- j 5 V 2 2 FRA 727 Pr, "2 7 x 5 . 2 5 in Kunz * „Sein Wille“ DOD ” von B. di Salerta. Zt * * - * ur * > 5 N — 1 2 * > * — 7 2 2 5 N 8 28 * „ BR, 7 8 ee — Far RR En K * * an ei, 4 SR g E e \ 21 — 6 * 8 2 * & & 7 4 ® 7 * Schauſpiel in drei Akten . * * 4. * 1 *. 2 di a a M 4 3 Wien 1909 Verlag Paul Knepler. (Wallisbauſſer'ſche k. u. k. Bofhuchhandlung) Wien, I., ober Markt 1. yes GERT rue * 3 a! | 5 2 sr 2 the university of connecticut libraries PT2 “Sein hbl, 5995254 will 4S/23/6652/ Id N « E- N 5 4 * — 9 7 N . u * u 3 Far HU Se Fe 1 1 * n 5 15 ; Ri: „ OOo Schauſpiel in drei Akten von B. di Salerta. LAN Wien 1909 Verlag Paul Rnepler (Wallishbauſſer'ſche k. u. k. Bofhuchhandlung) Wien, I., Bober Markt 1. 5 druck von Fnepler & Schleſinger, Wien, IX., Widerhoferplatz 3. —ů Perſonen: Hans von Brenken, Gutsbeſitzer und Sammler (38 Jahre). Matilde von Brenken, ſeine Frau (26 Jahre). Ida von Brenken, jeine Schweſter (56 Jahre). Dr. Guſtav Meinhardt, Primararzt in einem eleganten Luftkurort. Dr. Egon Ardegg, Advokat. Baron Falkenau. Gräfin Gyulay. Oberleutnant von Teckhof (in Zivil). Maler Weinert. Dr. Hellmann, Juriſt. = al g zwei Backfiſche. Kellner, Stubenmädchen, Diener. — Elegante Badegeſellſchaft im erſten Akt. Ort der Bandlung: J. Akt, Garten und Terraſſe des Kurhotels. — II. Akt, Wohnung auf dem Gute Brenkens. — III. Akt, (zwei Jahre ſpäter) Speiſezimmer bei Dr. Guſtav Meinhardt. N Eriter Akt. Ort der Handlung ein öſterreichiſches Seebad. Im Hintergrund ein Teil des Kurhauſes mit dem Eingange in den Speiſeſaal, der beleuchtet iſt; zur Türe führen Stufen hinauf. Rechts im Hintergrunde einige Tiſche mit Stühlen, im Vordergrunde ein kleines Tiſchchen mit drei Stühlen. Links ziemlich vorne ein Boskett nach rückwärts geſchloſſen, mit einer Ruhebank. Dasſelbe darf keinen zu intimen Eindruck machen. Der Garten iſt durch Lampions erleuchtet. Auftritte rechts, links und durch den Saal. Eine glänzende Geſellſchaft verläßt dieſen, einzelne Gruppen bilden ſich und löſen ſich wieder auf. Alles in großer Toilette. Erste Szene. (Zwei junge Backfiſche löſen ſich von der Geſellſchaft ab und kommen Arm in Arm eifrig plaudernd nach vorne. Sie ſetzen ſich auf die Bank im Boskett.) Ilſe (blond mit hängenden Zöpfen, weißem Kleidchen). Ach“ du Glückliche! Alſo weiter, weiter! Was ſagte er noch? — Lilli (brünett, etwas älter, frifiert). Ich hatte aber jo hohe Abſätze an den Schuhen und konnte in dem weichen Sand ſchwer mit ihm Schritt halten. Da ſeufzte Meinhardt und blieb ſtehen: „Wenn Sie immer ſo unvernünftig gebaute Schuhe tragen werden, wird ihr zukünftiger Mann keine Freude daran haben!“ (Stoßen ſich mit dem Ellbogen an und kichern.) „Ich habe auch Schuhe mit niederen Abſätzen, aber dann bin ich zu klein“ — dabei ſah ich zu ihm auf. „Na das macht der Liebe keinen Eintrag,“ antwortete er. Du kannt dir denken, in welcher Aufregung ich war. Ich ſah mich ſchon am Arme Dr. Meinhardts durch den Kurpark gehen und nahm mir vor, gegen alle ſehr herablaſſend zu ſein. Ilſe. Nun und wie war es dann, als ihr bei eurem Hotel anlangtet? War deine Mama zu Hauſe? — Lilli. Natürlich. Er machte doch ſeine Morgenviſite. Alſo ſtelle dir vor, was jetzt kommt. Da bleibt er plötzlich ſteh'n, ſieht mich an und ſagt: „Liebes Fräulein, ſehen Sie nichts an meinen Augen?“ — Ich ſehe ihn ganz hingeriſſen an und antworte: „Ach, Sie ſind nur gräßlich ſchön, aber ſonſt ſehe ich nichts!“ — „Das iſt merkwürdig“ ſagt er, ich fühle heute ſchon ſeit dem Erwachen ein Liederjucken und wollte Sie nur fragen, ob Sie nicht bemerken, daß ich ein Gerſtenkorn bekomme?!“ — Ilſe (enttäuſcht). Und dann! — Lilli (aufſtehend, ſeufzend). Sonſt — ſagte er nichts, aber da kommt er ja mit der ſchönen Gräfin. Raſch, vielleicht können wir etwas von ihrem Geſpräche erlauſchen (Gehen in den Hinter— grund und ſtreichen Arm in Arm um Meinhardt herum. Dr. Meinhardt mit Frau von Gyulay. (Dieſe eine ſehr ſchöne, üppige, auffallende Erſcheinung, ſehr kokett, verliebt, eiferſüchtig, Meinhardt höflich, kühl, zurückhaltend.) Meinhardt. Gnädigſte Frau, ich bin troſtlos, in Ihre Ungnade gefallen zu ſein! Ich hatte gehofft, alles zu Ihrer vollſten Zufriedenheit geordnet zu haben, bin noch heute morgens zu Teckhof gegangen, um mich wegen der Sitzordnung zu orientieren, wollte ein bißchen: corriger la fortune — nun haben Sie den flotteſten Tänzer, den glänzendſten Cauſeur als Ritter und ich ſcheine noch immer nicht ganz das Richtige getroffen zu haben! Gyulay (nervös mit dem Fächer fpielend). Ach was, er- zählen Sie mir nicht Dinge, die Sie ſelbſt nicht glauben. Pah! der Teckhof! Was geht mich der ganze Teckhof an? Sie wiſſen recht gut, daß ich mir nicht jo viel (cchnippt mit dem Finger) aus ihm mache. (Geht nervös auf und ab.) Sie ſind doch ſonſt ſo ganz beſonders klug und wiſſen gleich immer, wie einem zu Mute iſt; übrigens war es doch ſchon faſt ausgemacht, daß Sie mich führen würden! (Tritt ganz nahe an ihn heran.) Aber ich weiß ſchon, was da wieder dahinter ſteckt. Dieſe kleine Brenken, (ironiſch) dieſe ſanfte, weiße Taube, mit den unwahrſcheinlichen Kinderaugen, mit dem gezierten Gebahren einer Puppe. „Ach ja, ach nein!“ Aber ich ſage Ihnen ... Meinhardt (unterbricht ſie beſtimmt). Bitte, gnädigſte Frau, nicht, nicht! Frau von Brenken iſt hier ebenſo meine Patientin wie Sie, verehrteſte Gräfin! Dem Arzte ſind Sie allerdings ſchon entſchlüpft. Dagegen ſind Sie der Mittelpunkt der Geſellſchaft, bewundert, begehrt, umſchwärmt, was wollen Sie mehr? — Gyulay (lacht gezwungen). Wie Sie doch immer dem zu entgleiten wiſſen, was Ihnen nicht paßt. Schnell eine bittere Pille in ein paar ſüße Redensarten gehüllt und dann mag man ſehen, wie man damit fertig wird. Aber ſo kommen Sie mir nicht aus, Herr Doktor! Ich will abſolut wiſſen, wie dieſe Brenken .. Teckhof, Hellmann, Weinert (treten von links auf, begrüßen unter- brechend). Teckhof. Oh, guten Abend, ſchönſte der Frauen, guten Abend Doktor! (Allgemeine Begrüßung.) — Ich wollte mich perſönlich überzeugen, ob mein Glück wahr iſt, Gnädigſte zu Tiſch führen zu dürfen. Ich höre, daß Sie hier find... (GGeſpräch wird leiſe weitergeführt, Meinhardt und die beiden anderen Herren treten vor.) Meinhardt. Willen Sie nicht Herr Weinert, wie es dem Söhnchen des Profeſſor Meixner geht? Er ſagte mir zwar, ich brauchte heute nicht mehr hinaufzukommen, aber ich will doch für alle Fälle nachſehen und bin gleich wieder da. (Verneigt ſich vor Gräfin Gyulay, rechts ab.) Gyulay (redet den Satz lachend zu Ende und geht Dr. Meinhardt einige Schritte nach.) Ja, dann haben Sie natürlich entſchieden recht. Alſo auf Wiederſehen! Falls Sie meinem Bruder begegnen, ſagen Sie ihm, daß ich ihn ſuche. Teckhof. Wenn Sie geſtatten, Gnädigſte, helfen wir Ihnen dabei. Gyulay. Gerne, gehen wir. Weit kann er ja nicht ſein. (Teckhof und Gyulay plaudernd links ab.) Weinert. Heute morgens habe ich einen kleinen Muſchel— ſucher geſehen, den ich für mein Bild „Die Fiſcher“ ſehr gut brauchen kann. Ich habe mir den kleinen Schmierfink auf morgen beſtellt, damit ich eine Pleinair-Skizze machen kann. (Geht mit Hellmann links ab.) Frau von Brenken (25 Jahre, ſchlank, kindlich, einfach, ſehr ſchön, gar nicht kokett, weiße Soireetoilette. Baron Falkenau (grau wohl- gepflegter Fünfziger, an Erfolge gewohnt, etwas ironiſch.) Falkenau (läßt ihren Arm los, verbeugt ſich und ſeufzt auf— fallend). Brenken. Nun Baron, Sie ſind heute Abend doch nicht am Ende elegiſch geſtimmt? Falkenau. Ach, ich habe heute wie immer kein Glück — den ganzen Tag ſchon freue ich mich, Sie heute abends zu Tiſche führen zu dürfen — natürlich iſt ein anderer vor mir da und ich gehe leer aus. Geſtern nahm ich mir die Freiheit, Ihnen Ihre Lieblingsblumen, dunkelrote Roſen in die Loge zu legen, es waren aber ſchon welche da! Für das. morgige Rennen wollte ich Ihnen den beſten Platz reſervieren laſſen, und muß hören: Frau von Brenken reiſt ab! Ich bin ein Pechvogel und komme immer zu ſpät! Breuken (freundlich und verbindlich). Sie ſind wirklich zu liebenswürdig, Baron. Alle hier verwöhnen mich ſo ſehr, daß ich von meiner Einſamkeit gar nichts merke. Meine Schwägerin iſt zu beſcheiden und zu ſehr an die Ruhe des Landes ge— wöhnt, als daß ſie ſich an den Vergnügungen eines Kurortes beteiligen würde. So bin ich eigentlich ganz allein! — Erſt geſtern habe ich meinem Manne geſchrieben, wie freundlich hier alle zu mir ſind und daß ich die Scheu gänzlich verloren habe, ohne Gatten Geſellſchaften zu beſuchen. Falkenau. Es wäre unverzeihlich, wenn Ihr Gemahl Sie neidiſch der Geſellſchaft entziehen wollte — während er ſelbſt monatelang auf Studienreiſen durch die Welt fliegt. Du lieber Gott! Ich kenne ſolche Studienreiſen in Paris, London, Rom . . er wird ſchon auf ſeine Koſten kommen. An feiner Stelle würde ich eine junge, ſchöne Frau nicht allein laſſen, es iſt zu gefährlich! Brenken. Sie irren ſich, Baron! Mein Gatte iſt ein viel zu ernſter Menſch, mit tiefem Gemüt. Er pflegt ſeine Studien nicht des Scheines halber, die Arbeit iſt ſeine größte Freude, ſie bildet ſeinen Lebensinhalt, alles andere iſt Bei— werk, das er entbehren kann. (Lächelnd). Ich glaube faſt, daß er ſelbſt mich entbehren könnte. Sein Vertrauen in mich hat er indeſſen noch nie bereut. Falkenau. Ja, leider! Wollen Gnädigſte mir geſtatten, daß ich Ihnen meine Schweſter vorſtelle? Sie ſchwärmt ſchon lange von Ihnen und würde Sie ſehr gerne kennen lernen. Breuken. Gewiß! Gräfin Gyulay iſt eine berückende Erſcheinung. Neulich habe ich unbemerkt ihren herrlichen Geſang belauſcht .. fie hat eine ſelten ſchöne Stimme! 10 (Gräfin Gyulay kommt mit drei Herren von rechts.) Gyulay (zu Falkenau). Ah, da iſt ja mein lang vermißter Bruder . .. Wir ſuchten dich ſoeben auf der Terraſſe. — Bitte, mache mich bekannt! (Die drei Herren nach ſtummer Verbeugung zum zweiten Tiſch rechts, wo ſie ſich niederſetzen.) Falkenau (voritellend). Frau von Brenken ... meine Schweſter, Gräfin Gyulay — nach Ihnen — meine Gnädigſte, die ſchönſte Frau Europas, die ſämtlichen Männern die Köpfe verdreht und keinem ihr Herz ſchenkt. Gynlay. Ja, Köpfe, in denen nichts drinn ſteckt, ſind leichter zu verdrehen, als ſolche, die mit ernſten, tiefen Augen in die Welt ſchauen .. . (Meinhardt tritt rechts auf, bleibt beim Tiſche ſtehen. Gyulay mit einem heißen Blick auf ihn) und das Herz würde man ſchließlich gerne verſchenken, wenn's der Richtige begehrte! Brenken. Wollen wir nicht in den Speiſeſaal eintreten, es iſt hier ſchon faſt leer. Gynlay. Gehen wir! Das Konzert kann jeden Augen— blick beginnen. Meinhardt. (Tritt zu Frau v. Brenken.) Frau v. Brenken, geſtatten Sie, daß ich Gräfin Gyulay an ihren Platz führe und dann meine Pflichten als Tiſchnachbar übernehme. Brenken (nickt). Auf Wiederſeh'n, Herr Doktor. (Gyulay mit Meinhardt ab.) Zweite Szene. Falkenau (zu Brenken). Ein ganz außerordentlicher Menſch, dieſer Doktor, von faſzinierender Art; ich fürchte nur, er hat als Mann ebenſoviel Macht über die Frauen wie als Arzt, . . . hüten Sie ſich kleine Frau! (Ab.) 1 (Die drei jungen Leute, die früher ſchon im eifrigen Geſpräche waren, weiter redend.) Teckhof. Nein, nein, da könnt Ihr ſagen, was Ihr wollt, ſie iſt nur geiſtig beſchränkt, einfach beſchränkt! Ich ſitze geſtern den ganzen Abend unter ihrer Loge, ſehe ſo lange hinauf, bis ich faſt Genickſtarre bekomme — was glaubt Ihr? Ein einziges Mal blickt ſie herunter, dankt flüchtig für meinen Gruß und den ganzen übrigen Abend bin ich Luft für fie... einfach Luft! Das iſt bei meiner Erſcheinung — ich bin ſonſt gar nicht eingebildet — direkt lächerlich, nicht? Einfach lächerlich! Weinert. Teckhof hat recht, oder — ſie iſt raffiniert kokett. Ich bitte euch, lehrt mich die Weiber kennen! Mich! Wenn mein Atelier erzählen könnte, das gäbe eine nette Sammlung von „Studien“. A propos, habe ich euch erzählt, daß ich ſie bat, mir für eine Studie zu ſitzen? Nicht? Na alſo, ich denke, ſie wird einfach entzückt ſein, ſchließlich reizt es jede Frau, ein Künſtleratelier kennen zu lernen und wäre ſie ein— mal drinnen geweſen, hätte ich ihr ſchon eingeheizt! Auf's Stimmung machen verſtehe ich mich! . . . Was glaubt Ihr, antwortete ſie mir? „Gerne, Herr Weinert, wenn Sie mein Profil brauchen können, aber dann müſſen Sie ſich ſchon auf unſer Gut bemühen. Mein Mann, der nächſter Tage zurück— kommt, wird ſich gewiß freuen, Sie dort begrüßen zu können. Ohne die Einwilligung meines Mannes tue ich es nicht!“ Tableau! Ich werde mich hüten, dieſen Federfuchſer darum zu bitten! Teckhof. Ja, ja, da haben Sie recht, mein Lieber, ſoll übrigens Offizier a. D. ſein! Das iſt noch das einzig ſympathiſche an ihm. Hellmann. Ja, jetzt aber bewirtſchaftet er ſelbſt ſein Gut, ſogar ſehr gut, ſchreibt dazu die langweiligſten Bücher 12 über Kunſt und Literatur, das koſtet ihm ein Heidengeld, kein vernünftiger Menſch lieſt fie. Dabei tut er das Dümmſte, was man machen kann, er läßt ſeine junge, bildhübſche Frau monatelang allein mit ſeiner alten Schweſter, die ihrer Schwägerin jeden Wunſch von den Augen ablieſt! Wo da eine Vernunft ſteckt, findet der Klügſte nicht heraus. Ich ſag' euch nur ſoviel: „Bis jetzt iſt dieſe kleine Brenken eine tadel— loſe Frau mit unberührter Kinderſeele, Sie müßte aber kein Weib ſein und ... Dr. Meinhardt nicht der geiſtvolle, an Erfolge gewöhnte Mann, wenn da nicht über kurz oder lang ein Roman daraus werden ſollte!“ Teckhof, Weinert (zugleich). Was, wer? Weinert. Unſer Primararzt, Dr. Meinhardt! An den hätten wir wahrhaftig nicht gedacht! Hellmann. An das Nächſtliegende denkt man gewöhnlich zuletzt, aber ich muß Ihnen geſtehen, dieſe Frau hat mich gleich bei der erſten table d’höte intereſſiert. Anfangs hatte ich öfters Gelegenheit, ihr Tiſchnachbar zu ſein. Sie iſt nur zurückhaltend und etwas ſcheu, aber ſie beſitzt viel Intelligenz, iſt ſehr beleſen und beherbergt meines Erachtens in ihrem ſtillen Köpfchen ein gutes Stück Mädchenromantik — das iſt glaube ich auch die Urſache, weshalb ſie ſich in ihrer Ehe gar nicht vernachläſſigt oder gar unglücklich fühlt. Sie iſt mehr be— hütetes Mädchen als Gattin und wartet gewiß im ſtillen auf den Ritter, der ſie eines ſchönen Tages wie ein Held erobern wird. Seit Jahren beſchäftige ich mich mit Phrenologie; an ihrem Köpfchen habe ich vieles gefunden, das meine Vermutungen beſtätigt. Sie wird ſich ſicherlich niemals aus Leichtſinn einem anderen Manne hingeben, dagegen für eine tiefe Liebe ſelbſt ſchwere Leiden auf ſich nehmen. Ihr ſeht, ich habe dieſe Frau ſtudiert, weil ſolche Charaktere ſelten ſind und gerade des— halb wie eine Wunderblume wirken. Das erklärt auch ihre 13 Erfolge bei uns Männern, trotzdem ſie in Geſellſchaft oft mehr als ſtill iſt. So wie uns, iſt ſie natürlich in erhöhtem Maße Dr. Meinhardt aufgefallen, der Pſychiater iſt und als leitender Arzt mit ihr hier täglich verkehrte. Sie ſoll an heftigem, nervöſem Kopfſchmerz gelitten haben, den er durch ſeine inter— eſſante Suggeſtionsmethode wie weggeblaſen hat. Seit zwei Monaten ſehen fie ſich täglich und es iſt mehr als begreiflich, wenn ſie den Mann, der ſie durch die Kraft ſeines Willens heilte, bewundert! — — Wieviel fehlt da noch zu einer Neigung? Teckhof. Teufel, wenn dieſer Arzt das wirklich fertig brächte! .. . Ich hätte wahrlich keine Mühe geſcheut, in dieſen träumeriſchen Augen eine heiße Leidenſchaft zu wecken. Weinert. Da halten Sie ſich lieber an Gräfin Gyulay! Das iſt eine Juno, ein Raſſeweib. Übrigens ganz in Mein- hardt verſchoſſen, macht die tollſten Anſtrengungen, ihn zu erobern; ſie iſt jung, ſchön, Witwe und — last not least — ſehr reich — es wäre kein ſchlechter Fang — aber ſie iſt wie verſeſſen auf den Doktor .. . gerade das, was ſie nicht haben können, verlangen die Weiber wie die kleinen Kinder, die auch immer den Mond haben wollen. Hellmann. Wenn ich ſo recht darüber nachdenke, be— greife ich eigentlich gar nicht, warum Ihr von der kleinen renken ſo viel Aufhebens macht. Sie iſt meiner höchſt unmaß— geblichen Meinung nach eine Frau, die nicht die Freude wie einen glänzenden Stein aufhebt, um ihn, wenn ſie ſeiner überdrüſſig geworden iſt, wegzuwerfen und dann nach einem anderen zu ſuchen. Sie iſt keine Frau, die jubelnd Liebes— ſtunden genießt; an ihre Ferſe iſt die Tragik geheftet, wenn ſie überhaupt einen anderen Mann lieben ſollte, wird das Unglück ſeine Schatten darüber halten; davon bin ich überzeugt. 14 Weinert. Ja, möglich, aber vielleicht reizt uns gerade das! Wir fühlen, daß wir hier kein leichtes Spiel haben, die Gefahr macht die Sache intereſſant. Teckhof. Schließlich iſt ſie auch nur ein Weib; es käme nur darauf an, ihre ſchwache Stunde abzuwarten. Hellmann. Sie irren Herr v. Teckhof. Ich möchte die Frauen in 3 Kategorien einteilen: ſolche die überhaupt nicht anſtändig find — als Mädchen Nixchen, als Frauen Hexchen — ſolche, die es bedingt ſind und ſolche, die in ihrem Leben unmöglich untreu ſein können. Zu letzteren — die aller— dings vereinzelt daſtehen, zähle ich die Brenken. Und ſtellt ihr doch einmal das Schickſal einen Mann in den Weg, dem ihre Seele zufliegt, dann wird ſie ihm keine lächelnde Ge— liebte werden, ſondern ſchwer an ihrem Schickſale tragen. Ich halte in dieſem Falle einen erſchütternden Ausgang nicht für unmöglich. Teckhof. Tja ... Hellmann hat recht, es iſt beſſer, wir ſehen uns um andere Blumen um, die in dieſem Garten blühen und ertränken einſtweilen unſeren Schmerz in einer tüchtigen Sektbowle. Weinert. Sehr richtig und voller Logik! Kellner, he Jean! (Die Herren wenden ſich nach links, vor dem Haufe abzugehen, Kellner kommt.) Teckhof. Bringen Sie uns in das Rauchzimmer einige Flaſchen Heidſick, gut frappiert und möglichſt raſch. Kellner. Sehr wohl! (Ab.) (Hinter dem Kellner geht gleich Teckhof ab, dann Weinert und Hellmann.) Hellmann. Haben Sie übrigens gehört, daß die Baroneſſe v. Seegerndorf mit dem Pferde geſtürzt iſt und ... Dritte Szene. Meinhardt (am Arm Frau v. Brencken, fie lächelt wie verträumt vor ſich hin. Piccolo kommt mit Sektflaſchen aus dem Saale, links ab.) 15 Meinhardt (zum Piccolo). Wenn jemand nach mir frägt, bin ich im Garten. Ich hoffe, gnädige Frau, Sie ſind mir nicht allzu böſe darüber, daß ich Sie dem heißen Speiſe— ſaale entführt habe und Ihnen auch das Feuerwerk auf der Terraſſe vorenthalte? Aber Sie fahren morgen auf Ihr ſtilles Gut zurück und wir können uns heute für lange Zeit zum letzten Male ungeſtört ſprechen. Morgen, beim Abſchiede wenn alles von Ihnen noch einen Blick, einen Händedruck, ein Wort erbetteln wird, ſind Sie für mich verloren. Brenken. Oh, Sie haben doch gewiß das meiſte An— recht auf meine Dankbarkeit. (Der Dialog wird halblaut geführt, Dr. Meinhardt ſieht ſich öfters vor— ſichtig um, ob er nicht überraſcht wird.) Meinhardt. Weil ich Ihr Arzt war oder, als Menſch als Freund? Brenken. Nur als ſolcher! (Sie gehen auf das Boskett zu, wo ſie ſich niederſetzt, er bleibt vor ihr ſtehen, ſie ſehen ſich ſchweigend in die Augen.) Meinhardt. Wie rührend lieblich Sie wieder ausſehen! Brenken (macht eine abwehrende Handbewegung). Meinhardt. Darf ich das nicht ausſprechen, was Ihnen alle Welt bei jeder Gelegenheit ſagt? Sie wiſſen recht gut, daß nicht Ihr Außeres in erſter Linie auf mich wirkt, ich habe in dieſer ſchönen Form eine tiefe Seele gefühlt, die noch von dem Zauberſchleier der Reinheit umhüllt iſt. Es iſt doch begreiflich, daß ich als Pſychologe beſonders davon ange— zogen wurde, immer mehr und mehr Intereſſe empfand, dieſen Schatz zu heben. Dazu kommt noch Ihre Senſibilität, die es mir leicht macht, Ihre Gedanken, ja ſogar Ihre Handlungen meinem Willen unterzuordnen. Erinnern Sie ſich, wie Sie vor einer Woche ohne jede Veraulaſſung im Walde einen Spaziergang machten, den Sie nie vorher allein gehen wollten? 16 Ein andermal luden Sie eine Dame zu ſich, ohne zu wiſſen, warum Sie es taten; dann wieder ſandten Sie mir ein Buch, an das ich gedacht hatte. Da empfand ich eine heiße Freude, daß es mir gelungen war, ſelbſt aus der Ferne auf Sie zu wirken; Sie haben ſich ſchon öfters meinem Willen gefügt, ohne es zu wollen. Brenken (gezwungen lachend). Warum experimentieren Sie mit mir? Meinhardt. Nennen Sie es nicht experimentieren! Aber ich war überzeugt, daß Sie zu hypnotiſchen Verſuchen geeignet ſind wie ſelten jemand und ich hatte recht behalten. Es war nur die Schlußkette einer ganzen Reihe von Vermutungen über Ihren Seelenzuſtand. (Sehr eindringlich warm). Jetzt gehen Sie ja auf lange fort von mir und mein Einfluß auf Ihre Gedanken wird durch die Entfernung und die Zeit allmählich ſchwinden — Sie werden mich bald vergeſſen haben — ich werde einſam meines Weges ziehen, Ihr Bild als Heiligtum in meinem Herzen! Brenken (ſehr ernſt). Auch ich werde nicht aufhören, an Sie zu denken, an den reizvollen Aufenthalt hier, an das blaue, rauſchende Meer, die ſonnigen Tage, an denen ich ſo froh, ſo glücklich war. (Pauſe — lehnt ſich zurück, ſchließt die Augen.) Das wird in meiner Einſamkeit ein unerſchöpflicher Born der Erinnerung ſein. (Man hört leiſe gedämpft Tanzmuſik aus dem Saal.) Meinhardt. Gnädige Frau! Frau Matilde! Reichen Sie mir Ihre lieben Hände und laſſen Sie mich einmal tief, tief in Ihre großen Kinderaugen blicken. Brenken ſſteht auf und reicht ihm beide Hände, verzückt zu ihm aufblickend). Meinhardt. Vergeſſen Sie mich Richt ! 17 Brenken. Niemals. (Sie ſehen ſich lange ernſt in die Augen, endlich nähern ſie ſich langſam, er ſchließt ſie in ſeine Arme und küßt ſie lange auf den Mund, was ſie mit geſchloſſenen Augen geſchehen läßt.) Leben Sie wohl! | Meinhardt. Leben Sie wohl! .. . Nein! Nicht „Leben Sie wohl,“ auf Wiederſehen, ich komme und hole dich! Matilde, mein Herz, mein Glück, höre mich, erſchrecke nicht, aber ich kann nicht anders, denn ich liebe dich! (Setzt ſich neben ſie und ſpricht erregt weiter) Ich konnte es dir nicht mehr verheimlichen. Du haſt in ungeahnt kurzer Zeit mein ganzes Herz, mein ganzes Denken gefangen genommen, ich lebe nur mehr in dir und durch dich! ... Wie eine ſtürmiſche Jünglingsliebe iſt es über mich gekommen! Aber nun ſage mir, ob auch ich dir etwas bin, ob du den Mut haſt, Feſſeln zu löſen, die ohnedies nur aus Pflicht und Rechtlichkeit be— tehen können, denn du liebſt mich doch? Brenken (ſieht ihn ſtrahlend an und ſagt vollkommen überzeugt.) Unausſprechlich! Meinhardt (tüßt ſtürmiſch ihre Hände). Dann iſt alles, alles gut! Wie wollen wir uns lieben! Auf den Händen werde ich mein Liebchen tragen, wie ein König ſtolz und glücklich ſein. Aber jetzt iſt jede Minute koſtbar, darum müſſen wir nun einen Plan machen! Du ſprichſt mit deinem Mann und erklärſt ihm alles, er wird und muß dich freigeben ... Ja, wird er dich freigeben? Matilde, ſag', glaubſt du, daß er dich ſo ohne weiteres ziehen laſſen wird? Brenken. Aber ich will doch fort und er wird mir ſicherlich die Freiheit geben, denn er ſteht geiſtig ſehr hoch und trägt in ſeiner verſchloſſenen Bruſt ein edles Herz. (Sinnend) Ich glaube einen leichtſinnigen Fehltritt könnte er nie vergeben 2 18 — eine große Liebe aber verſtehen und verzeihen! Sicherlich wäre er zu ſtolz, eine Liebe für ſich in Anſpruch zu nehmen, die ihm nicht mehr gehört. Meinhardt. Nach allem, was du mir von deinem Manne erzählt haſt, muß er eine ſehr vornehme Natur ſein. Ich habe ja kein eigenes Urteil über ihn, weil ich ihn kaum kenne. Brenken. Er wird mich wohl ſchwer vermiſſen, denn er Hebt mich za fehr nach ſener Ark Meinhardt (umarmt ſie heiß). Ja, aber nicht ſo wie ich, mit meiner ganzen Kraft, meiner ganzen Seele. Er liebt zu— erſt ſeine Kunſtſammlungen, feine Bücher, ſein Gut ... und dann erſt dich . . . ich aber liebe nur dich, dein Herz, dein Gemüt, dieſen Schatz von Frauentugenden, die deine Seele zuſammenſetzen und mich immer wieder von neuem entzücken. Wie glücklich werden wir ſein, wie wollen wir unſer Zu— ſammenſein genießen. Wir müſſen eins werden, ineinander aufgehen, uns zu einem harmoniſch geſchloſſenen Ganzen ver— ſchmelzen! Brenken (überzeugt). Ja, wir werden unſäglich glücklich ſein! (Man hört Applaus hinter der Szene.) Meinhardt (läßt fie los und weicht einige Schritte zurück. Ich glaube, man kommt ſchon. Wenn es dir recht iſt, beſtelle ich deinen Wagen, ich möchte nicht, daß du noch heute mit dieſen Augen, die mir eine ſolche Zukunft verheißen haben, andere Leute anſiehſt . . . nicht wahr, Liebling? Brenken. Wie du willſt, Geliebter! Was bedeutet mir die Welt, wenn ich dich habe. — — — Alles, alles um mich her iſt verſunken, für mich gibt es nur ein Glück ... und das biſt du! Meinhardt. Und nun nehme ich dieſe Roſe aus deinem Haare und ſtecke ſie an mein Herz. (Sie hilft lachend, man hört Stimmen, ein Kellner kommt die Stufen herunter ſucht Dr. Meinhardt.) 19 Meinhardt (reicht Frau von Brenken den Arm und führt fie hinaus). Jean, benachrichtigen Sie Fräulein von Brenken, daß die gnädige Frau müde iſt und ſie im Wagen erwartet, aber raſch! Kellner. Sehr wohl, Herr Primarius, ich werde auch gleich die Garderobe beſorgen. Herr Primarius! Es iſt mit dem 11 Uhr Schnellzug ein Herr angekommen, der Sie ſucht, ein Dr. Ardegg. Meinhardt. Gut, benachrichtigen Sie ihn, daß ich ihn hier erwarte. (Kellner entfernt ſich. — Zu Brenken.) Ah, das iſt ein glücklicher Zufall, ein guter, eigentlich mein beſter Freund. Er kommt gewiß nicht zu mir, dem Arzt, ſondern zu dem Kameraden. Unſere Intimität reicht in die Studentenzeit zurück. Wenn du es mir geſtatteſt, mein Herz, möchte ich gerne meinen Freund in unſer Glück einweihen. Brenken (etwas erjchredt). Oh .. . es iſt alles noch fo wenig klar, wollteſt du nicht lieber etwas warten? Meinhardt. Im Gegenteile, gerade ihn brauchen wir dringend, denn er iſt Advokat, und daß er uns nur in treueſter, ſelbſtloſeſter Weiſe in Rat und Tat zur Seite ſtehen wird, deſſen kannſt du ſicher ſein. Brenken (zögernd). Ja wenn du glaubſt . . . ich über- laſſe es ganz deinem Ermeſſen. Meinhardt (tüßt ihre Hand und legt ihren Arm in den feinen). Dann will ich ihn gleich in unſer Geheimnis ein— weihen. Der wird Augen machen! Du mußt wiſſen, daß er ein hartgeſottener Junggeſelle iſt! Komm, ich begleite dich zu dem Wagen. (Beide links ab). Vierte Szene. Kellner, Dr. Ardegg (Reiſeanzug, etwas behäbig, in den vierzig, Umlegkragen, Glatze, lebensfroh, trägt Zwicker, den er oft abnimmt — tritt von rechts hinten auf.) 20 Ardegg. Ja, wo tft er denn? Ich ſehe keinen Doktor Meinhardt! (Geht fröhlich auf und ab und pfeift vor ſich hin.) Kellner. Der Herr Primarius hat ſoeben eine Dame zum Wagen geleitet und wird ſofort zurückkommen. Ardegg. Schon gut. Bringen Sie mir einſtweilen eine Flaſche Rotwein und einen ordentlichen Biſſen Fleiſch hieher. Drinnen im Speiſeſaale kommt man ja vor Hitze um. Kellner. Zu dienen, Herr Doktor (ab). Meinhardt (kommt, ſchütteln ſich die Hände). Ardegg. Ah, da biſt du ja. Was ſagſt du zu meinem plötzlichen Erſcheinen. Großartige Idee, meinen Urlaub hier zuzubringen, was? Meinhardt. Wie lange, altes Haus? Ardegg. Volle fünf Tage. Meinhardt. Das iſt wohl ein Witz! Ardegg. Bewahre, bitterer Ernſt! Ich will dieſe Ferien- zeit in vollen Zügen genießen und deshalb habe ich mir den Ort ausgeſucht, wo du den Kurpfuſcher ſpielſt. Haben uns ſchon lange nicht geſehen, nicht wahr! Wir werden uns manches zu erzählen haben. Kellner (kommt mit Flaſchen und Imbiß). Meinhardt. Komm doch lieber auf meine Bude, dort ſind wir ganz ungeſtört. Ardegg. Bruderherz, laß uns bleiben, wo wir ſind. Stubenluft atme ich in Wien mehr, als mir gut tut. Hier iſt's ganz gemütlich, kein Menſch wird uns ſtören, alles flutet über die vordere Terraſſe heim. Meinhardt. Wie du willſt. Ardegg (schenkt ſich ein und ißt mit großem Appetit). Ich bin total ausgehungert, mußt du wiſſen, die lange Fahrt, nirgends bekommt man etwas Rechtes zu eſſen. Sogar im Speiſewagen 21 gab es einen Schlangenfraß. Von der Luft und der Liebe allein kann der Menſch nicht leben! Was? Meinhardt (lachend). Gewiß, nur von der Liebe nicht, aber daß ſie unbedingt das Herrlichſte iſt, was es gibt, wirſt du nicht beſtreiten wollen? Ardegg. Hm, Ja! So jagt man. Ich habe nie viel darauf gehalten, wie du weißt. Meiner Meinung nach iſt es immer eine Art Gehirnerkrankung von längerer oder kürzerer Dauer; chroniſch bleibt die Sache gottlob nie! Meinhardt. Na, alſo, ſo ungeheuerliche Behauptungen darfſt du doch nicht aufſtellen, Egon! Ardegg. Aber ich bitte dich Guſtav, bei meinem Berufe, der mir alle Intimitäten des Lebens vor Augen führt und ſelbſt die Geheimniſſe des ehelichen Alkovens nicht ſchenkt, werde ich wohl am beſten Einblick in dieſen ganzen Hexen— ſabbath bekommen. Es handelt ſich ja doch immer nur um die Frage, ob ſie ſich kriegen oder nicht — darum dreht ſich die Welt. Du als Arzt wirſt auch nicht ſchlecht darüber unterrichtet ſein? Meinhardt. Ja und nein, und doch erwarte ich vom Leben auch für mich ſo ein echtes, rechtes Stück Glück. (Pauſe.) — Biſt du nun ſatt? Willſt du eine Zigarre? Ardegg. Bitte, wenn du eine Virginia haſt, ja, du weißt, daß ich nur dieſes elende Kraut rauche. Meinhardt. Richtig, darauf vergaß ich, da mußt du dich leider ſchon aus deiner eigenen Taſche bedienen. Ardegg. Ich habe mir 's gleich gedacht. — Na, ſiehſt du, bis du die Liebesſchwärmerei überwunden haſt, kommt bei dir auch die Virginia dran. Zu meiner Betrübnis muß ich aber ſehen, daß du noch immer nicht dort angelangt biſt, wo ich dich gerne hätte, überzeugt, daß es einzig und allein ver— nünftig iſt, fröhlich zu arbeiten, gemächlich ſein Leben zu ge— 22 nießen und jo nebenbei auch die Roſen der Liebe zu pflücken, die auf unſerem Wege blühen. (Muſtert ihn von oben bis unten.) Du trägſt noch erſchreckend hohe Krägen, bindeſt deine Kravatte mit Gefühl und Sentimentalität, haſt ſogar manicürte Hände. — Menſch, wohin ſoll das führen? — Ich ſage es dir auf den Kopf zu: Du biſt verliebt und .. . „ wenn mich nicht alles täuſcht, ſchweren Grades, das verrät mir dieſe halbwelke Roſe, die verſchmachtend in deinem Knopfloch hängt. Meinhardt (ächelnd). Du biſt der reinſte Sherlock Holmes, wenn du mein Beichtvater ſein willſt, wäre ich nicht ab— geneigt, dir tatſächlich eine Geſchichte zu erzählen. Ardegg. Bravo Alter, da gibts wieder was zu lachen. (Setzt ſich zu ihm und patſcht ihm auf die Knie.) Meinhardt. Nein, nein, Egon, wenn du einen luſtigen Streich erwarteſt, wirſt du enttäuſcht ſein, ich muß dich über— haupt bitten, ernſt zu bleiben, es iſt eine heikle Sache ... Ich werde dir von einer Liebe erzählen, die dich ungläubigen Thomas gewiß von ihrer Heiligkeit überzeugen wird. Aber vorher ſoll mir der Advokat Rede ſtehen. Ardegg. Hört! Hört! Wenn dieſe Liebe gar ſo groß— artig iſt, wozu brauchſt du dann den Advokaten? Meinhardt. Sehr einfach! Alſo, erſtaune nicht zu ſehr. Ich liebe eine verheiratete Frau! Ardegg. Umſo beſſer! Meinhardt. Zyniker! Es handelt ſich nicht darum — ich will — ich werde dieſe Frau heiraten, ſobald ihr Mann ſie freigibt. Ardegg (ipringt auf). Oho! Alſo, jo ſteht die Sache! Meinhardt. Ja. Vor allem ſage mir, ob du Zeit und Luſt haſt, mir ernſthaft zuzuhören. Ardegg. Ich habe ja jetzt nichts anderes zu tun. Zwar habe ich einen wichtigen Prozeß hierher mitgenommen, aber 23 die toten Akten müſſen warten, wenn das Leben feine Rechte verlangt. (Setzt ſich nieder.) Meinhardt. Dein Ausſpruch wird mich unausſprechlich glücklich machen oder vernichten! Ardegg. Wirklich, ſollte ich eine ſolche Macht beſitzen! Meinhardt. In der Kenntnis des Geſetzes. Ardegg. Alſo bitte ... Meinhardt. Ja, es iſt ſchwer . . . Dir das zu jagen. Ich hatte es mir einfacher gedacht und jetzt, da ich daran bin, weiß ich nicht, wie ich die Worte wählen ſoll. Biſt du Spezialiſt in Eheſcheidungen? Ardegg. Das nicht, aber ich verſtehe davon ſo viel wie ein anderer meiner Kollegen, ja, ich intereſſiere mich ſogar ſehr dafür, weil, wie du weißt, die Reform des Ehegeſetzes in Oſterreich auf der Tagesordnung ſteht. Es hat ſich in der Hauptſtadt aus geſchiedenen Perſonen beiderlei Geſchlechtes ein Verein gebildet, der nach Zehntauſenden zählt, die gebieteriſch die Abänderung der beſtehenden Verhältniſſe verlangen. Ich kann dir über den heutigen Stand der Frage erſchöpfende Auskunft geben. Meinhardt. Dann ſei ſo freundlich und ſage mir, ob katholiſch getraute Eheleute, die ſich ſcheiden laſſen, wieder heiraten dürfen? Ardegg. § 111 unſeres allgemeinen bürgerlichen Geſetz— buches lautet: „Das Band einer giltigen Ehe kann zwiſchen katholiſchen Perſonen nur durch den Tod des einen Gatten gelöſt werden.“ — — — Allerdings geſtattet die katholiſche Kirche, der ſich der Staat in der Abfaſſung des Ehegeſetzes vollſtändig untergeordnet und ſich jeglicher Rechte entäußert hat, bei unverſöhnbarem Zerwürfniſſe eine lebenslängliche Auf— hebung des Beiſammenwohnens, die Scheidung von Tiſch und 24 Bett, aber die Geſchiedenen gelten fortgeſetzt als Ehegatten und dürfen ſich nicht anderweitig verheiraten. Meinhardt. Das iſt ja ſchrecklich! Ardegg. Nicht nur ſchrecklich, ſondern auch unmoraliſch, denn dieſes Geſetz hat ſchon Tauſende in den Tod getrieben und noch mehr dem Laſter in die Arme geworfen. Nachdem zwei ſich geheiratet haben, ſehen ſie, daß ſie nicht zu einander paſſen, ja, daß ein intimes Zuſammenleben nicht mehr möglich iſt, weil ſie ſich abſtoßen, ſtatt ſich anzuziehen. Doch das Geſetz der allmächtigen katholiſchen Kirche kettet ſie aneinander — auf ewig. Da bäumen ſich dieſe beiden Naturen gegen ihr Schickſal auf, ſuchen ihre Ketten zu ſprengen und auf dieſem Punkte angelangt, teilen ſich die Wege, der eine führt zum Gevatter Tod, der andere zu dem berühmten Dreieck, von deſſen Spitze Geweihe grüßen, ein dritter zu dem Zu— ſammenleben in wilder Ehe, ein vierter zu noch fürchterlicherem Ende. Juſtitia aber ſieht nichts mit verbundenen Augen, wenn nur ihre Wagſchalen im Gleichgewichte bleiben; welcher Art die Gewichte ſind, will ſie nicht bemerken. Meinhardt. Es muß doch einen Ausweg geben, ihr Advokaten kennt immer verſteckte Hintertüren, heimliche Gänge und Treppen, durch die man zum Ziele kommt. Ardegg. Ja, es gibt ſchon ſolche Wege, es kann ſie aber nicht ein jeder betreten und ich weiß ja noch gar nicht, welcher Art dein Fall iſt. Meinhardt. Mein Fall! Da ſieht man, daß du vom Fache biſt, uns Arzten iſt leider auch die entſetzlichſte Krankheit, die einem Patienten die fürchterlichſten Schmerzen verurſacht, nur der intereſſante Fall, die menſchliche Fiber, die in un— nennbarer Qual zuckt und bebt, iſt uns nichts und nun be— zahlt mich der Advokat mit gleicher Münze. Meine Seelenpein wird dir zum intereſſanten, juridiſchen Streitobjekt, das du 25 vom Standpunkte des römiſchen, ſaliſchen und weiß der Teufel was für eines Rechtes betrachteſt. Ardegg. Wie erbittert dich das eine Wort, das mir entſchlüpfte, ohne daß ich es in ſeiner eigentlichen Bedeutung gebrauchte. Meinhardt. Entſchuldige, deine Auskunft hat mich in allen meinen Hoffnungen getäuſcht, ich vertrage keinen Wider— ſpruch, wenn ich will, dann muß es ſein und wenn Himmel und Erde zuſammenſtürzten. Ardegg. Hitzkopf, beruhige dich, wenn wir uns deine Angelegenheit genauer beſehen, wird ſich vielleicht doch eine Löſung finden. Meinhardt. Wie ich dir geſagt habe, liebe ich eine ver— heiratete Frau mit aller Kraft meiner Seele. Sie iſt bis jetzt in ihrer Ehe nicht gerade unglücklich geweſen, aber immerhin fühlt ſie, daß das nicht das Glück iſt, auf das jedes Menſchen— kind Anſpruch erheben darf. Denn ihr Mann iſt ein ſehr ehrenwerter, trockener Menſch, der ſein Weib in ſeiner Art gern gehabt hat. Aber er iſt ſo ganz in ſeinem Berufe auf— gegangen, daß er ſie vernachläſſigt hat und ſie wartete Tag um Tag auf die Stunde in der die große, echte, wahre Liebe, die alles verzehrende Leidenſchaft über ſie kommen würde. Da lernten wir uns kennen: als ich das erſte Mal in ihre dunkeln Sphinxaugen blickte, wußte ich, daß ſie mein Schickſal ſei und begehrte ſie als mein eigen mit aller Kraft meines Willens. Auch ſie hatte dasſelbe empfunden und da ſprachen unſere Lippen das aus, was das Herz durch das Auge bereits verraten hatte. Wenn das Geſetz und die Geſellſchaft uns von einander trennen, wenn bis jetzt nur unſere Gedanken Ge— meinſchaft mit einander gepflogen haben, ſie gehört mir bereits ganz. So ſehr geht ſie in mir auf und lebt in mir, daß mein geringſter Wunſch in ihr zur Tat wird, ſie will und handelt 26 nur durch meinen Willen. Und nun ſage mir, können wir uns auch vor der Welt angehören? Ardegg. Lieber Freund, dein Geſtändnis erſchreckt mich, denn bei dem heutigen Stande der Ehegeſetzgebung haſt du faſt keine Ausſichten, deinen Wunſch je in Sſterreich verwirk— lichen zu können. Im Auslande gibt es ja allerdings große Erleichterungen. Orte, an denen die Eheſchließung ohne viele Formalitäten nur von der Erklärung der beiden Heirats— kandidaten abhängig gemacht wird, daß ſie vereinigt werden wollen, und der Verſicherung, daß ſie nicht verheiratet ſind. Meinhardt. Dann gehen wir ins Ausland. Ardegg. Ja, du wirſt deine Stellung aufgeben müſſen, die du ſo mühſam erworben haſt, ganz von vorne anfangen, denn nicht einmal deine Prüfungen werden Giltigkeit haben. Deine alten Eltern wirſt du verlaſſen! Meinhardt. Das alles wird geſchehen müſſen, wie du es ſagſt, denn wer könnte es ändern? Ardegg. Du ſelbſt, indem du dieſen Plan aufgibſt. Menſch! Du haſt ja keine Ahnung von den Folgen deiner Handlungsweiſe. Meinhardt. Deshalb frage ich dich; du ſollſt mir einen gangbaren Weg zeigen. Ardegg (ſteht auf). Sieh mal, du zerſtörſt ein Familien⸗ leben, denn wenn die beiden wie gute Kameraden neben einander bis jetzt gelebt haben, dann paſſen ſie doch zuſammen und ſollen nicht getrennt werden. Siehſt du, ich bin ja nicht verheiratet, aber ich habe doch ſchon viel vom Leben erfahren und ſo manchen Einblick in trübe Verhältniſſe gewonnen. Die himmelhochjauchzende Leidenſchaft, die du in dir fühlſt, führt ſelten zu gutem Ende. Wie ſoll ſie unter den Verhältniſſen, in die du deine künftige Frau bringen willſt, andauern? Ihr werdet beide Religion und Staatsbürgerſchaft wechſeln, Euch 27 von allem, was Euch lieb und wert iſt, losreißen müſſen, und wenn Euch je die Sehnſucht nach dem heimatlichen Boden er— faßt und Ihr ſucht Ihn wieder auf, dann darf der erſtbeſte Philiſter euch der Staatsanwaltſchaft wegen Bigamie anzeigen, denn bei den hier leider herrſchenden Rechtsanſchauungen kann eine geſchiedene katholiſche Frau nie deine legitime Gattin werden. Habt Ihr dann Kinder, ſo gelten ſie in Oſterreich immer als unehelich, nicht einmal deinen Namen können ſie unangefochten tragen! Meinhardt. (Ardegg geht auf und ab, Meinhardt geht ihm nach.) Es muß doch einen Ausweg geben! Ardegg. Da gibt es gar keinen! Ich kann dir nur ſagen, laß ab von dieſer ganzen Sache. Es kommt nichts dabei heraus. Ihr beide reibt Euch dabei auf, es iſt gänzlich aus— ſichtslos. Ich wiederhole dir nochmals: Eine katholiſche Ehe kann bei uns nur durch den Tod gelöſt werden. Meinhardt (ſinnend nachſprechend),. Nur durch den Tod! Ardegg. Mein lieber Guſtav, du warſt doch ſonſt immer ein vernünftiger Kerl — es wird auch diesmal dein Gefühl den geſunden Menſchenverſtand nicht ganz unterjocht haben? Nicht? (Sieht auf die Uhr.) Herrgott, weißt du, wie ſpät es iſt? — 1/2312! Die höchſte Zeit in die Federn zu kommen, vergiß nicht, daß ich ein müder Wandersmann bin. (Beide ſtehen auf.) Ardegg. Gute Nacht, morgen reden wir weiter über die Sache. Meinhardt (zerſtreut). Ja, morgen. Ardegg. Schlag dir doch dieſe Sache aus dem Kopfe! (Hängt ſich in Meinhardt ein.) Ein tüchtiger Schlaf hat oft ſchon Wunder gewirkt, du wirſt ſehen . (Beide gehen durch die Mitte ab.) Der Vorhang fällt. Zweiter Akt. D Rechts und links vom Regiſſeur. Ein behagliches, vornehmes Wohnzimmer mit dunklen Wänden. Rück— wärts eine Glasveranda mit Ausſicht auf einen Garten in bunter Herbſtſtimmung. Sonnenuntergang, langſam wird es Nacht. Nechts von der Glastüre ein großer Bücherſchrank. In der rechten Wand ein Fenſter, davor ein Schreibtiſch mit Lutherſtuhl. Auf dem Schreibtiſch eine Lampe und ein Revolver. In der Wandmitte eine Tür ins Zimmer Matildens, ganz vorne eine Etagere. Links von der Glastüre ein Glasſchrank mit Kunſtſammlung. In der Wand links zwei Türen. Zwiſchen dieſen ein Kamin mit Standuhr und zwei bequemen Seſſeln davor. Eine Kredenz ganz vorne. Davor ein niedriger Divan mit Pelzüberwurf und Puff. In der Mitte des Zimmers ein nicht zu großer Speiſetiſch mit 3 Stühlen. Überall hängen und ſtehen Reiſeerinnerungen, man ſieht ſofort den Sammler. Trotz der Verſchiedenheit geſchmackvolle Harmonie. Ein ſchöner Luſter in der Mitte. Feuer im Kamin. Kiste ‚Szene. (Matilde in dunkler, einfacher Haustoilette ſteht vor dem Rauchtiſchchen, wo ſie Zigarren aus verſchiedenen Kiſtchen in dazu beſtimmten Behält— niſſen unterbringt. Sie ſieht blaß aus und hat einen erregten Ausdruck. Oft unterbricht ſie ihre Beſchäftigung und ſieht mit erſchreckten Augen vor ſich hin, dann zieht ein glückliches Lächeln über ihr Geſicht und mit tiefem Aufatmen geht ſie weiter. Fräulein von Brenken, mit Gold— häubchen auf dem peinlich friſierten, weißen Haar, trägt ein dunkles Seidenkleid, Schlüſſelbund an der Seite, freudig erregt, ſieht oft auf die Kaminuhr, geht auf die Terraſſe, von wo ſie mit beſchattetem Auge auf die Straße blickt; ſie ſieht Matilde öfters fragend an.) 29 Ida (am Teetiſch beichäftigt). Du lieber Gott, wie doch die Zeit langſam dahinſchleicht, wenn man voll Ungeduld auf etwas wartet, nicht wahr, Matilde? — Sonſt iſt immer ſolch ein Tag im nu verflogen, heute will es nicht 7 Uhr werden (rückt an Möbeln und Bildern, prüft mit den Fingern einen Bilderrahmen, ob er ſtaubfſrei iſt, ſetzt ſich zum Kamin und betrachtet ihre Fingernägel). Es iſt doch gut Matildchen, daß wir im Kamin heizen ließen? Hans kommt vom Süden, da empfindet er vielleicht unſere Herbſtluft ſchon unangenehm? Matilde. Eigentlich war es unnötig, Ida, es iſt draußen noch jo ſchön! (ſtellt die Zigarrenkiſtchen auf den Tiſch und läutet). (Dienſtmädchen kommt.) Matilde. Anna, tragen Sie die Kiſtchen wieder in das Herrenzimmer. Anna. Ja, gnädige Frau. Matilde (geht zur Terraſſentüre, lehnt mit dem Rücken gegen den Pfeiler und ſieht träumend in die Ferne). Ida (pringt auf). Ich muß ſchnell in die Küche, es fällt mir gerade ein, man könnte doch vielleicht noch etwas Warmes machen laſſen. Meinſt du nicht Tildchen? Matilde (ſich beſinnend). Etwas Warmes? ... Ach ja .. warum denn nicht . . . aber Hans hat doch ausdrücklich nur Tee beſtellt, ich fürchte, ſein Magen wird nach der langen Reiſe in Italien erholungsbedürftig ſeine. (legt ihre Arme um Idas Schultern und blickt ihr lächelnd ins Geſicht.) Ida (ſeufzend). Herzchen, es iſt eigentlich wahr, ich möchte eben alles erdenkliche Gute auftiſchen. Solch eine Rückkehr iſt doch ein Feſttag! Freuſt du dich denn gar nicht? Du gehſt mit ſo müdem Geſichtchen herum! . . . Oder fühlſt du dich am Ende nicht wohl . . . doch nicht wieder Kopfſchmerzen! Matilde. Nein Ida, hab keine Angſt, mir fehlt gar nichts . . . und . . . ich freue mich ja! 30 Ida. Na ja, aber merken tut man's nicht! Ich mache jetzt doch noch einen Sprung in die Küche — paß gut auf, ob du auf der Straße einen Wagen ſiehſt. Ich habe Anton ſchon vor einer Stunde auf die Südbahn geſchickt, damit er ja nicht zu ſpät dort iſt. Matilde. Aber Ida, der kommt in dieſer langen, freien Zeit wieder auf allerlei böſe Gedanken. Kehrt in einer Schenke ein und findet den Weg zum Bahnhofe nicht! Ida. Ja, an das habe ich gar nicht gedacht, aber aus lauter Sorge... Matilde. Meine gute, arme Ida: Immer voll Angſt, immer voll Sorge und voll Liebe, Güte und Nachſicht — eine Mutter könnte nicht mehr davon geben! Ida (glücklich lächelnd). Bin ich auch, Kindchen, bin ich auch. Schließlich habe ich Hans, der doch um 18 Jahre jünger war als ich, wie mein Kind betrachtet, da unſere arme tutter jo früh ſtarb. Du weißt, daß dies letzte Liebespfand ſie das Leben gekoſtet hat . . . als er endlich groß und ſtark war, Offizier wurde, bald aber den bunten Rock mit einer Gelehrtenbrille vertauſchte — was ja immer ſchon ſeinen Neigungen entſprach — da habe ich erſt bemerkt, daß meine Jugend inzwiſchen zur Neige gegangen war — (wehmütig) jo bin ich in Mutterpflichten alt geworden, ohne je einen Liebes- glückgenoſſen zu haben. Matilde (ſtreichelt fie). Liebe, liebe Ida! Ida (ſich ermunternd). Weißt du, ich habe die Über- zeugung, daß das Glück nur in treuefter Pflichterfüllung beſteht (ſieht fie feſt an). Schau! Ich perſönlich habe mit Rück— ſicht auf Hans darauf verzichtet — jetzt (weich und zärtlich) bin ich doch belohnt; denn ich kann Euer Glück mitgenießen, Ihr habt mich lieb und dein ſanftes, träumeriſches Weſen iſt wohl die Urſache, daß wir in ſo ſchöner Harmonie zu— 31 ſammen leben können. Daß es je anders werden könnte, iſt mir noch nie in den Sinn gekommen. In letzter Zeit fühle ich aber oft eine Art Unbehagen. Ich finde dich verändert .. Es geht dir doch nicht am Ende das bunte Treiben des Badelebens ab? Du vermißt doch nicht dieſe lächerlichen Hof— macher? Dieſe ganze Reiſe war ein Unglück, es wäre ver— nünftiger geweſen . . . (hält beſtürzt inne). Matilde (iſt unterdeſſen an den Kamin getreten und in einen der großen Seſſel geſunkeu; ſie ſtützt die Stirne in die Hand, ein heftiges Schluchzen erſchüttert plötzlich ihren Körper). Ida (eilt erſchreckt zu ihr, ſtreichelt ſie voll Beſorgnis). Herz⸗ chen, Herzchen, was iſt nur los? Habe ich dir mit meinen Worten weh getan oder find es wieder deine Nerven? . . .. Ich habe nicht gefunden, daß dir dieſe Wunderkur Dr. Mein— hardts ſo gut getan hat, früher hatteſt du hie und da Kopf— ſchmerzen, ſogar ſehr quälende . . .. aber dann warſt du doch wieder heiter und friſch, blühteſt wie eine Roſe. Jetzt biſt du fortwährend in trüber Stimmung und wenn ich auch nichts ſagte, ſah ich oft deine verweinten Augen . . . (zieht einen Seſſel neben Matilde, nimmt deren Hand in die ihrige und ſtreichelt fie). Herzenskind, hab Vertrauen zu deiner treueſten Freundin! Sag, hat Dr. Meinhardt dich beunruhigt, flattern deine Ge— danken wie geängſtigte Vögelchen zu ihm? Ich kann und kann ſeinen Blick nicht vergeſſen, der dich förmlich durchbohren mußte; jedesmal fühlte ich mich in ſeiner Nähe beklommen, wie wehrlos — das iſt eine unangenehme Empfindung. Schüttle dieſen Bann ab, bedenke, jetzt kommt dein Mann, der dich liebt, der dich mehr liebt, als er es dir zeigen kann (ſtark betonend) ſei friſch, Kindchen, zeig ihm ein fröhliches Geſicht und glaube mir, hier — nur hier blüht dein Glück! Matilde (ift mit den Augen ängſtlich ausgewichen). Ja, Ida, ja (rafft ſich energiſch auf) verzeihe mir, es wird ſchon beſſer 32 werden, man hat eben manchmal Stimmungen, die man ſelbſt nicht genau erklären kann. (Steht auf, geht auf die Veranda und ſpäht hinaus; kopfſchüttelnd durch die zweite Tür ab). Matilde (kehrt ins Zimmer zurück, ſieht auf die Uhr, ſetzt ſich vorne in einen Fauteuil beim Kamin, nimmt raſch einen Brief aus der Taſche, küßt ihn andächtig, breitet ihn auf den Knieen aus, ſtützt die Ellbogen darauf und lieſt): Geliebtes! In größter Eile nur dieſe wenigen Zeilen. Ich habe mit dem Advokaten geſprochen, der mich über alles vollkommen orientiert hat. Es wäre überflüßig, dir alle Einzelheiten dieſer langen Unterredung mitzuteilen — es genügt, wenn ich dir ſage, daß alles gut gehen wird — wenn du mein ſtarkes Weib ſein wirſt, wie du es verſprochen haſt. Unter keinen Umſtänden darfſt Du in dem Entſchluſſe zu gehen wankend werden! Halte Dir immer vor Augen, daß ich mit allen meinen Gedanken bei Dir ſein werde — übrigens bin ich nicht ſo weit, als Du denkſt — damit ich Deinen ſchwachen Willen durch meinen ſtarken ſtützen kann. Alſo Mut! Denke an unſere Liebe, die auf dem Spiele ſteht. Sei ſtark, bleibe feſt — ich will es — wir wollen es! Guſtav. (Man hört einen Wagen rollen, Matilde birgt den Brief raſch in der Taſche, preßt beide Hände gegen ihr Herz.) Matilde. Lieber Gott, laß mich ſtark ſein! Zweite Szene. Ida (kommt mit einem Körbchen Bäckereien hereingeſtürzt, hinter ihr das Stubenmädchen und der Diener. Ida ſtellt das Körbchen auf den neben ihr ſtehenden Schreibtiſch, eilt auf die Terraſſe). Anna, Franz, raſch, raſch hinunter, der Herr iſt da . . . Matildchen, er kommt, er kommt ſchon! (Winkt mit den Händen). Willkommen Hans, mein alter lieber Bub! (Fliegt ihm an den Hals.) 33 Hans (kommt mit lachendem Geſicht, Brille, Reiſemantel, Kappe, in der einen Hand Plaid, in der anderen Handtaſche). Alſo da wäre ich wieder, Kinder! . . . ordentlich geſehnt habe ich mich diesmal nach Euch! Matilde (ftredt ihm ruhig die Hand entgegen). Grüß dich Gott! Hans (kann ſie nicht nehmen, weil er beide Hände voll hat, ſtellt alles weg, nimmt die Mütze vom Kopfe, zieht ſich den Mantel aus. Anna und Franz tragen inzwiſchen einen Koffer, einen Teppich- ballen, eine Holzkiſte in Hanſens Zimmer. Hans reibt ſich vergnügt die Hände und ſieht ſich fröhlich um. Geht auf Matilde zu und ſchließt ſie in die Arme.) Kind, da hätt' ich dich nun wieder! Und meinen Willkommkuß habe ich noch gar nicht erhalten! (Küßt ſie — ſie wendet aber raſch das Geſicht, ſo daß er nur ihre Haare küßt. Erſtaunt.) Nun! Schon wieder jo ſcheu geworden! (tätſchelt ihre Wangen und läßt ſie los). Ida (kommt aus Hanſens Zimmer mit den Dienſtleuten, zu Anna). Anna, jetzt recht flink den Tee. — (Anna, Franz ab Ida bleibt vor Hans ſtehen, legt ihm beide Hände auf die Schultern und ſieht ihn zärtlich an). Braun biſt du tüchtig geworden, mein Junge — aber du haſt es gewaltig nötig, daß ich dich wieder in die Koſt nehme, du ſiehſt ja ganz hohlwangig aus! Hans. Warum nicht gar wie ein Skelett. Mir iſt es im Gegenteil ganz gut gegangen, nur etwas müde bin ich, da ich von Rom ohne Unterbrechung hergereiſt bin. Eine ſolche Fahrt jpürt man in allen Gliedern. Darum freue ich mich doppelt auf unſere häusliche Ruhe. — Matilde (ev zieht ſie an der Hand zu ſich.) Dir habe ich eine Menge Sachen mit— gebracht, auf Ida habe ich natürlich auch nicht vergeſſen. Matilde. Aber ich hatte dich doch ausdrücklich gebeten .. Haus. Erinnerſt du dich noch in Neapel im National⸗ muſeum an dieſe ſchöne tazza Farnese aus einem Onyx geſchnitten, mit prachtvollen Reliefs? Denke dir, (ſetzen fi, Ida bleibt ſtehen, rückt am Teetiſch herum) gehe ich da durch ein enges, 3 34 ſchmutziges Gäßchen gegen den Poſilip und ſehe einen kleinen, bildhübſchen Buben, der aus einer merkwürdig ausſehenden Schale eine Katze füttert. Ich beuge mich hinab und ſehe zu meinem Erſtaunen, daß dieſe Kruſten, die ich für Schmutz hielt, Reliefs ſind. Ich frage, von wem er dieſe Schale hätte, da erzählt mir das Kind, ein Mann hätte einige Tage bei ſeinen Eltern gewohnt und da er kein Geld zum bezahlen hatte, die Schale zurückgelaſſen, das einzige, was er beſaß. Ich verſuchte unterdeſſen durch vorſichtiges Befeuchten und Reiben der Sache auf den Grund zu kommen und fand zu meinem wachſenden Erſtaunen eine mir immer bekannter vor— kommende Zeichnung. Natürlich kaufte ich das Stück ſofort von der Frau, die inzwiſchen herbeigekommen war und ſich mit einigen wenigen Liren für königlich bezahlt hielt. Als ich wegging, hörte ich ſie mir verächtlich nachreden: „Questi tedeschi sono tutti matti“ alle Narren. Ihr werdet ſtaunen, wie täuſchend dieſe Schale dem Originale gleicht — wer weiß welchen Roman, welche Geſchichte von Künſtlerelend dieſes Stück erzählen könnte! — (will ſich eine Zigarre anzünden. Sehr zärtlich). Du, Kind, und eine Kette für das weiße Hälschen und gar einen Marquisring fand ich für dich! Matilde. Aber Hans, du biſt ein Verſchwender! Ida (nimmt ihm die Zigarre weg). Nein Hans, da kommt ſchon der Tee, dieſes ewige Rauchen muß jetzt wieder aufhören. Haus (zu Matilde). Unſer alter Haustyrann führt kein ſchlechtes Regiment. Was? Matilde. Sie verwöhnt mich ſchrecklich. Ida (auf Matilde zeigend). Unſer Kind, war recht ſchwer krank. — Haus. Eure Briefe beunruhigten mich ſehr (zu Matilde) du haſt auch einen leidenden Zug im Geſicht. 35 Ida. Der Kopfſchmerz ift weg, den hat Dr. Meinhardt ohne Medizin geheilt. Matilde konnte nicht mehr eſſen, ſchlafen. Er beobachtete ſie durch einige Zeit und ſagte ihr dann feſt und beſtimmt, daß ſie ſich ihre Krankheit nur einbilde. Matilde. Ich mußte ihm gehorchen. Hans. Der Mann iſt beneidenswert. Wenn man bedenkt, Menſchen durch Willensübertragung heilen zu können und ſei es auch nur von einem eingebildeten Leiden! (Alle drei ſetzen ſich zu Tiſche, in der Mitte Hans, rechts und links die Frauen.) Hans. Wie gemütlich iſt es doch hier! Ida (ſſchenkt den Tee ein). Iſt er dir jo zu ſtark? Haus. Danke, gerade recht. Nur ... ſſucht) wenn ich ein paar Toaſte haben könnte? . .. Ida (ſpringt auf). Natürlich, natürlich! Matilde (Hält fie zurück). Bitte, laſſe mich das beſorgen; ich will ſie raſch ſelbſt röſten. (Hellmann und J da allein, Ida etwas unruhig, ängſtlich). Hans. Was iſt mit Tilde los? Ich finde ſie ſo verändert. Ida (mit gemachter Harmloſigkeitö). So⸗o⸗o! Hm! finde das nicht .. . das heißt, fie iſt ſchon nervöſer als früher . . . viel- leicht muß ſie ſich erſt wieder in unſere Landruhe hinein— finden, im Bade gab es doch täglich eine andere Zerſtreuung. Tilde wurde ſehr gefeiert, ihre vornehme Schönheit fiel all— gemein auf. Hans (ſtirnrunzelnd). Dieſe Laffen werden ihr doch nicht ernſtlich nahe gekommen ſein! Ida. Was fällt dir ein! Aber ſchließlich iſt ſie jung und hat hier ja wirklich wenig Zerſtreuung . . . Ich glaube, du wirſt ihr mehr von deiner Zeit widmen müſſen, Hans. Nicht wahr, den Haushalt beſorge ich . . . es bleibt für fie jo 3* 36 wenig zu tun übrig, da ſetzen ſich dann gerne romantiſche Ideen in jungen Köpfen feſt . . .. wenn ſie Kinder hätte... wäre es wohl ganz anders! Hans (ſeufzt). Ja, das wäre auch mein einziger Wunſch! . . .. Hm! (denkt vor ſich hin) vielleicht ſollte ich ihr Intereſſe für meine Sammlungen wecken, da könnte ſie mir fleißig zur Hand ſein ... Ida. Du ſollteſt ihre Jugend nicht vergeſſen. Ihr Männer fühlt jo ſelten, was Euren Frauen fehlt . . . Matilde fehlt eine harmloſe, fröhliche Geſelligkeit, ſie iſt zu ſtill ge— worden zwiſchen uns . . . verſchloſſen . . . vielleicht fehlt ihr etwas, was ſie ſich ſelbſt noch nicht erklären kann. Matilde (kommt mit einer kleinen Schüſſel Toaſt). Ein bischen lang hat es gedauert, aber dafür iſt der Toaſt fein knuſperig geworden. Haus (ſtreicht ihr übers Haar). Ich danke dir, mein Kind. Mein Kompliment! Die Toaſte ſind trefflich geraten. — (Ißt.) Gottlob, daß ich wieder zuhauſe bin. — Ich bin wirklich ſchon mit großer Ungeduld heimgefahren . . . . hatte diesmal eine Unruhe in mir, die ich mir gar nicht erklären konnte, ſo wie ein dunkles Gefühl, es müßte bei Euch ein Unglück geſchehen ſein — doch nun ſehe ich, daß ſolche Ahnungen in die Kinderſtube gehören (nimmt beide bei der Hand). Mein liebes Weiberl und mein alter, guter Hausgeiſt ſind wohl und fröhlich, alles beim alten (ſieht ſeine Frau wieder an, die unruhig zur Seite blickt und ihm ihre Hand entziehen will, ernſt.) Nun! oder doch etwas nicht in Ordnung? Matilde (ſenkt den Kopf). Es iſt nichts Hans, mach dir keine Sorgen! Ida (bringt Zigarren). So, jetzt kommt die Belohnung. (Zündet ihm die Zigarre an, Anna bringt Lichter, räumt den Tiſch ab). Und jetzt werde ich deine Sachen auspacken, damit du bald 37 zur Ruhe kommſt — — Ihr wollt dann auch allein ſein! (nickt beiden zu, rechts ab.) Haus (ruft ihr nach). Ida, ich bitte dich ſei vorſichtig mit dem Auspacken der Kiſte. Eine prachtvoll ziſelierte Ampel der Dorfkirche von Montalto iſt darin, zwar halb zerfallen, aber geſchickte Hände machen noch ein Prachtſtück daraus. Ida (in der Türe). Sei ruhig, Hans, ich werde ſchon aufpaſſen (ab). Dritte Szene. Haus (geht rauchend rund um das Zimmer. Beim Schreibtiſch bleibt er ſtehen, nimmt die Piſtole in die Hand, ſieht nach, ob ſie noch geladen iſt und ſteckt ſie dann wieder in das Futteral.) Gottlob! Dieſen Beſchützer habt Ihr, wie ich ſehe, nicht in Anſpruch nehmen müſſen. Man muß ſich vor dem herum⸗ ziehenden Geſindel hüten. Matilde. Ich hätte mich gar nicht getraut, ihn in die Hand zu nehmen. Du kennſt meine Scheu davor. Jede Waffe flößt mir Grauen und Entſetzen ein. Hans. Ja, Kind, wenn's aber ſein muß, zur Notwehr, da darf man doch nicht zu weich ſein! Matilde. Auch dann, glaube ich, wäre es mir unmöglich geweſen. Wie leicht kann man einen Menſchen töten, ſtatt ihn wehrlos zu machen, wenn man mit der Waffe nicht genau umzugehen verſteht. Hans. Du biſt noch immer zu empfindſam und könnteſt keinem Lebeweſen etwas zu Leide tun! Und nun, komm! Erzähle, wie iſt's dir ergangen, wie hat es dir an der blauen Adria gefallen? Matilde. Da iſt nicht viel zu ſagen. Das Badeleben war recht animiert, für mich ſchon der Neuheit halber ſehr anziehend. Haus. Dieſer Dr. Meinhardt muß ein ſehr inter⸗ eſſanter Menſch ſein! Seid Ihr viel mit ihm zuſammen gekommen? Matilde. Über die Kur habe ich dir alles geſchrieben. Hans. Ja, es iſt wirklich merkwürdig. Ich habe ihn nur ganz kurz und flüchtig geſehen, als ich dich hinbrachte — ein ſehr gewinnender Menſch — beſonders in ſeinen Augen liegt eine ſtarke Willenskraft. (Matilde nickt, ſteht auf und tritt hinter Hans). Hans. Ich bin froh, daß du jetzt von dieſen läſtigen Kopfſchmerzen befreit biſt. — Komm Kind, ſag mal, haſt du dich auch ſchon auf mich gefreut? Ich hatte ſchon jo rechte Sehnſucht nach dir! f (Matilde ſteht hinter ſeinem Seſſel, er zieht ihren Kopf an ſich, will ſie auf den Mund küſſen. Matilde entzieht ſich raſch ſeiner Umarmung, glättet ihr Haar, geht aufgeregt im Zimmer umher.) Matilde. Aber Hans, du warſt doch ſonſt nie ſo ſtürmiſch, ich erkenne dich gar nicht mehr . .. Haus (fteht erſtaunt auf). Dein Benehmen, liebes Kind, finde ich wirklich höchſt eigentümlich. Jeder Berührung mit mir weichſt du mit lächerlicher Scheu aus . . .. Matilde. Bitte Hans, ſei nicht böſe, ich fühle es ſelbſt, wie kindiſch das iſt . .. es wird Schon anders werden . . . ich fühle mich wirklich gar nicht wohl . . . ich weiß es ſelbſt nicht recht zu ſchildern . .. Haus. Ich werde für mehr Zerſtreuung ſorgen, wir werden Gäſte einladen, große Partien machen ... Matilde (raſch). O, nur das nicht! Ich mache mir gar nichts aus fremden Leuten, und Partien könnte ich ſchon gar nicht machen; ich bin ſo ſchrecklich müde .. . ich möchte nur Ruhe! Hans (der plötzlich zu verſtehen ſcheint). Liebes, liebes Kind! (faft fie bei beiden Händen, zieht fie zum Divan) komm, glaubſt du denn, daß ich im Stande wäre, dir irgend einen Wunſch zu verſagen und ganz beſonders jetzt, wenn du mir ſagſt, daß du Ruhe haben willſt. (Matilde ſieht ihn verſtändnislos an, Hans ſetzt ſich und zieht ſie auf ſeinen Schoß). Matilde. Ich verſtehe dich nicht ganz, Hans! Hans. Aber Liebes! Wozu noch dieſe Scheu vor einer Enthüllung? (Wiegt ſie wie ein Kind hin und her und ſpricht, mit zärtlich gedämpfter Stimme.) Ich ahne etwas unerhört Schönes, Herrliches. Ich begreife ja, daß es dir ſchwer fallen muß, mir etwas anzuvertrauen, das unſer ganzes Leben verändern wird. Aber kann es ein größeres Glück geben als das, welches du im Begriffe biſt, mir zu ſchenken. Unſere Ehe wird dann erſt die richtige, letzte Weihe erhalten. Ich weiß, daß ich nicht immer ſo gegen dich war, als du es vielleicht erträumt haſt, aber jetzt, ich ſchwöre es dir, hört das viele Reiſen auf. Von nun an wird mein Leben einen anderen Zweck haben. Jetzt werden wir gemeinſam für unſer Höchſtes, Teuerſtes leben, (mit Nachdruck und Innigkeit) für unſer Kind! Matilde (ſchon ſehr unruhig, beſtrebt, ſich aus der Umarmung zu befreien, reißt ſich jetzt mit Heftigkeit los und ſchreit ihm entſetzt ins Sefiht). Was? Was ſagſt du? Was glaubſt du? Nein, nein, nein! Gott ſei Dank, das iſt es nicht! Hans (faßt ſich taumelnd an den Kopf, tonlos). „Gott ſei Dank, das iſt es nicht?“ Ja, was iſt es denn?! (Set) Ich komme nach langer Reiſe mit ſehnſuchtsvollem Herzen heim. Ich nehme mir ernſtlich vor, deinem Leben mehr Wärme zu geben, ſchmiede Pläne, wie ich deine Einſamkeit verkürzen könnte. Heimgekommen, höre ich halbe Worte, Andeutungen, dazu dein verändertes Weſen, da hofft mein Herz auf die Erfüllung des heißeſten Wunſches! Und nun, da ich meine 40 Vermutung ausſpreche, dein Entſetzen?! (Zornig.) Was iſt es, das dich ſo verändert hat, ich will es, ich muß es wiſſen! (weicher werdend) du biſt vielleicht doch kränker, als du ſelbſt es weißt, gib mir einen lieben Kuß und dann wollen wir .. (umarmt ſie und will ſie küſſen). Matilde (reißt ſich los, ſtreckt abwährend die Hände gegen ihn). Nein, nein . . . ih... kann nicht! Haus (ftreng). Was bedeutet das „Ich kann nicht“ . .. flöße ich dir Widerwillen ein? Sag! Es muß zwiſchen uns klar werden! Matilde. Ja, Hans, das muß es auch! Haus. Alſo ſteht Etwas, Jemand zwiſchen uns! Matilde (feſt). Ja! | Hans (betroffen). Matilde! (Einen Moment ſtarrt er fie wie faſſungslos an, dann eilt er auf ſie zu, faßt ſie bei den Schultern und ſchüttelt ſie heftig). Jetzt ſprich! Wer iſt der Elende, der deine reine Seele mit ſeiner Gier beſudelt hat — heraus mit der Sprache — ich erſchlage ihn ja wie einen tollen Hund! Matilde (macht ſich los). Wenn du zu toben anfängſt, hört jede Erörterung von ſelbſt auf. Ich glaube du kennſt mich genügend, um ſicher zu ſein, daß ich niemals feige und heimlich ein Glück genießen könnte mit dem Bewußtſein, dabei deinen Namen zu beſchmutzen. Du willſt, daß es klar ſei zwiſchen uns, das iſt auch mein ſehnlichſter Wunſch — ich wollte dieſe Auseinanderſetzung hinausſchieben, dir deine Heimkehr nicht gleich vergällen! Hans. Wie rührend! Matilde. Es iſt aber anders gekommen, nun hilft nichts mehr als die Wahrheit, ſie allein kann es möglich machen, daß wir uns verſtändigen. 41 Hans (kalt). Ich bin wieder vollkommen ruhig. Du würdeſt mich ſehr verbinden, wenn du ohne lange Umſchweife mir raſch den Kern der Sache mitteilen wollteſt. Du liebſt? Der Mann deiner Wahl iſt . . . Dr. Meinhardt? Matilde (nickt). Hans. Ich dachte es ja! Ihr Weiber fliegt doch immer auf eine ſchöne Erſcheinung. Matilde. Hans, ich bitte dich! Hans. Wie weit ſeid ihr miteinander? Ich vermute eine einſeitige Schwärmerei — deinerſeits —, die ſchließ— lich nicht viel bedeutet. Blaſſe Wangen durch einige Tage, ſagen wir Wochen . . . dann kommt ſchon wieder die Ver— nunft ... Du wirft froh fein, einer ernſten Verſuchung ent- ronnen zu ſein. Matilde. Nein, Hans, es iſt ganz anders, als du dir das denkſt. Wir lieben uns und haben einander gelobt, uns auch vor der Welt anzugehören. Haus. Und ich? Matilde. Du wirſt mich freigeben! Haus. Werde ich? Das werden wir erſt ſehen, mein Kind, das werden wir gewaltig ſehen! Matilde. Hans, wenn dich der Gedanke an den andern auch hindert nachzugeben, du könnteſt mich doch nicht halten, wenn ich unbedingt fort wollte. Deine Frau könnte ich nie und nimmer wieder ſein. Mein Mund, der die heißen Küſſe eines anderen geduldet und wiedergegeben hat, könnte dich nie wieder küſſen. Sei öberzeugt davon, daß ich viel und ſchmerzlich durch dieſe Liebe gelitten habe, die wie ein Zauber— bann auf meine Seele gefallen iſt — aber ich kann nicht anders — mein ganzes Herz, mein Denken, mein Fühlen, alles gehört ihm! Ach, Hans, ich leide ja ſo ſehr, aber ſo wahr Gott mir helfen möge, ich kann nicht anders. (Kniet vor 42 Hans nieder, der ſich vor dem Schreibtiſch niedergeſetzt, ſeinen Kopf in den Händen vergraben hat. Beide weinen.) Haus (lehnt ſich in den Seſſel zurück, ſpielt mit feinem Bart uud ſieht nachdenkend vor ſich hin). Matilde, Haft du gar nicht bedacht, was dieſer Schritt bedeutet? | Matilde. Siehſt du Hans, ich ſagte mir, du biſt jo ganz durch deine Studien beſchäftigt und in Anſpruch ge— nommen, daß mein Fortgehen keine zu große Lücke für dich bedeuten wird. Ida ſteht dir zur Seite, ſie wird für dich weiterhin wie eine Mutter ſorgen und dich niemals verlaſſen. Vielleicht heirateſt du ein zweites Mal! Haus. Und du wirſt Meinhardts Frau! Matilde. Wenn du mich freigibſt, ja! Haus. Gleich dann? Matilde. Sobald als möglich! Haus (ſchluchzt auf und ſtützt ſeinen Kopf in den Händen). Matilde. Mein armer, armer Mann! Wie habe ich dieſe Stunde gefürchtet, gebangt davor, dich leiden zu ſehen, denn ich habe dich ſo lieb! Aber neben meiner Anhänglichkeit an dich habe ich in meinem Herzen die ungeheuere Sehnſucht nach dem großen, einzigen Glücke verborgen. Es iſt noch Zeit, vom Leben das zu verlangen, worauf ich Anſpruch habe. Hans. Vielleicht iſt es bei ihm doch nur eine Laune, eine epiſodenhafte Leidenſchaft. Er iſt Arzt, viel begehrt und geſucht, insbeſondere von Frauen. Wie lange wird er ſeine Treue halten? Eines Tages wird er ſich die Frage vorlegen „Warum habe ich nicht ein junges Mädchen geheiratet, das mir Seele und Körper unberührt geboten hätte“? An dieſem Tage wird er dich betrügen. . . . Und ſelbſt wenn es jetzt wirklich ſein Ernſt wäre, ſcheitert Euer Vorhaben nicht an den Geſetzen und Einrichtungen der Geſellſchaft? 43 Matilde. Er jagt nein. Er hat ſchon mit einem Advokaten geſprochen! 5 Haus. Darüber bin ich nicht orientiert! . . . (Pauſe.) . . . Matilde, wenn aber ſeine Leidenſchaft verflogen iſt und andere Frauen in ſeinem Herzen deinen Platz einnehmen werden — dann wirſt du entſetzlich leiden — die Zukunft wird dornig und troſtlos vor dir liegen . .. zurück aber wirſt du den Weg verſchloſſen finden. Du kennſt die Aufſchrift über Dantes Höllentor: „Lasciate ogni esperanza voi ch'entrate!“ Laſſet alle Hoffnung zurück Ihr, die Ihr eintretet! Matilde. Er iſt ſolch niedriger Tat nicht fähig! Und ſelbſt wenn dem ſo wäre, eine Stunde ſolchen Glückes iſt die ewige Verdammnis wert. Haus. Du liebſt ihn alſo wirklich jo ſehr! Matilde (teife). So ſehr! Haus (fteht auf und geht mit müden Schritten im Zimmer hin und her, züudet fich eine Zigarre an, geht auf die Terraſſe; der Mond geht langſam auf). Ach, die Luft tut wohl, ſie kühlt die brennenden Schläfen. Matilde (greift einige Male an den Kopf). Mir iſt auch ſo ſchwer zu Mute, wenn du erlaubſt, Hans, ziehe ich mich in mein Zimmer zurück, es liegt mir wie Blei in den Gliedern. (Geht ſchleppenden Ganges zu Hans und reicht ihm die Hand. Das Mondlicht fällt auf beide.) Hans. Gute Nacht, mein Kind! (Weich.) Ich werde mich deinem Glücke nicht entgegen ſtellen, dir ſogar die Wege ebnen. Schon meinem Namen bin ich es ſchuldig, daß wir auseinandergehen, ohne daß es zu einem Eklat kommt — aber wenn du das Haus verläßt, bricht alles zuſammen, was das Leben mir bieten konnte. Matilde (beugt ſich auf ſeine Hände und küßt ſie, geht langſam in ihr Zimmer, blickt mehrmals auf ihn zurüch). Fr Vierte Szene. Haus (geht gedankenvoll zum Schreibtiſch, ſetzt ſich dort nieder und fährt ſich über die Stirne, nimmt einige Briefe von einem vor ihm liegenden Haufen und beginnt ſie aufzuſchneiden, verſucht zu leſen, wirft ſie plötzlich wieder auf den Tiſch und geht im Zimmer auf und nieder, bleibt dann vor dem Revolver ſtehen, nimmt ihn aus dem Futteral, ſchüttelt den Kopf). Das wäre Feigheit vor dem Feinde! (ſteckt ihn wieder in das Futteral; hierauf geht die Türe von Hanſens Zimmer auf, Ida ſieht vorſichtig herein.) Ida. So, alles iſt in ſchönſter Ordnung! Nun, Hans allein! Wo iſt Tildchen? Hans. Sie war ſehr erſchöpft, ich habe ſie zu Bette geſchickt. Ida (ftellt den Leuchter hin, geht zu Hans und ſieht ihn beſorgt an). Hans, mein Junge, du haſt doch nicht am Ende geweint, ſeit 20 Jahren haſt du keine Träne im Auge gehabt! Komm, ſag mir, was dich quält, war ich nicht immer da, wenn es galt, deinen Kummer zu ſtillen, ſprich doch, es drückt mir ja das Herz ab! Hans (überwältigt). Matilde will uns verlaſſen, Ida! Sie will nicht mehr mein Weib ſein! (Bricht ſchluchzend vor dem Tiſch zuſammen, Ida ſchlägt die Hände über dem Kopf zuſammen.) Ida. Um Gottes Willen ... ich hab es geahnt! (Streichelt ihn zärtlich). So arg wird 's nicht ſein, mein Herzensbub, nimms nicht ſo ſchwer, du wirſt ſehen, es iſt nur eine vorübergehende Sache — Tilde iſt viel zu empfindſam, zu rechtlich, als daß ſie dir — uns — ſolchen Schmerz an— früh verläßt ſie uns doch noch nicht und wenn man über einer Sache geſchlafen hat, ſieht man ſie immer mit ganz anderen Augen an. Das beſte iſt, du gehſt jetzt zu Bette, von der Reiſe biſt du übermüdet, nervös. Morgen beſprechen wir dann mit Muße und klarem Verſtande weiter, wie ſich alles 45 noch zum guten ändern läßt! (Geht in ihr Zimmer und kommt gleich mit einem Glaſe Waſſer, einem Löffel und Medizinſchachtel zurück.) So, mein Hans, da, nimm ein Veronal, das gibt dir eine ruhige Nacht und morgen hilft der liebe Gott weiter .... Du wirſt ſchon ſehen! Hans. Laß nur Ida, ich brauche es nicht, die Er— müdung wird mich ſchon ſchlafen laſſen .... Ida. Nein, nein, ſicher iſt ſicher, nimm 's wenigſtens mir zuliebe, was liegt denn daran! Haus (nimmt es widerwillig). Ida. So, jetzt bin ich ruhiger. Ein guter Schlaf macht den Kopf klar . . . und jetzt gehen wir zu Bette, ich bitte dich! Hans. Quäl mich nicht! Gleich kann ich noch nicht Ruhe finden. Ich werde noch ein bischen leſen, die an— gekommenen Briefe durchſehen. Ida. Nach einer Weile komme ich nachzuſehen! Gott ſchütze dich (macht ihm das Kreuz auf die Stirne, umarmt ihn). Der liebe Gott wird uns ſchon helfen, wozu betete ich ſonſt täglich für Euer Glück? Hans. Ja, ich weiß es. Gehe nur und ängſtige dich nicht. Ida (mit Leuchter in ihr Zimmer. Unter der Türe). Daß du nicht aufbleibſt Hans! Fünfte Szene. Hans (ſetzt ſich zum Schreibtiſch, nimmt einige Briefe, über⸗ fliegt ſie, legt ſie wieder nieder, ſieht ſinnend vor ſich hin, ſteht auf und geht im Zimmer herum. Vor Matildens Tür bleibt er horchend ſtehen, legt die Hand an die Klinke, läßt ſie wieder los und kehrt zum Schreib— tiſch zurück. Nimmt am Wege ein Buch aus dem Bibliothekskaſten, lieſt zuerſt leiſe dann lauter: Das Leben des Menſchen gleicht einem Wege, an deſſen Ende ſich ein ſchrecklicher Abgrund befindet. Man macht uns bei dem erſten Schritt darauf aufmerkſam, aber 46 das Gebot iſt ausgeſprochen, wir müſſen immer vorwärts ſchreiten. — Ich möchte umkehren! Nur weiter! weiter! Eine unbeſiegbare Schwere, eine unbeſiegbare Kraft treibt uns an, wir müſſen uns, ohne Zögern, dem Abgrund nähern. Tauſend Hinderniſſe, tauſend Mühen ... und wenn man noch dieſem ſchrecklichen Abgrunde ausweichen könnte! Nein, nein, wir müſſen gehen, wir müſſen laufen. Dennoch tröſten wir uns, weil wir von Zeit zu Zeit auf Gegenſtände ſtoßen, die uns zerſtreuen, fließendes Ge— wäſſer, Blumen, an denen wir vorüberſtreifen. Wir möchten ſtehen bleiben: Vorwärts! vorwärts! Immer fortgeſchleppt, näherſt du dich dem Schlunde. Schon beginnt alles zu ſchwinden; die ſpärlicher blühenden Gärten, die matter glänzenden Blumen, ihre minder lebhafte Farbe, die weniger lachenden Wieſen, die minder klaren Gewäſſer, alles wird glanzlos, alles verſchwindet. (Legt das Buch weg.) Den Schluß behalte für dich, Freund Boſſuet, denn mein Leidensweg iſt noch lange nicht beendet, aber auch in meiner Hand ſind die Blumen ſchon gewelkt! (Schließt die Gartentüre, löſcht den Luſter aus. Hellſtes Mondlicht, vor ſeiner Türe bleibt er ſinnend ſtehen.) Die erſte Nacht wieder da— r Was wird der Morgen bringen? (Geht in ſein Zimmer.) Ganz leiſe hört man von einem Streichquartette (Streichharmonie) „Aſes Tod“ von Grieg wie aus weiten Fernen. Da öffnet ſich die Türe Matildens; in langem Nachthemd, barfüßig, mit tief geſtecktem Haar tritt ſie mit ſtarr ins Weite gerichteten Augen langſam, ſchleppend herein, es muß deutlich zu erkennen ſein, daß ſie unter dem Einfluſſe einer fremden Macht ſteht. Alle ihre Bewegungen müſſen ſchwer, ſchleppend, widerwillig ausgeführt werden; ſie geht auf den Schreibtiſch zu, nimmt 47 die Piſtole, geht zu Hanſens Zimmer, öffnet die Türe, tritt ein. Man hört einen Schuß und dann das Niederfallen der Waffe, die Muſik bricht plötzlich ab. Matilde geht ebenſo, wie ſie gekommen, denſelben Weg zurück. Sobald ſie beiläufig die Mitte des Zimmers erreicht hat, ſtürzt Ida mit einem Leuchter aus ihrem Zimmer, ſieht Matilde, ruft ſie heftig an. Matilde! (er | * d erſchauert). Matilde (erwacht mit einem Ruck und erſchauert) Ida (nochmals). Matilde, haſt du den Schuß gehört? Matilde. Ich!?) Nein! Ida (läuft in Hanſens Zimmer, ſchreit von dort entſetzt heraus). Um Gottes Willen, Hans hat ſich erſchoſſen! Matilde (fährt ſich mit entſetzter Geberde in die Haare, ſtößt einen Schrei aus und ruft auf das tieffte erſchüttere'). Wie muß er mich geliebt haben! (Sinkt am Boden zuſammen.) Der Vorhang fällt. Dritter Akt. Speijezimmter, links Harmonium auf einer ziemlich großen Eſtrade. In der Wand hinten eine Türe. Neben dieſer die Kredenz, Blumen, in der rechten Wand Türe, die auf einen Balkon führt, Ausblick auf Garten; dann weiter vorne Türe in ein Zimmer. Rechts Chaiſelongue mit Stehlampe, Rauchtiſchchen und kleinen Puffs. In der Mitte nach rechts zu, Speiſetiſch mit 3 Stühlen. Viele Blumen im Zimmer. Erste Szene. Matilde, Meinhardt, Ardegg (fen um den Speiſetiſch, bei dem Deſſert abends). Ardegg (erhebt Ah). Und jo beſchließen wir denn dieſen äußerſt gemütlichen, fröhlichen Abend mit einem Trinkſpruche auf die liebe, anmutige Hausfrau. „Es lebe die Perle aller Frauen, ſie blühe und genieße ihr Glück!“ (Stoßen an, ſetzt ſich.) Wer hätte vor 2 Jahren gedacht, daß wir einen ſo fröhlichen Abend zuſammen verbringen würden? Dunkel und undurch— dringlich lag die Zukunft vor Ihnen. Durch einen gewaltigen Ruck hat das Schickſal ſelbſt Licht in die Finſternis gebracht. Seien Sie ſich dieſer ſeltenen Gunſt höherer Mächte voll bewußt und nutzen Sie den Augenblick, der niemals enden möge! Wie ſehr man auch die Tragik deſſen empfinden muß, daß Herr v. Brenken ſo früh ſeinem Leben ein Ende machte, es war doch nur ſo möglich, daß Sie gnädige Frau, Ihr Lebensglück gewannen. Denn jetzt kann ich es Ihnen ja ge— ſtehen: ohne jene Tat des Verſtorbenen wäre es faſt unmöglich 49 geweien, Ihre Vereinigung nach dem Geſetze und vor der Welt durchzuſetzen. Matilde. Aber Sie und Guſtav ſagten doch, daß es in Deutſchland, der Schweiz oder Ungarn möglich geweſen wäre! Meinhardt (rückt, unruhig hin und her). Ardegg. Ja, gnädige Frau, es hätte ſich ſchon machen laſſen, aber wir alle hängen doch an unſerem Vaterlande, wir wurzeln tiefer, als wir es glauben, in dem alten aus— einanderſtrebenden und doch ſo ſchönen Oſterreich. Guſtav hätte ſich ſehr ſchwer von allem losgeriſſen. Guſtav (ungeduldig). Gewiß, gewiß. Doch laſſen wir das! Was vorüber iſt, iſt vorüber, freuen wir uns der Gegen— wart. Sie iſt ſonnig, klar, nur in ſolcher Atmoſphäre kann meine kleine Frau ſich wohl und glücklich fühlen. (Steht auf und umſchlingt ſeine Frau, die mit glückſtrahlendem Blicke zu ihm aufſieht.) Matilde. Ach ja, Guſtav, ſehr, ſehr glücklich bin ich durch dich geworden. Und wie ſollte es auch anders ſein. Du denkſt „Sie muß glücklich ſein“ und ſo bin ich's auch — grenzenlos! Ardegg. Möge Ihr Glück Ihnen erhalten bleiben! (Trinkt beiden zu.) Guſtav. Mein alter Junge, jetzt wäre es aber nach— gerade an der Zeit, daß auch du dir einen Hausſtand gründeteſt; lange genug ſteht dein Junggeſellentum gleich einer vielbe— ſtürmten, aber unbeſiegbaren Zitadelle da — na Proſit — auf deine zukünftige junge Frau! (Stoßen lachend an.) Ardegg. Der Wein iſt zu gut, um nicht ausgetrunken zu werden, was jedoch das Freien anbelangt, ſehe ich lieber zu .. . es iſt weniger anſtrengend und entſchieden amüſanter. Aber damit Sie, verehrteſte Freundin, ſehen, daß ich nicht ſeit jeher ein ſo überflüſſiges Mitglied der menſchlichen Ge— ſellſchaft war, will ich Ihnen ein Hiſtörchen aus meiner 4 Mi. A 50 Praxis erzählen und dann mögen Sie ſelbſt urteilen, ob es nach ſolchen Erfahrungen nicht beſſer iſt, ſeinen Lebenskarren einſpännig weiterzuſchleppen. Matilde (klatſcht in die Hände). Bravo, bravo. Was für haarſträubende Geſchichten werden Sie mir jetzt erzählen? Ardegg. Nur die Wahrheit, teuerſte Frau .. . alſo blättern wir ein paar Jährchen zurück und ſtellen Sie ſich vor, daß ich ein ſchlanker Jüngling bin, meine Lockenfülle noch nicht beſchädigt iſt und mein harmloſes Gemüt noch empfänglich für ſanften Augenaufſchlag und Beteuerungen unverſtandener Frauen! Da führt mir denn der Zufall einſt ſolch ein armes Seelchen in den Weg und ich hatte nichts Eiligeres zu tun, als mich Hals über Kopf in eine närriſche Verliebtheit zu ſtürzen. Ich verurteilte in meinem Inneren den Gemahl dieſes Engels zu den härteſten Qualen, fand, daß alle Märtyrerinnen im Vergleiche zu meiner heldenhaften Klientin die reinſten Lebedamen wären und wäre gar nicht erſtaunt geweſen, wenn beſagtes Weibchen eines ſchönen Tages mit ſchneeweißen Flügeln meiner Kanzlei entſchwebt wäre. In einer ſolchen überſchwänglichen Seeligkeit geſchah es, daß ſich meine entzückende Klientin tatſächlich verwandelte, aber nicht in einen ſchneeweißen Engel, ſondern in eine über alle Maſſen berückende — Geliebte! Guſtav. Na alſo, da kamſt du ja auf deine Koſten. Ardegg. Ich bin noch nicht zu Ende. — Zdiſchen Liebesſchwüren und verliebten Tändeleien ſchmiedeten wir eine Falle für den Herrn Gemahl, damit er als Gatte vom Schauplatze verſchwände und wir dann offiziell unſer heimliches Glück aller Welt vor Augen führen könnten. Da kam der Sommer, meine Braut fuhr mit dem Gatten auf 6 Wochen nach Rügen. Es gab einen tränenreichen Abſchied und Be— teuerungen über Beteuerungen. Im Herbſte ſollte die Trennung 51 ſein. Ich Hatte inzwiſchen alle Hände voll zu tun, das Nötige für die raſche Löſung der Angelegenheit vorzubereiten. Heiße Liebesbriefe flogen wie fremdländiſche Blüten in meine Kanzlei und erfüllten mir Herz und Sinne mit ihrem ſchwülen Dufte. Indeſſen wurden die Grüße ſpärlicher, immer ſpärlicher, gleichzeitig aber erfuhr ich, daß die arme Dulderin die Stunde ihrer Freiheit lechzend erwarte, ich möge ja nur alles dafür bereit halten. Endlich war die Schöne wieder da — aber Tag um Tag verſtrich, mein Täubchen kam nicht. Da... eines Tages .. . es klopft . . . die Türe öffnet ſich und herein tritt — ihr Mann! „Was führt Sie zu mir, mein Herr?“ — Ich fühle, daß meine Stimme nicht die gewohnte Feſtigkeit beſitzt. — „Ich weiß alles“ antwortete er tonlos, „und bin gekommen um“ . . . ich taſte nach der Schublade, wo der Revolver liegt, und überlege, ob ich ſofort ſchießen oder abwarten ſoll . . . da kommt mir der rettende Gedanke, ihn teilnehmend zu fragen, was er eigentlich wiſſe. Da ſagt mir der gute Mann, ſeine Frau betrüge ihn, wolle fort, den anderen heiraten und da ſie evangeliſch ſeien, ginge das leichter, ja vielleicht beſſer als er fürchte. Mir tanzen rote Räder vor den Augen, die grüne Funken ſprühen. Das iſt alſo die Entſcheidung, mein Schickſal hat geſprochen! Zaghaft frage ich ihn, ob er ſich zu duellieren wünſche. Er aber antwortet: „Ach nein, wozu das, ich möchte Sie nur bitten, dieſe Angelegenheit zu ordnen; ich glaube meine Frau kennt Sie perſönlich, da ſie mich zu Ihnen geſchickt hat. Der Erwählte ihres Herzens iſt ein franzöſiſcher Marquis, ſie ziehen gleich in's Ausland. Meine Frau ſagte mir, ich möge es vor allem Ihnen mitteilen, da es von größter Wichtigkeit wäre, daß Sie es wüßten.“ 52 So bin ich denn damals mit einem blauen Auge davongekommen und habe einen furchtbaren Schwur getan! Ans Heiraten aber denke ich ſeit jener Zeit nicht mehr! — Matilde. Das iſt wohl nur eines Ihrer fröhlichen Märchen. Ardegg. Leider nein, verehrteſte Frau! Kein Gehirn der Welt kann je ſo erfinderiſch in merkwürdigen Schickſalen, komiſchen Situationen und kraſſen Gegenſätzen ſein wie das Leben ſelbſt. — Doch nun muß ich fort, ſo ſchwer es mir auch fällt. Guſtav hat Ihnen ja ſchon gejagt, daß ich einer dringenden Arbeit halber ſo unartig ſein muß, gleich nach dem Souper zu gehen. — Es raſſeln eben meine Ketten, doch keine Roſenketten! — Ich habe noch eine dringende Arbeit für die morgige Gerichtsverhandlung zu beenden — da muß ich ohnehin noch die halbe Nacht robotten. (Stehen auf und begleiten Ardegg zur Türe Mitte.) Matilde (hängt ſich in ihren Mann ein und lehnt ihren Kopf an ſeine Schulter. — Zu Ardegg.) Das iſt ſehr ſchade, lieber Freund, wir hätten gerne noch ein bischen muſiziert, Beethoven geſchwärmt! ... Ardegg. Wäre gewiß ſchöner und angenehmer geweſen, aber die Pflicht ruft. (Küßt Matilde die Hand.) Guſtav. Dann auf Wiederſehen und recht bald! (Guſtav und Matilde begleiten Dr. Ardegg zur Mitteltüre.) Zweite Szene. Matilde (kommt in's Zimmer zurück, trällert ein Liedchen und öffnet die Erkerfenſter. Das Mondlicht überflutet ſie. Erſchreckt tritt ſie zurück, fährt mit beiden Händen an die Schläfen und eilt nach vorne, bleibt ſtehen, ſchließt die Augen und läßt beide Arme ſtraff herunterſinken. So findet ſie ihr Mann, der, die Zigarre im Mund, friſchen, fröhlichen Schrittes hereinkommt. Einen Moment bleibt er betroffen ſtehen, wirft die Zigarre in den Kamin, eilt auf ſeine Frau zu, ſchließt ſie in ſeine Arme und ſtreichelt ihr Geſicht). 53 Guſtav. Nun mein Herz, was gibt's denn! Wieder die böſen Nerven! Warum denn, hm? Mach' die Augen auf, Liebchen, laß mich hineinſehen in ihre dunklen Tiefen, damit ich darin leſen kann, was in deiner Seele vorgeht ... nun? Sprich! Oder Haft du mich nicht mehr lieb, was... na alſo, fie lächelt ſchon ... fort mit den Tränen, jo und jo und jo (küßt fie auf die Augen und den Mund) und nun raſch, raſch erzählt. (Führt ſie zur Ottomane, wo er ſie ſanft hinlegt und ihr die Pölſter ſorgſam zurechtrückt. Sie lächelt glücklich. Dann dreht er die Hängelampe ab, jo daß nur die Ottomane in ſanftes Licht ge— taucht iſt. Das Mondlicht fällt durch das Erkerfenſter herein.) So. Liebling, jetzt iſt's erſt recht gemütlich. Da bin ich wieder auf meinem Plätzchen, hier. (Setzt ſich auf einen niedrigen Puff.) Deine kleinen Kinderhände in den meinen, dein ſtilles Ge— ſichtchen mit den geliebten Augen vor mir .. . ſo ... und nun beichte, Kind, was hat's gegeben? Matilde. Mein Schatz, es iſt ſchon vorüber, ſprechen wir nicht mehr davon. Du weißt, wie ſchwach meine dummen Nerven ſeit jener ſchrecklichen Nacht ſind. Ich kann das magiſche, kalte, harte Licht des Mondes jetzt nicht ertragen, es tut mir phyſiſch weh. Sei nicht böſe, Geliebter, ich werde dieſe Überempfindlichkeit zu unterdrücken wiſſen, nicht umſonſt bin ich dein Weib. Mein Wille hat ſich an dem deinigen geſtählt, wenn es ſein muß, kann auch ich feſt wollen. Guſtav. Mein armes, ſüßes Weib! (Lehnt feine Stirne auf ihre Hände und verbleibt eine Minute ſo in Gedanken, dann ſpringt er plötzlich mit einer energiſchen Bewegung auf und geht mit raſchem Schritte im Zimmer auf und nieder.) Du läßt dich zuviel von Stimmungen beherrſchen; das Weggehen eines Freundes, etwas Mondlicht ſind imſtande, dich in einen krankhaften Nervenzuſtand zu verſetzen. Mehr Vertrauen in dich, in deine eigene Kraft 54 werden es dir leicht machen, dich dem Einfluſſe ſolcher Nichtigkeiten zu entziehen. Matilde. Es wird ſchon beſſer werden, habe nur Geduld mit mir. — Komm' Guſtav! Erkläre mir, welchen Einfluß hat eigentlich das Mondlicht auf den Menſchen? Sie ſchiebt die Arme unter den Kopf und rückt ſich zurecht.) zuſtav. Ja Kind, das ſind noch unerforſchte Dinge! Ich habe die Überzeugung, daß die Wirkung des Mondes auf ganz äußerlichen Urſachen beruht und alles Geheimnisvollen entbehrt. Es gibt wohl Menſchen, die beſonders ſtark auf das Mondlicht reagieren, ich habe aber in jedem dieſer Fälle ge— funden, daß eine krankhafte Konſtitution des Nervenſyſtems vorlag. Ich erkenne nur eine unbedingte Macht an, die auf die Seele des Menſchen wirkt, das iſt der auf eine Sache konzentrierte feſte Wille. Matilde. Den kenne ich, an den glaube auch ich, ſeit du mich von meinen quälenden Kopfſchmerzen geheilt haſt. So viele verdanken ſchon deiner Willenskraft ihre Heilung aus ſchwerer Krankheit. Ich bewundere dich, du herrlicher Menſch, der du durch die Macht deiner Perſönlichkeit ſiechende Menſchen geſunden machſt, Jammer und Unglück in Freude und Seligkeit verwandelſt .. .. Wie ſtolz bin ich auf dich und wie unbedeutend erſcheine ich neben dir! Guſtav. Bewundere mich nicht zu ſehr. Ich bin ein Menſch wie die anderen mit allen ihren Fehlern, Laſtern und Untugenden behaftet. Nur eines veredelt mich: meine Liebe zu dir. Die innige Verſchmelzung unſerer Seelen wird uns aber auch in hohem Fluge über alles Menſchliche erheben. Die Vorurteile, die unvernünftigen Geſetze des erbärmlichen Erden— lebens werden wir auf dem läuternden Wege in eine neue, ferne Welt zurücklaſſen. Verinnerlichung unſeres Weſens iſt die Zauberformel, mit der wir uns zu den Göttern erheben. 55 Und ſind wir einmal beide dahin gelangt, die Abhängigkeit von allem körperlichen zu überwinden, dann gebietet der Wille nicht nur über uns ſelbſt auch über alle anderen Neben— menſchen. „Ich will es,“ iſt der magiſche Spruch, der uns zu wirklichen Herren macht. Wirſt du ſtark genug ſein, mir dahin zu folgen? Matilde (begeiſtert)!). Ich gehe ohne Zagen, wohin du mich auch führen magſt! | Guſtav (ſetzt ſich ans Harmonium und beginnt die erſten 16 Takte „Aſes Tod“ zu ſpielen). Liebling, kennſt du dieſe Melodie? Denke feſt nach, wann haſt du ſie gehört? Matilde (fett ſich auf, ſtützt die Ellbogen auf die Kniee, nimmt die Stirne in die Hände). Ich weiß nicht, ich weiß nicht! ... Guſtav. Oh ja, mein Herz, du weißt ſchon, es war... Matilde (nachſprechend!. Es war Guſtav. In jener Nacht Matilde. In jener Nacht Matilde (leiſe). Ja, ja ... ſo iſt es ... Ich beſinne mich ſelbſt eigentlich gar nicht deſſen, was ſich damals zugetragen hat. Oft denke ich angeſtrengt darüber nach und doch finde ich mich niemals zurecht. Ich ſehe nur immer vor mir, wie ich plötzlich im Wohnzimmer ſtehend erwache, Ida mich frägt, ob ich nichts vernommen hätte und ich ſie dann aus Hanſens Schlafzimmer die Worte rufen höre „Um Gottes Willen, Hans hat ſich erſchoſſen!“ — Mir iſt noch lebhaft in Erinnerung, wie meine Kniee wankten und das blendende Mondlicht mir phyſiſch wehtat. Guſtav (ſpielt das Stück langſam zu Ende, beide ſchweigen. Dann ſteht er auf, beugt ſich über ſeine Frau und zieht ſie zu ſich empor). Nun iſt es genug, Matilde, ich weiß gar nicht, warum wir ſo düſtere Erinnerungen heraufbeſchworen haben! | 56 Matilde. Ach nein, Guſtav, laß uns noch ein wenig plaudern, ich bin jetzt ſo erregt, erzähle mir noch etwas von der Hypnoſe, das iſt ein Thema, das mich ſehr intereſſiert und immer wieder auf andere Gedanken bringt. Komm, hier haft du noch eine Zigarre, jo, hier iſt Feuer .. . nun ſetze ich mich in dieſen behaglichen Lehnſtuhl und du rückſt ganz nahe zu mir, dann fürchte ich mich nicht! (er ſetzt ſich auf die Lehne und legt den Arm um ſie.) Jetzt erzähle! Wie biſt du über— haupt auf den Gedanken gekommen, durch Hypnoſe zu heilen? Wann haſt du bemerkt, daß die Kraft deines Willens ſo ſtark iſt, daß fremde Naturen ſich derſelben unterwerfen müſſen? Guſtav. Die Hypnoſe, mein Herz, iſt eigentlich eine uralte Sache. Schon die alten, indiſchen Fakiere erzeugten hypnotiſche Zuſtände durch Konzentration ihres Blickes oder ihrer Gedanken. Es gelangen ihnen zahlreiche Heilungen, ohne daß ſie ſich des Weſens dieſes Vorganges bewußt wurden. Ich habe mich ſchon als junger Mediziner ſehr dafür intereſſiert und viel darüber geleſen. Als mir durch Verſuche klar wurde, welchen Einfluß ich auf die Menſchen ausüben könnte, beſchäftigte ich mich ausſchließlich damit, dieſe Methode zu vervollkommnen. Nach und nach gelang es mir, Wirkungen zu erzielen, die mich vollſtändig befriedigten. Und da kam der Rauſch des Siegers über mich, der unter ſeinen Füßen den Bezwungenen ſieht, über ſich keine andere Macht anerkennt. (In immer ſtärker werdendem Enthuſiasmus.) Denn aus Molekülen zuſammengeballt, verdankt der Menſch nichts anderem ſeine Herrſchaft über die Natur, als der Kraft ſeines Willens. Auf der Spitze der Rieſen— pyramide, jener Hekatomben von Menſchen, die vor mir gelebt hatten und wieder dahingeſunken waren, von denen jeder einen kleinen Schritt vorwärts zur Vervollkommnung des Willens gemacht hatte, ſtand ich! (Atmet tief auf und ſteht auf.) Vermagſt du mir bis zu jener Höhe zu folgen? 57 Matilde. Wenn du mich mit dir emporträgſt! Guſtav. Endlich galt es mein eigenes Lebensglück! Warum ſollte ich in einem ſolchen Momente meinem Wahl— ſpruche untreu werden: Sic volo, sic jubeo, stat pro ratione voluntas, ſo will ich es, ſo befehle ich, ſtatt Grundes gelte der Wille! Und als ſich gar kein anderer Ausweg bot dich zu erringen, habe ich es gewollt... und . . . wie du ſiehſt . . . tft es gelungen (geht auf und ab). Matilde. Ja, Geliebter, wir find glücklich . . . aber... verzeihe, ich verſtehe dich nicht ganz. Du ſagteſt „als ſich gar kein anderer Ausweg bot, habe ich es gewollt“ .. . wieſo? .. Du kannſt doch nicht gewollt haben, daß Hans ſich töte? Guſtav. Über ihn habe ich keine derartige Macht gehabt, ich hatte ihn nur flüchtig geſehen; ihn konnte ich nicht beein— flußen, aber Matilde (ſteht auf und blickt ihren Gatten erſtaunt an.) Aber Guſtav. Aber dich! Matilde (verſtändnislos). Mich? ... Du ſiehſt mich faſſungslos . . . ich ahne nicht, wohin du mich führſt, Guſtav, ſprich doch! Guſtav. Willſt du mein ſtarkes Weib fein, mein würdiger Kamerad? Du weißt, ich liebe dich vor allem um deines empfindſamen Gemütes willen; dein ſcheues und tiefes Weſen zieht mich immer wieder mit Gewalt an ſich, aber ich möchte dieſer ſchwankenden Blume durch ein tapferes Herz einen feſten Halt geben und darum höre bis zu Ende, was ich dir jagen werde! Setzt ſich auf die Ottomane und zieht fie auf feinen Schoß.) Du erinnerſt dich gewiß des Tages, an dem wir von einander Abſchied nahmen und mir die Ankunft Dr. Ardeggs gemeldet wurde. Er ſetzte mir alles auseinander und erbrachte mir durch ſeine Geſetzeskenntnis den unumſtößlichen Beweis 58 daß, wenn wir nicht für immer auswandern wollten, ich auf meine Stellung nicht verzichtete, wir unter gar keinen Um⸗ ſtänden eine legitime Ehe eingehen könnten. So wahnſinnig dieſe „Unlöslichkeit“ iſt, ſo unverrückbar feſt ſteht ſie da und die armen Menſchen, die ſich zuſammengetan haben, um das Recht auf das Leben wiederzugewinnen, werden wohl eher ihren Mut und ihre Ausdauer einbüßen, als jene Grund— feſten erſchüttern, auf welche die katholiſche Kirche ihre mit— leidloſen Dogmen geſtützt hat! Dich für ein Konkubinat zu gewinnen, ſchien mir deiner gänzlich unwürdig. Ins Aus⸗ land zu gehen, wäre mir meiner alten Eltern wegen ein großes Opfer geweſen, der Gefahr eines Konfliktes mit den Geſetzen wären wir trotzdem nicht entronnen. Ardegg ſagte mir: „Und du kannſt mit deiner Frau, wohin du willſt, bis an das Ende der Welt gehen, ſie bleibt katholiſch verheiratet. Jeden Moment kann man ſie wegen Bigamie anklagen. Ich wiederhole es dir, eine katholiſche Ehe kann nur durch den Tod eines Gatten gelöſt werden.“ . . . Matilde (ſteht langſam auf und geht wie geiſtesabweſend nach vorne, preßt beide Hände auf das Herz und wiederholt leiſe mit ge— ſpanntem Geſichtsausdruch. Nur durch den Tod gelöſt werden .. (dann geht fie wieder zum Kamin zurück, läßt ſich ſchwer in den Lehn— ſtuhl niederfallen) ... Rede weiter, Guſtav, bitte! Guſtav. Da reifte mein Plan. In dem kurzen Augen— blicke, als ich mit dir vor der Abfahrt des Zuges im Warte— ſaale zuſammen war, übertrug ich meinen innerſten Wunſch auf dein Wollen, ſuggerierte dir, was du zwei Tage ſpäter ausführteſt. Matilde. Barmherziger Gott, laſſe mich aus dieſem wüſten Traume erwachen, das iſt ja unmöglich, Wahnſinn .. (ſie eilt zur Hängelampe und zündet ſie wieder an) Licht, Licht vor allem! Guſtav. Matilde, Kind fer ruhig. Komm ſei mein tapfereg Lieb, wir haben uns unſer Glück ſchwer genug errungen. Matilde. Ich bin ganz gefaßt, aber ich flehe dich an, ſage mir alles, verheimliche mir nichts — ich tappe noch im Dunkeln, aber ich fühle, daß ich vor einem gähnenden Ab— grunde ſtehe, deſſen Anblick mir Schwindel erregt. Guſtav. Es bleibt mir faſt nichts zu ſagen übrig. Wir gingen auseinander . . . als es an jenem Tage Nacht wurde, ſaß ich unter meinen Büchern; dein Bild und die Skizze euerer Wohnung, die ich mir nach deiner Beſchreibung entworfen hatte, hielt ich in der Hand und konzentrierte meine ganze Willenskraft auf einen Gedanken, dann ſetzte ich mich zum Harmonium und ſpielte „Aſes Tod“. Da ſtand plötzlich euer Wohnzimmer im grellſten Lichte vor mir, ich ſah deine Türe aufgehen, dich mit ſtarr ins Weite gerichteten Augen zu dem Schreibtiſche gehen, auf dem der Revolver lag . . . mir ſtockte einen Augenblick das Blut . . . ich überwand die Schwäche .. ich ſah dich weiter in das Schlafzimmer deines Mannes ſchreiten ... du legteſt die Waffe an ſeine Schläfe und drückteſt los . . . die Waffe entfiel deinen Händen und traum⸗ haft wie du gekommen, gingſt du wieder denſelben Weg zurück. Matilde (die mit weitgeöffneten Augen und vorgebeugtem Leibe voll Entſetzen zugehört hat, greift plötzlich mit den Händen in die Luft und ſinkt mit einem Aufſchrei zuſammen.) Guſtav (bettet fie auf einen Divan und bringt ſie durch Ein⸗ reibungen zu jich). Matilde, Liebling, ſchau mich an, höre, es war nichts, ein böſer Traum hat dich gefangen. Es iſt wieder hell um dich. Sieh, wir ſind beiſammen, du und ich in dieſem hübſchen Neſtchen, hoch über allem Erdenjammer haben wir es aufgebaut. So wie die Dächer und Fenſter unter uns liegen, ſo wollte ich dich über alles, was die Welt an Jammer birgt, emporheben. Mein ganzes Leben habe ich 60 nur dir geweiht, du biſt die Gottheit, zu der ich bete, ich liebe dich und du mußt glücklich fein... du mußt es . .. ich will es ... Matilde! ... Matilde (tonlos). Ja Guſtav! (erhebt ſich, ſpricht langſam, wie ſich beſinnend). Und ſo iſt das Glück zu Ende! In Scherben liegt es vor mir, und wollte ich auch nur ein Stück davon aufheben, es zerſchnitte mein Herz. Was ich jauchzend hin— genommen hatte als etwas mir Gebührendes .. meine Liebe .. dieſe tiefe, große Liebe . . . iſt tot! Guſtav. Matilde, was ſagſt du (will ſie umfaſſen). Matilde (ſchüttelt den Kopf und wehrt mit den Händen ab). Nein, laß mich! Ich ſage dir, ſie iſt tot; voll Entſetzen werde ich mir des Verbrechens bewußt, mit dem ich meine Seele beſudelt habe. Wie Schuppen fällt es mir von den Augen, mit furchtbarer Klarheit ſehe ich nun alles vor mir. Wie ein Kartenhaus iſt das Glück, das ich mir erbaut hatte, zuſammengefallen — nur die hehre, gütige Geſtalt meines armen Hans ſehe ich vor mir, traurig blickt er auf mich herab. Qualvoller als der Tod iſt mir dieſes Erwachen! Aber auch die Liebe zu dir iſt wie eine tote Schlange ab— gefallen . . . ruhig ſetze ich meinen Fuß darauf — ich fürchte ſie nicht mehr! Guſtav. Hör auf, hör auf! Willſt du, daß ich mich töte? Gib mir deine Liebe zurück und ich tue es ſofort! Matilde. Zu ſpät, rühr' mich nicht an, ich bin nicht mehr dein .. . ich gehöre dem Toten, den . . . (fie ſchauert zu- ſammen) ich ſelbſt gemordet habe. So lange noch ein Lebens— hauch in mir iſt, werde ich nur mit ihm verbunden bleiben, denn eine ſolche Tat kann nur durch die Sühne eines ganzen, vollen Menſchenlebens gebüßt werden . . . Ich gehe von dir, den ich fo unausſprechlich geliebt habe . . . nie mehr könnte 61 ich mit dir zuſammen fein, denn der Tote ftünde immer zwiſchen uns! Guſtav. Das iſt ja heller Wahnſinn! Kind, denke doch! Unſere Liebe! . . . Soll denn alles vergeblich geweſen fein? Matilde. Alles vergeblich! Um ſolchen Preis kann man kein Glück erkaufen. Lebe wohl! Rede nichts mehr! Es iſt auch dies... mein feſter Wille! Keine Macht der Erde wird mich davon abbringen können. Guſtav (wirft ſich vor ihr auf die Kniee). Bleibe, Matilde, das kann dein letztes Wort nicht ſein! Matilde. Es iſt mein letztes! Weicht vor ihm zurück.) Guſtav. Matilde! Matilde (wehrt mit den Händen ab, und tritt zurück). Vorhang fällt. Im Verlage Daul Rnepier (Wallishauſſer'ſche Hofbuchhandlung) in Wien iſt ferner erſchienen: Roberto Bracco, „Die herbe Frucht“, deutſch von Otto Eibenſchitz. Luſtſpiel in 3 Akten ee „Die herbe Frucht iſt unſtreitig eines der beſten Werke des genialen Italieners, der wie kein Zweiter das Seelenleben des Weibes zu ſchildern vermag.“ Felix Dörmann, „Die Liebesmüden“, Luſtſpiel in 3 Alten. K 2.40 „Ein brillantes Luſtſpiel voll Geiſt, Humor und Satyre das Jedem, der es lieſt oder hört, vergnügte Stunden bereiten wird.“ Richard A. Edon, „Aus der Tiefe“, Tragödie in 5 Auf— JJJJ//J%%%éͥ ͤ ⁰⁰ BET I RE Ne „ N Re Richard A. Edon, „Der ſteinerne Tod“, Ein Drama aus der Landsknechtzeit in J Aufzügen. Ferdinand von Feldegg, „Mit ſeinem Gott allein“, Schau— r . Oskar Fronz, „Das Kuckucksei“, Volksſtück in 4 Akten K 1.80 Alfred Lenz, „Leutnant Halm“, Das Drama einer Liebe einn 5 RR ei RI Adolf Schwager, „Bürgermeiſter Boyer“, Eine Tragödie aus dem Weinlande in 3 Aißngenmnmnnmgn K 2.40 Sil Vara, 1 Drama“. 3 Einakter. 1. „Pierrots Drama“; 2. „Verlobungstag“; 3. „Das Wirtshaus zu Hounslow Heath h... „ ng ae PN RE Münchner Neueſte Nachrichten: „... Ein ſehr feiner und delikater Gedanke, der nicht ohne Kraft geſtaltet iſt . . . während im Wirtshaus zu Hounslow Heath, einer Kulturſkizze aus dem alten England von 1670, von Sil Vara der Bühne eine ſichere Arbeit gegeben wurde, die die Stimmung nächtlicher Angſt in einer Verbrecherſpelunke ſehr dramatiſch zu verwerten weiß und dabei dank ihrer Lebendigkeit des Zeitskolorits anſehnliche literariſche Valeurs beſitzt“. Neue Freie Preſſe, Wien; „Sil Vara iſt ein feines und eigenartiges Talent . . . man muß ihn als Stiliſten von außerordentlicher Zartheit und rhytmiſcher Em— pfindung gelten laſſen, als Kenner und Spürer feiner. ſeeliſcher Vorgänge, beſonders der weiblichen Pſpyche, die er bis in ihre geheimſten Winkel verfolgt! Hans Weis, „Waffenübung“, Schauſpiel in 4 Aufzügen . K 2.40. Irma von Höfer, „Frühlingsſturm“, Roman aus dem öſterr. Offiziersleben, eleg. broch. Preis K 3.60 Streffleur's militär. Zeitſchrift. ... . Vergleicht man Irma von Höfers „Frühlingsſturm“ mit dem in letzter Zeit ſo viel genannten Roman „Zwölf aus der Steiermark“ von Rudolf Hans Bartſch, ſo erkennt man erſt, welche erſtaunliche dramatiſche 5 dieſe Dame ihr eigen nennt, wie ſtraff ſie die Handlung zu führen weiß und wie elementar ſie die Ereigniſſe auf— einanderfolgen läßt. Die Zeit, Wien. .. denn es beſitzt Elemente, die jenen anderen abgehen; aus Irma von Höfers Buch ſpricht glühende Hingabe an die Arbeit des Geſtaltens, ernſtes Erlauſchen der Lebensformen und bedeutſames, kluges, Nachbilden des geſchauten. Irma von Höfer, „Jugend“, Ein Liebesroman aus dem öſterr. Offizierleben, eleg. broch. Preis K 3.— St. Petersburger Zeitung... Irma von Höfer iſt keine Freundin von langatmigen Reflexionen und Moral— predigten, wohl aber eine Meiſterin der Erzählungs— kunſt und eine feine Beobachterin, die manchen tiefen Blick in das Seelenleben des Menſchen geworfen hat und die ausgeſprochene Fähigkeit beſißt, das Wahr— genommene in ihren Helden zu verkörpern. Daß keine Phantaſiegebilde ſondern Menſchen von Fleiſch und Blut vorgeführt werden, erkennt der Leſer ſofort und nötigt ihn, mit großem Intereſſe der Erzählung zu folgen, deren Hauptvorzug darin beſteht, durch die Schilderung des allgemein Menſchlichen, des Alltäg— lichen, manche Seite im Innern des Leſers zum Mit— klingen zu bringen. Erdgeiſt, Wien. ... Dieſe Szene im bleichen aufzitternden Morgenlicht iſt packend und außerordentlich gelungen. Auch dort zeigt ſich die Verfaſſerin von vorteilhafter Seite, wo es ſich um Nachſchilderungen handelt. Sie findet ſchöne Bilder, aus welcher Liebe zur Natur und eine überraſchend feine Beobachtung entgegentreten. Irma von Höfer, „Am Lido“, Eine Ehegeſchichte, eleg. broſch. in farbigem Umſchlag. Preis Neue Freie Preſſe, Wien. .. Die Charakterſchilderung iſt ſehr fein und wunderſchön, ſtimmungsvolle Land— ſchaftsbilder ſchlingen ſich um das Ganze und die Verfaſſerin zeigt ein bemerkenswertes Talent, ver— ſchiedene Typen lebendig und anſchaulich darzuſtellen. University of Connecticut Libraries Te f N er N e 4 5 2 158 . . N BE 1 983 1 K N K 24 5 Ri e KNEPLER & SCHLESINGER, WIEN K. 1 95 5 } 1 9 7 193 R 1 l 4 655 . % n x 4; * 5 + 8 2 * Kr 1 — p . N 1 RE 14 2 1 „ 2 N 7 ir * * * 1 5 4 [4 * 8 N 0 * 3 5 j - > . — 9 f . * “ * ! . — * 3 ad * . ; * 1 Kuh 5 * wr 2 > 1 4 2 N * — x 3. 7 1 * 2 7 ! N 2 a; ö * 4 * N A . nd 72 — A - . 14 7 > hy u * ar. \ I 0 * 1 1 2 * 7 0 „ 2 8 > , . 1 N N 1 A - a > - 77 * * „ ’ 1 5 0 i . „ X 2