Trieb, der auf unbedingte Forschung aus- geht und also unbedingt und überall Gründe und Zusammenhänge in dem technischen System der Welt fordert Es bleibt uns des- halb hier zum Schluss wieder die doppelte Aufgabe übrig, die schon bei dem Ursprung der Wunder in der Furchtreligion ge- stellt wurde, nämlich erstens die Erkenntniss der Wunder und zweitens die Psychagogie für den Gebrauch in der höchsten, der christlichen Religion, wenigstens im Umriss anzudeuten.

Digitized by VjOOQIC

218 Religion der Furcht.

1. Die Erkennt- ^^ ^^ ^^^^ gczcigt hat, dass clic Wunder wesent- niua der wun- lich ZUF Rcligion gchörcD, 80 kanu kein religiöser *^®'* Mensch gedacht werden, der nicht Wunder erlebt und erkannt hätte, weil er sonst überhaupt keinen Glauben an die lebendige Wirksamkeit Gottes in der Welt haben könnte. Zugleich aber ist auch einleuchtend, dass die Erkenntniss der Wunder auf einer individuellen und also perspectivischen Interpretation beruht. Ein jeder christlich gebildete Mensch wird, wenn er auf sein Leben zurückblickt, hier und da Knoten- punkte seiner inneren Entwickelung wahrnehmen, wo es, wie mit den Sternen, entweder abwärts oder aufvfärts mit ihm ge- gangen ist. An diesen Punkten wird er zwar nicht die Constel- lationen der Planeten beachten, aber doch immer in dem natür- lichen und doch wunderbaren Zusammentreffen der Ereignisse die Zeichen göttlicher Fügung und Leitung ausgestellt sehen, denen er folgte, oder deren Weisung er zu widerstehen suchte, und deren Spuren in dem Wohl und Wehe seines inneren Le- bens eingegraben sind, bis er endlich zum Frieden mit Gott ge- langte und sein Leben als von Gottes Hand geleitet sich selber im Gebet oder seinen Kindern darlegt. Eine solche Interpretation ist nothwendig perspectivisch, weil sie erstens die volle Kennt- niss des individuellen Seelenlebens voraussetzt und zweitens anch die individuelle Persönlichkeit zum Gesichtspunkt nimmt, sofern alle übrigen Menschen und alle Ereignisse der grossen Welt nur als dienende Mittel flir die individuelle Entwickelung und für das Heil der Einzelpersönlichkeit zur Geltung kommen. Wer nun nach seinem kleinen geistigen Horizonte eine solche Be- trachtungsweise für logisch falsch und lächerlich erklärt, weil der Einzelne ja in dem grossen Ganzen nur eine verschwindende Rolle spiele und kaum der Rede werth sei, der spricht eben, wie er's versteht, und kann eine gute ehrliche Haut sein, bleibt aber natürlich weit von wahrer Philosophie und Christenthum entfernt und muss noch viel lernen, um einzusehen, dass in dem vollendeten technischen System jeder Theil als unentbehrliches Glied das Dasein des Ganzen mitbedingt und dass jeder Theil, wie er dem andern dient, auch selbst Zweck der übrigen ist. Dieses souveräne Recht der individuellen Wesen ist das Geheimniss der wahren Philosophie und nur deswegen Geheim- niss, weil die philosophischen Sekten, der Naturalismus, der

Digitized by VjOOQIC

Allgemeinere Fragen. Das Wunder. 219

Idealismus und der Positivismus von den oberflächlicheren An- schauungsbildern der Sinne oder den verständigen Abstractionen des Denkens ausgehen, um sich darnach eine Vorstellung von der Substanz zu machen, während die wahre Philosophie den Ursprung aller SeinsbegrifiFe in dem den Sinnen und dem Ver- stände verborgenen und doch so einfachen und offenkundigen Selbstbewusstsein erkennt und daher dem individuellen Wesen die zeitlose Ewigkeit und mithin auch das Recht und die Gtiltig- keit seiner perspectivischen Auffassung der Welt verbürgt. Die perspectivische Auffassung aber vermittelt die Zeichensprache des einheitlichen Ganzen durch die natürlichen Lettern der ein- zelnen Ereignisse, die nicht bloss nach dem äusserlichen und ge- meinsamen Resultat und den allgemeinen Gesetzen, sondern auch nach dem Reflex auf das innere Leben der einzelnen Seele ge- deutet werden dürfen und sollen. So ist durch eine umfassen- dere metaphysische Topik der Sitz und das Recht des Wunders und seiner Literpretation begründet und gegen alle Kritik der beschränkteren philosophischen Confessionen sicher gestellt.

Da nun die Wunder in der Leitung der Seele durch die weltregierende Hand Gottes der individuellen Interpretation über- lassen sind, so ist es auch angezeigt, sie nicht an die grosse Glocke zu hängen; denn durch solche eitle und äusserliche Schaustellung würde ja das innere Leben der Seele selbst pro- fanirt. Der Vater mag daher in vertrautem Gespräch seinem Kinde die wunderbare Hand Gottes, die ihn geleitet, zeigen, um die junge Seele zu höherem Sinne und tieferem Verständniss des Lebens zu entwickeln. Die öffentliche Mittheilung aber mag bloss den grossen Genien der Menschheit zugestanden werden, die, wie ein Augustin und ein Göthe, es verstanden, ihr inneres Leben wie ein sichtbares Kunstwerk vor Augen zu stellen, wo denn auch die Fügungen Gottes Anderen ebenfalls verständlich werden können. Das ist aber nicht Jedermanns Sache, sondern die Meisten sind wegen ihres unreifen Verstandes und wegen der Unreinheit ihres Herzens, das noch von den niederen Motiven der Furchtreligion befangen ist, nicht im Stande, eine richtige Interpretation ihres Lebens zu liefern, und bringen daher Wunder- geschichten zu Markte, fiir die sie bloss Spott und Züchtigung verdienen. Darum werden von solchen sogenannten Christen, die aber eigentlich Gläubige der Furchtreligion sind, die Wunder,

Digitized by VjOOQIC

220 Beligion der Furcht

welche sich bei der Deutung unseres Lebens von selbst finden müssen 7 absichtlich gesucht und, wie einst die Auguren nach Wunderzeichen forschen mussten, so schlagen diese rathlosen Köpfe und friedlosen Herzen irgend ein ihnen heiliges Kalender- buch oder die Bibel auf und meinen in dem ersten besten Vers oder Wort, das ihnen in die Augen ßllli und sich irgendwie zu einem für sie passenden Sinne deuten lässt, ein wunderbares Losungswort aus göttlicher Höhe erhalten zu haben.

Wie für den Einzelnen, so ist wegen der Gemeinschaft des Lebens auch für die Familie, die Nation und die Menschheit eine perspe(!tivische Deutung der Weltgeschichte erlaubt. Allein hier liegt die Gefahr nahe, zu der jüdischen Philosophie der Ge- schichte (S. w. u.) zurückzukehren, oder die äusserlichen und für das Leben der Seele geringwerthigen sogenannten Fortschritte der Civilisation zum Massstab zu nehmen. Diese Frage erfor- dert deshalb eine grössere Untersuchung, die erst bei der Philo- sophie des Christenthums geliefert werden soll-, ich bemerke daher hier nur, dass die christlichen Theologen mit Recht die adäquate Auffassung der Wunder mit dem Namen „Heilsgeschichte" abgränzen, dass sie aber mit grossem Unrecht das Heil an die Kirch thürme hängen, als wäre die äusserliche Institution der Kirche nicht ebensoviel Eitelkeiten und pathologischen Verderb- nissen ausgesetzt wie die übrigen natürlichen Mittel, wodurch Gott sein Reich regiert. Es ist ohne Zweifel ein unzerstörbar gesunder Saft in der Kirche, aber die jeweiligen Gärtner thun gut, sich nicht einzubilden, dass sie selbst die süsse Wurzel Josse wären und dass die Heilsgeschichte sich nur innerhalb der ihnen bekannten kleinen Gartenzäune abspielte.

Da nun auch in der höchsten Form der Religion

2. Die Phycha-

gogie. das Wesen des Wunders erhalten bleibt, indem es, wie aus den Windeln der Furchtreligion entlassen, ohne die kindischen Illusionen und ohne die abergläubischen Ammenlieder zu edler Freiheit und kraftvoller Männlichkeit im Umgang mit wissenschaftlicher Einsicht sich erhebt: so muss auch neben der Erkenntniss des Wunders sein psychagogischer Gebrauch geregelt werden. Für die selbsterlebten Wunder ver- steht sich dieser auch von selbst; die Schwierigkeit liegt nur darin, wie die in den kanonischen Schriften unserer allein wahren

Digitized by VjOOQIC

Allgemeinere Fragen. Das Wunder. 221

christlichen Religion überlieferten Wunder wahrheitsgemäss und heilsam gebraucht werden können.

Nun giebt man den Kindern unbedenklich die Grimmischen Märchen und die Odyssee und Ilias in die Hände, und es gilt mit Recht für abgeschmackt, statt sich an dem Sinn dieser Er- zählungen zu erfreuen, mit altkluger Kritik auf die Fabelhaftig- keit derselben aufinerksam zu machen. Man soll aber nicht meinen, als müssten die heiligen Schriften, welche die christliche Gemeinschaft tragen und erleuchten, in dieselbe Linie rücken. Vielmehr wird Kind und Gemeinde den mächtigen Unterschied sofort in ihrem Gefühl und Gewissen empfinden, da sich sowohl beim Lesen selbst, als auch durch die Autorität, welche die Lehrer der Kirche diesen Schriften beilegen, der Werth und Sinn und die Gültigkeit derselben mit unzweifelhafter Deutlichkeit heraus- stellt. Wenn gleichwohl bei einigen Geschichten die Aehnlich- keit heidnischer und christlicher Wunderberichte zum Vorschein kommt und die Kritik sich regt, so scheint es mir im Allge- meinen pädagogisch richtig zu sein, die vorzeitige Aufinerk- samkeit der Kinder von dieser Seite der Sache abzulenken, da sie kein sittliches und religiöses Interesse bietet, sondern in naturhistorische , astronomische , physikalische und chemische Fragen hinüberführt. Der junge religiöse Mensch hat genug zu thun, mit sich selbst in Ordnung zu kommen, und braucht diese höchste Angelegenheit nicht von Erörterungen weltlicher Wissen- schaft, deren Arbeit noch lange nicht abgeschlossen ist und die er auch selbst noch nicht in competenter Weise beherrscht, ab- hängig zu machen. Sollten aber wegwerfende Aeusserungen competenter Naturforscher gerade die Oeflfentlichkeit beschäftigen, so hat man der Jugend gegenüber wohl das Recht, auf die Nichtigkeit solcher Autorität hinzuweisen, da immer nach ein paar Menschenaltem alle früheren Naturforscher den späteren als unwissend*) erschienen sind, während die heilige Schrift ihr Haupt ruhig über Jahrtausende erhebt und das heilige Feuer der religiösen Gesinnung unerloschen und unverlöschlich erhält Auf diesen Sinn und diese unendliche und zeitlose Grösse des

*) Auch als lächerlich, wenn sie inzwischen das Richtige genauer erkannt zu haben glauben, wie denn z. B. des Cartesius Zirbeldnlse und Wirbel und esprits animaux und Swammerdamms Samenthierchen- Männlein nur mit einer komischen Sauce in den akademischen Vorlesungen servirt zu werden pflegen. ^^ GoOqIc

222 Religion der Furcht.

inneren Werthes hat man den Ton zu legen und die kritische Untersuchung dem Streite der Gelehrten zu tiberlassen.

Den Erwachsenen und höher Gebildeten oder den Gelehrten muss man aber natürlich Rede stehen tiber alles, was sie fragen wollen. Unsere erste Pflicht wird demgemäss sein, dem preussi- schen Könige Friedrich Wilhelm nachzuahmen, der 1713 bei seinem Regierungsantritt die Etatliste aller bisher bestehenden Hofbeamten von Anfang bis zu Ende durchstrich, indem wir unsererseits die bisherigen Apologeten verabschieden, meinet- wegen auf gnädige Art mit Pension und Uniform. Wie jene Hofschranzen durch die kostspieligen Würzen des Hofjargons das Unwahre mundgerecht und das Ueberflüssige unentbehrlich zu machen verstanden, so suchen diese mehr einfältigen als ge- sinnungslosen Apologeten das fromme Publikum zu überreden, dass die Wundererzählungen und der ganze Bericht, den wir von Leuten einer längst überwundenen, unreifen und volksmässigen Bildungsstufe überkommen haben, alle Ansprüche der Wissen- schaft überbiete imd neben Newton's Gesetze, wie neben die officiellen Berichte des preussischen Generalstabes gestellt werden könne. Solche höfische Apologeten brauchen wir nicht mehr. Wir werden uns vielmehr der königlichen Worte erinnern: „aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast Du Dir ein Lob zubereitet", und werden deshalb auch die ungeschulten und un- kritischen Wundererzählungen nur fttr das nehmen, was sie sind, für Auffassungen der Dinge, wie sie noch heute bei Kindern und im Volke erzählt werden und Glauben finden. Statt mit der unvertilgbaren Missbilligung des Gewissens diese Berichte für baare Münze auszugeben, werden wir den Ursprung und Sinn derselben beachten und statt eines unerfreulichen und im Grunde verlogenen Gezänkes mit den Vertretern der exacten Wissen- schaften in die sittliche und religiöse Sphäre übertreten, wo sofort die Naturforscher und Historiker ehrerbietig zurückweichen, und wo das Leben und die unbestrittene Wahrheit dieser Ge- schichten wohnt. Nur dadurch kann auch verhütet werden, dass die Christen bloss als eine Sekte bomirter und von der geschicht- lichen Entwickelung der Menschheit losgelöster Leute erscheinen, während das Christenthum vielmehr die offenkundige Macht sein will, die bei der hellsten Beleuchtung nur immer werthvoUer und mächtiger heiTortritt.

Digitized by VjOOQIC

Allgemeinere Fragen. Das Wunder. 223

Mithin werden die höher Gebildeten, wenn sie sehen, dass man ihre Gesichtspunkte theilt und als Gleichgebildete theilen muss, auch von der Geschmacklosigkeit abstehen, die naive Aussenseite der Wunder immer wieder der Kritik zu unterwerfen und mit den Thürhütem zu zanken, statt in die Wohnung zum Gespräch mit dem Herrn des Hauses einzutreten. Die Prediger, denen die Benutzung der Wunder zur Psychagogie anvertraut ist, haben also die Pflicht, den Sinn und Geist derselben zum Zwecke der Erbauung herauszuheben und mithin nur die. sitt- liche und religiöse Bedeutung zu betonen. Ich muss gestehen, dass die katholische Kirche darin zuweilen der protestantischen überlegen erscheint, und bitte um die Erlaubniss, eine kleine persönliche Erfahrung zu erzählen. Ich trat in die Katheclrale zu Schwyz, wo ein Kapuziner die Kanzel bestieg und die drei Wundergeschichten von der Erweckung von Jairi Töchterlein, vom Jüngling zu Nain und vom Lazarus verlas. Während ich mich nun schon darauf gefasst machte, die abgedroschenen und gewissenlosen Phrasen über Gottes Durchbrechung der Natur- gesetze und dergleichen unerbauliche Sophistik anhören zu müssen, wurde ich aufs Höchste überrascht, weil dieser Mann im. ein- fachen wollenen Hemd, ohne eine Silbe über alle nicht in das Gebiet der Religion gehörige Streitfragen zu verlieren, die Ge- schichten ganz unerörtert stehen liess und aus ihnen, wie aus Parabeln, nur die tieferregende Schilderung zog, wie der Mensch in die Sünde und den Tod der Sünde in drei Stufen verfällt, was er an den Lebensaltem deutlich machte, wie aber die wiedererweckende Kraft Gottes auch den schon in stinkende Verwesung tibergehenden Verbrecher noch erreichen und zum Leben der Liebe und des seligen Friedens zurückführen könnte. Mit sichtlicher Aufinerksamkeit und innerlicher Erregung folgte die Gemeinde seinen Worten, die als Frucht nicht den Stoff zu einem werthlosen theoretischen Salon -Geschwätz hinterliessen, sondern eine dem Worte der Wahrheit zukommende lebendige Kraft bildeten zur Leitung des Lebens und zur Einreihung unserer Persönlichkeit in den Dienst des Reiches Gottes. Dies Bei- spiel möge hier genügen; die genauere Anweisung, wie die Wunder- geschichten der heiligen Schrift zur Psychagogie zu benutzen sind, gehört in die christliche Homiletik, wo noch einige andere Wege des Gebrauchs ausser dem parabolischen gezeigt werden müssen.

uiuuizeu uy "V-j vy\J>t Iv^

224 Beligion der Furcht.

Ich liebe nicht das Yersteckspielen, welches sowohl Kant als Hegel mit den Theologen trieben, indem sie die dogmatische Ausdrucksweise gebrauchten und doch etwas Anderes dabei im Sinne behielten. Deshalb erlaube ich mir immer an deutlichen Beispielen die Begriflfe zu illustrieren, und möchte auch hier noch gern ein Beispiel ausfllhren. Da nämlich z. B. bei jenen Todtenerweckungen gar nichts Geschichtliches herauskommt, da weder das Mägdlein, noch der Jüngling, noch der Lazarus nach- her irgend etwas leisten, was in der Geschichte ruchbar und von Einfluss geworden wäre, so haben diese Erzählungen auch nur eine allgemeine, d. h. parabolische Bedeutung und können nicht als Wunder in achtem und strengem Sinne der Heils- geschichte angehören. Wenn dagegen Paulus durch ein Wunder vom Verfolger zum Anhänger Jesu wird und durch seine mächtige Persönlichkeit das Christenthum durch die ganze griechische Welt trägt, so darf ein solches Wunder, auf welchem gewisser- massen noch die heutige Christenheit steht, nicht als Parabel oder Illusion abgethan werden. Vielmehr liegen hier alle Ele- mente eines wahren und grossartigen heilsgeschichtlichen Wunders zu Tage, das sich deshalb offen besehen lassen kann. Zunächst haben wir gewisse zwar natürliche, aber für die individuelle Lage des Saulus überraschende und erstaunliche Phänomene oder Gesichte zu constatiren. Da er durch dieselben in Furcht und in eine tiefe Erschütterung des Gemüthes gerieth und dieselben perspectivisch als Zeichen und als Kede Gottes an ihn deutete, wodurch sein Leben geleitet und er aus einem Verfolger zu einem Bekenncr und Apostel gemacht werden sollte, so kommt hier das ganze Wesen des Wunders in volles Licht Dieses Wunder ist aber nicht blos für die individuelle Lebensentwicke- lung des Paulus ein Knotenpunkt gewesen, sondern ein Wende- punkt der Weltgeschichte, da wir ohne die Persönlichkeit und die Apostelschaft des Paulus weder die christliche Kirche, noch die ganze christliche Cultur in der Weltgeschichte besässen. Obgleich nun die von Paulus erlebten Erscheinungen und Ge- sichte an sich ganz mögliche und natürliche Ereignisse sind und deshalb einer mechanischen Erklärung nichts in den Weglegen, so sind sie doch nach den obigen Auseinandersetzungen ftir die per- spcctivische Auffassung als zufällige zu bezeichnen und müssen uns doshalb, soweit wir unsere Vernunft gebrauchen und jetzt den

Allgemeinere Fragen. Das Wunder. 225

grossen historischen Zusammenhang übersehen, als zweckmässig und beabsichtigt, als wahre Wunder, als Sprache und Verkehr Gottes mit der Menschheit erscheinen. Wir werden aber freilich nicht, wie Kinder und Pöbel, die natürlichen meteorologischen und die pathologischen Phänomene anstaunen, nämlich Blitz und Donner, Blendung, Ohrensausen, Ohnmacht u. dergl., sondern die Fügung und ihre Interpretation, worin die religiöse und welt- geschichtliche Bedeutung dieses Wunders besteht. Denn wie das jungfräulich-majestätische Himmelsbild der Sixtinischen nicht in den Oelflecken besteht, die der Bafaelische Pinsel auf der Lein- wand zurückliess, sondern in der enthusiastischen Phantasie des Künstlers, der das Licht, das ihn erleuchtete, auszustrahlen ver- mochte, und in unserer nachschaffenden Phantasie, welche die Strahlen wieder zu der Himmelserscheinung zusammenfügt: so ist auch das ßuchstabenmaterial, durch welches die Gottheit spricht, ganz gewöhnlicher Art; die Deutung aber verlangte einen, so grossen Mann, wie Paulas, den sich Gott auserlesen hatte, und der nun in der ganzen Weltgeschichte einzig dasteht, weil er den Sinn der Sprache Gottes vernahm, das ausströmende Licht der Heilswahrheit fasste und sie in zündenden Worten und mit kräftiger, durch die Jahrhunderte reichender Stimme auslegen und verkünden konnte.

Solche Wunderthaten Gottes, in denen sich das, was wir mit beschränktem Sinne Zufall und Fügung nennen, zu einer welthistorischen Bedeutsamkeit erhebt und eine über das indi- viduelle Seelenleben hinausgehende, die Menschheit umfassende Regierung Gottes offenbart, muss der Homiletiker aussondern aus dem übrigen Haufen und so überhaupt eine jede Art der als Wunder bezeichneten Erzählungen der heiligen Schrift mit wahrhaft christlichem Sinne studiren, um die verschiedenen Wege ihres richtigen Gebrauches aufzufinden. Blitz, Donner, Erdbeben u. dergl. können auch einen Hund und einen Ochsen in Schrecken versetzen; für den Christen aber wird nur das als Wunder gelten, was uns das Wort Gottes in dem specifisch christlichen Sinne offenbart; denn nicht der alte heidnische Furchtgott und nicht der jüdische Rechtsgott mit seiner Rp,che und seinen Ver- heissungen thun christliche Wunder, sondern nur der Gott der •Erfüllung, der Liebe, des Friedens, der Wahrheit, der Gott, der

Teichmüller, Religionfiphilosophle. 15

Digitized by VjOOQIC

226 Religion der Furcht.

Mensch geworden ist, die Welt tibewunden hat und in der Geschichte lebendig regiert

Ich schliesse diese Betrachtungen, indem ich die Epüogni. Regiiitate zusammenfasse, mit einer Warnung an die christlichen Prediger, nicht durch unaufrichtige Apologetik zum Judenthum und Heidenthum zurückzukehren; denn dem Sohne des Menschen waren die Wunder der Furchtreligion verhasst, und er forderte keine Legionen Engel zu seiner Befreiung vom Sclaventode und schalt die Juden wegen ihres Verlangens nach Zeichen und Wundern. Wenn das Christenthum gebunden wäre an die Auffassung des Paulus und seine Erwartung einer un- mittelbar bevorstehenden Rückkunft Christi zur äusserlichen Auf- richtung des Messiasreiches in dieser Welt, so würden wir, da fast zwei Jahrtausende jetzt seit diesen jüdischen Illusionen ver- gangen sind, keinen Gebrauch mehr von solch einer Beligion machen können. Das ist aber das Grosse in dieser Reli^on, dass sie nicht wie die mohamedanische in directen Aufzeich- nungen des Meisters überliefert ist, sondern als ungeschriebener lebendiger Geist in der persönlichen Gemeinschaft da ist und wirkt, unabhängig selbst von dem ältesten Kanon, da auch die kanonischen Schriftsteller, Evangelisten und Apostel, wie Körper von verschiedener inneren Structur das von ihnen nur auf- genommene göttliche Licht zum Theil absorbiren und es in ver- schiedenen Brechungsexponenten durch sich durchgehen lassen, wobei ihre eigene individuelle, nationale und zeitgemässe Be- sonderheit mit zu Tage kommt. So ist uns hierdurch die Mög- lichkeit gegeben, das Christenthum nicht als eine todte und stereotype Edition zu betrachten, sondern mit historischer Kritik und liebevoller Vertiefung den ursprünglichen und ftlr alle Zeiten gültigen Sinn divinatorisch zu erfassen und alle die im Laufe der Geschichte entstandenen bloss zeitgemässen und unreifen Auffassungen und Formulirungen als entbehrliche, vergängliche und zum Theil unwürdige Hüllen abzustreifen. Das Christkind wird ja in einer Krippe geboren, und Bauern und Hirten, Ochs und Esel stehen in seiner nächsten Umgebung, und dennoch war es der Herr der Welt. Unter Juden, die von allen ihren Yorurtheilen und nationalen Leidenschaften besessen sind, muss sich zeitlebens der Gottmensch zerren und quälen und endlich hängen lassen, und doch war er flir alle Welt gekommen und

Digitized by VjOOQIC

Allgemeinere Fragen. Das Schicksal. 227

wird als König der Wahrheit in allen Völkern und Zeiten re- gieren. Darum verschone man uns mit den Zeichen und Wundem der Furchtreligion, die ftlr die Juden eine grosse Bedeutung hatten, aber nicht ftir Christen; man trete auch nicht über auf den Standpunkt der Gegner des Christenthums, welche in den Wundem nur Durchbrechungen der modernen Naturgesetze sehen, und suche nicht in diesem von den Feinden herübergenommenen Sinne die Wunder zu verherrlichen, die doch nur nach der da- maligen Naturauflfassung für möglich galten und beachtenswerth waren, aber nichts für die Weltgeschichte im Ganzen und für die unermessliche Zukunft der Religion bedeuten können. Das Reich Gottes besteht nicht in solchen Wundem und Zeichen, sondem in einem umgewandelten Geiste, in Leben, .Wahrheit und Kraft. Viele Wunder, welche die dem Volke angehörigen Berichterstatter der heiligen Schrift erzählen, stammen nicht aus dem Geiste Christi, sondem aus dem Munde von Unmündigen und Säuglingen, die seinen Geist nicht anders als in dieser ihnen angemessenen Form erfassen konnten. Geben wir einem Jeden, was ihm gebührt, dem darin geoffenbarten ewig wahren Geiste Gottes das Lob, das er sich aus ihrem Munde zubereitet hat, die Wundergeschichten aber der Furchtreligion, der sie gehören.

§ 2. Das Schicksal. Da die sogenannte Schicksalsidee sich in vielen Religionen und auch in der Form der Prädestination ^^' ^°^^ ^^^ in einigen christlichen Confessionen findet, so ist es eine Frage der Logik, ob diese Idee bei jeder dieser Religionen aus der Art schlage und deshalb wegen ihrer specifischen Diffe- renz jedesmal besonders behandelt werden solle, oder ob sie etwa in ihrer identischen Allgemeinheit abgesehen von aller Religion vorher für sich erörtert werden könne. Nun ist nach der Dialektik, die ich zuerst in meiner Metaphysik ausführte, jeder Begriff durch seine Beziehungspunkte festzulegen, wodurch ihm ein bestimmter Ort in dem System aller Begriffe zukommt. Ich meine dies nicht in dem Sinne der Aristotelischen Topik, nach welcher die Oerter die Gemeinplätze sind, auf denen das logisch Einzelne und Particuläre sich sammelt, sondem ich will hier ohne Rücksicht auf die Kategorie der Quantität die Orts-

uiumzeu uy V^J v^WV i^

228 Religion der Furcht.

bestimmang in einem Goordinatensystem logisch zur Geltung bringen. Denn wie z. B. die Reetascension nur in Beziehung auf den Himmelsäquator der Declination zugeordnet ist, so kann man auch keinen Begriff genügend verstehen, bis man seine zu- gehörigen Goordinaten aufgefunden hat Leider lässt sich nun nicht behaupten, dass die Schicksalsidee nach dieser Methode bisher schon von den Theologen oder den Philosophen bestimmt sei, und wir mtlssen daher die Frage von vom an erörtern.

Bei den früheren Gelehrten finde ich drei Punkte zur Gharak- terisirung der Schicksalsidee bemerkt und hervorgehoben, erstens die Nothwendigkeit, zweitens die Vorherbestimmung aller Ereignisse, drittens die Blindheit dieser nicht von Vemunfk oder Liebe geleiteten Vorherbestimmung. Allein hiermit sind blosse Gharakterisirungen gegeben, d. h. consecutive und viel- leicht auch eigenthümliche Merkmale; aber das Wesen des Be- griffs ist dadurch ebensowenig bestimmt, als wenn man den Löwen als gelbhaarig, grossmüthig und sehr stark definiren wollte, ohne zu melden, was wir zuerst wissen müssen, dass er eine Katzenart bildet. So verlangen wir auch die Schicksals- idee zuerst an ihrem systematischen Orte durch die zugehörigen Beziehungspunkte festgelegt zu sehen.

Nun zeigt die analytische Behandlung des Schicksalsglaubens in der Menschheit sofort, dass diese Idee nicht etwa unabhängig von aller Eeligion als ein metaphysischer oder naturphiloso- phischer Begriff festgestellt und den religiösen Meinungen etwa wie das Causalitätsgesetz, oder wie der Begriff des Seins vor- angeschickt werden müsste, sondern dass dieser Glaube, den man eine Idee nennt und recht gut auch eine Meinung nennen könnte, sich nur im Kreise der Beligion findet und daher zur religiösen Dogmatik gehört, da von Schicksal nur die Rede ist, wenn, der Mensch sein Leben in Beziehung auf sein Gottes- bewusstsein betrachtet und zu dem irgendwie aufgefassten gött- lichen Wesen Stellung nimmt.

Zugleich aber ist klar, das die Schicksalsidee nicht in allen Religionen vorkommt und folglich kein zur Definition der Religion gehöriger Begriff ist Daraus aber ergiebt sich, dass diese Idee einer bestimmten Religion allein angehört; denn die Religionen wären nicht wissenschaftlich scharf unterschieden, wenn ihre Goordinationssysteme sich einander nicht ausschlössen. Wie kein

u.quizeauy Google

Allgemeinere Fragen. Das Schicksal. 229

Dreieck zu den Vierecken oder Fünfecken gerechnet werden kann, so müssen auch die fieligionen durch ihre zugehörigen Coordinaten als bestimmte Formen erkannt werden, wenn auch immerhin in dem einzelnen Gläubigen alle Vorstellungen und Gefühle in einander überfliessen und sich mischen können; denn diese Nichtunterscheidung des subjectiven Seelenlebens von den sich darin verwirklichenden objectiven Formen ist die Ursache, weshalb bisher in der Religionsforschung keine Klarheit und Be- stimmtheit herrschte, sondern immer nur fliessende Unterschiede, gewisse hervorstechende Charaktere und durchschnittliche Züge angegeben wurden, wodurch alle reine Wissenschaft unmöglich und die Philosophie in eine mehr oder weniger geistreiche, im Ganzen aber zuchtlose Culturgeschichte verwandelt wird. Wer Wissenschaft, also feste Begriffe liebt, wird die Geometrie ab- sondern von dem Mischmasch der empirisch gegebenen Formen und ebenso eine reine Keligionsphilosophie begehren, die endlich einmal der in lauter unbestimmten Begriffen lallenden Cultur- geschichte die Thüre weist.

Die Einwendungen, welche hiergegen von der Hegel'schen Dialektik und von dem Darwinismus Äriuuoher gemacht werden könnten, wird man nur mit Ironie Hegei'schc nia- zu erörtern haben. Denn erstens werden die Hege- ^^^^^ ^"^ ^®^ lianer, da sie alle Begriffe undlormen ausemander entwickeln und ineinander tiberflihren wollen, auch wissen, welcher Negativitätstrieb in dem Dreieck steckt, so dass es sich aufhebt und zur höheren Wahrheit des Vierecks übergeht, welches durch die Diagonale ja die in ihm enthaltene und aufgehobene Natur des Dreiecks offenbart. Die Begriffe haben aber keine Beine und gehen nicht von der Stelle, an die sie gehören. Nur durch Hinzunahme neuer Beziehungspunkte kommt man zu einer be- stimmt zugeordneten neuen Form; die Formen selbst aber stehen so fest wie die Zahlen, von denen auch keine in die andere überzugehen die Gewohnheit hat; denn die Welt der Wahrheit ist kein hin und her wackelnder Trunkenbold, womit Hegel, ohne die Selbstironie zu bemerken, seine Welt verglichen hat

Die Darwinisten aber hängen sich an das Princip der Continuität, das eine unfertige Philosophie ihnen geliefert hat, und füllen, da die Erfahrung nirgends Continuität zeigt, die Lücken durch den Unverstand unendlicher Zeiträume aus. AVären

uiumzeu uy x^j vy\J>t Lv^

230 Religion der Furcht.

sie etwas geübt im Philosophieren, so würden sie gleich sehen, dass ein Gesetz des Sprungs ebenso nothwendig zur Conti- nuität hinzugehört, wie das Links zum Rechts und das Unten zum Oben. Denn wenn auch eine grosse Latitude quantitativer Unterschiede in den einzelnen Lebensformen zulässig ist, so er- fordert doch jede qualitative organische Neubildung einen neuen Beziehungspunkt draussen und damit zugleich eine coordinirte Abänderung in dem ganzen Lebenssystem. Wenn die Gattungen der Thiere auch gewiss auseinander entsprungen sind, so musste bei jeder neuen Form doch eine neue äussere Lebensbedingung die zugehörige organische Umformung auslösen. Wenn man erst zeigen wird, dass die Farbenempfindungen nur quantitativ ab- geänderte Tonempfindungen und diese wieder Geschmacks- empfindungen u. s. w. sind und die Musik im Grunde nur quan- titativ von der Malerei verschieden ist, wenn erst das Denken auf gewisse quantitative Verhältnisse von Lust und Unlust zurück- geführt ist und das Gehirn auf den Herzmuskel u. s. w., dann wird man glücklich am Ende alle Qualitäten abschaffen, um bloss Quantitäten übrig zu behalten, und dann zugleich mit Lachen bemerken, dass man auch mit ihrem Gegensatze die Quantität selber verloren hat; denn ohne Unten giebt es halt kein Oben, ohne Links kein Rechts, ohne Sprung keine Gontinuität und ohne Qualität keine Quantität Wer also die Wahrheit lieb hat, der wird bescheiden jedem Begriff seine zugehörige Sphäre anweisen und sich nicht lächerlich machen durch Selbstvemichtung.

Die Darwinisten haben vollkommen Recht, wenn sie eine Entwickelung aller Dinge und auch der Begriffe zu erforschen suchen, und sie haben deshalb viele neue Einsichten verbreitet und viele alte Vorurtheile zum Verschwinden gebracht.*) Gleich- wohl fehlt ihnen an zwei cardinalen Punkten die rechte Auf-

*) Mir selbst ist dies sehr merklieb geworden, und ich bitte um £r- laubniss, Persönliches zu erzählen. Als ich, es war etwa 1852 oder 1853, den Professor der Zoologie Blasius in Braunschweig besuchte und als be- scheidener Student ihn fragte, wie er sich die Entstehung der Säugethier- species dächte, die doch nicht von Ewigkeit vorhanden gewesen wären, da antwortete er mit Emphase, die exacte Wissenschatt kümmere sich um solche Fragen gar nicht, und es sei ungehörig und unwissenschaftlich, sie aufzu- werfen; die Naturwissenschaft hätte genug zu thun, das wirklich vorliegende Material zu erforschen und zu bestimmen, und die Arten würden durch die Zeugungsmöglichkeit nachweislich von einander abgegränzt; es sei aber nicht

uiyiiized by VjOOQIC

Allgemeinere Fragen. Das Schicksal. 231

fassuDg. Erstens haben sie keinen Begriff von dem Wesen der Zeit und tragen sieh noch mit der alten Auffassung des Aristo- teles, wonach die Zeit ein wirksames , veränderndes und zer- störendes Princip ist, das nach Anfang und Ende hin in's Un- begränzte sich verliert. Sie wissen nicht, dass die Zeit bloss eine Auffassnngsform, eine ideelle Ordnung ist, die an den Dingen gar nichts verändert, und dass, weil keine Zeit zwischen Ursache und Wirkung verfliesst, die Welt als technisches System voll- kommen fertig und abgeschlossen ist. (Vergl. hierüber meine Neue Grundlegung der Metaphysik.) Zweitens fehlt den Dar- winisten die Erkenntniss desjenigen Princips, welches Piaton die Ideen nannte. Wir werden zwar bei der Kritik des idealistischen Pantheismus sehen, dass Piaton das Wesen der Idee noch nicht befriedigend bestimmen konnte, da er mit dem Begriff der Materie nicht in's Beine kam, die bloss theoretische Idee deshalb als Formelement und Wesen der sinnlichen, fliessenden Welt dachte und das Ich und die individuellen Wesen nicht erkannte. Gleich- wohl hat Piaton das unbestreitbare Verdienst, zuerst auf die Natur der Ideen aufmerksam gemacht zu haben. Um den Dar- winisten gegenüber dies ideale Element geltend zu machen, wollen wir zunächst die allmähliche Entwickelung alier Begriffe in der Menschheit voraussetzen. Es gab also eine Zeit, wo man noch nicht zählen konnte; allmählich kamen die Zahlen und die Operationsformen des Rechnens auf, und bei den höchsten und letzten Stufen mathematischer Erkenntniss weiss man auch genau, wer sie aufbrachte und welche ähnliche, aber geringere Leistungen und Versuche vorhergingen. Was sollen also nun die ewig fest- stehenden Ideen bedeuten, wenn doch Alles fliesst und sich all- mählich entwickelt? Das ist aber dennoch nicht schwer zu sagen; denn die Erkenntniss der Zweiheit war zwar früher, als

Sache der Naturforschung zu fragen, wie die Formen entstanden wären; mit solchen unnützen und nebelhaften Fragen und Hypothesen, so fügte er in etwas bitterem Spotte hinzu, möchte sich vielleicht die Naturphilosophie ab- geben. Kurz, mein vordarwinistischer Darwinismus, der jedem Denkenden im Blute liegt, wurde im Namen der exacten Naturwissenschaft schroff ab- gewiesen. Und heutzutage! welcher Contrast! Was in aller Welt soll sich jetzt nicht entwickelt haben? Aus den Stasioten sind die Fliessenden ge- worden, so dass man wegen der continuirlichen Liquidationen nur mit energiachem Kampf sich noch einen festen Punkt erobern kann.

Digitized by VjOOQIC

232 Religion der Furcht.

der Begriff der Drei und Vier, und es konnten sich zwar die Vorstellungen grösserer Zahlen erst bilden, nachdem vorher die kleineren erkannt waren; lächerlich aber würde es doch jedem Mathematiker sein, wenn man ihm erzählen wollte, die Drei selbst sei aus der Zwei entstanden. Er weiss zu gut, dass die Zwei immer und ewig Zwei bleibt und nicht den geringsten Kitzel verspürt, sich zu verändern und zu entwickeln; er weiss ebenfalls zu gut, dass die ganze Zahlenreihe zu gleicher Zeit, d. h. unzeitlich, fertig ist, weil die Zahlen in der Natur des menschlichen Verstandes liegen, so dass an ihrem Wesen da- durch gar nichts geändert wird, ob sie von den Menschen ge- funden werden oder nicht. Wie Amerika ganz ruhig dalag, auch ehe es Golumbus fand und während man noch über die Möglich- keit seines Vorhandenseins disputirte, so liegen die Ideen in den allgemeinen Bedingungen des Denkens, und es ist ganz gleich- gültig dabei, ob im Laufe der Zeit ein Mensch einmal dazu kommt, die zugehörigen Beziehungspunkte aufzufassen und die Idee zu finden, um einen sogenannten Begriff von der Sache zu gewinnen. Die Auffindung einer Idee ist, wie wenn ein Opera- teur einem angeblich Blinden durch einen kleinen Schnitt das Auge öffnet Der Chirurg kann die Sehkraft und die innere Organisation des Auges nicht schaffen; er vermittelt nur den Gebrauch des Vorhandenen. So wird durch alles Lernen nur die Function der ewig in ihren Bedingungen vorhandenen Denk- formen ausgelöst, und alles, was man von Entwickelung und Fortschritt und Culturerbschaft u. dergl. zu erzählen pflegt, ist eine blosse Fabel, ein Kindermärchen, wenn man es auf die Ideen selbst bezieht, da es nur Sinn hat, wenn man dabei an die Individuen denkt, die allmählich im Lauf der Geschichte dazu konmien, die zeitlos vorhandenen, in der Natur des Ver- standes liegenden Zahlen, Figuren und Ideen aufzufinden. Diese sogenannten angeborenen Ideen mit Locke zu bestreiten, weil sie nicht von Haus aus von Kindern und Wilden erkannt würden, ist ein Zeichen derselben Verwechselung, welche die Darwinisten sich zu Schulden kommen lassen; denn es handelt sich nicht um Begriffe, welche im Bewusstsein der Erkennenden vorkommen oder nicht vorkommen, sondern um Ideen, d, h. um die allgemeinen Formen der Acte des Denkens selbst, abgesehen von ihrem empirischen Inhalt; diese Formen bilden, zu Bewusst-

Digitized by VjOOQIC

Allgemeinere Fragen. Das Schicksal. 233

sein gekommen, die immer feststehenden Begriffe, wie Sein, Denken, Zahl, Ursache, Gegenstand, Zweck, Mittel u. s. w., und es wäre lächerlich, diese Ideen auch einer Entwickelung zu unter- werfen, wobei die Zweihcit allmählich im Laufe der Jahrtausende zur Dreiheit werden mtlsste u. s. w. Die Geschichte der Be- griffe zeigt bloss, durch welche Personen und unter welchen Be- dingungen diese oder jene Idee so oder so zur Erkenntniss ge- kommen, nebelhaft oder falsch bestimmt und in ungenügendem Begriffe formulirt ist, bis wieder Der und Der die Fehler ge- sehen und theilweise verbessert oder vielleicht endgültig die Idee durch einen Begriff ausgedrückt hat. Eine solche Geschichte der Wissenschaft ist nothwendig, und sie zeigt das allmähliche Werden, Wachsen, Sichreinigen und Sichbefestigen unseres Denkens; der zu erkennende Gegenstand ist aber zeitlos fest und unterliegt keiner Veränderung und keiner Geschichte, eben- sowenig wie die Naturgesetze dann erst entstehen, wenn sie von einem Forscher gefunden werden.

Wenn die neuere Naturwissenschaft das Bestreben zeigt, über die engen Gränzen, welche ihr Kant setzte, hinauszugehen und in der Natur vielmehr eine mit dem Seelenleben identische oder nah verwandte Welt nachzuweisen, so kann ich dies vom Stand- punkt meiner Metaphysik aus nur anerkennen und die reichsten Aufschlüsse davon erwarten, da es mir zweifellos ist, dass die der sogenannten Natur zu Grunde liegenden Wesen, die sich uns durch die Sinneserscheinungen wie durch eine Zeichensprache kundgeben, von derselben Art wie unsere Seelen sind und dass deshalb die Psychologie die Grundlage der höheren Functionen, die sie erforscht, von den Naturforschem entlehnen muss, diie wiederum die Deutung der Zeichen von dem Psychologen zu lernen haben. Allein gerade an diesem Verhältniss wird es auch einleuchtend, dass ebenso in der Natur, wie im Geiste gewisse allgemeine Formen in dem inneren Leben und in den Beziehun- gen der Naturwesen untereinander ein für alle mal feststehen, während die einzelnen Naturwesen sich allmählich verändern und entwickeln und zu diesen Formen hingelangen, dass sie aber zu gewissen anderen Formen, die man sich etwa einbilden möchte, überhaupt nicht gelangen können, weil dieselben nach dem Sinn und Zusammenhange des Ganzen ein flkr alle mal unmöglich sind, und alle Veränderungen überhaupt in den ewigen Gränzen

uiuiiizeu uy "V-j vy\J>t Iv^

234 Religion der Furcht.

der gesetzlich feststehenden allgemeinen Coordinationselemente verlaufen. Der Fehler der Darwinisten besteht also darin, dass sie dieses immer feststehende Element, welches als Gesetz in der Natur und als Idee im Geiste gilt, nicht genügend beachten und in einem gewissen Entwickelungsiieber auch die Gesetze und die Ideen selbst der Veränderung und Entstehung preis- geben wollen, da sie zwischen den einzelnen Dingen, welche all- mählich gewisse Formen annehmen, und den Formen oder Ge- setzen selbst in ihrem Eifer nicht mehr unterscheiden können. Anwendung auf Gcgcu dic HegeVschc Dialektik und gegen die

die Schicksal»- Darwiu'sche Entwickelungstheorie muss deshalb die Idee. Philosophie geschützt werden. Die wahre Dialektik besteht in der Auffindung der Coordinationssysteme, in welchen jeder Begriff seinen festen Ort hat; denn die Welt wartet nicht darauf, durch irgend einen Zufall von der Stelle gestossen oder durch inneren Widerspruch vorwärts getrieben zu werden, um mit gutem Glück zu etwas zu kommen; nein, die Welt ist von Ewigkeit fertig und braucht nichts mehr zu werden; der Schein des Werdens stammt aus der Lebendigkeit und Realität der Wesen, die zwar ihren festen Sitz im Ganzen haben, die Ord- nung des Ganzen aber perspectivisch und also immer wechselnd zur Erfahrung bringen. Doch dies gehört in die Metaphysik und soll hier nicht bewiesen werden. Unsere Sache ist hier bloss, die Formen der Religion in ihrer specifischen Reinheit zu halten, damit sie sich nicht einfallen lassen, mit der im Trüben fischenden Hegerschen Sophistik in einander überzugehen, oder sich gar durch Darwin'sche Anpassungen allmählich zu verän- dern. Jede Form ist ein ewiger Typus, eine unveränderliche Idee; zu jeder neuen Form gehört aber ein neuer Beziehungs- punkt, der in der vorhergehenden Form fehlte. Jede Religions- form hat daher ihr eigenes Goordinatensystem und eine bestimmte Ordnung von Beziehungspunkten. So gehört auch die Schicksalsidee als dogmatischer Begriff nur in eine einzige bestimmte Religions- form. Wo deshalb angeblich andere Religionen ebenfalls diese Idee in sich aufnehmen, hat man mit Mischformen zu thun, die in dem Seelenleben der Gläubigen sich beliebig zusammenfinden, ohne dass die Formen selbst ineinander übergingen. Man hat z. B. oft gesagt, es sei Jemand mit dem Kopfe Atheist und mit dem Herzen Christ. Dergleichen kann man sagen, aber nicht

uiyiiizeu uy V^jOOV IC

Allgemeinere Fragen. Das Schicksal. 235

denken; denn zum Christen gehört auch ein Kopf und zu dem Atheisten auch ein atheistisches Herz. Solchen Leuten darf man deshalb zugestehen, dass in ihrem Seelenleben ein Mischmasch von allerlei widerstreitenden Gefilhlen und Gedanken vorhanden sei und dass sie also keine genügende Durchbildung besitzen; damit ist aber keine Gemeinschaft von Atheismus und Christcn- thum bewiesen und überhaupt kein Uebergang einer Form in die andre illustrirt.

Die Analyse der in der Menschheit verbreiteten Schicksals- idee zeigt nun sofort, dass es sich dabei immer um zukünftige Ereignisse dreht, die ftir den Menschen Glück oder Unglück bedeuten, also pcrspectivisch auf den Willen in seiner Form von Furcht und Hoffnung bezogen sind. Da diese Gefühle aber (wie oben S. 228 erinnert ist) bei dem Schicksalsglauben nur ausgelöst werden, sofern der Mensch in seiner Gesinnung eine bestimmte Stellung zu dem göttlichen Wesen einnimmt, so sym- bolisirt sich in ihnen eine bestimmte Art der Religion, und es kann keinem Zweifel unterliegen, dass demgemäss die Schicksals- idee ihren einzigen festbestimmten Ort nur in der Religion der Furcht hat, und dass alle übrigen Religionen nur insoweit auch vom Schicksal und von der Prädestination Gebrauch machen, als sie unreine Formen bilden und die Furchtreligion als ein Element in sich aufnehmen, während sie durch die ihnen eigen- thümlich und wesentlich zukommenden Elemente keine Be- ziehung zu dieser Idee haben können. Mithin fordert die Methode, die Schicksalsidee hier bei der untersten Religion zu erörtern und bei den höheren Religionen nur allenfalls die Modi- ficationen zu erwähnen, die durch Hinzutritt der neuen und eigen - thümlichen Elemente derselben in den unreinen Religionsformen erfolgen müssen.

Um das Wesen der Schicksalsidee aus dem ^„te Form Grunde, d. h. aus ihren natürlichen Beziehungs- *«■* punkten, zu verstehen, müssen wir uns in die ersten i^^e. Anfänge der Religion zurückversetzen; denn die civi- »«rFineh. lisirten Verhältnisse des Menschen sind so verwickelt, dass man schwer die einfachen Coordinationselemente herausfindet. Da nun der Wilde, ebenso wie das Kind, in der Welt ausser sich nur geistige Wesen kennt, die ebenso, wie unser eigener Geist in unseren Körper, in die Naturerscheinung versteckt sind und

Digitized by VjOOQIC

j

236 Religion der Furcht.

sich dadurch zeigen: so ist a priori einzusehen, dass in den Ur- zeiten von keiner abstracten Naturnothwendigkeit, von keiner Weltordnung u. dergl. späteren Ideen die Eede sein konnte. Vielmehr wird der Mensch alles, was geschieht und was dem- nächst geschehen wird, auf die vermutheten Absichten und Willenszustände der anderen Menschen und der Dämonen zurück- führen.

Da nun der Mensch der alten Zeit und auch noch das Kind unserer Zeit von den gegenwärtigen Dingen und Ereignissen nur das beachten, was angenehm oder unangenehm ist, so kann auch das Zukünftige, soweit sie daran denken mögen, nur in der Hinsicht ihre Aufmerksamkeit erregen, als sie Glück oder Un- glück, Gutes oder Böses, Vortheil oder Schaden zu erwarten haben, d. h. als ihre Furcht oder Hoffnung in's Spiel kommt; denn ein objectives Geschichtsinteresse ist auf der ersten Stufe der Cultur und Religion nicht vorhanden. Und da der Wille überhaupt nicht mit der Vergangenheit, sondern nur mit der nächsten oder der nicht zu weit entfernten Zukunft zu thun hat, so kann auch die Schicksalsidee sich nur auf die perspectivisch aufgefasste, d. h. auf unsere Furcht und HoflFnung bezogene Zu- kunft erstrecken. Die Atropos niuss die erste Parce sein, nicht Lachesis und Klotho.

Weil aber die Furcht in der Religion den Vorrang vor der Hoffnung hat, wie oben nachgewiesen, haben wir jetzt die er- forderlichen Beziehungspunkte in der Hand, um den Ursprung des Schicksals psychologisch zu construiren. Denn es kann nicht fehlen, dass der Mensch im Verkehr mit Anderen sehr bald dem Zorn, der Habsucht, Wollust u. dergl. Leidenschaften verfallt und daher, wenn sein schwächerer Gegner ihm nicht gleich widerstehen kann, von demselben eine Drohung, eine Unheilsverkttndigung, eine Racheverheissung, d. h. einen Fluch anzuhören hat. Dies ist das Schicksal in der ursprüng- lichsten Form; denn der bedrohte Mensch wird von nun an, weil er sich an das Geschehene erinnert und sich selbst als Ursache des Leides, der Wunden, Qualen, oder des Todes des Andern weiss, bei jedem Blick in die Zukunft die Drohung seines Feindes oder die UnheilsverkUndigung und den Fluch der von ihm Gekränkten nicht vergessen können, da die Furcht die Er-

Digitized by VjOOQIC

Allgemeinere Fragen. Das Schicksal. 237

innerung lebendig erhält. Endlich erAlllt sich dann einmal die Drohung und diese Erfüllung bleibt in der Erinnerung, während die vielen Fälle eitler Drohung vergessen werden. Die ErfllUung ist die Nemesis (Zutheilung), welche dem Bedrohten seinen Theil giebt, d. h. dasjenige, was ihm nach dem Fluche zukommt. So ist die ursprünglichste Schicksalsidee verständlich durch die Verknüpfung der zugehörigen Beziehungspunkte; denn die Verschuldung ist da, welche den Fluch hervorruft; die Furcht, welche die Erinnerung lebendig erhält und die Erwartung spannt; endlich die Nemesis, welche die erftillte Rache mit der anfäng- lichen Schuld verknüpft.

Es ist nun wohl möglich, dass die Menschen in vielen Fällen die in der Zukunft eingetretene Rache einfach auf die sich rächende Person als Ursache zurückftihrten. Da aber diese Fälle doch verschwindend klein sind gegen die grosse Menge der- jenigen Fälle, in welchen die Beschädigten sich selber nicht rächen können, während ihre Flüche und Unheilsanwünschnngen doch durch andere Ursachen in Erfüllung gehen, so wird der Mensch die Ursache des ihn treffenden Leides, weil er es nicht auf den Fluchenden persönlich, und gewöhnlich auch nicht auf die nächsten Umstände, zurückführen kann, auf keine andere Sache so sehr beziehen, als auf den gehörten Fluch selbst, weil ihm dieser wegen der Furcht in der Erinnerung fest ein- geschrieben ist und diese Erinnerung sofort in's Bewusstsein tritt, sobald die Unheilsanwünschung zur Erfüllung kommt. Mit- hin muss der Fluch nun zu einem lebendigen und personenartigen Wesen werden, und was uns jetzt als eine seltsame Abstraction und Allegorie erscheint, das ist vielmehr nach richtiger Psycho- logie der natürlichste Vorgang; denn der Fluch lebt ja in der Erinnerung, und da er wirkliches Unheil hervorzubringen scheint, so ist nichts natürlicher, als dass der Mensch ihn nach Aussen in die wirkliche Welt als eine geheinmissvoUe, geistige, von Entsetzen umgebene Macht projicirt. Dieser Thatsache begegnen wir überall in den Religionen, bei den Germanen, den Indern, den Juden, den Griechen und Römern, und diese Idee war so stark, dass man selbst durch die ganze Zeit des gebildeten klassischen Alterthums die höchste Angst vor einem Fluche und vor jedem unheilvollen Worte empfand. Ja wir lassen noch jetzt im Katechismus die Kinder lernen, dass des Vaters Segen

uiumzeu uy x^jvy\J>t Iv^

238 BeÜKion der Furcht.

den Kindern Häuser baut, aber der Fluch der Mutter sie nieder- reisst.

Wie der Polytheismus nun den Anfang der Theologie zu bilden scheint, so sind wohl auch die Fltlche ursprünglich in der Vielheit gedacht worden; denn es gehört eine gebildetere Denkthätigkeit dazu, um diese vielen und einzelnen Aussprüche, mit denen man in der Wirklichkeit zu thun hat und die sich in die Erinnerung eingraben, auf die Einheit einer Idee zurückzu- fahren. Es könnte daher als zweifellos gelten, dass die im Singular gebrauchte Idee der Parce, der Erinnys, der Nemesis eine spätere Schöpfung wäre, und dass vielmehr der Plural die Nornen, die Parcen, die Mören, die Erinnyen, die Flüche (apai), die Keren u. s. w. die ältere Vorstellung bildeten. Denn die Flüche hatten ja immer einen bestimmten einzelnen Vorstellungs- inhalt vom Unglück, wie Todesarten, die man anwünschte, Seuchen, Gift, Misswachs u. s. w. Diese Vorstellungen konnten von den Aussprüchen nicht getrennt werden, weil sie deren Inhalt bildeten, und so scheint die Mehrzahl ftlr die Flüche das Natürlichste und Erste zu sein. Man darf aber, wie schon oben erinnert, keinen grossen Werth auf die Frage legen, ob die polytheistische Phantasie den Anfang des religiösen Bewusstseins gebildet habe. Denn der einfache Mann schiebt überall das Gleichartige in die Einheit der Auffassung und Bezeichnung zusammen, da es ja nicht auf das einzelne Object ankommt, sondern auf das Be- wusstsein des von uns vollzogenen Auffassungsactes, der in seiner Form und in seinen Beziehungspunkten einheitlich ist. Darum sagt das Volk bei uns, „der Franzose^ fiel in's Land, „der Russe" will Konstantinopel, undVirgil sagt: „Römer", denke daran, die Völker zu beherrschen u. s. w. So werden auch die in einer Vielheit wahrgenommenen Thiere durch den Singular eines Appellativs bezeichnet, und mithin ist es nicht wohl festzustellen, ob nicht sofort auch die Mehrheit der Flüche wegen der Gleichartigkeit der Beziehungspunkte und der zu- gehörigen Stimmung als Einheit der Vorstellungsweise zu Be- wusstsein gekommen ist.

Es ist eine interessante Frage, wie es zuge- dM o^u^^m" ga^ngen sei, dass man so fest an die Macht und das udieHMhtder Eintreffen der Flüche glaubte. Ich finde drei Gründe ''^''''' hierfür.

Digitized by

Google

Allgemeinere Fragen. Das Schicksal. 239

Erstens ist bei allen Wilden und Kindern der Unterschied zwischen Vorstellung und Wahrnehmung ^ Ji^'^^^uunK nicht beträchtlich. Was einem* angewünscht wurde, un<x das stellte man sich leibhaftig vor, erschrak darüber ^**»™«'»™°°8- und hatte es überhaupt gewissermassen an sich und bei sich, Weil es im Bewusstsein lebte und auch von Andern gehört und gewusst war, wodurch es schon eine äusserlich vorhandene Macht wurde. Um sich dies ganz deutlich zu machen, was der modernen Sinnesart nicht so leicht gelingt, muss man an die in unserer Gesellschaft noch so bedeutsamen Wortinjurien denken. Wenn selbst in unserem neunzehnten Jahrhundert ein Mensch einen anderen schimpft;, so hat er Prügel zu erwarten. Warum? Die unwahre Auffassung eines Anderen könnte demjenigen doch ganz gleichgültig sein, der zu wissen glaubt, wie die Sache sich ver- hält Ausserdem würden Prügel die Sache ja nicht ändern, wenn der Beleidiger die Wahrheit gesagt hätte. Sagt Jemand: „Du schielst, Du liinkst, Du hast einen Wasserkopf" u. dergl., so sollte man denken, dass durch solche Unwahrheiten ein Ge- sunder gar nicht berührt werden könnte. Aber es verhält sich anders; denn kein Mensch bleibt dabei ganz gleichgültig; viel- mehr ist bei Kindern und Ungebildeten der Uebergang zu Thät- lichkeiten der nächste Erfolg. Wie ist das zu erklären?

Es ist eine Täuschung, wenn man glaubt, bei den Ehren- händeln und Duellen verhalte es sich anders. Der an seiner Ehre Gekränkte versucht, wie die Rittergeschichten zeigen, möge er mit dem Beleidiger allein im Walde sein oder sich in Ge- sellschaft befinden, durch einen Waffengang die Beschmutzung mit Blut abzuwaschen. Ist er denn aber wirklich beschmutzt? Wozu braucht er vor der Herstellung der Ehre an einem tiefen Schmerze zu leiden und sich zu schämen vor den Augen anderer Menschen? Er ist ja ganz unverändert geblieben, ebenso wie eine Tanne nicht zur Birke wird, wenn Jemand sie auch hundert mal so nennen wollte.

Man sieht hieraus, dass die Worte wegen ihres Inhalts, den man sich zu Herzen nimmt, eine reale Macht ausüben. Wahr- genommene Wirklichkeit und blosse Vorstellung oder Einbildung werden nicht recht unterschieden, und die gleich gesinnte Ge- sellschaft, die auf derselben Stufe des Bewusstseins steht, unter- stützt und ti'ägt diese Macht. Es ist aber ganz unhistorisch und

Digitized by VjOOQIC

240 Religion der Furcht.

unpsychologisch, wenn man seit Aristoteles in abstractem Rä- sonnement bloss die Rücksicht auf die gesellschaftliche Meinung der Ehre zu Grunde legt; denn erst muss in dem eigenen Bewusstsein die Sache gelten; hernach beachtet man auch, dass die Anderen in demselben Sinne gestimmt sind, und ftihlt dadurch in sich selbst die Sache um desto nachdrücklicher. In- teressant ist es deshalb, dass die Kinder in dem Alter, wo sie illr gesellschaftliche Ehre noch nicht empfänglich sind, nicht nur alles, was sie hören, glauben, sondern auch durch das, was über sie gesagt wird, wie durch etwas Schreckliches in Aufregung gerathen. Mithin wirkt der Inhalt des Gedachten, als wäre es ein wirkliches Ereigniss. Daher muss die Thatsache, dass man den Schimpfenden schlägt, nicht auf die verletzte gesellschaft- liche Ehre zurückgeführt werden, sondern auf den Glauben, beschädigt zu sein; weshalb man den Beleidiger zwingen will, seine Incantation zurück zu nehmen. Hielte man die Worte für Luft und den Inhalt der Worte flir blosse Gedanken, so würde man nicht in Aufregung gerathen. Das von dem Beleidiger Gedachte wird aber auch von dem Beleidigten gedacht und wegen der Anschaulichkeit der Vorstellung sofort wie etwas Wirkliches empftinden; also ist man geschädigt und beschmutzt und versinkt entweder in Traurigkeit und Angst, oder man raffi sich auf, die Verzauberung durch Schläge zu entfernen, indem der Beleidiger nun alles durch eine Recantation wieder wegsingen muss. Ich habe diesen psychologischen Hergang am Deutlichsten in der Kalewala (B. III. v. 285 flf.) erhalten gefunden, wo der Lappenjüngling Joukahainen durch den alten finnischen Zauber- sprecher Wäinä^nöinen mitsammt seinem Schlitten verzaubert wird, indem der Alte Wagen, Pferde, Mütze und Mann durch lauter Vergleichungen in Zweige, Stroh, Wolken und Sumpf verwandelt und erst für kräftiges Lösgeld den Unglücklichen wieder durch eine Recantation befreit. Der ganze Zauber bestand aber offenbar nur in den Worten, deren ideeller Inhalt das Bewusstsein des jungen Lappen in eine Erstarrung versetzte. Weil man diesen psychologischen Process nicht beachtete, konnte man auch bisher, soviel ich sehe, bei dem Duell die Ehrenrettung durch Kampf und Sieg nicht begreifen; denn es ist ja freilich unsinnig, dass der Sieger in seiner Ehre wiederhergestellt werden soll durch irgendwelche Wunden, die sein Gegner erhält. Bezöge sich

Digitized by VjOOQIC

Allgemeinere Fragen. Das Schicksal. 241

daher, wie man meint, die Ehrverletzung nur auf das Urtheil der Gesellschaft, so könnte auch nur ein Ehrengericht etwas helfen. Wenn die gesellschaftliche Ehre aber, wie ich hier zeige, schon eine spätere Entwickelungsstufe ausdrückt, so ist es nothwendig und natürlich, dass sie die Rudimente der früheren Entwickelung in sich behält, die nun unverständlich geworden sind. Diese Rudimente im Ehrenhandel bildet die Vorstellung der Ehrverletzung durch Incantation, und diese wird natürlicher Weise am schnellsten durch Prügel beseitigt, wenn man dadurch die Recantation, d. h. die Herstellung seiner persönlichen Integrität erreichen kann. Die Ehren- erklärung ist deshalb aus der Recantation entsprungen, wo- durch die Verzauberung weggesungen wird. Und alle diese Vorgänge werden durch die Psychologie begreiflich, welche es zu erklärend hat, wie das bloss Vorgestellte ebenso stark auf das Gefühl wirken kann, wie etwas mit den Sinnen Wahr- genommenes, weil bei einfachen Menschen eine Verwechselung beider Elemente, des Sinnlichen und des Eingebildeten, wie im Theater, ganz natürlich ist. Darum lassen sich noch heute Viele auch sofort z. B. eine ihnen gut schmeckende Speise verleiden und zum Ekel verkehren, wenn man etwas darüber sagt, etwa dass Würmer darin seien, oder dass die Wurst so und so be- reitet werde u. s. w. Der in dieser Weise Verzaubernde ist aber auch nicht immer vor Prügeln sicher.

Diese Analogien werden das Verständniss ftir den Glauben der Menschen an die Macht der Flüche dem modernen Bewusst- sein näher bringen; denn man sieht daraus, dass der Fluch sich in gewisser Weise sofort erfüllt durch die Belastung der Seele des Verfluchten.

Der zweite Grund liegt darin, dass dem Fluch doch immer wirkliche Beschaffenheiten des Ver- üchkeit fluchten zum Anlass dienen. Dieser wird grausam, ^^ Eintreffena. treulos, neidisch, roh, wüthend und überhaupt leidenschaftlich sein und mithin im Verkehr mit seines Gleichen und der Welt tausend Gelegenheiten bieten, bei denen das ihm Angewünschte in ErftlUung gehen kann, so dass des Fluches Eintreffen recht wahrscheinlich ist.

Der dritte Grund scheint mir aus der Auffassung 3. dic Sicherheit von Leben und Tod hervorzugehen. Das Leben ist ^^ ^**^**-

TeichmüUer, BeliglonBphUoeoplxie. 16 C^ r\r\rs}r>

uiyiiizeu uy VJvJvJV IC

242 Religion der Furcht

nämlich dem Lebenden immer gewiss; der Tod aber ist etwas Unnatürliches und Räthselhaftes, das eigentlich nur durch ein Verbrechen oder eine Schuld eintritt. Keissende Thiere, giftige Schlangen, böse Menschen, oder Blitz und Fluth und andere Un- fälle ftihren den Tod herbei; dass er aber nichts als ein natür- licher Process der Functionen und Reibungswiderstände des physiologischen Lebens wäre, das kann dem Wilden und dem Kinde nicht einleuchten. Da nun in der ältesten Beligion auch alle Naturursachen belebt und persönlich gedacht wurden, so be- greift man leicht, dass der Tod immer auf menschliche oder dämonische Gewalten zurückgeftlhrt werden musste, und dass man für deren böse Gesinnung nur eine Schuld des Menschen voraussetzen konnte. So wird ja auch z. B. in der Genesis der Tod an eine Schuld und an einen Fluch angeknüpft. Da nun Verschuldungen einerseits und Zorn und Furcht andererseits in der ältesten menschlichen Gesellschaft immerfort vorkommen mussten, so konnte sich auch der Glaube an die Macht und Er- füllung des Fluches sicher befestigen, weil kein Mensch in der That dem Tode und mithin der Erfüllung eines Fluches entrann. Die Keren ereilten Jeden.

Die älteste Form, in welcher die Schicksalsidee ^^^''' auftrat, waren also die Flüche. Da diesen der mäch- tigste Affect, die Furcht, entspricht, so konnte die Hoffnung mit dem ihr zugeordneten Segen nicht zu gleicher Bedeutung ge- langen. Was der Segen aufbaut, wird vom Fluch niedergerissen; der Fluch ist das mächtigere Element. Es ist aber immerhin a priori vorauszusetzen und wird auch durch die Thatsachen überall belegt, dass der Segen und die Segenssprüche ebenfalls als dämonische Mächte, jedoch als solche, die Schutz verleihen und Glück bringen, betrachtet wurden. Man sieht dies z. B. sehr deutlich an dem vor Betrug nicht zurückscheuenden Eifer, mit dem sich Jacob um den Segen des Alten bemüht. Dement- sprechend wurden denn auch die blossen Gebärden des Segens von magischer Bedeutung, und es hat sich aus dieser alten Zeit auch noch heute das Einsegnen der Kinder, der Hostie und selbst das Gratuliren erhalten. Denn dieses Glückanwünschen sollte vor Schaden bewahren, weitere Wohlfahrt bringen und überhaupt als eine gewisse Schicksalsmacht das Leben leiten. Die Gratu- lationen bieten negativ ein Zeugniss daftir, dass kein Neid ent- sprungen und also die häufigste Ursache zukünftigen Unglücks

Allgemeinere Fragen. Das Schicksal. 243

beseitigt ist; positiv aber versichern sie Wohlwollen und also Hülfe in der Noth. Daher ist auch die Wtinschelruthe und der Caduceus des Hermes u. dergL in die Menschheit gekommen, da irgendwelche Gebärden " und irgendwelche Werkzeuge zur Dar- reichung erwünschter Dinge gebraucht werden mussten, die dann in abgekürzter Zeichensprache zu Symbolen oder in abgekürztem Gedankengang zu Segensworten übergingen.

Man könnte sich leicht einbilden, als ob Fluch ^^^^ ^j^^,^ ^^^ und Segen nur eine ganz vereinzelte Erscheinung im der Ursprung Leben des Menschen wäre und nicht für das Be- ^^'^«"8*°°- wusstsein zu einer allgemeinen, das Leben regierenden Macht erhoben und zur Religionssache gemacht werden dürfte. Allein nach der psychologischen Analyse, die wir an der Furcht vor dem Fluche übten, zeigt sich doch sofort, dass mit Fluch und Segen erst überhaupt die Sinnenwelt, die dem Thier und dem thierischen Menschen die einzige ist, übersprungen und in eine höhere, von dem Gefühl und der Phantasie eröffnete, der Weg bereitet wird. Durch Fluch und Segen wird die Zukunft an die Vergangenheit geknüpft und mithin das Land der Ver- nunft, wenn auch anfangs noch tastend und blind, betreten. Der Mensch erhebt sich über die blosse Gegenwart durch Er- innerung, indem er, von Furcht und Hoffnung geleitet, in Ge- danken sein Schicksal erzeugt. Während der Urmensch thierisch in die beständige Sorge für Nahrung und in die brutale Be- friedigung augenblicklicher Leidenschaft versunken ist, wie sollte sich da anders Religion erheben, als durch Wachrufen von Er- innerungen, in denen die Flüche und später dann auch Segens- sprüche laut wurden? Diese geistigen Mächte, die in den Ge- danken und Geftlhlen des Menschen lebten, projicirte er aus sich heraus, und so vermischten sich die Fluchgötter mit den dunklen Gewalten, die er sonst noch ftlrchtete. Die Psychologie muss hier die Wiege der Religion finden. Da aber bei allen dogma- tischen Formen dieser untersten Stufe des Lebens die Furcht massgebend ist, welche immer über die Zukunft, also über das Schicksal brütet, so kann auch die Verschmelzung der Fluch- idee mit der sonstigen Theologie der Furchtreligion nicht als schwierig betrachtet werden. Ich sage „Verschmelzung", weil es sich hier nur um psychischen Mechanismus und nicht um logische Begriffe handelt

DigMedby Google

244 Religion der Furcht.

Um diese psychologische Analyse historisch zu confir- miren, will ich zu den oben beigebrachten Erinnerungen nur noch ein paar Belege für die Verschmelzung der theo- logischen Vorstellungen hinzufügen und zwar aus der bekannten hebräischen Religion. So wird gleich im dritten Capitel der Genesis die Bestrafung der Schlange und der Menschen von Gott nicht anders, als durch einen Fluch vollzogen: ^jWeil Du solches gethan, seiest Du verflucht vor allem Vieh, auf Deinem Bauche sollst Du gehen" u. s. w. „Verflucht sei der Acker um Deinetwillen! mit Kummer sollst Du Dich darauf nähren Dein Leben lang". Ebenso im vierten Capitel über Eain: „Was hast Du gethan? Die Stimme Deines Bruders Bluts schreiet zu mir von der Erde. Und nun verflucht seiest Du auf der Erde, die ihr Maul hat aufgethan und Deines Bruders Blut von Deinen Händen empfangen." So mag man die mythischen Ueberbleibsel weiter verfolgen bis in die historischen Zeiten hinein, ja bis zur Verfluchung des Feigenbaumes im neuen Testamente und bis zu solchon auch uns geläufigen Sentenzen, wie z. B. „an Gottes Segen ist alles gelegen" u. s. w. tiberall wird man finden, dass das Gottesbewusstsein sich derartig mit der untersten Schicksalsidee, die in Vorstellung von Flüchen und Segens- sprüchen besteht, verschmolzen hat, dass die Wirksamkeit des Gottes an ihre Vermittelung gewissermassen gebunden ist, oder dass die Macht des Gottes überhaupt in seinem Fluch und Segen besteht.

Es wäre eine thörichte Empfindlichkeit, wenn man sich dieser Kudünente der Urzeit schämen und sie durch sophistischen Plunder beschönigen wollte, als wenn nämlich das Segnen imd Fluchen in der höheren Religion nur eine Ausdrucksweise sei, wie sie die Sprache nun einmal zur Benutzung darbiete; denn darum gerade handelt es sich, dass die sonst so reiche Sprache nur diese Ausdrucksweise bewilligt, und dass man also durch die Natur der Sache und die geschichtliche Entwickelung gezwungen ist, die uralten Religionsvorstellungen, wenn auch nur in rudi- mentärer Form, beizubehalten und sie sich gefallen zu lassen. Zweite Form ^^^® ^^^^ Form, sci CS im physischen, sei es

der Schicksals- im gcistigcn Gebiete, kann sich immer nur durch *"***' Hinzunahme eines neuen Beziehungspunktes bilden, nach welchem eine andere Coordination erfolgt. Da nun die

Digitized by VjOOQIC

Allgememere Fragen. Das Schicksal. 245

historisch gegebenen Schicksalsvorstellungen durch die archaische Fluchidee nicht erschöpft werden, so kommt es darauf an, den neuen Beziehungspunkt herauszufinden, der die zweite Form der SchicksalsYorstellung nach sich zieht.

Wir werden uns aber nicht auf rathloses Suchen legen, sondern nach einer Methode den gesuchten Bori^un^punkt. Punkt citiren und zum Erscheinen zwingen. Da die Flüche nämlich in das rein individuelle Leben verwoben sind und eine bloss perspectivische Auffassung des Geschehens aller Dinge voraussetzen, so muss der nächste Beziehungspunkt in der objectiven Auffassung der Wirklichkeit liegen, weil die fortschreitende Welterfahrung des Menschen nothwendig immer mehr Beachtung des Lebens und der Schicksale Anderer mit sich bringt und also allmählich ein von unserem persönlichen Interesse unabhängiges Weltbild erzeugt. Es dreht sich zwar nicht sofort um exacte Naturforschung und kritische Weltgeschichte, welche überhaupt niemals als lebendige Kräfte eines Volkes, sondern immer als die Prärogative einer Minderzahl von Begab- teren auftreten-, vielmehr handelt es sich überhaupt nur um die Befreiung aus der tiefen Knechtschaft der blos perspectivischen und selbstsüchtigen Auffassung und Gesinnung. Eine solche Emancipation des armen Naturmenschen wird aber allmählich durch die Erweiterung seines Interesses auf seine Familie und die Gesellschaft herbeigeftlhrt, sobald die Nothdurft des Lebens leichter zu befriedigen ist, und der beständige Kampf um das nackte Dasein durch die Theilung der Arbeit und durch andere glückliche Folgen der Geselligkeit aufhören kann, und mit einer verhältnissmässigen Müsse auch das Auge ftlr die uninteressirte Beachtung der Wirklichkeit geöflßaet wird.

Nachdem wir nun psychologisch das Gebiet bestimmt haben, auf welchem der neue Beziehungspunkt zu suchen ist, so kann es nicht fehlen, dass er uns von selbst entgegenkommt; denn die objective Beachtung des wirklichen Geschehens zeigt überall die causa efficicns, die mechanische Verkettung der Dinge. Es entsteht der Begriff der Zeit, und der Mensch vergleicht das Vergangene, das er in Erinnerung behielt, mit dem Gegenwärtigen, das ihm die Sinne darbieten, und mit dem Zukünftigen, über welches er nach Analogien seine Vermuthungcn hat. Da das Zukünftige in kurzer Zeit auch vergeht und zur Erinnerung wird,

uiumzeu uy x^jvyVjVlv^

246 Religion der Furcht

80 kann der aufinerksaine Mensch bald eine gewisse Ordnung der Dinge erkennen, in welcher alles Geschehene zusammenhängt, so dass der Kluge flir jede Lebenslage immer frühere Beispiele in Erinnerung hat, wie dies besonders anschaulich die Hitopadesa zeigt Wenn wir diesen neuen Beziehungspunkt mit dem cJ^dtolutn. früheren, der unser persönliches Interesse vor Augen stellt, verknüpfen, so muss sich eine neue Idee bilden. Durch unser Interesse ist nämlich der Lauf der Dinge anders zu bestimmen, als die Erfahiiing ihn vermuthen lässt Der leiden- schaftliche Mensch wirft sich deshalb mit äusserster Energie in den Kampf mit den Dingen, um sie nach seinem Willen zu gestalten. Gleichwohl erreicht er sehr oft das Gewollte nicht Die Erfahreneren kommen deshalb zu der Einsicht, dass der Wille des Menschen, seine Wuth, seine Wollust, sein Ehrgeiz, sein Hass, seine Hab- und Herrschsucht selbst zu den wirkenden Ursachen alles Geschehens gehören und von dem einzelnen Menschen unabhängig sind. Da vdr nun eine religiöse Welt- anschauung vorauszusetzen haben, so ist es natürlich, dass der Gläubige nicht materialistisch und positivistisch bloss die Er- scheinungen betrachtet, sondern überall die göttliche Einwirkung hinzudenkt Also wird Paris von der dämonischen Macht der Aphrodite zur Entführung der Helena verleitet, Ajax wird von einem Dämon zur Raserei gebracht und so wird überhaupt der Wille und die Handlung des Menschen immer auf einen Gott oder einen Dämon zurückgeführt, wie dies Piaton, der den Standpunkt theilte, so wunderbar anschaulich darstellte, indem er die Menschen mit Drahtpuppen verglich, welche von den Göttern bald an erzenen, bald an silbernen Drähten gezogen werden, nämlich bald durch gemeinere, bald durch edlere Leiden- schaften und Geftlhle.

Indem nun der sogenannte freie Wille nicht mehr gegen die Ordnung der Dinge auftreten kann, sondern selbst nur ein Glied in der allgemeinen Ordnung des Ganzen ist, so muss der Mensch die Vorstellung gewinnen, dass von den dunklen Mächten über ihn verfügt werde, und dies ist die religiöse Idee des Schicksals.

Bei den Hebräern ist diese Idee nicht so deutlich nach- weisbar, obwohl ihr Gott den Menschen auch bald dies, bald jenes in's Herz giebt, sie verstockt, mit Blindheit des Geistes

uiymzeu uy x^jv^' v^'pc iv^

Allgemeinere Fragen. Das Schicksal. 247

schlägt, sie mit Feigheit oder Uebermnth erfüllt n. s. w., damit ihr Wille in diejenige Ordnung des Geschehens sich füge, die er beschlossen hat. Dennoch wird überall auch noch die ältere Form der Schicksalsidee eingemischt, da die Flüche über viele Geschlechter Verderben bringen und der Segen einige Gott- geliebte zu besonderem Wohlsein bringt oder rettet Ebenso wird die zweite Form des Schicksals bei den Hebräern durch moralische Elemente yerunreinigt, die schon der höheren Rechts- religion angehören und das Schicksal dem Maasstabe der Sünde und des Gesetzes unterwerfen. Dagegen findet sich die hier definirte zweite^ Form der Schicksalsidee in grösserer Reinheit bei den Indern, in deren Sagen die wunderbarsten Zufillle schliesslich doch das herbeifbhren , was durch irgend eine Vorhersagung bekannt war, aber von den Betheiligten mit der grössten Energie des Willens und mit Ehrlichkeit oder Schlauheit yermieden werden sollte. Ebenso zeigen die sogenannten arabischen Märchen durchaus diese religiöse Auffassung des Schicksals, wobei nur selten eine geringe Verunreinigung der Idee durch moralische Auslegung vorkommt, in den meisten Fällen aber die blosse, von Dämonen geleitete, ein für allemal feststehende Verkettung der Dinge den Menschen mit seinem Willen nur zu einem Gliede der Kette macht und über ihn völlig ohne absehbare Zwecke verfugt Auch bei den Hellenen ist diese Schicksalsidee in grosser Reinheit anzutreffen; ich erinnere nur kurz an den Mann mit einem Schuh, als einzige Rettung von der Sphinx, an das brennende Holzscheit Meleager's, an Philoktet's Pfeile, die über Troja entscheiden, u. s. w. In späterer historischen Zeit blieb dieselbe religiöse Auffassung stehen, wie am deutlichsten Herodot an den Tag legt; aber auch die grossen Tragiker huldigen im Ganzen dieser Idee, obwohl sie, von der Philosophie gebildet, durch ethische Auslegungen die archaische Form verunreinigen, ohne eine höhere Religion finden zu können. Dass die Edda von derselben Stufe des religiösen Bewusstseins Kunde giebt, braucht nicht bewiesen zu werden; wer erinnert sich nicht an den blinden Schützen und sein harmloses Geschoss, das allein den Tod Baldur's verursachen kann.

Unser Interesse ist aber nicht , ansprechendes j^^j, ^.^^^ Material zu sammeln und den Leser zu den ver- ohanikt«r dieser schiedenen Völkern zu führen, um ihn dort in das «*'»"^^^"<'^^-

Digitized by VjOOQIC

248 Religion der Furcht.

Dickicht der seltsamen Schicksalsvorstellangen hineinschauen zu lassen, sondern diese lobenswerthe Anfgabe und Leistung setzen wir voraus, um dann über das Geschaute zu philo- sophiren. Es fragt sich also^ wiefern die Schicksalsidee nicht bloss eine historische oder naturphilosophische Auffassung sei, sondern einen religiösen Charakter habe; denn wenn der Mensch bloss theoretisch überzeugt wäre, dass Alles in der Welt nothwendig, vorherbestimmt und ohne leitenden Zweck geordnet sei, so läge darin ebensowenig eine religiöse Auffassung, wie wenn er über die arithmetischen Reihen, über die endlichen, die unendlichen, "die periodischen u. s. w. eine Einsicht gewonnen hätte. Das Religiöse liegt in der Stellung unserer Persönlichkeit zu dem göttlichen Wesen. Es darf also das Schicksal nicht als eine Abstraction, als eine allgemeine Charakterisirung des Welt- laufs betrachtet werden, sondern ein Gläubiger muss dem Schicksal als einem metaphysischen Wesen gegenüber in seinen Gedanken, seinen Gefühlen und Handlungen Stellung nehmen. Es ist freilich nicht nothwendig, dass das Schicksal von dem Gläubigen als eine Persönlichkeit aufgefasst werde, aber es muss zunächst mit den sonst schon geglaubten Göttern in einen wenn auch dunklen Zusammenhang treten, in der Art, dass der Gläubige die ihm bevorstehende und dann ihn erreichende Zukunft auf eine Ver- anstaltung und Fügung der göttlichen Wesen zurückfuhrt, wie er selbst bei dem Fallen der Loose und der Würfel auf eine göttliche Lenkung hinblickt. Es ist aber wahrscheinlich, dass viele Menschen nicht die erforderliche religiöse Phantasie haben, um alles Geschehene immer gleich an die unsichtbaren Götter, deren Stimmung, Gunst und Ungunst sie zu kennen glauben, mit Zuversicht anzuknüpfen ; da man vielmehr die Tragweite des Geschehenen in Bezug auf zukünftiges Glück und Unglück nicht leicht durchschauen und es auch in sehr vielen Fällen nicht wohl auf den specifischen Vorstellungskreis der besonderen Götter deuten kann, so fehlt für die Phantasie auch die Möglichkeit, einen Beziehungsgrund zu entdecken, und sie kommt daher nicht in Gang. Also bleibt nur eine allgemeine Beziehung auf die un- sichtbaren und in ihrem Vorhaben unerforschlichen Mächte übrig. Da somit das Persönliche, welches nur durch bestimmte Willens- zustände vorstellbar wird, mehr und mehr wegfiillt: so bleibt nur die Idee eines gewissermassen unpersönlichen göttlichen

uiymzeu uy "V-j v-zv^'pt iv^

Allgemeinere Fragen. Das Schicksal. 249

Princips, das man Dicht definiren und nicht aus Gründen erklären kann, im Bewusstsein zurück. Und dies ist die ei(jLap(jivir), das Fatum, das Schicksal. Die Etymologie verräth jedesmal einen bestimmten Gedankengang. So deutet die sliiapiievr^ auf die Theile hin, die einem Jeden von dem in der Welt ausgespielten Wohl oder Wehe „zu Theil werden", oder wie beim Würfelspielen und bei den Loosen „zufallen". Daher stimmt der griechische Ausdruck so ziemlich mit dem deutschen „Zufall". Das Wort „Schicksal" bedeutet wohl nicht das Geschickte oder Gesendete sondern vielmehr „was sich schickt", d. h. was sich zusammen- fügt, und ist also der „Fügung" verwandt. Das Fa tum aber erinnert bei dem Eintreten der Wirklichkeit an die früheren Aussprüche der prophetischen Spinnerinnen, welche die schon damals fest beschlossene Zukunft voraussagten.

Blicken wir also, um den religiösen Charakter der zweiten Schicksalsform zu bestimmen, auf die Entwickelung des religiösen Bewusstseins der Gläubigen hin, so geht in allmählichem Fort- schritte die Beachtung der Zukunft in ihrem Zusammenhange mit der Vergangenheit von der Fluchidee weiter zu einer immer unbestimmteren Anknüpfung an die Götter in der Art, dass zuerst die einzelnen Götter das Schicksal herbeifuhren, nachher nur der höchste Gott, etwa Zeus, über das allgemeine Geschehen in der Welt verfügt, bis auch dieser selbst von der Phantasie nicht mehr recht in Zusammenhang mit der Weltgeschichte gebracht werden kann, und das Schicksal sich über ihn und über die ganze Götterwelt erhebt, wie es z.B. in der Prometheussage den Zeus ängstigt und wie es offenkundig und mit furchtbarer Grösse in der Edda die germanischen Götter zum Untergange treibt.

Diese psychologische Entwickelung des religiösen Bewusstseins kann aber a priori construirt werden, da wir die speculativen Beziehungspunkte in der Hand haben, um die Coordinationen festzustellen. Denn sobald der perspectivische Standpunkt, der bei der Fluchidee Beziehungsgrund war, wegfallt und die objective Beachtung der Welterscheinungen an die Stelle tritt, so müssen die Beziehungen auf die perspectivisch bestimmten Götter noth- wendig verschwinden und zwar in strenger Proportion zunehmend mit der wachsenden Objectivität der Auffassung. Die Schicksals- idee in dieser zweiten Form gehört aber noch der Religion der Furcht an, erstens weil und sofern der Gläubige das Schicksal

250 Religion der Furcht.

noch als ein dunkles einheitliches göttliches Wesen ansieht, welches Handlungen ausübt und einen wenn auch unerforsch- lichen Willen hat, und zweitens, weil und sofern der Gläubige diesem geheimnissvollen Wesen gegenüber in Bezug auf die zur Sphäre der Furcht und Hoflfhung gehörigen Güter und ücbel eine gewisse Gesinnung hat, die Ergebenheit oder Resignation, je nachdem auch göttlicher Schauder oder allgemeine Gottes- furcht genannt werden kann.

Nachdem wir den dogmatischen Inhalt der der^iltter. S<ibi<5ksal8idee und die zugehörigen ethischen Gefühle betrachtet, bleibt die Function des Cultus zu unter- suchen, bei welchem sich nothwendig die Erhebung der Schicksals- idee deutlich abspiegeln muss, da die Priester immer die Auf- gabe vertreten, welche zwar jedem Gläubigen zukommt, aber doch nur von den höher Begabten wirklich erfüllt werden kann.

Nun ist sofort klar, dass in den Flüchen und Segenssprtichen, also in den ältesten Schicksalsraächten, zwei Elemente stecken, erstens die Intelligenz, da es sich um die nur durch eine ge- wisse Vernunft und Besonnenheit zu erkennende oder zu be- stimmende Zukunft handelt, und zweitens das Gefühl, da der Grund, um fluchend oder segnend über die Zukunft etwas aus- zusagen, in einer Erregung des Gemüthes liegt. Mithin müssen sich die Priester, welche überhaupt in Schicksalsfragen Ansehen erhalten sollen, durch Intelligenz und feines und starkes Gefühl auszeichnen.

Es ist nun gewiss merkwürdig, dass für dieses Amt in den ältesten Zeiten besonders die Frauen hervortraten. Ich erinnere an die Pythia und die Sibyllen, femer an die Feen und Parcen und Nornen und Walkyrien und an die Aurinia und Veleda im alten Germanien, ebenso wie an die bösen Zauberinnen und Hexen des Mittelalters. Der Grund liegt wohl darin, dass die Männer in der ältesten Zeit weniger Müsse zum Nachsinnen hatten, sondern im Kampfe um's Dasein mit Kraft und Leidenschaft ringen mussten, während das Weib an den Webstuhl gebannt war und das Schicksal der Männer zu tragen hatte. Die Spinnerinnen bildeten also das Echo des grossen Lebens draussen, und alle Freude und besonders alles Leid klang in ihnen wieder. Da sie nun die Männer, welche zum Streit auszogen, am ge- nauesten kannten, so wusst^i sie auch um ihre Stimmung, die

Allgemeinere Fragen. Das Schicksal, 251

in der Regel schon über den Ausgang des Kampfes entscheidet ; denn wer sich schwach flihlt, wer zweifelt, fürchtet oder unbe- sonnen prahlt, der ist schon halb besiegt. Es ist darum natür- lich, dass tausend kleine Zeichen der äusseren Umstände und der Natur des Menschen das Gemüth der Frau in Erregung setzten und in ihrem Geiste Ahnungen und Gesichte des Zu- künftigen aufsteigen liessen. Da nun ihre Aussprüche (fata von fari) häufig, je begabter die Frauen waren, in Erfüllung gingen, so musste die Spindel zu Ehren kommen, und es ist daher ganz in der Ordnung, dass Clotho, Lachesis und Atropos und auch die Nornen spinnen; denn es ist willkürlich und ober- flächlich, dass man in dieser Spinnerei des Schicksals nur einen zufälligen Vergleich der Dichter sieht, während gerade mit natürlicher Nothwendigkeit durch die Frau auch der Webstuhl in die Allegorie kam.

Ebenso natürlich aber ist es, dass in den späteren Zeiten, wo die Orakel zu Instituten wurden und das Yölkerleben im Grossen in's Auge fassten, die Sibyllen bloss die Rolle der Geflihlserregung behielten, während kluge und weltkundige Männer als Priester die sinnlosen Aussprüche der Besessenen zu formiren und mit Vernunft zu deuten hatten.

Wenn nun auch im Allgemeinen jeder Erregte seinem Gefühl entsprechend fluchen oder segnen und die Zukunft irgendwie verkünden mag, so ist es doch in der Ordnung, dass auch diese Function allmählich ofBciell wurde und theils einzelnen von Gott unmittelbar Designirten, theils einem bestimmten Stande zukam. Dass die Frauen im Anfang vorzugsweise mit dem Fluchen oder mit den Unheilsworten zu thun hatten, bezeugen die bösen Feen, die, wenn auch vorher viel Gutes angewünscht war, hinterher kommen und plötzlich durch ein böses Wort die ganze Zukunft in's Schlimme kehren. Aber auch die Besprechungen, wozu man Hexen brauchte, sind wohl als fluchabwendende oder segenbringende Worte zu deuten. Durch die ganze Geschichte der Religionen erhält sich dann das Rudiment des Fluchens und Segnens, auch wo das Schicksal schon objectiv gefasst oder selbst schon als göttliche Providenz erkannt ist. Ich erinnere z. B. an die furcht- baren officiellen Flüche, mit denen Spinoza aus der Synagoge ausgestossen wurde, und an den noch bei unserer Abendmahls- feier üblichen Fluch über den unwürdigen Genuss, wie auch, an

Digitized by VjOOQIC

252 Religion der Furcht.

den allein vom Priester zu sprechenden Segen über die Gemeinde, und endlich auch noch an die fast regelmässigen jährlichen Flüche und Segnungen des heiligen Vaters zu Rom, wodurch das Schicksal der Völker gelenkt wird.

Es ist sehr interessant, die Gränzlinien zu ver- scwc^ta^wdl? folgen, die eine dritte Form der Schicksalsidee um- Anfiosans schliesscn. Bei der Fluchidee waren die Flüche ***' FMcht! ^^'^ selbst dämonische Wesen, und die perspectivische Betrachtung bezog die Zukunft auf den engen Kreis der persönlichen Furcht und Hoffnung; bei der objectiven Schicksals- idee dagegen verlor das göttliche Wesen jedes akustische und optische Zeichen, es zog sich in' s Dunkel zurück; aber trotz der Dunkelheit des theologischen Begriffes war ein religiöses Gefühl und ein Cultus möglich und wirklich. Die Mören, welche über Geburt und Tod verfügen, wurden überall verehrt und empfingen reichliche Opfer, weil man auf irgend eine Weise durch Hin- gebung oder durch geheime Zeichen das GefUrchtete abwenden zu können hoffte. Denn wenn auch nicht mehr göttlicher Zorn und menschliche Verschuldung als Ursache der Schicksale geglaubt, wenn das Schicksal auch als ein Despot, den man nicht mehr sicher mit Hymnen und Opfern gewinnen kann, gefürchtet wurde: so nahm man doch wenigstens an (und dies ist der Rest des Bewusstseins der Willensfreiheit, die zum Schicksal beitragen muss), dass durch Gulthandlungen gewisser Art die Zukunft ab- geändert werden könne. Daher findet sich das Nägeleinschlagen, die Befestigung eines Hufeisens an den Thüren und tausenderlei Zeichen, wodurch der Mensch in religiöser Gesinnung dem Schicksal gegenüber Stellung nimmt. Selbst die Vermeidung der Dreizehn bei den Mahlzeiten (in Erinnerung an das Abendmahl Christi mit dreizehn Personen, von denen Einer sterben musste) bildet noch heute einen Cultakt für das Schicksal, der natürlich jetzt als Aberglaube bezeichnet wird.

Damit nun eine neue Form auftrete, muss ein neuer Be- ziehungspunkt das Auge treffen. Dieser zeigt sich aber, sobald der Mensch die Beziehungen der Ereignisse untereinander nicht mehr als planmässige auffasst. Die anfangliche perspectivische Betrachtung hatte bei allem Geschehen die Beziehung auf die Zwecke des Eigenlebens vorausgesetzt, bei der objectiven Schicksalsidee war zwar die individuelle Teleologie mehr und

u.quizeauy Google

Allgemeinere Fragen. Das Schicksal. 253

mehr verschwunden, weil der Blick in's Grosse schweifte und das Völkerleben, wie die Naturereignisse weit über die Bahnen des individuellen Kreises unerforschlich hinausreichten, dennoch aber hatte sich die Vemunftforderung eines einheitlichen Zu- sammenhanges erhalten und das Schicksal war ein Dämon ge- blieben, dem gegenüber man eine religiöse Gesinnung haben kann. Sobald nun diese stille Vemunftforderung fallt und die einheitliche Ordnung des Ganzen verschwindet, so tritt der so- genannte Zufall auf, d. h. die Meinung, dass die Ereignisse ftlr einander nichts zu bedeuten und mit den Interessen des Menschen keinen von göttlicher Hand geleiteten Zusammenhang haben.

Wenn sich aber dieser neue Beziehungspunkt durch die Ohnmacht des Geistes, den Gang der Welt und der eigenen Erlebnisse zu deuten, im Bewusstsein befestigt hat, so entspringt die dritte Form der Schicksalsidee. Mit dem Zweck und dem bedeutungsvollen Zusammenhang in der Welt verschwindet noth- wendig der coordinirte Begriff des göttlichen Wesens in dem Gottesbewusstsein; mit diesem föUt die Möglichkeit der zugeord- neten Gesinnung des Menschen, A h. die Religion, da ohne Ge- sinnung nun die theoretischen Vorstellungen, die Gefühle und Handlungen nichts Religiöses mehr symbolisiren können. Also ist mit der dritten Form der Schicksalsidee die Religion der Furcht aufgelöst.

Das Coordinatensystem, welches dem Zufallsglauben ent- spricht, lässt sich aber leicht feststellen. Statt des Gottes treten nun die einzelnen Weltdinge auf, mögen sie grob sinnlich oder feiner atomistisch gedacht werden, und mit mehr oder weniger deutlich ausgebildetem Bewusstsein lässt man sie nach blinden, d. h. auch zuiUlligen Naturgesetzen auf einander wirken. Dieser Vorstellung gemäss ist der Schaden oder Nutzen, den die Dinge in unserem Interessenkreise stiften, ebenfalls zufällig, und der Wille des Menschen reagirt deshalb zwar auf die Ereignisse in denselben Gefühlen von Schmerz und Lust, Furcht und Hoffnung, wie bisher, ohne aber zugleich ein religiöses Geftihl zu bilden. Dementsprechend .sind auch die Handlungen nicht mehr cultiseh, sondern bloss praktisch und technisch, um die Uebel abzuwehren, soweit es der Zufall zulässt, und Güter zu schaffen, soweit die Kräfte reichen. Dieser Standpunkt wird nun mit Erinnerung an die Mhere Gottesvorstellung Atheismus genannt, mit

u.quizeauy Google

254 Religion der Furcht.

Erinnernng an die Vernunftforderung von Gründen und also von Werthen, Pessimismuß.

Um zu zeigen, wie die dritte Form der Schicksalsidee, der Zufallsglaube, entsteht, mag eine auschauliche Stelle aus der von A. F. V. Schack tibersetzten Sage vom Königssohn („Stimmen vom Ganges'^ S. 176) dienen. Der König hat seinen einzigen Sohn verloren trotz aller Opfer an die Götter. Sein Weib Kri- tadjuti kniet mit Händeringen neben ihm und „Thränenströme rannen ihr vom Auge, und auf die Brahmanen bald, die voll von Trauer sie umstanden, bald auf den verzweifelnden Gatten blickend, bald den todten Sohn umklammernd, rief sie: 0, wie sinnlos, Gott, ist all Dein Handeln! Thoren Jene, welche Dich den weisen Weltenschöpfer und Erhalter nennen; denn dem Zu- fall giebst Du Macht, die Erde zu beherrschen und nach seinen Launen Tod und Leben zu vertheilen. Blindlings lassest Du aus Deiner Hand die Loos'e von Geburt und Sterben nun auf Diesen, nun auf Jenen fallen und zerreissest selbst das Band der Liebe und Verwandschaft, das doch Du geknüpft hast! Wehe! Wehe! Nur in wtistem Taumel kreis't das Weltall und in stetem schwindel- erregendem Wirbel werden wir mit ihm umhergetrieben."

Da die Religion der Furcht in jeder Beziehung Beurtheuung j^^ AnftLugeu meuschUcher Entwickelung angehört, zufaiiBgiaubens. SO ist CS natürlich, dass ihre Götter und ihr Schicksal für die Erkenntniss völlig unbestimmte und unbe- stinmibare Wesen bleiben müssen; auch ihre zugehörigen reli- giösen Gefühle sind von der niedrigsten Stufe und von der Selbstsucht nicht verschieden; endlich muss auch der zugehörige Cult als thöricht und theils abscheulich, theils abgeschmackt gelten. Trotzdem liegt in dieser Religion ein tiefer Sinn und sie entspricht überall der vernünftigen Natur des Menschen, wenn man nur die rohe Ausdrucksweise auf die höheren Formen geistiger Entwickelung zu beziehen versteht Wie der Tischler schon mit gutem Verstände den Tisch rundet, indem er den Kreis mit Stift und Faden zieht, ohne die Zahl it berechnen zu können, so werden wir auch in der Religion der Furcht und. in dem Schicksals- glauben die rohen Umrisslinien einer vernünftigen Weltauftassung anerkennen dürfen.

Um dies deutlicher einzusehen, vergleichen wir damit den Zufallsglauben. Hier sind nicht nur die Götter mit ihren kleinen

u.quizeauy Google

AUgemeiBere Fragen. Das Schicksal. 255

örtlichen und gelegentlichen Ftigungen verschwunden, sondern es ist auch das Schicksal als allgemeine, die Welt umspannende Idee im Bewusstsein erloschen. Der Zufallsgläubige steht nun vor einem blinden Mechanismus, dessen Uhrwerk er nicht erkennt und von dessen Schlägen er ohne Sinn und Zweck zermalmt wird. Dieser Zufallsglaube bildet aber keine höhere Vorstellung als die Keligion, sondern ist eine Erschlaffung des Denkens, in- sofern als der Mensch dabei nur auf die Verkettung der einzelnen, mechanisch wirkenden Dinge seinen Blick richtet, also nur auf die Theile und Mittel der Welt und ihres Geschehens, während der fieligiöse mit seiner Vernunft das Ganze und den Zweck erfasst und eine gewisse Vemtinftigkeit des Geschehens fordert und voraussetzt. Somit ist z. B. die Weltanschauung von Strauss in seinem „Alten und neuen Glauben" unvernünftiger und geist- loser als selbst die Religion der Wilden, weil diese doch die natürlichen Forderungen der Vernunft, die uns nun einmal inne- wohnt, auf eine Vemünftigkeit der Welt nicht aufgeben, sondern mehr oder weniger sinnreich einen zweckvollen Zusammenhang des Ganzen zu erforschen und zu enträthseln suchen, während Strauss die Vernunft ausser Thätigkeit setzt und nur mit dem Verstände, als dem niedrigeren und dienenden Erkenntniss ver- mögen, die mechanische Vermittelung der Erscheinungen der Welt zum Gegenstande nimmt Dabei nimmt er denn auch mit blindem Glauben die Hypothesen und jeweiligen Resultate der modernen Naturwissenschaft an und vergisst ganz, dass die Naturwissen- schaften in raschem Fortschritt begriffen sind und fast nach jeder neuen Generation neue Hypothesen aufstellen und ihre früheren Resultate lächerlich finden. So z. B. wäre zu Newton's und Goethe^s Zeit nichts lächerlicher gewesen, als die Annahme, die Sonne könnte an Licht und Wärme einbüssen und bedürfte einer Heizung und Speisung; heute aber findet man die Annahme der Unveränderlichkeit der Sonne lächerlich und lässt sie sich con- trahiren oder wenigstens Sternschnuppen verschlucken, um die nöthige Wärme, die sonst verloren ginge, wieder zu erhalten. So fest auch die exacten Einzelbeobachtungen der Naturforscher stehen mögen, so schwankend und wandelbar sind die allgemeinen Hypothesen, und je höher ein Naturforscher steht, um so mehr ist er sich dieses hypothetischen Charakters bewusst. Strauss setzt deshalb einen geistlosen Köhlerglauben an die Stelle der

uiymzeu uy V^jOOV IC

256 Religion der Furcht.

Religion, da für ihn die Hypothesen der Naturforscher nicht Hypothesen, sondern Glaubensartikel sind, während die wahre Religion vielmehr auf jeder Culturstufe erst zu Worte kommen soll, wenn man die jeweilige exacte Verstandes- Wissenschaft schon vernommen hat und darüber hinaus noch die weitergehenden For- derungen der Vernunft nach einem allgemeinen zweckmässigen Zusammenhange aller Dinge befriedigen will. Die Religion kann man nur fallen lassen, wenn man auf Vernunft verzichtet, und Strauss will dem Menschen rathen, seine Augen auszureissen, um bloss mit den Händen zu tasten.

§ 3. Die zugehörige mythologische Weltanschauung. Obgleich die Religion der Furcht ursprünglich

WeltansctuiUunK. x o

im kleinsten Kreise des Einzellebens geboren wird und deshalb roh und ganz ungebildet erscheint, so muss sie sich doch, wie alles, was in unserem Bewusstsein entsteht, allmählich in Zusammenhang mit allen anderen Functionen des Seelenlebens setzen und dadurch eine gewisse Vemttnftigkeit erlangen. Dieser Charakter der Vemtinftigkeit nimmt zu, wenn die Beziehungen zwischen allen Elementen des Seelenlebens zum Bewusstsein kommen und Cregenstand der Erkenntniss werden, wodurch das Ganze unseres Bewusstseinsinhalts eine gewisse ideelle Ordnung erhält. Eine mechanische und natürliche Ordnung entsteht ja von selbst immer; wenn uns aber erst das Bedürfiiiss des Denkens geweckt ist, so wird auch der Versuch gemacht, möglichst alles im Bewusstsein Gegebene imter einen umfassenden Gesichtspunkt zu bringen und dadurch eine ideelle oder logische Ordnung her- zustellen, d. h. eine Weltanschauung zu bilden. Es ist daher nothwendig, dass bei unserer Religion der Furcht die Gläubigen, wenn sie sich durch weiter gehende sociale und politische Fort- schritte zu einem höheren Bewusstsein und grösserer Weltkenntniss erhoben haben, auch zu einer ihrer Religion entsprechenden Welt- anschauung gelangen.

Das Nächste, was sich ganz allgemein über diese ^'standpunkt!*'' Weltanschauung sagen lässt, ist ihr perspectivischer

Standpunkt; denn da diese ganze Religion alle Dinge als Uebel und Güter auf den Menschen bezieht und noch keiner objectiven Betrachtung fähig ist, so muss auch die logisch weiter-

uiyuizeu uy "V-j v-zv^'pt iv^

Allgemeinere Fragen. Mythologie. 257

gesponnene Weltanschauung einen perspectivischen Charakter haben, jedoch mit der Erweiterung, die durch Fortschritt des Menschen aus seiner Einzelheit zur Familie, zum Gau, Stamm und Volk sich von selbst ergiebt. Wenn der Einzelne zunächst glaubt, dass alle Dinge seinetwegen daseien oder wenigstens in Beziehung zu ihm allein aufgefasst werden, wie er z. B. sagt, dass Gott ihm diese Krankheit geschickt und ihn mit dieser Dürre oder diesem Frost heimgesucht habe, oder dass der Gott ihn für seine Opfer und frommen Anbetungen und gottwohl- gef&lligen Handlungen mit reicher Emdte gesegnet, ihm Sieg über seinen Feind gegeben habe, so versteht sich, dass wenn sich erst Familien- und Stammbewusstsein entwickelt hat, dieselbe Denk- weise auch auf die Familie und das ganze Volk ausgedehnt wird. Demgemäss werden alle Uebel, die das Volk treflFen, als Strafe und Zorn Gottes betrachtet, alles Gute und Glück als Belohnung und Gnade des Herrn. Und mithin muss die Kunst und Methode dieser religiösen Logik darin bestehen, alle Dinge und Ereignisse, die irgendwie in's Bewusstsein der Menschen treten, unter einen Gesichtspunkt zu stellen, wodurch sie mit den beiden alles beherrschenden Beziehungspunkten, nämlich der Selbstsucht des Ichs und dem zugehörigen Gott des Zornes oder der Gnade vermittelt werden können. Stirbt z. B. das Vieh an einer Seuche, so ist dies ein Uebel. Dem Uebel entspricht aber subjectiv die Furcht, also die Schuld (culpa); objectiv der Zorn. Also war Gott in Zorn und sendete dem schuldigen Menschen die Strafe, und das Ereigniss ist so von der religiösen Per- spective aus erklärt.

Der Mensch hat im Anfang nur mit lebenden Wesen, wie er selbst ist, zu thun. Trotzdem wird er, wie die alten Religionen tiberall bezeugen, die Welt alsbald in zwei Gebiete trennen. Das erste Gebiet umfasst ausser den Menschen auch die Thiere, die er als seines gleichen im engeren Sinne betrachtet, da er mit ihnen zusammen lebt und sie leicht versteht, wie Kinder, die nicht zu voller Vernunft kommen. Das zweite Gebiet umfasst die übrigen Dinge. Diese theilen sich wieder in Himmel und Erde, die Erde in Land und Wasser, der Himmel in Luft und Sterne. Jedes von diesen aber kann wieder in viele verschiedene Erscheinungen unterschieden werden. Im Anfang wird der Mensch nun seine Aufmerksamkeit nur dem zu-

Telcbmnller. BellgionaphikMophie. u g ,zdl7üy GoOQIc

258 Religion der Furcht.

wenden, was ihm gefahrlich oder erfreulich wird, und das Uebrige als gleichgültig Gegebenes ausser Acht lassen. Welches Element aber gerade die Aufmerksamkeit in seinen Wandlungen beschäftigt, das wird zu einem Dämon, der mit ihm in näherer Lebens- beziehnng steht. So ist es natürlich, dass ilir Menschen an grossen Strömen oder am Meere der Wassergott die Hauptrolle spielt, für andere, die etwa durch Gewitter besonders leiden oder durch Waldbrände und entsetzliche Petroleumquellen mit ihren Entzündungen geängstigt werden, der Feuergott, Agni, Indra oder Surtur oder wie er genannnt werden möge, der wich- tigste sein. Wo Erdbeben häufiger sind und in der Nähe der Vulkane, da muss Pluton oder Hades obenan stehen. Für alle Völker aber wurde ursprünglich nothwendig Sonne und Mond ein Gegenstand grösster Aufmerksamkeit und Verehrung, weil die Nacht und die Kälte ftir den Menschen schrecklich ist und das Licht und die Wärme die wichtigsten Lebensbedingungen sind. Daher ist f^onnencult bei allen Naturvölkern ohne Weiteres vorauszusetzen; denn auch wo die Sonne wegen ihrer Gluth Ver- derben bringt, ist sie grade als der gefährliche und böse Gott verehrt. Damit steht dann in Zusammenhang, dass die täglichen und jährlichen Schicksale der Sonne und die monatlichen des Mondes überall die religiöse Aufmerksamkeit erregt und überall die Mythologien mit mehr oder weniger hübschen Geschichten überschwemmt haben.

Enutohnn Obgleich nun alle kosmischen Phänomene noth-

und Wesen der wcudig pcrspccti visch auf dcu Mcnschcu bezogen

Mythologie, ^^„j.^^^jj^ g^, ^^^^^^^^ ^^j^ obcu S. 134 ausgcftlhrt, die

Elemente doch in Kampf gegeneinander, so dass oft erst aus dem Sieg des einen oder des anderen der glückliche oder un- glückliche Ausgang für den Menschen sich ergab. Dadurch allein wurde es miiglich, dass sich eigentliche Göttergeschichten, d. h. eine objective Vorstellung von dem Charakter, dem Leben und den Schicksalen der Götter, bilden konnten, wie z. B. der Kampf des Indra mit Wertra oder in der Edda der Kampf Thor's mit Thrym; denn da der Mensch häufig nicht unmittelbar mit leidet, sondern nur mit Aengsten und Schauder die Naturereignisse be- trachtet, 80 musstc sich ihm nach der Analogie mit menschlichen Vorgängen, welches die einzig mögliche Analogie für seine Logik war, eine Göttergeschichte ergeben.

Digitized by VjOOQIC

Allgemeinere Fragen. Mythologie. 250

Zu diesen Göttern aber kamen noch andere, die man fiilsch- lich flir Abstractionen einer späteren Zeit hält. Da das Leben nämlich durch die reichere Zahl der Familicnglieder gefördert und widerstandsfähiger wurde, so war die Sorge für Nach- kommenschaft eine der wichtigsten. Es zeigte sich aber, dass die Fruchtbarkeit durchaus nicht von dem Menschen allein abhing. Bei dem Menschen wie bei dem Vieh traten Versagungen der Wünsche ein ; also war eine unsichtbare Macht im Spiele. Darum erhalten die Götter und Göttinnen der Geburt, und zwar meist in rohen Symbolen vorgestellt, in vielen Culten eine hervor- ragende Rolle. Ebenso geheimnissvoll, wie die Geburt, kam der Tod. Da nun das Sterben flir die Zuschauer schreckensvoll ist, so wurde der Tod auch von Jedem gefürchtet und als ein grosses oder das grösste Uebel betrachtet, und mithin die verborgene Ursache als Gott verehrt. Der Todesgott als Jama oder als die Keren musste dann nothwendig in der Erde seinen Sitz erhalten, wo er als Hei oder Hades alles empfing, weil die Ideenasso- ciation mit dem Grab den Beziehungsfaden knüpfte. Wo die Leichen regelmässig von Geieni gefressen ^vurden, konnte der Tod nicht unter der Erde thronen, sondern musste im Unbe- stimmten hausen. Ueberall hier ist aber nicht, wie man wähnt, eine bloss logische Abstraction vorgenommen, indem man etwa die vielen vorkommenden Geburten und Todesfiille zu der allge- meinen Vorstellung Tod und Geburt vereinigt und personificirt hätte, sondern der Gedankengang war von der Furcht getrieben und spürte den Ursachen nach, um sie in ganz lebendigen Göttern zu finden,* die ihre Eigenschaften, Sitten und, was sie lieben oder hassen, ganz natürlich aus den näheren Umständen der Phänomene selbst und aus den zugehörigen Gefühlen des Menschen erhalten mussten. Ich kann nicht umhin, auch solche Götter und Dämonen, wie die Wuth (Lyssa) und die Eris nicht ftir Abstractionen zu halten; denn wer das verzerrte Gesicht, die rothen Augen, das wilde Haar, die grässlichc Stimme des Wüthenden zuerst mit Schrecken erblickte, der konnte das Phänomen nicht aus dem sonst wohlbekannten früheren Gesichte, das ja ganz anders war, erklären; ebenso also wie für den plötzlich eintretenden Sturm ein Gott gefordert wurde, weil das Phänomen aus der früher ruhigen Luft nicht erklärt werden konnte, so musste sich auch die Wuth als ein Dämon ergeben, der plötzlich den Menschen

260 Religion der Furcht.

ergreift und seine eigenen grässlichen Züge in dem Wüthenden zum Ausdruck bringt. Und es ist ja auch von heute bekannt, dass die Jähzornigen ihre Anfälle fürchten und das Gefühl haben, von einer fremden dämonischen Macht besessen zu werden, da sie, zur Vernunft gekommen, die Verwüstungen und Verletzungen, die sie angerichtet, mit Schmerz betrachten und nicht auf sich beziehen können, weil sie „nicht bei sich" oder weil sie „ausser sich" waren.

Wenn wir nun diese verschiedenen Götterentstehungen zu- sammenfassen und als zweiten Beziehungspunkt hinzunehmen, dass sich, wie oben S. 131 gezeigt, die Vorstellungen im Bewusst- sein immer nach der Ideenassociation und hier im Besonderen nach der Analogie mit dem menschlichen Leben verknüpfen, so ist einleuchtend, dass sich die Götterlehre in der Religion der Furcht zu einer Mythologie ausbilden musste, d. h. zu einer phantastischen Welt, in welcher Götter und Dämonen die Helden waren, Himmel, Erde und Unterwelt den Schauplatz bildeten und Menschen und Vieh theils als Zuschauer, theils als Mitagenten erschienen.

Man hat nun früher häufig geglaubt, dass die ^**^ to ^^^^°' Erforschung dieser verschiedenen Mythologien ein ein Gogenaund Gcgeustaud dcr Philosophic wäre. Dafür gäbe es phuosopwe ist *^^^ keinen anderen Grund, als dass die exacten Specialwissenschaften sich früher mit diesem Gegen- stande noch nicht abgegeben hatten und man gewohnt war, das allgemeine Interesse an der Erforschung aller Dinge Philosophie zu nennen. Darum bildete man sich auch ein, es hätten all- mählich die Specialwissenschaften, wie die Medicin, Astronomie, Mathematik u. s. w. der Philosophie, die früher Alles in sich gefasst hätte, ihren Inhalt weggenommen. Das ist aber eine un- gebildete Auffassung, denn wenn auch ursprünglich die soge- nannten Weisen oder Philosophen allen Wissensstoff umfassten, so thaten sie dies doch nicht durch Philosophieren oder durch Philosophie, sondern durch die jedesmal zugehörigen Erkenntniss- quellen, nach denen sich damals, wie jetzt, ein specielles Gebiet des Wissens erforschen Hess. Darum könnte man die ersten Philosophen ebenso gut Aerztc und Musiker und Astronomen nennen und behaupten, die Medicin oder die Astronomie hätte alle übrigen Wissenschaften früher mit umfasst Es wäre dies

uiyiiized by VjOOQIC

Allgemeinere Fragen. Mythologie. 261

ebenso falsch^ wie wenn man dies jetzt von der Philosophie be- hauptet. Die Philosophie ist nur das Bewusstsein des Geistes über sich selbst, seine Thätigkeiten und ihre Formen; hat aber nichts zu thun mit irgend einem durch die Sinne gegebenen be- sonderen Gegenstande, der phänomenologisch neben anderen Gegenständen aufgefasst und erkannt wird. Ebenso wenig wie die Mathematik mit den Bewegungen der Sterne zu thun hat, (obwohl früher allein die Mathematiker sich mit diesen Fragen beschäftigten, und die Astronomen sogar schlechtweg die „Mathe- matiker** genannt wurden,) ebenso wenig hat die Philosophie mit Medicin, Philologie u. s. w. zu thun. Und ebenso wenig wie jemals der Mathematik ihr Wissensgebiet entrissen werden könnte, so kann auch der Philosophie niemals das kleinste Stück ihres Gebietes entzogen werden, da eine Annexion nur möglich wäre, wenn der Annectirende die Gegenstände der Philosophie betriebe und die philosophische Erkenntnissquelle und Methode benutzte, d. h. wenn er die Philosophie in ihrer Integrität anerkannte* Es ist aber ungebildet, zwischen Philosophie und Philosophen nicht unterscheiden zu können und das, was die Philosophen thun und lassen, der Philosophie zuzuschreiben. Darum war es ein logischer Fehler, die Philosophie mit der Erforschung der Mythologien zu belasten. Die Philosophie allein von allen Wissen- schaften kann sagen, was Mythologie ist und wie sie entsteht, sie hat aber mit keiner einzelnen Mythologie zu thun, sondern diese gehört den Specialgebieten der Wissenschaften an, und ihre Erforschung hängt von den speciellen Kenntnissen der Sprachen, der Litteratur, der Geschichte, der Archäologie und Ethnologie ab. Die Philosophie hat in diesen Fachuntersuchungen nicht mitzusprechen. Auch die Eintheilungen, nach denen man diese mythologischen Religionen ordnet, indem man sie ethnographisch oder geschichtlich oder sprachlich oder archäologisch gruppirt, gehen die Philosophie nicht an. Wenn aber über den Werth und Sinn der Mythologien gesprochen werden soll, so ist dies sofort die Sache der Philosophie, da die kritischen Gesichts- punkte im Gebiete des reinen Geistes liegen. Die Philosophie kann darum keine Classification der Religionen nach ihrem Werthe oder ihrer Wahrheit irgend einer Specialwissenschaft jemals überlassen, sofern die Specialwisscnschaft nicht vorher die Ge- sichtspunkte der Kritik von der Philosophie entlehnt hat, was

u.quizeauy Google

262 Religion der Furcht.

80 viel heisst, als dass diese Ordnung eine Sache der Philo- sophie ist

Q^j^jj Ich will hier nun die Eintheilungen der Reli-

der griechitfcben gioueu uicht wcitcr vcrfolgcu, da sie unserem spe- Mythoiogie. cujativcn Interesse fern liegen. Es sind nur zwei Punkte, welche unsere Aufmerksamkeit verdienen. Zunächst die merkwürdige Bewunderung, welche man seit dem Wiederei'wachen der schönen Künste und in der Philosophie besonders seit Schelling und Hegel deq Griechen und ihrer Mythologie gewidmet hat. Der Grund liegt auf der Hand; man berauschte sich nämlich in den griechischen Dichtungen und in der Schönheit der plastischen Kunstwerke und schrieb nun seine Genüsse den Göttern unter ihr Guthaben. Die Kunst und ihre Gesetze wurden dadurch zum Kriterium, um den Werth einer Religion zu messen, und man eilte, die unförmlichen Götzenbilder und die vielköpfigen, vielarmigen, elephantenrüsseligen und thierartigen Götter der Aegypter, Inder und der ganz barbarischen Völker herabzusetzen. Allein es ist völlig unphilosophisch, die griechische Religion, wie Hegel thut, eine Religion der Schönheit zu nennen und den Brah- manismus und Buddhismus als Religion der Zauberei herunter- zusetzen, da die eigenthümliche Form der Frömmigkeit und die zugehörige Dogmatik mit der Entwickelung der Kunst nicht wesentlich zusammengehören. Bei Homer werden uns durch die Poesie die Götter als menschlich schön dargestellt, wie später in der Bildhauerkunst; die Vorstellungen von den Göttern blieben aber, wie bei Homer, noch viele Jahrhunderte lang so roh, dass die Seele der Götter mit allen Leidenschaften und Verbrechen beladen wurde, wie bei den verworfensten Menschen, und dass die Zauberei bei der Wirksamkeit der Götter und im Cultus immer eine grosse Rolle spielte. Hegel sagt: „Im Zeus des Phidias schauten die Griechen ihren Gott an. Was für die Phantasie manifcstirt und hingestellt wird, ist die Gestalt eines Gedankens. Dadurch ist die griechische Religion die Religion der Schönheit*' (S. 103 II). Dies Räsonnemcnt ist unglaublich leichtfertig; man könnte darnach ebenso schliessen, dass das Christenthum, weil Michel Angelo den Christus und die Maria nackt dargestellt habe, die Religion der Nacktheit sei. Aber nicht nur die Folgerichtig- keit fehlt dem Heger sehen Schluss, sondern er ist auch materiell unrichtig; denn es gab Jahrhunderte lang vor Phidias und vor

Digitized by VjOOQIC

Allgemeinere Fragen. Mythologie. 263

aller schönen Bildhauerkunst eine griechische Religion, die also damals keine Religion der Schönheit hätte sein können. Auch waren die eigentlichen Cultgötter, wie der vom Himmel gefallene Pallasklotz, keine schönen menschlichen Gestalten. Auch kann man seinen Gott in einer schönen Bildsäule anschauen und doch in seinen Gedanken sehr hässliche Dinge von ihm fürchten, wie dies die griechische Religion überall an den Tag legt. Die Bild- hauerkunst hat sich darum zwar an die Religion angeschlossen, aber insofern auch Medusen und Gorgonen hervorgebracht, Zeus als Schwan und Stier dargestellt u. dcrgl., und man thut gewiss besser, anzunehmen, dass die Bildhauerkunst sich nicht unmittel- bar und nicht allein durch die Religion, sondern ndttelbar durch die Dichtkunst und fremde Kunsteinflüsse entwickelt hat. Wer Pindar und Platon's Staat gelesen, wird unmöglich der griechischen Religion die Schönheit des Gottes zuschreiben, und wer des Aristoteles Absagebrief an die griechische Religion kennt, der kann Hegel's Classificinmg nicht mehr anYiehmen. Im Grunde ist bei Hegel ja auch nur das Bedtirfniss vorhanden, der Religion des Erhabenen, wie er die Jehovahreligion nennt, eine Religion der Schönheit gegenüberzustellen, und da fielen ihm die schönen Bildsäulen der Griechen ein; in der Ausführung im Einzelnen, die ausserdem sehr dilettantisch ist, merkt man bei Hegel nichts von der Schönheit des Gottes.

Geht man aber wirklich auf den Geist des griechischen Cultus ein, so erkennt man gleich, dass er im Wesentlichen aus einer Religion der Furcht stammt, obgleich sich später allerdings auch sittliche Elemente einmischten. Die Griechen selbst wurden aber früher gesittet als ihre Götter, die nur die Widerspiegelung davon abbekamen. Wenn die Götter sittliche Gesetze vertreten hätten, so wäre z. B. der Witz des Euripides im Jon (v. 442) nicht möglich gewesen. Er sagt: „Wenn Ihr Götter flir jede Nothzucht Busse gäbt den Sterblichen, Du Phöbos, wie Poseidon, oder Zeus, des Himmels Herr: so müsstet Ihr, um Euer Unrecht zu bezahlen, die Schätze Eurer Tempel ausleeren!" Und an einer anderen Stelle (v. 1290) drückt er sehr deutlich die traurige Lage aus, in der sich der Fromme in Griechenland befand, der keine göttlichen Gebote vom Sinai erhalten hatte : „Schlimm, dass ein Gott den Menschen nicht, wie's billig ist, und nicht in weis- heitsvollem Sinn, Gesetze gab." Wir können daher über die

uiymzeu uy V^jOOV IC

264 Religion der Furcht.

griechische Religion kaum anders als die Kirchenväter urtheilen, die unter dem unmittelbaren Eindruck des heidnischen Gultus standen und daher den wirklichen Zustand des religiösen Gemüthes des Volkes wohl erkannten. Deshalb müssen wir die abenteuer- liche Bewunderung dieser „Religion der Schönheit^^ aufgeben und uns nicht durch die nebenherlaufende Kunstentwickelung irre machen lassen. Die Götler der Griechen sind ursprünglich ohne Sittlichkeit, ihr Verhältniss zu dem Froumien ist durch Dienst und Opfer oder durch Vernachlässigung ihrer angeblichen Interessen entstandene Gunst oder Missgnnst, Freundschaft und Gefälligkeit oder Hass und Rache. Die Götter sind bestechlich und neidisch, untereinander feindselig, zu Betrug geneigt und gegen die Menschen unzuverlässig. Was wir an Adel der Gesinnung, an Ehrwürdig- keit von Gesetz und Recht, an Weisheit und Schönheit bei der griechischen Götterlehre anerkennen, das stammt grösstentheils aus der Philosophie, sofern es nicht vom Auslande entlehnt ist.

§ 4. Der Islam.

i)a es, wie gesagt, unsere Aufgabe nicht ist, die einzelnen in der Geschichte aufgetretenen Religionen der Furcht zu studiren und einzutheilen, so bleibt uns nur ein letzter Punkt zur Er- örterung ül)rig. Ich möchte nämlich gern die höchste und historisch bedeutsamste Religion namhaft machen, an welcher wir die EigenthUmlichkciten, welche allen Religionen der Furcht zukommen, in der reinsten und gebildetsten Form vor Augen haben. Von den grossen Religionen, die noch heute leben, nämlich der christlichen, brahmanischen, buddhistischen, jüdischen und arabischen, ist es aber nur die letztere, welche das ganze Wesen der Furchtreligion in typischer Reinheit und grundsätzlich enthält. Um unser Urtheil darüber zu befestigen, betrachten wir den Islam nach seiner Gottesvorstellung, nach der ethischen Seite und nach dem Cultus.

1. Dogmatil Dass der Islam die höchste Furchtreligion ist, sieht man daraus, dass die unklaren Vorstellungen der einzel- neu Götter alle verschwunden sind und das Object des frommen Gemtiths zu einem einzigen in der ganzen Welt und über sie gebietenden Gotte, zu Allah, geworden ist Dieser Gott blieb

Digitized by VjOOQIC

AUgemeinere Fragen. Der Islam. 265

aber der alte Furchtgott, weil das einzige Motiv, auf welches alle religiöse Vorstellungen im Koran begründet werden, die Macht ist. Es werden zwar manche wohlmeinende Menschen, die vor jedem strengen und herben Urtheil erschrecken und überall auch etwas Gutes anerkennen möchten, im Koran viele auf die Weisheit und Gerechtigkeit und Güte Allahs hindeutende Sprüche hervorheben; allein wir können ihnen nicht willfahren; denn diese schönen Beigaben sind aus den reichen Schatzkammern der jüdischen und christlichen Keligion geholt und gehören nicht wesentlich zum Islam, da der Moslem seinen Allah nicht deswegen verehrt, weil er gütig und weise ist, sondern weil er die höchste Macht hat Deshalb wird die völlige Unbegreiflichkeit der Rathschläge Gottes, seine völlige despotische Willkür, die durch kein erkennbares sittliches Gesetz und durch keine ideale Wahrheit motivirt ist, überall in den Vordergrund gestellt. Gäbe es im Islam noch irgend ein anderes Princip ausser der Macht, so müsste eine vernünftige Weltordnung und Weltökonomie hervor- treten; wir finden aber bloss das starre Schicksal, d. h. die dem Zufall und der Laune gleichende Machtäusserung Allahs. Ich habe hierüber schon in einer Abhandlung (Charakteristik der Araber, in der Baltischen Monatsschrift, Bd. XXVI, Heft 1) ge- nauere Rechenschaft gegeben und verweise darauf zurück.

Es ist aber interessant zu erforschen, wie dieser immerhin grossartige Monotheismus entstehen konnte; denn die Furcht- religion fordert eigentlich einen Polytheismus, da die ganze pro- jectivische Theologie immer den Inhalt des projicirenden Geistes mitnehmen muss und also der Gott nothwendig die ganze phan- tasievolle Umgebung der Furcht als Ausstattung und Mitgift empfangt, wie dies auch alle die verschiedenen Religionen dieser Stufe bei ihrer Gottesbijdung offen zeigen. Ich kann daher nicht ftlr möglich halten, dass Allah sich hätte durch blosse Denkkraft eines gut abstrahirenden Arabers bilden können, da selbst, wenn Mohammed erobernd vordrang und sich vornahm, alle Völker zu unterwerfen und sie entweder zu bekehren oder zu vernichten, oder tributär zu machen, dabei etwas anderes, als ein Mon- archismus nach der Art des Zeus entstehen konnte, vor dem die übrigen Götter zittern. Es fehlt also durchaus ein hin- reichender Erklärungsgrund ftlr die Abschaffung des Götzen- dienstes und die Einführung des reinen Monotheismus bei einem

uiumzeu uy "V-j vy\J>t Iv^

266 Religion der Furcht.

Propheten, der wie sein Volk gänzlich auf dem Standpunkte der Religion der Furcht stehen blieb.

Da nun keine Psychologie und Logik unser Problem lösen kann, so mtissten wir einen weiteren Schritt thun; denn nur die zweite Stufe der Religion ist fähig, die Götzen zu vernichten und eine monotheistische Theologie zu schaffen. Allein dieses Lösungsmittel, welches allerdings sehr einfach und zwingend wäre, könnte uns dennoch nicht dienen, da im Islam das Rechtsbewusst- sein und die Sünde nirgends hervortritt und mit dem Wesen dieser Religion überhaupt nichts zu thun hat. Also versagt uns auch dieser Versuch.

So bleibt nur die historische Erklärung übrig, die aber auch Alles leistet, was wir hier verlangen müssen. Der Prophet wurde nämlich durch das Juden thum, also durch eine moralische Religion, mit der Einheit Gottes bekannt und konnte daher den Polytheismus abschütteln. Da ihm aber das Christenthum nur in ganz verrotteter Gestalt, in Legenden und Mariacult, entgegentrat, und er auch nicht die Bildung besass, eine höhere Einsicht in die Lehre der Kirchenväter zu nehmen, so blieb ihm der Sinn des Christenthums verschlossen. Da er zugleich in seiner ganzen Persönlichkeit und durch die Instincte seines Volkes nur auf Macht und Herrschaft ausging und die sittlichen Motive nicht die Quelle seiner religiösen Ueberzeugung gewesen waren, so konnte es gar nicht anders kommen, als dass sich in strenger Coordination mit diesen gegebenen Beziehungs- punkten der kahle und despotische Monotheismus des Islam aus- bildete, der hierdurch vollständig erklärt ist.

Dieser Ursprung Allahs wird nun auch dadurch confirmirt, dass es weder Mohammed noch seinen späteren theologischen Interpreten je gelingen konnte, ein denkbares Wesen aus ihrem Gottc zu machen, der bloss die Abstraction der Macht und des Despotismus in sich enthält, ohne dass irgend eine gebildete Metaphysik oder sinnige Naturbetrachtung ihn zu einem wirk- lichen Wesen und zu einer gewissen Natürlichkeit hätte erziehen können. Er bleibt vielmehr ein von einer fremden,, höheren Religion erborgter Begriff, der mithin völlig undurchdring- lich und unverständlich ist und über dessen Zusammenhang mit der uns bekannten Welt, sowie über seinen Wohnort, seine

Digitized by VjOOQIC

Allgemeinero Fragen. Der Islam. 267

Natur und Eigenschaften sich kein yernünftiges Wort sagen lässt, da er mit der alten Religion der Furcht nur insofern ver- knüpft wurde, als man den geforderten Grund der Furcht in ihn projiciren konnte. Mithin muss nun Alles vor ihm zittern, wie er andrerseits auch alle die Belohnungen verleiht, die man sonst von den Götzen erhielt.

2. Ethik. Dementsprechend ist der Gemtithszustand des Gläubigen nur durch die beiden Gefühle der Furcht und der Hoffnung zu charakterisiren. Der Macht gegenüber giebt es eben keine andere zugehörige Empfindung als Furcht, und diese Furcht muss vor der unbedingten, durch keine Ueberredung zu leitenden Macht zur stumpfen Resignation werden. Allah ist gross, es giebt keinen Gott ausser Gott;, er straft seine Feinde hier, er macht ihre Gesichter gleich dem Hintern (d. h. er lässt ihnen Nase und Ohren abschneiden); er bedroht sie mit dem Tage, wo die Herzen und Augen der Menschen unruhig werden, wo sie in brennendem Winde und siedend heisscm Wasser sitzen müssen. Er verlangt unbedingte Unterwerfung, indem die Gläu- bigen, d.h. die in Furcht Versetzten, ihre Selbstsucht zu Rathe ziehen und sich überzeugen, dass es am Vortheilhaftesten ist, sich diesem Einen allermächtigsten Wesen ganz zu ftigen. Darum werden ihnen für ihre Unterwerfung dann auch irdische und himmlische Belohnungen in Aussicht gestellt, um sie durch die zugehörige Hoffnung zu reizen; denn die Frommen werden im Paradiese Schalen fliessenden Weines trinken, der den Kopf nicht schmerzen und den Verstand nicht trüben wird; sie werden Jungfrauen, die immer Jungfrauen bleiben, erhalten mit grossen schwarzen Augen, und werden ruhen auf weichen Kissen und mit Seide und Gold bekleidet sein u. s. w.

Es ist also in dieser grossen Religion der Furcht keine Spur sittlichen Geistes, sondern nur die Selbstsucht massgebend mit der Berechnung von Lohn und Strafe nach den Affekten von Furcht und HoflFnung.

3. C u 1 1 u 8. Dass wir nicht mit einer moralischen Religion zu thun haben, sieht man aus dem Verkehr des Menschen mit Gott; denn es dreht sich dabei nirgends um die Sünde und die Schmerzen des Gewissens, sondern nur um den Willen eines Despoten, dem man blind gehorchen muss, und den man, wenn

u.quizeauy Google

268 Religion der Furcht.

sein Gebot tibertreten, durch gewisse Opfer an Geld und Gut leicht wieder versöhnt, da es ihm bloss darauf ankommt, dass seine unbedingte Macht und öouveränetät anerkannt wird. Dem- gemäss ist der Cultus nur Lobpreisung des Einen allerhöchsten Herrn und cynische Selbsterniedrigung, indem die Gläubigen sich in den Staub werfen vor Allah, dem einzigen Herrn. Es kann nicht fehlen, dass bei der Abwesenheit von allem Verständniss Gottes auch die Zauberei in dieser Religion wuchern musste. Darum sind diese Verächter des Götzendienstes selbst in die Knechtschaft von allen möglichen rituellen Vorschriften gekommen, die sie ängstlich beobachten. Beschneidung, Richtung beim Gebet, die Zeiten des Gebetes, die KoransprUche, die heiligen Oerter u. s. w., alles dies hat Zauberkraft, und die Zauberei wird von ihren Derwischen öffentlich ausgeübt. Von einem reinen Herzen und sittlicher Gesinnung ist im Lande der Moslemin nicht die Rede; wie ihr Gott, so sind sie selbst unverantwortliche Despoten im Hause und über ihre Sclaven und unterwerfen sich selbst als Sclaven ihren Kalifen und ihrer hohen Pforte. Ein Freistaat ist für Mohamedaner undenkbar.

Der Islam ist der reinste Typus für die Religion der Furcht, die wir als die unterste Stufe des religiösen Lebens erkannten, und er ist die höchste Form desselben, weil er mit der von einer höhern Religion erborgten zwingenden Logik die Phantasie- figuren der Götzen und Götter beseitigte und den Einen und allgemeinen BegriflF des Mächtigen, d. h. Allahs, an die Spitze stellte und demgemäss nüchtern und klar die Motive der Furcht und Hoffnung als Grund der Religion offenbarte.

Dieser ganzen Art der Religion entspricht auch die zugehörige Beschaffenheit des Propheten, der sie offenbart und verkündigt. Es dreht sich nämlich nirgends um eine höhere Natur, die sich gesetzgebend an Menschen niedrigerer Sinnesart wendete und die durch Umgang mit Gott zu einer aus dem Gemeinen empor- gehobenen Form heiligen und vergöttlichten Daseins gelangte; nein, der Gesandte verkündigte nachdrücklich, dass er ein ganz gewöhnlicher Mensch wäre, was wir ihm auch glauben können. Er lässt deshalb seinen Allah sagen: „auch vor Dir (Mohammed) haben wir (Allah) keine anderen Gesandten geschickt, als nur solche, die Speise zu sich nahmen und in den Strassen einher- gingen." So macht er au^h in keiner Beziehung höhere An-

uiuiiizeu uy V^J v^\J>t Iv^

Allgemeinere l^Vageii. Der Islam. 269

Sprüche ; er stellt sich überall als ungelehrt hin, als leichtgläubig, und er will nicht einmal, wie ein Zauberer, die Schätze Gottes in seiner Gewalt haben und bekennt, dass er Gottes Geheimnisse nicht wisse und dass er kein Engel sei u. s. w. Kurz es ist von einer aus höherer Natur stammenden Offenbarung und In- spiration gar nicht die Rede, sondern nur von der Trivialität, dass Gott sehr mächtig und sehr fürchterlich sei, so dass man ihm gehorchen müsse, um Furcht und Trauer los zu werden, und dass man durch Almosen und andere äusserliche Opfer sich den Schutz dieses Herrn leicht verschaffen könne. Um Lohn und Strafe, sinnliche Lust und sinnlichen Schmerz, Macht und Herr- schaft, Furcht und Hoffnung dreht sich der Islam.

Digitized by

Google

2. Die Religion der Sünde oder die Rechtsreligion.

Erstes Capitel. Die zugehörige Ethili.

§ 1. Das Eintheilungsprincip der GefQhle.

Da wir sehen, dass alle Geflihle immer gewissen Vorstellungen zugeordnet sind und dass aus beiden wieder zugehörige Hand- lungen hervorgehen: so muss es unsere Aufgabe sein, die Gefühle in solcher Weise einzutheilen, wie sie ihrer Natur nach wirklich von einander verschieden sind, um ihnen entsprechend dann die zugehörige Gottesvorstellung zu bestimmen.

Nun haben wir schon (oben S. 117) erkannt, dass der Mensch ursprünglich der Welt gegenüber auf dem perspectivischen Stand- punkte steht, d. h. dass er alle Dinge nur so weit beachtet, als sie fllr ihn da sind. Er ist nicht von Anfang an Zoolog und Botaniker, sondern Thiere und Pflanzen und so auch alles Uebrige erfasst er nur nach der Seite, wie er daraus Vergnügen oder Schmerz, Nutzen oder Schaden gewinnt. Er selbst steht in dem Mittelpunkte und bezieht alles auf sich. Dieser Auf- fassungsweise entspricht als Gefühl die Selbstsucht, wozu wir die ganze grosse Gruppe von Gefühlen rechnen wollen, die wie Zorn und Hass, Schadenfreude, Neid, Furcht und Hofl'nung, Wehmuth, Sehnsucht u. s. w. bloss auf Förderung oder Hinde- rung unseres Eigenlebens Bezug haben. Denn da das Gefühl oder der Wille seinem Wesen nach eine Beifalls- oder Miss- fallensbezeugung ist zu dem, was wir wahrnehmen oder vor- stellen, so ist dieser Wille als selbstsüchtig zu charakterisiren,

uiymzeu uy x^jv^'v^'^

Ethik. 271

wenn er bloss die Beziehung zwischen dem Vorgestellten und dem Ich ausdruckt, und das Ich also nicht mit in den vor- gestellten objectiven Zusammenhang aufgenommen wird, sondern von einem solchen Zusammenhange noch keine Rede ist Auf diese Weise muss nämlich das letzthin Massgebende die körper- liehe Lust und Unlust sein, sofern das Ich in einer sinnenfälligen Persönlichkeit erscheint, und alle Gegenstände in Beziehung auf dieselbe als Gutes oder Uebel charakterisirt werden. Wie der Hund, so wird auch der bloss selbstsüchtige Mensch Zorn em- pfinden und Uass, wenn man ihm die Nahrung wegnimmt oder ihn verletzt. Auch die häufig als geistig betrachteten Gefühle der Habsucht schliessen sich zunächst an die sinnliche Ursache an, da das Habenwollen sich doch zunächst nur auf solche sichtbare oder tastbare Dinge bezieht, die in unserem körper- lichen Organismus einen Genuss hervorbringen, wie der Hamster und das Eichhörnchen ja ohne astronomische Bildung und Kalender- kenntniss ihr Futter anhäufen. Denn es ist wohl eine recht fabel- hafte Auffassung, wenn man fUr diese Anhäufung von Mitteln zukünftiger Nahrung jetzt in den Kreisen der Naturforscher immer den Verstand und die Klugheit jener Thiere verantwortlich macht, während die Thatsachen sich viel einfacher erklären, wenn man bedenkt, dass die Augen immer einen grösseren Appetit haben, als der Magen. Der Anblick der Eicheln und dergleichen Nah- rangsmittel associirt sich mit dem zugehörigen Gefühl des Genusses, und mithin wird durch blinde Ideenassociation die occupirende und sammelnde Thätigkeit des Thieres ausgelöst, sobald es nur ein zugehöriges Object sieht, wenn demselben auch im Augen- blick kein Genuss entspricht. Auch die Herrschsucht beruht zunächst auf dem unangenehmen Geflihle, dass durch Andere unser Vorstellungslauf gehindert und unterbrochen wird, und wir zu anderen Auffassungen als den unsrigen genöthigt werden; denn wer recht herrschsüchtig ist, der will, dass alles so ge- schieht, wie er es sich gedacht hat, und er zürnt selbst dem Diener, der es in des Herrn Interesse besser, als befohlen war, machen wollte. Die Art, wie wir alles denken und auffassen, ist eben unser eigen, und der Vorstellungslauf hat eine mechanische Seite, weil er mit den ImieiTationeu im Gehirn zusammenhängt und darum eine sinnliche Lust bei bequemem, ungehinderten Lauf, eine sinnliche Unlust bei allen Stockungen und erzwungenen

uiuuizeu uy "V-j vy\J>t Iv^

272 Religion der Sünde.

Abänderungen hervorbringt. So ist auch bei Habsucht und Herrschsucht die nächste Ursache sinnlich, obwohl diese Leiden- schafken bei weiterer Ausbildung des Bewusstseins von der Welt natürlich auch durch nicht sinnliche Vorstellungen und Begriffe vermittelt werden können.

Es muss sich demgemäss eine ganz neue Art von Gefßhl bilden, wenn der Mensch den perspectivischen Standpunkt der Selbstsucht verlässt und sich selbst mit all seinem Eigenthum ebenso betrachten kann, wie er andere Menschen betrachtet. Wir nennen diese neue Betrachtungsweise in der Wisserfschaft vom Räume die geometrische, flir die allgemeine Wissenschaft aber können wir siedle objective nennen, da der Mensch auf diesem Standpunkte sich selbst mit zu den Objecten rechnet. Eine solche Auffassungsweise kann nur bei vorgeschrittener Bildung stattfinden und tritt deshalb auch bei unsem Kindern erst später ein, wenn sie sich als Glied der Schule anderen Schulen gegen- über, oder als Glied des Hauses und der Nation andern Familien oder Nationen gegenüber fühlen. Es ist aber nur möglich, von der perspectivischen zu der objectiven Weltbetrachtung über- zugehen, wenn wir an der Stelle der Beziehung der Dinge auf uns die Beziehung der Dinge untereinander beachten. Diese Beziehungen haben nur Sinn, wenn es gewisse Zusammen- hänge giebt, die wir unter den Gesichtspunkt des Zweckes stellen. Da es nämlich für die Ethik nicht auf naturwissen- schaftliche Erkenntniss der Welt ankommt, sondern auf die Sphäre des Menschen, so zeigt sich die objective Betrachtungs- weise, wenn der Mensch zuerst im Stande ist, die Zwecke und Interessen der Familie, des Dorfes, des Stammes, der Nation, des Staates oder eines Standes in der Gesellschaft aufzufassen und sich bloss als eingeschlossenen Theil mitzunehmen, indem er sich nur so, wie auch die übrigen Einzelnen, miteinrechnet.

Die Geftlhle, welche der Mensch bei dieser Betrachtungs- weise hat, nenne ich die moralischen oder Rechtsgefühle, weil wir sie sprachlich immer durch Recht und Unrecht bezeichnen und sie durch unsere Zugehörigkeit zum Ganzen ausdrücken; denn moralisch bedeutet, was der Sitte (mos, mores) entspricht, d. h. wobei der Einzelne von dem Geist und dem Gefühl des Ganzen getragen und getrieben wird.

Digitized by

Google

Ethik. ' 273

§ 2. Ursprung der Moralität und des Rechts.

Da der Gegensatz dieser Geflihle gegen die selbstsüchtigen nun klar zu erkennen und auch das Eintheilungsprincip, wonach wir die Gefühle in die beiden Gruppen scheiden konnten, dar- gelegt ist; so wird unsere nächste Aufgabe sein, den Ursprung der moralischen Gefühle abzuleiten.

Man hat diesen Ursprung mit gutem Grunde in der Vernunft gesucht, aber auf verkehrtem Wege; vcningiäckter denn wenn Kant das Moralische darin sieht, dass »pwirimg»- man bei jedem Vorhaben generalisiren solle und fragen, ob das, was wir eben wollen, auch Alle thun dürften, wodurch unsere Maxime zu einem Gesetze würde, so ist mit dieser Kategorie der Universalität nur eine Beziehungsweise des Denkens bezeichnet, die äusserliche der Quantität. Diese Seite ist aber so ungenügend zur Bestimmung des Moralischen, dass vielmehr oft gerade das Particuläre und Individuelle den Charakter der Moralität ausmacht Denn ein Fürst z. B. muss vieles thun, was nicht alle Menschen thun dürfen (also nicht nach der Norm der Universalität), zuweilen auch, was den übrigen Fürsten nicht erlaubt ist (also nicht einmal nach particulärer Totalität), sondern was gerade nur ihm allein geziemt (also Individualität). Wollte man einwenden, dass es sich nur um die Maximen und nicht um die Handlungen drehte, so können wir leicht zeigen, dass die meisten moralischen Menschen gar nicht nach Maximen handeln, da es zu den allerschwierigsten Denkoperationen gehört, die Motive zu einer Handlung in einer Maxime auszudrücken. Es wären sonst nur die geübtesten Dialektiker moralisch. Stellte man aber wirklich seine Motivation in einer Maxime dar, so würde das lächerliche Gesetz durch Universalisirung heraus- kommen, dass ein jedes vernünftige Wesen, welches meine Stellung in der Gesellschaft, mein Lebensalter, meinen angebore- nen Charakter, meine Vergangenheit und meine Beziehungen zu allen übrigen Menschen hat, so oder so handeln muss, d. h. es würde die Universalität eben die Individualität sein, weil ohne Rücksicht auf alle diese individuellen Bedingungen die Handlung unrichtig würde. Zweitens aber liegt auch darin eine gränzen- lose Unbesonnenheit von Kant, dass er die blosse Quantität zur Norm des Denkens macht; denn woher weiss ich, ob Alle so oder so handeln sollen? Der eigentliche Massstab, wonach die

TeiohmüUep. ReUgioMphUoBophle. ^18^^ GoOQIc

274 Religion der Sünde.

Maxime als richtig oder falsch erkannt wird, liegt ja in der Auffassung der objectiven Lebenszwecke und nicht in irgend einer Generalisiruug. Denn auch die allgemeine Uebereinstimmung aller Gesetze kann ja nicht durch die Allgemeinheit, sondern nur durch den Begriff und Inhalt des Gedachten eingesehen werden. Es ist ja durch die Universalität des Princips, dass jeder, wo er kann, ein Depositum behalten sollte, nicht bewiesen, dass dies Princip falsch ist Und Kant's naiver Einwurf, weil sonst Niemand mehr ein Depositum einem Andern anvertrauen würde, geht gerade auf die Gefühle und auf die sachlichen Zwecke des Lebens zurück, um danach erst die Gesetze zu prüfen. Kant's Versuch ist also völlig missglttckt.

Ausserdem würde dadurch auch der Ursprung "" wwer!e^°''' dcr MoraUtät in der Menschheit nicht eingesehen werden. Darum ist die Erklärung von Lessing, Schopenhauer und ihren englischen Autoritäten fast vorzuziehen, wonach der mitleidigste Mensch der beste Mensch und das Mit- leid der Ursprung und Mittelpunkt aller MoraUtät sein soll (1) Allein so empfehlenswerth das Mitleid auch im Allgemeinen sein mag, so kann es doch als natürlicher Affekt, der bei einigen Menschen stärker, bei anderen schwächer auftritt, un- möglich das Princip der MoraUtät bilden. (2) Das Mitleid ist ja ein Princip, das sich selbst ura's Leben bringt; denn wenn das Mitleiden Erfolg hätte und alles Uebel verhütet würde, so gäbe es kein Mitleid und also keine MoraUtät mehr; das Gute aber muss doch gerade dann herrschen, wenn das Böse beseitigt ist. (3) Das Mitleid muss auch erst moralisch gebildet werden, um zu unterscheiden, was man bedauern soU und was nicht; denn wenn das Mitleiden allein herrschte, so könnten die schönsten Thaten des Heldenmuthes nicht geschehen, bei denen man ja mitleidswürdige Wunden und Schmerzen und zuweilen das Leben selbst einsetzt Also kann das Mitleiden nicht Erklärungsgrund und Quelle der MoraUtät sein. Mitleiden mit sich bringt Ver- weichlichung, Feigheit u. dergl. moralische Schwächen hervor; Mitleiden mit Andern als alleiniges Princip verhindert alle Er- ziehung, aUe Strafe, aUe Gesetzgebung, jede Anstrengung. Mitleid ist darum ein Affekt, der wie jeder andere der Vernunft zu unterwerfen ist, aber ihr nichts vorzuschreiben hat, oder gar an ihre Stelle zu setzen ist

Digitized by VjOOQIC

Ethik. 275

Ich will die Kritik nicht gegen alle weniger u^pruDg de« wichtigen modernen Theorien wenden, sondern lieber Rechu und der kurz von meinem Standpunkte den Ursprung des ^0»^»^»^- Rechts darlegen. Der Mensch, der zuerst die Welt ausschliesslich nach ihrer Wirkung auf ihn selbst betrachten musste und noch heute als Kind ebenso zur Welt steht, kommt allmählich zur Vernunft, d. h. er lernt, sich auf den Standpunkt der Andern zu stellen und nach Analogie mit sich zu beurtheilen, was ftlr jeden Andern ein Glück und ein Unglück, ein Gut und ein Uebel sein muss. Dadurch wird er allmählich eine objective Ordnung erkennen, nicht indem er mit Kant universalisirt, sondern indem er die Zusammenhänge der Handlungen der Menschen in den Goordinationen von Zwecken und Mitteln versteht, da den Vorstellungen von den Ereignissen jedesmal Gefühle von Freud und Leid, Wünsche und Beängstigungen und diesen wieder psychische und physische Anstrengungen und Bemühungen zu- geordnet sind.

Diese Erkenntniss ist die natürliche Folge der Vernünftigkeit des Menschen, wonach er homo sapiens im Gegensatze zum Thiere genannt wird, welches niemals seinen perspectivischen Stand- punkt aufgeben und sich niemals auf den Standpunkt der anderen Wesen versetzen und die für sie gegebenen Goordinationen er- kennen kann. Allein diese Klugheit des Menschen ist weder das Kecht, noch die Moralität

Nun entspricht aber dem erkennenden Vermögen in uns das Gefühl oder der Wille und diesem die Bewegung, wodurch alles geschieht, was geschieht. Daher wird der Mensch zwar im An- fang die Dinge nach der Selbstsucht auffassen, wie wir dies bei der Religion der Furcht gesehen haben; wenn er aber bei fremden Menschen Ereignisse anschauen muss, die ihn nichts angehen, die aber seinen schon gewonnenen Vorstellungen von der objec- tiven Ordnung zuwider laufen, so kann sein Gefühl dabei keinen Beifall äussern, sondern er muss wegen der Zugehörigkeit von Erkenntniss und Wille ein Miss fallen empfinden. Er hat noth- wendig die Stimmung des unbefangenen Zuschauers und Richters, der bei den Vorgängen nicht selber mit seinem Interesse be- theiligt ist, und muss jede Störung der Ordnung mit einem nicht egoistischen Missfallen betrachten. Sieht er einen Mord an, so weiss er, dass der Ermordete leben wollte und um sein Dasein als ein

uiumzeu uy V^J W\J>t l^

276 Religion der Sünde.

hohes Gut rang, dass seine Glieder nicht zur Zerfleischnng da sind, dass sein Blut im Körper und nicht dranssen fliessen soll, dass die schreienden und händeringenden Angehörigen in ihrem Gefbhl und Leben beeinträchtigt werden durch den Tod ihres Vaters u. s. w. Kurz, er sieht eine Störung derjenigen Ordnung, die in der Natur des Menschen liegt, und muss dabei ein mehr oder weniger grosses Missfallen empfinden. Die Empfindung wird stärker werden, wenn seine Vernunft hinreicht einzusehen, dass der Mörder ein ander Mal ihn selbst zum Ziele nehmen könnte und dass dann Andere die Zuschauer sein wtlrden, die mit Miss- fallen darauf blickten. Die natttrliche Uebertragung auf sich, die durch die nachahmenden Triebe im Menschen begünstigt wird, giebt dieser Erkenntniss der Analogie den kräftigsten Eindruck, indem das Geftlhl der Selbstsucht .seine erworbene Kraft hinzu- ftlgt, so dass jenachdem Entrüstung, Entsetzen, Abscheu und dergleichen Geftlhle entstehen können. Es befestigen sich all- mählich dadurch aber eine ganze Reihe von zusammengehörigen Erkenntnissen und Geftihlen und auf dieser Goordination beruht Recht und Moralität

Wenn wir die natttrliche Entwickelung dieser ^ ^°Xtlig°** 8^**^^^®° Geflihle und Ideen verfolgen, so ergeben sich zwei Stufen. Zuerst nämlich ist ersichtlich, dass die meisten Menschen auf der unteren Stufe der Cultur bleiben und alles, was geschieht, perspectivisch mit dem Auge ihrer Selbstsucht betrachten werden. Mithin können nur wenige, feiner begabte Naturen die Dinge, sich selber eingeschlossen, objectiv betrachten und eine gewisse Ordnung derselben nach natürlichen Zwecken erkennen. Da diese Ordnung aber noch nicht in dem Zusammenleben der Menschen staatlich verwirklicht ist, so werden sie auch keine deutlichen Begriffe davon haben können, sondern die Ordnung nur durch Verletzungen der Ordnung, also durch das angeschaute Unrecht erkennen. Das Unrecht ist daher der erste moralische Begriff in der Menschheit und ihm zugehörig das Geftlhl des Absehens und der Ent- rüstung. Es darf dies Geftlhl nicht aus gekränkter Selbstsucht oder aus Mitleid abgeleitet werden, weil es sonst über die untere Sphäre des Lebens nicht hinausgehen würde, sondern aus der Vorstellung von einer gestörten Ordnung, die man wegen der natürlichen Gewöhnung mit Liebe und Beifall bisher genossen

Digitized by VjOOQIC

Ethik. 277

und angeschaut hat nnd die udb nnn erst bei ihrer Dnrch- brechnng zum Bewusstsein kommt. Es entwickelt sich zwar natürlich der Begriff yom Rechten zu gleicher Zeit in un- trennbarem Acte mit dem Begriff des Unrechts; dennoch hat man die Veranlassung zur Geburt dieser beiden Begriffe in der nega- tiven Seite zu suchen. Daher bleibt der positive Begriff zunächst unbestimmt; der negative aber tritt klar und deutlich heraus: „er hat ihn geschlagen, beraubt, ermordet, seine Felder verwüstet, seine Hütte verbrannt^^ u. s. w. Darum sind auch nothwendig alle sittlichen Gebote, welche die positive Seite vertreten, zuerst negativ gefasst: „Du sollst nicht stehlen, nicht todten, nicht ehe- brechen" u. s. w.

Die zweite Stufe des sittlichen Lebens entsteht,

bewDBBtaelo.

wenn durch die Störungen der natürlichen Ordnung ^' ^^^'^

ein Bewusstsein von dem positiven Inhalt der Ord- nung, d. h. ein Rechtsbewusstsein sich ausbildet. Es wird allmählich klar, was das ist, was nicht, ohne Entrüstung hervor- zurufen, durchbrochen werden darf. So entsteht eine deutliche Erkenntniss von dem, was sein soll und was man darf. Was daher auf der ersten Stufe als Brauch und Sitte unbewusst in Geltung war, das wird nun in bestimmten Ideen als die rechte Ordnung oder als Recht erkannt.

Dieser Erkenntniss zugehörig entwickelt sich der Wille oder das GeHlhl. Wir können diese Seite das Rechtsgefühl oder die Moralität nennen. Sobald dieses Gefühl eine gewisse Stärke gewonnen hat, wird es sich nicht bloss in rechtmässigen oder sittlichen Handlungen und in der Vermeidung von Rechtsver- letzungen äussern, sondern, da diese ganze ethische Sphäre den perspectivischen Standpunkt überschritten und die Ordnung als eine objective gefunden bat, die Nachachtung von Seiten der ganzen Gesellschaft fordern und erzwingen, d. h. dies Rechts- bewusstsein und Recbtsgeflihl treibt nothwendig zu einer socialen Rechtsordnung oder zum Staat, zur Gesetzgebung, Verwaltung und Executive.

Wo aber in dem Einzelnen die frühere Stufe der Selbstsucht noch so mächtig wirkte, dass er eine Verletzung des Rechts und Gesetzes beging, während doch zu- gleich in ihm das Rechtsbewusstsein und Rechtsgeflihl schon

uiyiiized by VjOOQIC

278 EeligioD der Sünde.

lebendig war, da mnss als zugehörig ein früher unbekanntes Ge- fühl, nämlich das der Sünde auftreten. Dies (xefühl hat schein- bar mit dem Schuldgefühl der ersten Stufe eine Verwandtschaft und ftlhrt daher auch denselben Namen der Beue; allein die Aehnlichkeit beruht bloss auf der Proportionalität und nicht auf der Qualität Was dort der mächtige Wille und das Gefallen des Herrn ist, das ist hier das Recht; was dort die uns Schaden brmgende Uebertretung ist, das ist hier Bechtsverletzung; was dort Furcht vor Rache und Nachtheil ist das ist hier, auch wenn kein Nachtheil entsteht, das schmerzliche Bewusstsein, das von uns selbst anerkannte Gesetz durch ein von uns selbst ver- worfenes und verabscheutes Begehren verletzt zu haben. Also ist hier eine qualitative Verschiedenheit anzuerkennen und nur die Gleichheit der Stellung in der Proportion veranlasst, die homologen Glieder für gleich zu nehmen. Freilich wird die wissenschaftliche Unterscheidung der Begriffe dadurch erschwert und umgekehrt die falsche Identification dadurch unterstützt, dass in der historischen Entwickelung der Menschheit Macht und Recht selten rein geschieden waren, so dass auch alle die zu- gehörigen Vorstellungen in der Regel unrein vorkommen. Da wir aber hier nicht Empirisches und Historisches erforschen wollen, sondern mit philosophischer Strenge die Gliederung des geistigen Lebens speculativ bestimmen, so haben wir auch mit aller Schärfe die qualitativ gesonderten Functionen von einander zu trennen. Dies Gefühl der sittlichen Reue oder das Bewusstsein der Sünde ist aber seiner Quantität (Intensität) nach schwach und stark, jenachdem die Moralität oder das Rechtsgeftlhl schwach oder stark entwickelt war. ,, , , ,, Man könnte nun den Beweis fordern, dass die

Bewetim, dass die '

aittiiobe Stufe sittUchc' Stufc dcs Bcwusstscins wirklich die höhere die höhere tat. ^^j ^^^ Sclbstsucht gegenüber; denn es giebt ja Selbstsüchtige genug, welche die Sittlichkeit nur für eine zu- filllige Eigenthümlichkeit einiger Menschen erklären und den Unterschied der Sittlichen und Selbstsüchtigen in gleiche Linie stellen mit dem Unterschiede der Blonden und Brünetten, von denen doch keiner besser als der andere sei.

Der Beweis muss von dem Begriff des Höheren und Besseren ausgehen. Wir treten deshalb auf den Standpunkt der Selbst- süchtigen hinüber und setzen zunächst erst beide Stufen gleich, indem wir nur eine Ordnung der Begehrungen und der Güter

uiymzeu uy x^_j\^ v^pc iv^

Ethik. 279

überhaupt fordern, wonach ein niederes Gut flftr ein höheres auf- gegeben wird, ein Huhn für eine Kuh, eine Kuh flir ein Kind u. s. w. Diese Ordnung muss Jeder einräumen, er möge auf einem Standpunkte stehen, auf welchem er wolle, weil sonst über- haupt alle Yemünftigkeit in der Auswahl der Handlungen auf- hören und der Mensch auf die Stufe der Pflanze herabgedrückt würde, während schon das Thier eine Wahl vollzieht, wenn auch ohne bewusste Ueberlegung. Ist nun dies Princip zugegeben, so ist unser Obersatz fest, nämlich, dass das höhere Gut dasjenige sei, für welches wir alle übrigen fallen lassen. Der Untersatz hat jetzt bloss die Thatsache zu constatieren, dass der Mensch in seiner Entrüstung, d. h. im Gefühl des gekränkten Rechtes, bereit ist, sein Eigeuthum, seine Freiheit, ja sein Leben, ohne welches doch alle sonstigen Güter nicht genossen werden können, kurz sein Gut und Blut in die Schanze zu schlagen. Dies ist allbekannt und braucht nicht durch Beispiele erhärtet zu werden, da ein schwaches Analogen sich schon bei dem Hunde zeigt, der auf seinem Hofe, gewissermassen im Bewusstsein seines Rechts, auch stärkeren Yierfasslem gegenüber muthiger wird Er wird getragen durch das Gefühl der Zusammengehörigkeit mit dem socialen Ganzen des Hauses und der fiLr ihn das Recht bildenden Gewohnheit. Bei den Kindern aber kommt auch Er- wachsenen gegenüber, welche die Macht haben, zuweilen der Rechtstrotz hervor: „es ist aber doch wahr!", und sie betheuem unter Thränen und mit Verachtung der Schläge, dass sie Recht haben. Ueberall endlich sieht man in der Geschichte, dass Air einen Mann, der das Rechte erkannt hat, die Gegenstände der Furcht nicht mehr fürchterlich sind, weil ein höheres Gut, das sein Gefühl viel stärker aufregt, in ihm lebendig geworden ist Mithin ist der Beweis erbracht, und wenn man erwidern wollte, dass die Selbstsüchtigen doch nicht ebenso denken, sondern gleich bereit sind, das Recht ihres Standes, ihrer Nation u. s. w. preis- zugeben, wenn sie bei seiner Behauptung ökonomischen Nachtheil oder gar Gefahr an Leib und Leben hätten, so sind sie daran zu erinnern, dass hier nur derjenige urtheilen kann, der beide Vergleichungspunkte kennt Ob Neapel oder Malaga schöner liegt, kann nur der entscheiden, der beide Städte gesehen hat In dem sittlichen Manne liegt aber auch die Selbstsucht als eine ihm wohlbekannte Triebfeder; der Selbstsüchtige aber kennt die

Moralität nicht DigitizedbyGoOQk

280 B<eligioii der Sünde.

Der zweite Beweis ist dadurch za führen, dass in der ganzen menschlichen Gesellschaft Niemand die Selbstsucht als seinen Grundsatz öffentlich bekennen darf, ohne sofort alles »Vertrauen, alle Achtung und allen Einfluss zu verlieren, weil man ihn fbr eine niedrige und gemeine Natur hält. Deshalb müssen die Selbstsüchtigen öffentlich selbst die Moralität als die höhere Stufe anerkennen, indem sie ihren Handlungen wenigstens den Schein und Vorwand des Bechts umhängen.

Drittens folgt der Beweis aus dem Begriff des Moralischen selbst, da es ein Urtheil über die selbstsüchtigen Begierden und den Gebrauch der Macht enthält. Der Richter steht aber immer über dem, der vor sein Tribunal kommen muss. Und so kommen alle Handlungen der unteren Stufe vor das kritische Tribunal des Bewusstseins, welches Becht und Unrecht scheidet, anklagt oder freispricht

Inhalt des ^* ®® ^^® Wahmchmung der natürlichen Zweck-

Rcchtabevuest- mässigkeit in den Beziehungen der Menschen ist^

***"'' welche zuerst die Idee einer Ordnung und dem- gemäss das Rechtsbewusstsein entstehen lässt, so kann sein Inhalt auch nur die socialen und politischen Verhältnisse der Menschen imifassen. Es dreht sich also um die Familie und ihre Ord- nung, die gebietende Stellung der Eltern, den Gehorsam der Kinder; sodann um die Stände, ihren Fleiss, ihre wechselseitige Hülfe und Freundlichkeit, ihre Achtung und Ehrbarkeit, endlich um die Nation und den Staat, also um den Patriotismus, die Heiligkeit der Gesetze über Eigenthum, Freiheit der Person, Un- verletzUchkeit der Person und der Verträge untereinander, um den Gehorsam gegen die Obrigkeit, die Einrichtung der Aemter u. dergl.

Der Inhalt des Bechtsbewusstseins ist deshalb nach den Entwickelungsstufen der Gesellschaft nothwendig veränderlich und läuft immer parallel mit dem positiven Rechte, welches fllr die stärksten sittlichen Geftthle den zugehörigen Vorstellungs- inhalt in Gesetzes- Paragraphen formulirt und die zugehörigen Handlungen erzwingt oder die Uebertretungen straft. Mit dem geschriebenen Becht ist natürlich die Sitte oder das Gewohnheits- recht von diesem Standpunkte aus homolog, wie denn auch in den Bömischen Institutionen die Athenische und die Spartanische, die geschriebene und die bloss gedächtnissmässige Bechtsfest- Setzung in die gleiche Linie gestellt wird.

Digitized by VjOOQIC

Zweites Kapitel. Die zugehörige Dogmatik.

§ 1. Die Theologie der Religion der Sünde.

In dieser ganzen Sphäre des Rechts and der zugehörigen Moralität haben wir nun bisher keine Spur eines religiösen Geistes gefunden, und es fragt eich daher, wie der Uebergang zur £e- ligion vor sich gehe, d. h. wie eine Anknüpfung des Kechts an die Gottesidee gemacht werden könne. Allein dies ist sehr ein- fach; denn die in uns sich bildende Idee des Bechts wird ja in dem unentwickelten Bewusstsein immer von selbst nach Aussen pro- jicirt, so dass die innere Verpflichtung, die uns das GefUhl auf- erlegt, als ein aussen vorhandenes Gebot aufgefasst wird. Für dieses Gebot bedürfen wir nach dem die Bewegung unserer Ge- danken bezeichnenden Satze des Grundes eine Ursache, die wir nicht finden können; denn es handelt sich ja um eine Idee in unserem Geiste und um ein GeftLhl unseres Gemüthes. Mithin müsste das Gesetz ein fabelhaftes Dasein führen, wenn nicht aus dem Erwerb der unteren Stufe schon die Gottesvorstellung fertig vorläge. Da aber dieser Gott der Macht, dem unsere Gottesfurcht entspricht, schon geschaffen ist, so versteht es sich nun von selbst, dass wir das nach Aussen projicirte Gebot des Bechts, welches für uns Autorität ist, auf den Gott der Macht beziehen und so den strengen Herrn zum Gesetzgeber erheben. Der alte Furchtgott erhält nun den Heiligenschein, der von unserem Bechtsbewusstsein und unserem Kechtsgefühl ausstrahlt. So ent- steht die zweite, höhere Stufe der Beligion, die moralische oder Bechtsreligion.

Allein obgleich dieser Ursprung der Beligion so einfach er- scheint, so ist doch die Beziehung des Bechts auf den Naturgott nicht der nächste Vorgang; denn man hat inmier den Anfang

Digitized by VjOOQIC

282 Religion der Sünde.

mit der negativen Seite zu machen. Das Nächste ist, wenn die natürliche Ordnung, die wir als Brauch oder Sitte oder auch nur als gewohnte Wahrnehmung kannten, verletzt wird, z. B. durch einen Todschlag, wie er in dem Mythus von Kain erzählt wird. Bei solcher Gelegenheit muss einerseits das Gefühl der Sünde, andererseits das unbestimmte Bewusstsein eines verletzten Rechtes entstehen. Nun hat aber die Vernunft des Menschen im Anfang gar keine Müsse, um über die Vorstellung des Rechts weiter zu grübeln und sie speculativ mit irgend einem metaphysischen Subjecte zu verknüpfen; dagegen ist die Sünde ein mächtig drängendes Gefühl, welches den Geist in Aufruhr bringt, da sich die selbstsüchtige Leidenschaft von der Veniunft, in welcher die Vorstellung von der Ordnung lag, losgerissen hat und so das Gemüth des Menschen in zwei Heerlager getrennt ist. Mithin erscheint nun der Leidenschaft gegenüber die Vernunft als etwas Anderes und dies Andere, welches allererst die Möglichkeit und den Grund der Entrüstung bildet, wird ganz natürlich projicirt und vereinigt sich daher von selbst mit dem Gotte der Macht, der schon fertig im Bewusstsein ist

Dazu kommt, dass die Entzweiung des Bewnsstseins, welche wir bei der Sünde erkennen, ursprünglich nicht wohl in einem und demselben Menschen stark genug vorgehen konnte, um daraus die Gottesvorstellung allein abzuleiten; sondern es erscheint als natürlicher anzunehmen, dass die Entrüstung über die Sünde zuerst in einem anderen Menschen, entweder in dem Verletzten oder in den Zuschauem, entstand und sich dann erst durch Sympathie dem Sündigenden mittheilte. Wie nun die Entrüstung homolog mit dem Zorn und der Rachlust ist, so muss demgemäss das Geftlhl der Sünde homolog mit der Furcht werden, die aus der Entrüstung die Rache wie ein Gespenst aufsteigen sieht. Mithin verwachsen diese beide Geftihle ganz von selbst und so muss die Furcht, auch wenn der Beschädigte oder die Zuschauer nicht in Thätlichkeiten übergehen, doch nach der Analogie in dem Bewusstsein den Furchtgott hervortreiben und ihn aus dem bloss gefährlich zürnenden wegen des dämmernden Rechtsbewusstseins zu einem nach dem Recht und der Ordnung strafenden machen. Nehmen wir z. B. den ersten Todschlag. Das Weheschreien des Sterbenden und die starre, kalte und blasse Leiche geben den Schreck und die Furcht. Jetzt kommt das Bewusstsein, selbst

Digitized by VjOOQIC

Dogmatik. 283

die Ursache der gestörten Ordnung zn sein, welches mit dem schon bekannten Schuldgefühl die Idee des Unrechts associirt und also 'das Gefllhl der Sttnde hervorbringt. Die Sttnde mit dem Bewusstsein der Schuld und die zugehörige Furcht müssen daher nothwendig die weitere Verknüpfung mit dem Furchtgotte schliessen, so dass der Ursprung des Gottes in dieser zweiten Religion durchaus verständlich und natürlich erscheint

Es giebt daher in dieser Keligion keinen Gott, der bloss abstract das Recht vertrete, sondern dieser Gott des Rechts ist unmittelbar auch zugleich der Gott der Macht. Man kann die Religion aber positiv die moralische oder Rechtsreligion oder nach dem nächsten Ursprung die Religion der Sünde nennen, weil sie sich ohne das specifische Gefllhl der Sünde niemals gebildet haben würde.

§ 2. Unbestimmtheit des Gottes. Wenn wir nun die Gottesvorstellung gewonnen haben, so fragt man sich, was wir Bestimmtes dabei denken. Da ist nun sofort einleuchtend, dass sich aus der Projection unseres Rechts- bewusstseins in den Himmel droben kein Begriff von einem wirk- lichen Wesen bilden lässt. Durch die Verknüpfiing mit dem Naturgotte kann aber die moralische Färbung, die wir ihm nach der Analogie mit unserem eigenen RechtsgefUhl geben, schon eine lebendigere und inhaltsreichere Persönlichkeit hervorbringen, die wir verstehen und die uns versteht, weil wir ihr ja unser Herz in die Brust gethan haben. Der Gott ist daher unserer Achtung sicher und erweckt in uns, sofern er mit dem Natur- gott verwachsen ist, zugleich Furcht, zusammengenommen also Ehrfurcht. Die weiteren Gefühle und Vorstellungen, die zum Verkehr ndt dem Gotte führen, müssen wir bei Betrachtung des Gultus erörtern; hier können wir nur noch feststellen, dass trotz dieser Vermenschlichung des Gottes, den der unbefangene Mensch ja nach seinem Bilde schafft, dennoch der Schatten einer merk- würdigen Unbestinmitheit auf die ganze Theologie fallen muss. Wir können dem Gotte nämlich, obgleich wir ihn nach Analogie mit uns als Geist und Persönlichkeit vorstellen, keine irgend bekannte Figur und Erscheinungsform geben, da er durch seine moralischen Eigenschaften zu hoch ist, um als Ochs, Löwe, Adler,

uiyiiizeu uy V^nOOy IC

284 Beligion der Sünde.

oder gar als Wasser und Starm, oder als Stemscheibe zu er- scheinen; durch die allgemeine Wirksamkeit des Bechtsbewusst- seins und durch Verschmelzung mit dem Naturgott aber ist er auch wieder zu gross, um als ein kleiner oder riesiger Mensch von einer bestimmten Länge und von bestimmtem Alter und Wüchse vorgestellt zu werden. Mithin muss der Gott unsicht- bar und gestaltlos sein, so dass kein Bild und Gleichniss von ihm gemacht werden kann. Wie für die Sinne, so verliert er deshalb aber auch fllr die Vorstellung und Phantasie jede Form und Natur, da er ttber den Naturgott durch seine moralischen Eigenschaften hinausgewachsen ist. Also müssen wir bekennen, dass dieser Gott, möge er als Jehovah oder sonstwie verehrt werden, nothwendig eine unbestimmte und jeder Verdeutlichung widerstehende Vorstellung bildet; denn auch als Begriff der Vernunft, der durch das Denken und Schliessen kund werde, können wir ihn nicht vertheidigen, da die Projection unseres Bechtsbewusstseins nach Aussen in eine unerfindliche Persönlich- keit hinein kein logischer Schluss ist, der sich über seine Methode auszuweisen vermöchte. So bleibt nur übrig, dass der Gott als das homologe Glied dem zugehörigen Gefühl der Sünde in uns entspricht und dass er seine Natur als ein wirkliches Wesen, in welchem die Bechtsgefühle den Charakter oder die Eigenschaften bilden, von dem Naturgotte entlehnt hat und deshalb an einer doppelten Unbestimmtheit leidet

Diese Unbestimmtheit kann der Bechtsgott niemals verlieren, weil und sofern es keine andern Motive giebt, die als religiöse zur Ausbildung einer speculativen Theologie führten. Das einzige Motiv ist das Geftihl der Sünde, und diesem entspricht zugeordnet der Bechtsgott, der nur in dieser, sonst aber in keiner Beziehung bestimmt ist. Wie nun die Menschen Jahrhunderte lang gewisse Kräuter wegen ihrer Heilkraft suchen und brauchen, sich aber um die sonstigen Eigenschaften dieser Kräuter, um ihren Species- Charakter und um ihre aus wissenschaftlichem Interesse aufzu- findenden chemiBchen, physikalischen, anatomischen und physio- logischen Eigenthümlichkeiten, wie um ihre Ordnung und Glasse in der Pflanzenwelt gar nicht bekümmern, sondern nur dies von ihnen wollen, dass sie Blut stillen, Schweiss treiben, kühlen, Wunden reinigen und dergleichen bestimmte nützliche Dinge leisten: so verhalten sich die Gläubigen auch zu ihrem Gott, um

Digitized by VjOOQIC

Dogmatik. 285

dessen Herkunft, Wohnung, Nahrung, Lebensweise und Beschäf- tigung sich nur unnütze und nicht religiöse Gedanken bewegen würden, während das einzige bestimmte Motiv der Sünde ihm die einzige ftir diese Religion brauchbare Bestimmtheit des Rechts- charakters giebt, wogegen alle andern theologischen Speculationen ausserhalb dieser Religion liegen müssen, weil sie fQr das Gefühl der Sünde ohne Nutzen sind. Es dreht sich bloss um die Heilkraft des Krautes.

§ 3. Die numerische Bestimmung des Gottes.

Obgleich nun die zugehörige Theologie dieser Religion ihrem Gegenstande keine nähere metaphysische und sonstige Wesens-Bestimmung geben kann, so ist es doch in Beziehung auf den Gesichtspunkt der Quantität sehr interessant zu erkennen, wie der Rechtsgott nothwendig ein einiger werden muss und wie also durch die Religion der Sünde der Poly- theismus zu einem Monotheismus übergeführt wird. Um dies einzusehen, müssen wir vorläufig die erzartige Verquickung unseres heiligen Gottes mit dem Naturgotte lösen und ihn chemisch rein darstellen, weil wir sonst die specifischen Eigenschaften dieser Religion verfehlten. Nun ist klar, dass das Rechtsbewusstsein in seiner specifischen Energie, wo es das Geftlhl der Sünde erzeugt, oder positiv thätig in der Gesetzgebung ist, immer nur als ein im Einklänge mit sich stehendes Bewusstsein auftritt. Wer sich sündig ftihlt, hat immer nur die Eine Stimme des Rechtes im Herzen, die ihn verklagt; denn das Missfallen, das vielleicht ein Entrüsteter draussen zeigt, muss mit unserem eigenen Missfallen übereinstimmen, wenn wir die Sünde ftihlen sollen, und dies Geftihl ist ein einiges. Mithin stehen wir dabei auch nur dem Einen projicirten Rechtsgeiste gegenüber. Ebenso ist der Gesetz- gebende von der Einheit des Willens gefllhrt, und es kann sich innerhalb des moralischen Gebietes niemals der Dualismus von Geboten finden, wie ;p. B. etwa: Du sollst nicht tödten und Du sollst tödten. Mithin kann die Projection unseres Rechtsbewusst- seins auch immer nur einen einigen Gott liefern, und der reine Monotheismus ist das logisch noth wendige Dogma dieser moralischen Religion.

Wenn wir nun aber bedenken, dass der reine und einige Gott des Rechtes eine Verquickung mit

Digitized by

Google

286 Religion der Sünde.

dem Gotte der Macht nicht venneiden kann, so ist es ganz be- greiflich, dass der reine Monotheismus sich selbst bei denjenigen Völkern, die ein höher entwickeltes Kechtsbewusstsein haben, dennoch nicht vorfindet, sondern dass der Polytheismus vielmehr überall verbreitet ist, und der moralische Monotheismus eigentlich wohl nur bei den Juden vorkommt. Die Erklärung liegt darin, dass, wenn das Bechtsbewusstsein sich bildet, die Götter der Naturreligion schon da sind. Wie nun der Freund des Rechtes im Kampfe steht mit den vielen Vertretern der Selbstsucht und der Gewalt, so muss auch ihr Gott nothwendig ein Heer von Gegnern sich gegenüber haben, mit dem er in beständiger Fehde liegt. So hat Indra auch da, wo er nicht bloss als Lichtgott, sondern schon als Vertreter der Moralität gefasst wurde, immer mit den feindlichen Naturgewalten, die z. B. in Wertra symbolisirt werden, zu kämpfen und die olympischep Götter, bei denen Sinn für Becht und für das Schöne und Gute herrscht, mit den Titanen und Giganten. Denn es ist zwar richtig, dass wir diese Kämpfe auch schon in der Furchtreligion genügend ableiten konnten (vergl. oben S. 127); sie erhalten aber jedenfalls durch die moralische Reli- gion eine neue Belebung, indem der Gott, der bisher bloss unser Gott, unser Beschützer, unser Erlöser (ocotTjp) und überhaupt die perspectivisch aufgefasste Ursache unserer Furcht und Hoffiiung war, nun auch die Vertretung der moralischen Interessen und der Bechtsidee übernehmen muss. So verwandelt sich in jedem Volke entweder der Nationalgott oder einer der Götter mit dem er- wachenden sittlichen Geist zu dem Gotte des sittlichen Gesetzes. Mithin ist der Polytheismus ganz natürlich selbst auf dem Stand- punkte einer sich schon bildenden Bechtsreligion, wie wir diesen Zustand daher auch bei den Indern, den Germanen, Griechen, Bömern und auch den Aegyptern vorfinden.

Es muss nun aber gezeigt werden, wie der

Dualismus. '

Dualismus entsteht, der sich z.B. bei den Persern findet. Dieser lässt sich scheinbar sehr einfach erklären. Wie nämlich in der Furchtreligion scheinbar durch die blosse Macht des Denkens alle die vielen Götter und Dämonen sublimirt werden können zu dem Einen allgewaltigen Herrn des Islam, so scheint auch der Gegensatz der Naturgötter, die der Bechtsgott vorfindet, durch die zur Zeit der Ausbildung des Bechtsbewusstseins schon gereifte Abstractionskraft sehr wohl in den einigen Begriff des

uiymzeu uy V^jOOV IC

Dogmatik. 287

dem Rechten widerstrebenden, bösen und rechtsfeindlichen Princips zusammengefasst werden zu können, und wir hätten daher bequem und glücklich den Dualismus aus einem in der Natur des Denkens liegenden und gewöhnlichen Vorgänge abgeleitet. Allein es darf uns nicht einfallen, auf diese kraft- und geistlose Manier das Gottesbewusstsein bloss als Product einer sogenannten logischen Abstraction zu erzeugen; denn es ist zwar leicht, die £nten, Kaben, Sperlinge u. s. w. unter dem Begriffe Vogel zusammen- zufassen, nicht aber die vielen Götter unter den Einen Begriff Teufel, weil der Gattungsbegriff Vogel nirgends als wirkliches Wesen existirt, und auch kein Mensch an seine verborgene Existenz glaubt, während der Begriff Teufel oder Ahriman ein wirkliches Wesen bedeuten soll, das man furchtet und wogegen man kämpft. Femer ist der durch Abstraction gefundene Begriff das Prädicat zu jedem Artbegriff, d. h. jeder Sperling ist ein Vogel, jeder Babe ein Vogel; es wäre aber absurd zu sagen, dass jeder der alten polytheistischen Dämonen ein Ahriman sei, weil dadurch das böse Princip in seiner Einheit verschwinden und sich wieder in eine Vielheit von Dämonen auflösen müsste, gerade wie der Begriff Vogel in die Vielheit der wirklichen Vögel zergeht. In dem Dualismus aber ver- schwinden umgekehrt die vielen Götter und lassen als eigent- lichen Acteur dem Bechtsgott gegenüber nur den Bösen zurück. Sofern die vielen Götter aber in der Erinnerung und durch die Gewöhnung und Tradition noch fortleben, verwandeln sie sich nur in Diener und Werkzeuge des bösen Dämons, durch welche er seine Absichten ausAlhrt Also ist bewiesen, dass die logische, sogenannte Abstraction keinen genügenden* Erklärungs- grund für die Entstehung des Dualismus bietet.

Sobald man aber meine Methode befolgt, so löst sich das Bäthsel und man kann den Dualismus a priori construiren und zwar in solcher Weise, dass das wirklich historische religiöse Bewusstsein mit der Synthesis sich vollständig deckt. Wir werden deshalb auch die Elemente unserer Synthesis nicht durch irgend * welchen Einfall in die Gedanken bekommen, sondern mit voller Besonnenheit selbst bestimmen. Da nämlich der Teufel, Ahriman, Seti oder sonstwer natürlich eine blosse Vorstellung ist, welche die Bolle eines wirklichen Wesens spielt, so muss die Gottes- erzeugung auf einer Projection beruhen. Dies ist unser leiten-

uiymzeu uy V^jOOV IC

288 Religion der Sünde.

der Gesichtspunkt Mithin muss erstens in dem Bewnsstsein des Menschen eine reale einheitliche Macht nachgewiesen werden, welche genan den Charakter des bösen Princips besitzt, und zweitens muss ein Grund sich zeigen, weshalb man diese in uns wirksame Macht nach Aussen projiciren konnte.

Was nun die erste Forderung betrifft, so werden wir dem Bewnsstsein des objectiven Rechtes gegenüber sowohl in uns als in Andern die einzelnen Leidenschaften und alles Widerstrebende schliesslich auf die bloss perspectivische Stellung zur Welt, also auf ein einheitliches Princip, die sogenannte Selbstsucht, zurückführen müssen, so dass nun die Vielheit der einzelnen Begehrungsmächte in uns und Andern sich ganz natürlich in blosse Werkzeuge, Diener und Erscheinungsarten des Einen bösen Grundwillens verwandeln. Da aber die einzelnen polytheistischen Dämonen früher immer den einzelnen Leidenschaften im Menschen zugeordnet waren, und die Gläubigen sich, je nachdem sie dies oder das fürchteten oder ersehnten, immer an diesen oder jenen Dämon betend und opfernd wandten, so müssen nothwendig beide einander zugeordnete Glieder auch miteinander in die neue Stellung eintreten, die durch den Ursprung der objectiven sitt- lichen Weltanschauung entsteht, und mithin begreift sich, weshalb, wo Dualismus in der Weltgeschichte auftritt, die früheren Dämonen entweder verschwinden, oder, was natürlicher ist, zu blossen Erscheinungsarten und Dienern des souveränen bösen Princips herabgesetzt werden.

Hierin liegt aber noch nicht die gewünschte Erklärung; wir müssen vielmehr etwas feiner jetzt auch noch den Grund der Projection erforschen. Nun konnte der Kechtsgott nur entstehen, weil das Ich sich in den Aeusserungen seiner Selbstsucht wieder- fand und den moralischen Geist in sich als etwas Fremdes be- trachtete und deshalb nach Aussen projicirte. Demgemäss kann also das böse Princip erst dann im Ahriman oder Seti als Gott hervortreten, wenn das Ich seine Stellung verändert hat und zwar nicht etwa den schon entstandenen und verehrten Kechtsgott wieder in das Bewnsstsein der eigenen Seele zurück- nimmt, sondern sich auf seine Seite neigt und sich daher im Ganzen als fromm und ehrbar und rechtlich betrachtet, weshalb nun die in dem Menschen aufsteigenden Gewalten der Leidenschaft vielmehr als etwas Fremdes, als Verftlhrong und

Digitized by VjOOQIC

Dogmatik. 289

Besessenheit angesehen werden müssen und daher sehr natürlich auf die Wirksamkeit eines demjGuten widerstrebenden dämonischen Princips, eines Gottes in zweiter Linie zurückgeführt werden können. Nur hieraus erklärt sich auch die unbedingte Superiorität^ welche der Rechtsgott immer diesem bösen Dämon gegenüber erhält, der niemals in bloss numerischer Oleichwerthigkeit neben dem guten auftritt, sondern genau entsprechend der Taxation unserer leidenschaftlichen Interessen seine ethisch abgemessene Stellung zu dem Rechtsgotte erhält. Aus diesem Grunde mnss auch sowohl der Ursprung als die metaphysische Beschaffenheit und die physische Machtgränze des bösen Dämon in der dua- listischen Religion immer unbestimmt bleiben, was höchst merk- würdig ist, sich aber aus unserer Gonstruction mit Nothwendig- keit ergiebt.

Die Richtigkeit dieser speculativen Synthesis lässt sich historisch confirmiren. Bei allen Völkern mit dualistischem Gottes- bewusstsein findet sich nämlich immer die vorwiegende Verehrung des guten Gottes, zu dessen Mitstreitern und gehorsamen Dienern sich der Gläubige rechnet, während er die früher verehrten Naturgötter nun als Diven in einem herabsetzenden Sinne an- sieht, da er sein Ich von ihrer Verehrung zurückgezogen hat, ohne ihre Macht und Wirklichkeit läugnen zu können. Die historischen Nachweisungen findet man in vorzüglicher Klarheit bei Max Müller.

Da der durch das entstehende Rechtsbewusst- sein geforderte Monotheismus sich nicht so leicht von ^^ '^«*"«

_ r>tt % TAI t , ^ /•• Monothelamna

dem Glauben an die früher verehrten Götter frei- bei den Juden. machen kann, weshalb die meisten geschichtlichen Völker mehr einen Monarchismus des Rechtsgottes, als einen ächten Monotheismus haben, so bilden nur die Juden eine Aus- nahme; denn wenn man auch archäologisch bei ihnen einen alten Polytheismus nachweist und selbst ihre besten Propheten mit- unter die Götter der fremden Völker oder die Sterne noch als wirkliche Götter oder Dämonen von beschränkter Kraft gelten lassen, so erfordert doch die wissenschaftliche Gerechtigkeit, ihnen grundsätzlich den reinen, unverfälschten Monotheismus zuzugestehen. Dies eigenthümliche Phänomen kann philosophisch nicht erklärt werden, da der Ursprung des sittlichen Bewusst- seins nicht sofort die Naturmächte der Leidenschaft in uns ver- tilgt, und da sogar die Möglichkeit einer Projection des Rechtes

Tel Ohm all er, Bellglonspbiloeophle. 19 OOQIC

290 Religion der Sünde.

auf ein göttliches Wesen die Hinübernahme dieser Idee Gottes aus der Furchtreligion, die also mit vorausgesetzt wird, erfordert Also stehen wir vor einem historischen Räthsel, für welches die blosse Speculation keinen Schlüssel hat.

Wenn man nun von orthodox - theologischer Seite uns den Schlüssel in die Hand drückt, da ja Gott sich durch Mosen offenbart habe, so können wir diese Erklärung wirklich rück- haltlos annehmen, weil die Offenbarung, wie wir später sehen werden, sich ja in der That durch die Geschichte vollzieht. Wir müssen also die Erklärung in der Geschichte suchen. Wenn wir nämlich den Fall setzen könnten, dass ein ganzes Volk seine Religion nicht allmählich durch die bisher betrachteten psycho- logischen Vorgänge erwtirbe und fortbildete, sondern wie ein unbeschriebenes Blatt durch einen einzigen weisen, gereiften und gerechten Mann die höhere Rechtsreligion aufnehmen dürfte, dann möchten wir auch nicht anstehen, die Möglichkeit des reinen Monotheismus bei einem Volke als denkbar einzuräumen. Ob man aber so aussergewöhnliche und fast unglaubliche Be- dingungen zugestehen könne, das muss eben die Geschichte prüfen. Nun scheint es in der That wirklich geschehen zu sein^ dass sich unter Führung einer grossartigen Persönlichkeit eine in miserablen socialen Verhältnissen fast verkommene Volksmenge zur Auswanderung oder Flucht überreden liess. Durch lang- jähriges Wandern und viele Kämpfe wurde sie, wie erzählt wird, allmählich ihrem alten Bestände nach aufgerieben, und nur die Jugend, die ja in der That immer ein unbeschriebenes Blatt ist, blieb übrig, in welche der Gesetzgeber seine neue höhere Religion einschreiben konnte, ohne dass die alten Gewöhnungen und der alte Aberglaube mit seiner sonst unvertilgbaren Macht mit hin- übergenommen wäre. Mit dieser grösstentheils jungen, in ein neues Land und in neue Verhältnisse verpflanzten Generation wurde nun ein neues Volk ansässig mit einer neuen eigenen Religion, die daher mit der Religion keines anderen Volkes ver- wandt sein konnte und keine Wurzeln in der polytheistischen Naturreligion hatte und nicht wie bei den Germanen, Indem und Griechen einen Mischmasch von moralischer Theologie und wüstem Aberglauben bildete, sondern die ihrem Ursprünge und Wesen nach den reinen Monotheismus des Rechtsbewusstseins enthielt und deshalb auch als eine wahre Offenbarung Gottes gelten kann.

uiumzeu uy "V-j vy\J>t Iv^

Dogmatik, 291

Da die sittlichen Gefühle und die Ideen des Rechts und des Unrechts aber durch Projection keine Theologie bilden können, so musste die moralische Religion nothwendig von der Furchtreligion den Gott der Macht übernehmen und darum auch von ihrem Gott des Gesetzes irdische Güter und Uebel als Lohn und Strafe erwarten. Die dadurch entstandene Verunreinigung der reinen und höheren Religion werden wir später untersuchen.

Ich will nur noch erwähnen, dass es trotz der wunderbaren und einzigartigen Entstehung dieser moralischen Religion nicht gut möglich war, sie rein zu bewahren; denn die mächtigen An- triebe der Begierden mit ihrer Thorheit mussten in der Menge, wie in vielen hervorragenden Einzelnen, immer wieder die Motive der Furchtreligion in Umlauf bringen und daher vielfache An- näherung an den Götzendienst der umwohnenden Völker hervor- rufen. Es ist daher in der Ordnung, dass die Propheten uns dies auch immerfort verkünden und dass sie mit der Stärkung des Rechtsbewusstseins zugleich auch stets einen Kampf gegen die Infection des Götzendienstes der Naturreligionen unternehmen müssen.

Darum kann es als eine Niederlage der prophetischen Kraft oder als ein Compromiss und eine Anpassung und Concession betrachtet werden, wenn endlich der Dualismus zur öfFentlichcn Anerkennung gelangte, indem man den bösen Dämon als ein irgendwie mächtiges, natürlich unklar vorgestelltes göttliches Wesen neben den wahren und einzigen Gott des Gesetzes stellte. Der Grund dieser nothwendigen Niederlage ist aber nicht schwer zu sehen. Da nämlich der moralische Gott mit dem Gott der Macht verschmolzen war, so mussten alle geschichtlichen Ereig- nisse und alle privaten glücklichen und unglücklichen Erlebnisse als Lohn und Strafe für Sünde und Gerechtigkeit erklärt werden, was jedoch zu beweisen oder einigermassen glaublich zu machen in der That unmöglich ist, weil dabei der bloss perspectivische Standpunkt zum objectiven aufgebauscht wird. Denn es ist eine logisch unstatthafte Methode und eine naive und fast lächerliche Arroganz der niedrigen Natur des Menschen dem höheren sitt- lichen Geiste gegenüber, wenn die Gerechtigkeit eines Menschen aus seinem materiellen Wohlstande, seinen Schafheerden und Häusern erkannt wird und die Hiobsleiden aus seiner Sünde und Gott- losigkeit folgen aollen. Eine solche Philosophie der Geschichte

uiymzeu uy x^j vyVjpt Iv^

292 Religion der Sünde.

ist oflfenbar von den alten Motiven der Furchtreligion eingegeben und nicht von dem sittlichen Geiste. Um daher die nothwendig entstehenden Widersprüche and Unerklärlichkeiten zu deuten, kam man entweder von selbst, oder durch den Einfluss der Perser zu der dualistischen Hypothese und verdarb damit die Reinheit der moralischen Religion.

§ 4. Die Unveränderlichkeit Gottes.

Ich habe schon oben die nothwendige Unbestimmtheit der Gottesvorstellung in der moralischen Religion abgeleitet. Während die Furchtreligion den Gott unmittelbar an die in den Sinnen und der Phantasie erscheinenden Naturgestalten anknüpft und dadurch die reich ausgebeutete Veranlassung gewinnt, um ihren Gott oder ihre Götter plastisch, malerisch und dichterisch dar- zustellen: so kann die moralische Religion ihrem einzigen Gott keine Gestalt geben, und er muss gegen die bildenden und dra- matischen Künste in ein feindliches Verhältniss gestellt werden, wie sich dies im Judenthum zeigt Mithin kann die Darstellungs- weise Gottes höchstens in Verneinungen bestehen, indem alle sinnliche Götzengestalt oder Sinnenform von ihm geläugnet und er über alle diese Pracht, wie über etwas Untergeordnetes, das nur sein Fussschemel oder bloss sein Thron sei, hoch erhoben wird. Wo wir aber, sei es im Judenthum oder bei den Griechen und andern Völkern, dennoch bildliche oder dichterische Dar- stellungen des Rechtsgottes in männlicher oder weiblicher Gestalt mit Modius und Wage oder mit Sccpter und Diskus u. dergl. finden, da kann man gewiss sein, dass man keinen voUbürtigen Abkömmling der zweiten Religion vor sich hat, sondern einen Bastard, bei welchem der barbarische Ascendent der Furcht- religion den Typus vererbt hat.

Daher sind selbst alle Zeichen einer Veränder- dfr**gfwhitbu licl^keit Gottes als Bastardbildungen zu betrachten; liehen Theologie dcuu der Gcsctzesgott kann nur das unveränderliche FarThtwiigfon. sittUchc Bcwusstscin vertreten und daher weder freundlich und gnädig, noch zornig und rachlustig sein. Da wir aber nach der unaustilgbaren selbstsüchtigen Natur in uns immer auch die Furchtreligion im Stillen behalten, so

Digitized by VjOOQIC

Dogmatik. 293

furchten wir sinnlichen Schmerz, Schaden, Krankheit, Nieder- lagen und Tod und betrachten in solcher Gemtithslage den Rechts- ' gott mit den Attributen des Naturgottes als ztimend und rächend, wie bei den umgekehrten Stimmungen der Hofihung als gnädig und mild, weil er sinnliche Güter verleiht, uns aus Gefahren rettet und als unser Stab und Schild, als unser Hüter und Hirt uns leitet und bewahrt.

Wie alle Veränderungen des Rechtsgottes, der am Reinsten und typisch in der Religion des Volkes Israel auftritt, undenkbar sind, so ganz besonders die für uns so wichtige Menschwer- dung. Denn die sittlichen Geftihle und die zugeordneten Rechts- begriflFe haben gar kein wesentliches, d. h. in ihren constitutiven Merkmalen begründetes Verhältniss der Identität oder Aehnlichkeit mit der sinnlichen Gestalt eines Menschen. Mithin ist es un- denkbar, dass der reine Rechtsgott als Kind geboren werden könnte und dass er als Mann oder Weib, Jüngling oder Greis in dieser oder jener Stadt etwas Einzelnes thun und erleiden dürfte. Wo wir daher, wie bei den Aegyptem, den Indern, den Germanen und im Christenthum den das Recht vertretenden Gott als Menschen oder wenigstens in bestimmten Lebensschick- salen dargestellt finden, da müssen wir ohne allen Zweifel eine Erklärung daflir anderswo als in der moralischen Religion suchen. Nun bietet sieh zur Erklärung der Schicksale von Indra, Osiris, Baidur u. A. sehr leicht, wie man dies auch bisher schon allge- mein erkannt hat, die Naturreligion an, da sie die Jahreszeiten, welche flir den natürlichen Menschen die gefährlichsten und glück- lichsten Ereignisse bilden, dichterisch in ein Drama verwandelt hat, in welchem der Gott geboren wird, blüht, stirbt und wieder- ersteht. Dies ist alles sehr leicht mit der Phantasie nach- zuerzeugen. Dagegen kann die Lebensgeschichte Christi nur zum Theil als Legende auf diese Vorbilder der Naturreligion zurück- geführt werden, ihrer Hauptsache nach aber verlangt sie eine über alle anderen Religionen hinausgehende und ihr allein an- gehörige historische Erklärung, wovon wir später ausführlich zu handeln haben.

Da nun das moralische Bewusstsein, welches in den edleren Naturen entsteht, niemals das ganze Volk durchdringen und auch in den Edelsten niemals die natürlichen Erregungen von Furcht

uiumzeu uy "V-j vy\J>t Iv^

294 Religion der Sünde.

und Hoffiiung entwurzeln kann, so ist es auch unmöglich, dass die moralische Religion jemals rein und unvermischt mit der Furchtreligion auftrete. Mithin wird, wie schon wiederholentlich hervorgehoben, Lohn und Strafe von Seiten Gottes in dieDog- matik aufgenommen werden, und es kann der moralische Gott auch, obgleich er der sinnlichen menschlichen Natur untheilhaftig bleibt, dennoch in ein geschichtliches Verhältniss zum Einzel- menschen und zu einem Volke treten. Wenn nämlich die ge- schichtlichen glücklichen oder unglücklichen Ereignisse sich in bestimmter Ordnung an die wirklichen EntSchliessungen und Be- mühungen, an die tugendhaften oder verbrecherischen Handlungen der Menschen anschliessen, so muss sich eine Art Philosophie der Geschichte von selbst bilden, indem der Gott als unser Gott oder als Nationalgott fiir das ihn verehrende Volk, in dessen Bewusstsein er lebt, als gemeinsame Ursache der früheren und gegenwärtigen Schicksale betrachtet wird und wir mithin die Regeln und Motive seiner Entscheidungen durch das Rechts- bewusstsein begründen können. So giebt ja auch die typische Rechtsreligion der Israeliten in den geschichtlichen Büchern des alten Testaments und in den Räsonnements der Propheten überall dieselbe Philosophie der Geschichte, dass Gesetzestreue mit Sieg, Wohlstand und nationaler Freiheit; Götzendienst aber und alle Gesetzwidrigkeiten mit Besiegtwerden, Hunger, Elend und Exil verknüpft sei. Und der Gott wird insofern geschichtlich, als das Volk sich seiner eigenen Geschichte erinnert und sie sich unter diesem theologischen Gesichtspunkte zurechtlegt. Mithin ist er der Gott, der die Väter aus Egypten geführt, der die Ge- setze durch Moses gegeben hat, er ist der Gott von Abraham und Isaak und auch der Gott David's ; kurz soweit die Geschichts- erinnernng reicht, soweit geht die Philosophie der Geschichte und soweit gewissermassen die Geschichte Gottes.

Diese ganze geschichtliche Auffassung unseres Verhältnisses zu Gott ist aber nur möglich durch die Verschmelzung der Re- ligion der Furcht und Hoffnung mit der Rechtsreligion. Aus dieser Verschmelzung allein kann auch der sogenannte Bund erklärt werden, den der Rechtsgott mit seinem Volke in der typischen Rechtsreligion abschliesst. Principiell und contractlich wird dabei die Erfüllung des Rechtsgesetzes mit den Gaben der Hoffnung, die Sünde umgekehrt mit dem schlimmen Kelchinhalte

J.quizeauy Google

Dogmatik. 295

der Furcht verknüpft; was so viel heisst, als dass der alte Furcht- und Machtgott sich dem paoralischen Bewusstsein nntcrordnet, ohne doch seine Macht und seinen Gultus zu verlieren.

Wenn nun, wie oben nachgewiesen, der Mono-

,. T .. 1.1. i.T» j-Tfci PriDcip für die

theismus die einzige logisch richtige Form der Rechts- Deduction der religion ist so zwingt dieselbe Logik, auch die Un- ünveränienich-

-.7. i,.i ^ /., 1 keit Gottes.

Veränderlichkeit des Gottes zu fordern; denn das moralische Bewusstsein ist schlechterdings unveränderlich. Nun werden zwar die Skeptiker, die Empiriker und Positivisten kommen und uns vorhalten, dass das moralische Bewusstsein doch entschieden eine geschichtliche Entwickelung zeige und dass mithin der projectivische Gott auch einem Fortschritt zu- gänglich sein und sich civilisiren mtisse. Allein diese Positivisten sind ihrer empirischen Herkunft entsprechend nicht stark im Denken. Um sie aber auf ihrem eigenen Gebiete zu schlagen, nehme ich nur die reinste und zum Typus am besten geeignete jüdische Religion und frage, ob Jehovah sich im Laufe der Jahr- tausende civilisirt hat, ob die Juden zu Christi Zeit und dann wieder zu unserer Zeit ihren alten Bundesgott verläugnen oder verläugnet haben, ob sie nicht immer dieselben religiösen Ur- kunden brauchen und immer Mosen und die Propheten citiren, um ihr religiöses Bedtirfiiiss zu befriedigen. Die anderen mora- lischen Religionen eignen sich schlecht zum Beweise, weil sie so ausserordentlich unrein sind und die Abscheidung der tiberwuchem- den Elemente der Furchtreligion den zu führenden Beweis er- sticken würde.

Da es hier aber nicht unsere Aufgabe ist, mehr oder weniger gelungene historische Analysen und Descriptionen zu bieten, son- dern die wissenschaftlichen Gesichtspunkte festzulegen, nach denen alle historischen Auffassungen und Beurtheilungen normirt werden müssen: so haben wir unsere Frage auch nur speculativ, d. h. durch Nachweisung der einfachen und allgemeinen Be- ziehungspunkte im menschlichen Geiste zu lösen ; denn ohne den zugehörigen Geist entsteht keine Religion und ohne die jedesmal zugehörigen Beziehungspunkte entstehen nicht die jedesmal zu- geordneten bestimmten Formen der Religion.

Nun zeigt sich das moralische Bewusstsein in dem Gefllhl der Sünde durch die Beziehung zwischen dem selbstsüchtigen

Digitized by VjOOQIC

296 Boligion der Sttnde.

Begebren und Handeln einerseits und dem zur alleinigen Leitung berufenen vernünftigen Denken andererseits, wobei der Wider- spruch und Zwist ein über die selbstsüchtigen Geflihle erhabenes, einer höheren Ordnung angehörendes Gefühl des Missfallens aus- löst. In diesen drei Beziehungspunkten besteht das moralische Verhältniss, und dieses Verhältniss ist unabänderlich, es ist allgemein und einzig, weil es die von jedem denkbaren empirischen Inhalte unabhängige Beziehung zwischen den zeit- losen, coDStitutiven Elementen des geistigen Lebens ausdrückt. Wer nun, wie die Positivisten, die Veränderlichkeit der Mora- lität der Völker betont und deswegen einen entsprechenden Fort- schritt der Theologie fordert, der müsste auch fordern, dass wir mit fortschreitender Bildung nicht mehr dieselben Farben- empfindungen hätten und Rothes und Blaues nicht mehr als roth und blau empfänden, da ja durch die wachsende Welterkenntniss unsere Ansichten z. B. über Zinnober sich sehr geändert hätten und wir jetzt die Bestandtheile desselben chemisch als Queck- silber und Schwefel bestimmen könnten und daher doch sicherlich nicht mehr die ungebildete Empfindung der rothen Farbe bei dem Zinnober haben, sondern dabei vielmehr Silberglanz und Gelbheit empfinden würden. Wie dies nun eine lächerliche For- derung wäre, weil die Farbenempfindungen, obgleich wir sie ge- schichtlich immer genauer unterscheiden und bezeichnen, dennoch eine ganz bestimmte und unabänderliche allgemeine Qualität unserer Sinnlichkeit bilden, die gleichgültig gegen alle zufalligen Objecte, gegen deren Veränderungen und unsere Ansichten darüber sind: so ist es auch verkehrt, bei derMoralität an den zufalligen empirischen Inhalt des Bewusstseins zu denken, bei welchem gerade einmal die moralische Qualität des Geistes zur Auslösung kommt; denn nicht darin besteht die Moralität, ob Esau ein Linsen- gericht dem Erstgeburtsprivileg vorzog, oder Jacob umgekehrt dachte, und ob man am Sonntag nicht pflügen, oder ob man seine Frau nicht für die Schwester ausgeben darf u. dergl., sondern dies sind ganz zufallige und gleichgültige Vorstellungen; das Wichtige und Entscheidende besteht aber darin, dass bei solchen äusseren Veranlassungen die qualitative Beziehung der allgemeinen Elemente unseres Geistes zu einem Zwiste und Widerspruche führt, der das Gefühl der Sünde auslöst. Dies Gefühl und diese

Digitized by

Google

Dogmatik. 297

qualitative Beziehung ist überall gleich bei allen möglichen zu- fälligen Veranlassungen und unterscheidet sich nur durch die Stärke der Erregung, ebenso wie die optischen Qualitäten der Empfindung immer die gleichen sind, wenn auch verschiedene Objecte dabei vorgestellt und verschiedene Bezeichnungen der Empfindungen eingeftlhrt werden. Darum entspricht dem Gefühl der Sünde die Idee des Becbts und Gesetzes, und die Fähigkeit, diese Beziehungspunkte des geistigen Lebens aufzufassen und die entsprechenden Geflihle dabei zu haben, ist das Wesen der Moralität. Diese ist mithin unabänderlich und hat die gleiche Natur im Kinde und Greise, in der Frau und im Manne, im Menschen des Alterthums und im Gebildeten des neunzehnten Jahrhunderts. Die Positivisten denken an die einzelnen positiven Gegenstände der Sitte und der Gesetze, die sich im Laufe der Zeit verändein, und halten deswegen die Moralität für ein bloss geschichtliches Phänomen, als wenn der Schmelzungspunkt der Metalle sich darnach änderte, ob rohe Putzartikel der Wilden oder feine Kunstwerke der Civilisation daraus fabricirt werden. Sofern nun der projectivische Gott des Gesetzes nicht die Projection dieses oder jenes bestimmten Vorstellungsinhalts über Linsenbrei und gestohlene Esel und Ackerbau am Sonntag u. dgl. ist, sondern die Projection unseres moralischen Bewusstseins, welches sich bei solchen zufälligen Veranlassungen äussert, so kann auch der heilige Gott nicht veränderlich und civilisirbar sein, obwohl das vernünftige Denken der Menschen mit der Zeit Fortschritte macht und nicht mehr inmier bei denselben Ver- anlassungen, wie früher, den Conflict der Sünde vermitteln wird. Darum ruft Gott seine Propheten und trägt ihnen, je nach den historisch gegebenen Umständen, bald dies, bald jenes auf, bald den Saul, bald den David zu salben, bald zu fluchen, bald zu segnen; die Moralität und Gesetzestreue besteht aber nicht in diesem Salben und Reden, sondern in dem richtigen Verhältniss der geistigen Functionen, wonach ihr Begehren d^m Rufe der Vernunft oder des aus ihnen sprechenden göttlichen Geistes ge- horcht, so dass dieser Einklang als wohlgefällig, der Zwist als unerträglich oder als Sünde empfunden wurde. Darum können die Handlungen der Gläubigen sich vollkommen widersprechen, wie wenn erst Saul, dann David gesalbt wird, und dennoch folgt

Digitized by

Google

Religion der Sünde.

beides aus dem religiösen Bewusstsein und drückt die unver- änderlich gleiche Qualität des Gehorsams gegen Gott aus.

Da also der Gott der moralischen Religion nicht irgend einen bestimmten Vorstellungsinhalt wirklicher Dinge, sondern bloss das identische und formale Bewusstsein der unbedingten Gültigkeit des moralischen Verhältnisses zwischen unseren Geistesthätigkeiten ausdrückt, so gewährt dies Princip den zwin- genden Beweis der Unveränderlichkeit des Gottes der Rechts- religion.

Digitized by

Google

Drittes Capitel. Der zugehörige Cnltus.

Unter Cultus verstanden wir den Verkehr des Menschen mit Gott oder diejenigen Handlungen, die sich weder aus wissen- schaftlichen und künstlerischen Interessen, noch aus den Auf- gaben des praktischen, politischen und socialen Lebens und dessen Bedürfnissen, sondern allein durch eine Beziehung der Pers()nlichkeit auf ihre Gottesidee erklären lassen. Da nun die Cultusgebräuchc der Furchtreligion sehr einfach und verständlich aus der zugehörigen selbstsüchtigen Gesinnung folgten, so fragt sich, wie auf der höheren sittlichen Stufe der Religion ein Verkehr mit der Gottheit stattfinde.

§ l. Der speciüsche Gült.

Wollten wir, um den Cult des Gesetzesgottes zu bestimmen, das inductive Verfahren einschlagen und uns durch Betrachtung der Cultgebräuche bei den Germanen, Griechen, Juden, Persem, Egyptern, Indern und einigen andern Völkern zu unterrichten suchen, so würden wir die breite und gewöhnliche Heerstrasse einschlagen, auf der aber bis jetzt Niemand die richtige Antwort gefunden hat und finden konnte. Denn die wirklichen historischen Keligionen bilden keine reinen Formen, sondern enthalten bloss wie Erze das gesuchte Metall in sich, welches aber erst rein ausgeschieden werden muss, ehe man seine specifischen Reactionen erkennen kann. Wer deshalb inductiv verfahren wollte, müsste erst die Methode angeben, wie er alles Nichtspecifische zu eli- miniren vermöchte. Zu diesem Zwecke müsste er aber das Specifische selber schon kennen und es also auf einem anderen Erkenntnisswege in seinen Besitz gebracht haben. Woran soll man den specifischen Cult als artbildende Beaction von den

uiyiiized by VjOOQIC

300 Beligion der Sünde.

Reactionen der beigemischten Elemente unterscheiden? So z. B. finden wir Opfer bei den Juden, wie bei den Griechen, bei den Hindu, wie bei den Baalsdienem und allen Naturvölkern. Nach inductivem Verfahren müssten wir also in dem Opfer eine generische und keine specifische Reaction der Religionen erkennen, d. h. wir wären mit Blindheit geschlagen und ver- ständen dadurch weder das Wesen des Opfers, noch die spe- cifischen Unterschiede der Religionen. Darum speisen uns auch die Lehrbücher mit solchen Trivialitäten ab, dass einige Völker und Zeiten Menschenopfer darbrächten, andere Thiere, andere Körner und Kuchen und dergleichen, wodurch man über alle mög- lichen schönen Dinge aus der Culturgeschichte, aber nicht über das Wesen der Religion unterrichtet wird. Also ist der induc- tive Weg hier nicht der wissenschaftlichere, sondern, wie in der Mathematik, völlig unstatthaft und erfolglos.

Mithin bleibt nur der deductive Weg der Speculation übrig, der aber nicht darin besteht, dass man irgend welchen mehr oder weniger geistvollen Einfall zu Markte trägt, sondern dass man, wie in der Mathematik, die in der Gleichung gegebenen Bestimmungen analysirt und ihre gesetzlichen Coordinationen zur Auflösung des Unbekannten gebraucht. So haben wir hier von dem gegebenen und bekannten Wesen der Religion auszugehen, um demgemäss den Cult zu bestimmen.

Nun wäre es nie zu einer Rechtsreligion gekommen, wenn die Menschen immer gerecht und in vollem Einklänge ihrer leiden- schaftlichen Natur mit ihrem moralischen GefiLhle gelebt hätten. Erst die Sünde, d. h. der Zwiespalt, weckte das Bewusstsein des Rechts. Da aber unser Ich sich mit der körperlichen mensch- lichen Erscheinung, welche in die Sinne fällt und uns immer begleitet, ursprünglich eins weiss und sich deshalb als Thäter der leidenschaftlichen und sündlichen Handlungen betrachtet, dagegen sich nicht bewusst ist, irgendwie die moralischen Urtheile und die zugehörigen Gefühle des sogenannten Gewissens, dessen Natur verborgen und räthselhafl; bleibt, hervorgebracht zu haben, vorzüglich da dies Gewissen sich auch nur bei besonderen Ge- legenheiten kräftig kundgiebt und sonst schweigt, so ist es ganz natürlich, dass sich das Ich mit der sündigen Seite identificirt und die moralische Seite des Rechtes als etwas Neues und Fremdes, dessen Ursprung es nicht kennt, dessen Einfiuss es

Digitized by VjOOQIC

Cultus. 301

sieb aber nicht entziehen kann, auf eine andere Ursache, und zwar notbwendig auf eine höhere, zarttckflihrt.

Da nun diese höhere fremde Ursache projicirt wurde und also den Charakter eines äusseren Wesens erhielt, ebenso wie alle Menschen ihre Sinnesanschauungen projiciren und deshalb eine äussere Welt mit vielen Dingen gegenständlich vor sich zu haben glauben, während diese Bilder doch nur in ihrem eigenen Bewusstsein existiren: so wurde notbwendig dies neue Subject des Rechtes personificirt und mithin nach der Analogie des schon bekannten unsichtbaren Naturgottes gedacht.

Wie musste nun der Cultus, d. h. der Verkehr mit diesem Gotte werden? Um das Specifische zu finden, müssen wir alle Vorstellungen, Willensbestimmungen und Handlungen, die dem Naturgotte zugeordnet sind, weglassen und bloss die Data in's Auge fassen, welche der neuen Kechtstheologie zugehören. Diese Data beziehen sich aber in erster Linie auf das negative Ver- hältniss, die Sünde, zweitens erst auf das positive.

Wir gehen davon aus, dass das Oefbhl der Sünde i* nio uneinig- wie die moralische Theologie nicht in jedem beliebi- *®"' gen Menschen entspringen konnte, sondern als eine höhere Schöpfung, wie bei den höheren Leistungen der Künste und der Wissenschaften, eine höhere Begabung voraussetzt, durch welche sich alle Thätigkeiten zu einer gewissen Stärke ent- wickeln und eher bemerklich werden. Nun gehört in einem jeden Menschen, wie wir wissen, das Geftlhl des Rechtes mit dem übrigen Begeliren und Fühlen zusammen; es sind in unserer Natur die beiden Factoren, das leidenschaftliche natürliche Be- gehren einerseits und das sittliche Gefhhl andererseits, zu einer Coordination bestimmt, auf eine natürliche Ordnung der Abhängig- keit des ersteren von dem zweiten Factor berechnet, wodurch das menschliche Wesen Einigkeit in sich trotz der Selbstständig- keit der Factoren besitzen würde. Wird nun diese Einigkeit gestört, so kann dies nur durch eine Aeusserung des natürlichen Begehrens geschehen, welches sich f)ir sich vollzieht, ohne die Ordnung und Regulirung durch den eingeborenen und zum Mit- wirken bestimmten zweiten Factor abzuwarten. Da dieser nun, wie nachgewiesen, der höhere ist, so ist also die Störung der Einigkeit notbwendig eine Unbotmässigkeit oder Empörung des zum Gehorchen bestinmiten Elementes gegen das von Natur

Digitized by VjOOQIC

302 Beligion der Sünde.

zur Herrschaft befähigte und befehlende Element. Das herr- schaftliche Element wird aber seinem Wesen nach auch das stärkere, und es ist, wo es auftritt, tiberhaupt unmöglich, dass ihm nicht gehorcht werde. Mithin kann die Störung der Einigkeit nur gedacht werden, wenn das moralische Gefühl zeitweise im Bewusstsein nicht auftritt. Da nun jeder weiss, dass im Bewusstsein immer nur eine bestimmte Menge von Vorstellungen und Gefühlen auf einmal Yorkommen können, so dass jedes weiter hinzukommende Element nothwendig das Aus- treten eines früher vorhandenen mit sich führt: so folgt, dass zum Zustandekommen der Sünde nothwendig eine einseitige UeberfüUung des Bewusstseins mit den Vorstellungen der sinn- lichen Welt und den dazu gehörenden angenehmen und unange- nehmen Gefühlen erforderlich ist. So kann z. B. ein im Ganzen sonst dem moralischen Geftlhl zugänglicher Mensch durch ein- seitigen Kitzel seiner Triebe in den Vorstellungen von dem Wein oder den Reizen des Weibes oder dem Vortheil des Besitzes oder dem Inhalt eines beleidigenden Wortes u. s. w. nebst den zugehörigen angenehm berauschenden Gefühlen der Völlerei, der Wollust, der Habsucht, oder den unangenehm zornigen Erregungen u. dergl. sein Bewusstsein dermassen füllen, dass für eine ge- gebene Zeitdauer die moralischen Gefühle mit den ihnen zugeord- neten vernünftigen Gedankeij der sittlichen Ordnung nicht in's Bewusstsein dringen und deshalb vorübergehend ihre natürliche Uebermacht und Herrschaft nicht ausüben können.

Sobald aber die Congestion des sinnlichen Vorstellungslebens und die daraus resultirende Plethora vorübergegangen ist, so müssen die moralischen Elemente wieder in's Bewusstsein treten, und nun erst entsteht die Uneinigkeit des Menschen. Der wieder- gekehrte vernünftige Geist besieht sich, was inzwischen ohne sein Gebot angerichtet ist. Da tauchen nun die Erinnerungen auf: man hört Wittwen und Waisen schreien, die beleidigt und benachtheiligt sind; es schreien die geschändeten Jungfrauen, die beraubten Nachbaren oder Fremden; es schreien die brutal behandelten Genossen, die im Zorn Verhauenen und Verstümmel- ten; und es steigen auf die Bilder der Wollust und Völlerei nach ihrer schmutzigen und ekelhaften Seite. Der Geist aber erhört all dies Geschrei und ersieht all diese Bilder des Bewusstseins, und es ist vor ihm keine Decke und Vorhang, kein Verbergen

Digitized by VjOOQIC

Coltus. 303

und Entfliehen möglich. Er ist allgegenwärtig; denn er ist das Bewusstsein und die Beurtheilung alles Bewussten, so dass der Sünder weder an das Ende der Erde entfliehen, noch sich in die Tiefen der Hölle betten könnte, ohne sein Bewusstsein mit sich zu nehmen, welches sofort auch da ist und ihn richtet.

In diesem Zustande der Uneinigkeit der Seele mit sich selbst muss sich nun nothwendig das Gefühl oder der Wille in zwei Akten entfalten.

Zuerst muss die Uneinigkeit eines zur Einigkeit organisirten Wesens das Gefühl dieser inneren Unordnung hervorrufen, d. h. einen moralischen Schmerz von verschiedenen Graden, jenachdem die moralischen Geilihle vorher überhaupt stärker oder schwächer entwickelt waren und je nach der Grösse des plethorischen Zu- standes, in welchem die Leidenschaft zeitweilig mehr oder weni- ger die vernünftige objective Auffassung und die zugehörigen mora- lischen Gefühle aus dem Bewusstsein verdrängt hatte. Das Ge- fühl der Sünde wird in strenger Coordination den quantitativen und qualitativen Bedingungen dieser Zustände entsprechen und sich daher in allen Graden von Null bis Unendlich entladen können. Der Nullpunkt tritt ein, wenn die Uneinigkeit über- haupt unmerklich war und keine mechanische Verdrängung der moralischen Mächte stattfand. Der unendliche Schmerz über die Sünde beruht auf einer zeitweiligen Alleinherrschaft der moralischen Vorstellungen im Bewusstsein, wobei die in unserer leidenschaftlichen Natur begründete Lust an dem eigensüchtigen Thun ganz zurückgetreten ist, wie ja z. B. die Erschöpfting und Traurigkeit nach den Akten der Leidenschaft den ganzen Inhalt solcher Begehrungen zeitweilig als nichtig und völlig werthlos erscheinen lässt, während die Ziele der Vernunft die unbedingte Anerkennung des Gefühls finden, und daher die lustlose Erinne- rung an das Geschehene nur eine durch nichts eingeschränkte, also unendliche Missbilligung, und eine durch keine Regung der Begierde eingeschränkte, also unendliche schmerzhafte Entladung des GeftLhls herbeifuhrt. Die zwischen diesen Gränzen liegenden Grade des Geftlhls der Sünde hängen theils von der qualitativen Feinheit der moralischen Ausbildung, theils von der mehr oder weniger grossen Gewalt, oder dem mehr oder weniger grossen Umfang der zeitweiligen Verdrängung des moralischen Geistes ab, der dann allmählich oder stossweise in's Bewusstsein zurück-

uiyiiized by VjOOQIC

304 Eeligion der Sünde.

kehrt und demgemäss verschiedene Arten von SündegeiUhl her- vorbringt. Jede Meinthat, oder jede bloss angeziemende Hand- lung, jedes unrechte Wort, ja jeder üble Gedanke wird dement- sprechend akut in raschen stechenden Schmerzen, oder chronisch in allmählich aufsteigender Missbilligung oder in irgend sonsti- gen verschiedenen Arten und Weisen verworfen. Der sich in diesem sogenannten Gefühl der Sünde kundgebende Wille bringt aber sofort neue Goordinationen mit sich, indem das Erkenntniss- und Bewegungsvermögen sich in zugehöriger Ordnung entwickelt und daher zunächst das Geschehene nach Möglichkeit wieder gut zu machen, d. h. es nach den Erfordernissen des Gesetzes durch seine That so umzugestalten sucht, dass die Veranlassung des moralischen Missfallens thunlichst aufhöre. Die Veränderung des WoUens, indem nach dem Uebergewicht der blinden Triebe und ihrer Lust nun das moralische Gefühl wieder die Herrschaft übernimmt, verlangt daher zunächst das Zugeständniss der Schuld und demgemäss den Versuch, die Beschädigten, Ge- kränkten, Beraubten u. s. w. zu versöhnen, das Schreien der Uebelthat zu beruhigen, indem der Schuldige sich und seine Mittel hergiebt, um den angerichteten Schaden und den Schmerz oder die Erbitterung in dem Gemüth der Verstörten zu tilgen und auszulöschen, damit die schmerzliche Erinnerung nicht durch das Bild der bleibenden Wirklichkeit immer wieder frisch werde, sondern durch Versöhnung der Wirklichkeit sich lege und an Kraft verliere. In diesen zwei Beziehungen möchte sich also das soge- nannte GeftLhl der Reue festlegen lassen, in dem Schmerz einerseits und dem Bekenntniss und der Opferwilligkeit andererseits. Beide zusammengenommen bedeuten die entstandene Willensänderung. Der religiöse Ausdruck. Wenn wir nun diese morali- schen Zustände auf den Ausdruck der projecti vischen Theologie bringen, so ergiebt sich dadurch das specifische cultische Ele- ment dieser Rechtsreligion. Das Ich muss sich nämlich noth- wendig mit dem niedrigeren Elemente der Persönlichkeit iden- tificiren, weil ich Unrecht that, und doch das höhere moralische Geftlhl kein Unrecht hervorbringen kann. Darum wird, wie schon gezeigt, das moralische Gefühl vom Ich getrennt, per- sonificirt und projicirt, und ist deshalb die höhere über dem Ich herrschende und es richtende Gottheit Mithin steht nun Per- son der Person gegenüber. Das Ich hat jetzt das Missfallen

Digitized by VjOOQIC

Cultus. 305

Gottes erregt und ist betrübt durch die Entfremdung und Ent- fernung des Herrn, der sich vor ihm zurückzieht Denn die Ge- setzwidrigkeiten sind ja von dem Verschwinden oder dem Ver- schattetwerden der moralischen Geistesmächte begleitet, so dass sich also Gott von dem Sünder abwendet, ihn verabscheut. Das Gefühl der Sünde, der Schmerz über diese Uneinigkeit der Seele könnte aber gar nicht vorhanden sein, wenn nicht das moralische Bewusstsein doch schon Macht gewonnen hätte. Also muss Sehnsucht nach dem Gotte, nach seiner Nähe, seinem Frie- den empfunden werden. Mithin demüthigt sich der Sünder vor ihm. Er bekennt ihm seine Schuld. Er schreit nach ihm, wie der Hirsch nach frischem Wasser; es brennt ihm seine Sunde, wie glühende Kohlen, auf dem Haupte. Mithin ist er nun be- reit, alles zu thun oder zu lassen, was erforderlich ist, um den Gott, dessen Willen tibertreten ist, wieder zu versöhnen, ihn wieder bei sich wohnen zu haben und seinen Frieden zu ge- messen.

Da nun diese moralischen Zustände nicht anderswo als bloss im Innern der Persönlichkeit vorkonunen, so besteht auch der specifische Cultus nach dieser Seite bloss innerlich im geistigen Leben als eine Zerknirschung des Herzens (contritio cordis), welche eine Reaction der beiden anderen Vermögen des Geistes als zugehörig nach sich zieht, nämlich erstens eine energischere Beschäftigung mit der Erkenntniss Gottes, d. h. seines Willens oder seines Gesetzes, und zweitens eine energischere Entfaltung dieses Gesetzes durch die Moralität der Handlungen. Wozu frei- lich noch hinzukommt, dass die schlimmen Folgen der Unge- rechtigkeit nach Vermögen aufgehoben werden müssen durch Versöhnung derer, die durch unser Unrecht gelitten haben, also durch möglichstes Wiederaufrollen der Sünde. Gott gegenüber können aber in dieser Beligion keine Opfer und dergleichen dargebracht werden, da er als Rechtsgott nicht der Lämmer und der Böcke Blut, sondern nur ein reuiges und reines Herz ver- langen kann und mit nichts Anderem zufrieden ist, als mit einem Herzen, das Gott liebt über Alles und seine Gebote hält. Damit kommen wir auf das positive Verhältniss.

Wenn nämlich die Uneinigkeit des Menschen durch die Sünde erstens Schmerz und das Geflihl

der Gottverlassenheit und Gottentfremdung und zweitens Sehn-

!uy Google

Teicbmüller, Beligionaphilosophle. 20

uiyiiizeu L

306 Religion der Sünde.

sucht nach der Anwesenheit Gottes hervorbringt: so mnss die Einigkeit die entgegengesetzten Gemüthszustände in sich schliessen. Das moralische Gefühl beherrscht und beseelt das Thun des Menschen; es ist kein Widerspruch und kein Widerstreben in seinem Wollen. Folglich muss dieser Einklang religiös ausge- drückt und Yorgestellt erstens als von Gott konmiende Freude empfunden werden, als Frieden mit Gott und zweitens als Ge- fühl des Wohnens Gottes bei uns!

Für diese Geflihle ist aber keine andere cultische Handlung denkbar, als der künstlerische Ausdruck in Lobpreisungen, die dichterisch und musikalisch unsere Dankbarkeit für Ueber- windung der Sünde, für die W^iederkehr des Kechts und für den Frieden in der Nähe Gottes ausführen. Auch durch religiösen Tanz kann, wie David vor der Bundeslade einhertanzte, die reli- giöse Freude und das Gefühl der Versöhnung und Vergebung ausgedrückt werden.

Um aber das Element der moralischen Religion

Der apeciflBche . -i..!..

ünterecbied der Tcm hcrauszuscheiden, darf man zweierlei nicht aus Rechtareiigion (j^jj Augcn Verlieren. Erstens bleibt der Gott für

in Beziehung tt x ii t^

Ru den höheren uuscrc Vorstcllung immer ausser uns. Er mag Boiigiona- ][jgj ^jjg wohueii, wir mögen zu seinem Heiligthum

formen. , ... -wt tt

treten, er mag gewissermassen bei seinem Volke und in unserem ganzen Lande seinen Sitz aufschlagen: immer ist und bleibt er ausserhalb des Menschen selbst; denn es ist wesentlich eine projectivische Religion, und die Anwesenheit oder die Nähe Gottes muss deshalb immer dunkel und unbe- stimmt bleiben, da man nicht ihn, sondern nur seine Ge- setze erkennt.

Zweitens kann die positive Seite immer nur so empfunden werden, wie die wiedergewonnene Gesundheit nach der unmittel- bar vorhergegangenen Krankheit und nur in Erinnerung und in Beziehung auf die Krankheit, da in dieser Religion der Ursprung der frommen Erhebung in dem Gefühl der Sünde liegt. Es kann diese Religion also nicht etwa ausgehen von der frohen Bot- schaft des Königreiches Gottes, sondern dieses darf nur als eine Hofluung und Verheissung erscheinen. Denn der Mensch stellt sich in dieser Religion, wie oben gezeigt, nothwendig auf die niedere Seite seines Wesens; das Ich vertritt die Sünde; das Sinnen des Herzens ist böse von Jugend auf, und das Bewiisst-

Digitized by VjOOQIC

Culfcüs. 307

sein des Rechts wird projicirt als Gott des Gesetzes, dessen An- wesenheit deshalb nie sicher und vollkommen sein kann, nie in einem wirklichen Menschen oder Volke erfüllt nnd wesenhaft wird, sondern immer nur als Trost zeitweiliger Nähe nach dem Schmerz der Sünde und als Bild der Sehnsucht wegen seiner Feme in's Bewusstsein kommt. Sobald sich der Mensch auf die positive Seite stellte und das Ich sich mit dem Rechtsbewusst- sein identificirte, so wäre das Motiv der Religion verloren und der Gott sofort verschwunden, wie wir diesem Ergebniss in den pantheistischen Religionen begegnen werden.

§ 2. Der Priester.

Während nun in der Furchtreligion der Priester entweder selbst ein dämonisches Wesen oder ein Mittler und Vermittler zwischen dem furchterföUten Menschen und der zürnenden Gott- heit ist: so kann in der Religion des Rechts der Priester weder das Eine, noch das Andere sein. Denn erstens ist er nur ein sündiger Mensch, wie es Alle sind, der in keiner Weise auf Hei- ligkeit, Sündlosigkeit und Gerechtigkeit Anspruch erheben dürfte, weil sonst für ihn der Gott nicht mehr vorhanden wäre.

Ein Vermittler zwischen Gott und Menschen kann er auch nicht sein, da sich wenigstens nach der Seite Gottes hin nichts vermitteln lässt; denn der Gott des Rechts ist schlechthin unver- änderlich. Das Gesetz kennt kein Erbarmen, es hat keine Reue und lässt keine Stellvertretung zu.

Also kann der Priester nur mit dem Gläubigen, dem Ein- zelnen oder dem Volke, zu thun haben und zwar nur sofern sich diese als Sünder fahlen. Nur als solche sind sie auch Gläu- bige zu nennen.

Der Priester hat nun dem gläubigen Volke gegenüber zwei Aufgaben zu erfüllen, die aus dem specifischen Wesen der Re- ligion jfliessen. Die erste Aufgabe ist die Busspredigt. Denn da die Religion auf dem Erwachen des sittlichen Bewusstseins bei vorherrschenden selbstsüchtigen Lebensmächten beruht, so muss der Prediger den Unglauben strafen, d. h. überhaupt erst das sittliche Bewusstsein erwecken und, wo es schon vorhanden ist, schärfen und klarer und bestimmter machen, indem er die Sünden als Sünden zur Erkenntniss imd zum Gefllhl bringt. Er

u,yaOe*aüy Google

308 Religion der Sünde.

muss Schmerz und Reue und Scham hervorbringen. Zu diesem Zweck muss er nicht nur das Gesetz vor ihnen aufstellen, die Gebote aufzählen und erläutern und ihnen dadurch kund thun, was Gott will, sondern er muss auch ihre Handlungen ihnen vor- malen und vorrechnen, allen Mord und Diebstahl und Raub und Ehebruch u. s. w., um ihnen das Gefühl der Sünde lebendig zu machen und sie zu peinigen, zu strafen und zu beleidigen, damit sie sich unwürdig, verworfen und elend fühlen, wie in tiefer Nacht, um dem Gefühl ihrer Nichtigkeit gemäss sich in Sack und Asche zu hüllen und sich völlig zu demttthigen.

Auf die Posaune der Busspredigt folgt dann die Harfe der Verheissung. Denn das kräftig erwachte Rechtsbewusst- sein könnte ja zur Macht kommen und so würde dann ein schönes und friedliches Reich der Gerechtigkeit entstehen. Allein dieses Reich ist eben, so lange die Rechtsreligion gilt, immer noch nicht da. Mithin kann dies Reich des Friedens, des Segens und der Gottesnähe nur verheissen werden und zwar auch immer nur hypothetisch. Unter der Bedingung nämlich, dass die Menschen ihre gottlosen Werke und Gräuel abthun, sich gläubig dem Gesetze und Willen Gottes hingeben und ihm in ihrem ganzen Wandel gehorsam und treu sind, wird die herrliche Heilszeit eintreffen, dies Ziel der Sehnsucht, dies Wohnen Gottes auf Erden, das Reich des Herrn. Der Priester hat nun diese Verheissung zu verkünden, die Herzen dadurch wieder zu ermuthigen, sie durch Trost aufzurichten und zu stärken zum Kampf und sie zu er- quicken mit der Hofihung auf künftigen Sieg. Zu diesem Zwecke wird er ihnen die Herrlichkeit dieses Reiches ausmalen und ihre Augen entflammen lassen beim Anblick des fernen gelobten Lan- des; er wird es schildern können, wie es die Sehnsucht sieht, nicht aber wie ein Bürger und Bote aus diesem Reiche der Hoff- nung und Vollendung.

Mandat. Es fragt sich nun, wer dem Priester den Auftrag giebt, ihn beruft und bevollmächtigt zu seinem eigenthttmlichen Werke. Dass der Priester überhaupt immer nur die Eigen- schaften in höherem Grade besitzt, welche sonst dem Gläubigen in jeder Religion zukommen, das haben wir schon oben gesehen. Es folgt also, dass der Priester der Rechtsreligion ein kräf- tigeres Rechtsbewusstsein besitzt, dass er demgemäss die Sünde tiefer empfindet und mithin den Willen und die Gebote Gottes

Digitized by VjOOQIC

CultDs. 309

schärfer erkennt. Um aber sowohl die Gesetze als die Sünde zu erkennen, mass er sich selbst und also den Menschen über- haupt nach seinem Seelenleben, nach seinen Trieben und Leiden- schaften, seinem Dichten und Trachten verstehen und mithin auch, da der Mensch nur in der Gesellschaft sich entwickelt, das ganze Leben des Volkes, die Beschäftigung und besonders die Regierung des Volkes und die äusseren geschichtlichen Ver- hältnisse der Völker und die Wandlungen des Lebens nach der Beziehung zu den handelnden Charakteren durchdringen, um alles dies immer auf die ethischen Gesichtspunkte, auf Recht und Ge- horsam zurückzuführen.

Die geistigen Vermögen stehen aber in Coordination und so entspricht das Gefühl einerseits der Erkenntniss, wie es anderer- seits zu Bewegungen und daher zunächst zur Sprache überführt. Da nun das Rechtsbewusstsein nicht ein dumpfes Gefühl bleibt, sondern auf die deutlichen Bilder des anschaulichen Lebens be- zogen eine deutliche Erkenntniss der Zwecke und der Ordnung der Gesellschaft herbeiftihrt, und da diese Erkenntniss uns durch die Sprache vermittelt wird, die wir kaum von dem Inhalte der Erkenntniss abzusondern vermögen: so ist es natürlich, dass die Bewegung zunächst in Reden sich äussert und dass den höher begabten Gläubigen zuweilen beim Anblick der Verworren- heiten des Lebens und der schweren Lagen des Völkerlebens eine tiefere Erregung beföUt und das Wort Gottes zu ihm kommt und ihn zum Verkündiger des göttlichen Willens beruft. Denn diese Erkenntnisse, welche er in heftigen und mit tiefem Geflihl und lebendiger Phantasie ausgestatteten Reden dem Volke übermittelt, stammen ja nicht von ihm selbst, von dem armen Menschlein, sondern sie kommen aus der höheren sittlichen Natur, die in dieser Religion in ein göttliches Wesen projicirt wird. Also kommt das Wort von Gott unmittelbar, und der Mensch fllhlt sich benifen, das Wort zu verkündigen und das Volk zu strafen oder es zu trösten. Mithin ist die Inspiration einer- seits und die göttliche Berufung andererseits fUr den Priester die nothwendige Bedingung ftlr das Geflihl der Vollmacht, mit welcher er auftritt.

Darin liegt nun zugleich auch die Erklärung ftlr die Aner- kennung, welche er im Volke der Gläubigen findet. Denn ein äusserlich beglaubigtes Mandat kann er ja nicht vorweisen, und

uiyiiizeu uy V^nOOy IC

310 Religion der Sünde.

Niemand ist gebunden, ihm zu glauben und zu folgen. Seine Anerkennung als Prophet ist aber eben so unmittelbar von Gott herbeigeführt, wie sein Beruf; denn da er und sofern er das sittliche Bewusstsein in den Gläubigen kräftig aufrührt durch anschauliche und mit packenden Farben angestrichene Schilde- rung der Sünden und durch einleuchtende Erklärung dessen, was der Ordnung Gottes gemäss geschehen sollte, so musste ja der Gläubige von der Macht dieses Kechtsbewusstseins ergriffen und also von Gott selbst zur Anerkennung seines Propheten, der ihnen das Wort Gottes brachte, getrieben werden. Es giebt also kein officielles Mandat für den Priester der Bechtsreligion und keine bürgerliche Form seiner Herrschaft und Autorität, sondern Gott befiehlt unmittelbar im Herzen dem Einen zu predigen und dem Andern zu glauben und zu gehorchen.

Da nun aber doch in der That dieses Wort Gottes in der Seele des Priesters wohnt und nach Sinn und Macht der Ver- nunftbegabung des Priesters entspricht, so ist klar, dass alle Gläubigen mehr oder weniger einer priesterlichen Thätigkeit fähig sind, dass das ganze Volk ein priesterliches ist und dass daher in die göttliche Offenbarung sich auch viel mensch- licher Irrthum, mangelhafte Auffassung der wirklichen Verhält- nisse, dürftige und unrichtige Deutung der göttlichen Gebote und wechselnde Ansichten einmischen können. Daher ist es ganz in der Ordnung, dass es kein Prophet zu einem allein beachteten Ansehen in diesem Volke der Gläubigen bringen kann, theils weil Viele die Ohren des Geistes verschlossen haben, theils weil es eine Menge anderer Propheten geben wird, die andere An- sichten und Beurtheilungen der gegebenen Zustände des Volkes haben und mehr oder ebensoviel oder etwas weniger Anklang finden. Mithin wird Streit unter den Verkündern des göttlichen Willens entstehen, und es werden sich die Einen die wahren Propheten nennen, während sie die Andern als die falschen Propheten und Träumer und Lügenredner bezeichnen müssen, die nicht Gottes Wort empfangen haben, sondern die aus ihren eigenen von der Sünde bethörten Gedanken reden.

Wenn wir die Priester dieser Bechtsreligion mit denen der Furchtreligion vergleichen, so zeigt sich ein gewaltiger Unter- schied. Die Zauberer und Gaukler, die Begenmacher, Ein- geweideschauer, Vogelflugschauer und andere Seher konnten nach

Digitized by VjOOQIC

Cultus. 311

der Natur der Sache nicht immer, ja häufig durchaus nicht die Wahrheit erkennen und verkünden und waren deshalb zu allerlei Betrug gezwungen, um ihre Macht zu erhalten. Die Priester der Eeligion der Sünde aber können allemal die Wahrheit sagen, und was sie als Gottes Wort an sie verkünden, das wird noch heut zu Tage als recht und wahr und als göttliches Gebot an- erkannt, weil die Offenbarung des Gewissens, das Gefühl der Sünde und der Pflicht eine wahre und wirkliche Offenbarung Gottes ist. Während die Zeit fortgeschrittener Bildung es dahin brachte, dass die Vogelschauer sich einander spitzbübisch an- lachten, da Jeder um die Betrügereien des Andern Bescheid wusste: so lassen sich umgekehrt die Propheten von ihren Vor- gängern erziehen und belehren, halten sie heilig und bezeugen immer trotz der veränderten Zeitverhältnisse ein und dasselbe Wort Gottes, das Abthun der Sünde und die Verheissung des künftigen Reiches und lehren die Geschichte im Lichte dieses Wortes zu betrachten. Ein solcher Stand hat deshalb unvermeid- lich eine grosse Ehrwiirdigkeit, und obgleich die ßechtsreligion bei keinem Volke in ganz reiner Gestalt aufgetreten ist, so haben dennoch die Propheten bei allen den Völkern, in welchen neben der Furchtreligion auch Elemente der Bechtsreligion eingemischt waren, viele Sprüche und Reden hinterlassen, die noch heute bewundert werden und die Gemüther der Hörenden demüthigen und erheben. Diese Beligion ist deshalb eine wahre Religion zu nennen, weil sie auf zeitloser Grundlage ruht und von einem ewigen Gesetze, das sich im Menschen offenbart, unverwerfliches Zeugniss ablegt. Wenn sich der Gott des Gesetzes auch pro- jectivisch im Bewusstsein bildete, so steckt dahinter doch wirklich der lebendige Gott, dessen Wesen sich in allerlei Vorstellungs- weise und Auffassungsart offenbart, und man irrt sehr, wenn man um der schwachen Ausdrucksweise und Interpretation des Boten willen die Botschaft des Königs der Welt nicht vernehmen und verehren will.

Digitized by

Google

Viertes Capitel. Die concrete anreihe Rechtsreligion.

Wir haben bisher ans wissenschaftlichem Interesse, nm das Elementare für die Synthesis zu gewinnen, die Rechtsreligion in ihrer Reinheit betrachtet. Da aber das Rechtsbewusstsein nur entstehen kann, nachdem in einem Volke sich schon vorher die Furchtreligion entwickelt hat, so ist es ganz natürlich und un- vermeidlich, dass sich das neue sittliche Element mit der vor- gefundenen Grundlage der Selbstsucht und der zugehörigen Ethik, Dogmatik und Cultweise zurechtfindet und erzartig vermischt,, wie dies denn auch alle in der Menschheit aufgetretenen Rechts- religionen beweisen. Es ist deshalb hier noch unsere Aufgabe, in der Kürze die unreinen Vorstellungen, Gefühle und Handlungen in dieser vermischten Religion zu charakterisiren, die der reinen Rechtsreligion historisch vorangeht und allein überhaupt in den Völkern wirklich vorhanden war, während die reine Rechtsreligion nur eine wissenschaftlich construirte Religionsform ist und sich daher als sogenannte Vemunftreligion nur in einzelnen Individuen vorfinden kann.

§ 1. Die zugehörige Ethik und Dogmatik. Die Methode, nach der wir die Ethik dieser unreinen Religion zu erforschen haben, ist sehr einfach, denn wie sollten wir anders verfahren, als mit speculativer Psychologie. , Wir haben eben zwei Systeme von Coordinationen, das ethische und das selbst- süchtig perspectivische. Indem wir bei beiden die homologen Glieder zusammenlegen, ergiebt sich ganz natürlich die Misch- religion.

Die homologen ^^^ Schmcrz habcu wir auszugehen. Dieser,

Glieder und ihre auf die Vorstelluug dcs Zukünftigen übertragen, ist

verqx^ickung. ^j^ Furcht. Nuu ist das homologe Glied in der

Digitized by VjOOQIC

Die unreine Hecbtsreligion. 313

ethigehen Religion das schmerzliche Gefühl der Sünde. Wenn sich diese Gefühle nun in demselben Herzen zusammenfinden, so legen sie sich in eine entsprechende Coordination derart, dass die Furcht durch das Bewusstsein der Sünde erregt wird und umgekehrt bei entstandener Furcht gleich eine Sünde zum Be- wusstsein kommt. Mithin werden nothwendig dem Sündigen zu- gleich äussere Gefahren drohen, und er wird fürchten für seinen Leib und sein Leben, ftlr sein Eigenthum, seine Familie, sein Land u. s. w.

Da nun sowohl die Furcht als die Sünde auf Gott bezogen werden, so wird auch der Gesetzesgott nothwendig zugleich der Gott der Furcht sein. Mithin wird der Gott nicht bloss Miss- fallen haben an der Sünde, sondern er muss auch in Zorn und Grimm gerathen und sich rächen wollen. Nun wird er Schwert, Hunger und Pestilenz über sie schicken; die Gottlosen sollen gefangen und gebunden werden; ihre Weiber sollen an den Frem- den kommen ; sie müssen zum Fluche, zum Wunder, Schwur und Schande werden; er wird sie ausrotten beides Mann und Weib, beides Kind und Säugling, dass nichts von ihnen übrigbleibe; er wird noch ihre Kinder und Kindeskinder strafen u. s. w.

Umgekehrt wird nun auch das Bewusstsein der Gerechtig- keit und des treuen Gehorsams und guten Gewissens verbunden werden mit der Freude an den irdischen Gütern, an wieder- hergestellter Gesundheit, milchreichen Kühen, fruchtbaren Weibern, guter Emdte, Sieg über die Feinde, Besitz vielen Landes, wo Milch und Honig fliesst, und an aller äusseren Glückseligkeit. Also muss, da auch dieses an die Gottesvorstellung angeknüpft wird, der Gott nun gnädig und mild sein, er muss die Gerechten lieben; er ist ihr Vater, Freund, Beschützer, Erlöser, ihr Stecken und Stab u. s. w.

Auf diese Weise wird die sittliche Gesinnung ye^derbniss de« nothwendig verfälscht, da die selbstsüchtigen Inter- o«wi8»eni.. de« essen sich mit dem sittlichen Urtheil derart ver- ®^f*7^„7der knüpfen, dass jedes äussere Unglück als Zeichen oeschichto- des Grimms Gottes betracht.et wird und also auf die p''"°*^p"«- Spur einer begangenen Sünde hinweist, wie andererseits jedes äussere Glück die Gottesfreundschaft und Frönmiigkeit beweist. Mithin weiss der Fromme nicht mehr, ob er das Gesetz hält, weil es das Gute und Rechte anordnet, oder damit es ihm wohl

u.quizeauy Google

314 Religion der Sünde.

gehe und er lange lebe auf Erden, und ob er das Böse und Gottlose meidet, weil sein Gewissen dies gebietet, oder damit er nicht der Bache des Zomesgottes verfalle. Denn Recht und Unrecht sind nun derart mit Lohn und Strafe verwachsen, dass die Frömmigkeit selbst zum Interesse der Selbstsucht wird, wäh- rend die Ungerechtigkeit und Gottlosigkeit schon aus Schlauheit zu vermeiden ist, damit man den gnädigen Herrn nicht erzürne und bei seiner despotischen Yertheilung der Güter und Uebel nicht den Kürzeren ziehe. Entsprechend diesem allgemeinen Goordinationsgesetze wird aber nicht bloss das Leben des Ein- zelnen, sondern natürlich auch das ganze Leben der Familie, des Standes und Volkes, welches demselben Gotte dient, unter die gleiche, wissenschaftlich und sittlich falsche Geschichtsphilosophie gebracht Der Gott wird nämlich Bundesgott des Volkes und verspricht, wenn sie ihm dienen und seine Gebote halten, alles Gedeihen, Reichthum und Herrschaft, wenn sie aber von ihm ab- fallen und anderen Göttern dienen, Niederlagen, Gefangenschaft und Vernichtung. In diesem Sinne betrachten dann die Priester die ganze Geschichte des Volkes und wissen die Frönunigkeit so zu einem selbstsüchtigen, ökonomischen und politischen Inter- esse zu machen.

Da diese auf natürlichem psychologischen Wege erfolgte Verkoppelung aber nicht immer der Wirklichkeit entsprechen kann, weil die beiden zusammengemischten Elemente ja ihrer Natur nach nichts miteinander zu thun haben, so muss die Theologie demgemäss zurechtgelegt werden. Der Gott muss, weil die er- wartete Strafe natürlich nicht gleich eintrifft, langmttthig und geduldig werden; er schiebt sein Strafgericht auf aus Barm- herzigkeit und weil er noch auf die Besserung und Umkehr wartet; er wird aber später um desto furchtbarer sich rächen. Ist die kommende Strafe schon vorausgesagt, während die Gläu- bigen sich schon wieder dem nationalen Gottesdienste hingeben, so muss folglich Gott bereuen, dass er so schrecklich strafte und drohte, und er ninunt dann wieder seine Drohungen zurück und verspricht, von jetzt an milde und gnädig zu sein u. s. w. zurBeurtheiiuDg Dicsc küustlichc uud unwahre Verdrehung des

der bebr&ischen sittlichcu Urthcils uud der Geschichtsauffassung findet Propheten. ^^^^ ^^^ ,^^^^ j^^. ^jj^^ Völkcm, wclchc au der

Kechtsreligion theilnahmen, ganz besonders ausgebildet aber bis

uiyiiized by VjOOQIC

Die unreine Rechtsreligion. 315

zn einem sittlich ekelhaften, juristischen und ökonomischen Calctil bei den Juden. Man lese z. B. was der König David (2. Samuelis 3, 29) sagt beim Tode Abner's: „Ich bin unschuldig und mein Königi'eich vor dem Herrn ew^iglich an dem Blute Abner, des Sohnes Ner, es falle aber auf den Kopf Joab und aaf seines Vaters ganzes Haus; und müsse nicht aufhören im Hause Joab, der einen Eiterfluss und Aussatz habe und am Stabe gehe und durch das Schwert falle und an Brot mangele/ Ein reines, sittliches und religiöses Gemüth wird deshalb auch z. B. viele Declamationen bei Jeremias nicht ohne Entrüstung und Abscheu lesen können, obgleich derselbe Prophet an manchen Stellen fast lührend an den Tag legt, dass seine Beredtsamkeit unter dem Fluche dieser nationalen Verbindung des Furchtgottes mit dem Gesetzesgotte stehe, während er selber schon den Stand- punkt der reinen moralischen Religion im Herzen trage und nur, weil er zugleich als Staatsmann zu einem religiös und sittlich heruntergekommenen Volke rede, ihre egoistischen und nationalen Interessen mit den moralischen Motiven verquicken müsse, um gehört und verstanden zu werden. Die Propheten waren ja nicht bloss Ileligionslehrer und Prediger, sondern im eigentlichen Sinne Staatsmänner, welche König und Volk über die innere und äussere Politik zu Orientiren und zu leiten hatten. Deshalb darf man ihre volksmässige Beredtsamkeit nicht vom Standpunkt der Kathederweisheit aus beurtheilen, sondern muss sie als Bedner oft, wenn sie das reine moralische Geftlhl empören, um desto mehr anerkennen, weil sie durch ihre das selbstsüchtige Herz des Volkes packenden und erschütternden Worte dennoch immer auf Gerechtigkeit drangen und nach den gegebenen Zuständen eben nichts Höheres und Beineres bieten konnten. Ein reiner Moralprediger hätte da eine lächerliche Rolle gespielt, wo ein selbstsüchtiges Volk unter der Macht der Furchtreligion zum Besseren geleitet werden musste. Während daher griechische Redner ihr besseres Rechtsbewusstsein unterdrückten und beug- ten, um dem Volke nach dem Sinne zu sprechen und durch Schmeichelei selbst zu Ehre, Macht und Reichthum zu gelangen, indem sie den Leidenschaften des Volkes gemäss die Geschichte auffassten und die äussere Politik steuerlos und ruchlos der augenblicklichen Majoritätsmeinung unterordneten, so haben wir die hebräischen prophetischen Volksredner und Staatsmänner zu

uiyiüzeu uy "V-j vyVjpt Iv^

316 Religion der Sünde.

bewundern, dass sie niemals die Frömmigkeit und Gerechtigkeit aus den Augen Hessen, sondern die Leidenschaften des Volkes straften und ihre Furcht und Hoffiiung an den Wagen spannten, um doch nur den reinen Gott des Gesetzes im Triumph auf den Thron zu führen.

puton. dM ^* ^^® Furchtreligion die erste und natürliche in GbriHteuthuin u. der Mcuschheit ist, so kann man sich nicht wun- ^Lbl^BkÄft** dern, dass sie trotz aller geschichtlichen Entwickelung der aDreinon der Mcnscheu uuausrottbar bleibt und sich mit den BeiiRion. höheren Religionsformen verquickt. In allen ge- schichtlich bekannten Rechtsreligionen ist deshalb diese Ver- quickung unlösbar geblieben, und nur ein einziger Philosoph hat überhaupt den Fehler und die Verderbniss der Gesinnung in ihrer Wurzel erkannt, ich meine Piaton, der dementsprechend mit stolzer Einfachheit und in tadelloser Selbstverherrlichung erklärt, dass von den Zeiten der mythischen Heroen an durch die ganze Geschichte der Hellenen hindurch er selber der erste und einzige Mensch gewesen sei, welcher Recht und Unrecht von äusserem Vortheil und Nachtheil geschieden habe.*) Trotzdem erhob diese gewonnene Erkenntniss und Gesinnung nur den kleinen Kreis seiner Anhänger und Leser; die ganze Nation aber wurde von Piaton nicht ergriffen, ja er sah sich auch sofort durch seine Erfahrung an den Menschen seiner Zeit dazu getrieben, aus pädagogischen Gründen zur Leitung des Volkes wieder die Motive der Furchtreligion in die Beredtsamkeit einzumischen, wenn er auch ftlr die Götter oder die göttlichen Menschen, wie er seinen philosophischen Kreis nannte, die höhere Erkenntniss vorbehielt Nur in dem Volke der Juden erhob sich ein grösserer Meister, der die ganze Menschheit ergriff und mit seinem Namen erneuerte. Dieser allein vermochte es, eine religiöse Gesinnung zu be- gründen, welche auch fUr den einfachen Gläubigen die Reinheit des sittlichen Lebens herstellte. Aber selbst in der christlichen Kirche bleibt das specifisch Christliche immer nur wenigeren Frommen vertraut, während die grosse Menge der Gläubigen die höhere Religionsform mit den niedrigeren und niedrigsten Formen inuner wieder verquickt. So muss z. B, selbst in dem Jüngerkreise Jesu, als sie den Blindgeborenen erblickten, sofort

*) Vergl. meine „Literar. Fehden im vierten Jahrh. v. Chr.** U. S. 40.

uiyiiized by VjOOQIC

Die unreine Bechtsreligion. 317

die jüdische Geschichtsphilosophie in der Frage hervortreten: n Meister, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er ist blind geboren ?^^ (Joh. Ev. 9, 1 ff.). Jesus heilt ihn durch eine einfache Salbe, die er aufschmiert; er thut aber zugleich mehr, indem er die Augen der Jünger öfihet und die blinde und falsche Geschichtsphilosophie, wonach die Sünde an äusserem Unglück erkannt wird, beseitigt und eine wahre religiöse Auffassung an die Stelle setzt. Für den selbstsüchtigen Menschen ist es aber ganz natürlich, dass er den Gott des Rechtes nicht anerkennen kann, wenn derselbe nicht zugleich der Machtgott oder Furcht- gott ist, der ihm Vortheil zuwendet oder ihn mit Schaden bedroht Als bei dem Tode Baldur's (Edda, Simrock S. 320) alle Wesen weinten, so wollte der interessirte Loki, der sich in die Thöck verwandelt hatte, nicht weinen, weil er keinen Vortheil von Baidur gehabt hätte: „Thöck muss weinen mit trockenen Augen über Baldur's Ende. Nicht im Leben, noch im Tode hatt' ich Nutzen von ihm : behalte Hei, was sie hat." So ist es auch dem Könige David durchaus nicht gleichgültig, was bei seinen Sünden der Rechtsgott als Machtgott über ihn verfügen könnte; vielmehr liegt ihm alles an einer so vortheilhaften Stellung, wie sie der Sohn einem Vater gegenüber geniesst. Der Gott sichert deshalb dem Könige trotz seiner Missethaten eine privilegirte Behandlungs- weise zu (2. Sam. 7, 14): „Ich will sein Vater sein, und er soll mein Sohn sein. Wenn er eine Missethat thut, will ich ihn mit Menschenruthen und mit der Menschenkinder Schlägen strafen; aber meine Barmherzigkeit soll nicht von ihm entwandt werden, wie ich sie entwandt habe von Saul, den ich vor Dir (David) habe weggenommen. Aber Dein Haus und Dein Königreich soll beständig sein ewiglich vor Dir und Dein Stuhl soll ewig- lich bestehen.^' Ein solches kindliches und väterliches Verhält- niss ist nur nach den Vorstellungen vom Familien- und Stamm- gott gedacht, beruht auf den socialen und politischen Gegensätzen von Herr und Sclave, Vater und Sohn, Freund und Feind, Ein- heimischen und Fremden und hat mit der im Evangelium hervor- tretenden Kindschaftsidee nur den Namen gemein. Sehr deutlich zeigt sich das natürliche Verlangen des Menschen nach dem Butzemann auch bei dem Tode Christi, wo sich nach der Erzählung in den Evangelien der kalte Spott hören Hess, weil der Vertreter des Rechtes und der Wahrheit nicht zugleich die Macht in der

uiyiiized by VjOOQIC

318 Beligion der Sünde.

Hand hatte, und der Furchtgott also mit ihm nicht verschmolzen war: „Er kann sich selber nicht helfen". Man erwartet immer Vertheilung äusserer Güter und üebel und die Attribute des ge- fährlichen Oottes der Furchtreligion, um das selbstsüchtige Herz zu beugen.

j^j^ Man sollte nun glauben, dass die Vermischung

sophisiik der Rechtsidee mit der äusseren Macht nur ein natür- nn^e^inen ^^^^^^) psychologisch erklärbares Phänomen in dem ReeiBts- Entwickelungsgange der Civilisation bildete, dessen reiiKion. Zähigkeit einfach darauf beruhte, dass die höhere Stufe des Bewusstseins immer die niedrigere voraussetzt und sich daher ursprünglich immer erzartig damit verbindet, allein es findet sich bekanntlich der Verstand stets zur Verfügung des Willens, und so ist es doch nicht erstaunlich, dass sich auch alles Schlechte und Unreine immer durch irgend welche ver- ständige Gründe sophistisch vertheidigen lässt. Zuweilen darf man sogar nicht einmal eine Sophistik dabei annehmen, sondern muss wegen der ehrlichen Meinung der Schliessenden nur einen Paralogismus in dem Käsonnement anerkennen, der freilich seinen letzten Grund in ihrer irdenen Natur hat.

Man räsonnirt nämlich so, und wir können gleich KanTi8che*ideai Kaut als den Hauptrepräsentanten dieser unreinen des höchhun Religionsvorstellung hinstellen, dass der moralische Gesetzgeber, wenn er wirklich monotheistisch gedacht werde, mit dem physischen Urheber der Welt zusammenfallen müsse. Folglich würde es in seiner Hand liegen, mit der Ge- rechtigkeit, die er von dem Menschen will, auch ihre sinnliche Glückseligkeit zu vereinigen, wie umgekehrt mit der Ungerechtig- keit alles äussere Unglück. Die jüdische Religion fordert nun überall diesen Zusammenhang, und man glaubt daran bei der Erklärung der jüdischen Geschichte und hofft darauf in Bezug auf die zukünftigen Ereignisse. Kant aber war zwar darin klüger, dass er den Widerspruch zwischen dem moralischen Zu- stande eines Menschen und seiner äusseren socialen und öko- nomischen Lage als thatsächlich vorkommend und überall möglich erkannte; er glaubte darin aber nur einen pädagogischen Kunst- griff Gottes sehen zu dürfen, da Gott ähnlich wie bei Hiob die Reinheit der moralischen Gesinnung des Menschen dadurch prüfen

uiyiiized by VjOOQIC

Die unreine Rechtsreligion. . 310

and erhalten wollte, dass er nicht immer dem Frommen die änsseren Güter schenkte , sondern ihm auch allerlei Leid und Unglück sendete, damit die Menschen nicht schliesslich um der äusseren Vortheile willen gerecht leben möchten. Allein abge- sehen von dieser witzigen Entschuldigung Gottes nimmt doch Kant, ganz wie ein ächter Jude, an, dass das höchste Gut in der vollen Harmonie des sittlichen und sinnlichen Wohlseins liege und dass uns dies für die Zukunft verheissen sei oder aus den praktischen Prämissen als unumgängliches Postulat folge.

Wenn man an dies ganze eudämonistische Gebäude j^^^ «ui^ehörjge anklopft, so klingt es nicht nach Metall, sondern optimismu« und lässt ein bedenkliches Klappern wie irdene Waare ^«■«*™*"™^"- hören. Es schliessen sich an diese Denkweise nun nothwendig die vulgären Weltansichten an, indem die Einen optimistisch doch an den Sieg der guten Sache glauben (indem sie auch etwa, wie z. B. Benjamin Franklin, die Ehrlichkeit, Gerechtigkeit und Tugend überhaupt als nützlich zum Reichwerden und zur Gesundheit empfehlen), oder wenigstens, nach Lessing's und Kant's Vorschrift, das ehrliche Streben fordern und auf den be- ständigen Fortschritt der Civilisation hoflFen; während Andere pessimistisch, weil sich ihr jüdisch-Kantisches Ideal nicht ver- wirklichen will, an dem Werthe der Welt selbst verzweifeln und alle Mheren Hoffnungen und Bestrebungen als ebensoviele Illu- sionen auflösen. Ueber diese beiden Weltansichten streiten die Unklugen nun immer hin und her, und keine Partei kann die andere ganz aus dem Felde schlagen, weil bei solchem Dilemma nothwendig immer ein Fehler in dem Princip des Zwistes selber steckt. Diesen principiellen Fehler, worin die Thorheit beider Annahmen liegt, habe ich in meiner Schrift „Unsterblichkeit der Seele" nachgewiesen, indem ich den ganzen Ursprung und die Nothwendigkeit dieser entgegengesetzten Annahmen aus den fehlerhaften metaphysischen Voraussetzungen erklärte, aus den Voraussetzungen, die auch hier in dem jüdisch-Kantischen Ideal des höchsten Gutes vor Augen liegen.

Wenn man nämlich auf den Standpunkt der projectivischen Religion oder der zugehörigen Metaphysik steht, welches eben der vulgäre Standpunkt der Menschen ist, so muss man die sinn- lichen Bilder von der Welt, die man in seinem Bewusstsein hat, als die ausser uns existirenden Wesen und dieMfüig^ei^Intie

320 Religion der Sünde.

sinnenf&llige Welt als die einzige wirkliche Welt ansehen. Mithin werden dann auch alle moralischen Ideen nur zu Forderungen, die in der Sinnenwelt realisirt werden sollen, da diese die einzige Welt ist Darum folgt, dass das Ideal des höchsten Gutes in der vollkommenen Harmonie und Proportion zwischen Gerechtig- keit und äusserem sinnlichen Glücke besteht und dass der Optimist an diese Harmonie glaubt, während der Pessimist, weil er sie nicht verwirklicht sieht, auch die Hoffnung fahren lässt Alle diese Ansichten hängen auf's Genaueste zusammen und beruhen, um's kurz zu sagen, auf dem projectivischen Empirismus und Idealismus.

Alle diese Ansichten fallen deshalb auf einen Schlag mit dem Fundamente, auf dem sie ruhen. Sobald man nämlich den Begriff des Seins wissenschaftlich unter- sucht, wofür ich auf meine „Neue Grundlegung der Metaphysik" verweise, so zeigt sich, dass die Erscheinungen der Sinnenwelt nicht die wirklichen Wesen sind, sondern nur wesenlose Zeichen und Schatten, durch welche wir perspectivische Auffassungen von vorübergehenden Beziehungen zwischen den wirklichen Wesen gewinnen. Um dies an einer Analogie aus der scheinbaren Welt zu verdeutlichen, so ist der Irrthum der Projectivisten zu ver- gleichen mit der Annahme, als wenn die Häuser und Städte die eigentlichen Wesen wären, um derentwillen alles Uebrige sich ereignete. Diese können aber zerstört werden, während den Menschen, die darin wohnten, kein Leid zu widerfahren braucht Wenn nun die Optimisten auf den ewigen und immer zunehmen- den Glanz der Häuser hoffen und die Pessimisten ihre Zweifel daran durch die Baufälligkeit der einzelnen Häuser und die Zerstörung ganzer Städte begründen, so kann ein Vernünftiger über beide lächeln, weil es ihm nur auf die Menschen ankommt, die darin wohnen und die nur zu vorübergehenden Zwecken solche Beziehungen zwischen den Elementen gestiftet haben, die man ein Haus nennt, weshalb sie denn ein solches auch frei- willig räumen, wenn sie lieber anderswo sich niederlassen möchten. Wenn man erst eingesehen hat, was die wirklichen Wesen sind, so wird man auch die Glückseligkeit nicht mehr in den perspectivisch aufgefassten sinnlichen Erscheinungen suchen; man wird erkennen, dass ein reicher, gesunder, starker Mann, ein glücklicher Eroberer, ein Fürst und Herr über Land und Leute

DigitizedbyCiOOQlC

Die unreine Rechtsreligion. 321

doch zugleich ein schlechter und unglückseliger Mann sein kann, ohne seine Güter zu verlieren, und dass umgekehrt ein gerechter Mann, ohne seine Gerechtigkeit und seinen Seelenfrieden zu ver- lieren, beraubt und erschlagen werden könnte, dass man ihn beschimpfen und an's Kreuz zu heften und doch seinen Werth nicht herabzuziehen vermöchte. Der Werttt des Lebens wird überhaupt, wenn man die vulgäre, projectivische Weltansicht aufgegeben hat, nicht mehr in das Gebiet des Furchtgottes ge- stellt, sondern in den wirklichen Zustand der Seele. In dieser können die höchsten Tugenden nur gedeihen, wenn die Harmonie des äusseren Glückes mit der sogenannten Moralität nicht statt- findet; denn wie könnte die Seelengrösse im Leiden sich ent- wickeln, wenn es garantirt wäre, dass der Gerechte nie krank würde, dass er nie seine Lieben verlöre, dass keine Schlacht ihm missglückte und seine Güter immer unvermindert und unver- lierbar blieben. Es ist ja auch auf den ersten Blick klar, dass die Kunst, deren Aufgabe es sein muss, die innere Welt zur Anschauung zu bringen, ihre höchsten Triumphe in der Tragödie feiert, wo die sittliche und religiöse Tiefe des menschlichen Herzens in dem Ruin aller irdischen Glückseligkeit sich offenbart. Sobald man also über den Schein der bloss perspectivischen, selbstsüchtigen Weltansicht und des falschen projectivischen Idealismus hinweggekommen ist, was uns nicht durch den Idealisten Piaton, sondern einzig erst durch das Christenthum zu Theil wurde, so muss die Sophistik der unreinen Religion fallen und mit ihr der sentimentale und eitle Pessimismus und der thörichte und kurzsichtige Optimismus, wie auch das ganze vulgäre jüdisch-Kantische Ideal vom höchsten Gute. Piaton sah nur den Fehler in dem ethischen Princip; als Idealist unterlag er aber auch der projectivischen Illusion und kämpfte nur einen edlen Kampf mit dem Optimismus und Pessimismus, zwischen denen, wie zwischen Scylla und Charybdis, ewig zu schwanken ihm das Loos gefallen war, ohne dass er den Fehler seiner idealistischen Metaphysik erkannt hätte, der in dem Lichte des Evangeliums sofort auch dem einfachen Gläubigen offenbar wird.

Teiohmuller, BeligionspimoBOphie.

Digitized ^Google

322 Eeligioii der Sünde.

§ 2. Der zugehörige Cultus.

Wie nun die Ethik der unreinen Rechtsreligion dadurch charakterisirt ist, dass zu dem Bewnsstsein der Sünde noch die Furcht hinzutritt und zu dem gewissenhaften frommen Gehorsam noch die Dankbarkeit für das empfangene äussere Glück und die Lohndienerei, und wie zweitens ftlr die Dogmatik der ge- fahrliche grimme Furchtgott und gnädige Stanmiesschutzgott sich mit dem reinen Rechtsgott vereinigt: so muss natürlich auch der Cultus oder Verkehr mit Gott die entsprechenden Abänderungen oder Vermischungen erfahren, indem der alte Opferdienst mit der Empfindung der Sünde gepaart wird. Wir bedürfen kaum eines Hinblickes auf die historisch bekannten unreinen Rechts- religionen, sondern könnten die specifischen Formen des Cultus sofort a priori aus den gegebenen Voraussetzungen ableiten.

Da nämlich das Gefühl der Sünde auf eine lieber- dar sühnrog. ^^etung dcs Gcsctzcs und Willens der Gottheit hin- weist und diese Gottheit nun nach der Furchtreligion als erzürnt, grimmig und rachlustig vorgestellt werden muss, so mischt sich nicht nur Angst und Sorge und jede andere Art der Furcht mit dem Gefühl der Sünde, sondern es wird sofort zur Aufgabe der Ueberlegung, wie der Zorn des Herrn beschwichtigt und sein gnädiges Wohlwollen oder gar seine uns bevorzugende Liebe wiederzugewinnen sei. Mithin müssen wir etwas thun, was nur Bezug auf unsere Vorstellung von der Gottheit hat, d. h. wir müssen einen Cultusact ausüben. Da es sich aber nicht bloss um den Furchtgott handelt, der wie in der Furcht- religion durch Schmeichelei und allerlei Opfer beruhigt und ge- wonnen werden müsste, sondern da auch das Gewissen dem Rechtsgott gegenüber steht, so muss der Cultus die zugehörige, specifische Form annehmen, welche den Namen „Sühnung" er- halten hat. Nach den beiden grundlegenden Beziehungen müssen in der Sühnung zwei wesentliche Momente vorhanden sein, einer- seits das Sündenbekenntniss, der Schmerz der Reue und die Sinnesänderung, andererseits die äusserliche Darbringung einer Busse, wonach gemäss der Furchtreligion die Beschwichtigung des Zornes Gottes psychagogisch glaublich wird.

Es ist nun interessant, dass diese Sühnung bei den Be- ziehungen der Menschen untereinander den juristischen

uiyiiizeu uy V^jOOV IC

Die unreine Rechtsreligion. 323

Charakter hat, da der Richter bei Rechtsverletzangen nicht bloss theoretisch über Recht und Unrecht urtheilen, sondern auch technisch die Mittel ansfinden und deshalb von dem Schuldigen gewisse Leitungen verlangen muss, die geeignet sind, den Be- schädigten zufriedenzustellen und seinen Grimm und seine Rachelust zu befriedigen. In der Religion der Sünde wird nun Gott als der Geschädigte und Beleidigte aufgefasst, und es werden demgemäss die gleichen Leistungen dem Schuldigen von ihm auferlegt.

Man kann daher die Culthandlungen zwar auf Die Eintheiiung dieselben Arten wie in der Furchtreligion zurück- ^«»^ sühnnnifen. fuhren, muss aber als specifische Eigenthümlichkeit die Normirung derselben nach einem Gesetz, also den juristischen Charakter hinzu- nehmen. Demgemäss sind die Sühnungen erstens Opfer an Geld und Gut, zweitens körperliche Strafen und Freiheitsentziehung, drittens Stellvertretung.

Die erste Art besteht in Darbringung von Gaben an den Altar, nämlich Früchte, Thiere, die ^^''

geschlachtet werden, oder Geld, das an die Kirche oder an die Armen gegeben wird. Die Sünden werden rubricirt nach ihrer Grösse und demgemäss werden die aufzuerlegenden Bussen an Geld und Gut normirt Diese Bussen sind entweder allgemein bestimmt durch ein Ritualgesetz oder sie werden im Beichtstuhl individuell für das religiöse Bedttrfniss des Einzelnen geregelt, wobei die Schuld auch, wie durch einen Wechsel auf längere Zeit, durch ein Legat im Testament getilgt werden kann. Diese unreine Art des Gottesdienstes hat darin ihren Grund, dass die wirkliche Stärke der Sinnesänderung sich psychologisch am Besten messen lässt durch die Liebe zum Eigenthum, die bei den Meisten eingeboren ist und deshalb auch durch das Werth- symbol des Geldes arithmetisch abgeschätzt werden kann; denn wer nicht einmal so und so viel für Sühnung seiner Schuld be- zahlen mag, dessen Sinnesänderung, so räsonnirt man, ist nicht weit her. Wenn man den Ablasshandel hierher zieht, so hat man Recht; wenn man aber auch Christi Mahnung, alles Eigen- thum den Armen zu geben und ihm zu folgen, mit unter diese Rubrik bringen möchte, so wäre das grundverkehrt; denn in diesem Falle handelte es sich nicht um eine Sühnung Gott gegenüber, sondern um eine gänzliche Veränderung der Lebens-

u,y,t,zec?Jy*^OOQle

324 Reli^on der Sünde.

beschäftiguDg. Wer mit dem Messias im Lande umherziehen wollte, konnte doch nicht zugleich in seinem weltlichen Berufe und seinen ökonomischen Interessen leben. 2 Körperstnrft^n ^^^ kommcu au dlc Körperstrafen und die

und Freiheits- Freiheitsentziehung. Beide Formen der Askese oDtxiehnng. ^^^^ ^^^^ bekannt. Zur Stihnung ihrer Sünde ziehen sich die Gläubigen aus der Welt zurück, gehen entweder, wie in Indien, in den Wald oder, wie in dem Homo sum von Ebers meisterhaft geschildert, in die Wüste, oder sie leben im Kloster, und bannen sich und ihre freie Bewegung durch feste Regeln. In ähnlicher Weise strafen sie ihr Fleisch durch Entziehung von Speisen, indem sie entweder auf bestimmte Arten derselben ver- zichten oder überhaupt keine Nahrung für bestimmte Zeiten zu sich nehmen. Ausser dem Fasten versagen sie sich auch die Liebesgenüsse entweder von Zeit zu Zeit durch bestimmte Ord- nungen oder durch gänzliche physische Entmannung, wie dies letztere noch heut zu Tage bei Männern und Frauen in der russischen Sekte der Skopzi vollzogen wird. Endlich schlagen und zerreissen sie auch ihren Leib auf allerlei Weise, springen nackt in Domenhecken, geissein sich mit Ruthen und spitzen Nägeln blutig, tragen Erbsen in den Schuhen, rutschen viele Meilen auf den Knieen und verstünmieln sich auch wohl u. s. w Denn alle diese Formen der Sühnung sind ja juristisch schon längst erklärt, da durch solcherlei Strafen an dem Schuldigen der Beschädigte und Beleidigte zufriedengestellt wird. Wem ein Auge ausgeschlagen ist, der kann nicht mehr grollen, wenn der Schuldige sich auch ein Auge zerstört; wem ein Zahn ausge- schlagen, der beruhigt sich, wenn er den Gegenstand seines Zorns derselbigen schmerzlichen Behandlung unterworfen sieht Diese ganze psychologisch -juristische Sühnungsauffassung wird nun durch das religiöse Bewusstsein auf Gott übertragen, und der Gläubige hoflft Vergebung, wenn er sich alle Arten von Pein auferlegt, wie sie ihm etwa gerade am Empfindlichsten ist; der Wollüstige entmannt sich, der Schlemmer fastet, der Reiche zieht als Bettler umher, der Ehrgeizige geht in's Kloster, der Rauf- bold wird ein Christophorus u. s. w.

Die dritte Art ist die Stellvertretung. Diese

* vTrtre^uflr' ^^^^ ^®^ Stihnung spaltet sich natürlich wieder in

die beiden Formen des stellvertretenden Leidens

u.quizeauy Google

Die unreine Rechtareligion. 325

und des stellvertretenden Verdienstes. Nun ist sofort klar , dass in der reinen Religion der Sünde und des Rechtes von Stellvertretung keine Rede sein kann, ebensowenig vne in den höheren Formen der Religion; denn die Gerechtigkeit und Fröm- migkeit sind Gesinnungen und Thätigkeitsweisen, deren Werth in ihnen selbst liegt und deshalb nicht von der Seele abzulösen ist. Man kann darum den köstlichen Werth frommer Gesinnung nicht dadurch erwerben, dass ein Anderer für uns fromm ist, ebensowenig wie wir dadurch sauerstofireicheres Blut erhielten, dass ein Anderer für uns tief einathmen wollte. Die sittlichen und religiösen Werthe sind keine Tauschartikel.

Dagegen muss die Stellvertretungsidee ihren natürlichen Platz in der Religion der Furcht und deshalb auch in der unreinen Form der Rechtsreligion haben. Denn wo es sich darum handelt, einen Zornigen zufrieden zu stellen oder eine zur Vermeidung der Rache juristisch festbestimmte Busse zu entrichten, da zeigt auch die allgemeine Praxis der Völker, dass Zorn und Rachsucht durch stellvertretendes Leiden und stellvertretende Leistungen ausgelöscht werden können. Dies ist so bekannt und aus jeder- manns eigener Erfahrung psychologisch so verständlich, dass es mir nicht erforderlich scheint, den Vorgang weiter zu analysiren und durch geschichtliche Zeugnisse zu belegen. Da nun in der unreinen Rechtsreligion der Gott des Gesetzes auch die Attribute des Zornes und der Rachsucht erhalten hat, so versteht es sich von selbst, dass in dieser Religion auch die Stellvertretungsidee ausgebildet werden musste.

Die menschliche Thätigkeit theilt sich nach der Stellung» die das Gefühl dazu einnimmt, in Leiden und Thun. Das Leiden dreht sich darum, dass wir Güter hergeben, den Körper be- schädigen lassen, die Freiheit, Gesundheit, das Leben opfern, oder Arbeiten leisten, die wir ungern vollziehen. Ueberall hier haben wir ein schmerzliches Gefühl Das freiwillige Thun aber besteht in Handlungen, die wir gern und mit freudigem Gefühl übernehmen. Nun kommen in dem gesellschaftlichen Güter- verkehr beiderlei Leistungen in Betracht, werden aber unter dem Gesichtspunkte des Nützlichen ganz überein geschätzt und nicht unterschieden, so dass es für die Stellvertretungsidee einerlei ist, ob ein Bürger iRir einen anderen zahlt, oder ein Lehrer für einen anderen Stunden giebt, oder ein Freund für

Digitized by VjOOQIC

326 Religion der Sünde.

Damos sich kreazigen lässt In allen Fällen der Stellvertretung gelten beide Arten als Leiden.

Sobald wir dagegen in die sittliche Sphäre tibertreten, so finden wir zugeordnete Güter oder Werthe, die sich nicht über- tragen lassen und überhaupt nach einem andern Gesichtspunkte als dem von Lust und Schmerz bestimmt werden. Man kann diese Güter im Allgemeinen Verdienste und auch, da sie von dem Beifall des Gewissens und niemals von Gewissensbissen be- gleitet sind, schlechtweg freie Thätigkeiten nennen.

Die eigenthümliche Leistung der unreinen Rechtsreligion be- steht nun darin, Gott gegenüber diese moralischen Werthe auch zu einem Tauschobjecte zu machen, da es darauf ankam, die negativen moralischen Werthe, d. h. die Sünden und Missethaten, zu bezahlen.

Die niedrigste Form dieser Stellvertretung beruht auf dem Uebergewicht des niedrigen Elements in der Beligionsmischung. Hierfllr finden sich zwei Modificationen. Entweder wird eine Sünde gesühnt durch ein äusserliches Gut und zwar besonders das höchste, das Leben, oder der Gott wird gewissermassen be- trogen durch Darbringung eines geringeren Gutes, das durch ge- wisse cultische Symbole gleichsam vermummt und zu etwas Werth- vollerem ausstaffirt wurde. Der erste Modus zeigt sich auf der barbarischeren Gulturstufe eines Volkes, wo durchaus Menschen- blut fliessen muss, wenn Sühnung und Versöhnung als möglich geglaubt werden soll, wie z. B. Jephtha sein unschuldiges Töch- terlein opfern musste, und wie z. B. bei mehreren religiösen Akten in der römischen Geschichte ein edler Mann fiir das Volk sich dem Abgrund weihte, um den Zorn der Götter zu sühnen.*) In ähnlicher Weise muss der König Usinara (Holtzmann, Indische Sag. I 277 ff.) ftlr die Taube, die zu ihm hülfesuchend kam, Leib und Leben mit seiner ganzen Person einsetzen, weil Indra mit keiner anderen Stellvertretung zufrieden war. Dagegen wird der

*) Haakh citirt (in Pauly's R.-E. II. 877) mit Recht die Stelle aus Juvenals Sat. VIII. 254 ff. Pro totis legionibus sufficiunt Dis infernis Terraeque parenti. Pluris enim Decii, quam quae servantur ab illis. Dass diese Vorstellung populär war, sieht man aus Cicero: De nat. Deor. HI, 6, 15, der darüber räsonnirt: Tu autem etiam Deciorum devotionibns placatos deos esse censee. Quae fuit eorum tanta iniquitas, ut placari populo Romano non possent, niai viri tales occidiasentV

Digitized by

Google

Die unreine Bechtsreligion. 327

Gott bei einer zweiten Art von Stellvertretung entweder betrogen, oder der Gläubige ist selbst milder geworden und schämt sich, seinem Gotte einen auf Menschenblut erpichten Grimm zuzu- schreiben. So tritt bei Abraham's Opfer für den Isaak und ebenso bei Agamemnon's Opfer ftir die Iphigenie ein Bock an die Stelle. In ähnlicher Weise werden die StLnden des Volkes der Hebräer jährlich dem schwarzen Bocke aufgeladen, der in die Wüste gejagt wird. In diesem Gebrauch wirkt noch die archaische Fluchidee, da die Flüche, die sonst dem Volke Scha- den brächten, nun durch eine priesterliche List alle auf den Bock fallen, der als geringes Object die Stellvertretung leisten muss.

Während es sich hier immer um ein stellvertretendes Lei- den handelt, indem ein Vermögensobject oder das Leben für eine Sünde als Tausch- und Tilgungsmittel gebraucht wird, wobei natürlich immer die Grösse der Selbstüberwindung oder des Schmerzes bei Darbringung des Opfers, wie bei König Usinara, als Werthmassstab gilt, so geht die Verderbniss des Urtheils durch die Motive der Furchtreligion auch dazu über, die Ver- dienste als Bezahlungsmittel zu gebrauchen. Diese Vorstel- lungsweise gelangte namentlich in Indien, wo die Heiligkeit an viele äusserliche und mithin gewissermassen arithmetisch zu be- rechnende Werke geknüpft wurde, zu einer epidemischen Aner- kennung. Als z. B. Nahuscha erklärte, dass er als Mensch zu schwach sei, um die Götter und die ganze Welt zu beherrschen, da stärkten ihn die heiligen Rischi durch stellvertretende Ueber- tragung ihrer Busse. (Holtzmann, Ind. Sag. I S. 325.) Ebenso läuft der König Jajati Gefahr, in die Hölle zu gerathen, da übertragen seine vier Enkel all ihr Tugendverdienst und die Frucht all ihrer Opfer auf ihn; denn alle hatten durch ihre reich- liche Freigebigkeit, ihre Tapferkeit, ihre Wahrhaftigkeit und häu- figen Opfer sich im Himmel unermessliche Räume erworben und können nun durch ihr stellvertretendes Verdienst ihm den Himmel verschaiSfen. (Ebendas. H 119.) Aehnlich hatte der Muni Dscha- ratkaru durch seine Keuschheit und freiwillige Armuth u. dergl. grosse Verdienste erworben, als er jene Schaar verstorbener Seelen antriflFt, die in Angst über der Hölle schweben. Er sagt: „Von Mitleid ist mein Herz bewegt. Von meiner Busse will ich Euch ein Viertel schenken oder auch ein Drittel, wenn ihr Euch

Digitized by

Google

328 ßeligion der Sande.

aus dieser Noth befreien könnt. Nehmt meine halbe Basse hin; nehmt selbst die ganze; rettet Euch."

Die schönste Form dieser Stellvertretungsidee zeigt sich in der Durchdringung ihrer beiden Arten, wenn nicht über früher erworbene Verdienste, wie über erworbene Reichthümer ver- mögensrechtlich verfügt wird, sondern wenn das Leiden selbst als moralische Leistung und Verdienst betrachtet wird. Denn wie in der Tragödie nach dem richtigen Urtheile des Aristoteles die schönste Form darin besteht, dass der Schicksalswechsel un- mittelbar mit der Erkeunungsscene zusammenfallt, so wirkt auch das stellvertretende Leiden viel mächtiger auf das Gemüth, wenn es zugleich die momlische Leistung ist und den Werth der sich opfernden Seele voflfAugen stellt. So ist es z. B. in der Ge- schichte des Königs Usinara und in der herkömmlichen Deutung des Versöhnungstodes Christi, wo gerade die Durchdringung beider Arten von Stellvertretung die Lebendigkeit und Macht des Eindrucks hervorruft.

Es ist aber ein Zeichen geringer logischer Schärfe ihum und die odcr geringer Kenntniss der verschiedenen Religionen, neue Reiigions- ^cuu man die Stellvertretungsidee für etwas dem

pLilosopble.

Christenthum Eigenthümliches ansieht. Vielmehr er- giebt eine unwiderlegliche Demonstration, dass das Wesentliche und auch das Eigenthümliche des Christenthums mit dieser Idee nichts zu thun hat. Mithin könnte man, ohne sich um die nähere Untersuchung des specifisch Christlichen weiter zu bekümmern, höchstens sagen, dass die Stellvertretungsidee dem Christenthum mit vielen anderen Religionen gemeinsam zukomme (als commune) in der Art, wie z. B. die Athmung durch Lungen allen Säuge- thieren und Vögeln gemeinsam ist und für keine bestimmte Art dieser Thiere den Grund eines specifischen Charakters bildet. Allein wenn wir, wie es das wissenschaftliche Interesse und die Herzensangelegenheit des Christen fordert, das Wesentliche des Christenthums als der höchsten Religion heraussuchen, so werden wir nothwendig finden, dass die der niedrigsten Religionsstufe angehörige Stellvertretungsidee, welche auch schon bei der nächst höheren Rechtsreligion nur in ihrer unreinen Form vorkommt, unmöglich mit der göttlichen Wahrheit des heiligen christlichen Geistes verträglich ist, sondern dass diese Idee, da sie sich allerdings in der Kirchenlehre findet, eine ganz besondere Er-

Digitized by

Google

Die unreine Rechtsrcligion. 329

kläruDg und Rechtfertigung verlangt. Die genauere Darlegung kann aber erst bei der Untersuchung über das Wesen des Christen- thums gegeben werden, und ich darf hier nur darauf aufmerksam machen, dass das Eigenthümliche der neuen Religionspbilosophie eines Theils gerade darauf beruht, dass die specifischen Motive der Religionen chemisch rein ausgeschieden vs^erden, wodurch die zugeordneten reinen allgemeinen Formen aller empirischen Reli- gionen allein constituirt werden können und demgemäss das zu jeder Religion specifisch Zugehörige sich herausstellt Darum konnten die früheren Religionsphilosophen in allen diesen Fragen nicht klar genug sehen, weil sie, wie z. B. Kant und Hegel, und auch jüngst noch Ffleiderer, an die empirisch vorliegenden Reli- gionen herantreten, als wären diese aus Einem Geist und Einem Guss gegeben und als müssten alle darin vorkommenden Theile nothwendig und wesentlich zu dem Ganzen gehören und daher durch irgend welche speculative Construction oder irgend eine allegorische Interpretation vertheidigt und gerechtfertigt werden. Wie man aber in unseren grossen gothischen Kathedralen neben dem gothischen Stile auch vielen Theilen begegnet, die dem älteren romanischen Stile angehören oder später nach dem Renaissance- und dem Rococo-Stile ausgebaut sind, so ist das Christenthum auch nur zq verstehen^ wenn man den specifischen Stil von allen andersartigen rein ausscheidet und fUr jeden Theil das charak- teristische Stilgesetz und die zugehörige Bauordnung auffindet, und diese Aufgabe soll in meiner Religionsphilosophie gelöst werden.

Es ist dies dieselbe Aufgabe, die ich in meiner Geschichte der Begriffe ftlr die Philosophie überhaupt gestellt hatte; denn während' man bisher jeden Philosophen mit seinem System als ein Ganzes betrachtete, zeigte ich in dem Körper der verschie- denen Systeme die anderswoher entlehnten Begriffe mit ihren festen Coordinationen auf und forderte daher eine ganz neue Ar- beit, nämlich das wirklich Eigenthümliche und Specifische eines Jeden herauszufinden. Daran wird man noch lange zu arbeiten haben; die bisherige Arbeit ist aber als blosse Materialsamm- lung und Vorarbeit zu bezeichnen; denn wie die Chemie als Wissenschaft erst beginnt mit der Entdeckung der Elemente, während sie bisher blosse Alchemie war, so kann auch in der G^chichte der Philosophie und in der Religionsphilosophie erst

u.quizeauy Google

330 Religion der Sünde.

eine feste Basis gefunden werden, wenn man die eigenthümlichen Baustile, ich meine die specifischen Motive und die zagehörigen dogmatischen Vorstellongsformen und Cnltarten rein für sich dargestellt hat

Eine solche Arbeit ist aber weit entfernt von einer Zer- setzung und Zerstörung des Christenthums; denn wie eine Kathe- drale nicht zerstört wird, wenn man in ihr verschiedene Bau- stile nachweist, so braucht auch das Christenthmn nicht zu leiden, wenn man in ihm das Wesentliche von anderen eingemischten Elementen unterscheidet Wir dürfen nie vergessen, dass das Christenthum eine Religion ftlr alle Menschen ist Da nun un- möglich ftlr alle Kranken eine und dieselbe Medicin brauchbar wäre, so ist es durchaus vemtinftig und nützlich, dass im kirch- lichen Christenthum auch viele Elemente aufgenommen sind, die den niederen Entwickelungsstufen des Gemüths und des Geistes entsprechen und daher auch in solchen Regionen Heilung her- beiführen, welche in den engeren Jüngerkreis des Herrn nicht Zugang gefunden hätten. So ist auch die Stellvertretungsidee nichts specifisch Christliches. Es liess sich aber die eigenthüm- liche Leistung Christi auch nach dieser in der früheren Religion herrschenden Idee auffassen und daher auch fbr diejenigen zu- gänglich und wirksam machen, die noch auf dem Boden der un- reinen Rechtsreligion standen, die ihrer eigenthünüichen Bega- bung nach noch heute auf diesem Boden stehen und in Zukunft stehen werden. Solche Auffassungsweise ist deshalb zwar nicht specifisch christlich, aber sie ist auch nicht gegen das Christen- thum, und wer nicht gegen mich ist, heisst es in dem Herren- Wort, der ist ftlr mich. Ist es ja doch das ganze Leben und Leiden Jesu, das in der Stellvertretungstheorie den Inhalt der Gedanken und Gefühle bildet, und wie sollte man daher eine solche Auffassung schlechthin verwerfen I Sie passt eben genau für die ihr zugeordneten Gemüther und wird für diese immer rührend, erhebend und beseligend sein. Darum vertrug sie das Christenthum und wird sie auch immer behalten.

Da wir in den projectivischen Religionen nicht

wirkMm- ™^* ^^^ wirklichen Gotte, sondern nur mit der

fceitder GottesvorstcUung zu thun haben, so fragt es sich

nniiff«!!. ^^^^ nicht, wiefern Gott die Sühnung annehme und

dadurch versöhnt werde, sondern nur, wiefern der Gläubige nach

Digitized by VjOOQIC

Die unreine Rechtsreligion. 331

seiner Gottesvorstellung durch die Sühnungen sich beruhigen könne und zum Frieden seines Gewissens zurückkehre. Die Wirksamkeit der Sühnung ist psychagogisch und besteht nur in der Beruhigung des quälenden Schuldbewusstseins. Die Frage ist also bloss eine psychologische.

^Ti ,-m* 1 ,..j^ IrrellgioMitäk

Nun können manche Menschen das peinigende Ge- de« unendiioiien fllhl der Schuld und der Sünde niemals verlieren. schuidRefahia. Die Zeit mag eine gewisse Linderung bringen, indem sie die anschauliche Frische der schlimmen Thatvorstellungen allmählich vermindert und sie in Vergessenheit überführt; allein bei jeder Erinnerung schmerzt wieder tief der alte Stachel, der in der un- verheilten Wunde zurückblieb. Solche Naturen sind durchaus nicht unmoralisch, sondern eher zu moralisch, wenn dies zu sagen gestattet ist, d. h. die Moralität hat bei ihnen keine Gränze und wird nicht als ein blosses Glied in das höhere religiöse Leben aufgenommen. Ich glaube aber, dass jeder feinfühlende Mensch in sich die Gefahr solcher endlosen Gewissensqualen kennen wird, und will als Beispiel dafür nur Lessing anführen, der die Ewigkeit der Höllenstrafen dadurch beweisen wollte, dass uns bei zunehmender moralischer Vervollkommnung die früheren Sünden immer tiefer schmerzen müssten und mithin niemals ein Ende dieser Höllenstrafen eintreten könnte. Lessing würde nun vollkommen Becht haben, wenn er uns zwingen könnte, das enge Gesichtsfeld, auf das er sein Auge richtet, für immer beizube- halten; denn wer wollte läugnen, dass die That, etwa ein Mord, den Thäter, wenn er Gewissen hat, immer schmerzen wird, so oft die Erinnerung daran wieder in's Bewusstsein tritt. Allein so hoch der Himmel über der Erde steht, so hoch erhebt sich die Religion über die blosse Moral Es ist das Grösste und Herr- lichste an der Keligion und ein Zeichen ihrer Majestät im Reiche des Gemüthes, dass sie im Stande ist, selbst diejenigen Wunden und Schmerzen zu heilen und zu stillen, die in uns durch die Macht des Gewissens entstehen. Doch wie ist da zu helfen und zu rathen, wo selbst der scharfsinnige Lessing, der sich noch dazu auf Sokrates und Leibnitz berief, keinen Ausweg wusste! Allein gerade der Scharfsinn verdunkelt die Frage;. denn er be- schäftigt sich immer mit dem Einzelnen. Hier aber hilft allein das höhere speculativ combinatorische Vermögen, durch welches aUes Einzelne in Coordination gesetzt wird, und man muss beide

ie

^S^'

332 Religion der Sünde.

geistigen Vennögen auf gleiche Weise iD*s Spiel setzen, um die Wahrheit zu erkennen. Ist eine Dissonanz nicht hässlich? Und wird sie nicht durch Ueberfllhrung in Accorde unentbehrlich und schön für den Genuss des Oanzen ! Wenn Adam nicht gesündigt hätte, sagen mit Recht Kirchenlehrer, so wäre keine Erlösung gewesen und Gott nicht Mensch geworden, wie es denn im Liede heisst: „Gott sei gepreist ob Adam's Fall!" Wenn man die Folgen und Zusammenhänge in der eigenen Seele und in der Geschichte übersieht und alle übersehen könnte, so würde sich durch Erkenntniss der Wege der göttlichen Frovidenz das Ge- müth nothwendig entlasten von dem trostlosen Gram um die Sünde. Im Glauben wird diese Erkenntniss vorweggenommen, und so ist Heilung der Gewissenspein durch religiöse Erhebung möglich und wirklich; denn die göttliche Providenz erstreckt sich auf beide Theile, auf den Sündigenden und auf den, an welchem die Sünde begangen wurde, und wie Jemand eine Eselin verliert, aber ein Königreich findet, so weiss der Glaube auch zu zeigen, dass die Führung Gottes Alles zum Besten leitet und Alles in seinen Weltplan eingeschlossen hat. Darum wird nun der scharf- sinnig spürende Blick sich nicht mehr auf den Einen schlimmen Punkt beschränken, wo der Stachel des Gewissens wühlt, son- dern er wird abgelenkt auf die Folgen und das Ganze und geht in die harmonisch combinatorische Anschauung, über, die von einem religiösen Frieden der Seele begleitet wird. Also ist die Trostlosigkeit einiger Menschen bei ihrem Sündenbewusstsein zwar nicht unmoralisch, aber nicht religiös.

Doch hiervon war nur nebenbei zu handeln. Es der sühiiQog fragt Sich aber, wodurch die Sühnungen auf die mei- diireh Opfer g^^jj Menschcu so wirken, dass ihr Schuldgefühl sich beruhigt. Dass in der unreinen Rechtsreligion die dargebrachten Opfer und Gebete eine ähnliche Wirkung aus- üben, wie in der Furchtreligion, ist natürlich; man hat ja mit dem Rechtsgott den zürnenden Furchtgott vereinigt, und so wird es begreiflich, dass er sich durch Bitten, schmeichlerische De- müthignngen unsererseits und die höchsten Lobpreisungen seiner Person und Macht, sowie durch Geschenke u. dergl. versöhnen lässt. Die Versöhnung des projectiven gefürchteten Gottes ent- fernt dann auch die Furcht vor seiner Strafe und entlastet das unreine Schuldbewusstsein, das wegen seiner Unreinheit immer

uiymzeu uy V^jOOV IC

Die unreine Rechtsreligion. 333

an's Gericht denkt ^Gehe mit uns nicht in's Gericht", „ver- schone ans mit Deinem Gericht **, „eriasse uns unsere Sünden und lass ab von Deinem gerechten Zorn** u. s. w. so lauten die unreinen Gebete, die vorherrschend von der Angst vor der Strafe, wie in der Furchtreligion, getragen werden.

Die asketischen Sühnungen sind psychologisch ihrer versöhnenden Wirkung nach ebenso wie in der de/süb^ang Furchtreligion zu erklären, da die Büssung, die der ^^'^'^ ^"^^*'*- Mensch sich auferlegt, den Zorn des projectiven Furchtgottes be- ruhigen muss und die Angst des Menschen demgemäss sich ver- lieren kann. Zugleich haben sie aber auch ein Element aus der Beligion der Sünde, sofern die durch die Sünde entsprungene oder offenbar gewordene Uneinigkeit der Menschen mit sich und seine Ungerechtigkeit durch die Werke der Askese aufhört und der Sieg des festen nnd starken, die Leidenschaften streng unter- jochenden Willens zu Tage tritt Nun ist ja die mögliche Einig- keit des Menschen mit sich durch die Herrschaft des Willens bekundet. Da die Askesen und Easteiungen aber an sich selber gar keinen Werth haben und nicht etwa einem Leben in Gerech- tigkeit gleichkommen, so können sie auch nur als Reactionen betrachtet werden und geben keinen vollkommenen Frieden, son- dern mindern das Schuldgefühl, das mit seiner Erinnerung an die ehemaligen Sünden jetzt durch gegenwärtige Beweise wirk- lichen schmerzlichen Gehorsams gewissermassen aufgewogen wird. Die volle Erlösung und die Freude und der Friede Gottes kann dabei also auch nur als Hofihnng erscheinen, und kein Büsser kann ein religiös befriedigter Mensch sein.

Was endlich die Stellvertretung anbetrifft, so

, _. , -. , -, , . , . Wlrkaamteit dar

muss man m der Sühnung, die dadurch erreicht sabnnnff durch werden soll, zwei Elemente unterscheiden. Möge es Stellvertretung. sich nämlich um stellvertretendes Leiden oder Verdienst handeln, so kann die zu gewinnende Sühnung entweder juristisch aufge- fasst werden, oder als eine Aneignung im Glauben von Seiten des Gläubigen zu Stande kommen. Dieser zweite Vorgang ist der höhere und kann erst bei der Darlegung des Ghristenthums seinen Platz finden; die juristische Auffassung aber gehört in die unreine Form der Rechtsreligion. Da wir in dieser nämlich den Rechtsgott haben, der wegen seines gefährlichen Zornes über die Sünde, die er rächen will, auch der projective Furchtgott ist,

uiuiuzeu uy "V-j vy\J>t Iv^

334 Beligion der Sünde.

80 kommt es darauf an, unsere Vorstellnng von dem Gotte zu verändern, wenn eine Sühnung wirksam werden soll. Bei allen Stellvertretungen nun und auch bei dem Lamm Gottes, welches trägt die Sünden der Welt, denkt der Gläubige an die Wirkun- gen, welche der Anblick des unverdienten, stellvertretenden Lei- dens auf Gott ausüben muss. Da der Gläubige nun selbst bei solchem Anblick der Rührung und des Erbarmens theilhaftig wird, so kann er nicht anders als auch Gottes Zorn dadurch weggenommen denken und wird also mit der Veränderung seiner Vorstellung von Gottes Stimmung auch von seiner Angst vor Gottes Strafgericht befreit und erlöst, weshalb er dem Stellver- treter in herzlicher Dankbarkeit und Liebe seinen Dienst und seine Treue geloben kann. Die Unreinheit dieser Religion liegt aber darin, dass die Furcht vor der Strafe das treibende Motiv ist und dass nicht eigentlich die Sünde aus dem Herzen, son- dern nur die gefährliche Wirkung derselben bei Gott weggenom- men werden soll. Dass dabei mittelbar auch eine gewisse rei- nigende Wirkung auf das Herz ausgeübt wird, ist natürlich, da die Anerkennung des Gesetzes und der Pflicht des Gehorsams dadurch beträchtlich zunehmen wird; denn selbst da, wo gar keine eigene Gefahr vorliegt, wie z. B. bei den französischen Prinzen, bei deren Unarten ein Prügelknabe gestraft wurde, muss das Mitleid einen reinigenden und bessernden Einfluss aus- üben, obwohl diese ganze pädagogische Massregel von sittlichem Standpunkte aus höchst verwerflich ist.

Digitized by

Google

Fünftes Capitel. Der sociale Charakter der Religion.

Genau genommen hätte die sociale Seite der Religion von Anfang an bei jeder Form erörtert werden müssen; es gewährt aber grösseren Vortheil fUr die Betrachtung, wenn man seinen Blick gleich über mehrere Formen schweifen lassen kann. Darum habe ich diese Erörterung an das Ende der projectiyischen Religionen gestellt

§ I. Religiöse Geselligkeit überhaupt.

Schleiermacher meinte in seinen Reden über die j^.^ ^jj ^^^^^^ Religion, dass der Mensch seine Begriffe und Ur- segrAndaug theile für sich behalten könne, aber bei seinen Ge- "^"^* schwer fühlen und Wahrnehmungen, bei denen die Sinne macber'whcn sich leidend verhielten, von Natur den Trieb zur t*»«<>^- Mittheilung, also zur Geselligkeit habe. Da ihm nun die Reli- gion ursprünglich und wesentlich Gefühl ist, so nimmt er für die Begründung der Kirche nur diesen besondem Naturtrieb zur Geselligkeit in Anspruch.

Diese Begründung ist ebenso einseitig und verkehrt, wie Schleiermacher's ganze Auffassung von der Religion. Sie be- ruht auf der oben (S. 31) charakterisirten falschen Vorstellung von den Gefühlen, die er sowohl dem Willen, als den übrigen Geistesthätigkeiten entgegengesetzt. Wenn er daher dem Ge- fühle ein Mittheilungsbedürfhiss zuschreibt, so ist daran richtig, dass jedes Gefühl Bewegungen auslöst und auf diese Weise sich nothwendig mittheilt oder äussert, wie oben (S. 62) bewiesen; wenn er aber glaubt, dass dies bloss seinem sogenannten Ge- fühle und nicht auch dem Willen und der Erkenntniss zukäme, so fehlt dabei die Einsicht, dass die Gefühle und der Wille das- selbe sind und dass die ganze Gefühls- oder Willensregion

uiymzeu uy "V-j v-/ v^'pc l V-

336 Religion der Sünde.

sich einerseits dem Erkenntnisselement zuordnet, von welchem sie erst ausgelöst werden muss, andererseits aber Bewegungen hervorruft, die ebenso gut auf das Gedachte und Vorgestellte wie auf den vermittelnden Willen oder das Gefühl bezogen werden können. Denn z. B., wenn Jemand den Drang hat, seine Ge- fühle sclüeiermacherisch mitzutheilen, so wird er doch eben die Vorstellungen und das in seiner Erkenntniss vorhandene Object, welches ihm das Gefühl erregte, zur Mittheilung bringen; er wird also etwa von dem Tode seines Kindes, von der Hochzeit, die er zu feiern beabsichtigt, u. dergl. reden. Also kann man ebenso gut sagen, dass die Vorstellungen zur Mitthei- lung drängen, da sie ja die zugehörigen Gefühle auslösen. Man sieht also, dass wegen des Goordinationssystems unserer geistigen Functionen die vom Willen angeblich verschiedenen Geilihle die Rolle nicht spielen können, die ihnen Schleiermacher aufträgt

Ausserdem muss man die ganze Frage etwas grösser an- fassen. Denn die Geselligkeit ist ein metaphysisches Ver- hältniss, da nicht Erscheinungen mit Erscheinungen in Gesellschaft stehen, sondern metaphysische Wesen. Die Erscheinungen sind Vorstellungen von Objecten, welche als ideelle Bewusst- seinszustände in den Personen vorkommen; die Personen selbst aber sind wirkliche Wesen, die mit anderen wirklichen Wesen in einem realen Verkehr stehen. Man sollte dies für selbst- verständlich halten; aber zu Schleiermacher's Zeit war der Mensch nur eine objeetive Erscheinung (ein Spinozischer Modus), weil man damals ftlr das Unendliche schwärmte^), und zu unserer Zeit ist der Mensch für die weitverbreiteten Positivisten nur eine subjective Erscheinung, ein Vorstellungsbild, das von keinem wirklichen Wesen gesehen wird, weil man viel zu be- scheiden ist, um sich für ein wirkliches Wesen zu halten, und zugleich zu bescheiden, um zu wissen, was ein wirkliches Wesen ist, so dass die erste Bescheidenheit wegen der zweiten zwar lächerlich wird, aber dennoch mit ihr vollkommen übereinstimmt, weil sie beide zusammen erst die vollkommene Kopflosigkeit dieser positivistischen Meinung ausdrücken.

*) Auch Lotze, der leider niemals zu festen Begriffen kam, hat sich zuletzt in seiner Metaphysik verleiten lassen, wieder zu dieser hellenischen Meinung zurückzukehren.

Digitized by VjOOQIC

Socialer Charakter der Religion. ^3*^

Wenn nun die Geselligkeit ein metaphysischer, d. h. zwischen wirklichen Wesen in wirklichen wechselseitigen Handlungen sich vermittelnder Verkehr ist, so konunt sofort die Teleologie in Frage, da die Beziehung der Wesen zu einander nicht zufällig sein kann, sondern ihre zureichenden Zweckgründe haben muss. Nun beruhen, wie ich das in meiner Schrift „über das Wesen der Liebe^^ dargelegt habe, die Beziehungen der Menschen darauf, dass sie untereinander in sich die geistigen Thätigkeiten aus- lösen und zur Entwickelung bringen. Aber nicht dies ist unsere Frage hier, dass wir diese socialen Formen eintheilten und charakterisirten, sondern wie wir die religiöse Geselligkeit be- greiflich machen. Denn daftlr bloss die starke Erregung des * frommen Gefühls mit Schleiermacher heranzuziehen, ist nicht einmal durch die Erfahrung an die Hand gegeben, da ja be- kanntlich auch sehr starke Gefühle vorkommen, wie die des Diebes und Mörders, die zur Einsamkeit und zu ängstlicher Schweigsamkeit führen, und da gewisse starke religiöse Gefühle auch, wie die Geschichte lehrt, zur mönchischen Selbsteinsperrung und zum heiligen Gelöbniss ewigen Schweigens veranlassen können. Auch hat Schleiermacher, wenn er bloss die Gefühle im Gegensatz zu der Erkenntnissthätigkeit für die Geselligkeit in Anspruch nehmen will, wohl nicht an die fast grösste Gesellig- keit in den Schulen und Universitäten gedacht, wo doch nicht bloss unbestimmte und unsagbare Gefühle mitgetheilt zu werden pflegen.

Die Schwierigkeit unserer Frage liegt aber darin, dass eine religiöse Geselligkeit eigentlich nur zwischen dem Menschen ' und Gott stattfindet, lieber die pantheistische Form dieses Verkehrs, wobei der Gott zur Natui* und zu einzelnen Individuen wird, müssen wir später handeln; hier aber, wo wir uns auf die projectivischen Religionen beschränken, müssen wir schliessen, dass der Verkehr der Menschen untereinander immer nur in- direct ein religiöser werden kann, nämlich durch den Umweg über das Gottesbewusstsein und in Beziehung auf das Gottes- bewusstsein. Wir werden also nur diejenige Geselligkeit eine religiöse nennen, die aus keinem anderen Grunde erklärt werden kann, als durch das jedesmal zugehörige Gottesbewusstsein.

Wir werden daher die Geselligkeit schlechthin teleo- logisch aus dem wechselseitigen Bedürfniss der Personen er-

Telohmnller, BellglonsphilMophle. uiymzeu l^^jOOQLC

338 Religion der Sünde.

klären, sofern die Auslösung der geistigen Funetionen von dem Verkehr abhängt; die religiöse Geselligkeit aber specifisch aas den Coordinationen, in welche die allgemeinen Bedingungen der Geselligkeit sich mit dem Gottesbewusstsein setzen. Statt daher mit Schleiermacher zu wähnen, als wolle nur ein Uber- yolles Gefühl tiberströmen zur Mittheilung und dadurch Ge> selligkeit begründen, werden wir fragen, ob nicht auch leere Gefässe yorhanden wären, die ein Verlangen nach AnfUliung hätten. Denn wenn sich blosß Mittheilungslustige zusammen- fänden, so wttrde Keiner den Andern zu Worte kommen lassen. Die Menschen sind eben keine vollkommene Automaten, sondern für ihre Functionen yon der zugeordneten Function der* anderen menschlichen Wesen abhängig, so dass die erst zusammen ein Ganzes bilden und daher nach Ergänzung oder nach Inte- gration streben. Der Productive liebt den Receptiven und der Hörer den Erzähler, der Starke den Schwachen und ein Geschlecht das andere. Was Wunder also, dass sofort der specifische Anfang aller religiösen Geselligkeit in dem Gegensatz zwischen Laien und Priestern liegt; denn der Eine giebtRath, Gewissheit, Offen- barung, Erregung des Gefühls und Beruhigung des Gefühls, und der Andere bedarf alles dieses.

Ich lasse deshalb die Schleiermacher'sche Ableitung der religiösen Geselligkeit nicht gelten, da der von ihm allein an- gefahrte Naturtrieb zur Mittheilung in Wahrheit nichts anderes ist, als die allgemeine Goordination des bewegenden Vermögens zum Gefühl. Durch diese Goordination wird allerdings bei jedem Gefühl eine Bewegung ausgelöst. Allein jenachdem wieder die Vorstellungscoordinaten für das Geflihl waren, mnss die Bewegung entweder zu bestimmten praktischen Thätigkeiten führen oder zur Kunst Die Kunst ist aber nur indirect ge- sellig, da sie ihren Zweck ursprünglich nicht in den Bedürfnissen und Trieben des Publikums nimmt und auch nicht nehmen darf, wenn sie nicht banausisch werden will. Nur sofern die Andern das gleiche Mittheilungsbedürfniss haben, ohne die Kunstanlage zu besitzen, wird die Kunst gesellig; denn sofern die Andern sich an der Leistung freuen und durch dieselbe die in ihnen gebundenen Vorstellungen und Gefühle zur Auslösung kommen, fangen sie mit an zu singen und zu springen und nehmen so receptiv an der productiyen Thätigkeit Antheil. Die direct

uiyiiized by VjOOQIC

Socialer Charakter der Religion. 33d

gesellige Thätigkeit ist aber ihrem Zwecke nach sofort auf die Andern gerichtet. Und so mnss auch die specifisch religiöse Geselligkeit ausser dem'Naturtriebe unmittelbar in dem Interesse, in der Pflicht und der Liebe ihre Motive haben. Während die Liebe sich aber erst in der höchsten Religion , im Ghristenthum, findet, so fängt die Pflicht schon mit der llechtsreligion an; denn wer die Gebote erkennt, hat die Pflicht zu gebieten, und so ist der Grund zur Geselligkeit unmittelbar vorhanden. In der Furchtreligion aber kann auch der gemeinsame Yortheil zur Ge- selligkeit treiben, da der Mensch als Mitstreiter Gottes theils Natur- gewalten, theils die menschlichen Feinde Gottes bekämpfen muss, wie deshalb auch der Islam nicht aus Menschenliebe und nicht um die sittlichen Gesetze zu verkündigen, sondern um die Herr- schaft Allah's über seine Feinde auszubreiten, zu geselliger Ver- einigung und IM einer Art von missionirender Thätigkeit ge- kommen ist

In der Furchtreligion beruht die zugehörige Geselligkeit auf dem Interesse, welches durch das zugeordnete Gottesbewusstsein bestimmt wird. Denn der Vater hat das Interesse, den Schutz des Hausgottes auch auf die Kinder auszudehnen, und bald führt das gemeinsame Interesse auch den ganzen Stamm oder die Nation dahin, für die Ernten, Regen und Sonnenschein, Abwendung von Krieg oder Erlangung von Sieg u. dergl. einen nationalen Cultus auszuüben und in gemein- samen Festen dem Gotte zu opfern, seinen Zorn zu beschwichtigen, sejne Güte und väterliche Gunst zu preisen. Daher finden wir bei den Wilden und auch bei den civilisirten Griechen viel Ge- selligkeit in der Religion, grosse nationale Spiele, Theater, Pro- cessionen u. dergl. Wie sie der Minerva gemeinschaftlich das neue Gewand (TtdTrXov) in grossartiger Procession überreichten, so wird auch heute noch die Jungfrau Maria in Spanien und Italien neu gekleidet, und solche Geschenke werden ihr nach dem Typus der Furchtreligion in religiös - geselligen Akten als Dank flir erwiesene und als Lockung für weiter zu erwartende Wohl- thaten zugeführt. Darum ist in der Furchtreligion die Gesellig- keit mit deip ganzen nationalen und politischen Leben vereinbar, und Fürst und Volk haben das gleiche Interesse am Gottes- dienste, da der Gott das Interesse des Volkes vertritt und zur projectiven Nationalidee übergeht.

Digitized b'jj^i

.poogk

ä4Ö Religion der Sünde.

Der Inhalt dieser ganzen religiösen Geselligkeit ist zunächst die Furcht, Hoffnung und Dankbarkeit, dann die zugehörigen Vorstellungen von Gott und seiner Gemüthsart, endlich sowohl die Thaten, welche Gott zugeschrieben werden und wodurch er uns geschadet oder geholfen, als auch des Menschen Thaten, wodurch er unter .göttlicher Assistenz oder gegen göttlichen Willen Güter oder üebel erlangt hat, sowie die geheimen Mittel, wodurch er die Gemüthsart Gottes zu seinem Vortheil zu lenken wusste. Von all diesem sprechen deshalb die reli- giösen Lieder und Epopöen der Völker, und diesen Inhalt des Geistes theilen sie sich einander mit in der religiösen Gesellig- keit. Auch die prophetischen Schriften der Israeliten haben zu einem nicht geringen Theile denselben Inhalt, da das Judenthum ja eine unreine Kechtsreligion ist und daher die Elemente des reinen sittlichen Geistes nur immer in der grossen aus dem positiv elektrischen Nebel der Furchtreligion aufgestiegenen Wolke gewissermassen wie den Blitz verborgen trägt, obgleich dieser schon das herrschende Element geworden ist und oft mit seinem Glänze so blendend wirkt, dass Manche darüber die schwere und dunkle Wolke ganz übersehen.

In der Religion der Sünde aber tritt ein reicherer Inhalt auf; denn es erschliesst sich mit diesem Gefühl der Sünde, welches Niemand gern hat, dessen man sich schämt, das wegen seiner Ursache von Gott und Menschen gehasst wird, dennoch zugleich die Tiefe des Seelenlebens, so dass ein Mensch, der dieses Gefühl nicht kennt, auch noch, nicht Mensch geworden ist, sondern nur als ein intelligenteres Thier betrachtet werden muss. Das £echt und die Pflicht, Moralität und ein über dem Furchtgott erhabener Gott des Gesetzes und demgemäss EhrAircht und Gewissen und alles, was damit zusammenhängt, kann ohne das Gefühl der Sünde nicht zu Bewusstsein kommen. Mit diesem Gefühl aber ist zugleich ein unermesslicher Inhalt des Gemüthes für die religiöse Geselligkeit gegeben. Die Menschen verstehen sich nun einander tiefer nach den Motiven in ihrem Herzen, sie können sich achten und verurtheilen, sie können rathend und belehrend sich beistehen, sie können ihre Gefühle bekennen, gemeinsam sie in Gesang, Lied und Gebet vor Gott tragen und durch den Priester und Propheten Antwort vernehmen und von hohen Gedanken und heiligen Entschlüssen gemeinsam erleuchtet und durchglüht werden.

Socialer Charakter der Religion. 341

Die reine Religion des KechtB findet sich freilich bei keinem Volke, da die Religion der Furcht immer schon im Herzen Boden gefasst hat; aber es hindert nichts, aus der religiösen Geselligkeit derjenigen Völker, bei denen wie bei den Israeliten, Griechen, Germanen u. A. die Sünde kräftig zum Bewusstsein gekommen ist, die Elemente des sittlichen Geistes abzusondern. So sind z. B. in den drei Festen der Israeliten, dem Passah, dem Feste des neuen Brotes und dem Laubhtlttenfeste, natürlich alle Grundlinien der Feier auf den Furchtgott belogen , der über die Güter der Natur ver- fllgt; gleichwohl können darin eingemischte Vorstellungen von der Sünde und der wiederherzustellenden Einigkeit der Seele gefunden werden. Und wenn auch der Sündenbock angeblich dem dualistisch gedachten bösen Gotte Azazel in die Wüste getrieben wird, so liegt doch in diesem rohen Ritus der Furchtreligion auch schon das Gefühl der Sünde und des Rechts, da die auf das Haupt des Widders zu bekennenden Sünden nicht aber- gläubische Einbildungen über die Erzümung des Naturgottes, sondern \yirkliche Verletzungen des socialen Rechtes enthalten. So werden die täglichen Brandopfer, die immer brennenden Flammen des siebenarmigen Leuchters, die ungesäuerten Brote und alle die unzähligen knechtischen Formen des Furchtgottes- dienstefi doch auch immer zu Symbolen sittlicher Vorgänge und können trotz ihrer abergläubischen Gebundenheit allegorisch ftlr eine prophetische Rede aus dem Geiste des Rechtes benutzt werden. Wie nun bei den Israeliten diese drei grossen Feste die ganze Nation von allen Gegenden her um die Stiftshtttte zu wochenlanger Geselligkeit zusammenftlhren sollten, und wie dazu der Anlass zwar in den Motiven der Furchtreligion lag, nämlich in den Geftihlen der Furcht, der Dankbarkeit und der Hoffnung, während der Inhalt der Gemeinschaft durch die Motive der Rechts- religion vertieft und bereichert wurde: so finden wir Aehnliches auch bei den Persern, Indern, Aegyptem, Germanen und Hellenen, wo, wie namentlich bei den letzteren, die im Frühling und Herbste stattfindenden grossen Fest -Versammlungen, die olympischen, nemeischen, pythischen, isthmischen Spiele, zu einer nationalen, religiösen Geselligkeit ftlhrten, durch Untersagung aller Fehden die auf Interesse beruhenden eigensüchtigen Sonderbestrebungen durchbrachen und zu einer höheren, objectiven und also sittlichen Anschauungsweise erhoben. Denn da alle diese Spiele zu grossen

uiumzeu uy x^jvyVjVt Iv^

342 Religion der Sünde.

> Nationalfegten worden, so musste die engherzige, perspectivische

Weltbetrachtung des Einzelnen sich erweitern, und der gemein- same Cult des Festgottes bot die natürliche Veranlassung^ um das Rechtsbewusstsein auf die theologischen Vorstellungen zu projiciren und demgemäss die Interessen und Pflichten der Nation zu bedenken.

§ 2. Die speclflschen Formen der politischen Organisation.

Nachdem ich bisher im Allgemeinen die Motive herausgehoben habe, die in den beiden projectivischen Religionen überhaupt über das individuelle Bewusstsein hinaus zu einer religiösen Gemein- schaft führen mussten, ist es jetzt unsere Aufgabe, das Specifische in der socialen Organisation genau zu bestimmen. Es ist ja von vornherein einleuchtend, dass die religiöse Weltanschauung in fester Coordination zu der socialen Organisation der Völker steht, da die zugehörigen ethischen Motive eine ganz bestimmte Stellung der Menschen zu einander bedingen.

In der Religion der Furcht ist kein anderes Band der Menschen untereinander gegeben, als das natürliche Leben, also die natürliche Gewohnheit, Sympathie und das Interesse. Daraus folgt mit mathematischer Gewissheit, dass alle Völker dieser Religion in keiner sittlich und rechtlich geordneten Weise zu- sammen leben können, d. h. dass sie keinen Staat mit festen Gesetzen haben, und zwar weder mit Verfassungsgesetzen, noch mit einem Griminal- und Civilrecht; denn alle diese Bildungen gehen erst aus einem entwickelten Rechtsbewusstsein hervor. Mithin gehört zu dieser Religion specifisch entweder die Wild- heit der Völker, oder die despotische und die patriarcha- lische Monarchie. Bei allen wilden Völkern ist die Furchtreligion das dem unpolitischen Zustande zugeordnete Fundament, und wenn man Spuren sittlichen Geistes in ihren Religionen finden will, so stammen dieselben entweder aus späteren Umdeu- tungen, da die sich civilisirenden Völker ihre alten Götter be- hielten und nur, wie z. B. Pindar und Aeschylus thaten, ihr höheres sittliches Bewusstsein in die archaische und nicht- sittliche Mythologie hineininterpretirten, oder aus einer gewissen Prä- formation, da der Mensch ja auf Sittlichkeit angelegt ist und deshalb auch in seinen natürlichen Beziehungen eine Analogie

Digitized by VjOOQIC

Socialer Charakter der B«ligion. 343

mit d^n späteren höheren Leben sich darbietet, wie z. B. Sehiller sagte, die Pflanze könnte uns lehren, dass der Mensch wollend das sein sollte, was die Pflanze willenlos wäre. Daram werden ja auch im Neuen Testamente und von den christlichen Kanzel- rednem die alten Geschichten von Eain und Isaak und Jacob u. dergL immer so umgedeutet, dass die spätere sittlich-religiöse Auffassung in jenen bloss natürlichen Beziehungen teleologisch präformirt zu sein scheint.

Auch das patriarchalische Kegiment und der Despotis- mus beruhen bloss auf den natürlichen Motiven der Gewohnheit und einer sich von selbst bildenden Anerkennung der Macht, möge sie auf kindliche Sympathie oder auf Furcht zurückgehen. Das kindliche oder väterliche Verhältniss hat zunächst gar keinen sittlichen Charakter, sondern beruht auf dem natürlichen Abhängig- keitsgefühl und der Gewohnheit, welche die Festigkeit giebt. Mit dem Abhängigkeitsverhältniss ist auch immer eine Interessen- gemeinschaft verbunden, da der patriarchalische König ja seinen Vortheil von den Unterthanen hat, wie sie von ihm. Bei dem Despotismus aber tritt das Motiv der Furcht ganz nackt hervor, und es ist darum interessant, dass gerade in der geschichtlich am Grossartigsten ausgebildeten Religion der Furcht, ich meine den Islam, auch der Despotismus als die bis auf den heutigen Tag allein mögliche Regierungsart erscheint. Man hat in der neuesten Zeit versucht, in Egypten und auch in Constantinopel eine Art von Verfassung einzuführen, ohne zu bedenken, dass dadurch ein Rechtsbewusstsein entstehen müsste, welches dem Allahglauben tödtlich wäre, oder dass eine solche Verfassung nur von einem schon vorhandenen Rechtsbewusstsein getragen werden könnte, welches doch eben im Islam nicht vorhanden ist Der ächte Muselmann wird zwar seine Interessen schlau i^nd geschickt zur Geltung bringen auch in einer gesetzgebenden Ver- sammlung, aber er wird der hohen Pforte gegenüber kein Rechts- bewusstsein haben, und die Gläubigen werden in den Volks- repräsentanten nur von der Laune des Herrn bis auf Weiteres eingesetzte Beamte sehen können, da der Geist des Rechtes in dem Gesichtskreise dieser Religion nicht vorkommt.

Daher wird die sociale Organisation der niedrigsten Religion wesentlich' und eigentlich auf die Beherrschung des Volkes durch die Gottesfurcht gerichtet sein; denn da kein sittliches

Digitized by VjOOQIC

344 Religion der Sünde.

Motiv vorhanden, so kann nnr der Eigennutz, die Habsucht, Wollust, der Ehrgeiz und die Herrschsucht in Frage kommen, und diese Motive führen zu einer mehr oder weniger despotischen Herrschaft der Priester über das Volk. Darum stehen in der That bei den Wilden und bei allen Nationen, in denen das Rechtsbewusstsein noch keine socialen Institutionen geschaffen hat, die Priester an der Spitze, indem sie dem Könige, dem Adel und der physischen Executive überhaupt nnr eine beschränkte Freiheit neben sich gewähren können. Je mehr aber der Priester an dem Aberglauben theilnimmt, desto schwächer wird seine Politik und desto tiefer steht das Volk; je weniger aber der Priester glaubt, desto unbedingter kann er herrschen, und diesem Zustande entspricht der Reichthum und der Ruhm der Tempel und Orakelsitze, wie die Abhängigkeit der Fürsten von dem obersten Zauberer oder Propheten. Trotzdem ist eine sehr grosse Macht des Priesterthums bei dieser Religion der Furcht doch nicht möglich, weil jede dauernde Organisation immer schon ge- wisse Rechtsbegriffe erfordert, wesTialb die höchste Blüthe der Hierarchie erst in der unreinen Rechtsreligion aufkommen kann. In der reinen Rechtsreligion hat der Prophet, wenn er das zu ihm gekommene Wort Gottes dem Volke verkündet, auch das Motiv zu einer socialen Organisation. Da aber in dem sitt- lichen Bewusstsein keine zeitlichen Machtinteressen vorkommen und keine Leidenschaften den Ausschlag geben, so kann es sich nur um die ewigen Normen des Gewissens handeln, d. h. um die sogenannten Gebote, die das Rechtsleben des Volkes zu regeln geeignet sind. Darum muss die allmählich aufkommende Rechts- religion zunächst die Sitten veredeln und dann zu einer Gesetz- gebung ftihren, die in verschiedenartigen Entwickelungsformen Criminalrecht, Civilrecht und Staatsrecht begründet Da aber das Gefühl für die Sünde und die Erkenntniss des Rechts, das als Wort Gottes an den Menschen kommt, auf keine Weise bürgerlich einem bestimmten Stande und bestimmten Localitäten und bestimmten Zeiten zugewiesen werden kann, sondern eben- sowohl Allen gehört, wie es in besonderem Grade einzelnen von Gott Erwählten und Inspirirten eigenthümlich ist: so kann es in dieser reinen Rechtsreligion keinen Tempel, keine Festzeiten, keinen Priesterstand, keinen Ritus und deshalb auch keine Priester- politik geben. Um sich aber doch eine deutliche Vorstellung

u.quizeauy Google

Socialer Charakter der Religion. 345

von dem charakteristischen socialen Zustande, den die reine Rechtsreligiqn in sich schliesst, machen zu können, darf man sieh an die eigenthttmliche Stellung der Propheten bei den Israeliten erinnern. Diese standen bürgerlich genommen ausser- halb des Staates, da sie keine bleibende und gesetzliche Function ausübten. Sie wurden nicht von der Obrigkeit, sondern von Gott berufen, und hatten nicht amtlich Gehorsam zu fordern und nicht persönlich oder ftlr ihren Stand irgend ein Interesse an der Leitung der Politik. Darum traten Propheten nur dann und wann auf, jenachdem das lebendige Rechtsgeflihl diesen oder jenen begeisterte; es gab aber keine Regel der Succession, keine rechtliche Form dabei, sondern sie kamen von Gottes Gnaden, wie die grossen Dichter und die grossen Musiker und Denker. Man kann daher sagen, dass die reine Rechtsreligion eine unsichtbare Theokratie begründe, indem der projec- tivische Gott durch das Gewissen und durch den Glauben sowohl seine Propheten, als auch Fürst und Volk als ihr unsichtbarer Herr regiert

Erst die unreine Rechtsreligion bringt die sichtbare Kirche und die Hierarchie; denn indem die Furchtreligion mit ihren Motiven aufgenommen wird, muss der Gott -einen Tempel und öffentlich anerkannte Priester haben, die Zeiten des Gottes- dienstes müssen geregelt werden und die Gläubigen müssen durch ihre religiösen Handlungen in eine Gemeinschaft treten, so dass der Begriff einer Kirche als sichtbarer Gemeinde der durch ihr Gottesbewusstsein und zugehörigen Gnltus vereinigten Gläubigen entsteht. Sofern nun das Gewissen im Verhältniss zur Furcht die höhere Macht ist, so muss das Priesterthum sowohl das Rechtsbewusstsein als die Erkenntniss der Mittel zur Ver- söhnung Gottes vertreten und dadurch die höchste moralische Macht im Volke gewinnen, die der physischen Macht des Fürsten aus psychologischem Grunde nothwendig überlegen ist. Mithin wird die Politik oder Lenkung der auswärtigen und inneren An- gelegenheiten des Staates eine unentbehrliche Beschäftigung der höchsten Priester, die sich zugleich eine officiell anerkannte Organisation verschaffen müssen, so dass der Charakter der un- reinen Rechtsreligion nothwendig die Hierarchie ist, d. h. die mehr oder weniger vollkommene Beeinflussung des gesammten St^^atslebens durch einen amtlichen Priesterstand. Während es

Digitized by VjOOQIC

346 Religion der Sünde.

nun schwierig war, für die reine Rechtgreligion, die in ihrer Keinheit gleichBam nur wie durch eine chemische Operation speculativ dargelegt werden konnte, ein anschauliches Bild aus der Weltgeschichte zu entlehnen, so wimmelt es umgekehrt von Beispielen, an denen der Charakter der unreinen Rechtsreligion gezeigt werden kann. Denn schon die Geschichte der Israeliten giebt ein Jedermann bekanntes Beispiel und ausserdem stellen alle die grossen heidnischen Religionen sich als Beispiele dar, da sie bei dem Fortschritt der Völker zu sittlichem und ge- schichtlich politischem Leben nothwendig Elemente der Rechts- religion in sich aufnehmen mussten. Nur der Islam behielt im Wesentlichen den Charakter der Furchtreligion, da die ganze Gottesvorstellung nicht auf das Gefühl der Sünde, sondern auf die Furcht begründet ist und daher der Gült auch nur äusser- liche Werke verlangt Die aus dem Judenthum und Christen- thum entlehnten sittlichen Elemente haben auf den Islam keinen specifi sehen Einfluss ausüben können. Diejenigen aber, welche eine dichterische und unserem modernen Bewusstsein zugäng- lichere Ausmalung, des Lebens und Treibens der Hierarchie in solcher unreinen Rechtsreligion verlangen, kann ich auf den Serapis des geistvollen Gelehrten Ebers und auf seine früheren ägypti-, sehen Romane verweisen. Das grösste und imposanteste Beispiel würde endlich ohne alle Frage das Papstthum bilden, wenn nicht in diesem doch auch schon der Gehalt der höchsten und allein wahren Religion des Christenthums überwiegend wäre.

Digitized by

Google

Sechstes Capitel. Die Beligionsphilosophie.

Es ist sehr begreifllich^ dass die Religion der Furcht keine Religionsphilosophiß hervorbringen konnte, da der zugehörige BilduDgszustand des Geistes zu gering ist, um eine das All um- . spannende Speculation zu ermöglichen. Dagegen steht der Gläu- bige der reinen und der unreinen Rechtsreligion schon auf einem viel höheren Standpunkte, und so ist es nattirlich, dass man sich auch in philosophischer Weise bemüht habe, den Inhalt seines Glaubens und Gefllhls begreiflich auszudrücken und zu beweisen. Die Versuche aus dem Alterthum will ich hier aber übergehen, weil sie zu viel Elemente aus höherer Bewusstseinsentwickelung in sich bergen, und will dagegen nur neuere Versuche anführen, in denen die Äugehörige Religionsstufe reiner zu Tage tritt. Man darf sich aber nicht wundern , dass im vorigen und in un- serem Jahrhundert mitten in der christlichen Welt die längst geschichtlich überschrittenen Religionsformen wieder auftreten, da es nur die Thorheit falscher Geschichtsauffassung ist, wenn man die Stufen der sittlichen Gultur und der Religion nach der Zeit abmessen will, als ob nicht heut zu Tage der Unbegabte und sittlich Rohe auf derselben geistigen Culturstufe stände, wie die Unbegabten und sittlich Rohen früherer Jahrhunderte. Wenn heute ein bekannter Bischof dem Polizeichef, welcher ihm die Aufwartung macht, den Kopf zurechtsetzt, weil er das abgekürzte Kreuz der sogenannten Gebildeten geschlagen habe, während er das grosse Kreuz schlagen müsse, welches Leib, Brust und Kopf ordentlich beschütze und den Teufel gehörig in Angst jage: so steht diese Theurgie ganz auf dem Standpunkte der Furchtreli- gion, und ein solcher Gläubiger des neunzehnten Jahrhunderts nach Christi Geburt muss mit einem Wilden Innerairika's vom neui^ebnten Jahrhundert vor Christi Geburt in dieser Beziehung

Digitized by

Google

348 Religion der Sünde.

auf eine Linie gestellt werden, wenn auch seine sonstigen Kennt- nisse, seine Kleidung, seine Sitten und seine Stellung im Staate ihn übrigens auf eine viel höhere Stufe heben. Darum können sich auch philosophische Theorien von Jahrhundert zu Jahrhundert erhalten oder wiederholen, auch wenn ihre Widersinnigkeit längst erwiesen ist; denn es steht nichts im Wege, dass dem Einzelnen die widerlegende Literatur unbekannt blieb, oder dass seine Begabung nicht hinreichte, um die tieferen Gründe einzusehen und einen höheren Standpunkt zu fassen. Wir werden dies an Beispielen deutlich erkennen, wobei gefeierte Namen leider in pin ungünstiges Licht gerückt werden müssen. Es ist hier aber nicht unsere Pflicht, die Mängel von sonst verehrungswürdigen Männern aus den culturhistorischen und biographischen Zusam- menhängen zu erklären; denn wir wollen hier nicht anklagen und vertheidigen, sondern nur erkennen.

In seinem Nathan zeigt Lessing, dass er die re- stondpnnkt. Ugiösen Vorstellungen flir unbeweisbar und flir gleich- gültig hält, indem er Judenthum, Islam und Ghristen- thum in eine Linie rückt und die wahre Religiosität bloss in Sittlichkeit setzt. Er steht also im Wesentlichen auf dem Standpunkte der reinen Rechtsreligion, da er auch seine Vor- stellungen von Gott nach dem sittlichen Motive ausbildet. Dass er das Wesen des Islam als einer blossen Furcht- und Macht- Religion und den nichtsittlichen Charakter desselben nicht er- kannt hat, ist in die Äugen fallend.

Nehmen wir seine Abhandlung über die Erziehung des Menschengeschlechts, so soll in der ersten weltgeschichtlichen Periode sittlich gehandelt werden aus Furcht vor Strafe und aus Hoffnung auf Lohn im Diesseits (Stufe des Judenthums), in der zweiten aus denselben Motiven mit dem Unterschiede, dass die Execution erst im Jenseits eintrete (Stufe des Christenthums); die dritte und höchste noch zu erwartende Periode soll ein Han- dehi um der Pflicht willen und ohne Rücksicht auf Lohn herbei- führen. Man sieht, dass seine beiden ersten Perioden nur zwei Modificationen der von mir so genannten „unreinen Rechtsreligion" bilden und dass Lessing's Ideal in die von mir als „reine Rechts- religion" beschriebene Form fallen muss. Lessing hatte deshalb vom Wesen des Christenthums keine Ahnung, wie er überhaupt

Digitized by VjOOQIC

Religionsphüosophie. 349

die specifischen, qualitativen Elemente in dem Wesen der ver- schiedenen Religionen nicht zn scheiden verstand.

Diese sehr ungünstige Beurtheilung des Standpunktes Les- sing's, der doch wohl trotzdem als Persönlichkeit und Schrift- steller einem Jeden von uns sympathisch bleibt, kann leider auf keine Weise gemildert werden, da Lessing's philosophischer Horizont dui*ch Spinoza abgesteckt wurde, und Leibnitz nicht die Kraft besass, ihm die Pforten einer höheren Weltanschauung zu zeigen. Spinoza's Welt ist nur die Erde, und sein Qott lebt bloss in den irdischen Phänomenen; seine Religion dreht sich um Macht und Recht und um einen rein wissenschaftlichen Erkennt- nissprocess. Wie wenig Lessing selbst das Wesen des Sittlichen verstand, sieht man aus den Briefen an Mendelssohn, wo er das Mitleid als die höchste Tugend feiert und den mitleidigsten für den besten Menschen erklärt, ohne zu bemerken, dass das Mitleid *' ein natürlicher Aflfect ist und der Leitung der Vernunft bedarf, während der beste Mensch doch keine Leitung mehr nöthig hat, sondern selber Alles richtig und vollkommen macht, wie er auch allen Anderen die Norm giebt

Ueber Eant's Standpunkt habe ich schon oben ^^^^.^ (S. 17 u. 318) gehandelt. Ich will hier in der Kürze Beiigionsphuo- zeigen, wie erzwischen der reinen und der unreinen "°^^^^" Rechtsreligion balancirt. Den Menschen setzt er aus Sinnlich- keit und Vernunft, Form und Materie zusammen. Die Sinnlich- keit als bleibender Bestandtheil ist und bleibt die wesentliche Ursache des Bösen, welches daher nothwendig radical sein muss, weil die Sinnlichkeit zum Wesen des Menschen gehört Die Vernunft aber als Formprincip ist ebenso wesentlich und ver- langt logische Allgemeinheit des Motivs. Da die Sinnlichkeit mit ihren Trieben das Particuläre und Individuelle vertritt, so erscheint das Allgemeine ihr gegenüber als Gesetz, und der Wille demgemäss unter der Sinnlichkeit als unfrei und böse, unter dem Gesetz als frei. Mithin ergiebt sich ein ewiger Process, indem die Vernunft ewig Unterordnung unter ihr allgemeines Gesetz fordert, die Sinnlichkeit ewig den vom Gesetz unabhängigen par- ticulären Trieb liefert.

Nun setzt Kant, um zur Religion überzugehen, das Ich in die Sinnlichkeit. Also muss das Gesetz der Vernunft auf ein anderes Wesen, auf Gott zurückgeführt werden, der nun unbe-

uiumzeu uy VwJ v^vJSx Iv^

350 Religion der Sünde.

dingte moralische Autorität erhält und heiliger Gesetzgeber wird. Da nun die Vernunft nicht sinnlich und natürlich ist, so muss das Sittengesetz übernatürliche Offenbarung an den Menschen sein, der ja (freilich ohne Grund) allein in die Sinnlichkeit -ge- setzt wurde. Mithin ist die Pflicht, durch die Allgemeinheit der Vernunft sich formen zu lassen, nun eine Pflicht gegen Gott; die Religiosität kann aber in nichts anderem bestehen^ als in der formalen Regulirung der Triebe, d. h. in einem sittlich-recht- lichen Leben. Eine Gemeinschaft des Menschen mit Gott ist unmöglich, weil das Ich in der Sinnlichkeit liegt, und weil diese mit der Vernunft ewig unvereinbar bleibt. Mithin ist Gott ewig transscendent, der Heiligungsprocess des Menschen ein endloser, und der Gott bleibt ewig Herr und Gesetzgeber, wie der Mensch ewig unter dem Gebote der Pflicht steht, das er nie zu einer Sache der Neigung und Liebe machen kann, weil der Gott sonst sofort aus dem Himmel verschwinden und in die Vernunft des Menschen aufgehen würde.

Soweit reicht die reine Rechtsreligion in Kant*s Gedanken hinein; die unreine beginnt mit der Betrachtung, dass die Sinn- lichkeit als gleichwesentlicher Bestandtheil des Menschen, immer Lust, also Belohnung verlangt Um der Reinheit der Pflichter- ftillung willen versagt Kant mit Lessing diesen Lohn im Dies- seits, hält aber, da der Gott auch als Naturgesetzgeber aufge- fasst werden muss, die Nothwendigkeit einer künftigen Aus- gleichung fest. So wird nun im Stillen der religiöse Glaube eudämonistisch, d. h. auf Glückseligkeit begierig, und hegt be- ständig diese Hofibung auf das höchste Gut, wo Lust und Pflicht, wie Materie und Form zusammenstimmen. Darin liegt der Cha- rakter der unreinen Rechtsreligion.

Diese ganze Religionsphilosophie ist aber überhaupt etwas zweifelhaften Ursprunges, da die Kritik der reinen Vernunft die Erkennbarkeit Gottes und der Seele läugnet. Also haben wir nicht mit Begriffen und ächten Erkenntnissen, sondern nur mit unkritischen Vorstellungen zu thun. Die ganze Theologie Kant's ist nur Postulat aus dem sittlichen Gebiet und nur durch fehler- haften Gebrauch der Kategorien der Causalität und der Sub- stanz entstanden; denn wenn wir die Causalität nicht in ver- botener Weise gebrauchen, kommen wir nicht auf einen trans- scendenten Urheber des Sitten- und Naturgesetzes und ohne

u.quizeauy Google

ReligioTisphilosophie. 351

verbotene Anwendung der Substanz nicht auf Gott und die * Seele als Wesen. Also ist nach Kant's kritischem Geist die ganze Religion eine Bastardbildung der Vorstellung, und es ist mir sehr fraglich, ob er damit mehr als eine Anpassung an den herrschenden Glauben und mehr als eine nach seiner Meinung nöthige moralische Purificirung desselben hat geben wollen.

Der philosophischen Begründung nach ist also der Werth dieser Religion Kant's null; inhaltlich aber balancirt sie zwischen der reinen und der unreinen Rechtsreligion.

Es ist interessant zu sehen, wie die Verzweiflung über die Haltlosigkeit des speculativen Idealismus von Thldufgj* Schelling und Hegel die Theologen, die doch eine philosophische Grundlage brauchen, zu dem Kant'schen Stand* punkte zurücktrieb, der wenigstens mit der modeinen Natur- wissenschaft verträglich schien und auch dem Glauben Spielraum gewährte, da er die Metaphysik zerstört hatte. Deshalb musste seltsamer und doch begreiflicher Weise Kant von der ungläubi- gen und gläubigen Seite in gleichem Masse gefeiert werden.

Der ansehnlichste Name unter den Theologen dieser Farbe ist der von Ritschi, der auch eine Menge von Schülern in Be- wegung gesetzt hat. Die Göttinger Theologie gewinnt nun ihren Ausgangspunkt, indem sie die erkenntnisstheoretische Kritik von Kant aufnimmt und daher mit Beseitigung der Metaphysik alle eigentliche Wissenschaft auf das Gebiet der Erfahrungen be- schränkt. Diesen positiven oder exacten Wissenschaften wird deshalb volle Freiheit gelassen und Weihrauclj gestreut, weil sie ja in das Gebiet des Glaubens sich nicht einmischen können; denn von Gott kann ja der Naturfoscher nichts sagen und weder Ja noch Nein über irgend einen Satz der Dogmatik laut werden lassen, da diese Dinge keine Naturerscheinungen sind.

Während man sich früher mit dem Verhältniss von Sein und Denken (Wissen) plagte, so bleibt jetzt beides unbeachtet, doch findet man neben den Gegenständen der äusseren Erfahrung ein Gebiet des Gefühls unbesetzt, durch welches Werthbestimmun- gen in die Welt kommen. Diese Gemtithswelt ist der Gegen- stand der Ritschrschen Theologie; denn die Naturgesetze wissen ja nichts von Geftlhlen und mischen sich deshalb nicht störend in die Religion ein. Ritschi geht deshalb von dem Gefühl der Sünde aus, das man ja beschreiben und auch bedienen

u.quizeauy Google

352 Religion der Sünde.

kann; denn es zeigt sich sofort, dass der Mensch in jenem 6e- ftlhl unglücklich ist und ein Seligkeitsinteresse hat. Zwi- schen diese beiden Endpunkte schiebt sich nun die ganze Göt- tinger Theologie ein. Unter Christen kann man nämlich christ- liche Vorstellungen voraussetzen und die Sprache der heiligen Schriften unbeanstandet gebrauchen. Man nimmt daher aus diesem Yorstellungsgebiet die» zugehörigen bekannten Ausdrücke und stellt eine Glaubenslehre nach dem Massstabe unserer sitt- lich-religiösen Geftlhle auf; denn der Sünde entspricht ein zür- nender Gott, der Busse verlangt; dem Seligkeitsbedürftiiss ent- spricht ein gnädiger Gott, der sich offenbart und ^Erlösung dar- bietet. Sofern nun &iese Gefühle und Bedürfnisse in der christ- lichen Gemeinde vorhanden sind, müssen die darauf zugeschnit- tenen dogmatischen Vorstellungen Geltung haben.

Diese Theologie ist ausserordentlich bequem, weil die Mühe des Denkens dabei erspart bleibt; denn die Metaphysik ist ja abgeschafft; mithin handelt es sich nicht darum, ob die dogma- tischen Vorstellungen wahr sind, sondern nur, ob sie in den re- ligiösen Kreisen gelten, d. h. einem gewissen Bedürfiiisse ent- sprechen. Nun ist aber das Denken die Sache der Vernunft, und der Inhalt der Vernunft besteht gerade in den metaphysi- schen Ideen, über welche diese Dogmatik blosse Vorstellungen hat, um deren Wahrheit sie sich ausdrücklich nicht bekümmern will. Mithin fehlt dieser Dogmatik die Ehrlichkeit. Es ftillt mir nicht ein, die einzelnen Vertreter dieser Theologie des Betruges zu beschuldigen; sondern es handelt sich um den wissenschaft- lichen Charakter der Theologie selbst. Diese aber beruht auf Unehrlichkeit, weil die Vernunft nicht gleichgültig gegen die Wahrheit ihres Inhalts sein kann, während diese Theologie gleich- gültig gegen die Metaphysik ist Darum kann ein solcher Theo- loge in theoretischem Bewusstsein ein völliger Skeptiker * und Ungläubiger sein und doch, ohne sich zu schämen, in der Kirche die Sprache der biblischen Metaphysik gebrauchen, um seine Ge- fühle an die Vorstellungen von Gott und Gnade und Erlösung anzuhängen. Der Philosoph kann dieser Theologie daher keinen wissenschaftlichen Werth zuerkennen, sondern bloss eine gewisse rhetorische Geschicklichkeit, wodurch die Gemüthsbedürf- nisse bald durch diese, bald durch jene überlieferten religiösen Vorstellungen aufgeregt und beschwichtigt werden, und man darf

u.quizeauy Google

Beligionsphilosophie. 353

die Göttinger Schule nicht etwa mit der Schleiermacher'schen Auffasfliing zu decken suchen, da Schleiermacher als ehrlicher Denker immer seine ernste philosophische Dialektik bereit hatte und wenigstens nach Möglichkeit einerlei Wahrheit suchte, wie er auch wusste, dass die dogmatischen Vorstellungen metaphysi- schen BegriflFen entsprechen.*) Erklären aber kann ich mir aller- dings die Richtung Ritschrs als einen letzten Rettungsversuch, um bei dem Zusammensturz der speculativen Systeme den Altar an einem Punkte zu bergen, wo, wie er glaubte, die feindlichen AngriflFe der allein ttbrig gebliebenen Empirie leichter abgeschla- gen werden könnten.

*) Viele Theologen haben die Furcht, dem Werthe der Offenbarung etwas abzubrechen, wenn sie zugestünden, dass die menschliche Wissenschaft auf dieselbigen Wahrheiten „ohne Offenbarung" durch weltliche Methoden treffen könnte. Sie laufen daher Gefahr, in das positivistische Fahrwasser der philosophiefeindlichen Ritschrschen Schule zu gerathen, indem sie das Christenthum nicht mehr als „ErfQllung" eines in der menschlichen Natur liegenden Zweckes, sondern als Offenbarung einer abenteuerlichen, mit der Wirklichkeit nicht weiter zusammenhängenden Vorstcllungswelt halten. Es ist aber augenfällig, dass dadurch das Christenthum zu einer blossen Illusion, zu einem Märchen werden müsste, während es vielmehr sich selbst in den innigsten Zusammenhang mit dem ganzen Wesen der Dinge, mit der Schöpfung der Natur und der wirklichen Entwickelung der menschlichen Geschichte und mit den allgemeinen Bedürfnissen und Anlagen des menschlichen Ge- müthes und Geistes setzt. Mithin lässt sich eine feindliche Stellung der Theologen zur Philosophie nur dann erklären, wenn die Philosophie zu widersprechenden Resultaten fahrt, wie z. B. Paulus, obwohl er sich selbst auf des Kleanthes philosophische Verse berief und also philosophische Spe- culation anerkannte und benutzte, dennoch vor der griechischen Philosophie warnte, weil sie mit den christlichen Hauptwahrheiten in Widerspruch stand und deshalb von ihm als Trug bezeichnet wurde. Wenn man aber bedenkt, daas die Apostel überall selbst logisch argumentiren und metaphysische, ethische und psychologische Begriffe gebrauchen, so ist ersichtlich, dass sie eine naturalistische Philosophie gar nicht entbehren können und deshalb gegen Philosophie als solche nichts einzuwenden haben, sondern nur eine falsche Philosophie verwerfen wollen. Und diese richtige Stellung zur Sache entspricht auch allein der Würde des Christenthums , welches sich ohne Scheu von allen Seiten besehen und untersuchen lassen kann, weil es keine tragische Maske trägt und auf keinem täuschenden Kothurn sich erhöht, sondern die einfache Wahrheit lehren will, die mit aller Wahrheit in Ueber- einstimmung steht.

Wenn die Theologen deshalb nach der Weisung des Apostels Paulus, der mit philosophisch gebildeten Griechen in unmittelbare Berührung kam.

Telchmüller, ReligioiifiphllOBophic. 23

uiyiiized by

Google

354 Religion der Sünde.

Der religiöse Werth dieser Theologie ist leicht und fest ab- zugränzen, da sie ersichtlich auf das Gefühl der Sttnde aufgebaut ist und in der weiteren Ausfllhrung alle die wesentlichen Ele- mente der unreinen Bechtsreligion enthält.

vor dem falschen hellenischen und dem bloss zeitgemäss umgewandelten mo- dernen Idealismus eine heilsame Scheu tragen, so sollten sie sich ebensosehr vor der unphilosophischen und unapostolischen Richtung hüten, welche das Christenthum aus den allgemeinen, wissenschaftlich erkennbaren Zusammen- hängen der menschlichen Natur herausheben und nur zu einer zufälligen historischen Erscheinung machen will, die wie der Baalsdienst ihre abson- derliche Vorstellungswelt, ihre absonderlichen Gefühle und Gebräuche habe, wer weiss woher einmal in die Welt gekommen sei und sich nur durch Tradition und sociale Ansteckung fortpflanze.

Ich schreibe dies im Hinblick auf die geschickte Arbeit eines jüngeren Theologen, Guido Pingoud, über die biblische Lehre von dem Gewissen, die ich mit grosser Aufmerksamkeit gelesen habe. So sehr ich auch aner- kenne, dass er die herkömmliche idealistische und im Grunde hellenische Auffassungsweise verwirft, so halte ich es doch nicht bloss für gefährlich, sondern für ganz unannehmbar, dass er das Gewissen in positivistischer Weise für eine beliebig variable, zufallige und bloss historische Erscheinung erklärt; denn das Gewissen muss als eine ebenso constante und specifische Function der menschlichen Natur anerkannt werden, wie das Auge oder das Herz als unentbehrliche Organe, wenn auch alle solche Organe vielfachen Krankheiten, Yerbildungen und Verkümmerungen ausgesetzt sind. Wenn wir Pingoud gern einräumen, dass die reine und wahre Sprache des Gewis- sens nur im Kreise christlicher Cultur anzutreffen sei, so dürfen wir darum noch nicht das Gewissen für eine blosse Gewöhnung und Erinnerung aus- geben; denn die Geschichte umfasst nicht bloss zufällige Ereignisse, sondern schliesst auch die constitutiven, allgemeinen und nothwendigon Functionen ein, die unter den geschichtlichen Coordinationen zu mehr oder weniger vollkom- menem Ausdruck gelangen. Immerhin möge etwa das Gewissen im Christen- thum, die Plastik bei den Griechen, die Politik bei den Römern zum Ziele kommen, sollten darum Gewissen, Kunstsinn und Staatsklugheit bloss auf ge- wisse Zeiten und Völker beschränkt werden und nicht mehr aus den wesentlichen Anlagen der menschlichen Natur folgen, die bloss unter gewissen günstigen historischen Umständen zur Reife und Vollendung gedeihen? Wie die Geo- graphie und Geschichte des organischen Lebens auf unserer Erdrinde die all- gemeine Physik und Biologie nicht ausschliesst, sondern voraussetzt, so kann auch die Geschichte und das Christenthum nicht die Psychologie und Philo- sophie aufheben, selbst wenn diese Wissenschaften erst durch bestimmte historische Umstände zu voller Reife gelangen. Ich will auf das Detail der Arbeit hier nicht näher eingehen, sondern erlaubte mir nur die principiellen Gesichtspunkte hervorzuheben, um die wichtige Frage noch einmal der Er- wägung zu empfehlen.

Digitized by

Google

Dritter Theil.

Die pantheistischen Religionen.

Digitized by

I I

tfedby Google

Digitized by

Google

Die Uebergangsform. Der Atheismus.

Wer den Cultus der beiden projeetivischen Reli- Ursprung gionen vor seiner Anschauung hat und ein gewisses ^®" AtheinmuB. Mass Yon Erfahrung, Verstand und moralischer Bildung besitzt, der wird bald zu einer zerstörenden Kritik der ganzen projee- tivischen Religion tibergehen. Nach drei Beziehungspunkten wird er Widersprüche auffinden, erstens unter den Religionen durch Vergleichung, da eine jede auf Wahrheit Anspruch er- hebt, und doch eine jede mit jeder anderen in vielfachem Wider- spruche steht 5 zweitens durch Beziehung der Religionen auf die erfahrungsmässige Wirklichkeit, welche mit der Dogmatik und dem Culte der Religion nicht übereinstimmt; drittens durch Be- ziehung der Religion auf Vernunft- BegriflFe und auf das mora- lische Bewusstsein, welche fast überall durch die religiösen Vorstellungen, Geflihle und Handlungen verletzt werden.

Das Resultat dieser Kritik kann nichts anderes sein, als die Ueberzeugung, dass der Gegenstand der Religion überhaupt nicht vorhanden ist, dass also auch Gott oder die Götter, weil sie nicht existiren, dasjenige, was man fürchtete, nicht ausüben, und dass man nicht nöthig hat, blosse Einbildungen zu versöhnen und zu verehren. Es erscheint daher diese Kritik als Zweifel, weil der Gläubige von dem Inhalte seines Glaubens fest überzeugt ist und im Einklänge mit sich steht, ohne den Verstand als fremdes und zweites Element der Religion gegenüber zu haben. Demgemäss nennt man diesen Standpunkt auch Skepticismus in der Religion.

Sofern der Verstand aber Widersprüche entdeckt, flihlt er seine eigene Ueberlegenheit. Da nun derjenige, auf dessen

Digitized by VjOOQIC

358 Atheismus.

Kosten wir den Widerspruch nachweisen, lächerlich wird, so bezeichnet man die Religionszweifler auch als Spötter.

Weil endlich auch das moralische Bewusstsein durch viele religiöse Handlungen, z. B. durch die Menschenopfer, die Hexen- verbrennungen, die Ketzerhinrichtungen u. dergl. verletzt wird, so ist es ganz natürlich, namentlich wenn wirkliche Betrügerei der Priester dabei im Spiele ist, dass der Kritiker zur Ent- rüstung übergeht.

Sofern die Kritik aber Gott und Götter aus der Liste der wirklichen Dinge streicht, nennt man den Standpunkt einfach Atheismus, zu Deutsch Gottlosigkeit. Der Gottlose fühlt seinen Standpunkt selber als eine grosse Errungenschaft, als einen Triumph des Verstandes über den Unsinn und die Ein- bildungen, und zuweilen auch als eine moralische Höhe den ver- werflichen religiösen Bräuchen gegenüber 5 der Gläubige aber versteht unter diesem Namen natürlich sowohl eine Anmassung und Verirrung des Verstandes, der die Zeugnisse höherer Mächte des Gemüthes nicht würdigen könne, als auch eine sittliche Ver- worfenheit, da der Gottlose der Furcht vor Gottes rächender Macht und des Gehorsams gegen sein heiliges Gesetz sich frevent- licher Weise für ledig erachte.

Ist eia religiöser Es könnte scheiueu, als dürfe man den Atheisten,

Standpunkt, da cr ja an keine Götter glaubt, nicht mehr unter die Rubriken der Religion versetzen. Dies wäre richtig, wenn Jemand ein Atheist genannt würde in dem Sinne, wie Heine den Säugling in der Wiege einen unschuldigen Atheisten nennt; da sich aber seine Kritik auf den Gottesglauben richtet, so hat der Atheismus einen Anspruch auf den Namen eines religiösen Standpunkts. Denn wohin sollten wir die gi'osse Masse von Vorstellungen, Reflexionen und Gefühlen, welche die atheistische Kritik mit sich bringt, anders rechnen und worauf anders be- ziehen, als auf das Gottesbewusstsein. Diese Beziehung heisst, wenn sie positiv ist, Religion; wenn sie aber kritisch und negativ ist, irreligiös. Auf beiderlei Weise ist also die Religion der feste Beziehungspunkt, und mithin muss das irreligiöse Bewusst- sein des Atheisten unter den verschiedenen Religionsformen auf- geftlhrt werden, da es seinen ganzen Inhalt in Beziehung auf Gott und göttliche Dinge erschöpft und nicht anders als nur durch diese Beziehung erklärt werden kann.

Digitized by VjOOQIC

Systematischer Ort. 359

Was nun die richtige Stellung des Atheismus gyatematiacher betriflft, so sieht Jeder sofort ein, dass die Kritik ortdee nicht einer positiven Religion vorangehen kann. ^**^«*»'"»»8- Vielmehr muss der Atheismus seine Stelle nach den projectivi- schen Religionen erhalten, die er kritisch zu vernichten sucht Die Atheisten selbst aber möchten vielleicht erwarten, dass ihnen nicht ein mittlerer Platz angewiesen würde, sondern der letzte und höchste, da sie alle, auch die höheren Religionen, zu ver- nichten wünschen. Allein man darf nicht jedem Verlangen will- fahren. Es wird sich nämlich zeigen, dass die höheren Reli- gionen der atheistischen ELritik kein Angriffsobject mehr darbieten und zwar weder die pantheistischen Religionen, noch die höchste und allein wahre Religion des Ghristenthums. Der Atheismus hat daher seinen Platz nur hinter den projectivischen Gottes- vorstellungen, zu deren Vernichtung er bestimmt ist, wie der Storch für die Frösche und der Arzt für die Krankheiten.

Wenn die Atheisten sich einbilden, dass sie auch im Christen- thum noch eine Nahrung für ihre Kritik fänden, so beruht dies auf einem Nichterkeiinen des specifischen Wesens des Ghristen- thums, welches weit über die Verstandesstufe des Atheismus hinausgeht; der Schein aber, als ob es auch dem Christenthum gegenüber noch eine atheistische Kritik geben könne und gegeben habe, beruht auf der thatsächlichen Unreinheit der religiösen Vorstellungen und Gefühle der Menschen, da es ja ganz natür- lich ist, dass nach den verschiedenen Stufen der Begabung, Bildung und Erweckung der einzelnen Gläubigen auch die Ele- mente der untergeordneten Religionsformen sich einmischen und vordrängen werden, so dass auch viele heidnische und jüdische Religionselemente in dem vulgären Christenthum der verschiede- nen Völker und Zeitalter vorkommen können, die dann die atheistische Kritik hervorrufen und ihr zur Beute fallen. Darum findet man zwar die Irreligiosität und den Atheismus in allen Völkern und in allen Zeitaltem; wie der Grünspan aber, wenn das Kupfer in der Statue sich oxydirt, nicht die Statue zerstört, sondern sie nur colorirt, so bleibt auch das Christenthum völlig unberührt, wenn die atheistische Kritik sich auf die im vulgären Bewusstsein eingemischten unreinen Elemente stürzt, um sie zu zersetzen. Der Atheismus hat darum seinen im System der Reli- gionswissenschaft festbestimmten Platz hinter den projectivischen

uiymzeu uy "V-j vyVjpt Iv^

360 Atheismus.

Religionen und kann denselben niemals gegen einen höheren yertauschen, ebenso wie der Rabe sich nie auf den Rang der sprechenden Wesen erheben kann^ auch wenn er scheinbar spricht. Wenn deshalb populäre Kritiker wie Strauss oder neuerdings V. Hartmann von einer Zersetzung des Christenthums reden, so wissen sie bloss nicht, dass die unreinen projectivischen Elemente, die sie zu ihrem Angriffsobjecte haben, fllr das Christenthum ebensowenig wesentlich sind, wie der Grünspan flir die Statue. Der Der in neuester Zeit weitverbreitete und sich

positivismus. tjreit machende Positiv ismus ist als Atheismus zu betrachten. Denn da der Positivist jede Metaphysik aufhebt und von Gott und Seele und Wesen überhaupt nichts wissen will, sondern nur mit Erscheinungen zu thun hat, so entnervt und entmannt er Geist und Gemüth des Menschen, indem er ihm allen Glauben an die Wahrheit der Erkenntniss und allen Glauben an die wirkliche Gemeinschaft mit Gott raubt. Der Positivismus ist daher nicht bei kräftigen und gesunden Naturen zu Hause, sondern ein Zeichen geistiger Schwäche; er ist als Asthenie des Zeitalters zu diagnosticiren und gehört den Blasirten, den Heruntergekommenen und Bastarden. Wenn die Nation nicht zu Grunde geht, so hat er keine Aussicht auf langen Erfolg, da jeder Aufschwung der Kraft immer den Glauben an die Wahrheit voraussetzt und neu erzeugt; denn Kraft und Wahrheit sind Coordinaten, ebenso wie Schwäche und Zweifel zusammengehören. Der Positivismus kann natürlich die verschiedensten äusseren Erscheinungen darbieten, und man wird nach meiner ganzen bis- herigen Darstellung nicht auf den Gedanken kommen, als meinte ich damit eine historisch bestinmite Culturstufe, etwa bloss den heutigen Skepticismus oder eine im grauen griechischen Alter- thum schon überwundene Sinnesart; nein, diese ganze Behand- lungsweise der Weltansichten, wie sie in unserem historischen Jahrhundert üblich geworden, ist durchaus verfehlt und der Sache nicht gewachsen. Die Weltansichten haben keine historischen Perioden, ebensowenig wie die Jahreszeiten, die immer wieder- kehren, und wie die Altersstufen, die sich auch bei jedem Menschen in allen Jahrhunderten gleichen. Wie es im Alterthum nicht immer Frühling war, so ist auch im neunzehnten Jahrhundert nicht immer Herbst. Ebenso muss es sich mit den Weltansichten verhalten, die ziemlich in allen Zeiten dieselben gewesen sind

Poeitivismus. 361

und nur durch die Stufen wissenscbaftlicher Ausbildung sich unterscheiden. Die Weltansicht hängt gar nicht von der Zeit ab, in welcher ein Mensch geboren wird, sondern von seinem Kopfe, und alle die schönen culturgeschichtlichen Phrasen, durch welche man die verschiedenen Epochen der Menschheit voneinander trennen und aus einander entwickeln will, sind blosse Colorirun- gen, unter denen der Kenner die festen Grundlinieii constanter Typen wiederfindet. Es ist daher selbst von dem Positivisten Laas, den ich in meiner Schrift „Kant's Beise in den HimmeP darauf hingewiesen hatte, zugestanden worden, dass Protagoras sein ächter Ahnherr sei, und es macht sich nur komisch, wenn Laas seinen Patronus über Piaton und den Idealismus trium- phiren lässt.*) Ich habe aber auch in meiner Geschichte der Begriffe, ohne Widerstand zu finden, nachgewiesen, dass ebenso die übrigen modernen Weltansichten voUbtirtig schon im Alter- thum vertreten sind; denn es macht doch für die metaphysische Betrachtung z. B. keinen Unterschied, ob ein Büchner oder Thaies den Hylozoismus vorträgt, nur dass Thaies trotz seines Mangels an neueren Kenntnissen ein unvergleichlich bedeutenderer Kopf war. Ich kann darum den Versuch W. Dilthey's (Einleitung in die Geisteswissenschaft I. S. 455), den Standpunkt der sogenann- ten „historischen Schule", der in der Zeit unserer Romantik auf- kam und für Sprachen, Sitten, Künste und Moden eine gewisse Berechtigung hat, auf die Philosophie anzuwenden, nur fllr einen geistreichen Scherz halten. Wenn Dilthey deshalb die Ver- schiedenheit der weltgeschichtlichen Perioden in Bezug auf die philosophischen Systeme ausmalt, so muss er sich natürlich immer nur an Nebensachen, an die nebenher laufenden empirischen

*) Da Laas in einer Hecension über meine „Unsterblichkeit der Seele" die Berücksichtigung Eant's bei mir vermisst hatte, so schrieb ich den oben- genannten Dialog, worin ich unter der Aegide Platon's die Widersprüche Kant's zeigen und durch Protagoras den modernen Positivismus auf Protagoras und Kant zurückführen liess. Laas selbst erhielt dabei eben keine erfreuliche Rolle. Darauf erschien zufällig eine Schrift von Laas (Positivismus und Idealismus), worin wirklich Protagoras als Positivist acceptirt, aber in seinem angeblich siegreichen Kampf gegen Piaton und seinen Idealismus verherrlicht wurde. Da ich selbst in diesem Buche aus dem Spiel gelassen war und meine Metaphysik mit dem Piatonismus auch nichts zu thun hat, so fand ich keine Veranlassung, über diese sowohl philologisch, wie philo- sophisch unter dem Mittelmässigen stehende Arbeit mich zu äussern^ ,

uiymzeu uy VwJv^\J>t Iv^

362 Atheismus.

Vorstellungen von der Welt, oder an die persönlichen Stimmungen der Philosophen halten, die ja wie die Kleidungen und Sprachen immer national und historisch verschieden sein werden. Die Philosophie aber als Vemunftwissenschaft hat mit Begriffen zu thun, die nichts Nationales, Persönliches und Empirisches an sich haben, und es ist darum natürlich, dass Begriffe in jenem Buche für überflüssig gehalten werden.

Der Standpunkt Dilthey's ist aber doch nicht mehr die ge- müthvolle Bomantik, giebt auch die idealen Grundlinien aller Entwickelung, wie sie z. B. bei Jacob Grimm zu finden, unter dem Druck moderner Stimmungen Preis und ist deshalb zu einer Abart des Comte'schen Positivismus geworden. So glaubt er mit Comte, jetzt erst über das Zeitalter der Metaphysik hinaus- gekommen zu sein, als wenn nicht alle Positivisten uad Skep- tiker im Alterthum, Mittelalter und in neuerer Zeit schon längst eben dasselbe geglaubt hätten. So glaubt er sich auch gegen- wärtig erst in einem Zeitalter zu befinden, in welchem „eine freie Mannigfaltigkeit von metaphysischen Systemen, deren keines er- weisbar ist, sich gebildet habe*," als wenn dies Zeitalter nicht zu allen Zeiten für diejenigen vorhanden gewesen wäre, die sich weder einem metaphysischen System anschliessen, noch ein eigenes begründen konnten. Zu allen Zeiten hat es viele Systeme neben- einander gegeben und oft in zahlreichen Nuancen, von denen keines das andere in der Art hätte überwinden können, dass die Gegner tiberzeugt gewesen wären. Und es ist doch nur nach dem äusserlichen Majoritäts-Schein und der etwaigen socialen Autoritäts-Stellung der Philosophen gcurtheilt, wenn man glaubt, dass jemals Aristoteles oder Piaton oder Kant oder Hegel allein die metaphysischen Gedanken aller Menschen oder aller Höher- gebildeten beherrscht hätten. Es würde ein solches sonderbares Phänomen auch nur eintreten können, wenn nicht bloss die Schulen eine ganz gleichförmige internationale Bildung hervorbrächten, sondern wenn zugleich die Natur dafür sorgte, dass alle jungen Leute auch ganz gleichartige, schlechte oder gute Köpfe hätten. Wenn Dilthey es deshalb für eine die neueste Zeit charakterisi- rende Eigenthümlichkeit hält, dass „die Metaphysik ein blosses Privatsystem ihres Urhebers und derjenigen Personen wäre, welche sich vermöge einer gleichen Verfassung der Seele von diesem Privatsystem angezogen fanden," so wünschte ich zu

uiumzeu uy 'v_JvyVjVlv^

Positivismus. 363

wissen, in welchem Zeitalter dies anders gewesen wäre. Schon im Anfang des fünften Jahrhunderts vor Christo bezeichnet Heraklit mehrere verschiedene Privatsysteme (von Hekatäus, Xenophanes und Pythagoras), von denen er sich nicht angezogen fühlte; nach ihm gab es gleich noch eins mehr. Im vierten Jahrhundert warnt Piaton die jungen Leute davor, sich nicht ohne Vorsicht von solchen Männern mit Privatsystemen anziehen zu lassen, da sie vielleicht Gift statt Medicin verkauften, und er sagt dies mit besonderem Hinblick auf ein solches Privatsystem, welches heute , Positivismus heisst. Auf der Akropolis lässt die Apostelgeschichte den Paulus vor solchen Personen, welche sich vermöge gleicher Verfassung der Seele von Epikurs oder Zenos Privatsystemen angezogen ftihlten, das Christenthum vertheidigen. Cicero hat in allen seinen Schriften mit der persönlichen Auswahl eines solchen Priratsystems zu thun. Im Mittelalter ist die Kirche alle Augenblick in Aufregung, weil ein häretisches Privatsystem An- hänger gleicher Seelenverfassung findet. Melanchthon ermahnt die Theologen, sich einem rechtschaffenen Privatsystem anzu- schliessen, wie er sich dem des Aristoteles ergeben habe. Wo und in welcher Zeit wäre es denn anders gewesen; denn selbst der heilige Thomas hat niemals allein in den Köpfen der Men- schen geherrscht. Aber diese positivistische Schule, welche aus guten Gründen eine geheime Angst vor der Vernunft und der Vcmunftwissenschaft hat, möchte gern den Schein hervorrufen, als wäre die Philosophie überhaupt nur eine Sache der Mode. Wie ein Schneider hunderte von Körpern leicht bekleiden kann, so dass eine Toilette in wenigen Tagen von so und so Vielen auf den Strassen zur Schau gestellt wird, so soll auch die Phi- losophie bloss aus mechanischen Anpassungen und Tagesströmun- gen erklärt werden. Für die Philosophie ist es aber völlig gleich- gültig, wie viele Anhänger sie findet. Wie die analytische Geo- metrie und die Infinitesimalrechnung auch verhältnissmässig immer nur einen kleinen Procentsatz der Bevölkerung zu ihren Lieb- habern zählt, so ist die Philosophie auch immer nur in wenigen Köpfen lebendig gewesen. Es lässt den Philosophen daher kühl, ob man viel oder wenig Thomisten und Scotisten, Lockianer, Kantianer u. dergl. zählt; denn das zugehörige System wird durch die Zahl der Anhänger weder schwächer noch stärker. Die Culturgeschichte mag sich um diese Modefragen bekümmern; die

364 Atheismus.

Philosophie und Geschichte der Philosophie aber hat mit Be- griffen zu thun, auf welche freilich der Positivismus keine Rücksicht nimmt, weil er überhaupt der Philosophie nicht ge- wachsen ist. Es ist darum in der Ordnung, dass der Positivis- mus, weil er keinen Glauben an die Wahrheit der Vernunft hat, auch der Religion nur scheinbare Kantische Zugeständnisse macht und ein leeres atheistisches Gemüth voraussetzt.

Die zugehörige Ethik. Das Motiv des Atheismus ist die AflFectlosigkeit. Wenn der Mensch in civilisirteren Verhältnissen lebt, so schwinden die meisten unmittelbaren Gefährdungen von Seiten der Natur; die Häuser geben Obdach gegen Sturm und Regen; vor^ der Macht der Sonne und vor ihrer Ohnmacht weiss man Hülfsmittel; die Nacht beraubt man durch künstliche Beleuchtung ihres Schreckens; die Hungersnoth wird durch Handel ausgeglichen; die wilden Thiere sind verscheucht; die Krankheiten werden von Aerzten behandelt und der eigene Tod ist immer weit entfernt, so lange man lebt; das allgemeine Loos des Todes ist aber bei der grossen Bevölkerung nicht mehr im Stande, wiederholentlich einen mäch- tigen AflFect zu erregen. So ist es natürlich, dass die Furcht als Motiv der ersten Religionsstufe fehlen muss, und dass daher bei einem gewissen Sicherheitsgefühl, welches durch eine grössere Naturerkenntniss und Naturbeherrschung entsteht, auch die Götter und Dämonen, welche bisher die Menschen in Angst und Schrecken versetzten, ihre Macht über die Gemtither verlieren. Darum wird man finden, dass die Atheisten gerade dies von sich rühmen, dass sie durch grössere Aufklärung die Menschheit von der Gottes- und Götterfurcht befreit hätten. So singt z. B. schon der alte Dichter Lucretius mit Begeisterung von seinem atheistischen Chorführer:*) „Da scheusslich anzusehen das Men- schenleben auf Erden darniederlag, herabgedrückt unter der Wucht der Gottesfurcht, die vom Hinmiel her ihr Haupt ent- gegenstreckte und mit schrecklichem Gesichte die Menschen be- drohte: da wagte zuerst ein sterblicher Mensch, ein Grieche, mit

*) De rerum natura I, 62.

Digitized by VjOOQIC

Ethik. 365

seinen Augen den Anblick auszuhalten, und war der Erste, der Widerstand leistete; denn weder die Heiligthtimer der Götter, noch die Blitze, noch das drohende Brüllen des Himmels er- schütterten ihn, sondern all dieses spornte nur desto mehr die durchdringende Kraft seines Geistes an und erregte die Begierde, als der Erste die festen Riegel an den Pforten der Natur auf- zubrechen." Nun schildert Lucretius die Leistungen der Natur- wissenschaft und schliesst triumphirend : „So wird jetzt umge- kehrt von uns die Religion mit Füssen getreten, und wir erheben uns siegreich bis zum Himmel."

Der Atheismus triumphirt also über die Religion der Furcht. Wie aber könnte das Motiv der reinen Rechtsreligion, das Ge- wissen und das Gefllhl der Sünde beseitigt werden? Es liegt auf der Hand, dass dies unbesiegbar ist und bleibt Wenn gleich- wohl mit einem gewissen Recht der Atheismus auch dieses Ge- fiihl niederzuwerfen scheint, so erklärt sich der Schein sehr einfach dadurch, dass das Geftlhl der Sünde niemals im grossen Gesellschafts- und Völkerleben rein zu Tage tritt, sondern immer durch die gesellschaftlichen Verhältnisse und die wechselseitigen Machtbeziehungen der Stände mit ihren Vorurtheilen verfälscht wird. Darum vergleicht der Atheist die religiösen Rechtsgeflihle Eines Volkes mit einem anderen Volke und Eines Zeitalters mit einem anderen Zeitalter und kommt dadurch zur Erkenntniss des Widerspruches aller Rechtsgeiuhle mit einander, weshalb er die Wahrheit und Zuverlässigkeit des religiösen Gewissens be- zweifelt und die religiöse Scheu verspottet So macht sich z. B. schon Lucian darüber lustig, dass ein District in Aegypten durchaus kein Schaf essen darf, wohl aber einen Ochsen, ein anderer keinen Ochsen, wohl aber ein Schaf, und dass die Juden am Sabbath nicht arbeiten dürfen und deshalb von den Feinden durch ihre abergläubische Gewissenhaftigkeit wie in einem Netze gefangen werden. Während die Atheisten des Alterthums mehr die Widersprüche der religiösen Gesetze der verschiedenen Völker untereinander vergleichen, so haben die modernen positivistischen Gulturhistoriker namentlich die Entwickelung des RechtsgefUhls beachtet und die Gräuel der Menschenopfer, die Gewissenspflicht, die eigenen Kinder zu schlachten u. s. w., mit der späteren ver- hältnissmässig grösseren Sittlichkeit verglichen, um dadurch die

Digitized by

Google

366 Atheismus.

Unzuverlässigkeit des religiösen Gefühls zu beweisen. Das Ge- fühl der Sünde sei eben nicht in der Natur begründet, es gebe kein anderes, als ein durch die gesellschaftlichen Zustände und die zufälligen Sitten entstandenes Gewissen, und so sei die ganze Grundlage der Eechtsreligion zerstört

Der Atheismus entsteht deshalb hier durch häufigere inter- nationale Beziehungen der Völker, indem die Verschiedenartig- keit der Gewissen die Gewissenhaftigkeit überhaupt vermindert oder auslöscht Denn da das Gefühl der Sünde immer einem Gesetze zugeordnet ist, so muss, wenn die Gesetze sich wider- sprechen, nothwendig Zweifel, Vei*wirrung und dadurch eine Ab- schwächung bis zum Indifferentismus auch in dem Schuldbewusst- sein Platz greifen. Das Gewissen in seiner Reinheit ist ja bei der grossen Menge nicht zu finden, sondern nur das sociale Ge- wissen, welches durch die Erinnerung an das, was bei der uns bestimmenden Gesellschaft als anständig, ehrlich und recht, oder als unanständig, ehrlos und schändlich gilt, erweckt wird. Das Gewissen in dieser Form als blosses Gedächtniss und sociales Band muss aber nothwendig durch Auflösung der strengen Sitten und religiösen Gebräuche bei dem internationalen Verkehr eben- falls gelockert werden, und daher erklärt sich, dass auch das Motiv der Eechtsreligion dem Atheismus zur Beute wird.

Freilich aber nur das Motiv der positiven Rechtsreligionen mit ihren vielen bloss geschichtlich zu erklärenden religiösen Geboten; denn wer das wahre Gewissen kennt, kann nur mit Verachtung und Mitleid auf diejenigen blicken, welche die Mei- nung der Menschen, Ehre und Schande, zur Richtschnur ihres Lebens nehmen. Das wahre Gewissen ist unfehlbar und ewigen Ursprungs und hat mit den von den Atheisten verspotteten Schuldgefühlen nichts zu schaffen. Denen gegenüber also, welche durch die positiven Satzungen sich innerlich gebunden und be- klemmt flihlen, erscheint der Atheist als Freigeist, der mit einem gewissen Behagen seine Affektlosigkeit geniesst; denn wenn dieser Mangel an Gefühlserregung an sich auch kein Wohl- gefUhl mit sich bringen kann, so entsteht doch durch Vergleichung seines ungestörten Gemüthszustandes mit der Qual, Bekümmer- niss und Gebundenheit der Gläubigen ein gewisses Freiheits- gefühl, das er nicht vertauschen und verlieren möchte.

Digitized by VjOOQIC

Dogmatik. 367

Allein diese atheistische Freiheit hält nur Stand vor den Gebetsriemen der Juden, ihrer Sabbathruhe und ihren Speise- geboten und so bei anderen Religionen immer nur vor den positi- ven Satzungen, denen keine ewige Bedeutung und Verpflichtung beizumessen ist; wer aber zum Verderben Anderer lügt oder Habe und Leben Anderer raubt, der muss eine irdene Seele em- pfangen haben, wenn ihm nicht die Bilder des Jammers, den er angerichtet, in der Erinnerung aufsteigen und ihn mit trostlosem Anblicke anstarren und ihn dadurch in Unruhe und traurige Un- einigkeit mit sich selbst versetzen. Je feiner seine Seele ent- wickelt ist, desto empfindlicher werden ihn, ganz abgesehen von einer religiösen Satzung, die von ihm versäumten Aufgaben des Menschen schmerzen müssen. Darum ist klar, dass der Atheist, welcher auch das Motiv der reinen Rechtsreligion in. seinem Be- wusstsein nicht zu kennen vorgiebt und Gewissen und Schuld- gefühl als etwas bloss Historisches abschüttelt, zu den unbedeu- tenden Naturen gehören muss, die sich in dem Rahmen der herr- schenden Sitte zurecht finden und im Ganzen nichts Uneben- mässiges thun, so dass sie auch keine Veranlassung zu einem merklicheren Schuldgefühl haben könnten, die aber zugleich auch durch eine höhere sittliche Idee und deren zugeordnete tiefere Gefühle nicht belästigt werden, weil sie über die Gränzen des Gewöhnlichen und Herkömmlichen nicht hinausgehen. Ich habe hier die meisten Atheisten im Auge, wie sie sich im Strome der Menge finden; es giebt freilich auch philosophische Skeptiker, zu deren Profession es gehört, das Gewissen zu leugnen, wie Diogenes und Spinoza; allein diese sind alle theils von einer egoistischen, der erlösenden Platonischen Liebe ganz unzugäng- lichen Natur, wie der rohe Cyniker und der trockene, pedanti-- sehe, gemüthlose Jude, theils verfechten sie eine These, die mit der Wahrheit ihres eigenen Gefühls in keinem nothwendigen Zu- sammenhange steht, so dass sie besser sind, als ihre armseligen Gedanken vermuthen Hessen.

Die zugehörige Dogmatik. Die Aufgabe der atheistischen Dogmatik besteht darin, an die Stelle der Götterwelt und des Rechtsgottes im Himmel eine Wüste und Leere zu schaffen. Da dem Atheisten das ethische

Digitized by VjOOQIC

368 Atheismus.

Motiv zu den zugeordneten Gottesideen fehlt, so ist für ihn dieser unbewohnte Himmel ganz natürlich. Mithin muss seine Dog- matik wesentlich in Kritik bestehen.

Mit der Götterwelt der Furchtreligion haben die Atheisten nun auch wirklich leichtes Spiel; denn diese dunklen Gestalten vertragen ja nicht deutlich gedacht zu werden, ohne sich in lächerliche Einbildung aufzulösen. Schon Xenophanes spottete über die anthropomorphischen Vorstellungen. „Wenn die Ochsen und Löwen Hände hätten, sagt er, und malen könnten, so würden die Pferde ihre Götter zu Pferden und die Ochsen sie zu Ochsen machen." So bildeten, fügt er hinzu, die Aethiopier ihre Götter mit schwarzen Gestalten und stumpfen Nasen und die Thracier sie roth und mit hellen Augen. Sie Hessen ihre Götter stehlen und ehebrechen und einander betrügen. Wenn die Eleaten, sagt er, ihre Leukothea für eine Göttin hielten, so brauchten sie keine Todtenklage über sie zu halten; wenn aber flir einen sterblichen Menschen, so verdiente sie keine Gottesverehrung. Protagoras äussert mit skeptischer Ironie am Anfang jenes positivistischen Buches, welches die gottesflircbtigen Athener ver- brannten, er wisse nicht, ob die Götter wären oder nicht wären. Piaton gebraucht die Götter nur im allegorischen Spiel der Phantasie, wie Schiller; Aristoteles erklärt sich flir einen Atheisten den Volksgöttern gegenüber, ist aber freilich schwach genug, die Sterngötter zu vertheidigen. Voltaire zieht auch die ganze göttliche Familie im Himmel nach dem Vorbilde des Xeno- phanes in's Lächerliche; da ja die volksmässige Vorstellung, von den Malern ganz in's Menschliche übergeflihrt, auch genug StoflF zu Ironie und Persifflage bieten konnte.

Kurz, es ist ein leichter Sieg, den der Atheismus über die Furchtreligion mit ihrer Dogmatik davonträgt, wobei er noch durch die Macht der Rechtsreligion unterstützt wird und seine besten Motive erhält; denn das sittliche Bewusstsein muss die in's Menschliche umgedeuteten Naturvorgänge als unwürdig und unmoralisch verwerfen und die Götzen, die keinen sittlichen Geist haben, mit Spott und Verachtung, wie die jüdischen Propheten thaten, aus dem Bewusstsein zu vertilgen suchen.

Es kann aber dem Atheisten nicht viel schwerer werden, auch die Dogmatik der unreinen Rechtsreligion, wie wir sie z. B.

Digitized by VjOOQIC

t)oginatik. 369

im Judenthum finden, umzustürzen; denn da sie den grimmen Machtgott der Furchtreligion mit dem reinen Gott des Gesetzes verschmolzen hat, so hat sie ja ihrer Dogmatik die Achillesferse gegeben, durch deren leichte Verwundung ihr Gott zu Grunde gehen mnss. Ein Gott, der in seinem Zorn ganze Völker mit Mann und Weib und Kind, ja auch mit ihrem Vieh vertilgen lässt und der so oft zu Reue übergeht, der muss wegen seiner Wandelbarkeit und ünvollkommenheit, bei welcher allein Reue eintreten kann, der Kritik verfallen. Erinnert ein Gott dieser Art doch an solche Despoten, wie Alexander der Grosse, der im Zorn auch seine besten Freunde masslos misshandelte und nachher durch überschwängliche Wohlthaten wieder seine Gnade ihnen zuwandte, weil sein Grimm verraucht und die Reue eingetreten war. Ein Gott mit solcher menschlichen Leidenschaft- lichkeit steht allerdings dem Herzen näher, als ein blosses ab- stractes Sittengesetz, kann sich aber dem Verstände gegenüber doch nicht als reiner Vertreter des Sittengesetzes halten. Denn auch sein Lohnen und Strafen liegt jenseits der Sphäre des Ge- wissens und dessen Aufregung und Beruhigung, da die Motive der Furchtreligion mit dem Gefühl der Sünde und der Liebe zur Gerechtigkeit nichts zu thun haben.

Aber auch der reine Rechtsgott verschwindet vor der atheistischen Kritik; denn man soll sich kein Bildniss und Gleich- niss von diesem Gotte machen und kann es auch nicht, da es gar keine Art zu denken und vorzustellen giebt, wodurch man das Wesen und die Natur dieses Gottes bestinmien und klar oder deutlich machen könnte. Es ist darum natürlich, dass einige hartköpfige Denker, wie Fichte, den Gott wegliessen und bloss das Sittengesetz als abstractes Weltprincip an die Spitze der Dinge stellten und dass Kant den Gott bloss zu einem dunklen und gedankenlosen Postulat der praktischen Vernunft machte, wobei aber nach der Kritik der reinen Vernunft doch nur ein uner- laubter Gebrauch von dem Gausalitätsgesetz gemacht wird. Kurz wir mögen eine Theologie nehmen, welche wir wollen, keine kann für das blosse Rechtsbewusstsein einen denkbaren Gott nachweisen und definiren. Dieser Gott ist eine blosse Projection, ein nach aussen geworfenes Spiegelbild, welches, wie alle Ein- bildungen, nur fllr den Gläubigen existirt und bei jeder verstän- digen Analyse verschwinden muss.

Teichmüller, Religionspbilosophie. Digitized24>^OOgiC

ätÖ Atheismus«

Was die Atheisten aber an die Stelle des verschwundenen Gottes gesetzt haben, das ist natürlich nur eine viel abenteuer- lichere und geistlosere Chimäre; denn die Meisten sind Materia- listen und projiciren das Spiegelbild der sogenannten materiellen Dinge in ganz kleinem Massstabe nach Aussen, das nun unter dem Namen Atome alle möglichen Lagerungen und Bewegungen ausführen muss, wodurch sie Qualität und Geist heraus zu hexen hoffen. Die übrigen Atheisten sind Positivisten und verzichten auf jede Erkenntniss des Wesens der Welt, d. h. sie erklären sich für Erscheinungen. Diese sich selbst und die übrigen Er- scheinungen studirenden Erscheinungen muss man sich selbst überlassen, weil jede Thorheit ihr Ende in sich selbst findet; denn wie derjenige, der immer nach links gehen wollte und ent- schieden läugnete, dass es ein Bechts gebe, weil das Bechts auch eine Form des Links wäre, doch am Ende nicht mehr wissen würde, wohin er gehen sollte, so hält auch die Thorheit dieser Erscheinenden nur so lange vor, als sie noch eine Erinnerung an das Wesen im Bewusstsein haben; wenn ihnen aber der Begriff des Wesens erst völlig auch nur zu einer Erscheinungs- form geworden ist, so werden sie von selbst ihren Rausch schon ausschlafen und sich nachher recht komisch vorkommen. Kurz, die Kritik der projectiven Theologie glückt den Atheisten ; aber selbst können sie nichts, was Sinn und Verstand hätte, an die leergelassene Stelle setzen.

Der zugehörige Cultus. Mit der Dogmatik und der Furcht und Reue fUllt natürlich auch jede Gottesverehrung, weil sie weder ein Motiv, noch einen Gegenstand mehr hat. Die Atheisten können daher in aller Gottesverehrung bei den verschiedenen Völkern nur Verrücktheit sehen und Kant ging soweit, auch das Gebet der Christen als ein lautes Selbstgespräch für eine Verrücktheit zu erklären.

Wir werden später eine freundlichere und gerechtere Deu- tung des Cultus auch für diese niedrigeren Religionen suchen, wenn wir erst die wahre Religion bestimmt haben und unseres Besitzes sicher sind; hier aber verlangt die Gerechtigkeit und der Gang des Denkens, auf die Seite der Atheisten zu treten,

/Goog^v

Cuitüs. 3t 1

soweit sie Kritik üben; denn auf ihrer Seite stehen bei der Kritik der Furchtreligion zunächst auch schon die Propheten und alle Kirchenväter, welche die Leblosigkeit der Götzenbilder und die Gräuel und die Sinnlosigkeit ihres Cultus schildern und yerabscheuen. Wir brauchen uns dabei nicht aufzuhalten, denn die Einzelheiten sind ja von den populären Schriftstellern schon genügend ausgebeutet.

Demselben Verdammungsurtbeil unterliegt auch der Cultus der unreinen ßechtsreligion; denn Gott verlangt nicht, wie die Propheten sagen, nach dem Blut der Widder und Farren, und der ganze Opfer- und Sühnungsapparat kann fUr ein feineres Gewissen und Rechtsgeflihl nichts Anmuthendes und Befriedi- gendes darbieten, da die Elemente dieses Cultus eigentlich nur in die Furchtreligion gehören und mit dem reinen Geist der Kechtsreligion in einer von den Propheten beklagten und verur- theilten Weise widerrechtlich verwachsen sind. Die Atheisten lachen doch wohl mit Becht, wenn sie die unzähligen religiösen Bedenklichkeiten auch der modernen Juden betrachten, die ihre Ceremonien und ängstlich inne gehaltenen Gebräuche bis auf das Gewebe der Teppiche erstrecken, worauf sie den Fuss setzen, und die all diese den Geist und seine natürliche und sittliche Freiheit einschnürenden Beobachtungen nicht als künst- lerisch schönen Ausdruck ihrer Frömmigkeit, sondern aus Angst vor dem Zorn Gottes innehalten.

Die reine Kechtsreligion aber, da sie keinen äusseren Cultus hat, bietet dem Atheisten auch keinen Anstoss. Nur die Gebete, Gesänge und Lobpreisungen, wodurch der einzelne Gläu- bige oder die Gemeinde ihren Verkehr mit dem projectiven Gott unterhält, erregt die Kritik des Atheisten; denn er kann mit Recht das Dasein eines solchen Gottes im Himmel in Zweifel ziehen, und^ wie Lucian in seinen Göttergesprächen, über die Schalllöcher in der ehernen Himmelsschale lächeln, durch welche Gott die Gebete höre, da die Wolken- oder Aetherregion nicht geeignet ist für den Aufenthaltsort eines Menschen oder Gottes. Ueberhaupt ist für den Standpunkt der projectivischen Religion die Wirklichkeit nur die sinnenftUige Welt, und in dieser kann kein Gott untergebracht werden. Also erscheint das Gebet wie ein lautes Selbstgespräch. Kant's Auffassung passt aber nur,

u,y,t,^% Google

372 AtheLsmus.

wenn sie gegen die projective Theologie gekehrt wird, und hat keinen Sinn mehr, wenn man die christliche Gotteserkenntniss besitzt, und es ist ein Zeichen seiner unkritischen Metaphysik, dass er ebenso, wie diejenigen, welche er beurtheilt, nur sinnen- fällige Wesen für Substanzen hält. Wenn ich daher Kant hier anfbhre, so geschieht dies nicht, weil ich ihm irgendwelche Be- deutung für die Erkenntniss des Christenthums zuschriebe, son- dern eben, weil er davon noch nichts versteht und, obwohl selbst auf dem Standpunkte der Projectivisten, dennoch schon die atheistische Consequenz dieses Standpunktes gefunden und in seiner Kritik der reinen Vernunft bekannt hat.

Fragen wir nun, was die Atheisten an die Stelle des aus- gerotteten Cultus zu setzen vermögen. Da sie die Beziehungen des Menschen zu dem souveränen Herrscher der Welt und zu dem Gesetzgeber abgeschafft haben, so bleiben ihnen nur die Be- ziehungen der Menschen unter einander übrig, die nur vom Zu- fall, vom Glück und vom Unglück abhängen. Von einem Cultus ist also keine Rede, und es kann sich nur etwa darum handeln, sich, wie dies der triviale Popularschriftsteller David Strauss vorschlägt, in den Mussestunden an Poesie, Musik und dergleichen zu erfreuen. Genauer betrachtet ist dieser Vorschlag entweder sophistisch oder einiUltig; denn die grösseren musikalischen und poetischen Werke haben ja alle einen religiösen Inhalt, und ihre genialen Urheber waren keine trostlose atheistische Gemüther, sondern schufen aus einem gotterflillten, religiösen Geiste. Die Erquickung, die sie bieten, ist also fUr den Atheisten verboten oder lächerlich und darf ihm, wenn er Verstand hat, nicht em- pfehlungswerth sein. In Strauss' Vorschlag liegt also das Be- kenntniss der Uneinigkeit mit sich selbst; nach seiner Mheren Bildung verlangt er zwar eine gebildete Nahrung; die plebejischen Gedanken aber, die er sich im späteren Alter aus den populären und geistlosen materialistischen Schriftstellern ftir seinen Privat- gebrauch ausgezogen hat, lassen nur das Stroh und die Disteln des prosaischen Lebens als einzigen Unterhaltungsstoff übrig nebst den sinnlichen Genüssen, die etwa der glückliche Zufall bringt. Es giebt aber viele Menschen, welche sich die atheisti- sche Sinnesart als sehr anmuthig vorstellen, weil Strauss sich doch so interessant mit Musik und mit unseren grossen Dichtem beschäftigt habe. Für solche Leute, die von Consequenz der

uiumzeu uy "»«^Ji vyVjV Iv^

Cultus. 373

Gedanken keine Ahnung haben, hat Strauss geschrieben; diese würden die englische Sprache auch für vokalreich erklären, weil eine Engländerin ein italienisches Lied sang. Es ist aber für unsere Frage völlig gleichgültig, ob der Anhang zum „Alten und neuen Glauben^^ schön und geistreich ist, oder nicht, wenn nicht bewiesen werden kann, dass die atheistische Sinnesart des Ver- fassers diese Vorzüge begründet. Es liegt jedoch auf der Hand, dass umgekehrt der Atheismus sowohl eine Unterhaltung mit Göthe, Shakespeare, Bach, Händel u. s. w. entwerthen muss, als solche Leistungen undenkbar macht. Der „Anhang'^ stammt aus den besseren pantheistischen Zeiten des Verfassers, und so erquickt er sich nur wehmüthig an dem Abglanz der schon unter den Horizont gesunkenen Sonne.

Digitized by

Google

Die drei pantheistischen Religionen.

§ 1. Definition und Charalcteristik des Pantheismus.

vorauwetxuDg: ^^ ^^ ^^^ höheren Fonnen der Religion auf-

Die zusteigen, müssen wir yon der letzten Form als ^^gtgeh^^* Ansatzpunkt ausgehen. Nun hatte der Atheismus die pcBuimisUache projectivischen Religionen zerstört, und wir können aummuDg. ^[q^q atheistische Reflexion noch einmal durch den Dichter aussprechen lassen: „Was sollen Eure Götter, des kranken Weltplans schlau erdachte Retter, die Menschenwitz des Menschen Nothdurft leiht!^^ Und weiter auch die moralische Beziehung hinwegnehmend sagt Schiller: „Ehrwürdig nur, weil Hüllen sie verstecken, der Riesenschatten unserer eigenen Schrecken im hohlen Spiegel der Gewissensangst/^ Der Atheist erkennt also den Ursprung der im Hohlspiegel der Noth und der Sünde durch Furcht und Gewissen gebildeten projectivischen Theologie. Das Resultat dieser Kritik ist nun das Geftihl der Endlichkeit und Nichtigkeit der Welt. Alles ist eitel, sagt der Weise. Der Mensch ist wie Heu und lebt nur eine kurze Spanne Zeit, um dann in's Grab zu sinken. Es bleibt zwar Furcht und Gefühl der Scham, aber sie wird nicht mehr auf Gott bezogen, sondern auf endliche Dinge und Personen, die man durch Witz und List unge&hrlich machen und zeitweilig zu seinem Vortheil benutzen kann. Wirft der Mensch aber einen Blick auf das Leben im Ganzen, so muss ihm Alles schaal und leer, nutzlos und sinnlos, trostlos und öde vorkommen, weil das Göttliche aus der Welt verschwunden ist und nur das rathlose Spiel endlicher Dinge im Kampfe um's Dasein und um das Glück übrig blieb. Es giebt gewiss einige Naturen, die auch in dieser Weltansicht und Reli- gionslosigkeit glücklich sein können, denn warum sollten nicht auch Menschen vorkommen, deren körperliche Processe sich har-

uiyuizeu uy x^j v^ v^pc iv^

Definition. 375

fflonisch auslösen und die mit einer unverwüstlichen Gesundheit und besonders mit gutem Magen, wie Sancho Panza, auch in erbärmlichen Verhältnissen die gute Stimmung ihres Naturells geniessen und so bei rüstiger Verfolgung ihrer persönlichen Interessen im Ganzen trotz mancherlei Unglücksfallen zufrieden und vergnügt sind. Während Cervantes den Sancho aber zu einem ehrlichen Gläubigen der Furchtreligion gemacht hat, so muss bei den höheren Naturen die Entgötterung der Welt einen Ueberdruss an der Welt, Verzweiflung oder Verachtung des ganzen irdischen Getriebes hervorrufen; denn da sie ihr Ich in die sinn- liche Seite setzen und sich mit dem sichtbaren Menschen, als welchen sie sich anschauen und vorstellen, eins glauben, so muss sich die in ihnen wirkende höhere Natur des Geistes über die endliche Creatur und ihre Sphäre erheben und ein pessimistisches Bewusstsein hervorbringen, eine elegische Stimmung, zerstörte Illusionen, Menschen- und Selbstverachtung, Eckel an der Arbeit, das Danaidenfass der Welt mit zu füllen, Weltüberdruss und Lebenssattheit.

Dieser ganze Zustand der Entzweiung und Un-

Die ooBAÜtutiTen

einigkeit muss genauer betrachtet werden. Wenn Elemente des das Ich wirklich sich bloss als diesen in den Sinnen Pantheiamim:

Das leb als Qeiat

gegebenen Menschen auffasste und die Welt wirklich und das ver- bloss als diese in der Erfahrung gegebene Folge whwinden der von Erscheinungen, so wäre ein Zwiespalt im Menschen unmöglich; denn tadeln und etwas Höheres und Besseres wünschen kann man nur, wenn ftlr das Bewusstsein schon ein andrer Beziehungspunkt vorhanden ist, auf welchen hinblickend man das Gegebene als mangelhaft durch Vergleichung erkennt. Kein Hund, den man tritt, kein Ochs, den man schlachtet, findet das Leben und die Welt schlecht, weil sie nichts andres kennen und keinen Standpunkt haben, von welchem aus sie das Gegebene betrachten könnten. Mithin muss das Ich diese ausserhalb der Erscheinungswelt liegende Sphäre schon erblickt haben, wenn es zu dem atheistischen Bewusstsein und der pessimistischen Stim- mung übergeht. Solange es aber bei dem Atheismus bleibt, ist nur das Bewusstsein des Zwiespaltes vorhanden, aber noch keine Besitzergreifung der neuen Welt erfolgt, da der Blick nur kritisch und negativ der Sinnenwelt zugekehrt ist. Es wäre aber imnatürlich, wenn die Menschheit auf dieser Kippe stehen

376 Pantheismus.

bleiben sollte, und es ist vielmehr in der Ordnung, dass der Bliek sieh nun positiv dem neuen Beziehungspunkt zuwendet und diese neue Welt ftlr das Wesen des Ichs erklärt Diese neue Welt ist der Geist, und das Ich findet sich als Geist und als Inhaber derjenigen Kräfte, Gefühle und Ge- danken, die es bisher bei mangelndem Selbstbewusstsein in der Aussenwelt gesucht und seinen Göttern übertragen oder, kurz gesagt, projicirt hatte. „Es ist nicht draussen, singt der von Kant unterrichtete Dichter, da sucht es der Thor; es ist in Dir, Du bringst es selber hervor^^ Das Ich erkennt, dass seine eigene Furcht und Hoffiiung der eigentlich werthvolle Inhalt des Götzen- dienstes ist, und dass die Götzen ihre Macht und Eigenschaften bloss in seinem eigenen Bewusstsein haben, dass dieses Bewusst- sein also selbst die Geburtsstätte, der Schauplatz und der Inhalt seiner Theologie und seines Cultus ist. Ebenso verschwindet der Rechtsgott in dem Gewissen, sobald das Ich seine Projection zurücknimmt und nun in sich selbst den göttlichen Bichterstuhl anerkennt. Kurz, der nächste Schritt, der in das Gebiet des Geistes führt, lässt auch zugleich die Götterwelt im Ich ver- schwinden, um das früher so furchtsame und ehrerbietige Ich nun zum Träger der göttlichen Natur selbst zu machen. Der Atheismus ist also die Uebergangsstufe, bei welcher nur die schwachen Naturen stehen bleiben, während die kräftigeren noth- wendig zum Pantheismus weiter gehen müssen; denn da der durch die Kritik des Atheisten verloren gegangene Gott draussen sich gerade in dem geistigen Leben des Menschen wiederfindet, so muss der Mensch sich stolz aufrichten und sein Ich nicht mehr mit der sinnlichen Seite seines Wesens identificiren, sondern es als Geist und damit zugleich als göttlich und als das Höchste in der Welt anerkennen. Diese Verlegung des Schwerpunktes des Ichs begründet den Pantheismus.

Die systematische Topik hat demgemäss die verschiedenen Coordinationen des geistigen Lebens, welche durch den Namen Pantheismus in Eine Idee zusammengefasst werden, fest zu legen. Zu diesem Zwecke müssen die Beziehungspunkte gegeben sein. Nun war uns bisher gegeben einmal die Götterwelt und zweitens das Ich, welche, durch die Furcht und die Sünde verknüpft, die zugehörigen religiösen Coordinationssysteme lieferten. Statt der bisherigen Beziehungsgründe nehmen wir nun, vom Atheismus

Digitized by VjOOQIC

Definition. 377

geführt, einen neuen auf, nämlich den Geist oder die geistigen Functionen in ihrer selbstbewussten Form. Mit diesem neuen Beziehungsgrunde (dem Geiste) haben wir daher die bisher ge- gebenen Beziehungspunkte einzeln zusammenzuordnen, nämlich erstens die Gott er weit und zweitens das Ich, um dement- sprechend als Function die pantheistischen Formen der Religion mit ihren eigenthümlichen Coordinateusystemen zu erhalten. Ob- gleich wir aber eben die Neugestaltung der Weltauffassung und der Gesinnung schon kurz überblickten, wollen wir doch jetzt noch genauer Punkt ftlr Punkt erörtern.

Wenn oben gesagt ist, dass das Ich sich in die

^ ^ ^ 1. Dlo Verlegung

sinnliche oder in die geistige Seite des Menschen de« schwer- setzt, so könnte ein ungeneigter Leser meinen, das p"°*^ „Setzen" sei in dem Sinne und nach der weder psycho- logisch noch logisch begründeten Methode von Fichte geredet; allein wir wollen hier wissenschaftlicher verfahren und auf philo- sophische Strenge der Untersuchung und Beweisführung Anspruch erheben. Mit Fichte's Ich und seinen Setzungen wollen wir nichts zu thun haben.

Nun kann Jeder bemerken, dass das Ich dem Menschen früh zum Bewusstsein kommt; aber dieses Bewusstsein ist kein wissenschaftliches, und es gehört überhaupt zu den schwierigsten philosophischen Aufgaben, das Wesen des Ichs zu bestimmen, was man schon daraus abnehmen kann, dass Herbart bei seiner Kritik Fichte's in der Eidolologie das Ich in dem Bewusstsein suchte und dort überhaupt nicht finden konnte, es sei denn als eine leere Stelle. Wie komisch dies Resultat ist, wurde ihm nicht klar; er hätte sonst eine sinnvollere Metaphysik geliefert Wir wollen einen Redner hören und man zeigt uns bloss das Katheder oder die Kanzel; man sucht eine Audienz beim Könige und wird bloss zum Thronsessel geftlhrt. Die modernen Posi- tivisten bieten aber auch nichts Besseres, da sie den König ftlr unsichtbar und unerforschlich erklären und bloss das Königreich beschreiben. Doch genug hiervon.

Im Anfang nun wird sich das Ich seiner selbst in reiner Gestalt nicht bewusst, sondern gewinnt nur eine Bruttoauffassung, wobei die Vorstellung von seinem Körper und seinen äusser- lichen Handlungen völlig überwiegt Wird das Seelenleben tiefer, so ftlhlt sich das Ich auch als unsichtbarer. Thäter seiner Thaten

u.quizeauy Google

378 Pantheismus.

und erkennt seine geheimen Motive, seine Begierden und Leiden- schaften. Da aber das ganze Leben im Anfange nach Aussen gerichtet ist, so wird auch von der Seele nur die sogenannte Sinnlichkeit entwickelt, d. h. die Erfahrungserkenntniss, die zu- gehörige leidenschaftliche Seite des Gemtiths und die zugehörige Geschicklichkeit. Fragt man also einen solchen Menschen, wer oder was er eigentlich sei, so kann er sich nur dieser ganzen Region bewusst werden und nur diese für sein Ich halten. Das soll es bedeuten, wenn gesagt wurde, das Ich setze sich in die sinnliche Seite.

Dieses selbige Urtheil fällt das Ich auch über sich auf der Stufe der Rechtsreligion; denn die sittliche Welt des Gewissens kommt ihm nur in vereinzelten Acten zum Bewusstsein, und es hat noch nicht seinen Schwerpunkt darin gefunden, sondern weiss sich nur als Ursache der Sünden. Deshalb fühlt das Ich das Gesetz über und ausser sich und schreibt es einem fremden Gesetzgeber oder dem Willen eines Gottes zu; sich selber aber kennt es nur in den vielartigen und unaufhörlichen Begehrungen, Strebungen und Handlungen, die durch das Gesetz mehr oder weniger getadelt und gestraft werden. Auch hier also setzt sich das Ich in die sinnliche Seite.

Sobald aber die geistige Entwickelung grösser geworden ist, so muss nothwendig die sinnliche kleiner werden; denn das Be- wusstsein hat sein Mass und kann sich nicht mit beliebig viel Inhalt erfüllen. Folglich ist es ganz in der Ordnung, dass das Ich sich nun als den Träger und Inhaber der zum Uebergewicht gekommenen geistigen Welt weiss und dass die äusseren Götter verschwinden, die bisher bei ungebildeter Erkenntniss in's Blaue projicirt waren.

Wollen wir die Zustände des Bewusstseins aber 2. Das Ich jjQ(.]j genauer erörtern! So lange sich das Ich in die

verschwindet . ,, , ^ . .,./.. . , . •. i

seiiMit. smnliche Seite setzt, identincirt es sich mit der phy- sischen Erscheinung des Menschen und hat also schein- bar eine festbegränzte Gestalt und Grösse. Alle seine Triebe und Geftihle spielen innerhalb dieses Kreises, und das Ich weiss sich also als ein untheilbares und eigenes Wesen in der Sinnen- welt. Sobald das Ich sich aber in die geistige Seite setzt, so ist Alles verändert; denn der Geist ist das Allgemeine, da die geistigen Güter Allen zukommen können und die geistigen

Digitized by VjOOQIC

Defioition. 379

Handlungen ebenso wie die Gefühle und Erkenntnisse mittheilbar sind« Sobald daher das Ich die pantheistische Stufe der Reli- gion erreicht hat, so muss auch das Ich selbst f\lr sich ver- schwinden.

Denn erstens in der theoretischen Sphäre ninunt es bloss Theil an der Wahrheit, welche von Allen erkannt wird und welche in Allen ist. Das Ich ist theoretisch nur etwas, sofern ein Theil dieser allgemeinen und ewigen Wahrheit im Bewusst- sein offenbar wird, und das Ich selbst hat dabei keinen Platz mehr, sondern muss aus seiner eigenen Betrachtung erst ver- schwunden sein, ehe es die objective Wahrheit fassen kann. Wie in der Geometrie und Arithmetik kein Ich vorkommt, so auch in keiner Wissenschaft. So viel einer nebenbei noch an sich denkt, so viel verliert er an äquivalentem Wissen.

Ebenso zweitens im sittlichen Geist lebt nur das unpersön- liche Urtheil oder Geftihl, wodurch wir Gutes und Schlechtes scheiden, Becht und Unrecht bestimmen, und jede Einmischung des persönlichen Ichs verdirbt das Geftihl und fälscht das Ur- theil. Blind urtheilt die Justitia. So sind auch alle die Ideen, die im sittlichen Bewusstsein offenbar werden, allgemein und bringen Begeisterung und dahör Selbstvergessen und völlige Hingabe mit sich.

Endlich drittens bietet auch die handelnde Bichtung des Gei- stes nur das Allgemeine, da das Ich, um die Aufgaben des Geistes zu erftillen, von sich absehen muss im Dienste der Familie, des Geschäftes und Amtes, des Staates, der Menschheit, der Civili- sation, des Fortschrittes u. s. w. Wer dabei an sich denkt, gilt nicht für acht. So muss auch hier das Ich verschwinden.

Mithin muss das Ich, sofern es gelegentlich an sich denkt, oder wieder in die sinnliche Stufe zeitweilig herabsinkt, sich nur als vorübergehende Erscheinung betrachten, als eine ver- schwindende Welle im Oceane des allgemeinen Lebens, als ein zerbrechliches und bald zerbrochenes Gefäss flir den göttlichen Inhalt der Welt, als ein im Stoffwechsel des ewigen Lebens ftir einen Augenblick functionirendes Organ, kurz, das Ich muss in der Gottheit verschwinden, die nun Alles in Allem ist

Es ist darum natilrlich, dass in allen pantheis tischen Reli- gionen von Unsterblichkeit der Seele keine Rede sein kann, weil das Ich zu keinem nennenswerthen Bewusstsein von sich selbst

uiymzeu uy V^jOOV IC

380 Pantheismus.

in dieser WeltauffaBsnng gelangt*) Da es aber scheint, dass in einigen pantheistischen Beligionen dennoch die Unsterblichkeit, z. B. in der Form der Wiedergeburten und Seelenwanderungen, eine grosse Kolle spielt, so muss dieser scheinbare Widerspruch bei Erörterung jener Religionen erklärt werden. Wir können jedoch schon im Voraus hier den Grund aller derartigen Verwirrungen einsehen; denn, da die wirklichen, positiven Be- ligionen, wie schon oft hervorgehoben ist, keine reinen Formen haben, sondern erzartig mit den Formen der anderen Beligionen vermischt vorkommen, so können uns solche Widersprüche weder stören, noch verwundem. Die menschliche Seele ist vielmehr von Haus aus den verschiedenartigsten Einflüssen preisgegeben und verträgt die seltsamsten Widerspruche, die sich aus dem angeborenen Naturell und den geschichtlichen Einwirkungen sehr leicht erklären lassen, sehr schwer aber von jeder Seele selbst in geistigem Kampfe zu Eintracht und Einklang geordnet und umgebildet werden. Hier aber in der Beligionswissenschaft haben wir zunächst mit den specifischen Charakteren der reinen Beli- gionsformen zu thun und müssen die Lehrsätze finden, welche schlechthin und unbedingt gelten, wenn auch die Wirklichkeit lauter unreine und verstümmelte Formen zeigen sollte.

€h»rak. ^* ^^^ ^^^ ^^^ ^^ ^^^ Göttliche verschwindet,

teristiudes so muss das Ziel des Pantheismus nothwendig die

p»ntiieis. Vergottung des Menschen sein, wie dies auch von

1. vergottuDg ^®^ bedeutenderen Pantheisten ausgesprochen und und ewiges ihnen klar zu Bewusstsein gekonunen ist. Bei den Neuplatonikem hat man den bestimmten Ausdruck: aÄo*eoöo*ai d. h. Vergottung, der deshalb auch von vielen Kirchen- vätern, wie z. B. von dem heiligen Hippolytos und anderen wiederholt wird, weil sie ihre Schulung durch den Piatonismas erhielten und deshalb das Christenthum nicht überall richtig er- fassten, sondern die platonisch -pantheistische Weltbetrachtung der christlichen unterschoben.

Dass dieses Ziel ein falsches ist, werden wir erst bei dem Studium des Christenthums erkennen, wo allein der richtige Be-

*3 Darum ist auch in der neuesten pantheistischen Metaphysik Lotzens diis Ich geradezu eine komische Figur geworden, da es bei traumlosem Schlafe nächtlich absolut zu Nichts werden soll, um doch am andern Morgen ganz vergnügt wieder dazusein. Nichts und Sein werden von Lotze wie Sommer- und Winterresidenz betrachtet.

uiymzeu i

.uy Google

Definition. 381

griff der Substanz gefunden und das Ich als selbständiges ewi- ges Wesen festgehalten wird; hier dagegen muss uns zunächst diese pantheistische Forderung in ihrer eigenthtimlichen Grösse und Herrlichkeit imponiren, da sie uns mit tiberirdischer Kraft über die Knechtsgestalt des Menschen in den früheren Religio- nen erhebt und zu einem Ziele zu ftthren scheint, das nicht mehr überboten werden kann. Denn mit dem Göttlichen, in welches der menschliche Geist aufgeht, wird uns jetzt auch der ganze Inhalt der Gottheit gegeben, die höchste Macht und Freiheit, die Glückseligkeit in ungemischter Freude und die Wahrheit Wir werden sehen, wie die verschiedenen pantheistischen Reli- gionsformen diese höchsten Wesensbestimmungen der Gottheit in dem Vollendeten und Erleuchteten, d. h. in dem wahrhaft Religiösen, anerkennen. Der Jogi lenkt den Himmel und ge- bietet über die Natur, er hat die Wahrheit erkannt und ist selbst die Wahrheit, und er geniesst die Seligkeit. Sobald er in die wahrhafte religiöse Höhe gelangt ist, fallen auch die zeitlichen Schlacken von ihm ab, und er geniesst in der wesen- haften Natur des Göttlichen, das ja nicht in der Zeit ist, son- dern als Wesen alles Zeitliche durchdringt, ein ewiges Leben. Diese Ewigkeit ist keine Zeitbestinmiung und bedeutet im Pan- theismus nicht etwa ein Leben nach dem Tode in zeitlicher Form, sondern es ist eine Beschaffenheit (Qualität), sofern der Inhalt des geistigen Lebens selbst das zeitlose Gesetz und We- sen der Welt in sich schliesst und es zum Bewusstsein und zur Selbstoffenbarung und zum eigenen seligen Genuss bringt.

Zu dem specifischen Charakter des Pantheismus ^fge^m^n"* gehört es daher zweitens, dass die Religion nicht im Glauben besteht und dasd es darin keine Gläu- bige mehr giebt, während die Religiösen der vorigen Stufen noth- wendig als Gläubige zu bezeichnen waren, da die Gottesvorstel- lungen flir die Religion der Furcht und der Sünde nicht auf Er- kenntniss, sondern auf Meinung und Glauben beruhten. Während die Priester die Wissenden waren in der Religion der Furcht, sofern sie eben nicht selber glaubten und also gewissermassen an der Religion nicht theilnahmen, soudern bloss den Laien als Gläubigen Vorschriften gaben, und während in der Religion des Gewissens die Propheten selbst nur in höherer Erregung das Wort Gottes vernahmen und es nicht in sicherer Erkenntniss be-

u.quizeauy Google

382 Pantbeisinua.

sassen und lehren konnten, so muss es umgekehrt für den Pan- theismus eharakteristisch sein, dass seine Eingeweihten die Fülle des göttlichen Lebens besitzen und nichts draussen mehr zu glauben, zu fürchten und zu hoffen haben. Mithin sind sie Götter geworden oder Göttliche (Wol tj ^eiot). Sofern die Stufe pantheistischer Erkenntniss oder Erleuchtung und Verklä- rung aber noch nicht erreicht ist, so yerhalten sich die Einzu- weihenden und Schüler dennoch nicht als Gläubige dieser Re- ligion, sondern sie sind eben noch keine Pantheisten und ge- hören als Gläubige den früheren Stufen der Keligion an, indem das Motiy der Gottesfurcht oder das Bedürfiiiss nach Gnade und Erlösung sie beseelt Bis man Pantheist wird, ist man daher entweder Bekenner und Gläubiger der Macht- oder Rechtsreligion oder Atheist; gläubige Pantheisten aber kann es nicht geben, da der Begriff dieser Weltanschauung den Glauben ausschliesst. Man darf sich bei diesem Lehrsatz auch nicht etwa durch die Thatsache irre machen lassen, dass z. B. von den Brahmanen doch die übrigen Stämme als Gläubige betrachtet wurden; denn der Brahmanismus ist eben eine gemischte Religion, und wenn man den Pantheismus darin abgesondert hat, so bleibt für die Gläubigen eine nicht -pantheistische Rechts- und Furchtreligion übrig, in welcher die Götter und Sühnungen und Opfer ganz dieselbe Rolle spielen, wie sonst überall in diesen Religionen.

§ 2. Division des Pantheismus. Das Wie ich sehe, fasst man den Pantheismus über-

f^dimimdls ^^ *^® ®^^® einfache Weltanschauung oder Reli- Pantbeismuft. gionsform attf; denn, wenn man einen naturalistischen und idealistischen Pantheismus unterscheidet, so beweist dies bloss, dass man nur an philosophische Systeme gedacht und die Religion nicht in ihrem Motiv und ihrem lebendigen Zusammen- hang verstanden hat.

Es gehört aber in aller Wissenschaft nicht bloss zu den schwierigsten, sondern auch zu den fruchtbarsten Aufgaben, das Fundament einer Eintheilung aufzufinden und sicher festzustellen. Darum dürfen wir uns nicht gleich in die interessanten Gedan- ken der Pantheisten stürzen, sondern müssen die scheinbar pe- dantische, aber ftlr eine höher entwickelte wissenschaftliche Bil-

u.quizeauy Google

Division. 383

dang viel' interessantere Frage nach dem fondamentam divisionis erörtern.

Wollten wir nun naturalistischen und idealistischen Pan- theismus scheiden, so wäre das Fundament die Gottesidee, die nach den beiden von den Philosophen angenommenen höchsten ^ Gegensätzen „Denken und Ausdehnung'' oder Ideales undKeales** getheilt würde. Allein diese Gegensätze sind nicht die höchsten, und diese ganze bisher übliche philosophische Auffassung ist falsch, wie ich dies in meiner Grundlegung der Metaphysik ge- nügend nachgewiesen habe. Auch besteht die Religion nicht . bloss in Vorstellungen über das Wesen der Gottheit Also muss das Fundament tiefer gelegt werden.

Gehen wir aber auf den Ursprung des Pantheismus zurück, so verschwanden ja die Götter in den Geist, und das Ich in das Göttliche des Geistes. Da haben wir sofort die Indication; denn, wenn das Ich bei dieser religiösen Auffassung verschwindet, so ist dies ein Zeichen, dass es sich noch nicht von seinen Thätigkeiten (Realität) und ihrem Inhalte (Idealität) getrennt und als Wesen erkannt hat. Mithin liegt in diesem Ursprung des Pantheismus zugleich der hinreichende Grund, um ihn zu widerlegen und eine höhere Religion zu fordern, wie auch das rechte Fundament, um ihn in fest und natürlich bestimmte Arten einzutheilen.

Denn wenn das Ich sich pantheistisch als Geist betrachtet, so begeht es einen Irrthum; denn der Geist ist ja eine blosse Thätigkeit des Ichs und ein Inhalt dieser Thätigkeit, da das Ich auch zuweilen geistlos ist und schlafen kann, ohne aufzu- hören, ein selbständiges Wesen und Grund von sogenannten äusseren und inneren Functionen zu sein. Setzt der Pantheis- mus aber das Ich als Geist, d. h. als Thätigkeit, so muss er nothwendig in drei Arten auftreten können, da die Thätigkeiten des Ichs dreifach sind. So haben wir das Fundament einer Ein- theilung zugleich gefunden und es sicher festgestellt, da es nur mit dem Ursprung und Wesen des Pantheismus zugleich wegge- nommen werden könnte, also ebenso nothwendig und gewiss, wie der Pantheismus selber ist.

Der Pantheismus folgt nun willig unserem Zügel

Die Einthellang o o o

des und geht in drei Richtungen auseinander, je nach- ptntheismuB. flem q{j^q ^q^ ^j,^[ Thätigkeitsformcn der Seele im

uiyiiized by VjOOQIC

384 Pantheismus.

Uebergewichte ist Ich sage: im Uebergewichte, weil man sich nicht einbilden darf, als wenn der Geist sich theilen könnte, wie man einen Knchen zerschneidet. Denn die drei Thätigkeiten der Seele, die handelnde, fehlende und erkennende Thätigkeit, hängen innerlich zusammen, da die Handlungen vom Geftlhl erregt und vom Erkennen geleitet werden, wie die Geftihle von Handlungen und Vorstellungen entspringen und wie die Erkenntniss vom Ge- fühl geleitet und von der handelnden Kraft durchdrungen sein muss, um die Vorstellungen herbeizuführen und zu trennen. Also kann es sich nur um jein Uebergewicht der Einen oder der an- deren Seite drehen. Wie der Gelehrte e'in Gelehrter heisst, nicht weil er allein etwas gelernt hätte und die Andern nichts, sondern weil er mehr gelernt hat, als die andern Stände und sich mehr mit dem Lernen beschäftigt, und vHe man einige Menschen geftlhlvoU nennt, nicht weil die andern gar keine Ge- fühle hätten: so sollen auch die Arten des Pantheismus nur so verstanden werden, dass Eine der drei Thätigkeitsformen des Menschen jedesmal den Mittelpunkt des Interesses oder das Uebergewicht bilde, während die anderen beiden nur unterstützend und näher bestimmend hinzutreten.

Wir unterscheiden also drei lebendige und principiell ge- trennte Arten pantheistischer Religion. Die erste geniesst das göttliche Leben in der freien und schöpferischen Arbeit und Thätigkeit des Menschen; die zweite einigt sich mit der Gottheit in dem alles Irdische verzehrenden Feuer des Gefühls und der reinen Seligkeit göttlichen Wollens; die dritte scheint Handlung und Gefühl wegzuwerfen, um in ungestörter Einsamkeit des Ge- dankens in der Gottheit zu verschwinden und dadurch die Fülle ihrer Gegenwart zu erleben.

Wenn wir nun den verführerischen Einfiüsterun- ul!d*werthbt- 8®^ "^^ hingeben wollten, die von Seiten der stimmang der Hegclianef ausgcheu, so mttssten wir sofort die Arten ^''®"' des Pantheismus in eine bestimmte Begriffsentwicke- lung auflösen, um ihre dialektische Aufeinanderfolge zu regeln. Nach dem Schema Hegel's wäre das natürlich kinderleicht; denn der handelnde Pantheismus entspräche der Objectivität, der quie- tistische der subjectiven Negativität und der theoretische dem Princip der höheren Einheit. Demgemäss wäre dann auch die Werthbestimmung der drei Arten schnell abgemacht, da sie den Entwickelungsstufen parallel läuft. ^ j

Digitized by VjOOQIC

Division. 385

Allein die Hegersche Dialektik ist schon gewogen und zu leicht befiinden. Ich habe über diese Frage auch mein Theil beigebracht in meiner Metaphysik und flige hier hinzu, dass man die drei Winkel des Dreieckes nicht in einem dialektischen Pro- cesse evolviren kann. Welcher ist der erste? welcher vertritt das negative Moment? welcher ist die höhere Wahrheit der beiden andern? Und auch die vier Arten von Parallelogrammen könnten nur in spielerischer Phantasie dialektisch geordnet werden; es wäre ja zum Spott, wenn man bei solchem Versuche ernsthaft bliebe. Ebenso ungereimt aber wäre die dialektische Gliederung der pantheistischen Religionsformen, da sie ohne Werden zu- sammengehören, wie die drei Winkel des Dreiecks. Die dialek- tische Entwickelung aber Hesse sich beliebig wenden, da man z. B. auch die erste Form, den handelnden Pantheismus, als die höhere Einheit aus dem theoretischen und sentimentalen Pan- theismus ableiten könnte. Meine neue Dialektik der metaphysi- schen Coordination genügt aber dem logischen Ordnungsbedürf- niss, ohne der historischen und metaphysischen Wahrheit zu widersprechen; denn wie die drei Winkel im Dreiecke zusammen- gehören und sich wechselseitig fordern, so gehören auch die drei Arten des Pantheismus zusammen, da sie den drei Elementen der Keligion, der Ethik, Dogmatik und dem Cultus und den drei darin wirkenden Vermögen der Seele entsprechen. Die Beihen- folge in der Darstellung ist deshalb willkürlich, wie man bei der Zeichnung eines Quadrates auch beliebig mit jedem der vier Winkel beginnen kann, obgleich jeder durch seine Lage im Baum von dem andern verschieden ist.

Auch die Werthbestimmung der drei Arten ist nur so durch- zuführen, dass man alle drei als falsche Weltaufifassungen in gleichen Abstand von der Wahrheit stellt, ohne eine oder die andere der Wahrheit näher zu rücken und den beiden andern vorzuziehen. Denn keines unserer drei geistigen Vermögen ist besser oder schlechter als das andere, da jedes die andern in sich schliesst. Wie die Theologen wohl in grosse Verlegenheit kommen würden, wenn sie zwischen Gottes Macht, Liebe und Weisheit wählen sollten, da die eine Eigenschaft die andere vor- aussetzt und jede ohne jede andere sinnlos oder werthlos oder machtlos wäre, so sind auch die drei pantheistischen Beligions- formen gleichwerthig, weil sie mit gleichem Fehler sich einer der

Teiohmäller, Religionsphilosophie. 25 C^ r\r^rs]{>

uiyiiizeu uy V^JvJvJV Iv,

386 Pantheismus.

drei Thätigkeitsweisen des Geistes allein hingeben nud die an- deren ebenso yernachlässigen, wie sie überhaupt das Wesen des Ichs und seiner metaphysischen Beziehungen gänzlich verfehlen. Um aber bei der Untersnchnng des Pantheismus nicht dem blossen Zufall, wie die Fahne dem Blasen des Windes, die Richtung zu yerdanken, so wollen wir von dem Bekann- teren zu dem Unbekannteren fortschreiten und werden dabei sehen, dass diese Keihenfolge auch der Verbreitung der Religionsform entspricht, indem die bekannteste auch die ver- breitetste ist Sollte man einwenden, dass der theoretische Pan- theismus, welchen wir zuletzt behandeln, doch in dem Brah- manismus die verbreitetste und bekannteste Religion sei, so braucht man zur Antwort nur zu lächeln, da die Adepten unter den Brahmanen ja sehr wenige sind und alle die Nichterleuch- teten, wie die übrigen Kasten, nur dem Namen nach zur selben Religion gehören, wie ja auch David Strauss, Moleschott und Unzählige dieser Art zur christlichen Kirche gerechnet werden. Wir suchen hier eine wissenschaftliche Eintheilung der Religions- formen und werden uns nicht einfallen lassen, die empirisch vor- kommenden Religionen fiir reine Formen und alle ihre Bekenner für Gläubige gleicher Art zu halten, wie wir auch seit der all- gemeinen Wehrpflicht wohl wissen, dass unter derselben Uniform ein Bauer, ein Gelehrter, ein Künstler u. s. w. stecken kann.

Digitized by

Google

L Der Pantheismus der That.

Das Motiv des Pantheismus überhaupt ist die aus dem Atheismus überkommene Stinmiung im Hinblick auf die Nichtigkeit der Welt, das Gefühl der Gottleere, Gottverlassenheit oder Gottlosig- keit Da nach der Organisation des menschlichen Geistes dieses Gefühl dem Hunger entspricht, so muss die Gottheit als Nahrung gesucht werden, und da die Gottheit draussen verschwunden ist, so muss uns nun das im Geiste aufgefundene Göttliche satt machen.

Von den drei geistigen Vermögen wollen wir zuerst das der That betrachten, weil dieses nach Aussen tritt und daher am Auffälligsten und gewissermassen am Bekanntesten ist.

Da die Definition dieser Religionsform schon

Elntbeilang.

bei der Eintheilung des Pantheismus überhaupt (S. oben S. 384) deducirt ist, so bleibt uns nur die Aufgabe, zunächst wieder eine Eintheilung dieser ersten Gattung des Pantheis- mus zu versuchen; denn es ist roh, das verschieden Geartete alles durcheinander in Einen Sack zu stecken, und es ist Sache der Bildung, jede Eigenthümlichkeit zu beachten, zu verstehen und richtig zu verwenden, um aber geschickt einzutheilen, muss man vorher geschickt analysiren; denn aus dem inneren Wesen der Sache heraus erfolgt immer die Gliederung. Nichts gliedert sich aber ohne «äusseren Beziehungspunkt, mit dem es sich coor- dinirt; für beständige Gliederungen muss man daher beständige Beziehungspunkte finden.

Nach dieser Ueberlegung können wir nun leicht unser Werk vollziehen. Wir erinnern uns zuerst daran, dass sich überhaupt die Seele nicht regen und bewegen Vvtirde, wenn ihre Thätig- keiten nicht ausgelöst würden durch ein Gefühl. Mithin liegen in dem Gefühl die constanten äusseren Beziehungspunkte für die zugeordneten Thätigkeiten. In dem Gefühl unterscheiden wir aber analytisch erstens diejenige qualitativ eigenthümliche

B88 Pantheismus der That.

Grappe, welche sich auf das gesellschaftliche Zusammensein von Seele und Leib bezieht und also die sogenannte Sinnlichkeit, oder die Region der Begierden und das ganze natürliche Wohl- sein und Unbehagen, das irdische Glttck und Unglück umfasst. Dieser im Wesen des Gefühls liegenden Constanten entspricht nun in festen Handlungsweisen die ganze durch die Noth be- stimmte Technik des Menschen. Ich nenne die zugehörige reli- giöse Gesinnung und Weltauffassung den Fortschrittsenthusias- mus, welcher die der projectivischen Furchtreligion homologe pantheistische Religionsform ist

Die Analysis hat aber zweitens im Gefühl die Region des Gewissens mit den zugeordneten sittlichen Ideen aufzufinden. Dieser äusseren Constante coordiniren sich wieder besondere Thätigkeiten, und die auf dieselben begründete Religionsform nenne ich nach ihren drei Sphären die pantheistische Werkheilig- keit, den Staats- und den Kirchen-Enthusiasmus. Dieser Pantheismus ist homolog der projectivischen Rechtsreligion.

Wir müssen nun aber drittens auf eine Religionsform kom- men, die keine projectivische Analogie kennt, sondern gänzlich neu ist; ich nenne sie den pantheistischen Kunstenthusias- mus; denn bei diesem hat das zugeordnete sogenannte ästheti- sche Gefühl mit den zugehörigen ästhetischen Ideen keine an- dere Beziehung als zur Handlung und Thätigkeit selbst

Hiermit ist die Eintheilung geschlossen; denn es findet die Analyse. zwar noch eine Gruppe von Gefühlen, nämlich diejeni- gen, welche sich auf die Wahrheit beziehen; allein diese haben eben, weil sie auf den idealen Inhalt gehen und keine äusse- ren, sondern nur Denkthätigkeiten hervoiTufen, mit dem Pan- theismus der nach Aussen tretenden That nichts zu thun, son- dern werden erst bei der Religion des reinen Denkens zu ihrem Recht kommen.

Das Specifische der drei von uns deducirten Formen bezeugt sich dadurch, dass erstens in jedem der di*ei Gebiete das Be- wegungsvermögen sich zu einer besonderen Fertigkeit ent- wickelt, welche niemals in einem der andern Gebiete etwas lei- sten könnte, und dass zweitens zur Wirksamkeit in jedem Ge- biete ein besonderes Motiv treibt, welches niemals in einem der anderen Gebiete eine Wirkung hervorbringen würde.

Digitized by

Google

Erstes Capitel. Der Fortschrittsenthusiasmns.

Am verbreitetsien von allen pantheistischen Stimmungen muBS wohl unzweifelhaft der GennsB der Arbeit selbst sein; denn da der Pantheist keine Götter ausserhalb der Welt glaubt und deshalb auch keine Ziele ausserhalb der Welt sucht, in der Welt aber die Noth und die Bedürfnisse von allen Seiten den Menschen bedrängen, so richtet sich die erste Aufinerksamkeit und Achtung auf unsere That, durch welche wir die Noth be- zwingen, die äusseren Dinge umgestalten und sie zu unserer Be- friedigung einrichten. Die Arbeit steht deshalb in wesent- licher Coordination zu der Befriedigung und zum sogenannten Glück des Menschen, welches als Summe aller Befriedigungen betrachtet wird.

In dieser Beziehung nennen wir die Arbeit nützlich, und die durch nützliche Arbeit umgestalteten Dinge bilden Güter, welche zu einander stimmen und sich unter einander stützen, so dass sie nach Erledigung gewisser Arbeiten eine höhere und nützlichere neue Arbeit ermöglichen, wie z. B. wenn der Wald urbar gemacht ist, hernach Weizen oder Mais gesäet werden kann, wenn dieser aber eingeerntet ist, Mühlen und Bäckereien Yon Nöthen sind u. s. w. Mithin liegt in der Organisation der Arbeit eine Ordnung, die zu inuner yoUkommeneren Leistungen, also zu dem sogenannten Fortschritt führt. In dem Zusammen- hang aller Arbeiten, durch welche möglichst viel Bedürftiisse durch möglichst viel Güter gedeckt werden, besteht der Zustand und Grad der Givilisation, worin sich ein Volk befindet, und die Wissenschaft, welche die Gesetze und Bedingungen der Her- stellung möglichsten Glückes untersucht, ist die sogenannte Volks- wirthschaftslehre oder Gesellschaftswissenschaft in engerem und

oogle

390 PantheismuB der That.

eigentlichem Sinne, wobei die ethischen und die tlbrigen idealen Interessen ans dem Spiele bleiben.

Obgleich nun für die Arbeitsleistungen zunächst nur die Selbstsucht, d. h. das Streben nach Befriedigung des eigenen Bedürfiiisses, yorausgesctzt wird, so zeigt sich doch bald, dass die Bedürfnisse aller Menschen, ebenso wie die Möglichkeit ihrer Befriedigungen, untereinander in einer wechselseitigen Ab- hängigkeit stehen, so dass Jeder, um seinen eigenen Nutzen zu fördern, auch den Nutzen der Andern in's Auge fassen mnss. Mithin bildet sich mit der Zeit die Idee des Gemeinwohls oder der allgemeinen menschlichen Glückseligkeit aus, welche nicht nur die gesammte Nation, sondern in immer weite- ren Kreisen zuletzt auch die ganze Menschheit unserer Erde, ja sogar die zukünftigen Geschlechter, denen unsere Arbeiten noch zu Gute konmien werden, mit umfasst

Es giebt nun gewiss sehr viele Menschen, die nicht aus Furcht vor einem überirdischen Gotte, auch nicht, weil ihr Gewissen sie zum Gehorsam unter ein göttliches Gesetz bände, sondern bloss, weil sie ihrem sonst leeren und werthlosen Leben einen Inhalt und Werth geben wollen, sich der Arbeit widmen und, indem sie Nutzen stiften, Güter zur Be- friedigung der menschlichen Bedürftiisse schaffen und dem Fort- schritte der allgemeinen Civilisation dienen, auch eine innere Be- friedigung fühlen und ein entsprechendes Glück gemessen.

Das Motiv dieser Beligion ist durch drei Gefühle auszu- drücken, erstens durch die Furcht vor den Uebeln, die im All- gemeinen der Menschheit drohen, zweitens durch die Hoffnung auf die Ueberwindung aller Uebel durch unsere fortschreitende Arbeit und drittens durch die Empfindung der Lust an der Arbeit selbst Diese Arbeitslust muss noch genauer erörtert werden; denn ein bestimmtes einzelnes Ziel darf man hier nicht als Motiv voraussetzen, wie z. B. ein Geschäft zu begrün- den, Geld zu machen, ein Feld zu entwässern, u. dergl., weil man sonst auf eine bestimmte Arbeitslust, auf eine einzelne welt- liche Begierde zurückgewiesen würde und keine religiöse Stim- mung hätte, die immer die ganze Gesinnung des Menschen um- fasst. Nun bringt aber alle Erfahrung die Einsicht, dass durch jede Arbeit irgend ein Erfolg erzielt wird, ohne Arbeit jedoch nichts von der Stelle kommt. Da nun aller Wille nothwendig

Digitized by VjOOQIC

Fortscbrittsenthueiasmus. 391

auf die Zukunft weist, das Zukünftige aber nur durch unsere Arbeit entsteht, so bleibt im Bewusstsein die Erinnerung an diese Goordination, und man sieht vor Augen die arbeitende Mensch- heit mit all den Erfolgen, die man yon der Arbeit erhoffte und in beträchtlichen Fortschritten wirklich einkassierte. Zugleich mit diesem gefälligen Bilde löst sich auch, wenn das bewegende und handelnde Vermögen des Menschen in gehöriger Weise in Function gesetzt wird, nothwendig immer Lust aus, indem Un- thätigkeit mit Unlust, Arbeitsamkeit aber mit Freudigkeit ver- knüpft ist So entsteht dann diese allgemeine Arbeitslust, diese rastlose Schaffensfreudigkeit und Geschäftigkeit, die gar kein bestimmtes, inhaltliches Ziel hat, sondern nur auf den Fortschritt, d. h. auf die Zukunft überhaupt geht, in welcher irgend welche neue Werthe zur Befriedigung irgend welcher Bedttrfiiisse unter irgend welchen Umständen irgendwie durch unsere und der ganzen Menschheit Arbeit hervorgebracht werden soHen. Den liebenswürdigsten Ausdruck für diese Stimmung findet man bei Benjamin Franclin, der sonst der Bechtsreligion zugehört, in sei- nen Beden von „poor Richard'^ Schlag auf Schlag kommen da die kräftigen Sentenzen und Sprüchwörter hervor, in welchen er seine Arbeitslust bezeugt und gleiche Stimmung entzündet So schweben mir in Erinnerung: early to bed and early to rise makes a man healthy, wealthy and wise und a sleeping fox Catches no mise, und time is money and life u. s. w.

Sofern nun hier kein individuelles Interesse vorausgesetzt werden soll, auch kein einzelnes zufällig gegebenes Bedürfiiiss ein zufälliges und vorübergehendes Ziel steckt, sofern kommt also in der charakterisirten Stimmung nur die wesentliche und allgemeine Natur der menschlichen Activität selbst zum Bewusst- sein und also wird sich nicht die einzelne Persönlichkeit als Persönlichkeit dabei empfinden können, sondern es geht eine Weltempfindung in ihr auf, es weht die frische Brise des allge- meinen Werdens, der allumfassenden Entwickelung der Dinge belebend in's Herz und erhebt es zu höherem Schwung, zu einem über das Private und Augenblickliche erhobene Forte und Presto der Stimmung, die das Recht hat, Enthusiasmus oder Begei- sterung zu heissen mit dem einzigen Losungswort der Hoffnung, welches in der Idee des Fortschritts liegt.

Digitized by VjOOQIC

392 Pantheismus der That.

Die im Gebiete des Gedankens ausgebildete,

Dogmatik.

diesem Gefühle zugehörige Welt kann nun unmöglich einen Gott oder überhaupt festbestimmte Wesen und Ordnungen enthalten, sondern es wird dabei nothw endig nur in trivialer Weise der Begriff des Seins von den sogenannten Erscheinungen abstrahirt, wodurch man natürlich keinen Begriff vom Sein, son- dern nur von dem Erscheinen im Allgemeinen erhält. Alles Er- scheinende erscheint aber als immerfort sich verändernd, wer- dend, fliessend. Da nun der Pantheist sich gegenüber keinen Gott mehr hat, sondern selbst als Erscheinung in dem grossen Meer aller Erscheinungen verschwindet, so wird im Allgemeinen die Dogmatik dieser Religion etwa in der Spencer' sehen Weise ausgebildet werden, wobei die Aufmerksamkeit sich bloss auf die Differenzirungen und Integrirungen der Erscheinungen richtet, ohne dass von einem Wesen derselben und einem Sinne der Welt die Rede sein könnte.

Die pantheistische Ausdrucksweise für die Welt im Ganzen ist aber verschiedenartig und interessirt uns hier nicht, da wir nur die religiöse Coordination zu studiren haben. Für den in der Eintheilung festbestimmten Standpunkt der Religion kommt es nur darauf an, dass von allen Erscheinungen in der Welt die der Furcht, Hoffnung und Arbeitslust coordinirten als die allein wichtigen und werthvoUen betrachtet werden. Mithin mag der Dogmatiker dieser Religion zwar auch von den übrigen Dingen sprechen, das Hauptinteresse aber, und woflir alles Ue- brige nur als Material und Substruction zu dienen hat, ist offen- bar das nationalökonomische, und die ganze Welt ist ihm nur eine grosse Wirthschaft, die immer vortheilhafter arbeiten, immer mehr capitalisiren und also immer grösseres und allgemeineres Glück verbreiten soll. Da aber das Glück nur eine augenblick- liche Abwendung des gefürchteten Uebels ist, während inzwischen durch die veränderte Lage der Dinge schon neue Bedürfnisse und neue Gefahren entstehen, so wird der Dogmatiker das Glück auch auf keine Weise definiren können, sondern muss nur über- haupt den Ausdruck für die Erscheinungen finden, wonach durch fortwährenden Fortschritt bei immer erweiterten Bedürfnissen immer zahlreichere Befriedigungen in dem unaufhaltsamen Flusse des Lebens ermöglicht werden. Also kommt die Dogmatik dar- auf hinaus, bloss das dem ethischen Motiv zugeordnete ideelle

FortschrittscnthuRiasmos. 393

Object allgemein auszudrücken, welches aber von dem Motiv nicht etwa als ein selbständiges Wesen abtrennbar ist, sondern eben nichts als die menschliche Ärbeitsthätigkeit selbst mit der zugehörigen Lust, Furcht und Hoffnung bedeutet.

Es ist in die Augen fallend, dass der Cultus dieser Religion nur in der Arbeit selbst bestehen kann. Freilich darf man der Arbeit nicht selbstsüchtige Motive zu Grunde legen, wie wenn es sich darum handelte, bloss was die einzelne Persönlichkeit bedrückt und ängstigt, zu beseitigen und die Gegenstände ihrer Hoffnung zu erreichen; für den Pan- theisten ist eben die Erweiterung des Gesichtskreises in der Art gewonnen, dass er sich nur als Glied der ganzen Kette nimmt und sein particuläres Wohl und Weh als Beispiel oder als Ein- schlag eines Fadens aus dem allgemeinen Gewebe des mensch- lichen Glückes und Unglückes betrachtet. Mithin gilt die indi- viduelle Arbeit, soweit sie vom Standpunkt dieses pantheistischen Fortschrittsenthusiasmus betrieben wird, als Cultus, d. h. als Schaffen am Webstuhl des allgemeinen Menschenglücks, wobei die Trennung des Ich und Du verschwunden und nur das Geflihl, wie weit wir es schon gebracht und wie weit wir es noch bringen werden, übrig geblieben ist. Diese Arbeit hat deshalb auch keine wissenschaftliche, künstlerische, sittliche, politische und kirch- liche Tendenzen, sondern bloss wirthschaftliche. Man schafft mit an dem Bau eines Canals, einer Eisenbahn und freut sich daran auch beim Zusehen. Zu welchem Zweck arbeitet man da? 0, es ist herrlich! seht, wie die Arbeit fortschreitet, bald wird die Locomotive auf dieser ganzen Strecke pfeifen. Und was hat man davon? Ei! dann wird man leichter und schneller zusammenkommen und alle Waaren schneller und billiger erhalten können. Und welchen Vortheil bringt das? Durch Erleichterung des Verkehrs wird man besser zusammenarbeiten und durch grössere Billigkeit mehr von den Waaren anschaffen, gebrauchen und gemessen können. Und warum will man das? Wer so fragt, gilt als völlig dumm; denn der Inhalt dieser Religion besteht ja bloss in der Ausbreitung des sinnlichen Glückes und deshalb in den Fortschritten der Arbeit.

Obwohl man allgemein diesen ganzen Standpunkt Utili- tarismus nennt, so könnte man ihn recht wohl auch Promo- theismus nennen^ wenn man einen vornehmen Vertreter aus der t

uiumzeu uy x^jv^wV Iv^

394 Panthei8inu8 der That.

Mythologie zum Patron haben möchte; denn dieser Atheist fing an, der Menschheit das Feaer zu verschaffen und mit diesem Einen Nutzen zugleich unzählig viele andere Fortschritte der Menschheit anzubahnen, wie er auch ohne alle Bücksicht auf die Götter bloss die Glückseligkeit der Menschen durch ihre eigene Arbeit und Thatkraft suchte. Es dreht sich nun zwar, wie in der Furchtreligion, alles um die sinnlichen Güter und Uebel; gleichwohl zeigt sich der pantheistische Charakter des Stand- punkts darin, dass das, was Werth und Geltung hat, nicht von einem Gotte, sondern nur von dem Menschen selbst erwartet wird. Dabei muss es als einerlei betrachtet werden, ob einer in seiner Arbeit für sich allein schafft, oder ob er als Baumeister und grosser Unternehmer oder Fürst Vielen gebietet, ob er kleine oder grosse Wirkungen erzielt, ob er bloss eine Reihe von Obst- bäumen pflanzt oder eine Landenge durchgräbt und Millionen von Schiffen den Durchgang erobert; denn die Stimmung und Gesinnung ist dabei qualitativ dieselbe. Wer als Beobachter in seiner Zeit lebt, wird eine überraschend grosse Zahl von Menschen finden, die zwar scheinbar dieser oder jener positiven Religion zugehören, in Wahrheit aber „Pantheisten der That" und nur von dem Enthusiasmus des Fortschritts erfüllt sind, ohne durch ein anderes, den früheren oder den späteren Religionsformen specifisch zugeordnetes, Motiv bewegt zu werden.

Man kann diesen Standpunkt in gewissem Sinne auch bei Göthe finden, sofern er wenigstens am Ende des zweiten Theiles des Faust auf dieses Bemühen um das äussere Wohl der Menschheit oder um den Fortschritt der Civilisation den Nach- druck legte, obgleich er ja auch einige andre viel tiefere Ideen noch eingemischt und den Standpunkt deshalb nicht ganz rein dargestellt hat Ich ftihre zum Beweise nur ein paar Verse an: „Den faulen Pfuhl auch abzuziehn, dies Letzte war' das Höchst- errungene. Eröffh' ich Räume vielen Millionen, nicht sicher zwar doch thätig-frei zu wohnen. Grün das Gefilde, fruchtbar; Mensch und Heerde sogleich behaglich auf der neusten Erde, gleich an- gesiedelt an des Hügels Kraft, den aufgewälzt kühn-emsige

Völkerschaft. Ja! diesem Sinne bin ich ganz ergeben, das

ist der Weisheit letzter Schluss: nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss." Auch in seinem Prometheus tritt der Standpunkt hier und da deutlich aa£ Doch

uiuiiizeu uy V^J v^WV l^

Fortschritt aenthueiasmus. 395

wag brauchen wir so weit zurück zu gi-eifen; überall in der glaubenslosen modernen Gegenwart kann man den Utilitarismus preisen, das Evangelium der Arbeit verkünden hören und dem pantheistischen Götzen „Fortschritt" Hekatomben von Menschen- leben opfern sehen.

Wollen wir diese Religion der „kühn - emsigen" und „thätig-freien" Menschen der Kritik unterwerfen, so heisst das so viel als untersuchen, ob wir wirklich dadurch befriedigt werden könnten. Nun enthält aber ihre Ethik nur die Forderung und den Genuss der Arbeit als Tugend und ausserdem noch das Wohlsein und sinnliche Behagen als höchstes Gut. Theilen wir also die Frage, so ist zunächst die Arbeit als solche von sehr zweifelhaftem Werthe; denn Steine zu klopfen, oder Hemden zu plätten und Stiefel zu putzen, und zwar immer und ewiglich, das ist kein Genuss, fUr den man Propaganda machen könnte. So ist die Arbeit als solche auch nicht werth- voll, sondern inhaltslos und kann auch dem völlig Unnützen ge- widmet werden. Ihr Werth liegt, wie schon Aristoteles scharf definirt hat, ausser ihr selbst in dem Zwecke, woflir man arbeitet. Damit kommen wir auf den zweiten Theil der Ethik, auf den Wohlstand, welcher der einzige Zweck aller Arbeit sein soll. Nun verwandeln sich zwar die Vertreter dieser Religion, wie z. B. Spencer, wenn sie Angriffe befürchten, geschwind in die Sepia und lassen ein paar Tropfen ihres Tintensaftes ab, um sich in eine undurchsichtige Wolke einzuhüllen, indem sie das „per- sonal well-being** und „well-being of others** und „welfare" über- haupt über das sinnliche Wohlbehagen hinaus auch auf moralische, künstlerische, wissenschaftliche und jede gewünschte Befriedigung ausdehnen. Allein diese Taktik hilft nichts; denn wir warten ruhig ab, bis die Confusion vorübergegangen ist. Wenn nämlich z. B. die künstlerische und moralische Befriedigung Zweck wäre, so müssten Principien aus dem eigentümlichen Wesen der Kunst und des Gewissens massgebend und also eine ganz andere Ethik geschaffen werden. Es dreht sich aber bei Spencer und seinen Religionsgenossen alles gute Handeln bloss um den Ueberschuss von Lust, wie bei dem schlechten Handeln um einen Ueberschuss von Leid, der dadurch uns selbst in der Zukunft oder andern Menschen erwächst. Da nun in der Kunst, im Gewissen und in der Wissenschaft objective Normen hingestellt werden können,

uiuiiizeu uy x^jvyVJSx Iv^

396 Pantheismu« der Thafc.

deneu a priori auch die Befriedigung coordinirt ist, so zeigt sich, dasB die Spencer* sehe Ethik, die, wie er gelbst bekennt, nur relativ ist und weder Güter, noch Pflichten definiren kann, sich bloss um das zufällige and perspectivische sinnliche Behagen dreht und ihrer Natur nach materialistisch ist. Das sinnliche Glück aber theilen wir mit den Thieren und, da der Mensch nur mit den Füssen auf dieser Unterlage seiner Entwickelung steht, so lassen wir Spencer und die Fortschrittsenthusiasten mit ihrer Ethik dort unten und erklären, dass für den Menschen Herz und Kopf und Persönlichkeit noch andere Ziele der Be- friedigung erheischen. Bei Spencer kann man, als an einem wirklich hübschen Specimen, sehen, wie genau der niedrige Standpunkt der Religion und Philosophie der zugehörigen niedrigen Begabung seines Vertreters entspricht; denn Spencer erhebt sich in seiner geringfügigen Reflexion und in seiner entsprechend un- bedeutenden Gelehrsamkeit grade zu der Stufe, auf der man überhaupt anfängt zu philosophiren. Wäre er von grösserer Anlage, so würde er die zugeordneten philosophischen Gedanken der zugehörigen Autoren verstehen und ihre Werke gelesen haben. Er würde dann z. B. wissen, dass sein Standpunkt schon längst von Piaton in seinem Dialoge Protagoras mit feiner Ironie und gutem Humor beseitigt ist.

Wenn nun die Dogmatik dieser Religion auch den Sinn und Werth der Welt bloss in dem sinnlichen Wohlsein und der diesem Zweck gewidmeten Arbeit des Menschen findet und der Cultus dieser Religion ebenfalls nur in der Arbeit für den Fort- schritt besteht, der den ephemerischen Menschen bei immer er- neuten und veränderten Bedürfnissen zu einem betriebsamen Leben mit fortwährendem Anschluss von Arbeiten nöthigt, so kann man zwar nicht umhin, diese Fortschrittsenthusiasten zu loben, weil sie ihr als Ameisenleben empfundenes Dasein nicht unnütz hinbringen, muss ihren Lebensgenuss aber doch nur für die unterste Stufe menschlicher Güter und ihre Lebensarbeit nur für den Sockel erklären, auf denen erst die Statue der Mensch- heit aufzurichten ist Denn das blosse Wohlsein und der Wohl- stand wird ja augenblicklich weggeworfen, sobald höhere Güter in's Spiel kommen, wie der Dichter wahrheitsgemäss singt: „Was scheert mich Weib, was scheert mich Kind, lass sie betteln gehen, wenn sie hungrig sind, ich trage weit bessres Verlangen,

Portschrittsenthusiasmus. 397

den Kaiser, den Kaiser zu schützen." In diesem Falle ist nun schon bloss die von Bewunderung und Ehrliebe getragene Hin- gebung und Treue ein genügendes Motiv, um die äusseren Güter wegzuwerfen ; um wie viel mehr also wird der Werth des blossen Wohlseins sinken müssen, wenn die höheren und herrschaftlichen Tugenden selbst in Frage kommen.

Wenn wir daher den Utilitarismus wie einen guten Diener schätzen können, weil er durch seine fleissige Arbeit den Wohlstand - und also die nöthige Müsse und Freiheit flir die höheren Geistes- thätigkeiten vermittelt, so ist doch dieser ganze Standpunkt, wenn er flir sich etwas gelten will, als eine Frühgeburt zu be- zeichnen, die noch nicht ausgetragen und ausgereift ist, sondern mitten in der Zeit der Entwickelung schon abschliesst. Die ganze Aufgabe des ewigen Fortschritts ist ja das Loos des ewigen Juden, der immer umläuft und niemals fiuhe findet. Nie- mals ist ja der Augenblick gekommen, wo man auf diesem Stand- punkte wirklich zufrieden sein könnte, wo man zum Augenblicke sagen dürfte: „Verweile doch, du bist so schön". Deshalb lässt Göthe in richtiger Erkenntniss auch den Mephistopheles die Kehr- seite dieses Arbeits- und Civilisations - Enthusiasmus enthüllen; denn erstens verkleidet sich die Sorge für die äusseren Bedürf- nisse der Menschheit in Rücksicht auf die drohenden Gefahren iu tausend Gestalten und täuscht beständig den Geist, so dass er nie zufrieden ist, und zweitens ist ja aller Erfolg der Civili- sation auch nur vorübergehend; denn „mit Deinen Dämmen, sagt Mephistopheles zu Faust, bereitest Du nur Neptunen, dem Wasserteufel, grossen Schmauss. In jeder Art seid ihr verloren; die Elemente sind mit uns verschworen und auf Vernichtung läuft's hinaus." Und das „Grab" kommt zwischen alle Pläne und Arbeiten unvermeidlich. Die Arbeit ist eine Danaiden- arbeit, da das Fass Löcher hat, und niemand die menschlichen Bedürfnisse jemals ganz befriedigen kann, während uns das Fehlende immer als das Beste erscheint und zu neuer Arbeit stachelt

So ist die Arbeit um. der Herstellung des Wohlseins willen eine unmögliche und die Arbeit um der Arbeit willen eine leere Aufgabe. Wenn die Leute daher dennoch mit dieser Religion zufrieden sind, so hat dies zwei Ursachen; einmal nämlich ist diese erste Stufe des Pantheismus der Furchtreligion homolog

uiyiiized by VjOOQIC

398 Pantheismus der Thai.

und deshalb, wie diese, für die grosse Masse bestimmt, deren Güter in dem Gebiete von Furcht und Hoffiiung liegen und nach dem Verschwinden der projectivischen Götter von der Arbeit der menschlichen Gesellschaft abhängig geworden sind; zweitens ist ja die Arbeit überhaupt eine natürliche Function und deshalb immer zufriedenstellend, wenn kein Bedür&iss nach höheren Gütern vorhanden ist; denn da die unteren Functionen um der höheren willen vorhanden sind, so muss denselben auch ein gewisser zugehöriger Lohn von Befriedigung beschieden sein, obgleich natürlich, sobald die untergeordnete Function souverän sein will, alle obengenannten Gründe zum Pessimismus unver- meidlich werden.

Dass diese ganze Keligion und zugehörige Geistesverfassung aber eine bloss untergeordnete Bedeutung hat, zeigt sich deutlich auch an der zugehörigen Wissenschaft, der Nationalökonomie, die sich nothwendiger Weise in einer principiellen Verlegenheit befindet. Wenn sie sich nämlich als selbständige, herrschaft- liche Wissenschaft fühlt, so muss sie eigenePrincipien haben und nimmt dann die Bedürfnisse und die zugehörigen den Mangel ausftillenden Güter als ihre Grundlage. Allein diese Grundlage ist bodenlos, weil ein höheres Princip erforderlich ist, um die Bedürfhisse zu beurtheilen, damit nicht durch alle die unnützen und lasterhaften Bedürfnisse, welche ebenfalls als mächtige, wenn nicht als die mächtigsten Bedürftiisse gefühlt werden und ihrer Natur nach nothwendig überall in's Unendliche gehen, das nor- male Bedürfhiss als gleichwerthig oder untergeordnet erscheine und die ganze Wissenschaft zweifelhaft und verächtlich werde, zweifelhaft, weil die Befriedigung aller Bedürfnisse unmöglich ist, verächtlich, weil selbst der Versuch dazu schon gegen das Ge- wissen geht Ausserdem ist das auch kein Princip, wenn man von den Bedürfiiissen ausgeht. Denn die Güterlehre hat zwar ihren Begriff vom Nützlichen und Guten durch die Beziehung auf die Bedürfnisse; die Bedürfnisse selbst aber müssen erst erklärt werden; denn warum bedarf man überhaupt etwas? Dass diese Frage vor ein höheres Forum, gehört, sieht man schon daraus, da es sonst Aufgabe wäre, seine Bedürfnisse auf das Möglichste zu vermehren, um desto mehr zugehörige Güter zu schaffen und sich zugleich desto sicherer unglücklich zu machen.

Digitized by VjOOQIC

Portschritisentbasiasinus. 399

Es zeigt sich also, dass die Nationalökonomie einer höheren Wissenschaft untergeordnet werden muss; denn da die Be- dürfnisse sich untereinander reguliren, indem die Einen die an- deren ausschliessen oder unterstützen, so müssen sie eine ver- schiedene Kraft haben, d. h. sie müssen qualitativ geartet sein. Die Werthmessung der Bedürfnisse aber leistet die St aats- wissenschaft, die sich deshalb auch herausnimmt, den un- fruchtbaren und schädlichen Bedürfnissen Steuern aufzuerlegen, oder sie mit Gewalt zu unterdrücken.

Es ist interessant, dass die Vertreter der National- ökonomie jetzt gern einen vornehmeren Ton anschla- letzte Revoite gen und die ganze Gesellschaft mit allen ihren In- «^««^ ^*® teressen unter ihr Gebot nehmen wollen. Allein wir dürfen diese Ansprüche nicht als ein vereinzeltes Phänomen be- trachten, sondern müssen es mit den coordinirten Ansprüchen der anderen Wissenschaften vergleichen und geschichtlich erklären. Wer nicht zu den Jüngeren gehört, wird die Zeit erlebt haben, wo die empirischen Wissenschaften, d. h. ihre damaligen Ver- treter, alle nach und nach das Joch der Philosophie abschüttelten und ftlr sich volle Freiheit verlangten. Nachdem sie in dieser Freiheit schon weitere Fortschritte gemacht, traten dann auch natürlich die Klügsten noch den Löwen, den sie für todt hielten, mit Füssen. Die Philosophie aber, die zwar von Natur unfehl- bar, unsterblich und stärker als die von ihr beherrschten empi- rischen Wissenschaften ist, sass dennoch still und geduldig, wie eine Eule bei Tageslicht, wenn die kleinen Vögel mit zornigem Gekreisch sie umfliegen und mit den kleinen spitzen Schnäbeln nach ihr hacken. Sie rührte sich nicht, weil ihre Vertreter wirklich gefehlt hatten und die Wahrheit nicht zeigen und ver- theidigen konnten. Trotzdem durfte sie ruhig die Zeit abwarten, wo man wieder nach ihr verlangen würde; denn es lag ja auf der Hand, dass die Revolutionäre zuerst den Taumel der Frei- heit kosten würden, dann aber selbst durch eigene Bewegung an die Gränzen ihres eigenen speciellen Gebietes gelangen und wegen der neuen Freiheit über die Gränzen hinübergehen muss- ten, um alsbald zu finden, dass ihnen eigentlich die Herrschaft überall gebühre. Dies Phänomen ist auch in der That überall eingetreten; denn bald waren es die Physiker und Chemiker, die alles in der Welt physikalisch und chemisch erklären wollten

uiumzeu uy x^jvy\J>t Iv^

400 Pantheismus der That.

und sogar die Gedanken ftir chemische Processe nahmen; bald waren es die Zoologen, die auch den Menschen als Thier bean- spruchten und seine Staatseinrichtungen biologisch erklärten; bald waren es Physiologen, die die Welträthsel aufgaben, oder die ästhetischen Geheimnisse enthüllten oder die wahre Psycho- logie entdeckten; bald waren es auch Natioualökonomen, die das ganze Leben der Gesellschaft als ihre Domäne betrachteten und über die Judenfrage, die Codification, die Willensfreiheit, kurz über Alles gesellschaftswissenschaftlichen Bescheid ertheilten. Was sagt die Philosophie dazu? Sie lässt sie ruhig wirth- schaften, weil der Humor nicht ausbleibt; denn wenn z. B. die Naturwissenschaft erst die sogenannten künstlichen Gränzen zwi- schen Natur und Geist überschritten und also von allen Geistes- wissenschaften naturwissenschaftlich Besitz genommen hat, so wird sie, sobald das Eroberungsfieber vorüber ist, anfangen, sich in ihrer Herrschaft zu consolidiren. Sie wird dann ilire verschie- denen Gebiete überschauen und sie nach natürlichen Gränzen verschiedenen Ministerien übergeben, sich selbst aber die Ge- sammtübersicht vorbehalten. Dadurch wird die unmittelbare Fühlung mit allen Einzelheiten der empirischen Forschung noth- wendig aufhören, weil die Herrschaft immer die allgemeinen Fra- gen im Auge behalten muss, und so wird mit Einem Male klar, dass sich die alte Theilung der Wissenschaften wieder herstellt, und dass jede beliebige Wissenschaft, welche sich an die Spitze stellt, die Principien ftir alle sucht und die Gränzen der Einzel- gebiete und ihren Verkehr überwacht, mit oder ohne Willen die Rolle der Philosophie spielen und ihren Charakter annehmen muss. Es würde zu weit ftihren und die Feder zu tief in Aristophanische Lauge tauchen, wenn man an einzelnen Reprä- sentanten dieses Resultat verificiren sollte, um die komische Selbstvernichtung darzustellen, mit welcher diese Empiriker und Thatsachenphilosophen sich selbst zur Ader lassen und ihr Le- benslicht ausblasen.

Was hier erörtert wurde, bezieht sich aber nur nach der jetzt üblichen Sprechweise auf die Wissenschaften selbst, in Wahrheit jedoch auf einzelne ihrer Vertreter und deren Mei- nungen; denn gegen die Philosophie kann gar kein Aufstand ge- macht werden, sondern jeder Denkende muss, er mag wollen oder nicht, sie anerkennen und gebrauchen, weil er sonst nicht

Digitized by VjOOQIC

Fortschrittsenthusiasmus. 401

denken könnte, eben so wie die Kaufleute nicht gegen die Arith- metik revoltiren können, weil sie alsbald bei ihrem eigenen Buchabsehluss und bei ihren Berechnungen untereinander, auch wenn sie die Käufer tibervortheilt hätten, flir sich die Arithmetik als Herrin von Gottes Gnaden anerkennen müssen. So können auch in Wahrheit die Wissenschaften keine Uebergriffe in fremdes Gebiet machen, ebensowenig wie die Ohren es sich einfallen lassen, aus Uebermuth einmal das Riechen und Sehen zu über- nehmen. Es dreht sich deshalb nur um die subjectiven Mei- nungen mehrerer Vertreter der einzelnen Fächer. Und der Grund des obigen Phänomens lässt sich aufweisen. Vernunft und Ver- stand nämlich sind für jedes Fach erforderlich; das Bewusst- sein der zugehörigen Functionen dieser Vermögen und ihres ideellen Inhalts aber wird Philosophie genannt; demgemäss ist philosophische Bildung eine allgemein humane Eigenschaft und desKalb ein Ingredienz der Fachbildung. Sobald nun eine früher herrschende philosophische Schule aufhört, die Köpfe zu be- friedigen, so wird jeder Fachgelehrte auf seinen eigenen Ver- stand und seine eigene Vernunft angewiesen, um sich die Lücke auszuftillen; er wird deshalb die Tendenz zeigen, die Principien seines Specialgebietes über die Gränzen hinaus zu tragen; um möglichst alle Gebiete darunter zu begreifen; denn es fehlt ihm ja die Philosophie, und so muss er irgendwie sich zu helfen suchen, um einen Ueberblick über das Ganze zu gewinnen, und kann es doch nur nach dem, wovon er herkommt So ist das Phänomen völlig begreiflich nach beiden Seiten; denn einerseits verfehlen solche Specialforscher die eigenthümliche Erkenntniss- quelle und Methode der Philosophie und drängen sich mit den aufgekrämpten Hemdsärmeln ihrer Werkstube in den hohen Saal des Rathhauses, andererseits hatten die früheren Rathsherren das Interesse der Gesellschaft ausser Augen gelassen, oder es fehlte ihnen an dem nöthigen Salz, um ihre Aufgabe zu erftlUen.

Telohmäller, Religionspbiloaophie. 26 r^ r^^^r-^}^

Digitized by VjOOQIC

Zweites Kapitel. Die pantheistische Werkheiligkeit.

Die Schwiengkeit unserer ganzen Aufgabe be-

Znr Methode. . , . , . , ^ , r ü v r -u

steht dann, dass wir die Reugionsformen m ihrer gleiehsam chemischen Reinheit darstellen müssen. Während man bisher der Spectralanalyse den Satz zu Grunde legte, dass jeder Körper ein bestimmtes ihn charakterisirendes Spectrum habe, fand sich nun, dass den Verbindungen der Metalle wieder eigen- thümliche, von den Elementen verschiedene Spectra zukommen, so dass wegen der Absorptionsverhältnisse und der verschiedenen Temperaturgrade die Bestimmung des Elementären neue Schwie- rigkeiten darbietet Je mehr die Chemie fortschreitet, desto feiner können auch noch die Definitionen der Elemente gegeben werden. Während aber die Chemie schon lange Zeit an dieser Aufgabe arbeitet, unternehmen wir hier nicht bloss den ersten Versuch, sondern wir stellen auch zuerst die Aufgabe, in der Erforschung der Religion eine exact analytische Me- thode zu befolgen, nach deren Vorgange dann, wie in der Chemie, eine apriorische Synth esis möglich wird, während man bisher nur die grossen positiven Complexe, welche als Religionen be- kannt geworden waren, zu classificiren versucht hat. Abschreckend wegen ihrer Undurchsichtigkeit und Unrichtigkeit sind aber na- türlich alle diese Eintheilungen ausgefallen und so z. B. in hohem Grade die HegeVsche Religionsphilosophie. Aber auch die mo- dernen inductiven und vergleichenden Religionsforschungen leiden an demselben Fehler, dass sie die elementaren Formen nicht kennen und die Constanten in den ethischen, dogmatischen und cultischen Coordinationcn nicht offen gelegt haben. Für diese neue Aufgabe wollen wir hier tiberall den Weg zu erforschen suchen.

Digitized by VjOOQIC

Werkbeiligkeitseiithusiasmiis. 403

Es giebt flir diejenigen Pantheisten, welche den projectiven Rechtsgott verloren haben, dagegen in ^^^^^^^^^ sich die Stimme des Gewissens kräftiger hören, nur eine Befriedigung in Handlungen nach dem Sittengesetze. Die sittlichen Geflihle und Ideen beziehen sich aber sowohl auf die einzelne Persönlichkeit als auf die Gemeinschaft, und für beide Kreise von Handlungen finden sich die einzelnen Menschen verschieden beanlagt. Wir betrachten hier zunächst die Gruppe Derjenigen, welche in dem Kreise der einzelnen Persönlichkeit sich bewegen.

Der Gattung nach fällt nun dieser religiöse Standpunkt insofern mit der Frömmigkeit der Religion des Rechts zusam- men, als es wesentlich das Gewissen ist, dessen Zufriedenheit gesucht wird. Die Differenz aber liegt darin, dass der Gläu- bige der Rechtsreligion einem auswärtigen Gesetze gehorcht, dessen Urheber er in blindem Glauben verehrt, während der Pantheist den Grund der Gesetze in sich selbst findet und die Verehrung daher sich selbst zuwendet In der Rechtsreligion kommt es vor Allem an erstens auf Frömmigkeit, d. h. Glauben und Gehorsam gegen den Willen des Gesetzgebers, und zweitens auf Werkheiligkeit, d. h. auf die durchgehende Correctheit und Legalität aller Handlungen, die dem Gotte gewissermassen ge- weiht und dadurch heilig werden. Das pantheistische Correlat dazu wäre nun eigentlich die sogenannte „Tugend", d. h. die Vollkommenheit sittlichen Erkennens, Wollens und Thuns. Allein da in der Tugend das Wollen und Erkennen einem anderen Vermögen zugehört, so müssen wir die Tugend spalten und hier mehr das Thun und Können berücksichtigen, weil es sich hier um die Vorherrschaft des handelnden Vermögens dreht. Die Correctheit desselben kann daher auch als Werkheiligkeit be- zeichnet werden und als pantheistische insofern, als das Obligatorische des Wollens nicht in der individuellen Persönlich- keit mit ihrem zuftilligen Bewusstseinsinhalte liegt, sondern in der allgemeinen Natur der Welt, von welcher das Ich nur eine Erscheinung, eine vorübergehende Offenbarung ist. Durch diese letztere Auffassung wird dieser Standpunkt nicht blosse Mora- lität, sondern Religion, sofern der Religiöse seine Handlungs- weise als die höchste Lösung des Welträthsels, als die vor- nehmste imd beste Leistung und Frucht des Universums betrachtet

u4piizeu uy 'V-jOOV l\^

404 PaDtbeismus der That.

und sich daher in seinen Handlungen als ein heiliges und un- endlich werthvoUes Wesen verehrt, da er sein Ich nur als vor- übergehende Existenz- und Erscheinungsweise der Einen Natur der Welt ansieht.

Diese Keligionsstufe ist durchaus keine künstlich co:^^'mation. coustruirte, die etwa nur im System ihren Platz hätte, ohne in der Wirklichkeit vorzukommen. Wer dies meinen sollte, der kann nur die zufalligen Anhängsel und Yor- urtheile nicht absondern, die sich allerdings in jeder historischen Form immer aus dem umgebenden Medium niederschlagen. Wer aber mit einiger Aufmerksamkeit beobachtet, wird bald erkennen, dass viele Moralische und Fromme ihre theologischen Annahmen in blossen Worten besitzen und dass sie vielmehr ihre eigenen Handlungen flir das Heilige und WerthvoUe in der Welt ansehen und ganz in die fortwährende Anschauung und Ausübung ihrer Tugend verliebt sind, sich selbst unendlich deswegen verehren und immerfort von sich und ihren Werken sprechen und ihr Leben Anderen als Vorbild aufstellen. Die Götzenbilder gelten ihnen nichts, der unsichtbare und unvorstellbare Gesetzesgott ist ihnen auch verschwunden; dagegen ist nun zum Götterbild ihr eigenes Leben geworden, nicht aus blosser persönlicher Eitelkeit und Unwahrheit, sondern weil sie die Stimme des Gewissens kräftiger hören und ganz in der Conformität der Handlungen mit dem inneren Gesetz ihrer Natur ihren Werth, ihre Vollkommenheit und die göttliche Verklärung der idealen Natur der Welt suchen und finden.

Diese pantheistischen Werkheiligen thun daher dieselben Werke, welche auch sonst von der Rechtsreligion und von der Moralität gefordert werden, sie üben die Nächstenliebe praktisch, sie besuchen und pflegen Kranke, selbst bei gefährlichen und ansteckenden Seuchen mit völliger Verachtung der Gefahr und mit aller Selbstaufopferung, sie gehen in die Gefängnisse und trösten die Unglücklichen, sie geben reichliche Almosen, sie unterstützen die armen Verwandten, sie erziehen fremde Kinder, ernähren und kleiden die Armen, unterrichten ohne Lohn die Vernachlässigten, kurz sie sind immer zu jedem Opfer bereit, und jede Anstrengung dieser Art ist für sie ein Genuss ihrer eigenen Heiligkeit. In der katholischen Kirche hat man diese Naturen nicht übersehen können; man hat für sie eine besondere

uiyiiizeu uy V^jOOV IC

WerkheiligkeitsenthusiaBmus. 405

Rubrik geschaffen; denn während die gewöhnlichen Gläubigen nur das Vorgeschriebene thun und eine mittelmässige sittliche Anstrengung leisten, so erheben sich die zu unserer Form gehö- rigen Fronunen zu Werken, welche die Forderung tiberschreiten (opera supererogationis), und erlangen daher einen Schatz ttberschtlssiger Werke, der nach dem Standpunkte der Furcht- religion sogar zu einem Handelsartikel und Tausch- und Stellyer- tretungs-Object werden kann. Viele Frommen dieser Art stehen allerdings ganz auf dem Standpunkte der unreinen Rechtsreligion; man findet bei wirklicher Menschenkenntniss aber auch nicht wenige, die als pantheistische Heilige zu betrachten wären, da es sich bei ihnen nur um den Genuss ihrer eigenen Heiligkeit dreht, und dies lässt sich um so leichter erklären, da die unauf- hörliche Beschäftigung mit Tugendwerken und also die An- schauung der Gegenstände ihrer Handlungen und das Geftlhl ihrer eigenen Leistungen in ihrem Bewusstsein allen Platz aus- flillt, weshalb die etwaigen Gedanken an die auswärtige Gott- heit mehr und mehr zurücktreten müssen, bis schliesslich nur der Standpunkt des pantheistischen Heiligkeitsgenusses übrigbleibt. Man darf auch nicht glauben, als wenn all die von der Re- ligionsphilosophie ausgeprägten Begriffe und Ausdrücke, wie z. B. „pantheistischer Heiligkeitsgenuss'' u. dergl., den Angehö- rigen dieses religiösen Standpunktes geläufig sein müssten; daran fehlt viel, denn es ist durchaus nicht nöthig und nicht einmal möglich, dass sie sich selbst begriffen und sich classificiren könnten, weil sie sonst ganz von selbst ihren Standpunkt ver- lieren würden. Deshalb will ich nur daran erinnern, dass man die hier definirte und charakterisirte Religiousform auch in vielen ganz trivialen Repräsentanten findet, die sich sehr wundem wür- den, wenn sie erfllhren, dass sie in der Religionsphilosophie auch eine Rolle spielen. Ich meine nämlich die ziemlich zahlreiche Classe von solchen Leuten, die nichts glauben und nichts hoffen, die auch niemals über die Normen ihres Thuns räsonniren, den- noch aber finden, dass es in der Welt, an der sonst nichts daran sei, am Besten wäre, seine Pflicht zu thun; denn diese Leute legen, obgleich sie von sich selbst auch nichts Grosses halten, dennoch durch ihr rechtes und gesetzliches Leben an den Tag, dass sie von dem Pflichtbewusstsein regiert werden und dass ihre von der nun einmal zu beobachtenden Ordnung geleiteten

40G Pantheismus der That.

täglichen Handlungen ihnen den Werth und Inhalt der Welt aus- machen. Die Freude, die sie an ihrem richtigen Thun haben, ist aber auch so wenig intensiv, dass man erst darauf aufmerk- sam zu machen hat, dass es sich hier um Formen, also um Qualitäten und nicht um Quantitäten dreht, weshalb solchen Leuten der pantheistische Heiligkeitsgenuss dennoch zuerkannt werden muss.

Wie es dem Chemiker gleichgültig ist, ob die £le- BnddhtemuB ^^'i*^? die er in seiner Analyse gefunden hat, in ihrer reinen Form in der Natur vorkommen, so ist es für die Aufgabe unserer fieligionsanalyse nicht erforderlich, dass wir für jeden gefundenen, exact bestimmten religiösen Standpunkt auch eine historisch gegebene Religion nachweisen könnten; denn die historischen Religionen sind ja nothwendiger Weise alle nur unreine Formen, in welche verschiedene elementare For- men aufgenommen sind und zwar gewöhnlich mit dem Ueber- gewicht Eines Elements. Gerade wegen eines solchen Ueber- gewichts wird es aber doch möglich, die eine oder die andere historische Religion als ein Beispiel heranzuziehen, um den Cha- rakter des reinen Elementes darin aufzuweisen und gewisser- massen spectralanalytisch die charakteristischen Linien des Spec- trums darin wiederzuerkennen. So scheint mir der Buddhismus überwiegend unserer Religionsstufe hier zu entsprechen.

Da ich nicht Sanskritgelehrter bin, so muss ich mich auf die Uebersetzungen aus der buddhistischen Literatur und auf die speciellen Fachforscher und zwar besonders auf die Darstellun- gen von Max Müller und Oldenberg verlassen. In Hinblick auf das hiermit angedeutete gelehrte Material können wir nun das charakteristische Spectrum pantheistischer Werkheiligkeit im Buddhismus wiedererkennen.

So ist erstens das Motiv aller pantheistischen Religion, das Geflihl der Nichtigkeit aller Erscheinungen der Welt, und das Bedürfniss nach einem göttlichen Gehalt im Buddhismus klar zu Tage tretend; denn die beiden ersten Sätze des buddhistischen Credo enthalten den Ausdruck dafiir, dass alle Erscheinungen der Welt vergänglich sind und nur Leiden im Schoosse bergen, da bei dem allgemeinen Werden kein Bestand und Sicherheit des Begehrten und Gehofften möglich sei. „Dies, ihr Mönche, ist die heilige Wahrheit vom Leiden: Geburt ist Leiden, Alter

Werklieiligkcitsenthusiasmus. 407

ist Leiden, Krankheit ist Leiden, Tod ist Leiden, mit Unliebem vereint sein ist Leiden, von Liebem getrennt sein ist Leiden, nicht erlangen was man begehrt ist Leiden, kurz das fünffache Haften am Irdischen ist Leiden." Und der zweite Satz (Oldenberg, Buddha S. 215) lautet: „Dies, ihr Mönche, ist die heilige Wahr- heit von der Entstehung des Leidens: es ist der Durst (d.h. das Begehren nach den Erscheinungen dieser immer fliessenden Welt), der von Wiedergeburt zu Wiedergeburt führt, sammt Lust und Begier, der hier und da seine Lust findet : der Durst nach Lüsten, der Durst nach Werden, der Durst nach Macht." Ich habe mir erlaubt, die Uebersetzung Oldenberg's hier ungekürzt zu wiederholen, damit das Motiv der Religion in seiner ganzen drückenden Schwere hervortrete.

Die zweite charakteristische Linie des Pantheismus über- haupt ist der Atheismus; denn der auswärtige Gott, d.h. sowohl der Macht- und Furchtgott als der Kechtsgott, muss vollständig aus dem Bewusstsein verschwunden sein, ehe die pantheistische Wendung eintreten kann. So verwirft Buddha die ganze theo- logische Gelehrsamkeit der Brahmanen und den ganzen Opfer- dienst und sagt nach Oldenberg's Uebersetzung (S. 175): „Wie eine Kette von Blinden, also ist die Eede der Brahmanen-, wer vorne ist, sieht nichts, wer in der Mitte ist, sieht nichts, wer hinten ist, sieht nichts. Wie denn nun? Ist nicht, wenn es also steht, der Glaube der Brahmanen eitel?" So war ihm also die ganze Theologie und das dazu gehörige Opferwesen ausgelöscht und die rechte atheistische Grundlage der Religion geschaffen.

Nun kommen die beiden specifi sehen Linien des Bud- dhismus, die unserer pantheistischen Werkheiligkeit entsprechen, nämlich erstens negativ die Abwesenheit aller übrigen Formen des Pantheismus; denn nirgends eine Spur von Fortschritts- enthusiasmus, nirgends politischer oder kirchlicher oder Kunst- enthusiasmus, nirgends Quietismus oder speculativer Idealismus.

Endlich zweitens wird positiv in den beiden letzten Wahr- heiten des buddhistischen Credo die alleinige Erlösung (d. h Erfüllung mit göttlichem Gehalte und Werth) an die Ausübung sittlicher Handlungen geknüpft, also Genuss der Werkheiligkeit als das Wesen der Erlösung aufgefasst. Ich lasse auch hier die Uebersetzung vollständig abdrucken: „Dies, ihr Mönche, ist die heilige Wahrheit von der Aufhebung des Leidens: die Aufhebung

408 Fantbeismus der That.

dieses Durstes durch gänzliche Vernichtung des Begehrens, ihn fahren lassen, sich seiner entäussem, sich von ihm lösen, ihm keine Stätte gewähren." Das Begehren (d. h. die Bewegungen und Strebungen, welche durch die sinnliche Lust und Unlust ausgelöst werden) führt ja in die Welt der Erscheinungen, die als nichtig und leer und leidvoU erkannt war. Das vierte Dogma lautet: „Dies, ihr Mönche, ist die heilige Wahrheit von dem Wege zur Aufhebung des Leidens: rechtes Glauben, rechtes Ent- schliessen, rechtes Wort, rechte That, rechtes Leben, rechtes Streben, rechtes Gedenken, rechtes Sichversenken." Das immer wiederkehrende identische Wort ist das Rechte. Wir haben damit die pantheistische Form der Rechtsreligion, welche auf dem Gewissen ruht und das Rechte sucht, ohne Rücksicht auf einen auswärtigen Gott zu nehmen, und welche in dem Genuss der eigenen Heiligkeit die Erlösung findet.

Ich kann mit Oldenberg nicht ttbereinstimmen,

Apologid

des Baddhismus wcun Cr (S. 295) meint, dass das Sittliche im gegen Buddhismus nur Mittel zum Zwecke sei, weil es

Oldenberg.

sich nur theils „um die geringen Ziele glücklichen Lebens", theils „um das höchste und absolute Ziel der seligen Erlösung" drehe. Oldenberg wird, wie die Texte zeigen, dem philosophischen und religiösen Geiste Buddhas nicht gerecht, wenn er ihn in die Fesseln der Zeitvorstellung legt und die Erlösung nur als etwas Zukünftiges betrachtet; wir sehen vielmehr überall, sowohl aus der Consequenz des ganzen Stand- punkts, als auch aus den einzelnen Lehrsätzen und Beispielen mit genügender Deutlichkeit, dass Buddha in der Heiligkeit selbst die Erlösung gemessen will, dass der Standpunkt wirklich ein pantheistischer ist und dass der Weg zur Aufhebung des Leidens unmittelbar zugleich das Ziel, die Erlösung und Freude mit sich fuhren soll. Alle die Forderungen des vierten Dogma, z. B. kein lebendes Wesen zu tödten, sich nicht an fremdem Eigenthum zu vergreifen, nicht die Gattin eines Andern zu berühren, nicht die Unwahrheit zu reden, nicht berauschende Getränke zu trinken u. s. w. enthalten lauter Maximen der Sitten- und Rechts- lehre; wer diese Forderungen aber erflillt, der soll den Lohn dafür nicht erst später einmal erhalten, sondern dieser Lohn soll als Freude unmittelbar wie der Schatten damit verknüpft, also der Genuss der Heiligkeit selbst, sein. Glänzend sind die

uiumzeu uy 'v_JvyVjVlv^

Werkbeiligkeitsentbusiasmns. 409

Gleichnisse, wodurch Buddha dies lehrt: „Wer mit unreinen Gedanken redet und handelt, dem folgt Leiden nach, wie das Kad dem Fusse des Zugthiers folgt. Wer mit reinen Gedanken redet und handelt, dem folgt Freude nach, wie der Schatten, der nicht von ihm weicht." Die unreinen Gedanken sind aber ofTenbar das verpönte Begehren, welches ja auf die nichtigen Erscheinungen der Welt geht und also Leiden bringt; die reinen Gedanken aber sind das rechte Streben, rechtes Ge- denken u. 8. w., welches nach der gänzlichen Vernichtung des Begehrens bloss auf Ausübung des Rechtes gerichtet ist, und diesem folgt also niemals von ihm weichend die Freude, wie der Schatten.

Man sieht hieraus, dass das überwiegende Element des Buddhismus sich sehr gut zur historischen Exemplification der pantheistischen Werkheiligkeitsreligion eignet Dass der Bud- dhismus gleich Anfangs auch andere Elemente aus seiner Atmo- sphäre aufnahm und später vielfach ausartete, weiss Jedermann. Uns interessirt hier aber nicht die Chronologie der zugehörigen Literatur, durch welche die Inconsequenzen in manchen buddhisti- schen Aeusserungen sich wohl erklären Hessen, sondern es muss uns hier sogar gleichgültig sein, ob der Buddhismus von Anfang an inconsequent war*); wichtig ist ims hier nur, dass diejenige Gesinnung entschieden überwiegt, welche diese Religion, wie gesagt, zur Exemplification der Werkheiligkeit brauchbar macht.

Da dieser ganze Standpunkt auf einem Ueber- gewicht des handelnden Vermögens der Seele über die beiden übrigen Vermögen beruht, so liegt darin sofort auch schon der Grund zu seiner Verurtheilung; denn es fehlt dabei gänzlich ein Princip, um die Pflichten, die wir durch unsere Handlungen erfüllen sollen, zu bestimmen. Darum muss diese Werkheiligkeit wesentlich bloss in der Mühe und Selbstüber- windung liegen und sich also zum wirklichen Leben und zu den natürlichen Trieben negativ verhalten. Da nämlich das Ich sich auf diesem Standpunkt in den Geist setzt, der Geist aber

*) Die Frage, ob die Erlösung in der Zukunft liegen oder wirklich sein soll, begegnet uns später auch im Ghristenthum , wo ebenfalls sich widersprechende Stellen citirt werden können. Die Auflösung dieses schein- baren Widerspruches ist nicht schwer, und wir müssen bei der C">->j altuvto^ davon handeln. ^ j

Digitized by VjOOQIC

410 Pantheismus der That.

noch keinen Inhalt hat, sondern nur als handelndes Vermögen auftritt; so bleibt gar nichts anderes zu thun übrig, als die Be- gehrungen der sinnlichen Seite des Menschen zu bekämpfen; denn gerade über die Sinnlichkeit hinaus war ja jetzt der Schwer- punkt der Seele gewendet, und es kommt nun also darauf an zu zeigen, dass man kein Knecht der Trägheit, der Völlerei, der Wollust u. s. w. mehr ist. Darum ist das einzige Princip dieser Werkheiligkeit, solche Handlungen beständig auszuüben, bei welchen man Mühe hat, sich selbst überwinden muss, wobei kein sinnliches Vergnügen stattfindet, ja womöglich wobei Schmerz und allerlei Leiden ertragen werden müssen. Also gehört dahin auch Kasteiung, Pasten, Keuschheit, jede Askese, Opfertod u.dergL, und der Genuss der Werkheiligen besteht gerade in dem Bewusst- sein, wie schwer eigentlich solche Handlungen für einen natür- lichen Menschen sind.

Mithin ist diese ganze pantheistische Frömmigkeit inhalts- los; denn es lässt sich gar kein vernünftiger Grund daftlr an- geben, weshalb man all dies thun und lassen soll. Es fehlt ja jedes System einer Ethik, jede Ableitung und Definition der Pflichten, da nur, wenn die übrigen Seiten des Menschen hinzu- genommen würden, eine auf den idealen Zweck des Menschen aufgebaute positive Sittlichkeit denkbar wäre. Also ist der ganze Werth dieses Werkheiligkeitsstandpunktes nur der Gehor- sam, der aus dem Geiste stammt und über die Sinnlichkeit triumphirt; aber es müssen erst noch höhere Auffassungen kommen, welche flir den Gehorsam einen passenden Inhalt, ein System von Gütern und Pflichten ausfindig machen. Bei den buddhisti- schen Heiligen kann man es vorzüglich sehen, dass sie die ver- meintlichen, oft ganz albernen Pflichten, z. B. kein Thier zu tödten, irgendwoher aus dem Bewusstsein der Umgebung auf- nehmen, oder weil es Mühe kostet, sich diesen oder jenen Genuss zu versagen. Es ist daher gar nicht zum Verwundern, dass Buddha wegen der Beschränktheit seines Standpunkts nicht einmal zum Bewusstsein über denselben kommen konnte und einen bloss scheinbaren und zufälligen Beweggrund unterlegte, nämlich dem Leiden der Welt zu entfliehen und eine beständige Freude zu finden, also die hedonistische Motivirung. Allein Hedonismus ist seine Lehre dennoch nicht, und wir verstehen Buddha viel besser, als er sich selbst verstand: denn er suchte das Uebergewicht

Werkheiligkeitsenthusiasmus. 411

des Geistes durch den Gehorsam und fand zwar die zugehörige sittliche Freude, aber noch nicht den Inhalt des geistigen Lebens und noch nicht die Erkenntniss Gottes und der Welt.

Ebensowenig wie Buddha verstehen sich die vielen modernen pantheistischen Werkheiligen, welche wir überall verbreitet finden, und die immer bereit sind, mit Freude irgend eine mühevolle Arbeit für Andere zu leisten und sich aufzuopfern, obgleich sie selber und die für solche Opfer verwendete Zeit oft viel werth- voller sind, als die elenden Dinge, für welche sie mit Selbst- befriedigung und oft ohne allen Dank und ohne bewundert zu werden, sich und ihr Leben darbringen. Die Aehnlichkeit solcher Menschen mit den Frommen der reinen Rechtsreligion ist deshalb in die Augen fallend, und es kann nicht fehlen, dass sie in Wirklichkeit auch in einander übergehen, jenachdem bei jenen Gläubigen der Glaube an den auswärtigen Bechtsgott mehr und mehr schwindet, oder bei diesen Pantheisten der Grund der Verbindlichkeit der Handlungen leiser oder deutlicher an die Vorstellung eines gebietenden Gottes angeknüpft wird, was ja, wenn der Pantheismus sich ausbreitet, fast mit Nothwendigkeit geschehen muss, da theils die Vernunft von selbst eine Theologie erzeugt, theils die mehr in Vorstellungen als in Begriffen denken- den vulgäreren Menschen immer wieder zu dem Bechtsgott und gewöhnlich auch zu dem Furchtgott übergehen werden.

Digitized by

Google

Drittes Capitel. Pantheistischer Staats-Enthnsiasmns.

Der Standpunkt, den wir eben wegen seiner Inhaltslosigkeit verartheilten, kann nun durch Anfhahnie eines bedeutenden Inhalts zu einer grösseren Energie gehoben werden. Den unteren Stufen gehört immer die Farbe der perspectivischen Betrachtungsweise an, und so fasste der Werkheiligkeitsenthusiast zwar das Ich als Geist, aber er betrachtete es noch als einzelnen Geist. Wenn die Auffassung freier von der Einzelpersönlichkeit wird, so kann man alle Menschen unter denselben Gesichtspunkt bringen und auf diese Weise der geistigen Thätigkeit nicht bloss einen grösseren Umfang, sondern zugleich auch einen neuen geistigen Inhalt geben. Denn was für mich Gesetz ist, das soll auch Gesetz für die Andern sein. Indem ich nun die Vielen unter einem Gesetz zusammenfasse, bildet sich mir die Idee einer Ordnung aus, nach welcher alle Gleichen und Ungleichen zu- sammen leben sollten. Eine solche Gesellschaftsordnung, die sich nicht natürlich durch die Bedürfnisse und die angeborenen Triebe und Anlagen der Menschen von selbst bildet, sondern erst aus der höheren Erkenntniss von dem, was sein sollte, auch wenn es nicht ist, hervorgeht, können wir nun die Staatsidee nennen und werden demgemäss begreifen, wie die höheren sitt- lichen Naturen sich mit einem mächtigen und specifisch neuen Motiv auf die energische Durchführung dieser göttlichen Ordnung des Gesellschaftslebens geworfen haben. Ist es doch generell genommen dasselbe Motiv, welches hier wie bei dem vorigen Standpunkt wirkt, nämlich einerseits das Gefühl der Nichtigkeit des Lebens, der Gottesverlassenheit der Welt, der Trostlosigkeit des Daseins, wie andererseits das Bedüriniss nach Erlösung, d. h. nach Gotterfiillung, nach Anwesenheit und Herrschaft eines

Staatsenthusiasmus. 413

Gottes! Und dieses Bedürfiiiss findet nun in der über die sinn- lich-leidenschaftliche Natur triumphirenden Macht des unsicht- baren geistigen Elementes, welches in die ganze Gesellschaft Ordnung und Gesetz bringt, eine hohe Befriedigung.

Ich meine aber mit dem Staatsenthusiasmus nicht etwa den Ehrgeiz und die Herrschsucht; denn diese beiden Leiden- schaften ruhen auf perspectivischem Standpunkt und betrachten alle Menschen und Ereignisse nur nach der Beziehung zu einer Einzelpersönlichkeit, was selbst, wenn es in dem grossartigsten Umfange und Massstabe, wie etwa bei einem Napoleon, durch- geftihrt wird, zwar wohl wegen der Grösse der mitspielenden Kräfte Erstaunen und auch Bewunderung hervorrufen kann, aber nicht zu dem Bereich des viel höheren Enthusiasmus gehört. Während uns diese Leidenschaften die unreine Form der ge- suchten Religion bilden, so soll der Enthusiasmus eine göttliche oder religiöse Macht und ein aus objectiver Betrachtung hervor- quellendes Gefühl sein.

Den politischen Enthusiasmus können wir schon an den alten und sagenhaften Erzählungen von Lykurg und durch die historisch ächten Schriften Platon's, die von einem verwandten Geiste herrühren, genügend illustriren, ohne modernere Beispiele heranzuziehen. Solche Naturen, wie Lykurg und Piaton, waren bereit, sich selbst ohne Ehrgeiz und Herrschsucht von der Bühne des Staatslebens zurückzuhalten, damit das heilige Götterbild des von ihnen entworfenen Staates frei ftlr sich lebe. Wenn ich Piaton hier anftihre, so weiss ich wohl, dass er zugleich einem anderen religiösen Standpunkte angehört, und wir werden diesen theoretischen Idealismus noch zu studiren haben, aber Piaton hatte doch auch den hier gemeinten Staatsenthusiasmus in sich, und von seinen frühesten bis zu seinen letzten Schriften empfinden wir bei ihm immer den Hauch göttlicher Begeisterung für die politische Idee, für die Ordnung des Lebens einer Gesellschaft nach der Norm des Geistes, der die natürlichen Leidenschaften zum Gehorsam zwingt.

Die Dogmatik dieses religiösen Standpunktes be- steht in der Ausbildung eines Staatsideals, wodurch der Geist Inhalt gewinnt und sich über den zunächst vorher- gehenden Standpunkt erhebt; denn die Form des Staatslebens, die Verfassung, die Rechtsordnungen und Verwaltungsnormen

le

.gh

414 Pantheismus der That.

Bind nun der in der Gegellschaft gegenwärtige göttliche Geist, nicht ein auswärtiger phantastischer Gott, der bloss Opfer empfinge und Wohlthaten spendete oder vom Himmel her Ge- setze gäbe, sondern pantheistisch gedacht ein über die natür- lichen Triebe mächtiger Geist, in welchem das Ich verschwindet, eine im Menschen oflFenbar gewordene höhere und heilige Macht, welche das leidenschaftliche Begehren ordnet und als etwas UebernatUrliches in den Menschen regiert Da das einzelne Ich bei dem Pantheismus überhaupt in die geistige Function ver- schwindet, so ist dies hier besonders leicht verständlich, weil durch die Staatsidee der Geist ja eine gegenständliche Form erhält und das Rechtsleben als der objective Geist der Gesellschaft in bestimmten Begriffen gefasst werden kann.

Um an moderne Beispiele zu erinnern, erwähne ich den aus den Reden an die deutsche Nation bekannten Staatsenthusiasmus von Fichte, der nicht atheistisch, aber wohl pantheistisch die Weltordnung, als das lebendig wirkende Sittengesetz, in die Ver- fassung der deutschen Nation metamorphosirte. Aehnlich ist auch Hegers Apotheose des Staates aufzufassen, sofern der Staat bei ihm als Gott, d. h. als objectiver Geist, die Gesell- schaft durchdringt. Damit werden uns nun nicht etwa leere Phrasen, oder bloss philosophische Lehrsätze aufgetischt, sondern es liegt darin die wirkliche Ueberzeügung oder die Dogmatik von sehr vielen Menschen aus allen Zeiten und besonders aus unserer Zeit; denn wer kennt sie nicht, die den Glauben an den christlichen Gott verloren haben und nur die Idee der Mensch- heit in dem Rechtsleben der Gesellschaft glorificiren und anbeten. Doch kommt es bei dem Staatsenthusiasmus nicht so sehr auf die Dogmatik an, als auf den Cultus; darum will ich auch die zugehörige Ethik nur kurz berühren. Das ethische Motiv liegt, wie schon oben dargelegt, in der Be- ziehung des Geftihls auf die sociale Welt und ist also nur generisch, aber nicht specifisch dasselbe, wie bei dem vorher- gehenden Standpunkt; denn es dreht sich hier nicht um die Obherrschaft des Geistes über die eigene Trägheit und Leiden- schaft, sondern um das Verhalten der ganzen Gesellschaft, welches hier den Inhalt unseres Geftihlslebens, unseres Missfallens, wie unserer Freude und Begeisterung bildet Möge man dabei an das grosse Herz des activen Staatsmannes denken, oder an den

uiyiiized by VjOOQIC

Staatsen thusiasmus. 415

Patriotismus und die nationale Gesinnung des einfachen Bürgers: immer ist das Gemüth des Staatsentbusiasten von dem Leben der Gemeinschaft erfllUt, so dass er alle individuelle Interessen bereitwilligst auf den Altar des Vaterlandes legt. Eine solche Gesinnung erhebt sich hoch über die z. B. von Spencer vertretene weichliche und auf sinnliche Glückseligkeit aller Einzelnen ge- richtete Stimmung des Fortschrittsenthusiasmus, da sie vielmehr die Herbigkeit des objectiven Rechts in sich aufnimmt, so dass ein Staatsenthusiast, wie Piaton, dem hierin auch Graf Moltkc beipflichtet, von Zeit zu Zeit Krieg wünschen oder herbeiführen muss, damit die Mannhaftigkeit und geistige Zucht der Bürger nicht herabsinke. Deshalb wird auch in der lakonischen Ver- fassung und ebenso bei Piaton das Einzelleben überhaupt gar nicht geschont, sondern vielmehr eine Grausamkeit Kranken, Schwachen und Fehlenden gegenüber an den Tag gelegt. Der Staat verlangt eben das Opfer der Einzelpersönlichkeit, die nur Werth für das Ganze hat und selbst nur im Gefühl des Ganzen lebt. Tu regere imperio populos, Romane, memento. Hae tibi erunt artes, parcere subjectis et debellare superbos. Dieses von Vergilius mit Aplomb ausgesprochene politische Bewusstsein und Geflihl ist das ethische Princip unserer Religion hier, und dieses lässt den Egoismus ganz verschwinden, weshalb der moderne Socialismus und die Bestrebungen der sogenannten Internatio- nale nichts damit zu thuu haben, welche vielmehr auf dem Stand- punkt des pantheistischen Fortschrittsenthusiasmus stehen.

Da wir hier aber die Religionsformen betrachten, bei denen das Uebergewicht dem handelnden Ver- . mögen des Geistes zuftlUt, so muss uns auch der Cultus die Hauptsache sein. Ich meine nicht einen solchen spielerischen, allegorischen Cultus, wie ihn die französische Revolution mit der Göttin der menschlichen Vernunft zum Besten gab, sondern ich meine die ernste That; denn in Wahrheit dreht es sich auch bei den Staatsenthusiasten nicht so sehr um die zugehörigen Staatstheorien und Gesinnungen, als vielmehr um ein in den Staat aufgehendes Leben. Der wirklich Fromme dieses Stand- punktes ist durch die immer neu auftauchenden praktischen Fragen und Geschäfte des politischen Volkslebens dermassen angefüllt, dass er in rastloser Arbeit wenig Müsse kennt und vielmehr seinen nicht sinnlichen, sondern geistig-religiösen Genuss

u.quizeauy Google

416 Pantheismuß der That.

gerade ia dem Bewusstsein der Schwierigkeit und des Ernstes der Geschäfte hat. Er treibt die Verwaltungs-, Justiz- und Gesetz- gebungs-Angelegenheiten nicht um des Lohnes willen, nicht aus Ehrgeiz oder Herrschsucht, sondern mit einer religiösen Gewissen- haftigkeit, indem zugleich seinem Ich, welches in den Gegenstand der Geschäfte verschwindet, eine absolute Wichtigkeit und ein gewissermasser sacramentaler Charakter zu Theil wird, so dass selbst die Last und Bürde der Staatsgeschäfte, ähnlich wie bei der Askese des vorigen Standpunktes, ihn mit einer gött- lichen Würde erfüllt und ihm das feierlich herbe Lustgefühl der zugehörigen religiösen Begeisterung verleiht. Wer auch aus eigener Erfahrung diese Stimmung nicht kennen sollte, wird gewiss doch Gelegenheit gefunden haben, wenigstens unter den Eindruck dieser eigenthümlichen Frömmigkeit zu kommen, die bei ihrem pantheistischen Charakter gerade den persönlichen Träger der amtlichen Function religiös verklärt und ihm nicht etwa den Vorwurf des Beamtenstolzes oder das hier viel zu ge- ringe Lob der amtlichen Pflichttreue zuzieht, sondern ihn mit einem heiligen Nimbus umkleidet, so dass man gleichsam das in dieser ßeligionsform erfasste Göttliche in der sterblichen Per- sönlichkeit wie in Erscheinung und Wirksamkeit tretend ver- ehren kann,

Die ungemessene Ruhmsucht, die besonders im ^ Fora "^ Alterthum so hervorstechend ist, kann als die unreine Form dieser Religion betrachtet werden; denn wenn z. B. Epaminondas sterbend gesagt haben soll: „ich hinterlasse euch zwei unsterbliche Töchter, die Schlachten von Leuctra und Mantinea^' : so liegt darin nicht bloss die Hochempfindung seines individuellen Ruhmes, sondern es ist aus seinem Leben offenbar, dass er sein Ich in die Interessen seines Thebanischen Staats- lebens verschwinden Hess und also in dem Ruhme seines Vater- landes sich nur als Träger der Handlung in religiöser Weise mitgenoss. In ähnlicher Weise fühlen die Franzosen auch in Victor Hugo's Prahlereien von Paris als der Sonne der Welt den glühenden Odem religiöser Hingebung an die Nation. Und es kommt bei dieser Religionsfrage häufig nur auf eine geringe und nicht immer nachweisbare Verschiebung des Schwer- punktes der Gefühle an, um solche Gesinnung als Ruhmsucht oder als Staatsenthusiasmus zu bezeichnen. Der Ruhm selbst

Digitized by VjOOQIC

Staatsenthusiasmus. 417

ist ja auch nichts anderes als die Vorstellung und das beglei- tende Gefühl, wovon die Mitbürger, die Mitwelt oder die Nach- lebenden in Bezug auf den Berühmten erfüllt sind, also ein sociales Gut, ein objectiver Geist, mit welchem der Berühmte als erste Ursache inniger verknüpft ist, als die Andern, während doch Alle in diesem Ruhm einen werthvoUen Lebensinhalt be- sitzen, weil er dem Ganzen gehört, d. h. fUr das Ganze erworben und von dem Ganzen getragen wird.

Darum vernichtet der Verlust des Ruhms auch die moralische Existenz des Menschen in seinem eigenen Gefühle, wie dasselbe in geringerem Grade auch von der Ehre gilt, die auch als sociales Gut, in welches das Ich verschwindet, um sich darin zu erhalten und zu gemessen, über die Gränzen der Persönlichkeit hinausreicht und ein geistiges Dasein in Vielen hat. Aber gerade dieses von mancherlei Zufälligkeiten und Irrthümem abhängige Entstehen und Vergehen von Ehre und Unehre, Ruhm und Schande, zeigt auch den Unterschied der religiösen von dieser leidenschaftlichen socialen Gesinnung; denn der wahrhaft Reli- giöse wird selbst von der Unehre nicht erdrückt, sondern arbeitet im Dienste des Staates weiter und unterzieht sich, wie der Pla- tonische Sokrates dies dem Kriton auseinandersetzt, im Gehorsam gegen die Gesetze auch dem Tode, um durch sein Opfer wieder fromm dem Ganzen sich zu weihen.

_/ >>' '^ t''R -^\,

Teichmüller, BeliglonaphUoiOphlo. Digitii^ by VjOOQIC

Viertes Capitel. Der pantheistische Kirchenenthu8iasmas.

Vom Ghristenthum als der wahren Religion darf

Zur Topik. -r^. , ., , . t^ i .

unserer Eintheilang gemäss keme Bede sein, wenn wir die untergeordneten, falschen und einseitigen Religionsformen betrachten. Gleichwohl konnten wir bisher nicht umhin, bei der Erörterung aller früheren Religionsformen immer zugleich irgend welcher Abkömmlinge aus dem sogenannten christlichen Reli- gionskreise zu gedenken, die wunderlicher Weise, wie fürstliche Gäste in ein Bauernhaus, in niedrigere Sphären versprengt zu sein schienen. Wie aber, wenn die normalen Lebensfunctionen ge- stört sind, die Gesetze der niedrigeren Naturstufen in ihr Recht eintreten, so dass im Gebiete des Organismus eine Menge von pathologischen Erscheinungen vorkommen, die bloss nach der anorganischen Chemie und nach der Physik zu erklären sind: so ist es in derselben Weise möglich, pathologische Formen des religiösen Lebens im Ghristenthum anzuzeigen, welche nicht specifisch christlich, sondern den Gesetzen der zugehörigen untergeordneten, falschen und einseitigen Religionstypen unter- worfen sind.

Nachdem wir dergleichen pathologische Formen im Ghristen- thum schon bei den projecti vischen Religionen erörtert haben, können wir hier bei den drei Formen des Pantheismus auch eine dreifache Verirrung des religiösen Lebens im Bereiche der ge- schichtlichen christlichen Kirche gewissermassen von der Quelle ableiten. Da Religion nämlich die Gesinnung ist, die wir gegen Gott haben und in unseren drei Lebensfunctionen ausdrtlcken, so können diese Functionen, statt sich in ihren ursprünglichen Grenzen zu halten, zur Hauptsache werden, so dass der Mensch ihren Zweck vergisst und nicht mehr seine Gesinnung darin

Digitized by VjOOQIC

Eirchenenthusiasmus. 419

symbolisiren will, sondern die Functionen selbst zum Zweck macht, oder, wie man das Verhältniss wohl noch besser bezeich- nen könnte, ganz in der Function aufgeht. Deshalb giebt es drei pantheistische Verirrnngen des Ghristenthums, nicht mehr und nicht weniger, die man als Eirchenenthusiasmus, Mysticis- mus und Gnosis bezeichnen kann und die jedesmal durch ein pathologisches Uebergewicht entweder der handelnden Function, oder des Gefühls, oder der Erkenntniss entspringen. Für den Mysticismus giebt es viele Vertreter schon im christlichen Alter- thum und im Mittelalter, in unserem Jahrhundert ist aber Schleier- macher der systematische Repräsentant; ebenso bekannt ist die christliche Gnosis, die vom ersten Jahrhundert an als pathologi- sche Erscheinung das christliche Leben begleitet und in unserem Jahrhundert besonders durch Fichte und Hegel Schule gemacht hat. Obwohl man die systematische Topik dieser pantheistischen Verirrungen bisher sehr ungenügend verstanden, so war doch die Aufmerksamkeit auf beide pathologische Formen gerichtet; nicht das Gleiche aber lässt sich vom Kirchenenthusiasmus sagen, der zwar von dem gesunden christlichen Leben inuner als un- ächt empfunden, aber von Seiten der theologischen Wissenschaft noch nicht als pantheistisch und als den vorigen beiden Formen systematisch coordinirt erkannt worden ist. Wir dürfen ihm des- halb eine besondere Betrachtung widmen, vorzüglich da wir die entsprechenden christlichen Krankheitsbilder ftlr die übrigen For- men des Pantheismus der That nicht weiter berücksichtigen wollen.

Der pantheistische Staatsenthusiast betrachtet die

Aetioloffio und

ganze Welt nur als Basis des menschlichen Lebens g^miotik. und lässt den Staat alle Interessen der Gesellschaft umfassen, so dass die Politik selbst die einzige Religion ist. Trotzdem kann von diesem Standpunkte aus ein Cultus von projectivisch gedachten nationalen Furcht- oder Rechts -Göttern geduldet, oder sogar, wie z. B. von Piaton, beflirwortet werden, sofern eine solche scheinbar vom Staatsleben verschiedene Re- ligion als ein pädagogisches Mittel der Politik untergeordnet wird und den Staatsmännern zur Erziehung und Lenkung des Volkes brauchbar erscheint.

Das Ghristenthum als wahre Religion kann aber umgekehrt dem Staate und der Politik nur eine untergeordnete Bedeutung ,

uiyii2^*uy x^jOOQIC

420 Pantheismus der That.

zuerkennen, weil der Staatsmann in den zufällig gegebenen Ver- hältnissen der Gesellschaft und ihren zufälligen Wünschen und Leidenschaften keine autoritativen Normen findet, sondern den Zweck seiner Kunst erst als Aufgabe von einer höheren Stelle empfangen muss. Mithin schreibt sich der Christ, sofern er das ganze Leben des Menschen, das zeitliche wie das zukünftige als durch eine göttliche Ordnung bestimmt erkennt, auch die Be- fugniss zu, die Leistungen des Staatsmanns zu beurtheilen, was immer die Sache der höheren Stelle in Beziehung auf die untergeordnete ist

Da nun das Christenthum zwar ein verborgenes Leben in dem Christen bildet, aber durch die ihm zugehörigen Handlun- gen in die Sinnenwelt tritt und durch die Gemeinschaft der Christen untereinander auch eine gesellschaftliche Ordnung be- gründet: so kann es leicht kommen, dass wegen der Theilung aller Functionen die eine oder die andere vorherrschend geübt und demgemäss unter gewissen Umständen und bei bestimmter Begabung diese handelnde Function, auf welcher die sogenannte Kirche oder das sichtbare Reich Gottes ruht, zu dem hauptsäch- lichsten Inhalte des geistigen Lebens erhoben wird. Dadurch wird dann nothwendig die Ordnung des religiösen Lebens in der Seele verkehrt, indem die blosse Aeusserung und Symbolisirung der Gesinnung sich zum Selbstzweck aufbläht und in einen Ent- zündungsprocess übergeht, so dass die Gesinnung von ihrem zu- geordneten Beziehungspunkte, von Gott, abgelenkt wird und in das blosse politische Leben der Kirche verschwindet, wie dem- entsprechend der göttliche oder heilige Geist pantheistisch in den Gemeingeist der Kirchenglieder übergeht Offenbar ist also die Hypertrophie der handeUiden Function die Ursache der ganzen pathologischen Erscheinung und mithin der Kirchenenthusiasmus nur eine Spielart des Staatsenthusiasmus, von dessen übrigen Arten er sich nur durch die historisch christliche Färbung, welche dem Inhalte des Gemeinschaftslebens anhaftet, unterscheidet

Wir müssen nun die Form eines solchen pan- theistischen Kircbenenthusiasmus hypothetisch con- struiren und nach den drei constitutiven Functionen im Beson- dern bestimmen, wobei sich der dem Christenthum nicht mehr angemessene Charakter desselben breiter und kenntlicher aus- legen kann. Was zunächst die Dogmatik betrifft, so wird man

uiyiüzeu üy "V-j v-zv^'pt iv^

KirchenenthaBiasmus. 421

zwar wegen des positiv historischen Ursprungs noch die christ- lichen kanonischen Schriften als Erkenntnissquellen benutzen, um überhaupt einen Meinungs- oder Glaubens-Inhalt zu haben; da aber die Quellen verschieden interpretirt und die Dogmen verschieden formulirt^ werden können, so wird der Kirchen- enthusiast die Norm der Dogmatik in socialen Gesichtspunkten suchen und unter den verschiedenen Modificationen und Gegen- sätzen darnach die Wahl treffen, ob es für das Zusammenleben der Christen nützlich sei, dies oder das zu glauben, dass z. B. einen persönlichen Teufel zu glauben nützlich und nothwendig sei, um die Autorität der heiligen Schrift in dem Gemeindebe- wusstsein nicht zu vermindern, oder um die Furcht vor dem ganzen Reich des Bösen in der Phantasie des Volkes lebendig zu erhalten und die Energie des Kampfes gegen solche persön- liche Macht zu steigern. Wenn auf ähnliche Art und Weise z. B. die lutherische Abendmahlslehre empfohlen würde, damit nicht, wie in der katholischen, die Selbstthätigkeit des Gläubigen bei dem Empfange der Gnadengabe gemindert werde, und anderer- seits damit nicht, wie in der reformirten, das von dem kirch- lichen Amte dargebotene Sakrament im Bewusstsein des Gläu- bigen an Werth verliere, so wird offenbar die Dogmatik ihrer Selbständigkeit beraubt und zu einem blossen Mittel für das kirchliche Leben herabgesetzt

Ebenso ist die Ethik dieses Standpunkts be-

EthUc.

schaffen; denn die ethischen Motive müssen darnach beurtheilt und regulirt werden, ob sie auch die ganze Gemeinde beseelen könnten und nicht etwa Absonderungen oder Unord- nungen stifteten. Wenn man z. B. fragt, ob die Ehelosigkeit oder das Keuschheitsmotiv als höchstes Lebensideal gelten dürfe, so wird man betonen, dass man bei solchen Idealen ja die Existenz der Gemeinde aufheben würde, oder dass gerade durch die Ehe eine schöne Ordnung des christlichen Lebens vermittelt würde zur Erziehung der Kinder, zur Selbstzucht gegen über- mässige Begierde, zur ökonomischen Verwaltung des Besitzes u. 8, w. Wenn auf ähnliche Art und Weise die Feindesliebe eingeschränkt wird, damit keine Verweigerung des Kriegs- dienstes eintrete; oder wenn der Eid zugelassen wird, damit die bürgerliche Wahrheitsbekräftigung im Gewissen einen stärkeren Antrieb fönde u. s. w., so wird offenbar durch alle solche bloss

422 Pantheismus der That.

socialen Gesichtspunkte auch die Ethik ihrer Selbständigkeit be- raubt und nur zum Dienst des praktischen Lebens benutzt

Drittens aber muss der Cultus nun in das ganze Leben der Kirche in der Art aufgehen, dass das Reich Gottes mit der sichtbaren Kirche identificirt wird. Der Schwer- punkt des religiösen Lebens wird offenbar ganz in die politische oder handelnde Function verschoben, wenn der Glaube selbst seinem ideellen Inhalte nach nicht mehr die Hauptsache ist, sondern der Gläubige sich auch mit dem Worte und dem blossen Willen zu glauben begnügt, sobald eine bestimmte Formulirung des Dogma im Interesse der kirchlichen Gemeinschaft als heil- sam erkannt ist Dagegen wird der Kirchenenthusiast sich ganz der Arbeit an dem kirchlichen Leben zuwenden; die Fragen des Kirchenregiments und des sogenannten Culturkampfes, die Fragen . der Kirchenverfassung, die Ordnung des Cultus, die Kirchenzucht, die Sonntagsheiligung, die Massen-Betheiligung an dem Gottes- dienste und den Sakramenten, die verschiedenen kirchlichen Aemter in der Armenpflege, den Sonntagsschulen, den Gesellen- herbergen u. dergl. werden der eigentliche Inhalt seiner Thätig- keit, und möge er ein kleineres oder ein grösseres Gebiet seiner Thätigkeit umspannen, bloss Bibeln und Traktätchen austheilen, oder auch die wissenschaftliche Vertheidigung der Kirche gegen das Heidenthum des Staates und der Gelehrten durchftlhren, oder wie ein Windthorst die politische Führung einer grossen Partei der Gläubigen übernehmen, immer sind die Gedanken und Ge- fühle eines solchen Mannes principiell auf das Gebiet der sicht- baren Kirche gerichtet. Mithin muss es schon ftir gefährlich gelten, wenn ein Theologe etwa das Dogma ohne Rücksicht auf die socialen Bedürihisse untersuchen und bloss nach den biblischen Erkenntnissquellen constituiren wollte, da das letzthin WerthvoUe und der eigentliche Herzschlag der Religion in der Politik, d. L in der Fürsorge für die Kirche liegt Um das Gesagte in Eins zusammenzufassen, so besteht das specifische Kennzeichen des pantheistischen Kirchenenthusiasmus in der Identificirung von Kirche und Reich Gottes.

Für unsere speculative Aufgabe ist. es gewisser-

massen gleichgültig, ob sich irgend ein Autor findet,

der den von uns soeben charakterisirten Standpunkt mit einer

gewissen Consequenz vertritt; denn dass sich mit jeder Ver-

Digitized by VjOOQIC

Eirchenenthusiasmus. 423

Schiebung des Schwerpunktes im religiösen Leben nothwendig die zugehörigen Goordinaten entsprechend verändern und dass daher bei einem Uebergewicht der handelnden Function die Denkweise und Willensrichtung des Menschen in die oben vor- gezeichnete Bahn einlenken muss, das ist so einleuchtend und bestätigt sich in allen unseren eigenen und in den geschicht- lichen Erfahrungen so sehr von allen Seiten, dass man für die Topik der Religion diesen Ort „Kirchenenthusiasmus" fest bestim- men müsste, auch wenn niemals ein angesehener Theologe als Vertreter dafür wissenschaftlich eingestanden wäre. Gleichwohl ist es immer wünschenswerth, einen unverkappten Ritter fllr diese Fahne in die Arena treten zu sehen.

Man könnte nun geneigt sein, etwa die katholische Kirche in Bausch und Bogen als Vertreterin dieses Standpunktes anzu- nehmen. Es Hesse sich diese Diagnose stellen erstens im Hin-, blick darauf, dass die Kirchen- Verfassung, z. B. das unfehlbare Papstthum, selbst Glaubensartikel für den Katholiken ist, zwei- tens im Hinblick darauf, dass bei scheinbarem Widerstreit der drei geistigen Functionen die Macht des Willens und des Ver- standes sich dem handelnden Vermögen zu Füssen legt, was man das sacrificio deir intelletto nennt und wobei Gewissen und Vernunft in eine sclavische Stellung zu gerathen scheinen, drit- tens weil überhaupt die katholische Kirche gar keine andere weltliche oder geistige Macht als selbständig neben sich aner- kennt, sondern nur aus Öpportunitätsgründen zuweilen ihre ab- soluten Herrschaftsforderungen einschränkt Trotzdem wäre diese Diagnose falsch; denn der Katholicismus hat eine viel umfas- sendere Bedeutung und wird durch solche einseitige Hervorkeh- rung eines, wenn auch starken Elementes, nicht erschöpft; auch sollte man das sacrificio deir intelletto nicht so ungebildet deuten und so marktschreierisch verkaufen, wie der grosse Haufen der Literaten zu thun pflegt; denn Gewissen und Vernunft können sich überhaupt niemals einer anderen Function unterwerfen, eben- sowenig wie Gold und Diamant einmal aus Geftllligkeit als Zinn und Schwefel zu reagiren vermöchten. Wer sich aber erinnert, dass er oftmals irrte, obwohl er jedesmal von der Wahrheit seiner Sache überzeugt war, bei dem kann auch Gewissen und Ver- nunft, tiefer geschöpft, die augenblicklichen partiellen Äeusse- rungen dieser selbigen Fähigkeiten entkräften oder einschränken,

u.quizeauy Google

424 Pantheismus der That.

wie die Gewissenhaften ja auch häufig ein „Wenn ich nicht irre'' in ihre zuversichtlichsten Aeusserungen einfliessen lassen. Auch ist die katholische Kirche sowohl in dem innerweltlichen Verkehr der Gläubigen untereinander, als auch in dem auswär- tigen Verkehr mit dem überweltlichen Gott so gross, so frei und so schön, dass ihre Bekenner über jene einseitige Charakteristik nur zu lächeln brauchen, da sie ja neben den grossen Hierarchen, vor denen selbst die Kaiser erzitterten, auf den weltverachtenden Mönch hinweisen können, der doch nicht im Protestantismus, sondern nur in dem universelleren Schosse der katholischen Kirche seine friedliche Stelle findet.

Also müssen wir die üblichen dürftigen Charakterisirungen der grossen christlichen Gonfessionen aufgeben und hier ftir unsere Topik einen anderen Vertreter suchen, der seinen Namen für die Sache eingesetzt hat. Ich glaube den durch seine be- rühmte Moralstatistik zu allgemeinerer Beachtung gekommenen lutherischen Theologen Alexander von Oettingen als freiwilligen und furchtlosen Vertreter dieses Standpunktes anführen zu können, und zwar mit Rücksicht auf sein sehr interessantes Werk über die christliche Sittenlehre oder die Socialethik. Dass er ein ächter, altgläubiger Lutheraner und kein Bekenner des Pan- theismus ist, steht dabei ausser Zweifel; es kommt uns aber hier auch nicht auf das persönliche Bekenntniss an, sondern auf das in jenem Werke zu Grunde gelegte Princip und die Consequenz des Standpunktes. Darum soll das Buch selber sprechen, und wir wollen nicht dazwischen reden. S. 183: „Der göttliche, wie der individuelle Factor, die universelle Gnade Gottes in Christo und die persönliche Lebensemeuerung im Glauben, die Gottes- kraft des Evangeliums und die geistliche Wiedergeburt des Ein- zelnen — sie realisiren sich nur in der Form geschicht- lich und natürlich gegliederter Menschheitsgemein- schaft." S. 184: „Die Idee des Reiches Gottes umschliesst nicht bloss das gesammte Gebiet christlich -sittlichen Lebens und Strebens, sondern bezeichnet recht eigentlich den Krj'stalli- sationspunkt, um welchen sich alle geistlichen Lebensinter- essen auch des Einzelnen naturgemäss ansetzen sollen." „Auch das persönlichste Ringen des Christenmenschen.** S. 185: „Diese universelle Idee des Reiches Gottes gestaltet sich innerhalb der zeitlich geschichtlichen Entwickelung noth wendig als Kirche.

u.qiuzeuuy Google

Kirchenenthusiasmus. 425

Die christliche Kirche ißt nicht eine gesonderte Gemein- schaft neben dem Reiche Gottes." »Die Kirche stellt das Reich Gottes dar als Reich Christi in der Zeit des Kampfes und Krenzes, in der Periode von seiner Himmelfahrt bis zn seiner Wiederkunft " S. 186: „Die kirchliche Gemeinschaft ist die gegenwärtige Gestaltung des Reiches Gottes auf Erden."

Wenn wir nun als aufmerksame Zuhörer folgten, so behielten wir erstens, dass Alles und Jedes schlechthin, was zur Reli- gion gehört, sich nur in der Gemeinschaft realisirt, dass zwei- tens diese Gemeinschaft das Reich Gottes darstellt, also das absolut Höchste, das sich erstreben, denken und erleben lässt, und dass drittens dies Reich Gottes in der sichtbaren christ- lichen Kirche und nicht etwa unsichtbar neben und ausser ihr gegeben ist. In diesen drei Sätzen wird der constitutive Inhalt des Standpunktes genügend formulirt, welchen ich mit dem Na- men „pantheistischer Kirchenenthusiasmus" bezeichnen wollte.

Obgleich dieser Standpunkt, ebenso wie der entsprechende politische Enthusiasmus sehr verbreitet ist, so werden doch Die- jenigen, welche in der Geschichte der Dogmatik weniger orien- tirt sind, vielleicht erstaunen und fragen, wie man ohne Absur- dität einen christlichen Denker als offenen Pantheisten charak- terisiren dUrfe. Eine Antwort hierauf ist aber nicht weiter nöthig, wenn wir uns nur daran erinnern, dass der grösste protestan- tische Theolog unseres Jahrhunderts entschiedener Pantheist war und weder an einen persönlichen Gott noch an ein jenseitiges Leben glaubte.

Es handelt sich deshalb jetzt nur darum, das specifische Kennzeichen des Pantheismus in dem Kirchenenthusiasmus nachzuweisen. Nun besteht der Pantheismus in derjenigen Auf- fassung der Welt, wobei das Ich wie der Gott in die Erschei- nungen des Bewusstseins, d. h. in die geistigen Functionen, ver- schwinden. Die pantheistische Metaphysik ist also nicht mehr projectivisch, d. h. sie substanziirt die erscheinenden Dinge nicht mehr; sie ist zugleich noch nicht christlich, d. h. sie erkennt noch nicht das Ich, die Gottheit und die anderen wirklichen Wesen an, in denen die Welt sich ereignet; sondern sie ver- giebt die Kategorie des Seins an die Erscheinungen als Func- tionen des Bewusstseins. Ob diese Functionen nebenbei als

uiymzeu uy V^jOOy IC

426 Pantheismus der That.

materiell, ideell, geistleiblich oder sonstwie gedacht werden, ist dabei eine für die Definition gleichgültige Nüancirung; denn nur das Verschwinden des Ichs in seine drei Functionen charak- terisirt den Pantheismus, der uns also die Welt, d. h. die Ver- knüpfung der Erscheinungen, nur in unseren geistigen Func- tionen zeigt.

Nun löst der oben definirte Kirchen enthusiasmus alles re- ligiöse Leben in die kirchlichen Beziehungen auf, die durch Wort und Sakrament, also durch sinnenfällige Handlungen gestiftet und lebendig erhalten werden. Die Religion bietet deshalb, da sie das nicht -sinnenfällige Ich und die Gottheit aus ihrem Sy- steme beseitigt, nur ein innerweltliches Leben; denn die bei den vielen Vertretern dieses Standpunktes beliebig eingestreuten Worte von der Seele und von Gott dürfen uns natürlich nicht verleiten, zu einer von dem gegebenen System himmelweit ver- schiedenen ReligionsauflFassung abzuschweifen, da diese Worte auf dem Standpunkte des Kirchenenthusiasmus todtes Material der Tradition sind und die einzelnen Seelen nur nach denjenigen Erscheinungen und Functionen in Rechnung kommen, welche socialphysisch und socialethisch mit der äusseren und der mora- lischen kirchlich realisirten Welt zusammenhängen. Da hierbei zugleich alle Personen nur nach den äusseren Thätigkeiten auf- gefasst werden, so muss unsere Beziehung zu dem Universum wesentlich der handelnden Function unseres Geistes zufallen, d. h. sie wird technisch und politisch werden.

Es zeigt sich also der Kirchenenthusiasmus als eine Spielart des Staatsenthusiasmus. Der Einzelne ist nichts ohne das poli- tische Ganze, in dem und für das er lebt; er ist wesentlich nur Glied in einem herrlichen Organismus, von dem er seine Bele- bung, seine Kraft und Freude empftlngt und ftir welchen seine ganze geistige Arbeit und Hingebung bestimmt ist. Wie bei Piaton die Staatsidee die gesammte geistige und leibliche Thä- tigkeit der Gesellschafts-Glieder beseelen soll, so ist es hier die Kirche, welche nach der Idee eines Organismus, eines geschicht- lich teleologischen Systems alle ihre Glieder zu einem gemein- schaftlichen beseelten Leibe zusammenfasst

Digitized by

Google

Eirchenenthusiasmus. 427

Wer wollte läugnen, dasB in dieser Idee des

Zur

Staates oder der Kirche eine grosse und gemüthbe- Kriuk. wegende Auffassung der Welt dargeboten wird, werth, ^ ^^^^^ das Leben der Einzelnen zu begeistern und es mit Fehler: einem über das Privatleben weit hinausgehenden ^*® ^^*®" ^^^

den zu bloüsen

herrlichen Ziele zu erfüllen ; allein trotzdem ist dieser hiotoriscben Standpunkt nicht hoch genug für uns, weil er ein Erscheinungen

i.i<i.-i 11 » m 1 herabgeuetzt.

bloss geschichtlicher und also perspectiyischer und endlicher ist; denn jeder Staat hat seine Zeit und die Kirche hat ihre Zeit, wenn sie auch, wie von Oettingen sagt, von der Himmelfahrt bis zur Wiederkunft Christi dauert; denn es ist damit doch nur ein kleiner Ausschnitt aus der ganzen Weltgeschichte gegeben und zugleich der Blick bloss der Erde und der diesseitigen eng begränzten menschlichen Entwicke- lung zugekehrt. Der politisch - geschichtliche Standpunkt ist daher immer zu niedrig für den Philosophen und Christen, da beide die ganze Ewigkeit in ihren Gesichtskreis fassen müssen und allen menschlichen Dingen, und weim es auch Staats- und Kirchen -Angelegenheiten sind, immer nur ein untergeordnetes Interesse zuerkennen. Untergeordnet sage ich, weil erst von höherem Standpunkte aus ein Zweck gefunden werden muss, nach welchem Staat und Kirche zu ordnen sind. Wenn wir weiter unten die Rolle der Geschichte genauer betrachten, wird sich zeigen, dass auch nur fllr den Pantheisten die Weltgeschichte das Weltgericht ist, wie flir ihn Gott bloss als heiliger Geist in der Kirche regiert, so dass Gottes Geschäftskreis so zu sagen in der Fürsorge für die menschlichen politischen oder kirchlichen Angelegenheiten aufgeht Wer aber, wie es die wahre Philoso- phie verlangt, die Erde nur als eine untere Classe betrachtet, welche die Menschen alle durchmachen müssen, um dann in eine höhere Classe versetzt zu werden,*) der kann die Geschichte dieser Classe nicht fUr den höchsten Gegenstand der Aufmerk- samkeit ansehen, da man doch weiss, dass die Classenstufe selbst auch bei aller geschichtlichen Veränderung und Entwickelung. nie- mals überschritten werden kann, und dass nicht die Classe, son- dern die jeweilig darin Arbeitenden, welche sie bald wieder ver- lassen, allein von bleibendem Werth und Interesse sind.

*) Vgl. meine Schrift Über die Unsterblichkeit der Seele, S. 225, II. Aufl.

u.quizeuuy Google

428 Pantheismus der That.

j Mit diesem ersten Fehler pantheistigeher Auf-

Fehier: fassuDg Steht ein zweiter in logischem Znsammen-

Die Ethik und hang. Da nämlich die Kirche bloss den äusseren

Dogmauk Vcrkchr der Gläubigen durch sichtbare und hörbare

werden darch ^

Feidherrnking. Zcicheu (Wort und Sakrament und die gesellschaft- heit normirt, liefen lustitutc) umfasst, so mnss sich Alles um die

und es fehlt ein

princip des handelnde Function des Geistes drehen, weshalb ich werthes und ^^^ gauzcn Standpunkt auch zur pantheistischen Re- ligion der That gerechnet habe. Mithin müssen die Werthbestinmiungen des sittlich religiösen Lebens wesentlich auf die Gesellschaft, d. h. hier, auf die Kirche als sichtbares Reich Gottes bezogen werden. Nun giebt es aber für jede Gesellschaft als solche kein höheres Princip als die Selbsterhaltung, und da ftlr jede gesellschaftliche Institution immer zwei Extreme gefährlich sind, weil sie zur Auflösung führen, so kann der sitt- liche, d. h. der conservative Werth immer nur in der das Gleich- gewicht haltenden Mitte gesucht werden, wodurch ein geschicht- licher organischer gesellschaftlicher Körper sich in seiner Ge- sundheit erhält Darum sehen wir auch, dass z. B. von Oettingen in seiner christlichen Sittenlehre diese von ihm sogenannte stra- tegische Methode der goldenen Mitte empfiehlt und be- folgt, indem er überall zwischen den Extremen, z. B. zwischen katholischer und reformirter Richtung, zwischen Ethnisirung und Judaisirung, zwischen Weltlichkeit und Weltflucht u. s. 'W. die Mitte sucht Dies Princip ist aber bloss strategisch und politisch und kann in Wahrheit keine Norm des Werth es darbieten, da nach diesem Princip nicht einmal zu erkennen ist, ob die sich selbst erhaltende geschichtliche Institution erhalten zu wer- den verdient und was der Inhalt und Grund der einzelnen Ziele und Lebenszwecke ist Die Norm ist vielmehr ganz blind und inhaltslos, wie wenn Jemand den rechten Winkel nicht definiren könnte, aber aus sinnlicher Anschauung eine gewisse Anregung empfinge, um sich zu hüten, die Linien nicht zu spitz und nicht zu stumpf aufeinander treffen zu lassen. So ist z. B. klar, dass von diesem Standpunkte aus die Ehe principiell ver- langt werden muss, während doch weder für Jesus, noch für Paulus und viele Andere dies Princip hätte zur Norm dienen können, da es bloss für die Masse der Gläubigen um der allge- meinen Ordnung willen eine politisch -praktische Durchschnitts-

uiyiiized by VjOOQIC

Eirchenenthusiasmus. 429

norm bildet. So verhält es sich aber mit der ganzen Ethik und Dogmatik dieses Standpunktes, da schliesslich Alles nur mit Rücksicht auf unser handelndes Vermögen, d. h. nur nach dem Gesichtspunkt der Erhaltung der geschichtlichen Eircheninstitution zugestutzt und mit Feldherrnklugheit vor den extremen Abwegen geschützt wird, ohne dass den beiden anderen geistigen Vermö- gen, die bei der Handlung nur als Hülfen dienen, eine selbstän- dige Stellung eingeräumt und die Tiefe des sittlich-religiösen Gefühls wie der vom Erfolg unbestochene Wahrheitssinn befrie- digt vTürden.

Aus dieser bloss politischen Auffassung derRe- 3. Dritter ligion folgt nun nothwendig drittens die sogenannte Fehler: Socialethik, d. h. es muss das sittlich-religöse Leben ^*® ^^^ ^'•'^

^. , . . T^ 1 1 i^T SodU-Ethik

des Emzelnen mit semen Fehlem und Vorzügen und verliert ein wesentlich aus dem Gesanmitleben der Barche ab- p»*°«*p <»« geleitet werden, wie es andererseits als Theil auch wieder einen krank- oder gesundmachenden Fartialeinfluss auf den ganzen Organismus ausübt. Nur bei dieser Auffassung ist die Kirche wirklich ein geschichtlich lebendiger einheitlicher Körper. Wenn demgemäss nun das Princip der Socialethik for- dert, sich ganz dem in der Gesammtheit regierenden Geiste hin- zugeben, so steht man sofort vor dem Princip der Majorität und der öffentlichen Meinung; will man aber aus Schreck vor diesem liberalen Gespenste und aus anderweitiger religiöser Ge- sinnung dieses in Wahrheit unbrauchbare und unrichtige Princip nicht anerkennen, so rebellirt man selbstsüchtig, atomistisch und individualistisch gegen die social-ethische Macht des Gesammt- geistes, der viel herrlicher und höher und heiliger ist, als der arrogante und eitle kleine Theil, der ein besseres Wissen und Wollen beansprucht. Denn sobald man im Gegensatz gegen den Zeit- und Gemeingeist das Princip der Autorität erheben wollte, so wäre sofort die Socialethik zerstört und ein transcendentes und übergeschichtliches Princip anerkannt. Wenn man nun gerade in leidlich gesunden kirchlichen Zuständen lebt, so ist es ja für die grosse Menge der schwachen und mittelmässigen Köpfe und Herzen allerdings empfehlenswerth, der herrschenden Richtung zu folgen; da aber die Sünde und allerlei physische und intel- lectuelle Mängel und geschichtliche Bedrängnisse sehr oft den Geist und Sinn der Institute und Aemter und die tonangebenden

uiumzeu uy x^jv^wV Iv^

430 Pantheismus der That.

Kreise verderbcD, so sieht man, wie bedenklich, ja wie haltnngslog die socialethische Methode sein muss, da sie kein ausserhalb des geschichtlichen Processes liegendes Fundament gewähren kann, weshalb der wahrhaft religiöse und christliche Sinn auch nie- mals dieser bloss politischen Auffassung der Religion zustimmen mag. Es müssen daher die christlichen Denker inuner auch ein Princip der Autorität, selbst auf socialethischem Standpunkte, der blossen Majoritätsstinmiung entgegenstellen, und sie nehmen als solches Princip gewöhnlich die heilige Schrift, oder die Lehr- sätze und Forderungen eines berühmten Kirchenlehrers, d. h. in Wahrheit sich selbst, sofern sie die heilige Schrift richtiger als die Uebrigen auslegen und den Kirchenlehrer höher schätzen, als das grosse Publikum, das ihn etwa misshandelte. Allein so ehrenhaft auch diese Geltendmachung der Autorität ftlr den per- sönlichen Charakter des Schriftstellers ist, dessen höhere Ge- sinnung sichtlich das System durchbricht, so verwerflich ist dies doch gerade fbr den Socialethiker, der sein eigenes Gebäude zer- stört, sobald er ein Princip des Werthes vor und über der Ge- sellschaft zugesteht. Die Einmischung des Princips der Autorität in die social-ethischen Systeme ist deshalb eine ignoratio elenchi, ein Beweis, dass man den Fehler des Systems nicht erkannt hat und eine Medicin anwendet, die mit der Krankheit zugleich den Patienten umbringt.

Um den beschränkten Ursprung des pantheisti-

4. Das ftutago- -, tr* t i . . . •• •■

niBU8che sehen Kirchenenthusiasmus zu zeigen, giebt es end- princjp indicirt \\q]^ uq^Jj ^Jq^ sichcrc Indicatiou. Die christliche nebe Eiuseitig- uud dic Wahrhaft philosophische Auffassung der Welt keit des jj^ann nämlich in der Welt unmöglich irgend einen Widerspruch des Systems oder der Regierung zu- lassen, da sie Alles als von Gottes Macht, Weisheit und Liebe geordnet erkennen muss. Sobald man aber willkürlich einen Theil der Welt zum absoluten Zwecke macht, so müssen sich nothwendig andere Theile finden, welche jenen Theilzwecken feindlich sind, wie z. B. wer die Grasfresser ftlr die rechten Be- sitzer der Erde halten wollte, sehr bald die Raubthiere als die natürlichen Feinde erkennen müsste. Aus demselben Grunde ist jeder Patriotismus und Staatsenthusiasmus bloss eine perspec- tivisch beschränkte Stellung zur Menschheit, da die Interessen anderer Staaten immer unserem Vaterlande mehr oder weniger

uiyiiitieu uy V^J WvJV^. iv^

Kirchen enthusiasmus. 431

feindlich sein werden. Hieraus ergiebt sich also ein sicheres Symptom; denn wenn in einem Systeme dem als höchstes Gut erkannten Principe ein feindliches und antagonistisches Frincip entgegengestellt werden muss, so beweist dies^ dass von demsel- ben Systeme nicht die ganze Gotteswelt umfasst oder gesucht sein kann^ sondern willkürlich und einseitig einem Theile der Welt alles Interesse zugewendet wird, wobei denn nothwendiger Weise sehr bald ein nach anderer Seite geneigtes und deshalb moderirendes und antagonistisches Element sich fahlbar machen und zur widerwilligen Anerkennung bringen muss. Diese Semiotik auf den Enthusiasmus für die Kirche angewendet, liefert uns sofort das charakteristische Symptom eines dem Ziele der Kirche entgegenarbeitenden und feindlichen Princips, und wir brauchen auch keine weiteren Schlnssfolgen mehr zu ziehen, sondern können uns der mit voller Deutlichkeit in der christlichen Sitten- lehre von Oettingen's abgegebenen Zeugnisse bedienen. So heisst es z. B. S. 184: „Der persönliche sittliche Kampf des neuen und alten Menschen in uns er hat seinen makrokos- mischen Hintergrund an dem riesigen Kampf des durch die Erlösungsoffenbarung begründeten Gottesreiches mit dem Weltreich, wie es in der natürlich sündlichen Menschheitsent- wickelung Fuss gefasst hat" Die Liebe setzt er so entgegen „dem im Weltreich herrschenden dämonischen Centralprincip des fleischlich selbstsüchtigen Egoismus", oder „den gottfeindlichen Mächten der Finstemiss" und behauptet daher auf S. 138: dass „die vielfach von der modernen Weltansicht perhorrescirte Idee eines persönlichen Teufels mit der christlichen Lehre, wie mit der Autorität Christi und seiner Apostel, steht und fällt" Wir brauchen die Darlegung nicht genauer zu analysiren; es zeigt sich vielmehr schon mit Wünschenswerther Klarheit, dass der dualistische und antagonistische Charakter, welcher ftar den Standpunkt des Kirchenenthusiasmus nothwendig ist, offen bekannt wird und dass dadurch zugleich das sichere Symptom einer bloss perspectivischen und beschränkten Weltanschauung gleichsam ad oculos demonstrirt ist, die auch durch den geist- vollsten und gewandtesten Vertreter nicht gerettet werden kann.

Digitized by

Google

Fünftes Capitel. Der pantheistische Knnstenthusiasinas.

Bei all den vier bis jetzt speculativ (durch Auf- zeigung der constanten Beziennngspunkte) festgelegten Arten des Pantheismus der That waren die Handlungen nicht an sich der gesuchte Werth, sondern blosse Mittel, um ein davon verschiedenes Gut hervorzubringen; denn es drehte sich entweder darum, das allgemeine sinnliche Wohlsein der Menschheit zu be- fördern, oder dem Gesetz des Gewissens zu gehorchen, oder den Interessen des Staates und der Kirche zu dienen. Die letzten drei Standpunkte fassen wir zusammen als das pantheistische Correlat der Rechtsreligion, wie der erste uns der Furcht- religion entsprach. So bleibt nur ttbrig, den speciiischen Cha- rakter des handelnden Geistes selbst zum Princip zu nehmen, d. h. in den Handlungen selbst unmittelbar den Zweck und Werth zu sehen und sie nicht mehr als blosse Mittel ftir einen von ihnen qualitativ verschiedenen Zweck zu betrachten. Ehe wir aber weiter vorrücken, um diese letzte und ge- wissermassen reine Form des Fantheismus der That in Besitz zu nehmen, müssen wir als vorsichtige Strategen für die Sicher- heit der bisher gewonnenen Position sorgen. Es könnte nämlich Jemand von der Seite einen Ausfall macheu, um uns die vorigen vier Heeresabtheilungen abzuschneiden und uns mit der letzten reinen Form zu isoliren; denn wenn in jenen vier Formen die Handlungen blosse Mittel sind, so muss ja ihr Zweck, der das Wesen der Sache bestimmt, die zugehörigen Religionsformen dahin verschieben, wohin der Inhalt des bestimmenden Zweckes weist. So treffend diese Argumentation zu sein scheint, so leer ist sie, weil sie auf keiner Anschauung oder Erfahrung dieser Gesiimungen beruht. Denn wenn auch in jeder dieser Formen

uiumzeu uy 'v_JvyVjVlv^

KunstenthusiRAmus. 433

der Inhalt verschieden ist und Niemand ohne diesen Inhalt als Zweck handeln möchte bloss um der Bewegung willen: so ist trotzdem in allen diesen Formen das Handeln selbst die Haupt- sache, da die den Zweck enthaltende Qualität eben nur durch dicThat verwirklicht wird und von unseren geistigen Functionen nicht die ethische, sondern eben die praktische den Ausschlag giebt. Um durch einen Vergleich schnell das Yerhältniss der Begriffe zu illustriren, so wollen wir diese vier Gesinnungen als Kaufleute bezeichnen, die, ein Jeder mit seiner besonderen Waare, ihre Schiffe befrachten; nun ist in gewissem Sinne die Qualität der Ladung die Hauptsache und der Zweck, denn wer würde ohne seine Waare zu Markte kommen; gleichwohl hat keiner die Waare selbst fabricirt, sondern er ist nur Spediteur und Col- porteur und Handelsmann, dessen Verdienst gerade darin besteht, dass er möglichst viel umsetzt und Zeit und Ort und Gelegen- heit benutzt. So sind nun auch bei den vier besprochenen praktischen Beligionsformen des Pantheismus zwar die qualitativ bestimmten Lebenszwecke specificirend, ohne dass es sich doch dabei um eine andere geistige Function als die handelnde drehte, da jener Inhalt nur als Cargo befördert, nicht aber producirt werden soll; denn der Werkheilige will zwar Pflichtmässiges thun oder leiden und nicht etwa fUr den Fortschritt der Gom- munication und andere Givilisationszwecke sorgen, gleichwohl kommt es ihm wesentlich auf das Thun und Leiden an; ebenso wie der Fortschrittsmann und der Staats- und Kirchenenthusiast ihrerseits immer die wirklichen Verhältnisse und was jetzt und hier geschieht und geschehen muss, in's Auge fassen und ganz in die Action der Gegenwart aufgehen.

Mithin ist unsere Eintheilung gegen solche etwaige Ausfälle gesichert, und wir können den Gegensatz der ersten vier Formen gegen die letzte und reine Form nur als eine innere Angelegen- heit betrachten. Unsere nächste Aufgabe muss daher sein, be- greiflich zu machen, wie das blosse Handeln selbst zum Lebens- zweck werden und zur Befriedigung gereichen könne. Dies ist aber nicht so schwer zu zeigen, und wir können uns hierbei auf fremde Schultern stellen; denn wenn schon die sinnlichen Thätig- keiten, wie das Essen und Trinken, wegen der begleitenden Lust zum Selbstzweck erhoben werden bei niedrigen Naturen, so muss die mit Lust ausgeübte geistige Handlung, um die es sich

Telchmüllor, Religion «philofwphle. uiyiiizec?^G00QlC

434 t^ontlieismiis cler That.

hier dreht, um so leichter als Endzweck und Ziel erscheinen. Wir nennen solche Thätigkeit mit Aristoteles und Schiller Spiel und, wenn sie von einem gebildeten Geiste ausgeht, Kunst, und wir wissen, dass wer spielt oder künstlerisch thätig ist, keinem äusseren Zwecke dient, sondern in seiner Thätigkeit selbst die Befriedigung findet. Es ist darum ganz natürlich, dass künst- lerische Naturen, wenn sie ihren Blick über das ganze Leben der Welt schweifen liessen, zu der Weltauffassung konmien mussten, wonach der eigentliche Zweck, Sinn und Werth der Welt in dem künstlerischen Thun liegt; denn wenn der künst- lerisch angelegte Mensch alle seine sinnlichen Bedürfhisse be- friedigt hat und keine Noth sein Wohlsein hindert, so greift er zum Spiel und zur Kunst, er singt und geigt und malt und dichtet, um seiner Müsse einen an sich werthvoUen Inhalt zu geben, oder um sich die Krone des Lebens auf das Haupt zu setzen. Die theoretische Thätigkeit betrachtet er als ein blosses Mittel, um seine Werke klüger einzurichten und gediegener zu machen, und er verwebt, was er gelernt hat, als einen blossen Einschlagsfaden in sein Spiel. Die Gefühle endlich sind ihm theils auch nur eine Seite z. B. in den Charakteren, die er dra- matisch oder lyrisch oder musikalisch darstellt, oder sie gelten ihm bloss als ästhetischer Genuss der Kunst selbst. So macht sich der Künstler zum König und Herrn der Welt und geniesst in holdem Wahnsinn und göttlicher Begeisterung den aus der Welt ausgepressten Nektar der Poesie. Dieser pantheistische Kunstenthusiasmus ist also eine nothwendige Religionsform, die sich immer hier und da bei Künstlern und künstlerisch ange- hauchten Naturen finden wird.

Es ist nicht unsere Aufgabe, hier genauer histo- risch zu untersuchen, wo zuerst diese Religionsform aufgekommen ist; gleichwohl müssen wir zur Hlustrirung jeden- falls einen bedeutenden Vertreter des Standpunkts vorführen, damit wir uns nicht bloss im Gebiete einer speculativen Topik bewegen, welches Vielen so lange für chimärisch gilt, bis sie auf die historischen Namen stossen. Nun ist es klar, dass dieser Standpunkt nicht früh in der Menschheit aufkommen konnte, weil die Furcht- und die Rechts-Religion bei allen Völkern den Vorreigen führte. Wenn sich aber auch schon der Pantheismus entwickelte, so wird doch nicht immer sofort der Enthusiasmus

Digitized by -^.-jv^v^^-aj. iv.

Eunatentliusiasmus. 435

für die Kunst hervortreten, weil die entsprechende speculative Entwickelang der Yemunft vorangegangen sein muss, welche den gebildetsten Künstlern erst den Begriff giebt und das Wort auf die Lippe legt, um die Kunst in dieser ihrer souveränen Stellung zu verstehen und dieses ihr religiöses Bewusstsein auch Andern verständlich zu machen. Wenn daher auch inmierhin instinctiv der Künstler schon von Anfang an alS Künstler nach dem Verlust der projectiven Theologie seine Thätigkeit als Lebens- und Weltzweck, als Inhalt von Freiheit und Glück und Kraft mag empfunden haben, so ist es doch begreiflich, dass vielleicht erst am Ende des vorigen Jahrhunderts der pantheistische Kunstenthusiasmus als eine bestimmte Weltauffassung und ßeli- gionsform an's Licht trat. Und zwar ist es Schiller, den ich besonders meine, weil er zuerst neben der Kunst auch die Philosophie zu umfassen vermochte und daher zu einem deut- lichen speculativen Bewusstsein gelangte.

Nachdem Schiller der Prophet dieser Weltauffassung ge- worden war, nahm Göthe zuweilen einmal denselben Gesichts- punkt, doch liebte er es nicht, eine .Sache immer von derselben Seite anzusehen, und es wäre daher vergeblich, Göthe zum Partisanen dieser Beligion machen zu wollen. Dagegen gingen die Romantiker hitzig und unklar in vielen Werken auf diesen Gedankenweg ein.

Die Dogmatik dieser Religion ist sehr einfacL Da die projectiven Götter und mit ihnen der miss- verstandene christliche Gott gefallen sind, so blieb den Pantheisten als das Göttliche nur unser Geist übrig, für dessen Potenzen die ganze alte und mittelaltrige Götterwelt nur in metaphorischem Spiel als künstlerische Form gebraucht wurde. So wird man bei Schiller bald einen Heiden, bald einen katholischen Christen zu hören glauben; es hat damit aber nichts auf sich; denn die Eumeniden, wie das Sacrament sind ihm blosse Gemüthszustände im Menschen, welche diese oder jene Handlung vermitteln.

Die eigentliche Aufgabe der Dogmatik besteht deshalb in der Unterscheidung der geistigen Vermögen und in der Begrün- dung der ersten Stelle für die Kunst. Mithin muss das Ver- hältniss von Moral und Kunst (in der Ethik) und von Philosophie und Kunst (in der Dogmatik) erörtert werden.

436 Pantheismus der That.

Was nun die Philosophie oder Wissenschaft schlechthin be- trifft, so gehörte Schiller nicht zu den gescheidten Köpfen, die von Philosophie darum nichts wissen wollen, weil ihr intellec- tnelles Vermögen nicht hinreicht, in dieser lichtreichen Religion ohne blaue Brille etwas zu sehen; Schiller hatte vielmehr mit grossem Talent die Kant'sche Philosophie studirt und auch die folgenden Idealsten zu fassen gesucht. Er glaubte aber, weil sein angeborener Beruf zur Kunst führte, alles Wissen, wie in seinen philosophischen Gedichten, der Kunst dienstbar machen zu können oder ihm wenigstens die speculativ abstracte Fassung nehmen und es mit der Phantasie in einem schönen Bunde zur künstlerischen und gefälligen Darstellung bringen zu sollen. In seinem Gedichte „die Künstler" spricht er dies klar aus: „Wenn auf des Denkens freigegebenen Bahnen der Forscher jetzt mit kühnem Glücke schweift und, trunken von siegrufenden Päanen, mit rascher Hand schon nach der Krone greift; wenn er mit niederm Söldnerslohne den edlen Führer zu entlassen glaubt, und neben dem geträumten Throne der Kunst den ersten Sclaven- platz erlaubt: verzeiht ihm der Vollendung Krone schwebt glänzend über eurem Haupt. Mit euch (den Künstlern), des Frühlings erster Pflanze, begann die seelen- bildende Natur; mit euch, dem freudigen Erntekranze, schliesst die vollendete Natur." Und femer: „Was in des Wissens Land Entdecker nur ersiegen, entdecken sie, ersiegen sie für euch. Der Schätze, die der Denker aufgehäufet, wird er in euren Armen erst sich freu'n, wenn seine Wissenschaft, der Schönheit zugereifet, zum Kunstwerk wird geadelt sein." Die Urania (als Wissenschaft) soll deshalb in der Cypria (als Kunst) verschleiert schon gegeben sein.

Dass dies nun ganz verkehrt ist, liegt auf der Hand; denn die geistigen Vermögen sind trotz ihres Zusammenwirkens doch so getrennt in ihrer Wurzel wie Auge und Ohr. Nie wird man z. B. den Werth des Gesichts wegreden oder ersetzen können, wenn man auch noch so viel durch glänzende Schilderungen der sichtbaren Schönheit in tönenden Worten auf das Ohr wirkt; denn hörend können wir ja diese Kunde nur verstehen und ge- messen, wenn wir sehend waren und uns erinnern, was wir bei solchem Anblick fbhlten. Ebenso ist die Kunst unvermögend, die Philosophie zn ersetzen, und der Philosoph zertrümmert

uiyiüzeu uy "V-j v-zv^'pt iv^

Kunstenthusiasmus. 437

erbannungslos das schönste Bedekunstwerk, um aus dem Firlefanz die ihm viel interessanteren nackten, abstracten Begriffe heraus- zuziehen und zu gemessen, die durch die künstlerischen soge- nannten Verschönerungen nach seiner Meinung nur verschlechtert und, wie er grob sagen wird, verhunzt werden. Wer aber die speculative Arbeit gescheut hat, der wird auch in dem Kunst- werk, welches angeblich die Wissenschaft incorporiren und ver- klären soll, den wissenschaftlichen Inhalt gar nicht verstehen, sondern wie im Traum nur davon angesäuselt werden, ohne über den Sinn und Verstand Rechenschaft geben zu können. Schiller's Versuch, die theoretische Thätigkeit in der Kunst verschwinden zu lassen, ist daher ebenso verfehlt, wie der gleiche Versuch der speculativen Idealisten, alle übrigen geistigen Functionen in das Fhilosophiren aufzuheben. Gerechtigkeit ist eine gute Sache, und so wollen wir jeder Function ihr Recht geben und uns freuen, dass wir sowohl Augen als Ohren haben.

Das Motiv der Religion überhaupt ist das Be- dürfniss nach einer gewissen Vereinbarung oder Ver- einigung mit dem Absoluten, oder das Bedürfiiiss nach einer absoluten Befriedigung; denn alle unsere Begierden und Bedürf- nisse verlangen bloss ihre besondere Befriedigung, die Religiosi- tät aber ist ein Bedürfiiiss, welches über und ausser den zer- splitterten einzelnen Trieben und Sorgen den ganzen Menschen einheitlich zusammenfasst und seine Zuordnung zu der souveränen Macht in der Welt empfindet und bedenkt. Demgemäss kann eine absolute Befriedigung auch erreicht werden, wenn selbst einzelnen Trieben keine Genugthuung, sondern vielmehr Ein- schränkung und Leiden beschieden ist.

Da für die Religionsstufe, die wir hier erörtern, nur das atheistische Bewusstsein vorauszusetzen ist, so kann die Befrie- digung nur in dem Vollzug der geistigen Functionen und im Genuss des geistigen Inhalts liegen. Das specifische Motiv des pantheistischen Kunstenthusiasmus lässt sich aber nur durch eine überwiegende künstlerische Anlage verstehen, welche die übrigen geistigen Potenzen in ihre Functionen verwebt und so gewissermassen die Oberherrschaft in der Seele ausübt und mithin das höchste und alleinumfassende Bedürfniss erregt. Dieses kann daher nur durch die künstlerische Thätigkeit und ihren Selbst-

438 Pantheismus der That.

genuss ausgefüllt und befriedigt werden, und hierin liegt das eigenthümliche Wesen dieser Eeligionsfonn.

Wie nun die dogmatische Betrachtung uns zeigte, dass die abstracte wissenschaftliche Leistung mit der Phantasie ver- schmolzen werden muss, um dem Künstler zu genügen, so sehen wir hier sofort, dass die dem Geftlhl entsprechenden moralischen Normen keine selbständige Geltung auf diesem Standpunkte be- halten können. Die Moralität, möge sie aus bestimmten positiven Satzungen herstammen, oder wie bei Kant aus dem Gegensatz der geistigen Allgemeinheit gegen die sinnlich - natürliche Parti- cularität des Begehrens gezogen werden, ist und bleibt immer eine Schranke, welche der freien natürlichen Bewegung des künstlerischen Genius hemmend in den Weg tritt Wie der Genius daher seiner Natur gemäss gegen jeden Zopf positiver gesellschaftlicher und zweckmässiger Formen und Manieren feind- lich sich verhält, so muss er auch der Moral den Krieg erklären. „Ja, der Mensch ist ein ärmlicher Wicht, ich weiss doch das wollt' ich eben vergessen und kam, ach, wie gereut mich's, zu Dir!" nämlich zu dem moralischen Dichter. Dieser ist in der von der Moral regulirten Dichtung „der Wirth und der letzte Actus die Zeche; wenn sich das Laster erbricht, setzt sich die Tugend zu Tisch."

Der Künstler kann also den Widerspruch zwischen Natur und Gesetz nicht dulden. Darum zeigt Schiller in seinen ästhetischen Abhandlungen, dass durch die Kunst, welche das Schöne oder die Harmonie von Gesetz und Natur enthält, unsere Lust als Beifall ausgelöst werde, dass dieser freie Beifall aber erziehend und normirend auf die Triebe wirke und dass so ganz von selbst das natürliche Begehren des Menschen, von der Schönheit und dem Geschmacksurtheil geleitet, in den moralischen Bahnen ohne Zwang anmuthig sich bewegen und mithin ebensowohl das radicale Böse wie das Gesetz, welche beide einen unlösbaren Widerspruch der Natur anzeigen, überwinden würde. Die Ethik des Kunst- enthusiasten fordert deshalb die ästhetische Erziehung, d. h. Aus- übung der Künste und Genuss der Kunstwerke.

Dadurch kommen wir von selbst zum Gultus:

Caltas. ^

es ist ja in die Augen fallend, dass die Verehrung einer auswärtigen Gottheit keinen Platz mehr hat. Aber freilich ist es dem Künstler auch leicht, sich mit seiner lebendigen

uiymzeu uy x^j>^ v^'pt i^-

Kunsienthusiasmus. 4 39

Phantasie in jeden fremden Cultus hineinzuversetzen, und deshalb gar nicht wunderbar, dass bei diesem Standpunkt die Romantiker so leicht vom Protestantismus zum Eatholicismus übergingen, oder wenigstens, wie Schiller und auch Göthe, sich in ihren Dichtungen so völlig in den katholischen Cultus hineinfllhlten und ihn wie die angemessenere und ästhetisch allein brauchbare Religionsform mit Vorliebe benutzten. Ebenso leicht freilich verloren sie sich in den heidnischen Cultus und nicht bloss Hölderlin, sondern auch Schiller und Göthe fanden den natür- lichsten Ausdruck ihres religiösen Bewusstseins spielerisch in den griechischen Göttern und ihrem Cultus, wie Göthe später auch den Islam und die Indische Mythologie als ein bequemes Gewand anzulegen liebte. Die historisch überlieferten positiven Cultusgebräuche der Völker werden deshalb auf diesem Stand- punkte nur zu einer Phantasieform, die sich beliebig verwerthen lässt, an sich aber ohne Bedeutung ist.

Der eigentliche und wahre Cultus aber ist die Ausübung der Kunst selbst, und mithin muss das Theater an die Stelle der Kirche treten. Schiller hat sich nicht gescheut, diese Con- Sequenz zu ziehen und sie öffentlich zu verkünden. Obgleich nun hierin eine augenfällige Einseitigkeit liegt, weil doch weder alle Menschen Theaterstücke schreiben, noch täglich in's Theater laufen können und auch nicht die Fähigkeit haben, was sie an dem Schicksal fremder Menschen auf der Bühne erlebten, jedes- mal zum Privatgebrauch für eigene Calamitäten zu verwenden, während die Religion immerfort von Nöthen ist und deshalb auch die Kirche mit ihrer Lehre und Gesinnung das ganze Leben des Menschen durchdringt und regelt: so muss diese grosse Einseitig- keit Schiller's doch noch als ein Zeichen von Verstand und Be- sonnenheit gelten im Verhältniss zu einem noch grösseren Extrem, da er wenigstens noch nicht das ganze Leben des Menschen selbst als ein Gedicht oder als Musik hinstellt, sondern dies als ein durch den Einfluss der Kunst nur zu regulirendes Material ausserhalb der Kunstbetrachtung Hess. Die Consequenz stric- tester Observanz wurde erst von den Romantikern gezogen, die von Schiller's moralischem Nerv und seinem kräftig ausgebildeten Verstände verlassen das ganze Leben in Dichtung umwandeln wollten. Nun wird nothwendiger Weise, wie in der romantischen Poesie, der natürliche und nach Gesetzen zusammenhängende

440 Pantheismus der That.

Lauf der Welt selbst zu einem vom Zufall oder von dämonischen Mächten nach Neigung oder Abneigung gestalteten Lebenstraume; Wirklichkeit unterscheidet sich nicht mehr von den Bildern der Einbildungskraft, so dass sich Zauber und Wunder und alles Unmögliche ohne Mühe ereignet; die im Walde erschaute blaue Blume, bei Novalis, die den Dichter mit zauberhafter Macht anzog, tritt in den blauen Augen eines Mädchens ihm plötzlich wieder entgegen und ist in Wahrheit nichts anderes als der ent- zückende Traum der Phantasie, der das eigentliche Lebens-Motiv und Ideal des Dichters gewesen war und der sich nun in süssen Thränen und Worten unsagbaren Inhalts und allerlei poetischen Handlungen realisirt. Zwei Verliebte leben bei Tieck unbe- kümmert um die übrige Welt im zweiten Stockwerk, und in ihrer Lebenspoesie verbrennen sie allmählich von unten an die ganze Treppe auf ihrem kleinen Heerde und gemessen die Vollendung des Daseins mit einander in ihren Phantasien, ohne nöthig zu haben, mit dem spiessbürgerlichen Verstände sich und die Welt zu erkennen oder irgendwelche Pflichten in der ihnen ver- schwundenen Wirklichkeit zu erfüllen.

Diese Erörterung des Gultus führt unmittelbar

Zar Kritik. °

zur Kritik hinüber; denn die ungehinderte Ausbildung des Kunstenthusiasmus muss ja die völlige Isolirung der Kunst- function und die haltlose Einseitigkeit und Unwahrheit des Stand- punkts an's Licht stellen. Indem die Kunst, die hier gewöhnlich schlechthin Poesie genannt wird, sich von der Wissenschaft, also von der Wahrheit, ablöst, wird ihre Productionsweise und Form launenhaft und liederlich, wie die kaum lesbaren Producte, die Genoveva u. dergl, zeigen, und ihr Inhalt geht vom Traumhaften zum Verrückten über. Das Leben dieser Lebensdichter aber richtet sich bloss nach ihrem zufälligen Geschmack und nach ihren von der Phantasie gegängelten Begierden, die alle für heilig und unschuldig erklärt werden, weil sie als natürliche aufgehoben und in die Form der Lebensdichtung aufgenommen sind. Darum tauschen die Dichter ihre Frauen unter einander, kümmern sich weder um menschliche, noch sogenannte göttliche Verbote und beten schliesslich in der Lucinde, da die Phantasie doch von den Trieben inspirirt wird, in orgiastischem Rausch ihren eigenen Priapus an. Mit einem Wort, die Einseitigkeit des Kunstenthusiasmus bewirkt seine Unwahrheit, sofern er von

uiumzeu uy x^jOvJVIv^

Künsten thnsiasmus. 441

der theoretischen Function, also von Verstand und Wissenschaft lostgelöst ist, und seine Schlechtigkeit, sofern er von dem Gewissen und von allem moralischen Gesetze sich emancipirt.

Zugleich tritt in diesem dichterischen Enthusiasmus auch der Fehler des Pantheismus deutlich hervor; denn das Wesen des Fantheismus ist die Auflösung des Göttlichen in die geistigen Functionen. Hier sehen wir nun Eine Function, die Phantasie mit ihren künstlerischen Handlungen, in alleiniger Bevorzugung und können an dem Inhalt der Werke und dem Leben der Dichter wahrnehmen, wie die Persönlichkeit, das substanziale Sein des Menschen, in die blosse Function verschwindet, wie also gewissermassen an der Stelle des Menschen nur das Träumen und Dichten lebt und wirkt, ohne dass der Mann selbst seine Thätigkeit regierte und normirte und ihr im Verhältniss zu den andern Functionen die Bedingungen der Coordination auferlegte, und ohne dass er selbst als Wesen mit den anderen zugeord- neten Wesen und mit Gott in eine reale und in eine meta- physische Gemeinschaft zu treten vermöchte.

Man darf aber nicht glauben, als wenn die hier abgeleitete und definirtc Religionsform sich bloss bei Dichtern finden könnte, nein, sie ist auch bei den Vertretern der andern Künste viel verbreitet; nur vermögen die Maler und Bildhauer und Musiker, was sie träumen, fühlen und wollen, bloss durch Gesichte und Töne räthselhaft anzudeuten, während dem Dichter allein die Zunge gelöst und vergönnt ist, deutlich und verständlich zu sagen, wie sich ihm in seinem Geiste das Göttliche oflFenbart hat.

Digitized by

Google

2. Pantheismus des Gefühls.

Erstes Capitel. Definition.

Kein PantheismuB

Wir kommen zu einer andern Form des reli- giösen Bewnsstseins, zu einer weniger verbreiteten, kann weü das Vermögen der That in die Sinnenwelt führt ^*^werdef**'^ uud sich deshalb überall bemerklich macht, wie es auch durch die beständige Sorge für die Selbst- erhaltung im Kampfe um's Dasein am Meisten von selbst ent- wickelt wird, während das Geftlhl und die Erkenntniss nur als Hülfen herangezogen werden, aber durch die Noth des Lebens keinen unmittelbaren Antrieb zu selbständiger Entwickelung er- halten. Es ist darum in der Ordnung, dass die Religionsformen, zu denen wir jetzt übergehen, sich nicht in so zahlreichen Bei- spielen vertreten finden, üeberhaupt eignen sich alle pantheisti- sehen Standpunkte ohne Ausnahme nicht zur Yolksreligion, und es ist nur eine Oedankenlosigkeit, wenn man die pantheistischen Religionen des Buddhismus und Brahmanismus die verbreitetsten Religionen der Welt nennt; denn was in diesen Religionen rein pantheistisch ist, das kann sich ebensowenig verbreiten, wie etwa das chemisch reine Wasser. Nur scheinbar ist dieses überall vorhanden; es verbindet sich vielmehr überall mit anderen Stoffen und verbreitet sich in die organischen Gewebe der Pflanzen und Thiere, wie es auch im Meere und in den Quellen mit Salz und Jod, mit allerlei Alkalien und Metallen sich vermengt In den Apotheken und Laboratorien hat man das reine Wasser zu suchen. Ebenso ist der Buddhismus und Brahmanismus als Yolksreligion kein reiner Pantheismus, sondern er hat die Elemente

uiyiüzeu uy "V-j v-zv^'-x iv^

Definition. 443

der Furcht- und Rechtsreligion überall aufgesogen und sich mit Göttern erfüllt, wie z. B. Buddha selbst zu einem incamirten Gott gemacht wurde. Also muss man aufhören mit dem un- wissenschaftlichen Geschwätz, als wenn der Pantheismus der noch gegenwärtig herrschende und vom Evangelium nicht besiegte Geist der verbreitetsten Religionen der Welt wäre, womit man ein- filltige Christen zu erschrecken und Eandem zu imponiren pflegt

Nun beruhen alle pantheistischen Religionsformen auf einer Einseitigkeit der geistigen Begabung der ^J^^^^^ Menschen. Obgleich nämlich der Geist seinem Wesen nach immer ganz ist, derart dass ihmkeins der drei Vermögen fehlen könnte, so findet sich doch thatsächlich in der Regel ein Uebergewicht von Einem dieser Vermögen, weshalb wir einige Menschen praktisch und künstlerisch, andre Gefiihlsmenschen, andre Denker nennen. Da aber der Geist immer ganz ist, so denkt auch der Praktiker und es fühlt auch der Theoretiker; nur wird niemand die in jeder Erfahrung uns aufstossende Ein- seitigkeit der Menschen leugnen wollen. Darum ist es nun in der Ordnung, dass sich nach dem Uebergewichte der einen oder der anderen Function des Geistes auch die allen gemeinsame Vorstellung von dem Göttlichen und der absoluten Befriedigung in einer specifischen Weise ausbildet und eine eigenthümliche Religionsform erzeugt Wenn daher das Gemeinsame (genus) des Pantheismus durch den Genuss des Göttlichen in den geisti- gen Functionen, in welche das Ich verschwindet, ausgedrückt werden kann, so besteht das Specifische (differentia specifica) in den Einseitigkeiten, wonach entweder die Thätigkeiten oder die Gefühle oder das Denken den Sitz des Uebergewichts bilden. Diese drei Vermögen des Geistes bestimmen das Fundament der Eintheilung und ermöglichen zwar keine haarscharfe Zerspaltung der Religion, aber doch eine solche Gruppirung, die aus dem Wesen der Sache stammt und durch die Wirklichkeit der mensch- lichen Einseitigkeit vollauf bewährt wird, so dass Niemandem der thatsächliche Unterschied der hierdurch gefundenen Reli* gionsformen entgehen kann.

Es ist offenbar, dass das Gefühl zu den elemen- taren Functionen des Geistes gehört, von denen man ^**0e^hu, ^^ gewöhnlich sagt, dass sie nicht definirt werden könnten. Nun ist es zwar richtig, dass man Niemandem von

uiuiüzeu uy V^J V^\J>t i^

444 Pantheismus des Gefühls.

einem GefUhl yerständlich sprechen kann, wenn er dies GeAihl nicht schon in sich gefühlt hat, wenn es noch kein Inhalt seiner eigenen Erfahrong geworden ist ; allein ausser dieser seit Aristoteles allgemein anerkannten Gränze der Definibilität muss die neue Schwierigkeit beachtet werden, die ich zuerst in meiner „Grund- legung der Metaphysik" hervorhob; da nämlich durch das Er- kennen offenbar nur Erkenntnisse erkannt werden, d. h. nur das, was als erkanntes Object ohne Kest in das erkennende Subject aufgeht, so scheint das Gefühl, welches doch keine Erkenntnis, sondern etwas davon gänzlich Verschiedenes ist, gar nicht er- kannt werden zu können. Ich habe diese Schwierigkeit in meiner Metaphysik durch Unterscheidung von Bewusstsein und Erkenntnis gelöst und zugleich die Gränze des Gebietes des Definiblen dadurch erweitert, dass ich die Definition als Ortsbestimmung in einem Coordinatensystem demonstrirte, weshalb man jetzt durch Angabe der coordinirten Beziehungspunkte Alles definiren kann, indem man aber freilich immer das für den Ort Bestimmte in seinem eigenen Bewusstsein antreffen oder, wenn es eine Erkenntniss ist, durch eigenes Denken erzeugen muss. Ort des Gefühl» ^^ ^^^ dcmgcmäss den Ort des Gefühls zu

in dem . bcstimmcu, nehmen wir ein paar Beispiele. Wir sehen ^°^ytl^° eine Traube; wir brechen sie ab. Das Sehen ist der geisugeu hicr cinc Erkenntnissfunction; das Abbrechen eine Funcüonen. Handlung. Wie folgt die Handlung aus der Er- kenntniss? Sie folgt auf keine Weise ohne ein Drittes in der Mitte. Wir müssen nämlich schon Trauben gegessen und Ge- schmack daran gefunden haben. Also muss sich das Gefühl des Angenehmen als Geschmack in der Mitte befinden, damit die Handlung sich nach der Erkenntniss drehen kann. Man hört eine Viper zischen und fährt zurück. Auch hier ist ein durch Erfahrungen ausgelöstes Gefühl der Furcht zu ergänzen, ohne welches keine Bewegung erfolgen könnte. Nach diesen Beispielen zeigt sich also ein Coordinatensystem in den geistigen Functionen, indem in gesetzmässiger Weise Erkenntniss und Bewegung ein- ander durch das Gefühl zugeordnet sind. Wir haben das Recht, dies Kesultat unbedingt und allgemein auszusprechen, so lange keine Instanz dagegen angeführt werden kann.

Um^ die Allgemeingültigkeit dieser Ortsbestinunung oder Definition des Gefühls zu zeigen, will ich ein Beispiel aus dem

uiumzeu uy 'v_JvyVjVlv^

Definition. 445

Gebiete des Denkens anführen, ip welchem bisher noch nie die elementare Wirksamkeit der drei geistigen Vermögen erkannt und analytisch nachgewiesen worden ist. Man nimmt nämlich noch heute allgemein an, das Denken gehöre bloss zum Er- kenntnissvermögen, und man tibersieht daher in verhängnissvoUer Weise die Mitwirkung des Bewegungs- und Geftthlsvermögens. Will man hier aber klar sehen, so muss man die einfachen Vor- gänge zunächst studiren. Es werfe z. B. Jemand die Frage auf, ob die Radien im Kreise gleich oder ungleich wären. Nun blickt der erkennende Geist auf die Begriffe gleich und ungleich, er blickt auch auf die Natur der Radien im Kreise; denn die Frage hat die Reproduction dieser Begriffe und Vorstellungen als Be- ziehungspunkte hervorgerufen. Was folgt aus dieser Erkenntniss? Nichts! Kein Urtheil und kein Schluss! Denn woher sollte die Bewegung kommen? Das Urtheil ist eine Bewegung, ein Thun, eine Handlung des Geistes, und der Schluss ist ein Urtheil. Also fehlt ein Gelenk, ein in der Mitte liegendes Princip, welches eine Thätigkeit mit einer Erkenntniss im Gebiete der Erkennt- niss verbindet. Wir nennen diese Thätigkeit das Denken. Nach der Analogie kann das in der Mitte Liegende nur das Gefühl sein. Wollten wir uns hier nun gleich mit dem Namen „Gefühl" befriedigen, so würden wir nicht tief genug in das Wesen des Vorgangs blicken. Man muss aber wissen, dass alle die oben angeführten Beispiele, so einfach sie zu sein scheinen, schon sehr complicirter Natur sind, weil sie aus dem Gebiete des bewussten Lebens entnommen wurden. Das Unbewusste hat jedoch immer den Vorrang. Ohne Weiteres kann Niemand nach der Traube greifen-, sondern es gehen unzählige unbewusste Bewegungsacte im Kindheitsalter erst voran, die sinnenfällig werden und die Möglichkeit einer zweckmässigen und unzweckmässigen oder ver- fehlten Bewegung unterscheiden lassen, so dass dieser ganze Vorgang noch eine viel feinere Analyse verträgt und fordert. Allein dies gehört nicht hierher, sondern soll an anderem Orte ausgeführt werden, wie es zum Theil auch schon von andern Forschem richtig erkannt ist. Hier bemerke ich nur, dass, wer fehl greift, ein Missfallen auslöst; wer trifft, Beifall in sich findet Demgemäss verhält es sich nun auch beim Denken; eine logische Bewegung, d. h. ein Urtheil, welches irrig ist, missf&llt uns; ein Urtheil aber, welches trifft und richtig ist, befriedigt uns und

uiyiiized by VjOOQIC

446 Pantheismus des Gefühls.

hat unseren eigenen Beifall. Hier nun haben wir das gesuchte Geftlhl. Es ist der aus den unbewussten Denkthätigkeiten uns wohlbekannte Beifall, der hier sollicitirend auf das Bewegungs- vermögen wirkt und das Urtheil auslöst, da das durch die Frage oder den Zweifel entstandene unangenehme Gefühl eine Ab- hülfe verlangt, um durch die Denkbewegung die Befriedigung herbeizuführen.

Diese Andeutungen mögen hier genügen. Da ^def GeföhJr ^^^^ jedes Geftlhl wesentlich entweder als angenehm und das ooor- odcr Unangenehm, als Beifall oder Missfallen em-

^*de*/ Welt*"* pfunden wird, so fordern wir zum Verständniss dieses Unterschiedes, von dem alle Thätigkeiten abhängen, einen zugeordneten Beziehungspunkt. Dieser zeigt sich alsbald in der allgemeineren Idee der Ordnung oder der Goordination überhaupt. Wenn wir die Ordnung in dem Tempo der Bewegung verfolgen, so missfällt, wer aus dem Tacte kommt; wer die Ordnung, die einem Contracte zu Grunde liegt, das Vertrauen des Einen, das Versprechen des Andern und die geschehene Lei- stung in'sAuge fasst, dem missfällt der Bruch des Versprechens; wer die Ordnung einer mathematischen Rechnung kennt, dem missf&Ut der Fehler, die Lücke u. s. w. Kurz der Beifall ist immer zugeordnet dem Richtigen, das Missfallen aber der ge- störten Ordnung. Mithin ist das Wesen des Gefühls zu ver- stehen, wenn wir unsere geistigen Functionen in das grosse Ganze einer allgemeinen, die Welt umspannenden Ordnung einbegreifen, weil wir dann in dem Gefühl die Correlation der Stellung des Ichs mit seiner Function zu dem die Ordnung des Ganzen be- stimmenden einheitlichen Zweck unmittelbar empfinden.

Die Möglichkeit aller Fehler liegt in der Selb-

theiiangder stäudigkcit dcs Ichs; denn dadurch können dieFunc- oefühie. tionen, welche durch die Beziehungen zur Welt aus- gelöst werden, sich nach der Natur und dem inneren Zustande des Subjects richten, ohne der allgemeinen Ordnung draussen zu entsprechen. Dass z. B. Jemand tanzt, liegt etwa in der zage- hörigen Aufforderung der Ball-Gesellschaft; dass er aber aus dem Tacte kommt, liegt in seinem inneren Zustande, in seiner Un- geübtheit, seinem schlechten Gehör u. s. w.

So sind zunächst zwei Gattungen von Geflihlen zu unter- scheiden; die Einen drücken die Correlation der Welt zu uns

Digitized by VjOOQIC

Definition. 447

in der Weise ans, dass die Uebereinstimmang oder Nichtüber- einstimmung der Dinge nach der Ordnung in dem Subject nor- mirt wird. Diese Anffassungsweise der Dinge ist die perspec- tiyische und die Geftihle heissen selbstsüchtige, weil alle Dinge übereinstimmen sollen mit der Ordnung in dem Selbst

Die zweite Gattung dreht den Spiess um und betrachtet das Selbst als zu ordnen zur Uebereinstimmung mit dem Ganzen. Hier ist die Betrachtungsweise eine objective, und die Gefühle können im Allgemeinen als die idealen bezeichnet werden, so- fern sie sich nach den Normen des ideellen Seins richten.

Die objectiven Gefühle lassen sich leicht ein- j,,^ ^^^ ^^^ theilen, wenn wir die Dreiheit aller unserer Fun- objecüven ctionen in's Auge fassen; denn nach diesem Funda- befähle. ment muss es drei Arten von Uebereinstimmung mit der ideellen Ordnung geben. 1) Die erste Art bezieht sich auf die äusseren Thätigkeiten und Handlungen, welche der realen Ordnung ent- sprechen sollen. Diese Uebereinstimmung wird als die Idee der Schönheit bezeichnet und die zugehörigen Geflihle als die ästhetischen. 2) Die zweite Art betrachtet nicht den realen Erfolg, sondern die Absicht oder das Gefühl selbst als die alle Uebereinstimmung ermöglichende innere Bedingung. Diese Ueber- einstimmung heisst die Idee des Guten, und die zugehörigen Gefühle, die man gewöhnlich dem Gewissen zuschreibt, heissen die Rechtsgefühle oder die sittlichen. 3) Die dritte Art be- zieht sich auf die Erkenntnisssphäre. Die Uebereinstimmung unserer Function mit der ideellen Ordnung des Gedachten ent- hält die Idee der Wahrheit, und die zugehörigen Gefühle heissen die wissenschaftlichen oder logischen.

Ein Gefühl aber ist in dieser Eintheilung nicht mit enthalten, obwohl es gerade dasjenige ist, um ^Gefühl?'* dessentwillen wir diese ganze Eintheilung wenigstens tabellarisch uns vorftlhren müssen ich meine das religiöse Gefühl. Dies kann aber nun sehr leicht zu vollem Verständniss gebracht werden, wenn wir die allein noch übrig bleibende Coor- dination des Ichs zu dem Gottesbewusstsein hinzunehmen, wie dies schon oben bei der Definition der Religion dargelegt ist. Hier haben wir uns jedoch zu erinnern, dass wir nicht das religiöse Gefühl schlechthin, sondern nur das dem Pantheismus zugehörige suchen. Denn da der Atheismus als Basis des Bewusstseins

uiyiiizeu uy V^jOOV IC

448 Pantheismus des Gefühls.

vorauszusetzen und also kein projeetiver Gott vorhanden ist, gegen welchen das Ich eine Gesinnung haben könnte, so muss nach dem allgemeinen Wesen des Pantheismus das Ich in die selbstischen und perspectivischen Auffassungen und Bewegungen, der Gott aber in die ideale und objective Gedankenwelt und die zugehörige Handlungsweise verschwinden. Mithin kann es sich ftir dieses religiöse Geflihl nur um die Coordination der geistigen Functionen untereinander handeln.

Exciira ^^ ^^^ spccifische Wesen dieses religiösen Stand-

über dfo punktes völlig in's Klare zu bringen, müssen wir zu- ^'' EtiTik''^''' nächst das Verhältniss der gegebenen Elemente, ab- gesehen von der religiösen Gesinnung, betrachten. Nun ist einleuchtend, dass beide Elemente sowohl in Disharmonie als in Harmonie stehen können. Harmonisch sind sie nur, wenn das selbstische Element völlig dem idealen gemäss sich ordnet; weil die Vernunft keine andere Ordnung jemals aner- kennen und zulassen kann, als die von ihr gefundene. Mithin muss uns die Disharmonie als imsittlich und schlecht, und die zugehörige Handlung und Gesinnung als Vergehen, Verbrechen, Laster erscheinen. Wenn aber das selbstische Element in seinem Begehren und in seinen Anschauungen sich der Vernunft und dem Gewissen conformirt, so entsteht eine Harmonie der inneren Functionen, und dies ist der Inhalt der antiken griechischen Ethik, wie sie besonders durch Aristoteles ausgebildet wurde; denn in dieser dreht sich alles um die sogenannte Humanität oder xaXoxaYad'ta, d. h. um den Gehorsam des zum Gehorchen und zur Unterordnung bestimmten subjectiven Elementes unter die allgemeinen von der Vernunft erkannten objectiven Normen. Eine solche innere, aus der Natur der coordinirten Elemente selbst bestimmte Harmonie heisst Tugend, wenn sie zu einer lebendigen Kraft gekommen ist, aus welcher immerfort im Ein- zelnen richtige, d. h. harmonische Handlungen und Lebensauf- fassungen abfliessen, und es folgt, dass dieser Coordination ge- mäss beide Elemente, sofern sie flir einander harmonisch sind, nach jeder Seite hin ihre besondere Tugend haben; denn das gehorchende Element kann nur die ethische Tugend erreichen, das befehlende Element aber ist nothwendig dianoötisch, weil die Normen in der Vernunft liegen. Diese Ethik hat nun keine Spur eines religiösen Charakters. Da der Mensch aber der

uiymzeu uy x^j v^'v^'

ö'"

Definition. 449

Religion als Mensch nicht entbehren kann, so wnrde auch Aristoteles dazu getrieben, seiner Ethik eine religiöse Wendung zu geben, und zwar auf zwei Wegen. Einmal nämlich versuchte er, die ganze Tugend als die Glückseligkeit (ehSca^ia) hinzustellen, was ihm natürlich nicht auskam; denn es ist eine kindliche Illusion, das Leben des Menschen auf dieser Erde als eine mit dem Tode abgeschlossene vollkommene Ganzheit zu betrachten, da es nur ein kleiner Ausschnitt aus unserem uns selbst noch unübersehbaren Weltbilde ist, wie eine Scene aus einem Drama, wie eine untere Klasse aus der ganzen Schule, die wir durchzu- machen haben. Deshalb scheiterte Aristoteles denn auch noth- wendig an den Klippen des Zufalls, an den zufälligen Begabun- gen, welche die Menschen mit auf die Welt bringen, und an den zufälligen Lebensereignissen, die als Glück oder Unglück er- scheinen, da er seinen glückseligen Mann nur als einen Schuster definiren musste, der nicht immer die besten Schuhe machen könnte, sondern nur nach dem gerade gegebenen Leder sich zu schicken hätte, um das unter den Umständen Erreichbare herzu- stellen. Die Glückseligkeit musste sich ohne Glauben an die Providenz in solcher Art accomodiren, dass der Standpunkt des Atheismus herauskam, der ja in den verschiedensten Formen und Vermischungen auftreten kann.

Der zweite Versuch, den Aristoteles in Anlehnung an Piaton machte, bestand in einem halben Pantheismus, indem er am SchlusB der Ethik die Frage wieder aufiiahm, die dianoetische Tugend allein zum Sitze der Glückseligkeit erkor und, wie wie wir bei der letzten Form des Pantheismus genauer sehen werden, in dem Denken die Vergöttlichung gemessen wollte. Ich nenne diesen Aristotelischen Pantheismus einen halben, weil, wie ich in meinen Studien zur Geschichte der Begriffe, beson- ders im dritten Bande der Neuen Studien, gezeigt habe, die spe- culative Kraft des Aristoteles überhaupt zu gering war, um eine zusammenstimmende Weltansicht construiren zu können, weshalb sein System (wie auch indirect z. B. der von verschiedenen Seiten gefbhrte Streit gegen die Averrhoistischen Ausleger beweist) nur zum Theil den pantheistischen Anstrich hat. Diese zweite reli- giöse Wendung gehört daher zum Pantheismus des Gedankens und wird weiter unten erörtert werden.

Teicbmüller; BeUgionn»hUotophle. Digitiz^9öy GoOQIc

450 Pantheismus des Gefühls.

Ich will, hier nur noch bemerken, dass man bisher etwas zn gntmttthig alle diese Fragen als ethische betrachtet hat, weil sie in des Aristoteles Ethik stehen. Wenn man als Philosoph an die Kritik dieses Werkes geht, so muss man sofort die ganze Untersuchung über die Eudaemonie herausreissen, weil sie mit dem Begriffe, den Aristoteles selbst von der Ethik giebt, nichts zn thnn hat. Man könnte diesen principiellen Theil Religions- Philosophie nennen, da es sich dabei um* die Stellung des Men- schen zu Gott oder zum Schicksal oder zum Universum dreht Nur ist zu bemerken, dass Aristoteles selbst sich gar nicht be- wusst geworden ist, dass es religiöse und nicht ethische Fragen sind, die er behandelt, was sich freilich dadurch leicht erklärt, weil überhaupt die religiöse Gesinnung bei ihm keine höhere Ausbildung und Vertiefung fand. Trotzdem wird sich kein Ge- lehrter, wenn er überhaupt zu einem beurtheilenden Standpunkte gelangen kann, weigern einzuräumen, dass alle die zur Erörterung der Eudaemonie von Aristoteles herangezogenen Begriffe, die für diese Frage auch unvermeidlich sind, zur Religionsphilosophie gehören. Zur Ethik gehört nur die Erörterung der Harmonie unserer geistigen Functionen, also die Theorie der Tugenden und der Pflichten und der zugehörigen Güter. Will man aber das religionsphilosophische Fundament und die ethische Abhand- lung mit dem gemeinschaftlichen Namen Ethik taufen, so dreht CS sich um einen Namenstreit, wobei das philosophische Interesse aufhört, welches sich nur auf die Ordnung der Begriffe richtet; denn was kann es z. B. den Philosophen kümmern, dass Spinoza sein Hauptwerk Ethik tauft, da sich darin doch alle Disciplinen der Philosophie abgehandelt finden.

Kehren wir nun nach dieser Abschweifung, die

FortsetzuDg:

Das reiigiöee zur antithetischen Illustration erforderlich war, zu Gefühl. unserer Frage zurück, so erinnern wir uns, dass wir das specifische religiöse Gefühl ftlr den Pantheismus bestimmen wollten. Nun hatten wir alle Geflihle eingetheilt und bestimmt und nur das religiöse Gefühl nicht gefunden; wir waren aber zu dem Schluss gekommen, dass dieses nur durch die Coordination der geistigen Functionen untereinander entspringen könnte. Wenn wir jedoch diese Coordination vollziehen, so erhalten wir die Ethik, und um dieses Resultat zu veranschaulichen, waren wir

Digitized by VjOOQIC

Definition. 451

ZU dem Exempel der Aristotelischen Ethik übergegangen, wo wir das gesuchte religiöse Geftlhl vermissten.

Wir müssen daher eine neue Gonstruction vollziehen, die aber sehr einfach ist; denn da die selbstsüchtigen Geftihle mit den idealen nothwendig wieder in Verhältniss stehen und dies Yerhältniss wieder nur durch ein Gefühl geordnet werden kann, so muss dieses Gefühl, welches den Einklang der perspectivisch . und objectiv aufgestellten Welt regelt, nothwendig ein religiöses werden, sobald das Selbst mit dem ganzen Inhalt der selbst- süchtigen Gefühle und perspectivischen Auffassungen in den Gott* d. h. in alle die idealen Gefühle und die objectiven Auf- fassungen verschwindet, d. h. sobald nach dem Durchgang durch den Atheismus die pantheistische Stufe des Bewusstseins erreicht ist Denn sobald der früher projective Gott in das Bewusstsein zurückgenommen und also als gegenwärtig in den idealen Func- tionen anerkannt wird, so dass diese als etwas Göttliches er- scheinen, so muss das Selbst, welches dem auswärtigen Gott coordinirt war, zugleich zerschmelzen und sich nur als Erschei- nungsform dem allgemeinen göttlichen Leben hingeben, da das Selbst nichts Einzelnes und Selbständiges mehr sein kann, wenn es den im All gegebenen Gott in sich fasst. Mithin ist das Ge- fühl dieses Einklangs zwischen den beiden Geflihlsgattungen nicht mehr^ein moralisches, wobei die Persönlichkeit als Träger bestehen bleibt, sondern ein religiöses, da die Persönlichkeit in diesen Einklang mit dem Göttlichen aufgeht Es kommt dabei also nicht mehr auf ein einzelnes Thun oder Leiden an, welches in einzelnen Zeitpunkten bei gewissen einzelnen Objecten der Erkenntniss gethan oder gelitten werden müsste, sondern die beiden geistigen Functionsgattungen selbst in ihrer allgemeinsten Einheit treten untereinander in Beziehung und Einklang. Dadurch verschwinden also die unsäglich vielen Widersprüche zwischen unserem Selbst und dem Universum (Gott), die endlosen Wider- wärtigkeiten und Quälereien des Lebens, die Empfindung der Leerheit, der Sünde und Gottlosigkeit, und es gelangt der mit lauter endlichem, den Begierden entsprechenden Inhalt angefüllte Geist aus dem Wirrwar der Welt, aus dem bedrückenden täg- lichen Allerlei mit Einem Schlage zum vollen Einklang mit Gott oder dem Universum, zum Frieden, zu einem Alles einigen-

u,y,,z29«y Google

452 Pantheismüa des Gefühls.

den, Alles mit innigem Beifall ordnenden Gefühl. Dies Geftihl ist eS; was wir für den Pantheismus des Gefühls suchten.

Dass Jemand diese Religion haben muss, lässt sich speculatiy nicht beweisen, wohl aber, dass man sie haben kann. Denn wenn wir von der Thatsache der Einseitigkeit der Menschen ausgehen, so ist es schlechthin möglich, dass sowohl die eine, als die andere Function des Geistes zum Ueb ergewichte kommt, und so kann natürlich jenachdem auch das Gefühl den Schwerpunkt des geistigen Lebens eines Menschen bilden. In diesem Falle wird das Gefühl sich nun entweder in die unend- liche Vielheit der einzelnen Erlebnisse und Thätigkeiten aller Art verzetteln, um den Menschen in den immer wechselnden Strudel von Lust und Leid, aber mit weit überwiegendem Leid zu bannen, oder er wird sich reinigen und sammeln und von der Vielheit zurückziehen zu der Wurzel des Lebens, um in dem allgemeinen Einklänge der unbestimmten geistigen Functionen die Ordnung religiös zu geniessen. Was die speculative Construction hier zeigt, das muss uns durch die Erfahrung ausgeftlUt werden, indem wir uns zu erinnern suchen, ob wir nicht Menschen dieser Art kennen gelernt haben, oder ob wir etwa selbst, wenn nicht immer, doch einmal im Laufe unserer Entwickelung diese Art des religiösen Gefühls theilten.

Digitized by

Google

Zweites Capitel. Die reine Form.

§ 1. Dogmatik und Cultus.

Um die pantheistische Beligion des Geftlhls ge- nauer zu charakterisiren, müssen die beiden anderen u^^j^,. geistigen Functionen in ihrem Verhältniss zum Gefühl betrachtet werden; die Beziehung auf die Erkenntnissthätigkeit giebt die Dogmatik, die Beziehung auf das handehide Vermögen den Cultus.

Nun ist sofort klar, dass bei dieser Religionsform, in welcher das Gefühl das Uebergewicht hat, die andern Geistesthätigkeiten in ihrer Ausbildung zu kurz kommen müssen, weshalb sich schon von vornherein keine sorgfältig ausgearbeitete Dogmatik erwarten lässt Vielmehr ist ganz nothwendig, dass der Religiöse auf diesem Standpunkte keine Neigung verspürt, auf die Gegen- stände der Erkenntnisswelt mit allen ihren wissenschafUichen Unterschieden einzugehen, da sein Interesse ja umgekehrt darin besteht, die besonderen Fragen los zu werden und bloss den allgemeinen Einklang zwischen aller erkennenden und aller thätigen Function zu empfinden. Folglieh muss auf diesem Standpunkte das Verallgemeinem, das unbedingte Aehnlichfinden von Allem mit Allem zu Hause sein. Weil die erkennende Thätigkeit überall eine und dieselbe ist, wo etwas erkannt wird, es möge sein, was es wolle, so muss diese Einheit nun durch- schlagen und alle Gegenstände der Erkenntniss durchziehen und verschwommen, so dass Alles Eins wird. Die allgemeine Unbe- stimmtheit tritt daher hier als Einheit, als das göttliche Gorreilat zu dem Gefühle auf, und man kann aus diesem Grunde den Standpunkt Mysticismus nennen, weil die Bestimmtheit der Unterschiede verloren geht und in allem Einzelnen und Endlichen

Digitized by VjOOQIC

454 Pantheismus des Getuhls.

immer das Eine Göttliche in unbestimmter und geheimnissvoUer Weise gesehen wird. Die allgemeine pantheistische Dogmatik wird daher hier bei Vernachlässigung der wissenschaftlichen Arbeit zu einem durch Bilder, Analogien und Ahnungen mühelos die Dinge und die Welt in Gott auflösenden Process, wobei natürlich überall viel Geheimniss vorkommen muss, weil die Be- stimmtheit der Dinge nur schwindet, wenn sie mit dem Schleier der Vergleichung und Verallgemeinerung zugedeckt wird. Alle Mystiker von Pseudo-Dionysios Areopagita an bis auf die modern- sten geben uns Beispiele ftir dieses Verfahren, durch welches unmittelbar die Eine Gottheit in jeder beliebigen einzelnen Er- scheinung angeschaut wird.

Wenden wir uns nun zu dem andern Beziebungs- Qateulmiis. P^^^tte, zu der handelnden Function, so kann der Pantheist des Gefühls natürlich nicht in die einzelnen und bestimmten Acte des Privatlebens oder der politischen und kirchlichen Gemeinschaft einzugehen geneigt sein, weil dazu die correspondirende Erkenntnissarbeit erforderlich wäre, oder die andern, den weltlichen Interessen des Staates und der Kirche entsprechenden, nicht-religiösen Gefühle entbunden würden. Mithin wird auch nach dieser Seite ein negatives Verhalten oder eine Indifferenz stattfinden müssen, indem es als gleichgültig erscheint, ob wir uns so oder so bemühen, ob der Erfolg so oder so aus- fällt; denn alles Geschehen entspricht ja doch immer dem all- gemeinen Einklänge, den die Gottheit verbürgt, weil er in unserem Gefühle lebendig ist. Ob einer reich oder arm ist, die gewünschte Stelle erhält oder nicht, ob er geehrt oder verachtet, sehend oder blind, krank oder gesund ist, ja ob er lebt oder stirbt, es ist alles Eins, da in dem Gefühl ja ein für alle Mal das Ich seinen Willen in den allgemeinen Einklang aufgehoben und daher Friede und Seligkeit erlangt hat. Mit Recht hat man diese Stellung des Gemüthes Quietismus genannt; denn der Mystiker arbeitet weder mit Enthusiasmus für den Fortschritt und die Vermehrung menschlichen Wohls, noch kflmmert er sich um moralische und heilige Handlungen, noch dient er dem Staate oder der Kirche. Er hat in seinem Gefühle viel mehr, nämlich die Erfüllung, welche die Andern mit zweifelhaftem Glücke in einzelnen Handlungen und Ereignissen suchen.

Digitized by

Google

Ethik. 455

§ 2. Ethik.

Während nun in allen den pantheistischen Reli- gionsformen, die wir bisher stadirten, der Gnltus die Hauptsache war, so fällt hier der Schwerpunkt in die Ethik. Doch darf man nicht glauben, dass es hier auf ein ausgebildetes Moralsystem ankommen könnte, vielmehr ist dies nut der Ver- nachlässigung der Erkenntnissarbeit und der nach Aussen gehen- den Handlungen zugleich ausgeschlossen. Es dreht sich also, da das Ich pantheistisch in die geistige Function aufgeht und hier die Geflihlsfunction überwiegt, um ein möglichst constantes und möglichst intensives Gefühl. Immer kann der Mensch aber in diesen Acten des Gefühls nicht leben, weil die andern beiden Functionen des Geistes auch da sind und also einen Theil des Bewusstseins für sich in Anspruch nehmen. Daher kann es in dieser Religionsform nur darauf ankommen, die andern beiden Functionen als Mittel und Hülfen zu gebrauchen, um das zuge- hörige Gefühl auszulösen, d. h. um gleichsam als Heizmaterial die heilige Flamme des Gefühls zu nähren und die göttliche Gluth, in welcher das Ich verzehrt wird, immer von Neuem zu schüren.

Da nun das Gefühl als Mittelpunkt dieser Religion erscheint, das Gefühl aber immer Lust oder Schmerz, Beifall oder Miss- fallen ist, so könnte ein Unbesonnener vermuthen, dass diese Religionsform sich in zwei Arten spalten werde, in eine Religion der Lust und des Schmerzes. Die letztere würde dann den Pessimismus vorstellen, welcher sowohl bei den Berührungen mit der Körperwelt ein Plus von Schmerzen, als bei den persönlichen Beziehungen ein Plus von Kränkungen, Missstunmungen und zer- störten Illusionen und in der wissenschaftlichen Thätigkeit ein Plus von logischem Unbehagen bei fortwährenden Irrungen und Widersinnigkeiten erwürbe. Allein eine solche unbesonnene Ver- muthung müssen wir gleich zur Seite stossen; denn der Pessi- mismus gehört, wie wir schon oben sahen, zum Atheismus und nicht in die viel vornehmere Religionsform des Pantheismus. Der Pessimismus hat ja sein Elend und seine Leere daher, weil ihm der Gott fehlt, während der Pantheist d^n verloren gegange- nen Gott in seiner geistigen Thätigkeit wiedergeAmden hat und daher die Fülle der Gottheit, in welche das Ich verschwindet, geniesst. Der Pessimismus ist daher als ein unreifer Uebergangs-

Digitized by VjOOQIC

456 Pantheismus des Gefühls.

zustand, in welchem unreife Naturen immer verharren können, nur das Motiv und die Schwelle des Pantheismus; die Religion des Gefühls kann aber nur die Freude, die Seligkeit zu ihrem Inhalte haben und ist daher im Gegensatz zu der Religion der That, die in verschiedene Formen auseinanderging, wesentlich einfach und einförmig.

§ 3. Die religiöse Gesinnung.

Es fragt sich nun, wie diese Religion zu Stande

Der Schmerz Ist 0—7 o

kein der Lust kommt. Das GcfÜhl ist sciucm Wesen nach positiv nebengeordneteB j^^ q[j^^ jj^^ mdht Dolar gegensätzlich, wic man ^"""'- aUgemein von denen hört, welche den ^hmerz fllr ebenso positiv und ursprünglich halten, wie die Lust Bei ge- nauerer Analyse aber wird man finden, dass die Lust, wie jeder Act, sich unter bestimmten Coordinationen entwickelt; sobald diese Entwickelung gehemmt wird, so tritt der Schmerz in seinen verschiedenen Arten und Graden auf. Dass nun der Schmerz nicht der Lust nebengeordnet und von gleichem Range ist, kann man durch einen indirecten Schluss sicher erkennen.

Da nämlich die Zustände des Seelenlebens in einer bestimm- ten Weise einander untergeordnet sind, so kann man auf die Lust auch die oben (S. 71) erwähnten Gesichtspunkte anwenden und bei der Lust sowohl von einem Vermögen oder einer An- lage^ als von einer lebendigen Kraft, die gewöhnlich Gesinnung oder Geschmack genannt wird, sprechen, und ebenso drittens auch den Act oder die einzelne Wirklichkeit der Lust unter- scheiden. Demgemäss kann man fiuch für den Zwischenzustand zwischen dem Vermögen und dem Akt noch eine besondere Be- nennung gebrauchen und ihn als Werden oder als Begehren und als im weiteren Sinne verstandenes Wollen bezeichnen, wie ebenso auch jener der Thätigkeit oder Handlung vorhergehende Zustand als Trieb oder auch als Begierde und Wille bezeich- net wird, weil dem Geftlhl sofort eine Bewegung coordinirt ist, die als Ziel oder Zweck aufgefasst und vorhergesehen und mehr oder weniger bewusst wird. Mithin heisst dann die sich ent- wickelnde Lust Begehren nach Lust. Dies angebliche Begehren oder Wollen hat aber keinen eigenen Inhalt, sondern ist bloss das Gefallen oder die Lust als Werdendes betrachtet. Wäre

uiyiiizeu uy V^jOOV IC

Die reli|2^iÖ8e Gesinnung. 457

nun der Schmerz und also auch das Hissfallen etwas Positives und der Lust und dem Beifall Nebengeordnetes , so müsste es auch ein zugehöriges Begehren oder Wollen geben. Nun wird aber kein Mensch behaupten, dass er Schmerz oder Missfallen begehrte. Also kann auch der Schmerz nichts der Lust Neben- geordnetes sein, während vielmehr umgekehrt, weun die Lust das Positive ist, der Schmerz das ist, was wir nicht wollen oder nicht begehren. Also ist der Schmerz und das Missfallen bloss der Henmiungszustand einer sich entwickelnden Lust, flir welche die Goordinaten schon von Weitem gegeben sind, während sie in der Ordnung des Weltlaufs durch andere Goordinationen ver- hindert wird.

Dasselbe lässt sich bei den Handlungen bemerken. Der Lust ist immer eine bestimmte Bewegung oder Handlung zu- geordnet, die wir deshalb den Zweck nennen. Da die Organi- ' sation des Seelenlebens immer eine Vorbereitung, Verkettung und ein Ineinandergreifen verschiedener Akte mit sich bringt, um ein immer complicirtes Ziel der Handlung zu vermitteln, so wird dieser ganze Verlauf auch bald zu mehr oder weniger deutlichem Bewusstsein kommen, und wir nennen daher, wie wir schon oben erinnert, das Bewusstsein von dieser Ordnung einen Trieb oder Willen. Uebertragener Weise schreiben wir auch z. B. dem Wasser einen Trieb zu, wenn wir eine Ordnung der Bewegung erkennen, die zu einem gewissen Erfolge hinführt Wie aber bei dem Wasser kein Wille und Begehren vorhanden ist, durch einen Schlund herabzustürzen, so ist auch die blosse Bewegungsordnung in der Seele kein bestimmtes Vermögen mit einem eigenen Inhalte, sondern der Inhalt liegt bloss in der erkennenden, fühlenden und handelnden Function, und die bewusst werdende Goordination dieser Functionen, welche die blosse Form und Ordnung des Geschehens ist, führt den Namen Wollen. Wenn nun der Schmerz etwas Positives wäre, so mflsste das zugeordnete Misslingen der Handlung auch ein positiver Zweck sein, und mithin müsste dafür auch ein Trieb, ein Begehren oder Wollen vorausgehen. Es wäre aber lächerlich, wenn man sagte. Jemand hätte den Trieb, auf der Jagd vorbeizuschiessen, oder das Begehren, beim Sprung ein Bein zu brechen u. s. w. Mithin kann der Schmerz und das zugeordnete Misslingen oder die Hemmung der Fun- ctionen nichts Positives sein.

Digitized by VjOOQIC

458 Pantheismus des Gefohls.

Ueber das Wesen des vernünftigen Willens und der Freiheit habe ich schon oben S. 46 und 326 gehandelt

Nun ist leicht zu begreifen, dass der Mensch ^^^rerTkte**''' als einzelnes Glied in der grossen Oekonomie der Welt bei seinen Akten vielerlei Hemmungen aus- gesetzt sein muss-, denn wenn wir den Ansatzpunkt beliebig wechseln und die gleichzeitigen Triebe und Begehrungen aller Anderen in's Auge fassen, so müssen doch nothwendig immer eine Menge Candidaten abgewiesen werden, wenn Einer an's Ziel gelangen soll.. Mithin ist es in der Ordnung, dass alle unsere physischen, persönlichen, künstlerischen und wissenschaft- lichen Bestrebungen mit unzähligen Hemmungen zu kämpfen haben, so dass inmier viele misslingen und die meisten wenigstens stark eingeschränkt werden. Dadurch ist eine unerschöpfliche Quelle von Aerger, Neid, Kummer, Sehnsucht, Zorn, Hass, kurz von Leid und Schmerz eröffnet, weil nur der gelingende Akt zur

Freude flihrt.

Wer nun ein Uebergewicht des thätigen Ver- qaietisUBche mögcus in sich verspürt, der kann sich, wenn er ^^9 nicht ein besonderer Günstling der Fortuna ist, auf viel Lebensleid gefasst machen. Da der Mensch aber die Vollendung alles Strebens in der Freude hat, so sucht er auch den Weg, dahin zu gelangen. Dieser Weg ist flir den praktischen Mann der Kampf, die List und die erworbene Ge- schicklichkeit Wie aber schon Göthe sagt, dass der Handelnde immer gewissenlos sei, so müssen wir einräumen, dass wirklich theils die leise Sprache des Gewissens überhört werden muss, wenn man das nach unserem perspectivischen Gesichtspunkte formulirte Ziel im Leben erreichen will, theils auch ausser dieser moralischen Unlust eine Menge anderer Missstimmungen und Leiden unvermeidlich sind. So bliebe der Weg übrig, gar nicht zu handehi, um gar nicht zu leiden. Allein dies ist erstens unmöglich, weil man doch nicht vermeiden kann, zu frieren^wenn es kalt ist, und weil einem, auch wenn man nicht selbst kocht, die Suppe versalzen werden kann in jeder Bedeutung. Zweitens aber würde die Sache auch nicht bei der Wurzel angegriffen sein; denn der Ausgang der Begebenheiten kann uns ja bloss als Leid erschei- nen, wenn wir vorher mit unserem Gefühle eine andere Stellung zu den Dingen genommen hatten. Mithin müssen wir auf den

Digitized by VjOOQIC

Die religiöse Gesinnung. 459

sogenannten Willen zurückgehen, i h. auf die Vorstellungen der Dinge in unserem Bewusstsein und die dabei ausgelosten Ge- fUhle des Wohlgefallens und Missfallens. Nun giebt es dabei nothwendiger Weise, wie oben S. 270 dargelegt, zwei Auf- fassungsweisen, die perspectivische und die objeetive. Die per- spectivische ist auf das Selbst, das Ich bezogen und darum die Ursache alles selbstsüchtigen Missfallens und Leides. Sobald wir daher das Ich in das Allgemeine verschwinden lassen, indem wir uns nur nach dem Inhalt unserer Functionen erfassen und uns daher ebenso wie die Andern als eine Erscheinung in dem Ganzen betrachten, so verschwindet mit dem persp'ectivischen Standpunkte auch die ganze Keihe der Affekte, die das Leben mit Schmerz durchdringen. Dadurch wird nun freilich zugleich der Nerv der Handlung durchschnitten; allein es war ja voraus- gesetzt, dass nicht jeder Mensch zum Quietisten werden kann, sondern dass ein Uebergewicht des Gefühlsvermögens und eine entsprechende Verminderung der Energie der anderen Functionen stattfinde. Sobald also der perspectivische Standpunkt auf- gegeben ist, so heisst dies soviel, als sein Wollen aufheben in das allgemeine Geschehen, welches mystisch als blosse Erscheinung der Gottheit angesehen wird. „Wolle das Geschehende, wie es geschieht, und Du wirst frei und glücklich sein^', sagt der Stoiker Epiktet, der in dieser Beziehung Quietist ist Wenn man die Dinge anders will, als sie geschehen, so hat man Leid und steht auf perspectivischem Standpunkte, indem man sein Privatinteresse oder die begränzten Interessen eines Standes, Staates ödes Volkes geltend macht, d. h. man hebl; sein Ich nicht in die Gottheit auf. Darum sagt AngelUs Silesius (I. 24): „Mensch! wo Du noch was bist, was weisst, was liebst und hast, so bist Du, glaube mir, nicht ledig Deiner Last." Der Weg zur Seligkeit ist daher „der geheime Tod", wie es der cherubinische Wandersmann spielend benennt, d. h. die pantheistische Auf- fassung des Ichs, welches sich noch nicht als Wesen erkennt, sondern sich nur als particuläre Function in der traurigen Wechsel- wirkung aller endlichen Functionen bewusst war. Die Aufhebung dieser beschränkten Einzelheit in das Allgemeine muss daher als Befreiung aus einem Gefangniss und dieser geheime Tod des Ichs als das wahre und selige Leben betrachtet werden. Darum singt Angelus (L 26): „Tod ist ein selig Ding: Je kräftiger

460 Pantheismus des Gefühls.

er ist: je herrlicher daraus das Leben wird erkiest'^ Darum spielt er auch mit den christlichen Symbolen des Dogma, um seinen mystischen Sinn durch Paradoxie hindurch zu offenbaren. ;Jch sterb und leb auch nicht, Gott selber stirbt in mir: Und was ich leben soll, lebt Er auch fUr und fbr.'^ Es ist eine Art von geistigem Kitzel, die in dieser Ausdrucksweise liegt, indem das Ich sich in Gott aufhebt und Gott doch auch wieder nur in dem Ich lebt, sofern eben beide, Ich und Gk)tt, im Pantheismus noch nicht als Wesen, sondern nur als geistige Functionen er- kannt werden.

Der Weg zur Seligkeit ist daher der geheime Tod des Ichs, aber ebenso der Tod oder das Verschwinden Gottes aus der Welt; denn der Gott muss ja als unsre Function wiedererscheinen, wenn er draussen verschwindet. So heisst es bei Angelus S. (L 199): „Geh hin, wo Du nicht kannst: sieh, wo Du siebest nicht, hör', wo nichts schallt und klingt, so bist Du, wo Gott spricht." So ist Gott aus der Welt vertrieben, wie er in dem folgenden Epigramm in unserem Geiste eingeheimst wird: „Gott ist wahrhaftig nichts: und so er etwas ist, so ist es nur in mir, wie er mich ihm erkiest."

Auf diesem Wege findet der Quietist natürlich

Die Seligkeit . ,„ -r^ , o. a » r^.i

dea 6ine vollkommene Kühe. So sagt Angelus Silesius QDieu.tenund H 49). Ruh ' ist das höchstc Gut: und wäre Gott

Mystiken. \ / 77 7

nicht Buh, ich schlösse vor ihm selbst mein' Augen beide zu." Zugleich zeigt sich, dass dieser vollkommene Ein- klang zwischen den beiden geistigen Functionen, zwischen Er- kenntniss und Thun, die vollkommene Tugend selber ist Wer deshalb noch handelt nach der Erkenntniss, der hat auch das Ich noch nicht in die Gottheit verloren. Darum schliesst Angelus ganz consequent, wenn er sagt (I. 53 und Ö4): „Mensch, wo Da Tugend wirkst mit Arbeit und mit Müh, so hast Du sie noch nicht. Du kriegest noch um sie." „Ich selbst muss Tugend sein und keinen Zufall wissen, wo Tugenden aus mir in Wahrheit sollen fliessen." Das Geftlhl, welches aus diesem unbedingten Einklänge entsteht, ist nun allerdings die Seligkeit, aber es ist zugleich nothwendig, dass in diesem GeftLhle alle Bestimmt- heit der Erkenntniss verschwinden muss, weil alle Erscheinungen in die unbestimmte und leere Einheit des Göttlichen auf- gehoben werden. Darum sagt Angelus (L 45): „Ich lieb ein

Digitized by VjOOQIC

Die religiöse Gesinnung. 461

einzig Ding, nnd weiss nicht, was es ist, and weil ich es nicht weiss, drum hab' ich es erkiest." Und: „Gott ist ein lauter Nichts, ihn rührt kein Nun (Zeit) noch Hier (Banm); je mehr Du nach ihm greifst, je mehr entwird er Dir." Das Ich ist deshalb selbst zur Gottheit geworden. (L 23): „Ich muss Maria sein nnd Gott aus mir gebähren, soll er mich ewiglich der Selig- keit gewähren." Und (I. 14): „Ich bin so reich als Gott, es kann kein Stäublein sein, das ich (Mensch, glanbe mir) mit ihm nicht hab gemein." Oder (I. 10): „Ich bin so gross als Gott, er ist als ich so klein: er kann nicht über mich, ich unter ihm nicht sein." Oder, in andrer Fassung derselbe Gedanke (I. 17): „Ich auch bin Gottes Sohn, ich sitz' an seiner Hand: sein Geist, sein Fleisch nnd Blut, ist ihm an mir bekannt" Da durch diese Anfifassung der Mensch mit seiner Ichheit ganz aus der Welt verschwindet, so bleibt ihm nur die Seligkeit des Einklangs seiner allgemeinen und unbestimmten Functionen übrig und folglich wird er in jeder Lebenslage die gleiche Stimmung haben und über jede Qual hinaus selbst im Ochsen des Phalaris glückselig sein. Ich citire wieder Angelus, weil dieser mit seiner bezaubernden Paradoxie den Standpunkt scharf und klar ausdrückt (1. 38) : „Wenn Du die Dinge nimmst ohn' allen Unterscheid: so bleibst Du still und gleich in Lieb und auch in Leid" und (I. 39): „Wer in der Hölle nicht kann ohne Hölle leben, der hat sich noch nicht ganz dem Höchsten übergeben." Das Ich ist so allerdings selig; aber es ist auch nothwendig in Nichts aufgelöst, ebenso wie die Gottheit, weil das Einzige, was übrig bleibt, nur das Gefühl ist mit seiner Seligkeit Dies spricht der Cherubinische Wanders- mann so aus (I. 46): „Ich bin ein seligs Ding, mag ich ein Unding sein, das allem, was da ist, nicht kund wird, noch gemein." Dass das Ich ganz in das selige Gefühl aufgeht und darin alle Dinge und Gott hat, so dass Gott ebenso in das selige Gefühl des Menschen verschwindet, diesen mystisch-quietistischen Standpunkt spricht auch Göthe in den berühmten Worten aus: „Erfüll davon (nämlich von Himmel, Erde, Sternen, uns selbst und Allem) Dein Herz, so gross es ist, und wenn Du ganz in dem Gefühle selig bist, nenn' es dann, wie Du willst, nenn's Glückt Herz! Liebe! Gott! Ich habe keinen Namen dafür; Gefühl ist Alles; Name ist Schall und Rauch, umnebelnd Himmels- gluth." Aehnliches sagt auch der Mystiker Tauler, der es

uiyiiized by VjOOQIC

462 Pantbeisnins des GefCllils.

freilich grösstentheils ans Pseudo-DionysiiiB hat (Predigten I. 13 p. 117. ed. 1826): „Der Mensch, der sich also gegeben hat nnd sich Gott gefangen allezeit wesentlich giebt, dem mnss anch Gott sich selbst wesentlich gefangen wiedergeben, nnd da fbhrt Gott den Menschen über alle Weise und über alle Geßlngniss in die göttliche Freiheit, in sich selber, dass der Mensch mehr ist ein göttlicher, denn ein natürlicher Mensch, nnd wenn man den Menschen anrührte, rühret man Gott an. Hier sind alle Wunden geheilt und alle Pfände quitt, hier ist die Ueberfahrt geschehen aus den Greaturen in Gott, aus natürlichem Wesen in ein göttliches Wesen. Dieses liebliche Spiel ist über Verstand- niss, über empfindliche und fthlbare Weise und über natürliche Weise. Die hier inne sind und die dies sind, die sind in dem allernächsten und allerseligsten Weg, und in der Weise der allerhöchsten Seligkeit, da man ewiglich Gottes soll gebrauchen in der höchsten Weise. Davon ist viel besser schweigen, denn sprechen, und besser empfinden oder flihlen, denn verstehen." An diesen Beispielen haben wir zur Confirmation genug, da der Standpunkt ja sonst bekannt ist und unsere Aufgabe nur darin bestand, die speculative Ortsbestimmung und Deduction desselben in dem System der Religionsphilosophie zu liefern.

§ 4. Die zugehörige Religionsphilosophie.

Der grösste Theologe unseres Jahrhunderts ist unter zwei Einflüssen ebenfalls dahin gelangt, die Beligion als Gefühl zu bestimmen und deshalb eine principiell quietistische und mystische Beligionsphilosophie zu begründen. Einerseits war es Spinoza, andererseits die Hermhuter-Erziehung, die ihn zu diesem Schlüsse führten. Spinoza löschte alle Dinge als blosse Erscheinungen (modi) in Gott auf und hielt es fflr nothwendig, dass wir, während wir durch's Handeln in Affekte und Leid gerathen, umgekehrt, wenn wir uns quietistisch ver- halten, durch blosse Erkenntniss der Dinge nothwendig lauter Freude gewinnen müssen. Die Erkenntniss durch die end- lichen Ursachen sei aber ungenügend, und wir müssten vielmehr alle Dinge unter die letzte Alles bedingende und erklärende Ur- sache bringen, d. h. in die Gottesanschauung auflösen. Darin läge die Erkenntniss und die Liebe Gottes, mit welcher er sich,

uiumzeu uy x^jvy\J>t Iv^

Beligionsphilosophie. 463

indem wir ihn lieben, durch uns und in uns selber erkennt und liebt, und dies sei das höchste Gut und die Seligkeit.

Während nun bei Spinoza der Gedankenprocess dem spe- culativen Idealismus angehört, so ergriffen die Hermhuter, in deren Schoosse Schleiermacher aufwuchs, unmittelbar das Ende desselben Gedankenweges und genossen in ihrem innigen Ge- fühl ohne Weiteres die Gegenwart Gottes, indem sie sich ihres Willens und der Beachtung aller irdischen Dinge nach Möglich- keit entschlugen.

So ist es ganz erklärlich, dass Schleiermacher die Beligion als Geftlhl definirte und in dem Gefühl die Einheit aller Dinge verborgen glaubte, aus welchem dann erst in zwei Richtungen einerseits in der praktischen, andererseits in der theoretischen Sphäre die Entbindung des Endlichen erfolgte. AUein so er- klärlich nach psychologischer Beti*achtung die Schleiermacher'sche Beligionslehre ist, so falsch ist der ganze Gedankengang nach wissenschaftlicher Betrachtung; denn erstens ist es ja nur ein Schein (wie ich oben S. 31 schon nachwies), dass die Hand- lungen und Vorstellungen sich aus dem Gefllhle entwickelten, da sie vielmehr eine specifisch verschiedene Natur haben und dem Geftahle bloss zugeordnet sind, und zweitens sind auch die beiden Ansatzpunkte, d. h. sowohl der Spinozismus, als der Hermhutismus, der Eine eine ganz verfehlte Speculation und der andere eine extreme Einseitigkeit, so dass aus so viel Falschem auch nichts Richtiges hervorgehen kann. Die formale Logik lehrt zwar, dass man auch aus falschen Prämissen Richtiges er- schliessen könne; allein dies ist selbst ein falscher Lehrsatz, weil die richtige Conclusion in diesem Falle nur per accidens folgt, indem in dem falschen Allgemeinen ein particulär Richtiges eingeschoben war, so dass das Richtige immer nur aus dem Richtigen folgt, durch welches es auch allein als richtig erkannt werden kann. Darum darf aus diesem logischen Satze flir Schleiermacher kein mildernder Umstand abgeleitet werden, son- dern wir werden die ganze Begründung seiner Religionslehre verwerfen müssen, üebrigens gehört Schleiermacher's Lehre unter den speculativen Ort der „Religion des Gefllhls" nur nach der Seite des Princips; im Uebrigen hat er mit Hülfe Spinoza's und namentlich Platon's noch andere Ausgangspunkte für die Ausführung und Durchführung seines Systems gewonnen, und

uiumzeu uy V^J W\J>t l^

464 Pantheismus des Gefühls.

dies ist die dritte kritische Bemerkang, die hier zu machen ist; denn da der * ganze systematische Aufbau der Schleiermacher- schen Dialektik, Ethik und Keligionsphilosophie auf die Ideen Platon's, Spinoza's und auf die modernen idealistischen Gedan- ken gestützt ist, so bleibt als einzig geschichtlich Neues bei Schleiermacher nur die speculative Deutung der Herrnhutischen Apotheose des Geftihls, die aber weder haltbar ist, noch mit dem übrigen Bau logisch vermittelt werden kann. Dieser übrig blei- bende Bau muss in der nun folgenden Keligionsform beurtheilt werden und gehört nicht hierher.

§ 5. Zur Kritik der Religion des Gefühls.

Zunächst scheint nun die Beligion des Gefbhls gar nicht widerlegt werden zu können; denn wo Friede und Buhe herrscht, wo jede Angst und Noth verschwunden ist, wo man nichts End- liches denkt und von sich selbst nichts mehr weiss, da ist mit der grossen Seligkeit auch zugleich die Fülle alles Werthes und aller Güter gegeben, und wo Gott und das Gute ist, da hört die Kritik auf. Allein wenn wir uns auf den Ausgangspunkt alles Pantheismus besinnen, so erinnern wir uns, dass der Pan- theist das Sein nur in den geistigen Functionen erkannte, ent- weder im Handeln, oder im Gefühl, oder im Wissen. Nun ist dabei gerade dasjenige Sein, welches als substanziales die Fun- ctionen ausübt und dem sie zugehören, vergessen, nämlich das Ich. Folglich muss sich ein so grosser Mangel auch empfindlich machen und an diesem Punkte wird die Kritik anheben.

Das Ich kann nämlich nie in seine Functionen verschwin- den, es kann sich nur selbst vergessen und, wie man sagt ausser sich gerathen; dieser ekstatische Zustand ist aber immer ein Mangel des Bewusstseins und wird nur dann gelobt, wenn, wie gewöhnlich, das Bewusstsein des Ichs von sich selbst] verwech- selt wird mit der Erinnerung an alle die beschränkten und viel- fach elenden und sündlichen Verhältnisse des Ichs in der Sinnen- welt. Aber selbst diese Verhältnisse dürfen in einem vollkom- menen Bewusstsein nicht fehlen, und wir werden später sehen, wie das Christenthum und die wahre Philosophie zur Versöh- nung solcher Dissonanzen den religiösen Humor zur Geltung bringt. Wer aber, wie der Mystiker, sich selbst über seinen Ge-

Kritik. 465

fühlen vergisst, der ist wie berauscht und wird Anderen lächer- lich, während er sich durch den Humor über sich erheben sollte, um dadurch den sonst gerechten Spott der Andern zu entwaffnen. Denn es mag einer ein elender Sclave, ein Schuster, ein häss- lieber und in der bürgerlichen Gesellschaft zu unterst stehender Mensch sein, so fühlt er sich im Rausch des Gefühls gottgleich und schwelgt in dem seligen Gefühl, dass Gott in ihn verliebt sei, dass er als Maria die Liebeswonne der Vereinigung mit dem Allerhöchsten geniesse, dass er der reichste und mächtigste und glückseligste Mensch, oder im Geheimen Gott selbst sei. Das Ghristenthum bietet scheinbar etwas Aehnliches, indem es alle Standesunterschiede und Besitzverhältnisse und dergleichen als etwas Tiefuntergeordnetes betrachtet und den Menschen in un- mittelbare Gemeinschaft mit Gott versetzt; aber es bleibt immer das Bewusstsein von der Wirklichkeit, in welche sich der Mensch deshalb mit christlicher Besonnenheit finden soll und die er mit christlichem Muth und Vertrauen umzugestalten hoffen darf; während der Mystiker in seiner Geftihlsseligkeit nur trunken ist und keine Vermittelung seines seligen Gefühls mit der Wirk- lichkeit finden kann, weil die erkennende und die handelnde Function im Gefühl erloschen sind.

Damit ist denn auch zugleich ein zweites kritisches Bedenken eingeleitet. Alle Gefühle sind nämlich nothwendig flüchtiger Art und besonders die höchsten Gefühle sind kurzlebig, wenn sie auch nicht so lächerlich kurz und vorübereilend sind, wie Schleiermacher annimmt (Reden 4. Aufl. 1831 S. 50), der sie für „kaum in der Zeit^^ hält. Aber mit Recht sagt doch Göthe: „Die uns das Leben gaben, herrliche Gefühle, erstarren in dem irdi- schen Gewühle." So viel vis inertiae also dem Seligkeitsgefühl auch zukommen möge, die Reibung der Wirklichkeit ist doch stark genug, um das Bewusstsein bald wieder mit den Aufgaben des Lebens zu erfüllen. Wenn wir nun auch einräumten, dass der Mystiker noch im Stillen den Nachklang seiner Seligkeit durch die kleine, gleichgültige oder mühselige Tagesarbeit hin- durch empfände, so muss doch sein Leben in einem Rausch, mit einem Vor- und Nachrausch verfliessen, indem ihm das, was der Mensch in Wirklichkeit seiner Bildung und Stellung nach ist, nur als Traum und gleichgültiges Intermezzo erscheint, wie bei einem Becherfreunde, der sich an der Drehbank oder auf

Teichmüller, Religlon.philo.ophle. ^.^.^.^^^ b^CoOQlC

466 Pantheismus des Gefühls.

dem Contorstuhl im Geheimen auf den Abend freut und die letzte Nacht erinnert, und dabei sein Werk gleichgültig verrichtet Der zweite Vorwurf gegen den Mystiker ist daher, dass er die historische Wirklichkeit zum Traum macht und in seiner Ge- fühlsseligkeit nichts bietet, was auch einen Werth Air Andere hätte, da seine Gefühle nur die Hochzeitslust seiner eigenen Ver- mählung mit Gott enthalten, ohne dass er irgend einen Antrieb daher bekäme, für die gänzlich unnütze Welt etwas zu thun. Das ganze Dasein der wirklichen Welt und alle sittlichen, poli- tischen, kirchlichen und wissenschaftlichen Aufgaben sind daher dem Mystiker unbegreiflich oder gleichgültig, weshalb die Welt nicht unrecht denkt, wenn sie umgekehrt die Geftihle dieser Quietisten für werthlos und gleichgültig und für einen gewissen Grad von Verrücktheit hält.

Drittens sind diese Gefühle auch vollständig unbestimmt, weil keine bestimmte Erkenntniss als Correlat erfordert wird, und mithin müssen alle angenehmen Geftlhle gleichwerthig sein, wie denn z. B. Schleiermacher sich nicht wehren kann auszu- sprechen: „es giebt keine Empfindung, die nicht fromm wäre^^, wobei er freilich die von seinem Standpunkt aus unbeweisbare und darum nichtssagende Einschränkung macht: „ausser sie deute auf einen krankhaften verderbten Zustand des Lebens, der sich dann auch den andern Gebieten mittheilen muss/' Wenn sich aber ein Tribunal erhöbe, um über den Werth der Gefühle ab- zuurtheilen und einige für gesund, andere fllr krankhaft zu er- klären, so stände dies Tribunal ja über der Keligion, und die Frömmigkeit wäre nicht mehr die Krone des Lebens. In der That kann kein Mystiker solche Einschränkung zugestehen und Schleiermacher's Princip selbst verbietet sie. Gäbe man sie aber zu, so würde man gleich weiter fragen, ob denn nicht alles Leben in einem verderbten Zustande ist? Wozu Erlösung und und Frömmigkeit, wenn bloss hier und da einmal eine krank- hafte und verderbte Empfindung vorkommt! Kurz, lassen wir lieber die unlogische und ganz nichtige Einschränkung bei Seite! So folgt nun, was auch die Geschichte und Schleiermacher's eigenes Beispiel in der Vertheidigung der Lucinde zeigt, dass der Mystiker keine Mass Stäbe des Werthes für seine Ge- fühle besitzt und dass er deshalb so leicht die Wollust mit seiner Keligion vereinigen kann.

Digitized by VjOOQIC

Kritik. 46?

Da nun der Mystiker die wissenschaftliche Erkenntnissthätig- keit ebenfalls bei Seite setzt, so gesteht er auch offen, dass er von Gott nichts wisse und erkenne, ebensowenig wie von sich selbst. Er ist eben bloss in Geflihl aufgegangen. Darum unter- scheidet sich dieser mystische Pantheismus nur dadurch vom Atheismus, dass, wenn auch beide von Gott nichts wissen, der Atheist ohne annehmbare Gründe Gott läugnet und der Mystiker ohne annehmbare Gründe Gott zu haben und Gott zu sein be- hauptet.

Diese ganze Keligion des Gefühls kann deshalb wissen- schaftlich gar nicht vertheidigt werden, weil sie principiell die wissenschaftliche Function ausschliesst. Sie kann nur sagen: probirt's, so werdet ihr erfahren, wie schön der Bausch ist; aber sie kann nicht einmal lehren, wie man es machen muss, um in diesen Rausch zu gerathen. So ist es also Glückssache, hinein- zukommen, und erst die Männer der Wissenschaft müssen er- klären, was der Mysticismus ist, worauf er beruht, wie er ent- steht und was er etwa werth ist Selbst weiss er nichts von sich. Einen gewissen Werth können wir ihm deshalb nur zuge- stehen, wenn wir ihn einschränken und auch die handelnde und erkennende Function als ebenbürtig neben das Geftihl stellen und zugleich das Ich als Inhaber aller dieser Functionen in seinem Verhältniss zu Gott erhalten und es niemals pantheistisch verschwinden lassen.

DigitizedfPGoOgle

Drittes Capitel. Unreine Formen des Gefiihlspantheismns.

Unsere Aufgabe war hier nur, die reinen Formen der Reli- gion naeh ihren specifischen und charakteristischen Elementen zu definiren, indem wir die jedesmal zugehörigen Coordinaten in den drei geistigen Vermögen aufsuchten und demgemäss die Folgen zogen. Nun ist aber schon oft hervorgehoben, dass in den wirklichen Menschen immer verschiedene Elemente des geisti- gen Lebens verwachsen, die sich bloss auf natürliche Weise zu- sammenfinden, ohne durch einen legitimen Ursprung zu ihrer Vereinigung berechtigt zu sein. Das Bewusstsein und der Cha- rakter der meisten Menschen ist in der That mit der Krambude eines Antiquars zu vergleichen, so sehr fliessen in ihnen von allem, was sie gehört, gesehen, gelesen und erlebt haben, die Eindrücke kunterbunt zusammen, ohne durch einen logischen, ethischen und ästhetischen Geschmack geordnet und entweder eingegliedert oder hinausgeworfen zu werden. Darum ist es nicht zu verwundem, wenn mancher Leser z. B. Mystiker zu kennen meint entweder aus persönlicher Bekanntschaft oder durch Studium ihrer Werke, welche noch ganz andere Züge ihrer Denkweise und ihres Charakters aufweisen, als hier festgestellt wurden. Daran ist gar nicht zu zweifeln; wohl aber müsste erst gezeigt werden, dass diese zum Theil ganz widersprechenden und jedenfalls andersartigen Charakterzüge nicht bloss zufällig erworben, sondern aus dem religiösen Princip abzuleiten wären, was aber unmöglich ist.

So z. B. steht nichts im Wege, dass sich diese

Bchwi^i^crei. Gefühlsreligion in einer Schwärmerei für die Natur

zeige. Solche Leute gehen in den Wald oder auf die

Felder oder besteigen die Berge und glauben dann Gott näher

Digitized by VjOOQIC

Unreine Formen. 469

ZU sein, als in der Stadt und Stube, und werden yon einem träumerischen Gefühl beseligt, worin sie jenachdem die schaffende Natur oder auch die Gottheit gleichsam mit der reinen Luft, die sie athmen, eingezogen oder anbetend, oder in stillem Sinnen und Nichtsthun genossen zu haben glauben. Dabei ist doch nun scheinbar ein äusserer Gott oder die äussere Natur, welche be- trachtet und verehrt wird, vorhanden, und es wäre also unsere Definition der pantheistischen GefUhlsreligion falsch. Allein man muss sich etwas besinnen, ehe man urtheilt; denn erstens hin- dert nichts, dass diese Naturschwärmer gewisse Vorstellungen und Erkenntnisse von der Natur haben und die Natur auch als göttlich und ausser ihnen vorhanden ansehen, wie in der pro- jectivischen Theologie; aber es ist doch klar, dass sie, sobald sie die Regenbogenfarben, die Stimmen der Vögel und die merk- würdigen Lebensvorgänge der Natur bewundern, darum noch ebensowenig religiös sind, wie der Rosskamm, der ein Pferd be- wundert. Das religiöse Gefühl entsteht erst, wenn alle einzelne und bestimmte Anschauung verschwindet und ebenso alles ein- zelne Thun der Hände und Füsse, dagegen in süssem seligem Traum des nichts Bestimmtes mehr denkenden und nichts Ein- zelnes mehr ins Werk setzenden Geistes der Einklang dieser geistigen Vermögen, der durch jene Anregung von Seiten der Natur zum Bewusstsein gekommen, gefehlt und genossen wird. Dabei verschwindet also pantheistisch der Gegenstand wieder in die geistige Function, und es ist ganz einerlei, was solche Leute, wenn sie wieder auf weltliche Gedanken kommen, sonst von der Natur halten, und ob sie Spiritualisten oder Materialisten oder sonstwas sind; denn nicht ihre übrige Bildungsstufe soll hier untersucht werden, sondern der specifische Charakter ihrer reli- giösen Stimmung. Deshalb muss man z. B., was vielleicht son- derbar klingen mag, solche Naturschwärmer, wie Rossmässler, zu den Mystikern rechnen, weil ihr religiöses Bewusstsein keinen andern Inhalt als das unbestimmte Gefühl hat, welches bei Men- schen von solcher Geistes- und Gemüthsrichtung besonders durch die freie Natur angeregt wird, indem dabei die Erinnerung an die persönlichen und bürgerlichen Beziehungen wegfällt, und sie so leichter von dem beschränkten Dasein, in welches der Mensch eingesponnen ist, zu dem unbeschränkten und unendlichen Dasein in ihrem Gefühl übergehen können.

Digitized by VjOOQIC

470 Pantheismus des Gefühls.

MuBikausche ^^^^ andere Mischung der geistigen Thätigkeiten

phautMie- findet sich auch häufig; denn die Natur muss zunächst

Schwärmerei, ^^^.^j^ ^j^ ^^^^^ ^^^ ^^^^^f ^^^^^ ^j^ Einbildungs- kraft aufgefasst werden. Wenn nun diese letztere Thätigkeit kräftiger ist und sich mit einer reicheren Sprachbegabung zu- sammenfindet, so entsteht eine Art der Poesie und also möglicher Weise eine Art des Eunstenthusiasmus. Wenn aber keine be- sondere Anlage zum Ausdruck der Gedanken und Einbildungen in Worte vorhanden ist, so bleibt die Einbildungskraft gewisser- massen jungfräulich und darum träumerischer und unbewusster, und ihre wortlosen Dichtungen haben daher nicht eine solche Richtung, dass sie aus der unbestimmten Auffassung der Natur zu einer besonderen einzelnen Form herausfielen. Darum ist auch diese halb und halb passive poetische Phantasieschwärmerei, die recht verbreitet ist, zu der unreinen Religion des Geftlhls zu rechneu, weil dabei wesentlich auch nur der Einklang unserer geistigen Functionen in träumerischer Seligkeit empftmden wird, indem die Vorstellungen zwar nicht unmittelbar das Göttliche, aber doch auch nichts bestimmtes Endliches enthalten, und an- dererseits die Thätigkeit zwar in leichter Verknüpftmg von Bil- dern und Tönen beschäftigt ist, aber doch ohne zum Uebergewicht und zu bestimmt geordneten Bewegungen und Formen zu gelangen. Der Beweis ftir die Richtigkeit dieser Charakteristik ist indirect zu ftihren-, denn sobald man den beiden anderen geistigen Thätig- keiten eine ebenbürtige oder tiberwiegende Energie verleiht, so würde das der Welt hingegebene Vorstellungsvermögen zur beobachtenden Naturwissenschaft und die in Phantasien spielende Thätigkeit zur bildenden, tönenden oder redenden Kunst über- gehen.

Wer in der speculativen philosophischen Auffassung nicht geübt genug ist, wird diese Analysen nicht ganz zutreffend finden, weil er immer von unseren geistigen Functionen sprechen hört, während er doch vielmehr die Natur selbst, ihre Unendlichkeit und Herrlichkeit, ihre unbeschreibliche und entzückende Macht und Harmonie in seinem Gefühl zu geniessen und dadurch zur Erhebung, Stärkung und Erweiterung seines Selbst zu gelangen glaubt. Der Philosoph wird solche Einwürfe billigen und doch bei seiner Analyse stehen bleiben; denn es dreht sich nur um eine andere Ausdrucksweise. Der Gefühls - Religiöse bewegt

uiyiüzeu uy x^jv^' v^'pc iv^

Unreine Formen. 471

sich bei dem mangelnden philosophischen Bewusstsein in dem projectivischen Ausdracke und merkt nicht, dass durch die Auffassung der Natur nur sein Vorsteliungsvermögen, d. h. die geistige Function, erweitert und scheinbar in's Unendliche ausgedehnt und erhoben wird, wie ebenso in den neuen und freien Verknüpfungen, durch das Spiel der Wolken, durch die mannigfaltigen Wirkungen des Lichtes, durch die unzähligen und verschiedenartigen Geräusche und durch den unermesslichen Beich- thum der Naturformen, nur die spielende Phantasiethätigkeit ausgelöst wird, wodurch sich die Freiheit seines thätigen Ver- mögens im Einklapg mit jener intellectuellen Function fühlbar macht.

Andere aber nehmen den Ausgangspunkt gerade Ketistuche mitten in der bürgerlich beschränkten Sphäre, indem b*cJ»*«°«- sie etwa zu einer niedrigeren Beschäftigung durch die Lebens- noth gezwungen sind und sich nun durch einige Betrachtungen dazu aufschwingen, zu ahnen und zu glauben, dass nicht dieser oder jener Mensch, oder diese zeitlichen oder örtlichen Ver- hältnisse sie nöthigen, sondern dass diese Umstände, wie Alles schliesslich, von einem allmächtigen und unendlichen Princip abhängen, dessen Willen sie nun zu ihrem Willen machen, und indem sie sich so gänzlich ihres Ichs entäussem, in friedlichem Gehorsam die Wonne, mit Gott vereint und vertraut und zu ihm verklärt zu sein, gemessen. Das Wesentliche auch dieser Form besteht in der Vorherrschaft des Gefühls; es können aber dabei alle möglichen Bildungsgrade der Menschen und verschiedene Ansichten und sonstige zufällige historisch-traditionelle Ausdrucks- weisen vorkonmien. So z. B. wird man die Pietisten, die Quäcker und andere christliche Parteien dieser Art sehr nahe an die pantheistische Geftihlsreligion heranrücken sehen, jemehr sie theils in vorübergehenden Augenblicken der Verzückung, theils über- haupt in der blossen Innigkeit des Gefühls ihre specifische Fröm- migkeit ausdrücken.

Es ist aber meine Aufgabe nicht, die verschiedenen histori- schen Nuancen und Mischformen hier einzutheilen und zu defi- niren; deshalb möge es genügen, diejenigen beruhigt zu haben, welche dem Mysticismus zugeneigt sind und dennoch an einer anderen Religionsform, wie besonders am Christenthum, zugleich festhalten wollen. Nur erinnere ich, dass die Mystiker mit den

uiumzeu uy x^jOvJV^

Te

472 Fantheismus des Gefühls.

Ausdrücken der christlicheii Dogmatik ebenso spielen, wie die Eunstentbusiasten mit den Fonnen der griecbiscben Religion, worin inuner ein Beweis liegt, dass die positive Religionsform nur als Symbol flir einen böheren und andersartigen Sinn und Werth gelten soll.

So z. B. reebnet man aucb den Methodismus zum " Cbristentbum, und er braucht ja auch alle die christ- lichen Ausdrücke und pflegt die Lektüre der Bibel; nichtsdesto- weniger gehört er im Wesentlichen zu der Geftihlsreligion. Er stellt nämlich Gott vor im Sinne der projecti vischen Religion als Furcht- und Rechtsgott, erfüllt deshalb die Seele vor allem mit dem tiefsten Gefühle der Sünde, womit' zugleich die Angst vor den flirchterlichen Strafen des Furchtgottes verknüpft wird. Die auf diese Weise in eine Art von Krampf versetzte Seele wird nun zu einem sogenannten Willensakte getrieben, um die rettende Hand des Erlösers zu ergreifen und um die Gnade zu ringen. Alle diese Vorstellungen gehören den beiden untergeord- neten projectivischen Religionsstufen an; da aber diese Vorstel- lungen zu keiner grösseren Erkenntnissarbeit führen und also ohne Dogmatik bleiben, aus dem Busskrampf sich auch keine das ganze Leben des Einzelnen und der Gesellschaft ruhig und vernünftig organisirende sittliche Thätigkeit entwickelt, so bilden die erweckten Gefühle den Mittelpunkt und das Wesentliche dieser Religionsform. Das Motiv ist die Angst vor der ewigen Verdammniss, und die Beseligung liegt in einer Art von Ver- zückung über die Gnadenerwählung. Diese Gefühle werden nun immer von Neuem angefacht, weil der Mensch ja unter solchen Bedingungen natürlich keine ruhige Sicherheit seines Heils ge- winnen kann, weshalb die Geflihle immer zwischen der Todes- angst und der Verzückung wechseln, wobei in der Mitte die Aufgebung des Selbst durch den Bussakt liegt

Dass hier trotzdem keine reine Religion des Gefühls gegeben ist, sieht man aus der Rolle, welche das Gebet in dieser häre- tischen Richtung spielt. Da ihre Gottesvorstellung sich nämlich nicht über die projectivische Stufe erhebt, so kann das Gebet als eine theurgische Waflfe, als ein Mittel, ihren Furchtgott zu belästigen, umzustimmen, ja geradezu zu zwingen gebraucht werden, und so kommen sie zu allen den strategischen Gebets- manoeuvres, wodurch sie ihren Gott, wie eine Festung, kunstgemäss

uiymzeu uy "V-j v-zv^'pt iv^

Unreine Formen. 473

belagern und endlich zur Capitulation nöthigen. All dergleichen ist nicht geradezu lächerlich, sondern entspricht den Hekatomben, die im Alterthum bei wichtigen Wünschen dem Gotte geschlachtet wurden, und hat, wenn man dem Mangel an wissenschaftlicher und philosophischer Bildung dieser Gläubigen Rechnung trägt, eine gewisse Consequenz; doch sieht man hieraus wieder, wie die lebendigen Religionsformen alle nur als unreine Formen gelten dürfen und welchen Fehler jede Religionsphilosophie be- geht, wenn sie nicht bis auf die einfachen Elemente in der Ana- lyse durchdringt, sondern bloss die wirklichen Religionen und Sekten irgendwie anordnet 5 denn solche Arbeit ist ebenso unge- nügend, wie wenn die Mineralogen ihre Steine und Erdarten bloss nach Farbe, Gewicht und Gestalt äusserlich beschreiben wollten und die chemische Analyse vernachlässigten.

Anmerkung. Während man früher mit dem. Namen „Pantheismus" eine WeltaufFassung oder Religionsform genügend zu charakterisiren glaubte, Bo ist jetzt immer zu fragen, ob man mit der bestimmten Species des prakti- schen, ethischen, politischen, kirchlichen, künstlerischen, sentimentalen oder speculativen Pantheismus zu thun habe. So möchte ich im Hinblick auf die sehr interessante und auch für die Geschichte der Philosophie sehr beachtens- werthe Arbeit von Franz Kern („Johann Scheifler's cherubinischer Wanders- mann" 18G6) SchefFler nicht mit Fichte zusammenordnen, sondern ihn als sentimentalen Pantheisten, d. h. als Quietisten und Mystiker, auffassen. Da Scheffler nämlich (vergL Kern S. 49, 53, 55, 58, 60) die intuitive Erkenntniss in die Liebe setzt und durch ^nzliche Abtödtung des eigenen Willens zum Frieden zu gelangen und durch Einssein mit Gott selig zu werden sucht, so kann seine methodelose und nicht einmal originelle Intuition (ebenso wie seine Askese) auch nur als Mittel gelten, um das Gefühl sich in seinem Frieden und in seiner Seligkeit sättigen zu lassen.

Digitized by

Google

3. Die pantheistische Religion des Gedankens.

Von den drei Functionen des Geistes, die von einander un- abtrennbar sind und doch eine jede den andern gegenüber im Uebergewichte vorkommen können, bleibt uns nun bloss noch die theoretische zu betrachten übrig. Diese Erkenntnissfunction ist durch ihr specifisches Werk, nämlich die Wissenschaft, sofort ftir Jedermann verständlich und man wird sie leicht von den Geftihlen und auch von den Handlungen unterscheiden, obwohl Wille und Gefühl auch bei den theoretischen Anschauungen aus- gelöst werden und obwohl das Denken als Arbeit auch eine Handlung implicirt. Bei der theoretischen Function soll aber der ideelle Inhalt des Wissens allein in Frage kommen und dadurch ein ganz specifisches Gebiet abgesondert werden. Nun giebt es eben manche Naturen contemplativer Art, bei denen alle Energie des Geftlhls und der Handlung sich überwiegend dem Gedanken und dem Denken zuwendet, und bei diesen Naturen allein wird sich die einseitige Religionsform entwickeln können, die wir jetzt in's Auge fassen.

Digitized by

Google

Erstes Capitel. Die zugehörige Ethik.

Mützliche und Schöne.

§ 1. Das ethische Motiv.

Das Motiv dieser Religion liegt darin, dass dem philosophisch angelegten Menschen das ganze de^wa^hrte^ Treiben der auf Wohlsein und Fortschritt in über das Gute, materiellem Behagen arbeitenden Naturen als unter- geordnet erscheint, da es einerseits nur unserem körperlichen Dasein, das wir mit den Thieren theilen, zu Gute kommt, andrerseits als höchstes Ziel nur das Nützliche hat. Der Nutzen flihrt auf einen Zweck, um dessentwillen wir die Arbeit verlangen. Aber auch diese Zwecke, die in den morali- schen und politischen Tugenden bestehen, befriedigen das Geftlhl des denkenden Menschen nicht; denn das Leben des Einzelnen und selbst das des Staates ist doch zu beschränkt, zu klein und vorübergehend, um im Vergleich mit dem Gedanken an die Menschheit im Ganzen oder die Welt noch Werth zu be- halten, so dass es sich nicht zu lohnen scheint, sein Herz an die Ziele der Gesellschaft oder gar des privaten achtungswerthen und nützlichen Lebens hinzugeben. Ebenso ist die Kunst unver- mögend, den Philosophen zu befriedigen, da ihr Inhalt im Ganzen doch nur die sinnenfilllige Welt und das persönliche und ge- schichtliche Leben des Menschen abspiegelt, und die Wahrheit, die sie in blossen Symbolen, nämlich in Tönen und Bildern und poetischen Charakteren darstellt, nicht zur vollen Klarheit kommen kann, sondern in höherem Grade dem anzugehören scheint, welcher die Kunstwerke erklärt und beurtheilt und also über der Kunst steht.

In dem ethisch -politischen Gebiete herrscht die Idee des Guten, im künstlerischen die des Schönen. Es konunt also darauf an, zu sehen, wie für den einseitig theoretisch angelegten

476 Pantheismus des Gedankens.

Menschen diese beiden Ideen der Idee der Wahrheit unter- geordnet werden können; denn nur unter dieser Bedingung ver- stehen wir die Ethik oder das Motiv der idealistischen Religion.

Nun ist es in gewisser Weise richtig, dass der Gute sich nach dem Wesen des Menschen richtet und seine Handlungs- weise aus dem wahren Zweck oder der Idee des Menschen ableitet. Liesse sich dieser in der Natur angelegte Zweck also nicht erkennen, so wäre auch sittliches Leben unmöglich. Folglich scheint das Gute dem Wahren untergeordnet zu sein und zwar in doppelter Weise, erstens sofern die Klugheit oder Weisheit und Besonnenheit, oder wie man diese erkennende Tugend nennen will, im ganzen Gebiete des Sittlichen als be- fehlend oder leitend obenan steht und die Herrentugend bildet, während die andern Tugenden in Glauben und Gehorsam dienen, und zweitens sofern bei Betrachtung der menschlichen Natur sich eine Stufenfolge der Functionen zeigt, deren oberste die theo- retische Vernunft ist. Denn das vegetative Leben theileu wir mit den Pflanzen, Sinnlichkeit und Begierden und auch praktisch ftirsorgende Vernunft mit den Thieren, die theoretische Kraft scheint aber, seit Piaton und Aristoteles dies erwiesen haben, die höchste und dem Menschen specifische zu sein. Also erweist sich nach zwei Gedankengängen die Idee der Wahrheit, welche der theoretischen Function zugehört, als übergeordnet über das Gute und noch mehr über das Nützliche.

In derselben Weise wird auch das Schöne untergeordnet; denn der Künstler muss Bichtigkeit und Uebereinstimmung mit den Gesetzen, Ordnungen und Formen der Natur suchen, d. h. sich nach der Wahrheit richten. Ehe Du dichtest, sagt Boileau, lerne zu denken. Was die Kunst ausdrücken will, scheint das Wesen und die Wahrheit zu sein; sie drückt die Wahrheit aber nur stammelnd au|, und es ist ja unfraglich, dass das Bedürfniss nach Wahrheit erst im Denken befriedigt wird, weshalb sich die unreife Intelligenz mit Dichterworten nährt und diese als Beweise citirt, während die reifer gewordene Kraft den reinen Begriff sucht und vorzieht

Wir können durch diese Ueberlegungen wohl hinreichend erkennen, dass mit stärkerer Vernunft begabte Naturen durch den ganzen übrigen Inhalt des Bewusstseins nicht befriedigt

Etbik. 477

werden, sondern nach dem Stein der Weisen, nach der Wahrheit allein verlangen und nur durch Einsicht in das Wesen der Welt satt und glücklich werden können, weil diese Erkenntniss eben der Inhalt ihrer überwiegend vorhandenen intellectuellen Function und das Ziel ihrer Begabung ist.

Daraus folgt, dass für sie der höchste menschliche Stand der gelehrte ist, dass sie daher auch die Weisen an der Spitze des Staates sehen wollen, dass sie ihr ganzes Leben in den Dienst der Wahrheitserkenntniss stellen und alles nur thun, um Müsse zur Forschung und Betrachtung zu gewinnen, dass sie ihre Begierden unterdrücken oder befriedigen, um diese Ruhe- störer los zu werden, dass sie die Interessen des Hauses und der Stadt und des Staates ftir Lappalien halten, womit sich nur Ehrgeizige und Habsüchtige beschäftigen, die noch im Dunkel leben und die schöne Sonne der Erkenntniss und ihr herrliches Reich nicht ahnen, dass sie femer der Kunst, wie Schiller sich ausdrückt, nur „den ersten Sclavensitz erlauben", weil sie den Geist empfanglich macht für die Wahrheit und wenigstens in Bildern und sinnenfälligen Symbolen nach ihr strebt. Kurz die gauzc Ethik ist nur eine Pädagogik der Seele für die Freiheit der erkennenden Function des Geistes.

§ 2. Das religiöse Motiv.

Diese Neigung zum Erkennen kann nun die verschiedensten Wege gehen, von denen der eine zu den empirischen, der andre zu den speculativen Wissenschaften führt. Die Einen treiben die Erforschung der einzelnen Naturgegenstände, studiren die Steine, die Pflanzen, die Thiere, die Zusammensetzung der Körper, die Bedingungen der sinnlichen Phänomene in allen Be- wegungen, die Sprachen und die Racen der Menschen, die Ge- schichte der Völker und Staaten u. s. w. Die Andern beachten mehr das geistige Leben und studiren den Ursprung der Begriffe, die Formen des Raumes, der Zeit, der allgemeinen Bewegung, die Gesetze des Denkens, die Ursprünge der Ideen des Rechts, der Tugend u. s. w. In allen diesen Beschäftigungen liegt aber noch nicht der eigenthümlich religiöse Sinn.

Digitized by VjOOQIC

478 Pantheismus des Gedankens.

Erst durch die Beziehung zum Gottesbewusstsein erschliesst sich das religiöse Motiv in aller Erkenntnissthätigkeit. Da nämlich der Trieb zur Erkenntniss auf die Wahrheit geht, so wird nicht eher Befriedigung eintreten, als bis die ganze Wahrheit unser geworden ist. Nun steht dieser Erfüllung aber immer der Gegensatz zwischen dem erkennenden Subjecte und dem erkannten Objecte gegenüber, und wenn dieser Gegensatz unauf hebbar bliebe, so wäre das religiöse Motiv eitel. Es muss also die Wahrheit, welche erkannt wird, sich als Geist erweisen und in unserem Geiste offenbar werden, derart, dass unser Ich in seiner erkennenden Function verschwindet und dass in dieser die Wahrheit selbst erlebt und genossen werden kann. Diese Wahrheit ist dann aber selbst als Gott oder als das Göttliche aufzufassen, welches in der Furcht- und Rechtsreligion in dem Himmel draussen verehrt wurde, welches der Atheist vom Himmel und aus der endlichen Welt des Verstandes vertrieben hatte und welches nun beseligend und erleuchtend bei dem Pantheisten in seinem Geiste Wohnung macht, sich ihm offenbart und entschleiert und sich in ihn verwandelt oder ihn in sich transsubstanziirt Das Motiv und Ziel des Pantheismus des Ge- reiigiöBe daukcus habcu wir jetzt verstanden. Es fragt sich charaktep des ^mj^ y^Q ^q^ Pauthcist sich dcmgcmäss fühlen und was er von sich halten muss in der religiösen Stimmung. Von einer Furcht vor Strafe oder von einer Angst des Gewissens in Erinnerung an seine Sünden kann selbstver- ständlich keine Rede sein; aber auch die Nützlichkeit oder Heilig- keit in guten Werken oder die Unentbehrlichkeit für den Staat oder die Stärkung durch kirchliche Gemeinschaft kann er nicht gemessen ; denn sein Ich lebte gar nicht in dieser Welt; auch die Kunst- anschauungen können ihn nicht begeistern, da er nur über die Träumenden lächeln wird, die darin ihr Licht und Heil suchen; endlich wird er auch spotten über die Leerheit der Gefühls- seligen, die nicht einmal sagen können, was sie so beglückt Sein Geftthl hat eine reinere Quelle; er weiss, dass das lebendige Göttliche, das die ganze Welt umfasst, in ihm wohnt, dass er und Gott eins sind in lebendiger Einheit und klarer Erkenntniss. Ich bin die Wahrheit, muss er zu sich sagen; sie ist nur im Geist, im Denken und Erkennen, und ich erkenne sie; sie ist in mir oder ich bin die Wahrheit Darum muss der vollendete

Digitized by VjOOQIC

Ethik. 479

l^hiloBoph des Idealismus sich flir Gott oder für einen Gott halten und muss sich anch so nennen oder sich wenigstens, da mehrere an dieser Erkenntniss theilnehmen können, für göttlich (*sto<;) erklären. In dieser religiösen Stimmung kann keine Demuth liegen; denn diese geht nur der Erkenntniss voran; demttthig kann man warten auf die Gonception; wenn das Ich aber erst transfigurirt ist in den Gott, so ist auch kein Grund einer Unterscheidung von Subject und Object mehr vorhanden und folglich Demuth widersinnig. Aber ebensowenig wird ihn Stolz und Verachtung der Uebrigen aufblähen; denn dergleichen Affekte könnten nur aus zufalligen Nebenumständen und zubilli- gen Nebenbetrachtungen entspringen und würden die absolute Erkenntniss einschränken und die religiöse Stimmung verderben, in welcher nichts Zufälliges, Endliches und Besonderes Platz hat. Darum ist seine Stimmung allen Dingen und Personen gegenüber Affektlos igkeit (a7cd*sta) und also Ruhe, wie Meeresstille. In dieser Ruhe aber liegt keine Gleichgültigkeit, sondern sie ist voller Energie in der Erfassung des Ewigen, der Wahrheit Und darum erfHUt ihn reine Freude, himmlische Seligkeit: denn der Himmel, wo die Wahrheit wohnt, ist in sein Herz eingekehrt, und er selbst als Ich verschwunden und transfigurirt und apotheosirt. Also können wir ihm nur das Gefühl der Hoheit lassen, das der Natur göttlicher Dinge zukommt.

§ 3. Historische Conürmationen.

Dass diese speculative Bestimmung mit der Wirklichkeit übereinstimmt, können wir mit mehr oder weniger Deutlichkeit bei allen Idealisten wahrnehmen. Man wird nur darum vielleicht an dem exacten Ausdruck dieser Stimmung Anstoss nehmen, weil in der Wirklichkeit sich überall, wie ich oft hervorhob, andre Züge noch anhängen, die aus der Erziehung und Umgebung der Idealisten stammen und die Rein- heit des Typus beeinträchtigen. Wer dies zu unterscheiden versteht, wird die gegebene Charakteristik anerkennen. Ich citire als Beispiel den Vater des Idealismus, Pia ton, der nicht bloss sich selbst und seine Genossen in der Wahrheit als „Gött- liche" (*£ioi) bezeichnet, sondern auch bei der Nachwelt diesen

uiuiiizeu uy "v^j vy\J>t Iv^

480 Pantheismus des Gedankens.

Beinamen behalten hat Bei ihm wird ansdrücklich aueh die Gleichgültigkeit gegen alle menschlichen Dinge stark heryor* gehoben; nicht nur will er keinen Ehrgeiz und keine Herrsch- sucht kennen, sondern er sagt geradezu, dass die Philosophen sich nur gezwungen mit Staatsangelegenheiten abgeben würden und nicht einmal wüssten, wo das Rathhaus in der Stadt läge. Was die Seligkeit betrifft, so nimmt er sie allerdings in Anspruch, streift aber davon alles Affektartige ab, weil er fürchtet, sonst auch nur im Geringsten an dem Gegensatze, an der Unlust und dem Leide, theilnehmen zu Aaüssen, wodurch der Philosoph wieder mit dem Gewebe und Wechsel des Endlichen in Berührung kommen würde. In meinen „Studien zur Geschichte der Be- griffe" und den beiden Büchern über die „Literarischen Fehden im vierten Jahrhundert vor Christo" wird man die näheren Belege finden; es ist hier nicht der Ort, in philologisches Detail ein- zugehen.

Dieselbe ethische Stimmung findet man bei allen

Idealisten, da der zugehörige Gedankengang sie noth- wendig fordert. Ich erwähne deshalb unter den Vielen zunächst den Empiriker und Staatsphilosophen, der durch seine Neigung wirklich mehr zur Bearbeitung der einzelnen Gebiete der Dinge geführt wurde, aber durch den Einfluss Platon's bewogen trotzdem die vornehmste Stelle für den speculativen Philosophen zurück- behielt, indem er dem praktischen Leben und den zugehörigen bürgerlichen Tugenden das rein theoretische und fast einsame Leben des Philosophen tiberordnete, der nicht wie ein Mensch, sondern wie ein Gott lebt, der den allgemeinen und ewigen intelligiblen Urgrund aller Dinge in seiner Vernunft gegenwärtig nicht nur besitzt, sondern erlebt und das göttliche Denken selbst denkt. Selbst also, wo, wie bei Aristoteles, die menschliche Natur stärker hervorgekehrt wird, ist die Apotheose des Philo- sophen dennoch unvermeidlich, da der Idealismus keine andre Stimmung verträgt.

Dass wir auch bei unseren modernen Idealisten^

bei Fichte und Hegel, dasselbe finden, ist selbstver- ständlich. Für Fichte ist die Seligkeitslehre Wissenslehre, das wahre Dasein und Leben ist Wissen, alles Andre ist todt oder Schein. Das reine Denken ist selbst das göttliche Dasein, und das göttliche Dasein in seiner Unmittelbarkeit ist nichts anderes

Digitized by VjOOQIC

Flehte.

Ethik. 481

als das reine Denken, d. h. die speculative Thätigkeit des Philosophen. Christus ist ihm daher keine einzigartige Persön- lichkeit, wozu ihn vielmehr nur die Dürftigkeit der Folgezeit gemacht habe; sondern er soll ganz und ungetheilt in seinen Anhängern wiederholt werden, so dass sich der Wissende un- mittelbar, wie Christus, mit Gott eins wisse. Darum habe Christus bloss den Wahn von der Sünde und die Scheu vor einer Gottheit, die durch die Menschheit sich beleidigt fühlen könnte, hinweg- getragen und ausgetilgt Darum hält er den Begriff Gottes als einer besonderen Substanz für widersprechend und für Schul- geschwätz. Bei Fichte ist der Idealismus aber nicht ganz rein, weil er sehr bald von dem blossen Wissen zum Sollen und Thun übersprang und die Weltordnung daher als die Bestimmung der Pflicht von Seiten der Menschen erklärte, so dass die praktische Richtung, die wir in dem Pantheismus der That charakterisirten, bei ihm stellenweise das Uebergewicht erhält. Ueberhaupt ist Fichte als exacter Philosoph unbedeutend; dies hindert aber nicht, dass er nicht eine grosse Bedeutung durch Beeinflussung seinerzeit gewonnen hätte; denn auch in dieser seiner Richtung auf die Pflicht liegt nicht etwa eine demüthige Unterordnung unter einen Gesetzesgott oder eine auswärtige Weltordnung, sondern vielmehr die kühnste Erhebung des Menschen zur Ehr- würdigkeit und Göttlichkeit Fichte konnte eine grosse Erhebung und Erneuung hervorbringen, da ihm das Einzigexistirende in der Welt das menschliche Geschlecht ist, welches ihm eine Einheit bildet und aus sich die Ordnung des Sollens bestimmt, so dass die Weltordnung auch hier nur in der geistigen Thätigkeit, im Denken des Menschen, vorhanden ist und daher an den Menschen die denkbar höchste Anforderung stellt

HegeFs Auffassung ist noch lebendiger in der Gegenwart, als die Fichte' sehe, da noch einige be- rühmte Anhänger an den Universitäten mit grosser Kraft lehren. Für Hegel hat zwar scheinbar die Religion ebenso wie die Kunst einen untergeordneten Platz, indem er für sie mehr die Unmittel- barkeit des Gefühls rescrviren und das Wissen hoch über sie stellen wollte; aber dies kann uns gleichgültig sein; denn wir suchen sein eigenes höchstes Bewusstsein und seine eigene letzte Stellung zur Gottheit und finden dies in dem absoluten Geiste der speculativen Philosophie; denn in seiner Logik wollte er die

Telohmüller, BellgloiiBpbilosophie. uiymSJü uy V^jOOQIC

482 Pantheismus des Gedankens.

Gedanken, die Gott vor der ErschaflFung der Welt denkt, d. h. den ganzen Inhalt des göttlichen Geistes, erschöpfen, während Kant menschlich und bornirt nur den Inhalt des menschlichen Geistes durch seine Kritik ausgemessen habe. Für Hegel ist also in dem absoluten Wissen die absolute Gegen- wart Gottes gegeben und das Ich in diese höhere Geistesfunction vollständig aufgehoben. Es giebt keinen Gott ausserhalb dieses Denkens, und im Denken ist das reine affektlose Dasein Gottes Ereigniss geworden, sofern Gott sich in des Menschen ver- schwundenem Ich selbst weiss als absoluter, subjectiv-objectiver Geist.

Charakteristisch für den Pantheismus des Idealisten ^"wrtiT"^ ist nun das Verhältniss, in welches die verschiedenen geistigen Functionen gestellt werden. Da nämlich das Vermögen der Erkenntniss nicht als ein Vermögen neben anderen betrachtet wird, sondern als die höchste Form, zu welcher der ganze Inhalt der Seele und des Geistes sich stufenmässig erhebt, so können alle anderen Vermögen nur als untergeordnete Stufen des Erkenntnissvermögens gelten. Setzen wir also, um dies bestimmter auszudrücken, statt des blossen Vermögens die ausgebildete Function, so haben wir Religion (Sittlichkeit), Kunst und Wissenschaft (Philosophie) als die drei in Frage kommenden Mächte des Geistes und müssen den Forderungen des Idealismus gemäss die Kunst und die Religion als die noch auf der Stufe der Anschauung, der Vorstellung und des Gefühls befindliche Erkenntniss betrachten, die zwar auch von der Idee schon erftillt sind, aber dieselbe noch nicht begrifflich erkennen, weil erst auf der Stufe des reinen Wissens die in Vorstellung und Gefühl noch verschleierte Idee sich selbst in Begriffen erkennt und so als absoluter Geist hervortritt.

Mithin muss in dem Idealismus der Gegensatz, der sich wirklich in dem Gebiete der Erkenntniss findet (nämlich zwischen Wissen einerseits und Meinen, Glauben, Ahnen, Vorstellen anderer- seits), ungerechter Weise auf die anderen Gebiete des Geistes, die keine Formen der Erkenntniss sind, ich meine auf Kunst und Religion ausgedehnt werden, so dass nun der Wissende, der nicht einmal primus inter pares ist, mit Arroganz auf die Reli- giösen und Künstler herabsieht, weil er ganz denselben geistigen

Ethik. 483

Inhalt, wie jene, zu umfassen und denselben nur in der voll- kommensten Reinheit und Klarheit zu besitzen glaubt, während jene niehts von ihm Verschiedenes besässen, sondern denselbigen Inhalt nur träumend und trübe und verworren erfassten.

Diese ungerechte und falsche Stellung des Wissens findet sich, weil sie dem Idealismus nothwendig und eigenthümlich ist, schon bei Piaton, dem Vater dieser Weltanschauung, und habe ich darüber in meinen „Studien zur Greschichte der Begriffe^' die genauere Nachweisung geliefert. Piaton macht schon den Gegen- satz zwischen Gnosis und Pistis, zwischen Wissen und Glauben, geltend und verlangt deshalb von den Philosophen, dass sie die Dogmatik, Ethik und den Cultus der Religion anordnen, d. h. durch Gesetze befehlen sollten, was im Staate für Götter zu glauben wären, welche Eigenschaften und Kräfte sie hätten, was die Menschen demgemäss den Göttern gegenüber ftlhlen und glauben und wie sie ihre Ehrfurcht, ihren Gehorsam, ihre Dank- barkeit, ihre Hofinungen und Wünsche durch gottesdienstliche Handlungen in den Tempeln und sonst auszudrücken hätten; kurz Piaton macht die Wissenschaft (Philosophie) zum unbeding- ten Herrn, Patron und Curator über die unmündige Religion. Wenn er, was di^ Ordnung des Cultus betrifft, ausser der Philo- sophie noch den ApoUon in 'Delphi befragen lässt, so liegt darin nicht etwa die Ajnerkennung einer zweiten Autorität neben der Philosophie, sondern nur eine politische Massregel, ebenso wie die Herrscher sicti.heut zu Tage, wenn sie vorsichtig sind, mit Rom erst benehmei|i, ehe sie Gesetze machen, weil der Glaube der Menschen in alten Ideenassociationen und Gewöhnungen und eingewurzelten Unterwürfigkeiten ruht, und daher zur Sanctio- nirung der Gesetze die Benutzung der Tradition und der An- schluss an den vorhandenen und noch brauchbaren Aberglauben empfehlenswerth ist Diese Platonische Aufstellung von dem Gegensatz zwischen der gehorchenden und blinden Pistis und der befehlenden und sehenden Gnosis findet man dann durch die ganze Geschichte überall da, wo der Idealismus zur Herrschaft kommt, und selbst die Kirchenväter und die Scholastiker wurden, weil sie ihre philosophische Bildung dem griechischen Idealismus verdankten, von diesem Gegensatze immer in die Enge getrieben und bald zu Ketzereien, bald zu obscurantistischen Absurditäten geführt. Von Anfang an aber machten sie, im Bewusstsein eines

uyuSAfuyGOOQle

484 Pantheismiis des Gedankens.

neaen und eigenen, von der Philosophie unabhängigen Gutes die unbeweisbare und deshalb den Klugen unbegreifliche Forderung, dass die katholische Kirche auf der Pistis und einer von der Philosophie unabhängigen Offenbarung ruhen solle und dass die Tugenden des Glaubens höher wären, als das Wissen. Darin hatten sie nun ohne Zweifel vollkommen Recht, aber sie konnten ihre Forderung nicht rechtmässig begründen, weil die Offenbarung doch auch nur die Wahrheit, also einen Erkenntnissinhalt, offenbar machen sollte, den die Wissenschaft prtifen kann und mnss, und darum findet sich, wie die Geschichte der Dogmatijc zeigt, in allen Perioden der Entwickelung des Dogma die häretische Neigung, die Gnosis obenan zu stellen und die blinden Pistiker zu verachten. Diese grosse Schwierigkeit und Verlegenheit be- drängt die Theologen bis auf den beutigen Tag; denn der Idealismus ist bis jetzt die vornehmste Philosophie gewesen und die grossen Theologen aller Zeiten haben ihm gehuldigt.

Da diese ftir den Idealismus charakteristische

TToTi

ParalogismuB.

Nachweis des Ucbcrordnung der Gnosis über die Pistis ebenso

noth wendig, wie irrig ist: so muss der Fehlschluss aufgedeckt und der Grund des Fehlers erkannt werden, was nur unter der einzigen Bedingung' möglich ist, wenn wir eine höhere und wahrere Weltanschauung als den Idealismus besitzen. Nun haben wir ja aber schon in der ganzen vorigen Darstellung die Einseitigkeit und den Grundfehler des Idealismus erkannt; es kann uns also jetzt leicht werden, den Fehlschluss nachzuweisen. Nego minorem, haben wir zu sagen; denn der Obersatz muss lauten: alle unreifen und noch nickt wissenschaftlichen Stufen der Erkenntniss sind der begrifflichen Erkenntniss (Philosophie und Wissenschaft) unterzuordnen. Der Untersatz: die Religion ist eine unreife und noch nicht wissenschaftliche Stufe der Er- kenntniss. Der Schlusssatz: die Religion ist der Wissenschaft unterzuordnen. Nun läugnen wir den Untersatz; denn die Reli- gion ist die Gesinnung, welche der Mensch als Persönlichkeit gegen Gott hat, und daher keine Stufe der Erkenntniss schlecht- hin, einmal, weil diese Gesinnung bloss bewusst wird und nicht auf einem logischen Processe beruht, zweitens weil sie bei allen Erkenntnissstufen möglich und wirklich ist, und drittens weil sie zu ihrem Ausdruck noch zwei von der Erkenntniss völlig ver-

Digitized by VjOOQIC

Ethik. 485

schiedene, selbständige geistige Vermögen fordert, nämlich den Willen oder das Gefühl und das Vermögen der That.

Dadurch ist der Fehlscliluss nachgewiesen, und der Grund des Fehlers wird damit zugleich offenbar; denn, weil dem 6e- fUhlsvermögen und der That gewisse Erkenntnissthätigkeiten coordinirt sind, durch welche man seine Gefühle und die daraus fliessenden Handlungen erklärt und rechtfertigt, so blickten die Idealisten (nach dem Sophisma de pluribus interrogationibus) auf die coordinirten Vorstellungen hin mit üebersehen der anderen selbständigen und eigenen Elemente und konnten daher scheinbar mit Recht ihren Minor aufstellen. So ist der Grund des Fehlers ebenfalls offenbar gemacht.

Da wir nun aber die Selbständigkeit der drei Vermögen des Geistes erkannt haben, so sehen wir auch klar die Unab- hängigkeit der Religion von der Wissenschaft ein und verstehen nun, weshalb die Kirche sich in allen Zeitaltem gegen die Philosophie stellte und eine eigene Quelle der Gewissheit, eine eigene Offenbarung, zu besitzen behauptete, ohne dies beweisen zu können. Wir erkennen aber zugleich, dass die Feindschaft gegen die Wissenschaft schlechthin eine unnütze und nicht ge- rechtfertigte Stellung der gläubigen Theologen ist, da bei der Gesinnung gegen Gott (Religion) dem religiösen Gefühl (Ethik) immer irgend eine Erkenntniss (Dogma) zugeordnet ist, ebenso wie ein gewisses Thun (Cultus). Diese zugeordnete Erkenntniss kann nun alle Stufen der Ausbildung durchlaufen und mithin in rohen abergläubischen Vorstellungen, wie auch in den subtilsten philosophischen Begriffen bestehen. Wir haben also bloss die ungerechte Arroganz der idealistischen Philosophie abzuweisen, die ihre Ueberordnung über die Religion wissenschaftlich nicht beweisen kann und deshalb vor ihrem eigenen Tribunal verur- theilt wird; dagegen steht nichts im Wege, die reine und voll- kommene Religion auch mit dem ihr zugeordneten reinen und vollkommenen Wissen zusammenzuschliessen, wie ebenfalls eine adäquate Gemüthstimmung und ein reiner und vollkommener Cultus ihr zugehört. Die wahre Philosophie stiftet also keinen Gonflict, sondern giebt einem Jeden, was ihm zugehört, und kann darum in Gerechtigkeit mit der Religion sich vertragen und in einem versöhnten und mit sich einigen Gemüthe wohnen. Der

Digitized by VjOOQIC

486 Pantheismns des Gedankens.

Idealismus aber ist von der Gnosis unabtrennbar und deshalb immer principiell der Religion feindlich, wenn dies auch ver- schleiert wird, wie bei Schleiermacher, der das Gefühl zwar als Quelle der Religion auffasste, in dem Gefühle aber thörichter Weise auch schon das Erkennen eingeschlossen wähnte und deshalb in seiner Dogmatik arglos von dem Spinozistischen und Platonischen Idealismus ausging, wodurch seine ganze Theologie zu einem Centaur wurde und nach beiden Seiten hin inuner Un- redlichkeiten begehen musste, da die vermummte Religion bald als Gefühl ihr frommes Antlitz, bald die Homer der Gnosis sehen liess.

Digitized by

Google

Zweites Kapitel. Der zugehörige Cnltns.

Wenn wir das wesentliche Motiv des speculatiren Idealismus mit seinem in der theoretischen Function liegenden Schwerpunkte richtig verstanden haben, so folgt daraus mit Sicherheit, dass diese Religionsform keinerlei äusseren Cultus erfordert, da kein äusserer Gott vorhanden ist. Es dreht sich deshalb alles Thun des Idealisten darum, aus den ihm aufgenöthigten Sorgen, für das sinnliche Leben, für seine Person und ihre Stellung in der Gesellschaft möglichst bald und möglichst oft auftauchen zu können, wie aus anhängendem unreinem Schlamm, in die sonnen- reiche Region des Gedankens, um, wie man sich ausdrückt, in dem reinen Aether des Gedankens zu athmen und zu leben. Alle anderen Functionen des Geistes, das Gefühl, die Aeusse- rungen der Thatkraft und deren zugehörige Vorstellungen und ihre Componenten werden also für irdisch, niedrig, thierisch oder auch bloss menschlich erklärt; das reine speculative Denken allein für göttlich. Mithin besteht der Cultus bloss im Denken, in welchem das Ich, das sich entweder bloss als physisches Indi- viduum, d. h. als Erscheinung, oder als subjective Seite des ideellen Inhalts kennt, verschwinden muss.

Ebensowenig wie ein äusserer Cultus kann aus diesem reli- giösen Zustande irgend ein Antrieb zu sittlichem Leben oder zu einer Art von Kunstthätigkeit entspringen; denn diese Gebiete des geistigen Lebens werden eben in den Gedanken aufgehoben, und so kann kein Motiv vorhanden sein, aus dem Höheren und Besseren wieder zum Niedrigeren und Schlechteren tiberzugehen.

Digitized by

Google

488 Pantheismus des Gedankens.

Torzüglich da dieses aueh nieht Denkthätigkeiten sind, in welchen diese Religion allein besteht. Es ist darum natürlich, dass die speculatiyen Idealisten sich aus dem praktischen und künst- lerischen Leben zurückziehen und immer zu einem Eremitenleben neigen, sofern ihre Natur mehr oder weniger rein dem Typus dieser Religionsform entspricht. Schon Aristoteles hat dies in seiner Nikomachischen Ethik erkannt.

piaton ***^ ^^^ ^^^ dieser Gelegenheit wieder den

unddiennreinen spccifischen Charakter meiner Methode beachten

Formen. müsscn; dcnu wenn wir, um das Wesen dieser Religionsform zu studiren, die historisch vor uns liegenden Lebensweisen und Werke der Idealisten zu Grunde legen wollten, so würden wir in eine unsägliche Verwirrung gerathen, da natür- lich die einzelnen historischen Individuen alle möglichen Mischun- gen der Begabung zeigen und darum ein wahres Kaleidoskop, nicht aber eine feste und ein für alle mal bestimmte Ordnung der geistigen Functionen uns vor Augen stellen können.

So z. B. ist Piaton zwar ein Hauptrepräsentant des Idealis- mus; nichtsdestoweniger war er so reich begabt, dass wir ihn auch bei Gelegenheit des Staatsenthusiasmus berücksichtigen mussten. Und was den Cultus betrifft, so ordnet er nicht nur für die ganze unphilosophische Gesellschaft die ihr zukommende Gottesverehrung, sondern er hat auch seinen specifisch Platonischen Cultus in der erlösenden oder Platonischen Liebe. Er verlangt, die durch die Dialektik in den Himmel Aufgestiegenen sollten wieder vom Licht in das Dunkel der Erde zurückkehren, um die armen und verirrten Gefangenen ebenfalls nach Möglichkeit zu befreien, zu erlösen und zum Lichte der Wahrheit zu führen. Die ganze Erlösungslehre (Soteriologie) Platon's stammt aber nicht aus dem Idealismus, d. h. aus der Arbeit der theoretischen Geistesftinction, in welcher dergleichen nicht vorkomimen kann, sondern aus seiner ganzen harmonischen Anlage, in welcher noch bessere Elemente stecken, als in seinem System; denn diese Erlösungslehre findet ihren wissenschaftlich berechtigten Platz erst im Christenthum und hängt nur mit Piaton, aber nicht mit dem Piatonismus zusammen. Bei Piaton, dem Menschen, hat die Persönlichkeit, die Freundschaft, die erlösende Liebe und

Digitized by

Google

Cultus. 489

die staatsbildende Gemeinschaft eine wichtige Stelle; in dem Flatonismus aber ist dafür kein wissenschaftlicher Ort denkbar; denn in der Erkenntniss der Idee erlischt das Ich vollständig, und es giebt nach dem Idealismus nur einen Trieb und eine Liebe zur Erkenntniss, also nur einen Weg aufwärts zum Lichte der Wahrheit, aber keinen Rückweg, weil nichts da unten für die Erkenntniss einen Werth haben kann, und weil die Persön- lichkeit nicht mit zum Himmel fährt, sondern nur ihre theoretische Function, welcher allee dient und in welche sich das Universum als in sein Ziel (ou evexa) auflöst.

Digitized by

Google

Drittes CapiteL Die zugehörige Dogmatik.

Alles Bisherige muss nun deutlicher werden, wenn wir zu der Dogmatik, in welcher der Schwerpunkt dieser Religionsform liegt, tibergehen; denn da in der Religion überhaupt die drei geistigen Functionen in Coordination stehen, so wird der spe- cifische Charakter der zugeordneten Functionen, der durch die tonangebende Function bestimmt wird, immer erst dann voll- ständig erkannt werden, wenn das Fundament einer solchen Coor- dinationsgruppe gelegt ist. Wie aber bei den fünf verschiedenen Formen des Pantheismus der That das Fundament in dem han- delnden Vermögen des Geistes liegt und bei der zweiten Gattung in dem Gefbhl, so bei dieser dritten Gattung in dem Erkenntniss- vermögen. Also kommt es hier auf den Inhalt der Gedanken in erster Linie an, d. h. auf die Dogmatik.

Es ist daher interessant zu bemerken, dass unter derwtweMchaft- allcu Religionen hier zum ersten Male eine wissen- uchen schaftliche Dogmatik auftritt. Die beiden pro- Theoiogie. jectivischen Religionen haben eine so unreife Theo- logie, dass es dem Atheisten leicht wird, sie zu widerlegen; der Atheismus selbst ist bloss negativ und besitzt daher keine Aus- bildung der Vernunft und keine systematische Darstellung des Vernunftinhalts. Die erste Gattung des Fantheismus ist auf das sogenannte Praktische gerichtet und hat keine Müsse zur Specu- lation-, die zweite Gattung aber ist trunken in ihrem Gefühl und verachtet die Mtihe des Nachdenkens, das doch erst im Gefühl zu seinem Zwecke und zur Vollendung konmie. So sehen wir, wie natürlich es ist, dass erst mit dem theoretischen Pantheismus auch die wissenschaftliche Theologie ihren Anfang nimmt.

uiymzeu uy V^jOOV IC

Dogmatik. 491

Man muss sich dies Resultat ganz klar machen und fest einprägen, weil es einen weiten Blick in alle die früheren reli- giösen Coordinationsgruppen gewährt und viele Fragen sofort löst So weiss man dadurch, z. B., warum es unmöglich ist, in der griechischen, römischen, ''aitindischen und anderen heidnischen Religionen bestimmte Antworteh auf die Fragen nach den Eigen- schaften und dem Wesen der verschiedenen Götter zu erhalten, auf die Frage, warum dasselbe Werk bald von diesem, bald von jenem Gott gethan wird, warum die Götter kein festes System bilden und keine mit der Vernunft erfassbare Ordnung ihrer Gemeinschaft innehalten können. Man weiss dadurch, weshalb in dem ganzen alten Testament keine feste Theologie vorkommt, weshalb unzählige theologische Fragen über die Jehovahreligion nicht unmittelbar aus den Quellen, sondern erst durch uns und zwar durch indirecte Schlüsse und Interpretationskünste beant- wortet werden können; weshalb ebenso der Buddhismus keine Dogmatik hat, und der Islam erst später durch griechische und zwar meist pantheistische Gelehrsamkeit zu einem dogmatischen System kam; weshalb die Pietisten und Mystiker und die übrigen Pantheisten alle nur die dürftigsten und haltlosesten Voraus- setzungen über Gottheit und Welt und Seele und Zeit und Zweck u. s. w. gelegentlich vortragen, und weshalb es zwar leicht ist, sie durch Disputation aus dem Sattel zu heben, schwer aber, wenn nicht unmöglich, sie von ihrem Wege abzubringen.

Die wissenschaftliche Theologie hat daher ihren Platz nur in dem theoretischen Pantheismus und im Ghristenthum, welches harmonisch alle geistigen Kräfte in Anspruch nimmt. Kritisch und negativ aber treibt auch der Atheismus theologische Arbeiten hervor, die nach dieser Seite hin nützlich sind, nach der posi- tiven Seite freilich nur taube Nüsse bieten.

Wer nun die eigenthündiche Kraft der hier angewandten Methode ausser Augen lässt und, wie man dies bisher pflegte, unbesonnen oder mit arglosem Empirismus argumentirt, der könnte gleich scheinbare Gelehrsamkeit anfahren und uns' beweisen wollen, dass die Talmud-Juden und die modernen jüdischen Philosophen, ebenso wie die Buddhisten, doch eine wissenschaft- liche Dogmatik ausgebildet hätten. Wir werden aber ihre Bruttogewichte nicht anerkennen, sondern erst die Kisten öffnen, um die Netto- Werthe zn bestimmen. Dann zeigt sich ganz deut-

u.quizeauy Google

492 Pantheismus des Gedankens.

lieh, daBs der speeulativ-dogmatisehe Buddhismus seinen eigen- thümliehen Charakter ganz verliert und zu einer brahmanisehen Sekte wird. Ebenso sind die speculativen Religionsphilosophen der Juden theils reine Philosophen der Aristotelischen Schule, wie Maimonides, theils Spinozisten, oder Herbartianer oder sonst Anhänger eines mit dem Judenthihn nicht nothwendig zusammen- hängenden Systems; jedenfalls weht in solcher Dogmatik keine Spur mehr von dem ächten Israelitischen Rechtsgotte, der zu- gleich der Furcht- und Rachegott ist. Darum bleibt es dabei, dass die durch Analyse ein für alle Mal festgestellten Religions- formen ihren unveränderlichen Charakter haben und durch nichts in der Welt, durch keine Culturfortschritte und durch keine Reibung und Concurrenz mit anderen Religionsformen auch nur die geringste Modification erleiden. Wir haben ja mit den ein- fachen Formen zu thun und wissen, dass der Würfel niemals eine Pyramide oder ein Kegel wird. Die empirisch gegebenen Religionen aber sind immer gemischt, erstens weil sie von Menschen verschiedener Begabung bekannt werden, zweitens weil bei ihrem Aufkonmien immer heterogene Factoren zusammen- wirken, drittens weil sie sich von Geschlecht zu Geschlecht auf immer andere Menschen tibertragen und dort immer mit neuen geistigen Elementen anderer Art zusammentreflfen, so dass der Complex des gegebenen religiösen Coordinatensystems durch die neuen Elemente verunreinigt, umgestaltet, ja ganz aufgelöst werden kann. Alle diese Entwickelungen, Entartungen, Ver- setzungen und Zersetzungen kann man aber erst wissenschaftlich verstehen, wenn man die chemisch reinen Elemente und ihre un- veränderlichen Coordinaten kennt. Darum ist die hier gegebene neue Religionsphilosophie auch ein unentbehrliches Instrument, um die Diagnose der positiven Religionen zu stellen und durch Reagentien ihre Natur zur Evidenz zu bringen und ihren Werth oder Unwerth zu bestimmen.

§ 1. Die alterthümliclie Form des Idealismus. Der Idealismus ist zuerst durch Piaton vollständiger aus- gebildet und wird deshalb auch häufig schlechthin Piatonismus genannt. Wir sahen aber schon, dass sich in der Persönlichkeit Platon's verschiedene Elemente mischten und dass wir daher

uiymzeu uy V^jOOV IC

Dogmatik. 493

hier nur die reine Form des Idealismus ohne die anhängenden heterogenen Elemente zur Darstellung bringen müssen. Ich werde deshalb nicht die ganze Platonische Lehre vortragen, sondern möglichst diejenige Seite, die eigentlich idealistisch ist, absondern, weil uns ja hier das Platonische nicht als Platonisches, sondern nur als Specimen des Idealismus interessiren kann. Zu grösserer Deutlichkeit wird es dienen, wenn wir zuerst die alter- thümliche Form des Idealismus, wie sie sich bei den hellenischen Philosophen vor der kritischen Periode ausbildete, in's Auge fassen, weil sich in dieser archaischen Form die zugehörigen BegriflFe in ihrem ursprünglichen und naiven Typus zeigen, und der Uebergang zu der durch die Erkenntnisstheorie vermittelten zweiten Form des Idealismus um so* durchsichtiger wird. Da Piaton selbst aber auch vielfältig die alte projective Auffassung vorträgt, so ist die Gränzlinie zwischen beiden Formen nicht leicht zu ziehen, und es kommt ans hier auch nicht auf eine genaue historische Darstellung an, sondern nur auf die Verhält- nisse der Begriffe.

Der Gesichtspunkt aber, der meine ganze Darstellung be- herrscht, darf nicht im Dunkel bleiben. Es kommt nämlich Alles darauf an, wahrzunehmen, wie der Idealismus immer und noth- wendig dahin drängt, die ganze Welt in eine Erkenntnissfunction aufzulösen und deshalb die Weisheit (Philosophie) für diejenige Offenbarung des Wesens aller Dinge zu erklären, welche selbst zugleich das Wesen aller Dinge ist, so dass Subject und Object in der Erkenntnissfunction verschwindet.

Nun ging das wissenschaftliche Bestreben zunächst Materie empirisch auf die Erkenntniss der in der Anschauung und wee. gegebenen Welt aus, und es liess sich leicht bemerken, dass in den Erscheinungen der Dinge ein immerwährender Wechsel statt- findet. Diesen Wechsel konnte man aber nur erkennen, wenn man die frühere Form in der Erinnerung hatte; hierdurch lösten sich die Formen von den wechselnden Trägern derselben ab. Da der Mensch nun auch selbst in die Wirklichkeit eingriff und gewisse Erscheinungen mit bestimmten Formen künstlerisch und technisch hervorbrachte, so lag es nahe, das was die Formen trägt und an sich hat, nach der Analogie mit der Tektonik als Bauholz (üXt] Materies) zu bezeichnen. Wie aus dem Holze die gebräuchlichen Gegenstände hergestellt wurden, so legte man

uiymzeu uy V^jOOy IC

494 Pantheismus d^ Gedankens.

jeder erscheinenden Form, den Thieren, Pflanzen, Menschen u. s. w. einen Stoff oder eine Materie zu Grunde. Da aber die Erschei- nungen der Dinge wechselten, während die Formen in der Er- innerung feststanden, so musste die Materie als veränderlich angenommen werden. Und da die Natur aus derselben Materie alles Mögliche machte, so nahm man an, dass die Materie ihrem Wesen nach unbestimmt und ohne alle Eigenschaften sei, bloss fähig, jede Form aufzunehmen und zu Allem zu werden. Ebenso zeigte sich, dass die Erscheinungen in einander übergingen, Holz z. B. sich in Feuer, Rauch, Asche verwandelte, Wasser in Luft u. s. w. : man nahm deshalb an, dass allen Formen ein und derselbe Stoff (Materie) zu Grunde liege, und erweiterte diesen Begriff auf die ganze Welt, so dass nun die Welt aus zwei Elementen bestand, aus Materie und Form. Für die Form adop- tirte Piaton den von den Hippokrateern gebrauchten Ausdruck Idee (IS^a oder sI8o<;).

Die Form oder Idee hing aber immer an ihrer und todwiduen. Matcric, wic der Stuhl am Holz. Nun zeigte die

Beobachtung jedoch, dass dieselbe Form in vielen Erscheinungen vorkomme, wie viele Menschen, viele Pferde, Feigen n. s. w. in*s Auge fielen. Also löste sich die in der Erinnerung festgehaltene Form von den einzelnen Erscheinungen; denn bei jeder wurde dieselbe Form prädicirt: „auch dies und dies und dies ist ein Mensch, ein Pferd" u. s. w. Mithin musste man nun die Idee von den Individuen scheiden. Die Idee wurde also das Wesen (oooCa) der Dinge, d. h. dasjenige, was das Ding sei, und die Individuen wurden zu den wechselnden, ent- stehenden und vergehenden Erscheinungen, die durch Gegen- wart (Parusie) oder Abwesenheit (Apusie) der Idee sind oder nicht sind.

Mithin flössen die Individuen mit der Materie ^°^Materie.'*°^ zusammcu, da sich die Idee von ihnen abgelöst

hatte. Ein Individuum hat keinen Bestand; es wird dadurch, dass die Materie unter gewissen Bedingungen eine Form (Idee) aufnimmt (Individuation), und es stirbt und vergeht, wenn die Materie sich in eine andere Form verwandelt. Alle Individuen scheinen deshalb bloss etwas Selbständiges zu sein, und an diesem Schein des augenblicklichen Daseins hängt der sinnliche und mit Begierden erftilite Mensch, bis der Tod oder

uiymzeu uy x^jv^'v^'

ö'"

Dogmatik. 495

die Krankheit und allerlei Schicksale die Gegenstände seiner Lust nnd Begier, seiner Furcht und Hoffnung verändern oder vernichten und zuletzt auch ihn ans der Welt verschwinden lassen. Immer aber bleibt die Materie, weil immer neue Er- scheinungen hervorkommen, für die man doch die Materie nach der Analogie mit der Kunst vorausgesetzt hatte.

Die Materie selbst aber ist schlechterdings nichts Gemeinschaft Bestimmtes, sie würde sonst bloss eine Erscheinung von idee sein, oder es liesse sich nichts anderes mehr aus ihr ''"^ Matene. machen. Sie ist ihrem Wesen nach Nichts und darum sind alle Dinge oder Erscheinungen ihrem Wesen nach nichtig, weil sie aus dem Nichts stammen und in's Nichts zurückkehren.

Ebenso schlimm ergeht es aber auch der Idee; denn was soll sie sein, wenn sie in keiner Erscheinung zu Tage tritt, wenn sie nicht in und durch die Materie wirkt und sich offenbart? Da dies nun wirklich immerfort geschieht, wie uns alle Erfahrung zeigt, dass die Welt immer da ist, so muss von den Idealisten angenommen werden, dass die Materie auch mit der Idee in Gemeinschaft (xotvtovta) steht, in der Art, dass die Idee das Wesen der Materie bildet und die Materie das geheinmissvolle Offenbarungsmittel und der Daseinsquell der Idee sei. Beide müssen deshalb unzer- trennlich nnd ewig zusammengehören und doch wieder dem Ursprung der beiden Begriffe gemäss auch wieder einander ent- gegengesetzt sein.

Bis soweit merken wir nun von dem specifischen Wesen des Idealismus so gut wie nichts; denn wenn ^,nd Mansch die Welt, den Menschen eingeschlossen, bloss durch gewisse, nach Aussen projicirte, Begriffe, wie Stoff und Form, gedacht wird, so scheint umgekehrt unsere Erkenntnissfunction (welche doch im Idealismus Ein und Alles ist) vollständig zu verschwinden oder überhaupt noch gar nicht zu Bewusstsein zu kommen. In der That spielt sie in dem alterthümlichen Idealismus nur die bescheidene Rolle eines Geistes hinter den Coulissen, der zwar den Zusammenhang der ganzen Handlung bedingt, selber aber nicht sichtbar wird. Doch konnte es nicht fehlen, dass der Angelpunkt, um welchen sich der ganze Idealismus dreht, wenigstens in seiner Projection auf der Bildfläche des Welttheaters erschien, und dies wollen wir jetzt noch erörtern.

Die Gemeinschaft von Stoff und Form, welche der Idealis-

uiymzeu uy "V-j vyVjVt Iv^

496 Pantheismus des Gedankens.

mus, wie wir sahen, fordern mas8te (Postulat), war nämlich in deutlichen Begriffen nicht voUziehbar, und doch musste man daiUr eine Veranschaulichung in demjenigen Wesen suchen, welches selbst diese Forderung stellt, sich selbst am Besten kennt und im Stillen immer zuerst an sich denkt, wenn es etwas Fremdes verstehen will. So finden wir denn auch, dass man von Anfang an dazu kam, das Leben, die Seele und den Geist, die sich in dem Menschen und in den Thieren zeigte, als die Form aufzu- fassen, und da die Seele nichts Stoffliches ist und dennoch un- aufhörlich mit dem Körper zusammenhängt und den Körper in seinen Bewegungen regiert, die gesammte Materie der Welt als durchdrungen, beseelt und beherrscht von dem idealen Princip, von der Seele oder dem Geist, der die Form bildet, vorzustellen. So nannten sie die Welt ein Thier (c^ov) oder ein lebendiges Wesen, und das ideale Element darin den Gott. Dieser hylo- zoistische Pantheismus findet sich schon bei Thaies und wurde bei Piaton nur feiner durchgefiihrt, obwohl die Grundanschauung blieb.

Der Idealismus musste aber das Geheimniss seines Ursprungs noch deutlicher merken und verrathen; denn wenn der Mensch auch nur als Eine von den vielgliedrigen Erscheinungen der Welt galt, so stellte man ihn doch, obwohl das Göttliche in allen Gliedern der Natur wirkte, dem herrschenden Geiste am Nächsten, und zwar offenbar um so näher, je höher er durch Erkenntniss sich hob. Darum finden wir bei den Pantheisten, bei Heraklit, Empedokles und Andern schon überall die Vorstellung, dass die Götter zu Menschen werden und die Menschen zu Göttern, dass die erkennende Vernunft das reine und trockene Licht ist, welches in der Sonne leuchtet, den Himmel beherrscht und Alles erkennt. Der Mensch glaubte demgemäss in seiner Erkenntniss- function, in der Vernunft (voö<;, X(5ifo<;), den Grund seiner Gott- verwandtschaft und Göttlichkeit zu erkennen.

Man konnte sich aber natürlich weder von Gott, noch von dem Verhältniss der Menschen zu ihm klare Begriffe bilden, und so wurde Gott als das Göttliche (^elov) unbestimmt aufgefasst, und der entstehende und vergehende Mensch als vorübergehende Erscheinung des Göttlichen, welches gewissermassen stirbt, wenn es in der Materie als Mensch geboren wird, und lebt, wenn der Mensch zu Geist, Vernunft und Wissenschaft kommt oder wenn er wieder mit dem Tode sich in sein göttliches, bisher verhülltes

Element auflöst. u,yu,zeaüy^v.v^^L^

Dogmatik. 497

§ 2. Der Platonisclie Idealismus.

Der Idealismus konnte nun seine eigentliche Natur nur erreichen, wenn das Yerhältniss der erkannten Welt zu dem erkennenden Subject untersucht wurde, d. h. nur nach der sokratisch-sophisti- schen Periode. Man muss sich aber hüten zu glauben, als wenn nun ein subjectiver Idealismus hätte aufkommen müssen; denn dieser kann überhaupt nur eine vorübergehende Betrachtungs- weise, einen kurzen Rausch bilden, aber weder in einer Schule, noch in einem einzelnen Philosophen dauernden Beifall finden, da in. jedem remünftigen Menschen die Anerkennung des selb- ständigen Seins, des eigenen, wie des fremden ausser ihm unver-. meidlich ist. Ebensowenig konnte sich ein rein kritischer Idealismus halten, sondern von Piaton an bis auf Hegel und seine modern- sten Ausläufer hin wurde alsbald der archaische projective Idealismus mit der kritischen Auffassung verschmolzen, so dass historisch keine reine Formen anzutreffen sind. Es interessirt uns hier deshalb auch nicht, eine solche reine Form ausführlich zu construiren, da sie annähernd in Kaufs Kritik der reinen Vernunft vorliegt; vielmehr genügt es, diejenigen Elemente her- auszuheben, welche die ganze Goordination der zugehörigen Begriffe bestimmen und zugleich das Licht in den historisch gegebenen Systemen bilden.

Ich verstehe nun unter dem Platonischen Idealismus die- jenige Weltansicht, welche sich des Ursprungs des archaischen Typus kritisch bewusst geworden ist und deshalb klar und be- stimmt darauf ausgeht, die ganze Welt als Subject und Object in die blosse Erkenntnissfunction aufzulösen. Diese Gedanken- bewegung müssen wir wenigstens in einigen grossen deutlichen Zügen skizziren.

Das Neue in dem Platonischen Standpunkt gegenüber dem alterthümlichen Idealismus besteht zunächst in der erkenntniss- theoretischen Beachtung der Goordination zwischen Object und Subject, wonach sich die Welt in zwei Sphären scheidet, in die Sinnenwelt (yatvöjjLsva, mundus sensibilis) und in die Vernunft - weit (voo6|isva, mundus intelligibilis), jenachdem die Objecte durch die Sinnlichkeit oder durch die Vernunft dargeboten und erkannt werden. Piaton will nun aber nicht etwa die ganze objective Welt bloss für eine Illusion, für eine Projection der in ,

Teiohmüller, BellgionspliüoBophie. ui92^eu uy ^^OOgiC

498 . Pantheismus des Gedankens.

unserer Sinnlichkeit und in unserer Veraunft gegebenen Vor- stellungen und Erkenntnissformen erklären und nach Art des subjectiven Idealismus dieses ausser uns nicht vorhandene Ob- ject wieder in uns zurücknehmen, sondern er bleibt, wie der in der neueren Zeit sogenannte absolute Idealismus, bei der Ueber- zeugung stehen, dass die projective äussere Welt wirklich vor- handen ist, indem er sich nur dadurch von der alterthümlichen Auflfassungsweise unterscheidet, dass er die Correlation zwischen der subjectiven und objectiven Seite betont und also das Auge beständig auf die Erkenntnissfunction richtet. Deshalb muss die subjective, d. h. die erkennende Seite von demselben Wesen sein, wie jedesmal das zu erkennende Object beschaffen ist, wenn die Erkenntniss möglich sein soll; denn wäre eins von beiden in irgend einem Punkte verschieden, so würden wir ja mit unserer subjectiven Seite den objectiven Inhalt nicht er- fassen.

Daraus folgt, dass die Sinnlichkeit etwas Materielles ist, oder mit dem Körper verwachsen bleibt, oder in den Organen des Leibes sitzt, weil sie Materielles erkennen soll, und dass die Vernunft andererseits rein und möglichst immateriell werden muss, weil sie das Immaterielle und Reine (stXtxpiv^«;) zu erkennen hat. Die ganze Seele aber, welche beide Erkenntnissver- mögen, d. h. Sinnlichkeit und Vernunft, in sich schliesst, muss darum einerlei sein mit dem Wesen der ganzen objectiven Welt, der Mikrokosmos mit dem Makrokosmos.

Da sich nun Alles bei Piaton um die Erkenntnissfunction dreht, so müssen die wichtigsten Dinge natürlich unerklärt bleiben oder missdeutet werden, weshalb er weder von Gott, noch von Seele, Religion, Materie, Gefühl oder Willen und Bewegung eine befriedigende Erklärung geben kann und darum auch das Er- kennen überhaupt und die Vernunft selbst nicht recht zu stellen weiss, weil er fllr sie den zugehörigen Ort in dem Coordinaten- system unserer geistigen Functionen nicht gefunden hat.

Was zunächst die Materie betrifft, so blieb sie ihm, wie allen Idealisten, nur definirbar als die Möglichkeit, zu Vor- stellungen und sinnlichen Formen zu kommen; denn an sich musste sie ja Nichts ((itj Sv) sein, da das Etwas erst anfangt, wenn Etwas erkannt wird, weil ohne Correlation der objectiven und subjectiven Seite nichts ist. Mithin ist die Materie unseres

uiuiüzeu uy "V-j vy\J>t Iv^

Dogmatik. 499

Körpers ihrem Wesen nach durch die Functionen der Sinnlich- keit zu bestimmen und die Materie der Körper ausser uns durch dieselben Sinnesperceptionen als objective gedacht. Die materielle Welt ist darum nur verborgene Sinnlichkeit.

Die Vernunft aber mochte Piaton nicht von der Materie gänzlich abtrennen, sondern betrachtete sie gewissermassen nur als eine Aussiebung der Sinnlichkeit; denn im materiellen und sinnlichen Oebiete gehen alle Eindrücke und Formen durchein- ander. Sobald man aber jedes, was Eins und einfach ist, von dem andern scheidet, so hat man eine Idee, wie z.B. die Idee des Weissen und Geraden, die nun nicht mehr materiell und sinnlich ist. Das materielle und sinnliche Weisse ist nämlich immer mit Anderem verbunden, z. B. mit etwas Geradem oder Krummem, mit etwas Lebendigem oder Todtem, mit etwas Langem oder Kurzem u. s. w. und wird so als weisser Stock, weisser Vogel u. s. w. zusammen aufgefasst. Sobald man aber vermag, das Weisse an und für sich rein abzusondern, so hat man, nach Platon's Meinung, eine Vemunftthätigkeit ausgeübt und eine Idee erkannt. Mithin sind in der objectiven Sinnenwelt alle Ideen durcheinandergemischt, wie in dem sinnlichen Bewusstsein alle zugehörigen Vorstellungen. Und die Materie ist daher an sich gar nichts ausser dem Chaos dieser Ideen. Mithin kommt ein Ding zum Werden, wenn aus diesem Chaos einige Ideen verbunden und von anderen Ideen abgesondert werden, weshalb dem Piaton wegen der Absonderung der Satz gilt: omnis deter- minatio est negatio, obwohl er zugleich die Positio behaupten musste, sofern die bestimmten Ideen selbst, welche verbunden und von den andern abgesondert werden, nichts weniger als bloss negativ sind.

Da nun aber die Formen der Verknüpfung, die Relationen und Orcbungen der einfachen Ideen und ihrer concreten und abstracten Verknüpfungen auch wieder erkannt werden und zwar, ebenso wie die einfachen Ideen, durch die Vernunft, so erschien ihm die Vernunft als der eigentliche Herr und Meister der Welt, da sie, objcctiv oder projectiv gedacht, der Grund der objectiven Weltordnung und, subjectiv beachtet, in uns der Grund der Erkenntniss dieser objectiven Welt ist.

So kam es, dass fllr Piaton, wenn es erlaubt ist, das Ge- sagte noch einmal zu wiederholen und zusammenzufassen, die

uiuiiizeu uy V^JV^V^V IV^

500 Pantheismus des Gedankens.

Materie unerfindlich blieb, ebenso wie der Gott, da ihm die Materie bloss die Möglichkeit oder unbestimmbare Fähigkeit war, in ihrem jungfräulichen Schoss die Ideen aufzunehmen und zu gebären. Die Materie ist die Vernunft in ihrer chaotischen Auflösung, und die Gottheit ist die Vernunft in ihrer reinen Ab- sonderung und in ihrer geordneten Form. Das aber, worauf Alles schliesslich hinausläuft, der Zweck und das Ziel (oo evsxa), muss dasselbe sein mit dem, was sich nach diesem Ziele hin- bewegt, es sucht und darin endigt (svexa too), und folglich muss Materie und Gott im Grunde Eins sein trotz des grössten Gegen- satzes, so dass die Vernunft Anfang und Ende aller Dinge ist.

Daraus aber ergiebt sich, dass die Vernünftigen und Weisen, oder die Wissenden, welche die sich selbst erkennende Ver- nunft darstellen, als die Vollendung der Welt betrachtet werden müssen, weshalb sie auch die Vollendeten (tsXeStov) heissen und poetisch als verkleidete Götter geschildert werden, die zwar von Aussen sterblicher Leib und wie andre Menschen anzusehen er- schienen, wenn sie aber ihr Inneres aufthäten, göttlich und herr- lich und voll ewigen Lebens wären.

Da nun Piaton die Materie so fasste, wie es Aristoteles später bestimmter terminirte, nämlich als das dynamische Frincip der Idee, dessen Wesen nichts Besonderes an sich ist, ausser dem dass die Form oder Idee darin zur Wirklichkeit, zur Fun- ction (sv^p^eta) kommen kann, so musste ihm die Bewegung, das beständige Werden mit seinem Entstehen und Vergehen den Charakter des Materiellen und Einzelnen bilden; da aber alles Werden doch inmier in den bestinumten Entwickelungs- und Ord- nungsformen der Vernunft bleibt, so strebt die Platonische Welt weder historisch einem Ziele in der Zukunft entgegen von einem bestimmten Anfange aus, noch erreicht sie nach gewissen grossen Perioden dieses Ziel, um dann kyklisch von Neuem ihren Kreis- lauf zu beginnen, sondern sie geht in ewiger Bewegung von einem der Zeit nach anfangslosem Anfange aus einem der Zeit nach endlosen Ziele zu, indem sie bei diesem Werden inhaltlich oder qualitativ immer zugleich ihr Ziel voll erreicht hat und also beweglich und feststehend, unvollendet und vollendet, zeitlich und ewig, sinnlich und intelligibel zugleich ist.

Natürlich müssen bei einer so falschen Philosophie eine Menge Unklarheiten und Widersprüche überall auftauchen, weil

Digitized by VjOOQIC

Dogmatik. 501

die Welt eben nicht bloss die Objectivität unserer Erkenntniss- funetion ist, und weil der denkende Mensch und Piaton ins- besondere grösser und reicher ist, als der blosse Denker. So konnte es z. 6. dem Piaton im Kampfe mit den zur Auflösung des politischen, religiösen und sittlichen Bewusstseins drängenden Parteien seiner Zeit nicht entgehen, dass die Welt eine ge- schichtliche Ordnung haben müsse. Deshalb orakelt er eine mystische Zahl kyklischer Umwälzung in die Welt im An- Bchluss an die astronomischen Phänomene. Gleichwohl wider- spricht diese historische Auffassung seiner ganzen Philosophie, wonach die Welt als ein immer identischer seliger Gott erscheint, der ohne Werden in dem zufillligen Durcheinander der irdischen einzelnen Phänomene stets vollendet ist.

Ebenso gross sind die Unklarheiten und Widersprüche, die sofort in*s Auge springen, wenn man nach der Natur der ein- zelnen Wesen fragt und wodurch sie ihre Einheit und Indi- vidualität erhalten. Sowohl Piaton als Aristoteles und die Scho- lastiker konnten auf diese Frage keine- befriedigende Antwort geben, indem ihnen entweder das Generische und Specifische (die sogenannte humanitas) die Hauptsache zu sein schien, während das Individuelle als bloss zuföUig und materiell galt, oder die Individualität (z. B. die Socratitas) ebenfalls als eine logische Essenz unbekannten Ursprungs in den Zusammenhäng der Er- scheinungen projicirt wurde.

Natürlich konnte für keinen Idealisten der Wunsch einen Sinn haben, das individuelle Menschlein oder die individuelle Seele unsterblich und ewig zu machen, weil alles Einzelne als solches, d. h. als Nicht -Allgemeines, noth wendig zufällig und vergänglich und werthlos sein musste. Wie aber die Zeit in unklarer Weise als sinnliches Bild der Ewigkeit gefasst wurde, da sie anfangs- und endlos und also unendlich ist, so suchte man auch flir die Ewigkeit und Identität der Ideen Spiegel- bilder in der zeitlichen Erscheinungswelt und fand sie in der Erhaltung der Gattung und im Ruhm. Wegen der Correlation zwischen der Idee und ihren Erscheinungen mussten diese von einem Streben und einem Triebe ergriffen zu sein scheinen, eine solche Unsterblichkeit zu erlangen, weil ja sonst, wenn nämlich etwa eine Species von Thieren in der Welt der Erscheinungen verschwände, die Idee ihrer Identität verlustig ginge.

uiyiiized by VjOOQIC

502 Pantheismus des Gedankens.

Die Krone konnte sich der Idealismus aber nur dadurch auf das Haupt setzen, dass er durch die Philosophie über alles Einzelne der Erscheinungen hinausging und die ewigen und identischen Ideen selbst im Denken und in der intellectualen Intuition erfasste. Dadurch wurde ja mitten im rauschenden Strom des Vergänglichen das Unvergängliche zum Ereigniss und zur Wirklichkeit, und dies ist daher die Spitze des Idealismus, der Sinn der Welt, das aufgelöste Räthsel, der eigentliche Geist, nämlich dass wir das Ewige erkennen und somit ein ewiges Leben*) in der Zeit führen, solange wir in der vollen reinen Erkenntniss stehen, möge man diese absolute Vereinigung des Werdenden mit dem Ewigen, des Denkenden mit dem Gedachten, des Subjects mit dem Objcct, der Materie mit der Idee, des Einzelnen mit dem Allgemeinen, des Sensiblen mit dem Intelli- giblen, oder der Welt mit Gott in soliderer Weise durch stramme Dialektik oder in romantischer Weise durch neuplatonische momentane Verzückungen oder Transfigurationen erreichen, immer liegt in diesem Akt der Apotheose des Menschen in der Er- kenntnissfunction, die' höchste Leistung des Idealismus und das kürzeste und prägnanteste Symbol seiner Dogmatik.

*) Soeben geht mir eine interessante Abhandlung zu, die D. G. Bitchie in der Aristotelian Society in Oxford gelesen und im Mind (Quarterly Review of Psychology and Philosophy Vol. XI No. 43 p. 353—376) publicirt hat. Die Untersuchung dreht sich unter dem Titel „on Plato's Phaedo** besonders um meine Auffassung der Platonischen Unsterblichkeitslehre und bietet an- regende Gedanken. Obgleich hier nicht der Ort für eine Erwiderung ist, so erlaube ich mir doch ein paar Bemerkungen.

Es freut mich, dass Ritchie so kräftig p. 373 betont, dass Platon's Beweise auch im moralischen Gebiete doch immer die Erkenntniss (Know- ledge) im Auge haben, und pag. 376 dass Piaton die Seele nicht als Monade oder Atom auffasse, sondern (p. 375) ihr Wesen in der Vernunft (Reason = voü?) finde; wenn Ritchie trotz dieser principiellen üebereinstimmung mit mir die Unsterblichkeit bei Plato zwar nicht mehr als Dogma, aber doch noch als eine Hoffnung festhalten will, so möchte ich glauben, dass er seine Stellimg zur Frage modificiren könnte, wenn er neben den Studien zur Gesch. d. Begr., die er citiert, auch noch von meinen späteren Schriften Kenntniss genommen hätte; denn da er p. 355 eine Entwickelung Piatons fordert, so müssen ihm gerade meine „Literarischen Fehden im vierten Jahr- hundert V. Chr." I und U dienlich sein, weil ohne Chronologie der Pla- tonischen Dialoge jenes Postulat unfruchtbar bleibt. Auch die von mir aus den Dialogen erhobenen biographischen Elemente sind recht brauchbar für

Dogmatik, 503

Es ist nun ersichtlich, dass die Welt sofort Kein Duaiiernns alles Lebens beraubt würde, wenn wir das ideale »ber

Princip als das allein Seiende setzten; denn das ^yiozoiamua. Intelligible ist schlechthin identisch und unveränderlich. Ebenso- wenig könnten wir das materielle Princip zum alleinigen machen; denn die Welt würde, ohne die Ideen auszudrücken, sofort in's Nichts zurücksinken, da ja alles, was wir von der Materie aus- sagen könnten, immer nur Prädicate, Erkenntnissformen, d. h. Ideen wären, die doch als abwesend gedacht werden sollten. Folglich bedurfte Piaton eines ursprünglichen und ewigen Gegen- satzes zur Welterklärung, eines Princips der Veränderung und eines Princips des Seins oder der Form. Es ist darum natür- lich, dass man ihn zum Dualisten gemacht hat, und es lässt sich auch nicht leugnen, dass er sowohl, wie jeder Idealist, un- föhig sein muss, diesen ihm unentbehrlichen ursprünglichen Gegensatz zweier Principien aufzuheben und die Welt auf ein einziges Princip zurückzuführen.

Allein trotzdem wäre diese Kritik Piaton gegenüber un- gerecht, weil Piaton zu gebildet war, um seine Philosophie mit einer Deduction anzufangen. Er geht vielmehr von einem ana- lytischen Verfahren aus und entdeckt in dem einheitlichen Ganzen der Welt diese zwei von einander unzertrennlichen gegen- sätzlichen Principien. Mithin hat er von vornherein die Einheit als eine erfahrungsmässig gegebene in sicherem Besitze,

die Interpretation, wie Ritchie z. B. die von ihm p. 375 aufgestellten Ideal- bilder des Tyrannen und Philosophen als des schlechten und guten Mannes erfreulich durch das historische Motiv des Aufenthaltes Piatons bei Dionysios erläutert finden würde, ebenso wie die Frage, ob Piaton Naturgesetze kennt (p. 363), die Berücksichtigung der Physik der Erde erfordert, die Piaton im Anschluss an seinen Besuch des Aetna ausbildet. Wenn Ritchie es für möglich hält, die Unsterblichkeit bei Plato als „a myth of approximation for the philosopher" (p. 360j aufzufassen, so müsste er erst meine Ausein- andersetzung mit Bonghi (Literar. Fehden II) hinzunehmen. Eine De- finition von Substanz ohne Beweis zu geben (vergl. Ritchie p. 366), kann ich nicht für räthlich halten, und in dieser Frage möchte ich ebenso, wie in Betreff der zu günstigen Meinung, die Ritchie p. 367 von Lotzens De- finition hat, eine Kenntnissnahmo von meiner Grundlegung der Metaphysik für nützlich halten. Für die Beurtheilung der Unsterblichkeitslehre bei Plato scheint mir auch der Zusammenhang der Begriffe von Parusie, Ente- lechie und „ewigem Leben", worüber der dritte Band meiner Aristotelischen Forschungen handelt, unentbehrlich zu sein.

Digitized by VjOOQIC

504 Pantheismus des Gedankens.

weshalb seine Philosophie monistisch ist, und Piaton hat auch fiir diese thatsächliche Einheit des identischen und beweglichen Elementes den Begriff der Seele, sowohl der individuellen, als der Weltseele deutlich hervorgehoben. Da er aber nicht im Stande war, die Einigungsweise der Gegensätze zu zeigen, so behielt er nothwendig den dualistischen Zug in seiner Philosophie. Ich nenne deshalb sein System Hylozoismus, weil die Materie darin als belebt und beseelt und vernünftig vorgestellt werden muss, ebenso wie die Idee als verflochten in die Bewegung und Veränderung und in die Materie, indem die Einheit nur in der empirischen Weise, wie bei Thaies, an den lebendigen Orga- nismen, an Thier und Mensch, und an allen Functionen derselben analytisch aufgezeigt wird.

§ 3. Theologie.

Wichtig aber ist die Frage, ob der Idealist nicht doch etwa noch einen persönlichen Gott ausser sich und der Welt annehmen könne; denn man findet ja unter den modernen Idealisten ganze Herden von Schriftstellern, welche in dieser scheinbaren Ver- einigung mit der christlichen Theologie keine Schwierigkeit sehen. Allein nur der ftlr speculatives Denken weniger begabte Aristoteles ist die Ursache gewesen, dass solche Verwirrung in den wissen- schaftlichen Köpfen Eingang fand.

^j^ Aristoteles konnte nämlich die Unklarheit, die

AriBtotoiiHche in dcm Platonischen System in Beziehung auf den Theologik. Begriff des Wesens (Substanz, ooala) steckte, nicht vertragen; denn bei Plato galten zwar alle einzelnen Erschei- nungen als Wesen, ihr wahres Wesen aber sollte in den Ideen liegen, die doch nur im Geist und zwar in der Philosophie er- kannt werden und also allgemeiner Natur sind. So wurde Piaton von dem individuellen Dasein der einzelnen Wesen fort- getrieben zu dem Allgemeinen, welches er schliesslich nur in unklarer Weise an das All anhängen konnte. Dieses Allwesen war nun dem Aristoteles zu mysteriös, und seine eigenthümliche Leistung besteht darin, den Begriff der Substanz, wenn auch nicht erklärt, so doch wenigstens deutlicher eingetheilt zu haben. Er theilte nämlich alle Wesen zunächst in zwei Classen, in immaterielle und materielle. Die materiellen schied er wieder

uiymzeu uy V^jOOV IC

Dogmatik. 505

in zwei Regionen, jenachdem sie vergänglich oder unvergäng- lich wären.

Die vergänglichen, sensiblen, d. h. an den vier Elementen hängenden Wesen sind die Individuen unter der Mond- sphäre, wie der Ochs, das Pferd und der Mensch. Die unver- gänglichen sensiblen Wesen aber sind ihm auch wieder zweierlei. Die Astronomie hatte ihn nämlich dazu gefllhrt, neben den vier Elementen den Aether als ein im Kreise laufendes, in ewiger Bewegung befindliches fünftes Element (Quintessenz) anzuer- kennen. Was nun in dem Aether als Erscheinung sichtbar war, musste ein zwar individuelles, aber doch unvergängliches Wesen bilden. So nahm er denn, wohl weil er sich vom Volksglauben nicht ganz losreissen konnte, Stemgötter an und betrachtete auch die Sonne als einen lebendigen Gott. Die Göttlichkeit dieser Weltkörper schien ihm aus ihrer zeitlosen Energie, aus ihrer erfahrungsmässigen Unvergänglichkeit, aus ihrem streng gesetz- lichen Thun und aus dem ätherischen Element, aus dem sie bestehen, zu folgen. Schon die Pythagoreer hatten die Region über dem Monde als die göttliche bezeichnet, weil erst unter dem Monde die Zufälligkeit, die Sünde und alle Unordnung an- zutreffen, in der Aetherregion aber keine ungesetzliche Abweichung jemals beobachtet worden sei, und wir sehen einen Rest dieser Vorstellung in der interpolirten Stelle des Vaterunser, wo es heisst: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf der Erde".

Ausser den Stemgöttem aber waren nach Aristoteles auch unter dem Monde alle Arten (eid-q, species) der Thiere zwar nicht individuelle, aber doch selbständige göttliche Wesen, weil sie sich durch die Zeugung unsterblich erhielten und nach seiner Meinung ebensowenig einen Anfang in der Zeit genommen hatten. Unklar blieb ihm jedoch die Gemeinschaft dieser vielen Wesen untereinander, da ihm der BegriflF der Natur durch die Abwen- dung von Piaton verloren gegangen war und nur zu einem Abstractum werden konnte.

Dies also sind die Arten der mit der Materie verwachsenen (sensiblen) und theils vergänglichen, theils unvergänglichen, theils individuellen, theils universalen Wesen. So bleiben nur die im- materiellen (intelligiblen) Weseji übrig. Als ein solches er- kannte er nun in Platonischer Weise die Vernunft (voö<;) an.

Digitized by VjOOQIC

506 Pantheismus des Gedankens.

Diese hat natürlich keine Individualität, sondern ist wesentlich Universalität und Identität, und kommt daher in den Menschen von Aussen wunderlich zur Thtir herein, wie bei Piaton aus dem Himmel. Etwas Genaueres darüber, wie sie mit dem Individuum zusammenhängt, konnte er selbstverständlicher Weise nicht an- geben; dass sie aber allgemein und identisch in allen Menschen war, zeigte die Erfahrung durch die Wissenschaft, welche ihr identischer und allgemeiner Inhalt ist. Da sich die Vernunft des Menschen aber auf die ganze Welt als ihr Object bezieht und die Welt mithin auch (wegen der Identität von Subject und Object in aller Erkenntnissfunction) vernünftig sein musste, so sah sich Aristoteles genöthigt, wie Plato, auch noch eine Welt- vemunft, d. h. einen Gott für das Universum, anzunehmen, nur mit dem Gegensatze gegen Piaton, dass er diesen Gott (weil er die projective Vernunft ist) nicht mit der Materie verwachsen sein lassen wollte. Da er aber doch immer ein Subject brauchte, um ein Object denken zu können, so drohte ihm auch immer die Platonische Verschmelzung des Gottes mit der Welt, und er suchte sich durch den Begriff der Transfiguration der Materie zu retten. Wenn man nämlich die Materie, die allem Erschei- nenden zu Grunde liegt (droxsijisvov, Substrat, Subject), von aller Besonderheit befreit, so bleibt von ihr zuletzt nichts Anderes übrig, als bloss der Träger (Subject) des Iritelligibeln zu sein, welches ja als Object in der Erkenntnissfunction mit seinem Subject identisch und Eins ist. So lange die Materie noch eine concreto Erscheinung bildet, steckt immer auch neben der Ver- nunftform eine sinnliche und zufällige Einzelform in ihr; wenn man ihr aber immer mehr auf den Grund geht, so wird sie ganz transfigurirt oder verklärt, d. h. es zeigt sich, dass ihr letztes Wesen die Fähigkeit ist, die intelligiblen Formen zur Wirklich- keit zu haben. Somit ist sie endlich reiner Akt (actus purus) geworden und also völlig unkörperlich (nicht -sensibel), allge- mein, intelligibel und identisch mit ihrem Object. Obgleich Aristoteles diesen Gedankengang, wie ich in meinen Studien zur Geschichte der Begriffe gezeigt habe, von Anaxagoras und Piaton herübergenommen hat, so benutzte er denselben doch dazu, um gegen die Platonische Weltseele einen sich selbst denkenden, von der wirklichen Welt reinlich abgetrennten Gott heraus- zuarbeiten, dessen ganzer Inhalt freilich auch nur Erkenntniss-

Digitized by VjOOQIC

Dogmatik. 507

fanction war. Eine Folge dieser Theologie war, dass sich sofort ein Streit in der Schule der Peripatetiker und später endlos unter allen Scholiasten darüber erheben musste, wie sich dieser projective Vemunftgott zu der menschlichen Vernunft verhielte, die ja auch ein ewiges und selbständiges, von den Individuen gänzlich abgetrenntes Wesen bildete; denn da ihr wesentlicher Inhalt völlig identisch war, so schien die Möglichkeit nahe zu liegen, den Aristoteles platonisch zu interpretiren, d. h. die gött- liche Vernunft als eine und dieselbige in allen Menschen und in der ganzen Welt anzunehmen; allein dagegen sprachen wieder sehr viele deutliche Stellen der Aristotelischen Metaphysik und die Analogie mit den Sterngöttem, so dass man für endlose Zeit genügendes Material hat, um pro und contra zu disputiren. Ich habe mich an dieser Disputation aber nicht betheiligt, sondern durch Nachweis der Entstehung der Aristotelischen BegriflFe dar- gelegt, woher die Widersprüche nothwendig werden mussten.

Hiermit nehme ich denn auch den Faden der oben ange- knüpften Untersuchung wieder auf, da ich zeigen wollte (S. 504), dass Aristoteles allein die Ursache ist, weshalb auch noch unsere heutigen christlichen Theologen vielfach glauben, dass der Idealismus in der Philosophie mit dem Ghristenthum verträglich sei. Es liegt nämlich eine fallacia ex accidente vor. Denn weil Aristoteles ein Idealist genannt werden muss und doch einen Gott ausser der Welt lehrt, so scheint der Idealismus mit christlicher Theologie irgendwie tibereinstimmen zu können, was z. B. bei dem Materialismus ersichtlich nicht der Fall ist. Man vergisst eben, dass zwischen Idealismus und der Lehre eines Idealisten ein ungeheurer Unterschied bestehen kann; denn es giebt wohl keinen Idealisten, der nichts als reinen Idealismus gelehrt hätte. Und dies wird gerade bei Aristoteles, der die Jahrhunderte mit seinem Geiste beherrscht und die christlichen Denker oft mehr als das Evangelium inspirirt hat, völlig evident, da bei ihm zwar der Idealismus in den Begriffen, durch welche er denkt, noch massgebend ist, während er doch zugleich zu einem ganz kläglichen Pluralismus oder idealistischen Atomismus*) tiberging, entweder weil er nicht im Stande war, den Platonischen Idealismus vollkommen zu fassen, oder, was man zu seiner

*) Vgl. meine Neuen Studien zur Geschichte der Begriffe, Bd. III, S. 421.

uiuiiizeu uy V^J W\J>t Iv^

508 Pantheismus des Gedankens.

Entschuldigung oder Verherrlichung sagen kann, weil der Piatonismus auch keine Deutlichkeit und Annehmbarkeit besass und keine Fortentwickelung vertrug, weil er eine ganz einseitige und fehlerhafte Weltansicht enthält, weshalb es kein Wunder ist, wenn der Aristotelische Versuch, die genauere systematische Durchfllhrung zu leisten, zu einem solchen Flickwerk fllhrte.

Die Verkehrtheit der Aristotelischen Annahme will ich nun an einem Beispiele veranschaulichen. So fragte er^ womit sich die Stemgötter, die später mit den Engeln identificirt wurden, beschäftigten, und antwortete, dass sie nur theoretische Be- trachtungen anstellen könnten, da jede praktische und künst- lerische Beschäftigung ihrer, ebenso wie des höchsten Gottes, unwürdig wäre. Ihre Bewegungen glaubte er als ein Spazieren- gehen denken zu müssen, das sie zu ihrer Gesundheit noch nöthig hätten, weil sie noch nicht so vollkommen wären, wie der höchste Gott, der gar keiner Bewegung mehr bedürfte, während ihnen Nahrung, Schlaf und die anderen Bedürfnisse der sterblichen Wesen freilich auch nicht mehr von Nöthen wären. Was sie nun aber näher für theoretische Gedanken hätten, auf diese Frage liess sich Aristoteles nicht ein; er hätte sie sonst wohl zu Mathematikern machen müssen; denn ftir den höchsten Gott reservirte er die reine Vemunfterkenntniss. Diese höchste theoretische Beschäftigung ist aber armselig genug für die Spitze der Welt; denn da die Vernunft in den paar Kategorien ihren Inhalt hat, so muss nun Gott (weil die Vernunft das Höchste in der Welt ist und Gott doch nichts Schlechteres, als was er selbst ist, oder gar Irdisches oder Einzelnes denken kann) inuner und ewig ohne Abwechselung diese paar armen Kategorien denken, und es macht sich fast komisch, wenn Aristoteles diese unaufhörliche schlaflose Energie im Denken, wobei das Subject in das Object rein aufgeht, ftir staunenswerth, göttlich und selig erklärt und dagegen den Menschen verachtet, der in seiner künstlerischen, politischen oder persönlichen Thätigkeit an einzelne und zufällige Dinge und Personen denken müsste und noch dazu allerlei Affekte hätte, während nach seiner idealistischen Meinung das WerthvoUe erst mit der Erkenntnissfunction anfängt und mit dem durch Abstraction oder Induction gewonnenen Allgemeinen der Vernunft endigt

Digitized by

Google

Dogmatik. 509

Doch es mag hiermit genug über Aristoteles geredet sein^ und wenn er nicht, wie gesagt, die Jahrhunderte und selbst die grössten Scholastiker beherrscht hätte und noch heute eine imponirende Autorität bildete, so wäre dies Wenige wohl schon zu viel.

Kehren wir nun zum ächten Piatonismus zurück ^ piatoniachen und fragen wieder, ob der Mensch noch einen Gott ideausmua neben sich dulden könne. Wer nun in speculativem «^^^^ ^^^^^^^^ Denken geübt ist, wird gleich wissen, dass es sich aisseibBtändiges hier um den BegriflF des Seins dreht. Nun setzt ^^®'^' Plato zunächst die einzelnen in der Erfahrung gegebenen Dinge (d. h., kritisch ausgedrückt, unsere projicirten Anschauungsbilder) als das erscheinende Sein; demnächst findet sich, dass diese Dinge entstehen und vergehen, also bloss Werdendes, bloss Bei- spiele und Erscheinungen eines Andern, nämlich des Allgemeinen, der Ideen sind, und somit werden die ewigen und identischen Ideen (d. h., kritisch ausgedrückt, unsere projicirten Begriffe) zu dem wahrhaft Seienden. Mithin wird das Seiende überhaupt nur als ideelles Sein, als Inhalt der Erkenntnissthätigkeit aufgefasst. Nun lässt sich dadurch aber die Veränderung der Dinge nicht begreifen; also wird als geheimnissvolles Princip, das eigentlich Nichts, d. h. kein Inhalt der Erkenntnissthätigkeit, ist, noch die Bewegung, d. h. die Materie (oder, kritisch ausgedrückt, die Veränderlichkeit der Bewusstseinserscheinungen) hinzugenommen. So sind die beiden gegensätzlichen Bedingungen da, aber es fehlt das Ich, die Substanz, und dieser Fehler durchzieht noth- wendig den ganzen Piatonismus. Denn nun muss sich die ganze Platonische Welt der Logik gemäss zwischen dem Einzelnen und Allgemeinen, oder dem Vielen (roXXa) und Einen (ev), dem Sinnlichen und Intelligibeln, dem Zeitlichen und Ewigen, abspielen, und es muss das Allgemeine, Eine, Intelligible, Ewige die Kolle des Besseren und des Göttlichen erhalten, wie umgekehrt das Einzelne, Viele, Sinnliche und Vergängliche die Rolle des Schlechteren und Irdischen zugetheilt bekommt. Welche Stellung hat demgemäss das Ich? die Einzelseele? Sie ist ja ein Einzel- nes, und es giebt viele einzelne Seelen; sie ist auch in der Zeit und in Bewegung: so gehört sie zu dem Schlechteren und Ver- gänglichen; durch ihr Wissen aber steht sie mit den Begriffen,

Digitized by

Google

510 Pantheismus des Gedankens.

also mit dem Göttlichen, in Verbindung und kann sieh zum Göttlichen, wie zum Himmel, als zu ihrem wahren Wesen und zu dem an sich wahren Sein erheben. Kritisch ausgedrückt bedeutet dies nichts anderes, als dass wir unter allem Inhalt der Erkenntniss den sinnlichen für den werthloseren, den begriff- lichen aber oder das Wissen flir den eigentlichen Mittelpunkt, ftir den Zweck und das Ziel des Lebens halten, weshalb wir erst eigentlich zu leben glauben durch das Wissen, in Wahrheit aber zu sterben meinen, wenn wir zur Beschäftigung mit dem Sinnlichen zurückkehren. Alle diese Werthbestimmungen müssen aber, und wenn sie noch so enthusiastisch ausgedrückt sind, ihrer Quelle nach verborgen bleiben; denn dass sie bloss auf den logischen Erkenntnissprocess zurückgehen und nur durch eine instinctive Subreption ethisch und religiös gedeutet werden, darf nicht zum Bewusstsein kommen, wenn der Idealismus bei Kräften bleiben soll.

Also giebt es kein Ich als Wesen, sondern nur als Erschei- nung, und folglich kann es kein einzelnes Wesen geben, das nicht blosse Erscheinung und Beispiel eines Allgemeinen wäre. Mithin kann Gott nur als das Göttliche gedacht werden, das allgegenwärtig und ewig in allem und jedem Einzelnen erscheint und offenbar wird und nur im Wissen zu sich kommt als Geist, der sich selbst erkennt als die Wahrheit. Mithin kann Piaton und jeder Idealist von Gott oder dem Göttlichen, bis er sich selbst erkennt, keine klare Vorstellung oder keinen Begriff haben, sondern er muss das Göttliche als in der Materie verborgene, unbewusste Vernunft, als saamenartige Vernunft oder als mit der Materie indifferenziirt oder sonst in unklaren und durch kein Denken erhellbaren Bildern und Worten bezeichnen, während es erst im Menschen, der sich aus dem anschaulichen Vorstellen zum Begriff, zur Wissenschaft und zur Philosophie erhebt, zum Selbstbewusstsein kommt. Die Philosophen werden ihm daher zu den eigentlichen Göttern und der Gott wird nothwendig Mensch, weil das Göttliche in der Stufenfolge der Erscheinungen nur in diesem sich in seiner Wahrheit offenbart.

Demnach ist bei Piaton der erste, d. h. höchste Gott das Intelligible, oder die in sich einige Ideenwelt als Object gedacht Dieser Gott ist aber kein einzelnes Wesen und daher auch keine Person und hat keine Gemüthsbewegung, keinen Willen, wie er

uiyiiized by VjOOQIC

Dogmatik. 511

auch nichts thut, und er hat überhaupt keine anderen Eigen- schaften, als dem objectiven Allgemeinen zukommen. Der zweite Gott ist (nach den „Gesetzen") die Seele, sofern sie das Sub- jective bildet, oder die Bewegung, wodurch das Intelligible intelligirt wird. So wird der Gott-Mensch allerdings noch über sich einen Gott -Vater anerkennen; dieser muss sich aber in einem unsagbaren Zustande befinden, weil er erst im Gott- Sohn Sprache und Vernunft erhält durch die subjective Seite. Angelus Silesius drückt dies in biblischer Form so aus: „Ich muss Maria sein und Gott in mir gebären."

Wenn man daher die logische Spaltung des Seienden in ein subjectives und objectives Element, die ja doch auch nur zusammen perfect werden, ausser Augen lässt, so muss Piaton gewisser- massen das Chaos und die Nacht als das Erste setzen und die Welt sich allmählich zur Vollkommenheit entwickeln lassen, indem eine unbewusste, der Welt eingeborene objective Vernunft die Entwickelung leitet, bis durch das Gottesbewusstsein das Licht im Menschen aufgeht, in welchem Gott sich selbst erkennt. Gegen diese Auffassung, die von Speusippos, dem nächsten Nach- folger Platon's auf dem Meisterstuhle der Akademie, deutlich und bestimmt gelehrt wurde und also damals als Piatonismus galt, trat Aristoteles mit seiner Theologie energisch auf. Allein Piaton selbst war vorsichtiger gewesen, nicht bloss dadurch, dass er seine Lehre in gnostisches Geheimniss hüllte, nur auserwählte Schüler einweihte und die draussen Stehenden bloss mit meta- phorischer Darstellungsweise, wie sie der Pistis geziemt, abspeiste, sondern besonders dadurch, dass er von vornherein die Unan- fanglichkeit oder Ewigkeit der gegenwärtigen Weltordnung lehrte. Das Vollkommene ist also nach seiner Lehre immer gewesen und kann nur ftir die Demonstration in einen zeitlichen Process, wie dies z. B. im Timäus geschieht, auseinandergezogen werden. In dieser Frage, ob Ewigkeit der Welt oder kosmo- gonischer Process undEntwickelungslehre, schwankte auch sichtlich Aristoteles und konnte nicht wohl damit fertig werden, weil sein Begriff von der Zeit in den Windeln der dialektischen Besinnung stecken blieb. Darum sehen wir dies Schwanken auch in allen folgenden Zeiten bis heute, sowohl im Ereise der allgemeinen Bildung, als bei den Philosophen, fortdauern, wie z. B. im zweiten Briefe Petri der angebliche Verfasser den kosmogonischen

512 Pantheismtis des Gedankens.

Standpunkt vertritt und diejenigen einzuschüchtern sucht, welche die Unveränderlichkeit der gegenwärtigen Weltordnung annehmen; ebenso überwiegen heutzutage die Darwinisten mit ihrer Kos- mogonie, und es pendelt nur langsam der hinuntergedrückte entgegengesetzte Standpunkt wieder auf. Für den Philosophen, der über den Begriff der Zeit in's Klare gekommen, ist die Schwierigkeit der Frage überwunden (vergl. meine Schrift: Darwinismus und Philosophie).

§ 4. Von der Erlösung.

Die sittliche und religiöse Stellung des Piatonismus besteht nun nothwendig in der Abwendung von dem Begehrlichen und Leidenschaftlichen, welches mit der sinnlichen Erkenntniss und also mit der Materie verwachsen ist, zu der idealen Seite hin, die intellectualer Natur ist und sich also in der Erkenntniss und Befolgung von Gesetz und Ordnung in privatem und Staats- Leben zeigt. Die volle Erlösung aber ergiebt sich erst in dem Uebergange zu der reinen intellectualen Thätigkeit in der Wissen- schaft und Dialektik, in welcher das Materielle insofern ganz verschwunden ist, als die Vielheit der einzelnen sinnlichen Gegen- sätze und die Buntheit des Wechsels in den immer identischen Begriffen aufgehoben wird. Das materielle Princip bleibt aber dennoch insofern auch in der intellectualen Thätigkeit des Menschen erhalten, als die Intelligenz ja wirklich functionirt und also da ist. Mithin ist das Intelligible, als Object, aufzufassen als Verklärung oder Transfiguration der Materie zu ihrem innersten Sein, nachdem sie sich alsSubject in verschiedenen Stufen ent- wickelt hat und zuletzt „zu sich gekommen" ist; denn das wahre Selbst (aorö<;) ist nach Piaton die Vernunft. Aristoteles drückte diesen Platonischen Gedanken durch den Terminus Entelechie aus (den ich in meiner Geschichte des Begriffs der Parusie etymo- logisch und logisch bestimmt habe), und sagte auch, es sei das Ziel der Dinge (t^Xoc) dasjenige, was das Wesen war (t6 tC f^v elvat), indem er das logische Verhältniss durch ein chronologisches Verhältniss zu erläutern suchte. In die Materie wird also die Form oder die Idee der Welt in einer zeitlosen Entwickelungs- ordnung von Formen und Stufen hineingedacht, die dann zeitlich

Dogmatik. 513

in dem Werde- und Entwickelungsprocesse umgekehrt abläuft und 80 wieder zu sich kommt Die höchste Stufe ist das absolute sich selbst Denken der Idee, wie es Aristoteles bezeichnete, oder die Identität von Subject-Object in der Erkenntnissfunction.

Dies weiter philologisch zu erörtern, ist hier nicht meine Aufgabe, ich verweise auf meine Arbeiten zur Geschichte der Begriffe. Es ergiebt sich also, dass die Erlösung nur auf den unteren Stufen einen politischen und sittlichen Charakter hat, auf den höheren und höchsten aber didaktisch wird und im Erkennen und Wissen besteht Das durch die Erlösung zu gewinnende Gut ist die Wahrheit, die im Menschen ihr lebendiges Dasein haben soll. Es wird hierdurch offenbar, dass der Piatonismus und Idealismus nothwendig zu der einseitigen Beligionsform führt, welche ich den Pantheismus des Gedankens genannt habe.

Ich möchte nur noch bemerken, dass man an dem Verständniss Platon's durch zwei Punkte besonders gehindert wird, einmal durch die metaphorisch -mythische (orthodoxe) Ausdrucksweise, die man leicht beim Worte nimmt, und zweitens durch den Widerspruch, der zwischen der tiefen und reichen Begabung Platon's und der intellectualistischen Einseitigkeit seines Systems einhergeht So z. B. konnte er sich, da ihm das Göttliche in das Materielle und Sinnliche metaphorisch vergraben war, die älteren Vorstellungen von einer Reinigung (xiftapoic). Auf- erweck ung und Erlösung des Menschen aneignen; wenn er aber diese Erlösung zunächst pädagogisch, ethisch, politisch und religiös beschreibt, so ist diese ganze grossartige und historisch fast bedeutsamste Seite seiner Wirksamkeit eigentlich nur acci- dentell, da sie aus seiner genialen Persönlichkeit stammt, aber nicht aus dem System, welches bloss eine didaktische Er- lösung kennt und daher alle anderen geistigen Lebensmächte auch nur zu unteren Stufen herabsetzt

Ebenso nahm er zwar den Ausdruck Erlöser (£oi>n^p) aus den volksthümlichen Benennungen der Götter für seine höchste sittliche und politische Thätigkeit in Gebrauch; die eigenthüm- lich Platonische erlösende Liebe gehört aber wieder nur seiner persönlichen Gesinnung und nicht seinem Systeme zu, in welchem die Idee der Persönlichkeit und also auch die höhere Liebe keinen Platz hat Auch darf man nicht vergessen, dass ihm die

Telohmüller, ReUgloiuiplüloeophle. u.gt.zeu^u^y GoOQIc

514 Pantheismus des Gedankens.

Erlöser immer im Plural gemeint sind, weil seine Welt dem Strudel der unendlichen Zeit dahingegeben ist; die historische Auffassung der Erlösung aber, wie sie im Christenthum offenbar wurde, blieb dem Idealisten ebenso undenkbar, wie die Persön- lichkeit Gottes, da sich schliesslich Alles nur um den nie endenden Fackellauf des Lebens drehte, in welchem die Fackel des Wissens von Hand zu Hand gereicht werden sollte, und wofür das ganze Reich Gottes nur Mittel und Werkzeug war; denn das der Welt eingeborene Nichts zerfirisst als Vergessen die innere Habe des Geistes und rafft auch die Persönlichkeiten unaufhörlich in den Schlund der Vergangenheit.

Ich habe schon vielmals darauf hingewiesen, dass eine wissenschaftliche Religionsphilosophie unmöglich wird, wenn man statt der reinen Formen, statt der speculatiyen Oerter vielmehr die historisch gegebenen Religionen, Secten, Confessionen und Autornamen behandelt, weil in diesen sich inmier fremdartige Elemente mit vorfinden, welche sowohl eine strenge Eintheilung, als eine Ableitung des ganzen zugehörigen dogmatischen Systems aus einem einheitlichen Standpunkte verhindern und daher die Religionsphilosophen zu Verdrehungen, spitzfindigen Deutungen oder zu Confusion nöthigen, was z. B. Alles bei Hegel crass in die Augen fällt Ich wiederhole diese Bemerkung hier, weil ich zwar Platon's Namen genannt und seine Philosophie dargestellt habe, aber doch dem historischen Charakter des ganzen Systems hier und da nicht gerecht geworden bin; denn ich durfte hier nur diejenige Seite entwickeln, welche zu der reinen Form des Pantheismus des Gedankens gehört. In meinen historischen Schriften wird man auch die anderen Seiten berücksichtigt finden. Deshalb will ich hier nur kurz erwähnen, dass die Erlösungs- lehre bei Piaton zwar wesentlich eine didaktische Frage ist und sich um Erkenntniss der Wahrheit dreht, dass Piaton aber als Staatsmann wohl wusste, dass der Irrthum und die Sünden nicht bloss in mangelnder Erkenntniss bestehen, sondern dass diese mangelnde Erkenntniss auch von der Naturanlage und also von materiellen Bedingungen und dann von der Gewöhnung und Er- ziehung abhängen. Piaton fasste deshalb die höchste Idee, die Idee des Guten wesentlich staatsmännisch als die conser- vative Idee auf, da das Weltall als höchstes Princip nichts Besseres ausser sich anerkennen und daher nur auf Selbst-

Digitized by VjOOQIC

Dogmatik. 515

erfaaltung bedacht sein kann. Mithin ist die oberste Bedin^ng der Selbsterhaltung zwar die Erkenntniss des Wesens der Welt, die erhalten werden soll, also die Weisheit, und so sind die Weisen die göttlichen Erlöser; in zweiter Linie aber nimmt nun Piaton die politische Kunst zu Hülfe, welche durch allerlei physische und psychagogische Mittel, durch Gymnastik, Musik, durch Gesetze und Spiele, durch Ordnung der Aemter, durch ökonomische und sociale Massregeln und religiösen Ritus die mit der Sinnlichkeit verwachsenen Begierden der Menschen in den Dienst der Erkenntniss und zum Gehorsam, zum Maass und zur Ordnung treibt. Diese ganze Seite des Platonischen Systems gehört aber nicht in den Idealismus, weil darin geistige Fun- ctionen auftreten, welche mit dem bloss logischen Prozess nicht begriffen werden können und bloss empirisch von dem reicheren Genius Piatons ergänzt wurden. Ich habe darüber bei dem pantheistischen Staatsenthusiasmus gesprochen.

§ 5. Moderne Idealisten. Wie dieser Platonische Idealismus nun seiner reinen Form gemäss überall wirken musste, das gehört in ^*^**®* die Geschichte der Philosophie und der Dogmatik, Ich will nur an ein paar Namen erinnern, die das Gesagte zur vollen Evidenz bringen. Nehmen wir z. B. Fichte, so ging ja mit diesem der grosse Ich-spektakel los, und es schien Anfangs eine neue Philo- sophie aufgekommen zu sein. Doch fand Fichte sehr bald, dass Schelling nur seine Ideen sich angeeignet hätte, und Schelling wieder meinte dasselbe von Hegel. Hegel endlich fand, dass Piaton und Aristoteles im Grunde schon Alles, was er zu sagen hatte, gelehrt hätten. Der Idealismus musste also, je mehr sich seine Vertreter historisch bildeten, den Piatonismus als seine Seele erkennen und zu Plato zurückkehren.

Fichte nahm nun zunächst von Kant die Materie und Form als Principien des Bewusstseins auf und zwar in kritischer Weise; die dogmatische Projection liess er bei Seite. Das Ich aber war ihm bloss die Eantische Einheit des Bewusstseins und also völlig leer und sinnlos; denn ein Grobian würde gesagt haben, es möge der Teufel wissen, woher bei Kant die Einheit des Bewusstseins komme. Wie räthselhaft bei Fichte das Ich

516 Pantheismus des Gedankens.

bleibt, kann man am deutlichsten daraus abnehmen, dass Fichte dieses Ich völlig in das reine Wissen, also in die theoretische Geistesflmction verschwinden lässt, wodurch er aber, ohne es selbst zu ahnen, den Zusammenhang seiner Lehre mit Piaton offenbar macht; denn obwohl er Piaton wenig kannte, so wirkten doch die von diesem in die geschichtliche Entwickelung der philosophirenden Vernunft getragenen Anregungen derart, dass die meisten Philosophen, wenn nicht alle, sich entweder entgegen- setzten oder anschlössen, jedenfalls also von ihm in ihrer Ge- dankenbewegung bestimmt wurden. In dem später erschienenen „Wesen des Gelehrten'^ aber nahm Fichte auch offen die Plato- nischen Stempel in Gebrauch und arbeitete mit dem Wort „Idee" wie ein eingefleischter Platoniker. Obgleich man nun bei einem so wenig schulmässig gebildeten Philosophirenden, wie Fichte war, unmöglich eine streng methodische Lehre und eine eigent- lich wissenschaftliche Arbeit erwarten darf, so bezeugen doch seine im gelehrten und im populären Publikum vielfach anregenden Schriften, dass er in keinem Punkte zu einer höheren Auffassung sich erheben konnte, als zu dem Platonischen Idealismus; doch kann man ihm und Schelling als Verdienst anrechnen, dass sie wenigstens den speculativen Sinn Platon's begriffen und nicht durch die der Pistis angepasste allegorische Darstellungsweise gefangen gehalten wurden. Gott ist demnach bei Fichte nichts anderes, als die im Bewusstsein des Menschen zu Geist und Wissen erwachende Platonische Idee, und obwohl die Ungebildeten und die Orthodoxen ihm dies als Atheismus auslegten, so sah er doch selbst ganz klar, dass er nur den äusseren Gott der Pistiker aufgegeben und die Fülle der Gottheit im eigenen Busen pantheistisch zur Offenbarung im Wissen gebracht hatte.

Wenn Fichte später gegen Schelling (ebenso wie früher Kant gegen seine Kritiker) den Vorwurf des subjectiven Idealis- mus von sich abwehrte und sein Nichtich als Nichtseiendes und als Materie im Sinne des projectivischen Dogmatismus aufgefasst sehen wollte, weshalb gerade er im Stande sei, die Erfahrung und die empirischen Wissenschaften anzuerkennen, so darf man doch nicht glauben, als wäre er aus dem Platonischen Idealismus zu einem abgeschmackten Dualismus herausgefallen, sondern es war ihm ganz in derselben Unklarheit, wie bei Piaton und Aristoteles, die Materie nur der Vertreter für das reale Sein, das

uiymzeu uy "V-j v-zv^'pt iv^

Dogmatik. 517

er noch nicht definiren konnte, und er bestimmte sie daher wie Piaton als blosses Werden, als im Uebergang zum Bewusstsein und zmn Wissen befindlich. Somit war die objective Idee darin verborgen als Wesen, und es fehlte nur die subject- objective Erfassung oder das zu sich Kommen. Doch all diese unreifen Gedankenbewegungen verdienen ja kaum Beachtung, da sie keinen Schritt über Piaton hinaus thun und an dem Begriff der Zeit noch mehr stolpern als Piaton, der sie wenigstens als Sinn- bild der Ewigkeit fasste und daher zwar keinen historischen Aufbau der Welt, aber doch die Ahnung einer speculativen Auf- fassung in die Philosophie brachte. Bei Fichte aber gilt die Zeit ganz dogmatisch, und das Ich ist ihm deshalb sterblich wie alle Erscheinungen und hat seine Ewigkeit nur in ewigen Ge- danken, d. h. in dem ideellen Inhalte des Geistes.

Bei Hegel finden wir nur eine neue Form der Darstellung und eine besondere Uebersicht des ge- sammten Inhalts der idealistischen Begriffswelt, aber kaum einen neuen Gedanken. Die Platonischen Principien, Idee und Materie, setzte er als Sein und Nichts in ursprünglicher Indiffe- renz an die Spitze der Weltanschauung, die er durch die in dem Nichts gegebene und das Sein zur Differenzirung erregende Negativität *) zu leisten hoffte. Nachdem er die allgemeinsten

*) Ich ergreife die Gelegenheit, um hier gleich auf ein Memoire zu antworten, welches B. Spaventa in der königlichen Akademie der Wissen- schaften in Neapel über meine Dialektik in ihrer Beziehung zur HegeFschen gelesen hat. Das Memoire ist publicirt unter dem Titel: „Esame di un' obbiezione di Teichmüller alla dialettica di Hegel. Memoria del socio B. Spaventa. Napoli 1883". Der Verfasser ist leider, ebenso wie Vera, durch den Tod seinem Vaterlande entrissen, dsw die Grösse seines Charakters und den tiefen £mst seiner wissenschaftlichen Bestrebungen zu ehren wusstc. Er gehörte, wie die noch energisch arbeitenden Philosophen Bonghi und Tari, zu den vom Platonischen Idealismus begeisterten Naturen. Da der Positivismus sich aber als eine unfertige Weltansicht, die von der Menge leicht erfasst werden kann, mit zunehmender Verbreitung der soge- nannten Bildung wie die Ciavierplage allgemein bemerklich macht, so ist es natürlich, dass, wie Plato einst nur mit einem kleineren Kreise von Freunden aus dem grossen Schwärme Protagoreischer Positivisten hervorragte, auch solchen ihm verwandten MäJinem nur eine isolirtere Stellung übrig bleibt, die sie aber unsrer Aufinerksamkeit um so würdiger macht.

Spaventa war nicht, wie V^ra, ein Hegelianer h, outrance, sondern suchte, wie Tari, das System gewissermassen nach seinem eigenen Modell zu individualisiren. Namentlich lag es ihm nach seiner tief religiösen Natur

u.quizeuuy Google

518 Pantheismus des Gedankens.

Kategorien bei den verschiedenen Stellangen der beiden dialekti- schen Elemente als Stichwort eingeschoben, kommt er zu den beiden Hauptgegensätzen, welche die logischen Gegensätze in der wirklichen Welt wiederholen, zu der Objectivität der Natur und der Subjectivität des Geistes. Auch diese Begriffe lässt er nun, ohne sie durch wissenschaftliche Untersuchung genauer zu erheben, allerlei Vereinbarungen eingehen und nimmt dadurch das objective Element in den Geist auf. So bleibt ihm nur der letzte Schritt ttbrig, den objectiven Geist und den subjectiven Geist in dem absoluten Geist aufzuheben, welches durch das absolute Wissen der Philosophie geschieht und wodurch der in

am Herzen, ftlr das Ich eine Selbständigkeit zu finden, und so gelangte er von selbst zu einer Sympathie mit meiner Metai)hy8ik. Da er aber zugleich die Hegersche Grundlage glaubte festhalten zu können, so musste sich ihm der Versuch empfehlen, meine Dialektik mit der HegeVschen zu versöhnen, was er in der oben angezeigten Schrift unteminmit. Dass dies aber unmög- lich ist, möchte ich hier durch Hervorhebung der massgebenden Begriffe darlegen.

Der Punkt, um den sich der Streit dreht, ist die dialektische Be- wegung mit ihrer immanenten Negativität und ihrem Widerspruch. Spaventa glaubt, bei Hegel, weil die aufgehobenen Momente nicht bloss negirt, sondern auch conservirt werden, ein meiner Coordination ent- sprechendes Yerhältniss der Begriffe sehen zu dürfen und mich zugleich nöthigen zu können, da ein Begriff' doch nicht identisch mit dem andern sei, die HegeFsche Entgegensetzung anzunehmen.

Nun ist aber erstens wohl nicht richtig, dass Hegel die Momente con- servirt, da, wie es auch Spaventa unbefangen darstellt, in der höheren Einheit die Momente vielmehr durch Aufnahme ihres Gegentheils umgestaltet und entwickelt werden sollen, z. B. p. 11 : Tintelletto e la veritä. del senso; e giacch^ il senso non isvanisce neir intolletto, anzi rimane e si con- serva, ma non tal quäle era prima, senza o fuori dell* intelletto, e giuco- forza conchiudere che sia modificato, trasformato, ciob in qualche modo negato. Diese HegeFsche Auffassung entspricht jedoch in keiner Weise der Wirklichkeit; denn wenn z. B. der Sinn das kleine Lichtbüd der Sonne empfangt, so wird dies Bild durch den Verstand in keiner Weise modificirt und transformirt, wenn man auch dabei durch verstandige üeberlegung eine Kugel von riesigem Durchmesser vorstellt und die Sonne zum Mittelpunkt des Planetensystems macht; denn der Eindruck, den der Sinn von der Sonne empfängt, bleibt nach wie vor unveränderlich derselbe, und der klügste Astronom kann nicht mehr sehen, als der scharfsichtige Bauer. Ich trenne also streng die kluge Deutung des Gesehenen (die intellectuelle Arbeit) von dem sinnlichen Eindruck und halte die Auffassung von Hegel für eine üngenauigkeit und eine iwpulare Ausdrucksweise in der Art, wie man sagt, dass man sich nach naturwissenschaftlichem Unterricht „ein

rncnt „ein ganz

.uy Google

Dogmatik. 519

der ursprünglichen Indifferenz potentiell gegebene Inhalt nun actuell als Geist lebendig sich seiner bewusst wird.

Zweierlei ist flir die Stellung, die diesem System in der Religionsphilosophie zugewiesen werden muss, von Bedeutung. Erstens dass der absolute Geist blosse Function, reine Actualität als Wissen ist. Hegel nämlich hat keine Ahnung von dem Begriff des substanzialen Seins, weil ihm dies in der Geschichte der Philosophie weder bei Spinoza, noch bei Leibnitz, noch bei Fichte begegnet war, geschweige denn bei den Alten; er konnte sich darum unter Substanz nur das sinnenfällige materielle Einzelwesen denken, das er richtig als blosse Erscheinung er- anderes Bild** von einer Sache mache. Ich läugne also erstens, dass bei Hegel eine Conservirung des aufgehobenen Momentes stattfände, was viel- mehr gegen den Geist der HegeFschen Dialektik streitet, zweitens, dass eine Noth wendigkeit für mich bestünde, eine Negation zu bewilligen, da der Verstand an dem sogenannten sinnlichen Eindruck gar nichts negirt, sondern bloss deutet; denn wenn der Affe und das Kind hinter den Spiegel greifen, um den gesehenen Gegenstand zu ertappen, so beruht dies auf einer falschen Deutung, und der Naturforscher, der die Erschei- nung optisch erklärt, yerändert und negirt nichts an dem sinnlichen Eindruck.

Spaventa will dann für die dialektische Bewegung eine besondere Gattung annehmen (pag. 8: il movimento, come la immutabilitk deir idea non h quella della semplice rappresentazione , anzi ^ una mobilitk e immo- bilita sui generis.) Als Idee sei die Idee unveröjiderlich , als gedacht von dem Denken, welches von einem Gedanken zu einem andern übergeht, sei die Idee veränderlich; Gedachtes nnd Denken sei aber identisch, und das Denken gehe nur zu anderen Gedanken über, weil der Gedanke selbst dazu antreibe. Also sei die dialektische Bewegung von besonderer Gattung. Ich kann nun eine solche Besonderheit der Gattung leider nicht zugestehen, da solche Hegersche Bewegung ganz bekannt ist und sich überall aus der ge- wöhnlichen Unklarheit und populären Vermischung von Vorstellung und Begriff ergiebt; denn wenn eine Knospe sich entwickelt, ein Ei sich ent- wickelt, ein Volk, eine Literatur, ein Charakter, ein Begriff sich entwickeln, wie man sagt, so fasst die Vorstellung in unklarer Weise eine ganze Reihe von Erscheinungen in ein Gesammtbewusstsein zusammen, stempelt das Ganze durch ein Wort der Sprache und macht es zu einer mythologischen Person, welche sowohl Eins als Vieles ist, sich verändert wegen der ver- schiedenen Phasen und bei sich bleibt wegen der angenommenen Einheit des Ganzen. Offenbar dürfen wir diese Sprach- und Vorstellungsweise nicht abschaffen wollen, da sie sich nicht abschaffen lässt, sondern psychologisch ganz erklärlich und natürlich ist und dem Menschen ebenso zugehört, wie der Schnee dem Winter; aber wir können dadurch auch nicht genöthigt werden, solche Personificationen für eine wissenschaftliche und philosophische Erklärung zu halten. Denn alle diese dialektischen Bewegungen und_^oge-

uiyiiized by VjOOQIC

520 Pantheismus des Gedankens.

kannt hatte. Mithin verachtete er die grobe AuffassuDg Gottes als einer solchen Substanz und führte sie in das feinere Wesen des Geistes über, der ihm nach dem Vorgang der Alten nur als actus purus erschien. So wurde ihm Gott eine blosse Function, und darum gehört diese Theologie in den Pantheismus, und zwar weil diese Function das Wissen ist, in den Pantheismus des Gedankens.

Nun ist aber zweitens die Function nothwendig an die Goordinate des Functionirenden geknüpft. Deshalb schwebt die HegeFsche Naturphilosophie haltungslos in der Luft, weil die Natur als blosse Erscheinung nicht weiss, wem sie erscheint und

nannten Entwickelungen beziehen sich nicht auf das reale Sein und die wahren Wesen, sondern bloss auf die Phänomene, welche bei der realen Wechselwirkung der Wesen in unserer Sinnlichkeit und in unseren Vor- stellungen entstehen. So z. B. spricht man von der Vorbereitung, dem Anfang, dem Fortgang, Ausgang und Resultat einer Schlacht. Die Schlacht wird personificirt und ihre Entwickelung geschildert. Ebenso verhält es sich mit allen Dingen, deren sogenannte Entwickelung, und mit allen Be- griffen, deren sogenannte dialektische Bewegung dargestellt wird. Dabei müssen dann zwei Maschinen gebraucht werden, um diese Theaterdecorationen in Betrieb zu setzen, erstens die Negation oder Negativität und zweitens die Zeit, ohne welche keine Bewegung stattfindet. Denn dasselbe Wesen muss nicht-sein und sein, schon sein und noch nicht sein, wenn es sich ent- wickelt. Die Knospe ist noch nicht Blume und doch schon Blume der Idee nach, sie hat das Negative in sich, negirt ihren Zustand und geht zu anderen Entwickelungsstufen über, indem sie ebensosehr immer bei sich bleibt, wie sie immer von sich weggeht, und wie die anderen Redensarten heissen, die für dieses Phantasiebild von der metaphorischen Sprache erborgt werden. Nun ist aber, wie ich in meiner Grundlegung der Metaphysik ge- zeigt habe, weder das Nichtsein ein Sein, noch die Zeit ein Wesen oder eine Eigenschaft oder Realität, sondern Beides sind blosse Kategorien, durch welche wir die Form unserer Denkthätigkeit bei Auffassung jener Bewusst- seinserscheinungen bezeichnen. Da Spaventa in seinem Memoire diese Be- griffe arglos in Hegerschem Sinne als Ausdruck für das Reale gebraucht und gegen meine Analyse in der Metaphysik nichts vorbringt, so kann ich nur verlangen, erst diese Begriffe von Neuem zu untersuchen, ehe man sie in der populären und unklaren Weise, wie bei Hege^ anwendet; denn die Unter- suchung dieser Begriffe führt zum Absterben der Hegerschen Dialektik, mit welcher als mit einer Leiche meine Coordinationsmethode keine Gemeinschaft eingehen und von ihr nicht einmal etwas erben soll.

Diese Bemerkungen werden als Antwort auf Spaventa's Memoire hinreichen, und ich muss dabei besonders an Tari denken, dessen ausgezeich- nete Ai'beiteu einen grossen Umfang des Geistes und ebensowohl eine gewisse Vorliebe für Hegel, wie eine stark ausgeprägte Originalität an den Tag legen.

Digitized by

Google

Dogmatik. 521

wessen Schein sie ist Doch dies will ich hier nicht weiter in gebührender Weise ad absurdum führen, da es in unseren Gang nur als Excurs hineingehören würde; dagegen müssen wir nun sehen, dass Hegel wenigstens fUr das absolute Wissen als Function die zugehörige Coordinate zu fordern nicht nmhin konnte; denn die Vermittelung der Gegensätze bedarf ja des subjectiven Elements, in welchem der objective Inhalt offenbar wird. Also konnte der absolute Geist nicht etwa seine subjective Seite en bloc in der ganzen Welt haben, um so ein Gott mit allgegenwärtiger Allwissenheit im Sinne der alten Dogmatik nnd ein^transscendentes Gespenst zu werden, sondern er musste in dem einzelnen Snbject zur Geburt kommen und, wie bei Piaton, Mensch werden, damit in dieser concreten Substanz dnrch den dialektischen Process das absolute Wissen in der Ver- einigung des objectiven und subjectiven Geistes erreicht würde. Das einzelne Subject ist aber für Hegel bloss momentanes Glied in der allgemeinen dialektischen Bewegung, und so wird der absolute Geist gezwungen wie bei einem Musikstück jetzt in einer punk- tuellen Note wirklich zu werden, um dann immer auf eine andre und wieder eine andre Note überzuspringen, da die Subjecte wie die Töne in dem Strudel der alles fressenden Zeit in's Nichts verrauschen. Dieser Gedanke ist zwar auch schon Pla- tonisch und von dem dichterischen und göttlichen Manne in dem schönen Bilde des Fackellaufes ausgedrückt; allein obgleich in dieser Platonischen Fassung noch ein wichtiges Merkmal hinzu- genommen ist, das bei Hegel gänzlich fehlt, nämlich die Con- tinuität der göttlichen Weisheit in der Welt, so ist doch zugleich damit erwiesen, dass Hegel mit seiner Philosophie unvermögend war, das Christenthum zu verstehen, dass er vielmehr pan- theistisch das Ich in seine theoretische Function verschwinden lässt nnd weder eine ewige Persönlichkeit des Menschen, noch des Gottes begreifen kann.

Interessant ist es auch, dass die Lust und Seligkeit, welche Piaton zögernd dem höchsten Wissen nicht mehr zugestehen mochte, von Hegel gänzlich ausgelöscht wird; denn die Affekte und auch das höhere Gefühl, wie es in der Kunst und der Religion noch vorhanden ist, verschwindet in dem al)soluten Geiste, so dass Lust wie Schmerz nur den niederen Offenbarungsstufen der göttlichen Idee angehören und den Charakter der Endlichkeit und des Werdens an sich tragen.

' uiuiiizeu uy VwJ W\J>t Iv^

522 Pantheismus des Gedankens.

§ 6. Verlegenheiten christlicher Dogmalik.

Da wir nan so den Idealismus kennen gelernt haben, so ergiebt sich klar, dass wenn eine Idee an die Spitze der Welt gestellt wird, auch die höchste Leistung in der Welt, das Heil und die Vollkommenheit nur eine theoretische Function sein kann und dass also der Idealismus nicht die geeignete Philosophie ist, welche einer christlichen Dogmatik zu Grunde liegen darf. Gleichwohl ist es den Theologen nicht zu verüblen, dass sie von Anfang an mit dem Idealismus Fühlung suchten, weil diese philosophische Richtung bisher die bedeutendste und fruchtbarste gewesen ist und auch durch den Gang der Geschichte die logische Bildung der Kirchenväter und die Formulirung der Dogmen be- stimmte. Alle Theologen konnten aber ihre ächten christlichen Wahrheiten immer nur zur linken Hand dem Idealismus antrauen, und keine theologische Dogmatik erreichte bis jetzt einen streng wissenschaftlichen Charakter, wo man wenigstens nicht das Ghristenthum zu Gunsten der idealistischen Philosophie gänzlich aufzuopfern bereit war.

Wie wenig man aber bisher umhin konnte, von dem Idealismus Abstand zu nehmen, das will ich nur durch zwei angesehene Namen entgegengesetzter Richtung illustriren. So behauptet z. B. Alexander von Oettingen (christliche Sittenlehre H S. 305), genau im Sinne und nach dem Wortlaut idealistischer Welt- anschauung, „dass auf der Voraussetzung von der Homogeneität zwischen Object und Subject alle Wissenschaft ruht", und dass ,Jede gesunde Erkenntnisstheorie in der Gewissheit wurzelt, dass jenes der Welt zu Grunde liegende Ewige und Ideale in ihr sich für uns zeitlich und räumlich offenbare". Darum acceptirt er von Aristoteles das ideale Prius aus der Politik (S. 40), um die Einzelperson in die Gemeinschaft einzuschliessen , darum nimmt er von Hegel die logischen Termini, das „Aufheben" (S. 38), die „Wahrheitsmomente" (S. 432) und die dialektischen Gegensätze der Entwickelung auf und spricht zuweilen wie der radicalste Idealist, z.B. S. 306: „Wenn nicht in den Dingen eine ratio läge, so wäre eine rationelle Erfassung derselben unmöglich. Umgekehrt, wenn wir nicht rationell begabt wären, so bliebe uns die mit innerer Logik erftlllte Welt ein Buch mit sieben Siegeln". Allein obgleich von Oettingen in der herkönunlichen

uiymzeu uy "V-j v-zv^'pt iv^

Dogmatik. 523

Phraseologie des Idealismus auch von „göttlicher Weltlogik" redet, so sieht man doch überall, dass seine christlichen Ge- danken wie die Glieder eines starken Mannes, der aus Noth den Bock eines Knaben tragen muss, lang herausragen und die Käthe zerrissen haben. Und diese Ueberzeugung, dass die christliche Lehre doch wohl noch einen passenderen Rock als den des Idealismus verdiene, spricht v. Oettingen auch geradezu aus, wenn er z. B. sagt, dass er das „Begriflfsalphabet der Zeit" ge- brauchen müsse, worin doch eben die Meinung liegt, dass er die Ausdrucksweise selbst nicht für allezeit gültig und ge- nügend halte.

Gehen wir nun zu einem freisinnigen Theologen über, der ebenso, wie der orthodoxe, in der Philosophie wohlbewandert ist, so lesen wir z. B. bei Otto Pfleiderer (Genet-specul. Religionsphilosophie 1884 S. 642): „Wie sollen wir uns die Möglichkeit der Uebereinstimmung (der an -sich -seienden mit miserer gedachten Welt), deren Wirklichkeit wir nicht bezweifeln können, anders erklären als durch die Voraussetzung, dass die in unserer Natur angelegten Erkenntnissgesetze und die in den Dingen liegenden Seinsgesetze ihren gemeinsamen Grund haben in einer schöpferischen Vernunft, deren Gedanken sich theils ob- jectiv in den nothwendigen Seinsverhältnissen der Welt, theils subjectiv in den angeborenen Functionsnormen unserer die Welt abbildenden Erkenntnissthätigkeit ausdrücken?" Aber auch Pfleiderer sucht sich aus den Schranken dieser einseitig logischen Weltauffassung zu befreien, erkennt deshalb von den beiden Ro- mantikern Schelling und Schopenhauer (S. 644) die „Urrealität im Wollen" an und zeigt endlich hier und da, wie mir scheint, auch eine Sympathie mit meiner Metaphysik. Nun verträgt sich aber einerseits das Schopenhauer^sche Wollen als Substanz, das seine Kategorien der Intelligenz schenkt, auf keine Weise mit dem logischen Idealismus; andrerseits kann meine Metaphysik, die von einer Kritik aller bisherigen Ontologie anhebt und in dem Ich und dem Gottesbewusstsein die Quelle der Kategorie des substanzialen Seins findet, weder mit einer schöpferischen Vernunft, noch mit romantischer Willenssubstanz vereinigt werden. Man sieht deshalb schon, ohne unnöthiger Weise in eine subtilere Analyse der Begriffe einzugehen, dass Pfleiderer durch die po- sitive Macht des christlichen Lebensinhalts dazu getrieben wurde,

uiumzeu uy V^J WvJV Iv^

524 Pantheismus des Gedankens.

mit einem hohen und vorartheilslosen Geiste eine neue und um- fassendere Philosophie zu suchen, ohne dass er sich aus dem Bann des tiberlieferten und in der Dogmatik von ihrer Geburt an heimisch gewordenen Idealismus vollständig befreien konnte. Sehr lehrreich ist aber auch das Schauspiel, welches eine vom Idealismus sich ablösende Dogmatik bietet, welche zwar die Klippen dieses Standpunktes erkannt hat, aber ohne Compass und Steuer in's Blaue segelt Bitschi kam von HegePs Tische und sagte ihm die Gastfreundschaft auf. Wer möchte ihm diese Treulosigkeit verdenken, wenn er weiss, dass Hegel nicht ehrlich mit seinen theologischen Gästen verfuhr und den Wein der Philo- sophie unter falschen Etiquetten credenzte. Aus Angst vor dem Idealismus flüchtete Ritschi aber soweit, dass er auch aller Philosophie aus dem Wege ging. Wie sollte er nun aber auf dem grossen Ocean der Meinungen allein seinen Weg finden? Er hoffte sich nach den positiven Bedtirfnissen, Glaubensvor- stellungen und Gefühlen der christlichen Gemeinde orientiren zu können. Das klingt zuerst recht vertrauenerweckend und nament- lich für alle, denen das Denken sauer wird, ganz verlockend; denn es schien ja, als könne man nun gleich in's voUe Menschen- leben hineinpacken und immer Interessantes finden. Allein bei allen ordentlichen Dingen ist doch Kopf vonnöthen und so zeigte sich, dass der positive Inhalt der Religion ausgelegt, bestimmt, irgendwie bewiesen und vertheidigt werden muss; Philosophie also war unentbehrlich; denn es ist einem auch nur einigermassen gebildeten Menschen doch nicht zuzumuthen, etwas zu glauben, was nicht wahr ist, und jeder Gläubige trägt sich mit dem Bewusstsein, die Wahrheit zu erkennen, und käme in Schreck, Verwirrung und Trostlosigkeit, wenn man ihm die Unwahrheit und Leerheit seines Glaubens zeigen könnte. Um nun der von der Wissenschaft abgelösten christlichen Glaubenssphäre etwas Licht und Orientirung zu verschaffen, griff Ritschi eklektisch auf gut Glück nach einigen philosophischen Begriffen, die von nicht- hegelschen Denkern auf den Markt gebracht waren, und nament- lich gefielen ihm einige Stellen bei Lotze, die er für seinen Hausbedarf verwendete. Allein da Lotze kein durchgeftlhrtes System besass und überhaupt nur so arbeitete, dass er die in seiner Zeit gerade vorgefundenen entgegengesetzten Meinungen unparteiisch beleuchtete und gemüthvoU vermittelte, so blieb es

uiumzeu uy VwJ W\J>t Iv^

Dogmatik. 525

immer fraglich, ob die von Ritschi aus Lotze's Schriften oder auch aus anderen Quellen eklektisch aufgenommenen Begriffe wahr seien und wer eigentlich über diese Frage urtheilen solle, da doch nicht bloss die Dreistigkeit über die Wahrheit ent- scheiden kann.

Wenn Ritschi nun wegen seines Vorhabens, die Religions- wissenschaft auf eigene Füsse zu stellen und von der arroganten Vormundschaft des Idealismus zu befreien, volle Sympathie ver- dient, so brachte ihn doch seine Flucht vor aller Metaphysik schliesslich nur zur Wahl zwischen Scylla und Charybdis. Ent- weder nämlich muss man auf diesem Wege zu einem Selbst- backenbrot von Wissenschaft kommen, wie die Brüdergemeinden, in denen irgend ein Gevatter Schuster oder Schneider in Hemds- ärmeln seinen Geist bei der Auslegung der Schrift leuchten lässt, ohne sich um die durch Philosophie geschulte Arbeit theo- logischer Gelehrsamkeit zu kümmern; und man darf sich nicht einbilden, als wäre der feinere sogenannte Eklekticismus über diesen Standpunkt erhaben, da es principiell einerlei ist, ob ein Handwerksmann oder ein theologischer Gelehrter bloss nach seinem subjectiven Gutdünken und nach dem zuf&lligeh Strome seiner Einfälle sich dieser oder jener ihm gerade aufgegangenen philosophischen Begriffe bedient. Der zweite Weg des Dilenmias führt dahin, zwischen der Welt des Glaubens und der Wirklich- keit einen Vorhang zu befestigen, indem man ftlr sich mit ge- sunder Vernunft irgend eine beliebige Auffassung der wirklichen Welt gewinnt, dieselbe aber wie einen Alltagsrock auszieht, wenn man in die Kirche tritt, wo gewisse alte Illusionen das Gemüth unter dem Geläute der Glocken plötzlich überwältigen und wo man in einer alterthümlichen Sprache sofort über alle auf der anderen Seite des Vorhangs unlösbaren Fragen der Metaphysik, über Gott und Schöpfung, Seele und Seligkeit sichere Kunde er- hält und selbst mit Hülfe dieser Sprache den lieben Brüdern alle Räthsel löst und ihnen warm zu Herzen spricht, bis man wieder in die Welt zurückkehrt, seinen AUerweltsrock wieder anzieht und wieder ebenso Ignorant oder materialistisch und posi- tivistisch denkt, wie alle vernünftigen Leute der Zeit. Die Theo- logie Ritschis schwankt zwischen diesen beiden Gonsequenzen, ohne sich weder ihres Eklekticismus bewusst zu werden, noch nach Art des Kantischen Positivismus ehrlich zu. ^bekennen, dass

526 Pantheismus des Gedankens.

die illusorische Glaubensmetaphysik in die erste Periode Comte's gehöre und nur als Rudiment in unserer aufgeklärten Zeit noch fortvegetire.

Man sieht also, dass der Idealismus ebenso gefährlich ist, wenn man ihn annimmt, als wenn man sich soweit von ihm ent- fernt, zu meinen, man könne sein trocken Brot ohne das Salz der Metaphysik verzehren. Die christliche Religion bietet aber selbst eine Metaphysik und verlangt volle Ueberzeugung, woran Kopf und Herz gleichen Antheil haben. Also darf die Religion nicht, wie eine erträumte Insel, vor den unreinen Füssen der weltlichen Wissenschaft und Philosophie gehütet werden, sondern es muss umgekehrt jedem Forscher ein Freipass zum Eintritt zu- konmien, damit die Wahrheit der Glaubenswelt auch von aller Wissenschaft könne bezeugt und besiegelt werden. Darum ver- langt die christliche Theologie nach einer Metaphysik, die auf freien weltlichen Füssen steht und nur Erfahrung und Vernunft anerkennt, durch ihre eigene selbständige Forschung aber dazu gelangt, die natürliche Metaphysik der christlichen Religion zu verstehen und anzuerkennen. Eine solche Metaphysik war seit Hegel ein Desiderat, und sie konnte sich überhaupt erst aus- bilden, wenn das Ich sich selbst von seinen Functionen unter- schied und wenn die Erkenntnissfunction sich in die specifischen und semiotischen Formen gliederte, damit die seit Piaton Alles in sich verzehrende Flamme der blossen Erkenntnissfunction zwar nicht gelöscht würde, aber in gerechten Gränzen ihr wohl- thätiges Licht auch zur Anerkennung der Persönlichkeit selbst und ihrer übrigen Functionen leuchten Hesse. Dann bedarf man nicht mehr der nächtlichen Separatvorstellungen König Ludwigs, welche Ritschi für die Gläubigen empfahl, sondern kann Publikum und Recensenten getrost zulassen, da^ der Gläubige flir sein heimliches Evangelium nichts zu fürchten braucht. Statt die Religion mit Ritschi in eine hausbackene Kantische Recht- schaffenheitslehre umzuwandeln, fttr welche der Theologe als Regisseur bloss das correcte alterthümliche religiöse Costume besorgen solle, wird eine muthige Theologie vielmehr die historische Kritik und die Philosophie offen herausfordern, weil das Christenthum eine wirkliche Wahrheit verkündigt und wie damals, so heute und für «alle Zeit in der wirklichen Welt gelten will und zu gelten das Zeug hat.

Digitized by VjOOQIC

Dogmatik. 527

§ 7. Zugehörige positive Religionen.

Nachdem wir nun die Dogmatik des theoretischen Pantheismus in den entscheidenden Grundbegriffen ®''**^°**"*«°^"- charakterisirt und auch gesehen haben, wie stark diese Richtung auf die wissenschaftlichen Lehrer des Christenthums einwirkte, bleibt uns die Frage, ob nicht etwa eine ganze grosse Volks- religion namhaft gemacht werden könnte, die unter diese Form fiele. Allein darauf wissen wir ja sofort die Antwort; denn da der Pantheismus auf dem Verschwinden des Ichs in den geistigen Functionen beruht und ein Uebergewicht des theoretischen Geistes nie bei einem ganzen Volke vorhanden sein kann, so wird es auch keine Volksreligion geben, die nicht in erster Linie die Elemente der Religion der Furcht und der Sünde in sich auf- genommen hätte. Mithin kann es sich nur um die weitere Frage drehen, ob nicht in einer Volksreligion die leitenden Kreise, die höher beanlagten Bekenner oder die gebildeteren Priester dem theoretischen Pantheismus gehuldigt haben. Auf diese Frage muss der Brahmanismus genannt werden.

Wenn ich nun hier aus den vielen Specialforschungen fran- zösischer, englischer und deutscher Indologen einen Auszug machen wollte, so würde nicht nur mir solche compilatorische Arbeit schlecht zu Gesicht sitzen, sondern auch der Leser würde ungeduldig werden, da die Gebildeten sich ja seit mehr als einem halben Jahrhundert an indischer Weisheit und Poesie delectirt haben. Es kann sich also nur darum drehen, erstens kritisch neue Auffassungen zu begründen, und zweitens dann diejenigen Grundbegriffe herauszuheben, die zur Einftlgung des Brahmanis- mus in die Religionsform des theoretischen Pantheismus hin- reichen.

Was das Erste betrifft, so halte ich Oldenberg's Darstellung (im „Buddha" z. B. S. 12 ff.) ftlr miss- Bemerkungen. verständlich oder ftlr unrichtig, wenn er meint, das i.

ganze indische Volk hätte keinen Sinn gehabt flir '"l^ieh^r^^^^^ die natürlichen menschlichen Interessen, für die Lebcn^- Arbeit, flir die Freiheit und den Kampf um das 'ZTZ'inä^ Recht u. s. w., sondern es sei Handeln und Wollen niemAid gans durch tropische ,Ueberftille formloser Phantasie bei "^^^^^^^^ ^^ dem Uebergewicht des Geistes verschüttet und alles

Digitized by VjOOQIC

528 Pantheismus des Gfedankens.

Leben dem bösen Genius der Wissenden, der sichtbaren Ver- körperung der jenseitigen Welt in der Kaste der Brahmanen geopfert. Zu dieser Behauptung kann man nur kommen, wenn man als Quelle bloss die philosophischen, theologischen und liturgischen Werke benutzt. Vergleicht man aber die Poesie, so sieht man doch gleich, dass es keine einzige natürlich mensch- liche Empfindung giebt, die sich nicht in dem Leben des in- dischen Menschen Bahn gebrochen hätte. So in erster Linie die Lust am Essen und Trinken, am Wein und Rausch, dann die Liebe mit ihren rohen und ihren zartesten ritterlichen und ehrbar gesetzlichen Seiten; ferner zeigen uns die Epen, wie fein das Ehrgeflihl, wie stark der Ehrgeiz entwickelt war; wir haben bei den Indem auch die Odysseus, die Nestor, die Ajax, die Achill. Wer weiss nicht, dass sie allerlei weltliche und ritterliche Spiele hatten, Brettspiel dazu und Würfelspiel, dass sie, wie die alten Germanen, zwar ihre Freiheit hochhielten, aber doch aus Leiden- schaft schliesslich sich selbst auf den Würfel setzten. Und wenn Rama auf sein Becht verzichtet, so beruht die epische Hoch- schätzung dieses Opfers doch gerade auf der starken Empfindung, die sonst für das Recht in Geltung war. Wer wahre und auch wer machiavellistische Klugheit im Regieren gewinnen will, der muss doch bei den Indem in die Schule gehen, die eine so aus- gezeichnete Begabung für unbefangene und praktische Beob- achtung besassen, dass sie nicht nur die Charaktere der Menschen in allen Ständen und Lebenslagen, sondern auch das Naturleben der Thiere in einer die europäischen Völker tiberragenden Fein- heit und Schärfe geschildert haben. Kurz, ich möchte wohl irgend eine Seite des natürlichen und sittlichen menschlichen Lebens genannt wissen, die von den Indem nicht ebensogut wie von den Europäern im Mittelalter gepflegt wäre.

Ebensowenig, wie in diesem Punkte, kann ich ^* auch mit der Annahme 01denberg*s und der meisten

Die Indische _ tti -i ... i -i.

voikareiigioD audcm ludologcn übereinstimmen, als wenn die grosse und der rcligiösc Kucchtung, in welche die Brahmanen das

Brahmanisrnns -»tu 1111*11. 1 1 -r* 1

sind speciflsch gauzc Volk allmählich brachten, mit dem Brahma- verschiedene nismus Zusammenhinge. Wer nicht an strenge philo-

noliglonsformen. ,.,▼%... 1 . .ivii.

sophische Distmctionen gewöhnt ist, wird allerdings meinen mtissen, dass die Brahmanen doch natürlich ihre brah- manische Religion und nicht etwa eine fremde zur religiösen

Digitized by VjOOQIC

Dogmatik. 529

Erziehung und Unterjochung des Volkes benutzt hätten; allein dabei läuft dennoch eine logische Täuschung unter. Es ist das Sophisma ex accidente, welches hier dem Urtheil einen Streich spielt. (Obersatz:) Bei jeder Sache hat man zwischen dem Wesen und den zufälligen, d. h. den bloss historischen, Um- ständen zu unterscheiden. Das Wesen wird in den constituirenden und allgemein erkennbaren Goordinaten festgelegt; das Zufällige kann nur historisch erkannt werden. (Untersatz:) Wenn man nun das Wesentliche der indischen brahmanischen Volksreligion aufsucht, so sieht man sofort, dass ihre Motive die uns aus der Macht- und Rechtsreligion ganz bekannten Gefühle der Furcht und Hoffnung einerseits und der Sünde andererseits sind und dass diesen coordinirt eine Dogmatik steht, welche viele Furcht- und Rechtsgötter himmlischer und menschlicher Art zur Vor- stellung bringt, und dass der Cultus ebenso alle Arten von Opfern, Entsagungen, Reinigungen und dergleichen auferlegt, kurz dass nicht ein einziges Element in dieser Religion vor- kommt, das uns aus dem Rahmen der beiden projectiven Reli- gionen herausführte. (Schlusssatz:) Folglich ist die brahmanische Volksreligion nicht der eigentliche Brahmanismus, sondern es sind nur die zufälligen historischen Umstände, die es mit sich brachten, dass die wesentlichen Volksreligionselemente an den Brahmanismus durch allerlei Ideenassociation, d. h. durch die fallacia ex accidente angeknüpft wurden. Wir werden weiter unten das Wesentliche des Brahmanismus herausheben und dann erkennen, dass gar kein logisch zwingender Zusammenhang zwischen beiden Religionsformen besteht. Wenn der Bauer in Indien Reis, in Unterägypten Baumwolle, in Andalusien Orangen, am Rhein Reben pflegt, so ist und bleibt er doch wesentlich Bauer, wie verschieden auch die durch die geogi'aphischen Ver- hältnisse ihm zugewiesenen Feldfrüchte und die Formen des Ackerbaues sein mögen. So ist auch die Volksreligion in Griechenland, Aegypten und Indien im Wesentlichen die gleiche gewesen trotz aller Verschiedenheit der Namen und Formen; denn die Motive des Gcmüths, die zugehörigen Begriffe und die zugetfJrigen Handlungen waren ihrem specifischen Charakter nach genau dieselben, und es erfordert kein anderes Capitel der Psychologie, der Metaphysik und Ethik, um alle diese Religions- formen zu verstehen, sondern es bedarf bloss historischer Ge-

Teichmüller, Bellglonsphilosophle.

uiyiiizeu

juy Google

530 Pantheismus des Gedankens.

lehrsamkeit, um für die gleichen Ideen die verschiedenartigen Namen und eigenthümlicben Formen sammt ihrer besonderen geschichtlichen Entwickelang kennen zu lernen. So ist ja auf den ersten Blick klar, dass die religiöse Knechtung des indischen Volkes nicht von den abstracten philosophischen Speculationen des Vedantismus ausgehen konnte, sondern von Vorstellungen, welche Furcht einzujagen geeignet sind, wie z. B. die Wieder- geburt in Schlangen und Tigern u. dergl. Darum wird man finden, dass der ganze knechtende Bitus, wenn er auch freilich immer durch irgendwelche Eeflexionen in einen künstlichen Zu- sammenhang mit dem Vedantismus gebracht ist, wesentlich nur durch die Elemente der Furchtreligion gebildet wird. Ob man aber, wie in Indien, eine Kuh im Schlaf nicht stören, oder wie in Griechenland beim Neumond nicht fechten darf, oder wie bei den Römern die Verunreinigung einer Quelle durch Hineinwerfen von Silbermünzen büssen muss, oder, wie in christlichen Ländern, beim Läuten der Vesper den Hut abnehmen und ein Gebet sprechen muss: air dergleichen ist nur accidentell verschieden; es liegen aber dieselben Gefühle tiberall zu Grunde. Ich läugne deshalb, dass der Brahmanismus in Indien jemals eine Volks- religion gewesen sei und halte die indische Volksreligion und den Brahmanismus flir speci fisch verschiedene Religionen, die bloss nach dem Paralogismus ex accidente identificirt worden sind. Für die Religionswissenschaft ist es aber von der höchsten Wichtigkeit, sich in solchen Fragen nicht vor scheinbarer Para- doxie zu ittrchten, sondern unbekümmert um die historischen Verwachsungen und geographischen Verschmelzungen mit sicheren Reagentien die specifischen Charaktere jeder Religionsform fest- zustellen, weil man ohne solch streng methodische Analyse schliesslich auf ein wissenschaftliches Urtheil über die Religionen verzichten muss und nur lauter Mehr oder Weniger und lauter Compromisse und sich selbst widersprechende Charakteristiken vorbringen kann und beständig Clausein anhängen muss, um nur einen Gegenstand, der gar nicht einfach ist, als einfach zu be- handeln.

Darum kann ich auch mit Max Müller, dessen geistvollen Schriften wir so unendlich viel Anregung und Belehrung über Indische Religion und Weisheit zu verdanken haben, nicht ganz übereinstimmen, wenn er (Indien in seiner weltgeschichtlichen

uiymzeu uy "V-j v-zv^'pt iv^

Dogmatik. 531

Bedeutung 1884 S. 215) sagt: „Bis auf den* heutigen Tag erkennt Indien keine höhere Autorität in Sachen der Religion, des Cere- moniells, des Rechts und der Sitten, als den Veda, und so lange Indien Indien ist, wird niemand jenen alten Geist des Vedan- tismus auslöschen, welcher von jedem Hindu von frühester Jugend an geathmet wird und in verschiedener Gestalt selbst die Gebete des Götzendieners wie die Speculationen des Philosophen und die Sprichwörter des Bettlers durchdringt"

Was zunächst die Prophezeihung betrifft, so scheint es mir nicht so unglaublich, dass Indien aufhören könnte, Indien zu sein, sobald nämlich mit der Zeit europäische Wissenschaft und allgemeinerer Schulunterricht nebst den zugehörigen gesellschaft- lichen Reformen dort eindringen werden, wie jetzt schon das Ausserordentliche geschehen ist, dass. Indische Frauen selbst um eine würdigere sociale Stellung petitionirten. Zweitens sehe ich aus der Geschichte, dass die Religionsform keinem Menschen und keinem Volke im Blute liegt, sondern dass die Religionen internationales Gut und export-, wie import- fähig, wie das Christenthum, sind. Drittens erlaube ich mir, dem verehrungs- würdigen Nestor indischer Weisheit in der Gegenwart die Frage vorzulegen, ob die Religion, die der Götzendiener, der Philosoph und der Bettler in Indien bekennt, nicht bloss dem Namen nach dieselbe, dem Wesen nach aber specifisch verschieden sein müsse. Ich kann nach der ganzen bisher deducirten Eintheilung der Religionen nicht umhin, die drei vedischen Religionsformen, welche uns M. Müller so scharfsinnig und so siegreich gegen H. Spencer unterschieden hat, nämlich die Religion der Devas, der Pitrs und des Rta, zu den beiden von mir sogenannten projecti vischen Religionsformen zu rechnen. Und es scheidet sich davon durch eine tiefe Kluft die specifisch verschiedene pantheistische Vedantaphilosophie, die nur historisch, aber nicht wesentlich mit jenen zusammenhängt, so dass keine von beiden Gruppen als eine logische Folgerung aus der anderen abgeleitet werden könnte, da vielmehr für die Vedantareligion ein neuer Gedankenweg erforderlich ist, um die projectivische Welt der Furchtgötter und des Gesetzes aufzugeben und erkenntniss- theoretisch das Absolute im eigenen Selbst zu suchen und zu finden.

Digi?4*dby Google

532 Pantheismus des Gedankens.

Der ßeligionsphilosoph kann leicht dazu ver- und leitet werden, einen Unterschied in der religiösen rciigiöBe Speculation zu betonen, der zuerst als wesentlich er- scheint, bei genauerer Betrachtung aber sich als un- wesentlich erweist. Nehmen wir z. B. das Evangelium Jöhannis und vergleichen es mit der Summa des hlg. Thomas oder mit Hegers Logik. Auf den ersten Blick ist der Unterschied unge- heuer gross, weil wir auf der einen Seite lauter unbestimmte in Bildern ausgedrückte BegriflFc und ohne jeden Weg und Beweis bloss zuversichtlich ausgesprochene Urtheile finden, während auf der anderen Seite jeder Gedanke analysirt, jeder BegriflF definirt und dividirt ist und ausserdem eine Methode ausführlich erörtert wird, wodurch wir der richtigen Ableitung des Urtheils sicher werden sollen und die wissenschaftliche Ueberzeugung gewinnen, dass alle möglichen Gegenstände der Erkenntniss eingefangen und nichts aus dem System weggelassen, dagegen alles über- haupt Denkbare an seinem bestimmten Platze im System geordnet verzeichnet steht. Gleichwohl ist der Unterschied zwischen diesen beiden Formen des Denkens unwesentlich, denn es ist dieselbe Geistesfunction, welche arbeitet, und derselbe Gegenstand, welcher erforscht wird; es dreht sich also nur um verschiedene Stufen der Ausbildung, Uebung und Schulung, und es ist sogar recht häufig die Leistung des ungeschulten Denkers vorzüglicher als die des Gelehrten. So waren z. B. Baader und Schelling besser geschult, als der Schuster Jacob Böhm, und doch nahmen sie das Salz ihrer Gedanken von diesem. Wir werden deshalb in der Religionsphilosophie nicht darauf achten, ob ein BegriflF seinen schulmässigen Ausdruck gefunden habe, oder nicht, sondern welcherlei Inhalt der BegriflF hat, und darnach allein werden wir die Religion classificiren.

Was z. B. den Brahmanismus vor dem Auftreten Buddhas betriflFt, so ist es augenfällig, dass zwar schon eine Menge dog- matischer Subtilitäten vorliegen, aber doch noch keine philo- sophische Disciplin ausgearbeitet ist, und man also die religiösen BegriflFe nicht so scharf fassen kann, wie etwa die christlichen Gedanken in den scholastischen Compendien. Nichtsdestoweniger sind die theologischen Gedanken der Brahmanen keine Phantasie- bilder, sondern stammen aus der Arbeit des Denkens und geben klare Begriffe, so dass wir den Lehrinhalt durchaus ver-

Dogmatik. 633

Stehen und die ganze Religionsform ihrem specifischen Charakter nach bestimmen und classificiren können.

Dass nun die alte Brahmareligion pantheistisch

Brabmaolamaa.

war, braucht nicht erst erwiesen zu werden, da bis ^^^ *^^^

jetzt Niemand daran gezweifelt hat. Für uns ist es nur interessant, feinere Unterschiede hervorzuheben. Es fragt sich nämlich, ob die Brahminen auf dem naiven projecti vischen Standpunkte geblieben sind und bloss die äusseren sogenannten Dinge alle in die Eine projectivische Substanz, die also den Charakter der unbestimmten Materie annehmen musste, ver- schwinden liessen, oder ob sie schon, wenigstens in der späteren Zeit, auch die kritische Stellung einnahmen und die Dinge als Erscheinungen des Bewusstseins erkannten. Diese Frage finde ich meistens nicht scharf genug hervorgehoben, und auch bei Oldenberg ist die philosophische Auffassung nicht subtil genug.

Eine Antwort ergiebt sich aber erst, wenn wir den zweiten Charakterzug des Brahmanismus feststellen. Der Pantheismus desselben ist nämlich nicht derart, dass im Fortschritt, in Werk- heiligkeit, in Staat, Kirche oder Kunst, auch nicht im Geflihl das Heil und die Vollkommenheit gesucht worden wäre, sondern es ist keinem der Indischen Forscher verborgen geblieben, dass der Brahmine die Vollendung seines Lebens und der Welt in die Erkenntniss setzt, dass wir also einen theoretischen Pantheismus vor uns haben. Es ist aber, wie oben erinnert, hier ganz gleichgültig, ob diese Richtung auf Erkenntniss sich in den gelehrten Bahnen methodisch - wissenschaftlicher Arbeit oder naturalistisch in ungeschulter Speculation vollzogen habe.

Wenn vnr nun unter den ächten Anhängern des Vedantismus die mehr philosophisch angelegten Naturen verstehen, in denen das Vermögen zur Handlung und das zugehörige Gefühl schwächer reagirten, so können wir vollkommen begreifen, dass die äusseren Dinge und Ereignisse, in deren Getriebe sie sich nicht mischten, ihnen bloss als Bewusstseinserscheinungen vorkommen mnssten und dass sie bei dem fortwährenden Wechsel der Dinge, wie Piaton, das flir den Gedanken Bleibende suchten und so endlich das Eine, welches seinem Wesen nach ganz unbestimmt ist, fanden. Diesem Einen, objectiv genommen, entspricht aber, subjectiv genommen, die erkennende Thätigkeit, die hier als

Digitized by VjOOQIC

58 4 Pantheismus des Gedankens.

Ich oder als die ganze Seele erscheint Sie nannten diese snb- jective Seite Atman und die objective Brahma. Sofern nun in dem Ich noch irgend eine Besonderheit, etwas Individuelles vor- handen ist, trennt es sich nothwendig von einem Andern ab und geht also nicht rein in das Object auf. Mithin ist der noth- wendige Schluss dieser Speculation, wie wir dies ja auch bei allen Idealisten gefunden haben, dass die in das rein Allgemeine und Unbestimmte sich verlierende Ichheit sich ftir göttlich oder vereint mit Gott erkennen muss, wenn sie in das rein Allgemeine und Unbestimmte, in die leere Einheit des ideellen Objects ver- schwunden ist. Atman und Brahma müssen congruiren; denn das Vorgestellte, der ganze Inhalt und das Wesen der Welt müssen von einem Vorstellenden, einem „Erkenner*' erkannt und vorgestellt werden. Dies vorstellende Wesen darf aber nichts Besonderes mehr an sich haben, weil es sonst nur einen besondem und von Anderen verschiedenen Gegenstand zum Inhalt hätte; also muss das reine Subject mit dem reinen Object zusammen- fallen, der Gott im Menschen, im Brahmanen, seine lebendig gegenwärtige Wirklichkeit haben und der Mensch die Fülle und Kraft der ganzen Gottheit, deren Erscheinung die Welt in allen ihren Wesen ist, sich aneignen und in sich besitzen. Die un- glaubliche Arroganz der Brahminen und zugleich die unfrucht- bare Leerheit dieser Religion ist durch solchen Gedankengang durchaus verständlich. Es ist dieser Standpunkt aber nicht bloss indisch, sondern er wiederholt sich nothwendig tiberall, wo man sein Ich in die blosse erkennende Thätigkeit ver- schwinden lässt. Auch bei Piaton hat man überall die Ver- achtung des Vielen, des Zerstückelten, des Wechselnden und damit der Welt, da das Eine, das Ganze und das Ewige in uns durch die Allgemeinheit der Erkenntniss vorhanden ist. Auch Schleiermacher hielt deshalb die Welt und die Weltgeschichte nur für eine Beispielsammlung für das Allgemeine der ethischen Ideen und für die Dialektik.

Da nun alles Einzelne im Allgemeinen enthalten ist, so folgt sehr natürlich, dass die Brahminen auch die Herrschaft über die Götter, die sie als Symbole flir die einzelnen Reiche des psychischen und physischen Lebens auffassten, ebenso über die äussere Natur und die Menschenwelt in Anspruch nahmen. Zugleich mussten die Handlungen , welche den Gedanken des

uiymzeu uy "V-j v-zv^'pt iv^

Dogmatik. 535

Verschwindens des Menschen in das Göttliche oder die Gegen- wart des Göttlichen im Substrat ausdrückten, im Cult eine be- sondere Heiligkeit erhalten, wie z. B. vor Allem das Opfer; ebenso aber auch alle die Akte, welche die Annihilirung des Ichs vorbereiteten oder beförderten, wie das Vedalesen und das Gebet oder die besonderen Positionen des Körpers u. s. w.

Wenn man, wie Oldenberg, die Brahmanen Pessimisten nennt, so ist das eigentlich nicht ganz zutreffend, da sie mit demselben Kechte Optimisten genannt Werden könnten, sofern sie ja bloss kein Heil in der äusseren Welt der Erscheinungen fanden, dagegen das absolute Heil in der Versenkung, in dem Verschwinden des Ichs in Brahma, feierten. Mithin waren sie insofern Optimisten, da sie das Beste erlangt hatten und die Zugänglichkeit des Besten lehrten; denn diese Vernichtung war ja nicht eine Aufhebung des Lebens und Denkens, sondern der lebendige Inhalt ihres Denkens. Es war dasselbe, was die griechischen Philosophen in dem Begriff des „ewigen Lebens" verherrlichen, das nicht ausser der Welt, sondern mitten in der Zeit erlebt und genossen wird. Sofern dann der physische Tod eintrat, so konnte selbst dieser dem Optimismus keine Schranke setzen, da die Welt selbst doch, wie man sah, immer bestehen blieb und mithin auch das Princip derselben, Brahma, in den sich das Subject ja aufgehoben und gerettet hatte, so dass auch nach dem Tode keine Gefahr zu fürchten, sondern nur das Beste und Erwünschteste, nämlich die völlige Einheit mit dem Gött- lichen, sicher war.

Der Pessimismus bezieht sich deshalb nur auf das Gebiet der äusseren Dinge, in denen das Eine zerstückelt und deshalb im Kampf und in Selbstzerstörung erscheint. Mit dieser Welt der Erscheinungen und Illusionen sind wir aber nur verknüpft durch die anderen Geistesvermögen, die bei dem philosophisch Angelegten einen schwächeren Einfluss ausüben, nämlich durch das Begehren (Käma) und die Handlung (Karman). Das Be- gehren oder die Lust steht immer zugeordnet einer bestimmten einzelnen Anschauung, z. B. Speisen, Geld, Mädchenaugen, Ehren u. dergl., und demselben Kreise zugeordnet sind dann immer die Functionen des Thuns und Leidens. Da nun dieser ganze auf die einzelnen Lebenserscheinungen bezogene Kreis geistiger Function nothwendig allerlei Wechsel unterworfen ist und so

Digitized by VjOOQIC

5^6 Pantheismus des Gedankens.

kein Begehren sicher erfüllt wird, keine Lust vor Ueberdniss bewahrt bleibt, keine Handlung ihren Erfolg verbürgt, sondern vielmehr nothwendig alles Einzelne im Zusammentreflfen mit dem Ganzen der übrigen Dinge sich immer einschränken, durchkreuzen, verhindern lassen muss, so folgt, dass das Ich, wenn es sich durch Käma, d. h. durch Liebe und alle Arten des Begehrens, gefangen nehmen lässt, in die Welt der Verwirrungen und der Ktinuner- nisse, der Illusionen und Täuschungen gerissen wird und dass die zugehörige That (Karman) sein Leben bestimmt und ihm den zugehörigen Charakter und die zugehörige Portion von Lust und Leid gewährt. Dies wird von den Brahminen in tausend Geschichten illustrirt, und es ist derselbe Gedanke, den Piaton im 10. Buche des Staates bei der Wahl der Lebensloose ausdrückt

Im Einzelnen diese Religionsform durchzugehen ist flir die Religionsphilosophie nicht von Belang, sondern es würde uns diese Aufgabe zunächst in langwierige und von Weber und den anderen Autoritäten noch nicht abgeschlossene chronologische Untersuchungen führen, da ohne Zeitbestimmung der Quellen- schriften eine wissenschaftliche Darlegung nicht thunlich ist. Für unsere allgemeine Gruppirung aber gentigt es, dass auf diese Weise der Charakter des theoretischen Pantheismus fest- gestellt ist.

Da diese Religionsform nun nothwendig Gnosis sein muss, so ergiebt sich für die empirisc*hen Religionsforscher die inter- essante Aufgabe, zu untersuchen, wie die zugehörige Pistis des geistig geringeren, an Zahl aber unendlich überwiegenden Theiles der Bevölkening mit den brahmanischen Ideen vermittelt wurde und wie weit sich die wirkliche Herrschaft der Brahmanen über das Gemüth der Pistiker erstreckte. Egyptiacho Ich vcrmcide es lieber, genauer auf die Religion

Religion. ^QY Egjptcr einzugehen, weil die Forschung über die Heiligthümer und die Theologie dieses Volkes noch zu sehr in den Hemdsärmeln der Arbeit steckt. Gleichwohl ist im Allge- meinen für die Religionsphilosophie das Resultat schon sicher, dass die Gnosis der egyptischen Theologen ebenfalls den theo- retischen Pantheismus enthielt; denn wer das Todtenbuch hiero- glyphisch oder auch nur in Uebersetzungen gelesen, kann darüber nicht mehr in Zweifel sein, dass die Seele (das Ich) in alle G()tter und zuletzt in das Eine verschwindet, dessen Erscheinung,

Digitized by VjOOQIC

Dogmatik. 537

Verkörperung, Zersplitterung, Grab oder Geburt die Welt ist. Wie weit aber die Speculation dieser Theologie sich ausgebildet hatte, darüber wird noch geforscht*)

Neben der Gnosis steht dann in grossem Uebergewicht die Pistis, da die Priester die Beherrschung der Gläubigen kräftig in die Hand nahmen und eine unter verschiedenen Göttemamen und Gülten reich ausgebildete Religion der Sünde und der Furcht besassen, in deren Formeln, Gefühlen und Handlungen sie Fürst, Adel und Volk in bewunderungswürdiger Weise zu leiten wussten.

§ 8. Zur Kritik des Idealismus.

Max Müller (Indien 18S4 S. 210) sagt: „Die Philosophie ist in Indien, was sie sein soll, nicht die Verneinung, sondern die Vollendung der Religion; sie ist die höchste Religion, und der älteste Name des ältesten philosophischen Systems in Indien ist Vedänta." In diesem Ausspruch haben wir die exacte Auffassung der Religion von Seiten des Idealismus. Nehmen wir noch eine zweite Stelle hinzu (S. 217): „Namen (der Götter Devas ), die etwas bedeuten sollten, was den Menschen sehr theuer war, was ihnen eine Zeit lang als ihr wahres Selbst erschienen war, mussten sie aufgeben, ehe sie das Selbst der Selbste finden konnten, den Alten Mann, den Zuschauer, ein von aller Persönlichkeit unabhängiges Subject, eine von allem Leben unabhängige Existenz. Das Selbst im Innern (der Pratyagätman) wurde zu dem höchsten Selbst (dem Paramätman) emporgezogen; es fand sein wahres Selbst in dem höchsten Selbst, und es wurde erkannt, dass die Einheit des subjectiven mit dem objectiven Selbst aller Wirklichkeit zu Grunde liege, als der dunkle Traum der Religion als das wahre Licht der Philosophie."

Wir haben hier bei dem berühmten Indologen die reine, mit Wärme, ja mit Begeisterung vorgetragene Lehre des Idealismus, der die Religion zu einer Erkenntnissart, wie die Philosophie, macht, nur zu einer dunklen und unvollkommenen. Darin liegt

*) Vergl. darüber den zweiten Band meiner „Neuen Studien zur Ge- schieb te der BegriiFe", wo ich nach den Quellen den Sinn der Egyptischen Theologie und die Abhängigkeit des Ilerakleitos von ihr festzustellen suchte, t

uiyiüzeu uy "V-j v-/ v^pc l V-

538 Pantheismus des Gedankens.

aber zugleich das hinreichende Argument, um den Idealismus zu widerlegen; denn die Aufzehrung aller Wirklichkeit und aller selbständigen Wesen in blosse Vorstellungen, Erkenntnisse und Begriffe ist eine so handgreifliche Einseitigkeit, dass Jeder leicht einwilligen wird, mit mir das Ich und die übrigen Functionen des Geistes vor dieser hypertrophischen und tyrannischen Er- kenntnissfunction, in die Alles verschwinden soll, zu beschützen.

Da ich die Kritik wohl schon genügend in die Darstellung eingeflochten habe^ indem uns der Idealismus bei seiner Ent- stehung sofort seine scheinbar vornehme, in Wahrheit aber un- ehrliche Abkunft offenkundig machte, so brauche ich jetzt nur die Hauptpunkte zu sammeln.

Zuerst also sei wiederholt, dass der Idealismus die Religion nicht versteht, weil er sie ganz verstehen, d. h. sie zu einer blossen Erkenntnissstufe und Vorstellungsweise herabsetzen will. Die Religion, die sich als persönliche Gesinnung in den geistigen Functionen offenbart, wird nun zwar zur Ausbildung ihres wissen- schaftlichen Ausdrucks Eine Hand dem Philosophen reichen, sich aber für die reale Gemeinschaft mit Gott im Cultus die andre Hand freihalten und auch das Herz nicht mit verschenken. Es ist eben bloss die dem religiösen Gefühl zugeordnete Vor- stellungssphäre, die der erkennenden Function gehört, und deshalb muss sich der Idealist als Kläger, der auf die ganze Erbschaft Anspruch machte, mit einem blossen Legat abfinden.

Sodann erinnere ich wieder an die völlige Leerheit der sogenannten höchsten Erkenntniss, da die absolute Identität des Subject-Object von dem reinen Nichts nicht verschieden ist. Die ent- zückende Formel des Denkens des Denkens (v(5Y]at<; voTjasöx;), welche die Schwärmerei für den absoluten Geist hervorbrachte, ist doch schon von Aristoteles bis zu einer solchen Erhabenheit aus- staffirt, dass der Schritt zum Lächerlichen unvermeidlich wurde, da die Sinnlosigkeit in doppelter Bedeutung für dieses höchste Denken verhängnissvoll sein musste. Ein Geist, der weiter nichts zu thun hat, als sich selbst zu denken, und dabei von allem Leben der Welt, welches uns durch die Sinne offen- bart wird, und von aller Persönlichkeit abstrahiren soll, der ist doch wohl ein unnützer Geselle und gehört auch nicht in die Welt, aus der er sich mit Recht verbannt. Lassen wir ihn draussen sitzen und sich selbstlos am selbstlosen Nichts delectiren;

le

.gh

Dogmatik. 539

denn ein solcher Philudenist kann weder psychiatriscb behandelt, noch wie die Eremiten in den dunklen Zellen von Troitzkii Sergiewskii wenigstens gefüttert und verehrt werden.

Aber auch diejenigen Idealisten, die dem absoluten Geiste die Negativität wie eine Bremse unter den Schwanz setzen, damit er in Bewegung komme und zur Beschäftigung mit den logischen Kategorien und demzufolge mit der Weltschöpfung und der Geburt des subjectiven und objectiven Geistes übergehe, auch diese Mjthologen sind nicht brauchbarer; denn sie verwandeln bloss die träge und indifferente Kuh in die unstet umherlaufende lo und verlieren in der That bei dieser rasenden Wanderung der Göttin alles Eigenthum und Wesen; denn da die Er- scheinungen und alle Momente der dialektischen Entwickelung durch das Gesetz der Entwickelung selbst inuner zum Ver- schwinden genöthigt werden, indem bei keinem Gliede der Kette eine selbständige in sich nihende Substanz hervorkommt, so ist auch kein Punkt gegeben, an welchem die Kette hangen könnte, sondern es existirt immer nur das jedesmal dialektisch nothwendige Glied, um dann ebenfalls zu verschwinden. So ist auch bei diesem Taumel der Dinge keine Hoffnung, einen vom Rausche und von der Bremse befreiten ruhigen und vernünftigen Gott und eine wirkliche Welt zu erhalten, sondern der Gott muss, da er Alles ist und in Alles übergeht, immer zugleich sein und nichtsein, so dass sein Wesen mit dem inhaltlosen abstiacten Werden oder dem Nichts zusammenfilllL

Dieser pantheistische Gott ist uns deshalb nicht gross genug und kann uns nicht mehr imponiren, da wir eingesehen haben, dass er aus der alleingelassenen und preisgegebenen theo- retischen Function gleichsam unehelich geboren ist Legitim wäre die Geburt nur, wenn der Begriff des substanzialen Seins, welcher der Idee des absoluten Geistes zukommen soll, seine Abkunft aus dem Vorbilde des Ichs und des nicht durch Schlüsse gewonnenen Gottesbewusstseins durch die Aehnlichkeit seines Typus nachweisen könnte und wenn die theoretische Function bei ihrer Selbstverherrlichung nicht die geschwisterlichen Fun- ctionen der Handlung und des Gefühls in eine unwürdige Ent- fremdung und knechtische Stellung brächte. Wir wollen dies uns noch durch einen Vergleich deutlich machen. Vergleichen wir die Welt mit dem System der Zahlen und bewundem die

uiymzeu uy V^jOOV IC

540 Pantheismus des Gedankens.

unendlichen Reihen, die schön gegliederten Gegensätze der nega- tiven und positiven, der geraden und ungeraden, der ganzen und gebrochenen Zahlen u. s. w. und ebenso die unendlichen Com- binationen, die aus den Elementen durch die verschiedenen Operationen gewonnen werden. Zu dieser schönen Welt suchen wir nun nach idealistischer Methode den Gott und müssen ihn dann der Analogie gemäss finden in der leeren und unbestimmten Einheit, die Alles und Nichts ist; denn sie ist Eine Drei, Ein Tausend, Eine Million, Eine unendliche Reihe und so bei jeder Operation ist sie die Einheit des Elements und die Einheit des Products und des Differentials und der Gleichung und der Operation selbst. Jedes ist Eins. So ist der Gott des Idealismus Alles in Allem und doch Nichts, leer und wesenlos. Zu dieser trostlosen Consequenz kommt der Idealist, weil er das Denken oder die Erkenntniss, worin nur Eine Function des Geistes liegt, ftir das Ganze nimmt und daher über den letzten Ursprung seiner Resultate keine Rechenschaft geben kann. Wir aber sehen sofort, dass diesem ganzen idealistischen Zahlensysteme aller Werth fehlt; denn man setze nur Einen Thaler statt der unbenannten Million, und sofort ist ein Interesse und ein Werthunterschied in der Welt, der auf dem Willen oder Gefühl beruht. Setzt man dann noch die Person hinzu, welche die Werthe ausgiebt und empßingt, so kommt Sinn und Verstand in die Welt, und wir sind frei von dem Taumel der Maja und von der Leerheit des Subject-Objects.

Darum ist der Idealismus durch eine höhere und legitime Philosophie zu ersetzen, die sich nicht auf Erscheinungen auf- baut und nicht in blossen Abstractionen von Erscheinungen arbeitet. Diese höhere Philosophie soll hier nicht in vollständiger Rüstung hervortreten; es genügt, wenn sie vorläufig die Usur- patoren in den Sand wirft. Ich sage darum hier nur, dass eine Mutter, die ihr Kind an*s Herz drückt, unbewusst eine höhere Metaphysik besitzt, als in dem Parmenides Platon's, im zwölften Buche von Aristoteles' Theologie und in HegeFs Logik und in den Upanischaden vorgetragen wird; denn sie hat das feste Ver- trauen zu der metaphysischen Substanzialität ihres Kindes, und das Geftlhl ihrer Liebe lässt sie an der Realität ihrer Thätig- keiten nicht zweifeln. Dadurch hat sie ein naives, aber durch- aus richtiges Bewusstsein von dem, was wahrhaft ist, unter-

u.quizeuuy Google

Dogmatik. 541

scheidet Wesen, Thätigkeit und Vorstellungsinhalt und steht also über dem grössten Idealisten, der durch einseitige Hingabe an die Erkenntnigsfunction die Welt nur als Yorstellungsinhalt und das wahrhafte Sein nur als das Allgemeine auffasst.

Mithin ist die Beligionsfoim des Idealismus nicht höher, als die der Mystik und die des praktischen und künstlerischen En- thusiasmus; sie zeigt uns nur die dritte mögliche Einseitigkeit, die intellectualistische Religion. Wie aber die projectivischen Religionsformen durch den Atheismus zerstört werden, so fallen alle Formen des Pantheismus, sobald man ihren Ursprung auf- deckt und die täuschende Grundlage durch Kritik vernichtet Also müssen wir jetzt entweder als Atheisten zweiter Potenz auf Religion überhaupt verzichten, oder eine bessere Grundlage durch eine wahre Metaphysik besitzen, auf welcher dann mit sicherer Statik und stilvoller Architektonik die wahre Theologie aufgebaut werden könnte. Damit aber kommen wir zur dritten und letzten Stufe religiöser Bildung, zur Philosophie des Christenthums.

-eo

Digitized by

Google

Sach- und Namen -Verzeichniss.

Abendmahl 251, 252, 421.

Abhängigkeitsgefühl 84.

Ablass 323.

Abner 315.

Abraham, Opfer des Isaak 147, 327.

Abscheu 276.

Abstraction, keine Elimination 70, 286 f.

Accidenz 106.

Achtung 283.

Aegypt. Todtenbuch 147, Theologie 536.

Aeschylos 342.

Aesthetisch 438, 447.

Agamemnon 327.

Agrippa ab Nettesheim 56.

Ahriman 287.

Akt 71, 84, 86, actus puros 506.

Alchemie 329.

Alexander d. Gr. 369.

Alibi 204.

Allah 265 ff., 339.

Analogie 63, 160.

Analyse 387, 403, 406, 473, 503.

Anerkennung 309.

Angeboren 232.

Animismus 135.

Anlage 71, 81, 232.

Antagonismus 430.

Antisthenes 6.

ätcdö-eux 479.

Apollo 175, in Delphi (bei Piaton) 483.

Apologetisch 107, 181, schlechte Apo- logeten 222.

Apostel 226.

Apotheose 402, 479, 480.

i Apotropäen 143.

Appellativ 238.

Apriorisch 5 f., 52, Rechtsbegründung 59, Coordination 71, 232, 249, 287, 322, 402.

Araber 265.

Arabische Märchen 247.

otpai 238.

Aratos 139, 176.

Arbeit, coordinirt dem Glück und der Noth 389, 396.

Archaischer Idealismus 497.

Architektonik d. Wissens fehlt bei Lotze 21.

AristoteleSjPsychologie 32, Metaphysik 106, dem Volksglauben unterworfen 135, Berührung der Gegensätze 141, falsch natura secunda 170, Wunder 176, Orakel 179, Fledermäuse 191, GränzederttTCoSstStc 207, Topik 227, falcher Begr. d. Ehre 240, Stellung zur Religion 263, Tragödie 328, Atheist gegen die Volksgötter 368, Ethik 448, Apotheose des Philos. 480, Theologie 504, Pluralismus 506, Atomismus ideal. 507, gegen Platon's und Speusipp's Theologie 511, Entwickelungslehre 511, voiQan; voY|oea>5 538.

Armenier (Schlangencult) 136.

Artform 170, 505.

Askese 324, 333, 410.

Astrologie 139, 154.

Atheismus 92, 103, 123, mit dem Kopfe 234 f., 253, Relig. 357—373 407, 478, 541.

Digitized by VjOOQIC

Athen Chnstenthum

543

Athen, abergläubisch 130.

Atman 534. .

Atome 370, Atomismus 507.

Auferstehung 177, 189 f.

Augenblick 89, Vorrede.

Augui-en 164, Wissensch. 178, 220.

Augustin 219.

Aurinia 250.

Auserwählte 82.

Auslösen 232.

Autorität, Quelle der 215, 429.

athxo^ 512.

Azazel 341.

Baader Philos. 532.

Bärencult 137.

Baidur 317.

Bambino il 141.

Begehren, nicht spontan 30.

Begriff, nicht von jedem Vorgestellten 167, falsche Auffassung 168, haben keine Beine 229, durch Denken 284, nichts Empirisches an sich 362, und Gegenst. 405.

Beifall 43, 276, 446.

Beispiele, wichtig zur Deutlichkeit 224, 444.

Bekreuzigung 151.

Beredsamkeit 185.

Berufene 82, Berufung 309.

Besessenheit 289.

Bewegung, im Geiste 34, Uebergang in Kunst 34, sx)ecif. Kriterien 35, coordinirt dem Willen und der Er- kenntniss 35, im Denken 40, Exe- cutivorgane 45, geistige 48, 49, Kunst 56, Streben 61, und Wille 62, Kealität 62, Bewegungsapparat 64 geistiger, reales Sein 65, Problem der Bewegung 85.

Beweis, indirect 46, 213.

Bewusstsein, Gränzen, Quantität 31, persönl. 73, nicht = Erkenntniss 74, nicht Wissen 75, 214, 444, Quantität 89, 302, Vorrede.

Beziehungspunkte , auswärtige 66 ,

fund. relat. 72,, Beziehungsgrund 73, 237, 238, 244 f., 295.

Bilderverehrung 142.

Bismarck 172, Vorrede.

Blasius, Zoolog 230.

Böhm, Jac 532.

Bonghi 503.

Böses, Princip 288 f., Sünde 301, radicales 349.

Brahma 534.

Brahmanismus 382, 407, 527, 530.

Bretschneider 185.

Buckle, Vorrede.

Buddhismus 406 ff., ohne wissenschaft- liche Dogmatik 491 f.

Bülow, Frhr. v., 126.

Busse 323, 327, Bussgefühl 305, Buss- predigt 307.

Büsser, keiner religiös befriedigt 333.

Butzemann 138, 317.

Cartesius 221.

Caspari Otto 95.

Causa efficiens 245.

Causalitätsgesctz 215, mechan. Gausa- litätsgesetz 216.

Chaos, Materie und der Ideen 499.

Charakter (proprium) 406.

Chemie und Alchemie 329, 402, 406.

Christenthum 83, 100 f., 104, 110, humorist. Mariacult 137, Crncifix als geprügelter Götze 138, Cultus jährl. Periode 140, rein histor. 141, Verhältniss zu den heidnischen Ele- menten 141, Gott und Maria 148, auswärtige Angelegenheiten 152 Wunder nichts specifisch Christ- liches 169, Leichnam Christi 177, Symbole im Cult 180, Wunder 180 f., worauf seine Macht nicht beruht 186, Wahrheit der Wunder 187, Auferstehung 189, neue Meta- physik 141, 191, Gebrauch der Wunder 217, Christen als Gläubige der Furchtreligion 220, keine bor- nirte Sekte 222, Bekehrung des

Digitized by VjOOQIC

544

Ghristenihuin dii inferni

Paulus 224, nicht gebunden an die Illusionen des Paulus 226, kein stereotyper Kanon 22(3, mit dem Her/en 2;U f., bei Mohamed 266, dasllistorische nicht auf Allegorisches zurückzuführen 293, steht über Idealismus, Pessimismus, Optimis- mus und Piatonismus 321, keine Armuthsforderung 323, keine Stell- vertretungsidee 328, für alle Men- schen 330, Aneignung im Glauben 333, Pajwtthum 346, unreine Formen 359, neuplatonisch gefasst 380,ewiges Leben 409, christlicher Gott 414, pathologischeFormen 418, Deduction der drei pantheistischen Verimingen 419, Iteligion nnd Staat 419 f., con- ti nuirlicher Gebrauch 439, allegor. spielerisch gebraucht 460, Humor 464, bei Fichte 480, wissenschaftl. Theologie 491, 526, mit dem Idealis- mus nicht vertniglich 507, christ- liche Denker, von Aristoteles in- spirirt. Erlösung 514.

Christus 13, 177, 323, 330.

Cicero 191, 326.

Citrone 5, 34.

Civilisation 389.

Civürecht 50 ff.

Clemens Alexandrinus 110.

Commune 328, Logic.

Comte A. 100, 362, 526.

Confirmation 97, 98, 289 historisch, 404 empirisch.

Conjectur 160, 165.

Congestion im Bewusstsein 302.

consensus, c. tacitus, consentire 52.

Continuität 230.

Contract 446.

contritio cordis 305.

Coordinatensystem 42, coordinirt 54, 60, Beispiel 66, 154, Religion 71 f., Einheitd.85f., Wesen d. Denkens 214, Form d. Wirklichkeit 217, Dialektik 228, 234, 244, des Zufalls 253, des Islam 266, 300 f., der Functionen 309, 336, 338, zwei Systeme 312,

Religion und politische Organisation 342, zeitlos 385, Störung 420, Be- wegung 4 23, Ortsbestimmung im 444.

cftlpa 132.

Culturgeschichte, positivistisch 110, abzuweisen von der Philosophie 229.

Cultus, Definition 144, Perioden 140, 299, spielerisch 415, kirchenenthu- siastisch 422, im Idealismus 487, im Brahmanismus 535.

Dämonen und dämonisch 165,Definition 259, 287.

Dankbarkeit 118.

Darwinisten 94 f., 107, 229, 512.

David 300, 315, 317.

Decii 326.

Deduction 117.

Definition 16, Eintheilung d. Definition 67 ff., individuelle, generelle, ideale 09 ff., noth wendig mehrere von dem- selben Gegenstande 7U, genetisch 72, Definibilität 443.

Demetercult 90.

Demokrit 15.

Denken, immer unter Leitung des Gefühls 39, 58, 65, als Bewegung und Können 63, Inhalt und Be- wegung trennbar 64, und Vernunft 121, unbeschränkt im Menschen 194, denkmatt 197, hinreichender Grund 203, durch keine Gesetze einge- schränkt 208 , Bewusstsein des Aktes 238.

Depositum 274.

Derwisch 90, 268.

Despotismus 342.

Deutschland 51.

Deutung 172.

Diagnose 423.

Diiüektik 64, 204, 227, 234, 518.

Dianoetisch 449.

Dichter, vom Gefühl geleitet beim Componiren 65.

Differenz 403, 443.

dii inferni 326.

Digitized by

Google

Dilthey Formen

545

Dilthey, metaphysische Anarchie 7, Kechtsbegriff, Thatsachen, Wille, Positivismus 55 f., angeblich histo- rische Schule 361.

Diogenes Cyniker 367.

Dionysios Areopagita 454.

Distinction 64»

Diven 289.

Dogmatik 228, Dogma buddhistisch 408, falsche Norm 421, 435.

Drahtpuppen 246.

Dreieck, dreieckiger 17.

Dreieinigkeit des Geistes 65.

Dreizehn 252.

Drobisch 36.

Dscharatkaru 827.

Dualismus 127, 286, 291, 503.

DueU 239.

Durst buddhistisch 407.

Ebers Georg 324, 346.

Edda 247, 249, 258, 317.

effectus pro causa 61.

Ehe 421.

Ehre Begriff, abhängig vom Gefühl 13, falscher und richtiger Begriff 240, Ehrenerklärung 241, Ehrfurcht 283, Ehrgeiz 413.

elXmptvi(; 498.

Einheit 85, das Eine 538.

Eintheilung 93, genetisch 94, transc. Eintheilungsprincip 176, 443, Inter- esse 382, ohne Werden 385, setzt Analyse voraus 387.

Einsegnen der Kinder 242.

Einseitigkeit 443.

Eklecticismus 525.

Ekstase 91, 464.

empir. Wissen , abhängig von der Philosophie 7.

Empirismus 96, 215, Revolte gegen die Philosophie 399 ff., empirische Voraussetzung 503 f.

evipY^ia 500.

Engel Gottes 200, Stemgötter 508.

Entelechie 512.

Enthusiasmus 191, 413.

Entrüstung 50, 59, 276, 282, 358.

Entwickelung 57 , Entwickelungs- geschichte 107, 231, anzuerkennen 109, 241.

Epaminondas 416.

Erdmann in Halle 481.

Erfahrungswissenschaft 56, s. Empi- rismus.

Ergänzung 838.

Erinnyen 238.

Eris 259.

Erkenntnissvermögen , nicht recept. 28, 38, 44, specif. und sendet. Er- kenntniss 68, nicht religiös 72, nicht = Bewusstsein 74, semiotisch 217, opp. Bewusstsein 444, idealistische Erkenntnisstheorie 498, Vorrede.

Erlösung 407, 412, bei Piaton 488, 512 ff., 513 f.

Erscheinung opp. metaph. Wesen 336, projectivisch 494.

Ethik 59, im Islam 267, buddhistische 410,pantheistiBche 414,sociaJethische 429, künstlerische 437, Aristotelisch- hellenische 448 ff.

Etymologie von Wille und Gefühl 67.

e^daifjLoyia 449.

Eucken 95.

Euripides 179, 195, 247, 263.

Evangelisten 227.

Ewiger Jude 897.

Ewiges Leben (QuaHtät) 381, 502.

Extreme 428.

fallacia ex accid. 507, 529.

Fatum 249.

Fechner, Vorrede.

Feen 250.

Fetisch 142 f.

Fichte 75, 205, Sittengesetz = Gott 369, Staatsenthusiasmus 414, Gnosis 419, apecul. Idealismus 480 f., 515.

Fluch 285 ff., Tod 242, schwarzer Bock 327.

Formen 233 f., Bedingung neuer 244, j

546

Formen Gott

reine und unreine 404, 432, des PantheijBmus 490, Idee 493.

Fortschritt der Civilisation 220, 389, 391, 415.

Franclin, Beig. 319, 391.

Frankreich 51.

Frauen 250.

Freiheit 46, freiwillig 325, freie Thätigkeiten 326.

Freude 409.

Friedrich Wilh. Preuss. König 222.

Frömmigkeit 405, 415.

Fügung 193, 218 f.. 249.

Functionen der Seele 26, 232, 403, 433, 436 f., Uebeigewicht 443, 474.

Fundament 490.

Furcht 50, 53, 59, 102, 118 f., 530, Gegenstand d. 123 ff., Wunder 180, Islam 267, Furcht und Sünde ho- molog 312, Furchtrelig. Gesellig- keit 389, Furchtgott 407.

Gebet, mechanisch 85, Wirksamkeit 148, unrein 333, bei Kant 371 f.

Geburtsgötter 259.

G e f ü h 1 , bei Arist«, Plato und Spinoza 32, G. u. Wille 27, 36, 43 def., 58, synonym 66, symbol. 80, kein G. ohne Bewegung 65, nicht schlecht- hin religiös 98, Motiv der Religion

116, relig. 447, alle persönl. G. haben Beziehung auf die Zukunft

117, begründet allein Werth und Autorität 215, Yerhältniss zur Ge- selligkeit 337, unpersönlich 379, Genuss der Heiligkeit 405, En- thusiasmus 413, imPantheismus451, kurzlebig 465, im Idealismus als niedrigere Erkenntnissstufe 482, def. 444, Eintheilung 270 ff., 446 ff.

Gegensätze, angebl. höchste 383.

Gegenwärtig 89,

Gehorsam 410 f.

Gelten 3, 215, 352.

Geist bei Krause 20, opp. projectiv 376, hlg. 420, Trennung der Fun- ctionen 436 f., absol. bei Hegel 482.

Generisch 170, Gattung 403.

Genetisch 72.

Gerecht 167, Gerechtigkeit 291.

Gerichtshof 45.

Geschichte 70, geschichtl. Betrachtung 97, 109, 427, Phüos. d. 220, 347, 291, 294, 314, 317, Weltgesch. 224, religiös. 332, Gesch. d. Philos. 360.

Geschlechtstrieb 42.

Geschmack 42.

Geschworenengericht 46.

Geselligkeit 335 ff., motaphys. 336 ff.

Gesellschaftsordnung 412.

Gesellschaftswissenschaft 400.

.Gesetz des Sprungs 230, Gesetze moral. 274, Jurist. 323.

Gesinnung, Begr., nicht Willen, 76, Sprachgebrauch 78, verdorben 313, relig. 456 ff.

Gespenster 134 ff., 187.

Gewissen 300, 311, verdorben 313, Wirksamkeit 404, unveränderliche Keaction 423.

Gewissheit 40, Def.

Gewohnheit 50.

Glaube 82, 183, 411, 414.

Gläubige 307, nicht im Pantheismus 381.

Glaukos, im Netz gefangen 150.

Gleichnisse 409.

Gloatz, Paul 173.

Glückseligkeit 390, 415, 449.

Gnosis 419, 482 ff., 536.

Goethe 82, 193, 219, Faust 394, 435, 439, 461, 465.

Goltz, von der, Freiherr, Vorrede,

Gott, GottesbewuBstsein 79, 99, 132, 447, relig. u. philos. 87, variabel 133, offenbart sich 72, Gewissheit 88, Sprache der Götter 178, 184, Wort Gottes 309, Anfang der Re- ligion 114, projectivisch 111, 306, erster 125, Böse 126, veränderlich, in Gemeinschaft mit dem Menschen, abh. vom Menschen 131, unerforsch- lieh 133, 306, als Hausgott und Nationalgott 133, 294, wir seine

Digitized by VjOOQIC

Gott Heuchelei

547

Mitstreiter 134, Penaten 135, Schlangen u. Thiere 136, Menschen 138, Könige 138, geprügelt 138, Sterne 139, Leben, Geburt, Tod, Kindheit, Leiche 140 f., 293, Mensch- werdung 293, 510, Götterwelt im Ich verschwunden 376, Vergottung 380, im Fantheismus 382, als theo- retische Function 478, i^rspectiv. Stellung 134, Götzendienst 142, Fresslust 147, Geschlechtslust 148, durch Gebete bestimmt 148, vom Priester pacificirt 156, Wirksam- keit an Fluch und Segen gebunden 244, betrogen 326, Götter als Diener 287, Abbildungen 292, geschicht- lich 292, 294, Unver&nderlichkeit 295, Entfernung von uns 305, nicht in der Wolkenregion 371, Zufall 192, Einheit ausser der Weltsumme 198, Reich Gottes 227, übematürl. Verkehr mit G. 199, drei Eigen- schaften 385, Geschäftskreis 427, verlorener Glaube an Gott 414, Un- bestimmtheit des Rechtsgottes 283, bei Aristoteles 480, Gott und Mensch im archaischen Idealismus 496, als Philosoph 510, idealistisch 539.

Gottlosigkeit 358.

Gratulieren 242 f.

Grund, Satz vom G. 196, Beweis 207, 209.

Gut, höchstes bei Kant 18, Beziehung zum Gefühl 37, Stufenfolge der Gater 279, Güterlehre 398, Idee 447, dem Wahren untergeordnet im Idealismus 475 f., Def. 389.

Güterverkehr 325.

Haakh 326.

Habsucht 271.

Hades 259.

Haeckel 95.

Handlung religiös 98, 116.

Hartmann v. 360.

Hamack, Adolf 174 Wunder, Vorrede.

Haschisch 91.

Hebräische Relig. Kinderopfer 147, Opfergeruch 148, Jacob's Ringen mit Gott 150, Mosis Theurgie 150, Juden 181, Philos. d. Gesch. 220, 315, Schicksalsidee 246, Monotheis- mus 286, höchstes Gut 318, schwarzer Bock 327, Inhalt der prophetischen Schriften 340, Feste 341, Elemente d. Furchtrel. 371, keine wissensch. Theologie 491 f.

Heckerling 143.

Hedonisten gelobt 37, 410.

Hegel versteht das Gefühl nicht, über Schleiermacher 18, versteht die Kunst nicht 19, durch die Sprache getäuscht 32, Subj.-Obj. 75, Relig. als Vorst. 19, 81, Metaphysik 100, 106, dialekt. Entwickelung 108, Grundgedanken von den Griechen entlehnt 109, Zufall 153, Idealismus 205, speculativer 481, 517, pro- jectiver 497, Versteckspiel mit den Theologen 224, Kritik seiner Dia- lektik 229, ReHg. d. Schönheit 262, religionsphil. Methode 329, 514, dialekt. Schema 384, Eintheilung der Religionen 402, Staatsidee 414, Gnosis 419, Vorrede.

Heilige, pantheist. 405.

Heiligkeit 404.

Heiligkeitsgenuss 405.

Heilsarmee 151.

Heilsgeschichte 220, 224.

6l|j.apjjivYj 249.

Heine Heinrich, Juden. Mönch 182, 396.

Hei 259, 317.

Helios 139.

Hellenische Cultur 237, 247, Schick- sal 249, Religion 262, Redner 315, Feste 341.

Herbart, Psychologie 28, 32, 36, Vor- stellungspsychologie 44 , Metaph. 100, System 205 f., Eidolologie'377.

Hermhuter 462 f.

Hemchsucht 271, 413.

Heuchelei 10.

uiyiu^V Google

548

Heuristisch Joab

Heuristisch 168. Hexen 138, 251. Hierarchie 345. Himmelfahrt 182. Hiob 291, 318. Hippokrateer 494. Hippolytos 380.

Hitopadesa 246 v. Max Müller über- setzt. Hölderlin 439. Hofl&iung 118 f., 267. Holzmann, ind. Sagen 326 Homer 185, 196, 262* Homiletik 223, 225. Homolog 282, 388. Horaz 35.

Horus Ra 139, 141. Hostie 242. o5 svexa 489. Hufeisen 252. Hugo Victor 416. humanitas 501.

Humoristisch christl. Cultus 137 f. Humor 464. Hut aufsetzen 60. Hylozoismus 361, 496, 503 f. Hymnen 146. Hypertrophie 420. 6icoxeifjk6vov 506. Hypothesen 255, hypothetisch 420.

Jacob, Bingen mit Gott 150, Segen des Isaak 242.

Jacobi 32.

Jajati 327.

Jama 259.

Javolenus 53.

Ibikus 199.

Ichheit 73, Herr und Eigenthümer des geistigen Lebens 74 f., Zeit u. Klarheit 113, ist eine metaphysische Erkenntniss 113, verschiedene Stel- lung 288, mit dem niedrigeren Element identificirt 304, 306, setzt sich in den Geist 375, Bruttoauf- fassung 377, Verschwinden des Ichs

378 f., im Schlaf 380, als Erschei- nung 403, und Welt 446, kann nicht in der Function verschwinden 464, Vorrede.

Ideal 69, 70.

Idee projectiv 494.

Ideen 231, 447, 499.

Idealisten 29, 479.

Idealismus 33, falsche Weitaus. 69, 214, 219, 321, Grundfehler 484, archaische Form 492, subj. 497, 539 f.

Idolon fori 32.

Jehovahreligion 263.

Jephtha 326.

Jeremias 315.

Jesus, Wunder der Furchtreligion verhasst 226, kein Gott der Furcht- religion 226, Reinheit 316.

ignoratio elenchi 430.

Illusion 88.

Immaterielle Wesen 505.

Incantation 241.

Inder 247, Schicksal 286, SteUver- tretung 327.

Indication 430.

Indirecter Beweis 46, 470.

Individualistisch 429.

Individualitäl, im Idealismus uner- klärt 501.

Individuation 494.

Individuelle Definition 69, Wesen u. Interpretation 219.

Indra 286.

Inductiv 299.

Inhalt 412.

Iigurien 239.

Intelligibel 497, Wesen 505.

Integration 338.

Interesse 339.

Internationale, die 415.

Interpretationsgesetze 184 f., 219.

Inspiration 161 ff., Wesen 162, ist Thatsache 163, Islam 268, prophet 309.

Jo und Zeus 148, 539.

Joab 315.

Digitized by VjOOQIC

Jogi Löning

549

Jogi 381.

Johannes Evang. 532.

Joseph 184.

Joukahainen 240.

Iphigenie 827.

Irreligiös 91.

Isaak, Opfer 147, 327.

Islam 181, 264 ff., 286, 339, 343, 346, hei Lessing 348.

Jadenthnm 266.

Jüdisch s. Hehräisch.

Jurisprudenz 47, juristisch 322 (tech- nische Function), Versöhnung 333.

Justitia blind 379.

luvenal 326.

Kain 282.

Ealchas 175, 185.

Kalewala 240.

KaXon^faBia 448.

Käma 535.

Kant versteht das Qefühl nicht 18, Metaphysik 100, Teleolog. 203, 206, Versteckspiel mit den Theologen 224, Eeligionsphil. Methode 329, Relig. 349 f., Gott Postulat 869, Gebet 372, Gränzen der Natur- wissenschaft 233, Begründung der Moral 273, Ideal des höchsten Gutes 318, Moral 438, Streben 319, kritischer Idealismus 497, Vorrede.

Kantianer 17 f.

Karman 585.

Kapuziner 223.

Katechismus 237.

Kategorie 273.

Kd^ai( 513.

Kathol. Kirche 180, 404, 421, 423.

Keren 238, 259.

Kern, Franz über Joh. Scheffler 473.

Keuschheit 421.

Kindschafbsidee 317, jüd. nur dem Namen nach gleich mit der christl.

Kirche 220, und Paulus 224, Verderb- niss 316, def. 345, umfasst auch

Ungläubige 386, def. 420, 426, und Philos. 485.

Kirchenväter, atheistisch 103, Dämon 164.

Eirchenenthusiasmus 418 if.

Köhlerglauben 255.

Könige, göttl. Macht 138 f.

Körper def. 41.

Koran 265.

Kosmologie 257.

Kraft lebd. 63, 71, 89 f.

Kraftmagazin 63.

Krause, Philos. 20, Metaph. 100.

Krita<yuti 254.

Kritik 4, 182, 191, 261, 357, 533.

Kriticismus 103, 215.

Kroisos 179.

Krug, Def. d. Relig. 17.

Kunst 56, 48, s. Bewegung, Kunst- werk und Phantasie 225, Aufgabe 321, nur indirect gesellig 338, Def. 434, Symbol. 475 opp. Kritik, erster Sclavenplatz 477, und Theorie 478, 482.

Laas 109, 861.

Lähmung 65.

Lange 214, Logik.

Langenbeck 177.

Laie 338.

Laren 136.

Larven 136.

lebendig, Glaube 17, Kraft 63, 71.

Lebenszweck 274.

LegaUtät 403.

Leibnitz falsch über Wunder 173, 331.

Leiden 325.

Leidenschaft, Aehnlichkeit mit der

Inspiration 165. Leonhard über consensus 52. Lessing 274, 319 ewige Höllenstrafen

331, Relig. 348. Leverrier 88.

Liebe dreif. Def. 71, 339, 850. Ijocke 6, 282.

Löning 55 über den Begr. d. Rechts.

uiymzeu uy x^jv^/v^

Si«

550

Logik - Motive

Logik, kategoriale Verschiebungen und Verdichtungen des Denkens 168, Topik 227, Denken als han- delnde Thätigkeit 445, log. Geföhle 447 - Abstraction 70, genus und unterste Artform 170, Satz vom Widerspr. 187, empir. Untersatz 194, Satz vom zureichenden Grunde 207 ff., Commune 828, Defiuibilität 896, 443, Eintheilung 886 f., omnis determ. est negat. 499, Satz: aus Falschem Richtiges ableiten 463, Dilemma 525, Methode 287, 329, religiöse 257, indirect 470, Analyse 470 f., specul. Analyse 488, 492, Analogie 493, projectivische Auf- fassung 495, Sophisma 485, ex acci- dente 507, 529, Paralogismus 484, Bruttogewichte 491, fall, de plur. interrog. 181.

Loki 317.

Loose 248.

Lotophagen 119.

Lotze 21 Def. d. Relig., Metaph. 100, Idealist, Zeit, Nichts, Raum 205, Hellenismus 336, Sommer- und AVinterresidenz des Ichs 880, 524.

Lucian 365, 371.

Lucretius 364.

Lust bei Spinoza 33, zu etwas 60, 409 f., positiv 456 f.

Lykurg 413.

Lyssa 259.

Psychologie 32, 36. Macbeth 43. Macht 265. Majorität 58, 429. Malaga 137. Mandat 308.

Maria, Jungfrau 143, 137, 339. Maschinentheile 63. Materie 493 bei Piaton 498, 506. Materialismus 153, Zufall, Atome 370. Mathematik specif. Wiss. 68. Maximen 273.

Mechanismus 64, 216, 243, 245, 255, 271.

Medicinmänner 154.

Medius terminus 208.

Meinung opp. Wissen 3, 78, falsche Meinung 3 Achillesfersen 9, nicht abhängig vom Willen 9 f., Classi- fication der Meinung 10.

Melanchthon 195, 363.

Mensch und Thier 81, Menscbencult 188, homo sapiens 275, Mensch- heitsidec 414, Einseitigkeit 443.

Messing 61.

Metaphysik 99, 105, 199, 219, 227, 233, 320, Geselligkeit 336, 383, Sein 425, 464, legitim 540.

Methode, analyt. 473, analyt. und synthet. 41, 45, 402, synthet. 59, 66, heuristische 168, indirect. Bew. 46, Abstraction 287, specul. 295, induct. 299, deduct. 300, Aetiolog. und Semiotik 419, Diagnose 423, strategische 428, Indication 480, Fehler der histor. 488, feste Formen 492.

Methodismus 472.

Minerva 339.

Missfallen 43, 275.

Mitleid 274.

Mitte 428.

Mittel 408.

Mönch 424.

Mören 238, 252.

Moltke, Graf von 177, 415.

Monarchismus 128, 265.

Mondcultus 258.

Monotheismus 126, 265, 285, 289.

Moral 55 und Recht 272, Moralität Ursprung 273, 297, 306, falsches Kriterium 291, d. moral. Verhält- niss 296, starker als das leiden- schaftliche Element 302, Granzen- losigkeit 331, dualistisch 438, mo- ralische u. polit. Tugend 475.

Motive 42, 265, 274, 284, 407, 412, 415, 475, 477, 478, d. Relig. 116, 273, 408, 410, 529. Q^^^\^

Moses perspectivisch.

551

Moses 290.

Mrokoro 126.

MüUer, Max 289, 406, 530, 537.

Mundos sensib. et intell. 497.

Musikalische Phantasieschwftrmerei 470-

Mysticismus 419 def., 453, 460, Mysidker und Atheist 467.

Mythologie, Ursprung nicht aus Phan- tasie allein 129 f., Entstehung und Wesen 258, und Philosophie 261.

Nägeleinschlagen 252.

Nahlowsky 86.

Nahrungstrieb 41.

Nahuscha 327.

Napoleon 413.

Nationalidee 339.

Nationalökonomie 398.

Natura secunda 170.

Naturalistisch 14, Naturalismus 218.

Naturerscheinung 235.

Naturforschung 233, 255, 271.

Naturgesetze 233.

Naturschwärmerei 468.

Natur bei Krause 20.

Negation Grund der Bewegung 120,

277, 407. Negativität 205, 229, 518, 539. Nemesis 237. Neptun 88. Neuplatonismus 380. Newton 195, 222. Nimbus 416. Nichts 495, 498. Normale, die 169. Nomen 250. Noth 184.

Noth wendigkeit, die 216. Noö<; 496, vooüjjieva 497, 505, Inhalt 508. Novalis 440.

Nützliche, das 216, Bef. 389, 475. Nullpunkt 303.

Objectiv 414. Obligirendes im Recht 53.

Obscura per obsc. 61.

Odysseus 119, 196.

Oettingen, Alex. v. 422 ff., 522.

Oldenberg, Buddha 406, 408, 533, 535, 527.

Opfer 147, 158, 179, 323, 407, 411.

Optimismus 535.

Orakel 158, Vieldeutigkeit 179.

Ordnung 246, opp. Zufall 253, mechan., log. 256, obj. 275, gestörte 276, 301, 420, Coordinatensystem 446.

Organ fingirtes 81.

Ort der Begriffe 68, 87, 423.

Othello 43.

od ivsxa 500.

o&ota 494.

Oxymoron 56.

Pädagogik Wissen und Können 63, Behandlung des Anfangs des Zweifels 221, Prügelknaben 334.

Pantheistisch 101, Formen 104, def. 376, 425, 441, Eintheü. 382, Ich 414, die drei christl. Formen de- ducirt 419, Eintheil. 431, keine Volksrelig. 442, Gefühl 447 f., opp. Atheismus und Pessimissmus 455, quietistisch 459, und Atheismus vergl. 478, Formen 490.

Papst 172, 346, 483.

Parabolische Bedeutung 224.

Paralogismus 132 f., Beisp. 484.

Parcen 238, 250.

Patholog. Erscheinung 169.

Patriarchalische Regierung 343.

Paulus 189 ff, 224 f. Illusion der Wiederkunft 226, Akropolis 363.

Penaten 136.

Perser 292.

icsicXov 389.

Persönlichkeit 69, 73, Begr. 77, pers. Verhalten 80, metaph. 101, HO, 191, religiös 248.

perspectivisch 117, 177, 183 f., 187, 199, Interpretation 218 f., 224, 234 f.,

uiyuizeu uy x^j v^ v^p^ Iv^

552

perspectivisch Prometheismus

245, 249, 252, 256, religiöse Per- spective 257, 272, opp. objectiv 275, 288, 412, 413, 427, 431, 459.

Pessimismus 254, 319, 375, 455, 535.

Pfleiderer, Otto, über Krause 20, 21, Definition der Religion 22, Eintbei- lung der Religion 97, Ursprung des Cultus 134, über Wunder 173, Methode 329, 523.

Pflicht 339, 405, 409.

Phantasie 129, phantastisch 414.

Pharao 184.

Philo 206.

Philosophie, Begriff 5, 11, 261, Vorrede, Ghrund ihrer Anarchie 7, abhängig von der Individualität 11, Passion für 59, kann keine Minde- rung ihres Gebietes erfahren 261, Privatsysteme 362, Zahl der An- hänger 363, starker als die Empirie 399, ist der Anerkennung schlecht- hin sicher 401, Verhältniss zur Reli- gion 12,263,undM7thologie261,und Erfahrungswissenschaft 56, Goldland der Philosophie 26, Stellung zum Individuellen 69, Philosophie und Christenthum 218, 485, Geschichte 294, neue Aufgabe der Geschichte der Philosophie 329, hat keine solche Perioden wie die Cultur- geschichte 360.

Phönizier Einderopfer 147.

Pietismus 471.

Pindar gegen die griechische Mytho- logie 263, Umdeutungen 342.

Pistis 482 ff., 511, 536.

plaisir 53, 58.

placitum def. 53.

Piaton Psychologie 32, Ethik 37, rein 316, Staatsenthusiasmus 413, 415, Kriton 417, pädagogische Em- pfehlung des heidnischen Gottes- dienstes 419, Stellung zur Religion 483, Soteriologie, Platonische Liebe 488, Philosophen als Götter 510, ^loq 479, Rhetorik 186, Protagoras gegen die Richtung . Spencer's 396,

gegen die Volksgötter atheiBtisch gesinnt 868, Metaphysik 106, 509, Zufall 153, Subject-Object 75, Mythus im Timäus 206, Ideen 231, 499, Drahtpuppen 246, projectiv. Idealis- mus 321, 493, schwankt zwischen Optimismus und Pessimismus 321, bei Laas 361, Hylozoismus 496, 504, piaton. Idealismus 497 ff., Materie 498, Vernunft 499, Welt 500, 534, Zeit 501, Theologie 504, kein persönlicher Gott 509, Ich 509, Lebensloose 536, Parmenides 540, Idee des Guten 514 als conservative Idee, speculative Auslegung 516.

Plebejer 191.

Plethora 302. f.

PoHtik 420, 426.

Polytheismus 120, 238, 265, 285, 288,

positiv 3, Recht 52, Satzungen 367.

Positivismus 11, 56, 88, 100, 103, HO, 219, 246, 296, 336, als Atheis- mus 360 ff., Rausch 370, Ichheit 377.

practische Function 433.

Praedestination 227.

Prediger s. Priester.

Priapus 143.

Priesterthum 151, erste Aufgabe Er- kenntniss 154, zweite Aufgabe Praxis 155, Verkehr mit dem Gott paci- ficirend 156, therapeut. Behandlung der Gläubigen 157, Orakel 158, zweifelhaftes Ansehen in der Furcht- religion 160, Rolle der Priester bei Bestinmiung des Schicksals 250 ff., Erkenntniss u. Gebrauch der Wunder 178, Psychagogie der Prediger 223, Priesterthum in der Rechtsreligion 307 ff., priesterliches Volk 310, Geselligkeit 338, Eüerarchie 344.

Principien, ürkategorien 37, des Han- delns 145,

projectivisch 101 f., 114, 214, 265. 284, 287, 297, 301, 304, 319, 332 f., 359, 369, 471, 472, 531.

Prometheus 149 Betrug.

Prometheismus 393. ^ t

uiyiiized by VjOOQIC

Propheten Religion

553

Propheten im Islam 268, hebräigche 291, 315, 345, in der Rechtsreligion 310, 344, Streit untereinander 310, höhere Wörde als die Priester der Furchtreligion 311 , Inhalt der Schriften 340, Götzendienst 371, höhere Erregung 381.

icpo^vYjot^ 146.

Protagoras, Patron der Positivisten, 361, Atheist 368.

Providenz 332.

Prügelknabe 334.

Psychagogie 157, 177, 217, 223, 322, 331, 334.

psychischer Mechanismus 64, 243.

Psychologie 118, 119, 155, 223, 243, 301, speculative 312, 381.

Pythagoreer 167, 505.

Pythia 250.

Quäcker 471.

quadratisch = gerecht 167. Qualität 296, 230, 278, 406. Quantitätsgesetze 89 des Bewusstseins, opp. Qualität 230, 278, 297, 406. Quietismus 454, 459. Quintessenz 505.

Rache 237.

Rafael Sixtinische 225.

Rauber, Prof. in Dorpat, 95, Vorrede.

Reaction 305.

realistische Bildung 5.

Realität 133, 336.

Recantation 241.

Receptivität 36.

Recht 13 (abhängig vom Gefühl), Begriff 47, Zufriedenstellung 323, Ordnung 446, Ursprung 49 f., 276 ff., Furcht im Staats- u. Völkerrecht 50, posit.Rechtswissensch.51 , Rechts- philosophie 52, römisches Recht 52 Grundlage, obligirend 53, Moral und Recht 55 ff., Rechtsentwicke- lung 57, Rechtsbewusstsein 114,

277, 308, 343, Gefühle 272, ver- änderlich 280, moralisch 800, 408, Verfassungsformen 342 ff.

Rechtsreligion unreine 87, 103, 180.

Rechtsgott 305.

Rechtsreligion wahre Religion 311.

Reflexbewegungen seelische 64, opp. physiolog.

Regenmacher 152.

Reich Gottes 227, 306, 308.

Relation 230.

Religion qualitativ von andern Arten verschieden 15, mod. deum cog. et col. 16, nicht Gotteserkenntniss 17, nicht Lebensgemeinschaft 23, nicht Lebensbeziehung 23, nicht Deutung oderGeschichtsbetrachtung 23, Reli- gionswissenschaft semiotisch 68, als Anlage, Act und lebendige Erafb 71, als Act 84, als Anlage 81, als lebendige Kraft 89, Religion auch bei Sünden 71 , als Gesinnung, persönliche Stellung 76, Gott und Gottesbewusstsein 78, nicht über- menschlich, nicht bloss historisch, sondern Erfüllung 83, religiös opp. weltlich 84, 87 f., 92, gener. Defi- nition 91, Eintheilung noth wendig 93, geschichtl, 97, speculative Ein- theilung 97, projectiv. 114, subject. und doch allgemein 151, Weltreli- gion 152, auswärtige Angelegenheit 152, Religion geht auf das Zufällige und Einzelne 153, als Volksreligion 169, social. Infection 179, Religions- philosophie 347 ff., Eigenthümlich- keit meiner 229, 234, 329, Schicksal 248, die moralische kann die Ge- schichte nicht erklären 293, Alle- gorisirung der Naturereignisse 293, Religion und Moral 331, Geselligk. 336 ff., Religion internationales Gut 531, Religion d. Sünde, Kritik 365 ff., Werkheiligkeit 402 ff., Grund der Entartung 418, politische Auffassung 428 ff., Eintheilung 432, pantheist. Gefühl 447 f., und Moral 451, und

u.quizeuuy Google

554

Religion Sokrates

theoretische Function 477, 538, kein

logischer Process 484. Bdnan 185. Resignation 267. Reue 118, 278, 304. Rhetorik 185, 343, 352. Richterliche Entscheidung 45. Rischi 327.

Ritchie D. G. in Oxford 502. Ritschi, Definition der Religion 23,

Gott Illusion 88, als Illusionismus

erkannt 173, Standpunkt 851, 524,

Vorrede. Romanist in Dorpat 52. Romantik 862, 439. Rossmässler panth. Naturschwärmer

469. Rover über Gonsensus 52. Rudimente 150, 241, 251. Ruhmsucht 416, Ruhm 417.

Sacramental 416, Sacrament 421.

Sacrifido dell' intelletto commentirt 423.

Saul 332.

Savonarola 188.

Schack V. 254.

Scheffler Joh., Angelus Silesius 459 ff., 473.

Schelling 20, 109, 205, 262, 532.

Schicksal 227 ff., gehört in die Furcht- religion 235, ursprüngliche Form 236, höhere Form 249, im Islam 265.

Schiller 199, 374, 434 ff., 477.

Schlangenkult 136.

Schlegel Ludnde 440.

Schleiermacher Definition der Religion falscher Begriff vom Unendlichen, kein Begriff vom Geftthl 18, Gefühl nicht Embryonalzustand 31, falsch über die Kürsse der Gefühle 465, kein Tribunal über die Gefühle 466, durch die Sprache getäuscht 32, einseitig Religion als Akt 71, Ab- hängigkeitsgefühl 84, Religion als Rausch 91, falsch über Wunder 173,

Geselligkeit 335, ehrlich 353, Mysti- cismus 419, Pantheist 425, und Spinoza 462, Centaur seiner Theo- logie 486, weltgeschichtliche Bei- spielsammlung 534.

Schluss 45, 209, 445.

Schmerz Null bis Unendlich 303, nicht ebenbürtig der Lust 456, nothwendig 458.

Schönheit, Beziehung zum GefOhl 37> Religion der 262, 447, 475.

Schopenhauer Romantik 40, 109, Mit- leidstheohe 274.

Schreck 65.

Schnfb hlg. und Naturwissenschaft 221, Deutung 226.

Schuld culpa 132, 283, unendlich 331.

Schwartz Ursprung der Mythologie 134.

Seelenwanderung 380.

Seelenvermögen, Eintheilung 26 ff.

Segen 242.

Selbst aÖTo^ 512.

Selbstbewusstsein 73, kein Wissen 74, 219.

Selbsterhaltung 428.

Selbsterhaltungsprincip 33.

Selbstsüchtig 117, Selbstsucht 267, 270, 279 f., 288.

Selbstzweck 433.

Seligkeit 460 f., 479.

Semiotisch 47, 68, 80, 217, 233, 430.

Sentenz 45.

Seti 287.

Sibirien, Bärencult 137.

SibyUe 250.

Sicherheitsgefühl 364.

Sinneserscheinungen 233,285,242,320.

Sirius 139.

sittlich 117, 273 ff., höher als das selbstsüchtige 278, 447.

Skeptiker 7, 100, cf. Positivisten.

Skepticismus 357.

Skopzi 324.

Socialethik 421, 424.

Sodalismus 415.

Sokrates 331 , Sokratitas 501 , sokratisch

Digitized by VjOOQIC

Sollen Theologen

555

Sollen 45, 277.

Sonnenkultus 258.

flophisma de plurib. inierrog. 485.

Sophistisch 48, 318.

Sophokles 178, 183.

oioxtjp 286, Soteriologie Platon's 488, 513.

Souveränität 218.

Spaventa, B. 517, Vorrede.

Specifisch 68, 86, 306, 338, 342, 388, 407, 412, 433, 443.

Speculativ 56, 59, 116 f., Beispiel 130, Eintheilung des speculat. Systems 205, Methode 295, Gegenstand 477.

Spencer, Herbert, Weltansicht 392, Data of Ethics 395, 531.

Speusipp 511.

Spiel 434.

Spinnerinnen 250.

Spinoza versteht das Gefühl nicht 18, kennt seine Quellen nicht 32, Ab- hängigkeit von Plato u. Aristoteles 33, fehlerhafte Darstellung der Historiker 33, falsch über Wunder 173, Verfluchung 251, Modus 336, Skeptiker 367, u. Schleiermacher 462.

Spiritismus 190.

Spötter 358.

Si)ontajieität 36.

Sprache, Täuschung durch die Sprache 32, semiotisch 6 1 , sinnlos, Maschinen- theil 63 f., Bewegungsapparat 64, Beneficien 66, ihre Leitung beim Philosophiren au&ugeben 74, Hebel- werk 87, der Götter 178, 184.

Staatsenthusiafimus 412 ff.

Staatsidee 412.

Staatsrecht 50, Staat 277, Staat und Religion 420.

Staflioten 231.

Staunen 172.

Stellvertretung 307, 325 ff., 405.

Stemgötter 505, 508.

Strategische Methode 428.

Strauss David 255, 360, Cultus 372.

Streben 61.

Subject 506, Subject-Object 538 ff.

Substanz 106, 219, 320, 425, 505 ff., 521, 539.

Substrat 506.

Sühnung Definition 322.

Sünde 87, schliesst die Religiosität nicht aus 89, 277 f., 800 ff., Sünde und Furcht homolog 313, Zeichen der Humanität 340, Sündenbock 341.

supererogationis opera 405.

Swammerdamm 221.

Symbol 80, symbolisch, symbolisiren 91, 253, 419, Symbole 142, Ab- kürzungen 149, Zeichensprache 243, christliches 460, Bekreuzigung 151, Bewegungen 156 f.

Symptom 431.

Synthetisch Methode 59 ff., 66, 287, 295, 403.

System technisches 153, 231.

Tarantel des Idealismus 205.

Tari in Neapel 517.

Tauler 461.

Technisch 106, System 153, 218, 231, Welttechnik 198, Beziehungspunkt 388.

^tot 382, 479, 496.

Teleologie 337.

terminus maj. min., med. 208 f.

Terra parens 326.

Test, Z. in Richmond Indiana, Vorrede.

Testament N. Fluch 244, A. 244.

Teufel betrogen 149, Ahriman 287, pädagogisch 421, antagonist. Prin- cip 431.

Thaies 361, 496, 504.

Thatsachenphilosophie 400, 55 ff.

Theater 439.

Theokratie unsichtbare 345.

Theologen gelobt 76, theol. Gegen- stände nicht von der weltl. Wissen- schaft auszuschliessen 88, Theologie 107, project. 114, erste Theologie von der Furcht erzeugt 120, polyth. oder monoth. unwichtig 126, dua- listische 127, Monarchismus 128,

u.qiuzeuuy Google

556

Theologen Voltaire

Rechtsgott 281 ff., Theologie ge- schichtlich durch Furchtreligion 292, Vermischung der Furcht- und Bechts- religion 314, Annahmen 404, Brah- manismus 407, Anfang der wissen- schaftl. 490, idealist. Theologen 504.

Theoretische Function 474.

Theurgie 149, moderne 347, 472.

Thiere Q ranze gegen die Menschlich- keit 118. 120 f., 123, Thiercult 136, spürt Zusammenliängen nach 194, keine Gottesvorstellung 194, keine Evidenz und Sicherheit 213, Gränze der Thierheit 243, als Kinder ohne Vemunftentwickelung 257, Instinkte 271, Entrüstung 279.

Thöck 317.

Thor (Edda) 258.

Thrym 258.

Thun 325, 403, 434.

Tieck 440.

Tiresias 178, 184.

Tod, Unnatürlichkeit des 242, Todes- gott 259.

Topik 108, Topographie der Begriffe 16, 219, 227, 423, 434.

Torricelli 195.

Tragödie 321, 328.

transfigurirt 479, e*v02, 506, 512.

transsubstanziiren 478.

Trendelenburg 29.

Trieb Definition 41, 335, 457.

Trinitat 84.

Trostlosigkeit 332.

Tugend 403, 448, bei Aristoteles 449.

Ulpianus 53.

Unbewusstes Leben 161, Vorrang 445.

Uneinigkeit der Menschen mit sich 305.

Unendliches 18 = nur immer weiter 19, das Unendliche Todfeind des Zweckes 205, 303, unendl. Schuld- gefühl 331.

Unpolitischer Gesellschaftszustand 342.

Unrecht 276.

Unsterblichkeit, fehlt nothwendig im

Pantheismus 379, scheinbar im Pan- theismus 380, nothwendig 427, im Idealismus 502 ff.

Unterlassung 48 f.

Unzufriedenen, die 51.

Urmensch 243, perspect. Auffassungs- weise 245.

Ursache 215.

Urtheil 209, 445.

Usinara 326, 327.

Utilitarismus 393, 397.

vacuum horror vacui 195.

Variabel 54.

Vaterunser 505.

Vedantismus 530.

Veleda 250.

Vera 517.

Verbalinjurien 239.

Verdienst 326.

Vergebung 324.

Vergilius 415.

Vergleichende R. 4, Vergleichungs- punkte 279.

Verheissung 308.

Verneinung 120.

Vernunft, gouvemementale Region 37, Festhalten des Vergangenen be- gründet d. Möglichkeit d. Denkens 121, Vemunftlehre 197, Vernünftig- keit der Welt 198, 203, bestimmt ihre eigenen G ranzen 203, bei Plato 499.

Verschmelzung 243.

Versöhnung des Zornes Gottes 146, 156, des Menschen 158, juristisch 323 ff., 332.

Verstand 129.

Veratehen 4.

vis inertiae 50.

Völkerrecht 50.

Volksglauben 99, Volksreligion 530.

Volksseele HO.

Volkmann Psychol. 36.

Vorstellung und Wahrnehmung 239, 241.

Voltaire 368.

Digitized by VjOOQIC

Wahrheit Zorn

557

Wahrheit, drei Bedingungen 8, Be- ziehung zum Gefühl 37, 102, 215, Definit. 39, der Wunder 184, opp. gelten 352, nicht durch Majorität bestimmt 362, Denkthätigkeit 388, Idee 447, Subject als W. 478, als Wissen 480, in der Gnosis 484. Wahrnehmung und Vorstellung 239,

241. Waitz Psychol. 36. Walkyrien 250. Weber, Sanskritolog 530.

Webstuhl 250.

Wehmuth zugl. Bewegung 65, 118.

Weihnachtsfeier in Malaga 137 f.

Welt, Vemünftigkeit D. 198, 203, Welttechnik 198, 203, äussere er- kennbar 216, als Trunkenbold bei Hegel 220, 229.

Welt von Ewigkeit fertig 234, obj. 249, opp. perspectiv. Auffassung, Deutung 253.

Weltordnung bei Fichte 481.

Welt als Cüiov 496, Weltseele 506.

Werden kyklisch 500.

Werkheiligkeit 403.

Werth 215, Normen 420, 428.

Wertra 258, 286.

Wesen individ. souverän 218, 233, wirkl. 287, ideal. 494, Eintheil. bei Arist 504, 520.

Wettermacher 154.

Wiedergeburt 380, 407.

Wille und Gefühl 27, u. Bewegung 34, im Denken 40, willenlose An- schauung 40, Def. 43, Charakter, Ausdruck 45, Conglomerat d. drei Functionen bei Zitelmann 49, Wille, Wunsch = Lust 60,Defin. 6^, falsch als Gesinnung def. 76.

Windthorst 422.

Wirklichkeit, unreine Formen 103 f., wirkl. Wesen 287.

Wirkung 215.

Wissen 480, d* Wissenden 500.

Wissenschaft, Abmessungd.Leistungen 26.

Wohlsein 475.

Wort Gottes 309.

Wortinjurien 239.

Würfel 248.

Wunder, herkömmliche Behandlung und Auffassung 166 f., vorläufige Erklärung 171, erfordert gelungene Deutung 172, Beispiel 175, allgem. Voraussetzung 183, setzt Glauben voraus 183, Wahrheit 184, alte W. 185, W. bei Ungläubigen 192 f., Schlüssel des Wunderlandes 195, nothw. 200, 207, idealistische 205, der Relig, durch d. Philos. zurück- gegeben 217, jeder Religiöse hat solche Erfahrung 218, Wunder- geschichten als Parabeln behandelt 223, Beispiel wahrer Wunder 224, christl. 225, keine Durchbrechung der Naturgesetze 227.

Wundt falsch über Abstraction 70, Logik 168 üb^r kateg. Verschiebung, Verdichtung des Denkens 168, Satz des Grundes 210, Denkacte ohne Denken 210, Sprachliches und Lo- gisches 211, Evidenz 211 ff., innere Erfahrung 212.

Wunsch 60.

Xenophanes 106, 368.

Zauberer 138, 149, 151 f., Zauberei 268.

Zeichen 62, 80, Kritik der 181, 233.

Zeit, Zeitillusion 107, 120, 231, 243, 249, 408 f., 501, 521.

Zerknirschung 305.

Zeus spricht mit den Menschen 176, 262, 265 Monarchismus.

Zeus und Jo 148.

Zitelmann 47, Definit. der Seelenver- mögen 48, des Willens 48, über consensus 52.

Cu)Y] aUttVMx; 409, 502.

Zorn 146, 313. r^^^^T^

Digitized by VjOOQ IC

558

Zufall Zweifel

Zufall 153, für Gott 192, Zusammen- treffen 194, modern. Gebrauch 196, Normimng der Anwendung dieses Begriffs 200 f., Zufall nicht ohne Anerkennung der Zwecke 202, Gränze unserer Erkenntniss 202, nicht d. mechan. Nothw. entgegen- gesetzt 203, alles mechan. ist zu- fallig 204, opp. Ordnung 253, Zu-

fallsglauben beurtheilt 254, in

Aristot. Ethik 449. Zufrieden 5 1 , 53, zufriedenstellend 323. Zugeordnet 85. Zusammengehörig 85. Zwang 54 def. Zweckzusammenhänge, durchs Gefühl

bestimmt 51, 216, 272, 408, 410, 457. Zweifel 357.

Druckfehler.

Seite 65 Zeile 2 von unten lies: überwiegt,

„115 5 : narratur.

148 „2 : unverständlicheren.

257 6 oben : werden müssten.

Digitized by

Google

Von demselben Verfasser sind erschienen:

Die Aristotelische Eintheilung der Verfassungsformen 1859.

Die Einheit der Aristotelischen Eudämonie. Im Bulletin der kaiserl.

Akademie d. Wissensch. St. Petersb. 1859. Beiträge zur Erklärung der PoStik des Aristoteles 1867. Aristoteles' Philosophie der Kunst 1869. Geschichte des Begriffs der Parusie 1873.

Letztere drei Bände unter dem Gesammttitel »Aristotelische Forschungen« (bei W. Koebner, Breslau).

Studien zur Geschichte der Begriffe, 667, IX S. 1874. (Baer,

Frankfurt a. M.). l. Anaximander. 2. Anaximenes. 3. Xenophanes. 4. Platon's Unsterblichkeitslehre. 5. Piaton und Aristoteles.

Ungedruckte Briefe von Kant und Fichte. (Zeitschrift für Philos.

Fichte-Ulrici 1875.) Die Platonische Frage. Eine Streitschrift gegen Zeller. 1876. (W.

Koebner, Breslau). Neue Studien zur Geschichte der Begriffe. Drei Bände (W. Koebner, Breslau).

I Herakleitos 1876.

IL Pseudohippokrates de diaeta Herakleitos als Theolog, oder über den Einfluss der ägyptischen Theologie auf die griechische Philosophie. 1878. III. Die praktische Vernunft bei Aristoteles 1879. Frauenemancipation. 1877. (Köhler, Leipzig). Darwinismus und Philosophie (Köhler, Leipzig). Wahrheitsgetreuer Bericht Über meine Reise in den Himmel. Von

Immanuel Kant. 1877. (W. Koebner, Breslau). Charakteristil( der Araber. Eine yölkerpsychologische Skizze.

Baltische Monatsschr. Bd. XXVI, Heft 1. Unsterblichkeit der Seele. 2. Auflage. 1879. (Duncker & Humblot). Das Wesen der Liebe. 1880. (Duncker & Humblot).

uiyiiized by VjOOQIC

Pädagogisches. 1881. Zur Bevision des Lehrplans unserer Gymnasien.

(Köhler, Leipzig). Die Reihenfolge der Platonischen Dialoge. 1879. (Leipzig, Köhler). Literarische Fehden im vierten Jahrhundert vor Chr. (Erster Band) 1881. (W. Koebner, Breslau).

Chronologie der Platonisclieii Dialoge der ersten Periode, Piaton antwortet in den Gesetzen auf die Angriffe des Aristoteles. Der Panathenaikas des Isokrates.

Die wirkliche und die ' scheinbare Welt. Neue Grundlegung der Metaphysik. 1882. (W. Koebner, Breslau).

Literarische Fehden im vierten Jahrhundert v. Chr. 1884. (W. Koebner, Breslau).

Zweiter Band. Zu Platon's Schriften, Leben und Lehre. Die Dialoge des Simon.

LresUaer OenoBsenachafts-Bachdrackerci, Elng. Qeu,

uiyiiized by VjOOQIC

Digitized by VjOOQIC

I

Digitized by VjOOQIC

i

YC 31659

1

Digitized by

Google

« .

^iu'

' %-

^ ^.