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Schillers

Sämtliche Werke

Säkular⸗Ausgabe in 16 Bänden

In Verbindung mit Richard Feſter, Guſtav Kettner,

Albert Köſter, Jakob Minor, Julius Peterſen,

Erich Schmidt, Oskar Walzel, Richard Weißenfels herausgegeben von Eduard von der Hellen

Stuttgart und Berlin J. G. Cotta'ſche Buchhandlung Nachfolger

Schillers

Sämtliche Werke

Säkular⸗Ausgabe

Neunter Band

Überſetzungen

Mit Einleitungen und Anmerkungen von Albert Köſter

Erſter Teil

Stuttgart und Berlin J. G. Cotta'ſche Buchhandlung Nachfolger

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U 0 5 2 Einleitung.

Die Überſetzungen fremder Dichtungen, die der neunte und zehnte Band dieſer Ausgabe zuſammenſtellt, ver- danken ihre Entſtehung zum Teil jenem großen deutſchen Nationalbemühen des 18. Jahrhunderts, an dem alle bedeutenden Geiſter der Zeit beteiligt ſind, nämlich der Eingewinnung aller Schätze des klaſſiſchen Altertums; zum andern, und zwar größeren Teile ſind ſie durch die Bedürfniſſe des deutſchen, beſonders des weimariſchen Theaters hervorgerufen. Die vier Dramen im neunten Bande gehören der zweiten Gruppe an; ſie zeigen uns Schiller, wie er nach ſeiner Anſiedelung in Weimar ſich für die letzten Jahre ſeines Lebens künſtleriſch aufs engſte mit Goethe verbindet. In der Fürſorge für das Theater konnten ſich ja beide Dichter gegenſeitig am erfolgreichſten ergänzen.

Als Goethe 1791 an die Spitze des weimariſchen Bühnenweſens getreten war, hatte er von vornherein die Abſicht, auch hier wie überall die tiefſten Erfahrungen, die er in Italien gewonnen, zur Geltung zu bringen und unter denen, die ſeiner Leitung unterſtellt waren, ein bewußtes Künſtlertum zu wecken und auszubilden.

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VI Einleitung

Er wollte nicht länger den bequemen Naturalismus, die unveredelte Natürlichkeit und den unkünſtleriſchen Schlendrian dulden, der an den Konverſationsſtücken der Achtzigerjahre groß geworden war; noch weniger aber wollte er ohne genügende eigne Bühnenkennt⸗ niſſe von vornherein Geſetze geben oder Verſuche an⸗ ſtellen. Seine Abſicht war vielmehr hier, wie auf jedem andern Gebiet, Erfahrungen zu ſammeln: nicht eine Reihe von anſpruchsvollen berühmten Bühnengrößen für Weimar zu verpflichten, ſondern lieber mit bildungs⸗ fähigen jungen Anfängern von unten auf zu lernen und aus den täglichen Forderungen des Theaters erſt die Geſetze einer edlen Bühnendarſtellung abzuleiten. Be⸗ ſtärkt wurde er in ſeinem Glauben an eine ſzeniſche Kunſt, die ſich über alle ihre Mittel und Wirkungen Rechen⸗ ſchaft geben könne, vor allem im Jahre 1796 durch ein längeres Gaſtſpiel, das Iffland, der klug berechnende Mime, in Weimar gab, jenes Gaſtſpiel, für das Schiller bühnenkundig, aber grauſam zugreifend Goethes „Eg⸗ mont“ bearbeitete. Und indem nun Goethe fernerhin für das Bühnenbild die Forderungen aufſtellte, die ſich ihm ſelbſt für die Malerei und Plaſtik ergeben hatten, konnte er gegen Ende des Jahrhunderts einen neuen ſtrengen theatraliſchen Stil ausbilden, deſſen Elemente man, was das höhere Drama angeht, etwa dahin zu⸗ ſammenfaſſen kann: für die Geſamtheit ein harmoniſches Zuſammenſpiel aller, gipfelnd in ſchöner Gruppenbildung; für den einzelnen eine wohlgegliederte, die Alltagsrede ſtiliſierende Deklamation, in Einklang gebracht mit edler, ausdrucksvoller Poſe. Kein Zweifel, daß man in manchen Einzelheiten dieſes für Deutſchland neuen Stils Cigen- tümlichkeiten der franzöſiſchen Bühne wiederfindet.

Einleitung VII

Natürlich konnten Goethes Forderungen völlig be⸗ friedigt werden nur in Dramen mit obligater Deklama⸗ tion, d. h. in verſifizierten Stücken, deren die deutſche Bühne ſehr wenige beſaß. Und hier nun ſetzt Schillers Arbeit ein. Den neuen Stil durch ein ſtattliches Repertoire zu befeſtigen, dem jambiſchen Fünftakter das theatraliſche Bürgerrecht zu erkämpfen, dazu reichten der „Wallen⸗ ſtein“ und ſeine Geſchwiſterdramen nicht aus. Auch Leſſings „Nathan“ und Goethes „Iphigenie“, denen Schiller 1801 und 1802 ſein dramaturgiſches Bemühen zu⸗ wandte, konnten doch durchſchnittlich nur einmal im Jahre eine andächtige Zuhörerſchaft im Theater verſammeln. Man mußte ſchon beim Ausland Anleihen machen und das erborgte Gut natürlich den neuen Zwecken anpaſſen. Nur wenn man dieſe Lage der Dinge in Rechnung zieht, kann man über Schillers Bühnenbearbeitungen ein gerechtes und unbefangenes Urteil gewinnen. Sie traten gar nicht mit dem Ehrgeiz auf, ganzen Erſatz für die Urbilder zu gewähren; ſie wollten nicht der Ewigkeit, ſondern dem Tage dienen und nicht Erzeugniſſe von dauerndem literariſchen Wert, ſondern Hilfsmittel zur Erreichung weislich abgeſteckter Ziele ſein. Mit dieſen ihren be⸗ ſcheidenen Anſprüchen find fie, mannigfach untereinander abgeſtuft, für alle Zeiten Muſter einer konſequenten, künſtleriſch ernſten, dem Moment gehorchenden drama⸗ turgiſchen Tätigkeit. Die Einſeitigkeit, das ſtarre Weſen ihres Schöpfers, das Unvermögen, ſich dem ausländiſchen Vorbild anzubequemen, iſt für die Zeit ihres Entſtehens ein Verdienſt geweſen. Einen „Führer nur zum Beſſern“ kann man jede Schillerſche Bühnenbearbeitung nennen.

Zeitlich voran ſchreitet der

Vill Einleitung

Macbeth.

Er bedeutet gegenüber früheren Verſuchen, Shake⸗ ſpeare für die deutſche Bühne zu gewinnen, einen ganz außerordentlichen Fortſchritt.

Jede ſtarke Beeinfluſſung einer Nationalliteratur durch eine große künſtleriſche Individualität des Auslandes iſt einem Impfprozeß zu vergleichen: der eingeführte Fremd⸗ körper wirkt anfangs Krankheit und Fieber erregend, bis der in Leidenſchaft gezogene Organismus in ſich ſelbſt das Heilmittel ausbildet, das ihn nun für die Folgezeit gegen ſchädliche Wirkungen von der gleichen Seite ſchützt. Dieſe Vorgänge zeigten ſich in Deutſchland, als Shake⸗ ſpeare gegen das Ende des 18. Jahrhunderts ſeine Macht zu äußern begann. Die Generation, die ihn zuerſt kennen lernte, war wie der Sinne beraubt; gar mancher iſt ge⸗ ſcheitert an Verſuchen, ihn zu erreichen, vielleicht gar zu überbieten. Dann folgten die Beſcheidenen, die ſich das Ziel tiefer ſteckten und Genüge daran fanden, ſeine Rieſen⸗ werke auf das Niveau deutſcher Familienſtücke herunter⸗ zuſchrauben. Aber auch das war noch eine Art Wett⸗ bewerb. Der hörte erſt auf, als Deutſchland im „Wallen⸗ ſtein“ etwas ganz Eigenartiges, in ſich Ruhendes dem Drama des Eliſabethaniſchen Zeitalters an die Seite ſtellen konnte. Und darum war es keine Pfuſcherei, keine Mißachtung fremder künſtleriſcher Rechte, wenn nun Schiller ohne jeden Gedanken an eine Rivalität an der Schwelle des Jahrhunderts eine Shakeſpeareſche Tragödie in ſeinen eignen neuen Stil übertrug. Es war ein An⸗ zeichen wiedergefundener Kraft und Geſundheit; ſchaden konnte der Brite nicht mehr, nur noch reine Bewunde⸗ rung einflößen und zu edelſtem Wetteifer anregen.

Einleitung IX

Daß Schiller gerade den „Maebeth“ wählte, hatte ſeinen guten Grund. Das Drama hatte ihn von Jugend⸗ tagen an begleitet, hatte in Gedichten ſeiner Jünglings⸗ zeit, in den „Räubern“, im „Fiesco“, im „Don Carlos“ Spuren hinterlaſſen und dann erſt kürzlich den „Wallen⸗ ſtein“ kräftig beeinflußt. Freilich war Schiller nicht immer bei der gleichen Auffaſſung von Macheths Charakter ſtehen geblieben. In den Achtzigerjahren war ihm der Königsmörder als bös und feige durch und durch, die Lady als wildes, blutdürſtiges Weib, als gemeine Ko⸗ mödiantin erſchienen, alſo etwa ſo wie Stephanie und Fiſcher in ihren entſtellenden Umdichtungen des Dramas das ſündige Ehepaar hingeſtellt hatten; in den Neunziger⸗ jahren bekehrte ſich Schiller dagegen zu der Vorſtellung, die durch Schröders und Bürgers Bühnenbearbeitungen Platz gegriffen hatte: von Macbeth dem edlen Feldherrn, der nur der Verſuchung der Hexen und ſeines Weibes erliegt. Beide Deutungen ſtehen, wie neuere Interpre⸗ tationen bewieſen haben, gleich weit entfernt von der wahren Meinung Shakeſpeares.

Und nun fällt mitten hinein in die Ausführung der „Maria Stuart“ Schillers eigne Bearbeitung der gewal⸗ tigen engliſchen Tragödie. In der erſten Hälfte des Januar 1800 begann er das Unternehmen, das er in acht bis vierzehn Tagen zu beendigen hoffte, das ihn aber, da eine Krankheit Hinderniſſe bereitete, bis Anfang April in Atem hielt, ſo daß die erſte Aufführung nicht vor dem 14. Mai ſtattfinden konnte, ſeltſamerweiſe mit der Rei⸗ chardtſchen Muſik, die für Schröders Maebeth-Bearbei⸗ tung und die quirligen Bürgerſchen Hexenſzenen kom⸗ poniert war.

Schiller beherrſchte das Engliſche nur ſehr ſchlecht;

= Einleitung

er legte darum die beiden Überſetzungen ſeiner Arbeit zu Grunde, aus denen Deutſchland ſchon ſeit Jahrzehnten, mehr als aus dem Originaltext, ſeine Shakeſpeare⸗Kennt⸗ nis geſchöpft hatte. Von 1762 —66 hatte Wieland etwa zwei Drittel aller Dramen des Engländers in deutſche Proſa übertragen, nicht muſtergültig, nicht treu, nicht vollſtändig, ſtark beeinflußt durch den konjekturenreichen Text von Warburton, oft ohne rechte Zuverſicht zu ſeinen eignen Fähigkeiten, oft überempfindlich gegen die Roheiten des engliſchen Originals. Aber, ſoviel man im einzelnen ein⸗ wenden mag, und ſo wenig Wieland mit ſeinen franzöſi⸗ ſchen Tanzmeiſterſchrittchen dem Kothurngang des großen Tragikers folgen kann, an manchen Stellen ſpürt man doch, daß hier ein Poet einen Poeten verdolmetſcht. Und das war's, was dieſe ſonſt ſo unzulängliche Überſetzung gerade den Dichtern jener Zeit, Leſſing, Goethe, Schiller, lieb machte und wert erhielt.

Ganz andrer Art war das Unternehmen Eſchenburgs (1775 78), das fic) mit Unrecht als eine zweite Auflage des Wielandſchen Werkes bezeichnet“). Es iſt die ſolide, gründliche Arbeit eines gelehrten Shakeſpeare⸗Kenners, der aber zum Überſetzer dieſes Dichters nicht die geringſte

*) Es iſt eine oft erörterte, im Grund aber ziemlich gleichgültige Frage, ob Schiller die echte Eſchenburgiſche Ausgabe oder den Eckertſchen Nachdruck benutzt habe. Die Antwort muß lauten: er hat ſich bisweilen an die eine, bisweilen an die andere Vorlage, wie ſie ihm gerade zur Hand war, gehalten. Für die Heranziehung von Eckerts Nachdruck zeugen die Verſe 407, 713, 2175; gegen ſeine Be⸗ nutzung ſprechen 681 ff., 1488. Zweifelhafte Stellen ſind zahlreich. Auch H. L. Wagners Macbeth⸗Überſetzung hat Schiller bisweilen Hilfe gewährt; entſcheidend ſind die Verſe 195, 395, 787, 896, 1350, 1700, 1731, 1963 f., 2235.

Einleitung XI

Begabung mitbrachte. Kein Wunder, daß Schiller an⸗ fangs dieſen „traurigen“ Philiſter verachtete und geneigt war, ihn beiſeite zu ſchieben. Aber während der Arbeit lernte er die anſpruchsloſe Treue und den Fleiß Eſchen⸗ burgs doch ſchätzen und gab ihm vom zweiten Aufzug an entſchieden den Vorzug vor Wielands freierer Über⸗ tragung. Ja endlich erkannte Schiller, daß er noch weiter, bis auf den Urtext, zurückgehen müſſe. Und ſo hat ſich für die zweite Hälſte der Arbeit und beſonders für die Reviſion des Ganzen eine Mtacheth-Wusgabe, die Frau von Stein herlieh, ein Wörterbuch der engliſchen Sprache, das Goethe am 16. Februar ſandte, und gewiß auch Lottens Hilfe dem Unternehmen nützlich erwieſen.

Immer aber, trotz des zunehmenden Verſtändniſſes des engliſchen Textes, wollte und konnte Schiller nur eine freie Nachdichtung, keine treue Überſetzung geben. Es lag nicht in ſeiner Natur, ſich in eine fremde Indivi⸗ dualität bis zur Aufgabe ſeiner eignen einzuſchmiegen. Er hatte eben erſt am „Wallenſtein“ zu ſchwer um eine ihm allein angehörige Ausdrucksweiſe, um einen Stil gerungen, als daß er dieſen nun zu Gunſten eines andern ſofort wieder hätte aufgeben können. Und ſo geſchah es, daß er die wortkargſte Tragödie Shakeſpeares mit jener Rhetorik, jener von der Wirklichkeit abweichenden Breite der Rede ausſtattete, die wohl antiker Praxis entſpricht, in die engliſche Bühnenſprache des 16. Jahrhunderts aber ganz fremde Töne hineinträgt. Man leſe bei Schiller Versreihen wie 691 ff., 1047 ff., 1973 ff.; ſie ſind ſchön an ſich, aber allzu ſchmuckvoll und bauſchig. Auch kam hinzu, daß der Bearbeiter Bilder des Originals mit Rückſicht auf ſein Publikum veränderte und Shake⸗ ſpeares Härten und Ecken überall zu glätten und zu

XII Einleitung

runden ſuchte. Sogar dort, wo ſcheinbar volle Überein⸗ ſtimmung zwiſchen beiden Dichtern herrſchte, in der Wahl des Versmaßes, erkennt ein feineres Stilgefühl grund⸗ ſätzliche Unterſchiede. Auguſt Wilhelm Schlegel, der Meiſterüberſetzer, hat in mehreren Abhandlungen die Verskunſt Shakeſpeares dahin charakteriſiert, daß es dieſem Dichter nicht darauf ankomme, glatte, regelmäßige Verſe zu ſchreiben, ſondern daß er um jeden Preis aus⸗ drucksvoll ſein wolle, möge auch ſeine Sprache darüber zuzeiten, wenn es der Inhalt verlange, holperig, ſtockend und rauh werden. Wenn nun aber Schlegel vom Über⸗ ſetzer verlangte, er müſſe dieſen Stil nachbilden, ſo iſt das durchaus nicht Schillers Meinung; ihm iſt es viel⸗ mehr häufig genug Selbſtzweck, ſchöne Verſe zu dichten für die erſtrebte neue Kunſt der Bühnendeklamation. Die ganze Breite des Abſtands zwiſchen Shakeſpeares Drama und Schillers Nachdichtung erkennt man aber erſt, wenn man ins innere Gefüge des Stückes ſich vertieft. Aus dem von dämoniſcher Phantaſie und übermächtigem Ehrgeiz gequälten ſchottiſchen Heerführer, der zuerſt willenlos dahingeriſſen wird, weil er muß, und zu wollen, aber nur Böſes zu wollen erſt dann lernt, als es zu ſpät iſt, aus ihm hat Schiller, beeinflußt von einer damals weitverbreiteten Auffaſſung, einen ſchuldlos⸗ edlen Helden gemacht, der als Verführter wohl Mitleid, aber kaum die ganze Fülle tragiſchen Mitleids für ſich in Anſpruch nehmen kann. Und aus Shakeſpeares Lady, in der erſt durch ihren Gatten der Ehrgeiz rege geworden iſt, die dann aber nach Weibes Art die in ſie hinein⸗ gepflanzte Aufgabe viel treuer zu hegen beginnt, als er es konnte, und viel zäher ſie durchzuführen trachtet, um endlich an ihr zu zerſchellen, aus ihr iſt in der deut⸗

Einleitung XIII

ſchen Bearbeitung eine Verkörperung alles Böſen, eine zweite Hekate, eine Megäre geworden. Weil nun aber Schiller bei dieſer Umgeſtaltung der Charaktere dem Hexengruß, der das Stück einleitet, viel größere Bedeu⸗ tung beilegte, ſo mußte auch die Art der drei Zauberſchwe⸗ ſtern ſich ändern. Bei Shakeſpeare ſind es drei Hexen nach mittelalterlicher Vorſtellung, Menſchenweiber, die im Bund mit der Hölle Zauberkünſte üben, Tränke brauen, beſchwören und weisſagen können, und die mit jedem neuen Übel, das ſie ſtiften, ihre Schadenfreude nähren. Schiller glaubte ihnen wegen ihrer Macht über Macheths Gemüt in den Eingangsſzenen höhere Würde verleihen zu müſſen und geſtaltete ſie, unter Nachwirkung antiker Vor⸗ ſtellungen, zu Botinnen eines hohen, unbegreiflichen Schick⸗ ſals um, zu Gehilfinnen von der Götter Neide, der jeden allzu glücklichen Sterblichen treffen und vernichten ſoll.

Man kann wegen all dieſer inneren und äußeren Veränderungen heute, nach mehr als hundert Jahren, Schillers „Maebeth“ nicht mehr unmittelbar an dem eng⸗ liſchen Urbild meſſen. Als ein Werk von eigner Art, als erſter Verſuch, Shakeſpeare auch auf der Bühne ſein Versgewand wiederzugeben, hat das Stück den Zeit⸗ genoſſen Schillers volles Genüge getan und iſt über viele Bühnen gegangen. Aber zur Zeit ſeines Erſcheinens las man eine Reihe Shakeſpeareſcher Dramen ſchon in Schlegels Überſetzung. Und vor ihrer Feinfühligkeit und Treue hat denn allerdings die freie Weimarer Nachdich⸗ tung nicht auf die Dauer beſtehen können.

Turandot.

War es bei der Maebeth -Bearbeitung Schillers Ab⸗ ſicht geweſen, der deutſchen Bühne eines der großen

XIV Einleitung

Meiſterwerke der Weltliteratur zu gewinnen, ſo handelte es ſich bei der „Turandot“ um eine Gelegenheitsarbeit von minderem Gewicht, um eine Studie gleichſam von der Art, wie wenn ein Maler das Bild eines früheren Meiſters kopiert, um deſſen Technik experimentell nachzuprüfen. Daß auch hier wieder Schiller ſich nicht mit ſklaviſcher Wiedergabe begnügen konnte, ſondern es als ſein Recht und ſeine Aufgabe betrachtete, einige Züge des Originals, die er für Mängel anſah, zu verbeſſern, nimmt uns bei ſeiner herriſchen Natur nicht wunder. Es erklärt ſich ſein Verfahren überdies aus der beſondern Art und Ent⸗ ſtehungsgeſchichte des Urbildes.

Der Dichter der „Turandot“, Graf Carlo Gozzi (1720-1806), war Italiener und Venezianer mit Leib und Seele. Ihn ſchmerzte es, zu ſehen, wie um die Mitte des 18. Jahrhunderts die alte ſzeniſche Kunſt ſeines Landes von franzöſiſcher Routine verdrängt wurde, wie Chiari in der Tragödie, Goldoni in der Komödie von den Parole gebenden Kreiſen der Geſellſchaft, Gozzis eigenen Standesgenoſſen, gefeiert wurden. Wozu dieſer erborgte Schmuck der martellianiſchen Verſe? fragte er ſich; wozu die ausländiſche erlernte Bühnentechnik? Er konnte die handlungsarme Stelzentragik unmöglich der ſtrahlenden Phantaſtik gleich achten, die man in den Tagen des Arioſt geſchätzt hatte, und in der verdünnten Luſtig⸗ keit der venezianiſchen Alltagskomödien keinen Erſatz ſehen für die ſaftige, täglich ſich erneuende Friſche des alten italieniſchen Stegreifſpiels, der commedia dell' arte.

Weit entfernt aber, nur zu grollen oder zu ſpotten, verſuchte er praktiſch den Gegner zu beſiegen, indem er eine Reihe eigenartiger Stücke auf die Bühne brachte, die er Fiabe nannte, Dramen, in denen blühende Laune,

Einleitung XV

unumſchränkte Erfindungskraft ihr Spiel treiben und zugleich die kindliche Lachluſt der Italiener zu ihrem Recht kommen ſollte. Die dichteriſchen Geſtalten freilich eines Arioſt oder Taſſo waren ihm für dieſen Zweck zu gut; aber er fand Erſatz. Er griff in den großen Vorrat heimiſcher und orientaliſcher Märchen hinein, ließ ihre Helden über die Bühne ſchreiten und miſchte in dieſe Geſellſchaft keck und unbeſorgt die alten Lieblinge des Volkes, die ſtehenden Figuren des Maskenſpiels. Da⸗ durch ſind ſeltſame, geiſtreiche Zauberſtücke entſtanden, die mit Recht das Publikum eine Weile unterhielten, aber doch mit ihrem bunten Durcheinander weder für die Literatur noch für die Bühne einen bleibenden Gewinn brachten. Denn genau betrachtet kam doch keines der beiden Elemente zu voller Geltung: die Märchenhand⸗ lung, die den breiteſten Raum beanſpruchte, nahm Gozzi im Grunde ſelbſt nicht ernſt; und für die Perſonen der commedia dell' arte, die er wirklich ehrlich liebte, hatte er nur kleine Nebenrollen zu vergeben. Es zeigte ſich hier, was man ſo oft beobachtet: Miſchgattungen haben kurze Lebensdauer.

Die vierte Fiaba der Zeitfolge nach iſt „Turandot“. Ihr liegt ein Märchen aus der Sammlung „Tauſend und ein Tag“ zu Grunde, die Erzählung von der ehe⸗ ſcheuen Prinzeſſin von China, die jeden Freier, der nicht ihre drei Rätſel löſt, hinrichten läßt und ſich ſelbſt dem Sieger nicht ergeben will, ſo daß dieſer ſich zu einem zweiten Wettkampf verſteht. In dieſem iſt aber das Spiel umgekehrt: er, der unbekannte Prinz, ſtellt das Rätſel und verlangt, daß die Prinzeſſin ihm ſeinen eignen ver⸗ borgenen Namen nenne. Mit Hilfe eines eigenſüchtigen Mädchens aus ihrem Serail, das dem Prinzen den Namen

XVI Einleitung

entlockt, ſiegt die Kaiſertochter, erwählt aber nach dieſem Triumph den ihr Verfallenen doch aus Laune zum Ge⸗ mahl.

Aus dieſer Erzählung konnte ein Bühnenpraktikus wie Gozzi leicht ein wirkungsvolles Drama geſtalten. Ein exponierender Akt führte in tränenvollen Erzählungen die langen Irrfahrten des Prinzen Kalaf und das jammer⸗ reiche Schickſal ſeiner Eltern, ſowie die Verhältniſſe am Hofe von China vor; den beiden Rätſelkämpfen waren der zweite und fünfte Akt vorbehalten, den Zwiſchen⸗ raum zwiſchen ihnen füllten die Intrigen, die mit dem Unternehmen jener Serailſklavin zuſammenhingen. Für die Perſonen der commedia dell' arte blieben dann frei⸗ lich nur die untergeordneten Rollen des Sekretärs, Groß⸗ kanzlers, Pagenhofmeiſters und Eunuchenaufſehers am Hofe von Peking übrig. Ihre Rollen, die bei der Auf⸗ führung von den Mitgliedern der ausgezeichneten Truppe Sacchi aus dem Stegreif geſpielt wurden, brauchte Gozzi zum Teil nur zu ſkizzieren, während er die Partien der eigentlichen Märchenperſonen in den bekannten italieni⸗ ſchen elfſilbigen Verſen ausführte, reich an Pointen und Refrains, in prächtiger farbenreicher Sprache. Auf die Charakterzeichnung legte er dabei nicht viel Gewicht; es waren ja Märchengeſtalten, was brauchte man viel nach den Gründen für ihr Handeln zu fragen! So iſt denn Turandot genau ſo launiſch, Kalaf genau ſo unerklärlich verliebt, wie in der orientaliſchen Erzählung. Nur durch die geſchickt geführte, ſelten ſtillſtehende Handlung, die Leb⸗ haftigkeit der rhythmiſchen Dialoge und durch die bur⸗ lesken Zwiſchenſzenen feſſelte das Drama ſein Publikum.

Freilich, wieder nicht für lange Zeit. Als 1762 „Turandot“ zum erſten Male in Venedig gegeben wurde,

Einleitung XVII

ſtanden die Spiele Gozzis in höchſter Gunſt. Wenige Jahre ſpäter hatte ſich die ganze Gattung ſchon über⸗ lebt und verfiel der Vergeſſenheit um ſo ſchneller, als gerade damals die Sacchiſche Truppe ſich auflöſte. Es war doch nur eine ſchwache Genugtuung für den Undank der eignen Landsleute, daß der Dichter bald im Ausland eine treuere Anhängerſchaft finden ſollte.

Für Deutſchland war Friedrich Auguſt Clemens Werthes der Vermittler, der die 1772 erſchienenen ge⸗ ſammelten Dramen Gozzis in den Jahren 1777 —79 ins Deutſche übertrug. Werthes, ein Schützling Wielands, ein Talent leichter Aneignung, war wegen ſeiner Sprach⸗ gewandtheit und ſeines Sinnes für Wohllaut zum Über⸗ ſetzer graziöſer Werke wohl tauglich. Es war allerdings ein Mißgriff, daß er Gozzi in Proſa übertrug; der Pomp der Sprache ging dabei ja ganz verloren. Davon abge⸗ ſehen iſt aber die überſetzung brav und ehrlich. Erwähnt man, daß Kalaf bei Werthes ein wenig zärtlicher, die Sklavin Zelima etwas ſchnippiſcher geworden iſt, ſo ſind alle Abweichungen aufgezählt, die ſich der Überſetzer, wohl ohne es zu überlegen, erlaubt hat.

Schiller nun, der des Italieniſchen gar nicht mächtig war, kannte Gozzis Dramen nur aus dieſer nüchternen Verdeutſchung. Er konnte ſich daher wohl an den tech⸗ niſchen Vorzügen der Stücke erfreuen, fühlte aber deut⸗ lich heraus, wieviel ihnen durch die Übertragung in Proſa an Reiz genommen ſei. Als er nun nach ſeiner Dresdener Reiſe im Jahre 1801 den alten Plan einer Turandot⸗ Bearbeitung ausführte, der ihn vom Ende Oktober bis Ende Dezember beſchäftigte, da mußte ihm Art und Um⸗ fang ſeiner Aufgabe von vornherein klar ſein. An den

Aufbau des Ganzen, den er zu rühmen wußte, erachtete Schillers Werke. IX. II

XVIII Einleitung

er ſich gebunden; nur im vierten Aufzug hat er an ein paar Stellen, die in unſern Anmerkungen berückſichtigt werden, leiſe nachgeholfen. Aber nach drei Seiten hin bewegte er ſich freier: er erſetzte das marionettenhafte Weſen der Märchenperſonen durch eine tiefere, auch menſchlich packende Charakteriſtik; er gab dem alles Schmuckes entkleideten Drama das Prachtgewand der Verſe wieder; und endlich führte er die Rollen der Maskenperſonen, von denen ſich bei Gozzi ja gelegent⸗ lich nur das Kanevas vorfand, in wirklichem Dialog aus.

Ein pſychologiſches Intereſſe an der Handlung hatte Gozzi nicht erweckt; nicht der leiſeſte Verſuch war ge⸗ macht, das Tun der Prinzeſſin zu motivieren. Sie iſt grauſam von Natur und bleibt es bis ans Ende des Stückes; daß ſie den Prinzen zum Gemahl nimmt, iſt bare Willkür. Da ſie ſein Rätſel gelöſt oder die Löſung wenigſtens erſchlichen hat, ſo iſt jeder äußere Zwang, ihm die Hand zu reichen, beſeitigt; und ein innerer tritt bei Gozzi nicht an die Stelle.

Dieſen inneren Zwang aber zu finden und glaubhaft zu machen, iſt Schillers Hauptbemühn geweſen. Er ge⸗ ſtaltet Turandot daher zu einer hoheitvollen Fürſtin, die aus berechtigtem, edlem Stolz eine Ehe einzugehn ſich weigert. Sie ſieht, wie in ganz Aſien das Weib zur Sklavin des Mannes entwürdigt wird; und dagegen bäumt ſich ihr Herz auf. Nicht aus Grauſamkeit, ſondern aus Notwehr braucht ſie ihren ſcharfen Geiſt gegen das herriſche Geſchlecht. Sie hat noch keinen Mann geſehen, dem gegenüber ſie ihr Tun bereut hätte. Kalaf iſt der erſte, der durch den Adel ſeines Weſens ſie wankend macht. Sein bloßes Auftreten ſchon entſcheidet. Turandot liebt ihn, ohne es ſich geſtehen zu wollen. Sie beharrt

Einleitung XIX

auf dem doppelten Rätſelkampf nur noch aus Stolz, um ihre Ehre zu retten; und daher darf ſie ſich am Schluß aus freier Neigung dem Prinzen verbinden und ihm ge⸗ ſtehen: „Mein Herz war Euer, gleich im erſten Augen⸗ blick, da ich Euch ſah.“ „Des Stolzes und der Liebe Streit“, ſo hat Schiller ſelbſt den Kampf in Turandots Seele genannt.

Mit der Prinzeſſin wuchs auch Kalaf an innerem Wert. Ein vom Unglück Verfolgter iſt er, dem das Leben an ſich wertlos geworden iſt. Und er wird nun plötzlich vor die Gefahr des Rätſelkampfes geſtellt. Kein Wunder, daß ſolch ein Jüngling ſich leuchtenden Auges in das Wagnis ſtürzt, nicht aus Liebe zu der Tigerherzigen oder zu ihrem Bildnis, ſondern nur aus Luſt am Abenteuer. In der Gefahr ſelbſt reift er jedoch zum Mann; gegen⸗ über Turandots herber Größe fühlt er ſeinen Wert und kämpft jetzt um ſie nicht mehr aus Tollkühnheit, ſondern aus Liebe. So müſſen die Wege der beiden Fürſten⸗ kinder zuſammenführen. Man verfolge einmal bis ins einzelne, wie ſich das Rätſelturnier im zweiten Aufzug entwickelt; hier iſt alle tiefere Wirkung auf Schillers Anderungen zurückzuführen.

Gleiche Sorgfalt konnte der Bearbeiter den Neben⸗ perſonen nicht widmen; doch ſind ſie alle gegenüber der Proſa von Werthes auf ein höheres Niveau gehoben durch die Verſifizierung. Die Jambenſprache, die Schiller am Ende des Jahres 1801 ſchon mit voller Leichtigkeit handhabte, ließ keiner Platitüde des Vorbildes Raum, duldete keine leeren Wiederholungen, keine brutalen und derben Ausdrücke, benutzte aber gern den Anlaß, eine ſchlichte Wendung in Werthes' Überſetzung zu einer reiz⸗ vollen Antitheſe oder ſonſt einer rhetoriſchen Figur aus⸗

XX Einleitung

zubilden. Und ſo iſt es gekommen, daß Schiller, ohne den italieniſchen Text zu kennen, das Drama doch in den weſentlichen Szenen zu ſeinem Original zurück⸗ dichtete.

In Einem freilich wollte und konnte er mit Gozzi nicht rivaliſieren: in der Ausführung der Rollen, die dieſer der commedia dell' arte entnommen hatte. Was waren dem Deutſchen die italieniſchen Maskenfiguren! Er hatte ihnen nichts Ahnliches an die Seite zu ſtellen. Hanswurſt war längſt von der Bühne verjagt worden; und eine wirkliche Kunſt des Improviſierens, die im Norden ſtets nur wenige beſeſſen hatten, war ebenfalls dahin. Es blieb Schiller alſo nichts übrig, als die Partien des Truffaldin und Brigella wie alle übrigen in jambiſchen Fünftaktern auszuführen. Das aber iſt kein Versmaß, um derbe Witze und Albernheiten zu ſagen. Höchſtens für den Ausdruck parodiſtiſcher Würde eignet es ſich. Und eben dieſe legte Schiller den beiden italieni⸗ ſchen Narren bei, eine etwas ſchwerfällige Komik, die das nordiſche Klima gezeitigt hat.

Im ganzen leidet die Bearbeitung der „Turandot“ an einer gewiſſen Unentſchiedenheit. Es iſt nicht mehr das Original und doch auch kein neues Werk; die Haupt⸗ perſonen ſind menſchlich ernſt genommen, die Neben⸗ figuren faſt ganz als Puppen behandelt, die Masken mit einer allzu zahmen Komik ausgeſtattet. Inmitten dieſer wunderlichen Welt ſpielt beſonders der arme Kaiſer eine ganz unglückliche Rolle. Er, der zwiſchen ſeinen ſchnurri⸗ gen Räten wie ein rechter Operettenmonarch erſcheint, ſoll doch der Tochter gegenüber ganz ernſthaft als lie⸗ bender Vater gelten und dem Prinzen gar durch ſein ehrwürdiges graues Haupt Eindruck machen. Am beſten

Einleitung XXI

wird er wohl als ein ſchwacher Tropf dargeſtellt, der durch ſein Unglück etwas kindiſch geworden iſt.

Ein wenig ausgeglichen ſind dieſe Unebenheiten aller⸗ dings durch die über alle Rollen ausgedehnte Verfifi- kation des Dialogs. Aber war ein ausgleichendes Ver⸗ fahren überhaupt am Platz? Soviel wußte ja Schiller auch ohne Kenntnis des Italieniſchen aus der überſetzten Vorrede zu Gozzis „Raben“, aus Goethes Erzählungen und mancher andern Quelle, daß im Original nur die Märchenperſonen in Verſen, die Masken in Proſa ſprechen. War es nicht vielleicht richtiger und beinahe ſtilvoller, dieſe Zwieſpältigkeit auch in der deutſchen Be⸗ arbeitung beizubehalten? Ganz gewiß. Und doch wie⸗ der nur unter einer Bedingung: wenn nämlich die Vers⸗ tiraden, wie bei Gozzi, einen ſo dicken grellen Farben⸗ auftrag erhielten, daß ſie die volkstümlich witzige Proſa faſt wie ein Gegengift herausforderten. Um Schillers maßvoll edle Rhythmen wäre es ſchade geweſen, wenn man ihre Wirkung durch das laute Gelächter der Narren unterbrochen hätte. Und darum, da er einmal mit Maß⸗ haltung begonnen hatte, mußte er ſie auch unter Preis⸗ gabe einer kräftigeren Wirkung bis zu Ende durchführen.

Zurückhaltend und formſchön ſind endlich auch die Rätſel, die Schiller ſeiner Turandot in den Mund legte und die er bei jeder weiteren Aufführung des Stückes durch drei neue (vgl. Bd. 1, S. 277 ff. und 357 ff.) erſetzte. Am angemeſſenſten für das derbe Spiel wäre es wohl geweſen, wenn die Prinzeſſin Fragen geſtellt hätte, die unmöglich jemand beantworten kann und die dann der Prinz, verblüffend für alle Welt, dennoch auf⸗ gelöſt hätte. Annähernd ſo hat es Gozzi auch gemacht. Schiller dagegen ſetzte feine kleine fragende Gedichte an

XXII Einleitung

die Stelle, die nicht ſo ſehr den Scharfſinn als die Phan⸗ taſie beſchäftigen. Sie bereiten dem Ratenden nicht die geringſten Schwierigkeiten. Was Hebbel in ſeiner unter⸗ drückten Vorrede zur „Judith“ mißbilligend von Schillers ganzer Poeſie ſagt, nämlich daß ſie ſtatt des Rätſels, das uns allein intereſſiert, die nackte kahle Auflöſung liefert, das trifft in vollem Maße zu für die Fragen der Turandot.

Repertoireſtück konnte das italieniſche Märchenſpiel in dieſer Bearbeitung nicht werden; doch hat man es, nachdem es am 30. Januar 1802 in Weimar die erſte Aufführung erlebt hatte, an vielen Bühnen gegeben, in Berlin, Hamburg, Dresden u. ſ. w. Überall machte es einen befremdlichen Eindruck, der ſich in gewundenem Lob oder verhülltem Tadel kundgab. Aber Einen Erfolg hatte es dennoch: es wies noch einmal nachdrücklich auf den bereits vergeſſenen italieniſchen Dichter hin und rief eine ganze Reihe von Werken ins Leben, die mit Gozzis Kunſt rivaliſieren oder ſie neu beleben wollten.

Der „Paraſit“ und der „Neffe als Onkel“.

Ganz andern Schlages ſind die beiden Luſtſpiele von dem Pariſer Theaterdirektor Louis⸗Benoit Picard (1769 bis 1828), die Schiller übertrug, Durchſchnittsſtücke, wie ſie auch in Deutſchland von ſchriftſtelleriſch gewandten Schauſpielern maſſenhaft verfertigt wurden. In den ſchweren Leidenszeiten, die Schiller während ſeiner letzten Lebensjahre durchzukämpfen hatte, war er oft gezwungen, ſich mit allerleichteſter Lektüre die Zeit zu vertreiben. Es gewährt einen wehmütigen Anblick, wenn er, der in den Xenien ſo ſtrenges Gericht gehalten hatte, ſich nun im 19. Jahrhundert auf dem Gebiet der Leihbibliothek⸗

Einleitung XXIII

romane und der Werktagsdramen eine wenig beneidens⸗ werte Beleſenheit erwarb und, gleichſam um die auf⸗ gewandte Teilnahme zu entſchuldigen, an dieſen Erzeug⸗ niſſen doch immer einiges zu rühmen fand, in theatra⸗ liſchen Werken beſonders Eigenſchaften, die ihm ſelbſt abgingen: die müheloſe Erfindung, die geſchickte Führung einer Intrige, den leicht dahingleitenden Dialog. Er ſelbſt hätte ja gern, wie ſeine hinterlaſſenen Entwürfe beweiſen, einmal auf dem Gebiet des Luſtſpiels einen

Erfolg errungen. Und ſo kann man ſeine Picard⸗Über⸗

ſetzungen recht wohl als Studien bezeichnen; denn den Vorteil, einem Kenner der Kuliſſenwelt ein Stückchen Routine abzugucken, hat er nicht gering geſchätzt.

Das erſte der beiden Stücke, die Schiller, noch be⸗ ſonders beſtimmt durch einen Wunſch ſeines Herzogs, las und 1803 in Tagen halber Kraftentfaltung ver⸗ deutſchte, Médiocre et rampant (entftanden und zuerſt aufgeführt 1797), ift an und für ſich eine Leiſtung ge⸗ wöhnlicher Art. Der Paraſit, der Streber und Schleicher war auf der Luſtſpielbühne aller Kulturvölker längſt ein bewährter Typus; eine Handlung, bei der ſich die Tu⸗ gend zu Tiſch ſetzt, wenn ſich das Laſter erbricht, fand immer wieder Beifall. Aber hier an dem Picardſchen Drama intereſſierte Schiller, den eifrigen Leſer der fran⸗ zöſiſchen Journale, doch wohl noch etwas Beſonderes. Das Stück hat zum Hintergrund die Korruption der Pariſer Beamtenwelt und ſtellt ſich als einen, wenn auch nur ſchwachen Verſuch dar, das öffentliche Leben der Gegenwart im Spiegelbild auf die Bühne zu bringen, einen Verſuch alſo, wie ihn Schiller ſelbſt in ſeinem ge⸗ planten Luſtſpiel „Die Polizei“ ſo gern gemacht hätte.

Die Pflicht des Überſetzers nahm Schiller nicht allzu

XXIV Einleitung

ſtreng. Daß er einige Namen veränderte, will wenig ſagen: der Miniſter heißt bei Picard Ariſte, ſeine Mutter Madame Dorlis, ſeine Tochter Laure, der Paraſit Dori⸗ val. Wohl aber ging der Charakter des Originals da⸗ durch verloren, daß die franzöſiſchen Alexandriner in deutſche Proſa verwandelt wurden. Kürzungen wie Er⸗ weiterungen kommen bei Schiller ſo zahlreich vor, daß oft nur das Weſentliche einer Rede frei wiedergegeben iſt. Beſaßen ſchon die franzöſiſchen Verſe große Leichtig⸗ keit und Natürlichkeit, fo ſuchte der Überſetzer den Ton der Unterhaltung noch mehr zu vereinfachen, ihn noch reichlicher mit vulgären Wendungen zu durchſetzen. Es wird in den Anmerkungen auf die wichtigſten Einzelheiten hingewieſen.

So mündete das Luſtſpiel durch dieſe Übertragung in den Stil Ifflands ein; und es iſt kein Zufall, daß gerade dieſer Schauſpieler die Rolle des Selicour gern und unter lebhaftem Beifall darſtellte. Überhaupt erhielt ſich das Stück einige Jahre auf dem Spielplan von Wei⸗ mar, Berlin, Hamburg und andern Bühnen, ebenſo wie der „Neffe als Onkel“, bei dem ſich Schiller die Arbeit noch leichter machte. Hier war ſchon das Original in Proſa abgefaßt und forderte nur, daß auch in der Über⸗ tragung Alltagsrede durch Alltagsrede wiedergegeben wurde. Die Szenenführung ließ Schiller unberührt; erſt ein unbekannter Dramaturg in Hamburg hat eine hand⸗ ſchriftlich erhaltene Umarbeitung der zweiten Hälfte des dritten Aufzuges verfaßt, durch die es ermöglicht wurde, daß nunmehr der Neffe wie der Onkel bis zu Ende von Einem Schauſpieler gegeben werden konnten.

Albert Köſter.

Macbeth

Ein Trauerſpiel von Shakeſpeare

Schillers Werke. IX.

Perſonen

Duncan, König von Schottland.

Malcolm, Donalbain, } ſeine Söhne.

ae \ ſeine Feldherrn. Maeduff, Roſſe, Angus, Lenox, Fleance, Banquos Sohn.

Seiward, Feldherr der Engelländer. Sein Sohn.

Seyton, Macbeths Diener.

Ein Arzt.

Ein Pförtner.

Ein alter Mann.

Drei Mörder.

Lady Maebeth.

Ihre Kammerfrau.

Hekate und drei Hexen.

Lords. Offiziere. Soldaten. Banquos Geiſt und andre Erſcheinungen.

ſchottiſche Edelleute.

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Erſter Aufzug Ein offener Platz. 1. Auftritt Es donnert und blitzt. Die drei Hexen ſtehen da.

Erſte Here. Wann kommen wir drei uns wieder entgegen, In Donner, in Blitzen oder in Regen?

Zweite Here. Wann das Kriegsgetümmel ſchweigt, Wann die Schlacht den Sieger zeigt.

Dritte Here. Alſo eh' der Tag ſich neigt. f Erſte Here. Wo der Ort? Zweite Here. Die Heide dort. Dritte Here. Dort führt Macbeth fein Heer zurück.

Zweite Here. Dort verkünden wir ihm ſein Glück!

Erſte Here. Aber die Meiſterin wird uns ſchelten, Wenn wir mit trüglichem Schickſalswort

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Macbeth

Ins Verderben führen den edeln Helden, Ihn verlocken zu Sünd und Mord.

Dritte Here. Er kann es vollbringen, er kann es laſſen; Doch er iſt glücklich: wir müſſen ihn haſſen.

Zweite Here. Wenn er ſein Herz nicht kann bewahren, Mag er des Teufels Macht erfahren.

Dritte Here. Wir ſtreuen in die Bruſt die böſe Saat, Aber dem Menſchen gehört die Tat.

Erſte Here. Er iſt tapfer, gerecht und gut, Warum verſuchen wir ſein Blut?

Zweite und dritte Here. Strauchelt der Gute, und fällt der Gerechte, Dann jubilieren die hölliſchen Mächte.

(Donner und Blitz.) Erſte Here. Ich höre die Geiſter!

Zweite Here. Es ruft der Meiſter!

Alle drei Heren. Padok ruft. Wir kommen! Wir kommen! Regen wechſle mit Sonnenſchein! Häßlich ſoll ſchön, ſchön häßlich ſein! Auf! durch die Luft den Weg genommen.

(Sie verſchwinden unter Donner und Blitz.)

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Erſter Aufzug. 2. Auftritt 7

2. Auftritt

Der König. Malcolm. Donalbain. Gefolge. Sie begegnen einem verwundeten Ritter, der von zwei Soldaten geführt wird.

König. Hier bringt man einen Ritter aus der Schlacht, Jetzt werden wir des Treffens Ausſchlag hören.

Malcolm. Es iſt derſelbe Ritter, ich erkenn' ihn, Der mich ohnlängſt aus Feindes Hand befreit. Willkommen, Kriegsgefährte! Sag' dem König, Wie ſtand das Treffen, als du es verließeſt?

Ritter, Es wogte lange zweifelnd hin und her, Wie zweier Schwimmer Kampf, die an einander Geklammert Kunſt und Stärke ringend meſſen. Der wüt'ge Macdonall, wert, ein Rebell Zu ſein, führt' aus dem Weſten wider dich Die Kernen und die Galloglaſſen an, Und wie ein reißender Gewitterſtrom Durchbrach er würgend unſre Reihen, alles Unwiderſtehlich vor ſich nieder mähend. Verloren war die Schlacht, als Maebeth kam, Dein heldenmüt'ger Feldherr. Mit dem Schwert Durch das gedrängteſte Gewühl der Schlacht Macht' er ſich Bahn bis zum Rebellen, faßt' ihn, Mann gegen Mann, und wich nicht, bis er ihn Vom Wirbel bis zum Kinn entzweigeſpaltet Und des Verfluchten Haupt zum Siegeszeichen Vor unſrer aller Augen aufgeſteckt.

König. O tapfrer Vetter! Heldenmüt'ger Than!

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Macbeth

Ritter. Doch gleich wie von demſelben Often, wo Die Sonne ihre Strahlenbahn beginnt, Schiffbrechende Gewitter ſich erheben, So brach ein neues Schrecknis aus dem Schoße Des Siegs hervor. Vernimm es, großer König. Kaum wendeten die Kernen ſich zur Flucht, Wir zur Verfolgung, als mit neuem Volk Und hellgeſchliffnen Waffen König Sueno, Norwegens Herrſcher, auf den Kampfplatz trat, Den Zweifel des Gefechtes zu erneuern!

König. Erſchreckte das nicht unſre Oberſten, Macbeth und Banquo?

Ritter.

Wohl! Wie Sperlinge Den Adler ſchrecken und das Reh den Löwen! Noch ehe ſie den Schweiß der erſten Schlacht Von ihrer Stirn gewiſcht, verſuchten ſie Das Glück in einem neuen Kampf, und hart Zuſammentreffend ließ ich beide Heere! Mehr weiß ich nicht zu ſagen, ich bin ganz Erſchöpft, und meine Wunden fordern Hilfe.

König. Sie ſind dir rühmlich, Freund, wie deine Worte; Geht, holt den Wundarzt! Sieh! Wer naht ſich hier?

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Erſter Aufzug. 3. Auftritt 9

3. Auftritt Vorige. Roſſe und Angus.

Donalbain. Der würd'ge Than von off’!

Malcolm. Und welche Haſt Aus ſeinen Augen blitzt! So blickt nur der, Der etwas Großes meldet.

Rolfe. Gott erhalte den König! König. Von wannen kommt Ihr, ehrenvoller Than?

Rolfe. Von Fife, mein König, wo Norwegens Fahnen, Vor wenig Tagen ſtolz noch ausgebreitet, Vor deiner Macht danieder liegen. König Sueno, Dem jener treuvergeßne Than von Cawdor, Der Reichsverräter, heimlich Vorſchub tat, Ergriff den Augenblick, wo dieſes Reich Von bürgerlichem Krieg zerrüttet war, Und überraſchte dein geſchwächtes Heer! Hartnäckig, grimmig war der Kampf, bis endlich Macbeth mit unbezwinglich tapferm Arm Des Norrmanns Stolz gedämpft Mit einem Wort, Der Sieg iſt unſer.

König.

Nun! Gelobt ſei Gott!

Rolfe. Nun bittet König Sueno dich um Frieden, Doch wir geſtatteten ihm nicht einmal

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10 Macbeth

Die Freiheit, ſeine Toten zu begraben, Bis er zehntauſend Pfund in deinen Schatz Bezahlt hat auf der Inſel Sankt Kolumbus.

König. Nicht länger ſpotte dieſer eidvergeßne Than

Von Cawdor unſers fürſtlichen Vertrauens! Geht!

Sprecht ihm das Todesurteil und begrüßt Macbeth mit ſeinem Titel.

Noſſe. Ich gehorche.

König. Was er verlor, gewann der edle Macbeth. (Sie gehen ab.)

Eine Heide. 4. Auftritt

Die drei Hexen begegnen einander.

Erſte Here. Schweſter, was haſt du geſchafft? Laß hören.

Zweite Here. Schiffe trieb ich um auf den Meeren.

Dritte Here (zur erſten).

Schweſter! Was du?

Erſte Here. Einen Fiſcher fand ich, zerlumpt und arm, Der flickte ſingend die Netze Und trieb ſein Handwerk ohne Harm, Als beſäß' er köſtliche Schätze, Und den Morgen und Abend, nimmer müd, Begrüßt' er mit ſeinem luſtigen Lied.

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Erſter Aufzug. 4. Auftritt 11

Mich verdroß des Bettlers froher Geſang,

Ich hatt's ihm geſchworen ſchon lang' und lang' Und als er wieder zu fiſchen war,

Da ließ ich einen Schatz ihn finden:

Im Netze da lag es blank und bar,

Daß faſt ihm die Augen erblinden.

Er nahm den hölliſchen Feind ins Haus,

Mit ſeinem Geſange da war es aus.

Die zwei andern Heren. Er nahm den hölliſchen Feind ins Haus, Mit ſeinem Geſange da war es aus!

Erſte Here. Und lebte wie der verlorne Sohn, Ließ allem Gelüſten den Zügel, Und der falſche Mammon, er floh davon, Als hätt' er Gebeine und Flügel. Er vertraute, der Tor! auf Hexengold Und weiß nicht, daß es der Hölle zollt!

Die zwei andern Heren. Er vertraute, der Tor, auf Hexengold Und weiß nicht, daß es der Hölle zollt!

Erſte Here. Und als nun der bittere Mangel kam Und verſchwanden die Schmeichelfreunde, Da verließ ihn die Gnade, da wich die Scham, Er ergab ſich dem hölliſchen Feinde. Freiwillig bot er ihm Herz und Hand Und zog als Räuber durch das Land. Und als ich heut' will vorüber gehn, Wo der Schatz ihm ins Netz gegangen, Da ſah ich ihn heulend am Ufer ſtehn Mit bleich gehärmten Wangen

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12 Macbeth

Und hörte, wie er verzweifelnd ſprach: „Falſche Nixe, du haſt mich betrogen,

Du gabſt mir das Gold, du ziehſt mich nach“

Und ſtürzt ſich hinab in die Wogen. Die zwei andern Heren. Du gabſt mir das Gold, du ziehſt mich nach! Und ſtürzt ſich hinab in den wogenden Bach! Erſte Here. Trommeln! Trommeln! Macbeth kommt.

Alle drei leinen Ring ſchließend). Die Schickſalsſchweſtern, Hand in Hand, Schwärmen über See und Land, Drehen ſo im Kreiſe ſich, Dreimal für dich Und dreimal für mich, Noch dreimal, daß es Neune macht Halt! Der Zauber iſt vollbracht!

5. Auftritt

Macbeth und Banquo. Die drei Hexen.

Macbeth. Solch einen Tag, ſo ſchön zugleich und häßlich, Sah ich noch nie.

Banquo.

Wie weit iſt's noch nuch Foris? Sieh! Wer ſind dieſe da, ſo grau von Haaren,

So rieſenhaft und ſchrecklich anzuſehn! Sie ſehen keinen Erdbewohnern gleich

Und ſtehn doch hier. Sprecht! Lebt ihr, oder ſeid

Ihr etwas, dem ein Sohn der Erde Fragen Vorlegen darf? Ihr ſcheint mich zu verſtehn,

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Erſter Aufzug. 5. Auftritt 13

Denn jede ſeh' ich den verkürzten Finger

Bedeutend an die welken Lippen legen.

Ihr ſolltet Weiber ſein, und doch verbietet

Mir euer männiſch Anſehn, euch dafür zu halten. Macbeth.

Sprecht, wenn ihr eine Sprache habt, wer ſeid ihr? Erſte Here.

Heil dir, Macbeth! Heil dir, Than von Glamis.

Zweite Here. Heil dir, Maebeth! Heil dir, Than von Cawdor!

Dritte Here. a Heil dir, Macbeth, der einſt König fein wird!

Bangus (gu Macbeth).

Wie? Warum bebt Ihr ſo zurück und ſchaudert Vor einem Gruße, der ſo lieblich klingt?

(Zu den Hexen.) Im Namen des Wahrhaftigen! Sprecht! Seid ihr Geiſter, oder ſeid ihr wirklich, Was ihr von außen ſcheint? Ihr grüßet meinen edeln Kriegsgefährten Mit gegenwärt'gem Glück und glänzender Verheißung künft'ger königlicher Größe! Mir ſagt ihr nichts. Vermögt ihr in die Saat Der Zeit zu ſchauen und vorher zu ſagen, Welch Samenkorn wird aufgehn, welches nicht, So ſprecht zu mir, der eure Gunſt nicht ſucht, Noch eure Abgunſt fürchtet.

Erſte Here.

Heil!

Zweite Here. Heil!

Dritte Here. Heil!

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14 Macbeth Erſte Here. So groß nicht, aber größer doch als Macbeth!

Zweite Here. So glücklich nicht, und doch glückſeliger!

Dritte Here. Du wirſt kein König ſein, doch Könige zeugen.

Drum Heil euch beiden, Macbeth, Banquo, Heil euch!

Erſte Here. Banquo und Macbeth, Heil euch!

Macbeth. Bleibt, ihr geheimnisvollen Sprecherinnen, Und ſagt mir mehr! Ich weiß, durch Sinels, meines Vaters, Tod, Der dieſe Nacht verſchieden, bin ich Than Von Glamis! Aber wie von Cawdor? Der Than von Cawdor lebt, und lebt im Schoße Des Glücks, und daß ich König einſt ſein werde, Iſt ebenſo unglaublich, da dem Duncan Zwei Söhne leben! Sagt, von wannen kam euch Die wunderbare Wiſſenſchaft? Warum Verweilet ihr auf dieſer dürren Heide Durch ſolch prophetiſch Grüßen unſern Zug? Sprecht! Ich beſchwör' euch!

(Die Hexen verſchwinden.)

Bangus. Die Erde bildet Blaſen, wie das Waſſer, Und dieſe mögen davon ſein! Wo ſind ſie hingekommen?

Macbeth.

In die Luft,

Und was uns Körper ſchien, zerfloß wie Atem In alle Winde daß ſie noch da wären!

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Erſter Aufzug. 6. Auftritt 15

Banquo. Wie? Waren dieſe Dinge wirklich hier, Wovon wir reden, oder aßen wir Von jener tollen Wurzel, die die Sinne

Betöret? Macbeth. Eure Kinder ſollen Könige werden.

Bangus. Ihr ſelbſt ſollt König fein!

Macbeth.

Und Than von Cawdor Dazu! War's nicht ſo?

Banquo. Wörtlich und buchſtäblich! Doch ſeht, wer kommt da?

6. Auftritt Vorige. Roſſe. Angus

Voſſe.

Ruhmgekrönter Macbeth, Dem König kam die Freudenbotſchaft zu Von deinen Siegen, wie du die Rebellen Verjagt, den furchtbarn Macdonall beſiegt; Das ſchien ihm ſchon das Maß des ird'ſchen Ruhms. Doch ſeine Zunge überſtrömte noch Von deinem Lob, als er das Größre ſchon vernahm, Was du im Kampfe mit dem furchtbaren Norweger ausgeführt, wie du der Retter Des Reichs geworden; dicht wie Hagelſchläge Kam Poſt auf Poſt, jedwede ſchwer beladen

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16 Macbeth

Mit deiner Taten Ruhm, und ſchüttete Dein Lob in ſein erſtauntes Ohr.

Angus. Wir ſind

Geſandt, dir ſeinen Dank zu überbringen, Als Herolde dich bei ihm aufzuführen, Dich zu belohnen nicht.

Noſſe. Zum Pfande nur Der größern Ehren, die er dir beſtimmt, Befahl uns der Monarch, dich Than von Cawdor Zu grüßen, und in dieſem neuen Titel Heil dir, ruhmwürd'ger Cawdor, denn du biſt's!

Banquo (für ſich). Wie? Sagt der Teufel wahr?

Macbeth. f Der Than von Cawdor lebt: Wie kleidet ihr mich in geborgten Schmuck?

Noſſe. Der einſtens Than geweſen, lebt, doch nur So lange, bis das Bluturteil an ihm Vollſtreckt iſt. Ob er mit dem Norrmann, ob Mit den Rebellen einverſtanden war, Ob er mit beiden ſich zum Untergang Des Reichs verſchworen, weiß ich nicht zu ſagen. Das iſt gewiß, daß Hochverrat, erwieſen Und von ihm ſelber eingeſtanden, ihn Geſtürzt. Macbeth.

Glamis und Than von Cawdor!

Das Größte ſteht noch aus! Habt Dank, ihr Herren.

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Erſter Aufzug. 6. Auftritt 17

(Zu Banquo.) Hofft Ihr nun nicht, daß Eure Kinder Könige Sein werden, da derſelbe Mund, der, mir Den Than von Cawdor gab, es Euch verhieß?

Bangus. Hum! Stünd' es fo, möcht' es Euch leicht verleiten, Den Cawdor zu vergeſſen und die Krone Zu ſuchen. Es iſt wunderbar! Und oft Lockt uns der Hölle ſchadenfrohe Macht Durch Wahrheit ſelbſt an des Verderbens Rand. Unſchuld'ge Kleinigkeiten dienen ihr, Uns zu Verbrechen fürchterlicher Art Und grauſenhafter Folgen hinzureißen!

(Zu Roſſe und Angus.) Wo iſt der König? Angus. Auf dem Weg hieher.

(Banquo ſpricht ſeitwärts mit beiden.)

Macbeth (für ſich). Zwei Teile des Orakels ſind erfüllt, Ein hoffnungsvolles Pfand des höchſten Dritten! Habt Dank, ihr Herren Dieſe wunderbare Eröffnung kann nicht böſe ſein ſie kann Nicht gut ſein. Wär' ſie böſe, warum fing Sie an mit einer Wahrheit? Ich bin Than Von Cawdor! Wär' ſie gut, warum Beſchleicht mich die entſetzliche Verſuchung, Die mir das Haar aufſträubt, mir in der Bruſt Das eiſenfeſte Männerherz erſchüttert? Die Handlung ſelbſt iſt minder grauſenvoll Als der Gedanke der geſchreckten Seele. Dies Bild, die bloße Mordtat des Gehirns,

Regt meine innre Welt ſo heftig auf, Schillers Werke. IX.

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18 Macbeth

Daß jede andre Lebensarbeit ruht Und mir nichts da iſt als das Weſenloſe.

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Bangus (zu den andern). Bemerket doch, wie unſer Freund verzückt iſt!

Macbeth. Will es das Schickſal, daß ich König fei, So kröne mich's, und ohne daß ich's ſuche!

Banquo. Die neuen Ehren, die ihn ſchmücken, ſind Wie fremde Kleider, die uns nicht recht paſſen, Bis wir durch öfters Tragen ſie gewohnen.

Macbeth (für ſich). Komme, was kommen mag! Die Stunde rennt auch durch den rauhſten Tag!

Banquo (zu Macbeth). Mein edler Than, wir warten nur auf Euch.

Macbeth. Vergebt, ihr Herren. Mein verſtörter Kopf War in vergangne Zeiten weggerückt. Glaubt, edle Freunde! Eure Dienſte ſind In meinem dankbarn Herzen eingeſchrieben, Und jeden Tag durchblättr' ich meine Schuld.

etzt zu dem König! 3 6 3 8 (Zu Banquo.)

Denkt des Vorgefallnen, Und wenn wir's reiflich bei uns ſelbſt bedacht, Dann laßt uns frei und offen davon reden.

Banquo. Macbeth.

Bis dahin gnug davon! Kommt, Freunde! (Sie gehen ab.)

Sehr gern.

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Erſter Aufzug. 8. Auftritt

Königlicher Palaſt. 7. Auftritt

König. Malcolm. Donalbain. Macduff. Gefolge.

N König. Iſt die Sentenz an Cawdor ſchon vollſtreckt? Sind, die wir abgeſandt, noch nicht zurück?

Donalbain. Sie ſind noch nicht zurückgekehrt, mein König, Doch ſprach ich einen, der ihn ſterben ſah. Er habe ſeinen Hochverrat aufrichtig Bekannt und tiefe Reue blicken laſſen! Das Würdigſte in ſeinem ganzen Leben War der ergebne Sinn, womit er es Verließ! Er ſtarb wie einer, der aufs Sterben Studierte, und das koſtbarſte der Güter Warf er gleichgültig hin, als wär' es Staub.

König. Es gibt noch keine Kunſt, die innerſte Geſtalt des Herzens im Geſicht zu leſen! Er war ein Mann, auf den ich alles baute!

8. Auftritt

Vorige. Maebeth. Banquo. Roſſe. Angus.

König. O teurer Vetter! Stütze meines Reichs! Die Sünde meines Undanks laſtete So eben ſchwer auf mir! Du biſt ſo weit Voraus geeilt, daß dich der ſchnellſte Flug Der Dankbarkeit nicht mehr erreichen kann!

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Macbeth

Faſt möcht' ich wünſchen, daß du weniger

Verdient, damit mir's möglich wäre, dich

Nach Würden zu belohnen! Jetzo bleibt mir nichts, Als zu bekennen, daß ich dir als Schuldner Verfallen bin mit meiner ganzen Habe.

Macbeth. Was ich geleiſtet, Sire, belohnt ſich ſelbſt, Es iſt nicht mehr, als was ich ſchuldig war. Euch kommt es zu, mein königlicher Herr, Die Dienſte Eurer Knechte zu empfangen. Sie ſind des Thrones Kinder und des Staats Und Euch durch heil'ge Lehenspflicht verpfändet.

König. Sei mir willkommen, edler, teurer Held. Ich habe angefangen, dich zu pflanzen, Und für dein Wachstum ſorg' ich Edler Banquo, Du haſt nicht weniger verdient: es ſoll Vergolten werden. Laß mich dich umarmen Und an mein Herz dich drücken. (umarmt ihn.)

Banquo. Wachſ' ich da So iſt die Ernte Euer. 0 :

König.

Meine Freude iſt So groß, daß ſie vom Kummer Tränen borgt, Sich zu entladen. Söhne! Vettern! Thans! Und die zunächſt an meinem Throne ſtehn! Wißt, daß wir Malcolm, unſern Alteſten, Zum künft'gen Erben unſers Reichs beſtimmt Und ihn zum Prinzen Cumberlands ernennen. Der einz'ge Vorzug ſoll ihn kennbar machen

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Erſter Aufzug. 9. Auftritt

Aus unſrer trefflichen Baronen Zahl,

Die gleich Geſtirnen unſern Thron umſchimmern! (Zu Macbeth.)

Jetzt, Vetter, nach Inverneß! Denn wir ſind

Entſchloſſen, Euer Gaſt zu ſein heut' Abend.

Macbeth. Ich ſelbſt will Eurer Ankunft Bote ſein Und meinem Weib den hohen Gaſt verkünden! Und ſo, mein König, nehm' ich meinen Urlaub!

König (ihn umarmend).

Mein würd'ger Cawdor! (Er geht ab mit dem Gefolge.)

Macbeth (alein). Prinz von Cumberland!

Das iſt ein Stein, der mir im Wege liegt, Den muß ich überſpringen, oder ich ſtürze! Verhüllet, Sterne, euer himmliſch Licht,

Damit kein Tag in meinen Buſen falle Das Auge ſelber ſoll die Hand nicht ſehen, Damit das Ungeheure kann geſchehen! (Ab.)

Vorhalle in Macbeths Schloß. 9. Auftritt

Lady Maebeth allein, in einem Briefe leſend.

„Ich traf ſie grade an dem Tag des Siegs,

Und die Erfüllung ihres erſten Grußes Verbürgte mir, ſie wiſſen mehr als Menſchen. Da ich nach neuen Dingen forſchen wollte, Verſchwanden ſie. Ich ſtand noch voll Erſtaunen, Als Abgeordnete vom König kamen,

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Macbeth

Die mich als Than von Cawdor grüßten, mit

Demſelben Titel, den mir kurz zuvor

Die Zauberſchweſtern gaben und worauf

Der dritte königliche Gruß gefolgt!

Dies eil' ich dir zu melden, teuerſte

Genoſſin meiner Größe, daß du länger nicht

Unwiſſend ſeieſt, welche Hoheit uns

Erwartet. Leg' es an dein Herz. Leb' wohl!“ Glamis und Cawdor biſt du und ſollſt ſein,

Was dir verheißen iſt Und dennoch fürcht' ich

Dein weichliches Gemüt du biſt zu ſanft

Geartet, um den nächſten Weg zu gehn.

Du biſt nicht ohne Ehrgeiz, möchteſt gerne

Groß ſein, doch dein Gewiſſen auch bewahren!

Nicht abgeneigt biſt du vor ungerechtem

Gewinn, doch widerſteht dir's, falſch zu ſpielen.

Du möchteſt gern das haben, was dir zuruft:

Das muß geſchehn, wenn man mich haben will!

Und haſt doch nicht die Keckheit, es zu tun!

O eile! Eile her!

Damit ich meinen Geiſt in deinen gieße,

Durch meine tapfre Zunge dieſe Zweifel

Und Furchtgeſpenſter aus dem Felde ſchlage,

Die dich wegſchrecken von dem goldnen Reif,

Womit das Glück dich gern bekrönen möchte.

10. Auftritt Lady Macbeth. Pförtner.

Tady. Was bringt Ihr? Pförtner.

Der König kommt auf dieſe Nacht hieher.

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Erſter Aufzug. 10. Auftritt

Lady. Du Lift nicht klug, wenn du das ſagſt Iſt nicht Dein Herr bei ihm? und wär' es, wie du ſprichſt, Würd' er den Gaſt mir nicht verkündigt haben?

Pförtner. Gebieterin, es iſt ſo, wie ich ſage! Der Than iſt unterwegs; ein Eilbot' ſprengte In vollem Lauf voraus, der hatte kaum Noch ſo viel Atem übrig, ſeines Auftrags Sich zu entled'gen.

Tady.

Pflegt ihn wohl! Er bringt Uns eine große Poſt.

(Pförtner geht.)

Der Rab' iſt heiſer,

Der Duncans tödlichen Einzug in mein Haus Ankrächzen ſoll Kommt jetzt, ihr Geiſter alle, Die in die Seele Mordgedanken ſä'n, Kommt und entweibt mich hier! Vom Wirbel bis Zur Zehe füllt mich an mit Tigers Grimm, Verdickt mein Blut, ſperrt jeden Weg der Reue, Damit kein Stich der wiederkehrenden Natur Erſchüttre meinen gräßlichen Entſchluß Und ihn verhindere, zur Tat zu werden. An meine Weibesbrüſte leget euch, Ihr Unglücksgeiſter, wo ihr auch, in welcher Geſtalt unſichtbar auf Verderben lauert, Und ſauget meine Milch anſtatt der Galle! Komm, dicke Nacht, in ſchwarzen Höllendampf Gehüllt, damit mein blinder Dolch nicht ſehe, Wohin er trifft, der Himmel nicht, den Vorhang Der Finſternis zerreißend, rufe: Halt! Halt inne!

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24 Macbeth

11. Auftritt Lady Macbeth. Macbeth.

Tady. Großer Glamis! Würd'ger Cawdor, Und größer noch durch das prophetiſche „Heil dir, der einſt!“ Dein Brief hat mich heraus Gerückt aus dieſer engen Gegenwart, Und trunken ſeh' ich ſchon das Künftige Verwirklicht! Macbeth. Teu'rſte Liebe! Duncan kommt Heut' Abend. Tady.

Und wann geht er wieder?

Macbeth. Endy.

O nimmer fieht die Sonne dieſen Morgen! Dein Angeſicht, mein Than, iſt wie ein Buch, Worin Gefährliches geſchrieben ſteht.

Laß deine Mienen ausſehn, wie die Zeit

Es heiſchet, trage freundlichen Willkommen Auf deinen Lippen, deiner Hand! ſieh aus Wie die unſchuld'ge Blume, aber ſei

Die Schlange unter ihr Geh, denke jetzt Auf nichts, als deinen Gaſt wohl zu empfangen. Mein ſei die große Arbeit dieſer Nacht,

Die allen unſern künft'gen Tag⸗ und Nächten Die königliche Freiheit ſoll erfechten!

Macbeth. Wir ſprechen mehr davon.

Morgen, denkt er.

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Erſter Aufzug. 13. Auftritt 25

Endy. Nur heiter, Sir! Denn wo die Züge ſchnell verändert wanken, Verrät ſich ſtets der Zweifel der Gedanken,

In allem andern überlaß dich mir! (Sie gehen ab. Man hört blaſen.)

12. Auftritt

König. Malcolm. Donalbain. Banquo. Maeduff. Roſſe.

Angus. Lenox. Mit Fackeln. König.

Dies Schloß hat eine angenehme Lage,

Leicht und erquicklich atmet ſich die Luft, Und ihre Milde ſchmeichelt unſern Sinnen.

Bangus. Und dieſer Sommergaſt, die Mauerſchwalbe, Die gern der Kirchen heil'ges Dach bewohnt, Beweiſt durch ihre Liebe zu dem Ort, Daß hier des Himmels Atem lieblich ſchmeckt. Ich ſehe keine Frieſen, ſehe keine Verzahnung, kein vorſpringendes Gebälk, Wo dieſer Vogel nicht ſein hangend Bette Zur Wiege für die Jungen angebaut, Und immer fand ich eine mildre Luft, Wo dieſes fromme Tier zu niſten pflegt.

13. Auftritt Vorige. Lady Maebeth. König. Ah! Sieh da unſre angenehme Wirtin! Die Liebe, die uns folgt, beläſtigt oft,

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Macbeth

Doch danken wir ihr, weil es Liebe iſt. So wirſt auch du für dieſe Laſt und Müh, Die wir ins Haus dir bringen, Dank uns wiſſen.

Tady. Sire! Alle unſre Dienſte, zwei- und dreifach In jedem Stück geleiſtet, blieben noch Zu arm, die große Ehre zu erkennen, Womit Ihr unſer Haus begnadiget. Nichts bleibt uns übrig, königlicher Herr, Als für die alten Gunſtbezeugungen, Wie für die neuen, die Ihr drauf gehäuft, Gleich armen Klausnern, nur an Wünſchen reich, Mit brünſtigen Gebeten Euch zu dienen.

König. Wo iſt der Than von Cawdor? Wir ſind ihm auf den Ferſen nachgefolgt Und wollten ſeinen Haushofmeiſter machen. Doch er iſt raſch zu Pferd, und ſeine Liebe, Scharf wie ſein Sporn, gab ihm ſo ſchnelle Flügel, Daß er uns lang' zuvorkam Schöne Lady, Wir werden Euer Gaſt ſein dieſe Nacht.

Lady. Ihr feid in Eurem Eigentum, mein König, Wir geben nur, was wir von Euch empfingen.

König. Kommt! Eure Hand, und führet mich hinein Zu meinem Wirt. Wir lieben ihn von Herzen, Und was wir ihm erzeigt, iſt nur ein Vorſpiel Der größern Gunſt, die wir ihm vorbehalten. Erlaubt mir, meine angenehme Wirtin!

(Er führt fie hinein. Die andern folgen. Eine Tafelmuſik wird gehört. Bediente gehen im Hintergrunde mit Speiſen über die Bühne. Nach

einer Weile erſcheint Macbeth.)

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Erſter Aufzug. 14. Auftritt

14. Auftritt Maebeth allein, gedankenvoll.

Wär' es auch abgetan, wenn es getan iſt, 470 Dann wär' es gut, es würde raſch getan! Wenn uns der Meuchelmord auch aller Folgen Entledigte, wenn mit dem Toten alles ruhte, Wenn dieſer Mordſtreich auch das Ende wäre, Das Ende nur für dieſe Zeitlichkeit 4s Wegſpringen wollt' ich übers künft'ge Leben! Doch ſolche Taten richten ſich ſchon hier, Die blut'ge Lehre, die wir andern geben, Fällt gern zurück auf des Erfinders Haupt, Und die gleichmeſſende Gerechtigkeit 4360 Zdwingt uns, den eignen Giftkelch auszutrinken. Er ſollte zweifach ſicher ſein. Einmal, Weil ich ſein Blutsfreund bin und ſein Vaſall Zwei ſtarke Feſſeln, meinen Arm zu binden! Dann bin ich auch ſein Wirt, der ſeinem Mörder 486 Die Tür verſchließen, nicht den Todesſtreich Selbſt führen ſollte. Über dieſes alles Hat dieſer Duncan ſo gelind regiert, Sein großes Amt ſo tadellos verwaltet, Daß wider dieſe ſchauderhafte Tat 490 Sich ſeine Tugenden wie Cherubim Erheben werden mit Poſaunenzungen, Und Mitleid, wie ein neugebornes Kind, Hilflos und nackt, vom Himmel niederfahren, In jedes Auge heiße Tränen locken 4s Und jedes Herz zur Wut entflammen wird Ich habe keinen Antrieb als den Ehrgeiz, Die blinde Wut, die ſich in tollem Anlauf Selbſt überſtürzt und jenſeits ihres Ziels Hintaumelt Nun! Wie ſteht es drinn?

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Macbeth

15. Auftritt

Macbeth. Lady Macbeth kommt.

Lady.

Er hat Gleich abgeſpeiſt. Warum verließet Ihr Das Zimmer? Macbeth. Fragte er nach mir? dy. sais Ich dachte,

Man hätt' es Euch geſagt.

Macbeth (nach einer Pauſe). Laß uns nicht weiter

In dieſer Sache gehen, liebes Weib! Er hat mich kürzlich erſt mit neuen Ehren Gekrönt; ich habe goldne Meinungen Von Leuten aller Art mir eingekauft, Die erſt in ihrem vollen Glanz getragen, Nicht gleich beiſeit gelegt ſein wollen.

Tady. Wie?

War denn die Hoffnung trunken, die dich erſt So tapfer machte? Hat ſie ausgeſchlafen

Und iſt nun wach geworden, um auf einmal Beim Anblick deſſen, was ſie mutig wollte, So bleich und ſchlaff und nüchtern auszuſehn? Von nun an weiß ich auch, wie Masebeth liebt. Du fürchteſt dich, in Kraft und Tat derſelbe Zu ſein, der du in deinen Wünſchen biſt!

Du wagſt es, nach dem Höchſten aufzuſtreben, Und du erträgſt es, ſchwach und feig zu ſein?

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Erſter Aufzug. 15. Auftritt 29

„Ich möcht' es gerne, doch ich wag' es nicht“ Kleinmütiger! Macbeth.

Ich bitte dich, halt ein! Das wag' ich alles, was dem Manne ziemt Wer mehr wagt, der iſt keiner!

Lady. -

War's denn etwa Ein Tier, das dich vorhin dazu getrieben? Als du das tateſt da warſt du ein Mann! Und wenn du mehr wärſt, als du warſt, du würdeſt Um ſo viel mehr ein Mann ſein! Da du mir's Entdeckt, bot weder Ort noch Zeit ſich an, Du wollteſt beide machen Beide haben ſich Von ſelbſt gemacht, dich haben ſie vernichtet. Ich habe Kinder aufgeſäugt und weiß, Wie allgewaltig Mutterliebe zwingt, Und dennoch Ja, bei Gott, den Säugling ſelbſt An meinen eignen Brüſten wollt' ich morden, Hätt' ich's geſchworen, wie du jenes ſchwurſt.

Macbeth. Wird uns der blut'ge Mord zum Ziele führen?

Steht dieſer Cumberland nicht zwiſchen mir

Und Schottlands Thron? Und lebt nicht Donalbain? Für Duncans Söhne nur und nicht für uns Arbeiten wir, wenn wir den König töten.

Tady. Ich kenne dieſe Thans! Nie wird ihr Stolz Sich einem ſchwachen Knaben unterwerfen. Ein bürgerlicher Krieg entflammet ſich; Dann trittſt du auf, der Tapferſte, der Beſte, Der Nächſte an dem königlichen Stamm, Die Rechte deiner Mündel zu behaupten.

30 Macbeth

In ihrem Namen gründeſt du den Thron, Und ſteht er feſt, wer ſtürzte dich herab? Nicht in die ferne Zeit verliere dich,

Den Augenblick ergreife, der iſt dein.

Macbeth.

650 Wenn wir's verfehlten wenn der Streich mißlänge!

Tady.

Mißlingen! Führ' es aus mit Männermut

Und feſter Hand, ſo kann es nicht mißlingen.

Wenn Duncan ſchläft und dieſe ſtarke Reiſe

Wird ſeinen Schlaf befördern übernehm' ich's, 555 Die beiden Kämmrer mit berauſchendem

Getränk ſo anzufüllen, zu betäuben,

Daß ihr Gedächtnis, des Gehirnes Wächter,

Ein bloßer Dunſt fein ſoll! Und wenn fie nun

In viehiſchem Schlafe wie im Tode liegen, 560 Was können dann wir beide mit dem un⸗

Bewachten Duncan nicht beginnen, nicht

Mit ſeinen überfüllten Kämmerern,

Die unſers Mordes Sünde tragen ſollen?

Macbeth. Gebier mir keine Töchter! Männer nur ses Soll mir dein unbezwinglich Herz erzeugen! Wird man nicht glauben, wenn wir jene beiden, Die in des Königs eignem Zimmer ſchlafen, Mit Blut beſtrichen, ihrer Dolche uns Zum Mord bedient, daß ſie die Tat getan?

Lady. so Wer wird bei dem Gejammer, dem Geſchrei, Das wir erheben wollen, etwas anders Zu denken wagen?

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Zweiter Aufzug. 1. Auftritt 31

Macbeth.

Weib! Ich bin entſchloſſen, Und alle meine Sennen ſpannen ſich Zu dieſer Tat des Schreckens an. Komm, laß uns Den blut'gen Vorſatz mit der ſchönſten Larve Bedecken! Falſche Freundlichkeit verhehle

Das ſchwarze Werk der heuchleriſchen Seele! (Beide gehen ab.)

Zweiter Aufzug

Zimmer.

1. Auftritt Banquo. Fleance, der ihm eine Fackel vorträgt. Bangus. Wie ſpät iſt's, Burſche?

Eleance.

Herr, der Mond iſt unter, Die Glocke hab' ich nicht gehört!

Banque. Er geht Um zwölf Uhr unter. Eleance. 's iſt wohl ſpäter, Herr. Banquo.

Da, nimm mein Schwert. Man iſt haushälteriſch im Himmel. Die Lichter find ſchon alle aus. Hier, nimm Auch das noch! Eine ſchwere Schlafluſt liegt

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32 Macbeth

Wie Blei auf mir, doch möcht' ich nicht gern ſchlafen.

Ihr guten Mächte, wehrt die ſträflichen Gedanken von mir, die dem Schlummernden

So leicht ſich nahn! Gib mir mein Schwert! Wer da?

2. Auftritt Vorige. Maebeth, dem ein Bedienter leuchtet. Macbeth. Ein Freund. Bangus.

Wie, edler Sir? Noch nicht zur Ruh?

Der König ſchläft ſchon. Er war äußerſt fröhlich, Und Eure Diener hat er reich beſchenkt.

Hier dieſen Demant ſchickt' er Eurer Lady

Und grüßt ſie ſeine angenehme Wirtin.

Er ging recht glücklich in ſein Schlafgemach.

Macbeth. Da wir nicht vorbereitet waren, mußte Der gute Wille wohl dem Mangel dienen.

Bangus. Es mangelte an nichts. Nun, Sir! Mir träumte Verwichne Nacht von den drei Zauberſchweſtern. Euch haben ſie doch etwas Wahres

Geſagt.

Macbeth.

Ich denke gar nicht mehr an ſie.

Indes, wenn's Euch bequem iſt, möcht' ich gern Ein Wort mit Euch von dieſer Sache ſprechen. Nennt nur die Zeit.

Danquo. N

Wie's Euch gelegen iſt.

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Zweiter Aufzug. 3. Auftritt 33

Macbeth. Wenn Banquo mein Beginnen unterſtützt Und es gelingt, ſo ſoll er Ehre davon haben.

Danquo. Sofern ich ſie nicht in die Schanze ſchlage, Indem ich ſie zu mehren meine, noch Mein gut Gewiſſen und mein Herz dabei Gefährdet ſind, bin ich zu Euren Dienſten.

Macbeth.

Bangus, Ich dan? Euch. Schlafet wohl.

(Banquo und Fleance gehen ab.)

Gut' Nacht indes.

Macbeth (sum Bedienten).

Sag' deiner Lady, wenn mein Trank bereit,

Soll ſie die Glocke ziehn. Du geh zu Bette! (Bedienter geht ab.)

3. Auftritt Macbeth allein.

Iſt dies ein Dolch, was ich da vor mir ſehe?

Den Griff mir zugewendet? Komm! Laß mich dich faſſen.

Ich hab' dich nicht und ſehe dich doch immer.

Furchtbares Bild! Biſt du ſo fühlbar nicht der Hand,

Als du dem Auge ſichtbar biſt? Biſt du

Nur ein Gedankendolch, ein Wahngebilde

Des fieberhaft entzündeten Gehirns?

Ich ſeh' dich immer, ſo leibhaftig wie

Den Dolch, den ich in meiner Hand hier zücke.

Du weiſeſt mir den Weg, den ich will gehn;

Solch ein Gerät, wie du biſt, wollt' ich brauchen. Schillers Werke. IX. 3

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Macbeth

Entweder iſt mein Auge nur der Narr

Der andern Sinne, oder mehr wert als ſie alle.

Noch immer ſeh' ich dich und Tropfen Bluts

Auf deiner Klinge, die erſt nicht da waren.

Es iſt nichts Wirkliches. Mein blutiger

Gedanke iſt's, der ſo heraustritt vor das Auge! Jetzt ſcheint die eine Erdenhälfte tot,

Und böſe Träume ſchrecken hinterm Vorhang

Den unbeſchützten Schlaf! Die Zauberei beginnt

Den furchtbarn Dienſt der bleichen Hekate,

Und aufgeſchreckt von ſeinem heulenden Wächter,

Dem Wolf, gleich einem Nachtgeſpenſte, geht

Mit groß weit ausgeholten Räuberſchritten

Der Mord an ſein entſetzliches Geſchäft.

Du ſichre, unbeweglich feſte Erde,

Hör' meine Tritte nicht, wohin ſie gehn,

Damit nicht deine ſtummen Steine ſelbſt

Mein Werk ausſchreien und zuſammenklingend

Dies tiefe Totenſchweigen unterbrechen,

Das meinem Mordgeſchäft ſo günſtig iſt.

Ich drohe hier, und drinnen lebt er noch!

(Man hört die Glocke.)

Raſch vorwärts, Macbeth, und es ijt getan!

Die Glocke ruft mir Höre ſie nicht, Duncan!

Es iſt die Glocke, die dich augenblicks

Zum Himmel fordert, oder zu der Hölle. (Er geht ab.)

4. Auftritt Lady Macbeth. Bald darauf Maebeth. Tady.

Was ſie berauſchte, hat mich kühn gemacht, Was ihnen Feuer nahm, hat mir gegeben.

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Zweiter Aufzug. 4. Auftritt 35

Horch! Still!

Die Eule war's, die ſchrie der traurige Nachtwächter ſagt uns gräßlich gute Nacht. Er ijt dabei. Die Kammertür iſt offen, Und die berauſchten Kämmerlinge ſpotten Mit Schnarchen ihres Wächteramts.

So einen kräft'gen Schlaftrunk hab' ich ihnen Gemiſcht, daß Tod und Leben drüber rechten, Ob ſie noch atmen oder Leichen ſind.

Macbeth (drinnen).

Lady. O web! ich fürchte, fie find aufgewacht Und es iſt nicht geſchehen! Der Verſuch, Und nicht die Tat wird uns verderben Horch! Die Dolche legt' ich ihm zurecht. Er mußte Sie finden auf den erſten Blick. Hätt' es mich nicht, Wie er ſo ſchlafend lag, an meinen Vater Gemahnt, ich hätt' es ſelbſt getan Nun, mein Gemahl?

Macbeth (tritt auf). Sie iſt getan, die Tat! Vernahmſt du kein Geräuſch? Eady.

Die Eule hört' ich ſchreien und Die Grillen ſingen Sagteſt du nicht was?

Macbeth. Lady.

Marbeth. Wie ich herunterkam?

Lady.

Wer ift da? He!

Wann? Jetzt.

Ja.

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36 Macbeth

Macbeth. f Horch! Wer liegt im zweiten Zimmer? Lady. Donalbain! Macbeth (beſieht ſeine Hände). Das iſt ein traur'ger Anblick! Oh! Lady. Ihr ſeid Nicht klug! Das nennt Ihr einen traur'gen Anblick! Macbeth.

Der eine lacht' im Schlaf, der andere

Schrie: Mord! daß ſie ſich wechſelsweiſe weckten. Ich ſtand und hörte zu, ſie aber ſprachen

Ihr Nachtgebet und ſchliefen wieder ein.

Lady. Es find dort ihrer zwei in einer Kammer.

Macbeth. Genad' uns Gott! rief einer Amen ſprach Der andere, als hätten ſie mich ſehen Mit dieſen Henkers Händen ſtehn und horchen Auf die Gebärden ihrer Furcht Ich konnte Nicht Amen ſagen, als ſie ſchrien: Gott gnad' uns!

Lady. Denkt ihm ſo tief nicht nach.

Macbeth. Warum denn aber konnt' ich Nicht Amen ſagen! braucht' ich doch ſo ſehr Die Gnade Gottes in dem Augenblick, Und Amen wollte nicht aus meiner Kehle.

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Zweiter Aufzug. 4. Auftritt 37

Tady. Man muß dergleichen Taten hinterher Nicht ſo beſchaun. Das könnt' uns raſend machen.

Macbeth. Es war, als hört' ich rufen: Schlaft nicht mehr! Den Schlaf ermordet Macbeth, den unſchuld'gen, Den arglos heil'gen Schlaf, den unbeſchützten, Den Schlaf, der den verworrnen Knäul der Sorgen Entwirrt, der jedes Tages Schmerz und Luſt Begräbt und wieder weckt zum neuen Morgen, Das friſche Bad der wundenvollen Bruſt, Das linde Ol für jede Herzensqual, Die beſte Speiſe an des Lebens Mahl!

: Lady. Wie, Sir? Was ſoll das alles?

Macbeth.

Immer, immer, Im ganzen Hauſe rief es fort und fort: Schlaft nicht mehr! Glamis hat den Schlaf ermordet, Darum foll Cawdor nicht mehr ſchlafen, Macbeth Soll nicht mehr ſchlafen.

Tady. Wie? Wer war's denn, der

So rief? Mein teurer Than, was für Phantome Sind das, die deines Herzens edeln Mut So ganz entnerven! Geh! Nimm etwas Waſſer Und waſche dies verräteriſche Zeugnis Von deinen Händen Warum brachteſt du Die Dolche mit heraus? Sie müſſen drin Gefunden werden. Trage ſie zurück, beſtreiche Die Kämmrer mit dem Blut

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38 Macbeth

Macbeth. Ich geh' nicht wieder Hinein. Mir graut vor dem Gedanken, was ich tat Geh du hinein. Ich wag's nicht.

se Schwache Seele! Gib mir die Dolche. Schlafende und Tote Sind nur Gemälde; nur ein kindiſch Aug' Schreckt ein gemalter Teufel. Ich bepurpre Der Kämmerer Geſicht mit ſeinem Blut,

Denn dieſe muß man für die Täter halten. (Sie geht hinein Man hört draußen klopfen.)

Macbeth. Woher dies Klopfen? Wohin kam's mit mir, Daß jeder Laut mich aufſchreckt Was für Hände! Sie reißen mir die Augen aus. Weh! Wehel Kann der gewäſſerreiche Meergott ſelbſt . Mit ſeinen Fluten allen dieſes Blut Von meiner Hand abwaſchen? Eher färbten Sich alle Meere rot von dieſer Hand!

Lady (zurückkommend). So iſt die blut'ge Tat von uns hinweg Gewälzt, und jene tragen unſre Schuld Auf ihren Händen und Geſichtern Horch! 5 Ich hör' ein Klopfen an der Tür nach Süden, Gehn wir hinein. Ein wenig Waſſer reinigt uns Von dieſer Tat! Wie leicht iſt ſie alſo! Komm! Deine Stärke hat dich ganz verlaſſen. (Neues, ſtärkeres Pochen.) Es klopft ſchon wieder! Wirf dein Nachtkleid über! Geſchwind, damit uns niemand überraſche Und ſeh', daß wir gewacht! O ſei ein Mann! Verlier dich nicht ſo kläglich in Gedanken!

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Zweiter Aufzug. 5. Auftritt

Macbeth. Mir dieſer Tat bewußt zu ſein! O beſſer,

Mir ewig meiner ſelbſt nicht mehr bewußt ſein!

(Das Klopfen wird ſtärker.) Poch' ihn nur auf aus ſeinem Todesſchlaf! Was gäb' ich drum, du könnteſt es!

Lady (ihn fortziehend).

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Kommt! Kommt!

(Gehen hinein.)

5. Auftritt

Pförtner mit Schlüſſeln. Hernach Macduff und Roſſe.

Pförtner (kommt ſingend). Verſchwunden iſt die finſtre Nacht, Die Lerche ſchlägt, der Tag erwacht, Die Sonne kommt mit Prangen Am Himmel aufgegangen.

Sie ſcheint in Königs Prunkgemach,

Sie ſcheinet durch des Bettlers Dach,

Und was in Nacht verborgen war,

Das macht ſie kund und offenbar. (Stärkeres Klopfen.)

Poch! Poch! Geduld da draußen, wer's auch iſt! Den Pförtner laßt ſein Morgenlied vollenden.

Ein guter Tag fängt an mit Gottes Preis,

's iſt kein Geſchäft ſo eilig als das Beten. (Singt weiter.)

Lob ſei dem Herrn und Dank gebracht,

Der über dieſem Haus gewacht, Mit ſeinen heiligen Scharen Uns gnädig wollte bewahren.

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40 Macheth

Wohl mancher ſchloß die Augen ſchwer Und öffnet ſie dem Licht nicht mehr; Drum freue ſich, wer neu belebt

Den friſchen Blick zur Sonn' erhebt! (Er ſchließt auf. Macduff und Roſſe treten auf.)

Roſſe. Nun, das muß wahr ſein, Freund! Ihr führet eine So helle Orgel in der Bruſt, daß Ihr damit Ganz Schottland könntet aus dem Schlaf poſaunen.

Pförtner. Das kann ich auch, Herr, denn ich bin der Mann, Der Euch die Nacht ganz Schottland hat gehütet.

No ſſe. Wie das, Freund Pförtner?

Pförtner. Nun ſagt an! Wacht nicht Des Königs Auge für ſein Volk, und iſt's Der Pförtner nicht, der nachts den König hütet? Und alſo bin ich's, ſeht Ihr, der heut' Nacht Gewacht hat für ganz Schottland.

Noſſe. Ihr habt Recht. Macduff.

Den König hütet ſeine Gnad' und Milde. Er bringt dem Hauſe Schutz, das Haus nicht ihm: Denn Gottes Scharen wachen, wo er ſchläft.

Noſſe. Sag', Pförtner! Iſt dein Herr ſchon bei der Hand? Sieh! Unſer Pochen hat ihn aufgeweckt, Da kommt er.

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Zweiter Aufzug. 6. Auftritt 41

6. Auftritt Maebeth. Macduff. Roſſe.

Noſſe. Guten Morgen, edler Sir!

Macbeth. Den wünſch' ich beiden.

Marduff. Iſt der König munter?

Macbeth.

Macduff. Er trug mir auf, ihn früh zu wecken; Ich habe die beſtimmte Stunde bald Verfehlt.

Noch nicht.

Macbeth. Ich führ' Euch zu ihm. Macduff. O ich weiß, Es wär' Euch eine angenehme Mühe, Doch iſt es eine Mühe.

Macbeth. Eine Arbeit, Die uns Vergnügen macht, heilt ihre Müh. Hier iſt die Tür. Macduff. Ich bin fo dreiſt und rufe, Denn fo iſt mir befohlen. (Er geht hinein.)

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Macbeth

7. Auftritt Macbeth und Roſſe.

Noſſe. Reiſt der König Heut' wieder ab?

Macbeth. Ja, ſo beſtellte er's.

N Noſſe. Sir! Das war eine ungeſtüme Nacht. Im Hauſe, wo wir ſchliefen, ward der Schlot Herabgeweht, und in der Luft will man Ein gräßlich Angſtgeſchrei vernommen haben, Geheul des Todes, gräßlich tönende Prophetenſtimmen, die Verkündiger Entſetzlicher Ereigniſſe, gewaltſamer Verwirrungen des Staats, davon die Zeit Entbunden ward in bangen Mutterwehen. Die Eule ſchrie die ganze Nacht; man ſagt, Die Erde habe fieberhaft gezittert!

Macbeth. 's war eine rauhe Nacht.

Noſſe. Ich bin nicht alt Genug, mich einer gleichen zu erinnern.

8. Auftritt Vorige. Macduff kömmt zurück. Macduff. Entſetzlich! Gräßlich! Gräßlich! O entſetzlich!

Macbeth. Was iſt's?

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Zweiter Aufzug. 8. Auftritt 43

Rolfe. Was gibt es?

Marduff. Grauſenvoll! Entſetzlich! Kein Herz kann's faſſen! Keine Zunge nennen!

Macbeth.

Marduff. Der Frevel hat ſein Argſtes Vollbracht! Der kirchenräuberiſche Mord Iſt in des Tempels Heiligtum gebrochen Und hat das Leben draus hinweg geſtohlen.

Was iſt es denn?

Macbeth. Das Leben! Wie verſteht Ihr das? Noſſe. Meint Ihr Den König? Marduff.

Geht hinein! Geht und erſtarret

Vor einer neuen gräßlichen Gorgona. Verlangt nicht, daß ich's nenne! Seht! und dann Sprecht ſelbſt.

(Maebeth und Roſſe gehen ab.)

Mar duff.

Wacht auf! Wacht auf! Die Feuerglocke Geläutet! Mord und Hochverrat! Auf! Auf! Erwachet, Banquo! Malcolm! Donalbain! Werft dieſen flaumenweichen Schlaf von euch, Des Todes Scheinbild, und erblickt ihn ſelbſt. Auf, auf, und ſeht des Weltgerichtes Morgen! Malcolm und Banquo! Wie aus euern Gräbern Erhebt euch und wie Geiſter ſchreitet her, Das gräßlich Ungeheure anzuſchauen.

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9. Auftritt

Macduff. Lady Macbeth. Gleich darauf Banquo mit Lenox und Angus, und nach dieſem Macbeth mit Roſſe.

Lady. 520 Was gibt's, daß ſolche gräßliche Trompete Die Schläfer dieſes Hauſes weckt! Sagt! Redet!

Marduff. O zarte Lady! Es taugt nicht für Euch, Zu hören, was ich ſagen kann. Ein weiblich Ohr Damit zu ſchrecken, wär' ein zweiter Mord! (Auf Banquo, Lenox und Angus zueilend, die hereintreten.) 526 O Banquo! Banquo! Unſer König iſt ermordet!

Tady. Hilf Himmel! Was! In unſerm Haus!

Bangus. Entſetzlich, Wo immer auch Macduff! Ich bitte dich! Nimm es zurück und ſag', es ſei nicht ſo! (Macbeth kommt mit Roſſe zurück.)

Macbeth. O wär' ich eine Stunde nur 830 Vor dieſem Unfall aus der Welt gegangen, Ich wär' geſtorben als ein Glücklicher. Von nun an iſt nichts Schätzenswertes mehr Auf Erden! Tand iſt alles! Ehr' und Gnade Sind tot! Des Lebens Wein iſt abgezogen, 828 Und nur die Hefe blieb der Welt zurück.

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Zweiter Aufzug. 10. Auftritt

10. Auftritt Vorige. Malcolm. Donalbain.

Donalbain. Was iſt verloren

Macbeth. Ihr! Und wißt es nicht! (Zu Donalbain.) Der Brunnen deines Blutes iſt verſtopft,

Ja ſeine Quelle ſelber iſt verſtopft.

Marduff (zu Malcolm). Dein königlicher Vater iſt ermordet!

Malcolm. O Gott! Von wem?

Noſſe. Die Kämmerer ſind allem Anſehn nach Die Täter. Ihre Hände und Geſichter waren Voll Blut, auch ihre Dolche, welche wir Unabgewiſcht auf ihrem Kiſſen fanden. Sie ſahen wild aus, waren ganz von Sinnen, Und niemand wagte ſich an ſie heran.

Macbeth. O jetzo reut mich's, daß ich ſie im Wahnſinn Der erſten Wut getötet.

Marduff. Warum tatſt du das?

Macbeth. Wer iſt im nämlichen Moment zugleich Gefaßt und wütend, ſinnlos und beſonnen, Rechtliebend und parteilos? Niemand iſt's! Die raſche Tat der heft'gen Liebe rannte

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Der zaudernden Vernunft zuvor. Hier lag Duncan Sein königlicher Leib von Dolchen Entſtellt, zerriſſen! Seine offnen Wunden Erſchienen wie ein Riß in der Natur,

Wodurch der Tod den breiten Einzug nahm!

Dort ſeine Mörder, in die Farbe ihres Handwerks Gekleidet, ihre Dolche frech bemalt mit Blut! Wer, der ein Herz für ſeinen König hatte

Und Mut in dieſem Herzen, hätte da

Sich halten und ſich ſelbſt gebieten können!

Lady (ſtellt ſich, als ob fie ohnmächtig werde). Helft mir von hinnen Oh!

Marduff. Sorgt für die Lady! (Maeduff, Banquo, Roſſe und Angus find um ſie beſchäftigt.) Malcolm (zu Donalbain). Wir ſchweigen ſtill, die dieſer Trauerfall Am nächſten trifft? Donalbain. Was läßt ſich ſagen, hier, Wo unſer Feind, in unſichtbarer Spalte Verborgen, jeden Augenblick hervor Zu ſtürmen, auf uns herzufallen droht! Laß uns davon gehn, Bruder, unſre Tränen Sind noch nicht reif. Malcolm. Noch unſer heft'ger Schmerz Im ſtand, ſich von der Stelle zu bewegen.

Banquo (zu denen, welche die Lady wegführen). Nehmt euch der Lady an! Und wenn wir uns Von der Verwirrung unſers erſten Schreckens Erholt und unſre Blöße erſt bedeckt,

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Zweiter Aufzug. 11. Auftritt 47

Dann laßt uns hier aufs neu' zuſammenkommen Und dieſer ungeheuren Blutſchuld weiter Nachforſchen. Uns erſchüttern Furcht und Zweifel. Hier, in der großen Hand des Höchſten ſteh' ich, Und unter dieſem Schirme kämpf' ich jeder Beſchuldigung entgegen, die Verrat

Und Bosheit wider mich erſinnen mögen!

Macbeth.

Marduff. Und ich. Noſſe, Angus und Tenor. Das tun wir alle. Macbeth. Jetzt werfen wir uns ſchnell in unſre Kleider Und kommen in der Halle dann zuſammen! Alle. Wir ſind's zufrieden. (Gehen ab.)

Das tu' ich auch.

11. Auftritt

Malcolm. Donalbain.

Malcolm. Was gedenkt Ihr, Bruder?

Ich find' es nicht geraten, ihrer Treu Uns zu vertrauen. Einen Schmerz zu zeigen, Von dem das Herz nichts weiß, iſt eine Pflicht, Die dem Unredlichen nicht ſchwer ankommt. Ich geh' nach England.

Donalbain.

Ich nach Irland, Geratner iſt's für unſer beider Wohl,

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48 Macbeth

Wir trennen unſer Schickſal! Wo wir ſind, Seh' ich aus jedem Lächeln Dolche drohn Je näher am Blut, ſo näher dem Verderben.

Malcolm. Der Mörderpfeil, der unſern Vater traf, Fliegt noch, iſt noch zur Erde nicht gefallen! Das Beſte iſt, vom Ziel hinwegzugehn. Drum ſchnell zu Pferde! Keine Zeit verloren Mit Abſchiednehmen! Da iſt's wohl getan, Sich wegzuſtehlen, wo das kleinſte Weilen Tod und Verderben bringen kann! (Sie gehen ab.)

12. Auftritt

Roſſe. Ein alter Mann.

Alter Mann. Ja, Herr! Von achtzig Jahren her beſinn' ich mich, Und in dem langen Zeitraum hab' ich Bittres Erlebt und Unglückſeliges erfahren. Doch dieſe Schreckensnacht hat all mein vorig Wiſſen Zum Kinderſpiel gemacht.

Noſſe. Ach guter Vater! Du ſiehſt, wie ſelbſt der Himmel düſter bleich Auf dieſen blut'gen Schauplatz niederhängt, Wie von der Menſchen Greueltat empört! Der Glocke nach iſt's hoch am Tag, und doch Dämpft finſtre Nacht den Schein der Himmelslampe.

Alter Mann. Es iſt ſo unnatürlich wie die Tat, Die wir erlebten. Neulich ward ein Falke,

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Zweiter Aufzug. 13. Auftritt 49

Der triumphierend turmhoch in den Lüften Herſchwebete, von einer mauſenden Nachteule angefallen und getötet.

Noſſe. Und Duncans Pferde So verwunderſam Es klingt, ſo wahr iſt's! Dieſe ſchönen Tiere, Die Zierde ihrer Gattung, wurden toll Auf einmal, brachen wild aus ihren Ställen Und ſchoſſen wütend um ſich her, dem Ruf Des Führers ſtarr unbändig widerſtrebend, Als ob ſie Krieg ankündigten den Menſchen.

Alter Mann. Man ſagt, daß ſie einander aufgefreſſen.

Roffe. Das taten fie. Kaum traut' ich meinen Sinnen, Als ich es ſah. Hier kommt der wackre Maeduff.

13. Auftritt

Vorige. Macduff.

No ſſe. Nun, Sir! Wie geht die Welt?

Macduff. Wie? Seht Ihr's nicht?

- Roe. Weiß man, wer dieſe mehr als blut'ge Tat Verübte? Macduff. Sie, die Macbeth tötete. Schillers Werke. IX. 4

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Macbeth

Roe. Die Kämmerer! Gott! Und aus welchem Antrieb? Was bracht' es ihnen für Gewinn?

Macduff. Sie waren

Erkauft. Des Königs eigne Söhne, Malcolm

Und Donalbain, ſind heimlich weggeflohn

Und machten ſich dadurch der Tat verdächtig. Noſſe.

O immer, immer wider die Natur!

Unmäß'ge Herrſchſucht, die mit blinder Gier

Sich ihre eignen Lebensſäfte raubt!

So wird die Krone wohl an Macbeth fallen?

Marduff. Er iſt ſchon ausgerufen und nach Scone Zur Krönung abgegangen.

Noſſe. Wo iſt Duncans Leiche?

Macduff. Nach Colmeskill gebracht, der heil'gen Gruft, Wo die Gebeine ſeiner Väter ruhen.

Roffe. Geht Ihr nach Scone?

Macduff. Nein! Ich gehe nach Fife.

Noſſe. Gut! So will ich nach Scone.

buff. asi Lebet wohl! Und mögt Ihr alles dort nach Wunſche finden!

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Dritter Aufzug. 1. Auftritt 51

Leicht möchten uns die alten Röcke beſſer Geſeſſen haben, fürcht' ich, als die neuen!

Noſſe (zu dem Alten). Nun, alter Vater, lebet wohl!

Alter Mann. Gott ſei Mit Euch und jedem, der es redlich meint,

Das Böſe gut macht und den Feind zum Freund. (Sie gehen ab.)

Dritter Aufzug Ein Zimmer. 1. Auftritt Ban quo allein.

Du haſt's nun! Glamis! Cawdor! König! Alles, Wie es die Zauberſchweſtern dir verhießen.

Ich fürchte ſehr, du haſt ein ſchändlich Spiel Darum geſpielt. Und doch ward prophezeit,

Es ſollte nicht bei deinem Hauſe bleiben,

Ich aber ſollte der beglückte Stifter,

Die Wurzel eines Königſtammes ſein.

Wenn Wahrheit kommen kann aus ſolchem Munde Und der erfüllte Gruß an dich beweiſt's Wie ſollten ſie nicht eben ſowohl mein

Orakel ſein wie deins und mich zur Hoffnung Anfriſchen? Aber ſtill! Nichts mehr davon!

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52 Macbeth

2. Auftritt

Trompeten. Macbeth als König. Lady Macbeth. Roſſe. Angus.

Lenox. Banquo. Gefolge.

Macbeth. Sieh da! Hier iſt der erſte unſrer Gäſte! Tady. Blieb er hinweg, ſo war gleichſam ein Riß In unſerm Feſte, und die Krone fehlt' ihm. Macbeth. Banquo! Wir geben dieſe Nacht ein feſtlich Mahl Und bitten Euch um Eure Gegenwart.

Banquo. Nach meines Herrn Befehl, dem zu gehorchen Mir heil'ge Pflicht iſt. 4 Macbeth. Ihr verreiſet heut'? Banquo. Ja, Sire! Macbeth.

Sonſt hätten wir uns Euren Rat, Der ſtets ſo weiſ' als glücklich war, in heutiger

Verſammlung ausgebeten. Doch das kann auch ruhn

Bis morgen. Geht die Reiſe weit?

Banquo. So weit, Daß alle Zeit von jetzt zum Abendeſſen

Draufgehen wird. Tut nicht mein Pferd ſein Beſtes,

Werd' ich der Nacht verſchuldet werden müſſen Für eine dunkle Stunde oder zween.

Macbeth. Fehlt ja nicht bei dem Feſt!

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Dritter Aufzug. 3. Auftritt 53

Banquo. Gewißlich nicht.

Macbeth. Wir hören, unſre blut'gen Vettern ſind

Nach Engelland und Irland, leugnen dort

Frech ihren greuelvollen Mord und füllen

Mit ſeltſamen Erdichtungen die Welt.

Doch hievon morgen nebſt dem andern, was

Den Staat betrifft und unſre Sorgen heiſcht.

Lebt wohl bis auf die Nacht! Geht Fleance mit Euch?

Bangus. Ja, Sire! Wir können länger nicht verweilen

Macbeth. So wünſch' ich euren Pferden Schnelligkeit Und ſichre Füße! Lebet wohl! (Banquo geht ab. Zu den andern.) Bis Anbruch

Der Nacht ſei jedermann Herr ſeiner Zeit. Die Freuden der Geſellſchaft deſto beſſer Zu ſchmecken, bleiben wir bis dahin ſelbſt Für uns allein! Und damit Gott befohlen. (Lady und Lords gehen ab.)

3. Auftritt Maebeth zurückbleibend. Macbeth (zu einem Bedienten). Hört, Freund! Sind jene Männer bei der Hand?

Bedienter. Ja, Sire! Sie warten draußen vor dem Schloßtor.

Macbeth. Führ' fie herein. (Bedienter ab.)

So weit ſein iſt noch nichts,

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Macheth

Doch es mit Sicherheit zu fein! Vor dieſem Banquo haben wir zu zittern. In ſeiner königlichen Seele herrſcht Dasjenige, was ſich gefürchtet macht. Vor nichts erſchrickt ſein Mut, und dieſer kecken Entſchloſſenheit wohnt eine Klugheit bei, Die ihm zum Führer dient und ſeine Schritte Verſichert. Ihn allein, ſonſt keinen fürcht' ich. Ihm gegenüber wird mein Geiſt gezüchtigt, Wie Mare Antons vor Cäſars Genius. Er ſchalt die Zauberſchweſtern, da ſie mich Zuerſt begrüßten mit dem Königstitel, Und forderte fie auf, zu ihm zu reden; Und darauf grüßten ſie prophetiſch ihn Den Vater einer königlichen Reihe! Auf meine Stirne ſetzten ſie Nur eine unfruchtbare Krone, gaben Mir einen dürren Zepter in die Hand, Damit er einſt von fremden Händen mir Entwunden werde! Iſt's an dem, ſo hab' ich Für Banquos Enkelkinder mein Gewiſſen Befleckt, für fie den gnadenreichen Duncan Erwürgt, für ſie allein für ſie auf ewig Den Frieden meiner Seele hingemordet Und mein unſterbliches Juwel dem all⸗ Gemeinen Feind der Menſchen hingeopfert, Um ſie zu Königen zu machen! Banquos Geſchlecht zu Königen! Eh' dies geſchieht, Eh' komme du, Verhängnis, in die Schranken Und laß uns kämpfen bis aufs Blut!

(Bedienter kommt mit den Mördern.)

Wer iſt da?

Geh vor die Tür und warte, bis wir rufen.

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Dritter Aufzug. 4. Auftritt f 55

4. Auftritt Macbeth. Zwei Mörder.

Marbeth. War es nicht geſtern, daß ich mit euch ſprach?

Die Mörder. Ja, königlicher Herr! Macbeth. Nun? Habt ihr meinen Reden nachgedacht? Ihr wißt nun, daß es Banquo war, der euch In vor'gen Zeiten ſo im Weg geſtanden. Ihr gabet fälſchlich mir die Schuld! Doch aus Der letzten Unterredung, die wir führten, Habt ihr es ſonnenklar erkannt, wie ſchändlich Man euch betrog Erſter Mörder. Ja, Herr! Ihr überzeugtet uns. acbeth. 1 . Das tat ich. Nun auf den andern Punkt zu kommen. Sagt! Seid ihr ſo lämmerfromm, ſo taubenmäßig Geartet, daß ihr ſolches ungeahndet Könnt hingehn laſſen? So verſöhnlichen Gemüts, Daß ihr für dieſen Banquo beten könnt, Des ſchwere Hand euch und die Eurigen In Schande ſtürzte und zu Bettlern machte?

Erſter Mörder. Mein König! Wir ſind Männer.

Macbeth. Ja, ja, ihr lauft ſo auf der Liſte mit! Wie Dachs und Windſpiel alle Hunde heißen; Die eigne Raſſe aber unterſcheidet

56 Macbeth

Den ſchlauen Spürer, den getreuen Wächter,

Den flücht'gen Jäger. So auch mit den Menſchen. 100 Doch, wenn ihr wirklich Männer ſeid, und zwar

An echter Mannheit nicht die allerletzten,

So zeigt es jetzo! Rächet euch und mich

An einem Feinde, der uns gleich verhaßt iſt.

Erſter Mörder. Ich bin ein Mann, Sire, den die harten Stöße 106 Der Welt ſo aufgebracht, daß ich bereit bin, Der Welt zum Trotze jegliches zu wagen.

Zweiter Mörder. Und mir, mein König, hat das falſche Glück So grauſam mitgeſpielt, daß ich mein Schickſal Verbeſſern, oder gar nicht leben will.

Macbeth. 100 Ihr wiſſet alſo, euer Feind war Banquo.

ie Mörder. Ja, Sire! sities Macbeth. Er ijt auch meiner, und er iſt's Mit ſolchem blutig unverſöhnten Haß, Daß jeder Augenblick, der ſeinem Leben Zuwächſt, das meine mir zu rauben droht. 106 Zwar ſteht's in meiner königlichen Macht, Ihn ohne alle andre Rechenſchaft Als meinen Willen aus der Welt zu ſchaffen, Doch darf ich's nicht um ein'ger Freunde willen, Die auch die ſeinen ſind und deren Gunſt 1070 Ich ungern in die Schanze ſchlüge! Ja! Die Klugheit will es, daß ich den beweine, Auf den ich ſelbſt den Streich geführt! Darum Bedarf ich eures Arms zu dieſer Tat,

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Dritter Aufzug. 4. Auftritt 57

Die ich aus ganz beſonders wicht'gen Gründen Dem öffentlichen Aug' verbergen muß.

Erſter Mörder. Mein König! Wir erwarten deinen Wink.

Zweiter Mörder. Und wenn auch unſer Leben

Macbeth. Eure Kühnheit blitzt

Aus euch hervor. Der Feind, von dem wir reden, Wird dieſen Abend hier zurück erwartet. Im nächſten Holze kann die Tat geſchehen, Doch etwas fern vom Schloß, verſteht ihr wohl, Daß kein Verdacht auf mich geleitet werde. Zugleich mit ihm muß, um nichts halb zu tun, Auch Fleance, ſein Sohn, der bei ihm iſt, An deſſen Untergange mir nicht minder Gelegen iſt als ſeinem eignen hört ihr? Das Schickſal dieſer finſtern Stunde teilen. Habt ihr verſtanden?

Mörder.

Wohl! Wir ſind entſchloſſen, Mein König!

Macbeth.

Nun, ſo geht auf euren Poſten! Vielleicht ſtößt noch der dritte Mann zu euch, Daß nichts dem Zufall überlaſſen bleibe! (Die Mörder gehen ab.)

Beſchloſſen iſt's! Banquo, erwarteſt du, Zum Himmel einzugehn, fliegſt du ihm heut' noch zu!

58 Macbeth

5. Auftritt

Macbeth. Lady Macbeth.

Tady.

Wie, mein Gemahl? Warum ſo viel allein? 1095 Was kann es helfen, daß Ihr Eure Träume

Zur traurigen Geſellſchaft wählt und mit

Gedanken ſprecht, die dem, an den ſie denken,

Ins nicht'ge Grab hinab gefolgt ſein ſollten?

Auf Dinge, die nicht mehr zu ändern ſind, 110 Muß auch kein Blick zurück mehr fallen! Was

Geetan iſt, iſt getan und bleibt's.

acbeth. 1 Wir haben

Die Schlange nur verwundet, nicht getötet; Sie wird zuheilen und dieſelbe ſein Aufs neue; unſer machtlos feiger Grimm

105 Wird, nach wie vor, vor ihrem Zahn erzittern. Doch ehe ſoll der Dinge feſte Form Sich löſen, ehe mögen beide Welten Zuſammenbrechen, eh' wir unſer Brot Mit Zittern eſſen und uns fernerhin

1110 In ängſtlich bangen Schreckensträumen wälzen. Weit beſſer wär' es, bei den Toten ſein, Die wir zur Ruh geſchickt, uns Platz zu machen, Als fort und fort in ruheloſer Qual Auf dieſer Folterbank der Todesfurcht

1118 Zu liegen. Duncan ijt in ſeinem Grabe, Sanft ſchläft er auf des Lebens Fieberangſt, Verräterbosheit hat ihr Außerſtes An ihm getan! Nun kann nicht Stahl noch Gift, Nicht Krieg von außen, nicht Verräterei

1120 Von innen, nichts den Schläfer mehr berühren!

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Natur das Vorrecht der Unſterblichkeit.

Dritter Aufzug. 5. Auftritt 59

Lady. Kommt, kommt, mein König, mein geliebter Herr, Klärt Eure finſtern Blicke auf, ſeid heiter Und hell heut' Abend unter Euren Gäſten.

Macbeth. 5 Das will ich, liebes Weib! und ſei du's auch Und ſpare nicht die glatte Schmeichelrede. Noch heiſcht's die Zeit, daß wir uns unſers Ranges Entäußern, zu unwürdiger Liebkoſung Herunterſteigen, unſer Angeſicht Zur ſchönen Larve unſrer Herzen machen.

Lady.

Macbeth. O angefüllt mit Skorpionen Iſt meine Seele! Teures Weib! Du weißt Noch lebet Banquo und ſein Sohn!

Tady.

Laßt das!

Doch keinem gab

Macbeth. Das iſt mein Troſt, daß ſie zerſtörbar ſind! Drum gutes Muts! Eh' noch die Fledermaus Den ungeſell'gen Flug beginnt, eh' auf Den Ruf der bleichen Hekate der Käfer, Im hohlen Baum erzeugt, die müde Nacht Mit ſeinem ſchläfrigen Geſums einläutet, Soll eine Tat von furchtbarer Natur Vollzogen ſein. Lady. Was ſoll geſchehn?

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60 Macbeth

Macbeth. Sei lieber ſchuldlos durch Unwiſſenheit, Mein trautes Weib, bis du der fert'gen Tat Zujauchzen kannſt. Steig nieder, blinde Nacht, Des Tages zärtlich Auge ſchließe zu! Mit deiner unſichtbaren blut'gen Hand Durchſtreiche, reiß in Stücken dieſen großen Schuldbrief, der auf mir laſtend mich ſo bleicht! Schon ſinkt der Abend, und die Krähe fliegt Dem dohlenwimmelnden Gehölze zu, Einnicken alle freudigen Geſchöpfe Des Tags, indes die ſchwarzen Hausgenoſſen Der traur'gen Nacht auf ihren Raub ausgehen. Du ſtaunſt ob meiner Rede! Doch ſei ruhig! Was blutig anfing, mit Verrat und Mord, Das ſetzt ſich nur durch blut'ge Taten fort! Damit laß dir genügen! Folge mir! (Sie gehen ab.)

Unter Bäumen. 6. Auftritt

Drei Mörder treten auf.

Erſter (zum dritten). Wer aber hieß dich zu uns ſtoßen?

Dritter. Macbeth. Erſter (zum zweiten).

Wie? Sind wir beide ihm nicht Manns genug,

Daß er, beſorgt, uns den Gehilfen ſendet?

Was meint Ihr? Dürfen wir ihm traun? Zweiter.

Wir können's dreiſt. Die Zeichen treffen zu, Es iſt der Mann, von dem der König ſprach.

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Dritter Aufzug. 7. Auftritt 61

Erſter. So ſteh zu uns. Am abendlichen Himmel Verglimmt der letzte bleiche Tagesſchein. Der Wandrer, der ſich auf dem Weg verſpätet, Strengt ſeiner Schritte letzte Kraft noch an, Die Nachtherberge zeitig zu erreichen, Und der, auf den wir lauern, nähert ſich.

Zweiter. Still! Horch! Ich höre Pferde.

Bangus (hinter der Szene). Licht! He da!

Erſter. Das iſt er! Denn die andern, die beim Gaſtmahl Erwartet wurden, ſind ſchon alle da.

Zweiter. Die Pferde machen einen Umweg.

Erſter. Wohl eine Viertelmeile. Aber er Pflegt, ſo wie jedermann, den Weg zum Schloß Durch dies Gehölz zu Fuß zurückzulegen, Weil es hier näher iſt und angenehmer.

7. Auftritt Vorige. Banquo und Flean ee mit einer Fackel. Zweiter Mörder. Ein Licht! Ein Licht! Dritter. Er iſt es.

Erſter Mörder. Macht euch fertig!

62 Macbeth

DBanquo (vorwärts kommend). Es wird heut' Nacht gewittern.

Zweiter Mörder. Es ſchlägt ein. (Sie fallen über ihn her.) Bangus (indem er ſich wehrt). 110 Verräterei! Flieh! Flieh, mein Sohn! Flieh! Flieh! Du kannſt mein Rächer ſein! O Böſewicht!

(Er ſinkt tödlich getroffen nieder. Fleance wirft die Fackel weg, erſter Mörder tritt darauf und löſcht ſie aus, jener entflieht.)

Dritter Mörder. Wer löſcht das Licht?

Erſter Mörder. War es nicht wohl getan?

Zweiter Mörder. Es liegt nur einer, Der Sohn entſprang. Erſter Mörder. Verdammt! Wir haben 1185 Die beſte Hälfte unſers Werks verloren.

Dritter Mörder.

Gut! Laßt uns gehn und melden, was getan iſt! (Sie gehen ab.)

Feſtlicher Saal, erleuchtet. Eine mit Speiſen beſetzte Tafel im Hintergrunde.

8. Auftritt

Macbeth. Lady Macbeth. Roſſe. Lenox. Angus und noch ; ſechs andere Lords.

Macbeth. Ihr kennet euern Rang. Setzt euch, ihr Herren. Vom Erſten bis zum Unterſten willkommen.

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Dritter Aufzug. 8. Auftritt

RNoſſe. Angus. Tenor. Wir danken Eurer Majeſtät.

Macbeth. Wir ſelber wollen uns bald hier bald dort In die Geſellſchaft miſchen und das Amt Des aufwartſamen Hauswirts übernehmen, Denn unſre Wirtin, ſeh' ich, iſt zu läſſig In ihrer Pflicht. Wir wollen ſie erſuchen, Geſchäftiger zu ſein um ihre Gäſte. (Alle ſetzen ſich außer Macbeth.)

Tady. Tut das, mein König, und erinnert mich, Wofern ich was in meiner Pflicht verſäumte. Mein Herz zum wenigſten bewillkommt alle.

Der erſte Mörder kommt an die Türe.

Macbeth.

Wie ihre Herzen dir entgegen wallen! Gut! Beide Seiten, ſeh' ich, ſind beſetzt, So will ich dort mich in die Mitte ſetzen. Nun überlaßt Euch ganz der Fröhlichkeit; Bald ſoll der Becher um die Tafel kreiſen.

(Zu dem Mörder an der Tür.) Auf deinem Kleid iſt Blut.

Erſter Mörder.

So iſt es Banquos.

Macbeth. Liegt er am Boden?

Erſter Mörder.

Herr! Die Kehl' iſt ihm Zerſchnitten! Dieſen Dienſt erwies ich ihm.

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64 Macbeth

Macbeth. Du biſt der erſte aller Kehlabſchneider! Doch gleiches Lob verdient, wer ſeinem Sohn Denſelben Dienſt getan! Biſt du der auch, 1210 So ſuchſt du deines gleichen.

Erſter Mörder. Gnäd'ger Herr! Fleance iſt entwiſcht!

Macbeth.

So kommt mein Fieber Zurück! Sonſt war ich ganz geſund, vollkommen Geneſen, feſt wie Marmor, wie ein Fels Gegründet, wie das freie Element, 1215 Das uns umgibt, unendlich, allverbreitet. Jetzt bin ich wieder eingeengt, gebunden Und meinen alten Schreckniſſen aufs neu’ Zum Raub dahingegeben. Aber Banquo iſt Doch ſicher? Erſter Mörder. Herr! Er liegt in einem Graben, 1220 Mit zwanzig Hieben in dem Kopf, der kleinſte Schon eine Todeswunde.

Macbeth. Dank für das!

Dort liegt ſie alſo, die erwachſne Schlange! Der Wurm, der floh, hat das Vermögen, einſt Gift zu erzeugen, doch für jetzt noch keine Zähne! 125 Gut! Morgen wollen wir's noch einmal hören! (Mörder geht ab.)

Tady. Mein König! Ihr verkürzet Eure Gäſte. Das reichſte Mahl iſt freudenleer, wenn nicht Des Wirtes Zuſpruch und Geſchäftigkeit

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Dritter Aufzug. 8. Auftritt 65

Den Gäſten zeigt, daß ſie willkommen ſind. Satt eſſen kann ſich jeglicher zu Hauſe; Geſelliges Vergnügen, munteres

Geſpräch muß einem Feſtmahl Würze geben.

Banquos Gei ft fteigt empor und ſetzt fic zwiſchen Roſſe und Lenox an den Platz, der für Macbeth in der Mitte des Tiſches leer gelaſſen ijt.

Macbeth. Willkommene Erinnerung Gu den Lords.) Nun! Wohl Bekomm' es meinen vielgeliebten Gäſten! Vo ſſe. Gefällt es meinem König, Platz zu nehmen? Macbeth. Hier wären alle unſre Edlen nun, Die Zierden unſers Königreichs beiſammen, Wenn unſers Banquo ſchätzbare Perſon Zugegen wäre. Möcht' ich ihn doch lieber Der Ungefälligkeit zu zeihen haben, Als eines Unfalls wegen zu beklagen!

Noſſe. Sein Nichterſcheinen, Sire, ſchimpft ſein Verſprechen. Gefällt es meinem Könige, die Tafel Mit ſeiner hohen Gegenwart zu zieren?

Macbeth (mit Entſetzen, indem er den Geiſt erblickt).

Die Tafel iſt voll! Tenor (ganz gleichgültig auf den Geiſt deutend). Hier, Sire, iſt noch ein aufbehaltner Platz!

Macbeth. Wo?

Roffe (jo wie Lenox). Hier, mein König! Was ſetzt Eure Hoheit So in Bewegung? Schillers Werke. IX. 5

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66 Macbeth

Macbeth (ſchauervolh.

Wer von euch hat das Getan? Roffe und Tenor.

Was denn, mein königlicher Herr?

Macbeth (zum Geiſte). Du kannſt nicht ſagen, ich war's! Schüttle Die blut'gen Locken nicht ſo gegen mich!

Noſſe. Steht auf, ihr Herrn, dem König iſt nicht wohl.

Tady. Bleibt ſitzen, meine Lords. Der König iſt Oft ſo und iſt's von Jugend auf geweſen; Ich bitt' euch drum, behaltet eure Plätze. Der Anſtoß währt nur einen Augenblick, In zwei Minuten iſt er wieder beſſer. Wenn ihr ſo ſcharf ihn anſeht, bringt ihr ihn Nur auf und macht ſein Übel länger dauern, Eßt fort und gebt nicht Acht auf ihn!

(Heimlich zu Macbeth.)

Seid Ihr ein Mann, Sir?

Macbeth (immer ſtarr auf das Geſpenſt ſehend).

Ja, und ein beherzter

Dazu, der Mut hat, etwas anzuſchauen, Wovor der Teufel ſelbſt erblaſſen würde!

Lady. O ſchön! Vortrefflich! Das find wieder Die Malereien deiner Furcht! Das iſt Der in der Luft gezückte Dolch, der, wie Du ſagteſt, dich zu Duncan hingeleitet! Wahrhaftig, dieſes Schaudern, dies Entſetzen, So ganz um nichts, um gar nichts, paßte gut

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Dritter Aufzug. 8. Auftritt 67

Zu einem Ammenmürchen, am Kamin Erzählt, wofür Großmutter Bürge wird.

O ſchäme dich! Was zerrſt du für Geſichter? Am Ende ſiehſt du doch nicht weniger

Noch mehr als einen Stuhl.

Macbeth. Ich bitte dich! Schau dorthin! Dorthin ſchaue! Nun! Was ſagſt du? (Zum Geiſt.) Wie? Was ficht's mich an? Wenn du nicken kannſt, So red' auch. Schickt das Beinhaus und die Gruft Uns die Begrabenen zurück, ſo ſoll

Der Bauch der Geier unſer Grabmal werden. (Der Geiſt verſchwindet.)

Tady. Iſt's möglich, Sir! So ganz unmännlich töricht? Macbeth. So wahr ich vor Euch ſteh'! Er war's. Ich ſah ihn. Lady. O ſchämet Euch! Macbeth.

Es iſt von jeher Blut Vergoſſen worden, ſchon in alten Zeiten, Eh' menſchliche Geſetze noch die friedliche Gemeinheit ſäuberten. Ja, auch hernach Geſchahen Morde gnug, zu grüößlich ſchon Dem Ohre. Sonſt, wenn einem das Gehirn Heraus war, ſtarb der Mann, und ſo war's aus. Jetzt ſteigen ſie mit zwanzig Todeswunden An ihrem Kopfe wieder aus dem Grab Und treiben uns von unſern Stühlen. Das Iſt noch weit ſeltſamer als ſolch ein Mord.

68 Macbeth

Lady. Sire! Eure Gäſte warten

Macbeth. Ich vergaß mich!

Kehrt euch an mich nicht, meine werten Freunde, 1295 Ich bin mit einer wunderlichen Schwachheit

Behaftet; wer mich kennt, gewöhnt ſich dran.

Kommt! Kommt! Auf eure Freundſchaft und Geſundheit!

Hernach will ich mich ſetzen! Gebt mir Wein!

Voll eingeſchenkt! Ich trinke auf das Wohlſein 1300 Der ganzen gegenwärtigen Verſammlung

Und unſers teuern Freundes Banquo auch,

Den wir vermiſſen. Wär' er doch zugegen!

Auf ſein und euer aller Wohlergehn! (Der Geiſt ſteht wieder da.)

Roffe. Tenor. Angus.

Wir danken untertänigſt.

Marbeth (den Geiſt erblickend und heftig auffahrend). 1308 Hinweg aus meinem Angeſicht! Laß dich Die Gruft verbergen. Dein Gebein iſt marklos! Dein Blut iſt kalt, du haſt nicht Kraft zu ſehn In dieſem Aug', mit dem du mich anſtarreſt!

Lady, Verwundert euch nicht, meine edeln Thans, 1310 Nehmt es für etwas ganz Gewöhnliches. Es iſt nichts weiter! Glaubt mir! Schade nur, Daß es die Freude dieſes Abends ſtört!

Macbeth. Was einer wagt, das wag' ich auch Komm du In der Geſtalt des rauhen Eisbärs auf mich an, 1316 Des lib'ſchen Tigers, des geharniſchten Rhinozeros, in welcher andern Schreckens⸗

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Dritter Aufzug. 8. Auftritt 69

Geſtalt du immer willſt, nur nicht in dieſer, Und meine feſten Nerven ſollen nicht Erbeben Oder lebe wieder auf Und fordre mich aufs Schwert in eine Wüſte. Wenn ich mich zitternd weigere, dann ſchilt Mich eine weib'ſche Memme! Weg! Hinweg! Furchtbarer Schatten! Weſenloſes Schreckbild!

(Der Geiſt verſchwindet.) Ja Nun Sobald du fort biſt, bin ich wieder Ein Mann.

(Zu den Gäſten, welche aufſtehen wollen.) Ich bitt' euch, Freunde! Bleibet ſitzen! Tady. Ihr habt durch dieſen fieberhaften Anſtoß Den Schrecken unter Eure edeln Gäſte Gebracht und alle Fröhlichkeit verbannt.

Macbeth. Ich bitte dich! Kann man denn ſolche Dinge Wie eine Sommerwolke vor ſich weg Ziehn laſſen, ohne außer ſich zu ſein? Du machſt mich irr an meinem eignen Selbſt, Seh' ich, daß du dergleichen Furchterſcheinungen Anſchaun und den natürlichen Rubin Auf deinen Wangen kannſt behalten, wenn Die meinen das Entſetzen bleicht.

Noſſe. Erſcheinungen, mein König? Tady. Redet nicht, Ich bitt' Euch! Es wird ſchlimmer ſtets und ſchlimmer. Viel Fragen bringt ihn vollends ganz von Sinnen.

Gut' Nacht auf einmal allen! Wartet nicht Erſt auf Befehl zum Aufbruch! Geht zugleich!

Was für

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70 Macbeth

Noſſe. Angus. Tenor. Wir wünſchen unſerm König gute Nacht Und beſſere Geſundheit!

Lady. Allerſeits gut’ Nacht! (Die Lords gehen ab, von der Lady begleitet.)

9. Auftritt Maebeth. Gleich darauf Lady Maebeth.

Macbeth. Es fordert Blut! Blut, ſagt man, fordert Blut! Man hat Erfahrungen, daß Steine ſich Gerührt, daß Bäume ſelbſt geredet haben! Wahrſager, die das tiefverborgne Band Der Dinge kennen, haben ſchon durch Krähen Und Dohlen die geheimſte Mördertat Ans Licht gebracht Wie weit iſt's in der Nacht? Tady liſt indes zurückgekommen).

So weit, daß Nacht und Morgen ſchon im Streit Begriffen, wer die Herrſchaft führen ſoll.

Macbeth. Und Macduff, ſagſt du, weigert ſich, zu kommen?

Lady. Haft du ihn laden laſſen?

Macbeth. Nein, ich hört' es Nur vor der Hand, doch will ich nach ihm ſenden. Es iſt nicht einer unter dieſen Thans, In deſſen Haus ich meinen Horcher nicht Beſolde! Morgen mit dem früheſten Such' ich die Zauberſchweſtern auf. Sie müſſen

Vierter Aufzug. 1. Auftritt 71

isco Mir mehr entdecken, denn ich muß nun ſchon Das Argſte wiſſen auf dem ärgſten Weg. Ich bin ſo tief in Blut hineingeſtiegen, Daß die Gefahr dieſelbe iſt, ich mag Zurücke ſchreiten oder vorwärts gehn.

1305 Seltſame Dinge wälzt mein Geiſt bei ſich Herum, die einen raſchen Arm erfordern Und Tat ſein müſſen, eh' ſie Worte ſind.

Lady. Euch mangelt die Erquickung aller Weſen, Der Schlaf. Macbeth. Ja, komm! Wir wollen auch nun ſchlafen. 1370 Mein Fehler ijt nur eines Neulings Furcht, Den die Gewohnheit noch nicht abgehärtet: Wir ſind in Taten dieſer Art noch Kinder. (Sie gehen ab.)

Vierter Aufzug Ein freier Platz. 1. Auftritt

Roſſe und Lenox.

Rolfe. Ich führe das nur an, Euch auf die Spur Zu bringen. Setzt's Euch ſelber nun zuſammen! 1575 Der gnadenreiche Duncan ward von Macbeth Betrauert! Freilich wohl! Er war ja tot. Und der getreue biedre Banquo reiſte

72 Macbeth

Zu ſpät des Nachts. Wer Luſt hat, kann auch ſagen, Fleance hab' ihn umgebracht, denn Fleance entfloh. isso Man ſollte eben in fo ſpäter Nacht nicht reiſen. Wer dachte je, daß dieſer Donalbain Und Malcolm ſolche Ungeheuer wären, Den zärtlichſten der Väter zu ermorden! Verdammenswerte Tat! Wie ſchmerzte ſie nicht 1386 Den frommen Macbeth! Würgt' er nicht ſogleich In heil'ger Wut die beiden Täter, die Von Wein und Schlummer überwältigt lagen! War das nicht brav von ihm! Gewiß, und weiſe Nicht minder! denn wer hätt' es ohne Grimm 1300 Anhören können, wenn die Buben es Geleugnet! Alſo wie geſagt! Sehr klug! Und ſeid gewiß, ſollt' er der Söhne Duncans Je habhaft werden welches Gott verhüte! Sie ſollten lernen, was es auf ſich hat, 1395 Den Vater morden! Und das ſollt' auch Fleance! Doch ſtill! Um ein'ger freien Worte willen, Und weil er von dem Gaſtmahl des Tyrannen Ausblieb, lud Maeduff ſeinen Zorn auf ſich. Könnt Ihr mir Nachricht geben, wo er jetzt 140 Sich aufhält? Tenor. Malcolm, Duncans Alteſter, Dem der Tyrann das Erbreich vorenthält, Lebt an dem Hof des frommen Eduards, Geehrt, wie einem Könige geziemt, Und der Verbannung Bitterkeit vergeſſend. 146 Dahin iſt nun auch Macduff abgegangen, Englands großmüt'gen König anzuflehn, Daß er den tapfern Seiward uns zum Beiſtand Herſende, der mit Gottes mächt'gem Schutz Die Tyrannei zerſtöre, unſern Nächten Schlaf

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Vierter Aufzug. 1. Auftritt

Und unſern Tiſchen Speiſe wieder gebe,

Den mörderiſchen Dolch von unſern Feſten Entferne, uns aufs neue um den Thron

Des angeſtammten Königes verſammle,

Damit wir ohne Niederträchtigkeit

Zu Ehren kommen können Darnach ſehnen wir Uns jetzt umſonſt. Die Nachricht von dem allen Hat den Tyrannen ſo in Wut geſetzt,

Daß er zum Kriege ſchleunig Anſtalt macht.

Rolfe. So ſchickte er nach Macduff?

Tenor. Ja. Und mit einem runden kurzen: Sir, Ich komme nicht! ward der Geſandte ab- Gefertigt, der mit einem finſtern Blick Den Rücken wendete, als wollt' er ſagen: Ihr werdet Euch die Stunde reuen laſſen, Da Ihr mit ſolcher Antwort mich entließt.

No ſſe.

Es ſei ihm eine Warnung, ſich ſo weit

Als möglich zu entfernen. Irgend ein Wohltät'ger Cherub fliege vor ihm her Nach England und entfalte ſein Geſuch, Noch eh' er kommt, damit ein ſchneller Arm Zu Rettung dieſes Landes ſich bewaffne, Dem eine Teufelshand Verderben droht.

Tenor.

Vo ſſe. Ich will nach Fife, ſein Weib Zu tröſten und, vermag ich's, ſie zu ſchützen. Lebt wohl! (Gehen ab.)

Wo geht Ihr hin?

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Macbeth

Eine große und finſtre Höhle. Ein Keſſel ſteht in der Mitte

über dem Feuer.

2. Auftritt Hekate. Die drei Hexen.

Erſte Here. Was iſt dir, hohe Meiſterin?

Zweite und dritte. Was zürnet unſre Königin?

Hekate.

Und ſoll ich's nicht, da ihr vermeſſen Und ſchamlos eurer Pflicht vergeſſen Und eigenmächtig, ungefragt Mit Mtacheth ſolches Spiel gewagt, Mit Rätſeln ihn und Zauberworten Verſucht zu greuelvollen Morden? Und mich, die Göttin eurer Kraft, Die einzig alles Unheil ſchafft, Mich rieft ihr nicht, euch beizuſtehn Und eurer Kunſt Triumph zu ſehn? Und überdies, was ihr getan, Geſchah für einen ſchlechten Mann, Der eitel, ſtolz, wie's viele gibt, Nur ſeinen Ruhm, nicht euren liebt!

Macht's wieder gut und den Betrug, Den ihr begannt, vollendet klug! Ich will unſichtbar um euch ſein Und ſelber meine Macht euch leihn. Denn eh' es noch beginnt zu tagen, Erſcheint er, das Geſchick zu fragen. Drum ſchnell ans Werk mit rüſt'gen Händen, Ich will euch meine Geiſter ſenden

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Vierter Aufzug. 3. Auftritt

Und ſolche Truggebilde weben Und täuſchende Orakel geben, Daß Macbeth, von dem Blendwerk voll, Verwirrt und tollkühn werden ſoll! Dem Schickſal ſoll er trotzen kühn, Dem Tode blind entgegen fliehn, Nichts fürchten, ſinnlos alles wagen, Nach ſeinem eiteln Trugbild jagen. Den Sterblichen, das wißt ihr lange, Führt Sicherheit zum Untergange! (Sie verſinkt hinter dem Keſſel.)

3. Auftritt

Die drei Hexen, um den Keſſel tanzend.

Erſte Here. Um den Keſſel ſchlingt den Reihn, Werft die Eingeweid' hinein. Kröte du, die Nacht und Tag Unterm kalten Steine lag, Monatlanges Gift ſog ein, In den Topf zuerſt hinein.

Alle drei. Rüſtig, rüſtig! Nimmer müde! Feuer, brenne! Keſſel, ſiede!

Erſte Here. Schlangen, die der Sumpf genährt, Kocht und ziſcht auf unſerm Herd. Froſchzehn tun wir auch daran, Fledermaushaar, Hundeszahn, Otterzungen, Stacheligel, Eidechspfoten, Eulenflügel,

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76 Macbeth

Zaubers halber, wert der Müh, 1486 Sied' und koch' wie Höllenbrüh.

Alle. Rüſtig, rüſtig! Nimmer müde! Feuer, brenne! Keſſel, ſiede!

Erſte Here. Tut auch Drachenſchuppen dran, Hexenmumien, Wolfeszahn,

1490 Des gefräß' gen Seehunds Schlund, Schierlingswurz, zur finſtern Stund Ausgegraben überall!

Judenleber, Ziegengall. Eibenzweige, abgeriſſen

1495 Bei des Mondes Finſterniſſen. Türkennaſen tut hinein, Tartarlippen, Fingerlein In Geburt erwürgter Knaben, Abgelegt in einem Graben!

1500 Miſcht und rührt es, daß der Brei Tüchtig, dick und ſchleimicht ſei. Werft auch, dann wird's fertig ſein, Ein Gekrös vom Tiger drein.

Alle. Rüſtig, rüſtig! Nimmer müde! 1505 Feuer, brenne! Keſſel, fiede!

Erſte Here. Kühlt's mit eines Säuglings Blut, Dann iſt der Zauber feſt und gut!

Zweite Here. Geiſter, ſchwarz, weiß, blau und grau, Wie ihr euch auch nennt

Vierter Aufzug. 4. Auftritt 77

1510 Rührt um, rührt um, rührt um,

Was ihr rühren könnt! (Es erſcheinen zwerghafte Geiſter, welche in dem Keſſel rühren.)

Dritte Here. Juckend ſagt mein Daumen mir: Etwas Böſes naht ſich hier! Nur herein! 1515 Wer's mag fein!

4. Auftritt

Macbeth. Die drei Hexen. Nachher verſchiedene Erſcheinungen.

Macbeth. Nun, ihr geheimnisvollen ſchwarzen Hexen, Was macht ihr da?

Die drei Heren (zugleich). Ein namenloſes Werk.

Macbeth. Bei eurer dunkeln Kunſt beſchwör' ich euch. Antwortet mir, durch welche Mittel ihr's

1520 Auch mögt vollbringen! Müßtet ihr die Winde Entfeſſeln und mit Kirchen kämpfen laſſen; Mize’ auch das ſchäumend aufgeregte Meer Im allgemeinen Sturm die ganze Schiffahrt Verſchlingen, müßte finſtrer Hagelregen

1625 Die Ernte niederſchlagen, feſte Schlöſſer Einſtürzen überm Haupte ihrer Hüter, Paläſte, Pyramiden ihren Gipfel Erſchüttert beugen bis zu ihrem Grunde! Ja, müßte gleich der Weltbau drüber brechen,

1530 Antwortet mir auf das, was ich euch frage.

78 Macbeth

Erſte Here. Sprich!

Frage!

Zweite Here.

Dritte Here. Dir ſoll Antwort werden.

Erſte Here. Sprich! Willſt du ſie aus unſerm Munde lieber, Willſt du von unſern Meiſtern ſie vernehmen?

Macbeth. Ruft ſie! Ich will ſie ſehn! Die drei Heren. 1535 Groß oder klein, Erſchein! Erſchein! Und zeige dich Und deine Pflicht beſcheidentlich.

Donner. Ein bewaffnetes Haupt erhebt ſich hinter dem Keſſel.

Macbeth. Sag' mir, du unbekannte Macht

Erſte Here. 1540 Was du denkſt, entgeht ihm nicht, Höre ſchweigend, was er ſpricht!

Haupt. Macbeth! Macbeth! Macbeth! Fürchte Maeduffs kriegriſch Haupt,! Zittre vor dem Than zu Fife. 1545 Laß mich! Mehr iſt nicht erlaubt. (Steigt hinunter.)

Macbeth. Wer du auch ſeiſt, hab' Dank für dieſe Warnung, Du zeigeſt meiner ungewiſſen Furcht Das Ziel! Nur noch ein Wort

1550

1555

1560

1565

Vierter Aufzug. 4. Auftritt 79

Erſte Here. Er läßt ſich nicht befehlen! Hier iſt ein andrer, mächtiger als jener!

Donner. Erſcheinung von einem blutigen Kinde.

Rind, Macheth! Maebeth! Macbeth! Macbeth. Hätt' ich drei Ohren, du erfüllteſt ſie. Kind.

Sei keck und kühn und dürſte Blut, Verlache deiner Feinde Wut, Denn keiner, den ein Weib gebar, Bringt Macbeth je Gefahr.

(Steigt hinunter.)

Macbeth.

So lebe Maeduff, immerhin! Was brauch' Ich dich zu fürchten Aber nein! Ich will Die Sicherheit verdoppeln und ein Pfand Vom Schickſal nehmen Du ſollſt ſterben, Macduff, Daß ich die Furcht zur Lügnerin kann machen Und ſorglos ſchlafen in des Sturmes Rachen.

Ein gekröntes Kind mit einem Baumzweig. Was iſt's, das wie ein königlicher Sprößling Sich dort erhebt, um ſeine Kinderſtirn Den goldnen Reif der Herrſcherwürde tragend?

Die drei Heren. Höre, aber rede nicht! Schweigend merke, was er ſpricht.

Gekröntes Rind.

Sei ein Löwe, keinen ſcheue, Wer auch murre, wer dir dräue!

1570

1575

1580

1585

1590

80

Macbeth

Wer ſich gegen dich verbunden!

Macbeth bleibt unüberwunden, Bis der Birnamwald auf ihn heran

Rückt zum Schloſſe Dunſinan! (Steigt hinunter.)

Macbeth. Dahin kommt's niemals! Wer kann Bäume wie Soldaten preſſen, daß ſie ihre tief Verſchlungnen Wurzeln aus der Erd' entfeſſeln Und, die Bewegungsloſen, wandelnd nahn? Glückſelige Orakelſprüche! Wohl! Aufruhr, dein Haupt erhebſt du nicht, bis ſich Der Birnamwald erhebt von ſeiner Stelle. Masebeth wird leben bis ans Ziel der Zeit Und keinem andern ſeinen Hauch bezahlen Als dem gemeinen Los der Sterblichkeit. Und dennoch pocht mein Herz, nur eines noch Zu wiſſen. Sagt mir wenn ſich eure Kunſt So weit erſtreckt Wird Banquos Same je In dieſem Reich regieren?

Die drei Heren.

Forſche nichts mehr! Macbeth. Ich will befriedigt ſein. Verſagt mir das Und ſeid verflucht auf ewig! Laßt mich's wiſſen. Was ſinkt der Keſſel! Welch Getös iſt das?

(Hoboen.) Erſte Here. Erſcheint! Zweite Here. Erſcheint!

Dritte Here. Erſcheint!

1695

1600

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1615

1620

Vierter Aufzug. 4. Auftritt 81

Alle drei. Erſcheint und macht ſein Herz nicht froh,

Wie Schatten kommt und ſchwindet ſo.

Acht Könige erſcheinen nacheinander und gehen mit langſamem Schritt an Macbeth vorbei. Banquo iſt der letzte und hat einen Spiegel in der Hand.

Macbeth

(indem die Erſcheinungen an ihm vorübergehen). Du gleichſt zu ſehr dem Geiſt des Banquo! Fort! Hinab mit dir! Die Kron' auf deinem Haupt Verwundet meine Augen! Deine Miene, Du zweite goldumzogne Stirne, gleicht Der erſten Fort! Ein Dritter, völlig wie Der vorige! Verfluchte! Warum zeiget ihr mir das! Ein Vierter O erſtarret, meine Augen! Was? Will das währen bis zum jüngſten Tag? Noch einer Was? Ein Siebenter! Ich will nicht weiter hinſehn Aber ſieh! Da kommt der Achte noch mit einem Spiegel, Worin er mir noch viele andre zeigt! Was ſeh' ich? Wie? Die Kronen, die Reichsäpfel Verdoppeln ſich, die Zepter werden dreifach! Abſcheuliches Geſicht! Ja, nun iſt's wahr! Ich ſeh' es, denn der blut'ge Banquo grinſt Mich an und zeigt auf ſie, wie auf die Seinen. Was? Iſt es nicht ſo? Erſte Here.

Alles iſt ſo, doch warum Steht der König ſtarr und ſtumm? Seine Seele zu erfreuen, Schweſtern, ſchlingt den Feenreihen! Kommt! Von unſern ſchönſten Feſten Gebt ihm einen Tanz zum beſten! Luft, du ſollſt bezaubert klingen, Wenn wir unſre Kreiſe ſchlingen!

Schillers Werke. IX. 6

1625

1630

82 Macbeth

Daß der große König ſoll geſtehen, Ehre ſei ihm hier geſchehen.

(Sie machen einen Tanz und verſchwinden.)

Macbeth. Wo ſind ſie? Weg! Verflucht auf ewig ſtehe Die Unglücksſtunde im Kalender Komm Herein, du draußen!

5. Auftritt Macbeth. Lenox.

Tenor. Was befiehlt mein König?

Macbeth. Sahſt du die Zauberſchweſtern?

Tenor.

Macbeth. Sie kamen nicht bei dir vorbei?

Tenor.

Macbeth. Verpeſtet ſei die Luft, auf der ſie reiten! Verdammt ſei, wer den Lügnerinnen traut! Ich hörte Pferdgalopp. Wer kam vorbei?

Tenor. Zwei oder drei, die Euch die Nachricht bringen, Daß Maeduff ſich nach Engelland geflüchtet.

Macbeth. Nach Engelland geflüchtet?

Nein, mein König.

Nein, wirklich nicht.

1636

1640

1645

1650

Vierter Aufzug. 6. Auftritt 83 Tenor.

Ja, mein König!

Macbeth. O Zeit, du greifſt in meinen furchtbarn Plan! Der flücht'ge Vorſatz iſt nicht einzuholen, Es gehe denn die raſche Tat gleich mit. Von nun an ſei der Erſtling meines Herzens Auch gleich der Erſtling meiner Hand Und jetzt, Gleich jetzt das Wort durch Tat zu krönen, ſei's Gedacht, getan. Ich überfalle Maeduffs Schloß, Erobre Fife im Sturme Mutter, Kinder, alle Verlorne Seelen ſeines Unglücksſtamms Erwürgt mein Schwert, das iſt kein eitles Prahlen! Eh' der Entſchluß noch kalt iſt, ſei's getan! Doch keine Geiſter mehr!

Wo ſind die Männer? Führe mich zu ihnen. (Gehen ab.)

Die Szene iſt in einem Garten. 6. Auftritt

Malcolm und Maeduff.

Malcolm. Komm! Laß uns irgend einen öden Schatten Aufſuchen, unſern Kummer auszuweinen.

Macduff. Laß uns vielmehr das Todesſchwert feft halten Und über unſerm hingeſtürzten Rechte Als wackre Männer kämpfend ſtehn! Mit jedem neuen Morgen heulen neu Verlaßne Witwen, heulen neue Waiſen,

84 Macbeth

Schlägt neuer Jammer an den Himmel an, 1655 Der klagend widertönt und bange Stimmen Des Schmerzens von ſich gibt, als ob er ſelbſt Mit Schottland litte. Malcolm. Was ich glaube, will ich Beweinen. Was ich weiß, das will ich glauben, Und was ich ändern kann, das will ich tun, 1660 Wenn ich die Zeit zum Freunde haben werde. Es mag ſich ſo verhalten, wie du ſprichſt. Dies Ungeheuer, deſſen bloßer Name Die Zungen lähmt, hieß einſt ein Biedermann, Du liebteſt ihn, und noch hat er dich nicht 1666 Beleidigt Ich bin jung doch könnteſt du Durch mich dir ein Verdienſt um ihn erwerben, Und weislich gibt man ein unſchuldig Lamm Dem Meſſer hin, um einen zürnenden Gott zu verſöhnen.

Macduff. Ich bin kein Verräter.

Malcolm. 1070 Doch Mtacheth iſt's Und das Gebot des Herrſchers Kann auch den Beſten in Verſuchung führen! Vergib mir, Macduff, meinen Zweifelſinn. Du bleibſt derſelbe, der du biſt! Mein Denken Macht dich zu keinem andern! Engel glänzen 1675 Noch immer, ob die glänzendſten auch fielen. Wenn alle böſen Dinge die Geſtalt Des Guten borgten, dennoch muß das Gute Stets dieſe nämliche Geſtalt behalten.

Macduff.

Ich habe meine Hoffnungen verloren.

1680

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1690

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1705

Vierter Aufzug. 6. Auftritt

Malcolm. Da eben fand ich meine Zweifel Wie? Du hätteſt deine Gattin, deine Kinder, Die heilig teuern Pfänder der Natur, So ſchnell im Stich gelaſſen ohne Abſchied? Vergib mir! Meine Vorſicht ſoll dich nicht Beleidigen, nur ſicher ſtellen ſoll Sie mich Du bleibſt ein ehrenwerter Mann, Mag ich auch von dir denken, was ich will.

Macduff. So blute, blute, armes Vaterland! Du, kecke Tyrannei, begründe feſt Und feſter deinen angemaßten Thron, Dich wagt Gerechtigkeit nicht zu erſchüttern! Du, Prinz, gehab' dich wohl! Um alles Land, Das der Tyrann in ſeinen Klauen hält, Und um den reichen Oſt dazu möcht' ich Der Schändliche nicht ſein, für welchen du Mich anſiehſt.

Malcolm.

Zürne nicht. Mein Zweifel iſt

Nicht eben Mißtraun. Unſer Vaterland Erliegt, ich denk' es, dem Tyrannenjoch; Es weint, es blutet; jeder neue Tag, Ich will es glauben, ſchlägt ihm neue Wunden. Auch zweifl' ich nicht, es würden Hände gnug Sich für mein Recht erheben, zeigt' ich mich! Und hier gleich bietet Englands Edelmut Mir deren viele tauſend an! Jedoch, geſetzt, Ich träte ſiegend auf des Wütrichs Haupt,

85

Ich trüg's auf meinem Schwert das arme Schottland

Wird dann nur deſto ſchlimmer ſich befinden Und unter dem, der nach ihm kommen wird, Der Leiden mehr und härtere erdulden.

86 Macbeth

Marduff.

Malcolm. Mich ſelber mein' ich Mich,

Dem aller Laſter mannigfache Keime So eingepfropft ſind, daß, wenn die Gewalt Sie nun entfaltet, dieſer ſchwarze Macbeth Schneeweiß daſtehen und der Wüterich,

i716 Mit mir verglichen, als ein mildes Lamm Erſcheinen wird!

1710 Wer wäre das?

Marduff. Aus allen Höllenſchlünden ſteigt Kein teufliſcherer Teufel auf als Macbeth.

Malcolm. Er iſt blutgierig, grauſam, ich geſteh's, Wollüſtig, geizig, falſch, veränderlich, 1720 Betrügeriſch; ihn ſchändet jedes Laſter, Das einen Namen hat! Doch meine Wolluſt Kennt keinen Zügel, keine Sättigung. Nicht Unſchuld, nicht der klöſterliche Schleier, Nichts Heiliges iſt meiner wilden Gier, 1726 Die trotzig alle Schranken überſpringt. Nein, beſſer Macbeth herrſchet, denn ein ſolcher!

Macduff. Unmäßigkeit iſt wohl auch Tyrannei, Hat manchen Thron frühzeitig leer gemacht Und viele Könige zum Fall geführt. 170 Doch fürchte darum nicht, nach dem zu greifen, Was dein gehört! Ein weites Feld eröffnet Die höchſte Würde deiner Lüſternheit. Du kannſt erhabne Herrſcherpflichten üben, Ein Gott ſein vor der Welt, wenn dein Palaſt 176 Um deine Menſchlichkeiten weiß.

1740

1745

1750

1755

1760

Vierter Aufzug. 6. Auftritt 87

Malcolm.

Und dann Keimt unter meiner andern Laſter Zahl Auch ſolch ein Geiz und eine Habſucht auf, Daß, wär' ich unumſchränkter Herr, ich würgte Um ihrer Länder willen meine Edeln; Den tötete ſein Haus und den ſein Gold, Und kein Beſitztum machte je mich ſatt. Mein Reichtum ſelbſt wär' eine Würze nur, Des Habens Hunger heftiger zu ſtacheln, Und Streit erregt' ich allen Redlichen, Um mir das Ihre ſträflich zuzueignen.

Macduff. Dies Laſter gräbt ſich tiefer ein und ſchlägt Verderblichere Wurzeln als die leicht Entflammte Luſt, die ſchnell ſich wieder kühlt. Geiz war das Schwert, das unſre Könige Erſchlagen, dennoch fürchte du dich nicht! Schottland iſt reich genug für deine wildeſten Begierden! Das iſt alles zu ertragen, Wenn es durch andre edle Tugenden Vergütet wird.

Malcolm.

Doch die beſitz' ich nicht.

Von allen jenen königlichen Trieben: Gerechtigkeit, Wahrheit, Enthaltſamkeit, Geduld und Demut, Güte, Frömmigkeit, Herzhaftigkeit und Großmut, iſt kein Funke In mir Dagegen überfließt mein Herz Von allen Laſtern, die zuſammen ſtreiten. Ja, ſtünd's in meiner Macht, ich ſchüttete Die ſüße Milch der Eintracht in die Hölle, Und allen Frieden bannt' ich aus der Welt.

88 Macbeth ö

Macduff. ; O Schottland! Schottland! .

Malcolm. Iſt ein ſolcher fähig ; 1705 Zu herrſchen? Sprich! Ich bin ſo, wie ich fagte. Macduff. Zu herrſchen! Nein, nicht würdig, daß er lebe. O armes Vaterland, mit blut'gem Zepter Von einem Räuber unterdrückt, wann wirſt Du deine heitern Tage wiederſehn, 1770 Da der gerechte Erbe deines Throns Sich ſelbſt das Urteil der Verwerfung ſpricht N Und läſtert ſeines Lebens reinen Quell. Dein Vater war der beſte, heiligſte ö Der Könige Und ſie, die dich gebar, 1775 Weit öfter auf den Knieen als im Glanz, Sie ſtarb an jedem Tage, den ſie lebte. Gehab' dich wohl, Prinz! Eben dieſe Laſter, Die du dir beilegſt, haben mich aus Schottland Verbannt O Herz! Hier endet deine Hoffnung!

Malcolm.

170 Macduff! Dies edle Ungeſtüm, das Kind Der Wahrheit, hat den Argwohn ausgelöſcht Aus meiner Seele und verſöhnt mein Herz Mit deiner Ehr' und Biederherzigkeit! Schon oft hat dieſer teufeliſche Macbeth

17 Auf ſolchem Wege Netze mir geſtellt, Und nur beſcheidene Bedenklichkeit Verwahrte mich vor übereiltem Glauben. Doch, Gott ſei Zeuge zwiſchen mir und dir! Von nun an geb' ich mich in deine Hand

170 Und widerrufe, was ich fälſchlich ſprach. Ab ſchwör' ich die Beſchuldigungen alle,

1795

1800

1805

1810

Vierter Aufzug. 7. Auftritt Die ich verſtellter Weiſe auf mich ſelbſt

89

Gehäuft: mein Herz weiß nichts von jenen Laſtern.

Rein hab' ich meine Unſchuld mir bewahrt, Nie maßt' ich fremdes Gut mir an, ja kaum Ließ ich des eignen Gutes mir gelüſten. Nie ſchwur ich falſch, nicht teurer iſt das Leben Mir als die Wahrheit; meine erſte Lüge War, was ich jetzo gegen mich geſprochen. Was ich in Tat und Wahrheit bin, iſt dein Und meinem armen Land! Noch eh' du kamſt, Iſt ſchon der alte Seiward, wohlgerüſtet, Mit einem Heer nach Schottland aufgebrochen. Wir folgen ihm ſogleich, und möge nun Der Sieg an die Gerechtigkeit ſich heften! Warum ſo ſtille? Marduff. So Willkommenes Und Schmerzliches läßt ſich nicht leicht vereinen.

Malcolm. Gut! Nachher mehr davon! Sieh, wer da kommt!

7. Auftritt.

Vorige. Roſſe.

Macduff.

Ein Landsmann, ob ich gleich ihn noch nicht kenne.

Malcolm. Willkommen, werter Vetter!

Macduff. Jetzt erkenn' ich ihn. Entferne bald ein guter Engel, was Uns fremd macht für einander!

1815

1820

1826

90 Macbeth

Noſſe. Amen, Sir! Macduff. Steht es um Schottland noch wie vor?

Rolfe. Ach armes Land! Es ſchaudert vor ſich ſelbſt zurück. Nicht unſer Geburtsland, unſer Grab nur kann man's nennen, Wo niemand lächelt als das Wiegenkind, Wo Seufzer, Klagen und Geſchrei die Luft Zerreißt, und ohne daß man darauf achtet, Wo niemand bei der Sterbeglocke Klang Mehr fragen mag: wem gilt es? Wo das Leben Rechtſchaffner Leute ſchneller hin iſt als Der Strauß auf ihren Hüten, wo man ſtirbt, Eh' man erkrankt Marcduff. O ſchreckliche Beſchreibung, Und doch nur allzuwahr!

Malcolm. Was iſt denn jetzt Die neueſte Beſchwerde? Noſſe. Wer das Unglück Der vor'gen Stunde meldet, ſagt was Altes; Jedweder Augenblick gebiert ein neues.

Macduff. Wie ſteht es um mein Weib?

Noſſe. Wie? O ganz wohl!

U

1830

1836

1840

1845

Vierter Aufzug. 7. Auftritt Macduff. Und meine Kinder Noſſe. Auch wohl. Macduff. Der Tyrann Hat ihre Ruh nicht angefochten? Rolfe. Nein! In Ruhe waren alle, da ich ging. Macduff. Seid nicht jo wortkarg. Sagt mir, wie es geht. Noſſe.

Als ich mich eben auf den Weg gemacht,

Um Euch die Zeitungen zu überbringen,

Womit ich ſchwer beladen bin, ging ein Gerücht, Verſchiedne brave Leute ſeien kürzlich

Ermordet Was mir deſto glaublicher Erſchien, da ich die Völker des Tyrannen Ausrücken ſah. Nun iſt's die höchſte Zeit! Schon Euer bloßer Anblick würde Krieger Erſchaffen, Weiber ſelbſt zum Fechten treiben, So müd' iſt Schottland ſeiner langen Not.

Malcolm. Laß es ſein Troſt ſein, daß wir ſchleunig nahn. Großmütig leiht uns England zehentauſend Streitfert'ge Männer, die der tapfre Seiward Anführt, der bravfte Held der Chriſtenheit.

Roſſe. Daß ich dies Troſteswort mit einem gleichen Erwidern könnte! Doch ich habe Dinge

91

1850

1855

1860

1865

92 Macbeth

Zu ſagen, die man lieber in die öde Luft Hinjammerte, wo ſie kein Ohr empfinge.

Marduff. Wen treffen ſie? Das Ganze? Oder iſt's Ein eigner Schmerz für eine einz'ge Bruſt?

Noſſe. Es iſt kein redlich Herz, das ihn nicht teilt, Obgleich das Ganze nur für dich gehört.

Macduff. Wenn es für mich iſt, ſo enthalte mir's Nicht länger vor, geſchwinde laß mich's haben.

Noſſe. Sei meiner Stimme nicht auf ewig gram, Wenn ſie dir jetzt den allerbängſten Schall Angibt, der je dein Ohr durchdrungen.

Marcduff. Ha!

Ich ahn' es. Noſſe.

Deine Burg iſt überfallen, Dein Weib und Kinder grauſam hingemordet. Die Art zu melden, wie's geſchah, das hieße Auf ihren Tod auch noch den deinen häufen.

Malcolm. Barmherz'ger Gott! Wie, Mann? Drück' deinen Hut Nicht ſo ins Aug'. Gib deinen Schmerzen Worte. Harm, der nicht ſpricht, erſtickt das volle Herz Und macht es brechen.

Macduff. Meine Kinder auch?

1870

1875

1880

1885

Ich ſagt' es.

Vierter Aufzug. 7. Auftritt 93

Roe. Weib, Kinder, Knechte, was zu finden war.

Macduff. Und ich muß fern ſein! Auch mein Weib getötet?

Noſſe.

Malcolm. Faſſe dich! Aus unſrer blut'gen Rache

Laß uns für dieſen Todesſchmerz Arznei Bereiten.

Macduff.

Er hat keine Kinder! Alle!

Was? Meine zarten kleinen Engel alle! O hölliſcher Geier! Alle! Mutter, Kinder Mit einem einz'gen Tigersgriff!

Malrolm. Kämpf' deinem Schmerz entgegen wie ein Mann!

Macduff. Ich will's, wenn ich als Mann ihn erſt gefühlt. Ich kann nicht daran denken, daß das lebte, Was mir das Teuerſte auf Erden war! Und konnteſt du das anſehn, Gott! und kein Erbarmen haben Sündenvoller Macduff! Um deinetwillen wurden ſie erſchlagen! Nichtswürdiger, für deine Miſſetat, Nicht für die ihre büßten ihre Seelen! Geb' ihnen Gott nun ſeines Himmels Frieden!

Malcolm. Laß das den Wetzſtein deines Schwertes ſein, Laß deinen Kummer ſich in Wut verwandeln. Erweiche nicht dein Herz, entzünd' es.

94 Macbeth arduff. i Oh!

Ich könnte weinen, wie ein Weib, und mit

1800 Der Zunge toben Aber ſchneide du, Gerechter Himmel, allen Aufſchub ab! Stirn gegen Stirn bring' dieſen Teufel Schottlands Und mich zuſammen Nur auf Schwerteslänge Bring' ihn mir nahe, und entkömmt er, dann

18995 Magſt du ihm auch vergeben!

Malcolm.

Das klingt männlich! Kommt! Gehen wir zum König. Alles iſt Bereit, wir brauchen Abſchied bloß zu nehmen. Macbeth iſt reif zum Schneiden, und die Mächte Dort oben ſetzen ſchon die Sichel an. 100 Kommt, ſtärket euch zum Marſch und zum Gefechte:

Die Nacht iſt lang, die niemals tagen kann. (Sie gehen ab.)

Fünfter Aufzug Ein Zimmer. Es iſt Nacht. 1. Auftritt

Arzt. Kammerfrau. Gleich darauf Lady Maebeth.

Arzt. Zwo Nächte hab' ich nun mit Euch durchwacht Und nichts entdeckt, was Eure ſeltſame Erzählung Beſtätigte. Wann war es, daß die Lady 1s Zum letztenmal nachtwandelte?

1910

1915

1920

1925

Fünfter Aufzug. 1. Auftritt 95

Kammerfrau. Seitdem der König Zu Feld gezogen, hab' ich ſie geſehn, Daß ſie von ihrem Bette ſich erhob, Den Schlafrock überwarf, ihr Kabinett Aufſchloß, Papier herausnahm, darauf ſchrieb, Es las, zuſammenlegte, ſiegelte, Dann wiederum zu Bett ging und das alles Im tiefſten Schlafe. Arzt.

Eine große Störung In der Natur, zu gleicher Zeit die Wohltat Des Schlafs genießen und Geſchäfte Des Wachens tun! Doch außer dem Herumgehn, Und was ſie ſonſt noch vornahm, habt Ihr ſie In dieſem Zuſtand etwas reden hören?

Kammerfrau. Nichts, was ich weiter ſagen möchte, Sir!

a Arzt. Mir dürft Ihr's ſagen, und ich muß es wiſſen.

Kammerfrau. Nicht Euch, noch irgend einem lebenden Geſchöpf werd' ich entdecken, was ich weiß, Da niemand iſt, der mir zum Zeugen diente! Seht! Seht! Da kommt ſie! So pflegt ſie zu gehn, Und in dem tiefſten Schlaf, ſo wahr ich lebe!

Gebt Acht auf ſie, doch machet kein Geräuſch! (Lady Macbeth kommt mit einem Lichte.)

Arzt. Wie kam ſie aber zu dem Licht?

1930

1935

1940

1945

96 Macbeth

Kammerfrau. Es ſtand

An ihrem Bette. Sie hat immer Licht Auf ihrem Nachttiſch. Das iſt ihr Befehl.

Arzt. Ihr ſeht, ſie hat die Augen völlig offen.

Kammerfrau. Ja! Aber die Empfindung iſt verſchloſſen!

Arzt. Was macht ſie jetzt? Seht, wie ſie ſich die Hände reibt!

Kammerfrau. Das bin ich ſchon von ihr gewohnt, daß ſie So tut, als ob ſie ſich die Hände wüſche. Ich hab' ſie wohl zu ganzen Viertelſtunden An einem fort nichts anders tun ſehn.

Tady. Hier iſt doch noch ein Flecken. Arzt. Still! Sie redt! Ich will mir alles merken, was ſie ſagt, Damit ich nichts vergeſſe. Tady. Weg, du verdammter Flecken! Weg, ſag' ich! Eins! Zwei! Nun, ſo iſt's hohe Zeit! Die Hölle iſt Sehr dunkel Pfui doch! Ein Soldat und feige! Laß es auch ruchtbar werden! Iſt doch niemand So mächtig, uns zur Rechenſchaft zu ziehen! Wer dacht' es aber, daß der alte Mann Noch ſo viel Blut in Adern hätte!

t. a Hört Ihr?

.

1950

1955

1960

Fünfter Aufzug. 1. Auftritt 97

Lady. Der Than von Fife hatt' eine Frau Wo iſt Sie nun? Was? Wollen dieſe Hände nimmer Rein werden? Nichts mehr, mein Gemahl! O nicht doch! Nicht doch! Ihr verderbet alles Mit dieſem ſtarren Hinſehn!

Arzt. Gehet! Geht! Ihr wißt etwas, das Ihr nicht wiſſen ſolltet.

Kammerfrau.

Sie ſprach etwas, das ſie nicht ſprechen ſollte, Das iſt kein Zweifel! Weiß der Himmel, was Sie wiſſen mag!

Tady.

Das riecht noch immer fort

Nach Blut! Arabiens Wohlgerüche alle Verſüßen dieſe kleine Hand nicht mehr. Oh! Ohl

Arzt.

Hört! Hört! Was für ein Seufzer war das!

O ſie hat etwas Schweres auf dem Herzen!

Kammerfrau. Nicht für die ganze Hoheit ihres Standes Möcht' ich ihr Herz in meinem Buſen tragen. Arzt. Wohl! Wohl! Kammerfrau. Das gebe Gott, daß es ſo ſei!

Arzt. Ich kann mich nicht in dieſe Krankheit finden,

Doch kannt' ich mehr dergleichen, die im . Schillers Werke. IX.

1965

1970

1975

1980

98 Macbeth

Gewandelt und als gute Chriſten doch Auf ihrem Bette ſtarben.

Tady. Waſcht die Hände! Den Schlafrock über! Sehet nicht ſo bleich aus. Ich ſag's Euch, Banquo liegt im Grab, er kann Aus ſeinem Grab nicht wiederkommen.

Arzt.

Tady. Zu Bett! Zu Bette! An die Pforte wird Geklopft! Kommt! Kommt! Kommt! Gebt mir Eure Hand. Geſchehne Dinge ſind nicht mehr zu ändern. Zu Bett! Zu Bette! (Sie geht ab.)

Arzt. Geht ſie nun zu Bette?

Wirklich?

Kammerfrau. Gerades Wegs.

Arzt.

Man raunt ſich Grauenvolles In die Ohren, unnatürlich ungeheure Verbrechen wecken unnatürliche Gewiſſensangſt, und die beladne Seele beichtet Dem tauben Kiſſen ihre Schuld Ihr iſt Der Geiſtliche notwend'ger als der Arzt. Gott! Gott! vergib uns allen! Sehet zu, Nehmt alles weg, womit ſie ſich ein Leides Tun könnte! Laßt ſie ja nicht aus den Augen! Nun gute Nacht! Mir iſt ganz ſchauerlich zu Mut.

Ich denke, aber wage nicht zu reden. (Sie gehen ab.)

1985

1990

1995

2000

2005

Fünfter Aufzug. 2. Auftritt 99

Offne Gegend. Proſpekt ein Wald. 2. Auftritt

Angus. Lenox. Lords und Soldaten im Hintergrund.

Angus. Das Heer der Engelländer iſt im Anzug, Von Malcolm, unſerm Prinzen, angeführt, Von Seiward, ſeinem tapfern Ohm, und Macduff. Der Rache heilig Feuer treibt ſie an, Denn ſolche tödliche Beleidigungen, Als der Tyrann auf ſie gehäuft, entflammten Selbſt abgeſtorbne Büßende zur Wut Und ſtachelten ſie auf zu blut'gen Taten.

Tenor. Dort iſt das Birnamer Gehölz. Sie ziehn Durch dieſen Wald; da können wir am beſten Zu ihrem Heere ſtoßen Weiß jemand, Ob Donalbain bei ihnen iſt?

Angus.

Es iſt gewiß,

Daß er bei dieſem Heer ſich nicht befindet. Ich habe ein Verzeichnis aller Edlen, Die Malcolms Fahnen folgen. Seiwards Sohn Iſt unter ihn en, nebſt noch vielen andern Unbärt'gen Knaben, die noch keine Schlacht Geſehn und ihres Mutes Erſtlinge In dieſem heil'gen Krieg beweiſen wollen.

Tenor. Sie finden keinen würdigeren Kampf Und keine beßre Sache. Laßt uns eilen, Den Fahnen des Tyrannen, welchen Gott Verfluchte, zu entfliehn und an das Heer,

2010

2015

100 Macbeth

Bei dem der Sieg iſt, mutvoll uns zu ſchließen. Dort, wo das Recht, iſt unſer Vaterland.

Angus. Auf, gegen Birnam! a (Man hört Trommeln in der Ferne.)

Tenor. Hört Ihr jene Trommeln? Die brit'ſchen Völker nahen. Laßt ſie uns Mit unſern Trommeln kriegeriſch begrüßen! (Trommeln auf der Szene antworten denen hinter derſelben.)

* a

3. Auftritt

Vorige. Malcolm. Seiward Vater und Sohn. Maeduff. Roſſe. Soldaten mit Fahnen, die im Hintergrund halten.

Malcolm. Ich hoffe, Vettern, nah iſt nun der Tag, Wo Schlafgemächer wieder frei ſein werden.

Noſſe.

Wir zweifeln nicht daran.

Seiward. Sieh! Wer ſind dieſe, Die ſich gewaffnet gegen uns bewegen?

Malcolm. Macduff.

Rolfe. Wer ſeid ihr?

Tenor. Und Feinde des Tyrannen.

Steht! Haltet an!

Freunde Schottlands,

Fünfter Aufzug. 3. Auftritt 101

Roſſe. Jetzt, mein Feldherr, Erkenn' ich ſie. Es iſt der edle Than Von Lenox und von Angus.

Malcolm. Seid willkommen! 200 Was bringt ihr, ehrenvolle Thans?

Tenor. Uns ſelbſt, Ein treues Herz und Schwert für unſern König!

Angus. Wir kommen, unſre Treu und Dienſtespflicht Dahin zu tragen, wo ſie hingehört, Und ſuchen Schottland unter Englands Fahnen.

Malcolm. 202 Glückſel'ge Vorbedeutung! Frohes Pfand Des Siegs Laßt euch umarmen, edle Freunde! Ja, unſre Waffen werden glücklich ſein, Da ſich die beſten Herzen zu uns wenden.

Seiward. Womit geht der Tyrann jetzt um? Wir hören, 200 Er liegt voll Zuverſicht in ſeiner Burg Und will dort die Belagerung erwarten?

Angus. Er hat ſich in das Bergſchloß Dunſinan Geworfen, das er ſtark befeſtiget. Er ſoll von Sinnen ſein, ſagt man. Sein Anhang 205 Nennt's eine kriegriſche Begeiſterung. Wohl mag er ſeiner ſelbſt nicht Meiſter bleiben In dieſem Kampf der Wut und der Verzweiflung.

102 Macbeth

Tenor.

Nun ſchießt die Blutſaat, die er ausgeſät,

Zur fürchterlichen Ernte rächend auf. 2040 Jedweder Augenblick zeugt einen Abfall,

Der ſeinen eignen Treubruch ihm vergilt;

Die wenigen, die ihm noch treu geblieben,

Knüpft Liebe nicht, nur Furcht an ſeine Fahnen;

Wo nur ein Weg zur ſichern Flucht ſich zeigt, 2045 Verläßt ihn Groß und Klein.

Noſſe. Jetzt fühlt er, daß der angemaßte Purpur Der Majeſtät ſo ſchlotterig und loſe Um ihn herumhängt, wie des Rieſen Rock Um eines Zwerges Schultern, der ihn ſtahl.

Marduff. 2050 Laßt unſern Tadel, ſo gerecht er iſt, Bis nach dem Ausſchlag des Gefechtes ſchweigen, Und führen wir als Männer jetzt das Schwert!

Seiward. Wie heißt der Wald hier vor uns?

No ſſe.

Seiward. Laßt jeden Mann ſich einen Aſt abhauen 2055 Und vor ſich her ihn tragen. Wir beſchatten Dadurch die Anzahl unſres Heers und machen Die Kundſchaft des Tyrannen an uns irre.

Alle.

Birnamswald.

Es ſoll geſchehen!

(Sie zerſtreuen ſich nach dem Hintergrund, um die Zweige abzubrechen.)

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Fünfter Aufzug. 4. Auftritt 103

Zimmer.

4. Auftritt

Macbeth. Der Arzt. Bediente.

Macbeth. Verkündiget mir nichts mehr. Laßt ſie alle Zum Feind entfliehen! Bis der Birnamwald Sich in Bewegung ſetzt auf Dunſinan, Nicht eher kennt mein tapfres Herz die Furcht! Was iſt der Knabe Malcolm? Ward er nicht Von einem Weib geboren? Geiſter, die Die ganze Folge irdiſcher Geſchicke Durchſchauen, ſprachen dieſes Wort: „Sei furchtlos, Macbeth! Keiner, den ein Weib Gebar, hat über dich Gewalt!“ So flieht! Flieht hin, ihr eidvergeßnen Thans, ſchließt euch An dieſe brit'ſchen Zärtlinge! Der Geiſt, Der mich beherrſcht, dies Herz, das in mir ſchlägt, Wird nicht von Furcht, von Zweifeln nicht bewegt.

(Zu einem Bedienten, der hereintritt.) Daß dich der Teufel bräune, Milchgeſicht! Wie kommſt du zu dem gänſemäß'gen Anſehn?

Bedienter lerſchrocken, atemlos). Zehntauſend Macbeth. Gänſe, Schuft?

Bedienter.

Macbeth. Reib dein Geſicht und ſtreiche deine Furcht Erſt rot an, du milchlebrigter Geſelle! Was für Soldaten, Geck! Verdamm' dich Gott!

Soldaten, Herr!

104 Macbeth

Dein weibiſch Anſehn ſteckt mir noch die andern 2080 Mit Feigheit an Was für Soldaten, Memme?

Bedienter. Die engliſche Armee, wenn Ihr's erlaubt.

Macbeth. 5

Schaff dein Geſicht mir aus den Augen! Seyton! Ich kriege Herzweh, wenn ich's ſehe Seyton! Das muß entſcheiden! Dieſer Stoß verſichert

2085 Mein Glück auf immer, oder ſtürzt mich jetzt! Ich habe lang' genug gelebt! Mein Frühling Sank bald ins Welken hin, in gelbes Laub, Und was das hohe Alter ſchmücken ſollte, Gehorſam, Liebe, Ehre, Freundestreu,

2090 An alles das iſt nun gar nicht zu denken! Statt deſſen ſind mein Erbteil Haß und Flüche, Nicht laut, doch deſto inn'ger, Heuchelworte, Ein leerer Munddienſt, den das Herz mir gern Verweigerte, wenn es nur dürfte Seyton!

5. Auftritt Macbeth. Arzt. Seyton. ; Seyton. 2095 Was ift zu Eurem gnädigſten Befehl?

Macbeth. Gibt's ſonſt was Neues?

Seyton. N Herr, es hat ſich alles Beſtätigt, was erzählt ward.

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Fünfter Aufzug. 5. Auftritt Macbeth. Ich will fechten, Bis mir das Fleiſch von allen Knochen ab⸗ Gehackt iſt Meine Rüſtung! Seyton. Herr, es eilt nicht. Macbeth.

Ich will ſie anziehn. Schickt mehr Reiter aus, Durchſtreift das ganze Land, und an den Galgen, Wer von Gefahr ſpricht Gib mir meine Rüſtung! Wie ſteht's um unſre liebe Kranke, Doktor?

Arzt. Krank nicht ſowohl, mein König, als beängſtigt Von Phantaſien, die ihr die Ruhe rauben.

Macbeth. i

So heile ſie davon. Kannſt du ein krankes Gemüt von ſeinem Grame nicht befrein, Ein tief gewurzelt quälendes Bewußtſein Nicht aus der Seele heilend ziehen, nicht Die tiefen Furchen des Gehirnes glätten, Nicht ſonſt mit irgend einem ſüßen Mohn Den Krampf auflöſen, der das Herz erſtickt?

Arzt. Herr, darin muß die Kranke ſelbſt ſich raten.

Macbeth. So fluch' ich deiner Kunſt, mir frommt ſie nicht. (Zu dem Diener.)

Kommt! Meine Rüſtung! Gebt mir meinen Stab! (Indem er ſich waffnet.) - Du, Seyton, ſchicke Doktor! Mich verlaſſen

105

Die Than Komm! Komm! Mach' Hurtig Guter

Doktor,

106 Macbeth

Wenn du die Krankheit meines Königreichs Ausſpähn, ſein ſcharfes Blut verſüßen, ihm

212⁰ Das vor'ge Wohlſein könnteſt wiedergeben, Dann wollt' ich deiner Taten Herold ſein Und Echo ſelbſt mit deinem Lob ermüden. Was für Rhabarber, Senna oder andre Purganzen möchten wohl dies brit'ſche Heer

2125 Abführen? Sprich! Vernahmſt du nichts davon?

Arzt. Ja, mein Gebieter. Eure kriegriſchen Anſtalten machen, daß wir davon hören.

Macbeth. Laßt ſie heranziehn Mich erſchreckt kein Feind, Bis Birnams Wald vor Dunſinan erſcheint.

Arzt (ur ſich). 2130 Wär' ich nur erſt mit ganzer Haut davon, Zurücke brächte mich kein Fürſtenlohn!

Macbeth.

Dies feſte Schloß trotzt der Belagerung!

Laßt ſie da liegen, bis der Hunger ſie,

Die Peſt ſie aufgerieben. Stünden ihnen 2135 Nicht die Verräter bei, die uns verließen,

Wir hätten ſie, Bart gegen Bart, empfangen

Und heimgepeitſcht

(Hinter der Szene wird gerufen.)

Was für ein Lärm iſt das? Seyton. Es ſind die Weiber, welche ſchrein, mein König. (Eilt hinaus mit dem Arzt.) Macbeth. Ich habe keinen Sinn mehr für die Furcht. 2140 Sonſt gab es eine Zeit, wo mir der Schrei

enen gotten =e

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Fünfter Aufzug. 6. Auftritt 107

Der Eule Grauen machte, wo mein Haar

Bei jedem Schrecknis in die Höhe ſtarrte,

Als wäre Leben drin Jetzt iſt es anders.

Ich hab' zu Nacht gegeſſen mit Geſpenſtern,

Und voll geſättigt bin ich von Entſetzen. (Seyton kömmt zurück.)

Was gibt's? Was iſt geſchehn?

6. Auftritt

Macbeth. Seyton.

Seyton. Die Königin

Iſt tot!

Macbeth (nach einem langen Stillſchweigen).

Wär' ſie ein andermal geſtorben!

Es wäre wohl einmal die Zeit gekommen Zu ſolcher Botſchaft!

(Nachdem er gedankenvoll auf und ab gegangen.)

Morgen, Morgen

Und wieder Morgen kriecht in ſeinem kurzen Schritt Von einem Tag zum andern, bis zum letzten Buchſtaben der uns zugemeßnen Zeit, Und alle unſre Geſtern haben Narren Zum modervollen Grabe hingeleuchtet! Aus, aus, du kleine Kerze! Was iſt Leben? Ein Schatte, der vorüberſtreicht! Ein armer Gaukler, Der ſeine Stunde lang ſich auf der Bühne Zerquält und tobt, dann hört man ihn nicht mehr. Ein Mürchen iſt es, das ein Tor erzählt, Voll Wortſchwall, und bedeutet nichts.

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108 Macbeth

7. Auftritt

Vorige. Ein Bote.

Macbeth. Du kommſt, Die Zunge zu gebrauchen, faſſ' dich kurz. Bote.

Herr! Ich ich ſollte ſagen, was ich ſah, Und weiß nicht, wie ich's ſagen ſoll.

Macbeth.

Bote. Als ich auf meinem Poſten ſtand am Hügel, Sah ich nach Birnam, und da dauchte mir, Als ob der Wald anfing, ſich zu bewegen.

Macbeth (faßt ihn wütend an). Du Lügner und verdammter Böſewicht!

Bote. Herr, laßt mich Euren ganzen Grimm erfahren, Wenn's nicht ſo iſt. Auf Meilenweite könnt Ihr ihn Selbſt kommen ſehen. Wie ich ſage, Herr! Ein Wald, der wandelt.

Macbeth.

Menſch! Haſt du gelogen, So hängſt du lebend an dem nächſten Baum, Bis dich der Hunger ausgedorrt. Sagſt du Die Wahrheit, nun ſo frag' ich nichts darnach, Ob du mit mir das gleiche tuſt Mein Glaube Beginnt zu wanken, mir entweicht der Mut. Ich fürchte einen Doppelſinn des Teufels, Der Lügen ſagt wie Wahrheit Fürchte nichts,

Gut! Sag' es!

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Fünfter Aufzug. 8. Auftritt 109

Bis Birnams Wald auf Dunſinan heranrückt! Und jetzo kommt ein Wald auf Dunſinan!

Die Waffen an! Die Waffen und hinaus!

Verhält ſich's wirklich alſo, wie er ſagt,

So iſt kein Bleiben hier, ſo hilft kein Flüchten.

Ich fange an, der Sonne müd zu ſein,

Könnt' ich mit mir die ganze Welt vernichten! Schlagt Lärmen! Winde, ſtürmet! Brich herein, Zerſtörung! Will das Schickſal mit uns enden,

So fallen wir, die Waffen in den Händen. (Ab.)

Ein freier Platz vor der Feſtung, vorn Gebäude, in der Ferne Landſchaft, die ganze Tiefe des Theaters wird zu dieſer Szene genommen.

8. Auftritt

Malcolm. Seiward. Seiward Sohn. Maeduff. Roſſe. Angus.

Lenox. Soldaten. Alle rücken aus der hinterſten Tiefe des Theaters

mit langſamen Schritten vorwärts, die Zweige vor ſich her und über dem Haupte tragend.

Malcolm (nachdem der Zug bis in die Mitte der Szene vorgerückt).

Nun ſind wir nahe gnug Werft eure grünen Schilde Hinweg und zeigt euch, wie ihr ſeid! Ihr führt Das erſte Treffen an, mein würd' ger Oheim, Nebſt Eurem edeln Sohn Indeſſen wir Und dieſer würd' ge Held (auf Macduff zeigend)

nach unſerm Plan Das übrige beſorgen.

(Die vordern Soldaten geben ihre Zweige an die hintern, von Glied zu Glied, ſo daß das Theater davon leer wird.) Seiward. Lebet wohl! Und finden wir den Feind noch vor der Nacht, So ſieht der Morgen die geſchlagne Schlacht.

110 Macbeth

Macduff. Gebt Atem allen kriegriſchen Trompeten,

Den Herolden zum Morden und zum Töten. (Kriegriſche Muſik. Schlacht im Hintergrunde.)

9. Auftritt

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Macbeth. Dann der junge Seiward.

Macbeth. Sie haben mich an einen Pfoſten angebunden, 2200 Entfliehen kann ich nicht. Ich muß mein Leben Verteidigen, wie ein gehetzter Bär! Wer iſt der, den kein Weib gebar! Ihn hab' ich Zu fürchten, keinen ſonſt.

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Junger Seiward (tritt auf). Wie iſt dein Name?

Macbeth. Hör' ihn und zittre! Junger Seiward. Zittern werd' ich nicht, 22005 Und gäbſt du dir auch einen heißern Namen Als einer in der Höll'.

Macbeth. Mein Nam' iſt Macbeth.

Junger Seiward. Der Satan ſelbſt kann keinen ſcheußlichern mir nennen.

, Macbeth.

Und keinen furchtbarern!

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Fünfter Aufzug. 11. Auftritt 111

Junger Seiward. Du lügſt, verworfner Tyrann! Mit meinem Schwert will ich beweiſen,

Daß du das lügſt! (Sie fechten. Der junge Seiward fällt.)

Macbeth. Dich hat ein Weib geboren! Der Schwerter lach' ich, die von Sterblichen

Geſchwungen werden, die ein Weib gebar! (Er geht ab. Die Schlacht dauert fort.)

10. Auftritt

Maeduff tritt auf.

Der Lärm iſt dorthin! Zeige dich, Tyrann! Fällſt du von einer andern Hand als meiner,

So plagen mich die Geiſter meines Weibes

Und meiner Kinder ruhelos. Ich kann

Das Schwert nicht ziehen gegen jene Kernen,

Die man gedungen hat, den Speer zu tragen.

Du biſt es, Macbeth oder ungebraucht

Steck' ich mein Schwert zurück in ſeine Scheide. Dort mußt du ſein Der große Lärm und Drang Macht einen Krieger kund vom erſten Rang,

Laß mich ihn finden, Glück! Ich will nicht mehr. (Ab.)

11. Auftritt

Seiward und Malcolm treten auf.

Seiward.

Hieher, mein Prinz Das Schloß hat ſich ergeben, Die Völker des Tyrannen weichen ſchon;

112 Macbeth

Die edeln Thane fechten tapfer, nur Noch wen'ge Arbeit, und der Tag iſt unſer!

Malcolm. Wir haben es mit Feinden, deren Streiche An uns vorbeigehn! Seiward. Folgt mir in die Feſtung. (Ab.)

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12. Auftritt Macbeth. Gleich darauf Maeduff.

Macbeth. 220 Warum ſoll ich den röm'ſchen Narren ſpielen Und in das eigne Schwert mich ſtürzen? Nein, So lang' ich Lebende noch um mich ſehe, Wend' ich es beſſer an! (Indem er abgehn will, kömmt Macduff auf die Szene.)

Macduff. Steh, Höllenhund!

Macbeth. Du biſt der einzige von allen Menſchen, 22385 Den ich vermied Geh! Meine Seele iſt Genug beladen ſchon mit deinem Blut.

Macduff. Ich hab' nicht Worte, meine Stimme iſt In meinem Schwert Du Böswicht, blutiger,

Als Worte es beſchreiben. Er dringt wütend auf ihn ein, ſie fechten eine Zeitlang ohne Entſcheidung.)

Macbeth linnehaltend). Du verlierſt die Müh. 2210 So leicht vermöchteſt du die geiſt'ge Luft

Fünfter Aufzug. 12. Auftritt

Mit deines Schwertes Schneide zu verletzen,

Als Macbeth bluten machen! Laß dein Eiſen

Auf Schädel fallen, die verwundbar ſind;

In meiner Bruſt wohnt ein bezaubert Leben, 2245 Das keinem weichet, den ein Weib gebar.

Marduff. Nun ſo verzweifle denn an deinem Zauber Und laß den Teufel dir, dem du von je Gedient, kund tun, daß Maeduff vor der Zeit Aus ſeiner Mutter Leib geſchnitten iſt.

Macbeth.

2250 Die Zunge ſei verflucht, die mir das ſagt! Sie hat das Beſte meiner Männerkraft Entnervt! Verflucht, wer dieſen gaukelnden Dämonen ferner traut, die hinterliſtig Mit Doppelſinn uns täuſchen, unſerm Ohr

2255 Wort halten, unſre Hoffnung hintergehn! Ich will nicht mit dir fechten.

Macduff.

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So ergib dich, Memme,

Und lebe, um die Fabel und das Schauſpiel Der Zeit zu ſein. Wir wollen dich, wie irgend Ein ſeltnes Ungeheuer, abgemalt

2260 Auf einer Stange tragen und darunter ſchreiben: Hier iſt zu ſehen der Tyrann!

Macbeth. Ich will

Mich nicht ergeben, um vor dieſem Knaben

Malcolm zu knieen und den Staub zu küſſen

Und eures Pöbels Fluch ein Ziel zu ſein; 2205 Iſt gleich der Birnam-Wald auf Dunfinan

Herangerückt, biſt du, mein Gegner, gleich

Schillers Werke. IX.

114 Macheth

Vom Weibe nicht geboren, dennoch fei Das Außerſte verſucht! Hier halt' ich Den kriegeriſchen Schild vor meinen Leib, 2270 Fall aus, triff, und verdammt fei, wer zuerſt Ruft: Halt, genug! (Sie gehen fechtend ab.)

13. Auftritt

Man bläſt zum Abzug. Malcolm. Seiward. Roſſe. Angus.

Lenox. Soldaten.

Malcolm. Möcht' ich die edeln Freunde, die wir miſſen, Doch wohlerhalten wiederſehn!

Seiward. Prinz! Ein'ge müſſen ſchon das Opfer werden, 2275 Und wie ich ſeh', iſt dieſer große Tag Wohlfeil genug erkauft.

Malcolm. Macduff und Euren edelmüt'gen Sohn Vermißt man. Voſſe.

Euer edler Sohn, mein Feldherr, Bezahlte als ein Krieger ſeine Schuld, 2280 Und nicht ſobald hatt' er ſein tapfres Herz Im Kampf bewährt, ſo ſtarb er als ein Mann.

Seiward.

Rolfe.

Vom Schlachtfeld ſchon getragen.

Meßt Euren Schmerz nicht ab nach ſeinem Wert, Sonſt wär' er grenzenlos.

So iſt er tot?

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Fünfter Aufzug. 14. Auftritt 115

Seiward. Hat er die Wunden vorn?

Rolfe. Ja, auf der Stirn.

Seiward. Nun denn! So ſei er Gottes Mann! Hätt' ich So viel der Söhne, als ich Haare habe, Ich wünſchte keinem einen ſchönern Tod. Sein Grablied iſt geſungen.

Malcolm. Ihm gebührt Ein größer Leid; das ſoll ihm werden.

Seiward. Ihm Gebührt nicht mehr. Sie ſagen, er ſchied wohl Und zahlte ſeine Zeche. Gott mit ihm! Da kommt uns neuer Troſt!

Letzter Auftritt Vorige. Macduff mit der Rüſtung und Krone Macebeths.

Macduff. Heil dir, o König, denn du biſt's! Im Staube Liegt der Tyrann, und hier iſt ſeine Beute. Die Zeit iſt wieder frei, ich ſehe dich Umgeben von den Edeln deines Reichs, Sie ſprechen meinen Gruß im Herzen nach, Und ihre Stimmen miſchen ſich mit meiner: Heil Schottlands König!

Alle. Heil dem König Schottlands!

(Trompetenſtoß.)

116 Macbeth

Malcolm.

Wir wollen keinen Augenblick verlieren,

Mit euer aller Liebe Abrechnung

Zu halten und mit jedem quitt zu werden.

Ruhmvolle Thans und Vettern, ihr ſeid Grafen 2305 Von heute an: die erften, welche Schottland

Mit dieſem Ehrennamen grüßt Was nun

Die erſte Sorge unſers Regiments

Sein muß, die Rückberufung der Verbannten,

Die vor der Tyrannei geflohen, die Beſtrafung 2310 Der blut'gen Diener dieſes toten Schlächters

Und ſeiner teufeliſchen Königin,

Die, wie man ſagt, gewaltſam blut'ge Hand

Gelegt hat an ſich ſelbſt, dies, und was ſonſt

Noch not tut, wollen wir mit Gottes Gnade 2315 Nach Maß und Ort und Zeit zu Ende bringen.

Und ſomit danken wir auf einmal allen

Und laden euch nach Scone zu unſrer Krönung.

Turandot, Prinzeſſin von China

Ein tragikomiſches Märchen nach Gozzi

Perſonen

Altoum, fabelhafter Kaiſer von China. Turandot, ſeine Tochter.

Adelma, eine tartariſche Prinzeſſin, ihre Sklavin. Zelima, eine andre Sklavin der Turandot. Skirina, Mutter der Zelima.

Barak, ihr Gatte, ehmals Hofmeiſter des Kalaf, Prinzen von Aſtrachan.

Timur, vertriebener König von Aſtrachan. Ismael, Begleiter des Prinzen von Samarkand. Tartaglia, Miniſter.

Pantalon, Kanzler.

Truffaldin, Aufſeher der Verſchnittenen. Brigella, Hauptmann der Wache.

Doktoren des Divans.

Sklaven und Sklavinnen des Serails.

Erſter Aufzug

Vorſtadt von Peckin.

Proſpekt eines Stadttors. Eiſerne Stäbe ragen über demſelben

hervor, worauf mehrere geſchorne, mit türkiſchen Schöpfen

verſehene Köpfe als Masken und ſo, daß ſie als eine Zierat erſcheinen können, ſymmetriſch aufgepflanzt ſind.

1. Auftritt

Prinz Kalaf, in tartariſchem Geſchmack, etwas phantaſtiſch gekleidet, tritt aus einem Hauſe. Gleich darauf Barak, aus der Stadt kommend.

Kalaf. Habt Dank, ihr Götter! Auch zu Peckin ſollt' ich Eine gute Seele finden!

Barak (in perſiſcher Tracht, tritt auf, erblickt ihn und fährt erſtaunt zurück).

Seh' ich recht? Prinz Kalaf! Wie? Er lebt nod!

Kalaf lerkennt ihn). Barak!

Barak (auf ihn zueilend). a Herr!

Dich find' ich hier! Barak, Euch ſeh' ich lebend wieder!

Und hier zu Peckin!

122 Turandot, Pringeffin von China

Kalaf. Schweig. Verrat mich nicht! Beim großen Lama! Sprich! Wie biſt du hier?

Barak. Durch ein Geſchick der Götter, muß ich glauben,

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Da es mich hier mit Euch zuſammenführt. An jenem Tag des Unglücks, als ich ſah, Daß unſre Völker flohen, der Tyrann Von Tefflis unaufhaltſam in das Reich Eindrang, floh ich nach Aſtrachan zurück,

Bedeckt mit ſchweren Wunden. Hier vernahm ich,

Daß Ihr und König Timur, Euer Vater, Im Treffen umgekommen. Meinen Schmerz Erzähl' ich nicht, verloren gab ich alles.

Und ſinnlos eilt' ich zum Palaſte nun, Elmazen, Eure königliche Mutter,

Zu retten, doch ich ſuchte ſie vergebens! Schon zog der Sieger ein zu Aſtrachan,

Und in Verzweiflung eilt' ich aus den Toren.

Von Land zu Lande irrt' ich flüchtig nun Drei Jahre lang umher, ein Obdach ſuchend, Bis ich zuletzt nach Peckin mich gefunden. Hier unterm Namen Haſſan glückte mir's, Durch treue Dienſte einer Witwe Gunſt Mir zu erwerben, und ſie ward mein Weib; Sie kennt mich nicht, ein Perſer bin ich ihr. Hier leb' ich nun, obwohl gering und arm Nach meinem vor'gen Los, doch überreich In dieſem Augenblicke, da ich Euch,

Den Prinzen Kalaf, meines Königs Sohn, Den ich erzogen, den ich Jahre lang

Für tot beweint, im Leben wiederſehe!

Wie aber lebend? Wie in Peckin hier?

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Erſter Aufzug. 1. Auftritt Kalaf.

Nenne mich nicht. Nach jener unglückſel'gen Schlacht

Bei Aſtrachan, die uns das Reich gekoſtet, Eilt' ich mit meinem Vater zum Palaſt; Schnell rafften wir das Koſtbarſte zuſammen, Was ſich an Edelſteinen fand, und flohn.

In Bauertracht verhüllt durchkreuzten wir, Der König und Elmaze, meine Mutter,

Die Wüſten und das felſigte Gebirg.

Gott! Was erlitten wir nicht da! Am Fuß Des Kaukaſus raubt' eine wilde Horde

Von Malandrinen uns die Schätze; nur

Das nackte Leben blieb uns zum Gewinn.

Wir mußten kämpfen mit des Hungers Qualen Und jedes Elends mannigfacher Not.

Den Vater trug ich bald und bald die Mutter Auf meinen Schultern, eine teure Laſt.

Kaum wehrt' ich ſeiner wütenden Verzweiflung, Daß er den Dolch nicht auf ſein Leben zuckte; Die Mutter hielt ich kaum, daß ſie, von Gram Erſchöpft, nicht niederſank! So kamen wir Nach Jaik endlich, der Tartarenſtadt,

Und hier, an der Moſcheen Tor, mußt' ich Ein Bettler flehen um die magre Koſt,

Der teuren Eltern Leben zu erhalten.

Ein neues Unglück! Unſer grimm'ger Feind, Der Chan von Tefflis, voll Tyrannenfurcht, Mißtrauend dem Gerücht von unſerm Tode, Er ließ durch alle Länder uns verfolgen. Vorausgeeilt fon war uns fein Befehl,

Der alle kleinen Könige ſeiner Herrſchaft Aufbot, uns nachzuſpähn. Nur ſchnelle Flucht Entzog uns ſeiner Spürer Wachſamkeit Ach wo verbärg' ſich ein gefallner König!

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124 Turandot, Prinzeſſin von China

Barak. O nichts mehr! Eure Worte ſpalten mir Das Herz! Ein großer Fürſt in ſolchem Elend! Doch ſagt! Lebt mein Gebieter noch, und lebt Elmaze, meine Königin?

Aalaf.

Sie leben. Und wiſſe, Barak! In der Not allein Bewähret ſich der Adel großer Seelen. Wir kamen in der Karazanen Land; Dort in den Gärten König Keikobads Mußt' ich zu Knechtes Dienſten mich bequemen, Dem bittern Hungertode zu entfliehn. Mich ſah Adelma dort, des Königs Tochter, Mein Anblick rührte ſie, es ſchien ihr Herz Von zärtlichern Gefühlen als des Mitleids Sich für den fremden Gärtner zu bewegen. Scharf ſieht die Liebe, nimmer glaubte ſie Mich zu dem Los, wo ſie mich fand, geboren.

Doch weiß ich nicht, welch böſen Sternes Macht

Der Karazanen König Keikobad

Verblendete, den mächt'gen Altoum,

Den Großchan der Chineſen, zu bekriegen. Das Volk erzählte Seltſames davon.

Was ich berichten kann, iſt dies: beſiegt Ward Keikobad, ſein ganzer Stamm vertilgt, Adelma ſelbſt mit ſieben andern Töchtern Des Königs ward ertränkt in einem Strome. Wir aber flohen in ein andres Land,

So kamen wir nach langen Irren endlich Zu Berlas an Was bleibt mir noch zu ſagen? Vier Jahre lang ſchafft' ich den Eltern Brot, Daß ich um dürft'ges Taglohn Laſten trug.

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Erſter Aufzug. 1. Auftritt 125

Barak. Nicht weiter, Prinz. Vergeſſen wir das Elend, Da ich Euch jetzt in kriegeriſchem Schmuck Und Heldenſtaat erblicke. Sagt, wie endlich Das Glück Euch günſtig ward? Kalaf. Mir günſtig! Höre!

Dem Chan von Berlas war ein edler Sperber Entwiſcht, den er in hohem Werte hielt. Ich fand den Sperber, überbracht' ihn ſelbſt Dem König Dieſer fragt nach meinem Namen; Ich gebe mich für einen Elenden, Der ſeine Eltern nährt mit Laſtentragen. Drauf ließ der Chan den Vater und die Mutter Im Hoſpital verſorgen.

(Er hält inne.)

Barak! Dort,

Im Aufenthalt des allerhöchſten Elends, Dort iſt dein König deine Königin. Auch dort nicht ſicher, dort noch in Gefahr, Erkannt zu werden und getötet!

Barak.

Ralaf. Mir ließ der Kaiſer dieſe Börſe reichen, Ein ſchönes Pferd und dieſes Ritterkleid. Den greiſen Eltern ſag' ich Lebewohl; „Ich gehe“, rief ich, „mein Geſchick zu ändern, Wo nicht, dies traur'ge Leben zu verlieren!“ Was taten ſie nicht, mich zurückzuhalten Und, da ich ſtandhaft blieb, mich zu begleiten! Verhüt' es Gott, daß ſie, von Angſt gequält, Nicht wirklich meinen Spuren nachgefolgt! Hier bin ich nun, zu Peckin, unerkannt,

Gott!

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126 Turandot, Prinzeſſin von China

Viel hundert Meilen weit von meiner Heimat; Entſchloſſen komm' ich her, dem großen Chan Vom Lande China als Soldat zu dienen, Ob mir vielleicht die Sterne günſtig ſind, Durch tapfre Tat mein Schickſal zu verbeſſern. Ich weiß nicht, welche Feſtlichkeit die Stadt Mit Fremden füllt, daß kein Karvanſerai Mich aufnahm dort in jener ſchlechten Hütte Gab eine Frau aus gutem Herzen mir Herberge. Barak, Prinz, das iſt mein Weib.

Kalaf. Dein Weib? Preiſe dein Glück, daß es ein fühlend Herz Zur Gattin dir gegeben! (Er reicht ihm die Hand.) Jetzt leb' wohl. Ich geh' zur Stadt. Mich treibt's, die Feſtlichkeit Zu ſehn, die ſo viel Menſchen dort verſammelt. Dann zeig' ich mich dem großen Chan und bitt' Ihn um die Gunſt, in ſeinem Heer zu dienen. (Er will fort. Barak hält ihn zurück.) Barak. Bleibt, Prinz! Wo wollt Ihr hin? Mögt Ihr das Aug' An einem grauſenvollen Schauſpiel weiden? O wiſſet, edler Prinz Ihr kamt hieher Auf einen Schauplatz unerhörter Taten. Kalaf. Wie ſo? Was meinſt du? ö Barak. Wie, Ihr wißt es nicht, Daß Turandot, des Kaiſers einz'ge Tochter, Das ganze Reich in Leid verſenkt und Tränen?

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Erſter Aufzug. 1. Auftritt 127 Kalaf.

Ja, ſchon vorlängſt im Karazanenland

Hört' ich dergleichen und die Rede ging,

Es ſei der Prinz des Königs Keikobad

Auf eine ſeltſam jammervolle Art

Zu Peckin umgekommen Eben dies

Hab' jenes Kriegesfeuer angeflammt,

Das mit dem Falle ſeines Reichs geendigt.

Doch manches glaubt und ſchwatzt ein dummer Pöbel, Worüber der Verſtänd'ge lacht darum

Sag' an, wie ſich's verhält mit dieſer Sache.

Barak. Des Großchans einz'ge Tochter, Turandot, Durch ihren Geiſt berühmt und ihre Schönheit, Die keines Malers Pinſel noch erreicht, | Wie viele Bildniſſe von ihr auch in der Welt Herumgehn, hegt ſo übermüt'gen Sinn, So großen Abſcheu vor der Ehe Banden, Daß ſich die größten Könige umſonſt Um ihre Hand bemüht

Kalaf. Das alte Märchen Vernahm ich ſchon am Hofe Keikobads Und lachte drob Doch fahre weiter fort.

Barak. Es iſt kein Märchen. Oft ſchon wollte ſie Der Chan, als einz'ge Erbin ſeines Reichs, Mit Söhnen großer Könige vermählen Stets widerſetzte ſich die ſtolze Tochter, Und ach! zu blind iſt ſeine Vaterliebe, Als daß er Zwang zu brauchen ſich erkühnte. Viel ſchwere Kriege ſchon erregte ſie Dem Vater, und obgleich noch immer Sieger

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128 Turandot, Prinzeſſin von China

In jedem Kampf, ſo iſt er doch ein Greis,

Und unbeerbt wankt er dem Grabe zu.

Drum ſprach er einsmals ernſt und wohlbedächtlich Zu ihr die ſtrengen Worte: „Störrig Kind! Entſchließe dich einmal, dich zu vermählen.

Wo nicht, ſo ſinn' ein ander Mittel aus,

Dem Reich die ew'gen Kriege zu erſparen; Denn ich bin alt; zu viele Könige ſchon

Hab' ich zu Feinden, die dein Stolz verſchmähte. Drum nenne mir ein Mittel, wie ich mich

Der wiederholten Werbungen erwehre,

Und leb' hernach und ſtirb, wie dir's gefällt.“ Erſchüttert ward von dieſem ernſten Wort

Die Stolze, rang umſonſt, ſich loszuwinden,

Die Kunſt der Tränen und der Bitten Macht Erſchöpfte ſie, den Vater zu bewegen;

Doch unerbittlich blieb der Chan Zuletzt Verlangt ſie von dem unglückſel'gen Vater, Verlangt Hört, was die Furie verlangte!

Kalaf. Ich hab's gehört. Das abgeſchmackte Märchen Hab' ich ſchon oft belacht Hör', ob ich's weiß! Sie fordert' ein Edikt von ihrem Vater, Daß jedem Prinzen königlichen Stamms Vergönnt ſein ſoll', um ihre Hand zu werben. Doch dieſes ſollte die Bedingung ſein: Im öffentlichen Divan, vor dem Kaiſer Und ſeinen Räten allen wollte ſie Drei Rätſel ihm vorlegen. Löſte ſie Der Freier auf, ſo mög' er ihre Hand Und mit derſelben Kron' und Reich empfangen. Löſt er ſie nicht, ſo ſoll der Kaiſer ſich Durch einen heil'gen Schwur auf ſeine Götter

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Erſter Aufzug. 1. Auftritt 129

Verpflichten, den Unglücklichen enthaupten Zu laſſen. Sprich, iſt's nicht ſo? Nun vollende Dein Märchen, wenn du's kannſt für langer Weile.

Barak. Mein Märchen? Wollte Gott! Der Kaiſer zwar Empört' ſich erſt dagegen, doch die Schlange Verſtand es, bald mit Schmeichelbitten, bald Mit liſt'ger Redekunſt das furchtbare Geſetz dem ſchwachen Alten zu entlocken. „Was iſt's dann auch?“ ſprach ſie mit arger Liſt, „Kein Prinz der Erde wird ſo töricht ſein, In ſolchem blut'gen Spiel ſein Haupt zu wagen! Der Freier Schwarm zieht ſich geſchreckt zurück, Ich werd' in Frieden leben. Wagt es dennoch Ein Raſender, ſo iſt's auf ſeine eigne Gefahr, und meinen Vater trifft kein Tadel, Wenn er ein heiliges Geſetz vollzieht!“ Beſchworen ward das unnatürliche

Geſetz und kund gemacht in allen Landen. (Da Kalaf den Kopf ſchüttelt.)

Ich wünſchte, daß ich Märchen nur erzählte Und ſagen dürfte: alles war ein Traum!

Kalaf. Weil du's erzählſt, ſo glaub' ich das Geſetz. Doch ſicher war kein Prinz wahnſinnig gnug, Sein Haupt daran zu ſetzen.

Barak (zeigt nach dem Stadttor). Sehet, Prinz! Die Köpfe alle, die dort auf den Toren Zu ſehen ſind, gehörten Prinzen an, Die toll genug das Abenteuer wagten

Und kläglich ihren Untergang drin fanden, Schillers Werke. IX.

130 Turandot, Pringeffin von China

235 Weil ſie die Rätſel dieſer Sphinx zu löſen Nicht fähig waren. Kalaf. Grauſenvoller Anblick! Und lebt ein ſolcher Tor, der ſeinen Kopf Wagt, um ein Ungeheuer zu beſitzen! Barak. Nein! Sagt das nicht. Wer nur ihr Konterfei 24⁰ Erblickt, das man ſich zeigt in allen Ländern, Fühlt ſich bewegt von ſolcher Zaubermacht, Daß er ſich blind dem Tod entgegen ſtürzt, Das göttergleiche Urbild zu beſitzen.

Kalaf.

Barak. Nein wahrlich! Auch der Klügſte.

25 Heut' ijt der Zulauf hier, weil man den Prinzen

Von Samarkandga, den verſtändigſten,

Den je die Welt geſehn, enthaupten wird.

Der Chan beſeufzt die fürchterliche Pflicht,

Doch ungerührt frohlockt die ſtolze Schöne.

(Man hört in der Ferne den Schall von gedämpften Trommeln.) 250 Hört! Hört Ihr! dieſer dumpfe Trommelklang

Verkündet, daß der Todesſtreich geſchieht;

Ihn nicht zu ſehen, wich ich aus der Stadt.

Kalaf. Barak, du ſagſt mir unerhörte Dinge. Was? Konnte die Natur ein weibliches 25 Geſchöpf wie dieſe Turandot erzeugen, So ganz an Liebe leer und Menſchlichkeit?

Barak. Mein Weib hat eine Tochter, die im Harem Als Sklavin dient und uns Unglaubliches

Irgend ein Geck.

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Erſter Aufzug. 2. Auftritt 131

Von ihrer ſchönen Königin berichtet.

Ein Tiger iſt ſie, dieſe Turandot,

Doch gegen Männer nur, die um ſie werben. Sonſt iſt ſie gütig gegen alle Welt:

Stolz iſt das einz'ge Laſter, das ſie ſchändet.

Kalaf. Zur Hölle, in den tiefſten Schlund hinab Mit dieſen Ungeheuern der Natur, Die kalt und herzlos nur ſich ſelber lieben! Wär' ich ihr Vater, Flammen ſollten ſie Verzehren.

Barak.

Hier kommt Ismael, der Freund

Des Prinzen, der ſein Leben jetzt verloren. Er kommt voll Tränen Ismael!

2. Auftritt Ismael zu den Vorigen.

Ismael (reicht dem Barak die Hand, heftig weinend). Er hat Gelebt Der Streich des Todes iſt gefallen. Ach! Warum fiel er nicht auf dieſes Haupt!

Barak. Barmherz'ger Himmel! Doch warum ließt Ihr Geſchehn, daß er im Divan der Gefahr Sich bloßgeſtellt?

Asmael.

Mein Unglück braucht noch Vorwurf.

Gewarnt hab' ich, beſchworen und gefleht, Wie es mein Herz, wie's meine Pflicht mich lehrte

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Beruhigt Euch.

132 Turandot, Prinzeſſin von China

Umſonſt! Des Freundes Stimme wurde nicht Gehört, die Macht der Götter riß ihn fort.

Barak.

Ismael, Beruhigen? Niemals! Niemals! Ich hab' ihn ſterben ſehen. Sein Gefährte War ich in ſeinem letzten Augenblick, Und ſeine Abſchiedsworte gruben ſich Wie ſpitz'ge Dolche mir ins tiefſte Herz. „Weine nicht!“ ſprach er. „Gern und freudig ſterb' ich, Da ich die Liebſte nicht beſitzen kann. Mag es mein teurer Vater mir vergeben, Daß ich ohn' Abſchied von ihm ging. Ach, nie Hätt' er die Todesreiſe mir geſtattet! Zeig' ihm dies Bildnis!

(Er zieht ein kleines Porträt an einem Band aus dem Buſen.) Wenn er dieſe Schönheit

Erblickt, wird er den Sohn entſchuldigen.“ Und an die Lippen drückt' er jetzt, lautſchluchzend, Mit heft'gen Küſſen dies verhaßte Bild, Als könnt' er, ſterbend ſelbſt, nicht davon ſcheiden; Drauf kniet' er nieder, und mit einem Streich Noch zittert mir das Mark in den Gebeinen Sah ich Blut ſpritzen, ſah den Rumpf hinfallen Und hoch in Henkers Hand das teure Haupt; Entſetzt und troſtlos riß ich mich von dannen.

(Wirft das Bild in heftigem Unwillen auf den Boden.) Verhaßtes, ewig fluchenswertes Bild! Liege du hier, zertreten, in dem Staub! Könnt' ich ſie ſelbſt, die Tigerherzige, Mit dieſem Fußtritt ſo wie dich zermalmen! Daß ich dich meinem König überbrächte!

Erſter Aufzug. 3. Auftritt 133

30s Nein, mich ſoll Samarkand nicht wieder ſehn.

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In eine Wüſte will ich fliehn und dort, Wo mich kein menſchlich Ohr vernimmt, auf ewig Um meinen vielgeliebten Prinzen weinen. (Geht ab.)

3. Auftritt Kalaf und Barak.

Barak (nach einer Pauſe). Prinz Kalaf, habt Ihr's nun gehört?

Ralaf. Ich ſtehe Ganz voll Verwirrung, Schrecken und Erſtaunen. Wie aber mag dies unbeſeelte Bild,

Das Werk des Malers ſolchen Zauber wirken? (Er will das Bildnis von der Erde nehmen.)

Barak leilt auf ihn zu und hält ihn zurück). Was macht Ihr! Große Götter! Kalaf (lächelnd). Nun! Ein Bildnis Nehm' ich vom Boden auf. Ich will ſie doch Betrachten, dieſe mörderiſche Schönheit. (Greift nach dem Bildnis und hebt es von der Erde auf.) Barak (ihn haltend). Euch wäre beſſer, der Meduſa Haupt Als dieſe tödliche Geſtalt zu ſehn. Weg! Weg damit! Ich kann es nicht geſtatten.

Ralaf. Du biſt nicht klug. Wenn du ſo ſchwach dich fühlſt, Ich bin es nicht. Des Weibes Reiz hat nie Mein Aug' gerührt, auch nur auf Augenblicke,

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134 Turandot, Prinzeſſin von China

Viel weniger mein Herz beſiegt. Und was Lebend'ge Schönheit nie bei mir vermocht, Das ſollten tote Pinſelſtriche wirken? Unnütze Sorgfalt, Barak Mir liegt andres Am Herzen als der Liebe Narrenſpiel. (Will das Bildnis anſchauen.) Barak. Dennoch, mein Pring Ich warn’ Euch Tut es nicht. Kalaf (ungeduldig). Zum Henker, Einfalt! Du beleidigſt mich. (Stößt ihn zurück, ſieht das Bild Ais 21 gerät in Erſtaunen. Nach einer auſe. Was ſeh' ich!

Barak (ringt verzweifelnd die Hände). Weh mir! Welches Unglück!

Kalaf (faßt ihn lebhaft bei der Hand).

Barak!

(Will reden, ſieht aber wieder auf das Bild und betrachtet es mit Ent⸗ zücken.)

Barak (vor ſich). Seid Zeugen, Götter Ich, ich bin nicht ſchuld, Ich hab' es nicht verhindern können.

Kalaf. Barak! In dieſen holden Augen, dieſer ſüßen Geſtalt, in dieſen ſanften Zügen kann Das harte Herz, wovon du ſprichſt, nicht wohnen!

Barak. Unglücklicher, was hör' ich? Schöner noch Unendlichmal, als dieſes Bildnis zeigt, Iſt Turandot, ſie ſelbſt! Nie hat die Kunſt Des Pinſels ihren ganzen Reiz erreicht, Doch ihres Herzens Stolz und Grauſamkeit

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Erſter Aufzug. 3. Auftritt 135

Kann keine Sprache, keine Zunge nennen. O werft es von Euch, dies unſelige Verwünſchte Bildnis! Euer Auge ſauge Kein tödlich Gift aus dieſer Mordgeſtalt!

Aalaf.

Hinweg! Vergebens ſuchſt du mich zu ſchrecken! Himmliſche Anmut! Warme glühende Lippen! Augen der Liebesgöttin! Welcher Himmel,

Die Fülle dieſer Reize zu beſitzen!

(Er ſteht in den Anblick des Bildes verloren, plötzlich wendet er ſich zu

Barak und ergreift ſeine Hand.) Barak! Verrat mich nicht Jetzt oder nie! Dies iſt der Augenblick, mein Glück zu wagen. Wozu dies Leben ſparen, das ich haſſe? Ich muß auf einen Zug die ſchönſte Frau Der Erde und ein Kaiſertum mit ihr Gewinnen, oder dies verhaßte Leben Auf einen Zug verlieren Schönſtes Werk! Pfand meines Glücks und meine ſüße Hoffnung! Ein neues Opfer iſt für dich bereit Und drängt ſich wagend zu der furchtbarn Probe. Sei gütig gegen mich Doch, Barak, ſprich! Ich werde doch im Divan, eh' ich ſterbe, Das Urbild ſelbſt von dieſen Reizen ſehn?

(Indem ſieht man die fürchterliche Larve eines Nachrichters ſich über dem Stadttor erheben und einen neuen Kopf über demſelben aufpflanzen der vorige Schall verſtimmter Trommeln begleitet dieſe Handlung.)

Barak. Ach fehet! ſehet, teurer Prinz, und ſchaudert! Dies iſt das Haupt des unglückſel'gen Jünglings Wie es Euch anſtarrt! Und dieſelben Hände, Die es dort aufgepflanzt, erwarten Euch. O kehret um! kehrt um! Nicht möglich iſt's, Die Rätſel dieſer Löwin aufzulöſen.

136 Turandot, Pringeffin von China

Ich ſeh' im Geiſt ſchon Euer teures Haupt, Ein Warnungszeichen allen Jünglingen, In dieſer furchtbarn Reihe ſich erheben.

Ralaf chat das aufgeſteckte Haupt mit Nachdenken und Rührung betrachtet).

870 Verlorner Jüngling! Welche dunkle Macht Reißt mich geheimnisvoll, unwiderſtehlich Hinauf in deine tödliche Geſellſchaft? (Er bleibt nachſinnend ſtehen, dann wendet er ſich zu Barak.) Wozu die Tränen, Barak? Haſt du mich Nicht einmal ſchon für tot beweint? Komm! Komm! 876 Entdecke keiner Seele, wer ich bin. Vielleicht wer weiß, ob nicht der Himmel, ſatt, Mich zu verfolgen, mein Beginnen ſegnet Und meinen armen Eltern Troſt verleiht. Wo nicht was hat ein Elender zu wagen? 380 Für deine Liebe will ich dankbar ſein,

Wenn ich die Rütſel löſe Lebe wohl! (Er will gehen, Barak hält ihn zurück, unterdeſſen kommt Skirina, Baraks

Weib, aus dem Hauſe.) Barak. Nein, nimmermehr! Komm mir zu Hilfe, Frau! Laß ihn nicht weg Er geht, er iſt verloren, Der teure Fremdling geht, er will es wagen, 86 Die Rätſel dieſer Furie zu löſen.

4. Auftritt

Skirina zu den Vorigen.

Kkirina (tritt ihm in den Weg). O weh! Was hör' ich? Seid Ihr nicht mein Gaſt? Was treibt den zarten Jüngling in den Tod?

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Erſter Aufzug. 5. Auftritt 137

Kalaf. Hier, gute Mutter! Dieſes Götterbild

Ruft mich zu meinem Schickſal. (Beigt ihr das Bildnis.)

Skirina. Wehe mir! Wie kam das höll'ſche Bild in ſeine Hand?

Barak, Durch bloßen Zufall.

Kalaf (tritt zwiſchen beide).

Haſſan! gute Frau! Zum Dank für eure Gaſtfreundſchaft behaltet Mein Pferd, auch dieſe Börſe nehmet hin, Sie iſt mein ganzer Reichtum Ich ich brauche Fortan nichts weiter denn ich komm' entweder Reich wie ein Kaiſer, oder nie zurück! Wollt ihr, ſo opfert einen Teil davon Den ew'gen Göttern, teilt den Armen aus, Damit fie Glück auf mich herab erflehen; Lebt wohl Ich muß in mein Verhängnis gehen!

(Er eilt in die Stadt.)

5. Auftritt Barak und Skirina.

Bar ak (will ihm folgen). Mein Herr! Mein armer Herr! Umſonſt! Er geht! Er hört mich nicht. Skirina (neugierig). Dein Herr? Du kennſt ihn alſo? O ſprich, wer iſt der edelherz'ge Fremdling, Der ſich dem Tode weiht?

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138 Turandot, Pringeffin von China

Barak.

Laß dieſe Neugier. Er iſt geboren mit ſo hohem Geiſt, Daß ich nicht ganz an dem Erfolg verzweifle. Komm, Skirina. All dieſes Gold laß uns Und alles, was wir eigenes beſitzen, = Dem Fohi opfern und den Armen ſpenden: Gebete ſollen ſie für ihn gen Himmel ſenden Und ſollen wund ſich knien an den Altären,

Bis die erweichten Götter ſie erhören! (Sie gehen nach ihrem Hauſe.)

Zweiter Aufzug

Großer Saal des Divans mit zwei Pforten, davon die eine zu den Zimmern des Kaiſers, die andere ins Serail der Prinzeſſin Turandot führt.

1. Auftritt

Truffaldin als Anführer der Verſchnittenen ſteht gravitätiſch in der Mitte der Szene und befiehlt ſeinen Schwarzen, welche beſchäftigt ſind, den Saal in Ordnung zu bringen. Bald darauf Brigella.

Truffaldin. Friſch an das Werk! Rührt euch! Gleich wird der Divan Beiſammen ſein. Die Teppiche gelegt, Die Throne aufgerichtet! Hier zur Rechten Kommt kaiſerliche Majeſtät, links meine Scharmante Hoheit die Prinzeß zu ſitzen!

Brigella (kommt und fieht ſich verwundernd um). Mein! Sagt mir, Truffaldin, was gibt's denn Neues, Daß man den Divan ſchmückt in ſolcher Eile?

Zweiter Aufzug. 1. Auftritt 139 Truffaldin

(ohne auf ihn zu hören, zu den Schwarzen).

420 Acht Seſſel dorthin für die Herrn Doktoren!

Sie haben hier zwar nicht viel zu dozieren,

Doch müſſen ſie, weil's was Gelehrtes gibt, Mit ihren langen Bärten figurieren.

Brigella. So redet doch! Warum, wozu das alles?

Truffaldin. 46 Warum? Wozu? Weil ſich die Majeſtät Und meine ſchöne Königin, mit ſamt Den acht Doktoren und den Exzellenzen, Sogleich im Divan hier verſammeln werden. 's hat ſich ein neuer, friſcher Prinz gemeldet, 430 Den's jückt, um einen Kopf ſich zu verkürzen.

Brigella. Was? Nicht drei Stunden ſind's, daß man den letzten

Hat abgetan Truffaldin.

Ja, Gott ſei Dank. Es geht Von ſtatten, die Geſchäfte gehen gut.

Brigella. ° Und dabei könnt Ihr ſcherzen, roher Kerl! 435 Euch freut wohl das barbariſche Gemetzel?

Truffaldin.

Warum ſoll mich's nicht freuen? Setzt doch immer Für meinen Schnabel was, wenn ſo ein Neuer Die große Reiſe macht denn jedesmal, Daß meine Hoheit an der Hochzeitklippe

440 Vorbeiſchifft, gibt's im Harem Hochzeitkuchen. Das iſt einmal der Brauch, wir tun's nicht anders: So viele Köpfe, ſo viel Feiertage!

140 Turandot, Prinzeſſin von China

Brigella. Das ſind mir heillos niederträchtige Geſinnungen, ſo ſchwarz wie Eure Larve.

445 Man ſieht's Euch an, daß Ihr ein Halbmann ſeid, Ein ſchmutziger Eunuch! Ein Menſch, ich meine Einer, der ganz iſt, hat ein menſchlich Herz Im Leib und fühlt Erbarmen.

Truffaldin. Was! Erbarmen!

Es heißt kein Menſch die Prinzen ihren Hals 40 Nach Peckin tragen, niemand ruft fie her.

Sind ſie freiwillig ſolche Tollhausnarren,

Mögen ſie's haben! Auf dem Stadttor ſteht's

Mit blut'gen Köpfen leſerlich geſchrieben,

Was hier zu holen iſt Wir nehmen keinem 456 Den Kopf, der einen mitgebracht. Der hat

Ihn ſchon verloren, längſt, der ihn hier ſetzt!

Brigella. Ein ſaubrer Einfall, den galanten Prinzen, Die ihr die Ehr' antun und um ſie werben, Drei Rätſel aufzugeben und, wenn's einer 40 Nicht auf der Stelle trifft, ihn abzuſchlachten!

Truffaldin.

Mit nichten, Freund! Das iſt ein prächtiger,

Exzellenter Einfall! Werben kann ein jeder,

Es iſt nichts leichter als aufs Freien reiſen.

Man lebt auf fremde Koſten, tut ſich gütlich, 4 Legt fic) dem künft'gen Schwäher in das Haus,

Und mancher jüngre Sohn und Krippenreiter,

Der alle ſeine Staaten mit ſich führt

Im Mantelſack, lebt bloß vom Körbeholen.

Es war nicht anders hier als wie ein großes

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Zweiter Aufzug. 1. Auftritt 141

Wirtshaus von Prinzen und von Abenteurern, Die um die reiche Kaiſertochter freiten,

Denn auch der Schlechtſte dünkt ſich gut genug, Die Hände nach der Schönſten auszuſtrecken. Es war wie eine Freikomödie,

Wo alles kommt, bis meine Königin

Auf den ſcharmanten Einfall kam, das Haus In vier und zwanzig Stunden rein zu machen. Eine andre hätte ihre Liebeswerber

Auf blutig ſchwere Abenteuer aus

Geſendet, ſich mit Rieſen 'rum zu ſchlagen, Dem Schach zu Babel, wenn er Tafel hält, Drei Backenzähne höflich auszuziehen,

Das tanzende Waſſer und den ſingenden Baum Zu holen und den Vogel, welcher redet Nichts von dem allen! Rätſel haben ihr Beliebt! Drei zierlich wohlgeſetzte Fragen! Man kann dabei bequem und ſäuberlich

In warmer Stube ſitzen, und kein Schuh Wird naß! Der Degen kommt nicht aus der Scheide, Der Witz, der Scharfſinn aber muß heraus.

Brigella, die verſteht's! die hat's gefunden, Wie man die Narren ſich vom Leibe hält!

Brigelia. 's kann einer ein rechtſchaffner Kavalier Und Ehmann ſein und doch die ſpitz'gen Dinger, Die Rätſel juſt nicht handzuhaben wiſſen.

Truffaldin. Da ſiehſt du, Kamerad, wie gut und ehrlich Es die Prinzeß mit ihrem Freier meint, Daß ſie die Rätſel vor der Hochzeit aufgibt. Nachher wär's noch viel ſchlimmer. Löſt er ſie Jetzt nicht, ei nun, ſo kommt er ſchnell und kurz

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142 Turandot, Prinzeſſin von China

Mit einem friſchen Gnadenhieb davon. Doch wer die ſtachelichten Rätſel nicht Auflöſt, die ſeine Frau ihm in der Eh' Aufgibt, der iſt verleſen und verloren!

Brigella. Ihr feid ein Narr, mit Euch iſt nicht zu reden. So mögen's denn meintwegen Rätſel ſein, Wenn ſie einmal die Wut hat, ihren Witz Zu zeigen Aber muß ſie denn die Prinzen Juſt köpfen laſſen, die nicht ſinnreich gnug Für ihre Rätſel ſind Das iſt ja ganz Barbariſch, raſend toll und unvernünftig. Wo hat man je gehört, daß man den Leuten Den Hals abſchneidet, weil ſie ſchwer begreifen?

Truffaldin. Und wie, du Schafskopf, will ſie ſich der Narren Erwehren, die ſich klug zu ſein bedünken, Wenn weiter nichts dabei zu wagen iſt, Als einmal ſich im Divan zu beſchimpfen? Auf die Gefahr hin, ſich zu proſtituieren Mit heiler Haut, läuft jeder auf dem Eis. Wer fürchtet ſich vor Rätſeln? Rätſel ſind's Gerad, was man fürs Leben gern mag hören. Das hieß den Köder ſtatt des Popanz's brauchen. Und wäre man auch wegen der Prinzeſſin Und ihres vielen Gelds daheim geblieben, So würde man der Rätſel wegen kommen. Denn jedem iſt ſein Scharfſinn und ſein Witz Am Ende lieber als die ſchönſte Frau!

Brigella. Was aber kommt bei dieſem ganzen Spiel Heraus, als daß ſie ſitzen bleibt? Kein Mann,

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Zweiter Aufzug. 2. Auftritt 143

Der ſeine Ruh liebt und bei Sinnen iſt, Wird ſo ein ſpitz'ges Nadelkiſſen nehmen.

Truffaldin. Das große Unglück, keinen Mann zu kriegen! (Man hört einen Marſch in der Ferne.)

Brigella. Der Kaiſer kommt. Truffaldin.

Marſch ihr in eure Küche!

Ich gehe, meine Hoheit herzuholen. (Gehen ab zu verſchiedenen Seiten.)

2. Auftritt

Ein Zug von Soldaten und Spielleuten. Darauf acht Doktoren, pedantiſch herausſtaffiert; alsdann Pantalon und Tartaglia, beide in Charaktermasken. Zuletzt der Großchan Altoum, in chineſiſchem Geſchmack mit einiger Übertreibung gekleidet. Pantalon und Tartaglia ſtellen ſich dem kaiſerlichen Thron gegenüber, die acht Doktoren in den Hintergrund, das übrige Gefolge auf die Seite, wo der kaiſerliche Thron iſt. Beim Eintritt des Kaiſers werfen ſich alle mit ihren Stirnen auf die Erde und verharren in dieſer Stellung, bis er den Thron beſtiegen hat. Die Dok⸗ toren nehmen auf ihren Stühlen Platz. Auf einen Wink, den Pantalon gibt, ſchweigt der Marſch. Altoum.

Wann, treue Diener, wird mein Jammer enden?

Kaum iſt der edle Prinz von Samarkand

Begraben, unſre Tränen fließen noch,

Und ſchon ein neues Todesopfer naht,

Mein blutend Herz von neuem zu verwunden.

Grauſame Tochter! Mir zur Qual geboren!

Was hilft's, daß ich den Augenblick verfluche,

Da ich auf das barbariſche Geſetz

Dem furchtbaren Fohi den Schwur getan.

Nicht brechen darf ich meinen Schwur, nicht rühren

Läßt ſich die Tochter, nicht zu ſchrecken ſind

Die Freier! Nirgends Rat in meinem Unglück!

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144 Turandot, Prinzeſſin von China

Pantalon. Rat, Majeſtät? Hat ſich da was zu raten! Bei mir zu Hauſe, in der Chriſten Land, In meiner lieben Vaterſtadt Venedig, Schwört man auf ſolche Mordgeſetze nicht, Man weiß nichts von ſo närriſchen Mandaten. Da hat man gar kein Beiſpiel und Exempel, Daß ſich die Herrn in Bilderchen vergafft Und ihren Hals gewagt für ihre Mädchen. Kein Frauensmenſch bei uns geboren wird, Wie Dame Kieſelſtein, die alle Männer Verſchworen hätte Gott ſoll uns bewahren! Das fiel uns auch im Traum nicht ein. Als ich Daheim noch war, in meinen jungen Jahren, Eh' mich die Ehrenſache, wie Ihr wißt, Von Hauſe trieb und meine guten Sterne An meines Kaiſers Hof hieher geführt, Wo ich als Kanzler mich jetzt wohl befinde, Da wußt' ich nichts von China, als es ſei Ein trefflichs Pulver gegens kalte Fieber. Und jetzt erſtaun' ich über alle Maßen, Daß ich ſo kuriöſe Bräuche hier Vorfinde, ſo kurjoſe Schwüre und Geſetze Und ſo kurjoſe Fraun und Herrn. Erzählt' ich in Europa dieſe Sachen, Sie würden mir unter die Naſe lachen.

Altoum. N Tartaglia, habt Ihr den neuen Wagehals Beſuchtꝰ Tartaglia. Ja, Majeſtät. Er hat den Flügel Des Kaiſerſchloſſes inn', den man gewöhnlich Den fremden Prinzen anzuweiſen pflegt.

Zweiter Aufzug. 2. Auftritt 145

Ich bin entzückt von ſeiner angenehmen Geſtalt und ſeinen prinzlichen Manieren 's iſt jammerſchade um das junge Blut, Daß man es auf die Schlachtbank führen ſoll. sso s Herz bricht mir! Ein fo angenehmes Prinzchen! Ich bin verliebt in ihn. Weiß Gott! Ich ſah In meinem Leben keinen hübſchern Buben!

Altoum. Unſeliges Geſetz! Verhaßter Schwur! Die Opfer ſind dem Fohi doch gebracht, 585 Daß er dem Unglückſeligen fein Licht Verleihe, dieſe Rätſel zu ergründen? Ach, nimmer geb' ich dieſer Hoffnung Raum!

Pantalon. An Opfern, Majeſtät, ward nichts geſpart. Dreihundert fette Ochſen haben wir 50 Dem Tien dargebracht, dreihundert Pferde Der Sonne, und dem Mond dreihundert Schweine.

Altoum. So ruft ihn denn vor unſer Angeſicht! (Ein Teil des Gefolges entfernt ſich.) Man ſuch' ihm ſeinen Vorſatz auszureden. Und ihr, gelehrte Lichter meines Divans, 595 Kommt mir zu Hilfe, nehmt das Wort für mich, Laßt's nicht an Gründen fehlen, wenn mir ſelbſt Der Schmerz die Zunge bindet.

Pantalon. Majeſtät! Wir werden unſern alten Witz nicht ſparen, Den wir in langen Jahren eingebracht. 600 Was hilft's? Wir predigen und ſprechen uns

Die Lungen heiſer, und er läßt ſich eben

Den Hals abſtechen, wie ein welſches Huhn. Schillers Werke. IX. 10

146 Turandot, Prinzeſſin von China

Tartaglia. Mit Eurer Gunſt, Herr Kanzler Pantalon! Ich habe Scharfſinn und Verſtand bei ihm cos Bemerkt, wer weiß! Ich will nicht ganz verzagen.

Pantalon. Die Rätſel dieſer Schlange ſollt' er löſen? Nein! Nimmermehr!

3. Auftritt

Die Vorigen. Kalaf, von einer Wache begleitet. Er kniet vor dem Kaiſer nieder, die Hand auf der Stirn.

Altoum (nachdem er ihn eine Zeitlang betrachtet). Steh auf, unkluger Jüngling. (Kalaf ſteht auf und ſtellt ſich mit edelm Anſtand in die Mitte des Divans.) Die reizende Geſtalt! der edle Anſtand! Wie mir's ans Herz greift! Sprich, Unglücklicher. 610 Wer biſt du? Welches Land gab dir das Leben?

Ralaf

(ſchweigt einen Augenblick verlegen, dann mit einer edeln Verbeugung). Monarch, vergönne, daß ich meinen Namen Verſchweige.

Altoum. Wie? Mit welcher Stirn darfſt du, Ein unbekannter Fremdling, namenlos, Um unſre kaiſerliche Tochter werben?

Aalaf. eis Ich bin von königlichem Blut, ein Prinz geboren. Verhängt der Himmel meinen Tod, ſo ſoll Mein Name, mein Geſchlecht, mein Vaterland Kund werden, eh' ich ſterbe, daß die Welt Erfahre, nicht unwürdig hab' ich mich

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Zweiter Aufzug. 3. Auftritt 147

Des Bundes angemaßt mit deiner Tochter. Für jetzt geruhe meines Kaiſers Gnade Mich unerkannt zu laſſen.

Altoum. Welcher Adel In ſeinen Worten! Wie beklag' ich ihn! Doch wie, wenn du die Rätſel nun gelöſt, Und nicht von würd' ger Herkunft

Kalaf. Das Geſetz,

Monarch, iſt nur für Könige geſchrieben. Verleihe mir der Himmel, daß ich ſiege, Und dann, wenn ich unköniglichen Stamms Erfunden werde, ſoll mein fallend Haupt Die Schuld der kühnen Anmaßung bezahlen; Und unbeerdigt liege mein Gebein, Der Krähen Beute und der wilden Tiere. Schon eine Seele lebt in dieſer Stadt, Die meinen Stand und Namen kann bezeugen. Für jetzt geruhe meines Kaiſers Gnade Mich unerkannt zu laſſen.

Altoum.

Wohl! C3 fei! Dem Adel deiner Mienen, deiner Worte, Holdſel'ger Jüngling, kann ich Glauben nicht, Gewährung nicht verſagen Mögſt auch du Geneigt ſein, einem Kaiſer zu willfahren, Der hoch von ſeinem Thron herab dich fleht! Entweiche, o entweiche der Gefahr, Der du verblendet willſt entgegenſtürzen, Steh ab und fordre meines Reiches Hälfte. So mächtig ſpricht's für dich in meiner Bruſt, Daß ich dir gleichen Teil an meinem Thron

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148 Turandot, Pringefjin von China

Auch ohne meiner Tochter Hand verſpreche. O zwinge du mich nicht, Tyrann zu ſein! Schon ſchwer genug drückt mich der Völker Fluch, Das Blut der Prinzen, die ich hingeopfert; Drum, wenn das eigne Unglück dich nicht rührt, Laß meines dich erbarmen! Spare mir

Den Jammer, deine Leiche zu beweinen,

Die Tochter zu verfluchen und mich ſelbſt,

Der die Verderbliche gezeugt, die Plage

Der Welt, die bittre Quelle meiner Tränen!

Kalaf. Beruhige dich, Sire. Der Himmel weiß, Wie ich im tiefſten Herzen dich beklage. Nicht wahrlich von ſo mildgeſinntem Vater Hat Turandot Unmenſchlichkeit geerbt. Du haſt nicht Schuld, es wäre denn Verbrechen, Sein Kind zu lieben und das Götterbild, Das uns bezaubert und uns ſelbſt entrückt, Der Welt geſchenkt zu haben Deine Großmut Spar' einem Glücklicheren auf. Ich bin Nicht würdig, Sire, dein Reich mit dir zu teilen. Entweder iſt's der Götter Schluß und Rat, Durch den Beſitz der himmliſchen Prinzeſſin Mich zu beglücken oder enden ſoll Dies Leben, ohne ſie mir eine Laſt! Tod oder Turandot. Es gibt kein Drittes.

Pantalon. Ei ſagt mir, liebe Hoheit! Habt Ihr Euch Die Köpfe überm Stadttor wohl beſehn? Mehr ſag' ich nicht. Was, Herr, in aller Welt Treibt Euch, aus fernen Landen herzukommen

Und Euch friſch weg, wie Ihr vom Pferd geſtiegen,

Mir nichts, dir nichts, wie einen Ziegenbock

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Zweiter Aufzug. 3. Auftritt 149

Abtun zu laſſen? Dame Turandot, Das ſeid gewiß, dreht Euch drei Rätſelchen, Daran die ſieben Weiſen Griechenlands Mit ſamt den ſiebenzig Dolmetſchern ſich Die Nägel Jahre lang umſonſt zerkauten. Wir ſelbſt, fo alte Practiei und grau Geworden übern Büchern, haben Not, Das Tiefe dieſer Rätſel zu ergründen. Es ſind nicht Rätſel aus dem Kinderfreund, Nicht ſolches Zeug, wie das: „Wer's ſieht, für den iſt's nicht beſtellt, Wer's braucht, der zahlt dafür kein Geld, Wer's macht, der will's nicht ſelbſt ausfüllen, Wer's bewohnt, der tut es nicht mit Willen.“ Nein, es ſind Rätſel von dem neuſten Schnitt Und ſind verfluchte Nüſſe aufzuknacken. Und wenn die Antwort nicht zum guten Glück Auf dem Papier, das man drei Herrn Doktoren Verſiegelt übergibt, geſchrieben ſtünde, Sie möchten's Euch mit allem ihrem Witz In einem Säkulum nicht ausſtudieren. Darum, Herr Milchbart, zieht in Frieden heim. Ihr jammert mich, ſeid ein ſo junges Blut, Und ſchade wär's um Eure ſchönen Haare. Beharrt Ihr aber drauf, ſo ſteht ein Rettich Des Gärtners feſter, Herr, als Euer Kopf.

Kalaf. Ihr ſprecht verlorne Worte, guter Alter. Tod oder Turandot!

Tartaglia (ſtotternd). . Tu Turandot!

Zum Henker! Welcher Steifſinn und Verblendung! Hier ſpielt man nicht um welſche Nüſſe, Herr,

150 Turandot, Pringefjin von China

Noch um Kaſtanien 's iſt um den Kopf Zu tun den Kopf Bedenkt das wohl. Ich will 710 Sonſt keinen Grund anführen als den einen. Er iſt nicht klein den Kopf! Es gilt den Kopf. Die Majeſtät höchſtſelbſt, auf ihrem Thron, Läßt ſich herab, Euch väterlich zu warnen Und abzuraten dreihundert Pferde ſind m5 Der Sonne dargebracht, dreihundert Ochſen Dem höchſten Himmelsgott, dreihundert Kühe Den Sternen, und dem Mond dreihundert Schweine, Und Ihr ſeid ſtörrig gnug und undankbar, Das kaiſerliche Herz ſo zu betrüben? 7220 Wär überall auch keine andre Dame Mehr in der Welt als dieſe Turandot, Blieb's immer doch ein loſer Streich von Euch, Nehmt mir's nicht übel, junger Herr. Es iſt, Weiß Gott! die pure Liebe und Erbarmnis, 725 Die mich ſo frei läßt von der Leber ſprechen. Den Kopf verlieren! Wißt Ihr, was das heißt? Es iſt nicht möglich Kalaf. So in Wind zu reden! Ihr habt in Wind geſprochen, alter Meiſter. Tod oder Turandot! Altoum. Nun denn, ſo hab' es!

730 Verderbe dich, und mich ſtürz' in Verzweiflung. (Zu der Wache.) Man geh' und rufe meine Tochter her. (Wache geht hinaus.) Sie kann ſich heut' am zweiten Opfer weiden.

Kalaf (gegen die Tür gewendet, in heftiger Bewegung). Sie kommt! Ich ſoll ſie ſehen! Ew'ge Mächte! Das iſt der große Augenblick! o ſtärket

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Zweiter Aufzug. 4. Auftritt 151

Mein Herz, daß mich der Anblick nicht verwirre, Des Geiſtes Helle nicht mit Nacht umgebe:

Ich fürchte keine als der Schönheit Macht,

Ihr Götter! Gebt, daß ich mir ſelbſt nicht fehle! Ihr ſeht es, meine Seele wankt, Erwartung Durchzittert mein Gebein und ſchnürt das Herz Mir in der Bruſt zuſammen. Weiſe Richter Des Divans! Richter über meine Tage!

O zeiht mich nicht ſtrafbaren Übermuts,

Daß ich das Schickſal zu verſuchen wage! Bedauert mich! Beweint den Unglücksvollen! Ich habe hier kein Wählen und kein Wollen! Unwiderſtehlich zwingend reißt es mich

Von hinnen, es iſt mächtiger als ich.

4. Auftritt

Man hört einen Marſch. Truffald in tritt auf, den Säbel an der Schulter, die Schwarzen hinter ihm; darauf mehrere Sklavinnen, die zu den Trommeln gecompagnieren. Nach diefen Adelma und Zelima, jene in tartariſchem Anzug, beide verſchleiert. Zelima trägt eine Schüſſel mit ver⸗ ſiegelten Papieren. Truffaldin und ſeine Schwarzen werfen ſich im Vor- beiziehen vor dem Kaiſer mit der Stirn auf die Erde und ſtehen ſogleich wieder auf; die Sklavinnen knieen nieder mit der Hand auf der Stirn. Zuletzt erſcheint Turandot, verſchleiert, in reicher chineſiſcher Kleidung, majeſtätiſch und ſtolz. Die Räte und Doktoren werfen ſich vor ihr mit dem Angeſicht auf die Erde; Altoum ſteht auf, die Prinzeſſin macht ihm, die Hand auf der Stirn, eine abgemeſſene Verbeugung, ſteigt dann auf ihren Thron und ſetzt ſich, Zelima und Adelma nehmen zu ihren beiden Seiten Platz, und die letztere den Zuſchauern am nächſten. Truffaldin nimmt der Zelima die Schüſſel ab und verteilt unter lächerlichen Zere⸗ monien die Zettel unter die acht Doktoren. Darauf entfernt er ſich mit denſelben Verbeugungen wie am Anfang, und der Marſch hört auf.

Turandot (nach einer langen Pauſe). Wer iſt's, der ſich aufs neu vermeſſen ſchmeichelt, Nach ſo viel kläglich warnender Erfahrung, In meine tiefen Rätſel einzudringen! Der, ſeines eignen Lebens Feind, die Zahl Der Todesopfer zu vermehren kommt!

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152 Turandot, Pringeffin von China

Altoum (zeigt auf Kalaf, der erſtaunt in der Mitte des Divans ſteht).

Der iſt es, Tochter würdig wohl iſt er's, Daß du freiwillig zum Gemahl ihn whleſt, Ohn' ihn der furchtbarn Probe auszuſetzen Und neue Trauer dieſem Land, dem Herzen Des Vaters neue Stacheln zu bereiten.

Turandot (nachdem fie ihn eine Zeitlang betrachtet, leiſe zur Zelima).

O Himmel! Wie geſchieht mir, Zelima! Zelima. Was iſt dir, Königin? Turandot. Noch keiner trat Im Divan auf, der dieſes Herz zu rühren Verſtanden hätte. Dieſer weiß die Kunſt.

Zelima. Drei leichte Rätſel denn, und Stolz, fahr hin!

Turandot. Was ſagſt du? Wie, Verwegne? Meine Ehre?

Adelma (bat während dieſer Reden den wor ic 5 höchſtem Erſtaunen betrachtet, vor ſich).

Täuſcht mich ein Traum? Was ſeh' ich, große Götter! Er iſt's! der ſchöne Jüngling iſt's, den ich Am Hofe meines Vaters Keikobad Als niedern Knecht geſehn! Er war ein Prinz! Ein Königsſohn! Wohl ſagte mir's mein Herz, O meine Ahnung hat mich nicht betrogen.

Turandot. Prinz! Noch iſt's Zeit. Gebt das verwegene Beginnen auf! Gebt's auf! Weicht aus dem Divan. Der Himmel weiß, daß jene Zungen lügen, Die mich der Härte zeihn und Grauſamkeit.

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Zweiter Aufzug. 4. Auftritt 153

Ich bin nicht grauſam. Frei nur will ich leben. Bloß keines andern will ich ſein; dies Recht, Das auch dem Allerniedrigſten der Menſchen Im Leib der Mutter anerſchaffen iſt, Will ich behaupten, eine Kaiſerstochter. Ich ſehe durch ganz Aſien das Weib Erniedrigt und zum Sklavenjoch verdammt, Und rächen will ich mein beleidigtes Geſchlecht An dieſem ſtolzen Männervolke, dem Kein andrer Vorzug vor dem zärtern Weibe Als rohe Stärke ward. Zur Waffe gab Natur mir den erfindenden Verſtand Und Scharfſinn, meine Freiheit zu beſchützen. Ich will nun einmal von dem Mann nichts wiſſen, Ich haſſ' ihn, ich verachte ſeinen Stolz Und Übermut Nach allem Köſtlichen Streckt er begehrlich ſeine Hände aus; Was ſeinem Sinn gefällt, will er beſitzen. Hat die Natur mit Reizen mich geſchmückt, Mit Geiſt begabt warum iſt's denn das Los Des Edeln in der Welt, daß es allein Des Jägers wilde Jagd nur reizt, wenn das Gemeine In ſeinem Unwert ruhig ſich verbirgt? Muß denn die Schönheit eine Beute ſein Für einen? Sie iſt frei ſo wie die Sonne, Die allbeglückend herrliche am Himmel, Der Quell des Lichts, die Freude aller Augen, Doch keines Sklavin und Leibeigentum. Kalaf. So hoher Sinn, ſo ſeltner Geiſtesadel In dieſer göttlichen Geſtalt! Wer darf Den Jüngling ſchelten, der ſein Leben Für ſolchen Kampfpreis freudig ſetzt! Wagt doch Der Kaufmann, um geringe Güter, Schiff

154 Turandot, Prinzeſſin von China

Und Mannſchaft an ein wildes Element, Es jagt der Held dem Schattenbild des Ruhms 810 Durchs blut'ge Feld des Todes nach Und nur Die Schönheit wär' gefahrlos zu erwerben, Die aller Güter erſtes, höchſtes iſt? Ich alſo zeih' Euch keiner Grauſamkeit, Doch nennt auch Ihr den Jüngling nicht verwegen sis Und haßt ihn nicht, weil er mit glühnder Seele Nach dem Unſchätzbaren zu ſtreben wagt! Ihr ſelber habt ihm ſeinen Preis geſetzt, Womit es zu erkaufen iſt die Schranken Sind offen für den Würdigen Ich bin 820 Ein Prinz, ich hab' ein Leben dran zu wagen. Kein Leben zwar des Glücks, doch iſt's mein Alles, Und hätt' ich's tauſendmal, ich gäb' es hin.

Zelima (leiſe zu Turandot). Hört Ihr, Prinzeſſin? Um der Götter willen! Drei leichte Rätſel! Er verdient's.

Adelma. sx Wie edel! Welche Liebenswürdigkeit! O daß er mein ſein könnte! Hätt' ich damals Gewußt, daß er ein Prinz geboren ſei, Als ich der ſüßen Freiheit mich noch freute! O welche Liebe flammt in meiner Bruſt, 830 Seitdem ich ihn mir ebenbürtig weiß. Mut, Mut, mein Herz. Ich muß ihn noch beſitzen. (Zu Turandot.) Prinzeſſin! Ihr verwirret Euch! Ihr ſchweigt! Bedenket Euren Ruhm! Es gilt die Ehre! Turandot. Und er allein riß mich zum Mitleid hin!

83s Nein, Turandot! Du mußt dich ſelbſt beſiegen. Verwegener, wohlan! Macht Euch bereit!

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Zweiter Aufzug. 4. Auftritt 155

Altoum. Prinz, Ihr beharrt noch?

Aalaf. Sire! Ich wiederhol' es: Tod oder Turandot! (Pantalon und Tartaglia gebärden ſich ungeduldig.)

Altoum. So leſe man

Das blutige Mandat. Er hör's und zittre!

(Tartaglia nimmt das Geſetzbuch aus dem Buſen, küßt es, legt es ſich auf die Bruſt, hernach auf die Stirn, dann überreicht er's dem Pantalon.)

Pantalon (empfängt das Geſetzbuch, nachdem er ſich mit der Stirn auf die Erde ge⸗ worfen, ſteht auf und lieſt dann mit lauter Stimme).

„Es kann ſich jeder Prinz um Turandot bewerben, Doch erſt drei Rätſel legt die Königin ihm vor.

Löſt er ſie nicht, muß er vom Beile ſterben,

Und ſchaugetragen wird ſein Haupt auf Peckins Tor. Löſt er die Rätſel auf, hat er die Braut gewonnen.

So lautet das Geſetz. Wir ſchwören's bei der Sonnen.“

(Nach geendigter Vorleſung küßt er das Buch, legt es ſich auf die Bruſt und Stirn und überreicht es dem Tartaglia, der ſich mit der Stirn auf die Erde wirft, es empfängt und dem Altoum präſentiert.)

Altoum hebt die rechte Hand empor und legt fie auf das Buch). O Blutgeſetz! du meine Qual und Pein!

Ich ſchwör's bei Fohis Haupt, du ſollſt vollzogen ſein. (Tartaglia ſteckt das Buch wieder in den Buſen, es herrſcht eine lange Stille.)

Turandot (in deklamatoriſchem Ton, aufſtehend).

Der Baum, auf dem die Kinder Der Sterblichen verblühn, Steinalt, nichts deſto minder Stets wieder jung und grün,

Er kehrt auf einer Seite Die Blätter zu dem Licht,

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156 Turandot, Prinzeſſin von China

Doch kohlſchwarz iſt die zweite Und ſieht die Sonne nicht.

Er ſetzet neue Ringe, So oft er blühet, an; Das Alter aller Dinge Zeigt er den Menſchen an; In ſeine grüne Rinden Drückt ſich ein Name leicht, Der nicht mehr iſt zu finden, Wenn ſie verdorrt und bleicht. So ſprich, kannſt du's ergründen,

Was dieſem Baume gleicht? (Sie ſetzt ſich wieder.)

Kalaf (nachdem er eine Zeitlang nachdenkend in die Höhe geſehn, verbeugt er ſich gegen die Prinzeſſin).

Zu glücklich, Königin, iſt Euer Sklav,

Wenn keine dunklern Rätſel auf ihn warten.

Dieſer alte Baum, der immer ſich erneut,

Auf dem die Menſchen wachſen und verblühen,

Und deſſen Blätter auf der einen Seite

Die Sonne ſuchen, auf der andern fliehen,

In deſſen Rinde ſich ſo mancher Name ſchreibt,

Der nur, ſo lang' ſie grün iſt, bleibt:

Er iſt das Jahr mit ſeinen Tagen und Nächten.

Pantalon (freudig). Tartaglia! Getroffen! Tartaglia. Auf ein Haar! Doktoren erbrechen ihre Zettel). Optime! Optime! Optime! das Jahr,

Das Jahr, das Jahr, es iſt das Jahr. (Muſik fällt ein.)

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Zweiter Aufzug. 4. Auftritt 157

Altoum (freudig). Der Götter Gnade ſei mit dir, mein Sohn, Und helfe dir auch durch die andern Rätſel!

Zelima (beiſeite). O Himmel, ſchütz' ihn!

Adelma (gegen die Zuſchauer). Himmel, ſchütz' ihn nicht! Laß nicht geſchehn, daß ihn die Grauſame Gewinne und die Liebende verliere!

Turandot lentrüſtet vor ſich). Er ſollte ſiegen? Mir den Ruhm entreißen? Nein, bei den Göttern! (Zu Kalaf.) Selbſtzufriedner Tor! Frohlocke nicht zu früh! Merk' auf und löſe! (Steht wieder auf und fährt in deklamatoriſchem Tone fort.) Kennſt du das Bild auf zartem Grunde? Es gibt ſich ſelber Licht und Glanz, Ein andres iſt's zu jeder Stunde, Und immer iſt es friſch und ganz. Im engſten Raum iſt's ausgeführet, Der kleinſte Rahmen faßt es ein, Doch alle Größe, die dich rühret, Kennſt du durch dieſes Bild allein.

Und kannſt du den Kriſtall mir nennen? Ihm gleicht an Wert kein Edelſtein, Er leuchtet, ohne je zu brennen, Das ganze Weltall ſaugt er ein, Der Himmel ſelbſt iſt abgemalet In ſeinem wundervollen Ring. Und doch iſt, was er von ſich ſtrahlet, Oft ſchöner, als was er empfing.

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158 Turandot, Prinzeſſin von China

Kalaf (nach einem kurzen Nachdenken ſich gegen die Prinzeſſin verbeugend).

Zürnt nicht, erhabne Schöne, daß ich mich Erdreiſte, Eure Rätſel aufzulöſen.

Dies zarte Bild, das, in den kleinſten Rahmen Gefaßt, das Unermeßliche uns zeigt,

Und der Kriſtall, in dem dies Bild ſich malt

Und der noch Schönres von ſich ſtrahlt

Er iſt das Aug', in das die Welt ſich drückt, Dein Auge iſt's, wenn es mir Liebe blickt.

Pantalon (springt freudig auf). Tartaglia! Mein' Seel! Ins ſchwarze Fleck Geſchoſſen. Tartaglia.

Mitten hinein, ſo wahr ich lebe!

Doktoren (haben die Zettel eröffnet). Optime! Optime! Optime! Das Auge, das Auge, Es iſt das Auge. (Muſik fällt ein.) Altoum. Welch unverhofftes Glück! Ihr güt'gen Götter! O laßt ihn auch das letzte Ziel noch treffen!

Zelima (beiſeite). O wäre dies das letzte!

Adelma (gegen die Zuſchauer). Weh mir! Er ſiegt! Er iſt für mich verloren. (Zu Turandot.) Prinzeſſin, Euer Ruhm iſt hin! Könnt Ihr's Ertragen? Eure vor'gen Siege alle Verſchlingt ein einz'ger Augenblick. Turandot (ſteht auf in heftigem Zorn). Eh' ſoll Die Welt zu Grunde gehn! Verwegner, wiſſe!

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Zweiter Aufzug. 4. Auftritt 159

Ich haſſe dich nur deſto mehr, je mehr Du hoffſt, mich zu beſiegen, zu beſitzen. Erwarte nicht das letzte Rätſel! Flieh! Weich aus dem Divan! Rette deine Seele!

Kalaf. Nur Euer Haß iſt's, angebetete Prinzeſſin, was mich ſchreckt und ängſtiget. Dies unglückſel'ge Haupt ſink' in den Staub, Wenn es nicht wert war, Euer Herz zu rühren.

Altoum. Steh ab, geliebter Sohn. Verſuche nicht Die Götter, die dir zweimal günſtig waren. Jetzt kannſt du dein gerettet Leben noch, Gekrönt mit Ehre, aus dem Divan tragen. Nichts helfen dir zwei Siege, wenn der dritte Dir, der entſcheidende, mißlingt je näher Dem Gipfel, deſto ſchwerer iſt der Fall. Und du laß es genug ſein, meine Tochter, Steh ab, ihm neue Rätſel vorzulegen. Er hat geleiſtet, was kein andrer Prinz Vor ihm. Gib ihm die Hand, er iſt ſie wert, Und endige die Proben.

(Zelima macht flehende, Adelma drohende Gebärden gegen Turandot.)

Turandot. Ihm die Hand? Die Proben ihm erlaſſen? Nein, drei Rätſel Sagt das Geſetz. Es habe ſeinen Lauf. Kalaf. Es habe ſeinen Lauf. Mein Schickſal liegt In Götterhand. Tod oder Turandot!

Turandot. Tod alſo! Tod! Hörſt du's? (Sie ſteht auf und fährt auf die vorige Art zu deklamieren fort.)

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160 Turandot, Prinzeſſin von China

Wie heißt das Ding, das wen'ge ſchätzen, Doch ziert's des größten Kaiſers Hand? Es iſt gemacht, um zu verletzen,

Am nächſten iſt's dem Schwert verwandt.

Kein Blut vergießt's und macht doch tauſend Wunden,

Niemand beraubt's und macht doch reich,

Es hat den Erdkreis überwunden,

Es macht das Leben ſanft und gleich.

Die größten Reiche hat's gegründet,

Die ältſten Städte hat's erbaut,

Doch niemals hat es Krieg entzündet,

Und Heil dem Volk, das ihm vertraut.

Fremdling, kannſt du das Ding nicht raten,

So weich aus dieſen blühenden Staaten!

(Mit den letzten Worten reißt ſie ſich ihren Schleier ab.)

Sieh her und bleibe deiner Sinne Meiſter!

Stirb oder nenne mir das Ding!

Kalaf (auger ſich, hält die Hand vor die Augen). O Himmelsglanz! O Schönheit, die mich blendet!

Altoum. Gott, er verwirrt ſich, er iſt außer ſich. Faſſ' dich, mein Sohn! O ſammle deine Sinne!

Zelima (vor ſich). Mir bebt das Herz.

Adelma (gegen die Zuſchauer). Mein biſt du, teurer Fremdling. Ich rette dich, die Liebe wird mich's lehren.

Pantalon (zu Kalaf). Um Gottes willen! Nicht den Kopf verloren. Nehmt Euch zuſammen. Herz gefaßt, mein Prinz! O weh, o weh! Ich fürcht', er iſt geliefert.

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Zweiter Aufzug. 4. Auftritt 161

Tartaglia (gravitätiſch vor ſich). Ließ' es die Würde zu, wir gingen ſelbſt zur Küche Nach einem Eſſigglas. Turandot

(hat den Prinzen, der noch immer außer Faſſung daſteht, unverwandt be⸗

trachtet). : Unglücklicher! Du wollteſt dein Verderben. Hab' es nun!

Ralaf

(hat ſich gefaßt und verbeugt fid mit einem ruhigen Lächeln gegen Turandot).

Nur Eure Schönheit, himmliſche Prinzeſſin,

Die mich auf einmal überraſchend, blendend Umleuchtete, hat mir auf Augenblicke

Den Sinn geraubt. Ich bin nicht überwunden. Dies Ding von Eiſen, das nur wen'ge ſchätzen, Das Chinas Kaiſer ſelbſt in ſeiner Hand

Zu Ehren bringt am erſten Tag des Jahrs,

Dies Werkzeug, das, unſchuld'ger als das Schwert, Dem frommen Fleiß den Erdkreis unterworfen Wer träte aus den öden wüſten Steppen

Der Tartarei, wo nur der Jäger ſchwärmt,

Der Hirte weidet, in dies blühende Land

Und ſähe rings die Saatgefilde grünen

Und hundert volkbelebte Städte ſteigen,

Von friedlichen Geſetzen ſtill beglückt,

Und ehrte nicht das köſtliche Geräte,

Das allen dieſen Segen ſchuf den Pflug?

Pantalon. O ſei gebenedeit! Laß dich umhalſen. Ich halte mich nicht mehr für Freud' und Jubel.

Tartaglia. Gott ſegne Eure Majeſtät. Es iſt

Vorbei, und aller Jammer hat ein Ende. Schillers Werke. IX. 11

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162 Turandot, Pringefjin von China

Doktoren (haben die Zettel geöffnet). Der Pflug! Der Pflug! Es iſt der Pflug! (Alle Inſtrumente fallen ein mit großem Geräuſch. Turandot iſt auf ihrem Thron in Ohnmacht geſunken.) Belima (um Turandot beſchäftigt). Blickt auf, Prinzeſſin! Faſſet Euch. Der Sieg Iſt ſein, der ſchöne Prinz hat überwunden.

Adelma lan die Zuſchauer).

Der Sieg iſt ſein! er iſt für mich verloren. Nein, nicht verloren! Hoffe noch, mein Herz! (Altoum iſt voll Freude, bedient von Pantalon und Tartaglia, vom Throne geſtiegen. Die Doktoren erheben ſich alle von ihren Sitzen und ziehen ſich nach dem Hintergrund. Alle Türen werden geöffnet. Man erblickt

Volk. Alles dies geſchieht, während die Muſik fortdauert.)

Altoum (zu Turandot).

Nun hörſt du auf, mein Alter zu betrüben, Grauſames Kind! Genug iſt dem Geſetz Geſchehen, alles Unglück hat ein Ende. Kommt an mein Herz, geliebter Prinz, mit Freuden Begrüß' ich Euch als Eidam!

Turandot (ift wieder zu ſich gekommen und ſtürzt in ſinnloſer Wut von ihrem Throne, zwiſchen beide ſich werfend).

Haltet ein! Er hoffe nicht, mein Ehgemahl zu werden. Die Probe war zu leicht. Er muß aufs neu' Im Divan mir drei andre Rätſel löſen. Man überraſchte mich. Mir ward nicht Zeit Vergönnt, mich zu bereiten, wie ich ſollte.

Altoum. Grauſame Tochter! deine Friſt iſt um! Nicht hoffe mehr, uns liſtig zu beſchwatzen. Erfüllt iſt die Bedingung des Geſetzes, Mein ganzer Divan ſoll den Ausſpruch tun.

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Zweiter Aufzug. 4. Auftritt 163

Pantalon. Mit Eurer Gunſt, Prinzeſſin Kieſelherzl Es braucht nicht neue Rätſel zuzuſpitzen Und neue Köpfe abzuhacken Da! Hier ſteht der Mann! der hat's erraten! Kurz: Das Geſetz hat ſeine Endſchaft, und das Eſſen Steht auf dem Tiſch Was ſagt der Herr Kollega?

Tartaglia. Das Geſetz iſt aus. Ganz aus, und damit Punktum. Was ſagen Ihre Würden, die Doktoren?

Doktoren. Das Geſetz iſt aus. Das Köpfen hat ein Ende. Auf Leid folgt Freud. Man gebe ſich die Hände.

Altoum. So trete man den Zug zum Tempel an. Der Fremde nenne ſich, und auf der Stelle Vollziehe man die Trauung

Turandot (wirft ſich ihm in den Weg).

Aufſchub, Vater! Um aller Götter willen!

Altoum. Keinen Aufſchub!

Ich bin entſchloſſen. Undankbares Kind! Schon allzulang' zu meiner Schmach und Pein Willfahr' ich deinem grauſamen Begehren. Dein Urteil iſt geſprochen; mit dem Blut Von zehen Todesopfern iſt's geſchrieben, Die ich um deinetwillen morden ließ. Mein Wort hab' ich gelöſt, nun löſe du Das deine, oder bei dem furchtbarn Haupt Des Fohi ſei's geſchworen

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164 Turandot, Prinzeſſin von China

Turandot (wirft ſich zu ſeinen Füßen). O mein Vater! Nur einen neuen Tag vergönnt mir

Altoum. Nichts! Ich will nichts weiter hören. Fort zum Tempel.

Turandot (außer ſich). So werde mir der Tempel denn zum Grab! Ich kann und will nicht ſeine Gattin ſein, Ich kann es nicht. Eh' tauſend Tode ſterben, Als dieſem ſtolzen Mann mich unterwerfen. Der bloße Name ſchon, ſchon der Gedanke, Ihm untertan zu ſein, vernichtet mich.

Kalaf.

Grauſame! Unerbittliche, ſteht auf! Wer könnte Euren Tränen widerſtehn?

(Zu Altoum.) Laßt Euch erbitten, Sire. Ich flehe ſelbſt Darum. Gönnt ihr den Aufſchub, den ſie fordert. Wie könnt' ich glücklich ſein, wenn ſie mich haßt. Zu zärtlich lieb' ich ſie Ich kann's nicht tragen, Ihr Leiden, ihren Schmerz zu ſehn Fühlloſe! Wenn dich des treuſten Herzens treue Liebe Nicht rühren kann, wohlan, ſo triumphiere! Ich werde nie dein Gatte ſein mit Zwang. O ſäheſt du in dies zerrißne Herz, Gewiß, du fühlteſt Mitleid dich gelüſtet Nach meinem Blut? Es fei darum. Verſtattet, Die Probe zu erneuern, Sire Willkommen Iſt mir der Tod. Ich wünſche nicht zu leben.

Altoum. Nichts. Nichts. Es iſt beſchloſſen. Fort zum Tempel. Kein anderer Verſuch Unkluger Jüngling!

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Zweiter Aufzug. 4. Auftritt 165

Turandot (fährt raſend auf).

Zum Tempel denn! Doch am Altar wird Eure Tochter Zu ſterben wiſſen. (Sie zieht einen Dolch und will gehen.)

Kalaf.

Sterben! Große Götter! Nein, eh' es dahin kommt Hört mich, mein Kaiſer! Gönn' Eure Gnade mir die einz'ge Gunſt. Zum zweiten Male will ich ihr im Divan, Ich ihr, ein Rätſel aufzulöſen geben. Und dieſes iſt: Wes Stamms und Namens iſt Der Prinz, der, um das Leben zu erhalten, Gezwungen ward, als niedrer Knecht zu dienen Und Laſten um geringen Lohn zu tragen; Der endlich auf dem Gipfel ſeiner Hoffnung Noch unglückſel'ger iſt als je zuvor? Grauſame Seele! Morgen früh im Divan Nennt mir des Vaters Namen und des Prinzen. Vermögt Ihr's nicht, ſo laßt mein Leiden enden Und ſchenkt mir dieſe teure Hand. Nennt Ihr Die Namen mir, ſo mag mein Haupt zum Opfer fallen.

Turandot. Ich bin's zufrieden, Prinz. Auf die Bedingung Bin ich die Eurige. Zelima (vor ſich). Ich ſoll von neuem zittern!

Adelma (feitwarts). Ich darf von neuem hoffen!

Altoum. Ich bin's nicht Zufrieden. Nichts geſtatt' ich. Das Geſetz Will ich vollzogen wiſſen.

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166 Turandot, Prinzeſſin von China

Kalaf (fäut ihm zu Füßen).

Mächt'ger Kaiſer! Wenn Bitten dich bewegen wenn du mein, Wenn du der Tochter Leben liebſt, ſo duld' es! Bewahren mich die Götter vor der Schuld, Daß ſich ihr Geiſt nicht ſättige. Er weide Mit Wolluſt ſich an meinem Blut Sie löſe Im Divan, wenn ſie Scharfſinn hat, mein Rätſel!

Turandot (vor ſich). Er ſpottet meiner noch, wagt's, mir zu trotzen!

Altoum (zu Kalaß). Unſinniger! Ihr wißt nicht, was Ihr fordert, Wißt nicht, welch einen Geiſt ſie in ſich hat; Das Tiefſte auch verſteht ſie zu ergründen. Sei's denn! Die neue Probe ſei verſtattet! Sie ſei des Bandes mit Euch los, kann ſie Im Divan morgen uns die Namen nennen. Doch eines neuen Mordes Trauerſpiel Geſtatt' ich nicht Errät ſie, was ſie ſoll, So zieht in Frieden Euren Weg Genug Des Blutes iſt gefloſſen. Folgt mir, Prinz! Unkluger Jüngling! Was habt Ihr getan?

(Der Marſch wird wieder gehört. Altoum geht gravitätiſch mit dem Prinzen, Pantalon, Tartaglia, den Doktoren und der Leibwache durch die Pforte ab, durch die er gekommen. Turandot, Adelma, Zelima, Sklavinnen und Truffaldin mit den Verſchnittenen entfernen ſich durch die andere

Pforte, ihren erſten Marſch wiederholend.)

Dritter Aufzug

Ein Zimmer im Serail.

1. Auftritt Adelma allein.

Jetzt oder nie entſpring' ich dieſen Banden. Fünf Jahre trag' ich ſchon den glühnden Haß In meiner Bruſt verſchloſſen, heuchle Freundſchaft 1105 Und Treue für die Grauſame, die mir Den Bruder raubte, die mein ganz Geſchlecht Vertilgte, mich zu dieſem Sklavenlos Herunter ſtieß In dieſen Adern rinnt, Wie in den ihren, königliches Blut, 1110 Ich achte mich, wie ſie, zum Thron geboren. Und dienen ſoll ich ihr, mein Knie ihr beugen, Die meines ganzen Hauſes Mörderin, Die meines Falles blut'ge Urſach iſt. Nicht länger duld' ich den verhaßten Zwang, 1116 Erſchöpft iſt mir die Kraft, ich unterliege Der lang' getragnen Bürde der Verſtellung. Der Augenblick iſt da, mich zu befrein, Die Liebe ſoll den Rettungsweg mir bahnen. All meine Künſte biet' ich auf Entweder 110 Entdeck' ich ſein Geheimnis oder ſchreck' ihn Durch Liſt aus dieſen Mauern weg Verhaßte! Du ſollſt ihn nicht beſitzen! Dieſen Dienſt Will ich, aus falſchem Herzen, dir noch leiſten. Mir ſelber dien' ich, ſüße Rache üb' ich, 1126 Dein Herz zerreiß' ich, da ich deinem Stolz Verrätriſch diene ich durchſchaute dich! Du liebſt ihn, aber darfſt es nicht geſtehn.

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168 Turandot, Prinzeſſin von China

Du mußt ihn von dir ſtoßen und verwerfen, Wider dich ſelber mußt du töricht wüten,

Den lächerlichen Ruhm dir zu bewahren Doch ewig bleibt der Pfeil in deiner Bruſt,

Ich kenn' ihn, nie vernarben ſeine Wunden.

Dein Frieden iſt vorbei! Du haſt empfunden!

(Turandot erſcheint im Hintergrund, auf Zelima gelehnt, welche beſchäftigt

iſt, ſie zu beruhigen.) Sie kommt, ſie iſt's! Verzehrt von Scham und Wut Und von des Stolzes und der Liebe Streit! Wie lab' ich mich an ihrer Seele Pein! Sie nähert ſich Laß hören, was ſie ſpricht!

2. Auftritt

Turandot im Geſpräch mit Zelima. Adelma, anfangs ungeſehen.

Turandot. Hilf, rat mir, Zelima. Ich kann's nicht tragen, Mich vor dem ganzen Divan überwunden Zu geben! Der Gedanke tötet mich.

Zelima. Iſt's möglich, Königin? Ein ſo edler Prinz, So liebeatmend und ſo liebenswert, Kann nichts als Haß und Abſcheu

Turandot. Abſcheu! Haß! (Sie beſinnt ſich.) Ich haſſ' ihn, ja. Abſcheulich iſt er mir! Er hat im Divan meinen Ruhm vernichtet. In allen Landen wird man meine Schande Erfahren, meiner Niederlage ſpotten.

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Dritter Aufzug. 2. Auftritt 169

O rette mich In aller Frühe, will

Mein Vater, ſoll der Divan ſich verſammeln, Und löſ' ich nicht die aufgegebne Frage,

So ſoll in gleichem Augenblick das Band Geflochten ſein „Wes Stamms und Namens iſt Der Prinz, der, um ſein Leben zu erhalten, Gezwungen ward, als niedrer Knecht zu dienen Und Laſten um geringen Preis zu tragen;

Der endlich auf dem Gipfel ſeiner Hoffnung Noch unglückſel'ger iſt als je zuvor?“

Daß dieſer Prinz er ſelbſt iſt, ſeh' ich leicht. Wie aber ſeinen Namen und Geſchlecht Entdecken, da ihn niemand kennt, der Kaiſer Ihm ſelbſt verſtattet, unerkannt zu bleiben? Geängſtigt, wie ich war, geſchreckt, gedrängt, Ging ich die Wette unbedachtſam ein.

Ich wollte Friſt gewinnen Aber wo

Die Möglichkeit, es zu erraten? Sprich!

Wo eine Spur, die zu ihm leiten könnte?

Zelima. Es gibt hier kluge Frauen, Königin, Die aus dem Tee und Kaffeeſatz wahrſagen

Turandot. Du ſpotteſt meiner! Dahin kam's mit mir!

Zelima. Wozu auch überall der fremden Künſte? O ſeht ihn vor Euch ſtehn, den ſchönen Prinzen! Wie rührend ſeine Klage war! Wie zärtlich Er aus zerrißnem Herzen zu Euch flehte! Wie edelmütig er, ſein ſelbſt vergeſſend, Zu Eures Vaters Füßen für Euch bat, Für Euch, die kein Erbarmen mit ihm trug,

170 Turandot, Pringeffin von China

Zum zweitenmal ſein kaum gerettet Leben Darbot, um Eure Wünſche zu vergnügen!

Turandot (weggewendet). Still, ſtill davon! Zelima. Ihr kehrt Euch von mir ab! 1180 Ihr ſeid gerührt! Ja! Ja! Verbergt es nicht! Und eine Träne glänzt in Eurem Auge O ſchämt Euch nicht der zarten Menſchlichkeit! Nie ſah ich Euer Angeſicht ſo ſchön. O macht ein Ende. Kommt

(Adelma iſt im Begriff, hervorzutreten).

Turandot. Nichts mehr von ihm. uss Er ijt ein Mann. Ich half’ ihn, muß ihn haſſen. Ich weiß, daß alle Männer treulos ſind, Nichts lieben können als ſich ſelbſt; hinweg Geworfen iſt an dies verrätriſche Geſchlecht Die ſchöne Neigung und die ſchöne Treue. 1190 Geſchmeid'ge Sklaven, wenn ſie um uns werben, Sind ſie Tyrannen, gleich, wo ſie beſitzen. Das blinde Wollen, den gereizten Stolz, Das eigenſinnig heftige Begehren, Das nennen ſie ihr Lieben und Verehren. 1195 Das reißt fie blind zu unerhörter Tat, Das treibt ſie ſelber auf den Todespfad; Das Weib allein kennt wahre Liebestreue. Nicht weiter, ſag' ich dir. Gewinnt er morgen, Iſt mir der Tod nicht ſchrecklicher als er. 1200 Mich ſäh' die Welt, die mir gehäſſig iſt, Zu dem gemeinen Los herabgewürdigt, An eines Mannes und Gebieters Hand! Nein, nein! So tief ſoll Turandot nicht ſinken!

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Dritter Aufzug. 2. Auftritt 171

Ich ſeine Braut! Eh' in das offne Grab

Mich ſtürzen als in eines Mannes Arme! (Adelma hat ſich wieder zurückgezogen.)

Zelima. Wohl mag's Euch koſten, Königin, ich glaub' es, Von Eurer ſtolzen Höh herabzuſteigen, Auf der die Welt Euch ſtaunend hat geſehn. Was iſt der eitle Ruhm, wenn Liebe ſpricht? Geſteht es! Eure Stunde iſt gekommen! Weg mit dem Stolze! Weicht der ſtärkeren Gewalt Ihr haßt ihn nicht, könnt ihn nicht haſſen. Warum dem eignen Herzen widerſtreben? Ergebt Euch dem geliebten Mann, und mag Alsdann die Welt die Glückliche verhöhnen!

Adelman (ift horchend nach und nach näher gekommen und tritt jetzt hervor).

Wer von geringem Stand geboren iſt,

Dem ſteht es an, wie Zelima zu denken.

Ein königliches Herz fühlt königlich.

Vergib mir, Zelima! Dir iſt es nicht gegeben, An einer Fürſtin Platz dich zu verſetzen,

Die ſich ſo hoch wie unſre Königin

Geſtellt und jetzt, vor aller Menſchen Augen, Im Divan ſo herunter ſteigen ſoll,

Von einem ſchlechten Fremdling überwunden. Mit meinen Augen ſah ich den Triumph,

Den ſtolzen Hohn in aller Männer Blicken, Als er die Rätſel unſrer Königin,

Als wären's Kinderfragen, ſpielend löſte,

Der überlegnen Einſicht ſtolz bewußt.

O in die Erde hätt' ich ſinken mögen

Für Scham und Wut Ich liebe meine ſchöne Gebieterin, ihr Ruhm liegt mir am Herzen.

172 Turandot, Pringeffin von China

Sie, die dem ganzen Volk der Männer Hohn Geſprochen, dieſes Mannes Frau!

Turandot. Erbittre mich 1235 Nicht mehr! Belin. Das große Unglück, Frau zu werden! Adelma.

Schweig, Zelima. Man will von dir nicht wiſſen, Wodurch ein edles Herz beleidigt wird. Ich kann nicht ſchmeicheln. Grauſam wär' es, hier Zu ſchonen und die Wahrheit zu verhehlen. 1240 Iſt es ſchon hart genug, daß wir den Mann, Den übermütigen, zum Herrn uns geben, So liegt doch Troſt darin, daß wir uns ſelbſt Mit freier Wahl und Gunſt an ihn verſchenken, Und ſeine Großmut feſſelt ſeinen Stolz. 12s Doch welches Los trifft unſre Königin, Wie hat ſie ſelbſt ſich ihr Geſchick verſchlimmert! Nicht ihrer freien Gunſt und Zärtlichkeit, Sich ſelbſt nur, ſeinem ſiegenden Verſtand Wird ſie der Stolze zu verdanken haben. 1250 Als ſeine Beute führt er fie davon Wird er ſie achten, Großmut an ihr üben, Die keine gegen ihn bewies, auf Tod Und Leben ihn um ſie zu kämpfen zwang, Ihm nur als Preis des Sieges heimgefallen? 1265 Wird er beſcheiden ſeines Rechtes brauchen, Das er nur ſeinem Recht verdankt?

Turandot (in der heftigſten Bewegung). Adelma, wiſſe! Find' ich die Namen nicht, mitten im Tempel Durchſtoß' ich dieſe Bruſt mit einem Dolch.

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Dritter Aufzug. 2. Auftritt 173

Adelma. Faßt Mut, Gebieterin. Verzweifelt nicht! Kunſt oder Liſt muß uns das Rätſel löſen.

Zelima. Gut. Wenn Adelma mehr verſteht als ich Und Euch ſo zugetan iſt, wie ſie ſagt, So helfe ſie und ſchaffe Rat. Turandot. Adelma! Geliebte Freundin! Hilf mir, ſchaffe Rat!

Ich kenn' ihn nicht, weiß nicht, woher er kommt Wie kann ich ſein Geſchlecht und Namen wiſſen? Adelma (nachſinnend).

Laß ſehn Ich hab' es Hörte man ihn nicht Im Divan ſagen, hier in dieſer Stadt,

In Peckin lebe jemand, der ihn kenne?

Man muß nachſpüren, muß die ganze Stadt Umkehren, weder Gold noch Schätze ſparen

Turandot. Nimm Gold und Edelſteine, ſpare nichts. Kein Schatz iſt mir zu groß, nur daß ich's wiſſe!

Zelima.

An wen uns damit wenden? Wo uns Rats Erholen? Und geſetzt wir fänden wirklich Auf dieſem Wege ſeinen Stand und Namen, Wird es verborgen bleiben, daß Beſtechung, Nicht ihre Kunſt das Rätſel uns verraten?

Adelma. Wird Zelima wohl der Verräter ſein?

Zelima. Das geht zu weit Spart Euer Gold, Prinzeſſin! Ich ſchwieg, ich hoffte Euer Herz zu rühren,

174 Turandot, Prinzeſſin von China

Euch zu bewegen, dieſen würdigſten

Von allen Prinzen, den Ihr ſelbſt nicht haſſet,

Freiwillig zu belohnen Doch Ihr wollt es! 1285 So ſiege meine Pflicht und mein Gehorſam.

Wißt alſo! Meine Mutter Skirina

War eben bei mir, war entzückt zu hören,

Daß dieſer Prinz die Rätſel aufgelöſt,

Und, von dem neuen Wettſtreit noch nichts wiſſend, 120 Verriet ſie mir in ihrer erſten Freude,

Daß dieſer Prinz in ihrem Haus geherbergt,

Daß Haſſan ihn, ihr Gatte, ſehr wohl kenne,

Wie ſeinen Herrn und lieben Freund ihn ehre.

Ich fragte nun nach ſeinem Stand und Namen, 125 Doch dies ſei noch ein Rätſel für ſie ſelbſt,

Spricht fie, das Haſſan ſtandhaft ihr verberge;

Doch hofft ſie noch, es endlich zu ergründen.

Verdien' ich es nun noch, ſo zweifle meine

Gebieterin an meiner Treu und Liebe! (Geht ab mit Empfindlichkeit.)

Turandot (ihr nacheilend). 1300 Bleib, Zelima. Biſt du beleidigt? Bleib! Vergib der Freundin!

Adelma (halt fie zurück). Laſſen wir ſie ziehen! Prinzeſſin, auf die Spur hat Zelima Geholfen; unſre Sache iſt es nun, Mit Klugheit die Entdeckung zu verfolgen. 1305 Denn Torheit wär's, zu hoffen, daß uns Haſſan Gutwillig das Geheimnis beichten werde, Nun er den ganzen Wert desſelben kennt. Verſchlagne Liſt, ja, wenn die Liſt nicht hilft, Gewalt muß das Geſtändnis ihm entreißen; 1310 Drum ſchnell Kein Augenblick iſt zu verlieren.

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Dritter Aufzug. 3. Auftritt 175

Herbei mit dieſem Haſſan ins Serail, Eh' er gewarnt ſich unſerm Arm entzieht. Kommt! Wo ſind Eure Sklaven?

Turandot (fäut ihr um den Hals). Wie du willſt, Adelma! Freundin! Ich genehm'ge alles, Nur daß der Fremde nicht den Sieg erhalte! (Geht ab.)

Adelma. Jetzt, Liebe, ſteh mir bei! Dich ruf' ich an, Du Mächtige, die alles kann bezwingen! Laß mich entzückt der Sklaverei entſpringen, Der Stolz der Feindin öffne mir die Bahn. Hilf die Verhaßte liſtig mir betrügen, Den Freund gewinnen und mein Herz vergnügen! (Geht ab.)

Vorhalle des Palaſtes. 3. Auftritt

Kalaf und Barak kommen im Geſpräch.

Ralaf. Wenn aber niemand lebt in dieſer Stadt, Der Kundſchaft von mir hat als du allein, Du treue Seele Wenn mein väterliches Reich Viel hundert Meilen weit von hier entlegen Und ſchon acht Jahre lang verloren ijt. Indeſſen, weißt du, lebten wir verborgen, Und das Gerücht verbreitet unſern Tod Ach Barak! Wer in Unglück fällt, verliert

1330 Sich leicht aus der Erinnerung der Menſchen!

176 Turandot, Prinzeſſin von China

Barak. Nein, es war unbedacht gehandelt, Prinz. Vergebt mir. Der Unglückliche muß auch Unmöglichs fürchten. Gegen ihn erheben Die ſtummen Steine ſelber ſich als Zeugen, 1333 Die Wand hat Ohren, Mauern find Verräter. Ich kann, ich kann mich nicht zufrieden geben! Das Glück begünſtigt Euch, das ſchönſte Weib Gewinnt Ihr wider Hoffen und Erwarten, Gewinnt mit ihr ein großes Königreich, 1340 Und Eure weib'ſche Zärtlichkeit raubt Euch Auf einmal alles wieder!

Kalaf. Hätteſt du Ihr Leiden, ihren wilden Schmerz geſehn!

Barak. Auf Eurer Eltern Schmerz, die Ihr zu Berlas Troſtlos verlaſſen, hättet Ihr, und nicht 1345 Auf eines Weibes Tränen achten ſollen!

Kalaf. Schilt meine Liebe nicht. Ich wollt' ihr gerne Gefällig ſein. Vielleicht, daß meine Großmut Sie rührt, daß Dankbarkeit in ihrem Herzen

Barak.

Im Herzen dieſer Schlange Dankbarkeit? 1350 Das hoffet nie. Kalaf. Entgehn kann ſie mir nicht.

Wie fände ſie mein Rätſel aus? Du, Barak, Nicht wahr? Du haſt mich nicht verraten? Nicht? Vielleicht, daß du im ſtillen deinem Weibe Vertraut haſt, wer ich ſei?

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Dritter Aufzug. 4. Auftritt 177

Barak. Ich? Keine Silbe. Barak weiß Euren Winken zu gehorchen. Doch weiß ich nicht, welch ſchwarze Ahnung mir Den Sinn umnachtet und das Herz beklemmt!

4. Auftritt Die Vorigen. Pantalon. Tartaglia und Brigella mit Soldaten.

Pantalon. Sieh! Sieh! Da iſt er ja! Potz Element, Wo ſteckt Ihr, Prinz? Was habt Ihr hier zu ſchaffen? (Den Barak mit den Augen muſternd.) Und wer ijt dieſer Mann, mit dem Ihr ſchwatzt?

Barak (vor ſich). Weh uns! Was wird das?

Tartaglia. Sprecht! Wer iſt der Mann? Kalaf. Ich kenn' ihn nicht. Ich fand ihn hier nur ſo

»Von ohngefähr, und weil ich müßig war,

Fragt' ich ihn um die Stadt und ihre Bräuche.

Tartaglia. Haltet zu Gnaden, Prinz. Ihr ſeid zu grad Für dieſe falſche Welt; das gute Herz Rennt mit dem Kopf davon Heut' früh im Divan! Wie Teufel kamt Ihr zu dem Narrenſtreich, Den Vogel wieder aus der Hand zu laſſen!

Pantalon. Laßt's gut ſein. Was geſchehn iſt, iſt geſchehn. Ihr wißt nicht, lieber junger Prinz, wie tief Ihr Im Waſſer ſteht, wie Euch von allen Seiten Schillers Werke. IX. 12

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178 Turandot, Prinzeſſin von China

Betrug umlauert und Verräterſtricke Umgeben Laſſen wir Euch aus den Augen, So richtet man Euch ab, wie einen Star. (Zu Barat.) Herr Nachbar Naſeweis, ſteckt Eure Naſe Wo anders hin Beliebt es Eurer Hoheit, Ins Haus herein zu gehn He da, Soldaten! Nehmt ihn in eure Mitte! Ihr, Brigella, Wißt Eure Pflicht Bewachet ſeine Tür Bis morgen frühe zu des Divans Stunde. Kein Menſch darf zu ihm ein! So will's der Kaiſer. (Zu Kalaf.) Merkt Ihr? Er iſt verliebt in Euch und fürchtet, Es möchte noch ein Unheil zwiſchen kommen. Seid Ihr bis morgen nicht ſein Schwiegerſohn, So fürcht' ich, tragen wir den alten Herrn Zu Grabe Nichts für ungut, Prinz! Doch das Von heute Morgen war mit Eurer Gunſt Ein Narrenſtreich! Ums Himmels willen! Gebt Euch Nicht bloß, laßt Euch den Namen nicht entlocken! (Ihm ins Ohr zutraulich.) Doch wollt Ihr ihn dem alten Pantalon Ganz ſachtchen, ſachtchen in die Ohren wiſpern, So wird er ſich gar ſchön dafür bedanken. Bekommt er dieſe Rekompens? Kalaf.

Wie, Alter?

Gehorcht Ihr ſo dem Kaiſer, Euerm Herrn?

Pantalon. Bravo! Scharmant! Nun marſch! Voran, Brigella! Habt Ihr's gehört? Was ſteht Ihr hier und gaffet?

Brigelia. Beliebet nur das Plaudern einzuſtellen, So werd' ich tun, was meines Amtes iſt.

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Dritter Aufzug. 4. Auftritt 179

Tartaglia. Paßt ja wohl auf. Der Kopf ſteht drauf, Brigella.

Brigella. Ich habe meinen Kopf ſo lieb als Ihr Den Euren, Herr! 's braucht der Ermahnung nicht.

Tartaglia. Es juckt und brennt mich nach dem Namen Uh! Geruhtet Ihr, ihn mir zu ſagen, Hoheit, Recht wie ein Kleinod wollt' ich ihn bei mir Vergraben und bewahren Ja, das wollt' ich!

Kalaf. Umſonſt verſucht Ihr mich. Am nächſten Morgen Erfahrt Ihr ihn, erfährt ihn alle Welt.

Tartaglia. Bravo! Braviſſimo! Hol' mich der Teufel!

Pantalon. Nun, Gott befohlen, Prinz! (Zu Barak.) Und Ihr, Herr Schlingel! Ihr tätet beſſer, Eurer Arbeit nach Zu gehn, als im Palaſt hier aufzupaſſen, Verſteht Ihr mich? (Geht ab.) Tartaglia (ſieht ihn ſcheel an). Ja wohl! Ja wohl! Ihr habt mir So ein gewiſſes Anſehn eine Miene, Die mir nicht außerordentlich gefällt. Ich rat' Euch Gutes, geht! (Folgt dem Pantalon.) Brigella (zu Kalaß). Erlaubt mir, Prinz, Daß ich dem, der befehlen kann, gehorche. Laßt's Euch gefallen, in dies Haus zu gehn.

180 Turandot, Prinzeſſin von China

Kalaf. Das will ich gerne. (Zu Barak, leiſe.)

Freund, auf Wiederſehn! 1420 Zu beſſerer Gelegenheit! Leb’ wohl. Barak. Herr, ich bin Euer Sklav!

Brigella. Nur fort! Nur fort!

Und macht den Zeremonien ein Ende. (Kalaf folgt den Soldaten, die ihn in ihre Mitte nehmen; Timur tritt von

der entgegengeſetzten Seite auf, bemerkt ihn und macht Gebärden des Schreckens und Erſtaunens.) Barak (ihm nachſehend). Der Himmel ſteh' dir bei, treuherz'ge Unſchuld! Was mich betrifft, ich hüte meine Zunge.

5. Auftritt

Timur, ein Greis in dürftiger Kleidung. Barak.

: Timur lentſetzt vor fig).

1425 Weh mir! Mein Sohn! Soldaten führen ihn Gefangen fort! Sie führen ihn zum Tode! Gewiß, gewiß, daß der Tyrann von Tefflis, Der Räuber meines Reichs, ihn bis nach Peckin Verfolgen ließ und ſeine Rache ſättigt!

1430 Doch mit ihm will ich fterben!

(Eilt ihm nach und ruft laut.) Kalaf! Kalaf! Barak (tritt ihm in den Weg und hält ihm das Schwert auf die Bruſt). Halt ein, Unglücklicher! Du biſt des Todes!

(Pauſe. Beide ſehen einander erſtaunt an. Unterdeſſen hat ſich Kalaf mit den Soldaten entfernt.)

Wer biſt du, Alter? Woher kommſt du, ſprich, Daß du den Namen dieſes Jünglings weißt?

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Dritter Aufzug. 5. Auftritt 181

Timur. Was ſeh' ich? Gott! Du, Barak! Du in Peckin! Du ſein Verräter? Ein Rebell? Und zückſt Das Schwert auf deinen König?

Barak (läßt erſtaunt das Schwert ſinken). Große Götter! Iſt's möglich? Timur? Timur. Ja, Verräter!

Ich bin es, dein unglücklicher Monarch, Von aller Welt, nun auch von dir verraten! Was zögerſt du? Nimm dieſes Leben hin, Verhaßt iſt mir's, da ich die treuſten Diener Um ſchnöden Vorteils willen undankbar Und meinen Sohn dem Tod geopfert ſehe!

Barak. Herr! Herr! O Gott! das iſt mein Fürſt, mein a König! Er iſt's! Nur allzuwohl erkenn' ich ihn. (Fällt ihm zu Füßen.) In dieſem Staub! In dieſer Niedrigkeit! Ihr Götter! Muß mein Auge dies erleben! Verzeiht, Gebieter, meiner blinden Wut! Die Liebe iſt's zu Eurem Sohn, die Angſt, Die treue Sorge, die mich hingeriſſen. So lieb Euch Eures Sohnes Heil, ſo komme Der Name Kalaf nie aus Eurem Munde! Ich nenne mich hier Haſſan, nicht mehr Barak Ach weh mir! Wenn uns jemand hier behorchte! Sagt, ob Elmaze, meine Königin, Sich auch mit Euch in dieſer Stadt befindet?

Timur. Still, Barak, ſtill! O ſprich mir nicht von ihr! In unſerm traur'gen Aufenthalt zu Berlas

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182 Turandot, Prinzeſſin von China

Verzehrte ſie der Gram um unſern Sohn, Sie ſtarb in dieſen lebensmüden Armen.

Barak. O die Bejammernswürdige!

Timur. Ich floh!

Ich konnt' es, einſam, dort nicht mehr ertragen. Des Sohnes Spuren folgend frag' ich mich Von Land zu Land, von einer Stadt zur andern. Und jetzt, da mich nach langem Irren endlich Der Götter Hand hieher geleitet, iſt Mein erſter Anblick der gefangne Sohn, Den man zum Tode führt.

Barak. Kommt, kommt, mein König! Befürchtet nichts für Euren Sohn! Vielleicht Daß ihn, eh' noch der nächſte Tag verlaufen, Das höchſte Glück belohnt und Euch mit ihm! Nur daß ſein Name nicht, noch auch der Eure Von Euern Lippen komme Merkt Euch das! Ich nenne mich hier Haſſan, nicht mehr Barak.

Timur. Was für Geheimniſſe Erklär' mir doch!

Barak. Kommt! Hier iſt nicht der Ort, davon zu reden! Folgt mir nach meiner Wohnung Doch was ſeh' ich? (Skirina tritt aus dem Palaſt.) Mein Weib aus dem Serail! O wehe mir! Wir ſind entdeckt! (Zu Skirina heftig.)

Was haſt du hier zu ſuchen? Unglückliche! Wo kommſt du her?

Dritter Aufzug. 6. Auftritt 183

6. Auftritt Skirina zu den Vorigen.

Skirina. Nun! Nun!

Aus dem Serail komm' ich, von meiner Tochter.

Die Freude trieb mich hin, daß unſer Gaſt,

Der fremde Prinz, den Sieg davon getragen.

Die Neugier auch Nun ja ich wollte ſehn, uss Wie dieſer männerſcheuen Unholdin

Der Brautſtand läßt und freute mich darüber

Mit meiner Tochter Zel'ma.

Barak. Dacht' ich's doch! Weib! Weib! Du weißt nicht alles, und geſchwätzig Wie eine Elſter läufſt du ins Serail; 1490 Ich ſuchte dich, es dir zu unterſagen. Umſonſt! Zu ſpät! Des Weibes Unverſtand Rennt immer vor des Mannes weiſem Rat Voraus Was iſt nicht alles dort geträtſcht, Geplaudert worden! Nur heraus! Mir iſt, 1495 Ich höre dich in deiner albernen Entzückung ſagen: Dieſer Unbekannte Iſt unſer Gaſt, er wohnt bei uns, mein Mann Kennt ihn und hält ihn hoch in Ehren Sprich! Haſt du's geſagt? Skirina. Und wenn ich nun? Was wär's?

Barak. 1500 Nein, nein, gefteh es nur. Haft du's geſagt?

Skirina. Ich hab's geſagt. Warum ſollt' ich's verbergen?

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184 Turandot, Prinzeſſin von China

Sie wollten auch den Namen von mir wiſſen, Und daß ich's nur geſtehe ich verſprach's.

Barak.

Weh mir! Wir ſind verloren! Raſende! (Zu Timur ſich wendend.) Wir müſſen fort. Wir müſſen fliehn!

Timur. So ſag' mir doch, was für Geheimniſſe

Barak.

Fort! Fort aus Pein! Keine Zeit verloren! (Truffaldin zeigt ſich im Hintergrund mit ſeinen Schwarzen.) Weh uns! Es iſt zu ſpät. Sie kommen ſchon! Sie ſuchen mich, die Schwarzen, die Verſchnittnen

Der fürchterlichen Turandot Sinnloſe! In welchen Jammer ſtürzt uns deine Zunge!

(Truffaldin hat ihn bemerkt und bedeutet den Verſchnittenen durch Ge⸗

bärden, daß ſie ſich ſeiner bemächtigen ſollen.) Ich kann nicht mehr entfliehen Fliehe du, Verbirg dich, rette dich und dieſen Alten!

Timur. So ſag' mir doch!

Barak.

Fort! Keine Widerrede!

Ich bin entdeckt! Verſchloſſen wie das Grab Sei Euer Mund! Nie komme Euer Name, Nie, nie der ſeine über Eure Lippen! Und du, Unglückliche, wenn du das Übel, Das deine Zunge über uns gebracht, Gut machen willſt, verbirg dich, nicht in deiner, In einer fremden Wohnung, halte dieſen Verborgen, bis der nächſte Tag zur Hälfte Verſtrichen iſt

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Dritter Aufzug. 7. Auftritt 185

Skirina. Willſt du mir denn nicht ſagen?

Timur.

Willſt du nicht mit uns fliehn?

Barak. Tut, was ich fage! Werde mit mir, was will, wenn Ihr Euch rettet.

Skirina. Sprich, Haſſan! Worin hab' ich denn gefehlt?

Timur. Erklär' mir dieſe Rätſel!

Barak (heftig). Welche Marter! Um aller Götter willen, fort, und fragt Nicht weiter! Sie umringen uns, es iſt Zu ſpät, und alle Flucht iſt jetzt vergebens. Die Namen, alter Mann, die Namen nur Verſchweigt, und alles kann noch glücklich enden!

7. Auftritt Vorige. Truffaldin mit den Verſchnittenen.

Truffaldin

(iſt nach und nach näher gekommen, hat die Ausgänge beſetzt und tritt nun hervor, mit übertriebenen Gebärden ihm den Degen auf die Bruſt

haltend). Halt an und ſteht! Nicht von der Stelle! Nicht Gemuckſt! Der iſt des Todes, der ſich rührt.

Skirina. O wehe mir!

186 Turandot, Prinzeſſin von China

Barak. Ich weiß, Ihr ſucht den Haſſan. Hier bin ich, führt mich fort. Truffaldin. Bſt! Keinen Lärmen! 's iſt gut gemeint. Es ſoll Euch eine ganz Abſonderliche Gnad' und Ehr' geſchehn.

Barak. Ja, ins Serail wollt Ihr mich führen, kommt!

Truffaldin. 1640 Gemach! Gemach! Ei ſeht doch, welche Gunſt Euch widerfährt! Ins Harem! Ins Serail Der Königin Ihr glückliche Perſon! 's kommt keine Fliege ins Serail, ſie wird Erſt wohl beſichtigt und beſchaut, ob ſie 1845 Ein Männchen oder Weib, und iſt's ein Männchen, Wird's ohne Gnad' gekreuzigt und gepfählt. Wer iſt der Alte da?

Barak. Ein armer Bettler, Den ich nicht kenne Kommt und laßt uns gehn.

Truffaldin (betrachtet den Timur mit lächerlicher Genauigkeit).

Gemach! Gemach! Ein armer Bettler! Ei! 1850 Wir haben uns großmütig vorgeſetzt, Auch dieſes armen Bettlers Glück zu machen. (Bemerkt und betrachtet die Skirina.) ; Wer iſt die Weibsperſon? Barak. Was zögerſt du? Ich weiß, daß deine Königin mich erwartet. Laß dieſen Greis; das Weibsbild kenn' ich nicht, 1866 Hab's nie geſehn und weiß nicht, wer ſie iſt.

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Dritter Aufzug. 7. Auftritt

Truffaldin (zornig).

Du kennſt ſie nicht? Du haſt ſie nie geſehn? Verdammte Lüge! Was! Kenn' ich ſie nicht Als deine Frau und als die Mutter nicht Der Sklavin Zelima? Hab' ich ſie nicht Zu hundertmalen im Serail geſehn, Wenn fie der Tochter weiße Wäſche brachte?

(Mit komiſcher Gravität zu den Verſchnittenen.) Merkt, Sklaven, den Befehl, den ich euch gebe! Die drei Perſonen hier nehmt in Verwahrung, Bewacht ſie wohl, hört ihr, laßt ſie mit keiner Lebend'gen Seele reden, und bei Nacht, Sobald es ſtill iſt, führt ſie ins Serail.

Timur. O Gott! Was wird aus mir!

Skirina.

Ich faſſ' es nicht.

Barak (zu Timur). Was aus dir werden ſoll, und was aus mir? Ich werde alles leiden. Leid' auch du! Vergiß nicht, was ich dir empfahl Und, was Dir auch begegne, hüte deine Zunge! Jetzt haſt du, töricht Weib, was du gewollt.

Skirina. Gott ſteh' uns bei!

Truffaldin (zu den Schwarzen).

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Ergreift ſie! Fort mit ihnen! (Gehen ab.)

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188 Turandot, Prinzeſſin von China

Vierter Aufzug

Vorhof mit Säulen. In der Mitte eine Tafel mit einem mächtig großen Becken, voll von Goldſtücken.

1. Auftritt

Turandot. Zelima. Skirina. Timur. Barak.

(Barak und Timur ſtehen, jeder an einer Säule, einander gegenüber, die

Verſchnittenen um ſie herum, alle mit entblößten Säbeln und Dolchen.

Zelima und Skirina ſtehen weinend auf der einen, Turandot drohend und ſtreng auf der andern Seite.)

Turandot.

Noch iſt es Zeit. Noch laſſ' ich mich herab, Zu bitten Dieſer aufgehäufte Berg Von Gold iſt euer, wenn ihr mir in gutem Des Unbekannten Stand und Namen nennt. Beſteht ihr aber drauf, ihn zu verſchweigen, So ſollen dieſe Dolche, die ihr hier Auf euch gezückt ſeht, euer Herz durchbohren! He da ihr Sklaven! Machet euch bereit.

(Die Verſchnittenen halten ihnen ihre Dolche auf die Bruſt.)

Barak (zu Skirina). Nun, heillos Weib, nun ſiehſt du, Skirina, Wohin uns deine Plauderhaftigkeit geführt. Prinzeſſin, ſättigt Eure Wut. Ich biete Den Martern Trotz, die Ihr erſinnen könnt, Ich bin bereit, den herbſten Tod zu leiden. Herbei, ihr Schwarzen! Auf, ihr Marterknechte, Tyranniſche Werkzeuge der Tyrannin, Zerfleiſcht mich, tötet mich, ich will es dulden. Sie hat ganz Recht, ich kenne dieſen Prinzen Und ſeinen Vater, beider Namen weiß ich, Doch keine Marter preßt ſie von mir aus,

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Vierter Aufzug. 1. Auftritt 189

Kein Gold verführt mich: weniger als Staub, Als ſchlechte Erde acht' ich dieſe Schätze!

Du, meine Gattin, jammre nicht um mich,

Für dieſen Alten ſpare deine Tränen,

Für ihn erweiche dieſes Felſenherz,

Daß der Unſchuldige gerettet werde.

Sein ganz Verbrechen iſt, mein Freund zu ſein.

Skirina (flehend zu Turandot). O Königin, Erbarmen!

Timur. Niemand kümmre ſich Um einen ſchwachen Alten, den die Götter Im Zorn verfolgen, dem der Tod Erlöſung, Das Leben eine Marter iſt. Ich will Dich retten, Freund, und ſterben. Wiſſe denn, Du Grauſame

Barak (unterbricht ihn). Um aller Götter willen! Schweigt! Der Name komme nicht aus Eurem Munde.

Turandot (neugierig). Du weißt ihn alſo, Greis?

Timur. Ob ich ihn weiß? Unmenſchliche! Freund, ſag' mir das Geheimnis, Warum darf ich die Namen nicht entdecken? Barak. Ihr tötet ihn und uns, wenn Ihr ſie nennt.

Turandot. Er will dich ſchrecken, Alter, fürchte nichts.

Herbei, ihr Sklaven, züchtigt den Verwegnen! (Die Verſchnittenen umgeben den Barak.)

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190 Turandot, Prinzeſſin von China

Akirina. Ihr Götter, helft! Mein Mann! Mein Mann!

Timur (tritt dazwiſchen). Halt! Haltet!

Was ſoll ich tun! Ihr Götter, welche Marter! Prinzeſſin, ſchwört mir's zu bei Eurem Haupt, Bei Euren Göttern ſchwört mir, daß ſein Leben Und dieſes Fremdlings Leben ungefährdet Sein ſoll Mein eignes acht' ich nichts und will Es freudig Eurer Wut zum Opfer geben Schwört mir das zu, und Ihr ſollt alles wiſſen.

Turandot. Bei meinem Haupt, zum furchtbarn Fohi ſchwör' ich, Daß weder ſeinem Leben, noch des Prinzen, Noch irgend eines hier Gefährde droht

Barak (unterbricht fie). Halt, Lügnerin Nicht weiter Glaubt ihr nicht! Verräterei lauſcht hinter dieſem Schwur. Schwört, Turandot, ſchwört, daß der Unbekannte Euer Gatte werden ſoll, im Augenblick, Da wir die Namen Euch entdeckt, wie recht Und billig iſt, Ihr wißt es, Undankbare! Schwört, wenn Ihr könnt und dürft, daß er, verſchmäht Von Euch, nicht in Verzweiflung ſterben wird Durch ſeine eigne Hand Und ſchwört uns zu, Daß, wenn wir Euch die Namen nun entdeckt, Für unſer Leben nichts zu fürchten ſei, Noch daß ein ew'ger Kerker uns lebendig Begraben und der Welt verbergen ſoll Dies ſchwört uns, und der erſte bin ich ſelbſt, Der Euch die beiden Namen nennt!

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Vierter Aufzug. 1. Auftritt 191

Timur. Was für Geheimniſſe ſind dies! Ihr Götter, Nehmt dieſe Qual und Herzensangſt von mir!

Turandot. Ich bin der Worte müd Ergreift ſie, Sklaven! Durchbohret ſie!

Skirina.

O Königin! Erbarmen! (Die Verſchnittenen ſind im Begriff, zu gehorchen, aber Skirina und Ze⸗

lima werfen ſich dazwiſchen.) Barak. Nun ſiehſt du, Greis, das Herz der Tigerin!

Timur (niedergeworfen). Mein Sohn! Dir weih' ich freudig dieſes Leben. Die Mutter ging voran, ihr folg' ich nach.

Turandot (betroffen, wehrt den Sklaven). Sein Sohn! Was hör' ich! Haltet! Du ein Prinz? Ein König? Du des Unbekannten Vater?

Timur. Ja, Grauſame! Ich bin ein König bin Ein Vater, den der Jammer niederdrückt!

Barak. O König! Was habt Ihr getan!

Skirina. Ein König! In ſolchem Elend! Zelima.

Allgerechte Götter!

Turandot (in tiefes Staunen verloren, nicht ohne Rührung).

Ein König und in ſolcher Schmach! Sein Vater! Des unglückſel'gen Jünglings, den ich mich

192 Turandot, Pringeffin von China

Zu haſſen zwinge und nicht haſſen kann!

1685 O der Bejammernswürdige Wie wird mir! Das Herz im tiefſten Buſen wendet ſich! Sein Vater! Und er ſelbſt Sagt er nicht ſo? Genötiget, als niedrer Knecht zu dienen Und Laſten um geringen Sold zu tragen!

100 O Menſchlichkeit! O Schickſal!

Barak. Turandot!

Dies iſt ein König! Scheuet Euch und ſchaudert Zurück, die heil'gen Glieder zu verletzen! Wenn ſolches Jammers Größe Euch nicht rührt, Euch nicht das Mitleid, nicht die Menſchlichkeit 1666 Entwaffnen kann, laßt Euch die Scham beſiegen. Ehrt Eures eignen greiſen Vaters Haupt In dieſem Greis O ſchändet Euch nicht ſelbſt Durch eine Tat, die Euer Blut entehrte! Genug, daß Ihr die Jünglinge gemordet, 1670 Schonet das Alter, das unmächtige, Das auch die Götter zum Erbarmen zwingt!

Zelima (wirft ſich zu ihren Füßen). Ihr ſeid bewegt, Ihr könnt nicht widerſtehn. O gebt dem Mitleid und der Gnade Raum, Laßt Euch die Größe dieſes Jammers rühren.

2. Auftritt

Adelma zu den Vorigen.

Turandot lihr entgegen). 1675 Kommſt du, Adelma? Hilf mir! O ſchaff' Rat! Ich bin entwaffnet Ich bin außer mir! Dies iſt ſein Vater, ein Monarch und König!

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Vierter Aufzug. 2. Auftritt

Adelma. Ich hörte alles. Fort mit dieſen beiden, Schafft dieſes Gold hinweg, der Kaiſer naht!

Turandot. Mein Vater? Wie? Adelma.

Iſt auf dem Weg hieher. (Zu den Schwarzen.) Fort, eh' wir überfallen werden! Sklaven, Führt dieſe beiden in die unterſten Gewölbe des Serails, dort haltet ſie

Verborgen, bis auf weitere Befehle! (Zur Turandot.)

Es iſt umſonſt. Wir müſſen der Gewalt Entſagen. Nichts kann retten als die Liſt. Ich habe einen Anſchlag Skirina, Ihr bleibt zurück. Auch Zelima ſoll bleiben.

Barak (zu Timur). Weh uns, mein Fürſt! Die Götter mögen wiſſen, Welch neues Schrecknis ausgebrütet wird! Weib! Tochter! Seid getreu, o haltet feſt, Laßt euch von dieſen Schlangen nicht verführen!

Turandot (zu den Schwarzen). Ihr wiſſet den Befehl. Fort, fort mit ihnen In des Serails verborgenſte Gewölbe!

Timur. Fall' Eure ganze Rache auf mein Haupt! Nur ihm, nur meinem Sohn erzeiget Mitleid. Barak. Mitleid in dieſer Furie! Verraten Iſt Euer Sohn, und uns, ich ſeh' es klar,

Wird ew'ge Nacht dem Aug' der Welt verbergen. Schillers Werke. IX. 13

193

194 Turandot, Prinzeſſin von China

1700 Man führt uns aus dem Angeſicht der Menſchen, Wohin kein Lichtſtrahl und kein Auge dringt Und unſer Schmerz kein fühlend Ohr erreicht!

(Zur Prinzeſſin.)

Die Welt kannſt du, der Menſchen Auge blenden, Doch zittre vor der Götter Rachgericht!

175 Magſt du im Schlund der Erde ſie verſtecken, Laß tauſend Totengrüfte ſie bedecken,

Sie bringen deine Übeltat ans Licht.

(Er folgt mit Timur den Verſchnittenen, welche zugleich die Tafel und das Becken mit den Goldſtücken hinwegtragen.)

3. Auftritt Turandot. Adelma. Zelima und Skirina.

Turandot (zu Adelma). Auf dich verlaſſ' ich mich, du einz'ge Freundin! O ſage, ſprich, wie du mich retten willſt.

Adelma.

1710 Die Wachen, die auf Altoums Befehl Des Prinzen Zimmer hüten, ſind gewonnen. Man kann zu ihm hineingehn, mit ihm ſprechen Und was iſt dann nicht möglich, wenn wir klug Die Furcht, die Überredung ſpielen laſſen.

1718 Denn arglos iſt fein Herz und gibt ſich leicht

Der Schmeichelſtimme des Verräters hin.

Wenn Skirina, wenn Zelima mir nur Behilflich ſind und ihre Rolle ſpielen, So zweifelt nicht, mein Anſchlag ſoll gelingen.

Turandot (zu Skirina). 1720 So lieb dir Haſſans Leben, Skirina! Er iſt in meiner Macht, ich kann ihn töten.

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1740

Vierter Aufzug. 4. Auftritt 195

Skirina. Was Ihr befehlt, ich bin bereit zu allem, Wenn ich nur meines Haſſans Leben rette.

Turandot (gu Zelima). So wert dir meine Gunſt ift, Zelima

Zelima. Auf meinen Eifer zählt und meine Treue!

Adelma. So kommt. Kein Augenblick iſt zu verlieren. (Sie gehen ab.)

Turandot. Geht! Geht! Tut, was ſie ſagt.

4. Auftritt Turandot allein.

Was ſinnt Adelma? Wird ſie mich retten? Götter, ſteht ihr bei! Kann ich mich noch mit dieſem Siege krönen, Wes Name wird dann größer ſein als meiner? Wer wird es wagen, ſich in Geiſteskraft Mit Turandot zu meſſen? Welche Luſt, Im Divan, vor der wartenden Verſammlung, Die Namen ihm ins Angeſicht zu werfen Und ihn beſchämt von meinem Thron zu weiſen! Und doch iſt mir's, als würd' es mich betrüben! Mir iſt, als ſäh' ich ihn, verzweiflungsvoll, Zu meinen Füßen ſeinen Geiſt verhauchen, Und dieſer Anblick dringt mir an das Herz. Wie, Turandot? Wo iſt der edle Stolz Der großen Seele? Hat's ihn auch gekränkt, Im Divan über dich zu triumphieren?

196 Turandot, Prinzeſſin von China

Was wird dein Anteil ſein, wenn er auch hier

Den Sieg dir abgewinnt? Recht hat Adelma! 17s Zu weit iſt es gekommen! Umkehr iſt

Nicht möglich! Du mußt ſiegen oder fallen!

Beſiegt von einem iſt beſiegt von allen.

5. Auftritt

Turandot. Altoum. Pantalon und Tartaglia folgen ihm in einiger Entfernung nach.

Altoum (in einem Briefe leſend und in tiefen Gedanken, vor ſich).

So mußte dieſer blutige Tyrann

Von Tefflis enden! Kalaf, Timurs Sohn, 170 Aus ſeiner Väter Reich vertrieben, flüchtig

Von Land zu Lande ſchweifend, muß hieher

Nach Peckin kommen und durch ſeltſame

Verkettung der Geſchicke glücklich werden!

So führt das Schickſal an verborgnem Band 176 Den Menſchen auf geheimnisvollen Pfaden;

Doch über ihm wacht eine Götterhand,

Und wunderbar entwirret ſich der Faden.

Pantalon (leiſe zu Tartaglia). Rappelt's der Majeſtät? Was kömmt ſie an, Daß ſie in Verſen mit ſich ſelber ſpricht?

Tartaglia (teiſe zu Pantalon). 1760 Still! Still! Es iſt ein Bote angelangt Aus fernen Landen Was er brachte, mag Der Teufel wiſſen!

Altoum (ſteckt den Brief in den Buſen und wendet ſich zu ſeiner Tochter).

Turandot! Die Stunden Entfliehen, die Entſcheidung rückt heran, Und ſchlaflos irrſt du im Serail umher,

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Vierter Aufzug. 6. Auftritt 197

Zerquälſt dich, das Unmögliche zu wiſſen.

Vergebens quälſt du dich. Es iſt umſonſt,

Ich aber hab' es ohne Müh erfahren.

Sieh dieſen Brief. Hier ſtehen beide Namen

Und alles, was ſie kenntlich macht. Soeben

Bringt ihn ein Bote mir aus fernen Landen.

Ich halt' ihn wohl verſchloſſen und bewacht,

Bis dieſer nächſte Tag vorüber iſt.

Der unbekannte Prinz iſt wirklich König

Und eines Königs Sohn Es iſt unmöglich,

Daß du errateſt, wer ſie beide ſeien.

Ihr Reich liegt allzufern von hier, der Name

Iſt kaum zu Peckin ausgeſprochen worden.

Doch ſieh, weil ich's als Vater mit dir meine,

Komm' ich in ſpäter Nacht noch her Kann es

Dir Freude machen, dich zum zweitenmal

Im Divan dem Gelächter bloßzuſtellen,

Dem Hohn des Pöbels, der mit Ungeduld

Drauf wartet, deinen Stolz gebeugt zu ſehn?

Denn abgeſinnt, du weißt's, iſt dir das Volk,

Kaum werd' ich ſeiner Wut gebieten können,

Wenn du im Divan nun verſtummen mußt.

Sieh, liebes Kind, dies führte mich hieher. (Zu Pantalon und Tartaglia.)

Laßt uns allein.

(Jene entfernen ſich ungern und zaudernd.

6. Auftritt Turandot und Altoum.

Altoum

(nachdem jene weg ſind, nähert er ſich ihr und faßt ſie vertraulich bei der Hand).

8 Ich komme, deine Ehre u retten.

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198 Turandot, Prinzeſſin von China

Turandot. Meine Ehre, Sire? Spart Euch

Die Müh! Nicht Rettung brauch' ich meiner Ehre Ich werde mir im Divan morgen ſelbſt Zu helfen wiſſen.

Altoum.

Ach, du ſchmeichelſt dir

Mit eitler Hoffnung. Glaube mir's, mein Kind, Unmöglich iſt's, zu wiſſen, was du hoffſt. Ich leſ' in deinen Augen, deinen wild Verwirrten Zügen deine Qual und Angſt. Ich bin dein Vater, ſieh, ich hab' dich lieb. Wir ſind allein Sei offen gegen mich! Bekenn' es frei weißt du die beiden Namen?

Turandot. Ob ich ſie weiß, wird man im Divan hören.

Altoum. Nein, Kind! du weißt ſie nicht, kannſt ſie nicht wiſſen. Wenn du ſie weißt, ſo ſag' mir's im Vertrauen. Ich laſſe dann den Unglückſel'gen wiſſen, Daß er verraten iſt, und laſſ' ihn ſtill Aus meinen Staaten ziehn; ſo meideſt du Den Haß des Volks, und mit dem Sieg zugleich Trägſt du den Ruhm der Großmut noch davon, Daß du dem Überwundenen die Schmach Der öffentlichen Niederlage ſparteſt. Um dieſes Einz'ge bitt' ich dich, mein Kind, Wirſt du's dem Vater, der dich liebt, verſagen?

Turandot. Ich weiß die Namen oder weiß ſie nicht, Genug! Hat er im Divan meiner nicht Geſchont, brauch' ich auch ſeiner nicht zu ſchonen.

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Vierter Aufzug. 6. Auftritt 199

Gerechtigkeit geſchehe. Offentlich, Wenn ich ſie weiß, ſoll man die Namen hören.

Altoum

(will ungeduldig werden, zwingt ſich aber und fährt mit Mäßigung und

Milde fort).

Durft' er dich ſchonen? Galt es nicht ſein Leben? Galt es nicht, was ihm mehr war, deine Hand? Dich zu gewinnen und ſich ſelbſt zu retten, Mußt' er den Sieg im Divan dir entreißen. Nur einen Augenblick leg' deinen Zorn Bei Seite, Kind Gib Raum der Überlegung! Sieh, dieſes Haupt ſetz' ich zum Pfand, du weißt Die Namen nicht Ich aber weiß ſie hier

(auf den Brief zeigend) Stehn ſie geſchrieben, und ich ſag' ſie dir. Der Divan ſoll ſich in der Früh verſammeln, Der Unbekannte öffentlich erſcheinen, Mit ſeinem Namen redeſt du ihn an; Er ſoll beſchämt, vom Blitz getroffen, ſtehen, Verzweifelnd jammern und für Schmerz vergehen, Vollkommen ſei ſein Fall und dein Triumph. Doch nun, wenn du ſo tief ihn haſt gebeugt, Erheb' ihn wieder! Frei, aus eigner Wahl Reich' ihm die Hand und endige ſein Leiden. Komm, meine Tochter, ſchwöre mir, daß du Das tun willſt, und ſogleich wir ſind allein Sollſt du die Namen wiſſen. Das Geheimnis, Ich ſchwöre dir, ſoll mit uns beiden ſterben. So löſt der Knote ſich erfreulich auf, Du kröneſt dich mit neuem Siegesruhm, Verſöhneſt dir durch ſchöne Edeltat Die Herzen meines Volks, gewinnſt dir ſelbſt Den Würdigſten der Erde zum Gemahl, Erfreueſt, tröſteſt nach ſo langem Gram In ſeinem hohen Alter deinen Vater.

1850

1855

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1865

1870

200 Turandot, Prinzeſſin von China

Turandot (iſt während dieſer Rede in eine immer zunehmende Bewegung geraten).

Ach! Wie viel arge Liſt gebraucht mein Vater!

Was ſoll ich tun? Mich auf Adelmas Wort

Verlaſſen und dem ungewiſſen Glück

Vertraun? Soll ich vom Vater mir die Namen

Entdecken laſſen und den Nacken beugen

In das verhaßte Joch? Furchtbare Wahl! (Sie ſteht unentſchloſſen in heftigem Kampfe mit ſich ſelbſt.)

Herunter, ſtolzes Herz! Bequeme dich!

Dem Vater nachzugeben iſt nicht Schande! (Indem ſie einige Schritte gegen Altoum macht, ſteht ſie plötzlich wieder till.)

Doch wenn Adelma Sie verſprach ſo kühn, So zuverſichtlich Wenn ſie's nun erforſchte, Und übereilt hätt' ich den Schwur getan? Altoum. Was ſinneſt du und ſchwankeſt, meine Tochter, In zweifelnden Gedanken hin und her? Soll etwa dieſe Angſt mich überreden, Daß du des Sieges dich verſichert halteſt? O Kind, gib deines Vaters Bitte nach Turandot. Es ſei. Ich wag' es drauf. Ich will Adelma Erwarten So gar dringend iſt mein Vater? Ein ſichres Zeichen, daß es möglich iſt, Ich könne, was er fürchtet, durch mich ſelbſt Erfahren Er verſteht ſich mit dem Prinzen! Nicht anders! Von ihm ſelbſt hat er die Namen, Es iſt ein abgeredet Spiel, ich bin Verraten, und man ſpottet meiner! Altoum. Nun? Was zauderſt du? Hör' auf, dich ſelbſt zu quälen, Entſchließe dich.

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Vierter Aufzug. 6. Auftritt 201

Turandot. Ich bin entſchloſſen Morgen In aller Früh verſammle ſich der Divan.

Altoum. Du biſt entſchloſſen, es aufs Außerſte, Auf öffentliche Schande hin zu wagen?

Turandot. Entſchloſſen, Sire, die Probe zu beſtehen.

Altoum (in heftigem Zorn). Unſinnige! Verſtockte! Blindes Herz! Noch blinder als die Albernſte des Pöbels! Ich bin gewiß, wie meines eignen Haupts, Daß du dich öffentlich beſchimpfſt, daß dir's Unmöglich iſt, das Rätſel aufzulöſen. Wohlan! Der Divan ſoll verſammelt werden, Und in der Nähe gleich ſei der Altar; Der Prieſter halte ſich bereit, im Augenblick, Da du verſtummſt, beim lauten Hohngelächter Des Volks die Trauung zu vollziehn. Du haſt Den Vater nicht gehört, da er dich flehte. Leb' oder ſtirb! Er wird dich auch nicht hören. (er geht ab.)

Turandot. Adelma! Freundin! Retterin! Wo biſt du? Verlaſſen bin ich von der ganzen Welt. Mein Vater hat im Zorn mich aufgegeben,

Von dir allein erwart' ich Heil und Leben. (Entfernt ſich von der andern Seite.)

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1905

202 Turandot, Prinzeſſin von China

Die Szene verwandelt ſich in ein prächtiges Gemach mit mehreren Ausgängen. Im Hintergrund ſteht ein orienta⸗ liſches Ruhebette für Kalaf. Es iſt finſtre Nacht.

7. Auftritt

Kalaf. Brigella mit einer Fackel.

(Kalaf geht in tiefen Gedanken auf und ab, Brigella betrachtet ihn mit Kopfſchütteln.)

Brigella. 's hat eben Drei geſchlagen, Prinz, und Ihr Seid nun genau dreihundertſechzigmal In dieſem Zimmer auf und ab ſpaziert. Verzeiht! Mir liegt der Schlaf in allen Gliedern, Und wenn Ihr ſelbſt ein wenig ruhen wolltet, Es könnt' nicht ſchaden. Kalaf. Du haſt Recht, Brigella. Mein ſorgenvoller Geiſt treibt mich umher, Doch du magſt gehen und dich ſchlafen legen. Brigella (geht, kommt aber gleich wieder zurück). Ein Wort zur Nachricht, Hoheit Wenn Euch hier Von ohngefähr ſo was erſcheinen ſollte Macht Eure Sache gut Ihr ſeid gewarnt!

Aalaf. Erſcheinungen? Wie ſo? An dieſem Ort? (Muſtert mit unruhigen Blicken das Zimmer.) Brigella. Du lieber Himmel! Uns iſt zwar verboten Bei Lebensſtrafe, niemand einzulaſſen. Doch arme Diener! Herr, Ihr wißt ja wohl! Der Kaiſer iſt der Kaiſer, die Prinzeß Iſt, ſo zu ſagen, Kaiſerin und was Die in den Kopf ſich ſetzt, das muß geſchehn!

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1920

1926

1930

Vierter Aufzug. 7. Auftritt 203

's wird einem ſauer, Hoheit, zwiſchen zwei Dachtraufen trocknen Kleides durchzukommen.

Verſteht mich wohl. Man möchte ſeine Pflicht Gern ehrlich tun Doch man erübrigte

Auch gern etwas für ſeine alten Tage.

Herr, unſereins iſt halter übel dran!

Kalaf. Wie? Sollte man mir gar ans Leben wollen? Brigella, rede!

Brigelia.

Gott foll mich bewahren!

Allein bedenkt die Neugier, die man hat, Zu wiſſen, wer Ihr ſeid. Es könnte ſich Zum Beiſpiel fügen, daß durchs Schlüſſelloch Ein Geiſt ein Unhold eine Hexe käme, Euch zu verſuchen Gnug! Ihr ſeid gewarnt! Verſteht mich Arme Diener, arme Schelme!

Kalaf (lächelnd). Sei außer Sorgen. Ich verſtehe dich Und werde mich in Acht zu nehmen wiſſen.

Brigella. Tut das, und ſomit Gott befohlen, Herr. Ums Himmels willen, bringt mich nicht ins Unglück! (Gegen die Zuſchauer.) Es kann geſchehen, daß man einen Beutel Mit Golde ausſchlägt Möglich iſt's! Was mich betrifft, Ich tat mein Beſtes, und ich konnt' es nicht. (er geht ab.)

Kalaf. Er hat mir Argwohn in mein Herz gepflanzt. Wer könnte mich hier überfallen wollen? Und laß die Teufel aus der Hölle ſelbſt

Ankommen, dieſes Herz wird ſtandhaft bleiben. (Er tritt ans Fenſter.)

204 Turandot, Prinzeſſin von China

1933 Der Tag iſt nicht mehr weit, ich werde nun Nicht lange mehr auf dieſer Folter liegen. Indes verſuch' ich es, ob ich vielleicht Den Schlaf auf dieſe Augen locken kann.

(Indem er ſich auf das Ruhebette niederlaſſen will, öffnet ſich eine von den Türen.)

8. Auftritt

Kalaf. Skirina in männlicher Kleidung und mit einer Maske vor dem Geſicht. Skirina (furchtſam ſich nähernd). Mein lieber Herr Herr O wie zittert mir 1040 Das Herz! Kalaf (auffabrend). Wer biſt du, und was ſuchſt du hier?

Skirina (nimmt die Maske vom Geſicht).

Kennt Ihr mich nicht? Ich bin ja Skirina,

Des armen Haſſans Weib und Eure Wirtin.

Verkleidet hab' ich durch die Wachen mich

Herein geſtohlen Ach! Was hab' ich Euch 1948 Nicht alles zu erzählen Doch die Angſt

Erſtickt mich, und die Kniee zittern mir,

Ich kann für Tränen nicht zu Worte kommen.

Half.

Sprecht, gute Frau. Was habt Ihr mir zu ſagen?

Skirina (ſich immer ſchüchtern umſehend).

Mein armer Mann hält ſich verſteckt. Es ward 1950 Der Turandot geſagt, daß er Euch kenne.

Nun wird ihm nachgeſpürt an allen Orten,

Ihn ins Serail zu ſchleppen und ihm dort

Gewaltſam Euren Namen abzupreſſen.

Wird er entdeckt, ſo iſt's um ihn geſchehn,

1955

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Vierter Aufzug. 8. Auftritt 205

Denn eher will er unter Martern fterben Als Euch verraten. Kalaf. Treuer, wackrer Diener! Ach die Unmenſchliche!

Skirina. Ihr habt noch mehr Von mir zu hören Euer Vater iſt In meinem Haus. Kalaf. Was ſagſt du? Große Götter!

Skirina. Von Eurer Mutter zum troſtloſen Witwer Gemacht

Aalaf.

O meine Mutter!

Skirina. Hört mich weiter.

Er weiß, daß man Euch hier bewacht, er zittert Für Euer Leben, er iſt außer ſich,

Er will verzweifelnd vor den Kaiſer dringen, Sich ihm entdecken, koſt' es, was es wolle;

Mit meinem Sohne, ruft er, will ich ſterben! Vergebens ſuch' ich ihn zurück zu halten,

Sein Ohr iſt taub, er hört nur ſeinen Schmerz. Nur das Verſprechen, das ich ihm getan,

Ein tröſtend Schreiben ihm von Eurer Hand Mit Eures Namens Unterſchrift zu bringen, Das ihm Verſichrung gibt von Eurem Leben, Hielt ihn vom Außerſten zurück! So hab' ich mich Hieher gewagt und in Gefahr geſetzt,

Dem kummervollen Greiſe Troſt zu bringen.

206 Turandot, Prinzeſſin von China

Kalaf. Mein Vater hier in Peckin! Meine Mutter Im Grab! Du hintergehſt mich, Skirina!

Skirina. Mich ſtrafe Fohi, wenn ich Euch das lüge!

Kalaf.

Bejammernswerter Vater! Arme Mutter!

Skirina (dringend). 1980 Kein Augenblick ijt zu verlieren! Kommt! Bedenkt Euch nicht, ſchreibt dieſe wen'gen Worte. Fehlt euch das Nötige, ich bracht' es mit. (Sie zieht eine Schreibtafel hervor.) Genug, wenn dieſer kummervolle Greis Zwei Zeilen nur von Eurer Hand erhält, 1986 Daß Ihr noch lebt und daß Ihr Gutes hofft. Sonſt treibt ihn die Verzweiflung an den Hof, Er nennt ſich dort, und alles iſt verloren.

Ralaf. Ja! Gib mir dieſe Tafel. (Er iſt im Begriff, zu ſchreiben, hält aber plötzlich inne und ſieht ſie for⸗

ſchend an.) Skirina! Haſt du nicht eine Tochter im Serail? 1990 Ja, ja, ganz recht. Sie dient als Sklavin dort Der Turandot, dein Mann hat mir's geſagt. Skirina. Nun ja! Wie kommt Ihr darauf? Kalaf.

Skirina! Geh nur zurück und ſage meinem Vater Von meinetwegen, daß er ohne Furcht 1995 Geheimen Zutritt bei dem Kaiſer fordre

van

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2015

Vierter Aufzug. 8. Auftritt 207

Und ihm entdecke, was ſein Herz ihn heißt. Ich bin's zufrieden. Skirina (betroffen).

Ihr verweigert mir Den Brief? Ein Wort von Eurer Hand genügt.

Kalaf. Nein, Skirina, ich ſchreibe nicht. Erſt morgen Erfährt man, wer ich bin Ich wundre mich, Daß Haſſans Weib mich zu verraten ſucht.

Skirina.

Ich Euch verraten! Guter Gott! (Vor ſich.)

Adelma mag denn ſelbſt ihr Spiel vollenden. (Zu Kalaf.)

Wohl, Prinz! Wie's Euch beliebt! Ich geh' nach Hauſe, Ich richte Eure Botſchaft aus, doch glaubt' ich nicht, Nach ſo viel übernommener Gefahr Und Mühe Euren Argwohn zu verdienen.

(Im Abgehen.) Adelma wacht, und dieſer ſchlummert nicht.

(Entfernt ſich.)

Ralaf. Erſcheinungen! Du ſagteſt recht, Brigella! Doch daß mein Vater hier in Peckin ſei

Und meine Mutter tot, hat dieſes Weib

Mit einem heil' gen Eide mir bekräftigt! Kommt doch das Unglück nie allein! Ach nur

Zu glaubhaft iſt der Mund, der Böſes meldet! (Die entgegengeſetzte Türe öffnet ſich.) Noch ein Geſpenſt! Laß ſehen, was es will!

210 Turandot, Pringeffin von China

Ralaf (ſieht ihr ſcharf ins Geſicht, mit einem bittern Lächeln).

Hier, Sklavin, haſt du den gewohnten Schluß Der Rede weggelaſſen.

Zelima. Welchen Schluß?

Kalaf. 2005 Die Erde öffne ſich und ſchlinge mich Hinab, wenn ich Unwahres Euch berichte.

Zelima. So glaubt Ihr, Prinz, daß ich Euch Lügen ſage?

Kalaf. Ich glaub' es faſt und glaub' es ſo gewiß, Daß ich in dein Begehren nimmermehr 2070 Kann willigen. Rehr’ um zu der Prinzeſſin! Sag' ihr, mein einz'ger Ehrgeiz fei ihr Herz, Und meiner glühnden Liebe möge ſie Verzeihn, daß ich die Bitte muß verſagen. Zelima. Bedachtet Ihr, was dieſer Eigenſinn 20 Euch koſten kann? Kalaf.

Mag er mein Leben koſten!

Zelima. Es bleibt dabei, er wird's Euch koſten, Prinz. Beharrt Ihr drauf, mir nichts zu offenbaren?

Kalaf.

Zelima.

Nichts.

Lebet wohl! (Im Abgehen.)

Die Mühe konnt' ich ſparen!

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Vierter Aufzug. 10. Auftritt 211

Kalaf (allein).

Geht, weſenloſe Larven! Meinen Sinn Macht ihr nicht wankend. Andre Sorgen ſind's, Die mir das Herz beklemmen Skirinas Bericht iſt's, was mich ängſtiget Mein Vater In Peckin! Meine Mutter tot! Mut, Mut, mein Herz! In wenig Stunden iſt das Los geworfen. Könnt' ich den kurzen Zwiſchenraum im Arm Des Schlafs verträumen! Der gequälte Geiſt Sucht Ruhe, und mich deucht, ich fühle ſchon Den Gott die ſanften Flügel um mich breiten.

(Er legt ſich auf das Ruhebette und ſchläft ein.)

10. Auftritt

Adelma tritt auf, das Geſicht verſchleiert, eine Wachskerze in der Hand. Kalaf ſchlafend.

Adelma.

Nicht alles ſoll mißlingen Hab' ich gleich Vergebens alle Künſte des Betrugs Verſchwendet, ihm die Namen zu entlocken, So werd' ich doch nicht eben ſo umſonſt Verſuchen, ihn aus Peckin wegzuführen Und mit dem ſchönen Raube zu entfliehn! O heißerflehter Augenblick! Jetzt, Liebe! Die mir bisher den kühnen Mut verliehn, So manche Schranke mir ſchon überſtiegen, Dein Feuer laß auf meinen Lippen glühn, Hilf mir in dieſem ſchwerſten Kampfe ſiegen!

(Sie betrachtet den Schlafenden.) Der Liebſte ſchläft. Sei ruhig, pochend Herz, Erzittre nicht! Nicht gern, ihr holden Augen,

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210 Turandot, Prinzeſſin von China

Kalaf (ſieht ihr ſcharf ins Geſicht, mit einem bittern Lächeln).

Hier, Sklavin, haſt du den gewohnten Schluß Der Rede weggelaſſen.

Zelima. Welchen Schluß?

Ralof. Die Erde öffne ſich und ſchlinge mich Hinab, wenn ich Unwahres Euch berichte.

Zelima. So glaubt Ihr, Prinz, daß ich Euch Lügen ſage?

Aalaf. Ich glaub' es faſt und glaub' es ſo gewiß, Daß ich in dein Begehren nimmermehr Kann willigen. Kehr' um zu der Prinzeſſin! Sag' ihr, mein einz'ger Ehrgeiz ſei ihr Herz, Und meiner glühnden Liebe möge ſie Verzeihn, daß ich die Bitte muß verſagen. Zelima. Bedachtet Ihr, was dieſer Eigenſinn Euch koſten kann? Ralaf. Mag er mein Leben koſten! Zelima. Es bleibt dabei, er wird's Euch koſten, Prinz. Beharrt Ihr drauf, mir nichts zu offenbaren?

Kalaf.

Zelima.

Nichts.

Lebet wohl! (Im Abgehen.)

Die Mühe konnt' ich ſparen!

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Vierter Aufzug. 10. Auftritt 211

Nalaf (allein).

Geht, weſenloſe Larven! Meinen Sinn Macht ihr nicht wankend. Andre Sorgen ſind's, Die mir das Herz beklemmen Skirinas Bericht iſt's, was mich ängſtiget Mein Vater In Peckin! Meine Mutter tot! Mut, Mut, mein Herz! In wenig Stunden iſt das Los geworfen. Könnt' ich den kurzen Zwiſchenraum im Arm Des Schlafs verträumen! Der gequälte Geiſt Sucht Ruhe, und mich deucht, ich fühle ſchon Den Gott die ſanften Flügel um mich breiten.

(Er legt ſich auf das Ruhebette und ſchläft ein.)

10. Auftritt

Adelma tritt auf, das Geſicht verſchleiert, eine Wachskerze in der Hand. Kalaf ſchlafend.

Adelma.

Nicht alles ſoll mißlingen Hab' ich gleich Vergebens alle Künſte des Betrugs Verſchwendet, ihm die Namen zu entlocken, So werd' ich doch nicht eben ſo umſonſt Verſuchen, ihn aus Peckin wegzuführen Und mit dem ſchönen Raube zu entfliehn! O heißerflehter Augenblick! Jetzt, Liebe! Die mir bisher den kühnen Mut verliehn, So manche Schranke mir ſchon überſtiegen, Dein Feuer laß auf meinen Lippen glühn, Hilf mir in dieſem ſchwerſten Kampfe ſiegen!

(Sie betrachtet den Schlafenden.) Der Liebſte ſchläft. Sei ruhig, pochend Herz, Erzittre nicht! Nicht gern, ihr holden Augen,

212 Turandot, Pringefjin von China

Scheuch' ich den goldnen Schlummer von euch weg; Doch ſchon ergraut der Tag, ich darf nicht ſäumen. (Sie nähert ſich ihm und berührt ihn ſanft.)

Prinz! Wachet auf! Kalaf lerwachend). Wer ſtöret meinen Schlummer? Ein neues Trugbild? Nachtgeſpenſt, verſchwinde! Wird mir kein Augenblick der Ruh vergönnt? Adelma. Warum ſo heftig, Prinz? Was fürchtet Ihr? Nicht eine Feindin iſt's, die vor Euch ſteht; Nicht Euern Namen will ich Euch entlocken. Kalaf. 2110 Iſt dies dein Zweck, ſo ſpare deine Müh. Ich ſag' es dir voraus, du wirſt mich nicht betrügen. Adelma. Betrügen? Ich? Verdien' ich den Verdacht? Sagt an! War hier nicht Skirina bei Euch, Mit einem Brief Euch liſtig zu verſuchen?

Kalaf.

Adelma. Doch hat ſie nichts erlangt? Kalaf. Daß ich ein ſolcher Tor geweſen wäre! Adelina.

Gott ſei's gedankt! War eine Sklavin hier, Mit trüglicher Vorſpieglung Euch zu blenden?

Kalaf. Solch eine Sklavin war in Wahrheit hier, 2120 Doch zog ſie leer ab wie auch du wirſt gehn.

2105

2118s Wohl war ſie hier.

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Vierter Aufzug. 10. Auftritt 213

Adelma. Der Argwohn ſchmerzt, doch leicht verzeih' ich ihn. Lernt mich erſt kennen. Setzt Euch. Hört mich an,

Und dann verdammt mich als Betrügerin! Sie ſetzt ſich, er folgt.)

Kalaf. So redet dann und ſagt, was ich Euch ſoll.

Adelma. Erſt ſeht mich näher an Beſchaut mich wohl! Wer denkt Ihr, daß ich ſei?

Kalaf.

Dies hohe Weſen,

Der edle Anſtand zwingt mir Ehrfurcht ab. Das Kleid bezeichnet eine niedre Sklavin, Die ich, wo ich nicht irre, ſchon im Divan Geſehen und ihr Los beklagt.

Adelma.

Auch ich Hab' Euch die Götter wiſſen es, wie innig Bejammert, Prinz, es ſind fünf Jahre nun, Da ich, noch ſelber eine Günſtlingin Des Glücks, in niederm Sklavenſtand Euch ſah. Schon damals ſagte mir's mein Herz, daß Euch Geburt zu einem beſſern Los berufen. Ich weiß, daß ich getan, was ich gekonnt, Euch ein unwürdig Schickſal zu erleichtern, Weiß, daß mein Aug' ſich Euch verſtändlich machte, Soweit es einer Königstochter ziemte.

(Sie entſchleiert ſich.)

Seht her, mein Prinz, und ſagt mir: dies Geſicht, Habt Ihr es nie geſehn in Eurem Leben?

Kalaf. Adelma! Ew'ge Götter, ſeh' ich recht?

214 Turandot, Prinzeſſin von China

Adelma. Ihr ſehet in unwürd'gen Sklavenbanden 2143 Die Tochter Keikobads, des Königes Der Karazanen, einſt zum Thron beſtimmt, Jetzt zu der Knechtſchaft Schmach herabgeſtoßen.

Ralof. Die Welt hat Euch für tot beweint. In welcher Geſtalt, weh mir, muß ich Euch wiederfinden! 210 Euch hier als eine Sklavin des Serails, Die Königin, die edle Fürſtentochterl

Adelma.

Und als die Sklavin dieſer Turandot,

Der grauſamen Urſache meines Falles!

Vernehmt mein ganzes Unglück, Prinz. Mir lebte 21595 Ein Bruder, ein geliebter teurer Jüngling,

Den dieſe ſtolze Turandot wie Euch

Bezauberte Er wagte ſich im Divan.

(Sie hält inne, von Schluchzen und Tränen unterbrochen.)

Unter den Häuptern, die man auf dem Tore

Zu Peckin ſieht entſetzensvoller Anblick! 210 Erblicktet Ihr auch das geliebte Haupt

Des teuren Bruders, den ich noch beweine.

Kalaf. Unglückliche! So log die Sage nicht! So iſt ſie wahr, die klägliche Geſchichte, Die ich für eine Fabel nur gehalten!

Adelma. 215 Mein Vater Keikobad, ein kühner Mann, Nur ſeinem Schmerz gehorchend, überzog Die Staaten Altoums mit Heeresmacht, Des Sohnes Mord zu rächen Ach! das Glück War ihm nicht günſtig! Männlich fechtend fiel er 270 Mitt allen ſeinen Söhnen in der Schlacht.

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2200

Vierter Aufzug. 10. Auftritt 215

Ich ſelbſt, mit meiner Mutter, meinen Schweſtern, Ward auf Befehl des wütenden Veſirs,

Der unſern Stamm verfolgte, in den Strom Geworfen. Jene kamen um, nur mich

Errettete die Menſchlichkeit des Kaiſers,

Der in dem Augenblick ans Ufer kam.

Er ſchalt die Greueltat und ließ im Strom

Nach meinem jammervollen Leben fiſchen.

Schon halb entſeelt werd' ich zum Strand gezogen, Man ruft ins Leben mich zurück; ich werde

Der Turandot als Sklavin übergeben,

Zu glücklich noch, das Leben als Geſchenk

Von eines Feindes Großmut zu empfangen.

O lebt in Eurem Buſen menſchliches Gefühl,

So laßt mein Schickſal Euch zu Herzen gehn! Denkt, was ich leide! Denkt, wie es ins Herz Mir ſchneidet, ſie, die meinen ganzen Stamm Vertilgt, als eine Sklavin zu bedienen.

Kalaf. Mich jammert Euer Unglück. Ja, Prinzeſſin, Aufricht'ge Tränen zoll' ich Eurem Leiden Doch Euer grauſam Los, nicht Turandot Klagt an Eu'r Bruder fiel durch eigne Schuld, Euer Vater ſtürzte ſich und ſein Geſchlecht Durch übereilten Ratſchluß ins Verderben. Sagt! Was kann ich, ſelbſt ein Unglücklicher, Ein Ball der Schickſalsmächte, für Euch tun? Erſteig' ich morgen meiner Wünſche Gipfel, So ſollt Ihr frei und glücklich ſein Doch jetzt Kann Euer Unglück nichts als meins vermehren.

Adelma. Der Unbekannten konntet Ihr mißtrauen. Ihr kennt mich nun Der Fürſtin werdet Ihr,

216 Turandot, Prinzeſſin von China

Der Königstochter glauben, was ſie Euch Aus Mitleid ſagen muß und lieber noch Aus Zärtlichkeit, aus Liebe ſagen möchte. 2005 O möchte dies befangne Herz mir trauen, Wenn ich jetzt wider die Geliebte zeuge!

Kalaf. Adelma, ſprecht, was habt Ihr mir zu ſagen?

Adelma. Wißt alſo, Prinz Doch nein, Ihr werdet glauben, Ich ſei gekommen Euch zu täuſchen, werdet 2210 Mit jenen feilen Seelen mich verwechſeln, Die für das Sklavenjoch geboren ſind.

Kalaf. Quält mich nicht länger, ich beſchwör' Euch, ſprecht! Was iſt's? Was habt Ihr mir von ihr zu ſagen, Die meines Lebens einz'ge Göttin iſt?

Adelma (Geifeite). 2215 Gib, Himmel, daß ich jetzt ihn überredel (Zu Kalaf ſich wendend.) Prinz, dieſe Turandot, die ſchändliche, Herzloſe, falſche, hat Befehl gegeben, Euch heut' am frühen Morgen zu ermorden! Dies iſt die Liebe Eurer Lebensgöttin!

Kalaf. 2220 Mich zu ermorden? Adelina. Ja, Euch zu ermorden! Beim erſten Schritt aus dieſem Zimmer tauchen Sich zwanzig Degenſpitzen Euch ins Herz, So hat es die Unmenſchliche befohlen.

2225

2230

2235

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Vierter Aufzug. 10. Auftritt 217

Kalaf (ſteht ſchnell auf und geht gegen die Türe). Ich will die Wache unterrichten.

Adelma (hält ihn zurück). Bleibt!

Wo wollt Ihr hin? Ihr hofft noch, Euch zu retten? Unglücklicher, Ihr wißt nicht, wo Ihr ſeid, Daß Euch des Mordes Netze rings umgeben! Dieſelben Wachen, die der Kaiſer Euch Zu Hütern Eures Lebens gab, ſie ſind Gedingt von ſeiner Tochter, Euch zu töten.

Kalaf (außer ſich, laut und heftig mit dem Ausdruck des innigſten Leidens)

O Timur! Timur! Unglückſel'ger Vater! So muß dein Kalaf endigen! Du mußt Nach Peckin kommen, auf ſein Grab zu weinen! Das iſt der Troſt, den dir dein Sohn verſprach! Furchtbares Schickſal!

(Er verhüllt ſein Geſicht, ganz ſeinem Schmerz hingegeben.)

Adelma (vor ſich, mit frohem Erſtaunen). Kalaf! Timurs Sohn! Glückſel'ger Fund! Fall' es nun, wie es wolle! Entgeh' er meinen Schlingen auch, ich trage Mit dieſen Namen ſein Geſchick in Händen.

; Kalaf. So bin ich mitten unter den Soldaten, Die man zum Schutz mir an die Seite gab, Verraten! Ach, wohl ſagte mir's vorhin Der feilen Sklaven einer, daß Beſtechung Und Furcht des Mächtigen das ſchwere Band Der Treue löſen Leben, fahre hin! Vergeblich iſt's, dem grauſamen Geſtirn,

218 Turandot, Prinzeſſin von China

Das uns verfolgt, zu widerſtehn Du ſollſt Den Willen haben, Grauſame dein Aug'

An meinem Blute weiden. Süßes Leben,

Fahr hin! Nicht zu entfliehen iſt dem Schickſal.

Adelma (mit Feuer).

2250 Prinz, zum Entfliehen zeig' ich Euch die Wege, Nicht müß'ge Tränen bloß hab' ich für Euch. Gewacht hab' ich indes, geſorgt, gehandelt,

Kein Gold geſpart, die Hüter zu beſtechen. Der Weg iſt offen. Folgt mir. Euch vom Tode,

2255 Mich aus den Banden zu befreien, komm' ich. Die Pferde warten, die Gefährten ſind Bereit. Laßt uns aus dieſen Mauern fliehen, Worauf der Fluch der Götter liegt. Der Chan Von Berlas iſt mein Freund, iſt mir durch Bande

2260 Des Bluts verknüpft und heilige Verträge.

Er wird uns ſchützen, ſeine Staaten öffnen, Uns Waffen leihen, meiner Väter Reich Zurück zu nehmen, daß ich's mit Euch teile, Wenn Ihr der Liebe Opfer nicht verſchmäht.

2265 Verſchmäht Ihr's aber und verachtet mich, So iſt die Tartarei noch reich genug An Fürſtentöchtern, dieſer Turandot An Schönheit gleich und zärtlicher als ſie. Aus ihnen wählt Euch eine würdige

2270 Gemahlin aus. Ich will mein Herz befiegen. Nur rettet, rettet dieſes teure Leben!

(Sie ſpricht das folgende mit immer ſteigender Lebhaftigkeit, indem ſie ihn bei der Hand ergreift und mit ſich fortzureißen ſucht.)

O kommt! Die Zeit entflieht, indem wir ſprechen,

Die Hähne krähn, ſchon regt ſich's im Palaſt,

Todbringend ſteigt der Morgen ſchon herauf 2275 Fort, eh' der Rettung Pforten ſich verſchließen!

Vierter Aufzug. 10. Auftritt 219

Ralaf.

Großmütige Adelma! Einz'ge Freundin! Wie ſchmerzt es mich, daß ich nach Berlas Euch Nicht folgen, nicht der Freiheit ſüß Geſchenk, Nicht Euer väterliches Reich zurück

220 Euch geben kann Was würde Altoum Zu dieſer heimlichen Entweichung ſagen? Macht' ich nicht ſchändlichen Verrats mich ſchuldig, Wenn ich, des Gaſtrechts heilige Gebräuche Verletzend, aus dem innerſten Serail

2285 Die wertgehaltne Sklavin ihm entführte? Mein Herz iſt nicht mehr mein, Adelma. Selbſt Der Tod, den jene Stolze mir bereitet, Wird mir willkommen ſein von ihrer Hand. Flieht ohne mich, flieht, und geleiten Euch

220 Die Götter! Ich erwarte hier mein Schickſal. Noch tröſtlich iſt's, für Turandot zu ſterben, Wenn ich nicht leben kann für ſie Lebt wohl!

Adelma. Sinnloſer! Ihr beharrt? Ihr ſeid entſchloſſen?

Kalaf. Zu bleiben und den Mordſtreich zu erwarten.

Adelma. 2295 Ha, Undankbarer! Nicht die Liebe iſt's, Die Euch zurückhält Ihr verachtet mich! Ihr wählt den Tod, um nur nicht mir zu folgen. Verſchmähet meine Hand, verachtet mich, Nur flieht, nur rettet, rettet Euer Leben!

Ralaf. 2300 Verſchwendet Eure Worte nicht vergebens, Ich bleibe und erwarte mein Geſchick.

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220 Turandot, Prinzeſſin von China

Adelina. So bleibet denn. Auch ich will Sklavin bleiben, Ohn' Euch verſchmäh' ich auch der Freiheit Glück. Laß ſehn, wer von uns beiden, wenn es gilt,

Dem Tode kühner trotzt! (Von ihm wegtretend.) Wär' ich die erſte, Die durch Beſtändigkeit ans Ziel gelangte? (Vor ſich, mit Accent.) Kalaf! Sohn Timurs! (Verneigt ſich, ſpottend.) Unbekannter Prinz! Lebt wohl! (Geht ab.) Kalaf (allein). Wird dieſe Schreckensnacht nicht enden? Wer hat auf ſolcher Folter je gezittert? Und endet ſie, welch neues größres Schrecknis Bereitet mir der Tag! Aus welchen Händen! Hat meine edelmütig treue Liebe Solches um dich verdient, tyranniſch Herz! Wohlan! Den Himmel färbt das Morgenrot! Die Sonne ſteigt herauf, und allen Weſen Bringt ſie das Leben mir bringt ſie den Tod! Geduld, mein Herz! Dein Schickſal wird ſich löſen!

11. Auftritt Brigella. Kalaf. Brigelia.

Der Divan wird verſammelt, Herr. Die Stunde Iſt da. Macht Euch bereit.

Kalaf (mißt ioe mit wilden ſcheuen Blicken). Biſt du das Werkzeug? Wo haſt du deinen Dolch verſteckt? Mach's kurz,

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Vierter Aufzug. 11. Auftritt 221

Vollziehe die Befehle, die du haſt, Du raubſt mir nichts, worauf ich Wert noch legte.

Brigella. Was für Befehle, Herr? Ich habe keinen Befehl, als Euch zum Divan zu begleiten, Wo alles ſchon verſammelt iſt.

Kalaf (nach einigem Nachſinnen, refigniert). Laß uns denn gehn! Ich weiß, daß ich den Divan lebend nicht Erreichen werde Sieh, ob ich dem Tod Beherzt entgegentreten kann.

Brigella (ſieht ihn erſtaunt an). Was Teufel ſchwatzt er da von Tod und Sterben! Verwünſchtes Weibervolk! Sie haben ihn In dieſer ganzen Nacht nicht ſchlafen laſſen, Nun iſt er gar im Kopf verrückt!

Kalaf (wirft das Schwert auf den Boden).

Da liegt

Mein Schwert. Ich will mich nicht zur Wehre ſetzen. Die Grauſame erfahre wenigſtens,

Daß ich die unbeſchützte Bruſt von ſelbſt

Dem Streich des Todes dargeboten habe!

(Er geht ab und wird, ſowie er hinaustritt, von kriegeriſchem Spiel

empfangen.)

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2350

222 Turandot, Prinzeſſin von China

Fünfter Aufzug Die Szene ift die vom zweiten Aufzug.

Im Hintergrund des Divans ſteht ein Altar mit einer

chineſiſchen Gottheit und zwei Prieſtern, welche nach Auf⸗

ziehung eines Vorhanges ſichtbar werden. Bei Eröffnung

des Akts ſitzt Altoum auf ſeinem Throne. Pantalon und Tar⸗

taglia ſtehen zu ſeinen beiden Seiten; die acht Doktoren an ihrem Platze, die Wache unter dem Gewehre.

1. Auftritt

Altoum. Pantalon. Tartaglia. Doktoren. Wache. Gleich darauf Kalaf.

Ralaf (tritt mit einer ſtürmiſchen Bewegung in den Saal, voll Argwohn hinter ſich ſchauend. In der Mitte der Szene verbeugt er ſich gegen den Kaiſer, dann vor fid).

Wie? Ich bin lebend hier Mit jedem Schritt Erwartet' ich die zwanzig Schwerter in der Bruſt Zu fühlen, und von niemand angefallen

Hab' ich den ganzen Weg zurückgelegt?

So hätte mir Adelma falſche Botſchaft

Verkündet oder Turandot entdeckte

Die Namen, und mein Unglück iſt gewiß!

Altoum. Mein Sohn! Ich ſehe deinen Blick umwölkt, Dich quälen Furcht und Zweifel Fürchte nichts mehr, Bald werd' ich deine Stirn erheitert ſehn, In wenig Stunden endet deine Prüfung. Geheimniſſe von freudenreichem Inhalt Hab' ich für dich Noch will ich ſie im Buſen Verſchließen, teurer Jüngling, bis dein Herz,

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Fünfter Aufzug. 1. Auftritt 223

Der Freude offen, ſie vernehmen kann.

Doch merke dir: Nie kommt das Glück allein; Es folgt ihm ſtets, mit reicher Gaben Fülle Beladen, die Begleitung nach Du biſt

Mein Sohn, mein Eidam! Turandot iſt dein! Dreimal hat ſie in dieſer Nacht zu mir Geſendet, mich beſchworen und gefleht,

Sie von der furchtbarn Probe loszuſprechen. Daraus erkenne, ob du Urſach haſt,

Sie mit getroſtem Herzen zu erwarten.

Pantalon (zuverſichtlich). Das könnt Ihr, Hoheit! Auf mein Wort! Was das Betrifft, damit hat's ſeine Richtigkeit! Nehmt meinen Glückwunſch an, heut' iſt die Hochzeit. Zweimal ward ich in dieſer Nacht zu ihr Geholt; fie hatt' es gar zu eilig, kaum Ließ ſie mir Zeit, den Fuß in die Pantoffel Zu ſtecken; ungefrühſtückt ging ich hin; Es war ſo grimmig kalt, daß mir der Bart Noch zittert Aufſchub ſollt' ich ihr verſchaffen, Rat ſchaffen ſollt' ich Bei der Majeſtät Fürſprach einlegen Ja was ſollt' ich nicht! 's war mir ein rechtes Gaudium und Labſal, Ich leugn' es nicht, ſie deſperat zu ſehn.

Tartaglia. Ich ward um ſechs Uhr zu ihr hin beſchieden; Der Tag brach eben an, ſie hatte nicht Geſchlafen und ſah aus wie eine Eule. Wohl eine halbe Stunde bat ſie mich, Gab mir die ſchönſten Worte, doch umſonſt! Ich glaube gar, ich hab' ihr bittre Dinge Geſagt, für Ungeduld und grimm'ger Kälte.

224 Turandot, Prinzeſſin von China

Altoum.

Seht, wie ſie bis zum letzten Augenblick

Noch zaudert! Doch ſie ſperret ſich umſonſt.

Gemeſſene Befehle ſind gegeben,

Daß ſie durchaus im Divan muß erſcheinen, 2385 Und iſt's mit Güte nicht, fo iſt's mit Zwang.

Sie ſelbſt hat mich durch ihren Eigenſinn

Berechtigt, dieſe Strenge zu gebrauchen.

Erfahre ſie die Schande nun, die ich

Umſonſt ihr ſparen wollte Freue dich, 230 Mein Sohn! Nun iſt's an dir, zu triumphieren!

Kalaf. Ich dank' Euch, Sire. Mich freuen kann ich nicht. Zu ſchmerzlich leid' ich ſelbſt, daß der Geliebten Um meinetwillen Zwang geſchehen ſoll. Viel lieber wollt' ich Ach ich könnte nicht! 2305 Was wäre Leben ohne fie? Vielleicht Gelingt es endlich meiner zärtlichen Bewerbung, ihren Abſcheu zu beſiegen, Ihn einſt vielleicht in Liebe zu verwandeln. Mein ganzes Wollen ſoll ihr Sklave ſein 2400 Und all mein höchſtes Wünſchen ihre Liebe. Wer eine Gunſt bei mir erlangen will, Wird keines andern Fürſprachs nötig haben Als eines Winks aus ihrem ſchönen Aug g. Kein Nein aus meinem Munde ſoll ſie kränken, 2405 So lang' die Parze meinen Faden ſpinnt; So weit die Welle meines Lebens rinnt, Soll ſie mein einzig Träumen ſein und Denken!

Altoum. Auf denn! Man zögre länger nicht. Der Divan Werde zum Tempel. Man erhebe den Altar, 210 Der Prieſter halte ſich bereit. Sie ſoll

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Fünfter Aufzug. 2. Auftritt 225

Bei ihrem Eintritt gleich ihr Schickſal leſen Und ſoll erfahren, daß ich wollen kann, Was ich ihr ſchwur.

(Der hintere Vorhang wird aufgezogen; man erblickt den chineſiſchen Götzen, den Altar und die Prieſter, alles mit Kerzen beleuchtet.)

Man öffne alle Pforten, Das ganze Volk ſoll freien Eingang haben. Zeit iſt's, daß dieſes undankbare Kind Den tauſendfachen Kummer uns bezahle, Den ſie auf unſer greiſes Haupt gehäuft. (Man hört einen lugubren Marſch mit gedämpften Trommeln. Bald darauf zeigt ſich Truffaldin mit Verſchnittenen, hinter ihnen die Sklavinnen, darauf Turandot; alle in ſchwarzen Flören, die Frauen in ſchwarzen Schleiern.) Pantalon. Sie kommt! Sie kommt! Still! Welche Klagmuſik! Welch trauriges Gepräng! Ein Hochzeitmarſch, Der völlig einem Leichenzuge gleicht!

(Der Aufzug erfolgt ganz auf dieſelbe Weiſe und mit denſelben Zere⸗ monien wie im zweiten Akt.)

2. Auftritt

Vorige. Turandot. Adelma. Zelima. Ihre Sklavinnen und Verſchnittenen.)

Turandot

(nachdem ſie ihren Thron beſtiegen und eine allgemeine Stille erfolgt, zu Kalaf).

Dies Trauergepränge, unbekannter Prinz, Und dieſer Schmerz, den mein Gefolge zeigt, Ich weiß, iſt Eurem Auge ſüße Weide.

Ich ſehe den Altar geſchmückt, den Prieſter

Zu meiner Trauung ſchon bereit, ich leſe

Den Hohn in jedem Blick und möchte weinen. Was Kunſt und tiefe Wiſſenſchaft nur immer Vermochten, hab' ich angewandt, den Sieg Euch zu entreißen, dieſem Augenblick,

Schillers Werke. IX. 15

226 Turandot, Prinzeſſin von China

240 Der meinen Ruhm vernichtet, zu entfliehen, Doch endlich muß ich meinem Schickſal weichen.

Kalaf. O läſe Turandot in meinem Herzen, Wie ihre Trauer meine Freude dämpft, Gewiß, es würde ihren Zorn entwaffnen. 245 War's ein Vergehn, nach ſolchem Gut zu ſtreben, Ein Frevel wär's, es zaghaft aufzugeben!

Altoum. Prinz, der Herablaſſung iſt ſie nicht wert, An ihr iſt's jetzo, ſich herabzugeben! Kann ſie's mit edelm Auſtand nicht, mag fie 2440 Sich darein finden, wie fie kann Man ſchreite Zum Werk! Der Inſtrumente froher Schall Verkünde laut

Turandot. Gemach! Damit iſt's noch zu früh! (Aufſtehend und zu Kalaf ſich wendend.) Vollkommner konnte mein Triumph nicht ſein, Als dein getäuſchtes Herz in ſüße Hoffnung 2443 Erſt einzuwiegen und mit einemmal Nun in den Abgrund nieder dich zu ſchleudern.

(Langſam und mit erhobener Stimme.) Hör', Kalaf, Timurs Sohn! Verlaß den Divan! Die beiden Namen hat mein Geiſt gefunden. Such' eine andre Braut Weh dir und allen, 240 Die ſich im Kampf mit Turandot verſuchen!

alaf. O ich Unglücklicher!

Altoum. Iſt's möglich? Götter!

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Fünfter Aufzug. 2. Auftritt 227

Pantalon.

Heil'ge Katharina! (Zu Tartaglia.) Geht heim! Laßt Euch den Bart auszwicken, Doktor!

Tartaglia. Allerhöchſter Tien! Mein Verſtand ſteht ſtill!

Ralaf.

Alles verloren! Alle Hoffnung tot! Wer ſteht mir bei? Ach mir kann niemand helfen, Ich bin mein eigner Mörder; meine Liebe Verlier' ich, weil ich allzuſehr geliebt! Warum hab' ich die Rätſel geſtern nicht Mit Fleiß verfehlt, ſo läge dieſes Haupt Jetzt ruhig in dem ew'gen Schlaf des Todes, Und meine bange Seele hätte Luft. Warum, zu güt'ger Kaiſer, mußtet Ihr Das Blutgeſetz zu meinem Vorteil mildern, Daß ich mit meinem Haupt dafür bezahlte, Wenn ſie mein Rätſel aufgelöſt So wäre Ihr Sieg vollkommen und ihr Herz befriedigt!

(Ein unwilliges Gemurmel entſteht im Hintergrund.)

Altaum. Kalaf! Mein Alter unterliegt dem Schmerz, Der unverſehne Blitzſtrahl ſchlägt mich nieder.

Turandot (beiſeite zu Zelima). Sein tiefer Jammer rührt mich, Zelima; Ich weiß mein Herz nicht mehr vor ihm zu ſchützen.

Zelima (leiſe zu Turandot). O ſo ergebt Euch einmal. Macht ein Ende! Ihr ſeht! Ihr hört! Das Volk wird ungeduldig!

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228 Turandot, Prinzeſſin von China

Adelma (vor ſich). An dieſem Augenblick hängt Tod und Leben!

Kalaf. Und braucht's denn des Geſetzes Schwert, ein Leben Zu endigen, das länger mir zu tragen Unmöglich iſt? (Er tritt an den Thron der Turandot.) Ja, Unverſöhnliche! Sieh hier den Kalaf, den du kennſt den du Als einen namenloſen Fremdling haßteſt, Den du jetzt kennſt und fortfährſt zu verſchmähn. Verlohnte ſich's, ein Daſein zu verlängern, Das ſo ganz wertlos iſt vor deinen Augen? Du ſollſt befriedigt werden, Grauſame. Nicht länger ſoll mein Anblick dieſe Sonne Beleidigen Zu deinen Füßen (Er zieht einen Dolch und will ſich durchſtechen. In demſelben Augenblick

macht Adelma eine Bewegung, ihn zurückzuhalten, und Turandot ſtürzt von ihrem Thron.)

Turandot (ihm in den Arm fallend, mit dem Ausdruck des Schreckens und der Liebe).

Kalaf! (Beide ſehen einander mit unverwandten Blicken an und bleiben eine Zeit⸗ lang unbeweglich in dieſer Stellung.)

Altoum.

Was ſeh' ich!

Kalaf (nach einer Pauſe).

Du? Du hinderſt meinen Tod? Iſt das dein Mitleid, daß ich leben ſoll, Ein Leben ohne Hoffnung, ohne Liebe? Meiner Verzweiflung denkſt du zu gebieten? Hier endet deine Macht. Du kannſt mich töten, Doch mich zum Leben zwingen kannſt du nicht. Laß mich, und wenn noch Mitleid in dir glimmt, So zeig' es meinem jammervollen Vater.

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Fünfter Aufzug. 2. Auftritt 229

Er iſt zu Peckin, er bedarf des Troſtes, Denn auch des Alters letzte Stütze noch, Den teuren, einz'gen Sohn raubt ihm das Schickſal.

Er will ſich töten.)

Turandot (wirft ſich ihm in die Arme). Lebt, Kalaf! Leben ſollt Ihr und für mich! Ich bin beſiegt. Ich will mein Herz nicht mehr Verbergen Eile, Zelima, den beiden Verlaſſenen, du kennſt ſie, Troſt zu bringen, Freiheit und Freude zu verkünden Eile! Zelima.

Ach und wie gerne!

(Sie eilt hinaus.)

Adelma (vor ſich).

Es iſt Zeit, zu ſterben. Die Hoffnung iſt verloren.

Kalaf. Träum' ich, Götter?

Turandot. Ich will mich keines Ruhms anmaßen, Prinz, Der mir nicht zukommt. Wiſſet denn; es wiſſ' Es alle Welt! Nicht meiner Wiſſenſchaft, Dem Zufall, Eurer eignen Übereilung Verdank' ich das Geheimnis Eures Namens. Ihr ſelbſt, Ihr ließet gegen meine Sklavin Adelma beide Namen Euch entſchlüpfen. Durch ſie bin ich dazu gelangt Ihr alſo habt Geſiegt, nicht ich, und Euer iſt der Preis. Doch nicht bloß, um Gerechtigkeit zu üben Und dem Geſetz genug zu tun Nein, Prinz! Um meinem eignen Herzen zu gehorchen, Schenk ich mich Euch Ach, es war Euer, gleich Im erſten Augenblick, da ich Euch ſah!

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230 Turandot, Pringeffin von China

Adelina, O nie gefühlte Darter!

Kalaf (der dieſe ganze Zeit über wie ein Träumender geſtanden, ſcheint jetzt erſt zu ſich ſelbſt zu kommen und ſchließt die Prinzeſſin mit Entzückung in ſeine Arme).

Ihr die Meine? O töte mich nicht, Übermaß der Wonne!

Altoum. Die Götter ſegnen dich, geliebte Tochter, Daß du mein Alter endlich willſt erfreun. Verziehen ſei dir jedes vor'ge Leid, Der Augenblick heilt jede Herzenswunde.

Pantalon. Hochzeit! Hochzeit! Macht Platz, ihr Herrn Doktoren!

Tartaglia. Platz! Platz! Der Bund ſei alſogleich beſchworen!

Adelma. N Ja, lebe, Grauſamer, und lebe glücklich Mit ihr, die meine Seele haßt! (Zu Turandot.) Ja, wiſſe, Daß ich dich nie geliebt, daß ich dich haſſe Und nur aus Haß gehandelt, wie ich tat. Die Namen ſagt' ich dir, um den Geliebten Aus deinem Arm zu reißen und mit ihm, Der meine Liebe war, eh' du ihn ſahſt, In glücklichere Länder mich zu flüchten. Noch dieſe Nacht, da ich zu deinem Dienſt Geſchäftig ſchien, verſucht' ich alle Liſten, Selbſt die Verleumdung ſpart' ich nicht, zur Flucht Mit mir ihn zu bereden doch umſonſt!

Fünfter Aufzug. 2. Auftritt 231

In ſeinem Schmerz entſchlüpften ihm die Namen, Und ich verriet ſie dir: du ſollteſt ſiegen, 240 Verbannt von deinem Angeſicht ſollt' er In meinen Arm ſich werfen Eitle Hoffnung! Zu innig liebt' er dich und wählte lieber, Durch dich zu ſterben, als für mich zu leben! Verloren hab' ich alle meine Mühen, 25s Nur eins ſteht noch in meiner Macht. Ich ſtamme Wie du von königlichem Blut und muß erröten, Daß ich ſo lange Sklavenfeſſeln trug. In dir muß ich die blut'ge Feindin haſſen, Du haſt mir Vater, Mutter, Brüder, Schweſtern, 2550 Mir alles, was mir teuer war, geraubt, Und nun auch den Geliebten raubſt du mir. So nimm auch noch die Letzte meines Stammes,

Mich ſelbſt zum Raube hin Ich will nicht leben! (Sie hebt den Dolch, welchen Turandot dem Kalaf entriſſen, von der Erde auf.)

Verzweiflung zückte dieſen Dolch; er hat ass Das Herz gefunden, das er ſpalten ſoll. (Sie will ſich erſtechen.)

Kalaf (fat ihr in den Arm). Faßt Euch, Adelma.

Adelma. Laß mich, Undankbarer! In ihrem Arm dich ſehen? Nimmermehr!

Kalaf. Ihr ſollt nicht ſterben. Eurem glücklichen Verrate dank ich's, daß dies ſchöne Herz, 260 Dem Zwange feind, mich edelmütig frei Beglücken konnte Gütiger Monarch, Wenn meine heißen Bitten was vermögen, So habe ſie die Freiheit zum Geſchenk,

232 Turandot, Prinzeſſin von China

Und unſers Glückes erſtes Unterpfand 2565 Sei eine Glückliche! Turandot. Auch ich, mein Vater, Vereinige mein Bitten mit dem ſeinen. Zu haſſenswert, ich fühl' es, muß ich ihr Erſcheinen; mir verzeihen kann ſie nie Und könnte nie an mein Verzeihen glauben. 2570 Sie werde frei, und ijt ein größer Glück Für ſie noch übrig, ſo gewährt es ihr: Wir haben viele Tränen fließen machen Und müſſen eilen, Freude zu verbreiten.

Pantalon. Ums Himmels willen, Sire, ſchreibt ihr den Laufpaß, 2575 So ſchnell Ihr könnt, und gebt ihr, wenn ſie's fordert, Ein ganzes Königreich noch auf den Weg. Mir iſt ganz weh und bang, daß unſre Freude In Rauch aufgeh', ſo lang' ein wütend Weib Sich unter einem Dach mit Euch befindet.

Altoum (zu Turandot). 2680 An ſolchem Freudentag, den du mir ſchenkſt, Soll meine Milde keine Grenzen kennen. Nicht bloß die Freiheit ſchenk' ich ihr. Sie nehme Die väterlichen Staaten auch zurück Und teile ſie mit einem würd'gen Gatten, 2588 Der klug ſei und den Mächtigen nicht reize.

Adelina. Sire Königin Ich bin beſchämt, verwirrt, So große Huld und Milde drückt mich nieder. Die Zeit vielleicht, die alle Wunden heilt, Wird meinen Kummer lindern Jetzt vergönnt mir 2690 Zu ſchweigen und von Eurem Angeſicht

Fünfter Aufzug. 3. Auftritt 233

Zu gehn Denn nur der Tränen bin ich fähig,

Die unaufhaltſam dieſem Aug' entſtrömen!

(Sie geht ab mit verhülltem Geſicht, noch einen glühenden Blick auf Kalaf werfend, eh' ſie ſcheidet.)

Letzter Auftritt

Die Vorigen ohne Adelma. Gegen das Ende Timur, Barak Skirina und Zelima. N

Kalaf.

Mein Vater, o wo find' ich dich, wo biſt du,

Daß ich die Fülle meines Glücks in deinen Buſen 2595 Ausgieße? Turandot (verlegen und beſchämt). ! Kalaf, Euer edler Vater iſt Bei mir, iſt hier In dieſem Augenblicke Fühlt er ſein Glück Verlangt nicht mehr zu wiſſen, Nicht ein Geſtändnis, das mich ſchamrot macht, Vor allen dieſen Zeugen zu vernehmen.

Altoum. 2600 Timur bei dir? Wo iſt er? Freue dich, g Mein Sohn! Dies Kaiſerreich haſt du gewonnen,

Auch dein verlornes Reich iſt wieder dein. Ermordet iſt der grauſame Tyrann,

| Der dich beraubte! Deines Volkes Stimme

2605 Ruft dich zurück auf deiner Väter Thron,

Den dir ein treuer Diener aufbewahrt.

ö Durch alle Länder hat dich ſeine Botſchaft

Geſucht, und ſelbſt zu mir iſt ſie gedrungen

Dies Blatt enthält das Ende deines Unglücks.

(Überreicht ihm einen Brief.)

234 Turandot, Prinzeſſin von China

Kalaf (wirft einen Blick hinein und ſteht eine Zeitlang in ſprachloſer Rührung).

2610 Götter des Himmels! Mein Entzücken iſt

Droben bei euch, die Lippe iſt verſiegelt. (In dieſem Augenblick öffnet ſich der Saal, Timur und Barak treten herein, von Zelima und ihrer Mutter begleitet. Wie Kalaf ſeinen Vater erblickt, eilt er ihm mit ausgebreiteten Armen entgegen. Barak ſinkt zu Kalafs Füßen, indem ſich Zelima und ihre Mutter vor der Turandot niederwerfen, welche ſie gütig aufhebt. Altoum, Pantalon und Tartaglia ſtehen gerührt. Unter dieſen Bewegungen fällt der Vorhang.)

Der Paraſit oder

Die Kunſt ſein Glück zu machen

Ein Luſtſpiel in fünf Aufzügen

Nach dem Franzöſiſchen des Picard

Perſonen

Narbonne, Miniſter.

Madame Belmont, ſeine Mutter.

Charlotte, ſeine Tochter.

Selicour,

La Roche, Subalternen des Miniſters. Firmin,

Karl Firmin, des letztern Sohn, Leutnant. Michel, Kammerdiener des Miniſters. Robineau, ein junger Bauer, Selicours Vetter.

Die Szene iſt zu Paris in einem Vorgemach des Miniſters.

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Erſter Aufzug 1. Auftritt

Firm in der Vater und Karl Firmin.

Karl. Welch glücklicher Zufall denken Sie doch, Vater!

Firmin. Was iſt's?

Karl. Ich habe ſie wiedergefunden.

Firmin. Wen?

Karl. Charlotten. Seitdem ich in Paris bin, ſuchte ich ſie an allen öffentlichen Plätzen vergebens und das erſte Mal, daß ich zu Ihnen aufs Bureau komme, führt mein Glücksſtern ſie mir entgegen.

Firmin. Aber wie denn?

Karl. Denken Sie doch nur! Dieſes herrliche Mäd⸗ chen, das ich zu Colmar im Haus ihrer Tante beſuchte dieſe Charlotte, die ich liebe und ewig lieben werde ſie iſt die Tochter

Firmin. Weſſen?

Karl. Ihres Prinzipals, des neuen Miniſters. Ich kannte ſie immer nur unter dem Namen Charlotte.

Firmin. Sie iſt die Tochter?

Karl. Des Herrn von Narbonne.

Firmin. Und du liebſt ſie noch?

Karl. Mehr als jemals, mein Vater! Sie hat mich nicht erkannt, glaub' ich; ich wollte ihr eben meine

240 Der Paraſit

Verbeugung machen, als Sie hereintraten. Und gut, daß Sie mich ſtörten! denn was hätte ich ihr ſagen können! Meine Verwirrung mußte ihr ſichtbar werden und meine Gefühle verraten! Ich beherrſche mich nicht mehr. Seit den ſechs Monaten, daß ich von ihr getrennt bin, iſt ſie mein einziger Gedanke ſie iſt der Inhalt, die Seele meiner Gedichte der Beifall, den man mir gezollt, ihr allein gebührt er; denn meine Liebe iſt der Gott, der mich begeiſtert.

Firmin. Ein Poet und ein Verliebter überredet ſich vieles, wenn er zwanzig Jahr alt iſt. Auch ich habe in deinen Jahren meine Verſe und meine Zeit ver⸗ loren. Schade, daß über dem ſchönen Wahn des Lebens beſte Hälfte dahingeht. Und wenn doch nur wenigſtens einige Hoffnung bei dieſer Liebe wäre Aber nach etwas zu ſtreben, was man niemals erreichen kann! Charlotte Narbonne iſt eines reichen und vornehmen Mannes Tochter Unſer ganzer Reichtum iſt meine Stelle und deine Leutnantsgage.

Karl. Aber iſt das nicht ein wenig Ihre eigene Schuld, mein Vater? Verzeihen Sie! Mit Ihren Fähig⸗ keiten, wornach könnten Sie nicht ſtreben! Wollten Sie Ihren Wert geltend machen, Sie wären vielleicht ſelbſt Miniſter, anſtatt ſein Commis zu ſein, und Ihr Sohn dürfte ungeſcheut ſeine Anſprüche zu Charlotten erheben.

Firmin. Dein Vater iſt das größte Genie, wenn man dich hört! Laß gut ſein, mein Sohn, ich weiß beſſer, was ich wert bin! Ich habe einige Übung und bin zu brauchen aber wie viele ganz andere Männer, als ich bin, bleiben im Dunkeln und ſehen ſich von unverſchämten Glückspilzen verdrängt Nein, mein Sohn! Laß uns nicht zu hoch hinaus wollen!

Karl. Aber auch nicht zu wenig auf uns halten. Wie? Sollten Sie nicht unendlich mehr wert ſein als

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Erſter Aufzug. 1. Auftritt 241

dieſer Selicour, Ihr Vorgeſetzter dieſer aufgeblaſene Hohlkopf, der unter dem vorigen Miniſter alles machte, der ſich durch Niederträchtigkeiten in ſeine Gunſt ein⸗ ſchmeichelte, Stellen vergab, Penſionen erſchlich, und der jetzt auch ſchon bei dem neuen Miniſter alles gilt, wie ich höre?

Firmin. Was haſt du gegen dieſen Selicour? Wird ſein Geſchäft nicht getan, wie es ſein ſoll?

Karl. Ja, weil Sie ihm helfen. Sie können nicht leugnen, daß Sie drei Vierteile ſeiner Arbeit ver⸗ richten.

Eirmin. Man muß einander wechſelſeitig zu Gefallen ſein. Verſeh' ich ſeine Stelle, ſo verſieht er auch oft die meinige.

Karl. Ganz recht, darum ſollten Sie an ſeinem Platze ſtehen, und er an dem Ihren.

Firmin. Ich will keinen andern aus ſeinem Platze verdrängen und bin gern da, wo ich ſtehe, in der Dunkelheit.

Karl. Sie ſollten ſo hoch ſtreben, als Sie reichen können. Daß Sie unter dem vorigen Miniſter ſich in der Entfernung hielten, machte Ihrer Denkungsart Ehre, und ich bewunderte Sie darum nur deſto mehr. Sie fühlten ſich zu edel, um durch die Gunſt erlangen zu wollen, was Ihrem Verdienſt gebührte. Aber Narbonne, ſagt man, iſt ein vortrefflicher Mann, der das Verdienſt aufſucht, der das Gute will. Warum wollen Sie aus übertriebener Beſcheidenheit auch jetzt noch der Unfähig⸗ keit und Intrige das Feld überlaſſen?

Eirmin. Deine Leidenſchaft verführt dich, Selicours Fehler und mein Verdienſt zu übertreiben. Sei es auch, daß Selicour für ſein mittelmäßiges Talent zu hoch hinaus will, er iſt redlich und meint es gut. Mag

er ſeine Arbeit tun oder durch einen andern tun laſſen Schillers Werke. IX. 16

242 Der Paraſit

wenn ſie nur getan wird! Und geſetzt, er taugte weniger, tauge ich um deſſentwillen mehr? Wächſt mir ein Verdienſt zu aus ſeinem Unwert? Ich habe mir bisher in meiner Verborgenheit ganz wohl gefallen und nach keinem höhern Ziel geſtrebt. Soll ich in meinem Alter meine Geſinnung ändern? Mein Platz ſei zu ſchlecht für mich! Immerhin! Weit beſſer, als wenn ich zu ſchlecht für meine Stelle wäre! Karl. Und ich müßte alſo Charlotten entſagen!

2. Auftritt La Roche. Beide Firmin.

Eirmin. Kommt da nicht La Roche?

Ta Noche (niedergeſchlagen). Er ſelbſt.

Firmin. So ſchwermütig? Was ijt Ihnen begegnet?

Ta Noche. Sie gehen aufs Bureau! Wie glücklich ſind Sie! Ich ich will den angenehmen Morgen genießen und auf dem Wall promenieren.

Zirmin, La Roche! Was ijt das? Sollten Sie nicht mehr

Ta Noche Guckt die Achſeln). Nicht mehr. Mein Platz iſt vergeben. Seit geſtern Abend hab' ich meinen Lauf⸗ paß erhalten.

Karl. Um Gottes willen!

Ta Rote. Meine Frau weiß noch nichts davon. Laſſen Sie ſich ja nichts gegen ſie merken. Sie iſt krank, ſie würde den Tod davon haben.

Karl. Sorgen Sie nicht. Von uns ſoll ſie nichts erfahren.

Eirmin. Aber ſagen Sie mir, La Roche, wie

Ta Boche. Hat man mir das Geringſte vorzuwerfen? Ich will mich nicht ſelbſt loben, aber ich kann ein Re⸗

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Erſter Aufzug. 2. Auftritt 243

giſter halten, meine Korreſpondenz führen, denk' ich, ſo gut als ein anderer. Ich habe keine Schulden, gegen meine Sitten iſt nichts zu ſagen. Auf dem Bureau bin ich der erſte, der kommt, und der letzte, der abgeht, und doch verabſchiedet!

Tirmin. Wer Sie kennt, muß Ihnen das Zeugnis geben

Karl. Aber wer kann Ihnen dieſen ſchlimmen Dienſt geleiſtet haben?

Ta Noche. Wer? Es ijt ein Freundſchaftsdienſt von dem Selicour.

Karl. Iſt's möglich?

Ta Noche. Ich hab' es von guter Hand.

Eirmin. Aber wie? f

Ta Roche. Der Selicour ijt aus meinem Ort, wie Sie wiſſen. Wir haben beide gleiches Alter. Sein bißchen Schreiben hat er von mir gelernt, denn mein Vater war Kantor in unſerm Dorf. Ich hab' ihn in die Geſchäfte eingeführt. Zum Dank dafür ſchickt er mich jetzt fort, um ich weiß nicht welchen Vetter von dem Kammerdiener unſers neuen Miniſters in meinen Platz einzuſchieben.

Karl. Ein ſaubres Plänchen!

Eirmin. Aber wäre da nicht noch Rat zu ſchaffen?

Ta Noche. Den erwart' ich von Ihnen, Herr Firmin! Zu Ihnen wollt' ich mich eben wenden. Sie denken rechtſchaffen. Hören Sie! Um meine Stelle iſt mir's nicht zu tun, aber rächen will ich mich. Dieſer unver⸗ ſchämte Bube, der gegen ſeine Obern ſo geſchmeidig, ſo kriechend iſt, glaubt einem armen Schlucker, wie ich bin, ungeſtraft ein Bein unterſchlagen zu können. Aber nimm dich in Acht, Freund Selicour! Der verachtete Gegner ſoll dir ſehr ernſthafte Händel anrichten! Und ſollt' es mir meine Stelle, meine Verſorgung auf immer koſten ich muß Rache haben! Für meine Freunde

244 Der Paraſit

gehe ich ins Feuer, aber meine Feinde mögen an mich denken.

Firmin. Nicht doch, lieber La Roche! Vergeben und vergeſſen iſt die Rache des braven Mannes.

Ta Rote. Keine Barmherzigkeit, Herr, mit den Schelmen! Schlechte Burſche zu entlarven iſt ein gutes, ein verdienſtliches Werk. Seine Stelle, das wiſſen Sie recht gut, gebührt von Gott und Rechtswegen Ihnen und das aus mehr als einem Grund. Aber arbeitet, zerſchwitzt Euch, laßt's Euch ſauer werden, Ihr habt doch nur Zeit und Mühe umſonſt vergeudet! Wer fragt nach Eurem Verdienſte? Wer bekümmert ſich darum? Kriecht, ſchmeichelt, macht den Krummpuckel, ſtreicht den Katzen⸗ ſchwanz, das empfiehlt ſeinen Mann! Das iſt der Weg zum Glück und zur Ehre! So hat's dieſer Selicour gemacht, und Ihr ſeht, wie wohl er ſich dabei befindet!

Tirmin. Aber tun Sie dem guten Manne nicht Un⸗ recht, lieber La Roche?

Ta Noche. Ich ihm Unrecht! Nun, nun ich will mich eben für keinen tiefen Menſchenkenner geben, aber dieſen Selicour, den ſeh' ich durch! den hab' ich ich kenne mich ſelbſt nicht ſo gut, als ich den kenne. Schon in der Schule ſah man, welch Früchtchen das geben würde! Das ſchwänzelte um den Lehrmeiſter herum und horchte und ſchmeichelte und wußte ſich fremdes Verdienſt zuzueignen und ſeine Eier in fremde Neſter zu legen. Das erſchrak vor keiner Niederträchtigkeit, um ſich ein⸗ zuſchmeicheln, einzuniſten. Als er älter ward, ging das alles ins Große. Bald ſpielte er den Heuchler, bald den Spaßmacher, wie's die Zeit heiſchte; mit jedem Winde wußte er zu ſegeln. Denken Sie nicht, daß ich ihn ver⸗ leumde! Man weiß, wie es unter dem vorigen Miniſter zuging. Nun, er iſt tot ich will ihm nichts Böſes nachreden. Aber wie wußte dieſer Selicour ſeinen

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Erſter Aufzug. 2. Auftritt 245

Schwächen, ſeinen Laſtern durch die ſchändlichſten Kuppler⸗ dienſte zu ſchmeicheln! Und kaum fällt der Miniſter, ſo iſt er der erſte, der ihn verläßt, der ihn verleugnet.

Karl. Aber wie kann er ſich bei dem neuen Herrn behaupten, der ein ſo würdiger Mann iſt?

Ta Roche. Wie? Mit Heucheln. Der weiß ſich nach ſeinen Leuten zu richten und ſeinen Charakter nach den Umſtänden zu verändern. Auch auf eine gute Hand⸗ lung kommt's ihm nicht an, wenn dabei etwas zu ge- winnen iſt, ſo wenig als auf ein Bubenſtück, wenn es zum Zwecke führt.

Karl. Aber Herr Narbonne hat einen durchdringen⸗ den Geiſt und wird ſeinen Mann bald ausgefunden haben.

Ta Noche. Das iſt's eben, was er fürchtet. Aber fo leer ſein Kopf an allen nützlichen Kenntniſſen iſt, fo reich iſt er an Kniffen. So, zum Beiſpiel, ſpielt er den Überhäuften, den Geſchäftvollen und weiß dadurch jeder gründlichen Unterredung zu entſchlüpfen, wo ſeine Unwiſſenheit ans Licht kommen könnte. Übrigens trägt er ſich mit keinen kleinen Projekten; ich kenne ſie recht gut, ob er ſie gleich tief zu verbergen glaubt.

Firmin. Wie fo? Was find das für Projekte?

Ta Noche. Narbonne, der bei dem Gouvernement jetzt ſehr viel zu ſagen hat, ſucht eine fähige Perſon zu einem großen Geſandtſchaftspoſten. Er hat die Prä⸗ ſentation; wen er dazu empfiehlt, der iſt's. Nun hat dieſer Narbonne auch eine einzige Tochter, ſiebzehn Jahre alt, ſchön und liebenswürdig und von unermeßlichem Vermögen. Gelingt's nun dem Selicour, in einem ſo hohen Poſten aus dem Land und dem hellſehenden Miniſter aus den Augen zu kommen, ſo kann er mit Hilfe eines geſchickten und diskreten Sekretärs ſeine Hohlköpfig⸗ keit lange verbergen. Kommt ſie aber auch endlich an den Tag, wie es nicht fehlen kann, was tut das als⸗

246 Der Parafit

dann dem Schwiegerſohn des Miniſters? Der Miniſter muß alſo zuerſt gewonnen werden, und da gibt man ſich nun die Miene eines geübten Diplomatikers. Die Mutter des Miniſters iſt eine gute ſchwatzhafte Alte, die eine Kennerin ſein will und ſich viel mit der Muſik weiß. Bei dieſer Alten hat er ſich eingeniſtet, hat ihr Cha⸗ raden und Sonette vorgeſagt, ja und der Stümper hat die Dreiſtigkeit, ihr des Abends Arien und Lieder auf der Gitarre vorzuklimpern. Das Fräulein hat Ro⸗ mane geleſen, bei ihr macht er den Empfindſamen, den Verliebten, und ſo iſt er der Liebling des ganzen Hauſes, von der Mutter gehätſchelt, von der Tochter geſchätzt. Die Geſandtſchaft iſt ihm ſo gut als ſchon gewiß, und nächſtens wird er um die Hand der Tochter an⸗ halten.

Karl. Was hör' ich! Er ſollte die Kühnheit haben, ſich um Charlotten zu bewerben?

Ta Rote. Die hat er, das können Sie mir glauben.

Karl. Charlotten, die ich liebe! die ich anbete!

Ta Noche. Sie lieben fie? Sie?

Eirmin. Er iſt ein Narr! Er iſt nicht bei Sinnen! Hören Sie ihn nicht an!

Ta Noche. Was hör' ich! Iſt's möglich? Nein, nein, Herr Firmin! Dieſe Liebe iſt ganz und gar keine Narrheit wart' wart' die kann uns zu etwas führen. Dieſe Liebe kommt mir erwünſcht die paßt ganz in meine Projekte!

Karl. Was träumt er?

Ta Noche. Dieſer Selicour iſt in die Luft geſprengt! In die Luft, ſag' ich. Rein verloren! In ſeinem Ehrgeiz ſoll ihn der Vater, in ſeiner Liebe ſoll ihn der Sohn aus dem Sattel heben.

Zirmin. Aber ich bitte Sie

Ta Noche. Laßt nur mich machen! Laßt mich machen,

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Erſter Aufzug. 2. Auftritt 247

ſag' ich! Und über kurz oder lang ſind Sie Ambaſſadeur, und Karl heiratet Fräulein Charlotten.

Karl. Ich Charlotten heiraten!

Firmin. Ich Ambaſſadeur!

Ta Roche. Nun! Nun! Warum nicht? Sie verdienten es beſſer, ſollt' ich meinen, als dieſer Selicour.

Firmin. Lieber La Roche! Ch’ Sie uns andern jo große Stellen verſchaffen, dächte ich, Sie ſorgten, Ihre eigne wieder zu erhalten.

Karl. Das gleicht unſerm Freund! So iſt er! Immer unternehmend, immer Plane ſchmiedend! Aber damit langt man nicht aus! Es braucht Gewandtheit und Klugheit zur Ausführung und daß der Freund es ſo leicht nimmt, das hat ihm ſchon ſchwere Händel an⸗ gerichtet!

Ta Rothe. Es mag ſein, ich verſpreche vielleicht mehr, als ich halten kann. Aber alles, was ich ſehe, belebt meine Hoffnung, und der Verſuch kann nichts ſchaden. Für mich ſelbſt möchte ich um keinen Preis eine Intrige ſpielen aber dieſen Selicour in die Luft zu ſprengen, meinen Freunden einen Dienſt zu leiſten das iſt löblich, das iſt köſtlich, das macht mir ein himmliſches Vergnügen und an dem Erfolg an dem iſt gar nicht zu zweifeln.

Firmin. Nicht zu zweifeln? So haben Sie Ihren Plan ſchon in Ordnung

Ta Noche. In Ordnung Wie? Ich habe noch gar nicht daran gedacht, aber das wird ſich finden, wird ſich finden.

Eirmin. Ei! Ei! Dieſer gefährliche Plan iſt noch nicht weit gediehen, wie ich ſehe.

Ta Noche. Sorgen Sie nicht ich werde mich mit Ehren herausziehn: dieſer Selicour ſoll es mir nicht ab⸗ gewinnen, das ſoll er nicht, dafür ſteh' ich. Was

248 Der Paraſit

braucht's der Umwege? Ich gehe gerade zu, ich melde mich bei dem Miniſter, es iſt nicht ſchwer, bei ihm vor⸗ zukommen; er liebt Gerechtigkeit, er kann die Wahrheit vertragen. 0

Firmin. Wie? Was? Sie hätten die Kühnheit

Ta Roche. Ei was! Ich bin nicht furchtſam. Ich fürchte niemand. Kurz und gut. Ich ſpreche den Miniſter ich öffne ihm die Augen. Er ſieht, wie ſchändlich er betrogen iſt das iſt das Werk einer halben Stunde der Selicour muß fort, fort mit Schimpf und Schande fort, und ich genieße den voll⸗ kommenſten Triumph. Ja, ich ſtehe nicht dafür, daß mich der arme Teufel nicht dauert, wenn er ſo mit Schande aus dem Hauſe muß.

Karl. Was Sie tun, lieber La Roche Mich und meine Liebe laſſen Sie auf jeden Fall aus dem Spiel! Ich hoffe nichts. Ich darf meine Wünſche nicht ſo hoch er⸗ heben! Aber für meinen Vater können Sie nie zu viel tun.

Firmin. Laß du mich für mich ſelbſt antworten, mein Freund! Sie meinen es gut, lieber La Roche, aber der gute Wille geht mit der überlegung durch. Was für ein luftiges Projekt iſt's, das Sie ſich ausge⸗ ſonnen haben! Ein leeres Hirngeſpinſt! Und wäre der Erfolg ebenſo ſicher, als er es nicht iſt, ſo würde ich doch nie meine Stimme dazu geben. Dieſe glänzenden Stellen find nicht für mich, und ich bin nicht für fie; Neigung und Schickſal haben mir eine beſcheidenere Sphäre angewieſen. Warum ſoll ich mich verändern, wenn ich mich wohl befinde? Ich hoffe, der Staat wird mich nicht ſuchen, und ich bin zu ſtolz, um ein Amt zu betteln noch viel mehr aber, um einen andern für mich betteln zu laſſen. Sorgen Sie alſo nur für ſich ſelbſt! Sie haben Freunde genug, es wird ſich jeder gern für Sie verwenden.

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Erſter Aufzug. 3. Auftritt 249

Ta Noche. Ihr wollt alſo beide meine Dienſte nicht? Liegt nichts dran! Ich mache euer Glück, ihr mögt es wollen oder nicht! (er geht ab.)

Firmin. Er ijt ein Narr. Aber ein guter, und ſein Unfall geht mir zu Herzen.

Karl. Auch mich bedauern Sie, mein Vater! Ich bin unglücklicher als er! Ich werde meine Charlotte verlieren!

Tirmin. Ich höre kommen Es iſt der Miniſter mit ſeiner Mutter Laß uns gehen! Ich will auch den Schein vermeiden, als ob ich mich ihm in den Weg geſtellt hätte. (Gehen ab.)

3. Auftritt Narbonne. Madame Belmont.

Mad. Belmont. War Herr Selicour ſchon bei dir?

Narbonne. Ich hab' ihn heute noch nicht geſehen!

Mad. Belmont. Das mußt du doch geſtehen, mein Sohn, daß du einen wahren Schatz in dieſem Manne beſitzeſt.

Narbonne. Er ſcheint ſehr brav in ſeinem Fach! Und da ich mich einmal von meinem ländlichen Aufent- halt in dieſe große Stadt und in einen ſo ſchwierigen Poſten verſetzt ſehe, wo es mit der Bücherweisheit keines⸗ wegs getan iſt, ſo muß ich's für ein großes Glück achten, daß ich einem Manne wie Selicour begegnete.

Mad. Belmont. Der alles verſteht dem nichts fremd iſt! Geſchmack und Kenntnis die geiſtreichſte Unterhaltung, die angenehmſten Talente. Muſik, Malerei, Verſe man frage, wonach man will, er iſt in allem zu Hauſe.

Narbonne. Nun, und meine Tochter?

250 Der Paraſit

Mad. Belmont. Gut, daß du mich darauf bringſt. Sie hat ihre ſiebzehn Jahre, fie hat Augen, dieſer Seli⸗ cour hat ſo viele Vorzüge. Und er iſt galant! Sein Ausdruck belebt ſich in ihrer Gegenwart. O es iſt mir nicht entgangen! Dieſe Delikateſſe, dieſe zarten Auf⸗ merkſamkeiten, die er ihr beweiſt, ſind nur einen kleinen Schritt weit von der Liebe!

Narbonne. Nun, es wäre keine üble Partie für unſer Kind! Ich ſehe nicht auf die zufälligen Vorzüge der Geburt hab' ich nicht ſelbſt meinen Weg von unten auf gemacht? und dieſer Selicour kann es mit ſeinem Geiſt, ſeinen Kenntniſſen, ſeiner Rechtſchaffenheit noch weit bringen. Ich habe ſelbſt ſchon bei einem ehren⸗ vollen Poſten, wozu man einen tüchtigen und würdigen Mann ſucht, an ihn gedacht. Nun! Ich will ſeine Fähigkeiten prüfen zeigt er ſich, wie ich nicht zweifle, eines ſolchen Poſtens würdig, und weiß er meiner Tochter zu gefallen, ſo werde ich ihn mit Freuden zu meinem Sohn annehmen.

Mad. Belmont. Das iſt mein einziger Wunſch! Er iſt ein gar zu artiger, gefälliger, allerliebſter Mann!

4. Auftritt Vorige. Charlotte.

Charlotte. Guten Morgen, lieber Vater!

Narbonne. Sieh da, mein Mädchen! Nun, wie gefällt dir die große Stadt?

Charlotte. Ach, ich wünſche mich doch wieder aufs Land hinaus Denn hier muß ich die Zeit abpaſſen, um meinen Vater zu ſehen.

Narbonne. Ja, ich ſelbſt vermiſſe meine redlichen Landleute. Mit ihnen ſcherzte ich und war fröhlich

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Erſter Aufzug. 5. Auftritt 251

doch das hoffe ich auch hier zu bleiben. Mein Poſten ſoll meine Gemütsart nicht verändern: man kann ein Geſchäftsmann ſein und doch ſeine gute Laune behalten. Mad. Belmont. Mich entzückt dieſer Aufenthalt. Ich s ich bin hier wie im Himmel. Mit aller Welt ſchon bin ich bekannt alles kommt mir entgegen und Herr Selicour wollte mich bei dem Lycée abonnieren. Charlotte. Denken Sie, Großmama, wen ich heute geglaubt habe zu ſehen! 10 Mad. Belmont. Wen denn? Charlotte. Den jungen Offizier Mad. Belmont. Welchen Offizier? Charlotte. Den jungen Karl Firmin Mad. Zelmont. Der zu Colmar alle Abende zu 1s deiner Tante kam Charlotte. Der ſich immer mit Ihnen unterhielt. Mad. gelmont. Ein artiger junger Menſch! Charlotte. Nicht wahr, Großmama? Mad. Belmont. Der auch jo hübſche Verſe machte? 20 Charlotte. Ja, ja, der! Mad. Belmont. Mun, da ev hier ijt, wird er ſich auch wohl bei uns melden. Narbonne. Wo doch der Selicour bleibt? Er läßt diesmal auf ſich warten! 25 Mad. Belmont. Da kommt er eben!

5. Auftritt

Selicour zu den Vorigen.

Selicour (alles betomplimentierend). Ganz zum Entzücken find' ich Sie alle hier beiſammen!

Narbonne. Guten Morgen, lieber Selicour!

Selicour (zu Narbonne, Papiere übergebend). Hier über⸗

252 Der Paraſit

bringe ich den bewußten Aufſatz ich hielt's für dienlich, ein paar Zeilen zur Erläuterung beizufügen.

Narbonne. Vortrefflich!

Selicour (der Madame ein Billet übergebend). Der gnädigen Frau habe ich für das neue Stück eine Loge beſprochen.

Mad. Belmont. Allerliebſt!

Selicour. Dem gnädigen Fräulein bring’ ich dieſen moraliſchen Roman.

Charlotte. Sie haben ihn doch geleſen, Herr Seli⸗ cour?

Selicour. Das erſte Bändchen, ja, hab' ich flüchtig durchgeblättert.

Charlotte. Nun, und

Selicour. Sie werden eine rührende Szene darin finden. Ein unglücklicher Vater eine ausgeartete Tochter! Eltern hilflos, im Stich gelaſſen von un⸗ dankbaren Kindern! Greuel, die ich nicht faſſe davon ich mir keinen Begriff machen kann! Denn wiegt wohl die ganze Dankbarkeit unſers Lebens die Sorgen auf, die ſie unſrer hilfloſen Kindheit beweiſen?

Mad. Belmont. In alles, was er ſagt, meiß der würdige Mann doch etwas Delikates zu legen!

Selicour (zu Narbonne). In unſern Bureaus iſt eben jetzt ein Chef nötig. Der Platz iſt von Bedeutung, und viele bewerben ſich darum.

Narbonne. Auf Sie verlaſſ' ich mich! Sie werden die Anſprüche eines jeden zu prüfen wiſſen die Dienſt⸗ jahre, der Eifer, die Fähigkeit und vor allen die Recht⸗ ſchaffenheit ſind in Betrachtung zu ziehen. Aber ich vergeſſe, daß ich zu unterzeichnen habe. Ich gehe!

Selicour. Und ich will auch gleich an meine Ge- ſchäfte!

Narbonne. Ich bitte Sie recht ſehr, erwarten Sie mich hier, wir haben mit einander zu reden!

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Erſter Aufzug. 6. Auftritt 253

Selicour. Aber ich hätte vor Tiſche noch fo mancherlei auszufertigen.

Narbonne. Bleiben Sie, oder kommen Sie ſchleunigſt wieder! Ich habe Ihre Gegenwart nötig! Ein Mann von Ihrer Kenntnis, von Ihrer Rechtſchaffenheit iſt's, was ich gerade brauche! Kommen Sie ja bald zurück! Ich hab' es gut mit Ihnen vor. (er geht ab.)

6. Auftritt Vorige ohne Narbonne.

Mad. Belmont. Sie können es ſich gar nicht vor- ſtellen, Herr Selicour, wie große Stücke mein Sohn auf Sie hält! Aber ich hätte zu tun, dächt' ich. Unſre Verwandten, unſre Freunde ſpeiſen dieſen Abend hier. Wird man Sie auch ſehen, Herr Selicour?

Gelicour. Wenn anders meine vielen Geſchäfte

Mad. Belmont. Daß Sie nur ja nicht ausbleiben, ſonſt würde unſerm Feſt ſeine Krone fehlen. Sie ſind die Seele unſrer Geſellſchaft! Und Charlotte, wollte ich wohl wetten, würde es recht ſehr übel nehmen, wenn Sie nicht kämen.

Charlotte. Ich, Mama? Nun ja! Ihre und Papas Freunde ſind mir immer herzlich willkommen!

Mad. Belmont. Schon gut! Schon gut! Jetzt zieh dich an! Es iſt die höchſte Zeit! Sie müſſen wiſſen, Herr Selicour, daß ich bei dem Putz präſidiere.

Selicour. So kommt die ſchöne Kunſt noch der ſchönen Natur zu Hilfe wer könnte da widerſtehen?

Mad. Belmont. Er iſt ſcharmant! ſcharmant iſt er! Nicht den Mund öffnet er, ohne etwas Geiſtreiches und Galantes zu ſagen. (Geht mit Charlotten.)

254 Der Paraſit

7. Auftritt Selicour. Michel.

Michel (im Hereintreten). Endlich iſt fie fort! Nun kann ich mein Wort anbringen! Hab' ich die Ehre mit Herrn Selicour

Selicour (grob und verdrießlich). Das ijt mein Name!

Michel. Vergönnen Sie, mein Herr!

Selicour. Muß ich auch hier beläſtigt werden? Was will man von mir?

Michel. Mein Herr!

Selicour. Gewiß eine Bettelei ein Anliegen. Ich kann nicht dienen.

Michel. Erlauben Sie, mein Herr!

Selicour. Nichts! Hier ijt der Ort nicht in meinem Kabinett mag man einmal wieder anfragen!

Michel. Einen ſo üblen Empfang glaubte ich nicht

Selicour. Was beliebt?

Michel. Ich komme ja gar nicht, um etwas zu bitten ich komme, dem Herrn Selicour meine gehorſame Dankſagung abzuſtatten!

Selicour. Dankſagung? Wofür?

Michel. Daß Sie meinem Neffen die Stelle verſchafft haben.

Selicour. Was? Wie?

Michel. Ich bin erſt ſeit geſtern hier im Hauſe, weil mich mein Herr auf dem Lande zurückließ. Als ich Ihnen ſchrieb, hatte ich nicht die Ehre, Sie von Perſon zu kennen. .

Selicour. Was Sie jagen, mein Werteſter! Sie wären im Dienſt des Miniſters?

Michel. Sein Kammerdiener, Ihnen zu dienen!

Selicour. Mein Gott, welcher Irrtum! Monſieur

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Erſter Aufzug. 7. Auftritt 255

Michel, Kammerdiener, Leibdiener, Vertrauter des Herrn Miniſters. Bitte tauſendmal um Verzeihung, Monſieur Michel! Wahrhaftig, ich ſchäme mich ich bin un⸗ tröſtlich, daß ich Sie ſo barſch angelaſſen. Auf Ehre, Monſieur Michel! Ich hielt Sie für einen Commis.

Michel. Und wenn ich es auch wäre!

Selicour. Man wird von ſo vielen Zudringlichen belagert! Man kann es nicht allen Leuten am Rock anſehen.

Michel. Aber gegen alle kann man höflich ſein, dächt' ich!

Selicour. Freilich! Freilich! Es war eine unglück⸗ liche Zerſtreuung!

Michel. Eine ſehr unangenehme für mich, Herr Selicour!

Selicour. Es tut mir leid, ſehr leid ich kann mir's in Ewigkeit nicht vergeben.

Michel. Laſſen wir's gut ſein!

Selicour. Nun! Nun! Ich habe Ihnen meinen Eifer bewieſen der liebe, liebe Neffel der wäre denn nun verſorgt!

Michel. Eben komm' ich von ihm her! Er iſt nicht auf den Kopf gefallen, der Burſch!

Selicour. Der junge Mann wird ſeinen Weg machen. Zählen Sie auf mich.

Michel. Schreibt er nicht ſeine ſaubre Hand?

Selicour. Er ſchreibt gar nicht übel!

Michel. Und die Orthographie

Selicour. Ja! Das iſt das Weſen!

Michel. Hören Sie, Herr Selicour! Von meinem Briefe an Sie laſſen Sie ſich gegen den gnädigen Herrn nichts merken. Er hat uns, da er zur Stadt reiſte, ſtreng anbefohlen, um nichts zu ſollizitieren. Er iſt ſo etwas wunderlich, der Herr!

256 Der Paraſit

Selicour. Iſt er das? So! So! Sie kennen ihn wohl ſehr gut, den Herrn Miniſter?

Michel. Da er auf einem vertrauten Fuß mit ſeiner Dienerſchaft umgeht, ſo weiß ich ihn auswendig und kann Ihnen, wenn Sie wollen, völlige Auskunft über ihn geben.

Selicour. Ich glaub's! Ich glaub's! Aber ich bin eben nicht neugierig, ganz und gar nicht! Sehn Sie, Monſieur Michel! Mein Grundſatz iſt: Handle recht, ſcheue niemand.

Michel. Schön geſagt!

Selicour. Nun, alſo weiter! Fahren Sie nur fort, Monſieur Michel! Der gute Herr iſt alſo ein wenig eigen, ſagen Sie?

Michel. Er iſt wunderlich, aber gut. Sein Herz iſt lauter, wie Gold!

Selicour. Er iſt reich, er iſt ein Witwer, ein an⸗ genehmer Mann und noch in ſeinen beſten Jahren. Geſtehen Sie's nur er haßt die Weiber nicht, der liebe, würdige Mann.

Michel. Er hat ein gefühlvolles Herz.

Selicour (lächelt fein). He! He! So einige kleine Lieb⸗ ſchaften, nicht wahr?

Michel. Mag wohl ſein! Aber er iſt über dieſen Punkt

Selicour. Verſtehe, verſtehe, Monſieur Michel! Sie ſind beſcheiden und wiſſen zu ſchweigen. Ich frage in der beſten Abſicht von der Welt, denn ich bin gewiß, man kann nichts erfahren, als was ihm Ehre bringt.

Michel. Ja! Hören Sie! In einer von den Vor⸗ ſtädten ſucht er ein Quartier.

Selicour. Ein Quartier, und für wen?

Michel. Das will ich ſchon noch herausbringen. Aber laſſen Sie ſich ja nichts verlauten, hören Sie?

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Erſter Aufzug. 7. Auftritt 257

Selicour. Bewahre Gott!

Michel. Galant war er in der Jugend.

Selicour. Und da glauben Sie, daß er jetzt noch ſein Liebchen

Michel. Das eben nicht! Aber

Selicour. Sei's, was es will! Als ein treuer Diener des würdigen Herrn müſſen Sie einen chriſtlichen Mantel auf ſeine Schwachheit werfen. Und warum könnte es nicht eine heimliche Wohltat ſein? Warum das nicht, Herr Michel? Ich haſſe die ſchlechten Auslegungen. In den Tod haſſe ich, was einer übeln Nachrede gleicht.

Man muß immer das Beſte von ſeinen Wohltätern

denken. Nun! Nun! Nun wir ſehen uns wieder, Monſieur Michel! Sie haben mir doch meinen trockenen Empfang verziehen? Haben Sie? Auf Ehre! Ich bin noch ganz ſchamrot darüber! (Gibt ihm die Hand.)

Michel (weigert ſich). O nicht doch, nicht doch, Herr Selicour! Ich kenne meinen Platz und weiß mich zu beſcheiden.

Selicour. Ohne Umſtände! Zählen Sie mich unter Ihre Freunde! Ich bitte mir das aus, Monſieur Michel!

Michel. Das werd' ich mich nimmer unterſtehen ich bin nur ein Bedienter.

Selicour. Mein Freund! mein Freund! Kein Unter⸗ ſchied zwiſchen uns. Ich bitte mir's recht aus, Monſieur Michel! (nndem fic) beide bekomplimentieren, fällt der Vorhang.)

Schillers Werke. IX. 17

258 Der Paraſit

Zweiter Aufzug 1. Auftritt

Narbonne und Selicour ſitzen.

Narbonne. Sind wir endlich allein?

Selicour (unbehaglich). Ja!

Narbonne. Es liegt mir ſehr viel an dieſer Unter⸗ redung. Ich habe ſchon eine ſehr gute Meinung von Ihnen, Herr Selicour, und bin gewiß, ſie wird ſich um

ein Großes vermehren, ehe wir aus einander gehen. Zur

Sache alſo, und die falſche Beſcheidenheit bei Seite. Sie ſollen in der Diplomatik und im Staatsrecht ſehr be⸗ wandert ſein, ſagt man?

Selicour. Ich habe viel darin gearbeitet, und vielleicht nicht ganz ohne Frucht. Aber für ſehr kundig möchte ich mich denn darum doch nicht

Narbonne. Gut! Gut! Fürs erſte alſo laſſen Sie hören Welches halten Sie für die erſten Erforderniſſe zu einem guten Geſandten?

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Selicour (ſtockend). Vor allen Dingen habe er eine

Gewandtheit in Geſchäften.

Narbonne. Eine Gewandtheit, ja, aber die immer mit der ſtrengſten Redlichkeit beſtehe.

Selicour. So mein’ ich's.

Narbonne. Weiter.

Selicour. An dem fremden Hofe, wo er ſich aufhält, ſuche er ſich beliebt zu machen.

Narbonne. Ja! Aber ohne ſeiner Würde etwas zu vergeben. Er behaupte die Ehre des Staats, den er vor⸗ ſtellt, und erwerbe ihm Achtung durch ſein Betragen.

Selicour. Das iſt's, was ich ſagen wollte. Er laſſe ſich nichts bieten und wiſſe ſich ein Anſehen zu geben.

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Zweiter Aufzug. 1. Auftritt 259

Narbonne. Ein Anſehen, ja, aber ohne Anmaßung.

Selicour. So mein’ ich's.

Narbonne. Er habe ein wachſames Auge auf alles, was

Selicour (unterbricht ihn). Überall habe er die Augen, er wiſſe das Verborgenſte auszuſpüren

Narbonne. Ohne den Aufpaſſer zu machen.

Selicour. So mein' ich's. Ohne eine ängſtliche Neugierde zu verraten.

Narbonne. Ohne ſie zu haben. Er wiſſe zu ſchweigen und eine beſcheidene Zurückhaltung

Selicour (raſch). Sein Geſicht fei ein verſiegelter Brief.

Narbonne. Ohne den Geheimniskrämer zu machen.

Selicour. So mein’ ich's.

Narbonne. Er beſitze einen Geiſt des Friedens und ſuche jeder gefährlichen Mißhelligkeit

Selicour. Möglichſt vorzubeugen.

Narbonne. Ganz recht. Er habe eine genaue Kennt⸗

is von der Volksmenge der verſchiedenen Länder

Selicour. Von ihrer Lage ihren Erzeugniſſen ihrer Ein⸗ und Ausfuhr ihrer Handelsbilance

Narbonne. Ganz recht.

Selicour (im Fluß der Rede). Ihren Verfaſſungen ihren Bündniſſen ihren Hilfsquellen ihrer bewaff⸗ neten Macht

Narbonne. Zum Beiſpiel: Angenommen alſo, es wäre Schweden oder Rußland, wohin man Sie verſchickte ſo würden Sie wohl von dieſen Staaten vorläufig die nötige Kunde haben.

Selicour (verlegen). Ich muß geſtehen, daß Ich habe mich mehr mit Italien beſchäftigt. Den Norden kenn' ich weniger.

Narbonne. So! Hm!

260 Der Paraſit

Selicour. Aber ich bin jetzt eben daran, ihn zu ſtudieren.

Narbonne. Von Italien alſo!

Selicour. Das Land der Cäſaren feſſelte billig meine Aufmerkſamkeit zuerſt. Hier war die Wiege der Künſte, das Vaterland der Helden, der Schauplatz der erhabenſten Tugend! Welche rührende Erinnerungen für ein Herz, das empfindet!

Narbonne. Wohl! Wohl! Aber auf unſer Thema zurückzukommen

Selicour. Wie Sie befehlen! Ach, die ſchönen Künſte haben ſo viel Anziehendes! Es läßt ſich ſo vieles dabei denken!

Narbonne. Venedig iſt's, was mir zunächſt einfällt.

Selicour. Venedig! Recht! Gerade über Venedig habe ich einen Aufſatz angefangen, worin ich mich über alles ausführlich verbreite. Ich eile ihn herzu⸗ holen Steht auf.)

Narbonne. Nicht doch! Nicht doch! Eine kleine Geduld!

2. Auftritt Vorige. Michel.

Michel. Es iſt jemand draußen, der in einer dringen⸗ den Angelegenheit ein geheimes Gehör verlangt.

Selicour (ſehr eilig). Ich will nicht ſtören.

Narbonne. Nein! Bleiben Sie, Selicour! Dieſer Jemand wird ſich ja wohl einen Augenblick gedulden.

Selicour, Aber wenn es dringend

Narbonne. Das Dringendfte iſt mir jetzt unſre Unter⸗ redung.

Selicour. Erlauben Sie, aber

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Zweiter Aufzug. 3. Auftritt 261

Michel. Es ſei in ein paar Minuten geſchehen, ſagt der Herr, und habe gar große Eile. Selicour eilt ab.)

Narbonne. Kommen Sie ja gleich wieder, ich bitte Sie, wenn der Beſuch fort iſt.

Selicour. Ich werde ganz zu Ihren Befehlen ſein.

Narbonne (zu Michel). Laßt ihn eintreten.

3. Auftritt Narbonne. La Roche.

Ta Noche (mit vielen Bücklingen). Ich bin wohl ich vermute es iſt des Herrn Miniſters Exzellenz, vor dem ich

Narbonne. Ich bin der Miniſter. Treten Sie immer näher!

Ta Voche. Bitte ſehr um Vergebung ich ich komme Es iſt Ich ſollte Ich bin wirklich in einiger Verwirrung der große Reſpekt

Narbonne. Ei, ſo laſſen Sie den Reſpekt und kom⸗ men zur Sache! Was führt Sie her?

Ta Noche. Meine Pflicht, mein Gewiſſen, die Liebe für mein Land! Ich komme, Ihnen einen bedeutenden Wink zu geben.

Narbonne. Reden Sie!

Ta Noche. Sie haben Ihr Vertrauen einem Manne geſchenkt, der weder Fähigkeit noch Gewiſſen hat.

Narbonne. Und wer iſt dieſer Mann?

Ta Noche. Selicour heißt er.

Narbonne. Was? Sel

Ta Noche. Gerade heraus. Dieſer Selicour ijt eben ſo unwiſſend, als er niederträchtig iſt. Erlauben Sie, daß ich Ihnen eine kleine Schilderung von ihm mache,

262 Der Paraſit

Narbonne. Eine kleine Geduld! (etingelt. Michel kommt.) Ruft Herrn Selicour!

Ta Rode. Mit nichten, Ihr Exzellenz! Er iſt uns bei dieſem Geſpräche keineswegs nötig.

Narbonne. Nicht für Sie, das glaub’ ich, aber das iſt nun einmal meine Weiſe. Ich nehme keine Anklage wider Leute an, die ſich nicht verteidigen können. Wenn er Ihnen gegenüberſteht, mögen Sie Ihre Schil⸗ derung anfangen.

Ta Rote. Es ijt aber doch mißlich, jemand ins Angeſicht

Narbonne. Wenn man keine Beweiſe hat, aller⸗ dings Iſt das Ihr Fall

Ta Rote. Ich hatte nicht darauf gerechnet, es ihm gerade unter die Augen zu ſagen. Er iſt ein feiner Schelm, ein beſonnener Spitzbube. Ei nun! Meinet⸗ wegen auch ins Angeſicht. Zum Henker, ich fürchte mich nicht vor ihm. Er mag kommen! Sie ſollen ſehen, daß ich mich ganz und gar nicht vor ihm fürchte.

Narbonne. Wohl! Wohl! Das wird ſich gleich zeigen. Da kommt er!

4. Auftritt

Vorige. Selicour.

Narbonne. Kennen Sie dieſen Herrn?

Selicour (ſehr verlegen). Es iſt Herr La Roche.

Narbonne. Ich habe Sie rufen laſſen, ſich gegen ihn zu verteidigen. Er kommt, Sie anzuklagen. Nun, reden Sie!

Ta Voche (nachdem er gehuſtet ). Ich muß Ihnen alſo ſagen, daß wir Schulkameraden zuſammen waren, daß er mir vielleicht einige Dankbarkeit ſchuldig iſt. Wir fingen beide unſern Weg zugleich an es ſind jetzt

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Zweiter Aufzug. 4. Auftritt 263

fünfzehn Jahre und traten beide in dem nämlichen Bureau als Schreiber ein. Herr Selicour aber machte einen glänzenden Weg, ich ſitze noch da, wo ich aus⸗ gelaufen bin. Daß er den armen Teufel, der ſein Jugend⸗ freund war, ſeit vielen Jahren vergeſſen, das mag ſein! Ich habe nichts dagegen. Aber nach einer ſo langen Ver⸗ geſſenheit an ſeinen alten Jugendfreund nur darum zu denken, um ihn unverdienterweiſe aus ſeinem Brot zu treiben, wie er getan hat, das iſt hart, das muß mich aufbringen! Er kann nicht das geringſte Böſe wider mich ſagen; ich aber ſage von ihm und behaupte dreiſt, daß dieſer Herr Selicour, der jetzt gegen Euer Exzellenz den redlichen Mann ſpielt, einen rechten Spitzbuben machte, da die Zeit dazu war. Jetzt hilft er Ihnen das Gute ausführen; Ihrem Vorgänger, weiß ich gewiß, hat er bei ſeinen ſchlechten Stückchen redlich beigeſtanden. Wie ein ſpitzbübiſcher Lakai weiß der Heuchler mit der Livree auch jedesmal den Ton ſeines Herrn anzunehmen. Ein Schmeichler iſt er, ein Lügner, ein Großprahler, ein übermütiger Geſell! Niederträchtig, wenn er etwas ſucht, und hochmütig, unverſchämt gegen alle, die das Unglück haben, ihn zu brauchen. Als Knabe hatte er noch etwas Gutmütiges, aber über dieſe menſchliche Schwachheit iſt er jetzt weit hinaus. Nun hat er ſich in eine prächtige Stelle eingeſchlichen, und ich bin überzeugt, daß er ihr nicht gewachſen iſt. Auf ſich allein zieht er die Augen ſeines Chefs, und Leute von Fähigkeiten, von Genie, Männer, wie Herr Firmin, läßt er nicht aufkommen.

Narbonne. Firmin! Wie? Iſt Herr Firmin in unſern Bureaus?

Ta Voche. Ein trefflicher Kopf, das können Sie mir

glauben.

Narbonne. Ich weiß von ihm. Ein ganz vorzüg⸗ licher Geſchäftsmann!

264 Der Paraſit

Ta Noche. Und Vater einer Familie! Sein Sohn machte in Colmar die Bekanntſchaft Ihrer Tochter.

Narbonne. Karl Firmin! Ja! Ja, ganz richtig!

Ta Noche. Ein talentvoller junger Mann!

Narbonne. Fahren Sie fort!

Ta Noche. Nun, das wär' es! Ich habe genug ge⸗ ſagt, denk' ich!

Narbonne (zu Selicour). Verantworten Sie ſich!

Selicour. Des Undanks zeiht man mich. Mich des Undanks! Ich hätte gedacht, mein Freund La Roche ſollte mich beſſer kennen! An meinem Einfluß und nicht an meinem guten Willen fehlte es, wenn er ſo lange in der Dunkelheit geblieben. Welche harte Be⸗ ſchuldigungen gegen einen Mann, den er ſeit zwanzig Jahren treu gefunden hat! Mit ſeinem Verdacht ſo raſch zuzufahren, meine Handlungen aufs ſchlimmſte auszulegen und mich mit dieſer Hitze, dieſer Galle zu verfolgen! Zum Beweis, wie ſehr ich ſein Freund bin

Ta Voche. Er mein Freund! Hält er mich für einen Dummkopf? Und welche Proben hat er mir davon gegeben!

Narbonne. Er hat Sie ausreden laſſen!

Ta Rowe. So werde ich Unrecht behalten!

Selicour. Man hat einem andern ſeine Stelle ge⸗ geben, das iſt wahr, und keiner verdiente dieſe Zurück- ſetzung weniger als er. Aber ich hätte gehofft, mein Freund La Roche, anſtatt mich wie ein Feind anzuklagen, würde als Freund zu mir aufs Zimmer kommen und eine Erklärung von mir fordern. Darauf, ich geſtehe es, hatte ich gewartet und mich ſchon im voraus der ange⸗ nehmen Überraſchung gefreut, die ich ihm bereitete. Welche ſüße Freude für mich, ihn über alle Erwartung glücklich zu machen! Eben zu jenem Chef, wovon ich Euer Exzellenz

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Zweiter Aufzug. 4. Auftritt 265

heut' ſagte, hatte ich meinen alten Freund La Roche vor⸗ zuſchlagen.

Ta Noche. Mich zum Chef! Großen Dank, Herr Selicour! Ein Schreiber bin ich und kein Geſchäfts⸗ mann! Meine Feder und nicht mein Kopf muß mich empfehlen, und ich bin keiner von denen, die eine Laſt auf ſich nehmen, der ſie nicht gewachſen ſind, um ſie einem andern heimlich aufzuladen und ſich ſelbſt das Verdienſt zuzueignen.

Selicour. Die Stelle ſchickt ſich für dich, Kamerad, glaub' mir, der dich beſſer kennt als du ſelbſt. Zu Nar⸗ bonne.) Er iſt ein trefflicher Arbeiter, genau, unermüd⸗ lich, voll geſunden Verſtands; er verdient den Vorzug vor allen ſeinen Mitbewerbern. Ich laſſe Männer von Genie nicht aufkommen, gibt er mir ſchuld, und Herr Firmin iſt's, den er anführt. Das Beiſpiel iſt nicht gut gewählt, ſo trefflich auch der Mann iſt. Erſtlich iſt ſeine jetzige Stelle nicht ſchlecht aber ihm gebührt allerdings eine beßre, und fie ijt auch ſchon gefunden denn eben Herrn Firmin wollte ich Euer Exzellenz zu meinem Nachfolger empfehlen, wenn ich in jenen Poſten verſetzt werden ſollte, den mir mein gütiger Gönner be⸗ ſtimmt. Ich ſei meinem jetzigen Amte nicht gewachſen, behauptet man. Ich weiß wohl, daß ich nur mittel⸗ mäßige Gaben beſitze. Aber man ſollte bedenken, daß dieſe Anklage mehr meinen Gönner trifft als mich ſelbſt! Bin ich meinem Amte in der Tat nicht gewachſen, ſo iſt der Chef zu tadeln, der es mir anvertraut und mit meinem ſchwachen Talent jo oft ſeine Zufriedenheit be- zeugt. Ich ſoll endlich der Mitſchuldige des vorigen Miniſters geweſen ſein! Die Stimme der Wahrheit habe ich ihn hören laſſen; die Sprache des redlichen Mannes habe ich kühnlich zu einer Zeit geredet, wo ſich meine Ankläger vielleicht im Staube vor ihm krümmten.

266 Der Paraſit

Zwanzigmal wollte ich dieſem unfähigen Miniſter den Dienſt aufkündigen; nichts hielt mich zurück als die Hoff⸗ nung, meinem Vaterlande nützlich zu ſein. Welche ſüße Belohnung für mein Herz, wenn ich hier etwas Böſes verhindern, dort etwas Gutes wirken konnte! Seiner Macht habe ich getrotzt; die gute Sache habe ich gegen ihn verfochten, da er noch im Anſehen war! Er fiel, und ich zollte ſeinem Unglück das herzlichſte Mitleid. Iſt das ein Verbrechen, ich bin ſtolz darauf und rühme mich desſelben. Es iſt hart, ſehr hart für mich, lieber La Roche, daß ich dich unter meinen Feinden ſehe daß ich genötigt bin, mich gegen einen Mann zu vertei⸗ digen, den ich ſchätze und liebe! Aber komm! Laß uns Frieden machen, ſchenke mir deine Freundſchaft wieder, und alles ſei vergeſſen!

Ta Noche. Der Spitzbube! Rührt er mich doch faſt ſelbſt!

Narbonne. Nun, was haben Sie darauf zu ant⸗ worten? 5

Ta Noche. Ich? Nichts! Der verwünſchte Schelm bringt mich ganz aus dem Konzepte.

Narbonne. Herr La Roche! Es iſt brav und löblich, einen Böſewicht, wo er auch ſtehe, furchtlos anzugreifen und ohne Schonung zu verfolgen aber auf einem ungerechten Haß eigenſinnig beſtehen, zeigt ein verderbtes Herz.

Selicour. Er haßt mich nicht! Ganz und gar nicht! Mein Freund La Roche hat das beſte Herz von der Welt! Ich kenne ihn aber er iſt hitzig vor der Stirn er lebt von ſeiner Stelle das entſchuldigt ihn! Er glaubte ſein Brot zu verlieren! Ich habe auch gefehlt ich geſteh' es Komm! Komm, laß dich umarmen, alles ſei vergeſſen!

Ta Rote. Ich ihn umarmen! In Ewigkeit nicht.

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Zweiter Aufzug. 4. Auftritt 267

Zwar, wie er's anſtellt, weiß ich nicht, um mich ſelbſt um Euer Exzellenz zu betrügen aber kurz! Ich bleibe bei meiner Anklage. Kein Friede zwiſchen uns, bis ich ihn entlarvt, ihn in ſeiner ganzen Blöße darge⸗ ſtellt habe!

Narbonne. Ich bin von ſeiner Unſchuld überzeugt wenn nicht Tatſachen, vollwichtige Beweiſe mich eines anderen überführen.

Ta Noche. Tatſachen! Beweiſe! Tauſend für einen!

Narbonne. Heraus damit!

Ta Rote. Beweiſe genug die Menge Aber das iſt's eben ich kann nichts damit beweiſen! Solchen abgefeimten Schelmen läßt ſich nichts beweiſen. Vormals war er jo arm wie ich; jetzt ſitzt er im Über⸗ fluß! Sagt' ich Ihnen, daß er ſeinen vorigen Einfluß zu Geld gemacht, daß ſich ſein ganzer Reichtum davon herſchreibt ſo kann ich das zwar nicht, wie man ſagt, mit Brief und Siegel belegen aber Gott weiß es, die Wahrheit iſt's, ich will darauf leben und ſterben.

Selicour. Dieſe Anklage ijt von zu niedriger Art, um mich zu treffen übrigens unterwerf' ich mich der ſtrengſten Unterſuchung! Was ich beſitze, iſt die Frucht eines fünfzehnjährigen Fleißes; ich habe es mit ſaurem Schweiß und Nachtwachen erworben, und ich glaub' es nicht unedel zu verwenden. Es ernährt meine armen Verwandten, es friſtet das Leben meiner dürftigen Mutter!

Ta Noche. Erlogen! Erlogen! Ich kann es freilich nicht beweiſen! Aber gelogen, unverſchämt gelogen!

Narbonne. Mäßigen Sie ſich!

Selicour. Mein Gott! Was erleb' ich! Mein Freund La Roche iſt's, der ſo hart mit mir umgeht. Was für ein Wahnſinn hat dich ergriffen? Ich weiß nicht, ſoll ich über dieſe Wut lachen oder böſe werden. Aber lachen auf Koſten eines Freundes, der ſich für beleidigt

268 Der Paraſit

hält Nein, das kann ich nicht! das iſt zu ernſthaft! Deinen alten Freund ſo zu verkennen! Komm doch zu dir ſelbſt, lieber La Roche, und bringe dich wenigſtens nicht aus übel angebrachtem Trotz um eine ſo treffliche Stelle, als ich dir zugedacht habe!

Narbonne. Die Wahrheit zu ſagen, Herr La Roche, dieſe Halsſtarrigkeit gibt mir keine gute Meinung von Ihnen. Muß auch ich Sie bitten, gegen ihren Freund gerecht zu ſein? Auf Ehre! Der arme Herr Selicour dauert mich von Herzen!

Ta Noche. Ich will das wohl glauben, gnädiger Herr! Hat er mich doch faſt ſelbſt, trotz meines gerechten Unwillens, auf einen Augenblick irre gemacht aber nein, nein! ich kenne ihn zu gut zu gewiß bin ich meiner Sache. Krieg, Krieg zwiſchen uns und keine Verſöhnung! Hier, ſehe ich, würde alles weitre Reden vergeblich ſein! Aber wiewohl der Spitzbube mich aufs Außerſte treibt, lieber tauſendmal Hungers ſterben, als ihm mein Brot verdanken. Ich empfehle mich zu Gna⸗ den! (Ab.)

5. Auftritt

Narbonne. Selicour.

Narbonne. Begreifen Sie dieſe hartnäckige Verſtockt⸗ heit

Selicour. Hat nichts zu ſagen! Er iſt ein guter Narr! Ich will ihn bald wieder beſänftigen.

Narbonne. Er ijt raſch und unbeſonnen, aber im Grunde mag er ein guter Mann ſein.

Selicour. Ein ſeelenguter Mann, dafür ſteh' ich dem aber der Kopf ein wenig verſchoben iſt. Es kann auch ſein, daß ihn ſonſt jemand gegen mich aufhetzt.

Narbonne. Meinen Sie?

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Zweiter Aufzug. 5. Auftritt 269

Selicour. Es mag ſo etwas dahinter ſtecken. Wer weiß? irgend ein heimlicher Feind und Neider denn dieſer arme Teufel iſt nur eine Maſchine.

Narbonne. Wer ſollte aber

Selicour. Es gibt fo viele, die meinen Untergang wünſchen!

Narbonne. Haben Sie vielleicht einen Verdacht?

Selicour. Ich unterdrücke ihn! denn daß ich ſo etwas von Herrn Firmin denken ſollte Pfui! Pfui! das wäre ſchändlich! das iſt nicht möglich!

Narbonne. So denk' ich auch! Der Mann ſcheint mir dazu viel zu rechtlich und zu beſcheiden.

Selicour. Beſcheiden, ja, das iſt er!

Narbonne. Sie kennen ihn alſo?

Selicour. Wir find Freunde.

Narbonne. Nun, was halten Sie von dem Manne?

Selicour. Herr Firmin, muß ich ſagen, ijt ein Mann, wie man ſich ihn für das Bureau eigentlich wünſcht wenn auch eben kein Kopf, doch ein geſchickter Arbeiter. Nicht zwar, als ob es ihm an Verſtand und Kennt⸗ niſſen fehlte Keineswegs! Er mag viel wiſſen, aber man ſieht's ihm nicht an.

Narbonne. Sie machen mich neugierig, ihn zu kennen.

Selicour. Ich hab' ihm ſchon längſt darum ange⸗ legen, ſich zu zeigen aber vielleicht fühlt er ſich für eine ſubalterne Rolle und für die Dunkelheit geboren. Ich will ihn indeſſen

Narbonne. Bemühen Sie ſich nicht. Gegen einen Mann von Verdienſten kann unſer einer unbeſchadet ſeines Rangs die erſten Schritte tun. Ich ſelbſt will Herrn Firmin aufſuchen. Aber jetzt wieder auf unſer voriges Thema zurückzukommen, das dieſer La Roche unterbrochen hat

Selicour (verlegen). Es iſt ſchon etwas ſpät

270 Der Paraſit

Narbonne. Hat nichts zu ſagen.

Selicour. Es wird auch jetzt die Zeit zur Audienz ſein.

Narbonne (ſieht nach der uhr). Ja, wahrhaftig.

Selicour. Wir können es ja auf morgen

Narbonne. Gut! Auch das!

Selicour. Ich will alſo

Narbonne. Noch ein Wort

Selicour. Was beliebt?

Narbonne. Ein Geſchäft kann ich Ihnen wenig⸗ ſtens noch auftragen, das zugleich Fähigkeit und Mut erfordert.

Selicour. Befehlen Sie!

Narbonne. Mein Vorgänger hat durch ſeine üble Verwaltung ein Heer von Mißbräuchen einreißen laſſen, die trotz aller unſrer Bemühungen noch nicht abgeſtellt ſind. Es wäre daher ein Memoire aufzuſetzen, worin man alle Gebrechen aufdeckte und der Regents ſelbſt ohne Schonung die Wahrheit ſagte.

Selicour. Erlauben aber Euer Exzellenz eine ſolche Schrift könnte für ihren Verfaſſer, könnte für Sie ſelbſt bedenkliche Folgen haben.

Narbonne. Das kümmert uns nicht Keine Ge⸗ fahr, keine perſönliche Rückſicht darf in Anſchlag kommen, wo die Pflicht gebietet.

Selicour. Das iſt würdig gedacht!

Narbonne. Sie find der Mann zu dieſem Werk Ich brauche Ihnen weiter nichts darüber zu ſagen. Sie kennen das Übel ſo gut und beſſer noch als ich ſelbſt.

Selicour. Und ich bin, hoffe ich, mit Ihnen darüber einerlei Meinung.

Narbonne. Ohne Zweifel. Dies Geſchäft hat Eile; ich verlaſſe Sie, verlieren Sie keine Zeit, es iſt gerade jetzt der günſtige Augenblick ich möchte es wo möglich

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Zweiter Aufzug. 6. Auftritt 271

noch heute an die Behörde abſenden. Kurz und bündig es kann mit wenigem viel geſagt werden! Leben Sie wohl! Gehen Sie ja gleich an die Arbeit! (er gebt ab.)

6. Auftritt Selicour. Madame Belmont.

Mad. Belmont. Sind Sie allein, Herr Selicour? s Ich wollte erwarten, bis er weggegangen wäre er darf nichts davon wiſſen. Selicour. Wovon iſt die Rede, Madame? Mad. Belmont. Wir wollen heute Abend ein kleines Konzert geben, und meine Charlotte ſoll ſich dabei hören 10 laſſen. Selicour. Sie ſingt fo ſchön! Mad. Belmont. Sie geben ſich auch zuweilen mit Verſen ab? Nicht wahr? Selicour. Wer macht nicht einmal in ſeinem Leben 15 Verſe! Mad. Belmont. Nun, ſo machen Sie uns ein Lied oder ſo etwas für heute Abend! Selicour. Eine Romanze meinen Sie? Mad. Belmont. Gut, die Romanzen lieben wir be⸗ 20 ſonders! f Selicour. Wenn der Eifer den Mangel des Genies erſetzen könnte Mad. Belmont. Schon gut! Schon gut! Ich verſtehe. Selicour. Und ich brauchte allerdings ſo ein leichtes 2% Spielwerk zu meiner Erholung! Ich bin die ganze Nacht aufgeweſen, um Akten durchzugehen und Rechnungen zu korrigieren Mad. Belmont. Eine niederträchtige Beſchäftigung! Selicour. Daß ich mich wirklich ein wenig ange⸗

272 Der Paraſit

griffen fühle. Wer weiß! Die Blume der Dichtkunſt erquickt mich vielleicht mit ihrem lieblichen Hauch, und du, Balſam der Herzen, heilige Freundſchaft!

7. Auftritt

Vorige. Robineau.

Robinenu (hinter der Szene). Nu! Nu! Wenn er drin ijt, wird mir's wohl auch erlaubt fein, denk' ich

Mad. Belmont. Was gibt's da?

No bineau (im Eintreten). Dieſes Bedientenpack bildet ſich mehr ein als ſeine Herrſchaft. Ich will den Herrn Selicour ſprechen.

Selicour. Ich bin's.

Robineau. Das will ich bald ſehen. Ja, mein Seel, das iſt er! leibhaftig Ich ſeh' ihn noch, wie er ſich im Dorf mit den Jungens herumjagte. Nun ſeh' Er jetzt auch mal mich an betracht' Er mich wohl. Ich bin wohl ein bißchen verändert Kennt Er mich?

Selicour. Nein!

Nobineau. Ei, ei, ich bin ja des Robineaus Chriſtoph, des Winzers, der die dicke Madelon heiratete, Seines Großvaters Muhme, Herr Selicour!

Selicour. Ach ſo!

Robinenu. Nun Vetter pflegen ſich ſonſt zu um⸗ armen, denk' ich.

Selicour. Mit Vergnügen. Seid mir willkommen, Vetter!

Robineau. Großen Dank, Vetter!

Selicour. Aber laßt uns auf mein Zimmer gehen ich bin hier nicht zu Hauſe.

Mad. Belmont. Laſſen Sie ſich nicht ſtören, Herr Selicour! Tun Sie, als wenn ich gar nicht da wäre.

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Zweiter Aufzug. 7. Auftritt 273

Selicour. Mit Ihrer Erlaubnis, Madame, Sie find gar zu gütig! Man muß ihm ſein ſchlichtes Weſen zu gute halten; er iſt ein guter ehrlicher Landmann und ein Vetter, den ich ſehr lieb habe.

Mad. Belmont. Das ſieht Ihnen ähnlich, Herr Selicour!

Robinenu. Ich komme foeben an, Herr Vetter!

Selicour. So und woher denn?

Robineau. Ei, woher ſonſt als von unſerm Dorf. Dieſes Paris iſt aber auch wie zwanzig Dörfer. Schon über zwei Stunden, daß ich aus dem Poſtwagen geſtiegen, treib' ich mich herum, um Ihn und den La Roche aufzuſuchen, Er weiß ja, Seinen Nachbar und Schulkameraden. Nun, da find' ich Ihn ja endlich, und nun mag's gut ſein!

Gelicour, Er kommt in Geſchäften nach Paris, Better?

Robineau. In Geſchäften! Hat ſich wohl! Cin Ge- ſchäft hab' ich freilich

Gelicour, Und welches denn?

Robineau. J nun mein Glück hier zu machen, Vetter!

Selicour. Ha! Ha!

Robineau. Nun, das Geſchäft iſt wichtig genug, denk ich.

Selicour (zu Madame Belmont). Excuſieren Sie!

Mad. Belmont. Er beluſtigt mich.

Selicour. Er ijt ſehr kurzweilig.

Robineau. Peter, der Kärrner, meinte, der Vetter habe ſich in Paris ſeine Pfeifen gut geſchnitten. Als er noch klein war, der Vetter, da ſei er ein loſer Schelm geweſen, da hätt's geheißen: der verdirbt nicht der wird ſeinen Weg ſchon machen! Wir hatten auch ſchon von Ihm gehört, aber die Nachrichten lauteten gar zu

Schillers Werke. IX. 18

274 Der Paraſit

ſchön, als daß wir ſie hätten glauben können. Wie wir aber nicht länger daran zweifeln konnten, ſagte mein Vater zu mir: Geh hin, Chriſtoph! ſuche den Vetter Selicour in Paris auf, die Reiſe wird dich nicht reuen vielleicht machſt du dein Glück mit einer guten Heirat. Ich, gleich auf den Weg, und da bin ich nun! Nehmen Sie mir's nicht übel, Madam! Die Robineaus gehen gerade aus; was das Herz denkt, muß die Zunge ſagen und wie ich den lieben Herrn Vetter da ſo vor mir ſah, ſehen Sie, ſo ging mir das Herz auf.

Mad. Belmont. Ei, das iſt ganz natürlich.

Robineau. Hiv’ Er, Vetter, ich möchte herzlich gern auch mein Glück machen! Er weiß das Geheimnis, wie man's anfängt; teil' Er mir's doch mit.

Selicour. Sei immer rechtſchaffen, wahr und be⸗ ſcheiden! Das iſt mein ganzes Geheimnis, Vetter, weiter hab' ich keins. Es iſt doch alles wohl zu Hauſe?

Nobineau. Zum Preis Gottes, ja! Die Familie gedeiht. Der Bertrand hat ſeine Suſanne geheiratet; ſie wird bald niederkommen und hofft, der Herr Vetter wird zu Gevatter ſtehen. Es iſt alles in guten Umſtänden bis auf Seine arme Mutter. Die meint, es wär' doch hart, daß ſie notleiden müſſe und einen ſo ſteinreichen Sohn in der Stadt habe.

Selicour (leiſe). Halt 's Maul, Dummkopf!

Mad. Belmont. Was ſagt er von der Mutter?

Selicour (laut). Iſt's möglich? Die tauſend Taler, die ich ihr geſchickt, ſind alſo nicht angekommen? Das tut mir in der Seele weh! Was das doch für ſchlechte Anſtalten ſind auf dieſen Poſten Die arme gute Mutter! Was mag ſie ausgeſtanden haben!

Mad. Belmont. Ja wohl! Man muß ihr helfen.

Selicour. Das verſteht ſich! Sogleich bitte ich den Miniſter um Urlaub es iſt eine gerechte Forderung.

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Zweiter Aufzug. 8. Auftritt 275

Ich kann darauf beſtehen Die Pflicht der Natur geht allen andern vor Ich eile nach meinem Ort in acht Tagen iſt alles abgetan! Sie hat ſich nicht in Paris niederlaſſen wollen, wie ſehr ich ſie auch darum

bat! Die liebe alte Mutter hängt gar zu ſehr an ihrem

Geburtsort.

Nobineau. So kann ich gar nicht aus ihr klug werden, denn zu uns ſagte ſie, ſie wäre gern nach Paris gekommen, aber der Vetter habe es durchaus nicht haben wollen!

Selicour. Die gute Frau weiß ſelbſt nicht immer, was ſie will! Aber ſie notleidend zu wiſſen Ach Gott! das jammert mich und ſchneidet mir ins Herz.

Mad. Belmont. Ich glaub's Ihnen wohl, Herr Seli⸗ cour! Aber Sie werden bald Rat geſchafft haben. Ich gehe jetzt und laſſe Sie mit Ihrem Vetter allein. Glück⸗ lich iſt die Gattin, die Sie einſt beſitzen wird. Ein ſo pflichtvoller Sohn wird gewiß auch ein zärtlicher Gatte werden! (Ab.)

8. Auftritt

Selicour und Robineau.

Robineau. Meiner Treu, Herr Vetter, ich bin ganz verwundert über Ihn eine ſo herzliche Aufnahme hätt' ich mir gar nicht von Ihm erwartet. Der iſt gar ſtolz und hochmütig, hieß es, der wird dich gar nicht mehr erkennen!

Selicour (nachdem er wohl nachgeſehen, ob Madame Belmont auch fort iff). Sage mir, du Eſel! Was fällt dir ein, daß du mir hier ſo zur Unzeit über den Hals kommſt!

Robineuu. Nun, nun! Wie ich Ihm ſchon ſagte, ich komme, mein Glück zu machen!

Selicour. Dein Glück zu machen! Der Schafskopf!

276 Der Paraſit

Robineau. Ei, ei, Vetter! Wie Er mit mir umgeht Ich laſſe mir nicht ſo begegnen.

Selicour, Du tuft wohl gar empfindlich Schade um deinen Zorn Von ſeinem Dorf weg nach Paris zu laufen! Der Tagdieb!

Robineau. Aber was das auf einmal für ein Be⸗ tragen iſt, Herr Vetter! Erſt der freundliche Empfang und jetzt dieſen barſchen Ton mit mir! Das iſt nicht ehrlich und gerade gehandelt, nehm' Er mir's nicht übel, das iſt falſch und wenn ich das weiter erzählte, wie Er mit mir umgeht 's würde Ihm ſchlechte Ehre bringen! Ja, das würd' es!

Selicour lerſchrocken). Weiter erzählen! Was?

Robineau. Ja, ja, Vetter!

Selicour. Unterſteh dich, Bube! Ich will dich unterbringen ich will für die Mutter ſorgen. Sei ruhig, ich ſchaffe dir einen Platz, verlaß dich darauf.

Nobineau. Nun, wenn Er das

Selicour. Aber hier können wir nicht davon reden! Fort! Auf mein Zimmer!

Robinenu. Ja, hör' Er, Vetter! Ich möchte fo gern ein recht ruhiges und bequemes Brot. Wenn Er mich ſo bei der Aceiſe unterbringen könnte.

Selicour. Verlaß dich drauf, ich ſchaffe dich an den rechten Platz. Ins Dorf mit dem dummen Dorfteufel über Hals und Kopf (Ab.)

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Dritter Aufzug

1. Auftritt

La Roche und Karl Firmin begegnen einander.

Ta Rote. Ich ſuchte Sie ſchon längſt. Hören Sie! Nun, ich habe Wort gehalten ich hab' ihn dem Miniſter abgeſchildert, dieſen Selicour.

Karl. Wirklich? Und es iſt alſo vorbei mit ihm? Ganz vorbei?

Ta Noche. Das nun eben nicht! noch nicht ganz denn ich muß Ihnen ſagen, er hat ſich herausgelogen, daß ich daſtand wie ein rechter Dummkopf Der Heuch- ler ſtellte ſich gerührt, er ſpielte den zärtlichen Freund, den Großmütigen mit mir, er überhäufte mich mit Freund⸗ ſchaftsverſicherungen und will mich bei dem Bureau als Chef anſtellen. ö

Karl. Wie? Was? Das iſt ja ganz vortrefflich! Da wünſche ich Glück.

Ta Roche. Für einen Glücksjäger hielt ich ihn, ich hatte geglaubt, daß es ihm nur um Stellen und um Geld zu tun wäre für ſo falſch und verräteriſch hätte ich ihn nie gehalten. Der Heuchler mit ſeinem ſüßen Geſchwätz! Ich war aber ſein Narr nicht und hab' es rundweg ausgeſchlagen!

Karl. Und ſo find wir noch, wo wir waren? Und mein Vater iſt nicht beſſer daran als vorher?

Za Roche. Wohl wahr aber laſſen Sie mich nur machen! Laſſen Sie mich machen!

Karl. Ich bin auch nicht weiter. In den Garten hab' ich mich geſchlichen, ob ich dort vielleicht meiner

278 Der Paraſit

Geliebten begegnen möchte. Aber vergebens! Einige Strophen, die ich mir in der Einſamkeit ausdachte, ſind die ganze Ausbeute, die ich zurückbringe.

Ta Noche. Vortrefflich! Brav! Machen Sie Verſe an Ihre Geliebte! Unterdeſſen will ich die Spur meines Wildes verfolgen: der Schelm betrügt ſich ſehr, wenn er glaubt, ich habe meinen Plan aufgegeben!

Karl. Lieber La Roche! Das iſt unter unſerer Würde. Laſſen wir dieſen Elenden ſein ſchmutziges Hand- werk treiben, und das durch unſer Verdienſt erzwingen, was er durch Niederträchtigkeit erſchleicht.

Ta Rote. Weg mit dieſem Stolz! Es ijt Schwach⸗ heit, es iſt Vorurteil! Wie? Wollen wir warten, bis die Redlichkeit die Welt regiert da würden wir lange warten müſſen. Alles ſchmiedet Ränke! Wohl, ſo wollen wir einmal für die gute Sache ein Gleiches verſuchen. Das geht übrigens Sie nichts an. Machen Sie Ihre Verſe, bilden Sie Ihr Talent aus, ich will es geltend machen, ich das iſt meine Sache!

Karl. Ja, aber die Klugheit nicht vergeſſen. Sie haben ſich heute übel ertappen laſſen.

Ta Noche. Und es wird nicht das letzte Mal ſein. Aber tut nichts! Ich ſchreite vorwärts, ich laſſe mich nicht abſchrecken, ich werde ihm ſo lange und ſo oft zu⸗ ſetzen, daß ich ihm endlich doch eins beibringe. Ich bin lange ſein Narr geweſen, jetzt will ich auch ihm einen Poſſen ſpielen. Laſſen wir's den Buben ſo forttreiben, wie er's angefangen, ſo werde ich bald der Schelm, und Ihr Vater der Dummkopf ſein müſſen!

Karl. Man kommt!

Ta Voche. Er iſt es ſelbſt!

Karl. Ich kann ſeinen Anblick nicht ertragen. In den Garten will ich zurück gehen und mein Gedicht voll- enden. (Ab.)

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Dritter Aufzug. 2. Auftritt 279

Ta Noche. Ich will auch fort! Auf der Stelle will ich Hand ans Werk legen. Doch nein es iſt beſſer, ich bleibe. Der Geck glaubt ſonſt, ich fürchte mich vor ihm!

2. Auftritt Selicour und La Roche.

Selicour. Ach ſieh da! Finde ich den Herrn La Roche hier?

Ta Noche. Ihn ſelbſt, Herr Selicour!

Selicour. Sehr beſchämt, wie ich ſehe.

Ta Noche. Nicht ſonderlich.

Selicour. Ihr wütender Ausfall gegen mich hat nichts gefruchtet Der Freund hat ſeine Bolzen um⸗ ſonſt verſchoſſen!

Ta Rowe. Hat nichts zu ſagen.

Selicour. Wahrlich, Freund La Roche! So hart Sie mir auch zuſetzten Sie haben mir leid getan, mit Ihren närriſchen Grillen.

Ta Rote. Herr Narbonne ijt jetzt nicht zugegen. Zwingt Euch nicht!

Selicour, Was beliebt?

Ta Noche. Seid unverſchämt nach Herzensgelüſten.

Selicour. Sieh doch!

Ta Noche. Brüſtet Euch mit Eurem Triumph. Ihr habt mir's abgewonnen!

Selicour, Freilich, es kann einen ſtolz machen, über einen ſo fürchterlichen Gegner geſiegt zu haben.

Ta Noche. Wenn ich's heute nicht recht machte, in Eurer Schule will ich's bald beſſer lernen.

Selicour. Wie, Herr La Roche? Sie haben es noch nicht aufgegeben, mir zu ſchaden?

280 Der Parafit

La Noche. Um eines unglücklichen Zugs willen ver⸗ läßt man das Spiel nicht!

Selicour. Ein treuer Schildknappe alſo des ehrlichen Firmins! Sieh, ſieh!

Ta Voche. Er muß dir oft aus der Not helfen, dieſer ehrliche Firmin.

Helicour. Was gibt er dir für deine Ritterſchaft?

Ta Noche. Was bezahlſt du ihm für die Exerzitien, die er dir ausarbeitet?

Selicour. Nimm dich in Acht, Freund Roche! Ich könnte dir ſchlimme Händel anrichten.

Tn Noche. Werde nicht böſe, Freund Selicour! Der Zorn verrät ein böſes Gewiſſen.

Selicour. Freilich ſollte ich über deine Torheit nur lachen.

Ta Voche. Du verachteſt einen Feind, der dir zu ſchwach ſcheint. Ich will darauf denken, deine Achtung zu verdienen! (Geht ab.)

3. Auftritt

Selicour allein.

Sie wollen den Firmin zum Geſandten haben. Gemach, Kamerad! So weit ſind wir noch nicht. Aber Firmin betrug ſich immer ſo gut gegen mich. Es iſt der Sohn vermutlich der junge Menſch, der ſich mit Verſen abgibt, ganz gewiß und dieſer La Roche iſt's, der ſie hetzt! Dieſer Firmin hat Verdienſte, ich muß es geſtehen, und wenn fie je ſeinen Ehrgeiz auf- wecken, ſo kenne ich keinen, der mir gefährlicher wäre. Das muß verhütet werden! Aber in welcher Klemme ſehe ich mich! Eben dieſe beide Firmins wären mir

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Dritter Aufzug. 4. Auftritt 281

jetzt gerade höchſt nötig, der Vater mit ſeinen Einſichten und der Sohn mit ſeinen Verſen. Laß uns fürs erſte Nutzen von ihnen ziehen, und dann ſchafft man ſie ſich ſchon gelegentlich vom Halſe.

4. Auftritt Firmin der Vater und Selicour.

5 Selicour. Sind Sie's, Herr Firmin? Eben wollte

ich zu Ihnen. Firmin. Zu mir? Selicour. Mich mit Ihnen zu erklären Sirmin. Worüber?

10 Selicour. Über eine Armſeligkeit Lieber Firmin, es iſt mir ein rechter Troſt, Sie zu ſehen. Man hat uns veruneinigen wollen.

Firmin. Uns veruneinigen! Selicour. Ganz gewiß. Aber es ſoll ihnen nicht 1s gelingen, hoff’ ich. Ich bin Ihr wahrer und aufrichtiger Freund, und ich hab' es heute bewieſen, denk ich, da dieſer tollköpfige La Roche mich bei dem Miniſter an⸗ ſchwärzen wollte. Firmin. Wie? Hätte der La Roche

20 Selicour. Er hat mich auf das abſcheulichſte preis⸗ gegeben.

Firmin. Er hat ſeine Stelle verloren. Setzen Sie

ſich an ſeinen Platz. Selicour. Er iſt ein Undankbarer! Nach allem, was 2s ich für ihn getan habe Und es geſchehe, ſagte er, um Ihnen dadurch einen Dienſt zu leiſten. Er diente Ihnen aber ſchlecht, da er mir zu ſchaden ſuchte. Was will ich denn anders als Ihr Glück? Aber ich weiß beſſer als dieſer Brauskopf, was Ihnen dient. Darum

282 Der Paraſit

habe ich mir ſchon ein Plänchen mit Ihnen ausgedacht. Das lärmende Treiben der Bureaus iſt Ihnen verhaßt, das weiß ich; Sie lieben nicht, in der geräuſchvollen Stadt zu leben. Es ſoll für Sie geſorgt werden, Herr Firmin! Sie ſuchen ſich irgend ein einſames ſtilles Plätzchen aus, ziehen einen guten Gehalt, ich ſchicke Ihnen Arbeit hinaus, Sie mögen gern arbeiten, es ſoll Ihnen nicht daran fehlen.

Eirmin. Aber wie

Selicour. Das ſind aber bloß noch Ideen, es hat noch Zeit bis dahin. Glücklich, der auf der ländlichen Flur ſeine Tage lebt! Ach, Herr Firmin! So wohl wird es mir nicht! Ich bin in die Stadt gebannt, ein Laſttier der Verhältniſſe, den Pfeilen der Bosheit preisgegeben. Auch hielt ich's für die Pflicht eines guten Verwandten, einen Vetter, der ſich hier niederlaſſen wollte, über Hals und Kopf wieder aufs Land zurück zu ſchicken. Der gute Vetter! Ich bezahlte ihm gern die Reiſekoſten

denn, ſagen Sie ſelbſt, iſt's nicht unendlich beſſer, auf dem.

Land in der Dunkelheit frei zu leben, als hier in der Stadt ſich zu placken und zu quälen?

Eirmin. Das iſt meine Meinung auch. Aber was wollten Sie eigentlich bei mir?

Selicour. Nun, wie ich ſagte, vor allen Dingen mich von der Freundſchaft meines lieben Mitbruders über⸗ zeugen Und alsdann Sie haben mir ſo oft ſchon aus der Verlegenheit geholfen, ich verhehle es nicht, ich bin Ihnen ſo viel ſo vieles ſchuldig! Mein Poſten bringt mich um Mir liegt ſo vieles auf dem Halſe Wahrhaftig, es braucht meinen ganzen Kopf, um herum zu kommen Sie ſind zufrieden mit unſerm Miniſter?

Firmin. Ich bewundere ihn.

Selicour, Ja, das nenn' ich einmal einen fähigen Chef! Und wahrlich, es war auch die höchſte Not, daß

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Dritter Aufzug. 4. Auftritt 283

ein ſolcher an den Platz kam, wenn nicht alles zu Grunde gehen ſollte. Es iſt noch nicht alles, wie es ſoll, ſagte ich ihm heute Wollen Sie, daß alles ſeinen rechten Gang gehe, ſo müßten Sie ein Memoire einreichen, worin alles, was noch zu verbeſſern iſt, mit der ſtrengſten Wahr⸗ heit angezeigt wäre Dieſe meine Idee hat er mit Eifer ergriffen und will eine ſolche Schrift unverzüglich aufgeſetzt haben. Er trug ſie mir auf Aber die unendlichen Geſchäfte, die auf mir liegen In der Tat, ich zittre, wenn ich an einen Zuwachs denke

Eirmin. Und da rechnen Sie denn auf mich Nicht wahr? 5

Selicour. Nun ja! Ich will's geſtehen!

Firmin. Sie konnten ſich diesmal an keinen Beſſern wenden!

Srlicour, O das weiß ich! Das weiß ich!

Eirmin. Denn da ich fo lange Zeit von den Miß⸗ bräuchen unter der vorigen Verwaltung Augenzeuge war ſo habe ich, um nicht bloß als müßiger Zuſchauer darüber zu ſeufzen, meine Beſchwerden und Verbeſſerungs⸗ plane dem Papiere anvertraut und ſo findet ſich, daß die Arbeit, die man von Ihnen verlangt, von mir wirklich ſchon getan iſt! Ich hatte mir keinen beſtimmten Gebrauch dabei gedacht. Ich ſchrieb bloß nieder, um mein Herz zu erleichtern.

Selicour. Iſt's möglich? Sie hätten

Eirmin. Es liegt alles bereit, wenn Sie davon Ge- brauch machen wollen.

Selicour. Ob ich das will! O mit Freuden! Das iſt ja ein ganz erwünſchter Zufall!

Firmin. Aber die Papiere find nicht in der beſten Ordnung!

Selicaur. O dieſe kleine Mühe übernehm' ich gern Noch heute Abend ſoll der Miniſter das Memoire haben

284 Der Parafit

Ich nenne Sie als Verfaſſer, Sie follen den Ruhm davon haben.

Firmin. Sie wiſſen, daß mir's darauf eben nicht ankommt! Wenn ich nur Gutes ſtifte, gleichviel unter welchem Namen.

Selicour. Würdiger, ſcharmanter Mann! Niemand läßt Ihrem beſcheidnen Verdienſt mehr Gerechtigkeit widerfahren als ich. Sie wollen mir alſo die Papiere

Tirmin. Ich kann fie gleich holen, wenn Sie fo lange verziehen wollen.

Selicour. Ja, gehen Sie! Ich will hier warten.

Firmin. Da kommt mein Sohn Er kann Ihnen unterdeſſen Geſellſchaft leiſten Aber ſagen Sie ihm nichts davon Hören Sie! Ich bitte mir's aus!

Selicour. So! Warum denn nicht?

Tirmin. Aus Urſachen.

Selicour, Nun, wenn Sie fo wollen! Es wird mir zwar ſauer werden, Ihre Gefälligkeit zu verſchwei⸗ gen! (Wenn Firmin fort iſt.) Der arme Schelm! Er fürchtet wohl gar, ſein Sohn werde ihn auszanken.

5. Auftritt

Karl. Selicour.

Karl (kommt, in einem Papiere leſend, das er beim Anblick Seli⸗ cours ſchnell verbirgt). Schon wieder dieſer Selicour (Win gehen.)

Selicour. Bleiben Sie doch, mein junger Freund! Warum fliehen Sie ſo die Geſellſchaft?

Karl. Verzeihung, Herr Selicour! (Gor fig.) Daß ich dem Schwätzer in den Weg laufen mußte!

Selicour. Ich habe mich ſchon längſt darnach geſehnt, Sie zu ſehen, mein Beſter! Was machen die Muſen?

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Dritter Aufzug. 5. Auftritt 285

Wie fließen uns die Verſe? Der gute Herr Firmin hat allerlei dagegen; ich weiß aber, er hat Unrecht. Sie haben ein ſo entſchiednes Talent! Wenn die Welt Sie nur erſt kennte aber das wird kommen! Noch heute früh ſprach ich von Ihnen

Karl. Von mir?

Selicour. Mit der Mutter unſers Herrn Miniſters und man hat ſchon ein gutes Vorurteil für Sie, nach der Art, wie ich Ihrer erwähnte.

Karl. So! Bei welchem Anlaß war das?

Selicour. Sie macht die Kennerin ich weiß nicht, wie ſie dazu kommt Man ſchmeichelt ihr, ihres Sohnes wegen. Wie? Wenn Sie ihr auf eine geſchickte feine Art den Hof machten deſſentwegen wollte ich Sie eben aufſuchen. Sie verlangte ein paar Couplets von mir für dieſen Abend. Nun habe ich zwar zu meiner Zeit auch meinen Vers gemacht, wie ein andrer, aber der Witz iſt eingeroſtet in den leidigen Geſchäften! Wie wärs nun, wenn Sie ſtatt meiner die Verschen machten Sie vertrauten ſie mir an Ich leſe ſie vor man iſt davon bezaubert man will von mir wiſſen Ich ich nenne Sie! Ich ergreife dieſe Gelegenheit, Ihnen eine Lobrede zu halten. Alles iſt voll von Ihrem Ruhm, und nicht lange, ſo iſt der neue Poet fertig, ebenſo be⸗ rühmt durch ſeinen Witz als ſeinen Degen!

Karl. Sie eröffnen mir eine glänzende Ausſicht!

Selicour. Es ſteht ganz in Ihrer Gewalt, fie wirklich zu machen!

Karl (vor ſich). Er will mich beſchwatzen! Es iſt lauter Falſchheit, ich weiß es recht gut, daß er falſch iſt aber, wie ſchwach bin ich gegen das Lob! Wider meinen Willen könnte er mich beſchwatzen. (Zu Selicour.) Man verlangt alſo für dieſen Abend

Selicour. Eine Kleinigkeit! Ein Nichts! Ein Lied⸗

286 Der Paraſit

chen wo ſich auf eine ungezwungene Art ſo ein feiner Zug zum Lobe des Miniſters anbringen ließe.

Karl. Den Lobredner zu machen, iſt meine Sache nicht! Die Würde der Dichtkunſt ſoll durch mich nicht ſo erniedrigt werden. Jedes Lob, auch wenn es noch ſo verdient iſt, iſt Schmeichelei, wenn man es an die Großen richtet.

Selicour. Der ganze Stolz eines echten Muſenſohns! Nichts von Lobſprüchen alſo aber ſo etwas von Liebe Zärtlichkeit Empfindung

Karl (fieht fein Papier an). Konnte ich denken, da ich fie niederſchrieb, daß ich ſo bald Gelegenheit haben würde?

Selicour. Was? Wie? Das find dod nicht gar Verſe

Karl. O verzeihen Sie! Eine ſehr ſchwache Arbeit

Selicour. Ei was! Mein Gott! Da hätten wir ja gerade, was wir brauchen! Her damit, geſchwind Sie ſollen bald die Wirkung davon erfahren Es braucht auch gerade keine Romanze zu ſein dieſe Kleinigkeiten dieſe artigen Spielereien tun oft mehr, als man glaubt dadurch gewinnt man die Frauen, und die Frauen machen alles. Geben Sie! Geben Sie! Wie! Sie ſtehen an! Nun, wie Sie wollen! Ich wollte Ihnen nützlich ſein Sie bekannt machen Sie wollen nicht bekannt ſein Behalten Sie Ihre Verſe! Es iſt Ihr Vorteil, nicht der meine, den ich dabei beabſichtete.

Karl. Wenn nur

Selicour. Wenn Sie ſich zieren

Karl. Ich weiß aber nicht

Selicour (reißt ihm das Papier aus der Hand). Sie find ein Kind! Geben Sie! Ich will Ihnen wider Ihren Willen dienen Ihr Vater ſelbſt ſoll Ihrem Talente bald Ge-

rechtigkeit erzeigen. Da kommt er! (er ſteckt das Papier in die rechte Taſche.)

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Dritter Aufzug. 7. Auftritt 287

6. Auftritt Beide Firmin. Selicour.

Firmin. Hier, mein Freund! aber reinen Mund gehalten! (Gibt ihm das Papier heimlich.)

Selicour. Ich weiß zu ſchweigen. Steckt das Papier in die linke Rocktaſche.)

Karl (vor ſich). Tat ich Unrecht, fie ihm zu geben Was kann er aber auch am Ende mit meinen Verſen machen?

Selicour. Meine werten Freunde! Sie haben mir eine köſtliche Viertelſtunde geſchenkt Aber man vergißt ſich in Ihrem Umgang. Der Miniſter wird auf mich warten ich reiße mich ungern von Ihnen los, denn

man gewinnt immer etwas bei ſo würdigen Perſonen. (Geht ab, mit beiden Händen an ſeine Rocktaſchen greifend.)

7. Auftritt Beide Firmin.

Firmin. Das iſt nun der Mann, den du einen Ränke⸗ ſchmied und Kabalenmacher nennſt und kein Menſch nimmt hier mehr Anteil an mir als er!

Karl. Sie mögen mich nun für einen Träumer halten Aber je mehr er Ihnen ſchön tut, deſto weniger trau' ich ihm Dieſer ſüße Ton, den er bei Ihnen an⸗ nimmt Entweder er braucht Sie, oder er will Sie zu Grund richten.

Zirmin. Pfui über das Mißtrauen! Nein, mein Sohn! Und wenn ich auch das Opfer der Bosheit werden ſollte ſo will ich doch ſo ſpät als möglich das Schlechte von andern glauben.

288 Der Paraſit 8. Auftritt

Vorige. La Roche.

Ta Noche. Sind Sie da, Herr Firmin! Es macht mir herzliche Freude Der Miniſter will Sie beſuchen.

Karl. Meinen Vater

Firmin. Mich?

Ta Noche. Ja, Sie! Ich hab' es wohl bemerkt, wie ich ein Wort von Ihnen fallen ließ, daß Sie ſchon ſeine Aufmerkſamkeit erregt hatten. Dieſem Selicour iſt auch gar nicht wohl dabei zu Mute So iſt mein heutiger Schritt doch zu etwas gut geweſen.

Karl. O fo ſehen Sie ſich doch wider Ihren eignen Willen ans Licht hervorgezogen! Welche glückliche Be⸗ gebenheit!

Firmin. Ja! Ja! Du ſiehſt mich in deinen Gedanken ſchon als Ambaſſadeur und Miniſter Herr von Nar⸗ bonne wird mir einen kleinen Auftrag zu geben haben, das wird's alles ſein!

Ta Noche. Nein, nein, fag’ ich Ihnen er will Ihre nähere Bekanntſchaft machen Und das iſt's nicht allein! Nein! Nein! Die Augen ſind ihm endlich auf⸗ gegangen! Dieſer Selicour, ich weiß es, iſt ſeinem Fall nahe! Noch heute Es iſt ſchändlich und abſcheulich doch ich ſage nichts. Der Miniſter ließ in Ihrem Hauſe nach Ihnen fragen; man ſagte ihm, Sie ſeien auf dem Bureau Ganz gewiß ſucht er Sie hier auf! Sagt'

ich's nicht? Sieh, da iſt er ſchon! (er tritt nach dem Hinter⸗ grund zurück.)

9. Auftritt Narbonne zu den Vorigen.

Narbonne. Ich habe Arbeiten von Ihnen geſehen, Herr Firmin, die mir eine hohe Idee von Ihren Ein⸗

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Dritter Aufzug. 9. Auftritt 289

ſichten geben, und von allen Seiten hör' ich Ihre Recht⸗ ſchaffenheit, Ihre Beſcheidenheit rühmen. Männer Ihrer Art brauche ich höchſt nötig Ich komme des⸗ wegen, mir Ihren Beiſtand, Ihren Rat, Ihre Mitwir⸗ kung in dem ſchweren Amte auszubitten, das mir anver⸗ traut iſt. Wollen Sie mir Ihre Freundſchaft ſchenken, Herr Firmin?

Firmin. So viel Zutrauen beſchämt mich und macht mich ſtolz. Mit Freude und Dankbarkeit nehme ich dieſes gütige Anerbieten an aber ich fürchte, man hat Ihnen eine zu hohe Meinung von mir gegeben.

Karl. Man hat Ihnen nicht mehr geſagt, als wahr iſt, Herr von Narbonne! Ich bitte Sie, meinem Vater in dieſem Punkte nicht zu glauben.

Firmin. Mache nicht zu viel Rühmens, mein Sohn, von einem ganz gemeinen Verdienſt.

Narbonne. Das ijt alſo Ihr Sohn, Herr Firmin?

Eirmin. Ja.

Narbonne. Der Karl Firmin, deſſen meine Mutter und Tochter noch heute Morgen gedacht haben?

Karl. Ihre Mutter und die liebenswürdige Charlotte haben ſich noch an Karl Firmin erinnert!

Narbonne. Sie haben mir ſehr viel Schmeichelhaftes von Ihnen geſagt.

Karl. Möchte ich ſo viele Güte verdienen!

Narbonne. Es ſoll mich freuen, mit Ihnen, braver junger Mann, und mit Ihrem würdigen Vater mich näher zu verbinden. Herr Firmin! Wenn es meine Pflicht iſt, Sie aufzuſuchen, ſo iſt es die Ihre nicht weniger, ſich finden zu laſſen. Mag ſich der Unfähige einer ſchimpf⸗ lichen Trägheit ergeben! Der Mann von Talent, der ſein Vaterland liebet, ſucht ſelbſt das Auge ſeines Chefs und bewirbt ſich um die Stelle, die er zu verdienen ſich bewußt iſt. Der Dummkopf und der N

Schillers Werke. IX.

290 Der Parafit

find immer bei der Hand, um ſich mit ihrem anmaßlichen Verdienſte zu brüſten wie ſoll man das wahre Ver⸗ dienſt unterſcheiden, wenn es ſich mit ſeinen verächtlichen Nebenbuhlern nicht einmal in die Schranken ſtellt?

Bedenken Sie, Herr Firmin, daß man für das Gute,

welches man nicht tut, ſo wie für das Böſe, welches man zuläßt, verantwortlich iſt.

Karl. Hören Sie's nun, mein Vater!

Firmin. Geben Sie mir Gelegenheit, meinem Vater⸗ lande zu dienen, ich werde ſie mit Freuden ergreifen!

Narbonne. Und mehr verlang’ ich nicht Damit wir beſſer mit einander bekannt werden, ſo ſpeiſen Sie beide dieſen Abend bei mir. Sie finden eine angenehme Geſellſchaft Ein paar gute Freunde, einige Verwandte Aller Zwang wird entfernt ſein, und meine Mutter, die durch meinen neuen Stand nicht ſtolzer geworden iſt, wird Sie aufs freundlichſte empfangen, das verſprech' ich Ihnen.

Firmin. Wir nehmen Ihre gütige Einladung an.

Karl (vor ſich). Ich werde Charlotten ſehen!

Ta Rowe (beiſeite). Die Sachen find auf gutem Weg der Augenblick iſt günſtig Friſch, noch einen Ausfall auf dieſen Selicour! (Kommt vorwärts.) So laſſen Sie end⸗ lich dem Verdienſt Gerechtigkeit widerfahren, gut! Nun iſt noch übrig, auch das Laſter zu entlarven Glück⸗ licherweiſe finde ich Sie hier und kann da fortfahren, wo ich es dieſen Morgen gelaſſen Dieſer Selicour brachte mich heute zum Stillſchweigen ich machte es ungeſchickt, ich gefteh’ es, daß ich fo mit der Türe ins Haus fiel, aber wahr bleibt wahr! Ich habe doch Recht! Sie ver⸗ langten Tatſachen Ich bin damit verſehen.

Narbonne. Was? Wie?

Ta Noche. Dieſer Menſch, der ſich das Anſehn gibt, als ob er ſeiner Mutter und ſeiner ganzen Familie zur

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Stütze diente, er hat einen armen Teufel von Vetter ſchön empfangen, der heute in ſeiner Einfalt, in gutem Ver⸗ trauen zu ihm in die Stadt kam, um eine kleine Ver⸗ ſorgung durch ihn zu erhalten. Fortgejagt wie einen Taugenichts hat ihn der Heuchler! So geht er mit ſeinen Verwandten um und wie ſchlecht ſein Herz ift, davon kann ſeine notleidende Mutter

Firmin. Sie tun ihm ſehr Unrecht, lieber La Roche! Eben dieſer Vetter, den er ſoll fortgejagt haben, kehrt mit ſeinen Wohltaten überhäuft und von falſchen Hoff⸗ nungen geheilt in ſein Dorf zurück!

Narbonne. Eben mit dieſem Vetter hat er ſich recht gut betragen.

Ta Roche. Wie? Was?

Narbonne. Meine Mutter war ja bei dem Geſpräch zugegen.

Eirmin. Lieber La Roche! Folgen Sie doch nicht fo der Eingebung einer blinden Rache.

Ta Noche. Schön, Herr Firmin! Reden Sie ihm noch das Wort!

Firmin. Er iſt abweſend, es ijt meine Pflicht, ihn zu verteidigen.

Narbonne. Dieſe Geſinnung macht Ihnen Ehre, Herr Firmin; auch hat ſich Herr Selicour in Anſehung Ihrer noch heute ebenſo betragen. Wie erfreut es mich, mich von jo würdigen Perſonen umgeben zu ſehen (gu La Roche.) Sie aber, der den armen Selicour ſo unverſöhn⸗ lich verfolgt, Sie ſcheinen mir wahrlich der gute Mann nicht zu ſein, für den man Sie hält! Was ich bis jetzt noch von Ihnen ſah, bringt Ihnen wahrlich ſchlechte Ehre!

Ta Rothe (vor ſich). Ich möchte berſten Aber nur Geduld!

Narbonne. Ich bin geneigt, von dem guten Selicour immer beſſer zu denken, je mehr Schlimmes man mir

292 Der Paraſit

von ihm ſagt, und ich gehe damit um, ihn mir näher zu verbinden.

Karl (betroffen). Wie ſo?

Narbonne. Meine Mutter hat gewiſſe Plane, die ich vollkommen gut heiße Auch mit Ihnen habe ich es gut vor, Herr Firmin! dieſen Abend ein mehreres. Bleiben Sie ja nicht lange aus. Zu Karl.) Sie, mein

junger Freund, legen ſich auf die Dichtkunſt, hör' ich;

meine Mutter hat mir heute Ihr Talent gerühmt. Laſſen Sie uns bald etwas von Ihrer Arbeit hören. Auch ich liebe die Muſen, ob ich gleich ihrem Dienſt nicht leben kann. Ihr Diener, meine Herren! Ich ver⸗ bitte mir alle Umſtände. (er geht ab.)

10. Auftritt

Vorige ohne Narbonne.

Karl. Ich werde ſie ſehen! Ich werde ſie ſprechen! Aber dieſe gewiſſen Plane der Großmutter Gott! ich zittre. Es iſt gar nicht mehr zu zweifeln, daß ſie dieſem Selicour beſtimmt iſt.

Firmin. Nun, mein Sohn! Das iſt ja heute ein glücklicher Tag!

Ta Roche. Für Sie wohl, Herr Firmin aber für mich?

Firmin. Sein Sie außer Sorgen. Ich hoffe alles wieder ins Gleiche zu bringen. (Zu Karl.) Betrage dich klug, mein Sohn! wenigſtens unter den Augen des Miniſters vergiß dich nicht.

Karl. Sorgen Sie nicht! Aber auch Sie, mein Vater, rühren Sie ſich einmal!

Eirmin. Schön! Ich erhalte auch meine Lektion.

Karl. Und habe ich nicht Recht, Herr La Roche?

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Dritter Aufzug. 11. Auftritt 293

Firmin. Laß dir fein Beiſpiel wenigſtens zu einer Warnung dienen. Mut gefaßt, La Roche! Wenn meine Fürſprache etwas gilt, ſo iſt Ihre Sache noch nicht ver⸗ loren. (er geht ab.)

11. Auftritt Karl Firmin und La Roche.

Ta Noche. Nun, was ſagen Sie? Iſt das erlaubt, daß Ihr Vater ſelbſt mich Lügen ſtraft und den Schelmen in Schutz nimmt?

Karl. Beſter Freund, ich habe heute früh Ihre Dienſte verſchmäht, jetzt flehe ich um Ihre Hilfe. Es iſt nicht mehr zu zweifeln, daß man ihr den Selicour zum Gemahl beſtimmt. Ich bin nicht wert, ſie zu be⸗ ſitzen, aber noch weniger verdient es dieſer Nichts⸗ würdige!

Ta Noche. Braucht's noch eines Sporns, mich zu hetzen? Sie ſind Zeuge geweſen, wie man mich um ſeinetwillen mißhandelt hat! Hören Sie mich an! Ich habe in Erfahrung gebracht, daß der Miniſter ihm noch heute eine ſehr wichtige und kitzliche Arbeit aufgetragen, die noch vor Abend fertig ſein ſoll. Er wird ſie ent⸗ weder gar nicht leiſten, oder doch etwas höchſt Elendes zu Markte bringen. So kommt ſeine Unfähigkeit ans Licht. Trotz ſeiner ſüßlichten Manieren haſſen ihn alle und wünſchen ſeinen Fall. Keiner wird ihm helfen, dafür ſteh' ich, ſo verhaßt iſt er!

Karl. Meinen Vater will ich ſchon davon abhalten. Ich ſehe jetzt wohl, zu welchem Zweck er mir mein Ge⸗ dicht abſchwatzte. Sollte er wohl die Stirne haben, ſich in meiner Gegenwart für den Verfaſſer auszugeben?

Ta Noche. Kommen Sie mit mir in den Garten, er

294 Der Paraſit

darf uns nicht beiſammen antreffen. Du nennſt dich meinen Meiſter, Freund Selicour! Nimm dich in Acht Dein Lehrling formiert ſich, und noch vor Abend ſollſt du bei ihm in die Schule gehen! (Gehen ab.)

Vierter Aufzug 1. Auftritt

Madame Belmont. Charlotte.

Mad. Belmont. Bleib da, Charlotte! Wir haben ein 5 Wörtchen mit einander zu reden, eh' die Geſellſchaft kommt.

Sage mir, mein Kind! Was hältſt du von dem Herrn Selicour?

Charlotte. Ich, Mama?

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Charlotte. Nun, ein ganz angenehmer, verdienſt⸗ voller, würdiger Mann ſcheint er mir zu ſein.

Mad. Belmont. Das hör' ich gerne! Ich freue mich, liebes Kind, daß du eine ſo gute Meinung von ihm haſt denn, wenn dein Vater und ich etwas über 1s dich vermögen, ſo wird Herr Selicour bald dein Ge⸗ mahl ſein.

Charlotte (betroffen). Mein Gemahl!

Mad. Belmont. Fällt dir das auf?

Charlotte. Herr Selicour? 20

Mad. Belmont. Wir glaubten nicht beſſer für dein Glück ſorgen zu können

Charlotte. Von Ihren und meines Vaters Händen will ich gerne einen Gatten annehmen Aber, Sie wer⸗ den mich für grillenhaft halten, liebe Großmama! Ich 28

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Vierter Aufzug. 2. Auftritt 295

weiß nicht dieſer Herr Selicour, den ich übrigens hochſchätze gegen den ich nichts einzuwenden habe ich weiß nicht, wie es kommt wenn ich mir ihn als meinen Gemahl denke, ſo ſo empfinde ich in der Tiefe meines Herzens eine Art von

Mad. Belmont. Doch nicht von Abneigung?

Charlotte. Von Grauen möcht' ich's ſogar nennen! Ich weiß, daß ich ihm Unrecht tue, aber ich kann es nun einmal nicht überwinden. Ich fühle weit mehr Furcht vor ihm als Liebe.

Mad. gelmont. Schon gut! Dieſe Furcht kennen wir, meine Tochter!

Charlotte. Nein! Hören Sie!

Mad. Belmont. Eine angenehme mädchenhafte Schüch⸗ ternheit! Das muß ich wiſſen, glaube mir. Bin ich nicht auch einmal jung geweſen? übrigens ſteht dieſe Partie deiner Familie an. Ein Mann, der alles weiß ein Mann von Geſchmack ein feiner Kenner und ein ſo gefälliger bewährter Freund. Auch reißt man ſich in allen Häuſern um ihn. Wäre er nicht eben jetzt ſeiner Mutter wegen bekümmert, ſo hatte er mir dieſen Abend eine Romanze für dich verſprochen denn er kann alles, und dir möchte er gern in jeder Kleinigkeit zu Gefallen ſein. Aber ich hör' ihn kommen! Er läßt doch niemals auf ſich warten! Wahrlich, es gibt ſeines⸗ gleichen nicht!

2. Auftritt Selicour zu den Vorigen.

Selicour. Sie verlangten heute ein gefühlvolles zärt⸗ liches Lied von mir! Ich habe mein möglichſtes getan, Madame! und lege es Ihnen hier zu Füßen.

Mad. Belmont. Wie, Herr Selicour! Sie haben es

296 Der Parafit

wirklich ſchon fertig? In der Tat, ich fürchtete, daß die übeln Nachrichten

Selicour. Welche Nachrichten?

Mad. Belmont. Von Ihrer Mutter

Selicour. Von meiner Mutter! Ja Ich ich habe eben einen Brief von ihr erhalten einen Brief, worin ſie mir meldet, daß ſie endlich

Mad. gelmont. Daß ſie die tauſend Taler erhalten Nun, das freut mich 5

Selicour. Hätte ich ſonſt die Faſſung haben können? Aber, dem Himmel ſei Dank! Jetzt iſt mir dieſer Stein vom Herzen, und in der erſten Freude ſetzte ich dieſe Strophen auf, die ich die Ehre gehabt, Ihnen zu überreichen.

Mad. Belmont (zu Charlotten). Er hätte dich gejammert, wenn du ihn geſehen hätteſt Da war's, wo ich fein ganzes treffliches Herz kennen lernte. Herr Selicour, ich liebe Ihre Romanze, noch eh' ich ſie geleſen.

3. Auftritt

Vorige. Narbonne.

Narbonne. Selicour hier bei Ihnen! Ei, ei, liebe Mutter, Sie ziehen mir ihn von nötigeren Dingen ab. Er hat ſo dringend zu tun, und Sie beladen ihn noch mit unnützen Aufträgen.

Mad. Belmont. Sieh, ſieh, mein Sohn! Will Er nicht gar böſe werden!

Narbonne. Was ſoll aus dem Aufſatz werden, der doch ſo wichtig und ſo dringend iſt?

Selicour. Der Aufſatz iſt fertig. Hier iſt er!

Narbonne. Was, ſchon fertig?

Selicour. Und ich bitte Sie, zu glauben, daß ich weder Zeit noch Mühe dabei geſpart habe.

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Vierter Aufzug. 3. Auftritt 297

Narbonne. Aber wie iſt das möglich?

Selicour. Die Mißbräuche der vorigen Verwaltung haben mir nur zu oft das Herz ſchwer gemacht Ich konnte es nicht dabei bewenden laſſen, ſie bloß müßig zu beklagen Dem Papiere vertraute ich meinen Unwillen, meinen Tadel, meine Verbeſſerungsplane an, und ſo trifft es ſich, daß die Arbeit, die Sie mir auftrugen, ſchon ſeit lange im ſtillen von mir gemacht iſt Es ſollte mir wahrlich auch nicht an Mut gefehlt haben, öffentlich da⸗ mit hervorzutreten, wenn die Regierung nicht endlich von ſelbſt zur Einſicht gekommen wäre und in Ihrer Perſon einen Mann aufgeſtellt hätte, der alles wieder in Ord⸗ nung bringt Jetzt iſt der Zeitpunkt da, von dieſen Papieren öffentlichen Gebrauch zu machen Es fehlte nichts, als die Blätter zurecht zu legen, und das war in wenig Augenblicken geſchehen!

Mad. Belmont. Nun, mein Sohn! Du kannſt zu⸗ frieden ſein, denk ich Herr Selicour hat deinen Wunſch erfüllt, eh' er ihn wußte, hat dir in die Hand gearbeitet, und ihr kommt einander durch den glücklichſten Zufall entgegen

Narbonne. Mit Freuden ſeh' ich, daß wir einver⸗ ſtanden find. Geben Sie, Herr Selicour, noch heute Abend ſende ich den Aufſatz an die Behörde.

Selicour (vor ſich). Alles geht gut Jetzt dieſen Firmin weggeſchafft, der mir im Weg iſt. (Laut.) Werden Sie mir verzeihen, Herr von Narbonne? Es tut mir leid, es zu ſagen aber ich muß fürchten, daß die An⸗ klage des Herrn La Roche dieſen Morgen doch einigen Eindruck gemacht haben könnte.

Narbonne. Nicht den mindeſten.

Selicour. Ich habe es befürchtet. Nach allem, was ich ſehe, hat dieſer La Roche meine Stelle ſchon an jemanden vergeben.

298 Der Parafit

Narbonne. Wie?

Selicour. Ich habe immer ſehr gut gedacht von Herrn Firmin, aber, ich geſteh' es ich fange doch end⸗ lich an, an ihm irre zu werden.

Narbonne. Wie? Sie haben ja mir noch heute ſeine Gutmütigkeit gerühmt.

Selicour. Iſt auch dem Gutmütigſten bis auf einen gewiſſen Punkt zu trauen? Ich ſehe mich von Feinden umgeben. Man legt mir Fallſtricke.

Narbonne. Sie tun Herrn Firmin Unrecht. Ich kenne ihn beſſer, und ich ſtehe für ihn.

Selicour. Ich wünſchte, daß ich ebenſo von ihm denken könnte.

Narbonne. Der ſchändliche Undank dieſes La Roche muß Sie natürlicherweiſe mißtrauiſch machen. Aber wenn Sie auch nur den Schatten eines Zweifels gegen Herrn Firmin haben, ſo werden Sie ſogleich Gelegenheit haben, von Ihrem Irrtum zurück zu kommen.

Selicour. Wie das?

Narbonne. Er wird im Augenblick ſelbſt hier ſein.

Selicour. Herr Firmin hier?

Narbonne. Hier Ich konnte mir's nicht verſagen. Ich hab' ihn geſehen!

Selicour. Geſehen! Vortrefflich!

Narbonne. Er und ſein Sohn ſpeiſen dieſen Abend mit uns.

Selicour. Speiſen Sein Sohn! Vortrefflich!

Mad. Belmont und Charlotte. Karl Firmin?

Narbonne. Der junge Offizier, deſſen Verdienſte Sie mir ſo oft gerühmt haben. Ich habe Vater und Sohn zum Nachteſſen eingeladen.

Mad. Belmont. Ich werde fie mit Vergnügen will⸗ kommen heißen. 8

Narbonne (gu Selicour). Sie haben doch nichts dawider?

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Vierter Aufzug. 3. Auftritt 299

Kelicour. Ich bitte ſehr Ganz im Gegenteil!

Mad. Belmont. Ich bin dem Vater ſchon im vor⸗ aus gut um des Sohnes willen. Und was ſagt unſre Charlotte dazu?

Charlotte. Ich, Mama ich bin ganz Ihrer Mei⸗ nung!

Narbonne. Sie können ſich alſo ganz offenherzig gegen einander erklären.

Selicour. O das bedarf's nicht im geringſten nicht Wenn ich's geſtehen ſoll, ich habe Herrn Firmin immer für den redlichſten Mann gehalten und tat ich ihm einen Augenblick Unrecht, ſo bekenne ich mit Freuden meinen Irrtum Ich für meinen Teil bin überzeugt, daß er mein Freund iſt.

Narbonne. Er hat es bewieſen! Er ſpricht mit großer Achtung von Ihnen Zwar kenn' ich ihn nur erſt von heute, aber gewiß verdient er

Selicour leinfallend). Alle die Lobſprüche, die ich ihm, wie Sie wiſſen, noch vor kurzem erteilt habe So bin ich einmal! Mein Herz weiß nichts von Mißgunſt!

Narbonne. Er verbindet einen geſunden Kopf mit einem vortrefflichen Herzen, und kein Menſch kann von Ruhmſucht freier ſein als er. Was gilt's? Er wär' im ſtande, einem andern das ganze Verdienſt von dem zu laſſen, was er geleiſtet hat!

Selicour, Meinen Sie?

Narbonne. Er wäre der Mann dazu!

Mad. Belmont. Sein Sohn möchte in dieſem Stück nicht ganz ſo denken.

Charlotte. Ja wohl, der iſt ein junger feuriger Dichterkopf, der keinen Scherz verſteht.

Selicour. Würde der wohl einem andern den Ruhm ſeines Werks abtreten?

Charlotte. O daran zweifle ich ſehr!

300 Der Paraſit

Narbonne. Ich liebe dieſes Feuer an einem jungen Kriegsmann.

Selicour. O allerdings, das verſpricht!

Narbonne. Jeder an ſeinen rechten Platz geſtellt, werden ſie beide vortrefflich zu brauchen ſein.

Selicour. Es iſt doch gar ſchön, wie Sie die fähigen Leute ſo aufſuchen!

Narbonne. Das iſt meine Pflicht. (er ſpricht mit ſeiner Tochter.)

Selicour. Das war's! (Zu Madame Belmont, beiſeite.) Ein Wort, Madame! Man könnte doch glauben, Sie zerſtreuten mich von meinen Berufsgeſchäften Wenn alſo dieſen Abend mein Gedicht ſollte geſungen werden, ſo nennen Sie mich nicht!

Mad. Belmont. Wenn Sie nicht wollen, nein.

Selicour, Ja mir fällt ein. Wie? Wenn ich, größerer Sicherheit wegen, jemanden aus der Geſellſchaft darum anſpräche, ſich als Verfaſſer zu bekennen

Mad. Belmont. Wie? Sie könnten einem andern den Ruhm davon abtreten?

Selicour. Bah! Das iſt eine Kleinigkeit! (Beide

Firmin treten ein.) Charlotte (erblickt fie, lebhaft). Da kommen fie!

4. Auftritt Vorige. Beide Firmin.

Narbonne (ihnen entgegen). Ich habe Sie längſt er⸗ wartet, meine Herren! Nur herein! Nur näher! Sein Sie herzlich willkommen! Hier, Herr Firmin, meine Mutter und hier meine Tochter Sie ſind kein Fremd⸗ ling in meiner Familie.

Mad. Belmont (zu Karl Firmin). Ich hatte mir's nicht

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Vierter Aufzug. 4. Auftritt 301

erwartet, Sie hier in Paris zu ſehen; es iſt ſehr ange⸗ nehm, ſich mit lieben Freunden ſo unvermutet zuſammen zu finden.

Karl. Dieſer Name hat einen hohen Wert für mich. (Zu Charlotten.) Sie haben Ihre Tante doch wohl verlaſſen?

Charlotte. Ja, Herr Firmin!

Karl. Es waren unvergeßliche Tage, die ich in Ihrem Hauſe verlebte. Dort war's, mein Fräulein

Narbonne (zu Firmin dem Vater). Laſſen wir die jungen Leute ihre Bekanntſchaft erneuern. Nun, Herr Firmin! Da iſt Selicour!

Selicour (gu Firmin). In der Cat ich bin ich kann nicht genug ſagen, wie erfreut ich bin Sie bei dem Herrn von Narbonne eingeführt zu ſehen.

Narbonne. Sie find beide die Männer dazu, ein⸗ ander Gerechtigkeit widerfahren zu laſſen. (Zu Firmin.) Er hat etwas auf dem Herzen, ich wünſchte, daß Sie ſich gegen einander erklärten, meine Herren!

Selicour. O nicht doch! Nicht doch! Herr Firmin kennt mich als ſeinen Freund.

Narbonne. Und ſein Sie verſichert, er iſt auch der Ihrige. Ich wünſchte, Sie hätten es gehört, mit welcher Wärme er noch heute Ihre Partei nahm. Ganz gewiß hat dieſer La Roche wieder

Selicour. Aber was in aller Welt mag doch den La Roche ſo gegen mich aufhetzen?

Narbonne. Dieſer La Roche iſt mein Mann nicht wenigſtens hab' ich eine ſchlechte Meinung von ſeinem Charakter. .

Firmin. Sie tun ihm Unrecht. Ich habe heute gegen ihn geſprochen, aber diesmal muß ich ihn verteidigen.

Selicour. Es iſt ganz und gar nicht nötig. Ich ſchätze ihn, ich kenne ſein gutes Herz und kenne auch ſeine Sparren Und mag er mich am Ende bei der ganzen

302 Der Parafit

Welt anſchwärzen, wenn er nur bei Ihnen keinen Glauben fand! Sie ſehen, wir ſind fertig Unſer Streit iſt beigelegt, es braucht keiner weitern Erklärung. !

Mad. Belmont. Nun, wollen Sie nicht Platz nehmen, meine Herren?

Selicour (zu Karl Firmin). Es iſt ſchon übergeben, das Gedicht.

Karl. Wirklich?

Selicour. Die alte Mama hat es, und den Verfaſſer habe ich ihr nicht verſchwiegen. (Madame Belmont beiſeite führend.) Wiſſen Sie, was ich gemacht habe?

Mad. Belmont. Nun!

Selicour. Der junge Firmin Sie wiſſen, er gibt ſich mit Verſemachen ab.

Mad. Belmont. Ja! Nun!

Selicour. Ich hab' ihn erſucht, ſich für den Ver⸗ faſſer des Liedchens zu bekennen Er läßt ſich's gefallen!

Mad. Belmont. Läßt ſich's gefallen? Das glaub' ich!

Selicour, Daß Sie mich ja nicht Lügen ſtrafen!

Narbonne. Aber bis unſre andern Gäſte kommen, liebe Mutter, laſſen Sie uns eine kleine Unterhaltung ausdenken Zum Spiel lade ich Sie nicht ein Wir können uns beſſer beſchäftigen.

Firmin. Sie haben zu befehlen.

Karl. Es wird von Madame abhängen.

Charlotte. Lieben Sie noch immer die Muſik, Herr Firmin?

Narbonne. Es iſt ja wahr, du ſingſt nicht übel Laß hören. Haſt du uns nicht irgend etwas Neues vorzutragen?

Karl. Wenn es Fräulein Charlotten nicht zu viel Mühe macht.

Charlotte. Hier hat man mir ſoeben einige Strophen zugeſtellt.

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Vierter Aufzug. 4. Auftritt 303

Narbonne. Gut! Ich werde, mit Ihrer Erlaubnis, unterdeſſen das Memoire unſers Freundes durchleſen.

Selicour. Aber wir werden Sie ſtören, Herr von Narbonne!

Narbonne. Nicht doch! Ich bin gewohnt, im ärgſten Geräuſch zu arbeiten und hier iſt nur vom Leſen die Rede! (Er geht auf die entgegengeſetzte Seite, wo er ſich niederſetzt.)

Selicour. Wenn Sie aber doch lieber

Narbonne. Verzeihen Sie! aber es leidet keinen Aufſchub. Die Pflicht geht allem vor!

Mad. Selmont. Laſſen wir ihn denn, wenn er es jo

will, und nehmen unſer Lied vor. (Aue ſetzen ſich. Charlotte

ans Ende, Madame Belmont neben Charlotten, Selicour zwiſchen Madame Belmont und Karln, neben letztern Firmin der Vater.)

Charlotte. Die Melodie iſt gleich gut gewählt, wie ich ſehe.

Mad. Belmont. Der Verfaſſer iſt nicht weit ich kann ihn ohne Brille ſehen.

Selicour (zu Madame Belmont, leiſe). Verraten Sie mich nicht (Zu Karl Firmin.) Das gilt Ihnen, mein Lieber!

Charlotte. Ihm! Wie?

Firmin. Iſt das wahr, Karl? Wäreſt du

Selicour. Er iſt der Verfaſſer.

Charlotte (su ihrer Großmutter). Wie? Herr Firmin wäre der Verfaſſer!

Mad. Belmont (laut). Ja! (Geimlich.) Nenne den wahren Verfaſſer ja nicht

Charlotte. Warum nicht? a

Mad. Belmont. Aus Urſachen. Zu Selicour.) Wollen Sie Charlotten nicht akkompagnieren?

Selicour. Mit Vergnügen.

Eirmin (ärgerlich zu ſeinem Sohn). Gewiß wieder eine übereilte Arbeit aber das muß einmal gedichtet ſein

304 Der Paraſit

Karl. Aber, lieber Vater, hören Sie doch erſt, eh' Sie richten!

Charlotte (fingt).

An der Quelle ſaß der Knabe, Blumen band er ſich zum Kranz, Und er ſah ſie, fortgeriſſen, 5 Treiben in der Wellen Tang: „Und fo fliehen meine Tage Wie die Quelle raſtlos hin, Und ſo ſchwindet meine Jugend, Wie die Kränze ſchnell verblühn!“ 10

Mad. Belmont (Selicour anſehend). Dieſer Anfang ver⸗ ſpricht ſchon viel!

Selicour (auf Karl Firmin zeigend). Dieſem Herrn da gehört das Kompliment.

Mad. Belmont. Gut! Gut! Ich verſtehe! 15

Firmin. Der Gedanke iſt alltäglich, gemein.

Karl. Aber er iſt doch wahr.

Narbonne (auf der entgegengeſetzten Seite mit dem Aufſatz be⸗ ſchäftigt). Die Einleitung ijt ſehr gut und erweckt ſogleich die Aufmerkſamkeit.

Charlotte (ſingt wieder).

„Fraget nicht, warum ich traure 20 In des Lebens Blütenzeit! Alles freuet ſich und hoffet, Wenn der Frühling ſich erneut! Aber dieſe tauſend Stimmen Der erwachenden Natur 25 Wecken in dem tiefen Buſen Mir den ſchweren Kummer nur!“ Mad. Belmont. Zum Entzücken! Firmin. Nicht übel.

Selicour (gu Karl Firmin). Sie ſehen, wie alles Sie 30 bewundert.

Vierter Aufzug. 4. Auftritt 305

Narbonne (leſend). Trefflich entwickelt und nach⸗ drücklich vorgetragen Leſen Sie doch mit mir, Herr Firmin! (Firmin tritt zum Miniſter und lieſt über ſeine linke Schulter.)

Mad. Belmont. Ganz göttlich!

5 Selicour (au Narbonne tretend). Ich habe aber freilich dem

Herrn Firmin viel, ſehr, ſehr viel dabei zu danken. (Tritt

wieder auf die andre Seite zwiſchen Karl Firmin und Madame Belmont, doch ohne die andre Gruppe aus den Augen zu verlieren.)

Charlotte (fingt wieder). „Was kann mir die Freude frommen, Die der ſchöne Lenz mir beut? Eine nur iſt's, die ich ſuche, 10 Sie iſt nah und ewig weit. Sehnend breit' ich meine Arme Nach dem teuren Schattenbild, Ach, ich kann es nicht erreichen, Und das Herz bleibt ungeſtillt!

15 Komm herab, du ſchöne Holde, Und verlaß dein ſtolzes Schloß! Blumen, die der Lenz geboren, Streu' ich dir in deinen Schoß. Horch, der Hain erſchallt von Liedern, 20 Und die Quelle rieſelt klar! Raum iſt in der kleinſten Hütte Für ein glücklich liebend Paar.“ Mad. Belmont. Wie rührend der Schluß iſt! Das liebe Kind iſt ganz davon bewegt worden. 25 Charlotte. Ja, es mag es gemacht haben, wer will, es iſt aus einem Herzen gefloſſen, das die Liebe kennt! Selicour (verneigt ſich gegen Charlotten). Dies iſt ein ſchmeichelhaftes Lob. Karl. Was? Er bedankt ſich 30 Selicour (ſchnell zu Karl Firmin ſich umdrehend). Nicht wahr, lieber Freund? Schillers Werke. IX. 20

806 Der Paraſit

Mad. Belmont. Ich bin ganz davon hingeriſſen

Selicour (buct ſich gegen Madame Belmont). Gar zu gütig, Madame!

Karl. Wie verſteh' ich das?

Selicour lebenſo ſchnell wieder zu Karl Firmin). Nun! Sagt' ich's Ihnen nicht! Sie haben den vollkommenſten Sieg davongetragen.

Karl. Hält er mich zum Narren?

Narbonne. Das Werk iſt vortrefflich! Ganz vor⸗ trefflich!

Selicour (zu Firmin dem Vater). Sie ſehen, ich habe mich ganz an Ihre Ideen gehalten.

Firmin (lächelt). Ich muß geſtehen, ich merke fo etwas.

Charlotte. Ich weiß nicht, welchem von beiden Herren

Selicour (zu Charlotten, indem er auf Karl Firmin deutet). Ein ſüßer Triumph für den Verfaſſer.

Narbonne (den Aufſatz zuſammenlegend). Ein wahres Meiſter⸗ werk. In der Tat!

Selicour (ouct ſich gegen Narbonne). Gar zu viel Ehre!

Mad. Belmont (wiederholt die letzte Strophe).

Horch, der Hain erſchallt von Liedern, Und die Quelle rieſelt klar! Raum iſt in der kleinſten Hütte Für ein glücklich liebend Paar. Schön! Himmliſch! dem widerſtehe, wer kann! Selicour, es bleibt dabei! Sie heiraten meine Char⸗ lotte!

Karl. O Himmel!

Charlotte. Was hör' ich!

Narbonne (steht auf. Ich kenne wenig Arbeiten, die fo vortrefflich wären Selicour, Sie ſind Geſandter!

Karl. Mein Gott!

Narbonne. Sie ſind's! Ich ſtehe Ihnen für Ihre

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Vierter Aufzug. 5. Auftritt 307

Ernennung! Wer das ſchreiben konnte, muß ein recht⸗ ſchaffener Mann, muß ein Mann von hohem Genie ſein!

Selicour, Aber erlauben Sie Ich weiß nicht, ob ich es annehmen darf Zufrieden mit meinem jetzigen Loſe N

Narbonne. Sie müſſen ſich von allem losreißen, wenn der Staat Sie anderswo nötig hat.

Selicour. Dürfte ich mir nicht wenigſtens Herrn Firmin zu meinem Sekretär ausbitten?

Zirmin, Wo denken Sie hin? Mich? Mich? Zu Ihrem Sekretär?

Selicour. Ja, Herr Firmin! Ich habe Sie ſehr nötig.

Karl. Das will ich glauben.

Narbonne. Das wird ſich finden! Nun! Wie ijt die Muſik abgelaufen?

Selicour. Fräulein Charlotte hat ganz himmliſch geſungen.

5. Auftritt Michel zu den Vorigen.

Michel. Die Geſellſchaft iſt im Saal verſammelt Narbonne. Sie ſind fo gütig, liebe Mutter, fie zu empfangen Ich will dieſes jetzt auf der Stelle abſenden (eeiſe zu Selieour.) Gewinnen Sie die Einwilligung meiner Tochter, und mit Freuden erwähle ich Sie zum Sohn Noch einmal! Das Werk iſt vortrefflich, und ich gäbe viel darum, es gemacht zu haben. (Ab.) Selicour (gu Karl). Nun, genießen Sie Ihres Triumphs, Herr Firmin! Gu Chartotten.) Unſer junger Freund weiß die Komplimente ganz gut aufzunehmen. Charlotte. Nach den hübſchen Sachen, die ich von

308 Der Parafit

ihm geſehen, hätte ich nicht geglaubt, daß er nötig haben würde, ſich mit fremden Federn zu ſchmücken.

Selicour. Bloße Gefälligkeit, mein Fräulein! Aber die Geſellſchaft wartet

Firmin (gu ſeinem Sohn). Nun, du haſt ja ganz gewal⸗ tiges Lob eingeerntet! (Selicour gibt Charlotten ſeinen Arm.)

Karl. Ja, ich hab' Urſache, mich zu rühmen.

Mad. Belmont (zu Selicour). Recht, recht! Führen Sie Charlotten Es kleidet ihn doch alles. Er iſt ein ſchar⸗ manter Mann! (Sie nimmt Firmins Arm.)

Selicour (auf Firmin zeigend). Dieſem Herrn, nicht mir gebührt das Lob Ich weiß in der Tat nicht, wie ich mir's zueignen darf Alles, was ich bin, was ich gelte, iſt ja fein Verdienſt. (Gehen ab.)

6. Auftritt Karl allein zurückbleibend.

Meine Unruhe würde mich verraten. Ich muß mich erſt faſſen, eh' ich ihnen folgen kann. Habe ich wirk⸗ lich die Geduld gehabt, dies alles zu ertragen? Ein ſchöner Triumph, den ich davontrug. Aus Spott machten ſie mir das Kompliment. Es iſt offenbar, daß ſie ihn, und nicht mich für den Verfaſſer halten. Ich bin ihr Narr, und der Schelm hat allein die Ehre.

7. Auftritt Karl. La Roche. Ta Noche. Sieh da, Herr Firmin! So ganz allein Es geht alles nach Wunſch vermutlich. Karl. O ganz vortrefflich! Ta Voche. Ich habe auch gute Hoffnung.

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Vierter Aufzug. 7. Auftritt 309

Karl. Selicour ſteht in größerm Anſehen als jemals.

Ta Noche. Sieh doch! Was Sie ſagen!

Karl. Es gibt keinen fähigern Kopf, keinen bravern Biedermann.

La Roche. Iſt's möglich? Aber dieſer wichtige Auf⸗ ſatz, den der Miniſter ihm aufgetragen und dem er ſo ganz und gar nicht gewachſen iſt.

Karl. Der Aufſatz iſt fertig.

Ta Noche. Gehen Sie doch!

Karl. Er iſt fertig, ſag' ich Ihnen.

Ta Voche. Sie ſpotten meiner! Es iſt nicht möglich.

Karl. Ein Meiſterſtück an Stil und Inhalt!

Ta Rothe. Es ijt nicht möglich, jag’ ich Ihnen!

Karl. Ich ſage Ihnen, es ijt! Der Aufſatz iſt geleſen, bewundert und wird jetzt eben abgeſchickt.

Ta Noche. So muß er einen Teufel in ſeinem Golde haben, der für ihn arbeitet.

Karl. Und dieſe Geſandtſchaftsſtelle!

Ta Noche. Nun, die Geſandtſchaft

Karl. Er erhält ſie! Er erhält die Hand des Fräuleins!

Ta Roche. Sie kann ihn nicht leiden.

Karl. Sie wird nachgeben.

Ta Noche. Die Geſandtſchaft mit ſamt dem Mädchen! Nein, beim Teufel! Das kann nicht ſein! Das darf nicht fein! Wie? Was? Dieſer Heuchler, dieſer nieder⸗ trächtige Bube ſollte einen Preis hinwegſchnappen, der nur der Lohn des Verdienſtes iſt. Nein, ſo wahr ich lebe! Das dürfen wir nicht zugeben, wir, die wir ihn kennen. Das iſt gegen unſer Gewiſſen, wir wären ſeine Mitſchuldigen, wenn wir das duldeten!

Karl. Gleich, auf der Stelle will ich die Groß⸗ mutter aufſuchen. Ich will ihr die Augen öffnen wegen des Gedichts

310 Der Parafit

Ta Roche. Wegen des Gedichts Von dem Gedicht iſt hier auch die Rede Bei der alten Mama mag er ſich damit in Gunſt ſetzen, aber meinen Sie, daß der Miniſter ſich nach ſo einer Kleinigkeit beſtimmen laſſe Nein, Herr! Dieſes Memoire iſt's, das ſo vortrefflich ſein ſoll und das er irgendwo muß herbeigehext haben denn gemacht hat er's nicht, nun und nimmer, darauf ſchwör' ich aber ſeine ganze Hexerei ſind ſeine Kniffe! Und mit ſeinen eignen Waffen müſſen wir ihn ſchlagen. Auf dem geraden Wege ging's nicht ſo müſſen wir einen krummen verſuchen. Halt, da fällt mir ein Ja, das wird gehen Nur fort fort, daß man uns nicht bei⸗ ſammen findet.

Karl. Aber keine Unbeſonnenheit, Herr La Roche! Bedenken Sie, was auf dem Spiele ſteht!

Ta Voche. Meine Ehre ſteht auf dem Spiele, junger Herr, und die liegt mir nicht weniger am Herzen, als euch die Liebe. Fort! Hinein! Sie ſollen weiter von mir hören.

8. Auftritt

La Roche allein.

Laß ſehen Er ſuchte von jeher die ſchwachen Seiten ſeiner Obern auszuſpüren, um ſich ihnen notwendig zu machen. Noch dieſen Morgen hatte er's mit dem Kammer⸗ diener Der Kerl iſt ein Plauderer Es wollte etwas von einem galanten Abenteuer des Miniſters verlauten Er habe Zimmer beſprochen in der Vorſtadt. Ich glaube kein Wort davon, aber man könnte verſuchen Doch ſtill! Da kömmt er!

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Vierter Aufzug. 9. Auftritt 811

9. Auftritt La Roche und Selicour.

Selicour (ohne ihn zu bemerken). Alles geht nach Wunſch, und doch bin ich nicht ganz ohne Sorgen Noch hab' ich weder die Stelle noch die Braut, und da iſt Sohn und Vater, die mir auf den Dienſt lauern und mir jeden

6 Augenblick beides wegfiſchen können Wenn ich ſie ent⸗ fernen könnte Aber wie? Dem Miniſter iſt nicht bei⸗ zukommen Dieſe Leute, die ihren geraden Weg gehen, brauchen niemand man kann ſie nicht in ſeine Gewalt bekommen Ja, wenn er etwas zu vertuſchen hätte

10 wenn ich ihm eine Schwäche ablauern könnte, die mich ihm unentbehrlich machte!

Ta Rothe (vor ſich). Recht jo! Der läuft mir in die Hände!

Selicour. Ach, ſieh da! Herr La Roche!

15 Ta Roche. Ich bin's, und ich komme, Herr Selicour

Selicour. Was wollen Sie?

Ta Noche. Mein Unrecht einzugeſtehen!

Selicour. Aha!

Ta Noche. Das mir nicht einmal etwas geholfen hat!

20 Kelicour. Das iſt das Beſte! denn es lag wahrlich nicht an Ihrer boshaften Zunge, wenn ich nicht ganz zu Grunde gerichtet bin.

Ta Noche. Das iſt leider wahr, und ich darf daher kaum hoffen, daß Sie mir vergeben können.

25 Selicour. Aha! Steht es ſo? Fangen wir an, ge⸗ ſchmeidiger zu werden?

Ta Noche. Zu der ſchönen Stelle, die Sie mir zu⸗ gedacht haben, kann ich mir nun wohl keine Hoffnung mehr machen Aber um unſerer alten Freundſchaft willen,

zo ſchaden Sie mir wenigſtens nicht!

312 Der Paraſit

Selicour. Ich Ihnen ſchaden!

Ta Roche. Tun Sie's nicht! Haben Sie Mitleid mit einem armen Teufel!

Selicour. Aber

Ta Noche. Und da ſich jemand gefunden, der ſich bei dem Miniſter meiner annehmen will

Selicour. So? Hat ſich jemand? Und wer iſt das?

Ta Noche. Eine Dame, an die der Kammerdiener Michel mich gewieſen hat.

Selicour. Kammerdiener Michel! So! Kennen Sie dieſen Michel?

Ta Noche. Nicht viel! Aber, weil es fein Neffe iſt, der mich aus meiner Stelle vertreibt, ſo will er mir gern einen Gefallen erzeigen

Selicour. Die Dame iſt wohl eine Anverwandte vom Miniſter?

Ta Voche. Sie ſoll ein ſchönes Frauenzimmer ſein er ſoll in der Vorſtadt ein Quartier für ſie ſuchen

Selicour. Gut, gut, ich will ja das alles nicht wiſſen. Und wie heißt die Dame?

La Roche. Das weiß ich nicht.

Selicour. Gut! Gut!

Ta Noche. Michel wird Ihnen wohl Auskunft darüber geben können.

Selicour. Mir? Meinen Sie, daß mir ſo viel daran liege?

Ta Noche. Ich ſage das nicht.

Selicour. Ich frage nichts darnach Ich bekümmre mich ganz und gar nicht um dieſe Sachen Morgen wollen Sie dieſe Dame ſprechen?

Ta Noche. Morgen.

Selicour. Es ſcheint da ein großes Geheimnis

Ta Voche (ſchnel). Freilich! Freilich! Darum bitte ich Sie, ſich ja nichts davon merken zu laſſen

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Fünfter Aufzug. 1. Auftritt 313

Selicour. Gut! Gut! Nichts mehr davon Ich werde Ihnen nicht ſchaden, Herr La Roche! Es iſt einmal mein Schickſal, Undankbare zu verpflichten Trotz der ſchlimmen Dienſte, die Sie mir haben leiſten

6 wollen, liebe ich Sie noch und daß Sie ſehen, wie weit meine Gefälligkeit geht, ſo will ich mit Ihrer Be⸗ ſchützerin gemeine Sache machen Ja, das will ich Zählen Sie darauf.

Ta Roche. Ach, Sie find gar großmütig!

10 Selicour. Aber laſſen Sie ſich das künftig zur Lehre dienen

Ta Noche. O gewiß, Sie ſollen ſehen

Selicour. Genug. Laſſen wir's gut fein.

Ta Voche (beiſeite'. Er hat angebiſſen. Er iſt fo gut

1s als ſchon gefangen! Wie viel ſchneller kommt man doch mit der Spitzbüberei als mit der Ehrlichkeit. (Ab.)

Selicour. Jetzt gleich zu dieſem Kammerdiener Mi⸗ chel! Es iſt hier ein Liebeshandel. Ganz gewiß Vortrefflich! Ich halte dich feſt, Narbonne! Du biſt

20 alſo auch ein Menſch Du haſt Schwachheiten und ich bin dein Gebieter. (Geht ab.)

Fünfter Aufzug 1. Auftritt La Roche kommt. Sie ſitzen noch an Tafel Er wird gleich her⸗ auskommen, der Miniſter Hab' ich mich doch ganz

außer Atem gelaufen Aber, dem Himmel ſei Dank, 25 ich bin auf der Spur, ich weiß alles Hab' ich dich

314 Der Paraſit

endlich, Freund Selicour! Mit dem Miniſter war nichts für dich zu machen, ſo lang' er tugendhaft war aber Gott ſegne mir ſeine Laſter! Da gibt's Geheimniſſe zu verſchweigen! Da gibt's Dienſte zu erzeigen! Und der Ver⸗ traute, der Kuppler hat gewonnen Spiel Er glaubt dem Miniſter eine Schwachheit abgemerkt zu haben Welch herrlicher Spielraum für ſeine Niederträchtigkeit! Nur zu! Nur zu! Wir ſind beſſer unterrichtet, Freund Selicour! und dir ahnet nicht, daß wir dir eine böſe, böſe Schlinge legen Der Miniſter kommt Mut gefaßt! Jetzt gilt es, den entſcheidenden Streich zu tun.

2. Auftritt Narbonne. La Roche.

Narbonne. Was ſeh' ich? Sind Sie es ſchon wieder, der mich hat herausrufen laſſen?

Ta Rote. Möge dies die letzte Unterredung fein, die Sie mir bewilligen, Herr von Narbonne, wenn ich Sie auch diesmal nicht überzeugen kann Ihre eigene Ehre aber und die meine erfordern es, daß ich darauf beſtehe Alles, was ich bis jetzt verſucht habe, dieſen Herrn Selicour in Ihrer guten Meinung zu ſtürzen, iſt zu ſeiner Ehre und zu meiner Beſchämung ausgeſchlagen dennoch gebe ich die Hoffnung nicht auf, ihn endlich zu entlarven.

Narbonne. Das geht zu weit! Meine Geduld iſt am Ende!

Ta Noche. Ein einziges Wort, Herr Miniſter! Sie ſuchen eben jetzt ein Quartier in der Vorſtadt? Iſt's nicht jo? b

Narbonne. Wie? Was iſt das?

Ta Noche. Es iſt für ein Frauenzimmer beſtimmt,

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die ſich mit ihrer ganzen Familie im größten Elend be- findet. Hab' ich nicht Recht?

Narbonne. Wie? Was? Sie erdreiſten ſich, meinen Schritten nachzuſpüren?

Ta Noche. Zürnen Sie nicht Ich hab' es bloß Ihrem Freund Selicour nachgetan. Er war es, der dieſen Morgen zuerſt dieſe Nachricht von Ihrem Kammer⸗ diener herauszulocken wußte Er gab der Sache ſo⸗ gleich die beleidigendſte Auslegung Ich hingegen habe Urſache, ganz anders davon zu denken. Denn daß ich's nur geſtehe, ich ſtellte genauere Nachforſchung an ich war dort ich ſah das Frauenzimmer, von dem die Rede iſt ler lacht) ſie hat ein ganz anſehnliches Alter Seli⸗ cour hält ſie für eine junge Schönheit O entrüſten Sie ſich nicht ich bitte laſſen Sie ihn ankommen! Hören Sie ihn zu Ende, und wenn Sie ihn nicht als einen ganzen Schurken kennen lernen, ſo will ich mein ganzes Leben lang ein Schelm ſein. Da kommt er ich will ihm nur Platz machen, damit Sie's auf der Stelle ergründen. (Ab.)

Narbonne. Der raſende Menſch! Wie weit ihn ſeine Leidenſchaft verblendet! Wie? Selicour könnte Nein, nein, nein, nein, es iſt nicht möglich! nicht möglich!

3. Auftritt

Narbonne. Selicour.

Gelicour (beiſeite). Er ijt allein! Jetzt kann ich's an⸗ bringen! Wenn ich jetzt nicht eile, mich ihm notwendig zu machen, fo ſetzt dieſer Firmin ſich in ſeine Gunſt. Hab' ich einmal ſein Geheimnis, ſo iſt er ganz in meinen Händen.

Narbonne. Ich denke eben daran, lieber Selicour,

316 Der Parafit

was man im Miniſterium zu Ihrem Aufſatz ſagen wird Ich hab' ihn ſogleich abgehen laſſen, er wird dieſen Augenblick geleſen, und ich zweifle nicht, er wird den vollkommenſten Beifall haben.

Selicour. Wenn er den Ihrigen hat, fo find alle meine Wünſche befriedigt. (Vor ſich.) Wie leit' ich's nur ein? Wagen kann ich dabei nichts, denn die Sache iſt richtig. Ich will nur gerade zugehen

Narbonne. Sie ſcheinen in Gedanken, lieber Selicour!

Selicour. Ja ich ich denke nach, welche bos⸗ hafte Auslegungen doch die Verleumdung den unſchuldig⸗ ſten Dingen zu geben im ſtand iſt!

Narbonne. Was meinen Sie damit?

Selicour. Es muß heraus Ich darf es nicht länger bei mir behalten Böſe Zungen haben ſich Angriffe gegen Sie erlaubt Es hat verlauten wollen Ich bitte beantworten Sie mir ein paar Fragen, und ver⸗ zeihen Sie der beſorgten Freundſchaft, wenn ich unbeſcheiden ſcheine.

Narbonne. Fragen Sie! Ich will alles beantworten.

Selicouur. Wenn ich Ihrem Kammerdiener glauben darf, ſo ſuchen Sie ein Quartier in der Vorſtadt.

Narbonne. Weil Sie es denn wiſſen ja.

Selicour. Und ganz in geheim, hör' ich.

Narbonne. Ich habe bis jetzt wenigſtens ein Ge⸗ heimnis daraus gemacht.

Selicour. Für ein unverheiratetes Frauenzimmer?

Narbonne. Ja!

Selicour, Die Ihnen ſehr (ftoat) ſehr wert iſt?

Narbonne. Ich geſtehe es, ich nehme großen Anteil an ihr.

Selicour (vor ſich. Er hat es gar keinen Hehl Die Sache iſt richtig. (Laut.) Und Sie möchten gern das Aufſehen vermeiden, nicht wahr?

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Fünfter Aufzug. 3. Auftritt 317

Narbonne. Wenn es möglich wäre, ja!

Selicour. Ach gut! Gut! Ich verſtehe! Die Sache iſt von zärtlicher Natur, und die Welt urteilt ſo boshaft. Aber ich kann Ihnen dienen.

Narbonne. Sie?

Selicour. Kann Ihnen dienen! Verlaſſen Sie ſich auf mich.

Narbonne. Aber wie denn?

Selicour. Ich ſchaffe Ihnen, was Sie brauchen.

Narbonne. Wie denn? Was denn?

Selicour. Ich hab's! Ich ſchaff's Ihnen Ein ſtilles Häuschen, abgelegen einfach von außen und unverdächtig! Aber innen aufs zärtlichſte eingerichtet die Möbel, die Tapeten nach dem neueſten Geſchmack ein Kabinett himmliſch und reizend kurz das ſchönſte Boudoir, das weit und breit zu finden.

Narbonne (vor ſich). Sollte La Roche Recht behalten (Laut.) Und welche geheime Urſache hätte ich, ein ſolches Quartier zu ſuchen?

Selicour (lächelnd). In Sachen, die man vor mir ge⸗ heim halten will, weiß ich mich einer vorlauten Neugier zu enthalten Erkennen Sie übrigens einen dienſtfertigen Freund in mir Es iſt nichts, wozu ich nicht bereit wäre, um Ihnen gefällig zu ſein. Befehlen Sie, was Sie wollen, ich werde gehorchen, ohne zu unterſuchen Sie verſtehen mich.

Narbonne. Vollkommen.

Selicour. Man muß Nachſicht haben. Ich ich halte zwar auf gute Sitten Aber, was dieſen Punkt betrifft Wenn man nur den öffentlichen Anſtoß ver⸗ meidet Ich gehe vielleicht darin zu weit aber das gute Herz reißt mich hin und mein höchſter Wunſch iſt, Sie glücklich zu ſehen

318 Der Parafit

4. Auftritt Vorige. Michel.

Michel. Soeben gibt man dieſe Briefe ab.

Narbonne (zu Selicour). Die ſind für Sie.

Selicour. Mit Ihrer Erlaubnis! Es ſind Geſchäfts⸗ briefe, die gleich expediert fein wollen Friſch zur Ar⸗ beit und friſch ans Vergnügen. So bin ich einmal! (Geht ab.)

5. Auftritt

Narbonne allein.

Kaum kann ich mich von meinem Erſtaunen erholen Dieſer Selicour ja, nun zweifle ich nicht mehr, dieſer Selicour war der ſchändliche Helfershelfer meines Vorgängers Ich gebe mich nicht für beſſer als andere, jeder hat ſeine Fehler aber ſich mit dieſer Scham⸗ loſigkeit anzubieten Und dieſem Nichtswürdigen wollte ich mein Kind hinopfern mit dieſem Verräter wollte ich den Staat betrügen? Aus Freundſchaft will er alles für mich tun, ſagt er! Sind das unſere Freunde, die unſern Laſtern dienen?

6. Auftritt Narbonne und La Roche. Ta Noche. Nun, er ging ſoeben von Ihnen hinweg darf ich fragen? Narbonne. Ich habe Sie und ihn unrecht beur⸗ teilt Sie haben mir einen weſentlichen Dienſt erzeigt,

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Herr La Roche, und ich laſſe Ihnen endlich Gerechtigkeit 20

widerfahren!

Fünfter Aufzug. 6. Auftritt 319

Ta Voche (mit freudiger Rührung). Bin ich endlich für einen redlichen Mann erkannt? Darf ich das Haupt wieder frei erheben?

Narbonne. Sie haben es erreicht Sie haben den. Betrüger entlarvt Aber, wie ſoll ich eine ſo lang' be⸗ währte Überzeugung aufgeben, daß Geiſt und Talent bei keinem verderbten Herzen wohnen? Dieſer Menſch, den ich jetzt als einen Niederträchtigen kennen lerne, er hat mir noch heute eine Schrift zugeſtellt, die dem größ⸗ ten Staatsmann und Schriftſteller Ehre machte Iſt es möglich? Ich begreife es nicht So geſunde Be⸗ griffe, ſo viel Geiſt bei einem ſo weggeworfenen Charakter! Ich habe das Memoire auf der Stelle ans Gouverne⸗ ment geſendet, und ich will wetten, daß die Briefe, die ich ſoeben erhalte, von dem Lobe desſelben voll ſind. (er erbricht einen der Briefe und lieſt.) Ganz richtig! Es ijt, wie ich ſagte!

Ta Noche. Ich kann nicht daraus klug werden Das Werk iſt alſo wirklich gut?

Narbonne. Vortrefflich!

Ta Noche. So wollte ich wetten, daß er nicht der Verfaſſer iſt!

Narbonne. Wer ſollte es denn fein?

Ta Noche. Er iſt's nicht, ich will meine Seele zum Pfand ſetzen denn am Ende will ich ihm doch noch eher Herz als Kopf zugeſtehen. Wenn man verſuchte Ja! Richtig Ich hab' es! Das muß gelingen Herr von Narbonne! Wenn Sie mir beiſtehen wollen, ſo ſoll er ſich ſelbſt verraten.

Narbonne. Wie denn?

Ta Roche. Laſſen Sie mich machen Er kömmt! Unterſtützen Sie mich!

320 Der Parafit

7. Auftritt Vorige. Selicour.

Ta Rothe (mit Leidenſchaft). Mein Gott! Welches ent⸗ ſetzliche Unglück!

Selicour. Was gibt's, Herr La Roche?

Ta Roche. Welche Veränderung in einem einzigen Augenblick!

Selicaur. Was haben Sie? Was bedeutet dieſes Jammern, dieſer Ausruf des Schreckens?

Ta Voche. Ich bin wie vom Donner getroffen!

Selicour. Aber was denn?

Ta Noche. Dieſer Unglücksbrief Soeben erhält ihn der Miniſter (gu Narbonne.) Darf ich? Soll ich?

Narbonne. Sagen Sie alles!

Ta Noche. Er iſt geſtürzt!

Selicour. Um Gottes willen!

Ta Roche. Seines Amtes entlaſſen!

Selicour. Es ijt nicht möglich!

Ta Noche. Nur zu wahr! Es wollte ſchon vorhin etwas davon verlauten; ich wollt' es nicht glauben, ich eilte hieher, mich ſelbſt zu unterrichten und nun be⸗ ſtätigt es der Miniſter ſelbſt!

Selicaur. So iſt fie wahr, dieſe ſchreckliche Neuig⸗ keit? (Narbonne beſtätigt es mit einem ſtummen Zeichen.)

Letzter Auftritt Vorige. Madame Belmont. Charlotte. Beide Firmin.

Ta Noche. Kommen Sie, Madame! Kommen Sie, Herr Firmin! Mad. Belmont. Was gibt's?

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Fünfter Aufzug. 8. Auftritt 321

Ta Noche. Tröſten Sie unſern Herrn Sprechen Sie ihm Mut zu in ſeinem Unglücke!

Mad. Belmont. Seinem Unglücke!

Charlotte. Mein Gott! Was iſt das?

Ta Roche. Er hat ſeine Stelle verloren.

Charlotte. Großer Gott!

Selicour. Ich bin erſtaunt, wie Sie!

Mad. Belmont. Wer konnte ein ſolches Unglück vor⸗ herſehen!

Karl (leidenſchaftlich)'. So iſt das Talent geächtet, fo ijt die Redlichkeit ein Verbrechen in dieſem verderbten Lande! Der rechtſchaffene Mann behauptet ſich kaum einen Tag lang, und das Glück bleibt nur dem Nichtswürdigen getreu.

Narbonne (ſehr ernſt). Nichts übereilt, junger Mann! Der Himmel iſt gerecht, und früher oder ſpäter erreicht den Schuldigen die Strafe.

Selicour. Aber ſagen Sie mir! Kennt man denn nicht wenigſtens die Veranlaſſung dieſes unglücklichen Vorfalls?

Ta Noche. Leider, nur zu gut kennt man fie. Ein gewiſſes Memoire iſt ſchuld an dem ganzen Unglück.

Firmin (lebhaft). Ein Memoire! Zum Miniſter.) Das⸗ ſelbe vielleicht, das ich Sie heute leſen ſah?

Selicour. Wo die Regierung ſelbſt mit einer Freiheit, einer Kühnheit behandelt wurde

Ta Noche. Ganz recht! Das nämliche.

Selicour. Nun, da haben wir's! Hatte ich nun Un⸗ recht, zu ſagen, daß es nicht immer rätlich iſt, die Wahr⸗ heit zu ſagen?

Narbonne. Wo die Pflicht ſpricht, da bedenke ich nichts. Und was auch der Erfolg ſei, nie werde ich's bereuen, meine Pflicht getan zu haben.

Selicour. Schön gedacht! Allerdings! aber es koſtet

Ihnen auch einen ſchönen Platz! Schillers Werke. IX. 21

822 Der Paraſit

Ta Noche. Und damit iſt's noch nicht alle! Es könnten wohl auch noch andre um den ihrigen kommen. Man weiß, daß ein Miniſter ſelten Verfaſſer der Schriften iſt, die aus ſeinen Bureaus herauskommen.

Selicour. Wie fo? Wie das?

Ta Noche (vor ſich). Bei dem fällt kein Streich auf die Erde!

Firmin. Erklären Sie ſich deutlicher!

Ta Voche. Man will ſchlechterdings herausbringen, wer dieſe heftige Schrift geſchmiedet hat.

Selicour. Will man? Und da würde er wohl in den Sturz des Miniſters mit verwickelt werden?

Ta Noche. Freilich! Dad ijt ſehr zu beſorgen.

Selicour. Nun, ich bin's nicht!

Tirmin. Ich bin der Verfaſſer!

Narbonne. Was hör' ich?

Mad. Belmont. Was? Sie, Herr Firmin?

Eirmin. Ich bin's, und ich rühme mich deſſen.

Ta Rothe (zu Narbonne). Nun, was ſagt' ich Ihnen?

Firmin. Den Ruhm dieſer Arbeit konnte ich dem Herrn Selicour gern überlaſſen, aber nicht ſo die Gefahr und die Verantwortung Ich habe geſchwiegen bis jetzt, aber nun muß ich mich nennen.

Karl. Recht ſo, mein Vater! Das heißt als ein Mann von Ehre geſprochen Seien Sie auf Ihr Un⸗ glück ſtolz, Herr von Narbonne! Mein Vater kann nichts Strafbares geſchrieben haben O mein Herz ſagt mir, dieſer Unfall kann eine Quelle des Glückes werden Charlottens Hand wird kein Opfer der Verhältniſſe mehr ſein Die Größe verſchwindet, und Mut gewinnt die furchtſame Liebe.

Mad. Belmont. Was hör' ich! Herr Firmin!

Tirmin. Verzeihen Sie der Wärme ſeines Anteils, ſein volles Herz vergreift ſich im Ausdruck ſeiner Gefühle!

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Fünfter Aufzug. 8. Auftritt 323

Narbonne. So hat denn jeder von Ihnen fein Geheim⸗ nis verraten. Herr Firmin! Sie ſind der Verfaſſer dieſes Memoire, ſo iſt es billig, daß Sie auch den Ruhm und die Belohnung davon ernten. Das Gouvernement ernennt Sie zum Geſandten (Da alle ihr Erſtaunen bezeugen.) Ja, ich bin noch Miniſter, und ich freue mich, es zu ſein, da ich es in der Gewalt habe, das wahre Verdienſt zu belohnen.

Mad. Belmont. Was iſt das?

Selicour (in der höchſten Beſtürzung). Was hab' ich gemacht!

Narbonne (zu Selieour). Sie ſehen Ihr Spiel verraten Wir kennen Sie nun, Heuchler an Talent und an Tugend Niedriger Menſch, konnten Sie mich für Ihresgleichen halten?

Ta Noche. Wie ſchändlich er eine edle Tat auslegte! Ich weiß alles aus dem Munde der Dame ſelbſt. Dieſes Frauenzimmer, für das er Ihnen eine ſtrafhare Neigung andichtete es iſt eine kranke, eine bejahrte Matrone, die Witwe eines verdienſtvollen Offiziers, der im Dienſt des Vaterlandes ſein Leben ließ und gegen den Sie die Schuld des Staats bezahlten.

Narbonne. Nichts mehr davon, ich bitte Sie! (gu Selicour.) Sie ſehen, daß Sie hier überflüſſig find. (Selicour entfernt ſich ſtill.)

Ta Roche. Es tut mir leid um den armen Schelm wohl wußt' ich's vorher, mein Haß würde ſich legen, ſobald es mit ſeiner Herrlichkeit aus ſein würde.

Eirmin (drückt ihm leiſe die Hand). Laſſen Sie's gut fein. Wir wollen ihn zu tröſten ſuchen.

Ta Noche. Bafta, ich bin dabei!

Narbonne (zu Karl). Unſer lebhafter junger Freund iſt auf einmal ganz ſtumm geworden Ich habe in Ihrem Herzen geleſen, lieber Firmin! Der Überraſchung danke ich Ihr Geheimnis und werde es nie vergeſſen,

324 Der Paraſit

daß Ihre Neigung bei unſerm Glücke beſcheiden ſchwieg und nur laut wurde bei unſerm Unglück. Charlotte! (Sie wirſt ſich ſchweigend in ihres Vaters Arme.) Gut, wir ver⸗ ſtehen uns! Erwarte alles von deines Vaters Liebe.

Ta Noche. Und ich will darauf ſchwören, Karl Firmin iſt der wahre Verfaſſer des Gedichts.

Mad. Belmont. Wär's möglich?

Charlotte (mit einem zärtlichen Blick auf Karln). Ich habe nie daran gezweifelt! (Karl tüßt ihre Hand mit Feuer.)

Mad. Belmont. O der beſcheidene junge Mann! Gewiß, er wird unſer Kind glücklich machen!

Uarbonne. Bilden Sie ſich nach Ihrem Vater, und mit Freuden werde ich Sie zum Sohn annehmen (Halb zu den Mitſpielenden, halb zu den Zuschauern.) Diesmal hat das Verdienſt den Sieg behalten. Nicht immer iſt es ſo. Das Geſpinſt der Lüge umſtrickt den Beſten, der Redliche kann nicht durchdringen, die kriechende Mittel⸗ mäßigkeit kommt weiter als das geflügelte Talent: der Schein regiert die Welt und die Gerechtigkeit iſt nur auf der Bühne.

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Der Neffe als Onkel

Luſtſpiel in drei Aufzügen

Aus dem Franzöſiſchen des Picard

Perſonen

Oberſt von Dorſigny.

Frau von Dorſigny.

Sophie, ihre Tochter.

Franz von Dorſigny, ihr Neffe. Frau von Mirville, ihre Nichte. Lormeuil, Sophiens Bräutigam. Valcour, Freund des jungen Dorſigny. Champagne, Bedienter des jungen Dorſigny. Ein Notar.

Zwei Unteroffiziere.

Ein Poſtillon.

Jasmin, Diener in Dorſignys Hauſe. Drei Lakaien.

Die Szene iſt ein Saal mit einer Tür in Fond, die zu einem Garten führt. Auf beiden Seiten ſind Kabinettstüren.

Erſter Aufzug

1. Auftritt

Valeour tritt eilfertig herein, und nachdem er ſich überall umgeſehen, ob niemand zugegen, tritt er zu einem von den Wachslichtern, die vorn auf einem Schreibtiſch brennen, und lieſt ein Billet.

„Herr von Valcour wird erſucht, dieſen Abend um ſechs Uhr ſich im Gartenſaal des Herrn von Dorſigny einzufinden. Er kann zu dem kleinen Pförtchen herein⸗ kommen, das den ganzen Tag offen ijt.” Keine Unter- ſchrift! Hm! Hm! Ein ſeltſames Abenteuer Iſt's vielleicht eine hübſche Frau, die mir hier ein Rendezvous geben will das wäre allerliebſt. Aber ſtill! Wer ſind die beiden Figuren, die eben da eintreten, wo ich hereingekommen bin?

2. Auftritt

Franz von Dorſigny und Champagne, beide in Mäntel eingewickelt. Valcour.

Dorfigny (ſeinen Mantel an Champagne gebend). Ei guten Abend, lieber Valcour. .

Valcour. Was? Lift du's, Dorſigny? Wie kommt du hieher? Und wozu dieſe ſonderbare Ausſtaffierung dieſe Perücke und dieſe Uniform, die nicht von deinem Regiment iſt?

Dorfigny. Meiner Sicherheit wegen. Ich habe mich mit meinem Oberſtleutnant geſchlagen, er iſt ſchwer

330 Der Neffe als Onkel

verwundet, und ich komme, mich in Paris zu verbergen. Weil man mich aber in meiner eigenen Uniform gar zu leicht erkennt, ſo habe ich's fürs ſicherſte gehalten, das Koſtüm meines Onkels anzunehmen. Wir ſind ſo ziem⸗ lich von einem Alter, wie du weißt, und einander an Geſtalt, an Größe, an Farbe bis zum Verwechſeln ähn⸗ lich und führen überdies noch einerlei Namen. Der ein⸗ zige Unterſchied iſt, daß der Oberſt eine Perücke trägt und ich meine eigene Haare Jetzt aber, ſeitdem ich mir ſeine Perücke und die Uniform ſeines Regiments zu⸗ legte, erſtaune ich ſelbſt über die große Ahnlichkeit mit ihm. In dieſem Augenblick komme ich an und bin er⸗ freut, dich ſo pünktlich bei dem Rendezvous zu finden.

Dalcour. Bei dem Rendezvous? Wie? Hat fie dir auch was davon vertraut?

Dorfigny. Sie? Welche Sie?

Valcour. Nun, die hübſche Dame, die mich in einem Billet hieher beſchieden! Du biſt mein Freund, Dorſigny, und ich habe nichts Geheimes vor dir.

Dorſigny. Die allerliebſte Dame!

Valcour. Worüber lachſt du?

Dorfigny. Ich bin die ſchöne Dame, Valcour.

Valcour. Du?

Dorſigng. Das Billet iſt von mir.

Valcour. Ein ſchönes Quiproquo, zum Teufel Was fällt dir aber ein, deine Briefe nicht zu unterzeich— nen? Leute von meinem Schlag können ſich bei ſolchen Billets auf etwas ganz anders Rechnung machen Aber da es ſo ſteht! Gut! Wir nehmen einander nichts übel, Dorſigny Alſo ich bin dein gehorſamer Diener.

Dorſignyg. Warte doch! Warum eilſt du fo hinweg? Es lag mir viel daran, dich zu ſprechen, ehe ich mich vor jemand anderem ſehen ließ. Ich brauche deines Bei⸗ ſtands, wir müſſen Abrede mit einander nehmen.

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Erſter Aufzug. 3. Auftritt 331

Valcour. Gut Du kannſt auf mich zählen; aber jetzt laß mich, ich habe dringende Geſchäfte

Dorſigng. So? Jetzt, da du mir einen Dienſt er⸗ zeigen ſollſt? Aber zu einem galanten Abenteuer hatteſt du Zeit übrig.

Valcour. Das nicht, lieber Dorſigny. Aber ich muß fort, man erwartet mich.

Dorſigng. Wo?

Valcour. Beim L'hombre.

Dorſigny. Die große Angelegenheit!

Balcour. Scherz bei Seite! Ich habe dort Gelegen- heit, die Schweſter deines Oberſtleutnants zu ſehen Sie hält was auf mich, ich will dir bei ihr das Wort reden.

Dorfigny. Nun, meinetwegen. Aber tu mir den Gefallen, meiner Schweſter, der Frau von Mirville, im Vorbeigehen wiſſen zu laſſen, daß man ſie hier im Garten⸗ ſaal erwarte Nenne mich aber nicht, hörſt du.

Valcour. Da fei außer Sorgen. Ich habe keine Zeit dazu und will es ihr hinauf ſagen laſſen, ohne ſie nur einmal zu ſehen. Übrigens behalte ich mir's vor, bei einer andern Gelegenheit ihre nähere Bekanntſchaft zu machen. Ich ſchätze den Bruder zu ſehr, um die Schweſter nicht zu lieben wenn ſie hübſch iſt, verſteht ſich. (Ab.)

3. Auftritt Dorſigny. Champagne.

Dorſigng. Zum Glück brauche ich ſeinen Beiſtand ſo gar nötig nicht es iſt mir weniger um das Ver⸗ bergen zu tun, denn vielleicht fällt es niemand ein, mich zu verfolgen, als um meine liebe Couſine Sophie

80 wiederzuſehen.

332 Der Neffe als Onkel

Champagne. Was Sie für ein glücklicher Mann ſind, gnädiger Herr! Sie ſehen Ihre Geliebte wieder, und ich (ſeufzt) meine Frau! Wann geht's wieder zurück ins Elſaß Wir lebten wie die Engel, da wir fünfzig Meilen weit von einander waren.

Dorſigny. Still! da kommt meine Schweſter!

4. Auftritt

Vorige. Frau von Mirville.

Er. v. Mirville. Ah! Sind Sie es? Sein Sie von Herzen willkommen.

Dorfigny. Nun das iſt doch ein herzlicher Empfang!

Er. v. Mirville. Das iſt ja recht ſchön, daß Sie uns ſo überraſchen! Sie ſchreiben, daß Sie eine lange Reiſe vorhätten, von der Sie früheſtens in einem Monat zurück ſein könnten, und vier Tage drauf ſind Sie hier.

Dorſigny. Geſchrieben hätt' ich und an wen?

Er. v. Mirville. An meine Tante! (Sieht den Cham⸗ pagne, der ſeinen Mantel ablegt.) Wo iſt denn aber Herr von Lormeuil?

Dorſigny. Wer iſt der Herr von Lormeuil?

Fr. v. Mirville. Ihr künftiger Schwiegerſohn.

Dorſigng. Sage mir! Für wen hältſt du mich?

Fr. u. Mirville. Nun, doch wohl für meinen Onkel!

Dorſigny. Iſt's möglich! Meine Schweſter erkennt mich nicht!

Er. v. Mirville. Schweſter? Sie mein Bruder?

Dorfiguy. Ich dein Bruder.

Er. v. Mirville. Das kann nicht fein. Das ijt nicht möglich. Mein Bruder iſt bei ſeinem Regiment zu Straß⸗ burg, mein Bruder trägt ſein eigenes Haar, und das iſt

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Erſter Aufzug. 4. Auftritt 333

auch ſeine Uniform nicht und ſo groß auch ſonſt die Ahnlichkeit

Dorſigny. Eine Ehrenſache, die aber ſonſt nicht viel zu bedeuten haben wird, hat mich genötigt, meine Gar⸗ niſon in aller Geſchwindigkeit zu verlaſſen; um nicht er⸗ kannt zu werden, ſteckte ich mich in dieſen Rock und dieſe Perücke.

Fr. v. Mirville. Iſt's möglich? O fo lah dich herzlich umarmen, lieber Bruder Ja, nun fange ich an, dich zu erkennen! Aber die Ahnlichkeit iſt doch ganz erſtaunlich.

Dorſignyg. Mein Onkel iſt alſo abweſend?

Er. v. Mirville. Freilich, der Heirat wegen.

Dorfigny. Der Heirat? Welcher Heirat?

Er. v. Mirville. Sophiens, meiner Couſine.

Dorfigny. Was hör' ich? Sophie ſoll heiraten?

Er. v. Mirville. Ei freilich! Weißt du es denn nicht?

Dorſignn. Mein Gott! Nein!

Champagne (nähert fig). Nicht ein Wort wiſſen wir.

Er. u. Mirville. Herr von Lormeuil, ein alter Kriegs⸗ kamerad des Onkels, der zu Toulon wohnt, hat für ſeinen Sohn um Sophien angehalten Der junge Lormeuil ſoll ein ſehr liebenswürdiger Mann ſein, ſagt man; wir haben ihn noch nicht geſehen. Der Onkel holt ihn zu Toulon ab; dann wollen ſie eine weite Reiſe zuſammen machen, um ich weiß nicht welche Erbſchaft in Beſitz zu nehmen. In einem Monat denken ſie zurück zu ſein, und wenn du alsdann noch da biſt, ſo kannſt du zur Hochzeit mittanzen.

Dorſigny. Ach liebe Schweſter! Redlicher Cham⸗ pagne! Ratet, helft mir; wenn ihr mir nicht beiſteht, ſo iſt es aus mit mir, ſo bin ich verloren.

Fr. u. Mirville. Was haſt du denn, Bruder! Was iſt dir?

334 Der Neffe als Onkel

Champagne. Mein Herr iſt verliebt in ſeine Couſine.

fr. v. Mirville. Ah, ijt es das?

Dorſigny. Dieſe unglückſelige Heirat darf nun und nimmermehr zu ſtand kommen.

Fr. v. Mirville. Es wird ſchwer halten, ſie rück⸗ gängig zu machen. Beide Väter ſind einig, das Wort iſt gegeben, die Artikel ſind aufgeſetzt, und man erwartet bloß noch den Bräutigam, ſie zu unterzeichnen und ab⸗ zuſchließen.

Champagne. Geduld! Hören Sie! Crritt zwiſchen beide.) Ich habe einen ſublimen Einfall!

Dorfigny. Rede!

Champagne. Sie haben einmal den Anfang gemacht, Ihren Onkel vorzuſtellen! Bleiben Sie dabei! Führen Sie die Rolle durch.

Er. v. Mirville. Ein ſchönes Mittel, um die Nichte zu heiraten!

Champagne. Nur gemach! Laſſen Sie mich meinen Plan entwickeln. Sie ſpielen alſo Ihren Onkel! Sie ſind nun Herr hier im Hauſe, und Ihr erſtes Geſchäft iſt, die bewußte Heirat wieder aufzuheben Sie haben den jungen Lormeuil nicht mitbringen können, weil er weil er geſtorben iſt Unterdeſſen erhält Frau von Dor⸗ ſigny einen Brief von Ihnen, als dem Neffen, worinnen Sie um die Couſine anhalten Das iſt mein Amt! Ich bin der Kurier, der den Brief von Straßburg bringt! Frau von Dorſigny iſt verliebt in ihren Neffen, ſie nimmt dieſen Vorſchlag mit der beſten Art von der Welt auf, ſie teilt ihn Ihnen, als ihrem Eheherrn, mit, und Sie laſſen ſich's, wie billig, gefallen. Nun ſtellen Sie ſich, als wenn Sie aufs eiligſte verreiſen müßten; Sie geben der Tante unbedingte Vollmacht, dieſe Sache zu Ende zu bringen. Sie reiſen ab, und den andern Tag er⸗ ſcheinen Sie in Ihren natürlichen Haaren und in der

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Erſter Aufzug. 4. Auftritt 335

Uniform Ihres Regiments wieder, als wenn Sie eben ſpornſtreichs von Ihrer Garniſon herkämen. Die Heirat geht vor ſich, der Onkel kommt ſtattlich angezogen mit ſeinem Bräutigam, der den Platz glücklich beſetzt findet und nichts Beſſers zu tun hat, als umzukehren und ſich entweder zu Toulon oder in Oſtindien eine Frau zu holen.

Dorfigny. Glaubſt du, mein Onkel werde das fo geduldig

Champagne. O er wird aufbrauſen, das verſteht ſich! Es wird heiß werden am Anfang Aber er liebt Sie! er liebt ſeine Tochter! Sie geben ihm die beſten Worte, verſprechen ihm eine Stube voll artiger Enkelchen, die ihm alle ſo ähnlich ſehen ſollen wie Sie ſelbſt. Er lacht, er beſänftigt ſich, und alles iſt vergeſſen.

Er. v. Mirville. Ich weiß nicht, iſt es das Tolle dieſes Einfalls, aber er fängt an, mich zu reizen

Champagne. O er iſt himmliſch, der Einfall!

Dorſigny. Luſtig genug iſt er, aber nur nicht aus⸗ führbar Meine Tante wird mich wohl für den Onkel anſehen! f

Er. v. Mirville. Habe ich's doch!

Dorfigny. Ja, im erſten Augenblicke.

Er. u. Mirville. Wir müſſen ihr keine Zeit laſſen, aus der Täuſchung zu kommen. Wenn wir die Zeit be⸗ nutzen, ſo brauchen wir auch nur einen Augenblick Es iſt jetzt Abend, die Dunkelheit kommt uns zu ſtatten, dieſe Lichter leuchten nicht hell genug, um den Unterſchied bemerklich zu machen. Den Tag brauchſt du gar nicht zu erwarten du erklärſt zugleich, daß du noch in der Nacht wieder fortreiſen müſſeſt, und morgen erſcheinſt du in deiner wahren Perſon. Geſchwind ans Werk. Wir haben keine Zeit zu verlieren Schreibe den Brief an unſre Tante, den dein Champagne als Kurier überbringen ſoll und worin du um Sophien anhältſt.

336 Der Neffe als Onkel

Dorſigny (an den Schreibtiſch gehend). Schweſter! Schweſter! du machſt mit mir, was du willſt.

Champagne (ſich die Hände reibend). Wie freue ich mich über meinen klugen Einfall! Schade, daß ich ſchon eine Frau habe; ich könnte hier eine Hauptrolle ſpielen, an⸗ ſtatt jetzt bloß den Vertrauten zu machen.

Er. v. Mirville. Wie das, Champagne?

Champagne. Ei nun, das iſt ganz natürlich. Mein Herr gilt für ſeinen Onkel, ich würde den Herrn von Lormeuil vorſtellen, und wer weiß, was mir am Ende nicht noch blühen könnte, wenn meine verdammte Heirat

Er. v. Mirville. Wahrhaftig, meine Couſine hat Urſache, ſich darüber zu betrüben!

Dorſigny (ſiegelt den Brief und gibt ihn an Champagne.) Hier iſt der Brief. Richt' es nun ein, wie du willſt; dir überlaſſ' ich mich.

Champagne. Sie ſollen mit mir zufrieden ſein In wenig Augenblicken werde ich damit als Kurier von Straßburg ankommen, geſpornt und geſtiefelt, triefend von Schweiß. Sie, gnädiger Herr, halten ſich wacker. Mut, Dreiſtigkeit, Unverſchämtheit, wenn's nötig ijt. Den Onkel geſpielt, die Tante angeführt, die Nichte ge⸗ heiratet, und wenn alles vorbei iſt, den Beutel gezogen und den redlichen Diener gut bezahlt, der Ihnen zu allen dieſen Herrlichkeiten verholfen hat. (Ab.)

Fr. v. Mirville. Da kommt die Tante. Sie wird dich für den Onkel anſehen. Tu, als wenn du notwendig mit ihr zu reden hätteſt, und ſchick' mich weg.

Dorfigny. Aber was werd' ich ihr denn ſagen?

Fr. v. Mirville. Alles, was ein galanter Mann ſeiner Frau nur Artiges ſagen kann.

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Erſter Aufzug. 6. Auftritt 337

5. Auftritt

Frau von Mirville. Frau von Dorſigny. Franz von Dorſigny.

Er. u. Mirville. Kommen Sie doch, liebe Tante! Geſchwind! der Onkel iſt angekommen. .

ar. v. Dorfigny. Wie? Was? Mein Mann! Ja wahrhaftig, da iſt er! Herzlich willkommen, lieber

s Dorſigny So bald erwartete ich Sie nicht Nun! Sie haben doch eine glückliche Reiſe gehabt Aber wie ſo allein? Wo ſind Ihre Leute? Ich hörte doch Ihre Kutſche nicht Nun wahrhaftig ich beſinne mich kaum ich zittre für Überraſchung und Freude

10 Er. v. Mirville (heimlich zu ihrem Bruder). Nun fo rede doch! Antworte friſch weg!

Dorſigny. Weil ich nur auf einen kurzen Beſuch hier bin, ſo komm' ich allein und in einer Mietkutſche Was aber die Reiſe betrifft, liebe Frau die Reiſe

15 Ach! die iſt nicht die glücklichſte geweſen.

Er. v. Dorſigny. Sie erſchrecken mich! Es ijt Ihnen doch kein Unglück zugeſtoßen?

Dorſigny. Nicht eben mir! Mir nicht! Aber dieſe Heirat u Frau von Mirville.) Liebe Nichte, ich habe mit

20 der Tante

Er. v. Mirville. Ich will nicht ſtören, mein Onkel. (Ab.)

6. Auftritt

Frau von Dorſigny. Franz von Dorfigny.

Er. v. Dorfigny. Nun, lieber Mann! dieſe Heirat Dorſigny. Aus dieſer Heirat wird nichts. Er. v. Dorfigny. Wie? Haben wir nicht das Wort 26 des Vaters? Schillers Werke. IX. 22

338 Der Neffe als Onkel

Dorſignyg. Freilich wohl! Aber der Sohn kann unſere Tochter nicht heiraten.

Er. v. Dorfigny. So? Und warum denn nicht?

Dorſigny (mit ſtarkem Ton). Weil weil er tot iſt.

Er. v. Dorſigng. Mein Gott! Welcher Zufall!

Dorſigny. Es iſt ein rechter Jammer. Dieſer junge Mann war, was die meiſten jungen Leute ſind, ſo ein kleiner Wüſtling. Einen Abend bei einem Balle fiel’s ihm ein, einem artigen hübſchen Mädchen den Hof zu machen; ein Nebenbuhler miſchte ſich drein und erlaubte ſich beleidigende Scherze. Der junge Lormeuil, lebhaft, aufbrauſend, wie man es mit zwanzig Jahren iſt, nahm das übel; zum Unglück war er an einen Raufer von Profeſſion geraten, der ſich nie ſchlägt, ohne ſeinen Mann zu töten. Und dieſe böſe Gewohnheit behielt auch jetzt die Oberhand über die Geſchicklichkeit ſeines Gegners; der Sohn meines armen Freundes blieb auf dem Platz, mit drei tödlichen Stichen im Leibe.

Er. v. Dorfigny. Barmherziger Himmel! Was muß der Vater dabei gelitten haben!

Dorſigny. Das können Sie denken! Und die Mutter!

Er. v. Dorſigng. Wie? Die Mutter? die ijt ja im letzten Winter geſtorben, ſo viel ich weiß.

Dorfigny. Dieſen Winter ganz recht! Mein armer Freund Lormeuil! Den Winter ſtirbt ihm ſeine Frau, und jetzt im Sommer muß er den Sohn in einem Duell verlieren! Es iſt mir auch ſchwer angekommen, ihn in ſeinem Schmerz zu verlaſſen! Aber der Dienſt iſt jetzt ſo ſcharf! Auf den zwanzigſten müſſen alle Offiziere beim Regiment ſein! Heut' iſt der neunzehnte, und ich habe nur einen Sprung nach Paris getan und muß ſchon heute Abend wieder nach meiner Garniſon zu⸗ rückreiſen.

Er. v. Dorſigng. Wie? So bald?

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Erſter Aufzug. 7. Auftritt 339

Dorfigny. Das iſt einmal der Dienſt! Was iſt zu machen? Jetzt auf unſere Tochter zu kommen

Fr. v. Dorſigny. Das liebe Kind iſt ſehr nieder⸗ geſchlagen und ſchwermütig, ſeitdem Sie weg waren.

Dorſigny. Wiſſen Sie, was ich denke? Dieſe Partie, die wir ihr ausgeſucht, war nicht nach ihrem Geſchmack.

Er. v. Dorſigng. So? Wiſſen Sie?

Dorſigny. Ich weiß nichts Aber fie iſt fünfzehn Jahre alt Kann ſie nicht für ſich ſelbſt ſchon gewählt haben, eh' wir es für ſie taten?

Er. v. Dorſignyg. Ach Gott ja! Das begegnet alle Tage.

Dorſigny. Zwingen möchte ich ihre Neigung nicht gern.

Er. v. Dorfigny. Bewahre uns Gott davor!

7. Auftritt Die Vorigen. Sophie.

Sophie (beim Anblick Dorſignys ſtutzend). Ah! mein Vater

Fr. uv. Dorfigny. Nun, was ijt dir? Fürchteſt du dich, deinen Vater zu umarmen?

Dorſigny (nachdem er fie umarmt, vor ſich). Sie haben's doch gar gut, dieſe Väter! Alles umarmt ſie!

Er. v. Dorſigny. Du weißt wohl noch nicht, Sophie, daß ein unglücklicher Zufall deine Heirat getrennt hat?

Sophie. Welcher Zufall?

Fr. uv. Dorfigny. Herr von Lormeuil iſt tot.

Sophie. Mein Gott!

Dorſigny (bat fie mit den Augen fixiert ). Ja nun Was ſagſt du dazu, meine Sophie?

Sophie. Ich, mein Vater? Ich beklage dieſen un⸗ glücklichen Mann von Herzen aber ich kann es nicht

340 Der Neffe als Onkel

anders als für ein Glück anſehen, daß daß ſich der Tag verzögert, der mich von Ihnen trennt.

Dorſigny. Aber, liebes Kind! Wenn du gegen dieſe Heirat etwas einzuwenden hatteſt, warum ſagteſt du uns nichts davon? Wir denken ja nicht daran, deine Neigung zwingen zu wollen.

Sophie. Das weiß ich, lieber Vater aber die Schüchternheit

Dorfigny. Weg mit der Schüchternheit! Rede offen! Entdecke mir dein Herz.

Fr. v. Dorſigny. Ja, mein Kind! Höre deinen Vater! Er meint es gut, er wird dir gewiß das Beſte raten.

Dorſigng. Du haßteſt alſo dieſen Lormeuil zum voraus recht herzlich?

Sophie. Das nicht aber ich liebte ihn nicht.

Dorfigny. Und du möchteſt keinen heiraten, als den du wirklich liebſt?

Sophie. Das iſt wohl natürlich.

Dorſigny. Du liebſt alſo einen andern?

Sophie. Das habe ich nicht geſagt.

Dorfigny. Nun, nun, beinahe doch Heraus mit der Sprache! Laß mich alles wiſſen.

Er. v. Dorfigny. Faſſe Mut, mein Kind! Vergiß, daß es dein Vater iſt, mit dem du redeſt.

Dorſigny. Bilde dir ein, daß du mit deinem beſten, deinem zärtlichſten Freunde ſprächeſt und der, den du liebſt, weiß er, daß er geliebt wird?

Sophie. Behüte der Himmel! Nein.

Dorſigny. Iſt's noch ein junger Menſch?

Sophie. Ein ſehr liebenswürdiger junger Mann, und der mir darum doppelt wert iſt, weil jedermann findet, daß er Ihnen gleicht ein Verwandter von uns, der unſern Namen führt Ach! Sie müſſen ihn erraten.

Dorſigny. Noch nicht ganz, liebes Kind!

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Erſter Aufzug. 7. Auftritt 341

Fr. v. Dorfigny. Aber ich errat' ihn! Ich wette, es iſt ihr Vetter, Franz Dorſigny.

Dorfigny. Nun, Sophie? Du antworteſt nichts?

Sophie. Billigen Sie meine Wahl?

Dorſigny (ſeine Freude unterdrückend, vor ſich). Wir müſſen den Vater ſpielen Aber mein Kind das müſſen wir denn doch bedenken.

Sophie. Warum bedenken? Mein Vetter iſt der beſte, verſtändigſte a

Dorſigny. Der? Ein Schwindelkopf iſt er, ein Wild⸗ fang, der in den zwei Jahren, daß er weg iſt, nicht zwei⸗ mal an ſeinen Onkel geſchrieben hat.

Sophie. Aber mir hat er deſto fleißiger geſchrieben, mein Vater.

Dorfigny. So? hat er das? Und du haſt ihm wohl friſch weg geantwortet? Haſt du? Nicht?

Sophie. Nein, ob ich gleich große Luſt dazu hatte. Nun, Sie verſprachen mir ja dieſen Augenblick, daß Sie meiner Neigung nicht entgegen ſein wollten Liebe Mutter, reden Sie doch für mich.

Fr. v. Dorfigny. Nun, nun, gib nach, lieber Dorſigny Es iſt da weiter nichts zu machen und geſteh nur, ſie hätte nicht beſſer wählen können.

Dorfigny. Es ijt wahr, es läßt ſich manches dafür ſagen Das Vermögen iſt von beiden Seiten gleich, und geſetzt, der Vetter hätte auch ein bißchen leichtſinnig gewirtſchaftet, ſo weiß man ja, die Heirat bringt einen jungen Menſchen ſchon in Ordnung Wenn fie ihn nun überdies lieb hat

Sophie. O recht ſehr, lieber Vater Erſt in dem Augenblicke, da man mir den Herrn von Lormeuil zum Gemahl vorſchlug, merkte ich, daß ich dem Vetter gut ſei ſo was man gut ſein nennt Und wenn mir der Vetter nun auch wieder gut wäre

342 Der Neffe als Onkel

Dorſigny (feurig). Und warum ſollte er das nicht, meine teuerſte (ſich beſinnend) meine gute Tochter! Nun wohl! Ich bin ein guter Vater und ergebe mich.

Sophie. Ich darf alſo jetzt an den Vetter ſchreiben?

Dorſigny. Was du willſt (Vor ſich.) Wie hübſch ſpielt ſich's den Vater, wenn man ſo allerliebſte Geſtändniſſe zu hören bekommt.

8. Auftritt

Vorige. Frau von Mirville. Champagne als Poſtillon, mit der Peitſche klatſchend.

Champagne. He, holla!

Er. v. Mirville. Platz! da kommt ein Kurier.

Er. u. Dorſigny. Es ijt Champagne.

Sophie. Meines Vetters Bedienter!

Champagne. Gnädiger Herr gnädige Frau! Reißen Sie mich aus meiner Unruhe das Fräulein iſt doch nicht ſchon Frau von Lormeuil?

Er. v. Dorſigny. Nein, guter Freund, noch nicht.

Champagne. Noch nicht! dem Himmel ſei Dank, ich bin doch noch zeitig genug gekommen, meinem armen Herrn das Leben zu retten.

Sophie. Wie! dem Vetter iſt doch kein Unglück begegnet?

Er. u. Dorfigny. Mein Neffe ijt doch nicht krank?

Er. v. Mirville. Du machſt mir Angſt, was iſt meinem Bruder?

Champagne. Beruhigen Sie ſich, gnädige Frau. Mein Herr befindet ſich ganz wohl, aber wir ſind in einer grauſamen Lage Wenn Sie wüßten doch Sie werden alles erfahren. Mein Herr hat ſich zu⸗ ſammengenommen, der gnädigen Frau, die er ſeine gute Tante nennt, ſein Herz auszuſchütten; Ihnen verdankt

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Erſter Aufzug. 8. Auftritt 343

er alles, was er iſt; zu Ihnen hat er das größte Ver⸗ trauen Hier ſchreibt er Ihnen leſen Sie und be⸗ klagen ihn.

Dorfigny. Mein Gott, was iſt das?

Er. v. Dorſigny (et). „Beſte Tante! Ich erfahre ſoeben, daß Sie im Begriff ſind, meine Couſine zu ver⸗ heiraten. Es iſt nicht mehr Zeit, zurückzuhalten: ich liebe Sophien. Ich flehe Sie an, beſte Tante, wenn ſie nicht eine heftige Neigung zu ihrem beſtimmten Bräu⸗ tigam hat, ſo ſchenken Sie ſie mir: ich liebe ſie ſo innig, daß ich gewiß noch ihre Liebe gewinne. Ich folge dem Champagne auf dem Fuße nach; er wird Ihnen dieſen Brief überbringen, Ihnen erzählen, was ich ſeit jener ſchrecklichen Nachricht ausgeſtanden habe.“

Sophie. Der gute Vetter!

Fr. v. Mirville. Armer Dorſigny!

Champagne. Nein, es läßt ſich gar nicht beſchreiben, was mein armer Herr gelitten hat! Aber, lieber Herr, ſagte ich zu ihm, vielleicht iſt noch nicht alles verloren Geh, Schurke, ſagte er zu mir, ich ſchneide dir die Kehle ab, wenn du zu ſpät kommſt Er kann zuweilen derb ſein, Ihr lieber Neffe.

Dorſigny. Unverſchämter!

Champagne. Nun, nun, Sie werden ja ordentlich böſe, als wenn ich von Ihnen ſpräche; was ich ſage, geſchieht aus lauter Freundſchaft für ihn, damit Sie ihn beſſern, weil Sie ſein Onkel ſind.

Fr. v. Mirville. Der gute redliche Diener! Er will nichts als das Beſte ſeines Herrn!

Er. v. Dorſigng. Geh, guter Freund, ruhe dich aus, du wirſt es nötig haben.

Champagne. Ja, Ihr Gnaden, ich will mich aus⸗ ruhen in der Küche. (Av.)

344 Der Neffe als Onkel

9. Auftritt Vorige ohne Champagne.

Dorfigny. Nun, Sophie? Was ſagſt du dazu?

Sophie. Ich erwarte Ihre Befehle, mein Vater.

Er. v. Dorfigny. Es iſt da weiter nichts zu tun; wir müſſen ſie ihm ohne Zeitverluſt zur Frau geben.

Er. v. Mirville. Aber der Vetter ijt ja noch nicht hier.

Er. v. Dorſignyg. Seinem Briefe nach kann er nicht lang' ausbleiben.

Dorſigng. Nun wenn es denn nicht anders ijt und wenn Sie ſo meinen, meine Liebe ſo ſei's! Ich bin's zufrieden und will mich ſo einrichten, daß der Lärm der Hochzeit vorbei iſt, wenn ich zurückkomme He da! Bediente!

10. Auftritt

Zwei Bediente treten ein und warten im Hintergrunde. Vorige.

Er. v. Dorſigny. Noch eins! Ihr Pachter hat mir während Ihrer Abweſenheit zweitauſend Taler in Wech⸗ ſeln ausbezahlt ich habe ihm eine Quittung darüber gegeben Es iſt Ihnen doch recht?

Dorſigny. Mir iſt alles recht, was Sie tun, meine Liebe! (Während ſie die Wechſel aus einer Schreibtafel hervorholt, zu Frau von Mirville.) Darf ich das Geld wohl nehmen?

Er. v. Mirville. Nimm es ja, ſonſt machſt du dich verdächtig.

Dorſigny (heimlich zu ihr). In Gottes Namen! ich will meine Schulden damit bezahlen! (Laut, indem er die Wechſel

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der Frau von Dorſigny in Empfang nimmt.) Das Geld erinnert 2s

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Erſter Aufzug. 11. Auftritt 345

mich, daß ein verwünſchter Schelm von Wucherer mich ſchon ſeit lange um hundert Piſtolen plagt, die mein Neffe von ihm geborgt hat Wie iſt's? Soll ich den Poſten bezahlen?

Er. v. Mirville. Ei das verſteht ſich! Sie werden doch meine Baſe keinem Bruder Lüderlich zur Frau geben wollen, der bis an die Ohren in Schulden ſteckt?

Er. u. Dorfigny. Meine Nichte hat Recht, und was übrig bleibt, kann man zu Hochzeitgeſchenken anwenden.

Er. v. Mirville. Ja, ja, zu Hochzeitgeſchenken!

Ein dritter Bedienter (kommt). Die Modehändlerin der Frau von Mirville.

Er. v. Mirville. Sie kommt wie gerufen. Ich will gleich den Brautanzug bei ihr beſtellen. (Ab.)

11. Auftritt Vorige ohne Frau von Mirville.

Dorſigny (zu den Bedienten). Kommt her! Zur Frau von Dorjigny.) Man wird nach dem Herrn Gaſpar, unſerm Notar, ſchicken müſſen

Er. uv. Dorſigny. Laſſen Sie ihn lieber gleich zum Nachteſſen einladen; dann können wir alles nach Be⸗ quemlichkeit abmachen.

Darſigny. Das ijt wahr! (Zu einem von den Bedienten.) Du, geh zum Juwelier und laß ihn das Neuſte herbringen, was er hat (Qu einem andern.) Du gehſt zum Herrn Gaſpar, unſerm Notar, ich laſſ' ihn bitten, heute mit mir zu Nacht zu eſſen dann beſtelleſt du vier Poſt⸗ pferde; Punkt eilf Uhr müſſen ſie vor dem Hauſe ſein, denn ich muß in der Nacht noch fort u einem dritten.) Für dich, Jasmin, hab' ich einen kitzlichen Auftrag du haſt Kopf, dir kann man was anvertrauen.

346 Der Neffe als Onkel

Jasmin. Gnädiger Herr, das beliebt Ihnen ſo zu ſagen.

Dorfigny. Du weißt, wo Herr Simon wohnt, der Geldmäkler, der ſonſt meine Geſchäfte machte der meinem Neffen immer mein eigenes Geld borgte.

Jasmin. Ei ja wohl! Warum ſollt' ich ihn nicht kennen! ich war ja immer der Poſtillon des gnädigen Herrn Ihres Neffen. f

Dorſigny. Geh zu ihm, bring’ ihm dieſe hundert Piſtolen, die mein Neffe ihm ſchuldig iſt und die ich ihm hiermit bezahle! Vergiß aber nicht, dir einen Empfang⸗ ſchein geben zu laſſen.

Jasmin, Warum nicht gar Ich werde doch kein ſolcher Eſel ſein! (Die Bedienten gehen ab.)

Er. v. Dorfigny. Wie er ſich verwundern wird, der gute Junge, wenn er morgen ankommt und die Hochzeit⸗ geſchenke eingekauft, die Schulden bezahlt findet.

Dorfigny, Das glaub' ich! Es tut mir nur leid, daß ich nicht Zeuge davon ſein kann.

12. Auftritt

Vorige. Frau von Mirville.

Er. v. Mirville (eilt herein, heimlich zu ihrem Bruder). Mach', daß du fortkommſt, Bruder! Eben kommt der Onkel mit einem Herrn an, der mir ganz ſo ausſieht wie der Herr von Lormeuil.

Dorſigny (in ein Kabinett fliehend). Das wäre der Teufel!

Fr. v. Dorſigng. Nun, warum eilen Sie denn jo ſchnell fort, Dorſigny?

Dorfigny. Ich muß Ich habe Gleich werd' ich wieder da ſein.

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Erſter Aufzug. 14. Auftritt 347

Fr. v. Mirville (preffiert). Kommen Sie, Tante! Sehen Sie doch die ſchönen Mützen an, die man mir gebracht hat.

Fr. u. Dorſigng. Du tuft recht, mich zu Rat zu ziehen Ich verſtehe mich darauf. Ich will dir aus⸗ ſuchen helfen.

13. Auftritt

Oberſt Dorſigny. Lormeuil. Frau von Dorſigny. Sophie. Frau von Mirville.

Oberſt. Ich komme früher zurück, Madame, als ich gedacht habe, aber deſto beſſer! Erlauben Sie, daß ich Ihnen hier dieſen Herrn

fr. v. Dorfigny. Bitte tauſendmal um Vergebung, meine Herrn Die Putzhändlerin wartet auf uns, wir ſind gleich wieder da Komm, meine Tochter. (Ab.)

Oberſt. Nun! Nun! Dieſe Putzhändlerin könnte wohl auch einen Augenblick warten, dächt' ich.

Sophie. Eben darum! weil ſie nicht warten kann Entſchuldigen Sie, meine Herren. (Ab.)

Oberſt. Das mag ſein aber ich ſollte doch denken

Fr. v. Mirville. Die Herren, wiſſen wir wohl, fragen nach Putzhändlerinnen nichts, aber für uns ſind das ſehr wichtige Perſonen. (Geht ab, ſich tief gegen Lormeuil verneigend. )

Oberſt. Zum Teufel, das ſeh' ich, da man uns ihrent⸗ wegen ſtehen läßt.

14. Auftritt

Oberſt Dorſigny. Lormeuil.

Oberſt. Ein ſchöner Empfang! das muß ich ſagen.

Tormeuil. Iſt das jo der Brauch bei den Pariſer Damen, daß ſie den Putzhändlerinnen nachlaufen, wenn ihre Männer ankommen?

348 Der Neffe als Onkel

Oberſt. Ich weiß gar nicht, was ich daraus machen ſoll. Ich ſchrieb, daß ich erſt in ſechs Wochen zurück ſein könnte; ich bin unverſehens da, und man iſt nicht im geringſten mehr darüber erſtaunt, als wenn ich nie aus der Stadt gekommen wäre.

Tormeuil. Wer find die beiden jungen Damen, die mich ſo höflich grüßten?

Oberſt. Die eine iſt meine Nichte, und die andere meine Tochter, Ihre beſtimmte Braut.

Tormeuil. Sie find beide ſehr hübſch.

Oberſt. Der Henker auch! Die Frauen ſind alle hübſch in meiner Familie. Aber es iſt nicht genug an dem Hübſchſein man muß ſich auch artig betragen.

15. Auftritt

Vorige. Die drei Bedienten, die nach und nach hereinkommen.

Zweiter Bedtenter (zur Linken des Oberiten). Der Notar läßt ſehr bedauern, daß er mit Euer Gnaden nicht zu Nacht ſpeiſen kann er wird ſich aber nach Tiſche ein⸗ finden.

Oberſt. Was ſchwatzt der da für närriſches Zeug?

Zweiter Bedienter. Die Poſtpferde werden Schlag eilf Uhr vor dem Hauſe fein. (Ab.)

Oberſt. Die Poſtpferde, jetzt, da ich eben ankomme!

Erſter Bedienter (gu ſeiner rechten Seite). Der Juwelier, Euer Gnaden, hat Bankerott gemacht und iſt dieſe Nacht auf und davon gegangen. (Ab.)

Oberſt. Was geht das mich an? Er war mir nichts ſchuldig.

Jasmin (an ſeiner linken Seite). Ich war bei dem Herrn Simon, wie Euer Gnaden befohlen. Er war krank und lag im Bette. Hier ſchickt er Ihnen die Quittung.

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Zweiter Aufzug. 1. Auftritt 349

Oberſt. Was für eine Quittung, Schurke?

Jasmin. Nun ja, die Quittung, die Sie in der Hand haben. Belieben Sie, ſie zu leſen.

Oberſt (lieſ). „Ich Endesunterzeichneter bekenne, von

s dem Herrn Oberſt von Dorſigny zweitauſend Livres, welche ich ſeinem Herrn Neffen vorgeſchoſſen, richtig er⸗ halten zu haben.“

Jasmin. Euer Gnaden ſehen, daß die Quittung richtig iſt. (Ab.)

10 Oberſt. O vollkommen richtig! Das begreife, wer's kann, mein Verſtand ſteht ſtill Der ärgſte Gauner in ganz Paris iſt krank und ſchickt mir die Quittung über das, was mein Neffe ihm ſchuldig iſt.

Lormeuil. Vielleicht ſchlägt ihn das Gewiſſen.

15 Oberſt. Kommen Sie! Kommen Sie, Lormeuil! Suchen wir herauszubringen, was uns dieſen angenehmen Empfang verſchafft und hole der Teufel alle Notare,

Juweliere, Poſtpferde, Geldmäkler und Putzmacherinnen. (Beide ab.)

Zweiter Aufzug

1. Auftritt

Frau von Mirville. Franz von Dorſigny kommt aus einem Zimmer linker Hand und ſieht ſich ſorgfältig um. Er. v. Mirville (von der entgegengeſetzten Seite). Wie une 20 beſonnen! Der Onkel wird den Augenblick da ſein. Dorfigny. Aber ſage mir doch, was mit mir werden ſoll? Iſt alles entdeckt, und weiß meine Tante, daß ihr vorgeblicher Mann nur ihr Neffe war? Er. v. Mirville. Nichts weiß man! Nichts iſt ent⸗

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deckt! Die Tante iſt noch mit der Modehändlerin ein⸗ geſchloſſen, der Onkel flucht auf ſeine Frau Herr von Lormeuil iſt ganz verblüfft über die ſonderbare Auf⸗ nahme, und ich will ſuchen, die Entwicklung, die nicht mehr lange anſtehen kann, ſo lang' als möglich zu ver⸗ zögern, daß ich Zeit gewinne, den Onkel zu deinem Vor⸗ teil zu ſtimmen, oder, wenn's nicht anders iſt, den Lormeuil in mich verliebt zu machen denn eh' ich zugebe, daß er die Couſine heiratet, nehm' ich ihn lieber ſelbſt.

2. Auftritt

Vorige. Valcour.

Dalcour (fommt ſchnel). Ah ſchön! ſchön! daß ich dich hier finde, Dorſigny! Ich habe dir tauſend Sachen zu ſagen und bin in der größten Eile.

Dorſigny. Hol' ihn der Teufel! Der kommt mir jetzt gelegen.

Valcour. Die gnädige Frau darf doch

Dorfigny. Vor meiner Schweſter hab' ich kein Ge⸗ heimnis.

Balcour (zur Frau von Mirville ſich wendend). Wie freue ich mich, meine Gnädige, Ihre Bekanntſchaft gerade in dieſem Augenblicke zu machen, wo ich ſo glücklich war, Ihrem Herrn Bruder einen weſentlichen Dienſt zu erzeigen.

Dorſigng. Was hör' ich? Seine Stimme! (sieht in das Kabinett, wo er herausgekommen.)

Valcour (ohne Dorſignys Flucht zu bemerken, fährt fort). Sollte ich jemals in den Fall kommen, meine Gnädige, Ihnen nützlich ſein zu können, ſo betrachten Sie mich als

Ihren ergebenſten Diener. (er bemerkt nicht, daß indes der Oberſt Dorſigny hereingekommen und ſich an den Platz des andern geſtellt hat.)

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Zweiter Aufzug. 4. Auftritt 351

3. Auftritt

Vorige. Oberſt Dorſigny. Lormeuil.

Oberſt. Ja dieſe Weiber ſind eine wahre Geduld⸗ probe für ihre Männer!

Valcour (kehrt ſich um und glaubt mit dem jungen Dorfigny zu reden). Ich wollte dir alſo ſagen, lieber Dorſigny, daß dein Oberſtleutnant nicht tot iſt.

Oberſt. Mein Oberſtleutnant?

Valcour. Mit dem du die Schlägerei gehabt haſt. Er hat an meinen Freund Liancour ſchreiben laſſen; er läßt dir vollkommene Gerechtigkeit widerfahren und be⸗ kennt, daß er der Angreifer geweſen ſei. Die Familie hat zwar ſchon angefangen, dich gerichtlich zu verfolgen, aber wir wollen alles anwenden, die Sache bei Zeiten zu unterdrücken. Ich habe mich losgemacht, dir dieſe gute Nachricht zu überbringen, und muß gleich wieder zu meiner Geſellſchaft.

Oberſt. Sehr obligiert aber

Valcour. Du kannſt alſo ganz ruhig ſchlafen. Ich wache für dich. (Ab.)

4. Auftritt

Frau von Mirville. Oberſt Dorſigny. Lormeuil.

Oberſt. Sage mir doch, was der Menſch will?

Er. u. Mirville. Der Menſch ijt verrückt, das ſehn Sie ja.

Oberſt. Dies ſcheint alſo eine Epidemie zu ſein, die alle Welt ergriffen hat, ſeitdem ich weg bin; denn das iſt der erſte Narr nicht, dem ich ſeit einer halben Stunde hier begegne.

Fr. v. Mirville. Sie müſſen den trocknen Empfang

352 Der Neffe als Onkel

meiner Tante nicht ſo hoch aufnehmen. Wenn von Putz⸗ ſachen die Rede iſt, da darf man ihr mit nichts anderm kommen.

Oberſt. Nun, Gott ſei Dank! da hör' ich doch end⸗ lich einmal ein vernünftiges Wort! So magſt du denn die erſte ſein, die ich mit dem Herrn von Lormeuil be⸗ kannt mache.

Zormenil, Ich bin ſehr glücklich, mein Fräulein, daß ich mich der Einwilligung Ihres Herrn Vaters erfreuen darf Aber dieſe Einwilligung kann mir zu nichts helfen, wenn nicht die Ihrige

Oberſt. Nun fängt der auch an! Hat die all⸗ gemeine Raſerei auch dich angeſteckt, armer Freund! Dein Kompliment iſt ganz artig, aber bei meiner Tochter, und nicht bei meiner Nichte hätteſt du das anbringen ſollen.

Tormeuil. Vergeben Sie, gnädige Frau. Sie ſagen der Beſchreibung ſo vollkommen zu, die mir Herr von Dor⸗ ſigny von meiner Braut gemacht hat, daß mein Irrtum verzeihlich iſt.

Er. u. Mirville. Hier kommt meine Couſine, Herr von Lormeuil! Betrachten Sie ſie recht und überzeugen Sie ſich mit Ihren eigenen Augen, daß ſie alle die ſchönen Sachen verdient, die Sie mir zugedacht haben.

5. Auftritt Vorige. Sophie.

Sophie. Bitte tauſendmal um Verzeihung, beſter Vater, daß ich Sie vorhin ſo habe ſtehen laſſen; die Mama rief mir, und ich mußte ihrem Befehl gehorchen.

Oberſt. Nun, wenn man nur ſeinen Fehler einſieht und ſich entſchuldigt

Sophie. Ach, mein Vater! Wo finde ich Worte, Ihnen

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Zweiter Aufzug. 6. Auftritt 353

meine Freude, meine Dankbarkeit auszudrücken, daß Sie in dieſe Heirat willigen.

Oberſt. So, ſo! Gefällt ſie dir, dieſe Heirat?

Sophie. O gar ſehr!

Oberſt (leiſe zu Lormeuil). Du ſiehſt, wie fie dich ſchon liebt, ohne dich zu kennen! das kommt von der ſchönen Beſchreibung, die ich ihr von dir gemacht habe, eh' ich abreiſte.

Tormeuil. Ich bin Ihnen ſehr verbunden.

Oberſt. Ja, aber nun, mein Kind, wird es doch wohl Zeit ſein, daß ich mich nach deiner Mutter ein wenig um⸗ ſehe; denn endlich werden mir doch die Putzhändlerinnen Platz machen, hoffe ich Leiſte du indes dieſem Herrn Geſellſchaft. Er iſt mein Freund, und mich ſoll's freuen, wenn er bald auch der deinige wird. Verſtehſt du? (Zu Lormeuil.) Jetzt friſch daran Das iſt der Augen⸗ blick! Suche noch heute ihre Neigung zu gewinnen, ſo iſt ſie morgen deine Frau (Zu Frau von Mirville.) Kommt, Nichte! Sie mögen es mit einander allein ausmachen. (Ab.)

6. Auftritt Sophie. Lormeuil.

Sophie. Sie werden alſo auch bei der Hochzeit fein?

Tormeuil. Ja, mein Fräulein Sie ſcheint Ihnen nicht zu mißfallen, dieſe Heirat?

Sophie. Sie hat den Beifall meines Vaters.

Tormeuil. Wohl! Aber was die Väter veranſtalten, hat darum nicht immer den Beifall der Töchter.

Sophie. O was dieſe Heirat betrifft die iſt auch ein wenig meine Anſtalt.

Lormeuil. Wie das, mein Fräulein? Schillers Werke. IX. 23

354 Der Neffe als Onkel

Sophie. Mein Vater war ſo gütig, meine Neigung um Rat zu fragen.

Tormeuil. Sie lieben alſo den Mann, der Ihnen zum Gemahl beſtimmt iſt?

Sophie. Ich verberg' es nicht.

Zormenil, Wie? Und kennen ihn nicht einmal!

Sophie. Ich bin mit ihm erzogen worden.

Tormeuil. Sie wären mit dem jungen Lormeuil er⸗ zogen worden?

Sophie. Mit dem Herrn von Lormeuil Nein!

Tormeuil. Das iſt aber Ihr beſtimmter Bräutigam.

Sophie. Ja, das war anfangs.

Tormeuil. Wie, anfangs?

Sophie. Ich ſehe, daß Sie noch nicht wiſſen, mein Herr

Tormeuil. Nichts weiß ich! Nicht das Geringſte weiß ich.

Sophie. Er iſt tot.

Tormeuil. Wer iſt tot?

Sophie. Der junge Herr von Lormeuil.

Tormeuil. Wirklich?

Sophie. Ganz gewiß.

Tormeuil. Wer hat Ihnen geſagt, daß er tot ſei?

Sophie. Mein Vater!

Tormeuil. Nicht doch, Fräulein! das kann ja nicht ſein, das iſt nicht möglich.

Sophie. Mit Ihrer Erlaubnis, es iſt! Mein Vater, der von Toulon kommt, muß es doch beſſer wiſſen als Sie. Dieſer junge Edelmann bekam auf einem Balle Händel, er ſchlug ſich und erhielt drei Degenſtiche durch den Leib.

Tormeuil. Das iſt gefährlich.

Sophie. Ja wohl, er iſt auch daran geſtorben.

Tormeuil. Es beliebt Ihnen, mit mir zu ſcherzen,

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Zweiter Aufzug. 6. Auftritt 35⁵

gnädiges Fräulein. Niemand kann Ihnen vom Herrn von Lormeuil beſſer Auskunft geben als ich.

Sophie. Als Sie! das wäre doch luſtig.

Tormeuil. Ja, mein Fräulein, als ich! denn, um es auf einmal herauszuſagen ich ſelbſt bin dieſer Lor⸗ meuil und bin nicht tot, ſo viel ich weiß.

Sophie. Sie wären Herr von Lormeuil?

Tormeuil. Nun, für wen hielten Sie mich denn ſonſt?

Sophie. Für einen Freund meines Vaters, den er zu meiner Hochzeit eingeladen. 5

Tormeuil. Sie halten alſo immer noch Hochzeit, ob ich gleich tot bin?

Sophie. Ja freilich!

Tormeuil. Und mit wem denn, wenn ich fragen darf?

Sophie. Mit meinem Couſin Dorſigny.

Lormeuil. Aber Ihr Herr Vater wird doch auch ein Wort dabei mitzuſprechen haben.

Sophie. Das hat er, das verſteht ſich! Er hat ja ſeine Einwilligung gegeben.

Tormeuil. Wann hätt' er fie gegeben?

Sophie. Eben jetzt ein paar Augenblicke vor Ihrer Ankunft.

Tormeuil. Ich bin ja aber mit ihm zugleich gekommen.

Sophie. Nicht doch, mein Herr! Mein Vater iſt vor Ihnen hier geweſen. :

Tormeuil (an den Kopf greifend). Mir ſchwindelt es wird mir drehend vor den Augen jedes Wort, das Sie ſagen, ſetzt mich in Erſtaunen Ihre Worte in Ehren, mein Fräulein, aber hierunter muß ein Geheimnis ſtecken, das ich nicht ergründe.

Sophie. Wie, mein Herr Sollten Sie wirklich im Ernſt geſprochen haben?

Lormeuil. Im vollen höchſten Ernſt, mein Fräulein.

Sophie. Sie wären wirklich der Herr von Lormeuil

356 Der Neffe als Onkel

Mein Gott, was hab' ich da gemacht Wie werde ich meine Unbeſonnenheit

Tormeuil. Laſſen Sie ſich's nicht leid ſein, Fräulein Ihre Neigung zu Ihrem Vetter iſt ein Umſtand, den man lieber vor als nach der Heirat erfährt

Sophie. Aber ich begreife nicht

Tormeuil. Ich will den Herrn von Dorſigny auf⸗ ſuchen vielleicht löſt er mir das Rätſel. Wie es ſich aber auch immer löſen mag, Fräulein, ſo ſollen Sie mit mir zufrieden ſein, hoff’ ich. (Ab.)

Sophie. Er ſcheint ein ſehr artiger Menſch und wenn man mich nicht zwingt, ihn zu heiraten, ſo ſoll es mich recht ſehr freuen, daß er nicht erſtochen iſt.

7. Auftritt Sophie. Oberſt. Frau von Dorſigny.

Fr. u. Dorſigny. Laß uns allein, Sophie. (Sophie geht ab.) Wie, Dorſigny? Sie können mir ins Angeſicht be⸗ haupten, daß Sie nicht kurz vorhin mit mir geſprochen haben? Nun wahrhaftig! Welcher andere als Sie, als der Herr dieſes Hauſes, als der Vater meiner Tochter, als mein Gemahl endlich, hätte das tun können, was Sie taten?

Oberſt. Was Teufel hätte ich denn getan?

Er. v. Dorfigny. Muß ich Sie daran erinnern? Wie? Sie wiſſen nicht mehr, daß Sie erſt vor kurzem mit unſrer Tochter geſprochen, daß Sie ihre Neigung zu unſerm Neffen entdeckt haben und daß wir eins worden ſind, ſie ihm zur Frau zu geben, ſobald er wird angekommen ſein?

Oberſt. Ich weiß nicht Madame, ob das alles nur ein Traum Ihrer Einbildungskraft iſt, oder ob wirk⸗ lich ein anderer in meiner Abweſenheit meinen Platz ein⸗

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Zweiter Aufzug. 8. Auftritt 357

genommen hat. Iſt das letztere, ſo war's hohe Zeit, daß ich kam Dieſer jemand ſchlägt meinen Schwiegerſohn tot, verheiratet meine Tochter und ſticht mich aus bei meiner Frau, und meine Frau und meine Tochter laſſen ſich's beide ganz vortrefflich gefallen.

Er. u. Dorſigny. Welche Verſtockung! In Wahr⸗ heit, Herr von Dorſigny, ich weiß mich in Ihr Betragen nicht zu finden.

Oberſt. Ich werde nicht klug aus dem Ihrigen.

8. Auftritt Vorige. Frau von Mirville.

Er. v. Mirville. Dacht' ich's doch, daß ich Sie beide würde beiſammen finden! Warum gleichen doch nicht alle Haushaltungen der Ihrigen? Nie Zank und Streit! Immer ein Herz und eine Seele! Das iſt erbaulich! Das iſt doch ein Beiſpiel! Die Tante iſt gefällig wie ein Engel, und der Onkel geduldig wie Hiob.

Oberſt. Wahr geſprochen, Nichte! Man muß Hiobs Geduld haben, wie ich, um ſie bei ſolchem Geſchwätz nicht zu verlieren.

Er. u. Dorſigny. Die Nichte hat Recht, man muß fo gefällig ſein wie ich, um ſolche Albernheiten zu ertragen.

Oberſt. Nun, Madame! Unſere Nichte hat mich ſeit meinem Hierſein faſt nie verlaſſen, wollen wir ſie zum Schiedsrichter nehmen?

Er. v. Dorſigny. Ich bin's vollkommen zufrieden und unterwerfe mich ihrem Ausſpruch.

Er. v. Mirville. Wovon iſt die Rede?

Er. v. Dorfigny. Stelle dir vor, mein Mann un⸗ terſteht ſich, mir ins Geſicht zu behaupten, daß er's nicht geweſen ſei, den ich vorhin für meinen Mann hielt.

358 Der Neffe als Onkel

Fr. v. Mirville. Iſt's möglich?

Oberſt. Stelle dir vor, Nichte, meine Frau will mich glauben machen, daß ich hier, hier in dieſem Zimmer, mit ihr geſprochen haben ſoll, in demſelben Augenblicke, wo ich mich auf der Touloner Poſtſtraße ſchütteln ließ.

Er. v. Mirville. Das iſt ja ganz unbegreiflich, Onkel hier muß ein Mißverſtändnis ſein Laſſen Sie mich ein paar Worte mit der Tante reden.

Oberſt. Sieh, wie du ihr den Kopf zurecht ſetzeſt, wenn's möglich iſt, aber es wird ſchwer halten.

Fr. v. Mirville (leiſe zur Frau von Dorſigny). Liebe Tante, das alles iſt wohl nur ein Scherz von dem Onkel?

Er. v. Dorſigny lebenſo). Freilich wohl, er müßte ja raſend ſein, ſolches Zeug im Ernſt zu behaupten.

Er. v. Mirville. Wiſſen Sie was? Bezahlen Sie ihn mit gleicher Münze Geben Sie's ihm heim! Laſſen Sie ihn fühlen, daß Sie ſich nicht zum beſten haben laſſen.

Fr. v. Dorſigny. Du haſt Recht. Laß mich nur machen.

Oberſt. Wird's bald? Jetzt, denk' ich, wär's genug.

Er. v. Dorſigny (ſpottweiſe). Ja wohl iſt's genug, mein Herr und da es die Schuldigkeit der Frau iſt, nur durch ihres Mannes Augen zu ſehen, ſo erkenn' ich meinen Irrtum und will mir alles einbilden, was Sie wollen.

Oberſt. Mit dem ſpöttiſchen Ton kommen wir nicht weiter.

Er. v. Dorfigny. Ohne Groll, Herr von Dorſignyl Sie haben auf meine Unkoſten gelacht, ich lache jetzt auf die Ihrigen, und ſo heben wir gegen einander auf. Ich habe jetzt einige Beſuche zu geben. Wenn ich zurück⸗ komme und Ihnen der ſpaßhafte Humor vergangen iſt, ſo können wir ernſthaft mit einander reden. (Ab.)

Oberſt (zur Frau von Mirville). Verſtehſt du ein Wort von allem, was fie da fagt?

Er. v. Mirville. Ich werde nicht klug daraus. Aber

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Zweiter Aufzug. 9. Auftritt 359

ich will ihr folgen und der Sache auf den Grund zu kommen ſuchen. (Ab.)

Oberſt. Tu das, wenn du willſt. Ich geb' es rein auf jo ganz toll und närriſch hab' ich fie noch nie ge- ſehen. Der Teufel muß in meiner Abweſenheit meine Geſtalt angenommen haben, um mein Haus unterſt zu oberſt zu kehren, anders begreif' ich's nicht

9. Auftritt

Oberſt Dorſigny. Champagne, ein wenig betrunken.

Champagne. Nun, das muß wahr ſein! hier lebt ſich's wie im Wirtshaus Aber wo Teufel ſtecken fie denn alle? Keine lebendige Seele hab' ich mehr ge- ſehen, ſeitdem ich als Kurier den Lärm angerichtet habe Doch ſieh da, mein gnädiger Herr, der Hauptmann Ich muß doch hören, wie unſere Sachen ſtehen. Wacht gegen den Oberſt Zeichen des Verſtändniſſes und lacht ſelbſtgefällig.)

Oberſt. Was Teufel! Iſt das nicht der Schelm, der Champagne? Wie kommt der hieher, und was will der Eſel mit ſeinen einfältigen Grimaſſen?

Champagne (wie oben). Nun, nun, gnädiger Herr?

Oberſt. Ich glaube, der Kerl iſt beſoffen.

Champagne. Nun, was ſagen Sie? Hab' ich meine Rolle gut geſpielt?

Oberſt (vor fig). Seine Rolle? Ich merke etwas Ja, Freund Champagne, nicht übel.

Champagne. Nicht übel! Was? Zum Entzücken habe ich fie geſpielt. Mit meiner Peitſche und den Kurier- ſtiefeln, ſah ich nicht einem ganzen Poſtillon gleich? Wie?

Oberſt. Ja! Ja! Gor fig.) Weiß der Teufel, was ich ihm antworten ſoll.

360 Der Neffe als Onkel

Champagne. Nun, wie ſteht's drinnen? Wie weit ſind Sie jetzt?

Oberſt. Wie weit ich bin wie's Aae aun, du kannſt dir leicht vorſtellen, wie's ſteht. N

Champagne. Die Heirat iſt richtig, nicht wahr? Sie haben als Vater die Einwilligung gegeben?

Oberſt. Ja.

Champagne. Und morgen treten Sie in Ihrer wahren Perſon als Liebhaber auf.

Oberſt (vor ſich). Es iſt ein Streich von meinem Neffen.

Champagne. Und heiraten die Witwe des Herrn von Lormeuil Witwe! Hahaha! die Witwe von meiner Erfindung.

Oberſt. Worüber lachſt du?

Champagne. Das fragen Sie? Ich lache über die Geſichter, die der ehrliche Onkel ſchneiden wird, wenn er in vier Wochen zurückkommt und Sie mit ſeiner Tochter verheiratet findet.

Oberſt (vor fig). Ich möchte raſend werden!

Champagne. Und der Bräutigam von Toulon, der mit ihm angezogen kommt und einen andern in ſeinem Neſte findet das ijt himmliſch!

Oberſt. Zum Entzücken!

Champagne. Und wem haben Sie alles das zu danken? Ihrem treuen Champagne! .

Oberſt. Dir? Wie jo?

Champagne. Nun, wer ſonſt hat Ihnen denn den Rat gegeben, die ee Ihres Onkels zu ſpielen?

Oberſt (vor ſich). Ha der Schurke!

Champagne. Aber das iſt zum Erſtaunen, wie Sie Ihrem Onkel doch ſo ähnlich ſehen! Ich würde drauf ſchwören, er ſei es ſelbſt, wenn ich ihn nicht hundert Meilen weit von uns wüßte.

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Zweiter Aufzug. 9. Auftritt 361

Oberſt (vor fig). Mein Schelm von Neffen macht einen ſchönen Gebrauch von meiner Geſtalt.

Champagne. Nur ein wenig zu ältlich ſehen Sie aus Ihr Onkel iſt ja ſo ziemlich von Ihren Jahren; Sie hätten nicht nötig gehabt, ſich ſo gar alt zu machen.

Oberſt. Meinſt du?

Champagne. Doch was tut's! Iſt er doch nicht da, daß man eine Vergleichung anſtellen könnte Und ein Glück für uns, daß der Alte nicht da iſt! Es würde uns ſchlecht bekommen, wenn er zurückkäme.

Oberſt. Er iſt zurückgekommen.

Champagne. Wie? Was?

Oberſt. Er iſt zurückgekommen, ſag' ich.

Champagne. Um Gottes willen, und Sie ſtehen hier? Sie bleiben ruhig? Tun Sie, was Sie wollen Helfen Sie ſich, wie Sie können ich ſuche das Weite. (Wil fort.)

Oberſt. Bleib, Schurke, zweifacher Halunke, bleib! Das alſo ſind deine ſchönen Erfindungen, Herr Schurke?

Champagne. Wie, gnädiger Herr? Iſt das mein Dan€?.

Oberſt. Bleib, Halunke! Wahrlich, meine Frau (hier macht Champagne eine Bewegung des Schreckens) iſt die Närrin nicht, für die ich fie hielt und einen ſolchen Schelm⸗ ſtreich ſollte ich ſo hingehen laſſen Nein, Gott ver⸗ damm' mich, wenn ich nicht auf der Stelle meine volle Rache dafür nehme. Es iſt noch nicht ſo ſpät. Ich eile zu meinem Notar. Ich bring' ihn mit. Noch heute Nacht heiratet Lormeuil meine Tochter Ich überraſche meinen Neffen er muß mir den Heiratskontrakt ſeiner Baſe noch ſelbſt mit unterzeichnen Und was dich be⸗ trifft, Halunke

Champagne. Ich, gnädiger Herr, ich will mit unter⸗ zeichnen ich will auf der Hochzeit mit tanzen, wenn Sie's befehlen.

Oberſt. Ja, Schurke, ich will dich tanzen machen!

362 Der Neffe als Onkel

Und die Quittung über die hundert Piſtolen, merk' ich jetzt wohl, habe ich auch nicht der Ehrlichkeit des Wucherers zu verdanken. Zu meinem Glück hat der Juwelier Bankerott gemacht Mein Taugenichts von Neffe be⸗ gnügte ſich nicht, ſeine Schulden mit meinem Gelde zu bezahlen, er macht auch noch neue auf meinen Kredit. Schon gut! Er ſoll mir dafür bezahlen! Und du, ehr⸗ licher Geſell, rechne auf eine tüchtige Belohnung. Es tut mir leid, daß ich meinen Stock nicht bei mir habe, aber aufgeſchoben iſt nicht aufgehoben. (Ab.)

Champagne. Ich falle aus den Wolken! Muß dieſer verwünſchte Onkel auch gerade jetzt zurückkommen und mir in den Weg laufen, recht ausdrücklich, um mich plaudern zu machen Ich Eſel, daß ich ihm auch er⸗ zählen mußte Ja, wenn ich noch wenigſtens ein Glas zu viel getrunken hätte Aber ſo!

10. Auftritt Champagne. Franz von Dorſigny. Frau von Mirville.

Fr. v. Mirville (kommt ſachte hervor und ſpricht in die Szene zurüc). Das Feld ijt rein du kannſt herauskommen es iſt niemand hier als Champagne.

Dorſigny (tritt ein).

Champagne (kehrt ſich um und fährt zurück, da er ihn erblickt). Mein Gott, da kommt er ſchon wieder zurück! Jetzt wird's losgehen! (Sich Dorſigny zu Füßen werfend.) Barmher⸗ zigkeit, gnädiger Herr! Gnade Gnade einem armen Schelm, der ja unſchuldig der es freilich verdient hätte

Dorſigny. Was ſoll denn das vorſtellen? Steh auf, ich will dir ja nichts zuleide tun.

Champagne. Sie wollen mir nichts tun, gnädiger

Herr

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Zweiter Aufzug. 11. Auftritt 363

Dorſigny. Mein Gott, nein! Ganz im Gegenteil, ich bin recht wohl mit dir zufrieden, da du deine Rolle ſo gut geſpielt haſt.

Champagne lerkennt ihn). Wie, Herr, find Sie's?

Dorſigny. Freilich bin ich's.

Champagne. Ach Gott! Wiſſen Sie, daß Ihr Onkel hier iſt?

Dorfigny. Ich weiß es. Was denn weiter?

Champagne. Ich hab' ihn geſehen, gnädiger Herr. Ich hab' ihn angeredet ich dachte, Sie wären's; ich hab' ihm alles geſagt, er weiß alles.

Fr. uv. Miruville. Unſinniger! was haſt du getan?

Champagne. Kann ich dafür? Sie ſehen, daß ich eben jetzt den Neffen für den Onkel genommen Iſt's zu verwundern, daß ich den Onkel für den Neffen nahm?

Dorſigny. Was iſt zu machen?

Fr. u. Mirville. Da ijt jetzt kein anderer Rat, als auf der Stelle das Haus zu verlaſſen.

Dorfigny. Aber wenn er meine Couſine zwingt, den Lormeuil zu heiraten

Fr. v. Mirville. Davon wollen wir morgen reden! Jetzt fort geſchwind, da der Weg noch frei iſt. (Sie führt ihn

bis an die hintere Türe; eben da er hinaus will, tritt Lormeuil aus der⸗ ſelben herein, ihm entgegen, der ihn zurückhält und wieder vorwärts führt.)

11. Auftritt Die Vorigen. Lormeuil.

Lormeuil. Sind Sie's? Ich ſuchte Sie eben.

Fr. v. Mirville (heimlich zu Dorſigny). Es iſt der Herr von Lormeuil. Er hält dich für den Onkel. Gib ihm ſo bald als möglich ſeinen Abſchied.

364 Der Neffe als Onkel

Lormenil (zur Frau von Mirville). Sie verlaſſen uns, gnädige Frau?

Er. v. Mirville. Verzeihen Sie, Herr von Lormeuil. Ich bin ſogleich wieder hier. Geht ab. Champagne folgt.)

12. Auftritt

Lormeuil. Franz von Dorſigny.

Tormeuil. Sie werden ſich erinnern, daß Sie mich mit Ihrer Fräulein Tochter vorhin allein gelaſſen haben?

Dorſigny. Ich erinnere mich's.

Tormeuil. Sie iſt ſehr liebenswürdig, ihr Beſitz würde mich zum glücklichſten Manne machen.

Dorſigny. Ich glaub' es.

Tormeuil. Aber ich muß Sie bitten, ihrer Neigung keinen Zwang anzutun.

Dorfigny. Wie ijt das?

Tormeuil. Sie iſt das liebenswürdigſte Kind von der Welt, das iſt gewiß! Aber Sie haben mir ſo oft von Ihrem Neffen Franz Dorſigny geſprochen Er liebt Ihre Tochter!

Dorſigng. Iſt das wahr?

Tormeuil. Wie ich Ihnen ſage, und er wird wieder geliebt!

Dorfigny. Wer hat Ihnen das geſagt?

Tormeuil. Ihre Tochter ſelbſt. .

Dorfigny. Was iſt aber da zu tun? Was raten Sie mir, Herr von Lormeuil?

Tormeuil. Ein guter Vater zu ſein.

Dorfigny. Wie?

Tarmeuil. Sie haben mir hundertmal geſagt, daß Sie Ihren Neffen wie einen Sohn liebten Nun denn!

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Zweiter Aufzug. 12. Auftritt 365

So geben Sie ihm Ihre Tochter, machen Sie Ihre beiden Kinder glücklich.

Dorſigny. Aber was ſoll denn aus Ihnen werden?

Zormenil, Aus mir Man will mich nicht haben, das iſt freilich ein Unglück! Aber beklagen kann ich mich nicht darüber, da Ihr Neffe mir zuvorgekommen iſt.

Dorfigny. Wie? Sie wären fähig, zu entſagen?

Tormeuil. Ich halte es für meine Pflicht.

Dorfigny (lebhaftö). Ach Herr von Lormeuil! Wie viel Dank bin ich Ihnen ſchuldig!

Tormeuil. Ich verſtehe Sie nicht.

Dorſigny. Nein, nein, Sie wiſſen nicht, welch großen, großen Dienſt Sie mir erzeigen Ach, meine Sophie! Wir werden glücklich werden!

Tormeuil. Was iſt das? Wie? das ijt Herr von Dorſigny nicht Wär's möglich

Dorfigny. Ich habe mich verraten.

Tormeuil. Sie find Dorſigny der Neffe? Ja, Sie ſind's Nun, Sie habe ich zwar nicht hier geſucht, aber ich freue mich, Sie zu ſehen. Zwar ſollte ich billig auf Sie böſe ſein wegen der drei Degenſtiche, die Sie mir ſo großmütig in den Leib geſchickt haben

Dorfigny. Herr von Lormeuil!

Lormeuil. Zum Glück find fie nicht tödlich, alſo mag's gut ſein! Ihr Herr Onkel hat mir ſehr viel Gutes von Ihnen geſagt, Herr von Dorſigny, und, weit entfernt, mit Ihnen Händel anfangen zu wollen, biete ich Ihnen von Herzen meine Freundſchaft an und bitte um die Ihrige.

Dorſigny. Herr von Lormeuil!

Tormeuil. Alſo zur Sache, Herr von Dorſigny Sie lieben Ihre Couſine und haben vollkommen Urſache dazu. Ich verſpreche Ihnen, allen meinen Einfluß bei dem Oberſten anzuwenden, daß ſie Ihnen zu teil wird

366 Der Neffe als Onkel

Dagegen verlange ich aber, daß Sie auch Ihrerſeits mir einen wichtigen Dienſt erzeigen. b

Dorſigng. Reden Sie! Fordern Sie! Sie haben ſich ein heiliges Recht auf meine Dankbarkeit erworben.

Tormeuil. Sie haben eine Schweſter, Herr von Dor⸗ ſigny. Da Sie aber für niemand Augen haben als für Ihre Baſe, ſo bemerkten Sie vielleicht nicht, wie ſehr Ihre Schweſter liebenswürdig iſt Ich aber ich habe es recht gut bemerkt und daß ich's kurz mache Frau von Mirville verdient die Huldigung eines jeden! Ich habe ſie geſehen, und ich

Dorſigny. Sie lieben ſie! Sie iſt die Ihre! Zählen Sie auf mich Sie ſoll Ihnen bald gut ſein, wenn ſie es nicht ſchon jetzt iſt dafür ſteh' ich. Wie ſich doch alles ſo glücklich fügen muß! Ich gewinne einen Freund, der mir behilflich ſein will, meine Geliebte zu beſitzen, und ich bin im ſtand, ihn wieder glücklich zu machen.

Tormeuil. Das ſteht zu hoffen, aber ſo ganz aus⸗ gemacht iſt es doch nicht Hier kommt Ihre Schweſter! Friſch, Herr von Dorſigny Sprechen Sie für mich! Führen Sie meine Sache! Ich will bei dem Onkel die Ihrige führen. (Ab.)

Dorſigny. Das iſt ein herrlicher Menſch, dieſer Lor⸗ meuil! Welche glückliche Frau wird meine Schweſter!

13. Auftritt

Frau von Mirville. Franz von Dorſigny.

Fr. v. Mirville. Nun wie ſteht's, Bruder?

Dorſigny. Du haſt eine Eroberung gemacht, Schweſter! der Lormeuil iſt Knall und Fall ſterblich in dich ver⸗ liebt worden. Eben hat er mir das Geſtändnis getan, weil er glaubte, mit dem Onkel zu reden! Ich ſagte ihm

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Zweiter Aufzug. 15. Auftritt 367

aber, dieſe Gedanken ſollte er ſich nur vergehen laſſen du hätteſt das Heiraten auf immer verſchworen Ich habe recht getan, nicht? i

Er. v. Mirville. Allerdings aber du hätteſt eben nicht gebraucht, ihn auf eine ſo rauhe Art abzu⸗ weiſen. Der arme Junge iſt ſchon übel genug daran, daß er bei Sophien durchfällt.

14. Auftritt

Vorige. Champagne.

Champagne. Nun, gnädiger Herr! Machen Sie, daß Sie fortkommen. Die Tante darf Sie nicht mehr hier antreffen, wenn ſie zurückkommt

Dorfigny. Nun ich gehe! Bin ich doch nun gewiß, daß mir Lormeuil die Couſine nicht wegnimmt. (Ab mit Frau von Mirville.)

15. Auftritt

Champagne allein.

Da bin ich nun allein! Freund Champagne, du biſt ein Dummkopf, wenn du deine Unbeſonnenheit von vorhin nicht gut machſt Dem Onkel die ganze Karte zu verraten! Aber laß ſehen! Was iſt da zu machen? Entweder den Onkel oder den Bräutigam müſſen wir uns auf die nächſten zwei Tage vom Halſe ſchaffen, ſonſt geht's nicht Aber wie Teufel iſt's da anzufangen? Wart? Laß ſehen Machſinnend.) Mein Herr und dieſer Herr von Lormeuil find zwar als ganz gute Freunde aus. einander gegangen, aber es hätte doch Händel zwiſchen ihnen ſetzen können! Können, das iſt mir genug! Da⸗ von laßt uns ausgehen Ich muß als ein guter Diener

368 Der Neffe als Onkel

Unglück verhüten! Nichts als redliche Beſorgnis für meinen Herrn Alſo gleich zur Polizei! Man nimmt ſeine Maßregeln, und iſt's dann meine Schuld, wenn ſie den Onkel für den Neffen nehmen? Wer kann für die Ahnlichkeit Das Wageſtück iſt groß, groß, aber ich wag's. Mißlingen kann's nicht, und wenn auch Es kann nicht mißlingen Im äußerſten Fall bin ich gedeckt! Ich habe nur meine Pflicht beobachtet! Und mag dann der Onkel gegen mich toben, ſo viel er will Ich verſtecke mich hinter den Neffen, ich verhelf ihm zu ſeiner Braut, er muß erkenntlich ſein Friſch, Cham⸗ pagne, ans Werk hier iſt Ehre einzulegen. (Geht ab.)

Dritter Aufzug 1. Auftritt

Oberſt Dorſigny kommt. Gleich darauf Lormeuil.

Oberſt. Muß der Teufel auch dieſen Notar gerade heute zu einem Nachteſſen führen! Ich hab' ihm ein Billet dort gelaſſen, und mein Herr Neffe hatte ſchon vorher die Mühe auf ſich genommen.

Tormeuil (tommt). Für diesmal denke ich doch wohl den Onkel vor mir zu haben und nicht den Neffen.

Oberſt. Wohl bin ich's ſelbſt! Sie dürfen nicht zweifeln.

Tormeuil. Ich habe Ihnen viel zu ſagen, Herr von Dorſigny.

Oberſt. Ich glaub' es wohl, guter Junge. Du wirſt raſend ſein für Zorn Aber keine Gewalttätigkeit, lieber

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Dritter Aufzug. 2. Auftritt 369

Freund, ich bitte darum! Denken Sie daran, daß der, der Sie beleidigt hat, mein Neffe iſt Ihr Ehrenwort verlang' ich, daß Sie es mir überlaſſen wollen, ihn da⸗ für zu ſtrafen.

Tormeuil. Aber fo erlauben Sie mir

Oberſt. Nichts erlaub' ich! Es wird nichts daraus! So ſeid ihr jungen Leute! Ihr wißt keine andere Art, Unrecht gut zu machen, als daß ihr einander die Hälſe brecht.

Tormeuil. Das iſt aber ja nicht mein Fall. Hören Sie doch nur.

Oberſt. Mein Gott! Ich weiß ja! Bin ich doch auch jung geweſen! Aber laß dich das alles nicht anfechten, guter Junge! du wirſt doch mein Schwiegerſohn. Du wirſt's dabei bleibt's!

Tormeuil. Ihre Güte Ihre Freundſchaft erkenn! ich mit dem größten Dank Aber, ſo wie die Sachen ſtehen

Oberſt (lauter). Nichts! Kein Wort mehr!

2. Auftritt

Champagne mit zwei Unteroffizieren. Vorige.

Champagne (gu dieſen). Sehen Sie's, meine Herren? Sehen Sie's? Eben wollten ſie an einander geraten.

Tormeuil. Was ſuchen dieſe Leute bei uns?

Erſter Unteroffisier. Ihre ganz gehorſamen Diener, meine Herren! Habe ich nicht die Ehre, mit Herrn von Dorſigny zu ſprechen?

Oberſt. Dorſigny heiß' ich.

Champagne. Und dieſer hier iſt Herr von Lormeuil?

Tormenil. Der bin ich, ja. Aber was wollen die

Herren von mir? Schillers Werke. IX. 24

870 Der Neffe als Onkel

Zweiter Unteroffizier. Ich werde die Ehre haben, Euer Gnaden zu begleiten.

Lormeuil. Mich zu begleiten? Wohin? Es fällt mir gar nicht ein, ausgehen zu wollen.

Erſter Unteroffizier (gum Oberst). Und ich, gnädiger Herr, bin beordert, Ihnen zur Eskorte zu dienen.

Oberſt. Aber wohin will mich der Herr eskortieren?

Erſter Unteroffizier. Das will ich Ihnen ſagen, gnä⸗ diger Herr. Man hat in Erfahrung gebracht, daß Sie auf dem Sprung ſtünden, ſich mit dieſem Herrn zu ſchlagen, und damit nun

Oberſt. Mich zu ſchlagen! Und weswegen denn?

Erſter Unteroffizier. Weil Sie Nebenbuhler find weil Sie beide das Fräulein von Dorſigny lieben. Dieſer Herr hier iſt der Bräutigam des Fräuleins, den ihr der Vater beſtimmt hat und Sie, gnädiger Herr, ſind ihr Couſin und ihr Liebhaber O wir wiſſen alles!

Tormeuil. Sie ſind im Irrtum, meine Herrn.

Oberſt. Wahrlich, Sie ſind an den Unrechten ge⸗ kommen.

Champagne (gu den Wachen). Friſch zu! Laſſen Sie ſich nichts weismachen, meine Herrn. (Zu Herrn von Dorſigny.) Lieber gnädiger Herr! Werfen Sie endlich Ihre Maske weg, geſtehen Sie, wer Sie ſind, geben Sie ein Spiel auf, wobei Sie nicht die beſte Rolle ſpielen.

Oberſt. Wie, Schurke, das iſt wieder ein Streich von dir

Champagne. Ja, gnädiger Herr, ich hab' es ſo ver⸗ anſtaltet, ich leugn' es gar nicht ich rühme mich deſſen! Die Pflicht eines rechtſchaffenen Dieners habe ich er⸗ füllt, da ich Unglück verhütete.

Oberſt. Sie können mir's glauben, meine Herren! der, den Sie ſuchen, bin ich nicht; ich bin ſein Onkel.

Erſter Unteroffizier. Sein Onkel! Gehn Sie doch!

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Dritter Aufzug. 2. Auftritt 371

Sie gleichen dem Herrn Onkel außerordentlich, ſagt man, aber uns ſoll dieſe Ahnlichkeit nicht betrügen.

Oberſt. Aber ſehen Sie mich doch nur recht an! Ich habe ja eine Perücke, und mein Neffe trägt ſein eigenes Haar.

Erſter Unteroffizier. Ja, ja, wir wiſſen recht gut, warum Sie die Tracht Ihres Herrn Onkels angenommen das Stückchen war ſinnreich; es tut uns leid, daß es nicht beſſer geglückt iſt.

Oberſt. Aber mein Herr, ſo hören Sie doch nur an

Erſter Unteroffisier, Ja, wenn wir jeden anhören wollten, den wir feſtzunehmen beordert ſind wir würden nie von der Stelle kommen Belieben Sie uns zu folgen, Herr von Dorſigny. Die Poſtchaiſe hält vor der Tür und erwartet uns. 5

Oberſt. Wie? Was? Die Poſtchaiſe?

Erſter Unteroffizier. Ja, Herr! Sie haben Ihre Gar⸗ niſon heimlich verlaſſen! Wir ſind beordert, Sie ſtehen⸗ den Fußes in den Wagen zu packen und nach Straßburg zurückzubringen. N

Oberſt. Und das iſt wieder ein Streich von dieſem verwünſchten Taugenichts! Ha Lotterbube!

Champagne. Ja, gnädiger Herr, es iſt meine Ver⸗ anſtaltung Sie wiſſen, wie ſehr ich dawider war, daß Sie Straßburg ohne Urlaub verließen.

Oberſt (hebt den Stock anf). Nein, ich halte mich nicht mehr i

Beide Unteroffisiere. Mäßigen Sie ſich, Herr von Dorſigny!

Champagne. Halten Sie ihn, meine Herren, ich bitte das hat man davon, wenn man Undankbare verpflichtet. Ich rette vielleicht Ihr Leben, da ich dieſem unſeligen Duell vorbeuge, und zum Dank hätten Sie mich

372 Der Neffe als Onkel

tot gemacht, wenn dieſe Herren nicht ſo gut geweſen wären, es zu verhindern.

Oberſt. Was iſt hier zu tun, Lormeuil?

Tormeuil. Warum berufen Sie ſich nicht auf die Perſonen, die Sie kennen müſſen?

Oberſt. An wen, zum Teufel! ſoll ich mich wenden? Meine Frau, meine Tochter ſind ausgegangen meine Nichte iſt vom Komplott die ganze Welt iſt behext.

Tormeuil. So bleibt nichts übrig, als in Gottes Namen nach Straßburg zu reiſen, wenn dieſe Leute nicht mit ſich reden laſſen.

Oberſt. Das wäre aber ganz verwünſcht

Erſter Unteroffizier (zu Champagne). Sind Sie aber auch ganz gewiß, daß es der Neffe iſt?

Champagne. Freilich! Freilich! Der Onkel iſt weit weg Nur ſtandgehalten! Nicht gewankt!

3. Auftritt Ein Poſtillon. Vorige.

Poſtillon (betrunken). He! Holla! Wird's bald, ihr Herrn? Meine Pferde ſtehen ſchon eine Stunde vor dem Hauſe, und ich bin nicht des Wartens wegen da.

Oberſt. Was will der Burſch?

Erſter Unteroffisier, Es iſt der Poſtillon, der Sie fahren ſoll.

Poſtillon. Sieh doch! Sind Sie's, Herr Hauptmann,

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der abreiſt Sie haben kurze Geſchäfte hier gemacht

Heute Abend kommen Sie an, und in der Nacht geht's wieder fort.

Oberſt. Woher weißt denn du?

Poſtillon. Ei! Ei! War ich's denn nicht, der Sie vor etlichen Stunden an der Hintertür dieſes Hauſes

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Dritter Aufzug. 3. Auftritt 373

abſetzte? Sie ſehen, mein Kapitän, daß ich Ihr Geld wohl angewendet ja, ja, wenn mir einer was zu ver⸗ trinken gibt, ſo erfüll' ich gewiſſenhaft und redlich die Abſicht.

Oberſt. Was ſagſt du, Kerl? Mich hätteſt du ge⸗ fahren? Mich?

Poſtillon. Sie, Herr! Ja doch, beim Teufel, und da ſteht ja Ihr Bedienter, der den Vorreuter machte Gott grüß' dich, Gaudieb! Eben der hat mir's ja im Vertrauen geſteckt, daß Sie ein Herr Hauptmann ſeien und von Straßburg heimlich nach Paris gingen

Oberſt. Wie, Schurke? Ich wäre das geweſen?

Poſtillon. Ja, Sie! Und der auf dem ganzen Wege laut mit ſich ſprach und an einem fort rief: Meine Sophie! Mein liebes Bäschen! Mein engliſches Couſinchen! Wie? haben Sie das ſchon vergeſſen?

Champagne (gum Oberſt). Ich bin's nicht, gnädiger Herr, der ihm dieſe Worte in den Mund legt Wer wird aber auch auf öffentlicher Poſtſtraße ſo laut von ſeiner Gebieterin reden!

Oberſt. Es iſt beſchloſſen, ich ſeh's, ich ſoll nach Straßburg, um der Sünden meines Neffen willen

Erſter Unteroffizier. Alſo, mein Herr Hauptmann

Oberſt. Alſo, mein Herr Geleitsmann, alſo muß ich freilich mit Ihnen fort, aber ich kann Sie verſichern, ſehr wider meinen Willen.

Erſter Unteroffizier. Das find wir gewohnt, mein Kapitän, die Leute wider ihren Willen zu bedienen.

Oberſt. Du biſt alſo mein Bedienter?

Champagne. Ja, gnädiger Herr.

Oberſt. Folglich bin ich dein Gebieter.

Champagne. Das verſteht ſich.

Oberſt. Ein Bedienter muß ſeinem Herrn folgen du gehſt mit mir nach Straßburg.

374 Der Neffe als Onkel

Champagne (vor ſich). Verflucht!

Poſtillon. Das verſteht ſich Marſch!

Champagne. Es tut mir leid, Sie zu betrüben, gnä⸗ diger Herr Sie wiſſen, wie groß meine Anhänglichkeit an Sie iſt ich gebe Ihnen eine ſtarke Probe davon in dieſem Augenblick aber Sie wiſſen auch, wie ſehr ich mein Weib liebe. Ich habe ſie heute nach einer langen Trennung wiedergeſehen! Die arme Frau bezeigte eine ſo herzliche Freude über meine Zurückkunft, daß ich be⸗ ſchloſſen habe, ſie nie wieder zu verlaſſen und meinen Abſchied von Ihnen zu begehren. Sie werden ſich er⸗ innern, daß Sie mir noch von drei Monaten Gage ſchul⸗ dig ſind.

Oberſt. Dreihundert Stockprügel bin ich dir ſchuldig, Bube!

Grier Unterofftzier. Herr Kapitän, Sie haben kein Recht, dieſen ehrlichen Diener wider ſeinen Willen nach Straßburg mitzunehmen und wenn Sie ihm noch Rückſtand ſchuldig ſind i

Oberſt. Nichts, keinen Heller bin ich ihm ſchuldig.

Erſter Unteroffizier. So iſt das kein Grund, ihn mit Prügeln abzulohnen.

Tormeuil. Ich muß ſehen, wie ich ihm heraus helfe

wenn es nicht anders iſt In Gottes Namen, reiſen Sie ab, Herr von Dorſigny Zum Glück bin ich frei, ich habe Freunde, ich eile, ſie in Bewegung zu ſetzen, und bringe Sie zurück, eh' es Tag wird.

Oberſt. Und ich will den Poſtillon dafür bezahlen, daß er ſo langſam fährt als möglich, damit Sie mich noch einholen können (gum Poſtillon.) Hier, Schwager! Ver⸗ trink das auf meine Geſundheit aber du mußt mich fahren

Poſtillon (treuherzig). Daß die Pferde dampfen.

Oberſt. Nicht doch! Nein, ſo mein' ich's nicht

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Dritter Aufzug. 4. Auftritt 375

Poſtillon. Ich will Sie fahren wie auf dem Her⸗ weg! Als ob der Teufel Sie davon führte.

Oberſt. Hol' der Teufel dich ſelbſt, du verdammter Trunkenbold. Ich ſage dir ja

Poſtillon. Sie haben's eilig! Ich auch! Sein Sie ganz ruhig! Fort ſoll's gehn, daß die Funken hinaus fliegen. (Ab.)

Oberſt (ihm nach). Der Kerl macht mich raſend! Warte doch, höre!

Tormeuil. Beruhigen Sie ſich! Ihre Reiſe ſoll nicht lange dauern.

Oberſt. Ich glaube, die ganze Hölle iſt heute los⸗ gelaſſen. (Geht ab. Der erſte Unteroffizier folgt.)

Tormeuil (zum zweiten). Kommen Sie, mein Herr, folgen Sie mir, weil es Ihnen ſo befohlen iſt aber ich ſage Ihnen vorher, ich werde Ihre Beine nicht ſchonen! Und wenn Sie ſich Rechnung gemacht haben, dieſe Nacht zu ſchlafen, ſo ſind Sie garſtig betrogen, denn wir werden immer auf den Straßen ſein.

Zweiter Unteroffizier. Nach Ihrem Gefallen, gnädiger Herr Zwingen Sie ſich ganz und gar nicht Ihr Diener, Herr Champagne. (Lormeuil und der zweite Unters offizier ab.)

4. Auftritt

Champagne. Dann Frau von Mirville.

Champagne (allein). Sie find fort Glück zu, Cham⸗ pagne! Der Sieg iſt unſer! Jetzt friſch ans Werk, daß wir die Heirat noch in dieſer Nacht zu ſtande bringen Da kommt die Schweſter meines Herrn, ihr kann ich alles ſagen.

376 Der Neffe als Onkel

Er. v. Mirville. Ah, biſt du da, Champagne? Weißt du nicht, wo der Onkel iſt?

Champagne. Auf dem Weg nach Straßburg.

Fr. v. Mirville. Wie? Was? Erkläre dich!

Champagne. Recht gern, Ihr Gnaden. Sie wiſſen vielleicht nicht, daß mein Herr und dieſer Lormeuil einen heftigen Zank zuſammen gehabt haben.

Fr. v. Mirville. Ganz im Gegenteil. Sie find als die beſten Freunde geſchieden, das weiß ich.

Champagne. Nun, ſo habe ich's aber nicht gewußt. Und in der Hitze meines Eifers ging ich hin, mir bei der Polizei Hilfe zu ſuchen. Ich komme her mit zwei Ser⸗ geanten, davon der eine Befehl hat, dem Herrn von Lormeuil an der Seite zu bleiben, der andere, meinen Herrn nach Straßburg zurück zu bringen. Nun reitet der Teufel dieſen verwünſchten Sergeanten, daß er den Onkel für den Neffen nimmt, ihn beinahe mit Gewalt in die Kutſche packt, und fort mit ihm, jagſt du nicht, ſo gilt's nicht, nach Straßburg!

Fr. v. Mirville. Wie, Champagne! du ſchickſt meinen Onkel anſtatt meines Bruders auf die Reiſe? Nein, das kann nicht dein Ernſt ſein.

Champagne. Um Vergebung, es iſt mein voller Ernſt Das Elſaß iſt ein ſcharmantes Land, der Herr Oberſt haben ſich noch nicht darin umgeſehen, und ich verſchaffe ihnen dieſe kleine Ergötzlichkeit.

Fr. v. Mirville. Du kannſt noch ſcherzen? Was macht aber der Herr von Lormeuil?

Champagne. Er führt ſeinen Sergeanten in der Stadt ſpazieren.

Er. v. Mirville. Der arme Junge! Er verdient wohl, daß ich Anteil an ihm nehme.

Champagne. Nun, gnädige Frau! Ans Werk! Keine Zeit verloren! Wenn mein Herr ſeine Couſine nur erſt

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Dritter Aufzug. 6. Auftritt 377

geheiratet hat, ſo wollen wir den Onkel zurückholen. Ich ſuche meinen Herrn auf, ich bringe ihn her, und wenn nur Sie uns beiſtehen, ſo muß dieſe Nacht alles richtig werden. (Ab.)

5. Auftritt

Frau von Mirville. Dann Frau von Dorſigny. Sophie.

Fr. v. Mirville. Das iſt ein verzweifelter Bube, aber er hat ſeine Sache ſo gut gemacht, daß ich mich mit ihm verſtehen muß Hier kommt meine Tante, ich muß ihr die Wahrheit verbergen.

Fr. u. Dorfigny. Ach, liebe Nichte! Haft du deinen Onkel nicht geſehen?

Fr. v. Mirville. Wie? Hat er denn nicht Abſchied von Ihnen genommen?

Er. u. Dorſigny. Abſchied! Wie?

Fr. v. Mirville. Ja, er iſt fort.

Er. v. Dorfigny. Er ijt fort? Seit wann?

Fr. u. Mirville. Dieſen Augenblick.

Er. u. Dorfigny. Das begreif' ich nicht. Er wollte ja erſt gegen eilf Uhr wegfahren. Und wo iſt er denn hin, ſo eilig?

Er. v. Mirville. Das weiß ich nicht. Ich ſah ihn nicht abreiſen Champagne erzählte mir's.

6. Auftritt Die Vorigen. Franz von Dorfigny in ſeiner eigenen Uniform und ohne Perücke. Champagne. Champagne. Da iſt er, Ihr Gnaden, da iſt er! Fr. v. Dorſigng. Wer? Mein Mann? Champagne. Nein, nicht doch! mein Herr, der Herr

2 Hauptmann.

Sophie (ihm entgegen). Lieber Vetter!

378 Der Neffe als Onkel

Champagne. Ja, er hatte wohl Recht, zu ſagen, daß er mit ſeinem Brief zugleich eintreffen werde.

Er. v. Dorfigny. Mein Mann reiſt ab, mein Neffe kommt an! Wie ſchnell ſich die Begebenheiten drängen!

Dorſigny. Seh' ich Sie endlich wieder, beſte Tante! Ich komme voll Unruhe und Erwartung

Er. uv. Dorſigny. Guten Abend, lieber Neffe!

Dorfigny. Welcher froftige Empfang?

ar. v. Dorſigny. Ich bin herzlich erfreut, dich zu ſehen. Aber mein Mann

Dorfigny. Iſt dem Onkel etwas zugeſtoßen?

Fr. v. Mirville. Der Onkel iſt heute Abend von einer großen Reiſe zurückgekommen, und in dieſem Augen⸗ blick verſchwindet er wieder, ohne daß wir wiſſen, wo er hin iſt.

Dorſigny. Das iſt ja ſonderbar!

Champagne. Es iſt ganz zum Erſtaunen!

Er. v. Dorfigny. Da iſt ja Champagne! Der kann uns allen aus dem Traume helfen.

Champagne. Ich, gnädige Frau?

Fr. v. Mirville. Ja, du! Mit dir allein hat der Onkel ja geſprochen, wie er abreiſte.

Champagne. Das iſt wahr! Mit mir allein hat er geſprochen.

Dorſigny. Nun, jo ſage nur! Warum verreiſte er jo plötzlich?

Champagne. Warum? Ei, er mußte wohl! Er hatte ja Befehl dazu von der Regierung.

Fr. v. Dorſigng. Was?

Champagne. Er hat einen wichtigen geheimen Auf⸗ trag, der die größte Eilfertigkeit erfordert der einen Mann erfordert einen Mann Ich ſage nichts mehr! Aber Sie können ſich etwas darauf einbilden, gnädige Frau, daß die Wahl auf den Herrn gefallen iſt.

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Dritter Aufzug. 6. Auftritt 379

Er. u. Mirville. Allerdings! Eine ſolche Auszeich⸗ nung ehrt die ganze Familie!

Champagne. Euer Gnaden begreifen wohl, daß er ſich da nicht lange mit Abſchiednehmen aufhalten konnte. Champagne, ſagte er zu mir, ich gehe in wichtigen Staats⸗ angelegenheiten nach nach Sankt Petersburg. Der Staat befiehlt ich muß gehorchen beim erſten Poſt⸗ wechſel ſchreib' ich meiner Frau was übrigens die Hei⸗ rat zwiſchen meinem Neffen und meiner Tochter betrifft ſo weiß ſie, daß ich vollkommen damit zufrieden bin.

Dorſigny. Was hör' ich! Mein lieber Onkel ſollte

Champagne. Ja, gnädiger Herr! Er willigt ein! Ich gebe meiner Frau unumſchränkte Vollmacht, ſagte er, alles zu beendigen, und ich hoffe bei meiner Zurück⸗ kunft unſere Tochter als eine glückliche Frau zu finden.

Er. u. Dorfigny. Und ſo reiſte er allein ab.

Champagne. Allein? Nicht doch! Er hatte noch einen Herrn bei ſich, der nach etwas recht Vornehmem ausſah

Fr. v. Dorſigny. Ich kann mich gar nicht drein finden.

Er. v. Mirville. Wir wiſſen ſeinen Wunſch! Man muß dahin ſehen, daß er ſie als Mann und Frau findet bei ſeiner Zurückkunft.

Sophie. Seine Einwilligung ſcheint mir nicht im geringſten zweifelhaft, und ich trage gar kein Bedenken, den Vetter auf der Stelle zu heiraten.

Er. v. Dorfigny. Aber ich trage Bedenken und will ſeinen erſten Brief noch abwarten.

Champagne. Da ſind wir nun ſchön gefördert, daß wir den Onkel nach Petersburg ſchicken.

Dorſigny. Aber, beſte Tante!

380 Der Neffe als Onkel

7. Auftritt Die Vorigen. Der Notarius.

Notar (tritt zwiſchen Dorſigny und ſeine Tante). Ich empfehle mich der ganzen hochgeneigten Geſellſchaft zu Gnaden.

Er. v. Dorſigny. Sieh da, Herr Gaſpar, der Notar unſers Hauſes.

Notar. Zu Dero Befehl, gnädige Frau. Es beliebte Dero Herrn Gemahl, ſich in mein Haus zu verfügen

Fr. v. Dorfigny. Wie? Mein Mann wäre vor ſeiner Abreiſe noch bei Ihnen geweſen?

Notar. Vor Dero Abreiſe! Was Sie mir ſagen! Sieh, ſieh doch, darum hatten es der gnädige Herr ſo eilig und wollten mich gar nicht in meinem Hauſe er⸗ warten. Dieſes Billet ließen mir Hochdieſelben zurück

Belieben Ihro Gnaden es zu durchleſen. (Reicht der Frau von Dorſigny das Billet.)

Champagne (leiſe zu Dorſigny). Da iſt der Notar, den Ihr Onkel beſtellt hat.

Dorfigny. Ja, wegen Lormeuils Heirat.

Champagne. Wenn wir ihn zu der Ihrigen brauchen könnten?

Dorfigny. Still! hören wir, was er ſchreibt!

Er. v. Dorſigny (lie). „Haben Sie die Güte, mein Herr, ſich noch dieſen Abend in mein Haus zu bemühen und den Ehekontrakt mitzubringen, den Sie für meine Tochter aufgeſetzt haben. Ich habe meine Urſachen, dieſe Heirat noch in dieſer Nacht abzuſchließen Dorſigny.“

Champagne. Da haben wir's ſchwarz auf weiß! Nun wird die gnädige Frau doch nicht mehr an der Einwilli⸗ gung des Herrn Onkels zweifeln?

Sophie. Es iſt alſo gar nicht nötig, daß der Papa Ihnen ſchreibt, liebe Mutter, da er dieſem Herrn ge- ſchrieben hat.

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Dritter Aufzug. 8. Auftritt 381

Fr. v. Dorſigny. Was denken Sie von der Sache, Herr Gaſpar?

Notar. Nun, dieſer Brief wäre deutlich genug, dächt' ich.

Er. v. Dorfigny. In Gottes Namen, meine Kinder! Seid glücklich! gebt euch die Hände, weil doch mein Mann ſelbſt den Notar herſchickt.

Dorſigny. Friſch, Champagne! Einen Tiſch, Feder und Tinte, wir wollen gleich unterzeichnen.

8. Auftritt Oberſt Dorſigny. Valcour. Vorige.

Er. v. Mirville. Himmel! Der Onkel!

Sophie. Mein Vater!

Champagne. Führt ihn der Teufel zurück?

Dorfigny. Ja wohl, der Teufel! Dieſer Valcour iſt mein böſer Genius.

Fr. u. Dorfigny. Was ſeh' ich! Mein Mann!

Valcour (den ältern Dorfigny präſentierend). Wie ſchätz' ich mich glücklich, einen geliebten Neffen in den Schoß ſeiner Familie zurückführen zu können! (Wie er den jüngern Dorfigny gewahr wird.) Wie Teufel, da biſt du ja (Sich zum ältern Dorfigny wendend.) Und wer find Sie denn, mein Herr?

Oberſt. Sein Onkel, mein Herr.

Dorfigny. Aber erkläre mir, Valcour

Valcour. Erkläre du mir ſelbſt! Ich bringe in Er⸗ fahrung, daß eine Ordre ausgefertigt ſei, dich nach deiner Garniſon zurück zu ſchicken Nach unſäglicher Mühe erlange ich, daß ſie widerrufen wird ich werfe mich aufs Pferd, ich erreiche noch bald genug die Poſtchaiſe, wo ich dich zu finden glaubte, und finde auch wirklich

Oberſt. Ihren gehorſamen Diener, fluchend und tobend über einen verwünſchten Poſtknecht, dem ich Geld

882 Der Neffe als Onkel

gegeben hatte, um mich langſam zu fahren, und der mich wie ein Sturmwind davonführte.

Valcour. Dein Herr Onkel findet es nicht für gut, mich aus meinem Irrtum zu reißen; die Poſtchaiſe lenkt wieder um, nach Paris zurück, und da bin ich nun. Ich hoffe, Dorſigny, du kannſt dich nicht über meinen Eifer beklagen. .

Dorſigng. Sehr verbunden, mein Freund, für die mächtigen Dienſte, die du mir geleiſtet haſt! Es tut mir nur leid um die unendliche Mühe, die du dir gegeben haſt.

Oberſt. Herr von Valcour! Mein Neffe erkennt Ihre große Güte vielleicht nicht mit der gehörigen Dank⸗ barkeit, aber rechnen Sie dafür auf die meinige.

Er. v. Dorfigny. Sie waren alſo nicht unterwegs nach Rußland?

Oberſt. Was Teufel! ſollte ich in Rußland?

Er. u. Dorſigng. Nun wegen der wichtigen Kom⸗ miſſion, die das Miniſterium Ihnen auftrug, wie Sie dem Champagne ſagten.

Oberſt. Alſo wieder der Champagne, der mich zu dieſem hohen Poſten befördert. Ich bin ihm unendlichen Dank ſchuldig, daß er ſo hoch mit mir hinaus will Herr Gaſpar, Sie werden zu Hauſe mein Billet gefunden haben; es würde mir lieb ſein, wenn der Ehekontrakt noch dieſe Nacht unterzeichnet würde.

Notar. Nichts iſt leichter, gnädiger Herr! Wir waren eben im Begriff, dieſes Geſchäft auch in Ihrer Abweſen⸗ heit vorzunehmen.

Oberſt. Sehr wohl! Man verheiratet ſich zuweilen ohne den Vater, aber wie ohne den Bräutigam, das iſt mir doch nie vorgekommen.

Er. v. Dorſigng. Hier ijt der Bräutigam! Unſer lieber Neffe.

Dorfigny. Ja, beſter Onkel! Ich bin's.

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Dritter Aufzug. 9. Auftritt 383

Oberſt. Mein Neffe iſt ein ganz hübſcher Junge, aber meine Tochter bekommt er nicht.

Er. v. Dorſigny. Nun, wer ſoll fie denn ſonſt be⸗ kommen?

Oberſt. Wer, fragen Sie? Zum Henker! Der Herr von Lormeuil ſoll ſie bekommen.

Er. v. Dorſigny. Er iſt alſo nicht tot, der Herr von Lormeuil?

Oberſt. Nicht doch, Madam! Er lebt, er iſt hier, ſehen Sie ſich nur um, dort kommt er.

Er. v. Dorfigny. Und wer iſt denn der Herr, der mit ihm ijt?

Oberſt. Das iſt ein Kammerdiener, den Herr Cham⸗ pagne beliebt hat, ihm an die Seite zu geben

Letzter Auftritt

Die Vorigen. Lormeuil mit ſeinem Unteroffizier, der ſich im Hinter⸗ grunde des Zimmers niederſetzt.

Tormeuil (gum Oberſten). Sie ſchicken alſo Ihren Onkel an Ihrer Statt nach Straßburg? Das wird Ihnen nicht ſo hingehen, mein Herr.

Oberſt. Sieh, ſieh doch! wenn du dich ja mit Ge⸗ walt ſchlagen willſt, Lormeuil, ſo ſchlage dich mit meinem Neffen, und nicht mit mir.

Tormeuil (ertennt ihn). Wie? Sind Sie's? Und wie haben Sie's gemacht, daß Sie ſo ſchnell zurückkommen?

Oberſt. Hier, bei dieſem Herrn von Valcour bedanken Sie ſich, der mich aus Freundſchaft für meinen Neffen ſpornſtreichs zurückholte.

Dorſigny. Ich begreife Sie nicht, Herr von Lormeuil! Wir waren ja als die beſten Freunde von einander geſchie⸗ den Haben Sie mir nicht ſelbſt, noch ganz kürzlich, alle Ihre Anſprüche auf die Hand meiner Couſine abgetreten?

384 Der Neffe als Onkel

Oberſt. Nichts! Nichts! Daraus wird nichts! Meine Frau, meine Tochter, meine Nichte, mein Neffe, alle zu⸗ ſammen ſollen mich nicht hindern, meinen Willen durch⸗ zuſetzen.

Tormeuil. Herr von Dorſigny! Mich freut's von Herzen, daß Sie von einer Reiſe zurück ſind, die Sie wider Ihren Willen angetreten Aber wir haben gut reden und Heiratspläne ſchmieden, Fräulein Sophie wird darum doch Ihren Neffen lieben.

Oberſt. Ich verſtehe nichts von dieſem allem! Aber ich werde den Lormeuil nicht von Toulon nach Paris ge⸗ ſprengt haben, daß er als ein Junggeſell zurückkehren ſoll.

Dorfigny. Was das betrifft, mein Onkel jo ließe ſich vielleicht eine Auskunft treffen, daß Herr von Lormeuil keinen vergeblichen Weg gemacht hätte. Fragen Sie meine Schweſter.

Fr. u. Mirville. Mich? Ich habe nichts zu ſagen.

Tormeuil. Nun fo will ich denn reden Herr von Dorſigny, Ihre Nichte iſt frei; bei der Freundſchaft, davon Sie mir noch heute einen ſo großen Beweis geben wollten, bitte ich Sie, verwenden Sie allen Ihren Ein⸗ fluß bei Ihrer Nichte, daß ſie es übernehmen möge, Ihre Wortbrüchigkeit gegen mich gut zu machen.

Oberſt. Was? Wie? Ihr ſollt ein Paar werden Und dieſer Schelm, der Champagne, ſoll mir für alle zuſammen bezahlen.

Champagne. Gott ſoll mich verdammen, gnädiger Herr, wenn ich nicht ſelbſt zuerſt von der Ahnlichkeit be⸗ trogen wurde. Verzeihen Sie mir die kleine Spazier⸗ fahrt, die ich Sie machen ließ, es geſchah meinem Herrn zum Beſten.

Oberſt (gu beiden Paaren). Nun, ſo unterzeichnet!

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Anmerkungen

Schillers Werke. IX.

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Macbeth.

Schillers Bühnenbearbeitung iſt zuerſt in 1. u. 2. Auf⸗ lage 1801 in Tübingen erſchienen. Für die Geſamterklärung des Dramas verweiſe ich auf Karl Werder, Vorleſungen über Shakeſpeares Macbeth, Berlin 1885. Friedr. Theod. Viſcher, Shakeſpeare-Vorträge. 2. Band, Stuttgart 1900. Albert Köſter, Schiller als Dramaturg, Berlin 1891. S. 20 ff. Die Programmabhandlungen von Sandmann (Tarnowitz 1888), Schatzmann (Trautenau 1889), Beckhaus (Oſtrowo und Leipzig 1889) und Fietkau (Königsberg 1897) fördern wenig.

Vers 9—24. Dieſe von Schiller frei hinzugedichteten Verſe wollen ſich nicht einfügen in die erſte Szene, deren Weſen gerade die Kürze und der ſchrille Mißklang iſt. V. 11 ſagt ſogar etwas Falſches: Die Vorausſagung der Hexen trifft ja richtig ein, ſie iſt nicht trüglich; wäre ſie es aber, ſo würde ſolches Wort, das von vornherein jeden Zweiſel zerſtreut, übel am Platze ſein.

V. 26. Paddock iſt eine Kröte oder ein dienender Geiſt in dieſer Geſtalt; ſeine Erwähnung paßt nicht mehr zu den verwandelten Hexen.

39 ff. Schiller hat die Entſcheidungsſchlacht, die ſich bei Shakeſpeare als ein Zweikampf zwiſchen Macbeth und Mac⸗ donald darſtellt, in ein ganz modernes Treffen umgedichtet.

41. Kernen (keltiſcher Ausdruck) find leichte Fußtruppen, Galloglaſſen ſchwergepanzerte Ritter. Vgl. 2217.

42—44, Erſatzverſe Schillers für eine weggelaſſene Stelle des Originals.

50 ff. Schiller hat hier, Wieland folgend, die unmögliche Vorſtellung beibehalten, daß das zerſpaltene Haupt noch aufgepflanzt wird. Es liegt ein Überſetzungsfehler vor, oder

888 Anmerkungen

im Original dürfte from the nave to the chaps in from the nape to the chaps zu ändern ſein.

53. Die Bezeichnung „Than“ für einen angelſächſiſchen Edelmann, der unter dem Rang eines Earl ſteht (vgl. 2304), hat Schiller durchweg beibehalten.

64. Das moderne Wort „Oberſt“ wendet Schiller im Sinne von „Feldherr“ (engl. captain) an; es hat ſich aus der Sprache des „Wallenſtein“ eingeſchlichen.

67—70 frei ſtiliſiert von Schiller.

84— 89. Hier hat wieder Schiller die kühneren Tropen Shakeſpeares durch ſchlichtere Rede erſetzt.

95. Die Namensform „Sankt Kolumbus“ für die Inſel entnahm Schiller aus Eſchenburgs Überſetzung; Shakeſpeare nennt ſie Saint Colme's inch und meint die kleine Inſel im Firth of Forth, auf der ſich eine Abtei des heiligen Kolumban befindet, vgl. V. 941.

Die ganze Szene von 101—143 mit der Erzählung, die an „Johann den Seifenſieder“ erinnert, hat Schiller neu ge⸗ dichtet. Shakeſpeare hat ſtatt ihrer eine Unterredung der drei ſcheußlichen Vetteln über ihre widerwärtigen Zaubermittel.

152. Das berühmte fair is foul, das in V. 28 zuerſt ertönte und hier aufſchlußreich wieder anklingt, hat Schiller, wie nicht jeder Überſetzer, mit Recht beibehalten.

153. In Foris (Fores) befindet ſich der Palaſt des Kö⸗ nigs, wo der 7. und 8. Auftritt ſpielt.

160. Das Wort „verkürzt“ entnahm Schiller aus Wie⸗ lands Überſetzung; Shakeſpeare ſchreibt: chappy, riſſig.

Auch in V. 163 wich Schiller leiſe vom Original ab; er ließ den veränderten Hexen zwar das männiſche Anſehen, ſtattete ſie aber nicht wie im Original mit Bärten, dem Kennzeichen der Hexen nach älterer Vorſtellung, aus.

189. Zuſatz Schillers.

206. Die „tolle Wurzel“ iſt die des Bilſenkrautes (engl. henbane), das in älteren botaniſchen Werken den Namen Insana führte.

Von 210—219 hat Schiller das Original ganz frei wiedergegeben.

234 ff. widerſprechen den Verſen 81 ff. Das Verſehen

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Dann

zum Macbeth 389

iſt dadurch entſtanden, daß Schiller dem Than von Roſſe die Worte zuteilt, die bei Shakeſpeare Angus redet.

275. „gewohnen“ mit dem Genitiv oder (wie hier) mit dem Akkuſativ kommt im Sinne von „vertraut werden mit etwas“ in der Sprache des 18. Jahrhunderts noch oft vor; im 19. Jahrhundert ſchwindet es mehr und mehr, bis auf das Partizip „gewohnt“.

290 ff. ſpricht bei Shakeſpeare Malcolm. Die Verſe, die ziemlich treu dem Original entſprechen, ſollen nach der Verſicherung alter Kommentatoren den Eindruck des Todes des Grafen Eſſex wiedergeben.

Hinſichtlich der im 3., 6. und 8. Auftritt erſcheinenden Edelleute herrſcht in der Überlieferung manche Verwirrung. Unſre Ausgabe hat inſofern leiſe normierend eingegriffen, als nun durchweg Roſſe und Angus als Boten zwiſchen dem König und Macbeth hin und her wandern.

332. Der ſchwache, jetzt ungebräuchliche Plural des Wortes „Baron“ iſt Schiller aus ſeiner Jugend geläufig; vgl. die kleine Skizze „Eine großmütige Handlung“.

334 f. Die Worte Schillers geben deutlicher als das Original die Situation wieder, freilich mit dem Irrtum, als ob das Eintreffen auf Inverneß noch am ſelben Abend ſtattfinde, während bei Shakeſpeare einige Tage bis dahin vergehen, vgl. 596 f.

345. Die weitere Verherrlichung Banquos durch des Königs Mund, die bei Shakeſpeare an dieſer Stelle folgt, ließ Schiller weg.

387389. Anſcheinend nach dem Original treuer wieder⸗ gegeben als bei Schillers Vorgängern; ebenſo 425 f.

441. Das Epitheton „angenehm“ (auch 468, 592), das Schiller aus Wieland (II, 2) entnahm, gefiel ihm ſo, daß er es noch im „Tell“ als Bezeichnung für die Stauffacherin anwandte.

450 454. Dieſe Verſe, deren inhaltloſe Redſeligkeit allerdings hier für die gleisneriſche Lady bezeichnend ſind, können uns zugleich als treffendes Beiſpiel dafür dienen, wie die Benutzung mehrerer Überſetzungen nebeneinander den Wortlaut der Schillerſchen Bearbeitung aufgeſchwellt hat.

390 Anmerkungen

Shakeſpeare: We rest your hermits.

Wieland: Es bleibt uns nichts übrig, als ... Eure armen Fürbitter zu bleiben.

Eſchenburg: Es bleibt uns nichts übrig, als ... in⸗ brünſtig, wie Einſiedler, für Euch zu beten.

Schiller: Nichts bleibt uns übrig, als...

Gleich armen Klausnern, nur an Wünſchen reich, Mit brünſtigen Gebeten Euch zu dienen.

457. D. h. wir wären gern als ſein Quartiermacher ihm noch zuvorgekommen.

469 ff. Wir haben nicht gewagt, die überall beglaubigte und auch mit den landläufigen Shakeſpeare-Ausgaben über⸗ einſtimmende Interpunktion zu ändern. Beſſer würde ſie, im Einklang mit den Folios und mit der Whiteſchen Ver⸗ teidigung, ſo erſcheinen:

Wär' es auch abgetan, wenn es getan iſt, Dann wär' es gut. Es würde raſch getan, Wenn uns u. ſ. w.

534. Der Schwur, deſſen die Lady gedenkt, hat nur Platz zwiſchen den beiden Unterredungen der Gatten. Das hat Schiller durch die Zuſammenziehung der im Original getrennten Szenen verwiſcht.

535—549 find ein Zuſatz Schillers, in dem man beinahe glaubt, Wallenſtein in Unterredung mit der Gräfin Terzky zu hören.

573. Die Nebenform „Senne“ neben „Sehne“ findet ſich, beſonders bei oberdeutſchen Dichtern, noch durch das ganze 19. Jahrhundert hin.

594. Das „Wir“ umfaßt an dieſer Stelle natürlich Macbeth und die Lady. Shakeſpeare hat aber mit höchſter pſychologiſcher Feinheit auch noch im weiteren Verlauf dieſes Geſprächs dem Macbeth das königliche „Wir“ in den Mund gelegt, um ihn ganz im Bann ſeines Mordplans zu zeigen. Das hat Schiller leider 600 ff. getilgt.

Nach 643: „Man hört die Glocke.“ Bei dieſen Worten könnte man an den Befehl denken, den Macbeth V. 611 dem Bedienten gegeben hat. Das aber war nur ein Scheinbefehl. So unklug iſt Macbeth nicht, daß er ſich die Aufforderung

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zum Macbeth 391

zum Morde durch ein lautes Signal geben läßt. Es ſollte nach V. 643 richtiger heißen „Eine Uhr ſchlägt“ (im Original „a bell rings“, nicht „the bell“, nicht die Glocke der Lady). Die Uhr ſchlägt Zwei, das iſt das Signal, auf das ſich die Rede der Schlafwandlerin dann V. 1940 wieder bezieht.

661. Im Einklang mit den entſcheidenden Ausgaben und alſo in Schillers Sinne haben wir das Komma nach „Verſuch“ ſtehn laſſen, obwohl es Shakeſpeares Meinung widerſpricht. Die Worte „der Verſuch und nicht die Tat“ (d. h. der Verſuch, dem die Tat nicht folgt) gehören eng zu⸗ ſammen.

669 ff. Die Anordnung der Fragen und Antworten findet ſich allerdings in der Mehrzahl der Ausgaben, iſt aber ſinnlos, und drum unmöglich echt. Richtig würde die Verteilung fein (vgl. Hunter, New Illustrations of the Life, Studies and Writings of Shakespeare, 1845):

Macbeth. Sagteſt du nicht was? Tady. Wann? Jetzt?

Macbeth. Wie ich herunterkam.

Lady (abwehrend). Ach! Macbeth. Horch!

672. Die ſzeniſche Anweiſung „beſieht ſeine Hände“ iſt durch keine der Folibausgaben beglaubigt, ſondern eine rohe Interpolation Popes, die dann leider allgemein angenommen worden iſt. In Wahrheit ſieht Macbeth immer noch den toten König vor ſich und klagt: „Das iſt ein traur'ger An⸗ blick!“ Erſt 681 hebt er ſeine Mörderhände zum Himmel, erſt 720 betrachtet er ſie.

691—698. Hier hat Schiller ſeinem eignen Bühnenſtil gemäß die Vorlage wortreich erweitert.

726— 728 find freie verdeutlichende Erfindung Schillers, abweichend von Shakeſpeare.

740. Solch ein Wechſel in der Anredeform, wie hier bei dem „Kommt!“, während ſonſt die Lady ihren Gemahl mit „du“ anredet, findet ſich ſo oft bei Schiller, wie bei Shakeſpeare.

Nach 760 müßte ſtatt Roſſe eigentlich dem Original ent⸗ ſprechend Lenox auftreten, dem dann auch im 6. bis 10. Auf⸗

892 Anmerkungen

tritt die Worte Roſſes zuzuteilen wären. Dann würde die Inkongruenz aufgehoben, daß dieſer Edelmann 841 ff. aus⸗ führlichen Bericht über die Urheber des Königsmordes gibt und 928 ff. doch wieder als Nichtwiſſender ſich nach ihnen erkundigt.

741773. An Stelle des frommen Morgenliedes und des folgenden Geſpräches, das Schiller für den Pförtner frei erfindet, hat Shakeſpeare das Auftreten eines betrunkenen Türmers, eine Szene, die dem Dichter wegen ihrer Derb⸗ heit und niedren Komik von manchen Erklärern abgeſprochen worden iſt. Trotz aller Verſchiedenheit der Mittel iſt ſonſt die Abſicht und ſelbſt die Wirkung bei beiden Dichtern an⸗ nähernd gleich: die heitere Szene ſtellt ſich mit maßvoller tragiſcher Ironie lindernd, löſend zwiſchen die grauſenvollen Auftritte der Mordnacht.

790 ff. Hier weicht Schiller ſo ſehr von den früheren Überſetzern ab, daß man eine direkte Einwirkung des Ori⸗ ginaltextes vermuten muß; ähnlich 279—283, 387 f., 425 f., 894, 936 f., 976 f., 1242, 1286 f., 1318, 1366 f., 171825, 1739 bis 1743, 1749 f., 1759—61, 1800 f., 1893, 1956, 2090 ff.

809. Der Anblick des Gorgonenhauptes verwandelte jeden, der es anſah, in Stein.

820. Der Trompetenſtoß iſt gemeiniglich die Aufforde⸗ rung zur Verſammlung und Beratung; hier wird in über⸗ tragenem Sinne die Feuerglocke als dies ſchauerliche Signal bezeichnet.

854 859. Schiller hat, wohl mit Rückſicht auf das Publikum ſeiner Zeit, die weit kühneren Bilder und Tropen Shakeſpeares beſeitigt, die dieſer aber mit weiſem Bedacht nicht nur als poetiſchen Schmuck, ſondern als Ausdruck der Verſtellung Macbeths charakteriſierend anwendet.

863. Leider hat Schiller aus ſeinen Vorlagen die An⸗ gabe, daß die Ohnmacht der Lady nur vorgegeben ſei, herübergenommen. Durch dieſe Interpretation, die von Rowe (1709) herrührt, wird der ganze Charakter der Lady verändert, aus einer ihrem Unternehmen erliegenden Frau eine abſtoßende Komödiantin gemacht.

887 ff. Malcolm iſt in der Tiefe ſeines erſten Schmerzes

zum Macbeth 393

ungerecht. Er würde natürlich bei ruhiger Überlegung nicht alle Thans ohne Ausnahme der Heuchelei anklagen; aber ein Verräter muß unter ihnen ſein, das fühlt er.

Der 12. und 13. Auftritt müßten von den vorigen durch eine Pauſe getrennt fein; einige Stunden find verfloſſen; vgl. V. 932 942.

902. Der Vers forderte eine zweiſilbige Zahl. Bei Shakeſpeare hat der alte Mann das Alter, deſſen der Pſalmiſt gedenkt, threescore years and ten, d. h. ſiebenzig Jahre.

Nach 911 ſind drei Shakeſpeareſche Verſe ausgelaſſen.

939. In Scone, nahe bei Perth, wurden ſeit alters die ſchottiſchen Könige gekrönt. Von dort wurde zu Zeiten Eduards J. der Stein, auf dem der König während der Zeremonie Platz nahm, nach Weſtminſter gebracht.

941. Auf Colme⸗Kill (Kapelle oder Zelle des hl. Kolum⸗ ban), d. h. der Inſel Jona, befand ſich die Grabſtätte der ſchottiſchen Könige. Die Namensform Colmeskill entnahm Schiller bezw. Eſchenburg der Ausgabe von Johnſon und Steevens.

943. Fife iſt das Schloß Macduffs.

977. Die maskuline Form „zween“ paßt natürlich nicht zu dem Femininum „Stunde“, macht aber durch ihren Klang wahrſcheinlich, daß Schiller hier über die Überſetzun⸗ gen hinaus auf das Original (for a dark hour or twain) zurückgegangen iſt.

1005. Shakeſpeare hat dies Motiv im zweiten Aufzug von „Antonius und Kleopatra“ weiter ausgeſtaltet.

1045—53 mit großer Kunſt gegenüber dem Shakeſpeare⸗ ſchen Text verkürzt.

1065 ff. Dieſe Verſe, die Schiller treu wiedergegeben hat, ſind ſehr wichtig für die Charakteriſtik Macbeths: er iſt kein großer Böſewicht voll ſouveräner Willkür wie Richard III., ſondern leiht ſeiner Tat den Schein des Rechts und wälzt ſie zugleich von ſich ab, indem er nicht gemeine ſkrupelloſe Mörder, ſondern ein paar durch Banquo ge- kränkte Männer, offenbar ehemalige Krieger, dingt.

1090 f. Dieſe beiden Verſe fügte Schiller mit Rückſicht auf 1159 ff. ein.

394 Anmerkungen

Den 5. Auftritt hat Schiller, unter Hinweglaſſung einer kleinen Unterredung der Lady mit einem Diener, ſofort an⸗ gegliedert, um eine ſzeniſche Verwandlung zu ſparen. Es iſt dadurch viel Intimität verloren gegangen. Auch will die Zeitrechnung jetzt nicht ſtimmen, denn der 5. Auftritt ſpielt (vgl. 1149 ff.) am Abend des Tages, an dem Banquo ſeine verhängnisvolle Reiſe angetreten.

1112. Mit den Worten „uns Platz zu machen“ iſt Schiller wie die Mehrzahl der Herausgeber und Überſetzer der gewöhnlichen Lesart to gain our place gefolgt, wührend viel tiefer in Macbeths Charakter der Wortlaut der erſten Folio⸗Ausgaben (to gain our peace, um Frieden vor uns ſelbſt zu gewinnen) führt. Vgl. meine Erörterung: Schiller als Dramaturg, S. 30 und Anm. 31.

1133 f. frei nach einer Anmerkung bei Eſchenburg.

Es iſt ein Zeichen von ſicherem Gefühl für die theatra⸗ liſche Wirkung und ihre Erforderniſſe, daß Schiller den 6. und 7. Auftritt, die von manchen für überflüſſig erklärt worden ſind, nicht geſtrichen hat. Der Zuſchauer muß die Ermordung Banquos mit erlebt haben und ſie nicht nur durch Erzählung erfahren. Anders iſt es ſpäter im 4. Aufzug mit der Nieder⸗ metzelung der Lady Macduff und ihrer Kinder, bei der für das Drama nur die Wirkung auf Maeduffs Gemüt in Frage kommt.

Die Verſe 1161—63 weichen etwas vom Original ab, weil Schiller ſich auf ſeine Interpolation 1090 f. bezieht.

1179. Eine geſchickte, freie Wiedergabe des engliſchen Wortſpiels

Banquo: It will be rain to-night.

First Murderer: Let it come down.

1192. Das feltene Wort „aufwartſam“ ſtammt aus Wielands Überſetzung.

1212. Den Indikativ des Präteritums braucht Schiller oft ſtatt des Konjunktivs des Plusquamperfektums. Vgl. beim „Paraſiten“ die Anmerkung zu 295, 20—22.

1250. Die Worte find keine Ausflucht Macbeths, ſondern in ſeinem Sinne berechtigt. Vgl. die Anmerkung zu 1065 ff.

1355. Mit dem bezeichnenden „Ich will“ dieſes Verſes,

zum Macbeth 395

das Schiller ſtehen ließ, wenn er es auch 1359 tilgte, führt Shakeſpeare die Entwicklung von Macbeths Charakter um einen entſcheidenden Schritt weiter.

Der 1. und 2. Auftritt des 4. Aufzugs gehören in um⸗ gekehrter Reihenfolge bei Shakeſpeare noch dem 3. Auf⸗ zug an.

1433—35 ſind Zuſatz Schillers, der das Auftreten Roſſes bei der Lady Macduff (Shakeſpeare IV, 2 freilich geſtrichen hat, ihn aber doch IV, 7 als Zeugen des Mordes braucht.

Den 2. Auftritt (Shakeſpeare III, 5) fand Schiller nicht bei Wieland, ſondern nur bei Eſchenburg überſetzt, benutzte deſſen Text aber nur in den Verſen 1444—51 und 1462 f.

1438. Hekate galt ſchon im Altertum als Herrſcherin der unterirdiſchen Dämonen und Patronin alles nächtlichen Zauberweſens. Sie, die Meiſterin der Hexen, muß jetzt in Aktion treten, weil Macbeth ſeit dem entſcheidenden Ent⸗ ſchluß zum Böſen (1355 ff.) den Mächten der Finſternis end⸗ gültig verfallen iſt. Bisher war er nur „ein ſchlechter Mann“ (1449), a wayward son. So wird die zweite Phaſe der Hand⸗ lung wie die erſte durch das Auftreten der Hexen eingeleitet, was bei der ſzeniſchen Anordnung Schillers noch mehr hervor⸗ tritt als im Original, wo der 4. Aufzug mit en 3. Auf⸗ tritt (1470) beginnt.

1476 f. Dieſen Refrain, an dem jeder Überſetzer aufs neue ſeine Kunſt verſucht hat, entnahm Schiller, wie den ganzen Reſt der Szene, der Eſchenburgiſchen Übertragung. Er gab alſo jeden Verſuch, dieſe brauenden Hexen mit ſeinen feierlichen, eumenidenartigen Schickſalsſchweſtern in Einklang zu bringen, auf.

Nach 1507 folgen bei Shakeſpeare noch einige Verſe der Hekate.

1539. Das bewaffnete Haupt bedeutet Macbeth ſelbſt, deſſen Kopf ſpäter Macduff vom Rumpfe ſchlägt und vor Malcolm niederlegt. Es iſt der einzige Warner in dieſer Zauberſzene.

1550. Das blutige Kind fymbolifiert Macduff, den vor der Zeit Geborenen.

1562. Das gekrönte Kind bezeichnet Malcolm, der den

396 Anmerkungen

Befehl geben wird, die Zweige im Birnamwalde abzu⸗ ſchlagen.

1586. Die erſten geheimnisvollen Erſcheinungen, die Macbeth ausdeuten kann und die ihn daher in Sicherheit wiegen, haben die Hexen gern zugelaſſen. Hier dagegen warnen ſie, weil auf die Frage, ob Banquos Stamm einſt herrſchen werde, nur eine deutliche, den König ſchreckende Antwort folgen kann.

1595 ff. Von Banquo leiten die Stuarts ihr Geſchlecht her; ſie erſcheinen, wohlweislich mit Ausnahme der Maria Stuart, vollzählig, während in dem Spiegel des Letzten noch eine ferne Nachkommenſchaft zu erblicken iſt. Die ſzeniſche Angabe vor 1595, daß Banquo den Zauberſpiegel trägt, ſtammt aus den Folio⸗Ausgaben, widerſpricht aber den Verſen 1605 ff., nach denen Banquo erſt auf den ſpiegeltragenden achten König folgt.

1601. Ein Überſetzungsfehler, der aus Mißverſtändnis des engliſchen Start, eyes! zu erklären iſt.

1607 f. Eine Huldigung für Jakob J., der die zwei Inſeln bezw. die drei Königreiche vereinte.

Zwiſchen dem 5. und 6. Auftritt hat Schiller die grauen⸗ erregende Szene der Ermordung der Lady Macduff und ihrer Kinder weggelaſſen. Vgl. die Anmerkung zum 6. und 7. Auf⸗ tritt des 3. Aufzugs.

An dem auffallend breiten 6. Auftritt des 4. Aufzuges, der dem Stil Schillers mehr entgegenkommt und in dem er ſich daher freier als ſonſt bewegt, kann man durch die ver⸗ ſchiedenen Phaſen der Überlieferung hin ſehr gut ſeine Arbeitsweiſe verfolgen. Das ehemalige Stuttgarter, jetzt Marbacher Macbeth-Manuſkript zeigt noch einen engen An⸗ ſchluß des Dichters an die älteren Überſetzungen, die ihm vorlagen. Bei der Schlußredaktion für den Druck hat er dann viele Stellen, zum Teil unter Zuhilfenahme des Ori⸗ ginals, nach Rückſichten der Verskunſt, der Deutlichkeit u. ſ. w. freier geſtaltet, dabei aber offenbar (vgl. 1682) auch den Wielandſchen Text noch einmal zu Rate gezogen.

1733 35. Ganz frei von Schiller eingefügt.

1776. Die engliſche Wendung She died every day she

gum Macbeth 397

lived ijt 1. Kor. 15, 31: I die daily nachgebildet; auch in Luthers Überſetzung: „ich ſterbe täglich“.

Nach 1808 hat Schiller eine Szene weggelaſſen, die nur bei engliſchen Hörern Widerhall finden konnte: ein Arzt tritt auf und berichtet von der Wundergabe Eduards des Be⸗ kenners und andrer engliſcher Könige, durch bloßes Hand⸗ auflegen die Skrofuloſe, the king's evil, zu heilen.

1836 f. Hier liegt ein folgenſchwerer Überſetzungsfehler vor. Bei Shakeſpeare heißt es: there ran a rumour of many worthy fellows that were out. Das bedeutet nicht, daß viele brave Leute ermordet worden waren, ſondern daß viele treffliche Burſche (gegen Macbeth) im Felde ſtanden. Und darauf bezieht ſich ſpäter (1905 f.) der Kriegszug des Königs.

1864 ff. Es wird wohl jedem Leſer auffallen, wie die Art, mit der Maeduff die Schreckensbotſchaft aufnimmt, das erſte Erſtarren, das nochmalige Herausfragen des Unfaß⸗ baren, das Bedürfnis nach wortreicher Klage und endlich der Entſchluß zur Tat, auf die Szene im „Tell“ gewirkt hat, in der Melchtal die Blendung ſeines Vaters erfährt.

1872. Die Worte „Er hat keine Kinder“ ſind nicht, wie oft behauptet worden, eine Ablehnung des Zuſpruchs Mal⸗ colms, weil dieſer ein kinderloſer Jüngling ſei, ſondern ſie beziehen ſich auf Macbeth. Wenn ihm einige alte Chroniſten. einen Sohn namens Lulah zuſchreiben, ſo iſt das ganz gleich⸗ gültig; in Shakeſpeares Drama hat er keine Kinder. Und wenn die Lady V. 530 ſagt, ſie habe Kinder aufgeſäugt, ſo ſind dieſe entweder tot oder ſtammten aus einer früheren Ehe der Frau.

1905 f. Vgl. die Anmerkung zu 1836 f.

1908. Das Kabinett iſt hier, nach dem Sprachgebrauch des 18. Jahrhunderts, ein Schrank zum Aufbewahren von Kleinigkeiten, hinter deſſen Haupttür ſich eine Menge von Schiebladen und Geheimfächern befand.

1940. Die Lady zählt die Schläge der Uhr. Vgl. die Anmerkung zu der ſzeniſchen Bemerkung nach 643. In den folgenden Verſen erlebt ſie alle Ereigniſſe des Dramas noch einmal: 1946 bezieht ſich auf den Tod der Lady Macduff, 1940 ff., 1947 f., 1954 ff., 1965 f., 1969 f. auf die Ermordung

398 Anmerkungen

Duncans, 1949 f. und 1967 f. auf die Erſcheinung von Banquos Geiſt beim Bankett.

1942. Die ältere Form „ruchtbar“, die Schiller und auch Goethe noch ganz geläufig iſt, iſt etymologiſch richtiger als die jüngere Form „ruchbar“, da das Wort aus dem Subſtantiv „Ruchte“ und dem Suffix „bar“ zuſammen⸗ gewachſen iſt; vgl. „Gerücht“.

2003 ff. Im 5. Aufzug mußte Schiller den allzu häufigen Szenenwechſel des Originals vermeiden. Er fügte drum in den 2. Auftritt die V. 2003—11 als freien Zuſatz ein und konnte nun Shakeſpeares 4. Szene gleich als 3. Auftritt (2012 ff.) anſchließen, wobei wieder die V. 2014—28 unter Anlehnung an Shakeſpeares 3. Szene hinzugedichtet ſind. Erſt mit V. 2050 kehrt Schiller zu Shakeſpeares 4. Auftritt zurück. Alle Szenen des 5. Aufzugs ſpielen auf Dunſinan oder am Birnamwald in der Nähe von Perth.

Mit V. 2029 lenkt Schiller wieder in Shakeſpeares 3. Szene ein, die bis 2131 reicht, und an die er von 2132 an ſofort die 5. anſchließt.

2059 f. Es iſt an die von Macbeth abgefallenen Thans zu denken; vgl. 2004 ff., 2115 f., 2135.

2103. Durch das eine Zuſatzwort „liebe“, wie 2147 durch die Anweiſung „nach einem langen Stillſchweigen“, hat Schiller die Situation zwar in Einklang mit ſeiner eigenen Auffaſſung von Macbeths Charakter gebracht, ſonſt aber ganz verſchoben. Das iſt eben bei Shakeſpeare das Ergreifende, daß dieſe beiden Gatten, die früher ſo tief eines in des andern Seele leſen konnten, einander ſchließlich ganz entfremdet ſind, jedes nur verſenkt in das eigene Leid.

2106 ff. In dieſen erſchütternden Fragen, die Macbeth ebenſo für ſich ſelbſt wie für die Lady ſtellt, hat Schiller ſich vom Wortlaut des engliſchen Textes freigemacht; ebenſo in den V. 211822.

2156. Die alte Nominativform „Schatte“ iſt am Ende des 18. Jahrhunderts im Ausſterben. Bei Schiller hat ſie ſich neben mancher andern guten älteren Wortform, z. B. 2165 dem nicht umgelauteten Präteritum „dauchte“ (mhd. dühte), noch erhalten.

zur Turandot 399

2199 ff. Das Bild iſt von dem zu Shakeſpeares Zeit beliebten Schauſpiel entnommen, daß eine Anzahl Hunde auf einen angebundenen Bären gehetzt wurde, der dabei verwundet, aber nicht getötet werden ſollte. Auch Macbeth iſt ja nach der Prophezeiung des blutigen Kindes nicht zu töten, es ſei denn von dem, den kein Weib geboren. Es ſind daher die Worte „ich muß mein Leben verteidigen“, die ſich im Original nicht finden, ein verfehlter Zuſatz Schillers.

2217. Vgl. V. 41.

2230. Wahrſcheinlich wird die Anſpielung auf Cato gehen; doch iſt auch an Brutus zu denken.

2291. Shakeſpeare ſchreibt vor, daß Maeduff mit Mac⸗ beths abgeſchlagenem Haupt erſcheine. Vgl. die Anmerkung zu 1539.

Turandot.

Die Bearbeitung der Gozziſchen „Turandot“ von Schiller erſchien im Jahre 1802 bei Cotta in Tübingen und erlebte zu des Dichters Lebzeiten keine zweite Auflage. Doch hat für die Feſtſtellung des Textes das Hamburger Theater⸗ manuſkript ſich in vielen Fällen als wichtig erwieſen.

Über Gozzis Einfluß auf die deutſche Literatur vgl. Albert Köſter, Schiller als Dramaturg, Berlin 1891. S. 147 bis 234.

Zum Perſonenverzeichnis: Den Namen Altoum ſpricht Schiller dreiſilbig mit Betonung der erſten Silbe; Adelma trägt den Ton auf der zweiten, Zelima und Skirina auf der erſten Silbe.

Tartaglia, Pantalon, Truffaldin und Brigella ſind die vier Perſonen, die Gozzi der commedia dell' arte entlehnte, ohne jedoch in dieſem Drama mehr als ihre allgemeinſten Charakterzüge feſtzuhalten. Die kleinen Partien der beiden erſten hat er in der „Turandot“ ausgeführt; die beiden letzten Rollen ſind nur im Entwurf vorhanden und mußten von den Darſtellern improviſiert werden.

Tartaglia war ein fetter, ſtotternder bejahrter Herr, nicht ohne Verſchlagenheit und Luſt zur Intrige; im Palaſt

400 Anmerkungen

von Peckin iſt er der korrekte Hofbeamte, der Hort der Etikette.

Pantalone, der im venezianiſchen Dialekt ſprach (ugl. V. 549), war ſtets ein gutmütiger Greis, der ſchon etwas knickbeinig und redſelig geworden war. Er hat bei Gozzi oft die Väterrollen inne und ſpricht auch in der „Turandot“ im Ton eines ſorgenden Vormunds.

Truffaldino, der aus Bergamo ſtammt, iſt der Hans⸗ wurſt, der Vertreter der harmloſeſten Ausgelaſſenheit; für ihn konnte Schiller unmöglich die richtigen Töne finden; er hat ihn zu einem aufgeblaſenen, gravitätiſchen Emporkömm⸗ ling gemacht, der aus ſelbſtſüchtigen Gründen jede Schlechtig⸗ keit ſeiner Herrin verteidigt.

Brighella endlich, der Ferrareſe, iſt der verſchmitzte, gelegentlich ſogar ſchurkiſche Poſſenreißer; auch ihn hat Schiller ganz verwandelt, nämlich in einen würdevollen barſchen Hauptmann der Schloßwache, der ſogar moraliſche Anwandlungen hat.

1. Die Namensformen Peckin, Tefflis u. ſ. w. ſind un⸗ verändert ſo geblieben, wie ſie ſich bei Schiller finden.

6. In einer der Quellenſchriften, aus denen ſich Schiller Kenntnis chineſiſcher Verhältniſſe verſchaffte, in dem Roman „Haoh Kjöh Tſchwen“ fand er S. 152 die Angabe, daß die Schüler des Fo bei den Tartaren Lamas heißen. Deshalb legt er gerade dem Tartarenprinzen den Ausruf „Beim großen Lama“ bei.

46. malandrino, ital., Straßenräuber.

76. Den Namen Keikobad ſpricht Schiller dreiſilbig, nicht vierſilbig wie der Italiener.

76-84. Das Motiv, das dieſe Verſe enthalten, prägte ſich Schiller tief ein, und es lebte wieder auf, als er ſein Demetriusdrama mit dem Vorſpiel in Sambor eröffnen wollte (vgl. 2135 ff.).

98. Im 18. Jahrhundert iſt das Wort „Lohn“ als Neutrum noch weit verbreitet.

139. Großer Chan = Großchan (158).

201. Divan: die feierlich beratende und entſcheidende Hofverſammlung, der Staatsrat.

zur Turandot 401

260—63. In dieſen vier Verſen zeigt ſich ſchon, wie Schiller den Charakter der Prinzeſſin gewandelt hat: ſie iſt von berechtigtem Stolz (763, 1135, 1211 u. ö.), nicht von Übermut beherrſcht; ihre Eheſcheu iſt Selbſtverteidigung. Die Stelle lautet bei Gozzi⸗Werthes: „Turandot, mein Prinz, iſt ein Tigertier; allein von keinem Laſter, wie von Ehr⸗ geiz und Übermut, beſeſſen.“

268. Der „Freund“, bei Gozzi der Hofmeiſter des Prinzen.

Nach 360. Der aus Werthes übernommene Ausdruck „verſtimmte Trommeln“ ſagt dasſelbe wie nach V. 249 „ge⸗ dämpfte Trommeln“: herabgeſtimmt und dadurch dumpf erklingend.

402. Die erſten Worte Skirinas ſind ein kluger Zuſatz Schillers, den er 1293 wieder verwertet.

409. Im ganzen hat Schiller die märchenhafte Ver⸗ wirrung der religiöſen Vorſtellungen und Bräuche ſtehen laſſen, wie bei Gozzi, alſo die Götter und Parzen neben dem Teufel in der Hölle u. ſ. w. Doch hat er aus Du Haldes Ausführlicher Beſchreibung des chineſiſchen Reiches, 1756, einiges für das chineſiſche Lokalkolorit gewonnen: Tien wird öfter (590, 2454) als oberſter Gott angerufen, oder auch Fohi (Verwechſlung mit Fo; Fohi war der erſte Kaiſer von China). In dem Hamburger Theatermanuſkript, wo die ganze Hand⸗ lung in Schiras ſpielt, wird Hormuz verehrt.

Den 1. Auftritt des 2. Aufzuges hat Schiller, ohne ſich an die Skizze Gozzis zu halten, ſelbſtändig verfaßt, ſo daß alſo auch Wortſpiele wie 474 auf ſeine Rechnung gehören.

481 f. Anſpielung auf Wielands „Oberon“.

483 f. Reminiſzenzen an ein Märchen aus „Tauſend und einer Nacht“ und an die Fiaba „L'augellino belverde“ von Gozzi.

560 f. Dieſe von Schiller eingefügten Worte gehen auf eine andre Fiaba Gozzis „1 Pitocchi fortunati“ zurück.

681. Die ſagenhaften ſiebzig Männer, die auf der Inſel Pharus das Alte Teſtament ins Griechiſche überſetzt haben ſollen.

686. Gemeint iſt die bekannte Zeitſchrift, die Chriſtian Felix Weiße herausgab.

Schillers Werke. IX. 26

402 Anmerkungen

714—17. Dieſe Opfer ſtimmen nicht mit den 589 ff. ge⸗ nannten überein. Daran iſt eine ſpätere Korrektur ſchuld. Im Hamburger Manuſfkript iſt noch alles in Ordnung.

759—62. Auf den erſten entſcheidenden Eindruck, den Kalaf auf Turandot macht, legt Schiller noch mehr Gewicht als Gozzi. Vgl. 2515 ff.

780 ff. Dieſe Verſe, die das Verhalten der Turandot ganz neu motivieren, ſind Eigentum Schillers.

848 ff. Bei Gozzi iſt dies das zweite Rätſel; die erſten vier Verſe entnahm Schiller der Überſetzung von Werthes, das weitere iſt ſeine eigene freie Erweiterung. Die beiden andern Rätſel, vom Auge (886 ff.) und vom Pflug (947 ff.) hat Schiller ſelbſt erfunden, Gozzi hat ſtatt ihrer die Rätſel von der Sonne und (berechnet auf ſein Venezianer Publikum) vom adriatiſchen Löwen.

947 ff. Statt des dritten Rätſels hat das Hamburger Manuſkript, die älteſte erhaltene Faſſung des Stückes, das Rätſel vom Blitz: „Unter allen Schlangen iſt Eine ...“ (gedichtet am 1. Febr. 1802. Bd. 1, S. 280 f. u. 358 f.).

959 f. Der Schluß entſpricht nicht der Situation: Löſt Kalaf die Frage nicht, ſo iſt er dem Henker verfallen, aber darf nicht das Land verlaſſen. Oder ſollte „dieſe blühenden Staaten“ eine Umſchreibung für „dieſe ſchöne Erde“ ſein?

979 f. Die Anregung zu dem Rätſel vom Pflug konnte Schiller aus Du Halde oder andern landläufigen Berichten über China gewinnen; ebenſo (983 ff.) die Kunde von der Rauheit der Tartarei im Gegenſatz zu der Fruchtbarkeit des chineſiſchen Reiches.

1135. Mit der Formel „des Stolzes und der Liebe Streit“ hat Schiller den Kampf in der Seele der Turandot, wie er ihn auffaßte, bezeichnet; bei Gozzi⸗Werthes: „Hier kömmt ſie, meine Feindin, die Seele von Wut entzündet und von Scham, unſinnig, außer ſich.“

1206. Dieſes „koſten“ ohne Objekt (S ſchwer werden, Mühe bereiten) iſt ein Gallizismus, der in der deutſchen Sprache nur während einiger Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts nachzuweiſen iſt und dann wieder außer Gebrauch kommt.

1267 ff. Kalaf hat dieſe Mitteilung (633 f.) allerdings

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zur Turandot 403

gemacht, als die Prinzeſſin und ihre Begleiterinnen noch nicht im Divan waren.

1655 —60. Die Verſe, die Schiller einfügt, bezeichnen, nach ſeiner Darlegung von Turandots Charakter, den Wende⸗ punkt des Dramas.

1675 ff. Auch dieſe Worte der Prinzeſſin rühren von Schiller her: die Liebe hat eigentlich ſchon geſiegt; nur Adel⸗ ma, die fortan die Handlung weiterführt, ruft noch den Stolz der Herrin wach.

1679. Ankündigung des 5. Auftrittes.

Dritter Auftritt: Es iſt eine Verbeſſerung Schillers, daß die beiden Greiſe fortgeführt werden, ehe Adelma ihre Nach⸗ richten verkündet.

1758. Solch ein Aus⸗der⸗Rolle⸗fallen iſt ein beliebter Scherz des älteren Luſtſpiels, den dann die Romantik gern wieder aufnahm.

1784. „abgeſinnt“ = feindlich geſinnt.

1915. Schiller braucht, um der Rede traulichen, volks⸗ tümlichen Klang zu geben, gern die Nebenform „halter“ für das Adverb „halt“. Vgl. die Xenien „Unſer einer hat's halter gut .. .“ und „Wir Fajaken wir ſuchen ..“.

Nach 2088 folgt bei Gozzi eine nur ſkizzierte Szene, in der Truffaldin mit Hilfe einer Alraunwurzel den Prinzen dazu bringen will, die beiden Namen im Schlaf durch Bewegungen zu verraten, von denen jede einen Buchſtaben bedeutet. Natür⸗ lich konnte die ganze Beſchwörung und das Buchſtabieren irgend eines lächerlichen Namens nur improviſiert werden.

2157. Die Wendung „Er wagte ſich im Divan“ hat Schiller wörtlich aus Werthes übernommen. „Wagen“ iſt hier, wie in ſeltenen Fällen bei Klopſtock, Heinr. v. Kleiſt u. a., mit dem Akkuſativ der Perſon verbunden: er ſetzte ſich ſelbſt im Divan in Gefahr.

2243. „Das ſchwere Band“, d. h. die drückende Feſſel, iſt die richtige Lesart. Die ironiſche Wendung „das ſchwache Band“ findet ſich im Hamburger Theatermanuſkript.

2574— 79 fügte Schiller ein, vielleicht in Erinnerung an Gozzis Fiaba „La donna serpente“, in der Pantalone als Weiberfeind auftritt.

*

404 Anmerkungen

Den Schluß des Stückes macht im Hamburger Theater⸗ manuſkript hinzugefügt vom dortigen Regiſſeur eine große Huldigung mit Tänzen, genau fo wie einft Friedrich Ludwig Schröder eine ältere Bearbeitung von Gozzis „Turandot“ mit einem Ballett „Die Hochzeit des Kalafs und der Turandot“ hatte ausſtatten wollen.

Der Paraſit

Das franzöſiſche Original Picards „Médiocre et ram- pant ou le moyen de parvenir“ iſt neu herausgegeben von Alexander Bieling, Halle 1888.

239, 12. Schiller hat das erſte Zuſammentreffen der Liebenden nach Colmar ſtatt nach Straßburg verlegt; 251, 14; 264, 2.

240, 13. „Wahn“ im Sinne Schillers und überhaupt des 18. Jahrhunderts, iſt nicht unter allen Umſtänden ein Irrwahn, ſondern nur der Zuſtand des unklaren Wähnens im Gegenſatz zum Wiſſen, zur Erfahrung und deutlichen Erkenntnis.

Nach 240, 25 hat Schiller einen Alexandriner unüber⸗ ſetzt gelaſſen, wie er denn bedeutungsloſe Halb⸗ und Ganz⸗ verſe in Menge beſeitigt hat. Es lohnt nicht, ſie einzeln an⸗ zuführen; nur die wichtigeren Kürzungen werden verzeichnet.

Vor 241, 20 im Original noch eine breitere Ausführung des Gedankens, daß der einzelne ſeine Kräfte der Geſamt⸗ heit widmen müſſe.

242, 9. Hier hat Schiller elf Verſe geſtrichen, die noch⸗ mals auf die bereits erörterte Liebesgeſchichte zurückgreifen.

242, 19 f. klingt bitterer als die franzöſiſche Vorlage: D'hier au soir, je suis supprimé tout-à-fait. Ahnliche volks⸗ tümliche Verſtärkungen des Ausdrucks: 242, 23 f.; 243, 29 f.; 244, 1 f., 13 f., 26 ff.; 246, 29 ff.

243, 17 f. Mon oncle étoit alors magister de l’endroit.

244, 29 f. Picard konnte hier mit erſchöpfender Kürze ſagen: Tartuffe et patelin.

247, 33 f. allzu wörtlich nach dem Franzöſiſchen: Je ne veux pas sur moi que Dorival l’emporte,

zum Paraſiten 405

Den Schluß der Szene hat Schiller ſtark gekürzt und nach 248, 14, 16 u. 19 größere Versreihen weggelaſſen; ebenſo am Eingang des 3. Auftrittes vor 249, 13 eine nüchterne Moralrede des Miniſters.

250, 2 zu wörtlich: C'est qu'elle a dix-sept ans.

250, 9 ff. Hier weiſt der Überſetzer, abweichend vom Original (Je ne puis la-dessus rien prononcer encore: Mais tout ce que de lui j'ai vu jusqu'à présent, Annonce de l’esprit etc.), noch einmal auf Selicours bäuerliche Abkunft hin.

250, 22. Bei Picard beginnt die Szene mit einigen lächerlichen Galanterien, die der Miniſter an ſeine Tochter richtet. Schiller hat dem Staatsmann etwas mehr Würde gegeben und beiſpielsweiſe 253, 7 ſeine ungeſchickte Schwatz⸗ haftigkeit zuſammengezogen in die kurze Andeutung „Ich hab' es gut mit Ihnen vor“.

252, 5. Beſprechen iſt ſo viel wie beſtellen, beſorgen (vgl. 310, 25), wie noch jetzt in Holland der Vorverkauf von Theaterbillets an der Tageskaſſe plaatsbespreking heißt.

255, 29. Et c'est le principal: das Weſentliche, die Hauptſache.

257, 16. Daß Selicour dem Kammerdiener gar die biedre Rechte reichen will, iſt eine wohlangebrachte Er⸗ findung Schillers.

Die ganze Stelle 259, 2—15 iſt eine freie und lebhafte Erweiterung der zwei Verſe

Qu’a la franchise il méle une aimable douceur, Que n'oubliant jamais que les hommes sont fréres.

262, 1. Seltſam, daß Schiller mit dieſem „Eine kleine Geduld!“ franzöſiſcher iſt als das franzöſiſche Un moment!

262, 15 ff. Auch hier hat Schiller wie im 1. Aufzug dem La Roche derbere Ausdrucksweiſe verliehen, als Picard tut.

262, 25. II vient vous accuser.

263, 13. II faisoit le frippon.

264, 10, 18, 20. Die wiederholten Freundſchaftsbeteue⸗ rungen Selicours rühren von Schiller her.

266, 5—7. Im Original nur: Aprés l’avoir bravé, quand il étoit en place.

266, 29. Die jetzt ungebräuchliche Wendung „Er ijt

406 Anmerkungen

hitzig vor der Stirn“ iſt uns aus dem 17. Jahrhundert durch den Lexikographen Kaſpar Stieler im Sinne von „aestuat ira“, alſo „er gerät leicht und heftig in Zorn“, belegt.

270, 32—271, 3 weitläufiger als die Vorlage.

272, 4 ff. Die Rolle des Robineau hat Picard, der ſie ſelbſt ſpielte, mit einigen Brocken Patois ausgeſtattet; auch Schiller gibt der Rede in Wahl und Form der Worte vul⸗ gären Klang: 272, 13; 273, 10, 30 u. ſ. w.

272, 21. Die ganz ungewöhnliche Pluralform „Vetter“ ſoll hier bei Schiller offenbar volkstümlich ſein. Die Wörter⸗ bücher laſſen uns mit Belegen ganz im Stich; Sanders weiſt die Form nur bei Heinrich König nach.

274, 29 f. Die Klage über die Unzuverläſſigkeit der Poſt hat der Überſetzer aus Eigenem hinzugeſetzt.

277, 6—12. Freie Erweiterung des Originals.

278, 9 ff. Eine kühne Satzkonſtruktion; aus dem „Laſſen wir“ (278, 9) iſt 278, 10 ein „Laſſen Sie uns“ zu ergänzen.

279, 10 f. Zuſatz Schillers.

281, 2—4. Deutlicher als das Original:

Nécessaires tous deux, pour hater mes projets; Servons-nous-en d’abord, et nous verrons aprés.

281, 8. Gewöhnlicher wäre die Wendung „Mich mit Ihnen auszuſprechen“ (Original: Pour vous parler).

281, 23. Nach heutigem Sprachgebrauch: „Setzen Sie ſich an ſeine Stelle“; nicht etwa ein Gallizismus, denn das Original hat: Vous concevez sa peine.

281, 24. C'est un ingrat.

285, 11. Au bel esprit elle a quelque ente

286, 8. D'un enfant d' Apollon voila bien le génie,

286, 26. Die gute Verbalbildung „beabſichten“ wendet Schiller ausſchließlich an.

287, 8 f. L'on s'oublie avec vous.

288, 7 f. Immer wieder ſtattet Schiller die Rolle des La Roche mit einigen volkstümlichen, gegen Ende des Stückes auch humorvollen Wendungen aus. Der franzöſiſche Text lautet hier: Pour Dorival, de peur à ce nom il frissonne.

Durch Tilgung einiger Verſe nach 290, 8 und 19 verleiht Schiller wieder dem Miniſter mehr Haltung und mehr Schlag⸗

zum Paraſiten 407

kraft der Rede und läßt ihn anderſeits in den Schlußworten 292, 12 f. leutſeliger erſcheinen als bei Picard.

Um den Dialog zu beleben, fügt Schiller die Wechſel⸗ reden 294, 18—22 ein und löſt das eine Wort effroi in die Zeilen 295, 5—7 auf.

295, 20— 22 iſt allerdings die Konſtruktion dem Fran⸗ zöſiſchen

S'il n’étoit inquiet sur le sort de sa mere,

Il m'avoit bien promis, pour ce soir, de te faire

Une romance nachgebildet; doch ift dieſe Verknüpfung der Verbalformen Schiller auch ſonſt geläufig: vgl. Wallenſteins Tod 164 f., 840 f.

296, 16 f. C’est-la que de son coeur j'ai senti l'ex- cellence.

301, 7 f. Dieſe Worte, die bei Picard die Tochter des Miniſters ſpricht, hat Schiller ſchicklicher dem Liebhaber zugeteilt.

Nach 302, 10 und 28 hat der Überſetzer einige Verſe, in denen der Miniſter ſelbſt wieder aufs zudringlichſte ſeine Tochter rühmt, geſtrichen.

304, 3 ff. Das vierſtrophige Lied „An der Quelle ſaß der Knabe“ (vgl. Bd. 1, S. 41) hat Schiller ganz ſelbſtändig gedichtet; es hat nicht die leichte Grazie wie die drei⸗ ſtrophige franzöſiſche Troubadourromanze; auch ijt es kein eigentliches Minnelied. Doch berührt es ſich ſo weit mit dem Liede Picards, daß der folgende Dialog nicht verändert zu werden brauchte. f

309, 14 f. Verdeutlichender Zuſatz Schillers.

310, 1—13. Wie überall, fo hat Schiller auch hier die Rolle des La Roche lebhafter und etwas derber wiedergegeben. Ebenſo 313, 14—16.

317, 11 ff. Ausführlicher als im Original.

Nach 317, 33 hat Schiller einige nichtsſagende Verſe geſtrichen. Ebenſo nach 320, 22.

319, 7—9. Cet homme que ... j'ai connu, II m'a remis etc.

In der Schlußſzene, wo alles zum Ende drängt, hat

408 Anmerkungen

Schiller manche Kürzung vorgenommen, beſonders in der Stelle 323, 18—21, und die Schlußmoral zwar nicht inhalt⸗ lich, aber im Wortlaut neu geſtaltet.

Der Neffe als Onkel

Auch von dieſem Luſtſpiel iſt das Original „Encore des Ménechmes“ (1802) von Alexander Bieling neu heraus⸗ gegeben, Halle 1888.

Da „Der Neffe als Onkel“ eine annähernd treue Über⸗ ſetzung des franzöſiſchen Stückes iſt, ſo kann er des Kom⸗ mentars entbehren. Allerdings hat Schiller an vielen Stellen den Dialog um ein paar Worte erweitert und ihm dadurch etwas von der franzöſiſchen Lebhaftigkeit entzogen; ein wirklicher Zuſatz findet ſich aber nur 368, 1—12.

Im Perſonenverzeichnis müßte es am Schluß eigentlich „Zwei Lakaien“ heißen; denn der dritte iſt Jasmin. Vgl. 1. Aufzug, 10., 11. und 15. Auftritt, beſonders 345, 11 u. 28.

Gallizismen wie 331, 10 (grande affaire), 358, 29 (j'ai quelques visites à rendre) empfand man offenbar zu Schillers Zeit nicht ſo ſehr wie heute als undeutſch.

Die Wendungen 349, 14 (ihn), 373, 14 (an einem fort), 384, 10 (allem) entſprechen ganz dem ſonſtigen Gebrauch Schillers.

369, 13. Der plötzliche übergang aus dem „Sie“ ins „Du“ erklärt ſich nicht daraus, daß hier das Original vom vous zum tu, ſondern umgekehrt vom tu zum vous ablenkt, während 383, 18 das „Du“ dem franzöſiſchen tu entſpricht.

Inhalt des neunten Bandes

Überſetzungen. Erſter Teil

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Druck der Union Deutſche Verlagsgeſellſchaft in Stuttgart

UNIVERSITY OF CALIFORNIA LIBRARY Los Angeles This book is DUE on the last date stamped below.

Form L9—Series 444

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