Waiideriingeii, Anbau und Agrarrecht der Völker Europas nördlich der Alpen. Von August Meitzeu. Erste Abtheilung: Siedelung und Agrarwesen der Westgermanen und Ostgermanen, der Kelten, Römer, Finnen und Slawen. iBa^nd II- Bcrliii 1895. Verlag von Wilhelm Hertz Bc3ser'sche Buchhandlung. Siedeluiig und Ägrarwesen der Westgermanen und Ostgermanen, der Kelten, Römer, Finnen und Slawen. Von Aug^ust Meitzeu. ZBa^iaci II- Mit 38 Abbildungen. ;^^ 7^ Berlin 1895. Verlag von Wilhelm Hertz Besser'sche Buchhandlung. Inhalt. YII. Friesen und Sachsen in Deutschland und England. 1. Das Land der Friesen und Sachsen. S. 1. Cliarakter und besondere Verhältnisse der Nordseeküste und der nord- deutschen Tiefebene. Die Geest. Die Marschen. 2. Der Strand der Nordsee. Meereseinbrüche im Mittelalter. 3. Das Wattenmeer. 5. Eindeichungen. Beschaffenheit des Marschbodens. 8. Ungesundheit der Küstengegend. 9. 2. Heimath und Ausbreitung der Friesen und Sachsen. S. 10. Vertheilung der germanischen Volksstämme an der Nordseeküste nach Ptolemaeus und Tacitus. 11. Stellung der Angeln und Warnen. 13. Wan- derungen der Friesen. 14. Brukterer. 15. Unterschiede der Ingvaeonen und Istvaeonen. 16. Berührung mit den Finnen und den Kelten. 17. Gebiete der Ingvaeonen. 18. Eindringen in das Keltenland. 19. Gebiet der Friesen, 20. der Brukterer, 21. der Chauken, 23. der Angrivaren, 24. der Altsaxones. 25. Geschichte der Sachsen bis zum 8. Jahrhundert. 26. Entwickelung der Friesen. 29. 3. Die Besiedelang Frieslands. S. 30. Umfang Frieslands. Die Moorkolonien und ihre Eigenthümlichkeiten. 31. Anl. 83. Ausstreckungsrecht. 32. 68. Die Marschbesiedelung des Mittel- alters. 34. 86. Trankstätten. Die blockförmige Auftheilung des Landes. 37. 87. Reste der ältesten Ansiedelungsform. Verbreitung derselben. 39. Herrschend sind die Einzelhöfe. 40. Ausnahmsweise geschlossene Dorfanlagen auf der Geest, anscheinend mitteldeutscher Einfluss. 41. 88. Ständische Schichtung in Friesland. Keine Hufenverfassung. 43. Freie Theilbarkeit unter dem Einflüsse der Deichpflichten. 44. Keine Marken. Anlage der Hamraerken. 45. Soweit Hufenanlagen erwähnt werden, sind sie Uebertragung fränkischer Ein- richtungen seit der Karolingerzeit. 47. 86. Das Agrarrecht der Friesen ur- germanisch, 51. fremdartig ist der Charakter ihrer W^ohn- und Wirthschafts- weise. 52. VI 4. Besiedelung der Sachsengebiete zwischen Weser und Bheinland. 8. 53. CIuiraktcriKtik der Kinzelhofsiedcluiifi: Westfalens. 54. Bei.spiclo. 55. 89, DU. Ufbcreinstiniinung mit den Kinzolhofcn im Ruhr- und Rlieinf,'ol)ic't, 62. 70, 72. GeschloRscne Ortschaften und ihre Entstelninfj;. 63. 73. Orfranisation und Zusammensetzung westfälischer Bauernschaften. Erben, Heuerlinge, Würdener, Markkötter, Erbkötter. 65. 5. Die Marken in Westfalen. S. 69. Die Marken Westfalens stehen denen des alten Volkslandes nahe. 69. Verfassung und Grösse der Marken. 70. Markentheilungen. 72. Ent Wicke- lung der zu Marknutzungen berechtigten Höfe. 73. Weisungen, Hcimschnat, Loh, Vöhden, Esche. 74. 91. Das Fehlen der Almenden. 77. 6. Der keltische Ursprung der westfälischen Einzelhöfe. 8. 77. Erörterung der Gründe gegen den keltischen Ursj)rung der westfiilischen Eiuzelhöfe. 78. Angebliches Zeugniss des Tacitus. Natürliche und wirth- schaftliche Ursachen der Einzelhöfe. 79. 83. Spuren alter Gewanndörfer. 80. 68, 93. Die Hufenverfassung in Westfalen. 84. Ware, Echtwort. 89. Anbau der Kelten zur Zeit des Nomadenlebens der Germanen. 90. Das sogenannte sächsische Haus ist keltischen Ursprungs. 91. Di. Gründe für den Fort- bestand der keltischen Höfe und Häuser unter deutschem Besitz. 95. 7. Angelsächsisches Agrarwesen in England. S. 97. Römische Eroberung und Beschreibung Britanniens. 97. Römische Reste in England. 98. Gegensatz zwischen Einzelhöfen und Dörfern deutlich er- kennbar. Eindringen der Sachsen. 99. Ihre Reiche. 102. Dänen. 104. Nor- mannen. 105. Spuren älterer Anlagen selten wegen der Verkoppelungen. 106. Verkoppelungsgesetzgebung. 107. Völlige Uebereinstimmung der erhaltenen Fluren mit den deutschen. 110. Beispiele. Di, 95. Hufenverfassuug. 112. Flurzwang. 115. Dorfverwaltung. 116. Verbreitung der Gewanndörfer, der Einzelhöfe und der grundherrlichen Dörfer mit blockförmiger Flureintheilung. 118. Landgesetze. 120. 8. Die Entwickelang der grandherrlich-bäuerlichen Verhältnisse in England. S. 123. Gegensatz zwischen volksmässigen und grundherrlichen Dörfern. Namen. 123. Keine Marken. 124. Volksland, Königsland, Landleihe 125. Die eigentliche Volksmacht ursprünglich die gemeinfreien Bauern. Gesetze der Angelsachsen. 126. Verfall der Grundherrlichkeit. 128. Wirthschaftliche Gründe. 129. Freie Bauern der Dänen , villani , cottarii und bordarii des Domesdaybooks. 131. Veränderung durch die normannische Eroberung. Alles Land Lehn der Krone. 133, 134. Entaels, Manors, Villani. 135. Freeholder, Zeitpächter, Copyholder. 136. Kolonisation des Fen-Districts. 137. Leasehold. 139. Zahlenverhältniss der Klassen des bäuerlichen Besitzes. 140. VII YIII. Wanderleben, Siedelung und Ägrarwesen der Finnen und Slawen. L Auftreten und Verbreitung der Slawen und Finnen. S. 141. Zwei Zweige der Slaweu. Die Acstii oder Lithauer. Ihr Gebiet. 142. Die Veneili oder die eigentlichen Slawen. 144. Wanderungen und Geschichte der »Slawen Ijis auf Karl den Grossen. 146. Scheidung in Süd- und Nordslawen. 151. Ihre Grenzen am Limes sorabicus und gegen die Finnen. 152. Aus- breitung der Finnen zur Ostsee. 154. Die Magyaren. 159. Erste Entwicke- lung Ungarns. 161. 2. Land und ältestes Kulturleben der Finnen, S. 164. Die Finnen das Polarvolk. 164. Eigenthümlichkeiten der central- asiatischen Steppen und der nordischen Tundren. 165. Entsprechendes Leben der Menschen. 168. Das Wohnen in Gammen und Jurten. 169. Die südwestlichen Wolgafinnen seit lange Ackerbauer; die nordöstlichen noch Nomaden, Eennthierhirten und Jäger. 171. Sitze und Zahl der Finnen. 172. Aelteste Kultur nach Tacitus. 174. Ergebnisse der Sprachvergleichung. 176. Uebertragung der KulturbegritTe aus dem Altgothischen. 177. Spätere Kulturbeziehungen. 180. 3, Siedelang und Ägrarwesen in den Finnengebieten. S. 181. Grundstücksvertheilung unter dem Einfluss der Russen, 181. 97. der Schweden, 182. 98. der Livländer. 183. 99. Entstehung und Eutwickeluug der Ansiedelungen in Finnland. Charakter des schwedisch-finnischen Siede- lungsrechtes. 185. Okkui^atorische Siedelung in den Waldgebieten der öst- lichen Finnen' 190. 102. Magyaren setzen sich in Ungarn auf schon kultivirtem Boden fest. 194. 4. Die EntWickelung von Haus und Hof bei den Finnen. S. 195. Kulturbedeutung von Haus und Hof bei den Finnen. 195. Im Westen der Haustypus der Pirtti. Entwickelung in Karelieu, Livland, Esthland, im südlichen Finnland. 196. Im Osten die feste Ansiedelung viel später. Daher die nationalen Züge näher dem Nomadenthum. Erinnerungen an die noma- dische Cota. Die Riegen. Die Cuda. 201. Einwirkung der russischen Re- gierung auf den Hausbau. Grossrussische, 208. karelische Höfe. 210. 5. Das südslawische Ägrarwesen und die Hauskommnnion. 213. Siedelungsanlagen verschieden. Die rein slawisclien schwer zu erkennen. 213. Eigenartig volksthümliche Einrichtung ist die Hanskommunion. Wesen und Organisation in Oesterreich, Serbien und Montenegro. 214. 104. Gegen- satz zu den Kelten. Kommunistische Familieugemeinschaft. Stamm, Staat. 214. Kommunistischer Haushalt und Gutsbetrieb. Theilungen. 215. Boden- vertheilung uml Form der Wolmi)lätze, grosse Mannigfaltigkeit. 218. 6. Wesen und Geschiebte des grossrussischen Mir, S. 219. Wesen und Form der Mirverfassung. 220. 97, 105. Unterschied von der Hauskommunion. 222. Geschichte und Verfall der früher freien Bauer- VIII 8('haft('ii iii"^on y.nth' des ISIitlcIaltt-rs. 223. Die Bauern werden zu Piiehtern, 225. diese im IG. .Jalirli. an die .Sc^liolle gefesselt, 226. im 17. Jalirli. Leiijeigene. 227, lOinllus.s des Steuersystems unter Peter d. Grossen auf die gutslierrlich- bäuerliehen Verliäitnisse. 228. Ausbreitung der jNIirverfivssung von amts- wegen. 229. 7. Die Spuren des Stammeslebens und der Hauskommunion bei den Nordslawen. S. 231. Landschaftliche Organisation bei den Nordslawen. 232. Descriptio civi- tatuni aus dem 9. Jahrhundert. 233. Zahl der Völkerschaften und der festen Mittelpunkte. 235. Orte. Burgwälle. 237. Die meisten sog. Städte der älteren Zeit unbewohnt. 239. Civitates sind Landbezirke von 3-6 Q Meilen unter Häuptlingen. 240. Supane und Starosten als Ortsvorsteher im Amt Meissen. 241. Die Ortsnamen überwiegend patronymisrh. 244. Die Dzedzinen in Böhmen und Schlesien. 245. 106, 107. Dorfverfassung der Dzedzinenbesitzer. 251. Blockförmige Gestalt der Flureintheilung, zurück- zuführen auf die väterliche Gewalt der Häuptlinge. 260. Die Verbreitung der unregelmässigen Feldeintheilung weist auf allgemeinen Bestand der Sadruga. 263. Wahrscheinlichkeit der Hauskommuniou bei den östlichen Nordslawen. Einzel- hofsiedelung in Kleinrussland. 264. Autheilswirthschaft, nicht Hauskom- munion auf den Heerdhöfen. 265. Besonderheiten der slawischen Agrar- verfassung. 269. IX. Die EntWickelung der Grundherrlidilceit, der Leline und der Siedelungen auf Landleihe. 1. Der Ursprung der Grundherrliclikeit, des Lehnswesens und der Landleihe auf romanischem Boden. S. 271. Die nationalen Gegensätze der keltischen, slawischen und germanischen Agrarverfassung. 271. Wesen des deutschen Königthums. 273. Die Land- vergabungen. 275. Ursprung der Grundherrlichkeit. 276. Kirchliche Leihverhältnisse. 277. Verleihung von Krön- und Kirchen- gütern gegen die Verpflichtung zum Reiterdienst. 278. Lehne, Benefizien. Erblichkeit. Einfluss der Umgestaltung des Heerwesens. Bedeutung der Senioren. 279. Grossgrundbesitz auf dem ehemaligen Königsland, aber nicht grosser Gutsbetrieb. 281. Vergabung der Ländereien an Bauern. Blockförmige Fluren. 282. 49—60. Die gutsherrlich -bäuerlichen Rechtsbeziehungen. 283. Die niedere Gerichtsbarkeit des Grundherrn über seine Hintersassen, 284, Uebernahme von Land ohne Verlust der Freiheit, 285, Verbreitung der Eigen- gabe. 286. Vermischung der Freien und Eigenbehörigen. 287. Hospites. 289. AVesen und Bedeutung der Innnunität, 291, Veränderung der gallischen Organisation. 292. Umgestaltung zunächst im fränkischen Reich, 293. Ein- dringen in die deutschen Volkslande. Sonderstellung des skandinavischen Nordens, 294. IX 2. Das Eindringen der Grandherrlichkeit in die deutschen Volkslande. S. 294. Ungleiches \'onlringeu der fränkischen Einrichtungen. 295. In Hessen, c^hüringen, Friesland, Westfalen, am besten erkennbar in Sachsen. 296. Po- litische Organisation Sachsens. 297. Einfluss der fränkisclieu Landvergabungon. 298. Eingriffe in die Geschlossenheit des alten Geschlechtsverbandes. 300. Veränderung des volksthümlichen Grundbesitz- und Erbrechts. 301. Römisches Eigenthum für Kirchen- und Königsgut. 303. Unterschiede in der ent- stehenden Grundherrlichkeit zwischen der sächsischen und fränkischen Länder- gruppe. 304. In Sachsen grössere Landschaften unter einheitlicher Leitung, besondere Gerichtsorganisation. 305. Lage der bäuerlichen Bevölkerung im alten Yolksland. 308. Laten. 309. Persönliche Rechtsverhältnisse veränderiich, 311. wirthschaftliche fester. Dorf- weisungen. 312. Urbare. 313. Weisthümer. 314. Urkunden. 315. Bedeutung der lokalhistorischen Forschung. 316. Eintluss der Grundherrlichkeit auf die Erhaltung des Bestandes der Besitzungen. Theilungen. Erbrecht. 319. 3. Grundherrliche Siedelungen im alten Volkslande. S. 323. Alte Dorfschaften durch Grundherren nicht verändert. 328. Neue grund- herrliche Siedelungen in Wäldern und Oeden. Verschiedene Arten der An- lage. 324. Dörfer mit Gewannfluren. 324. 108, 109. Blockförmige Flur- eintheilung. 326. 110, 111. Weiler und EinzeÜKife. 327. 112, 113. Wald- und Hagenhufen. 329. i, 114 — 117. Wirthschaftliche und soziale Bedeutung des Waldsiedelungsrechts. 340. Erbzinsgüter. 341. 4. Die Besiedelung der Weser- und Eibmarschen. S. 343. Verwandtschaft der Waldhufen und holländischen Hufen. 343. Verträge der Bischöfe "von Bremen mit holländischen Kolonisten von 1106 und 1142. 344. Bedeutung der Festsetzungen. 345. 86. Die Wesermarschen. 350. Die Kulti- virung der Eibmarschen. 351. Geschichte der Eindeichungen. 353. Be- völkerung. 358. Uebereinstimmung in Hausbau, Feldeiurichtung, Anbau. 359. 9i, 118. Stammesunterschiede zwischen Sachsen und Holländern. 361. Eigen- thümlichkeiten der Gerichtsorganisation. 363. Günstiger Einfluss der Marsch- besiedelung auf die bäuerliche Freiheit. 365. X. Die deutsche Rückeroberung der Slawengebiete in Oesterreicli, Bayern und Sachsen. 1. Die Herrschaftsgrenzen der Deutschen, Slawen und Ungarn. S. 368. Charakter der deutschen Plerrschaft über die Slawenstaaten im Osten. 368. Ungünstige Lage des Limes sorabicus. 4 Landabschnitte vor dem Limes: Oesterreich, Oberfranken, Obersachsen und Altmark mit dem Wendlande. 369. Verlauf der Eroberung dieser Marken. 371. Neuer Grenzzug gegen die Slawen von der Kieler Föhrde bis zur österreichisch -ungarischen Grenze. 372. Die agrarischen Vorgänge typisch für die spätere Kolonisation des Ostens. 373. X 2, Die deutsche Besitznahme Oesterreichs und Kärnthens. 8. 374. Ciang dur deutKclien Besiedeluiig uutcr Karl dem Grossen, 375. Ludwig dem Frommen, 378. Ludwig dem Deutschen. 379. Unter Arnulf das Land iilxM-all nur Grossgrundbesitz. Auftreten der Untei-vasallen. 382. Ungarn- i'iiifall. 384. Wiedereroberung durch Otto L Landesorgani.sation. 384. Verschiedene Gestaltungen der Dorfanlagen. 385. Siedelungsweise im Gebirge, in den offenen Thälern und in der March- und Leithaebene zu unterscheiden. 386. 119, 123, 120. Den Ursprung derselben ergeben Sprach- forschung und Siedelungsform nur zweifelhaft. 389. Entstehung entweder durch stückweise Okkupation oder durch grundherrliche Austhuung. 391. Stellung der Supane in der Ostmark. 392. 121. Art der Landvergabung in den Gebirgsgegenden. 394. Die Fluranlagen in den Stromthälern. 396. 123. Waldhufen, Gewaunfluren , Eiuzelhöfe. 397. Grosse Gleichartigkeit in den Flussthäleru der Mur, Drau und Sau. 398. Verleihung von Köuigshufen. 399. 123. Auf dem Siedelungsgebiet der östlichen Ebene Dörfer mit grossen planmässig angelegten Gewannflureu. 400. 120. 3. Die deutsche Eroberung Oberfrankeus, S. 401. Gebiet der Kedanzslawen. Ausbreitung zeigen die Ortsnamen. 402. Kolonien westlich des Limes. 404. Eindringen der Slawen. 405. Eroberungen Karls des Grossen. 407. Urkundliche Nachrichten. 408. Art der Besiedelung. 410. Vorwiegen der blockförmigen Anlagen. 411. 125, 126. Grundherrliche Gewanudörfer und Waldhufenanlagen. 415. 124. Besiedelung der Landschaft Cham und des Bayrischen Waldes. 417. 127. 4. Die Erwerbung Obereachsens durch die sächsischen Kaiser. S. 419. Gang der Eroberung vom 9. bis 11. Jahrhundert. 419. Urkunden- fälschungen. 421. Nur der slawische Adel ging unter. 426. Agrarische Ent- vvickelung in zwei Perioden. Bis 1100 das Land als erobertes behandelt. 427. Verleihungen an die Markgrafen und Bischöfe. 428. Eindringen der deut- schen Grundherrlichkeit. Wenige Ritter. 431. Vergabungen an Dienst- mannen allgemein. 433. Sie hoben sich aus Hörigkeit zum Ministerialadel. 436. Gegensätze der Besiedelung. Im Gebirge nur grosse Waldungen, in der Ebene slawische Weiler. 437. 128, 129. Politischer und wirthschaftlicher Wechsel um 1150. 440. Fränkische Kolonisation. 441. Waldhufen im Gebirge. Ge- wanndörfer in der Ebene. 442. 130, 131. Flämische Kolonisten. 443. Eechte wie in Bremen. 445. Bildung besonderer Genossenschaften. 446. 132. Fünf Klassen der slawischen rustikalen Bevölkerung: Supane, Withasii, Smurden, Lazzen, Proprii. 451. Die Milites agrarii, Güter, Rittermässigkeit und Grund- herrlichkeit. 456. Namen der Orte und Familien. 457. Entstehung der Lehn- güter. 460. Vermischung zwischen Lehn und Eigen durch Erblichkeit. Herren- güter im 12. .Jahrhundert. Zerschlagen der Dienstgüter. 464. 128. Zu.sammenhang der Kolonisationen mit der seit den Kreuzzügen ver- änderten Lage. 465. Die Rodungen werden gewerbsmässige Unternehmungen der Ritter. 466. Rittersitze in Kolonistendörfern. 467. 130. Gutsherrliche Wirthschaften. 468. Betrieb. 469. Zusammenlegen der kleinen Ansiedelungen der Slawen. 470. Strassendörfer und regulirte Gewanne. 471. 129, 133, 134. XI Gewinn an Kulturland und an Hufenzinsen. 472. Vertreibung der Slawen aus kirchlichen Interessen. 473. 5. Die deutsche Besitznahme der Ältmark und des Wendlandes^ S. 47.5. Büdenbeschatt'enheit der \Vische, tler xVltmark und des AN'endlandes. 475. Bis 900 Schicksale gemeinsam. 477. Geschichte, Gaue, Bisthümer. 478. Bellingen. 479. 135. AVendland, Kämpfe unter Heinrich dem Löwen. Deutsche Hufenv fassung. 481. Dorfanlagen der Wenden. 482. 136—138. Germanisirung der Altmark schon früh. 488. Typische Dorftiuren. 489. 139. Einfälle der Slawen. 483, 491. Entstehungszeit der deutschen Gewann- anlagen. 492. Die Altmark im 11. Jahrhundert deutsch, das Wendland bis in das 18. Jahrhundert slawisch. 493. --^ •f XI. Wirthschaftliche und ständische Entwickelung in Dänemark, Scliweden und Norwegen. 1. Trennung und Unterschiede Skandinaviens und Deutschlands. S. 494. Völlige Uebereinstimmung der skandinavischen Siedelung mit der west- germanischen. 495. Gemeinsame Weiterentwickeluug verhindert durch die Völkerwanderung. Fortziehen nach dem Süden. 496. Nordische Beziehungen mit der griechischen Kultur, 497. Früher Handel der Kolonien am Schwarzen Meer. 498. Das altgriechische Haus übertragen. 500. 140. Bodenverhältnisse Skandinaviens. 501. Dorfanlagen im Süden. Hufendörfer mit Gewannfluren. 502. 141 — 144. Im Norden überwiegt der Okkupationsbesitz. 504. 102. Be- siedelung Islands. 506. Betrieb, Hülfsgilden, Weidegebiete. 507. Heerdeu. 508. Sennerei. 509. Persönliche und politisclie Verhältnisse der Bevölkerung. Stärkeres Ein- greifen der königlichen Gewalt als in Westdeutschland. 510. Ständische Gliederung eigenartig. Sklaventhum. 511. Die gemeinfreien Bauern. 512. 2. Die Entwickelang der Gutsherrlichkeit in Dänemark. S. 513. Mutter- und Tochterdörfer. 513. ^larken und Almenden. 514. 146. Freie Bauern unterwerfen sich gegen die Kriegslast dem Adel. 515. Pacht- bauern, Faestebauern , auf Königs- und Adelsland. Vernichtung der bäuer- lichen Fi-eiheit in Dänemark und Holstein. 516. Die Verkoppelungen und deren Wirkungen. 517. 3. Die gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse in Schweden. S. 518. Der freie Bauernstand niemals unterdrückt. Der schwedische Adel. 518. Güterklassen. Die Mantals. 519. Vertheilung des Kulturlandes, Ausdehnung der Forsten. 520. XU 4. Die Agrarverhältnisse Norwegens. S. 521. Meist fioiiiilc < )l»iMlierrKcliaft, weil j,'eiiii^' iK-vülkert. IikIpss schwer zu lullten, «lalier Personalunion, kein Druck. 521. Gunst i^'c Lage i<.se. 58«. Frohuptiii-ht. 589. Die Kräfte der Dienst- pflichtigen liauptsäohlich zur Rodung und Bewirthschaftung von Beunden benutzt. 590. Der Anl)au auf den Beunden und seine wirthschaftliclie Be- deutung. Freiheit von Fkirzwang. 591. Thätigkeit der Klö.ster. Einführung und Verbreitung der Dreifelderwirtlischaft. 592. Kostspieligkeit (Jer Beunden- wirthschaft wegen der Gegenleistungen an die Frohnpfiichtigen. 595. Die Weinkultur auf den grundherrliclien Beunden. 597. Entwickelung der Beunden- W'irthschaft nicht zum Grossbetrieb, sondern zu Eustikalbesitz. 599. Ueber- weisung an die Gesammtheit der Hüfener oder au einzelne Genossen- schaften. 601. 4. Die Gehöferscbaften auf dem Hunsrück und der Eifel. S. 602. Die Gehüferschaften sind private Genossenschaften. Oft mehrere an einem Ort. Auch fremde Theilnehmer. Sie bewirthschaften gegen solidarisch abzuführenden Zins Land, das sie periodisch unter sich theilen. 602. Bei- spiele. 603. 79, 148, 149. Auf dem Gehöferschaftslaude keine Gehöfte. Betrieb als Acker, Wildland unter Brennkultur, Lohhecken meist mit Zwischenfrucht, Wiese, Wald. 607. Alter der Lohhecken. 609. Alle Gehöferscbaften bestehen auf grundherrlichem Lande und leisten grundherrliche Zinsen. Früheres Beunde- und Pachtland, das seit ca. 1300 fest verliehen ist. 613. 5. Die Waldwirthschaft der Grundberrschaften. S. 614. Eingreifen der Königsgewalt in Almende-, Marken- und Volksland der eroberten Landschaften. 614. Daher Königsforsten, Bannforsten, Wildbann- forsten mit oder ohne Fortbestand der alten Nutzungsrechte. INIit verschie- denen Rechten weiter verliehen. 615. Durch Anrechte beschränkter Betrieb. 616. Forstbeamte. 617. Schlechter Zustand der Markenwaldungen. 619. Späte und zweifelhafte Waldpflege. Hochwaldsschlageintheiluug erst um 1750. 621. Jagd ursprünghch frei. 622. Mehr und mehr beschränkt, Jagdregal. 623. 6. Die grundherrlicbe Hof-, Güter- und Territorialverwaltung. S. 624. Hof- und Güterverwaltung stets geschieden. Landbesitz durch ])äuerliche Wirthschaften verwerthet. Nicht landwirthschaftliche, sondern fiskalische und steuerhche Verwaltung. 625. Wie im Staat Vereinfachung der Geschäfte er- strebt. Verzichte des Staates bei Verleihung der Immunität und der Staats- ämter. Aehnlich die Grundherren. 626. Beamtenwesen unter den Merowingern centralisirt, 627. unter den Karolingern decentralisirt. 628. Oertliche Macht- haber. Actores, ministeriales, majores. 629. Vögte. 630. Mit der Grafen- gewalt verfällt die Verwaltung des Staates. 632. König nur Hausmacht. Ge- ringere eigene Bedürfnisse der Grundherren. Für Heerdienst belehnen sie Untervasalleu mit Land. 633. Mit den Kreuzzügen anspruchsvolle Stellung des Ritterthums. 634. Neue Standesideen. Waffenpracht, Luxus, Burgenbau. 635. Aufwand nicht durch eigenen Betrieb, sondern durch einfachere Verwaltung zu decken gesucht. 637. Meier, Bauern und Gutsland in Erbzinsverhältnisse gewandelt. Statt Dienst- leistungen Geldzins. 638. Niedere Gerichtsbarkeit gegen ^3 der Einkünfte an Ortsvorsteher, Erbscholzen, überwiesen. 640. Auch Villikationsverträge. 643. XIV Gmndhcrrlicho Vorwaltun«;; wird Rentcisachc. 644. Land- und Städtegcmeindon erlangen Sell)8tverwaUung, Wohlhabenheit und Widerstandsfähigkeit, 645. Grundherren verfallen wegen Sinkens der Getreidepreise. Grosshandel. Geld- verschlechterung. 646. Steigender Luxus. Theilung der Besitzungen, Raubritter. ]Mit dem Auftreten des modernen Staates Umschwung durch die im Koloui- sationslande des Ostens vorbereitete eigene Grosswirthschaft der Ritter. 647. XII. Zusammenfassung der Ergebnisse. 1. Die thatsächlichea Zustände und Vorgänge der geschichtliclien Zeit. S. 648. Unterscheidung der bäuerlichen Kleinwirthschaft und des erst in der Neuzeit auftretenden fabrikähnlichen Grossbetriebes. 648. Entstehung des Kleinbetriebes aus dem Nomadendasein, Erhaltung der Anlagen bis zur Gegenwart. 649. Siedelungsformen der Germanen und der Kelten. 650. Eindringen der Deutschen in die keltorömischen Gebiete. 655. Entstehung der Grundherr- lichkeit und des Lehns. 660. Grundherrliche Anlagen und Einrichtungen. 662. Skandinaviens besondere Entwickelung. 666. Finnen, Lithauer, Südslawen, Nordslawen. 667. Hauskommunion, Mir, Siedelungsformen. 668. Vordringen der Slawen nach Westen, Karls des Grossen Limes sorabicus. Deutsche Eroberung der Ostmark, Oberfrankens , Obersachsens und der Altmark mit dem Wendlaude. 670. Slawische Reste und deutsche Kolonisten. Entwicke- lung der Milites agrarii zum Ministerialadel. 672. Einfluss der Kreuzzüge, Blüthe des Ritterwesens. Selbstverwaltung der Gemeinden. Macht der Städte. Sinken der Getreidepreise und des Geldes. 674. Verfall des Ritterthums. Umwandelung durch den modernen Staat. 675. 2. Vermuthungen über die Vorzeit. S. 676. Bemerkungen über den wahrscheinlichen Zusammenhang. 676. Eis- zeit. 677. Wanderungen der Iberer, Ligurer und Finnen. Die Indogermanen und Chinesen in Centralasien. 678. Wanderungen der Kelten, West- und Ostgermaneu, Italer, Lithauer, Slawen. 680. Volksthümliche politische Grundgedanken der Siedelung, Theilungsweise. Gemeinbesitz, Feldgemein- schaft. 682. 151. Aeltester Hausbau, romanisches, keltisches, rhätischalpines, fränkisches Haus. 686. Hausurnen und Jurtenbilder. 689. Haus der Ost germanen gleich dem altgriechischen. 690. Juitenhaus der Kelten, Italer und Westgermauen, Höhlenhaus der Aegypter, Iberer, Griechen, Ostgermanen, Wolgafiunen, Russen und Polen. 692. 28, 140. Yerzeichniss der Figuren in Band II. Fifi. 53 Seite 35: Flur Siebenhöfen bei Stade, Marschhufen, s 54 = 55: Brochterbeck bei Tecklenburg. s 55 « 55: Schulzenhof zu Gassei bei Münster. « 56 = 92: Sächsisches Bauernhaus in Westfalen, s 57 = 92: Plan eines alten und kleinen sächsischen Hauses. » 58 » 92: Plan des entwickelteren grösseren Hauses. « 59 = 170: Einfache Gamme im norwegischen Finnmarken. » 60 « 170: Gamme am Finnfjord. » 61 = 170: Jakutische Gamme, Aeusseres. « 62 « 170: Jakutische Gamme, Inneres. « 63 = 171: Finnische Cota. « 64 = 171: Cota unter einer Fichte, s 65 = 171: Cota der Lappen in Jemtland. 66 » 196: Pirtti in Finnland. « 67 « 197: Dachkonstruktion der Pirtti in Finnland. = 68/71 « '199: AVohnhaus und Gehöft in Esthland. * 72 « 201: Stangencota mit Firstholz in Jäppilä, St. Micliel, Finnland. « 73 = 201: Cota mit Badstube in Pühhalep bei Reval. 74 = 202: Cota in Pühhalep bei Reval. « 75 « 203: Stangenriege der Mordwinen und Tschuwaschen. 5 76 « 204: Riege und Scheuer in Pörtnuri bei Kosmodemjansk, Kasan. « 77/78 = 204: Riege in Kargaseno bei Spack, Tambow. * 79 = 205: Riege mit Ofen in Kargaseno bei Spack, Tambow. « 80 « 206: Tscheremissische Kuda in Pörtnuri bei Kosmodemjansk, Kasan. s 81 = 206: Inneres der tscheremissischen Kuda in Sundir bei Kosmo- demjansk, Kasan. = 82/83 = 209: Grossrussisches Gehöft bei Moskau. ' 84 » 2l0: Inneres der grossrussischenWinterstube in Jerahtur,Räzan. >= 85 = 211: Russisch-karelisches Haus in Walasjoki, Archangel. 86 = 220: Mii-flur Spaas Temnia bei Moskau. « 87 = 336: Flur Ober - Längenhardt bei Kalw im Schwarzw.ald, Waldhufen. = 88 - 413: Plan des slawischen Runddorfes Posseck in Oberfrauicen. ' 89 = 485: Bild eines slawischen Runddorfes im Wendlande. = 90 = 499: Hölzerne Kosakenfestung, Kasim, um 1600. VII. Friesen und Sachsen in Deutschland und England. I. Das Land der Friesen und der Sachsen. Friesen und Sachsen erscheinen im ersten Lichte der Geschichte an der Küste der Nordsee in einem Landstriche, welcher das Völker- leben in besonderer Weise beeinflussen muss. Seine Xatur steht zu der weit verlireitetcn Gleichartigkeit der Ebenen und Gehirgsgegenden Mitteleuropas in nicht geringerem Gegensatz, wie die der Alpenkette im Süden. Die -Alpen sind ein durchaus eigenartiges T^andgebilde, in welchem Fels- und Schnee-, Wald- und Grasmassen die Kulturarbeit des Menschen dauernd einschränken und nach zwingenden Bedingungen gestalten. Nicht weniger unabweisbare Anforderungen an Lehens- haltung und Thätigkeit seiner Bewohner stellt das tiefe Küstenland des deutschen Meeres. Diese Einwirkung auf Anschauungen, Sitten, Körper- kraft und Wirthschaftsführung kann ohne ein genaueres Bild der Bodenbeschaffenheit und der örtlichen Verhältnisse nicht hinreichend verstanden werden. Schon ziemlich entfernt vom Meere, sobald die letzten schwachen Hügelketten verschwunden sind, in denen die Wesergebirge nach Nordwesten verlaufen, beginnt die norddeutsche Ebene einen eigenthüm- lich ungünstigen und öden Charakter anzunehmen. Ausgedehnte Haidestrecken wechseln mit sumpfigen Wiesen, Mooren und Flug- sandmassen, und nur, wo die grösseren Gewässer fruchtbare Sink- stoffe aus der Ferne herbeigeführt und in mehr oder weniger breiten Ueberschwemmungsgebieten abgelagert haben, finden sich wcrthvoUe und hinreichend lohnende Kulturböden. Viele dieser Alluvionen be- grenzen gegenwärtig noch als Auen die langsam dahinziehenden Wasser- läufe, andere sind muldenförmig als Reste der verlassenen, leicht wechselnden Flussbette liegen geblieben. Nur in wenigen Lagen, wie Meitzeii, Siedelung etc. IL 1 2 VlI. 1. l)as I^uikI iler Krii-sen und der Sachsen. an der Westküste Schleswig-Holsteins, in T.ancnliurg, an der mittlen AlU'i- und längs des Fusses d;T Hügel im näluren Vorlandc der Deisler-, Bücke- und Wiehenketten, treten l)reitere Anliiiufungen alt(;n günstigen (Uetscherschuttes an die OberlUlche. Meist wurde dieser nach diMii Weggange des Gletschereises, welches Nord- mid Ostsee mit allen ihren Küstenländern bedeckte, von Wasser und Wind fortgeführt, oder es haben sich die vom Sturme gejagten Massen lockereu Bodens in un regelmässigen Wellen und Mulden über ihn verbreitet. Sand- schellen, Steppenflächen, sumpfige Haiden und vereinzelte Waldungen überzogen die Oberfläche, und es wuchsen weit ausgedehnte Grün- moore und Torfmassen von grosser Mächtigkeit empor. Das meiste Wiesenland trägt hier noch gegenwärtig vorherrschend torfigen Charakter. Die Hauptmasse der alten Torfbildungen aber ist wahrscheinlich durch tieferes Einschneiden der Wasserabzüge und ge- ringfügige Bodenschwankungen trocken geworden, und hat als völlig ödes Hochmoor noch in später Zeit den nahezu überwiegenden Theil des gesannnten Landstriches, vielfach bis an den von der Fluth des Meeres nicht mehr erreichten Strand, eingenommen. Soweit dieses Gebiet des trockenen Festlandes, die sogenannte Geest, reicht, l)ehält es dieselbe unwirthliche oder doch geringwerthige, nur ausnahmsweise von grösseren Strecken wirklich guter Acker- und Wiesengründe unter- brochene Beschaffenheit. Den werthvollsten Theil dieser Küstenlandschaft bildet deshalb nicht die innere, in viele Halbinseln auslaufende Masse der Geest, sondern das dem Festlande vom Kanal bis weit hinauf nach .Jütland vorliegende angeschwemmte, von der See überstaubare 1 »reite Niede- rungsgebiet der Marschen. Aber grade dieses hat von jeher den gewaltsamsten Verände- rungen durch Ueberfiuthungen des Meeres unterlegen, die um so zerstörender werden, weil sie ndt dem starken täglichen Wechsel der Ebbe und Fluth unberechenl)ar zusammenwirken. Ihre Gefahren drohen bei jedem Sturm und jeder Hochfluth und gehen doch durch lange Zeit immer wieder vorüber, bis einmal bei ungeahnt gesteigerter Heftigkeit die jedes Schutzwerk überwältigenden Katastrophen herein- brechen, die ihre fürchterlichen Verwüstungen oft in wenig Jahren wiederholt halben und Tausenden von Menschen und Meli den Unter- gang bereiteten. Den eigentlichen Strand der Nordsee bildet der äussere Rand der langen Inselkette, die sich von der Scheidemündung mit ge- ringen Unterbrechungen gegen das Kattegat erstreckt. Indess auch VII. 1. Das Land der Friesen und der Sachsen. vor dieser Linie fällt der IMeeresboden erst nach 1 bis 3 geogr. Meilen zu 20 ni Tiefe ab und sinkt mit Ausnabnie eines 10 Meilen breiten Stromes um die norwegische Küste nirgend unter 100 m. In der Glitte des grossen Seebeckens staut sich die Fluth vom Kanal und von den Shetlandsinseln her und häuft immer neue Biuike an, die durch den Druck des Golfstromes der Küste zugetrieben werden. Deshalb ist der äussere Strand stark versandet, und auf allen Inschi haben sich hohe Dünen aufgethürmt, welche nnr durch schwierige Befestigungsarl)eiten gehindert werden können, die letzten Flächen des natürlichen Bodcnis völlig zu überschütten. Zwischen diesen Strandresten und dem festen Lande liegt der Schauplatz immer wiederholter sehreckenvoller Ereignisse.' Vier ungeheure Einbrüche des Meeres haben in bekannter histo- rischer Zeit die sächsischen und friesischen Nordseeküsten tief zerrissen. 1216 oder 1218 wurden die bis dahin nördlich der Elbe weit aus- gebreiteten, stark bewohnten Inseln und die Eyderstedti sehen Marschen so überiiuthet und weggespült, dass das alte Nordstrand von etwa 7V2 D-^Icilen Umfang und 54 Kirchspielen 3V2 DMeilen und 33 Kirch- spiele einbüsste , und ein Verlust von 20 000 Menschenleben ange- geben wird. Dadurch entstand der breite Einriss zwischen Eiderstedt und Amrum. Darauf ist noch am 17. November 1218 ein grosser Theil Rüstringens von den einbrechenden und wieder zurückfluthenden Sturm- wogen fortgerissen worden, so dass die Hauptfläche der heutigen .Jahde als tiefer Meerbusen an die Stelle der früheren Marschland schaft trat. Die Antoniusfluth vom 16. Januar 1511 erweiterte die Jahde bis auf ihren gegenAvärtigen Umfang von 3^2 DMeilen. Am 15. Januar 1277 brach Emden gegenüber der Deich des linken Emsufers, und dieser erste Einriss des Dollarts wurde am 25. December desselb. Jhs. so vergrössert, dass die Landschaft unrettbar verloren war. 1287 erfolgte eine neue Erweiterung, seitdem ist der Dollart zu seiner heutigen Wasserfläche angewachsen. Im Anfange des 13. Jahrhunderts erreichte das Meer auch den Flewo lacus des Tacitus und bildete die Zuidersee. Zu diesen unerhörten Unglücksfällen traten noch im 13. Jahrhun- dert als die bekanntesten die Marcellusfluth in Friesland von 1219, eine andre Friesland verwüstende Ueberschwemmung durch Binnenwässer von 1237 und ausserdem 39 grosse andre Fluthen, welche Arends ^) aus urkundhchen Nachrichten zusammengestellt hat. Er berechnet ') Friedr. Arcnds, Physische Geschichte tler Nordseeküste und deren Verände- rungen durch Sturmfluthen. Emden 1833. 1* \ll. I. l)as Liiii'l der Fii:is \muA tlcr FrioHcn und der Sachsen. daini nur nuch von den li()chst('n Kluthcn erreicht werden kann, wird or alhnählidi, wie man sagt, zur Kindeichung und zum Anbau reif. Die Eindeiclumg gegen das tosende Meer ist ein staunens- werthes Unternehmen. Wie sie in älterer Zeit ausgeführt wurde, ist noch nicht genügend aufgeklärt. Allmähliche Aufhöhungen gehen von Fluth 7A\ Fluth wieder verloren. Viele Vcrsuclie müssen darüber be- lehrt halben, in welcher llichtung gegen die Fluth die Dammschüttung standhielt, bis sie völlig geschlossen werden konnte. .Jedenfalls ge- hörten Tausonde von Menschenkräften dazu, demi die höchste Be- schleunigung war nothwendig, weil eine einzige Sturnniaoht zerstören konnte, was jahrelange Arbeit geschaflen. Es forderte auch erfahrene Umsicht, die Ausflüsse der Binnenwässer durch Staudeiche oder durch Siele zu sichern, wenn die Gefahr nicht ebenso von Innen, wie von Aussen drohen sollte. Dabei kommt in Betracht, dass mit der Trockenlegung der Boden erheblich tiefer zusammensank und immer höherer Schutzdämme bedurfte. Die Deiche am Dollart sollen 1277, vor Einbruch desselben, so niedrig gewesen sein, dass man darüber sehen konnte, also wohl nicht über 6 Fuss hoch oder 9 bis 10 Fuss über ordinäre Fluth, auch an der Zuidersee sollen damals nur Sommer- deiche gelegen hal:)en.^) Wahrscheinlich war also das Land ziemlich hoch, denn niedrige Dämme gewähren sehr wenig Nutzen und sind jährlich erheblichen Beschädigungen und sehr schwer zu schliessen- den Auskolkungen ausgesetzt. Drusus Germanicus hatte bereits am Rhein einen starken Damm gezogen. Denn als denselben Civilis durchstach (Tac. bist. V, 19), ergoss sich der Strom so mächtig in die linksseitige Niederung, dass nur ein schwacher Wasserlauf im Strombett blieb. Die Römer besassen auch am Flevum ostium, an der Fley zwischen den Inseln Wieland und Terschilling, welche noch bis in das 13. Jahrhundert lun- eine Mündung des Flevo lacus war, einen stark besetzten Stützpunkt gegen die Friesen, Flevum castellum, in welches sich Olennius 47 n. Chr. rettete (Tac. Annal. IV, 72). Die römische Technik war also in diesen Gegenden bekannt geworden. Auch deutet die lex Chnmavorum c. 38 (s. o. I, S. 5G0) auf den Fortl)estand der Rheindämme und auf öffentliche Aufsicht über deren Erhaltung. Die Sage jedoch, dass Kcinig Adgill (030—679) die friesischen Seeburgen gebaut habe, beschränkt sich nach den Nachrichten bei Winsenius (Chron. 54) darauf, dass er die Friesen anleitete, Anh()hen, Teri>en, d. h. Warfen, aufzuwerfen. ') Tegenwoi'diger Staat iler Nedurlamlen IV, 22. VII. 1. Das Lanis schwärzlich, von widrigem Geruch. Wo er recht bündig ist, wird er, als das beste ]Material für den Deich- bau, Dwa oder Dwo genannt. Unter dem Klei liegt dann der Sand der Geest, es finden sich aber am gesammten Strande bis nach Jüt- land hinauf auch Kalkbänke von verschiedener Stärke ])is zu 6 Fuss, welche weithin verlaufen. Von ihnen ist zweifelhaft, ob sie einer tiefliegenden Kalkschicht des Festlandes, oder nur früheren Muschel- bänken angehören. Sie sind zum Mergeln sehr willkonmien und heissen deshalb auch Wühl er de. In bei weitem grösseren Massen endlich ist zwischen dem Klcibodcn und dem Sande des Untergrundes der sogenannte Darg verbreitet. Er erscheint als eine humose, schwef- lige, holz- und moorhaltige Moddermasse, welche getrocknet fast dem Torf gleicht, und rührt davon her, dass in den von den Einl)rüchen der See gebildeten Aestuaricn zunächst grobe Vegetationsreste, von den Strömen aus dem Binnen lande mitgebrachte Waldbäume und Ge- sträuch, auch Schilf, Rohr, Tang u. dgl. an den Strand der Geest angeschwemmt wurden, über welche der Schlick nur allmählich und unt^r günstigen Umständen eine so starke Decke bilden konnte, dass sie schwer genug wurde, die Masse auf dem Grunde zu halten und zu- sammenzudrücken. Sehr häufig bildet der Darg eine dem festen Lande zunächst gelegene, nur schwach beschlickte, torfartige Schicht von hier und da 30, selbst 60 Fuss Dicke, welche so lange aufge- quohen bleibt, als sie das Fluthwasser erreicht. Nach der Eindeichung wird sie trockener, sinkt mehr zusammen als die vorliegende Marsch und bildet moorige, unbrauchbare Wassertümpcl. Bis ins vorige Jahrhundert, und nach Saxo Grammaticus schon in ältester Zeit, wurde der Darg zur Salzgewinnung l>enutzt. Er wurde gegraben, verbrannt und die Asche mit Seewasser vermischt und ausgelaugt. Diese Bodenbeschaffenheit lässt hinreichend erkennen, dass die deutschen Nordseeküsten neben den Schrecken der See und der Stürme noch eine andere, fortdauernd wirkende Gefahr an sich tragen, die der Ungesundheit. Selbst auf der Geest ist den geschilderten Umständen nach nicht überall gutes Trinkwasser zu erlangen. Auf der Marsch aber muss es weit her beschafft, oder vom Kegenfall iu \'ll. w. Hciinatli unrochenc Verbindung, welche noch im l(j. Jahrhundert nur im Cavel Pass bei Friedland und in Pasewalk überschritten werden konnte. So lange der Strom bei den Höhen von Stettin nur um etwas weniger tief eingeschnitten war, musste sie bewässert und der natürliche Abfiuss sein. In den Randowbrüchen sind auch in der That alte SchiiTsanker gefunden worden. Mit dieser Auffassung der Lage des Suebus stimmt, dass Ptolemaei.s denselben auf die mittle Entfernung zwischen Chalusus und Viadus setzt und die Seidinoi zwischen Suebus und Viadus, an letzterem aber schon die ostgermanischen Rugioi und Rutikleioi kennt. 12 VII. 2, Heimath und Aushreitung der Friesen und Sachsen. gumnioi, neben denselben die Chairuskoi, endlich an der mittlen Elbe die Sucboi - Angciloi. Jenseits des Stromes aber, zwischen der Elbe und Oder, südöstlich der Saxoncs und der als die Suardones mid späteren Heruler erkannten Pharadeinoi folgen bei ihm die Teutonoaroi und Tentones, und südlich von diesen die Virainoi und Auarpoi, Benennungen, welche, wie Zeuss S. 132 erläutert, beide den Namen der Warnen wiedergeben. An diese grenzen dann gegen das Riesen- gebirge liin die Sueboi-Semnones. Westlich der Ems endlich, an der Nordseeküste, nennt er die Phrisioi und südlich der Friesen und Chauken auf beiden Seiten der Ems die Bructeroi. Tacitus stimmt mit Ptolemaeus bezüglich der Frisii, Chauci und Bructeri überein, obgleich er letztere von den Angrivaren und Cha- maven vernichtet meint (o. I, S. 498). Oestlich der Angrivaren, die gegen Ptolemaeus nach Süden vorgerückt erscheinen, nennt Tacitus die Chasuarii und Dulgibini, auf der Ostseite derselben und weiter im Norden, von den Chauken bis zu den Chatten reichend, die Cherusken, und neben denselben, nördlich der Chatten, die Fosi. Nachdem er nun, ersichtlich eingeschoben, die Cimbern genannt und als eine jetzt nur kleine Völkerschaft an den Meerbusen der Nordsee versetzt hat, schildert er ausführlich die Sueven als Bewohner des grösseren Theiles von Germanien und die Semnonen als ihren ältesten und edelsten Stamm. Von letzteren aus nennt er offenbar nach Nordwesten hin, die wenig zahlreichen Longobarden und dann in nicht ganz deutlicher Reihenfolge Reudigni et Aviones et Angli et Verini et Eudoses et Suardones, et Nuithones, Stämme, welche üuminibus aut silvis muniuntur. Es sind damit alle nördlich der Semnonen, Longobarden, Cherusken und Chauken sitzenden westgermanischen Völker bis zur Ostsee umfasst. Von ihren Namen finden sich Reudigni und Nuithones bei Ptole- maeus nicht. Dagegen fehlen des Ptolemaeus Teutonoaroi und Teutones, Sigulones, Sabalingioi, Chaloi und Harudes. Von diesen nördlichen Haruden ist mindestens ein Theil nach Norwegen über- gegangen, wo sie den Hardangerfiord besiedelt haben. Von den übrigen Stämmen tragen mehrere nicht wirkliche Volksnamen. Reu- digni hat sprachlich die Bedeutung Riedbewohner, Aviones Auen- bewohner, Nuithones, wenn es Withones zu lesen ist, Waldbewohner. Die Teutones kennt schon Pj'theas als den Guttones benachbart. (Vergl. o. I, S. 403.) Es wird deshalb angenommen werden müssen, dass alle diese Stännne, denen Tacitus den gemeinsamen Nerthus- VII. 2. Heimath und Ausbreitung der Friesen und Sachsen. 13 dienst ') zuschreibt, entweder von jeher nur Theile der Siichson, Juthungen, Heruler und Chauken waren, oder allmählich in diesen dauernd ):>ekannten Volksgel )ilden aufgegangen sind. Auch lässt sich denken, dass Tacitus nur zufällig den Namen der Sachsen nicht kennt oder nicht nennt, von welchen Zosinius III, c. 6 sagt: Saxonum omniuni eas regioncs incolentiuni barbarorum et auimis et corporum viribus et laborum in ])roeliis tolerantia fortissimi habiti Quados (s. h, Chaukos) nationis suae ])arteni in solum ab Romanis occupatum emittunt. Unter allen diesen Angaben beansprucht das grösste Interesse die bei Ptolemaeus und Tacitus wesentlich verschiedene Stellung der Angeln und Warnen. Beide sind bei Tacitus erheblich vorgerückt, und Ptolemaeus kennt nicht ihre neueren, sondern nur ihre älteren Sitze. Dass Tacitus einen späteren Moment in der Bewegung dieser Stämme schildert, darf nicht befremden, da Ptolemaeus in Alexandrien im wesentlichen nur die Sammlungen des Marinus zusammenstellte, Marinus aber über Deutschland allein auf die Litteratur angewiesen ■war und keine besseren Quellen benutzen konnte, als die Berichte über die Feldzüge Augusts an die Elbe. Auch soweit Posidonius der Gewährsmann des Ptolemaeus war, ging er Tacitus um ein Jahr- hundert voraus. Noch in später Zeit bestand im Südosten des Harzes an der Schmücke und Hainleite die Erinnerung an die Heimath der Angeln in dem Namen des Gaues Engili^). Südöstlich benachbart lag zwischen Saale und Pleisse Warenofeld ^). Da letzteres beim Sturze des Thü- ringer Reiches bereits in die Hände der Slawen fiel, können diese Gaunamen nicht erst durch die Ansiedler entstanden sein, welche die Sachsen nach öol in ihren Antheil nördlich der Unstrut herbeizogen (o. I, S. 380). Vielmehr sind zu diesem Zuzug die Slawen in Winidon zu rechnen, die einen Theil von Engili erhielten. Ptolemaeus kennt die Angeln noch an der mittlen Elbe zwischen Ohre und Jetzel"*), die Warnen jenseits der Elbe bis zur Oder zwischen den Senmonen ') Der Name Hertha ist nur durch einen Irrthum des ersten Herausgebers der Germania, Beatus Rhenanus, entstanden. Seine erste Ausgabe von 1520 hat noch Nertha, die zweite erst schreibt Hertha. ^ Dieser Gau kommt noch in Urkunden des 9. u. 10. Jahrh. vor. (v. Richthofen, Zur lex Saxon. S. 410; Schrilder, Zur Kunde deutscher Volksrechte S. 21; Arnold, Deutsche Geschichte II, 64; Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte S. 350.) ') v. Richthofen und Schröder a. a. 0. *) Die Ethymologie Beda's, Angeln von angulus, als das Eibknie an der Wische gedacht, hat nicht melir Werth, als die der Salier von salire (o. I, S. .')0l). 14 VII. 3. Heiiuatli uml Au8l»reitung der Friesen und Sachsen. und Siiardoneii. Tncitu.s Niicliriditeii da^'egen fanden die Angeln an der FMk' zwisehcn Seiunonen und Tvongül)ardcn nicht mehr vor, viebiiehr gehctren hei ihm Angchi und Warnen bereits dem Bunde der Ingvaeonen an. Dies wird in Betreff der Angeln dahin 7a\ deuten sein, dass sie inzwischen über den Chalusus und vielleicht in das s])äter und bis heut l^ekannte 8tammgcbiet an der Schlei ge- langt waren, wobei nicht ausgeschlossen ist, dass einzelne Stammes- theile in Nordthüringen zurückgeblieben sein können. In Betreff der \\'arnen aber wird die Angabe des Tacitus einzuschränken sein. Es müssen zwMr, wie schon die stete Verknüpfung der Namen bezeugt, die Beziehungen zwischen Angeln und Warnen immer sehr nahe gewesen sein. Bestimmt erinnert das Promontorium Varinorum, Warnaes, im Erdbuche Waidemars von 1231 und Warnitz an der Südseite des Apenrader Meerbusen daran, dass sich auch Warnen mit den Angeln an der Ostküste Holsteins uiid Schleswigs verbreitet haben. Aber die Hauptmasse der Warnen muss doch östlich des C^lialusus im heutigen Mecklenlxirg gedacht werden, wo die Warnow (Warnau) und Ortsnamen wie Waren, Warin, Warnitz, Warnekow, W^arnow, Warnemünde, und entsprechende in B umgelautete, auf sie hinweisen, und wo ihr Gebiet schon 512 von den Herulern am Ost- ufer der Elbe im Süden der Dänen, durchzogen wurde (Procop, bell. Goth. 2, 15). Diese östlichen Warnen erscheinen niemals als ein ingvaeonischer Stamm. Auch von ihnen mögen Bruchtheile in Nord- schwaben, oder Nordthüringen zwischen Harz und Ohre, sitzen geblieben sein (Zeuss 363). Jedenfalls genügen die vorhandenen Andeutungen, um schon früh die Reihenfolge Saxones, Angli et Verini erkennbar zu machen, in welcher die Auswandererschaaren der drei Völker im Beginne des 5. Jahrb. in Flandern und Toxandrien (o. I, S. 509) auftreten und um 449, zugleich mit Euten, seien diese nun Juten oder Chauken, nach England übergehen. In England werden die Warnen ebenfalls durch Namen wie Wernanbroc, Wernanford, wenn auch nur südlich der Themse, bezeugt. Diese im Laufe mehrerer Jahrhunderte fortschreitende Bewegung aus dem Mittelpunkte der suevischen Stammländer unterstützt den nach der geographischen Lage unabweisbaren Schluss, dass auch die Friesen dieselbe Wanderung, und zwar als die ersten, angetreten haben. Engili liegt südlich der Unstrut, nördlich derselben liegt Frisonofeld. Die Friesen sassen also schon ursprünglich dem Elb- thale näher. Sie finden sich bei Ptolemaeus bereits zwischen den Jims- und Rheinmündungen. Tacitus stellt sie westlich der Angri- VII. 2. Heimath uuJ Ausbreitung der Friesen und Sachsen. 15 vareii und Chauken und sagt: majoribus, niinoribusque Frisiis voca- luiluni est ex modo viiiuni, utrasque nationes iisque ad oceanuni Kheno praetcxuntiu", ambiiintcine imniensos insupcr iaous et Ro- nnuiis clas.sibiis navigatos. Ihn' Stellung von der Sincfala nahe der Mündung des südlichsten Scheldcarmes, über alle Inseln der Rhein- niündung, längs rines sehnialen Streifens der Nordsecküste bis zur W'esermündung ist seit dem frühesten Mittelalter datiernd gk'ith- gebliel)en. Dass aber auch die kleinen Landstriche der sogenainiten Xordfriesen an der Eydermündung der schleswigschen Küste l)is Hoyer und auf den derselben benachbarten friesischen Inseln ihr alter Besitz sind, ist kaum zu bezweifeln. Sprache, Sitten und ge- schichtliche Beziehungen ordnen alle Friesen den Ingvaeonen zu (Zeuss S. 82). Sie bilden den am weitesten vorgeschobenen, also auch ältesten Zweig derselben. Von sonstigen Xachbarstämmen des Eraslandes bezeichnet Plinius ausdrücklich die Chauken. ebenso wie die Teutones, als Ingvaeonen. Die Chasuarii, im Werra- und Begethal zwischen Osning und Weser, und die Dulgibini, welche durch das Duhleholz nördlich des Schaum- burger Waldes zwischen Sachsenhagen und Rodenburg örtlich hin- reichend festgestellt sind *), sind dagegen den Herminonen zuzurechnen. Dass auch die Brukterer der niederdeutschen Völkermasse der Ingvaeonen angehört haben, hat zwar kein Zeugniss als die entsprechende Stel- lung bei Ptolemaeus für sich, wird aber durch ihr schon o. I, S. 497 charakterisirtes und noch näher nachzuweisendes Auftreten im Ems- gebiete und ihr schnelles und völliges Aufgehen in die Sachsen be- kundet, welches ohne ursprüngliche nahe Stammverwandtschaft ganz unerklih'lich wäre. Diese deutschen Volksstämme der Ingvaeonen, welche den nörd- lichsten Abschnitten des alten Keltenlandes zwischen der Weser und der Meeresküste und jenseits der Nordsee in England ihren Charakter aufgeprägt haben, stehen in Körperbildung und Dialekt, in Tempe- rament und Sitten, wie in Religions- und Lebensanschauungen bis zur Gegenwart in stark ausgeprägtem Gegensatze zu ihren südlichen Nachbarn. Dadurch erhielt die örtlich nur schwach liedingte Grenze ihre alte feste Bestimmtheit. Sachsen und Franken sind sicher Ijcide aus den Ebenen der Saale und Elbe, aus der alten herminonischen Heimath der Westgermanen hervorgegangen. Ihre Verschiedenheit ver- mag deshalb die Bedeutung ihrer ungleichen Schicksale zu erweisen. '} Lamey, Geschichte von Ravensburg, Urk. 41 v. 1258. Holthuscn, in nemore, quod vocatur Dule. \Q VII. 2. Heiraatli und Ausbreitung der Friesen und Sachsen. Die Vorväter der Frankenstümme wurden Gebirgsbewohner. Klima und Boden führte sie aus Hessen durch immer einladendere CJegenden dem Rheine zu, und längs dessen Thalweg drangen sie auf keltischem Kulturlande in die reichen Gefilde des Niederrheins und Nordfrank- reichs ein. Friesen und Sachsen entwickelten sich dagegen aus Stämmen, die den Weg durch das ebene Eibthal zur See nahmen, und sich dort, wie Pytheas l)ezeugt, nördlich der Kelten schon -Jahrhunderte vor den Wanderungen der Franken als Küstenbewohner einlebten. Ihnen wurde auf mageren Tjandstrichen zwischen Meer und Heide, auf ]\Iarsch und Moor zur Nothwendigkeit, Herrschaft über die Schiff- fahrt zu erlangen. Sie mussten ihr Leben in rauhem Kampfe nicht dem Laudbau allein, sondern nicht Aveniger dem ihnen neuen Elemente des Wassers abgewinnen. Diese Wandlung ihrer Anschauungen wird durch die Bundesgottheit des keltischen Nerthus, der zwittergestaltigen Gottheit der Kraft, der SchiflFfahrt und des Handels, bezeugt. Damit ist zugleich bekundet, dass die Kelten ihre Lehrmeister im Schiff- bau und in der Seefahrt waren, welche grade an der Elbmündung und an allen Küsten der Nordsee besonders schwierig und gefähr- lich ist. Die Annahme des fremden Gottes drückt auch allgemeiner den grossen Einfluss aus, welchen die erheblich ältere Kultur der Kelten bereits in vorrömischer Zeit über die Ingvaeonen gewann. Ebenso beweist die selbst durch Gewaltthaten der römischen Beamten kaum unterbrochene friedliche Bundesgenossenschaft der Friesen imd Chauken mit den Römern, welche für die römischen Flotten äusserst nützlich war, und die Freundschaft der Brukterer, auf deren Gebie als socii Drusus 11 v. Chr. Aliso gründete^), die Zugänglichkeit dieser Völker für fremdartige Verhältnisse. Die nördlich der Weser um die Nordseeküste gruppirten germa- nischen Stämme haben nach dem Zeugniss des Pytheas schon min- destens im 4. Jahrb. v. Chr. ihre Sitze eingenommen. Unbewohnt waren indess diese Landschaften auch vorher nicht. Dies beweisen die zahlreichen Dolmengrabstätten und der frühe Untergang dieser Dolmenbevölkerung (Anlage 25, Bd. HI, S. 103). Da sich wesentliche Spuren der Kelten rechts der Weser nirgends finden, scheint der Strom auch schon vor dem Auftreten der Ingvaeonen eine alte Völkerscheide gebildet zu liaben. Es kann deshalb nach den in Anlage 28 wieder- gegebenen Erwägungen nur daran gedacht werden, dass sich hier die Finnen in einer gewissen Stärke gehalten hatten. Sie erscheinen •) Tac. Ann. II, 7. — Vcllejus Puterc. II, 120. VII. 2. Ileimath uud Ausbreituug der Friesen uud Sachsen. 17 auch bei ihrer Berührung mit den Germanen (o. I, S. 283) denselben an Kultur nicht untergeordnet. Deshalb legen die Spuren ihrer geographischen Verbreitung den Sehluss nahe, dass die finni^^che Be- völkerung, nachdem sie durch dit' Herminonen schon aus dem Innern Deutschlands verdrängt war, durch die Ingvaeonen von den Ost- und Xordseeküsten und aus der cyrabrischen Halbinsel nach Skandinavien vertrieben worden ist. Mit di'u Kelten scheinen, vielleicht aus diesem Grunde, die Beziehungen der Ingvaeonen zunächst friedliche gewesen zu sein. Auch darf man annehmen, dass ihnen die den Deutschen bis dahin völlig unbekannte SeeschifFfahrt hier wegen der vielen und plötzlichen Wassergefahren und zur Verbindung mit den überall der Küste am nächsten liegenden und dem A\^asser am meisten ausgesetzten liesten Weideländereien schon früh unentbehrlich wurde, und deshalb bald einen Theil des Bevölkerungsunterhaltes tragen konnte. Doch musste ihre Lage auf den Strecken des geringeren Landes wenig günstig sein. Die hinreichend geschützte Geest besitzt zwar, wie näher gezeigt worden ist, einzelne sehr fruchtbare Landstriche und auf ihrer ganzen Ausdehnung kleinere, gut anbaufähige Stellen. Im Ganzen ist indess der wirklich ertragreiche Boden der Geestgebiete gegen fast alle Theile des mittlen Europas ungleich beschränkter und war in der ältesten Zeit im Mangel anderer Erwerbsmittel wenig geeignet, eine stark anwachsende Volksmasse zu ernähren. Deshalb ist es besonders auffallend, dass die Geschichte seit Pytheas durch mehr als ein halbes Jahrtausend nichts von bedeuten- den Völkerbewegungen in diesen (Jegenden zu berichten weiss. Für die Kimbern lässt sich keinerlei örtliche Verknüpfung mit der schon Pytheas bekannten Cymmerischen Fluth aufrecht erhalten, viel- mehr sind sie nicht aus den Ingvaeonen, sondern ersichtlich aus der alten Völkerwiege des herminonischen Sue\dens hervorgegangen. Das Gleiche gilt bis zu den ersten Zügen der Heruler im 2. oder 3. Jahrh. nach Chr. für alle die Stämme, welche im Süden, sei es bei den Kimbern, sei es bei Ariovist, unter den Alemannen oder sonst am Limes erscheinen und, wie die Teutonen, Ambronen, Haruden, Juthungen, Stammesnamen tragen, welche auch im Norden auf oder nahe der cymbrischen Halbinsel genannt werden. Alle diese Völker finden sich gleichzeitig hier und dort. Sie sind Bruderstämme, die aus demselben Mutterlande, aus der alten Heimath der Westgermanen nach verschiedenen Seiten fortgewandert sind. Von einem Wander- zuge ingvaeonischer Stämme von Norden nach dem Süden ist vor den Meitzen, Siedelung etc. II. 2 18 VII. 2. Heimath und Ausbreitung der Friesen und Sachsen. erst zu (Tallions Zeit lieriimschweifenden Herulern nichts bekannt, und selbst bei diesen Herulern ist fraglich, ob ihr Zug nach dem Pontus nicht von ihren alten östlichen Sitzen am Flusse Suebos ausging. Aus den uns überlieferten Nachrichten vermögen wir nur eine sehr langsame Ausbreitung der Ingvaeonen zu erkennen. In Norwegen ist, ausser der o. II, S. 12 gedachten harudischen Besitznahme des Hardangerfiords , nach der noch gegenwärtig vor- handenen Sprachgrenze ein kleines Gebiet im Westen von Arendal westgermanisch besiedelt worden. Die Zeit steht nicht fest, wird indess erst in das 2. oder 3. Jahrb. nach Chr. gesetzt. Abgesehen von diesem unbedeutenden Abzüge über das Meer, konnte die Aus- breitung der Ingvaeonen nur gegen die Kelten jenseits der Weser, oder rückläufig gegen die Herminonen elbeaufwärts erfolgen. Letztere Bewegung hat erst in den inneren Streitigkeiten nach der Varus- schlacht begonnen. Bis dahin bildete die Elbe und etwa die Eide bis zur Tollense die Südgrenze der östlichen Ingvaeonen. Weiter nach Westen grenzten sie an der Elbe und von der Ilmenaumündung aus etwa an der Luhe und Boehme mit den Longobarden, dann folgten an der Aller und Leine anscheinend Cherusken, südlicher aber über Leine und Steinhuder Meer zur Weser Dulgibiner und weiter . weseraufwärts rechtsseitig die Cherusken, linksseitig die Cha- suaren, sämmtlich Herminonen. Zwischen Elbe und Weser lagen also nur von der Küste bis zur Luhe, Boehme, Leine und dem Steinhuder Meer angrivarische und chaukische Stammlandschaften. Das gesammte so umschriebene Gebiet der Ingvaeonen vom Suebus bis zur Weser umfasste ziemlich genau 1000 Q Meilen. Wir sind auch über seine Bevölkerung nicht ohne allen Anhalt. Denn es ist 0. I, S. 142 gezeigt, dass sich die Abgrenzungen der Hundert- schaften für Jütland und Schleswig erhalten haben, und dass diese Hundertschaften als die alten Weidereviere des Hirtenlebens vor der festen Besicdelung aufgefasst werden müssen. Noch um 1254 zerfiel Jütland auf 461,2 G Meilen in 72 solche Hundertschaften, Haered oder Harden, Schleswig auf 163 G Meilen in 43. Dureh- schnittHch bestand also je 1 Hundertschaft auf 5,4 GM., wonach auf 1000 GM. 185 anzuschlagen sein würden. Da diese Abgrenzung aber den Zustand zur Zeit, als die feste Besiedelung stattfand, bezeich- net, und nachher noch Theilungen einzelner Harden eingetreten zu sein scheinen, wird man die Zahl dieser Weidegenossenschaften zu Pytheas Zeit geringer anzusetzen haben. Indess werden für 300 v. Chr. 100 Hundertschaften oder 100 000 Seelen als eine niedrige Annahme VII. 2. Ileiinath und Ausbreitung der Friesen und Sachsen. 19 gelten müssen. Ein geringerer Volksüherscbuss in den herminonischen Mutterlandschaften hätte schwerlich die Auswanderung so vieler ver- schiedener Stännne erforderlich gemacht. Seitdem aber musste in den meisten Hundertschaften die ursprüngliche Zahl von etwa 1000 Seelen weit überschritten werden. In einem Jahrhundert konnten sich die Familien leicht mehr als verdoppeln (o. I, S. 147). Gleichwohl lässt sich eine Erweiterung gegenüber den Hermi- nonen noch lange nach August nicht denken, denn in der Zwischen- zeit zwischen seinen Eibfeldzügen und den Berichten, die Tacitus wieder- giebt, vermochten die Angeln und Warnen noch üi)er die Eidegrenze in das Land der Suardonen vorzurücken und nahmen, wenn sie auch nur thcilweise dem Bunde der Ingvaconen beitraten, doch durch ihren Zuwachs das ohnehin wenig ausgedehnte nutzbare Land derselben noch weiter in Anspruch. Aus dem danach möglichen, w^enngleich sehr unbestimmten Ueberschlage der Volksdiehtigkcit wird also so viel deutlich, dass den Ingvaeonen schon früh ein Eindringen in das jenseits der Weser belegene Keltenland nahe liegen musste. Das von den Deutschen nach und nach trotz des Eingreifens der Römer in Besitz genommene Keltenland westlich der Weser und der Chattengrenze (o. I, S. 38) bis östlich zum Meere und südlich zum Rhein, der Waal und der Scheidemündung hatte einen Flächeninhalt von 1400 D Meilen. Davon war indess ein Landstrich am rechten Rhein- ufer im Lippe und Ruhrgebiet zwar von den Usipetern und Tenkterern kurz vor der Ankunft des Caesar croljcrt, von diesem aber den daraus vertriebenen Menapiern wieder zurückgegeben worden. Wie es scheint, nahmen jedoch nicht lange nachher Chamaven, dann Tubanten und nach diesen Usipeter dieses Land in Besitz, bis es unter Tiberius zwischen dem Limes und dem Rhein zum Gebrauch der römischen Soldaten geräumt wurde (Tac. Ann. XIII, 55). Abgesehen von diesen wohl kaum 50 □ Meilen theilt sich zur Zeit der ersten von Caesar und Drusus herrührenden Nachrichten die gesammte Fläche von 1400 D bleuen sehr ungleich unter die ingvaeonischen und die ver- schiedenen chattischen und suevischen Stämme, deren Einwanderung, wie oben Bd. I, S. 384 gezeigt ist, mindestens seit der Mitte des 2. Jahrh. begonnen haben muss. Caeser schon lohnte fränkische Veteranen ab, worauf Worm stall neuerdings hingewiesen^). Tacitus ') Wormstall, „Ueber die Chauker, Brukterer und Angrivarier", 68. Jahrcsbcr. des Paul. Gymn. zu Münster 1888. Cicero schreibt in der Furcht, dass die Veteranen des Caesar sich in ihrem Landbesitz ohne Beseitigung seiner Feinde nicht sicher fühlen 2* 20 ^'II- 2, lleiinath und Auöbieituiiy der Friesen und Saclisen. aber erwähnt die rheinischen Germanen bereits als Istvaeoncnbund /Aisammengeschlosscn und kennt die Tngvaeonenstänime nahezu an der südliclisten Grenze, welche k\v. überhaupt erreicht haben. Ob die Friesen damals schon bis zur Sinefala, dem heutigen Flüsschen t'Zwin bei Sluis nahe der Scheidemündung, vorgerückt waren, das seit dem frühen Mittelalter ihre Grenze 1)lieb, ist ungewiss. Doch findet sie Drusus bereits über die Rheinmündungen ausgebreitet (Die Cass. 54, 32). Plinius (4, 15) kennt sie inter Helium et Flevum, d. h. zwischen der Mündung der Maas und Waal im Westen und der Fley im Osten. Auch Tacitus (Germ. 34) setzt sie nicht allein an die den Rheinmündungen vorliegenden Küsten, sondern überdies in die Umgebung ungeheurer, von den Römern beschiffter Seen, unter denen der Flevo lacus und weiter nordwestlich belegene Küsten- gewässer zu verstehen sind. Ptolemaeus grenzt sie gegen Osten an der Ems ab und setzt zwischen Ems und Weser die Chauci minores, zwischen Elbe und Weser die majores. Nach Zeuss (S. 140) spricht vieles dafür, dass die Stellung der majores und minores umgekehrt war, und man von den Friesen unmittelbar zu den Chauci majores gelangte. Besonders unwahrscheinlich ist indess. dass das seit dem frünesten Mittelalter friesische und in seinen Grenzen bis zur Wapel an der Jahde genau ])ekannte Ostfriesland in dieser älteren Zeit noch nicht friesisch gewesen sein sollte. Dies würde eine rückläufige Wieder- eroberung ihres Wanderweges voraussetzen, an welche sich schwerlich denken lässt. Allerdings wird auch für die sogenannten Nordfriesen auf der Holsteinschen Küste zwischen Husum und Tondern und den vor- liegenden friesischen Inseln die Annahme einer Besiedelung von Fries- land aus geltend gemacht, Avelche sich theils auf Sage, theils auf die Thatsache stützt, dass der Erzbischof von Bremen im 12. Jahrhundert friesische Einwanderer nach Ditmarschen sandte. Doch erscheint, wie Anl. 22 zeigt, unter den alten Harden des Erdbuches Waidemars H. Northfresland mit 13 Hundertschaften, und Wester- und Osterfoer er- giebt, dass damals bereits Theilungen vorgekommen waren. Auch nach Zeuss' Ansicht (S. 400) steht kein Grund entgegen, in diesem Frisia minor des Saxo (c. 11) einen Rest der ursprünglichen friesi- schen Stammeswanderung zu sehen, der sich bei den häufigen Ver- lusten allerdings durch späteren Zuzug verstih-kt haben kann. würden, im 14. Buch, Brief 10 an Atticus: redco ad Tebassos, Suevos, Frangones (Vergl. o. I, S. 495). Tebassi müssen, wie Veliocasses, Vidiicasses, Salassi, als Kelten gelten. Von Germanen stehen also am Rhein schon Suevcn und Franken gegenüber, denn Frangones entspricht genau dem althochd. Francho. VII. 2. Heimath und Ausbreitung der Friesen und Sachsen. 21 Bevor 1277 der Einriss des Dollart liegnnn und die Emsmündung erheblich erweiterte, stand Ost- und Westfriesland in engem Zu- sammenhange, und die Grenze lag, wie die lex Frisionum zeigt, nicht in der Ems, sondern in dem im "Westen von Groningen zum heutigen Lauwer oder Groninger Tief laufenden Flüsschen Lauwer, welches in der Lex Laubach heisst. Es kann gleichwohl richtig sein, dass die Chauci majores an der Ems mit den Friesen zusammen- stiessen, jedoch nur stromaufwärts um die Mündung der Leda, nicht nahe dem Meere.. Dies wird auch durch den Geograph, v. Ravenna 4, 23, durch Altfrieds Lebensbeschr. Liudgers, Mon. Germ. II, 413, und vom Scholiasten zu Adams v. Bremen bist. eccl. c. 9, welche die Friesen- grenze an der Wesermündung ziehen, bestcätigt (Zeuss S. 398). Der Küstenstrich, den die Friesen besetzt hatten, war indess, auch wenn ihnen nach v. Richthofen die Kaninefaten zuzurechnen sind, nur schmal, durchschnittlich kaum 6 Meilen breit. Jenseits ihrer Grenzen war das Binnenland vom Rhein bis über die Ems hinaus im Besitz der Bataven, Chattuaren und Ansivaren. Das Ansivarengebiet muss zu Drusus' Zeit noch ziemlich weit von den letzten Ausläufern des Teutoburger Waldes die Ems abwärts gereicht haben, denn am Teutoburger Wald stiessen die Brukterer an den Fluss (Strabo 7). Die Brukterer grenzten von der oberen Ems bis zur Lippe, da Drusus ihres befreundeten Gebietes wegen bis auf die rechte Seite der Lippe zurückging, hier aber das Kastell Aliso an der Mündung des Lisenzbaches anlegte. Dass sie auf beiden Seiten des Teutoburger Waldes sassen, zeigen die Bauerschaften Brochterbcck bei Rheine, Broxten l)ei O.^ter- kappeln, sowie Haus Broxten an der Else. Jenseits der Lippe folgten bis an die Chasuaren- und Chattengrenze die Chamaven. Nördlich reichte das Gebiet der Angrivaren von der Weser bis zu den Chauken, deren Ausbreitung mindestens noch Quakenbrück eingeschlossen haben muss. Daraus ergiebt sich, dass die Grenze der Istvaeonen zu Drusus' Zeit gegenüber den Friesen und Chauken an der unteren Ems etwa bei der Devermündung lag und vom Saterland über den Hümling und die untere Haase zur Ems bei Rheine führte, ^^''eiter lief sie die Ems aufwärts bis in die Nähe der Lippe. Diese er- reichte sie unterhalb des Lisenzbaches und verfolgte dann den Fluss aufwärts bis an seine Quelle auf dem Osning. Von der Höhe des Osning fiel sie bis zum Rhein mit der Chattengrenze zusammen. Die Istvaeonen hatten also zu Drusus' Zeit von dem alten Kelten- gebiete links der Weser einschliesslich der Römer etwa 950 □ Meilen, che Inffvaeonen 450 in Besitz. 22 VII. 2. Heimath und Ausbreitung der Friesen und Sachsen. Diese 450 Q Meilen bedeuten die Ausbreitung, welche den ing- vaeonischen Stämmen, seit Pytheas ihre Stellung beschrieb, also seit mindestens drei Jahrhunderten, genügt hatte. Ihr weiteres Vordringen ist uns im Einzelnen bekannt. Zunächst erfahren wir, dass um die Mitte des ersten Jahrhunderts n. Chr. die Chauken übermächtigen Druck auf die Ansivaren aus- übten (Ann. XIII, 55). Ob diese Bewegung sich auch den Friesen fühlbar machte, wissen wir nicht. Aber in dieser Zeit dringen frie- sische Wanderschaaren in der Umgebung des Flevosees und 7Auii Theil zu Schiffe über denselben nach dem erwähnten räumen Land- striche zwischen der Issel und dem Rhein vor und beginnen den- selben anzubauen. Nachdem sie im Jahre 59 durch Avitus daraus vertrieben worden, ohne dass bekannt ist, wohin sie sich wendeten, kommen die von den Chauken völlig aus ihren Sitzen an der Ems verdrängten Ansivaren, deren Schicksale o. I, S. 497 erzählt sind, in dieselbe Gegend und erbitten auch ihrerseits vergeblich Aufnahme. Ein Jahrzehnt später bricht der Aufstand des Civilis aus. Aus den aus- führlichen Nachrichten, welche Tacitus in den Historien über den- selben giebt, zeigt sich, dass die dem Limes schon 59 unmittelbar benachbarten Reste der Tenkterer ein Stamm von bedeutender Stärke geworden waren. Besonderes Gewicht und Ansehen aber hatten in- zwischen die Brukterer gewonnen. Auf ihre weitere Ausbreitung deuten bereits die Vorgänge bei dem Zuge des Germanicus (Ann. I, 60). Dass sie bis zu den Friesen gereicht hätten, ist nicht ausdrücklich gesagt und wegen der damaligen Stellung der Ansivaren nicht füglich anzunehmen. Im folgenden Jahrzehnt aber müssen sie an der Lippe schon dem Rhein ziemlich nahe gerückt und als eine Art Vormacht der benachbarten Germanen anerkannt gewesen sein. Denn Plinius der Jüngere spricht um 69 von ihnen (Epist. 2, 7) in diesem Sinne, und Tacitus sagt (Hist. IV, 61), dass die Veleda, welche dem Civilis mit einem Heere der Brukterer zu Hülfe zog, virgo nationis Bructerae late imperitabat vetere apud Germanos more, und ebd. V, ^2, dass die siegenden Germanen praetoriam Cerialis triremem Üumine Luppia donum Veledae traxere. Dies geschah 71 im Herbst. Da Triremen 8V2 Fuss tief gingen, darf der Thurm der Veleda also nicht weit aufwärts an der Lippe gesucht werden. Auch scheinen dort die Namen Brochtrup, Kr. Lüdinghausen, und Brockenscheidt und Brokam, Kr. Recklinghausen, an die Brukterer zu erinnern. Ungefähr für die Zeit der 90 er Jahre berichtet dann Tacitus in der Germania 33: Juxta Tencteros Bructeri olim occurrebant; nunc Chamavos et Angrivarios immigrasse narratuv, VII. 2. Ht'imath und Aiisl)reitung der Friesen und Sadisen. 23 pnlsis Briicteris ac ponitns oxcisis vicinanim consensu nationum, seu superbiae odio, seu praedae dulcedine, seu favore quondam erga nos deorum. Nam ne spectaculo quidem proelii invidere, super XL millia cecidcrunt. Dass Tacitus über die Bedeutung dieses Kampfes nicht gut berichtet ist, ist schon oben I, S. 498 gezeigt. Eine erhebliche Niederlage der vorrückenden Brukterer durch die umwohnenden ver- drängten Istvaeonen hat nichts Unwahrscheinliches, aber Ptole- maeus kennt sie als minores und majores Briicteri im Norden der Sigambern, und die tabula Peutingcrana bezeichnet sie als Burctari zwischen den Chatten und Ansivaren einerseits und den chamavischen Franken andrerseits. Sie haben also wahrscheinlich schon im 1. oder doch 2. Jahrhundert den Hellweg, das Land der Marsen (o. I, S. 522) in Besitz genommen. Die Marsen litten vorzugsweise unter den Feld- zügen der Römer, welche die Niederlage des Varus rächen sollten. Sie wurden von Germanicus 14 und 16 n. Chr. so weit aufgerieben, dass ihr Name verschwindet. Marsberg wurde mehrmals erobert, und blieb der Mittelpunkt der unter römischem Einflüsse geführten Innern Kämpfe zwischen Segest und Armin. Das Volk der Marsen mag also in diesen Zeitläufen wenig widerstandsfähig gewesen sein. Immerhin ist es ein Zeichen der damaligen Ueberlegenheit der Brukterer über alle ihre Nachbarstämme, dass es ihnen gelang, sich auf dem bei weitem besten Theile des gesammten rechtsrheinischen Keltenlandcs dauernd festzu- setzen. In der karolingischen Gaueintheilung führt der Hellweg ausdrück- lich den Namen Boroctra. Dass sie dabei ihre alten Sitze im Teutoburger Walde aufgegeben hätten, ist durch nichts angezeigt. Selbst wenn sie dieselben aber gegen diesen Erwerb theilweis an Chauken oder Engern überlassen hätten, wäre darin nicht nothwendig ein Zurück- weichen vor denselben zu sehen. Constantin (Paneggr. 8, 12) sowohl, als Arbogast (Greg. v. Tours 2, 9) finden sie hinter den Franken als ripae proximos, und der Zug des Arbogast (o. I, S. 504) zeigt, mit der Lage des Hellwegs übereinstimmend, dass die Ansivaren zwischen Ruhr und Sieg südöstlich von den Chatten, nordöstlich von den Brukterern und nordwestlich von den Chamaven umgeben waren. Das weitere Vordringen der Ingvaeonen ist zum Theil bereits o. I, S. 508 berührt. Früh schon verschwindet der Name der Chauken, aber ihre Ver- breitung ist zu erkennen. Durch die Vertreibung der Ansivaren aus dem Emslande wurden sie zu keiner weiteren Ausdehnung nach Westen geführt. Diese kann hier, auch ohne Widerstand der Friesen zurück- gegebliebenei- Ansivaren, Tubanten oder sonstiger Istvaeonen, schon 24 VII. 2. Heimath und Ausbreitung der Friesen und Sachsen. die breite, völlig öde Fläche des Bourtanger Moores links der Ems verhindert haben. Dagegen muss das (lebiet der oberen Vechto und Berkel chaukisch geworden sein, denn nach Zosimiis 3, 6 kämpfte .Julian 358 ohne Vortheil mit ihnen in Batavien. Sie werden von ihm zwar Quaden genannt, jedoch als Theil der Sachsen bezeichnet. Anfangs des 5. Jahrh. rühmt Claudian de laud. Stilich. 1, 225, da.ss der Belga wieder jenseits des Rheins non indignante Chauco sein Vieh weiden könne. Als letzter gedenkt Sidonius Apollinaris (Carm. 7, 390) um 480 der Chauken mit der Bemerkung: Saxonis incursus cessat, Chattumque (Chaucumque) palustri alligat Albis aqua. Ihr Name tritt dann völlig hinter dem der Sachsen zurück. Dies ist bei den Schriftstellern der vorkarolingischen Zeit auch mit den Angrivaren der Fall, die erst später wieder als Engern im Gegensatz zu Westfalen und Ostfalen zur Geltung kommen. Es scheint, als ob die Angrivaren durch die Chauken und Brukterer verhindert gewesen wären, derselben südwestlichen Richtung des Vorrückens zu folgen, wie diese. Denn während die Küste zwischen Elbe und Weser noch zu Plinius Zeit in Besitz der Chauken war, schliesst im 8. Jahrh. die Westgrenze Engerns Küste und Ammerland ein, und zieht sich ziemlich genau den gesammten Lauf der Hunte aufwärts durch den Dümmersee bis an ihre Quellen auf dem Wiehengebirge. Weiter nach Süden schloss sie damals beide Orte Engern aus und führte etwa auf der Grenze der heutigen Kreise Bielefeld und Wiedenbrüek, sowie Paderborn und Soest weiter, durchschnitt dann den Kreis Brilon über den Hagerthurm und Billstein zur Scheid an der Itterquelle, und folgte von dieser der heutigen Waldeckschen Grenze bis an den Nahnebach, an dem sie westlich Sachsenburg den Grenzpunkt West- falens und des Hessengaues erreichte. Man darf vielleicht annehmen, dass Engern, die Grabeskirche Wittukinds, früher gleichwohl zu Engerland gehörte und nur durch fränkischen Einfluss den Engern entzogen worden ist, so dass sich die ältere Stammgrenze in der Osnabrück -Mindener Landesgrenze zwischen Haus Broxten und Engern erhalten haben könnte. Immer- hin ergiebt sich, dass die Angrivaren im Laufe der Zeit keinen Fort- schritt gegen die Brukterer gemacht haben, sondern dass ihre Aus- breitung nur nach Norden und Südosten erfolgte. Von ihren Sitzen an der mittlen ^\'eser nahmen sie nördlich das wahrscheinlich von den Chauken freiwillig verlassene Sumpf- und Heidegebiet bis zur Elbe, südlich das Land der Chasuaren, das Marscnland östlich der Senne, der Boroctra und Brilon, und einen beträchtlichen Theil des VII. 2. Heiraath und Ausbreitung der Friesen und Sachsen. 25 alten Chattengebietes von der Diemel zur Fulda und bis zum Harz hin in Besitz. Wie die Grenzen der Brukterer von den Angri- varen unberührt geblie])en sind, fanden wabrscheiniich aucli Seitens der Chauken, welche, wie es scheint, an der Ems und Lippe die Nachbarn der Brukterer wurden, durch lange Zeit keine Feindselig- keiten gegen dieselben statt. Beide haben sich in Westfalen getheilt. Erst zum 8. Jahrh. erzählt Beda, dass St. Luitbert um 69o zu den Brukterern gekommen und dort als Missionar gewirkt habe, und dass non longe post tempore expugnatis Boructariis a gente anti- quorum Saxonum dispersi sunt quolibet hi, qui verbum recepcrant. Indess Gregor III. richtet für Bonifacius einen Empfehlungsbrief ad Universum populum provincine Altsaxonum und 738 einen anderen an die Thüringer, Hessen, Brukterer, Wetterauer, Lahngaucr, Süder- länder und Grabfelder. xVuch behandelt noch Aribo, Bischof von Freising (f 782), in der vita St. Emmerani (Boll. Scrpt. 6, 483) die Brukterer als eine selbstständige und heidnische Völkerschaft. Es trat also, wie es scheint, bis auf die Sachsenkrioge Karls des Grossen eine völlige und dauernde fränkische Unterwerfung nicht ein, wohl aber dürften die Brukterer seit dem auf 715 angesetzten Einfalle der Altsachsen unter der Oberhoheit der letzteren gestanden haben, in welcher beide Theile eine Stütze gegen die Franken sehen konnten. — Was endlich diese Altsachsen oder Altsaxones, wie Beda aus- drücklich die Sachsen an der unteren Elbe bezeichnet, betrifft, so ist leider schwer zu sagen, in welcher Weise ihr Auftreten und ihre mächtige Herrschaftsentfaltung zu denken sind. Dass diese eigentlichen Saxones schon seit der Mitte des 3. .Jahr- hunderts als gefährliche Seeräuber bekannt waren, im 4. bereits die Küste Flanderns, der Normandie und der Loiremündung mit festen Nieder- lassungen besetzt hatten, und seit 449 mit immer verstärkten Flotten nach England übergingen, ist historisch im Einzelnen belegt (o. I, S. 509, 513, 552). Von Hengist und Horsa berichtet die Sage, dass sie aus Engern gestammt hätten. Die Stellung der Friesen, welche während aller dieser Zeitläufe unangefochten mit starker Volkskraft die Küste von der Scheide bis jenseits der Weser inne hatten , verweist gleichwobl den Ausgangspunkt der sächsischen Seeunternehmungen auf die Elbemündung. Hier konnte sich also, weil auf kleinen Kaum beschränkt, um so leichter ein Centrum grosser kriegerischer und ge- waltthätiger Energie entwickeln, es mussten erhebliche Reichthümer als Ergebniss so vieler Raubzüge zusammenfliessen und den leitenden Männern und Familien grosse Macht und Entschlussfähigkeit verleilien. 26 ^^II- 2, Heiinath und Ausbreitung der Friesen und Sachsen. Jedenfalls ist bemerkenswerth , dnss in allen Sagen von dem Ursprünge der Sachsen die Auffassung herrscht, dass sie aus einer kleinen Schaar zugewanderter Krieger hervorgegangen seien ^). Die Sage hat einen anscheinend historischen Grund in der von Einhard (bei Adam v. Bremen I, 4) ausführlich erzählten Rückkehr einer Schaar Sachsen aus England, welche sich unter einem Herzog Hadugato in Hadeln festsetzten und von dem Frankenkönige Theo- dericli im Verlaufe seiner unentschiedenen Kämpfe mit dem Thü- ringer Hirminfrid zur Hülfe bewogen wurden"). Ihnen soll nach dem Falle Thüringens Theoderich das Land um die Bode überlassen haben, welches die oft erwähnten, 568 von dort mit den Ijongobarden fortziehenden 26 000 Sachsen an die von Sigibert aufgenommenen Nordschwaben verloren. Auch hat Weiland^) gezeigt, dass das Angel- sächsische Volksepos, weniger das Beowulfslied , als die unter dem Namen des Vidsich, des Weitwanderers, im 7. oder 8. Jahrhundert zusammengestellten Lieder, Erinnerungen an Kämpfe der Sachsen und der Angeln, Friesen und Dänen mit Myrgingen am Schreckens- thor der Eidermündung und, wie es scheint, mit Avionen (Eowen), Juten und selbst Gothen und Hunnen enthält, welche vor den Aus- zug nach Bi'itannien fallen. Aber dass in dem Sagenkreise des Sachsenvolkes sich über seine Vorzeit nichts als diese unwesentlichen und verhältnissmässig jungen Ueberlieferungen erhalten haben, erweist, dass ältere bedeutende Kriege und heroische Thaten und Vorgänge nicht anzunehmen sind. Die verschiedenen Sagen römischer oder nordischer Abstammung, die sich mit denen der Dido, des Aenaeas und anderer Seefahrer verknüpfen, hätten nicht glaubhaft erscheinen können, wenn ihnen das Gedächtniss grosser erschütternder eigener Erlebnisse widersprochen hätte. Die Sachsen haben deshalb ihre Ausbreitung am wahrschein- lichsten ihrem persönlichen Ansehen, ihrem Reichthum, ihrer festen Organisation, sowie ihrer vorzüglichen Ordnung und richtigen sicheren Politik gegenüber Denen, die sich in ihren Schutz begaben, zuzu- ') Widukind, res. gest. Sax. I, 2, 3. (Mon. Germ. V, 417.) Rudolf v. Fulda, in Translatio St. Alexandr. (Mon. Germ II, 674). (Vgl. Waitz, D. V. f. G. V, 410.) *) Die Erwähnung, dass die Sachsen in Hadeln Thüringer vorfanden, von denen sie das Land erwarben , ist entweder aus dem späteren Kampfe mit Hirminfrid oder möglicherweise davon hergenommen, dass Iladeln ebenso wie Toxandrien von Angeln und Warnen besetzt gewesen sein könnte. Zum thüringischen Reiche hat es nie gehört. ^3 Ludw. Weiland, Die Angeln, in der Festgabe für G. Hanssen, Tübingen 1889, S. 132. Weiland begründet, dass nach England nicht Juten, sondern chaukische Euten mit den Sachsen und Angeln übergingen. VII. 2. Heimath und Ausbreitung der Friesen und Sachsen. 27 schreiben. Wenigstens bezeugt Einhard, der Franke, (ebd. IT, ä) ausdrücklich: »Die (benaclibarten) Völker waren ununterbroclicn ge- zwungen, entweder durch Verträge oder durch unabwendbare Kämpfe die Grenzen ihrer Länder zu schützen; denn die Sachsen waren sehr unruhig und zu Einfallen in die Nachbarlande geneigt, ol)Wohl sie zu Hause friedfertig waren und mit milder (rüte für das ^^'ohl ilu'cr Bürger sorgten. Auch für ihre Abkunft und ihren (leburtsadel trugen sie auf das Umsichtigste Sorge. Hessen sich nicht leicht irgend durch Eheverbindungen mit anderen oder geringeren Völkern die Reinheit ihres Geblütes verderben und strebten danach, ein eigenthümliches un vermischtes, nur sich selbst ähnliches Volk zu bilden. Dies Volk nun l)esteht aus vier verschiedenen Ständen: aus Adligen, Freien, Frei- gelassenen und Knechten. Es ist durch Gesetze bestimmt, dass kein Theil der Bevölkerung durch Heirathsbündnisse die Grenzen seiner eigenen Lebensverhältnisse verschieben darf. Auch hatten sie die besten Gesetze zur Bestrafung von Missethaten und waren bemüht, viel Heilsames und nacii dem Gesetze der Natur Geziemendes in der Frömmigkeit ihrer Sitten darzulegen.« Vom 4. oder 5. Jahrhundert an gelang es ihnen, alle Stämme Westfalens, Engerns und Ostfalens unter ihre Oberherrschaft zu ver- einigen. Nach Norden haben sie sich nur wenig ausgebreitet, denn die Juten blieben selbständig, die Angeln wurden von den seit 513 genannten Dänen abhängig, die Stellung der Nordfriesen ist unbe- kannt, Dithmarschen aber war sächsisch, ebenso Lauenburg mit dem erst von Karl dem Grossen den Obotriten überlassenen anschliessenden Landstrich von Schmeldingen rechts der Elbe. Links der Elbe um- schlossen sie durch das Vordringen der ihnen stammverwandten Brukterer, Chauken und Angrivaren von drei Seiten die herminoni- schen Longobarden, Cherusken und Fusen. Die Cherusker gingen aus den Zerwürfnissen in der Familie Armins so geschwächt hervor, dass es den Chatten nach Tac. Annal. 12, 28 und Germ. 36 anfäng- lich gelungen sein soll, ihre Grenze gegen sie weit nordwärts aus- zudehnen. Später ist das Land der Cherusken sowohl, als das der Chatten bis zur Diemel in Händen der Sachsen. Die (Jrenze dieses pagus Hassiae Saxonicus reichte zu Karls des Grossen Zeit: ad villani, cujus est vocabulum Vuluis angar (Wolfsanger), quam tunc temporis Franci et Saxones pariter inhabitare videbantur. (Dipl. Carol. Mag. Falke, p. 377, Schannat. No. 239.) Die Cherusken werden nur noch 321, als gegen Constantin vcrl>ündet, und um 400 von Claudian, vielleicht in beiden Fällen nur als Ausschmückung erwähnt. Späte- 28 ^'^n. 2. Heimath und Ausbreitung der Friesen und Sachsen. stens mit den Chcrusken müssen auch die Longobarden unterworfen worden sein, welche bei Tacitus beide als nur wenig zahlreich er- scheinen. Sprachlich sind diese herminonischen Theile des Sachsen- landes noch heute von den niederelbischen Sachsen und den Westfalen erheblich verschieden. Sie bilden die Ostfalen, ein Name, welcher mit dem der Westfalen erst seit 750 üblich wird, und welchen Grimm aus fälahan, condere, als Ansässige deutet. Vielleicht ist es vor allem der gleiche Gegensatz aller dieser nordöstlichen Völkerstämme gegen die mächtig und erfolgreich vor- dringenden Frankenkönige gewesen, der ihre Verschmelzung erleichtert, und die am wenigsten bedrohten, aber zu Kampf und Hülfe bereiten Ti'ansalbingier zu Leitern und Herren gemacht hat. Zu dem Kampfe mit dem Thüringerherzog Hirminfrid zieht Theoderich, wie v. Ledebur (Land und Volk der Brukterer 1847) überzeugend dargethan hat, obwohl ihm der direkte Weg aus Hessen zm* Unstrut offen stand, die Strasse an der Leine nordwärts über Elze und wird hier bei Runiberg von den Thüringern in fester Stellung erwartet. Die Altsachsen nehmen zwar an dem Kampfe nicht Theil, weder für Hirminfrid, noch für Theoderich, letzterer ruft nur die in Hadeln gelandete Sachsenschaar zu Hülfe. Gleichwohl ist eine völlige Neutralität des Sachsenlandes unter diesen Umständen nicht denkbar. Es scheint vielmehr, als ob schon eine gewisse Abhängigkeit desselben vom Frankenkönige bestanden habe. Jedenfalls trat eine solche in Folge der Unterwerfung Thüringens ein. Der Beweis würde schon darin liegen, dass Theoderichs Sohn an Justinian schreibt: subactis Thuringis, Wisigothis Pannoniam (Aquitaniam?) cum Saxoni- bus Euciis, qui se nobis voluntate propria tradiderunt . . . dominatio nostra porrigitur, wenn hier nicht an die Sachsen von Bayeux oder an der Loire zu denken wäre. Unter Chlotar I. aber wurden die Sachsen, die sich mit den Thüringern gegen ihn 553 verbanden (Zeuss 387), verschiedentlich als rebellantes bezeichnet. Dasselbe thut Gregor v. Tours bei Kämpfen in den Jahren 555, 556 und 557, in welchen sie bis vor Divitia (Deutz?) vordrangen. Bei einer dieser Veranlassungen scheint ihnen Chlotar I. den Tribut von 500 Kühen auferlegt zu haben, welchen Dagobert I. 631 gegen das Versprechen, die Grenzen gegen die Slawen zu vertheidigen, erliess (Fredeger, c. 74). Die oft gedachte Episode der mit den Longobarden nach Italien gezogenen und dann von den Nordschwaben vernichteten Sachsen- schaar hat keine Bedeutung für das eigentliche Sachsenvolk, ^^"ohl aber wiederholen sich die Feldzüge der fränkischen Könige von VII. 2. Heimath und Ausbri'ituug der Fiieseu und Sachsen. 29 Chilperich I. bis auf Dagobert'). Dann trat mit der Schwäche der Merowinger die Periode ein, in welcher die Sachsen mächtig genug wurden, auch die Brukterer in Unterwerfung zu halten. Von 718 an aber beginnt eine Reihe von 4 Feldzügen Karl Martells und 7 Feldzügen Pipins und Karlnianns, bis 772 Karl der (Jrosse die Kämpfe aufnimmt und die Eresburg besetzt, 774 die Sieburg an der Ruhr und nochmals die Eresburg erobert, und damit die durch 33 Jahre mit den äussersten Anstrengungen geführten Sachsenkriege einleitet, welche erst 804 durch die dauernde Unterwerfung des Volkes beendet wurden. Aus dur karolingisehen Gaueinriehtung ging Sachsen als Westfalen, Engern und Ostfalen im wesentlichen mit fränkischer Gauverfassung hervor. — Von den Friesen sind ausser ihrem oben S. 22 gedachten Ver- suche, sich 57 oder 59 n. Chr. zwischen Rhein und Issel festzusetzen, nur wenige Nachrichten bekannt, welche auf Erweiterungen ihres Gebietes oder Wanderungen deuten. Procop IV, 20 berichtet, dass Friesen mit den Sachsen und Angeln nach Britannien gezogen seien. 0. I, S. 513 ist erwähnt, dass Friesen die Bretagne 509 für Chlodwig eroberten. Der Geograph von Ravenna, der im 7. .Jahrb. schrieb, erklärt (1, 11 und 4, 24), dass bei Dorostate, heut Wyk by Dorostede am Lek. im Südost von Utrecht, das Vaterland der Friesen beginne. Die Annales Fuldens. (Mon. Germ. I, 402) indess schreiben ihnen, damit nicht im Einklang, auch den Gau Destarbenzon oder Testerband südlich von Dornstede bis zur Maas zu. Es kann richtig sein, dass sich hier noch friesische Bevölkerung vorfand, dass der Gau aber jemals zu Friesland gehörte, bleibt sehr zu bezweifeln. Das gesammte Land der Friesen westlich der Fley ist wahr- scheinlich schon früh fränkischen Angriffen ausgesetzt gewesen. 680 wird Aldgisl I. König von Friesland genannt, dessen Sohn und Nach- folger Ratbod in das Frankenland einfiel. Er wurde zwar 689 von Pipin bei dem gedachten Wyk te Duerstedt geschlagen und zur Abtretung Westfrieslands gezwungen, besetzte es indess wieder und brachte 716 Karl Martell bei Köln eine empfindliche Niederlage bei. Unter seinem Nachfolger Aldgisl 11. ging jedoch 719 \\'estfriesland de- finitiv an die Franken verloren, und Karl Martell besiegte 734 auch dessen Nachfolger Poppe. Seitdem wird kein König oder Herzog der Friesen mehr genannt, und während der Sachsenkriege liefestigt ') V. Wersebe, Ueber die Völker und Völkerbündnisse des alten Deutschlands, S. 158. 30 VII. 3. Die Besiedelung Frieslands. Karl der Grosse die fränkische Oberherrschaft vollständig über alle Friesen. Er machte Stotel an der Lüne jenseits der Weser auf der Ostgrenze des Landes Wührden zu einem seiner Hauptstützpunkte, schwerlich ohne Rücksicht darauf, dass er hierher zu Wasser und zu Lande einen Zugang ausserhalb des Sachsenlandes bcsass, von welchem er leicht über Lesum die hohe und trockene, von Sümpfen gedeckte Strasse nach Bremen und Verden ins Innere desselben festzuhalten vermochte. Auf die geringe Bewegung der Ingvaeonen während des ersten halben Jahrtausends, seit wir sie kennen, ist also vom 2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung an eine mächtige Ausbreitung gefolgt, welche auf wesentlich und ungetrübt volksthümliche Entwickelung gestützt, die Abgrenzungen und Zustände des sächsisch -friesischen Völkergebietes feststellte (o. I, S. 388). Seit dem 7. Jahrhundert aber begann das ernste Ringen mit dem überwiegend romanisirten Frankenthum, dem Friesen und Sachsen zwar politisch unterlagen, indess nicht ohne dass bei ihnen, wie bei den Schwaben und Bayern, ein neues Kultur- leben zur Durchbildung kam, welches, innerlich national, auch die unvermischter gebliebenen Reste der Franken zu sich hinüberzog und dem Romanenthum an den Ardennen und den Vogesen eine Grenze steckte. Wie weit von diesen Vorgängen das Agrarwesen berührt wurde, kann nur aus der näheren Betrachtung der Besiedelung er- sichtlich werden. 3. Die Besiedelung Frieslands. Die friesischen Landschaften umfassen von den heutigen niederländischen Provinzen im einzelnen: Zceland, Holland und Fries- land ohne Zevenwalden, die Provinz Groningen, indess ohne das Ge- biet der Stadt Groningen und ohne das Gooregt, welche beide fränkisch, nicht friesisch sind. Die friesische Grenze schliesst am Dollart nur Duisterwald, Groote Oldamt und den Norden von Woldingerland bis südlich Frieseschenloo ein. Auf deutschem Gebiet gehört den Friesen ganz Ostfricsland mit Reiderland bis südlich nach Völlen, dem Völlner Meer, Bronsel Meer, Burlager Meer und der oldenburgischen Grenze, welche über die Sageiter Ems, das Aperdecp, die Bietze und das Uhls bis zum Kleinen Bullenmeer inne , zu halten ist. Allerdings hat das Saterland auch auf oldenburgischer Seite noch friesische Be- wohner, es ist aber immer zu Sachsen gerechnet worden, wie das Ammerland. Die Grenze des letzteren führt vom Kl. Bullenmeer, V'II. 3. Die Besiedelung Tiieslands. 31 nördlich Eggelage, an das Vareler Meer und weiter zur Wapcl, welche als Waplinga die alte historische Scheide zwischen Friesen untl Sachsen bildet. Von der Mündung der Wapel in den Jahdcfiuss liiut't die Grenze w-eiter die Jahde aufwärts bis etwa zum Dornebbcbaeb und von dessen Quelle zum Donebach, dem sie abwärts zum Braker Diep und zur Weser folgt. Jenseits des Stroms gehört den Friesen das Land Wührden nördlich des Reehtenflether Moores und das Land Wursten nördlich der CJeeste. Auch das Stedingerland auf dem linken Weserufer, Bremen gegenüber, war, wie es scheint, grossentlieils von Friesen bewohnt, galt aber ebenfalls schon in der karolingischen Zeit als sächsisch. Die Durchsicht der holländischen und deutschen Generalstabs- karten dieser Landestheile zeigt auf den ersten Ueberl)lick, dass wie in der Natur des Landes, so auch in der Besiedelung Marsch und Geest und auf letzterer wieder der Anbau älteren Kulturlandes von dem der Veenc und Torfmoore zu unterscheiden ist. Die Kolonisatioti der Moore ist ebenso durch die örtliche Lage und die übliche Sig- natur der Karten, als durch das Bild der Bodentheilung, wie es Anlage 68 erläutert, erkennbar. Diesen Moorkolonien ist allgemein eigenthümlich, dass ihren einzelnen Besitzungen die Form eines verhältnissmässig sehr langen parallelen, zwischen zwei Gräben geschlossen fortlaufenden Streifens gegeben worden ist. Dieser Streifen stösst in der Regel an einem P^nde, auf welchem das Gehöft belegen ist, an die Strasse und an den Deich eines der SchifFfahrt und Entwässerung dienenden Haupt- kanals im rechten Winkel an, an dem anderen Ende verläuft er da, wo die Moore noch nicht völlig aufgearbeitet und in Kultur gebracht sind, in das Moor. In Ostfriesland giebt es noch erhebliche Strecken solcher un- angerührter Moore, und der Prozess der noch gegenwärtig fortschrei- tenden Kolonisation lässt sich auf ihnen anschaulich verfolgen. Seit alter Zeit galt in Ostfriesland das Recht, dass jeder Eigen- thümer, der mit seinen (irundstücken unmittelbar an ein Moor angrenzt, in der Breite seines Grundstückes nach der Mitte des Moores hin mit Austorfen und Kultiviren desselben so weit vorgehen durfte, bis er auf einen ihm entgegenkommenden liligenthümer jen- seitiger Grundstücke stiess. Darin liegt schon der Gedanke dieser streifenförmigen Anlage. Der erste Versuch selbstständiger Veenkolonien wurde auf deut- schem Boden durch den Drosten Dietrich von Veelen nach hollän- 32 VII. 3. Die Besiedelung Frieslands. dischem Muster auf dem Papenburger Moor an der Grenze, aV)er schon ausserhalb Ostfrieslands gemacht. Aus dieser Anlage ent- wickelte sich die Stadt Papenburg (Anlage 85). Veelen zog einen eine halbe INIeile langen, mit grösseren Schiffen schiffbaren Hauptkanal in das Moor, der gegen die Ems, in welcher bis dahin die Fluth reicht, durch das Drostensiel geschlossen wurde. Die gegenwärtige, mehr als eine Meile lange Fortsetzung dieses Kanals erfolgte in der tiefsten Lage und schritt mit dem Anbau der Gehöfte des Ortes im wesentlichen in der Art fort, dass auf jeder Seite des Kanals eine ^ Strasse entstand, in der sich die Gehöfte aneinander reihten. Hinter jedem Gehöft liegt das ihm zur Kultur überwiesene Moor. An den Hauptkanal schlössen sich in ähnlicher Weise mehrere mit Torf- schuiten schiffbare Seitenkanäle an, welche gegenwärtig schon über 8 Meilen Länge haben und in ihrem Verlaufe alle Stufen der Ent- wickelung einer solchen Kolonie zeigen. Nachdem der Hauptkanal auf Kosten des Fiskus oder des Unternehmers ausgehoben und die Besitzungen längs desselben an Kolonisten vergeben sind, begründen letztere zuerst dürftige Hütten, von denen aus sie den Ausstich und die Aljfuhr des Torfes beginnen. Sie laden die Schulte damit voll und 2 Mann ziehen sie durch den Kanal zur Ems und setzen den Torf in Emden oder in benachbarten holländischen Orten zu einem Preise ab, der nur einen höchst spär- lichen Tagelohn bietet. Soviel es ihnen aber möglich ist, suchen sie Dungmaterial als Abfuhr oder auch käuflich zu erwerben, vermischen dasselbe mit der lockeren Deckschicht des Torfs und verbessern damit den sandigen Untergrund, auf dem sie Kartoffeln, Kuben und Getreide zu bauen beginnen. Die erste Generation vermag ohne Nebenmittel trotz sehr angestrengter Arbeit doch nur ein äusserst kärgliches Leben zu erreichen, aber je weiter die Kultur fortschreitet, desto mehr erstarkt das Hauswesen, es entstehen ansehnliche Ge- bäude, und die zweite Generation gelangt in der Regel schon zum Genuss eines behaglichen landwirthschaftlichen Daseins, welches je nach der Entwickelung des Ortes auch durch Handwerk und Handel unterstützt werden kann. Solche systematische Anlagen, welche seit 1720 in Hannover lebhaft in Gang kamen, waren indess in Ostfriesland durch das ge- dachte herkömmliche Ausstreckungsrecht der Adjacenten be- hindert. Als Friedrich der Grosse 1744 die Regierung Ostfrieslands übernahm und wie in seinen Erblanden mit umfassenden Landes- meliorationen vorgehen wollte, erachtete er diese unbestimmten Rechts- VII. 3. Die Besiedelung Frieslands. 33 Verhältnisse des überwiegenden Theiles der Geest für so landeskultur- widrig, dass er durch das Ostfriesische Urbarmachiings- Edikt vom 22. Juli 1765 in die Verhältnisse eingriff"^). Er erklärte die ohne Eigenthumsgrenzen und ohne Eigenthumsanspruch daliegenden öden Moore als Staatseigenthurn, sei es dass sie res nullius oder alte Fisci seien, das Ausstreckungsrecht der Adjacenten dagegen als eine ab- lösbare Grundgerechtigkeit. Soweit sie ausgeübt war, wurde jede in bestimmten Grenzen vorgefundene Ausstreckung anerkannt. Bei un- bestimmten Grenzen wurde die Ausstreckung vom letzten vorhandenen Torfstich an noch weitere 4 Moordimat (zu je 450 preuss. DRi^ithen) oder 2,55 ha gestattet, im übrigen aber den Gemeinden ihrer Lage nach angemessene Abfindungen für die Ausstreckungsrechte zuge- sprochen. Dagegen sollten alle solche Ländereien, falls sie nicht kulti- virt würden, an den Fiskus zurückfallen, und frühere Kulturen, die wüst und mit Haide bewachsen seien, als derelinquirt eingezogen werden. Die Folge war eine lebhafte Kulturthätigkeit in den den Adjacenten und Gemeinden ü1)erwiesenen Moorländereien und die Freiheit für den Fiskus, auf dem umfangreichen Reste der Moore Moorkolonien anzulegen. Dieselben haben sich nach und nach, auch in der späteren hannovrischen Zeit, so ausgebreitet, dass in der Mitte des 19. Jahrhunderts schon 14 grosse Koloniegemeinden mit über 1000 Ge- höften bestanden. Meist sind grössere Moorstrecken für diesen Zweck von Gesellschaften angekauft und an die Kolonisten zu Pacht oder Eigenthum überlassen worden. Die Abfindungen der Gemeinden führten dagegen zu manchen Schwierigkeiten. Sie kamen hier und da in weiten Entfernungen zur Zutheilung, und die Theilnahmerechte daran wurden unter den mit der Zeit wechselnden Anschauungen zweifelhaft, so dass noch bis auf die neuste Gegenwart solche Aus- streckungsrechte zu reguliren sind. Gleiche Verhältnisse bestanden in Drenthe, Oberyssel und Gelder- land (Anlage 68), welche den fränkischen Theilen des niederländischen Gebietes angehören. In Westfriesland und Holland waren die Moore zwar in ähnlicher Weise, aber viel früher kultivirt worden, so dass sie jetzt völlig verschwunden sind. Sie lagen meist so tief, dass sie, wie das Marschland, des Deichschutzes, wenigstens gegen die grösseren Hoch- fluthen, bedurften. Das aus ihnen gewonnene Kulturland ist deshalb ') Die näheren Belege finden sicli, wenn :iuch nicht überall zutrefVend beurtheilt, bei Alfr. Hugenberg, Innere Kolonisation im Nordwesten Deutschlands, Strassburg 1891, dankenswerth gesammelt. Meitzcn, Sieduluug etc. II. 3 34 VII. 3. Die Besiedelung Frieslands. denselben wiederliolten zerrüttenden Ueberschwemmungen ausgesetzt gewesen, wie die Marschen, und weite .Strecken haben schwierig zu beseitigenden Aufstauungen unterlegen. Aus diesem Grunde lassen sich hier die Moorkulturen viel weniger von der Besiedelung der in neuerer Zeit entstandenen Polder und von allen den Marschländereien unterscheiden, welche durch die Fluthen so verwüstet wurden, dass sie erst unter völlig neuer Einrichtung wieder bewohnbar wurden. Auch alle Marschenbesiedelungen des späteren Mittel- alters entsprechen, soweit die Zeit ihrer Anlage bekannt ist, im wesentlichen der Form der Moorkolonisation. Die genau datirten Kolonieanlagen, welche im 12. und 13. Jahrhundert in den Weser- und Eibmarschen meist von Holländern oder urkundlich nach hol- ländischem Muster durchgeführt wurden, verdeutlichen Fig. 53 Sieben- höfen in Hollern bei Stade (vergl. o. I, S. 48) und Anlage 86, das Bild der vom Erzbischof Friedrich seit 1106 mit Vahr begonnenen Besiedelung der Marschen um Bremen. Sie zeigen, dass schon in jener Zeit die den Moorgütern entsprechende streifenförmige Theilung der Marschenländereien ebenso in Uebung war, wie sie seitdem bei allen neugewonnenen Poldern Gebrauch geblieben ist. Sie ist dadurch begründet, dass, wie oben gezeigt, das Marschland da, wo der Deich gezogen wird, in der Regel nicht unerheblich höher und besser ist, als gegen den alten Strand oder gegen den früheren, dem Strande näher liegenden Deichzug hin. Durch die Theilung in lange, gegen den Deich möglichst rechtwinklig laufende Streifen erhalten deshalb alle Besitzer in dem ihnen zufallenden Grundstücke auf dessen ganzer Länge den verhältnissmässigen Antheil an gutem und geringerem Boden. Auch die Gehöfte finden, wenn sie nicht aus besonderen Gründen als geschlossener Ort zusammengebaut werden, eine passende, hoch und günstig am Deichabhange liegende Stelle, und sind durch die auf dem Deiche fortlaufende Strasse zugänglich. In den nasseren Marschlagen war es Uebung, nicht lediglich den grossen Streifen der geschlossenen Besitzung in Gräben einzu- schliessen, sondern auch zwischen diesen Aussengrenzen von 4 Ruthen zu 4 Ruthen, d. h. auf je 18,8 m Breite, parallellaufende Gräben von V2 Ruthe Breite zu ziehen und den ausgehobenen Boden auf die dazwischen liegen bleibenden, 0V2 Ruthen breiten Beete zu werfen. Quer durch dieses grosse fortlaufende Streifensystem, welches die Fig. 53 wiedcrgiebt, wurde an der tiefsten Stelle der Hauptabzugs- graben, die sogenannte Wetter, gezogen, welche aus allen Gräben von beiden Seiten das Wasser aufnimmt. Längs der Wetter kam über VII. 3. Die BesieJelung Frieslands. 35 Durchlässe einer der wenigen Wege zur Anlage, die ausser der Haupt- strassc auf dem Deich durch die Marschgüter führen. Im Uebrigen laufen die Grüben ohne Ueberbrückung bis in die Nähe der Gehöfte- fort und sind so tief ausgehoben, dass die Bauern sich des Spring- stockos bedienen, um von einem Beete auf das andere zu gelangen. Das weidende Vieh versucht nie, diese Gräben zu überspringen. Im Lande Wursten ist ausnahmsweise übhch, in die Sohle der Längsgräben, welche nicht Aussengrenzen der einzelnen Besitzungen bilden, etwa von siebzig zu siebzig IMeter zwei bis drei Meter lange ^ Fig. 53. Siebenhöfen bei Stade, 7^ M. 0. Die Flur wird im West von der Wetter, im Ost von der Deichstrassc begrenzt; zwei Grüben mit Brücken, ein Fussweg zur Kirche im Nordeude, und eine Fahrstrasse hinter den Gehöften durchschneiden sie. Durchlässe von Holz einzulegen und darüber Boden zu schütten, so dass je auf etwa gegen die Breite Sfacher Länge Querverbindungen entstehen, welche befahren und auch beackert werden können und eine bessere Eintheilung der Feldschläge gestatten. In den neueren holländischen Anlagen, z. B. bei der Trocken- legung des Haarlemer Meeres und in einigen benachbarten Poldern, sind nur auf den Aussengrenzen der Besitzungen tiefe gradlinig fort- laufende Entwässerungsgrälien ausgehoben worden, dagegen über die so entstandenen Streifen leichtere Abzugsgräben in solchen Abständen quer gezogen, dass eine Einiheilung in nahezu quadratische oder doch sehr regelmässig rechteckige Schläge entstanden ist. 3* 36 VII, 3. Die Besiedelung Frieslands. Alle diese streifenförmigen Eintheilungen des Bodens bilden in- dess in Holland erst eine zweite Umgestaltung der älteren Kultur- verhältnisse, und ihre besonders grosse Verbreitung ist nicht lediglich auf die unvermeidlichen Naturereignisse zurückzuführen, die seine Niederungen wiederholt betrafen. Das Land hat auch in verschiedenen Kriegen, namentlich während der Befreiungskämpfe gegen Spanien, sowohl durch die Feinde, wie zu seiner Vertheidigung, die gewalt- samsten Veränderungen erfahren. Zerstörungen der Deiche waren theils der Ueberschwemmung , theils der Unterbrechung der Haupt- zugangswege wegen, eines der Hauptkampfmittel für Freund und Feind. Selbst die Lage und Gestalt der "W'ohnplätze ist in Ijekannter Zeit eine völlig andere geworden. Während der Befreiungskriege mussten die einzelnen offenen Gehöfte wegen des eindringenden Feindes, oder wegen der Deichdurchstiche, aufgegeben werden, und die Bevölkerung zog sich in eine Anzahl stark befestigter Hauptorte zusammen, aus denen sie sich erst später wieder über das Land verbreitet hat. Wo nun neben der streifenförmigen eine andere Ijlock- artige Aufth eilung des Landes auftritt, welche den Boden in unregelmässige, mehr abgerundete, kleine, abgeschlossene Stücke zer- legt, kann dieselbe zwar eine stellenweise, unter besonderen Umständen zweckmässige Anlage sein, ohne dass ihr deshalb nothwendig ein höheres Alter als der streifenförmigen zuzuschreiben wäre. Sicher aber ist, dass diese Art der Bodentheilung bei denjenigen Ortschaften allgemein verbreitet ist, mit denen die Marschen zu einer Zeit be- siedelt wurden, in welcher noch keine sie einschliessenden Seedeiche bestanden. Die Ueberlieferung über diese ältesten Anlagen wird von den wirthschaftlich gegebenen Bedingungen der Marschenbenutzung und der Beschaffenheit der Ortschaften, die sich auf breiten Marsch- flächen finden, überzeugend unterstützt. Den Charakter der frühesten, bis in die Vorzeit hinaufreichenden Besiedelung von CJeest und Marsch trägt aus den angegebenen Gründen viel sicherer Friesland und namentlich Ostfriesland, als das heutige Holland. Die ältesten, weit vor die Eindeichung hinaufreiclien- den Ansiedelungen konnten nirgend anders als auf dem schmalen Landstreifen der trockenen Geest zwischen der Marsch und den Hochmooren entstehen. Sie lagen am zweckentsprechendsten am Rande der Geest, so dass sie einigen gesicherten Boden zum Getreide- bau hinter sich und die weite Marsch zur Weide vor sich hatten. J VII. 3. Die Besiedelung Frieslands. 37 Diese reichen Viehweiden waren indess durch die Heerden nur soweit zu benutzen, als es der sechsstündige Wechsel der Ebbe und Fluth erlaubte. Ueber eine Stunde durfte das Vieh ohne Gefahr nicht vor- wärts getrieben werden, wenn die See nicht völlig ruhig erschien. Dazu kam noch das weitere Hinderniss, dass die Thiere auf der Marsch kein Trinkwasser finden. Nur ausmündende Binnengewässer, nicht Gräben oder Tümpel können zur Tränke dienen. Beiden Uebel- ständen liess sich indess dadurch abhelfen, dass in gewisser Ent- fernung ein hinreichend umfangreicher und hoher Dammaufwurf in der Marsch gemacht wurde, welcher etwa kreisrund eine 2 — 3 ha grosse über der Marschfläche liegende Vertiefung einschloss. In diesem Becken sammelte sich cisternenartig das Regenwasser. Das Vieh aber, das sich diese Tränke aufzusuchen gewöhnte, flüchtete dann bei jeder Wassersgefahr auf die hohen Böschungen derselben und fand dort einen genügend sicheren Stand. Es ist erklärlich, dass allmählich auch der Versuch gemacht wurde, auf diesen Dammaufschüttungen zu Avohnen, was nicht grösseren Schwierigkeiten als das Wohnen auf kleinen Inseln begegnete. Es liessen sich auch je nach der Fluthrichtung Dämme von einer solchen Warf zur anderen ziehen, welche die Bewohnung erleichterten. Jedenfalls wurden, nachdem die äusseren Seedeiche angelegt waren, ganze Orte auf solche alte Trankstätten verlegt. Da sich aber mehr- fach, z. B. in Grismersum, auch künstliche, vorzugsweise aus Dünger und Stroh errichtete, als eigentliche Warfen bezeichnete Hügel gefun- den haben, so ist anzunehmen, dass e.s auch schon vor der Vollendung der Seedeiche Sitte wurde. Orte auf solche Höhen in die INIarschen hinauszubauen. Schon Plinius berichtet dies von den Chauken. Das Beispiel eines solchen auf einer Trankstätte erbauten Dorfes giebt Rysum (Anlage 87) im AVesten von Emden. Die alten grossen Bauerhöfe des Ortes lagen ursprünglich alle auf dem äusseren Abhänge des Dammkreises, und zwar so, dass die Wohnräume dieser dem westfälischen Typus sehr ähnlichen Häuser die Dammkrono erreichten, Viehstände und Diele aber weiter abwärts der Marsch zugewendet waren. Hohe Wasserstände drangen also zunächst nur ins untere Ende der Diele ein, Bewohner und Vieh aber konnten sich auf die Dämme und in deren inneren Kreis retten. Erst in neuerer Zeit ist in Rysum ein Tlieil dieser Höfe dismembrirt, ein Theil weggebrochen und aus dem Orte heraus auf die Marsch- fläche gebaut worden. Sämmtliche Gebäude im Innern des Damm- kreises entstanden erst s])ät und allmählich. Denn ausser Kirche, 38 VII. 3, Die Besiedelung Frieslands. Schule und Ratlihaus und dorn Schlosse eines Adligen, der seinen Garten auf den Plätzen einiger alter Höfe angelegt hat, gehören alle Häuser innerhalh der kreisförmigen Hauptstrasse nur /.u kleinen Stellen von Arbeitern und Handwerkern mit geringem Ackcrhesitz. Die drei Reste der alten Wassercisterne zeigen noch, wie ausgedehnt diesellie ursprünglich war. Gregenwärtig dienen jedem Wirthe die Dächer seines Gehöftes dazu, das nöthige Wasser für seinen Bedarf in Tonnen aufzufangen, und er setzt einen ge\vissen Stolz darein, dass ihm dies durch die Grösse und Güte der Dächer gelinge. Die zu Rysum gehörige Gemarkung von 1006 ha, von denen die Karte 146 zeigt, stösst unmittelbar an den Seedeich der Emsmündung, der hier nirgend Vorland besitzt. Ihre gesammte Fläche ist durchweg in Vs bis 2 ha grosse, nahezu rechteckige, meist etwas mehr lange als breite Abschnitte getheilt, welche indess weder gleich gross, noch völlig regelmässig sind. Dieselben werden durch Gräben und Wege ge- schieden. Die Gräben haben nur theilweis den Zweck der Entwässe- rung, die meisten dienen lediglich der Abgrenzung. Beachtenswerth ist, dass die die Ortschaft umgebenden Grundstücke sämmtlich zu den alten Hofstätten gehören. Erst in weiter Entfernung finden sich Ländereien der kleinen Stellenbesitzer aus dem Dorfinnern. Diese Dorfform und Feldeintheilung erstreckt sich über die 32 Marschdörfer des sogenannten Krumbhörn, das den Haupttheil des heutigen Kreises Emden bildet. Einige Orte zeigen mehr Um- und Aus- bau. In ihrer Gesammtheit aber sind sie der Beweis, dass dieser Theil der Marsch seit sehr alter Zeit als eine breite festverlandete Fläche bestand, welche wahrscheinlich das am frühesten besiedelte Marschland war. — Eine ähnlich blockförmig gestaltete Eintheilung des Landes zeigt sich auch in weiterer Verbreitung. In den alten friesischen Gebieten südlich des Rheins in See- land ist die gesammte Insel W^alcheren und ebenso die Insel Schouwen in dieser Weise aufgetheilt. Auf den benachbarten Inseln bestehen entsprechende Blöcke nur in der Umgegend der Orte Houtenisse, He- dekenskirke, Goes, Tholen, Bergen ob Zoom, Steenbergen und Zeeven- bergcn, deren Namen meist schon auf eine höhere, also auch vor den Verwüstungen des Meeres geschütztere Tjage hinAveisen. Nördlich des Rheins findet sich die gleiche Blockeintheilung erst wieder um Haarlem bis zum Haarlemer Meer und weiter nörd- lich dem Dünenfusse entlang um Beverwyk, Castricum, Alkmaar und Schaden. VII. 3. Die Besiedelung Frieslands. 39 In Westfriesland ist sie viel weiterverbreitet; sie nimmt hier die Umgegend von Stavorcn, Makkum, Harlingen, Franeker bis Leeuwarden und weiter nördlich das Land zwischen Ferwerd, Dokkum, Kollum bis zur Lauwers ein, soweit nicht der Polder von Out Bild, Niewland und Pasens vorgeschoben ist. Oestlich der Lauwers bis zum Dollart ist nur die Umgebung des Reitdieps, ein Abschnitt des Groninger Stadtgebietes und der LTithuiser Polder in die gedachten Streifen des Koloniallandes eingetheilt, alles andere Land liegt in Blöcken. In Ostfriesland findet sich diese Auftheilung auf der ge- sammten Geest, soweit sie nicht von Moorkolonien eingenommen ist, und in den Marschen überall da, wo diesell^en nicht durch Polder oder Groden als erst in später Zeit verlandete und eingedeichte charakterisirt sind. Sie besteht ausser im Krumbhörn, in der Wester Mai-sch um Norden, im Harlinger Land um Werdum und in der mittlen Hauptmasse des ganzen Jeverlandes. In allen Landestheilen sind es also die geschütztesten und zu- gleich die frühesten Ansiedelungen, welche diese Flureintheilung zeigen, da in diesen Gegenden die geschütztere Lage auch das höhere Alter voraussetzen lässt. Diese Eintheilung darf deshalb mit Recht als der Rest der ältesten Ansiedelungsform anerkannt werden. — Was nun den Bau der Ortschaften in den friesischen Ge- bieten anlangt, so schliessen alle höheren Lagen von selbst die An- lage der Gehöfte auf Warfen aus. Doch scheint dieselbe auch auf den Marschen keinesweges weit verbreitet gewesen zu sein, wenigstens hat sie nirgend so allgemein den Ursprung der Ansiedelungen gebildet, wie im Krumbhörn. Auf den meisten Marschen giebt es vielmehr nur einzelne stadtähnliche Ortschaften, bei denen man in der Regel eine künstliche oder natürliche Bodenerhebung als Grund- lage annehmen darf. Der bei weitem grösste Theil des Marsch- gebietes ist ebenso, wie die Hauptfläche der Geest, gleichmässig von vereinzelten Höfen eingenommen, deren jeder, soweit thunlich, in der Mitte des zu ihm gehörigen Landes belegen ist. Da auf den Marschen die Anlage solcher Einzelhöfe erst durch die Eindeichung ermöglicht war, lässt sich nicht sagen, dass sie hier von Alters her bestehe, wohl aber dass die Bevölkerung ihren Sitten und Anschauungen ge- mäss Einzelhöfe zu bewohnen suchte, wenn sie nicht durch die Umstände gezwungen war, geschlossene Warfen zu besiedeln. Es spricht sich das am deutlichsten auf der in Ostfriesland noch sehr gut erkennbaren alten Strandgegend der Geest aus, welche vor der Be- 40 ^'11- 3. Die Besiedelung Frieslands. wohuung der Marsch von den Ansiedlern hauptscächlich gesucht ge- wesen sein muss, weil ihnen hier alle wirthschaftlichen Nutzungen am besten zu Gebote standen, die Geest zum Ackerbau, die Marsch zur Weide, und zugleich die zum Fischfange unmittelbar zugcängliche See. Grade auf diesem alten Geestrande sind nur wenige geschlossenere Orte zu finden, und ihre Entstehung erklärt sich aus dem Bedürf- niss von Kirch-, Markt- oder Hafenplätzen, oder durch jNIündungen von Süsswasser und höhere Lagen, welche eine grössere Bevölke- rung wegen der besseren Sicherung gegen die Seegefahr herbeizogen. Im wesentlichen aber ist deutlich, dass auf dem alten Strande die Einzelhöfe ganz allgemein sind und den eigentlichen Charakter der Besiedelung wiedergeben, der sich erst da nach der Seite der Geest hin verändert, wo die planmässigen Anlagen der Moorkolonien be- ginnen. — Dagegen giebt es tiefer im Innern der Geest auf den von den Torfmooren und Brüchen des Binnenlandes eingeschlossenen Ab- schnitten freien Geestbodens einzelne geschlossene Dorfanlagen, welche einen besonderen Charakter zeigen. Im allgemeinen müssen sich auf allen diesen oasenartigen Lagen zwischen dem öden un- kultivirten Lande die hier entstehenden Anlagen näher zusammen- drängen; gleichwohl zerfällt auch hier, wie die Generalstabskarte hin- reichend deutlich erweist, die Mehrzahl derselben in grössere und kleinere unregelmässig gruppirte Einzelhöfe. Eine geringe Anzahl aber besitzt ausnahmsweise eine dorfähnliche, ziemlich geschlossene Stellung der Gehöfte. Als solche lassen sich Aurich - Oldendorf, Timmel, Holtrop, Leerhave, Hesel und Filsum nennen. Die Eigenthümlichkeiten dieser Orte giebt Filsum (Anlage 88) am ausgeprägtesten wieder. Sie sind sämmtlich im Besitz ziemlich ausgedehnter graswüchsiger Niederungsländereien, so- wohl ackerbarer, als nur zu Wiese und Weide geeigneter. Daneben aber findet sich eine kleinere oder grössere sandige Erhebung, welche sich vorzugsweise zu Getreidebau eignet. Zwischen dieser Höhe und der Niederung sind, wie Filsum zeigt, die Gehöfte als eine nahezu geschlossene Dorf läge angelegt. Als Grund wird angegeben, dass die Niederungen leicht vom Binnenwassor überschwemmt Avürden, die Höhe dagegen, wenn auch nur leichtes, doch das einzige sicher trockene Ackerland sei. Daher wären die Gehöfte zwischen beide Arten Grundstücke zusammengedrängt. Eine ganz befriedigende Erklärung ist dies, wie Filsum zeigt, nicht. Um die sandige Höhe war hier Raum genug zur Ausbreitung in Einzelhöfen. Allerdings sind alle VII. 3. Die Besiedelung Frieslands. 4'[ diese Orte Kirchdörfer, in welchen sich in der Regel eine Anzahl Handwerker und Krämer niederlassen. Auch l)egünstigen die ge- dachten höheren Sandäcker die Anlage kleiner Stellen durch die Möglichkeit, kleinere Ackerstücke zu erwerben. Aber es lässt sich doch der Gedanke nicht abweisen, dass hier ebenso wie in der o. I, S. 518 gedachten Umgegend von Assen in der fränkischen Landschaft Thrente und Oldenzaal in Thwente eine Aus- nahme von der allgemeinen Besiedelungsart, vielleicht ein auf Mittel- deutschland Aveisender Einfluss zu sehen ist. Es wird dies nicht allein durch die geschlossene Dorflage, son- dern auch durch die Art der Theilung der Aecker auf den gedachten sandigen Höhen nahe gelegt. Filsum giebt ein Bild derselben. Solche gewannartig in Streifen unter verschiedene Besitzer vertheilte Acker- ländereien heissen in Thrente und Thwente Esch, und auch in West- falen und Engern, wo sie ebenfalls bei den Einzelhöfen vorkommen, haben sie diesen Namen. Für Friesland giebt indess Leverkus an, dass sich bei den oldenburgischen Friesen und auch bei den Ostfriesen das Wort Esch für angebaute Geesthöhen nur da bisweilen finde, wo die Friesen mit den aramerländischen Sachsen grenzen und es von diesen Nachbarn entlehnen konnten^). Sie selbst sagen dafür Gast (d. i. Geest). So heisst es 1687 von der Pastorei zu Varel, sie habe »vor 43 Scheffel Gast- oder Eschland«. Die Bezeichnung als Gast, trockenes Land, war schon im frühen Mittelalter die übliche ^). Sie rechnen aber das Gastland nicht wie das Saatland in der Marsch nach dem Flächenmaass als Jüche, sondern nach Stücken oder Acker- beeten, wie es auch auf den sächsischen Eschen der Fall ist. Sogar die Bezeichnungen Jard, Drömel, Acker sind auf der ostfriesischen Geest bekannt^), welche an die o. I, S. 95 gedachten mitteldeutschen anklingen. Zahl und Umfang dieser friesischen Esche sind aber nach Leverkus' Angaben sehr beschränkt, und es kann, wie das Beispiel von Filsum erkennen lässt, von einer eigentlichen Gewanneintheilung nicht gesprochen werden, weil keinesweges alle im Orte mit gleich grossen Gütern Angesessenen auch gleich grosse Antheile an diesem Ackerlande im Ganzen oder in den einzelnen gewannähnlich erscheinen- den Abschnitten desselben besitzen. Vielmehr weist der vorgefundene Besitzstand eher darauf hin, dass lu'sprünglich grössere zusammen- hängende Grundstücke einzelner Besitzer bestanden, welche mit der ') Vergl. indess Friedländer, Ostfr. Urkb., Urk. 93 u. 469. ^) V. Riehthofen, Altfriesisches Wörterbuch, p. 775. ^) Ehrentraut, Friesisches Archiv II, p. 372. 42 VII. 3. Die Besiedelung Frieslands. Zeit in kleine Parzellen zerfielen und der bequemeren Beackerung wegen streifenförmig neben einander vertbeilt wurden. Indess welchen Einfluss man auch der Kenntniss mittel- oder norddeutscher Dorf- und Gewannanlagen auf diese Ortschaften ein- räumen will, er müsste immer als ein ausnahmsweiser betrachtet werden. In allen diesen Ansiedelungen sind mit alleiniger Ausnahme des Esches die sämmtlichen Acker-, Wiesen- und Weidegrundstücke, wie die Karte von Filsum nachweist, nicht gewannmässig oder über- haupt in Streifenform, sondern wie die Grundstücke aller benach- barten Einzelhöfe in Blöcken und Kämpen aufgetheilt. Auch bei ihnen macht sich also im wesentlichen der allgemein grundlegende Charakter der friesischen Siedelung geltend. Da diese Dörfer über- dies in den Einöden der weiten Moore liegen, und an der Gunst und den Vortheilen der Marsch keinen Theil haben konnten, ist auch nicht wahrscheinlich, dass sie, wenigstens in ihrer dorfähnlichen Gestalt, so alt wie die Ortschaften am Strande sind. Karl V. Richthofen spricht die Meinung aus, dass Friesland anfäng- lirh mit sehr zahlreichen, aber sehr kleinen Wohnplätzen besiedelt ge- wesen zu sein scheine, welche nach und nach zu grösseren zusammen- gezogen worden seien, weil die Anzahl der urkundlich genannten Orte ursprünglich sehr gross sei und mit der Zeit erheblich kleiner werde. Dies würde mit dem topographischen Ergebniss, dass die Einzelhöfe in Friesland die älteste Grundform der Besiedelung sind, übereinstimmen, weil die ältesten Namen die Hofnamen waren. — Die Schwierigkeiten, einzelne solche Höfe oder grössere Orte nach den Besonderheiten der Lage auf einen alten festen Bestand zurückzuführen, aus dem ein Anhalt für die Beurtheilung der frühesten Zustände zu gewinnen wäre, könnten nur durch weit zurückreichende, bei den Besitzern möglicherweise noch vorhandene urkundliche Nach- weisungen behoben werden. Denn es kommt im wesentlichen darauf an, für diese alten Wohnplätze innerhalb der blockartigen Zertheilung der Grundstücke ein festes Prinzip der Abgrenzung des Besitzes nach Form oder Grösse aufzufinden. Allerdings unterscheidet man bis in die neueste Zeit die kleinen, offenbar später entstandenen Stellen als Warfleute von den eigent- lichen Bauerhöfen, den sogenannten He er den. Noch die Provinzial- landschaftsverfassung ^) nimmt auf diese Rücksicht, und giebt in den Sandämtern nur den Eigenthümern der alten Heerde von mindestens ') Hannov. Gesetzsammlung v. 1846, S. 49, § 34. VII. 3. Die Besiedelung Frieslands. 43 50 Morgen Stimmrecht in der Amtsversammkmg, in der Marsch aber den Besitzern von 25 Grasen eigenen oder 50 Grasen beheerdigen Landes. Die Grösse dieser Heerde schwankt jedoch zwischen 20 und 200 Morgen. In ältester Zeit findet sich in den Orten auch edel und frei Land geschieden. Das Volk zerfiel in Ethelinge, Freie, Unfreie und Knechte. Schuldhaft machte unfrei, doch gab es Auslösungen. Ein Edler erfuhr eine capitis deminutio, wenn er eine Freie heirathete, und seine Kinder wurden nur Freie, nicht Edele. Edelinge waren sehr zahlreich und nach v. Richthofens Ansicht nicht von anderem als friesischem Stamme, wohl aber Eroberer, und weil sie den Freien das Connubium versagten, Unterjocher derselben. Sie hatten indess keinen wesentlich grösseren Besitz als letztere. Erst in späterer Zeit, als sie mehr und mehr ausstarben, und die Uebrigbleibenden zu einem höheren Adel des Landes wurden, sind auch grössere Besitzthümer in ihre Hände gekommen. Eine gewisse ständische Unterscheidung des Bodens muss aber noch bis in das 15. .Jahr- hundert fortgedauert haben. Die karolingischen Grafen mit ihren Unterbeamten, den Schultheissen , und das Rechtsprechen der ganzen Volksgemeinde er- hielten sich zwar bis zum 13. Jahrhundert. Um 1150 aber begannen die Exemtionen vom Grafengericht und wurden bis 1200 allgemein. Sie führten indess nicht zu gutsherrlicher Gerichtsbarkeit oder zu Vogteigerichten, sondern der rechtsprechende Rath, der in Deutschland nur in den Städten durchdrang, bildete sich in Fries- land auch auf dem Lande. Es traten Consules auf, in jedem Gaubezirke in der Regel 13, welche einen Asega, einen Rechtskun- digen, neben sich hatten. Dieser sprach aus, welche Rechte theore- tisch in Betracht kämen, danach fanden die Consuln, wie zu urtheiien sei. Diese Consuln gingen, wie es scheint, nur aus den Ethelingen (Ethelbonden , Besitzern von Adelsland) hervor, und ihr Richteramt haftete an bestimmten Landgütern. Eine Anzahl Höfe stellten der Reihe nach aus ihren Besitzern einen Consul. Wurde einer dieser Höfe getheilt, so wechselten die Theilbesitzer in der Weise, dass, wenn die Reihe an den getheilten Hof kam, das eine Mal der erste, das zweite Mal der 2., das di'itte Mal der 3. Theilhaber Consul wurde. Gleichwohl bestand in Ostfriesland niemals Hufenver- fassung oder eine ähnliche Einrichtung, welche die einzelnen Heerde nach ihrer Leistungs- oder Steuerfähigkeit untereinander verhältniss- mässig vergleichbar gemacht hätte. Die friesischen Gesetze bestimmten 44 ^'^II- 3- r)ie Besiedelung Frieslands. die Dienstpflicht im Kriege lediglich nach dem Geldwerthe des Land- besitzes'). Auch (las INIemoratorium Karls des (Irossen von 807 (o. I, S. 72), welches für die übrigen Theile des Reiches ganz all- gemein den Hufenbesitz und die Hufenzahl als (Irundlage der Heerbanns-Ordnung voraussetzt und danach Mannschaft und Be- waffnung beansprucht, nimmt in c. VI die Friesen offenbar wegen des Fehlens dieser Einrichtung aus und bestimmt: De Frisonibus volumus, ut Comites et Vasalli nostri, qui beneficia habere videntur, et caballarii, omnes generaliter ad placitum nostrum veniant bene praeparati. Reliqui vero pauperiores sex scptimum praeparare faciant et sie ad condictum placitum bene praeparati hostiliter veniant. Es bestehen also neben den besonderen karolingischen Beneficien die caballarii, unter welchen vielleicht die Edelinge zu denken sind, für die übrigen gab es keine Klassifikation des Besitzes, wie sie für die übrigen fränkischen Lande in dem Hufenbestande sich darbot. — Von jeher galt in Friesland allgemein, trotz der Unterscheidung des Besitzes der Edelinge, völlig freie Theilbarkeit, sowohl dem Rechte als der Ausübung nach, und zwar bis zu den kleinsten Par- zellen. Schon nach den frühesten Urkunden im 9. Jahrhundert wei-den die Grundstücke sehr häufig nach einzelnen pedes, virgae und grani- mata verkauft, und sie gehen aus der paterna wie materna oder mater- tera hereditas und durch testamentarische Vermächtnisse in zahlreichen kleinen Besitzstücken desselben Erblassers an die verschiedensten Personen über. Ebenso sind lange Reihen von Angaben über Ver- äusserungen und Vergebungen bekannt. Die Fuldischen und die Cor- veiischen Traditionen im Anhange des Ostfriesischen Urkundenbuches von Friedländer geben dafür reichhaltigen Beweis. Es äussert sich in Friesland nach allen Richtungen der Ein- fluss, den die unberechenbaren Verheerungen der Wasser flu then auf die (irundbesitzverhältnisse übten. Das alte Deich recht musste der Natur der Verhältnisse nach sehr strenge sein. »Wer nicht will deichen, muss weichen!« sagt die alte Rechtsparümie. Die Deichverptiichtungen waren schon in frühester Zeit den verschiedenen Besitzungen nach den einzelnen geschützten zu ihnen gehörenden (Jrundstücken auferlegt. Wer sich überzeugte, dass er der Last nicht mehr gewachsen war, durfte zum Zeichen dessen den Spaten in sein Baustück des Deiches stecken, damit gab er zugleich unwiderruflich sein und der Seinigen Anrecht an dem verpflichteten *) V. Richthofen, Friesische Rechtsquellen S. 390, § 21. VII. 3. Die Besiedelung Frieslands. 45 Boden auf. Wer den Bau übernehmen wollte, konnte binnen gewisser Frist den Spaten herausziehen und überkam damit auch alle ver- pflichteten Ländereien des früheren Deichgenossen. Verstrich die Frist vergeblich, so zog die Gesammtheit der Deichgenossen diese Grundstücke ein, und sorgte ilirersoits für die weitere Bauerhaltung. Daraus ist klar, dass kein Recht denkbar war, welches den einzelnen Besitzer verhindert hcätte, irgendwo belegene Theile seines Besitzes zu veräussern, um dadurch die Erhaltung des Restes zu ermöglichen. Al)er es handelte sich nicht allein um Deichbau. Die Ver- heerungen waren so häufig und weit verbreitet, bis auf die hohe Geest hinauf, dass der Grund und Boden nicht selten seinen Werth völlig einbüsste und es nur auf die oft sehr schwierige Arbeit ankam, ihn wieder tragfähig zu machen oder überhaupt zu kultiviren, und auf die Hülfsmittel, diese Arbeit leisten zu können. Dieses Ueberwiegen der Anforderungen der Kultur- arbeit tritt in Friesland in sehr verschiedenen Beziehungen auf. Es bestanden keine Marken im Sinne des Volkslandes. Dies beweist schon das gedachte Ausstreckungsrecht hinreichend. Es beruht nur auf der Arbeit, die im Torfmoor ohne Störung eines Anderen gethan werden kann. Irgend eine gemeinsame Nutzung oder eine genossen- schaftliche Ordnung der Anrechte ist damit unvereinbar. Die Landschaften zerfielen in Gaue und diese in Bauernschaften. Letztere wählten aus ihrer INIitte Richter und Talemänner (Sprecher), und es fanden Versammlungen dieser Vertreter gau- und land- schaftsweise statt, während die jährliche Landesversammlung aller Landschaften am 3. Pfingsttage unter dem Upstalsboom bei Aurich das höchste Beschlussrecht übte. Die Organisation enthielt also die Bauernschaften als wenigstens den Heerdstellen nach bestimmt ab- gegrenzte politische Gemeinden. Es scheinen auch innerhalb dieser Gemeinden gewisse gemeinsame Grundstücke bestanden zu haben. V. Richthofen^) bemerkt, dass Dorfgemeinheiten Hannnarka hiessen, insbesondere diejenigen Gemeindewiesen, welche von 4 zu 4 Jahren unter die Gem.eindeglieder zur Sondernutzung vertheilt zu werden pflegten, während die von allen gemeinsam benutzten Gemeinde- wiesen Menskeren genannt wurden. Lidess hat er bei seinen weiteren Untersuchungen selbst gefunden^), dass die Hammerken (oder Hem- merike, von Ham und marca, Weidemark) in der Regel Wiesen- komplexe waren, welche einer Korporation von meist ausschliesslich ') Friesische Rechtsalterthümer p. 793, 920 u. 925. ^) Mündliche Mittheilungen desselben. 46 VII. 3. Die Besiedelung Frieslands. Edelingeii aus verschiedenen Orten zu gewissen Anrechten gehörten. Diese Anrechte scheinen überall aus der Betheiligung an der Kulti- virung dieses Wicsenlandes hervorgegangen zu sein. Das Zusammen- treten zu Kulturgenossenschaften, welche die Ergebnisse ihrer Be- mühungen nach dem Vcrhältniss der Aufwendungen thcilen, ist ein in der Natur Frieslands tief begründetes Verfahren. Das Risiko bei allen Kulturarbeiten ist zu gross, der Erfolg in seiner Dauer zu zweifelhaft, als dass nicht alle grösseren Meliorationen als Unter- nehmen behandelt werden mussten, an denen die Betheiligung frei- williger Entschluss, und der Gewinn lediglich nach dem Maassstab der Leistung bemessen war. Ob auch schon die ältesten Eindeichungen und Kooge so entstanden sind, wird sich schwer entscheiden lassen. Bei den bekannten Einpolderungen, soweit sie nicht von den Regie- rungen oder Landschaften^) ausgingen, ist dieser Grundsatz allgemein zur Geltung gekommen. Teelacht in Norden ist eine solche ganz alte, schon zur Normannenzeit gegründete Deichkommunion, welche sich auf die nördliche Hälfte der ostfriesischen Küste ausgedehnt halben soll"). In Holland und Westfriesland sind die grössten Unterneh- mungen von Einpolderungen und Binnenentwässerungen von Genossen- schaften unternommen worden, welche völlig den Aktiengesellschaften gleichen. Die meisten Deich genossenschaften aber haben, wie schon oben gezeigt ist, diesen Charakter nicht, sondern entsprechen, wie das Deichrecht zeigt, den älteren Bergwerksgenossenschaften, bei denen die Theilnahme nicht auf eine bestimmte Einlage beschränkt werden konnte, sondern bei Verlust der bisherigen Einlagen zu weiteren verhältnissmässigen Zuschüssen oder Arbeitshülfen in jedem Bedarfsfalle verpflichtete. Aus diesen Verhältnissen erklärt sich leicht, dass auf herkömm- lichen Grundgerechtigkeiten beruhende Nutzungsrechte an fremden Grundstücken in Friesland im wesentlichen unliekannt waren. Als Friedrich der Grosse, der Verordnung vom 18. Juni 1765 ent- sprechend, dem dortigen Präsidenten aufgab, für die Thcilung der Gemeinheiten Sorge zu tragen, erwiderte dieser in Aviederholten Berichten vom oO. Dezember 1765 und 18. August 1766, dass keine solche Gemeinheiten in Friesland vorhanden seien. — Es Ijleibt noch übrig, auf die Frage einzugehen, wie es kommt. ') Den Rheiderland Landschaftspolder hat die Ostfriesische Landschaft, das Vorland vor Emden die Stadt Emden eingedeicht. ^) Er. Sundermann, Geschichte der Teclacht, Norden 1882. yil. 3. Die Besiedelung Frieslands. 47 dass trotz dieser Sachlage dennoch in den friesischen Urkunden viel- fach und schon sehr früh Hufen erwähnt werden. Diese Frage wird schon einigermassen dadurch beantwortet, dass sie auf Ostfriesland überhaupt nicht bezogen werden kann. Es ist allerdings richtig, dass in dem dortigen, im Krumbhörn belegenen Orte Geintete (jetzt Jennelt) terrae sex mansos genannt werden^). Die Angabe gehört indess den Traditiones Fuldenses an und besagt, sellist wenn sie wörtlich aus dem 9. Jahrhundert stammen sollte, mit Sicherheit nicht mehr, als dass der Fuldische Landbesitz in der Ortschaft einen Umfang von 6 Hufen hatte. Da die Traditionen aber nur in einer Bearbeitung des 14. Jahrhunderts erhalten sind, ist es leicht möglich, dass der Ausdruck lediglich dem Fuldischen Mönche, der sie aus älterem Material und sonstiger Kenntniss zusammen- stellte, zuzuschreiben ist. Sagt derselbe doch No. 29 ausdrücklich in pago Ostroh. in villam Baitremsdorf terram X boura, sieut apud illos (Frisios) mos dicendi est, apud nos vero X jugera (vergl.o.I, S. 107, N. 1). Die lex Frisionum enthält keinerlei Hindeutung auf Hufen. Sie unterscheidet die Friesen in die von der Sincfal bis zur Fley, die zwischen der Fley und Lauwers (Levabek), und die zwischen Lauwers und Weser wohnenden. Es lässt sich deshalb bei der nahen Beziehung der Lex zu den Volksgesetzen Kaiser Karls nicht annehmen, dass er in dem Memoratorium nur von den östlichen Friesen gesprochen habe. Gleichwohl werden in Westfriesland, Holland und Kennemer- land schon im 8. und 9. Jahrhundert Hufen in grösserer Anzahl erwähnt. Die ältesten Erwähnungen sind allerdings unbestimmt, weil nicht sicher ist, ob sie sich auf eigentliche Hufen, und nicht lediglich auf mansi, Besitzungen, Hofgüter, hove, Stellen, beziehen. Karl Martell vergiebt zwischen 715 und 739 Ecclesiam, quae est con- structa in villa Felison (Velzen in Kennemerland) hoc est cassatus Septem, qui ad ipsam villam aspicere vel deservire videntur cum Omnibus mansuris et omni peculiare et omnibus eorum quidquid habere dinoscuntur, similiter terram arabilem bunarios XXX, etiam de silva totam decimam partem integram. *) Das Ostfriesische ürkundenbuch zieht aus den Tradit. Fuldenses auch die Notiz hierher: in villa Linesbach, teiTam X hubarum et in Ganc IX hubarum. Auch in dieser handelt es sich offenbar nicht nothwendig um wirklich bestehende Hufen. Ganc wird indess von v. d. Bergh (Oorkondenbock van Holland en Zeeland 1866, Th. I, S. 5, 24 und 25) als eine untergegangene Insel bei Texel wahrscheinlich ge- macht, der Name Linesbach aber gehört irgend einer der südlicheren fränkischen Landschaften an, in ganz Ostfriesland giebt es keinen Ortsnamen auf -bach oder -bek. 48 VII. 3. Die Besiedelung Frieslands, 772 .schenkt PTohowart in pago Testerebanti in villa Hunsetti et in villa Buria mansura unum et servum unum cum peculiari suo stipulatione subnixa. 77g giebt Godebertns nahe der Scheide mansum unum et illam basilicam et casam quac desuper posita est et terram quae adtingit ad mansum et servum unum cum uxore et filio et XVII cuhnas ad sal faciendum^). Darauf folgt der Zeit der Vergebung nach schon ein Theil der Fuldischen Traditionen. »Sie sind zwar meist sehr unbestimmt gefasst, indess kann doch nicht bezweifelt werden, dass in Folkerus Ueber- lassung seiner Erbgüter an die Abtei Verden mansus, wofür auch huba gebraucht wird, dem Begriffe der Hufe wenigstens in den meisten Fällen entspricht, und dass diese mansi auch ein Maass voraussetzen, weil mehrfach Ganze und Halbe erAvähnt werden. Da- neben kommen auch bestimmt unterschieden ])artes villae IUI oder V oder tertia pars villae vor. Alle diese Besitzungen liegen jedoch in Hamaland, Veluwe, Betuwe, Eemland und Kennemerland. In den Fuldischen Urkunden sind in Westfriesland, insbesondere im Wester- gow und in dem schon westlich der Lauwers gelegenen Humerki, nirgends Hufen, sondern überall nur terrae von IUI bis zu LXXV ani- malium genannt. Hufen erscheinen hier aber deutlich 855 im Testa- ment desselben (?) Folkerus (Lacombl. I, No. 65, s. o. I, S. 560). Er vererbt dimidium mansum in pago Westrachi und dimidium in pago Humerki. Damals stand indess Westfriesland bereits seit länger als einem Jahrhundert unter fränkischen Grafen. Die nächstälteste Hufenerwähnung ist die Schenkungsurkunde Kaiser Arnulfs von 889 an den Grafen Gerolf ^), dem der Kaiser auf die Bitte, ut ei quasdam res juris nostri in proprium concederemus, in seiner Grafschaft überlässt: in Northa et Ospretashem silvam unam, et terram arabilem unam, in loco Bodokenlo hobam unam, in Alburch hobas duas, in Hornum hobam unam, in Huni mansum I, in loco Theole mansam unam, in Aske mansam unam, et quidquid ad easdem hobas et mansas jure legitimeque pertinere videtur cum curtilibus et aedificiis, mancipiis, campis, agris, pascuis, pratis, silvis, aquis aquarum decursibus, molendinis, piscationibus, viis et inviis, accessi- bus et regressibus, quaesitis et inquisitis, cultis et incultis, et cum universis appendiciis et adjacentiis finilms ad praefatas hobas juste •j Van d. Bergh, Oorkoiulenbock van Holland cn Zecland IStifi, Th. 1, S. 1 — 13, Urk. X, 2, 6, 8, 9, 17, 21. *) K. V. Riehthofcn, Die alten Egmonder GeschichtsqucUen, Berlin 1886, S. 27. VII, 3. Die Besiedelung Frieslands. 49 adspicientibus. Die Schenkung der Hufen »mit allem ihrem Zubehör« ist formelmässig gefasst, so dass auf das Vorhandensein des letzteren nicht geschlossen Averden darf. Dagegen ist der Hinweis res nostri juris nicht ohne Bedeutung, denn mansus nostri juris war die übliche Bezeichnung für mansus regalis, für das schon Bd. HI, S. 27, 257 erwähnte, und mit Bezug auf Anlage 86 (Vahr) bei den Hufen- maassen der gutsherrlichen Anlagen noch näher zu erörternde älteste bestimmte Hufenmaass, welches die Könige anwenden mussten, um Schenkungen in fernen Landestheilen so zu begrenzen, dass sie in be- stimmter Fläche angewiesen werden konnten. Aehnlich kommen 960 in Heldengem mansi regis vor^). Aber auch ohne diese Beziehung war die Bestimmung nach Hufen eine katasterartige Theilung des Staatsterritoriums in Einheiten gleicher Leistungspflicht, die einen sehr grossen Vortheil für die Organisation eines so bunt zusammen- gesetzten Reiches, wie das fränkische war, bildete. Sie hatte sich, wie gezeigt worden ist, von dem alten deutschen Volkslande mit den genossenschaftlichen Siedelungen der Völkerwanderung über Süd- deutschland und Frankreich verbreitet. Es war durchaus erklärlich, dass sie sich auch mehr und mehr auf die grundherrlichen Ver- leihungen übertrug, und dass namentlich die ausserordentlich zu- nehmenden Schenkungen der Könige aus den unkultivirten oder wüst gewordenen Staatsländereien dazu beitrugen, die Hufeneintheilung auch in Gegenden zu verbreiten, wo sie bis dahin nicht üblich war. Es wird deshalb nicht unberechtigt sein, das Auftreten der Hufen bei den westlichen Friesen diesem Einflüsse zuzuschreiben, der sich schon seit der ersten fränkischen Eroberung unter Pipin von Heristal (f 714) und Karl Martell durch Besitznahme des Staats- landes geltend machen musste. Später spricht eine Urkunde von 1083 davon, dass Theodorich I., Graf von Holland, der um 878 in Egmond eine hölzerne Kirche baute und das Kloster gründete, derselben bereits in Fraulo mansus novem, in Alcmere duos mansus, in Callinge medietatem totius possessionis geschenkt habe. Dieselbe Urkunde nennt dann eine grosse Anzahl Hufen, weiche Theodorich H. (f 988), der die Kirche aus Stein neu bauen Hess, sowie Graf Arnulf und seine Nachfolger bis zu Theodorich V. derselben zuwendeten (v. Richthofen S. 41). Die nur wenig späteren Egmonder Traditionen führen (Ebd. S. 95) in Altorp trium vaccarum pascuo et dimidiam mansam prati auf, ein Zeugniss, dass die Hufe in der That als Maass behandelt wurde. ') Ebd. S. 25, Urk. 33. Meitzen, Siedelung etc. U. 4 50 ^'11- 3- I^ie Besiedeltmg Frieslancls. Alle diese Hufenerwähimngen aber sind im wesentlichen auf Friesland westlich der Fley, grösstentheils sogar auf Holland und Kennemerland beschränkt. Westfriesland nennen die Traditionen des Über evangelicorum hinreichend bestimmt nur um das Jahr 993: ab Oriente fluminis Fle dicti unam mansum in loco c|ui vocatur Buren, que per singulos annos tres libras soldit. Hierher können auch die Koningsbuiren bei Harlingen bezogen werden. Denn da Westfriesland in alter Zeit sehr ausgedehnte Haiden, Moore und ^^'alduugen umfasste und in der lex Frisionum vorzugsweise fran- conisirt erscheint, wird der fränkische Graf, der in Franeker sass, und dem die Friesen des Oster- und Westergaus zu Recht stehen mussten, mit der Aufsicht auf Königsland und königliche Villen im Sinne des Capitulare H von 813 (XVIII und XIX) auch für die Aus- setzung von Königshufen Sorge getragen haben. Auf Ostfriesland haben diese Einflüsse nicht eingewirkt. Da hier weder in den Urkunden des frühen oder späten Mittelalters, noch in den neueren Zins- und Steuerregistern oder im Sprachgebrauch Hufen vorkommen, gehören sie der altfriesischen Besiedelung ganz gewiss nicht an. Dagegen zeigt sich in der eigenthümlichen, schon oben II, S. 34 erwähnten Kultiviruug Bremischer Marschen und in dem darüber mit sechs holländischen Männern geschlossenen Vertrage von 1106, dass in der That ein naher und fortdauernder Zusammenhang zwischen dem Auftreten des fränkischen mansus regalis in Holland und der reichen Entwickelung der Meliorationsthätigkeit auf ^Marsch und Moor in allen friesischen Landen bestanden hat. Die Karte des Gebiets von Bremen (Anlage 86) ergiebt im Ein- zelnen die lokalen Verhältnisse, unter welchen die erste, über Nieder- land und Friesland hinausgehende Besiedelung von Marschen nach holländischem Gebrauche stattgefunden hat. Das Bild von Vahr selbst, wie das der benachbarten, bis dahin noch öden Marschen von Sandau, Rabilinghausen, Ochteren und Hasbergen, auf welche in den folgenden Jahrzehnten die gleiche Form der Anlage übertragen wurde, stimmt in keiner Weise mit der älteren Eintheilung des Marschlandes in unregelmässige Kämpe und Blöcke überein. Wohl aber steht es mit der streifenförmigen Land\ertheilung, wie sie Anlage 68 unter verschiedenen Verhältnissen zeigt, in vollkommenem Einklänge. Sie hat sich in den friesischen Gebieten für die seit der KaroUnger- zeit beginnenden Polderanlagen und Reguhrungen überflutheter Marschen als die einfachste und zweckmässigste Einrichtung erwiesen VII. 3. Die Besiedcluug Frieslands. 51 und ist für die Kultur von Mooren und Sümpfen bis auf die Gegen- wart üblich. .Auch in den Bremer Marschen haben die holLändischen Unternehmer Streifen neben Streifen in so grosser Länge, als es das Terrain gestattete, in genauem Parallelismus nebeneinander gezogen, und durch tiefe Gräben abgegrenzt. Die Gehöfte sind in Vahr an dem Rande des altbesiedelten höheren Landes, in den entfernteren Anlagen an den Deichen angelegt, welche die breite Verbindungsstrasse in dem grossen Marschengebiete bilden. Schon der erste Vertrag von 1106, den diese Unternehmer mit dem Erzbischofe Friedrich schlössen, setzt als selbstverständlichen Grundgedanken die Ansetzung von Hufen von gleicher Grösse und von gleicher Belastung mit den Leistungen an den Grundherrn und an die Gemeinde voraus. Er bestimmt auch ausdrücklich, dass diese Hufen in der Streifenform anzulegen seien, weil sie 720 Ruthen lang und nur 30 Ruthen breit festgesetzt werden. Diese Längen sind genaue, denn sie sollen mit der virga regalis, der Königsruthe, gemessen werden. Damit ist das feste Maass für die Hufenanlagen des frän- kischen Königs gefordert. Jeder Zweifel, der darüber bestehen könnte, ob wirklich die Uebertragung des fränkischen mansus regalis gemeint sei, behebt sich durch den später zu führenden Nachweis, dass diese Bremischen Marschhufen, obwohl sie nur zum geringsten Theil in der vollen vorbedungenen Länge der Streifen angelegt werden konnten, die Längen vielmehr ihre Ergänzung häufig durch die Breite der Streifen finden mussten, dennoch mit allen nach ihren Grenzen be- kannten karolingischen und späteren Königshufen in dem ungewöhnlich grossen Flächenmaasse von 48 — 50 ha durchaus übereinstimmen. Die Hufenanlagen in Friesland lassen sich also auch der Zeit nach beurtheilen und sind auf die Uebertragung fränkischer Einrich- tungen, die erst seit der Karolingerzeit statthatte, zurückzuführen. Es zeigt sich auch, dass die Friesen, und namentlich die Ostfriesen, in ihrem Volksthum von diesem Einflüsse nicht wesentlich berührt worden sind, sich vielmehr innerhall:) der eigenartigen Natur ihres Landes in besonderer und charakteristischer Weise entwickelt haben. Erwägt man alle ihre Eigenthümlichkeiten näher, so scheinen sie mehr Züge aus dem hohen Alterthume bewahrt zu haben, als sich bei anderen deutschen Völkerstämmen erkennen lassen. Das Agrar- recht des Einzelnen beruht, entsprechend dem Ursprünge aus Er- oberung^), auf frei veräusserlichem und theilbarem Grundeigenthum ') Julius Ficker (Untersuchungen zur Erbenfolge, Inspruck 1891, Bd.I, S.XXIV, 4* 52 VII. 3. Die Besiedelung Frieslands. ohne wirthscliaftliclie Gebundenheit oder Abhängigkeit, für welche wegen der Sonderung in Einzclhöfe die Veranlassungen fehlten. Das Genossenschaftsrecht aber ist bei den harten Anforderungen über- mächtiger Gefahren und jähen Glückswechsels auf dem Grunde der Arbeitsleistung und der thätigen Beihülfe ausgebildet. Von den Wan- delungen der wirthschaftlichen Lage erweist sich die soziale Gestaltung wenig beeinflusst. Vielleicht waren sie ihr sicherster Schutz. So lange uns die Friesen bekannt sind, haben sich in ihr Stammesdasein weder fremde Volksbestandtheile, noch fremde Sitten eingedrängt. Alles, was wir von ihnen erfahren, trägt überzeugend den Stempel der ältesten deutschen Lebensanschauungen und deutscher Rechts- gebräuche. Dennoch aber spricht sich unverkennbar in ihrer Wohn- und Wirthschaftsweise ein fremdartiger Charakter aus. Haiis und Hof, Feld und Weideland haben Formen, welche weit von den volksthüm- lichen Sitten der deutschen Stämme abweichen, dagegen die nächste Verwandtschaft mit altkeltischer Siedelung und Flurverfassung zeigen. So wenig als die aus der Natur der Marschen hervorgegangenen streifen- förmig angelegten Kolonien gehören die gewannmässigen Esche den ältesten Anlagen Frieslands an. Auch die geschlossenen Ortschaften, so weit sie sich bei ihnen finden, sind nur als allmählich entstandene Ausnahmen zu betrachten. Was sich an alten und ältesten Anbau- und Besitzverhältnissen erkennen lässt, sind Einzelhöfe mit blockförmig und kampartig zertheilten Grundstücken, welche zumeist die Höfe in nächster Nähe umgeben. Die Grundzüge der Siedelung entsprechen also dem allgemeinen Charakter der Einzelhofanlagen des Niederrheins, des mittlen Frankreichs und Irlands, welche als keltische nachgewiesen sind. Dass auch die wesentlichen agrarischen Einrichtungen mit dieser S. 199 und S. 268 ff.) stellt den Nachweis in Aussicht, dass bei den Germanen ur- sprünglich Jedermann ein unbeschränktes Recht zu freier Verfügung über sein Ver- mögen hatte und auch das Warterecht der Erben erst auf einer jüngeren Entwickclungs- stufe entstand, sowie dass Rechtsinstitute, welche, wie die rechte Gcwere oder das Näherrecht, auf das Bestimmteste Sonderrechte an Grund und Boden voraussetzen, bis auf die Zeit vor Trennung der Gothcn und Skandinavier, in ihren Anfangen selbst bis auf die Zeiten vor Verzweigung der Germanen in eine östliche und westliche Gruppe zurückreichen müssen. Ob auch erweislieh werden werde, dass auf dem von einer Sippe in Besitz genommenen Landabschnitte, wie z. B. auf vielen der mitteldeutschen Dorf- fluren, nicht schon durch die Besitznahme Vcrfügungs- Beschränkungen des Einzelnen bedingt waren, darf dahingestellt bleiben. Wo bei Eroberungen bereits besiedelten Landes der Einzelne den Hof besetzte, den er in seine Gewalt bekam, oder der ihm zugewiesen wurde, spricht nichts dafür, dass er mit ihm nicht frei schalten durfte. VII. 3. Die Besiedelung Frieslands. 53 Vereinzelung der Wirthschaften zusammen stimmen, ist nicht anders möglich und leicht verständlich. Es bleibt aber noch im Zusammen- hange mit den ähnlichen Erscheinungen in Westfalen zu erklären, wie sich auf der unverkennbar keltischen Grundlage eine deutsche feste Ansiedelung entwickeln konnte, welche hier offenbar früher und unter noch alterthümlicheren Anschauungen von Wirthschaft und Recht bestanden hat, als die volksmässigen Dorfanlagen auf dem eingehend geschilderten, rein deutschen Boden zwischen Weser und Saale. 4. Besiedelung der Sachsengebiete zwischen Weser und Rheinland. Der höchst augenfällige Gegensatz in der Art der Besiedelung und damit der Bewirthschaftung, welcher zwischen den Gebieten der ingvaeonischen Volksstämme rechts und Hnks der Weser besteht, ist schon o. Bd. I, S. 50 und 524 Gegenstand der Betrachtung gewesen. Der Lauf der Weser bildet von ihrer Mündung aufwärts bis durch die Porta die charakteristische Scheidegrenze, welche in Anlage 1 ver- deutlicht ist. Südlich der Porta wird diese alte Völkerscheide durch die Landesgrenze von Lippe - Detmold bezeichnet und setzt sich vom Osning zur Senne nach Paderborn fort, ist dann auf einer kurzen Strecke über das Briloner Plateau durch die o. I, S. 522 historisch erörterte Dörfergruppe auf dem Hellwege unterbrochen, beginnt jedoch wieder auf dem Astenberge und läuft längs der Grenze des Pagus Hassiae auf den Wasserscheiden des Rothhaargebirges bis in die Nähe von Olpe und von hier südlich zum Giebelwald und zur Sieg. An diese Scheidelinie tritt überall von Osten her die deutsche volksthümliche Ansiedelung in enggeschlossenen Dorfanlagen heran, die in mittler Entfernung von etwa Vi Meile von einander liegen, und deren Fluren, soweit sie nicht von Wald und Haide oder gemein- samen Weiden eingenommen sind, bis auf unsere Zeit überall ge- wannmässig in durchaus im Gemenge liegende Besitzstücke vertheilt waren und im Flurzwange bewirthschaftet wurden. Diese Dörfer nehmen aucli das gesammte Sachsenland nördhch der Weser bis an die Dänen- und Slawengrenze am Limes sora])icus Karls des Grossen ein, und sind in ihrem Bestände auf dem sächsischen Boden mit allen ihren Eigenthümlichkeiten bereits im IL Abschnitt des I. Bandes Gegenstand hinreichend eingehender Darstellung gewesen. Links der Weser und der Hessengrenze dagegen beginnt ohne jeden Uebergang und ebenso allgemein die Besiedelung in Ortschaften, 54 VII. 4. Bcsicdclung der Sachsengebiete die sich ans Einzelhöfen zusammensetzen, deren Besonderheiten nicht weniger bedeutsam für das sächsische Volksdasein wie die Dörfer sind, und die für ihre charakteristischen Einzelheiten gleiches Verständniss fordern. Auf diesem Gebiete liegen die Gehöfte meist ganz vereinzelt und selbst innerhalb kleinerer oder grösserer Gruppen ohne näheren Zu- sammenhang. Es besteht weder eine Dorfstrasse, noch ein gemeinsamer Abschluss. Die Gemeindeglieder wohnen über den gesammten Orts- bezirk weithin zerstreut. Jedes Gehöft ist möglichst von seinem ge- sammten zugehörigen Besitze umgeben. Die Besitzstücke selbst aber bilden mit wenigen Ausnahmen Kämpe oder Blöcke von unregel- mässigen quadratischen oder rundlichen Formen und sehr ungleicher, zwischen 1 bis 10 Morgen schwankender Grösse. Sie sind mit Wällen und Hecken oder Gräben und Buschstreifen umzogen. Das Innere jedes Kampes ist nur durch eine Gatterthür zugänglich. Wo solche Umzäunungen nicht bestehen, ist auf früher gemeinsame, unter mehrere Höfe getheilte Grundstücke oder auf Markenland oder auch auf grund- oder landesherrlichen Grundbesitz zu schliessen. Die noch zahlreichen Markenreste umfassen grössere oder kleinere Wal- dungen, Haiden und Moore. Landstrassen laufen da, wo im iMarken- lande das Terrain am günstigsten ist. Die einzelnen Gehöfte sind mit ihnen in der Regel nur durch besondere, oft sehr gewundene Zugangs- wege verbunden. Als gradeste Verbindung mit den Städten, Kirchen oder Brücken sind Fusswege im Gebrauch, welche quer landein durch Kämpe, Gehöfte, Wiesen und Gehölze führen, und wo sie verackert werden, jährlich aufs Neue durch das Betreten sich offnen. Das Bild einer solchen Ortschaft zeigt Fig. 54, die Karte des o. H, S. 28 geschichtlich erwähnten Brochterbeck bei Tecklenburg. — Die Einzelheiten eines Hofes giebt Fig. 55, der Schulzenhof zu Gas sei, wieder. Dieser Schulzenhof im Nordwesten von Münster') ist einer der grösseren Höfe. Es gehören zu demselben die im Bilde dargestellten, geschlossen liegenden Grundstücke im Flächeninhalte von 340 rhld. Morgen, ausserdem noch einige nicht in die Karte aufgenommene gesondert liegende Markengrundstücke, so dass die (resammtfläche ungefähr 400 Morgen oder 100 ha erreicht. Das Plauptgehöft ist von einem Wasscrgralien umgeben, der etwa *) Die Karte und Beschreibung sind entnommen aus G. Landau, Zweite Aus- führung über den nationalen Hausbau, in der Beilage zum Korrespondenzblatte des Gesammtvei'cins der deutschen Gcscliichts- und Alterthumsvereine vom September 18.'j9. zwischen Weser und Rheinland. 55 2 Morgen einschliesst. Hier liegt das Wohngeliäude von sächsischer Form mit bemoostem Strohdach. Als Nebengebäude steht auf der Fig. 54. 1:80 000. Fig. 55. Brücke, die von der Landstrasse her den Zugang bildet, das Thorhaus. Links liegt das Brauhaus mit einer kleinen Schreinerwerkstatt, rechts ein Wagenschuppen, ein Speicher und eine Holzscheuer. Den übrigen 56 VII. 4. Besit'delung der Sachsengebiete Raum nehmen Gärten und Hofplatz ein, die mit alten Eichen und anderen Bäumen bestanden sind, lieber den nmschliessenden Wasser- graljen führt eine zweite leichte Brücke nach der anstossenden Wiese mit Bleichplan, und eine dritte auf einen Seitenweg. Die Ackerkämpe sind mit Wallhecken umzogen, die mit hölzernen Fallgattern verschlossen werden, so dass das darin in Dreesch oder in Brache und Stoppel weidende Vieh keines Hirten bedarf. Zwischen den Kämpen liegen einzelne Buschgruppen, sowie Wiesen- und Weide- stücke. Holz- und Weidekämpe haben denselben Verschluss durch Graben und Wall mit Hecken. In der Nummernfolge der Karte sind bezeichnet: 1 der Hof; 2 der Plaskötter, die zum Hofe gehörige Wohnung eines Heuermannes, der vertragsmässig auf dem Hof lande zu arbeiten hat, und dafür einen gewissen Lohn und einiges bei dem Hause liegende Hofland zur Nutzung erhält. Dieses Verhältniss be- steht in der Regel durch viele einander folgende Generationen der Hofbesitzer wie der Heuerfamilien fort. 3 ist ein ähnliches Heuerhaus, welches hier den Namen Almpol hat; 4 Langeworth; 5 Hasenkamp; 6 der Rausemskamp ; 7 Rausemsbusch ; 8 Hange hove ; 9 Sige hove ; 10 Weidkamp; 11 Lohbusch; 12 Rohrkamp; 13 Lütkekamp ; 14 Roggenkamp; 15 Grosse Esch; 16 Vorderste Niederländer; 17 Achterste Niederländer; 18 Vorderste Moorkamp; 19 Achterste Moorkamp; 20 Wiese mit Quelle; 21 sind Wiesen- und Weidekämpe. Die Namen deuten theils die Lage, theils die Qualität der Ländereien an. Die Bezeichnungen Hange hove und Sige hove lassen sich nur auf die Lage gegen den Hof, nicht auf Hufe beziehen. Die W'irthschaft ist eine völlig freie, wird aber in sofern im Sinne der Feldgraswirthschaft geführt, als geringer werdende Wiesen zu Acker umgebrochen, und andererseits auch Ackerkämpe längere Zeit als Grasweide und, wenn es lohnend ist, als Wiese liegen ge- lassen werden. Die Aeste der Wallhecken werden nach einem gewissen Kreislaufe von etwa 5 Jahren zu Reisig ausgehauen und liefern dem Besitzer so viel von dem nöthigen Brennmaterial, dass er seine Hoch- stämme zu Bauzwecken aufzusparen vermag. — Anlage 89, die Karte der Bauerschaft (rross-Minimelage, giebt das Beispiel der Vereinigung solcher Höfe zu einer Bauerschaft und erläutert ihre ursprüngliche Anlage und gegenseitige Stellung, sowie ihre allmähliche Weiterentwickelung. Die Ortschaft liegt in der Nähe von Quakenbrück an der Haase, im alten Chaukengebiete. Die Vergleichung der bei der Kartirung im Jahre 1789 vorge- fundenen Bauergüter nach ihren Eigenthumsgrenzen lässt erkennen, zwischen "Weser und Rheinland. 57 dass damals noch die geschlossenen Flächen von 8, meist in halbe getheilten, alten Höfen vorhanden waren, deren Inhalt sich über- einstimmend auf je 200 Osnabrückische Schefiel Aussaat, oder ziem- lich genau auf je 16 ha, berechnet. Es sind die auf der Karte abgegrenzten Besitzungen A, B mit C, D mit E, F mit G, H mit J, K mit L, M mit N und 0 mit P. Die Grösse dieser geschlossenen Besitzungen und die im Laufe der Zeit auf ihnen eingetretenen Veränderungen weist die der Anlage beigegebene Uebersicht im Einzelnen nach. Sie ergiebt für 1789, dass A noch den gesammten Hof von 209,9 Schefiel ungetheilt besitzt, B mit 103,5 und C mit 99,5Schfä. zwar getrennt liegen, ihre Zusammengehörig- keit sich aber noch in dem Besitzstücke von 18,5 Schffl. zeigt, mit welchem B an der Fläche von C betheiligt ist. D und E umfassen zu- sammen 211,4 Schffl., und besitzen jeder die Hälfte ohne jedes Gemenge. F und G dagegen sind zwar ebenfalls gleiche Hälften, ihre Antheile liegen aber untermischt und erweisen dadurch, dass beide Höfe früher ein Ganzes gebildet haben. H und J theilen wieder eine abgerundet im Markenlande liegende Insel von 228,3 Schffl. ungefähr je zur Hälfte. Die Fläche für K von 100,4 Schffl. liegt völlig geschlossen im Westen des Ortes oberhalb der Rövekampwiesen. Das Gehöft für K steht jedoch auf einer Parzelle des Bauernesches an der Landstrasse. Da der Bauernesch mit seiner Umgebung früher zur gemeinen Mark ge- hörte, lässt sich nur denken, dass das Gehöft erst nach der Aufthei- lung dorthin abgebaut worden ist. L besitzt geschlossen 102,2 Schffl. M und N mit 209,3 Schffl. sind in Gemenglage getheilt. 0 und P von 202,2 Schffl. zeigen ebenfalls in dem Durcheinanderliegen ihrer Antheile, dass sie zusammen einen einzigen Hof gebildet haben. Die Tabelle stellt in Zahlen auf, wie viel aus diesem ursprünglichen Lande der 8 Höfe im Laufe der Zeit von einem Hofe an den anderen, und wie viel an kleinere Stellen abgetreten worden ist. Alle diese Abtretungen betragen zusammen nur 7,1 % der Hofflächen. Darunter zählen 30,5 Schffl., auf denen die beiden als Bauern geltenden Halb- erbenhöfe q und r entstanden sind. Dagegen haben sich die Höfe aus der gemeinen Mark so weit vergrössert, dass sie 1789 131 7o ihres ursprünglichen Umfanges besassen. Nach den heutigen Grenzen der Bauerschaft berechnet sich das ihr aus der Mark zugefallene gemeinsame Land auf zusammen etwa 2800 Schffl. Fläche. Es lag, wie der Rest noch gegenwärtig, in 3 Theilen. Im Westen er- streckt sich der Rövekamp mit etwa 1000 Schffl. Fläche gegen den Raitbach und die Haase hin. Aus ihm sind 415,4 Schffl. grössten- 58 ^'11^- 4, JJesiedclnng der Sachsengebiete thcils Wiesen zur Vertheilung gekommen, von denen die alten Höfe 396,7 SchfÜ. erhielten. Gegen Süden hatten die Höfe früher einen Strich geringeren Bodens von ungefähr 150 Schffl. zwischen sich liegen. Von diesem IVIarklande sind unter dem Namen Bauernesch 89,1 Schffl. gewannähnlich in Streifen an die Höfe, der Re.st an kleine Stellen vertheilt worden. Im Osten des Ortes endlich breitet sich der Mimmelager Bruch von etwa 1600 Schffl. Fläche aus. Aus ihm sind nur 96,0 Schffl. an 5 alte Höfe, 140,7 Schffl. an die Halb- erben und Erbkütter und etwa 150 Schffl. an kleine Stellen vergeben worden. 1789 waren deshalb noch 2032,3 Schffl. Gemeinheitsland unvertheilt. Die Veränderungen der Höfe blieben demnach seit uralter Zeit offenbar überraschend geringfügig. Sie zeigen, dass die ursprüng- lichen Anlagen, wie bei den Gewanndörfern, auch auf den Einzelhof- fluren grosse Dauer haben können, und dass der eingetretene Wechsel an bestimmten Anhaltspunkten und Regelmässigkeiten erkennbar bleibt. Eine so vollständige Erhaltung der ältesten Besitzverhältnisse, wie in Gr.-Mimmelage, kann indess nicht allgemein vorausgesetzt werden. Häufig darf man auch eine im Laufe der Zeit weit vorgeschrit- tene Auflösung der ursprünglichen Flurverfassung erwarten. Nament- lich müssen Umgestaltungen da eingetreten sein, wo die Errichtung von Kirchen, und der damit verknüpfte Festtags- und Marktverkehr, Gewerbtreibende herbeigezogen und zur Entstehung grösserer oder kleinerer Weiler geführt hat. Ueber die Zustände, welche sich in einer solchen Ortschaft entwickeln, belehrt das Beispiel der von Mimmelage nicht sehr weit entfernten Bauerschaft Gehrde im Kreise Bersenbrück. Anlage 90 giebt die, wie Anlage 5.9, aus einem Landvermessungs- werke des Fürstenthums Osnabrück herrührende, 1788 aufgenommene Karte nebst der Uebersicht der Messungsergebnisse. Es besteht hier ein auf der Karte deutlich erkennbarer, stadtähnlich zusammengedräng- ter Kirchweiler. Der Ort wird 977 als Girithi genannt^). Herigisus erhielt damals bischöfliche Lehngüter in demselben vom Kaiser zu Eigenthum. 1050 ungefähr übertrug ein Freier dem Bischof einen Haupthof zu Riesford cum omnibus utilitatibus et insuper Septem hospitios, id est Septem hobas juxta ilHus provinciae morem possessas ac censum solventes. Unter letzteren hörigen Höfen lag einer in Gehrde. Um 1080 trugen Zinsgüter in Gehrde zu einer Präbende von St. Johann in Osnabrück bei. •) F. Philippi,OsnabrückischesUrkundenbuchl892, Bd.I, Urk.No.111,138, 156. zwischen Weser und Rheinland. 59 Den Bestand solcher bäuerlicher Höfe ergiebt die Flurkarte im Einzelnen. Die Uebersicht in der Anlage 90 weist 4 den Mimmelagi- schen entsprechende, ursprünglich geschlossene Höfe von je IG ha Fläche nach. Den Hof I umgab 1788 sein Landbesitz (a) von 212 Os- nabr. Scheffel noch ganz zAisammenhängend und unverändert. Der Hof n war nur innerhalb seiner alten Grenzen zu '/s und ^/^ in zwei ebenfalls geschlossen belegene Höfe b und c zerfallen. Hof IV ist unter 4 Besitzer getheilt worden, aber im Gegensatz zu H nicht in geschlossenen Theilstücken, sondern in seiner überwiegenden Fläche und in den werthvoUeren, zunächst den Hofstätten belegenen Grund- stücken gewannmässig , etwa im Sinne der o. I, S. 450 gedachten Hoftheilungen , so dass die 4 Besitzer auf mehreren Abschnitten des Hoflandes ihre Aecker in Streifen nebeneinander liegen haben. Der Hof HI aber ist ganz besonders zersplittert und in fremde Hände veräussert. Bei ihm wird der mächtige Einfluss erkennbar, welchen Kirchenanlagen auf dem Einzelhofgebiete ausüben. Die nahe Beziehung spricht sich schon in seiner Lage und in dem Namen aus, welcher nach dem Landesgebrauche auch hier am Hofe haftet. Der Voll- erbe und Besitzer des Hofes d heisst 1788, wie schon in Verzeichnissen von 1557 und 1649, Kerkmann, und der Hof steht in unmittelbarer Nähe der Kirche, auch der Rest seiner alten Grundstücke hegt noch in vielen kleinen und grossen Parzellen in der Umgebung der Kirche zerstreut. Aber eine Fläche von 62,3 Schffl. gehört nicht mehr zu dem Hof lande, sondern ist von der Kirche und dem Kirch weil er ein- genommen. Die Kirche steht in der !Mitte eines etwa 1 ha grossen Kirchhofes. An diesen stösst der Pfarrhof. Längs der alten Kirch- hofmauer und ihr gegenüber sind einige Reihen dichtgedrängter kleiner Häuser entstanden, welche mehrere zusammenlaufende Strassen bilden. Sie liegen mit ihrem Garten- und Wirthschaftslande von wenigen Ar theils auf dem Grunde der Kirche, theils auf dem alten Hoflande, theils endlich auf dem Marklande der Gehrder Haide, welches hier bis nahe an den Kirchhof reichte. Die Entstehung dieser kleinen Hausstellen, welche jetzt, im Gegensatz zu der Bauerschaft, das Dorf Gehrde genannt werden, obwohl beide völlig zusammengehören, ist hinreichend bekannt^). Die an der Kirchhofsmauer erbauten kleinen Gebäude waren zuerst Schutzhäuser und Vorrathskammern. Die Kirchhöfe wurden im Mittelalter in der Regel mit Mauern und festen Thoren zur Ver- *) G. R. Twelbeck, Lagerbuch für das Kirchspiel Gehrde, Osnabrück 1869, S. 57. 60 ^'11- 4. Besiedelung der Sach8engeT)iete theidigung bei feindlichen Ueberfilllen eingerichtet. Nacli weit ver- breiteter Hitte, die in Siebenbürgen noch in voller Deutliclikeit er- kennbar ist, pflegten die einzelnen Bauern an diese Mauer nach innen zu kleine, ebenfalls feste Häuschen zu erbauen, in denen sie im Nothfalle ihre Familie und ihre Werthsachen unterbringen konnten. Es war auch Brauch, diese Häuschen dauernd als Speicher zu benutzen. Denn sie bildeten nicht allein einen sichern und durch den Ort geheiligten Versteck, sondern es war auch von Vortheil für eine etwa nöthige Vertheidigung, im Voraus mit Lebensmitteln versehen zu sein. Von diesen Speichern waren in Gehrde nach Twelbecks Mit- theilungen zwei Speicher des eingepfarrten Hofes zu Riesford und einer des Hofes a bis auf die Gegenwart erhalten. Der des Hofes i ist erst 1650 an einen Schuhmacher verkauft. Die übrigen sind bereits in früheren Zeiten in Wohnhäuser umgebaut worden und stehen jetzt mit der Vordermauer an der Strasse, mit der Hintermauer auf dem Kirchhof. Von den dem Kirchhof östlich gegenüberliegenden Stellen sind einige parzellirte Markkötter, einige andre Absplisse aus dem Frbkötterhofe g, welche bereits in einem Lehnsregister des Bischofs zu Münster von 1392 als bestehend erwähnt werden. Die Mehrzahl dieser Häuser ist auf dem alten Hoflande III errichtet, und mehrere derselben waren noch 1788 im Besitze von Kerkmann. Die Mark- kötter hatten keine Berechtigungen an der Gehrder Mark erlangt. Die auf dem Hofe o auf Münsterschem Lehn errichteten Kirchhäuser dagegen werden als Wordener, d. h. zur Weide berechtigt, bezeichnet. Das als das Dorf betrachtete Areal umfasst nur 81,4 Scheffel. Da- von beträgt das eigentliche Kirchenland 3,7 Schffl. Die Schule ist mit 1,4, der Küster mit 1,1 in der Nähe betheiligt. Daneben bestehen 10 sogenannte Kirchhöfer als im Eigenthum besessene Stellen mit 22,3 Schffl., 9 Kleinhäuser mit 6,1 und eine Vogtei mit 10,4 Schffl. Land. Der Rest gehört theils Auswärtigen, theils den benachbarten Höfen. Die Parochie hat 1221 noch nicht bestanden, denn bei der damals erfolgten Gründung des Domkantor- Archidiakonats, zu welchem Gehrde später gehörte, werden nur die Kirchen zu Ankum, Bippen, Badbergen, Bersenbrück und Alf hausen genannt (Moeser, Osn. Gesch. Urk. No. 122, Mittheilungen XVI, S. 232). Erst 1277 (Sendhofl; antistit.Osn.il, No. 125) erscheint eine selbständige Kirche in Gerethe, deren Patronatsrccht dem 1050 erwähnten Hofe zu Riesford zustand und 1296 mit demselben an das Kloster Bersenbrück (ebd. Urk. 152) als Lehn des Bischofs verkauft wurde. Der Herr dieses Hofes kann seinen Hörigen den Kirchenbau auferlegt haben. Wahrscheinlich zwischen Weser und Rheinland. Q\ aber wurde die Kirche schon früh als Kapelle bei dem Hofe des Kerkmann erbaut, und dieser ist erst später hörig geworden. Nach Mithofl' (Die Kunstdenkmale im Hannoverschen VI, S. 52) gehört der Taufstein noch dem 12. oder dem Anfang des 13. Jahrhunderts an. Jedenfalls ist erklärlich, dass die Gründung der Kirche Kirchen- feste, Marktverkehr und Niederlassung von Gewerbtreibenden zur Folge hatte, und dass sowohl Kerkmann wie andere Nachbarn ihren Vortheil darin sahen, kleine Grundstücke in der Nähe des Weilers zu veräussern und entferntere, namentlich Stücke aus der gemeinen Mark, dafür zu erwerben. 1788 bestanden auf dem alten Gebiete des Hofes ni neben dem Kirchweiler 2 Vollerbenhöfe e und f, während Kerkmann nur als Halberbenhof gerechnet wurde. Sie theilten sich in den Rest des alten Hofes IH so, dass, abgesehen von den an die Insassen des Kirchenweilers veräusserten 62,3 Schffl., Kerkmann nur noch 40,8, der Hof f 67,0 und der Hof e sogar nur 26,7 Schffl. inne hatten. Gleichwohl besassen damals durch anderweite Erwerbungen Kerkmann d 132,6, e 206,2 und f 200,4 Schffl. Land; die beiden letzteren hatten also in der That das Maass des Vollerben, einen Vollhof, inne, Kerkmann dagegen nur wenig mehr als die Hälfte, so dass sich seine Bezeichnung als Halberbe auch ihrer Bedeutung nach erklärt^). Die Ergänzung dieser an kleinere Stellen und Auswärtige abver- äusserten alten Hoftheile hätte indess, wie die Uebersicht nachweist, bei aUen 4 alten Haupthöfen zusammen nicht mehr als 12,5°/o er- fordert, und der Ersatz ist von keinem der Hofbesitzer aus dem Lande anderer alter Höfe gewonnen worden, denn es ist überhaupt nur 1,04% der Gesammtheit der Hofflächen von einem Hofe auf den anderen übergegangen. Es hat also im wesentlichen, weit über den alten Bestand der 4 Haupthöfe hinaus, eine Vergrösserung ihrer Theil- guter bis zu 7 Vollhöfen und 3 Halbhöfen durch die allmähliche Erwerbung von ^larkenländereien stattgefunden. Die ^Fark gewährte ausserdem die Grundstücke für Erbkötter, Markkötter und für eine grosse Zahl auswärtiger Besitzer. Sammt allem diesem Lande hat Gehrde bei der um 1750 erfolgten Theilung der alten Riesford- Heller-GehrderDrehlcr Mark (Twelbeck 6, 19) 4652 Schffl. erhalten, wovon aber 1788 nur noch 1967 Gemcinland waren. Die alten Marken- ') Die urkundlichen Angaben bei Twelbeck S. 3, 20, wie bei H. Dühre in der Geschichte des Kirchspiels Badbergen, Osnabrück 1873, S. 20, 217, ergeben, dass wenigstens seit der Amtsverwaltung des 1". Jahrhunderts Vollerben und Halberben nur nach ihrer Grösse und entsprechenden Leistung von Steuern und Lasten unter- schieden wurden, aber sie mussten als Erben zur Baoerschaft gehören. 62 ^11- 4. Besiedelung der Sachseugebiete stücke sind in der Regel örtlich bekannt und lassen sich meist schon an den Namen, namentlich aber an ihrer geringen Boden])e- schaffenheit, an ihrer ungünstigeren Lage in der Umgebung der bis zur Gegenwart noch nicht zur Kultur gebrachten Haiden und Holzungen und an der eigenthümlich vermischten Vertheilung der Besitzstücke erkennen. In Gehrde sind die alten Höfe im Osten von der Kälber- lage 12, dem Ried 11 und der Gehrder Haide 13 und im Westen durch die Kaiscrlage 1 begrenzt gewesen. Ausserdem haben sich über die Mitte der Flur von Süden her Vogelbohl 9 , Hoenermoor 8 und das Haide- land zwischen die Höfe erstreckt, auf welchem sich jetzt der Gehrder Esch 4 und der Esch 5 finden. Die Zeit, in welcher diese von der Karte und der Uebersicht im einzelnen unterschiedenen Markenländereien besetzt worden sind, ist schwerlich noch fest- zustellen. Zum Theil aber müssen die Eingriffe in die gemeine Mark mit der Auflösung des Hofes HI durch die Kirchengemeinde und mit der Theilung der alten 4 Haupthöfe in die schliesslich auf 10 gestiegene Zahl der bäuerlichen Erbenhöfe zusammenfallen. Bei den Höfen bestehen, wie in Gassek innerhalb des Hoflandes je ein oder zwei Heuerstellen, deren Rechtslage lediglich den Charakter der Pacht oder Praecarie hat. Die Abveräusserung von Hofgrund- stücken an selbständige kleine Stellen ist aber, abgesehen von der Entwickelung des Kirchenweilers, eine äusserst geringfügige geblieben. Die Erbkötter und die grösseren Markkötter sind, wie die Karten erweisen, als kleine geschlossene Einzelhöfe mit ihrem hauptsäch- lichsten Baulande auf dem Markengrunde angesetzt worden, und in Gehrde zeigt auch die eigenthümliche Gruppe der kleineren Mark- kötter auf dem Schevenrieden (10 der Karte) dieselbe Anlage. Im übrigen sind die kleineren Markkötterstellen in der Regel unmittelbar an der Grenze von Hofland so liegründet, dass sie zwischen dem Hoflande und dem noch ungetheilten Marklande liegen. — Unter allgemeinen Gesichtspunkten ist die grosse Uebereinstim- mung mit den Flurverhältnissen der o. Bd. T, S. 518 und 562 und in den Anlagen 70, 72 und 73 ausführlich besprochenen Einzelhoffluren von Kirchlinden im Ruhrgebiet, Huisberdcn in Kleve und Meygem bei Gent von belehrender Bedeutung. Es lässt sich auch aus der näheren Vergleichung der Katasterkarten und Urkunden A\"estfalens mit gutem Grunde anerkennen, dass die beiden Beispiele von Gr.- Mimmelage und Gehrde für die älteren Zustände des Gebietes zwischen der Weser und dem Niederrhein, so lange dieselben noch nicht auf grösseren Strecken des Landes durch die Bedürfnisse der Industrie zwischen Weser und Rheinland. 63 umgestaltet waren, als typisch gelten dürfen. In ihrem Gegensatze zwischen dem im wesentlichen ungestörten uralten Bestände der Hüfverfassung, und der weitgehenden, in verschiedener Weise durch- geführten Theilung der ursprüngUchen Höfe unter Zuweisung und Benutzung von Markenländereien begrenzen sie im wesentlichen die Erscheinungen, die sich auf den Feldfluren Westfalens als charakte- ristische beobachten lassen. Das Hauptinteresse derselben ruht einer- seits auf der Entwickelung der Beziehungen zwischen den Höfen und den angesetzten kleinen Stellen, andrerseits in den damit eng verknüpften Rechtsverhältnissen des Markenlandes und der Art und Form seiner Auftheilung. In ersterer Beziehung ist auf dem gesammten Gebiete der säch- sischen Einzelhöfe nicht ausgeschlossen, dass in einem gewissen grösseren Bezirke eine oder einige Städte und eine gewisse Anzahl enger zusammengeschlossener Flecken und Dörfer bestehen. Ausser den Kreisstädten finden sich im Kreise Steinfurt 18, im Kreise Reck- linghausen 26, im Kreise Koesfeld 15 solcher geschlossener Orte, und in Ahaus leben in ihnen 16,6, in Lüdinghausen 25% der Ein- wohner. In den meisten anderen Kreisen ist aber die Zahl derselben sehr gering. In Tecklenburg, Warendorf, Münster, Borken u. a. giebt es fast lediglich zerstreute Einzelhöfe. Von der Mehrzahl grösserer Orte ist auch bekannt, dass sie sich erst allmählich gebildet haben. Meist sahen sich Gewerbtreibende aller Art, Krämer, Handwerker und Beamte zum Anbau um Kirche und ^Marktplatz in mehr städtischer Weise auf engem nachbarlichen Räume veranlasst. Selbst grosse Städte sind aus wenigen Höfen entstanden^). Dass die Besiedelung in Einzelhüfen gleichwohl über alle Landschaften, mit Ausnahme des Hellwegs , als die völlig herrschende ausgebreitet ist , darüber belehren schon die Generalstabskarten hinreichend. — Mindestens seit der Karolingerzeit zerfallen diese Landschaften in Gaue, die Gaue wieder in eine Art Gesammtgemeinden oder pagi, und die pagi in Bauernschaften, Nachbargenossenschaften. Das älteste Freckenhorster Heberegister, dessen Handschrift Kindlinger aus dem 9. Jahrhundert datirt, fasst die einzelne Bauerschaft durch- gehends mit der Bezeichnung tbarpa, Dorf, zusammen-). Dennoch ') Ueber die Höfe im Werth zu Barmen und den allmählichen Ausbau derselben zu einem Orte, von Adolf Werth (Zeitschi. d. Bergischen Geschichtsvereins v. Crecclius u. Harless, Bd. 16, Jahrg. 1880, Bonn 1881,\ ^^ E. Friedländer, Die Heberegister des Klosters Freckenhorst, Münster 1872, S. 17. ß4 VII. 4. iJesiedelung der Sachsengebiete hat sie mit dem volksthümlichen Begriffe des Dorfes in Mitteldeutsch- land und bei den Sachsen rechts der Weser sehr wenig gemein. In derselben Ortsgemeinde, welche aber, wie es scheint, erst die moderne Zeit schärfer aufgefasst hat, kann es sehr verschiedene, grosse und kleine Bauerschaften geben. Im wesentlichen ist nur bekannt, welche Höfe zu jeder derselben gerechnet wurden, und der Anbauer, der auf deren Gründen oder in der Haide zwischen ihnen eine Stelle zu gründen vermag, schliesst sich ihr mehr an, als dass er zu ihr ge- hörte. Im Mittelalter hiess die Bauerschaft de bur (femin. singularis), auch burscop und buring. Der Hofbesitzer als Mitglied der Bauer- schaft hiess burman (plur. burlude). Der Ort der Gemeinde burstol, ihr Recht burrecht u. s. w. Dies betraf aber anscheinend mehr die politische Seite seines Daseins; von der wirthschafthchen, in Betreff seines Grundbesitzes, wurde er husman oder auch husing genannt, denn sein Recht haftete am Grund und Boden, allen Anschauungen nach zunächst an seinem Hofe, am Haus. Wer das Haus (domus) verkaufte, verkaufte damit zugleich alles, was ihm innerhalb der Feldmark, das heisst der Flurgrenzen der Bauerschaft an Acker und Wiese, Weide und Wald und wie es Namen haben mochte, gehörte, kurz seinen ganzen Hof, hove. Das Verbum hoven (auch behoven) heisst bedürfen. Was ein Hausmann in der Feldmark bedurfte, war sein hove. Da indess zu dem Hofe ursprünglich soviel Bauland als zu- gehörig galt, wie auf einen Pflug gerechnet wurde, wurde von ihm auch als von einem Pfluglande oder mehr, z. B. von einem twiploget hove, gesprochen. Der Begriff der deutschen Hufe des Volkslandes rechts der Weser ist zwar ähnlich, aber durch die Natur der Siede- lungsweise nothwendig verschieden. Wirklich gleiches Maass und gleiche Güte konnten bei den Einzelhöfen nicht erreicht werden. Das Haus trug in den sächsischen Landestheüen gewissermassen als Vertreter des an ihm haftenden Rechts bis auf die neuesten Zeiten einen feststehenden Eigennamen, und diesen Eigennamen des Hauses führte auch der Hausmann selbst als den seinigen, und jeder fremde Erwerber musste ihn annehmen. Diese Sitte vermochten selbst landes- herrliche Verordnungen (wie die oldenburgische vom 28. August 1826, Gesetzs. V 534) nicht zu ändern. Der von altersher überlieferte Eigenname des Hauses ist meist abgeleitet von einem Mannesnamen ^), wahrscheinlich dem des ersten Besitzers. Rotberti domus heisst'-) ein bäuerliches Haus zu Oster- ') Achnlich wie bei den Römern. Niebuhr, Römische Geschichte II, 709. -) Nach Mittheilungen von Leverkus an G. Haussen. zwischen Weser und Ulieinlaml. ß5 schops im Kirchspiel Edewecht im 14. Jahrhundert, deutsch Rotbertinge- hus oder, was viel gewöhnlicher, Rotbertinge, dann im 15. Jahrhundert Robberdinge, im 16. Roblx'ring oder Robberige, im 17. Robberie, in neueren Zeiten Rübberje oder Röbbicr. Aehnlich sind sehr viele Hausnamen auf -inge, andre mit Gonitiv- formen auf -es oder -en gebildet, z. B. Alerdingc oder Alerdes, jetzt Alers, Heininge oder Heinen, jetzt Heinje. Nach dem Hause hiessen Alle, die durch Geburt dazu gehörten, so lange sie nicht durch Ver- trag zu einem andern Hause kamen. Sie wurden dessen Volk genannt, z. B. Rotbertingevolk, Alerdesvolk. Nicht etwa das Crcsinde wurde mit diesem Namen Volk bezeichnet oder auch nur unter ihm mit- begriffen. Der Hausmann selbst und jeder der zu dem Hause Ge- borenen führte mit seinem Taufnamen zur Unterscheidung auch den Hausnamen, z. B. ^Nletteke Rotbertinge, Arend Heiniger. Von Familien- namen findet sich keine Spur. Allmählich erst sind die Hofnamen zu Familiennamen geworden. Es ist aber noch in ganz Westfalen üblich, dass, wenn Jemand die Erbtochter des Hofes und damit den Hof erheirathet, er den Namen derselben annimmt und höchstens den seinigen hinzufügt, z. B. Pogge-Freckling. Bei der grossen Selbständigkeit der einzelnen Höfe, welche wenig- stens für ihre wirthschaftliche Lage nur in einem sehr äusserHchen Zusammenhange mit ihren Nachbarn stehen und sich gewissermassen inselartig mit ihren Hecken und Gräben gegen Aussen abschliessen, liegt das nächste Interesse in dem Verhältnisse der einzelnen Besitzung zu der Gemeinschaft. Die Bauerschaften setzten sich zu jeder Zeit aus einer gewissen Zahl von Vollerben oder Vollhöfen zusammen, von welchen indess jeder in Halberben oder in Halbhöfc und in Drittheile oder Viertheile zerfallen konnte, die mit ihrem verhältnissmässigen Recht in der Bauerschaft anerkannt blieben. Wie die Hüfner in der Flur der deutschen Gewanndörfer (o. I, S. 78) bildeten sie den Kreis der voll- berechtigten Gemeindegenossen. Wir lernen sie als solche nui- im alten Besitze ihres um jeden Hof abgegrenzten Hoflandes kennen, das in der einzelnen Bauerschaft eine nahezu gleiche Grösse hat. Jede Erweiterung des Hofes mussten sie aus der INIark gewinnen, an der sie zwar das Vorrecht des Echtworts der vollberechtigten Erbexen hatten, dasselbe jedoch mit vielen anderen, theils berechtigten Ge- nossen anderer Bauerschaften, theils mit arideren Mitberechtigten verschiedener Abstufung, mit Landes- und Grundherren, Obermärkern, Minderberechtigten und lediglich zugelassenen Markgenossen thcilten. Meitzen, Siedeltmg etc. IL 5 ßß \IL 4. Hesiedflun^' der Sacheengebiete Innerhalb der Bauerschaft umfassten sie kraft ihres Erbenrechtes das Gemeinwesen. Alle anderen hatten in demselben nur soweit Hecht und Stimme, wie dies ihnen durch die Erben zugestanden worden war. Die Erben bildeten als solche eine lokale Aristokratie. Die Unterscheidung des Volkes in Edclingc, Frilinge und Lassen wird dabei so wenig erkennbar, als innerhalb der Hufenbauern des Volkslandes. Es war natürlich, dass der Unfreie nur für seinen Herrn einen Hof inne hatte. Auch werden die Herrschaftswechsel und die Standesunterschiede zwischen Edelingen, Freien und Lassen noth wendig zur Ausbreitung der Grundherrlichkeit und Hörigkeit beigetragen haben, welche das Gemeinwesen der Bauerschaft störten. Wenn von amtswegen Schulten über dieselbe gestellt wurden, oder der Grundherr seinen Meier in einen Hof oder auf Sondereigen aus der Mark ansetzte, standen diese Beamten nothwendig nicht allein den Erben gleich, sondern es hing auch die Verfügung über gemeinsames Thun und Lassen, Wegebau, Grabenarbeiten, Faselvieh, Hirtenwesen u. dgl., nicht mehr lediglich vom Beschluss der Erben ab. Diese Be- ziehungen bedürfen einer weiteren Untersuchung. In dem Verhält- nisse der erbenschaftlichen Bauerschaft gegenüber den kleineren Stellen äussert sich indess davon nichts. Die bäuerhche Aristokratie der Erben erhielt sich auch unter Hörigkeit, Aehnlich wie bei den Hüfenern ist der Erbe Erbe, ob er Edehng oder frei oder Lasse ist, und ob er hörig Avird oder nicht. Er hält mit der Qualität seines Erben- hofes seine höhere Stellung gegenüber den Köttern, Anbauern und Hausleuten unbedingt aufrecht, selbst wenn diese allmählich in die Gemeindeverwaltung einzudringen vermögen. Sein Anspruch äussert sich im Benehmen, in der Brautwahl, im Kirchensitz, im Vortritt, in der Stimmenfolge und anderem, was in dem engen Kreise wichtig scheint. Es kommt auch in ähnlicher Weise, wie bei den Hufenbauern, die Stellung derjenigen Parzellenbesitzer in Frage, welche nicht mehr als Drittel- oder Viertelerben gelten konnten. Dabei müssen hier wie dort persönliche Umstände entschieden haben. Demi es gab, wie schon die Register von Minnnelage und Gehrde in Anlage 89 und 00 erweisen, Kötter, welche viel mehr altes Hofland besassen, als manche Halberben, und dadurch dennoch nicht Erben wurden. Während z. B. der Halberbe r zu Mimmelage nicht mehr als 8,1 Schffl. Hofland inne hatte, besitzt der Erbkötter s davon 14,1. Auch im Ganzen hat der Halberbe r nur 60,3 Schffl. Land, der Erbkötter n in (lehrde aber 102,6 Schffl., also genau das Maass des Halbhofes. Es kann dabei die Art der Theilung des Echtwortes in der Mark Einfluss zwischen Weser und Rheinland. 67 geübt haben. Schwerlich aber konnte und wollte man einem ver- dienten Bauer, der seinen Hof bis auf eine kleine Parzelle seinem Sohne überliess, auch ohne Hof sein Erbenrecht und Ansehen ent- ziehen, während man es einem Kötter, der Hofland zu erkaufen vermochte, nicht ,«;ewährte, weil dadurch sein persönlicher Stand er- h<")ht worden wäre. Einmal zugestandene Rechte aber waren bleibend. Die kleinen Stellen, welche neben diesen Erbenhöfen bestehen, befanden sich von jeher in verschiedener Lage. Die Heuerlinge stehen in dem natürlichen Abhängigkeitsver- liältnisse zu einem bestimmten Hofbesitzer. Obwohl die Gemeinden und, falls ein Grundherr vorhanden ist, auch dieser, Einsprache gegen Ansetzung einer grösseren Zahl von Heuerleuten thun kann, steht doch anscheinend die Errichtung der landesüblichen ein oder zwei Heuerkotten dem Hofbesitzer, der ihnen Praecariebesitz gewährt, allein zu. Die Würden er und Brinksitzer scheinen auf Theilen des Hofes in der Art angebaut, dass sie nur an dem Rechte des Hofes, soweit er es ihnen gestattet, Theil nehmen. In späterer Zeit war unstreitig -eine Genehmigung der Gemeinde oder der Obrigkeit nothwendig. In der Gehrder Mark erhielt der Holzgraf für jede neu angelegte FeuersteUe 1—4 Thlr. (Twelbeck S. 19.) Die Markkötter haben Stücke aus der Mark, aber keine anderen als ausdrücklich bewilligte Rechte an den Markennutzungen ^). Es lässt sich indess denken, dass sie nicht immer von Denen angesetzt wurden, welche über die Mark zu verfügen hatten, sondern dass auch Hofbesitzer, welche ]\rarkenstücke zugetheilt erhielten, dieses Land an Markkötter vergeben haben. Wenigstens liegen ihre Stellen sehr häufig derart zwischen dem Hoflande und der Mark, dass sich kaum annehmen lässt, die Markberechtigten hätten ohne eigenes Zuthun des Hofbesitzers ihm einen Nachbar gegeben, der ihm nicht blos den leichten Zugang, sondern auch die Erweiterung des Hofes durch Markland abschnitt, und überdies mancherlei Unannehmlichkeiten bereiten konnte. Die Genehmigung des Anbaus durch die Markgenossen und die Bauerschaft ist gleichwohl vorauszusetzen (Twelbeck S. 18). Die Gehrder Markkötter hatten indess verschiedenes Recht. Denn sämmtlichc Kötter auf Schevcnrieden, mit Ausnahme eines derselben, waren verpflichtet, wenn ein neuer Besitzer auf den Kotten kam und bei Verheirathung eines Kötters, den Erbleuten zum ') Moeser, Osnabr. Gesch. Bd. I, S. 3. 5* 68 VJI, 4. BesiedelnnK der Sachsengebiete Schmause 1 Schinken, 1 Brot und 1 Tonne Bier zu flehen. Zu diesom Schmause gehörten 15 Bauern, also waren auch die an der Mark mitberechtigten Erbkötter betheiligt. Diese Kötter auf Schevenrieden behaupteten ferner das Recht der »Tunstolterung« , d. h. bei jedem der vorgedachten Schmause glaubten sie berechtigt zu sein, da, wo ihr Garten an die offene INIark grenzt, die Zaunpfähle herauszuziehen, den Zaun nach der Mark zu umzulegen und ihn dann um die Länge der Pfähle weiter hinaus- zusetzen, so dass der Garten um dieses Maass vergrössert wurde. Die Erbkötter haben ihr Land ebenfalls aus der Mark. Sie be- sitzen es nur erblich, nicht zu vollem Recht der Erbexen, obwohl nach der Glosse zum sächs. Landrecht, B. 2, Art. 59, zu besserem, als zu Erbzinsrecht ^). Ausser diesem Recht haben sie auch die Mit- nutzung an der Mark. Der Erbkötter n und die Hofbesitzer a und c in Gehrde bean- spruchten 1.791 gemeinschaftlich das Hoener Moor als Heimschnat und protestirten gegen dessen Beweidung durch die Bewohner des Kirchweilers^). Jedenfalls haben alle kleinen Stellenbesitzer gegenüber den Voll- und Halberben nur abgeleitetes Recht. Dieses Recht kann sieh den Verhältnissen nach zunächst nur von der Bauerschaft, sei es von einem Einzelnen der Voll- oder Halberben, sei es von deren Gesammtheit herleiten. Soweit dieser Einzelne oder die gesammte Bauerschaft ein ausschhessliches Recht zur Verfügung über das den kleinen Stellen abzutretende Land besitzt, hätte der Vorgang keine Schwierigkeit. Es lässt sich auch davon absehen, ob die Bauerschaft bereits unter einem Grundherrn steht und zur Ansetzung von Stellen der Einwilligung desselben bedarf, sowie ob die Grundherrschaft für solche Ansetzungen selbst über Land in der Flur verfügt. Eine Grundherrschaft kann allerdings in der Regel, selbst unter Zuziehung ihrer Hörigen, willkürliche Anordnungen treffen. Indess wird ihre mög- liche Einwirkung erst mit der Darstellung der fränkischen Einrich- tungen zu behandeln sein. Entscheidende Bedeutung aber ist dem Umstände beizumessen, dass alles, sowohl das zur Erweiterung der alten Höfe, als das zur Ansetzung der kleinen Stellen verwendbare Land in den vorgeführten Beispielen als Markenland bezeichnet wird, und dass dies bei dem typischen ') Kindlingcr, Geschichte der deutschen Hörigkeit 1819, S. 40. Twclbeck, S. 18. ") Twclbeck, S. 61. zwischen Weser und Bheinland. 69 Charakter dieser Beispiele im gesammten Einzelhofgebiete als die licgc'l gi'lten darf. Es ist deshalb vor allem zu untersuchen, welche Natur dieses ^larkenland hat, wem darüber die Verfügung zusteht, und unter welchen Bedingungen dieselbe der Bauerschaft mit oder ohne Zuthun ihrer Cirundherrschaft erreichbar wird. Deshalb steht zunächst das Wesen und die Entwickelung der Marken in Westfalen in Fraye. 5. Die Marken in Westfalen. Es ist in der geschilderten Natur des Bodens begründet, dass auf dem gesammten Scächsischen Gebiete sehr grosse Strecken unbe- bauten Landes selbst noch bis auf unsere Zeit gekommen sind. Ein Theil desselben besteht in Sondereigen des Staats, der Kirche oder grosser Grundherren, der ursprünglich überwiegende in Marken (o. I, S. 122). Diese jNIarken Westfalens entsprechen in dem Bestände und der Art ihrer Ländereien, wie in der Nutzungs- und Verwaltungsweise und in den Rechtsverhältnissen der an ihnen Betheiligten, völlig denen des alten Volkslandes rechts der Weser. Staat oder grosse Cirundherren haben häufig an ihnen Ober- oder Miteigenthura. Gewisse, sei es volle oder getheilte Eigenthums- rcchte aber stehen den sogenannten Erbexen zu, den seit unvordenk- licher Zeit durch ihren Grundbesitz hauptberechtigten Märkern. Die Erbexen sind in der Regel die Besitzer der grösseren be- nachV)arten Höfe. Daneben bestehen Nutzungsberechtigte theils mit altherkömmlichem Recht, theils später zugelassene. Die an der Mark Betheiligten bilden nach ihren bestimmten Anrechten die Älarkgenos- senscbaft. Dieselbe wählt ihren Holzgrafen und ihre geschworenen Malleute, welche das Holzgericht abhalten und in den Marksachen Recht sprechen. Das Obej-gericht gehört dem Landesherrn, oder wenn die Mark unter Grundherrlichkeit steht, dem Grundherrn. Die Protokolle und Weisthümer dieser Markgerichte oder Hol- tinge sind in sehr grosser Zahl vorhanden. Nur verhältnissmässig wenige sind veröffentlicht^). Da die meisten von ihnen indess nicht über das 15. Jahrhundert zurückgehen, scheinen solche Aufzeichnungen erst spät Sitte geworden zu sein. Das älteste Dokument von 1277 hat nur den Charakter der Beurkundung eines Schiedsspruches. Es spricht über ') Frh. V. Low, Ueber die Markgenossenschaften, Heidelberg 1829. Grimms Weisthümer III, 1, 27. 873, 878, VI, 734, 737. 70 VII. 5. Die Marken in Westfalen. dip Vermeler (Vermsmolder) jSFark zwischen Tocklcnburg und Biele- feld. Aus demselben geht hervor'), dass die Schiedsrichter bezüglich des Grafen von Ravensherg erklären: omnia ligna infructuosa, que unbarachtich holt vocantur, warandyam cementariorum. cjui kalcber- nere vocantur, warandyam in omnibus fabris palustril)us qui liroel- mechere vocantur. warandyam eorum, qui dicuntur kolebernere, item oxtra venditorum , qui utselinge vocantur , item omnes occupationes, que besettinge vocantur, et omnia jura, que hujusmodi marcha supra- dicta consuevit habere, ad ipsum hereditario jure ex antiquo pertinere, . . salvo tarnen jure omniuni eorum, qui volgariter ervexen et marche- noten vocantur, qui jura sua in dicta marcha pacifice possidebunt, sicut hactenus possederunt. Dem Bischof von Osnabrück wird nur die Berechtigung zur Mast von 100 Schweinen, die er erkauft hat, und die Mast von 30 Schweinen , zu der sein mansus Bocleten (Loxeten?) berechtigt ist, und das nöthige Holz zu Bau und Repa- ratur der Burg Iburg und der Häuser der in der Burg wohnenden Burgleute zugesprochen. Ob ihm diese Rechte als Mitmärker oder als Wildbannbesitzer zustanden, ist unwesentlich. Iburg lag in der Glaner Mark. Jedenfalls zeigt sich, dass die Vermsmolder Mark, in der Erbexen und Markgenossen berechtigt sind, gleichwohl dem Grafen erblich zusteht, wahrscheinlich also vom fränkischen Könige unter Fortbestand der Nutzungsrechte der Markgenossen in Besitz genommen worden war (o. Bd. I, S. 123). Die nächstälteste Urkunde ist einWeisthum von 1339 über die Ost- bevernsche Mark im NO von Münster. Dasselbe stellen aus: Schweder der Gogreve, ein Knappe, der zur Zeit Holzgraf über die Ostbevernsche Mark vonwegen Gerlachs von Bevern ist, sowie geschworner, ansässiger und gehegter Richter zu Ostbevern, und mit ihm die Schulten von Ost- have, Lohave, Vernlo, Oldenhaven zu Mersbecke, Johann van den Winshus und Herm. Wykbrachtingk, Scharmann in der Mark zu Ost- bevern, die um die Mark geschworen haben. (Zu Ostbevern gehören die 5 Bauorschaften Brock, Lembrock, T.ohburg, Ueberwasser und Schiri. Die Schulten nennen sich nach ihrem Hofe, have.) Sie bezeugen, dass das alte Recht und die alte Willkür der Mark solche ist, wie sie sie iiiedergeschrieben und mit Notheit und Recht gewonnen haben. Die Festsetzungen sprechen jedem Markgenossen, der in der Mark ansässig ist und Ware besitzt, das Recht /ai, Eichen und Buchen nach seiner Nothdurft zu hauen, nur müssen sie in der Mark bleiben. ') Lamey, CoJ. dipl. Ravensburg, No. 51. Grimm, W. III, S. 186. VII. 5. Die Marken in Westfalen. 71 Der Kötter hat dies Recht nicht. Des Wcichholzes dürfen sich alle hedienon. Kohlen dürfen nicht gebrannt und Ziegen nicht gehalten werden. Der Markgenosse hat volles Recht in der Eichel- oder Buch- eckermast nnd darf, wenn er selbst keine Schweine hat, 6 fremde eintreiben, dem Kötter aber ist, bei Verlust der mehr eingetriebenen, nur ilie ^last eines Schweines gestattet. Dem Holzgraf steht das Geld für die Älast von 30 Sauen und einem Eber, und dem Scharmann für die von 2 Schweinen zu. Jeder Genosse, den der Scharmann zum Greifen oder Pfänden aufruft, muss ihm folgen. Kein Auswäiiiger darf ohne Bewilligung des Holzgrafen, des Scharmanns und der Gemeine der Markgenossen eine Nutzung in der Mark ausüben. Von den Straf- geldern erhält der Holzgraf Vs, die Gemeine Vs- Was der Holzgraf und zwei Drittheil der Markgenossen zum Besten der Mark liestimmen, dem muss das letzte Drittheil Folge leisten. (Grimm IH, S. 176.) Nicht alle Holtingweisungen sind so vollständig, obwohl viele den Umständen nach die Marknutzungen sehr ausführlich behandeln. Grimm theilt in Bd. III, S. 81 ff. Holtinge von Ethelen und Tudorf bei Paderborn, Spelle bei Teekienburg, Home bei Coesfeld aus dem 14. und zehn andere von Marken bei Warendorf, Wiodenbrück, Dorsten, Osnabrück, Bersenbrück und Hoya aus dem 15. Jahrhundert mit. Ausführlich behandelt haben die Westfälischen Marken Kind- linger in den Älünsterschen Beiträgen, Piper in der Beschreibung des Markenrechts in Westfalen 1763, Lodtmann de jure holzgraviali 1770, Schiedehaus und Klöntrupp, Probe des Osnabrück. Markenrechts, 1782. Manche dieser Marken sind in beträchtlicher Greis sc bis auf die Gegenwart gekommen. Die Borger Mark im Hümling umfasste bis zu der in neuster Zeit ausgeführten Theilung 12 500 ha, und jeder Voll- erbe erhielt 200 ha Al)findung. Es waren also nur 60 Vollhöfe als Ganze oder in Bruchtheilen berechtigt. Gleichwohl sind Nachrichten vorhanden, dass in älterer Zeit die Marken meist noch sehr viel grössere Ausdehnung hatten. (Philippi, Osnabrücker Urkundenbuch Bd. I, 1892, S. XXVI.) Die nordwestlich vom Dümmer See belegene Desberger Mark hat, wie es scheint, ungefähr den gesammten 8,5 O Meilen grossen Gau Derseburg umfasst, welchen Philippi (ebd. S. 361 mit Karte) auch in Betreff der Markenverhältnisse urkundlich behandelt. Die Mark umgiebt die in der Bauerschaft Holtorf auf einer Höhe belegene, als Burgwall erhaltene Doeseuburg, welche anscheinend Veste und Heiligthum der Chauken war. Auch hier fielen die Gau- und Archi- diakonatsgrenzen so wenig wie im Bardengau (Anlage 21) mit den Markengrenzen zusammen, denn die ausserhalb des Gaues Derseburg 72 VII. 5. Die Marken in Westfalen. belegenen Baiierschaften Hastrup, Grossen Drehle und 8 Höfe 7A\ Helle waren auch in der Derscburger Mark, das im (lau Der.seburg belegene Klein Drehle aber in der Gehrder Mark berechtigt^). Die alten grossen Marken sind indess schon sehr früh getheilt, und solche Theilungen bis auf die Gegenwart fortgesetzt worden. Herni. Hartmann hat dies für die schon 991 genannte Angelbecker jNIark näher gezeigt^). Diese Mark reichte in älterer Zeit in die CJaue Derve und Grainga weit hinein auf beiden Seiten der Hunte, also sell)st über die Grenze von Engern und Westfalen. Schon im 17. Jahrhundert bestand sie indess nur noch aus den Gebieten der Kii-chspiele von Barkhausen und Lüstorf. Es ist erklärlich, dass in den weiten, den Markgenossen vieler Bauerschaften zuständigen Wald- und Haidemarken Kirchspiels- und Gemeindegebiete nicht abgegrenzt sein konnten und erst durch die Markentheilungen bestimmte Grenzen erhielten. So weit die Erwerbungen und Abfindungen der Höfe des gesammten Kirchspiels wie der einzelnen Bauerschaften reich- ten , stellten sich auch die parochialen und kommunalen Abgren- zungen im Einzelnen fest. Die Verkleinerung der Marken durch Ansetzung von Erb- und Markköttern und durch Vergrösserung der mehr und mehr in Halbhöfe getheilten Vollhöfe muss sehr früh be- gonnen haben und in den einzelnen Marken, wie die Beispiele von Gr.-Mimmelage und Gehrde (Anlage 89 und 90) zeigen, sehr verschieden vorgeschritten sein. Dazu scheinen sich die Mitmärker von jeher leicht bereit gefunden zu haben. Vollständige Auftheilungen dagegen sind im wesenthchen erst im 18. Jahrhundert und zum Theil sehr summarisch durchgeführt worden. Die meisten erfolgten, seitdem dafür landesherrliche Vorschriften erschienen, z. B. die Osnabrückischen Aus- schreiben vom 15. August 1778 und 4. Jvmi 1785, welche später durch die Osnabrückische Markentheilungs-Ordnung vom 25. Juni 1822 zu- sammengefasst und durch die Verordnung vom 12. August 1835 auf Arnsberg, Meppen, Bentheim und Emsbühren, sowie durch die ähnhche vom 27. Oktober 1838 auf Lingen ausgedehnt wurden. In der Regel kam bei diesen Theilungen der dritte Theil der Mark als Anspruch des Markenrichters in Abzug, und wurde als eine meist fiskalische Tertia in Staats- oder grundherrliche Forstländereien umgewandelt. Das laufende Jahrhundert hat die häufig gemeinschaftlich überwiesenen Abfindungen ganzer Bauerschaften oder Besitzergruppen unter die einzelnen Stellen zur Vertheilung gebracht. — V Twelbeck, Lagerbuch für das Kirchspiel Gehrde 1867, S. 18 ff. ^ Mittheil, des Vereins für Gesch. und Landeskunde von Osnabrück, Bd. XVI, 1891. VII. 5. Die Marken in Westfolen. 73 Die agrarische Entwickelung der verschiedenen zu Marlcuutzungen l)crcchtigten Erhexevihöfe hing wesentlich von der Art der Verwaltung derjenigen Markenländereien ab, welche die Kämpe des jedesmaligen Einzelhofes umgaben, und von der Möglichkeit unmittelbar anstossende, oder doch nicht allzuweit entfernte gemeinsame Grundstücke zu mehr oder weniger ausschliesslichem Nutzungs- oder Eigenthumsrechte zu erlangen. Uebereinstimmend schildern Landau und Low, wie in Westfalen solche (Jrundstücke in früherer oder späterer Zeit aus der allgemeinen Mark in den gemeinschaftlichen Besitz der nächsten Xachbarn über- gegangen und entweder dauernd gemeinschaftlieh benutzt oder in besonderer Weise unter ihnen getheilt worden sind. Landau sagt (a. o. II, S. 54 a. 0.): »Was ausser dem Hofgrunde liegt, ist Haide und Moor oder Holz. Es ist das alles meist Gemein- gut mehrerer Höie, oder ist dasselbe doch gewesen. Wo die Haide sich zum Fruchtbaue eignet, hat man sie umgebrochen und in einzelne Aekerstücke getheilt. Die Esche, wie man sie nennt, liegen offen und in jener Feldgemeinschaft, wie diese in den Dorffluren besteht, und nur hier ist auch von Ackermaassen, von Morgen Landes, die Rede, von denen man bei den Ländereien in den Kämpen ebenso wenig etwas hört, als im allgemeinen von einer Theilung nach Hufen.« V. Low bemerkt^): »Häufig kamen in den Marken wieder kleinere Gemeinschaften vor, die sich auf die Benutzung einer Weisung oder Heimschnat, eines Lobs, Eschs oder Koppels beziehen. Eine Wei- sung ist ein Markdistrikt, welcher wegen der Nähe der Lage einem Theil der !Markgenossen zur Benutzung angewiesen ist. Eine Heim- schnat (Bauerfriede oder Landwehr) ist ein Distrikt in gemeiner iNIark, in welchem ein Theil der Markgenossen gewisse Nutzungs- rechte, z. B. das Plaggenmähen, mit Ausschluss der übrigen ausüben darf, während diese an allen übrigen Nutzungen desselben Theil nehmen. Ein Loh ist ein Stück Wald, welches einem Markgenossen eigenthümlich zugehört, welches dieser aber nicht einzäunen darf, weil die Weide allen Markgenossen gemein ist. Unter einem Esch versteht man ein Stück Ackerland, welches mehreren Eigenthümern zugehört und unter diese vertheilt ist, aber nicht mit Zäunen oder Aufwürfen durchschnitten werden darf, weil allen jenen Eigenthümern nach der Ernte das Recht zusteht, auf dem ganzen Felde ihr Vieh zu treiben. Die Bedeutung des Wortes Koppel ist bekannt.« '; Frh. v. Low, Ueber die Markgenossenschaftenj Heidelberg 1829, S. 3, 74 VII. 5. Die IMarkcn in Westfalen. V. Low denkt bei Koppeln offenbar an die sogenannten Vöhden. Per Name l^deutet ursprünglich Futter, Kost, Unterhalt, Weide ^). Von den Vöhden sagt Schwerz^), dass es Einhegungen waren, in denen die (irundstücke verschiedener Besitzer im (Jemenge lagen, und welche unter Flurzwang 4 bis 6 Jahr beackert wurden, andre 4 l)is G Jahr aber für die gemeinschaftliche Weide dreesch liegen bleiben mussten. In der Regel bestanden 2 solcher Vöhden, und ein besonderer Feld- richter oder Schulthof führte die Aufsiclit über die Erhaltung der gemeinschaftlichen Verzäunung und des Schlagbaums, sowie über die Verzeichnung des weideberechtigten Viehes. Ein Hof ist darin nach Schwerz oft sehr ungleich betheiligt. Es kommt vor, dass derselbe in den ersten 4 Jahren nur für 2 Pferde Arbeit hat, in den folgenden 4 Jahren aber kaum mit 6 Pferden ausreicht, so dass bald Verkauf, bald Zukauf von Pferden nöthig wird. Die Vöhden finden sich nur auf den schweren Kleiböden zwischen Horstmar und Steinfurt im Westen und der Lippe und Bochum im Osten.« Sie entsprechen offenbar in ihrer rechtlichen und wirthschaft- lichen Natur den Eschen, welche auf den Sandböden vorkommen und deshalb weit verbreiteter und ausgedehnter als die Vöhden sind. Esch ist nach Grimm ^) das gothische Atisk, das dänische Aas, also Getreideacker. Die Bezeichnung kommt bei den Sachsen auf beiden Seiten der Weser vor, ebenso in Schleswig-Holstein^) bei den dortigen Friesen auf Amrum^). Die Esche in Ostfriesland sind o. II, S. 41 näher erwähnt. Der Ausdruck erscheint auch schon um 745 in der lex Bajuvarior. Tit. IX, c. 11 in dem Worte ezzisczun, und ist in Schwaben in der Bedeutung Feld, namentlich als Feld der Dreifelderwirthschaft, weit verbreitet"). In den westfälischen Ur- kunden ist das Wort nicht vor 1200 gebraucht. In einer Urkunde der Kirche zu Edewecht'') vom März 1380 aber wird der Esch aus- drücklich als communis marchia bezeichnet. In allen Theilen Westfalens werden darunter Stücke Ackerland von oft beträchtlichem, oft alier auch geringem Umfange verstanden, welche einzelnen oder auch mehreren, in der Regel indess nicht allen ') Schiller und Luther, Mitteldeutsches Wörterbuch. -) Beschreibung der westfälischen Landwirthschaft, 183G. ^) Mytholog. p. 10G9. '') Schrader und Biernatzki, Topogr. II, p. 441. '•") Ocrtliche Flurnamen : Wcndanask und Abanask. «) S. o. I, S. 477. ') Im Oldenbui-g. Landesarchiv. VII. 5. Die Marken in Westfolen. 75 benachbarten Hüten ziigehören. Bei der J3etheiligung mehrerer Höfe pflegen diese Aecker in zahh'oiclie Streifen im Gemenge, ähnlich wie im CJewann, unter dieselben vcrtheilt zu sein. Sie bewirthschaften sie dann meist auch unter Fkirzwang als permanentes Ackerland. Nach Lodtmann, de jure holzgraviatus (1770) und nach dem alplia- betischen Handbuch der besonderen Rechte und Gewohnheiten des Hochstiftes Osnabrück von A. Klöntrup (1798) besteht auf dem Escli Feldgemeinschaft und Flurzwang. Es können aber Fschtheilo an Fremde veräussert werden. Auch darf nach einem Iburgischen Gödings- spruch vom 15. Mai 1674 (Klöntrup) Eschland 4 Jahre eingezäunt werden, nur muss der Zaun von des Nachbars Land so weit zurück- l)leiben, dass derselbe bequem pflügen kann. Endlich wird durch Leverkus überliefert, dass die Ackerstreifen auf dem Esch hier und da, wie es bei Wiesen häufigerer Brauch ist, periodisch unter den betheiligten Höfen gewechselt haben sollen. Während die Höfe ihr eigenes Land in der Regel auf dem frischeren und graswüchsigeren Boden liegen haben, nehmen die Esche vorzugsweise die sandigen trockeneren Rücken ein. Einen deutlichen Begriff" von einem solchen Esch giebt die Karte der Bauerschaft von Ahlintel, Gemeinde Emstetten (Anlage fH). Sie zeigt, dass von den 14 Höfen der Bauerschaft nur 6 an dem Esch betheiligt sind, und von diesen wieder nur 4 ihre Antheile in eine Art Feldgemeinschaft von 9 Gewannen vereinigt haben. Die Zahlen geben die gegenwärtigen Besitzer an. Soweit Besitzveränderungen bekannt sind, sind in Klammern die früheren Höfe, zu denen die Grundstücke gehört haben, vermerkt. Zwischen dem Esche und den südlich desselben gelegenen "W'aldungen und Aeckern zog sich bis auf die Gegenwart ein Streifen Haideland hin, welcher, so wie es die punktirten Grenzen ergeben, in der neuesten Zeit getheilt und mit dem vorliegenden Grundbesitze vereinigt worden ist. Die nähere Bearbeitung zeigt, dass von den 4 Höfen, welche nichts vom Esch besitzen, mindestens 2 als ganz alte Höfe zu betrachten sind. 2 andre Höfe besitzen vom Esch grosse blockförmige Stücke, welche gesondei-t und ohne jede Gemeinschaft mit dem Reste abgetheilt sind, olnvohl sie an denselben unmittelbar angrenzen. Vier oder eigentlich nur drei Höfe aber erhielten zusammen drei ungefähr gleiche Theile des Esches wie die 2 gedachten Nachbarhöfe, und haben diese ihre An- theile unter sich in 9 Gewanne getheilt. Es ist also ganz augen- scheinlich, dass es sich bei allen diesen Höfen nur um Besitznahme benachbarter Ländereien nach verh.ältnissmässigen Antheilen handelt, 76 VII. 5. Die ^Eaikon in Wostfalfii. welche von den meisten Höfen in gesonderten Flächen übernommen worden sind, von drei Naehbarhöfen aber unter wirthschaftlichen Gesichtspunkten gemeinsam. Sie haben letztere nach einer ncnn- tliciligen Gcmenglage unter sich getheilt. Für diese Gemenglage kann der Wunsch nach gerechter Ausgleichung der liodengüte kaum be- stimmend gewesen sein, weil der Esch von gleichmässig geringer Boden- beschaffenheit ist. "Wahrscheinlich bewog dazu die leichtere Beweidung der Stoppeln und Brache, welche bei dieser Theilung stets gemein- schaftlich auf der Fläche von 3 Gewannen geschehen kann, und die sicherere Vertheilung der gefürchteten Schäden, die durch Frühjahrs- f röste je nach Wolkcnstand , Waldschutz und geringen Höhenunter- schieden strichweise, oft in kleinen Entfernungen wechselnd, ent- stehen und namentlich Buchweizen und Bohnen sehr häufig benach- theiligen. Auch der Esch zu Munderloh, Kirchspiel Hatten (SSO Oldenburg), war nach Leverkus unter 4 Höfe so getheilt, dass sich ihre Stücke viermal genau in derselben Reihe folgten. In der Bauerschaft Ueberems dagegen, IV2 M. 0. Warendorf, führte, wie schon auf der Generalstabskarte von Rheinland und Westfalen in 1 : 80000, Bl. 15 zu erkennen ist, der gesammte Mattemanns Esch seinen Namen nur von einem einzigen, später getheilten Hofe. Kirch- linden (Anlage 73) besitzt gar keinen Esch, zeigt aber, wie das an- stossende Haideland einem Theil der in der Flur betheiligten Höfe in grösseren oder kleineren Stücken zugefallen ist, und dass ein Wald als Sondereigen eines in der Flur überhaupt nicht Ansässigen besteht. Alles dies bestätigt thatsächlich die örtlich allgemein herrschende Meinung, dass die Höfe mit den sie umschliessenden Gärten und Kämpen den ursprünglichen Bestand der Besiedelung der Einzelhof- gebiete links der Weser bilden, und dass Vöhden und Esche ebenso wie andere ausserhalb der Kämpe liegende Wiesen-, Wald- und Haide- grundstücke aus der allmählichen Theilung und privaten Besitznahme des ursprünglich zwischen den alten Hofländereien liegen gebliebenen unkultivirten Landes hervorgegangen sind. Diese unmittelbaren und lebendigen Beziehungen der einzelnen Bauernhöfe mit dem Markenlande müssen zwar als eine Eigenthüm- lichkeit der westfälischen Marken erscheinen, welche in den Marken des mitteldeutschen Yolksgebietes nicht in ähnlicher ^^'eise noth- wendig wird. Doch sind solche allmähliche Theilungsabfindungen und Erwerbungen zur Vermehrung des Kulturlandes, wie o. Bd. I, S. 124, 153 und 173 erörtert ist, auch bei den mitteldeutschen gemeinen Marken keineswegs ausgeschlossen. VII. 6. Der keltische Ursprunp; der westfälischen Einzelhöfe. 77 Anscheinend lässt sich also in dem gesammten Organismus der west- fälischen Marken gegen die mitteldeutschen keinerlei bemerkenswertho Verschiedenheit auftinden. Dennoch aber besteht ein sehr M-esent- lieher Unterschied, der allerdings nicht eigentlich die Mark selbst, sondern nur ihre äussere Umgebung, ihre Beziehung zu den Höfen der Markgenossen, aber damit die gesammte Grundlage der Einzel- hofbesiedelung betrifft. Die Bauerschaften oder Gemeinden der Einzelhöfe l)esitzen keine Alm ende. Jeder Hof hat seine wohl- umgrenzten, sogar mit Hecken, Gräben und Zäunen dauernd um- schlossenen Kämpe. Dieses Hofland gehört ihm ganz ausschliesslich. Aller ausserhalb desselben beginnt, wenigstens ursprimglich , sofort die gemeine Mark. Es gab vor den Markentheilungen kein Zwischen- glied, keinen Kreis unbebauter Ländereien, welcher von Anfang an in bestimmten Grenzen Denen zustand, die die Hofgütcr als Nach- barn kultivirt hatten. Mit dem Fehlen der Almende fallen für die westfälische Besicdelung auch alle die o. Bd. I, S. 129 und 153 ausführlich dargelegten Eigenthümlichkeiten und Vorbedingungen der Ansiedelungen und der Marken des alten, ausschliesslich und zuerst von den Germanen selbst mit festem Anbau bedeckten Volkslandes weg. Die westfäüschen, zu Bauerschaften vereinigten Einzelhöfe mit den Marken, an denen sie Echtwort haben, stehen deshalb den mittel- deutschen geschlossenen Gewanndörfern mit abgegrenzten Almenden und gemeinen Volksmarken durchaus fremdartig gegenüber. 6. Der keltische Ursprung der westfälischen Einzelhöfe. Die o. Bd. T, S. o4 zusammengefassten Gründe, durch welche MüllenhofF im zweiten Bande seiner deutschen Alterthumskunde (S. 222 ff.) eingehend dargelegt hat, dass Westfalen bis zur Weser von den Kelten bewohnt gewesen ist, sind unbestritten. Ebenso wenig lässt sich die Thatsaehe bezweifeln, dass die von den Kelten besiedelten weiten Gebiete von Irland und ^^'^ales und in Frankreich von der Loire bis zu den Pyrenäen mit Einzelhüfen bedeckt sind, welche mit denen des Niederrheins und Westfalens in allen wesent- lichen Merkmalen übereinstimmen^). Deshalb ist für die obigen Besprechungen die keltische Anlage der jetzt deutschen Einzelhoffluren ohne Einschränkung vorausgesetzt worden. *) Die Beispiele der irischen Einzelhpffluren sind in Anlage 23 — 27 gegeben. Da es zur Zeit unmöglich bleibt, siUlfranzösische Flurkarten zu beschaffen, wird in der Anlage 92 wenigstens eine Karte der Feldeintheilung auf der Insel Jersey mit- 78 VII. 6. Der keltische Ursprung f'i' koltisflio ['rsprnnjj; (l(!r wcstfalisclion EinzcllHifc. Bei den Chauken und Angrivariern kann dagegen an irgend einen bestimmenden Einfluss der Stammessitte deshalb nicht gedacht werden, weil beide schon in der Zeit, in der sie uns zuerst ge- schichtlich bekannt werden, mit ausgedehntem Besitze auf beiden Seiten der Weser gewohnt haben. Jedes dieser Volksgebiete war am unteren Weserlaufe auf langen Strecken vom Strome durchschnitten, und Anlage 1 zeigt, wie scharf derselbe die Grenze zwischen Dörfern und Einzelhöfen bildet. Bei beiden Völkern gleichmässig eine Stammes- oder Bildungsverschiedenheit für die gegenüberliegenden Stromufer vorauszusetzen, ist gradezu unmöglich. Die eigentlichen Altsachsen aber, aus welchen Stämmen man sie auch zusammensetzen will, haben in ihrer unterelbischeu und hol- steinschen Heimath bis zur Neuzeit niemals Einzelhöfe besessen. Sie haben auch nach England, wie sich zeigen wird, nicht Einzelhöfe, sondern ihre heimischen Gewanndörfer übertragen. Jenseits der Weser aber lebten sie sich, ebenso wie die Chauken und Angrivarier, gegen ihre Volkssitte in Einzelhöfe ein. — Man ist deshalb zu dem Gedanken geführt worden, dass diese eindringenden deutschen Völker ursprünglich auch auf dem Gebiete zwischen Weser und Nordsee überall zunächst die heimathlichen Ge- wanndörfer begründet hätten, und nur nach und nach durch wirth- schaftliche Gründe zur Bildung von Einzelhöfen bestimmt worden seien. Dafür ist einerseits die oben gedachte nicht ganz geringe Anzahl kleiner geschlossener Städte, Märkte und Kirchorte auf diesem Gebiete, andrerseits bezüglich der Feldeintheilung die weite Verbreitung der gewannartigen Esche geltend gemacht worden. Dass die erwähnten Kirchweiler, Marktflecken und kleinen Städte in ihren Strassen meist wie geschlossene Dörfer zusammen- gebaut sind, ist richtig. Es lässt sich auch nicht bestreiten, dass es Fluren zwischen der Weser und der Nordsee giebt, welche nicht allein in ihrer geschlossenen Ortsform, sondern, worauf es wesent- licher ankommen muss, auch in ihren Feldlagen nahezu das Bild einer der Gewannfluren des deutschen Volkslamles geben. In An- lage 68 und Bd. I, S. 518 ist eine ganze Gruppe derartiger Ortschaften in Thrente beschrieben worden. Solche Gruppen linden sich zwar in den westfälischen Einzelhof gebieten nicht, aber vereinzelte Beispiele ähnlicher Ortschaften lassen sich auch hier auffinden. Die Flur Nat bergen bei Osnabrück (Anlage 93) zeigt diese besondere Form. Die Ortslage des Dorfes ist lieinahe eine geschlossene, und die wenigen in der Flur zerstreut liegenden Höfe könnten möglicherweise später VII. 6. Der keltisilie L'r.sj^niuig der westfalischi-n Einzelhöfe. gl entstandene Ausbauten sein. Auch in der Ackereintheilung finden sieh nur wenige üher den Bedarf an Hausgärten hinausgehende Kämpe, das Anbauland bilden vorzugsweise die drei den Ort nahezu umschliessenden Esche, welche ziemlich gewannartig unter die Haupt- besitzungen in demselben vertheilt sind. Bleibt diese Dorfanlage, wie jede ähnliche, aber allerdings fraglich, so ist doch die Gewannähnlichkeit der Esche in dem gesammten Einzel- liofgebiete nicht in Alfrede zu stellen. Es sind sogar Eigenthinnlich- keiten einzelner Esche bekannt, welche auf nahe Beziehungen zu der Eintheilung und Wirthschaftsweise der Gewannfluren deuten. Nach Briefen von Leverkus an Haussen waren auf manchen grösse- ren Eschen die mitteldeutschen volksthümlichen ^lessungs- und Wirth- sehaftsweisen anscheinend übereinstimmend in Uebung. Es gab auf ihnen Gewende und Anwandstücke (o. I, S. 87). Die Esche waren in gleichmässige Streifen getheilt, und die Enden dieser Ackerstreifen, auf denen die Pflugwende geschieht, wurden manehnial zusammengekauft, so dass eine Vorjard, ein Stück, welches den Streifen des Esches quer vorliegt, entstand. Auf einer Leverkus bekannten solchen Vor- jard ruhte die Veri^flichtung, den Besitzern derjenigen Stücke, die darauf stossen, bis 3 Tage vor Altem Mai und nach Martini die freie ^^'endung mit Pferden und Pflug zu gestatten. Im Ammerlande kannte er Esche, auf denen alle Stücke eine gleiche Breite hatten, z. B. der längst zerstörte Esch der Stadt Oldenburg. Dieselben wurden in den städtischen Urkunden als Stücke aufgeführt und oö solcher Stücke bildeten eine Hufe. Dagegen gab es auch Esche, auf welchen die Stücke von altersher ungleiche Breite hatten, z. B. zu Edewecht. Sie wurden dann nach der Breite unterschieden als eine Jard, ein Drömel oder Drömeling, ein Acker und eine Brede. Streitigkeiten unter den Vornoten, d. i. Furchengenossen, wie sie die Urkunden nennen, wurd(>n nach den Breitenangaben entschieden. In Edewecht wurde die Breite nach Schecht zu 7 oldenl)urgischen Fuss gemessen. Das ist also Skift, Schaft, Jagdspiess, wie o. I, S. 90. Eine Jard sind 2, ein Drömel 3, ein Acker 4 und eine Brede 6 Schechte breit. Es kommen auch Twijards oder Twejards vor, also Doppeljards, gleich einem Acker. Diese Art, ein Stück Ackerland unter die berechtigten Besitzer zu theilen und die Grenzen zwischen den Theilstücken in Ordnung zu halten, entspricht, wie o. I, S. 95 zeigt, selbst in den Bezeichnungen dem in ^Mitteldeutschland wie an der Ell)e bestehenden Gebrauche. Bei näherer Erwägung muss gleichwohl jeder Gedanke an eine Meitzen, Siedclung etc. U. 6 32 ^'il- ''• l^^i" keltische Ursprung der westfälischen Kinzelhdfe. spätere Umgestaltung ursprünglicher CJewanndörfer in die heutigen Einzelhöfe Westfalens als völlig ausgeschlossen erachtet werden. Die allmähliche mid späte Entstehung der Kirchweiler, Marktflecken und kleinen Städte ist genügend bekannt. Ebenso lässt, wie o. 11, S. 74 gezeigt, die Entwickelung der Esche aus dem Markenlande keinen Zweifel zu. Auf grossen Strecken Westfalens sind Esche überhaupt nicht vorhanden, wie in der Umgegend von Warendorf, in den Bauer- schaften Velsen, Einen, Raestrup, Erter, Wester, Wenge, Waltrop, Hohenhorst, Flintrup, Gronhorst, ebenso um Wolbeck, um Münster, Rheda und Wiedenbrück, Oelde, Ennigerloh, Westkirchen, Horstmar, Sendenhorst, Nordkirchen, Ascheberg, Altenfeld, endlich auch um Lünen, um Horstmar, Benninghausen, HofFstadt, Rhynern und vielen Bauerschaften an der Lippe. Ueberall berühren sich hier entweder die Kämpe der geschlossenen Höfe, oder die Mark ist, soweit sie nicht noch besteht, blockförmig, ähnlich wie das Hofland, aufgetheilt. Wenn man aber auch die scheinbaren Spuren alter Gewann- dörfer viel weiter verbreitet und viel deutlicher vorfände, als es in der That der Fall ist, würde daraus doch niemals ein höheres Alter derselben, als das der Höfe, gefolgert werden können. Es würde vielmehr nur der Schluss am nächsten liegen, dass in diesen vermeint- lichen Resten sich im Gegentheil die spätere durch viele Jahrhunderte fortdauernde Herrschaft aus dem alten Volkslande kommender Stämme, wie einzelner Zuwanderer, äussere. Die Altsachsen setzten sich erst im 6. und 7. Jahrhundert in ^^^estfalen als Herren fest. L^m diese Zeit müssen alle ihre Rechts- und Wirthschaftsgewohnheiten schon völlig gemäss des Lebens in den zwischen der Weser und Oder seit nahezu einem halben Jahrtausend überall entstandenen und zur Volkssitte gewordenen Gewanndörfern ausgeprägt gewesen sein. Es Hesse sich deshalb erwarten, dass sie wenigstens auf noch offenem Markenlande viel häufiger Gewanndörfer angelegt hätten, als die wenigen, auf welche ausnahmsweise Anzeichen deuten, und es wäre kaum zu denken, dass sich auf den Eschen, die erst im Laufe der Zeit, nachdem ein grosser Theil der Höfe in sächsischen Händen war, auf dem Markenlande angelegt wurden, keinerlei Spuren der im Volkslande üV)lichen Wirthschaft finden sollten. In diesen Aehnlichkeiten darf also nur das Eindringen gewisser p]inrichtungen des Volkslandes in die Einzelhofgebiete, nicht eine Umgestaltung ursprünghcher Gewann- dörfer in Einzelhöfe gesehen werden. Die I'mwandlung der Gewannfiuren in Einzelhöfe hätte auch nicht im Einzelnen und allmählig stattfinden können, sie musste mindestens VH. (j. Der keltische Ursprung der westfalisi-heu Einzellxife. 33 für jede Bauerschaft vollständig und von (Jrund aus durchgeführt werden. Sie Hesse sich nur in der Weise unserer modernen Verkuppe- lungen denken und würde wegen der bedeutenden wirthschaftlichen Störung ebenso energischen Widerspruch gefunden haben. Deshalb hätte sie eine durch keinerlei Eigenwillen zu hindernde, nöthigenfalls zwangsweise Ausführung gefordert. Auch müsste das Verfahren über das ganze Land gleichmässig ausgedehnt worden sein, und überall denselben Zweck erreicht haben, weil die Einzelhöfe über alle Bauerschaften Westfalens verljreitet sind. ScliM'erlich würden dazu unter den freien Volksgenossen jener Zeit wirthschaftliche Einsicht und staatliche Gewalt ausgereicht haben. Ebenso schwer lässt sich eine Antwort finden, weshalb grade nur das frühere Keltenland zu einer solchen ausserordentlich schwierigen Unternehmung aus- ersehen worden sein sollte, während seit Caesar in allen anderen deutschen Eroberungsländern Oberdeutschlands wie Frankreichs die Deutschen die Einzelhöfe beseitigten und Crewannfiuren anlegten, die sie bis auf unsere Zeit gebracht haben. — Wenn man also daran festhalten will, dass die Deutschen die Einzelhöfe Westfalens begründet haben, so Avürde sich nur annehmen lassen, dass sie nicht erst ursprünglich Gewanndörfer geschaffen, und diese später in Einzelhöfe umgestaltet haben, sondern man müsste voraussetzen, dass sie alsbald bei der Besitznahme des Landes zur Anlage der Höfe geschritten sind. Eine Analogie für eine solche Besiedelung durch Deutsche lässt sich zwar nicht finden, denn das Eindringen der Schweden und Norweger in die Waldmassen jenseits der Dalelf und im Halogalande, wo sie allerdings auf einzelnen Rodungen Niederlassungen gründeten, die als Einzelhöfe bezeichnet werden können, ist mit der Besitznahme Westfalens nicht zu vergleichen. Ein solches unorganisirtes Settlerthum wäre nur möglich ge- wesen, wenn man das Keltcngebiet schon längere Zeit vor der deut- schen Einwanderung als verlassen und seine Kulturanlagen als unter- gegangen betrachten könnte. Dem widersprechen aber die Erhaltung der Namen und alle Nachrichten, sowohl die des Pytheas, als der späteren Griechen und Römer. Die Reste der Kelten fand noch Caesar jenseits des Rheins im Kampfe mit den eindringenden Deut- schen. Auch hätten aus einer solchen sporadischen "W'ald besiedelung die gleich grossen, in gewissen, nach der Vierzahl bestimmten Gruppen zusammenliegenden Höfe nicht entstehen können, auf welche o. I, S. 229 und die Beispiele der Anlagen 89 und 90 ebenso wie Anlage 70, 6* 34 ^'i'- ^- ^^^'1' koltisdie ITrsprung der wcstfiilischen Kiiiztlhöfe. 72 und 7-V üboreinstimnieiid liiiiführen. Eine dcrarti<2; schematische Landthcilung lüitten frei voi'dringende Settier weder sell>st vorge- nommen, noch hätten sie sicli später ihre Ländereien nach dem Gedanken derselben abgrenzen lassen. Ueberdies bliebe zn erklären, dass im südlichen Westfalen und am Rhein, wo die Kelten zu Caesars Zeit noch wohnten und kurz vorher in weit grösserer Ausbreitung gewohnt hatten, ganz dieselben geordneten Einrichtungen getroffen werden konnten, wie in dem als rein deutsch vorausgesetzten Norden. Jedenfalls muss also an organisirte Ansiedelungen und damit auch an eine sofort wirksame, hinreichend entwickelte Gemeindeverfassung gedacht werden. Für eine solche Organisation von Gemeinwesen findet sich nun anscheinend ein deutliche)' und bestimmt auf deut- sche Grundlagen hinweisender Anhalt darin, dass das sehr alte Be- stehen der Hufen Verfassung für Westfalen nicht bestritten werden kann. Gesetzliche Vorschriften und urkundliche Nachrichten erweisen dieselbe. Allerdings ist für sie kein genügender Beweis, dass in älteren westfälischen Urkunden die Bezeichnungen mansus oder hulia vor- kommen, denn es können in vielen und schwer zu sondernden Fällen mansus für mansio, Wohnung, und huba für hove, Hof, gebraucht sein. Auch dass in Osnabrück und Diepholz nach Stüve in den Güter- verzeichnissen des 13. Jahrhunderts der Regel nach jeder mansus seinen Besitzer hat, erweckt die Meinung, dass damit nur Höfe, nicht Hufen von einem bestimmten Maasse bezeichnet sind^). Dennoch ist in keiner Weise in Zweifel zu ziehen, dass zu Karls des Grossen Zeit in Westfalen und Engern eine Hufeneintheilung bestanden hat oder eingeführt worden sein müsste, nach welcher in dem Memoratorium von 807, c. V die Hufenzahl als eine wenigstens für alle heerbannpflichtigen Freien allgemein bestehende Grundlage der Heerbannslcistung ausgesprochen Avcrden konnte. Dem Kaiser wie seinen Beamten war Westfalen viel besser bekannt als Ostfalen. Es ist deshalb nicht denkbar, dass er, ohne das Bestehen eines solchen ver- wendbaren Hufenverhältnisses, für Westfalen nicht ebenso eine andere Anordnung getroffen hätte, Avie er für Friesland (o. H, S. 44) eine von den Hufen unabhängige besondere Vertheilung der Heerbannslast eintreten Hess. Auch die Bestimmung der Capitulatio de partil)us .Saxoniae von 789, cap. XV, wonach die Sachsen jeder Kirche curtem et duos mansos terrae zu geben hatten, bezieht sich auf eine allge- mein anerkannte Hufeneintheilung im Sachscnlande. ') Moeser's Werke, Th. VIII, Rcpcrtorium bonor. episcop. mensae, p. 393. VII. 6. Der keltische Ursprung der westfälischen Einzel liöfe. 85 Aelmlich scheinen andere Nachrichten an die KaroHnger anzii- pchliessen. Th. Lindner ^) hat durchaus glaubhaft gemacht, dass Karl der Grosse in Westfalen Freie auf Hufen ansetzte, und dass diese Hufen dem (Irafen zinspflichtig waren. Urkundlich werden Hufen zwar selten, aber doch bald nach den Eroberungen Karls des Grossen nicht allein rechts der Weser, in Engern und Ostfalcn oder auf dem Hellwege, sondern auch in den links der Weser belegenen, mit Einzelhöfen besetzten Gebieten des Sachsenlandes erwähnt -). 838 Kaiser Ludwig bestätigt die von Adele dem Stift Corvey gemachte Schenkung von Osthoven, Opphenheim und Wachenheim cum manso regali Tj'heyle^). (Vergl. o. H, S. 49.) 852 Ludwig der Deutsche vergiel)t in pago Graingo'*) in villa quae vocatur Kelveres mansum indominicatum , in alio pago Sutter- bergi in villa Lodre octo familias et novem mansos; 858 Casas dominicatas duas cum territorio dominicali, unani scilicit in Seliheim et alteram in Stockheim, nee non et mansos triginta pertinentes ad loca praenominata^); 859 In pagis Graingo et Threcwiti '"') mansos XHH cum familiis viginti. 892 Arnolfus rex per interventum Engilmari episcopi, comiti nostro Echbrecht nominato, quasdam res juris nostri in proprietatem donavimus, hoc est in pago Algidac (Chiliti) in Unange et Visbecke etc. hobas 36 et ad unamquamque hobam jurnales sexaginta'^). Das Corveysche Register sagt: in Metdisdorf contincntur salicae terrae IH hobac, unaquaque XXX habens jugera^). 1017 In Dulmine (Dülmen) mansum I, Haiostron (Haltern) mansum I, Ruoldinchusen (Recklinghauseu) mansum I'-*). 1025 Cuonradus rex verleiht in Visbeck in pago Westiala X et Vni mansos i**). 1, ') Die Vchme, TMünster 1888) S. 374, 377, 382. ^) Erhard, Regest. Bd. I. z. a. J. ^) Erhard, Cod. dipl., Urk. 11. ') Südöstlich an Osnabrück angrenzend, üsnabr. Urkb. No. 35, S. 20. *) Salm, l'/g M. S. v. Lüdinghausen, Stockum bei Schöppingen. ") Um Osnabrück. Osnabrück. Urkb. No. 39, S. 26. ') Wippermann, Reg. Schaumbg., Kassel 1853, S. (5. *) Wigand's Arch.I,p.53. Nach StüweistdamitMccsdorf, Kr. Melle, 1 M.N. bezeichnet. ^) Erhardt, Regest. Bd. I, Urk. 92. '") Wippermann, Regest. Schaumbg., S- 7. 86 ^'II- 6- Dt'i' keltische Ursprung der westfälischen llinzelhöfe. 1212 Mansuiu vcl domnni in DcIseU^ cum locn »hioruiu man- Horum vol doniornm, quos vulgo appcUut Echtwort'). 1B50 Duo mansi agrorum siti foris portam Hcrendikcs, in der Feldmark von Osnabrück^). Am frühesten sind also Hufen mit Bezeichnungen erwähnt, welche ganz bestimmt unter fränkische Gesichtspunkte fallen. Deshalb ist nicht zu bestreiten, dass gewisse Hufenanlagen durch die fränkische Eroberung auch auf dem sächsischen (iebiete der Einzclhöfe im fränkischen Sinne und für die Zwecke der karolingi- schen Verwaltung ausgeführt worden sind, und es läge der Gedanke nahe, ob nicht ü1)erhaupt alle Hufen hier eine aus dem Bedürfniss der fränkischen Einrichtungen entstandene Erscheinung seien. Bei näherer Erwägung aber ist es im Hinblick auf die Anord- nungen Karls über den Heerbann in Westfalen unabweislich , diese Idee fallen zu lassen. Das Capitulare von 808 beginnt: Inprimis quicunque beneficia habere videntur, omnes in hostem veniant. Quicunque libcr mansos q'iinque de proprietate habere videtur, similiter in hostem veniat. Et qui quatuor mansos habet similiter faciat. Qui tres habere vi- detur, similiter agat. Ubicunque autem inventi fuerint duo, quorum unusquisque duos mansos habere videtur, unus alium praeparare faciat, et qui melius ex ipsis potuerit in hostem veniat. Et ubi inventi fuerint duo quorum unus habeat duos mansos et alter habeat uiuim mansum, similiter se sociare faciant, et unus alterum praeparet, et qui melius potuerit in hostem veniat. Ubicunque autem tres fuerint inventi, quorum unusquisque mansum unum habeat, duo tertium praeparare faciant. Uli vero qui dimidios mansos habent, quinque sextum praeparare faciant. Hier werden also schon vorweg die Beneficia als selbstverständ- lich zum Kriegsdienst verpflichtet, von der eigentlichen Heerbanns- verordnung ausgeschlossen. Unter diese Beneficia gehörte aber un- zweifelhaft die Hauptmasse der von Karl selbst oder etwa schon von seinen Vorgängern im Sachsenlande vergabten und zu Hufen aus- gesetzten Ländereien. Nun kann man allerdings fragen, an welche Freien die Verordnung in Westfalen im Jahre 807 und 808 denkt, da die Vernichtung der sächsischen Gemeinfreien grade in Westfalen sehr weit ging, Avenn auch die Anschauung der Chronisten des ') Vogt, Monnmcnta I, p. 515. *) Acta Osnabruccns. I, p. 1C6. VII. 6. Per keltisclie ITrsprnng der westfälischen Ein7,olh('ife. 87 14. Jahrhunderts übertrieben und theoretisch sein mag^). Freie lassen sieli allerdings in gewisser Anzahl annehmen. Denn hätte auch Karl alle sächsischen Hofl)esitzer zu Unfreien gemacht, so vertrieb er sie (loch nicht, sondern setzte ihnen nur einen Herrn, der dann als Freier im Heerbann die Pflicht der bisher Fi-eien zu vertreten hatte. Auch vermochte^ er Land an Freie anzuweisen, ohne dass er sie als Beneficiare l)etrachtete. Dies konnte auch nach Hufen in gemessenen INIaasscn geschehen sein. Aber damit wird nicht erklärt, dass der Kaiser die Pflicht des Heerbanndienstes ganz ausdrücklich auf eine vorhandene Hufeneintheilung des ganzen Landes bezog und als von dieser im wesentlichen bedingt feststellte. Damals im ganzen Lande eine bis dahin unbekannte Hufenverfassung deshalb erst einzuführen, wäre ein Werk gewesen, über welches sich, wie über Wilhelms des Eroberers einfacheres Unternehmen des Domesdaybook nothwendig Ueberlieferungen erhalten hätten. Wilhelm I. fand die Hufen schon vor und liess sie im wesentlichen nur notiren. Karl hätte, wenn er lediglich Einzelhöfe und Kämpe in den verschie- densten Lagen und unbekannten Grössen- und Werths Verhältnissen vor sich gehabt hätte, dieselben in irgend einer Weise messen und im Einzelnen schätzen lassen müssen und stand dabei einer hart- näckig feindseligen Bevölkerung gegenüber. Eine solche Neuerung und ohne nähere Vorschriften unmögliche, umfangreiche Leistung seiner Verwaltung würde sieh im Memoratorium selbst, in dem Capit. de Saxonibus und sonst wiederspiegeln. Man kann deshalb nur annehmen, dass bereits eine Klassifi- kation der Einzelhöfe für die öffentlichen und privaten Lasten bestand, welche als Hufeneintheilung zur allgemeinen Geltung gekommen war. Dieser Gebrauch von Hufen lässt sich indess nicht den Chauken und Angrivaren zuschreiben, weil diese schon mehrere Jahrhunderte vor der Zeit die Weser überschritten, in welcher die Hufenverfassung mit dem Beginn der festen Ansiedelungen in Mitteldeutschland und rechts der Weser erst entstand. Wohl aber kann man ihn mit Grund auf die Alisachsen zurückführen. Denn als diese im 6. und 7. Jahr- hundert n. C'hr. die Herrschaft über P^ngern und Westfalen erlangten, waren sie seit nahezu ebenso vielen Jahrhunderten bereits in ihrei' Heimath überall auf den Hufen der Gewanndörfer eingerichtet und vermochten sie hier als gewohnte streitfreie Grundlage der Vertheilung aller öffentlichen Leistungen und Lasten nicht zu entbehren. Sie ') LinJner, S. 394. 88 VII. G. Der keltisclie Ursprung der westfulisolien Einzelhöfe. übertrugen aus diesem Grunde die Hufen sclion im 5. Jahrhundert nach England. ^V'arum sollten sie sie nicht in gleicher Weise über die Weser ausbreiten, um die unterworfenen Gebiete in gleich ein- facher Weise zu orgnnisiren? Indess diese Uel)ertragung kann nicht derart gedacht werden, dass mit der Eintheilung des Landes nach Hufen, welche den Ijasten und Abgaben als Anhalt dienen sollte, zugleich die Anlage der Einzclhöfe ausgeführt worden wäre. Alemannen, Chatten und Ubier, welche seit dem ersten Jahrh. nach Chr. aus dem deutschen Volkslande in die Gebiete eindrangen, in denen sie die keltischen Einzelhöfe vorfanden, beseitigten dieselben vielmehr, um die volksmässige Hufenverfassung in ihren Ansiedelungen herzustellen. Es war mit viel zu grossen Schwierigkeiten und Bedenken verknüpft, von dem Schema der gewann- mässigen Ansiedelung abzuweichen. Die Vermeidung von Unfrieden und Streit der Nachbarn war durch die Gewanndörfer am sichersten zu erreichen. Deshalb gaben die aus ihren mitteldeutschen Dörfern des Volkslandes heranziehenden Stämme alle wirthschaftlichenVortheile auf. welche ihnen die Uebernahme der bereits bestehenden keltorömi- schen Kultur des Landes bieten konnte. Sollten die Sachsen das direkte Gegentheil gethan und Anlagen und Einrichtungen eingeführt haben, welche nicht ihren heimathlichen Sitten des Wohnens und Anbaus, sondern überraschend genau den ihnen fremden Grundlagen der kelti- schen Besiedelung Frankreichs und Britanniens entsprachen? Darin die Lösung der Frage nach den westfälischen Einzelhöfen zu suchen, hat Nichts für sich. Vielmehr musste eine vorgefundene altüber- kommene Besiedelung mit Einzelhöfen im Besitz einer höchstens als Lassen unterworfenen deutschen Bevölkerung die nächstliegende Ver- anlassung für eine umgestaltete Form der Hufenverfassung geben. Es war viel leichter, bestehende Höfe in eine dem Zwecke entsprechende Hufeneintheilung einzuordnen, als für deutsche Bauerschaften mit der ersten Anlage solcher Einzelhöfe die Feststellung gleicher Hufen zu verbinden. Nachdem seit Jahrhunderten die verschiedenen Bauerschaften und in ihnen wieder die einzelnen Höfe in hinreichend festen Ab- grenzungen und unter gewissen, für die öffentlichen Lasten herkömm- lich gewordenen Theilnahmeverhältnissen Bestand gewonnen hatten, war es für die neuen Herren offenbar nicht schwierig, die vorhan- denen Besitzungen einer gewissen Klassifikation als halbe, ganze oder mehrfache Hufen zu unterwerfen, und ihnen danach Leistungen auf- zuerlegen und Rechte zuzugestehen. Die Besitzungen aber in der Form VII. G. Der keltische Urspruug der westfillisclien Einzelhüfe. 89 der Einzelhöfe unter richtiger Ausgleichung für gleiche Rechte und Flüchten erst zu begründen, hätte viel höhere Ansprüche gestellt. Es scheint auch, als sei einer solchen, immerhin mit der Leistungsfähigkeit der einzelnen Höfe nicht wie bei den Gewannfluren genauer und organisch verknüpften Klassifikation das mindestens seit dem 15. Jahrhundert eingetretene Verlöschen der Hufenbezeich- nung zuzuschreiben. Seitdem ist allein die Unterscheidung der Höfe und ihrer Bruchtheile üblich. Dass dabei die Grösse nur äusserlich in Frage kommt, ist an den Beispielen gezeigt. Es hat ganz allge- mein ein anderes Verhältniss entscheidendere Bedeutung. Das ist das Recht an der Mark. Wenn, wie es scheint, die alten Höfe wenigstens in derselben Bauerschaft ursprüngHch von gleicher Grösse gewesen sind, so sind die späteren Theilungen und Zuwüchse doch sehr ungleich, und Voll- wie Halbhöfe sind im Laufe der Zeit ausserordentlich verschieden geworden, aucli sind diese späteren Halbhöfe, nach den Berechnungen der Anlagen 80 und 90, gewöhnlich erheblich grösser, als die halbe Fläche des durchschnittlichen Vollhofes. Dagegen bietet den eigent- lichen Anhalt der Unterscheidung im wesentlichen die Anerkennung der Anrechte an den noch ungetheilten Marken, die sogenannte Ware, oder der auf ihr beruhende Zinsbetrag, der auf früherem, dem Hofe als Sondereigen überwiesenem Markenlande haften geblieben ist. Der ganze Hof hatte das volle Recht des Erbexcn, seine Ware oder sein Echtwort. Die o.H,S.86 angeführte Urkunde von 1212 sagt ausdrücklich, dass die Hufe gewöhnlich Echtwort genannt werde. Wenn sich dieses Echtwort zersplitterte, wurden nach dessen Bruchtheilen auch die Hofthcile nur noch Halbhöfe oder Viertelhöfe, ohne Rücksicht darauf, wie ihre Flächen bei der Theilung festgestellt, oder durch andere markberechtigte oder nicht markberechtigte Ländereien vergrössert werden konnten. — Je weiter nach diesen Erwägungen und nach den Nachrichten des Tacitus der alte Bestand der Einzelhöfe hinauf in die Vorzeit rückt, desto weniger ist es möglich. Gründe zu finden, welche für die ursprüngliche Anlage derselben durch die Deutschen sprächen, desto stärker macht sich vielmehr die Wahrscheinlichkeit ihres keltischen Ursprunges geltend. Die Deutschen, welche zuerst in das Keltenland links der Weser eindrangen , können nicht von festen Ansiedelungen ausgegangen, sondern müssen als Hirten eingedrungen sein, denn die Nachrichten Caesars und Strabos (o. I, S. 131) erweisen, dass zu deren Zeit die feste 90 ^ II- ß- I^*^'i" l«'lti8rhe Ursprung dor westfälischen Einzelhöfe. Ansiedelung der Germanen nur ausnahmsweise begonnen hatte. Ihre Anfänge sind am besten zuerst in den abgeschlossenen Thälern der mittel- deutschen Gebirge zu denken, und sie wird da ihre erste Entwickclung gewonnen haben. Jedenfalls spricht kein Grund dafür, dass die Ing- vaooncn in ihren breiten Ebenen 2 oder 3 Jahrhunderte früher das Hirten- dasein in Hundertschaften aufgegeben haben sollten, als die Sueven und Longobarden. Im Gegentheil dürfen für die frühe Zeit, in der sie die Weser überschritten, keine anderen Zustiuide bei ihnen voraus- gesetzt werden, als die, welche Caesar nach seinen Nachrichten bei der Gesammtheit der Germanen als verbreitet erachtet. Dass im Gegensatz zu ihnen die Kelten links der Weser damals schon auf festen Ansiedelungen gelebt, ist allerdings nicht ausdrück- lich bekundet. Es scheint sogar dagegen zu sprechen, dass, wie 0. I, S. 19(^ dargelegt ist, die Iren erst im 6. Jahrb. nach Chr. zum festen Anbau übergingen. Gleichwohl sind hinreichende Anzeichen dafür erkennbar. Dahin gehört vor allem der völlige Untergang des Clanlebens in Galhen, von welchem Caesar und Strabo (o. I, S. 228) berichten. Diese Umgestaltung vollzog sich in Irland, wie sich deutlich erkennen lässt (o. 1, S. 199), wesentlich durch die feste Siedelung. Das Land wurde zur Zeit, als es die angewachsene Volksmasse nicht mehr durch Heerdenwirth- schaft ernähren konnte, den Clanmitgliedern nach ihrem gleichen Recht in gleichen Bauerngütern zugewiesen, deren Grösse, wie erwähnt, in den Clangebieten mit gutem Boden ohne das Unland ziemlich genau 16 ha, in denen mit schlechterem o2 ha war. Auf diesen Tates erzeugte sich indess in den folgenden Generationen eine auf Reichthum beruhende Grundaristokratie. Die Besitzungen wurden unter die Erben nach Stämmen bis zu sehr kleinen Parzellen getheilt. Die verarmenden Clanmitglieder sanken zum Theil als Freie, viele unter Verkauf ihrer Freiheit, zu Klienten und Hörigen derer herali, denen es gelang, grösseren eignen oder abhängigen Landbesitz in ihrer Hand zu ver- einigen. Diese Grundaristokratie, welche immerhin eine längere Reihe von Generationen zu ihrer Entwickelung bedurft haben muss, fanden Caesar und Strabo in Gallien schon mit einer reichen Priesterschaft als einen über die faktiösen Zustände des Landes allein herrschen- den mächtigen Adel vor. Auch hatten sich Industrie, Handel und Schiß'fahrt und namentlich landwirthschaftlicher Grossbetrieb bereits so besonders vorgeschritten entwickelt, dass auch sie eine viele Jahr- hunderte alte Sesshaftigkcit voraussetzen. Es wirtl ferner von Polybius (II, 17) überliefert, dass sich zwar bei den um 400 v. Chr. nach Ober- VII, 6. Der keltische Ursprung der westfälischen Einzolhöfo. 91 Italien cinwiindonKlen Galliern, wie bei den Iren noch gegenwärtig, eine Erinnerung an gemeinsames Recht auf den Grund nnd Boden er- halten hatte. Aber sie nalimen nach Livius 5, 17 und 10, 10 das Land sofort als accolae, als Ackerbauer in Besitz, forderten von den Etruskern, nt in partem agri accipiantur, tandemf{iie aliqua sede certa consistant, und wurden sehr bald als besonders tüchtige Land- wirthe anerkannt. — Der Anbau der Kelten muss bereits zu Pytheas' Zeit auch schon bis an die ^^'esermündungen gereicht ha1)en, weil derselbe nach Plinius (bist. nat. o7, 2) berichtete, »dass an der Bernsteinküste der Giittonen die Bewohner ihr Getreide, weil heiterer Sonnenschein selten ist, in grossen Gebäuden, in welche die Achren eingebracht werden, aus- dreschen; denn Tennen auf freiem Felde würden durch Regen und ^fangel an Sonnenschein sehr bald verderben.« Sollten diese Häuser von Pytheas wirklich schon bei den Deutschen ges(^hen worden sein, so müssten sie dieselben bereits von den Kelten übernommen haben. Die eigcn(Mi Häuser der Deutschen noch in der ersten Römerzeit kennen wir genügend durch die o. Bd. HI, S. 128 geschilderten, in An- lage 28c abgebildeten Hausurnen. Auf sie passen die Angaben weder nach Grösse und Festigkeit, noch nach dem Zweck der Anlage. Plinius kam mit der Reiterei des Pomponius vom Rhein aus bis zur Küste der Chauken und schildert (IG, 1) deren Wohnen auf den Wattinseln sehr lebendig. IG, G4 sagt er dann: Die nördlichen Völker bedienen sich des Rohrs, um damit Häuser zu bedecken, und die hohen Dächer dauern Jahrhunderte. Auch er hat also auf seinem Zuge die hohen Gel)äude dieser Gegenden gesehen. Xoch in der Gegenwart ist nun Westfalen durch seine grossen, das ganze Hauswesen, Familie, Gesinde, Vieh und Erntcvoiräthe unter einem einzigen hohen Rohr- oder StrolKlache bergenden und zusammenfassenden, sogenannten sächsischen Häuser bekannt. Das Bild derselben giebt Fig. 5G in der Ansicht, Fig. 57 und 58 im Aufriss und Grundplan. Der tief in alle Lebensgewohnheiten eingreifende CJegensatz dieser eigenartigen "Wohnstätten zu dem mitteldeutschen fränkischen Haus und Gehöft^bedarf gegenüber der Darstellung in Anlage 65, Fig. I l>is XVII keiner näheren Erläuterung. Vielmehr leitet er die Untersuchung unmittelbar auf die Frage, ob nicht zwischen dem alten Keltengebiete links der Weser und dem ausschliesslich deutschen Volkslande rechts des Stromes eine ursprünglich nationale Verschiedenheit, wie in der Art der Besicdelung und der Feldeintheilung, so auch in Haus und 92 \'ir. G. Der ki-ltisclie Ursprung der westfälischen Einzelhöfe. Fig. 56. f h f\ — 1 y l d L-M M /' PMn] i Fig. IV ^ a y O" y — 1 /• — =u =^ 3y iä^^J^d^jHi£ Fig. ns.') ') a Grosses Eingangsthor; b Diele (Tenne), 6 — 8 Zoll hoch mit Lehm aus- geschlagen (c) oder gepflastert; d Stand für das Rindvieh, und e Stand für die Pferde. Das Vieh wird von der Diele aus in den Krippen f f gefüttert ; g g sind Oeffnungcn zum Herausschaffen des Düngers nach den aussen anstosscnden Dungstätten; hh oftene mit Leitern zu ersteigende Verschlage, Bühnen, auf denen über d die Mägde, über c die Knechte schlafen, auch Futter aufbewahrt und geschnitten wird; i oberer mit Bohlen belegter Bodenraum, auf dem durch Luken das Getreide aufgebanset wird; k eine Vorrathskammer; 1 offener, auf beiden Seiten bei m durch grosse Fenster erhellter, Vn. 6. Der keltische Urspnmg der westfälischen Einzelhöfe. 93 Hof des Bauern liestehe, und ob sich nicht für (Ue sächsischen und ilnicn verwandte Ilausformcn in Grundgedanken und Entwickchnig der keltische Ursprung erkennen lasse. Diese Frage zu beantworten ist in Anlage 94 versucht worden. Es hat sich daraus ergeben, dass die herkömmlichen Grundformen des ländlichen Wohnhauses auf dem gesammten Gebiete der Einzel- höfe, sowohl in Westfalen, als in Rheinland, in den Niederlanden inid in Friesland dem (irundtypus des sächsischen Hauses entsprechen, und dass dieser in der einfachen ursprünglichen Gestaltung seines Aufbaues, wie in seiner inneren Einrichtung überzeugend mit dem altirischen, auch in Gallien nachgelesenen Stammhause überein- stimmt. Auch hat sich gezeigt, dass dieses sächsische Haus weit nach Norden und Osten auf der cyml)rischen Halbinsel und über die nördliche Hälfte Ostfalens bis an die hinterpommersche Ostseeküste verbreitet ist. Diese VerV)reitung beruht jedoch in dem gesammten Slawen- gebiete rechts der p]lbe erst auf der Einwanderung sächsischer Ko- lonisten im 12. und 13. Jahrhundert. In dem während der Kriege Karls und durch eine oder zwei Glasthüren von aussen zugänglicher Ilausraum (Fleet) : n der kaum fusshohe Heerd, in neuerer Zeit mit einem grossen Schornstein, in älterer nur mit einem gemauerten oder geklebten Gewölbe als Funkenfang versehen, während der Uauch in den Bodenraum zog; o der Waschort mit Waschfass und in manchen Häusern mit Pumpe, die von aussen hereingeleitetes Wasser giebt; p der Speiseort mit Tisch und Bank; q in älteren und einfacheren Häusern, die wie B keinen weiteren Raum enthalten , die Schlaf bühnc des Wirthes und der Wirthin , die von hier aus die ge- sammte Wirthschaft, Heerd, Gesinde und Vieh im Auge haben. Es ist indess möglich, dass auch schon in diesen einfacheren Häusern die Betten schrankartig in den soge- nannten Batzen in oder an der Wand neben dem Heerde angebracht wurden. Grössere und bessere Einrichtungen besitzen, wie C, die Bühne q nicht, sondern hinter dem Heerde noch Räume: r die Schlaf kammer mit dem Butzenbett s, aus welchem durch die schrankartige Oeffhung nach 1 der Hausraum übersehen wird; t Kammer für die Kinder oder Mägde; u Wohnstube, unter welcher der Keller liegt, der vom Waschort o aus zugänglich ist; v in besseren Häusern eine bewegliche Holzwand zwischen Fleet und Diele. Auch vorn ist das Haus erweitert durch w den Fohlenstall, X den Kälberstall, y den Schweinstall, z den Gänsestall; dadurch entsteht vor der Thür eine oft'ene oder durch ein Walmdach gedeckte Halle, der Vorschuppen. Das Gebälk ist von schwerem Holz, die Konstruktion aber, wie A zeigt, sehr einfach und leicht. Die Dachsparren sind nur bei aa aufgepinnt und auf jeder Dach- \ Seite durch ein von der unteren zur oberen Ecke diagonal über die Sparren laufendes aufge- ^ nageltes Dachband verbunden. Auf grösseren Höfen sind in der Neuzeit auch sehr starke Holzkonstruktionen, namentlich durchlaufende Balken an den Bühnen, ange- wendet worden, um dem Ganzen mehr Festigkeit zu geben und auf Zwischenlagen das Aufbansen ^'on mehr Getreide über der Tenne zu erleichtern. 94 VJl- •J- J'<'i' keltische [Irspinnj;; der westfälischen Kiiizolliöfe. des Grossen von den Wenden besetzten hannoverischen^ Wendlande mussten es die Wenden l^ei den Sachsen bereits antreffen, und haben es nicht ohne eine charakteristische, dem pohlischen Hause entsprechende Modifikation angenommen. Im Norden findet sich die sächsische Uaustbrm schon in Holstein durch das mit skandinavischen Elementen eigentliümlich gemischte dänische Haus beschränkt. Nach Osten aber ist es in das alte Herminonenland der oberen Leine, und der Hildes- heimischen, Halbcrstädtischen und nordthüringischen Gebiete über- haupt nicht eingedrungen, obAvohl dieselben als Theile von Engern und Ostfalen sächsisch geworden sind. Doch auch in dem gesammten westlichen Engern besteht es, so weit es südlich der Aller bis zum Osning und Astenberg über die alte Keltengrenze hinausgeht, nur in einer unvollständigen und unentwickelten Gestalt, welche, wie es scheint, eine alte Mischform mit dem fränkischen Hause ist. Letz- teres überwog vielleicht von jeher in diesen Gegenden, gegenwärtig werden sie von ihm beherrscht. Eine ähnliche, wenn auch viel durch- gebildetere Form hat das holländische Haus angenommen, das im Obten und Süden vom fränkischen Typus begrenzt wird, und bei welchem der Mangel an starken Hölzern und die zweckmässige Be- friedigung höherer Lebensansprüche durch die benachbarte fränkische Wohnweise zu dieser Umwandlung Veranlassung gegeben haben dürften. Diese Verbreitung weist darauf hin, dass Westfalen und Fries- land, der von den späteren Einflüssen freieste Theil des alten Kelten- gebietes, auch als der Ausgangspunkt und das bleibende Centrum der Entwickelung des sächsischen Hauses zu betrachten sind. Damit steht der unabweisbare Gedanke nicht im Widerspruche, dass in derselben Weise, wie die Einzelhöfe und das sogenannte sächsische Haus als Besonderheiten der keltischen Besiedelung zwischen Weser und Rhein vorgefunden werden, dies auch auf dorn gesammten alten Keltengebiete Britanniens, (Jalliens und des römischen Ger- maniens bis nach Rhätien und Vindelicien der Fall sein müsste. Vielmehr ist darauf schon mehrfach^) hingewiesen, dass diese all- gemeine Verbreitung allerdings anzunehmen ist, und ihre Spuren sich auch noch erkennen lassen. Zugleich aber ist gezeigt, wie auf diesem gesammten (Jebiete das Vordringen der deutschen Dorfanlagen der alten Kelten besiedelung völligen Untergang gebracht hat. Das geschlossene Dorf des deutschen Volkslandes stand in di- rektem und unvereinbarem Gegensatze sowohl zu der Feldeintheilung •) 0. I, S. 224, 328, 354, 368, 416, 441, .')16, 531, 536, 583, 595; III, S. 126, Anlage 28; S. 233, Anlage 65. \11. 6. Der keltische Ursprung der westfälischen Eiuzelhöfe. 95 des keltischen Einzelhofes, als zu der gesonderten einsamen Lage seines Hauses. Von den seit Caesars Zeit aus dem Innern Deutseh- lands vordringenden Volksmassen wurde überall die heimische, pein- lich gerechte Gewanneintheilung und der vertheidigungsfähige , eng nachbarlich zusammengebaute Ort mit leichten, noch nach der lex Salica (o. I, 8. 581) den Hausurnen entsprechenden Hütten vorgezogen. Letztere haben sich am Rhein, wie in Süddeutschland zum fränki- schen und alemannischen Haus und CJehöft umgestaltet. Aber dieser vülksthümlich deutsche Hausbau hat schon in der ersten Entwicke- lung da seine Grenze gefunden, wo ihm in der früh romanisirten Bevölkerung auch auf dem Lande mit den Lebensanschauungen des Südens die Sitte entgegentrat, in gemauerten, naliezu städtischen CJebäuden Mauer an Mauer zu wohnen. Diese Bauweise, welche schon Tacitus (Germ. 16) nicht anders kennt, begrenzt auf der Völker- und Sprachenscheide der Vogesen, des Ardennenwaldes und etwa der Canche das fränkische Haus. Südlieh dieser Grenze herrseht überall der romanische Haustyi3us, obwohl Nordfrankreich noch Aveithin bis zur Loire fast ausschliesslich mit deutschen Dörfern bedeckt ist. Gegen Norden aber auf der langen Linie von Venlo bis Neuss, Ell)erfeld, Wipperfürth, Siegen und Sachsenburg stehen sich durchweg fränkische und sächsische Häuser ebenso schroff und bestimmt gegenüber, wie in der Feldeintheilung geschlossene Dörfer und Einzel- iKife. Bis an diese unverändert festgehaltene Grenze sind die jüngeren Kriegs- und Wanderzüge vorgedrungen, welche erst seit Caesars Zeit im Rheinthal festen Fuss fassten, und dorthin die in der mittel- deutschen Heimath bereits eingelebte Sitte deutscher Dorfsiedelung und Wohnweise übertrugen. Nördlich dieser Grenze hat sich diese neue Siedelungsweise nirgends geltend gemacht, welche zu Caesars Zeit erst aus dem Hirten- und Stammleben Mitteldeutschlands hervorging und noch in den Anfängen der Entwickelung begi-iffen war. Unzweifel- haft überschritt sie diese Grenze deshalb nicht, weil sie hier die schon seit Jahrhunderten in die keltische, wirthschaftlich weit über- legene Hofeintheilung und in das keltische Haus ein gelebten Ing- vaeonenstämme vorfand. Selbst Herminonen, wie den Tenktorern und Usipetern, welche die neuen Zustände bei ihrem Einbrüche in Westfalen kennen gelernt hatten, widerstrebte es nicht, sich in den Häusern der letzten rechtsrheinischen Kelten und damit nothwendig auch in deren Feldbesitz einzuwohnen, l)is sie Caesar (IV, 4) wieder daraus vertrieb. Um wie viel leichter wirtl dies in der älteren Zeit geschehen 9Ö Vli. G. \K'r keltisdie Ursprung «1er westfälischen Einzellnife. .sein, in der die Brukterer, Chauken und EngernstJimme in ihrer Ileiniath rechts der Weser feste Ansiedelung und dauernden Acker- bau noch nicht kannten und bedurften, sondern als Hirten den Strom überschritten. Ob dabei heftige Kämpfe stattfanden, oder die Kelten das Tiand wegen ihrer gleichzeitigen Wanderungen preisgaljen, kann dahingestellt bleiben. So lange die Einwanderer sich nicht zusammen- drängen mussten, war nichts natürlicher und zweckmässiger, als dass sie sich in den Häusern der UnterAvorfenen festsetzten, in denen sie zur Sicherheit auch ihr Vieh unterbringen konnten, und dass sie die Keste der Kelten veranlassten, als ihre Knechte die Wirthschaft weiter zu führen. Dabei entstand kein Streit über den etwas grösseren oder kleineren Hof. Das Anbauland war zunächst Nebensache. Jeder der neuen Herren trieb sein Vieh in das offene Weidegebiet. Das Hofland gehörte zum Hause, Weide und A\'ald nahm Jeder nach Bedarf in Anspruch. Auch trat keine Veranlassung ein, Almende- abgrenzungen wie später im alten Volkslande festzustellen. Denn es wurden nicht kleine Ansiedelungsfluren zum erstenmale aus dem Gau- bositz ausgeschieden, welche, wie o. I, S. 151 näher dargestellt ist, ihre Kulturarbeit erst zu beginnen hatten. Die geschlossenen Dörfer, welche in Mitteldeutschland innerhalb der Weidegebiete reicher Heerdenbesitzer entstanden, konnten ohne einen bestimmten, für ihr Nutzvieh hinreichenden Bezirk nicht bestehen, von Avelchem die grosse Masse des Weideviehes völlig ausgeschlossen war. Auf dem Einzelhofgebiete fanden die Deutschen jeden Hof bereits kultivirt vor, und sein Wirthschaftsland mit Hecken, Gräben und Zäunen umgeben. Er war gross genug, dass sein nöthiges Nutzvieh innerhalb der eigenen Kämpe zu weiden vermochte. Das übrige Vieh konnte mit oder ohne Hirten in die gemeinschaftlich benutzten Wälder und Haiden getrieben werden. Jeder Hof genügte den Bedürfnissen einer Bauer- wirthschaft mit ihrem Gesinde und bestand selbständig, wie eine besondere Flur, in dem umgebenden unkultivirten Lande. Was ausser- hall) der Höfe einer Bauerschaft lag, war ]\Iark. Wo diese Mark endete, blieb für die einzelne Bauerschaft zunäclist ohne Bedeutung, so lange das allen gemeinsame Weideland nicht mit Vieh übersetzt wurde. Höchstens konnten Stammesgrenzen genauere Feststellungen wünschenswerth machen. Mit der Zeit aber mussten sich engere Gebiete sondern, deren Bereclitigte sich als Erbexen des einen von den Erbexen des anderen schieden und Festsetzungen über die Aus- übung der Nutzungen und die Verwaltung der (Jenossenschaft trafen. Diese Sonderungen setzten sich fort. Da aber jede Bauerschaft bei VII. 7. Augelsiu'lisisclies Aj^rarwesen in Englaud. 97 denselben vor allem das Interesse hatte, das ihr nächstgelegene Land mehr und mehr zu freier Verfügung zu erhalten, Hessen sieh die ^\'üllsche der zerstreut l^elegenen Nachbargemeinden vereinigen. Daraus ergiebt sich gegenül)er den Marken des Volkslandes einerseits der völlig verschiedene Ursprung der westfälisclien Marken und ihr viel näheres Verhältniss zu den Ansiedelungen, andererseits aber auch die erklärliche Aehnlichkeit der markgenossenschaftlichen Einrichtungen und Rechte. Das gewonnene CJesammtbild dürfte erweisen, dass der Gedanke, den Ursprung der Besiedelung des Einzelhofgebietes zwischen Weser und Nordsee den Deutschen zuzuschreiben, in unlösbare Widersprüche verwickelt, dass dagegen die Voraussetzung, dieselbe sei ebenso wie die in Gallien, Britannien und Irland von den Kelten begründet, keinem ernsten Anstände begegnet. 7. Angelsächsisches Agrarwesen in England. Ebenso wie die Landstriche Westdeutschlands zwischen Weser und Nordsee ist Britannien ursprünglich keltisch besiedelter Boden und wurde von Caesar und Claudius noch in seiner nationalen Gestaltung vorgefunden. Wie im Abschnitt IH, o. Bd. I, S. 220 ff., näher dargelegt ist, schildern Caesar und Strabo in gleicher Weise die völlige Ueberein- stimmung der südlichen von den Beigen besetzten Küstenlandsehaften Englands mit Gallien und die nach dem Innern immer mehr dem halbnomadischen Clanleben Irlands entsprechenden Zustände der älteren Keltenstämme. Caesar sagt (V, 12, 14): Die aus Belgien herüberkamen, fingen Aecker zu bebauen an. Die Häuser sind den gallischen fast gleich. Die Zahl des Viehes ist gross. Namentlich die Be- wohner von Cantium sind die bei weitem kultivirtesten und ihre Lebens- weise unterscheidet sich nicht viel von der gallischen. Im Innern säen Viele kein Getreide, sondern leben von Milch und Fleisch und kleiden sich in Felle. Strabo ergänzt (IV, 5): Diese zäunen mit gefällten Bäumen einen geräumigen runden Platz ein und errichten in dem- selben Hütten für sich und ihr Vieh, aber nicht auf lange. Sie wissen nichts von Gartenbau und anderen landwirthschaftlichen Beschäfti- gungen. Caesar berührte nur die Küste von Kent, und auch Claudius kam 42 wenig über die Themse hinaus. Die weiteren Eroberungen bis zum Caledonischen Wall wurden erst unter Cerialis und Agricola Meitzeu, öiedelung etc. II. 7 98 VII. 7. Augelsüchsisches Aj^rai\vt'St;ii in P^uglanfl. durchgeführt. Agricola unterwarf 85 sogar ganz Schottland einer Art kriegerischt-r Entdeckungsfahrt (Tac. Agric. 2o). Hadrian baute 121 erheblich südlicher die Kastelle der Piktenmauer in dem Be- wiisstsein, dass den Norden zu halten die erforderlichen Kräfte nicht lohne. In ähnlicher Weise breiteten sich die Kämpfe unter Com- modus und Septimius Severus durch die Siege des Ulpius, Marcellus, Pompejan und Avitus bis nach Caledonien aus, Septimius aber Hess gleichwohl den Piktenwall zu einer doppelseitigen Festungslinie aus- bauen und zog die nördlicher stehenden Truppen völlig zurück. Seitdem blieb im Wesentlichen durch anderthalb Jahrhunderte Ruhe. Der Aufstand des Carausius und Allectus war nur ein persönlicher und dynastischer, der den römischen Besitz nicht gefährdete. Es scheint sogar, als habe Probus für zulässig gehalten, den Ersatz der Heeresabtheilungen in Britannien in sehr starkem Ver- hältniss durch deutsche Hülfstruppen zu bewirken. Wir hören, dass er 277 nicht allein ost- und westgermanische Kriegsgefangene in die Kohorten einreihte, sondern dass er auch grosse Massen solcher Gefangener als Militärkolonisten zur Ansiedelung dorthin ge- sandt habe ^). Wie das zu verstehen ist, ergiebt sich daraus, dass, nachdem Constantius dem Allectus Britannien wieder entrissen hatte und 306 dort in Eboracum gestorben war, ein Alemannenfürst Erocus mit seinen Alemannen vorzugsweise den Anstoss gab, dass Constantin der Grosse zum Kaiser ausgerufen wurde -). Diese deutschen Hülfstruppen standen also unter ihren eigenen Fürsten und nahmen eine sehr ansehnliche Stellung im Heere ein. Auch Valentinian verpflanzte 371 eine Schaar der alemannischen Buccinobanten vom östlichen Rheinufer nördlich von Mainz nach Britannien^). Er veranlasste sie, den von Marcian vertriebenen, den Römern ergebenen Alemannenkönig Fraomarius zu ihrem Führer zu wählen, und gab ihm den Rang eines Tribunen. Der wirthschaftliche Einfluss der Römer muss in England bis gegen die Grenze von Wales und in die Nähe des Piktenwalles hin offenbar sehr gross gewesen sein. Wie Kemble, Rol). Smith u. a.^) ') Zosimus I, p. 68 (Excerpta mon. Brit. 75). ^) Sex. Aurel. Victovis Epitome, 41. Quo (Constantio) mortiio, cimctis qiii aileniut adnitcntibus , scd praccipue Eroco, Alamannoriim rege, auxilii gracia Constantiuü comitato, imperium eapit. ^) Animian Mavccll. 18, 2; 19, 4. ^) Kollectanea Vol. I— VI. — Archaeologia a. versch. Stellen. — S. Lyson account 1797; — Osmcroil, Archeological Memoirs. VII. 7. Angelsächsisches Agraiweseu iu Knglaud. Qf) gezeijit bilden, sind auf diesem gesummten Gelnete römische Reste in erheblicher Ausdehnung gefunden worden. Abgesehen von den IJofestigungen, sind sie indess auf Gräber und Grabsteine, zahh-eiche Trümmer von Villen und städtischen Gebäuden und auf ein ziemlich enges Netz von Kommunikationsstrassen beschränkt. Dazu kommt (ine grosse Anzahl thcils bis auf die Gegenwart bestehender, theils wenigstens für das Mittelalter nachweisbarer römischer Namen von Oertlichkeiten. Spuren von Centuriateintheilungen des Landes sind dagegen nirgends aufgefunden, und nur der Umstand, dass sie auch in Nordfrankreich überall verschwunden sind, lässt daran denken, dass sie möglicherweise bei einigen Niederlassungen vorhanden ge- wesen sein könnten. — Der Gegensatz zwischen Einzelhöfen und Dörfern ist in England ebenso wie in Xordfrankreich in der jetzigen Gestaltung der Besiedelung deutlich erkennl>ar. Er darf zum gewissen Theil, wie in (iallien, nicht ohne Wahrscheinlichkeit auf die nicht unbeträcht- liche Zahl deutscher Laeti zurückgeführt werden, die hinreichend selbständig ihre Ansiedelung nach den heiniathlichen Sitten zu ge- stalten vermochten. Doch findet er auch aus der geographischen Stellung der keltischen Bevölkerung gegenüber der der eindringenden angelsächsischen einfachere und durchsichtigere Erklärung, als für Nordfranki-eich möglich ist. (Gegenüber der im Ganzen ruhigen Römerherrschaft der ersten Jahrhunderte beginnen sich um 360 unter Julian die Verhältnisse Britanniens dadurch wesentlich ungünstiger zu gestalten, dass von zwei Seiten neue abenteuernde Kriegerschaaren mit Glück Einfälle versuchen und mit immer grösserer Heftigkeit fortsetzen. Im Norden erscheinen neben den Pikten die Skoten. Sie sind, wie Beda (4, 26 und 1, 34) berichtet, ein irländischer Keltenstamm, welcher zu den Pikten überschiffte, sich in den Schluchten des nörd- lichen Hochlandes festsetzte und durch Jahrhunderte theils gegen die Römer und Briten, theils aber auch gegen die Pikten selbst viele wechselvolle Kämpfe führte, bis letztere endlich 839 unterlagen, und das Reich der Skoten in Schottland entstand ^). Im Südosten Britanniens fielen etwa gleichzeitig, angeblich 363, zum erstenmal sächsische Seeräuber ein, und wiederholten seit- dem unausgesetzt ihre plötzlichen Ueberfälle und Plünderungen bis '} Joh. Fonlun, Scotor. hist. ap. Thom. Galc bist. Brit. Saxo Anglo-Danicae. Scriptores (Oxon. 1691) I, 659, 7* IQQ VII. 7. Angelsiiclisischt's Agrarwoseu iu Knglaud. zum Untergange der Römerreiches ^). Einem Siege des Theodosius um 367 ist anscheinend zu verdanken, dass sie zunächst von fester Niederlassung abstanden. Schon die Zeit Stilichos wurde indess Britannien ebenso vcr- hängnissvoU, wie den übrigen Provinzen^). Zwar scheint Stilicho sell)st die britischen Legionen nicht aus dem Lande gezogen zu haben. Aljer Constantin, der 407 in Britannien zum Imperator ausgerufen wurde, setzte mit allen verfügbaren Kräften nach Gallien und Spanien über. Denn für 409 wird berichtet, dass die Britannier, da sie von Con- stantin ohne Schutz zurückgelassen wurden, unter der Billigung des Honorius abfielen (d. h. von Constantin, als dem Gegenkaiser des Honorius) und sich gegen die Anfälle der Barbaren nach eignem Rath vertheidigten^). Im Jahre 421 schickte ihnen Honorius, weil sie um Hülfe gegen die Pikten baten, eine römische Legion, welche jedoch bald, nachdem sie die Barbaren zurückgeschlagen und den Limes wieder befestigt hatte, nach Gallien zurückkehrte. 446 musste Aetius den Briten schon jede Hülfeleistung gegen die Pikten und Skoten versagen. Gildas'*) erzählt nun, dass um diese Zeit der mächtigste ein- heimische König Vertigern von Dumnonia (Cornwall) die Sachsen gegen die Pikten zu Hülfe gerufen und in den östlichen Theilen der Insel angesiedelt habe, bis sie durch Zuzug aus ihrer Heimath verstärkt als Eroberer des Landes aufgetreten seien. Beda (I, 15) setzt die Ankunft der Sachsen in die Jahre 450 — 457. Tiro schon um 441. Hengist und Horsa, deren Auftreten indess nur sagenhaft überliefert ist, waren nach Nennius (c. 36, 37)-'') zuerst mit 3 Schiffen vorausgegangen, die Schaar der Eroberer folgte mit 17 und die der nördlichen An- siedler mit 40 Schifien, denen dann weitere Flotten nachkamen. Mit den Sachsen waren zahlreiche Angeln und, wie o. II, S. 14 gedacht ist, auch Warnen verbunden. Beda (histor. ecclesiast. gentis Anglorum lib. I, c. 15) fügt noch die Juti hinzu. Er schreibt um 730 von den Angelsachsen: »Sie waren aber von drei der tapfersten Völker Germaniens gekommen, nämlich von den Sachsen, den Angeln und den Juten. Vom Stamme der Juten sind die Kenter und die ') Ammian Marc. 26, 4. Zeuss, 390/391. — R. Schmidt, Gesetze der Angel- sachsen, S. LXI. ") Zeuss, S. 490. ^) Zosimus 6, 2, 5. Zumpt, Annal. a. an. '') Gildas, hist. Brit. c. 12, 14, 17, bei Galc I. ') Nennius schrieb um 950 Eulogium Britan. (bei Gale I). Vgl. o. I, S. 191. VII. 7. Angelsächsisches Agiarweseu in England. 101 Wiuliter, (las ist dasjenige Volk, welches die Insel Wiglit innc hat, und dasjenige, welclies bis heute in dem Gebiete der Westsachsen das Volk der Juten genannt wird, und gegenüber der Insel \\'ight sitzt. Von den Sachsen, das heisst von der Gegend, welche jetzt die der Altsachsen genannt wird, kamen die Ostsachsen, die Mittelsachsen und die Westsachsen, endlich von den Angeln . . . haben ihren Ur- sju-ung die Ostangeln, die Mittelangeln, die Mercier und der ganze Stamm der Northumbrer, d. h. die Völker, welche nördlich vom Humber wohnen, und die übrigen Völker der Angeln«. Danach wurde allgemein angenommen, dass Kent von Juten besiedelt sei. Weiland^) hat indess gezeigt, dass dies nicht festgehalten werden kann. Der Hauptgrund liegt in dem von H. Müller") geführten Nachweise, dass die Juten altenglisch Giotas, Geotas, bei Aelfred sogar Geatas heissen, und dass die Sprache der Kenter und Westsachsen mit Sicherheit die chaukische ist. Dazu kommt, dass sich zwar die Juti des Beda nicht zweifelfrei auf eine der von Ptolemaeus und Tacitus genannten sächsischen Völkerschaften beziehen lassen. Aber nahezu gleichzeitig mit der Festsetzung der Juti in England berichtet Theudebert (o. I, S. 411) an Justinian: Subactis cum Saxonil)US Euciis, qui sc nobis voluntate propria tradiderunt, und um 580 schreibt Venantius Fortunatus (9, 1) an den König Chilperich: Quem Geta, Wasco tremunt, Danus, Euthio, Saxo, Britannus, cum patre quos acie te domitasse patet. Selbst wenn damit die Sachsen von Baycux gemeint wären, was unter Chlotar I. sicher nicht mehr anzunehmen ist, konnte der Name nur von einem den Altsachsen benachbarten namhaften und mit ihnen mehrmals gegen die Franken verbundenen Stamme, jedenfalls aber nicht von den Juten herrühren. Da nun diese Eucii nach Beda Kent inne hatten, und zugleich bekundet ist, dass sich Hengist und Horsa in Kent festsetzten, lässt sich damit die Sage gut vereinigen, dass Hengist und Horsa aus lungern gestammt halben sollen, welches sich um diese Zeit schon über das alte Chaukenland an der Unter- weser ausdehnte (o. II, S. 24). Eben.>ammas-^^lesen mit den oben gedachten Berechtigungen, ebenso die verschiedenen Felder mit ihrer der Dreifelderwnthschaft entsprechenden Fruchtfolge im Einzelnen an, und sprechen endlich das bereits erwähnte Recht der Einhegung aus. In dem Weiler Walsworth besassen die aus alter Zeit her ver- erbten Hofstätten und Rotten ihre eigene Gemeinweide und ihren eigenen Hirten, waren aber 1819 bereits verkoppelt und eingezäunt. In Betreff" der Pfarrei Much Wymondlcy ist ausser dem Bilde der einzelnen Besitzstücke nur der Besitz des Gutsherrn angegeben. Die Karte genügt indess, die Hauptzüge der Eintheilung zu ersehen. Hier wie in Hitchin ist die Stellung der Gehöfte in der Dorflage unregelmässig haufenförmig. Das Dorf wird zunächst von einer Anzahl grü.-r Belege beigebracht. Es ist nicht zu bezweifeln, dass sich in diesen Dörfern die Art und Weise aus- spricht, wie Angelsachsen und Dänen ihre volksthümlichen heimischen Sitten der Besiedelung nach England übertragen haben, und es wiederholt sich hier, dass diese volksthümliche Besitznahme dii' zu- gänglichsten offenen Ebenen, und die fruchtbaren und besonders an- baufähigen Theile des erol)t'rten Landes betroffen hat. Vn. 7. Angelsächsisches Agrarwesen in England. 119 Deshalb liegt am nächsten zu fragen, ob diese Art der Ansiede- lung der Deutsehen in England die aussehliessliehe gewesen ist, und ob sich neben der geschilderten völligen Verwischung der früheren national-keltischen Siedelungsweise auch Ortschaften erkennen lassen, die den keltischen Charakter mehr oder weniger bewahrt haben. In dieser Beziehung ist hier wie in Frankreich der beste Anhalt dadurch zu gewinnen, dass die Untereuchung von denjenigen Land- schaften ausgeht, deren keltische Bevölkerung und national-keltische Besiedelung nnl)estreitbar sind. Schottland und Wales werden, wie o. I, S. 199, 202 gezeigt wurde, ebenso wie Irland von den aus der Clanverfassung hervorgegangenen und diu-ch sie volksthümlich bedingten Einzelhöfen bis zur Gegenwart eingenommen. Diese Einzelhöfe bedecken ebenso die Insel Man und ganz Süd- schottland, welches wenigstens theilweise zu dem, wie es scheint, bald wieder untergegangenen sächsischen Bernicia gehörte. Von hier greifen sie auch noch über die Grenzen Englands längs des Cheviot- gebirges nach Northumberland über. Soweit indess Northumberland eben ist, auf dem Küstenstriche bis fast an die äusserste Spitze zwischen Betford und Berwick stehen ihnen geschlossene Dörfer entgegen, deren gedrängte, unregelmässige, haufenförmige Gehöftlagen auf den grösseren Surveykarten sehr deutlich crkeinibar sind. Diese Dörfer werden in Durham und Nord Riding immer zahlreicher, bis sie in West und Ost Riding, wie auch durch die Enclosure berichte bezeugt ist, die Hauptmasse der Ortschaften von Yorkshire bilden. Dagegen sind die östlichen Abhänge und ziemlich breiten Ausläufer des Cheviot- und Luneforst-Gcbirges bis zu den Whernsidebergen von Einzelhöfen eingenommen. Im Gegensatz dazu ziehen sich auf der steilen Westseite dieses Gebirgszuges vom südlichen Lancaster aus, welches völlig mit Dörfern besiedelt ist, die schon gedachten geschlossenen Dorfanlagen mit deutschen Namen in Westmoreland bis gegen den Crossfieldberg hin. Das westliche Westmoreland und Cuml)erland dagegen, welche sich bis in das 9. Jahrhundert unter keltischen Fürsten selbständig erhielten, sind ausschliesslich von Einzelhöfen besetzt, die sich auch durch das nördliche Lancaster bis gegen Preston erstrecken. Diese Höfe sind zum grossen Theil noch gegenwärtig in den Händen kleiner Land- eigenthümer, der sogenannten statesmen, und Ijilden eine bekannte Ausnahme von den sonstigen englischen Grundbesitzverhältnissen. In ähnlicher Weise scheiden sich an der Grenze von Wales und 120 ^ü' '^' Augelsäclisisclies Agrarwcsen in England. von Cornwall die bis in das 8. oder 9. Jahrhundert selbständig ge- blielicnen wälisrlien und bretonischen Landestheile durch ihre Be- sicdcknig in Einzclhlifen von den cälteren angelsächsischen Gebieten. Die Abgrenzung der Dörfer gegenül)cr di'n Einzelh(")fen ist jedoch bei weitem nicht so schrofT und durch keine so bestimmte Linie zu be- zeichnen, wie in Frankreich und am Niederrhein. Vielmehr giel)t es innei-halb der angelsächsischen Besitznahme noch eine breite, in An- lage 66a bezeichnete Zone, innerhalb welcher sich Dörfer und Einzel- h()fe mischen. Hier erschwert nun nicht allein die Verkoppelung und der Charakter, den der moderne landwirthscliaftliche Anbau durch dieselbe in England gewonnen hat, Vermuthungen über das Alter der zerstreut belegenen ^^'ohnplätze aus den topographischen Karten aufzustellen. Vielmehr ist anzunehmen, dass in allen diesen Gegenden schon in früher Zeit vieles von den Volksgenossen nicht besetzte Land im Grossen und Kleinen durch die ero])ernden Heerführer und Könige vergeben worden ist, für welches eine Auftheilung in Gewanne nicht in Frage kam. In dieser Beziehung müssen in England ganz ähnliche Verhält- nisse obgewaltet haben, wie sie o. Bd. I, S. 433 ff. für den grund- herrlichen Landbesitz in Olierdeutschland eingehend geschildert worden sind. Die Anführer und Könige der Angelsachsen konnten ebenso wie die der Alemannen und Bajuvaren ihre Gefolgsleute und Beamten nur mit Ländereien belohnen und ausstatten, und die Belieheneu vermochten in England wie in Oberdeutschland dieses Land nur durch Ansetzung von zins- und dienstpflichtigen freien oder eigenen Hintersassen zu verwerthen. Ina's Gesetze um 700 erwähnen diese Verwendung grosser Lände- reien ausdrücklich. Sie sagen in Bezug auf Gesithkundmänner. d. h. mit Land beliehene (iefolgsleute: (64) »Wer 20 hides hat, der soll 12 hides bebauten Landes aufweisen, wenn er abgehen will, (65) Wer 10 hides hat, der soll 6 hides bebauten Landes aufweisen, (66) Wer 3 hides hat, weise anderthalb auf«, und (67) »Wenn Jemand eine Hufe oder mehr Land gegen Zins dingt und es beackert, und wenn der Herr ihm das Land gegen Dienste und Zins geben will, so braucht er es nicht anzunehmen, wenn er ihm kt-ine Käthe giebt, und er verliere seine Aecker nicht.« Es wird also an die angelsächsischen Gefolgsleute Land nach Hufen und zwar zur Kultur verliehen. Das Gesetz spricht aber auch ausdrücklich »Vom Grundeigenthum eines Walen« und sagt: (32) »Wenn ein \\'äle eine hide Landes hat, so beträgt sein M' ergeld 1 20 Shilling, wenn er aber eine halbe hat, 80 sh. VII. 7. Angelsächsisches Agrarwesen in England. |21 Wenn er garniehts hat, 60 sh.« Das W'ergeld eines Freien war 200 sh. Aus diesen Bestimmungen gelit hervor, dass aueh solches Land nach Hufen vergeben, und die Zins]iflielit nach diesem Maasse bestimmt wurde. Es sass danach sogar eine Anzahl unterworfener Walen auf Hufen. Da nun die Hufenverfassung den Kelten völlig fremd war, muss in lieiden möglichen Fällen, sei es, dass die Walen ihren alten Besitz behielten, oder dass ihnen neues Land zugewiesen wurde, von Selten des Grundherrn eine mehr oder minder genaue Veranschlagung oder Zumessung der Grundstücke stattgefunden haben. Dassell)e Ver- fahren war ebenso auch da unumgänglich, wo die Grundherren wüst oder . frei gewordene oder neu zu rodende Ländereien an deutsche oder dänische Kolonen austhaten. Karten über solche gutsherrliche Ort- schaften könnten nur da beweisend werden, wo ältere Urkunden die Anlage durch die Hand des Grundherrn hinreichend bezeugten. Selbst in solchen Fällen wäre schwer mit Sicherheit festzustellen, ob die gegenwärtig vorgefundene Flureintheilung nicht von irgend einer jüngeren Wü-thschaftseinrichtung herrührt, sondern wirklich der alten angelsächsischen Zeit angehört. Alier kamp- oder lilockartige Feldeintheilungen lassen die Six-inch Surveykarten in grosser Verbrei- tung^ hinreichend erkennen und machen es höchst wahrscheinlich, dass auch in England die gutsherrlichen Dorf anlagen denselben Cha- rakter trugen, wie er in Süddeutschland ver])reitet ist (o. I, S. 431). \Me dort ist zwar denkbar, dass ein Landlord seinen Kolonen das Land auch im Ganzen übergab , und sie sich darauf nach gleichen Hufenantheilen in der Gewannform der open fields einrichteten. Aber für die gewöhnlichen Fälle hat es viel mehr \Vahrscheinlichkeit. dass der zur Zeit sich anbietende verwendltare Kolon passende Stücke .\(ker. \Mese. Weide und Wald, in der Gnisse und Lage, wie sie gewährt werden konnten, oder wie es dem Herrn zweckmässig schien, erhielt, ähnlich dann ein andrer oder mehrere, und dass so in kürzerer oder längerer Frist eine Niederlassung von mehr oder weniger Gehöften, welche vereinzelt, oder auch geschlossen zusammen- liegen konnten, entstand. Daraus folgt von selbst eine gewisse un- regelmässige und willkürliche Vertheilung der verschiedenen Besitzungen, ein weder gleichmässiges noch allgemeines Gemenge ihrer einzelnen Grundstücke und eine überwieg"nd abgerundete l)lockartige Form derselben. Das Bild solcher Gemarkungen auf gutsherrlich verliehenem Lande geben die süddeutschen Fluren, Anlage 49 — 53, 58 und 59, namentlich aber Reichenbach. Anlatre 60. wieder. 122 ^ il« 7. Angelsächsisches Agrarwesen in England. Es ist nicht zu verkennen , dass solche Feldlagen einer Ver- kuppelung viel weniger bedürftig sind, als Gevvannfluren wie Hitchin oder Much "NVymondley. Daraus erklärt sich einerseits der Umstand, dass der Kreis der geschlossenen Dörfer, welche sich in den ver- schiedenen Grafschaften finden, erheblich über die Grenzen hinüber- greift, innerhalb denen von Verkoppelungen oder deren Zweckmässig- keit berichtet wird; andrerseits werden sich auch eine grössere Zahl Weiler und Einzelbesitzungen, die zwischen diese Dörfer eingestreut sind, auf solche gutsherrliche Anlagen zurückfühi-eu lassen. Auch durch bestimmte Zeugnisse über blockförmig aufgetheilte Fluren und über Kelten auf grundherrlichen Hufen könnte indess die An- nahme keinesweges ausgeschlossen werden, dass sich ein gewisser Bestand alter keltischer Einzelhöfe selbst in den Mittelpunkten der angelsäch- sischen und dänischen Ansiedelungsgebiete erhalten habe. Schon das Beispiel des deutschen Hitchin und des keltischen Walsworth spricht dafür, und je weiter nach Westen und Norden werden sich solche Reste der nationalen Vorzeit um so häufiger feststellen lassen. N'imentlich aber ist nicht zu zweifeln, dass das fast ganz mit Einzelhöfen oder kleinen Weilern bedeckte Kent diese Gestaltung seines Grundbesitzes der schon von den Römern anerkannten, hohen Kultur seiner keltisch-belgischen Bewohner zu verdanken hat. Denn es erweist sich hier mit Bestimmtheit für England dieselbe Grund- verschiedenheit, welche Deutschland zeigt, dass auf den von Deutschen volksmässig oder grundherrlich besiedelten Gebieten überall die Hufen Verfassung durchgeführt ist, dass dagegen in allen den Landes- theilen, in denen die Deutschen die alten keltischen Einzelhöfe be- stehen Hessen, auch die Hufenverfassung fehlt. Nach dem Domesday- book wurde, soweit es über England reicht, nach hides, von, wie oben gezeigt, meist 4 virgaten, die virgata zu 2 bovaten oder meist 30 acres anzunehmen, gerechnet. Der Bestand dieser Hufen ist, wie das Domesdaybook selbst und die früheren (besetze zeigen, angel- sächsisch. In Kent aber schätzt das Domesdaybook nicht nach Hufen, sondern nach solins, solung, Pflugland, vom lateinischen seho, Furche, und die Grösse desselben wurde nicht nach acres, sondern nach yoke (Jochen) angegeben^). Unter demselben Gesichtspunkte wie Kent wird auch der überwiegend zerstreute Anbau der ganzen Südküste in Sussex, Hampshire, Dorset l>is zum Anschluss an das wälische Devon auf- zufassen sein. ') Elton, Tenures of Kent. Seebohm a. a. 0., S. 54. v. Bunsen, 38 VII. 8. Die Entwickelnng der grundherrl.-bäuerl. Verhältnisse. 123 8. Die Entwickelung der grundherrlich-bäuerlichen Verhältnisse in England. Wie auf den Eroberungsgebieten der Alemannen, Bajuvaren und Franken stehen sich auch auf dem der Angelsachsen in England volksthümlich-genossenschaftlich angelegte Gewanndörfer, andere grund- herrlich in freier Weise begründete, und endlich aus der Keltenzeit übernommene Orte gegenüljer. Auch ist nicht zweifelhaft, dass hier wie dort die gruudherrlichen Anlagen vorzugsweise auf den bei der Eroberung unbebaut vorgefundenen ausgedehnten Ländereien zu suchen sind, welche zur Verfügung der Heerführer und der Könige blieben, und von ihnen in mannigfacher Weise an Hintersassen verliehen wurden. Die Abgrenzung zwischen den verschiedenen Arten des Besitzes ist indess, wie sich gezeigt hat, wegen der in neuerer Zeit völlig veränderten Form der Flureintheilung nicht mit befriedigender Sicherheit festszutellen. Leider vermögen dafür auch die Ortsnamen nur sehr geringe An- haltspunkte zu gewähren. Seebohms Meinung^), dass alle Endungen auf heim auf den Frohnhof eines Gutes deuten, geht ofienbar zu weit. Denn die Namen auf heim, oder deren Verkürzungen um, em, en, sind, wie o. I, S. 54 erwähnt wurde, für die alten volksmässigen Hufendörfer der Sachsen ebenso allgemein, wie für die der Franken. Die Franken haben nur das heim häufiger voll beibehalten oder nur zu hem oder ham abgeschliffen. Dass sie es bei der Eroberung Nordfrankreichs häufig auch auf Herrenhöfe übertragen haben, liegt nicht im ^^'ortsinn, sondern in der besonders grossen Verbreitung der Herrenhöfe auf dem Eroberungsgebiete. Wenn in der Älalbergischen Glosse und der lex Salica, wie Kern^) nachzuweisen scheint, des Königs Hof mit ham oder cham bezeichnet wurde, ist damit ein alter Sprachgebrauch von selbst ausgeschlossen. Die Sachsen mussten ihi-e Namensgebung aus ihrer eigenen Heimath mitbringen. Mit ihrem heim konnten sie ebenso gut ein volksmässig, wie ein guts- herrlich begründetes Dorf benennen. Wenn man also in dem engli- schen ham, was nicht völlig ausgeschlossen ist, nicht ein anderes ^^'o^t als heim sehen will, ist eine Unterscheidung an dasselbe nicht zu knüpfen. Bestimmter lässt sich daran denken, in der Endung ing die Bezeichnung eines volksthümlichen Geschlechtsdorfes zu ') Seebohm a a. 0 , S. 256. v. Bansen, 172. *) Ueber die Glosse, in Hesseis lex Salica, London 1880. 124 VII. 8, Die Entwickelung der gruntllienlich- suchen. Damit wird auch wahrscheinlich, dass die sehr zahlreichen Namen auf ingliam das Heim eines Geschlechtes, ebenso die auf ington die Ortschaft eines solchen bezeichnen. Am sichersten werden sich alte Volksdörfer an den P]ndungen by, low, mere, thorpe, field erkennen lassen, alte gutsherrliche Sitze aber an bürg, borough, cester, hill. Gleichwohl kann man Seebohms Beobachtung beistimmen, dass ham und tun besonders häufig, auch von König Alfred, für einen Königs- oder Gutshof gebraucht, und in älterer Zeit nicht mit dem Ortsnamen verbunden, sondern als besondere Bezeichnung an- gewendet wurden. Doch würde daraus immer nur eine schon in früher Zeit ziemlich weitgehende Verbreitung königlicher und gutsherrlicher Dorfanlagen neben den genossenschaftlichen der deutschen und däni- schen gemeinfreien Bauerschaften vermuthet werden können. — Bei näherer Untersuchung ergeben sich indess einige Merkmale für die Unterscheidung zwischen beiden Gründungsweisen aus dem natürhchen Organismus beider Arten der Anlagen. Die volksmässigen Dörfer mit open fields hatten überall auch Wiesen-, Weide- und Waldgrundstücke zu gemeinsamer Nutzung der Dorf Insassen, also Almenden. Diese werden als gemeine Weide im Gesetze Edgars IV., c. 7 u. 8 als selbstverständlich für eine Tunscip, eine Dorfgemeinde, erwähnt. Ebenso kommt gemeiner Wald in Ur- kunden häufig vor^). Von selbständigen Markgenossenschaften, an welchen Bewohner verschiedener Ortschaften ausserhalb ihrer Ge- markungen betheiligt waren, findet sich aber kein Zeugniss. Es sind auch Marken nach der Art der stattgehabten Eroberung nicht zu erwarten. Was nicht dem liestimmten Kreise der sich anl)auenden Dorfgenossen zugewiesen war, gehörte dem Könige. Doch werden zwei Arten dieses Königslandes bestimmt und eigenthümlich unterschieden. Es wird neben dem Königslande auch cyninges folcland erwähnt, und die Kiinige ertheilen in vielen Urkunden Weide-, Mast- und Holz- berechtigungen auf unkultivirtem Lande und besonders in Wäldern, welche mitunter "Wälder des Königs, mitunter aber auch gemeine Wälder genannt werden. Es werden ferner Berechtigungen zu gemein- samer Weide des Heerdenviehes mit dem des Königs verliehen, auch werden in diesem Sinne die Weideberechtigungen des Königs im ge- meinen Walde beschränkt. Endlich konnte der Ktinig cyninges folcland unter Beibehaltung seiner Natur als folcland Einzelnen zur Sonder- nutzung verleihen. Mit Zustimmung des witema, der Thanversamm- ') Nasse, S. 20 — 22. bäuerlichen Verhältnisse in England. \ 25 hing, konnte er es aber auch durch eine schrifthche Verleihungs- iirkmide in bocland, Buchland, verwandehi. Im ersten Falle scheint der Besitz ein prekärer und mit mannigfachen Leistungen beschwerter, im zweiten volles Eigenthum gewesen zu sein, auf welchem nur die allem Grundeigenthum gemeinsame trinoda necessitas ruhte, d. h. die Verpflichtung zum Dien.st im Felde und zu Bau und Unterhaltung der Brücken und der Festungen. Es ist klar, dass dieses Königs- Volkland und die dasselbe anscheinend l)ildenden gemeinen Wal- dungen ihrer ganzen Entstehung nach den Marken des alten deut- schen Volkslandes nicht verglichen werden kiimien. Wohl aber lässt sich aus den Gesammtverhältnissen folgern . dass sie die Natur der o. I, 8. 475 geschilderten markenähnlichen, mit Nutzungsrechten be- lasteten Staatsländereien 01>erdeutschlands gehabt ha])cn. Es war sehr natürlich, dass die angesiedelten Volksgenossen für ihre Bedürf- nisse in die benachbarten Waldungen eingriffen, und daran auch da- durch nicht wesentlich gehindert werden konnten, dass der König dieselben im allgemeinen für Kiinigs- oder Staatsland erklärte. Er war zwar in der höheren Stellung des Eigenthümers , aber die Bauern vermochten gleichwohl die hinreichende Anerkennung als Nutzungs- oder Markberechtigte aufrecht zu erhalten, so dass der König in die Lage des Obermärkers kam, und der Name gemeinschaftliche Wälder oder Königs -Volkland das Verhältniss nicht unangemessen ausdrückt, auch die gedachten Rechte des Königs erklärt. Dass die Verleihungen aus dem vom Könige in Besitz genom- menen folcland ursprünglich nur auf Lebenszeit an die Grossen und des Königs Dienstleute erfolgten und erst allmählich Eigenthum wurden, zeigen Kembles^) und die hi den Rectitudines singularum personarum enthaltenen Angaben über die im 10. Jahrb. üblichen Lasten der Thans, Bauern. Kötter und Landljcliehenen -). Aber schon Beda (672 — 735) klagt über die masslosen Verleihungen und Vergabungen des Kcinigslandes, namentlich über die ver.xchwenderischen und miss- bräuchlichen Schenkungen an Klöster, zu denen sich die Könige be- stimmen Hessen, auf das Bitterste^). Indess konnten alle grösseren Ländereien nicht anders als durch Verleihung an Anbauer nutzbar gemacht werden. Lia's oben erwähnte Gesetze in Betreff der Gesith- kundmänner zeigen deutlich das Dilemma, in welchem man sich nach •) The Saxons in England I, p. 315 ff. "^ Äncient laws et Institutes of England, Thorpe, p. 185, und H. Leo, Recti- tudines, Halle 1842. — Seebohm a. a. 0., S. 129. ^) Beda an Bischof Egbert, Smith p. 399. 126 VII. 8. Die Entwickelung der grundherrlich- den Anschauungen der Zeit aus diesem Grunde befand. Wer Landleihe mit fester Siedelung gegen Zins und Dienst nahm, wurde hörig. Es scheint, dass es deshalb freie Leute gab, welche das Land nur zur Kultur übernahmen und sich Freiheit und freien Abzug wahrten. Diesen Brauch schränkt Ina's Gesetz soweit ein, dass sie wenigstens die Hälfte des übernommenen Areals urbar gemacht haben mussten, ehe sie fortziehen durften. lieber die Landleihe zu Zinspflicht bestehen abweichende Angaben. Wenn nach Ina's oben wiedergegebenera Gesetz zweifelhaft sein kann, ob den Walen nicht unter Umständen sogar Freiheit und Land be- lassen wurde, besehreibt Beda die Unterjochung der Briten im Norden durch Ethelfred, König von Northumberland um 603 aus- drücklich dahin, dass die Einwohner entweder ausgerottet oder unter- worfen worden seien, so dass ihre Ländereien soweit sie nicht von Be- sitzern entblösst und für neue Ansiedler offen blieben, grundzins- pflichtig wurden, wie König Alfred das tributarios fecit genti Anglorum des Beda übersetzt. Auch in Edgars weltlichen Gesetzen § 2 und 3 werden die Dänen, Angeln und Briten als seine Unterthanen neben- einander gestellt^). Es muss also angenommen werden, dass die Zahl der wenn auch nur als Hörige auf den Gütern der Herren erhalten gebliebenen Briten nicht ganz unbedeutend war. In die Genossen- schaften der in Feldgemeinschaft ansässig gewordenen deutschen Bauern wurden sie indess schwerlich zugelassen. Sie müssen vielmehr als ein erster Stamm der auf herrschaftlichem Gutslande lebenden Zins- leute betrachtet werden. — Was die liäucrlichen Rechtsverhältnisse betriffst, so kann nicht l)ezweifelt werden, dass die Anlage der volksthümlichen Gewann- dörfer, sowohl bei den Angelsachsen, wie bei den Dänen, in der Haupt- sache und ursprünglich durch die eigentliche Volksmasse der gemein- freien Stammesgenossen erfolgte. Die älteren angelsächsischen Gesetze kennen die Gemeinfreien als Ceorls, als Hidenbesitzer. Aethelbirth's Gesetz unterscheidet noch im gesammten Volk nur den König, den Earl, den Ceorl, den Theow oder Hörigen und den Esne oder Knecht. Auch ist bei allen Straffestsetzungen ohne ])eson- deren Zusatz der Ceorl gemeint. Elxniso sprechen die Gesetze Hlothers und Eadrics von den Ceorls als den freien Männern, welche selbst- verständlich die Masse des Volks bilden. Withräd's Gesetze heben über sie schon des Königs Gesith und seine Thane. Im Gesith liegt •) R. Schmidt a. a. 0., S. 104. bäuerlichen Verhältnisse in England. 127 der Anfang der Ministerialität. Er kann frei oder unfrei, mit Land be- liehen oder ohne Land sein, aber er steht im Königs- und Hofgefolge. Der Than ist ebenfalls ein Dienstmann des Königs für Krieg und Amt (thegnian. dienen, thegn), aber es verknüpft sich mit diesem Namen der Gedanke an einen grösseren eigenthümliehen Grundbesitz. Ina's Gesetze (688 — 725) sind, wie ihre Einleitung sagt, nur mit dem Rathe seines Vaters und zweier Bischöfe, mit allen Ealdormen und den ältesten Witan seines Volkes festgestellt. Aber sie zeigen schon erheblich veränderte Gesichtspunkte. Der Ceorl kommt noch häufig und ersichtlich als freier Grundeigenthümer vor^), er ist indess bereits ein Bauer von niederem Stande. Mindestens scheiden sich die Ceorle bereits in solche, die durch A\'ohlhabenheit und Aemter zur Thanwürde emporzusteigen vermögen, und in geringere. Vielleicht bestand schon zu Inas Zeit die später allgemein gültige Anschauung, dass, wenn ein Ceorl dahin kam, dass er volle 5 hides eigenen Landes inne hatte und eine Kii'che und eine Küche, ein Glockenhaus und einen Sitz im Burgthor, auch eine besondere Würde in des Königs Halle besass, er fortan des Thanenrechtes würdig war. C. 54 des Gesetzes spricht wenigstens von einem Königseide, sowohl bei einem Gesithkundman , als bei einem Ceorl, wes Standes er sein möge. Dabei hel)t sich des Königs Gesithkundman wie sein geneat, der von ihm gegen Zins und Dienste verliehenes Land besitzt, wesentlich über den gewöhnlichen Ceorl. Ein Gesithkundman, der Land hat und die Heerfahrt versäumt, zahlt 120 sh. und verliert sein Land, der Ceorl zahlt 30 sh. (C. 19) Des Königs Geneat hat ein weit höheres, anscheinend das 6 fache Wergeid, als der Ceorl. Diese emporkommenden Gefolgsleute ordnen sich so, dass (c. 45) der Burg- friedens) )ruch beim Kc'inige mit 120, l)eim Ealdormen mit 80, beim königlichen Than mit 60 und ])ei einem Gesithkundman, der Land hat, mit 35 sh. gebüsst wird. (C. 6) Für Gefecht im Hause eines Ealdorman oder eines anderen erlauchten (gethungenes) Witan werden 60 sh. Busse und 60 sh. Wette, im Hau.se eines Gafolgyldan oder eines Gebures 30 sh. Busse und zur Wette dem Gebure 6 sh. gezahlt. Wahrscheinlich ist der Gebure der Ceorl. Dabei kommen (c. 22) auch schon andre Geneat, als die des Königs vor, also wohl die später häufigen, gegen Zins und Frohndienste bei einem Hlaford Sitzenden, und es kommen auch die ol)en gedachten abziehenden Gesith- kundleute (c. 63 — 66 des Gesetzes) in Betracht. Dieser anwachsende •) R. Schmidt a. a. 0., S. 14 ff., cap. 18, 30, 37, 40, 43, 51, 54, 57, 60. 128 ^'^I' 8. Die Entwickelung der grundherrlich- Druck eines durch die Bedürfnisse der bewegten Zeit entstehenden Amts- und Dienstadels hat sich aber /ai Ina's Zeit den Ceorls noch viel weniger fühlbar gemacht, als den nicht zu dem alten Bauernstande der Hüfner gehörigen Freien. Die Freien werden schon von Ina (c. 3, 11, 74) überall neben den Theow (Hörigen) und den Gafol- gyldan (dem persönlich freien Zinsbauer) so erwähnt, dass sie unter gleiches Recht fallen. Es wird (c. 3) sogar ausdrücklich gesagt, dass ein Freier, der ohne seines Herrn (Hlaford) Geheiss am Sonntag arbeitet, seine Freiheit verliert. In König Alfred's Gesetzen (871 — 901) zeigt sich noch die volle Bestätigung dieser Standesverhältnisse. Sein Cap. 39 gibt bemerkcns- werther Weise allen freien Leuten, aber nicht den hörigen Leuten und denen, welche Knechtsdienst thun, 41 Tage im Jahre frei, welche meist mit Kirchenfesten zusammenfallen. Auf diese Freien scheint sich auch c. 33 vom Suchen eines anderen Herrn zu beziehen. Ihre Freiheit ist also bereits eine sehr bedingte. Die leges Alfredi et Godrini c. 3 sprechen ausdrücklich von tuus geneat, id est villanus, und von dessen Wergeide. Er ist also ein Freier und gleichwohl hörig. In Betreff der Ceorle aber bestimmt Alfred c. 35 die Busse bei Gefecht in der Wohnung eines Ceorls auf 6 sh. , wenn das aber einem Sechshyndemann begegnet, steige die Busse um das 3 fache von der Ceorlbusse, und bei einem Zwölfhyndemann um das Doppelte der Busse der Sechshvnder. Eine ähnliche Scala enthalten c. 26, wonach der Todtschläger eines Zwei- hyndemannes mit 30, eines Sechshyndemannes mit 60, eines Zwölf- hyndemannes mit 120 sh. belegt ist, ebenso c. 10, welches den Bei- schläfer des Weibes eines Zw^ölfhyndemannes mit 120, eines Sechs- hyndemannes mit 100, und eines Ceorl mit 40 (oder 60) sh. Busse straft. Es geht aus diesen Sätzen hervor, dass der Ceorl in der Regel 2 hides bcsass, was auch schon durch Ina's Gesetz c. 70 und anderweit wahrscheinlich gemacht wird. In den späteren Gesetzen aber finden die Standesunterschiede kaum noch Erwähnung. Es ist kein Zweifel, dass die zunehmende Zerrüttung des Landes durch die Einbrüche der Dänen nur noch der kriegerischen Kraft und der Treue der Gefolgsleute Bedeutung verlieh, und dass der freie Bauernstand, soweit er nicht in der Lage war, sich zu Tlianschaft und jNIinisterialität aufzuschwingen, mehr und mehr seine Freiheit einbüsste. Er verfiel der schon unter Ina entwickelten Grundlierrlichkeit mit hofrechthcher Gerichts- und Polizeigewalt über die Hintersassen und kam für den Gesetzgeber ausser Betracht. bäuerlichen Verhältnisse in England. 129 Dieser Verfall beruhte auf Uebermacht und Schutzbedürfnisp, muss indess auch aus der wirthschaftlichen Nothlage erklärt werden, welche die politischen Ereignisse herbeiführten. Der Ackerboden Englands ist nicht in allen Gegenden so schwer, wie der Irlands, aber im allgemeinen erfordert er doch ganz unge- wöhnlich starke Anspannung. Arthur Young erzählt von einem Orte in Su^.Bei denen, welche ihr Land gegen Zins besitzen, beträgt das rechtmässige Relevium so viel als der Zins von einem Jahre.« Anscheinend steht dies im Zu- sammenhang mit c. 33: »Die, welche das Land bebauen, darf man nicht weiter beunruhigen, als um ihren pfiichtmässigen Zins, auch ist der Herrschaft nicht erlaubt, die Anbauer von ihrem Lande zu entfernen, so lange sie ihren pfiichtmässigen Dienst leisten können.« bäuerlichen Verliältuisse in England. 135 Es wird damit eine Art Erbliclikeit der Landleihe gegen Zins her- gestellt. Im Gegensatz dazu steht das Folgende: »Die Unfreien (naifs), welche ihr Land verlassen, sollen sich keine falsche Urkunde über ihr Gehurtsrecht (naivirie) verschaffen, um ihrem pilichtmässigen Dienste zu entgehen, der auf ihrem Lande ruht. Wenn ein Unfreier (naif ), der von dem Lande abgeht, wo er geboren ist, auf ein anderes Land kommt, so halte Niemand weder ihn noch seine Sachen zurück, sondern mache, dass er zu seinem Dienste zurückkehrt, wie es ihm zukommt. Wenn die Herrschaften nicht machen, dass die Kolonen (gainurs oder gainnys) Anderer auf ihr Land zurückgehen, so soll es das Gericht thun.« Freie Pächter kann man gleichwohl in den zinspllichtigen An- bauern nicht sehen. Pächtern eine solche Sicherung dauernden Besitzes zu geben, war der König gewiss nicht gewillt, denn erst Heinrich VHL erlaubte 1541, dass der Tenant for life Pachtkontrakte auf 21 Jahre mit bindender Wirksamkeit für seinen Sohn abschliessen dürfe, aber noch nicht für spätere Nachfolger (rcmainder men). Es muss also bei diesen Zinsbauern an alte Geneat oder Gafolgyklaleute oder ähn- liche dauernde Kolonenverhältnisse gedacht sein, welche auf altem Bauernlande den Umfang des Manors nicht beeinträchtigten. Die neben den zinspflichtigen Anbauern im Gesetz genannten Naifs scheinen ebenfalls keine Servi zu sein, deren Gebundenheit sich von seilest verstanden hätte. Gainurs oder gainnys bedeutet Zins- bauer, nicht Knecht. Sie waren anseheinend in ein Verhältniss ge- kommen, welches sich sehr nahe mit dem nmiischen Kolonate ver- gleichen lässt. Dem widerspricht schwerlich, dass in den erst 1279 unter Edward I. abgefassten Hundred rolls mehrmals gesagt wird, villani sunt servi vel nativi. Die eigentlichen Sern wurden lediglich als Sache liehandelt, und konnten als solche verkauft werden. Sie wurden indess zum grossen Theil schon unter Heinrich HL und den ersten Edwards entlassen und freie Arbeiter. Allerdings verweigerte das Parlament noch die gesetzliche Sanktionirung einer Verordnung Richards IL vom 15. -lanuar 1381, in welcher die Aufhebung der Leibeigenschaft und Ersetzung der Frohndienste durch eine ständige jährliche Ab- gabe von 4 pence vom acre Land ausgesprochen war. ^\'ie man aber auch die keineswegs klaren Anordnungen Wilhelms I. aufi\issen mag, nicht lange Zeit nachher traten zwei Erscheinungen auf, auf welclie sie niclit ohne bestimmende Ein- wirkung gewesen sind. 136 VII. 8. Die Entwickelung der grundherrlich- Dic eine dieser Erscheinungen ist das schon sehr früli im Nor- maiuienstaate l)emerkbare rasche Anwachsen der Freeholders. Die starke Organisation des neuen Lehnsstaates erschwerte den grossen Cirundhesitzern vor allem die Entwickelung eines nutzbaren Unter- vasallenthums. Es ist deshall) erklärlich, dass diese Beschränkung ihnen wünschenswerth und nothwendig machte, Land zu freier erb- licher Verfügung an solche Waffengenossen und Anverwandte zu ül)er- lassen, welche sich der Hörigkeit nicht unterwerfen wollten, und auf deren Gefolgschaft man vertraute. Wahres Eigenthum konnte solches Freehold so wenig sein, als der gesammte Besitz des Krön- oder Ritterlehns. Auch lässt sich voraussetzen, dass die wachsende Aus- breitung der Ministerialität, welche keine Richtung auf Vasallenthum nehmen konnte, selbst aus den Villani und anderen Hörigen heraus den Kreis der Freeholder vermehrte. Es gehörte dazu nur, dass der Manor deren überkommenen hörigen Grundbesitz als Freehold ver- briefte. Uebrigens forderte auch das Common law, also das alte Gewohnheitsrecht, dass das Gutsgericht des Manors mit einer Anzahl freier Grundbesitzer oder Pächter besetzt sei^) und ohne diese nicht abgehalten werden konnte. Dies führte, wie wir erfahren, gradezu zu Verlegenheiten. Man lieh sich solche Beisitzer, mochte sich also auch veranlasst sehen, sie zu schaffen. Die zweite Erscheinung ist das Auskaufen der Villani und ihre Umwandlung in Zeitpächter. Es ist bekannt, dass dieser "Wechsel schon zur Zeit der Plantagenets unter den Edwards begann, und es wird nicht unrichtig sein, ihn mit Streitigkeiten zwischen den Manors und den Villanen und mit dem den Letzteren von den königlichen Gerichten gewährten Schutze im Zusammenhang zu denken. Schon 1254 wird der Besitz der Villani als Copyhold bezeichnet. Es bedeutet dies, dass der Besitzer als Beweis- und Schutzdokument über sein Bcsitzvcrhältniss eine Abschrift aus dem Salbuche des Ortes erhalten hatte, welche den Umfang seiner Besitzung und die ihm vermöge derselben zukommenden Rechte und Verpflichtungen ver- zeichnete. Daraus konnte bei enger Feldgemeinschaft um so leichter bei den Gutsherren der Wunsch entstehen, sich solcher wohlberechtigter und widersetzlicher Nachbarn zu entledigen. Das persönliche und dingliche Recht der Bauern hatte Wilhelm gesichert, nicht aber den dauernden Bestand ihrer Besitzungen. Zudem wurde der Auskauf für beide Theile vortheilhaft gestaltet. Der Bauer veräusserte zwar sein ') Ellis a. a. 0., S. 237. Seebohm a. a. 0., S. 87. v. Bunsen, S. 63. bäuerlichen Verhältnisse in Kn^land. 137 Gilt, aber er erhielt es als Pachtgut /Airück. p]r vermochte es durch das empfangene Kapital erheblich besser auszustatten imd in einen Betrieb zu bringen, der ihm das massige Pachtgeld leicht erschwing- lich machte. Der Gutsherr aber legte sein Geld zweckmässig an, wurde unbeschränkter Eigenthümer über den Boden und schuf sich zugleich in seinen Pächtern ein von seinen Wünschen unbedingt ab- hängiges Gefolge. Diese der Sitte nach nahezu erblich betrachteten, dem Rechte nach aljer in der Regel nur auf unbestimmte Frist be- sitzenden Pächter, welchen ausschliesslich nur der Grand und Boden verpachtet wird, Haus und Inventar aber eigenthümlich gehören und bei Auflösung der Pacht zur ^^'egräumung überlassen bleiben, haben sich bis zur neuesten Zeit stets an Pachtfläche vergrössert. Ihre Zahl ist allerdings seit der Mitte des 15. Jahrhunderts durch das obengedachte, mit den Enclosures verknüpfte Clearing of estates ver- ringert worden. Schon Heinrich VIII. gewährte in den Gesetzen 21, c. 15, und 32, c. 28, auch den nicht schriftlichen Pachtkontrakten rechtlichen Schutz. Immerhin sind neben diesen Pächtern noch ausgedehnte Reste alter bäuerlicher Besitzungen von verschiedenem Ursprünge zu denken. Der Statesmen in Cumberland ist schon (o. II, S. 119) gedacht. Von gleichem Interesse wiire, die näheren Verhältnisse zu ermitteln, unter welchen die in ihrer äusseren Gestalt und Eintheilung den hollän- dischen Marsch- und Moorhufen Frieslands (o. II, S. 32, 50) völlig ent- sprechende Kolonisation des Fen district oder der Fen country ent- standen ist. Das Marsch- und Bruchland umfasst hier vom Flüsschen Cam im Süden bis Spilsby in Lincolnshire im Norden bei etwa 2V2 Meilen Breite 33 geogr. Quadratmeilen und liegt vorzugsweise in Lincoln, Cambridge, Huntington, Norfolk und geringen Strecken von Suffolk und Northamptonshire. In diesen Kolonien soll die Land- rechnung nicht nach hides, sondern nach Morgen erfolgen, und manche andre- örtliche Besonderheit in Geltung stehen. Sie scheinen schon in der ausführlichen Inquisitio Eliensis, die dem Domesdaybook an- gehört, erwähnt zu werden. Wie die Surveykarte andeutet, bilden sie eine planmässige, vom Könige oder von grösseren Grundbesitzern wahr- scheinlich mit holländischen oder friesischen Einwanderern den ICigen- thümlichkeiten der deutschen Marschen entsprechend durchgeführte Besiedelung, die sich nicht früher als unter Knut annehmen lässt. Im allgemeinen erlangte aller nicht lediglich als Pachtgüter fort- ') Seebohm a. a. 0., S. 94. v. Bunsen, S. 66. 138 ^'I^- 8. Die Entwickelung der grundherrlich- bestehender Rustikalbesitz immer mehr den Charakter von Zinsgütern. Dio Servi verschwanden und crliobon sich zu Copyhold od(,'r erreichten doch längere Lcases. Die Dienste, soweit sie nicht für die Gemeinde zu leisten waren, hatten für die meist nur zum Sommeraufenthalt und als Jagdgriinde dienenden Besitzungen der Grundherren keinen Zweck und wurden in Zins umgewandelt. So blieb ausser der Stellung unter Gerichtsbarkeit und Polizei des Gutsherrn nur die persönliche Hörig- keit übrig, welche zwar niemals gesetzlich aufgehoben wurde, aber mehr und mehr in Vergessenheit kam. Mit grösserer Klarheit lassen sich diese ländlichen Zustände erst seit 1660 überblicken, als nach der Revolution die alten Verhältnisse nicht wieder herzustellen waren, die Krone auf allen Lehnsverband und alles nutzbare Lehnsrecht, relevium, tutela fructuaria u. ähnl., verzichtete, und sich in ent- sprechender Weise auch der Verband der Untervasallen in Freehold umgestaltete. Es blieben indess die Manors, die Rittergüter, mit ihren alten Rechten bestehen. Letztere hängen lediglich am Rittersitze selbst, auch wenn alle unmittelbar dazu gehörigen Ländereien veräussert sind. Kein right of manor darf getheilt oder an Untersassen veräussert werden. Das wichtigste ist das Patrimonialgericht, dem der Gutsherr selbst oder sein Steward (Seneschall, Rentmeister) ebenso vorsitzt, wie der Sheriff dem Grafschaftsgericht, und das immer Peers der bei dem einzelnen Acte Betheiligten zu Beisitzern hat, also je nach der Sache Freeholders, Copyholders oder Pächter. Es ist Gericht erster Instanz, ein Hof des Gewohnheitsrechts (court of common law), vor dem alle Schuldforderungen, Klagen auf Schadenersatz u. dgl., welche Insassen der Grundherrschaft lietreffen, sofern der Werth der Forde- rung 40 sh. nicht übersteigt, angebracht werden können, obwohl nicht müssen. Der Grundherr hat wegen dieser Stellung als Gerichtsherr erster Instanz das Recht, ohne Zwischenthätigkeit einer anderen Behörde, den Pächter, der nicht zahlt, sofort selbst zu pfänden. Besonders ist sein Gericht auch Flur- und Markgericht, welches die Grenzstreitig- keiten innerhalb des Gebietes, sowie Hut- und Triftsachen in den Gemeinweiden der Gutsherrschaft ordnet, und dem die Anstellung von Hirten und was sonst zu Feld- und Flurpolizei (predial right) gehört, obhegt. Daneben ist es unter dem Beisitz von Copyholders auch das Gericht für die Copyhold - Ländereien , welches über die Besitzveränderungen derselben urtheilt und sie bucht. Alle Besitzungen nun, welche zwar nicht Manors waren, auf welchen aber kein Sterbefall (heriot), sondern nur ständige Geldabgaben häuerlic'lien Verhältnisse in England. 139 hafteten, wurden 1660 als Freeholcl anerkannt, ebenso wurde Free- soceage zu Freehold. Alle Kirchengüter gehören zum Frcehold, ebenso eine Anzahl ohne grundhcrrliche Rechte von der Krone vergebener Güter und die Freigüter Niehtritterbürtiger, die, wie erwähnt, be- sonders in Cumberland bestehen. Alle Freeholder stehen zwar in erster Instanz unter dem Patrimonialgericht des betreffenden Manors, aber bezüglich aller Fragen, welche ihre Grundeigenthumsreehte betreffen, und bezüglich der Buchung dieser Rechte und ihrer Veränderungen stehen sie unmittelbar unter dem königlichen Gerichte der zweiten Instanz. Für Copyhold wurde jeder Rest gutsherrlicher Frohndienste auf- gehoben, dagegen das Bergwerksrecht, das Recht auf gefundene Schätze und das Jagdrecht des Manors aufrecht erhalten, und nament- lich letzteres mit Strenge geschützt. Die Unterscheidung des Copy- hold liegt in der Abgabe (relief, fine, laudemium), welche der Guts- herrschaft l)ei jeder Besitzveränderung durch Vererl)ung, Kauf, Cession oder irgend einen anderen Rechtsakt entrichtet werden muss. Es besteht in ihm das oben gedachte Relevium des Gesetzes Wilhelms I. c. 9 und 40 fort. Die Copyhold])esitzung fällt der Grundherrschaft durch echeat (consolidatio dominii) heim, wenn kein erbfähiger Nach- komme der besitzenden FamiHe mehr da ist, oder wenn das Gut durch Verbrechen verwirkt wurde, d. h. im Falle von forfeiture, über welchen Begriff" nicht völlige Uebereinstimmung herrscht. Freehold und Copyhold ■svird ausser der Zeitpacht noch Leasehold gegenüber gesetzt. Leasehold ist Erbpacht auf längere oder kürzere Zeit, häufig nur auf Lebenszeit, oder auch so verliehen, dass dem Erl)en gegen eine gewisse Auffahrtssumme (fine) die Nachfolge zu- steht. Durch dies Fine ist das Nutzungs- und Veräusserungsrecht des Erben auf Leljenszeit gekauft. Die Pachtrente ist sehr unliedeutend. Im Westen gegen die walhsische und cornwallische Grenze ist weit verbreitet uncertain fine üV)lich, d. h. der Ucbergang gegen eine Ab- fahrtssumme ist zugesagt, aber die Höhe der Summe hängt vom jeweiUgcn späteren Abkommen ab. Die richtige Beurtheilung, in welcher Anzahl und in welchem Umfange sich diese verschiedenen Klassen des gutsherrlichen und liäuer- lichen Grundbesitzes in England verbreitet haben, ist namentlich des- wegen schwierig, weil der Ausdruck tenant ebenso für freie Grund- besitzer, wie für Zinsgutsbesitzer und für Pächter gebi-aucht wirrl. Zu Anfang des 17. Jahrhunderts erklärte Lord Coke^), der dritte Theil Eng- '; Scriven treatise of copyhold customary and ancient demesne tenure, 3. Ausg. 1833, Bd. I, S. 49. 140 VII- 8, Die Entwickelung der grundhenl.-bäuerl. Verhältnisse. lands bestehe noch aus Copyhold. Für das Ende des 17. Jahrhunderts ist eine Scliützung Gregory Kings vorhanden, der als durchaus sach- kundig betrachtet werden darf. Er giel^t für 1688 1) rund 40000 Fa- milien grösserer Freisassen, 140000 kleinere Freisassen, und 150000 Pächterfamilien in England an. Diese 330 000 bäuerlichen Wirthschaften würden nach Lord Coke's, allerdings ein halbes Jahrhundert früheren, Angaben zu V3 aus Copyholders bestehen, es würden also für Free- holders noch 50000 Familien übrig bleiben. Dabei giebt King die Zahl der weltlichen Lords auf 160, der geistlichen auf 26, der Baronets auf 800, der Ritter auf 600 und der Esquires auf 3000 an. Leider lässt auch die neuere Statistik die Frage der bäuerlichen Verhält- nisse im Unklaren. Die erste planmässig auf die Grundbesitz- verhältnisse gerichtete Aufnahme ist auf Anregung des Oberhauses 1872 bis 1876 erfolgt. Man hat dabei die Owners und ihren Besitz festgestellt, und bei der Vieldeutigkeit des Wortes Owner alle Eigen- thümer und erblichen Besitzer, sowie die Pächter, deren Pachtperiode 99 Jahre überschreitet, gezählt. Dabei hat sich ergeben, dass in England und Wales 4 Owners 50000 acres und mehr, zusammen 376556 aci-es, 870 <= 5000 * » * = 8990476 = 9333 '- 500 := » s = 12646175 -- 58156 * 50 = * « « 8618953 « 72758 « \Q ', ', ', ', 1751504 = 831720 = weniger als 10 « = 629850 s zusammen also 972836 Owners die Gesammtfläche des Landes von . 33013514 acres besitzen. Leider eröffnet sich aus diesen Zahlen ein näherer Einblick in die ländlichen Grundeigenthums- und Wirthschafts -Verhältnisse nicht, so interessant ein solcher wegen der dargestellten Eigenartigkeit der Entwickelung Englands wäre. ') Gregory King: Natural and political observations upon the statc and condition of England in G. Chalmers: Estimate of tlie comparative strengtli of Great Britain, London 1802, p. 424. VE Wanderleben, Siedelung und Agrarwesen der Finnen und der Slawen. I. Auftreten und Verbreitung der Slawen und Finnen. Wie die Germanen treten auch die Slawen aus dem Dunkel der vorgeschichtlichen Zeit in zwei verschiedenen Zweigen, einem früher und einem später nach Europa eingewanderten Stamme, hervor. Die älteren sind die Litthauer, die Aestii des Tacitus, welche jedoch schon nach dessen Nachrichten nicht mehr als die westlichsten erscheinen, sondern sich auf dem Landabschnitte befinden, den sie als Volk trotz mancher Einschränkungen bis zur Gegenwart weder verlassen, noch überschritten haben. Dies Gebiet, in dem sie sich in unbekannter Vorzeit festsetzten, ist zwar nicht durch leicht erkennbare Hindernisse, wie Aljicnketten oder Waldgebirge, wohl aber durch zusammenhängende, unter Um- ständen schwer wegbare Sumpfmassen abgeschlossen, und hat sie davor geschützt, von den grossen Völkerbewegungen Europas mit fort- gerissen zu werden. Der Zug der Karpathen erhebt sich durchschnittlich zu 1000 m Seehöhe, und fällt an seinem nordöstlichen Vorsprunge gegen Weichsel und San in breiten Terrassen ab. Jenseits dieser Stromthäler steigt wieder ein flacher Landrücken zu etwa 300 m Seehöhe an, der die Hauptkette des Gebirges gleichmässig in etwa 20 Meilen Entfernung begleitet. Auf ihm entstehen in der Nähe der BugqueUen zahlreiche Flüsse und Bäche, welche ihre Gewässer gegen Nordosten einer Hoch- Häche von mehr als 200 D Pfeilen Ausdehnung zufliessen lassen. Diese fast wagerechte Ebene, welche sich vom 51. zum 53. Breiten- grade ziemlich genau auf der Glitte zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meere ausdehnt, bedecken die Pripet sümpfe. Da sie in 160 m Seehöhe liegen und ihre Entfernung nach beiden Meeren 142 VIII. 1. Auftreten und Verbreitung der Slawen und Finnen, in srader Linie ungefähr 80 geogr. Meilen beträgt, würden ihre Wassermassen noch mit dem starken Gefälle von beinahe 2 m auf die ]\leile abziehen können. Der Stufencharakter des Landes und leichte llügelwellen gegen Norden stauen sie aber weithin auf, und geben allen Abflüssen einen so vielfach gewundenen Lauf, dass die ungelieure Fläche erst in neuester Zeit mit grossen Anstrengungen die noth- wendigsten dauernd fahrbaren Strassenlinien erhalten hat. Dieses schwer zu durchdringende Gebiet trat von jeher den durch die russischen Steppen heranziehenden Volkerraassen wie eine natür- hche Festung entgegen. Zwischen ihm und den schluchtenreichen Vor- bergen der Karpathen blieb nur ein verhältnissmässig enges Thor. Hier war deshalb die Eingangspforte des Avestlichen Europas für (iernianen und Slawen, überhaupt für alle Völker, welche die Karpathen nicht zu übersehreiten oder nach Süden zu umgehen vermochten. Auch die Umgehung der Pripetsümpfe nach Norden war bis zum finnischen Meerbusen nahezu ausgeschlossen. Denn sie stehen im Osten im unmittelbaren Zusammenhange mit den weltbekannten Morästen der Beresina, welche die feste Linie stromauf fast genau nach Norden zu den Quellen der Dischka weiterführen. Das Dischka- gebiet behält denselben Charakter weithin versumpfter Flussauen bis zur Mündung in die Düna. Unmittelbar jenseits der Düna aber setzen sich die gleichen Versumpfungen um Sarijanka, Esha, Ewst und Welikaja bis zum Peipussee fort. Selbst noch nördlich dieser grossen Seefläche, längs des Abflusses, den sie durch die Narowa in den finnischen Meerbusen hat, verschliessen 5 bis 10 Meilen breite Moore den Durchgang. Diese über 100 Meilen lange Sumitflinie bildete die Ostgrenze der Litthauer. Aehnlicli bot sich für ihr Gebiet ein ziemlich fester, wenn auch nicht so durchweg gleichmässiger Abschluss nach Westen. Auch hier ziehen von den Pri])etquellen her breite Morastttächen am nahen Bugstrom weiter nach Norden und setzen sich am Muchowetz, obern Narew und Bebrc zum Pyssek und Lyk fort. ISIit dem Pyssek, dem südlichen Abzüge des Spirdingsees, ist das im hohen Grade kupirte Terrain der Seeenzone des preussischen Landrückens erreicht, welches über das ganze Oberland gleich schwierig gangbar bleibt und seinen Abschluss bis zum Frischen Ilafi' im Drausensee und den Tnmzborgcn findet . Jedenfalls giebt es wenige grössere Landstriche, welche so leicht zu vertheidigen waren, als Litthauen. Offen standen seine Grenzen nur bei starkem Frost im Winter. Doch auch solchen Angriffen gegen- VIII. 1. Auftreten und Verbreitung der Slawen und Finnen. 143 über liegt das Land schon zu weit unter dem südwestlichen Klima, als dass nicht wenige Tage Thauwetter den eingebrochenen Feind in hülflose Lage versetzen konnten. Die wenigen Worte des Tacitus über die Aestii (c. 45) deuten auch einigermassen ihren friedlichen Zustand an: »Das suevische Meer bespült das Küstenland der Aestier, welche an Sitten und Tracht den Sueven, an S]irache den Britanniern nahe kommen. Sie verehren die Göttermutter. Als Sinnbild des Gottesdienstes tragen sie Gestalten von Ebern. Diese dienen statt WaÖen und jeder Art Schutzwehr, sie sichern den Verehrer der Götter selbst in des Feindes Mitte. Selten gebrauchen sie Eisenwaffen, häufiger Knüttel. Weizen und andere Früchte pflanzen sie fleissiger, als sonst die trägen Germanen thun. Aber auch das Meer durchsuchen sie, und sie sind die Einzigen von allen, die den Bernstein, von ihnen (des genannt, in Untiefen und am Ufer selbst lesen.« Ptolemaeus führt als Stämme der Aestii die Galindae und Sudini an, deren Namen mit Sicherheit auf die Landschaften Galindien und Sudauen hinweisen, die anderer wie der Stavani, Igylliones, Ossioi und Karbones lassen nur Muthmassungen zu. In Oueltai sieht Müllen- hotf ^) wohl mit Recht nur eine Verstellung für Letuai, also die älteste Bestätigung des einheimischen Volksnamens, während sie den Römern als Aestii durch deutschen Mund aus dem altnord. Eistir, Eistland (Osti, Ostland) bekannt geworden sein müssen. Dass sie als der ältere Stamm gegenüber den eigentlichen Slawen beurtheilt werden, findet seinen Hauptgrund in ihrer alterthümlicheren Sprache, welche dem Sanskrit viel näher steht, als alle anderen slawischen Dialekte. Ihre inneren Staramverschiedenheiten lernen wir erst bei dem Ein- dringen der Dänen und Deutschen im 11. und 12. Jahrhundert kennen. Seitdem und wahrscheinlich schon lange vorher besteht eine fast unveränderte Scheidelinie, die bis heut das südliche eigentliche Litthauen von Kurland abgrenzt. Nördlich dieser (Jrenze sassen und sitzen noch jetzt die nahe verwandten, ebenfalls slawischen Letten, welche anscheinend das Festland ursprünglich bis zum finnischen Meerbusen inne hatten, seitdem aber von den Finnen wesenthch eingeschränkt worden sind -). Diese Veränderungen in dem Besitz- stande der Litthauer durch das Eindringen der Finnen beginnen, soweit geschichtlich bekannt ist, erst im 7. Jahrhundert nach Chr. — 0 Deutsch. Alterthum. II, 24 u. 13. *) Dr. A. Bielenstein, Die Grenzen des lettischen Volksstammes, Petersburg 1892 (S. 3, 150). 144 \'I1I. 1. Auftreten und Verbreitung der Slawen und Finnen. Die eigentlichen Slawen kennt Tacitus ebenfalls unter der deutschen Bezeichnung Venedae, Wenden. Tacitus. Plinius und Ptoleraaeus stimmen auf Grund verschiedener Quellen darin überein, dass zu ihrer Zeit die Venedae bereits bis an die mittle Weichsel reichten. Da die Deutschen den Namen des Stromes aus slawischem Munde annahmen, ist auch wahrscheinlich, dass die Veneden den Oberlauf in den galizischen Ebenen und den Bogen um die Lissa Gora seit lange auf beiden Ufern besassen. Unterhalb des Bug bis zur Ostsee hatten die Gothen Masovien und das Drewenzthal inne. Diese Vertheilung der Volksgebiete stimmt völlig mit den geo- graphischen Verhältnissen. Wenn die Litthauer zunächst den Ostgermanen gefolgt sind, liegt ihre natürliche Grenze gegen letztere in den obengedachten Narewsümpfen und dem oberländischen Seen- gebiete. Die späteren Veneden aber haben sich im Südosten und Süden der Pripetsümpfe ausgebreitet und sind in dem Hügellande zwischen dem Pripet und den Karpatlien so weit vorgedrungen, bis sie an der Weichsel und um die Quellen der Oder und Warthe auf die Germanen stiessen. Ptolemaeus nennt unter ihnen Sulanes, welche an der in fruchtbarer Gegend oberhalb Krakau mündenden Sola sehr gut ihre Stelle finden. Allerdings giebt es auch am Dniepr eine Sula, aber nur die westliche Sola kann den Römern auf ihren Handelswegen bekannt geworden sein. Die Gothini, deren »Sprache Tacitus, wie die der Litthauer, gallisch nennt, und welche nach seinem Berichte den Germanen Tribut zahlen, lassen sich mit Wahrscheinlichkeit als die vorderste und deshalb den deutschen Nachbarn zinspflichtig gewordene Gruppe der Veneden im oberen Weichsellande auffassen. Dagegen können die benachbarten Ösen nicht als Slawen angesehen werden, weil ihre Sprache als pannonisch von der der Gothinen bestimmt unterschieden wird. Im übrigen lokalisirt Tacitus die Veneden mit hinreichender Sicherheit. Er ver- zeichnet auf dem weiten östlichen Ländergebiete die Bastarnen als die äussersten Germanen in den Kari)athen, ferner im Nordosten des grossen östlichen Flachlandes die Fennen, im Südosten die Sarmaten, und zwischen den drei Völkern die Veneden, und sagt: »Schmutz und träges Hinbrüten ist bei allen. Die Vornehmen der Bastarnen sind durch Wechselheirathen einigermassen zu sarmatischer Lebensart herabgewürdigt. Die Veneden haben viel von ihren Sitten ange- nommen, denn was sich zwischen dem Bastarnen- und Fennengebiete an Wäldern und Gebirgen erhebt, durchschweifen sie in Raubzügen. Sie sind jedoch eher unter die Germanen zu zählen, weil sie stehende VIII, 1, Auftreten uud Verbreituug der Slawen uud Fiuueu. 145 Hütten bauen, St-hilde führen und als schnelle Läufer gern zu Fusse sind, was bei den Sarmaten alles verschieden ist, die auf Wagen und Pferden ihr Leben zubringen.« Indess bemerkt noch Procop (III, 4) ein halbes Jahrtausend später: Die Selabcnen und Anten wohnen in erbärmlichen Hütten, weit von einander getrennt, und jeder verihidert häufig den Ort seiner Wohnung. Die (Jrenzen der Finnen darf man, wie näher zu zeigen sein wird, ungefähr vom Ilmensee nach Samara an der Wolga ziehen, die der skytischen Sarmaten von Samara längs des Nordrandes der Steppen nach Balta. Dass aber eine weitere Linie ungefähr von Balta zur Bukowina die Südgrenze der Veneden gegen die Donauländer bildete, ergiebt sich aus den Namen, mit welchen die Slawen diesen Strom und seine Anwohner bezeichneten. Die Griechen und alle thrazischen und dakischen Völker nannten die Donau Istros. Die Gothen, wie alle Germanen, brauchten das Wort Donau, in dem noch das keltische Don, Wasser, nachklingt. Für die Romanen aber hatten sie die Bezeichnung Walen, Welsche, Wlachen. Beide Be- nennungen haben die Slawen dem deutschen Munde entnommen, und dies beweist, dass sie so lange von den Donauländern weit abgeschnitten waren, bis im 2. und 3. Jahrhundert gothische Stämme die Wallache! und die Küstenlandschaften des Schwarzen Meeres besetzten und den nördlich anstossenden Slawen allmählich die Kenntniss des Südens vermittelten. Die Venedae wurden, wie Jornandes c. 23 sagt, von Ermanarich im ersten Anlauf besiegt und waren zwar zahlreich, aber in den Waffen gering zu achten. Ermanarich, König der Greutungen^) oder Ostgothen, der auch über die Westgothen gebot, hatte um 350 vom Schwarzen ]\Ieer her div Heruler an der Maeotis und nach Norden zu die Veneti, Astii und Fenni bis zum Onega- und Ladogasee seiner Herrschaft unterworfen"-). Schon 374 beim Andränge der Hunnen verzweifelnd, legte er, über 100 Jahre alt, Hand an sich selbst, und die Gothen unterwarfen sich diesen nach verlorener Schlacht. Es ist von Saxo (I, S. 412) angedeutet, dass die Slawen sich gegen Ermanarich erhoben. Höchst wahrscheinlich, bildeten sie die nächste Machtvers tärkung der Hunnen, halfen, obwohl ungenannt, unter deren Führung und Namen die Gothen besiegen, begleiteten die Züge Attilas nach Westeuropa und breiteten sich unter ihm nach der norddeutschen Ebene aus. ') Der Name heisst Felsbewohner und tritt in Schweden für die Ostgothen auf, wo er allein entstanden sein kann. Müllenhoft" II, S. 64. — ^) Ammian. Marcellin. 31, .3, 1. Meitzen, Siedelung etc. II. 10 146 VIII. 1. Auftreten und Verbreitung der Slawen uml Finnen. Die weiten Länderstrecken von der Weichselquelle bis zur Peene standen ihnen zu Attilas Zeiten offen. Bereits 170 begann mit den Asdingen, nach ihrem Namen den eigentlichen Hütern des Stammkultus der Lugier^), die gegen die untere Donau gerichtete Bewegung der vandilischen Ostgermanen. vSie gingen über die Karpathen nach Dacien. Fast gleichzeitig zog eine später Taifalen^) benannte Gothenschaar in die Wallachei. 240 brach die Masse der Gothen nach dem Schwarzen Meere auf. Ihre letzte Abtheilung, die Gepiden von den Weichselmündungen, folgte um 250 in die Karpathen, und 258 war Dacien gothisch. Bald darauf er- scheinen östlich am Asowschen Meer die Heruler, welche von der Süd- küste der Ostsee, schwerlich aus Skandinavien, kamen (o. II, S. 27). Schon vor 290 traten auch die angeblich von den Gepiden ver- nichteten Burgunden an der Donau neben den Gothen und Alanen auf, und zogen, von den Vandalen bedrängt, den Strom abwärts zum Main (o. I, S. 405). 406 verlassen endlich vanninische Sueven und Quaden Pannonien und Mähren, um mit Vandalen und Alanen ihren grossen Zug durch Süddeutschland nach Gallien anzutreten (o. I, S. 408). 409 zeigt noch eine Konstitution des Honorius unter- worfene Skyren im Marchgebiete , deren Kolonisation Privaten ge- stattet wird. Rügen und Skyren, die letzten der Vandilier vom Strande der Ostsee, bilden bei Sidonius (1. 7, 321) die Spitze der Heere des Attila, und erscheinen nach dessen Untergang wieder an March und Donau. Das alte Gebiet der Vandilier, östlich der von Caesar angedeuteten unbewohnten Grenze der Sueven, war also verödetes, beinahe menschenleeres Land geworden. Die Slawen hätten es anscheinend auch ohne Attila besetzen können. Wie weit sich die verwüstenden Züge der Hunnen nach Westen über die alte Suevengrenze gegen die Elbe und Saale erstreckten, darüber sind hinreichende Nachrichten nicht erhalten. Dass das Haupt- heer des Attila durch Böhmen gezogen, lässt sich nicht überzeugend, mit Palaky, I, 70 und Schaffarik, II, 412, darauf stützen, dass nach Eugippios Leben St. Severins die römischen Städte des rechten Donauufers damals noch nicht zerstört waren (o. Bd. I, S. 406). Attila selbst zog nach allen Nachrichten durch Süddeutschland an den oberen Rhein gegen Worms. Aber sein Heer war des Unterhalts wegen nothwendig getheilt und nahm auf verschiedenen Strassen die Völker ') Müllenhoff II, 91. Dio Cassius 71, 12. Zosimus 12, 347. 2) R. Much, Südmark der Germanen (Sievers Beiträge Bd. 17, S. 181) erklärt die Taifalen als Lugier oder Bastarnen. VIII. 1. Auftreten und Verbreitung der Slawen und Finnen. 147 auf, die ihm Folge zu leisten hatten. Als die nördlichsten dem Attila unterworfenen Westdeutschen werden die Thüringer genannt. (8idon. AppoUin. Carm. 7, 323). Rechnet man zu diesen die seit alter Zeit hermundurischen Warneu, so reichten sie allerdings bis zur Ostseeküste. Landulf in der Historia Miscella, p. 97, sagt indess aus- drücklich nur: erant si quidem ejus subjecti domini rex ille Gepidarum famosissimus Ardaricus, Uvalamir etiam Gothorum regnator, ipso, cui tunc serviebat, rege nobilior, fortissimae nihilomnius gentes INFar- comanni, 8uevi, Quadi, praeterea Heruli, Turcilingi, sive Rugi cum propriis regulis, aliaeque praeter hos barbarae nationes in finibus aquilonis commanentes. Jedenfalls gab es für die Slawen aus Russland und Polen keinen näheren und bequemeren Weg, als durch Schlesien über Thüringen und Fulda nach dem Rhein. In der Nähe von Vacha glaubt man noch gegenwärtig einen Ort zeigen zu können, wo Attilas Zelt ge- standen habe. Die Slawen aber konnten, einmal in die weiten lilbenen des Odergebietes geführt, auf der Rückkehr oder von der Heimath aus, hier, ohne einen Feind zu finden, den weiteren Kämpfen aus- weichen. Die starken Volksmassen, mit denen sie hundert Jahre später nach Westen vordrangen, fordern unabweisslich eine solche Zwischenzeit ziemlich ruhigen Daseins. Müllenhoff nimmt dies auch an und widerspricht dabei der Meinung, dass die alte deutsche Bevölke- rung ihre Heimath völlig aufgegeben und unbewohnt zurückgelassen habe. Dies wird schon durch die Erzählung Procops (Bell. Vandal. I, 22) unwahrscheinlich, nach welcher die Vandalen in Carthago der Bitte der anscheinend in Pannonien zurückgebliebenen Stammes- genossen nicht nachgaben, ihnen ihr Anrecht an den heimathlichen Besitz unbeschränkt zu überlassen. Ea widerlegt sich aber bestimmt dadurch, dass die Slawen nach den Silingen Schlesien Slezi, den Zobtenl)erg Slenz, das Flüsschen Lohe Slenza nannten, und auch die Oder ihren deutschen Namen behielt. Diese Namen konnten sich ohne eine gewisse Zeit des Zusammenlebens in gemischter Bevölke- rung nicht erhalten. Andererseits können die Reste nicht zahl- reich gewesen und müssen bald slawisirt oder völlig untergegangen sein, denn es verschwindet von ihnen jede Spur. Alle Orte mit Namen Niemek, Niniptsch u. ähnl., die in Schlesien, der Oberlausitz und Böhmen vorkommen, waren zwar unzweifelhaft einmal von Deutschen bewohnt, führen aber nicht in alte Zeit zurück. Hätten Deutsche in diesen Orten schon seit der Einwanderung der Slawen gewohnt, so würden sie, wie Slenz, ihre deutschen Namen behalten haben. 10* 148 VIII. 1. Auftrc'U-ii 1111(1 Verbrt'itniig di-r Slawc-n tiiid Finnen. Keine dieser Ortschaften wird früh genannt. Die älteste Angabc ist die Thietmars (7, 44) über das schlesische Nimptsch von 1046. Dies war aber ein Kastellaneischloss und wahrscheinlich nur mit deutschen Söldnern l)esetzt, welche, wie sich zeigen wird, bereits unter Miecis- laus die Hauptmacht des Königs bildeten. Diese Geringfügigkeit der Spuren älterer deutscher Niederlassung rückt die slawische Besitznahme Schlesiens in möglichst frühe Zeit hinauf, weil andernfalls die Trümmer der deutschen Bevölkerung sehr Ijald wieder erstarkt wären. Schon 480 taucht indess in diesen Gegenden ein unbekannter Name Assipitti auf, der wahrscheinlich den Slawen angehört. Die Longobarden sammelten sich bei ihrem Auszuge aus dem Bardengau um diese Zeit in Scorunga, ihr Zug ist offenbar durch Fabeln ent- stellt, die ihre Herkunft aus dem sächsischen Lassenthum verdecken sollen. Aber die Angabe, dass ihr Weg von der Elbe durch Maurunga- land ging, und sie dort die Assipitti antrafen, durch die sie sich verstärkten, scheint richtig, denn terra maurungania bestimmt sich nach verschiedenen Nachrichten als das verlassene Land der Gest- und Ostgermanen zwischen Oder und Weichsel. Der Name Maurunga- land darf, wie Müllenhoff erörtert (LI, S. 97), sprachlich auf Mire, nord. Maur, Ameise, als das Land zurückgeführt werden, in welchem nun die Stämme durcheinanderlaufen wie die Ameisen. Der Name der suevischen Myrginge bei Vidsidh (o. II, S, 26) ist nicht verwandt^). Unter dem Namen Slowenen werden die Slawen erst 527 von Procop als Augenzeugen genannt. Frühere Erwähnungen seit 493 sind zweifelhaft, oder beruhen auf Tradition (Müllenhoff II, 867 flf.). Am wichtigsten ist, dass nach Procop selbst (bell. goth. 2, 15) die um 513 aus Pannonien zu den Warnen am westlichen Ostsee- strande wandernden Heruler die Sclabenen anscheinend in Schlesien finden und sich mit ihnen über friedlichen Durchzug einigen. Procop (ebd. 3, 14) theilt auch in dem Worte Sporoi, welches als eine Gräcisirung von Srb, Serbi, aufzufassen i.=!t, ihren ältesten und umfassendsten Namen mit. Serbi werden schon bei Phnius (bist. nat. VI, 7) und bei Ptolemaeus (Geogr. V, 9) zwischen Wolga, Kaukasus und Don genannt, und die Bezeichnung erhält sich später bei Süd- und Nordslawen in grosser Verbreitung. Sie bedeutet Volk. Jornandes und Procop stimmen darin überein ^), dass die Veneden verschiedene Namen trugen, im allgemeinen aber von der Donau und ') R. Hcinzel, Ostgoth. Heldensage, Sitzb.d.Wien. Akad.ph. h.A. 1889B. 119,24. ^) Jornandes c. 5. Procop, Bist. ecc. c. 18, Bell. Goth. 1, 24; 3, 40; 4, 4. VIII. 1. Auftreten und Verbreitung der Slawen und Finnen. 149 der Weichsel l)is zum Dniester Slowenen, jenseits des Dniester Anten genannt wurden. Kunik hat nachgewiesen, dass dieser Name stamm- fremde", vielleicht tscherkessische, Dynasten bezeichnet, welche im 6. .Jahrhundert die nürdlich des Schwarzen ^Meeres wohnenden Slawen beherrschten ^). Der Gewährsmann in dem dem Nestor zugeschriebenen Bericht, selbst ein Ante, nennt auch die Anten Slowenen. Mit dem Namen Slowenen, nach SchafFarik II, 42 (von Slowo, Wort, die Sprechenden), müssen sich durch lange Zeiten alle die Slawen bezeichnet haben, welche mit Griechen und Römern und zwar wesentlich durch Sklavenhandel in Beziehung kamen. Denn das Wort Sklave ist allein aus dem Namen ffXaßrjvog, slavus, entstanden, der im ^lunde der Griechen und Römer schwer anders als axlaßrjvog, sclavus, auszusprechen war. Um 590 ist es schon, wie Fredegar zeigt, in der gesammten romanisirten Welt in Gebrauch. Nicht allein die südslawischen Slowenen, sondern ebenso die westslawischen Wenden werden mit sclavi bezeichnet, und ihre Ländergebiete terra sclavorum genannt. Nach Schafiariks (I, 218) Meinung kommt der Name Slowenen auch schon bei Ptolemaeus im Sarmatenlande vor, und zwar (III, 5) in Sarmatia Europaea und wird (VI, 5) intra Imaum, also an der Stelle der Serbi, irrig wiederholt. Gegenüber der sichern geogra- phischen Stellung der Slawen haben die Namensformen kein durch- greifendes Gewicht, ^^'ohl aber beweist die eigenthümliche Namens- umdeutung als Sklaven, dass die Slawenstämme durch mehrere Jahrhunderte vorzugsweise Gegenstand des Menschenraubes waren und l)ei den steten Völkerkämpfen und Verschiebungen auf der süd- russischen Steppenstrasse keine glückliche, sondern eine überwiegend passive Rolle spielten. Schon vor der Mitte des 6. Jahrhunderts beginnt sich indess nach Westen und Süden ihre wachsende flacht fühlbar zu machen. 531 wird von Franken und Sachsen das Thüringische Reich zer- stört und so getheilt, dass die Unstrut die Grenze bildet. Dabei ist von dem Gebiete östlich der Saale schon nicht mehr die Rede. Seit Chlotars Zug von 555 wird auch Nordthüringen nur links der Saale genannt. 508 aber, als der Auszug der Longobarden stattfindet und eine Schaar, wie angegeben wird, von 25000 Sachsen aus der Gegend zwischen der Bode und Wipper sich ihnen anschliesst, versetzt Sige- bert von Francien, obwohl durch das Abkommen mit Alboin die Awarengefahr bereits beseitigt war, die Reste der Sueven, deren ') Die Nachrichten AI. Belloi's u. a. über Russland und die Slawen I, p. 147 (russ.), Petersburg 1878. 150 VIII. 1. Auftretfu und Veil)rcitnng der .Slawen uml Finnen. grösster Thoil ihren König, den Schwager Alhoins, nach Italien be- gleitete, von rechts der Elbe auf das linksseitige Gebiet, ofl'enbar weil er sie in der Mark nicht mehr zu schützen vermochte. 623 beginnen dann die Käm])fe der Franken mit den Bfihmen unter Samo, welcher BiJhmen und Mähren seit 620 mit Glück gegen die Awaren vertheidigte und darauf in immer wiederholten ver- beerenden Zügen tief nach Franken einfiel. Herzog Rudolf von Thüringen trat ihm zwar um die Mitte des 7. .Jahrhunderts siegreich ent- gegen und hielt die Saalegrenze. Es zeigt sich aber, dass sich die sorbenwendischen Slawen seitdem südlich am obern Main ])is zur Rednitz und nördlich an der langen Saale- und Eiblinie auf dem alten Gebiete der Warnen und Angeln festsetzten , welches diese um 500 zur Zeit Theodorichs des Grossen (o. I, S. 411) noch inne hatten. Diesem Vordringen im Binnenlande kam die am venedischen Busen und im OderhafF seit 700 rasch zu grosser Entwickelung ge- langte Seemächtigkeit der Wenden entgegen. Sie besetzten Rügen, die mecklenburgischen Küsten und Wagrien, d. h. Fehmarn und das Lübische und Eutinerland bis zur Kieler Fiirde. — In derselben Periode überschwemmten die in Dacien erstarkten Südslawen in immer erneuten Raubzügen die Balkanhalbinsel und den Peloponnes. 535 kämpften sie mit den Gothen vereint in Illyrien gegen .Justinian, seit 547 überschritten sie auch in Mösien die Donau, machten grosse Raubzüge durch Thracien, Macedonien und Griechenland und setzten sich etwa 580 in dem von den Gothen verlassenen Krain, Istrien, Kärnthen und Steiermark fest. Inzwischen aber waren die schon 465 von Priscus in ihrem Rücken genannten Awaren 558 am Kaukasus erschienen und von Justinian gegen die Südslawen und Bulgaren in Sold genonnnen worden. Sie unterwarfen diese 562 entscheidend und wandten sich dann nach der Elbe gegen Sieg])ert von Franken, der sie erst abwies, 566 aber so empfindlich geschlagen wurde, dass ihn nur der Longo- barde Alboin durch Vermittelung eines Abkommens rettete, welches den Awaren Ungarn überwies. Dort vernichteten sie gemeinsam mit den Longobarden 567 die Gepiden und verbreiteten sich, nachdem die Longobarden nach Italien gezogen, auch über das westliche Pannonien und Dalmaticn, in welchem sie um 600 Salona eroberten. Gegen diese Awarenmacht suchte Heraclius bei den Slawen in Rothrussland Hülfe. Er schloss um 630 mit den Chrowaten (den Kari'»athen1)ewohnern Chrby) und einem anderen hinter denselben sitzenden Serbenstamme Verträge zur Vertreil)ung der Awaren in dem VIII. 1. Auftreten und \'erbieitung der .Slawen und Finnen. 151 Sinne, dass ilinen das eroberte Land derselben überlassen werden sollte, wenn sie des Kaisers Oberhoheit anerkennen würden. Schaflarik (II, 248) hat ül)erzeugend dargethan, dass es sich nicht um westliche Sorben, sondern um östliche, dialektisch den Russen nahestehende Slawen handelt. Die Chrowaten vertrieben die Awaren aus der Gegend von Belgrad an der dalmatisch-adriatischen Küste, aus Una am Bihatsch und aus dem heutigen Kroatien zwischen Sawe und Drawe, und machten Sissek zu ihrem Hauptorte. Die Serl)en dagegen setzten sich in Serbien, Bosnien, der Herzegowina und Montenegro fest. Es ist mögUch, dass die Morlaken die Reste der dortigen Awaren sind. Mehrere Inseln und Küstenplätze Dalmatiens blieben bei Ostrom. Nördlich der Drawe in Pannonien ])ehielten aber die Awaren die Oberherrschaft und breiteten dieselbe von da nördlich bis an die Grenzen Thüringens und der Lausitz aus. 738 setzten sie sich auch im Donauthal bis zur bayrischen Grenze fest und erstürmten Lorch an der Enns. Seitdem scheiden sich dauernd Südslawen, welche dialektisch den Russen nahestehen, und Nordslawen, welche dialektisch die Polen, Böhmen und norddeutsclien Sorbenwenden umfassen. Dabei ist eine Theilung in Slowenen und Anten ausgeschlossen. Vielmehr scheint, wie aus Zeuss S. 603 ff. hervorgeht, ursprünglich eine Unterscheidung nach der Beschaffenheit des von den einzelnen Stämmen bewohnten Bodens und der dadurch bedingten Lebensweise gemacht worden zu sein. Leche, Ljachowc heisst der Waldbewohner ^). Jornandes sagt von den in den Karpathen lebenden Slawen: hi paludes, sylvasque civi- tatibus habcnt. Der Bericht des mehrgenannten Nestor, der die Ijcchen ausdrücklich Ljachen nennt, rechnet zu ihnen auch die Radimitschen und Wjätitschen. Diese sassen im Herzen Grossrusslauds um Moskau und südHch davon bis zu den Sjweren, deren örtliche Stellung durch Siewsk und Nowgorod-Sjewersk an der Desna bezeichnet ist. Die Polen dagegen am Dniepr und die Drewljane, deren Name ursprünglich auch Waldlcute bedeutet, unterscheidet er als Slowenen. Gleichwohl erzählt er: als die Wlachen einen Anfall auf die Slowenen an der Donau machten, wanderten Slowenen aus und Hessen sich am Flusse "Weichsel nieder und hiessen Lechen. Und einige von diesen Lechen wurden Polen genannt, und andere Lechen Lutiker, andre Masowier, andre Pommern. Er nennt also überhaupt alle an der Ostsee woh- ') Schaffarik (II, 394) erklärt, obwohl ersichtlich mit schwachen Gründen, Lech als freier Landbesitzer, Edelmann. 152 VIII. 1. Auftreten und N'cibrcitnug der Slawen und Finnen. nenden Slawen Lechen, Die offenbar irrige Voraussetzung, dass alle Slawen von der unteren Donau stammen, und dass die Tschechen und Mähren von den an diesem Strome in Serbien sitzenden Slowenen ausgezogen seien, macht alle Folgerungen aus diesen Angaben unzu- lässig. Der tschechische Dialekt ist nicht mit dem russischen, sondern mit dem polnischen am nächsten verwandt. Die Nordslawen in Polen und Böhmen gründeten schon im Anfange des 7. Jahrhunderts grössere Reiche. Die südlichen Slawen verbreiteten sich weiter nach Stey er mark und Tyrol und werden 631 in der longobardischen Markgrafschaft Trient genannt. Sie wurden oftmals und namentlich 760 von Tassilo von Bayern gegen die Awaren unterstützt. Tassilo setzte sogar um 770 seinen Sohn Theodo zum Nachfolger des letzten slawischen Fürsten der karantanischen Slowenzen ein. Diesen vertrieb dann 778 Karl der Grosse und errichtete die Karantanische Mark. Karls wiederholte Sachsenkriege Hessen indess den Awaren und Slawen freie Hand. Erst in dieser Zeit scheinen die Lüneburger Wenden die damals noch unbewohnbaren Sumpfflächen der Eibauen und der Wische überschritten und sich im Wend lande um Dannenberg und Lüchow und bald auch südlicher bis zum Drömling festgesetzt zu haben ^). 789 demüthigte allerdings Karl die Wilzen durch einen Zug in das Havelland, aber 790 war Deutschland auf die engsten Grenzen beschränkt, die es je besass. — Die Sachlage wurde nun zwar im Süden durch die glänzenden Feldzüge Karls gegen die Awaren 791 — 796 wesentlich ver- ändert. Die Awaren gingen völlig unter. Was nach der Erstürmung des letzten festen Ringes ihres Chakans an der Theiss 796 von ihnen noch übrig war, verschwand unter den Bulgaren. Karl errichtete die Ostmark bis zur ungarischen Grenze, setzte über Kroatien den Ban der Kroaten als Rector unter dem Markgrafen von Friaul ein und vertrug sich 810 mit Ostrom über die Abgrenzung von Dal- matien. Seine P^inrichtungen bestanden fort, bis Arnulf von Kärnthen gegen das inzwischen entstandene Grossmährische Reich die ITngarn zu Hülfe rief, die von 900 an durch ein halbes Jahrhundert alle diese karolingischen Eroberungen unter den wildesten Verwüstungen Avieder in Frage stellten. Im Norden aber brach 798 der letzte Sachsenkrieg aus, den Karl erst 804 beendete. Im Lager bei Hollensteti südlich Bardowiek ') Das Balaamerland um Tangermünde eroberten sie erst 982 gegen Otto III. VIII. 1. Aiiftroti'u iiud Vorlireitiuig der Slawen und Finnen. 153 ordnete er gegen Göttrik von Dänemark die Eydergrenze, trat dem Obotriten Drosuk das Land der rc'chtsall)ingischen Sachsen, die er sämmtlich hatte fortführen lassen, ab, und scheint nun, ähnlich wie Tiberius, nach allen seinen grossartigen Siegen beabsichtigt zu lialjcn, dem Reiche dauernden Frieden hinter einer festen Grenze zu geben, und jenseits derselben die Slawen, die ihm auf seinen Durchzügen mehrfach gehuldigt hatten, sich selbst zu überlassen. Wenigstens stellten im Beginn des Jahres 805 zwei ausführliche Capitularien den schon mehrmals genannten Limes sorabicus fest. Diese Grenzlinie wurde der besonderen Aufsicht der Markgrafen und Grafen anhefohlen. Es durften über dieselbe keine Waffen ausgeführt werden, und der Handel war nur an einzelnen Hauptpunkten und auch an diesen nur mit der Beschränkung gestattet, dass kein slawischer Kaufmann nach Deutschland, ebenso aber auch kein deutscher Kaufmann in das Slawenland hinül^ergehen sollte. Diese Handelsplätze waren von Süden nach Norden Lorcli an der Enns, Regensburg, Bremberg (bei Nürnberg), Forchheim, Bamberg, Erfurt, Naumburg, Merseburg, Magdeburg, ein in der Nähe von Gifhorn oder Bodenteich zu suchendes Chesla, endHch Bardowiek. Jenseits der Elbe setzte sich diese Linie von Lauenburg an der Steckenitz nach Segeberg und längs der Schwentine bis zur Kieler Förde fort. Es lässt sich nicht sagen, dass diese Grenze genau die Deutschen und Slawen geschieden hätte, die deutsche Oberherrschaft wird sich mehrfach, wie ])ei Regensburg, Bamberg, Erfurt und Lauenburg, auch -jenseits des graden Zuges der Linie erstreckt haben, und es lassen sich auch auf der deutschen Seite nicht wenige Slawenansiedelungen nachweisen. Aber im wesentlichen bedeutet dieser Limes sorabicus doch die Westgrenze, bis zu welcher das Vordringen des slawisch- nationalen Agrarwesens angenommen werden muss. Dadurch wird also möglich, die Betrachtung der nationalen Siede- lung, ebenso wie dies für die Kelten und Römer gescliehen, auch für die Slawen an eine bestimmte Grenzlinie anzuschliessen , welche sie gegen die Deutschen abscheidet. Dieselbe beginnt in den Alpen ungefähr mit den Tauren und dem unteren Laufe der Enns, geht von der Enns bis Regensburg ül)er die ungeheure Gebirgseinöde hin, welche für jene Zeit im südlichen Böhmerwald und Bayrischen Walde längs des linken Donauufers zu denken ist, und zieht dann nordwestlich von Regensburg über Parsberg und Hilpoltstein durch die ausge- dehnten Haiden etwa zur Rezatmündung. Weiter wird sie durch den Lauf der Rednitz, Regnitz und Itz bis zur Höhe des Thüringer- 154 VIII. 1. Aufti'tcii iiml \'cil)ic'itung der Slawen und Finnen. Waldes gebildet. Nördlich des Thüringerwaldes liegt sie im Laufe der Saale und Elbe bis zur Obrem ündung und führt dann die Ohre aufwärts über den Drömling nahe der Ilmenau zur Göhrde und dem Hochufer der Elbe. Jenseits der Elbe folgt sie der Delvenau, Stecke- nitz und Schwontine zur Kieler Bucht. Bis an diese Linie reichte von Osten her das von den Deutschen erst nach 790 allmählich wieder besetzte und germanisirte Slawenland. — Mit ähnlicher Bestimmtheit lässt sich auch die Nordostgrenze der Slawen gegen die Finnen feststellen. Ptolemaeus setzt die Aestii noch bis an den Finnischen Meer- busen. Dass er die Phinnoi auf der Ostseite der Weichsel nennt, beruht nur auf irriger Verstellung des nördlicheren Namens. Jemandes nennt c. 25 nach Cassiodor unter den Völkern, welche Ermanarich um 350 unterworfen haben soll, die Golthescytha und die Thiudos in Aunxis. In beiden ersteren Worten wird der slawische Name der Finnen Cjudi unter 2 unterscheidenden Bezeichnungen ge- sehen. Der Ort in Aunxis wird durch den finnischen Namen Aunus für russisch Olonetz erklärt^), so dass die Finnen zwischen Ladoga- und Onegasee erwähnt erscheinen. Die Vasinabroncas, die der Reihe folgend neben ihnen genannt sind, werden als Vasina, Visans, und als Broncas, Bermans, also als die Wesi Wepsen, und die Permans Permen ausgelegt. Die weiter westlichen Merens und Mordens lassen sich als Merja und Mordwa, endlich die Imniscaris als Ceremisi ansehen. Die zutreffende geographische Lage scheint die Richtigkeit der Deutungen zu verbürgen. Im 6. oder 7. Jahrhundert beginnt ein gleichzeitiges Vorrücken der Finnenstämme aus der Umgebung des Ladoga- und Onegasees nörd- lich nach Finnland und südlich über die Narwamündung in das Gebiet der Aestii. Im Norden des finnischen Meerbusens drängten sie, wie es scheint, die Quenen zurück, welche König Alfred an der Nordküste des Bottnischen Meerbusens, Adam von Bremen um 1070 auch auf der Ostseite desselben kannte. Hier im heutigen Finnland unter- scheiden sich liis zur Gegenwart die westlichen blonden und schwer- fälligen, vielleicht vorwiegend aus Quenen und Schweden hervor- gegangenen Tawastleute von den östlichen dunklen und beweglicheren Kareliern körperlich und geistig sehr auffallend, während die zwischen ihnen sitzenden Sawolaxleute als die Mischung beider angesehen werden. Südlich drangen die Kuren an der Seeküste bis zum Kurischen Haff vor, die Liven nach Tvivland, und die heutigen Esthen, ') Zeuss, S. 688. MüUenhoffll, S. 74. VIII. 1. Aultroton und Vorbioitung dcM- Slawen und Finnen. 155 welche sich selbst Maarahvas, Landvolk, nennen, setzten sich in Esthland fest, dessen Namen sie überkamen. Noch heut nennen die Karelier im Osten des Ladogasees ihren Dialekt Livvin-Kieli, Sprache der Liren, und von den Kuren werden die Esthen, Oeseler und Tawastleute Suomilist genannt. Die, wie man meint, zuerst einge- wanderten Esthen im Norden stehen den Tawastleuten am nächsten. Sie hielten die Grenzen von Esthland unverändert bis zur (Gegenwart inne. Die Liven, die den Esthen nahe verwandt sind, sind nur in den heutigen Kreisen Pernau, Fellin, Dorpat und A\'erro erhalten, hatten aber noch im 13. Jahrhundert die Niederung an der Seeküste vom Salisflusse l)is zur Düna in den Kreisen Wolmar und Wenden besetzt. Aus dieser sind sie durch die litthauisch- slawischen Letten oder Lettgallen (d. h. Grenzletten) verdrängt worden, die sich von den Kreisen Walk und Wenden aus wieder auszubreiten vermochten. In Kurland halben sich, die alten lettischen Semgallen um ^litau und Bauske, und die eljenfalls lettischen Selen um Friedrichsstadt und Dünaburg gegen die Kuren dauernd behauptet. Die Kuren gleichen den Kareliern. Das westliche Kurland ist zwar von ihnen als Herren besetzt worden, aber die Bevölkerung ist bis auf geringe Küsten- striche lettisch gemischt gel)lie])en. Letten, nicht Kuren, sind auch l)is auf die Kurische Nehrung vorgedrungen (Bielenstein a. a. 0., S. 378 ff.). An dieser ausgedehnten, vielleicht bis ins 8. Jalirhundert fort- gesetzten Wanderung scheinen indess nur nördliche in dem grossen Seen- gebiete des Ladoga- und Onegasees lebende Finnenstämme betheiligt. Die Macht der Finnen südlich bis zum Ilmensee und im Osten muss im 9. Jahrhundert noch sehr stark gewesen sein. Denn es gelang ihnen, mit den Slowenen die Waräger, welche sich der Herrschaft um den Ladogasee bemächtigt hatten, zu vertreiben. Die Slowenen legten um diese Zeit Nowgorod am Ilmensee an, und die umwohnen- den finnischen Stämme vereinigten sich mit ihnen zu einer Art Bundesstaat. Als aber bald Uneinigkeit ausbrach, ])eschlossen sie, nach keineswegs sicherer Datirung um 862, mit den Slawen gemeinsam, die Waräger als Fürsten zur Herrschaft ü])er beide Völkerschaften zurückzurufen. Rurik, der Anfangs nur Thcilfürst war, nahm seinen Sitz zunächst in Altladoga nahe der Mündung des Wolchow in den Ladogasee. Erst später wohnte er in der Burg zu Nowgorod. Die Aufzählung, welche um 1070 Adam von Bremen (IV, 14) gielit, wonach jenseits der Quenen nach Osten Wilzi, Min*i, Jami, Scuti und Turci wohnen, ist nur insofern zu verwerthen, als die Jami unbestritten an den Ladogasee gehören, wo bis ins 12. Jahrhundert ein Reich der 156 VJII. 1, Auftreten und Verljieitung der Slawou und Fiuneu. Jainen bestand. Die nach Nestor Ijcnanntc, im Beginn des 12. Jahr- lumderts waln-scheinlicli von Silvester, dem Abt des Michaelklosters, auf Widubez in Kiew, zum Theil aus älteren Nachrichten zusammengestellte Chronik gi(>bt (2, 24) das hinreichend klare Bild der Verbreitung der Finnen und ihrer Abgrenzung gegen die Slawen aus der Zeit von 1100^). Danach sassen zu seiner Zeit noch neben dem Gebiet der Slowenen von NoAVgorod am Bielo ozera die Wesi, als deren Ueberreste die dortigen ^^^epsen gelten. Darauf folgen neben den südlich der Slowenen angesessenen Kriwitschen von Smolensk die Meeren (Merja) um den Rostowschen und Klechtschinischen See. Südöstlich von den ^leeren, neben den an der Soscha und obern Oka sitzenden Radimitschen von Moskau, wohnten die finnischen Muroma um die untere Oka und ihre Mündung in die Wolga. Südlich der Okamündung aber bis zum oberen Choper werden im Osten der Wjatitschen und Sjeweren die Mordwinen (Mordwa) als die südlichsten Finnen im Westen der Wolga genannt. Weiter im Osten der Muromer auf dem Hnken Wolgaufer erscheinen rechts der Kama die Tscheremissen (Ceremisi) und nordöstlich der- selben an der Kama die Permier (Permi). Bei den Mordwinen knüpft die Erinnerung wieder an den viel älteren Bestand dieser sesshaften Bevölkerung an, denn ein Zweig derselben an der Moksa heisst Ersen, und es werden in ihnen mit Recht die Aorsen des Strabo (XI, c. 2), Plinius (h. n. IV, 18, 25, 26), Tacitus (Ann. XII, 15, 16) und Ptolemaeus (Geogr. III, 5, VI, 14) erkannt, welche schon von den Griechen und Römern an der Wolga vorgefunden wurden. Von diesen finnischen Landschaften wird das westliche Gebiet, in welchem später Wiborg entstand, als schon zum Reiche Ruriks gehörig angesehen. Im übrigen blieb das heutige Grossfürstenthum Finnland bis zu seiner Eroberung durch die Schweden selbständig. Diese begann 1156 mit der Landung König Erichs des Heiligen, welcher die Finnen christianisirte und Abo gründete. Doch gewann sie unter wechselnden Kämpfen mit den Russen erst durch die Grün- dung von Tawastborg 1249 und M'iborg 1293 Bedeutung, und wurde endlich durch den Vertrag von Orokowetz 1323 abgeschlossen. Die bottnische Küste von Sastmola bis Gamla Karleby begannen die Schweden um 1300 zu 1)esiedeln-). Die Finnen der Ostseeprovinzen mögen gegen die Litthauer und Letten den Schutz des verwandten A\"arägerreiches bedurft haben. Es •) Zeuss S. 688. MüIlenhofH' II, 71. ') Koskinnen, Pohjaumaan tisselta misesta; in der Zeitschrift Suomi 1857, S. 135 ff. Vlll. 1. Auftivtc'ii und Verbroituug der Slawen und Finnen. 157 wird angenommen, dass sie sich unter seine Hoheit stellten. >>ie waren indess auch bereits in der Zeit um 880 von den Dänen bedroht. Olavi chronicon regum Danorum (Langenbeck I, p. 144) erzählt: Lotheknut, filiiis Krici Barn regnavit XI anni:^; hujus tempore qui- Iil)et tertius de servis et popularibus exivit ex Dania, totamque Pruciam, Semigalliam, Kareliam aliasque plures terras vicerunt, occisis viris, remanentque ibi usque in praesens. Festsetzungen von Dänen haben auch noch im 11. Jahrhundert stattgefunden (Zeuss, 8. 675). Wie weit daneben eine russische Herrschaft bestehen l)lieb, ist unl^ekannt. 1186, als der deutsche Augustiner Mcinhard die Kirche zu Ueksküll gründete und von Bremen zum Bischof eingesetzt wurde, waren die Estlien und Livcn, nach Arnoldi chronic. Slawor. (VII, c. 9) und der Chronik Heinrichs von Lettland, den russischen Fürsten zu Polocz zinspflichtig. Unter der Autorität des Bischofs wurde dann das Land mehr und mehr von dem seit 1202 begründeten Orden der Schwertbrüder erobert, bis 1237 der deutsche Orden von Preussen aus dessen Besitz üljernahm. König Waldemar hatte 1219 Harrien und Wirland, den Nord- westen von Esthland, l)esetzt und 1227 an die Schwertbrüder ver- loren, der deutsche Orden trat ihm 1238 beide Landschaften wieder ab. Das 3. Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts, die Zeit des Einfalls der Tataren, wurde auch für die Lage des eigentlichen Litthauens entscheidend. OIj schon die ersten Ruriks von Polocz und Turow aus einen Theil von Minsk westlich der Beresina besassen, ist un- gewiss ^). Um 985 rückte Wladimir die russische Grenze in Wolhynien erhelilich nach Westen und machte auch die litthauischen Jatwägen nördlich des Pripet zinsbar. In dem Thronstreit seiner Söhne nahm zwar 1017 Boleslaus Chroln-i, Swätopolks Schwiegervater, sogar Kiew in Besitz. Nach seinem Tode al)er gewann JaroslaAV nicht allein Kiew zurück, sondern führte auch 1026 — 1041 wiederholte Streifzüge gegen die Jatwägen, westlichen Litthaucr und Masowier, zuletzt im Bunde mit Kasimir von Polen. Als aber die Entscheidungsschlacht an der Kalka am 16. Juni 1223 die russische Macht unter das Tatarenjoch gel)eugt hatte, fielen die Litthauer 1225 erfolgreich nach W'olhvnien ein, gewannen immer mehr Kraft und eroberten Minsk und ganz Weiss- russland mit Witebsk, ebenso Rothrussland, endlich zur Zeit Jagiellos auch Smolensk. Unter diesem Fürsten bildete Litthauen bereits den ') Den Russen gehörte vordem der Selen, Liven, Letten Herrschaft, sagt Ditlebs V. Alupeke, Rehnchronik 1290, v. 644. Scr. rer. liv. 1853, II. 158 Vlir. 1. Auftreten und Verbroitung der .Slawen und Finnen. ^littelpiinkt der Macht Polons und 1)eide Reiche wurden 1501 völlig vereinigt. — Von den sänimtlichen bei Nestor erwähnten finnischen Land- schaften scheint nur Perm nicht schon in Folge der Wahl der Ruriks in deren I\Iachtsphäre gefallen zu sein. Es Avird angenommen, dass auch bereits die Gebiete von Wologda und Archangel zu derselljcn gehörten. Wegen der vielen Theilfürstenthümer, welche entstanden, Ideibt unklar, ol) Kämpfe, wie die mit Jämtland und mit den Mordwinen, im Anfang des 12. Jahrhunderts, auf längere oder kürzere Selbständig- keit deuten. Murom war 1129 russisches Fürstenthum, welches die Söhne Jaroslaws, des Fürsten von Tschernigow, erliten. Die Stadt Nowgorod aber machte sich als Hauptmarkt des Hansahandels mehr und mehr frei und ist thatsächlich im 14. und 15. Jahrhundert auch Beherrscherin des Königsreiches Perm. Perm, Barmjan, war von jeher das Ziel eines regen warägischen Handelsverkehrs, und Ix'wahrte dauernd eine Sonderstellung. Auch unter der Tatarenherrschaft blieb allein Nowgorod und mit ihm Perm durch Vertrag selbständig. Als aber die russische Macht sich unter Iwan I. wieder so weit erhob, sich der tatarischen Lehnsherrlichkeit zu entziehen, eroberte Iwan 1471 Nowgorod und Perm. 1554 wurde auch das Reich der Kasanschen Tataren, welches seit 1437 einen grossen Theil der Wolgafinnen unter seiner Herrschaft vereinigte, aber schon seit 1469 zinspflichtig war, dem Zaarenreich völlig einverleibt. Es hat in den Tschuwaschen zu beiden Seiten der Wolga und in den Tataren an der Kamamündung deutliche Reste der turktatarischen Bevölkerung zurückgelassen. Die von Nestor verzeichnete finnische Bevölkerung hat sich bis auf den heutigen Tag nicht wesentlich verschoben. Allerdings sind Tataren und Russen in grosser Zahl zwischen sie eingedrungen und mit ihr vermischt, aber vom Südufer des Ladogasees lässt sich doch längs der Tschajodaschka und INIologa und weiter etwa über L^glitsch Wladimir und Melenki eine Linie nach Samara zur Wolga ziehen, von welcher nordöstlich finnische Ortschaften noch immer in ziem- lich geschlossenen Massen zusammenliegen. Im Südosten dieser Grenze dagegen von der Wolga bis zum Schwarzen Meere ist ein (gebiet unlösl)arer Völkermischung ausge- breitet, welche in häufig wiederholten Uebereinanderschiebungen allerdings vorzugsweise finnisch -tatarischer Stämme schon lange vor der Völkerwanderung begonnen hat, und seitdem in steter Bewegung geblieben ist. Es sind sich hier Hunnen, A waren, Bulgaren, C'ha- zaren, Baschkiren, Magyaren, Petschenegen , Cumanen, Tataren und VlIJ. 1. Auftreten und Verbieitimg der Slawen uud l'iuueu. 159 in neuester Zeit noch Kalmücken und Kirgisen gefolgt. Alle diese Völker haben in der Wolgagegend Trümmer zurückgelassen, die zum Theil Sprache und Eigenart bewahrten. Auch Splitter arischer Stämme sind bis in den Kaukasus versprengt worden. Will man versuchen, diese überwiegend aus Ste|)penvülkern Asiens hervorgegangene Volks- masse gegen die Slawen abzugrenzen, so lässt sich die Linie nur, wie schon oben angedeutet, von Samara über PetroAvsk, Paulowsk und Pultawa am Rande der Steppe nach Balta ziehen. Westlich dieser Linie ist die Bevölkerung in der Hauptmasse als slawisch zu erachten, östlich derselben ist sie zwar im allgemeinen slawisirt, doch in den CJ rundlagen überwiegend aus fremden Ele- menten hervorgegangen. Es ist l)ekannt, dass dies auch für die Bulgaren^) zutrifft, welche als ein wiedererstarkter Rest der nach Grossbulgarien am Ural zurückgegangenen Hunnen seit 499 erwähnt, und bald als Führer gemeinsamer Raubzüge mit den Slawen bekannt werden. Es gelang ihnen zwar schon unter Justinian, auf beiden Seiten des Hämus bis zur Donau festen Fuss zu fassen und diese Stellung durch alle späteren Völkerbewegungen zu behaupten, in Sprache und Kultur aber unterlagen sie den mit ihnen gemischten Slawen. — Dagegen haben die Magyaren in Ungarn ein eigenes Reich und eine finnische Sprachinsel aufrecht erhalten, welche auf weite Ent- fernung nach allen Seiten nur von arischen Idiomen umschlossen ist. Als ihre Heimath erkennt die Sprachwissenschaft das Land am Irtysch, Ischim, Tobol und Uralstrom. Der aus der Mitte der Ural- kette der Soswa zufliessende Manjafluss wird von den Syrjänen Jögra, von den Russen Wogul genannt. Schon Klaproth-) verlegt hierher Jugrien als die Heimath der Ungarn. Jedenfalls gehören die Ungarn sprachlich zu den östlichen ugrisch-vogulischen Finnen und stehen den schon in früher Vorzeit über Nordeuropa verbreiteten Lappen und Westfinnen, und ebenso den später in Nordrussland auftretenden Kareliern fern^). Geschichtlich werden die Magyaren zuerst um 884 durch Con- stantinusPorphyrogenetus (de administrando imperio c. 37, 38) bekannt. Nach ihm breiteten sich damals zwischen Wolga und Ural die Petschenegen aus, und südlich von diesen die Uzen. Am Kaspischen 0 Zeuss S. 710. ") Meraoires relatifs U l'Asie, p. 120. ^ P. Hunfalvy, Die Herkunft der Magyaren, in Budapesti szemlc 1864, XIX, S. 1—97. 1(30 VIII. 1. Anftiek'ii uml Verljieitung (Irr Slawen und Pannen. ^rt'er lind am Pontus hatten die tiirkisrhen Cliazaren seit dem 5. Jahrliundert ein von der Wolgamündung bis zum Dniepr ausge- breitetes Reich begründet, welches sie durch die unruhigen Petsche- ncgen bedroht sahen. Im Bündniss mit den Uzen vertrieben sie deslialb die Petschenegen und überliessen den Uzen das Land. Die Petschenegen aber warfen sich auf die Magyaren und veranlassten einen Theil derselben, nach Westen auszuwandern. Es werden von Constantin und später von Kezai 7 Stämme genannt, und letzterer giebt an, dass sie zusammen aus 108 Geschlechtern bestanden hätten^). Constantin (c. 38) bemerkt, dass die Magyaren niemals weder einen einheimischen, noch einen fremden Herrscher hatten, dass sie aber Leijcdias, der Eidam des Chazaren Chagans, als der angesehenste Stammfürst geführt, und die Hauptmasse des von den nachsetzenden Petschenegen nochmals zersprengten Volkes endlich, anscheinend mit Hülfe der Chazaren, Bessarabien und die Moldau in Besitz genom- men habe. Dieses Gebiet an Bug, Dniestr, Pruth and Sereth, Atelkuzu, Land zwischen den Flüssen, genannt, wurde unter die Oberhoheit des Chazaren Chagans gestellt, und auf dessen Betrieb, nach dem Vorschlage des Lebedias, Arpad, der Sohn des Almos, zum erblichen Fürsten gewählt. Partheiungen unter den Chazaren führten dazu, dass sich der Chazarenstamm Kabac mit den Magyaren als 8. Stamm zu gleichen Rechten vereinigte. Gleichzeitig kam Kaiser Leo mit dem Bulgarenfürsten Simeon wegen Handelserschwerungen in Kampf, wurde aber von demselben mehrmals empfindlich geschlagen. Er bewog deshalb 890 Arpad zum Bündniss gegen die Bulgaren, welche von den Magyaren in drei Schlachten besiegt und zum Frieden gezwungen wurden. In demselben Jahre war zwischen Arnulf von Kärnthen und Swatopluk von Mähren der Krieg ausgebrochen und hatte in zwei Jahren keine Entscheidung herbeigeführt. Arnulf suchte Hülfe bei einer der östlichen Völkerschaften, und seine JViten fanden Arpad sofort bereit. Obwohl er indess über Swatopluk anfänglich einen Sieg erfocht, blieb dieser doch unbezwungen und wurde selbst durch starke deutsche Heere nur genöthigt, sich in seine festen Burgen zurückzuziehen. Er schlug 893 Arnulf nochmals empfindlich, und der Krieg dauerte noch im Jahre 894 erfolglos bis zum Tode Swatopluks fort. Die Ungarn unter Ai-pad müssen schon 892 völlig von ihrer ') Simonis de Keza, Gesta Hunnorum, lib. I (c. 1285 geschr.), bei Endlicher, rerum Hungariorum monumenta Arpadiana, 1848. \11I. 1. Aul'lreteu und Voibifitiiug der Maweu und Fiuucu. IQ\ Rückzugslinie verdrängt und zum Aufgeben des Kampfes veranlasst worden sein. Denn 892 verband sich Simeon von Bulgarien mit den Petschenegen zur Rache gegen sie, fiel in Atelkuzu ein, ver- nichtete die Vertheidiger, führte einen grossen Theil der Bevölkerung gefangen in die Sklaverei und überliess das verwüstete Land den Petschenegen. Von den übrig gebliebenen Magyaren soll sich ein Theil über das Gebirge an die obere Aluta geflüchtet haben und in den Szeklern erhalten sein. Die Hauptmasse aber floh nach Norden über den Pruth, und hier trafen sie mit Arpad, der am Nordfuss der Karpathen durch Cializien gezogen war, an der Grenze von Podolien zusammen. Wahrscheinlich in der Absicht, nach dem Ural zurück- zugehen, nahmen sie von da ihren Weg nach Kiew, wo der M^aräger Oley herrsehte. Nestor erzählt (c. 59): »Sie zogen zum Dniestr vor Kiew vorljei und wohnten hier in Zelten, wie die Kumanen, schlugen Russen und Kumanen, belagerten Kiew, erhielten Lösegeld und nahmen 7 Stämme der Kumanen und viele russische Abenteurer in sich auf.« Da Nestor selbst angiebt, dass die Kumanen, in denen die früheren Uzen gesehen werden, zum erstenmal um 1060 nach Russland kamen, müssen sich die Magyaren durch irgend ein anderes Volk, vielleicht durch Chazaren, welche schon vorher mit ihnen in naher Beziehung standen, verstärkt haben. Jedenfalls waren sie durch die Vorgänge bei Kiew so mächtig und gefürchtet geworden, dass sie die Rückkehr nach Ungarn beschlossen, und die Fürsten und Landschaften von Lodomerien und Galizien, durch welche ihr Zug ging, sollen, um selbst verschont zu werden, das Möglichste gethan haben, ihnen durch Geschenke, Lieferungen, Geleit und Wegebahnung die Wanderung zu erleichtern. Alles, was sich von dem weiteren Vorgehen Arpads in Ungarn sagen lässt, beruht allerdings nur auf Angaben des sogenannten Anony- mus, der, wie Wattenl)ach (Deutsche Geschichtsquellen II, 136) zeigt, ein Notar Bela's IV. war, und seine an Fabeln und tendenziösen Er- findungen reiche Chronik erst um 1280 geschrieben hat. Indess ist anzunehmen, dass sich über die Reihenfolge der eroberten Land- .is hierher soll sieh ein unter Simeon von Bulgarien stehendes Vasallenreich erstreckt haben, dessen Statthalter entfloh, während sich die bis heut slawische und walachische Bevölke- rung unterwarf, und mit ihrem Gebiete den aus Kiew mitgekommenen Ruthenen überwiesen wurde. Die INIagyaren selbst verbreiteten sich zunächst sowohl südlicher nach Ugocsa an die obere Theiss, als westlich bis zur Sajo in das fruchtbare Tokayerland. Von letzterem aus sollen dann gleichzeitig im Norden die Landschaften bis zur Tatra und den Grenzen Galiziens, und im Süden die grosse Ebene zwischen der Samos und der Koros, die siebenbürgischen Grenzgebirge und das Almasthal erobert worden sein. In der Ebene herrschte bis zur JNTaros ein Chazare, den man schonte, in Siebenbürgen ein Walachen- füi'st. Die Bulgaren sahen sich veranlasst, auch das Land zwischen der Theiss und der Zagyra, also die heutige Heveser Gespannschaft, und ebenso Nograd, Gömör, Sohl und Bars abzutreten, so dass kurz nach Swatopluks Tode dessen Herrschaftsgrenze erreicht wurde. Da es den Heerführern Arpads gelang, die Mähren bei Neutra ent- scheidend zu schlagen, ergaben sich alle festen Plätze bis zur March, und das Vordringen der Böhmen von Westen an das rechte Ufer dieses Flusses machte 890 dem mährischen Reiche ein Ende. In- zwischen rüstete sich Simeon zum Entscheidungskampfe. Arpad aber vernichtete und zersprengte das Heer der Bulgaren auf der Haide Alpar in der Gegend von Kecskemet so vollständig, dass er das ge- sammte Land bis Belgrad in seine Gewalt bekam. Darauf soll auf der Pusta-szer, der Haide der Einrichtung, das ganze Land unter die Häuptlinge vertheilt, und eine Organisation der Verwaltung und der Gerichtspflege getroffen worden sein. Von weiteren Kämpfen wird ein in den Annales Fuldens. (Mon. Germ. I, 410) zum Jahre 894 bestätigter Zug über Serbien zum Adriatischen Meere erzählt, durch welchen auf dem Rückwege unter ErobiM-ung der Burgen Agram, Posega und Vukovar, Kroatien, wenn auch nicht dauernd, unter- worfen wurde. Ferner folgte die Unterwerfung Siebenbürgens und des letzten dortigen Walachenfürsten unter ungarische Gberherrschaft, und endlich, als Arnulf von Kärnthen 900 starb, der Krieg gegen die Deutschen, welche bis dabin das gesammte Gebiet rechts der Donau bis zur Drau mit Altofen festgehalten hatten. Arpad besetzte ohne Scliwierigkeit Ofen und Veszpriu), und verschiedene gleichzeitig vor- VIII. 1. Auftreten und Verl)reitung der Slawen und Finnen. 163 gehende Heerhaufeii erweiterten die Grenzen Ungarns l)is un die Raal). Die ersten weiter ausgedelniten Raubzüge einzelner Sehaaren nach Ivärnthen, nach Regensl)urg nnd nach Oberitahen in den Jahren 900 bis 902, zum Theil mit ungUickhchem Ausgange für die Ungarn, sind genügend bekannt. Der König war an ihnen nicht betheiligt, hätte sie aber schwerlich hindern können. Constantin (c. 40) lobt seine Einsicht, seine Reständigkeit und seine Kraft mit Wärme. Arpad starb 907. Sein 11 jähriger Sohn Zoltan scheint keine inneren Gegner bei seiner Thronbesteigung gefunden zu haben und vermochte noch in dem- selben .Jahre ein starkes deutsches Herr, das Kaiser Ludwig gegen ihn führte, bei Pressburg entschei und dem Tavmirlande. I^as Taymirland hat eine nuttle Winter- teniperatur von — 40'^ Cel.s. In den breiten Tundren am Karisclien Meerbusen ermässigt sich dieses Extrem sclion auf — 20" C., und von diesem kältesten Gebiete Europas breitet sich dann ein konsequent konzentrisches System von Isoohimenen über Russland und das süd- westliche Europa aus, welches schon am Nordkap, in .Stockholm, Minsk und Astrachan nur noch — 5 C'cntigrade zeigt, in Bergen, Hamburg, Drcsderi, (ialatz. Poti und Baku aber zu 0*^ ermässigt ist. Die Lage der ]\[ordwinen auf dem 513. Grade entspricht also in Betreff des Winters der des Xordkaj)S auf 71, lo". — Die mächtigen Tundren in dem Mittelpunkte dieser Kälte- verbreitung sind von A. v. Middendorflf ^) auf das Sorgfältigte beob- achtet worden. Sie bilden nicht ein von nordischen Eismorästen l)edecktes Tiefland, und sind keine unzugängliche mid völlig unnutz- bare Ein(")de. sondern sie sind als eine Art Steppe anzusehen, deren Charakter sich am einfachsten durch die Analogie der central- asiatischen Steppengebiete erklärt, welche zugleich, wenigstens in ihren nördlichen imd westlichen Gegenden, der alte Aufenthalt zahl- reicher finnischer Stämme w'aren und bis zur Gegenwart sind. In Centralasien steigen aus den warmen, wohlbewässerten und zu jedem Anl)au fähigen Thäleru zunächst Bergraassen empor, welche entweder starre, durch Sturm und Wasserrisse völlig von deckendem Boden entblösste Felsen zeigen oder bewaldet sind. Wo irgend die Luft, wenn auch nur unregelmässig und nach längeren Perio- den, doch noch in genügendem Maassc Regen und Thau herbeiführt, ersterben selbst bis zu Höhen von über 12000 Fuss die tiefwurzelnden Waldgewächse nicht. Ihr Absterben aber beginnt mit der je nach der Höhe und Lage mehr und mehr mangelnden Feuchtigkeit und mit dem mächtigen Einflüsse der trockenen ausbrennenden Sonnengluth. Je offener das Gefilde dem Sonnen))rande, den Temperaturdifferenzen von mehr als 40" täglich und mehr als 80" C. jährlich, und den entsprechend heftigen Stürmen ausgesetzt Ist, desto mehr wird der leichte Boden als Staub und Sand weggeweht, und es tritt, soweit sich nicht kahle Gesteinmassen entblössen, der thonige und lettige Boden an die Oberfläche, welcher den Vegetationscharakter der Steppe erzeugt. Die Berge zeigen zwar diese Kahlhcit häufig und auf den breiten Hochebenen liegt Wüstensand, der seit historischer Zeit erheblich weitere Ausln-eitung gewonnen zu haben scheint. Aber auf anderen ') Ebd. S. 724 ff. \{'){') \ill. 2. Land und idtesfes KuItnrlc'))C'n der Finnen. ausgedehnten Strecken, selbst da, wo fliessende Wässer nicht mehr einwirken können, finden sich auch sehr fruchtbare Bodenmassen. Neben dem günstigen (Jebirgsschutte bietet namentlich der aus Staubmassen aufgehäufte Löss der Vegetation uni'rschöpfliche Nähr- stofle. Der Löss ensteht durch die Verwitterung der kahlen Felsen, die aus den höchsten, selten noch von Schnee oder Regen getroffenen Gebirgsketten hervorragen. Hitze und Frost zerbröckeln ihre Gesteine, ohne sie chemisch zu verändern. Der Wind aber fegt aus den Trümmern den Staub heraus, und trägt die feinsten Theile in Wolken fort, welche, wie v. Middendorff (Ferghana S. 87) schildert, im Sommer oft wochenlang über den Thälern schweben, bis sie sich herabsenken und als eine dünne, kaum millimeterstarke Decke über die verdorrte Vegetation verbreiten, ^^'enn der Frühjahrsregen diese wieder er- wachen lässt, ist sie durch die üebcrschüttung leicht löslicher Mineralstoffc nicht gehindert, nur gefördert, bis sie der Trockenheit und dem Sonnenbrande wieder unterliegt. Dasselbe Spiel wiederholt sich Sommer für Sommer, und hat sich durch Myriaden von Jahren wiederholt. Millimeterweise sind die Staubschichten mit den Vege- tationsresten zwischen den Thalgehängen des östlichen wie des west- lichen Centralasiens in die Höhe gewachsen, und haben an vielen Stellen weit über 1000 Meter erreicht. Die breitem Hochflächen, die sie bilden, werden von den Flüssen in tiefen, engen Thälern mit fast senkrechten Wänden durchschnitten, wie wir sie aus den chine- sischen Landschaften kennen ^). Die Bilder derselben sind ein Zeugniss, dass die Gebirgsmassen Centralasiens, auf welche selbst die Eiszeit wegen des Mangels an Feuchtigkeit keinen Einfluss üben konnte, seit unvordenkliclien Zeiträumen, und so lange wir Rassen- und Völker- entwickelung zurückzu verfolgen vermögen, stets und unveränderlich dieselbe Natur gehabt haben. Diese Natur ist allerdings höchst ein- förmig, und zwingt das Nomadenlel)en zu ähnlicher Einförmigkeit. Das Frühjahr ist die glücklichste Jahreszeit. Dann lässt Feuchtigkeit und massige \\'ärme herrliche A\'eiden, reich an den meisten uns bekannten wilden Futterpflanzen, emporspriessen. Sobald sie aber ihre schnelle Vegetationszeit durchlaufen haben, sterben sie durch Dürre bis auf die W\irzeln ab. Der Boden wird dann immer härter und, wo er einigermassen gebunden ist, tief rissig. Er lässt deshalb auch nicht einmal den unterirdischen Zusammenhang dieser Pflanzen Vegetation bestehen, sondern zertheilt sie in einzelne Büschel, deren Abschnitte ') F. V. liichthofen, China, Bd. I, S. 90, 117. VIII. 2. Land uiul ältestes Kulturleben der Finnin. I(j7 sich im nächsten Frühjahr deutlich gehend machen, nnd den Pfianzen- wuchs mit kahlen und oflenen, schwer wieder hegrünenden Stellen durchziehen. Dabei ist die Steppe nur zufällig eine Ebene. Sie kann sich allerdings nicht über Felsgebirge erstrecken, wohl aber über flache Bergketten und mannigfache Hügelwellen. Unter dem Schutze solcher Höhen vermag sich häufig auf grösseren Flächen ein nachhaltiger Aufschlag von Baumgewächsen zu erzeugen. Aber Sturmbruch, Hitze, Dürre und Wildfrass halten ihn auf bestimmter geringer Höhe, Staub- und Sandwehen wickeln die kleinen Stämmchen ein, und es entsteht der zwerghafte, struppig und wirr am Boden liegende Strauch- wuchs, der der Steppe durchaus eigenthümlich ist. Wo ein Thal oder eine Mulde die Tageswässer zu Zeiten sammelt oder aufstaut, bilden sich auch INIoräste mit hohen Rohr- und Riedgrasmassen. Sie bieten indess dem Nomaden leider wenig Hülfe, denn die Steppen- wässer sind in der Regel braekisch, oft völlig salzig, und die feuchten Oertliehkeiten bleil)en wegen der Milliarden stechender Insekten zu Zeiten unnahbar. Dieses Vegetationsbild passt auch einigermassen auf die Tundra des Nordens. Das Pflanzenleben, das auf der Hochstep])e durch den starken Sonnenbrand verdorrt und abstirl)t, erstarrt und stirbt auf der Tundra durch die äusscrste Kälte. Die Sonncnwiu'me weniger Monate erzeugt auf den Tundren tlieselben Phänomene, welche die kurze Frühjahrszcit auf der Steppe hervorruft. Selbst die Pflanzenwelt der Tundren ist der der Stejtjjen wesentlich ähnlieh. Der frühe und lange extreme Winter aber hat auf den Tundren dieselbe Folge, wie auf der Step])e der heisse Sonaner. ]^]inen Vorzug hat die Tundra, dass die Kälte die absterbende Pflanzenmasse besser konservirt. Dagegen ersetzen sieh die kahlen Stellen viel schwerer. Auch kann auf der Steppe an jedem geschützten Orte Strauchgestrüpp entstehen, auf den Tundren aber ist dasselbe wegen der Dauer des Frostes sehr beschränkt. Hier erstrecken sich Zwerggesträuche in der Regel nur im Zusammenhange mit der Nordgrenze der Waldvcgetation halb- in.selartig in das weite Gebiet der überaus einförmigen Tundrensteppe hinein, ol)wolil dieselbe vielfach von nicht unansehnlichen Höhen- zügen ül)erragt wiril, und überhaupt nur an den Strommündungen den Charakter der Niederung hat. Stellenweise am Ural, am meisten aber im östlichen Sibirien, tritt in der Tundra auch nackter Fels- boden auf. Dieser bedeckt sich in ihr viel reichlicher als die Felsen der hohen Gebirge mit Flechten, welche die Ernährung des Remi- tbiers unterstützen. J()S \'1II. 2. Land niul ültefstcs Kullnileben der l'iiiiK'n. An die Tundren, welche in Europa vom Ural aus bis zum Weissen Meer, und in Sibirien bis jenseits des Ob den Polarkreis noch um einige Meilen überschreiten, grenzt nach der wärmeren Lage hin, ähnlich wie auf den Hochgebirgen, eine Zone zwergartiger und verkrüppelter Baumgewächse. Dann erhebt sich ein breiter Gürtel vereinzelt stehender, dem Anscheine nach mehr absterbender als sich wieder ersetzender Waldbäume, der sich konzentrisch mehr verdichtet und belebt, so dass er etwa einen Breitengrad weiter das Bild eines nordischen Nadelwaldes darstellt. Er besteht im Osten des Urals vorzugsweise aus Lärchen, als dem am höchsten nach Norden gehenden Baume, westlicher und südlicher treten Fichten als der herrschende Waldbaum auf, der an der Dwina schon das Weisse Meer berührt. Am Nordkap steht die Kiefer häufiger, als die Lärche und Fichte, und ist auch weiter, gemischt mit der Birke, auf trockeneren Böden über das nördliche Russland und Sibirien ver- breitet. Indess ist für alle diese Bäume die Kraft des Zuwachses djrch die nördliche Lage erheblich beschränkt, v. Middendorft' hat durch genaue Zählungen der Jahresringe festgestellt, dass die Lärche, welche in Oberschlesien in 50 Jahren 1 Fuss Durchmesser in Klafter- höhe erreicht, dazu in Si1)irien unter dem GO. Breitengrade 100 bis 150 Jahre je nach dem Standort bedarf, einen Breitengrad südlich der äussersten Waldgrenze aber schon 250 bis 300 und an dieser Waldgrenze selbst 1000 Jahre zu gleicher Stärke bedürfen würde. Wollte man nach demselben Maasstabe die Lärche der Zwergvege- tation am Tundrenrande berechnen , so würden zu einer Stärke von 1 Fuss mehr als 2000 Jahre erforderlich sein. Die 15füssigen, etwa anderthalb Zoll starken Jurtenstangen müssen aus weiten Entfernungen geholt und überall mitgeführt werden, weil sie in der Nähe der Tundren nur ausnahmsweise zu finden sind. — Diesen eigenartigen Verhältnissen entsjmclit natürlich auch das Leben des Menschen. Auf den Tundren des Ob und Ural und noch in ziemlich weitem L^mkreise ist das Tragen gewebter Stoffe, selbst wenn sie bescliafi't werden könnten, völlig unzweckmässig. Leichtere und schwerere Pelze, je nach der Jahreszeit einfach oder mehrfach, bilden die Kleidung, und die Arlx-it der Frauen besteht darin, sie aus den kleinen und grossen Fellen der Jagd- und Haus- thiere passend und ihrem Geschmack entsprechend zusammenzusetzen, und hier und da mit bunten Färbungen und Stickereien zu versehen. Die A\'erkzeuge zur Jagd und Fischerei haben einen seit ältester Zeit herkömmlichen und erprobten Charakter, und ihre Ersetzung durch \'III. 2. Lainl und iilti'stcs Kulturk'ben der Fiiincn. 1(;<) eingeführte moderne Handelswaare findet ebenso an der Armuth der Käufer, als an dem Bewustsein derselben ihre Sehranke, dass diese auf ausserordentlich ausgedehnten Territorien henimsclnveifenden Leute vcillig hülf los werden, wenn sie nicht in jeder Oertlichkeit im Stande sind, aus den einfachsten, stets zu erlangenden Mitteln die für ihren Erwerb nothwendigen Geräthsehaften selbständig herzustellen. Des- halb stimmen alle Reisenden in der Schilderung der Einfachheit der Haus- und Fischereigeräthe, wie der Geschosse, Schlingen und Fallen für die verschiedenen Jagdthiere überein, und bekunden die höchst sinnreiche und vorsorgliche Verwendung aller Arten von Knochen, Gräten, Klauen, Zähnen, Därmen, Sehnen, Haut- und Fellstücken zu bestinnnten wohlerwogenen Zwecken. Ihr Obdach errichten diese Stämme auf zweierlei Weise. Wo die Art der Jagd, der Fischerei oder der Rennthierweide einen längeren Winteraufenthalt gestattet, werden dafür festere Baue, Gammen, welche grossen Mauhvurfshügcln gleichen, eingerichtet. Das einfache Vorbild derselben ist eine mit Steinen oder etwas Holz ausgesetzte dick mit Boden Ix'deckte Erdhöhle, in der eine für die Familie hinreichende erlKihte Lagerstätte und daneben der nöthige Raum für Vorräthe und einige Handtirung hergestellt ist. Eintritt und Ausgang erfolgt kriechend durch einen ziemlich langen niedrigen Gang, damit die Wärme des Innern nicht verloren geht. Die Erwärmung geschieht allein durch die in der langen Winternacht un- entbehrliche Lampe und den Aufenthalt der Menschen in so ausreichen- der Weise, dass die Bewohner sich völlig ihrer Kleidung entledigen. Die Lamite besteht aus einem schüsseiförmigen Stein oder Gefäss mit Fett, in welchem ein Docht brennt. Darüber hängt ein idui- liches, aber im Boden durchbohrtes Gefäss, auf dem ein Stück Fisch oder Thierfleisch liegt. Dasselbe speist durch sein ablaufendes Fett die Lampe und schmort in der unbeschreibliclien Atmosphäre zu- gleich zum Genuss. \\'o genügend Holz vorhanden ist, kann die Wärme auch durch Heizung beschafft und ein Rauchfang ins Freie geführt werden. Das Bild .solcher Gammen giebt Mandelgreen^) Fig. 59 aus dem norwegischen Finnmarken. Der Raum der einfacheren ist vöUig ohne jede andere Üeffnung, als den Eingang. Fig. (50 vom Finnfjord zeigt schon einen Rauchfang und ein paar Lichtlöcher. A. V. Middendorfi'-) hat das Aeussere und Innere einer mehr ') Atlas Till Svcriges odlingshistoiia, Stockholm 1877, PI. IV, Fig. 20, 30. -) Sibirische Reise, Bd. IV, Th. 2, S. 1559 und 1472. J7(> \'JII. 2. Lainl luxl ältL'.stos Ktilturlcbcn der Finnen. Figr. 59. Fig. 60. Fis. 61. Fiir. 62. \'Ul. 2. Land und ältestes Kulturleben der Finnen. 171 entwickelten Jakutischen Gamme gezeichnet, welche man schon Haus neinien kann, weil sie zwar von aussen nicht viel anders, als ein Erdhaufen aussieht, in welchen einige Oefinungen führen, im Innern aber eine Stube cinschliesst, welche roh aus Blockholz gezimmert ist und einen aus Lehm geklebten Kamin besitzt, wie Fig. 61 und Fig. 62 zeigen. Für die nomadisirenden Besitzer von Rennthierheerden sind solche feste Bauten kein Bedürfniss, und häufig auch im Winter gar nicht anwendbar. Sie leben vielmehr in Jurten, finnisch Cota, //. ■■-■- v>> F\s. 63. Fiff. 64. >^rC^^^mi.^^,j^^-^^^^ige^' Fig. 65. Tschum, wie sie schon Herodot (4, 23) in der Nähe der Wolga kennt. Diese Jurten sind über ganz Sibirien verbreitet, und finden sich ebenso in Finnland und Lapi^land. Sie werden von den Nomaden je nacli Umständen an jedem Abend an anderer Stelle errichtet und am Morgen wieder abgebrochen. Ilir Aufbau darf nur das Werk einer Stunde sein. Die Jurte besteht aus einer Anzahl von 20 oder mehr Stangen, von denen einige mit ihren oberen P]nden zusammen- gebunden und so gestellt werden, dass sie einen geräumigen Kreis einschhessen. Die anderen werden an dies Gerüst zur Ausfüllung J72 VIII. 2. I-and und ältestes Kiiltiiilcl.cn der l'"iiiiK'n. \ der Lücken angelehnt. Zu dem so entstandenen Kegel wird an einer Stelle eine EinganfisöfFnung gelassen, im übrigen wird er mit Rinde, Bast oder Filz mehr oder weniger umhüllt, und falls er im Winter als Ohdaeh dienen soll, von Aussen mit Schnee oder Erde bedeckt. In der INIitte l^efindet sieh ein von Steinen umstellter offener Heerd, auf welchem Feuer unterhalten wird. Darüber liiingt an einem im Verbände der Stangen befestigten Kesselhaken der Kessel, welcher im wesentlichen für das Bedürfniss an gekochten Speisen genügt. Für Abzug des Rauchs ist oben in der Umhüllung der Stangen eine Oeffnung gelassen. Die Stangen können wohl an einen Baum ge- lehnt sein, doch l)ietet das Innre dann schwerlich gleiche Bequem- lichkeit. Retzius^) zeichnet die finnische Cota in Fig. 63, Mandelgreen die Anlehnung an einem Baume wie Fig. 64, und eine mit Erde bedeckte Cota in Fig. 65^). Ausführlicher ist die Jurte Sibiriens und Centralasiens in ihrer Entwickelung von der einfachsten Gestalt bis zu den Zelten der Kirgisen und Turkmenen, auch die Art ihrer Errichtung und Benutzung, in der Anlage 28 (o. Bd. III, S. 107 ff.) und den zugehörigen Abbildungen Fig. 27—31 geschildert. Mit einem Leben in so beschränkter und untergeordneter R.äum- lichkeit muss sich von Generation zu Generation die höchste Be- dürfnisslosigkeit fortpflanzen. Auch muss unvermeidlich alle Sorgfalt und Intelligenz den ersten Nothwendigkeiten zufallen. Im übrigen können weder Ansprüche an Reinlichkeit, noch an gewählte Nahrung Geltung erlangen. — Gegen den wärmeren Südwesten hin wird die Lebensweise in steigendem Maasse besser und kultivirter. Die ersten landwirth- schaftlichen Anlagen mit Haus, Hof und Feld und allen Einrich- tungen eines gewöhnlichen schlichten Bauern finden sieh an der Kama und Dwina schon ziemlich häufig, und man kann eine Linie von den Lofoten zum Onegasee und nach Perm ziehen, südwestlich welcher die Finnen überall seit lange festangesiedelte Ackerbauer sind. Aber nordöstlich dieser Linie besteht noch Nomadenthum und rohes Fischer- und Jägerleben, oder es sind die Erinnerungen daran aus nicht zu ferner Zeit noch lebendig vorhanden. Der Wandel ist vorzugsweise eingetreten, seitdem sich eine betriebsame *) Retzius, Finnlimd, Schilderung, übers, v. C. Appel, Berlin 1885. ^) Mandelgreen a. n. O., PI. I, Fig. 1 und Fig. 4. \1II.' 2. J>aiiil iiinl ältestes Kulturleben eiten und eigenes und fremdes Geld unter Furcht und Hoft'nimg in den Händen wälzen. Unbekümmert um die Älenschcn, unbekümmert um die Götter, haben sie das Schwerste erreicht, selbst keines Wunsches zu bedürfen,« Allerdings wird R. Henning Recht haben, dass Tacitus' Bericht in Betrefl" der östlichen Finnen unbeabsichtigte Ue ber treibungen enthält, weil er nur der Sommerlebensweise dieser Stämme ent- nonnnen ist. Da Tacitus nicht von irgend einer Art von Cota, sondern nur vom Schutz durch Zweiggeflechte spricht, ist wahrscheinlich, dass die ihm bekannt gewordenen Jäger sich für den Winter ein Obdach in den gedachten Erdbauten zu suchen gewöhnt waren. Auch ist sprachlich anzunehmen, dass die Finnen zur Taciteischen Zeit das Rennthier gekannt und benutzt haben. Die Deutschen unter- schieden es, wie es scheint, vom Hirsche nicht, weil sie für beide Thiere dasselbe Wort haben ^), Durch diese Zusätze verliert das Taciteische Bild erheblich von seiner Wildheit, aber sie ergeben auch die Möglichkeit, dass dieser gleichwohl äusserst niedrige Kultur- zustand nicht als ein vorübergehender, sondern als ein dauernder, vielleicht schon seit sehr lange bestehender zu denken sei. Bis in die Taciteische Zeit zurück fällt indess noch von einer anderen Seite ein sehr merkwürdiges Licht auf diese Zustände. ') Obgleich alle Codices die Worte victui herba zu haben scheinen, ist doch kaum möglich, anders als victui fera zu lesen; die Thatsachen fordern es unbedingt; aber auch ein der Verhältnisse unkundiger Erzähler konnte nur dann den f.jigeiiden Satz „sola in sagittis spes" mit genügendem Sinne anknüpfen. 2) MüUenhoflF II, S, 53, X7() N'III. 2. Laml mnl alti-.slcs Kiiltiirlclicn ilcr l'inncn. Die Forschung über die finnischen Sprachen, wie sie von Thomsen ^) und Koskinnen '^) durch alle Dialekte durchgefüiu't worden ist, hat ergeben, dass alle diese Stämme von den Lappen an der Nordsee bis zu den Kuren an der Ostsee und den Mordwinen, Permiei-n und Wogulen am Ural, zwar im Bau ihrer Sprache, in \\'ortstellung und Satzbildung und ihren eigenthümlichen Accenten und Alliterationen völlig den ural-altaischen Charakter bewahrt hal»en, dass aber ihre \\'ortstämme, ihr Wortschatz nur zu einem geringen Theile ihnen selbst angehört, in der Hauptsache vielmehr dem Ostgermanischen, dem Skandinavischen oder Altgothischen, ent- nommen ist. Die Sprache führt auch auf eine ziemlich genaue Feststellung des Zeitpunktes, an welchem diese Uebertragung der deutschen Worte und Begriffe auf die Finnen stattgefunden haben muss. Müllenhoff^) stimmt mit Thomsen darin überein, dass beide Vülksstämme, der finnische und der germanische, in einer Periode der deutschen Sprache in nähere Berührung gekommen sein dürften, die bei den Nordgermanen , wie die ältesten Runeninschriften be- weisen, noch während der ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung andauerte. Es hatte sich zu dieser Zeit zwar die Verschiebung der stummen Konsonanten vollendet, auch war das ursprüngliche m oder n im Anlaut, wenn ein Vokal es nicht schützte, bereits abgefallen, das eigenthümlich germanische Betonungsgesetz, das den Hauptton auf der Hauptsilbe jedes Wortes verlangt, hatte aber noch nicht den Ab- und Ausfall von a und i in den Endsilben bewirkt. Die \\'andlung muss also einige Jahrhunderte früher, als die Bibelüber- setzung des Ulfilas, somit ungefähr in die Zeit der Nachrichten des Tacitus fallen. !Müllenhoff ist auch der Meinung, dass die Nordgermanen die Finnen bereits in Skandinavien vorgefunden haben. Er folgert dies theils aus dem norwegischen Mythus tler (iüttin Skadi, die nach Finnenart auf Schneeschuhen als Jägerin im Gebirge haust, als Sühne l'ür ihren von den Äsen erschlagenen Vater mit dem reichen, als Handels- und Schifiahrtsgott am Seestrand wohnenden Vanen Niörd vermählt wird, und mit Odin ausser anderen Ahnen edler ') W. Thomsen, Ueber ilcn Einfliiss der germanischen Sprachen auf die finnisch- lappischen, Halle 1870. ') Y. Koskinnen, Sur l'antiquite des Lives en Livonie. Acta societatis scientiarum fcnnicae, Bd. VIII, Th. II, Ilelsingfors 1867. =*) MUllcnhoft' II, 55. VIII. 2. Land und ältestes KulturlelH'u der Finnen. 177 Geschlechter den Saeming, den Herrscher von Halogaland, erzeugt. Auch steht, wie Saeming mit lappisch Sabnie, pl. Samek, der Finne, so wahrscheinlich auch der alte Landesname Skadn, oder Skadn-avi, mit Skadi, der Tochter dos Riesen, in Verbindung. Müllenhoß' ])emerkt auch, dass CJylfi, zu dem Odin kommt, nicht ein König der Sueonen, sondern nur der eines fremden Urvolkes sein könne. Die Heimskringla- saga erweist, dass Snorre Sturluson aus dem Gesammteindrucke seiner vollen Kenntniss der Sagen und Ueherlieferungen und der tliat- sächlichen Zustände der Nordländer zu der Auffassung gelangte, in Odin, dem der alte König Gylfe die Regierung von Upland abtritt, und der dessen Unterthanen den Asenkult, die Todtenbestattung und die Runenschrift lehrt, ausserdem aber auch Steuern bei ihnen ein- führt, ausdrücklich einen germanischen König aus Asgard zu sehen. Dass er dabei Asgard nach Russland an das Schwarze Meere verlegt, kann nur eine ihm bewusste poetische Ausschmückung durch die Beziehung auf die Zeit des gothischen Ermanarich sein. EndHch ist der Name der Landschaft Finnheidi oder Finnwidr im Süden von Schweden zwischen Hailand und Smäland ein nicht zu bezweifelndes Zeichen, dass die Germanen die Finnen noch dort vorgefunden haben. Da nun auch Tacitus die Berührung der Nordgermanen und Finnen in Skandinavien hinreichend deutlich bezeugt, den Quenen sogar eine der suevischen ähnliche Kultur zuspricht, so würde kaum ein Zweifel bestehen können, dass die Bereicherung der finnischen Sprache und gleichzeitig ihres Kulturlebens durch das Eindringen der Nordgermanen nach Skandinavien stattgefunden habe, und dass dasselbe ungefähr mit dem Anfange unserer Zeitrechnung zusammen- gefallen odei- ihr nicht lange vorhergegangen sei. Die eigentlichen Schwierigkeiten der Sachlage sind aber da- durch leider in keiner Weise beseitigt. Sie beruhen darin, dass alle finnischen Dialekte, der dem westfinnischen am nächsten stehende mord- winische ebenso, wie die permischen und die kurischen und esthnischen, überhaupt alle östlichen in gleicher Weise, wie die westlichen, an dem deutschen Sprachschatze Theil haben, und dass slawische Wörter von den Finnen erst, wie sich deutlich erkennen lässt, in einer viel späteren Zeit und überhaupt nur in verschwindender Zahl für be- sondere vereinzelte Gegenstände aufgenommen worden sind. Welche Bedeutung die deutsche Sprachübertragung hat, wird erst dann völlig klar, wenn man die von Thomsen und Kos- kinnen analysirten Worte näher in Betracht zieht. Altgermanisch Mcitzcn, Siedelung etc. U. 13 178 \'1I1. 2. Land und älll^stc^s Kiilturk-bcn dor Finnen. sind in allen finnischen Dialekten unter vielen weniger wichtigen die Bezeichnungen fülgcndcr BegrilFe: 1. die Person und ihre Stellung betr.: Familie, Volk, Gesinde, Hausgenossen, Heer, Herzog, Anführer, Schaar, König, Gast, Schwägerin (Schwester der Frau), Mancher, ]Mord; 2. den Körper betr. : Ellenbogen, Oberarm, Elle, Schulter, Dann», Magen, Bauch, Sohle, Waschung, Seele; 3. die Kleidung betr. : Hut, Hosen, Hemd, Gürtel, Falte, Beutel, Filz, Watemal, Zeug, Tuch, Spange, Bing, Spiegel; 4. Geräth betr.: Beil, Spiess, Schwert, Gussform, Giessen, Ambos, Schärfe, Hammerrücken, Haue, Scheere, Messer, Messerrücken, Säge, Nagel, Nadel, Bohrer, Schraube, Gefäss, Glocke, Tisch, Spannholz am Webstuhl, Spinnrocken, Kamm, Lampe, ISIarke, Zeichen ; 5. Stoffe betr.: Thon, Kupfer, Raseneisen, Zweig, Torf, Theer, Zunder ; 6. Haus und Hof betr.: Haus, Stube, Vorstube, Kammer, Schlaf- kammer, Küche, Heerd, Esse, Schlot, Dach, Oberboden, Stiege, Fussboden, Querbalken, Anstrich, Heuschober, Scheune, Gard (umzäuntes Land), Feld, Pfad, wüster Ort, Lager; 7. Ackergeräthe betr.: Joch, Halfter, Oberleder, Deichsel, Gabel- deichsel, Reitdecke, Nabe, Wagenzelt, Kummet, Dreschschleife, Walze, Sichel, Pflug, Haken; 8. Thiere betr.: Stute, Kuh, Ochse, Milch, Butterfass, Schaf, Widder, Lamm, Wolle, Ziegenbock, Zicke, Huhn, Hahn, Henne, "Wespe, Wurm, Wurst; 9. Früchte betr.: Gerste, Korn, Roggen, Hafer, Lein, Hanf, Heu, Eichel, Spreu, Malz, Brot, gedörrtes Brot, Wein; 10. Schifiahrt betr.: Meer, Schifl", Steuer, Ruder, Floss, Seil, Netz; 11. Verkehr betr.: Brücke, Kaufen, Zahlen, Leihen, Erbschaft, Gold, Münze, Schmuck, Maass, Müller, Handel; 12. Zeit betr.: Tag, Mahlzeit, Monat, Mond, Norden. Denkt man sich alle diese Begriffe aus dem bewussten Lelien und Thun eines Volksstammes hinweg, so bleil)t allerdings gegen die Schilderung, welche Tacitus von den Finnen giebt, ein Mehr kaum übrig. Damit aber wird völlig ausgeschlossen, eine östliche Ver- breitung germanischer Sprachelemente von Skandinavien aus bis zum Ural lediglich imter den Finnen selbst anzunehmen. So viele, ganze Reihen neuer Lebensanschauungcn und Kunstübungen bezeichnende Begrifie könnten sich nicht gleichmässig und fortgesetzt übertragen VIU. 2. Land iiud älU'stt-s Kultinlulji'u der Fiiiuen. 179 hiil)en. Diese Weiterverbreitung würde eine allmähliche Bewegung steigender Bildung voraussetzen , in dvv mannigfacher Wechsel und das Schaffen eigener Begriffe und Ausdrücke unvermeidlich einge-. treten wären. Ueljerdies grenzten nach Tacitus' Nachrichten zu seiner Zeit die Veneden an die Finnen. Die so sehr in der Kultur zurück- stehenden östliclien Finnen müsstcn also auch dem Einflüsse der arischen »Slawen nicht nachgegeben haben. Sie hätten, statt von diesen ihren nächsten Nachbarn die Bezeichnungen so vieler allen Ariern längst bekannter Dinge, wie sie oben aufgezählt sind, an- zunehmen, dieselben lediglich in altgothischer Sprache bis von Skandinavien her von Stamm zu Stamm rein übertragen und dauernd bewahrt. Ein solcher Vorgang ist durchaus nicht glaublich und würde auch dann nicht wahrscheinlicher, wenn man in den Eroberungen Ermanarichs oder den Warägerzügen des 8. und 9. Jahrhunderts eine Unterstützung dieses Prozesses sehen dürfte. Da die Finnen von den Nordgermanen schon in Skandinavien vorgefunden wurden, ist ebenso umnoglich, dass etwa sämmtliche finnische Stämme bei Ankunft der Germanen in irgend einer (legend konzentrirt gelebt hätten, so dass sie die germanischen Bildungs- elemente vor ihrer Zersplitterung in verschiedene, weit verbreitete Stämme aufnehmen konnten. Auch daran kann man nicht denken, dass vor unserer Zeitrechnung eine nachbarliche allmähliche Wande- rung der Nordgermanen längs der (irenzgel)iete der Finnen stattge- funden habe, welche diesen die germanische Kultur zugetragen hätte. Denn die Zuwanderung der Ostgermanen ist zwar später, als die der Westgermanen, doch jedenfalls in erheblich frühere Zeit, als der germanische Wortschatz der Finnen zu setzen. Müllenhoff (II, 69) vermuthet deshallj für diese Periode eine grosse Zahl herrschender nordgermanischer Kolonien um den Finnischen Meerlnisen. Aber so wahrscheinlich diese sind, würde die Verbreitung der Sprache nach Nordost bis zum Altai daraus doch niclit zu erklären sein. Es bleibt deshalb nur ül»rig, weit zerstreute Niederlassungen nordgermanischer kriegerischer Kaufherren wenigstens in allen südlicheren, klimatisch bevorzugten finnischen Landschaften anzunehmen, Niederlassungen, welche durch ihre Kulturhilfsmittel der benachbarten Bevölkerung so grosse Vortheile l)oten, dass sie ohne AViderstreben und ohne die Nationalität der Finnen an sich zu zerstören, aufgenommen wui-den. Diese Auffassung setzt nur voraus, dass ähnliche Zustände schon zu Tacitus Zeit einmal eingetreten seien, welche später im 8. Jahrhundert die Herrschaft der A\'aräger erklären, und ein analoges, bis in alle Einzel- 12* 180 VI II. 2. Land und ältestes Kulturleben der Finnen. lieiten bekanntes Beispiel an der Festsetzung der Kosaken um das Ende des IG. Jahrhunderts in Sibirien finden. Solche hall) kauf- männische, hall) militärische Invasionen können bei Völkern von geringer Kultur zu jeder Zeit stattfinden, und werden auch in unseren Tagen durch die Araber über das gesammte innere Afrika durch- geführt. Diese frühe und weit verbreitete Festsetzung nordgermanischer Häuptlinge lässt sich um so leichter denken, weil sie wegen der völligen Erhaltung der finnischen Sprache und Nationalität nur mit sehr geringen germanischen Gefolgen ausgeübt worden sein kann. Sie fordert nur einen Vorgang, den die Geschichte sehr häufig kennt, dass ein fremder durch Waffen- und Herrscherkunst überlegener Adel in der Nationalität der Beherrschten aufgegangen ist. Indess kann die Klärung dieses geschichtlichen Problems zunächst nur aus prähistorischen Funden, die sich auf dem noch wenig er- forschten Gebiete erwarten lassen, erhofft werden. Anknüi)fung bieten bereits die von Radloff (Aus Sibirien H, S. 104) genau untersuchten Bronzen der sibirischen Bergwerke und Gräber, welche völlig mit den, wahrscheinlich von Babylonien ausgegangenen Formen aller soge- nannten etrurischen Bronzen Europas übereinstimmen. Für die Vor- stellung davon, wie sich die altgermanische Kultur bei den Finnen- stämmen agrarisch geltend gemacht hat, ist von Interesse, ob diese Kenntniss die wirthschaftliche Thätigkeit selbst einigermassen be- stimmte, oder ob sich bei der Rauhheit des nordischen Daseins nur die Grundbegriffe übertrugen, die Verwendung derselben aber von den örtlichen und nationalen Bedingungen verhindert war. Leider lassen auch die Kalewala und die zahlreichen Lieder der Finnen nur das Gemüth des Volkes, aber der altgermanisirten Sprache wegen nicht die nationalen Kulturelemente mit hinreichender Be- stimmtheit erkennen. Später wirkte fremde Kultur von verschiedenen Seiten ein. Seit der Herrschaft Ruriks begann das unaufhaltsame Eindringen der Grossrussen in die CJebiete der östlichen Finnenstämme. Ihre Bauern müssen durch die Besitznahme von Liuidereien viel grösseren Einfluss geübt haben, als der deutsche Handel von Nowgorod. 1141 gründeten die Grossrussen schon Moskau, wenn nicht auf finnischem Boden, doch sehr nahe seiner Grenze, und trotz der Oberherrschaft der Tataren in Sarai und Kasan wurde Moskau schon 1328 bleiben- der Sitz des Zaaren und Mittelpunkt des grossrussischen Reiches. Mit dem Sturze der Tataren aber fiel ebenso Nowgorod wie das Finnenreich in Perm. VIII. 3. Sieddniiy und Agianvcson in dou Finneugcbietou. 181 Auch die südliehen Ostsecfimien -wurden schon im 9. Jahrhundert von Dänen und Russen und seit dem Ausgang des 12. von den Schwert hrüdern und dem Deutschen Orden unterworfen. An der Dmnamündung in der Umgegend des späteren Archangel aber kennt Nestor schon im 10. Jahrh. Normannenniederlassungen. Seit 1553 erschienen dort die Engländer und erüirneten lebhaften Handel mit Hülfs- und Genussmitteln mancherlei Art. || Ist deshalb auch wenig Hoffnung, zu ])eweisfähigen (Gesichts- punkten einer volksthümlichen agrarischen Entwickelung der Finnen zu gelangen, so behält doch die Art, wie die finnischen Landschaften angebaut sind, die wichtige allgemeine Bedeutung, dass sie bis zur Gegenwart Beispiel und Aufschluss über den Uebergang vom Nomaden- leben zur festen Ansiedelung unter den eigenartigen Bedingungen der nordischen Natur gewährt. 3. Siedelung und Agrarwesen in den Finnengebieten. Welche Gestaltungen gegenwärtig die Ansiedelung und Grund- stücksvertheilung auf dem altlinnischen Boden in den Gel)ieten zeigt, die den Slawen, Schweden und Deutschen am nächsten benach- bart sind, und unbezwcifelt unter deren Einflüsse gestanden haben, wird durch die Kartenbilder der Anlagen 97 und 98 verdeutlicht. Anlage 97 giebt das Dorf Wederniki und die Flur von Starojamsk, einem Vororte der Stadt Jaroslaw, Avieder. Dieselbe zeigt die völlig durcbgeführte Verfassung der grossrussischen Mir (o. Bd. I, S. 25). Wederniki steht im Gemeinbesitz der hier lebenden männlichen Insassen, welchen unter der Bezeichnung als Seelen grundsätzlich gleiche Antheile an dem vertheilten wie unvertheilten Lande zustehen. Im Jahre ISSo wurden 42 solche Seelenantheile in 18 Hofstellcn gerechnet, nach welchen die letzte Theilung stattgefunden hatte. Dieselben waren indess wegen Wegzug und Ausscheiden einer Bauern- familie mit o Seelenantheilen thatsächlich nicht mehr vorhanden; das Land dieser drei Seelen war theils an die Gemeinde zurück- gefallen, theils in den Besitz anderer Hofstellcn übergegangen. Ob inzwischen neue berechtigte Seelen herangewachsen waren, welche ihre Antheile fordern und damit eine neue Vertheilung ver- anlassen konnten, ist nicht angegeben. Die vertheilten Ackerstücke sind nach der Oertlichkeit in grosse, dem Gedanken der Gewanne entsprecliende Abschnitte zerlegt, und in jedem dieser Abschnitte 182 VIII. 3. Si('(lelniig und Agranvesen in den Finnengebieten. hat im allgemoinen jede Hausstelle nach Verhältniss der für sie fest- gestellten Seelenantheile am Mir auch ihren Antheil am Acker er- halten. Indess zeigen sich nicht unerhebliche AVjweichungen von der Norm gleicher Anrechte. Die Seelenantheile haben (nach der Tabelle in Anlage 97) in den einzelnen Gewannen viel ungleichere Besitz- antheile, als an der Gesammtheit der vertheilten Grundstücke. Es muss also auch im Mir das Bestreben der Vereinigung der einzelnen kleineren Theile zu grosseren Besitzstücken zur Geltung kommen können. Beachtenswerth ist, dass die Flur aus 5 ziemlich entfernt von einander liegenden, durch fremde Ortschaften getrennten Par- zellen besteht. Nur darin lässt sich, wie noch zu zeigen sein wird, anscheinend ein Zug finnischer Eigenthümlichkeiten erkennen. Wie in Wederniki grossrussischer Einfluss, muss in Skavaboele, Anlage 98, der schwedische erkannt werden. Skavaboele liegt in Nyland, 3 Meilen nördlich Helsingfors, und deutet schon in seinem Namen auf schwedische Hufenverfassung. Er lässt sich als räum gerodete Hufen übersetzen. Von der Flur- eintheilung, welche vor 1778 bestand, ist ein Rest in den in der Nähe der Gehöfte gegen die Südgrenze der Gemarkung belegenen kleinen Grundstücken erhalten. Diese dauernd benutzten Aecker und Wiesen haben schon vor der Zusammenlegung der Flur in gewann- ähnlicher Vertheilung gelegen und sind durch die letztere nicht verändert worden. Dagegen ist der übrige, weit überwiegende Theil der Ge- markung, der aus sogenannten Schwendäckern und aus Wäldern und Haiden bestand, erst seit 1778 zu Privateigenthum nach bestimmten, anscheinend dem Hufenbesitz entsprechenden Antheilen vergeben. Unter Schwenden versteht man dort Einschlagen oder Niederbrechen der Waldbäume und Verkohlen des nicht anderweit gebrauchten Holzes und Reisigs. Es geschieht dies in kleinen über die ganze Holzungs- fläche verbreiteten, mit Erde bedeckten Haufen. Ihr Abschwelen giebt fruchtbare Asche und wirkt zugleich durch die Hitze verbessernd auf den unterliegenden Boden ein. Dadurch wird möglich, 2 bis 3, selten mehr, ausreichende Ernten auf ihm zu erzielen. Werden die Erträge zu schwach, so bleibt der Grund wieder auf 25 oder 30 Jahre dem Walde überlassen, er besamt sich bei der Kleinheit der Stücke schnell selbst. Zeigt er sich aber zu raumer AVeide geeignet, so wird er mit Weidevieh betriel)cn, das den Aufschlag des Waldes verhindert. Dadurch gehen auch die etwa erhaltenen Wurzelreste allmählich in Verwitterung über. Auf solchen Weiden kann in kürzerer Zeit wieder durch einige Jahre Beackerung versucht werden. Diese Art VIII. 3. Siedelung uud Agrarwcson in den I"innengol)ieten. 183 der Benutzung des gemeinsam verldiebenen Wald-, Haide- und Sumpf- landes stand in den früheren Zeiten jedem der im Orte angesessenen Familienväter frei, sofern er seine Genossen nicht wesentlich beein- trächtigte. Seit der schwedischen Besitznalmie des Landes im lo. Jahr- hundert aber haben sich mit den Steuerumlagen l)estimmtere Antheils- rechte festgestellt. In Skavaboele scheint eine völlig durchgeführte Hufen- oder Mantalsberechnung stattgefunden zu haben. Doch auch ohne eine solche genauere, mit der Gewannanlage verknüpfte Fest- stellung konnte der vorgefundene Besitzstand, also das herkömmliche unstreitige Anrecht des einzelnen Hofbesitzers, für die Steuerumlage einen genügendcMi Maassstab geben, der dann, wie erklärlich, auch für die Benutzung der Gemeinheiten und später ebenso für die Theilung derselben entscheidend wurde. — ]\Iehr alterthümliche Züge scheinen sich in Esthland und Liv- land unter der Herrschaft Schwedens und der beiden deutschen Orden erhalten zu haben. Die ältere livländische Ileimchronik (um 1290) sagt V. 342 von Livland: Die heidenschaft hat spehe site, Sie wonet note einander mite, Sie buwen besunder in manchen walt^). Anlage Uff giebt das Bild der Ortschaften Moisakülla und Sallo, welche in dem am wenigsten kultivirten, von grossen Hochmoor- und Sumpfmassen eingenommenen (^renzstriche zwischen Esthland und Liv- land Ijei Perrafer liegen. Sie sind Beispiele, wie sich die ursprünglich zerstreute Einzelsiedelung später gestaltet hat. Die Karte zeigt die alten, vereinzelt oder in einem gewissen Ortsverbande liegenden Höfe. Sie umfassen, ähnlich wie in Skavaboele, als Zubehör, das gemeinsame Land eingerechnet, jeder etwas über 100 ha Fläche und bildeten nach herkömniHcher Sitte gleiche Hälften, welche je einem Ver- wandten angehörten. Wenn diese Theilung in llälften thatsächlich ausgeführt wurde, so geschah sie in gewannähnlicher Form. Acker- wie Wiesenschläge kamen dadurch in ein wechselndes Gemenge, welches wenigstens für die Brachweide eine Art Flurzwang nöthig gemacht haboi muss. Seit dem grossen Esthenaufstande von 1224 wurden die finnischen bäuerlichen I^esitzer sämmtlich unter ziemlich strenge Gutsherrschaft geljracht. Alles Land, sowohl das der Landes- herren, wie das der Kirche und der Ritterschaft, zerfiel in adelige Güter. Diese Rittergüter wurden sowohl unter der schwedischen, wie ') Script, rcr. llvonic. Kiga, ed. L. Meier, 1853, Btl. II. 184 VIII. 3. Sicdelung und Agrarwesen in den Kinuengebieten. unter der deutschen Herrschaft nach Steuerhaken veranlagt, und dabei der bäuerliche Besitz bei jedem Gute als sogenanntes CJesinde ein- geschlossen. Später bei der schwedischen Veranlagung dieses Landes nach Thalerwcrth kamen auch die Gesinde zur Ijesonderen Ver- anschlagung und ihr Bestand wurde unter landesherrlichen Schutz gestellt. Schon früh hatte die Unterscheidung der Gesinde in Dreitag-, Zweitag- und Eintag-Kerle, nach der Zahl der Frohntage, die sie in der Woche zu leisten hatten, eine diesem Frohnverhältnisse ent- sprechende Klassifikation und eine gleiche Abmessung des dauernden Landes der Stellen, nebst ihren Anrechten an den gemeinsamen Grundstücken, bewirkt. Die alte Sitte der Hälftner scheint dabei die allmähliche Theilung der meisten grösseren Gesinde in Eintags- kerle befördert zu haben. Andrerseits führte der Wunsch der Guts- herren, die vereinzelt in den Waldungen zerstreuten Gesinde aus diesen zu entfernen, oder Ländereien von Gesindestellen, welche neben den ursprünglich nur kleinen Gutswirthschaften angesiedelt waren, in die grossen zusammenhängenden Gutsfelder einzubeziehen, nicht selten zu Verlegungen der Gesinde im Sinne des Zusammen- legens mehrerer Stellen zu einer Ortschaft. Doch sind solche in älterer oder neuerer Zeit entstandene Ort- schaften, wie Moisakülla zeigt, mit einem genossenschaftlichen Ge- wanndorfe nicht zu vergleichen. Sie bilden kein Ganzes, sondern zerfallen in Gruppen von Stellen, deren Landbesitz nicht vermischt liegt, und obwohl, wie bei der Theilung eines einzelnen Hofes, auch die einzelne Gruppe die Aecker in gewannähnliehe Abschnitte und Untertheile zerlegt, behält das Ganze doch den eigenthümlichen Charakter der Unzusammengehörigkeit und der Einzelbesitzungen. Auch erweist der Vergleich mit dem Bilde von Sallo, dass die grössere Regelmässigkeit der Theilungsweise in Moisakülla der unter dem Ein- flüsse der Gutsherrlichkeit üblichen Mitwirkung des Feldmessers zu- zuschreilien ist. Die zahlreichen kleinen Gewanne entsprechen dem schon o. Bd. I, S. 450 u. Bd. II, S. 75 erwähnten alliicmein verbreiteten bäuerlichen Gesichtspunkte, bei solchen Eintlieilungen die zweck- mässigere Bestellung der inöglichsten Ausgleichung der Bodengüte und der Wetterschäden unterzuordnen. — Diese drei Beispiele gehören, wie sich gezeigt hat, der äusseren Zone ünnischer Landschaften an, in welcher der fremde Einfluss unvermeidlich war und sich auch deutlich geltend macht. Je mehr nach Norden im Inneren der oben geschilderten Waldwildnisse, desto eher lassen sich nationale Eigenthümlichkeiten erwarten. ^^II. 3. Siedelung und Agrarweson in den Kiunougcbieten. Ig5 Ungefähr aus der Mitte Kareliens liegen die l)i'iden Beispiele der Fluren von Hintsala und Liimattala (Anlage WO und Anlage 101) vor, welche die ursprünglichen Zustände bildlich erläutern, und zugleich das Ergebniss der neuesten Theilungen unter die bis dahin den grössten Theil der Fläche in der Flur nach gewissen Anrechten gemeinschaftlich besitzenden Genossen nachweisen. Der ausgezeichnet sachkundige Senator und Vermessungsdirektor Herr J. Sjölen in Helsingfors, dem diese Karten, sowie die von Skavaboele zu verdanken sind, bemerkt zu denselben in Betreff der älteren Verhältnisse Folgendes: »Alle alten finnischen Dörfer oder Dorfgenossenschaften müssen als in der Regel derart entstanden gedacht werden, dass eine grössere oder kleinere Familie, oder ein Geschlecht von mehreren Familien sich in einer vorher unbewohnten Gegend einen Wohnplatz aus- suchte, dort ein ihren Bedürfnissen entsprechendes Areal in Besitz nahm, dasselbe anfänglich durch Abschwenden nutzbar machte und dann allmählich zu bleibendem Acker- und Wiesenland umschuf. Mit dem Zuwachs der Familie musste das erste Gebiet erweitert oder ein neuer Platz in der Nähe ausgesucht werden. Dies war un- behindert, wo nicht eine andere Familie oder ein anderes Geschlecht sich niedergelassen und vom Felde durch Schwenden oder Urbjir- machen Besitz ergriffen hatte. Die Grenzen zwischen den verschie- denen Besitzthümern wurden gutwiUig oder durch das Faustrecht bestimmt. Sie waren natürlich höchst primitiv und unregelmässig festgestellt. Indess besass doch jedes Geschlecht oder jede Familie ihr eigenes Gebiet, und dieser Besitz wurde von den zugeluirigen Genossen benutzt. Es schieden sich für die einzelnen Familien oder ihre Mitglieder eigene Aecker und Wiesen als anerkanntes Sonder- eigen aus. Das Uebrige stand Jedem aus der Gemeinschaft nach seinen Bedarf nissen ofien. Darin können gewisse Flächen gemeinsam an- gebaut, oder hier und da unter die Anl^auenden getheilt worden sein. Doch scheinen solche Anlagen im gemeinsamen Lande zunächst nicht dauernde, sondern nur zeitweilige gewesen zu sein. Man konnte sich nach Uehereinkommen oder nach der Grösse der Familien ])etheiligen, wahrscheinlich aber wird die Zahl der Arbeitskräfte, welche die einzelne Familie zu der gemeinsamen Urbarung und Feldarbeit stellte, die Antheilsrechte an der Ernte oder an dem Ertrage bestimmt haben. Dies kann wechselnd geschehen sein, oder auch zu einer dauernden Anerkennung und Festhaltung der ül)lich gewordenen Antheile geführt haben. Später sind dann wirkliche Theilungen der 186 VITI. 3. SleiU'liiii.Lr und Ajirarwesen in ikn Finnengebieten. Feldstücke eingetreten. Sie erfolgten in höchst primitivem und mangelhaftem Messungsverfahren nach den bestehenden Anrechten. Die eigentlichen Waldungen aber verblieben mit geringfügigen Aus- nahmen ungetheilt zu gemeinsamer Nutzung. »Seit dem Ausgange des Mittelalters, namentlich in der Zeit Gustav Wasa's, begann die Regierung wenigstens auf einen Theil der gemeinsamen Waldungen Ansprüche zu machen, und die Gesetz- gebung bestimmte gewisse Grundregeln, nach welchen berechnet werden sollte, wie gross der Antheil der Krone sei, und wie viel Land den einzelnen Grundbesitzern zugetheilt werden dürfe. Der Antheil eines Jeden wurde dabei hauptsächlich nach der Grcisse des von ihm thatsächlich bebauten Landes und auf Grund der ihm danach, oder im Sinne der herkömmlichen Antheile, auferlegten Steuern ab- gemessen. 1752, 1757, 1775 und 1783 erschienen endlich Verord- nungen, welche die wirkliche Ausscheidung des Staatslandes beab- sichtigten und zu diesem Zwecke methodische Grundstücksvertheilungen (Skorskifte) und Steuerregulirungen für grössere Landestheile or- ganisirten. Diese Erlasse schrieben die Theilung der noch vor- handenen gemeinsamen A\"aldungen und Ländereien auf Grund von Bodenschätzungen vor und regten zum Austausch anderer schon ge- theilter Parzellen im Sinne der Herstellung möglichst arrondirter, für die Bewirthschaftung günstig und liequem belegener Besitzungen an. Der Austausch des Privatbesitzes war nur freiwillig zu erreichen. Die Vertheilung des Gemeinbesitzes dagegen konnte angeordnet werden, wenn auch nur ein einziger Theilhaber im Dorfe sie beantragte, sie konnte aber auch lediglich von der Regierung ausgehen. Es sollte damit zugleich eine allgemeine dem Werthe der Ländereien entsprechende Besteuerung erzielt werden. Für die der Krone zu- kommenden Antheile am Gemeingut war keine eigene Bewirthschaftung durch den Staat beabsichtigt, sondern es sollten auf dem zum Anbau geeigneten Boden neue Höfe gebildet werden, deren Ueber- nahme gegen zu leistende Steuern den Männern im Dorfe oder anderen Personen freistand. »Die Ergebnisse gestalteten sich sehr verschieden. Li den süd- lichen und westlichen Küstengegenden, wo die Dörfer eng gebaut, die geeigneten Felder seit lange dem gesonderten Anbau unterworfen und bereits in älterer Zeit durcli das sogenannte Solskiften in Ge- menglage vertheilt worden waren, blieb diese Vermischung der Be- sitzungen, wie das Bild von Skavaboele zeigt, sehr allgemein bestehen. Obwohl eine Zusammenlegung der Grundstücke auch in diesen VIII. 3. Siedelung iiml Af^rarvsesen in den Finnengebieten. 187 (Jegenden unabweisbares Bedürfnis? ist nnd hier und da statttrefunden hat, hat doch noch die Vertheilungs -Verordnung vom 15. Mai 1884 die Unantastbarkeit alter feststehender Theilungen aufrecht erhalten, sofern die Interessenten nicht freiwillig der Umlegung zAistimmon. »Im Innern Finnlands, wo das Land wenig bevölkert ist, konnten die Besitzungen, wie die Karten von Hintsala und Liimattala zeigen, in der Regel gut arrondirt werden. »Auch die rechtsgeschichtliehe Darstellung über die Landgüter in Finnland (Om jord naturerna in Finland; Helsingfors 1878) theilt die Auffassung, dass in Finnland ursprünglich kleine Ansiedelungen nach dem jus primi occupantis im Lande entstanden. Die Waldungen in deren Umgelning blieljen Gemeinwälder, bis sie unter schwedischer Hen'schaft zu bestimmteren Theilungen gelangten. Das einmal aus- gesonderte Bauland aber wurde Eigenthum. Ein Gemeindeverband, wie der grossrussische Mir, bestand niemals. Aus den Gemeinheiten durfte indcss nur Holz zum Verbrauch, nicht zum Verkauf, entnommen werden. Auch Leibeigenschaft bestand so wenig gegenüber den Schweden, wie unter den Finnen selbst. Alle waren persönlich freie, aber namentlich seit dem Ende des 15. Jahrhunderts schwer belastete Bauern, welche erst Gustav Adolf zu erleichtern begann. »Die Schweden stellten nach ihrer Besitznahme schon in ältester Zeit Landshevdingi als Gouverneure an die Spitze der Verwaltung, bildeten auch, wie in Schweden selbst, Herads und Kirchspielsbezirke, und setzten Fogdi dem Herad und Lensmani den Kirchspielen vor. Die Gerichtsgewalt hatten die Lagmani und Ileradshevdingi. Sie führten die Prozesse unter Zuziehung von 12 Xemdemani (probi viri), die von den Einwohnern des Gerichtsbezirks gewählt wurden, und deren einstimmiges Verdikt entschied. Es gab Odalmani, welche als Familienhäuptlinge und Besitzer ihr eigenes, von ihren Vorfahren okkupirtes Land bebauten, Freie (man for sig) waren und Stimme in allen Volksversammlungen hatten. Nur diese Odalmani besassen ihre, Heimat genannten, Güter zu freiem Eigenthum. ^Man bezeichnete als Heimat ein bestimmt abgegrenztes landwirthschaftliches Gut. Es durfte ohne besondere Erlaubniss weder getheilt, noch zu einem anderen zugeschlagen werden. In der Regel war es zu '^U ]\Iantal angenommen. Es gab indess auch Mantal, welche bis 12 Heimat umfassten. Mantal bedeutet« (wie o. Bd. I, S. 81 u. 140 gezeigt ist) »in Schweden eine Hufe, das selbständige Loos eines Bauern, und die Mantals waren auch in Schweden ursprünglich dem Bedarfe eines Bauern entsprechend abgegrenzt, erwiesen sich aber mit dem Fort- 188 VIII. 3. Sit'delung niul Agrarwosen in dcu Finnengebieten. schritte der Kulturwcise als sehr verschiedon knlturfähi,fr und von ungleichem Werthe, so dass sie späterhin verschiedenartig getheilt Avurden. »Auch Finnland wurde durch eine alte schwedisclie Veranlagung, eine Art Landeskataster, in Mantals eingetheilt, und danacli die Kontribution umgelegt. »Neben den freien und hörigen Privatbesitzungen l^estanden in der cältesten Zeit in grösserer Zahl Staatsgüter, Kronsjard, Krononatui-, Mise, welche zum Unterhalt des Königs und seiner Beamten dienten. Sie wurden zum Theil direkt ])ewirthscliaftet, meist aljer auf 30 Jaln-e gegen unveränderliche, in Körnern festgestellte Renten verpachtet. Ausserdem ruhten auf ihnen einige Dienste für Botengang, Wegweiser, Post u. dgl. Jedes fünfte Jahr besuchte ein Fogd in Begleitung von zwei Nemdemani das Gut und stellte Unordnungen durch gerichthche Untersuchung ab. Gegenwärtig bestehen nur noch 7 solcher Güter. Soweit sie Pachtgüter lüielien, wurde Emphyteuse aus der Pacht und sie erhielten 1789 den Charakter der Famihen-Fideikommisse. Dabei wurde eine feste Rente von 32 — 112 Fr. für das Mantal festgesetzt, und der Holzeinschlag auf den Bedarf beschränkt, auch ein jährlicher Neubruch von 0,15 ha gefordert. Ein russisches Gesetz vom 31. Juli 1818 bestimmte die Successions- Ordnung. Dem überlebenden Ehe- gatten folgen nach Primogenitur die Söhne, daim die Töchter, ent- sprechend die Seiten verwandten, ülier welche bei gleichem Recht das Loos entscheidet. Auch können sie ohne Verkürzung der Anwärter theilen. »In viel grösserer Anzahl aber wurden die Krongüter mit der Zeit in Freigüter, Kronoskatte, Skattenatur, umgestaltet, welche Zins, (Scliatz, Skatte) zalden, und wenn sie 3 Jahre hindurch diesen Scliatz schulden, zur Subhastation kommen. In grosser Zahl wandelte König Johann die durch den Krieg ruinirten Kronpächter durch Verordnung vom 7. März 1582 in Kronoskatte um, ähnlich Gustav Adolf. 1723 wurde den Pächtern der Kauf gegen die G fache Pacht, 1741 und 17!)0 sogar gegen die 3 fache Pacht gi>stattet, wobei mn- die Be- schränkung bestehen blieb, dass das Gut an den Fiskus zurückfällt, Avenn es 3 Jahre unbebaut bleibt. »Den Besitzern der Zinsgüter, den Skattebördern, abei' bot schon Ende des 13. Jahrb. Magnus I. Laduläs, freies Eigenthum und Befreiung von allen Abgaben an den Staat gegen die Pflicht an, im Kriege einen beAvaffneten Reiter zu stellen. So entstand Frailsejard oder Fraelse- skatte, und neben der Miliz ein Reiteradel, Fraelse. In die Reiterei VIII. 3. Sic'(k'lang und Agrarwesou in ilcii Finnengcljioteii. 189 des Fraelse durften alle Beamten, die Dignitnrii und Functionarii, auch die Landpäcliter (Landbocr) von Krongütern und die Ueiter- diensst tliuenden ^Milizen (Rossjonst), überhaupt alle, die sieli mit dem Nachweis der nöthigen Mittel dazu meldeten, eintreten. Die Güter der Fraelse bekamen auch bald das Recht, Mannschaften auszuhel)en und die Gerichtsl)arkeit über die Insassen des zu dem Gute gehörigen Bezirkes, ausser über die Landboer auf den Krongütern, auszuü])en. »Unter Karl XL entstanden auch aus kontiszirten oder vom Staat zurückgenommenen Gütern die Staatsgüter der Sater, welche den stehenden Truppen oder aucli solclien Privaten überwiesen wurden, welche im Felde einen Reiter stellten. Als gegen das 17. Jahrhundert die Kosten des Reiterdienstes zu gross wurden, trat zwar ein Tlieil der Fraelsegüter in den frülieren Stand der Skattegüter zurück. Im wesentlichen al)er erhielt sich der Unterschied der Skattegüter als der steuernden, und der Fraelsegüter als der steuerfreien und im Besitz des Adels (Fraelsestandet) befindlichen. Es gingen aus den letztern auch, ebenfalls Sater genannte, Allodialgüter hervor, welchen verschiedene Rechte zuerkannt wurden, wie Gerichtsl^arkeit, Brennerei- recht, Freiheit von Leistungen zu Militär, Schule, Kirche, Zehnt, Strassen! )au u. dgl. Sie durften ohne landesherrliche Erlaubniss von Nichtadeligen nicht besessen werden. Indess V)estanden 18G0 nicht mehr als 2G0 Satergüter, von denen nur o in Knopio, alle anderen in den sc-hwedischen Landschaften Finnlands lagen.« — Diese Entwickelung verdeutlicht die Zustände dt'S eigentlichen Finnlands, des von den Finnen erst im G. oder 7. Jahrhundert nach Chr. besetzten und bis zur Neuzeit wesentlich unter schwedischem Einflüsse entwickelten Hauptlandes. Ihm steht vom Ladogasee aus östlich und nc'irdlich die ältere Heimath der finnischen Stämme gegenüi)er, welche sich theils schon seit den Warägern, theils seit dem Untergange Nowgorods und des Permischen Reiches, unter der PIcrrschaft der Russen befindet. Es Lst indess nicht allein dieser alte historische Gegensatz, welcher die beiden Gebiete scheidet, sondern auch ihre natürliche Beschaffenheit. Das eigentliche Finnland ist mit einem grossen massigen Gebirge von Urgesteinen zu vergleichen, dessen Hohen von früheren Meeresfluthen und später von den Gletschern der Eiszeit fast zur Ebene abgeschliffen, und dessen Thäler von zahllosen Seen ausgefüllt €ind, so dass der menschlichen Kultur zwischen Stein und Wasser nur geringfügige Bodenstrecken, auf denen mühsame Arbeit hin- reichenden Ersatz erhofien darf, zu Gebot stehen. 190 \'III. 3. SiciU-liuig und AiL?rar\veseii in den Finnengebieten. Die alten (istlichcii Fiiincngchicte, nind zwar, wie o. TI, 8. 104 gezeigt ist, (lern Kältepole näher und durch ihr Klima erlieljlich njchr als das westhehe Finnland benachtheiligt, aber ihren Boden l^ildet nur in viel geringerer Ausl)reitung dcnudirtes Gestein, seine Grundlage ist Trias und Kohlengel)irge, die mit älterem .Schotter und Gletscher- schutt bedeckt sind und eine dichte, bis in den hohen Norden reichende Waldvegetation erzeugen. Wo diese nicht mehr zu gedeihen vermag, breiten sich wenigstens haide- und bruchartige, nicht völlig unnutzbare Tundren aus (o. Bd. II, S. 165). — Auch aus dem östlichen Norden, aus der Waldzone der oberen Kama, liegt das Bild einer Ansiedelung in der Karte des Dorfes Demidowo (Anlage 102) vor. Hier wird ein intensiver russischer Einfluss noch nicht fühlbar. Die Bevölkerung ist finnisch, das Dorf ist von alten freien permischen Kronbauern l)esetzt, und die Art der Siedclung zeigt zweifellos ur- sprüngliche Züge des Volksdaseins. Demidowo liegt ziemlich mitten innerhalb des fast geschlossenen Kreises, den der Lauf der oberen Kama beschreibt, unfern des Zu- sammenflusses der Lopwa und Lomza in der Nachbarschaft der grösseren Dorfschaft Zula unter 59,5 Breite und 72,5 Länge von Ferro. Die Gemarkung von Demidowo umfasst rund 840 ha. In diese Fläche theilen sich 16 Stellen. Nach welchem Verhältniss und in welchen Lagen ist nicht verzeichnet. Hätten sie gleiche Antheile, so würden jeder Stelle 53,5 ha zustehen. Das Kartenbild genügt indess zu zeigen, dass es auf die Vertheilung der Ländereien unter diese Genossen nicht ankommt, sondern dass das Hauptgewicht auf der Art und Weise liegt, wie die erste Besitzergreifung überhaupt stattgefunden hat. Das Eigenthümli'che ist zunächst die Lage inmitten grosser, fast zusammenhängender, vom Staate wahrscheinlich schon seit der Er- oberung Pei-ms als Kromvaldungen betrachteter und zu gewisser Zeit aucb in Verwaltung genommener Nadelholzforsten. InnerliaDi dieser Forsten erstrecken sich die Ländereien von Demidowo 4600 Saschehn oder 10,3 kni in die Breite und 4400 Saschehn in die Länge. Auf dieser Erstreckung aber sind sie durcli die Grundstücke von 22 anderen Dorfschaften zum Theil in zalilreielun Parzellen unterbrochen. Die Grenznachbarn Demidowos w'cchseln, ohne den Kronwald zu rechnen, 148 Mal. Nur das benachbarte Ust Zula hat überhaupt ein einiger-, massen zusammenhängendes Terrain. Alle übrigen Orte, die zum Theil recht entfernt liegen, sind nur mit mehr oder weniger Parzellen VIII. 3. Siedelung lunl Agiarweseu iu dt-ii Fiuueugebieten. IJJI vertreten. Soweit ^^ich aus der Karte übersehen lässt, werden hier melir als 200 Parzellen, 70 aus denen Demidowo besteht, und etwa 150 der 22 anderen betheiligten Ortschaften, wie eine kleine Insel von den ungeheuren "Waldmassen dieses Landstriches eingeschlossen. Wie ist eine solche Anordnung des Grundbesitzes in ihrer Entstehun<^ denkbar? Darüber macht A. v. Middendorff, dessen speziellen amt- lichen Untersuchungen die Karte von Demidowo ebenso zu verdanken ist, wie die von ^^'ederniki, folgende Bemerkungen: »Wenn man diese Verhältnisse erklären Avill, darf man nur zu- sehen, Avie sich die Dinge noch gegenwärtig im nordeuropäischen Russland fortspinnen. Der Einzelne beginnt in der weithin mit Wald l)edeckten Einöde nicht unmittelbar mit der Besitznahme von Land. Die Ankömmlinge fangen zuerst am gelegenen Orte gemeinschaftliches Lel)en an. Alle sorgen zunächst gemeinsam, Menschen und Vieli zu selbständigem Unterhalt zu l)ringen. Es entstehen Gemeinfelder, tleren Theilung in Loose das NatürUchste ist. Bald aber wird es den Leuten zu enge. Dieser oder Jener begiebt sich in die AVald- wildniss hinein, sucht sich eine von schlankem Jungholz bestandene Blosse mit Südlage, wenig Steinen und Freiheit von Morast und Ueberschwemmung, und begrenzt sie durch Bezeichnen der Bäume und Anhauen des Jungholzes. Solclie Waldmuthungen sind aner- kanntes Gewohnheitsrecht. Sie umfassen gewö^uilich Flächen von Vd bis 1 ganzen Desjätine. Die Kennzeichen der Besitznahme werden heihg gehalten, auch wenn die Umstände den Okkupanten einige Jahre von der Ausführung seines Wunsches abhalten sollten. Der Fleck gehört ihm als Eigenthum für immer. Er haut und schwendet ihn. Nach einer oder zwei, selten mehr. Ernten wächst wieder der Wald in die Höhe, aber dieses Neuland biciljt sein Privateigenthum. Anderes Recht jedoch entsteht, wenn die Gesammtgenieinde in der- selben Weise Neufelder schafi't oder wenn ein Gemeindeglied aus dem Dorfc hinauszieht, um sich l)ei seinem Einschlage häuslich niederzulassen. Dann verfällt die Rodung nach einem gewissen Zeit- räume von 10 l)is 20 Jahren der Gesammtgenieinde und kommt mit zur Loosung^). Grössere Stücke erbliches Sondereigenthum, die nicht selten mit der Zeit zu erheblichen Komplexen, sogenannten Obod (Reif, Radreif), zusammcnfliessen, entstehen namentlich als sogenannte Poshni (Mahden). Es sind dies ncuschläge, welche arbeitsame fie- ') Die Angaben über Wederniki (s. o. II, S. 181) zeigen, dass der Einzelne auch ausscheiden kann, Mcnn er seine bisherigen Antheile an die Gemeinde verfallen lassen will. 192 VIJl. 3. Hic'dehinj^ und .\.t,'rarweBen in den Finnengebieten. meindeglicdcr in grösserer Entfernung vom Dorfe, sogar bis 30 und 50 Werst , in der gedachten Weise längs der Bach- und Flussläufe aufsuchen und von Gestrüpp und Steinen reinigen. Ueberall ist die Wirthschaft so, dass neben dem Acker mindestens das 3 fache an Ileuschlag erworl.ien werden muss, und umsomehr, je geringer meist das Sumpf heu an Qualität und Quantität ist.« Die Karte von Demidowo entspricht ersichtlich dieser Darstellung der Vorgänge. Es sind zwar innerhalb der zur Gemarkung gerech- neten Ländereien die Unterschiede zwischen dem Gemeinbesitz und dem privaten Eigenthum nicht verzeichnet, welche nach der sehr ver- schiedenen Lage der Parzellen unzweifelhaft vorhanden sind. Für die an die Gemarkung angrenzenden Parzellen aber ist diese Unter- scheidung gemacht. Die Grenzen A bis 0 werden von dem Ge- meindelande der in Anlage 102 genannten Nachbargemeinden gebildet. P 1 — 5 sind jedoch kein Gemeindeland, sondern Parzellen, welche im Sondereigenthum stehen. Sie gehören Besitzern, welche ihrerseits in anderen, zum Theil sehr entfernten Ortschaften wohnen und deren Gemeindemitglieder sind. Aus ähnlichen Verhältnissen lassen sich auch die Parzellen von Wederniki, o. II, S. 182, erklären. Es lässt sich annehmen, dass wie in schwedisch Finnland erst durch die Steuerumlage, so auf dem finnischen Boden unter russischer Herrschaft erst durch die von der Krone und den Gutsherren zur Geltung gebrachten Ortsgemeindeeinrichtungen die Unterscheidung des als Privatbesitz okkupirten Bodens und der zur Wohngemeinde gezogenen Ländereien die gegenwärtige Bestimmtheit erlangt hat. Wenigstens hat Sokolowski, wie er angiebt^), aus den im Nowgorod- schen Gebiete noch erhaltenen Bauerregistern des 15. -lahrhunderts und zwar aus der Zeit, in welcher die dortigen Bauern noch frei und keiner Gutsherrlichkeit und Schollenpflichtigkeit unterworfen waren, festgestellt, dass sich die Ländereien nicht im Gemeindesitz der ein- zelnen Ortseinwohnerschaft, sondern in dem des ganzen Wolost's be- fanden. Daraus folgt nichts anderes, als dass Land und Bevölkerung in grössere Gaue zerfiel, deren Gebiet als allen Gaugenossen gemeinsam betrachtet wurde und zur Benutzung unter herkömmlichen Rechten und Einschränkungen ollen stand. Die in der Hauptsache um 1575 vcrfasste Beschreibung des Moskauischen Reiches durch denVeroneser Alexander Guaguinius sagt sogar, dass die tscheremissische und mordwinische *) Geschichte der Landgemeinden im nördlichen Russland, 1877. Röttger, Russische Revue. VIII. 3. Siedelung und Agrarweseii in di-n Fiunt'ngel)ieten. 193 Bevölkerung noch grossentheils ohne Gebäude in den Wäldern lebe'). Für die ältere Zeit muss also der lediglich okkupatorischc Charakter des Besitzes weit allgemeiner verbreitet gedacht werden, und die Natur des Bodens und des Klimas, welche dauernde Ernten von demselben Grundstücke nur unter besonders entwickelter Bewirth- schaftung zulassen, sowie die Gewohnheit, in der Cota (der Jurte) zu leben, konnten diese Besitzverhältnisse von .Jahrhundert zu Jahr- hundert in ihrer Eigenart erhalten. An sich würde nun diese Besitznahme besonderer Stücke aus den gemeinsamen Wäldern und Einöden dem bekannten allgemeinen Rechte aller Nomaden entsprechen. Jeder Nomade darf einzelne Stücke der Weiderevierc seines Volkes oder Stammes für seinen Bedarf und Nutzen kultiviren und so lange als seinen ausschliesslichen Be- sitz betrachten, als er die Kultur fortsetzt, oder gewisse Zeichen seines Sonderrechtes aufrecht erhält (o. Bd. I, S. 136). In der Regel wird dabei eine Umzäunung gegen das Weide vieh als Erforderniss betrachtet. Der Zaun aber verliert seine Geltung, wenn der Bifang durch drei Jahre unbenutzt gel)lieben ist. Bei den finnischen Sied- lern scheint dagegen weder eine Umhegung, noch ein Rückfall in die gemeine Mark stattzufinden. Ihr leichter und einfacher Erwerb dauernden Privateigenthums an dem Neubruche enthält also eine starke und grundsätzliche Erweiterung des sonst üblichen Bifangsrechtes. Man darf nun zwar in Betracht ziehen, dass die ausserordentliche Ausdehnung dieser noch weithin unberührten Waldgebiete und die der ül »erwiegenden Jagd und Fischerei wegen nur beschränkte nomadische Benutzung die dauernde Achtung des erworbenen Kulturbesitzes für die Volksgenossen viel weniger bedenklich und nachtheilig machte, als in den Weiderevieren Gentralasiens oder anderer Steppengegenden. Auch kommt thatsächlich mehr eine gegenseitige, nöthigenfalls mit dem Schwert unterstützte Forderung der Rücksicht innerhalb eines kleinen Kreises von Standesgenossen in Frage, als der strenge Begriff des Privateigenthums, der dem dauernden Besitze erst durch die bewusste Anerkennung Seitens einer Staatsgewalt gegeben wird. Immer- hin lässt sich eine gewisse volksthümliche Sitte und Anschauung in diesen eigenthümlichen Besitzzustihidcn erkennen. Dagegen wird man nicht irren, wenn man in dem Rechte, nach welchem dieses Privat- eigenthum in Gemeidebesitz übergeht, sobald es bewohnt Avird, keinen wirklich volksthümlichen Zug dieser Siedelungsweisc erblickt. ') Rerum Moscoviticarum auctores varii, Frankfurt 1600, S. 170. Meitzen, SiedeluDg etc. II. 13 104 VIII. 3. Siedelung und Agrarwesen in den Finuengebieten. Es scheint darin vielmehr nur eine eigenthümliche und auffallende Lösung des Dilemmas zu liegen, welches durch die Konkurrenz heider Bositzarten, des Privateigenthums und des Gemeinhesitzes, entsteht, lieber die praktische Durchführung drängen sich dabei wegen der unbestimmten Fristen, und wegen der in der verschiedensten Weise möglichen Abgrenzung der zu bewohnenden Parzelle mannig- fache Zweifel auf. Man wird den Gedanken als eine moderne, ziemlich künstUclK' Abhülfe für die durch das Prinzip des Mir ge- schaffenen Schwierigkeiten betrachten müssen, da nach den von Frau Jefimenko^) eingehend bearbeiteten Landrollen und Urkunden meist noch im 15. Jahrhundert die Dorf genannte einzelne Ansiedelung im Permschen Gebiete lediglieh aus einem einzigen Hofe bestand. Von dem Zustande um 1845 sagt A. v. Haxthausen in seinen Studien über die südlicheren Stämme, dass zwar die grösseren, ursprüng- lich finnischen Ortschaften rechts der Wolga in grossrussischem Sinne russifizirt seien, dass aber die Muromen und Tscheremissen an der unteren Oka und jenseits der Wolga bis zur Wiatka im Gegensatz zu den Grossrussen in kleinen, haufenförmig zusammenliegenden, zwischen vielen Bäumen versteckten Dörfern leben, und dass ihre Felder in wenigen durch Grasraine getrennten Stücken liegen und in Drei- felderwirthschaft bebaut werden. Sie waren niemals Leibeigene, sondern freie Kronsbauern, und treiben keine Gewerbe, die über den Hausbedarf ihrer Tjandwirthschaft hinausgehen. Seine Angabe, dass der jüngste Sohn den Hof des Vaters erhält, und der verheirathete das nöthige Land von der Gemeinde fordert, welche als Eigenthümerin des Bodens gilt, gehört bereits der Mirverfassung der Kronsbauern an. — Diese Enirterungen ergeben, dass auf den ursprünglich finni- schen Stammgebieten eine bestimmte, einer typischen Regel folgende Feldeinrichtung überall erst da zu finden ist, wo ein fremder wirth- schaftlicher oder politischer Einfluss dieselbe bedingt hat. Gleiches muss auch für die Magyaren angenommen werden. Man könnte hoffen, dass in Ungarn, welches die Magyaren als Er- oberer besetzten und dauernd inne hatten, ein deutliches Bild volks- thümlichcr finnischer Agrarverfassung in genügenden Spuren erhalten sei. Es ist indess o. Bd. H, S. 160 gezeigt, dass sie am Ende des 9. Jahrhunderts noch als Nomaden in das Land eindrangen und überall, wo sie sich als Herren festsetzten, die Landschaften damals, wie er- klärlich, bereits seit lange von \\'allachen, Slawen und Deutschen fest ') A. Jefimenko, Bauevnvcrhältnisse im Norden Russlands, 1882—1883, Peters- burg (russisch). VIII. 4. Die Kiitwickeluug von Haus und Hof bei dcu Fiuuen. 195 besiedelt vorfanden. Die Frage nach der Entwickelung, die daraus folgte, und nach der (späteren Kolonisation der weiten Gchirgswalduugen, wie der Haidegebiete der Ebene, darf hier vorl)ehalten bleiben. Wenn aber alle Beobachtungen volksthümlich finnischer Siede- lungs weise in ]5etreff der Feldeintheilung nicht über die okkupatorische Besitznahme einzelner geeigneter, in mehr oder weniger zerstreuten Parzellen belegener Acker- und Wiesen- oder Weidestücke hinaus- führen, lassen sich, je unentwickelter die landwirthschaftlichen Betriebs- verhältnisse sind, desto eher in der ersten Grundlage der festen Ansiedelung, in der Anlage von Haus und Hof gewisse Züge nationaler Besonderheit erwarten. 4. Die Entwickelung von Haus und Hof bei den Finnen. Von jeher liabeu die Forseher, welche die Gel)iete der Finnen bereisten, den Eindruck empfangen, dass hier der Haus])au und die häuslichen Einrichtungen besonderer Beachtung werth seien. Sie haben in der Wohnweise nicht allein das wesentlichste Zeugniss des Kulturlel)ens dieser nordischen Stämme gesehen, sondern namentlich Ucberlieferungen von einer Ursprüngliclikeit und Einfachheit, welche geeignet sind, die Entwickelung vorgeschichtlielien Völkerdaseins im allgemeinen zu t>rläutern. Häuser und Gehöfte der Finnen sind schon für Pallas^), Georgi^), Castren'') und andere ältere Reisende Gegenstand nälieren Interesses gewesen, neuerdings aber von Axel 0. Heikel'^) in sehr eingehender Weise untersucht und beschrieben worden. In der That gehören diese Baulichkeiten unmittelliar den in Anlage 26. Bd. III, S. 107 dargestellten Jurten und Zelten der Nomaden, und damit auch den o. Bd. II, S. 169 näher beschrieljcnen Besonderlieiten des primitiven Wanderle])ens der Finnen an. An die älteste Wohnweise der finnischen Stämme in den ge- schilderten Jurten und Garamen hat sich indess für den Westen und Osten ihres Volksgebietes eine verschiedene Entwickelung geknüpft. ') P. S. Pallas, Reise durch verschiedene Provinzen des russischen Reiches in den Jahren 1768 — 1771, St. Petersburg 1771. *) J. G. Georgi, Beschreibung aller Nationen des russischen Reiches, St. Peters- burg 1776. ^) M. A. Castren, Resor och Forskningar, Helsingfors 1858 und 1870. ') Dr. Axel 0. Heikel, Die Gebäude der Tscheremissen, Mordwinen, Esthen und Finnen, Helsingfors 1888, Journal de la socie'tc Finno-Ougrienne IV. Vi* ]9n VIII. 4. Die Entwickelung von Hans nnd Hof bei den Finnen. Der Westen ist klimatisch in verhältnissmässig günstigerer Lage und hat früh nnd dauernd in näherer Berührung mit der benach- barten KuUur der Ostseeländer gestanden, deshalb fallen auch seine vorgeschritteneren häuslichen Einrichtungen in eine um viele Jahr- hunderte frühere Periode, als die des Ostens. Schon sehr zeitig haben die westlichen finnischen Gebiete den vom Bottnischen Mecr])usen und den Ostseeprovinzen aus bis an die Grenze von Kardien am Onegasee und südlich nach Olonetz ver- breiteten Haustypus der Pirtti angenommen. Er ist im Gebrauche ärmlicher Landwirthe bis zur Gegenwart in ursprünglicher Form er- halten. Die Bezeichnung Pirtti kommt aus dem Litthauischen und bedeutet Baderaum. Das Gebäude ältester Art ist 15 bis 20 Fuss lang und breit, aus roh behauenem Blockliolz errichtet und 1)csitzt nur eine sehr hoch über dem Erdboden liegende Thür und zwei Fig. 66. enge Luken als Fenster, wie Fig. 66 erkennen lässt. Im Innern des einfachen ungetheilten Gemaches ist das Charakteristische ein etwa den sechsten Theil des Raumes einnehmender grosser Ofen, welclier sowohl zum Heizen und Kochen, als zum Dampf bade benutzt wird. Diese Oefen können mit mehr oder weniger Sorgfalt errichtet sein, bestehen aber überall aus einer aus Lehm und mehr oder weniger Steinen geklebten, nicht hoch über dem Boden angelegten geräumigen Einfeuerung, welche nach oben in etwa 3 Fuss Höhe durch eine mit einigen Schhtzen durchlöcherte Wölbung geschlossen wird. Ueber dieser Wölbung ist ein zweiter ähnlicher Aufbau aufge- setzt, der in der Höhe eine Plattform zum Liegen, Schlafen oder Baden bildet. Dieser Aufbau hat eine besondere Oeffnung, durch VIII. 4. Die Eutwickelung von Haus und Ilof bei den Finnen. 197 welche seine Hölilung mit kopfgro.ssen , meist granitischen Roll- steinen gefüllt wird, welche sich erhitzen und die "Wärme sein- lange festhalten. Indess verlieren sie diese Eigenschaft in 2 oder 3 Jahren und müssen erneut werden. Ein Rauchfang hesteht nicht, der Rauch zieht in das Dach oder durch die Thür. Nicht selten findet man neben dem Ofen oder in einer Ecke desselben eingelassen einen be- sonderen kleinen Heerd, über welchem ein Kessel hängen kann. Gestalt und Grundriss des Baues, sowie die innere Austattung, wie sie in Kardien üV)lich, ergiebt die Zeichnung. Das Dach ist mit übereinandergelegten Brettern gedeckt, welelie auf einigen Tragebalken liegen. Diese ruhen ohne anderes Gespärre auf dem Holzwerk der beiden Gieljelseiten und geben dem Dache eine flache, beinahe ge- wölbte Form. Nur Reichere haben darunter im Innern eine ver- schaalte Decke oder sogannte Lage, d. h. eine einen Theil des Gemaches überdeckende Bretterlage. Meist ist der Raum bis an das Dach offen. Dagegen ist es mehr und mehr Sitte geworden, über das Bretterdach noch ein zweites sogenanntes ^yasserdach zu legen. Fig. 67. a c d b ist das eigentliche Dach; a b sind einige Querbalken, welche die Dach- stützen tragen ; e f g bilden das Wasserdach. Zu diesem Zweck werden, wie Fig. 67 zeigt, che Seitenwände des Hauses um einen oder zwei Stämme erhöht, so dass das eigentliche Dach zwischen denselben hegt, und über diese Erhöhung vdvd ein höheres Dach aus oben spitzer zusammenlaufenden und durch einige Latten befestigten Brettern aufgestellt, welche das Regenwasser leichter ablaufen lassen. Den Fussboden des Hauses bildet che blosse, nur festgestampfte Erde, in Esthland meist flache Steine, indess werden auch mit Keilen gespaltene Stämme in den Boden eingedrückt, oder Bretter auf Querhölzer gelegt. In letzterem Falle findet sich in der Regel eine kellerartige Grube darunter, in die man durch Aufheben der Bretter gelangt, und welche zum Aufbewahren von Früchten oder werthvoUen Gegenständen dient. Wenn die Landleute keinen anderen Raum besitzen, wohnen sie li)8 VIII. 4. J)ie Entwickelnng von Haus und Ilof bei den Finnen. in dieser Pirtti, baden darin, dörren aueli das Getreide in ihr und bringen im Winter sogar ihre Kühe oder ihr Pferd in derselben unter. Für das Dörren wird das Getreide in Garben auf Stangen, die in jMannsiiöhe in dem Räume quer gelegt sind, l)is an das Dach ein- gealtert und trocknet von dem Rauch, der das Haus erfüllt. Diese Benutzung hat sich bei den Hamalaiset in Tawastland bis in die letzten Jahrzehnte erhalten und ist in Esthland noch jetzt ziemlich gewöhnlich. Es ist auch bekannt, dass die Verwendung der Pirtti zu allen diesen Zwecken in älterer Zeit eine sehr verljreitete war. Brand (Reysen durch die Mark Brandenburg u. s. w. , Wesel 1702) sagt z. B. S. 136 f. ^) von den livländischen Bauernhäusern: »Lire Häuserchen sind von runden Fichtenhölzern zusammengeschürzet und bestehen nur aus einer Rauchstubeu, und wo einer etwas mehr ist, aus beigefügten Speicherchen, worinnen sie ihr Brod, Salz und Trank verwahren. Das übrige ist nur ihrer Pferden und Kühen Aufenthalt. Diese Rauchstube ist mehrentheils nicht höher, als dass darinnen nur ein Mensch stehen kann, das übrige wird zur Zeit des Herbstes mit ihrem auf etlichen dazu verordneten langen Stangen ruhenden Getreide angefüllet, unter welchem sie den aus grossen Kieselsteinen aufgerichteten und in Form unserer Backofen gemachten Ofen so weidlich einheizen, dass man selbigen kaum von unseren brennenden Kalköfen unterscheiden würde; . . . und dieses geschieht bei ihnen, nur allein das Korn zu trocknen (wie wohl auch etliche eine besondere dazu verordnete Hütte halten). In dieser Rauchstuben essen, trinken, dreschen, sclilafen sie ... , ja zur Winterzeit halten sie hierinnen ihr junges Vieh, als Schafe, Hühner, Gänse u. dgl. Ist auch mit keinem Fenster versehen, sondern hat nur etliche -sner- eckigte Löcher, wo ein(n- eben den Kopf durchstecken kann, welche sie mit hölzernen Brettern des Nachts zuscbielien.« Im Laufe der Zeit aber und vielfacli schon früh hat sich überall, wo steigende Kultur Platz gewann, die Sitte eingeführt, für das Baden, sowie für das Dörren des Getreides besondere Baulichkeiten zu errichten. Auf den wohlhabenderen Bauergütern ist sogar eine sehr grosse Zahl von verschiedeneu, meist allerdings nur kleinen Nebengebäuden allgemein üblich. Fig. 68, 69 und 70 zeigen ein übliches Wohnbaus mit seinen Einrichtungen. Fig. 71 giebt das Bild eines gewöhnlichen bäuer: liehen Gehöftes in Esthland. ') A. BezÄcnberger , Ueber das litauische Haus, Königsberg 188G. Sep.-Abdr. aus der Altpreussischen Monatsschrift, Bd. XXIII, lieft 1/2, S. 44 a. VIII. 4. Die Entwickelung von Haus und Ilof bei dcu Finnen. 199 Fig. 68. Fig. G9. Fig. 70. a Vorhaus ; h Winterstiibe mit c Ofen, in welchem unten gekocht wird, im obern Raum Steine liegen; d Sommerstube; e Versclilag; f Tenne; g Stall oder Kammer; h Stabenthür zum Schieben V/., Fuss über dem Boden. 2^ ~-L-.'rM* Fig. 71. 0. Heikel giebt in seiner Darstellung der Gehäiule der Finnen- stänime eine grosse Zahl Gebäudezeiehnungen und Gehöftpläne. Ans diesen sind in Anlage 103 4 charakteristische Grundrisse von Bauernhöfen, A ein Esthnischcr aus dem Revaler Bezirk, B ein Tawastländischer , C ein Sawolakischer aus St. Michel und D ein Karelischer aus Knopio, entnommen, und in denselben die zu gleichem Zwecke dienenden Baulichkeiten mit gleichen Buchstaben bezeichnet worden. 2UÜ VIII. 4. Die Kntwickelung von Haus und Hof bei den Finnen. Die Vergloieliung derselben ersieht, dass in allen diesen Anlagen die Pirtti (k und i) noch klar erkennbar ist. In den grossen Bauerhöfen des Tawastlands und überhaupt im südlichen Finnland, wo neben der eleganten und modern eingerich- teten Wolm.stul^e für die Hausherrschaft eine besondere Gesindestube besteht, in der gekocht und gegessen wird, ist letzterer der Name Pirtti geblieben. Dass in keiner dieser Wohnstuben mehr gebadet wird, zeigen die überall vorhandenen besonderen Badestulien k. Auch das CTCtreidedörren ist in den Gehöften B, C und T) in eigens dafür errichtete Riegengebäude (m) verlegt. Nur in dem esthnischen A besteht keine solche Riege. In der That sind in Esthland besondere Gebcäude für das Dörren des Getreides nicht üblich. Es geschielit vielmehr, trotz aller Uebelstände, die daraus folgen, bei den Bauern der Regel nach noch immer in der Wohnstube. Die Stuben sind zu diesem Zwecke etwa 12 Fuss hoch, also erheblich höher als die Nebengelasse, und haben an der Rückseite gegenüber den Fenstern \om Flur zur Giebelwand Querbalken, meist 3 in je IV2 Fuss Ab- stand, nebeneinander eingelassen. Auf diesen Querbalken hegen Stangen, über welche das Getreide gebreitet und durch Zusammen- schieben derselben festgepackt wird. So durchzieht es der Rauch des Ofens, während das Wasser daraus heruntertriöft. In dem- selben Raum leben und schlafen in der Regel drei Familien. Denn es ist Sitte, dass der Bauerwirth zwei verheirathete Knechte hält, deren Familien nicht abgesondert wohnen. Man erachtet dies in wirthschaftlicher, wie in sittlicher Beziehung für das Beste. Die üble Folge für die Gesundheit sind namentlich schwere Augenkrankheiten. Sehr bemerkenswerth ist nun auf allen diesen Höfen die eigen- thümliche Erinnerung an die uralte Cota, die sich nicht blos in dem Namen, sondern sogar in ihrer Form erhalten hat. Dass mit der Zeit als lästig empfunden worden sein mag, im Sommer in der- selben Stube zu wohnen, in der gekocht wird, ist allerdings erklär- lich. Indess sind, wie die Pläne zeigen, auf den meisten Höfen besondere Sommerwohnstuben (b) vorhanden, so dass ausser diesen die Sommerküche nicht nöthig erscheint. Deshalb liegt für die Cota eine herkömmliche Uebcrlieferung am nächsten, deren Sitte das Be- dürfniss gut befriedigte, übeldünstende Gegenstände, wie Seife, Kohl u. äluil., in einem besonderen Räume zu kochen. Jedenfalls bestehen diese Küchen allgemein und haben, Avie auch die Pläne zeigen, häufig gar keinen Ofen, sondern nur einen offenen Heerd. Die meisten sind allerdings, wie die Anlage 103 in B, C VIII. 4. Die P'ntwic'keliiug von Haus uud Hof bei deu Fiuneii. :301 und D und selbst bei A i^ zeigt, zu viereckigen Gebäuden geworden, welche denen in Fig. 71 entsprechen. Aber Fig. 72 (Heikel, S. 144) giebt schon das Bild einer alten Stangencota, nur da.*^?, statt die Stangen oben zu verbinden, ihnen durch ein Firstholz Halt gegeben wird. In Fig. 73 (Ebd. S. 141) ist die Cota dagegen noch rund und mit J'^•^%iJ^■^'?n^.;/> Fier. 73. spitzem Stangendach an ein viereckiges Badstubengebäude angelehnt. Fig. 74 (Ebd. S. 132) endlich giebt das Bild einer Cota aus dem Hofe A (Anlage 103 \-) wieder, welches beweist, dass hier, noch in der Xähe von Reval, in der That der alte Jurtengedanke vollständig erhalten ist. — Im Osten an der Wolga und zwischen dem Onegasee und dem Ural ist die feste Ansiedelung der finnischen Bevölkerung offenbar viel später allgemein geworden. Alex. Guaguinus spricht um 1575 ausdrücklich von den Ceremissi populi in silvis sine aedibus habi- 202 VIII. 4. Die Enhvickelung von Haus und Hof bei den Finnen. Fig. 74. tantes ^). Von den Mordwinen sagt er, dass sie wie die Tscheremissen in Wäldern sine nllis aedibiis wohnen, aber doch in pagis passim degunt^). Heikel (S. 27) führt auch noch russische Quellen an, die Aehnliches bezeugen. Dies kann zwar nicht beweisen, dass damals in diesen Gegenden noch keine feston Wohnplätze bestanden, aber doch, dass ein grosser Theil der Bev()lkerung ihren nationalen Sitten und Neigungen nach noch wenig sesshaft war. Dabei hat sich im Osten das schamanische Heidenthum bis in die neueste Zeit erhalten. Es ist deshall) erklärlich, dass hier die nationalen Züge, welche sich bei der Art der Ansiedelung erkennen lassen, einen dem alten no- madischen Volksthum noch näher stehenden und in ihren Grund- gedanken vom Westen verschiedenen Charakter habini. Die Pirtti ist hier nicht bekannt. Auch wird nirgends in einem Wohnräume gebadet. Allerdings bestehen Badestuben, aber dass sie sich niemals mit dem häuslichen Leben verknüpften, ergiebt sich schon daraus, dass sie häufig einer ganzen Gemeinde gemeinschaft- lich dienen und von ihr errichtet sind. Ebensowenig werden die Stuben zum Dörren von CJetreide benutzt. Dafür sind besondere Riegen so primitiver und den Nomadenzuständen entsprechender ') Omnium rcgionum Moscoviac monarchiac suhjcctarum moriim et religionis descriptio, in: Rerum moscoviticarum auctores varii, Frankfurt IGIO, S. 170. *) Sarmatiae Europae descriptio, Spirae, 1631, S. 80 u. 87. VIII. 4. Die Entwickelung von Ilaus und Ilof bei den Finnen. 203 Art im Gebrauch, dass das Herübernehmen derselben aus den Zeiten eines sporadischen innerhalb weniger Jahre seinen Standort wecliseln- den Getreidebaues viel wahrscheinlicher erscheint, als dass sie erst später von den dauernd Angesessenen erfunden worden seien. Fig. 7.5. Die einfachste Form dieser Riegen, Fig. 75, kommt nach 0. Heikel (S. 1) bei den Mordwinen und Tschuwaschen des Simbirskischen Gouvernements vor. Sie ist nichts anderes als eine Cota, deren oben verbundene Stangen in ziemlich engem Kreise gestellt sind, und in deren Mitte auf offenem Heerde zu ebener Erde ein Feuer brennt. Dasselbe ist durch die OefTnung auf einer Seite zugänglich. Auf den drei anderen Seiten werden um diesen spitzen Kegel die Getreidegarben so herumgelegt, dass die Aehren nach innen und die Strohenden nach aussen liegen. Die Umhüllung der Stangen mit Bast oder Rinde, wie bei den gewöhnlichen Jurten, verhindert, dass die trocken werdenden Körner in das Feuer fallen. Diese Ein- richtung ist unmittelbar dem Gedanken der Cota entnommen und auf die einfachste Weise herzurichten, sie setzt aber allerdings den Getreideschober sehr leicht dem Abbrennen aus. Deshall) bringen die Tscheremissen des rechten Wolgaufers die Anordnung, Fig. 76 (Ebd. S. 2), in Anwendung, welche diese Gefahr vermeidet. Sie bestellt aus einer Grube von o Ellen I^änge, 2 Ellen Breite und 2 Ellen Tiefe, in welcher ein Ofen von Erde und Steinen hergestellt ist. Die Grube ist mit Holz und Erde dem Erdboden gleich verdeckt, so dass nur ein Loch zum Hineinsteigen und ein anderes über dem Ofen frei- gelassen ist, aus welchem die heisse Luft und der Rauch desselben in die Höhe steigt. Ueber letztere OefTnung ist in gleicher Weise wie l)ei der erstgedachten Riege ein mit Bast umhüllter Stangen- kegel aufgestellt, der im Lmern die Wärme des Ofens aufnimmt, 204 VIII. 4. Die Entwickcluug von llaus und Hof bei den Finnen. Fig. 76. und dadurch die aussen um ihn herumgelegten Garben abtrocknet. Neben dem Kegel pflegt man einen Baumstamm mit Aststumpfen als Leiter zu benutzen, um die Garben leichter aufschobern zu können. Bei den Mordwinen an der Mokscha, welche als die alten Ersen Fig. 77. (o. Bd. II, S. 156) angesehen werden dürfen, ist die in Fig. 77 und 78 (Ebd. S. 3) dargestellte Riege üblich. Ihre Einrichtung knüpft nicht an den Gedanken der Cota, sondern eher an den der Gammen (o.n, S. 169) an. Sie besteht aus einer etwas geräumigeren Grube, über welche zu ebener Erde Holzstangen so gelegt sind, dass an den Seiten schlitzartige OefFnungcn in ein darüber errichtetes Gemach führen, welches mit Erde bedeckt wird. Dieser obere Raum ist mit ver- schiedenen Stangenlagen versehen, auf welche die Getreidegarben geworfen werden. Die obere Kammer, sowie die Grube sind durch VIII. 4. Die Entwickelung vou Haus und IJof bei den Finnen. 205 Fig. 78. einen kleinen Vorraum mit Treppe zugänglich. Wird dann in der Grube ein schwelendes Feuer angezündet, so zieht Hitze und Rauch in den oberen Raum. Meist befindet sich vor letzterem noch, wie dies Fig. 77 zeigt, eine Art offener Halle, in welcher das gedörrte Getreide trocken ausgedroschen werden kann. Die sogenannten Wiesen -Tschcremissen in dem tiefgelegenen weiten Ueberschwemmungs- und Sumpfgebiete des linken Wolgaufers bauen, vielleicht der Feuchtigkeit des Bodens wegen, nur ein der- artiges oberirdisches Gel)äude, Fig. 79 (Ebd. S. 5)^), und setzen in Fig. 79. dasselbe einen Lehmofen, den übrigen Raum nehmen die auf Stangen aufgelegten Garben ein. Diese Riegen kommen bereits den in neuerer Zeit in Finnland und Esthland üblichen .sehr nahe, welche als besondere, von einem Ofen geheizte Häuser errichtet werden, in der Regel aber so gross und hoch sind, dass zu ebener Erde in ihnen Platz zum Dreschen des Getreides bleibt. — ') Der Ofen steht in der Hinterwand oder an anderer Stelle in der Mitte, indess 80, dass die Feuerung sich nach der Thür öffnet. Dieselbe wird bisweilen mit einer sogenannten Mütze verdeckt, durch deren Löcher der Rauch zieht. Gedroschen wird in diesen Riegen nicht. 20() VIII. 4. Die Kiitwickelung von Hans nnd Hof bei den Finnen. Indfs.s nicht allein Holche Ncbensolasse, soiiflern auch die eij^ent- liehen \\'ohnhäuser haben in den östhchen Finnengebieten Erinne- rungen an die nomadische Cota bewahrt. Ein kegelförmiges Haus trifft man allerdings, wie Heikel (S. 8) sagt, als Wohngebäude in den Gegenden der Wolga nicht mehr an. Aber es findet sich dort bei den Tscheremissen , Wotjaken, und Tschuwaschen die Cuda, die Küche, als Wohnraum. Nel»en ihr hat sieh zwar schon auf vielen Höfen ein besonderes, der russischen Islia ähnliches Stubengebäude für den Winter eingeführt, so dass die Cuda auf diesen nur im Sommer bewohnt wird. Indess bleibt die Cuda gleichwohl der alterthümliche, eigentliche und als heilig erachtete Hauptbau des Gehiiftes. Sie ist gegenwärtig, wie Fig. 80 (Ebd. S. 9) zeigt, ein aus ungehobelten Balken blockhausmässig gezimmertes viereckiges Gebäude, in welchem sich gewöhnlich nur ein Gemach befindet, das die Thür an der Giebel wand und keinen Ofen hat, sondern noch in ältester A\'eise einen offenen Heerd in der Mitte. An Ijeiden Giebeln stehen einige der obersten Balken der Scitenwände Fig. 80. konsülenartig hervor. Ebenso liegen von Giebel zu Giebel Längs- balken und ein Firstbaum. Auf diese sind vom First bis zur Traufe Stangen oder Bretter als Decke des Daches gehangen, deren Herab- gleiten durch Dachbretter verhindert wird, welche von Hakenhölzern getragen werden. Zur Dachbefestigung legt man oben über den First einen grossen Dachlialken. Nach der vorderen Seite ist das Dach der Cuda in der Regel verlängert, so dass ein Schutzdach über der Thür entsteht. Dasselbe wird auf jeder Seite durch einen Pfosten VIII. 4. Die Kutwickfliiug vuu Haus uud Hof bei deu Finuen. 207 gestützt. Die Thür selbst ist ziemlich hoch angebracht, und über ihre Schwelle tritt man zunächst auf einen treppenartig ausge- schnittenen starken Balken, auf dessen Enden niedrige Bretter als Sitze aufgelegt sind, die zu beiden Seiten des Raumes fortlaufen. Im übrigen aber liegt, wie Fig. 81 (Ebd. S. 14) näher darstellt, der ganze Raum auf dem freien Erdreich. Auch der Hecrd ist, wie in der Cota, nur von einigen Steinen umgeben, und hat lediglich den an einem höchst primitiven Kesselhaken hängenden Kessel über sich. Der nie- drige Dachraum ist ganz offen ohne Zwischenlagc. Besonders bemerkens- werth erscheint nur die fast immer vorhandene, in Fig. 81 dargestellte Zwischenwand. Sie theilt einen meist dunklen Raum ab (sur oder izi kuda), welcher nur vom Innern der Cuda aus zugänglich ist. Dieses Gemach dient gegenwärtig, wie Heikel S. 14 ausführt, als Aufbewahrungsort für allerlei ^^'irthschaftsgeräth. Früher aber und vielleicht hier und da l)is heut wurde dieser Raum für heiliger als irgend eine andre Stelle der Cuda angesehen. Denn hier wurden die Opfergelübde abgelegt (wie sie die Lappländer in der Boasse zu thun ])flegen), und man bewahrte da das Holz, welches man im Opferwalde bedurfte, sowie den Topf, in dem man das Opfer zu kochen beab- sichtigte. Wenn der Opfertag erschienen war, brachte man diese Gegenstände in den Opfcrwald^). Auch Pallas erzählt von den Tschuwaschen, welche eine ebensolche Cuda wie die Tscheremissen haben, dass sie ein Irich benanntes Opfergeräth in ein reines Seiten- 0 Georgi, Beschreibung aller Nationen des russischen Reiches, St. Petersburg 1776, I, 34, 35 und 43; Castren, Resor och Forskningar, Helsingfors 1858, III, 217 bei den Tscheremissen, 225 u. 226 bei den Ostjaken, 233 u. 234 bei den Samojeden. 20H N'lll. 4. Die Entwifkelnnf^ von Haus und Hof bei den Finnen. gemach legen, welches die meisten neben ihrer Wohnung hauen, und zwar in die entfernteste Ecke desselben^). Heikel weist (S. 15) nach, dass solche Cudagebäude primitivster Art und Ausstattung, wie bei den Tscheremissen , auch bei den Wotjaken und Tschuwaschen be- stehen und überall, wenigstens im Sommer, bewohnt werden. Sie sind zugleich bei fast dauernd brennendem Feuer die heilige Stätte, wo gebadet und geopfert wird, inid die man stets sauljer hält und vor Verum-einigungen sorgfältig behütet. Wie die Heikel ent- nommenen 4 Pläne ostfinnischer Höfe, Anlage 103 (E, F, G, H), näher nachweisen, steht bei den Tscheremissen und den Mordwinen, an der Wolga und an der Ufa, die Cuda abgesondert auf dem Hofe. Auch bei den Wotjaken fand Pallas die ^^'ohnstube inmitten des Hofes. Heikel (S. 73) bezieht diese Stellung unmittel))ar auf die Lebensweise der Vorzeit. Um das Haus und den Heerd in dessen Mitte bewegten sich alle häuslichen Arbeiten, und es war von allen Seiten, nach dem '\^'alde, wie nach dem Wasser, frei zugänglich. Auf dem tschere- missischen Hofe wachsen oft Bäume, besonders Birken, welche che Tscheremissen sehr lieben, und man pflegt ihn verhältnissmässig rein zu halten, er wird sehr häufig mit einem grossen langschaftigen Besen (salko) gefegt. Im Leben und Treiben der Tscheremissen ist die Cuda und deren Umgebung, wie vor Alters, so noch jetzt, der Mittelpunkt des täglichen Daseins. Auch sehen sie in den nahen grünenden Bäumen mit einer gewissen Verehrung die Umzäunung ihres Hauses (Cudo pice). Es lässt sich also nicht bezweifeln, dass diese primitiven und heiligen Hecrdstätten die älteren, noch an das unstete Nomadendasein anknüpfenden festen "Wohnungen sind, und dass die Winterstuben, wo sich dieselben überhaupt finden, der späteren, von den Russen wesentlich beeinflussten Entwickolung an- gehören. Die russische Regierung hat nicht allein auf die Gemeinde- organisation und die damit verknüpfte Feldeintheilung, sondern ebenso auch auf Form und Bau der Gc1)äudc und ihre gegenseitige Stellung eingewirkt. Sie schriel) die dem grossrussischen Typus gemässe Anordnung der Gebäude für Neubauten vor und führte damit auch die ent- sprechende innere Einrichtung herbei. Die freie Stellung der Wohn- und Nebengebäude ist mehr und mehr der Regelmässigkeit der gross- russischen Gehöfte und Dorfstrasseii gewichen, wie sie Wederniki ') Pallas, Reise durch verschiedene Provinzen des russischen Reichs, St. Peters- burg 1768 — 1771, I, S. 89, lU, 60 ff. I Vin. 4. Die Entwickelung von Haus und Hof bei den Finnen. 209 (Anlage 97) wiedergiebt. Das Bild eines solchen Gehöftes zeigen Fig. 82 und 83^). Wohngebäude, Ställe, Speicher und Schuppen uni;;chlagen will, die Si'hilderungen Heikel^ bleiben reich an eigenartigen Zügen der \\'ühn\vei.>ter geleitet werden. Auch die sprachliche Bezeichnung des in der Familiengenossen- scliaft lebenden Hausvolkes und des der Familie vorstehenden Hausvaters wird schon seit alter Zeit von den Slawen ebenso auf die Gesammtheit der Genossen eines ganzen Stammes, wie auf den Stammesvorstand angewendet. Zupa z. B. ist el)enso der Inbegriff der in einem Hauswesen lel)enden Hausleute, wie der der Bewohner eines ganzen Bezirkes oder einer Gespannschaft, und liegt dem kroati- schen ban, ungarisch ispan, deutsch Ciespann, zu Grunde^). Die einzelne Familie setzte sich, wenn auch in mehreren Gliedern, dauernd in einem arrondirten Grundbesitz fest, den sie als ihr geraein- sames unveräusserliches Stammgut, dzedzine, betrachtete. Die zuge- hörigen Ländereien wurden nicht getheilt, sondern von der ganzen Familie als Hau.skommunion, als Sadruga. gemeinschaftlich bewirth- schaftet. Von jeher verwaltete der Hausvater, Starejsina, Glavar, Zupan, das ganze VcrnKigen der Familie, l)efahl jedem Einzelnen, was er täglich zu thun habe, führte die Kasse, kaufte und ver- kaufte, und ül)te jeden Akt der väterlichen und priesterlichen Gewalt, allerdings alles mit einem gewissen Einverständniss der übrigen Familienväter im Hause. Keiner derselben erwarb in der gewöhn- lichen Wirthschaftsführung Etwas für sich. Eigenes Vermögen konnte nur als Brautschmuck, Kriegsbeute, Geschenk und aus gelegentlich gestatteten Arbeiten für Fremde, oder aus etwa vertheilten besonderen üeberschüssen der Wirthschaft entstehen. Nur dies war vererblich. Die Leitung wurde vom alternden Vater dem übergeben, der ihm unter seinen Söhnen oder Neffen am geeignetsten erschien, oder der Nachfolger wurde von der Familie durch \\'ahl bestimmt. Diese Stellung konnte aber bei Untüchtigkeit auch wieder entzogen oder als zu lästig niedergelegt werden. Der Familienleiter bewohnte das Haupthaus mit der gemeinsamen Küche, der seine Frau vorzustehen verbunden war und dabei abwechselnd andre Frauen zu den Haus- arbeiten heranzog. Einige Familienglieder, namentlich verheirathete, wohnten im Sommer in kleinen Nebenhäusern, die mit den nöthigen ') Der Stamm des Wortes Zupan, Supan, hängt nicht mit Pan, der Herr, zu- sammen, sondern ist die altslawische Bezeichnung eines Bezirkes, regio, mit dem Nebensinn von Grube oder Höhle. (Die Bergwerke von Wielizka und Bochnia werden noch heut zupe genannt.) Ein Anklang findet sich nur im Sanskrit. Der Sinn ist wie bei dem skandinavischen Boole (o.Bd.I, S. 75), gemeinsame Wohnstätte, Heerdpiatz. 2 IG VIII. 5. Das si'ulslawische Agranvesen Ställen und Schuppen das Haupthaus innerhalb eines abgegrenzten Obst- oder Grasgartens umgaben. Im Winter wurden alle Betten in das geräumige unabgetheilte Haupthaus gebracht. Wenn die Zahl der verheiratheten iSIitgenossen zu gross wurde, meist schon, wenn sie 8 oder 10 überstieg, erfolgte eine Trennung durch Begründung einer oder mehrerer neuer Kommunionen. Diese Theilung geschah, wie die Untersuchungen von Fr. S. Kraus erweisen^), nach Stämmen, d. h. unter der Fiktion, dass die Söhne des Begründers der bisherigen Familie noch lebten und gleiche Theile erhielten. Der Regel nach scheint man indess die Stirpes nur bis auf den Urgross- vater zurückgeführt zu haben, obgleich die alten Stammbäume Gegen- stand besonderen Interesses und lebendiger Ueberlieferung waren. Die von der Sadruga bewirthschafteten Aecker, sowie die zu privater Nutzung geeigneten und nothwendigen Wiesen und sonstigen Grund- stücke wurden jedes im Einzelnen unter Anwendung des Looses ge- theüt, entferntere Waldungen und Haiden konnten in gemeinsamer Nutzung bleiben. Im ül^rigen bestand zwischen den verschiedenen in dieser Weise begründeten Sadrugas keinerlei wirthschaftlicher Zu- sammenhang. Politisch blieb einer derselben, wie es scheint, eine Art höheres Ansehen und Vertretungsrecht. Da diese Theilung der einzelnen Kulturstücke sich in gleicher Weise wiederholte, sobald eine der neuen Sadrugas im Laufe der Zeit wieder theilen musste, kann der Grundbesitz der einzelnen Sadrugas innerhalb einer solchen Flur in sehr ungleichen Grössen untereinanderliegen. Diese Sitte des Familienkommunismus hat sich in den süd- slawischen Ländergebieten mit solcher Festigkeit durch alle Jahr- hunderte erhalten, dass noch das am 7. Mai 1850 fiu- die (ister- reichische Militärgrenze erlassene Grundgesetz ausdrücklich das patriarchalische Leben des Grenz volkes als National brauch unter den Schutz des Gesetzes stellt. Als Familie eines Hauses werden nach dessen Wortlaut alle Personen betrachtet, welche bei dem Hause kon- skribirt und nicht' Dienstboten sind, diese Personen mögen der Kommunion als Verwandte angehören oder in sie freiwillig aufge- nommen worden sein. In der Regel hat der älteste fähige und dienstfreie Mann die Ilausvaterstelle zu führen und das Hausvermögen zu verwalten. Seine oder eine andere hierzu geeignete Frau hat die Pflichten der Hausmutter. Die Wahl muss durch die Familie geschehen und der Behörde angezeigt werden. Was die Hauskommunion mit ') Sitte und Brauch der Südslawcn, Wien 1885, S. 114 ff. und die Hauskommunion. 217 gemeinsamen Kräften erwirbt, ist gemeinsames Hausgut, welches zur Bestreitung der Kosten der Wirtliseliaft und des Unterhaltes aller Faniilienglieder dient. Letztere sind indess befugt, die Zeit, welche ihnen nach Erfüllung ibrer häusliehen Obliegenheiten erübrigt, in ihrem eigenen Sonderinteresse zu verwenden. Alles bewegliehe Vermögen, das einzelne Hausgenossen für sieh rechtlich erwerben, ist ihr ])esonderes Eigenthum. Der Grundbesitz der Grenzhäuser theilt sich in Stammgut und Ueberland. Das Stammgut ist in der Regel unveräusserHch. Das Ueberland umfasst alle übrigen Be- sitznngen der Grenzhäuser und ist veräusserlich. So lange eine Hauskommunion aus mehreren Männern besteht, haben sie alle ohne Unterschied gleiche Rechte auf das unbewegliche Vermögen des Hauses. \\'enn aber Einer aus dem Hause tritt oder sonst in Ab- gang kommt, verliert er sein Recht, und dasselbe wächst von selbst den übrigen ^Männern zu. Ist kein jNIann mehr im Hause, geht dieses Recht auf die nämliche Art auf die zu dem Hause gehörigen ^^'eiber über. Die Theilung einer Kommunion ist unter gewissen Bedingungen zulässig. In Anlage 104 ist der Plan eines solchen Dorfes der Militärgrenze bruchstücksweise wiedergegeben und durch eine FamilienUste erläutert. E. J. V. Tkalac's Serbisches Staatsrecht^) ergie])t indess, dass in Serbien die Hausgemeinschaft bis zur Promulgation des Civilgesetz- buches von 184-4 niemals durch eine positive gesetzliche Anordnung berührt worden ist, und dass dieses Gesetz nur die hergebrachte Sitte bestätigte. Daraus lassen sich einige der vom österreichischen Gesetz etwas modifizirten Züge des Herkommens dahin richtig stellen, dass das gesammte Eigenthum des Hauses gemeinschaftliches Gut aller Genossen ist, und aller Erwerb jedes Einzelnen der Gesammt- heit gehört, es sei denn, dass ein Genosse ausser dem Hause durch Arbeit, Glück oder Zufall etwas erwirbt und das Erworbene gegen ^'erzichtleistung auf seinen Antheil am Hausgute für sich selbst zu behalten erklärt. Nur über solche Gegenstände, welche zum ausschliess- lichen persönhchen Gebrauche eines Hausgenossen dienen, kann er als individuelles Eigenthum frei verfügen. Frauen und männliche Kinder unter 15 Jahren haben nur den Xutzgenuss am V^ermögensnntheile des Gatten und Vaters, weibliche Kinder werden vom Hause als Gesammtheit erhalten und haben bei ihrer Verheirathung nur den Anspruch auf eine anständige Aussteuer Seitens des Hauses. Dies ist also die hinreichend klar formulirte Gestalt, welche die ') Dr. E. J. V. Tkalac, Das Staatsrecht des Fürstenthums Serbien, Leipzig 1858. 21S ^'1II. 5. J)a.s südslawisc'lio Agrarweson u. die llauskoiniiiunion. alte slawische Faniillenverfassung im Laufe der JahrhniKlcrtc festzu- halten vermochte. Wir besitzen auch ein aus dem thatsächlichen Leben gewonnenes Bild von der Organisation, welche sich auf der Grundlage solcher Hauskommunionen für einen Stamm entwickelte. Wuk Karadzic hat den an ^lontenegro angrenzenden Stamm der Wasojewici Psekokomskj l)esucht und näher beschrieben. Derselbe ziiblte im Jahre 1858 in 38 Dorfsitzen 1400 Hausgenossenschaften zu 40 bis 50 Seelen, worunter bis 8 Gattenpaare. TJngetheilt und in Gemeinschaft lebte die CJenossenschaft so lange, als die Zahl der Genossen nicht übermässig anwuchs, trat dieser Fall ein, so trennte sich ein Theil und suchte neue Sitze auf. So hatte die Familie Polindje vier Dorfsitze inne, welche den gleichen Namen tragen. Der älteste unter den Hausvätern ist zugleich Vojvode, d. h. eigentlich Heerführer, des ganzen Stammes, dem alle gehorchen. Unter gleichen Verhältnissen erhielt sich Montenegro als selbst- ständiger Staat. Seit dem Untergange Gross-Serbiens 1389 vertheidigten die Czernojewice als Vojvoden das Land mit Glück. 1516 soll der letzte derselben das Volk an den Bischof gewiesen, und nunmehr ein Vladika, ein Vojvode, der die Weihen des Bischofs erhielt, die Leitung gehabt haben. Seit 1697 gehörte der Vladika der Familie Petrowich Niegosch an. 1851 aber erklärte sich Danilo I. zum selbständigen, nach männ- licher Erstgeburt erblichen Fürsten, Gospodar. Ihm folgte 1860 Nicolaus I. Petrowich Niegosch, der, mit Beirath eines Senats, auf 160 G Meilen 240 Dörfer mit 200 000 Seelen in 4 Nahien der Tscher- nagora und in 4 der Brda, oder des Hochlandes Zieta, beherrscht. — Für die äussere Gestalt der Bodeneintheilung ergiebt sich aus diesen Grundlagen, dass die Vertheilung der Grundstücke in ihren Grössen und Besitzverhältnissen eine ihrem Wesen nach unregelmässige und nur aus genauer Kenntniss der Verzweigungen und Theilungsver- hältnisse der ])erechtigten Hauskommunionen erklär! »are sein muss. Auch lässt sich von bestimmten Bedingungen eines Wirthscbaftssystems nicht sprechen, weil jede Hauskommunion ihre Flur zunächst wie ein einziges grosses Gut l)eliebig bewirthschaften musste. Wenn aber nach eingetretener Scheidung der Grundbesitz mehrerer Hauskom- munionen auf derselljcn Flur liegt, kann es lediglich darauf an- kommen, olj die einzelnen Parzellen im Ganzen vergeben, oder in Treimstücke zerschnitten wurden, in wie weit dal)ei auf deren Zu- gänglichkeit Rücksicht genommen, in\d ol) Gemeinsamkeit der Nutzung auf gewissen Wald- oder anderen Ländereien verabredet worden ist. In den südslawischen Gebieten kommt für die Anlage der Gehöfte VIII. 6. Weseu und Geseliichte des gvossrussischen Mir. 219 und die Form und gegenseitige Lage der Grundstücke mit der uralten Besiedelung auch die eigenartige Natur der Balkanländer in Betracht. Elx'nso in den schluchtenreichen, schwer /Aigänglidien fJebirgen, wie in den breiten Flussthälern zwischen sumpfigen Ueherschwemniungs- flächen und steppenartigen Ilügelwellen war die Art und Verbreitung der ^\'ohnplätze und des Anbaus von jeher gewissen natürlichen Be- dingungen angepasst, und die neuen Ankömmlinge blieben denselben unterworfen, seilest wenn sie nur Trümmer vorfanden. -Tedenfalls besteht l)ei den Südslawen trotz der früher unzweifel- liaft alliremeinen Verl »reit ung der Hauskommunionen in der Form der Wohnplätze die gWisste Mannigfaltigkeit. Es giebt namentlich in den Ebenen Kroatiens sehr stark l)ev(»lkerte, mit ül)erraschender Kegelmässigkeit angelegte Ortschaften, deren Strassen sich kreuzen und dicht mit Gebäuden besetzt sind. Dies zeigt schon die öster- reichische CJeneralstabskarte mit genügender Deutlichkeit. Im Ilügel- lande der Save sind kleine und grosse, theils gesehlosseni^ theils zerstreut liegende Dörfer überwiegend. Im illyrischen und dalma- tischen Gebirgslande, in der Herzegowina und Montenegro aber sind die geschlossenen Orte selten, dagegen wird namentlich Dalmatien fast ausschliesslich in vereinzelten Häusern bewohnt, so dass ein Berichterstatter von seiner Heimath sagt: Es besteht ein Dorf, a])cr man sieht es nicht. Aus solchen vereinzelten Mittheilungen ist in Anlage 104 Das- jenige zusammengestellt, was an thatsächlichen Angaben über diese herkömmliche südslawische Besiedelung erlangt werden konnte. 6. Wesen und Geschichte des grossrussischen Mir. Den in sehr hohes Altcrthum zurückreichenden volksthümlichen Familien- und Besitzverhältnissen der südslawischen Hauskonnnunion pHegt man den Mir der Gros.srussen als ein ähnliches Zeugniss nationaler Sitte gegenüberzustellen. Der Mir ist schon o. Bd. I, S. 25 erwähnt, und Bd. II, S. 181 mit der Anlage 'J7 an dem Beispiele des Dorfes Wederniki l)ei .Jaros- law näher erläutt-rt worden. Zu grcisserer >\nschaulichkeit wird hier in Fig. 86 die Flurkarte des Kirchdorfes Spaas Temnja im Süd- westen von Moskau mitgetheilt. Die Karte zeigt das der Gemeinde gehörige, ihr im .Jahre 1863 auf Grund des Gesetzes vom 19. Februar 1861 über die Ablösung der Leibeigenschaft zugewiesene Miriand von 2,6 Desjätinen oder 220 VIII. G. \\V,se„ un.l (k-schidite des grossrussischen Mir. SPAAS bei M Fig. 86. VIII. fi. Wpsen und Geschichte des grossrussischen Mir. 221 2,86 ha auf die berechtigte Revisionsseele. Dies Land war indess im wesentlichen bereits vorher unter gleichen Verhältnissen in ihren Händen. Die Bauern von Spaas waren früher Kirchen-, dann Kron- bauern und haben 15 Höfe inne, welchen bei der letzten Umtheilung im Jahre 1857 24 Seelenantheile zuerkannt wurden. Dem Hofe a stehen 4, den 7 Hc'ifon b, c, d, e, f, g, h je 2 und den Hiifen i, k, 1 und m je 1 Soeleiunitheil zu. 3 Höfe sind jetzt ohne Land. Seit 1857 müssen 2 ihrer t^eclenantheile an die Gemeine zurückgefallen, und mindestens einer von anderen Höfen erworben sein. Die Flur zerfällt in ihrem Ackerlande in die drei Felder der Dreifelderwirthschaft. Feld I (Flurstück 1 bis 6 der Karte) liegt noch in 24 Seelenantheilen, wie es 1857 vertheilt wurde, Feld II (Flurstück 7 bis 12) ist ausnahmsweise 1871 neu gethcilt, weil eine Desjätine daraus zum Friedhofe abgetreten wurde. Feld III (Flurstück 13 bis 19) ist 1875 neu vertheilt, weil das zu ihm gehörige, dem Dorfe nahe- gelegene t^tück n an einen Fabrikanten veräussert wurde, der viele der Bauern im Winter beschäftigt. Der Rest von III wurde auf gemein- sames Abkommen nicht mehr nach 24, sondern nur nach 23 Seelen- antheilen gethcilt. Wie die im übrigen übereinstimmenden alten und neuen Theilungcn vorgenommen worden sind, ergiebt die Karte deutlicli. Es sind nach der Bodenverschiedenheit geeignete Abschnitte (Jarus, (Jewanne) gemacht, die zwischen Wegen und Rainen begrenzt, wahrscheinlich schon lange in fester Form l)estehen, so dass sich nur ihre üntertheilung ändert. Diese Theilung erfolgt durch Quer- messung der einzelnen Abschnitte mit einem etwa 2 Saschehn (4,3 m) langen Stabe nach dem Verhältniss der Gesammtbreite des Gewannes zu der Zahl der Seelenantheile. Von den so abgegrenzten Streifen nimmt dann jeder Hof die ihm zustehende Anzahl nach der Reihen- folge des Looses nebencinandcrliegend in Besitz. In der Bestellung der ihm zugefallenen Ackerstücke muss sich jeder Hofbesitzer den Anforderungen der Dreifelderwirthschaft mit ihren gemeinsamen Ueberfahrts-, Bestellungs-, Ernte- und Weidefristen unterwerfen. Im übrigen aber ist er in der Art der Bearbeitung seiner Felder frei, kann sie nach Gutdünken bedüngen, bestreitet alle Kosten selbst und ninmit ebenso jeden Ertrag für seine eigene Kasse ein. Nur für die öfTentlichen Auflagen müssen die ^lirgenossen solida- risch aufkommen, und das Land derer, welche zahlungsunfähig werden, fällt an die Gemeinde zurück. Jeder kann sich auch dadurch, dass er der Gemeinde sein Mirland ül)erlässt, den später entstehenden Lasten derselben entziehen. 222 ^'11I. i>. Wcsfii und ücsfhichte dos grossnissisclicn Mir. Auf mancherlei Besonderheiten, welche für die Grundgedanken des Mir nicht in IJctracht kommen, «reht Anlage 105 im einzelnen ein. Die angeführten EigenthümlichUeitcn aber enthalten die ent- scheidenden Ideen der Mirverfassung. Indess ist zu bemerken, da.ss das Wort Mir im Russischen Welt, das Allgemeine, das Zusammen- gefasste, bedeutet, und für die geschilderten Verhältnisse einer Dorf- gemeinde nicht im Gebrauche ist. Diese Gemeinde Verfassung wird Obzschina genannt. Mit Mir scheint die auf den entsprechenden Gesichtspunkten beruhende Organisation einer aus einer grösseren Anzahl von Dörfern bestehenden Grundherrlichkeit bezeichnet worden ■zu sein, und das ^^'ort ist im Sinne von Gemeindeverfassung nur in die Litteratur übertragen worden. Die geschilderten Zustände zeigen, dass dieser sogenannte Mir oder die grossrussische Gemeindeverfassung ihrer Natur und ihren Rechtsverhältnissen nach von der südslawischen Hauskommunion wesentlich verschieden ist. In der Hauskommunion bewirthschaften die Besitzer einer Dorftlur dieselbe in kommunistischer Weise und leben auf derselben als eine einzige Familie unter ihrem Familien- haupte in einem gemeinschaftlichen Hauswesen zusammen. Unter dem Mir ist die Dorffiur im Besitz einer Korporation, innerhalb welcher entweder jeder männliche Kopf oder jeder Hausvater gleiches Anrecht am Grund und Boden hat, und diesen Antheil nicht zu seinem Eigenthum, wohl aber zu seiner freien wirthschaftlichen Nutzung zugewiesen erhält. Er lebt darauf mit seinen Angehörigen ganz gesondert von den anderen Dorfgenossen, und erwirbt alle Früchte in sein vererbliches Privateigenthum. Die Gemeindegenossen hängen auch nicht durch Abstammung zusammen, sondern wurden vor 1861 durch Aufnahme oder Einweisung Seitens des Grundherrn vereinigt. Sie sind dabei solidarisch verbunden, für die öffentlichen und die grund- und gutsherrlichen Lasten aufzukommen, während der BegritV der Solidarität auf die Faniilienkommunion gar nicht anwendbar ist, weil ihre einzelnen Glieder keinen Privatbesitz halten. Die Familien- konimunion kennt auch keine periodische Neutheilung, sondern theilt nur, wenn sie sich spalten muss. Im Mir wird getheilt, weil die jüngere Generation dasselbe Reclit auf Privatnutzung wie die ältere hat. Während also im Mir sich Jeder gefallen lassen muss, dass periodisch, oder wenn es ncithig wird, das Land wieder nach Massgabe der vor- handenen Anzahl der Einzelwirthe neu i'ingctheilt werde, ist die Fa- milienkommunion wirklicher Kommunismus. Der Mir hat somit viel grössere Aehnlichkeit mit der keltischen Clanverfassung, als mit der VIII. 6. Wesen und Gesoliiclite des triossrussisclicn ]\Iir, altslawischen Faniilicnfrenossentjcliaft. Die letztere bietet kaum irgend einen haltbaren Vergleichspunkt mit dem Mir. — Die hinreichend bekannte Geschichte des Mir') zeigt abi-r auch, dass er auf modernen Vorgängen und Anonlnungen beruht. unie zu Unterhalt, Steuern und Leistungen verschiedener Art ver- ptlichtet wurden. Sie heissen ursprünglich Leute, liodj, oder Land- leute, semane, schon früh auch smerd, die Stinkenden, Schmutzigen. Gleichwohl war noch 1613, als nach dem Interregnum Michael Fcodoro- witsch, der erste Romanow, zum Zaaren erwählt wurde, das Recht der Bauern des schwarzen Landes, am Landestage Theil zu nehmen, aner- kannt, und sie waren durch ihre Aeltesten bei der Wahl vertreten. Es ist aber ziemlich deutlich, dass der Verfall dieser Bauerschaft schon begann, als in ausgedehnten Landschaften kein weiteres, als das herkömmliche schwarze Land mehr ohne Dazwischenkunft eines Grundherrn in Besitz genommen werden konnte. Die Grossfürsten betrachteten in alter Zeit mindestens alles un- besetzte Land als ihr Eigen. Mit der wachsenden Selbstherrlichkeit und namentlich mit der Tatarenherrschaft erlangte aber deren Grund- ') Engelmann, Entstehung und Aufhebung der Leibeigenschaft in Rus.sland, Bahische Monatsschrift XXVII, 1880, Heft 5, 7, 9. — Kcussler, Der bäuerliche Grundbesitz in Russland, Riga 187 7. ^) J. Ph. G. Ewers, Das älteste Recht der Russen in seiner geschichtlichen Entwickelung, Dorpat 1824. 224 VIII. 6. AVesen und Geschichte des ^rossrussisdien Mir. Fatz allgemeine Geltung, dass der Zaar nur über Sklaven heiTsche, nnd dnss er Herr über alles, aueb über das als alter gesicberter Privat- besitz betraebtete Land der Bojaren, wie der Städte und der Bauern sei, soweit er es nielit nachweisbar verliehen hatte. Deshalb entstand durch bäuerliche Okkupation in den Staatswaldungen kein wesent- licher Unterschied gegen den herkömmlichen alten Besitz schwarzen Landes. Beide zinsten und dienten den fürstlichen Statthaltern und Meiern (Wolostel). Diesem Umstände ist die Erhaltung der soge- nannten Freiheit der Kronsl)auern zu danken. Die Kirchenbauern standen zwar dem thatsächlichen Zustande, aber nicht dem Rechte nach günstiger. Sie gingen anscheinend aus Knechten hervor. Die Entstehung des verliehenen verbrieften (4rundeigenthums durch Schenkung oder Bestätigung des Fürsten ist dagegen, wie in Deutschland, zuerst liei den geisthchen Stiftungen nachweisbar. Bald überkamen es auch die Bojaren und das fürstliche Gefolge. Schon die Unterscheidung des weissen und schwarzen Landes zeigt, dass die altangesessenen Bauern des schwarzen Bodens, welcher die fürst- liche steuerbare Fläche bildete, in die Verleihungen nicht mit ein- geschlossen wurden. Im späteren Mittelalter, als die Fürsten danach strebten, möglichst zahlreichen Dienstadel mit steuerbaren Untersassen anzusetzen, geschah dies gleichwohl, und die Lage der Bauern soll gegenüber der Willkür der Beamten durch den Uebergang an Kirche oder Adel eher verbessert als verschlimmert worden sein. Aber auf dem verliehenen Grundeigenthum der Grossen entstand mit der Zeit ein durchaus prekärer Besitz, einerseits der Unfreien, andrerseits der besitzlos heranziehenden Freien und nachgeborenen S()hne derselben. Daraus wurde eine Landleihe oder Pacht, deren vereinbarter Pacht- zins selten in Geld, meist in Naturalien, vom Hofe entrichtet wurde. Neben der Pacht hatte der Bauer die dem Hofe entsprechenden Steuern und Lasten dem Staate zu leisten. Aus diesen Pachtverhältnissen ging eine wachsende Abhängigkeit der Pächter von den Gutsherrn hervor. Schon die Ackerwirthschaft be- dingte eine gegenseitige Gebundenheit auf mindestens ein Jahr, auch nmsste eine längere Dauer den Wünschen beider Theile entsprechen. Dieselbe konnte allerdings dureli Rüekstände und Schulden, dii- hei dem Herrn anwuchsen, leicht drückend werden. Ein Gnadenbrief Wassilis an das Dreifaltigkeitskloster zu Moskau von 1460 ging indess weiter. Er zeigt als erstes bekanntes Beispiel, dass Klöstern und Gutsbesitzern das Recht verliehen wurde, den Pächtern die Kündigung zu versagen und sie zum Bleiben zu zwingen. Das \11I. G. Wesen und (.iescluLlite des grossrussisclien Mir. 225 8tR'l)en, die Pächter festzuhalten, wurde allgemein. Die Fürsten i^ehlos.sen sogar ülier die Zurückweisung der Abziehenden gegenseitige Verträge. In den verschiedenen Gegenden bildeten sich Gewohnheiten, wonach die Pachtverträge zu einer l)estimmtcn Zeit im Jahre ge- schli)ssen wurden und luu' zum gleichen Termine gekündigt werden konnten. Die Sachlage schien wichtig genug, dass zur Beseitigung der Verschiedenheit dieser Terniine, wie überhaupt zur Eegelung dieser in grosser Verln-eitung bestehenden Pachtverhältnisse das all- gemeine Gesetzbuch des moskowitischen Grossfürstenthums eingriff. Das Gerichtsbuch (Sudebnik) von 1497 befiehlt, offenbar im Interesse der Dienstgütcr, wiirtlich: »Al)er die Bauern sollen kündigen aus einem Gel)iet in das andre, oder aus einem Dorf in das andere zu einem Termine im Jahre, iniierluill» einer Woche vor und einer M'oehe nach dem Herbst- georgentage. Aber der Hof auf freiem Felde gilt 1 Ruljel, der im Walde V-.' ; aber welcher Bauer auf Jemandes Lande ein Jahr ge- sessen hat und zieht weg, so bezahlt er einen Viertelhof, aber wer 2 Jahr sass und zieht weg, der zahlt den halben Hof; wer aber o Jahr sass und zieht weg, der zahlt Vi, aber wer 4 Jahr sass, der zahlt den ganzen Hof.« Es wurde also einerseits das Pachtgeld, andrerseits ein im Laufe von 4 Jahren bis zu einer ganzen Jahrespacht steigendes Reugeld beim Verlassen der Pacht festgesetzt. Letzteres wurde wahrscheinlich eingefühi-t, um verwickelte Rückgewährsforderungen des Gutsherrn abzu- sehneiden. Unter allen Umständen wirkte es indess dahin, den Pächter auf seinem Pachthofe festzuhalten. Dass dies auch die allgemeine Auffassung imd thatsächliche Folge war, ergiebt sich aus der üb- lichen Redeweise, wonach seitdem Georgentag gleich Beschränkung der Freiheit gel)raucht wird. Eine gerichtsherrliche Gewalt hatte trotzdem der Gutsherr über den Ijauern nicht. Nur durch besondere Gnadenbriefc waren die meisten Klöster und viele Dienstleute der Gerichtsbarkeit der Statt- halter und Meier entzogen und der unmittelbaren Jurisdiktion des (Jrossfürsten unterstellt, und hatten damit auch das Recht erhalten, die Gerichtsbarkeit über die auf ihren Gütern angesiedelten Bauern sell)st auszuül)en. Zaar Iwan der Schreckliche machte sogar offenl^ar Versuche, den Bauernstand zu helfen und sell)ständiger zu stellen. Er wollte die sämmtlichen Bauern desselben Gebietes, schwarze wie weisse, zu einer administrativen Gemeinde vereinigen. Die Bauern des schwarzen Meitzen, Siedelung etc. II. 15 92(i VIII. G. Wesen uml (icschichto des grossrussisclien Mir. Landes, also im wesentlichen die KronLaucrn, scheinen auch seitdem ihre Gemeinden enger geschlossen zw haben. Ihre Aeltesten nnd Geschworenen, welche die Verthcilung nnd Ikätreiltung der Steuern unter sich haben, wurden gewählt. Da sie für den rechtzeitigen Eingang der Steuern verantwortlicli sind, ist ihnen auch wieder die Gemeinde solidarisch verbindlicli, und jeder Einzelne bleibt ihnen zu ihrer Sicherung haftbar. Darum schlössen sie unter anderem mit zuziehenden oder neu angesiedelten Bauern Verträge, durch welche diese sich verpflichteten, ihre Besitzung nicht eher zu verlassen, als sie nicht einen anderen Wirth an ihre Stelle geschafft hatten. Diese Anorderung wurde von Iwan auf alle Bauern des schwarzen Bodens ausgedehnt. Im übrigen scheiterten seine Reformversuche an allseitigem Widerstände. Die Gutsherren Avollten die ihnen verliehene Gerichts- barkeit nicht aufgeben, die Domänen nahm die Regierung ihrerseits aus, und die Bauern des weissen Landes widerstrebten, denen des schwarzen Landes gleichgestellt zu werden, weil sie dadurch den Bedrückungen dor Beamten mehr preisgegeben zu sein fürchteten. Häufig flohen die bedrückten Staatsbauern sogar zu den Gutsherren, welche ihre Bauern erleichterten, indem sie sie während der Stcuerverzeichnung in den Wäldern versteckten und die Höfe als wüst angaben. Unter Iwans Sohne Feodor I. fand 1592 eine allgemeine Auf- nahme der Güter und Bauern statt, und ehe noch Boris Godunow die Regierung selbst antrat, erschien 1 597 ein Ukas über die Bauern- verhältnisse. Dieser sagt in wörtlicher Uebertragung : »Welche Bauern von den Dienst- und Erbgütern der Bojaren und anderer Gutsbesitzer weggelaufen sind, 5 Jahre von jetzt zurück, gegen diese flüchtigen Bauern wegen ihrer Fluclii und gegen dir Gutsbesitzer, bei denen sie nach ihrer Flucht leben, soll man den Gutsbesitzern, von denen die Bauern geflüchtet sind, Gericht geben und streng untersuchen mit allen Mitteln, und nach Gericht und Untersuchung soll man die flüchtigen Bauern mit ihren Weibern und Kindern und mit aller ihrer Habe zurückführen dahin, wo ein jeder vorher gelebt hat.'< Die 5jährige Verjährungsfrist bezog sieh auf d'w Aufnalinie von 1592. Da ein Ukas vom 28. November 1601, der in den folgenden Jahren 1602 und 1603 wiederholt wurde, die Freizügigkeit in ge- wissen Grenzen und gegen Zahlung zuliess, mag dahingestellt sein, ob die Vorschrift von 1597 nicht lediglich flüchtige Bauern im Auge hatte. Es gehörten auch unter diesen Ukas nur diejenigen Bauern, die einen Hof besassen oder pachteten, die anderen waren freie Leute VIII. (5. Wesen und Geschichte des grossrussischen Mir. 227 des Grossfürsten. Sie konnten sich frei verdingen und suchten sieli aucli Ix'i üehernahnie von Pachten vertragsweise gegen die Hiirigkeit zu si'hützen. Andrerseits finden sich chenso zahlreiclie Vertrüge, in wi'lclicn Freie olmc VorlieliaU, wegen der Vortlieile gegenüber der Lage der vagirenden Freien, in den Bauernstand traten. Jedenfalls bestätigt der Ukas die weitgehende Gebundenheit und die Neigung der Regierung, diesellie zu Gunsten der Gutsbesitzer und zur Ev- leiditerung der Verwaltung zu steigern. Dit' Freizügigkeit erschwerte allerdings die Beitreibung der immer höher anwachsenden Steuern und T^eistungen und die Unterdrückung von Vagabonden- und Räuber- banden. 1001 l)egaini (he l)ekainite Hungersnoth, welche bis 1604 in schrecken voller Weise fortdauerte und alle bürgerliche Ordnung aufliob. Der Verlegenheit des in seinen Geldmitteln erschöpften Fürsten, sich von den andringenden Bettlerschaaren zu befreien, wird ein rkas vom 21. November 1604 zugeschrieben, nach welchem kein Bauer sein Dorf verlassen dürfe, und alle in die ^^^älder Geflüchteten Leibeigene des Waldlx'sitzers sein sollten. Engelmami bezweifelt, dass ein solclier Ukas überhaupt ergangen ist, und hat nach den geschil- derten Vorgängen jedenfalls darin Recht, dass derselbe nicht den ent- scheidenden \\'endepunkt von der Freiheit zur Leibeigenschaft der Bauern bedeutet, als welclicr er oft behandelt wird. Engelmann führt auch die Folge von Ukasen auf, welche die Gebundenheit vollständig machten. Am 9. März 1607 wurde vorgeschrieben, dass die in die Bücher von 1592 eingetragenen Bauern Jedem zurückgegeben werden sollten, der bis zum 1. September 1007 darauf klage, und ilass künftig das Recht an den Bauern erst mit 15 Jahren verjähren sollte. 1()46 wurde die Verjährung ganz aufgehoben, sofern der Bauer in die Land- rolle verzeichnet ist. In dieser Zeit verschlimmerte sich die Lage des Bauern auch nach anderen Richtungen. 1642 wurden seine Schulden als nicht klagbar erklärt, weil er durch die Klage dem Herrn entzogen werden könnte. 1649 wurden zwar alle (ierichtsbarkeitsprivilegien aufgehoben und alle CJutsl)esitzer und I>auern unter die Woiwoden und Prikase gestellt ; die Gutsherren aber erhielten zugleich das Recht, ülier ihre Hörigen Körperstrafen zu verhängen, und den Gerichten wurde ver- boten, ausser bei Hoehverrath, Denunziationen der Bauern oder Sklaven gegen ihre Herren entgegenzunehmen. Die Bauern und selbst andere Personen unterwarfen sich auch lieber dem billigeren Verfahren des Gutsherrn, als dem der Beamten. Letztere entschieden seit 167B nur noch über schwere Verbrechen. 1658 wird das Fortlaufen der 15* 22H VIII. 6. Wesen und luscliithto tlcs grossrussisclieii Mir, Bauern für ein Verbrechen erklärt, und es beginnen Nachsuchungen nucli FUichtlingen, welche 1664 zu allgemeinen polizeilichen Razzien wiuxlen. 1667 schützte es den Bauer sogar nicht mehr, wenn er Priester geworden war. Während ferner bis dahin nur Sklaven, die keine Steuer zahlten, verkauft oder auf andre Güter mit weniger Anrechten des Staats ül)crgeführt werden durften, wird 1675 einem Günstlinge und seitdem allgemein erlaubt, Hörige mit oder ohne Land zu verkaufen, zu verschenken, auch gegen Sklaven zu vertauschen und zur Tilgung von Schulden abzutreten, wodurch sie Sklaven wurden. Mehr und mehr trachtete der Staat jedoch, auch die Sklaven zur Steuer heranzuziehen. In diesem Sinne wurde 16S0 angeordnet, Sklaven sollten nur persönliche Dienste thun; wenn sie als Acker- bauer lebten, sollten sie als Hörige behandelt werden und deren Steuern zahlen. 1700 wurden endlich beide Klassen in den Staats- lasten gleichgestellt, und seitdem auch von den Gutsherren in gleicher A\'eise als Leibeigene behandelt. Die völlige Neuordnung des Steuersystems durch Kopfsteuer und die dazu erforderliche Seelenrevision, welche Peter der Grosse zum Zwecke seiner Heeresorganisation unter dem 27. November 1718 durchführte, umfasste bereits alle diese Unterthanen gleichmässig, und legte die Aufbringung der Kopfsteuer und die Rekruten- gestellung den Gutsherren und den Gemeinden auf. Der Zaar er- laubte Bauern freizulassen und nahm sie in die Regimenter auf. Ebenso gestattete er im Literesse des Gewerbebetriebes und der auf- kommenden Bergwerke und Fabriken, die Bauern auf Obrok, welcher auf massiger Höhe gehalten werden soll, zu entlas.sen. Die Berg- werke und Fabriken durften sogar Leibeigene ankaufen. Einiger Schutz gegen Misshandlungen wurde ihnen zugesprochen, al)er mit Passverordnungen und grösster Strenge gegen die Läuflinge einge- schritten. Damit war die hülflose Lage der grossrussischen Bauern den Gutsherren und dem Staate gegenüber entschieden, und die gleichzeitige Entwickelung des Mir seit Iwan dem Schrecldichen muss auf den Gebieten, wo dieses Bauernrecht zur Geltung kam, als eine fast noth wendige erscheinen. Im bestimmten Gutsbezirke wurde die Anzahl der dort einheimi- schen und von auswärts herbeigekommenen Hörigen dauernd fest- gehalten und vom Staate besteuert, auch war es eben dieser Steuer wegen bis auf Peter dem Grossen verboten. Hörige zu entlassen. Andrerseits musste der (Jutsherr für seine Gemeinde und die Gemeinde ihm wie dem Staate solidarisch haften, alle Steuern und Leistungen MII. G. Wesen uml Geschiclite ci den Russen el)enso wie bei den Südslawen bestand. Melmehr lie Spuren des Stammeslebens tates XXX, Bosunzane (Bosuntschaner um Biisinz auf dem rocliten Oderufer gegenül^er Krosscn) civitates II, Verizane (Werenofeld zwischen Saale und Elster) civitates X, Fraganeo^) civitates XL, Lupiglaa (Lupoglawa, anscheinend bei Leipzig an der in die Elster fliessenden Lnppa oder in der Niederlausitz) civitates XXX, Opoliiii (Opolaner um Oppeln) civitates XX, Golensizi (Goloschinzer um Geissen in der Niederlausitz) civitates V. Es sind sehr viele Namen slawischer Völkerschaften und un- zweifelliaft slawischer Landschaften bekannt, welche in diesem Ver- zeichnisse fehlen. Gleichwohl ist die Art der Angaben so, dass sich das Streben nach Vollständigkeit und Zusammenhang erkennen lässt. Auch bedecken die angeführten Landschaften, wenn man Gebirge, Wälder, Haiden, Moräste und schwer kultivirbare Landstriche berück- sichtigt, so ziemlieh die gesammte norddeutsche Ebene. Deshall) darf angenonnncn werden, dass zur Zeit der Angabe die genannten Land- schaftsverbände die herrschenden waren, und die nicht genannten Völkerschaften in den aufgezählten civitates mit inbegriffen sind. Was unter den civitates zu verstehen ist, ergiebt der im Text aufgeführte Satz über Bulgarien: »^Mächtige und starke Völker be- dürfen ihrer nicht.« Sie bedeuten also hinreichend befestigte Orte, und das Verzeiehniss giebt für jedes Stammgebiet die Zahl derselben an. Die geographische Vertheilung dieser Gebiete, ihr Flächeninhalt und die durchschnittliche Grösse der Umgebung der einzelnen civitas lassen sich einigermassen übersehen. Die Budrizen mit 50 civitates, die Glinjanen mit 7 und die Wjetniker und Smolinzen mit etwa 6 gehören dem heutigen Mecklen- burg an. Beide Mecklenburg umfassen 16213 Qkm. Wird die Hälfte der Landfläehe als damals unbesiedelt angenommen, so uin- fasst von den angegebenen 66 civitates jede einen Bezirk von durch- schnittlich 123 Dkm oder 2 Vi D Meilen. Zur Lausitz, der Mark und Pommern links der Oder, bis zu welcher damals Polen reichte, gehören die Morizani mit 5 civitates, die He weller mit 8, die Surbi mit 50, die Golensizi mit 5, die Milzen mit 30, die Lausitzer mit 30. Die Landfläche berechnet sich auf 45960 Okiu, dies ergiebt halb besiedelt für 12S civitates je 178 Dkm oder 3V:i D Meilen. ') Fraganco wird auch Fcrgunna gelesen und von v. Ledebur wohl mit Recht an die Eger verlegt. Ks scheint mit Fairguni, Waldgebirge, das westliche BUhmen sehr gut zu bezeichnen, weil Erzgebirge, Eichtelgebirge und Bivhmerwald damals noch völlig unbesiedelt waren. und der Hauskonimunion bei den Nordslawen. 235 Als Wenden in Obersachsen sind Surbi mit 14 civitates, Dale- niinzier mit 14, Warenofeld mit 10 und Lupiglaa mit 30 genannt. Dit' Fläche beträgt 22 705 D'^m, fvwf clie Hälfte berechnet umfasst also der Bezirk jeder der 104 civitates 109 Qkni oder 2 Q Meilen. Für Preus.'^en, sowie für Polen einschliesslich der Mark und Pommern rechts der Oder felilen leider die Zahlenangaben. \\'o hier die 70 civitates der Prissani zu suchen sind, ist unsicher. Für Wolhynien mit 70 civitates würde nach dem herkömmlichen Umfange von 71838 Dkm die civitas nach Abzug der Hälfte durclischnitthch 526 01tplätze der civitates in dieser Weise zu Städten herange- wachsen. Die im Enuneramer Verzeichnisse angegebene Zahl derselben berechnet sich auf mehr als dreimal so viele. Es muss also eine sehr grosse Menge dieser festen Plätze später verschwunden sein, und sie sind ohne Zweifel in den vielen sogenannten Burgwällen zu suchen, welche in allen diesen Slawengel)ieten, besonders alier bei den Wenden, deren civitates enger gedrängt waren, sehr zahlreich aufgefunden werden. Diese Burgwälle sind gewöhnlich runde Aufwürfe eines Walles mit \\'assergraben, w'elche entweder keine ersichtliche Zugangsöffhung (jder ein oder mehrere durch Doppelwälle geschützte Thore besitzen. Häufig sind für solche Anlagen auch steile Hügel oder Flussufer benutzt, bei denen es nur nöthig war, die zugängliche Seite durch einen festen Wall gegen den Feind zu sichern. Zahlreiche Auf- grabungen hal)en gezeigt, dass alle diese Befestigungen benutzt wor- den sind. Man hat in ihnen viele Thonscherben, Thierknochen und sonstige Küchenreste, ebenso Waffen von Bronze und Eisen, Schilde und Pferdegeschirrstücke gefunden. Nicht selten sind die aus Lehm und Steinen, meist mit eingelegten Holzbalken und Klammern, errichteten Wälle äusserlich in einer \\'eise verglast und versintert worden, welche deutlich den Angriff durch brennende Reisigmasseii bekundet. Obwohl sie al)er bei dem gewöhnlichen Durchmesser von 200 bis 300 Schritt eine nicht unbeträchtliche Zahl Vertheidiger fassen konnten, sind doch Spuren einer über wenige Mauerreste hinausgehenden Bebauung des Innern, und überhaupt einer dauernden Bewohnung durch Ge- werbtreibende oder Ackerbürger nirgends bemerkt worden. Sie machen also den Eindruck, als ob sie für gewöhnlich, abgesehen von einigen Wächtern, unbewohnt gewesen und erst im Fall der Noth von der schutzbedürftigen Bevölkerung ihres Gebietes, also der an ihnen Ijc- theiligten civitas, besetzt worden seien. Leider ist es nicht thunlich, die St. Erameramer Urkunde in ähnlicher Weise, wie für die Westslawen, auch für die östlichen, namentlich für die russischen Stämme im Einzelnen zu benutzen. 2;]:iu(len be- setzter und mit Mauern, Erdwällen uiid Pallisaden umzogcner, aber nur von wenigen Bürgern in zerstreut und planlos errichteten Häusern bewohnter Ortschaften wird der weit überwiegenden Mehrzahl der russischen Städte noch bis in das IG. und 17. Jahrhundert zugc- schriel)en ^). Muss danach vorausgesetzt werden, dass die alten festen Plätze der civitatcs unbewohnt und von der Bevölkerung nui- zu ihrem Schutze bei feindlichen Einfällen errichtet waren, so ergieljt sich daraus von selbst die Richtigkeit der Meinung, dass mit civitas, schon dem VVortsinn entsprechend, nicht lediglich eine Festung bezeichnet Avurde, sondern ein Bezirk, dem dieser Bau angehörte, der ihn zu benutzen berechtigt und deshalb auch zu unterhalten und zu vertheidigen verpflichtet ') Polewoi a. a. 0. — Samokwassow, Die alten Städte Kusslaniis, Tetensliurg 1873 (russisch). — Leontowitsch, Kritik dazu, im Journal für Staatskunde, Th. 11, 1870. Petersburg I. II. 1875 (russ.) — P. Schiemann, Kussland, Polen und Licvland 1880. Alter Plan von Nowgorod, Bd. I, S. 192. 240 VIII. 7. Die Situren des Stanimeslebens war, für den er also auch einen gewissen politischen Mittelpunkt bildete. P^s spricht auch die Urkunde selbst aus, dass es sich um territoriale Bezirke handelt, denn sie sagt: regio, in qua sunt civitates per duces suos partite. Alle Anzeichen vereinigen sich also dabin, dass die civitates Landbezirke unter Häuptlingen waren, welche sie eingetheilt hatten, und dass die unter einem Häuptlinge stehende Lan(ll)evr)lkerung den Verband bildete, welcher zu seinem Scluitz einen festen Vertbeidigungsplatz anlegte und unterhielt. Zieht man für das nach diesen Gesiclitspunkten gewonnene Bild der Hitannnesorganisation der Nordslawen die politischen Zustände der Südslawen zur Erklärung heran, so wäre in den Verbänden der civitates, wie o. II, S. 218 zeigt, ein Kreis von ursprünglich stamm- und geschlechtsverwandten Familien zu sehen, welche, wie noch heut die ^\'asowici Prekokomski, in einer erhel)lichen Anzahl von Dörfern mit mehreren Hunderten von Hausgenossenschaften unter ihren Staressina oder Supanen lebten. Wie bei diesen war unentbehrlich, dass für eine Landschaft von o bis 6 O Meilen eines der angesehensten der Familienhäupter für die nothwendige Vertheidigung eine genügend an- erkannte Oberleitung als Woywode ül)erkam. Ueber den Landschafts- häuptern bedurfte dann die Gesammtheit aller civitates des Stammes einen übergeordneten Woywoden, dessen Gewalt sich auf die Kriegs- leitung Iteschränken, oder auch als eine dauernde und fürstliche auf einen grösseren Kreis gemeinsamer Angelegeidiciten ausdehnen konnte. Ob man aber l)erechtigt ist, wirklich Hauskommunionen, die den südslawischen entsprechen, als Grundlage dieser politischen Organisation anzusehen, dafür giebt es nur vereinzelte Anhaltsiiunkte. Eines dieser Anzeichen ist das Auftreten von Supanen und Star Osten als Ortsvorsteher. Die dafür beweisenden Zeugnisse fallen noch in ziemlich späte Zeit. 1181 bestimmen die Markgrafen Otto von Meissen und Dietrich von der Ostmark^) über die Vogteirechte des Petersklosters auf dem Lauterberg bei Halle, dass statutis tantum temporibus seniorcs viharum, quos lingua sua Supanos vocant et in equis servientes, id est Withasii, ad comprovinciale jus, quod lantdinc dicitur, veniant, qui quae dicuntur, jubentur, aguntur, statuuntur, suis referant. Cetcri liti, videlicet hoc est smurdi, qui quotidiano servicio imperata faciunt, et hi qui censuales ecelesiae vel proprii sunt, apud se domi maneant. ') Kochler, Diis Kloster des liciligen Petrus auf tleni Lauterberge. No. .52. — H. Knothe, Die verschiedenen Klassen slawischer Höriger in den Wettinischen Landen (Neues Arch. für sächs. Gesch. und Alterth., Bd. IV, Heft 1 u. 2.) und der Hauskoiumunion bei den Noidslawen. 241 Das Amt Meissen iimfasstc noch im 14. Jahrhundert 210 D«3rfer oder Dorfanthcile. \'on diesen gehörten mehr als die Hälfte unter 15 Supaneien, von den ül)rigen stand eine sehr erhehlichc Anzahl unter den W'itliasii. In einem Lehnsverzeichniss des Amtes Meissen von loo4 folgt nach Aufzählung der Dörfer der einzelnen Supaneien eine lange Reihe von Dörfern mit dem von jedem aufzubringenden Lehnszinse unter der Ijcsonderen Ueberschrift : sub rusticis, qui di- cuntur Witsezen. Dieser Name, der auch in Weiczhessen verdreht wurde, kommt von Vicaz, das im Altslawischen Krieger bedeutet, im späten Wendisch aber völlig die Bedeutung Lehnbauer, der zu Reiterdienst verpflichtet ist, angenommen hat. Der Edle Wigmann vermachte durch eine Urkunde von 1122 dem Kloster Kaltenl)runn bei Sangerhausen alle seine Ciüter cum eo jure hominum et praedio- rum, quo sui antecessores ipsis fruebantur, homines scilicet in qnin- que justiciis, ut eldesten, knechte, zmurde, lazze, he3'en, horum quemcun(iue secundum genus suum. Es lässt sich nicht bez^veifeln, dass die Eidesten, seniores, die Supane, sowie die Knechte die Withasii der Urkunde von 11 81 sind. Diese Klassifikation von 1122 sagt also deutlicher, dass die Withasii geringeres Recht als die Supane hatten, obwohl der Ausdruck Knecht nicht von Eigen oder (Sesinde, sondern nur von Knappe hergenommen sein kann. Abi-r auch die Withasii standen wie die Supane über den Smurden, den gewöhnlichen Zinsbauern. Anscheinend waren sie slawische, zu einer leichten Stufe der Hörig- keit herabgedrückte adelige Grundbesitzer, denen man ihre Güter gegen Zins und Reiterdienst belassen hatte ^). Die Supane der Urkunden von 1122 und 1181 sind zwar nur die bestgestellte Bauernklasse. Sie erscheinen jedoch auch wie die Withasii als Dorfvorstehcr, welche an der Stelle der gesammten Bauergemeinde zum Landding kommen sollen, und das spätere Verzeichniss zeigt näher, dass die Dcirfer unter Supanen in bestimmtem Gegensatz zu denen unter Withasii standen. Nur erstere waren zu den grösseren Gruppen der Supaneien zusammen- geschlossen, welchs Gerichts- und Steuerbezirke bildeten. Selbst zu Vorständen dieser Supaneien scheinen danach einzelne der Supane herangezogen worden zu sein, die den von den zugehörigen Dörfern *) Nach einer Angabe über das bei Goslar zu suchende Dorf Sertisleve hatte um 1120 die Abtei Korvei dort .30 a iatis teutonicis, 12 a Tajurdis und 9 a slawonicis militibus besetzte Hufen (Kindlinger, Münstersche Beiträge II, S. 120). Hier werden deutlich slawische Milites von den Tujurdcn, d. h. Smurden, unterschieden, beide aber sind wahrscheinlich Kriegsgefangene, die auf deutschen Hufen als rustici angesetzt wurden. Meitzen, Siedelung etc. II. 16 242 VIII. 7. Die .Spuren des Stamrueslebens jälirlieh an den Landesherrn 7A\ entrichtenden CTctreidezins und die Beden einzusammeln und abzuliefern hatten. Auch auf dem Landding waren sie nicht lediglich TItirer, sondern wenigstens einige zugleich Schrtflen. Da das Wendisclie in der Ge- richtssprache für Anhalt und Nienhin-g a./S. erst 12i)8 und für Leipzig 1327 abgeschafft wurde, ist diese Stellung der Supane erklärlich. .Sie ergiebt sich ausdrücklich aus mehreren Urkunden. 1276 liehält sich Graf Konrad v. Brehna, beim Verkauf der Obergericbtsbarkeit von 5 Dürfern, vor, quod tres seniores earum villarum ad Judicium ipsius comitis Wicin ter in anno eant ejusquc judicii sententias dictent. 1287 wird nach dem Verkauf von Tschiritz erklärt, quod idem supanus non deberet de cetero advocato in Groichs in judicio assidere. Als 1248 der Supan Hertwig in Patitz bei Altenburg sein Gut von 3 Hufen dem deutschen Orden verkauft, bedarf er dazu der Geneh- migung des Richters des Pleissener Landes. 1428 überweist der Arnshaugk'sche Vertrag zwischen Kurfürst Friedrich IL von Sachsen und dem Burggrafen von Meissen dem letzteren eine Reihe von Dörfern mit den Weiczhessen und Sopanen unter der Bemerkung, dass »dieselbigen zu unseres gnädigen Herrn Gerichten gen Meissen und Lommatsch gehen und da Gericht sitzen sollen, als sie bei dem nächsten Burggrafen gethan haben.« Schon 1289 wird das Kloster Buch, als es von der Gerich tsljarkeit des Burggrafen l)efreit wird, und supanum suum perpetuum zu Gross weitschen abschafft, auf Be- schwerde des Burggrafen vom Markgrafen veranlasst, in Kriebitz einen neuen Supan einzusetzen und ihm dort eine Hufe ncb.st zu- gehörigem Hofe zu Lehnrecht zu geben, damit die Anzahl der burg- gräflichen Supane nicht vermindert werde ^). Die vom Landding eximirten Dörfer, wie Nienburg a./S., hatten nach einer Urkunde von 1207 keinen Senior oder Supan, ne ejus occasionc ad provinciale jus trahentur^). In der Oberlausitz kommt 1225 ein Supan als Zeuge vor, sonst erscheinen hier, ebenfalls als Gericbtsschöppen, die Starosten. Der Aus- druck entspricht dem Sinne nach den Seniores. 1376 werden Starassen auf dem Lande im Landgerichtssprengel von Görlitz erwähnt, welche mit dem Landvogt, den adeligen Vasallen und den Rathsherren von Görlitz zu einem Tage mit dem H. von Hakeborn auf Priel )us aus- zogen »um die Grenze auf der Haide«. Bei dem Landgerichte zu Bautzen aber bestand eine besondere Abtheilung für Bauersachen, 'j Miirker, Burggrafthum Meissen, S. 428. Tittniann, Heinrieh der Erlauchtel, 158. *) Tittmann, Ebd. I, 160, .\nm. und der Ilauskommunion bei den Xordslawen. 243 das »wendische Landgericht«, das unter dem Schlossthore abgehalten wurde, über Klagen, Lähmde und Wunden sprach und Acht verhängt-n konnte. Seine Scbtlppen, von denen nur zwei Bauern, und zwar wendiselie, waren, werden in einer Urkunde von 1436 als Starosten bezeichnet, und es wird erklärt, »dass sie des Kaisers Schcippenbank zu Bautzen zu Landdinge von alter Aussetzung pflegten zu besetzen und sitzen nuissten, sie und ihre Erben und Nachkommen.« Bezüglich des Grundbesitzes der Supane findet sich eine nähere Andeutung in einer Urkunde Markgrafs Heinrich von Meissen von 1285. In dieser gestattet dersell)e seinem Kanzler Güter zu Basslitz bei Grossenhain, welche bis dahin ein Supan /.u Lehn besessen, utpote jure seniorum, quod eldestenwet vulgariter appellatur, distra- liere et alienare jure hereditario, quod in vulgari vorerben dicitur, eui velit. Diese Bewilligung spricht also aus, dass die Supane in der Regel, oder ihrem älteren Rechte nach, ihre Güter nicht zu Lehn, sondern zu Erbeigen besassen, und dass dies ein besonderes, Eldestenwet, (1. h. Aeltestenrecht, genanntes Rechtsverhältniss war. Es würde völlig den Anschauungen der deutsclicn Eroberer entsprechen, wenn sie den hiirig gewordenen Supan als erblichen Eigenthümer des von der Ilauskommunion, der er mit voller väterlicher Gewalt vorstand, bis dahin besessenen Gutes betrachtet, und die für deutsche Auffassung nur unter nicht abgefundenen Miterben bestehende Gemeinschaft nicht weiter in Rücksicht gezogen hätten. Die Supane können des- halb schon früh als erbliche Eigenthümer der alten Kommuniongüter behandelt worden sein. Die Urkunden sprechen zwar nicht von dem Staressina der einzelnen Sadruga, sondern von dem höheren Familien- haupte, das einer grösseren Anzahl von Sadrugen im Dorfe vorstand. Die Bezeichnung Aeltester für Supan erinnert aber unmittelbar an die Hauskommunion, denn dem deutschen Brauch entsprach es ebensowenig in der Zeit des Sachsenspiegels wie später, den Ge- meindevorsteher als Aeltesten zu bezeichnen. Nach deutscher Auf- fassung bilden die Aeltesten der Gemeinde immer eine Mehrheit, sie sind die Raths-, Geschworenen- oder Gerichtsmännerversammlung der Gemeinde. Wenn aber einer der Aeltesten an die Spitze der Ge- meinde tritt, so erhält er als deren Leiter einen anderen Charakter und Namen, wird Schulz, Bauernicister oder Bürgermeister und tritt erst nach Erledigung dieser Amtsführung in den Kreis der Aeltesten zurück. Die Bezeichnung des Supans als Aeltester ist also füglich nur auf den slawischen Begriff des Staressina, des Familienhauptes in der Sadruga, wie in Brastvo und Pleme (o. S. 215), zurückzuführen. 16* ^44 Vlli. 7. Die Spuren des Stammeslebens Auch in Böhmen, Mähren und Schlesien kommen Supane und Starosten vor. 1222 Ijestimmt König Premislaus über die Hechte der Supane in der Znaimer Provinz (Boczek, cod. dipl. Morav. 11, 1 10, Erben, Regest. I, 304). 1267 befreit Herzog Konrad die zu deut.^cheni Recht anzusetzenden Einwohner von Conowo, Kreis Freystadt, von allen Ansprüchen der herzoglichen Beamten Suparii ac Wlodarii. Sie sind, wie Stenzel a. a. O. 73, 7G ausführt, fürstliche Verwalter niederer Gerichtsbarkeit. Dem gegenüber zeigen also die Supane im Meiss- nischen die alterthümlicheren Beziehungen. Weiterer und unmittelbarer Anhalt für die ausgedehnte Ver- breitung der Hauskommunionen bei den Nordslawen wird in den Ortsnamen gesehen. Er knüpft sich an die überwiegend patronymische Form dieser Namen. Bei der überraschend konstanten Reinheit, mit welcher der Slawe seine Wortbildungen festhält, hat auch die Germanisation die alten Ortsnamen nicht so verwischen können, dass sie nicht hin reichend erkennbar wären. Deshalb lässt sich eine überaus reiche und sichere Topographie der alten slawischen Ortsnamen für die gesammten Slawengebiete aufstellen. Unter ihnen muss die ausser- ordentlich grosse Zahl der Namen auf owice, wice, ice, wendisch etz auch eiz, eez auffallen. Es sind daraus die zahlreichen deutsch umgestalteten Namen auf itz, schütz, witz u. ähnl. entstanden. Zwar lassen sich nicht alle diese Namen hinreichend sicher als Patronymica auffassen. Abgesehen davon, dass es auch einzelne echt deutsche Namen auf schütz und itz giebt^), bedeutet Rostow polnisch das Gut des Rost, Rostowice aber ebenso die auf dem Gute des Rost Wohnen- den, als die dort noch vorhandenen von ihm Abstammenden. Indess wird man letzteren Sinn als den natürlicheren und den alterthiun- lichen Zuständen entsprechenderen für die meisten Namen vorziehen dürfen. Dies nehmen auch Palacky-) und Jirecek-^) als unzweifel- haft an, und schildern das Bestehen der Sadruga in Böhmen genau nach dem südslawischen Bilde und den Anklängen der gemeinsamen Wortstämme. Beweismittel für diese Annahme haben sie allerdings nicht beigebracht, da für die ^'erse der Rucopis kralodworsky (Prag 1835, S. 51): »Jeder regiert seine Familie, die Männer ackern, die ') z. B. Forlitz, Heglitz in Ostfriesland, Giflitz in Westfalen, Vorschiitz, Geislitz, Sterbfritz in Hessen, Boflitz, Burgelitz, Geifitze, Spitz, Niesitz, Sederlitz in Württember},', Engelitz in HohenzoUern. ') Bühinen I, S. 168. ^) Recht in Böhmen und Mähren 1803, I, S. 28, 30. und der Ilauskommuniuu bei den Nordslawen. 245 Weiber verfertigen die Kleider, und stirbt da? Familienhaupt, so ver- walten alle Kinder gemeinsam das Vermögen, sich einen Wladyken aus ihrem Geschlecht erwählend;« eine ältere Quelle nicht bekannt geworden ist. Jirecek weist noch darauf hin, dass in Böhmen zupa vojska, wie bei den Südslawen, das Hausvolk, die im Hauswesen lebenden Leute, und voje-voda ursprünglich nicht den Heerführer, sondern das Oberhaupt der Familie bezeichnen. Indess scheint es miiglich, im Anschluss an das auch von Jin'cek als Erbgut erwähnte, in Böhmen und Schlesien urkundlich Itekannte Grundbesitzverhältniss der Dzedzinen einige nähere Ein- l)licke in ältere hier hergebrachte Rechtszustände zu erlangen. Der Ausdruck Dzedzina besagt nach dem Wortlaut: Gut vom Grossvater (Djed, djedo, ded) her. Daraus würde zunächst nur die Bedeutung eines ererbten Gutes und, wenn man weitergehen will, eines Familiengutes folgen, der Sinn einer Sadruga, eines konmiu- nistischen Familienbesitzes, aber nicht gefunden w^erden können. Indess geht aus den leider wenig zahlreichen böhmischen Urkunden, die über solche Besitzungen vorhanden sind, doch genügend hervor, amus, modicum nobis fructificabant, tum propter viarum dis- crimina, quia census hie est modicus, qui se cum omnibus utili- tatibus ad XHI talent. ratispon. den. extendebat, raro . . . sine de- trimento . . . poterat abinde pacifice deportari, tum quia predictas villas ad majorem censum locare nequivimus, propter incolas ipsarum villarum, qui se heredes, quod proprio vocabulo dcdifz dicitur, affirmabant, . . . al^bati Razensis monasterii . . . vendidimus pro CCC marcis puri arg. Prag. pond. Eine Urkunde von 1208 (Ebd. I, No. 510) ist zwar als gefälscht anerkannt; gleichwohl zeigt der Satz praedium nostrum in Hosniz, quod more terrae nostrae duo rustici dedin jure possederant, den 246 VIII. 7. Die Spuren des Staniiiicsloliens der Lande.ssitte nach rustikalen Charakter des Dzedzinenbcsitzes. Noch ein erst 1410 aufgestelltes Rogistrum bonorum Strahow (Emier, Decem registra S. 291) besagt, dass in Trzessowicz (bei Prag) sunt 18 arec, quas hoinines . . . tenent cum agris et sunt diediczoncs perpetui et tenentnr perpetue laborare ad infrascripta, quocienscum([ue necesse fuerit et fuerint requisiti. Eine Gemeinfreiheit der Dzedzinen- bauern besteht in keinem dieser drei allerdings sjDäten Fälle. Welche Natur aber dieses Verhältniss früher hatte, darauf weist die viel ältere Nachricht^) hin, welche sagt: Dux Bracislaus (1037 bis 1055) . . . donationem, quam pater suus (Ulrich 1012 — 1037) . . . fecerat, flumen videlicet . . . (Sazawam) . . . cum pratis et silva circumjacente . . . corroboravit . . . , dein etiam hanc eandem do- nationem supervenientibus heredibus et eam suo jure usurpative ven- dicare molientibus, nolens paterna cessare statuta, semet opposuit, litem diremit et . . . Procopio omnem utilitatem in aqua et silva . . . redonavit; agros vero et prata ex utraque parte adjacentia . . ., sex- centorum denariorum pretio redemit et abbati Procopio . . . recon- ßignavit. Hier zeigt sich nicht lediglich ein auch bei Hörigen als dauernd geachtetes ßesitzrecht, sondern hier erscheinen von alter Zeit her ge- meinsam berechtigte Genossen, deren Ländereien der Landesherr mit einem grösseren Waldgebiete dem Kloster geschenkt hatte. Die Bauern waren dadurch ihres Landbesitzes nicht entsetzt worden, sie waren nur, wie bei Schenkungen oder Veräusserungen grundherrHcher Güter bezüglich der darauf, als Eigenthümer oder Beliehene wie als Hörige oder eigene Leute, erblich oder nicht erblich Angesessenen allge- mein stattfand, mit dem Obereigenthum am Grund und Boden auf den neuen Gutsherrn übergegangen. Indem sie also Bretislaw ent- schädigte, erkannte er an, dass sein Vater nicht in dem Verhältniss des Obereigenthümers zu denselben gestanden habe, dass sie vielmehr freie Bauern und freie Eigenthümer ihrer Ländereien seien , über deren Personen und Besitz auch dem Fürsten kein Recht zu ver- fügen zugestanden habe. Dabei wird indess bestimmt zwischen dem Kulturlande an Acker und Wiesen und dem nicht kultivirten Lande an Wald und Gewässern unterschieden. Letzteres nimmt der Fürst ohne Weiteres in Anspruch. Das Dzedzii^cnrecht wird lediglich auf die Kulturfläche bezogen. Es ist also nur dö'-r wirklich okkupirte Boden, der als unantastbares Eigenthum der heredes betrachtet wird. *) Fontes rerum Bohemia II, Prag 1874, S. 244. Erb., Reg. I, No. 114. uiiil der Hauskumiiiunioii bei den Nord.slawt'n. 247 Diese Auffassung; der Stellung der alten gemeinfreien Volks- genossen zu der entstandenen fürstlichen Gewalt tindet ihre allge- meine Bestätigung in den Ergebnissen von Untersuchungen, welche Joh. Peisker in der Schrift: »Die Knechtschaft in Böhmen« (Prag 1890) veröffentlicht hat. Peisker sucht die Frage, wie es zu denken ist, dass wir die Fürsten der Slawen schon in den ersten urkund- lichen Nachrichten anscheinend ganz willkürlieh über Grund und Boden verfügen und Land und Leute verschenken sehen, auf topo- graphischem Wege zu lösen. Er hat, ähnlich wie Lamprecht dies für das Moselgebiet gethan, den älteren Bestand der in der Südspitze Böhmens belegenen Ortschaften und Zeit und Ort der jüngeren fürst- lichen Anlagen festgestellt. Dadurch gelang ihm für das Gebiet süd- lich von Budweis der Beweis, dass die fürstlichen Schenkungen, welche überhaupt erst im 11. Jahrhundert bekundet werden, durch zwei Jahr- hunderte und länger fast ohne Ausnahme Waldungen betreffen, welche aus älterer Zeit bestanden und slawische Orte nur in gewisser Entfernung umschlossen, aber nicht mit enthielten. Diese Wälder wurden von den Beschenkten gerodet und besiedelt, und die weiteren Schenkun- gen dehnten sich von ihnen aus meist in Form langer aber schmaler Besitzstücke, die früheren von aussen umschliessend, weiter in die Waldmassen aus. Aus den altbestehenden Dörfern kommen nur allmählig vereinzelte, zerstreut liegende kleine Ackerbesitzungen oder Höfe, welche wahrscheinlich dem Fürsten durch Strafen, Acht oder Herrenlos igkeit anheimgefallen waren, zur Verleihung an geistliche oder weltliche Herren. Erst nach zwei oder drei Jahrhunderten hat die Herrschaft des Fürsten oder der benachbarten Grossen auch die alten Volksdörfer verschlungen. Es wird dies durch Urkvinden völlig deutlich und Ijeweisfäbig, in welchen die Herren anerkennen, dass Bauern dieser Dörfer ihre hereditates benevole einem Zins unterworfen haben, oder der Fürst erklärt, dass er den heredes ihr Land al)ge- kauft habe, oder, wie das obige Zeugniss des Bretislaw besagt, es denselben zurüekgiebt, weil es ihnen zu Unrecht entzogen sei. Die Vergleiehung der Kataster dieser älteren Ortschaften hat dabei er- geben, dass sie fast ohne Ausnahme noch heut den o. Bd. I, S. 52 abgebildeten, den westlichen Sla\\en eigenthümlichen, fächerförmig angelegten Dorfbering erkennen lassen. Diese Anhaltspunkte ergeben nun zwar höchstens Vermuthungen, nicht den Beweis, dass in den gedachten alten Dörfern Südböhmens die Bewirthschaftung nach der volksthümlichen Sadruga in kommu- nistischer Hausgenossenschaft stattgefunden habe, doch gewinnt man 248 VIII. 7. Die Spuren des StaniineslebeiiB aus ihnen die Ueberzeugung, dass mit dem Bestände der Dzcdzinen- gütcr eine sehr alte und eigenthümliche, vor die Zeit der Grundherr- lichkeit zurückreichende Dorfverfassung verknüpft gewesen sein muss, welche auch für die Gebiete der Nordslawen einen ursprünglich ge- meinschaftlichen Besitz ganzer Fluren durch vollfreie Gesammterben wie bei den Südslawen voraussetzt. Deshalb hat es besonderes Interesse, dass sich in Schlesien die Dzedzinen ebenfalls finden und hier auf Grund speziellerer Urkunden in Betreff ihres thatsächlichen Bestandes und ihrer wirthschaftlichen Beziehungen nähere Feststellungen zulassen. In einem Trebnitzer Güter- Register von 1410 werden 8 Ort- schaften in der Nähe von Trebnitz als Besitzungen des dortigen Hedwigsklosters mit der jeden anderen Besitz ausschliessenden An- gabe aufgeführt, dass sie sich aus Dzedzinengütern zusammensetzten^). Von diesen Dörfern gehören Brietzen, Schickwitz, Raschen und Brukotschine zu der dem Kloster schon bei seiner Gründung im Jahre 1203 von Heinrich dem Bärtigen zugewiesenen Ausstattung. (C. Grünhagen, Regesten zur Schlesischen Geschichte, Berlin 1884, ') Ein Schöppenbuch des Kreisgerichts zu Trebnitz enthält die erst im Jahre 1718 gefertigte, aber wie sich aus ihren Angaben feststellen lässt, hinreichend zuver- lässige Abschrift. Das Original ist bisher nicht aufgefunden. Dieses Verzeichniss der Besitzungen und Einkünfte des Klosters Trebnitz von 1410 ist im Cod. dipl. Silcs. Bd. IV, S. 252 ff. unter den Urkunden von Domnowitz abgedruckt. Es enthält Auf- zeichnungen über den Bestand und die Verpflichtungen zu Zinsen und Diensten der bäuerlichen Stellen von mehr als 100 Trebnitzischen Ortschaftep, und ist überschrieben: Urbarium anno domini MCCCCX , conscriptum est hoc registrum per Dominum Nicolaum Senitz procuratorem claustri. Die Angaben über die genannten 6 Dorfschaften im Districtus Trebnicensis und 2 im Districtus Olsnicensis haben folgenden Wortlaut: 1. Domono witz hat VIII Czeezynen, do gebin III Czeczyncn itzliche VIII ejmer Honig ader von itzlichen eymer eynen Firtung, ap sie nicht Honig hettin, vnd eyne Czeczyne gebit eyne Firtung vnd III scheffel di-eyerley getreydis, weiszc, körn vnd Ilafir vnd vf Martini. Item von III Czeczyncn sullcn die kemrer dienen, wen man yn gebawet, Item I Firtung sol die Dorffschaft gebin Rochgcldt. Summa des Geldis vf Martini VII marg. Summa des Getreydes VI scheffel weisze, Korn, Hafir. 2. Britzaw hat VIII Czeczyn Czynsshafte, die sullen mit cnander gebin III marg vf drey tage, VValpurgis, Johanns vnd Martini, vnd den Czenden vf dem Felde sullen sc mit eygen für füren. Item VII gr. gebin sie zu Narsas, vnd itzliche Czeczyne gebit VI Huner, VI kuten Hanffs, vnd drey Fudir Holtz vf ostern, Bartholomei vnd Wey- nachten, vnd dorzu II keze vnd II eyger, vnd sullen mit iren eygen zcylen (Stroh- seilcn) von der Czeczyne X mandeln Ilafirs rechen, wo man sie heisst. Item sie phlegen auch zu scharwerken, wen man yn gebawet. Summa III marg vnd XI gr. vf Walpurgis, Johann vnd Martini. und der nauskommunion bei den Nordslawen. 249 No. 92), Domnowitz wird 1203 vom Herzoge genannt, und ist 1248 aus seinem Besitze vom Kloster gekauft worden (Ebd. Reg. No. 673), Sclnvundnig geliörte 1218 den Sanctuariis von Trebnitz (Reg. No. 193), Lahse und Persebnitz endlich bat der Herzog dem Kloster 1212, beim Eintritt seiner Tochter fJertrud in dasselbe geschenkt (Reg. 278). Die Gründung.^urkunde von 1203, welche zwar nur in einer, wie es scheint, gleichzeitigen Abschrift erhalten, in ihrem Inhalte aber nicht zu bezweifeln ist (Reg. 92), bekundet mehrmals, dass die erwähnten Dorffluren in bestimmten Grenzen lagen, und dass diese in bekannten Linien aneinanderstiessen. Das Register von 1410 giebt im Einzelnen an, in welcher Weise jede dieser Fluren in eine Anzahl von Dzedzinen zerfiel. Ihre Zahl ist in keiner Flur kleiner als 5 oder grösser als 10. Die 8 Dzedzinen von Lahse werden mit ihren speziellen Namen bezeichnet. Von diesen Namen, welche wahrscheinlich l)ei den anderen Dzedzinen ähnlich lauteten, bedeuten Scberschenskra Drohncnplatz, WoUnykoff'ka Freigut, CrzischanofFka 3. Schitkowitz hat XCzcczincn, der gebit cync I marg vor dis Honig, vnd VII Czeczyncn, die gebin itzliche vf Wartini cynen Firtung, vnd VI schcflcl getreyde, II körn, II weiszc vnd II Ilabir, vnd zu IUI gr. vf Walpurgis weyn Geldt Item andirhalbc Czeczyne, die gebit IX schock schusseln vnd von cyncr dienet der kemrer, wenn man yn gebawet, vnd den Czenden vf dem FeMe suilen sie mit eygen für führen. Item XI gr. suUen sie gebin zu Narsas vnd von itzlieher Czeczynen II Hüner, II kezc, II eyger, vnd VI kuten Hantt's. Item von der Czeczyne suilen sie III Tage cren (ackern) vnd scharwerken, wenn man yn gebawet, vnd drey fudir Holtz vf ostern, Bartholomei vnd Weynachtcn, Item ye die Czeczyne sol X mandeln Ilafir rechen, mit iren cygcn zcylen, wo man sie das heist. Summa des Geldes III marg an I gr. vnd vf Walpurgis V marg vnd IUI gr. wcyngeld. Summa des Getrcydes IUI malder körne, weiszc vnd Ilabir. 4. Rasschaw hat IX Czeczynen, die IV Czeczynen hat er zwo Czynsshaftig, vnd sol der Eptissyne geben dovon eyne halbe marg, vnd dem Closter VI scheftel dreyerley getreyde, II körn, II weiszc, vnd II Ilafir, und den Czenden vf dem fehle sol sie füren mit eygen für. Item die andern VII Czeczynen , die gebin itzliche eynen Firtung, vnd VIgetreidis, II körn, II weisze, vnd II hafir, vnd den Czenden vf dem felde den sollen sie Türen mit eygen für. Item eyne Czeczyne hat der kemrer, dovon sol er gebin den Czenden vf dem Felde, vnd sol dienen, wen man ym gebawet, vnd itzliehe Czeczyne sol scharwercken , vnd III fudir Holtz vf Ostern, Bartholomei, vnd Weynachtcn, vnd suilen gebin II keze, II eyger, VIII Ilüner, VIII kuten IlantVs, vnd suUcn X mandeln Ilafir rechen mit iren oygen zcylen, wo man sie das heist. Summa des Geldes vf Martini VII Firtung. Summa des Getreydes V maldir körne, weiszen, vnd Hafir. 5. Brockoczyn hat V Czeczynen, do gebit die Czeczyne eynen Firtung vnd VI Scheffel getreydes, II körn, II weisze, II Hafir, vnd den Czenden vf dem felde suilen sie füren mit eygen für. Item aldo ist eyn Garte, den suilen sie myten wyder das 250 Vni. 7. I>io .S]iurcn dos Staiunicslebens Kreuz weghof. Auch die übrigen Namen können also nicht auf den ein- zehien Besitzer, sondern nur auf älteren Familienbesitz ])ezogen werden. Drei dieser Dörfer sind von Zeidlern, die übrigen von Ackerwirthen bewohnt, auf mehreren Dzedzinen werden Kämmerer zu häuslichen Diensten im Kloster, andere zu Küsterdiensten erwähnt, anderthalb Dzedzinen haben Holzschüsseln zu drehen, die meisten müssen schar- werken, wie es von ihnen gefordert wird, und es liegen ihnen Ge- treidezinsen und Leistungen an Geld, Hühnern, Eiern, Käsen und Hanf, sowie Holz- und anderen Fuhren ob. Dabei al)er sind diese Leistungen nicht allein von Ort zu Ort, sondern auch zwischen den Dzedzinen des einzelnen Dorfes von sehr verschiedenem Umfang. Die grosse Ungleichheit der Belastung lässt darauf schliessen, dass auch die Besitzungen selbst von ungleicher Grösse waren, und dass weder im Orte, noch überhaupt ein übereinstimmendes festes Maass für sie galt. Dieser Schluss wird durch das Verhältniss der Fläche der Gemarkungen zu der Zahl der Dzedzinen, aus denen sie bestanden, bestätigt. Closter, wie man mag, vnd sullen scharwercken, wen man yn gebawet, vnd III fudir Holtz vf Ostern, Bartholomei vnd Weynachten. Item itzliche Czeczync sol gebin VIII Hüner, VIII kuten Hanffs, II kezc, XII eyger, vnd von itzlicher Czeezyne X mandeln Hafir rechen mit ircn eygen zcylcn, wo man sie das heist. Summa des Geldes vf Martini I schock. Summa des gctreydis III maldir körne, weisze vnd Hafir. 6. Schwantnig hat V Czeczynen, do gcbit itzliche XVI gr. vf Martini, vnd VI schefTcl getreyde, II körn, II weisze vnd II Hafir vnd den Czenden vf dem Felde suUcn sie mit eygen für füren, vnd 11 kezo, VI Hüner vnd VI kuten HanfF. Item itzliche Czeczyne sol scharwercken, wen man yn gebawet vnd X mandeln Hafir zu rechen, mit ircn eygen Cylen, vnd III Fudir Holtz vf Ostern, Bartholomei vnd Wey- nachten. Item II Czeczyne dienen yn die Kirche vnd geben zu VI kauten Hanffs. Summa des Geldes vf Walpurgis XVIII gr. Summa vf Martini V Firtung. Summa des Getreides II maldcr vnd III schcffel körne, weisze, hafir. 7. Pcrsniz hat VI Czeczynen, der VI gebin IUI Honig, yc die Czeczyne VIII eymer vnd die andern II itzliche II scheffel weisz, II scheffil hafir vnd II fudir Ilewys, das fudir zu rechen vor eyn Firtung, vnd den Czenden vf dem feldc. Summa des Geldes VIII marg. Summa des gctreydis VIII scheffel weise, hafir vnd II fudir Hew (oder) die II Firtung davon. 8. Lazon hat VIII Czeczyne, die do Honig gebin. Schadroffka soll gcbiu VIII eymer. Item Polkoffka sol gebin V eymer Item Chwalkoffka sol gebin III eymer, Schcschenskra sol gebin V eymer. Item Wollnykofka sol gebin V eymer, Crzischanoffka sol gebin VIII eymer, Dobeschof ka sol auch gebin VIII eymer Honig, Jacubofka sol gebin VH eymer. Item ap sie nicht Honig haben, zo sullen sie gebin vor den eymer I Firtung. Item I schock Hüner vf ostern vnd XXIIII Hüncr vf Bartholomei, vnd sullen mit IUI zcnsen hawen, wo man sie heyst. Item den Czenden vf dem felde. Summa des Geldes XII marg vnd VI gr. untl der lIauski)nimnnion bei den Nordslawen. 251 Die Verfflcichnii": zeifrt folgende Unterschiede: Heutiger iinolnischer Gerichtsbarkeit anscheinend eine seltene alter- thünieladc Ausnahme machte, durch die sich das ausschliesslich auf seinen Gütern noch bekannte Auftreten von Dzedzinen erklärt. Dem konservativen Charakter der Trebnitzer Klosterkammerverwaltung müssen wir also die Kenntniss dieser Reste viel älterer Zeit ver- danken. Zu ihrer Erklärung bleibt noch zu untersuchen, ob diese alter- thüniliche Dorfverfassung des Dzedziiienbesitzes nicht auch mit einer eigenartigen Gestaltung der Flureintheilung verknüpft wurde, und aus derselben näher charakterisirt werden kann. In diesem Sinne sind in Anlage 106 und 107 die Flurkarten der beiden o. Bd. II, S. 251 erwähnten Dörfer Lahse, Kr. Militsch, und Domnowitz, Kr. Trebnitz, mitgetheilt. Sie zeigen beide die Anlage des Dorfberinges als Runddörfer, wie sie o. Bd. I, S. 52 und Bd. II, S. 253 beschrieben sind. Ganz entsprechende Anlagen bilden in allen Wendenländern und in Böhmen die alte fast ausschliesslich herrschende Dorfform, in Schlesien aber konmien sie nur ausnahmsweise vor, oder sind sie nur vereinzelt erhalten. Die vom Dorfplatze und den Häusern aus fächer- förmig nach aussen erweiterten Haus- und Baumgärten stehen in keinem planmässigen Zusammenhange mit den Feldlagen. Obwohl es» möglich gewesen wäre, den Besitz der hier ursprünglich auftretenden je 8 Dzedzinen auch in der Feldmark fächerförmig an den Dorf- bering angeschlossen nebeneinander zu reihen, so ist dies doch nicht ge- schehen, vielmehr sind die Grundstücke in der Flur besonders und ohne Rücksicht auf den Dorfbering aufgetheilt. In beiden Gemar- kungen sind die Dzedzinengüter von sehr verschiedener Grösse. Auch die Belastung schliesst sich zwar in Lahse den Grössenunterschieden viel näher an als in Domnowitz, aber sie entspricht doch keineswegs wie bei den deutschen Hufen in strengerem Sinne dem Verhältniss der Fläche der Besitzungen. Die eingreifendste Verschiedenheit zeigt sich indess in der Form der Av.ftheilung. Obwohl die Dzedzinen in Domnowitz erheblich mehr Fläche umfassen, als die in Lahse, sind die geschlossenen Besitzstücke in I^ahse doch bis zum Doppelten gi'össer, und abgesehen von der neueren Parzellirung der Dzedzine No. 8 und einigem ganz unregelmässigen und zufälligen Streubesitz, ist die 17* 260 V'III. 7. Die Spuren des Stainmeslebeiis Thcilung hier derart, class die einzelnen Dzedzinen ursprünglich ganz grosse, nach bestimmter Richtung hin belegene Theile der Flur be- sessen haben, wie dies bei No. 6, 5, 4 und 3 noch gegenwärtig der Fall ist. In Domnowitz lässt sich fast die Hälfte der Flur, als erst spät in kleinen Parzellen vertheilt, völlig von der Betrachtung ausscheiden, und dennoch verbleiben noch mehr als 10 Gruppen grösserer, meist quadratisch gestalteter Besitzstücke, von denen jede Gruppe nicht einer oder nur einigen der alten 8 Dzedzinen angehört, sondern bis zur Gegenwart Antheile aller 8 Dzedzinen in sich schliesst. Gleichwohl zeigen diese Antheile weder eine dem Gesammtbesitz verhältniss- mässige Grösse, noch eine regelmässige Form und Abgrenzung, noch endlich eine irgendwie gleichbleibende Reihenfolge innerhalb der einzelnen Gruppe. Darin spricht sich ein äusserst schwer zu lösendes Problem aus. Es lässt sich nicht verkennen, dass der Gedanke der Sadruga sich am einfachsten und natürlichsten mit der ursprünglichen Besitz- nahme einer dem ersten Familienvater oder der entstehenden Familien- genossenschaft ausschliesslich gehörigen Gemarkung, also eines mehr oder weniger umfangreichen Einzelhofes verknüpft. Indess, die allgemein verbreitete runde Dorfanlage ist damit schwer zu ver- einigen. Sie erscheint in bei weitem den meisten Fällen deutlich als planmässig, und der charakteristische freie Platz in der Mitte entspricht in seiner Grösse in der Regel der grösseren oder geringeren Zahl der Stellen, die ihn umgeben. Hierbei kommen die neueren, oft sehr engen Theilungen der auch in Domnowitz hinreichend erkenn- baren alten grösseren Hofstellen nicht in Frage. Es handelt sich nur um diese alten Stammstellen. Für jede solche anfänglich unbe- kannte, aus einer einzigen Sadruga erst allmählich anwachsende Zahl dieser alten Hofstellen würde der entsprechende runde Platz, um den sie sich überall nebeneinander gereiht finden, nachträglich nur mit grossen Anständen frei zu machen gewesen sein. Es bleibt kaum etwas anderes übrig, als diese Dörfer schon bei der Eroberung des Landes als gemeinsame Ansiedelungen von 8, 6 oder mindestens 4 mit ihren Angehörigen herbeigekommenen Familien- vätern anzusehen. Da jeder der letzteren der Begründer einer Sadruga wurde, und weitere, welche aus einer derselben hervorgingen, die alte Hofstelle theilten, konnte also eine für die Anlage der Dorfstätte gut geeignete Lage schon mit Rücksicht auf die erforderliche Zahl der Hofstellen auf der Flur aufgesucht werden, und bei der ersten Ver- theilung des Dorfberinges keine wesentliche Schwierigkeit entstehen. und der Hauskommunion bei den Nordslawen. 2G1 Bedenken ergeben sich jedoch bei der Frage nach der Theiking des Klllturlande^i. ^^'ic schon o. Bd. I, S. 77 u. S. 433 nälicr erörtert ist, lassen sich ^YirkHch gleichberechtigte Genossen nicht auf ver- schieden belegene, ungleich grosse und ungleich gute Grundstücke anweisen. Eine Theilung, wie sie Lahse und wie sie Domnowitz zeigt, würde unter freien und gleichen Volksgenossen unvermeidlich zu nie endendem und stets gefahrdrohendem Streite führen. Es muss deshalb für die Entstehung dieser Dzedzinengüter unter allen I.^mständen an eine höhere Gewalt gedacht werden, welche Gehorsam bei wirklichen wie bei eingebildeten Ungleichheiten und Benach- theiligungen zu fordern und aufrecht zu erhalten vermochte. Diese höhere (iewalt konnte auf den an Trebnitz geschenkten Dörfern der Herzog Heinrich oder das Kloster als Grundherr üben, und der In- halt der Urkunde von 1204 macht den Eindruck, dass der Herzog ganz beliebig über deii Grundbesitz der Insassen derselben verfügt habe. Indess die Ackerlagen solcher seit lange bewohnter und be- wirthschafteter Fluren lassen sich ohne durchgreifende Mühwaltungen, zu denen der Herzog nicht füglich Veranlassung hatte, nicht um- gestalten. Er kann die Besitzungen verschieden vergeben und ver- grössert oder verkleinert haben. Dass aber die Grundlinien der Feldeintheilung im wesentlichen ihren aus älterer Zeit und schon von der slawischen Siedelung herstammenden Charakter verloren haben sollten, wäre in hohem Grade unwahrscheinlich. Entscheidend ist dafür, dass die Feldlage in den entsprechenden unregelmässigen, blockförmig abgerundeten, bald grossen, l)ald kleinen Besitzstücken bei den Runddörfern der Wenden, Böhmen und Polen, soweit der Gebrauch des Hakenpfluges reichte (vergl. o. Bd. I, S. 275), die allgemein übliche und herkömmliche war. Der nähere Nachweis muss allerdings hier vorbehalten und der Darstellung der deutschen Kolonisation der Slawenländer überlassen bleiben. Aber es lässt sich zeigen, dass überall auf den westlichen Slawengebieten, wo solche ungleichmässige Feldlagen nicht bestehen, die deutsche Kolonisation mit ihren bestimmt charakterisirten Hufeneinthcilungen eingegriffen hat, welche den früheren Zustand durch Aufmessung und Umlegung völlig umgestalteten. Auch knüpfen in den Slawenreichen der älteren Zeit Steuern und Leistungen nirgends an die Gattung oder das Maass eines Landgutes an, sondern, wie die Urkunde von 1204, stets an den Besitz eines Pferdes oder eines Paars Ochsen, oder eines Haken- pfluges oder an den vorhandenen Rauchfang. Noch die Bestätigung der Rechte der Böhmen und Mähren durch Johann von Luxemburg 262 VIII. 7. Die Spuren des Stammeslebens vom 25. Dezember 1310 (Boczek, Cod. dipl. Mor. VI, S. 381) sagt: quilibet laneus fertonem argenti solvetur, de agris autem, qui per laneos distincti non sunt, de aratro unum fertonem nobis solvere tene- buntur. Laneus, vom deutschen Lehn, beneficium, ist die zugemessene Zinshufe. Für nicht nach deutscher Hufeneintheilung vergabtes Land fehlt das Maass, aratrum ist hier das Werkzeug selbst. Unter diesen Umständen bleibt nur die Wahl, entweder in allen Ländern der westlichen Nordslawen die grund- oder gutsherrliche Gewalt als den Schöpfer dieser unregelmässigen Flureintheilungen anzusehen, oder anzunehmen, dass andere hinreichend starke politische Machthaber, wenn nicht ausschliesslich, doch mit grösserem oder geringerem Einflüsse bei der Theilung der Grundstücke mitgewirkt haben. Wenn den in der einzelnen Flur Betheiligten entweder, wie in Lahse, grosse Abschnitte derselben, oder wie in Domnowitz, gemein- same Feldlagen zugewiesen, und jede derselben unter genügender Aus- gleichung an sie vertheilt wurden, so kann dies durch Loosen und mancherlei herkömmliche Gebräuche erleichtert worden sein, setzt aber immer ein von der deutschen abschnittsweisen Zumessung der einzelnen gleichen Hufenantheile sehr abweichendes Verfahren voraus, und es muss eine ungleich stärkere und selbstwillige Gewalt die Füg- samkeit zu erzwingen vermocht haben, als bei der peinlich gerechten Ausgleichung erforderlich war, welche die Durchführung der deutschen Gewanneintheilung mit sich brachte (vergl. o. Bd. I, S. 83). Da der Fürst ausser Stande gewesen wäre, diese Einzelheiten zu regeln, auch je höher in das Alterthum hinauf, desto mehr von einer fürstlichen Regierung abgesehen werden muss, so führen diese Erwägungen dahin, den eigentlichen Ursprung dieser unregelmässigen Flurtheilungen wie bei den Iren (o. I, S. 197) in der väterlichen Gewalt der Stamm- und Geschlechtshäuptlinge zu suchen. Sie müssen als Vorstände der Volksgenossenschaften, zugleich auf ihre militärische Führung wie auf ihr priesterliches Ansehen gestützt, die Macht ge- habt haben, die Besitzvertheilung streitfrei zu ordnen, und etwaigen Einspruch oder Widerstand fest und sicher niederzuhalten. Damit wird die Untersuchung wieder auf die Hauskommunion zurückgeführt. Auf sie weisen manche der vorgeführten Anzeichen direkter hin, erlauben aber leichter die Deutung auf vereinzeltes Auf- treten solcher Genossenschaften. Für die allgemeine Verbreitung der unregelmässigen Feldeintheilungen lässt sich dagegen keine bessere Erklärung finden, als die eines ebenso allgemeinen Bestandes der und der Hauskoinnumiou bei den Nordslawen. 263 Sadrutra mit ihrer ausgesprochenen wirthschaftlichen Unterordnung unter die leitende väterliche Gewalt der niederen und höheren Supane und Woywoden. Dieser Schluss wird dadurch unterstützt, dass, wie G. A. Stenzel (Geschichte Schlesiens, 1853, S. 30) ausführt, das gesammte polnische Reich, obgleich es die Söhne der Fürsten unter sich thcilten, dennoch als ein zusammengehöriges Ganze, und zwar als Gemeingut der fürstlichen Familie der Plasten, l)etrachtet wurde. Der Aelteste als Grossfürst sollte vor den übrigen Familiengliedern ein höheres An- sehen haben, die Einheit des ganzen Reiches erhalten und gewisser- massen darstellen. Auch stand es keinem der einzelnen Fürsten frei, einen Theil des Reiches ohne Genehmigung der übrigen Verwandten dem Gesammtreiche zu entfremden. Hube will sogar noch ein unmittelbar aus ältester Zeit erhaltenes Beispiel einer Hauskommunion in Polen angeben können, indem er in seiner geschichtlichen Darlegung der Erbfolgerechte der Slawen^) sagt: »Aus einer zuverlässigen Quelle ist mir Kunde geworden, dass noch bis heut in der Woydewodschaft Sendomir ein freies Dorf sich befindet, welches von der Königin Hedwig (1385 — 1399) mehrere Verleihungen erhielt, und bis jetzt noch die alte Form der Ver- waltung beibehielt. Die Grundstücke dieses Dorfes sind gemein- schaftliches Eigenthum aller Einsassen, welche nach der Anordnung des Woyts (Ortsvorstehers) dieselben bestellen, und unter sich die Früchte vertheilen.« — Für die weitere Frage nun, wie weit auch für die östlichen Nordslawen eine gewisse Wahrscheinlichkeit des ursprünglichen Be- standes der Hauskommunionen erwartet werden darf, kommt zunächst in Betracht, dass diese Wahrscheinlichkeit für die westlichen Nord- slawen wesentlich an die grosse Anzahl der Runddörfer derselben und an den Umstand geknüpft ist, dass, wenn diese Ansiedelungen auf Hauskommunionen beruhen, jede dieser Dorfanlagen nicht von einer einzelnen, sondern alsbald hei der Besitznahme des Landes von mehreren solchen Familiengenossenschaften begründet worden sein muss. Der Zeit nach hantlelt es sich also um das Eindringen der Nordslawen in die norddeutsche Ebene seit Attila im 5., 6. und 7. Jahrhundert. Sie gelangten ungefähr gleichzeitig dorthin, wie die Südslawen in die serbischen und kroatischen Gebiete. Beide kamen aus der gemeinsamen, schon vor Tacitus von den Slawen ') üebersctzt von Zupanski, Posen 18.36. Vgl.Roepell, Geschichte Polens I, S. 84. 264 VIII. 7. Die Spuren de« Stammealebene bewohnten und niemals wieder aufgegebenen Heimath in Klein- Russland, Podolien und Galizien. Dorther stammten die Shiwen- schaaren, die um 535 nach lUyrien und Mösien einl)rachen, und die Kroaten und Serljen, welche, wie Bd. II, S. 150 gezeigt ist, Heraelius erst G30 an die Sau und Drau berief, und von dort müssen auch die Sorbenwenden ausgegangen sein, welche sich schon um 531 an der Saale festsetzten. Es fragt sich also, ob die nach Westen drängenden Stämme die Hauskommunionen schon aus der Heimath mitbrachten, oder ob in dieser Heimath östlich der Karpathen zur Zeit ihres Auszugs noch ein nomadisches oder halbnomadisches Ilirtenleben ohne feste, auf dauernden Ackerbau begründete Ansiedelungen vorausgesetzt werden muss. Auf ihre damaligen Zustände deuten Jornandes c. 3 und 23, Procop Lib. II c. 14 und Lib. IV c. 4, 5, sowie Kaiser Mauritius in Strategie. XI, 5 hin. Jordanes sagt, wie S. 151 erwähnt ist, nur: (Sclavini) paludes silvasque pro civitatibus habent. Procop erklärt unter irriger Etymologie (o. II, S. 148): die Slabenen und Anten, welche vorher beide Sporoi genannt werden, bewohnen in sporadisch errichteten Hütten das Land, haben deshalb auch jeder viel Raum, und sie beweiden die Ufergegenden des Isters. Mauritius bemerkt als Belehrung über die Art gegen sie Krieg zu führen: Sie wohnen in Wäldern und an Strömen in schwer zugänglichen Brüchen und Sümpfen, und stellen von ihren Wohnstätten mehrfache Ausgänge her {TioXv^xsSelg rag ki^odovg tojv olx^ösojv Tiocovfisva), welche von ihnen im Nothfalie in gleicher Weise benutzt werden können. Ihre nöthigen Befestigungen werfen sie im Verborgenen aus Erde auf (xa dvaYxala tmv TCQayiJidicov avicZv iv änoxQvipm %ovvvov(iiv), ohne dass sie äusserlich durch Unnöthiges erkennbar w^erden. Sie führen ein räuberisches Leben und lieben, in dichtverwachsenen, engen und steilen Oertlichkeiten Ueberfälle auszuführen. Die Zeiten der Gothen- und Hunnenkriege, welche vor diese Be- schreibungen fallen, waren einer ruhigen Entwickelung wenig günstig. Deshalb liesse sich denken, dass in Russland die Ansiedelungen bis ins 7. Jahrhundert eine feste Form noch nicht gewonnen hätten, und die fortziehenden Schaaren bei ihren Niederlassungen in den ereiferten Gebieten je nach den Umständen von sehr verschiedenen Ideen aus- gegangen seien. Dadurch könnten spätere erhebliche Unterschiede im Agrarwesen der Gruppen der Südslawen und der westlichen und öst- lichen Nordslawen erklärt erscheinen. Da aber Mauritius (f G02) schon vor (500 hinreichend deutlich und der Hauskomnuiniou bei den Xordslawen. 265 (las o. Bd. II , S. 239 erörterte Verhältniss der Wohnstiltten 7A\ den gorod erwälint, wird jede Untersuchung über die älteren Agrarzustände Ilusslands, so lange sich nicht das Gegcntheil erweist, von der Voraus- setzung ausgehen müssen, dass die Ideen und eigenartigen Sitten der Hauskommunion ihren Ursprung schon in der gemeinsamen Heimath der Slawen im Herzen des alten Venedenlandes hatten, und es muss in Frage kommen, ob die wenigen Züge volksthümlicher Lebens- anschauungen, die sich bei den Russen auf ältere Zeit zurückführen la.'^sen, mit einer solchen Annalime zu vereinigen sind. In dieser Hinsicht ist vor allem von Bedeutung, dass die Feld- eintheilung in Klein-Russland und allen älteren russischen Gebieten Einzelhüfe zeigt. Diese Flurgestalt schliesst keineswegs die volks- thümliche Sadruga aus. Sie muss vielmehr als die einfachere und natürlichere Entstehungsform derselben erscheinen. Bei freier Besitznahme des Landes, ohne dass sich wegen der üeschränktheit des brauchbaren Bodens oder wegen des gegenseitigen Schutzes die Familien eng zusammendrängen mussten, begann eine Sadruga nothwendig als eine grossere, ausgiebigere und in ihrem Betriebe selbständige Niederlassung. Ihr Gut entstand als das einer freien, sich selbst genügenden, geschlossenen Familie, nicht als ein Antheilshof einer bäuerlichen Genossenschaft. Von Ausnahmefällen abgesehen, konnte erst aus der Theilung dieser Gutshöfe in verschiedene Sadrugas ein mehr oder weniger planmässiges Dorf hervorgehen. Einzelhöfe sind auch bei den Südslawen neben geschlossenen Dörfern sehr verbreitet (o. Bd. II, S. 219, Bd. III, S. 249). Bei den Russen findet sich, dass das eigentliche Heimathsland des Volkes, Kleinrussland, das alte Gebiet von Kiew, und seine Um- gebungen im vorigen Jahrhundert noch, abgesehen von Städten und Märkten, allgemein in Einzelhöfen bewohnt war. Die Grenze dieser Einzelhofbesiedelung Kleinrusslands gegen Grossrussland liegt gegenwärtig noch bei Grell, also auf Vs des Weges von Kiew nach Moskau. Die Prawda Ruskaja und Nestor bezeichnen übereinstimmend den freien unabhängigen, auf eigenem Gruncl und Boden ansässigen Volksgenossen als Ogniszczanin , als den an einem Feuerheerde, Ogniszcze, sitzenden. Unter einem solchen Feuerheerde denkt man sich das Familienhaus eines Einzelhofes. Es bestanden im alten Russland die Civitates (o. S. 234), wie im Westen, und es wird von allen russischen Historikern als erste staat- liche und bürgerliche Genossenschaft eine Gauorganisation unter 266 VIII. 7. Die Spuren des Stammeslebens verschiedenen Bezeichnungen genannt, welche die Gemeinden der freien Bauern unter Aeltesten (Starosti), Hundertmännern (Sotskie) und Häuptern (Golovi) zusammenfasste. Ebenso wird im wesentlichen erst dem Auftreten der Waräger und ihrer Gefolge, der Drushinen, das Entstehen des Herrenlandes und die Unterscheidung der auf Herrenland wohnenden Bauern zugeschrieben und angenommen, dass diese, so weit das Besitzthum desselben Herrn in derselben Land- schaft reichte, als eine besondere Gemeinde behandelt wurden^). Es werden auch schon in der Prawda ruskaja Freie, welche von Herren Land zur Bestellung übernahmen, ähnlich wie die Hospites Heinrichs I., gesetzlich gegen ein Uel)ermaass von Belastung geschützt. Diese Auffassungen dürfen im allgemeinen als richtig gelten, gewäh- ren jedoch nur geringen Anhalt für die Verbreitung der Hauskommünion. Es muss vielmehr auffallen, dass in Russland alte patronymische Ortsnamen auf -owice, -wice oder -ice nicht bekannt, sondern im A\esentlichen die Ortsbezeichnungen auf -ow und -in die heiTSchenden sind, welche das Gut eines individuellen Eigenthümers bezeichnen. Die Besitzverhältnisse der Kleinrussen, welche in den letzten Jahrhunderten überall diesem privaten Eigenthum entsprechen, sind für die älteren Zeiten noch nicht näher untersucht^). Die früheren Verhältnisse der im Norden Russlai^.ds bestehenden ziemlich grossen und offenbar seit der ersten Besiedelung über das Land verbreiteten Einzelhöfe hat dagegen Frau A. Jefimenko ein- eingehend bearbeitet^). Ein solcher Hof wurde mit pecziszcze, jetzt Ofen, früher eben- falls Feuerheerd, bezeichnet. Noch in Ukasen des 18. Jahrhunderts, welche sich auf die Regelung der Besitzverhältnisse im Norden des Reiches beziehen, kommt der Ausdruck pecziszczynja semli ohne alle Erläuterung vor. Auch in der Vermessungs- Instruktion vom 13. Mai 1754 und sonst bezeichnet er etwas allgemein Bekanntes und Bestehendes und zwar einen Komplex eigenartig zusammengehörigen Landes. Diese Höfe in den nördlichen Landschaften wurden dauernd gewissermassen als Besitz freier Siedler behandelt und unterlagen weder dem Mir, noch der Leibeigenschaft. Noch als Peter der Grosse die Kopfsteuer einführte, kam dieser Unterschied für die Landschaften ') Joh. Keusslcr, Zur Geschichte des bäuerlichen Gemeindebesitzes in Russland, Baltische Monatsschr., Riga 187.'), S. 208. ') Iluns IMil Iniann, Bcitrilgc zur ältesten Geschichte des Kosakenthunis, 1888. ^) Baucrnvurhältnisse im Norden Russlands, 1882 u. 1883 (russ.). und der Hauskomiminiou bei den Nordslawen, 267 an der Dwina und von Nowgorod und Pskow zur (Jeltung. Man stellte diese freigebliebenen Bauern in den Kreisen der Seestädte, wie man diese Landschaften nannte, in Bezug auf die Steuerverhält- nisse den Städtern gleich. Auch die Städtebewohncr hatten hier ihr Recht, ländliches Grundeigenthum zu erwerben, bewahrt. Der Städter war nicht an sein Gewerbe, der Bauer nicht an seine Scholle und der Gutsbesitzer nicht an den Dienst des Fürsten gebunden. Das dortige schwarze Land musste Steuern zahlen, aber hatte seinen Charakter als Privateigenthum behalten. Deshalb wurde 1722 ver- ordnet: »In den Kreisen der Seestädte soll man den schwarzen Bauern und Hälftnern, welche auf Gemeindeland sitzen, ausser der Kopf- steuer von 80 Kopeken noch so viel für die Seele auflegen, als die Gutsbesitzer von ihren Bauern erhalten werden, ausser der Stellung von Soldaten, oder auf irgend eine andre Manier, wie es passender ist, und ohne Verwirrung unter die Leute zu bringen.« In der Regel betrug diese Erhöhung 40 Kopeken mehr auf den Kopf. Da die Höfe auf Gemeindeland lagen, und auf ihnen in älterer Zeit die Farailienangeh(")rigen so lange als thunlich unter der Leitung und im Dienst des Familienhauptes zusammenzuleben pflegten, so wäre danach ein alter, ursprünglich weit verbreiteter Bestand der Sadruga auch bei den östlichen Nordslawen wohl möglich. Indess hat Frau Jefimenko auf Grund ihrer sorgfältigen Studien der Landrollen und Urkunden aus Nowgorod und Pskow die be- stimmte Ueberzeugung ausgesprochen, dass hier sich nirgend eine Hauskommunion, sondern immer nur eine Antheilswirthschaft ersehen lasse. Diese macht sie deshalb als eine besondere Form des wirth- schaftlichen Daseins geltend. Sie zeigt näher, dass urkundlich die oben gedachten Heerdhöfe (Pecziszcze) mit der Zeit in eine Gemeinschaft von 2 bis G Helfen zerfallen sind, dass sich jedoch ein solches Dorf durchweg von den späteren mittelrussischen unterscheidet. Die Grösse der einzelnen Antheile in demselben wird nur durch das Erbrecht bestimmt, und war daher nach den Urkunden meist sehr verschieden. Im Norden Russlands bildete, wie sie erklärt, l)is in die späteste Zeit ein solcher Heerdhof (Pecziszcze) eine ein Dorf (Derewnia), oder eine Ansiede- lung (Tselo) genannte ökonomische Einheit, gleich ob sich eine solche nur aus einem grossen Hofe oder, wie meist der Fall, aus mehreren durch Theilung entstandenen Höfen zusammensetzte. Immer aber hatten letztere gewisse Nutzungen gemeinsam. Mit dem Worte Dorf (Derewnia) pflegte man aber auch den Antheil des einzelnen Be- 2G8 VIII. 7. Die Spuren des StammeBlebens sitzers zu bczeiclinon. In den Urkunden wird von Halhdr)rfern, Dritt- llieilsdiirfern, Antlieilsdürfern oder Dorfantlieilen bis zu ein Hechszelin- tlicil des einzelnen Hofes gesprochen. Die säramtlichen auf odei- nel)en dem alten Heerdhofe erlsauten Höfe verl)lieben im ungetheilten Besitze des Ackers und bearbeiteten denselben nach Antheilen von V2, V3, V4, Vg, Vs ^1- s. w. Selir oft sind die Antheilsbesitzer Ver- wandte, welche von einem Stammvater abstammen, wie der gleiche Familienname beweist. Zunächst waren ihre Grundstücke gleich, weil jeder Sohn einen Anspruch auf den gleichen Antheil hatte. Indess mit der Zeit änderte sich das. Es kommt vor, dass ein Hof die Hälfte des Ackers, 2 andre je Vi, oder 3 andre je Vc des Ackers nutzten. Daraus erweist sich, dass die Antheile durch das Erbrecht bestimmt wurden. Die Besitz Verhältnisse verschoben sich aber auch aus anderen Ursachen. Tausch und Schenkung einzelner Grundstücke und ganzer Antheile verwandelten die ursprünglich auf gemeinsamer Abstammung beruhende Gemeinschaft in eine Vereinigung von Nach- barn, und Zulassung oder Gewinn solcher Nachbarn wurde gelegent- lich auch Gegenstand von Vertragsschlüssen. In der Feldflur fanden deshalb Theilungen und Vereinigungen einzelner Parzellen statt. (Vgl. Bd. III, S. 347 u. 352.) Auch Umtheilungen im Felde kamen vor. Diese aber sollten nicht ein Recht auf Land oder das gleiche Recht auf Land verwirklichen, sondern nur absichtliche oder unabsichtliche Veringe- rungen durch mehr oder weniger Einpflügen beseitigen. Es wurde revidirt, ob A wirklich Vs, B wirklich Vg beackert, oder ob er that- sächlich mehr inne hatte. In allen diesen Erscheinungen sieht Frau Jefimenko Antheils- besitz und meint, dass er leicht in Mir übergehen konnte. Sie zeigt auch, dass sich dabei Eigenthum erhielt. Das von den Bauern besessene Land wurde zwar für schwarzes Land des Gross- fürsten erklärt, ebenso aller Boden, welcher in Niemandes Besitz stand. Aber es blieb bei der Erklärung. Thatsächlich dauerten d\c alten Verhältnisse fort, und der Antheilsbesitz verwandelte sich lüvv im Laufe des 17. und bis zum Anfange des 18. Jahrhunderts in den Einzelbesitz der Schnurländereien. Diese Umwandlungen zu Privat- besitz weist Frau Jefimenko Schritt für Schritt aus den Landrollen nach. Die Frage, ob in Wirklichkeit ein Unterschied und welcher zwischen dem von Frau Jefimenko angenommenen Antheilsbesitz und diesem Privatbesitz der Einzelnen bestand, so lange ihn der Staat nicht in einer bestimmten Form des Untereigenthums oder reinen Eigenthums anerkannt hatte, bleibt indess dadurch ungelöst, und es und der Hauskommunion bei den Nordslawen. 269 liispt sich nicht hinreichend erkennen, oh diese Antheile von der ersten Begründung der Höfe an Ergehniss der Vererhung waren, oder ob /Aierst eine kommunistische Bewirthschaftung des gesammten Hof- landes unter Leitung von Familienhäuptern bestand, und (he Antheile nur mit der Zeit und unter den erschwerten Bedingungen der nörd- lichen Wirthschaft durch Zerfall des gemeinsamen Betriebes ent- standen. Damit erschöpft sich, sofern man nicht im Mir gewisse Nach- klänge der Hauskommunionen sehen will, der bis jetzt bekannte Kreis der Anzeichen für die ursprüngliche Geltung derselben bei den Russen. ^^'enn sich für die westlichen Nordslawen die nahe ^^'ahrscheinlich- keit dieser Form des älteren Volksdaseins anerkennen lässt, sind bei den östlichen die Anhaltspunkte so gering, dass nur die Möglich- keit ursprünglich bestehender gleicher Zustände nicht ausgeschlossen erscheinen kann. Gleichwohl ist die Agrargeschichte berechtigt, im Hinblick auf die Uebereinstimmung, wenn nicht der Sitte der Hauskommunion selbst, so doch mancherlei bestehender Voraussetzungen derselben und gewisser ähnlicher Beziehungen des häuslichen und öffentlichen Da- seins einen erkennbaren gemeinsamen Kreis volksthümlicher Lebens- anschauungen der Slawen, und einen nationalen Gegensatz gegen ihre Nachbarvölker in Europa zu sehen. Es ist zwar von Engelmann und von Anderen die Frage auf- geworfen worden, ob nicht in der Sadruga ursprünglich nur die bei allen Völkern vorkommende gemeinschaftliche Bewirthschaftung des Nachlasses des verstorbenen Familienhauptes zu erkennen sei, welche, je geringer das Kapital und je unentwickelter die Zustände waren, desto natürlicher und zweckmässiger in der Form der Hauskominunion zu denken wäre. Aber diese Verallgemeinerung berührt das kultur- geschichtliche Problem nicht. In jeder Familie ohne Ausnahme besteht nothwendig bis zu einem gewissen Alter der Kinder Kommunismus unter väterlicher Gewalt. Auch konnte bei jedem Volke vorkommen, dass Miterben die Erbschaft nicht theilten, sondern gemeinsame Wirthschaft auf dem Erljgute fort- setzten, obwohl wirklicher Kommunismus dabei selten zur Geltung ge- kommcu sein dürfte. Von solchen Vorgängen aber ist völlig verschieden, wenn ein ganzes Volk den Kommunismus möglichst zahlreicher und >ogar durch Adoption und andre Fiktionen ergänzter Familiengenossen und die Herrschaft und Regierung im Sinne der väterlichen Gewalt zum allgemein gültigen Prinzip seines wirthschaftlichen Lebens und 270 VIII. 7. Die Spuren der Hauskoramunion bei den Nordslawen. seiner politischen Organisation macht. Findet sich eine solche Er- scheinung in Indien^), im Kaukasus, am Ural oder im Atlas, wo Beispiele genannt werden, so sehen wir darin die Besonderheiten welt- abgeschiedener Bevölkerungen, in eigenartiger wirthschaftlich ungün- stiger Ocrtlichkeit, welche ethnologisch interessant, aber für die Ent- wickelung der Kulturvölker belanglos sind. Wenn diese Lebenssitte aber bei den Südslawen, die sich auf altem europäischen Kulturboden angesiedelt haben, durch mehr als ein Jahrtausend besteht, so kann diese Thatsache nicht durch einen Blick auf Kabylen oder Wotjaken erklärt oder gewürdigt werden. Ist die Hauskommunion wirklich nur das allgemein Menschliche, warum lebt nicht ganz Europa in dieser Form, und warum sind nicht alle unsere Staaten entsprechend organisirt? Es ist nicht zu ersehen, welchen Vortheil oder Vorzug die Slawen durch diese Eigen- thümlichkeit erlangt hätten, aber dass sie dieselbe wenigstens in einem erhel^lichen Theil ihrer Stämme entwickelten und beharrlich fest- hielten, und dass sie in ihr mit Vorliebe volksthümliche Gedanken und Neigungen sehen, bezeugt tieferliegende Unterschiede der Sinnes- art und des Volkscharakters, deren Spuren nicht allein in der Haus- kommunion, sondern auch im Mir und in der politischen Verfassung und Verwaltung der Slawenländer überhaupt erkennbar werden. Für die Fragen des Agrarwesens entstehen auf dieser Grundlage des Volks- lebens eigenartige Bedingungen, welche im Mangel von Urkunden ihren Ausdruck in den thatsächlichen auf uns gekommenen Resten der älteren Flurverfassungen finden, und zu der kaum begonnenen ver- gleichenden Untersuchung dieser Reste in ihrem Gegensatze zu Siede- lung und Anbau der anderen europäischen Völker auffordern. 'J Die Angaben und Ausführungen Sumner-Maines, Village Communities 1871, über das Agrarwcsen in Indien weisen indess, worauf später zurückzukommen ist, dem Mir entsprechend, im wesentlichen auf fiskalisch-grundherrliche Einrichtungen hin. IX. Die Entwickelung der Grundherrlichkeit, der Lehne und der Siedelungen auf Landleihe. I. Der Ursprung der Grundherrlichkeit, des Lehnswesens und der Landleihe auf romanischem Boden. Das Bild der ältesten germanischen, keltischen und slawischen Agrarverfassung hat bestimmte nationale Gegensätze ergeben. Bei den Kelten lag die ursprüngliche Gestaltung des Volkslebens im Klan und in dem gemeinsamen Rechte seiner Mitglieder am Stammlande. Der Klan schloss durch die Zuweisung gleicher, lcl)cnsläng- lich zu nutzender Landantheile jedes Privatgrundeigenthum, aber nicht die Privatbewirthschaftung und das Privateigenthum an Sachen aus. Bei den Slawen wird als die charakteristische Form ihres Volks- daseins der völlige Kommunismus alles Eigenthums, des gesammten bewirthschafteten Landes, wie der beweglichen Güter, innerhalb mög- lichst grosser Gruppen zahlreicher Familiengenossen, und ein diesen Grui)pen entsprechender Aufbau des Staatswesens angesehen. Beiden Nationen ist dabei die fügsame Unterwerfung unter die leitende, nur thatsächlich beschränkte, väterliche Gewalt des Familien- hauptes eigenthümlich, aus welcher grundlegende Erscheinungen der Siedelung wie der politischen Organisation ihre Erklärung finden. Die Kelten in Gallien wie die Slawen an der Elbe wurden je- doch bei den ersten historisch näher bekannten Zusammenstössen mit den Römern und mit den Deutschen bereits unter wesentlich veränderten Zuständen angetroffen. Bei beiden Völkern war der Grundbesitz in die Hände der Fürsten und einer zahlreichen Aristokratie als ein Eigenthum über- gegangen, welches durch die mehr oder weniger bestimmt anerkannten Besitzrechte der Hauptmasse des Volkes kaum beschränkt wurde, und in der persönlichen Lage dieser bäuerlichen Bevölkerung unter- 272 I^- 1- I^t-r Ursprung dur (irumlhurrlichkeit, des Lehnswcsens schieden sich mannigfaltige Stufen von bürgerlicher Freiheit bis zu willkürlich behandelter Hörigkeit und völligem Sklaventhum. Für die Germanen giebt es nur wenige und undeutliche Zeug- nisse und Anzeichen, welche bis in die Zeit vor der ersten festen Ansiedelung zurückreichen und die wirthschaftlichen Rechtsanschauun- gen, wie die »Stellung der Fürsten und Vornehmen innerhalb der nomadi- schen oder halbnomadischen Stammesverbände, näher zu charakteri- siren vermöchten. Die übereinstimmende gleichmässige Gestalt ihrer Siedelungsanlagen lässt indess klar erkennen, dass die volksthüm- lichen Züge ihres Wirthschaftslebens starker nachbarlicher Zusammen- schluss einer beschränkten Zahl nicht nothwendig verwandter Gemeinde- genossen, individuelles, erl)liches und theilbares Grundeigenthum des freien Hausvaters, und eine maassvolle, unter Zuweisung eigener Haus- und Landwirthschaft ausgeübte Herrschaft desselben über Sklaven, Hörige und Unterworfene waren. Die charakteristisch germanische Dorfverfassung mit streng gerecht, in gleiche Hufenantheile zer- legten Gewannfluren schloss das Uebergewicht Einzelner an persön- lichem Ansehen und an Besitz eigener Leute, Grundeigenthum und Heerdcnvieh nicht aus, beruhte aber in der Hauptsache auf Rechten und Pflichten der einzelnen Wirthschaftsbetriebe , welche für Freie wie Unfreie den von ihnen besessenen Hufenantheilen verhältniss- mässig vertheilt und möglichst bestimmt und dauernd festgesetzt waren. Die Deutschen haben sich mit der Völkerwanderung über ganz Europa als ein herrschender, grundbesitzender Militäradel verbreitet und dabei manche ihrer agrarischen Eigenthümlichkeiten, namentlich das Gefolgs- und Lehnswesen, bis in weite Ferne ül)ertragen. Doch haben sie meist die Nationalität und die Wirthschaftsweise der von ihnen unterworfenen Volksmassen angenommen. Die volksthümliche Form ihrer Ansiedelungen dehnten sie damals nur dahin aus, wo sie das Land durch bäuerliche Geraeinwesen besetzten. Dies geschah, abgesehen von der einer älteren Periode ange- hörigen Besitznahme der keltischen Höfe zwischen Weser und Nieder- rhein, überall so weit, wie seit der Zeit Caesars keltoromanischer Boden durch deutsche Volksheere erobert wurde. Ihre Dorfanlagen bedeckten, wie die Kartenskizze in Anlage 66a (o. Bd. IH, S. 230) näher abgrenzt, Süddcutschland , den jNIittelrhein und einen grossen Theil von Nordfrankreich und von England. Durch diese Ansiedehmgen befriedigte die Hauptzahl der freien Stammesgenossen das Bedürfniss, das sie vorwärts trieb, anbaufähiges und der Landleihe auf romanischem Boden. 273 Land in Wirthschaftseinheiten zu erwerben, welche dem Unterhalt ihrer Familie und ihrer nächsten Angehörigen in gewohnter und aus- giebiger Weise zu genügen vermochten. Neben diesen volksmässigen Dörfergründungen wurden jedoch, wie sich bei der Darstellung der deutschen Besitznahme der römischen Gebiete ergeben hat, für die Anlage und Einrichtung von Wohn- pljitzen, wie für Landbau und Agrarrecht auch neue Gesichtspunkte und Verfahrungsweisen geltend, deren Ursprung in der königlichen Gewalt und in der entstehenden Grundherrlichkeit gegeben ist. Da.^ ^\'esen des deutschen Königthums muss vor dem Unter- gange des römischen Reiches in wenigen Jahrhunderten sehr be- deutendem \\''echsel unterlegen haben. Nomadenstärame können eine mächtige Oberleitung niemals entbehren. Denn so wenig Ansprüche sie an eine eigentliche Staats- verwaltung machen, bedürfen sie doch stets einer sehr kräftigen Hand zur Ordnung ihrer Weideangelegenheiten. Auf jedem ihrer Weide- reviere stehen sich die Interessen der einzelnen Heerdenbesitzer direkt entgegen, und stets trachten Nomaden nach Viehraub. Deshalb muss ihre Leitung thatsächliche Gewalt haben. Da diese aber verloren ist, wenn ihre eigentliche Kraft, der Viehreichthum des Machthabers, untergeht, kann ihren Sturz plötzlich das Wetter einer Woche, eine Seuche, ein geglückter Ueberfall herbeiführen. Vermag ein Nomadenfürst nicht mehr die Seinen zu erhalten und durch freigebige Hand Knechte und Krieger um sich zu sammeln, so ist er kein Fürst mehr, und es kann ihn kein Name seiner Ahnen halten. Wer immer dagegen versteht, grosse Heerden in seinen Besitz zu bekommen, sei es durch Glück und kluge Wirthschaft, sei es durch Gewalt und kühne Raub- züge, dem strömen die Diener zu, und er findet leicht die Sänger, die seine Abkunft durch eine Reihe von Heroen mit den Göttern verknüpfen. Anders dagegen steht der König eines fest angesiedelten Stammes da. Seine Stärke liegt in der Gesaramtheit der einzelnen selbständigen Wirthe. Er ist in Wahrheit der Beamte des Gemeinwesens, und kann sein Amt nicht ohne anerkanntes Ansehen erlangen und er- halten. Sesshafte Stämme geben sich ihre Leitung durch Wahl. Diese hängt nicht am Landreichtiium, der nicht erworben wird, ohne sich Gegner zu schaffen. Vielmehr sichern Erfahrung, alter Ruhm der Familie, Tapferkeit und Vornehmheit der Väter auch dem weniger Begüterten Ehre und Vertrauen. Diesen Stammes- oder Gaukönigen lassen sich wieder die leiten» Meitzen. Siedelang etc. n. IS 274 i^' 1- ^'^'" Uispmiig der (.irunUljenlichkeit, dos Lebnswesens den Führer der ersten Eroberiingszüge gegen das Rönierreich iiittlit völlig gleichstellen, wenn die Römer sie auch reges oder reguli nennen. Sie müssen vor allem Heerführer, duces, gewesen sein. Ol) die Könige der Iti]niaren und der Alemannen wirklich Stammkönige waren oder Heerführer, denen die königliche Gewalt im Drang der Verhältnisse zufiel, lässt sich schwer entscheiden. Nothwendig ist auch aus- einanderzuhalten, ül) diese Eroberungen, wie im Süden 01)crdeutsch- lands, nur kleine ausschliesslich deutsche Staatsgebilde schufen, die im wesentlichen die Zustände der Heimath herstellen wollten, oder ob die unterworfenen Romanen als Staatsbürger aufgenommen wurden. Die Herrschaft in den Staaten mit gemischter Nationalität war wieder danach eine sehr verschiedene, ob die Könige den römischen Kaiser über sich anerkennen wollten und sich als seine Vasallen dachten, die an der Organisation des Römerreiches nicht zu rütteln beab- sichtigten, oder ob sie Selbständigkeit erstrebten, und in der politi- schen Stellung und Durchführung der Verwaltung und der Steuer- und Wirthschaftseinrichtungen eigene Wege einzuschlagen versuchten. Endlich kam es darauf an, wie sie sich gegen die christliche Geist- lichkeit stellten, und ob es dieser gelang, sich als bequeme Hülfskraft zu Geltung und Ansehen zu bringen, und die Vorstellungen des Fürsten und seiner Umgebung mit den Bildern der Inblisciien Könige, mit den Pflichten und Rechten Davids und Salomons, zu erfüllen. Das sind so grosse Unterschiede, und von so weit abweichenden Folgen für das beherrschte Staatswesen, dass der Begriff des deutschen Königthums jener Zeit nur den in den einzelnen Staaten thatsächlich erkennbaren Umständen angepasst werden kann. Die theoretische Natur des Civil- und Staatsrechts ist sehr geeignet, innerhalb seiner engen Grenzen Gleichmässigkeit zu be- wahren, auch haben die neubegründeten Herrschaften in mancherlei Auffassungen an alte Ueberlieferungen von Ideen und Namen an- geknüpft, aber in der thatsächlichen Verwaltung der entstehenden und untergehenden Staaten und im wirthschaftlichen Dasein ihrer Be- völkerungen müssen sehr stürmische Veränderungen und höchst ge- waltsame Eingriffe ohne Uebereinstimmung der Grundsätze und des Verfahrens eingetreten sein. Die eigentlichen Uebergangs- und ^Mittel stufen rein deutscher Staatenbildung auf erobertem Lande, wie die der südlich vorgedrungenen Alemannen und der Juthungen, sind uns bis auf die o. Bd. I, S. 467 besprochenen Huntaribezirke fast ganz unbekannt. Deutlicher werden erst die Verhältnisse der Landesherrlichkeit und der Landleihe auf romaniscliem Boden. 275 und ihrer das Agnirwesen Ijetreftenden Verwaltung auf den Gebieten, in welchen die Romanen zwar unterworfen, aber nicht vertrieben, vielmehr in den Staatsurgani.snius mit hineingezogen wurden. Bd. I, S. 466 sind l)ereits die Ciründe angedeutet, weshalb es uiivermeidlieh war, da.andver- gabungen, aus denen neben der neuen Landesherrlichkeit stets und in jedem Fall ein neuer Grossgrundbesitz erwuchs, der theils in die Hände emporstrebender Krieger und Beamten, theils in die der Geistlichkeit kam, welche sich in ihrem und ihrer Gemeinden Interesse auch den Heiden gegenüber bereitwillig zu Dienstleistungen erbot. Für die Salier konnte diese Wandelung am leichtesten sein, 18* 27ü i^- 1- l'^T Ursprung der «Trunclherrlichkeit, des Lelinswesens weil nicht lange vor Beginn ihrer eigenen Eroberungen ihr alter Stammesadel, wie es scheint, durch das Volk selbst, beseitigt worden war, und die Volksgemeinde sich Könige, welche die Eroberungen leiteten, gesetzt hatte. Entscheidend aber wurde für die gesammte Entwickolung der deutschen Staaten vor allem die rücksichtslose politische Energie Chlodwigs und seiner nächsten Nachfolger. Sie machten in dem immer weiter um sich greifenden fränkischen Welt- reiche durch ihre Gewaltthätigkeit und ihre Erfolge jeden Widerstand gegen Neuerungen unmöglich und stellten gewissermassen ein neues Staatsschema hin, welches in den romanischen wie in den deutschen Ländergebieten allgemeine Geltung als Gesetz oder Vorbild erlangte. Unter ihrer Herrschaft enstanden auch die Formen der Land- vergabung, welche den Keim der Grundherrlichkeit der Beschenkten über ihre Territorien sammt ihren Insassen in sich trugen, und alle Phasen der Entwickelung zu diesem Ausgange im Laufe weniger Jahrhunderte durchliefen. Es ist durchaus erklärlich, dass der von den Fürsten vergebene Grundbesitz, wie Waitz^) näher nachweist, in ältester Zeit der Regel nach ohne irgend welche Beschränkung zu freiem Eigenthum ab- getreten worden ist. Wie er als Beute erworben war, so wurde er als Beute weiter an die Gehülfen vertheilt. Auch musste es unzweck- mässig erscheinen, die damals sehr geringwerthigen Ländereien, wenn sie als Dank und Belohnung oder an Zahlungsstatt für Vorschüsse und Lieferungen überlassen wurden, durch Einschränkungen und Vorbehalte noch weiter zu entwerthen. Dagegen können Güter, welche zum Unterhalt von IMilitär- oder Civilbeamten und ihrer Hülfs- kräfte dienen sollten, einzelnen Personen nicht füglich als Eigenthum überwiesen worden sein. Ueberdies lässt sich erkennen, dass als alt- herkömmliche Anschauung galt, reine Schenkungen fielen beim Tode des Beschenkten wieder an den Geber zurück, und könnten von demselben auch vorher schon im Bedarfsfalle ganz oder theilweise wieder zurückgezogen werden. Brunner-) hat diese Auffassung aus den Landschenkungen der Mcrowinger und der Bayrischen Agilol- finger selbst bei anscheinend ohne jede Bedingung zu freiem Eigen- thum verliehenen Gütern und bei solchen nachgewiesen, welche un- zweifelhaft als Belohnung für geleistete Dienste überlassen worden waren. ') Deutsche Verfassungsgeschichte II, S. 309—339, IV, 205 ff. ') Sitzungsber. der IJerljncf Akadem. LIl, S. U7ß; und der Laudleihe auf romanischeiu Boden. 277 Diese beschränkenden Gesichtspunkte erlangten nach wenigen Jahrliunderten entscheidende Geltung. Trotz der grossen Ausdehnung des römischen Staatslandes und der lierrenlosen Güter und Waldungen erschöpfte sich im fränkischen Reiche schon früh diese bei weitem reichste und stets zugängliche Quelle fiskaHscher Hülfsmittel. Namentlich seit Chlodwig der katho- lischen Kirche angehörte und in ihr die Stütze seiner politischen Pläne fand, fiel dieser ein übermässig anwachsender Landbesitz durch zahlreiche Schenkungen und Stiftungen der Krone wie der Grossen zu. Schon König Chilperich (f 584) klagte oft: ecce pauper remansit fiscus noster, ecce divdtiae nostrae ad ecclesias sunt translatae, und suchte Stiftungen zu (runsten der Kirche rückgängig zu machen, verlieh aucli Kirchengüter anderweit. Roth (Benefizialwesen S. 251) schätzt das Eigenthum der Kirche zu Anfang des 8. Jahrhunderts in Gallien auf ein Drittheil der nutzbaren Fläche des Landes. Karl Martell hatte seit dem Antritt seines Amtes der plötzlich über Frankreich lierein- gebrochenen Gefalu- zu begegnen, mit welcher der Islam von Spanien aus die ganze Christenheit bedrohte. Er vermochte die Kosten immer verstärkter Kriegsrüstung, durch die er den Sieg bei Tours errang, nicht anders, als durch ausgedehnte Eingriffe in den Kii'chenbesitz zu bestreiten. Seine Söhne Karlmann und Pipin, die diese Säku- larisationen zu ordnen wünschten, schufen dafür die neue Idee kirch- licher Zinsgüter. Soweit die Rückerstattung unthunlich erschien, wurden die Güter zwar, dem Kirchenreclit entsprechend, als unver- äusserliches Eigenthum der Kirche betrachtet, aber ihr nicht zurück- gegeben, sondern als ein unwiderrufliches Praecarium oder Beneficium, als eine dauernde Leihe der Kirche bezeichnet, für welche der Be- sitzer einen Leihezins, anscheinend einen Solidus von der Hufe, zu zahlen hatte ^). Später schrieb ein Kapitular Karls d. Gr. von 779 die Zahlung der Decima et Nona vor, d. h. des allgemeinen Kirchen- zehnts und des neunten Theiles von dem Reste, also die Leistung von Vio des Ertrages. Ausserdem mussten die Inhalier solcher königlicher Benefizien aus Kirchengut, wie alle, welche kirchliche B<'nefizien besassen, zu der baulichen Unterlialtung derjenigen Kirclie, der das Gut angehörte, beitragen. Aehnliche Verleihungen von Grundbesitz ohne wirthschaftliche Abhängigkeit des Beliehenen von einem Herrenhofe können auch ') Branner, Deutsche Rechtsgeschichte II, 24G ff. Corpus jur. canon. Decr. extr. 1 (]. precariis II, 14. — Capit. Liptinense c. 2, I, 28. — Jaffe, Bibl. III, 225. 278 IX. 1. Der Ursprung der Grundherrliclikeit, des Lehnswesens unniittell)ar aus dem König.sgute unter Vorbehalt der Zinspfliclit, z. B. dos o. Bd. I, S. 597 gedachten Medem stattgefunden haben. Zu der am meisten verl)reiteten Form soleher l)edingter Verleihun- gen wurde indess die Vergebung vorzugsweise Benefizien genannter Kron- güter gegen die Verpflichtung zum Reiterdienst. Die Anfänge dieser Art der Verleihung finden sich in der Zeit Karl Martells. Die Reiter- lehen wurden in Folge der Erfahrung eingeführt, dass sich das früher berühmte Fussvolk des fränkischen Heerbanns den Reitermassen der Araber gegenüber nicht genügend bewährte. Der Inhaber eines solchen Beneficiums hatte zwar persönlich jedem Aufruf als wohlgerüsteter Reiter zu folgen, aber der Zweck dieser Lehne beschränkte sich nicht darauf. Der Belehnte erhielt vielmehr in der Regel ein ausgedehntes Areal, und trotz seines unvullkommenen Besitzes das Recht, dieses Land ganz oder zum Theil in Afterleihe zu geben, wie sich zeigt, in der Absicht und Erwartung, dass er von sqinem Gute seinerseits Lehen an kleinere Vasallen mit der gleichen Pflicht reitermässiger Ausrüstung abgeben und sich in den Stand setzen werde, mit einer entsprechenden Schaar Reisiger zum Dienst bereit zu sein. Diese Lehen wurden ursprünglich nur dahin aufgefasst, die Nutzung gegen den verabredeten Lehndienst widerruf lieh oder auf Amts- oder Lebensdauer zu verleihen. Auch erhielten sie um so leichter nicht allein auf dem gedachten Kirchen- und Kronland, sondern auch auf dem Grundbesitz der Grossen des Reiches schnelle und weite Verbreitung, weil sie anscheinend die Substanz in den Händen des Lehnsherrn Hessen und unter verschiedenen einschriuikcnden Rechtsklauseln ül)er- wiesen werden konnten. Aber namentlich auf Kronland verloren die Benefizien sehr baUl diesen leichteren, das Interesse des Fiskus schonenden und sichernden Charakter. Sie wurden schon anfänglich nur wegen Felonie, wegen un- gehorsamer oder verrätUerischer Pflichtversäumniss, eingezogen. Mehr und mehr aber führte das stete Bedürfniss kriegsbereiter Reiterei und die Kostspieligkeit einer guten Bewaff"nung, ebenso wie die Sorge um treue verlässliche Anhänger und die für alle Verleihungen herr- schende Sitte, auch für die Lehne dazu, dieselben dem nächsten geeigneten Erben zu überlassen, und sie schliesslich in der Familie des Lehnsmannes erblich zu machen. "\Me die liChne wurden auch die Aemter, welche vielfach mit Lehnen verknüpft worden waren, erblich. Schon um G59 zur Zeit König Childerichs ^) beschwerte ') Leben des hl. Leodegur, Bischof v. Augustodunum, c. 4. M. G. SS. und der Landlcihe auf roiiianiscliom Boden. 279 man sich darüber, dass die Beamten aus einer Provinz in die andre geschickt würden, suchte dies abzustellen, und verlangte Anordnungen, dass Recht und Herkommen eines jeden Landes gewahrt werde, wie es die alten Richter gethan. Daraus erwuchs eine Machtstellung der Lehnsleute, sowohl dem Könige, wie den Lisassen des Lehnsgebietes gegenül)er, welche völlig der des festen unwiderruflich erlangten Grossgrundbesitzes gleichstand. Wenn Karl der Grosse gegen diese Minderung der Staatsanrechte noch ankämpfte, so war sie nach seinem Tode nicht mehr zu hindern. Karl der Kahle sprach in seinem Capitular von Cadisiacum 877 bereits bestimmt aus, dass er den Sohn eines verstorbenen Grafen in seinen Lehnen bestätigen werde, und setzte hinzu: similiter et de vasallis nostris faciendum est. Durch die Ansetzung zahlreicher Untervasallen auf Reiterlehnen scheinen sich bei den Grossen des Reiches, wie es Schröder (Deutsche Rcchlsgeschichte S. 155) näher begründet, die Commendationen im Sinne und nach der Ueberlieferung des Gallischen Adels wieder ver- Ijreitet zu haben. Dessen Klientel unterwarfen sich, wie o. Bd. I, S. 188 und 228 gezeigt wurde, Freie gegen Schutz und Unterhalt zum Gefolgsdienst. Bald wurden auch, den Ministerialen entsprechend, Unfreie mit solchen Reiterlehen begabt. Es entstanden reisige Gefolge der mächtigen Grundbesitzer, welche dem Könige zum Heerdienst bereit gehalten wurden, aber ebenso die Privatfehden ihrer Herren durchfochten. Der Vorzug der schnellen Bereitschaft dieser Mannschaften führte schon unter Karl d. Gr. dazu, dass die Aufrufe zum Heere nicht mehr ausschliesslich an die Grafen, sondern auch an die ihre Hinter- sassen unter eigenem Banner ausrüstenden Grossen, die Senioren, «■rgingen. Der rasche Verfall des Heerbanns unter seinem Nachfolger machte diese Gestellung von Untervasallen und Hintersassen durch die Senioren unentbehrlich. Die Grafen und die kriniglichen Domainen- beamten bildeten entsprechende Verhältnisse auf dem ihnen unter- stehenden Güterbesitze aus. Der Graf als solcher behielt zwar die Ein- ordnung aller dieser Bestandtheile des Heeres und dessen Leitung. Aber die Gestellung kam in die Hände der grossen Tcrritorialherren und erweiterte die Machtstellung derselben gegenüber der gesammten Bewohnerschaft ihrer Gebiete. Der eigentliche alte Heerbann erhielt den Charakter des Landsturms. Gesetzlichen Ausdruck findet diese Umwandlung schon durch die in den Capitula Caroli Calvi von 847, Tit. IX in der adnuntiatio CaroH, in welcher der König sagt: 280 IX- 1- I^*^'" Ur.si)rung der rirundlierrliclikeit, des Lehnswesens IL Volumus etiam, ut unusqnisque über homo in nostro regno Soniorem, qualem voluerit, in iio])i.s et in nostris fidelilms accipiat. m. Mandamus etiam, ut nullus homo seniorcm suum sine justa ratione dimittat, ncc aliqiiis eum reeii^iat nisi sicut tempore ante- cessorum nostrorum consuetudo fuit. IV. Et volumus, ut sciatis, quia nos fidclibus nostris rectum consentire volumus, et contra rationem eis facere non volumus. Et similiter vos ac caeteros fidcles nostros admonemus, ut vos vestris hominibus rectum consentiatis et contra rationem illis non faciatis. V. Et volunms, ut cujuscunque nostrum liomo, in cujuscunqiip regno sit, cum seniore suo in hostem vcl aliis suis utilitatil)us per- gat; nisi talis rcgni invasio quam lantuveri dicunt, quod al)sit, acciderit, ut omnis populus illius regni ad eam repellendam com- muniter pergat. Auf der Grundlage dieser Verhältnisse erwuchs im fränkischen Reiche seit den ersten Eroberungen römischen Bodens und seit der Entwickelung der königlichen Gewalt ein Grossgrundbesitz, von dem man zwar nicht annehmen kann, dass er zunächst und während der ersten Jahrhunderte den Besitz der angesiedelten gemeinfreien deut- schen Volksmasse bemerkbar beschränkt habe, welcher aber als ein sehr erheblicher Theil des gesammten ursprünglichen Königslandes zu denken ist. Der erste Bestand dieses Königslandes ist allerdings verschieden anzunehmen, je nachdem die Stellung des erobernden Königs zu den Romani und zu den ihnen zugehörigen Klerici auf- gefasst werden darf. "Waren sie ursprünglicli als Besiegte Fiscalini, Hörige des Königs geworden, so war auch ihr Grundbesitz Königs- gut, und wenn derselbe als freies oder zinsbelastetes Eigenthum in ihren Händen verblieb, war dies eine Verleihung, wie die anderen Königslandes. Wurde dagegen der bei der Eroberung nicht in An- spruch genommene Grundbesitz der Romani von Anfang an als steuer- bares Eigenthum eines vollfrei Belassenen oder nur in seiner persön- lichen Freiheit herabgedrückten Unterworfenen l)ehandelt, so komite er nicht unter den Begriff' des Königsgutes fallen. Mit Ausnahme der Weichbilder der romanischen Städte begründet dies indess für die Frage nach der Ausdehnung des Grossgrundbesitzes keinen er- heblichen Unterschied. Denn die ländliche Bevölkerung der Romanen zerfiel damals, wie o. Bd. I, S. 370 gezeigt ist, nur in Possessores oder, was dasselbe bedeutet, Potentes, und in die unter deren Herr- schaft stehenden Kolonen, und die geistlichen und Kirchenstiftungen waren ihrem Grundbesitz gegenüber in dersell>en Stellung, wie die untl der Lautlleihe auf romanischom Boden. 281 Possc'ssores. Sie wohnten in den Städten nnd Hessen ihre Ländeveien von Kolonen bewirth Schäften. Diese abhängige bäuevHche Bevölke- rung der Possessionen blieb in allen Fällen in dersell)en Lage und kam bei der Beleiliung nur als Pertinenz in Betracht. Der Kt'inig behielt an Staatswaldungen, Pfalzen und Frohnhöfen, und aus den dem Fiskus durch Aechtung, Straffälle und Erblosigkeit zahlreich zufallenden Gütern immerhin einen sehr ausgedehnten Grund- ])esitz. Je mehr sich aber das ursprüngliche Königsland durch die weit- gehenden Vergebungen verringerte, desto grösser wurde die Zahl der- jenigen Grundbesitzer, welche unmittelbar oder mittelbar aus diesen Verleihungen Güter erhalten hatten, und sich als Inhaber derselben naiiezu in der o. Bd. I, S. 376 näher geschilderten Lage des römischen Possessors befanden. Diese Folge trat in jedem Falle ein, sei es, dass das Land in die Hände der Kirche oder eines Laien kam, und volles Eigenthum oder Lehn geworden war. Nach Lage der Umstände konnten diese Beliehenen ebenso wenig wie die alten römischen Possessores daran denken, die erhaltenen Ländereien in eigene Wirthschaft unter ihre unmittelbare Leitung zu nehmen, weder die Ausdehnung des Landes noch ihre persönliche Stellung, ihre Geschäfte und Pflichten Hessen das zu. Wenn aber der Gutsherr den Wirthschaftsl^etriel? nicht selbst führen konnte, hatte die Bewirthschaftung ausgedehnter Güter für eigene Rechnung damals weniger als je Aussicht auf irgend befriedigenden Reinertrag. Sehr l)edeutende Güterverwaltungen werden kleinen Staaten vergleichbar. Die Bedürfnisse und die Art der Lebensführung der Inwohner und der Beamten lassen für die Oberleitung nur geringfügige Ueber- >chüsse ü])rig. Deshalb sind trotz der l)edeutenden Zahl grosser Grund- besitzungen grosse Gutsbetriebe nur bei den königlichen Pfalzen nnd in den Händen geistlicher Stiftungen bekannt. Die grossen Forsten und Oeden waren lediglich Jagdgründe und vermochten höchstens die Förster- zu ernähren. Sollten Einnahmen entstehen, so mussten alle verliehenen Ländereien in der Hauptsache so bald als thunlich an freie oder unfreie Leute gegen Dienste, Zinsgeld oder Naturalleistungen ausgesetzt werden. Diese Zinsleute suchte man überall als unentbehr- lich zu vermehren und festzuhalten. Alter Kulturboden, wie Rode- land wurden den mit der Schenkung bereits übernommenen, oder dafür herbeigezogenen Eigenen und Freien im einzelnen und dörferweise überwiesen, und ob diese Zuweisung als dauernd oder als widerruf- lich galt, der ganzen Sachlage nach war es gegeben, dass die bäuer- 282 I^- !• Der Ursprung der Cirundhorrlichkeit, des Leimswesens liehen Landleihen mehr und mehr cli(! Natur bleibender und bald auch als erblich anerkannter Besitzverhältnisse annahmen. Die Art, wie solche bäuerlich(! Insassen auf dem verliehenen Grund- besitze angesetzt wurden, die Eintheilung dieser Ländereien in Gemarkungen, und die Vertheilung der Gemarkungen zu Besitzungen, welche dem einzelnen Kolonen zur Bewirthschaftung überlassen wurden, w^ar vom Willen und Ermessen des Grundherrn abhängig. Sie konnte deshalb zwar der äusseren Form nach den volksthüm- lichen Anlagen angepasst werden, wenn dies dem Herrn zweckmässig erschien. Dem inneren Wesen nach aber musste der Vorgang von der volksmässigen Siedelung grundsätzlich verschieden sein. In der Regel sprach sich dies auch in der Form der Ansiedelungen aus. Schon o. Bd. I, S. 451 und in den Anlagen 49 bis 60, Bd. III, S. 18511'. konnte eingehend und auf Grund der Flurkarten nachgewiesen werden, dass in den meisten Fällen mit den neuen Grundlagen auch neue Gestaltungen entstanden. Das wesentliche Interesse einer gleichmässigen und leichten Ver- anlagung der öffentlichen wie der grundherrlichen Auflagen und Leistungen brachte zwar allgemein als zweckdienlich und nothwendig zur Geltung, die mit Hintersassen zu besetzenden Ländereien ebenso nach Hufen von gleichem, der üblichen Leistungsfähigkeit entspi-eehendem Werthe zu überweisen, wie solche überall in den volksmässig besiedelten Fluren bestanden. Da sich aber die Ueber- nehmer der einzelnen Grundstücke den Anordnungen der Grund- herren fügen mussten, und deshalb über wirkliche oder scheinbare Ungleichheiten der Güte oder Lage kein Streit entstehen konnte, fiel der wesentliche Grund weg, die Gemarkung in Gewanne nach der BodenbeschafFenheit zu zerlegen, und jeder Hufe in jedem der Gewanne einen verhältnissmässigen Antheil zuzumessen. Vielmehr wurde das Kulturland den einzelnen Wirthen in der Regel in einem oder in einigen grösseren quadratischen, oblongen oder abgerundeten unregelmässig begrenzten Blöcken ülierlassen. Dies konnte ebenso geschehen, wenn eine Gemarkung alsbald einer Anzahl Anbauer gleichzeitig zugewiesen, wie w^enn eine solche nach und nach stück- weise an Einzelne, welche Land zu ül)ernehmen vermochten, ab- gegeben wurde. Letzterer Vorgang ist mit voller Deutlichkeit an der Flur Reichenbach im Odenwalde, Anlage 60 (Bd. lU, S. 107) i-rläutert, denn hier erweist der Frohnhof des Grundherrn schon ilurch seine sonderbar geformten und zerstückelten Besitzstücke, dass diese als ein letzter Rest zwischen den fortschreitentlen ^''ergabungen an und der Landleihe auf rouiauischem Boden. 283 die Bauennvirthschaften übrig geblieben sind. Eine Landvertheilung in geschlossene, mehr oder weniger abgerundete Blöcke war indess nach Bd. I, S. 191 und Anlage 23 ])is 26 auch l)ci den Kelten üblich. Sie besteht, wie Bd. I, S. 224, 516, 532, Bd. II, S. 39 und 54 ff. mit den zugehörigen Anlagen im P^inzelnen darstellen, noch heut ül)erall da, wo in Grossbritannien, Frankreich oder Deutschland die keltische Besiedelung erhalten geblieben iet. Es können also in mancher der von Grundherren vergebenen Gemarkungen die noch von den Kelten überkommenen Besitzstücke den einzelnen Besitzern in ihren alten Grenzen unverändert abgegeben worden sein. Auf bestimmtere regelmässige Formen, zu denen sich die grundherrlichen Landlcihen später entwickelt haben, wird wegen ihres erheblichen Interesses für den wirthschaftlichen Charakter der fortschreitenden Kolonisationen näher zurückzukommen sein. Für die grundherrliche Natur des an Hintersassen ausgethaenen Grossgrundbesitzes hat indess die mehr oder weniger planmässige Anlage der Besiedelung keine wesentliche Bedeutung. Was als Grundherrlichkeit, oder als gutsherrlich-bäuerliches Ver- hältniss bezeichnet zu werden pflegt, betrifft im wesentlichen den Kreis dinglicher und persönlicher Rechte, die sich zwischen dem GruncDierrn und den Bewohnern seiner Ländereien, sei es durch die ursprüngliche von ihm ausgehende Besiedelung, sei es durch Erwerb bereits besiedelten Landes, sei es endlich durch vom Staate über- tragene besondere Befugnisse erzeugt und weiter entwickelt haben. Dafür kommen sehr mannigfaltige Rechtsbeziehungen in Betracht. Ein Sklave oder eigener Mann, der von seinem Herrn auf dessen Land zur Bewirthschaftung für seine eigene Rechnung angesetzt wurde, erhielt damit, so belastet er werden mochte, das Recht des eigenen Pekuliums, und musste auch als Vertreter seines Landbesitzes gegen- über seinen Nachbarn Rechte geltend machen können, welche ihn noth wendig über die Stufe des Sklaventhums emporhoben. Kolonen und Laeti haben die Deutschen ihrerseits nicht neu angesetzt, sondern von den Romanen ül)ernommen. Sie fanden sich auf den Gütern der Possessores oder Potentes, den Potestates. Eine Veränderung ihrer Verhältnisse trat nicht ein. ^^'urde die Possessio Königsland, so erhob ein königlicher Beamter ihre Zinsen und Leistungen, vergab der König das Land, so trat an die Stelle des königlichen ein grundherrhcher Einnehmer. Indess übte wenigstens mittelbar ihre Rechtslage weitergreifenden Einfluss, denn die auf den 284 I^ 1- I^cr Ursprung der Grundlierrlichkeit, des Lehnswesens Potestates ansässigen Rustikalen hatten, wie schon ans der frühen Kaiserzeit bekannt ist (o. Bd. I, S. 3ß2), vor ihrem Grundherrn, seinem Prokurator oder einem ähnlichen Beamten als einem judex pri- vatus zu Ptecht zu stehen. Nur wenn Kapitalstrafen in Frage kamen, mussten sie dem (iffentlichen Richter überwiesen werden. Brunner (II, S. 285) zeigt, dass solche Privatgerichtsl)arkeiten schon seit Trajans Zeit allgemeinere Verbreitung fanden. Zu ihr gehören die im Cod. Theod. VIII, 7. 21 und XII, 14. 1 genannten Irenarchen, welchen in der östHchen Reichshälfte als Friedenskommissaren die Friedens- und Sittenpolizei oblag, ebenso der Praefectus und der Assertor pacis desselben Codex II, 1. 8 und 30. 1, endlich auch die mit der Kom- petenz in den causae minores, innerhalb der Kirchenbesitzung aus- gerüsteten kirchlichen Beamten der ersten fränkischen Zeit. Während diese niedere Gerichtsbarkeit des Grundherrn also für die bereits wesentlich in ihrer Freiheit beschränkten Hintersassen eine herkömmliche war, erhielt dieselbe für die Freien, die in die Possessionen aufgenommen wurden, ungleich grössere Bedeutung. Wie Brunner (II, 275) eingehend darlegt, haftete nach germani- schem Rechte der Hausherr Dritten gegenüber für die Angehörigen seines Hauses. Seine Haftpflicht erstreckte sich nicht nur auf die Knechte, sondern auch auf alle halbfreie oder freie Leute, auch nicht nur auf dauernd In wohnende, sondern auch auf Gäste und ausheimische oder l:)esitzlose beherbergte Personen. Für che Grundherren dehnte sich dieses Verhältniss in beschränkter Weise auf ihren gesammten Besitz aus, und hatte ihre Befugniss zur Folge, die, für die sie hafteten, auch vor Gericht zu vertreten, und für ihre Verletzung Vergeltung zu fordern. Für Knechte musste der Grundherr aufkommen und konnte sie selbst strafen, oder durfte und musste sie in gewissen Fällen dem Gericht zur Bestrafung ausantworten. Liten dagegen galten nicht als Sache, und es konkui-rirte bei ihnen ihr eigenes Recht, vor Gericht zu stehen. »Für Freie erstreckte sich«, wie Brunner näher unterscheidet, »die Haftung des Herrn jedenfalls auf diejenigen, welche in seinem Hause lebten, Gesinde oder Vasallen nicht ausgeschlossen. Zweifelhaft ist es, wie weit sie über den Kreis der eigentlichen Hausgenossen hinaus- ging. Auf freie Vasallen, die ausserhalb des Herreuhofes lebten, war sie jedenfalls nicht ausgedehnt. Auch begründete die Verleihung eines Zinsgutes an sich keine Haftung des Herrn für den Zinsmann. Ein Freier, der neben dem Zinsgut sonstigen Grundbesitz hatte, und der Landleihe auf romanischem Boden. 285 welcher zur Zwangsvollstreckung dienen, und auf dem er mannirt werden konnte, befand sich der öffentlichen CJewalt und Dritten gegenüber in gleicher f.age, wie jeder andere freie Grundbesitzer. r)assell)e darf unl)edenklicb für den Fall der precaria oblata bcluuqttet werden. Ueberhaupt scheint eine Haftung des Herrn nur eingetreten zu sein, wenn der freie Hintersasse sich in die Schutzgewalt und in das Obseruch, und da die Verleilumgen im eroberten Lande auf den König zurückführten, dieser bei allen in letzter Hand. Das alte deutsehe Grunileigenthum war zwar stets vererljlich und unter die Erben theilbar und konnte auch veräussert werden. Al)er der Anfall der Erbschaft hing nicht vom Erblasser ab, sondern war durcli die Verwandtschaft bis zu gewissen Graden bestinmit gegeben, und stand ül)er diese Grade hinaus nach altem Recht den naclibarlich zusammen angesiedelten Geschlechtsgenossen zu. Auch die Ver- äusserung war nur unter Zustimmung dieser Erbberechtigten müglic-li, wenn deren Einspruchs- und lUicknahmerecht beseitigt werden sollte. Konnten Schulden und Bussen nicht anders als aus dem Grundbesitze gezahlt werden, so musste zunächst die Verwandtschaft in gewisser Folge für die Zahlung eintreten, und es hing wieder von dem be- tlieiligten Ciesehlechtsverbande ab, ob er das Grundstück an sich nehmen oder verloren geben wollte. Der K(>nig aber hatte ein ofTenbares Literesse, sich Ijei Vergehen aller Art sofort an den Grundbesitz des Thäters halten zu können. Wenn er sein Strafrecht geltend machen woUte, konnte er nicht wünschen, zunächst der vereinten Kraft der Geschlechtsgenossen gegenüberzustehen, welche unter Weiterungen für den Thäter ein- traten, und, wenn sie nicht Mitschuldige waren, ursprünglich wohl auch bei der Acht ihr Erbrecht am Grundbesitz ebenso wenig ver- loren, als beim Todesfall. Deshalb kennen, wie o. Bd. I, S. 580 und 590 gezeigt ist, schon die älteren Stücke der lex Salica die Confis- catio in fisco, die späteren mit dem ausdrücklichen Zusätze, aut cui tiscus dare voluerit, sowohl in Fällen des Ungehorsams gegen die Ladung vor des Königs Gericht, wie bei verschiedenen Verbrechen. Der Gewinn für die Macht des Königs durch dieses Recht war er- heblich. Er erhielt die Güter unmittelbar, durchbrach den ge- schlossenen Grundbesitz und den erbrechtlichen Zusammenhang der (leschlechtsgenossen, und vermochte durch Ansetzung anhänglicher Behehener ohne Weiteres zwischen denselben Fuss zu fassen. Bereits Tit. XIV der lex Salica bedroht den, der diese Besetzung hindern will, mit starken Strafen. Schon unter diesem Gesichtspunkte erklärt sich, dass es dem Einflüsse der Kirche leicht wurde, zu ihren Gunsten eine völlige Umänderung des volksthümlichcn Grvipdl»esitz- und Erbrechts durch- 302 IX. 2. Das Eindringen der Grundherrlichkeit zusetzen. Grundbesitz, welcher der Kirche geschenkt und übergeben ist, wurde vom religicisen Standpunkt als unantastbar beans))rucht und vom Staate als solcher anerkannt. Dieser Gedanke hatte seinen Ursi)rung im Frankenreiche, und ging durch dessen Organe auf alle älteren Volkslande ül)er. Zur lex Salica wird dies zwar erst im Zusatzkapitular Karls des Grossen VI, De bis qui ad casam Dei res suas tradere voluerint, mit den Worten ausgesprochen: Si quis res suas pro anima sua ad casam Dei tradere voluerit, domi traditionem faciat coram testiljus legitimis, et quae hactenus in hoste factae sunt traditiones, de quibus nulla est quaestio, stabiles permaneant. In dieser Formvorschrift liegt aber ersichtlich die Voraussetzung des bereits geltenden Rechtssatzes. Die lex Alamannorum sagt in den ersten Worten des Tit. I, der in das 2. Decennium des 8. Jahrhunderts zu setzen ist: Si quis liber res suas vel semet ipsum ad Ecclesiam tradere voluerit, nullus habet licentiam contradicere ei, non dux, non comes, nee ulla persona, und fügt dann bei: 2. Et si aliqua persona aut ipse qui dedit, vel aliquis de heredibus ejus, postea ipsas res de ipsa Ecclesia abstrahere vo- luerit, soll er Busse zahlen und das etwa Erlangte zurückerstatten. Die einige Jahrzehnte jüngere lex Bajuvariorum wiederholt ebenso schon im Eingange die Worte der lex Alamannorum, indess mit der einschränkenden Bemerkung: licentiam habeat de portione sua, postquam cum filiis suis partivit. Aber auch diese Regel entspricht lediglich der Billigkeit, nicht dem alten Erbrecht. Die lex Angliorum et Werinorum (tit. VI) und die Ewa Chama- voruni (XL) behandeln nur die Erbfolge-Ordnung. Die lex Frisionum erwähnt auch diese nicht. Dagegen giebt die lex Saxonum Tit. VII genaue Erbfolgebestimmungen, sagt jedoch Tit. XV ganz allgemein: Traditiones et venditiones onmes legitimae stabiles permaneant, und setzt hinzu: NuUi liceat traditionem hereditatis suae facere, praeter ad Ecclesiam vel regi, ut heredem suum exheredem faciat. Sie schliesst also, in einer nur dem Anschein nach dem Volksrecht freund- lichen Form, der Kirche ausdrücklich den König als gleichprivi- legirt an. Das Ripuarische Gesetz geht schon in seinem Titel 62, also um 600, erheblich weiter, denn es behandelt den Kauf einer Villa, eines Weinberges oder einer sonstigen Besitzung von einem Anderen als ein selbstverständlich ül)liches Geschäft, welches durch eine Urkunde zu erweisen ist, an deren Stelle Zeugen treten können. Unter dieser Vor- schrift bedurfte die Kirche kein anderes Recht, als jeder Privatmann. in die deutschen Volkslande. 303 Daran« ergiebt sicli, dass bis zur karolingischen Zeit die alten Beziehungen de« (lescbleclitsverljandes nur noch in der Erbfolge- ordnung einigerniassen erlialten waren, obgleich auch in diet^er seit Chilperichs Edikt die Erweiterung auf die weiblichen CJesehwister eingetreten war. Ueberall a])er stand fest, dass bei formal richtiger Beglaubigung des Willens des Veräusserers oder Stifters die Ueber- lassung von Grundbesitz an die Kirche einer Anfechtung Seitens der Erben nicht unterliegen konnte, und dieser Grundsatz war ein mein- und mehr allgemein privatrechtlicher geworden. Es war dies ein erstes und entscheidendes Eindringen des Römischen Eigenthumsbegriffes in die eigenthümlichen deutschen An- schauungen vom Grundbesitz, und es werden dazu nicht allein die augen- scheinlichen Interessen der Kirche, sondern wohl schon damals auch die einfache Verständlichkeit des Rechtsgedankens und die wachsenden .Vnforderungen des bürgerlichen Lebens die Bahn geöffnet haben. Die neuen Verkehrsbeziehungen gingen wesentlich von den erü]:)erten romanischen Gebieten aus, und konnten des Grund und Bodens als gesicherten Zahlungsmittels nicht entbehren. Die Folge musste das Eindringen fremden, vornehmlich kirchlichen Grundbesitzes in die alten volksthümlichen Nachbarschaften sein. Denn nach den Urkunden (vgl. 0. Bd. I, S. 108) betrifft bei weitem die Mehrzahl der älteren Traditionen Grundstücke von Morgen- bis Hufengrösse. Sie sind also vorzugsweise innerhalb des kleinen im Gemenge liegenden Hufen- landes zu denken. Dieses fremde kirchliche Element bekam überdies in einer sehr grossen Zahl der alten volksmässigen Ortschaften einen besonders einflussreichen Zuwachs durch die von Karl dem Grossen und Ludwig dem Frommen allgemein gebotene Dotirung der neueingerichteten Pfarreien mit Pfarrei widmuthen. Karl der Crrosse schrieb 2, Ludwig wenigstens 1 Hufe als Ausstattung des Pfarrers vor, und diese An- ordnungen wurden, wie der Bestand bis zur Gegenwart erweist, durch den Einfluss der Kirche l^esonders konsequent durchgeführt. Die Pfarrhufen konnten aber in den alten Gewannfluren gar nicht anders angewiesen w-erden, als durch Erwerbung eines der liestehen- den Hufengüter. Sie haben, wie die Anlagen 7, S, 9, 10, 11, 13, 16, 18 und ebenso 33, 39, 41, 42, 44, 48, 54 zur Genüge zeigen, von Anfang an und bis auf unsere Zeit im Gemenge mit den übrigen Hufen gelegen und, abgesehen von den ößentHchen und gutsherrlichen Lasten, die gleichen wirthschafthchen Rechte und Pflichten mit den übrigen Hufen in der Gemarkung getheilt. Nothw^endig aber rissen 304 iX- 2. Das Eindringen der Grundherrlichkeit sie eine Lücke in den Besitz der alten Genealogie, und trennten bis zu einem gewissen Grade auch den Zusammenhang des bäuer- lichen Vicinitas. Gleichzeitig mit diesem Wechsel ihrer äusseren Lage wurden ferner die einzelnen Mitglieder der alten Bauerschaften nicht weniger, als dies im romanischen Frankreich der Fall war, auch zum Aufgeben ihrer Vollfreiheit gedrängt. Dieselben Gründe waren bei ihnen ebenso geltend: Sorge für ihr Seelenheil, Abwendung von Kirchenstrafen, Entziehung vom Heerbann und Unerschwinglichkeit seiner Lasten, wirthschaftliche Schulden , Schutzbedürfniss vor Vergewaltigung und Zweifel an richterlicher Gerechtigkeit, oder wenigstens Schwierigkeit Recht zu erlangen. Offenbar konnte ein Hof herr und namentlich ein fränkischer Machthaber je nach Umständen bessere Hülfe gewähren, oder in erhöhtem Maasse sein Uebergewicht zur Ausbeutung oder zur Verfolgung missbrauchen. Li dieser Weise drang ausgedehnter Grossgrundbesitz der frän- kischen Könige und Grossen wie der Kirche in die alten Volkslande ein, und es wurden zugleich im kleinen durch Vergebung einzelner Hufen die volksthümlichen gemeinfreien oder lassitischen Bauern- gemeinden in ihrer genossenschaftlichen Selbständigkeit und in ihren Besitzanwartschaften zerrüttet. Gewisse Unterschiede bezüglich der entstehenden gutsherrlich- bäuerlichen Verhältnisse lassen sich jedoch in den sächsischen Länder- grui^pen gegenüber den fränkischen erkennen. Die Theilung in kleine Grafschaften, und weltliche und kirchliche Immunitäten und Vogteien, welche sich in Nordfrankreich und den Rheinlanden immer mehr zu wirklichen Landeshoheiten entwickelten, verbreitete sich nur auf beschränkte Gebiete über die fränkische Grenze hinaus. Selbst in Westfalen erlangten nur wenige Herren, wie die Grafen von Altena, Arnsberg und Ravensburg, diese Selbständigkeit. Im Norden fiel sie allein den Grenz- und Markgrafen, den Bischöfen und endlich den Herzögen in Folge ihrer grossen Reichsämter zu. In der langen Kriegszeit und unter der steten Besorgniss neuer Erhebungen mussten schon anfänglich grössere Landschaften unter einheitliche Leitung zusammengefasst werden. Die Gaue und Marken Karls des Grossen waren bedeutende, für die Vertheidigung geeignete, an ältere Stammesabgrenzungen angeschlossene Gebietsabschnitte, und zerfielen auch unter seinen Nachfolgern nicht in kleinere und kleinste selbst- ständige Territorien. Sie wurden im Gegentheil wegen der dauern- den Kriegsgefahren im Innern und von Aussen immer mehr durch in die deutschen Volkslande. 305 Zuweisungen mehrerer Grafschaften an die höheren Machthaber in dieselbe Hand vereinigt. Dazu kam, dass der alte I.,andesadel nicht vernichtet wurde, sondern sich in grosser Zahl für die neue Herrschaft gewinnen Hess. Alle diese Edelinge l)Iieben in ihrer bisherigen Lage als wahre Eigen- thümer auf ihren Gütern. Dadurch wurde für grosse Gebiete einerseits das Lehnswesen eingeschränkt, und die Festsetzung von Vasallen und Ministerialen auf immunen Herrlichkeiten gehindert, andrerseits auch der Gedanke und die Uebung der alten volksthümlichen Gerichts- barkeit erhalten. Statt dass sich auf fränkischem Boden aus den Grafschaften Territorien entwickelten, in denen die niedere Gerichts- barkeit den hofrechtlichen, die hohe aber den landesherrlichen Charakter erlangte, verfielen in Sachsen die karolingischen Gaugrafen gegenüber den Resten der Volksgerichte und durch die Hofgerichte der das Fürstenthum erlangenden Grenz- und Markgrafen, Bischöfe und Herzöge. Dazu hat Karl der Grosse schon bei der Organisation der säch- sischen Grafschaften den Grund gelegt^). Er hatte bereits zwischen 770 und 780 in der Absicht, den ärmeren Freien die Last der Gerichte und der Bussen für Ausbleibende zu verringern, für das ganze Reich die Dingflicht auf drei jährliche placita generalia beschränkt. Auch ver- ordnete er, dass die übrigen Gerichtstage von den Centenarcn nur mit den ^Fajores natu abgehalten werden, und nur Diejenigen er- scheinen sollten, die dazu aufgeboten würden. Beendet wurde diese Reform durch die dersel])en Zeit angehörige Einführung des Schöffen- thums. Die Schöffen wurden als ständige eingeschworene Raehinburgen für die Volksgerichte mit lebenslänglicher Amtsdauer eingesetzt. In den gebotenen Dingen, in welchen nur die Parteien und Zeugen vor dem Richter erschienen, waren sie zugleich Urtheilsfinder an Stelle des Umstandes. Diese Gerichtsverfassung übertrug Karl indess nicht in entsprechen- der Form auf Sachsen, sondern gestaltete sie im Sinne der alten Volksgerichte um. Er führte die Schöffen in Sachsen zunächst nicht ein. Dagegen wurde dem Grafen ein eigener Vollstreckungsbeamter beigegeben, welcher bei den Westfalen Fronbote, bei den Nordsachsen Oberbote (overbode), bei den Ostfalen wie bei den Nordthüringern Schultheiss genannt wurde. Da dieser Beamte dem echten Ding zugleich als erster Urtheiler und als stellvertretender Vorsitzender statt des Grafen ') Brunner a. a. 0. II, S. 221. Meitz^n, Siedelung etc. II. 30 306 IX' 2. Das Eindrillgen der Grundherrliclikeit beizuwohnen hatte, darf in ihm der altsächsische Gesetzsprecher ge- sehen werden, als welcher er durch den Titel Eosaga, dem friesischen Asega entsprechend, beglaubigt ist. Später als die echten Dinge auch in Sachsen Schöffen erhielten, wurde er oberster Schöffe. An die Stelle der die gebotenen Dinge leitenden Centenare traten in Sachsen die Gogreven auf. Der Name wird zwar erst in den Soester Statuten um die Mitte des 12. Jahrhunderts genannt. Aber es lässt sich nicht zweifeln, dass in ihnen die alten Hundert- schaftsvorstände, die Hunnen, Principes oder Satrapen zu sehen sind, während der Graf an die Stelle des Thunginus getreten war. Den Grafenbann zu verleihen, haben sich Karl und alle seine Nachfolger, sowohl für die Grafen selbst, als für ihre Vertreter oder die mit dem Grafengericht Belehnten vorbehalten. Erst 1382 übertrug Wenzel dem Erzbischofe von Köln die Bannleihe für die Freigrafen seines Sprengeis. Die Gogreven dagegen waren zwar auf ihre kleinen Sprengel beschränkt, von denen mehrere in der Grafschaft vorhanden waren, und an deren Sitz der Graf wechselnd die drei echten Dingeen abhielt. Sie bildeten auch nur die untere Instanz mit dem Bann für causae minores und für nicht eximirte Personen. Aber sie wurden von den Insassen ihres Sprengeis gewählt. Sie waren die nächste Rechtshülfe über den Kirchspiels- und Dorfgerichten, welchen die Bauermeister, Heimburgen, Dorfgreven oder Schulzen vorstanden, sei es, dass sie aus Wahl der freien Gemeinde hervorgingen, oder vom Gerichtsherrn auf Amtsdauer oder erblich eingesetzt wurden. Diesen Volksgerichten standen auf den bischöflichen, markgräf- lichen und herzoglichen Aemtern die Vogteigerichte als Niedergerichte gleich, lieber alle diese Niedergerichte aber erhoben sich sehr bald als Aufsichts- und Berufungsinstanz die Hofgerichte dieser Territorial- herren. Deren Territorien Hessen keinen Raum zwischen sich, da selbst Ditmarschen bis gegen 1300 unter Bremen gehörte, und sie selbst waren für einen Theil ihres Besitzes mit der Grafengewalt be- liehen. Aber auch wo dies nicht der Fall war, blieb weder für die Verwaltung, noch für die Gerichtsführung der königlichen Grafen ein Bedürfniss. Die Grafen behielten das Recht, ihre Placita ab- zuhalten. Aber ihi- Amt verfiel mit der allgemeinen Auflösung der Reichsgerichtsverfassung immer mehr. Es blieben nicht, wie in Süd- deutschland, einzelne kaiserliche Landgerichte oder unmittelbare Reichs- gerichte in ihren Sprengein bestehen. Sondern es trat in Sachsen, und zwar wesentlich in Westfalen, die Besonderheit auf, dass die Grafen sich durch Ministerialgrafen vertreten Hessen, dcnien häufig nur ein in die deutschen Volkslande. 307 einziger Dingstuhl überwiesen wurde. Da das Grafengericht über Adel und Freie sprach, wurden diese Grafen Freigrafen und ihre Dingstühle Freistühle genannt. lln-e Gerichtsbarkeit wurde un- al)hängig von (U-n sonstigen ausser rebinig gcküninieuen Grafschafts- rechten als selbständiges ^''ernl()gensol)jekt behandelt, verliehen, ver- äussert und verpfändet, und darin lag das Interesse dieser Freigrafen, die Kannhihe durch alle Zeitläufe vom Könige nachzusuchen, von dem sie unter ähnlichen fiskalischen Gesichtspunkten aufrechterhalten wurde. Hie heisscn sclion im 13. Jahrhundert, wie Schröder (S. 562) weiter ausführt, des Blutbannes wegen auch Vemgcrichte , und ob- wohl der Bliitbann ül)er niedere I>eute an die Gogerichte überging, erliielten sie unter dein Namen derVeme im 14. und 15.. Jahrhundert die bekannte Bedeutung als eine lieimliche (Tcrichtsbarkeit über Rechts- verweigerungen, welche nur Acht oder Todesstrafe aussprach, und mit Hülfe ihrer zahlreichen weitverbreiteten Freischöffen, zu denen die angesehensten Fürsten und Herren gehörten, vollstreckte. Die Gografschaften haben, wie Anlage 20 (Bd. HI, S. 74) in Betreil" des Gerichtes auf dem Hassel erwähnt, mancherlei Verände- rungen in ihren 8prengeln und in ihrer Kompetenz und Verfassung erlitten, sind aber zum Theil bis auf die neueste Zeit, bis zur Ge- richtsorganisation des Deutschen Reiches durch das Gesetz vom 27. Januar 1877 (R.-G.-Bl. S. 41), erhalten geblieben. Anlage 21 zeigt im liardengau die Gohe: VH Salzhausen, IX Ebstorf, XI Bcvensen, XIII Modestorf, XVII Barskamp, XVIII Dahleuborg. Die Papen'sche Karte von Hannover (1832) weist die Sprengel- grenzen der Gohe ebenso wie die der Amtsvogteien, Stadtgerichte, Klostergcrichtc und der sogenannten adeligen geschlossenen Patri- monialgerichte nach. Die ältere Verbreitung der Gogerichte lässt sich daraus schwerlich entnehmen. Viele dürften im Laufe der Zeit den landesherrlichen Vogteigerichten gewichen sein. Von den adeligen Patrimonialgerichten aber lässt sich annehmen, dass sie sich im 16. Jahrhundert eher vermehrt als vermindert haben. Sie erlauben deshalb ein ungefähres Urtheil, welches Verhältniss in Sachsen für die Gebiete der nicht zur Landesherrlichkeit entwickelten Immunitäten, gegenüber den öffentlichen, theils unter landesherrlichen, theils unter Volksgerichten stehenden Territoiien anzunehmen ist. Es ])estanden 1832 solche geschlossene Patrimonialgerichte in Lüneburg auf 211,1 nMeilen 6 mit 3,138 G^l- in Stade = 120,4 = )7 » 1:3,467 ' in Hannover » 10.5,4 = 7 = 1,663 = 20* 308 I^' 2. Das Einflringen der Grundherrlichkeit in Hildesheim mit Göttingen auf 82,3 □Meilen 17 mit 3,690 DMI. in Osnabrück mit Lingcn » 113,7 * 6 « 56,923 ^ in Ostfriesland => 54,9 * 3 * 0,903 = Dieser für die alten Saehsenlande eigenthünilichen Entwickeliing der Grundherrlichkeit gegenüber erweisen sich auch für die bäuer- liche Bevölkerung manche wesentlich von den Zuständen der fränki- schen Landestheile abweichende Verhältnisse. Der Fortbestand der volksmässigen öffentlichen Cogerichte, vor welchen Edelinge wie Freie Recht nahmen, verl)ürgt eine sehr viel günstigere Lage der gemeinfreien Bauern in Sachsen, als in den fast durchweg auch für die Freien hofrechtlich gewordenen fränkischen Niedergerichtsgebieten. Es ist nicht festzustellen, ob in letzteren ver- bal tnissmässig mehrere oder wenigere Insassen ihre Vollfreiheit ein- gebüsst haben, als im alten Volkslande. Aber sicher ist, dass so lange die Gemeinfreien ihre eigenen öffentlichen Gerichte unter den Gogreven behielten, die Gemeinfreiheit nicht eine derartig imaginäre werden konnte, wie sie o. Bd. II, S. 284 unter fränkischen Verhältnissen beurtheilt werden muss. In der That erweisen die Beispiele in Anlage 20, dass noch alte gemeinfreie Höfe durch alle Zeiten selbst innerhalb solcher Dörfer bis auf die Gegenwart erhalten geblieben sind, welche zum Theil unter Gutsherren hofrechtlich geworden waren. Diese Beispiele können aus den Zinsregistern der landesherrlichen Amtsverwaltungen in Sachsen wie in Hessen zu erheblicher Zahl vermehrt werden. Dagegen kommt für die Beurtheilung der Hörigkeitsverhältnisse im Volkslande der Umstand in Betracht, dass die Eroberungen auf römischem Boden ursprünglich im wesentlichen die gemeinfreie deutsche Bevölkerung der Volksheere zur Ansiedelung herbeiführte, und die Hauptmasse der unfreien wie hörigen Leute nur aus den unterworfenen Romanen oder aus der Eigengabe deutscher Freien hervorgehen konnte. Im Volkslande war dagegen die Grundlage der Hörigkeit eine andere. Hier bestand von jeher eine vielleicht nicht unbedeutende Anzahl von wirklichen Sklaven, die durch Geburt, Seeraub und Kriegsbeute, oder durch Verschuldung, Spiel und Strafverfall eigen geworden, und nach Tacitus' Zeugniss der Volkssitte gemäss als Kolonen ansässig gemacht waren. Neben ihnen fanden sich hier vor allem die Tjaten oder Lazzen in weiter Verbreitung und, wie es scheint, sehr zahlreich. Sie galten nicht für vollfrei, aber auch nicht für unfrei. Vielmehr waren sie in die deutschen Volkslande. 309 in «ler Volksgemeiude als ein besonderer dritter Stand hinter den Edelingen und Frilingcn stimmberechtigt. Gleichwohl lag ihnen die Zinspliicht ob. Wem dieser Zins zustand, wissen wir nicht. Man könnte meinen, er sei der Gaugemeinde als solcher zu leisten gewesen. Indess giebt es kein Anzeichen dafür, als dass die Stellung der halb- freien Romani trilnitarii unter den fränkischen Königen dahin auf- gefasst wird, dass ihr Zins dem Fiskus zu zahlen war. Von einem königlichen oder öffentlichen Fiskus ist jedoch im alten Volkslande nichts bekannt. Es ist ebenso möglich, dass die Laten demjenigen Volksgenossen zu zinsen hatten, in dessen Okkupation oder in dessen Loos ihr Besitz hei der Unterwerfung gefallen war, dass er also den Zins erhielt, weil er sie dulden musste, oder vielleicht freiwillig des Zinses wegen geduldet hatte. Bei der neuen Unterwerfung unter die Franken kam es vor allem darauf an, unter welchem Rechtsgesichtspunkte der Franken- könig die Laten betrachtete, ob er den Zins für seine Kasse einzog, oder ob er sie als Hörige ihres Zinsherrn behandelte, also das alte Verhältniss da fortbestehen Hess, wo er die Lage des Zins- herrn nicht verschlechterte, dagegen da, wo er die Güter des Zinsherrn in Beschlag nahm, auch die Laten auf ihnen einzog und mit dem konfiszirten Lande an die Kirche oder an Franken, oder vielleicht an sächsische Edelinge vergab. Je nach Umständen konnte die Lage der Laten also eine sehr verschiedene werden. Dabei ist für dieselbe zu beachten, dass, wie Nithard (IV, 2) erzählt, »Lothar 842 nach der Schlacht bei Fontenoy Hülfe und Anhang suchte, und deshalb auch nach Sachsen schickte und den Frilingen und Lazzen, welche dort sehr zahlreich sind, versprechen liess, dass sie, wenn sie ihm folgten, das Gesetz wieder erhalten sollten, Avelches sie zur Zeit, als sie noch Götzendiener Avaren, hatten. Voll Sehnsucht hiernach legten sie sich einen neuen Namen, den der Stellinga, bei, verjagten, zu einem starken Heere vereinigt, fast alle Herren aus dem Lande und lebten in alter Weise, jeder nach dem ihm beliebenden Gesetz.« J. v. Jasmund (Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit, IX. Jahrg. , Bd. 6, 1851, S. 56) weist nun darauf hin, dass nach Lachmann die Form Stalling, niederdeutsch für Stellinc, sich im fränkischen Compositum upstnllius zeigt, und v. Richthofen führt im friesischen Wörterbuche p. 969 eine Stelle aus einem mittelniederdeutschen Text an: upstallinc dat ist een hovelinc. Hovelinc aber ist ein Hüfner, gleich mansionarius. Diese Erklärung scheint befriedigend. Denn es war die gemein- schaftliche Lage der Frilinge und der Lazzen den Edelingen gegen- 310 IX- 2. Das Eindringen der Grundherrlichkeit über, dass sie als Hüfner in den Jkiiierngemeinden lebten. Ueberdies war inzwischen eine grössere Gleichstellung zwischen Frilingen und Lazzen eingetreten, weil auch die Frilinge dem Kirchenzehnt und anderen karolingischen Lasten, wie dem in Anlage 20 erwähnten Königszins und Kchiigshafer, unterworfen worden waren. Am nächsten liegt, dass Stalling von der älteren Zeit her den zinsfreien Hüfner he- deutete, und der Name Stellinga den Sinn des Aufstandes ausdrückt. Indess wurde die Erhebung durch Ludwig und die Edelinge sehr bald niedergeworfen. Ohne Strafe kann dieselbe nicht geblieben sein. Nithard's Servi könnten bereits die neue Lage andeuten, wahr- scheinlich sind die Laten seitdem rechtlich oder wenigstens thatsächlich zur wirklichen Hörigkeit herabgedrückt worden. Schumann in seiner Geschichte des niedersächsischen Volkes (S. 295, o27) erklärt, dass sie schon um 900 nicht mehr für waffenfähig galten. Die im Cor- vey' sehen Register aufgeführten Laten zu Apelern (Anl. 10, Bd. HI, S. 27), sowie die zu Einem (Anl. 7, ebd. S. 13) und die Bauern zu Laazen oder Lathusen (Anl. 12, S. 31) erscheinen sämmtlich als Hörige. Da aber letztere zu den Freien vor dem ^^'alde gehörten, das Dorf auch schon im Namen als Dorf der Laten bezeichnet ist, müssen sie in frühester Zeit als Freie betrachtet worden sein. Aus diesen Verhältnissen ergiebt sich, dass die Lage der bäuer- lichen Bevölkerung im alten Volkslande sich besonders mannigfaltig gestalten konnte. Denn die fränkischen Könige und Grossen und namentlich die Kirche übertrugen die fränkischen Auffassungen und Rechte, die Sachsen aber, Herren wie Bauern, hielten an ihren volksthümlichen Anschauungen, Bräuchen und Zuständen fest, und bei der gegenseitigen Berührung und Vermischung waren mancherlei Zwischenbildungen unvermeidlich. Alle diese Abstufungen befriedigend zu charakterisiren , ist un- thunlich. Es laufen dabei zwei Gesichtspunkte nebeneinander. Der eine l)etrifft überwiegend die Rechtslage der Peivson , die verschiedenen Grade der Freiheit und Unfreiheit mit ihren Folgen für Freizügigkeit und Schollenpflicht, für Gerichtsstand und Mündigkeit, für Erbrecht an Grundbesitz und beweglichen Sachen, und für Familienrecht und Beschränkungen des Konnubiums. Der andere ist vorzugsweise ein wirthschaftlicher , er betrifft Ausdehnung und Nebennutzungen des Grundbesitzes, Veräusserlichkeit und Verschuldbarkeit, Erblichkeit oder beschränkte und ungi'wisse Dauer des Besitzes, vor allem die dauernden oder veränderlichen liasten, Zinsen und Dienste. Die persönlichen Rechtsverhältnisse sind, wie die Person in die deutschen Volkslande. 311 selbst, das um meisten veränderliche Element. Sie sind auch in den Auffassungen und Benennungen um so unsiclierer und wandel- barer, je nälier ihre Zeit noch an die stürmischen Bewegungen der Unterwerfung und Christianisirung heranrei(^ht. Jakob Grimm erläutert in den Deutschen Rechtsalterthümern (S. 301 fl'.) sprachlich und geschichtlich eine Reihe von Knechts- und Hörigkeit^sbezeichnungen des frühen Mittelalters: servus, mancipium, mann, schalk, thins, thräll, andbahls, asni, sveinn, dvengr, heie, litus, alding, parsclialk, hofhürig, mündling, arm, eigen, sonderlente, biergelden, hengstfuotri, meier, bauer, landsidel, mansionarii, scara- manni, gesinde, kurmedige, kothsassen, dagewerchten u. a. Aber er endet mit der ausdrückliclien Warnung, dass die Bezeichnungen in den Dienstverhältnissen mit denen in der Familie zusammengefallen, der Mann Diener, die Jungfrau Magd, das Kind Knecht u. ähnl. genannt worden seien, und dass auch andere Benennungen, welche die Hauswirthsehaft betreffen, der Unfreie mit dem Freien gemein gehabt, der Freie in Haus und Hof gleiche knechtische Namen erhalten habe, sowie dass Freilassung zwar frei aber nicht vollfrei. machte, und liten, aldionen, barsehalken wie biergelden unter den Hörigen aufgeführt und doch Freie genannt worden seien. Auch nachdem hinreichend feste Begriffsbestimmungen zu all- gemeinerer Geltung gelangt waren, bUeb indess die Rechtslage des Einzelnen überall durch die thatsächlichen Umstände leicht wandel- bar. Das persönliche Recht des Anbauers hing in der Regel nicht von dem Hofe oder Grundstücke ab, welches er von dem Herrn überkam. Hof und Wirth hatten getrennte Rechtsspliären. Aber ein gewisser gegenseitiger Einfiuss war unvermeidlich. So wie sich ein Freier zu eigen geben konnte, um seinen und der Seinigen Unterhalt durch die Beleihung mit einer Besitzung auf grundherr- lichem Boden zu sichern, konnte er sich auch, freiwillig oder kaum bewusst, anderen Rechtsveränderungen unterwerfen, welche den An- schauungen und Forderungen des Herrn oder einer bereits entstan- denen Gewohnheit der Dorfgenossenschaft entsprachen. Manche solcher Unterscheidungen konnten auch nur in seltenen Fällen, oder erst für die nächste Generation in Frage kommen, wenn aber ihre praktischen Folgen fühlbar wurden, hing es wieder von dem Eifer und der Widerstandskraft des ßenachtheiligten ab, seine Berechtigung gegenüber dem Gutsherrn und den Dorfgenossen zur Geltung zu bringen. Auf sehr viel festerem Boden standen die wirthschaftlichen Rechte und Verhältnisse, welche sieli mit dem Bestände und den 312 I^. 2. Das Eindringcu der Gruiullierrlichkeit Lasten der Höfe uiicl dem AN'irthschaftsbetriebe selbst verknü])ften. Sie berührten vorzugsweise das finanzielle Interesse des Grundherrn. Zum Zweck dauernd gesicherter Erträge hatte er sein I^and aus- gethan, und musste Fürsorge treffen, jährlich regelmässige, den Ab- machungen bei der Landverleihung entsprechende Einnahmen aus seinen Besitzungen zu beziehen. Diese Abkommen aber waren nach den Verhältnissen der alten Zeit keine schriftlichen. Es war über- haupt in den verschiedenen Dorfgemeinden weder an schriftliche Auf- zeichnungen , noch an schriftliche Registerführung oder Rechnungs- legung zu denken. Den Grundherren jedoch gehörten sehr ausgedehnte, oft weit entfernte Ländereien, auf denen sie nicht wohnten, und deren Verhältnisse sie nicht im Einzelnen l)curtheilen konnten. Dabei vermochten sie sich auch auf ihre Beamten nicht immer hinreichend zu verlassen. Ueberdies waren auf vielen Dorffluren mehrere Grund- herren mit entgegenstehenden Interessen betheiligt. Daher war ein genügendes Hülfsmittel, den gleichmässigen Bestand der grundherr- lichen Anrechte zu schützen, und Verkürzungen und Beeinträchtigungen seitens der Verpflichteten, wie der Beamten oder Fremder, zu ver- hüten, unbedingt erforderlich. In diesem Sinne kamen, wie Lamprecht (Deutsches Wirth- schaftslebeu II, S. 639) ausführlich dargestellt hat, schon sehr früh die Dorf Weisungen in Uebung. Jährlich, in der Regel im Herbst, oder auch mehrmals, wurde die Gemeinde zusammenberufen und musste in feierlicher, an die Gerichtssitzungen erinnernder Form durch ihre Vorsteher und A ehesten unter Zustimmung aller Bethei- ligten die Fragen über ihre Pflichten und Rechte gegen den Grund- hen-n oder die verschiedenen Grundherren, und über die wirthschaft- lichen Berechtigungen innerhalb der Gemeinde, die Almendenutzungen, die Wahl und Befugnisse der Gemeindebeamten, FlurpoHzei u. a. m. beantworten. Diese Weisungen waren als mündliche Befragungen und Anerkennt- nisse schon in der Karolingerzeit weit verbreitet und nnentbehrlicb. Lamprecht weist darüber auf eine Urkunde Karls des Grossen von 775 für die Abtei Prüm (Mittelrhein. Urkundenbuch I, No. 29) hin, in welcher den Klosterbauern befohlen wird, dass sie der Abtei so dienen sollen, wie sie vor der Schenkung dem ki'iniglichen Fi.^kus gedient haben, tam in responsis dando quamque et rcliquam legem ac consuetudinem, sicut ceteri fiscahni habere videntur. Diese Pflicht, die Wahrheit über ihre Rechte und Pflichten auf geordnete Befragung auszusagen, wurde aus dem Treueid der Hintersassen hergeleitet, in die tlentsohen Volkslanile. 313 und war wolil einer der wesentlichen praktischen Zwecke desselben, Sie wurde no(di in späten Formeln des Treueides betont, lieber den Eid der Bauern zu Briedel (Lamprecht Bd. 3, S. 31) wird 1263 ge- sagt: tenentur sub fidelitate prestita conservare et dicere jura ecclesiae sancti Trudonis, cum a nobis vel nostris nuntiis sive a curtilano super hoc fuerint requisiti. In diesen Weisungen erhielten sich also, unter dem Eide der Verpflichteten selbst, die Anforderungen und Einnahmen des Grund- herrn, so wie sie bei der Ansetzung der Hintersassen festgestellt worden waren. Dem Grundherrn wie seinen Beamten konnte es nicht leicht werden, ohne besondere Gründe an diesem beschworenen Recht etwas zu ändern. Die Vertheilung der Zinsen und Lasten unter die Flur- genossen war einfach und sicher, weil die auch auf den grundherr- lichen Gemarkungen gewohnheitsmässig durchgeführte Hufenver- fassung die Lasten den Hufen auferlegt hatte, und es allen Flurgenossen hinreichend bekannt war, welche Hufen oder Hufen- bruchtheile der einzelne Wirth in seiner Hand vereinigte. Dabei lag in dieser Hufenvertheilung zugleich ein weiteres Hinderniss willkür- licher Veränderungen. Denn gleich ob der Grundherr oder seine Vorfalu-en Abzweigungen oder Zusammenkaufe genehmigt hatten, oder nicht, das festgestellte System der Hufenzinsungen war nur aufrecht zu erhalten, wenn es nicht durch willkürliche und schwer aus- zugleichende EingiifFe in Verwirrung gebracht wurde. Im nächsten Zusammenhange mit diesen Weisungen entstanden die sogenannten Urbare oder Rodel, rotulae. Es waren dies Güter- verzeichnisse und Beschreibungen mit Angabe der Berechtigungen und Einkünfte, welche vom Fiskus und den Kirchen und Klöstern, aber auch von weltlichen Grundherren für ihre Verwaltungs- und Aufsiehtszwecke aufgestellt wurden. Ein Beispiel ihres Inhaltes und den Beweis ihres frühen Vorkommens giebt das o. Bd. I, S. 605 näher beschriebene Breviarium rerum fiscalium aus der Zeit von 812. Den gleichen Charakter hat das Polypticon des Abtes Irminon zu St. Germain-des-Pres ^) aus derselben Zeit. Die Abfassung eines solchen Urbars erzählen die Gesta ep. Cameracensium I, 55 etwa aus dem Jahr 860: cum ecclesia Laubiensis male labefactatur, episcopus tarnen ilivino eonsilio usus poleticum, qaod adhuc in eadcm ecclesia reser- vatur, scripsit. Die Urbare wurden wie Lamprecht (H, 662) zu diesem Citate ausführt, als öffentliche Urkunden mit Beweiskraft für •) Hrgb. von M. B. Guerard, Paris 1844. 314 IX- 2. Das Eindringen der Grundherrliclikeit die Revindikation verlorener Güter oder Einkünfte, und als Zubehör der Grundbesitzungen angesehen, auch geheim gehalten und in Kirchen oder an anderen sicheren Orten bewahrt. Es lässt sich nicht bezweifeln, dass die Hauptgrundlage für die Aufstellung der I^r])are aus den Weisungen gewonnen wurde. Andere Quellen waren dafür nicht vorhanden. Die Urbare wurden auch noch in späteren Jahrhunderten mit derselben Hülfe weitergeführt, wie Laraprecht an einem Maximiner Fragment von 1345 zeigt: Facta est innovatio nominum debentium census in Detzme, qui dicuntur huf- zinse mediante scabinis et communitate ibidem. Bei Veräusserungen oder neuen Erwerbungen des Grundherrn mussten wenigstens theil- weise Erneuerungen oder Richtigstellungen der Urbare nöthig werden. Lamprecht führt mehrere Beispiele an, welche solche Erneuerungen lediglich als Abschriften um Jahrhunderte älterer Urbare bekunden. Das werth volle Prümer Urbar des Abtes Caesarius von 1222 scheint sogar grösstentheils aus einem Urbar des Klosterbesitzes von 893 entnommen zu sein. Jedenfalls wurde die Herstellung der Urbare in der Voraussetzung vorgenommen, dass auf lange Zeit hinaus eine Veränderung des grundherrlichen Besitzstandes nicht zu erwarten sei. Nach Zweck und Inhalt sollten sie namentlich die Einzelheiten der Zinsen und Lasten innerhalb der grundherrlichen Dorfgemeinden für deren richtigen Eingang die Dorfvorsteher und Gerichtsleute zu haften hatten, feststellen und sichern. Die Urbare bilden also zu- gleich ein bestimmtes Zeugniss für die grosse Beständigkeit der Art und Höhe dieser Leistungen. Erst seit dem 13. Jahrhundert finden sich auch in mehr und mehr wachsender Zahl protokollarische Aufzeichnungen über die Weisungen in den einzelnen grundherrlichen Gemeinden und Hof- gerichtsbezirken. Diese sogenannten Weisthümer geben ein deutliches Bild der Formen, unter welchen diese Verhandlungen abgehalten wurden, ebenso der gestellten Fragen und der von den, meist aus- drücklich Schöffen genannten Fürsprechern ertheilten, von den Ge- meinden gebilligten Antworten. Aber in Betreff des Inhaltes dieser Fragen ist doch nicht wahr- scheinlich, dass dieselben völlig den Charakter der älteren Zeit ge- wahrt haben. Es fehlen fast ohne Ausnahme diejenigen Angaben darin, welche die Urbare und Zinsregister enthalten. Nicht selten werden in den Weisthümern Verhältnisse erwähnt und klargestellt, welche die persönlichen Rechte der Insassen oder einzelner Klassen derselben betreffen oder doch berühren. Es finden sich auch An- in die deutschen Volkslande. 315 gaben über Dienstleistungen und hier und da über Zinsungen. Aber es ist deutlich, dass der Zweck nicht dahin geht, die ständigen Ein- nalimen des Grundherrn von den einzehien Hlifen und Arten der Besitzungen festzustellen, sondern dass es sich im wesentlichen um Anerkennung der Stellung des Grundherrn und seiner Gerichts! )arkeit, um gewisse polizeiliche Befugnisse und Pflichten seiner Beamten wie der Gemeinde, um die Nutzungen auf dem nicht vertheilten xAImende- lande, sowie auf gutsherrlichen Ländereien, Anger, Wald, Wiese imd Wasser, um gemeinschaftliche Nutzungen auch mit Nach])argemeinden, um Bachräumungen, Wege- und Mühlenliauten, überhaupt um die aussergewöhnlichen Leistungen und Vorgänge und um besondere, an- scheinend zweifelhafte oder streitig gewordene Verhältnisse handelt. Alles dies erklärt sich durch die in Uebung gekommene Sehriftliehkeit. Die gewöhnlichen Leistungen waren in den Urbarien und Gerichts- büchern genügend verzeichnet, ihre Protokollirung würde überflüssig gewesen sein, und die Beamten strebten dahin, nur das wirklich Nöthige und Entscheidende schriftlich abzufassen. Seit dem 13. Jahrhundert sind neljen den Weisthümern, Urbaren und Zinsregistern auch Urkunden zahlreicher bekannt, welche die Rechtsverhältnisse einzelner l)äuerlicher Besitzungen und Besitzer- gruppen in bestimmterer Abgrenzung und Deutlichkeit erkennen lassen. Anton ^), Eichhorn") und neuerdings G. L. v. Maurer^) haben aus allen diesen Quellen allgemeinere systematische Zusanunenfassun- gen gegeben. Eichhorn hat in der Einleitung zum Deutschen Privat- recht (§§ 69—72, 159—165 und 243—262) auch die wichtigsten Schriften der umfangreichen agrarrechtlichen Litteratur des 17. und 18. Jahrhunderts nachgewiesen. Spezieller nach der Oertlichkeit der einzelnen Landschaften sind die verschiedenen Rechtsverhältnisse der Hörigen für das Rheinland durch Sommer'*) und in neuester Zeit Lamprecht ^), für Sachsen durch Gesenius*') und Stüve'^) dargestellt ') C. G. Anton, Geschichte der teutschen Landwirthschaft, Görlitz 1802. .3 Bd, ") C. Fr. Eichhorn, Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, zuerst Göttingen 1808, und Einleitung in das Deutsche Privatrecht, ebd. 1823. ^) G. L. V. Maurer, Geschichte der Frohnhöfe, der Bauernhöfe und der Ilof- verfassung in Deutschland, 4 Bd., Erlangen 1863. ') J. F. J. Sommer, Handbuch über die älteren und neueren bäuerlichen Rechts- verhältnisse in den ehemals grossh. bergischen, in westfälischen u. franz., hanseat., preuss. Provinzen, in Rheinland und Westfalen. Hamm 1830. ") C.Lamprecht, Deutsches Wirthschaftsleben im Mittelalter, 3 Bd., Leipzig 1886. ®) Gesenius, Meierrecht, Braunschweig 1808, 2 Bd. ') C. Stüve, Wesen und Verfassung der Landgemeinden, Jena 1851, 316 IX. 2. Das Eindringen der (Jrundherrlichkeit worden. Ucl)er Westfalen besteht eine besonders reiche Litteratur, namentlich von Kindlinger^), Sommer^) und Wigand^). Es lassen sich danach gewisse bestimmter charakterisirte guts- herrlich-bäuerliche Verhältnisse unterscheiden, und Landschaften an- geben, in denen sie vorherrschen. So sind die Meierverhältnisse, Sowohl freier wie eigenbehöriger Personen besonders den braun- schweigisch-lüneburgischen Landen und den Bisthümern Osnabrück und Paderborn eigenthümlich, das Kolonatsverhältniss besteht haupt- sächlich im Herzogthum Westfalen, das Tjeibeigenthumsverhältniss in Minden-Ravensl)urg und Münster, Hof hörigkeitsverhältnisse , welche im allgemeinen überall in grösster Ausdehnung verbreitet sind, finden sich in besonderen Formen als Hobs-, Behändigungs- und Latengüter in Cleve, Mark, Essen, Westfalen, Lippe und Verden. Diese und verwandte charakteristische Erscheinungen sind in ganz ausführlichen Darlegungen nach ihren speziellen Rechtseigenthümlichkeiten behandelt. Auf diese Darstellungen muss hier, soweit nicht später darauf zurückzukommen sein wird, Bezug genommen werden, weil ihr ge- nügendes Verständniss nur aus der vollen Ausführlichkeit ihrer An- gaben und Unterscheidungen gewonnen werden kann. Ein wirklich zutreffendes Bild der Entwickelung dieser Rechte im Laufe des Mittelalters würde gleichwohl eine weitere und genaue rück- läufige Bearbeitung einzelner an Urkunden reicher Ortschaften und Landgebiete erfordern, weil die grosse Fülle der vorgeführten, scharf festgestellten Rechtssätze und Definitionen in der Hauptsache erst aus den schon mannigfach durch römisches Recht und durch den nivellirenden Gedanken der Ortsobservanz beeinflussten Entsebeidungen von Oberhöfen und landesherrlichen Behörden des 16. Jahrhunderts entnommen ist. Diese wurden für die Feststellung der gutsherrlich- bäuerlichen Verhältnisse bis in das 19. Jahrhundert von grosser Be- deutung, gingen vielfach auch in die Land- und Provinzialrecbte über und kamen erst durch die moderne Landeskulturgesetzgebung zur völligen Aufhebung. Für die ältere Zeit, namentlich für die Zustände vor der vollen Herrschaft des rittermässigen Adels, bleibt indess sehr *) N. Kindlingcr, Geschichte der deutschen Hörigkeit, Berlin 1819. *) J. F. J. Sommer, Darstellung der Rechtsverhältnisse der Bauerngüter im Ilzgth. Westfalen nach älteren und neueren Gesetzen und Rechten, Hamm 1823. ^) P. Wigand, Provinzialrechte der Fürstenthümer Paderborn und Corvey, Leipzig 1852, 3 Bd., und die Provinzialrechte des Fürstenthums Minden, der Graf- schaften Ravensburg und Rietberg, der Herrschaft Rheda und des Amtes Rechenberg iu Westfalen nebst ihrer rechtsgeschichtlichcn Begründung, Leipzig 1834. in die deutschen Volkslande. 317 unsicher, wie weit ihre einzehien Züge verallgemeinert, und der gleichmässige Bestand der ]iersönlich(>n Rechte in verschiedenen Oert- lichkeiten und grundherrliehen Territorien iingenonnnen werden darf, wo gleiche oder nahe verwandte Bezeichnungen auftreten. Als nur ausnahmsweise sehwankend und veränderlich ist der wesentlichste Theil der wirthschaftlichen Lasten und der damit ver- knüpfte Zustand des bäuerlichen Betriebes anzusehen. Weisungen, Urbare und Zinsregister haben namentlich die Erhaltung der festen Natural- und Geldzinsen zum Zweck und zur Folge gehabt. Die An- stände, welche sich für die Beurtheilung aus den Maassen und aus der fortschreitenden Rlünzverschlechterung ergeben, lassen sich überwinden. Es ist zwar richtig, dass die INIünzmark, welche in der Karolingerzeit auf 24 heutige Reichsmark Silberwerth anzusetzen ist, bis zu den Reallasten- ablösungen der Gegenwart in der Regel auf I66V3 Reichspfennige lierabgegangen war (Cod. dipl. Siles. IV, Einl. S. 40). Dieser Wechsel lässt sich indess an der Hand der Münzgeschichte verfolgen, ebenso wie der der landschaftlich sehr verschieden festgestellten Hohl- und Gewichtsraaasse an den seit Tobias Meier häufig veröffentlichten Maass- und Gewichtsordnungen, welche für die Landesbehörden schon im 18. Jahrhundert nothwendig geworden sind, und in der Neuzeit immer mehr an Genauigkeit gewonnen haben (Ebd.). In den Anlagen 7, 10 und 20 (Bd. HI, S. 13, 23 und 73) konnten die Zin- sungen der Hufen zu Einem bis ins 14., die zu Apelern bis min- destens ins 10. Jahrhundert und die der Freien vor dem Walde liis in die Zeit Ludwigs I. oder Karls d. Gr. als, ausser durch diesen Einfluss von Münze und Maass, unverändert nachgewiesen werden. Dieser NachAveis lässt sich namentlich im Kolonisationslande, wo viele Gründungsurkunden vorhanden sind, die den bei der Anlage festgesetzten Hufenzins angeben, sehr häufig führen. Grosse Schwierigkeiten bietet gleichwohl die Leistung der Frohn- dienste. Es ist nach den Ausführungen o. Bd. II, S. 289 sicher, dass sie schon zur Zeit der Volksgesetze in sehr grosser Verbreitung bestanden haben, und von dem vielleicht wesentlichsten Theile der Hörigen 3 Tage in der \\'oche, von den p]igenl)chörigen ungemessene Dienstleistungen in Anspruch genommen wurden. 80 lange die neuen Ansetzungen, die ersten Einrichtungen und die Waldrodungen dauerten, und so lange die CJrundherren noch einen grösseren Theil ihrer Besitzungen durch Meier für eigene Rechnung zu bewirthschaften suchten, lässt sich auch die ausgedehnte Verwendung dieser Dienste denken. Nachdem aber im späteren Mittelalter, wie noch zu zeigen sein wird, die 318 IX. 2. Das Eindringen der Grundherrlichkeit Neurodungen aufhörten, und die Meier in Zinsbauern übergingen, ist auch eine betriiehtliehe Verminderung der Dienste, entweder durch Nichtgebrauch und Vergessenheit, oder durch Umwandking in Zinsungen, anzunehmen. Bei dem Wiederaufleben des eigenen Wirth- schaftsbetriebes der Gutsherren im Beginn der Neuzeit wurden dagegen die Frohndienste von neuem Bedürfniss, und die Grund- herren griffen einerseits auf das alte, zum Theil urkundlich ver- briefte oder in geringem Maasse ausgeübte Recht zurück, andrerseits erlangten sie die Dienste durch Erlass andrer Lasten, welche dem Bauer je nach Umständen drückender erscheinen konnten, als die Verwendung seiner häufig überschüssigen Zeit und Arl)eitskraft. Die daraus entstandenen, wie es scheint, unvermeidlichen Wandelungen in einer gewissen Allgemeinheit näher festzustellen, ist kaum Aus- sicht vorhanden. Die Reallastenablösungsakten unserer Zeit weisen zwar die Belastung der einzelnen bäuerlichen Besitzungen, ihre Zinsen und ihre Dienste im einzelnen mit voller Bestimmtheit nach, gelien aber für die Entstehung oder für etwa eingetretene Veränderungen keine Erklärung. Wo also nicht Verträge mit den Bauern aufgefunden werden, kann ein Aufschluss, wie bei den persönlichen Rechtszuständen, nur durch eine rückläufige Vergleicbung der Zinsregister oder Rentei- rechnungen, soweit sie von Jahr zu Jahr oder periodisch vorhanden sind, erlangt werden. Bei der sehr bedeutenden Zahl solcher Register und Rechnungen, welche sich bis in die letzten Jahrhunderte des Mittelalters für die landesherrlichen Aemter und für viele Kloster- undStiftungs Verwaltungen auf unseren Archiven vorfinden, ist eine solche Vergleicbung keineswegs unthunlich und kann in vielen Beziehungen lehrreich werden. Aber sie lässt sich ihrer Natur nach nur für wenige Ortschaften durch fühi-e n , und der Bearbeiter hat nicht die Möglichkeit, diese Ortschaften nach irgend einem Gesichtspunkte systematisch aufzusuchen oder zu bestimmen, sondern er kann in dem ihm zugänglichen Archive nur versuchsweise vorgehen und muss sich auf diejenigen Oertlichkeiten beschränken, für welche sich hin- reichend zusammenhängendes jNIaterial ermitteln lässt. Damit ist also auch für die wirthschaftliche Seite der guts- herrlich-bäuerlichen Verhältnisse, wie für die der persönlichen Rechte, die genauere Feststellung der geschichtlichen Vorgänge auf die Lokal- forschung angewiesen. Ohne den Zusammenhang der Ortsgeschichte können einzelne, auch scheinbar sehr deutliche urkundliche Angaben leider nur wenig nutzbar werden und leicht zu wesentlich irrigen Auffassungen führen. Das für einen einzelnen Ort oder einen kleinen in die deutschen Volkßlande. 319 Kreis von Oertlichkeiten zusammengetragene Material dagegen erklärt sich nicht allein gegenseitig, sondern findet auch an der nur in be- stiinn]t<>r Weise veriindcrlichcn Lage der Wohnstätten und Besitzungen feste (trundlagen und das unersetzliche Hülfsmittel der Gegenprobe an den Thatsachen, wie dies die Anlagen in Bd. III genügend er- weisen. — Unter diesem Gesichtspunkte wird die schliesslich zu stellende Frage um so w'ichtiger, welche Bedeutung die Entwickelung der Grundherrlichkeit für die cäussere, zur Zeit noch erkenn])nre Gestalt der Ortschaften und für die Vertheilung des Grundbesitzes in den letzteren gehabt habe. In dieser Beziehung erweist sich ein doppelter Einfiuss, den die Grundherrlichkeit, und zwar vorzugsweise im alten Volkslande, geübt hat. Einerseits wirkte sie für den Besitz der Herren, wie der Bauern dahin, die Theilung und Veränderung des von ihr vorgefundenen Bestandes grosser wie kleiner Güter auszuschliessen oder doch zu erschweren. Andi-erseits führte sie dazu, dass neugerodete oder neu- kultivirte Ländereien im Gegensatz zu den alten volksthümlichen Dörfern und (iewanneintheilungen sehr früh schon nach neuen, wirthschaftlich vorthcilhafteren Gesichtspunkten planmässig angelegt wurden. Die Erhaltung des alten Bestandes der grundherrlich ge- wordenen grossen wie kleinen Besitzungen war eine Folge der Ver- änderung der persönlichen Rechte. Nach allen Volksrechten war der Grund])esitz des freien Mannes theilbar^, wenn auch ursprünglich vielleicht nur durch Erbgang und innerhalb der Familie. Zwar wurden die Töchter entweder gar nicht oder nur subsidiär als Erben des väterlichen Gutes zugelassen, aber die Söhne erbten und theilten zu gleichem Recht. Die lex Salica schliesst die Töchter von der terra Salica, nicht vom sonstigen Landeigen, aus, unter die Söhne wird auch die terra Salica getheilt. Ebenso wenig kennt der Sachsenspiegel ein Anerbenrecht, und auch bei den Nordschwaben werden nur die Töchter gänzlich vom Grunderbe ausgeschlossen. Die Gesetzgebung selbst gestattete und begünstigte aber auch, wie o. S. 301 nachgewiesen ist, die Verschen kungen und Vorkäufe an die ') Lex Salica tit. LXXII, lex Ribuarior. tit. LX, lex Alamannor. lib. I, tit. 88, lex Bajuvarior. tit. I, 1, XV, 2, lex Visigothorum lib. V, 4, lex SaxoDum tit. XV, lex Anglioram et Werinorum tit. XIII. Die lex Burgumlion. tit. 84 sagt sogar: quia cognovimus Burgundiones sortes suas nimia facultate distrahere. 320 IX. 2. Das Eindringen der Grundherrliclikeit Kirclie und iin Antlere, und die allgemein verbreitete Zersplitterung der Hufen in Bruchthcilc, sowie die seit der frühesten Zeit häufigen urkundlichen Veräusserungen einzelner Grundstücke^) bezeugen die stete thatsiichlichc Hebung dieser Rechte. Demgegenüber waren es Lehn und Hörigkeit, welche mit der Beseitigung des gemeinfreien Eigenthums auch die Theilbarkeit der Güter wesentlich beschränkten. Selbst erbliche Lehne Ijehielten noch lange den militärischen Charakter, wurden nur einem einzelnen waffenfähigen Lehnsnachfolger überlassen und galten schon früh als Familienanwartschaften. Die Belehnung zu gesammter Hand be- deutete nur die Feststellung dieser Anwartschaft, niemals Theilung. Alle Leih Verhältnisse aber und alle Besitzarten, die aus Hörigkeit, Hingabe zu Eigen oder Leibeigenschaft entsprangen, schlössen ihrer Natur nach Theilungen aus, oder bedurften für sie mindestens der Genehmigung des Obereigenthümers. Deshalb finden sich in Deutsch- land und in allen unter deutschem Einflüsse stehenden Ländern seit alter Zeit die nach Herkommen und Recht geschlossenen Güter sehr verbreitet. Diese Gechlossenheit wird auch dadurch nicht verändert, dass solche Güter zum Theil aus zahlreichen kleinen Parzellen bestanden, welche sogar ihre Lage im Gewanne durch Regulirungen ändern konnten, und dass der Ertrag dieser Güter theilweise aus der Nutzung gemeinschaftlicher Ländereien floss. Indess bestanden in den Rechten und Gebräuchen der deutschen Stämme in dieser Beziehung gewisse Gegensätze'"). Die Franken, von denen die Verbreitung der Gutsherrlichkeit wesentlich ausging, hal)en dieselbe gleichwohl am wenigsten Einfluss gegen die Theilbarkeit des Grundbesitzes gewinnen lassen. In ihren älteren Stammländern sind ungetheilte bäuerliche Güter sehr selten. Die bis auf die neueste Zeit geltende allgemeine Theilbarkeit erstreckte sich also keineswegs nur auf den freien, sondern auch auf den un- freien Besitz, und erweist, dass der unfreie Besitz ganz überwiegend erblich war. Sobald die Erben nicht mehr nach der häufig geübten fränkischen Sitte gemeinschaftlich wirthschaften wollten, zerstückten sie das Erbe. Gleichwohl erhielten sich die Hufen, wenn sie auch verschiedenen Besitzern in vielen einzelnen Parzellen gehörten. Die Einforderung der alten Hufenzinsen und Leistungen setzte sich fort, der Herr hielt sich an den Besitzer des Haupttheils oder bewirkte die •) G. Waitz, Altdeutsche Hufe, S. 19, 24. ") A. V. Miaskowsky, Das Erbrecht und die Grundeigenthums -Vertheilung im Deutschen Reiche, Schriften des Vereins für Sozialpolitik, XX u. XXV, 1882 u. 84. in die deutschen Volkslande. 321 M'ahl eines Vertreters. Es galt, wie gesagt wurde, Einmännerei trotz aller Zerstückelunu-. In Thüringen führten sich dabei sehr allgemein die sogenannten \\'andeläcker ein. Der Hauptstock des (kitcH wurde ganz oder grösstentheils als geschlossen angesehen, einzelne Grund- stücke aber konnten ausgetauscht und l»is zu einem gewissen Umfange auch abverkauft werden. Dadurch l)ildete dies vielfach gemischte Volksgebiet einen Uebergang zu den Ländern des Sachsenrechtes. In diesen hat sowohl das Lehn als die Hörigkeit schwerer Eingang gefunden , als in den fränkischen. Adel und Geistlichkeit sowohl, wie die nicht wenigen Gemeinfreien, die sich hier erhielten, über- liessen indess seit dem 12. Jahrhundert in grosser Zahl ihre Höfe an Wirthschafter. Diese konnten aus Freien, aus Lassen oder aus eigenen Leuten genommen werden, deshalb musste das Verhältniss der Meier oder Kolonen schon nach der Person verschieden sein. Es nahm al)er im allgemeinen den Verlauf, dass aus dem Beauftragten ein Pächter, aus diesem ein Besitzer eigener Hofwehr und endlich nicht ohne Einttuss der landesherrlichen Gewalt ein Erbpächter oder Erbzinsbauer wurde ^). Im Braunschweig-Lüneburgischen wurden die Meier durch INIeierordnungen des 16. .Jahrhunderts sämmtlich zu Erb- zinsleuten umgeschaffen. In den Göttingen'schen und Grubenhagen- schen Ländern wusste der Adel das Pachtrecht aufrecht zu erhalten. Da er aber meist nicht in der Lage war, seinen Meiern die Hof wehr zu beschaffen oder zurückzuzahlen, so erhielten sie sich als erbliche Besitzer bis zur Ablösung^). In allen diesen Phasen konnte eine Theilung des Gutes nur ausnahmsweise eintreten und der Guts- lierr l)ehielt wesentliche, von den Meierordnungen anerkannte Rechte bezüglich der Genehmigung eines geeigneten Anerbens. Am wenigsten hat der altgermanische Erbgang und die Freiheit der Abverkäufe vom Gutsbestande bei den Friesen sich verändert''). Die wegen der Wassergefahren unberechenbare Verschuldung verhinderte jede Beschränkung. Die Friesen ha})en auch in ihre Landschaften ') C Gesenius, Das Meierrecht, 1803. — Amtra. 0. Heise, Die Freien im hannoverischen Amte Uten, Zeitschr. des histor. Vereins für Niedersachsen, Jahr. 1856, Hannover 1859. Die Freien auf der Stammwede in der Grafschaft Diepholz in den Mittheilungen über das Amt Leraförde. Ebd. Jahrg. 1851. — C. Stüve, Wesen und Verfassung der Landgemeinden und des ländlichen Grundbesitzes in Niedersachsen und Westfalen, 1851. *) Nur die Klosterkammer wäre berechtigt gewesen, ihre Meiergüter als Pachtungen einzuziehen, wurde indess 1867 ermächtigt, dieselben ebenfalls als erbliche Besitzer zur Ablösung zu bringen. ') Friedländer, Ostfriesisches Urkundenbuch, 1881. Meitzen, Siedelang etc. U. 31 322 IX- 2. Das Eindringen der Grunilhenlichktnt in die Volkslande. nur ausnahmsweise Hörigkeit der Bauern eindringen lassen. Ihr Grund und Boden war von jeher freies Eigenthum der Besitzer und frei theilbar. Gleichwohl hielt die Sitte hinreichend grosse Höfe zusammen, und dieselben gingen in der Regel nur an einen Erben über. Erst das Budjadinger Tjandrecht von 1664 besagt im § 51, dass bei Erb- theilungen der jüngste Sohn den Sitz um einen civilen Preis erhalten solle, worüber er sich mit seinen Geschwistern zu vergleichen oder das Landgericht anzurufen habe. Seit der Entwickelung des modernen Staates, welche die Wende des Mittelalters zur Neuzeit bezeichnet, traf das Bestreben des Land- adels, grössere Erträge aus seinen Gütern durch eigene Bewirth- schaftung zu erzielen, und zu diesem Zweck die Hintersassen thun- lichst zu Spann- und Handdiensten heranzuziehen, mit den Absichten der kameralistischen landesherrlichen Regierungen für Erhaltung leistungsfähiger bäuerlicher Wirthschaften in der möglichsten Be- fichränkung der Theilungen zusammen. Auf das Nähere der er- gangenen Vorschriften ist an anderem Orte zurückzukommen. Im allgemeinen traten dem Einspruchsrecht der Grundherren gesetzliche Theilungsverbote hinzu, welche auch gegen die Grundherren selbst in Betreff ihrer eigenen Bauern gelten sollten. Es wurde die Nieder- legung bäuerlicher Besitzungen und die Umwandlung der bisher mit einem Wirthe besetzten Bauerngüter in Gärtner- oder Häuslerstellen unter Einziehung der Aecker verboten. Mehrere Verordnungen ver- suchten bestimmte Zeitpunkte festzusetzen, deren Besitzstand eine Norm für die dauernde Abgrenzung des Vorwerks- und des Bauernlandes bilden sollte. Bezüglich der stattgefundenen Veräusserungen wurde für gewisse Fristen den Veräusserern ein Rückfordenuigsrecht gegen Rückgabe der Kaufbeträge zugesprochen. Ueberall aber waren die Theilungen bäuerlichen Landes unter Grundherren von deren obrig- keitlicher Erlaubniss abhängig. Wenn auch alle solche Anordnungen vielfach unbeachtet blieben, ist doch erklärlich, dass unter diesen Einflüssen zahlreichen Bauerngüter und ganze Ortschaften in dem Bestände des frühen Mittelalters bis auf die späte Zeit gekommen sind, in der die tieferen Eingrift'e der modernen Landeskulturgesetze stattfanden. In dieser Weise förderte also die Grundherrlichkeit thatsächlich die Erhaltung der ursprünglichen Dorfanlagen des alten Volkslandes. Welche Gesichtspunkte sie bei Neuanlagen in Betreff der Flur- verfassung verwirklichte, l>edarf besonderer l^ntersuclmng. IX. 3. Grundherrliche Siedehingen im alten Volkslande. 323 3. Grundherrliche Siedelungen im alten Volkslande. \\'eltliclie wie geistliche Grundherren, welche einzelne Bauern- güter in einem Dorfe des alten Volkslandes mit seiner festgefügten Flurverfassung durch Schenkung des Königs oder durch Eigengabe der Besitzer erlangten, blieben l>ei der Uebernahme dieser Güter durch den Betriel) und das Recht der anderen gemeinfreien Mitglieder der Dorfgenossenschaften durchaus an den bestehenden Zustand ge- liunden. Wenn es ihnen auch gelang durch Ansehen und gnissere Jlülfsmittel üljerwiegenden Eintluss auf die Verwaltung der gemein- samen Angelegenheiten, auf Flurzwang, Viehhütung und Almende- nutzung zu gewinnen, konnten dadurch weder Flureintheilung, noch Wirthschaftsweise erhebliche Veränderungen erleiden. War dagegen eine ganze Dorfschaft einem Grundherrn hörig geworden, so hätte das Recht inid die Macht dessell)cn zwar oflenbar hingereicht, nach Ermessen mit seinem Lande zu schalten und ganz neue Besitz- und AVirtschaftseinrichtungen zu treffen. Aber selbst in Straffällen erfahren ^vir von solchen Eingriffen gegen den Bestand der Dorf Verfassung Nichts. Die Spuren zum Theil überraschend plan- mässiger Regulirung der Gewanne finden wir zwar, wie o. Bd. I, S. 112 eingehend dargestellt worden ist, auf zahlreichen Flurkarten. Es sind dort auch verschiedene Fälle aufgeführt, in denen der Grund- herr die Veränderung seinerseits bewirkt hat. Aber es hat sich dal)ei gezeigt, dass diese Regulirungen stets nur den Zweck verfolgten, für mehr oder weniger Gewanne das richtige Maass der einzelnen Hufen- antheile wieder herzustellen. Dieser Nothwendigkeit unterwarfen sich auch die Bauernschaften im Sinne der Reebningsprozedur (Ebd. S. 79) trotz der unvermeidlichen Störungen des Wirthschaftsganges. Aber die früheren Zustände wurden dadurch nur befestigt. Offenbar traf bei den Grundherren die fast gewohnheitsrechtliche Anerkennung eines Anspruches, der den alten Dorfgenossen auf den Bestand ihrer herkömmlichen Verhältnisse zustand, mit der geringen Aussicht auf wirthschaftliche Vortheile zusammen, welche solche, ohne Opfer und Widerstand nicht durchzuführende rmgestaltungen bieten konnten. Die Verwerthung seines Besitzes hing für den Hen-n stets von der grösseren Ausbreitung des Anbaues al). Es kam darauf an, aus den unverthoilten Almenden, aus Marken oder aus Sondevforstcn neues Kulturland zu gewinnen. Auch für dieses Neuland blieb indess die einfachste und bei weitem am wenigsten Aufwand erfordernde Kultivirung die durch bereits im Orte vorhandene Insassen. Der Grund- 21* 324 IX, 3. Grundherrliche Öiedelungen im alten Volkslande. herr überliess es unmittelbar seinen Bauern gegen Zin.s, oder er setzte auf einer seiiicr Dorfstellen einen Villieus an, liess von ihm das Land durch die Dienste der Hörigen oder ihrer ansässig gemachten Hausleute roden und einrichten, und dann als herrschaftlich bewirthschaften, oder zu Pacht oder Zins vergeben. Auf diese Arten grundherrlichen Betriebes mit ihren besonderen Bedingungen und Folgen wird zurück- zukommen sein. Auch sie schlössen sich indess möglichst eng an die bestehenden Einrichtungen an Neue aus den eigenen Gesichtspunkten der Grundherren hervor- gehende Siedelungsanlagen entstanden daher nur in hinreichend grossen, von den bewohnten Orten weiter entfernten "Wäldern und Oeden. Der Verleihung solcher Waldungen von sehr bedeutender Ausdeh- nung, wie im Hunsrück und den Ardennen an Prüm, in der Buchonia an Fulda, im Solling an Corvey, im Harz an die Ludolfinger, ist schon mehrfach Erwähnung geschehen. Aber auch kleinere, von dem üblichen Umfang einer einzelnen Gemarkung hatten keinen Werth ohne Anbau, und ihre Schenkung erfolgte vorzugsweise für den Zweck der Besiedelung. Es lässt sich nun zeigen, dass diese grundherrliche Kolonisation auf Rodeland sich mehr und mehr zu planmässigen, nur von Sach- kundigen durchführbaren Anlagen entwickelte. Am nächsten lag allerdings, dass neue Anlagen von der üblichen volksthümlichen Gestalt der Dörfer mit Gewannfluren nicht alj- wichen. Solche Dörfer lassen sich von den alten volksmässig entstandenen nur unterscheiden, wenn wir über Zeit und Umstände ihrer Begründung urkundlich hinreichend belehrt sind. Ein Beispiel bietet Mühlpfad im Kreise St. Goar, Anlage 108. Mühlpfad ist, wie Lamprecht (a. a. 0. Bd. I, S. 363) festgestellt hat, in dem grossen Walde von St. Goar angelegt, welcher 820 an das Kloster Prüm geschenkt wurde. Damals gab es (nach dem IMittel- rhein. Urkl). I, 52) in dem gesammten Gebiete dieses Waldes nur eine villula, quae vocatur Biberesheim, in qua sunt mansa duo et manentes duodecim. Bieberheim liegt auf dem hohen Rheinufer gegenüber St. Goar und ist jetzt ein Dorf von 100 Wohnhäusern und 555 Einwohnern, dessen 1277 Morgen grosse Flur in ziemlich regel- mässige Gewanne cingetheilt ist. Von Bieberheim ist Mühlpfad IV2 Meile westlich, wahrscheinlich erst lange nach 820, auf dem Hochplateau des Hunsrück unter der Grundherrscbaft von Prüm begründet worden. Es bildet eine selbst- IX. 3. Giniulherrliche Sie y« Gruiullierrliclic >Sio(k'lungt'n iiu altcu Volkslande. darf, den alten Bestand von Ortschaften nicht erweisen, weil die an- gegebenen Namen wie Winterkasten nur einen Berg, Vlisbrunnen, Gamenesbach, Igelsbach, Steinaha nin- Gewässer bedeuten. Dagegen ist die Kaiserurkunde von 1012 zweifellos acht, und es sind deshalb die in ihr genannten Orte Beedenkirchen, Lautern und Landenau als bereits angelegt anzusehen. Da Michelstadt schon 741 und König (Quinticha) 820 genannt werden, wird diese Kolonisation wenigstens im 10. Jahrhundert schon weite Verbreitung gewonnen haben ^). Zu noch nicht näher festgestellter Zeit sind \\'aldhufen ebenso planmässig und in grosser Ausdehnung im Spessart angelegt worden. Vom Main bei Marktheidenfeld ziehen sich diese Anlagen auf der Höhe des Gebirges bis Aschaffenburg hin. Bischbrunn, Oberndorf, Steinniark, Esselbach, Kredenbach, Schollbrunn, Ober- und Unter -Altenbuch, Krausenbach, Wintersbach, Hobbach, Hausen, Heinbuchenthal, Neudorf, Hessenthal, Soden, Winzenhohl und Kös- bach liegen in solchen langgestreckten streifenförmig aufgetheilten Rotthufen. Dieselben sind hier fast ohne Ausnahme in sehr kleine Parzellen dismembrirt, indess lässt sich ihr Charakter überall, sowohl an den fortlaufenden Aussengrenzen, als daran erkennen, dass die meist der Zerstückelung entgangenen Pfarrhufen auf den Kataster- karten wie ein Aveisses schmales Band die gesammte Flur von einer Grenze zur anderen durchziehen. Eine ausgedehnte Gruppe ebenso planmässig durchgeführter Waldhufenkolonien findet sich endlich im höhern Norden Mittel- deutschlands, welche indess nicht vor dem 12. oder 13. Jahrhundert entstanden zu sein scheint. Es ist dies die zusammenhängende Reihe der Hagendörfer, welche in Bückeburg um die Bückeberge beginnt und sich südöstlich des Steinhuder Meeres bis in die Landschaft nörd- lich der Stadt Hannover und zur Fuse fortsetzt. Im Bückeburgischen besitzen die sogenannten 7 freien Hagen in der Umgebung von Stadthagen ein besonderes in dem Weisthum bei Grimm (Bd. III, S. 306) ausgesprochenes Recht. Zu ihnen gehören Wendhagen, Pollhagcn, Probsthagen und Oberlüdersfeld. Ausserdem bestehen in Schaumburg-Lippe noch Krebshagen, Vornhagen, Lauen- hagen, Wolfshagen und Kuckshagen. Auf der Ostseite des Bücke- berges in der hannöver'schen Grafschaft Schaumburg finden sieh Kreyenhagen, Rolfshagen, Cathrinhagen , Poggenhagen, Altenhagen, östlicher bei Lauenau Waltershagen und ein anderes Altenhagen, end- 'J G. Simon, Geschichte der Dynasten und Grafen zu Erbach, Frankfurt 1858. IX. 3. Grundherrliche Siedelungen im alten Volkslamle. 339 lieh am Steinhuder Meer l)ei der Stadt Sachsenhagen Auhagen, Nionhagen und ein drittes Altenhagen. Vom Steinhuder Meere aus folgen nach Osten ein zweites Poggenhagen, Osterwald, Otternhagen, r>angenhagen, Kircher, Isernhagen, Obernhagen und ein zweites Nienhagen an der Fuse. Eine Urkunde von 1241 (T.eibnitz, Scr. Eer. Brunsv. II, 184), welche in diesen Gegenden als indagines Lauenhagen, Lüdersfeld, Oldenhagen, Osterwald und ausserdem Heidorn, Wienbrücke, Nordseel und ein unbekanntes Schmalenhagen nennt, ist ein Beweis dafür, dass 1241 diese Kolonisation im wesentlichen bereits bestand. Als Beispiel für dieselbe darf Auhagen, Anlage 117, dienen, obwohl bei mehreren anderen dieser Dörfer die Hufenstreifen erheblich länger und entsprechend auch schmäler sind. — Die Uebersichtskarte in der Einleitung zu Bd. III lässt leicht erkennen, dass alle diese Waldhufengebiete auf dem älteren deutschen \'ulk??lande immerhin nur sehr unbedeutend gegenüber der Aus- dehnung erscheinen können, welche die gleichen Anlagen in den Ländern der deutschen Kolonisation des Ostens gewonnen haben. Darauf deuten schon o. Bd. I, S. 51 und 55 und Bd. III, Anlage 4. Doch erweist sich in diesem Umstände die Wichtigkeit der grund- herrlichen Waldleihen für die weitere Entwickelung des deutschen Kolonisationswesens. Im Hinbück auf ihre weite Verbreitung lässt sich sagen, dass das seit der Karolingerzeit in Uebung gekommene planmässige Verfahren der Waldrodung und die Erfahrungen bei der Begründung umfangreicher Bauerndörfer in sehr günstiger Weise die Lösung der schwierigen Aufgaben vorbereiteten, welche bei der Ko- lonisation des Ostens entstehen mussten. Die ausgedehnten Länderstrecken, welche die Slawen im östlichen Germanien in Besitz genommen hatten, waren von ihnen überall da besiedelt und in Anbau gebracht worden, wo sie den ihren Werk- zeugen und ihrer Wirthschaftsweise entsprechenden milden, leicht zu bearbeitenden Boden vorgefunden hatten. Die schweren und unebenen I)öden aber, namentlich Hügelland und Gebirge, waren dem Walde überlassen geblieben. Dieses auf mehr als ein Drittheil der Fläche zu schätzende unkultivirte ^^'aldland bildete grade den Theil der SUiwengebiete, auf dem unter deutschen wie slawischen Fürsten der deutschen Einwanderung kein andres Hinderniss, als dass es Wildniss war, entgegen stand, und zu dessen Besiedelung sie überall bereit- willig aufgenommen wurden. Aber die Ansiedler fanden sich in diesen Einöden gegenüber der schweren Arbeit der Rodung auf ihre ;-340 IX- 3. Grumlheriliclie Siedeluugeu im alten Volkslande. eigciicu Hülfsmittel angewiesen. Sie mussten in möglichst kurzer Zeit für 'Wühnräumc und Ernteerträge sorgen. Es kam also sehr viel darauf an, dass wenigstens Ixi der Ueberweisung des Besitzes von Seiten des Grundherrn keinerlei Weiterung, Zögerung und Streit ent- stand. Dazu war ein übliches Verfahren und die Ueberzeugung der Grundherren unentbehrlich, dass sie ohne geeignete Älassregeln und ohne die Opfer, die diese forderten, die Ansiedler verheren und ihr Land entwerthen würden. Von besonderer uud allgemeinerer Bedeutung aber erscheint es, dass sich bei der Durchführung der Waldbesiedelung im alten Volks- lande schon früh Rechtsverhältnisse entwickelten, welche den drohen- den Gefahren der zunehmenden Hörigkeit entgegenwirkten. Es ist 0. Bd. II, S. 285 genügend gezeigt worden, wie wenig die persönliche Freiheit ein Schutz derjenigen Rustikalen bleiben konnte, welche von einem Grundherrn Land nehmen mussten, oder als dessen Hintersassen geboren waren. Es lag nahe, dass aus der Freiheit dem Grundherrn gegenüber eher Nachtheile als Vortheile entstanden. Die ländliche Bevölkerung, ob frei oder unfrei, war mit dem An- wachsen ihrer Zahl immer mehr dem Herabsinken in drückende Ab- hängigkeit und willkürliche Behandlung ausgesetzt. Denn mehr und mehr musste die Hauptmasse nach Unterhalt auf geliehenem Lande streben. Gegen diese Ungunst der Lage, welche aus der Konkurrenz am Gutsland hervorging, erwuchs im Waldsicdehecht auf Grund ihrer praktischen Bedingungen ein wirksames Gegengewicht. Durch die Beleihung mit einer ^Yaldhufe konnte an sich ein Höriger nicht freier Mann werden, ebenso wenig konnte ein Freier dadurch freies Eigenthum erlangen und der Abhängigkeit von seinem Grundherrn entbunden sein. Es folgte daraus auch keineswegs ohne Weiteres das in dem Weisthum der sieben freien Hagen (Grimm III, S. 34, 35) gekürte Recht. Denn die Weisung desselben: »das ist das beste Recht: erstlich, dass kein Zinskorn vom Lande gegeben wird, zum anderen kein Maihaferschatt, Zehntfüllen oder Kälber, Mahlschwein«' oder Schafe, zum Dritten, dass Kinder und Eriken frei sein und mögen, binnen oder ausserhalb Landes, ohne den Freiln'ief sich ver- hcirathen, wohin sie Gott berufen hat;« kann nur als Ausnahme gelten. Diese Freiheiten werden zwar aus der alten Ansetzung der freien Hagen herrühren, obwohl nach Grimm die Aufzeichnung des Weisthums erst im vorigen Jahrhundert erfolgt ist. ^^'ahrscheinlich sind nach dem Sinne derselben in die freien Hagen nur freie Leute aufgenommen, auch, wie § 5 des Weisthums besagt, andre ohne der Bauern Zustimmung IX. 3. Grundherrliche Siedelungen im alten Volkslande. 341 nicht ziigt'lassen worden, so «lass darum die Hagen »freie« hiessen. Indess lag darin ein spezielles grundherrliches Privilegium. Wenn deren Hüfner auch kein Zinskorn gaben, spriclit sie das "NVeisthum docli weder von Geldzins noch Feldzehnt frei. Die Aussetzung von Waldhufen ohne alle grundherrliche Lasten würde keinen Sinn gehabt haben, und der Natur der Leilie gemäss musste es überall auf die Umstiuide ankommen, welche Leistungen zu übernehmen waren. Dagegen war, wie es scheint, stets üblich, für die Rodung und Einrichtung Freijahre zu bewilligen, ut de nemore fiat novale. Es wäre auch erklärlich, wenn von den Waldsiedlern keine oder nur beschränkte Hand- und Spanndienste gefordert worden wih-en, da sie auf ihrer Wirthschaft vollauf beschäftigt waren. Alles dies hing vom Vertrage ab. Für diese Verträge aber blieb die Eigenthümlichkeit der Wald- leihe bestimmend, dass sie thatsächlich mehr auf Gegenseitigkeit beruhte, als die gewöhnliche Leihe von Kulturland. Bei letzterer vergabte der Grundherr ein nutzbares Grundstück, welches Jedem willkommen war. Bei der Waldleihe gab er einen Werth hin, welcher erst durch die Mühe des Unternehmers entstehen sollte, und musste auch seinerseits wünschen, den Mann zu finden, der sich der Ver- pÜichtung dieser Kulturarbeit zu unterziehen bereit war. Daraus ergab sich, dass bei der Waldleihe das beste Recht zu gewähren üblich wurde, welches bei abhängigem Grundbesitz zwischen dem Obereigenthümer und dem Beliehenen erreichbar war, das des Erbzinsgutes. Darunter wurde jederzeit ein solches Gut verstanden, an dem dem Besitzer das nutzbare Eigenthum gegen eine die Aner- kennung des Obereigenthums ausdrückende Abgabe erblich verliehen wird. Der Erbzinsherr behält nur das Recht, dass bei Veräusserungen und Verpfändungen sein Konsens nachgesucht wird, und er den Vor- kauf geltend machen kann, auch dass jeder neue Erwerl)er den er- neuten Erbzinsvertrag unter Anerkennung des Rechtsverhältnisses und Zahlung eines Laudemiums einhole. Wenn der Erbzinsmann mit der Zahlung des Kanons über eine bestimmte längere Frist im Rückstand bleibt, oder sich der Zahlung böslich entzieht, das Gut schlecht ver- waltet, durch Verbrechen verwirkt oder verlässt, oder wenn dasselbe herrenlos wird, kann es der Erbzinsherr einziehen. Diese Rechte und Pflichten konnten auch für den Erbzinsmann nachtheiliger verabredet werden, haben aber bei der Waldleihe im Mangel anderer Festsetzungen die Vermuthung für sich. Ihre Bedeutung lag nun eben so wesentlich in der günstigen 342 IX- 3. Grumlherrliche Siedelungcn im alten Volkslande. Lage, in welche sich die auf Waldhiifen Angesiedelten im einzelnen Falle versetzt sahen, Avie in dem deshalb immer wachsenden Um- fange, in dem sich die Waldleihen seit der Karolingerzeit im Innern Deutschlands, und in den ausserhalb des Limes in Besitz genommenen Leandern verbreiteten und offenbar bewährten, lieber weite Gebirgs- strecken des Ostens Europas dehnten sich die deutschen Waldhufen in ganz gleicher Art der Anlage und unter der ausdrücklichen Be- zeichnung als mausus franconicus oder juris franconici aus. Damit beeinflusste ihr Kolonistenrecht in wesentlicher Weise die Umgestal- tung der grundherrlich-bäuerlichen Verhältnisse, welche sich aus später zu erörternden Gründen während weniger Jahrhunderte in der ge- sammten deutschen Landwirthschaft vollzog. Das nähere Verständniss der besonderen aus der Waldleihe folgen- den bäuerlichen Verhältnisse ist dadurch erschwert, dass die Wald- leihe keineswegs nur von Rustikalen oder Hörigen übernommen wurde, sondern dass namentlich geistliche Stifter, aber auch Ritter und Bürger solche Verträge mit Grundherren schlössen. Lamprecht führt dafür eine Anzahl Beispiele an'). Wenn indess Cistercienser und Praemonstratenser, wie dies bei ihrem ersten Auftreten häufiger ge- schah, im Sinne ihrer Ordensregeln Land zur Kultur gegen Zins übernahmen, oder ein Ritter oder Bürger Wald kultivn*en wollte, so geschah dies unter bestimmten Gesichtspunkten. Handelte es sich um geringe Parzellen, so konnte nur die Vergrösserung eines be- stehenden Gutsbetriebes in Frage stehen, ging dagegen die Absicht auf die Kultivirung eines grösseren A\'nldaroals, dann war diese ohne die Rodung und den Anbau durch eine benachbarte Rustikalgemeindo oder ohne Begründung einer neuen Kolonie nicht ausfiilu-har. In beiden Fällen war gegeben, dass der Uebcrnehmer der \\'nldleihe sich der Dingpflicht und überhaupt der Gerichtsbarkeit des CJrundherrn nicht zu unterwerfen beabsichtigte. Dies wurde, wie Lamprecht nachweist, in solchen wie in gewöhnlichen Landleiheverträgen zwischen Stiftern oder Rittern meist ausdrücklich ausgesprochen. Es ist auch erklärlich, dass im wesentlichen nur zwischen solchen bevorrechteten Waldleihenehmern und-Ciebcrn scbriftliclie, uns erhaltene Verträge abgeschlossen worden sind. Letztere bedurften, wie E. Th. V. Schwind im Einzelnen ausführt'), der gerichtlichen Auflassung ') Deutsches Wirthschaftslehen Bd. I, l."57. Vcrgl. Schvinlcr, Deutsche Roohts- geschichtc 1889, S. 436. '•*) Zur Entstehungsgeschichte der freien Erblcihen, Breslau 1891, in Gierke, Untcrsuchunpicn zur deutschen Staats- und Rcchtsgesehichte, Heft 35, S. 39. IX. 4. Die Besiedelung der Weser- und Eibmarschen. 343 nicht, und waren zwisclicn hörigen Bauern und ihrem Grundherrn Sache des Ilofdinges und der ^^'eisungen. Wii- besitzen zwar einzehic ausfiilirUche Bemerkungen über das Recht gewöhnlicher bäucrUcher Ijandleihen und Lehngüter ^), auf welche später zurückzukommen sein wird. Aber genauere Angaben über Land, das an grundherr- Uche Hintersassen zur Rodung und Kultur neu abgegeben wird, sind auf den \\'einbau beschränkt. Die Verhältnisse der Winzer sind indess des "\\'einbergsbetriebes wegen höchst eigenartig. Die Winzer wurden, nach Lamprecht (I, 903), mehr als Handwerker wie als Ackerwirthe aufgefasst. Sie werden in ihren Rechten ebenso wie in ihrer Wirth- schaftsweise an anderer Stelle zu betrachten sein. Deshalb ist es ein besonders glücklicher Umstand, dass uns auf dem der Waldbcsiedclung ganz nahe verwandten Gebiete der Marsch- besiedelung nicht allein ein alle Verhältnisse der Ansiedler erschöpfend feststellender W'rtrag erhalten geblieben ist, sondern dass dieser Ver- trag sich auch mit Bestimmtheit als das durch viele Jahrhunderte fortwirkende Vorbild der unzähligen Erbzinsverträge über zur Kultur übernommenes Rustikalland erweisen lässt, welche die flämischen und nach ihrem Beispiel die meisten anderen deutschen Kolonisten des gesammten Ostens Europas abschlössen. 4. Die Besiedelung der Weser- und Eibmarschen. Es ist schon bei der l^arstellung der Besiedelung Frieslands (o. Bd. n, S. 47) gezeigt worden, dass die Landeintheilung in Hufen den Friesen ursprünglich fremd war, und die ersten kaum hinreichend sicheren Spuren von Hufenverleihungen in den friesischen Land- gebieten nicht über Karl Martell hinaufgehen. Die Einführung der Hufen ist an der gesammten friesischen Küste erst der karolingischen Verwaltung zuzuschreiben. In welcher Form diese ersten Hufen dort l)egründet wurden, hat noch nicht ermittelt werden können. Sicher aber ist, dass in Holland, Seeland und Westfriesland die Kultivirung der ÄInrschen schon früh begonnen hat, und dass sich dieselbe in grösster Verbreitung in einer Form vorfindet, welche der der Waldhufen in Gedanken und Ausführung entspricht. Allerdings sind diese Marsch- und Moorhufen fast ohne Ausnahme in ganz grade fortlaufenden Streifen zugemessen. Dies wurde jedoch auch bei den Waldhufen er- strebt und in günstigem Terrain nicht selten erreicht. In der Äfarsch ') Lamprecht I, 924, 929. 344 IX- 4. Die Besiedeluug der Weser- und Elbinarschen. liindert nirgends eine Unebenheit, dem zweckniässigsten Plane zu folgen. Beide Ilufenanlagcn gehen von einer Hauptstrasse aus, an der die (iehöfte sich hinreihen und hier am Ende oder in der Mitte ihres zugehörigen Landes belegen sind, je nachdem dasselbe vom Hofe aus in den üblichen schmalen und langen Streifen nur bis zu einer, oder bis zu beiden Grenzen der Gemarkung fortläuft. Beide Ilufen- arten wurden auch stets Hufe unmittelbar neben Hufe auf unkulti- virtem Lande zu dessen Kultur begründet. Da nun die Waldhufen in dieser charakteristischen P^orm bereits im 8. Jahrhundert im Innern Deutschlands, und zwar im Süden wie im Norden, nach ganz verwandtem Plane angelegt wurden, ist kein Grund zu sehen, weshalb dieselbe Gestalt nicht auch in dieser Zeit bereits im Westen in Anwendung gekommen sein sollte. Dafür spricht auch der Umstand, dass der mansus regalis, welcher in Holland 889 erwähnt wird, wie Anlage 106 erweist, schon 777 bei Merseburg die- selben langen Streifen und Maasse zeigt, welche 1106 für die mansi regales offenbar deshalb bei der Kultur der Bremischen Marschen als massgebend angenommen wurden, weil sie den holländischen Zu- wanderern durch ihre heimathliche Wirthschaftsführung eingelebt unth. Silber, also noch nicht 20 Kcichspfcnnigc. IX. 4. Die Besiedcluug der "Weser- uml Eibmarschen. 347 zu vermeiden, lässt eine Urkunde des Erzbischofs Adalbert vom 3. September 1142^) über die Ausdehnung der Holländer -Kolonie auf die westlich der Weser belegenen benachbarten iMarschen bei Sandau, Rabilinghausen, Oehtum und Hasbergen deutlich erkennen. In derselben werden die unzweifelhaften Festsetzungen des Vertrages von llOG nur ganz kurz erwähnt, dagegen die Fragen des Grund- besitzrechtes und der persönlichen Freiheit ausführlich entschieden. ') Dieselbe lautet nach Lappenberg (Hamburger Urkundenbuch No. CLXV, S. 155): „Notum igitur sit . . ., qualiter et nos et domina ducissa Gertrud et filius saus H. pucr dux Saxonum una cum fidcli nostro Alberto marchione, ilhistri principe, paludcm australem, scilicet villis istis, Santon, Strabilinghehusen , Ochtmunde, Ilas- bergen, contcrminam, equa intcr nos porcionc divisimus et ab omni tam nobilium, (juam ministerialium, scu ruricolarum appellatione liberam factam habitatorlbus cxcolcndam dcdimus, melius et utilius cstimantes colonos inibi locari, et ex eorum nobis labore fructum provenire, quam incultam et pene inutilem. Erat autem nobis hec cum colonis Ulis conventio, ut quotquot ibi mansi habcantur, totidera nobis a possessoribus eorum (|uolibet anno denarii pcrsolvantur, quo predium non suum, sed ecclesiae et nostrum esse profitentur, et decimam frugum et porcellorum, et anserum ovium et caprarum atque apiuni examinum, secundum usum terrae nostrae dare non negligant, sed et polcdrum denario et vitulum dimidio redimant; concedimus etiam ut ad honorem Dci ecclesiam construant, constructacque predium, (juo saccrdos ibidem missas celebrando, Imptizando, mortuos scpeliando ministraturus se pascat, conferant et in sinodalibus quem eis prcvidcrimus rectorem habeant. In placitis vero sccularibus, cum, quem sibl jirefecimus audiant, et defunctis patribus, tam filiac, quam filii eorum allodia pari divisione suscipiant. Tribus etiam annuatim dicbus ad placita sui advoeati ex condicto veniant et bannum pro quolibet suo commisso tantum quatuor solidis redimant. Si quis ad nos liber intraverit, et se, sicut est, liberum professus fucrit, libcrtate sua, si velit, utatur. Sin autem, nisi prius relictis bonis, nequaijuam alius quam ecclesiae proprius fieri pcrmittatur. Si vero alius se servum fecerit, predio suo careat et ad usum archiepiscopi illud absque contra- dietione proveniat. Similiter (lui venerit et sc servum esse non negaverit, heres ejus in suseipiendo matrimonio illi succedere poterlt; qui si defuerit, dominus ejus ab suscipienda hereditate sua omnino exclusus sit, sed archicpiscopus illam accipit. Porro, <|ui, cum sit servus, sc liberum esse jactavcrit, et in lioc mendax probatus fucrit, ad dominum suum cum supcllectile propria, si repetitur revertatur; et terra, ) Ebd. I, No. 371, S. 328. *) Ebd I, No. 189, S. 176. IX. 4. Die Besiedelung der Weser- und Elbuiarschen. 353 und scheinen erst später von Buxtehude aus besiedelt worden zu sein. 1287 wird wenigstens ein Theil dos Alten Landes noch als Neubau l>ezL'ichnct. Indess l^estand schon 1200 eine Pfarrkirche zu Eschede- brügge^), und es wird 1107 den Benediktinerinnen zu Altkloster bei Buxtehude alles Land und die Wüste bei der Este bis zu den Holländern verliehen. Diese Schenkung muss den bis an die Grenze von Estebrügge sich erstreckenden Theil des Ilsmoors betreffen, während Oster- und Wester -Ladekop noch nicht angelegt war. Es ist auch unbestritten, dass die Ortschaften längs der Luhe und Este iUter sind, als die erst zwischen sie eingeschobenen Auftheilungen des -Mten Landes, von denen die Papensche Karte ein genügendes Bild giebt. Auf der linken Seite der Aue, in dem ebenfalls zu Stade gehörigen Kehdingen werden zwar in dem Corveyer Register und in einem Stader Kopialbuche mehrmals holländische Hufen genannt, aber das Alter der Nachrichten ist leider unbekannt, und Urkunden über holländische Ansiedelungen fehlen. Wohl aber bestehen bereits 1124 Bützlleth und Assel als Dörfer'-), auch Appenfleth und Nindorf sind um diese Zeit vorhanden, und es wird sogar in derselben Urkunde Hollorich genannt, dessen Benennung nach Holländern kaum zu be- zweifeln ist. 1132 kommt nördlich Bützfleth Grove, jetzt Grover Ort vor'). Da die Anlage aller dieser Ortschaften mit der durch Hollern imd andere als holländisch bekannten völüg übereinstimmt, und bei dieser Sachlage nur in Frage kommen kann, ob sie von Sachsen nach holländischem Muster .oder von Holländern selbst angelegt worden sind, so können Anhaltspunkte für das Eine oder Andre das Ergc'bniss nicht ändern, dass man das erste Erscheinen der Holländer im Stader Gebiete schon mindestens zwei Dezennien vor die oben- gedachte Urkunde von 1143 zu setzen haben wird. Das kann auch bei den nahen Beziehungen mit Bremen nicht auffallen. Ueberdies hatten die Holländer um diese Zeit nicht mehr allein in der Bremer Marseh eine neue Heimath gesucht, sondern ihre Auswanderung Ijereits in «las innere Deutschland bis zur Saale ausgedehnt. Für Hadeln werden vom Corveyer Register ebenfalls holländische Hufen erwähnt, eine bestimmt datirte Urkunde findet sich erst aus dem Jahre 1185, diese aber für das ungünstig und sehr weit rückwärts belegene, jedenfalls spät kultivirte Jlienworth am Emmelkerstrom (EUinge- '] Tratje, Bremen und Verden IV, S. 189 Ilamb. Urk.-B. I, No. 323, S. 283. ^; Hamb. Urk.-B. I, No 137, S. 127. ') Ebd. Xo. 1.55, S. 143. Mcitzcn, Sicdelung etc. IL 23 354 I^' 4. Die Besiedelung der Weser- und Elbuiarschon. worth bei der Amlake), wo dem Klo.stcr Osterholz eine Hollorhufe geschenkt wird'). Die erste Erwähnung der Marschbesiedelungen auf der rechten Seite der Elbe findet sich in einer Urkunde von 11 39"), in welcher Erzbischof Adall>ert an das Kloster Ncumünster den vollen Zucht- und Fruchtzehnt von Allem dem verleiht, was die neuen Anbauer oder die Klosterleute in dem Bruchlande an der Wüster zwischen dem Wasser Sladen und dem Flusse Waltburgau hervorbringen werden. Die Walpurgisau ist der an der Grenze von Ditmarschen sich hinziehende, von der Wilster nach dem Kudensee fliessende Wasserlauf. Das Wasser Sladen muss südöstlich gesucht werden. Jedenfalls ist es der Oertlichkeit angemessen, wenn der trockenere westliche Theil der Wilstermarsch zuerst angebaut worden wäre. 1148 wird dann von Adolf II. und allen Holsaten demselben Stifte der palus geschenkt, quae est juxta Wilster am et altera, quae est juxta Sturiam ^). 1221 aber kommt am Oberlauf der Wilster, wo sich Sachsenbanne findet, ein Altes Land vor, das zwischen den Sachsen und den Holländern lag*). In der östlich anstossenden Kremper Marsch werden zum ersten Mal um 1237 Ortschaften genannt mit den charakteristischen Namen: Grevenkop, Nienbroke, Redewisch und Bole^). Auch die Breiten- burger Marsch an der Stör aufwärts ist in einer Urkunde von 1148 noch als palus bezeichnet*^), und erst 1340 wird ausdrücklich das holländische Recht zu Cronenmoor und Lütteringe erwähnt''). Dass aber im wesentlichen in allen drei Marschen holländische Besiedelung bestand, bekundet der Erlass Christians I. von 1470, welcher aus- spricht, dass in der Wilster und Kremper Marsch holländisches Recht gilt, und dasselbe aufhebt, um deren Bewohner zu strafen^). Uebrigens kommen in der Wilsteraue auch die Namen Hollerwettern und Hollerbrock vor. Südlich von der Kreraper Marsch erstreckt sich von dem Rhin oder Schwarzwasser, das bei Glückstadt mündet, bis zu den Höhen bei Wedel und Schalau die Bielenbergcr und Haseldorfer Marsch, genainit ') Ilamb. Urk.-B. I, No. 269, S. 239. '') Ebd.I, No.159, S. 147, u.dieUrk.v. 1141 No. 163, S. 153 u. 1 149 No. 188, S. 176. ^) Westfalen, Mon. inedita II, p. 20. ") Fh. V. Eelking, Dissert. de Belgis 1770, S. 18. *) Hamb. Urk.-B. I, No. 508, S. 436. *) Ebd. I, No. 188, S. 176. ') Westfalen, Mon. ined. II, p. 142. *) Falck's Staatsbürgl. Magazin VII, 1827, S. 107. — Cronhelm, Corp. stat. prod. IIols. 1750, S. 69. IX. 4. Die Besiedelung der Weser und Eibmarschen. 355 Marsch der sieljen Kirchspiele. Die Krückau und Pinnau durchziehen sie. Da diese Gewässer gegen die Fhith offen münden, sind sie weit hxndeinwärts auf beiden Seiten durch Deichzüge eingeschlossen. Die Bielenberger Marsch steht der vom Meere einlaufenden Fluth direkt entgegen. Sie hat sich deshalb schon früh erhöht, ist aber auch starken Einrissen und Zerstörungen ausgesetzt gewesen, so dass verschiedene Ortschaften völlig untergegangen oder neu begründet worden sind, auch die Deiche auf grosse Strecken weit vom Stromufer zurück- verlegt werden nnissten. Die sieben Kirchspiele waren Esfleth (As- fleth), Langenbrok, Selfter, Haselau, Bishorst, Hascldorf und Ichhorst. Asfleth wird bereits 1100 erwähnt^); daneben liegt Bielenberg, dessen Name auf die ganze Marsch übertragen worden ist. Beide Ortschaften sind auf einer vorspringenden, ziemlich wasserfreien Ufererhebung gegründet. Sie Ix'durften nur geringen Schutz und können der Zeit vor der Eindeichung der IMarsch angehören. 1141 erhielt das Kloster Neumünster einen grossen Strich dieser INIarsch ^), 1142 wird Bishorst erwähnt^), 1144 die Schenkung an Neumünster wiederholt und 1146 genauer beschrieben^). Noch in demselben Jahre wurden alle Ansprüche auf den Zehnten von Bishorst, Katmersfleth und Wulbersen gegen Abtretung von 12 gut bebauten Holländcräckern und einem noch nicht in Angriff genommenen Holliinderhalbacker durch das Stift von Rammelsloh (2 ]\I. S. v. Harburg) erworben^). Das Stift musste also damals Ijereits durch Holländer oder in Holländerart an einer anderen Stelle kolonisirt haben, welche füglich nur in der Bielen- berger Marsch gesucht werden kann. 1187 wird ein Herr von Hasel- dorf am Hofe des Bremer Erzbischofs genannt^), und zu unbestimmter Zeit kommen 2 mansi Hollandrienses in Asvleto vor'). Es soll eine Ur- kunde Friedrichs von Bremen von 1120 vorhanden gewesen sein, welche die gesammte Haseldorfer oder Bishorster Marsch an Holländer verliehen hat*^). Darin liegt an sich nichts Unwahrscheinliches, weil die Ansiede- lungen dieser Marsch völlig dem holländischen Muster entsprechen. Die grosse Marschenfläche oberhalb der Höhen an der Alster- *) Hamb. Urk.-B. No. 123, S. 117. ") Ebd. I. No. 163, S. 153. ') Lappenberg, Lorich's Elbkartc, S. 103. ■*) Hamb. Urk.-B. I, No. 169, S. 159, und I, No. 179, S. 169. *) Westphalen Mon. inedit. II, p. 22, No. 12. •^ Hamb. Urk.-B. I, No. 275, S. 244. ") Haun, Vaterl. Archiv, 1829, IV, S. 2. *) Zu Petermann's Holsteinischer Chronik überliefert im Nachlass von Joh. Steinmann, bei Cronhelm, corp. Statut, provinc. Uolstiae. Altena 1750. 23* ;3ö6 1^- 4. Die Besiedelung der Weser- und Ell>inar.sclien. mündiing, auf denen Hamburg erbaut ist, bis hinauf nach Bleckede hat nacli ihrer EinschAvemmung von jeher mehr der EinAvirkung des .Stromes als des Meeres unterlegen. Die Elbe mit ihrem Ijesonderen Reichthum an Sinkstoffen wich seitwärts den Bänken aus, die sich in ihrem Strombett absetzten, oder brach bei Eisversetzungen und aufstauendem Hochwasser in die benachbarten Niederungen und höhlte so tiefe Risse aus, dass diese den Stromlauf aufnahmen. Die ge- sammte Hamburger und Artlenburger Marsch zeigt deshalb das Bild zahlreicher, theils trockengewordener, thcils noch bewässerter Serpen- tinen und wurde stets von neuem in viele verschieden gestaltete und wechselnd wieder verlandete Inseln zerrissen, denen erst die Ein- deichungen grössere Widerstandskraft verliehen haben. Von Bleckede aus ist der Strom, dessen Spuren sich auch auf der linken Seite der Marsch verfolgen lassen, bis Geesthacht seit Menschen- gedenken am rechten hohen Ufer hingeflossen. Von Geesthacht aus aber verzweigte er sich im 11. Jahrhundert in mehrere Arme, deren allmähliche Kupirung das Werk der fortschreitenden Kolonisation war. 1154 bei der Begründung des Bisthums Ratzeburg wurde dem- selben von dem Bisthum Verden aus dessen Sprengel das Gebiet rechts der Elbe abgetreten. Die Grenze wurde durch die Gose-Elbe zwischen Kirch wärder und Gamme gezogen, wo damals wahrscheinlich der Hauptstrom ging. 1158 wird Altengamme und Curslake bereits als urbar und eingedeicht bekundet^). Neucngamme (Anlage 118) da- gegen, das von Altengamme durch die Dove-Elbe geschieden ist, war 1158 noch öder Sumpf, erscheint indess 1212 bereits besiedelt und eingedeicht, was auch für den Rietbrook gelten darf-). Adolf V. Schauenburg zahlte 1197 schon 700 Mark für die Belehnung mit Gamme. Gleichzeitig scheint auch Kirchwärder angelegt worden zu sein. Die östliche Spitze dieses Deich Verbandes , der um die Burg Ripenburg belegene Krauel, konnte erst 1482 — 1494 beim Zubau der Gose-Elbe mit in den Deichscbluss gezogen werden. Dagegen wurde der Ochsenwärder bald nach dem Kirchwärder kultivirt. In dem unterhall) Curslake zwischen Bille und Dove-Elbe belegenen Billwärder werden 1162 schon die Ortschaften Moorflcth, Rethbrook, Altstove. Boitzenwärder , Hasfleth, Walingestorf und Allermcih genannt ■''), und 1164 bereits grosse Deichbrüche erwähnt. Der über das Gebiet der holsteinischen Burg Netelenburg von der Bille zur Dove-Elbe gezogene ') Hamb. Urk.-B. I, No. 215. ") Ebd. I, No. 387. ^) Ilamb. Urk.-B. I, No. 224, S. 208. IX. 4. Die Bcsioilclimg iler Weser- und Elbmarsclien. 357 Sclilcusengraben und die heutige Gestalt der bis über Billhorn zum Zusammenlluss der Bille und der vereinigten Dovc- und Gosc-Elbc reichenden Dammzüge gehören etwa dem Jahre 1530 an. Der Hammer- brook reclits der ]>ille wird loOO als eigene Deichko.mmune genannt, ist aber wahrscheinlicli schon viel früher eingedeicht worden; der (Jrasbrook aber erhielt, wie es scheint, erst 1258 beim Uebergang in das Eigenthura der Stadt Deiche. Im Gebiete von Wilhelmsburg lagen bereits vor der Mitte des 14. Jahrhunderts die kleinen sogenannten Felderkommunen Moorwärder, Tatenhorn und Stillhorn. Weiter west- lich aber, zwischen der Süder- und Norder-Elbe, bildeten der Gories- wärder, Altenwärder und Finkenwärder ursprünglich eine zusammen- hängende Fläche, von welcher 1158 mindestens ein grosser Theil l)esiedelt und eingedeicht war ^), 1220 kommt hier auch eine Kirche vor. Ihren Zusammenhang scheint zuerst um 1300 der Durchbruch des Stromarmes der D]-adenau zerstört zu haben, welcher Finken- wärder und Altenwärder abtrennte; dann aber zertrümmerten die grossen Sturmtluthen, welche 1380, 1392, 1412, 1420, 1421, 1426 und 1436 eintraten, den Rest des Gorieswärder völlig. Aus diesen Ein- rissen gingen die zahlreichen, später theils kihistlich vermehrten, theils wieder geschlossenen und verlandeten Zwischenkanäle zwischen Süder- und Norder- Elbe hervor, von denen Drögeelbe, Reiherstieg, Köhl- brand und KöhlÜeth die grössten sind. Zwischen ihnen haben sich zahlreiche kleine Polder eingeschoben, welche theilweise wieder durch Deiche verbunden worden sind. Es ist auch auf einzelnen Inseln, namentlich auf Tlieilen von Gorieswärder und Wilhelmsburg, Sitte gebliel)en, die Gehöfte auf Warfen zu erbauen und das Marsch- land uneingedeicht zu nutzen. Kaltehof, Peute, Veddel, Grevenhof, Ross, Rugenbergen sind solche Warfen, obwohl sie zum Theil ein- gedeicht wurden. Das jenseits des Altenwärders auf der hnken Seite der Süder-Elbe belegene ]\Ioorl)urg (früher Glindesmoor) scheint erst, nachdem es 1373 von Hamburg erworben worden war, zur Eindeichung und Kultivirung gekonunen zu sein. Die Besiedelung der Umgegend von Harburg muss mit der Anlage der Stadt begonnen hal)en und gehört noch dem 12. Jahrhundert an; der dortige Lewenwerder (Lauenl)ruch) ist erst von Herzog Otto dem Strengen 1296 angelegt^). ') W. C Iliibbe, Erläuterungen zur historisch -topographischen Ausliildung des Eibstroms und der Marschinscln bei Hamburg. Hamburg 1869. -) Lappenberg, Lorich's Elbkartc von l.")G8; 1847, S. 41 ^) Grupen, Origin.German.il. S. HC; v. Wersebe, S. 1035. 358 ^^- ^- ^^^^ Bcsiedelung der AVcser- und Elbinurschen. Uebcr den Anbau des Neulandes zwischen Harburg niid Winsen fehlen alle Nachrichten. Weiter stromauf lassen die unregelmässigen Anlagen von Drage- feld, Hörstenfeld und Brandfeld an der Hau nur die Vcrmuthung höheren Alters und allmählicher Entstehung auf dem unurbaren T.ande zu, dagegen gehört die ganze Folgenreihe der Orte von Marschacbt über Artlenburg und Sassendorf bis über Radegast liinaus wieder durchweg der gleichmässigen Form der Besiedelung der Hamburger und Vierländer Werder an. Alle diese Anlagen sind denen von Ncuengamme und ebenso von Siebenhöven durchaus entsprechend. Dass man sich auch des Ursprunges der Anlagen als holländischer oder nach holländischem Muster entstandener bewusst war, zeigt die Erwähnung von tres mansi Hollandrenses juxta castrum Ertene- burg in einer Urkunde Heinrichs des Löwen von 11 64, welche in einer zweiten des Bischofs Konrad von demselben Jahre als in palude juxta Erteneborch bezeichnet werden. Es ist kein Zweifel, dass alle benachbarten ebenfalls mansi hollandrenses sind. Die Entscheidung darüber, wie ausgedehnt die Verbreitung der Holländer in der Bevölkerung zu denken ist, und wie weit sie be- stimmenden Einfluss auf den Stammescharakter und die Sitten und Anschauungen der Marschbewohner geübt haben, bleibt indess eine schwierige Aufgabe, welche nur durch sorgfältige Lokalforschung aus ethnographischen und sprachlichen Anzeichen zu lösen wäre. A. V. Wersebe bemerkt dazu, dass sich die Rechtsverhältnisse ebenso leicht übertragen konnten, wie die Art der wirthschaftlichen Anlagen selbst. Die Urkunde Otto's des Strengen von 1296 für das Lewen- brook, welche sich sehr nahe an die Urkunde des Erzbischofs Friedrich von 1106 anschliesst, lässt nur den Schluss zu, dass dort die Kolonisten keine Holländer waren. Es würden desball) auch gleiche Züge in den Bestinmiungen des von Lappenberg erwähnten Hammcr- brookcr Rechts ^) die Herkunft der Siedler nicht erweisen können. Das Haus und die häusliche Einrichtung aller dieser iMarschbauern ist übereinstimmend das sächsische (Anl. 94). Allerdings sind nicht wie in den geschlossenen Orten die Giel)el mit dem grossen HaujUtbore der Diele an die Dorfstrasse gesetzt, weil die Häuser am Deich liegen, und die Anfahrt von den Aeckern in der Marsch her erfolgen nuiss. Auch ist das Fleeth in den neueren Häusern nirlit selten zu Stuben ausgebaut. Aber Plan und Nutzungsweise sind deutlich erbalten. ') Lappenberg, ITamburgiachc Rcclitsalterth., I. p. CLVI. IX. 4. Die Besiedelung tlor Weser- nml Elbmaischen. 359 und viele der Giebel sind noch ganz ulterthümlich zwischen dem l)unt bemalten Balkenfach werk in künstlichen Mustern mit Ziegeln ausgesetzt und zeigen häufig die Figuren des Donnerbesens und einer Windmühle zwischen d(Mi Bodenfenstern, auf dem First aber die oft sehr verschnörkelten, aus den Schalbrettern geschnitzten Schwanen- oder Pferdeköpfe. Auch die Einzelheiten der Feldeinrichtung und Bewirthschaft- ung stimmen ülterall überein, wo überhaupt die langen, gescblossenen Streifen die CJrundform der Anlage l)ilden. Obwohl gegenwärtig die Bezeichnung als Hufen meist ausser Gebrauch gekommen ist, steht doch die Eintheilung nach Hufen urkundlich und in vielfachen Er- innerungen unbestritten fest. Das Mass dieser Hufen ist allgemein bekannt und beträgt in allen Eibmarschen gieichmässig 38 — 40 Hektar. Dabei sind aber nur die Hausplätze und die innerhalb des Deiches belegenen Ländereien, also der anbaufähige Boden, gerechnet, das der See oder dem Strome ausgesetzte Aussenland nicht, obwohl es der einzelnen Wirthschaft so zugetheilt ist, dass es die Verlängerung der Hufenstreifen innerhalb des Deiches bildet. Wie das Register von Xeuengamme (Anlage 118) zeigt, kann das Aussenland für die einzelne IFufe durch diese Art der Abgrenzung von sehr verschie- denem Umfang sein. Indess ruht auf ihm die Last, erforderlichen Falles zum Behufe von Deicherhöhungon oder Ausbesserungen ab- gegral)en zu werden. Auch rühren die Verschiedenheiten der Hufen anscheinend nicht von der ursprünglichen Aufmessung her, sondern von Verlegungen des Deiches, welche bei Brüchen und tieferen Be- schädigungen oder bei nothwendigen Verstärkungen des Deiches leicht erforderlich ■werden. Den Deich zu bauen und zu unterhalten ist Sache der bis in unvordenkliche Zeit hinaufreichenden, wahrscheinlich schon mit der ersten Anlage begründeten Deichkommune. Die Mitglicnler derselben sind die Besitzer der eingedeichten Ländereien nach Ver- hältniss ihres Besitzes, im wesentlichen also die Hüfener nach der Zahl ihrer Hufen. Indess kann nur in Dörfern, in denen jede Hufe gieichmässig rechtwinkelig auf den Deich zuläuft, die Landhufe mit der Deichhufe übereinstimmen ; wo der Deich Biegungen macht und eine längere oder bedrohtere Strecke auf einer der Hufen fortläuft, würde diese überlastet und zur TJnterhaltung unfähig sein. Deshalb hat nicht jeder Grundbesitzer den Deich zu schützen und zu bessern, so weit er auf seinem Hufenlande liegt, sondern neben den Land- hufen bestehen l)esondere Deiehbufen, d. h. bestimmte Abschnitte des Deicbes, deren Unterhaltung der einzelnen Hufe obliegt. Auch die 3G0 I^- 4. Die Besiedelung der Weser- und KUjinarsrlien. gogenwärtif!; in der Recjel sehr stark und massiv ausgebauten Siele unter- hält die Deichkonimune nach Ijestimmten Antheilcn. Die Annahme dass in älterer Zeit jede Hufe ihr eigenes Siel gelia1)t hahc, ist un- glaubhaft. Der Deich würde dadurch sehr unsicher geworden sein, und l>au und Unterhaltung gewisser Siele am Ausfluss der grossen, Wettern genannten, Haupt- Entwässerungsgräben würden stets die Kräfte eines einzelnen Besitzers überstiegen liaben. In diese Wettern, welche das Innere des eingedeichten Landes quer durch alle Hufen- streifen durchziehen, münden alle einzelnen Entwässerungsgräben der- selben ein. Diese Gräben sind entweder, wie die Karte von Neuen- gamme zeigt, Grenzgräben, oder sie sind Kulturgräben. Erstere scheiden die verschiedenen ursprünglichen Besitzungen von einander und wurden auf der Grenze selbst gezogen. Wenn das Land der einzelnen Hufe also verschieden breit verläuft, d. h. eine sogenannte Gere bildet (o. Bd. 1, 85). so liegen auch die Grenzgräben nicht parallel, sondern laufen mein- oder weniger schräg zusammen. Dies ist bei allen Anlagen schon bei der ersten Eintheilung möglichst vermieden, war aber doch durch den Lauf des Deiches oder die Gestalt der Flur hier und da bedingt (z. B. Neuengamme Ilf, IVe). Die Kulturgräben sind zur Trocknung und Erhöhung des Ackers ausgeworfen, und aus ihnen wird in der Regel jährlich der Schlamm zur Düngung ausgehoben. Sie bilden eine LTntertheilung der einzelnen Besitzung, und zerschneiden den Land- streifen, der derselben zufiel, in parallele Beete von 15 — 20 m Breite, je nach der Breite des Zwischenraumes zwischen den Hauptgräben. Auch innerhalb einer Gere laufen diese ]^cete in der Regel nicht spitz zu, sondern bleiben parallel und enden deshalb da, wo die Gere zu schmal wird. Dagegen giebt es Hufenstreifen, auf welchen der Besitzer vorgezogen hat, die Beete nicht den Hauptgräben parallel, sondern zwischen ihnen quer anzulegen. Die Aushebung aller dieser Kulturgräben ist ersichtlich erst nach der Zuweisung der einzelnen Hufen erfolgt und keine gemeinsame gewesen. Der Anbau ist eine freie Feldgraswirthschaft, für welche jeder Nachbar vom anderen völlig unabhängig ist. Gemeinsame Grund- gerechtigkeiten bestellen nirgends. Dagegen ist der einzelne W'irtli dadurch einigermassen beschränkt, dass die Beete zwischen je zwei (jiräben zu schmal sind, um Wege auf ihnen liegen zu lassen. Bei ihrer grossen Länge muss also die Fruchtfolge so eingerichtet werden, dass An- und Al)l'uhi- die stehenden Gewächse nicht schädigen. Pas notbige Bremibolz wird durch Ko])fweiden l)eschafft, welche längs der Wassergräl)en geptlanzt werden. IX. 4. Pie Be.sioilolung der Weser- luul Elbmansclien. ;',('> ] Streckenweise sind in den oberen Marsclien die ZwischengrillKMi bis auf geringe Tiefe verlandet, namentlich wo durch lange Zeit, Weidenutzung überwogen hat. Darin ist indess kein Unterschied der Anlagen /.u sehen. Oberhalb Hamburg fehlen die Zwischengräben nicht selten gänzlich, denn es macht sich der tägliche Fluthwechsel nicht mehr geltend , und der Abzug des Binnenwassers ist nur ge- lienmit, wenn sich die Siele dui'ch die vom Binncnlande kommenden Hochwasser des Stromes schliessen, welche ausser im Frühjahr schnell verlaufen. Wesentliche ^'■erschicde^heiten im Charakter der einehien Marsch- ansiedelungcn sind im übrigen kaum zu bemerken. Gleichw^ohl sind örtliche Beobachter geneigt, in den Vierländern grosse Aehnlichkeit und gleiche Eigenart mit den Holländern des Altenlandes zu sehen, und sie von anderen iNIarscbbauern zu unterscheiden. Es wird auch richtig sein, die gleiche Abstammung oder gleiche Vermischung nicht im allgemeinen vorauszusetzen, sondern, dem Charakter des oMittcl- alters entsprechend, die Stammesunterschiede nach ganzen Dorfschaften zu suchen. Solche örtliche Stammesunterschiede äussern sich indess in Uel)erlieferungen und Eim'ichtnngen erkennbar nur als (»cgensatz zwi- schen Sachsen und Holländern"). In dem nördlichen Kehdingen, welches im wesentlichen als holländisch anerkannt ist, wird ein Deichgericht in Freyburg und Krummendiek als ein sächsisches hervorgehoben^). Noch 1456 wird in einer Lauenburger Urkunde den Hadelern zu- gesichert: Was aver den in wonern des Landes to Hadelen anfallende is van erftales weyen, dat schal gan na rechte, da id inne verstorben is, also na Engerschen und Hollerschen rechte so id oldinges gedaen heft'). Im Altenlandc kommt im Kirchsiiiel Grünendeich ein sächsi- sches Siel und der sächsische Weg vor-'). Es bestehen hier auch neljcn den noch näher zu erwähnenden holländischen Gerichten die sächsischen Vogteien Twielenfleth, Borstel, Cranz und Haselwerder. ') Lappenberg, Iliimburgische llcchtsalterth., I, p. CIV. — Iliibbe, Die Haus- marken in Hamburgs Umgebung. Zcitschr. des Vereins für Hamburger Geschichte, Neue Folge, H, S. 348. — Hübbe, Einige Mittheilungen über Kulturverhältnissc, Sitten und Gebräuche im Landgebiete Hamburg. Ebd. S. 429 ff. ^) Lappenberg, Historia arcliiepisc. Bremensis, Geschichtsquellen S. 1 6. ^) Lappenberg a. a. 0. S- 1.'). '') Lappenberg, Geschichte des Landes Hadcln, S. 11. — Haun, Vaterl. Archiv, 1828, n, S. 164. ") Scharf, Beschreibung des Altcnlandes, in den Bnvunschw. -Lüneburg. Annalen, 4. Jahrg., 4. Stück. 2. S 739. 802 I^- 4. Die Besiedelung der Weser- und Elbmarsclien. In der Reformation der Altenlander Konstitution von 1517 heisst es: Oftwoll in den gerichten und sonderlieh in Sechsischen und Holler- schen de bröke (Strafbrüchte) in etlichen Fellen etwas verscheiden, so hebben wie doch vor gudt angesehen, dat de bröke in allen ge- richten dorchuth schollen gelik sein. (Vergl. Pufendorf, Observ. juris universi, Tom IV App. p. 61.) In Betreff der Rechtsverhältnisse haben erhebliche örtliche Verschiedenheiten bestanden, und sind schon bei der ersten Anlage begründet worden. Denn während Erzbischof Friedrich in der Urkunde von 1106 Land und Gericht den Ansiedlern selbst gegen Zins überlässt, setzt Adalbert im Jahre 1143 für die rechts der Weser an der Ochtum zu machenden Anlagen einen Richter ein, sein Nachfolger Hartwig aber erklärt 1149 (o. S. 344): paludem (bei Hursebbe, Horspe, Bardewich und der Ochtum benachbart) duobus viris Johanni scilicet et Symon vendendam et excolendam, et justitiam quam affectabant, scilicet qualem Hoilendrensis populus circa Stadium habere consuevit, concessi; und setzt dann weiter hinzu: Districtum autem Johanni emtori (ßiem supra reeitavi jure beneficiali concessi, ea videlicet ratione, ut suo eodem jure liceat reliquendum successori. Hartwig war der Bruder des 1144 gefallenen Grafen Rudolph von Stade. Wahrscheinlich hatte schon Friedrich von Stade, welcher 1135 starb, die Stader Kolonien begründet. Ersichtlich ist, dass ihr Recht in einem Gegensatze zu dem der Bremer Marschkolonien ge- standen haben muss, welcher es den Locatoren von Hursebbe wünschens- werther erscheinen Hess, als jenes. Von ausführlicheren Au.sthuungs- urkunden ist aus den Eibmarschen leider nur die des Lewenbrooks von 1296^) bekannt. Durch diese werden aber die Kolonisten noch freier gestellt, als die freien und unfreien Erlizinsbauern der I^rcmer Marschen. Der Herzog behält sich 1296 als Einnahmen nur den grossen und den ziemlich massig angesetzten kleinen Zehnt und das hohe Gericht vor, der Richter des Niedergerichts wird von den Ko- lonisten gewählt, und vom Herzog nur jährlich bestätigt, ohne dass ihm ein Antheil an den Einnahmen dieses Gerichtes zufällt. Der fremde Unfreie wird im Orte in einem Jahre völlig frei. ') Herzog Otto sagt (Grupen, Origlnes Germaniae, Th II, 0. 166; v. Wcrscbe, a.a.O. S. 1075 ff.): Quicunque ad terram hujus Lcwenwordhcr dictam spe fortunc mclioris confluxerint arbitrio proprio judicem eligent causas eorum, qae ingrucrint, judicantcm, nee advocatus quidquam juris sibi quicunque pro tempore fuerit, usurpabit. Et idem judex ab ineolis cligctur et ab ipso principe si placitum fuerit annis debet singulis renovari. Terram hujus quicunque fuerint possidentes omni jure libere possi- debunt, cxcepta decima et judicio ([ue nos tangunt. Si aliquis a dominio alterius IX. 4. Die Besiedelung der "Weser- uml Elbiuarschen. 3(53 A. V. Wersebe urtheilt gewi^^s richtig, wenn er in den günstigen Bestimmungen die Absicht sieht, die Ansiedler vom Anschluss an die benachbarten Stadischen Kolonien im Altenlande al)zuhalten. Aber man wird auch annehmen müssen, dass in der Zwischenzeit von anderthalb Jahrhunderten sich die Rechtslage der Marschkolonen und ihrer Gemeinden bereits erheblich günstiger gestaltet hatte. Der Unterschied des Zehnts gegen Bremen ist sehr gross. Im Lewenbrook fehlt auch der census in recognitionem dominii, und die Bestim- mung über den proprius scheint dahin zu verstehen, dass nach Jahresfrist überhaupt keiner der Kolonen mehr eigen sein soll. Es ist möglich, dass dies auch in Stade als Recht gegolten hatte, oder wenigstens schon vor 1296 geltendes Recht geworden war. Ob den Kolonisten in der Gerichtsbarkeit gegenüber denen der Bremer Marschen wesentliche Vortheile eingeräumt waren, ist nicht ohne Weiteres zu erkennen, weil letztere nach der Urkunde von llOß ihre Gerichtsbarkeit gegen eine Abfindung von 2 Mark Jahreszins für je 100 Hufen in eigener Hand hatten. Die grosse Selbständigkeit der Landes- und Gerichts -Verfassung des Alten Landes bei starker örtlicher Verschiedenheit auf einem so kleinen Gebiete hat indess v. Langwerth nach ihrem herkömmlichen Zustande sachkundig dargestellt^). Das Gräfengericht zu Jork übte die C-ivilgerichtsbarkeit und Polizei im ganzen Altenlaude mit Ausschluss der Patrimonialgerichte, principis ad tcrram hanc inhabitator venerit et per annum perscveravcrit habitando licet proprius fuerit, reputabitur esse über. Ueber die Gerichtsbarkeit und die Höhe der Strafen, sowie deren Vertheilung werden genaue Bestimmungen getroflcn , z.B.: si libere conditionis homo occidetur triginta marcis emendabitur, amici duas tollent partes, tcrtiam vero judex. Ebenso: Quicunque in hac terra agros suos locaverit, si colonus tempore statuto tributum non dederit, possessor agrorum liccnter et absque consensu judicis tollere potest pignus. Quicunque quocunque casu delii[uerit, si fortuna ducente eft'agerit, res ejus judex minime nsurpabit. Si vir moriatur relicta cum parvis de hereditate tollet similem portionem. Der bestimmte Zehnt ist sehr niedrig: In campis quartus decimus cumulus qui Vyme vulgariter dicitur colligetur. De poledro dabitur denarius tantum unus; de vitulo dimidius; de examine apum duo denarii ; de fetu porcorum undecimus ; de turba ancarum una dabitur sive multe fuerint sive pauce. Item si super hanc terram terra nova fuerit complantata, per tcrram talem meatus seu rivuli non ducentur. Item incolae hujus terrae per terminos nostros de lignis et pascuis a theolonio sunt exempti. Etiam infra Albeam in campis qni dicuntur Wiltnis lignis et pascuis libere patientur. Endlich ist über das Aussenland bestimmt: Quicunque extra aggerem plus habuerit quam tres virgas inter communitatem inhabitantium dividetnr. ') Darstellung der im Herzogthum Bremen bestehenden besonderen und ab- weichenden Jurisdiktionen von E. J. v. Langwerth (Mitgl. der Landdrostei Stade) in der Zeitschrift des historischen Vereins für Xiedersachsen, Jahrg. 1856, Heft 1. 3G4 1^- 4. Die "Besiedelung der Weser- und Eibmarschen. soweit die Suchen nicht zur Kompetenz der siedenstcn Gericlite. d. h. der Ortsgerichte, geliörten. In den sächsischen Vogteien Twielen- fleth, Borstel, Cranz nnd Haselwerder und im Bezirk des herrscliaft- liclien siedensten Gerichts Neuhof respizirte das Gräfengericht auch die Gegenstände der siedensten Gerichtsbarkeit. In allgemeinen Hoheits- und Landespolizeisaclicn erstreckte sich seine Kompetenz aucli ül)er die Patrimonialgericlite Bergfried und Wischgericht, auf die übrigen Patrimonialgerichte nicht. Dieses Gräfengericht oder Gräfending bestand aus zwei Grafen und einem Sekretär. Der eine Gräfe musste nach einer schwedischen Resolution von 1080 vom bremischen Adel sein und wurde vom Könige ernannt. Der zweite wurde von der Landes -Vertretung des Altenlandes in der Weise gewählt, dass sie vier Männer in Vor- schlag brachte, von denen das Königliche Ministerium einen ernannte. Ebenso wurden für die Stelle des Landes -Sekretärs zwei Personen präsentirt, von denen die Regierung eine bestellte. Diese Landes -Vertretung gründete sich auf die herkönnnliche Abtheilung in 18 Kontributions -Distrikte, nämlich 4 Hauptmann- schaften in der ersten, 6 Hauptmannschaften und 3 Vogteien in der zweiten und 2 Hauptmannschaften und 3 Vogteien in der dritten Meile. Die Hauptleute und Kontributionsvoigte waien die eigent- lichen Vertreter ihrer Distrikte und hatten ausserdem die Kontribu- tions-Einhebung zu besorgen. Zur Landes-Repräscntation stellton die Hauptmannschaften der ersten Meile einen, die der zweiten Meile ausser Borstel und Königreich einen, Borstel, Königreich, Moorende und Haselwerder den dritten, und die sechs Vogteien der zweiten und dritten Meile den vierten Deputirten. Zu wählen hatten Alle, welche mindestens vier Morgen Land besassen. Das Gräfengericht leitete die Wahl, der Distrikt, dessen Deputirter zu wählen war, hatte dabei keine Stimme und jeder Deputirte wurde auf Lebenszeit gewählt. Ausserdem wählte das Gräfengericht aus den Hauptleuten jährlich vier Bürgermeister. Diese wählten aus den übrigen Hauptlouten vier Rechnungsmänner, und die Rechnungsmänner wählten aus den vier Bürgermeistern den Ober-Bürgermeister, welcher als Ober-Rech- lumgsführer die Landesrechnung unter Händen hatte. Diese Deputirten, Bürgermeister und Rechnungsmänner bildeten zusammen die Landesstube, welche das Land gegenüber dem Gräfen- gericht und der Regierung vertrat. Der Ober-Bürgermeister und die vier Landcsdeputirten aber bildeten die besondere Repräsentation im marschländischen Konvente. IX. 4. Die Besiedelung der Weser- und Elbuiarselien. 3(j5 Die Hauptleute wurden von den beiden Grafen auf ein Jahr ernannt. Jede der Hauptmannschaften, ausser Twielenüeth und nullern, besitzt sogenannte Hüvenbriefe, d. h. alte, in der Vorzeit getroffene Verabredungen, wie es mit der Reihenfolge zum Haupt- mannsdienst gehalten werden solle. Sämmtliche Ländereien waren in Höven (Hufen) ahgetheilt, unter denen eine Reihenfolge feststand. Jeder abgehende Hauptmann musste nach den ihm von seinem Vorgänger überlieferten Nachrichten dem Gericht die Besitzer der Ländereien angeben, welche zu der an der Reihe stehenden Hufe gehören. Unter diesen Besitzern und deren Sühnen hatten die Grafen die Auswahl. In Twielenfleth und Hollern hatten die Grafen freie Wahl. Wollte sich aber Keiner zur üebernahme des Dienstes ver- stehen, so mussten die Einw'ohner selbst zur Wahl schreiten, welche von den Gewählten alsdann nicht abgelehnt werden durfte. Die 6 Voigte wurden von den Grafen auf Lebenszeit ernannt. Die 12 Hauptleute, 6 Voigte, 4 Landesdeputirten und einige von ihnen beliebig zugezogene Bevollmächtigte wählten zwar die für die Gräfenbestellung vorzuschlagenden 4 Personen, waren aber dabei an die speziellen Instruktionen der eigentlichen Wähler, d. h. aller Einwohner, welche mindestens vier Morgen besassen, gebunden, und erhielten darüber von den Wahlvorstehern eine Vollmacht, durch welche sie sich legitimiren mussten. Ilauptleute und Kontributionsvoigte besorgten auch als Gerichts- unter1)eamte die E.\ckutionen und sonstigen Dienste in Civilsaehen. Sie wurden zwar auch in Polizeisachen gebraucht, indess waren dafür die eigentlichen Unterbedienten, namentlich in Ansehung der \\'rogen die Gräfenbruchsvoigte, bestellt, zu welchen die siedensten Voigte (mit Ausschluss des zu Ninkop) und die vier sächsischen Voigte zu Twielenfleth, Borstel, Haselwerder und Cranz verpflichtet wurden. Die vier Voigte, von denen der zu Cranz zugleich Kontrilnitionsvoigt war, wurden wie die Kontributionsvoigte von den Grafen auf Lebens- zeit ernannt. Die siedensten Voigte aber bestellte der siedenste Herr. Diese Organisation hat auch allgemeineres Interesse für das ältere volksthümliche Genossenschafts- und Gerichtswesen. Es lassen sich an sie mancherlei Fragen in Betreff' ihrer Entwickelung knüpfen. Zur Erklärung ist zunächst an die Boden und Oberboden der Holsten, an die Consules, Schliesser und Geschworenen der Ditmarscheu, die Greven und Hauptleute der Kirchspielsgerichte in Hadeln zu denken. Landesbräuchlich bestanden in allen diesen Gegenden ähnliche Einrieb- 306 I^' 4. Die Besiedelung der Weser- und Elbraarschen. tiingen, und waren wegen des gleichen Bedürfnisses stets bereiter, organisirter und durchgreifender Ilülfdeistungen unentbehrlich. Die Capitanci veteris terrae kommen im Alteiiland l)ercits im Jahre 1287 vor. Sie schlössen mit dem Erzbischof von Bremen, den Herzögen von Braunschweig, den Grafen von Holstein und den Städten Hamburg, Stade und Buxtehude wiederholt Bündnisse zur Erhaltung des Friedens auf der Elbe und in ihrer Umge])ung. Die Besitzungen des Klosters Buxtehude auf beiden Seiten der Este aber erklärte der Erzbischof mandatis Capitaneorum nostre veteris terrae liberii). 1361 unterwarfen die Hauptleute des Altenlandes ihre Streitigkeiten mit dem Vogte des Grafen von Schauenburg dem Schiedssprüche des Hamburger Raths. 1392 versicherten de Hovetlude unde de ganze Menheit des Olden Landes den Hamburgern ihren Schutz gegen die Burgmannen von Horneburg. Die Urkunden haben das besondere Siegel der Hauptleute und der Landschaft^). Das Alteland tritt also schon früh als freie, fast unabhängige Gemeinde auf. Das Gesagte genügt, zu erweisen, dass die Ansiedler diese Selbständigkeit erst erwarben. Denn trotz des ausgesprochenen Cha- rakters einer früh gewonnenen kommunalen Gerichts- und Polizei- Verwaltung sind auf ihrem kleinen, kaum drei Quadratmeilen um- fassenden, von jeher als gleichartig und zusammengehörig betrachteten Gebiete eine Anzahl weltlicher und geistlicher Patrimonialgerichtsbar- keiten bekannt, welche ersichtlich bei der Verleihung der Ansiedelungs- gebiete entstanden, und zum Theil im Laufe der Zeit aufgehoben wurden, zum Theil aber auch bis auf die Gegenwart gekommen sind. Da die Bremer Urkunde von 1143 sogar die Eigengabe noch ernst- lich in Betracht zieht, und auch die Ansetzung von 1296 im Lewen- werder der homines proprii noch gedenkt, ist die ursprüngliche Vollfreiheit der Ansiedler keine ausnahmslose und jedenfalls nicht in allen Ortschaften anzunehmen. Allerdings ist in den Eibmarschen die Bezeichnung Kop (Kauf) sehr verbreitet. Aber Namen wie Diede- richs Kop zeigen, dass es sich dabei um den Kauf durch Locatores, wie den Johannes und Symon (oben S. 362), handelt, welche, wenn sie im Sinne der Urkunde von 1149 Lehnsleute wurden, die Her- stellung gutsherrlich-bäuerlicher Verhältnisse mit einer gewissen Zins- pflicht und Abhängigkeit der von ihnen herbeigeführten Hintersassen erwarten lassen. Sicher aber war diesen Bauernschaften der Erwerb ^) Pratje, Bremen und Verden, Bd. IV, S. 189. *) Nach Lappenberg, Lorich's Eibkarte, S. 17, soll auch vorher schon ein Siegel Sigillum paludis Stadensis bestanden liaben. IX. 4. Die Besiedelung der Weser- und Elbiuarsehen. 367 voller Selbständigkeit und bürgerlicher Freiheit sehr erleichtert. Grosse Theile des Marschgel)ietes standen schon früh unter städti- scher Landeshoheit. Aber auch unter den geistlichen und weltlichen Herren waren die Marschen kein rechter Boden für Hörigkeit. Die immer erneuten unvorherzusehenden Wassergefahren, die oft ganze Orte aus blühender Wohlhabenheit zu fast völliger Werthlosigkeit des Besitzes herabdrückten, forderten für das Wagniss dieser Wirth- schaften freie Verfügung des Einzelnen über seinen Grund und Boden und über seine Person. Auch musste allen Hörigkeitsverhältnissen, freieren wie unfreien, hier immer entgegenstehen, dass sich Gross- grundbesitzer unberechenbar starken Beitragsleistungen zu den Deich- bauten und immer wiederkehrenden Aufhülfen bei Unfällen nicht zu entziehen vermochten. — Aus diesem Gesammtbildc der ^Marschenbesiedelung an Weser und Elbe lässt sich zwar nicht entnehmen, dass der Uebergang der Kolonen aus der Hörigkeit ziu- bürgerlichen Vollfreiheit als eine allgemeine Folge der Landleihe zur Kultur betrachtet werden dürfe. Denn mehrere hofrechtliche Patrimonialgerichtsbarkeiten haben sich neben den stadtähnlichen Verfassungen der meisten Marschgemeinden l)is auf die neueste Zeit erhalten. Aber die grosse Gunst der Lage und der Ein- fluss, den schon die ersten Gründungsverträge auf die Entwickelung freier Zustände geübt haben, sprechen sich deutlich aus. Allerdings ist für den Schluss auf die allgemeinere Bedeutung dieser Leiheverhältnisse die natürliche Beschaßenheit der ]\Lirschen und der Umstand in Betracht zu ziehen, dass hier kein erobertes Gebiet zu kultiviren war. Alle wirthschaftlichen und politischen Ein- richtungen konnten sich ohne jede Beziehung auf eine mit den Waffen unterworfene, oder einer fremden Nationalität angehörige Bevölkerung gestalten. Welchen Charakter und welche Wichtigkeit dagegen die Landleihe zur Kultur auf erol)erten Länderstrecken als Hülfsmittel der Besitznahme gewann, lassen die »werl)ungen der Deutschen auf den benachbarten Slawengebieten erkennen. X. Die deutsche Rückeroberung der Slawengebiete in Oesterreicli, Bayern und Saclisen. I. Die Herrschaftsgrenzen der Deutschen, Slawen unil Ungarn. Die Vorschriften Karls des Grossen über den Limes sora-bicus, welche o. Bd. II, S. 153 wiedergegeben sind, erweisen seine bestimmte Absicht und Neigung, zwischen den Deutschen und den Slawen einen beruhigten friedlichen Zustand lierzustellen und aufrecht zu erhalten. Die Slawenstaaten ausserhalb der Grenze sollten nach eigener Verfassung und eigenen Rechten fortbestehen, und alle Rei- bungen mit ihnen vermieden werden. Gleichwohl war dieser Zustand weder vom Kaiser selbst, noch nach der Auffassung der Gesammtheit seiner Zeitgenossen, als ein Verzicht auf die Herrschaft über den Osten gedacht. Karl hatte bis in ferne Gebiete der Wenden, Böhmen und Slowenen überall die Huldigungen der Slawenfürsten gefordert und erzwungen oder freiwillig erhalten. Er betrachtete sie sämmtlich als Vasallen, die sich der Pflicht, ihm Heeresfolge zu leisten, nicht entziehen durften. In seinen Markgrafen aber sah er nicht lediglich Hüter des Grenz- friedens, sondern wirkliche Aufsichtsbeamte des Reiches über die mehr oder weniger selbständigen Machthaber der benachbarten Völker- schaften. Dabei kam die Verschiedenheit der NationaHtät kaum in Betracht, sondern im wesentlichen nur ihre Fügsamkeit unter dieses thatsächlich offenbar sehr lockere Vasallenverhältniss. Diese Anschauung war nicht lediglich auf die vorhergegangenen glücklichen Kriege Karls begründet, es trafen in ibr vielmehr sehr verschiedene Ideen zusammen. Zunächst sprach sie sich schon in der von Müllcnhoff (Deutsche Alterthumskunde, Bd. II, S. 99) als unläugbar dargelegten Thatsache aus, dass von den Deutschen noch in den späten Ueberlieferungen X. 1. Die Hensohaftsgrenzeu der Doutbchüii, Slawen uud Uugaru. 3(>9 der Chronisten und in dem alten Liederschatze die verlassenen öst- lichen I.andscliaftcn, die sie entweder selbst bewohnt, oder zu ihrer Umgebung gehaljt hatten, keineswegs als verloren, sondern einstimmig immer wieder noch als solche angesehen wurden, auf die sie und ihre Stannnesgenossen das nädiste unverjiUu'te Anrecht besassen. Damit verknüpfte sich der neu erwachte CJedanke des römischen Keiches, einer gewissermassen natürlichen und selbstverständlichen Weltherrschaft, namentlich über die der christlichen und der roma- nischen Kultur noch ferner stehenden \'ölkerschaften. Das Heiden- thum der Slawen schien auch den deutschen Bischöfen die Pflicht der Bekehrung aufzuerlegen. Diese Bekehrung aber war von Unter- werfung kaum zu scheiden, mindestens wurde von den Kirchonfürsten die Erweiterung ihrer Sprengel über diese ausgedehnten Missions- gebiete mit ihrer Folge von Zehnten, Pfründen und Güterschenkungen in bestinnnte Aussicht genommen. Lediglich unter praktisch politi- schen und militärischen Gesichtspunkten musste man sich auch sagen, dass gegenüber diesen unruhigen Völkern und Fürsten, die ihre wilde und stürmische Kraft schon häufig auf deutschem Boden erwiesen hatten, der vom Kaiser gewählte (Jrenzzug ungünstig gelegt und nur bei stets kriegsbereiter Uebermacht haltbar war. Am beruhigendsten war die Lage allerdings im Süden, in den Ostalpen und an der Donau, allein nur deshalb, weil hier in den Jahren 789 bis 802 die wiederholten und fast vernichtenden Siege über die Awaren vorausgegangen waren, welche den Slawen Befreiung von dem Drucke dieser Oberherrschaft gebracht, und sie zu bereit- willigen Mitkäm|)fern gegen dieselbe gemacht hatten. Auch griff" hier die fest organisirte deutsche Verwaltung bereits weit über den Limes hinaus. Denn ganz Kärnten einschliesslich Görz und Idria gehörten zu Friaul, und an der Donau erstreckte sich die Ostmark über das Gebiet östlich von Lorch bis zu den festen Gebirgsgrenzen der Taurenkette und Raxalpen im Süden, des Semmering und Wiener- waldes im Osten und des Mannhardtsberges, des Gesenkes und des Böhmerwaldes im Norden. Nur das Mur- und Drauthal war nicht hinreichend gegen Osten gedeckt, wie schon 827 ein verheerender Bulgareneinfall erwies. Indess konnte ein Feind an diesen Flüssen nicht weiter, als l)is in ihre oberen Alpenschluchten gelangen. Viel offener lag Bayern. Die Böhmen beherrschten hier die Pässe des Böhmerwaldes von Taus nach Cham, und von Plan und Egcr her über Tirschenreut und Waldsassen und hatten das Land der Redanzslawen vor sich, welches der T.imes von Regensburg aus über Meitzen, Siedelung etc. II. 34 370 ^' !• Dit! Herrschaftsgreuzeu der Deutschen, Slawen und Ungarn. Breml)erg und Bamberg nach Erfurt hin längs der Fhissläufe der Nab, Vils, Rezat und Hz grade da abgrenzte, wo mit der Ebene die volle Weg.sanilveit beginnt. Franken und Schwallen konnten von diesem (Jrenzzuge aus luuli allen Richtungen bin angegriffen werden. Ebenso gefährdet war die Lage im weiteren Norden. Die Saale ist eine sehr schwache Landesgrenze. Rechts des Flusses sassen in der fruchtbaren Ebene bis zu den Ausläufern des Erzgebirges die Wenden in eng zusammenliegenden, stark 1)evölkerten Ortschaften. In ihrem Rücken führten über das (Jebirge mehrere Steige, und die Strasse über die Nollendorfer Höhen nahe der Elbe war schon damals gangbar. Vor allem aber dehnten sich die Wendengaue auch rechts der Elbe in die Lausitz aus, und die Böhmen besassen dort nicht allein den offenen Gabelpass zur Xeisse und Spree, sondern auch den schon in der Lausitz belegenen Gau Zagost. Wie sich später öfter zeigte, war die Lausitz am Fläming hin für sie, wie für die Ungarn und Polen ein leichter Zugang zu den mit dem Elbstrorae weit nach ^V'^esten zurückgezogenen Grenzen Nordthüringens um Magdeburg. Weiter stromabwärts war auf der rechten Seite des Stromlaufes das Land der wendischen Morazener und Bethenicer zwischen Elbe und Havel wegen seiner vielen A\'asserläufe , Ueberschwemmungen und Sümpfe schwer zu passiren. Deshalb konnte ihnen gegenüber das linke Eibufer und die Ohregrenze weniger bedroht scheinen. Alier hier breiteten sich vom Jetzeigebiete her seit mindesten 749 die Lipaniscben Wenden zwischen Milde und Ilmenau in dichten Ansiedelungen aus, beunruhigten den Bardengau und Flutwide bis zur Aller und waren 808 die Veranlassung, dass das für Kohfelde Ijei Salzwedel in Aus- sicht genommene Bisthum nach Verden zurück verlegt wurde. So hatte der Feimes vier Landabschnitte vor sich gelassen, die nach ihrer geographischen Lage der Grenzsicherung Avegen nothwendig vinter der Macht der Deutschen stehen mussten, auch wenn diese alle Ansprüche auf eine weiter ausgedehnte Herrschaft über die Slawengebiete aufgegeben hätten. Die Scheidung dieser Abschnitte war eine sehr bestimmte. Denn die hohen und damals noch ganz öden Bergmassen Südböhmens und des Bayrischen Waldes trennten das Donaugebiet Oesterreichs völlig von dem slawischen Oberfranken. Zwischen Oberfranken und Ober- sachsen breiteten sich die weiten Hochflächen und schroffen Thäler des Thüringerwaldes, Vogtlandes, Fichtel- und Erzgebirges aus, die noch im 11. Jahrhundert als undurchdringliche Wildniss galten. Obersachsen und die Altmark aber schied das Eibknie bei Magdeburg. X. 1. Die Herrschaftsgrenzen der Deutschen, Slawen und Ungarn. 371 Gegenseitige Unterstützung und ein wesentlicher Zusammenhang der Vorgänge, durch welche diese Landschaften endgültig in deutsche Gewalt gebracht wurden, waren dadurch ausgeschlossen. Der Verlauf der Krohcrungcn war ein sehr verschiedener. Am schnellsten und unbedingtesten wurde dasSlawenland in Bayern unterworfen. Denn hier vermochte noch Karl selbst Entscheidung herbeizuführen. Im Frühjahr des Jahres 805 hatte er die Bestimmungen über den Limes sorabicus getroffen, und schon im Spätsommer sah er sich aus unbekannten Ursachen und oflfenljar sehr gegen seinen Wunsch gen(ithigt, den neuen (Jrenzzug von drei starken Heeren überschreiten zu lassen. Das eine ging unter seinem Sohne Karl den Main hinauf südlich des Fichtelgebirges nach Eger und belagerte Kaden; ein bayrisches und schwäbisches ül)erschritt bei Cham den Böhmer- wald, und ein drittes, aus Franken, Sachsen und Nordslawen zu- sanmicngesetztes , zog vom Xordharz die Elbe aufwärts nach der Oberlausitz, unterwarf die Milziener und drang von diesen aus nach Böhmen ein. Kaden konnte nicht erobert werden, dem offenen Kam])fe wichen die Böhmen aus. Dies wiederholte sich 806 und 807. Als Erfolg aber war gleichwohl erzielt, dass die Redanzslawen bis an die l:)ölanischen Pässe dauernd mit dem Reiche vereinigt, und die ober- fränkischen Landschaften theils in die Hand des Fiskus kamen, theils an deutsche Grundherren vergelten wurden. Die Besitznahme Obersachsens erforderte längere Zeit. Doch darf sie mit der Begründung der Bisthümer Meissen, Merseburg und Zeitz, 9(i3 oder 9b5, als dauernd abgeschlossen angesehen werden. Obwohl noch mehrmals Angriffe abzuwehren waren, die von Böhmen und Polen aus erfolgten, wurden die Grenzen dieser Sprengel später nur noch im Innern verändert, nach Aussen wurden sie im Eibthal und auf den Kämmen des Erzgebirges, Fichtelgebirges und Vogtlandes ungefähr so angenommen, wie die Herrschaftsgrenzc Obersachsens seit den fränkischen Kaisern unverändert festgehalten worden ist. Fast ein Jahrhundert länger dauerte der Kampf um Oesterreich, welches schon bei Errichtung des Limes gesichert schien. Das Auf- treten der Ungarn und ihre Eroberung dos deutschen Pannoniens seit 900, sowie der Ostmark seit 907 sind o. Bd. II, S. 162 bereits erwähnt. Die Rückeroberung seit 955 brachte zunächst die Ostmark bis Melk wieder in deutsche Hände. 972 V)egründete Otto II. eine Mark- grafschaft Krain, die auch einen grossen Theil von Steiermark um- fasste, und 976 machte er Kärnten mit Istrien und einem grossen Theile von Friaul zum Herzogthum. Indess in der Ostmark hielten U* 372 ^' 1- J''^" 1 l<'rrscli;irtsyrciiy,(Mi der Dcutsflicn, Slawen und riigarn. f^ich die Ungarn auf dem Wicnerwalde noch bis 1000, und erst nach glücklichen Kämpfen der Babenhergcr Markgrafen stellte der Friede von 1043 die heutigen Grenzen fest. Die längste Zeit hat die Unterwerfung der T>ipanischen Wenden an der Jetzel in Anspruch genommen. Die Altraark bis an die Ell)e ist zwar schon seit dem Frieden zu Werben, in welchem sich die Wenden lOOo nach ihrem siegreichen und verwüstenden Aufstände von 983 Heinrich II. wieder unterwarfen, unl)estrittener deutscher Besitz. Aber in dem eigentlichen Wendlande westlich von Salzwedel dauerten die Kämpfe bis zum 12. Jahrhundert fort. Die sächsischen Aufstände gegen die fränkischen Kaiser, die Wirren, die dem Tode des Herzogs Magnus folgten, und die Nähe der Übereibischen Obotriten mögen ein energisches Eingreifen verhindert haben. Erst seit 1144 werden Grafen von Lüchow und von Warijke, 1158 auch Grafen von Dannenberg genannt. Die völlige Unterwerfung dürfte deshalb Hein- rich dem Stolzen oder Heinrich dem Löwen zuzuschreiben sein. Während dieses langen Zeitraums immer erneuter Unruhen sind vorzugsweise von der Altmark aus auch die Versuche ausgegangen, weitere Theile der Wendenländer rechts der Elbe, im Havel- gebiet und in der Lausitz, unter deutsche Herrschaft zu Ijringen. Erfolg al)er haben diese blutigen und erbitterten Kriegszüge immer nur auf kurze Zeit gehabt. Sie hatten ihre Bedeutung für die no- minelle Oberherrschaft des Reiches, welcher sich Polen und Böhmen zeitweise unterwarfen, ihr Nutzen lag im wesentlichen darin, dass sie einen Schutz der Eibgrenze bildeten. Die allmählich erreichte Eroberung der vier verhältnissmässig kleinen Grenzmarken in Oesterreich, Bayern und Sachsen stellte also erst nach mehr als zwei Jahrhunderten statt des Limes Karls des Grossen einen nur wenig vorgeschobenen, aber hinreichend ver- theidigungsfähigen Grenzzug gegen die Slawen fest, der Deutschland gegen Osten so lange abgrenzte, bis sich in der Zeit der Ki-euzzüge unter den Hohenstaufen wesentlich neue Zustände entwickelten. Diese Grenzlinie führte von der Kieler Föhrde die Schwentine und Delvenau entlang zur Elbe, lief diese stromaufwärts bis zum Lausitzer- und Erzgebirge und folgte nun den höchsten Kämmen des Erz- und Elstergebirges und des Böhmerwaldes bis zu der niederösterreichisch- mährisehen und niederösterreichisch-ungarischen Grenze, welche seit dem Friedensschlüsse mit ITngarn von 1043 keine nennenswerthe Veränderung erlitten hat. Pen Gang der Ereignisse auf den einzelnen oben erwiihnten Kampf- X. 1. Die Henschaftsgreuzen der Deutschen, Slawen und Ungarn. 373 gebieten näher zu betrachten, hat durch die Verknüpfung derselben mit der allgemeinen deutschen und slawischen Geschichte vielfaches Inter- esse. Dabei treten alter die wechselnden politischen und niilitiirischen Bewegungen gegen die wirthschaftlichen Vorgänge, welche das deutsche Vordringen begleiteten, an Bedeutung erheblich zurück. Diese Vorgänge sind wesentlich agrarischer Xatur. Es handelt sich auf jedem der vier Landabschnitte um die Uebernahme des Grundbesitzes der Unterworfenen und um die Art der Verwerthung dessell)cn. Diese kolonisatorische Festsetzung und Einrichtung wartete nicht die völlige Unterwerfung der Gegner ab. Viele ergi'ifien Besitz, sobald ihnen Ländereien offen standen, und sobald sie den zu hoflen- den Gewinn und Nutzen höher anschlugen, als die zu befürchtenden Gefahren und Opfer. Es fiel darin das finanzielle Literesse der leitenden Fürsten mit dem Ziele ihrer einzelnen Mannen zusammen, für sich und ilire Reisigen Ersatz für Aufwendungen und Anstrengungen zu erlangen, und mit dem Wunsche der Bischöfe, für die Ausdehnung ihrer Sprengel möglichst bald festen Fuss zu fassen. Die Nachrichten über diese Ereignisse beschränken sich in der Hauptsache auf das von deutscher Seite Geleistete oder Erlittene und geben kaum irgend welche nähere Andeutung über die bis dahin bei den L^nterw'orfenen herrschenden Zustände. Das politische und wirth schaftliche Leben der verschiedenen Slawenstämme und der Ungarn in diesen Jahrhunderten bestimmter kennen zu lernen, wird nur durch die grosse Bewegung möglich, welcbe diese V()lker von der Mitte des 12. Jahrhunderts in allen Grund- lagen ihres Daseins erfasste. Erst sie macht das früher Bestehende in seinem Gegensatze zu der eingreifenden Umgestaltung durch die deutschen Einrichtungen in den weiten Ländern rechts der Elbe und durch die reichen urkundlichen Feststellungen, welche für diese nöthig wurden, deutlich erkennbar. Indess hatte die deutsche agrarische Thätigkeit, welche von der Karolingerzeit an bis zu den Kreuzzügen zunäclist nur auf den l)e- sehränkten neuen Grenzgebieten vordrang, bereits die wesentliche Be- deutung, Erfahrungen zu sammeln, und Vorbilder zu gewinnen^ welche ihre Verwerthung bei dem grossen nationalen LTnternehmen der deutseben Kolonisation des Ostens fanden. 374 X- 2. Die deutsche Besitznaliine Oesterreichs und Kärntens. 2. Die deutsche Besitznahme Oesterreichs und Kärntens. In wechselnden Kämpfen wurde erst im Laufe von mein- als zwei Jahrhunderten die endlielie Krol)erung Oesterreichs und Kärntens erreicht, und der feste Besitz in der Hand der Bahenberger gesichert. Für die Agrargeschichtc fragt es sich, in wie weit und in welchen Formen sich das deutsche, mit der politischen Organisation nahe ver- knüpfte Agrarwesen in den neuen Landgebieten einführte. In dieser Richtung hat 0. Kämmel in der Schrift: Die Anfänge des deutschen Lebens in Oesterreich (1879), den einschlagenden Ur- kundenkreis in eingehender Weise bearbeitet und den einzelnen Land- schaften folgend die fortschreitenden Kolonisationsanlagen und ihre Beschaffenheit, soweit sie aus den überlieferten Nachrichten hervor- geht, erörtert. Fasst man die Ergebnisse der Zeitfolge nach für das gesammte Landesgebiet zusammen, so lassen sich daraus Gesichts- punkte gewinnen, welche die Entwickelung der Agrarzustände näher charakterisiren. Dem deutschen Einflüsse in diesen überwiegend von Slawen bewohnten, aber der A warischen Oberherrschaft unterworfenen Land- schaften war schon dadurch Zugang eröflfnet, dass Bayern seit 743 für die Slawen gegen die A waren auftrat, und dem seit einem Jahr- hundert bestehenden Herzogthum Karantanien Schutz gewährte. Da- durch wurde die Missionsthätigkeit der bayrischen Bisthümer Passau und Salzburg eine ausgedelmte. Passau war von Theodo I. gegründet und 737 dadurch gekräftigt worden, dass Odilo das Stift des ver- fallenen, noch aus romanischer Zeit stammenden Erzbisthums Loreh dorthin verlegt hatte. Li Salzburg setzte um diesellie Zeit Bonifacius Johann L zum Bischof ein. Die Geistlichkeit hatte zunächst guten Erfolg, denn 750 wird in Karnbnrg (jetzt Knittelfeld), dem Haupt- orte Karantaniens, und in seiner weiteren Umgebung das Bestehen vieler Kirchen bezeugt. Damit war auch die Besetzung derselben durch deutsche Pfarrer gegeben. 7()9 al)er entstand eine Reaktion, welche die fieistliehen vertrieb. In dieses Jahr fällt noeli die Be- gründung des Klosters Innichen nahe der Drauiiuelle, dem Tassilo die Aufgabe stellte, friedlich durcli die Heidemnission zu wirken. Doch schon 772 ergriff er die Waffen, besiegte die Karantaner, und setzte ihnen Waltung als Herzog vor. 777 gründete er zur Kräftigung der Mission das Kloster Kremsmünster. Aus der Gründungsurkunde und den Bestätigungen Karls des Grossen von 791 und 802 (Urkundenbuch des Landes ob der Enns, Bd. II, 2, 5, 6; Monum. boica XXXIj, 54) X. 2. Die deutsche Besitznahme Oesterreichs und Kärntens. 375 ergiebt t^'wh, dass auch aut" dem bayrischen Unken Ufer der Enns Slawen in grösserer Anzahl aut" landesherrlichen Gütern angesiedelt waren. Denn es stand hi(>r eine decania^) Slavoruni unter den actores Thaliub und Sparuna, und 30 Sclavi wohnten um Dietach, andere um Sirning. Die Grenzen ihres Grundl^csitzes hat ein slawischer Supan (iopan) Physso dem Abte Fater, und seinen vom Herzoge beauftragten Begleitern angezeigt und beschworen. Auch freie Slawen lebten dort, denn 777 genehmigt der Herzog, dass Slawen, welche ohne seine Krlaubniss in seinem Walde gerodet hatten, das Neuland zwar behalten dürften, aber den landesüblichen Zins an Kremsmünster zu zahlen hätten (Urkundb. von Kremsmünster No. 1). Dies bestätigt Karl 802 mit der Klausel: sin autem libcri discedent. Nach dem Sturze Tassilos 788 begannen sofort die Kämpfe, welche die Awarcn aus Bayern vertrieben und 796 gänzlich niederwarfen. Karl war zunächst geneigt, die Awaren unter ihren eigenen Fürsten im mittlen Pannonien als Vasallenstaat fortbestehen zu lassen. Daran scheint selbst nach den Aufständen von 802 und 803 festgehalten worden zu sein, l)is sie politisch seit 811 nicht mehr genannt werden. Ueber die Lage des Volkes sagt die um 870 verfasste Conversio Carentanorum (Mon. Germ. SS. XI, 1 — 17, c. 7) terram quam possi- dent residui (Huni) adhuc pro tributo retinent regis usque in ho- diernam diem, . . tributarios fecerunt regum. Auch den Slawen gegenül)er wurde das Land als ein erobertes, und der unvergebene Besitz als Königsgut betrachtet. Der Einzelne kam indess nicht in nachtheiligere Lage. Die Mehrzahl waren, wie sieh zeigt, eigenbehörige Leute, die mit dem Grund und Boden ver- liehen wurden. Die Freien blieben in ihrer Person wie in ihrem Grundbesitze geschützt. Aus dem Donaugebiet, östlich der Enns bis zum Wienerwald und Sennnering, im Norden bis zum ^Slannhardtsberg, und im Süden l)is auf die Taurenkette, wurde die Ostmark gebildet und dem Grafen Gerold L unterstellt. Südlich von ihr kam Karantanien, das vorher ') Vergl. WaiU, Deutsche Verf.-Gesch. IV, 124, 291, Anm. 1. Karl sagt 802: decaniam unam de illis sclavis super ([uos fucrunt actores ... et territorium sicut ad supriidictam decaniam pertinet. Tassilos Schenkung 777 lautet: tradimus et decaniam Slavorum cum opere fiscali seu triliuto justo. quod nobis antea persolvi consueverant, hos omnes predictos sclavos, quos sub illos actores sunt, qui vocantur T. e. Sp., quos infra terminum manet, quem conjuravit ille jopan . . . Bei dem Fortbestande der ro- maüisehen Ackerhöfe (o. Bd. I, S. 450) lässt sich an die Sitte der Slawendecurien auf den römischen Gütern denken (Ebd. S. 360). 37G ^^' 2. Dio tk'utsclic Bcsitznalinu' Oosteiroidis und Kärntens. bayrisch gewesen war, an Friaul. Ausserhalb dieser deutschen Grenz- marken al)er bheben die Slawenfürston von Kroatien und l^nter- pannonien, welche mit zur Befreiuii^j des Landes beigetragen hatten, imter der Oberhoheit des Reiches und unter Aufsicht der Markgrafen im Besitze ihrer Herrschaften. Oborpannonien verwaltete Graf Gerold mit der Ostmark. In kirchlicher Beziehung wurde in der Biscliofskonferenz, welche Pipin schon 796 abhielt (Alcuini epist. 68 bei JafFe, Mon. Germ. VI), ganz ünterpannonien zwischen Raab und Drau bis zum Einflüsse derselben in die Donau unter Salzburg gestellt, die sonstige Ab- grenzung der Sprengel aber blieb unentschieden. Um die Besitznahme und Besiedelung des Landes zu fördern, wurden, wie es scbeint, die Mannen des Kaisers, die Kirchenfürsten und die Klöster zur Okkupation geeigneter Ländereien unmittelbar aufgefordert. Ludwig der Deutsche sagt in einer 863 für Altaich ausgestellten Ti'kunde^): avus noster Carolus licentiam tribuit suis fidelibus in augmentatione rerum ecclesiarum Dei in Pannonia carpere et possi- dere hereditatem, quod per licentiam ipsius in multis locis et ad istud etiam monasterium factum esse dinoscitur. Unter Pannonia ist dabei dem damaligen Sprachgebrauehe gemäss (Kämmel S. 207, 1) auch die Ostmark verstanden. Diese Okkupationen waren, wie die späteren L^kunden zeigen, nicht als ungeordnete gedacht, vielmehr wurden die Ländereien, die ein Edler oder ein Stift auf dem Königslande zur Kultur in Besitz nahm, als ein Lehn angesehen, welches der Bestätigung beilurftc, später aber, wenn die Besiedelung zur Durchführung geliracht worden war, vom Kaiser in der Regel, namentlich den geistlichen Stiftern, ausdrücklich zu Eigenthum verlielien wurde. Andeutungen über den Erfolg geben noch Urkunden aus der Regierungszeit Karls selbst. Unterhalb Melk bis gegen ]Mautern hin ist die Donau durch hohes Land hindurch gebrochen, welches steile Ufer bildet. Hier liegt links- seitig die Landschaft Wachau. In dieser nahm das Stift Altaieb von der Krone einen liundstrieh am Fusse des Jauerlingberges zu Lehn und machte in ihm durch Leibeigene einige Hundert Hektar Acker und Weinberg urbar. Den gesammten umfangreichen Besitz schenkte ihm 8o0 König Ludwig zu Eigenthum (Mon. boic. XXXI, 58). Gleicli- zeitig gründete Altaich bei dem heutigen Persenburg eine Villa, die ') Mon. boic. XI, 120. Annales et Historiae Altahenses ed. Jafle, Mon. Germ. SS. XVII, 351—60.'). X. 2. Die deutsche Besitznaliuie Oesterreirhs und Kärntens. i-J77 ilim 8()o mit 5 Hufen überlassen wurde (Mon. boic. XI, 119, XXVIIIa, 52). Auch einzehie Edle begannen solche Anlagen. Oestlich von 8t. Pulten nahe l)ei Xcu-Lengl)acli legte ein Edler Elis den Ort Wolfs- bach an, den die Siihne des (Iriuidt'rs schon SOS mit der Commarchia imd einem Leibeigenen an St. Emmeram abtraten (Ried, Cod. dipl. Ratisp. I, 10. Pez, Thes. anecd. I, 3, 6, 8). Die Domainenverwaltung des Kaisers ist ersichtlich besonders tliätig gewesen, den Anbau 7ai fördern. Gegenüber der Wachau auf dem rechten Ufer des Stromes, nahe der ^lündung der Bielach, ent- standen unmittelbar nach der Eroberung königliche Höfe. Von diesen erhielt Altaich 811 40 Hufen (Sickel's Reg. Carol. II, 78, No. 234). Ein ähnliches königliches Gut mit Weinbau besass Karl l)ei Tulln, dem früheren Comagene (Ried, C. d. Ratisp. I, 33, 48). vVuch l»(^i Carnuntum, jetzt Heimburg, entstand ein königliches Gut Lithaba, welches Karl dem flüchtenden Awarenchakhan Theodor als Lelui zu- wies (INIon. boic. XXXIa, 70, No. 31). Westlich des Traisen ül)erliess Karl der Grosse seinem Getreuen ^^'^itigowo die curtis Gunzwita mit 15 Hufen als Eigenthum, mit Gebäulichkeiten und Leibeigenen (Thadd. V. Kleinmayer, Nachrichten von Stadt und Gegend von Juvavia, 1784, S. 62). Es bestanden aber in der Ostmark auch schon zu Karl's Zeit deutsche Bauerndörfer. Wenigstens wird, allerdings nur weit im Westen gegenüber Linz, 811 Puchenau mit Kirche und Pfarrei erwähnt, in welchem 827 Graf Wilhehn mit einer Versammlung der deutschen und slawischen Bauern der Umgegend die unsicher gewordenen Grenzen zwischen dem Pfarrgebiete und den slawischen Grundstücken feststellte. Diese Versammlung wird als placitum de Puchinawa in einem Protokolle bezeichnet, welches selbst actum est ad Crestinperc. Dies wird für Pöstingberg gehalten, und war jedenfalls ein benach- barter, ebenfalls deutsch benannter Ort der Ostmark (Hundt, Fi-ei- singer Urk. a. d. Z. d. Karolinger 78, No. 28). Unter Karls Regierung fällt noch 811 die Feststellung der Grenze zwischen den Bisthümern Salzburg und Aquileja längs der Drau (Juvavia, Gl, 70), welche so wenig wie die Abgrenzung von 79G den Wünschen Salzburgs entsprochen haben kami, hier aber, wie es scheint, durch ältere Ansprüche Aquilejas begründet war. Grcissere Be- deutung muss es gehabt haben, dass gegen die Warnungen Alcuin's von dem Erzl>ischof Arno die Erhebung der Kirchenzehnten in Pannonien ohne Einspruch des Kaisers betrieben wurde. Wenigstens konnten auf der bayrischen Synode von 807 eingehende Verfügungen über 378 X- 2. Die deutsche Besitznahme Oesterreichs und Kärntens. die Verwendung dieses Zehnten getroffen werden, und der spätere Bestand der Abgabe steht ausser Zweifel (Hansiz, Germania saera, 1727—1758, n, 119). Unter lAidwig dem Frommen ist eine Zeit hmg das System Karls des Grossen, die Slawen durch ihre eigenen Fürsten in Ruhe zu halten, fortzuführen versueht \vorden. Die llodungen müssen damals stark fortgeschritten sein. Es werden neue ausgedehnte Anlagen der Kremsmünsterer Mönche, ebenso Besitzungen Passaus um St. Polten erwähnt (Urkb. d. Landes ob der Enns ü, 11). Freysing hat Güter in der Wachau. Stromauf von der Wachau bestehen Altaist, Naarn, Ried bei Maiithausen und Sachsen^), stromab im Tullner Felde Drasdorf und Perschling (Kämmel 254, Ried, C. d. R. I, 45). Besonders reich in der Ostmark begütert erscheinen Graf Gerold II. und Graf Wilhelm L, sein Vicarius (Käm- mel 225). Auch ausserhalb der Ostmark an der Schwarza, nahe der Mündung der Leytha, wird Werth (Convers. Car. c. 13) und um Putten und um den Plattensee der Besitz der Huosier genannt, denen Graf Radbod angehörte (Hundt, Freis. U. No. 45, 46). Indess begann sich schon im ersten Jahrzehnt die Unbotmässig- keit der Slawenfürsten zu zeigen. Der von Einhard (Annal. 819, 820) dux Pannnoniae inferioris genannte Kroatenfürst I^judewit von Siscia erhob sich 819 und riss die Alpenslawen mit sich fort, wurde indess sehr bald überwältigt. Gefährlicher erschien ein Einbruch der Bulgaren, welcher 827 das ganze Drauthal betraf (Einh. Ann. 827, 828). Er führte zur Entsetzung des Markgrafen Balderich von Friaul, und zur Trennung Karantaniens, Kroatiens zwischen Save und Drau, Dalmatiens und des italischen Friaul, in vier besondere Verwaltungen. Auch traten an die Stelle der slawischen Stammeshäuptlinge Unter- pannoniens zu Graf Radbod's Zeit, um 830, bayrische Grafen (Convers. Bogoar. c. 10). Damit war die Einverleil)ung in das Reich durch- geführt. Gleichzeitig wurde die endliche Regelung der Sprengel- grenzen erreicht. Dass Passau die Ostmark, Salzburg Karantanien zu beanspruchen hatte, war nicht streitig. Den Streit über die Ab- grenzung östlich des Wienerwaldes schlichtete 829 König Ludwig dahin, dass der S])ratzbaeh bei Wiesmuth und weiter die Rabnitz bis zur Vereinigung mit der Raab die Grenze bilden sollten (Mon. boica XXXTa, 5(;). Der Fortiiano; der Besiedolung ist ein ununterbrochener. Er wird ') Urkundb. d. Landes ob der Enns II, 8, die Urkunde ist zwar gefälscht, aber die Ortsangabe nicht zu bezweifeln. X. 2. Die deutsche ßesitznaliine Oesterreichs und Kärntens. 379 namentlich durch dio zahh'eichen Kirchenweihungen ])ez(.'Ugt, welche urkundlich frwälmt werden 'Jväniniel 232). Salzburg erhielt 837 Güter an der Ips, 838 in Traisniaucr (Jnvav. Anl. 88, 95), Regens- burg in Persehling (Ried I, 32), Passau 836 Kirchbach im Wiener- wald und 100 Hufen in Königsstätten nahe bei Tulhi (Mun. boie. XXVIII a, 29, XXVIII b, 25, XXXI a, 70). Auch werden Güter in Ober- und Unterpannonien bekannt. Passau überkam 833 das Lehn des Awaren Theodor (Mon. boic. XXXIa, 70), Salzburg reicheren Besitz an der Gurk (Juvav. 80). Ludwig der Deutsehe durchbrach die neue Ordnung der Ver- waltung Pannoniens unmittelbar nach seinem Regierungsantritt da- durch, dass er dem mährischen Fürsten Priwina, der durch Herzog Moimir vertrieben und zu Regensburg getauft worden war, Unter- pannonien als Lehnsfürstenthum übertrug, und schon 846 dieses Lehn in Eigenthum verwandelte (Convers. Gar. c. 11, 12). Allerdings begünstigte Priwina und anfänglich auch sein Sohn Kozel, der ihm um 860 folgte, die Ausbreitung des Christenthums und damit auch die deutsche Kultur sehr lebhaft. Priwina soll 17, Kozel noch zahl- reichere Kirchen erbaut haben (Ebd. 12, 13). Indess verschärften sich durch sie die mährischen Wirren, welche 846 mit der Einsetzung des Rastislaus an Stelle Moimirs begannen, und die Begünstigung Priwina's, die ihm eine Fürstenwürde schuf, scheint auch nachtheilig auf die bayrischen Grafen gewirkt zu haben. Unter der langen Regierung Ludwig des Deutschen vergrösserte sich der Besitz der grossen Grundherren, namentlich der Grafen und der Stifter, und damit ihre Einkünfte. In der Ostmark ging Kremsmünster mit Kolonien am Kamp und bis über die Schmida vor (Urkb. d. L. ob d. Enns II, 19, 39). Ausgedehnter Salzburgischer Besitz wird in Melk, LIollenl)urg, Trais- mauer (Juvav. 104, Conv. Car. c. 10), Altaichischer in Zeillern (Mon. boic. XI , 120), Passauisehcr in Kirchl)ach und am Wienerwalde er- wähnt (Mon. l)oic. XXX a, 88). 40 Hufen sclienkt Peretkunda dort 869 an Fn^ysing (Hundt No. 45, 46), ferner ersclieinen in der Nähe ein Besitzer Theodor (Mon. Imic. XXVHTa, 29) und Graf Radbod mit der Hälfte von Tulln (Ried I, 48). Andre Besitzer sind in Epares- bach an der Ips (Urk. v. Kremsmünster No. 14) am Treysen in Herolingsburch an der Erlaf (Ried I, 58), und in Perischling genannt (Ried I, 32). Auch werden viele Kirchen erbaut. In Karantanien hat Salzburg an der Gurk (Juvav. 10), in Unter- Leoben, im Ingeringthal, und um Strassengel (Juvav. 95), Freysing an 380 X- 2. Die deutsche Besitznahme Oesterreichs und Kärntens. der Püttner Grenze Güter. Peretkunda schenkt Freysing auch bei Putten 40 Hufen (Hundt 45, 46). An der Mur findet sich ausgedehnter k()nigUcl)er Besitz (Annal. Fuld. zu 892). 12 Hufen l)ei Admunt gehen davon an Graf Witigowo über (Juvav. 94). Andre Güter werden in Aflenz an der Mürz, in Ternburg und Werth (Con. Car. c. 18), und am Semmering (Juvav. 95) erwähnt. Nacli einer Salzburgischen Urkunde von 864 (Juvav. 96) fassen die Grundbesitzer von Karan- tanien (populus istius terrae) im Einvernehmen mit dem Grafen Gundakar den Beschhiss, dem Erzstifte Salzburg an Stelle der Kollekte welche dem Erzbischof bis dahin bei seiner Anwesenheit im Lande gezahlt worden war, eine Ausstattung an Land und Leuten zu l)e- willigen. In Obei-pannonien hat Graf Werinheri (Conv. Car. c. 12), in Untcrpannonien um Savaria Odalrich Grossbesitz (Sitzb. d. Wiener Akad. ö6a, p. 158), Carnuntum kommt an Freysing (Mon. boic. XXXLt, 70, No. ol), ein Gut an der Leitlia und 2 Hufen in Nussdorf bei Wien nn Passau (Mon. boic. XXXIa, 70, XXXa, 90), 860 erhält das Kloster Matsee 20 königliche Hufen zwischen der Zobern und der Spraza (Sitzb. d. Wien. Ak. 36 a, p. 158). Von den königlichen Hufen um Oedenburg erhält Passau X mansi, von denen einige ad Odinlnn'ch atque ad loca, ubi montana incipiunt extolli et sie in communem silvam, Hegen (Mon. boic. XXXa, 98). 864 schenkt König Ludwig an Salzburg (Juvav. 99) quasdam res proprietatis nostrae consistentes in Pannonia i. e. ad Labenza ad Wisitindorf de terra exartata, parata scilicet ad arandum, mansos integros VIII i. e. ad unamquamque coloniam jugera XC et de silva undique in gyrum scilicet ac per omnes partes milliarium unum cum terris, pratis. In dieser Gegend hatte Salzburg' an der Lafnitz und der Zobern, an allen Zuflüssen der Raab, der Pinka und der Hz seine Höfe. Dazwischen lagen die Güter königlicher Vasallen (Juvav. 95). In Baden aber bestand eine königliche Pfalz, in welcher Karlmann 869 cum caterva non modica eine Versammlung bayrischer, ostmärkischer und pannonischer Edlen abhielt (Hundt, No. 45). Alles dies sind indess nur einzelne Erwähnungen, welche sicli urkundlich erhalten haben, ^^le weit sich die Herrschaftsgrenzen dieses Grossgrundbesitzes erstreckten, lässt sich im Einzelnen nicht feststellen. Alles unbesetzte Land gehörte dem Könige. Wenn aber nicht l)esondere Domainenhöfe oder Bannforsten darauf eingerichtet worden waren, verwaltete es der Graf und sah es als zu seiner Grafschaft gehörig an ; obwohl es dadurch nicht sein Privatgut werden konnte, verfügte er darüber doch in ausgedehnter Weise. Graf X. 2. Die deutsche Besitzualiine Oesteneiclis und Kiirnteus. 381 ■\Vilhelni üLergab z. B. 853 dem Kloster St. Eniiiu'rani ilcii wsainniteii I.aiKlstrich iiitcr Agastaiu et Nanlinam, zwischen Aist und Naarn, vun der Donau Ms zum Quellgehiet beider Flüsse et ita usque in Nortwalt. in hanc parteni silvae sine termini eonelusione (Ried I, 45). Dies waren ungefähr 20 Q Pfeilen unbegrenzt abgegebenes Land, die zwar nicht als Eigenthum, sondern nur als Lehn, aber doch unter einem Besitzrechte überwiesen wurden, welches nur ungehinderter Macht und ausreichender Hülfsmittel bedurfte, um zur (Jrundherr- lichkeit zu werden. flacht und Hülfsmittel aber standen vor allen anderen Grund- besitzern den Grafen in ihren Grafschaften zu Gebote. Es ist des- halb erklärlieh, dass sie, wie die westdeutschen Grafen, die nahezu fürst- liehe Stellung, die ihnen ihr Amt und ihre Güter gaben, auch als solche aufzufassen begannen, und sich gegen die Weisungen der seit Karls des Grossen Tode innner weniger konsequenten und kräftigen Reichs- regierung unfügsam zeigten. Balderich und 859 der mächtige Huosier Radi »od konnten noch ohne Kampf ihrer AVürde entsetzt werden. Rastislaw von Mähren ging durch seines Nefllen und Mit- regenten Swatopluks Ycrrath unter, und wurde 870 von Ludwig ge- blendet, auch den gefahrdrohenden Swatopluk vermochte Karlmann noch 871 gefangen zusetzen. Aber nachdem Wilhelm und Engelschalk, die Söhne des Grafen Wilhelm, bei der Verwaltung Mährens gegen den dortigen Aufstand gefallen waren, und Swatopluk das deutsche Heer, an dessen Spitze ihn Karlmann gesetzt, verrathen und vernichtet, endlich Karhnann selbst 872 geschlagen hatte, brachen die StUme Wilhelms und Engelschalks in offenen Aufruhr aus, weil Karlmann dem Huosier Aribo die Grafschaft übergab, die sie bereits als erli- lich betrachteten. Es gelang ihnen wirklich, Aribo zu verdrängen. Als er 884 wieder eingesetzt worden war, wurde auch er wegen Eigenmächtigkeit entsetzt, und sein Sohn Isanrich gefangen. Beide erlangten zwar später Begnadigung und Aribo auch die (Jrafschaft (Annal. Fuld. 870— 901, Kämmel 220). Aber für die Kämpfe mit ^lähren war diese Widersetzlichkeit der Grafen höchst unheilvoll, und Karlmann, der 876 seinen natürlichen Sohn Arnulf zum Herzog von Kärnten machte, und demselben die karantanischen Grafen unter- ordnete, übergab ihm auch die Verwaltung von Oberpannonien (Dümmler, Südöstl. Marken, S. 39, 51, 52). Nach Arnulfs Tode ge- langte der letzte kärntnische Graf Luitpold unter Ludwig dem Kinde zu grosser ]\Iacht, und seinem Uebermuth wird der Verlust der Schlacht bei Pressburg, in der er 907 fiel, vorzugsweise zugeschrieben. 382 X. 2. Die deutsche Besitzualime Oesterreiche und Kärntens. Von Auslireitung des Grossgrundbesitzes wird unter Karlniann und Arnulf nicht mehr gesprochen werden können, da schwerlich noch unvertheiltcH Land vorhanden war. Es konnte sich Seiten.s der Krone nui- um Eigenthumsbesträtigungen oder um Vergebung einzelner Domaincn handeln. Dagegen erscheinen neben dem geistlichen Be- sitze mehrfach die mit Gütern Seitens der Krone und der Grafen i)eliehenen Untervasallen. In dem Mallum publicum comitis zu Rafielstedten (Mon. Germ. Leg. III, 480) von 880, welches die Zölle für die Donaustrasse be- rathen und feststellen sollte, und von dem gesagt wird: rex Arboni marchioni praeeepit, quatenus cum judicibus orientalium investigaret, treten als isti qui juraverunt pro theoloneo in comitatu Arbonis 42 Männer auf, darunter 3 vicarii, und von sonst bekannten Personen 1 Vasall des Königs, 1 Vasall des Grafen Guntheri und ein Edler Durinc. Diese 42 sind die vereideten Sachverständigen, ferner werden als zugegen genannt ceteri omnes, qui in his tribus comitatibus (d. h. vermuthlich Ostmark, Traungau und der vom Traungau abgezweigte Donauthalgau) nobiles fuerunt. Nur wenige Urkunden enthalten einigermassen genauere Beschrei- bungen solcher Güter ^). ') Bemcrkenswcrth sind folgende Angaben über grössere und kleinere Güter: 878 schenkt Karlmann dem Kloster Oetting curtcm ad Trebinam cum domibus atfjue edificiis, cum XIX mancipiis infra curtcm morantibus utriuscjue sexus et LXX mansos (Mon. boic. XXXI a, 109, No. 50). 883. Abt Hatte tradidit proprietatem suam, quam habuit in Oriente ju.\ta fluviuni, qui vocatur Raba, i. c. hobas XXX an St. Emmeram, und empfängt dafür auf Lebens- zeit die Nutzniessung der bayrischen Abtei Mondsce mit allem Zubehör (Ried I, 63;. 887 giebt Arnulf Reginhardo, vasso Theotmari archiepiscopi, juxta tlumcn Gurca in loco Selezna in utracjue parte fluminis duas hobas plenas cum curtilibus, edificiis etc. (Th. V. Kleinmayer, Juvavia, 110). 888. Arnulf gewährt einem Ministerialen Heino die Bitte, super proprietatem suam legalem sibi rectitudinis potesfatem in proprietatem zu verstatten, und sagt: Dcdimus quidem ei cum consensu comitis ejusdem hereditatis sue rectitudinem perpetuo jure in proprietatem . . . ut nee . . . comes, nee ullus judex publicus , vel uUa ex judiciaria potcstate persona ... in easdem propra sui juris causas aut homines ejus tarn ingenuos, quam servos ibidem habitantes distringendos, vel ullas illicitas oecasiones seu ullius pressure calamitatem ingerere vel exaetare presumat, sed liceat illi . . • candem rectitudinem . . . habere. ... Ad publicum jam fati comitis mallum idem H. seu vicarius ejus legem ac justitiam exigendam vel perpetrandam pergit. Et si forsitan de Moravanorum regno aliquis causa justicie supervenerit, si tale quilibet est, quod ipse H. vel advocatus ejus corrigere [ne]quiverit, judicio ejusdem comitis potenter finiatur . . . ut universa debita legalia de gente inibi in proprio suo residente terciaque pars bannorura sub eodem hereditarii juris tenore sibi in proprium . . . persolvantur, X. 2. Die deutsche Besitznahme Oesterreichs und Kärntens. 383 Sie ergeben die fortdauernde Unterscheidung der Verliiliuiid. 11, S. 21J1) verknüi)ft wurde. Die (Jiitcr waren Sitze der Nobiles, welclie mit Gebtäuden uml Man- cipien völlig ausgerüstet erscheinen, und zum Theil sehr grosse Areale umfassten. Alle Grössenangaben erweisen, dass diese Areale nach Hufen festgestellt und aufgemessen wurden. Auch lässt sich aus den Hufenangaben erkennen, dass vom Könige häufig Königshufen verschenkt wurden, ausser den Königshufen aber ebenso andere und zwar kleinere Hufen zur Verleihung kamen, wie dies im west- liehen Deutsehland allgemein der Fall war. Unter diesen gewöhnlichen Hufen werden 864 die o. S. 380 erwähnten, an der Labentz in ^^'isitindorf vergebenen 8 mansi integri ausdrücklich als coloniae zu je 90 jugera bezeichnet, denen überdies ein umfangreicher Wald in der gesammten Umgebung beigegeben ist (Juvav. 99. Zahn, 8teier. Urkb. I, No. 8). Damit sind die Angaben zu vergleichen, welche o. Bd. 11. S. 51 und Bd. III, S. 267 über die Grösse der Königshufe von 47,7 ha und Bd. III, .S. 27 darüber gemacht werden konnten, dass in Apelern aus König Arnulfs Zeit 3 Latenhufen dieser Grösse erhalten sind, welche nach dem Maasse von 120 jugera angegeben werden. Das damalige jugerura ist also ziemlich genau auf 0,40 ha qui dicuntur civiles banni, ccteraquc ilcbitii cuiicta ail intcfjnim sine alicujiis particiune de eodem populo . . . illum . . . pcrtincant (Juvuvia p. 118. Düinmlcr, Siiiliistliche Marken S. 50). 888. Arnulf ühcrgiebt dem Priester Sigibold uuani hobani in valle Lavente iu Eigenthum (Juvav. 106). 890 wird in einer Freisinger Urliumie uiia huba slavonica zu llolenbuig in der Ostmark (an der Donau bei Mautern) erwähnt (Archiv für Ivunile österr. Gesch. - Quellen 27, S. 259). 892. Von dem Salzburgischcn Vasallen Altniann gehen 7 Hufen als Krbgut an den Salzburgischcn Lehnsmann Tlieodorich über (.Juvav. 117). 895. Waltliuni fidelis Arnulfi bekommt als Eigenthum in marchia jiixta Sowani III regalcs niansos, quod Riechenburch dicitur, et aliud pracdium ultra fiiivium S(jwam Gurekevelt nuncupatum (Zahn, Steier. Urkb. I, No. 11). 900. Nobilis vir Durinc schenkt 7 jugera Ackerland am Naarn an Uogcnsburg (Ried I, S. 80). 903. 5 Hufen an der kleinen Krems werden erwähnt (Boczek, Cod. dipL Morav. Bd. I, S. 70). 904. Arpo erwirbt in valle Lipinatal eine curtis Zlatina (Schladnitz) und Besitz in villa Costiza (Göss) im Ganzen 20 hobae (Zahn, Steier. Urkb. I, No. 13). 905. Ludwig schenkt cuidam homini suo, nomine Immo, propc aquam, quae dicitur Lava, hobam unam, quam Sclavus qnidam nomine Gruonkin quondam obsederat, cum curte et casa aliisque aedifieiis (Mon. boie. XXXIa, 175, No. 89). 384 ^- '^' I^'ö deutsche JJesitzimhme Oesterreichs und Kärntens. ZU berechnen. 892 verleiht dagegen Arnulf 30 Hufen in den Gauen Thilithi, Mart^theni, Bardengau und Loingau mit der ausdrückliehen Angabe, dass von diesen Hufen jede 60 jugera enthalten sollte. Letztere messen also Va Königshufe oder 24 ha. Die in ^\'isitllin- dorf verliehenen TTufen dürfen danach zu oß ha angenonmien werden. Unterpannonien bis an die Raab eroberte Arpad nach Arnulfs Tode schon 900 (o. Bd. H, S. 162). Die Ostmark und Kärnten fielen durch die Schlacht bei Pressburg völliger Verwüstung anheim, und blieben bis nach der Schlacht auf dem Lechfelde in ungarischen Händen. Otto I. verfolgte seinen Sieg bis unter die Mauern von ]\Ielk. Zur besseren Sicherung setzte er 970 den ^Markgrafen Burchard über die Ostmark. Unter dessen Schutz konnte wieder an die Herbei- ziehung von Kolonisten gedacht werden. 970 verlieh Otto I. einem Edlen 50 regales hobas auf dem Hofe Niedernhof im Stdzburgischen, ubicunque placuerit sibi mensurandas (IMon. Germ. Di])l. Otto I, Xo. 10), 979 an Göttweih 6 regales mansos zwischen Erlaf und Ips bei Wiesel- burg (Font. rer. Austriac. II, 8). Solchen neuen Verleihungen ist indess nur geringe Bedeutung gegenüber der grossen Zahl und Aus- dehnung der Güter beizumessen, welche von den früheren Besitzern oder ihren Erben wieder in Anspruch genommen wurden. Burchard starb schon 982. 983 setzte Otto IL Luitpold von Babenberg als ^Markgrafen ein. Diesem gelang es, die Grenzfestung Melk zu erobern, und 984 den Kahlenberg zu besetzen. 994 wurde er auf dem Reichstage zu Würzburg ermordet. Sein Sohn Heinrich I. vertrieb um 1000 die Ungarn vom AVienerwalde, und führte unter Kaiser Heinrich IL glückliche Kriegszüge gegen Polen und Mähren. Adalbert I. der Siegreiche folgte ihm 1018, kämpfte gegen Polen und gegen Ungarn, besetzte das Land bis zur Leitha, und er und sein Sohn Gottfried erzwangen nach einem entscheidenden Siege von 1042 den Frieden von 1043. 1058 erhielt Adnlbcrts Solm Ernst der Tapfere den kaiserlichen Freiheitsbrief, der ihn zum Reichsfürsten erhob. Kärnten stand unter eigenen Herzögen aus verschiedenen Häusern, inul wurde erst durch Rudolph von Habsburg mit Oesterreich vereinigt. Steiermark, das anfänglich mit Kärnten vereinigt war, wurde 1056 Graf Ottokar I. aus dem Geschlechte der Traungauer als Mark- grafen übergeben und blieb bei seiner Familie, bis sie es 1186 ver- tragsweise an Leopold V. von Oesterreich vererbte. Ueber die aus dieser Zeit bereits zahlreicher erhaltenen Urkunden X. 2. Die deutsche Besitznahme Oesterreichs und Kärntens. 385 ist zu bemerken^), das? sie die fortdauernde Verleihung von Königs- hufen in den Thälern der Ostmark und Kcärntens, und für alle TheiJe des Landes Anzeichen davon ergelien, wie die slawischen Einwolmer Besitzer von Hufengütern wurden. Von besonderem Interesse ist, dass seit den polnischen Feldzügen der Babenbergischen Markgrafen auch die Ansetzungen von Königshufen und anderen Hufengütern in Mähren erscheinen. Sie erfolgten damals nicht allein in dem Theile Mährens, welcher südlich der Taja zu Oesterreich geschlagen worden ist, sondern diese Kolonisation schritt bis zur polnischen Grenze vor, und es waren namentlich um die wichtige Grenzburg Graetz an der Mura und an dem Grenzflusse Oppa V»ei Troppau solche nach deut- schem Muster geordnete Ansiedelungen schon 1031 zur Zeit Albrechts entstanden. — p]s fragt sich nun, in wie weit diese Anschauung, welche die Urkunden von der fortschreitenden deutschen Besitznahme Oester- reichs und Kärntens gewähren, durch das Bild unterstützt und er- läutert wird, welches sich aus dem noch gegenwärtig thatsächlich vorhandenen Zustande der Besiedelung dieser Länder gewinnen lässt. •) Die agrarisch wichtigen Belegstellen sind folgende: 993. Locus, ubi Gluzo Sclavus habitare et diruere coepit, quem vulgari lingua nuncupant Gluzengisazi (Mon. boica XXVIII a, 253). 99."). 6 regales hobas in loco Indomeresfeldt (marcha Krems) an der Ips (Ulmersfelden, Meichelbeck histor. Frising. I, S. 191). 996. Curtis et in proximo confinio adjacentes 30 hobas regales in loco Niuwen- hova in regione Ostarichi in marcha (Waidhofen, ebd. S. 139). 1002. Heinrich 11. schenkt dem Ritter Pilgrim mit einem Gute in Oesterreich ad 100 mansos ex nostro jure, zu roden de silva, quae proxima est (Mon. boic. 28, 1, p. 294). 1017 — 1040. 5 regales mansos et 1 mansum tradit concambio juxta flumen Suechant (Schwechat^ (Boczek, Cod. dipl. mor. I, S. 110). 1025. (Conradus) 50 mansos dedimus, qui ad nostrum jus regaie pertinebant, sitos inter villam Frumanaha et inter fluvios Danubium et Maraha in comitatu Adal- berti marchionis (Boczek I, 110). 1031. 50 mansi moravici an der Oppa (Boczek I, 115). 1035. Heinrich II. überweist 50 Konigshufen zwischen der Triesting und Piesting (am Wienerwald) (Stumpf, Acta imperial, adh. inedit. No. 40). 1045. Heinricus rex confcrt Sig'^frido marchione 150 mansos intra fluvios Phiscaha, Litaha et Maraha (Boczek I, 118). 1045. Heinrich III. schenkt an Markgraf Sigfried 15 areas in longum prope Danubium extensas et retro has 30 regales mansos contra Ungaricnm plateam mensu- ratos, et ab adjacente villa Stilifride cjusdera contigais tcrminis juxta Moraham areae 30 in longitudinem centumque regales mansos retro predictas areas contra Ungaricam plateam respicientes (Boczek I, 119;. Meitzen, Siedelung etc. IL 25 386 X. 2. Die" deutsche Besitznahme Oesterreichs nnd Kärntens. Die Uebersichtskarte zur Einleitung des III. Bandes giebt einen hin- reichenden Einblick in die Art der Ortsanlagen und die Beschaffenheit der Feldointhei]unetrachten, auf welchen sieh die plötzlich und reissend anschwellen- den Ciebirgswässer von jeher ausgebreitet imd den Geröllschotter, den sie mit sich führten, abgelagert haben. Derselbe ist verwittert, auch von den feineren Sinkstoffen überdeckt worden, und bietet dem Anl)au leicht zugängliche FLächen. Aber genügend fruchtbar ist er nur ausnahmsweise. Sein Boden ist nicht hinreichend tief, rein und durch- lässig, und unterliegt immer wieder der Gefahr der Ueberschwemmung und wechselnder oder stockender Nässe. Er zeigt häufig den liruch- artigeu Charakter, der für die bayrischen Alpenflüsse o. Bd. III, S. 161 nälier geschildert worden ist. Soweit dieses Thalland Raum bietet, ist es jetzt fast überall von Ortsgemarkungen eingenommen, welche selten über 500 Joch Fläche besitzen uud deren Kulturland in Gewannen oder gcAvann ähnlich, meist bis zu ü1)erraschender Kleinheit oder wenigstens Schmalheit der Besitzstücke i)arzellirt ist. Als charakteristisch aber ergieht sieh, dass diese gewannmässige Parzellirung nicht der ursprünglichen An- lage der Königshufen angehört, sondern sich mit verschiedenen, theils erst nachher entstandenen Theilungen, theils anscheinend auch mit Resten älterer Besitzformen verknüpft hat. Diese beiden Siedelungsgebiete, das des Gebirgslandes und das der Flussthäler, scheiden sich endlich von einem dritten ab, welches sich, wie die Uebcrsichtskarte zeigt, genau jenseits der Grenze der alten Ostmark und im wesentliclien auch Karantaniens ausbreitet, und die.se Grenze ausserhalb nach Norden und Osten durch eine planmässig entstandene, jüngere Siedelungsform in zusamraenhiuigender Masse umschlie.sst. Hier bestehen überall gleichartige, fast übermässig grosse, mehr als 2000 Joch umfassende, regelmässig angelegte Dcirfer mit zahlreichen strassenf()rmig, eng aneinander gereihten fielniften, deren ausgedehnte Ackerfluren in planmässige Gewanne von mögliehst gradlinigen und sehr langen, nicht allzu schmalen T.andstrcifen getheilt sind. Diese Dorfform wird durch die Anlage i2ö, Tallisbrunn, verdeutlicht. Die ihr ange- hörigen Dörfer verbreiten sich über die Ebene Mährens und Oberungarns von einer Linie aus, die um den Fuss des den Kampfluss von der Taja scheidenden Höhenzuges und des >rannhardtsberges, die Schmida ab- wärts, und jenseits der Donau längs des Ostfusses des Wienerwaldes zu ziehen ist, von dem sie nach Oedenburg und zur Raab weiter läuft. 25* 38?» X. 2. Die deutsche Besitznahme Oesterreichs uud Kärntens. Vereinzelt erscheinen diese grossen Gewannfluren im gesammten süd- westlichen Ungarn und aucli noch im kärntnischen Drauthale. Es wird sich zeigen, dass sie sümmtlich der deutschen Kolonisation des 12. und 13. Jahrhunderts angehören, und dass bei ihrer Anlage der frühere Zustand der Besiedelung von Grund aus umgestaltet wor- den ist. — Für die ncähere Beurtheilung dieser Siedelungsunterschiede kommt vor allem in Betracht, dass das Gebiet der Ostmark wie Kärntens überwiegend von sehr zerrissenen und schwer zugänglichen Gebirgs- massen eingenommen wird, welche vom Adriatischen Meere aus bis zum Böhmerwalde die breiten Ebenen des südöstlichen und des süd- westlichen Europas trennen. Durch diese Gebirgsscheide führen in- dess in den offeneren Thälern zwei gangbare Strassen, die eine längs des Donaulaufes, die andre vom Plattensee, über die mittlere Mur und Drau zum Isonzo. Auf ihnen haben sich seit den ältesten Zeiten die verschiedenen Völkermassen bewegt, welche von den Ebenen Russlands und Ungarns nach dem Südwesten Europas durchgedrungen sind. Dass Spuren auf pfahlbauende Stämme deuten, die hier schon in vorkeltischer Zeit die Stromufer bewohnten, ist o. Bd. I, S. 241 und in Anlage 28 erörtert. Die Kelten haben ihren Weg die Donau strom- auf zum Rhein genommen, nnd Noricum dauernd im Besitz behalten. Nach ihnen sind die Italer von Sau nnd Drau nach Urabrien ge- zogen, und der Rest des Volkes, der als Rasener die Ostalpen bewohnte, ist dahin gefolgt. Später kamen westgermanische Bastarnen, Quaden, Cimbern nnd Markomannen und ostgermanische Burgunden, Vandalen, Heruler, Rügen und Skyren, auch skythische Alanen und Daken in das Donauthal. Die Römer führten Legionen und Veteranen der ver- schiedensten Völker von Italien nach Pannonien, endlich zogen Hunnen, Ost- und Westgothen und Longobarden von der Mur zum Isonzo nnd etwa seit 560 setzten sich die Slowenen, A waren, Serben und Chroaten in den Thälern und Gebirgen dieses Gebietes fest. Alle durchziehenden Schaaren der langen Reihe von Völkern haben allerdings möglichst vermieden, in die Schluchten und Wälder des Ge- birges einzudringen, und auch längerer Aufenthalt wird zunächst nur zu Ansiedelungen in den offenen zugänglichen Thälern geführt haben. Aber diese blieben der Hauptschauplatz der immer wieder erneuten Kriegsereignisse. Daraus folgte die Besiedelung der Gebirge, denn die Berge waren bei jedem siegreichen Andrängen neuer Völkermassen die natürliche Zuflucht für die Besiegten nnd Verjagten. Von Jahrhundert zu Jahrhundert richteten sich andere Sieger auf dem am besten X. 2. Die deutsche Besitznahme Oesteneichs und Kärntens. 389 geeigneten Thalboden ein, und jeder Wechsel führte die bisherigen Herren als Flüchtlinge in dii' Schluchten und Hänge, und driuigte auch hier die Schwächeren innner weiter auf die ungünstigen und höheren Lagen. So mussten die uralten unvermeidlichen Völkerwege hier eine noch grössere und unentwirrbarere Mischung in den Bevölkerungs-, Sprach- und Siedelungsverhältnissen her])ciführen, als o. Bd. I, S. 441 für die Westalpen zu zeigen war. Diese Mischung ist von den sprachlichen Gesichtspunkten aus, durch Vergleichung der Personen-, Berg-, Fluss- und Ortsnamen Gegen- stand sehr sorgfältiger Untersuchungen geworden. 0. Kam nie 1 a. a. 0. S. 143 ff. und Krones ^) haben die Namen land Schafts weise gesammelt und in ihrer Bedeutung erklärt. Durch die in denselben aus- gedrückten Vorstellungen werden ganze Gegenden überraschend an- schaulich bezeichnet, und sie ergeben für die Ortsgeschichte über- zeugenden Anhalt. Kämmel hat in Betreff der Besiedelung gezeigt, dass in Niederösterreich etwa B keltisch-romanische, 9 slawische und 44 deutsche Ortsnamen urkundlich bekannt sind, in Karantanien dagegen neben 9 kelto-romanischen 31 slawische und nur 18 deutsche, während im Neustädter Viertel östlich des Wienerwaldes, wo die Tallis- brunn entsprechenden grossen Koloniendörfer bestehen, kein slawi- scher, sondern nur auf 10 deutsche Ortsnamen je 1 alter romanischer genannt wird. Für alle Namensvergleichung a1)er kommt in Betracht, dass das Vorherrschen des Idioms in den Namen keinen hinreichenden Schluss auf das gleiche Verhältniss der entsprechenden Nationalität in der Mischung der Bevölkerung zulässt. Die Völker sind darin nach Be- dürfniss und nach Sitte und Neigung sehr verschieden. Während der Nomade jeden fremden Namen, den er vorfindet, gern aufnimmt und treu festhält, weil er auf weite Entfernungen hin bleibende und wieder zu erfragende Namensbezeichnungen nicht entbehren kann, hat der ansässige Ackerbauer kein über die nächste Ortschaft hinaus- gehendes Interesse, und giebt der Umgegend, die er kaum besucht, belicl)ige, seiner eignen Anschauung entnommene Benennungen. Die Kelten haben in ihren Gebieten ihre Ortsnamen gut bewahrt. Noch heut tragen die Städte Frankreichs die Bezeichnung der einzelnen keltischen Völkerschaften, die wir aus Caesar kennen. Die Römer waren gewöhnt, die einheimischen Ortsnamen, die sie vorfanden, überall ') Zur Geschichte der ältesten, insbesondere deutschen Ansiedelung des steier- markischen Oberlandes. Mittheilungen des historischen Vereins für Steiermark, Heft 27, Graz 1879. 390 X. 2. Die deutsche Bositztuihiue Oesterreichs und Kärntens. bestehen zu lassen, oder nur durch eme lateinische Endung ihrer Zunge zugiinglieher zu machen. Die Slawen halben in der Regel alle sprachlichen Erinnerungen beseitigt, und, obwohl s^ie mit Leichtigkeit fremde Sprachen lernen, doch ihre eigene mit solcher Beharrlichkeit festgehalten, dass sie ganze Völker, wie die Bulgaren, slawisirt haben. Die Deutschen dagegen behalten mit Vorliebe jeden fremden Lokal- naraen l)ei, oder machen ihn sich nur so weit mundgerecht, dass er in der Regel noch erkennbar bleibt, ja sie haben sich selbst fremde, namentlich slawische Personen- und Familiennamen gegeben. Die Slawen verbreiteten sich zur Zeit der Awarenherrschaft un- bestritten über ganz Oesterreieh und Karantanien. Dass dabei tlie alte kelto-romanische Bevölkerung und alle Reste deutscher Stämme völlig untergegangen sein sollten, die durch Jahrhunderte das Land unter der wenig eingreifenden römischen Oberherrschaft in Besitz ge- habt hatten, ist keineswegs anzunehmen. Aber die slawischen Namen Verdrängten in grosser Zahl die älteren. ]\Iit Ausnahme der bedeutend- sten Flüsse erhielten fast alle Gebirgsgewässer und Bäche und ebenso viele Berge neue slawische Namen. Die häufigen Endungen auf ing sind nur deutsche Umlautungen, die den Namen erhalten, nicht unterdrücken wohten. Liesing wurde für Lieznicha gesagt, Jassing für Jasnica, Sömmering für Semmernik, ebenso Treffen für Trebina, Schrems für Scremesniz, Ponigl für Ponivka, Tober für Dobrina u. ähnl. Die Fluss- und Bergnamen übertrugen sich weiter auf die Ansiedelungen. Rein deutsch gegründete Dörfer an der Liesing werden Liesingsdorf, Liesdorf oder Lies benannt. Ebenso lauten aber auch slawisch gegründete in Deutsch, und der slawische Name kann schon an die Stelle eines keltischen oder illyrischen getreten sein. Wenn also die Sprache nur sehr zweifelhaften Anhalt für den Ursprung der Ortschaften bietet, ist leider auch die Form und Feld- eintheilung dieser Ansiedelungen nicht geeignet, über ihre Ent- stehung sichere Aufklärung zu geben. Dass die alpinen Einzelhöfe und Weiler wesentlich durch die Beschränktheit des kultivirbaren Gebirgsbodcns und die ])esondereii Anforderungen des örtlichen Wirthschaftsbetriebes bedingt sind und keinen Schluss auf die Nationalität ihrer Begründer oder Bewohner erlauben, ist schon o. Bd. I, S. 442 gezeigt. Ihnen stehen indess in der Unregelmässigkeit der einzelnen Besitzstücke auch die Ortsanlagcn der oberen Thäler sehr nahe, welche eine dorfähnliche Entwickelung zulassen. Die typische Flureintheilung in diesen breiteren Thälern giebt die X. 2. Die tltnit-sche Ik'sitznaliiue OcskTificlis uud Kärntens. 391 Karte von Lintschiiig, Anlage lld. \\'äre die Flur von einem deut- schen Grundherrn erst gerodet, so bedürfte ihr Besitzstand keiner Er- klärung. Aber der Name ist nur scheinbar deutsch. Der Lungau war noch bis in späte Zeit als slawisch bewohnt bekannt. Wahr- scheinlicher dürfte hier vorher schon eine andere Bevölkerung gesessen haben. Wenn indess Lintsching immerhin durch Deutsche und erst in der Karolingerzeit begründet wäre, Hesse sich bei der allgemeinen Uebereinstinmiung aller dieser Fluren doch nicht denken, dass die ge- sammten gleichgestalteten Ansiedelungen, also überhaupt die des grössten und fruchtbareren Theiles Oesterreichs und Kärntens erst in der Karolingerzeit aus deutschen Gründungen hervorgegangen seien, oder dass die eindringenden deutschen Grundherren, sowohl die Krone, wie die Stifter und die Edelleute, überall gleichartig andere, bereits bestehende Feldeintheilungen in solche unregelmässige und planlose umgewandelt hätten. Das Bild von Lintsching führt vielmehr, min- destens für einen namhaften Theil des Landes, die Form bei weitem der meisten aus früherer, sei es slawischer oder schon kelto-romanischer Zeit stammenden Anlagen vor Augen. Nur dass sie im Laufe der Jahr- hunderte durch Parzellirung mehr und mehr zerstückelt worden sind. Der L^rsprung dieser Siedelungen aus älterer Zeit wird schwerlich völlig aufgehellt werden können. Indess sind für sie nur zwei Arten der Entstehung möglich. Entweder können sie, wie dies bei Demidowo, Anlage 102, ge- zeigt worden ist, durch eine stückweise Okkupation entstanden sein, welche die Volksgenossen gestatteten und als Recht eines Jeden, der zuerst von einem Grundstücke Besitz ergriff, achteten. Dies setzt indess voraus, dass das in Besitz genommene Grundstück sich auf eine übliche, mit der eignen Arl)eit des Besitzers und seiner Angehörigen kulti virbare Grösse beschränkte, und dass zum Roden geeignetes Land im Uebertlusse vorlianden war, so dass sich das entstandene Besitzverhältniss durch lange Zeit befestigen konnte, ehe sich die Nach- barn durch solche Okkupationen fühlbar beengt sahen. Oder das Land wurde in grossen, zusammenhängend abgegrenzten, zum dauernden Wohnsitz einer Familie bestimmten und für alle Be- dürfnisse derselben auf lange Zeit ausreichenden Fluren in Besitz ge- nommen, wie dies für die Nordslr.wen (o. Bd. 11, S. 261 ff.) vorauszusetzen war. Dann machte es keinen Unterschied, ob die Flur von irgend Einem aus der Reihe ihrer Einzelbeaitzer unter mehrere Berechtigte vertheilt wurde, oder ob sie zunächst in kommunistischen AVirth- schaftsbetrieb kam, und nach und nach unter mehrere kommu- 392 ^- 2. Die deutsche Bcsitziialniif Oesterreiclis und Kärntens. nistisclic Genossenscliaften Zf^rfiel. Immer konnten bei dieser Ver- theilimg die unregelmässigen, blockförniigen Flurstücke nur daini ent- stehen, wenn ein Machthaber oder eine liöhere Leitung vorhanden war, der sich alle Betlieiligten fügen mussten. Es kann also nur ein wirk- licher Eigenthümer der Flur, oder ein Grundherr als Obereigenthümer, oder endlich ein, dem keltischen Häuptling oder dem slawischen Staressina oder Supan entsprechend, mit väterlicher Gewalt aus- gerüsteter Leiter der Mitberechtigten in Frage kommen. Seine wirklich gleichberechtigten Flurgenossen hätten ohne Streit und Vergewaltigung nicht nach Blöcken, sondern nur in viele Gewanne von geringem Um- fange theilen können, wie o. Bd. I, S. 83 ff. näher gezeigt ist. Supane haben nun in der weitesten Verbreitung in der Ostmark wie in Karantanicn als Ortsvorsteher bestanden. In Urkunden kommen sie allerdings hier wie anderwärts im wesentlichen erst im 13. Jahrhundert vor, weil keine Veranlassung war, ihrer als bäuerlicher Ortsvorstände Erwähnung zu thun. Aber die Darlegung o. Bd. II, S. 215 hat gezeigt, dass ursprünglich unter Zupa die ein Hauswesen bildenden Familienglieder und Hausleute und unter Supanen deren Familienhäupter verstanden wurden, so dass ihr Vorkommen überall die Vermuthung für sich hat, eine Ent- wickelung aus der Hauskommunion zu sein. Es lässt sich auch der Nachweis führen, dass die Hauskommunionen keinesweges nur in Kroatien und Serbien, sondern ebenso unter den Slawen Kärntens und Steiermarks bestanden haben. Denn H. J. Biedermann (Die Nationalitäten in Tyrol, Stuttgart 1886, S. 85) und Anton Au er (Die Iselthaler, in Amthor's Alpenfreund V, 1872, S. 22) haben festgestellt, dass noch an der äussersten nordwestlichen Grenze Kärntens in Windisch INIatrci und im Isel- und Tefreggerthale, am Abhänge des Grossen Venedigers und der Dreiherrnspitze, die Haus- konmumionen bei den Bauern bis auf unsere Zeit gekonmien sind. Sie bestehen hier trotz der Gegenbestrebungen der Ikhörden noch gegenw^ih-tig in der vollen Form des kommunistischen Haushaltes fort, dem sowohl der landwirthschaftliche wie der gewerbliche Erwerb des einzelnen Mithäusers zufliesst, und der von dem Vorhäuser als Vorsteher und Leiter verwaltet wird'). Andrerseits erwähnen die gedachten Urkunden Tassilo's und Karls d. Gr. einen Supan oder, wie er im ladinischen Munde lautet, jopan 777 sogar jenseits der Donau im westlichen Traungau. ') Ueber die slowenischen llauskommunioncn um Udine und Gorz ist zu ver- glejchea Krek, Kinlcitung in die sliiw. Literaturgeschichte, 2. Aufl., 1887, S. 365 ff. X. 2. Die deutsche Besitznahme Oesterreichs und Kärntens. 393 Deshalb lässt sich daran nicht denken, dass die in den Urbaren des 13. Jahrhnnderts in zahh-eichcn (fcnieinden als Ortsvorstände auf- geführten Hupane eine neue Einrichtung seien. Vielmehr erweisen diese Urbare deutlich, da.^s die Supane Kärntens und .Steierniarks unter dem Einflüsse der deutschen Grundherrschaften auf einer älteren, ihrem Ursprünge näher stehenden Stufe erhalten worden sind, als in den Slawenreichen Schlesiens und Böhmens. In Schlesien sind sie als richterliche Bezirksbeamten bekannt (Tschoppe und Stenzel, Urkundensamml. S. 76, Xo. 42 u. 54). In Böhmen erhoben sie sich zu noeh höherer Amtswürde. Sie werden 1203 (Erbens Regest. I, 216) neben den comites genannt. 1212 (Ebd. 246) werden Verhandlungen praesentibus suppanis et pluribus nobilibus terrae gepflogen. 1219 ist von clero et suppanis terrae et universo populo die Rede und 1237 (Ebd. 425, 428) werden sie neben den nobilibus, militibus (Vladyken) et cunctis incolis genannt. Es kann dahin gestellt bleiben, ob darin noch eine Erinnerung an die o. Bd. II, S. 214 erwähnte, der Hauskommunion entsprechende volksthümliche Staatsorgani- sation liegt. Jedenfalls haben die kärntnischen und steierischen Supane, wie die Urbarialauszüge in Anlage 121 mit ihren näheren Nachweisen belegen, nirgends die Stellung eines Ortsvorstehers überschritten, sie sind nicht einmal in die Lage der obersächsischen Supane (o. Bd. II, S. 241) gelangt, welche zum Theil aus Ortsvorstehern zu Supanei- bezirks vorständen erholten wurden. Nach diesen Urbaren waren die Supane mit Zins und Robot be- lastete Bauern, welche in der Grösse ihrer Besitzungen und deren Lasten den übrigen Bauern der meist kleinen Ortschaft im wesentlichen gleichstanden, nur dass ihnen ein gewisser Theil der üblichen Leistungen erlassen war, weil sie als Supan die Geschäfte des Ortsvorstehers ver- sahen. Nach einzelnen Andeutungen verloren sie die Erleichterung ihrer Leistungen, wenn sie nicht mehr Supan waren. In der Regel scheint aber dem Besitzer des Supangutes die Supanstellung als selbst- verständlich zugefallen zu sein. Meist bestand das Gut des Supans aus einer Hufe, wie die der übrigen 5 bis 15 Bauern des Ortes. Selten gehörten einem Bauern 2 Hufen. Dies könnte auch bei einzelnen Supanen der Fall gewesen sein. Abweichungen von der gleichen Belastung der Hufen- güter derselben Ortschaft waren, soweit sich ersehen lässt, nur durch Umsetzung in Geldzins, durch Gewerbebetrieb oder durch besonders übernommene herrschaftliche Wiesen oder Aecker bedingt. Ocde ge- 394 ^' 2. Die (leutöche Bewitznalinio Oesterreiolis und Kärntens. wordene Hufen erscheinen überall als gegen einen niedrigen Geldzins verpachtet. Neben den Bauern fanden sich einzelne kleine Acker- oder Garten- besitzer, auch mit Häusern angesessene Handwerker, welche möglicher- weise nicht unter die Supa gerechnet wurden, sondern in einem Ijesonderen Verhältniss zur Herrscluift standen. Diese Eigenthümlichkeiten entsprechen sehr nahe denen des deutschen Hufendorfes, und der Supan scheint in den meisten Fällen einem deutschen Erbscholz, hier und da einem Setzscholzen gleich- zustehen. Aljer die Flur keiner der in den Urbarialauszügen der Anlage 121 genannten Orte liegt, wie die dieser Anlage beigegebene Karte von Scharfenberg verdeutlicht, in Gewannen, sondern überall besteht die unregelmässige Feldeintheilung, welche Lintsching, Anlage 119, als Beispiel zeigt. Meist sind die Gehöfte nicht einmal so weit anein- ander geschlossen angelegt, wie in Lintsching, sondern der unter dem Supan stehende Ortsbezirk setzt sich aus kleinen Weilern und zerstreuten Einzelhöfen zusammen. Diese Umstände bestätigen, Avas Kämmel (S. 260) namentlich für Karantanien ausführt, dass in diesen Gebirgsgegenden nur ganz ausnahmsweise deutsche Dörfer neugegründet worden sind, vielmehr einzelnen Rittern und Grossen umfangreiche Bezirke mit Land und Leuten überlassen wurden, wie sie z. B. in Anlage 121 die Herr- schaften Scharfenberg und Stain von je 8 bis 10 D Meilen Fläche durch die Grenzen, welche die Urbare angeben, erkennen lassen. Aus einem solchen Besitze vergab der Grundherr einzelne Ortschaften und Güter an Untervasallen, andere Orte behielt er mit ihren Ländereien als eigene Herrschaft. Seiner deutschen Begleiter bedurfte er als Beamte und Reisige. Das Rustikalland vertheilte er an die vorge- fundenen slawischen Bewohner in Landleihen. Die Land Verleihung geschah, wie die Urbare erweisen, überall nach deutschem Herkommen in möglichst gleich vertheilten und gleich belasteten Hufen. Die Fläche der Gemarkungen, verglichen mit der Anzahl der Hufen, ergiebt, dass das Gut eines Hüfners 12 ha selten überstieg. Dies findet auch seinen Ausdruck in den oben S. 386 mitgetheiltcn Erwähnungen der hobae sclavonicae, die im Gegensatz zu den viel grösseren deutschen Hufen, namentlich den mansi regales, standen. Entsprechend sind die Getreidezinsen nicht hoch, vielmehr wurden allerhand andre Leistungen und Roboten auferlegt. Der Supan trug als Ortsvorstand für den Eingang Sorge. X. 2. Die deutsche Besitznahme Oesterreichs und Kiirutens. iJ<)5 Die Tlieilung in gleiche Hufen steht zwar dem CirinKlgeihinken nach in l)estinnntcni Gegensätze zu der Sitte der Hauskonnnunion, aber es ist nir)glich, dass die Besitz Veränderung, welche durch sie entstand, weder thatsächlieh bedeutend war, noch schwer enii»fundru wurde. Die Hauskommunion, falls sie noch die gesannnte CJeniarkung unifasste, musste sich allerdings auflösen, aber die Theilung unter- schied sich bei der Ausführung wenig von der üblichen Scheidung nach Stir^jcs zu gleichem Recht. Die einzelnen Stirpes konnten sich leicht so weit spalten, als es die Zahl der Hufen erforderte, und auf jeder Hufe, wie es Biedermann bekundet, neue Hauskommunionen begründen. Zudem waren die kärntnischen und steierischen Slawen in der Karolingerzeit noch nicht so lange im Besitz ihrer Ländereien, dass inzwischen grosse und häufige Verschiedenheiten innerhalb der etwa Ijereits abgetheilten Stirpes entstanden sein konnten. Wo sieh Hauskomniuniouen aber schon völlig in Einzelwirthschaften mit Privateigenthum aufgelöst hatten, hatte nach dem gleichen Anrecht der Haushaltungsgenossen voraussichtlich auch eine ziemlich gleiche Theilung unter ihnen stattgefunden. Es konnte also die Hufen- eintheilung dem Besitzstände angepasst werden, namentlich Hessen sich mehrere Besitzungen zu einer Hufe vereinigen, deren Wirthe die Lasten nach ihrem Antheilsvcrhältniss trugen. Anlage 121 nennt mehrere Hufen in gemeinsamem Besitz. \\'enn indess auch gewisse Schwierigkeiten durch die alten Anrechte entstanden sein sollten, o. Bd. H, S. 245, 251 ist gezeigt, dass die slawischen Grundherren ihren Hintersassen gegenüber wenig peinlich verfuhren, und dass es bei den Landzuweisungen an Rustikale üblich war, die verliehene Fläche und die Belastung nach dem Inventar des Beliehenen ab- zustufen, die herrschaftlichen Beleihungen also stets einen wechseln- den und prekären Charakter hatten. Diesem Brauche gegenüber musste die Ansetzung auf einer Ijcstimmt abgegrenzten Hufe mit feststehenden Rechten und Pflichten, auch wenn der vorgefundene Landbesitz des Einzelnen dabei hier und da verkürzt worden wäre, gleichwohl als ein erheblicher Vorzug einleuchten, weil die Hufe ihrem Prinzipe nach immer in solcher Grösse und Ertragsfähigkeit angewiesen wurde, dass sie den Unterhalt der Familie des ^\'irthes hinreichend sicher stellte. Wie sich aber auch die Veränderungen im Besitzstande der ein- zelnen Personen gegen früher gestalteten, der neue Grundherr ordnete die Zuweisung der einzelnen Hufenländereien überall nach seinem Ermessen. Es ist also nach dem völlig unregelmässigen Bilde, welches 396 X. 2. Die deutsche Besitznahme Oesterreichs und Kärntens. diese Fluren bis auf unsere Zeit gebracht haben, ausgeschlossen, dass er bei der Vortheilung einen anderen Plan verfolgt hat, als den, den einzelnen Hufen ungefähr gleichwerthige Grundstücke ohne Rücksicht auf ihre verschiedene Lage zu gewähren. Dafür genügte deshalb, dass er die auf der Flur bereits vorgefundenen einzelnen Flurstücke im wesent- lichen in ihren Abgrenzungen nach Blöcken und Parzellen bestehen Hess, und nur, so weit unvermeidlich, an andere Besitzer überwies. Er konnte keine Veranlassung haben, sich den im Gebirge besonders grossen Mühwaltungen, den Nachtheilen und dem unnöthigen Zeit- aufwande zu unterziehen, ohne welche eine Abänderung der Parzellen- begrenzung nicht durchführbar gewesen wäre. Erhebliche Eingriffe dieser Art würden sich auch ohne bestimmte Formen nicht denken lassen. Für solche Anordnungen finden sich auf den Karten nirgends Anzeichen. Die Feldeintheilung der Gemarkungen des Gebirgslandes macht vielmehr durchweg den Eindruck der zufälligen und allmäh- lichen Entstehung. In den besseren Lagen muss sie nothwendig in nicht geringer Ausbreitung aus dem lange vor dem Auftreten der Slawen begonnenen Anbau durch Zugehörige sehr verschiedener Volks- stämrae hervorgegangen sein. — Das zweite Siedelungsgebiet, das die breiten, fast ebenen Strom- thäler einnimmt, steht zu dem Gebirgslande in Betreff der Flur- anlagen in einem Gegensatze, der sich im wesentlichen schon aus der Darstellung der deutschen Besitznahme erklärt. Theils die Veränderung durch die Kriege, theils die Beschaffenheit der Thalgründe lassen glaubhaft erscheinen, dass trotz der günstigeren Lage der Grundstücke der Anbau hier zur Zeit der Eroberung meist benachtheiligter gewesen ist, als in dem geschützteren Gebirgslande. Die Urkunden wie die Siedelungsformen selbst machen den Eindruck, dass hier Rodungen und Neukulturen von verhältnissmässig bedeuten- der Ausdehnung auszuführen waren. Namentlich in das Donauthal haben sich die völlig planmässig entwickelten Waldhufen- Anlagen nach dem Muster von Längenhardt (o. S. 336) schon im 9. Jahrh. aus Deutschland verbreitet. Indess ist die Anzahl solcher Kolonien, soweit sich durch ihre Form ersehen lässt, nicht gross. Zeillern, Erlaf, Melk, Bielach, Haimberg, Drasdorf, Königsstetten und Schmida sind in Waldhufen angelegt. Zeillern wird vor 8G3 im Ennswalde genannt (Mon. boic. XI, 120). In der Nähe von Erlaf l)estand 879 ein Gut des Klosters Mondsee (Ried I, 58). Melk, aus römischer Zeit, ist von kaiserlichen Höfen umgeben, und 7 Hufen gehen hier 892 von dem Vasallen Theodorich auf den Vasallen X. 2. Die deutsche Besitznahme Oesterreichs und Kärntens. 397 Altiiiaim über (Juvav. 117). In der (JegciKl von Biehidi Itestanden königliche Höfe, von denen 40 Plufen schon 811 an Altaich kamen. Da.«!S die Gründung von Eiolach auf ihnen erfolgte, erwähnt erst eine gefälschte spätere Urkunde (^lon. hole. XI, 111). Heimo, ein Ministeriale Arnulfs, wurde 888 mit Land zur Gründung einer Burg beschenkt (Juvav. 118). Drasdorf kommt 830 als Domaine vor (Mon. boic. XI, 427). Königsstetten ist in einer Oertlichkeit von Passau begi-ündet, in der das Bisthum 836 100 Hufen vom Könige erhielt (Mon. boic. XXVIII a, 29). Es erweisen sich also auch urkundlich diese Waldhufenanlagen auf grundherrlichem Lande ausgeführt, wie sie es ihrer Natur nach nur sein können (o. Bd. II, S. 333). IShiglich ist allerdings, dass diese charakteristischen Rotthufen auch sonst in der Ostmark aufgefunden werden können, denn sie sind bei der starken Parzellirung des Landes nicht immer leicht zu erkennen. Namentlich ist wahrscheinlich, dass ein vielleicht erheblicher Theil der nach Königshufen vergabten Ländereien ursprünglich in der Form der Waldhufen zugemessen und wegen der besonderen Grösse der Königs- hufen, wie dies in Anlage 115 am Zehntlande von Hersfeld gezeigt ist, früh zur Theilung gekommen ist. Neben den Waldhufen findet sich auch die ge\vannmässige Eintheilung deutsch angelegter Fluren, welche mit dem Charakter guts- herrlicher Anlagen, den die deutschen Neugründungen in Oesterreich tragen, wie o. Bd. II, 8. 324 nachgewiesen ist, nicht im Widerspruche steht. Die LTebersichtskarte deutet mehrere solche Fluren an, auf denen einige Flurstücke nach den Katasterkarten gewannähnlich ver- theilt erscheinen. Auch sie liegen sämmtlich auf bekannten, urkund- lich an Grundherren zur Kultur verliehenen Landstrecken, so nament- lich am Kamp um Stiefern (Urkb. ob d. Enns II, 19, 30) an der Krems, wo 903 verschiedene deutsche Dörfer erwähnt werden (Boczek, Cod. dipl. Mor. I, 70), bei Melk und Pechlarn, und in Sachsen bei Grein, l>ei dessen Anlage sich die heimische Sitte der von Karl d. Gr. dorthin verpflanzten .Siedler geltend gemacht haben wMrd, während Sachsendorf bei St. Polten in Blöcken liegt. In beiden Uferlandschaften der Donau weisen die o. S. 376 ff. als Belege des Fortschreitens der deutschen Kolonisation angeführten Urkunden ganz besonders viele Oertlichkeiten nach, in welchen durch den Domainenfiskus und durch die geistlichen Stifter neue Anlagen, zum Theil unter Einbeziehung bereits bestehender Ansiedelungen, gemacht worden sind. Andrerseits ist nicht unwahrscheinlich, dass auch hier, wie um 398 ^- 2. Die deutsche Besitznahme Oesterreichs und Kärntens. Salzburg, in den altkultivirten norisclicn Gebieten des rechten l'fc^rs unveränderte kelto-romaniscbe Höfe sich erhalten haben. Denn die grösseren Dörfer liegen keineswegcs nahe aneinander, vielmehr sind aus- gedehnte Strecken zwischen ihnen mit weilerartigen Ortschaften nnd einzeln liegenden Höfen bedeckt. Diese Anlagen sind zum Tlicil völlig geschlossen nnd umfassen nicht selten als sogenannte Meier- höfe 100 ha Fläche. Zum grösseren Theil sind sie in Parzellen ge- theilt, nnd entsprechen genau den beiden Formen der Einzelhöfe Ober- bayerns und Salzburgs, welche in den Anlagen 51 — 53 als deutsche, von Grundherren ausgegangene, in den Anlagen 62 — 64 aber als ursprünglich romanische Siedelungen nachgewiesen worden sind. Dies ist der Charakter der Besiedelung des Donanthales, welches nur theilwcise eben, überwiegend vielmehr ein zwar häufig schwer zu kultivirendes, aber meist fruchtbares Hügelland ist. Bevölkerung und Hausbau desselben sind jetzt, wie Anlage i22 näher erörtert, im wesentlichen überall bajuvarisch. — Die breiten bruchartigen, fast völlig ebenen Flussthäler der Mur, Drau und Sau besitzen dagegen in ihrer Oertlichkeit und Besiedelung viel grössere Gleichartigkeit, als das Ufergebiet der Donau. Anlage 12S giebt ein anschauliches Bild der Vertheilung des Flussthaies um Pettau unter die umliegenden Dorfgemarkungen, und der Art der Feldeintheilung der zu ihnen gehörigen Flur Drasendorf. Diese Fluren dürfen auch als typisch für die Thalebenen um Knittel- feld, Graz, Leibnitz, Klagenfurth, Bleiburg, Mureck, Marburg, Cilli, Gurkfeld, Krainburg und Laibach gelten. Schon die Generalstabs- karte zeigt hinreichend, dass alle diese Ebenen in meist schmale und sehr lange Fluren zerlegt sind. Die Dörfer liegen strassenförmig geschlossen auf beiden Seiten des Thalrandes in der Nähe kleinerer Wasserläufe. Ihre schmalen Ackerfluren von geringer, zwischen 100 und 200 ha scliwankender Grösse sind meist alle in der Weise par- zellirt, wie dies Drasendorf veranschaulicht. Die grosse Aehnlichkeit mit dem Hersfelder Zehntlande bei ]\rerse- burg (Anlage li5) ist nicht zu verkennen. Auch die Urkunden erweisen sicli dafür nicht ganz ohne Anhalt, dass in diesen Stromthälern Kcinigshufen verliehen worden sind. 895 werden in Beichenburg an der Save, nahe Gurkfeld, in lor<» juxta Sowaam tres regales mansos, quod Richenburg dicitur, genannt (Boczek, Cod. dipl. Mor. Bd. I, S. 53). 985 schenkt Otto HI. Ptachvino 15 mansos reg. in villa Razunai (Rosswein W\ Älarl)urg) sitos, si il>i inveniantur; si autem ibi in- X. 2. Die deutsche Besitznahme Oesterreichs und Kärntens. 399 veniri non possint, in proxiniis villis iibi suppleri valeant tollt'iulos . . . liberam potestatem habeat, pive tradere vel commutare, aut vendere, seil magis sibi retinere voluerit (Zabn, Urkb. v. Stoienu. S. 39, No. 32). 1046 giebt Heinrich 11. dem (Irafen Wilhelm in villa quae dieitur Troskendorf (Dreschendorf, WNW. v. Cilli, mit T.endorf, Arn- dorf und weiterer Umgebung) 30 regales mansos et potestatem faciendi quid veht (Ebd. S. 44, No. 37). Herr Johannes Peisker, dem die nähere Untersuchung dieser Dörfer, soweit sich ihre Karten und Besitzregister im Katasterarchive von Steiermark befinden, und auch die Skizze von Drasendorf zu verdanken ist, hat die Ueberzengung gewonnen, dass ein sehr grosser Tboil dieses um Pettau, »Rothacker« genannten Tlialbodens nach Künigshufen vergeben, und auch zunächst nach solchen ?Iufen in kleinere Gemarkungen untervertheilt Avorden ist. Daraus lassen sich ihre meist schmalen und langgestreckten Formen erklären. Erst inner- halb der so gebildeten Gemarkungen ist dann, wie er annimmt sehr bald, eine Theihmg in kleinere Hufen eingetreten. Diese Anschauung wird dadurch bestätigt, dass 4 mansi slavonici zu je 12,2 ha genau das Maass der Königshufe ergeben. Das in der Skizze von Drasendorf hervorgehobene Bauergut besitzt 12,G ha und die ganze Flur, abzüg- lich der Gewä.sser und eines ausserhalb liegenden Wiesenstücks, be- rechnet sich auf 20 Königshufen. Die Flur Perowetz in dem Thal von Gonobitz, westl. Pettau, hat genau die Fläche von 48,2 ha. Auch liegen alle S. 386 erwähnten hobae sclavonicae in deutsch benannten Dörfern und bilden deren Untertbcile, imd zwar in Gruppen zu je 4. Einige Abweichungen in der Art der Parzellirung hat Herr Peisker namentlich da gefunden, wo die einzelne Flur wegen der Form des Thaies oder wegen der Lage zwischen den Nacbbarfluren eine mehr quadratische Gestalt erhalten hat. Dann liegen die Par- zellen theils in völligem Parallelismus, ähnlich wie bei den Marsch- hufen, neben einander, und die (lehöfte stehen in einer Reihe, jedes auf dem ihm zugehörigen Landstreifen, oder die Parzellen einzelner Gewende laufen rechtwinklich gegen die der übrigen, was auch bei den schmaleren Fluren hier und da vorkommt, oder endlich die Parzellirung hat sich zu einer völlig durchgeführten Gewanncintheilung in theils grossen, theils kleinen, immer sehr regelmässigen Gewannen entwickelt. In diesen Formen lassen sich indess keine wesentlichen Abweichungen von der Grundlage der Besiedelung dieser Flussthäler erkennen. Ihre charakteristische Entwickelung ist überall gleichmässig in der ursprünglichen Verleihung zu grösseren grundherrlichen, in 400 X. 2. Die deutsche Besitznahme Oesterreichs und ICärntens. Kultur zu bringenden Besitzungen, in der Theilung dieser Besitzungen in massig grosse Dorfgemarkungen, und in der Parzellirung dieser Gemarkungen unter grundlierrlich helieliene Hufenbauern zu selien. Da die Bevölkerung aller dieser Dörfer überwiegend slowenisch ist, ist erklärlich, dass auch für ihre Ortsvorsteher die Bezeichnung Supan besteht. Ihre Häuser haben einige von den deutschen der Ostmark abweichende Besonderheiten, auf welche im weiteren Zu- sammenhange zurückzukommen sein wird. — Es bleibt noch übrig, für das dritte der oben gedachten Siedelungs- gebiete, die Gegenden ausserhalb der Ostmark, zu zeigen, dass bei der Anlage der durch Tallisbrunn, Anlage 120, charakterisirten grossen deutschen Dörfer, welche die gegenwärtige Besiedelung der mährisch- niederösterreichischen Ebene bilden, die früheren Siedelungsverhält- nisse vollkommen umgestaltet worden sind. Dies wird nach der oben S. 385 im Auszuge wiedergegebene Ueberweisungsurkunde über 130 regales mansi in der Nähe von Still- jried an Markgraf Sigfried durch die bestimmte Bezeichnung der Lage der bedeutenden Fläche, welche die verschenkten 6500 ha im Jahre 1045 einnahmen, mit genügender Deutlichkeit bekundet. Nach der ausdrücklichen Angabe dieser Urkunde waren dem Mark- grafen 15 bereits vorhandene Gehöfte an der Donau und 30 in der Nachbarschaft von 8tillfried an der March, dazwischen aber in langen Streifen nebeneinander 130 von der Donau l)is zur March aufgemessene Königshufen zugewiesen worden, welche ein Terrain von etwas mehr als einer Quadratmeile in Anspruch nahmen. Das Donaubett hat sich seit 1045 in dieser niedrigen Gegend wesentlich verändert. Der untere Lauf des Russbaches darf als der alte Hauptstrom be- trachtet werden, und die 130 Königshufen müssen in der Richtung zwischen Stillfried und Markgrafenneusiedel ausgethan worden sein, wenn die Urkunde überhaupt Sinn haben soll. Ungefähr in der Mitte dieses Terrains aber, wie immer es im Einzelnen begrenzt worden sein mag, liegt gegenwärtig das Dorf Tallisbrunn, eine abgerundete Flur von 818 ha, also nur etwa dem 8. Theil der an Sigfried überwiesenen Crcsammtfläche. Tallisbrunn ist in Dorfform, und nach seinen langen, regelmässigen und parallelgetheilten Gewannen der Kolonisation des 12. und 13. Jahrb. entsprechend angelegt. Es lässt sich auch mit Bestimmt- heit aus den Gewannen Sechsjochfeld und Langjochen berechnen, dass das Maass, nach welchem die Flur aufgemessen, 65,70 ar auf das Joch betrug. Dieses Älaass stimmt weder mit dem neueren österreichischen Jochmaasse von 57,5574 ar, noch mit dem jugerum, welches bei den X. 3. Die deutsche Eroberung Oberfrankens. 401 Königshufen König Arnulfs, wie o. S. 383 berechnet ist, in Flächen von 40 ar angewendet wurde, und bis in das 13. Jahrhundert, so lange Königshufen vergeben wurden, gegolten haben dürfte. Tallis- brunn beweist al)er auch durch die Form und Lage seiner Gewanne, dass es keinesweges etwa aus einer Parzellirung eines Theiles der Königs- hufen Sigfrieds, ähnlich wie die Dörfer des Hersfelder Zehntlandes, hervorgegangen sein kann. Vielmehr ist nur anzunehmen, dass es unter einer völligen Umwandelung des Besitzstandes auf dem Königs- hufenlande des Markgrafen von Grund aus neubegründet worden ist. Der nähere Nachweis über die Zeit dieser Umwandlung muss der Darstellung der deutschen Kolonisation der östlichen Slawenländer vorbehalten bleiben. 3. Die deutsche Eroberung Oberfrankens. Ungleich übersichtlicher als in Oesterreich und Kärnten liegen die Verhältnisse der deutschen Besitznahme in dem Theile Oberfrankens zwischen dem Böhmerwalde und der Regnitz, der von den sogenannten Redanzslawen besetzt war. Die Kleinheit und die geographische T^age dieses Gebietes, die frühe Zeit und der schnelle Verlauf der ent- scheidenden Eroberung und der damit zusammenhängende Mangel ausführlicher Nachrichten vereinfachen das Verständniss der histo- rischen Grundlagen, und geben den Ortsnamen und der Form der Besiedelung vorwiegende Bedeutung. Auch 01)erfranken ist die Durchgangsstrasse für Völkerzüge ge- wesen. Wie o. Bd. I, S. 387 zu erwähnen war, gingen in der Zeit, welche andere Keltenstämme von Gallien bis nach Kleinasien führte, die l^ojer durch dos Ilclvetiergebict nach Btihmen. Gegen die Mitte des letzten Jabrbunderts v. Chr. kam ein Theil derselben zu den Helvetiern zurück, wurde in den Kampf mit Caesar verwickelt und wegen des Ruhmes grosser Tapferkeit von den Aeduern wieder nach Gallien aufgenommen. Die Hauptmasse des Volkes zog durch Mähren zum Plattensee und unterlag dort den Daken. In ihre verlassenen Sitze führte Marbod um 8 v. Chr. die Markomannen vom unteren Main her. Einzelne >\larkomannenstämme, wie die Varisten, hielten indess das Nah- und Regenthal und die Donauufer dauernd fest, bis nach dem Markomannenkriege die biibmischen Markomannen auf diesem Wege mehr und mehr nach Rhätien drängten und um 500 als Bajuvaren Ober- und Niederbayern in Besitz nabmen. Die Pässe zwischen Cham und Taus und zwiscb.en Tirscbonreut und Plan sind Meitzen, SieileUing: etc. II, 26 402 X« 3. Die deutsche Eroberung Oberfrankens. zu cn^, um eigentliche Völkerwege zu sein. Die oflene Strasse für diese Massenbewegungen lag auf der Linie zwischen dem späteren Nabburg und Eger, über Mittenteich und Waldsassen. Wie es aber scheint, waren diese Züge nicht mit kriegerischen Vorgängen ver- knüpft, sondern fanden Oberfranken als ödes Land. Selbst noch um die Mitte des 6. Jahrhunderts, als die Slawen hier eindrangen, kann ihre Festsetzung ohne ernste Kämpfe erfolgt sein. Jedenfalls finden sich im Innern Oberfrankens keinerlei An- zeichen, dass hier Bruchtheile älterer Völkerscliaften, wie es in den Alpen geschah, in die unzugänglichen Berge geflüchtet seien, und irgendwo Reste früherer Besiedelung erhalten geblieben wären. Westlich nach dem ebenen Lande zu muss dagegen ein Grenz- bezirk bestanden haben, in welchem sich Slawen und Deutsche ge- mischt haben. Da es deutsche Sitte war, mit einer gewissen Vor- liebe die fremden Namen bestehen zu lassen, geben die slawischen Ortsnamen den ziemlich sicheren Anhalt für die Verbreitung der Ansiedelungen der Wenden. Dadurch wird erweislich, dass dieselben bis an das Ufer der Itz und bis an den Ostrand des Regnitzthales herangetreten sind. Am Abhänge des Thüringer Waldes liegen nahe der Itz: Teuschnitz, Welitsch, Eichitz, Föritz, Schiernitz, Mitwitz; an der Itz selbst in der Nähe von Koburg: Kotschendorf und Craidlitz, Ploeniz, Gleussin, Madlitz; in der Nähe Zettlitz. Oestlich von Bamberg finden sich Sehess- litz, Treunitz, Teuchatz, Naisa und Siegritz, das schwerlich deutsch ist. Dann aber hält die Hauptmasse der slawischen Namen ei«e Grenze inne, welche über Waischenfeld nach Bayreuth und Creussen zu ziehen ist. Bis an diese Grenze heran reichen Löhlitz, Adlitz, Trockau; bei Bayreuth Traischwitz; um Creussen: Seidwitz, Kodlitz, Nairitz, Selbitz, Trebitz, Tremau, Seulbitz, Lessau und Gragnitz. Von Creussen (Crusni) führt diese Linie im Osten erheblich weiter nach Süden auf Pfreimd zu. Es liegen nahe derselben: Zodlitz, Pressat, Trabitz, Döllnitz, Doltsch, Közau, Latsch, Görnitz, Lötzau, Schirmitz, Trebsau, Köblitz, Solitz, Wittschau und Köttlitz an der Naab nördlich Pfreimd. Bei Pfreimd finden sich rechts der Nah: Kollms, Döllnitz, Deswitz, links derselben: Sölitz, Treswitz, Trausnitz und (iürnitz. Von da folgt die Südgrenze ungefähr dem Schwarzachlaufe über Trosau und ein zweites Gürnitz nach Rcitz, welches in der Karolingerzeit als Retsitz genannt ist (Menke's Gaukarte IV in Spruner's Atlas). Indess liegt Rotz an der Schwarzach noch nördlich der Wasserscheide zum Regen, und ist kaum mehr zum alten Lande Cham, dem sogenannten Chamriche, zu I X. 3. Die deutsche Eroberung Oberfrankens. 403 rechnen. Da«2;each bestehen vereinzelt im Amt Cadolzburg Wendsdorf, im Amt Markt-Erlbach Neidhardswinden und W'alburgs- winden, im Amt Scheinfeld Geisel wind. Weiter nach Norden schliesst sich Unterfranken an. Hier liegen bei Wiesenheid Abtswind, })ei Geroldshofen Bischwind, bei Hassfurt Reinhardswinden, bei Ebern Voeeawind, Gerolds wind. Kurze wind und 2 Bisch wind, bei Hof heim Ditterswind, bei Neustadt a. S. Winds- hausen, bei Rothenfels ein zweites Windshausen, bei Hammelburg Windheim und noch bei Miltenberg Windischbuchen. Es entstanden also 33 unzweifelhaft von Slawen bewohnte Ort- schaften diesseits des Limes l)is weit nach Westen. Aber mit Aus- nahme der 10 Dörfer bei Anspach sind sie sehr vereinzelt belegen, und, was besonders bemerkenswerth ist, sie sind nicht blos sämmtlich deutsch benannt, und drücken schon im Namen deutlich aus, dass sie Besitzungen dortiger Grundherrn sind, sondern es findet sich auch auf dem gesammten CJebiete kein einziger slawischer Ortsname neben ihnen. -^ Betrachtet man von diesem geographischen Bilde aus die ge- schichtlichen Vorgänge, so weit sie bekannt sind, so ist daran zu er- innern, dass seit dem Untergange des thüringischen Reiches zwar, wie 0. Bd. I, S. 37 und Bd. H, S. 149 gezeigt wurde, das Vordringen der Slawen bis an die Saalegrenze zu erkennen ist, aber wesentliche Kämpfe mit denselben erst erwähnt werden, seitdem Dagobert I. die Ermordung fränkischer Kaufleute durch die Wenden rächen wollte, und 630 bei Wogastisburg eine scliAvere Niederlage erlitt (Fredegar c. 68, 75). Damals fiel, wie Fredegar sagt, auch Dervanus, der Herzog der Surbier, eines Volkes von slawischem Stamme, das bisher zum fränkischen Reiche gehört hatte, zu Samo ab. Der von Dagobert in demselben Jahre über Thüringen gesetzte Herzog Radolf konnte zwar die Raubzüge der Böhmen nicht verhüten, aber dass er und seine Nachfolger ihre weitere Festsetzung im Lande zu hindern vermochten, erweisen schon die beiden Stützpunkte und Hofhaltungen zu Erfurt und Würzburg. Als Pipin dies Herzogthum beseitigte und die Land- schaften unter Gaugrafen vertheilte, schenkte er Würzburg dem 741 von Bonifacius dorthin berufenen Bischöfe. Es ist nicht anzunehmen, dass er den festen Platz aus der Hand gegeben hätte, wenn er Ge- fahr von den Slawen in der Nähe erwartete. Bald darauf gründete Bonifacius auch das Bisthura Eichstädt. Da das Bisthura Bamberg 406 X. 3. Die deutsche Eroberung Oberfrankens. erst 1007 entstaiKl, kann da« Schreilicn, in welchem Bunifacius um 750 (nach P3ckhart, Conuncnt. de rebu« Franciae orientalis, 1729, I, 507) bei dem Papste Zacharias anfragen liess , ob man von den Slawen, welclie die Länder der Christen bewohnen, eine Abgabe nehmen dürfe, um sich vor ihren Eigenthunih-ansprüchen zu sichern, nur auf Slawen Ix'zogen werden, welche unter der Herrschaft von Würzburg oder Eichstädt lebten. Es nuiss also gelungen sein, von diesen Missionsorten aus Slawen in grösserer Anzahl zu bekehren und unter kirchlichen Vögten oder Vasallen anzusiedeln. Dieses Verhältniss ist in der Anfrage ganz deutlich ausgedrückt. Ersichtlich hatte der Papst verboten oder davor gewarnt, die Neu- bekehrten mit Zinsungen zu Ijelasten. Da die fraglichen Slawen aber Land von der Kirche erhalten hatten, fürchtete man, dass sie ohne den o. Bd. II, S. 341 und 348 ausführlich besprochenen census in recognitionem doniinii Eigenthumsansprüche an dasselbe erheben würden. Sie hatten also Landleihe genommen, und man wollte sie möglichst begünstigen, aber sie standen unter kirchlicher Grundherr- lichkeit. Eine Herrschaft der Slawen im Lande ist deshalb aus- geschlossen. Auch würde die Anfrage nicht gestellt worden sein, wenn es sich nur um wenige Besitzungen gehandelt hätte. Das Wahrscheinlichste ist, dass die 10 Eichstädtischen Dörfer bei Anspach mit unter die Anfrage fallen, und damals bereits auf dem ziemlich ungünstigen Boden des alten Waldus Vurgundia (o. Bd. I, S. 407) begründet worden waren. Daraus erklärt sich, dass der Name Redanzslawen eine Bezeich- nung von schwankender Bedeutung wurde. 793 hatte Karl die Rezat und die Rednitz auf der Wasserscheide zur Altraühl selbst kennen gelernt, als er dort die Fossa Carolina beginnen Hess. Da nur diese beiden Flüsse, nicht die Regnitz, den Namen Redanz, Retbratenza, führten, spricht auch Ludwig der Deutsche 846 ganz richtig nur von 3 mansis in terra Slavorum, qui sedent inter Moinam et Redantiam fluvios (Erben, Reg. a. a. 846). Dagegen berührt der 889 zuerst genannte Name Ratenz- oder Redanz- gau (Bawar. 3, 891) die eigentliche Redanz gar nicht, sondern um- fasst das obere Main- und das untere Regnitzgeljiet. Es wäre ohne Grund, anzunehmen, dass die Eichstädtischen Slawen an der Rezat von den Schicksalen Oberfrankens unter Karl dem Grossen mitbetroffen w^orden seien. Eher wird sich damals die Zahl der grundherrlichen Wendendörfer im Westen des Limes durch Gefangene vermehrt haben. Gegen diese Slawen Krieg zu führen, X. 3. Die deutsche Eroberung Oberfrankens. 407 hatte Karl keinerlei Veranlassung. Er hatte sie schon, ehe der Krieg aushrach, in den Limes mit eingesclilossen. Wären sie selbstständig gewesen, so hätte er sie, dem Sinne des Limes gemäss, gewiss nicht im Rücken desselben gelassen. Sie werden überhaupt nicht als im Slawenlande wohnend be- trachtet, wie die Urkunde Heinrichs IL von 1021 (Monum. boic. XXVIII, 504) über den Hof Uraha (Herzogenaurach) bekundet. Wenn dort an der Aisch noch im 11. Jahrhundert slawische Hufen vorkommen (ßawar. 3, 891), so ist dies nur ein o. Bd. II, S. 261 erörtertes Zeichen der Ansetzung durch deutsche Grundherren. Auch zahlten sie, wie es scheint im Gegensatz zu der Fossa der unterworfenen Slawen, die allgemeine Ostarstoupha (Grimm, Rechtsalterth. S. 298). Dass dabei insbesondere die Eichstädtischen Slawen mit einer nur aus den frühesten Vorgängen ihrer Ansiedelung erklärbaren Schonung ihres nationalen Rechtes behandelt worden sind, geht aus der von Dove als sogenanntes Sendrecht der Mainslawen (in der Zeitschrift für deutsches Recht, Bd. XIX, p. 884) herausgegebenen Urkunde hervor. Wie Riezler (Das Bisthum Eichstädt und sein Slawenlandrecht, in den Forschungen zur deutsch. Geschichte, Bd. XV, S. 398 und XVIII, S. 538) gezeigt hat, beziehen sich die Bestimmungen derselben auf die Slawen des Bisthums Eichstädt. Sie erweisen, dass diese Slawen noch im 10. Jahrhundert nicht nach einem der deutschen Volksrechte lebten. Waitz aber hat (D. Verf.-Gesch. Bd. IV, S. 439, Anm.) darauf hingewiesen, dass bei der Aufzeichnung nicht ein Weisthum, sondern ein kaiserliches Privilegium in Frage steht, welches dem Richter wie dem Grundherrn bei Strafe der Exkommunikation und Konfiskation verbietet gegen dieses Sonderrecht zu handeln. Was nun die Eroberung Oberfrankens betrifft, so musste sich, wie o. S. 371 erwähnt, Karl der Grosse noch im Sommer desselben Jahres 805, in welchem er den Limes sorabicus angeordnet hatte, zu den vergeblichen Einfällen nach Böhmen entschliessen, über welche Einhard in seinen Annalen zum Jahre 806 berichtet. Gleichwohl waren diese Feldzüge von nachhaltigem Erfolge, denn schon während derselben wurde die 804 begründete thüringische Mark bis an die obere Saale vorgeschoben, und das Slaw'enland von der Regnitz bis zu den böhmischen Pässen, wenn auch nicht völlig beruhigt, doch dauernd mit dem Reiche vereinigt und theils als Kronland in Besitz genommen, theils an die Getreuen des Kaisers vergeben. Ob auch das Egerland damals schon in deutschen Besitz kam, ist ungewiss. 822 und 844 wird von der Huldigung und der Taufe 408 •^- 3« ^'® deutsche Eroberung Oljerfrankens. böhmischer Grossen ;ini Hofe des deutschen Königs berichtet^), und 973 scheint der Distrikt von Eger dem Bisthum Regensburg als Entscliädigung für die Abzweigung des Prager .Sprengeis üljerlassen worden zu sein. Jedenfalls waren später die Geschlechter der alten ostfränkischen Ritterschaft dort reich begütert (Bavaria III, 520). Aus dem durch das Land Recknitz (terra Reccenitz, prisca terra Regnitia) erweiterten Gebiete des Limes soll die böhmische Xordmark mit dem Markgrafensitze zu Regnitzhof (villa Reckenitz) entstanden sein. Die Grenze der Mark gegen Süden war Greussen (2 M. S. Bayreuth) südHch dieser Grenze finden sich hier gegen die Rednitz hin, wie gezeigt ist, nur nm Gräfenberg noch einige slawische Ortsnamen. Wenn auch Karl der Grosse eine Anzahl der Bewohner dieser Landstriche in die Ferne schickte und noch um 851 bis 869 zahlreiche Uebersiedelungen von wendischen Kolonisten bekannt sind, wurden die Slawen doch in ihren alten Sitzen in erheblicher Zahl, anscheinend als königliche Zinsbauern, erhalten, denn die Sorben der sorabischen Mark hatten Fossa, Grundzins, und wie anzunehmen, als Grafenschatz den Medimnus marchialis zu leisten, welche Xatural- leistung später an das ]Markgrafenthum Nürnberg überging (Bavaria II, 412). Für die Beurtheilung der Art und des Fortschreitens der deut- schen Kolonisation wird der Mangel an urkundlichen Nachrichten sehr fühlbar. Die in der Note zusammengestellten Urkundenauszüge-) dürften zunächst unter a und d bis n hinreichend verdeutlichen, wie schwer ') Rudolfi, Fuldens. annal. (M. G. I, 364). ') Aus älterer Zeit lassen sich folgende Urkunden nennen: a) 819 (Ried, Cod. dipl. Ratispon. I, S. 17) nimmt der Bischof von Regensburg Baturicus mit den Missi des Grafen eine marca bei Chambe, die St. Emmeram von Tassilo erhalten hatte, und dem Kloster entzogen worden war, wieder in Beschlag- Die Missi setzen die Grenzen in der Weise fest, dass sie im Westen von Gcminahare stirpes zum rivulus Geminaha, im Süden bis zur Quelle dieses Baches, im Osten längs des rivus Marolaha bis zu seiner Quelle auf dem Berge Posun und im Norden von der Mündung der Marolaha in den Regen längs des Regens bis zum Einflüsse der Geminaha in denselben zu ziehen sei. b) 846 (Erben, Regest, ad. ann.,' werden 3 mansi in terra Slavoruni, (jui sedent inter Moinum et Rcdantiam fluvios erwähnt. c) 950 (Dronke, Cod. dipl. Fuld. 1850, S. 325) vertauscht Bischof Poppo an Abt Hadamar gegen andre Güter, in Affeidrahe (Effeltern) regales huobas XV XXV jugera arearum, qucrcini nemoris XIV huobas et XL jugera. d) 961 (Ried, ebd. S. 99) wird Prienberch in pago Nortgowe in comitatu Bertholdi genannt. X. 3. Die deutsche Eroberung Oberfraiikens, 409 es ist, die Organisution, wek-lu' Karl der Grosse und seine Nach- folger in dem eroberten Gebiete durehführten, klar zu stellen. In keiner derselben erscheint ein Markgraf, obwohl die Markgrafschaft im Nordgau nur möglicherweise von 937 bis 976 unterbrochen ge- wesen ist, seit 1059 aber auch Grafen von Cham bekannt sind, welche sich 1080 bis 1204 Markgrafen von Giengen, von Cham, von Vohburg und zuletzt von Neumark und Eger nennen, obwohl ihr Markgrafenthum lediglich das des Nortgaus bedeuten dürfte. (Vgl. Riezler, Geschichte v. Bayern Bd. I, S. 874.) Auch die verschiedenen Grafen im Nortgau erwecken Zweifel. Auf die Agrarverhältnisse übte indess die Gestaltung der Grafschaftsverfassung keinen wesent- lichen Einfluss, so dass die Frage nach diesen politischen Einrichtungen hier ausser Betracht bleiben darf. Für das Agrarwesen ist von besonderem Interesse, dass nach der Urkunde a die Mark, welche die Missi des Grafen 819 im Gebiete e) 967 (Mon. Germ. bist. dipl. Otto I. a :i.). Otto I. schenkt an Abt Ilatto v. Fulda die königlichen Güter und Markungen Culminaha, Urbach und Bertelosrodi in conii- tatibus Wiggeri et Willehelmi comitum. f) 983 (Ried, S. 111) wird erwähnt, Atasfeld in pago Nortgowe in comit. Ilenrici, g) 1U02 (Ebd. S. 120) Walchinga im Nortgau in comit. Ilenrici, h) 1003 (Ebd. S. 121; Frieding, Ilotzing und Scharlau in Cham, i) 1004 (Ebd. S. 123) Durniz und Mantalahc im Nortgau in comitatu Oudal- schalchi, k) 1009 (Ebd. S. 129) Lihtowa im Nortgau in comitatu Heinrici, 1) 1015 (Ebd. S. 132) Schwarzenfeld und Weilendorf im Nortgau in comitatu Heinrici, m) 1040 (Ebd. S. 152) Pillungesriut in pago Nortgouwe in comitatu Ottonis comitis et in marca quae vocatur Nabburg, n) 1054 (Ebd. S. 154) Roteinbach an der Nab in pago Nortgowe in comitatu Heinrici. o) 1054. Heinr. donat comiti Pogensi 6 reg. mansos in pago Nortkowc et ibi sicut extra silvam per dimensionis latitudinem demonstrantur, ita ex utra(iuc parte in dirccto per silvam perlongantur. p) 1061 (Ebd. S. 156) Heinic. IH donat Otnanti servienti suo partcm silvac, viiiclicet ubi Surbano Schwurbach) tluit in Crumbanaha (Fichtelnab) et sursum ubi oritur Crumbanaha et ubi oritur Surbana et inde ubi oritur Trevina ac deorsum Trevina usque in iilam viam, que procedit de Egire et per eandem viam usijue in Surbana et deorsum Surbana usque in Crumbanaha in comitatu Heinrici comitis in pago Nortgowe et in marchia Napurg, mit allen Pertinenzien zum Vertauschen , Roden und sonstigen Rechten. Die Trevina ist der Trebnitzbach, der zur Kössein fliesst, nachdem er Red- witz berührt hat; die Strasse von Eger nach dem Schwurbacli muss etwa von Wald- sassen nach Redwitz führen. q) 1066 (Ebd. S. 161) werden die villa Mantichinga (Männching) et hubae in Droubelinga .Traubling) erwähnt. 410 X. 3. Die deutsche Eroberung Oberfrankens. von Cham iibgrenzeii, etwa 4 Q bleuen unifasst, und, da die Grenze im NordLMi längs des Regens läuft, unmittelbar gegenüber der Ort- sehaft Cham beginnt. Nach dem Eindrucke, den die Urkunde macht, verfahren die Missi bei der Feststellung der Besitzgrenze mit grosser Machtvollkommenheit. Die Urkunden b, c und q ergeben, dass auch auf dieses deutsche Eroberungsgebiet, wie auf alle sonst bekannten, die Eintheilung der Güter nach Hufen übertragen wurde. Die Urkunde c erweist insbeson- dere, dass die Austhuung des Dorfes E ff eitern nach Königshufen er- folgt ist, und dass für das Tauschgeschäft eine Messung stattgefunden hat, welche sich keinesweges auf die allgemeine Ermittelung von 29 oder 30 dieser Königshufen beschränkte, sondern 15 Hufen 25 jugera Kulturland und 14 Hufen 40 jugera Forst feststellte. Es wird dadurch in Anlage 124 eine nähere Vergleichung des alten Zustandes der Flur mit ihrem gegenwärtigen Bestände möglich. Von den in den Urkunden d— n erwähnten Ortschaften lassen sich zwar nur wenige noch heut mit Sicherheit auffinden. Aber einerseits erweist der Name Walchinga, dass sich die Erinnerung an die Romanen auch im Nortgau erhalten hat, andrerseits zeigt der Name Pullingriut, dass die in Oberfranken allgemein verbreitete, mit einem Personennamen verknüpfte Ortsbezeichnung auf -reut oder -riet bereits dem 1 1 . Jahrhundert angehört. Sie lässt keine andere Erklärung zu, als dass diese Rodungen grundherrliche waren, sei es, dass der Personenname dem Grundherrn, oder nur dem Unternehmer angehörte. Die Urkunde unter p von 1061 endlich erweist, das das breite Thal zwischen dem Steinwald und dem Fichtelbergerwalde, welches die Quehbäche der Fichtelnab und der Kössein umfasst, noch durch 250 Jahre in den Händen des Königs geblieben war. Das Land ist zum Anbau nur theilweis geeignet und noch heut mit grossen Forsten bedeckt. Indess ist das Gebiet, welches Heinrich IH. an Otnant schenkt, inmierhin ein grosser Besitz ^). Es lässt sich zwar nicht mit Sicherheit abgrenzen, enthält indess mindestens IV2 D Meile. Un- zweifelhaft hätte wohl der Kaiser eine solche Fläche fiskalischen Landes nicht leicht in die Hand seines Getreuen abgetreten, wenn ') In der Auslegung der Urkunde irrt Ried unzweifelhaft, wenn er die Surb.ana für die Haidenab, die Crumbanaha für die Waldnab erklärt. Es kann sich nur um den auch Höllenbach genannten Schwurbach und die Fichtelnab handeln. Nach dem In- halt der Urkunde lässt sich aber auch nicht mit Th. Menke in Spruner's Atlas. Gau- karte VI, die Haidenab als Surbana auffassen. Hat Th. Menke dafür andere Beweismittel, 80 raüsste, was ja denkbar ist, derselbe Name für beide Bäche gebraucht worden sein. X. 3. Die deutsche Eroberung Oberfrankens. 411 sie bereits dureh Kolonisiatiou zu erheblichem Werthe erhoben ge- wesen wäre. Die Entstehung der zahlreichen Ortsnamen auf -reut, -dorf und -berg, die sich jetzt auf diesem Gebiete tinden, wird des- halb nicht vor die Mitte des 11. Jahrhunderts zu setzen sein. Sla- wische Ortsnamen fehlen auf demselben gänzlich, denn Redwitz, welclies als älteste Ansiedckuig der ganzen Umgegend zu betrachten ist, liegt schon ausserhall» des vergcl)enen Gebietes auf der linken Seite des Trebnitzbaches. — Was nun die Art derBesiedelung Oberfrankens betrifl't, so ist das Gebiet, auf welchem die Slawen, wie man annehmen darf, die frühere deutsche Bevölkerung vertrieben und nach eigener Sitte ihre Ortsanlagen begründeten, ein verhältnissmässig kleines. Es umfasste bei weitem nicht das gesammte Aussenland, welches Karl der Grosse vor dem Limes soraljicus auf der Linie zwischen dem Bayrischen und Thüringerwalde offen gelassen hatte. Denn es erstreckte sich, wie o1)en gezeigt ist, von den Quellbächen der oberen Eger nur am Fusse des Fichtelgebirges, Fraukenwaldes und Thüringerwaldes bis zur Linie des Limes an der Itz. Bis zum Zusammenflusse des Mains und der Regnitz, und bis Bamberg, das der Kaiser zum Grenzmarkte bestimmt hatte, reichte es nicht, sondern nur bis Xaisa bei Schesslitz. Von hier liegt die Grenzhnie der Slawenansiedelungen überall auf dem ^\'est- und Südabhange des Bayreuther Landrückens östlich ]>is zur Haidenab. Auch nach Fürth hin überschreitet sie nicht mehr das Xabthal und das Schwarzachthal. Es ist möglich, dass es den Wenden zeitweise gelang, ihre Herrschaft noch weiter, an der Regnitz bis über Gräfenberg, an der Nah bis Burglengfeld, geltend zu machen. Aber es wäre auch denk- bar, dass wenigstens die Dörfer bei Burglengfeld erst spät durch den Besitzer der Burg begründete Ansetzungen slawischer Höriger seien. Die Gegenprobe für die Verbreitung der Slawen liegt jedoch darin, dass sich bis an ihre engere Grenze die volksthümlichen Gewann- fluren der Hermunduren und Bajuwaren in weiter Verbreitung so ausgeprägt, wie in allen benachbarten Landschaften derselben vor- finden, und in diesem geschlossenen Zusammenhange nicht füglich Gründungen Karls oder einer noch späteren Zeit sein können. Von Bamberg und Forchheim aus treten diese deutschen Gewaimdörfer bis ganz nalie an Schesslitz und Gräfenberg heran, und bedecken dann weiter die Amtsbezirke von Herzbruck, Sulzbach, Vilseck und zum Theil noch Nabburg und Vöhenstrauss dicht und gleichmässig. Ausnahmen machen nur einzelne grössere Höfe und Weiler, welche sich deutlich als auf grundherrlichen Rodungen entstanden erkennen 412 X. 3. Die deutsche Eroberung Oberfrankens. lassen. Gegen das Alter der Dörfer lüsst sich nicht einwenden, dass die Gewanne liilufig eine gewisse Regehn.ässigkeit zeigen. Denn dieselbe geht nicht über die auch im alten Volkslande allgemein stattgehabten gewöhnlichen Gewannregulirungen hinaus, wie sie Beuer- feld (Anl. 40) verdeutlicht. Auch aus den Ueberlieferungen ist nicht mehr zu ermitteln, ob die Slawen auf diesen Grenzgebieten nicht blos zeitweise geherrscht, sondern sich unter Beseitigung der älteren deut- schen Ansiedelungen nach ihrer nationalen Sitte darin neue Wohn- sitze geschaffen haben. Da aber letztere Alternative eine nach der deutschen Rückeroberung stattgehabte neue Begründung aller dortigen Gewannfluren voraussetzen würde, wird sie durch deren Form aus- geschlossen. In welcher Weise die Neugründungen im Ausgange der Karohngerzeit ausgeführt wurden, ist für die zweifellos früher slawi- schen Theile Oberfrankens genügend geschildert. Ebensowenig wie in diesen finden sich die alterthümlichen Gewanndörfer in der Ost- mark und Kärnten oder in Obersachsen. Eine Bildung deutscher Gewannfluren und eine neue Eintheilung des dazu eingezogenen Landes hat allerdings mehrfach, indess gegen die volksmässige deut- lich verschieden stattgefunden. Nicht allein ist bei dieser Um- gestaltung überall ein grosser Theil der slawischen Ortsnamen er- halten geblieben, sondern es sind auch, wie sich zeigen wird, nament- lich in Obersachsen in grosser Ausdehnung zahlreiche alte slawische Dorf beringe benutzt und nur erweitert worden. Die Grundherren haben sogar neue derartige Kolonien fast ausschliesslich in der Form des slawischen Strassendorfes angelegt, und den Gewannen eine der Auftheilung von Tallisbrunn ähnliche Planmässigkeit gegeben. Während also in Oberfranken ausserhalb der engeren Grenzen der Slawensicdelung überall die alten Formen volksmässiger Flur- eintheilung der vorslawischen Zeit herrschen, kehrt im Innern dieses Grenzgebietes in beachtenswerther Weise bei allen durch slawische Namen als die älteren gekennzeichneten Orten, dieselbe aus unregel- mässigen Blöcken zusammengesetzte Flurform wieder, wie sie sich auch in der Ostmark und in Kärnten als die vor der deutschen Er- oberung herrschende Art der Besiedelung herausgestellt hat. Seul bitz (Anlage 125) und Zettlitz (in Anlage 126) geben dafür typische Beispiele. Runddörfer, welche bei den Elb wenden ganz allgemein sind (o. Bd. II, S. 235), finden sich bei den Slawen Oberfrankens seltener. Im Norden sind ihre Spuren meist zweifelhaft. Indess erweist Posseck bei Cronach (Fig. 87), dass sie auch hier bestanden. Im Süden liegen zwei deutliche Gruppen solcher Anlagen, eine um Creussen; X. 3. Die deutsche Eroberung Oberfrankens. 413 Prebitz, Seidwitz, Nairitz, eine andre um Pressat: Zödlitz, Preisach, Dollnitz, Riau in diesem ziemlieb hohen und unzugänglichen Gebirgslande zwischen der Donau und dem Böhnierwalde fördernd eingewirkt haben. In der Karolingerzeit sind, nach Menke's CJaukarte VI, um Cham, ausser dem genannten Rotz (Retsiz), Grabitz (Grawat) und Fürth (Vurte), die Orte Slemmaringa, Sichawa, Fridinga, Besinga links, und Scacalowa und Hezinga rechts des Regens genannt (o. S. 409 unter h). Nahe der Quelle desselben gehört dieser Zeit bereit'! Rinchnach (Rinichnaha oder Raneinga) an. Die Hauptmasse der Ansiedelungen in dem breiten Thale von Cham bilden sehr kleine Dörfer, Weiler und Einzelhöfe mit meist block form igen, hier und da etwas regelmässigeren gewannartigen Meitzen, Siedelung etc. IL 27 418 ^' 3. t)ie (leutsclie Eroberung Oberfrankens. Feldstücken. Die regelmässigen Theilungen sind auf die ziemlich weitgehende Parzellirung zurückzuführen, rlngegen waren die unregel- mässigen Formen die alte Grundlage der Siedelung. Der Amtsgerichts- bezirk Cham von 5 G Meilen zählt jetzt 80 Dörfer, 62 Weiler und 106 Einzelhöfe. Wie weit diese sich mit den o. Bd. I, S. 441 ge- dachten alpinen vergleichen lassen, bleibt fraglich, weil in Cham nicht so viele natürliche Terrainhindernisse bestehen, wie in den Hochalpen. Immerhin aber ist beachtenswerth , dass sich bis hierher noch die alpine rhätische Hausform erstreckt (o. Bd. Hl. S. 236). Die Besiedelung des oberen Regenthaies und des Baj'rischen Waldes wird dem 12. Jahrhundert zugeschrieben. Nähere Nachrichten aber sind noch nicht ermittelt. Der grösste Theil des höheren Ge- birges, soweit nicht noch gegenwärtig zusammenhängende Waldungen bestehen, ist in kleinen Rodelandstücken weggegeben, auf welchen Gruppen von Einzelhüfen sennhüttenartig aufgebaut sind. Wo aber in den Thalgründen der Boden zu ergiebigerem Anliaue verwendbar wird, findet sich in weiter Verbreitung eine eigenthümliche und sonst kaum bekannte Art der Siedelung, deren ausgeprägteste Form das Beispiel von Sommersberg (Anlage 127) Aviedergiebt. Die Besonder- heit dieser Auftheilung besteht darin, dass die g(>sammte, an sich nur kleine Flur in ziendich regelmässige Gewanne zerlegt ist, und diese wieder in schmale Streifen getheilt sind, dass aber oflenbar die Anlage der Gehöfte und damit die Gestalt der Ortschaft durch die Gewannantheile bestimmt worden ist. Die Häuser liegen zwar wie ein Dorf zusammen, aber ihre Anordnung ist keinem vorber be- stehenden Plane gefolgt, sondern jeder Anbauer, der in den ver- schiedenen Gewannen einige zum Mittelpunkte der Anlage zusammen- laufende Gewannstreifen übernahm, erbaute sein Haus auf demjenigen derselben, der ihm für die Nachbarschaft mit seinen Dorfgencssen am geeignetsten schien. Man könnte diese Form in Sommersberg für zufällig halten; sie ist indess in den Bezirken Regen, Viechtach und Kötzting weit verbreitet. Am häufigsten liegen in diesen kleinen Orten die Gewanne so, dass auf den benachbiU'ten Streifenenden zweier derselben die Geliöfte angelegt werden konnten. Dadurch entstand eine, wenn auch gedrängte kleine Strasse. Solche Anlagen reichen bis in das Gebiet von Cham. Sie finden sich hier z. B. in den Gemeinden von Obergosszell, Alten- markt und Haderstadt, und sind unter deren je 6 bis 9 kleinen Ort- schaften als die jüngsten zu hetrachten. X. 4. Die Erwerbung Ol»ersacl)seus liurch die sächsischen Kaiser. J^\[) 4. Die Erwerbung Obersachsens durch die sächsischen Kaiser. Die Kämpfe Karls des Grossen mit Böhmen, welche 805 bis 807 deutsche Heere über Waldsassen und über den Gabelpass nach dem Egerlande führten, vereinigten zwar Oberfranken dauernd mit dem deutschen Reiche, für Obersachsen aber blieben sie ohne nach- haltigen Erfolg. Des Kaisers Sohn Karl hatte hier die Sorben be- siegt, und ihr Führer Miliduoch war gefallen, indess wurde durch den Bau der Vesten Magdeburg und Halle doch nur der Limes selbst stärker gesichert (Mon. Germ. SS. I. Annal. Einhard. p. 193. Chronic. Moissac. p. 308. Annal. Fuldens. p. 353). Auch erweiterte der Kaiser die Grenze der thüringischen Mark nicht über die Saalegrenze hin- aus. Rudolstadt, das in dem o. Bd. H, S. 330 besprochenen Hers- felder Güterverzeichniss mit den AVorten erwähnt wird : et Rudolfestatt hübe Vn et sclavi manent in illis, liegt noch auf dem Gebiet des links der Saale schon früher organisirten fränkischen Gaues Husitin. Es kann, wie Bischhausen schon durch TaiIIus, keinesfalls aber sj^iiter als wenige Jahre nach 800 begründet worden sein. Oberhalb Rudol- stadt war das linke Saaleufer zwischen den Gaugrenzen von Husitin und Lancwizi nicht in die karolingische Gaueintheilung hineingezogen worden, sondern galt noch als Slawenland. Der Bau der Sorbenburg zu Saalfeld wird deshalli mit Recht mit dem Vorschieben der thürin- gischen Mark in Zusammenhang zu bringen sein, weil die Deutschen hier notbwendig eines festen Stützpunktes bedurften. Die Grafen von Orlamünde und der Orlagau erscheinen erst etwa zwei Jahr- hunderte später. Seit Karl streikte allerdings in immer neuem Eifer die Geistlich- keit Würzburgs und des schon 741 durch Bonifacius gegründeten Bisthums Erfurt und Klosters Ohrdruf in Uebereinstimmung mit den Grafen der thüringi.schen Mark, die Slawen zwischen Saale und Elbe zu christianisiren. Aber die dadurch veranlassten Kriegszüge von 851, 869 und 874, wie die Kämpfe Arnulfs von Kärnten von 892 und 893 führten zwar zu Siegen, erreichten indess keine entscheidende Unterwerfung. Wirklich drängendes Interesse, in Obersachsen vor- zugehen, hatte vor allem das Herzogthum Sachsen. Seitdem Ludwig der Deutsche den Bund der Stellinga niedergeschlagen, blieb Sachsen den siegreichen Edelingen überlassen, und Tiiudolf (f 866), ihr Führer, erhielt lierzogliches Ansehen. Auf der ganzen Linie von \\'agrien, längs der Ilmenau und ül)er die Ohre zur Elbe lagen die Ludolfinger und seit (Jtto I. die Billunger in stetem Kampf mit den Wenden, 42Ö X, 4. Die Erwerbung Obersacliseos Die Umgebung von Magdeburg war jederzeit bedroht, und doch lief liier von der Worra und Unstrut her die östliche, von den Kaisern oft benutzte Hauptverbindungsstrasse aus dem Innern des Reiches nach Sachsen, die über Stassfurt und Ochtum den Harz umging. Die Ebenen um Leipzig und Merseburg waren schon damals, wie später, das natürliche Schlachtfeld der Völker kämpfe. Als Otto der Erlauchte 908 neben dem Herzogthum Sachsen auch die Mark Thüringen über- nahm, war er von selbst darauf hingewiesen, die Verbindung mit den bis zum Böhmerwalde vorgerückten fränkischen und bayiischen Ge- bieten und die Sicherung der nach Thüringen offenen Saalegrenze da- durch zu erreichen, dass er den ganzen Landabschnitt zwischen der Elbe und den böhmischen Grenzgebirgen in seine Gewalt zu bringen suchte. Dies geschah mit wechselndem Glück, zumeist unter Heinrich L, der ihm im Markgrafthum schon 912 folgte. Heinrich I. musste zwar die Markgrafschaft gegen Konrad I. von Franken behaupten, dessen natürliches Ausbreitungsgebiet sie beschränkte. Zugleich war er in allen Einrichtungen und Unternehmungen durch die verheeren- den Einfälle der Ungarn behindert. Aber er erkämpfte schon 920 Meissen, und als er nach der Zerstörung Magdeburgs 924 die Ruhe der Ungarn durch Tribut erkauft hatte, ordnete er die grosse Zahl fester Plätze an, welche sich bereits 933 bewährten. Die meisten derselben lagen zwar links der Saale auf altem sächsischen Boden. Indess gehört doch auch die 928 erbaute Burg Meissen zu diesen Schutzwehren. In seiner unverwüstlichen Kraft hatte Heinrich in der Zwischenzeit, ehe er die Ungarn wieder erwarten musste, Havelherg und Brandenburg erobert, und machte ihre Gebiete und das von Meisseii zu einer Markgrafschaft, welche Daleminzien und Nisane^) niederhalten und so die Eibgrenze bis zum Gel)irge si(!hern sollte. Kaiser Otto I. durchzog 937 und 938 die Lausitz, gründete 946 und 949 die Bisthümer Havelberg und Brandenburg und setzte 940 Gero zum Markgrafen ein. Gero's Mark dehnte sich aus dem west- lichen Theile der Lausitz über die Ell)e und Mulde bis zur Saale aus. Schon 955 al)er hatte Otto auf dem Lechfelde die Begründung eines Bisthums Merseburg gelobt, und erlangte 9G2 die Zustimmung de« Papstes für seinen sehnlichen Wunsch, in Magdeburg ein Erz- ') Daleminzien bildete die westliche Umgebung von Meissen, es reichte von Strehla bis in die Nähe von Grimma und llochlitz und grenzte in den südlichen Bergen längs der oberen Chemnitz ab, Nisani erstreckte sich westlich bis nahe an Meissen und an die Triebschc und uaiim die Ebene um Dresden von der Elbe bis zu dem Gebirge im Süden ein. Nischina bedeutet niedriger Boden. durch die sächsischen Kaiser. 421 bisthuni zu l)egründen, welchem Havel1)erg und Brandenburg luid drei zwischen Saale und Erzgebirge zu erriclitende Bisthümer Meissen, Merseburg und Zeitz unterstellt sein sollten. Die Aus- führung verzögerte sieh wegen der Abzweigung aus dem Erz- bisthum Mainz, und iianientlieh wegen des Widerspruchs des alten Bischofs Bernhard von Halberstadt. Nach dessen Tode aber trat der Plan 966 ins Leben. Man hat bisher geglaubt, an den über diese Gründung spreclien- den päpstlichen und kaiserliclien Diplomen, von denen eines sogar bis 948 zurückdatirt, ein ausführliches Bild der damals bestehenden VerhiUtnisse zu besitzen. Dies hat sich leider als eine Täuschung erwiesen. Die Haupturkunden sind sämmtlich eine pia fraus des 11. Jahrhunderts. Sie sollten dem Bistlunn Meissen einen inzwischen auf Kosten von Merseburg und Branden! )urg erworbenen Besitzstand sichern. Echte gleichzeitige, wenn auch weniger ausführliche, Ur- kunden und die Vergleichung der Lokalität lassen indess das Avahre Bild erkennen. Die Eintheilung ist klar. Havelberg erhielt die Priegnitz, Brandenburg die Mark bis zur Wasserscheide des Flämings und die Xiederlausitz nördlicli der schwarzen Elster. Magdeburg wurde rechts der Elbe der Al^hang des Fläming mit dem Zerbster Lande, links der Elbe das Land zwischen Saale und Mulde bis zur Fuhne und weiter das ganze Eibthal zwischen den Wasserscheiden zur Mulde und zur schwarzen Elster bis an die Sümpfe, welche bei Strehla den Gau Nizizi von Daleminzien schieden, zugewiesen. Dale- minzien, Nisane und Milzien (die Oberlausitz) sollten den Sprengel von Meissen bis zu den Wasserscheiden des Lausitzer und Erzgebirges bilden. Südlich des Magdeburger Gebietes wurden die Gaue Nelectize, Susali und Chutizi Merseburg übergeben. Sein Sprengel reichte aber nicht bis zum Gebirgskaram, sondern an der Grenze von Dale- minzien nur bis zur Chemnitz und Zw^nntz und links der :Mulde bis zur Oelsnitz und Wyhra. Der ganze Süden von der Rippach zwischen Merseburg und Naumburg, die Saale aufwärts über den Orlagau um Saalfeld bis Hirschberg, und von hier über die Höhe des Vogt- landes und Fichtelgebirges zur Elster und den Quellen der Zwickauer Mulde bildete den Sprengel von Zeitz'). Diese vertheilten Länder lagen indess zu Otto I. Zeiten noch weit- hin in partibns infldelium. Denn Gero hatte die Liutizcn erst kurz vor 965 unterworfen, und schon 984 wurden Brandenburg und Havel- ') S. Gaukarte bei Menke und im Cod. dipl. Sax;. reg. I. l Hth, 422 ^' 4. Diu Erwerbung Obersachsens borg von tleii Slawen wieder erstürmt, auch verloren die unter Heinrich I. nur zinsi)liichtigen Milziener erst gleichzeitig mit der Wiedererolicrung unter Heinrich II. um 1008 durch Eckbert ihre Selbstinidigkeit '). Gleichwolil lassen die echten gleichzeitigen luid si);lten' Dij^lome hinreichend erkennen, dass Otto I. im wesentlichen das Land rechts der Saale so weit in Besitz genommen hatte, wie es zu seiner Zeit bew'ohnt und angel)aut war. Die Urkunden zeigen deutlich, dass der Anbau der Slawen sich auf die wenig umfangreichen Landstriche beschränkte, welche eben und leicht zu kultiviren waren, und bestätigen den er- wähnten Ausspruch Helmold's"), dass die Slawen den Boden nur mit dem hölzernen Haken bei schwachem Gespann von Kühen und Ochsen oder einem einzelnen Pferd bearbeiteten. Nach den Ortsnamen der Urkunden zeigt sich, dass die Eroberung des offenen Landes längs der Saale im Orlagau, im Altenburgischen und östlich Merseburg bis Leipzig, ebenso aber elbeaufwärts über die Mulde um Torgau, Strehla und Meissen bis in die Umgebung von Dresden durch- geführt war. Das Gebirge aber war überall eine wilde unbekannte Waldöde. Noch Otto II. schenkt 974 der Kirche zu Merseburg^) einen Forst im Gau Chutizi zwischen den Flüssen Saale und Mulde und den Ländern Siusili und Plisni, sowie den Bann darin mit dem Be- merken, dass das Wild, welches dorthin von dem Walde her wechsele, der Mirquida genannt wird, seinem kaiserlichen Jagdlianne unter- stehe. Mit dieser Mirquida silva lokalisirt er sehr merkwürdig einen alten aus den Edda- und den Etzelsagenkreisen bekannten Namen. Mirquida inna okunna, den wilden unkunden Wald, von dem Etzcl in der Sage sagt, dass er sehr schwer Boten hindurch schicken könne, und über den die Königstöchter aus Muspelhcim als Schwäne liin- wegfliegen müssen. Es ist das alte hercynische \\'aldgebirge mit seinen schon von Caesar geschilderten Schrecknissen. Wie üblich lief indess die Grenze des Meissener und Zeitzcr (späteren Naumburger) Bisthums auf den höchsten Wasserscheiden ') (Wituchind (M. G. I, c. III, p. 463) Gero Slavos, qui ilicuntur Lusiki potcn- tissime vicit et ad ultimam Servituten! coegit. Thietmar M. G. III, 1. 9 (von Heinrich L): Et ea urbe (Misni) Milzenos suae subactos dicioni censuin persolvere coegit. (Ebd. 55 Ton Eckehard) Milzienos a libertate inclita aervitutis jugo constrixit. =*) Chron. Slav. 12. ^) Cod. dipl. Sax. reg. I, 1, No. 19, S. 255. durch die sächsischen Kaiser. 423 des Erzgebirges gegen Böhnu'ii luu, und ebenso über das Fichtelgebirge uml das Vogtland zur Saale. V\n 1080 nennt der Möneh von Brau- woilcr die rechts der Saale von Saalleid zum Fichtelgel »irge ziehenden (lebirge noch Saltut> Slavoruni inid schildert sie als ungeheure Einöde '). Diese Bergmassen fallen steil und schroll' nach Böhmen und nach dem fränkischen Süden ab, nach Nordwesten aber senken sie sieh mn- allmählich und plateauartig in breiten Hängen und Terrassen zu der Eibebene. Alle Gewässer haben in diese Abdachung tiefe, enge und schroffe Thalrisse eingeschnitten, durch welche die Unzugänglich- keit des Gebirges Ijcsonders verstärkt wird. Noch weit über das Gebirgs- land hinaus, in dessen Thälern nur einzelne Ansiedelungen, wie Zwickau und Zeitz, an zugänglicheren Stellen gedacht werden dürfen, erstreckten sich jedoch die Waldwildnisse, wie ihre Erwähnungen und Verleih- ungen ergeben^). Namentlich die von den Deutschen übernommenen Abgrenzungen der einzelnen slawischen Gaue waren durch Waldungen und Sümpfe bedingt, die sich weithin in die Ebenen fortsetzten. Zwischen Nizizi und Daleminzien, ebenso längs der Elster und längs der Fuhne dehnten sich zusammenhängende Moräste und Bruchflächen aus. Wenn deshalb schon die Kommunikation im Innern des Landes erschwert war, standen für Heereszüge nach Böhmen nur sehr wenige Pässe offen. Der gangbarste, aber östlichste, w'ar der Gabler Pass, über Friedland und Seidenberg, der indess als Zugang zu dem Gaue Zagost in der Lausitz dauernd in böhmischen Händen war. Auf dem direkten Gebirgsübergange von Böhmen über die Nollendorfer Höhen nach Nisani hielten die Böhmen die schon in Nisani belegene l^urg Dohna besetzt. Ausserdem scheint aus der Gegend von Johann- Georgenstadt ein Steg über Zwickau nach Zeitz geführt zu haben, auf welchem Dedo von Wettin mit einem bc'ihmischen Haufen 977 einbrach, Zeitz eroberte, und Oda, die Braut Miecislaus L, aus dem Kloster Kalbe entführte. Im übrigen war das Gebirge unzugänglich. Dieser starke Al)schluss erklärt hinreichend, dass trotz der Kämpfe mit den märkischen Wenden, den Böhmen und Polen, die noch lange fortdauern, das linkselbische Land seit Otto I. als unter deutscher Herrschaft betrachtet wurde und 1)etrachtet werden konnte. Dies darf nicht in gleicher Weise von der Lausitz gelten, obwohl dieselbe zum Sprengel von Meissen gehörte, und seit 1048 auch zum *) Leibnitz, Script. Rer. Brunsvic. I, p. 320. *; Cod. Sax. reg. I, 1, S. 168 ff. Excurs I. Beiträge zur Geographie and Mark der Diözese Meissen. 424 ^' ^' 1^16 Erwerbung Obersachsens Theil dem Bischof von Meissen, zum Theildcr Wettininchen Ostmark zugewiesen war. In dem nördlichen Landstrich derscll)en, im (lau Ploni, dem heutigen Zauch- Beizig, ist allerdings 997 ein deutscher Graf Tetus bekannt. Auch wissen wir durch Fragmente, welche in Schriftstücken der 975 am Einfiuss der Bode in die Saale begründeten Al)tei Nien- burg aufgefunden worden sind^), dass dieselbe schon unter Otto ii. einen ausgedehnten Besitz von, wie angegeben wird, 50 slawischen Dörfern an der Spree in der Gegend von Kottbus erhalten hatte. Dazu gab ihr Ottolli, im Jahre 1000 den Burgward Niemitzsch an der Neisse^) und Heinrich II. 1004 den Burgward Triebus und Liübucholi an der kleinen Elster^). Aus jenen Fragmenten geht auch über die spätere Zeit hervor, dass das Kloster seine Einkünfte aus dem Burgward Niemitzsch trotz dessen grosser Entfernung und schutzlosen Lage nicht völlig eingebüsst hat. Denn sie enthalten anscheinend unverdächtige Zeugenvernehmungen, durch welche im Jahre 1212 eine Anzahl 70jähriger Klosterleute bezeugen, in ihrer Jugend die Ankunft zahlreicher Wagen aus Niemitzsch gesellen zu haben, welche die aus Honig, Wachs, Seife, Fellen und Fischen be- stehenden Zinsungen überbrachten. Die Veranlassung dieser Fest- stellungen zeigt auch, dass der Besitz nicht durchaus wertldos gewesen sein kann, denn er war Gegenstand längeren, bis zum Ende des 12. Jahrhunderts dauernden Streites. Dennoch sind weit ül>erwiegendeThatsacheu bekannt, dass die Unter- werfung der Lausitz, obwohl sie unter Heinrich II. als eine vollständige bekundet wird, in Wirklichkeit noch lange eine sehr schwankende blieb. Das Kloster selbst erlitt durch die polnischen und böhmischen Kriegszüge, welche die Lausitz vorzugsweise berührten, grossen Schaden, ein Theil seiner Dörfer wurde wüst, endlich eroberte der Markgraf Heinrich von Eilenburg die Stadt Niemitzsch. Mehrmals brachen Böhmen und Polen auch in das Land bis zur Elbe ein. Nicht lange nach dem Zuge Dedos, nahm Wok, der Führer eines böhmischen Hülfsheeres Herzog Heinrichs von Bayern, 984 Burg und Land Meissen für Böhmen in Besitz. Sie wurden indcss schon 985 zurückgegeben. 1003 — 5 gingen die wechselnden Feldzüge zwischen Heinrich IL und Boleslaus Chrobri durch das Gebiet der Lausitz, und *) Heinemann, Die Abtei Nienburg, Neues Lausitz. Magazin Bd. XL, 2. Heft, Görlitz 1863, S. .'>13. ') Mon. Germ. Dipl. II, No. 359, S. 788. ') Heineraann, Cod. dipl. Anhalt. Th. I, Nq. 93, S. 73. durch die sächsisclien Kaiser. 425 Boleylaus hielt von 1007 bis: anscheinend 1025 01)er- und Nieder- lausitz besetzt. Im Jahre 1028 nahm sie ^lieeislaus von Polen ein, und trat sie erst 1031 wieder ab. Endlieh ül)erliess 1067 Heinrieh IV. die Lausitz an ^\'ratisla^v von Böhmen, der ihm stets die treueste Stütze gewesen war und blieb. Später verlieh Friedrich I. Budissin 1158 an Wladishiw IV. von Böhmen. Dadurch l)lieb es böhmischer Besitz, bis es 1253 an Brandenburg durch Kauf überging. Es stand auch l)is dahin unter böhmischen Landvögten, wurde indess unter diesen als selbständiges Land von dem durchweg deutschen Adel und den deutschen Städten verwaltet. Auf Obersachsen links der Elbe dagegen übten diese kriegerischen Ereignisse keinen störenden Einfluss aus. AVenn es 1029 räthlich erschien, das 968 in Zeitz gegründete Bisthum, wegen der Beunruhi- gung durch die Wenden, rückwärts nach Naumburg an die Saale zu verlegen, so scheinen sich diese L^nruhen im wesentlichen gegen das Christenthum und die Geistlichkeit mit deren Anforderungen und Einrichtungen gerichtet zu haben. Es ist nicht bekannt, dass sich seit Otto L Zeit im Lande selbst ein politischer oder nationaler Widerstand oder Aufruhr gegen die Deutschen erhoben habe, noch ist überhaupt die deutsche Herrschaft in Obersachsen jemals wieder miterbrochen worden. Mit Ausnahme der vorübergehenden Besetzung von 984 blieb Meissen von 968 bis 1067 in den Händen der einander folgenden meissnischen ]\Lirkgrafen, und obwohl Heinrich IV. 1067 Meissen an Böhmen verliehen hatte, behauptete sich Heinrich der Jüngere in Stadt und Burg. Die Belehnung, welche Wiprecht von Groitzsch von Heinrich V. auf das Gerücht von Heinrichs d. J. Tode erlangt hatte, wurde hinfällig, als Wratislaw starb. Meissen kam vielmehr 1127 durch Heinrichs Nachfolger Konrad dauernd an das Wettinische Haus. Den Besitz der östlichen Lande Nisani mit Dresden und Budissin hatte Wratislaw zwar erlangt, dieselben aber bereits 1084 seinem Schwiegersohn Wiprecht von Groitzsch als Mitgift übergeben. In dessen Familie blii'ben sie 1136. Nisani ging dann an Meissen über. — Als politischer Körper hat also Obersachsen den einmal ge- wonnenen deutschen Charakter nicht wieder verloren. Auch erscheinen die deutschen Namen unter dem Adel und den Geistlichen auf grossen und kleinen Besitzungen und in Pfarreien, Stiftern und Klöstern in grosser Zahl in den l'rkunden. Dennoch ist schon o. Bd. II, S. 240 hinreichend gezeigt worden, in welchem weit überwiegenden Verhältnisse die Bevölkerung noch lange Zeit slawisch blieb, 426 X. 4. Die Erwerbung übersachseus Zeugnisse dafür, dass die sljnvischeii Adligen und Herren nicht ihres Standes und (Jnuidhesitzes beraubt wurden, sind allerdings sehr selten und zweifelhaft. Um 940 wird von Thietrnar (II, 24) Cuchavieus senior Slavorum als Freund des Kaisers genannt, und man darf annehmen, dass ihm als bisherigem Supan oder Vladika, An- sehen, Freiheit imd Clrundbesitz erhalten blieben. Weitere Naclu'ichten besagen dann: 1040 (juidquid per beneficium h'omeniizl tenuit'), 1031 Szwizla fidelis, 1041 Moic miles, 1045 Jarmir miles"), 1071 beneficia cujusdam nomine Ozer^). Auch die bekannte Urkunde von 1071, nach welcher quidam liber homo Bor vocitatus, natione Slavus^) 5 ihm gehörige Dörfer an den Bischof von Meissen abtrat, ist zwar gefälscht, darf aber als Beweis gelten, dass ähnliche Fälle möglich waren. Endlich hat H. Knothe^) nachgewiesen, dass nach 1261 ein Besitzer aus slawischer Familie 3 Dörfer innc hatte. Indess bei allen diesen späteren Erwähnungen wird kein alter, sondern nur ver- liehener Besitz, und neu erworbenes Verdienst oder Ansehn erkennbar. Adel und Vornehme der Slawen wurden also durch die Er- oberung bis auf wenige vernichtet, oder, wie die Supane und Withasii erweisen, in die Lebenslage höriger Rustikalen herab gedrückt. Der Fortbestand dieser Dörfer der Supane und Withasen, o. Bd. II, S. 241, aber zeigt, dass die Hauptmasse der bäuerlichen Bevölkerung weder ausgerottet, noch vertrieben war, vielmehr als Mancipia, als Eigene galt. Mit den villae oder Gütern wurden stets die Bewohner als Zubehör verliehen. Diese alten Bewohner waren auf den Privatgütern ebenso wie auf den königlichen, gräflichen und geistlichen Besitzungen für die B\)rtführung der Bewirthschaftung zu sorgen gezwungen. Die Herren oder ihre Villici haben schwerlich mehr als die Ausführung der Ackerbestellung und den Eingang der Fruchternten beaufsichtigt, und die Mancipia sind in der Mehrzahl in ihren bisherigen Haus- haltungen und auf den bis dahin möglicherweise gemeinschaftlich bewirtbscbafteten Ländereien ansässig geblieben. Nur dadurch ist erklärlich, dass die bäuerlichen Verhältnisse in so vieler Beziehung ihren national slawischen Charakter bewahrten. — Die grundherrlichen Zustände nun, welche durch den geschilderten Verlauf der Eroberung Obersachsens hervorgerufen wurden, hat m *) Lepsias, Naumburg I, 203. ") Vergl. u. S. 431. ^) Cod. dipl. Lusat. sup. 11. *) Cod. Lus. 83, c. 4. Knothe, Die Stellung der Gutsunterthanen der Oberlausitz, Dresden 1885, S. 7. durch die sächsischen Kaiser. 427 Ecliuird Otto 8cliiilzc iiuf (Jruiul einer sorgfältigen Vergleichung der vorhandenen Urkunden in einer zum Druck vorliegenden Schrift: »Die Kolonisation und CJernianisation der Gebiete zwischen Siiule und EU)e^< bearl)eitet. Er hat vor allem gezeigt, dass diese agrarische Entwickelung nach zwei zeitlich und örtlich verschiedenen Gesichtspunkten auseinandergehalten werden muss. In die Zeit bis etwa 1100 fällt die Jk'sitznalune der Ebenen. So lange bezwecken die Landvergebungen der sächsischen und fränkischen Kaiser in der Hauptsache die Befestigung der Herrschaft. Um 1100 dagegen be- ginnt lebhaft die Kolonisation, die wirthschaftliche Verwerthung durch deutsche Besiedelung, und zwar vorzugsweise die des Gebirgslandes. In der älteren Periode wurde das Land als ein erobertes be- handelt und zunächst in die Gewalt der Markgrafen und Grafen und ihrer reisigen Gefolge gegeben. Uebcr die wichtigsten Vorgänge dieser Zeit fehlen leider die näheren Nachrichten. Auf die Fälschung der ausführlichen Stiftungsurkunden ist bereits hingewiesen. Nur zwei Bullen Johanns XIII. und ein Erlass Ottos I. von 968 (Cod. dipl. Sax. Reg. I, 8, 10 und 11) sind echt. In denselben genehmigt der Papst mit kurzen Worten die Errichtung des P]rzbisthums Magde- burg mit den Bisthümern Brandenburg und Havelbcrg, und fordert den Erzbischof auf, Bischöfe für Meissen, Merseburg und Zeitz zu Iterufen. Von einer Dotation dieser Bisthümer sagen diese Bullen nichts. Otto I. wendet sich seinerseits an die Markgrafen des neuen erzbischöflichen Sprengeis Vuigbert, Vuigger und (iunther und ordnet lediglich an: ne vero idem episcopi, qui ornandi crunt, pauperes et villanis similes estimentur, volumus caveatis, et consilio archiepiscopi et eorum, qui cum illo in natali domini erunt, episcoporum et corni- tum, qualiter sustententur, inveniatis. Ebenso wenig als diese er- haltenen Gründungsurkunden sprechen die gefälschten Urkunden, welche die Stelle vielleicht verlorener, näherer Anordnungen ersetzen sollten, von einer Dotation seitens des Gründers, oder von CJütern der geistlichen Stiftungen. Dagegen berufen sie sich auf die Zuweisung eines Zehnten von allen und jeden Früchten und Einkünften inner- halb des gesammten Sprengeis. So heisst es in der bis 948, also weit vor die Gründung zurück datirten, angeblichen Stiftungsurkunde für Meissen (Cod. dipl. Sax. Reg. I, 1, No. 1, S. 237) nach einer Angabe der Grenzen des Sprengeis bis zur Odcrquelle, welche dem Bisthum nie angehört haben, qui infra predictum terminum habitant, in omni fertilitate terrae, frugum et pecudum, in argento, vestirnento, nee non, quod Teutonici 428 X- 4. Die ErwerVjung Obersachsens dicunt, ouuarcapunga et talunga familiarum, insuper tota ntilitate et in Omnibus rebus, (juibus niortalos utuntur diversis modis, deci- mationes refcrant et reddant. Fast dieselben Worte wiederholen sich in den ebenfalls gefälschten, von 968 und 970 datirten Urkunden Kaiser Ottos I. und der falschen Bestätigungsbulle Johanns XIII. (Ebd. No. 7, S. 213, No. 9, 8. 247 und No. lo, S. 251). Ein solcher Zehnt ist in den echten Urkunden nirgends erwähnt, und es haben ihn niemals weder die Deutschen, noch die Slawen geleistet. Vielmehr lag den Deutschen der volle Zehnt, d. h. der grosse von Feldfrüchten und der kleine von Vieh und Geflügel ob; die Slawen aber entrichteten noch im 12. Jahrhundert diesen gewöhnlichen Naturalzehnt nicht, sondern es waren ihnen, offen- bar im Interesse der Bekehrung, nur bestimmte fixirte Leistungen an seiner Stelle auferlegt. Noch 1163 tritt Erzbischof Wichmann (Cod. d. Sax. r. II, 1, No. 55, S. 57) den Zehnt der Mark Löbnitz an Mtiissen mit der Unterscheidung desjenigen al), welchen die den Gau Ijewohnenden Slawen ex statuto (als bestimmten und festgesetzten) und welchen die anderen Bewohner ex integro (als einen vollen) ent- richten müssen. Ebenso verlieh Bischof Dietrich von Naumlnn-g der erst 1122 von Graf Alb. v. Eberstein im vicus Plauen erbauten Kirche, deren Parochie den gesammten Gau Dobna von 10 D Meilen um- fasste, den Zehnt dieses Gaues: tam plenariam militum (d. h. der Güter des deutschen Adels), quam constitutam rusticorum (den fixirten Slawenzehnt) (Mittheil. d. Alterth.- Vereins zu Plauen I, 1880, No. 1). Diese Verschiedenheit reicht so weit hinauf, als ein Zehnt von den Slawen urkundlich erwähnt wird, und es ist nach dem o. Bd. II, S. 406 mitgetheilten Schreiben des Bonifacius viel wahrscheinlicher, dass sie früher überhaupt frei von Zehnt waren, als dass man versucht hätte, von ihnen einen höheren als den üblichen deutschen Zehnt zu ziehen. Auch eine Urkunde von 973, in welcher Otto II. an Magde- burg den Honig- und Handelszehnt in verschiedenen Gauen schenkt (Mon. G. Dipl. II, No. 30, S. 30), betriff't nur die Nutzung kaiserlicher Wälder. Deshalb lässt sich nicht denken, dass der zu erwartende Zehnt als eine wesentliche Quelle des Unterhalts für die Bischöfe und Stifter angesehen worden wäre. Ebenso wenig würden die späteren kaiserlichen Schenkungen den Unterhalt der Bischöfe sicher gestellt haben. Für Magdeburg wurde zwar das bisherige Kloster St. Moritz zum Domkapitel erklärt. Das Erzbisthum überkam deshalb die schon durch Otto I. 937 bei der Gründung dieses Klosters (Mon. Germ. durch die sächsischen Kaiser. 429 Dipl. I, Xo. 14, S. 101) gewährten und reich vermehrten (Jüter des- selben (Ebd. No. 15, 16, 21, 37, 46, 63, 74 u. a.). .Spätere umfang- reiche Güterschenkungen an das Erzbisthum sind jedoch in Ober- sachsen weder durch Otto I. (Ebd. No. 377, 386, 387, 388), noch durch Otto 11. (Ebd. II, No. 79, 82, 197, 224, 258, 270) oder durch Otto III. (Ebd. n, Xo. 139, 247) erfolgt. Für Merseburg wird nur die Schenkung einiger Höfe durch Otto II. (Ebd. II, Xo. 161) be- kundet. An Naumburg kam allerdings die angeblich für Zeitz schon 976 gemachte reiche Dotation durch die civitates Altenburg und Zeitz und 36 villae mit 9 Kirchen (P^bd. II, No. 139). Aber auch diese Urkunde erweckt nicht allein wegen ihrer äusseren Form, sondern ebenso wegen ihres Inhaltes begründete Zweifel. Wenn man auch an- nehmen dürfte, dass die beiden civitates nicht als Städte, sondern im Sinne der civitates des St. Emmeramer Verzeichnisses von etwa 890 (o. Bd. II, S. 233 ff.) als ältere feste Orte der Slawen zu deuten seien, aus denen auch viele der Burgwarde herzuleiten sind, bleibt doch der deutsche Name Altenburg und der Bestand von 9 Kirchen in der Umgebung bei der Abgelegenheit dieser Gegend zur Zeit der Gründung höchst unwahrscheinlich, und die Entstehung oder Aus- füllung der Urkunde wird auf ein Jahrhundert später herabzurücken sein. Von anderen Schenkungen an Naumburg vor 1100 wird nur ein Hof Fulkmeresroth erwähnt (Lepsius, a. a. 0. S. 210, Xo. 17). Es ist also anzunehmen, dass die Zuweisung der zum Unterhalt der Bischöfe nüthigen Einnahmen und Güter im wesentlichen im Sinne des Befehles Otto I. durch die Markgrafen erfolgt ist. Dagegen wurden den Bisthümern Forsten durch den Kaiser über- lassen. Ueber die bereits erwähnte Schenkung an Merseburg sagt Otto II. 974 (M. G. Dipl. II, Xo. 90): Forestum in eo episcopatu et in comitatu Guntheri in pago Chutizi situm inter Salam et Mildam fluvios ac Siusili et Plisni i»rovincias jacentem, ut idem sine aliqiia seeulari inquiutudine perpetuo deserviat. 996 (Ebd. II, No. 252) tauschte Otto IIb von Magdeburg gegen den Sömmeringer Forst den Zwenkauer ein. Auch diesen Zwen- kauer P'orst erhielt später Thietmar v. Merseburg für sein Bisthum, und bemerkt (1. 8, c. 10), dass er sich von Leipzig und Rochlitz bis an die Mirquida, d. h. bis an die grossen noch unverlielienen kaiser- lichen Forsten des Erzgebirges erstrecke. Zeitz lag völlig von Forst umgeben, welcher ihm bei der Gründung zugewiesen worden sein mag, weil hier später die gedachten 36 Dörfer des Bisthums erscheinen. Alle diese Wald Verleihungen geschahen in der Idee, dass die 430 X- 4' I^'*^ Erwerbung Obersachsens Bisthümer Mittelpunkte weit verbreiteter Christianisirung werden, und in den auf den sanften Ilänfren des Gebirges günstig gelegenen Waldungen den Boden für ausgedebntc Kulturunternebmungen finden würden. Aber diese Hoffnungen verwirklichten sich sehr wenig. Die Slawen widerstrel)ten der Annahme des Christenthums und dem Gehorsam gegen die Geistlichkeit, vermuthlich des Zehntens wegen, mit solcher Hartnäckigkeit, dass Bisthümer und Klöster ihren Einfluss nicht zu befestigen vermochten, sondern vielmehr vor der Beunruhigung durch die Slawen zurückwichen. 975 (Cod. Anh. I, No. 58) wird das 970 in Thancmarsfeld begründete Kloster Nienburg wegen allerhand Unzuträglichkeiten an die Saale verlegt, 981 wird das Bisthum Merseburg vom Papste und Concil aufgehoben (Cod. dipl. Sax. r. II, S. 262), was trotz der von Thietmar (1. 3, c. 8) geschil- derten Intriguen Gisilhers bei erfolgreicher Wirksamkeit nicht möglich geworden wäre. Erst 1004 gelang es auf mannigfache Beschwerden und Bitten, dasselbe wieder herzustellen. 1032 wurde das Bisthum Zeitz wegen der von den Slawen drohenden Gefahren (ein Zeichen, wie wenig um 980 an das Bestehen von 9 Kirchen in dieser Gegend zu denken ist), nach Naumburg an die Saale, und noch 1137 das Kloster Schmölln ebendahin nach Schnlpforta verlegt. Der Fortbestand solcher geistlicher Stiftungen blieb also aus- schliesslich auf die Saalegrenze und INIeissen beschränkt. Eine Urkunde des Bischofs Herwig zu Meissen von 1114 über die Gründung des Collegiatstiftes zu Würzen besagt ausdriicklieb, dass sich bis dahin in der gesammten Diözese Meissen noch kein einziges Mönchskloster ausser in Meissen selbst befand. Ebenso kommt vor Dietrich L, der 1111 — 1125 das Bisthum Naumburg inne hatte, in der gesammten Naumburger Diözese, ausser den zwei älteren Klöstern St. Georg und St. Moritz in Naumburg selbst, keine andere Klosterstiftung vor, und selbst di(> ersten Dorfkirchen wurden hier im Vogtlande in Reichenbaeh und Altenkircbcn, Saalfeld und lUidol- stadt gegenüber, erst zwischen 1079 und 1090 erbaut, im Plauensehen Lande aber, wie erwähnt, sogar erst 1122 (liCpsius, S. 37 u. 39 und Urk. S. 150, 244 und 246). Diese kirchlichen Verhältnisse und die sonstigen Verleihungen der Kaiser ergeben, dass der Zustand des Landes durch die Er- oberung zunächst wenig verändert wurde. Das Kloster Nienburg erhielt in den Urkunden von 978 und 980 (Cod. Anh. I, No. 61, 65 und 66) an der Saale eine gewisse durch die sächsischen Kaiser. 431 i\iiz:ilil slawisc'lier Dörfer, aiü" welche noeli näher /Airückzukommen sein wird. Sie werden ausdrücklieli als villiilne niid vieulae hezeichnet und liegen auf kleinem Raum zusammen. Dass den ^Markgrafen und Grafen namentlich in der ersten Zeit ein gewisser Güterbesitz nicht lediglich als Amtssprengel, sondern als Hausgut zugewiesen wurde, ist erklärlich. Dem entsprechen die Schenkungen von 945, 950, 951, 970, 973, 980 an die Äfarkgrafen Christian und Gero, und an den Grafen Thiemo (Heinemann, Cod. Anhalt. I, No. 12, 13, 24, 51, 64, 68). Deutlich aber tritt bei den wenig zahlreichen und meist sehr geringfügigen Schenkungen der Kaiser an Ritter und Günstlinge hervor, dass die Art der Verleihung ausnahmsweise Privilegien ge- währt, die mit dem allgemeinen Besitzstande im liande nicht über- einstimmen. An solchen kaiserlichen Schenkungen sind durch anderthalb Jahrhunderte nur folgende bekannt: 945 an Söhne eines Vasallen villas IUI in pago Serimuntlante (Mon. Germ. dipl. I, No. 69); 974 dem Pincerna Livo Biendorf in Serimunt (Ebd. H, No. 91); 978 dem Probst Adalej'chus 10 mans. reg. in marcha Zuchau in pago Zitici (Cod. Anh. I, No. 63); 981 cuidam nostro fideli NanciUnus nuncupato in pago Colidiki marcam, quae vocatur Gimuete (Ebd. I, No. 70); 992 fideli nostro Ruodolt de nostra proprietate XX mansos re- gales in duobus burgwardiis Olfnig et Thumnuz (Elsnig und Dom- mitzsch; Mon. Germ. Dipl. H, No. 103); 993 Capellano Gunthar XH regales mansos in villa Uglizi (Oeglitzsch) vocato et in Burgwardio Ciiskibcrg nominato sitos, si ibi mensurari possunt (Ebd. H, No. 132); 995 fideli nostro Dajo de nostra proi)rietate castellum Vulva cum villa Bodendorp (Cod. Anh. I, No. 85); 1031 Szwizla 2 reg. mansos in villa Onszarin in l)urgwardo Szholin (Cod. d. Sax. r. I, 1, No. 77, S. 206). 1031 Zuliso tres mansos regales in villa Vetowizi in pago Susali (Ebd. No. 79, S. 295). 1041 an Moic 3 reg. mansos et 60 jugera in villa Gladousi in burgwardo Tuchorin (Ebd. No. 91, S. 302). 1041 dem Vasallen des Markgrafen Eckard von Meissen Marquard 10 regal. mansi nostrae proprietatis in Burgwardo Trebani in pago Zeudici in villa Tuchin (Lepsius, a. a. 0. I, p. 205); 432 X. 4, Die Erwerbuog Obersachsens 1045 cuidam militi Ekkehardi marchionis Jarmir dicto in villa Scutropei, si inibi fieri possit, sin autem in proxiniis locis, tres mansos regales in burchwardo Guodeze sitos in proprium (Ebd. No. 99, S. 307). 1097 Militi nomine Vitic pro amorc domini sui fidelis nostri praedicti Wiperti 2 mans. sitos in vico Scorlup in Burgwarto Zcolin et 2 mansos in virgultis adjacentibus (Ebd. No. 173, S. 365). Alle diese Urkunden stimmen darin überein, dass sie die pro- prietas übertragen, mit den mehr oder weniger ausführlich bei- gegebenen Worten der Urkunde für Zuliso: in proprietatem donamus et de nostro jure in suum jus omnino transfundimus, liberam po- testatem habeat, tenendi, tradendi, commutandi, vendendi, posteris suis relinquendi, vel quidquid j^lacuerit faciendi. Daraus ergiebt sich, dass es sich bei diesen Schenkungen nicht um irgend eine Form des Lehns, sondern um volles freies Eigenthum handelte. Es zeigt sich auch aus den Namen, dass nicht nur Deutsche, sondern in gleicher Zahl auch Slawen in dieser Weise be- gabt worden sind. Slawisches Grundeigenthum ergiebt sich auch aus der erwähnten, von 1071 datirten, aber durch Cod.Sax. reg. I, 1, No. 142 und Einl. S. 94, Anm. 44 als gefälscht nachgewiesenen Urkunde über den Besitz des Bor. Sei es, dass Bor gelebt hat oder nicht. Der Zweck der Fälschimg ist nur der, der Meissener Kirche das Eigen- thum einer Anzahl Dörfer zu sichern, das ihr Bor übertragen haben soll. Den Slawen als solchen kann also Freiheit und das Recht, solche Dörfer zu vollem Eigenthum mit ihrem Zubehör zu besitzen, nicht durchaus versagt gewesen sein. Aus demselben Zusammenhange aber bestätigt sich auch, dass freies Eigenthum nicht die gewöhnliche Form des Grundbesitzes in dem eroberten T^ande gewesen ist. Der nähere Einblick in diese Grundbesitzverhältnis.se hat sich bereits o. Bd. IT, S. 240 aus der slawischen Ortsverfassung ergeben. Wenn in dem nur zum Theil die Gaue Daleminzien und Nisani umfassenden Amte Meissen noch bis in das 14. Jahrhundert 210 Dörfer unmittelbar unter dem Amte standen, von denen, wie das Bedever- zeichniss des Amtes von 1334^) angiebt, GO Withasen, die übrigen Supanen als Ortsvorstehern untergeben waren, so blieb für freie Eigen- thümer, für einen alten freien grundherrlichen Besitz an Dorfschaften ') In Bernhard v. Schönberg, Geschichte des Geschlechts v. Schüuberg (Leipzig 1878) Bd. II, S. 253. — Vgl. auch Fragmente von 1336 und ein Zins- und Gülte- register von 1378 unter Castrum Miosen im Staatsarchiv zu Dresden. durch die sächsischen Kaiscv. • 433 nicht viel Kaum. Die um 1384 in Händen von Rittern befindlichen Dörfer luitten, nach Bemerkunfren in dem Verzeiclmisse, keine Bede zu leisten^). Aber der Besitz aller dieser Ritter war im wesentlichen Lehn, und auch als echtes Lehn nur spät und allmählich zur An- erkennung gelangt. Wie die erste deutsche Besitznahme zu denken ist, wird durch die Angaben am deutlichsten, welche o. Bd. II, S. 279 über den Verfall des Heerbanns und das Aufkommen der reisigen INIannschaften unter den Bannern der Senioren, Grafen und k()niglichen Domainenbeamten gemacht werden konnten. Auch im sächsischen Volkslande war der Heerbann unter den Ottonen bereits aufgelöst und zum blossen Land- sturm geworden. Die zahlreichen Liten galten schon um 900 nicht mehr als waffenfähig (o. Bd. H, S. 310). Andrerseits war aber zur Zeit der Eroberung Obersachsens auch noch kein Ministerialadel ent- standen, sondern das Heer schied sich in Bannerherren und ihre Gefolge, und zog unter der Führung der Grafen. Die Hauptmasse der Gefolge aber bestand aus königlichen oder gräflichen und grundherrlichen Dienstmannen. Diese Dienstmannen waren, wie Märcker (Das Burggrafenthum Meissen, 1842) eingehend darstellt, ursprünglich Unfreie, aus denen sich nur allmählich die zum INIilitärdicnst Bestimmten emporhoben. Sie waren als Unfreie hörig und an die Güter der Grundherrschaft gebunden, hatten dafür aber auch den Genuss dieser Güter, und wurden als Volk, Gesinde, familia bezeichnet, während die Leib- eigenen als bewegliche Güter, mancipia, betrachtet wurden. Mit der Verbreitung der Erblichkeit der Dienstgüter führte sich auch die Leistung des Sterbefalles, des Besthaupts des Viehes und des Best- theils des Hausrathes, und der Heirathszwang innerhalb der einzelnen Grundherrschaften ein. Da der Militärdienst aber mehr und mehr zum Reiterdienst wurde und gute Ausrüstung und viele freie Zeit forderte, mussten die Güter der reisigen Dienstleute grösser als die gewöhn- lichen Bauernhufen sein. Sie konnten nur auf Kulturland angewiesen werden, wie dies bei Ueberlassung kleinerer Güter in Kcinigshufen meist ') Das Verzeichniss, neben welchem sich auch Bruchstücke ähnlicher Register von 1336 und 1339 finden, sagt z. B. bei einzelnen Supaneidürfcrn : Wssyn dominus burcgravius sibi usurpat; . . . Dobranowicz pars et Glinen domini Herrn, militis de Malticz nihil; . . . Iwanowicz pars sororis II. de Mocruz de VIII Talentis nihil; . . . Wisnen illorum de Malticz. Unter den Dörfern, welche sub rusticis, qul dicuntur Witsezen, stehen, werden genannt: Hychenbaeh X gr, , pro nunc dominus ville colit allodium per sc; . . . Celtz symul XX gr. Dazu bemerkt das Register von 1336 Celtz Joh. de Milticz de talento nihil. M e i t z c n , Siedelung etc. H. 28 434 ^- 4. Die Eiüliening Obeisachsens ausdrücklich erwähnt wird, und machten für ihre Bcwirthschaftung die Zuweisung oder Beschaffung von Leibeigenen nothwendig. Daraus ergab sich von selbst, dass sich mit dieser Lage der Milites höhere Ehre verband, und dass sicli auch Freigeborene bereit fanden, solche Dienstmannsgüter zu übernehmen. Sie müssen namentlich an der Slawengrenze sehr verbreitet gewesen sein. Denn von diesen Dienst- mannen spricht Witukind (Sachsengeschichte 1. I, c. 35), wenn er er- zählt, dass Heinrich I. zuerst »ex agrariis militibus nonum quemque eligens, in urbibus habitare fecit, ut caeteris confamiliari])Us suis octo habitacula exstrueret. Frugum omnium partem tertiam exciperet servaretque, caeteri vero octo seminarent et meterent frr.gesque colligerent nono et suis eas locis reconderent. Concilia et oranes conventus atfjue convivia in urbibus voluit celebrari, in quibus ex- struendis die noctuque operam dabant, quatinus in pace discerent, quid contra hostes in necessitate facere debuissent. Vilia aut nulla extra urbes fuere moenia.« Dieser allerdings sehr lückenhafte Bericht erklärt zunächst die grosse Zahl Ortschaftsnamen, welche bald darauf im Mansfeldischen und in der goldenen Aue mit der Endung -bürg und -Stadt in Urkunden von 929, 937, 939 und namentlich in einem Ver- zeichniss aus dem Hassagau von 979 erscheinen. G. Landau^) hat sie zusammengestellt. Es zeigt sich, dass nur wenige von ihnen zu grösseren Städten erwachsen sind, die meisten blieben kleine, kaum lebensfähige Landstädtchen. Aber sie erweisen genügend die weite Verbreitung dieser Dienstmannschaften, zu denen auch die Besitzer der Königshufen im Hersfelder Zinslande (Anlage 115) gehört haben dürften. Ob damit zugleich die Einthcilung in Burgwarden zusammen- hängt, welche sich ebenso auf dem linken wie auf dem rechton Saaleufer findet, und in Obersachsen erst im 12. oder 13. Jahrhundert zur Auflösung gekommen ist, wird nicht näher bekundet. Soweit Burg- warde bestanden, l)ildeten sie kleine Bezirke, die unter dem Schutze einer Burg lagen. Deutlich aber spricht Witukind von den milites agrarii und confamiliares im Sinne der bäuerlichen familia des Herzogs und schliesst dabei völlig jeden Gedanken an Adel oder eine Tiehnsritter- schaft aus. Solche iKirige Dienstmannen waren um Merseburg und um Meissen und bei allen den Grafen und Bischöfen, welche die kaiserliche *) Im Korrcspondenzblatt des Gesammtvcreins der deutschen Geschichtsvereine vom Januar 18G2, S. 21, z. B. Alstcdiburch (Allstedt), Gerburgaburch (Gerbstedt\ Burnigstediiiurch (Bornstedt), Ilclpethingaburch (Ilclfta), Scroppenlenaburch iSchraplau', Cucunburch (Kukcnbcrg), Smeringa!)urch (Zschwcrne), ebenso Miicheln, Goseck, Schmön u. a. — Vgl. Mon. Germ. Diplom. II, p. 217. 1 durch die sächsischen Kaiser. 435 Burg zu Meissen zu bewachen hatten, angesetzt. Dies ergiebt sich aus Thietmar's Bericliten. Er erzählt 1. 5, c. 6, dass 1002 nach der Ermor- dung des ^larkgrafen Eckehard sein Sohn Hermann mit seiner Mutter und seinen Brüdern nach Meissen kam. Der Stadt nahte sich gleichzeitig Boleslaus von Polen, und suchte die Meissner für sich zu gewinnen. Diese, »qui novis semper gaudentes, in una dierum, cum presidii maximam multitudinem ob acquirendam equorum annonam exisse conperirent, portam, quae orientem respicit in ea parte, qua satellites habitant dicti sclavonice Vethenici, Cukesburgiensi Guncelino ad hoc duce, irruunt, Bececionemque Herimanni comitis satellitem primo occidentes, ad caminatara ejusdem omnes armati conveniunt, fenestram lapidibus impugnant grandibus, dominum urbis, Ozerum nomine, sibi ad occidendum reddi vociferantes. Aber Thietmar, ein miles, der Herimann seinen Senior nennt, hielt sie vor seinem Zimmer auf: »Nobis viventibus non accipitis! Pauci sumus, aut communiter mori, aut incolumes urbe hac nos exire pro certo sciatis.« Darauf ge- statteten sie der Besatzung freien Abzug und übergaben die Stadt dem Boleslaw. Aus dem Bericht geht leider nicht deutlich hervor, ob von einer anderen Besatzung ausser den Vethenici die Rede ist. Vethenici bedeutet anscheinend nur allgemein Krieger (von vojnik, woinownik). Die Stadt allein, nicht die obere kaiserliche Burg, steht in Frage. Von letzterer zeigt Märcker (S. 296) nach den Angaben Thietmars (1. 6, c. 36, 37, 47, und 1. 7, c. 15), dass bis etwa 1068 die weltlichen und geistlichen Lehnsträger abwechselnd, anscheinend monatlich, zu ihrer Bewachung verpflichtet waren, und um 1068 Heinrich IV. zur Wahrung seiner Rechte auch dem Markgrafen gegenüber hier einen Burggrafen einsetzte. Der Markgraf hatte die untere oder Wasserburg inne, welche im Thal am Misnibache lag, und in der 1002 die Vethenici die Besatzung bildeten. Diese könnten also, wie der miles Thietmar, nur Dienstmannen des Markgrafen, nicht des jedesmaligen kaiserlichen, zur Burgwache herbeigezogenen Vasallen gewesen sein. Jedenfalls hal)en aber alle jene zur Wache verpflichteten Lehnsherren ähnliche Mannschaften in ihrem Dienst gehabt. Seiner eigenen Satellites erwähnt Thietmar (1. 7, c. 5) ausdrücklich, eben.so derer der Reinalda und der Milites der Grafen Bernhard, Gunzelin und Wilbelmus (Mon. Germ. SS. IH, S. 838). Dass diese Schaaren nun überwiegend aus Slawen bestanden haben sollten, ist keineswegs vorauszusetzen. Die Withasii waren allerdings ebenso wie die Supane zu Reiterdieust ver- pflichtet, aber namentlich erstere finden sich in den Registern fast ohne Ausnahme nur auf einer gewöhnlichen Bauernhufe ansässig, sie können 28* 43Ö ^- ^' 1^'^ Eroberung Obersachsens also nur im leichten Dienst gebraucht worden sein. Es zeigt auch schon die ErziUilung Witukinds (1. II, c. 30) von der Empörung der Milites und Vasallen gegen den Markgraf Gero im Jahre 940, wie schwer es war, die nötliigen Truppen zu unterhalten und ihre Treue sich zu sichern. Man wird also schwerlich durch Einreihung zahlreicher Slawen die Gefahr der Slawenkämpfe noch vermehrt haben. Deshalb lassen sich unter den Dienstmannen rechts der Saale, ebenso wie unter denen in den Grenzgebieten links derselben, im wesentlichen nur imfreie wie freie Deutsche vermuthen, welche in ursprünglich bäuerlicher Landleihe auf Gütern von 1 oder 2 Königshufen an- gesetzt waren und allmählich aus ihrer Hörigkeit zum Ministerialadel sich emporhoben. Ueber solche Ansetzungen wurden ihrer Natur nach keine Ur- kunden ausgestellt, und können daher auch keine direkten BcAveise erhalten sein, aber es sind für diese Entwickelung hinreichende An- zeichen vorhanden. Sie lässt sich sowohl aus der Oertlichkeit, als aus den Zustihiden der hörigen wie der freien ländlichen Bevölkerung erkennen, welche die Urkunden des 12. Jahrhunderts ergel)cn. Die Uebersichtskarte zur Einleitung des III. Bandes zeigt, dass noch gegenwärtig in der Besiisdelung Obersachsens ein bestimmter Gegensatz zwischen dem Gebirge und der Ebene besteht. Das Gebirge ist fast ohne Ausnahme selbst in seinen niedrigen Abhängen mit den planmässigen Waldhufendörfern bedeckt, welche o. Bd. 1, S. 50 in Fig. 4 wiedergegeben und o. Bd. II, S. 335 aus- führlieh besprochen worden sind. Die Ebene dagegen ist von Dr)rfern mit Gcmenglage der Aecker eingenommen. Auch innerhalb dieser Dörfer der Ebene ])estand indess schon seit mindestens dem 13. Jahrhunderte eine wesentliche Verschiedenheit, welche zwar durch die in der neuesten Zeit, auf Grund der Gesetze vom 17. März 1832 und 14. Juni 1834, lebhaft durchgeführten Zu- sammenlegungen und Gemeinheitstheilungen einigermassen verwischt worden ist, indess noch immer hinreichend bemerkbar bleibt. Gegenwärtig ist sie am besten an der Grösse der Ortschaften zu er- kennen. Einige Landstriche sind von kleinen nahe aneinander ge- drängten weilerartigen Wohnplätzen mit entsprechend geringer Aus- dehnung der Feldfiur bedeckt. In dem überwiegenden Theilo der El)cne dagegen verbreiten sich grosse, ziemlich regelmässig angelegte Dörfer mit meist sein- umfangreichen Feldflächen. Vor den Acker- zusammenlegungen aber V)estand der Unterschied überdies darin, dass durch die sächsischen Kaiser. 437 die kleinen Weiler in der Regel anf ihren (.Jeniarknngen l>ereits block- artig arrondirte Flurstüeke besassen, und deshall) in diesen lier- gebracbten Fekllagen nur ausnahmsweise Veränderungen wünseheno- werth machten, dass dagegen die Fluren der grossen Dörl'er in meist sehr regelmässig gestalteten, durch lange aber sehmale Parallel- streifen getheilten Gewannen lagen, und aus diesem Grunde die völlige Um- und Zusammenlegung in geschlossene Grundstücksformen erforderten. Die Anlage 128 zeigt eine Gruppe der kleinen weilerartigcn Fluren des Meissener Landes im alten Gau Nisani, und einen ähnlichen Weiler Mischwitz in Daleminzien, die Anlage 129 Wachau, nahe Leipzig, giebt das Bild eines der grossen Gewaundörfer. Die, der Gruppe um Mockritz entsprechend, enggedrängten kleinen Ortschaften nehmen gegenwärtig noch die gesanmite Ebene von Pirna bis Meissen, und, von den hier an die Elbe heran- tretenden Ausläufern der Tharandter Berge aus nach AA'esten, den gesanimten Landstrich zwischen Meissen. Oschatz und Grinnna im Norden, sowie Nossen, Döbeln, Zunzcnau und Rochlitz im .Süden ein. Sie sind auch weiter nach Südwest über den Hauptkörper des Ost- kreises von Sachsen-Altenburg und nördlich desselben bis Pegau und Zwenkau verbreitet. Auch ist zu dieser Form der Besiedelung das Meiningensche Fürstenthum Saalfeld und der Sachsen -Weimarische Kreis Neustadt zu rechnen, welche den Orlagau bildeten. Die grossen, durch das Bild von Wachau charakterisirtcn Gewann- fiuren nehmen, wie der Blick auf jede grössere topographische Karte belehrt, die breiten Niederungen von Oschatz, Grimma und Zwenkau, nördlich bis zur Elbe und westlich bis zur Saale ein. Diese Verschiedenheit in der Besiedelung der Ebene bestand indess in der Ottonenzeit noch nicht. Dafür geben die älteren Orts- urkunden trotz ihrer verhältmässig geringen Zahl hinreichenden Beweis. Nahe bei München-Nienburg, nördlich Bernburg, liegt noch heut das Vorwerk Grimmesleben, der Mittelpunkt einer Schenkung Otto IL an das Nienburger Kloster, über welche aus den Jahren 1)78, Ü70 und 980 0 Urkunden (Ebd. Anh. I, S. 48, 51 und 52) vorhanden sind. Die erste derselben sagt: donamus 30 regales mansos in castello scilicet quodam, slavonice quondam Budizco nunc autem teutonice Grimmes- levo, Prudua, Luitatizic, Popouuizie legaliter determinandos, ita ut, si quid in his locis summe mansorum prelibate defuerit, contiguis ac proximis procul dubio suppleantur, cum omnibus scilicet familiis 438 X. 4. Die Eroberung Obersacheens iiiilii niiinenlibus et mancipiis utriusque sexus, terris cultis et in- cultis, pnitis et pascuis, aquis aquarumque omnigeiiis utilitatil)us, pertinentibus, et ex nostro jure in ipsLs ecclesiae transfundinius. Die Urkunde von 979 setzt hinzu: damus et quod tunc de eodem castello G. jure et Icgaliter pertinens ad illud remansit non datum, nomina villaruni scilicet: Widogasti, Prederiti, Bedosiki, Rusocouuiki, Cossanu- viki, l^trobouuiki , Molouuodi, Pezodulba, Amocouthorp , Zlubusiki. Die Urkunde von 980 vermerkt dann, wahrscheinlich nach geschehener Abgrenzung, diese Orte nochmals, ergänzt aber noch: Ogoimiki, Bogouuiki, Repeti, Widogosti aquilonaris und Widogosti austraUs, ferner Strobouuiki et item Strobouuiki und Clancesthorp ^). Die Schenkung musste also 20 Dörfer umfassen, um 1400 ha Kulturland im Bezirke von Grimmesleben (der alten slawischen Budizco, gleich Budyssin, Gebäude, Festung) zu gewähren. Von diesen Orten bestehen noch Grimmesleben, im Süden Weddegast, Pobzig (Popou- uiki) und Lattorf (wohl Luitatizic). Der Gesammtumfang ihrer Fluren lässt sich nicht genau bestimmen. Da aber die benachbarten Dörfer Wispitz, Wedelitz und wahrscheinlich auch Borgendorf (Procinesthorp) seit 950 dem Markgraf Gero (Cod. d. Anh. I, No. 24) geschenkt worden waren, lässt sich die Fläche nur auf kaum ^Z-: D Meile an- schlagen, auf welcher jetzt mit Gerbitz nicht mehr als 5 Ortschaften liegen, während früher 20 an ihr betheiligt waren. Während früher jede dieser Fluren nur 142 ha umfassen konnte, sind die jetzigen durchschnittlich 570 ha gross. Ein ähnliches Verhältniss ergiebt die Schenkung Otto III. an Rudolt von 992 o. S. 431. Er soll in den beiden Burgwarden Elsnig und Dommitzsch links der Elbe, nördlich von Torgau, 20 Königshufen, also 1000 ha, erhalten, noch nicht V5 Q Meile. Dazu werden ihm überwiesen die villa Olsnig (Elsnig) selbst, ferner Crizendorf, Ostro- bicesdorf, Chotimesdorf, Selanesdorf, Szentha, Durnouua, Vuirbilen- dorf, Curzcsdorf und Cluidirici. Ausser Elsnig ist keiner dieser Orte erhalten, wenn nicht vielleicht Szentha Zinna bedeutet. Wie man aber auch ihre Vertheilung auf dem zwischen dem Eibstrome und der Dommitzscher Haide vorhandenen schmalen Landstreifen annehmen will, immer lässt sich jedes der 11 Dörfer auf nicht mehr als durchschnittlich 100 ha Kulturland berechnen, während jetzt Elsnig allein 787 ha besitzt, die dort benachbart belegenen Dörfer Neiden 595 ha, Welsau 691 ha und Zinna 780 ha Flurgrösse haben, *) Die Endung thorp kann nicht auf deutsche Bewohner gedeutet werden, sondern ist nur dem Namen des slawischen Besitzers für Ort oder Hof angehangen. durch die sächsischen Kaiser. 439 und zwischen ihiu'ii .sich nur Drognitz (vielleiclit Durnuwa) als kleiner Ort von 164 ha vorfindet. Noch in der Schenkung Albuvins, des Bischofs von Merseburg, an Tegau 1105 (Annal. Pegavians. M. G. S8. XVI, p. 247, Cod. dii»!. Sax. rg. I, 2, S. 7) werden dort zwischen Wira et Snuilra erwähnt: »Scazlansdorf, Ottendorf, Scadorf, Monichroth, Luziki, Suserdorf, Zulanesdorf, Belanesdorf, Milanesdorf, Drogisdorf, Scazindorf, ^\'adis- dorf, Wiseska, Everhardisdorf, Moisdorf, Secuice, Kozowo, he auteni sitae sunt in burgwardio Groiska« ; also in der ncächsten Nachbarschaft von Pegau. Von ihnen sind nur noch Droisdorf, Moisdorf, Zeschwitz und Kötschwitz erhalten, und obwohl die Fluren um Pegau meist klein sind, müssen sie früher je zahlreicher desto beschränkter gewesen sein. J^ieselbe Kleinheit der Fluren zeigt sich darin, dass Nienburg 997 (Mon. Germ. Dipl. II, 8. 662) von Otto III. im Gau Nisizi 4 Königs- hufen, also 200 ha, in villuHs Gohtizi et in Uuissirobi cum omnibus mancipiis utriusque sexus illiic jure pertinentibus et si aliquid plus ad nos pertinens in eisdcm inventum fiierit de culta terra cum om- nibus predictorum mansorum campis pratis pascuis etc. erhielt. Auch schenkt Heinrich IV. der Meissener Kirche 1068 (Cod. dipl. Sax. II, p. 33) duos reglos mansos, also 100 ha, sitos in villa Liulntowa (Löbtau) mit dem Zusatz, et si ibi aliquid defuerit in proximo cum bene aratis agris implendis. 1097 liegen in der villa Scorlup, welche Heinrich IV. dem Vitic schenkt, nicht mehr als 2 Königshufen oder 100 ha Kulturland, 2 weitere müssen schon in benachbarten Büschen zugewiesen werden. Ebenso erw^eisen sich die meisten o. S. 431 als Eigenthum vergebenen Dörfer als sehr unbedeutend, auch Oeglitzsch umfasst nur 114 ha. Beachtenswerth für den Einblick in die älteren Besitzverhältnisse dieser kleinen Ortschaften erscheint, dass, wenn sie cum familiis oder mancntibus, also mit den darauf angesessenen hörigen Dienstleuten, vergelien wurden, dies nach den o. S. 429, 431 angeführten Urkunden nur an Grafen, Bischöfe oder Klöster, an grosse Grundherren, an Seniores geschah, welche Dienstleute unter sich haben konnten. Selbst die ebenda erwähnten mit Güt(n-n zu Eigenthum beschenkten Vasallen erhielten ohne Ausnahme keine familiae, sondern nur mancij)ia utriusque sexus. Es wurden ihnen also die dortigen unterworfenen Slawen als Leibeigene zur Bestellung der Güter überlassen. Dass dies auch bei der Ueberlassung solcher Güter zu Landleihe an reisige Dienstmannen der Fall war, ist nicht zu bezweifeln. — Nähere Nachrichten über die persönliche und wirthschaftliche 440 ^- ■*• ^'^ Eroberung Obersachsens Lage iler in diesen Ortschaften lebenden Landbevölkerung reichen leider nicht in die Zeit vor der Mitte des 12. Jahrhunderts zurück. Sie lassen sich also nur durch Rückschlüsse aus den Verhältnissen gewinnen, welche seit etwa 1150 zwar ziemlich deutlich, zugleich aber schon als das Ergebniss einer wesentlichen Umgestaltung er- kennbar werden. Dieser Wechsel wurde durch die allgemeinen politischen Ereig- nisse herbeigeführt, machte sich aber vorzugsweise in den wirthschaft- lichen Verhältnissen und namentlich in der Ausbreitung des Anl)aues und in den Beziehungen der ländlichen Bevölkerung fühlbar, welche E. 0. Schulze eingehend schildert. In der Zeit Lothars von Supplinburg, der schon seit 1106 mit dem Herzogthum Sachsen belehnt war, erscheinen die Gebirge Ober- sachsens noch fast ganz mit wüstem Wald bedeckt. Otto II. nennt sie 975 noch Mirquida silva, und auch der Mönch von Brauweiler kennt sie, wie o. S. 423 erwähnt ist, 1080 nur als wilde Einöde. Ueber den wenig erfolgreichen Zug des Kaisers 1126 von Meissen nach Kulm vor Teplitz sagt Ulrich v. Erlenbach (Wilhelm v. Wenden) (ed. Troischer; Vers 1910 ff.): Sie muosten ganze acht tage an kumbers geleite wesen in arbeite, e sie durch giengen den walt, di nü gen rücke sint verschalt, an dem niunten morgen fruo üz dem walt sie gingen nuo. Auch die Annal. Hildesh. (Mon. Germ. SS. V, 115) berichten: ducenti expeditiores regem praecedebant ad praecidendos indagines silvas, quae Boemiam a Saxonia disterminant dispositi, und auch die Annal. St. Disibodi (Ebd. XVII, p. 239) erwähnen: dum miles ferro viam per silvam aperit. Noch 1140 — 1146 erbaute Tammo de Strele in dem Walde neben der Mulde, den er vom Bischof zu Lehn trug, auf der Stelle von Altzella ein Benediktinerkloster, welches in vastitate loci völlig verfiel. Erst 1162 gründete hier Markgraf Otto das bekannte Cisterzienser- kloster (Cod. dipl. Sax. reg. I, 2. 308, 473), welches er mit 8ü0 nuuisi, qui Francorum lingua Lehen appellantur, ausstattete, aber wie aus- drücklich gesagt ist: ipse suis sumptibus exstirpari fecit et in culturam redegit. Diese 800 Hufen sind als Waldhufen angelegt und bedurften einer Fläche von 4V2 D Meilen, welche das Land zwischen der Mulde und Strigis, von Altenzelle über Freyberg bis Berthelsdorf, von dort nach Langcnau an der grossen Strigis und ü])er Frankeu- stein und Bockendorf gegen Hainichen zur kleinen Strigis, diese danu abwärts bis zur Mulde und, wie es scheint, auch noch links derselben eine Strecke gegen i)rtl)cln unifasstc. Innerhalb dieser Grenze entstanden durch die sächsischen Kaiser. 44J schon vor 1170 Tudendorf, Berthoklsdorf und Christiansdorf, welche der Markgraf mit 108 Hufen zurücknahm, weil dort Silber gefunden wurde. In C'hristiausdorf wurde Civitas Saxonum, Sächf^stadt, wie es scheint der älteste Theil des 1221 mit 5 Kirchen erwiUniten Frei- berg, erbaut. Vor der Altgreuzung von 1185 waren ausserhalb der Klostergrenze noch Langenau und 4 andere markgräfliche Dörfer ge- gründet worden. Wenn also dieser ausgedehnte Strich der nordwest- lichen Vorberge 1162 noch mit Wald bedeckt war, lässt sich auch an frühere Rodungen im eigentlichen Erzgebirge nicht denken. Ci leichzeitig wird von allen Zeitgenossen die Ruhe und ver- hidtnissmässige Sicherheit gepriesen, welche, gegenüber den wilden verwüstenden Parteikämpfen der Regierung Heinrichs IV. und des V., durch das energische Einschreiten Lothars sowohl im Reiche als namentlich gegen die Slawen eintrat, und den 1081 zuerst vom Bischof V. Lüttich gebotenen und 1085 im ganzen Reiche verkündigten Gottesfrieden zur Wahrheit machte. — Es war die Zeit gekommen, in der das Anwachsen der Bevölkerung in den eng beschränkten deutsehen Reichsgelüeten, die schon bis in die sehr wenig nutzbaren Gebirge und Haiden vorgeschrittenen Rodungen und die durch die ersten Kreuzzüge lebhaft angeregte Wanderlust die bäuerlichen Volksmassen beweglich und zur Kolonisation entfernter Gegenden geneigt machten. Die erste Nachricht über deutsche Kolonisten in Obersachsen stammt aus den Annales Pegavienses (Mon. Germ. SS. XVI, ]>. 247). Sie sagen zum Jahre 1104: post haec dominus ^\'igbertus novale quoddara in Merseburgiensi dioecesi fecit exarari, partesque FraneDuiae adiens, ubi dominam Sigenam matrem ejus in Lengenfelt fuisse maritatam nos ante retulisse meminimus, plurimos ejusdem provinciae colonos inde transtulit, quos praefatum i)agum, sylva funditus extir- pata, praecipit incolere et hereditario jure deinceps possidere; ac, ut ridiculosum quiddam inseramus, quemlil)et illorum cum familiolae suae contubernio villam vel possessionem proprio labore conditam, etiam ex suo nomine nuncupare. Plurimis ergo villis inter fluvios Muldam et Wiram locatis, . . . Namen sind nicht erwähnt, indess sind anscheinend Dittmannsdorf, Pleinersdorf, Reichersdorf, Nenkers- dorf, Hartmannsdorf, Hermsdorf zu diesen Kolonien zu rechnen. Die nächsten Erwähnungen erst betreffen die obenangeführten Rodungen des Markgrafen von Meissen von 1162, neljen welchen in demselben Jahre noch 60 novalia, quae vulgariter lehen diountur, quod est alias mansus, anscheinend die Dörfer Marbach, Gernsba'ch, 442 X. 4. Die Eroberung Obersachsens Siebenlehen, Niedereula, Etzdorf, Schmalbuch und Berbersdorf bei Celle an der Mulde, genannt werden (Lep.sius, klein. Schrift. I, S. 116). 1186 entscheidet ]\Iarkgraf Otto von Meissen den Streit All)erts V. Duvenheim mit den in seinen 4 Dürfern Duvenheim, Siuritthissare, Everberrindorf und Hascia angesiedelten Franken dahin, dass diese an Albert von jedem dimidium novale, welches dimidium lehen licisst, jährlich 1 Vierdung Meissenisches Silber entrichten sollen, dagegen aber von der allgemeinen Landesversammlung, dem .Jahrding, de observatione , que theotonici Vara dicitur, und von servicium und Beden befreit sind (Cod. dipl. Sax. I, 2, S. 311). 1192 kommen 22 mansi, qui in vulgari dicuntur lehen, bei Zwickau vor. Alle diese Urkunden bezeugen im Laufe des 12. Jahrhunderts erfolgte Ansetzungen deutscher Kolonisten. Es ist nach dem Beispiele der Anlagen um Altzelle nicht zu bezweifeln, dass in derselben Zeit zahlreiche andre Kolonistendörfer gleicher Art entstanden sind. Nach und nach ist das gesammte obersächsische Gebirgsland von ihnen bedeckt worden. Die Flurkarten, wie z. B. die von Duvenheim in Anlage 130, und schon der Einblick, den die topographische Karte von Sachsen im Maasstab von 1 : 57 600 gewährt, erweisen, dass, mit Ausnahme der von Wieprecht v. Groitzsch begründeten, alle diese Anlagen in Waldhufen oder, wie sie in Obersachsen und Schlesien genannt werden, in Fränkischen Hufen angelegt sind. Sie entsprechen dem in Fig. 4 und Bd. I, S. 51 mitgetheilten Beispiele von Frankenau. Die Flur von Frankenau ist an dem äussersten Gebirgsabhang dieser Gegend, 1 Meile westlich von Mitweyda belegen. Sie zeigt, dass die Waldhufen bis hart an die Ebene angelegt wurden. Die Wiprecht'schen Kolonien, obwohl sie mit Sicherheit durch Franken besetzt sind, liegen nicht in fränkischen Hufen, sondern sind als Gewanndörfer völHg in der Form von Langenthai, Anl. lOd (Bd. n, S. 325) begründet, welche auch der Abt von Hehnarshausen um 1171 als die geeignete wählte. Es ist indess so wenig für solche Gewanndörfer wie für Waldhufen ein Einfluss der Zeit auf die Wahl des Planes anzunehmen. Denn für das innere Deutschland ist die Anwendung beider Kolonisationsformen schon in der Zeit Karls des Grossen, o. Bd. H, S. 333, nachgewiesen. Für Obersachsen ergiebt aber auch die in Anlage 131 im Einzelnen erörterte Urkunde von 1071 über 8 von Heinrich IV. in Görlitz verliehene mansi regales, dass diese Königshufen, welche sich nach der Flurkarte genau auf die übliche Grösse von 48,5 lia l)erechnen, ebenso wie die des Hers- durch die sächsischen Kaiser. 443 feldcr Zinslandes von 777 bereits in der Form der W'iildliulcn auf- gemessen sind. Der Untersehied der Anlagen bestätigt vielmehr als Regel, dass die Waldhufen im Cu'ljjriislande, die Gewannhufen in der Ebene vorgezogen wurden. Uebereinstimmend zeigt sich, dass alle diese Kolonisten durch Grundherren angesetzt sind, wie es dem Charakter der Waldhufen und überhaupt der Leihe zur Kultur entspricht. Es erweist auch die Entscheidung des Markgrafen über die Franken Alberts v. Duven- heim, dass das Recht der Kolonisten als ein besonderes, nicht mit dem allgemeinen Recht der slawischen Bauern übereinstimmendes, anerkannt war. Eine etwas bestimmtere Angabe über diese für Obersachsen nicht näher bekundeten Rechte giebt indess nur eine Urkunde Bischof Bertholds IL von 1205 (Lepsius a. a. 0. I, S. 266) über die Ortschaft Tribüne. Sie übergiebt diese dem Kloster Pforta, l:>esagt aber, dass mit ihr früher milites belehnt waren, und dass das Kloster schon 1140 und 1154 Theile der Flur erw'orben und dort angesessne Flä- minger angetroffen hatte. Dabei wird vom Bischöfe bemerkt, dass die: fratres si voluerint inibi remanentes colentes a possessionibus illis, quas hereditario jure Francorum possident, competenti restitutionc sine coactione possunt excludere. Dies ist auch offenbar geschehen, denn das Dorf wird bald darauf Flemmingen genannt, und als flämisches Dorf betrachtet. Die Flurlage desselben bildet gleiehmässig nebeneinander liegende parallele ziemlich schmale Streifen, so dass sich nicht sicher entscheiden lässt, ob sie aus der Parzellirung von fränkischen oder von flämischen Hufen hervorgegangen sind. Auch die flämischen Kolonisten werden um die INIitte des 12. Jahrhunderts bereits in Obersachsen bezeugt, und zwar unter sehr eigenthümlichen und verschiedenartigen, ausführlich Ijekundeten Ver- hältnissen. Die älteste Urkunde, die von ihnen spricht, datirt zwar erst von 1140 und nennt sie in dem eben erwähnten Flemmingen bei Pforta als Inhaber einiger Besitzungen. Dass sie aber damals bereits allgemeiner verbreitet waren, er- weist die Art, wie 1152 Wichmann, der damalige Bischof, von den Flämingern spricht. Denn er sagt wörtlicli: Cuidam populo de terra, quae Holland nominatur, a praedecessore meo Udone in eundem episcopatum coadunato data est libera potestas inter episcopatum emendi et vendendi sine omni genere exactionis et telonei. Si aH- cujus eorum possessio venalis exponitur compatriotae suo tantum et non extero emere liceat. Daran reihen sich verschiedene andere 444 X. 4. Die Eroberung Obersachsens Rechtsbestimmungen ^). Auch setzt er in demselben Juhre 30 soHdi jährlich zur Uepariitur des Daches d^r Donikirche zu Nauml)urg fest, quoruin mediiun partem Hollandi, ([ui et Fläming! nuncupantur, re- liquani vero i)artem sclavi niei ccnsuales praesentabunt. Die Aintsdauur Udos I. wird vun 1125 bis 1147 gerechnet (C. P. Lepsius, Geschichte der Bischöfe vun Naumburg 1846, Th. I, S. 37). Wie lange vor 1140 die erste Aufnahme der Fläminger gesetzt werden darf, blei))t Vermuthung. Das Kloster Walkenricd wurde 1127 bei seiner Gründung mit INlönchen aus Altencamp in der Nähe von Geldern besetzt. Auch wurde diesen Cisterciensern bereits 1132 das in demselben Jahre gegründete, aber in Verfall gerathene Benediktinerkloster zu Schmölln im Naumlmrger Sprengel übergeben, der Bischof muss also in guten Beziehungen zu der im Mainzer Sprengel belegenen Stiftung gestanden haben. Damit stimmt überein, dass ihm 1137 die Verlegung des Schmöllner Klosters nach dem heutigen Schulpforta in der Nähe von Naumburg gestattet und von Udo durch Ue])erlassung des nöthigen Gebietes ermöglicht wird. Bei dieser Verlegung 1140 werden indess die Fläminger in Tribüne bereits als Nachbarn von Schulpforta vor- gefunden, und das Kloster erlangt damals 1140 nur eine, 1154 eine zweite Hufe in dem Dorfe, und tauscht es erst 1205 völlig ein. Für die Holländerkolonien Walkenrieds l)ei Görsbach, Berka und Heringen in der goldenen Aue aber erwirbt dieses Kloster sogar den Grund und Boden erst 1144, 1145 und 1155. Vorher könnten nur einzelne Flämin- ger in den Dörfern ansässig geworden sein. Der Walkenrieder Mönch Jordanes, der dort und auch auf den benachbarten kaiserlichen Domainen *) Causa corrcctioiiis ter in anno cum eis colloquium habeat, quicunque fuerit episcopus, in quo, si ([uis eorum aliquo excessu injustc exorbitaverit, III solidos com- positionem invcniat. Scultetum, quem sibi pracfeccrint, sine contradictionc habcant, in cujus coUoquiis VI den. compositionem faciant. Si quis corum juraracnto expurgare voluerit, nulla occasione impediatur, nuUis verborum insidiis capiatur. Praepositus synodum suam cum eis celebret. Statutum est, ubi antecessori meo III solid, persol- verunt, mihi VIII persolvant, IV in fcsto beati Jacobi, totidem in festo St. Martini, appositis ibidem IV sexa<^enariis utriusquc messis congruo tempore persolvendis, quod ipsi spontanea voluntate obtulcrunt in cathedra Beati Petri de quolibet manso solidum unum singulis annis fratribus ad usum ecclcsiac majoris persolvant. Quicunque suc- cessores eorum fucrint eadem bona obtinuerint, sive liberi, sive servi, sub quacunque lege et moribus vivant, idcm statutum observent et faciant. Si quis eorum sine herede moriatur, possessio ejus integra sine distractione per curriculum anni et diei teneatur, ut si legitimus heres interim advenicrit sine contradictionc locum prioris possideat: sm autem — cpiscopus duas partes — tertiam vero ad usum ecclesiae rclinquat. (Rossler, Stadtrechte von Brunn, Prag 1853, S. CIL) durch die sächsischen Kaiser. 445 mit KintU'ichuni: und Kultur iiolländischer Hufen beschäftigt gewesen ist, wird um 1188 erwähnt (v. "\A''ersehe, Niederländisclie Kolonien, S. 905). Es zeigt sich also, dass die Fläminger nicht blos der Zeit nach im Sprengel von Naumburg fi-ühcr erschienen sind, als auf dem Walkenricder Gebiete, sondern dass auch Bischof Udo als Coadunator populi gewirkt und ihnen posscssiones angewiesen hatte, von denen aus sie in seinem Lande ohne Abgabe und Zoll kaufen und ver- kaufen durften. Betrachtet man deshalb die oben angegebenen Rechtsfestsetzungen des Wiehmann'schen Privilegs von 1152, die für Walkenricd fehlen, näher, und vergleicht sie mit den o. Bd. II, S. 344 eingehend er- örterten Bedingungen, welche 1106 und 1142 den holländischen An- siedlern der Bremer INIarschen gestellt worden sind, so finden sich von den Grundgedanken des Bremer Vertrages folgende in dem Wichmann'schen Privileg wieder: Die Rechtslage der Ansiedler selbst wird nicht ausdrücklich be- rührt, indess haben sie einen Zins von der Hufe zu zahlen, welcher, wenn nicht ein Schreibfehler in der ersten Zahl vorliegt, innerhalb eines Jahrzehnts von IH auf VIII solidi erhöht worden ist. Ein Schock- getreidezins ist anscheinend statt des Zchnts festgesetzt. Die niederen Gerichte liegen in der Hand des Scultetus, den sie sich selbst vor- setzen, die höheren Gerichte soll der jedesmalige Bischof dreimal im .Jahre mit ihnen pflegen. Für beide Gerichte werden gewisse Regeln des Verfahrens, der unbeirrte Reinigungseid und die Ilölie der Busse vorgeschrieben. Die unbeerbte Erbschaft bleibt auf Jahr und Tag unter Obhut des Gerichts dem etwaigen Erben unvertheilt vorljelialten. Unbeerbte Grundstücke fallen dann zu Vs a,n den Bischof, zu V.-! an die Kirche. Die Genossenschaft oder (»emeinde hat also kein Recht an ihnen. Die kirchliche Gerichtsbarkeit übt der Probst von Naumburg mit den Ansiedlern. Jeder, der Nach- folger eines der letzteren sein wird, sei er ein Freier oder Eigener, und unter welchem Recht und Gewohnheit immer er lebe, soll die Besitzungen desselben empfangen und en das hestimmtc Bild der Landlcihe zur Kultur, und knüpfen unmittelbar an die in Aliselniitt X, o und 4 nachgewiesenen agrarrechtlichen und wirthschaftlichen Ver- hältnisse dieser Landleihen in der Heimath der Zuwanderer an. Mit der hinreichend verständlichen, eigenartigen Gestaltung ihrer Rechts- lage lässt sich nun der Inhalt der bereits o. Bd. II, S. 240 wieder- gegebenen gleichzeitigen Urkunden von 1122 und 1181 über die rechtliche Lage, die Unfreiheit und die Dienstpflicht der verschie- denen Klassen der Bauern im Meissenschen Gebiete und im Orlagaue vergleichen. Diese Urkunden unterscheiden übereinstimmend 5 Klassen der Rustikalen: Eidesten oder Supane, Knechte oder Withasen, Robot- bauern oder Smurden, Zinsbauern oder Lazzen, endlich Leibeigene, Proprii oder Heyen. Die Supane und Withasii sind o. S. 241 u. 426 als im Besitz belassene hörige Slawen charakterisirt, welche Ortsvorstände und zum Reiter- dienst verpflichtet waren, und sich unter die Dienstleute, die familiae, wenn auch nicht unter die eigentlichen milites agrarii einreihen lassen. Die Proprii oder Heyen stehen den mancipia gleich. Der Aus- druck Heyen ist in anderen Wettinischen Urkunden und überhaupt im Osten nicht gebräuchlich, sondern gehört, wie Grimm's Weis- thümer (III, 146 — 148, 878 und IV, 718 und 787) erweisen, nach Westfalen und Osnabrück und bedeutet Hofeigene, dem Hofe zu- geschworene Hörige, Avelchc auch in Dörfern zusammenwohnen und unter einem eigenen Scholzen zu dem Hinsprakc genannten CJericht sich bei Strafe einzufinden verpflichtet sein konnten. Es werden unter ihnen jedoch in Obersachsen die Leibeigenen jeder Art verstanden, also vor allem die slawischen mancipia, aber auch eigene, von den deutschen Grossen in's Land geln'achte Leute. Noch 1010 soll Kaiser Heinrich II. an Thietmar von Merseburg je 2 familias cum omnibus suis acquisitionibus (aller ihrer Habe) von jedem Königshofe in Thüringen und Sachsen geschenkt haben, mit welchen mancipiis der Bischof nach Gefallen zum Nutzen der Kirche verfahren solle (Höfer, Zeitschrift für Archivkunde I, p. 160). Zu erklären bleiben also nur noch die zwei zwischen den Dienst- leuten und den Leibeigenen stehenden Klassen der Smurden und der Censualen. Die Stellung der Smurden innerhalb der bäuerlichen Bevölkerung bezeichnet die Urkunde von 1181 damit: qui quotidiano servicio 29* 452 ^' 4. Die Erwerbung Obersachsens ini])erata faciuut, auch sollen sie ebenso, wie die anderen Liti, vom Landding zu Hause bleiben. Das Wort Smurd ist von Altbulgarisch smrudu, Polnisch und Niederwendisch smrod, Schlesisch-Polnisch smard, Russisch und Ober- wendisch smerd, Böhmisch smrd, Schmutz, Koth, Gestank, herzuleiten. Die Tujurdi zu Sertisleben um 1125 (o. Bd. II, S. 241, Anm.) haben gleiche Bedeutung. Smurden werden zuerst 1040 erwähnt, als Kaiser Heinrich III. dem Bisthum Naumburg mehrere Dörfer in der Nähe von Weissen- fels cum Omnibus pertinentiis , appendiciis et utilitatibus suis, vide- licet cum terris cultis et incultis sive etiam utriusque sexus familiis aldionibus vel smurdis schenkt. Er versteht also hier unter den Smurden die älteren, im Besitz gelassenen slawischen Bewohner (Lepsius, Geschichte der Bischöfe von Naumburg I, 203, Knothe a. a. 0. S. 18). In demselben Jahre verlieh Heinrich IH. das Dorf Kosen an der Saale cum omni pertinentia, raancipiis utriusque sexus et colonis, qui vulgo vocantur smurdi (Ebd. I, 201), 1043 fügte er das Gut Regis bei Altenburg cum omnibus casis pascuis mancipiis smurdis hinzu (Ebd. I, 207) und 1041 schenkte er einem Meissen- schen Vasallen Marquard 10 Königshufen in Taucha an der Rippach bei Weissenfeis cum X smurdis et illorum uxoribus filiisque suis et filiabus, immo cum omnibus suis possessionibus (Ebd. I, 205). Es kommen dann ähnliche Verschenkungen von Gütern mit Smurden in verschiedenen Burgwarden bei Riesa, Strehla, Boris, Plauen, Zeitz und Saalfeld vor (Ebd. I, 217, 218, 220, 438, Schamel, Bosau Supph S. 36, Lacomblet I, 124). Auch schloss 1144 Markgraf Konrad von Meissen mit dem Bischöfe von Naumburg einen Vergleich, nach welchem de singulis mansis smurdonum quatuor denarii, et de mansis hospitum duo denarii ad usum predicti marchionis persolvantur (Schuhes Director. dipl. II, 43). Es war dies die Umwandlung einer von allen Unterthanen des Stiftes an den Markgrafen bisher in Ge- treide entrichteten Abgabe in Geld. Wie hart aber gleichwohl die Lage der Smurden sein konnte und ursprünglich zweifellos allgemeiner gewesen war, zeigt eine Urkunde von 1197 (Cod. Anhalt. I, No. 719), in welcher Heinrich VI. bestätigt, dass er auf Bitten seines Getreuen Rüdiger de Lewenberc Szmuilonum et eorum, qui dicuntur hien de officio de Waldcle (Waldau) et de officio Hescelini et de officio Friederici de Frose (also auf kaiserlichen Gütern) rigorem juris re- laxavimus, statuentes eis talem justitiam qualem habent szmuili et illi, qui dicuntur hien de Jhesere (Jezer), scilicet ut, quicunque mo- durch die sächsischen Kaiser. 453 reretur, heres persolvat villico 4 solidos. Prius enim villici oninem substantiam eorum accipiebant, quod nobis videbatuv miserabile, undc comiatientor talem impendiraiis humanitatcm eis et postcris eorum, ut heres persolvat prcdicto villico 4 sol. et cum ceteris bonis in pace permaneat. Noch 1279 entlässt der Burggraf Otto v. Kirchberg Theodorum et Witigonem fratrcs de Condizce ex ipsorum Servitute nobis in jure smurdonuni ab antiquo adstrictos und ü1)erwcist sie dem Kloster Kapellendorf l)ei Jena als daturos ipsos singulis annis solidum de- nariorum (Tittmann, Heinrich der Erlauchte I, 378). Nach Halt aus Glossar hat sich in der Umgegend von Naumburg der Ausdruck Smurdenhufen noch lange erhalten. Es führt aus einem Zinsregister der Domprobstei Naumburg von 1576 an: »Zu Tauchau am Ried-Pachen (das oben 1041 genannte) sind 8 Schmordt- Hufen, zinset jede Michaelis 1 alt Schock, 4 Scheffel Weitzen, 4 Scheffel Korn, 4 Scheffel Gersten, 4 Scheffel Hafer. Kisteritz hat 17 Schmordt-ITufen, zinset jede 18 Gr. Pfennige an Gelde, 2 Scheffel Korn, 2 Scheffel Gersten, 2 Scheffel Hafer und 1 Viertel Erbsen. In Crosselau sind 28 Schraordt-Hufen. Es seind Schmordthuffen ge- genannt, darauf die Pawren wohnen.« — Neben den durch diese Nachrichten charakterisirten Smurden stehen ferner um 1181 unter den ceteri liti oder litones, welche weder Supane, noch Withasii, noch Proprii sind, hi, qui censuales ecclcsiae sunt, und in der Urkunde von 1122 als Lazzen bezeichnet werden. Der Ausdruck Lazzen kommt in Obersachsen zuerst 1043 in der Urkunde vor, in welcher Heinrich HL an Naumburg das praedium Ro- gaz cum casis, campis, pascuis, silvis cultis et incultis, mancipiis, zmurdis, lascis, undecunque illuc confiuxerint, et cum omnibus suis ])ertinentiis et utilitate schenkt. Er wiederholt sich in einer zweiten Urkunde Heinrichs HI. von 1044 (Lepsius, Bisch, v. Naumburg 210, No. 17), durch welche dieser Naumburg den Hof Fulkmeresroth mit 100 mansi cultiles et possessi zuweist, cum illis homnibus, qui proprii et laszi sunt, infra eosdem mansos habitantibus. Auf dem gesammten sächsischen Gebiete bestand für Lassen der o. Bd. H, S. 207 näher erörterte Begriff der im Lande als Unter- worfene gegen Zins auf ihrem Grundbesitze Belassenen. Dieser Be- griff ist auch in den Sachsenspiegel (Buch H, Art. 59 und Buch IH, Art. 44 und 80) übergegangen, der der Urkunde von 1181 der Zeit 454 X. 4. Die Erwerbung Obersachsens nach sehr nahe steht. Dennoch jjraucht Heinrich III. 1040 (o. S. 452) das gleichbedeutende Wort aldio in dem Zusammenhange: utriusque sexus familiis aldionibus vel smurdis, und es lässt sich weder von den Supanen und Withasii, noch von den Smurden bezweifeln, dass auch sie gegen Zins in ihrem Besitze belassen worden waren. Andrer- seits darf man nicht an deutsche Zugewanderte denken, welche Land gegen Zins übernommen hätten, weil dem der Begriff der Lassen oder Aldionen direkt widerspräche. Obwohl also die angeführten Urkunden in der Ausdrucksweise zu schwanken scheinen, ist doch sicher, dass die quinque jura der beiden Urkunden von 1122 und 1181 auseinandergehalten werden müssen, dass also zwischen Smurden und Censualen ein hinreichender Klassenunterschied bestanden haben muss. Vielleicht ist eine Erklärung in der Unbestimmtheit der Zins- verhältnisse dieser Censualen gegenüber den dauernd auf ihren Hufen sitzenden Pmurden zu sehen. p]s giebt einige allerdings späte Ur- kunden, welche darauf deuten, dass auch in Obersachsen ein Verhält- niss, wie das der o. Bd. II, S. 251 geschilderten hospites Heinrichs I. von Schlesien bestand. Diese hospites waren, wie sich dort ge- zeigt hat, zwar ursprünglich freie Leute, aber sie waren von ihrem Grundbesitze vertrieben und nur zum Theil im Besitz von einigem Inventar, zum Theil fehlte ihnen auch dies. Sie mussten gegen Zins Land suchen, womit die Bemerkung in der Urkunde zusammen- stimmt, lascis undecunque illuc confluxerint. Es ist erklärlich, dass sie dadurch in die Lage kamen, Land und Inventar unter L^ebcr- lastungen, gegen welche Heinrich von Schlesien seine hospites aus- drücklich zu schützen suchte, zu übernehmen, und dass sie früher oder später in vtUlige Hörigkeit des Grundherrn, der sie aufnahm, geriethcn. Selbst die den Pächtern viel näher stehenden freien hospites Nord- frankreichs (o. Bd. II, S. 281)) versanken sehr bald in die Lage ganz untergeordneter, zinsptlichtiger Hintersassen. Dies war für die durch die Eroberung zu den Unterworfenen gehörenden Slawen Obersachsens um so unvermeidlicher. Daraus dürfte sich der Inhalt zweier Urkunden erklären, welche noch in später Zeit von den slawischen hospites oder gasti in Obersachsen als servi sprechen. Die ältere (Cod. d. Sax. reg. II, 1, No. 151) besagt 1268, dass Jacob de Cortzewitz, Martin de ISIissewitz und andre schon 1258 vor den Richter geladen wurden, um ihre vorgebliche Freiheit zu beweisen, praedicti rustici de Mischwitz autem et eorum hcredes, qui vulgariter gasti dicebantur, ab hujusmodi Servitute de cetero sunt exempti, ita durch die siichsisclien Kaiser. 455 tarnen iit nobis singulis annis bis servitiis teneantur, niinilich de quolibet manso censum V2 tal. zu zablen, und dazu omal im Jabve zu pflügen, in der Ernte 2 Tage Getreide zu scbnciden, 1 Tag zu binden, sowie V2 Scbock Eier, 4 Hübner und 3 Tage im Jalu-e Unter- balt für den Gerichtsherrn zu leisten. 1286 erklären Probst und Dekan von Meissen (Ebd. II, 1, No. 269): cum Martinus de Canyn et Hcrmannus fratcr ejus et filii Jobanuis fratris predictorum, videlicet Martinus, Herimannus et Petrus, dicti de Pitsuicz ex nostra provincia constituti recognovissent, et cognatos suos esse servi, qui vulgariter gasti nuncupantur, ecclesie et capituli nostri, assumpto nobili viro domino Meinbero burggravii Misnensis ac aliis amicis suis, instanter petiverunt, ut recepta certa summa pecunie eos e Servitute emanciparemus et cum parvulis suis linea recta des- cendentibus libertati donaremus, nos pp. emancipamus et libertati donamus, omnibus aliis consanguineis et cognatis eorum in servos ecclesiae et ecclesiae M. et nostro capitulo reservatis. Diese unfreien bospites servi sind mit den freien deutschen Zu- wanderern nicht zu vergleichen, die in der Kolonisationsperiode als Kaufleute und Bürger in den Städten der Slawenländer erscheinen (Tschoppe und Stenzel S. 365, 450, 455, 507), oder als zuziehende Bauern Güter gastesweise und bald als Erbzinsgüter übernahmen (Sachsenspiegel Bd. III, Art. 45, § 6, Sächsisches Lehnrecht Art. 73). Die obersächsischen gasti sind, wie die Heinrichs von Schlesien, Slawen, und ihre Entstehung muss, wenn sie nicht schon früherer Zeit angehört, auf den Wechsel in den Besitzverhältnissen zurück- geführt werden, der mit der Eroberung verknüpft war. Die Ver- treibung eines gewissen Theiles der Bewohner von ihrem Grundbesitze war bei der Eroberung unvermeidlich. Für ibre Person blieben diese gasti als Unterworfene servi des Landesherrn, wenn sie aber auf einer Domaine oder von einem behehenen Grundherrn Land erhielten, wurden sie censites, ohne in die Lage der raancipia als Zubehör des Gutes, d. h. als Sklaven, zu kommen. Gleichwohl standen sie ihrer Gesammtlage nach ungünstiger, als die fest auf Bauernhufen an- gesessenen Smurden. Dies zeigt auch 1144 ihr halber Zins, 0. S. 452. Es ist indess nicht von durchgreifender Bedeutung, ob diese Erklärung der gasti die richtige ist, und ob nicht auch andere Arten von censiti bestanden. "Namentlich ist denkbar, dass, sowohl unter den mancipia, als unter den censiten und selbst unter den Smurden, deutsche Hörige, aus dem Gefolge der Heere und als Gefangene in den vielen Kriegszügen, der ländlichen Bevölkerung beigemischt waren. 456 X. 4. Die Erwerbung Obersachsens Sicher aber ist, dass die Schilderung der 5 bäncrliclicn Klassen, die sicli in den Urkunden von 1122 und 1181 in Uebereinstimmung mit den sonstigen Angaben findet, nicht die deutschen Kolonisten der \nn dieselbe Zeit sich erst verbreitenden fränkischen und llänii- sehen Ilodungen und Neugründungen umfasste. Diese waren weder Supane oder Withasen, noch können sie unter die Smurden, qui quotidiano servicio imperata faciunt, noch unter die noch geringeren censites und proprii eingereiht werden. Die Klassifikation beweist vielmehr, dass die Kolonien zur damaligen Zeit noch «ine neue, kaum in Betracht kommende Erscheinung waren, und giebt ihrerseits nur das zutreffende Bild der seit lange herkömmlichen, weit überwiegend slawischen Rustikalbevölkerung. — Gleichwohl ist unverkennbar, dass dies Bild schon unvollständig geworden war, und eines Bestandtheiles dieser Rustikalbevölkerung nicht erwähnt, welcher in der älteren Zeit sehr grosse Bedeutung h.itte. Dies sind die milites agrarii. Da diese milites den grössten Theil der kleinen slawischen Ort- schaften im Besitz hatten und bewirthschafteten, können sie nicht verschwunden sein, vielmehr lässt sich nur voraussetzten, dass sie sich bereits über alle fortbestehenden Klassen des bäuerlichen Landvolkes emporgehoben hatten, und nicht mehr zu demselben gerechnet wurden. Dies findet nun in der um die Mitte des 12. Jahrhunderts vor- handenen grossen Zahl als rittermässiger Adel anerkannter Vasallen und Ministerialen nähei'e Erklärung, welche ihre Herkunft von den alten dienstmännischcn Milites durch ihr grundherrlich gewordenes J^esitz- oder Lehnsrecht an diesen kleinen Slawenortscbaften, und durch die auf ihr Geschlecht übergegangenen Namen dieser Orte bekunden. Je später, desto deutlicher zeigt sich, dass diese alten Mannen zum Ritterstande des Landes geworden waren. 1426 fiel Burggraf Heinrich H. von Meissen als letzter aus dem Stamme des Meinher, und Kurfürst Friedrich der Streitbare, der Be- sitznacihfolger der Markgrafen, nahm als Landesherr auch die Burggraf- schaft in Besitz. Gleichwohl betrachtete sie Kaiser Sigismund als eröffnetes Reichslehn und l)elehnte mit ihr seinen Reichshofrichter Heinrich von Plauen. Der daraus entstandene Streit um die zur Bnrg- grafschaft gehörigen Güter und Lehen wurde durch die Schieds- sprüche zu Arnshaug 1428 und zu Forchheim 1435 ausgetragen. Für den Zweck der Entscheidung entstand ein Verzeiehniss der Leime, durch die sächsischen Kaiser. 457 die der Burggraf als Lehnsherr in Anspruch nahm, welches zugleich ihre derzeitigen Besitzer angiebt. In diesem Register, welches Märcker (Geschichte der Burggrafen V. Meissen S. 271) mittheilt, werden als Besitzer solcher Lehngüter verzeichnet^): Die von Sleyuitz, von Schönberg, von Maltitz, die Milticz (haben noch ISIilticz in Besitz), die Heinicz, Pfluge, von Wyden- ])ach, Promenicz, vom Eyke, von Gronrad, von Bove, C. von Rock- witz (besitzt noch Roschwicz und Rogwicz), die Honsperger, von Reinsperg, von Taubenheim, H. v. Limpach, H. v. Mangewicz, B. v. Reckenicz, X. v. Ertmannstorf, C. von Zigero, F. u. C. v. Boschzen, C. u. 0. V. Riben, B. v. Lauwin (besitzt noch Lauwin), J. v. Schonfeit, B. V. Waldow, H. v. Mosewicz (besitzt noch Mozewicz), 0. v. Brottin- bach, T. u. P. v. Dobenzsch, Ch. v. Hawgewicz. 0. v. Dewin, St. u. B. V. Brissen, U. v. Loubenicz (besitzt noch Theile von Lul)enicz), G. V. lleyu, P. V. Lindenow, 0. v. Labin, H. Troczeler, H. Besericz, die V. Schassaw, die v. Kokericz, J. Schulewicz, v. Globocz Sone, die v. Remse. •) Das Lehnsregister beginnt mit folgenden Worten : Dissc nachgeschriben Lehen vordem wir Burggrave zu Meissen von unsern hern von Sachsen. Das seyn die guter die die von Sleynicz haben suUen: Serhausen, Lubil (Laubin), Gorenez, zu Mertitz 4 hufen . . ., oberer Canczin, SiHcz, SiHczschicz. Kregus, Munnen, Petzitsch, Planiczsch, Schaweisen, Glauch, Stilcz, Aldinsatil, Stregenwitz, Kiemen, Mira, Gereszaw, den andern hof zu Moschewicz, Podegradiez, TeschAvicz, Casquicz, Wesancz (Wiscnczioz , Panicz, Wotreicz (Wohvicz), Coldicz, Miraschiez, Watirsticz (Wattir- schicz , Puschwicz, Calniicz, Rauwicz (Raubicz), Grabanwicz, Ploschwicz (ßlosewicz), Moschwicz, Reppin, Weyde, Lichtenwalde, Staschicz, Jana, Roczen, Rogczen, Leczten, Bassin (Russin), beyde Clanschwicz .... Diese guter sollen die von Schonberg van einem Burggraven haben: Hertigs- walde, Plankenstein, was sie zu Limpach haben, einen zu Munczk, was sie grosz zu Purkarzwalde und zu Selingstadt haben, EgelstorfF (Elgelsdorf), den hof und das dorf Schonberg, Schtepicz (Stetepicz), Burenicz (Burtewicz), Lowtenbricz (Lutenbricz), einen man zu Goleschicz (Goltschicz), einen man zu Plawenicz, Strosch auch den Walde, Stebannicz, was sie zu Neszkow haben, was sie zu Borstorff haben, Grumbach, Bornewicz, Lipune, Nickwicz, Moreschowicz, Prusz, Newendorf, Roblow, Trebncn ^Trobren), Parnicz, Ragelen (Ralegen), den zehnt zu Fridrichstorff, Trebeticz, Poranewicz, Sachsen- burg mit allen seinen Zubehorungen, Metschewicz. Diese guter sol Friedrich von Maltitz von einem Burggraven haben : Windischen Bor den Hoff, und das Dorf Dresew (Dresseis) gancz, Podemog (Podamnig) gancz, die ober Ulo (was er darin hat), Gole (was er da hat), Albrechticz, Grugewicz, Kaltsicz, Olbrechticz, Rubele, ElkinstorflF. Die Milticzer sullen von einem Burggraven haben: Bocklis, Albernstorff, Ratens- torflF, Cottenwicz, Wischen, Slankewicz, Munschicz, Senicz, Milticz, Swachewicz, Lugo, Schonewicz, Brauschwicz (Prauschwicz) , Kurthilm, Pithaw ^Pitchaw), Ceuschnicz, LambrichstorflF (zwu mule), Zotticz, Colchwicz, Corschow, Albrechtstorff, Ottindorff. 458 X. 4. Die Erwerbung Obersachsens Alle genannten slawischen Geschlochtsnamon finden sich nntcr den kleinen Ortschaften der Gaue Daleminza, Xisani und Chutizi, welche das Gebiet der Burggrafen von Meissen bildeten. Es lassen sich aus den mit diesen untermischt liegenden markgräflichen Orten noch zahlreiche andere, wie die von Kanitz, Schweinitz, Lübschütz, Terpitz, Minkwitz, PommHtz, Baderitz, Leichnitz, Bornitz, Mahlitz, Seidewitz, Zeschwitz, Zschackwitz, Gadewitz, Dohernitz, Muschwitz, Marschwitz, Senitz, Belitz u. a. m. anführen. Dieselben Rittergeschlechter sind indess auch schon früher zu erkennen : Bereits 1206 erscheinen unter einer markgräflichen Urkunde (Cod. diph Saxon. r. II, 1, No. 74) als Zeugen: Henricus de Weren- l)oldisdorf, Henr. de Warin, Bernardus de Veste, Bernhard de Trebzin, Conradus de Mutsin, Petrus de Chulrae, Ulricus antiquus de Donin, Henricus de Becelnewicz, Hartlieb de Gurbewicz, Henr. et Albert fratres de Sterenberc, Henricus de Chorun, Conradus de Brczeniz, Henricus de Frankenberc, Cunradus Spanseil, Hugo de Ysenberc, Timo de Lome, Fridericus de Cemin, Wernherus de Ertmaresdorf, Bernhardus de Sessow, Cunradus de Yla, Wolframus et Petrus fratres de Shellenberc. Ebenso werden in den von Märker (a. a. 0. S. 404 — 410) mit- getheilten Urkunden als Zeugen genannt 1218: Sifridus de Mogelin, Sifridus de INIilbuz, Guntherus de Biverstein, Reinardus de Strele, Taumo de Nozzin et frat. 1220: Heinric. de Coldiz, Reinh. de Strele, Sifridus de Weszeleswalde, Rudegerus de Regensberg, Hermannus de Scunenberg, A. H. T. fratres de Zborc; 1228: Rudigerus de Wizen- burc, Heinr. de Szichowe, Ulricus de Vrideberc, Ulr. de Lach, Sifr. de Alslieven; 1250: Guntherus de Biberstein, Domin. Boto de Ilburg, Dom. H. de Trebeczin, Dom. Alb. de Riete, Ulr. de Maltitz, Dom. Conr. de Steinbach, Dom. Rudolf, et frat. suus de Luppe; Dom. Sifrid. de Nidecke, H. de Schattowe; 1251: Dom. Gunth. de Biber- stein, Heidenr. de Grunenhain, 0. de Nuschin, Herm. de Schonen- berc, Heleg. de Orterau, Rndig. de Muschewitz, Chr. de Butenze; 1254: B. de Kamentz; J. de Hugewitz, R. u. C. de Rochelitz. Die Besitzer der alten Dienstmannsgüter zeigen sich also bereits um 1200 als Ritterschaft. Es sind aber auch einige Anhaltspunkte dafür erhalten, wie dieser Uebergang von der Dienstmannschaft zum rittermässigen Adel und zur Grundherrlichkeit vermittelt worden ist. Vielleicht lässt sich hierfür eine Bemerkung in den erst im durch die sächsischen Kaiser. 459 11. Jahrhundert gefälschten Gründungsurkunden des Meissener Bis- thums in Bezug nehmen. Nach diesen Urkunden soll, wie erwähnt, dem Stifte der Zehnt von allen vorkommenden Einnahmen der im Meissener Sprengel Woh- nenden geleistet werden, und es werden unter solchen Einnahmen an- gehlich um 948 (Cod. dipl. Sax. r. I, 1, No. 1) genannt die in argcnto et vcstimento, nee non, quod Teutonici dicunt, ouarcapunga et ta- lunga familiarum; 968 (Ebd. No. 9), nee non, quod Teutonici over- coupunga dicunt, et talunga familiarum, und die gefälschte Bulle Johanns XIII. (Ebd. No. 7) wiederholt dieselben Worte als uberkuo- l'unga et talunga familiarum, und schaltet noch den angeblichen Text einer anderen Kaiser- Urkunde ein, in der es heisst: Testantur etiam iidem praesentes nobilisshni imperatores, quasdam res sui juris ac proprietatis eidem . . . ecclesie ... in proprium dedisse, hoc est tributorum suorum . . . decimas in Talemcnce, in Nisa, in Milczsano, in Lusicze, in Diedesa, ut, antea quam comes earundem regionum ])artem sibi al> ipsis concessam auferat et distribuat, decimas per totum ac per integrum . . . dicte ecclesie persolvat, id est in melle crusina, solutione argenti, mancipiis, vestimentis, porcis, frumento, et in omnilms rebus que ad fiseum predictorum imperatorum per- tinere videntur. Daraus ergiebt sich, dass der Zelint unter anderen auch aus zwei besonderen Einnahmequellen des kaiserlichen Fiskus von der Kirche beansprucht wird. Die eine ist ouarkoupunga, also Verkauf, oder vielleicht Ueberkauf in Versteigerungen von mancipien, denn nur diese konnten verkauft oder versteigert werden, und Thietmar (III, 9) vergleicht die Veräusserung der Güter des aufgelösten Bis- thums Merseburg mit der kläglichen Weise, wie eine Familie von Slawen, die angeklagt ist, nach Richters Spruch verkauft und zer- streut wird. Die andre dieser fiskalischen Einnahmen ist die talunga familiarum, welche nicht aus dem Verkauf, sondern aus dem Los- kauf der unfreien familiae herrührt. Die servi qui gasti nuncupantur zahlen 1268 und 1286 an den Grundherrn eine Summe, um in die Lage der Zinsbauern zu kommen. Darunter aber dürfte sich die fiskalische talunga familiarum nicht ver- stehen lassen. Sie muss ein verbreitetes Geschäft gewesen sein, wenn die Fälschung Sinn haben soll, talunga familiarum kann auch nicht als Zins, census, gedeutet werden, und der Ausdruck familiae ist am sichersten als Dienstleute, nicht als mancipia, aufzufassen. Talunga familiarum lässt sich also kaum anders deuten, als die 460 X. 4. Die Erwerbung Obersachsens Einnahmen aus dem Freikauf der Dienstmannen, welcher zur Zeit der Fälschung sehr gewöhnlich gewesen sein dürfte. Kauften sich aber die unfreien milites persönlich frei, dann mussten sie in die Lage des freien Vasallen gelangen, in welcher im 12. Jahrhundert allgemein alle die Dorfbesitzer erscheinen, denen nicht ausnahmsweise Eigenthum gewährt Avar. Solche Freikäufe würden also die Veränderung der ländlichen Besitzer aus dem Vcr- hältniss der unfreien milites agrarii in das der freien Lehnsleute und eines rittermässigen Landadels hinreichend erklären können. Will man indess die bessere Lage der Dienstmannen nicht einer solchen für alle Betheiligten vortheilhaften Sitte des Freikaufes zu- schreiben, so Hesse sich nur daran denken, dass die wilden, meist ledig- lich an die Person des Führers geknüpften Parteikämpfe unter den letzten fränkischen Kaisern den wohlgerüsteten verlassbaren Miles leicht inWerth und Ehre steigen Hessen. Der Reisige, der mit starkem Streitross und mit guten und glänzenden Wafifen bei seinem Senior einreiten konnte, fand in Geschenken und Verleihungen, und in Beute und Kontributionen in Feindes Land ergiebige Quellen der Bereiche- rung, seine Treue aber war durch bereite Anerkennung einer erhöhten Lebenslage, durch Zulassung zu dem Kreise der ritterlichen Genossen, am einfachsten zu sichern. Ob es richtig ist, dass die zahlreichen Lehen, die im 13. und 14. Jahrhundert in Obersachsen bekannt sind, zum wesentlichen Theile aus Uebcrtragung zu Eigenthum besessener Güter an den Lehnsherrn hervorgegangen seien, muss nach den Urkunden bezweifelt werden. Die Meinung geht von der nicht hinreichend durch Zeugnisse gestützten Voraussetzung aus, dass bei der Eroberung an eine grosse Zahl freie Edle Güter zu Eigenthum verHehen worden wären. War dies nicht der FaU, so blieb die Erwerbung des Eigenthums auf dem alten, früh in die Hände von Markgrafen und Grafen gelegten und an die Kirche über- tragenen Königslando ungleich schwieriger, als die von Lehnen. Dass Verleihungen freien Eigenthums stattgefunden haben, ist unbestritten und oben nachgewiesen. Auch ist sehr wahrscheinlich, dass unter Umständen solcher Besitz weniger gesichert erschien, als ein feudum oblatum. Aber, dass die Hauptmasse der Lehngüter auf diesem Umwege entstanden sei, dafür fehlen in Obersachsen genügende Anhaltspunkte. Es spricht vielmehr der Umstand beachtenswerth dagegen, dass hier Patrimonialgcrichte erst mit dem Eindringen der deutschen Bauernkolonisation bekannt werden. durch die sächsischen Kaiser. 461 Zur Verfassung der deutschen Wald- und Marschhufenkolonien gehörte eine eigen th ihn liehe Theilung der Anrechte an Land und Gericht. Dem Landesherrn stand die ohere Gerichtsbarkeit, also auch der Ertrag der Strafgelder in Kapitalsaehen zu, so lange er sie nicht den Grundherren durch spezielles Privileg abgetreten hatte. Im deutschen Koloniallande wurde in der Regel den Grundherren mit der Uel)erlassung der zu kolonisirenden Güter auch der o. Tlieil der Kapital- strafen zugewiesen (Tschoppe u. Stenzel, Schles. Urkundensammlung No. 3, 5, 20, 27, 39, 49). Ohne Ausnahme aber überlicss der Landes- herr dem Grundherrn die Niedergerichte mit ihren Einkünften (Ebd. und No. 10, 11, 12, 48, 51, 55). Die meist ausdrücklich aus- gesprochene Voraussetzung war, dass diese Niedergerichtsbarkeit vom Scultetus geübt werde. Dem Scholzen wurde die Anlage des Dorfes vom Grundherrn übertragen und ihm dafür eine Anzahl Freihufen überlassen, auf denen er die Erbscholtisei einzurichten hatte, und einige nur ihm zinspflichtige Freibauern ansetzen konnte. Für die Verwaltung des Gerichts stand ihm der dritte Theil der Einnahmen desselben zu. Zwei Drittel bezog der Grundherr. Vergab der Landes- herr das Ivand an keinen Grundherrn, sondern legte das Dorf selbst an, und setzte seinerseits den Scholzen ein, so war sein Verhältniss zum Scholzen und zur gesammten Kolonie ganz das des Grundherrn. Es bestand auch im Grundgedanken eine gewisse Scheidung der Rechte zwischen dem Grundherrn und der Kolonie. Der Grund- herr war der Herr des Bodens, damit war die Nutzung aus der Be- wirthschaftung und aus der niederen Gerichtsbarkeit unmittelbar ver- knüpft. Die Bodennutzung hatte er an die Kolonie in der Weise ab- getreten, dass er einen bestimmten Erbzins erhielt, und das Land nicht zurücknehmen konnte, so lange diese]' ihm richtig geleistet wurde. Die Kolonisten verkauften das Land zwar anscheinend als ein Unter- eigenthum, in \\'ahrheit aber verkauften sie daran nur die Besserung. Der Grundherr Ijlieb Eigenthümer, aber, abgesehen von der Möglich- keit des Rückfalles, nur in Höhe des Werthes, den er selbst dem Lande bei der Austhuung zugeschrieben hatte. Die Kolonisten ver- kauften den durch ihre Arbeit und die günstiger gewordenen Um- stände entstandenen Mehrwerth. Eine voraussichtliche Steigerung konnte der Grundherr also allein aus den Einnahmen seiner Gerichts- barkeit erwarten, von denen er nur ein Drittheil als Ersatz der Kosten und der Mühe der Au.sübung abzutreten hatte. Ob der Grundherr früher oder später geeignet fand, die Erbscholtisei an- zukaufen oder einzuziehen, und an Stelle des Erbscholzen einem Setz- 462 X. 4. Die Erwerbung Obersacheens scholzon die Verwaltung des Scholzenamtes zu üliergeben, änderte die Rechtslage nicht. Der Dominialbesitzer vereinigte dann in sich, ab- gesehen von der Ausübung, die Rechte des Scultetus und des Grundherrn. Mit den fränkischen und holländischen Kolonisten führten sich deshalb auch die Scholzengerichte, und die Ansprüche der Grund- herren auf die nicht unbeträchtlichen Einnahmen und Rechte der niederen Gerichtsbarkeit ein. Für die Fläminger sind die Scholzen- gerichte oben S. 445 ff. mehrmals erwähnt. Sie bestanden in Tribüne oder Flemmingen ebenso, wie in Nauzedel und Kühren. Der flämische Schultheiss bezog in Kühren sogar an Stelle des Grundherrn ein Drittheil des Ertrages des bischöflichen hohen Gerichtes. Auch die fränkischen Kolonen Adalberts v. Taubenheim hatten ihre Scholzen und standen unter der niederen Gerichtsbarkeit des Grundherrn. Zur niederen erhielt er 1186 überdies die Obergerichte. Für die Forensen und Kolonen zu Lubniz wurde 1185 (Cod. dipl. Sax. II, 1, No. 59, S. 60) ausgesprochen, dass die niedere Gerichts- barkeit ihrem Grundherrn, dem Bischof Martin zustehe, de majoribus excessibus illi autem sub regio banno respondere cogantur. 1274 verlieh Markgraf Heinrich der Erlauchte den Freyberger Bürgern Heinrich und Tilmann Theler das von ihm erkaufte Dorf Auer mit Nieder- und Obergerichten. Dagegen kommen Verleihungen der Gerichtsbarkeit in den älteren Theilen des Landes und in der älteren Zeit nirgends vor. Dass dem miles agrarius, wenn er Dienstland ül^erwiesen erhielt, das volle Recht des Hausvaters, wie es o. Bd. II, S. 283 näher bezeichnet worden ist, über die ihm übergebenen mancipien zustand, und er dieselben vor dem Grafengerichte zu vertreten hatte, ist auch dann vorauszusetzen, wenn er selbst ursprünglich ein Unfreier war. Aber eine eigene grundherrliche Gerichtsbarkeit, auch nur in niederen Sachen, konnte ihm nicht zustehen. Sie ist selbst in den o. S. 431 aufge- führten Fällen nicht verliehen worden, in welchen der Kaiser einzelnen Getreuen oder INIinisterialen Güter zu Eigenthum schenkte. Die gräfliche und vogteilichc Gerichtsbarkeit, zu Avelcher die slawischen Supane als Schöffen zugezogen wurden, ist o. Bd. II, S. 241 aus Urkunden erwähnt, welche schon verhältnissmässig später Zeit angehören. Auch in ihnen erscheint nirgends einer der milites oder der privaten Grundbesitzer als Inhaber der niederen oder höheren Gerichtsbarkeit. Ueberall, sogar noch in den Nienburger Urkunden von 12'M) und 12(15, welche die Gericbt-sbarkeitsverhältnisse des Vogtes zum (ual'eii von Askanien regeln, erscheinen die Bewohner ganzer durch die sächsischen Kaiser. 463 Burgwarde vor dem Vogte, und es ist erst seit wenigen Dezennien erlaubt, dass die f^murden zurückbleiben dürfen. Auch in diesen Verhältnissen der Gerieh tsl)arkeit spricht sich also aus, dass die Lage der Ministerialen, und damit die Verfassung des Landes überhaupt, erst um die Mitte des 12. Jahrhunderts eine wesentlich andere wurde. Der Grund dieses Wandels muss in den Zeitumständen gesucht werden. Unverkennbar aber verknüpfte er sich eng mit der Kolonisation deutscher Bauern und einer weit energischeren Verwerthung des Grundliesitzes. Der juristische Charakter des Grundbesitzes trat gegen seine wirthschaftliche Bedeutung in den Hintergrund. Seitdem die Güter der Dienstmannen, sei es durch Freikauf oder durch die Sitte, zu echten Lehen wurden, verwischte die rasch fortschreitende Erblichkeit der Lehen hier wie überall den Unterschied zwischen Lehn und Eigen. Wie Dominus für den rittermässigen Besitzer, so wird Dominieale der Ausdruck für das Herrengut. Er kommt in diesem Sinne schon 1121 bei der Gründung des Klosters Bosau mehrmals vor (Schöttgen und Kreysing H, 419 u. 421). E. 0. Schulze (a. a. 0.) weist darauf hin, dass um dieselbe Zeit auch die Bezeichnung Vorwerk für den unter eigener Bewirthschaftung stehenden Theil eines Gutes, bei Lehn wie bei Eigen, üblich wird. 3139 erwirkt ein Naumburgischer Ministeriale Hartwig von Bischof Udo die Zuweisung des Frucht- und Viehzehnten von dem, was er in 2 vicis Crozlin und Mizleboze beneficii jure suscepit atc^ue sub aratri sui cultu curiaeque nutrimento tenuit (Schamel, Suppl. zur Geschichte des Klost. Bosau, p. 20). Li der Bestätigung von 1151 erscheint diese Schenkung als decima cujusdam dominicalis in villa Grozelin und 1166 als decima forwerci unius in Crozzelin (Schöttgen u. Kreissig, Dipl. II, 422). Zu Dominieale und Forwerk tritt auch bald als gleiche Bezeichnung Allodium. 1222 überlässt ein miles urbanus Khesebicz dem Kreuzkloster zu ^Nleissen die villa Duveinz, welche gleichzeitig cum 12 mansis et allodio et 2 pratis, molendino et 2 silvis urkundlich erscheint. 1290 erhielt das Kloster Buch von Otto dictus de Scecewyzc von dem Allodium Kurzmyzc von 5 mausen, auf dem er wohnt, 1 Malter Zehnt (Ebd. II, p. 211 u. 219). Der Ausdruck Allodium wird aus dem ursprünglich rechtlichen lediglich ein wirthschaftlicher. Auch Allodium steht als Herrengut dem Bauer- gute gegenüber. Dieser Sinn der drei Worte ist in den gesammten deutschen Kolonisationsgebieten zu allgemeiner Geltung gelangt. Der Umschwung der Zeit und der Verhältnisse um 1 1 00 zeigt 464 X. 4. Die Erwerbung Obersachsens sich auch in dem Wechsel des Grundbesitzes und der Vermehrung der Güter in derselben Hand. A\'enn in älterer Zeit der miles agrarius auf dem ihm zugc- gewiesenen Dienstgute sass und dasselbe mit den ihm als Zubehör überlassenen mancipien in eigener Wirthschaft bebaute, entsprach dies dem Gedanken und dem Wesen dieser militärischen Einrichtung. Zu einer solchen wenig über das rustikale Leben und Bedürfniss sich erhebenden Wirthschaftsweise waren die kleinen slawischen Ortschaften von etwa 100 ha Acker völlig geeignet, die im gesammten Meissni- schen Gebiete als Lehngüter erhalten blieben, und von denen die späteren Geschlechter seiner zahlreichen Ritterschaft ihre Namen führen. Viele dieser milites mögen wieder in die Bauernschaften versunken sein, aber die, die es verstanden, sich zur rittermässigen Ministerialität und Vasallität emporzuheben, vermochten dies nicht, ohne grösseres Ver- mögen, d. h. in damaliger Zeit grösseren Grundbesitz, mit ihrem alten Stammgute zu vereinigen. Dass eine erhebliche Zahl solcher Landgüter in dieselbe Hand gekommen, ergeben zuerst die oljen er- wähnten Urkunden von 1206, durch die späteren erweist sich die anwachsende Vermehrung. Die Folge war, dass von eigener Bewirthschaftung nur noch sehr bedingt die Rede sein konnte. Die meisten Vorwerke mussten Ver- waltern, villici, überlassen werden, und die Erfahrung war unver- meidlich, dass die kleinen Güter nur hinreichten, den villieu.s zu tragen, dass aber auch grössere in fremder Hand wenig befriedigende Erträge gewährten. Dieser geringe Nutzen der Güter machte sich so allgemein geltend, dass die Grundherren, wie dies auch im innern Deutschland um dieselbe Zeit geschah, vorzogen, die Allodien in Bauerstellen zu zerschlagen, denen ein bestimmter Erbzins auferlegt wurde. Die Art der thatsächlichen Durchführung lässt sich aus der Anlage 128 an den Feldeintheilungen von Mockritz und seinen Nach- barorten deutlich erkennen. Gostritz ist völlig in Gewannen an 8 Bauern aufgetheilt. Nöthnitz ist zum überwiegenden Theile ein Dominialgut geblieben, es sind nur 2 Höfe an Bauern abgegeben. Mockritz und die übrigen Güter Klein-Pestitz, Kaitz, Boderitz, Rosen- titz und ebenso auch Mischwitz sind völlig an Bauern vertheilt, und zwar in Blöcken, von denen manche ziemlich regelmässig und gewann- ähnlich erscheinen, andere aber auch sehr unregelmässig und ungleich- artig nebeneinander liegen. Am willkürlichsten eingetheilt erscheint Rosentitz, und es ist möglich, dass die Besitzstücke seiner 4 Bauern durch die sächsischen Kaiser. 465 noch vielfach die uralten slawischen Feldlagen wiedergeben. Die Gehöfte und Gärten in ihren ausgeprägten Runddorfsformen scheinen noch grösstentheils die alten der slawischen VorLesitzer zu sein, die sie als mancipia der militos nach wie vor bewohnten. Schon 1160 wird das wüste Gut Bucowicz bei Eilenburg als 7 mansi diuionsi, worunter 1 Freihufe, an Bauern gegen Erbzins in in der Weise vergeben, dass sie denselben als erbliche Besitzer gegen einen census von 6 Denar für die Hufe und gegen sonstige be- stimmte Leistungen überlassen blieben (Cod. dipl. Sax. reg. II, 1, No. 53, S. 55). Diese Zerschlagungen begannen also gleichzeitig mit dem ersten Auftreten der deutschen Kolonisten in den ^^''aldungen des Erzgebirges und mit dem Erscheinen der flämischen Zuwandercr im Naumburger Sprengel. — Erwägt man die Verhältnisse näher, so lässt sich der Zusammen- hang dieser Kolonisationen mit der veränderten Lage der Ritter nicht verkennen. Nicht die deutschen Bauern regten die Einwanderung an, sondern, wie Wieprecht von Groitzsch erweist, die obersächsischen Grundherren. Sie bereiteten die Ansiedelung vor, riefen die Kolonisten herbei und erleichterten ihnen nach Möglichkeit die Schwierigkeiten der ersten Zeit, welche o. Bd. 11, S. 325 gezeigt sind. Der erste Beweggrund war überall das Streben der aus vielfach sehr spärlichen Daseinsbedingungen emporgehobenen Ritterschaften, den Forderungen der neuen Zeit gerecht zu werden. Die Kreuzzüge hatten romantische Ideenkreise und Anschauungen ungeahnter Gross- artigkeit verbreitet, welche in der engen Wirklichkeit befriedigenden ^\'iederklang nur bei erheblich luxuriöserer Gestaltung des Lebens finden konnten. Dafür die Hülfsmittel zu erlangen, dahin trachteten Alle. Dass dies in Obersachsen verhältnissmässig so Vielen gelingen konnte, deren Nachkommen wir noch heut am zahlreichsten unter unseren Adelsgeschlechtern erhalten sehen, zeigt, dass hier die Umstände vorzugsweise günstig waren. Noch bestand hier auf kleinem Raum Neuland in Masse. Ob die grossen Gebu-gsforsten an die Markgrafen oder an Bisthümer und geistliche Stiftungen vergeben waren, hinderte die mit der Landwirthschaft hinreichend vertrauten Ritter nicht, Waldstrecken zu Lehn oder zu Landleihe und ViUication zu erwerben, die sie mit Hülfe ihrer villici durch Kolonisten besetzten. Dies muss von vielen Unternehmern planmässig in raschem Fortschritt geschehen sein. Den Beweis geben die oft erwähnten gleichmässig aneinander Meitzen, Siedelung etc. U. 30 466 ^- 4. Die Erwerbung Oljcrsachseus geschlossenen Waklhufenanlagen, die das gesammte Gebirge bis nahe an seinen höchsten Rücken bedecken. Wenn Markgraf Otto für Altzelle 800 Hufen in den Jahren 1162 bis 1186 roden und kolonisiren liess, so bliel) dies nicht ohne Nachfolge. Nahe der Grenze liegen die oben angegebenen Heinitzischen Dörfer, 1194 werden die Herren de Strass- berg mit Anlagen bei Plauen erwähnt. Kloster Chemnitz wird 1143 durch Konrad HI. in einem kleinen Dorfe gegründet und mit dem umgebenden Gebiete von 2 Q Meilen beschenkt. Darauf entstanden bis 1200 nach dem Zinsregister des Klosters 8 Dörfer mit meist deut- schen Namen , alle in Waldhufen angelegt. Ebenso ist Zwickau , in welchem Gräfin Bertha v. Groitzsch 1118 die erste Kirche baute und an Kloster Bosau gab, in dem 8 Q Meilen umfassenden Parochial- bezirke bis 1200 von zahlreichen Waldhufendörfern in Bosauer Besitz umgeben, und diese Bosauer Novalien breiteten sich seit 1150 ebenso im Plisna- und Geragaue aus (Schöttgen u. Kreyssig H, p. 419 — 422). In diese Zeit gehört auch der Anbau der Berge um Zeitz, und die Kolonisation im oberen Vogtlande. Es sind zwei merkwürdige Zeugnisse eines leidenschaftlichen, offenbar machtlosen Widerstandes gegen sie erhalten. Landgraf Ludwig H. von Thüringen (1125 — 1174) schreibt (Cod. d. Sax. I, 2, No. 393 u. 394) : Ludowicus Landgrafius 0. fideU suo. Nisi te inter reliquos fideles meos majori amplecterer dilectione, jam extirpatores silvatici, qui sub tuo dominio in diversis degunt locis, me ipsum severum hospitem recepissent, ac omnium bonorum suorum membrorumque dispendia sensissent. Hoc autem tue di- lectionis causa distulimus. Unde volumus atque precipimus, ut omnes pariter sine ulla retractione abire facias, sin autem, quod verbis minatus sum, operis explectione me facturum scias. Aehnlich sagt er, leider ebenfalls ohne Angabe des Datums, mit ersichtlich ironischer Anrede: Ludowicus Landgrafius silvanorum extirpatoruni preposito salutem. Ammonitum te esse volumus, ut quotocius silva- tica loca deseras atque discedas cum omnibus tibi subjectis extir- patoribus. Si autem vel ad breve tempus distuleritis, ipsemet ad vos veniam et omnia, qui vestra sunt, igne ac direptione non sine vite etiam vestre periculo devastari faciam. Die Rodungen waren also zu ausgedehnten gewerbsmässigen Unternehmungen geworden. Es lässt sich schlechterdings nicht denken, dass diese massenhaften Anlagen ohne Rechnung auf ein- träglichen Ersatz der Kosten gemacht worden wären. Der erwerbsmässige Charakter dieser Unternehmungen wird auch dadurch bestätigt, dass die früheren Meissnischen Ministerialen Kolonien durch die sächsischen Kaiser. 467 nicht lediglich anlegen, sondern auch in kurzer Zeit wieder ver- iiussern, und zwar vorzugsweise an Klöster. 1220 vergiobt Günther v. Rachsburg das praediuni Hohencherche mit 10 Mansen an das Kloster Buch (Schultes, direct. II, S. 552). 1236 verkaufen die Domini de Gnannenstein villani Ludenhagen an Buch, ebenso 1240 Joh. de Skonefelt villam Nuendorf mit 10 Vi Mansen. 1241 kauft Buch von Reichsministerialen ausser 5 slawischen auch 6 deutsche Dörfer (Schöttgen u. Kreyssig, dipl. II, Kloster Buch, p. 177 ff.). 1296 verkauft Ulrich v. Maltitz Lehne der Ko- lonisten zu Greifendorf, Gleisberg u. a. an Altzelle (Beyer a. a. 0., S. 570, 571). 1296 kauft Buch Wilandishagen cum judicio von dem Ministerialen Gottschalk, und in demselben Jahre erhält Buch von Tuzold V. Kauffungen die Villa Xuenheim, ein Reichslehn mit Ober- und Untergericht (Schöttgen u. Kr. a. a. 0.). Andrerseits erkennt man, dass der Adel sich auch in solchen Kolonistendörfern zu dauerndem Besitze niederlässt. Adalbert von Duvenheim hat seine Francones in Duvenhcim, Sivritthissare (Seifersdorf), Everberrinsdorf (Berbersdorf) und Haselau angesetzt, er selbst wohnt 1186 zu Duvenheim und noch heut be- steht dort ein Dominium, welches, wie Anlage 130 erweist, nicht in die fränkischen Hufen mit einbezogen worden ist (Schultes, direct. dipl. II, p. 320). Der markgräfliche Dienstmann Conrad Spansei zu Dersnitz baute dort 1190 eine Kirche, die er mit 3 INIansen und dem Zehnt seines Dominieale ausstattete, und aus der das Frauenkloster Sitzenrode ent- stand. P^'iu- die Auspfarrung von Dersnitz und Parnitz entschädigte er die Parochialkirche zu Leuben durch ein für diesen Zweck angelegtes Dorf Cunradsdorf (Cod. dipl. Sax. r. I, 2, No. 552). Er selbst wird schon 1206 unter dem rittermässigen Adel aufgeführt (s: o. S. 458). Den besten Beweis giebt das Lehnbuch von 1349 (im Staatsarchiv zu Dresden), nach welchem, wie E. 0. Schulze im Einzelnen angiebt, bereits in sehr zahlreichen Fällen die Scholtisei in die Hände eines Ritters übergegangen war. Diese Ritter bildeten vermfige ihrer grundherrlichen und Scholzenrechte aus den Scholtiseien Dominien, welche sie selbst bewohnten und bewirthschafteten, und bchielt'-n das ganze Dorf als Grund- und Gerichtsherrn im Besitz. Die in dieser Weise entstandenen gutsherrlichen Wirthscliaften sind den damaligen Klostcrgütern zu vergleichen. Die ältesten Klöster in Deutschland waren nach dem Bilde des 744 von Bonifacius und Sturm begründeten Fulda im wesentlichen 30* 468 X. 4. Die Erwerbung Obersachsens Christengemeinden, welche in gerodeten Wäldern vom Landbau lebten. Nur sehr wenige unter der schnell anwachsenden Anzahl ihrer Mit- glieder hatten die Weihen erhalten, sorgten für die geistlichen Be- dürfnisse und suchten Neubekehrte heranzuziehen oder Tochter- gemeinden zu begründen. Die Hauptmasse bestand aus zerstreut Avohnenden Bauern. Diese Einrichtung entartete und verfiel durch die zahlreichen Güterschenkungen, welche die Klöster zu Grossgrund- besitzern und meist immunen geistlichen Senioren machten. Als indess Robert von Citeaux und Bernhard von Clairvaux seit 1098 ihre durchgreifende Reform des Klosterwesens erstrebten, gingen sie auf den ursprünglichen Gedanken zurück. Die Cistercienser und Praemonstratenser sollten, wie o. Bd. II, S. 342 erwähnt ist, ursprünglich gar keine zinsbaren Dörfer besitzen, sondern nur Land, welches sie selbst kultivirten, als Leihe oder Eigen erwerben. Dabei schied sich indess gemäss der Klosterreform die Kor- poration der geweihten, den Ordensgelübden unterworfenen Mönche als die eigentliche Persönlichkeit des Klosters, von den Laienbrüder- schaften, welche keinerlei Antheil an Recht und Vermögen des Klosters hatten, sondern nur als Dienende und Beschützte zur Hülfe- leistung und zu den niederen Arbeiten herangezogen waren. Indess erwies sich dieser neue Versuch aus den gleichen Gründen sehr bald ebensowenig durchführbar, wie der ältere. Die Schenkungen betrafen noch weniger als früher unkultivirtes Land, sondern zahlreiche kleine und grosse eingerichtete Wirthschaften. Allerdings suchten die Klöster anfänglich nicht Bauerndörfer anzulegen, sondern, wie die Urkunde über Tribüne (o. Bd. II, S. 443) bestätigt, eher Bauerngüter aus- zukaufen^). 1170 wurde bestimmt, kein Abt solle fernerhin einen Ackerhof errichten, der nicht in Tagesfrist vom Kloster aus zu er- reichen sei, und 1208 verfügte noch das Generalkapitel der Cister- cienser^), dass nur minder fruchtbare Aecker oder solche, die der grossen Entfernung wegen nicht mit Vortheil in eigenen Betrieb genommen werden könnten, an Andere gegen Zins ausgethan werden dürften. Dies zeigt indess schon die Wandelung im Prinzip. Thatsächlich kam zu der Schwierigkeit und Unzuträglichkeit, die ansässigen Bauern aus geschenkten Dorfgemarkungen zu vertreiben oder auszukaufen, ') Vcrgl. auch die Urkunde von 1227 über Friedrichsdorf bei Dessau in Lude- wig, Reliqu. manuscr. I, p. 41. ^) Marlene et Durand Thesaurus novus Anecdotorum, Paris 1717. Kapitelbeschlüsse in Tom. IV, S. 1243 — 1646. ad. ann. Vgl. L. Jauauscheck origines Cisterciens. I. Wien 1877. durch die sächsischen Kaiser. 469 noch die Erfahrung, class sich die eigene Wirthschaft auf den Gütern der Kleister schliesslich nicht wesentlich einträglicher erwies, als die auf den riütern der Ritter. Es sind sogar Villicationsverträge der Klöster bekannt, in welchen sie ihre Dörfer Rittern gegen ein Fixum in Generalpacht überlassen (Cod. d. Anhalt. I, 548. v. Mülverstedt, Magdeb. Reg. III, p. 544, No. 209). 1351 thut das Klo.ster Alten- zelle seinen 1213 aus früheren Bauergütern eingerichteten Hof zu Zadel ausdrücklich deshalb wieder an Bauern aus, weil er keinen Nutzen bringe. Dieser Vorgang ist nach den Registern in Beycr's Schrift: »Das Kloster Altenzelle« (S. 528—604), in jener Zeit häufig. Dazu kam, dass das Gebirgsland Ol^ersachsens, welches vorzugsweise von deutschen Bauernkolonien eingenommen wurde, für die Gross- wirthschaft sehr wenig geeignet war. Der Wirthschaftsbetrieb der dortigen Ritter- wie Klosterbesitzungen stützte sich deshalb in der Hauptsache auf zahlreiche zinspflichtige Bauergüter und behielt nur einzelne Höfe als Wohnplätze und Ver- waltungsmittelpunkte in eigener Hand. Sein Wesen ist also über- einstimmend bei den Rittern wie bei den Klöstern nicht im Ertrage dieser eigenen Hofgüter, sondern in den Zinsungen der Bauern zu suchen. Selbst wenn anderwärts der Landbau schon hier und da fortgeschrittener war, gestattete das Gebirge nur den Anbau der ge- wöhnlichen Getreidefrüchte, und auch diesen nur eingeschränkt. Im übrigen blieb es auf Viehzucht und Holzschlag angewiesen. Die Getreidezinsen und Zehnten sammelten die Grundherren theils in Grangien auf, theils hatten sie die Bauern auf die nächsten Älärkte zu verfahren. Von Vieli wurde nur zum geringen Theil in lebenden Stücken gezehntet, im wesentlichen waren Vieh und Holz die Quellen, aus welchen der Bauer die Geldzinsen an den Grundherrn zu zahlen vermochte. Ein gewöhnliches Dorf von 50 Waldhufen enthielt neben dem Dominial-, Pfarrei- und Scholzengute etwa 40 Zinsgütcr, von denen jedes je nach dem Boden und der Ausdehnung des Acker- landes V2 bis 1 Malter Dreikorn, d. h. Weizen, Roggen und Hafer, oder auf geringerem Boden nur Roggen und Hafer und an Geld V4 bis V2 Mark zinste. Wenn der Grundherr auch nur ein einziges solches Dorf besass, war der Unterhalt seiner Familie durch etwa 360 SchefTel Getreide und 15 Mark, neben seinem eigenen Dominialgute, an- scheinend reichlich gedeckt, so lange er nicht mit einem grösseren Gefolge von Reisigen auftreten wollte. Die meisten Ritter besassen indess, wie sich oben gezeigt hat, ebenso wie die Klöster eine grössere Anzahl von Zinsdörfern, und dieselben sind trotz vielfacher 470 ^' 4. Die Erwerbung Obersachsens Besitzveränderungen bis auf die Gegenwart in den Händen dieser Adelsfamilien geblieben. — Endlich ist noch auf die Umgestaltungen einzugehen, welchen die früheren kleinen Ansiedelungen der Slawen zwischen Saale und Elbe unterlegen haben. Wie o. Bd. II, S. 438 an mehreren Beispielen nachgewiesen worden ist, werden in diesen Ebenen, zu denen auch die Umgebung von Altenburg links der Wyhra (Anlage 4) zu rechnen ist, vor 1100 drei- bis viermal so viele Ortschaften genannt, als gegenwärtig vor- handen sind, und die Vergleichung mit den Meissnischen, markgräf- lichen und burggräflichen Gebieten zwischen Dresden und Rochlitz, in denen, wie wir wissen, die alten slawischen Grundlagen der Besiedelung bis in späte Zeiten erhalten gebheben sind, lässt keinen Zweifel, dass wir in ihnen das Bild des früheren Zustandes auch für die westlichen Ebenen an Elbe, Saale und Pleisse zu erkennen haben. Die Spuren dieser älteren slawischen Anlagen sind nun auf diesen Ebenen keineswegs völlig beseitigt. Vielmehr tragen bei weitem die meisten der heut bestehenden Orte noch ihre alten sprachlich und urkundlich bezeugten slawischen Namen. Vor allem aber unterscheiden sich alle Dorfschaften rechts der Saale, wie o. Bd. I, S. 52 in Fig. 5 und 6 und in Anlage 3 näher gezeigt ist, durch ihre der slawischen Sitte entsprechende Form des Dorfberinges charak- teristisch und völlig deutlich von den deutschen Dörfern links der Saale. Während letztere sämmtlich den Haufendörfern des alten Volkslandes angehören, erweisen sich die Ortschaften östlich des Flusses in allen Ebenen Obersachsens als Runddörfer, wie sie bei den Sorbenwenden der Mark und Mecklenburgs überwiegen, oder als Strassendörfer, wie sie bei den schlesischen und polnischen Slawen verbreiteter sind. Deutsche Sitte ist also bei der Anlage dieser Dörfer nicht bestimmend gewesen. Sie müssen in der Mehrzahl als entweder ursprünglich schon bestehende, oder als lediglich vergnisserte Slawendörfer angesehen werden. Bei dem Strassendorfe ist eine solche Vergrösserung sehi- leicht durchführbar, weil die regelmässige Reihe der an der Strasse liegenden Gehöfte ohne Weiteres verlängert werden kann (o. Bd. I, S. 53, Fig. 6). Die Runddörfer dagegen sind, wie o. Bd. II, S. 259 näher gezeigt ist, durch den fächerförmig von den Gehöften um- gebenen Dorfplatz auf die Parzellirung dieser Gehöfte beschränkt. Später entstehende Gehöfte müssen deshalb ausserhalb dieses alten Dorfberinges angelegt werden. Solche Anbaue und Ausbaue sind hier deshalb sehr häufig. Audi auf der Karte in Anlage 3 finden diircli die sächsischen Kaiser. 471 sie sich in Maschwitz, Braschwitz, Rabatz und Stennewitz. Entweder liegen dieselben getrennt, wie in den beiden ersteren, oder sie schliessen sich, wie in den letzteren an die Ausgangsstrasse des Rundlinges in der Form eines Strassendorfes an. Das Verschwinden der niclit mehr vorhandenen und die Vergrösserung der bestehen gebliel)enen Dorfschaften ist erweislich durch die Grundherren bewirkt. Manche der Strapsendörfer mit deutschen Namen, wie Bruckdorf und Beilberg, dürften aber auch neue grundherrliche Anlagen sein. Deslialb lässt sich nur annehmen, dass die Grundherren vorgezogen haben, die deutsche haufenförmige Gestalt der Dorfanlage zu vermeiden, da- gegen die slawische des Strassendorfes nachzuahmen. Dies erklärt sich hinreichend durch die o. Bd. I, S. 48 näher begründete, nur unter viel ursprünglicheren Zuständen nicht empfundene Unzweckmässigkeit des deutschen haufenförmigen Dorfberinges. Diese Nachahmung der slawischen Dorfform zeigt sieh Ijeispielsweise an den ausgesprochen deutschen Kolonien, welche Anlage 4 im Quellgebiet der Wyhra ver- zeichnet. Hier liegen Jückelberg, Flemmingen, Baiern, Buscha, Boderitz, Garbuss, Hauersdorf, Oberleupen u. a., welche sämmtlich grosse Strassendörfer darstellen. Der Beweis, dass diese immerhin sehr durchgreifende Um- gestaltung der Besiedelung den deutschen Grundherren zuzusclu-eiben ist, liegt in der Form der Ackereintheilung. Dieselbe ist, wie schon oben S. 437 durch die Anlage i29 Wachau belegt wurde, an sich die volksthümlich deutsehe in gleiche Hufen und in Gewanne, in deren jedem jede Hufe einen gleichen Antheil in Streifenform zu- gewiesen erhalten hat. Sie zeigt indess deutlich den Charakter eines wohlverstandenen Kulturfortschrittes. Die Gewanne sind grösser und regelmässiger als im alten Volkslande. Sie übertreffen an Planmässig- keit unverkennbar die durch die Reebningsprozedur oder durch die allmählichen Regulirungen gewonnenen (o. Bd. I, S. 111). Ueberdies finden sich in Obersachsen zwischen den einzelnen Gewannanthcilen schmale, 2 Fuss breite Raine unbeackerten Landes, welche die deutschen volksmässigen Fluren nicht kennen (vgl. Bd. IH, S. 319, Anm. zu Anl. 95, Hitschin). Da durch diese Grenzraine die Bd. I, S. 88 eingehend behandelten Vcrpflügungen unmöglich gemacht werden, blieben sie trotz der unleugliaren Nachtheile, welche sie durch Landverlust und das Einnisten von Mäusen, Ungeziefer und Unkraut haben, doch als so nützlich anerkannt, dass sie für die gesammte Kolonisation des Ostens Regel wurden. In der That ist ihnen zuzuschreiben, dass sich auf dem östlichen Kolonisationsgebiete von zeitweisen Regulirungen 472 ^- 4. Die Erwerbung Obersachsens oder noth wendigen Umtheilungen, wie im alten Volkslande, nirgends eine Spur findet. Die Flnreintheilungcn der deutschen Kolonien haben vielmehr die Formen und Abgrenzungen ihrer ersten Anlage überraschend fest bewahrt. Die Gründe dieser Umgestaltung der Fluren lassen zugleich die Zeit hinreichend erkennen, in der sie stattfand. Das gesammte Ge- biet, welches die zahlreichen Zuflüsse der Saale und IVIulde durch- ziehen, war früher (o. Bd. II, S. 422) von einem Netze ausgedehnter Wälder und Sümpfe überzogen, und von den Slawen nur zum ge- ringen Theil auf den zwischenliegenden geeigneten Ländereien an- gebaut. An die neue Anordnung von ausgedehnten Feldfluren mit grossen zur zusammenhängenden Beackerung bestimmten Gewannen kann deshalb erst gedacht worden sein, als durch die Rodungen sowohl der Grenzwälder wie der vorspringenden Gebirgshänge die Austrocknung des Landes hinreichend fortgeschritten war. Dann aber musste das wirthschaftliche Interesse des Grundherrn rege werden, die anbaufähigen Grundstücke nicht der beliebigen Benutzung der Grenznachbarn zu überlassen, sondern eine Feldordnung zu treffen, welche das Neuland zu zweckmässiger Verwerthung brachte und zu- gleich die Verhältnisse der vorhandenen Anbauer derart regelte, dass sie erhöhte Lasten zu tragen und ohne Druck regelmässig abzuführen vermochten. Dies geschah durch die Einrichtung ihrer Wirthschaften nach deutschem Muster. Das gesammte Gebiet gehörte fast ohne Ausnahme den Bischöfen und Klöstern zu Magdeburg, Merseburg und Naumburg. Es war ursprünglich zum grossen Theil an die milites agrarii derselben in der Weise verliehen gewesen, dass die ansässig gebliebenen Slawen ihnen als mancipia überlassen worden waren. So lange dieses Ver- hältniss bestand, war eine wesentliche Besitzverändorung sehr er- schwert. Erst als grösserer Grundbesitz in die Hände der Vögte und des Ministerialadcls gelangt war, und damit der Rest der Dienstleute zu den Bauern herabgedrückt, die alten mancipia aber durch Zer- theilung vieler Hofgüter zu grösserer bäuerlicher Selbstiuidigkeit ge- langt waren, entstanden die Bedingungen, welche die neue Flur- verfassung voraussetzt. Die hörigen Rustikalen konnten sich nicht weigern, ihre ih-m- lichen Gehöfte auf den bestimmten Mittelpunkt der Anlage abzubauen, und an der Stelle ihrer kleinen unterbrochenen und unregelmässigen Besitzstücke grössere Feldlagen zu übernehmen, auf welchen die langen Gewannstreifen abgemessen, für jede Hufe ausgeloost, und nach dem durch die sächsischen Kaiser. 473 neuen Besitzstande fest begrenzt wurden. Schon nacli wenigen Jahren gewöhnhcher Kulturarbeit muss der gleichmässige Zug der Pflugfurchen die ebenen Ackerflächen hergestellt haben, welche bis auf unsere Zeit gekommen sind. Der erhebliche Gewinn an Kulturland und damit an Hufenzinsen für die Grundherren darf überall als genügender Beweggrund dieser nicht ganz ohne alle Störungen und Kosten durchführbaren Mass- regel l)etrachtet werden. Es giebt allerdings einige Zeugnisse, welche auch noch anderes Licht auf diese agrarische Bewegung fallen lassen. In einer Urkunde von 1177, in welcher der Markgraf Otto I. die in seiner Herrschaft liegenden Güter des Klosters Hadmersleben von allen gerechten und ungerechten Steuern und Beden befreit (Cod. Anhalt. V, p. 297, No. 55oa), bemerkt er über die Bauerschaften dieser Güter: Veniens siquidem ad nos dilectus ejusdem nobis Fridericus loci praepositus debita sollicitudine postulavit, ut ab eisdem prediis Slavos, per quos hactenus neglecta erant, mutarem et Theutonicos, qui voluntati et utilitati eorum sub christiana religione doservirent, subrogarem, et decimas, que bencficiarii juris mei ab Verdensi ecelesia erant, salva reverentia domini episcopi, Haraerslovensi ecclcsie in perpetuum assignarem. Proinde ego considerato eorum fidcli studio divine retributionis intuitu satisfeci petitioni ipsorum et . . . decimas easdem jam dicto concessi monasterio. Unter den Zeugen findet sich Conradus de Witin. llOf) schreibt Papst Coelestin HI. (Cod. Anh. I, No. 711) mit Bezug auf ähnliche Vorgänge, er habe von Herzog Bernhard erfahren, dass Albertus Marchio locum ipsum prius ab infidelibus oecuiiatum dante domino liberasset, in Worgelez und Brote Kirchen gegründet und erlangt habe, ut ecclcsie ipse decimas agrorum suorum per- ciperent. 1197 (Ebd. p. 714) folgt ein Brief Coelestins an Herzog Bernhard von Sachsen: per tuas litteras nostris est auribus intimatum, quod cum quadam pars terre tue dcserta existat, alia vero a quibus- dara Slavis baptismatis fönte renatis sed ecclesiastica contempnantibus sacramenta, alia etiam a quibusdam christianae fidei persecutoril)US habitetur, eam habitatorem desideras incolere christianum, et sclavorum barbariem et pagane feritatis spurcicium a christianis finibus amo- vere, . . . tuis postulationibus .... indulgemus, ut de singulis mansis 4 modios avene . . . nomine decimarum exsolvant. Diese Urkunden erweisen, dass gleichzeitig mit dem Auftreten der deutschen Kolonisten im Gebirgslande auch in den slawisch be- 474 X. 4. Die Erwerbung Obersachsens durch die sächsischen Kaiser. siedelten Ebenen eine Bewegung entstand, die Slawen zu vertreiben und durcb deutsche Bauern zu ersetzen, und dass dafür nicht ledig- lich die oft bekundete nachLässigere Wirthschaft, sondern vorzugs- weise die fortdauernde Unfügsamkeit der Slawen gegen die kirchlichen Vorschriften und namentlich der geringe und unsichere Zehnt derselben bestimmend waren. Es ist deshalb höchst wahrscheinlich, dass auf manchen der überwiegend der Kirche gehörigen Territorien, auf welchen die Zu- sammenziehung der kleinen slawischen Ortschaften zu grossen deutsch eingerichteten Gewanndörfern stattgefunden hat, diese Umwandlung unter Vertreibung der Slawen und Ansetzung deutscher zugewanderter Bauern erfolgte. Indess lässt sich eine solche deutsche Kolonisation doch keines- wegs als allgemein, und deshalb auch nicht als der eigentliche Grund der Neugestaltung ansehen. Die beiden Beispiele von Taucha (Anlage 133) und von Ze sch- witz (x\nlage 134) zeigen Gewannanlagen ohne Aufnahme deutscher Kolonisten. Auch ergiebt die oben erörterte, noch lange fortdauernde Nothwendigkeit slawischer Gerichte und slawischer Schoppen (o. Bd. 11, S. 242), dass an eine weitgreifende Vertreibung der Slawen nicht ge- dacht werden kann. Fast ausgeschlossen ist allerdings das Zusammenwohnen der deutschen Kolonisten mit Slawen als Hufenbauern in demselben Dorfe. Die deutschen und die slawischen Bauerngemeindon waren nach allen Ueberlieferungen der Kolonisationszeit noch auf Jahr- hunderte streng geschieden, auch wenn der Gutsherr slawisches Ge- sinde oder slawische Häusler auf seinem Hofe hielt. Aber wie für die Deutschen, war die neue Dorfverfassung namentlich auch für die zu ihr herangezogenen Slawen eine sehr günstige und förderliche. Sie schuf kräftige Bauernschaften, welche wie die Kolonen des Gebirgslandes , in deutscher Flur- und Zins- verfassung, jure hereditario oder proprietario, als Erbzinsbauern auf hinreichenden Hufen von meist 15 ha sassen, und durch die Solidarität ihres grossen Gemeinwesens nicht bloss dem Grundherrn Sicherheit für die Regelmässigkeit seiner Einnahmen boten, sondern auch für die Bauern selbst eine Schulung zu gleichmässigem Fleiss, und eine zuverlässige Sicherung des Unterhaltes ihrer Familien waren. Die feste Gebundenheit an das angenommene Feldersystem, die nachbar- liche Abhängigkeit in Zeit und Art der Bestellung und der mit dem Flurzwang verknüpfte gleiche und genügend ernährte Viehstand X. 5. DiedeutscheBesitznahmederAltinark und des Wendlandes. 475 machten die an sich massigen Lasten, auch liei Strenge diT Einhehung, wenig fühlbar, und l)ei ihrer gleichen Höhe wurden sie ein fester Anhalt des ganzen Betrielios. Vor allem aber wurde die gesammte Lebenslage dieser slawischen Zinsbauern wesentlich gehoben. Sie lebten sich, wie einmal gesagt wird, als familiae honorifice et dis- ciplinato more teutonico tractatae, leicht und völlig in deutsches Wesen ein (Gesta abb. Trudon. Mon. Germ. SS. X, S. 304. Waitz, D. V.-G. Bd. V, 273). 5. Die deutsche Besitznahme der Aitmarit und des Wendlandes. Das Gebiet, welches Karl der Grosse auf der linken Seite der Elbe unterhalb Magdeburg den Slawen überliess, umfasste die spätere Altmark und das sogenannte hannövrische Wendland. Die Abgrenzung desselben war im Süden Ohre, Drömling und Aller bis gegen Gifhorn, im Westen Lse, Ilmenau und die Brittlinger Marsch. Den haupt- sächlichsten, seit frühester Zeit wegsamen Eibübergang bei x\.rtlenl)urg, dem alten Erteneburg, hat Karl nie aus der Hand gegeben. Niirdlich dieser Grenze der Slawen bis zum Eiblaufe liegt ein Flachland mit wenigen niedrigen Sandrücken, welche, wie der Letz- linger und Klötzer Forst, die Bickelsteiner Haide, die Lucie und die Göhrde, bis zur Gegenwart zusammenhängende Waldgebiete bilden. Einzelne ausgedehntere Strecken gutes und trockenes Ackerland umgeben Stendal, Platlie, Salzwedel, Lüchow und Klentze, sonst hat es nur in zerstreuten kleinen Inseln den Wasseradern widerstanden, die es überall durchziehen. Die Elbe stösst auf ihrer linken Seite von Magdeburg bis nahe zur Havelmündung mit wenigen Unter- brechungen an ein, wenn auch nicht sehr hohes, doch völlig wasserfreies Ufer, dem oberhalb der Wische und Altenzaun nur an einzelnen Stellen wenig umfangreiche, der Ueberschwemmung ausgesetzte Niederungen vorliegen. Dagegen senkt sich von der Ohremündung aus das höhere Land nach dem Innern der Altmark zu und liegt um die Quell- zuflüsse der Tanger und Uechte so niedrig, dass von der Elbe her Hochwässer in die Wiesen und Bruchthäler dieser Wassorlliufe über die Niederungen zwischen Rogätz und Kehnert und nördlicher bei Hamerten, wenig unterhalb Tangermünde, einzutreten vermengen. Bei Rogätz bahnt sieh das Eibwasser durch den sogenannten Tressel, einen alten Eibarm, seinen Weg nach dem Grenz- und demWhidholm- graben, welche über Angern, Zibbrück, Wenddorf und Mehlwinkel zur Tanger nach Vaethen führen. Aus dem oberen Tangerthal aber 476 X. 5. Die deutsche Besitznahme verbreitet es sich weiter über Uecbtdorf und Mühlphal zum Doli bis Kleinschwarzlosen und fliesst dann in der Tanger über Hüselitz und Bellingen ab. Durch die Oeffnung zwischen Hamerten und Kalben unterhalb Tangermündc gelangt das Elbhocbwasser mit dem Küh- graben in die Stendaler Märsche, tritt in die Uechte ein, und erreicht über deren Auen bei Osterburg die Biese und bei Seehausen den Aland, der auch von Altenzaun und Werben her bei Hochwasser so mächtigen Zufluss erhält, dass er die gesammte Eibaue weithin bis zur Seege überschwemmt. ^A^eiter im Westen treten zwar keine fremden Wassermassen in das Land ein, und die sandigen Rücken zwischen Ohre, Ise, Jetzel und Ilmenau erreichen bis 80 m Seehöhe. Aber obwohl die Elbe bei Artlenburg kaum 6 m hoch liegt und die grade Entfernung nur 100 km beträgt, wird durch dies Gefälle doch nicht erreicht, das Innere des Landes von Wasser zu befreien. Bei starken Regenfällen werden die breiten Auen der Wasserläufe oft plötzlich unter Wasser gesetzt und den Wiesen verderblich. Wie der Drömling eine nahezu 4 D Meilen grosse, schwer zu entwässernde Moor- und Sumpffläche in 50 m See- höhe ist, liegen zwischen den sandigen Haiden auch kleinere Moore und Sümpfe in verschiedenen Höhenlagen muldenartig eingebettet, die zum Theil ausgedehnte Wasserbecken einschliessen, oder bis auf die neueren Entwässerungen eingeschlossen haben. Dahin gehören das grosse Westerbecker Moor, der Stöckener Teich bei Wittingen, der Langenbrücker und der Bodenteicher See und die Riede um Wustrow und zwischen Lüchow und Dannenberg. Andere an ver- schiedenen Nebenbächen sind kleiner. Im allgemeinen überwiegen Sand, Moor, Haideland und nasse Wiesen. Der gesammte Landstrich ist von überaus wechselnder BodenbeschafFenheit. Dieses etwa 120 d Meilen grosse Gebiet umfasst in Betreff seiner Bevölkerung und Besiedelungsart drei charakteristisch verschiedene Abschnitte. Der nördlichste und kleinste ist die sogenannte Wische, eine breite tiefgelegene, ohne Eindeichung völlig der Ueberschwem- mung ausgesetzte Eibaue. Ihre wasserfreie Grenze zieht sich weit vom Strome südlich fort. Altenzaun, Polknitz, Hindenburg, Walsleben, Dusedau und Osterburg liegen auf diesem Abhänge, weiter bezeichnen Krevese, Polkern, Losse und Lindenberg, Jeggel und Gallensdorf dessen Verlauf gegen das linke Ufer der Zehre. Von diesem etwa 8 □Meilen umfassenden Terrain ist bekannt, dass es vor 1148 tief versumpft war, und dass nur auf wenigen wasserfreien Punkten an Uebergängen, die in trockener Zeit gangbar wurden, Ortschaften, wie der Altmark und des Weudlandes. 477 Röbel, Werben, Wahrenberg, lagen. Im wesentlichen ist diese sogenannte ^^'^ische erst unter Albrecht dem Bären von Holländern und anderen niederrheinischen Zuwanderern eingedeicht und besiedelt worden. Ihre Anlagen sind durch die charakteristische Gestalt der Marsch- hufen 0. Bd. II, S. 343 (vgl. Anlage Vahr 8G und Neuengamme 118) deutlich erkennbar, und kommen erst für die spätere Kolonisation der Marken näher in Betracht. Die übrige Hauptfläche theilt sich in zwei ungefähr gleiche Theile, welche eine Linie von Gardelegen über Kalbe nach Arendsee scheidet. Oestlich derselben ist die gesammte Bevölkerung deutsch, und die Ortschaften sind Dörfer von dem völlig ausgeprägten Charakter der deutschen Strassendörfer in der Ebene zwischen Saale und Elbe (o. S. 471). Ihre Gehöfte bilden grosse in geschlossenen Rechtecken angelegte Dorfstrassen nach dem erweiterten Bilde der slawischen, und die Fluren sind in ausgedehnte regelmässige Gewanne getheilt. Westlich der grossen Scheidelinie setzen sich einzelne solche Anlagen zwar sporadisch fort, in der Hauptsache aber lässt hier die weit überwiegende Mehrzahl aller Ortschaften noch mit voller Deutlichkeit die ursprüngliche Form des charakteristisch wendischen Runddorfes erkennen, und auch die zugehörigen Feldiluren sind auf erheblich kleinere Flächen beschränkt, als dies im Osten der Füll ist. Vor allem ist hier die wendische Bevölkerung, welche diese Dörfer l)egründete, mit Sprache, Sitte und ausgeprägten Stammeseigenthüm- licbkeiten bis in unser Jahrhundert erhalten geblieben. Es lässt sich nun nicht bezweifeln, dass dieses gesammte Gebiet trotz der allmählich entstandenen Verschiedenheiten lange Zeit gleiche Schicksale getheilt hat. Noch im 4. Jahrhundert ist es von suevischen Warnen bewohnt gewesen und hat im 5. und G. Jahrhundert bis zum F*all des thü- ringischen Reiches unter thüringischer Herrschaft gestanden. Der Fortzug der Warnen und der Untergang der thüringischen Könige öffnete den Slawen den Zugang. Zur Karolingerzeit war dann das Land im wesentlichen bereits von Wenden besiedelt, unter denen Lipanen, Bodrizen und Linonen genannt werden. Ueber diese Besitz- nahme sind zwar keine bestimmte Nachrichten vorhanden. Der Landstrich, welchen Karl der Grosse den Polaben überliess, nachdem er daraus die Sachsen fortgeführt hatte, liegt, wie ausdrücklich be- kundet wird, rechts der Elbe und ist zwischen Boitzenburg und Dömitz zu suchen. Er berührte also das viel ausgedehntere Wend- land nur an einer kurzen Strecke. 478 X. 5. Die deutsche Besitznahme In die beiden Gebiete links der Elbe muss indess eine be- deutende Einwanderung der A\''enden schon vor Karl stattgefunden haben, denn die Annales Mcttenses sagen zum Jahre 749: Pippinus per Thuringiam in Saxoniam veniens fines Saxonum, quos Nordo- squavos vocant, cum valida manu intravit. Ibique duces gentis asperae Sclavorum in occursum ejus venerunt, auxilium illi contra Saxones ferre parati, pugnatores quasi centum millia. Karl selbst war 779 im Besitz des ganzen Landstriches und liess 780 in Rogätz, dem gegen- über er die Veste Burg erbaut zu haben scheint, grosse Volksmassen taufen. Unter ihnen waren viele Bardengauer und andere Xordleute, welche also von Rogätz nicht durch feindliches Gebiet geschieden sein konnten. Er stellte auch um diese Zeit die Gründung der späteren Bisthümer Halberstadt und Verden fest. Ersteres wurde 781 in Osterwiek eingerichtet und erst 814 nach Halberstadt verlegt. Für Verden soll ursprünglich Kohfelde im Amte Dambeck (1 M. S. v. Salz- wedel) als Sitz bestimmt gewesen sein, dann aber Bardowiek und erst um 808 das weit rückwärts an der Weser belegene Verden. Spä- testens 788 organisirte Karl die Sprengel und Gaue, setzte letzteren fränkische Grafen vor, und musste also auch die geistlichen und weltlichen Verwaltungsgebiete abgrenzen. Es lässt sich nicht anders denken, als dass aus dieser Zeit die Bestimmungen der Urkunde Ludwigs des Frommen von 814 herrühren: Halberstadensis episcopi parochia per patris nostri Caroli imperatoris Augusti statuta est his pagis Derlingowe et Nordthuringowe et Beiinesheim, Hertingowe etc. Es kommt dafür nicht darauf an, ob die Urkunde als unächt bean- standet werden kann. Sie enthält jedenfalls die früheste Angabe, dass das sogenannte Belxemer oder Balsamer Land zum Sprengel von Halberstadt, zu dem es dauernd gehörte, gezogen gewesen sei. Die Abgrenzung wird dadurch glaubhaft in die Zeit des Besitzes Karls des Grossen hinaufgerückt, und damit crklih't sich auch der Name als der eines damals gegründeten, bald darauf verschwundenen Gaues. Die Grenze des Halberstädter Sprengeis gegen den Verdener zog sich die Ocker hinab über Braunschweig, erreichte etwa von Schnülper aus die Aller bei der Isemündung, und folgte der Ise bis zu ihrer Quelle im Isunna palus, dem späteren Stöckener Teich. Aus diesem entspringt auch die Ohre, welche die Spreugelgrenze bis Rosförde bildete. Letztere folgte von der Ocker und Ise bis zum Drömling der Grenze des Der- lingaus, mit Königslutter und Helmstedt, und vom Drömling an längs der Ohre der des Nordthüringaus. Von Rosförde ab aber wendete sich die Sprengelgrenze nördlich des Nordthüringaus und jenseits der der Altmark und des Wendlandes. 479 Ohre zur Biese und liielt diesen Flusslauf bis zum Aland, und den Aland weiter bis zur Mündung in die Elbe inne. Der Abschnitt westlich dieser Grenze von der Ohre zur Elbe und nördlich bis zur Wische gehörte also dem Bisthume Halberstadt zu, und umfasste das für das Verständniss der Geschichte der Altmark wichtige Beiinesheim. Eine Ableitung dieses Namens von slawisch bei, bielo, weiss, ist ebenso zu verwerfen, wie die Umdeutung Borchgreve's in Belgis- heim. Das Wort lautet urkundlich 814 Beiinesheim, 932 Belxa, 982 Belisam, 1006 Belisem, 1013 Belxishem, 1022 Belshem (Riedel, Mark Brandenburg um 1250, S. 10, 13, 14, 16, 18), später wird daraus die terra Balsamorum des Helmold (I, 88). Die jüngeren Umlautungen haben keine Bedeutung. Das Stammwort Beiinesheim lässt sich ungezwungen nur auf einen Namen Belino und dessen Gut oder ^^'()lmsitz Beiinesheim zurückführen. Wenn daraus Belxa oder Belxisheim wird, so würde das Auftreten eines Gaumlautes in dem x der Ausgestaltung des alten Ortsnamens in Beliningeheim (Belinghem) entsprechen, also dem Sitz der Familie des Belino. Dies wäre die gewöhnliche und weit verbreitete Form der Benennung fränkischer Dörfer, wie o. Bd. I, S. 545 gezeigt ist. Dazu darf der Ort Bellingen (Vä M. S. Stendal) (s. Anlage 134) gestellt werden, welcher ursprüng- licli Bellinghem oder Bellingeheim, Bellingenheim gelautet haben muss, und der auf dem engen Durchgangspunkte zwischen Tanger und Uechte nach Norden für den Sitz eines Grafen oder Machthabers in der terra Balsamorum sehr gut gelegen ist. Die Benennung eines fremden Landstrichs vom Hauptort der eingerichteten Verwaltung ist nicht selten. Dass der Name und die Bezeichnung als Gau noch in alle späteren Bestätigungen des Bisthums übergegangen ist, obwohl das Land wieder der Herrschaft der Slawen verfiel, ist erklärlich, die Kirche gab ihre Sprengelansprüche nicht mehr auf. Karl selbst aber hätte 805 den Landstrich nördlich der Ohre und des Drömlings sicher nicht durch den Limeszug von dem Verbände des deutschen Reiches ausgeschlossen, wenn er nicht von Slawen bewohnt gewesen wäre, und der Kaiser deshalb nicht die deutsche Verwaltung als luitzlos und unhaltbar erachtet hätte. Unbestreitbar ist überdies, dass, so lange die Sachsen das Polabengebiet inne hatten, das Eindringen der Slawen in das heutige Wendland bis Wittingen, Isenhagen, Brohme und Calvörde und die dichte und dauernde Besiedelung dieser Land- schaften unmöglich durchführbar werden konnte, wenn das linke Eibufer bis zur Biese in den Händen einer angesessenen deutschen 480 ^- 5- l^iß dentsclie Besitznahme Bevölkerung gewesen wäre, so dass die Zuwanderer keine Verbindung mit den rcchtselbischen Slawen der Havelgegenden gehallt hätten. Die slawische Herrschaft über dies^es von Karl derselben ausser- halb des Limes freigegebene Gebiet kann indess nicht länger als ein Jahrhundert nach ihm im Belxemlande bestanden haben. Schon um 900 muss die Sonderung in einen westlichen slawischen und einen östlichen deutschen Landstrich und damit der Gegensatz des Verdenschcn und des Halberstädtischen Sprengeis in diesen Gebieten eingeleitet worden sein. Durch mehr als 3 Jahrhunderte sind ihre Zustände ganz verschieden. An der Grenze des Wendlandes, im Bardengau, hatte noch unter Karl dem Grossen Egbert, der erste Ludolfinger, welcher auch Hoh- bucki und die Grenze gegen Wagrien befestigte, den Befehl. Hoh- bucki wurde zwar 810 von den Lutizern überfallen, aber 812 ge- stattete Ludwig den Sachsen, in das rechtselbische Gebiet zurück- zukehren, welches die Polaben wieder räumen mussten. Der Feldzug von 889 richtete sich gegen die Glinjaner in Lauenburg und Mecklen- burg. Ein späterer gegen den Obotritenfürsten Gotzomisl, nach der Unterwerfung der Stellinga, führte den König 844 bis an die Ostsee- küste. Die damals über das Wendland bestehende deutsche Herr- schaft lässt sich also nicht bezweifeln. Sie fiel 852 dem zum Herzoge ernannten Sohne Egberts Ludolf zu, welcher 858 und 862 eljenfalls der Unterstützung kaiserlicher Heere bedurfte. Aber auch diese Kriegszüge galten, wie die Bruno's und Hcinrich's I., immer ausdrücklich dem Obotritenkönige Dabomisl, oder den Hevellern und Marcianern, oder sogar den Daleminziern oberhalb Magdeburg. Es ist nicht wohl möglich, dass die Wenden links der Elbe im Auf- stande gewesen sein sollten, wenn beträchtliche deutsche Heere aus dem Innern Sachsens die rechts- und oberelbischen Slawengebiete mit Krieg überzogen. Kämpfe im Wendlande, an der Lüneburgischen und Hildes- heimischen Grenze, werden erst bekannt, nachdem Otto I. an Her- mann Billung die Verwaltung Sachsens übertragen hatte, und dessen eigener Nefie Wichmann, den er als Empörer vertrieben hatte, seit 955 die Slawen aufwiegelte und gegen die Sachsen führte. Hermann schlug zwar sowohl die Obotriten, wie die Wagrier und Eedarier, welche mit den lipanischen Wenden verbündet waren, aber die Un- ruhen setzten sich dauernd, und zwar wesentlich gegen die Grenze an der Ilmenau fort. Die Söhne Hermanns, welche ihre Besitzungen in die drei von ihnen begründeten Herrschaften Ameliughausen, der Altiuark und des Wendlandes. 481 W'ichmannsburg und Herrmannsburg theilten, sahen sich genöthigt, längs der Ilmenau feste Stützpunkte in Horeborg (Drechslerburg), Bardowiek, Lüneburg, Biangiburiborg (Bienenbüttel), Wichmanns- burg, Bevensen, Budinsolo (Boldessen), Vorembecke (bei Stedcrdorf) und Bodendiek (Bodenteich) herzustellen. Jastorf und Stederdorf auf dem rechten Ufer waren durch Verschanzungen gedeckt, Wich- mannsburg lag auf einer Insel. Hinter dieser Hauptlinie bildeten rückwärts Wrestedt, Holdenstedt und Suderburg eine zweite Linie (v. Hammerstein-Loxten, der Bardengau, 1869, S. 33). Bei dieser Sachlage kann nicht überraschen, dass bereits 972 eine kleine Zahl Orte mit meist deutschen Xamen in deutschem Be- sitz ausserhalb der deutschen Linie genannt wird. Schon 786 kommt Ohrdorf (1 M. SO. v. "Wittingen) als Ordorp vor, ebenso Roxförde (1 M. ONO. V. Calvörde). 965 wird das Kloster Oldenstadt gegründet, 972 aber werden genannt Kettelsdorf (IV^ M. OON. v. Bevensen) als Caselendorf; Wesse (1 M. OSO. v. Bevensen) als Vuestide; Masendorf (Vi M. NO. V. Oldenstadt), Ripdorf (N. bei Oldenstadt); Ostedt (iVi M. N. V. Bodenteich) als Gustide, Suhlendorf (iVg M. NNO. v. Bodenteich) als Ziulendorf. Sie haben sämmtlich die Gestalt des slawischen Runddorfes, liegen auch nicht tief im Innern und können alle schon in der ruhigen Zeit vor Billung in deutschen Besitz gekommen sein. Dass sie darin auch später geblieben sein sollten, ist nur bei den den Billung'schen Burgen nächstbelegenen anzunehmen. Ihre bis heut bestehende Form beweist, dass sie einer Umwandlung durch diese Besitznalime nicht unterlegen haben. Allerdings kommen im Innern des Wendlandes auch Strassen- förmige ^), möglicherweise deutsche Anlagen mit zum Theil deutschen Namen vor. Aber abgesehen davon, dass die Strassenform den slawischen Ursprung, wie Bd. I, S. 52 gezeigt ist, keineswegs aus- schliesst, und dass in Volzendorf, Lüssen und Gr.-Breese das Rund- dorf nur durch eine Strassenfortsetzung erweitert erscheint, gehören die ältesten urkundlichen Erwähnungen solcher strassenförmiger Dörfer sämmtlich erst dem 13. .Jahrhundert an^). Das Eindringen deutscher ') Z. B. Lübbow (1 M. SSW. r. Wnstrow), Volzendorf (l M. OSO. ebd.), Lichten- berg (1 M. SO. V Lüchow^ Lüssen C'/j M. NW. ebd.), Gr.-Breese (iVu M. 0. ebd.), Nehmitz (2 M. 0. ebd.), Laasche (',2 M. NW. v. Gartow), Pevesdorf (1 M. N. ebd.). ^ Z. B. Mahnburg (','2 M. S. v. Wittingen) wird 1246 als Modenberg genannt, Suttorf (1V4M. ONO. V. Oldenstadt) nach 1400 als Suttorpe; Schliekau (1 M. 0. ebd.) 1289 als Slikowe; Molzen (1 M. N. ebd.) 1289 als Multzau; der Flecken Clentze 1289 als Poklenze; Riefen [\ M. NNW. v. Clentze) 1289 als Kleve; Bergen (l M. S. ebd.) Meitzen, Siedeltmg etc. IL 31 482 ^- 5- ■Diö deutsche Besitznahme Dörfer in das Wendland scheint also von der Ilmenau her seit 955 bis in das 13. Jahrhundert nicht weiter stattgefunden zu haben. Darauf deuten auch die bekannt gewordenen geschichtlichen Vorgänge. Bernhard IL und der III. hatten selten unterbrochene Kämpfe mit den Slawen. Das sächsische Binnenland gegen Gifhorn hin war durch die Slawcneinfälle so bedroht, dass Bischof Bernhard von Hildes- heim auf Anregung des Kaisers 1013 die feste Mundborg (anscheinend Minden) am Einfluss der Ocker in die Aller errichtete, und noch weiter nordöstlich an der Ise eine starke Burg zu Wahrenholz (Wyl- winholt) baute, ubi latissima illorum (Slavorum) statio fuerat, liber quoque latrocinii cursus. Als Grund bemerkt die vita Bernwardi (Leib- nitz, Scr. Brunsw. I, 444) : cum ejusmodi irruptiones sedari nullo modo possent, quippe cum barbari, qui utrumque litus Albiae et navcs omnes sua ditione tenebant, navali evectione per omniam Saxoniam facillime se infunderunt. Auch Ordulf hatte mit den Slawen zu kämpfen, und diese Zustände scheinen während der Sachsenkriege der fränkischen Kaiser bis auf Heinrich den Löwen fortgedauert zu haben. Unter diesem trat dagegen im Wendlande dauernde Ruhe ein, und es werden dort sowohl landesherrliche Vögte als verschiedene Grafen bekannt. Die Grafen von Lüchow, welche 1144 erscheinen, gehören wahrscheinlich dem Geschlecht der früher in der Branden- burgischen Altmark weit begüterten Grafen von Wartberg oder Warpke an. Es bestand, wie es scheint schon seit 1022, ein Gau Osterwalde mit dem Grafensitz zu Osterwohl (1 M. 0. v. Salzwedel). Zu ihm gehörte 1112 noch Schäpingen, 1161 Warpke und Wustrow, und er blieb bei Brandenburg bis 1398 die Lüneburgischen Herzöge Bernhard und Heinrich den schmalen Landstrich längs der späteren Lüneburger Grenze den damaligen Besitzern der j\Iark, Jodokus und Procop von Mähren, zugleich mit Gartow und Schnackenburg, abgewannen. (Grupen, Orig. Hannov. S. 107, 116). 1158 wird ein Graf Volrad von Dannenberg genannt, und die Grafen von Lüchow und von Dannenberg huldigen 1182 als nobiliores terrae dem Herzoge von Sachsen zu Erteneburg (Arnoldi, Chron. Slavor. lib. III, c. 1). Bis in das 12. Jahrhundert geht auch eine noch gegenwärtig bestehende Organisation nach Landschaften oder Gauen zurück, welche das gesammte Braunschweigisch- Lüneburgische Wendland umfasst. Es werden sechs solche Landesabschnitte unterschieden: 1203; Jeetzel ('A M. S.V.Lüchow) 1244 als Jezele. Das strassenförmige Dorf Grün- hagen rechts der Ilmenau C^/g M. N. v. BiencnbUttel) wird sogar 1324 ausdrücklich als Olim Villa Slavica Boyteldorp bezeichnet. (Vgi. Riedel, Cod. dipl. Brandcnb. Register.) der Altmark und des Wendlandes. 483 1. Drawehu (Drawän), der in Ober- und Unter-Drawehn zerfällt. Zu ihm gehört die ganze Hausvogtei des Amtes Lüchow, die frühere Vogtei Kiefen und ein Theil der ehemaligen Hausvogtei Wustrow. 2. Gain umfasst die Dörfer des Kirchspiels Bülitz, die um den herrschaftlichen Forst Gain liegen: Bülitz, Besem, Kussebode, Gisten- beck, Luckau, Räuden. 3. Gering, oder Xöring, wird von den Dörfern Teplingen, Lübbow, Dangensdorf, Rebensdorf, Bösel, Reddebeitz, Woltersdorf, Lichtenberg und Thurau gebildet. 4. Lemgau (Lennegau, Linegow, Lemgow) umfasst das Kirch- spiel Predoehl. 5. Bröcking enthält Weitsche, Rehbeck, Serau, Künsche, Saasse (der Lage nach auch Tarmitz, Kolborn, Loge, Runzau und Krantze). (3. In den Haiden bilden Dünsche, Pannecke, Liepe, Kl.-Breese, Lanze, Lomitz, Prezelle, Gr.-Breese, Tobringen, Vasenthien, Trebel, Klautze, Marieben und Metschow. Diese alte Eintheilung hat sieh bis heut in den Tuchten (Zügen) für die Besserung der Wege und Brücken erhalten. Indess nennt man die Bezirke jetzt die Drawehn'sche, Satemin'sche, Bulitzer, Oering'sche, Lennegau'sche, Bröcking' sehe, Köhlen'sche, Zebelin'sche und Zetzer Tucht. Vor der völligen Unterwerfung des Landes und der Einrichtung einer festen und wirksamen Verwaltungsorganisation lässt sich die Durchführung der deutschen Hufenverfassung, die über alle Ort- schaften des Wendlandes ausgedehnt worden ist, nicht denken. Letztere wird deshalb mit Recht der Thätigkeit der sächsischen Vögte und Grafen seit der Regierung Heinrichs des Löwen, vielleicht schon Heinrichs des Stolzen zugeschrieben. Urkundliche Erwähnungen sind jedoch über diesen Vorgang fast gar nicht vorhanden. Als 1142 das 965 gegründete Nonnenkloster Oldenstedt (Alt- Uelzen) in ein Benedictiner- Frauenkloster umgewandelt Avurde, ge- schah dies ausdrücklich mit der Aufgabe, im Wendlande zu koloni- siren. Anscheinend lässt sich auch das in Riedel (Cod. dipl. Brandbg. I, S. 161) mitgetheilte Rescript von 1235 an die Slawen in Kühstorf, Mahnburg und Hanlage (Hanum) bei ^^'ittingen, in dem sie mit Vertreibung bedroht werden, wenn sie nicht Christen werden wollen, auf bereits festgestellten und zugesicherten Besitz deuten, da diese Drohung eine besondere Berechtigung voraussetzt. Der nach Form und Namen ohne Zweifel deutsch angelegte Flecken Bergen wird 1203 erwähnt. 31* 484 X« 5' ^16 deutsche Besitznahme Jedenfalls kann man nur annehmen, dass die gesammte Regu- lirnng, deren Benennung als Besetinge (Locatio) sich im Volksmunde erhalten hat, in verhältnissmässig kurzer Zeit und noch unter den Augen Heinrichs des Löwen (1139 — 1190), der der Kolonisation höchst erfolgreiche Thätigkeit widmete, nach einheitlichem Plane und im Zusammenhang zur Durchführung gebracht worden ist^). Denn die Gewanneintheilung ist im ganzen Lande gleichmässig einge- richtet, gleichwohl blieben die alten slawischen Dorf beringe überall er- halten, auch sind die Grenzen der Fluren anscheinend völlig unverändert, neue Dörfer aber wurden sehr wenige, und auch diese vielleicht erst spät auf Rodungen oder Oeden gegründet. Es ist also jede schwierige Weiterung möglichst vermieden und offenbar nur der Hauptzweck konsequent verfolgt worden, durch die Hufeneintheilung und die dem Maass und der Bewirthschaftung derselben entsprechenden gleichen, fest bemessenen Zinsen die Verwerthung des Bodens zu erhöhen und zu sichern, und zugleich die Bevölkerung wirthschaftlich zu schonen und zu heben. Es scheint sogar, als sei der alte Besitzstand des einzelnen slawischen Landbauers nicht unberücksichtigt geblieben, weil sich die Antheile von Einhüfenern, Zweihüfenern und auch Hufen- gütern mit Bruch theilen von Hufen in solcher Weise in allen Gewannen der Flur zusammenliegend vorfinden, dass die Zuweisung schon bei der ersten Vertheilung erfolgt sein muss (vergl. Haide, Anlage 136). Beispiele dieser Flureintheilungen, wie sie bis zu den Separationen der Gegenwart bestanden haben, geben die dem alten Besitzstande vor der Separation entnommenen Karten von Haide, Diahren und Reddebeitz (Anlage 137 und 138). Die Dorfanlagen der Wenden sind nur klein. Im Kreise Lüchow finden sich unter seinen 181 Dörfern nur 4 mit 400 und mehr Hektar Aeckern, nur 23 haben 200 bis 400, 92 100 bis 200 und 62 weniger als ') Die Kämpfe gegen die Christianisirung un^ für die Fortdauer heidnischer Gebräuche dauerten noch sehr lange. Aus 1328 ist eine scharfe Verordnung Herzog Otto's des Strengen gegen die Unthaten im sogenannten Jammerbrook bei Grabau im Drawehn bekannt, wo die alten Eltern nach Ehrenschmäusen erschlagen worden sein sollen (Rethmeier, Braunschweigisch- Lüneburgische Chronik S. 515. — Koch, Geschichte des Hauses Braunschweig-Lüneburg S. 228. — Cranz, Vandalia Bd. VH, c. 48. — S. Hossmann, Regestensaal S. 673). Wenn also 1333 das Kloster Altmedingen wegen Belästigungen durch die Slawen vom rechten Ufer der Ilmenau auf das linke nach Medingcn verlegt wurde, so ist dies mit der jedenfalls längst abgeschlossenen Ein- führung der Hufeneintheilung und der gemessenen Hufenzinsen nicht in Verbindung zu bringen, welcher die Bevölkerung schwerlich ernstlich widerstrebt hat (vgl. o. Bd. U, S. 474). der Altniark und des "Wendlandes. 485 100 ha. Verschiedener ist die Zahl der Stellen. In 28 Dörfern bestehen weniger als 10, in 52 10 bis 20 Wohnhänser, in 15 mehr als 50. Das Haus der Lüneburger Wenden ist, wie Anlage 94, Fig. XXXVIIIa, b abbildet, aus dem sächsischen mit der geringen aber charakteristischen Aenderung hervorgegangen, dass eine Ecke zu einem kleinen Vorplatz abgeschnitten bleibt. Fig. 89 giebt das Bild eines der kleinen Runddörfer von 10 Stellen. Da der innere Kreis der Runddörfer nicht erweitert werden kann, im Wendland aber Sitte ist, die Hauptfronten der Häuser mit den grossen auf die Diele führenden Thoren stets an den Dorfplatz an- Fig. 89. Runddorf im Wendlande. stossen zu lassen, und keine Anbaue unmittelbar an den Dorfbering anzuschliesscn, sind hier nicht selten nähere oder entferntere Tochter- dörfer entstanden. Für manche hat man die Flur getheilt, und auch verschiedene Namen (z. B. Schreijahn und Lensian bei Lüchow) an- genommen. Manclie sind bei gleichem Namen durch Gross- und Klein- unterschieden. Bei Gross- und Klein -Sachau mit 22 und 12 Wohnhäusern sind zwar die Dorf beringe getrennt, die Grundstücke der Flur aber lagen bis zur Separation im Gemenge. Gross -Trebel mit 30 und Klein- Trebel mit 12 Wohnhäusern liegen noch jetzt in derselben Flur, ebenso Neritz mit 16 und Kiennow mit 30 Häusern 486 ^' 5- I^iö deutsche Besitznahme auf zusammen nur 188 ha Acker und 160 ha Nebenland. Andrerseits bilden die beiden völlig getrennten Gemeinden Tüschau und Saggrian nur eine einzige Runddorfanlage. Dabei hat Tüschau, der eine Halb- kreis, 15 Wohnhäuser mit 214 ha Gemarkungsfläche, Saggrian, der andere, 10 Wohnhäuser mit 166 ha Flur. In Betreff des Grundbesitzes ist in der Regel lediglich von Hufen die Rede. Das Landschatzregistcr von 1450 (im Archive der Stadt Lüneburg, vergl. v. Hammerstein -Loxten, der Bardengau S. 276) unterscheidet indess in der Gegend von Bevensen die deutschen Dörfer nach mansis, die villae slavicae nach uncis. Auch sagt eine Urkunde Herzog Otto's und der Herzogin Mechtild vom 6. Januar 1293 über den Verkauf der Münze ^): Summa pecuniae hec est, pro qua vendidimus mouetam sepedictam: de una quaque domo, de qua exit aratrum, VI solidos denariorum Hamburgensium, et in solidos ejusdem monete de unaquaque domo, de qua exit hako, a.3cepimus per terminos memoratos. Es zeigt sich daraus, was das Landschatzregister bestätigt, dass hier die wendische Hakenhufe nur halb so leistungsfähig gerechnet wurde, als die deutsche mit dem Pfluge bewirthschaftete Hufe. Daraus folgt indess nicht auch das halbe Maass, sondern nach Cod. dipl. Siles. IV, 58 anscheinend V3 des deutschen. Die Flächengrössen der deutschen Hufe aber sind zwischen den ein- zelnen Dörfern sehr verschieden und in gleicher Weise auch die des wendischen Hakens. Eine genauere Feststellung hat ergeben^), dass die Vollhüfner in Saideratzen je 47 Kaienberg. Morgen (oder 12,31ha), in Prisek 58, in Satemin 62, in Witzetze (Drawehn) 63, Kl.-Gaddau 64, Mammoissel 68, Zargleben 69, Cremlin 70, und so in steigenden Grössen bis in Diahren je 296, Schletau 306, Bösen 366, Vaddensen sogar je 435 Kai. Morgen besassen. Diese Flächen sind aber in der Mehrzahl nur durch die Haide-, Wild- und Waldländereien erreicht, welche den einzelnen Besitzern nach und nach aus den Gemeinheiten durch Theilung oder Abfindung zugefallen waren. Im allgemeinen rechnete man den gewöhnlichen Hof im Amte Bleckede nach Ver- zeichnissen von 1693/94 zu etwa 54 Himten Einfall (v. Hammerstein a. a. 0. S. 627). Da im Lüneburgischen ungefähr 2 Himten Einfall auf den Morgen üblich waren, würde dies für die Hufe mit ihrem Nebenlande 30 Morgen Kalenbg. ergeben. Diese 30 Morgen sind, wie die Urkunden über Witmer (Anlage 19, Bd. III, S. 69) nachweisen bereits 1381 in Braunschweig-Lüueburg als Hufenmaass im Gebrauch ') Sudendorf, Urkundenbuch von Braunschweig-Lüneburg I, S. 75. *) Das hannövrische Wendland, Festschrift 1862. der Altmark und des Wendlandes. 487 gewesen. ludess waren sie nur ein Landmessermaass. Es stand ihnen in älterer Zeit die Kalenbergische Hufe zu 180 Kalenb. Morgen gegenüber, und die (irtliche Zinshufe war als aliquoter Theil der vorhandenen Gemarkung von Dorf zu Dorf verschieden. Immerhin wäre auffallend, dass schon im 13. Jahrhundert das thatsächlichc Hufenmaass, welchem der Gedanke einer Wirthschaft, die eine Bauernfamilie ernähren kann, zu Grunde lag, so klein gegriffen worden sein sollte, dass die deutsche Hufe nur zu 30, der wendische Haken nur zu 20 Kalenberger Morgen, also erstere nur zu 7,85, letztere zu 5,23 ha ausgelegt worden wären. Es ist nicht unwahrschein- lich, dass beide ursprünglich nach der doppelten Grösse, die mit dem allgemeinen deutschen Hufenmaasse übereinstimmt, zugemessen wurden, später aber, nach der Verbreitung des kleinen Braunschweigisch- Lüneburgischen Landmaasses von 30 Morgen, die Zahl der Hufen und Haken in den Registern überall doppelt angesetzt worden ist, wie sich dies in Anlage 6, 7, 10, 15 u. a. gezeigt hat. Jedenfalls spricht sich auch hier die geringere Schätzung der Arbeits- und Zinsungsfähigkeit des wendischen Hakenbauers gegen die des deutschen Pflugbauern aus, und es geht aus diesem Gegen- satze* hervor, dass deutsche und wendische Bauern nicht in derselben Flur wohnten. Dies muss bei der geringen Zahl der Deutschen wesent- lich zur Erhaltung der wendischen Sprache und Sitte beigetragen haben. l^i^ .; ; ,j,, / Mit der Hufeneihtheilung hatten die Wendendörfer, wie es scheint, ursprünglich ebenso Erbscholzen erhalten, wie die deutschen. Auch werden hier und da, z. B. in Glasebeck, Gabel, Gistenbeck je 2, in Satemin sogar 3 Erbscholzen gefunden. In anderen Dörfern dagegen bestanden vielleicht schon früh Setzscholzen , und es gab besondere Grundstücke, Güsteneiz genannt, welche der jedesmalige Setzscholz als Vergütigung zur Nutzung erhielt. Dieser Name deutet auf Gastbewirthung. Das meist nur wenige Morgen grosse Grund- stück sollte möglicherweise für den Unterhalt des Vogtes am Gerichts- tage entschädigen. Freihufen und Erbschmieden nach deutscher Sitte kommen in vielen Wendendörfern, wie Trebel, Simander, Waddewitz, Witfeitzen, Trabuhn, Licpa u. a. vor. Ueber die wendischen Feldbezeichnungen sind in den Anlagen 136 bis 138 Mittheilungen gemacht. '3' Hl Eigenthümlich i.'^t, dass die Dorf beringe der Wenden, wie die mitge- theilten Karten bestätigen, in der Regel nicht in der Mitte der Aecker, sondern meist an deren Seite, oft in einer entfernten Ecke der Flur 488 X. 5. Die deutsche Besitznahme liegen. Dafür lässt sich der Wunsch, dem Wasser nahe zu sein, olme es überschreiten zu müssen, anführen. Vor allem wird indess daran zu denken sein, dass die Dorflagen, die noch heut ganz von hohen Bäumen umgeben sind, nach wendischer Sitte Sicherung durch ein waldartiges Versteck suchten, und für das nöthige dicht wachsende Ober- und Unterholz in feuchter Lage der beste Standort war. Ueber- dies waren für die Aecker oft nur wenige trockene Feldlagen verfügbar. Beachtenswerth bleibt gleichwohl diese Art der Anlage, weil sie schon für die erste Zeit der Besitznahme eine eigenartige Abgrenzung der Dorfgemarkungen voraussetzt. Es zeigt sich auch, dass die Ortschaften schon ursprünglich in eng geschlossenen Gruppen untereinander grenz- ten, Waldungen und Haiden deshalb nur wenigen von ihnen leicht zu- gänglich waren. Jetzt gehören zu dem einzelnen Dorfe häufig entfernte Haide- und Bruchländereien , sowie Waldungen untergeordneter Art. In wie weit aber in der Zeit der Selbständigkeit des Volkes ab- gegrenzte oder gemeinsame Nutzungen der grossen Wälder und Oeden in der Lucie, der Tannen- und Prezeller Haide, der Göhrde und in den beiden Drawehnen bestanden, ist leider nicht mehr zu erkennen, weil das unbesetzte Land schon sehr früh von den deutschen Fürsten in Beschlag genommen und immer wieder als landesherrlich behaixlelt worden ist. — Wenn sich für das Wendland aus diesen historischen Vorgängen und dem thatsächlichen Zustande seines Agrarwesens ergiebt, dass die deutsche Besitznahme und die endliche Ueberführung in deutsche Agrarverfassung für sein Gebiet erst um die Mitte des 12. Jahrhunderts geschehen sein kann, gilt diese langsame Entwickelung doch keinesweges auch für den Osten des Landes, für die Altmark. Hier muss wenigstens zum erheblichen Theile die Germanisirung schon viel früher erfolgt sein. Es ist jedoch ausgeschlossen, dass diese Be- siedelung irgend welche Reste einer früheren deutschen aus der Warnen- oder Thüringerzeit enthalte. Die regelmässige strassenförmige Gestalt der Dorflagen und die vielfach noch slawischen oder doch nur verdeutschten Namen gestatten eine solche Annahme nicht. Vielmehr muss, trotz des Verschwindens aller slawischen Rund- dörfer und überhaupt aller alten kleinen Dorfgemarkungen , daran festgehalten werden, dass eine slawische Besiedelung auch hier be- standen hat, aber durch eine allgemeine, sehr energische deutsche Kolonisation beseitigt worden ist. Das typische Beispiel dieser deutschen Dorffluren giebt Messdorf (1 M. N. V. Bismark) (Anlage 13d). der Altmark und des Wendlandes. 489 Die Dorflage ist ersichtlich nicht die des volksthümlichcn deut- schen Haufendorfes, sondern ein deutliciies Strassendorf, entweder ein erweiterter Rest aus slawischer Zeit oder eine Nachahmung der slawischen Bauweise (o. Bd. II, S. 471). Die Feldflur aber ist in sehr regelmässige Gewanne aufgetheilt. Sie umfasste 24 Hufen, deren Antheile sich in jedem Gewanne vorfinden. Die Almende war sehr gross, wurde noch durch Ankauf alter Burgländereien vergrössert und ist, soweit sie nicht bis gegenwärtig Gemeinland geblieben, theils an Kötter, theils an Bauern veräussert, deren altes Hufschlagland sich unterscheiden lässt. Die Gewanne sind, wie die Lage der Ilufen- antheile in ihnen zeigt, jedes einzeln für sich unter die 24 Hufen verloost. Die meisten sind verhältnissmässig sehr gross angelegt. In Gewann 1 hat jede Hufe TVd, in Gewann 2 sogar 9V2 Morgen rhl. erhalten. Damit stimmt Dorf- und Feldlage von Bellingen (Anl. i55) im wesentlichen überein, nur dass hier mit Ausnahme weniger "Weiden das gesammte Land in mittelgrosse, sehr regelmässige Ge- wanne vertheilt ist. Diesen Formen, die, wie sich zeigt, mit Wachau, Taucha und Zeschwitz (Anlage 129, 133, 134) übereinstimmen, gehören sämmthche Dörfer der Altmark an, von der Ohre bis zum Rande der Wische- niederung, und von der Elbe bis zu der gedachten Linie Gardclegen- Klötze-Arendsee. Manche dieser Orte werden allerdings sehr früh genannt'). Schon vor der Eroberung des Havellandes und Brandenburgs war Heinrich I. im Besitz von Wal.sleben an der Uechte (1 ^I. SO. v. Osterburg), welches er zu einem stark befestigten Flecken ausbaute, der indess bereits 929 gleichzeitig mit Brandenburg von Redariern, welche über die Elbe hereinbrachen, erobert wurde '^). Auch wurden schon 927 5 Hufen Land in Mose (V2 M. NNW.v.Wolmirstedt) verliehen. Mose, das sich dabei als 40 Hufen gross erweist, war anscheinend der Hauptort des späteren Gaus Moside. 937 werden Zielitz in der Nähe von Mose, sowie Zubrik und Cobbil 2, Schwarzlosen und Schleuss (Slautitz) 3 Meilen nördlicher genannt, ebenso 946 Räbel gegenüber Havelberg und zugleich vier benachbarte Dörfer mit deut- schen Namen Minteshusini, Hagerstedi, Herthuni und Ajestoum, in ') Die angebliche Erwähnung von Arendsee in den fränkischen Annalen 822 sagt indess nur: in quodam deserto loco juxta lacum, qui dicitur Arnseo, terra intumuit. *) Der ausdrücklich bezeugte üebergang der Redarier über die YAhe, und die Rache Heinrichs bei Lenzen schliessen unbedingt ans, dass Walsleben bei Ruppin gelegen habe (v. Wcrsebe, Nicderl. Colon. S. 458}. 490 X. 5. Die deutsche Besitznahme denen ausdrücklich 30 Hufen erwähnt werden. 950 wird das Kloster Hillersleben an der Ohre gegründet. Unter Otto II. erscheint 977 Arneburg. Diese Angaben sind dürftig^). Leider ist das von Falke ver- öffentlichte Registrum Sarachonis, wie P. Wigand nachgewiesen hat, namentlich in Bezug auf das Alter der Angaben, eine Fälschung^). Aber auch das von Wigand herausgegebene Verzeichniss der Corvei'- ßchen Traditionen von 1479 giebt nur ausnahmsweise Anhaltspunkte für Zeit und Oertlichkeit der Verleihungen. Selbst wenn angenommen wird, dass die Traditio des § 52: tradidit Jerberth pro sc et matre sua I familiam, X jugera et IV jugera in Messinthorpe, wie es wahr- scheinlich ist, das erwähnte Messdorf (Anlage 139) betrifft, und schon einer Schenkung der Ottonen angehört, bleibt zweifelhaft, ob es sich nicht um eine mit thorp als Ortschaft bezeichnete Slawenansiedelung handelt, wie sie in Obersachsen (o. Bd. 11, S. 438) häufig vorkommen. Ein starker Bestand slawischer Volkstheile ist nothwendig an- zunehmen. Neben den von Otto I. 937 verliehenen Dörfern Zubaro (Zübrick) und Zilici werden noch Pelunsi, Dudizi und Welbuchi ge- nannt, welche sämmtlich verschwunden sind. Dies deutet auf das frühere Vorhandensein zahlreicherer kleiner slawischer Dörfer hin. Es ist nicht unmöglich, dass die deutsche Bevölkerung wenig über die festen Plätze hinaus verbreitet war, jedoch dürften zu deren Ver- theidigung auch hier, wie in Obersachsen (o. Bd. II, S. 434), sächsische milites agrarii der Ottonen, datis armis et agris, einige benachbarte Dorfschaften inne gehabt hal)en. Indess lässt sich nur durch die Annahme einer hinreichend aus- gedehnten und begründeten deutschen Herrschaft längs des linken Eibufers erklären, dass Brandenburg 940 wieder erobert wurde und schon 946 und 949 die Bisthümer Havelberg und Brandenburg ge- stiftet werden konnten, ebenso dass bereits 940 Gero als dux et marchio eines allerdings nicht näher feststehenden INfarkgebietes ein- gesetzt wurde, von welchem aus er die deutsche Herrschaft bis zur Oder und 963 die Oberhoheit über Polen jenseits der Oder zu er- kämpfen vermochte. Damals schon wurde nördlich der Ohre ein ') Diese und alle nachfolgend gemachten Jahresangaben sind, soweit nicht andere Quellen ausdrücklich angeführt sind, sämmtlich A. F. Riedel, Die Mark Brandenburg um 12.50, I u. II (Bcrl. 1831) und dessen Cod. dipl. Brandenburgensis, vergl. das von Hefiter bearbeitete chronologische Register und Namensverzeichniss, 3 Bde., 1867 — 1869, entnommen. *) r. Wigand, Die Corveyischen Geschichtsquellen, Leipzig 1841. der Altrnark und des "VVendlandes. 491 pagus Mosidi von dem pagus Belxa unterschieden, deren Grenze zwischen Schwarzlosen und Bcllingen gesucht werden nniss. Für Belxa wird um 980 neben dem jNIarkgrafen ein besopderer Comes Dithmar genannt. Da auch Mosidi, wenigstens zeitweise, einen solchen Grafen für die Gerichtsverwaltung gehabt haben wird, lässt es sich erklären, dass Helmold (I, 12) sagen kann: Xec fuit aliquid, quod novaliae ecclesiae adversarentur omni tempore Ottonum, und (I, 88) berichtet, dass das Balsamer- und Marscinerland ^) einst zur Zeit der Ottonen die Sachsen bewohnt haben sollen, wie man das an den alten Dämmen schon sehen könne, welche an den Eibufern im Sumpf lande der Balsamer aufgeführt wären, dass aber später, als die Slawen die Oberhand gewannen, die Sachsen erschlagen wurden, und das Land bis in seine Zeit hinein von den Slawen besessen werde. Unter dieser Vernichtung der Sachsen versteht Helmold den Auf- stand der Eibslawen von 983, in welchem sie vom Christenthum wieder al)fielen, und die Altmark, namentlich auch das Land Belxem, sich unterwarfen. Dass sie dasselbe bis in Helmold's Zeit, also bis 1170, oder auch nur bis 1150, besessen hätten, ist unrichtig. Sie wurden schon 983 durch die Schlacht bei Tangermünde im Vor- dringen gegen den Süden gehemmt, und gingen 1003, weil sie einen Angriff Boleslaus Chrobry's befürchteten, mit dem Kaiser den Frieden zu Werben ein, in welchem sie sich seiner Hoheit unterwarfen. Der Kaiser war 1005 und 1013 in Werben, dem alten slawischen Prizlewa, anwesend, welches er 1034 stark befestigte. Es lassen sich also nur 20 Jahre wirklicher Herrschaft der abtrünnigen Slawen über die Altmark annehmen. Bei der heftigen nationalen und religiösen Erbitterung und der wilden Art der damaligen Kriegsführung wird diese Zeit allerdings mehr als hingereicht haben, die sächsische Bevölkerung, auch wenn sie viel zahlreicher gewesen wäre, als wahrscheinlich ist, völlig zu vertilgen. Ausdrücklich ist bekundet, dass noch 1000 die Slawen das Kloster Hillersleben einnahmen und verbrannten und die Nonnen, unter Niedermetzelung einer grossen Zahl der Verthci- diger, fortführten. Es konnte jedoch 1022 schon wieder aufgebaut werden (Riedel, Cod. Brand. I, 137). Um diese Zeit muss ein allgemeiner Rückschlag erfolgt sein, ') Der Name Marscinerland kann nicht anders als Marscianerland rechts der Elbe gegenüber Arneburg, Tangern\ünde und Magdeburg gedeutet werden. Dass Helmold die Wische darunter verstehe, ist weder aus dem Namen, noch aus den sonstigen Umständen zu begründen. 492 X. 5. Die deutsche Besitznahme mit dem eine elienso rücksichtslose Beseitigung aller slawischen Reste verknüpft gewesen zu sein scheint. Dass, im Gegensatz zum Wendlande, in der Altmark eine radikale Umgestaltung der gesammten Besiedelung stattgefunden hat, ergiebt schon die Generalstabskarte, und die Flurkarten belehren darüber unwiderleglich. Damit steht nicht im Widerspruch, dass viele slawische Orts- namen erhalten geblieben sind, und dass auch einige von Slawen bewohnte Ortschaften gefunden werden können, wie ein Vorwerk Wendisch-Börglitz (2 M. 0. v. Gardelegen) vorkommt, und das Land- buch Karls IV. von 1375 über ein kleines Fischerdorf Calbu prope Tangermünde sagt: ibi non sunt mansi, sed Slavi morantur ibi et nutriuntur de piscatura. Im wesentlichen bedecken das ganze Land sehr regelmässige und grosse Strassendörfer , und alle Fluren sind in. wohlregulirten Ackergewannen bis auf die neue Feldeintheilung durch unsere Zu- sammenlegungen gekommen. Für die Frage, in welche Zeit diese Gewannanlagen zu setzen sind, fehlen indess leider alle unmittelbaren Nachrichten. Es giebt dafür keinen anderen Anhalt, als die Erwähnung von Hufen Aber diese darf allerdings auch als hinreichend beweisend erachtet werden. Die auf die Gegenwart gekommene Besiedelungsform ist ihrer ganzen Natur nach so eng mit der Hufenverfassung verknüpft, und ein späterer Umbau der Dorf lagen, nach eingeführter Gewanneintheilung, wäre so schwierig und nutzlos gewesen, dass, wo nicht etwa solche deutsche Dörfer schon vor der Katastrophe von 983 bestanden, Ort- schaften, in welchen Hufen erwähnt werden, unbedenklich als solche anzusehen sind, in welchen bald nach derselben die Umwandlung in die noch heut bestehenden Koloniedörfer stattfand. Solche Erwähnungen von Hufen finden sich nun schon 1006 für 108 Hufen um Arneburg. Dann werden Hufen in Elversdorf (IV2 M. S. V. Stendal) im Jahre 1022, in Wittenmoor (2 M. SW. v. Stendal) 1050, in Gardelegen und Vaethen (3 M. S. v. Stendal) 1100 genannt, endlich 1121 um den Letzlinger Forst in Born, Acken- dorf, Estedt, Luthaene, Ottersburg, Bellingen und Schernebeck. Aus dem Jahre 1140 wird in einem Hillerslebener Copialbuche des 13. Jahrh. erwähnt, dass in den augenscheinlich früher slawischen Dörfern Put- goritz und Bositz je 7, in Crueize 9, in Voltwich 8, in Locece 2 und in Setoch 2 Hufen dem Kloster Hillersleben gehörten. Letztere beiden, Lotsche und Saethen (3 1\[. M'. v. Stendal), werden auch 1145 der Altraark und des Wendlandes. 493 als in Hufen liegend genannt. Eine Bestätigungsurkunde des älteren Klosterbesitzes von 1152 ergiebt ferner in Cibove (wohl Sichau) 5, in Mucrona (Möckern) 1 Hufe. 1151 wird für Klaeden und 1157 für Kloster Krevese bemerkt, dass sie in Hufen eingetheilt waren. Von der bei weitem grösseren Zahl der Orte beginnen Erwähnungen erst im 13. oder 14. Jahrhundert. Von keinem aber wird bekundet, dass die Anlage neu oder erst vor kurzer Zeit erfolgt sei, vielmehr werden durchweg alle als ein alter Bestand deutscher Dörfer behandelt. Daraus folgt zwar nicht, dass nicht eine gewisse Zahl derselben gleichzeitig mit der noch näher zu behandelnden, frühestens um 1142 beginnenden Besiedelung der Wische durch niederländische Ein- wanderer besetzt worden sei. Es handelt sich aber bei ihnen um eine von der flämischen ganz verschiedene und bereits viel früher ein- geleitete Kolonisation. Die Besiedelung der Altmark südlich der Wische entspricht vollkommen der in den obersächsischen Saaleebenen durchgeführten, und nahm, was in Obersachsen nicht so bestimmt nachweisbar ist, in der Altmark um mehr als ein Jahrhundert früher ihren Anfang, als die Niederländer erscheinen. Die eigen thümliche, den wirthschaftlichen Bedürfnissen mehr als die mitteldeutsche an- gepasste Form der Kolonisation in Strassendörfern mit gewannmässig verthciltem Hufenbesitze ist vielmehr auch hier der fortgeschrittenen Einsicht der deutschen Grundherren und ihrer Scholzen zuzuschreiben. Während also die Altmark schon im 11. Jahrhunders im wesent- lichen als deutsch betrachtet werden darf, war dies im Wendlande keineswegs der Fall. Diese im 6. oder 7. Jahrhunderte von den Nordthüringern und Sachsen verlassene kleine Landschaft ist zwar im 12. Jahrhundert unter deutsche Herrschaft und in deutsche Agrar- vcrfassung gebracht worden, aber nach Bevölkerung, Sprache und Sitte bis in das 18. slamsch geblieben. XI. Wirthschaftliche und ständische Entwickelung in Dänemark, Schweden und Norwegen. I. Trennung und Unterschiede Skandinaviens und Deutschlands. Skandinavien tritt, nachdem Tacitus und Ptolemaeus die ersten Nachrichten über dasselbe gegeben hatten (o. Bd. I, S. 40), auf mehr als drei Jahrhunderte in das Dunkel der Sage zurück. Mit der wieder beginnenden Geschichte erscheinen die Dänen im Besitze von Schonen, Hailand und Bleckingen und der Inselgruppe um See- land und Fühnen, lassen sich auch bald als in Angeln und Jütland herrschend erkennen. Nördlich von Schonen sassen die Gothen in Götarike mit Oeland bis Norrköping und Bohuslän, ebenso auf der Insel Gotland. Im weiteren Norden hatten die Schweden Suearike inne, welches Nerike, Westmanland, Södermanland und Upland um- fasste. Norwegen war in seinen sehr zerrissenen Fjordlandschaften von verschiedenen westgermanischen und ostgermanischen Zuwandereru besetzt worden. Das Land, der Saevo mons des Plinius (IV, 96), hiess Norvegr, der Nordweg, die Bewohner Nordmannen, ohne einen eigent- lichen Volksnamen. Die Einwanderung erstreckte sich aber, wie es scheint in kleinen selbständigen Gemeinwesen, schon im 5. und 6. Jahrhundert über die zugänglichen Landstrecken aller Küstenland- schaften von Smalenene und Ackershus bis Bergenhus und Romsdal. Auf diesen früh in Besitz genommenen Gebieten der skandina- vischen, ganz überwiegend ostgermanischen Völker zeigt die Siedelung in der Gegenwart, wie überall, theils alte, theils neuere Bestandtheile. Letztere sind bis auf die neueste Zeit durch das weitere Fortschreiten des Anbaus auf benachbarte, unbenutzt gebliebene Tiändereien ent- standen, und liaben je später desto mehr veränderten Bedürfnissen Rechnung getragen. Sie lassen sich deshalb leicht erkennen, und machen in Skandinavien wie in Deutschland den Charakter der dm-ch- aus überwiegenden alten volksthümlichen Besiedelung nicht zweifelhaft. XI. 1. Trennung u. Unterschiede Skandinaviens u. Deutclilands. 495 Deshalb hat schon o. Bd. I, S. 41, 57, 79 für beide Völkergebiete die Uebereinstimmung der ursprünglichen Siedelung und des volks- thümlichen Agrarwesens in allen grundlegenden Eigenthümlichkeitcn nachgewiesen werden können. Die Art der Dorfanlage, die Hufenverfassung und die Felder- wirthschaft mit Gewannen und Flurzwang bezeugen die nahe Zu- t^ammengehörigkeit der Volksanschauungen und der Kulturzustände in der Zeit der ersten festen Ansiedelung beider Germanenzweige. Dieses Zeugniss unterstützen die gleichen Züge der politischen Zustände. Ost- wie Westgermanen lebten im Beginn der historischen Zeit als Volksgemeinden gleichberechtigter Freier, welche nicht be- herrscht und doch geleitet von anerkannten Geschlechtshäuptern oder Königen durch die Beschlüsse ihrer Versammlungen regiert wurden. Allerchngs betont Tacitus (c. 44) bei den Ostgermanen das stärkere obsequium erga reges, und sagt von den Sueonen: unus imperitat nullis jam exceptionibus non precario jure parendi. Da aber zugleich angegeben wird, dass der König sämmtliche Waffen unter seinem Verschlusse habe, wird dem unbekannten Berichterstatter, der auch die Quenen von einem Weibe beherrscht sein lässt und sich für den weiteren Norden ganz in Fabeln verliert, kein besonderes Verständniss beizumessen sein. Beider Völker Gemeinwesen sind aus den o. Bd. I, S. 142 — 149 im Einzelnen nachgewiesenen Hundert- schaften, den alten Weidegenossenschaften des Nomadendaseins hervor- gegangen, in ihren Gaugemeinden vereinigte sich unter dem Könige, oder dem Thunginus und den Centenaren, den Häuptern der bethei- ligten Haereds, die Verwaltung der Gerichtsbarkeit, der Landespolizei und des Heerwesens. Die einzelnen Hüfnergemeinden mit ihren abgegrenzten Fluren und die zwischen diesen übrig gebliebenen Wald- und Weidemarken erscheinen trotz der Leitung und polizeilichen Gerichtsbarkeit ihrer Bauermeister und Holzgrafen mehr als wirth- schaftliche denn als politische Genossenschaften. Diese Gleichartigkeit des Volksdaseins führte gleichwohl nicht zu engen Beziehungen zwischen beiden nahe verwandten Germanen- stämmen. Auch als die Ostgermanen noch den Osten von Nord- deutschland inne hatten, lag zwischen ihnen und den westgermanischen Sueven die strenge, Bd. I, S. 36 beschriebene, schon Caesar bekannt gewordene Grenzscheidung, welche sich zugleich geographisch als fest und schwer überschreitbar erweist. Mit dem Mangel des Verkehrs blieben auch die Sprachentwickelung und manche Züge in den reügiösen Anschauungen verschieden. Früh und vollständig aber 496 X« ^' Trennung und Unterschiede verhinderte die Völkerwanderung gemeinsame Weiterentwickelung und nähere Verschmelzung. Die Ostgerraanen des Weichsel- und Oder- geliietes verliessen seit dem 3. Jahrhundert ihre Stammländer gänz- lich und nahmen den Süden Europas zwar als siegreicher Kriegsadel in Besitz, büssten dabei alier durchweg in der älteren Kultur der Romanen ihre Nationalität ein. In ihre Stelle rückten die Slawen vor. Den Slawen gelang mit der Zeit nach dem Abzüge der Sueven und der Angeln und Sachsen sich immer weiter nach Westen auszu- breiten. Auf mehr als ein halbes Jahrtausend unterbrachen sie alle nationalen Verbindungen der Nord- und Südküste der Ostsee bis in die Kieler Förde. Der westliche Theil Holsteins aber bot wegen seiner Entlegenheit und wegen der Unwegsamkeit seiner Marschen, Sümpfe und Moore keine geeignete Vermittelung für den Völker- verkehr. So wurde seit dem 5. Jahrhundert die alte Scheidung zwischen Ost- und Westgermanen nicht behoben, sondern erheblich verstärkt. Die westdeutschen Stämme verloren nie den nahen Zusammen- hang ihrer Heimath mit ihren Ausbreitungsgebieten in Oberdeutsch- land, Gallien und Britannien. Sie haben dort in der Hauptsache die volksthümlichen deutschen Grundlagen der Siedelung und des bürger- lichen Rechtes eingeführt und bewahrt, rückwärts auf ihre alten Volksländer aber aus der Berührung mit den Keltoromanen den Untergang der Gemeinfreiheit, das adlige Lehn und den Zerfall von Volk und Regierung in zahlreiche eigensüchtige und ohnmächtige Territorialhoheiten übertragen. Gleichwohl vollzog sich im fränkischen Reiche eine Ausgleichung des westgermanischen Volksthums mit den Bedürfnissen und Ideen der antiken Kultur zu einem neuen, rasch fortschreitenden Staats- und Volksdasein. Die ostgermanischen Skandinaven dagegen haben niemals direkte Verbindungen nach dem romanischen Süden gewonnen. Alle ihre zum Theil sehr thatkräftigen und folgenreichen Versuche, sich auf der benachbarten Südküste der Ostsee festzusetzen, führten dennoch zu keiner volksmässigen Ausbreitung und wurden in kürzerer oder längerer Frist wieder zurückgewiesen. Wer von den Skandinaven aber nach dem weiteren Süden oder nach England zog, ging ihnen jederzeit völlig verloren. Offenes und nachhaltiges Ausdehnungsgebiet fanden sie nur in Lappland und Finnland. Aber auch auf diesem blieben sie auf sich selbst angewiesen. Hier drangen sie nicht, wie die West- germanen, in altorganisirte Volksmassen ein, deren Bildung und Charakter zwar in Verfall gerathen, aber doch von der Blüthe der Skandinaviens und Deutschlands. 497 Kunst und Erkenntniss der antiken Welt und von dem eben sich entfaltenden Christcnthum getragen waren. Die Skandinaven hatten keinen Grund, das, was etwa von festeren politischen Ge- staltungen in der finnischen Urbevölkerung Bestand erlangt hatte, zu erhalten. Sie trieben die schwachen Jäger- und Fischerstämme vor sich" her in die Wald-, Fels- und Schneeeinöden des Nordens. Be- lehrung und Förderung konnte ihnen bei diesem Vordringen nur die Erfahrung gewähren, wie der Mensch der immer rauheren Natur gleichwohl seinen Lebensunterhalt durch härtere Arbeit und steigende Anspruchslosigkeit abzuringen vermöge. Im deutschen Süden galt es, den altbekannten Reichthum wüstgewordenen Kulturbodens wieder zu erschliessen , im skandinavischen Norden lagen ungeheure, fast unbewohnte Forst-, Gras- und Haidemassen zur Besitznahme offen. Sie mussten mit Feuer, Axt und Hacke bewältigt werden, und die Siedler, die damit vorgingen, verloren sich vereinzelt in den lang- gedehnten Thalflächen, die nur ül)er das Meer von den weitverbreiteten Wasserläufen und Seen aus eine gangbare Verbindung mit lebendi- geren Verkehrsorten gestatteten. Es seheint indess, dass die Beziehungen der Skandinaven zu den Finnen schon sehr früh die weit grössere Bedeutung für sie er- langten, sie unter den Einfluss griechischer Kultur zu bringen, und dass auch dadurch die Richtung ihrer wirth schaftlichen Wünsche und Bedürfnisse von dem wildbewegten Westen Europas abgelenkt wurde. Als die älteste Ueberlieferung der Finnen hat (o. Bd. II, S. 176) der überraschend grosse Kreis von Wurzelworten nachgewiesen werden können, welcher bei allen finnischen Stämmen, nicht allein den Lappen und Quenen, sondern auch den Ostfinnen vom Ladogasee bis zum Ob und südlich bis zur Wolga und Kama, dem Altgothischen ungefähr aus der Zeit des Tacitus entstammt. Diese BcgrifTs- bezeichnungen beziehen sich auf sehr viele Gegenstände und Ver- hältnisse des häusHchen und wirthschaftlichen Lebens, welche, wie sich gezeigt hat, dem Gebrauche und den Sitten dieser finnischen Bevölkerung noch lange völlig fremd geblieben sind, und nur den Anschauungen, nicht dem wirklichen Leben des Volkes angehörten. Sie geben uns vielmehr das Bild von den Hülfsraitteln und Einrichtungen der diesen Polarstämmen durch Waffengewalt und Lebensenergie schon früh bedeutend überlegenen germanischen Nordmänner. Dies ist nur in der Weise zu denken, dass zu jener Zeit, in der der Ackerbau den Ostgermanen noch keinesweges eine erwünschte Arbeit galt, Abenteurerschaaren aus ihren Herreds nach Osten schweiften, die Meitzeni Siedelnng etc. IL 32 498 XI. 1. Trennung und Unterschiede gewaltthätig und rücksichtslos auf Beute und Gewinn ausgingen, und von Land zu Land und von Gewässer zu Gewässer vordrangen. Stark, kühn und wagelustig betrieben sie die räuberische Kaufmannschaft, die wir aus der antiken Welt kennen, benutzten, wie gegenwärtig die Araber in Afrika, die Stämme gegeneinander, und verschafften denen Vortheil und Rache, mit deren Hülfe sie andere beraubten und auf den Sklavenmarkt schleppten, der zugleich der IMarkt für die erhan- delten oder erbeuteten Pelze, I..eder, Geschmeide u. a. war. Diese Märkte aber konnten keine anderen, als die mehr oder weniger vorgeschobenen Handelsplätze der Griechen am Schwarzen Meere sein. Auf ihnen mussten die Beutezeuge aus dem Norden ihre Verwerthung suchen. Dieses Leben und Treiben der Nordmänner vermochte allerdings den Finnen einen grossen Kreis neuer Vorstellungen zu geben. Es konnte aber auch die am Pontus Euxinus bereits heimisch gewordene griechische Kultur^) auf die dort verkehrenden Skandinaven nicht ohne mächtigen Einfluss bleiben. Herodots Berichte (IV, c. 24, 51, 95) belehren uns darüber, wie weit die Kolonien der Griechen, namenthch der Milesier, schon im 5. Jahrhundert v. Chr. an der Nordküste des Schwarzen und des Asow- schen Meeres vorgedrungen waren, und wie Händler von den Hellenen und den Skythen aus Olbia, dem Stapelplatze am Dniepr, und aus allen anderen Pontischen Handelsniederlassungen zu den Agrippäern, den kahlköpfigen unter Filzjurten lebenden Nomaden jenseits der Wolga, kamen und mit ihnen in 7 Mundarten durch 7 Dolmetscher Geschäfte machten. Er erzählt auch (c. 21 u. 101), dass 15 Tagereisen zu 200 Stadien, oder 56 geogr. Meilen, vom Maeotis am Don aufwärts, also ziemlich genau am nächsten Uebergange zur Wolga bei Zarizyn jenseits der Steppe der Sauromaten, das reich bewaldete Land der Budinen begann. Diese Budinen, bemerkt er (IV, 108), »sind ein grosses und zahlreiches Volk und lauter ungemein helläugige und blonde Leute. Bei ihnen ist eine feste Stadt von Holz, der Name der Stadt ist Gelonos, und die Mauer ist in die Länge an jeder Seite 1 00 Stadien, und ist hoch, und zwar ganz von Holz, wie auch ihre Häuser von Holz sind, und ihre Heiligthümer. Es sind nämlich daselbst Heiligthümer von hellenischen Göttern, hellenisch ausgebaut, mit heiligen Bildern, Altären und hölzernen Tempeln. Auch feiern sie dem Dionysos seine Feste alle 3 Jahre, und schwärmen ihm. Die Gelonen sind nämlich von Ursprung Hellenen, welche aber, aus *) E. Curtius, Griechische Gesch. Ib, 403 u. Gesammelte Abhandl. I, 175. Skandinaviens und Deutschlands. 499 den Stapelorten vertrieben, bei den Budinen sich ansiedelten, auch halb skytische und hall) hellenische Sprache sprechen.« (c. 109) »Die Budinen haben aber nicht dieselbe Sprache, wie die Gelonen, über- haupt ist ihre Lebensart nicht dieselbe. Nämlich die Budinen sind das eingeborene und unstäte Volk des Landes, und sie allein unter den Genannten sind Läusefresser, die Gelonen aber sind Feldarbeiter, Kornesser und Gartenbauer, ganz anders von Aussehen und Haut- farbe. Indessen von den Hellenen werden auch die Budinen mit unrichtiger Bezeichnung Gelonen genannt.« Dieses Gelonos wurde zwar von Darius (Ebd. c. 123) niedergebrannt, noch Plinius (bist. nat. IV, 2G) kennt indess die Budinen und Gelonen am oberen Don. Hierher an die oberen Läufe des Don und Dniepr, und weiter zur Küste, ging nothwendig der Handel der Skandinaven und wurde durch '.-.'_ .,_ir ^^5^'- -^-t ''• ' ' Fig. 90. Ko8akcnfe6tung, Kasim, mit Galgen, die Eigenthümlichkeiten der Schifffahrt der Waräger wesentlich er- leichtert. Denn ihre Schiffe, über deren bewährte Einrichtung schon Tacitus (c. 44) unterrichtet ist, waren so gebaut, dass sie von der Mannschaft nöthigenfalls getragen werden konnten. Sie Hessen sich auf Walzen über Land schaffen, und auf Strecken wie von der Lowat, dem südlichen ZuÜuss des Ilmensees, zu den nächsten Nebengewässern der Dwina, und von der Kaspelja zum Dniepr legte man Holzbahnen an, sogenannte Wolog, auf denen die Schiffe über die Wasserscheiden der Ostsee und des Schwarzen Meeres hinweggezogen wurden. Auf derartigen \\'asserverbindungcn war vom Ladogasee her auch das gesammte Wolgagebiet mit allen seinen nördlichen und südlichen Finnenstämmen leicht zugänglich. Ein solcher Raubhandel konnte indess damals so wenig, als heut in Afrika, ohne Boma, d. h. ohne feste, zum Schutz für Vorräthe und 32* 500 ^I- 1- Trennung und Unterschiede für die Vertheidigung durch wenige Männer geeignete Niederlassungen geführt werden, und diese Bauten werden in den nördlichen Wald- gegenden nicht weit anders als die hölzernen Burgen der Kosaken in Siliirien gestaltet gewesen sein, deren Bild in Fig. 90 nach einer alten Zeichnung von c. 1600 A. v. Middcndorff zu verdanken ist (vgl. auch dessen Reise nach Sibirien IV Bd., S. 1542). Sie bestanden aus 2 oder 3 Blockliäusern in einem engen Palissadenzaun von schweren senkrecht gesetzten Stämmen. Die Entwickelung eines solchen Bauwesens kann hier also früher stattgefunden haben, als in der skandinavischen Heimath, wo das nomadische Leben an leichten beweglichen Jurten Genüge fand, und Einwirkungen griechischer Sitten und Muster auf den Hausbau und dessen häusliche Einrichtungen liegen keineswegs besonders fern. Vielmehr scheint dadurch die in Anlage 140 nachgewiesene Aehn- li'',hkeit des nordischen Hauses mit dem altgriechischen Licht zu er- aalten, eine Aehnlichkeit, die nicht allein in der äussern Form, son- dern auch in mehreren baulichen und wirthschaftlichen Besonderheiten hervortritt, auch in gewissen Zügen des Wohnhauses in allen östlichen Slawenländern, in Polen und Russland, und selbst bei den Wolga- finnen erkennbar ist, und in deutlichem Gegensatze zu der west- deutschen Bau- und Wohnweise steht. — Von den Eigenthümlichkeiten, welche das AgrarAvesen Skandi- naviens charakterisiren, ist o. Bd. I, S. 148 bereits geschildert, wie die dänischen Inseln durch die gleichmässige Fruchtbarkeit ihres auf Kreide ruhenden Gletscherschuttbodens den meisten Theilen Deutsch- lands überlegen sind. Auf der skandinavischen Halbinsel wird da- gegen in sämmtlichen mit volksthümlichen Hufendörfern, nach der Weise der deutschen, besiedelten Landestheilen, selbst in Schonen und Hailand, im Ganzen nur etwa 20% der Bodenfläche als kulturfähig angesehen. Indess erweist sich in diesen Theilen der Halbinsel die Bodenbildung durch die Art ihrer Entstehung doch besser für die den deutschen entsprechenden Gewannanlagen geeignet, als der grosse Prozentsatz unbrauchbaren Landes erwarten lässt. Schweden und das südöstliche Norwegen sind durch die Gletscher- bewegung der Eiszeit überraschend gleichartig gestaltet. Von dem Rücken der Kiölen aus haben die Eismassen zwar die ihnen entgegenstehenden Höhen des festen Granit-, Gneuss- und Porphj'r- gebirges zu einer ziemlich allmählich zum Meere herabsinkenden Ab- dachung abgeschliffen, aber sie haben in diese Hochflächen doch auch ein gleichmässiges System langer und fast parallel nach SO. Skandinaviens und Deutschlands. 501 verlaufender Thalbetten eingeschnitten, welche, sei es durch alte Faltungen, sei es durch das Nachgeben weicherer Gesteine, vielfach ausserordentliche, selbst bis unter die heutige Meerestläche herab- gehende Tiefen erreicht haben müssen. Thäler und Höhen sind indess wechselnd wieder mit Gletscherschutt bedeckt und erfüllt worden, bis endlich beim Schwinden der Vereisung die Schmelzwässer mit ihrer beweglicheren Gewalt die gegenwärtige Gestaltung des Landes gesehaflen haben. Auf den breiten Flächen der A\'asser> scheiden haben sie entweder die alten festen Gesteinsrücken von jeder Bedeckung völlig blossgelegt, so dass die glattgeschliffenen Rund- höker auf weite Strecken zu verfolgen sind, oder sie haben nur die Erde weggewaschen, aber die ungeheuren Massen grosser und kleiner Felstrümmer, die unter dem Eise mit dem Schlamme herbeigeführt worden waren, als wüsten Skog liegen lassen, als ein Chaos über- einander gestürzter Steinblöcke, welches allmählich von einer mehr oder weniger schwer zugänglichen Wald- und Grasvegetation über- wachsen, aber auch in grosser Ausbreitung von Hochmoor durchdrungen worden ist. In die Thäler dagegen schwemmten diese mächtigen Wassermassen, je nach dem Gefälle, theils den fein zerriebenen Schlamm des Gletscherschuttes ein, theils führten sie von den glatten geneigten Uferhängen und aus höheren Lagen des Gebirges Blöcke und Geschiebe herbei und lagerten sie als moränenartige Barren und Thalsperren ab, vor denen sich Stufe auf Stufe meilenlange Seen aufstauten. Wo diese Seen vom oberen Laufe her und von den Uferrändern nur wenige Sinkstoffc aufnehmen konnten, bestehen sie noch heut. Andere sind allmählich zu Sümpfen, Mooren und Brüchen verlandet, die sich, auch wo ihr Boden hohe Kosten lohnen könnte, wegen der Ausdehnung und Festigkeit der Barren schwer entwässern lassen. Noch anderen aber haben die ^^'asserströme selbst Abfluss verschafft. Sie haben ihre Sperren gebrochen, und in die feinen Erdmassen des Gletschcrschuttes, mit denen sie die Seebecken vollgeschwemmt hatten, beschränktere Flussläufe eingeschnitten. Jetzt liegt der alte Seeboden vielfach als hohe und breite, völlig ebene fruchtl)are Aue da, welche horizontal und scharf an die Abhänge der (iranithügel anstösst und dem Anbau eine willkommene Stätte bietet. Unter gleichen Gesichtspunkten sind die Bodenverhältnisse Nor- wegens aufzufassen. Der breite Rücken der Kiölen, wo er nicht von Fels oder Schnee eingenommen ist, bietet zwischen den Steinen kümmerlich bebuschte Moorstrecken und alpines Weideland. Selbst bis hinauf in grosse Höhe 502 XI. 1. Trennung und Unterschiede sind muldenförmige Hochthäler zwischen flachen, ausgeschUffenen Ab- hängen von weitverzweigten Seen erfüllt. Von ihnen aus haben sich auf dem Abfall des Gebirges zum atlantischen Ozean zwar die- selben Erscheinungen in südwestlicher Richtung wiederholt, welche die Abdachung zur Ostsee in südöstlicher gestalteten. Aber die Luft- linie von der Hohe des Gebirges zum Meer ist nach Südwest kaum ein Viertel so lang, als nach Südosten. Dadurch wurden die Wirkungen der Gletscher wie der Schmelzwässer verschiedene. Der Absturz ist so schroff, dass der Gletscherschutt vorzugsweise auf den flachereji und niedrigeren nach dem Meere zu vorliegenden Höhen aufgehäuft wurde. Eis und Wasser schnitten die Thalrisse ins Gestein so tief ein, dass häufig kahle Felswände von 200 bis 500 m Höhe ihre Ränder bilden. Stufen entstanden auch hier, aber die Seen sind meist abgeflossen, und die Wasserrinnen haben sich bis zur Meeresfläche vertieft, so dass sie jetzt als Fjorde von Seeschiffen befahren werden. Nur untiefe Barren an den Hauptabschnitten und an der Mündung der Fjorde erinnern noch an deren Entstehung. Von dem Bett der alten Binnenseen sind meist nur schwache Reste vorhanden, welche an den Hängen haften blieben, und der anbaufähige Boden wird in den engen Thälern vorzugsweise durch die jüngeren Halden gebildet, die nach und nach aus den Schluchten als Schutt- kegel von den Höhen herabgewaschen wurden. In diesen tiefen Thalgründen mussten die mächtigen Wasser- massen in raschem Absturz dem Meere zugeführt werden, sie konnten deshalb keine wesentliche ^Mrkung auf den Gletscherschutt der zwischen den Fjorden ausgebreiteten flacheren Höhen ausüben. Der- selbe blieb vielmehr als der fruchtbare, wenn auch meist hügelige und von Felsrücken durchsetzte Ackerboden den Küstenlänen er- halten. — Die spezielle Durchsicht zahlreicher Flurkarten in den Landesver- messungs-Archiven zu Stockholm und zu Ghristiania hat ergeben, dass allerdings, wie o. Bd. I, S. 57 ausgeführt ist, bei weitem die meisten für die Zusammenlegungen und Gemeinheitstheilungen Skandinaviens aufgenommenen Karten den alten Besitzstand der einzelnen bäuer- lichen Stellen nicht enthalten. Indess findet sich auch auf einer für die nähere Beurtheilung hinreichenden Anzahl die vor der Aus- einandersetzung bestehende Eintheilung. Diese im Einzelnen aus- geführten Vermessungen bestätigen, soweit sich feststellen Hess, durch- weg die vollständige Uebereinstimmung der alten Dorfanlagen mit den westgermanischen Hufendörfern, und sie erweisen auch, dass die Skandinaviens und Deutschlands. 503 Gemarkungen, obwohl sie häufig von Felsen eingeschlossen und unter- brochen sind, doch in der Regel eine hinreichend breite und ebene, oder wenigstens nicht allzu abhängige Bodenlage für die Eintheilung nach Gewannen besitzen. Auf allen diesen Fluren sind die Gewannaufmessungen zahlreich, wie dies denen des deutschen Volkslandes durchaus entspricht, und ihre Anlage und Bewirthschaftung werden durch die in ihren Einzel- heiten o. Bd. I, Abschn. II, 2 — 5 dargestellten Eigenthümlichkeiten der westgermanischen Fluren deutlich erklärt. Als Beispiele sind in den Anlagen 141, 142 und 143 die Karten von Ulfsten, Vogtei Söndmöre in Romsdal, aus dem Jahre 1875, von Otter storpa By, Pfarrsprengel Hwalstadt inWestergothland, aus 1645, und von Thorsjö, Malmöhus Län in Schonen, aus 1698 mitgetheilt. Anlage 144 zeigt die Karte eines grundherrlichen Gutes Vartofta in Westergothland aus 1645. Die nähere Vergleichung der Kartenbilder ergiel)t für die Dörfer Ulfsten und Otterstorpa By, dass die Reihenfolge der einzelnen Hufenantheile für jedes einzelne der Gewanne besonders ausgeloost worden ist. Diese verschiedene Reihenfolge der Hufenantheile in jedem Gewann hat sich auch bei einer grossen Zahl anderer Parzellar- karten in Schweden und Norwegen gezeigt, welche auf diese Besonder- heit geprüft werden konnten. Auf der Flur von Thorsjö, Anl. 143, liegen dagegen die Hufenantheile fast ohne Ausnahme in jedem Ge- wanne übereinstimmend nach der Reihe der Gehöfte im Dorfe. Wie häufig gleiche FäUe sind, lässt sich schwer entscheiden, weil für die überwiegende Zahl der Fluren der alte Besitzstand nicht mehr nach- weisbar ist. Indess ist nicht zu bezweifeln, dass den Weisungen der nordischen Gesetze gemäss auch die gleiche Reihenfolge in allen Gewannen desselben Dorfes in grösserer Verbreitung befolgt worden ist. Dieser Unterschied würde an sich keine wesentliche Bedeutung haben, wenn sich nicht, was schon o. Bd. I, S. 79 angedeutet wurde, mit den mehrfachen Erwähnungen des Solfalls und der Solskift in den Ge- setzen gegenüber der Hamarskift Schlüsse auf das ursprüngliche Ver- fahren bei der Anlage der Dörfer verknüpften. W'as für diese Frage in Betracht kommt, ist in Anlage 145 zusammengefasst worden. In dem Bilde von Vartofta in Skaraborg, zwischen Wetter- und Wenersee, ist das Beispiel der Feldeintheilung wiedergegeben, welches P. v. Möller in seiner Schrift: Strödda Utkast rörande Svenska Jord- brukets historia (Stockholm 1881), veröffentlicht hat. Diese Karte giebt den Nachweis, dass auch in Schweden die Grundherrlichkeit 504 XI. 1. Tionnung uuersön- lichen und dinglichen Freiheit zu schützen. Ein Zeichen dieser Zu- stände ist, dass die Jagd in Schweden immer frei blieb. Für die schwedischen Mantals bestand das uralte Recht, dass jedem Eigenthümer, der ein Erbgut ganz oder theilweis verkauft hatte, gestattet war, es noch nach 10 Jahren für denselben Preis zurück- zunehmen. Gleichwohl sind diese alten grossen Hufen, welche zu 600 ha Fläche angeschlagen werden, im Laufe der Zeit in zahlreiche zu Eigenthum besessene Besitzungen zertheilt worden. Dafür gilt in der schwedischen Gesetzgebung der Gesichtspunkt, dass die Theilung nicht weiter gehen soll, als dass der 7\nbauer noch besessen (besuten) sei, d. h. dass eine Haushaltung von wenigstens 3 arbeitsfähigen Personen ihr Auskommen darauf haben könne. Ueber diese Be- sitzungen wird 1873 angegeben, dass *) In der offiziellen Statistik wird wegen der neuangelcgten and wieder weg- gegebenen Skiftungsgüter des Staates die Zahl der Mantals wechselnd 1865 mit G6.342 und 1873 mit 67 170 angegeben. 520 XI. 3. Die grundherrlich-bäuerlichen Verhältnisse in Schweden. 65 000 nur bis 2 ha angebauten Landes umfassten, 165 000 2— 20 * 26 000 20—100 * und 2 650 über 100 * Es bestanden also 258 650 Landeigenthümer. Daneben wurden aber noch 185000 sogenannte »Gelegenheiten«, d. h. Käthner- und andre kleine Stellen mit Land gezählt, welche theils auf immer, theils auf gewisse Zeit von der Hufe abgesondert werden können, indess, wie es scheint, nicht als eigenthümlich , sondern nur als zu Erbpacht oder Zeitpacht abgetreten, angesehen werden. Die Gesannntfläche Schwedens wurde im Jahre 1873 im Ganzen auf 44 481 400 ha angegeben, darunter aber 3 736 740 * Gewässer und 31 534 213 * bewaldetes und ödes Land, daher blieben nur 9 210 447 ha Kulturland übrig, welches in 26 400 * Gartenland, 5160 854 = Acker- und andres Bauland und 4 023 193 = natürliche Wiesen zerfiel. Daraus ergiebt sich, dass die durchschnittliche Fläche Acker- land in den oben unterschiedenen Güterklassen zu 1, 10, 60 und 500 ha angesetzt werden kann, und dennoch das Doppelte an Anbau- und Wiesenland für jede derselben übrig bleibt. Von dem Waldlande gehört mehr als die Hälfte den nur spärlich bewohnten Gebirgs- länen Norbottens, Vestei-bottens und Jemtlands an. Immerhin aber haben die Forstflächen auch in den dichter bewohnten Länen in der Regel die gleiche Ausdehnung, wie das Kulturland. Ein Theil davon ist altes Privateigenthum , grössere Flächen sind als ausschliessliche Almenden der Landgemeinden anerkannt. Andre Flächen sind Staats- und Kirchengut. Die Staatsforsten stehen zwar von ältester Zeit her der Nutzung der benachbarten Landgemeinden offen, wurden aber seit dem 14. und 15. Jahrhundert vom Staate, theils als Grundcigenthümer, theils als Mitberechtigtem, in Anspruch genommen. Für diese An- sprüche hat die Afvittring dem Staate im letzten Jahrhundort ver- bal tnissmässige Abfindungen gewährt, und dieser hat darauf neue Be- sitzungen eingerichtet. Wie gross diese Abfindung war, müsste mehr aus dem Werthe des Bodens als aus der Fläche beurtheilt werden. Könnte sie aber auch auf die Hälfte angeschlagen werden, so würde gleichwohl noch für jede der Güterklassen ebenso viel an ^^'aldland nutzbar bleiben, als sie an Acker- und Wiesenland besitzt. XI. 4. Die Agrarverhältnisse Norwegens. 521 4. Die Agrarverhältnisse Norwegens. Norwegen ist, seit es ein Gesammtreich bildet, selten lange selbständig gewesen, sondern hat meist ganz oder theilweise unter der wechselnden Oberherrschaft der schwedischen oder dänisclien Könige gestanden. Der Grund liegt in seiner geringen Bevölkerung und in der Schwierigkeit, deren Streitkräfte in der erforderlichen Zeit am entscheidenden Punkte zu vereinigen. Andrerseits sind die meisten der kleinen Landschaften schwer zugänglich und können nur mit grossen Opfern überwältigt werden. Wenn sie aber erobert sind und vom Feinde sämmtlich gehalten werden sollen, erfordern sie zahlreiche Streitkräfte, die durch Zersplitterung, Weglosigkeit und Mangel an Unterhalts- mitteln im höchsten Grade gefährdet bleiben. Dadurch erklärt sich, dass die Sieger in der Regel vorgezogen haben, dem Lande seine innere Selbstregierung mit dem Scheine der Freiheit zu belassen, und der politischen Fremdherrschaft durch den Namen der Personal- union Achtung und Gehorsam zu verschaffen. Diese Verhältnisse aber waren für die Lage der bäuerlichen Bevölkerung Norwegens günstig, obwohl manche Einrichtungen, welche ihre Freiheit gefährden konnten, hier früher getroßen wurden, als in den skandinavischen Schwesterreichen . Kaum hatte Harald Harfagr 865 bis 875 alle Könige Norwegens unterworfen, so führte er ein strenges Lehnssystem ein. p]r setzte jeder Landschaft einen Jarl oder Schatzkönig, Skatkonung, vor, der die Rechtspflege zu verwalten, die Abgaben zu erheben und 60 Krieger zum Heereszuge zu stellen hatte, dafür aber V:? tler Einkünfte er- hielt. Den Jarlen waren die Ilerfer, anscheinend die Vorsteher der Hen'eder, untergeordnet, von denen jeder 20 Krieger zu stellen ver- pflichtet war. Das Christenthum predigte Anschar schon 830. Olaf Trygveson förderte es durch bremische ISIissionare, und unter Olaf dem Heiligen 1015 — 1028 wurde es durchgeführt. Olaf erhielt Bischöfe von Bremen und gab 1021 mit dem Beirathe des Bischofs Grimkel das Kristinret, das Kirchenrecht des Staates. Als aber Papst Alexander H. und Erzl)ischof Adalbert ihrerseits willkürlich über die norwegischen Bischöfe verfügen wollten, widersetzte sich Harald HI. um 1050. Erst Sigurd I. führte nach seiner Rückkehr vom Kreuzzuge um 1121 den geistlichen Zehnten ein, von welchem nur Finnmarken frei blieb. 1 152 wurde das Erzbisthum Drontheim für Norwegen gegründet, und unter dem 24. März 1174 erliess Magnus V. 522 XI. 4. Die Agrarverhältnisse Norwegens. das Kirchengesetz der goldenen Feder, welches der Clcistlichkeit er- hebliche Vorrechte zusprach, und die Königswahl wesentlich von ihr abhängig machte. Seitdem lagen fast alle K(")nige bis zur Einführung der Reformation, welche schon 1528 begann, in Streitigkeiten mit der Geistlichkeit. Von inneren Unruhen oder Parteikämpfen aber blieb das Land trotz der vielen, oft unglücklichen Kriege und Thron- wechsel gleichwohl frei. Die Pfarrgeistlichkeit ist überall reichlich mit Hufen und Bei- land ausgestattet, stand jedoch jederzeit nur den Besitzern der alten Bauernhöfe gleich. Selbst die Lehnsverhältnisse aller Verwaltungs- beamten führten, soweit dies bekannt ist, zu keinen Verwickelungen. Namentlich erhob sich trotz der von 962 — 1046 und von 1319 bis zur Gegenwart selten unterbrochenen Fremdherrschaft kein mächtiger Grossgrundbesitz, welcher den Bauerngemeinden gegenüber gewagt oder vermocht hätte, eine Standesherrschaft herzustellen, die auch nur Theile der bäuerlichen Bevölkerung unter Gutsherrlichkeit oder Unterthänigkeit gebeugt hätte. Die angesehenen Geschlechter der alten Jarle*) starben früh aus. Einige meist fremde Beamtenfamilien empfingen später, als Storbonder, Kronlehne. Ihre Vorrechte gingen indess nicht weiter, als dass sie diese privilegirten Meierhöfe nach *) Die Jarle knüpfen anscheinend an einen älteren Adel der Gaukonige an. Dies wird in der Edda als Meinung des Dichters im Liede vom Äsen Rige, dem Schöpfer der Stände, ziemlich deutlich ausgesprochen (Rigsmäl, 15 — 32). Das Lied schildert den Freien, den Karl: „freie offene Stirn, gekämmten Bart, funkelnde Augen, rothe frische Farbe," sein Weib: „trägt den Halsschmuck, auf dem Haupt die Haube, ein Tuch um den Nacken, aber in eng verschliessendem knappen Kleide, sie wechseln unter sich die Ringe." Der Edle, der Jarl, ist glänzender. Die edle Frau erscheint: „in wallendem weiten Gewand, ein Geschmeid an der Brust, glänzender die Braue, weisser die Brust, lichter der Nacken als leuchtender Schnee." Der Beruf des Edlen ist: „Linden schälen. Bogen spannen, Spiesse werfen, Hengste reiten , Schwerter ziehen , Sehnen winden und Pfeile Schäften , Lanzen schwingen, Hunde hetzen, den Sund durchschwimmen," und Edle erlernen die Wissen- schaft der Runen und den Zauber: „Menschen zu bergen, See zu dämmen, Feuer zu stillen , Sorgen zu heilen , Schwerter stumpf zu machen , die Vogel zu verstehen , die See zu besänftigen." Im schlichten Hause wohnt der Freie, ein Bauer, der seine Aecker bestellt, die Scheune füllt, seine Stiere zähmt oder auch Tücher webt. Ihm hilft die Hausfrau bei der Arbeit und spinnt vom Rocken ihr Garn. Der Edle wohnt in weiten Hallen, und ist reich an Erb und Eigen, an Burgen, reich an Gütern, die er an seine Mannen und Knechte vertheilt, reich an schlanken Pferden, an Schmuck und Geschmeide. Der neugeborene Jarl, in Seide gelegt, hat „lichte Locken , leuchtende Wangen , die Augen scharf als lauerten Schlangen. XI. 4. Die Agrarverhältnisse Norwegens. 523 40 jährigem Besitz als Steuer- und zehntfreie, sogenannte Saedegaarde, erlangten. Nach 1397 errichteten die dänischen Könige eine Baronie Rosondal und zwei Grafschaften Larvik und Jarlsberg, aber nur letztere hat sich lange unter den Wedel erhalten, und wurde 1821 aufgehohen. Dagegen giebt die königliche Gesetzgebung immer wieder beachtenswerthe Zeugnisse der eigenthümlichen zwangsweisen Für- sorge, welche unmittelbar in die landwirthschaftliche Betriebsweise der im übrigen völlig freien bäuerlichen Hofbesitzer und ihrer Pächter einzugreifen für statthaft und zweckdienlich erachtete. Bis auf König Haralds Zeit ist unzweifelhaft, dass die nor- wegischen Odelbauern ausschliessliche Eigenthümer^) des Hufenlandes und der Almenden waren. Sie allein, nicht die Gemeinde, verfügten über die Almende; sie verstatteten der neu entstehenden Klasse der Almendbauern, sich gegen Zins in der Almende anzubauen und sie zu nutzen, und dieser Haus-, Grund- und Weidezins wurde nicht der Gemeinde, sondern der Genossenschaft der Odelbauern gezahlt. König Harald nahm zwar, offenbar in demselben Sinne, in welchem er sich alles freie Land in Norwegen unterwarf, auch die Almenden der Odel- bauern in seinen Besitz, aber er änderte nichts in den Rechten und Ansprüchen derselben. Die Folge davon musste sein, dass, so lange der König sieh enthielt, zu Gunsten Anderer in die ausge- dehnten Almendländereien einzugreifen, schwer irgend eine Aenderung in der üblichen Nutzungsweise derselben eintreten konnte. Bestimmungen, welche nach Schübeier a. a. 0. schon aus der Zeit Olafs des Heiligen stammen, unter Magnus VI. aufgezeichnet und in Christians IV. Norsge Low 6, 8 und Christians V. Gesetz 3, 14, 42 wieder übernommen sind, fordern, dass jedes Jahr der 4. Theil alles ur- baren Landes brach liege. Diese Vierfelderwirthschaft besteht in den weniger vorgeschrittenen Gegenden, z. B. im Stifte Bergen, bis zur Gegenwart. Die Gesetze des 13. Jahrhunderts fassen besonders die Düngungs- und Pachtverhältnisse in's Auge. Der abziehende Pächter soll allen Winterdünger auf den Acker bringen, der vorher noch nicht gedüngt gewesen ist, ausgenommen den Mist, welcher in der letzten Nacht vor dem Auszuge fällt. Ist das Land sclion früher gedüngt (Christian Meyer, Zur Geschichte des deutschen Adels, Preuss. Jahrbücher, Bd. 40, S. 147.) Der Edle wird also ausdrücklich Jarl genannt, sein Besitz entspricht dem, und er hat gegenüber dem freien Volksmann nicht allein die Aufgaben de.s Kriegers, sondern auch die des Priesters. *) Conr. Maurer, Der isländische Staat, S. 24. 524 XI. 4. Die Agrarverhältnisse Norwegens. worden, so soll er den Mist dahin bringen, wo es am nöthigsten ist, so dass er es mit einem Eide erhärten kann, wenn der Eigenthümer des Landes es verlangt. Weigert er sich, den Schwur zu leisten, so soll er Demjenigen, welcher nach ihm das Land in Pacht erhält, welches er pflichtwidrig bestellt hat, den Schaden bezahlen, wie ihn 6 sachkundige Männer schätzen werden. Es wird dem Pächter auch ein bestimmtes Verhältniss zwischen dem zu haltenden Vieh und dem urbaren Areal der Pachtung gesetzlich auferlegt. Namentlich ist er mit harter Strafe bedroht, wenn sein Zuchtvieh hinter dem für die bestimmte Fläche an Ackerland gesetzlichen Minimum zurück- bleibt. Auch die allgemeinen Vorschriften über die erforderliche Viehhaltung von grossem und kleinem Vieh, über die Berghütung im Sommer u. dgl., welche ähnlich in dem isländischen Gesetzbuche von 928 erscheinen, und die genauen, unter Androhung von Strafen für die Uebertretuug gegebenen Bestimmungen in Betreff des Saeter- vaesens, der Sennerei, zeigen, welchen Werth die Räthe des Königs auf Viehzucht und Viehhaltung und ihre angemessene Entwickelung legten. Aus der Saga ist bekannt, dass wenigstens in Island auch das nur zur Heugewinnung und Weide bestimmte Grasland gedüngt zu werden pflegte. Das ältere Gulathingsgesetz , von dem die Saga König Hakon Adelsteins (f 963) erzählt, dass er es mit dem Beirathe Thorleisers des Klugen gegeben habe, enthielt bereits einige Festsetz- ungen über das Ableiten des Wassers. Es sagt: Man soll den Lauf des Gewässers nicht verändern, sondern es fliessen lassen, wie es von altersher geflossen ist. Niemand soll von dem Felde eines anderen Mannes Wasser ableiten, wenn es nicht von selbst durch- bricht; und sollte er es gethan haben, so soll er es in seinen alten Lauf zurückführen. Aehnliche Regeln finden sich darüber in der isländischen Grdgäs. Welche Getreidearten für die 4 Felder gewählt wurden, ist nicht sicher festzustellen, in ältester Zeit scheint fast ausschliesslich Gerste gebaut worden zu sein. Sie heisst schlechthin Korn. In den Ge- setzen des 13. Jahrhunderts wird aber auch häufig von Winterroggen gesprochen, und ebenso muss damals schon Weizen allgemein ver- breitet gewesen sein, denn das Christenrecht Magnus VI. von 1280 nennt den Weizen ausdrücklich unter den Getreidearten, von denen, so wie es bisher üblich gewesen ist, den Priestern der Zehnt ent- richtet werden solle. Ebenso wird im Christenrecht der Zehnt von Erbsen und Rüben gefordert. Hafer scheint dagegen erst nach und nach sich verbreitet zu haben. Es wird zwar 1331 einmal Hafer- XI. 4. Die Agrarverhältnisse Norwegens. 525 malz erwähnt, auch kommt ein Mengkorn von Gerste und Hafer vor, aber die Erwähnungen sind äusserst selten, und da Hafer jetzt etwa 55 7o des Anbaues beträgt, ist nicht unwahrscheinHch, dass er allmählich und gegen die Ansicht der Verwaltungsbehf irden den Roggen verdrängt hat. Wenigstens giebt es gesetzliche Anordnungen vom Ende des 15. Jahrhunderts, in welchen den Bauern befohlen wird, jedes Jahr mindestens einen Morgen Landes zu Roggenacker auszulegen. Eine in andrer Weise dem Ackerbau günstige Vorschrift ist, dass Jedem erlaubt war, für die Herstellung seines Pfluges oder seiner Egge das erforderliche Holz in jedem beliebigen AValde aufzusuchen und zu fällen. — Nach dem Inhalte dieser Uebcrlieferungen und Gesetze müssen Pachtverhältnisse im späten Mittelalter in Norwegen sehr verbreitet gewesen sein, und es beruht auf den Berechtigungen der Odelsbauern an der ganzen Flur, dass diese Pachtungen vorzugsweise auf dem Rodeland der Almenden lagen. So w^eit die Dörfer reichen, lassen sich auch die jüngeren Rodungen leicht erkennen. Die alten Dörfer der Odelsbauern waren wegen der engen Lage ihrer Gehöfte nicht geeignet, Neubauern in grösserer Zahl aufzunehmen. Es bestanden bei ihnen, wie bei vielen deutschen Dörfern, in der nächsten Nähe die sogenannten Hjemhagen, d. h. gemeinschaftliche Nachtweiden, die für Pferde und anderes Vieh des Dorfes gebraucht wurden. Um sie lagen dann in der Regel die zahlreichen Gewanne des Hufenlandes so nahe und zusammenhängend, als der Boden es überhaupt gestattete. Daher w'aren die Almcndljauern in grössere Entfernung verwiesen, und mussten sich dort sellxst Wohnplätze errichten. Diese bilden häufig blosse Weiler, sogenannte Grends, von denen ein altes Dorf oft eine grosse Zahl in Vi bis V2 Meile Entfernung auf seiner Flur besitzt. Es entstanden aber auch Neudörfer, wie in Dänemark. In dem mit Einzelhöfen besetzten Kolonisationslande, welches den Norden mit Drontheim und Halogaland, und südlicher einen Theil des Landes gegen Christiania hin umfasst, sind die älteren Höfe nur durch ihre Lage und Grösse zu unterscheiden. Die alten Höfe waren einigermassen vor Zersplitterung geschützt. Für die Odelsbauern galt das Odelsret, d. h. das Recht, dass die Familie ein Besitzthum, welches 20 Jahre in ihren Händen war, wenn es ver- kauft worden ist, während 3 Jahre wieder in Anspruch nehmen kann. In älterer Zeit war dafür nur der gezahlte Preis zurückzuerstatten, später wurde ein Recht des Rückkaufs nach Taxe daraus. Auch war 526 ^^' 4. Die Agrarverhältnisse NorvN-egens. zwar Erbtheilung nicht ausgeschlossen, es konnte aber bezüglich des Familiengutes nicht durch Testament verfügt werden. Der Grundbesitz vererbte unmittel])ar an Söhne und Töchter, wobei der Sohn den doppelten Autheil der Tochter erhielt. Jedoch galt in be- stimmter Folge ein Anerbenrecht (Aasaedesret) , wonach der Anerbe den ganzen Hof, und, wenn der Erblasser mehrere besass, die nächsten Erben jeder einen, gegen den im Testament oder durch Taxe be- stimmten Preis zu übernehmen berechtigt waren, falls sie die übrigen Miterben abfanden. Indess wird über die Kleinheit der Parzellen in den Gewannen geklagt, und auch von getheilten Odelsgütern ge- sprochen. Kleinere Stücke dieser Güter wurden seit alter Zeit zur An- setzung sogenannter Husmaend verwendet. Es sind dies freie Leute, welche sich in der Regel zu Tagearbeit auf dem Gute gegen Lohn und oft auch gegen Kost verpflichten, und dafür ein Haus und ein Stück Ackerland zur Nutzung erhalten. Doch werden sie auch als kleine Pächter aufgenonmien , und es giebt ein Gesetz, wonach es verboten ist, einen Hausmann auf noch nicht kultivirtes Land an- zusetzen, wenn man ihm dasselbe nicht auf seine und seiner Frau Lebenszeit überlässt. Auch finden sich Husmandsplads, welche Eigenthum geworden sind. Die Zahl der Husmaend betrug 1865 60 492, ungefähr die halbe Anzahl sämmtlicher Eigenthümer. Die Pachtungen der Almendsbauern, und, Avie es scheint, auch die von Staats-, Stiftungs- und anderen Gütern sind, wie aus den Uebergabebestimmungen in den Gesetzen des 13. Jahrhunderts zu schliessen ist, in älterer Zeit zwar auf gewisse Wirthschaftsperioden ver- abredet worden. Wahrscheinlich aber war es eine Folge der allzu- grossen Unsicherheit der Erträge, dass sich als allgemeine Sitte die Ueberlassung der Pachten nicht auf wenige Jahre, sondern auf die Lebenszeit des Pächters und seiner Wittwe unter gewissen gesetzlichen Vorbehalten einführte. Diese Pachtweise wird als Bygsel im Gegen- satz zu Forpagtning bezeichnet, und hat die Eigenthümliehkeit, dass ein erheblicher Theil des Pachtgeldes vorweg in einer Summe (Ind- faestningssum) bezahlt wird, und nur das übrige als jährlicher Zins. Daraus folgte aber in der Regel, dass Bygsel erblich wurde, und dass namentlich der alternde Pächter schon während seines Lebens an seinen Sohn oder seinen Schwiegersohn das Gut gegen Festsetzung eines Altentheils (Föderaad) überliess. Der Eigenthümer erhielt dann von diesem eine neue Pachtsumme als Einkauf für dessen Lebenszeit, ohne das Absterben der alten Familie abwarten zu müssen. Solche XI. 4. Die Agrarverhältnisse Norwegens. 527 Pachtgüter bildeten noch um die Mitte des 17. Jahrhunderts mehr als die Hälfte aller Grundbesitzungen, um 1814 nur noch ein Drittel, in neuerer Zeit sind sie alle durch Verkauf zu Privateigenthum gewor- den. Eine Aufnahme von 1865 ergiebt allerdings, dass damals neben 131 939 Eigenthümern, welche ihre Güter selbst bewirthschafteten, 15 763 Pächter vorhanden waren, aber dies sind Pachtungen ganzer Höfe, von denen ein Eigenthümer neuerdings häufig eine grössere Anzahl besitzt. Die Pachtungen von 1865 hatten durchschnittlich jede genau denselben Katasterwerth von 1,63 Skylddaler, wie die eigenen Wirth- schaften. Unter denselben waren nur 65 560 die weniger als 1 Skyld- daler, und nur 316, die mehr als 20 umfassten. 1,63 Skylddaler bedeuten 8 — 10 ha Acker-, Wiesen- und Waldland. Da Norwegen im Jahre 1865 181 500 ha Getreidebau, 31 000 Kartoffeln, 41 600 Brache und 261 400 kultivirte Wiesen, im Ganzen also nur 515 500 ha Kultur- land besass, so kann jede der 147 702 Wirthschaftseinheiten nur auf durchschnittlich 3,5 ha Kulturland berechnet werden, mit dem Rest von 813 800 ha müssen sie an den natürlichen Weiden und den Waldungen Theil gehabt haben. Natürliche Weiden werden insgesammt 492 500 ha, Wälder und Holzungen 6 375 000 ha angegeben, ausser- dem 23 512500 ha Berg-, Eis- und Wegeland und 769 400 ha Seen und Gewässer. Nach Abzug der Privatbesitzungen bleiben demgemäss immer noch 6053 700 ha Weiden und Wälder, welche ebenso, wie die noch viel grössere Fläche der Oeden, als Staatsland zu betrachten sind. Das- selbe unterliegt indess den Nutzungsberechtigungen der angrenzenden ansässigen Bevölkerung. Die Jagd ist in Norwegen überall und jeder- zeit für Jedermann frei gewesen. Andere Nutzungen entsprechen den Almendenutzungen zu Holz und Weide, und es ist ein wahrschein- lich sehr beträchtlicher Theil dieses Staatslandes als ursprüngliches Almendeland anzusehen, auf welchem alle herkömmlichen Almende- nutzungen geübt werden durften. Wie es scheint, gab es w-enigstens in neuerer Zeit auch solche Almenden, welche als besondere, vom Staatslande ausgeschiedene Grundstücke, als Fordfaelleskab, Gemein- heiten, selbständig bestanden. Namentlich war dies bei den kleinen Gebirgswiesen der Fall. Sie lagen unkultivirt und ungetheilt, nicht allein mehreren Höfen, sondern selbst verschiedenen Pfarreien gemeinsam. Allem gemeinschaftlichen Lande stand, soweit das Gebiet der alten Dörfer ver'Dreitet ist, das im Gemenge der Gewanne liegende Hufen - land gegenüber, welches Teigblanding oder Teigbytte genannt wurde, 528 XI. 4. Die Agrarverhältnisse Norwegens. letzteren Namen erklärt indess Broch ') für einen unrichtigen. In dem- selben lagen, der Natur der volksmässigen Besiedelung gemäss, die Aecker der einzelnen Höfe ausHerordontlich vermischt. T^ntor denselben kamen, wie Broch sagt, zwar sehr selten, indess hier und da auch Fordfaelleskab, gemeinsame Grundstücke, vor, welche man Aarbytte nennt, d. h. solche, von denen die verschiedenen Eigonthümer die Nutzung auf denselben Stücken oder Feldern der Reihe nach während verschiedener Jahre zu gewinnen hatten. Broch schreibt diesen schon alten Gebrauch der Theilung der Erbgüter zu. Er sieht darin, wie im Gemenge überhaupt, Mangel an Verständniss, eine passende Theilung herzustellen, sowie das Bedürfniss und den Wunsch jedes Bauern, ein Stück von jeder Art Boden zu besitzen, zum Theil auch die charakteristische Neigung, welche der norwegische Bauer zu jeder Zeit gezeigt habe, alle seine Rechte bis auf die äusserste Grenze festzuhalten, und sein in Folge dessen geringes Streben, seine Einrichtungen be- quem und einfach zu gestalten. In jedem Falle beschränkt Broch diesen Wechsel der Nutzung auf die Theilhaber an der Theilung eines einzelnen Bauergutes, welches bis dahin als Ganzes bestanden hatte. Blom bemerkt in seiner Statistik von Norwegen, Bd. I, S. 143, über dasselbe Verhältniss : »Zu den politischen Hindernissen gehört vorzüglich der gemeinschaftliche Besitz der Felder, eine Art Gan- erbschaft. In vielen Gegenden, besonders in den Küsten- und Alpen- gegenden, ist dieses Uebel in allen seinen schädlichen Formen herr- schend. Nicht nur, dass mehrere Besitzer eines Bauernhofes ihre Aecker stückweise unter einander liegend haben, sondern in vielen Gegen- den hat man aus Furcht, durch die Vertheilung der Grundstücke den Kürzeren zu ziehen, den schädlichen Gebrauch eingeführt, die Aecker jährlich oder in mehreren Jahren unter den Eigenthümern wechseln zu lassen, so dass sie dieses Jahr von diesem, ein anderes von jenem angebaut werden. Um diesem Uebel ein Ende zu machen, wurde durch ein Gesetz vom 17. August 1821 bestimmt, dass alles Landeigenthum innerhalb 8 Jahren unter die Besitzer getheilt sein solle, und dass diejenigen Besitzer, die diese Theilung nicht zur bestimmten Zeit zu Stande gebracht hätten, die Grundsteuer doppelt bezahlen müssten. Das Vorurtheil gegen alle Neuerungen der lokalen Verhältnisse ver- spätete aber die Ausführung, und der Termin wurde deshalb durch ein Gesetz vom Jahre 1833 verlängert. Indess schreitet die Aus- ') Broch, Kongeriget Norge og dct norske folk. Christiania 1876. Auch französisch: Le royaume de Norvege et le peuple norvegien. Ebd. 1876, S. 336. XL 4. Die Agrarverliiiltnisse Norwegens. 529 führung der Theilung in den meisten Gegenden der Vollendung rasch entgegen.« Auch Blom spricht also nur von den zwischen den Erben eines einzelnen Hofes unter Festsetzung des Wechsels der einzelnen Theilstücke eingetretenen Theilungen. Die Erscheinung solcher wechselnder Nutzungen ist o. Bd. I, S. 217 bei der Darstellung des irischen Runridgesystems bereits näher in Erwägung gezogen worden. Das gedachte Gesetz erstreckt sich indess keineswegs lediglich auf solche Fälle wechselnder Nutzung, sondern überhaupt auf alles bisher nicht getheilte Land, also auf die Almenden und auf das mit Anrechten belastete Staatsland und überdies auf die bessere wirth- schaftliche Zusammenlegung der im Gemenge liegenden Hufenäcker und Ländereien jeder Art. Es entspricht somit den deutschen Gemeinheitstheilungs-Ordnungen. Auch erging zu seiner Ausführung unter dem 12. Oktober 1857 ein w^eiteres, am 13. März 1882 er- gänztes Verkoppelungsgesetz , nach welchem seitdem eine erhebliche Zahl Gemeinheitstheilungen und Zusammenlegungen erfolgt sind. Meitzen, Siedelung etc. II. 34 XII. Wirthschaftliche Bedürfnisse, Betriebseinrichtungen und Verwaltung der Grundherrschaften. I. Verkehrsanforderungen an den Staat: Wege, Münzen und Maasse. Das Bild des ältesten Agrarwesens Europas nördlich der Alpen hat gezeigt, dass aus der ersten festen Ansiedelung Lei allen bethei- ligten Stämmen als Hauptmasse des Volkes gemein freie Bauern- schaften hervorgingen, und dass jede dieser Bauernschaften aus dem gemeinsamen Stammeslande ausgesonderten Grundbesitz in einem Maasse zugewiesen erhielt, welches ausreichend dem für den Unterhalt der betheiligten Familien erforderlichen Anbaue entsprach. Diese Umgestaltung des Hirtendaseins forderte zwar eine völlig ver- änderte Lebensweise und anstrengende wohlgcleitete Arbeiten, aber sie beruhte auf unabweisbarer Nothwendigkeit und begründete die Selbständigkeit der freien Volksgenossen. Abgesehen von äusseren Verwickelungen in Rechtsstreit, Gewaltthat oder Kriegsgefahr, konnte sich jedes dieser neuen bäuerlichen Gemeinwesen in seinem gesammten wirthschaftlichen Dasein selbst genug sein. Bd. I, S. 7 ist näher er- wähnt, wie sogar der einzelne Bauerhof sich in seinem Haushalte alle seine nothwendigen Bedürfnisse selbst herzustellen vermochte und in manchen Gegenden bis auf die Gegenwart selbst hergestellt hat. Die Beschaffung gewisser Hülfsmittel durch weitverzweigten Handel war zwar früh schon möglich, konnte aber auch entbehrt werden. Damit steht im Einklänge, dass die Ansprüche dieser Bauern- schaften an den Staat äusserst geringe waren. Bei den Kelten und Slawen war die väterliche Gewalt der Häuptlinge in den Townlands und Hauskommunionen eine höchst aus- gedehnte und für alle entstehenden Rechtsfragen unbedingte. Diese I XII. 1. Verkehrsauforderungen an den Staat. 531 vereinigten Häuptlinge und das Haupt, das sie sich setzten, re- präsentirten nach Bd. I, S. 197 und Bd. II, S. 214 so völlig den Staat, dass es nur auf die Anforderungen ankam, welche sie als politische Regierung an alle Gemeinden zu stellen willens waren. Der Staat besass keine andere Organe. Diese Staatswesen der Kelten und Slawen sind indess, mit Ausnahme des merkwürdigen, einzig da- stehenden Beispiels von Montenegro, so früh erloschen, und haben, mindestens seit der Karolingerzeit, so wenig Einfluss auf das Kultur- leben Europas geübt, dass ihre wenig bekannten Verwaltungs- einrichtungen hier keiner näheren Erwägung bedürfen. Bei den Germanen kennen wir dagegen das ursprüngliche Ver- hältniss der Staatsgewalt zu den durch die feste Siedelung entstan- denen Hüfnergemeinden hinreichend genau, und wissen, dass sie nicht Organe des Staates bildeten. Die Staatsgewalt bei den Germanen spricht Tacitus der Volks- geraeinde zu. Ausser ihr erwähnt er (Germ. c. 6) den Gau als einen organischen Theil des Volkes. Jeder Gau soll 100 Krieger stellen. Diese Zahl würde sämmtliche Waffenfähige einer Hundertschaft um- fassen, so lange letztere nicht stark angewachsen war. Tacitus wieder- holt (c. 39) auch die Nachricht des Caesar (Bell. g. IV, 1), dass die Sueven 100 Gaue bewohnten, berührt jedoch Caesars Angabe nicht, dass sie aus jedem der Gaue 1000 Waffenfähige jährlich zum Kriege zu stellen vermöchten, während 1000 andere zur Landbestellung zu Hause bleiben könnten. Da diese Volksmenge nach der Berechnung o. Bd. I, S. 150 nichts Unwahrscheinliches hat, spricht Caesar, wie anzunehmen, von den wirklichen Gauen, welche, den späteren karo- lingischen ähnlich, 10 bis 20 Centenen umfassten. Tacitus aber kann in seiner Bemerkung über den Gau nur einem Bericht über die Hundertschaften folgen. Das Verhältniss zwischen Hundertschaft und Gau ist 0. Bd. I, 8. 4(57 eingehender berührt. Schon aus Tacitus c. 12 lässt sich entnehmen, dass schwierigere Rechtsstreitigkeiten und Kapital- sachen von der Volksgemeinde, d. h. vom Gaugericht, leichlere Rechts- fälle und Vergehen von dei- Hundertschaft abgeurtheilt wurden. Der einzelnen Ilüfnergemeinde dagegen stand nur ein von derselben gewählter und zu der Durchführung ihrer Beschlüsse be- vollmächtigter Genosse als Bauermeister vor, dessen entsprechender Weisung und Aufsicht sich die Ortsinsassen in wirth schaftlichen Dingen bei Vermeidung der von der Gemeinde festgesetzten Bussen zu fügen hatten. Die Angaben über die Feldgeschworenen (o. Bd. I, S. 89) geben das Zeugniss, dass diese Fügsamkeit und der Sinn für selbst- 34* 532 XII. 1. Verkehrsauforderungen an den Staat: ständige Regelung auch schwieriger Streitfragen sehr entwickelt und allgemein gewesen sein müssen. Die Entscheidung über den Gang des Feldbaues und des Weidebetriebes in Brache, Stoppel, Wiesen und Hutungen hing von solchen Bestimmungen der Gemeinde oder eines als Vorstand er- wählten Ausschusses ab. Ebenso mussten Einrichtungen der Feld- schläge, Grenzregulirungen und Neutheilungen zeitweilig von der Gemeinde oder deren Beauftragten geordnet werden. Diese Geschäfte waren so eingreifend und setzten so viel gegenseitiges Vertrauen vor- aus, dass auch die ähnliche Herbeiführung von Ausgleichen über zahl- reiche andere Streitigkeiten, Verletzungen und Vergehen vorausgesetzt werden darf, welche die Betheiligten vor das öffentHche Gericht zu bringen berechtigt gewesen wären. Wahrscheinlich ist überdies, dass schon in frühester Zeit die C!entenare und che Grafen die Bauer- meister und Gemeindegeschworenen zu Gehülfen herangezogen und mit örtlichen Geschäften beauftragt haben. Darin lassen sich indess Zeugnisse für einen wirklich politischen Charakter der ländlichen Gemeinden ebenso wenig erkennen, wie dafür, dass seitens derselben weitergehende AnsiJrüche an das Staats- ganze, als auf Regelung des Gerichts- und Kriegswesens, gestellt worden seien. Namentlich sind Anforderungen für die nächsten Bedürfnisse, an welche sich denken lässt, für die Hülfsmittel des Verkehrs, Wege, Münzen und Maasse, weder urkundlich bekannt, noch nach genügen- den Anzeichen vorauszusetzen. In sprechender Weise drückt sich dieser Verzicht auf Verkehrs- mittel schon in der Bd. 1, S. 63 festgestellten Thatsachc aus, dass bei der germanischen Siedelungsweise auf den Fluren keinerlei fahr- bare Verbindungswege angelegt oder in Aussicht genommen worden sind. Die bestimmte Art der Feldlagen und Gewainieintheilungen, selbst in den entfernteren, erst später in Betrieb genommenen Ab- schnitten, berücksichtigt in keiner Weise eine Verbindung mit anderen, selbst nicht mit den nächsten Nachbarorten. .\lle solche Wege wurden noch bis in späte Zeit als Last betrachtet, nur von der öflentlichen Gewalt erzwungen und beschwerten die Einzelnen, über deren Grundstücke sie durchgeführt wurden, in oft höchst ungerechter und unzweckmässiger Art. Münzen wurden in den deutschen Volksstaaten weder von der Öffentlichen Gewalt, noch von den Hundertschafts- oder Gemeinde- verbänden geprägt. Die vorkommenden ]Münzcn waren römische oder Wege, Münzen und ^laasso. 533 tjriecliische, und galten nach Tacitus' Schilderung (c. 5) nur wie Stücke Edelmetall als ^^'aaren von unbestimmtem Tauschwerth. Verwendung fand Gold und Silber zu Schmuck und Geräthen, als Geld diente es im Handel nur bei den Grenznachbarn der Römer. Auch die gericht- lichen Bussen und die anscheinend allgemeinen Geldstrafen der Volks- gesetze bedingten kein öffentliches Münzwesen. K. Th. v. Inama hat (Deutsche Wirthschaftsgeschichte Bd. I, S. 195) treffend auseinander- gesetzt, wie die Wergeids- und Straf bestimmungen der Volksgesetze nur des Vergleiches wegen in Münzen ausgesprochen waren, und wie noch in der späten Zeit dieser Gesetze der Satz des Tacitus (c. 12) galt, dass die Ueberwiesenen um eine Anzahl Pferde oder Schafe gebüsst wurden. Das "Wergeld der Freien bedeutete ungefähr den AVerth seiner Hufe und war, je nach den Stämmen und dem verschiedenen An- schlag nach Solidi, einer in Solidis oder Denaren ausgedrückten An- zahl von Pferden, Kühen, Schweinen oder Schafen gleich. Mit Thieren wurde gezahlt, auch nachdem der Staat eine Münzordnung geschaffen hatte, die in älterer Zeit gänzlich fehlte. In Betreff der Maasse ist das "Wesen und der Gebrauch der Landmaasse in den Hüfnergemeinden genau und sicher zu beurtheilen und o. Bd. I, S. 83 ff. bis in jede Einzelheit erörtert. Daraus erweist sich, dass für alle die zahlreichen und genauen Messungen, welche zum Zwecke der speziellen Vertheilung der Fluren, wie zur Wieder- herstellung der richtigen Hufenantheile häufig vorgenommen w'erden mussten, dennoch ein gesetzlich feststehendes, oder überhaupt ein festes Längen- oder Flächenmaass nirgends erforderlich war. Hufe, Morgen, Ruthe, Fuss konnten in jeder Gemeinde verschieden sein, und wichen je nach Zeit und Oertlichkeit auch in derselben Ge- meinde von einander ab. Das Bedürfniss, ein wirklich gleiches Maass zu besitzen, machte sich so wenig fühlbar, dass man noch bis in das 17. Jahrhundert die Ruthe genügend zu bestimmen meinte, wenn 15 oder 16 Leute, wie sie aus der Kirche kamen, ihre Füsse vor einander setzten, oder wenn man für die Länge des Fusses eine gewisse Anzahl Gerstenkörner neben einander legte ^). Der Grund ist ersichtlich, weil alle diese Messungen nur gleiche Verhältnisse herzustellen hatten. Ob in derselljcn Gemeinde in einem Gewann 30 ar, in dem anderen 25 ar ein Morgen genannt wurden, war ganz unerheblich, wenn nur im ersten jeder Bauer 30, in dem anderen jeder 25 ar auf den ') Vergl. K. Lamprecht, Deutsches Wirthschaftsleben Bd. I, S. 343. — Cod. dipl. Siles. Bd. IV, Einl. S. 47. — Grimm's Weisthümer , Register unter sinnliches Maass. 534 yni. 1. Verkelirsanforderungen an den Staat: Hufenantheil erhielt. Bekam er aber wegen schlechteren Bodens oder wegen Wege- oder Triftgefahr einen Zuschlag, so hiess sein Antheil gleichwohl ein Morgen. Ganz ähnlich darf auch das Bedürfniss nach festen Hohlmaassen und Gewichten beurtheilt werden, so lange es nicht nöthig Avurde, aus der Gemeinde heraus bestimmte Leistungen abzuführen. Der Naturaltauscliverkehr im Kleinen beruht nur auf augenfälliger Ver- gleichung und Abkommen. Am einzelnen Ort wird das gleiche Quan- tum genügend gesichert, wenn das gleiche Gefäss oder derselbe nui- dem Namen nach ein Pfund- oder Centnergewicht vertretende Stein wieder benützt wird. Da der alte Germanenstaat, wie Tacitus c. 15 überliefert, als Steuern nur Geschenke kannte, und im Heerbann Jeder für sich selbst zu sorgen hatte, war auch ein öffentliches Maass- und Gewichts- wesen für die Hüfnergemeinden und ihre Bauermeister ohne Bedeu- tung. Sie konnten unter ihren Genossen für richtiges gerechtes Messen ohne jede bestimmte, dauernd gültige Maassfestsetzung Sorge tragen. Schaff, Scheffel und Stein sind sogar Maassnamen geblieben. Diese Erwägungen ergeben also, dass der Anstoss zur Herstellung selbst der einfachsten Verkehrsmittel an Wegen, Münzen und Maassen weder in den gemeinfreien volksmässigen Bauerngemeinden, noch auch in einem germanischen Staatswesen gesucht werden darf, welches sieh nur aus solchen Bauerngemeinden zusammengesetzt hätte. — Neben diesen selbständigen und im wesentlichen auch wirth- schaftlich unabhängigen Bauernschaften müssen indess früh, schon vor der Völkerwanderung, Herren bestanden haben, welche über eine grössere Zahl ansässig gewordener Unfreier geboten, und in deren Hand ein entsprechend ausgedehnter Grundbesitz vereinigt war. Bd. I, S. 140 und S. 151 sind die Gründe erörtert, weshalb in den früheren ^Veiderevieren der Hundertschaften die einzelnen An- siedelungen der Hüfnergemeinden nur etwa 300 — 400 ha Kulturland (o. Bd. I, S. 170) umfassten, und auch der unkultivirte Theil der Almenden verhältnissmässig beschiiinkt erscheint. Der weit über- wiegende Rest des alten Hundertschafts- oder Gaulandes blieb zu- nächst von der Besiedelung unberührt und nach wie vor zur Ver- fügung der Besitzer grosser Heerden. Aber auch diese von Caesar und Tacitus oft erwähnten Principes müssen in kürzerer oder längerer Zeit zur festen Ansiedelung ihrer eigenen Familien und ihrer unfreien oder bisher in ihrem Dienste befindhchen Leute geschritten sein. Un- zweifelhaft spricht Tacitus (c. 25) nicht von dem Knechte des Hufen- Wege, Münzen und Maasse. 535 bauers, wenn er sagt: ceteris servis non in nostrum niorem, descriptis per familiam ministeriis, ntuntur. Suam quisque sedem, suos penatefj regit. Frumcnti modiim dominus, aut pecoris, aut vestis, iit oolono injiingit, et servus liactenus parct. Die Herren konnten nicht anders ver- fahren, als für ( irünchmg ihrer Sesshaftigkeit aus dem ihnen verbliebenen Volkslande ebenfalls Dörfer oder Höfe, die zu Dörfern anwuchsen, mit Almenden ausscheiden, so dass als Rest der alten Weidereviere nur noch die unbewohnten gemeinen Marken mit genossenschaftlichen Nutzungen fortbestehen blieben (0. Bd. I, S. 124, 153). Dass nun von den wenigen Reichbegüterten bei diesen Landtheilungen be- trächtliche und dem Reichthum an Vieh und an zugehörigen Dienst- leuten eines jeden entsprechende Flächen Landes zu Eigenthum über- nommen worden sind, lässt sich nicht anders annehmen. Der Princeps ging damit aus der Lage eines reichen Heerdenbesitzers in die eines Herren ausgedehnter Ländereien über. Sol)ald dies geschah, wurde auch die von Tacitus charakterisirte Art der Verwerthung des Landes und der Sklaven oder Hörigen die unmittelbare Folge. Nichts w^ar einfacher und zweckmässiger, als die Leute gegen Zins und andre T^eistungen ansässig zu machen. Da- durch al)er war auch ein Verkehr zwischen den zinspflichtigen An- bauern und den zinsberechtigten Herren oder deren Verwaltern ge- geben, der unvermeidlich bestimmtere Verkehrsmittel an Hohl-, Gewichts- und Landmaassen und auch an Wegen nach dem entfernten Herrensitze zum Bedürfniss machte. Diese grundherrlichen Zustände glichen indess noch nicht völlig denen der späteren Königszeit. Gaugericht oder Centenare mögen zwar entstandene Streitigkeiten auch über i\[aass und Gewicht entschieden haben, aber dass sie sich im Sinne einer Regierungsgewalt der Fest- stellung gleichmässiger Maasse angenommen haben sollten, ist sehr zu bezweifeln. Wenn es indess geschah, konnte der Erfolg nur derselbe sein, den auch das praktische Verfahren auf den zins- berechtigten Edelhöfen erwarten lässt. Es mussten sich örtlich ge- wisse üeblichkeiten in der (irösse, Benennung, Verglcichung und Untertheilung der Hohl-, wie Längen- und Fläehenmaasse befestigen, welche für einzelne Bezirke gleicher Herrschaft oder Gerichtsbarkeit Geltung erlangten, ohne dass daliei an irgend ein bestimmtes System, oder an die Vermeidung von Ungleichheiten auch bei naher Nachbar- schaft gedacht werden darf. — Der Staat begann in diese Verhältnisse erst einzugreifen, als grosse Ländergebiete unter eine einheitliche Königsgewalt gekommen 536 XII. 1. Verkehrsanforderungen an den Staat: waren, und die Beziehungen zu König und Fiskus neue und all- gemeiner verbreitete Grundherrschaften schufen, welche auch die Stellung der älteren umgestalteten. Der Einfluss, welchen die in den germanischen Staaten seit der Völkerwanderung entstehenden Grundherrschaften auf die Verkehrs- anforderungen übten, wird durch den des Romanenthums verdunkelt. Die neuen germanischen Staatenbildungen nahmen entweder direkt romanische Landestheile mit den Trümmern der entwickelten Verfassung des römischen Weltreiches in sich auf, oder die mit den römischen Einrichtungen völlig verwachsene Kirche übertrug deren Kenntniss und Ausübung auf die neuen Verwaltungen. Ueberdies wurde das fränkische Reich von seinem wesentlich romanischen Boden aus bewusstes oder unbewusstes Vorbild aller gleichzeitigen deutschen Regierungen. Es ist deshalb natürlich und durch mancherlei That- sachen begründet, dass die Fürsorge der frühmittelalterlichen Staaten für Wege, Münzen und Maasse zunächst als ein Ausfluss der römischen Staatskunst erscheint. Bei näherer Untersuchung lässt sich jedoch nicht verkennen, dass die neuen Einrichtungen der deutschen Königreiche zwar durch die römische Ueberlieferung wesentlich erleichtert, aber doch keines- weges ihr völlig entsprechend gestaltet worden sind, und dass auch ohne das römische Vorbild ähnliche Einrichtungen von den germani- schen Staaten ihrer eigenen Entwickelung wegen unbedingt zu der- selben Zeit hätten getroffen werden müssen. Als zwingender Anlass dazu hätten sich die Grundherrschaften geltend gemacht, Avelche im Gegensatze zu den Bauernschaften einen gewissen Grad staatlicher Fürsorge für AVege, Münzen und Maasse schon in ihrem ersten Entstehen nicht entbehren konnten. Der König selbst, dessen Krongüter erst spät von den fiskalischen unterschieden wurden, musstc das von volksmässigen Ansiedelungen nicht in Besitz genommene I^and als das seinige behandeln und im Interesse seiner Herrschaft zu verwerthen suchen. Dies geschah zwar theils durch Verschenkung oder Verleihung für geleistete oder noch zu leistende Dienste, theils aber auch durch Aussetzung gegen Zins, oder durch eigene Wirthschaft mittels Beamteter. In beiden letzteren Fällen stand der König wirthschaftlich den beschenkten oder beliehencn, sei es weltlichen oder kirchlichen Grossen als Grundherr gleich. Denn auch diese, welche in kurzer Zeit den bei weitem grössten Theil des ur- sprünglichen Staatslandes als Besitz erhielten, konnten eine \'er- werthung desselben nur durch A\'eiter Verleihung an Zinspflichtige Wege, Münzen und Maasse. 537 oder diiroli Bewirthschaftung für eigene Rechnung vermöge Beauf- tragter versuchen. Dabei entstand sofort für König und Fiskus el)en80, wie für die als Private oder im Dienste des Staates wie der Kirche mit Land Be- gabten, dasselbe Bedürfniss hinreichender Verkehrsmittel. \N'as den Wegebau betrifft, so ist nicht zu verkennen, dass der Staat auch in jener frühen Zeit schon militärisch ein gewisses Inter- esse daran hatte, freie und festangelegte Heerstrassen durch das Innere des Landes zu besitzen. Namentlich legte man Werth auf Heei'wege, welche nicht der Gefahr unterlagen, durch Wasser überschwemmt oder versumpft und ungangbar zu werden. Die Strassen zogen des- halb oft auf öden Höhen mit vielen Steigungen und Windungen hin. Andrerseits sind die grossen Brückenbauten Karls des Grossen über Rhein, Main und Donau, ebenso wie seine Kanalanlagen, vor- zugsweise den militärischen Zwecken zuzuschreiben. Diese Heer- strassen benutzten auch die Kaufleute und nahmen auf ihnen Geleit. Aber für die Anforderung der Grafen an Komraunikationswege von einer Ortschaft zur anderen, wie sie o. Bd. I, S. 63 — 65 im einzelnen erwähnt sind, können diese Gesichtspunkte nur selten und ausnahmsweise geltend geworden sein. Die unausgebauten, anfänglich wenigstens bei der Ackerbestellung jährlich wieder ver- aekerten, engen Feldwege konnten dem Kriegszuge wenig nützen, der sich über Ackerfluren selbst Bahn brach. Für das landespolizei- liche Offenhalten dieser ^^'ege müssen lokale Gründe bestimmend gewesen sein. Kirchwege wurden überall beansprucht und geschützt. Indess waren sie als solche in der Regel nicht fahrbar. Die Fahr- wege können nur auf An- und Abfuhr von Getreide, Holz und Waaren, sowie auf das Treiben des Viehs, beides von Ort zu Ort und auf weitere Entfernungen hin, berechnet worden sein. Sie sollten vor allem der Lieferung von Zinsungen an die Speieher der (Jrnnd- herren oder der Beschickung der Märkte dienen. Erst als aus den Land- gemeinden Naturalzinsen und Zehnten al)zufülnen waren, und die Märkte durch Tausch und Verkauf der von dem Zinslande zusammen- fliessenden Getreide- und Viehmengen grössere Bedeutung erliielten, namentlich auch durch Zölle und Marktgelder eine Einnahmequelle wurden, entstand das Interesse der Domainenlx^amten und der Grund- herren an ungehemmten Wegeverbindungen, und das Gesetz betraute die Grafen mit deren Durchführung imd Beaufsichtigung^). ') Vergi. Rathgen, Entstehung der Märkte in Deutschland 1881, S. 8. 538 XII. 1. Yerkehrsanforderungen an den Staat: Aus der auf den Flurkarten ersichtlichen Lage dieser Kommuni- kationswege wird nun durchaus erklärlich, dass die Volksgesetzo vorzugsweise wegen Sperrung dersellien Strafen festsetzen. Die lex Salica Tit. XXXIII spricht allerdings nur von Wege- lagerung. Die lex Ripuaria Tit. LXXV dagegen stellt bewaffnete Verhinderung, den Weg zu benutzen, unter Strafe. Nach Tit. IV der lex Frisionum ist schon die widerrechtliche Verweigerung des Weges strafbar. Die lex Bajuvarior. Tit. IX, c. XIII — XV sagt ausführlicher: Si quis viam publicam, ubi rex vel dux egreditur, vel viam aequalem alicujus clauscrit contra legem, cum XII componat et illam sepem tollat. . . De via convicinali vel pastorali, qui eam alicui contra legem clauserit, cum VI solidis componat et aperiat. . . De semita convicinali, si quis eam clauserit, cum m solidis componat. Am deutlichsten bezeichnet die lex Burgundion. Tit. XXVII, 3 den Sinn dieses strafbaren Verschliessens von Wegen: Quicunque viam publi- cam aut vicinalem clauserit, XII sol. se mulctae nomine noverit in- laturum; ita ut sepes illa impune a transeuntibus deponatur et messis, quantum viae spatium continere potuerat, conteratur. Die Strafe wird also dadurch verwirkt, dass der Besitzer des Grund- stückes, über welches der Vicinalweg geht, dasselbe verzäunt und den Weg wie seinen Acker bestellt. Er wird bestraft, und Jeder hat das Recht, den Zaun wegzureissen und Saat oder Frucht so weit nieder- zufahren, wie der Weg breit sein soll. Die Erwähnung solcher FäUe in den Gesetzen und die Höhe der Bussen ist nur dadurch zu er- klären, dass sie häufig vorkamen, und dies lässt sich wieder nur aus dem thatsächlichen Verhältnisse, w^elches die Flurkarten bekunden, verstehen. Für den Bauern war es allerdings eine naheliegende Ver- suchung, den Weg zu verackern und zu vergraben, der derartig über seinen Ackerstreifen gelegt war, dass er ihm denselben zum wesent- lichen Theile unnutzbar machte, um so mehr, wenn er hoffen konnte, den Lauf desselben auf das Ackerstück des Nachbars zu verdrängen. Das Beispiel von Eycksc, Anlage 5, und die der besonders alten Feld- eintheilungen in Maden, Anlage 15, und in Höttingen, Anlage 3S, machen diese Sachlage am deutlichsten. Eine Entschädigung seitens des Staates zu geben oder zu ver- mitteln, wäre eine für die damalige Zeit unlösbare Aufgabe gewesen. Vielmehr sprechen einige Capitulare Karls hinreichend klar aus, wie die Staatsgewalt in solchen Angelegenheiten verfuhr. Ein Capitulare von 803 § 22 (Mon. Germ. Leg. T. la, p. 121) sagt ausdrücklich : ut nullus homo praesumat, teloneum in ullo loco Wege, Münzen und Maasse. 539 accipere, nisi iiln antiquitiis pontes constructi sunt, et iibi navi,!j;i:i praecurrunt, et anti(iiia videtur esse consuetiido. Similiter nee rotaticum nee pulveraticum ullus accipere praesumat, (jnia qni hoc facere temptaverit, bannum dominicum omnimodo componere debet. Obwohl also Durchgangs- wie Marktzölle ursprünglich als Rechte des Königs betrachtet wurden, waren seit alter Zeit Wege-, Brücken- und Fährzölle Demjenigen verstattet, der Bauten und Anlagen zum Zweck der Passirbarkeit der öffentlichen ^^'ege machte und unterliiclt. Ein Capitulare von 805 verbietet auch ausdrücklieh, Zölle zu erheben, wenn die Anstalten dem Reisenden nichts nützen^). Solche Zölle oder Strassengelder kommen unter verschiedenen Namen schon in einer Urkunde Theuderichs III. von 681 vor (Mon. G. Dipl. I, S. 46, No. 51). Da aber Neustrien und Burgund, über die er herrschte, ganz über- wiegend romanische Gebiete umfasste, dürfen diese Wegegelder als Reste aus der romanischen Zeit angesehen werden. Die gleichen Gesichtspunkte für den Wege- und Brückenbau, wie die der Capitularien, ergeben sich auch noch aus der Constitutio pacis Friedrichs II. von 1255 (Mon. Germ. LL. la, p. 313). Sie verbietet alle seit dem Tode Heinrichs VI. neu entstandenen Zollstätten und sagt: receptores vero teloneorum tam in terris, quam in aquis debito modo teneri volumus ad reparationem pontium et stratarum trans- euntibus et navigantil)us a quibus telonea accipiunt, pacera, securi- tatem et conductum, ita quod nihil amittant, quatenus durat di- strictus eorum, quoad melius possunt fideliter procurando. Ueber die Landstrassen spricht noch der Reichsabschieds-Anfang von 1671 (G. Emminghaus, Corp. jur. Germanici S. 511) aus: »Weilen bekanntlich, dass die Herrschaften die Mauth und Zölle gemeinig- lich wegen Unterhaltung der Brücken zu geniessen haben, als hätte auch ])illig ein jeder von selbsten solches zu beobachten. Weilen aber im Gegentheil sich betindet, dass an vielen Orten die Brücken schlecht- liehen verwahrt, die ^\'asser von den \\'egen nicht al)geleitet . . . noch viel weniger die Haupt-, von denen Neben- und Irr-Wegen unterschieden, ... so haben Wir . . verordnet . ., dass jede Obrig- keit in Ihren Landen und Gebieten derentwegen ernste Fürsehung ') Dies Capitulare von 805 § 13 (Ebd. p. 134) erklärt: De teloneis placet nobis, ut antiqua et justa telonia a negotiatoribus e.xigantur tam de pontibus quam et de navigiis et mercatis. Nova vero seu injusta, ubi vel funes tenduntur, vel cum navibus sub pontibus transitur, seu et his similia, in qoibus nullum adjutorium iterantibus praestatur, ut non exigantur. Similiter etiam nee de liis, si sine negotiandi causa substantiam suam de una domo sua in aliam ducunt, aut ad palatium aut ad e.xercitum. 540 Xtl. 1. Vorkehrsanforderungen an den Staat: thun . . . solle, auf dass mehr gedachte verderbte Wege, Stege, A\''iisserströme, Dämme, Brücken, Wasserfahrten, Triebpfade, Gestade und dergleichen hinwieder gebessert, reparirt und ausgeräumt, aucli aller Orten in beständigem guten Wesen erhalten werden.« . . Wann die Pflicht zum Ausbau und zur Unterhaltung der Vicinal- wege durch die I'^mwohner zur gesetzlichen Anerkennung gekommen ist, ist nicht zu erkennen. Im römischen Reiche bestand sie an- scheinend allgemein, wie o. Bd. I, S. 289 gezeigt ist, und aus Digest, lib. 43, Tit. 8, 2. 22 hervorgeht. Für grössere Bauten zeigen die von v. Inama (Deutsche Wirth- schaftsgesch. Bd. II, S. 365) und von Lamprecht (Deutsch. Wirth- schaftsleben Bd. 11, S. 244) angezogenen Beispiele, dass 1128 der Erzbischof von Salzburg die Brücke zu Wels baute, und, anscheinend weil ein rechtsbegründeter Anspruch an Baupflichtige nicht bestand, Beiträge dazu durch Ablassversprechungen zu gewinnen suchte; dasselbe fand 1343 beim Bau der Koblenzer Brücke durch den Erzbischof Balduin statt. Die Himmeroder Mönche bauten 1194 sogar zwischen zwei ihrer Dörfer eine Holzbrücke. Gleichwohl ist nicht zu zweifeln, dass die Grund- herren schon früh ihre Hörigen und Hintersassen zum Wegebau an- gehalten haben, und dass sich auch die freien Landgemeinden dieser Leistung im Laufe der Zeit nicht entziehen konnten. Endlich hat die entwickelte Landeshoheit die Gewohnheit zu festem Recht ge- staltet. — Das Prägen von Münzen blieb in den germanischen Staaten bei dem geringen örtlichen Bedarf wegen der vorhandenen erheblichen Beträge römischer Geldstücke durch längere Zeit unnöthig. Im Klein- verkehr fanden grössere Zahlungen in Geld nicht statt. Wo sie am Hofe oder zwischen Reichbegüterten erforderlich wurden, waren die Konstantinischen Goldsolidi (Schillinge), von denen 72 auf das römische Pfund geprägt Avurden, ein hinreichend fester Anhalt. Die Silber- denare unterschied man nach der verschiedenen Zeit der Prägung in alte schwere, die, wie es scheint, Saigae genannt und von den Bayern und Alemannen 12 auf den Goldsolidus gerechnet wurden, und in gewöhnliche leichte, von denen schon die lex Salica 40 auf den Solidus rechnet. Auch die gallische Siliqua, von welcher 24 dem Solidus gleichstanden, wurde anscheinend Avegen geringeren G(/lialtes den Denai-en von 40 auf den Solidus gleichgestellt. Das Münzwesen galt, trotz des fremden Geldes, völlig als Sache des Königs. Die älteren merowingischen Könige verwendeten auch noch die römischen Münzstempel. Theudebert (f 547) Hess zuerst Münzen AVege, Münzen uml Älaasse. •541 auf seinen Namen schlagen. Dies geschah jedoch nicht allgemein. Vielmehr zogen die Münzer als Bevollmächtigte des Königs zu den Märkti'n und Gerichtsstätten umher, prägten da, wo das Bedürfnis« an Münzen entstand, und stempelten die Stücke mit ihrem eigenen Namen. Erst gegen die Mitte des 8. Jahrhunderts traten wesentliche Veränderungen ein. ^^'ahrscheinIich wegen Mangel an Gold und Zahlungsmitteln ging das fränkische Münzwesen vom Goldsolidus zum Silbersolidus über und ermässigte dadurch alle Bussen und Friedensgelder auf etwa den dritten Theil ihres Nominalwerthes. Ein Capitulare Karlmanns von 74ö (Boret. I, 27) erwähnt diese Wandelung. 12 der üblichen Denare bildeten den Silbersolidus. Derselbe wurde indess nicht geprägt, sondern war nur Rechnungsmünze. 3 solche Silber- solidi entsprachen rund einem Goldsolidus. Ein Capitulare Pipins von 754—755 (Ebd. I, 32, c. 5) bestimmt, dass auf das Pfund Silber nicht mehr als 22 Solidi, d. h. 264 Denare, geprägt werden sollten, von welchen der Münzer 1 Solidus als Schlagschatz erhielt. ]\Iit der Einführung dieser A\^ährung hörte auch das Schlagen von Münzen auf den Namen des Münzers auf, und es blieb nur eine geringe Zahl fester Münzstätten in Betrieb. Schon seit 780 wurde jedoch nach dem Capit. Episcopor. (Ebd. 1, 52) das Pfund Silber zu 20 Solidi oder 240 Denar ausgeprägt, der Denar wurde also schwerer. Karl der Grosse aber erhöhte seinen A\\'rt]i noch dadurch, dass er um diese Zeit an die Stelle des leichten römischen Pfundes von 327 Gramm ein schwereres setzte, welches Soetbeer auf 367, Guerard und v. Inama auf 408 Gramm berechnen. Seitdem blieb es bei der Festsetzung von 240 Denaren oder 20 Schil- lingen auf dieses Pfund. Bei den Alemannen wurde alsbald die Saiga dem neuen Silberdenar gleich behandelt. Die Bayern aber blieben bei der Rechnung nach dem Goldsolidus, den sie zuerst zu 36, im 9. .Jahrhundert aber zu 30 fränkischen Denaren anschlugen (Brunner, Deutsches Privatrecht Bd. I, S. 213 ff., Bd. II, S. 240 ff.). Aus diesem Geldwesen erklärt sich, dass die Grundherren be- ginnen konnten, neben den Naturalleistungen auch Geldzinsen für Landverleihungen festzusetzen, und sich selbst dadurch für gewisse Geldbeträge zahlungsfähig zu machen. Wie wenig sich indess die durch den Geldumlauf gegebenen Verkehrserleichterungen nach Norden in die deutschen Volkslande er- streckten, ergiebt sich daraus, dass die Sachsen noch nach ihrer Unterwerfung einen grösseren Silbersolidus zu 3 Trimsen (d. h. Tre- 542 ' ^II- 1- Verkehrsanforderungen an den Staat: missis, womit früher der 3. Theil des Goldsolidus, der Goldtriens, bezeichnet wurde) und einen kleinen zu 2 Trimsen unterschieden, welchem ersteren ein 1^/2 jähriger, letzterem ein 1 jähriger Ochse gleichstand. Auch die Wergelds^ätze zeigen die Verschiedenheiten, welche in der sächsischen und friesischen Münzberechnung gegen- über der fränkischen bestanden. Jede Münzstätte stellte indess durch den Schlagschatz des Münzers, der sich mit dem immer öfteren Umprägen der iMünzen beträchtlich erhöhte, ein fiskalisches Werthsobjekt dar, welches auch veräussert werden konnte. In älterer karolingischer Zeit ist nur bekannt, dass der Herzog von Benevent und der römische Bischof Münzen, jedoch nur mit des Königs Namen, schlagen lassen durften. Unter Ludwig I. aber finden sich zuerst Verleihungen des Münzrechtes an Kirchen und Klöster, welche namentlich im Zusammenhange mit Markt- verleihungen standen. Für den Marktherrn war es allerdings sehr wichtig, an dem vielleicht weit abgelegenen Marktorte das unbe- stimmbar entstehende Bedürfniss an Münzen sicher befriedigen zu können (Brunner a. a. 0. Waitz, D. Verf.-Gesch. IV, 94). — Was nun endlich die Maasse betrifft, so stand die Aufstellung bestimmter Gewichte im engsten Zusammenhange r;iit dem Münz- wesen. Die römische Münzprägung ging von dem römischen Pfunde, der Libra oder dem As, von 327 Gramm aus, das in 12 Unzen zer- fiel. Aber wie gezeigt, änderte Karl der Grosse dieses Pfund sogar für die Münzprägung in ein Gewicht um, welches mindestens 40, vielleicht 80 Gramm schwerer war. Wie weit dasselbe als allgemeines Handelsgewicht zur Geltung kam, ist nicht zu erkennen. G. Schmoller (Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirthschaft , Jahrgang XVII, S. 202) weist darauf hin, dass dem römischen Gewichtssysterae in Skandinavien und auch in Deutschland ein griechisches vom schwarzen Meere her begegnete, das mit dem Landhandel zur Ostsee gelangte. Aus diesen griechi- schen Beziehungen stammte das Gewicht der Unze von 29 Vi Gramm, welches in dem angelsächsischen Pfunde von 12 Unzen zu etwa 350 Gramm und in der skandinavischen und kölnischen Mark von 8 Unzen oder Oeren, gleich 16 Loth, oder 233,85 Gramm zu ausge- dehnter Geltung kam, wenn auch die kölnische Mark erst 1042 genannt wird. Diese Unze ist nach Queipo's Untersuchungen \) die achtfache ') Essai sur les syst^mes metriques et inonetaires des anciens peuples depuis les pi-emiers temps historiques jusqu'a la fin «^lu Kalifat d'Oricnt. Paris 1859 (Bd. II, S. 344 ff.). Wege, Münzen und Maasse. 543 Drachme (je zu 3,70 Gramm) des sogenannten bosporischen Maass- und Gewiehtssj'stems, nach welchem die cyzikenischen Silbermünzen geprägt wurden. Diese Münzen beherrschten den griechischen Handel am Pontus in seiner Blüthezeit, und dasselbe Gewichtssystem lag den ältesten syrischen und sidonischen ^Münzen zu Grunde. Es weist auf das alte babylonische Talent, das nach Korinth übertragen wurde, zurück. Daher ist es kein Zufall, wenn die kölnische Mark genau Vs der ]Mine der Ptolemaeer lieträgt. So unzweifelhaft also römisches Gewicht im deutschen Norden eine gewisse Geltung erhielt, so war sie doch eine sehr getheilte. Die kölnische Mark gelangte dem römischen wie dem karolingischen Pfunde gegenüber zu weit allgemeinerem Gebrauch, und von der Durchführung oder Einbürgerung eines vom Staate festgesetzten Ge- wichtss3'stems kann nicht füglich gesprochen werden. — Dieselbe Erscheinung zeigt sich bei den Hohlmaassen. Auch hier war der römische Modius (V3 der Amphora), dessen Inhalt mit Regenwasser gefüllt 24 römische Pfund wog, und gleich 8,75 Liter festgestellt ist, das gegebene, allen Romanen bekannte Grundmaass. Aber Karl der Grosse vergrösserte es gleichzeitig mit seiner Münz- feststeUung derart, dass 2 Modii fortan 3 derselben gleich sein sollten, und Soetbeer's umfassende und sehr sorgfältige Untersuch- ungen^) haben gezeigt, wie schwierig es ist, mit Sicherheit dieses neue karolingische Hohlmaass zu berechnen. "Wie Georg Küntzel in seiner Abhandlung über die Ver- waltung des Maass- und Gewichtswesens im Mittelalter (in Schmoller's Staats- und sozialwissenschaftlichen Forschungen Bd. XIII, Heft 2, 1894) näher zeigt, ist es allerdings höchst wahrscheinlich, dass Karl der Grosse den Gedanken fasste, mit seiner Münzreform auch eine allgemeine Maass- und Gewichtsordnung in seinem Reiche durch- zuführen-). Schon sein Vater Pipin hatte in dem Capitulare Suessoniense von 744 von jedem Episcopus gefordert: ut per omnes civitates legitimus forus et mensuras faciat (Boret. I, 30). 789 berief sich Karl indess in seiner admonitio generalis (Boret. I, 53) in Betreff der M?asse noch lediglich auf die Bibel: ut aequales mensuras et rectas, et pondera justa et aequalia omnes habeant, sive in civitatibus sive in monasteriis, sive ad dandum in ') Beiträge zur Geschichte des Geld- und Miinzwesens in Deutschland, in den Forschungen zur deutschen Geschichte Bd. VI, S. 56 ft'. -) Vgl. Waitz, Deutsch. Verf.-Gesch. IV, S. 63. 544 XII. 1. Verkehr.sanfor(l(Mun^,'cii an den Staat: illis sive ad accipiendum, sicut et in lege Domini praeceptum habe- mus, item in Salomone domino dicente: »ponduH et pondus, men- suram et mensuram«. Nachdem er aber um etwa 780 das neue, wie es scheint, gegen das römische nahezu Vs schwerere Münzgewicht eingeführt hatte, mit welchem der um Vs grössere Modius in Uebereinstimraung steht, enthält 794 das Capitulare Francofurtense c. 4 (Boret. I, 74) die Be- stimmung: Statuit noster rex, ut nulkis homo, sive ecclesiasticus sive laicus sit, ut niniquam carius vendat annonam, sive tempore abundantiae sive tempore earitatis, quam medium publicum et noviter statutum, de modio de avena denario I, modio ordii, denarius II, modio sigalo denarii III, modio frumenti denarii IV . . (c. 5) De denariis autem cer- tissime sciatis nostrum edictum, quod in omni loeo, in omni civitate et in omni erapturio similiter vadant isti novi denarii, et accipiantur a!) Omnibus. In diesen Preisfestsetzungen sieht v. Inama (Deutsche Wirthschaftsgesch. I, 476) aus den von ihm näher ausgeführten Gründen mit Recht nur die beabsichtigte Reduktion des bisher üblichen Getreidewerthes auf die neuen Maass- und Gewichtsgrössen, und ebenso ist Soetbeer in seinen Beiträgen zur Geschichte des Geld- und Münzwesens in Deutschland (in den Forschungen zur deutschen Geschichte Bd. VI, S. 73) der Meinung, dass das Capitul. Francofur- tense den Zusammenhang der Maass- und Gewichtsreform mit der Münzreform erweise. Das Verhältniss des Nahrungswerthes im gleichen Gewicht der verschiedenen Getreidesorten stimmt mit dem festgesetzten Preis verhältniss gut überein. Auf diese Kundgebung folgt die Weisung des Capitulare von 802 an die Mis.si (Boret. I, 104): aequales mensuras et rectas et pon- dera justa et aequalia omnes habeant, et qui antea dedit tres modios, modo vel duos. Ebenso ist durch Ansegisus (Appendix II, 0. Boretius I, 115) die Mahnung eines Capitulare von 803 c. 8 erhalten: de men- suris, ut secundum jussionem nostram aequales fiant. In den Capitula a misso cognita facta (zwischen 803 und 813, Boret. I, 146) heisst es noch in c. 10: nullus homo praesumat aliter vendere aut emere aut mensurare, nisi sicut dominus Imperator man- datum habet. Es ist deshalb nicht zu bezweifeln, dass der Kaiser auch Ver- anstaltungen getroffen hatte, Normalmaasse für das festgesetzte Maass zu verbreiten. Einige spätere Nachrichten weisen ausdrücklich darauf zurück. In den Epistolae ad episcopos (816—817, Boret. I, 342) sagt "Wege, iMünzen und Maasse. 545 Ludwig der Fromme: direximus praeterea tibi pondus et mensuram, secundum quac clcricis et sanctimonialibus panis et potus aequaliter tribuendae sunt, quae ut ab omnibus firmissime atque inviolabiliter teneantur decernimus. Allgemeiner fordert nocli das Ediktum Pistense von 864 (Boret. I, 492): ut omnes et rei publicae ministri ac ceteri fideles nostri pro- videant, quatenus justus modius aequusque sextarius secundum sacram scripturam et capitula praodecessorum nostrorum in civitatibus et in vicis et in villis ad vendenduni et (^mendum fiat, et mensuram se- cundum antiquam consuetudinem de palatio nostro accipiant, et non pro hac occassione a mansionariis vel ab bis qui censum debcnt, major modius, nisi sicut consuetudo fiat, exigatur. Et ipsi homines, qui per villas de denariis providentiam jurati habent, ipsi etiam de mensura ne adulteretur provideant. Dabei wird auf ein Capitulare von 812 in Ansegisus lib. III, c. 90 Bezug genommen: ut aequales mensuras et rectas et pondera justa et aequalia omnes habeant, sive in civitatibus sive in monasteriis, sive ad dandum invicem, sive ad accipiendum, sicut in lege Domini praeceptum habemus. Trotz alledem lässt sich nicht daran denken, dass die karo- lingischen Vorschriften aueli nur annähernd zu allgemeiner Durch- führung gekommen seien. Zunächst fehlte dem karolingischen Maasse der Anscbluss an ein auf dem gesammten weiten Ländergebiete bekanntes Normalraaass. Schon in der römischen Kaiserzeit war die Grösse des Modius keinesweges bestimmt. Ein vetus agrimensor (Blume, Lachmann u. Ptudorff, Schriften d. röm. Feldmesser, I, S. 375) sagt darüber: quemad- modum autem de sextario, sie et de modio aliis placuit IG sextariis modium impleri, aliis 20 et duobus, aliis vero 24. Sed has men- suras ad Votum principum vel judicum esse deprchendimus. F. Hultsch (Griechische und römische Metrologie, Berlin 1862, S. 87) berechnet den Modius von 16 Sextarien zu 8,75 Liter, etwa V'e Scheffel preuss. Nach dem Agrimensor würde er auch 13,125 Liter Inhalt gehabt haben können. Hultsch (S. 94) zeigt überdies, dass in der späteren Kaiserzeit auch ein sogenannter modius castrensis im Gebrauch war, welcher den doppelten Inhalt des gewöhnlichen, also 17,50 Liter, hatte. Es ist möglich, dass dieser, wie es scheint, vom Militär ge- brauchte Modius in den fernen Provinzen der üblichere war. Indess zeigen die obigen Hinweise schon, dass in der merowingischen und karolingischen Zeit eine grosse Verschiedenheit alter Maasse herrschte. Meitzen, Siedelang etc. II. 35 546 XII- !• Verkehrsanforderungen an den Staat: B."Gucrard hat in der Revue numismatique des Jahres 1837 (p. 406) und in der Einleitung zu seiner Erläuterung des Polyptichon des AV)tcs Irmino, auf Grund von Vergleichungen der Geldwerthe, Getreidepreise und Brotgewichte, den Modius Karls des Grossen von 794 zu 52,2 Liter und den vorher bestehenden nach der urkund- lichen Angabe von 802 zu Vs, also 34,8 Liter, berechnet. Sp. Fossati legt seiner Berechnung in einer Abhandlung: De ratione nummorum, ponderum et mensurarum in Galliis sub primae et secundae stirpis regibus (in den Schriften der Akademie zu Turin Serie sec. V, 1843), eine alte Aufzeichnung aus dem Ende des 9. Jahr- hunderts zu Grunde, wonach damals der Modius gleich 16 Sextarien gewesen, auf den Sextar aber 6 Pfund gerechnet worden seien. Dieses Pfundgewicht nimmt er zu 433,4 Gramm an, und findet danach für den karolingischen Modius 41,96 Liter, für den früheren 27,31 Liter Rauminhalt. Ad. Soetbeer endlich untersucht in sehr scharfsinniger und technisch wie historisch gründlicher Weise die Angaben des Capitu- lare Francofurtense von 794 und des Capitulare Duplex ad Niumagam von 806 (II, 7 u. 8, Boret. I, 131) nach den verschiedenen Getreide- arten und Preisfestsetzungen, sowie nach dem Verhältniss zu Mehl und zu gebackenem Brote, und erachtet aus dem Ergebniss (VI, S. 78) für das Wahrscheinlichste, dass der Modius von 794 rund 40 Liter, der karolingische Modius 60 Liter Inhalt gehabt habe. Er urtheilt auch (S. 92) auf Grund der frühen Urkundenreihe von St. Gallen, dass Avesentliche Veränderungen dieses Modius, wenig.«tens bis in das 10. Jahrhundert, nicht anzunehmen seien, und dass den Schweizer Maassen entsprechend der Malter gleich 2 Modii und der INIodius oder Mutt zu 4 Viertel zu rechnen sei. Aus diesen Feststellungen geht wenigstens der Umstand mit Sicherheit hervor, dass der alte wie der neue karolingische Modius nicht mit dem römischen Modiusmaass, weder mit dem des gewöhnlichen Modius von 8,75 Liter, noch mit dem des castrensis von 17,50 Liter übereinstimmen, oder in einer rationellen Beziehung stehen. Da- durch wird die Auffassung unterstützt, dass bis 794 der für das Palatium des Königs geltende und von diesem aus wohl auch in ent- fernten Gegenden angewendete Modius keinen anderen Charakter ge- habt habe, als den eines individuellen königlichen oder fiskalischen Maasses, welches für die sonstigen örtlich üblichen Maasse keine be- stimmende Bedeutung hatte. Von den Grafen- und bischöflichen Gerichten wurde in den Verfügungen Pipins und Karls vor 79'± Wege, Münzen und Maasse. 547 nichts anderes gefordert, als dass sie für richtige, dem Örtlichen Gebrauche entsprechende Maasse und deren gerechte Anwendung Sorge trügen. Der 794 auftretende Gedanke, ein bestimmtes königliches Maass allgemein und als das einzig gesetzliche durchzuführen, war an sich ein durchaus richtiger und durch die stattgehabte Gewichtsverände- rung der Münzen dem Könige nahegelegt. P]r konnte auch wegen des vielfach nur nominellen Charakters, den die gesetzlichen Müuz- und Maassbestimmungen an sich trugen, einfacher durchführbar er- scheinen, als sich thatsächlich herausstellen musste. Obwohl man indess die Einführung solcher von staatswegen festgestellter und kontrolirter ^Maasse und Gewichte nicht entfernt mit den kompli- zirten Einrichtungen des Aichwesens der Gegenwart vergleichen wird, ging doch die unabweisbar nöthige gleichmässige Anfertigung und unbeschädigte Versendung einer so grossen Masse von Xormalmaassen, wie sie das fränkische Reich erforderte, ebenso die Umformung oder Beseitigung der im Gebrauche befindlichen, vor allem aber die Fürsorge, die ausschliessliche Anwendung der neuen Maasse überall zu erzwingen, und alle gewohnten Zinsleistungen und Marktgeschäfte entsprechend umzugestalten, weit über die Kräfte und Hülfsmittel und über das allgemeine Verständniss der damaligen Verwaltung. Es wird auch die fortdauernde Anwendung verschiedener Maasse ausdrücklich bekundet. Zwar sagt um 800 das Capitulare de villis c. 9 ganz bestimmt: Volumus ut unusquisque judex in suo ministerio mensuram modiorum sextariorum et siculas per sextaria octo, et corborum eo tenore habeant sicut et in palatio habemus. Aber selbst die Beispiele der von diesem Capitulare geforderten Güterverzeichnungen im Breviarum rerum fis- calium (o. Bd. I, S. 603) sagen bei der Beschreibung von Asnapio: reliqua reperimus: siliginis modios XCVIII, seminum totidem; ordeo modios mille DCCC, seminum IC; reliqua reperimus avena modios CCCCXXX; . . de molinis V modios DCCC ad minorem mensuram (Boret. I, 250). Es ist aus der Summe der Getrcidemodii klar, dass sich die Erwähnung des geringeren Maasses imr auf das Mehl be- ziehen kann, und nicht an eine Umrechnung zu denken ist. Die oft wiederholten Hindeutungen der Capitularien erweisen ge- nügend, dass es bei den Verwaltungen der zinsberechtigten Grund- herren ein sehr verbreiteter Missbrauch blieb, das als Zins eingehende Getreide nach grösserem Maasse zu messen, das ihrerseits als Lohn oder Kost abzugebende nach kleinerem. 35* 548 XII. 1, Verkehrsanforderungen an den Staat: Welche Erfahrung und Meinung die Bischöfe um 829 über das neue Maass- und Gewichtswesen gewonnen hatten, spricht die relatio epis- coporum ad Hludovicum imperatoreni (Boret. II, 334) wahrscheinlich noch mit einer gewissen Zurückhaltung aus. Sie bemerkt: et modus injustis in sextariis, quae domini lege haberi prohibentur, qualiter res ad certam correctionem perduci possit, non satis perspicue noliis patet, eo quod in diversis provinciis diversae ab omnibus pene ha- beantur. Hoc tamen modis omnibus optamus et admonemus, ut saltem nullus duplicas mensuras in sua dominatione aut habeat aut haberi permittat, quoniam hac occassione multos pauperes adfligi in plerisque locis cognovimus. Bezeugt ist also, dass die im Verkehr mit allen Schichten des Volkes stehenden Bischöfe, welche in den einzelnen Landestheilen die fast überall verschiedenen Maassgrössen und INIessungsweisen kannten, nicht einmal die Möglichkeit der Durchführung des Einheitsmaasses einzusehen vermochten. Wenn sie aber ihre Wünsche lediglich darauf beschränkten, dass innerhalb derselben Grundherrschaft nicht ver- schiedene Maasse für die Leistungen der Unterthanen und für die der Herrschaft bestehen möchten, so ist dies zugleich das sprechende Zeugniss dafür, dass in der That der Gebrauch von bestimmten Maassen und Gewichten hauptsächlich im Verkehr mit den grundherrlichen Verwaltungen in Frage kam, und dass die Beschwerden vorzugsweise den Mangel örtlicher gerechter Handhabung der Messungen durch dieselben betrafen. Wie wenig es nun thatsächlich gelungen ist, dem königlichen Maasse Eingang in diesen Lokalverkehr und bleibende Ausbreitung zu verschaffen, wie vielmehr die bekundete Verschiedenheit der örtHch in Uebung gekommenen Maasse wie vorher, so auch nach den Anord- nungen Karls des Grossen dauernd fortbestanden hat, ergiebt vor allem die überaus grosse Mannigfaltigkeit der in allen Landestheilen aus dem Mittelalter auf unsere Zeit gekommenen Gewichts-, Hohl- und Längenmaase ^). Für ein allgemeines Bild dieses Maasswesens *) Ueber die in den verschiedenen Theilen Deutschlands geltenden Maasse sind folgende Zusammenstellungen zu nennen: M. Daniel Sehwenter, Geometriac practicae novae et auctae Tractatus I, Nürn- berg 1625; Müllner, Münz-, Maass- und Gewichtskunde, Prag 1796; Anton, Geschichte der Landwirthschaft, Görlitz 1799, behandelt in Bd. I, 393, Bd. II, 258 und Bd. III, 217, die Geschichte der älteren Maasse; Joh. Tobias Mayer, Gründlicher und ausführlicher Unterricht zur praktischen Geometrie, Güttingen 1818, mit umfassendem Material; Wege, Münzen und Maasse. 549 Wesens haben die Notirungen und Vergleichsberechnungen zum Amts- gebrauch und frühe Bearbeitungen und VeröfienÜichungon den Zu- sammenhang hinreichend erlialten. Die wiclitigston alten Hohlraaas.se lassen sich nach diesen An- gaben in ihrer örtlichen Verl)reitung und in den übereinstimmenden oder abweichenden Verhältnissen ihres Inhaltes übersehen. Für den Modius kam schon früh in den deutschen Ländern Mut oder Mutte in Gebrauch. CJrafF (Althochdeutscher Sprachsehatz Bd. II, S. 700) nimmt dafür auf des Hrabanus Maurus Glossar (metreta, mutte, modium, mutti, p. 969) Bezug. Du Cange's Glossar bestätigt dies unter maltra, und führt dazu auch aus Vadian und Goldast an: modius vero seu mut comprehendit quatuor quartalia. Das Mutmaass hat sicli in Deutschland nur durch das in Sachsen und Friesland weit verbreitete Drömt oder den Drömel (o. Bd. II, 41, 81), den Tremodius^), erhalten, der ein Getreidemaass von 12 Scheffeln ist und in Lübeck, Mecklenburg und Pommern, bei Hafer und anderem Getreide, zwischen 404,2 und 535,3 Liter Inhalt schwankt, also auf einen Modius von 134,7 bis 178,4 Liter hinweist, welcher 4 Scheffel enthielt"). Neben dem Mut findet sich nach Graff (II, 727) schon in den ältesten Urkunden der Malter. Du Gange sagt über ihn mit Bezug auf die genannten Gewährsmänner: maltra, maltrura, maldrus, men- sura Germanica continens quatuor modios. Dies bestätigt für 1154 Eckardt (Cod. dipl. Westfal.II, 299). In der Regel wird der Malter aber in 12 Scheffel getheilt. Das Mut müsste deshalb in 3 Scheffeln bestehen, 4 Scheffel auf das ^lut werden indess, wie durch das Drömt, auch dureli Corveyer Verzeichnisse in Kindhnger's Münsterischen Beiträgen (II, 121 und 123) bezeugt, wo wiederholt als Höhe ehies Zinses 10 Mut und 3 Scheffel angegeben sind. Al)weichungen in der Thei- Niemann, Vollständiges Handbuch der Münzen, Maasse und Gewichte, 1830; Chelias, Maass- und Gewichtsbuch, bearb. von Ilauschild, Frankfurt 1830, mit Vergleichungstafeln der Gewichte u. dgl. 1836; Noback, Vollständiges Taschenbuch der Münz-, Maass- und Gewichtsvcrhältnissc, Leipzig 1850; und Münz-, Maass- und Gewichtsbuch, Leipzig 1852; Wagner und Strakerjan, Compendium der Münz-, Maass- und Gcwichtsverhältnissc, Leipzig 1855. ') Anton, Geschichte der Landwirthschaft Bd. III, S. 227. ^) In Paris bestand, wie Soetbeer IV, S. 91 mittheilt, das Getreidemaass muid, welches später bei Weizen einen Inhalt von 1874 und bei Hafer von 3748 Liter hatte. Andre ältere Maasse theilen Lamprecht (Deutsch. Wirthschaftsleben 11, 481) und V. Inama (Deutsch. Wirthschaftsgesch. II, 496) mit. 550 XII. 1. Verkehrsanforderungen an den Staat: lung, wie diese und wie die durch Soetbeer in Bezug genommene Rechnung in St. Gallen, wo der Malter 2 Mut, der Mut aber 4 Viertel enthält, sind landschaftliche, und erklären sich leichter, als der oft weit und um ganz irrationale Grössen schwankende Inhalt dessell)en Maasses in nahe benachbarten Oertlichkeiten. Das Maltermaass zu 12 Scheffel hat sich am Rhein durch das ganze Mittelalter als Hauptmaass erhalten. Der Malter betrug Der alte Modi US würde Inhalt gehabt haben bei Vi bei % bei V2 des Malters in Köln 1C3,2 Liter 40,8 Liter 51,1 Liter 81,6 Liter in Mannheim und Heidelberg 103,8 = 25,9 = 34,6 = 51,9 = in Heilbronn 111,1 = 27,8 = 37,0 = 55,5 = in Frankfurt a/M. 115,7 = 28,0 = 38,6 = 57,8 = in Fulda 177,6 = 44,4 = 59,2 = 88,8 = Die Berechnung zeigt, dass, wenn diesen Maltern ein ]Mutmaass zu Grunde liegt, dies nur der merowingische Modius sein könnte. Anton (Gesch. d. L. Bd. I, S. 393) rechnet übrigens (nach Nau- gart's Cod. dipl. Alemann. I, 189) für 876 5 Mut auf den Malter, nämlich 10 Mut = 1 Tremis = 4 Denar = 2 Malter. Lamprecht (II, 509) stellt die Maltermaasse von 34 Orten an der Mosel und am Rhein zusammen. Sie schwanken zwischen 101,0 und 272,1 Liter, und die Hauptmärkte brauchen kaum die Hälfte so grosse Malter, als die entfernteren Bezugsorte. Das Viertel findet sich in Hessen als Hauptmaass bis heut. Ein Viertel beträgt also das Ganze: in Kassel 135,2 Liter 540,8 Liter in Wanfried 144,0 = 576,0 = in Eisenach 74,2 = 296,8 = Das Grundmaass ist vielleicht der Wispel gleich 2 Maltern. Die Berechnung des Ganzen von vier Vierteln zeigt, dass sich für das- selbe nicht an den alten Modius denken lässt. Dagegen enthalten, wie Soetbeer (VI, S. 91) angiebt, die alten St. Galler Marktviertel 19,44 Liter, der Mut würde also mit 77,76 Liter dem karolingischen Modius nahestehen. Ein anderes sehr altes deutsches Ilohlmaass ist das Scheffel- maass, skcfil, altsächs. scepil, plattd. schepel, von scaf, Schaff, nord. scapr (capsa, tina). Es kommt bereits im Capitulare Saxonicum (Boret. I, 71) von 797 sowohl bei den südlichen, als bei den nörd- lichen Sachsen vor. In Nordsachsen ist der Scheffel indess durch den Himten ver- drängt worden. Das Himtenraaass enthält Wege, Münzen und ^Nlaasse. 55 1 in Quedlinburg 27,7 Liter in Braunschweig 32,3 = in Goslar und HiUleshcim 35,1 = in Hannover und L ineburg 31.3 = in Kiel 33,2 = in Bremen 71,9 Liter = Wesel 38,7 = = Eisenach 74,2 . = Weimar 74,9 = = Gotha 88,3 = = Duderstadt 30,3 = - Heiligenstadt 32,6 = = Langensalza 43,3 = Es steht also dem rheinischen ]Modiusmaasse ziemlich gleich, wahrend sich aus dem sächsischen Drömtmaasse der Modius als 4- bis 5 mal grösser berechnet. In Südsachsen ist dagegen das Scheffelmaass erhalten geblieben und hat im Laufe des Mittelalters ausserdem weite Verl)reituug nach Thüringen, Obersachsen und Süddeutschland gewonnen. Es fasst in Erfurt 60,6 Liter -' KöUeda 3.5,7 = = Mühlhausen 40,4 = = Nordhausen 45,8 = = Jena 154,9 = = Plauen 155.6 = = Obersachsen 103,9 = = Württemberg 1 1 7,2 = und entsprechend unter dem N.imen Schall" in Augsburg 206,9 und in München 204,7 Liter. Im 12. und 13. Jahrhundert ist dies Scheffelmaass auf alle nr)rd- lichen deutschen Kolonisationsgebiete rechts der Elbe übergegangen, und zwar nach Brandenburg mit 54,96 Liter, nach Schlesien mit 74,6, Preussen 52,9, Rostock 39,2, Mecklenburg 38,89 und nach Lübeck mit 33,7 Liter Inhalt. Der Scheffel theilte sich fast auf seinem gesammtcn Verbreitungs- gebiete in 16 Metzen. Metze ist (nach Grafif II, 893) nur ein von dem allgemeinen deutschen Worte mez, Maass (nord. met) hergenommener Ausdruck. Ihr Inhalt schwankt entsprechend dem der Schellelmaasse von 2 bis nahezu 10 Liter. In Süddeutschland ist indess die Metze (Mes, Mesa, Meta) als ein grösseres Maass ohne Beziehung zum Scheffel in Gebrauch, so in Würzburg mit 21,9 Liter, in Nürnberg mit 20,5, in Regensburg mit 31,1 Liter Inhalt. Sic ist durch die deutsche Kolonisation auch über Oesterreich, jedoch mit dem doppelten Inhalte von 62,0 Liter verl^reitet worden. Urkundliche Aufklih-ungen (Graff a. a. 0.) fehlen, doch lässt sich schwerlich bei dieser grösseren Metze an einen Rest des alten Modius denken. Eine bayrische Urkunde von 1241 (Mon. Boica VIII, 147) sagt: II metretas tritici, quod dicitur Purkmezz, und zwei stey- rische Urkunden (in Rauch, Script. Rer. Austriac. II, p. 161 u. 197) 552 ^11- 1- Verkehrsanforderungen an den Staat: erwähnen: una metreta fabarum, quarum XVIII faeiunt modium, sowie XII metretas, quarum VI metrete faeiunt I scaffyam. Auch wenn diese Zahlen richtig sind, liegt in ihnen nicht, wie Anton (III, 224) meint, das Verhältniss zum alten Modius, sondern sie bezeichnen die Metze des SchefFelmaasses. Dagegen gehört vielleicht zum Modius das Maass »Mittlen« (kleiner Mutt) von 53,0 Liter in Ulm. In Süddeutschland und am Rhein hat der Simmer Geltung. Er hält in Hanau 30,8 Liter, in Stuttgart 22,3, in Bamberg 78, 0 und in Koburg 84,0 Liter. Nach Würdtwein (Monast. Pal. IV, 357) kommen in den Speierischen Urkunden bis 1325 Malter vor, dann be- ginnen Simmer (Summer). Nach Lamprecht (II, 509) fasste der Summer in Mainz 12,6, in Trier 26,6, in Bitburg 22,1, in Köln 15,4 Liter. Diese Mannigfaltigkeit der Hohlmaasse, nicht sowohl in ihren Benennungen, als in ihrem überaus ungleichen Inhalte, spricht mit Bestimmtheit gegen die wirkliche Durchführung eines gleichmässigen karolingischen Modius. Ueber die Entwickelung und die gegenseitigen Beziehungen der Getreidemaase bis zur Karolingerzeit zurück würden sich anscheinend nähere Feststellungen für verschiedene Orte und für ganze Land- schaften aus den Hufenzinsen erreichen lassen. Für das Mut hat eine solche Ermittelung in Apelern (Anl. 10, Bd. III, S. 27) auf diesem Wege ausgeführt werden können. Sie ergiebt, dass dort an Corvey in der karolingischen Zeit von den Latenhufen zu je 120 jugera oder 48,5 ha Fläche ein Getreidezins von je 36 Mut zu leisten war, und dass diese alten Mut auf die Gegen- wart als je 3,6 rheinl. Scheffel oder 197,8 Liter gekommen sind. — Für die Längen- und Flächenmaasse sind die Maassver- schiedenheiten und ihre Entstehung leichter zu ermitteln, und es lässt sich aus ihnen am einfachsten ein verständliches Bild des mittel- alterlichen Maass- und Messungswesens und des .Einflusses, den die Grundherrlichkeit auf dasselbe geübt hat, gewinnen. In welcher Weise die volksmässigen Gewanndörfer der deutschen gemeinfreien Bauerschaften das Land in Besitz nahmen, und wie die jeder Hufe zufallenden Grundstücke aufgemessen und ausgeloost wurden, ist o. Bd. I, S. 83 ft*. in allen technischen Einzelheiten genau nach- gewiesen und mit zahlreichen Beispielen belegt worden. Im weiteren geschichtlichen Zusammenhange sind diese Messungs- fragen vom Verfasser in der Abhandlung: »Volkshufe und Königs- hufe in ihren alten Maass Verhältnissen« als Theil der Festgabe für Georg Haussen zum 31. Mai 1889, Tübingen 1889, dargestellt. Wege, Münzen und Maasse. 553 Uebereinstimmend damit hat sich o. Bd. I, S. 90 erwiesen, wie der Zweck der volksmässigen Feldeinriclitiing und ihre vollkommen ge- rechte und gleichmässige Theilung ohne Anwendung bestimmter Feidmaasse auf der einzelnen Flur erreicht und dauernd erhalten werden konnte, wie aber gleiche Landmaasse unter den Nachbar- gemeinden oder über weitere Landschaften in keiner Weise nüthig, und wo sie etwa bestanden, nur zufällig waren. Deshalb sind die Grössenverhältnisse der bekannten Landmaasse bisher nur gelegentlich berührt worden, die Entwickelung und der Zusammenhang der verschiedenen Arten derselben und ihre gegen- seitige Vergleichbarkeit haben noch keine Erwähnung gefunden. Darauf allerdings wurde o. Bd. I, S. 107 bereits hingewiesen, dass der Fiskus und die Grundherren schon in der ältesten Zeit be- stimmter Maasse für die Vertheilung von Tiändereien an ihre dienst- und zinsptiichtigen Hintersassen nicht entbehren konnten, und dass wir nicht ohne Nachricht darüber sind, in welcher Weise solche Land- maasse zur Geltung kamen. Beispiele dafür, dass Grundherren Land, welches sie an Freie oder Unfreie zur Ansiedelung weiter verliehen, durch wirkliche Messung in Hufen vertheilen Hessen, sind o. Bd. I, S. 533 aus der lex Visigothorum, Buch X, Tit. I, 14 für das 6. oder 7., auch in Anlage 115 (Bd. III, S. 379) aus der Schenkung des Hersfelder Zins- landes für 777 erwähnt. Tn G. Waitz's grundlegender Arbeit: »die altdeutsche Hufe« (Abhandl. der Göttinger Akademie der \\'issen- schaften, Bd. VI, 1854) finden sich weitere Angaben für das 8. und 9. Jahrhundert. Er führt aus dieser Zeit an : hoba legalis (Trad. Frising. No. 1098, S. 467, No. 1112, S. 471), mansus legitimus (Brequigny II, S. 346), hoba legitime dimensa (Trad. Sangaliens. 8. 363, No. 9), hoba plena et legitime mensurata (Ebd. S. 322, No. 5), hoba pleniter emensa (Ebd. S. 336, No. 29), hoba plena (Ebd. S. 286, No. 86; S. 331, No. 22; S. 363, No. 9; Laeomblet I, S. 5), mansus plenus (Tradit. Pataviens. No. 72; Tradit. Ratisbonens. S. 49), quidcjuid in illa men- sura proprietatis habes in villa (Trad. Fuld. S. 288). Auch hoba legahs, id est in tribus plagis jugera XV cum curtifero edificato (Meichelbeck I, II, No. 1112, h!. 471). NamentHch erwecken die Bezeichnungen legitimus, legitime di- mensa, legitime mensurata, legalis, die Vermuthung, dass sie auf ein gesetzlich gültiges, anscheinend allgemeines Landesmaass hinweisen. Ein genau bestimmtes, amtlich gebrauchtes Feldmaass ist auch in der That seit den ersten Karolingern bekannt. Es tritt im ge- 554 XII. 1. Verkehrsanforderungen an den Staat. sammten fränkischen Reiche übereinstimmend auf und hat unverändert bis in das 13. Jahrhundert in Geltung gestanden. Dies Maass ist die mit der virga regaUs von 4,70 m gemessene, 21600 dieser Dvirgao umfassende Königshufe, mansus oder hoba regalis von genau 47,736 ha. Die Flächengrösse der Königshufe und die Länge der virga re- gaUs sind in Anlage 86 auf den Marschen um Bremen aus der Kolonisationsurkunde Friedrichs von Bremen von 1106 rechnungs- mässig festgestellt (Bd. II, S. 34, Bd. III, S. 86). Die Urkunden und Karten von Apelern (Anlage iö, Bd. III, S. 23), Hankenbusch (An- lage 75, Bd. III, S. 246), Hersfelder Zehntland mit Bischdorf (An- lage 115, Bd. II, S. 331, Bd. III, S. 379), Effeltern (Anlage 124, Bd. II, S. 410), Görlitz (Anlage 131, Bd. II, S. 442) und Taucha (Anlage 133, Bd. II, S. 474), welche in Anlage 147 mit weiteren Angaben zu- sammengefasst sind, ergeben die Uebereinstimmung dieses Maasses irn gesammten fränkischen Reiche. Es ist auch seine Entstehung und Nothwendigkeit durchaus verständlich. Ohne Zweifel fiel dem fränkischen Könige jährlich eine nicht un- beträchtliche Zahl Guter zu, welche in festen Grenzen lagen. Rück- fällige Lehne, Konfiskationen wegen Aufruhr, wegen Verbrechen, wegen Landesflucht, herrenlos und unbeerbt gefundene Besitzungen waren, je unruhiger die Jahre verliefen, desto sicherer zu erwarten. Grössere Güter aber hatten ihren eigenen Namen, und einzelne Hufen waren durch die Ortschaft und ihre Lage in derselben hinreichend genau bestimmt. Wenn sie der König einem neuen Berechtigten überwies, konnte der Graf oder sein Schultheiss nicht zweifelhaft sein, um welche Besitzthümer es sich handle, und wie im Streitfall ihre Grenzen festzustellen seien. In allen solchen Fällen war also kein Maass nöthig, und es würde nur zu Irrungen führen, wenn man annehmen wollte, bei jeder Verleihung sei ein allgemeines Landmaass angewendet oder vorausgesetzt worden. Aber es zeigt sich, dass ein gewisser Kreis königlicher Schen- kungen und Zuwendungen an bekannte oder überhaupt an bestehende Grenzen in keiner Weise anknüpfen konnte. Der König war in Aachen oder auf entfernten Hofhaltungen in irgend einem Theile des Reiches, die Anforderungen, erfolgreiche und muthige Dienstleistungen, unerwartete Treue, oder finanzielle Hülfen, Vorschüsse und Versprechen zu belohnen oder zu begleichen, liefen bei ihm aus allen Provinzen ein, und immer war das fiskalische Land das einfachste und schnellste, "Wege, Münzen und Maasse. 555 durcli eine einzige Urkunde leicht flüssig zu machende Zahlungsmittel. Dieses Land bestand meist in vom Kriege verwüsteten Besitzungen, oder weiten, kaum berührten Waldungen in wenig bekannten entfernlcn Ivandstrichen. Die .Schenkungen geschahen vielfach in der Absicht, dort erst Zugänglichkeit und beginnende Kultur zu schaffen. An eine vorherige Feststellung der Oertlichkeit oder der näheren Beschaffenheit der T^age konnte nicht gedacht werden, darüber wären bei den grossen Entfernungen und bei der Art der Kommunikation Jahre vergangen. Deshalb blieb nichts anderes übrig, als ein Flächenmaass, und zwar ein ziemlich ausgiebiges, anzugeben, und den Grafen des Bezirkes anzuweisen, dassellie an dem nur im allgemeinen bezeichneten Orte zur Zutheilung zu bringen. Ausdrückliche Verordnungen über ein solches Flächenmaass und seine Grössenverhältnisse sind nirgends bekannt. Wohl aber lassen sich die o. S. 544 angeführten Nachrichten, dass vom Palatium aus Xormalmaasse an die Bischöfe und die Provinzen versandt worden seien, auch auf die IMaasse der Königshufe beziehen, da es in jedem Falle leichter war, ein Längenmaass, wie die virga rcgalis, also ein Band oder eine kleine Kette von 4,7 m Länge, zu verschicken, als ein Hohlmaass von irgend welcher Grösse. Es ist sogar darüber, dass für amtliche Messungen mit dem Königsmaass die ncithigen Längenmaasse, sub capite sigilli nostri in trapellum includendo, also in einem versiegelten Säckchen, den zuständigen Behörden zugingen, ein ausdrückliches Zouguiss vorhanden. Dasselbe stammt zwar allerdings erst aus dem .Jahre 1336 und aus Ungarn, gii'bt aber als einzige bis jetzt bekannte; Erwähnung bei der Gleichartigkeit der dortigen Ein- richtungen mit den deutschen einen sehr beachtenswerthen Anhalt^). ') Der Hinweis auf die Urkunde ist Herrn Professor Emerich Hajnik in Bmla- pest zu verdanken. Sie findet sich im Codex diplom. domus Senioris Comitum Ziehy, quem publici juris fccifc societas histor. Hungar., Pest. 1S71, T. I, p. 501, und lautet: „Nos Comes Paulus Judex Curiae Domini Regis damus pro memoria. Quod cum sc- cundum continentiam priorum litterarum nostrarum modum et fonnam judicii nostri cxpri- mentium homines Regii sub testimonio Capituli Agriensis f. 2. proxima post quindenas festi Passac Domini proxime praeteritas ad faciem cuiusdam possessionis Thoniae filii Simonis Kereplye vocatae in Comitatu de Zemlyn existentis acecdere et eandem Regali mcnsura in eisdem prioribus littcris nostris exprcssa et discussa, mensurando, Regnique consuetudine exigente estimando, si eam ad valorem triginta trium marcarum et non ultra neque infra invcnirent, eundem Johanni dicto Batur et Matheo filio Petri per- petuo possidendam statuere. Si vero minoris valoris fieret, defectum eiusdem idem Thomas de alio posscssione sua eo conditionis moderamine, ut obligationem in priori- bus litteris nostris assumptam incideret si secus faceret in praemissis, suplere. Si vero amplioris valoris fieret, superfluum eiusdem üdem homines Regii eidem Thomae filio 556 Xir. 1. Verkehrsanforderungen an den Staat: Die älteste hinreichend beglaubigte Ansetzung von Königshufen um das Jahr 777 ist (in Anlage 115, o. Bd. III, 379 und Bd. II, 331) auf dem Hersfelder Zehntlaiide bei Merseburg nachgewiesen. Die erste ausdrückliche Erwähnung der Königshufe findet sich im Capitulare Caroli Magni Aquisgranense aus einem der Jahre von 801 bis 813 (Boretius I, 170, No. 77) unter der Weisung XIX, de villicis quid facere debeant. Sie sagt: ut villicus bonus, sapiens et prudens in opus nostrum eligatur, qui sciat rationem misso nostro reddere et servitium perficere, prout loca locata sunt, aedificia emendent, nutriant porcos, juraenta, animalia, ortos, apes, aucas, pullos, vivaria cum pisces, vennas, molina, stirpes, terram Simonis resignare et seriem omnium praemissorum partes in oetavis b. Georgii martiris in litteris dicti Capituli Agriensis nobis reportare debuissent. Ipso termino reportationis praemissae seriei adveniente praetacti Johannes dictus Batur et Mattheus filius Petri perso- npiiter, pro praedicto vero Thoma filio Simonis Nicolaus de Bachka cum procuratoriis lUteris dicti Capituli Agriensis ad nostram accedentes praesentiam litteras jam dicti Capituli Agriensis nobis praesentarunt, in qnibus vidimus contineri, quoil Zonchyl filius Johannis et Mattheus filius Johannis de Isyp homines Domini Regis, praesen- tibus D. Dominico sacerdote Rectore ecclesiae Sancti Ladislai Regis et magistro Johanne clerico subnotario dicti Capituli, testimoniis eiusdem Capituli Agriensis in praedicta feria sccunda proxima post quindenas Passae Domini cum partibus praelibatis ad faciem dictae possessionis Kereplye vocatae accessissent et eandem vicinorum et commetaneorum ipsius universorum legitimis convocationibus factis per suas veras metas et antiquas reambulassent, reambulatamque cum ipsi in terra arabili culta et cam- pestri mixtim ac silvas juxta Regni consuetudinem ab anticiuo ap- probatara mcnsurando procedere et easdcm cum zona mensnrationis seu fune, (juam nos sub capite sigilli nostri in trapellum includendo ad ipsam mensurationem duxeramus destinandam, quoad latitudinem et longitudinem jugerum mensurare voluissent et ad id faciendum praesto fuissent et parati, tandem quia nobiles cstimatores per partes supradictas tunc inibi adducti in cstimatione locorum curiarum, pomeriorum, pratorura seu feniliuni et utilitatum ac fontium, fructuum superfacie dictae possessionis litigiosae ut dixissent cxistentium inter se dis- cordassent," etc. etc. wird eine neue gerichtliche Schätzung anberaumt. Datum in Wyssegrad octavo die termini reportationis seriei supradictae Anno Domini 1336. — Zu dem Worte Trapellum zieht Herr Ilajnik Stellen aus einer Urkunde in Fejers Cod, dipl. T. IX, Vol. 3, p. 205 an, welche ausdrücklich besagen: in quodam sacculo seu trapello sub sigillari impressione, sowie aus einer anderen im Cod. dipl. Arpadianus, Bd. IX, S. 147, in der die Falschheit gewisser Briefe behauptet und darüber bemerkt wird: quibus auditis idem judex suspendendo tale negotium, dictas litteras capituli memorati in panniculo inclusas sub capite sigilli sui ipsi capitulo remiserat, ut viderent et (liligenter inspicei'cnt etc. Er erklärt dabei, dass der Gebrauch von panniculum der ältere sei, und das Wort trapellum in Ungarn erst im 14. Jahrhundert, in der Zeit der Anjou's üblich wurde, sein Zusammenhang mit dem französischen AVorte drap, drapeau also kaum zu bezweifeln sei. "Wege, Münzen und ^laasse, 557 aratoriam stiideant femare, in forestis inansum regale, et ibi vivaria cum pisces, et homines ibi maneant. Dem Eingange nacli gilt sie für die Missi des ganzen Reiches und setzt nothwendig voraus, dass die Villici wissen, was ein mansus regalis ist, oder dass ihnen wenig- stens die !Missi davon überall und einfach Kunde zu geben vernKigen. Die nächstalte Nachricht bezieht sich auf ein Registrum Pru- miense von 893, welches der Exabt Cacsarius von Prüm, später von Heisterbach, 1222 mit den Worten kommentirt: notan(hnn est, quod in libro isto sepissime mentio fit de quatuor generibus mansorum, id est de mansis servilibus, de mansis ledilibus, de mansis ingenuali- bus, de mansis absis. !Mansi ingenuales sunt, qui jacent in Ardenna, id est Osclinc, in qua terra jacet Alve (Bleialf) et Hunbar (Holler) et Vilantia (Vilance), quilibet istorum mansorum habet CLX jurnales terrae, quos (mansos!) appellamus vulgariter Kunihkgeshuve. Die Ge- gend des Ossling oder Isling in der Eifel ist nicht unl^ekannt. Sie umfasst, wie Lamprecht ^) zeigt, die Bürgermeistereien Neuerburu;, Karls- hausen, Koxhausen, Lahr, Geichlingen, Ammeidingen, AVeidingen, Out- scheid, Seffern und die Gemeinden Bauler, Falkenstein, Waldhof und Keppershausen. Sie gehört grosscntheils zu der ursprünglichen Dotation der Benediktinerabtei Prüm, welche 720 von Bertrada aus dem Hause der MeroAvinger gestiftet und 763 von Pipin auf Bitten seiner Ge- mahlin Bertrada, einer Enkelin der Stifterin, erneuert wurde. Die gesammte Eifel wird bei der Stiftung von Prüm als noch durchaus von schwer zugänglichen Waldungen bedeckt geschildert^). Die ge- dachten mansi ingenuiles sind als Schenkungen von Königshufen Seitens des Königs an Freie anzusehen, welche sie nach 720 zur Rodung erhielten und dem Kloster übergaben. Es ist dabei völlige Freiheit der ursprünglichen Besitzer dieser mansi regales nicht noth- wendig anzunehmen. Auch vertrug sich die Freiheit, wie die An- setzung Freier durch Karl den Grossen in Westfalen zeigt, mit Zins- pflicht. Andrerseits ist keineswegs vorauszusetzen, dass überall wie hier die mansi ingenuiles auch mansi regales gewesen seien. Dies konnte auf ganz vereinzelten Verhältnissen beruhen. Wolil aber lässt sich ein 835 in Osseritze^) (Osweiler, Vs M. SO. Echternach) erwähnter mansus ingenuilis, weil Osweiler an den Prümschen Besitz anstösst, mit Wahrscheinlichkeit zu den dortigen Königshufen rechnen. •) Lamprecht, Wirthschaftsleben im Mittelalter Bd. I, S. 349 und JI, S. 625, not. Baersch, Statistik S. 7. Beck, der Rg.-Bz. Trier, I, 144. Cod. Salm. 212 (1373), *) Lamprecht I, S. 94 ff. '} Mittelrh. Urk.-Buch II, 21. 558 ^I^- 1- Verkehrsanforderungen an den Staat: Dass aber schon zu jener Zeit der raansus regalis keinesweges auf den karolingischen Hausbesitz in den Ardennen beschränkt war, beweist die Erwähnung von 20 mansi regales um 860 zwischen Zobern und Spreitzbach (Spraza) bei dem alten römischen Savaria im Salz- burgischen ^) und von einigen solchen Hufen bei Oedcnburg in Ungarn^), ferner von 3 mansi regalis des Königshofes in Richen- burg an der 8ave aus dem Jahre 895^). Ebenso sind 912 3 hobae regales bekundet, welche König Konrad an Fulda als quasdam res juris nostri in loco Helmericheshusa im Grabfelde gab'^), und in dieselbe Zeit werden 4 regales mansi gehören, welche die ecclesia Ratisponensis an Fulda schenkte^). Dann folgen, wie in Anlage 147 gezeigt ist, die Erwähnungen häufig, und sind in der Zeit der sächsischen Kaiser anscheinend ebenso verbreitet, wie in der der Karolinger, dauern auch unter den Regierungen der fränkischen Kaiser fort, hören aber unter den Hohen- s taufen allmählich auf. Alle Königshufen wurden wirklich gemessen. Es ist häufig aus- drücklich ausgesprochen (o. Bd. H, S. 431, 437), dass, wenn an der dafür in Aussicht genommenen Oertlichkeit das nöthige Land nicht vorgefunden werde, es an anderer geeigneter Stelle in der Nachbar- schaft aufgesucht und gegeben werden solle. Mehrere Urkunden, z. B. die von 970, 1002, 1045, 1063 in Anlage U7, erwähnen, dass die Oerthchkeit nicht näher bekannt sei. Oft war das Land, wie das der Königshufen Karls des Grossen an der Donau, oder die grosse 1045 an Markgraf Siegfried auf dem Marchfelde verliehene Fläche, erst vor kurzer Zeit in Besitz genommen. Viele Urkunden weisen auch auf noch vorzunehmende Rodungen hin. Dass sich das Ausmaass dieser verliehenen Königshufen örtlich nicht selten grösser als 47,7 ha findet, ist erklärlich, denn es konnte bei der wirklichen Zuweisung und Abgrenzung je nach Umständen ober- flächlich verfahren und manche Zugabe, sogenanntes ^Gottberath«, oder auch geringwerthiges Nebenland über das richtige Maass hinaus dreingegeben werden. Aber Bestimmtheit über dieses Maass muss nothwendig bestanden haben. Ohne festes Grundmaass hätten die Anweisungen überall zu Verlegenheiten und Streit führen müssen. ') Juvavia 95 (s. o. Bd. II, S. 380). *) Monum. boica 31. 1. 98 und 30, 98 (,s. ebd.). 3) Boczek, Cod. dipl. Moraviae Bd. I, S. 53 (s. ebd. S. 383). ■*) Dronke, Cod. dipl. Fuld. ^^o. 657. Schultcs Director. I, S. 48. *) Brawerus antiquit. Fuldcnsis lib. III, 11. Wege, Münzen und IMaa.s.'^e. 559 So sicher indess diese genaue Maasstaestimmiing Seitens der kaiser- lichen Verwaltung festgesetzt und gebraucht wurde, so unzweifelhaft ist doch andrerseits, dass dieselbe keinesweges die Anordnung eines allgemein gültigen Landmaasses sein sollte und konnte. Im Gegcn- Uieil, die Königshufe und die zu Grunde liegende virga regalis waren ausnahmsweise und privilegirte königliche Maasse. Die Königshufi' "war ein sehr grosses Maass, welches die gewöhnlichen ortsüblichen Land- hufen um das Doppelte, häufig sogar um das Dreifache an Fläche übertraf und den Zweck hatte, den Beliehenen zu begünstigen und zugleich für die in der Regel erforderlichen Kulturarbeiten, meist auch für die Gefahren der Neusiedelung in fernen Ländern, zu ent- schädigen. Schon in den Worten virga regalis und mansus rcgali.^, neben welchen niemals ein Königsmorgen oder Königsfuss vorkommt, ist ausgedrückt, dass die gewöhnlichen Landmaasse von diesem könig- lichen Maasse überall verschieden waren. Es ist deshalb bei den oben erwähnten mansi legitimi oder hobae legitime dimensae oder mensuratae wohl möglich, dass hier und da eine der verliehenen Königshufen in Frage stand. Wo aber in einer Urkunde das Königsmaass nicht ausdrücklich erwähnt ist, hat es wegen der Natur dieser königlichen Vergabungen wenig ^^'ahr- scheinlichkeit für sich, dass dasselbe zur Anwendung gekommen sei, jedenfalls muss es wegen der von dem mansus und der virga regalis durchaus abweichenden Hufen-, Morgen-, Ruthen- und Fussmaasse auch Landzuweisungen nach anderen, dem örtlichen Gericht bekannten und als vertragsmässig richtig erkennbaren Landmaassen gegeben haben, die deshall) als legitimi bezeichnet worden sein dürften. — Fragt man näher, woher überhaupt im frühen Mittelalter die Maassverhältnisse für solche gemessene Hufen, also für ge- nauere Bestimmung von Flächengrössen der verliehenen Grundstücke genommen worden sind, so kommt in Betracht, dass das Bedürfniss zunächst bei der Vertheilung des eroberten Landes auf keltorömiscben Boden entstand, dass also die zu allgemeiner Geltung entwickelten römischen Maasse dafür zu Gebote standen. Der römische Fuss, die pertica zu lOFuss, der actus (oder actus major) zu 12 perticae lang und 12 perticae breit und das jugerum von 2 actus, also von 28 800 römischen QFuss oder gleich 28,36 ar, waren in allen Gegenden Süddeutschlands, Rheinlands und Frank- reichs bekannt, und durch hinreichend richtige Normalmaasse ge- sichert, die, wie man annehmen darf, aus dem römischen Verkehr 560 XII. 1. Verkehrsanforderungen an den Staat: erhalten geblieben waren, und von der grossen Zahl südländischer Geistlicher immer wieder beschaflft werden konnten. Tndess werden zwar die Namen pos, pertica und jugerum in der That vielfach gebraucht, gleichwohl erscheinen schon in den ältesten Urkunden häufiger jurnalis, diurnalis und virga als übliche Maasse. Dass dies nicht lediglich Unterschiede der Ausdrucksweise sind, er- geben die Maassverhältnisse. Es ist offenbar auffallend, dass sich das römische Maass in Süddeutschland oder Frankreich nirgends auch nur annähernd als Landesmaass erhalten hat. In Süddeutschland sind allerdings sehr kleine Fussmaasse verbreitet, aber sie gehen noch erheblich unter den römischen Fuss von 0,296 m herab. Das bayrische Fussmaass ist gleich 0,292 m, das württembergische sogar nur 0,286. Die Ruthenmaasse sind lOfüssig. Das Morgen- oder Tagwerkmaass dagegen ist meist 400 Q Ruthen gross. Daher umfasst das Tagwerk in Bayern 34,07, in der Schweiz 36,00 ar, während das römische Jugerum nur 28,36 ar enthielt. Im Rheinland und in Frankreich dagegen ist der Fuss grösser. Der rheinische misst 0,314 und der Pariser 0,325 m, auch der englische Fuss ist 0,305 m lang. Dabei hat die rheinische Ruthe 12 rhein., die Pariser 18 paris. Fuss, der englisch rood I6V2 engl. Fuss. Der rheinische Morgen umfasst 180 DR-, also 25,53 ar, der Pariser Arpent 100 DPerches, also 34,19 ar, der englische acre 160 roods, also 40,46 ar. Alle diese Maasse haben im Laufe der Zeit durch genauere Festsetzungen einige Veränderungen erfahren, eine Reduktion auf römisches Maass gestatten sie aber in keiner "Weise, auch wenn man sie auf die zu vermuthende frühere Grösse verkleinert oder er- h(')lit, bleil)en die Verhältnisse irrational. Der Grund ist nicht in Abneigung gegen das römische Maass, sondern in Mängeln seiner praktischen Anwendbarkeit zu suchen. Bereits zu Columella's Zeit hatte sich neben dem jugerum der aripennis in die römischen Maasse eingeführt. Dies altgallische Maass lautet, wie Herr Prof. Zimmer zeigt (o. Bd. I, S. 278), richtig arepennis, Maass des Endes oder der Breitseite. Dass unter diesem Namen in Frankreich in den einzelnen Landschaften verschiedene Längenmaasse von 120 Fuss bis zu mehr als dem Doppelten, und ebenso Flächenmaasse von 34 bis zu mehr als 60 ar noch im vorigen Jahrhundert im Gebrauch waren, ist o. Bd. I, S. 279 näher nach- gewiesen. Ebenso sind dort die Ueberlieferungen verzeichnet, nach welchen der arepennis von den Römern genau dem Q actus gleich bemessen, und semijugerum genannt wurde. Wege, ^laassc und Älüuzen. 561 Die Erklärung dazu giebt Papias^), indem er sagt: Aripennii agri illi dicuntur, qui non in toto quadrati, sed in longo sunt. Man theilte also, wie sich daraus ergiebt, das jugerum von 2 Ductus nicht in zwei quadratische Stücke, sondern der Länge nach in zwei Streifen von 6 perticae Breite und 24 pertieae Länge. Dafür kommt in Betracht, dass es der römischen Sitte entsprach, das Ochsengespann den üblichen schweren Hakenpflug nicht weiter als 12 Ruthen ohne Ruhepause ziehen zu lassen. Plinius (bist. nat. 18, 33) defmirt die Länge des actus von 12 perticae: Actus in quo boves agerentur cum aratro uno impetu justo, und Columella (2: 2, 27) sagt noch deutlicher: sulcum autem ducere lougiorem, quam pedum CXX, contrarium pecori est, quoniani plus aequo fatigatur. Die Hitze und die schweren Kalkböden Italiens mögen dies rechtfertigen. Nördlich der Alpen waren 35,5 m offenbar schon in ältester Zeit ein zu geringes Maass für ein Gewende. AVo aber der Räderpflug mit Streichbrett das übliche Ackergeräth war, wurden die Gewende noth- wendig erheblich länger, selbst wenn das Ochsengespann bis in späte Zeit im Gebrauch blieb. Dieses Bedürfniss langer Ackerstückc spricht sich auch in der lex Bajuvariorum aus. Tit. I, c. 14, 2 kennt, wie die lex \\'isigothorura, das arpentum, welches dem aripennis entspricht. Indess wird es hier nur als Wiesenmaass erwähnt. Als Ackermaass braucht das Gesetz für alle Kolonen der Kirche die andecinga legitima und sagt: hoc est perticam decem pedes habentem, quatuor perticas in transverso, quadraginta in longo. Dass man beide Maasse ebenso für Wiese wie Acker gebrauchte, zeigt eine Urkunde des Adam Vicccomes Meldanensis (in Talmi. St. Victor. Paris, c. 10) : Simon miles de Oranges dedit medietatem decimae ejusdem villae, et unam accingiam prati et unum arpentum terrae. Die andecena oder andecingia war also ein Flächenmaass, wie die aripennis, aber ebenfalls länger als breit, sogar 40 zehnfüssige Ruthen lang und nur 4 breit. Sind dies römische perticae, wie hier wahrscheinlich ist, so enthält die andecingia 16 000 nPuss, während der aripennis nur 14 400 umfasste. Indess weist Du Gange eine Anzahl Stellen nach, aus denen hervorgeht, dass es auch eine pertica ancingahs gab, die im nördlichen Frank- reich gebraucht wurde; z. B. Dedit Episcopus juxta murum castelli aream habentem in longo perticas ancingales novem et per latum perticas octo; und 919: Emit pratum unum habcus in longum per- •) Elementariam doctrinae rudimentum: um 106.3, Du Gange, Pracfat. XLIV. Vgl. unter arapennis. Meitzeu, Sicdeluug etc. U. 36 562 Xll, 1. VfrkehrsanfDrdi'runycii an den Staat: ticas ancingales 65 et in latnm perticas 32 (Chronic. St. Benigni p. 422); ebenso 907: Concessinuis de terra adjaccnte in longo per- ticas legitimas ancingales 8 et in transverso 2. (Tabular. Benignian. ap. Perardum p. 55.) Es wird also die andecinga gleichfalls wie der aripennis auf gallischen Maassen beruhen , welche örtlich , wie der Morgen und die Landhufe in Deutschland, nach Umständen erheb- lich abweichen konnten. Sie mögen zwar in manchen Fällen an das römische Reichsmaass angeschlossen und dadurch bestimmbar ge- wesen sein, lassen sich aber in dieser Anwendung, ebenso wie die römischen Maasse selbst, nur ausnahmsweise erkennen. So wenig wie die mittelalterlichen Hohlmaasse dürfen also die Längen- und Flächenmaasse in grösserer Verbreitung auf römisches oder auf königliches Grundmaass zurückbezogen werden. Auch in den freien Hüfnergemeinden entstanden sie, wie o. S. 533 gezeigt ist, nicht. Aus den üblichen Jagdspiessen oder Maassstöcken der einzelnen Ortschaft konnte nur dann ein allgemeineres Maass hervorgehen, wenn eine im weiteren Bezirke amtlich befugte Gerichts- und Polizeigewalt sie anerkannte und aufrecht erhielt, oder wenn eine Herrschaft, der sich die bäuerlichen Wirthe für ihre Personen und ihre Lasten fügen mussten, solche Festsetzungen als wirthschaftliche Einrichtung traf. Die eine oder die andere dieser Befugnisse, häufig aber beide, lagen schon früh in der Hand der Grundherrschaften, und diese hatten zugleich das nächste Bedürfniss, feste jNIaasse zu besitzen und anzuwenden. Deshalb ist der Ursprung bestimmter Maasse aller Art den Verwaltungen des grossen fiskalischen wie des weltlichen und geistlichen Grundbesitzes zuzuschreiben. Sie waren zugleich die Land verleih er, die Zinsherren und die Marktherreu. Wo alte Ueblichkeiten für Maass und Gewicht an Gerichts- oder Marktstätten bestanden, werden sie sich denselben angeschlossen haben, wo das nicht der Fall war, schuf ihr eigenes wirthschaftliches Ver- fahren solche Gewohnheiten, 1)is endlich im 12. und 13. Jahrhundert die Verkehrsgebräuche grosser städtischer Märkte für weitere Ent- fernungen bestimmenden Einfluss gewannen. Um diese Zeit begannen dann die bereits zur Landeshoheit erstarkten Grundherren, im Sinne landesherrlicher Verordnungen oder amtlich bindender Kammervor- schriften, für gewisse Gebiete gleichmässig geltende (irundstücks- maasse, ebenso wie Gewichte und Hohlmaasse, in Anwendung zu bringen, welche in der Regel den Maassen der Stadt angepasst wurden, die den Hauptmarkt des Territoriums bildete. Daraus gingen die landesüblichen, wie die gesetzlichen Maasse hervor, die bis zu Wege, Maasse und Münzen. 563 den mit wissenschaftlicher Gennuigkeit clurchgearheiteten iMaass- und Gewichtsordnungen der Neuzeit in Kraft gestanden haben. Ueber diese alten, oft nur für kleine Gebiete geltenden Maasse, welche gegen die der Nachbarschaft systemlos um grosse oder geringe Einheiten abwichen, sind bis in die neueste Zeit zum amtlichen Bedarf ausführliche und lange Verzeichnisse nothwendig geblieben. Tobias Meyer (o. Bd. II, S. 548) und die technischen Instruktionen der Generalkommissionen für gutsherrlich-bäuerliche Auseinandersetzungen, sowie die Kataster- behörden der verschiedenen deutschen Staaten haben, um bei Ver- gleichungen älterer Vermessungsergebnißse nicht zu irren, solche Maassberechnungen nicht bloss für gewisse Gegenden oder besondere Landeshoheiten, sondern oft für die einzelnen Herrschaften und ihre Unterbezirke, für Städte, ja selbst für einzelne Dörfer vornehmen müssen. Daraus ergiebt sich schon, dass selbst diejenigen Maasse lokal erheblich abwichen, welche im Laufe der Zeit eine gewisse ge- setzliche Anerkennung erlangten. Jeder Versuch, in irgend welcher Landschaft für eine Anzahl benachbarter Feldmarken, deren Hufen- zahl urkundlich bekannt ist, die thatsächliche Grösse der Hufen unter möglichst genauer Feststellung aller Umstände zu berechnen, führt, wie schon o. Bd. I, S. 80 näher gezeigt ist, zu sehr bedeutenden Verschiedenheiten ^), Die landesgesetzlichen Maasse gehen indess nicht von der Hufe aus, sie erwähnen der ILufc selten, und beschränken sich darauf, das Maass des Morgens, Ackers oder Tagwerks festzustellen. Diese Aus- drücke sind nur Bezeichnungen dcrsellien Maassgrundlage. In alter Zeit war mit dem Morgen das Tagwerk beendet, das Vieh kam dann auf die Weide. Acker w^ar ursprünglich nur im Hessengau üblich, hat sich aber von da nach Thüringen und Obersachsen verbreitet, Tagwerk wird in Bayern gebraucht. Morgen ist das allgemeinere. Die Morgen weichen unter sich ebenso weit ab, wie gegen Acker und Tagwerk, und diese wieder ebenso weit unter einander. Für alle diese Flächenfeststellungen gehen die Maassvorschriften auf die Ruthe und für die Ruthe auf ein Landes-Fuss oder Landes- Ellenmaass zurück. Die Hufe wird in der Regel als ein Landmaass von doppelter Grösse, als eine gewöhnliche kleine von 30 Morgen und eine aus- nahmsweise grosse von 60 Morgen bezeichnet oder vorausgesetzt. Dies ist z. B. schon bei einer der ältesten Ueberlieferungen solcher 'J Deshalb vermag auch Lamprecht a. a. 0. I, S. 343 fF. selbst auf Jcm kleinen Gebiete des Mosellandes die ersichtlichen Widersprüche nicht zu lösen. 36* 564 ^JJ- 1- Verkehrsanforderungen an den Staat: bestimmter Landmaasse der Fall, welche sich auf einer Frankfurter Urkunde von 1348 notirt findet und besagt: »Nota XXX Morgen ein schlecht hübe lants, LX morgen eyn Fuldisch hu))e lants, I^LX rüden machen eyn morgen, XTj rüden ein firteil eines morgens«'). Bei den grossen Hufen wird nicht selten ausdrücklich bemerkt, dass sie für Waldland angewendet wurden. Darin scheint eine Erinnerung daran zu liegen, dass, wie sich mehrfach, z. B. in den Anlagen 7, io, 37, 114 und bei allen Marsch- und Waldhufen, gezeigt hat, die Hufen bei der ersten Siedelung auf noch zu kultivirendes Land in einer Grösse angenommen wurden, welche bei durchgeführter Kultur die Theilung unter zwei Wirthe ohne Gefahr für deren wirthschaftlichen Unterhalt gestattete"). Diese Angaben in ISIorgen oder entsprechenden Maassen und in Gi^uthen und QFuss mit den Fusslängen sind bei der preussischen Katastrirung von 1861 amtlich mit voller Genauigkeit festgestellt und berechnet worden^). An älteren amtlich geltenden Maassen lassen sich daraus hervor- heben : Aachen Morg. = 150 QR- = 30,56 Köln „ = 150 „ =31,72 Waldmorg. = 180 „ =38,06 Kleve Morg. = 600 „ = 85,25 Koblenz Morg. = 160 □R. = 34,59 Trier „ =160 „ =35,34 Preussen rhl. „ :=180 „ =25,53 Nassau „ ^100 „ := 25,00 *) Würdtwein, Diöc. Mogunt., 1777, II, 619. Vgl. Anton, Gesch. der Land- wirthschaft Bd. 3, S. 68. Es sind hier Q Ruthen verstanden. ^ Zu dieser Theilung der Hufen ist zu bemerken, dass in Württemberg, Baden und der Schweiz, also namentlich in dem alemannischen Obcrdeutschland, für die halbe Hufe der Ausdruck Schuppose im Gebrauch war. Derselbe lautet nach Bück (Ober- deutsches Flurnamenbuch, Stuttgart 1880) sehr verschieden: Schuposz, Schupposse, Schubboss, Schübbigs u. dgl., älter: chubuze, scuopoze, scuopoza, scopoca. Im 15. Jahr- handert kommt auch Tschüppess, zuppetz, im 16. Süppess vor, und es wird, wie ßuck angiebt, damit nicht ausschliesslich die halbe Hufe bezeichnet, sondern das AVort ist auch für den kleinsten Thcil eines zertheilten Hofes, je nach der Gegend, für ein Achtel oder für ein Sechzehntheil desselben, und im 17. Jahrhundert meist für das einem anderen beigegebenc Nebengut im Gebrauch. Da es im 11. Jahrhundert als chuobuoze auftritt und, wie es scheint, im 9. Jahrhundert als chupisi, so führt Bück diese Formen, zusammengehalten mit der späteren Aussprache, auf wiilschen Ursprung zurück. In der Endung isi, später oza, sieht er offenbar mit Recht eine Derivativ- endung, urspr. -Ott, -utt, wie in Bambottus, Anavutto u. ühnl., welche, wie das fran- zösische ette, unserm lein entspricht. Er übersetzt deshalb, da im Kymrischen cwb Bauernhütte, also chupisi Hüttchen bedeutet, Schuppoza mit Bauernhütte, tugurium. ^j Diese Längen- und Flächenmaasse für alle deutschen und europäischen Staaten mit der Reduktion auf Metermaass vgl. in Mcitzcn, der Boden und die land wirthschaft- lichen Verhältnisse des preussischen Staates, Bd. III, S. 600 ff. Wege, Älaasse und Münzen. ÖG5 Kassel Lippe-Detm Oldenburg Bremen Amsterdam Acker = 1 50 □ R. = 23,87 Morg. = 120 „ =25,75 Jiick = 640 „ =56,03 Morg. = 120 „ =25,72 „ =600 „ =81,29 Hamburg Schettel Aussaat = 200 Geest-nR- = 4 2,05 Rantzau Tonne = 320 QR- = 75,95 Neumünster „ =320 „ =67,28 Bordcsholm „ =300 „ = 63,07 Dänischwold „ =270 „ =56,76 Hannover Morg. = 120 ,, =26,21 Kaienberg „ ^120 „ =26,19 Hildesheim „ =120 „ =24,11 Braunschweig Feldmorg. = 120 „ =25,02 Waldmorg. = 160 „ = 33,35 Kgr. Sachsen Acker = 300 ,, =55,34 Meiningen „ =: 160 „ =r 28,98 Rudolstadt Acker = 160 „ =32,62 Nordhausen „ =160 „ =27,72 Mühlhausen Feldacker = 1 60 „ =24,74 Weimar Erfurt Gotha Mühlh. Hufenacker = 120 □!!. = 18,55 = 24,23 = 28,50 = 26,42 = 22,69 = 33,88 = 27,30 = 26,60 = 18,44 = 20,39 = 19,06 = 20,25 = 32,56 Waldhufe = 120 Acker = 140 ,, =168 Feldackcr = 140 Waldackcr = 1 60 Untereichsfeld Morg. = 90 übercichsfeld „ =120 Fulda V2 Tagw. = 160 Hanau Morg. = 160 Homburg „ =160 Frankfurt Feldmorg. = 1 60 Waldmorg. = 160 Darmstadt Morg. = 400 □Klaft. = 25,00 Baden Morg. = 400 QR. = 36,00 Württemberg „ =384 „ =31,52 Juchurt-Mannwerk ■=■ 47,28 Koburg Acker = Feldmorg. = 1 60 QR. = 28,96 Bayern Morgen = Juchart = Tagw. = 400 „ = 34,07 Oesterreich Joch = 1 600 □ Klaft. = 57,56 Schweiz Juchart = 400 □ R. = 36,00 Die Flächen in ar zeigen die grosse Mannigfaltigkeit der Land- maasse, wie sie oft in nächster Nachbarschaft vorkommen. Die Zahl der ORutlicn gegenüber diesen Flächen deutet ebenso auf die grossen ^'erschiedenheiten der Ruthenlängcn. In dieser Beziehung besteht, wie zwischen den o. 8. 560 angegebenen F'ussmaassen, auch zwischen den Ruthenmaassen ein eigenthümlicher Gegensatz. Die rheinländische Ruthe ist nur 3,77 m lang, und ihr stehen nahe: Holland 3,68, Kleve 3,77, Kurhessen 3,99, Hanau 3,57, Frank- furt 3,56, Homburg 3,45, Fulda 3,39 m, noch kürzere Ruthen finden sich in Süddeutschland: Hessen 2,499, Baden 2,998, Württemberg 2,86, Bayern 2,92. Dagegen herrscht in Thüringen ein grösseres Maass: Meiningen 4,26, Gotha 4,03, Sachsen 4,29, Erfurt 3,97, Mühlhausen 3,93, Nordhausen 4,16, Halle 4,33. Alle diese Maasse aber sind nur als kleine Ruthen aufzufassen, welche auch Land- ruthen oder Feldruthen genannt werden, und als solche z. B. in Frankfurt und in Gotha in ausdrücklichem Gegensatz zu einer längeren Waldruthe stehen. Die längeren Ruthenmaasse gruppiren sich folgendermassen : Trier 4,70 m, Aachen 4,51, Köln 4,60, Ostfriesland 4,71, Bremen 4,63, Hamburg 4,59, Schleswig 4,66, Hannover 4,67, Kaienberg 4,67, 566 XJl. 1. VorkohrsanfoiikTunfrcii an den Staat: Schaumburg, 4,64, Lippe 4,63, Hildesheim 4,48, Braunschweig 4,57, Schwarzburg 4,52, Weimar 4,51, Heiligenstadt 4,71, Gotha 4,60, Frankfurt 4,51, Nassau 4,97. Die verschiedenen ebenfalls sehr langen Ruthen der einzelnen Elbmarschcn dürfen hier nicht eingereiht werden, weil die Besiedelung dieser Marschen erst dem 12. und 13. Jahr- hundert angehört. Bei den älteren Ruthenmaassen haben die landesherrlichen An- ordnungen einige Veränderungen herbeigeführt, immerhin könnte in den längeren Ruthenmaassen ein gewisser Einfluss der virga regalis von 4,7 m erhalten gebHeben sein. Beachtenswerth ist, dass sie vorzugsweise am Rhein und in Niedersachsen auftreten. Die Beziehungen scheinen sich im mansus regalis darzubieten. Trotz der oben für einzelne Fälle nachgewiesenen völligen Erhaltung dieser Hufen findet sich nur ein einziges landschaftlich verbreitetes Hufenmaass, welches mit der Grösse von 48 ha hinreichend über- emstimmt, um mit der Königshufe verglichen werden zu können. Dieses Maass ist die Kalenbergische Hufe von 180 Kalen- berger Morgen zu 26,193 ar, also zusammen 47,147 ha. Diese Kalenberger Hufe beherrscht durch das Kalenberger Morgenmaass die gesammten Braunschweig-Lüne1)urgischen Gebiete. Sie selbst aber ist schon früh ausser Anwendung gekommen. Sie war offenbar zu gross und wurde zu häufig zerstückelt. In den Landesregistern erscheint schon im 14. Jahrhundert, wie Anlage 19, Bd. HI, S. 70 zeigt, eine gemessene Hufe von 30 Kalenbergischen Morgen. Letztere ist ein deut- liches Beispiel, wie solche Maasse nicht aus den Bauerschaften her- vorgingen, und auch nicht vom Staate oder vom Reiche festgesetzt zu werden brauchten, sondern dass sie das Bedürfniss der grundherr- lichen Verwaltungen schuf. Denn ihr Ursprung gründet sich nicht auf eine landesherrliche Verordnung, sondern, so weit sich ermitteln lässt, nur auf die amtliche Gewohnheit für alle öffentlichen Leistungen die Kalenbergische Hufe mit 12 Pferden Gespann als einen Vollhof, und Höfe mit 6 oder 8 Pferden als Halbhöfe, den Anspänner mit 2 Pferden aber als einen Hüfner anzusetzen. Entsprechend wurde bei Maassangaben die Hufe mit 30 Kalenbergischen Morgen zu je 120 n Ruthen in Rechnung gestellt. Neben diesen kleinen Hufen blieben indess ebenso wie ursprünglich neben der übermässig grossen Kalenbergischen, in allen l^iandestheilen die örtlichen Hufen für Wirth- schaft und gutsherrlicbe Lasten fortbestehen. Erwägt man dabei, dass die meisten der urkundlich überlieferten Schenkungen in Königshufen von den sächsischen Kaisern oder den Wege, Maasse und Münzen. 567 überwiegend in Goslar, Ciroluide oder anderen sächsischen Orten re- sidirenden fränkisclien Kaisern ausgingen, und dass Sachsen allen aus älterer Kultur herrührenden festen ^laassen am fernsten lag, so wird man den Zusannncnhang der Kalenl)ergischen Hufe mit dem mansus regalis nicht unwahrscheinlich erachten. — Bezüglich der Erwähnungen des Maasses in Ruthen ist endhch noch zu beachten, dass virga oder Ruthe keinesweges immer als Längen- maass gehraucht wird, in zweifelhaften Fällen dieVermuthung vielmehr für ein Flächenniaass spricht. Wie oben schon ])ei dem arij)cnnis erwähnt ist, war sehr allgemein üblich, einen Morgen oder Acker 4 Ruthen breit anzunehmen (o. Bd. I, S. 95). Er war dann, je nach der üblichen Fläche von 120, 160, 180 oder 300 D Ruthen, 30, 40, 45 oder 75 Ruthen lang, und ein Viertelmorgen wurde auch ledig- lich als eine Ruthe Ackers bezeichnet, indem das Längenmaass als bekannt galt. Die Flächengrösse hing von der örtlich üblichen Länge der Ruthe oder dem im einzelnen Falle mehr oder weniger zutreffen- den Morgenmaass ab. Sie lässt sich also ohne diese Grundlagen gar nicht bestimmen. Diese Art der Bezeichnung hätte sich auch auf die Hufe über- tragen können. Bei bekannter Länge wäre auch bei dieser, falls sie in einem einzigen geschlossenen und parallelen Steifen zugemessen war, durch die Breite in Ruthen sehr genau zu bezeichnen möglich gewesen, ob die fragliche Fläche eine ganze oder nur gewisse Bruch- theile der Hufe umfasste. Die Königshufen in Bremen waren 720 Ruthen lang und 30 Ruthen breit angenommen. Eine Ruthe breit, oder überhaupt eine Ruthe, konnte also den 30. Thcil der ganzen Hufe bedeuten. Dies wurde indess für solche Hufen nirgends ül)lich, sondern es ist nur eine eigenthüraliche Theilung der Hufe in 12 Ruthen bekannt. Eines der gewöhnlichen Ruthenmaasse kann dabei nicht in Frage kommen, denn bei einer Breite von nur 12 Ruthen würden die Waldhufen von 36 ha eine Länge von 6400 m haben müssen. Die Theilung in 12 Ruthen besteht gleichwohl bei den Waldhufen oder Hagenhufen ganz allgemein (Cod. dipl. Siles. IV, S. 77). Da diese Hufen 30 bis 36 ha gross angelegt wurden, umfasst eine Ruthe 2,5 bis 3 ha Fläche. Dies ist nun auch das gewöhnliche Maass des bunnarius, bomia- rius, bonnarium, boneta, anscheinend von bonna, Umscbliessung, Ein- heguug. Beide Maassbestimmungeu dürften in näherem Zusammen- hange stehen. 568 XII. 1. Verkehrsanfordernngen an den Staat. Der ßiinnar war, wie die älteren urkundlichen Erwähnungen, die über dieses Maass l)estehen^), erkennen lassen, in Westdeutschland weit verbreitet. Allgenoeine und dauernde Bedeutung hat er, wie o. Bd. ni, S. 240 (Anlage 70) näher erörtert ist, in Flandern, also auf dem Gebiete der keltischen Einzelhöfe, gefunden. Wo hier die Hufeneintheilung durchgeführt worden ist und Bestand behalten hat, bildet der Bunnar den 12. Theil der Hufe, und schwankt mit der Grösse der Hufe von dem gewöhnlichen Maasse, welches in der Regel 1,1, jedoch auch 1,0 — 1,5 ha umfasst, zu viel grösseren von 3 — 4 ha. Ersteres setzt also Hufen von 13,2, d. h. gewöhnliche Landhufen voraus, letzteres solche von 36 bis 48 ha, also Marsch- und Königs- hufen. Dieselben Grössen des Bunnars bestehen indess in Flandern auch da, wo keine Hufeneintheilung bekannt ist. Wahrscheinlich ist der Bunnar auch auf den Einzelhofgebieten am Niederrhein und in Westfalen in altem Gebrauch gewesen, obwohl er erst im 9. Jahrhundert erwähnt wird. Jedenfalls kann er auf die Kolonisationshufen nur übertragen worden sein. Die ihm entsprechende Zwölftheilung ist bei der flämischen Hufe ebenso bekannt, wie bei der fränkischen. Bei beiden heisst eine Viertelhufe ein Dreirüthner, eine halbe Hufe ein Sechsrüthner"). Dabei bestand sie ohne Rücksicht auf die Hufengrösse. Die flämischen Hufen sanken schon im Laufe des 13. Jahrhunderts in verschiedenen Gegenden im Maasse immer mehr herab, so dass die Culmische Hufe nur noch 16,9 ha, der Dreirüthner also nur 4,25 ha betrug. 1274 wurde Kreuzburg in Schlesien (Tschoppe u. Stenzel, Urks. S. 388) zu fränkischen Hufen angesetzt, und erhielt : pro pascuis XL ') 824, Capitul. Ludovici pii: Ecclesiae constructae unus mansus 12 bunnariis de terra arabili ibi detur (Pertz, Mon. Germ. Leges I, S. 360). — Hincmar in Capitul. synod. c. 2: Si habent mansum habentem bunnaria 12 (Hincm. v. Rheims, 845 — 882). — Noch die spät gefälschte Constitutio Caroli Crassi de expeditione romana sagt: mansionarius 5 solidos (200 den.), absarius 30 den., bunnarius 15 den., quorumlibct larium possessores 6 suppleant (also der bunnar ungef. V12 *5cs mansus). — Papias (1063): mansus dicitur a manendo, quod integrum sit duodecim jugeribus. Bunarii mensurae quaedam terrae sicut jugera. — Baldricus, Noviom. 1. I, c. 52: mansus con- stitisse dicunt duodecim bunnariis. — Du Gange erwähnt auch aus einer angeblichen Urkunde Lothars von 855: curtes et terras doniinicatas IV et capelias 11 et alios mansos XVII, et ad unumquemque mansum bonarios XXX. Diese 17 mansi dürften indess 17 Gehöfte sein (o. Bd. I, S. 107). Vgl. Du Gange, Glossar, unter Bonnarium. — Binterim und Mooren, die Erzdiöcese Köln, I, S. 181, 182, II, 50 — 52 u. Godex I, 27. — Lamprecht, I, 345, 348. *) Die späte Notiz bei Pertz, Archiv für Kunde deutscher Geschichtsquellen XI, 398, bestätigt die 12 virgae der Mansi Franconici, missverstcht aber das Mass völlig. XL 2. BesitzungenderGrundherren.Neubruch, Ausbau, Bennden. 569 virgas, et quelibet virga XVI ulnas obtinebit. Die 40 virgae licdeuten 3V2 fränk. Hufen, und die .sonst nicht bekannte ulna kann liier nur der Fläche von Vun' der Hufe, etwa 16,G ar, gleich sein. Ob und unter welchen Verhältnissen auch die Königshufcu in solche Flächenruthen eingetheilt wurden, ist urkundlich zwar nicht bekannt, diese Eintheilung lässt sich aber da, wo die Königshufen in der Form der Waldhufen ausgelegt wurden, mit grosser Wahr- scheinlichkeit erwarten. 2. Die Besitzungen der Grundherren, Neubrucli, Ausbau, Beunden. Ueber die Entstehung und Ent Wickelung des grundherr- lichen Besitzes dürfen wir zwar annehmen (o. Bd. H, S. 534), dass neben den gemeinfreien Bauerschaften bald nach der Zeit der festen An- siedehnig einzelne, wenn auch vielleicht wenig zahlreiche Grundherren grössere, ihrem Besitz an Vieh und Dienstleuten entsprechende Lände- reien aus dem genossenschaftlichen Markenlande in Beschlag ge- nommen haben, auf Avelchen sie Sklaven oder Abhängige als zins- pflichtige Hintersassen ansetzten. Bei weitem die grössere Masse des grundherrlichen Besitzes kann indess, wie sich gezeigt hat, erst in der Völkerwanderung und in der fränkischen Königszeit aus den Ver- gal)\mgen eroberten Krön- und Staatslandes hervorgegangen sein. Dazu kam die sehr verbreitete Eigengabe gemeinfreier Grundbesitzer an kirchliche und weltliche Grosse, die fortschreitende Sonderung aus Marken- und Almendeländereien und der in den Volksgesetzen früh erleichterte Landerwerb durch Pfandbesitz und Kauf. Endlich lassen sich auch Fälle unberechtigter, irriger oder gewaltthätiger, Besitzergreifung annehmen, welche unangefochten blieben und durch Besitz Verjährung Eigenthum wurden. So unbestritten aber diese Entstehungsursachen des grundherr- lichen Besitzes sind, hängt doch die Pdchtigkeit des Bildes, welches wnr uns danach von der Begründung, p]rweiterung und Zusammen- setzung der gmndherrlichen Güter zu machen haben, wesentlicb von der hier noch nicht erörterten, namentlich durch G. Beseler') auf- geworfenen Frage ab, ob in der fränkischen Zeit und später noch Jedem möglich war, allein durch Besitznahme zur Kultur, also durch Neubruch, Eigenthum an dem unkultivirten Boden auf Staatsland und in Marken oder Almenden zu erwerben. ') Der Neubrach nach älterem deutschen Recht, in: Symbolae Bethmanno- tlpllwegio oblatae, Berlin 1868. 570 XII. 2. Die Besitzungen der Grundherreu, Stand Jedem, der dieses Recht nutzen wollte, frei, zum Zwecke des Neubruches in unkultivirte Ländereien einzugreifen, ihm geeignet erscheinende Grundstücke durch crkennl)are Zeichen abzugrenzen, und dadurch Rechtsschutz gegen jeden Anderen für seine beabsich- tigten Anlagen zu erlangen, so müssten die Grundherren als dadurch besonders begünstigt angesehen werden. Es käme dann in Be- tracht, dass der einzelne Grundherr, vermöge seiner abhängigen Leute, seiner sonstigen Hülfsmittel und seiner Waffengewalt und ungebun- denen Beweglichkeit, in kurzer Zeit seinen Grundbesitz sehr viel leichter und weiter auszudehnen vermochte, als dies den gemeinfreien Bauerschaften, oder den Markgenossen und selbst dem Fiskus mög- lich war. Auch könnten dann die nach dem Plan ihrer Anlagen bereits (o. Bd. II, S. 323) im einzelnen behandelten grundherrlichen Siede- lungen, namentlich die zahlreichen Ansetzungen von Zinsbauern zur Wald- und Moorkultur durchgeführt worden sein, ohne dass dem Zinsherrn vorher irgend ein Recht auf den Grund und Boden der Kolonie zugestanden hätte. Die Staatsländereien würden sich nicht lediglich durch Vergeltungen, die Marken durch Abfindungen ver- kleinert haben, und ganze Bauerschaften könnten durch solche Akte unerwarteter Besitznahme ihre ihnen kaum entbehrlichen Almende- ländereien eingebüsst haben, und dadurch mit ihrem gesammten Eigenthume von der in ihrem Rechte anerkannten Uebergewalt ab- hängig geworden sein. Deshalb bedarf diese Frage nach dem Neubruchsrecht, wenn es sich um den Besitz und die Wirthschaft der Grundherren handelt, vorweg der bestimmten Entscheidung. Der Gedanke dieses Okkupationsrechtes geht von dem o. Bd. I, S. 136 berührten, bei allen Nomaden verbreiteten Gebrauche aus, dass jedem Einzelnen gestattet ist, in dem Weidereviere seines Stammes ein geeignetes Grundstück für seinen Bedarf in Anbau zu nehmen, wenn er es fest einzäunt. Die Verzäunung ist wegen des AVeideviehes erforderlich. Ein Schutz gegen dasselbe kann und soll ihm nicht gewährt werden. Lässt er den Zaun verfallen, so fällt das Grundstück thatsächlich und damit auch rechtlich wieder in die gemeinsame Nutzung als Weideland zurück. Derselbe Rückfall tritt ein, wenn der Anbau durch eine gewisse Frist, in der Regel durch 3 Jahre, nicht ausgeübt wird. Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Sitte auch in den Hundert- schaftsrevieren der Germanen bestanden hat. Der Wolfkopfkamp in Laazen (Anlage 12) ist ein Anzeichen dafür. Dasselbe lässt sich sogar Neubruch, Ausbau, BeuntU-n. 571 dahin deuten, dass hier nicht lediglich ein vorübergehendes Nutzungs- recht, sondern ein dauerndes Eigenthumsrecht an dem Grundstücke vom Bet^itzer erworben worden war. Dies würde dem bei den Ost- finnen bestehenden, o. Bd. II, S. 190 geschilderten und durch die Flur Demidowo, Anlage 102, erläuterten Brauche entsprechen. Für diese Stämme gilt die durch Zeichen an den Bäumen bekundete Ab- grenzung eines Stückes Urwald zum Zweck der Rodung noch immer als geheiligtes Recht auf den dauernden Besitz. Es fragt sich also, ob diese Rechtssitte auch später noch in Deutsch- land Geltung behalten hat. Die Bedingungen, von denen ein solches Okkupationsrecht abhängig bleiben muss, sind bei den Angaben über Demidowo, wie bei der Beschreibung der Besiedelung des steirischen und kärntnischen Gebirgslandes (o. Bd. II, S. 391) näher erörtert worden. Es erscheint undurchführbar, wenn das in Besitz genommene Grundstück sich nicht auf eine übliche mit der eigenen Arbeit des Besitzers und seiner nächsten Angehörigen kultivirbare Grösse be- schränkt, und wenn nicht für die Rodung geeignetes Land im Ueber- flusse vorhanden ist, so dass sich der entstandene Besitz durch hin- reichend lange Zeit befestigen kann, ehe sich die Nachbarn durch ihn beengt fühlen. Diese Voraussetzungen weisen also das Neubruchsrecht auf eine sehr frühe Zeit zurück, und entsprechen den durch die feste An- siedelung in Deutschland geschaffenen Zuständen sehr wenig. Es findet sich auch in den Volksgesetzen keine Hinweisung auf den Fortbestand eines solchen Gewohnheitsrechtes. Denn die dahin gedeutete Vorschrift der lex Bajuvarior. Tit. XVI, c. I, 2 spricht nur davon, dass die Vindication eines Acker-, Wiesen- oder Brennkultur- grundstückes, vorbehaltlieh der Entscheidung durch Kampf, vermöge des Schwurs eines Commarcanen abgewendet werden könne, welcher beschwört: er habe mit Ohren gehört und mit Augen gesehen, dass der Beklagte jenen Acker früher bearbeitet, als der Kläger, und dass er die Früchte seiner Arbeit von ihm trug; oder auch, dass sein Vater ihm den Besitz seines Grundstücks hinterliess. Diese allge- meinen Indizien besseren Besitzes im Mangel anderen Eigenthums- bewcises lassen also keinen Schluss zu, ob ein Okkupationsrecht bestand. Bei näherer Erwägung bekunden indess die späteren Vorgänge, welche Beseler für die Frage herangezogen hat, den Bestand oder die Ausübung des Neubruchsrechtes ebenso wenig. Zwei dieser Vorgänge haben sich auf dem Boden des alten Volkslandes zugetragen. 572 XII. 2. Die Besitzungen der Grundherren, Graf Benuit, der Sohn des Sachsen Amalung, der im Sachsen- aufstande Karl dem Grossen treugeblieben und deshalb nach Thü- ringen geflohen war, und zwischen Weser und Fulda in der Silva Buchonia ein Proprisum gerodet hatte, erbittet 811 die Bestätigung dieser ihm von seinem Vater hinterlassenen Besitzung. Der Kaiser urkundet darauf: jubemus, ut nullus fidelium nostrorum praefatum Benuit vel heredes illius de hoc propriso, quod in liiigua eorum di- citur bivanc, expoliare aut inquietare nullo cpioque temjiore praesu- matis, sed liceat eis per hoc nostrum praeceptum ipsam terram, quantumcumque patcr illius proprisit et ei in hereditate dimisit, omni tempore teuere atque possidere. Der andere Fall des Asig ist analog. Auch sein Vater, der Sachse Hiddi, hatte dem Kaiser Treue bewahrt, war deshalb in die Gegend zwischen Weser und Fulda geflohen und hatte dort ein Waldstück in der Buchonia okkupirt, welches zum Gebiet des Herzogs Gerhao ge- rechnet wurde. Sed postea, sagt 813 der Kaiser, venientes Missi nostri ad eadem loca, predictam silvam ad opus nostrum conquisiverunt, ad hereditatem scilicet Gerhao quondam ducis. Er bewilligt indess dem Asig in derselben Fassung, wie dem Benuit, den dauernden Besitz dieses Proprisums, quod bivanc vocatur. Es ist gleich, ob die Buchonia ein Markenwald oder ein herzog- licher Forst des Gerhao war. Sie erscheint im fiskalischen Besitz der fränkischen Könige. Offenbar wäre in beiden urkundlichen Fällen der Besitz unanfechtbar und die kaiserliche Bewilligung unnöthig ge- wesen, wenn die Rodung Jedem freistand. Der dritte Fall einer Rodung in Alemannien gehört den Ver- hältnissen des Eroberungsgebietes der Völkerwanderung an. Der Abt de cella INIeginhardi (Einsiedeln) klagt 1114 vor dem Hofgerichte Kaiser Heinrichs V. gegen die Grafen von Lenzburg und die cives de villa Suites (Schwyz) ^) , weil sie eo quod eorum inarvales agri heremo, in qua constructa est eella, videntur esse allimitantes, sich gewisser Theile der Wüstenei bemächtigt hatten, welche das Kloster für sich in Anspruch nahm. Die Nachbarn stritten also darum, wer von einer als herrenlos erachteten Oede Besitz ergriffen habe, auch machten die Beklagten, als unmittelbar angrenzend, ein be- sonderes Okkupationsrecht geltend. Dem Kloster aber wird das Land zugesprochen: Nos itaque aequo judicio optimatum ac fidelium nostrorum, imo consilio juridicorum, qui omnes concordi censuere ') Herrgott, Geneal. Habsburg. II, 1, No. 195 und n. 223. Neulirucli, Ausl)an, Bcunilen. 573 judicio, eam vastitatem cuilibet inviae heremi nostrae iraperiali cedere potestati, videlicct eam, cuilibet placuerit, redigendi praecipuoque ad servitium dei. Ausdrücklich wird dabei gesagt, sicut docet lex Alemannorum, und die Bestätigung Konrads III. wiederholt Suevorum qui et Alemanni dicuntur lege ac judicio, was nichts anderes sagen will, als dass der Kr»nig in Schwaben über das herrenlose Land zu verfügen habe, und dasselbe ohne seine Erlaubniss durch Iiodung nicht erworben werden könne. Zwei weitere Zeugnisse, welche Beseler zur Sache beibringt, be- ziehen sich ausdrücklich auf eine Silva communis. Das erste, eine Urkunde von St. Emmeram ^), datirt anscheinend von 955, das zweite, eine Erzählung des jMünches Conrad von Scheyern, ist erst um 1240 niedergeschrieben, fällt aber in die Zeit von 1050"). Die erste Nach- richt lautet nur: Et non post longum tempus iterum idem Popo comes tradidit — in silva communi Nortwald nuncupata, tale predium silvaticum, quäle ipse cum suis sequacibus, contra suam proprietatem Steveninga (AMlluig bei Aibling) prospicicns, ad eundem locum Stev. captitaverat, cum uno tantummodo Vandalico colono institutam. Die andere, viel ausführlichere und lehrreichere, besagt: Nobilis quidam comes de Chastelin, Hermannus^) nomine, ingressus cum scrvis et rusticis suis de legitimis curtiferis apud Willingau liberam silvara in loco, qui dicitur Helingerswettango , modo autem Interior Cella') nuncupatur, et sibi eam suaeque uxori comitissae felicis memoriae Iladigae absque omni contradictione apprehendit, sicut mos erat et est, communem silvam de legitimis curtiferis apprehendere et in l)otestatem sui juris tam populari more, arborum scilicet incisione, ignium ustione domorumque edificatione, quam trium dierum in eodem loco, quod hereditario jure hereditatem retinere mos est, sessione a monte qui dicitur Chitinrein usque ad locum qui dicitur Chivirinis Ursprinch vendicavit. Postea vero aliquanto transacto tempore predicte dominationis servi et rustici iterum egressi de Willingau eandem silvam intraverunt, eamque a monte priori Chitinrein scilicit usque ad rivulum Diezzenten- bach dictum more solito quo et prius apprehenderunt suisque dominus ') B. Pez, Thesaurus I, 3, Col. 103. -) Monum. Boica X, p. 392. Boehmers Fontes IIT, p. 499. Pertz Monum. XVII, p. 615. Chnonrati, Cronic. Schirense. ^; Zweiter Sohn des Herzogs Ernst v. Schwaben, geb. 1026, gest. 1056, Stamm- reihe der Grafen v. Sulzbach, Bd. I, 32, Abh. d. bayr. Akademie 1833. '} Margaretenzeil oder Bayrisch Zell, zwischen Kufstein und Schliersee. 574 y^lL 2. Dio Besitzungen der Grundherren, determinaverunt. Tum ex hoc silva ab eadem familia excolitur et inhabitatur. Cujus cultores sacerdoti Pilgrimo apud Willingau longo tempore subditi divinae legis f^acrimonias ab eo recipiebant sibique laborura suorum decimas reddebant, usque dum duo conversi Otto et Adalpi-eht heremum, ut Deo liberius vacarent et servientes in mon- tibus et speluncis animae salutem sperantes, versus ejusdem novae culturae partes dovenerunt et longc in secretioris silvae loco manentes una cum aliis ecclesiam construxerunt. Haec cum comitissae Hazigae impetratione a Polensi episcopo Ellenbardo 1077 consecrata fuisset, cultores ipsorum novalium decimas, quas ad Willingau prius ofifere- bant ad hanc ecclesiam postea dabant, a qua usque in hodiernuni diem fidei catholicae sacramenta perceperunt. Wollte man interpretiren, dass der Wald bei Willingau, weil er libera genannt wird, nicht communis, sondern herrenlos gewesen, so würde das in der Sache nichts ändern, weil Graf Hermann, ebenso wie seine Bauern für nöthig finden, sich dessen in gleicher Weise zu versichern, wie dies bei einer silva communis Gebrauch und erforder- lich ist. Wäre der Wald wirklich herrenlos gewesen, so war das feierHche Verfahren unnöthig. Mindestens bestand also das Bewusst- sein, dass ihn der Fiskus für sich in Anspruch zu nehmen berechtigt sei, und diesen Anspruch bei Veranlassung geltend machen werde. Da aber von legitimis curtiferis die Rede ist, von denen jede silva communis erworben werden müsse, und Hermann ausdrücklich die legitimi curtiferi sui zAizieht, während sie selbst ein zweites Stück in gleicher Weise erwerben, so kann nur an einen der marken ähnlichen Waldbesitze gedacht werden, wie sie nach o. Bd. I, S. 465 in Süd- deutschland verbreitet waren. Auch für diese schliessen die feier- lichen Anforderungen der Besitznahme die Idee völlig aus, dass Jeder nach Belieben ein solches Besitzstück ergreifen könne. Der Erwerb geschieht aus den Händen der legitimi curtiferi, und ist an die Betheiligung derselben bei der Abgrenzung und Besitz- nahme als otienbares Zeichen ihrer Einwilligung geknüpft. Auch das tam, quam, welches Konrad von Scheyern in seine Rechtserläuterung einfügt, scheint nicht ohne Bedeutung. Unter Zuziehung der legitimi curtiferi, also der berechtigten Wald- oder Markgenossen, sintl die Bäume anzuzeichnen, es ist ein Feuer anzumachen und es sind Hütten zu errichten, dadurch wird die Besitzergreifung offenbart. Es ist aber auch drei Tage am Orte zu verweilen, um Dem, der etwa ausser den Zugezogenen noch Anspruch erhebt, dazu Gelegenheit zu geben. Die curtiferi legitimi waren zugleich Sui des Grafen Her- Neubrueh, Ausl)an, ncuntlon. 575 mann, er war, wenn nicht unmittelbar, doch als Grundherr derselben an der silva communis berechtigt. Es liegen also die deutliehen Anzeichen dufür vor, dass hier die Sonderung eines Antheils aus der gemeinsamen Älark unter den Berechtigten stattgefunden hat. Keiner der vorliegenden Fälle führt demnach auf den Beweis, dass noch im Karolingerreiche Jemand freigestanden hätte, ohne Einwilligung des Eigenthümers Grund durch Rodung zu erwerben. Dies ergiebt auch keine der Erwähnungen über Bifänge, welche Arnold in Ansiedelungen und Wanderungen deutscher Stämme (S. 243 ff.) zusammenstellt. Vielmehr erklärt schon Tassilo's Urkunde von 777 (o. Bd. II, S. 375) eine solche Rodung ausdrücklich für unerlaubt. Eine Urkunde von 819 bei Ried (Cod. Ratisp. I, 17) sagt: injuste eandem com- maream ultra quod debuerunt extirpaverunt contra legem. War die Rodung allgemein gestattet, so hätte auch Ludwig der Deutsche nicht 863 (o. S. 376) erklären können, dass Karl der Grosse suis fidclibus licentiam tribuit in augmentatione rerum ecclesiarum Dei in Pannonia carpere et possidere in hereditatem. Weder die Bd. II, S. 342 ge- dachten Wald- und Erbleihen von Klöstern, Rittern oder Bürgern, noch überhaupt die meisten Vergebungen Seitens des Fiskus wären werthvoll und erforderlich gewesen, wenn .Jeder ül)erall ohne Ver- leihung in fiskalische oder andre Forsten eingreifen durfte, und nach- dem er sich ein Proprisum abgegrenzt hatte, von dessen Rodung nicht mehr vertrieben werden konnte. Das Okkupationsrecht eines Jeden in Almenden widerspricht dem Wesen derselben (o. Bd. I, S. 162) unbedingt. Aber auch in allen Marken hing wenigstens seit der bekannten Zeit der fränkischen Eroberung der Erwerl) von Privat- grund von der Zustimmung der Markgenossen al>. Dies zeigen v. L<(w, Markgenossenschaften, S. 158, wie Thudichum, Gau- und Marken- verfassung, S. 175, eingehend^). Landau führt (Territ. S. 117) dazu •) Dem stehen ihrer Natur nach alle die Fülle nicht entgegen, in welchen für einzelne Marken oder für ganze Gegenden, durch Abkommen, Statutarrecht oder Ge- wohnheit, den Markgenossen selbst gewisse Okkupationsbefugnisse zustanden. Dahin gehören: das Bd. II, S. 32 und Anlage 6S gedachte Erstreckungs-Recht in den Mooren von Friesland; das nach Bd. II, S. 68 in Gehrde (Anlage 90) und auch anderwärts bekannte Recht den an die Mark anstossenden Gartenzaun in gewissen Füllen um die Länge des Zaunpfahles in die Mark hinaus zu rücken; die im Werdenfelser Tiiding (bei Grimm, W. III, S. 6.58) erwähnte Erlaubniss, im Wamperg und Hawsperg gegen Zins zu roden; Der Anbau in den Ratterten in Siebenbürgen, auf welchen bei der Kolonisation in Osteuropa näher einzugehen sein wird: auch die Hinweisungen in V. Maurers Einleit. S. 157, Markenverf. S. 171 und Gesch. d. Dorfverf. I, 292 ff. 576 ^il- 2. Die Besitzungen der Grundherren, eine ausdrückliche Zeugenaussage aus der Mark Echzell in der Wetterau von 1560 an: Es hätten zwar Einige im Walde gerodet, weil aber nicht die ganze Mark(genossenschaft) ihre Einwilligung dazu gegeben, hätten pie ihre Arbeit liegen lassen müssen. Ohne einen solchen Schutz würden jSIarken und Alnienden sämmtlich schon in alter Zeit in Privathänden verschwunden sein. Bei dieser Sachlage darf davon völHg Abstand genommen werden, in einem freien Okkupationsrecht zu Neubruch die Begründung oder Vergrösserung grundherrhcher Besitzungen zu sehen. Die bei freier Okkupation unvermeidliche Unsicherheit des Besitzstandes und stete Beunruhigung zwischen Grenznachbarn ist damit ausgeschlossen. Viel- mehr sind für allen Besitz uijd seine Ausbreitung mindestens seit der fränkischen Zeit, von Gewaltthaten abgesehen, lediglich die all- gemeinen noch gegenwärtig gültigen Arten des Eigenthumserwerbes in Betracht zu ziehen. Diese bestimmten Besitz Verhältnisse und die o: Bd. 11, S. 279 schon für das Ende der Karolingerzeit nachgewiesene Ausbreitung der fiskalischen, wie der weltlichen und geistlichen Senioren über fast das gesammte Gebiet des Reiches machen den Mangel weniger fühl- bar, dass wir über die Zahl und Grösse der grundherrschafthchen Gebiete, namentlich für die ältere Zeit, sehr wenig unterrichtet sind. Th. V. Inama ermittelte (Bd. I, S. 497 ff. und Bd. II, S. 471 ff. der Wirthsch.-Gesch.) für das 9. Jahrb. den Besitz von Salzburg zu 1 4 1 4 Hufen mit 14 Hof. von Weissenburg zu 41 Hufen mit 2Höf. „ Freising „ 130 n „ 36 „ „ St. Gallen n 78 n n 6 r, „ Regensburg „ 37 n n 4 „ „ Prüm n 371 n r, 12 „ „ St. Emmeram„ 851 n « 24 „ „ Echternach n 36 n « 5 „ „ Fulda „ 102 n ^ 3 „ „ Werden n 54 n n 4 „ _ Lorsch „ 238 n . 14 „ Da die Erhebung aber nur aus den veröffentlichten Urkunden geschehen konnte, sind die Zahlen als erheblich zu niedrig anzusehen. Lamprecht (II, 702 ff.) berechnet aus seinem reicheren Material den gleichzeitigen Besitz von Prüm auf 1599 Zinshufen und 32 Zins- Der bei Hanssen, Das Amt Bordesholm S. 338, mitgetheilte Bauernbriof von 1712 besagt für die Dorfschaft Mülbrok § 5: Das Raden soll einem Jeden, soweit auf dem Felde vergönnt sein, als der PHug vor Alters erweislich gegangen, in der Holzung aber keineswegs, es sei denn, dass solches auf Ansuchen von der Obrigkeit consentiert und ein oder andere angewiesen würde. Der Brief ist aus der Zeit, in welcher die Guts- herrschaften in Holstein nicht blos die gesammten Almendewälder, sondern in der Regel überhaupt jeden Waldbaum, auch den auf bäuerlichem Hufschlaglande ge- wachsenen, in Anspruch nahmen, und gestattet den Bauern nur die Rodung des auf den alten wüstgewordenen Hufschlagäckern aufgeschossenen Waldes. Neubruch, Aushau, Beundon. 577 höfe und ausserdem noch auf 28 Meierhöfe mit 6304 Modiis Aus- saat, 1129 Fuder Heu, 221 Fuder Wein, und für 6700 Schweine Waldmast. Für Mettlach findet er (IT, S. 154) 305 Zinshufen und 13 Meierliöfe, für St. Maximin (II, S. 167) 739 Zin.shufen und 1181 jugera Meieracker mit 104 jugera Meierwiesen. Den Besitz des Bistimms Augsburg giebt das Breviarium rerum fiscal, auf 1507 Hufen an. Bei allen diesen Angaben fehlen überdies die meist sehr be- trächtlichen Wälder und sonstigen unkultivirten Ländereien. Bezüglich der weltlichen Grossen, der Herzöge, Grafen, Vögte und Domainenbeamten lässt sich schwer ein Bild gewinnen, wie weit ihr eigener, ihr amtlicher, und der an ihre Unterbeamten, Vasallen und Milites verliehene Grundbesitz sich ausdehnte. Der Besitz der Geist- lichkeit ist wegen seiner grösseren Beständigkeit und üblichen Beur- kundung leichter zu bem-theilen. Für die Machtentwickelung der Grundherren kam indess niebt ledigHch die Fläche des Zins- und Meierlandes in Betracht, sondern nicht weniger der Umfang der Immunität, die den meisten grossen Grundbesitzern schon früh verliehen wurde (o. Bd. II, S. 291), ihrem vollen Inhalte nach aber auch allen hohen Reichsbeamten für ihre Sprengel zufiel, nachdem sie für dieselben Erblichkeit erreicht hatten. Dieser doppelte, in sich ganz verschiedene Rechtsl^oden der grundherrlichen Herrschaft machte sich unmittelbar mit seiner Ent- stehung geltend und führte durch das ganze iSIittelalter zu entgegen- gesetzten Bestrebungen. Alle Grundherren trachteten meist mit Erfolg nach Vermehrung ihres eigenen oder ibres zinspflichtigen (irundbesitzes. Aber derselbe zersplitterte sich gleichwohl im Laufe der Zeit fortwährend und meist in zunehmendem Grade. Bei den weltlichen (h-nndherren verringerte sich der Besitz durch Erbtheilungen, durch Vergabungen an die Kirche, und vor allem durch die Belehnung von Beamten, Ministerialen und ^lilites. Den geistlichen Besitz verkleinerten namentlich die Vogteien, aber auch Schutzbelehnungen, Klostergründungen, Villikationen und Verpfändungen. Alle diese Abzweigungen erlangten meist ebenfalls grundherrschaftliehen oder gutsherrlichen Charakter, so dass im Aus- gange des Mittelalters die Zahl der Grundberren gegen die der Karolingerzeit eine unvergleichlich vermehrte war. Die Immunität und die territoriale Herrschaft der hohen Reichs- bearaten trugen dagegen von Anfang an die Natur und r Wirthschaftsbetricb di>r Kiolniluife. 589 meisten dagegen weit dahinter znrückblieben, und sehr viele lediglich aus einem Hofe mit geringer Umgebung l)estandon. Entsprechend haben sich die Frohnhöfe des Mosellandes, deren CIrösse Lamprecht (I, 756 ff.) festzustellen vermochte, sehr klein erwiesen. Nur einer ist zu 5, zwei sind zu je 3, sieljen zu je 2, 12 zu je 1 Hufe oder gegen 60 Morgen, und 8 bis zu je 30 Morgen gross angegeben. Durch- schnittUch gehört zu ihnen, wie Lamprecht erklärt, nur 1 Hufe. Das- selbe geht aus den Beispielen des Breviarium rerum fiscalium o. Bd. I, S. 607 hervor. Da diese Hufen nun überdies fast ohne Ausnahme im Gemenge mit den bäuerlichen lagen, ist ohne weiteres gegeben, dass die Frohnhöfe sich weder im Aeussern noch im Wirthscluifts- betrie])e wesentlich von den Bauernhöfen unterschieden. Nur M'ohn- haus und Speicher sind in der Regel festere und etwas geräumigere Bauten gewesen. Eine Hufe kann überdies mit einem Pfluge und dem Gespann, welches der Meier jedenfalls gehalten haben muss, bestellt werden. Schon dies lässt annehmen, dass die Frohnhöfe selbst nur ein verhältnissmässig geringes Bedürfniss gehabt haljen können, Dienste frohnpflichtiger Höriger zu verwenden. Es ist nun bereits o. Bd. I, S. 458 näher gezeigt worden, dass diese Frohnpflicht keinesweges eine nur wenig verbreitete oder auf unerhebliche Arbeitsleistungen beschränkte gewesen ist. Melmebr besteht in der Karolingerzeit für die grundhörigen Stellen die Pflicht zu Hand- und Spanndiensten verschiedener Art fast ohne Ausnahme. Für die freieren Hörigen war sie allerdings auf gewisse Zeiten und Dienstleistungen beschränkt und in ihrem Maasse hinreichend l»e- stimmt, für die zahlreichen Eigenbehörigen aber sagte selbst das Gesetz, dass sie jede befohlene Arbeit zu thun hälfen, und dass die Anforderungi'u nur die Grenze der Menschlichkeit nicht überschreifcii sollten *). Mit der vorschreitenden Grundhörigkeit nuisste sich d(.'s- halb auch die Masse der für die Frohnhöfe verfügbaren Dienstleistungen steigend vermehren. Da nun Lam])recht (I, 753) festgestellt hat, dass im Mosellande auf einen Frohnhof durchschnittlich 12 — 13 Frohn- hufen, also 10— 15 hofpUichtige Wirthe, zu rechnen sind, so entsteht die Frage, wie die Villici" der Frohnhöfe die Dienste der ihnen unter- stehenden dienstpflichtigen Hufen verwendet und nutzbar gemacht haben. Li dieser Beziehung hat Lamprecht überzeugend erwiesen, dass der Betrieb des Frohnhofes selbst in der That für die Verwerthung '; Lex I Bajuvarior. I, 13. Mon. Genn. LL. S. -278. 590 XII. 3. Der Wirthschaftsbetrieb der Frobnböfe. der Hörigen untergeordnet blieb und nur nebensächliche Hülfsleistungen von ihnen erhielt, dass vielmehr die dem Grundherrn zu (lebote stehenden Kräfte der Dienstpflichtigen innerhalb des vom Frohnhofe noch 7A\ beaufsichtigenden Gebietes zur Rodung und Bewirthschaftung von Beunden benutzt wurden. Er zeigt (I, 418), unter wie verschiedenen Ausdrücken Frohn- land der Beunden zu verstehen ist. Im Mosellande war Acht, Achte (ebd. Achta, praedium) üblich, lokal wurde im INIaifeld und um Aachen Kunde oder Konde, bei Aachen auch Kirlant (Landau, Terr. S. 180), hier und da, wie zu Bockenau im Hunsrück (Grimm IT, 500) Hofflur gebraucht. Daneben kommen territorium, terratio, später auch terragium und Campus, missbräuchlich sogar terra salaricia oder dominicalis, und Salland als Frohnland vor. Näher dem in Hessen allgemeiner verbreiteten Worte Beunde steht das ältere und am Rhein üblichere Cultura und Corvada, auch Aratura, und Messis. Cultura ist Neubau. Corvada oder Crcada, auch Croda, war ursprünglich Carrucada, altfranz. Corveie, Courveie, Crouveie. Corvadam facere erklärt Caesarius im Urbar von Prüm: est ita nobis, sicut ipsis arare, que corvade vulgariter appel- lantur atepluge (Achtpflug- fronden). Im 13. Jahrhundert findet sich auch in lateinischen Urkunden Bunda und Hatta. Der gutsherrlich-bäuerliche Ursprung, die Grössen und die näheren Bewirthschaftungs -Verhältnisse dieser Beunden sind von Lamprecht in einem grossen Theile des Rheinlandes untersucht. Dabei hat sich (Ebd. I, 759) für die im Einzelnen bekannten Beunden der Besitzungen von Prüm und von St. Maximin in den ungünstigeren Gegenden der Eifel und der Ardennen die Fläche der einzelnen Beunde auf 20 bis 100 Morgen, für die besseren Landschaften an der Saar, Nahe und dem Rhein für Prüm auf durchschnittlich 36 Morgen, für St. Maximin auf durchschnittlich 10 Morgen mit einem Schwanken von 4 bis 20 Morgen herausgestellt. Das Verhältniss zu den Gemarkungen der zahlreichen Ortschaften, l)ei denen sie gerodet und angebaut wurden, ist indess dadurch unsicher, dass die Zahl der Beunden in den einzelnen Gemarkungen eine sehr verschiedene ist. Auf dem Terrain von 41 an St. Maximin gehörigen Dörfern wurden 129 Beunden gezählt, von denen in einigen Gemarkungen nur 1, in anderen aber bis zu 12 Beunden gerodet waren. Lamprecht berechnet (o. S. 577), dass Prüm im 9. Jahrhundert an hörigen Gütern 1600 Hufen nebst einigen kleinern Höfen und Köttern besass, und dass diese für die Frohnhofe, abgesehen von deren eigenen 26 Hufen, 6304 Modius Aussaat Acker- land zu l)cstellen und von den Wiesen 1200 Fuder Heu, von den XTT. 3. Der Wirthschaftsbetrieb der Frohnliöfe. 591 Weinbergen 220 Fuder AVein abzufahren hatten. Der Modius ist nach den Angaben o. Bd. 11, S. 550 zu etwa 100 Liter anzunehmen'). Bei der damaligen starken Aussaat sind 400 Liter Saat auf das Hektar zu rechnen. Daraus crgiebt sich, dass ungefähr IGOO ha von den gedachten 1600 Frohnhcifen zu bestellen waren. Da das Hektar Ackerland 10 — 12 Spanndiensttage jährlich fordert, und ül)erdies 1420 Fuder Heu und Wein abzufahren waren, würde jeder Frohn- hufe eine Gespannleistung von 12 Tagen jährlich obgelegen haben, was der Wirklichkeit wahrscheinlich nahe kommt. — Die wichtigste Eigenthümlichkeit dieser Beunden war offenbar die, dass sie schon in ältester Zeit dem Wesen iiu-er Anlage nach ausser der üblichen Feldgemeinschaft der Dorfgenossen lagen, ^^'ir kennen zwar den Anbau auf den Beunden nur wenig. Aber wahr- scheinlich liatte er viel grössere wirthschaftliche Bedeutung, als es nach dem bäuerüchen, unbeweglichen und auf geringe Hülfsmittel beschränkten Betriebe im Mittelalter erscheinen kann. Es ist nicht zu verkennen, dass die grundherrlichen Besitzungen und die an Hintersassen verliehenen blockartig zugetheilten Güter (Bd. I, S. 432) von Anfang an gewissen Fortschritten des Anbaues zugäng- licher waren, als die durch ihre Gewannlage und Nachbarrechte auf ganz bestimmte, sehr schwer veränderliche Feldgras- oder Felder- wirthschaften angewiesenen volksmässigen Hufendürfer. Der Grund- herr und seine Verwalter und Wirthschaftsbeamten hatten lange Zeit freie Hand in der Verwendung der Ländereien. Sie lernten auf den Eroberungsgebieten die sehr vortheilhaft entwickelte landwirthschaft- liche Technik der Romanen und die dem Boden und Klima an- geschlossenen Fruchtfolgen Oberitaliens und Galliens kennen. Ebenso mussten sie den den Süden überwiegend beherrschenden Gemüse-, (i arten- und Weinbau, den regelmässigen zur Wirthschaft gezogenen Wiesen- und Teichbetrieb und eine gewisse Pflege und Aufsicht auf die Forsten bemerken. Dazu kam die selbst die Römer überraschende Ausbildung, welche die Gallier schon früh in der Herstellung und Benutz- ung der Ackerwerkzeuge erreicht hatten (o. Bd. I, S. 227). Auch konnte die Entwickelung der römischen Viehzucht nicht ganz verschwinden. Den neuen Herren mussten auf den ihnen ül^erwiesenen Landgebieten überall Männer begegnen und Diener zur Verfügung stehen, deren Rathschläge zu beachten sie nicht anders als unmittelbar nützhch ') 5 Modii werden im Urbar als 5 ame, und 6 ame als ein vronevuder an- gegeben. Lamprecht II, S. 62. Letzteres ist bei den dortigen Gebirgswegen schwerlich über 8 Centner anzunehmen. Auch danach berechnet sich der Modius auf 80 — 100 Liter. 592 XII. 3. Der Wirthscliaftsbetrieb der Frohnhöfe. erkennen konnten. Die noch lange überwiegend aus romanischen Elementen hervorgehende Geistlichkeit verband mit voller Kenntniss der älteren Kultur das Streben nach sorgfältiger Ausnutzung der er- langten Besitzthümer, und führte angemessenen Wirthscliaftsbetrieb einsichtig und mit Beständigkeit fort. Viele auf ihren alten römischen Sitzen verbliebene Bischöfe waren dauernd in der Lage, ihre Kirchen- güter, wenn die vorübergehenden Störungen überwunden, in üblicher Weise weiter zu benutzen. Namentlich aber begannen die allmählich in grosser Zahl errich- teten Klöster ihre Thätigkeit, ihren Vorschriften gemäss, mit der Ein- richtung einiger auf ihren nöthigen Bedarf gerichteter Landwirth- schaften, in denen ihre Mitglieder mit ihrer Hände Arbeit Feld- und Gartenfrüchte erbauten. Allerdings übertrug das Klosterleben zunächst Nutzbarkeiten für Haus und Garten in den gesammten Norden, die Beschaffung bestimmter Speisen und die Bedürfnisse der Fastenzeit, Hühnerhaltung wegen der Eier, die schmackhafteren Teichfische, selbst die essbare Weinbergsschnecke. Die Gemüse-, Arznei- und Ziergewächse, die das Capitulare de villis nennt, sind aus den Gärten der Klöster in die der Bauern übergegangen, ebenso das bessere Obst. Sie ver- mochten aber auch im Landbau den Erfahrungen ihrer am besten unterrichteten Genossen zu folgen. Freilich ist erklärhch, dass sich dabei auch Ideen und Versuche verallgemeinern konnten, die für die Verhältnisse der nördlichen Länder nicht überall passten. So wurde vor allem die Rebe mit Vorliebe selbst in Gegenden verbreitet, in denen Klima und Boden ihr sehr wenig entsprachen, und der Ertrag die Pflege und oft wiederholte Umpflanzung keinesweges zu lohnen vermochten. Unter diesen Gesichtspunkten wird es höchst wahrscheinlich, dass den kirchlichen Stiften, den Klöstern und der von ihnen beeinflussten Pfarrgeistlichkeit, auch die weite und gleichmässige Verbreitung der Dreifelderwirthschaft zuzuschreiben ist^). Kein älterer Anbau auf per- manentem Acker bei weit ausgedehnter Weide, oder ein Felderwechsel der wilden oder geregelten Feldgraswirtliscliaft bestellte jäln-lich mehr als höchstens die Hälfte der Fläche mit Getreide, in der Regel wird die ') Es ist zwar sicher, d.ass die rümischen landwirth schaftlichen Schriftsteller Winterung, Sommerung und Brache kennen, dass sie auch von gedüngter Winterung und sehr sorgfältig, sogar viermal gepflügter Brache sprechen, aber ein regelmässiger dreijähriger Turnus der Felder ist nirgend erwähnt, im Gegentheil, die meisten Aeusse- rungen gehen unmittelbar auf freie Wirthschaft. Wenn also nicht ein glücklicher Fund nähere Beweismittel bringt, wird man auf einen strengen Nachweis, dass die Xir. 3. Der Wirthschaftsbetrieb .kr FmliMlnifL'. 593 alte Zeit wenig über ein Drittel des Baulandes besät haben. Die Drei- feldcrwirthschaft aber erlangte jährlich von zwei Drittheilcn desselben Getreideernten. Diese Umgestaltung lag vor allem im Interesse der zehntberechtigten Geistlichkeit. Indess entstand auch mit den grund- hcrrHchen Zinsen die Anforderung eines Uel)erschusses über dc^n alten, nur auf den Unterhalt der Familien berechneten Ernteertrag. Aber die Aenderung des herkömmlichen Betriebes war nicht durch Zwang oder Ueltcrredung, sondern nur durch Beispiel und Erfolge zu erreichen. Nirgends konnte sich deshnll) diese Art des Anbaues einfacherer als auf den Beunden einführen, und sich von diesen aus auch auf die eigenen Felder der Hörigen übertragen. Wenn einmal die Erfahrung die Thatsache erheblich grösserer Ernten zeigte, sahen dann hörige, Avie nicht hörige Bauerschaften ihren Vortheil darin und wurden der Neuerung um so leichter geneigt, weil die Familien auf den Hufen anwuchsen, und wenigstens zunächst der Ertrag unl)edingt stieg. Jedenfalls giebt es keine bessere Erklärung für das allgemeine, auch in sehr wenig geeignete Gegenden verbreitete Vordringen dieser Wirth- schaftsweise. Selbst die Sage, dass sie Karl der Grosse anl)efohlen, lässt sich mit den kirchlichen Bestrebungen am besten vereinigen. Als altvolksthümlich kann sie, wie schon o. Bd. I, S. 4(51 gezeigt wurde, nicht angesehen wm-den, da selbst ihre ältesten Erwähnungen gegen Ende des 8. Jahrhunderts sich nur im rhätisch-gallisclicn Ge- biete finden. Die Bd. I, S. 70 beschriebenen zahlreichen Beste einfacherer Kulturweisen im nördlichen Deutschland, sowie die Umwandlungen in Feldgraswirthschaft, die sich in der Schweiz nacliweisbar bei dem Weg- fall der Getreidezinsungen vollzogen (o. Bd. I, S. 4G2), deuten vielmehr darauf, dass die Dreifelderwirthsehaft im Volkslande auf einen weit- verbreiteten, wirthschaftlich überlegenen, man darf sagen, theoretischen Einfluss zurückzuführen ist. Sie lässt sich als ein von den vielen geist- lichen Stellen ausgehender Kulturversuch betrachten, welcher der ersten Generation überall vortheilhaft erscheinen musste, in seiner wahren Angemesseidieit oder Unangemessenheit aber schwer und erst nach langer Zeit erkennbar wurde. Nachdem die Schlageintheilung einmal erfolgt Römer die Dreifelderwirthsehaft geübt haben, verzichten müssen. Seebohm (Knglish viUage Community S. 275; v. Biinscn S. 18.5) versucht, dieselbe aus der Ausstattung der Veteranen zu berechnen, leider aber bleiben die Annahmen über Maiiss und Fläche der Aussaat, und über den bis zur Ernte nöthigen Unterhalt der Veteranen unsicher. Die vollständigste Untersuchung giebt Johannes Meyer „die 3 Zeigen" im Programm der Thurgauischen Kantorschule für das Schuljahr 1879/80. Frauenfeld (J. Huber) 1880. (Vgl. o. Bd. I, S. 70, 461.) Meitzen, Siedelnng etc. U. oo 594 XIT. 3. Der Wirthschaftsbetrieb der Frobnhöfe. war, liätte sie nur unter vielen Schwierigkeiten wieder abgestellt werden können. Jedenfalls aber liisst sich ihre Einführung in den altbestehen- den Bauerndörfern, so lange sie nicht völlig in die Hände eigener Leute gekommen waren, nicht als eine gebotene oder erzwungene denken, sondern kann nur in Uebereinstimmung der Genossen, durch gemeinsamen Entschluss der Hüfner und unter Leitung des über die Zweckmässigkeit belehrten Vorstehers vorgenommen worden sein. Des- halb ist der Durchgang durch die Beundenwirthschaft das Wahr- scheinlichste. Wie man indess diese Frage auch auffassen will, auf dem dauernden Ackerlande der Beunden begegnen wir, was sich näher zeigen wird, überall der Dreifelderwirthschaft, und die Aussonderung und Freiheit der Beunden von dem allgemeinen Betriebe der bäuer- lichen Dorfflur, andrerseits auch die Unzulässigkeit eines Zwanges, diesen Betrieb zu ändern, wird noch spät bestimmt ausgesprochen. Das Weisthum von Kenne aus dem 14. Jahrb. (Grimm VI, 545), erkennt ausdrücklich Abt und Convent des St. Maximinsklosters zu Trier als rechten Lehn- und Grundherrn des Dorfes und Bannes zu Kenne an und sagt: »dass unse hern ir fri aichten und iren frien bruele macht haint zo sniden und zo meen, wanne sl willent, und abe sach were, dasz si das ee bestunden, ee die lüde hir goit ain- griffen, so sallen si usz und in faren ane de lüde schaden.« Gleich- wohl erklärt es: dass die Gemeine Macht habe, die Banne fest- zusetzen, »und sullent unse hern adir ir hoveludc mit anderm irem Erbe die benne mit iTin halden, als ein ander Einichsman«. El)enso besagt das Weisthum von Longuich von 1408^), dass auf den Beunden eine andre Ordnung bestehe, und spricht ihnen sogar besondere Bevorzugungen zu. Es erklärt in § 18: retulerunt scabini, quod ds. al^bas vel sui familiäres in bonis dictis aichten sive terragiis tempore messis possent et deberent ante biduum fruges suas in eis metere sive desecare, et totidem dies uvas ante alios colligcre. Das Weis- thum von Pölich von 1550'-') weiset »der Herrschaft von Covern zwei Tage Vorschnitt vor anderen Erben und darzu, wer darbinnen ligt, der sal mit sniden als von alters herkommen ist«. Das Weisthum von Fellerich von 1581^) sagt: »in der Acht hinter der Kirchen, wenn man da schneiden wird, so solle der Hofman einen Tag den Vorschnitt hal)en. ^^'cnn dieselbige Acht Frucht hat, so sollen die *) Arch. Maxim. 8, 35. Laiiiprccht I, 427. ^) Grimm II, 317. ') Grimm III, 790. XII. 3. Der Wirtlischaftsbetrieb der Fiohuhöfe. 595 gemeine Furstcr gegen (den) liergh einen Gatter machen, in die ge- meine Heckh, damit nachmals dem Hofman kein Scliaden darin geschehe«. Die Acht hat also besondere Wirthschaftsbestellung und bedarf deshalb einen besonderen Zaun gegen den CJemeindebusch. Der Hofmann beanspruchte offenbar deshalb einen Tag Vorschnitt, damit die Fröhnder die Arbeit vor ihrer eignen thun sollten. Den, wenn nicht in besserer Fruchtfolgc, doch in grösserer Sorg- falt und Aufsicht, begründeten Vorzügen der grundherrlichen Beunden- bewirthschaftung ist indess entgegenzuhalten, dass so lange der Clrundlierr und sein Meier die Beunde für herrschaftliehe Rechnung betrieben, diese Bewirthschaftung nicht ohne Kosten, und zwar an- scheinend nicht ohne erhebliche Kosten geführt werden konnte. Die Frohndienstpflichtigen erhielten in der Regel bestinunte Gegen- leistungen. Meist wurde ihnen im Dienst ganz oder theilweis die Kost und das Viehfutter gereicht. Geld scheinen sie nur als Ersatz für die Kost, nicht als Lohn erhalten zu haben. Die Hergabe des nöthigen Unterhaltes war nicht allein der Ansporn zu bereiterer und besserer Arbeit, sondern unter Umständen unbedingt nüthig, und bei weiten Entfernungen ein Mittel, Unterbrechung oder frühes Aufhören der Arlieit zu verhüten. Die Bemessung der Kost scheint ziemlieh hoch. Lamprecht giebt (I, 430) von dem Beundedienst der Abtei St. Maximin im Bann von Neurath aus dem Urbar von c. 1200 ein genaues Bild, wie die Hörigen von 24 Hufen, sicut aratrata sunt, d. h. nach dem Hufenbesitz, die Beunden bestellen und dafür Vergütung erhalten. Für o Ptlügetage im Jahre hcisst es: recipit aratrum in vere unum panem in mane, in vespera duos panes et dimidium, et tres ob. atl potum; qui juraentum ducit, habet dimidium panem in mane, in vespera integrum panem et d. ad potum, et sext. avene. Scabinus et forestarius serent; de servicio recipit uterque d.; et sciendum, quod idem scabinus et omnes scabini, qui adsunt, habent de scabinatu singuli panem et d., in vespera cum villico comedunt, de proprio vinum emunt. Bedellus habet panem et d. et cum scabino in vcsperum comedit. Li .Junio recipit aratrum tres panes et d. et caseum, quales quatuor emuntur pro d.; scabini, bedellus, forestarius panem et caseum in mane; recedentes accipiunt singuli panem. Li autumpno tres panes et dimidium, duos d. ad vinum ; «jui jumentum ducit duos panes et dimidium d. ad vinum, et sext. avene. Scabinus et forestarius, qui serunt, panem et dimidium et cetera sicut in vere. Villicus habet bis tribus diebus jus unius aratri, et sciendum, quod omnes, qui in banno nostro sunt, tribus diebus nobis servire debent. Cum venerit tempus 38* 596 XII. 3. Der Wirthschaftsbetrieb der Frohnhöfe. secandi fenuni, villicus omnes, qui in banno nostro sunt, convo- care debet, de quibus aptos et secandnm eligit, reliqiios dimittit. Recipit secans in mane panem et casciim, in vespera panem et d., item datiir omnibus officiatis. Ad colligcndum fenum, qui in banno nostro sunt, ministros mittunt; recipit furcam ferens quar- tarium panis, rcccam ferens dimidium panem, cumulans dimidium. In hoiTCum nostrum deducunt; recipit plaustrum panem unum. Omnes, qui in banno nostro sunt, messem nostrum colligunt; re- cipit quisque panem unum. Scabini, bedellus, forestarius panem recipiunt in vespera, simul comedunt; post hac pedellus et forestarius quisque gerbam recipit. Die gemeinsame Bearbeitung der Beunde durch alle Verpflichteten steht dadurch ausser Zweifel. Ebenso auch die verhältnissmässige Kostspieligkeit derselben. Denn die Geldl)eträge und Mahlzeiten sind nicht gering. Auch die Brote, welche den Heu- machern nur 7Aim Viertheil gegeben werden, darf man sich nicht klem denken. In Simmern und Dhaun heisst es in demselben Urbar: mansionarii colligunt messem, qui coHigit accipit panem, quales 30 fiunt ex mir. Bignensi, das w<äre mehr als Vs Scheffel auf 1 Brot. Ein übliches Brot scheint (nach Lamprecht II, S. 559 und 548) 1 d. oder den 12. Theil eines Schafes werth gewesen zu sein. Nach dem Weisthum von Ravengiersburg (Grimm II, 179) hat der Pflüger, dem ein Rad an seinem Pfluge bricht, dem Hofmann ein Brod zu geben, das so hoch wie das Pflugrad ist. Das Weisthum von Creutznach (Grimm II, S. 151) sagt: Wir theilen auch unsern Herren in ihren Hoff", dass ein jeglicher Man, so Zacker (wohl Zeche, Reihe) fährt, der soll in ihre Beun fahren drei Wörben in dem Jahre, zun der Brachen eins, von der Brachen eins und zu der Saat eins, gleicher weiss alss einer ihm selber führe; und sali der Hoff"mann jedem Pflueg einen weck geben, der soll alss lang sein, als von der Naben biess gleich der Fälge, undt soll auch jeglichem Knecht ein Kreusslein voll weins geben; der Weck soll ein holenschen gelten, und welchem der Hoffmann des rechten nicht gebe, der mag heimfahren ohnverlustig.« Die Wcisthümer von Neumünster an der Saar (Grimm II, S. 31), St. Maria ad Martyrcs zu Trier (Lampr. III, S. 235), zu Ravengiers- burg (Grimm II, S. 177) und Bcsch (Grimm II, 249) enthalten ähn- liche Angaben über Leistungen und Gegenleistungen im Frohndienst auf Beunden. Auch erweisen die Wcisthümer von Bernkastcl (Töpfer, Urkb. I, 125) und von Dommershausen (Grimm II, 210) ebenso wie die obige Stelle aus dem Urbar von St. Maximin, dass die Beunde- XII. 3. D.M- Wiith.sohaftsl.etrieb r freien Pürsch (Lamprecht I, 485, Maurer, Frohnhöfe I, 43, Einleitung 152; Tudic^hum a. a. 0. 309; Stohbe, Privatrecht IT, 606; Grinnn, Weisthümer VII, 317). Im allgemeinen aber ging das Jagdrecht der Bauern mit der Hörigkeit an die Grundherren verloren. ') Vgl. V. Low, Markgenossenschaften S. 63. ^) Vgl. V. Maurer, Frohnhöfe III, 35, 41. Lamprcchf, Wirthschaftslcbun I, 4 70, 479, 494. Grimm, Weisth. VII, 296. ^) Lamprecht I, 470, 480, 494, 797, 1010, 107.'), 1158, 1519. Grimm, Weisth. VII, 296. Kraut, Grundriss § 86, No. 68, § 87, No. 10—17. v. Maurer, Frohnhöfe III, 35, 41. Schwabensp. Lassb. 236, 238. Freidank (hgg.. v. W. Grimm^ Vers 76, 5. Die Fürsten twingend mit gewult velt, steine, wazzer undc walt, dar zuo wilt unde zam; etc. (um 1230). 624 XII. 6. Die gruudherrliche Hof-, Güter- u. Territorialverwaltung. Seit dem 16. Jahrh\mdert entwickelte sich die Idee des landes- herrlichen Jagdregales, von welcliem nur Privilegirte oder im alt- herkömmlichen Besitz Befindliche nicht berührt wurden. Dasselbe wurde Ijesonders dadurch praktisch, dass daraus die Berechtigung abgeleitet wurde, den niederen Ständen die Jagd völlig zu versagen (Eichhorn, Deutsch. Privatrecht § 282). 6. Die grundherrliche Hof-, Güter- und Territoriaiverwaltung. Bei allen grcisseren Grundherren mussten Hofverwaltung und Güterverwaltung schon in der frühesten Zeit auseinanderfallen. Die Grundherren selbst betheiligten sich am Landwirthschafts- betriel)e nicht, waren dazu auch nicht in der Lage. Einzelne Aus- nahmen kommen nicht in Betracht. Zwar haben viele Klöster bei ihrer Gründung, ihren Ordens- vorschriften gemäss, den Eigenbetrieb ihrer Gutswirthschaften zur Beschaffung ihres Lebensunterhaltes begonnen. Aber so lange sie selbst durch ihre Genossenschaften Rodungen und Ackerarbeit be- trieben, sind sie kaum als Grundherren zu betrachten. Mit dem rasch anwachsenden Besitze, der ihnen Geltung unter den Grossen des Landes, und Rechte der Gerichtsbarkeit und Immunität gab, hörte auch die persönliche Betheiligung an dem ländlichen Betriebe auf. Es musste sich bei den geistlichen Stiften ebenso, wie bei den weltlichen Possessoren und Senioren, eine Güterverwaltung aus ver- mittelnden Beamten bilden, welche die persönliche Bewirthschaftung der Ländereien untergeordneten örtlichen Verwaltern überliessen, und ihf-erseits den mehr oder weniger ausgedehnten Grundbesitz als die finanzielle Grundlage einer angesehenen, auf Herrschaft über Land und Leute beruhenden poUtischen Stellung ihres Herrn betrachteten. Im wesentlichen strebten alle grundherrlichen Verwaltungen, den Landbesitz durch die Begründung bäuerlicher Wirthschaften zu ver- werthen, welche nicht grösser waren, als dass sie den Lebensunterhalt des Wirthes und seiner Angehörigen, und die Leistung eines gewissen massigen Umfanges an Zinsungen und Diensten verbürgten. Dies war die durchgehende Nutzungsweise, sogar des Forstlandes. Sie hatte denselben Charakter, sowohl bei der Wirthschaft auf eigene herrschaft- liche Rechnung durch Villici oder Meier, wie bei eigenen, hörigen oder freien Bauernschaften, die auf ihr persönliches Risiko arbeiteten. Auch ist völhg erklärlich, dass die leitenden Beamten, ebenso wie die Grundherren selbst, es viel leichter fanden, diese Einnahmen durch XU, 6. Die grundherrliche Hof-, Güter- u. Territorialverwaltung. G25 vermehrte Ansetzung solcher ^Virthschaften, als durch gesteigerte Be- lastung und intensiveren Betrieb derselben zu erhöhen. Jede solche Einwirkung erforderte mancherlei Weiterungen und Entfjcheidungen, genauere Aufsicht, bessere Kenntniss der Verhältnisse der einzelnen Orte und Wirthe, sowie Strenge der Durchführung. Die natürliche Richtung der Verwaltung ging deshalb auf Sicherung des Bestehenden und mög- lichste Vereinfachung der Geschäfte. Beides hing vor allem von Be- stimmtheit und angemessenem Gleichmaass der Leistungen und von der Regelmässigkeit der Anforderungen und der Leichtigkeit der Bei- treibung ab, welche durch die Solidarhaft der bäuerlichen Genossen- schaften erreicht wurden. Dieses seit ältester Zeit herkömmliche Bestreben nach Beständig- keit der gutsherrlich -bäuerlichen Rechte und Pflichten ist o. Bd. U, S. 312 im Zusammenhange mit .den Dorfweisungen, Urbaren und "Weisthümern näher erörtert. Eine solche, nicht eigentlich landwirthschaftliche, sondern weit mehr fiskalische und steuerliche Behandlung der grundherr- lichen Ländereien und ihrer Insassen wurde durch das übliche Verfahren des mittelalterlichen Staates wesentlich gefördert und erweitert. Auch er erstrebte in seiner umfassenderen Thätigkeit auf ähnliche Weise die Vereinfachung der Geschäfte für alle Gebiete des Gerichtswesens, der Polizei und selbst der Finanzverwaltung. Die frühesten Aeusserungen dieses Verzichtes des Staats auf eine wohlorganisirte eigene, fest und gleichmässig wirksame Verwaltungs- thätigkeit liegen bereits deutlich erkennbar in den ersten Verleihungen ausgedehnten Landbesitzes an die Grundherren, denn es war mit diesem, wie sich o. S. 284 gezeigt hat, alsbald die niedere Gerichts- barkeit und Polizei des Grundherrn über die ihm überlassenen oder von ihm angesetzten Hintersassen verbunden worden. Der Beliehene erhielt nicht allein alle Rechte des Hausherrn gegen seine eigenen unter seinem Schutze lebenden Hausgenossen, sondern auch Befugnisse gegen Fremde, wie Pfandforderungen bei Schädigungen, und Nutzungs- gebühren, wie Brückenzölle, Fährgelder, Geleit, Zahlungen für Gerichts- oder Polizeihülfe. Es hatte also schon die älteste herrschaftliche Verwaltung nicht lediglich landwirthschaftliche, sondern auch mancher- lei andere gerichtliche und polizeiliche, mit mehr oder weniger Ein- nahmen verknüpfte Geschäfte zu erledigen. Dieser Geschäftskreis musste durch die häufiger werdende Ver- leihung der Immunität grossen Umfang gewinnen. Mit ihr wiu-den, abgesehen von der hohen Gerichtsbarkeit, alle Befugnisse des Staates Meitzen, Siedelims: etc. IT. 40 626 ^^I- 6- ^iß grundherrliche Hof-, Güter- u. Territorialverwaltung, gegen die innerhalb des immunen Besitzes wohnenden freien Staats- bürger dem Grundherrn theils völlig überwiesen, theils so weit in seine Hände gelegt, dass er der Vermittler der Durchführung gegen- über dem Staate wurde. Dem Grundherrn lag nun der grösste Theil der Fürsorge ob, welche für den Staat selbst erforderlich geworden wäre. Dieselben Verhältnisse traten für die hohen Staatsämter ein. Die Herrschaft der Immunitätsherren beruhte auf dem Privi- legium , die der Herzöge und der Grafen auf dem Amtslehn. Der Inhalt war im wesentlichen der gleiche. Denn mit dem Amtslehn übertrug der Staat nicht lediglich Güter, welche für den Unterhalt und die Amtsbedürfnisse des Beamten dienen sollten, während im übrigen die Amtshandlungen nur als Hülfeleistungen im Staatsdienste galten. Vielmehr war diesen Beamten, vorbehaltHch des höheren Rechts des Königs, die Staatsgewalt über ihren gesammten Amts- bezirk übertragen worden. Dieser Gedanke, der schon dem alten Volksbeamtenthum innewohnte, erhielt durch die Erblichkeit der Staatsämter nur bestimmteren Ausdruck. Auch ihre Inhaber besassen also ausser den ihnen zugewiesenen, landwirth schaftlich zu nutzenden Gütern die Herrschaft über die gesammten Insassen ihres Amts- sprengels mit der Pflicht, für die öffentlichen Bedürfnisse dieser In- sassen so weit zu sorgen, wie der Staat für dieselben einzutreten bereit gewesen sein würde. Für diese politische Fürsorge der Immunitätsherren, wie der In- haber der hohen Staatsämter, welche unter jedem derselben ein zahl- reiches, wohl vorbereitetes und leistungsfähiges Beamtenthum erwarten Hesse, kam nun allerdings als wesentliche Erleichterung die bedenk- liche mittelalterliche Staatspraxis in Betracht, allen öffentlichen Be- fugnissen den Charakter von veräusserlichen Werthen zu verleihen, und sie als solche bei entstehenden Bedürfnissen zu verbrauchen. Statt ertragsfähige Rechte so zu gestalten, dass daraus regelmässig fortlaufende Einnahmen gezogen werden konnten, wurde diese Be- nutzung einer zweiten oder dritten Hand überlassen, an welche das einzelne Recht des Fiskus, sei es verschenkt, verliehen, vertauscht oder verkauft, jedenfalls im Sinne eines Kapitals veräussert wurde, dessen Zinsen der Erwerber aus den vorher fiskalischen Einnahmen höher oder niedriger, je nach seiner Handhabung des Rechtes, bezog. Dieses sorglose Verfahren der Staatsfinanzverwaltung wurde dauernd auch von den Immunitätsherren und den Amtsherrschaften geübt. Die niedere Gerichtsbarkeit wurde immer weiter zersplittert und mit ihren Befugnissen nicht allein Grundherren und Vasallen, XII. 6. Die grundherrliche Hof-, Güter- u. Territorialverwaltung. 627 sondern auch anderen Gerichtshaltern, Städten und seilest Dcirfern überlassen. Die Einnahmen aus Zöllen, Münzen, Marktgeldern und Marktwägungen, Geleiten, Brücken und Fähren wurden zur Erhebung saramt der Pflicht der Unterhaltung aller nöthigen Einrichtungen privilegirten Unternehmern, mit oder ohne Zinspflicht, überwiesen. Auch die Einforderung von Naturalzehnten erhielt häufig diesen Charakter. Aehnlich wurde der Betrieb von Mühlen, Brauereien oder Bergwerken auf feste Abgaben gesetzt, und die eigene Betheiligung oder Beaufsichtigung der Grundherren an demselben möglichst ent- behrlich gemacht. Daraus lässt sich entnehmen, dass die Thätigkeit der grund- herrlichen Hofleute und Beamten vorzugsweise auf den Eingang feststehender Natural- und Geldzinsungen, Antheile an Gerichts- und Polizei gebühren, und auf die Verwendung oder, soweit möglich, auf den Verkauf der sich ansammelnden Vorräthe gerichtet war, und dass von den Beamten selbst die Erleichterung ihrer Geschäfte durch die Art des Verfahrens thunlichst gefördert wurde. — Indess blieben gleichwohl die Ansprüche, die an die grundherr- lichen Verwaltungen, selbst bei massiger Ausdehnung des Herrschafts- gebietes herantreten mussten, sehr erheblich und mannigfaltig, und es ist schwer, sich ein deutliches Bild davon zu machen, wie sie befriedigt wurden. Offenbar hatte das Beamtenwesen dieser älteren Zeit einen höchst persönlichen Charakter, sowohl von Seiten der Herren, wie der Beamten selbst, und konnte deshalb sehr wechselnde Gestaltungen annehmen. Am besten verständlich aber wird es immerhin durch die königliche Verwaltung, namentlich der Domainen, welche der grundherrlichen ebenso in ihrem Wesen gleichartig, als auch nächstes Vorbild war. Dem Hofhalte der Merowinger stand, Avie Brunn er in seiner deutschen Rechtsgeschichte (Bd. H, S. 97 fF.) eingehend darstellt, ein major domus als Oberer des Hofgesindes vor, der eine majorissa zur Seite hatte. Das Hofgesinde bildeten die 4 Plausärater, welche schon o. Bd. I, S. 601 als Dienststellen im Haushalte jedes vornehmen Franken genannt sind. Der Truchsess oder Seneschall für Haushalt und Küche, der Camerarius oder Thesaurarius für das Geld, die Kostbarkeiten und den Schatz oder Hort, der Marschall für Pferde und Waffen, und der Schenk, pincerna, für die Beschaffung von Wein und Getränken. Sie alle erhoben sich zu einer mehr oder weniger begüterten Hofaristokratie, welche ihre häuslichen Geschäfte am Hofe von verschiedenen Kreisen untergeordneter Bediensteter versehen Hess, 40* 628 XII. 6. Die grund herrliche Hof-, Güter- u. Territorialverwaltung. persönlich aber dem Fürsten nach Umständen als Berather, Gesandte oder Heerführer zu Gebot stand. Dieser der deutschen Sitte entsprechenden Hofhaltung gegenüber lässt sich in der Domainenverwaltung der Merowinger ein römisches Vorbild erkennen. Zu der Zeit als die Franken Gallien eroberten, stand im römi- schen Reiche ein comes rerum privatarum, der vormals rationalis privatae oder magister rei summae privatae hiess, an der Spitze der kaiserlichen Domainenverwaltung. Die Domainen der einzelnen Pro- vinzen wurden durch ihm untergeordnete Provinzialprocuratoren, rationales procuratores oder praepositi rei privatae, verwaltet. Die Officia oder Bureaus, sowohl des Reichscomes, als der Pro- vinzial-Domainenverwalter, hatten jedes einen Primicerius zum Chef, welcher, wie bei verschiedenen Magistraturen, auch in der Domainen- verwaltung, domesticus genannt wurde. Auch im fränkischen Reiche erscheint unter den Merowingern ein Domesticus am Hofe, der die Domainen unter sich hat, und an alle Domestici in den Provinzen Befehle ergehen lässt. Die Pro- vinzialdomestici hatten die königlichen villae unter sich, und führten die Einziehung der dem Könige in Folge von Strafen oder von Erb- losigkeit verfallenden Güter aus. Die Verfügungen über das Königs- gut sind oft zugleich an den Dux und den Domesticus gerichtet. Letzterer stand anscheinend dem Dux zur Seite. Sein Rang war gleich oder nahe dem des Comes. Er hatte eine Anzahl villae unter sich, von welcher jede unter einem Villicus stand. Es wird auch einem Domesticus (Mon. Germ. Diplom, Mer. No. 29) aufgetragen, mit dem königlichen Förster einen Forst auszumessen und abzugrenzen, den der König einem Kloster schenkt. Noch Arnulf, der Grossvater Pipins, ist ein solcher Hofdomesticus. Indess mehr und mehr zog der Major domus in seiner alle Aemter überragenden Gewalt auch die Domainenverwaltung an sich. Seine Machtstellung aber, aus der die Karolinger hervorgingen, war der Grund, weshalb mit deren Herrschaft nicht bloss ein solches ober- leitendes Staatsamt wegfiel, sondern auch unmittelbar tiefgreifende Veränderungen in der Beamtenorganisation eintraten. Es kam ent- scheidend der Gedanke zur Geltung, dass eine Centralverwaltung unter angesehenen Hofbeamten mit festen und dauernden Befug- nissen gefährlich sei. Der König nahm fortan zum Berather, wer ihm geeignet schien, ohne ihm eine bestimmte Stellung zu geben, und übte die Kontrole der Provinzen durch die Missi, deren Auf- XII. 6. Die gnindherrliche Hof-, Güter- u. Territorialverwaltung. 629 träge nur vorübergehende waren. Die Inhaber der Hofämter wurden zwar von dem Wechsel anscheinend nicht berührt, konnten auch als Missi oder Beauftragte gebraucht werden, aber sie blieben ohne Ein- tluss auf die Regierung. Alles Gewicht fiel bei dieser schwachen, nur auf die Person des Fürsten berechneten Centralorganisation auf die Provinzialbeamten. Die hohen Provinzialämter der Duces und Comites wurden mit Vasallen besetzt, und die Aemter ihnen zu Lehn gegeben. Um 800 hatten bereits alle lokalen Aemter Lehnscharakter. Man glaubte sie offenbar durch die Idee und Treupflicht des Lehns abhängiger und durch die Missi unter der zuverlässigen Kontrole des Königs. Thatsächlich erwies sich allerdings, wenigstens nach Karls Tode, das Gegentheil. Entsprechend wurden unter den Karolingern auch die Domainen- beamten decentralisirt. Der oberleitende Hofdomesticus verschwand, ebenso fielen die Domestici in den Herzogthümern weg. König und Königin, Seneschall und Schenk gaben an die Domainen ihre Wei- sungen, und die Beaufsichtigung erfolgte durch die Missi. Grössere Domainenkomplexe wie einzelne Güter, fisci, finden sich unter actores oder actores domiuici. Diese heissen auch judices, judices fisci, procuratores regii, villici, castaldi oder castaldii. Es erhielten aber auch Grafen neben ihren Dotationsgütern die Verwaltung der in der Grafschaft belegenen Krongüter. Unter den Actores standen die Juniores oder Ministeriales. Aus diesen war dem einzelnen Krongute ein Major vorgesetzt. Bezüglich dieser Majores schreibt das Capitulare de villis c. 60 vor: Nequaquam de potentioribus hominibus majores fiant, sed de mediocribus, qui fideles sunt; und c. 26: Majores vero amplius in ministerio suo non habeant, nisi quantum in uno die circumire aut providere potuerint (Vgl. o. Bd. I, S. 60). Auch Decani kommen im Capitul. de villis (c. 10 und 58) vor. Auf die Wahrscheinlichkeit des Zusammenhanges mit den Decanien der römischen Praedia ist o. Bd. I, S. 375 hingedeutet. Insbesondere lässt das entsprechende Maass der Königshufe ver- muthen, dass solche Praedia in alter Verfassung, wie im Salzburgischen, auch anderwärts der königlichen Domainen Verwaltung zufielen. — Diese Verwaltungsverhältnisse der fiskalischen Grundherrschaft im Sinne Kaiser Karls dürfen auch auf die der weltliehen Grossen übertragen werden. Die überwiegende Zahl der königlichen Fisci wurde im Laufe der Zeit verschenkt und ging, wenn sich auch ein Theil der Personen änderte, doch in ihren bestehenden Verwaltungs- einrichtungen auf den neuen Besitzer über. Viele dieser Güter blieben 630 XII. 6. Die grundlierrliche Hof-, Güter- u. Territorialverwaltung. aber in den Händen der leitenden Beamten und wurden ilir dauern- der und erblicher Besitz. Schon 1100 leisteten alle früheren Tafel- güter nur bestimmte Servitia (v. Inama II, 141). Die Actores, Judices, Villiei und Majores finden sich auch auf allen grösseren Grundherrschaften. Neben ihnen traten die Advocati, die Vögte, auf, welche im Laufe der Zeit ganz vorzugsweise und sehr verschiedenartige Bedeutung erlangten. Sie werden am frühesten als Beamte der kirchlichen Stiftungen genannt. Die Kirche war vor dem Grafengericht nicht völlig hand- lungsfähig, denn sie konnte die Entscheidung durch Kampf nicht übernehmen. Sie vermochte aber auch die Verwaltung der Hof- und Immunitätsgerichte ihrerseits nicht zu führen, weil sie nicht selbst Blut vergiessen durfte. Ueber dazu geeignete Mittelspersonen verfügte indess, wenn auch aus anderen Gründen, die Geistlichkeit schon im römischen Reiche. 107 erbat ein Concil zu Karthago vom Kaiser die Erlaubniss, De- fensores der Kirche aus der Zahl der Advocati, die in Rom unbe- zahlte Beistände waren, bestellen zu dürfen, ut more sacerdotum provinciae iidem ipsi . . . habeant facultatem pro negotiis eccle- siarum ingredi judicum secretaria^). Dies gestattete die Constitution des Arcadius, Honorius und Theodosius von 407 (Cod. Theod. XVI, 2, 34). Zu solchen dann öfter erscheinenden Defensores ecclesiae sollte nach einem Dekret des Papstes Pelagius I. (Gratian. Decr. c. XVI. qu. I, c. 20) kein Mönch ernannt werden. Gregor I. forderte jedoch, dass sie Kleriker seien, machte sie durch Festsetzung bestimmter Sprengel zu defensores regionis^), und übertrug ihnen, ausser dem Schutz der Armen, Wittwen und Waisen, die Vertretung der kirch- lichen Rechte und Güter, die Verwaltung des Patrimoniums der römischen Kirche und die Entscheidung gewisser Rechtsstreitigkeiten (Brunner a. a. 0. II, 303). Dies Vertretungsrecht durch einen Agens, Advocatus oder Defensor behielt im fränkischen Reiche der Kirchen- obere, der nach römischem Rechte lebte. Nach fränkischem Recht bedurfte es dazu eines besonderen Privilegs, das ihnen indess leicht zugestanden worden sein mag. Karl der Grosse wollte, in Uebereinstimniung mit der Kirchen- leitung, dass sich die Geistlichen von weltlichen Geschäften fern- halten, und darin von Vögten vertreten werden sollten. Ein Capitu- lare Pipins um 790 (Boretius I, 201) sagt c. 3: de advocatis volumus, ') Maassen, Geschichte der Quellen des Canonischen Rechts, S. 162. *) Hinschius, Kirchenrecht I, 377. XII. 6. Die grundlu'irliche Hof, Güter- u. Territorial Verwaltung. 631 ut pro ecclesiastico honore et pro illorum reverentia advocatos habeant. Die Capitula data missis von 802 (Ebd. I, 9o) fordern c. 18; nt epiiscopi, abbates adque abbatissae advocatos adque vicedomini cente- nariosque legem scientes et justitiam diligentes, pacifieosque et man- suetos habeant. Gleiche Vorschriften wiederholen sich öfter (Ebd. I, 172, 319). Die kirchlichen Vögte waren ursprünglich nur zeitweise oder auch nur für ein bestimmtes Geschäft bestellt, indess behielten sich schon im 9. Jahrliundert Stifter von Kirchen die erbliche Vogtei derselben vor. Auch übte Karl der Grosse selbst oder durch die Missi Einfluss auf die Ernennung der Vögte, und forderte, dass eine Kirche, welche in mehreren Grafschaften Besitzungen hatte, für jede Grafschaft einen besonderen Vogt bestellen, und dass der Vogt in dieser Grafschaft Grundbesitz haben solle. Endlich sagt schon das Capitulare Pipins 801—810 (Ebd. I, 210) c. 11: ut advocati in presentia comitis eligantur, und das Memoratorium Olonn. 822—23 (Ebd. r, 319) c. 9: ut episcopus una cum comite suo advocatum eliget. Die Ernennung fand also vor dem Grafen und mit dessen Zustimmung statt. Für einige Klöster findet sich jedoch auch das königliche Privilegium der freien Vogtswahl (Waitz IV, S. 469, Anm. 4). In der folgenden nachkarolingischen Zeit entwickelte sich daraus eine doppelte Gestalt der Vogtei. Einerseits suchten die kirchlichen Stiftungen in den politischen Wirren Schutz, und glaubten ihn am besten in den mächtig und selbständig gewordenen Cirafen zu finden, welche sich mehr und mehr über ihr Amt und ihre Grafschaften hinaus zu fürstlichem Ansehen erhoben. Diese übernahmen die Schirm vogtei, welche im Treuverhältniss ihren Zweck zunächst zu erfüllen vermochte, aber unvermeidlich dazu führte, der sich thatsäch- lich entwickelnden Landeshoheit dieser weltlichen Herren die geist- liche Stiftung oder wenigstens diejenigen Besitzungen derselben dauernd zu unterwerfen, welche im landesherrlichen Territorium des Schirmvogts lagen. Mit der Schirm vogtei verknüpfte sich indess, obwohl sie ihrer Entstehung nach auf der prozessualischen Vertretung beruhte, die Ausübung der letzteren doch nur in höheren politischen Fragen, nicht aber die Gerichtsvogtei. Letztere kam vielmehr nothwendig in die Hände untergeordneter Organe. Je nachdem dem Stift für sein Gebiet die höhere oder nur die niedere Gerichtsbarkeit zustand, konnte die Wahl verschieden sein. Es gab Vögte mit eigenem grund- herrlichen Besitz, welche für die Uebernahme der Vogtei nicht allein den seit der karolingischen Zeit üblichen Antheil von Vs an den 632 XII. 6. Die grundlienliche Hof-, Güter- u. Territorialverwaltuiig. Gcrichtsgefällen , sondern auch noch ein Kirchengut als Lehn er- hielten, und eine erbliche, unerschütterliche Stellung einnahmen. Es wurden aber die Vogteigeschäfte auch von Amtsleuten, sowie von Pröbsten geführt, und wo einem geistlichen Stifte nur die niedere Gerichtsbarkeit zustand, konnte sie den Ortsvorständen der Bauern- dörfer, den ßauermeistern oder den Schulzen, überlassen bleiben. Der Fiskus dagegen hatte in seinen Beamten bei jedem Rechts- streite die gegebenen Vertreter für das denselben unterstellte Gebiet. Der Beamte konnte für diesen Zweck auch ausdrücklich als V^ogt oder Advocatus bezeichnet werden. Ebenso war die fiskaHsche Ver- tretung stets durch einen besonders bestellten Vogt zulässig. Unter den fiskalischen Beamten waren die Grafen und ebenso die unmittel- baren Vasallen auch berechtigt, sich im Falle der Verhinderung durch Advocati vertreten zu lassen. Den weltlichen Personen, also auch den privaten Grundeigen- thümern, war zwar als solchen nach dem deutschen Gerichtsverfahren eine Vertretung nicht gestattet. Auch jedem weltUchen Grund- und Immunitätsherrn lag an sich das Auftreten vor Gericht in eigener Sache ob, und er hatte ebenso die innere Gerichtsbarkeit, wie die Vertretung seiner Leute im öffentlichen Gericht, persönlich auszuüben. Aber schon in der karolingischen Zeit erscheinen in den Verwaltungen der Grundherren, wie beim Fiskus, nicht allein die judices, judices privati, agentes, actores, vicedomini und praepositi, sondern auch advocati. Wie Brunner (11, 307) näher ausführt, treten indess Beamten der Grundherren als advocati, Vögte, erst auf, seitdem Karl der Grosse das Verhältniss der öffentlichen Gewalt zu den Grund- und Immunitätsherren energisch ordnete, und durch den offiziellen Sprach- gebrauch in bestimmter Weise die Thätigkeit der grundherrlichen Amtsleute in ihrem Verhältniss als Richter, Gutsverwalter oder son- stige Privatbeamte, von ihren Funktionen als Vertreter der Grund- herrschaft in deren Beziehungen zum Staate unterschied. Alle Beamten des Grundherrn konnten dem Staate gegenüber advocati ihres Herrn sein, wenn sich dies aus ihrer Stellung oder aus besonderer Voll- macht ergab. Der Grundherr durfte aber ebenso einen Vogt dauernd für derartige Geschäfte öffentlicher Natur bestellen, und ihn zugleich auch mit anderen wirthschaftlichen Aemtern betrauen. — Dies waren die Beamten Verhältnisse bis zu der Zeit, in der mit dem Verfall der Grafengewalt auch das Verwaltungssystem des alten Staates überhaupt seinen Halt verlor. Karl der Grosse hatte mit seiner mächtigen Persönlichkeit sein XII. 6. Die gruudherrliche Hof, Güter- u. Territorialverwaltung. 633 Reich wie eine grosse Gutsherrschaft /.u verwalten unternommen. An fester Organisation bestanden kaum die Grafschaftsgrenzen. Die leitenden Beamten von den niedern bis zai den Grafen und Missi hingen völlig von seinem Ermessen ab. Es gab für alle diese jiolitischen Ilülfskräfte keine dauernde Stütze, als ihre eigene Macht. Daher war das Streben jedes Beamten, des hohen wie des geringen, sich in dem zunächst nur für seinen Unterhalt und für die Anforderungen seines Amtes erlangten Grundbesitze erblich festzusetzen. Dies gelang um so leichter, weil das Lehn scheinbar die Anrechte des Staates wahrte, und nur als eine andre Form des Amtes erschien. Der Staat ver- gab die Aemter mit allen Befugnissen und Hülfsmitteln als mit Pflichten und Leistungen belastete, grosse Güterkomplexe. Die Ver- waltung wurde im höchsten Grade vereinfacht, aber statt bereiten Dienern standen dem Könige jetzt Grundherren gegenüber, mit deren gutem Willen und mit deren Streitkräften er rechnen musstc. Da auch die Staatssteuern und die meisten Staatsgüter in den Händen dieser Amtsgewalten lagen, hingen von deren Zuverlässigkeit und Leistungs- fähigkeit auf weiten Landstrecken alle Hülfsmittel ab, über welche der Fiskus verfügte, und bei der steten Finanznoth wurden diese Einnahmequellen immer mehr durch Abtretung gegen minimale Kapitalisirung verringert. Diese Zustände lösten den Staat innerlich auf, und der frühe Verfall der Staatsgewalt wurde nur dadurch ver- deckt, dass die Kaiser und Könige selbst aus den selbständig ge- wordenen Beamten hervorgingen und sich als die grössten Grund- herren auf ihre eigene Hausmacht zu stützen vermochten. Die grosse Masse der Grundherren führte ihre Verwaltungen ihrer- seits nach denselben Grundsätzen, wie der Staat, aber mit weniger ein- greifenden Folgen. Ihre Beamten, wie sie selbst, hatten durch ver- hältnissmässig lange Zeit sehr viel geringere Bedürfnisse, als der Königshof. Erst etwa zwei Jahrhunderte später, als für die Lebens- führung der Grossen ungleich höhere Ansprüche geltend wurden, traten auch auf ihren Gebieten dieselben Misstände ein, und nahmen nur je nach der kleineren oder grösseren Ausdehnung ihrer Terri- torien verschiedene Gestalt an. Von der Herrschaft der Karolinger bis zu den Kreuzzügen lag die hauptsächhchste Anforderung, welche grosse wie kleine Grund- herren an den Ertrag ihres Landbesitzes stellen mussten, in der Beschaffung des vom Könige geforderten, und ihnen selbst für ihre eigene Sicherheit unentbehrlich scheinenden dienstbereiten militärischen Aufgebotes. War für dieses gesorgt, so konnte für alles übrige jeder 634 XII. 6. Die grundherrliche Hof-, Güter- u. Territorialverwaltung. Grundherr auf bedeutendem wie auf geringem Besitz der Regel des allgemeinen Bauernlebens jener Zeiten folgen; er konnte ausgeben, wie viel er einnahm, und alles unterlassen, was seine Mittel überstieg. Die Einnahmen der (irundherren beruhten im wesentlichen nur in den Zinsungen, Abgaben und Gerichtslasten ihrer hörigen Bauern und ihrer Immunitätsinsassen. Danach konnte die Hofhaltung je nach den Umständen glänzender oder spärlicher ausgestattet, es konnten mehr oder weniger Beamte berufen und unterhalten werden. Für die sichere Bereitschaft der schwer bewaffneten Reisigen mussten dagegen festere und ausgiebigere Hülfsquellen bereit stehen. Diese Hessen sich in nichts Anderem, als in der üeberweisung hin- reichend grosser Landgüter finden. Die Senioren überhoben sich also auf das Einfachste jeder weiteren Fürsorge, indem sie, an- fänglich vielleicht mit pekuniären Beihülfen, aus ihrem weiten Grund- besitze, den sie nur zum geringen Theil durch Ansetzung von Zins- bauorn oder Förstern zu nutzen vermochten, so viel Land an reisige Miiites und Vasallen abtraten, als nöthig war, um nicht allein diese Dienstpflichtigen mit ihren Pferden und Dienern, sondern auch das Gesinde zu ernähren, dem dieselben die Bewirthschaftung der ver- liehenen Güter überlassen mussten. Diese reisigen Miiites waren, wie o. Bd. II, S. 433 näher gezeigt ist, überwiegend und noch durch lange Zeit unfreie Ministerialen^), aber sie hoben sich mehr und mehr zu rittermässigen Vasallen empor und erlangten, Avenigstens zum Theil, ihrem früheren Senior gegen- über eine durch ihre eigenen Streitkräfte und die ihrer Genossen genügend gesicherte Lage. Auch sie wurden dadurch, wenn auch kleine, doch wenigstens thatsächlich selbständige Grundherren. Ihr gesammtes Leben, wie das der Senioren selbst und ilirer Meier und herrschaftlichen Bauernschaften, trug keinen Grund wesentlicher Er- schütterungen in sich. Es war vor allem die den Verhältnissen noth- wendig angepasste Bescheidenheit des Daseins, welche die unvermeid- lichen Mehransprüche im wesentlichen aus den durch die Rodungen anwachsenden bäuerlichen Zinsungen und Leistungen zu befriedigen und die Gleichartigkeit der Zustände zu erhalten vermochte. — Neue, schnell gesteigerte Bedürfnisse aber schufen die Kreuz- züge, weniger durch ihre unmittelbaren Ansprüche, als durch die Ver- änderung des bisherigen wirthschaftlichen Lebens, welche namentlich aus der neuen Auffassung der Aufgaben und der Stellung des Ritterthums hervorging. *) Vgl. K. V. Inuma-Sternegg, Deutsche Wirthachaftsgesch. II, S. 52, 137. XII. 6. Die grundherrliche Hof-, Güter- u. Territorialverwaltung. 635 Ein besonderer ständischer Zusammenschluss des rittermässig lebenden Adels unter gegenseitiger genossenschaftlicher Anerkennung lässt sich in Deutschland schon um die Mitte des 11. Jahrhunderts und in Nord f rankreich, wie es scheint, noch früher in der Gestaltung des Turnierwesens bei den höfischen Ritterspielen erkennen. Zu Kaiser Heinrich IV. Zeit theilten sich die Ritter Deutschlands in vier grosse Turniergesellschaften, denen Landesfürsten vorstanden, die rheinische, schwäbische, bayrische und fränkische, welche sich wieder nach kleineren Kreisen schieden. Sie hielten regelmässig Tur- niere, zu denen nur die im Turnierbuche Eingetragenen eingeladen, und nur Turnierfähige zugelassen wurden. Diese vom Turniervogt und Turniergericht geprüfte Turnierfähigkeit hing, ausser von der WafFentüchtigkeit und dem guten Leumunde, in Deutschland nur von vier, in Frankreich sogar nur von drei ebenbürtigen Ahnen ab, also davon, dass die Eltern und einer der Grossväter adlig waren, und konnte durch Privilegien noch mehr erleichtert werden. Der Turnierbrief wurde zum Beweise des Ritterthums, und war ein Mittel, dem Mi- nisterialen, wenn er Freiheit erlangte, auch die Standesehre zu ge- währen 1) (Vgl. o. Bd. II, S. 460). Die Kreuzzüge gaben diesem Standesbewusstsein religiös -phan- tastischen Inhalt. Der Kampf gegen die Ungläubigen, der Schutz der Schwachen, die todesverachtende Tapferkeit und Hingebung wurden Pflicht. Der Ritterschlag verknüpfte sich mit kirchlicher Feier. Der Frauendienst, den die Turniere schon immer hoch gehalten hatten, bildete durch mehr als ein Jahrhundert den Hauptgehalt des Minnegesanges und steigerte sich zu überschwänglicher Verehrung der Jungfrau Maria. Im gelobten Lande wurde 1120 der Johanniter- Mönchsorden in einen Ritterorden umgewandelt, 1127 erhielten die seit 1119 bestehenden Templerritter die Bestätigung als Orden. 1156, 1158 und 1162 entstanden die Ritterorden von Alcantara, Calatrava und Aviz gegen die Mauren in Spanien und Portugal, und 1198 der deutsche Ritterorden. Diese Orden wirkten durch ihre Organisation, ihr Auftreten, ihre Gebräuche und ihre bald weit verbreiteten Be- sitzungen als überall bekanntes, begeisterndes Vorbild. Dazu kam die Kunde des ungeahnten Neuen. Die Gegensätze der Ideen und Sitten, und die farbenreiche Pracht und Kunst des Orients beherrschten schon mit den ersten Nachrichten die Phantasie ') Job. Arn. Ludwig, Histor. Untersuchung der ehemaligen Kampf-, Renn- und Ritterspiele, Nordhausen 1750; F. Niedner, Das deutsche Turnier im 12. u. 13. Jahr- hundert, Berlin 1881. 636 ^n. 6. Die grundherrliche Hof-, Güter- u. Territorialverwaltung. und die Wünsche des Abendlandes. Die Theilnahme zahlreicher Fürsten und Geistlichen mit ihren Gefolgen und der von den Städten Italiens lebendig ergriffene Handel übertrugen und verbreiteten die fremd- artigen Kostbarkeiten, werth volle wie werthlose, und führten sie in die Anschauungen und in den allgemeinen Gebrauch ein. Obwohl Deutschland in den Kriegszügen nach Palästina nur geringe Opfer gebracht hatte, seine Kräfte vielmehr wesentlich im Kampfe mit der Kirche und in inneren Wirren für und gegen das fränkische und schwäbische Kaiserhaus in Anspruch genommen waren, übten die Ereignisse und Ideen der Zeit doch hier wie in allen Ländern dieselbe Wirkung auf die Ritterschaft. An den grossen und kleinen Höfen bildeten die Ritter der verschiedenen Gebiete ge- ordnete Korporationen und traten unter bestimmten Regeln und An- forderungen der Rittersitte in prachtvollem Waffenschmuck mit reichem Gefolge bei Festen und Fehden auf. Insbesondere hoben sich die Inhaber der alten Reichsämter und die durch bedeutenden Grund- und Immunitätsbesitz zu fürstlichem An- sehen und zu Virilstimmen im Reichstage gelangten Grossen als ein engerer Reichsfürstenstand mit unbestrittener Landeshoheit empor, der seine Würde durch glanzvolle Hofhaltungen, Turniere, Minne- sängerkämpfe und eine stets offene, freigebige, festliche Gastlichkeit stützte und bethätigte. Der übrige Adel aber, die vielen minder be- güterten Markgrafen, Grafen, Barone und Edle, reichsunmittelbare und reichsfreie wie belehnte Grundherren, bildeten nunmehr mit den in den Partheifehden zu rittermässigen Lehnsmannen emporgestiegenen Ministerialen den in den Kurien vertretenen Landadel, der auch seinerseits bestrebt war, sein Ansehen theils durch Waffenschmuck und ritterliche Thaten in Spiel und Kampf, theils durch den Bau wohlverwahrter, schwer zu berennender Burgen zu sichern und zu erhöhen. Dieser Burgbesitz, dessen Genehmigung sich bis etwa 1200 die Kaiser vorbehalten hatten, wurde in dieser Zeit ein allgemeiner Anspruch des ritterlichen Lebens. Auch die Lehnsherren, welche sich das Offenhalten der Burgen sicherten, begünstigten als Ver- stärkung ihrer Macht die Errichtung derselben durch die Vasallen. Jede Burg aber gab dem Inhaber eine starke, zu Schutz und Trutz bereite Stellung und verlockte ihn von einem solchen festen Halte aus nach Möglichkeit dem Glänze und der Gastlichkeit anderer Ritter- sitze nachzueifern^). — ') A. Schulz, Das höfische Leben zur Zeit der Minnesänger, Leipzig 1879. I XII. 6. Die grundherrliche Hof-, Güter- u. Territorialverwaltimg. 637 Aus dieser Umgestaltung des politischen und gesellschaftlichen Lebens der Grundherren ergaben sich nothwendige Folgen für ihre wirthschaftliche Lage. Unvermeidlich bedingte diese veränderte rittermässige Lebens- führung für Alle, die an ihr theilnehmen wollten und mussten, ent- sprechend gesteigerten Aufwand. Ein Zug nach Palästina war ohne grosse Kosten für Reise- bedürfnisse und Bewaffnung und für Unterhalts- und Transportmittel nicht auszuführen. Auch wer nicht als Krieger, sondern nur, wie viele thaten, als Pilger in das gelobte Land wanderte, brauchte Geld- beträge, die nicht leicht zu beschaffen waren. Es sind ebenso An- leihen bei Lombarden und Juden , wie eine übliche Art von Wett- verträgen bekannt, nach welchen der Pilger das Reisegeld unter der Bedingung erhielt, dass seine Erbschaft, oder docli gewisse Güter, falls er nicht zurückkehrte. Dem, der die Zahlung geleistet hatte, zufielen ^). Indess auch für Alle, welche in der Heimath blieben, entstanden ungewohnte Geldbedürfnisse. Denn der neue, sich steigernde Luxus war nicht durch Naturalien zu decken. Die städtischen Handwerker und Kunstschmiede und der Handel mit auswärtigen Stoßen, Schmuck- sachen und Waffenstücken forderten Geldzahlung. Von allen Städten und Märkten aus verbreitete sich die Geldwirthschaft, und brachte Denen besondere Vortheile, welche baar statt in Landesprodukten einzukaufen vermochten. Für die Beurtheilung der Wirkungen, welche diese Sachlage auf die Güterverwaltung der Grundherren übte, hat Lamprecht (I, 621) durch bestimmte Zahlen festere Grundlagen zu gewinnen gesucht. Er hat aus den Urkunden des Mosellandes durch Reduktion der Geldangaben auf Gramm reines Silber den Preisstand im Laufe der in Frage stehenden Zeiten mit dem des 8. und 9. Jahrhunderts ver- glichen und aus der grossen Zahl urkundlicher Erwähnungen das Prozentverhältniss der Land-, Produkten- und Lohnpreise zu der kurzen Zusammenfassung in der Uebersicht auf S. 638 berechnet. Solche Berechnungen haben sehr grosse Schwierigkeiten und Be- denken, weil bei Land wie bei Getreide weder Maass und Beschaffen- heit, noch die Münzwerthe hinreichend feststehen. In den Preis- unterschieden aber, namentlich für Getreide, war durch das ganze Mittelalter wegen des Mangels an Strassen und Transportmitteln die ') Bender, die öffentlichen Glücksspiele, 1862. 638 XII. 6. Die grundherrliche Hof-, Güter u. Territorial Verwaltung. Preisvergleichung nach Prozenten in der Zeit des Land in Hufen in Morgen Getreide Vieh Tagelohn 8.-9. Jahrh 100 100 100 100 100 12. „ 399,9 1184,3 — 123,5 — 13. „ I.Hälfte . . 439,5 1671,3 — — — 13. „ 2. „ 365,8 1671,8 — — 292,8 14. „ 1. „ — 2110,5 156,3 280,3 313,4 14. „ 2. „ — 3085,0 180,8 341,0 — 15. „ 1. „ — 105,9 353,1 227,7 15. „ 2. „ — — 84,9 277,0 208,7 Ausgleichung zwischen den einzelnen Landschaften so gering, dass je nach dem Ausfall der Ernte in demselben Jahre auf Entfernungen von kaum 30 Meilen sehr hohe und sehr niedrige Preise, fames und abundantia, in den Annalen berichtet werden. Indess war im Mosel- lande wegen seiner guten Wasserverbindungen auf der Mosel und zum Ober- und Unterrhein der Ausgleich der Preise durch Handel ver- hältnissmässig am leichtesten. Legt man deshalb diese Zahlen der Betrachtung zu Grunde, so ergiebt sich wenigstens so viel mit hinreichender Sicherheit, dass bis 1400 weder die Preise der landwirthschaftlichen Produkte noch der Verkaufswerth der Grundstücke eine ungünstige Lage des Landbaues bekunden, oder die Befürchtung einer nachtheiliger werdenden Ge- staltung desselben rechtfertigen konnten. Wenn also auch wahr- scheinli(!h ist, dass bei dem durch Jahrhunderte mit schwachen Düngungen und flacher Krume ohne besondere Sorgfalt fortgesetzten bäuerlichen Betriebe die Erträge allmählich nachgelassen hatten, so würde man doch erwarten können, dass die Grundhcrren ihren ge- steigerten Lebensaufwand vor allem durch Erweiterung und intensiveren Betrieb ihrer eigenen Landwirthschaft zu decken gesucht hätten. Noch immer standen ibnen dafür Forst-, Marken- und Almend- ländereien in erheblicher Ausdehnung zu Gebot, in den meisten ihrer Dörfer besassen sie Frohnhöfe, welche durch Beunden oder Bauer- land vergrössert werden konnten, und ihre Meier waren ortskundige, mit dem Betriebe und der Verwerthung der schuldigen Dienste der Grundhörigen vertraute Landwirthe, die sich leicht Hülfskräfte für jede wünschenswerthe Mehrarbeit zu beschnßen vermochten. Dennoch tritt ganz allgemein die entgegengesetzte Erscheinung auf. Statt sie zu vergrössern, gaben die Grundherren die Eigenwirth- sehaft ihrer Frohnhöfe völlig auf. Es ist unzweifelhaft, dass sie Xn. 6. Die grundherrliche Hof-, Güter- n. Territorialverwaltung. 639 eine vortheilhafte Eigenwirthschaft übereinstimmend für unthunlich und aussichtslos erachteten. Namentlich werden vom Herrensitz entfernt belegene Frohnhöfe vielfach als keinerlei Nutzen bringend bezeichnet (Lamprecht I, 874. v. Inama II, 166). Auch scheint bei geistlichen Stiften die Furcht, dass die Höfe durch die Vögte oder Meier ihrer Herrschaft völlig entzogen werden könnten, mitzuwirken. Die Meier wurden bis tief in das 12. Jahrhundert, sei es, dass sie eigene oder freie Leute gewesen, oder sich sogar in einzelnen Fällen von unfreien Ministerialen zur Ritterwürde emporgeschwungen hatten, stets als grundherrliche Beamte ohne Rechte am Frohnhöfe betrachtet. Sie wurden weder belehnt, noch mit Grundbesitz begabt, sondern erhielten Gehalt und sonstige Bezüge. Nunmehr wurden sie auf eigenen Betrieb angewiesen. Sie wurden zunächst veranlasst, die Frohnhöfe mit allen ihren Befugnissen über die Grundhörigen in Pacht zu nehmen (Lampr. I, 947). Indess es scheint, dass sich daraus früh Schwierigkeiten ergaben. Erklärlich ist, dass die verhältnissmässig kleinen Güter diesen alten Beamten nicht hinreichende Erträge für ihre Lebensweise zu gewähren vermochten. Jedenfalls entstanden erhebliche Klagen über Bedrückungen, welchen die Bauern durch die Meier unterlagen^). Es wurden diesen deshalb mehr und mehr die Güter allein, ohne die Berechtigungen, zu Halbpacht oder zu festen Zinsen, als Grundholden überwiesen. Dagegen verwandelten sich die alten Beundengrundstücke, wie o. Bd. II, S. 599 näher gezeigt ist, in Zinsland der bisherigen Besteller. Damit ging Hand in Hand das Bestreben, die Dienste der Grund- hörigen, so weit sie nicht als Jagd- und Burgbau-, oder als Mühlen-, Graben-, Boten- und Transportdienstleistungen verwendbar blieben, in Geldzins un gen umzuändern. Es wurden auch Zehnten und Ge- treidezinsen in Geldabgaben verwandelt. Namentlich aber erhielten die bisher üblichen bäuerlichen Zinsgüter, die gewöhnlichen Land- leihen, welche in sofern als erblich betrachtet wurden, als dem In- haber eine Veräusserung nicht zustand, so dass sie deshalb in der Regel vom Vater auf den Sohn übergingen, mehr und mehr den Charakter der o. Bd. II, S. 341 eingehend behandelten Erbzinsgüter, denen ein jährlicher Geldzins in recognitionem dominii oblagt). — Wenn man nun nach dem Sinne dieser in weiter Verbreitung durchgeführten Veränderungen fragt, so liegt in ihnen zunächst für *) W ig and, Die Dienste, S. 30, 31. ^ E. Frhr. v. Schwind, Zur Entstehnngsgesch. der freien Erbleihen, Breslau 1891, S. 32. 640 XII. 6. Die gnindherrliche Hof-, Güter- u. Territorialverwaltuiig. die Grundherren eine völlige Befreiung von den wechselnden Risikos der Wirthschaft auf eigene Rechnung durch Festsetzung bestimmter Zinsungen, und diese Zinsungen werden auch möglichst unter Umwandlung der Getreideabgaben in Geld zahlbar. Die Einkünfte sind also theils erhöht, theils aus Getreidezufuhren, die in den Grangien aufgespeichert werden mussten, in Zahlungen an die Rentei umgestaltet. Dadurch konnten nicht nur Kassenbestände gesammelt werden, sondern es wurde auch der Verkauf der Naturalzinsungen, welche die Grundherren bis dahin, soweit sie sie nicht für ihren und ihrer Beamten Unterhalt verbrauchten, selbst auf ihre eigene Rechnung in den Handel bringen mussten, mit allen den verschiedenen Risikos auf die Bauern abgewälzt. Die Bauern aber sahen darin möglicherweise Vortheile, weil der Kleinverkauf . gleichzeitig durch das Anwachsen der Zahl und der Bevölkerung der Städte erleichtert war, während der Grosshandel noch lange an ungenügenden Transportmitteln und unsicheren Absatz- und Preisverhältnissen litt. — Mehrerträge und grössere Bestimmtheit der Einnahmen wurden also in der That von den Grundherren erreicht. Den Hauptvortheil aber suchten dieselben ersichtlich in der Umgestaltung und den daraus entstehenden Ersparnissen der Verwaltung. Mit der Um- wandlung der Meier in Grundholden waren nicht allein diese selbst aus bezahlten Beamten Zinspflichtige geworden, sondern es war auch ihr Unterpersonal aus dem Dienste des Herrn in den des früheren Meiers übergegangen, und viele Gesinde und Beamte, welche bis dahin aus den durch ihre Anhäufung geringwerthigen Naturalien- vorräthen sorglos unterhalten worden waren, fielen jetzt weg. Dieses Streben, Ersparnisse durch Einschränkungen im Beamten- wesen zu erzielen, wird aber auch in viel weiterer Ausdehnung er- kennbar und überall wesentlich nach dem Vorbilde des Fiskus auf dem Wege verwirklicht, dass die Aemter und ihre Funktionen und Einnahmen gegen feste Zinsen oder Antheilsquoten zu erblichen Lehnen gestaltet, und die Grundherren dadurch von allen Kosten und aller Geschäftsthätigkeit derselben bis auf die nothwendige Ober- aufsicht frei werden. Die auf dem bäuerlichen Grundbesitze haftenden Lasten waren, abgesehen von den Diensten, schon bei den Landvergabungen als Geld- oder Getreideleistungen festgesetzt worden, die nur eine einfache Kassen- und Speicherverwaltung forderten. Schwieriger und ungleich- artiger gestaltete sich von jeher die Feststellung und Einziehung der Bezüge aus der Gerichtsbarkeit und Polizeiverwaltung, XII. 6. Die grundheriliche Hof-, Güter- u. Territorialverwaltung. 641 zu welchen mannigfache Arten von Pfändern, Bussen, Strafen und CJel)ührcn, sowie die alten gräflichen Steuern des Schosses und der Bedon gehörten. Die höhere Gerichtsbarkeit der grossen Grundherren, so weit sie nicht noch an den Resten der Grafschaft hing, blieb Sache des grund- herrlichen Hofgerichts und wiu'de von diesem selbst oder von einigen Vögten oder Amtmännern auf entsprechend grossen Sprengein ausgeübt. Die niedere Gerichtsbarkeit dagegen, sowohl die rein hof- rechtliche, wie die aus der Vogtei über Freie entstandene, konnte nur zum Theil von solchen nicht örtlich ansässigen Beamten wahr- genommen werden. Sie lag deshalb im wesentlichen in den Händen der Meier. Als nun im 12. Jahrhundert die Stellung dieser Villici als Be- wirthschafter der herrschaftlichen Frohnhöfe mehr und mehr beseitigt wurde, musste auch für die Verwaltung der niederen Gerichtsbarkeit und ihrer verschiedenen Einnahmen in anderer Weise gesorgt werden. Auch deren Umgestaltung folgte deshalb dem allgemeinen Zuge, die Centralleitung möglichst von allen Amtslasten und von jeder Mit- thätigkeit zu befreien. In diesem Sinne schieden die Grundherren die gewöhnliche Rechtssprechung in den einzelnen Orten, bis auf die finanzielle An- forderung von zwei Dritttheilen der Einnahmen, aus der herrschaft- lichen Geschäftsführung aus. Sie überwiesen die amtlichen Befug- nisse der Gerichtsbarkeit mit V3 tler Einnahmen einem lokalen Ge- richtshalter, dem zugleich das Amt als Vorstand der Ortsgemeinde zufiel, soweit die Gemeindeinsassen unter demselben Gerichtsherrn standen. Verschiedene Geriehtsherren in derselben Ortschaft bedingten in der Regel auch verschiedene Gerichtshalter. Diese Gerichtshalter und Ortsvorstände erscheinen seit etwa der- selben Zeit als ortsangesessene Wirthe, welche nicht allein ihr Gut, sondern auch ihre Würde erblich inne haben, und als sculteti, Scholzen, Ortsschulzen bezeichnet wurden. Solche Erbseholtiseien gehören seitdem auch auf allen grundherrlichen Kolonien zu den selbstverständlichen Besonderheiten der Organisation derselben. Erst im Laufe der Zeit, namentlich nach 1500, seit der Einrichtung grösserer Gutswirthschaften zu eigenem Betriebe, fanden die Grund- herren nicht selten vortheiluaft, das Erbscholzengut einzuziehen oder anzukaufen und dafür einem wechselnden Setzscholzen das Amt zu übertragen, auch wohl die Gemeindegeschäfte von den gerichtlichen zu trennen, und die letzteren einem besonderen grundherrlichen Ge- richtshalter zu übertragen (Vgl. o. Bd. H, S. 467). Meitzen, Siedelung etc. IL 41 642 XII. 6. Die grundherrliche Hof-, Güter- u. Territorialverwaltung. Wie diese Erbscholtiseien entstanden und wie sie in den alten Gemeinden des Volkslandes ihre weite Verbreitung gefunden haben, ist noch nicht hinreichend aufgeklärt. Schultheis erscheint indess oft gleichbedeutend mit Villicus (Lamprecht I, 769). Auch handelte es sich in Fällen, in denen der Grundherr dem Meier den Frohnhof mit den Gerichtsbarkeits-Befugnissen gegen Erbzins und ^/a der Gerichts- einnahmen überwies, thatsächlich nur um die Auffassung und den Namen. Es lag sogar ziemlich nahe, die bisherige Bezeichnung mit einer passenderen zu vertauschen. Der Name Schulz, scultetus, ist der des alten fränkischen Schultheis. Gleichwohl lässt die Stellung dieses Schultheis, der ein Gehülfe des Grafen und sein Exekutivbeamter war, die Herleitung kaum zu. Näher läge die Uebertragung aus dem Centenar, der elienfalls als Schultheis bezeichnet wird, und wenigstens einem be- grenzten Bezirke vorstand. Indess umfasste eine Zehnt sehr viele Gemeinden. Brunner giebt (11, 184) verschiedene Hinweise auf die weite Verbreitung des Wortes im Volksmunde schon im 8. und 9. Jahr- hundert. Da für den Erbscholzen in seinem Verhältniss zum Grund- oder Landesherrn vor allem seine Stellung als Gemeinderichter und Gemeindevorstand entscheidend ist, findet sich die meiste Ueberein- stimmung mit dem Schultheis der Longobarden und mit den Schulten in Westfalen. Bei den Longobarden tritt der Schultheis schon um 643 im Edictum Rotharis in allen Theilen des Königreiches als Orts- richter und Ortsvorstand auf. Durch ganz Westfalen aber finden sich die Schultenhöfe noch heut in jeder Gemeinde, und sind, wie oben für Solde (Anlage 83, Bd. HI, S. 255) und für Ahlintel (Anlage 91, S. 276) näher dargestellt ist, der vorkarolingischen altsächsischen Er- oberung und Verwaltung zuzuschreiben ^). ') Im Edictum Rhotaris lautet c. 377: Si quis sculdasium aut actorcm Regis occiderit, utilitatem Regis facientem, appreciatur pro libero homine et parentibus legitime componatur. Auch sagen die Gesetze Luitprands lib. V, 15 genauer: De servo fugace et advena homine, si in alia judiciaria inventus fuerit, tunc Decanus aut Sal- tarius , qui in loco ordinatus fuerit , comprehendere cum debent et ad sculda- his suum pcrducat. Et ipse sculdahis judice suo consignet. Lib. VI, 29 aber gestattet dem Judex, quando in exercitum ambulare necessitas fuerit, 6 Männer mit 6 Pferden für Spanndienste und 10 Männer für Handdienste zur Bestellung seines Landes, aber bei Strafe nicht mehr, zurückzuhalten, und sagt dann: Sculdahis vero dimittat tres homines qui caballos habent, ut tollant ad saumas suas ipsos caballostres, et de minoribus hominibus dimittat V, qui faciunt ei operas, usque dum ipse reversas fuerit, sicut ad judicem diximus per hebdomadem unam operas III. Dem Saltarius wird ebenso 1 Pferd und 1 Handarbeiter verstattet. Auch nach den Formeln stellt sich das Verhältniss des Sculdahis als das eines Ortsrichters heraus. Die Glosse erklärt XII. 6. Die grundlierrliche Hof-, Güter- u. Territorialverwaltung. 643 AI »er wie dieser Urspi-ung auch aufzufassen ist, der Charakter der UniwandUmg kann niclit zweifelhaft sein, und findet seine nächste Analogie in den grundherrlichen Städten. Die Anfänge der städtischen Entwickclung zu selbständigen J)ih'gerlichen Gemeinwesen werden im weiteren Zusammenhange in ihrer Bedeutung für das wirthschaftliche Leben und in ihrer Rück- wirkung auf das flache Land darzustellen sein. Ihr Aufblühen aber ist zum wesentlichen Theile dem gleichen Vorgange zuzuschreiben, dass die Grundherren mit der Stadt- und Marktvogtei besondere Vögte oder die Stadtvorstände selbst gegen bestimmte Leistungen l)elehnten, und dadurch in den meisten Fällen die Veräusserung und den Uebergang der Amtsgewalt auf die Stadtgemeinde binnen kürzerer oder längerer Frist herbeiführten. Demselben Rechtsgebiete gehören auch die Villica tions vertrage an, welche, wie Arnold^) namentlich für Hessen ausführlich im Ein- zelnen nachweist, im 13. Jahrhundert in grösserer Verbreitung an die Stelle der alten grundherrlichen INIeierverwaltungen traten. Durch diese Verträge übertrugen besonders Klöster die Erhebung ihrer Ein- künfte in Dörfern gegen einen bestimmten jährlichen Pauschbetrag in Geld oder Getreiderente an Ritter, die im Dorfe w^ohnten oder das Dorf besassen. Der Ritter übernahm in solchen Verträgen, von denen sehr viele erhalten sind, in forma villici vel coloni fidelis, diese Erhebung als eine Art Verpachtung oder Verleihung auf eine Reihe von Jahren oder auch auf Lebenszeit und erblich. Nach Arnolds weiteren Angaben hatte indess jedes ältere, ursprünglich freie Dorf sculdahis als rector loci. Ebenso bemerkt Paulus Diaconus 6, 24: rector loci, quem sculdhais lingua propria ilicunt. Da ein örtlicher Schultheis ausser im Longobardischen in keinem der älteren Volksgcsetze vorkommt, die Longobarden aber bei ihrem Aus- luge nach Italien bereits seit längerer Zeit unter sächsischer Oberherrschaft lebten, und die sowohl in der westfälischen Ebene, als auf dem Hellwege allgemein verbreiteten Schalten nicht füglich andere, als die von den Sachsen eingesetzten Obrigkeiten sein können, scheint es, dass diese Ortsrichter eine sächsische Einrichtung waren. Dafür spricht auch, dass in der folgenden fränkischen Zeit diese Schulten keineswegs zum Adel gehörten, sondern im wesentlichen dem örtlichen Bauernstände gleichstehen, und mit ihm unter die Gerichtsbarkeit des Gutsherrn gekommen sind. Die Art, wie der Sachsenspiegel, offenbar vom fränkischen Recht beeinflusst, die Schultheissen erwähnt, ist widerspruchsvoll und nur theoretisch, lässt sich auch weder mit der Glosse, noch mit der bekannten Stellung der Schulzen in der allerdings fränkisch und sächsisch gemischten Kolonisation vereinigen, auf deren Gebiet Eike von Repgow lebte. Vgl. über die Scholzen: Anton, Gesch. d. Landwirthsch. III, 121, 155, Kind- linger, Gesch. der Hörigkeit, III, Abth. 1, 262, 277. ') Arnold, Ansiedelungen und Wanderungen deutscher Stämme, S. 577. 41* 044 Xll. (). Die grnndhorrlic'liL' Hof-, Güter- u. Territoiialverwaltuug. in Hessen seinen Ritterhof, der für dasselbe den Dienst zu Ross und Harnisch leistete, und mit welchem in der Regel auch die niedere Gerichtsbarkeit daselbst verbunden war. Darin liegt, wie es scheint, die nähere Erklärung und der Hinweis, dass diese Vertrags- verhältnisse auf solche Dörfer beschränkt waren, in welchen der Klosterbesitz nur wenige Hufen umfasste, so dass, wenn überhaupt ein früherer Frohnhof des Klosters im Dorfe bestand, derselbe einen Ritter als Grundherrn des übrigen Dorfes oder einen Bauern neben sich hatte, welcher sich durch Leistung des Reiterdienstes von seiner Stellung als miles aus zum Ritter emporgeschwungen hatte. Mit diesem ein solches Abkommen zu treffen, lag dann für das Kloster allerdings nahe, wenn es nicht eine eigene Wirthschaft oder eine besondere Verwaltung für seineu geringen Landbesitz fort- führen wollte. Der Grund aller dieser Erscheinungen ist klar zu erkennen. Ob- wo'jI es gewiss vortheilhafter für die Grundherren gewesen wäre, die Hülfsquellen ihres Gebietes, welche sie gegen schwer zu steigernde Renten vergeben hatten, selbst zu benutzen, versagte für den Gebrauch derselben die Organisation ihrer Verwaltungen. Zuverlässige und redliche Pflichterfüllung kann nur von Beamten erwartet werden, die wegen der festen Ordnung ihrer Lebensstellung und Beaufsichtigung in ihrer Treue die beste Sicherung für sich und die Ihrigen sehen. Dies war so wenig der Fall, dass bei den wachsenden Ansprüchen an das Leben die Vernachlässigungen zu fühlbaren Verlusten führten, und Unterschleife und Bedrückungen nicht mehr zu verhüten schienen. Deshalb wurden die Amtsbefugnisse aufgegeben, und die Einnahmen, schwerlich mit Rücksicht auf die Amtsinsassen, aber doch nicht durch- aus zu deren Nachtheil, durch bestimmte Zinsungen ersetzt. Die Folge war einerseits eine wesentliche Vereinfachung und Uebersichtlichkeit der grundherrlichen Geschäfte und Hebungen, andrerseits ein Zerfallen der Herrschaftsgebiete in eine gewisse Zahl Land- und Stadtgemeinden und kleiner örtlicher Körperschafts- und Amtsverbände von bestimmten Pflichten nach Aussen, im Innern aber von weitgehender, wenn nicht berechtigter, doch thatsächlicher Selbst- ständigkeit und Selbstverwaltung. Dem Rechte nach waren dem Grundherrn im wesentlichen alle seine Befugnisse geblieben, in Wirk- lichkeit aber hatte er nur noch zu gelegentlichen Eingrifibn Veranlassung und die geeigneten Organe. Seine Territorialherrschaft gestaltete sich ebenso machtlos, zersplittert und nur überwiegend finanziell thätig, wie die des Staates im Reiche. In beiden war die Verwaltung, XII. 6. Die grundherrliche Hof-, Güter- u. Territorialverwaltung. G45 ausser auf die politische Herrschaft, in der Hauptsache nur auf die Verwerthung der herrschaftUchen Güter und Bezüge gerichtet. Die Bevölkerung stand für beide Verwaltungen vorzugsweise unter dem Gesichtspunkte der Zinsungen, Dienstleistungen und Gerichtsgebühren, beiden fehlten die Grundgedanken und Ziele der Wohlfahrtspflege. Die Grundherren bildeten allerdings eine territoriale Gewalt aus, welche die des Staates immer mehr zu ersetzen vermocht hätte. Es hätte eine gewisse Entwickelung der öftentlichen Zustände Raum gewinnen können, welche mehr von den Verhältnissen der Grundherren ab- hängig gewesen wäre, als von der Einwirkung des früh zerrütteten Staatswesens. Indess in der Zeit plötzlich gesteigerter Ansprüche gegen den Ausgang des Mittelalters fehlten die höheren Gesichtspunkte, oder doch die Hülfsmittel. Die Oberleitungen der grossen wie der kleinen grundherrlichen Gebiete erhoben sich nicht zu förderlichen Regierungen, sondern gingen ersichthch auf den ursprünglichen Standpunkt zurück, dem Territorialherrn zwar für seine Herrschaft nach Möglichkeit politisches Ansehen und Selbständigkeit zu erstreben und zu wahren, das Territorium selbst aber als Quelle von Einkünften und Leistungen zu bewirthschaften. Die Folgen zeigten sich aus verschiedenen Gründen für die Be- völkerungen nicht so ungünstig, als man annehmen könnte. Lamprecht (I, 886) führt zwar einige Fälle an, in welchen Grundherren in dieser Zeit Grundstücke gegen freie Zeitpacht auszugeben begannen. Solche Zeitpachten haben in Frankreich und England grosse Verbreitung ge- funden, und sie wurden hier nach Umständen durch Steigerungen und Abhängigkeit für die Pächter nicht unbedenklich. Indess sie haben in Deutschland bis zur Gegenwart nur am Rhein einige Bedeutung erlangt, und Missstände nicht herbeigeführt. Vielmehr gelangten, gegenüber der bedrängten Lage der Grundherren, die Bauerschaften und die Städte im 14. Jahrhundert auf die Höhe der Wohlhabenheit und der selbstbewussten AViderstandsfähigkeit. Diese Erstarkung gewannen sie sowohl dadurch, dass die kleinen Gemeinden, Körper- schaften und Interessenkreise fast ganz auf Selbsthülfe angewiesen wm-den, als dadurch, dass ihre Leistungen, wenigstens den Grund- herren gegenüber, fast alle fixirt waren, die Herren also kein Interesse hatten, einen Erbschulzen oder Stadtvogt, der seine Be- fugnisse überschritt, gegen die Weigerungen der Gemeinde zu unter- stützen. Die durch Handel und Gewerbe und durch ihren starken Mauernschutz aufblühenden Städte waren sogar liald reich genug, sich von der Gerichtsbarkeit und jedem Ansprüche des Grundherren 646 XII' 6' Die grundherrliche Hof-, Güter- u. Territorialverwaltung. frei zu kaufen, und führten in ihrem engeren Ki-eise hinreichend genau kontrolirte Verwaltungen durch. Dabei nahmen seit 1250 mehr und mehr die Münzver- schlechtcrungen überhand, so dass alle fixirten Geldzinsungen sich im Verlauf der Zeit erheblich erleichterten. Seit 1400 sank auch das Getreide fast auf die Hälfte des Preises, was die Bauern bei ihrem vorwiegenden Eigenverbrauche weniger berührte, den Werth des Zinsgetreides aber sehr fühlbar erniedrigte. Beide Erscheinungen mussten den Grundherren in gleichem Grade nachtheilig sein. Dazu kam, dass die Kostspieligkeit des ritternicässigen Lebens sich nicht ermässigte, vielmehr durch den wachsenden Luxus der Bürgerschaften in Hauseinrichtung, Kleidung, Schmuck und Fest- lichkeiten, bei den nahen Beziehungen des mehr und mehr auf dem Lande begüterten Patriziates mit den Ritterschaften, unvermeidlich gesteigert wurde. Eine andere Gefahr von besonders erhebhcher Bedeutung für die Grundherren lag in der zunehmenden Verkleinerung eines grossen Theiles ihrer Besitzungen. Die geistlichen Stiftungen, ganz abgesehen von den eigentlichen Kirchenfürsten und grossen Kapiteln, waren zum Theil sehr reich, und Lamprecht I, 835 hat eingehend gezeigt, wie auch weniger wohlhabende dem unzureichenden Gesammtergebniss ihrer Besitzungen durch das Pfründensystem vorzubeugen suchten, indem sie ihren einzelnen Mitgliedern an Stelle des Unterhaltes bestimmte Güter überwiesen, deren Einkünfte diese unter ihre besondere Aufsicht nehmen, und durch ihre Fürsorge in genügendem Ertrage erhalten konnten. Dennoch ist die gegen den Ausgang des Mittelalters zu- nehmende finanzielle Bedrängniss der meisten Klosterverwaltungen und die unvermeidliche Nothwendigkeit hinreichend bekundet, die Güter an Gläubiger zu verpfänden und zu verleihen oder auch völlig zu veräussern. Der ritterschaftliche Besitz aber litt vor allem durch die von Generation zu Generation sich erneuernden Erbtheilungen und die Zersplitterung der Herrschaften unter verschiedene Linien, deren Mitglieder alle den Anspruch machten, als Ritter aufzutreten und auch in den Fehden der Geschlechter untereinander oder im Gefolge der Lehnsherren als solche auftreten mussten. Unter Umständen konnten allerdings, wie o. Bd. H, S. 469 ge- zeigt ist, 50 Bauernhufen und ein Forst hinreichen, um einen Ritter auf seiner Burg zu erhalten. Aber ein feindlicher Einfall in sein I XII. 6. Die gmndherrliche Hof-, Güter- u, Territorialverwaltung. 647 Dorf konnte ihn tief schädigen. Im 14. und 15. Jahrhundert wird die Verarmung der Rittergeschlechter Gegenstand lauter Klage, und die Verwilderung des Fehderechts und der auf dasselbe gestützten Raubzüge gegen Kaufleute und Bürgerschaften zum öffentlichen Ucbel. Die Neuzeit hat in der um 1500 thatkräftig erstarkenden Monarchie und durch die in überraschend kurzer Frist entwickelten Einrichtungen und Hülfsmittel des modernen Staates die Kraft ge- funden, diesem Verfalle der alten Grundherrschaft zu steuern, und in wenigen Jahrzehnten aus dem geringwerthigen Besitze der reisigen Burgherren, vielfach in derselben Hand, wohlgeordnete Grosswirth- schaften zu schaffen. Die Gründe und mächtigen Wirkungen dieses staunenswerthen Umschwunges sind nur aus einer Bewegung zu verstehen, welche statt des engen Gesichtskreises der mittelalterlichen Bauernwirthschaft die weit entwickelten Forderungen der gewissermassen fabrikartigen Bodenbehandlung einzuleiten und durchzuführen vermochte, auf welcher die Gross^^'irthschaft und mit ihr die moderne Landwirthschaft über- haupt beruht. Das Wesen dieser Neuschöpfung Hegt darin, dass die grundherr- lichen Familien statt des Strebens nach Selbstherrschaft und bewaffneter Unabhängigkeit den landwii'thschaftlichen Erwerb und die eigene Leitung und Förderung desselben als das Ziel ihres Strebens und den Zweck ihres Grundbesitzes ins Auge fassten. Sie fand ihren Ursprung und ihre ersten treibenden Bedingungen in der deutschen Kolonisation des Ostens. Erst mit dieser grossen Kulturerscheinung entstand der Grosswirthschaftsbetrieb, und schritt kaum beachtet durch zwei Jahr- hunderte vor dem Ende des Mittelalters neben dem Verfalle der alten Crrundherrschaft fort, nahm aber dann mit dem siegreichen Auftreten des modernen Staates übermächtig die Stelle im Volksdasein ein, in der er durch lange Zeit und noch bis zur Gegenwart als Hauptträger des Erwerbslebens und damit auch der Staatskräfte zur Geltung kam. Dieses Erwachen bis dahin unbekannter Hülfsmittel und Rechtsbe- ziehungen der Landwirthschaft bedarf einer besonderen Darstellung, welche dem zweiten Haupttheil der Untersuchung über die Wanderungen, den Anbau und das Agrarrecht der Völker Europas nördlich der Alpen vorbehalten bleiben muss. XIII. Zusaramenfassung der Ergebnisse. I. Die thatsächlichen Zustände und Vorgänge der geschichtlichen Zeit. Die Untersuchung ist davon ausgegangen, die in den einzelnen Völkergebieten Europas nördlich der Alpen bestehenden Ansiedelungen nach ihrer Anlage, Besitzeintheilung, Wirthschaftsweise und Rechts- gestaltung zu charakterisiren und auf ihren nationalen Ursprung zu- rückzuführen. Sie hat in diesem Sinne an die typischen Thatsachen der Flureintheilung, an Form, Lage und Grösse der Wohnplätze und einzelnen Besitzungen angeknüpft, welche dauernd die Entwickelung des Agrarwesens bestimmt haben, und noch in der Gegenwart die ersten Anfänge der volksthümlichen Siedelung und die sie bedingenden wirthschaftlichen und politischen Zustände erkennen lassen^). Nach dem entscheidenden Gegensatze, der in dieser Entwickelung auftritt^), war die Behandlung in zwei Abtheilungen zu scheiden^), von denen die erste die im wesentlichen bäuerliche Kleinwirthschaft, die zweite die auf fabrikähnliche Betriebsmittel hingewiesene Gross- wirthschaft darzustellen hat. Der Grossbetrieb gehört nicht dem Mittelalter an, und selbst das klassische Alterthum kannte ihn nur in wenigen auf besonderen Verhältnissen beruhenden Beispielen'^). Weder die Okkuj^ationen im ager romanus'''), noch die Pachtungen von Staatsland erzeugten grosse Ackergüter. Siculus Flaccus erklärt 200 jugera für das grösste Maass, welches der Besitzer selbst zu bewirthschaften vermöge**). Im wesent- lichen ist Grosswirthschaft, wie die zweite Abtheilung zu zeigen haben ') Bd. I, S. 6, 12, 17. =*) I, 16. ^ I, 32. ') I, 356, Anl. 5.5. =) I, 263. ") I, 356. I XIII. 1. Die thatsächl. Zustünde u. Vorgänge der geschichtl. Zeit. 649 wird, erst Hand in Hand mit dem modernen Staate zur Geltung ge- langt und fortgebildet worden. Der vorliegende erste Theil des Werkes beschäftigt sich also damit, die bäuerliche Wirthschaftsweise, welche auch in der Gegenwart noch bedeutenden Raum einnimmt, und überall die Zeichen des Alter- thümlichen an sich trägt, bis in die Zeit zurückzuverfolgen, in der sie die allein bestehende war und die allgemeine Form des volks- thümlichen Daseins bildete^). Alle Anfänge der Siedelung beruhen auf dieser bäuerlichen Gestaltung der Wirthschaft. Zwar erhoben sich schon früh Grundherren mit ausgedehntem Landbesitz über die Bauernschaften und verfügten über denselben nach eigenem Er- messen"^). Aber die verschiedenartigen Neubildungen, welche aus ihren Anordnungen hervorgingen, verkörperten in der Hauptsache nur denselben Grundgedanken. Das Kulturland blieb in den Händen und unter der Bearbeitung von Wirthen, welche von ihrem Besitz nur sich und ihre Angehörigen durch ihre Arbeit zu ernähren und die nothwendigen, staatlichen und grundherrlichen Lasten zu tragen vermochten^). Dieses bäuerliche Dasein, welches das gesammte Mittelalter be- herrschte, entstand, als die Nomadenwirthschaft auf den beschränkten Stammesgebieten der angewachsenen Bevölkerung die Mittel der Lebenserhaltung nicht mehr zu bieten vermochte^). Alle Nomaden geben ihr Hirtenleben mit lediglich sporadischem Ackerbau nur mit grossem Widerstreben und im äussersten Zwange der Verhältnisse auf. Deshalb hat sich die Begründung fester Ansiedelungen auch noch bei den Völkern des Nord- und Ostseebeckens, wenigstens für einen Theil ihrer Stämme, erst unter den Augen der beglaubigten Geschichte vollzogen"). Die überaus gleichartige Natur aller T>ändergebiete Europas nördlich der Alpen") bedingte sehr ähnliche Verhältnisse des Hirtendaseins, und führte deshalb auch zu wenigen weitverbreiteten inul nur in bestimmter Weise veränderlichen Grundformen der festen Siedelung. Diese ältesten Anlagen sind in ihren Hauptlinien erhalten, weil im jährlichen Kreisläufe des bäuerlichen Daseins weder Veran- lassung noch Geneigtheit zu wesentlichen Umgestaltungen entsteht, und die eintretenden Veränderungen durch leicht zu beurtheilende Zwecke und Anforderungen bestimmt und begrenzt werden''). Wie tief und wesenhaft aber die Art der Siedelung in den ') Bd. II, S. 281, 581, 599. ") II, 281, 534. ^) I, 72, 11, 282. ^) I, 134, 151, 193. ^) I, 131, 193, 11, 213. ") I, 3. '') I, 15. 650 XIII. 1. Die thatsächlichen Zustände volksthümlichen Anschauungen und Sitten begründet ist, hat sich in der bis genau zu den Grenzen der Nationalität reichenden Ver- breitung der charakteristisch verschiedenen Anlageformen gezeigt. Darüber belehrt die Uebersichtskarte, welche die Grenzen der Nationen und der Siedelungsformen verzeichnet. — Es hat sich ergeben, dass die West- und Ostgermanen auf dem Theile ihres Volksgebictes, welcher niemals unter fremden Einfluss kam, zwischen Weser und Saale, und vom rheinischen Limes romanus und den Kämmen des Spesshart und Thüringerwaldes bis zum finnischen Norden Skandinaviens^), überall übereinstimmende Dörfer angelegt haben ^). Je 10 bis 30 Familienväter verfügen über eine abgegrenzte Flur von massiger, der bäuerlichen Lebenshaltung genügender Grösse zum dauernden Wohnsitz und Anbau ^). Der Rest des Landes ist in genossen- schaftlicher Markennutzung verblieben^). Die entstandenen Wohn- plätze zeigen übereinstimmend ein haufenförmig zusammengedrängtes, unregelmässiges Dorf^) und eine in zahlreiche Gewanne getheilte Ackerflur. Li jedem Gewanne ist jedem der Besitzer ein seiner Hufenzahl entsprechender Antheil zugemessen^). Diese Antheile können durch Veräusserung in andere Hände gekommen sein, auch wurden Gewanne zusammengezogen und neu getheilt, die Grundlage der Theilung nach gleichen Hufen aber steht unverändert fest und galt als unverjährbares Recht''). Soweit die Flur nicht auf diese AV^eise als Hufschlag ^) unter die Hufen vertheilt wurde, bildete sie die Almende ^), über deren Benutzung die Flurgenossen in sehr ver- schiedener Weise verfügen konnten. Sie konnte allen zur gemein- samen Weide und Holzung dienen, oder in geeigneten Stücken an die alten oder an neue Wirthe fest veräussert, gegen Zins verliehen, in Zeitpacht gegeben, oder auch nach Reihewechsel oder Anwartschaft zur Nutzung überwiesen werden ^^). Das Unverwendete blieb gemein- schaftlich. Die Zeit dieser schwierigen und anspruchsvollen Neugestaltung steht bestimmt fest, denn Caesar und Strabo fanden die Sueven, Longobarden und Hermunduren noch als Nomaden, nur näher am Rhein kannten sie vici. Tacitus dagegen weiss hundert Jahre später, dass bereits alle Germanen angesiedelt waren^^). — Die Westgrenze dieses deutschen Volkslandes an Weser, Egge ') Bd. I, S. 33, 38. ') T, 45. ^) I, 136, 139, 155. ^) I, 129, 153. ^) I, 46, Anl. 5—17, 37—45, 47, 48, 63, 74—83. «) I, 61, 83, 107, II, 111. ') I, 163. *) I, 111, 117, 157, II, 537. ") I, 153, 162, 179, 573, II, 323. '") I, 477, ") I, 131. I und Vorgänge der geschichtlichen Zeit. ß5j und Rothhaarkette bis zur Sieg fällt mit der alten Keltengrenze zu- sannuen. und zeigt die bis dahin vorgedrungene kcltisclie Siede- lung noch lieut in bestimmter Weise^). Obwohl es keinen Abschnitt des alten keltischen Gebietes giel)t, der nicht im Laufe der Zeit in den Besitz der Römer oder der Deutschen gekommen ist, kann doch über die Art der volksthümlichon Siedelung der Kelten kein Zweifel sein, denn Irland, welches erst im 6. oder 7. Jahrhundert nach Chr. von der Hirten wirthschaft zum festen Anbau übergingt), hat die Grundlagen der damals geschafienen Verfassung bestimmt überliefert. Die Eintheilung in anfänglich 5520 Townlands zu je IGTates'"*) erscheint in allem Wesentlichen, so- wohl in der Abgrenzung dieser Besitzungen, als in ilirer wirthschaft- lichen Einrichtung, auf Grund eigenthümlicher Rechtsverhältnisse und früher Landmessungen noch heut auf den irischen Survey- karten"^), obwohl gegenwärtig durch die Landlords und die Kleinpacht sehr abweichende Besitzverhältnisse bestehen. Die nach diesen Karten das gesammte Kulturland gleichmässig bedeckenden Tates sind Bauernhöfe von 16 bis 32 und mehr Hektar Fläche. Ihre Grund- stücke umgeben den Hof geschlossen, ohne jede Gemenglage. Sie sind nicht in irgend einer regelmässigen Gestalt getheilt, sondern zerfallen nach dem Boden in mehreckige, auch abgerundete, block- förmige Kämpe, welche durch schon früh angelegte Gräben, Hecken oder Mauern von einander abgegrenzt und so abgeschlossen wurden, dass das Vieh des Hofherrn auf ihnen ohne Hirten weiden kann. Diese Siedelungsform entspricht vollkommen den westfälischen und friesischen Einzelhöfen ^), welche unmittelbar am linken Wescr- ufer beginnen, während das rechte Ufer zum Gebiet der deutschen Gewanndörfer mit Gemenglage gehört. Dieselben Hofanlagen bedecken aber auch Belgien und ungefähr die südwestlichen zwei Dritttheilc Frankreichs von der Küste des Kanals, dem Yonnelauf und dem Jura bis zu den Pyrennäen und Seealpen ^). Die naheliegende Annahme, dass auf allen diesen früher keltischen Gebieten die alte keltische Besiedelung erhalten sei, wird durch die Erwägung unterstützt, dass die Römer sie nicht beeinflusst haben. In Westfalen sind nur römische Heere vorübergehend aufgetreten. In Belgien bestanden zwar durch mehrere Jahrhunderte feste Stand- lager, indess lediglich an der Mündung des Flevosees, zu Ultrajectum •) Bd. I, S. 34, 222. 2) i^ 193. 3) j^ 190. ■•) i, 175, 618, III, 571, An\. 23 —26, 150. ■■*) I, 49, 561, II, 39, 53, 75, 87—90, 93. ") I, 516, 66'i, 69-72,92. 652 XIII. 1. Die thatsächlichen Zustände und bei den rheinischen Stationen. Das südwestliche Gallien aber war völlig in Civitates aufgetheilt ^) , welche unter ihren Decurionen in alter Verfassung belassen worden waren. Truppen standen hier nirgend ausser in Lyon^). Laeti wurden allerdings auf diesem Einzelhofgebiete zu Le Maus, Rennes und Bayeux angesetzt, aber erst in der Zeit, als schon der Brauch galt, ihnen das nöthige Land zur eigenen Einrichtung zu überlassen^). Jedenfalls blieben also römische Umgestaltungen der Landeintheilung auf wenige Punkte beschränkt. Sie müssten sich indess auch hinreichend erkennen lassen, weil der Charakter der römischen Flurtheilung genau bekannt ist. Nur die Einrichtung als ager assignatus limitatus änderte die bestehenden Feldlagen*). Fiü- diese Assignation aber wies man perticae von ungefähr 15000 ha an. Ueber jede Pertica wurde von dem ge- heiligten gromatischen Mittelpunkte aus ein Netz paralleler Decu- manen und sie kreuzender Kardines gezogen, dessen genaue Quadrate in der Regel 200 jugera enthielten und durch fahrbare, versteinte Wege umschlossen waren. Ein solches Wegequadrat von bestimmter Fläche ist auf jeder grösseren topographischen Karte leicht zu er- kennen. In Italien sind diese Perticae häufig erhalten^). Dagegen finden sich weder in Westfalen oder Belgien noch im gesammten südwestlichen Frankreich Reste einer solchen Anlage. Nur bei Fried- berg in der Wetterau, anscheinend dem Arataunon des Drusus, hat eine einzelne Spur ermittelt werden können^). Die Iren haben überdies ein in ihren Gesetzen genau beschrie- benes, dreischiffiges Haus als Stammhaus besessen, das auch in Gallien in den Ruinen von Bibrakte*") aufgedeckt worden ist. Es stimmt mit dem noch heut in Westfalen und Fricsland üblichen Hause überraschend überein ^), während es von dem Hause Mitteldeutschlands, welches in Graburnen nachgebildet gefunden ist, und ebenso von dem skandi- navischen Hause völlig abweicht. Es war für die Hirten wirthschaft in 16 Lagerstätten unter den Schiffen getheilt, denen die 16 Tates der festen Siedelung entsprechen^). Die Zahl dieser Höfe hat sich noch gegenwärtig auf den in Westfalen und Belgien untersuchten Gemarkungen nachweisen lassen^). Die Siedelung der Einzelhöfe in Westfalen, Belgien und Frank- reich setzt aber nicht allein wegen der äusseren Gestalt von Flur und Haus denselben Ursprung wie in Irland voraus, sie fordert auch eine ') Bd. I, S. 326. ^) I, 323, 326. ^) I, 330, 36.5, 538. ") I, 287, 320, An\.29—34. '-) I, 425, 515, Anl. 54. ") I, 184, 226. ') II, 91,111, 280, 298, 94. ") I, 184. ä) III, 241, 243, 244, 262, 271, 274, 278, 70, 72, 73, 84, 90, 91. uud Vorgänge der geschichtlichen Zeit. 653 der irischen entsprechende politische Verfassung, und würde unter den politischen Zuständen der Germanen nicht haben entstehen können. Die Iren und, wie sich annehmen lässt, alle Kelten lebten aller- dings, ebenso wie die West- und Ostgermanen, als Nomaden in Weidegenossenschaften, welche durch die je etwa 1000 Seelen zählenden Hundertschaften erkennbar sind^). Die Idee der politi- schen Macht, die Stellung der Oberleitung, Avar jedoch bei beiden Völkern eine durchaus verschiedene. Unzweifelhaft hat, wie bei allen Nomaden, thatsächlich der Reichthum an Heerdenvieh den Häupt- ling zur Leitung emporgehoben'^), aber bei den Kelten erlangte der Clanhäuptling die Anerkennung und das Ansehen der väterlichen Gewalt mit allen Befugnissen des Familien- und Hausvaters über alle Clanmitglieder. Sein Ausspruch war stets der Entscheidende. Die Häuptlinge der Clane allein bildeten den Staat, sie erkannten in Irland in jedem Königreich Einen aus ihnen als König, und unter den 4 Königen Einen als Oberkönig an^). Wenn sie deshalb beschlossen, dass der Uebervölkerung wegen an Stelle der Weidewirthschaft feste Siedelung treten müsse, so stand ihnen, jedem auf seinem Gebiet unbeschränkt, die Durchführung zu, und wenn sie auch die gleichen Ansprüche der Clanmitglieder zu beachten hatten, so entschieden sie doch über das Einzelne unbedingt, wie ein Vater über die Theilung des Erbes unter seine Söhne entscheidet. Sie bestimmten also die Lage der fortan festbegrenzten Townlands des Clans, und in jedem Townland die Abgrenzung der 16 zu ihm gehörigen Tates, und waren die höchste und allein berechtigte Gewalt, jeden Einspruch zurück- und zur Ruhe zu verweisen. Darum konnten die geschlossenen Einzelhöfe entstehen, für deren Ländereien thatsächlich eine wirklich genaue Abwägung und Ausgleichung des Werthes unmöglich war. Eine solche väterliche Gewalt hat weder der germanische Hunne der Hundertschaft, noch ein Princeps, Thunginus oder Rex als Häupt- ling des Gaues oder Volksverbandes besessen^). Der germanische Princeps war immer nur Heerführer im Kriege, oder Ordner und Richter im Frieden. In diesen Friedensgeschäften aber schöpfte er sein Recht aus dem Beschluss und der Zustimmung der Volks- oder Gaugemeinde'''). Daraus ging auch die Art der germanischen An- siedelung hervor. In der LTebernahme der Flur ist ein Vertrag der Ansiedler mit der Gaugemeinde über die Art der Nutzung des allen gemeinsamen Landes zu sehen ^). Wer in die Abfindung seiner ') Bd. I, S. 140, 147, 193, 380. ^ II, 273. ^) I, 182. ") I, 14, 167, 273, 578, II, 297. ^) I, 467, II, 531. ^) I, 151, 154. G54 XIII. 1. Die thatsilchlichen Zustände bisherigen Nutzungen niclit einwilligen wollte, bliel) in der Lage, die- selben weiter auszuüben, ^^'enn eine Anzahl Genossen aber einer solchen Al)findung zugestimmt hatten, stand unter ihnen gleiches oder be- stimmt verabredetes Antheilsreclit fest, und es musste diejenige Form der Flureintheilung gesucht werden, welche das für jeden nöthige Anl)auland nach diesen Antheilen völlig streitfrei im Einzelnen zur Zuweisung brachte. Dafür gab es keine gerechtere, für die damalige Zeit auch hinreichend praktische und zugleich mit den verwendbaren Mitteln ausführbare Feldtheilung, als die im gesammten Volkslande bis auf die Gegenwart gekommene in Gewanne und gleiche Hufen. Die verschiedenen Flurabschnitte für den Anbau wurden nach der Bodeubeschaffenheit, jeder von in sich gleicher Bodengüte, aufgesucht, und jeder Abschnitt in soviel gleiche Theilo, als Hufen berechtigt waren, getheilt. Diese Antheile im Gewann enthielten in der Regel jeder, etwa 1 Morgen, d. h. so viel als an einem Tage bearbeitet wurde. Selbst für 30 Hufen umfasste dann das Gewann nur 30 Morgen, es konnten also immer viele Ucähere oder fernere Gewanne ausgelegt werden, stets musste jeder Hufe der beste, mittlere und geringe Boden in gleichem Verhältnisse wie den anderen zufallen. Alle Hufen erhielten dadurch gleiche Fläche, gleiche Güte und gleiche Entfernung ihres Landes. Was dann noch von Unterschieden sich etwa geltend machte, das konnte ohne Neid der höheren Entscheidung Thors durch das Loos anheimgegeben -werden^). In dieser Weise wurde soviel Land vertheilt, als Jeder nöthig hatte. Wurde ein neues Gewann ausgelegt, so bekam Jeder wieder seinen gleichen Theil. lieber das unvertheilte Land aber entstand kein Streit, denn was mit ihm geschah, benachtheiligte Niemand. Die Verwendung beruhte auf dem Beschlüsse der Genossen, und wurde kein Beschluss erreicht, so stand die gemeinsame Nutzung nach wie vor jedem nach seinem Anrechte zu. Dies ist der Sinn der deutschen Siedelung. Wohin die deutschen volksmässigen Dörfer gedrungen sind, haben sie überall dieselben Eigenthümlichkeiten. Der Hausbau folgte zwar verschiedenen Ein- flüssen^), die Flureintheilung der gemein freien Volksgenossen aber hatte stets denselben bestimmt ausgeprägten Charakter, der mit der äusseren Form auch nothwendig alles Wesentliche des Betriebes umfasste. Auf allen diesen Fluren wurde, soweit sie noch zu roden waren, durch Brenn- und Hackkultur ^) Schlagwirthschaff^) eingerichtet. ') Bd. I, S. 83, III, 539. '') III, 287. ^) I, 69, 463. •") I, 70. und Vorgänge der gescliiditliclien Zeit. 655 Dio Schläge konnten nach einfacher oder strengerer B'eldgras- wirthschaft ^) und nacli Zwei-, Drei- und Mehrfelderwirthschaft") ge- ordnet werden. Immer musste diese FeststeUung eine gemeinsame aller Genossen sein, denn die Aecker lagen ohne Zugänglichkeit ^) im bunten Gemenge. Wege führten sich erst spät und mit vielen Schwierigkeiten durch die Grafen ein. Flurzwang, mit gleicher Art und Zeit der Bestellung und Ernte, musste stets streng gehandhabt Averden, sowohl die üeberfahrtsrechte, als die gemeinsame Viehhütung in Stoppeln, Brache und Dreesch^) forderten ihn unabweisbar. Der Be- trieb konnte besser oder schlechter sein, aber im "Wesentlichen wurde auf den Gewannfluren durch die Beschlüsse der Gemeinde jeder der Genossen zu gleicher Arbeit und Auskömmlichkeit fortgerissen''). Der Einzelhof stellt dem gegenüber allerdings das Ideal der selbständigen, frei ausnutzbaren Wirthschaft dar*^}. Es bestehen auf ihm keinerlei Servituten , jeder Kamp kann in jedem Jahre nach bestem Ermessen in beliebiger Folge und bis zum gartenmässigen Anbau benutzt werden. Wegen der festen Abschlüsse kann das Vieh ohne Hirten Tag und Nacht in den Kämpen weiden. Aber der ^^"erth dieser Vorzüge, Fortschritt oder Verfall, hängt ganz von der Ein- sicht des einzelnen Besitzers ab. Für Zeiten geringer Bildung muss der Antrieb der Gemeinsamkeit sehr förderlich erscheinen. — Durch diesen Gegensatz deutscher und keltischer Siedelungs- weisc wird die Angabe, dass zu Caesars und Strabos Zeit die Sueven, Ijongobarden und Hermunduren noch als Nomaden lebten'^), zu einer ganz besonders wichtigen Bestimmung sowohl über den Gang der Wanderungen auf den deutschen und keltischen Gebieten, wie über die wirthschaftliche P]ntwickelung der betheiligten Stämme. In dem INIittelpunkte Deutschlands, an Harz und Saale, be- zeichnet Tacitus die Sueven als die ältesten und edelsten Stämme der Germanen, ihre Sitze als die Wiege des ganzen Volkes und ihr Alterthum als durch heilige Gebräuche beglaubigt®). Hier finden sich die alten Namen Frisonofeld, Engili, Warenofeld, Hassagau, Hardgau, Amrigau. Von hier zerstreute sich nach verschiedenen Seiten und zu verschiedenen Zeiten die überzählige Jugend der westgermanischen Stämme, nicht bloss der Friesen, Anglen, Warnen, Hermunduren, Chatten, Haruden, Ammren, sondern auch der Juthungen, Sedusen, Chasuaren, Heruler, und die, am wahrschein- lichsten mit den Juthungen zusammenfallenden Teutonen^). Auch '; Bd. I, S. 69, 179, 461. -) I, 69, 461, 464. ^ I, 54, 62. ") I, 71, 459. ^) I, 71. ^ I, 186. ^) I, 131. 8) I, 379. «) I, 402, 380, 620. 656 XIII. 1. Die thatsächlichen Zustände alle sonst genannten germanischen Stammnamen sind am sicher- sten danach zu scheiden, ob sie sich zuert diesseits oder jenseits der öden Vülkergrenzc finden, die die Sueven mit Stolz aufrecht erhielten, und die sich von der Ostsee Längs Recknitz, Tollense und Landgrahen zur Randow und durch die Sümpfe und Haiden der Oder und Neisse zu den Urwäldern des Riesengebirges und der Sudeten bis zum Jablunkapasse hinzogt). Jenseits sassen die Ostgermanen, die Stämme der Vandilier, die erst seit Marbods Völkerbund bekannter wurden. Diesseits aber war die Heimath der suevischen Herminonen, und alle Deutschen, welche westlich und südlich erschienen, dürfen als ihre Sprösslinge und Stammesgenossen betrachtet werden. Von diesen Wanderern lernen wir am frühesten die Guttonen und Teutonen durch Pytheas um 320 v. Chr. an der Nordseeküste kennen. 218 nennt Livius schon halbgermanische Stämme in den penninischen Alpen, 180 ziehen Bastarnen nach Ungarn und Mösien, und um 150 die Tungren, Eburonen, Condrusen, Paemanen, Caeroesen und Segni an die Maas, die Heere der Cimbern und Teutonen, 113 bis 101, gehen unter, aber etwa gleichzeitig gelangen die chattischen Bataven an den Niederrhein, und um 70 beginnt der Einlnaich der Sueven des Ariovist an den Mittelrhein '^). Während dieser Zeit, also schon lange vor Caesar, wurden die Gallier vom rechten Rheinufer fast gänzlich verdrängt. Es ist mög- lich, dass die Volkae in Westfalen sassen und es bei ihrem Zuge nach Kleinasien grossentheils verliessen. Jedenfalls vertrieben zu Caesars Zeit die Tencterer und Usipier bereits die letzten rechts- rheinischen Menapier aus der Gegend der Lippemündung, und ob- wohl sie Caesar wieder zurückführte, verschwinden sie hier völlig. Die deutsche Besitznahme dieses alten Keltenlandes zwischen Weser und Rhein erfolgte von zwei Seiten aus durch Westgermanen. Es stiess hier ein nördlicher und ein südlicher Wanderstrom dersell)en zusammen. Längs der Elbe waren schon vor Pytheas die Stämme zum Meere hingezogen, welche niederdeutsches Wesen entwickelten, und sich als der Völkerbund der Ingvaeonen zusammenschlössen^). Zu ihnen gehörten die Bewohner der cymbrischen Halbinsel, die als Saxones zusammengefassten Stämme der Unterelbe, die Friesen, Ammren, Chauken, Angrivaren und anscheinend auch die Brukterer. Ihr Bundesgott wurde Nerthus, der keltische Gott der SchifiTahrt und des Handels. Zu Caesars Zeit waren allein die Friesen schon längs ') Bd. I, S. 36. 2) I, 386. ^) I, 382, II, 11, III, üebersichtskarte. und Vorgänge der geschichtliclien Zeit. 657 der Küste bis zur Rheiiimündung vorgedrungen. Chauken und Angrivaren sassen nur bis in die Nähe der Ems, und die Brukterer an den Hügeln des westlichen Teutoburger Waldes und in der Ebene der oberen EmszuÜüsse. Ihnen entgegen standen die deutschen Stämme, welche ans dem Chattenlande dem rechten Rheinufer entlang vorgegangen waren, und den Völkerbund der Istvaeonen mit Wodan als Bundesgott bildeten *). Zu ihnen gehörten die bei Caesars Erscheinen am weitesten an der Ems abwärts sitzenden Ansivaren, die Chattuaren und die Bataven, die Chamaven südlich der Brukterer und Angri- varen, und von der Ruhr bis zur Chattengrenze die Sigambren. Zwischen ihnen bis zum Rhein strebten damals, wie es scheint, die Tenkterer, Usipier und Tubanten theils von den Menapiern, theils von den Brukterern und Friesen Sitze zu erkämpfen. Ausserdem war der Hellweg von Chamaven oder vielleicht noch von den Me- napiern, besetzt. Unter Tiberius hatten denselben die Marsen inne, welche ebenso wie die Chasuarcn zwischen dem Teutoburger Walde und der Weser nicht zu den Istvaeonen, sondern wie ihre Nachbarn, die Chatten, Cherusken und Dulgibener, zu den Herminonen, den alten Suevenstämmen, gehörten. Später haben sich die Brukterer, Angri- varen und Chauken so weit vorgeschoben, wie noch heut die west- fälische Südgrenze geht. Ausser auf dem kleinen Gebiet des Hellwegs ist nun durch keinen dieser verschiedenen deutschen Stämme die keltische Siedelung der Einzelhöfe verändert worden. Sie haben sich alle in denselben eingerichtet, wie Caesar es von den Tenkterern und Usipiern aus- drücklich erzählt"). Dagegen begann unmittelbar mit der Besitznahme des abge- tretenen Aeduerlandes durch die Vangionen, Nemeter und Triboker^) mit der Ueberführung der Ubier über den Rhein durch Agrippa 32 V. Chr.*), und mit der Einräumung des Tauber- und Maingebietes an die Hermunduren durch Ahenobarbus 8 v. Chr.^), die Um- gestaltung dieser neu erworbenen, früher keltisch besiedelten Gebiete in deutsche Gewanndörfer. Es ist ersichtlich, dass dafür die seit der Zeit Caesars ver- änderten Umstände und Anschauungen der deutschen Stämme bestimmend gewesen sein müssen. Als zuerst die ingvaeonischen, und wenig später die istvaeonischen ') I, 384, 495, 621. ^ Ilf, 318. ^) I, 419, Anl 57, U, 34. *) Bd. I, S. 385, 52.5, 67, 75, 77. ") I, 389, 423, 466, 39, 40. M e i t z e D , Siedelung etc. n. 42 658 XIII. 1. Dil" tliatsächlichen Zustände Stämme ihren Uebergang in das Keltenland ausführten, haben in ihrer Heimath weder die deutschen Dörfer, noch überhaupt feste Ansiedelungen bestanden, und wenn die spätesten Zuwanderer sie bereits gekannt haben sollten, so wollten diese sich der beginnenden Umgestaltung ihres Hirtenlebens entziehen. Wären sie als Acker- bauer über die Weser oder über die chattischen Gebirge in die westfälische Ebene gekommen, so hätten sie dem Streit über die gerechte Vertheilung des Anl)aulandes nicht entgehen können. Als Hirten aber hatte für sie mehr oder weniger, und besserer oder geringerer Acker bei dem Hofe, den sie in Besitz nahmen, keine erhebliche Bedeutung. Sie überwiesen ihn dem keltischen Knechte und bestellten überhaupt nur wenig. In der Hauptsache bot das dafür vortrefflich geeignete keltische Hofgebäude der Familie und der Viehheerde gute gesicherte Unterkunft. Die zwischen Hecken und Gräben geschlossenen Kämpe des Hofes waren zur Weide von Jung- und Nutzvieh gut eingerichtet und hinreichend. Die übrige Heerde wurde in die grossen gemeinsamen Marken getrieben. Auf diese Weise vollzog sich durch Generationen ein allmählicher Uebergang aus dem Hirtenleben in die Sesshaftigkeit, während dessen die Besitzrechte in den überkommenen alten Grenzen sich einlebten und verjährten, so dass die oft grosse Verschiedenheit in dem AA'erth der Höfe keinen Streitpunkt mehr bilden konnte^). Die Richtigkeit dieser Auffassung wird dadurch bestätigt, dass die erst spät, schon zur Zeit der Sesshaftigkeit im Hellweg auf- tretenden Marsen hier überall Gewanndörfer anlegten, obwohl dort auf dem besten Boden Westfalens unzweifelhaft vorher keltische Eiiizelhöfe bestanden ^). Vor allem erweist sie sich aber, wie ein Blick auf die Uebersichtskarte zeigt ^), durch die Grenze der Siedelung längs der Weser. Jeder der beiden Stämme der Chauken und Augrivaren besass rechts und links der Weser erhebliche Land- striche. In scharfer Abgrenzung l)estehen aber gleichwohl links der Weser Einzelhöfe, rechts Gewanndörfer. Beide Stämme müssen also rechts der Weser noch nomadisirt halben, während sie links des Stromes sich bereits in den Keltenhöfen festgesetzt hatten. Als sie dann auch in ihrer Heimath das Nomadenleben aufgaben, haben sie in dieselbe zwar das ihnen bekannte und wirthschaftlich bequeme keltische Haus übertragen, aber Einzelhöfe, die ihnen ebenso bekannt wie das Haus gewesen sein müssen, legten sie nicht an. Wie sich ') Bd. II, S. 89. ^) I, 50, 522, Anl. 2, 83, II, 23. 3) j^ 49^ j^ n, 23. und Voi-gänge der gescliiclitlichen Zeit. 659 annehmen lässt, vermochten sie dies nicht, weil inzwischen der Zweck der ersten Siedelung Ackerbau geworden war, und sie des- hallj nur die volksmässige Flurtheilung nach Hufen und Ge- wannen als angemessen und ausführbar erachten konnten. Als der Ursprung dieser »Sitte wird das Chattenland, ül)erhaupt das mitteldeutsche Gebirgsland anzunehmen sein. Die chattischen Bataven kannten oder übten sie noch nicht, aber seit Caesars Zeit brachten alle chattischen und südsuevischen Stämme, die Gewann- dörfer, wie von selbst geboten, völlig übereinstimmend über Rhein und Main. Besonders auffallend zeigt sich dies bei den Ubiern. Die bereits seit lange in Einzelhöfen wohnenden Sigambern und Cha- maven nahmen die Römer in ihr Gebiet an der Issel, nach Hama- land und Salland, und zu den Chattuaren, zwischen Rhein und Maas, in bestehende oder wieder hergestellte Einzclhöfe auf. Dies kann unter ihrer militärischen Oberleitung auch wesentliche Schwierigkeiten nicht gehabt haben. Den Ubiern dagegen, welche vom Rheingau bis zur Sieg gesessen hatten, muss Agrippa die Be- seitigung aller älteren Landeintheilungen der bisherigen Bewohner und die Einrichtung nach mitteldeutscher Sitte gestattet haben, denn ihr gesammtes Gebiet bis genau an ihrer nördlichen Grenzlinie, Roermünde, Gladbach, Gellep^), ist überall von deutschen Gewann- dörfern eingenommen, welche völlig mit denen der Vangionen in der Pfalz und der Hermunduren an der Tauber übereinstimmen. Die feindlichen Einbrüche über den Limes und die allmähliclien Eroljerungen im Römerreiche begannen mit dem Markomannenkriege und kamen erst um 500 zur Entscheidung. Sie nahmen von den Westgermanen aus drei Richtungen, welche die Länder und die Bevölkerungen in drei bis zur Gegenwart charakteristisch ver- schiedene Gruppen sonderten, in das schwäbisch -bayerische Ober- deutschland ^), das fränkisch- vandilische Frankreich und Rheinland'''), und in das friesisch -sächsische Niederdeutschland und England'^). Oberdeutschland füllte sich durch suevische Alemannen, Juthungen, Thüringer und Markomannen, die durch ihr Vordringen den lange streng gewahrten Osten bis zur Saale und zum Böhmer- walde offen hegen Hessen. Schon vor 200 drängten auch die Ostgermanen nach Süden-''), nicht durch Deutschland, aber sie erreichten über Ungarn die Donau, 0 Bd. I, S. 525, Anl. 67. ^) I, 378. ^) I, 494. ") II, 1. ^; I, 405, 494, II, 146. 42* 660 XIII. 1. Die thatsächlichen Zustände und griffen von den Alpenländern aus in den Kampf um Gallien ein. Dieser entschied sich schwerer, als die Besitznahme Ober- deutschlands, weil die von den Römern über den Rhein hinüber- genommenen deutschen Volkstheile, sowohl die angesiedelten Stämme, wie Ubier und Salier, als die zahlreichen Laeti, das Land auf römischer Seite gegen die Alemannen, Chatten und Ripuaren ver- theidigteu^, und selbst die Könige der in Savoyen und Aqnitanien nach dem Recht der Tertia aufgenommenen Burgunden und West- gothen sich noch lange als Dienstleute des Kaisers betrachteten-). Das sehr weit romanisirte England wurde früher als Gallien sich selbst überlassen, und rief seinerseits die Sachsen gegen die Rieten und Scoten zu Hülfe ^). — In allen diesen deutschen Eroberungsgebieten ergaben sich politisch und agrarisch die gleichen Zustände. Die Züge der Volksheere verfolgten zunächst den Zweck, den freien, mit Weib und Kind zuwandernden Volksgenossen ausgiebiges Land zur festen Sesshaftigkeit zu schaffen. Diese Forderung wurde überall durch Besitznahme geeigneter Fluren und Anlage von Ge- wanndörfern völlig nach dem Muster der heimathlichen erfüllt. Auf jedem eroberten Gebiete lässt sich erkennen, dass mit diesen Dörfern die fruchtbarsten, ziemlich ebenen Landstriche von den Hufenbauern bedeckt sind"^), welche durch ihre gewannförmigen Ackerungen jede Spur einer früheren Kultur vertilgt haben, auch absichtlich die Trümmer römischer und keltischer Gehöfte nicht benutzten, sondern zerstörten und allmählich unter den Rfiug brachten, während sie vor- zogen, ihre kleinen Holzhäuser auf engen Raum nachbarlich zu- sammenzudrängen ^) . Neben diesen Ansiedelungen bestand in grosser Ausdehnung theils Besitz Unterworfener mit allen ihren bisherigen Pflichten, theils unkultivirtes oder verödetes Land. Nach der Anschauung der älteren Zeit würden die Unterworfenen Sklaven oder Zinspflichtige, die Ländereien Volksland, Marken zur gemeinsamen Nutzung, geworden sein*^). Im neuen Eroberungslande dagegen fielen beide an den Heerführer zu freier Verfügung. Die Verhältnisse zwangen unal)weisbar zu Neugestaltungen'). Die obersten Heerführer, aus welcher Würde sie auch hervorgegangen waren, wurden Könige, aus den eroberten Ländereien und Staats- gütern entstand ein königlicher Fiskus^), welcher die Bedürfnisse *) Bd. I, S. 505. ''; I, 507. ^) II, 100. *) I, 418, 520, II, 110, Anl. 57-4/, 75—82,95,96. ^)1, 426,33,34, 38, 43. '^ II, 308. ') I, 466, II, 273. 8)1,469,11,277. und Vorgänge der geschichtlichen Zeit. QQ\ des Heeres und der Verwaltung zu bestreiten hatte. Die Unterworfenen aber, namentlich ihre Geistlichkeit, waren der deutschen Volks- gemeinde an Organisation und Hülfsmitteln so weit überlegen, dass eine zur Benutzung dieser Vortheile geeignete Regierung durchgeführt werden musste. Der König konnte deshalb die Geschäfte nur in die Hände eines von ihm abhängigen Gefolges von verlassbarer Treue, nicht selten in die von Romanen legen ^). Für das Agrarwesen wurde am wichtigsten, dass alles Geld bis auf kleine Beträge verschwunden und im drängenden Fall nur aus den Händen der Kirche zu leihen war, welche dasselbe zur Abwehr von Gewalt und Zerstörungen aus eigenem und fremdem Besitz zu beschaffen vermochte. Das einzige Zahlungsmittel des Staates bliel) deshalb zunächst sein Landbesitz^). Durch grosse Ländereien wurden nicht nur alle Forderungen für Lieferung von Geld, Waffen und anderen Bedürfnissen befriedigt, sondern sie bildeten auch die Entschädigung und den Unterhalt der Beamten. Jedem höheren Beamten wurde sein Amtssprengel mit den meisten Staatsgütern in demselben als die Quelle der Einnahmen für sich und seine Hülfß- kräfte ül)erwiesen, und diese Hülfskräfte fand er seinerseits ähnlich durch Grundl)esitz ab. In gleicher Weise wurden auch die Dienste des Königsgefolges und der Kirche mit freigebiger Hand aus den Staatsgütern belohnt. Dadurch, nicht durch freien Neubruch ^), ent- standen also Grundherrschaften von häufig sehr ausgedehntem Besitze. Indess dieser Grundbesitz konnte von keinem der Grossen in eigener Haud bewirthschaftet werden''). Er war nur durch Aus- thuung an eigene oder freie Leute gegen Naturalzinsen und Dienste zu verwerthen. Auch auf ihm wurden also bäuerliche Wirthschaften mit soviel Land abgetheilt und ausgeliehen, als der einzelne Familien- vater mit den Seinigen zu bearbeiten vermochte. Solche Fluren konnten ganz wie ein volksthümliches Dorf eingerichtet werden. Sehr häufig aber erhielten sie einen anderen Charakter, an dem sie bis zur Gegenwart zu unterscheiden sind''). Der Grundherr wie sein örtlich angesessener Verwalter, sein villicus oder Meier, hatten durchaus Veranlassung, jedem tüchtigen Ansiedler, der darum nachsuchte, geeignete Grundstücke zu über- weisen, andererseits musste jeder der letzteren und namentlich der eigene Mann übernehmen, was ihm angeboten wurde. Obwohl diese Ansiedelungen der öfTent liehen Lasten wegen ebenfalls nach ') Bd. II, S. 275. "^ II, 276, II, 533. ^) II, 569, 576. ^) II, 281, 581, 624, 639. '") I, 451, II, 282, 323. 662 Xlir. 1. Die tliatsücliliclicn Zustände Hufen abgegeben wurden, war doch eine so peinlich gerechte Flur- theilung, wie in den Gewanndorfcrn, weder nöthig noch anwendbar. Der Grundherr hatte zu verfügen, und gab die Grundstücke, nach und nach oder auf einmal, in beliebiger Form dem Einen oder dem Anderen nach seinem Ermessen. In älterer Zeit entstanden dadurch un regelmässige, mehreckig oder rundlich begrenzte Besitzstücke, die den blockartigen keltischen Flurstücken sehr ähnlich sind, und mög- licherweise häufig auf diesen älteren Kulturabschnitten beruhen^). Im späteren Mittelalter aber fanden die Grundherren planmässig ge- regelte Anlagen, wie die Waldhufen, Marschhufen oder die grossen Kolonistengewanne, zweckmässiger^). Meist pflegten die Herren der Sicherheit und der nachbarlichen Gewohnheiten wegen, wie im Volks- lande, Dörfer von 10 bis 30, ja selbst bis 50 Hufen anzusetzen. Aber wie die Uebersichtskarte näher zeigt, giebt es auch Gegenden, in denen Weiler von wenigen Höfen, und sogar ziemlich vereinzelt liegende Höi'e überwiegen^). Von diesen Weilern und Einzelhöfen ist nachgewiesen, dass sie in nicht geringer Zahl aus römischer Zeit im Besitz ihrer romanischen Wirthe unter der Herrschaft der Krone und der Kirche bis in die Karolingerzeit fortbestanden haben '^). Von anderen, namentlich an der alten alemannisch-römischen Grenze ist wahrscheinlich, dass sie okkupirter Besitz alemannischer Vollfreier waren ^). Die Mehrzahl aber muss als grundherrliche Besitzungen betrachtet werden, welche theilweis neu angelegt, theilweis aber auch aus der keltischen Siede- lung übernommen worden sind. In Oberdeutschland durchsetzen sie, wie die Uebersichtskarte andeutet, strichweise auf den unfrucht- bareren Lagen die Gewanndörfer. Weiter im Süden gehen sie in die durch die Natur der Alpen fast ausschliesslich gebotene, weilerartige, zerstreute, viel ältere*') Besiedelung über. In Frankreich und Belgien und ebenso in England finden sich zwar Weiler und Einzclhöfe, welche deutsche Namen tragen''), aber ihre deutschen Herren haben schwerlich die alte keltische Grundlage wesentlich ge- ändert. Wie in Südgallien die Tertia der Bui-gunden und ^^'est- gothen die Güter nur zwischen je 2 hospites zur Theilung brachte, an den Feldlagen und Abgrenzungen zu ändern aber keine Ver- anlassung nahm, werden auch in den nördlicheren Landschaften die Grundherren ohne besondere Gründe alle die Schwierigkeiten •) Bd. I, S. 451. III, 185, Anl. 49—60. -) I, 50, II. 329, 114—118, 123, 124. ^ I, 432, 49-53. *) 1, 449, G2-G4. '') I, 434, 54. «j I, 235, 441, 446, II, 388, III, 232. ') I, 554. und Vorgänge der geschichtlichen Zeit. G03 und Störungen, die eine neue Flurtheilung herbeiführt, möghchst vermieden haben. Um einen Einblick in das Vordringen der Deutschen zu erlangen, kann in Frankreich und England genügen, die Grenze der Dorf- besiedeliing zu verfolgen, wie sie die Anlage 66a wiedergicbt. Diese Dörfer sind in beiden Ländern, je mehr nach Osten, desto mehr als volksmässige Gewanndörfer anzusehen. Wahrscheinlich haben schon die Laeti häufig Gewanndörfer begründet') und so weit sich Ale- mannen und Chatten in Frankreich festsetzten, müssen ihre Anlagen ebenfalls die volksmässigen gewesen sein. Auch die Franken legten anfänglich, namentlich in Artois, vielfach Gewanndörfer an. Aber die weiteren Eroberungen haben schon unter Clodwig schwerlich noch einen wesentlich volksmässigen Charakter gehabt, sondern führten zunächst zu Vergabungen im Sinne der Grundherrlichkeit ^). Sehr merkwürdig ist, dass auf denjenigen burgundischen oder westgothischen Gebieten, welche nicht nach der Tertia vertheilt, sondern von den Königen ausserhalb des Theilungslandes erobert wurden, die früheren Einzelhöfe nicht erhalten blieben, sondern bei der Besitzergreifung Dörfer angelegt worden sind^). Ebenso finden sich auch überall da Dörfer, wo sich Alanen, Sachsen oder Dänen auf ihren Raubzügen für längere Zeit festsetzten. Die Normannen haben sie wenigstens längs ihrer unter Rollo erworbenen Grenze gegen Frankreich be- gründet*). Das Vordringen der Germanen, welche in der Völkerwanderungs- zeit alle Länder der damaligen Kulturwelt, bis auf einen Rest von Ostrom, ihrer Herrschaft unterwarfen, hat also von dem alten deutschen Volkslande aus in den bis dahin keltorömischen Gebieten drei Zonen geschaffen. Eine Zone der volksthümlichen Gewanndörfer, welche von den gemeinfreien Genossen der Volksheere angelegt wurden; eine Zone der von der Krone oder anderen Grundherren begründeten Dörfer, welche meist blockförmige unregelmässige Feldlagen zeigen, und deren Besitzer, gleich ob sie eigene oder freie Leute waren, durch die Tjandleihe nothwendig in eine mehr oder weniger strenge Abhängigkeit vom Grundherrn geriethen ; endlich eine Zone von Weilern und Einzelhöfen, welche theils von den neuen Herren aus dem keltorömischen Besitz mit oder ohne ihre alten Insassen über- nommen, theils neu angelegt worden sind. Die erste Zone war an- fänglich von Grundherrlichkeit frei und kann noch längere Zeit frei ') Bd. I, S. 365, 521, 538. ") I, 553, 556. ^) I, 532. *) I, 516, 532, Anl. 66 a, 66 b. ßß4 XIII, 1. Die thatsächlichen Zustände gehliebon sein. Die dritte Zone griff im Süden in die nach der Tertia getheiltcn Ländereien ein. Auch von diesen hat sich walu-scheinlich zunächst noch ein Tlieil im Besitz freier Volksgenossen erhalten. Mit der Ausbreitung der fränkischen Herrschaft verschwand indess diese Unabhängigkeit des bäuerlichen Klcinbesitzes aus verschiedenen Gründen mehr und mehr*). Don mit Land beschenkten geistlichen und weltlichen Grossen wurden schon früh nicht lediglich Güter, sondern auch im Sinne der Im- munität^) ganze Gebiete mit den darauflebenden Insassen, anfänglich unter Vorbehalt der Grafen gerichtsbarkeit, später nach deren Verfall völlig als Territorialherrschaft überlassen. Denselben Inhalt erhielt schon unter den Karolingern die Amtsgewalt der Reichsämter, nament- lich der Grafen. Die Amtsrechte gingen in Herrschaftsrechte über^). Viele Freie veranlasste die drückende Heerbannspflicht, das Bedürfniss des Schutzes gegen Gewalt und vor Gericht, und die Sorge um ihr Seelenheil, sich Grossen oder der Kirche zu eigen zu geben. In manclien freien Dörfern übernahm ein Einzelner die Leistung des Heerbanns durch Reiterdienst und wurde dadurch anfangs Gläubiger, später Oberherr seiner früheren Genossen^). Schon unter Karl Martell waren zahlreiche Lehen gegen Reiter- dienst vergeben worden-''). Bei der unvermeidlichen Auflösung des Heerbannes fiel den Grundherren die Pflicht zu, den Heerdienst mit reisigem Gefolge zu leisten, welcher sie ihrerseits, theils durch Unter- vasallen, theils durch Ministerialen unter ihrer Führung als Bannerherren nachkamen *'). Diese Ministerialen wurden anfänglich als eigene Leute und milites agrarii'') auf hinreichenden Landgütern mit eignem für die Bestellung derselben bestimmtem Gesinde angesetzt. Mit der Zeit aber vermochten sich viele derselben zu Lehnsleuten und zum ritter- mässigen Adel zu erheben und selbständige Grundherren zu werden. Mehr und mehr ging die Gestalt des bäuerlichen Daseins im gesammten mittleren Europa mit Ausnahme weniger Landschaften wie Ditmarschen, Friesland und einiger Hochalpenthäler, aus der alten Gemeinfniiheit in eine Abhängigkeit von Grundherrn über, welche im besten Falle in imaginärer Freiheit unter Gerichtsbarkeit, meist in eigentlicher Zins- und Diensthörigkeit, vielfach aber auch in mehr oder weniger strenger Leibeigenschaft bestand^). Diesem zahlreichen Bauernstande war der Adel'') übergeordnet, welcher zwar einen Kreis weltlicher und geistlicher Fürsten und Inhaber hoher Reichsämter •) Bd. II, S. 279, 283, 308. '') II, 291, 625. ^) II, 625. ") II, 286. ^) II, 277. *) TT, 279. ') II, 456, 633. «) II, 284. *") II, 634. und Vorgänge der geschichtlichen Zeit. 665 umfasste, in der Ueberzahl aber durch viele Stufen geringerer Herren, Stifter und Lebnsträger bis zu einer dauernd anwachsenden Zahl Ritter, Untervasallen und Ministerialen von oft ziemlich geringem, auf wenige DiU-fer oder Streuhöfe mit einigem Forst beschränktem I^andbesitz herabging. Viele dieser Grundherren hielten dem Namen nach StaatScämter innc, thatsächlich aber hatte ihnen der Staat seine Gewalt über ihren Grundbesitz mit allen Insassen al)getreten, und war dadurch selbst so völlig zersplittert und von Hülfsmitteln ent- bliisst, dass der Träger der Krone nur so viel Macht behielt, als ihm durch sein Hausgut verbürgt war, d. h. also, als er selbst als bedeutender Grundbesitzer aufzubieten vermochte. Unterstützung fand er meist nur von denen, die dadurch ihre Gegenpartei nieder zu halten hofften. Diese Umgestaltung war indess mehr eine politische und soziale, als eine agrarische. Die eigene Landwirthschaft der Grundherren l)lieb nach wie vor auf Kleinbetrieb und auf den Besitz von meist mit Nutzungsrechten der Hintersassen belasteten Forsten beschränkt. Obwohl sich das persönliche Recht der meisten alten Bauern durch das gutsherrliche Obereigenthum, die Gerichtsbarkeitspflichten und mancherlei Lasten gemindert hatte, waren ihre Wirthscliaften in ihrem Umfange und ihrem Betriebe, sowie in der für diesen genossen- schaftlichen Betrieb geltenden Selbstbestimmung durch Gemeinde- beschlüsse dieselben geblieben. Alles dies galt mit geringen Unterschieden für das angelsächsische, später normannische England, wie für das fränkische Reich, welches nicht allein den gesammten früher keltoromanischen Süden, sondern fortschreitend auch den niedersächsischen Norden umfasste. Obwohl liier im alten Volkslande melir Erinnerungen an die Gemeinfreiheit ])estehen bHeben '), fülirten sich doch mit der fränkischen Erolx'rung im Wesentlichen auch die fränkischen politischen wie sozialen Zu- stände ein. Lange dagegen erhielten sich die volksthümlichen Verhältnisse ])ei den Ostgermanen ^). Nachdem ihre südlichen Stämme das Oder- und Weichselgebiet verlassen, nahmen ihre nördlichen in Skandinavien durch ihre geographische Lage eine gesonderte Stellung ein^). Ihr Künigthum erstarkte*) und unterlag viel geringeren Erschütterungen als (las sich auflösende fränkische. Ihr Volksthum blieb unvermischt. Der Verkehr mit Westdeutschland beschränkte sich auf Raubzüge und ') Bd. IT, S. 304. ") II, 294, 494. =>) II, 495. ^) II, 510. 006 XIIT. 1. Pie thatsächlidien Zustände Auswanderung. Die skandinavischen Handelsbeziehungen waren von früher Zeit an mehr auf das Schwarze Meer und Ostrom gerichtet^). Allerdings drang die römisch-deutsche Kirche auch nach Skandinavien und heeinflusste durch Grunderwerb und politische Bildung besonders die innere Verwaltung^). Auch führten die militärischen und finanziellen Bedürfnisse der Könige zur Errichtung von Amts- und Ritterlehnen ^). Aber die Masse des Volkes blieb selbst in Dänemark ein freier Bauernstand, bis hier im 13. Jahrhundert theils die Lasten vieler und oft unglücklicher Kriege, theils die Verpachtungen des ausgedehnten öden Landes eine Abhängigkeit des Landvolkes von Krone und Adel herbeiführten, welche sich mit dem Ausgange des Mittelalters zu überaus harter Unfreiheit der Bauern entwickelte^). In Schweden und Norwegen dagegen verschwand schon früh die ursprünglich der römischen entsprechende Sklaverei der eigenen Leute''), und die gemeinfreien bäuerlichen Volksgenossen wurden zwar oft schwer bedrängt, im wesentlichen aber niemals zur Hörig- keit herabgedrückt''). — Gegenüber diesem in den Siedelungsverhältnissen und dem Agrarwesen auf gleicher Grundlage beruhenden west- und ost- germanischen Volksdasein, wurden seit dem Ausgange der Völker- wanderung auch das finnische und das slawische Volksthum von Bedeutung. Die Finnen haben sich als altes mongolisches Polarvolk, lange vor den Wanderungen der Indogermanen , vom Altai und Ural aus über das russische und norddeutsche Flachland ausgebreitet ^) , sind von hier nach Skandinavien übergegangen und allen Anzeichen nach von den Germanen nach dem Norden Skandinaviens, und von den Slawen nach dem Gebiet der oberen Wolga und dem Onega- und Ladogasee verdrängt worden. Erst im 6. und 7. Jahrb. n. Chr. haben sie Finnland und die nördlichen Landschaften des alten Ge- bietes der x\estier, Esthland, Livland und Kurland, besetzt'^). Um 884 wurden auch die zu ihren östlichsten Stämmen am unteren Irtysch und Tobol gehörigen Magyaren an der Wolga bekannt, w^elche sich bald darauf in Ungarn festsetzten^). Ueber die volksthümliche Siedclungsweise der Finnen sind häus- liche und sprachliche Eigenthümlichkeiten bekannt, welche einerseits Einl)lickc in ihr zum Theil noch gegenwärtig fortgeführtes Nomaden- leben und in das vereinzelte, die Sesshaftigkeit vorbereitende Ein- ') Bd. II, S. 497, .542, III, 503. ^) II, 518, 521, III, 553. ^ IT, 512, 519, 521. ^) II, 515. •-') II, 511. ") II, 519, 523. ') II, 154, 164. «) II, 154. ») II, 159. und Vorgänge der geschichtlichon Zeit. (507 dringen ihrer Familien in die unerschöpflichen Urvvaldmassen der von ihnen bewohnten Gebiete gestatten^), andrerseits erkennen lassen, wie früh, schon in der Zeit des Tacitus, die Beziehungen der Skan- dinaven und der griechischen Kolonien am Pontus auf ihre An- schauungen von den ersten Bedürfnissen der Kultur^) gewirkt haben, und wie wesentlich auch noch heut ihre Lebens- und Wohnweise von Sitte und Recht sowohl der Schweden wie der Russen bccin- tlusst wird''). Die Slawen kennt Tacitus in ihrem nördlicheren Zweige, den Lithaucrn, als Aestii, und in ihrem südlicheren, den eigentlichen Slawen, als Venedi ■^). Die Lithauer sassen in dem von jeher fest geschlossenen Gebiete, das im Osten von Narwa, Peipussee, Ewst, Düna, Dischka und Beresina, im Süden von den 200 Quadratmeilen bedeckenden Pripet- sümpfen und im Westen von Bug, Muchowetz, Narew, Pysseck und den Oberländischen Seen begrenzt wird^). Die Nordgrenze der Veneden reichte zu Tacitus Zeit von der Oberen Weichsel, dem Bug und den Pripetsümpfen etwa zum Waldaigebirgc, die Südgrenze von der oberen Oder und den Weichselquellen über den Kamm der Karpathen durch Podolien gegen Balta und Charkow zur Skythensteppe ^). Sie kamen mit diesem Gebiete um 375 unter die Herrschaft der Ost- gothen, bildeten nach deren Niederlage anscheinend einen Theil der Hunnenmacht und vermochten sich in dieser Zeit in die verlassenen Sitze der Ostgermanen im Weichsel- und Odergebiet, bald aber auch bis an die Elbe zu verbreiten. Schon 531 beim Untergange des thüringischen Reiches scheinen die Sorbenwenden, als die westlichsten Slawen, das rechte Saaleufer in Besitz genommen zu haben. 568 zog Sigel)ert von Franken den Rest der Nordschwaben aus den Havel- gegenden über die Elbe zurück, und alles Land zwischen der Elbe und der Ostseeküste bis zur Kieler Förde kam in die Hände der Wenden. In Karolingischer Zeit rückten sie auch links der Elbe bis zum Limes sorabicus vor^). Die Südslawen überschritten 547 die Donau und setzten .-ich um 580 in Krain, Istrien, Kärnten und Steiermark fest. Die byzantinischen Kaiser riefen gegen sie schon 558 die Awaren zu Hülfe. Als diese aber durch mehrere Siege übermächtig wurden, lud Heraclius um 620 die Kroaten und Serben von den Nordhängen der Karpathen ein, für ihn den Norden der Balkanhalbinsel zurück- •) B.l. n, S. 169, 190, Anl. 102, lOS. ^) II, 174, III, 506. ^ II, 180, 181, 97—101. *) II, 143. •■) n, 142. ") II, 145. ') n, 147. ßßg XIII. 1. Die thatsilclilichen Zustände zuerobern ^). Die Serben besetzten das Land vom Pindus bis zur Sawe. Die Croaten erwarben die Landschaften zwischen Sawe und Drawe. Die Länder nördlich der Drawe aber blieben im Besitz der A waren, welche ihre Herrschaft über die unter Samo erstarkten Böhmen und andere nördliche Slawen ausbreiteten, bis Karl der Grosse sie 791 entscheidend schlug und mit Hülfe der Südslawen auch in Ungarn vernichtete^). Bestimmte äussere Formen der slawischen Siedelung sind schwer zu erkennen; denn die südlichen und westlichen Slawen- stämme haben überall Länder besetzt, in denen bereits eine zum Theil hochentwickelte Kultur bestanden hatte, auch benutzten sie von früher Zeit an fremde, theils skandinavische, theils deutsche Vor- liikler und Hülfskräfte^). Indess sind doch die dem slawischen Volksdasein in Sitte und Recht zu Grunde liegenden Ideen und Einrichtungen durch die sogenannten Hauskommunionen ^) in mancherlei Resten, namentlich auf den südslawischen Gebieten erhalten. In dem seit der ältesten Zeit souveränen Staatswesen von Montenegro besteht diese Familien- verfassung sogar mit der auf ihr aufgebauten höheren Organisation bis zur Gegenwart ungestört. In der Haus- oder Familiencommunion bildet die Familie auf den von ihr in Besitz genommenen Ländereien einen völlig kommunistisch lebenden Verband. Niemand hat Eigenthum ausser Waffen und Schmuck. Das Ganze leitet ein Familienoberhaupt mit absoluter väterlicher Gewalt. Dieser Häuptling vertheilt die Arbeit, verfügt über die Kasse und vertritt in jeder Beziehung die Gesammt- heit. Alle leben unter demselben Dache, so lange dies Raum und Haushalt zulassen. Erreicht die Zahl der Herangewachsenen 60 oder 80, so tritt eine Sonderung nach Stämmen ein. Bewegliches Ver- mögen und jedes einzelne bearbeitete wie nicht bearbeitete Grund- stück werden nach Verhältniss gctheilt, und aus jedem dieser Stämme entsteht eine neue Hauskommunion, welche je nach ihrem Nachwuchs in früherer oder späterer Zeit wieder zur Sonderung schreiten muss. Danach verfügt jede derselben sehr verschieden über mehr oder weniger Grundbesitz, wenn sie nicht vorzieht, irgend- wo neues Land aufzusuchen. Ueber eine grössere Zahl solcher Hauscommunionen ist einem der angesehensten Familienhäuptlinge die Oberleitung überlassen, und ') Bd. II, S. l.'iO. ') II, 152. =>) II, 213. ") IT, 214. und Vorgänge der geschichtlichen Zeit. 669 einem dieser höheren Anführer ordnet sicli der ganze Staat in dem- selben Sinne einer absolut befehlenden väterlichen Gewalt unter ^). Für das Agrarwesen ergiebt sich daraus, dass die Landeintheilung mit geschlossenen, ziemlich grossen Einzelhöfen beginnt. Auf einer .solchen Hofflur werden die für den Bedarf geeignetsten Grund- stücke aufgesucht und von den Betheiligten gemeinschaftlich bestellt. Grösse und Form dieser Feldstücke hängt von Boden und Um- ständen ab. Eine Regelmässigkeit ist durch Nichts bedingt. Wird ein solches Flurstück unter mehrere Hauskommunionen getheilt, so entscheidet die Gewalt des Häuptlings über die Art, wie die Theilung geschehen soll. Die Theile werden verhältnissmässig, aber nicht von liestimmter Gestalt sein. Im wesentlichen lässt sich am ersten eine Form der Feldeintheilung erwarten, wie sie der Ver- theilung der Flur durch einen Grundherrn entspricht. Dies ist auch das Ergebniss der wenigen Fälle, in denen es gelungen ist, die Feldeintheilung mit einiger Sicherheit auf alte Hauskommunionen zurückzuführen ^). In Croatien und Slawonien findet sich seit lange eine so über- mässige Parzellirung , dass eine Beurtheilung der allmählichen Theilungen unmöglich scheint. In Dalmatien und anderen Gebirgs- Landschaften bestehen Einzelhöfe, welche durch Rodung und Abbau oder durch Sonderung des älteren Besitzes in geschlossene Theile ent- standen scheinen. Ebenso finden sich in Kleinrussland mit Kiew, dem eigentlichen Heimathslande der Russen, bis Orel nur Einzelhöfe und Weiler^). Endlich spricht die ältere Gesetzgebung des 15. und 16. Jahrhunderts für Grossrussland in Bezug auf den bäuerlichen Besitz stets nur von Pachthöfen, bei denen ein ein- oder mehrjähriger Besitz des Pächters in Frage kommt*). Aus diesem Bilde der slawischen Siedelung, welches das älteste beglaubigte ist, ergiebt sich im Einklang mit der bekannten Geschichte des grossrussischen Mir^), dass letzterer keine altslawische Gemeinde- verfassung, sondern eine erst seit dem 16. Jahrhundert durch die gesetzliche Leibeigenschaft der Bauern entstandene gutsherrliche Ein- richtung ist. Es kennt auch der Mir nicht, wie die Hauskommunion, einen Kommunismus der in Gemeinschaft lebenden Familienmitglieder, sondern im Mir arbeitet und lebt jeder Hauswirth für seine eigene Rechnung, und das Land, gleich ob es als dem Grundherrn oder der Gemeinde gehörig betrachtet wurde, kam von Zeit zu Zeit in ') Bd.U, S. 216, 269. ') II, 231, III, 341, Anl. 104, 106, 107. ^) II, 265. *) JI, 225, 266. *) n, 219, Anl. 97. (370 XIII. 1. Die thatsäcliliclion Zustände der Weise der Gewannanthoile zur Verloosung an die verschiedenen Insassen, welche der Grundherr nach seinem Ermessen zu vermehren oder zu vermindern vermochte. Diese Verhältnisse haben erst 1862 durch die Befreiung der Bauern von der Gutsherrlichkeit und Leib- eigenschaft Veränderungen erfahren^). Schon Karl der Grosse fand indess die alten slawischen Volks- sitten und politischen wie agrarischen Einrichtungen keineswegs überall mehr vor^). Er hatte 805 den Limes Sorabicus als eine Friedensgrenze zwischen den Deutschen und Slawen gezogen, ohne den Gedanken der Oberherrlichkeit über die Slawenfürsten, die ihm oftmals gehuldigt hatten, aufzugeben^). Unter kriegerischen Gesichtspunkten lag diese Grenze völlig unhaltbar. Es entstanden durch ihre Linie vier Ab- schnitte ausserhalb derselben, welche nur einem Schutzbedürftigen, nicht einem Feinde überlassen bleiben konnten. 1. die Ostmark mit Steiermark und Kärnten, d. h. das Land bis zu der Linie von Istrien über Laibach und Pettau längs des Fusses des Gebirges bis Wien und um den Mannhardsberg nach dem Gesenke und Böhmer- walde ^), 2. das grösstentheils von den Redanzslawen besetzte Ober- franken zwischen Regnitz, dem obern Regen, dem Böhmerwald, Fichtelgebirge und Voigtlande ^), 3. Obersachsen von der Saale bis auf die Kämme des Voigtlandes, Erzgebirges, Lausitzergebirges und Flämings^), 4. die Altmark und das '\\'endland vom Eiblaufe bis zu dem tief an die obere Aller und Ilmenau zurückgezogenen Limes''). Die Ostmark besass Karl bereits 805, aber sie ging 902 bis 1043 wieder an die Ungarn verloren. Oberfranken nahm er noch im Jahre 805 in Besitz, Obersachsen dagegen begann erst Heinrich I. zu erobern, völlig unter deutsche Herrschaft brachten es die beiden ersten Ottonen. Auch die Altmark war schon unter diesen Kaisern in deutscher Hand, obwohl sie 983 bis 1003 dem Aufstande der Slawen unterlag, das Wendland aber hat bis auf Heinrich den Stolzen oder Heinrich den Löwen der deutschen Unterwerfung erfolgreich widerstanden. Die Eroberung dieser vier Gebiete verknüpfte sich mit den grossen kriegerischen Ereignissen der Ungarnkämpfe ^) und der Züge Geros und Heinrich H. nach Polen ^). Zwar lagen die entscheidenden Kämpfe meist ausserhalb der Landschaften selbst, wurden aber agra- risch und politisch für sie von der grössten Bedeutung. ') Bd. II, S. 230. ") II, 271. =>) II, 368. ') II, 374. ^ II, 401. «) II, 419. ^) II, 475. ») II, 159, 381, 384. ^) II, 424. uml Vorgänge der geschichtlichen Zeit. 671 An keiner dieser Erolterungen waren auf deutscher Seite noch Volksheere betheihgt. Die Hcerbannsschaaren , die unter Karl dem Grossen noch dem Aufrufe zu folgen hatten, wurden nicht mehr von Weib und Kind l)egleitet, noch hatten sie den Zweck im fremden Gebiete Land zu erwerben, sie wurden bereits im Sinne von Milizen vor den Feind geführt. Schon unter Karls nächsten Nachfolgern galt der Heerbann nur noch als Landsturm zur Vertheidigung für den äussersten Fall^). Die Senioren und Grafen mit ihren reisigen Gefolgen bildeten seitdem das Heer. Dadurch erhielt die Eroberung gleichmässig den Charakter der Besitznahme als Königsland. Das- selbe kam indess grösstentheils unter verschiedenen Formen als Lohn in die Hände der Grossen. Wenn Karl und Ludwig der Fronnne jedem ihrer Getreuen freistellten, von den ungeheuren Land- strecken, die der Awarenkrieg in Pannonien in ihre Hand gebracht hatte, zum Nutzen der Kirche Land erblich in Besitz zu nehmen'), so war dies doch, namentlich für die beschränkteren Gebiete der Ost- mark, oder für die drei nördlichen Abschnitte, nicht ohne geordnete Einweisung gedacht. Die Bischöfe und Aebte erhielten aus frei- gebiger Hand Land zur Kultur, im übrigen wurden Grafschaften und Markgrafschaften abgegrenzt und aus dem Kreise der Getreuen besetzt. Unter deren Aufsicht blieb eine Anzahl Güter und Forsten als kiinigliche vorbehalten, die meisten derselben wurden indess im Laufe der Zeit theils als Eigenthum, theils als Lehen, an Stiftungen wie an einzelne Ritter vergabt. Alle diese geistlichen und weltlichen Grossen hatten in gleicher Weise die Pliicht, ihrem Besitze angemessen dem Grafen Reisige unter ihrem Banner zuzuführen, und mit denselben die zum Schutz des Landes errichteten Burgen zu bewachen. Auch sie setzten also theils Untervasallen, theils unfreie Milites agrarii auf besonderen Gütern an. Die letzteren wurden in grosser Zahl im Laufe des 12. und 13. Jahrhunderts frei, und sehr viele bald rittermässiger Landadel. Aber auch während sie unfrei blieben, waren sie schon in der Lage eines Grundherrn, weil sie mit ihrem Grundbesitz meist eine Anzahl der durch die Eroberung unterworfenen alten slawischen Insassen als leibeigenes Gesinde überkommen hatten^). Die ViUici des Königs und der Grossen suchten die unterworfene, sesshaft gebliebene slawische Landbevölkerung möglichst bald in eine den deutschen Hufendörfern entsprechende Verfassung überzuführen. Die bisher ') Bd. II, S. 279, 309, 433, 456. ") II, 376. =') 11, 433, 436, 635. (372 XIII. 1. Die thatsäclilichen Zustände vorhandenen, anscheinend überall unregelmässigen blockförmigcn Feldlagcn*) konnten dabei unverändert fortbestehen, oder, sei es in beliebigen Stücken, sei es in regelmässigen Plänen, neu vergeben werden^). Auch bestand für die Grundherren keine Schwierigkeit die AMrthschaften der Unterworfenen als eine angemessene Zahl Hufen zu veranlagen, oder darnach ihre Grösse und Lage einzurichten^). Das Haupthinderniss scheint der bei denselben übliche kleine Besitz und die mangelhafte Arbeits- und Gespannki-aft gebildet zu haben. Man griff deshalb in weiter Verbreitung zu dem Mittel den slawischen Bauern kleinere sogenannte slawische Hufen oder Haken zuzuthcilen'*) und diese nur mit einem geringeren Getreidezins, namentlich aber mehr mit verschiedenartigen Diensten als mit Naturalleistungen zu belegen. Ueberdies wurde der Zehnt ermässigt und auf feste Beträge gesetzt^). Schon früh trachteten die Grundherrn auch deutsche Bauern auf ihre Besitzungen zu ziehen. Karl der Grosse führte zahlreiche Sachsen nach der Ostmark und nach Oberfranken ^). Insbesondere war die Geistlichkeit des vollen deutschen Zehnts wegen um deutsche Kolonisten bemüht. Indess wuchs die Zahl der deutschen Ankömm- linge doch erst im 12. und 13. Jahrhundert stärker an, als die Grund- herren ihnen nicht bloss vollen Schutz zu gewähren vermochten, sondern auch durch planmässige Anlagen die Aufnahme vorbereiteten und die Ansiedler unter dem Rechte des Erbzinsvertrages ansetzten'). Dies fand auf dem eroberten Slawenboden theils durch Waldleihen auf ausgedehnten Rodungen statt, welche sich hier noch über weite Ge- birgslandschaften durchführen Hessen^), theils durch Umschaffung der meist kleinen Slawenansiedelungen in grosse Strassendörfer mit aus- gedehnten, regelmässig und sorgfältig zugemessenen und durch Raine vor dem Verpflügen geschützten Gewannen. Diese Kolonien konnten nicht gemischt mit deutschen und slawischen Bauern besetzt werden, weil die deutschen Hüfner die Slawen unbedingt aus der Gemeinde ausschlössen"). Wohl aber wurden solche Dörfer in grosser Zahl ausschliesslich mit Slawen unter deutschem Recht begründet, deren Sitte zwar nicht die Gewanneintheilung, wohl aber die strassen- förmige Anlage des Dorf beringes entsprach ^^). ') Bd. II, S. 250, Anl. 107, II, 386, 119, II, 391, W6, 125, 126, 128, II, 412, 415, 437, 464, 395. 2) II, 398, 400, 120, 123. ^) II, 410, 124, II, 431, 439, 442, 1.3U, II, 452, 474, 129, 133—139, II, 484, 490. '') II, 393. 121, II, 399, 486. ■*) II, 428, 473. '■) II, 397. ') II, 441, Anl. 130, 132. *) II, 396, 415. ">) II, 474 '») II, 437, 129, 133, 134. iiud Vorgäuge der geschieht liehen Zeit. (373 Je mehr sicli in dieser Weise die gutsherrlich-bäuerlichen Ver- hältnisse auf den Eroberungsgebictcn entwickelten, desto mehr ver- stärkten sie den Gedanken der politischen Grundherrlichkeit auch in den Heimathsländern der betheiligten Herrengeschlechter. Der waffen- kräftige und kampfbereite Adel hatte die öffentliche Gewalt in den einzelnen Landschaften so sehr in der Hand, dass die Könige und Fürsten, die sich nur in den Gebieten ihrer Hausmacht hinreichend auf ihn verlassen konnten, mehr und mehr ihre Stütze in der Kirche und den Kirchenfürsten zu suchen veranlasst wurden, und damit dem Kampfe der Parteien sowohl heftiger bestrittene, als allgemeinere staatsmännische Gesichtspunkte gaben. Ueberall war unvermeidlich, dass der dem agrarischen Wirth- schaftsbetriebe entzogene, politisch und militärisch bewegte Herren- stand mit seinem vielköpfigen Beamtenthum ^) , und ihm gegenüber der auf Kleinwirthschaft beschränkte, im wesentlichen hörige und an die Scholle gebundene Bauernstand, als eine hohe und niedere Volksschicht, einander fern und fremd wurden. — Auf diese Gestaltung des öffentlichen Daseins übten die Kreuz- züge nicht so sehr durch ihre kriegerischen Ereignisse, als vielmehr wirthschaftlich, einen tiefgreifenden Einfluss aus"). Sie gaben dem Ritterwesen der Grundherren einen phantastischen Inhalt, der dieselben noch mehr dem Landbau und den wirthschaft- lichen Interessen entfremdete und auf Abenteuer, Turniere und Reisen, mit Minnegesang, Pracht und glänzender Gastlichkeit, hin- lenkte. Dabei belebten die neuen Kostbarkeiten und eigenartigen Produkte des Orients den Handel. Die Städte erlangten Reichtbum und Macht, der Luxus förderte ihr Handwerk und Kunstgewerbe, und ihre Bedürfnisse erzeugten weiten Geld- und Kreditverkehr. Daraus entstanden für den rittermässigen Adel erheblich höhere Lebensansprüche ^). Die unentbehrliche Steigerung der Einnahmen erreichte er indess nach Lage der Verhältnisse nicht durch eigenen Betrieb und intensive Grosswirthschaft, sonderii durch Umgestaltung der herkömmlieben sorglosen Verwaltung zu möglichst vereinfachten Renteieinrichtungen. Die Grundherreji wandelten die Meier, welche die herrschaftlichen Frohnhöfe bis dahin als Beamte gegen Gehalt zu bewirthschaften hatten, in Pächter derselben oder in zinspflichtige Grundbolden um^). Statt der herrschaftlichen Gerichts Verwaltung wurden in den einzelnen Dörfern erbliche Gerichtsscholzen auf Erb- ') Bd. II, S. 627. ^) II, 634. ^ II, 637. *) 11, 639. Meitzen, Siedeluug etc. 11. 43 674 XIII. 1. Die thatsüchl. ZusUlnde u.VorgUnge der gescliichtl. Zeit. zinsgütern angesetzt, welchen oblag, Vs der Gerichtseinkünfte an die Rente! abzuführen. Dabei verbesserte sich gleichzeitig die Lage der Bauern durch das Emporkommen der Stcädte und den Abzug zahlreicher Auswanderer nach den östlichen Kolonisationsländern. Ihr Leihebesitz wurde ebenfalls in Erbzinsgut, und ihre Belastung thunlichst in Geldzins und in solche Dienste umgewandelt, welche, wie Mühlenbau, Grabenräumung, Holz- und Marktfuhren dem Grundherrn Geldwerthe schufen, oder, wie die Arbeit an dem sich allgemein verbreitenden Burgenbau, die Burgwachen und der Jagd- und Hofgesindedienst, von den Bedürfnissen des rittermässigen Lebens gefordert wurden^). Die Gesammtheit dieser Neuerungen führte allerdings zunächst durch mehr als ein Jahrhundert die Zustände herbei, welche wir als die Blüthe des Mittelalters bezeichnen, Glanz und Poesie des ritter- lichen Lebens und Treibens, rasch entwickelte Kraft und Bildung der Städte , verhältnissmässige Wohlhabenheit und Selbstbewusst- sein der Bauern. Aber schon um 1400 begann mit dem Getreide- grosshandel der Hansa und des Deutschen Ordens das Sinken der Getreidepreise bis auf weniger als die Hälfte, ein Rückschlag"), der durch die Verschlechterung und Entwerthung des Geldes, den Luxus der Einrichtungen und des täglichen Leidens, zu dem die reichen Städte den Adel mit fortrissen, und durch die eintretenden Veränderungen des Handels im Zeitalter der Entdeckungen besonders fühlbar wurde. Die Folge war, dass der Adel sichtlich verarmte, zumal sich die Anforderungen seiner politischen Stellung nicht veränderten^). Während in Frankreich und England die Krone den Staat in eine gleichartige Organisation zusammenzufassen, und den wenn auch hochbevorzugten Ritterstand doch von jeder selbständigen Territorialherrschaft fern zu halten vermochte, gelang es im deutschen Reiche nach dem Unter- gange der Hohenstaufen nicht mehr, die schon seit den salischen Kaisern völlig zerrüttete Einheit der Staatsgewalt herzustellen. Es bestand neben den Reichsfürsten eine bunte Menge grosser und kleiner Territorialherren, welche unter der nominellen Oberhoheit des Reiches Souveränität über ihr Gebiet beanspruchten und übten. Die ursprünglich nur wirthscliaftlich gedachte Landvergabung hatte diesen Charakter völlig verloren. Aus den Besitzungen der Grundherren waren kleine Staaten geworden, die durchaus unfähig blieben, den An- sprüchen an ein Staatswesen zu genügen. Erst die Reformationszeit brachte die Neugestaltung des modernen Staates'^) mit seinen For- •) Bd. II, S. 637. =*) II, 638. ') II, 646. ", II, 647. XIII. 2. Verinuthungt'U übiT die Vorzeit. 675 deruugen an Organisation, Gesetzgebung und Wohlfahrtspolitik. Mit seinem Beginn verknüpfte sich in überraschender Weise die Wandlung des ritterlichen Besitzes, au.s einer Herrschaft über die Kleinwh-thschaft zinspflichtiger Bauern in die Form der auf grossen Gutsflächen für eigene Rechnung mit starkem Inventar und einer Stufenfolge von Lohnarbeitern betriebenen Grosswirthschaft. Wie a])cr dieser deutsche moderne Staat seine ersten Keime auf den Kolonialgebieten in Meissen, Brandenburg, Oesterreich und Böhmen gefunden hat, so ist auch der Ursprung der Grosswirth- schaft auf den seit dem 13. Jahrhundert in die Hände deutscher Ritter gelangenden vorher slawischen Grundbesitzungen zu erkennen. Diese Grosswirthscliaft ist eine deutsche Entwickelung. Frankreich und England kennen sie kaum, und haben sie erst in der neusten Zeit überkommen. Der arbeitsame und ehrenfeste Kleinl)etrieb der deutschen Bauern aber hat aus sich selbst keine irgend wesentlichen Fortschritte zu erreichen vermocht. Was seit dem vorigen Jahr- hundert auch bei ihm an Verbesserungen durchgeführt wurde, ist nachweisbar auf die im Grossbetriebe erworbene landwirthschaftliche Erkenntniss und Anregung zurückzuführen. Dadurch ist ausgesprochen, dass die Aufgabe, die weitere Ent- wickelung des mittelalterlichen Agrarwesens bis zur Gegenwart und seine Aussichten für die Zukunft zu untersuchen, erst durch die Dar- stellung der deutschen Kolonisation des Ostens und des von ihr aus- gehenden Grosswirthschaftsbetriebcs zu erfüllen versucht werden Ivann. 2. Vermuthungen über die Vorzeit. Wenn sicli erwarten Hess, für die geschichtlichen Zeiten des Mittel- alters ein festes, hinreichend beweisfähiges Bild zu erreichen, so war doch schon im Eingange der Darstellung nur als Wunsch und Hoff- nung hingestellt worden, auch erweiterte Gesichtspunkte für die ältesten, vor die Zeit der beglaubigten Zeugnisse fallenden Zustände und Vor- gänge zu gewinnen. Indess bUeben gewisse Hinweise auf die Vorzeit und Ver- knüpfungen der vorgefundenen Thatsachen mit den l)estohenden An- schauungen ül)er deren muthmassliche Anfänge und Voraussetzungen wegen des Gedankenzusammenhanges unvermeidlich. Sie finden sich deshalb theils in die Darstellung verflochten, theils, soweit es erforder- lich schien, in besonderen Anlagen ausgeführt. Die geologisch, ethnologisch und anthropologisch bekannten ur- 43* G76 XIII. 2. Vermuthungen über die Vorzeit. sprünglichen Verhältnisse der Bewohnbarkeit Europas, die frühesten Wunderungen nördlich der Alpen, auch gewisse, noch der Vorzeit angehörige Anfänge der Nutzung des Landes, und die Entwickelung des durch Gräber und andere Kulturreste erläuterten ältesten Haus- baues durften nicht völlig unerwähnt bleiben, weil ihre näheren Be- ziehungen zu der ersten Besiedelung unzweifelhaft sind. Dabei Hessen sich indess der Natur der Sache nach weder Vermuthungen ver- meiden, noch war es thunlich, die vielen sich entgegenstehenden Meinungen eingehend zu erörtern. Es konnte nur darauf ankommen, das nach den Gesammtverhältnissen Wahrscheinlichste mit seinen Gründen zu bezeichnen, und zu zeigen, dass das erlangte Bild keinen Widerspruch enthalte. Die im Sinne eines solchen Zusammenhanges festgehalteneu Auf- fassungen der Urgeschichte bedürfen nur weniger Bemerkungen. Bezüglich der Eiszeit^), welche mit ihren nächsten Folgen mehr als in jedem anderen Theile der Welt, in Europa nördlich der Alpen, den Vorstellungen über das erste Auftreten der Kultur erwünschten Anhalt gewährt, ist angenommen worden, dass die Vergletscherung zwar keineswegs das gesammte Land bedeckte, aber doch von hin- reichender Einwirkung war, um mit der früheren Flora and Fauna auch den Menschen, falls er bereits hier lebte, zu vernichten oder zu vertreiben, dass also alle in diesen Ländergebieten auftretenden Völker als eingewandert betrachtet werden müssen. Zwischen der von der Höhe der Kiölen in ungefähr gleichem Gefälle bis nach Charkow im Osten und nach Geldern und Schottland im Westen aus- gebreiteten, vor den Hängen der deutschen Mittelgebirge hoch auf- gestauten zusammenhängenden Eisdecke und den sehr bedeutenden Gletschermassen der Alpen und Pyrenäen sind allerdings bisher Spuren von einer entsprechenden Vereisung der Mittelgebirge nur ziemlich beschränkt aufgefunden. Indess steht nicht hinreichend fest, ob diese erkennbaren Spuren nicht lediglich der zweiten oder dritten unbestritten schwächeren Vergletscherung angehören, und die Wirkungen der ersten durch die mehrmalige Bedeckung und Abschmel- zung, durch ihren Einfluss auf die blossgelegten Gesteine und durch die folgenden Ein- und Abschwemmungen verwischt sind. Aber selbst J. Bartsch, der nach seinen sorgfältigen Untersuchungen über »die Vergletscherung des Riesengebirges« (in Kirchhoffs Forschungen •) Bd. I, S. 2, 242, 446, III, 96 Anl. 28, Neumayr, Erdgeschichte, Leipzig 1887, A. Meitzen, der Boden und die Uiudw. Verh. d. preuss. Staats, Bd. V, 174. XIII. 3. Vermuthiingen über die Vorzeit. 677 zur deutschen Landes- und Volkskunde Bd. VIII, Heft 2, Stuttgart 1894, S. 186) die Ausdehnung der Vereisung gegenüber anderen Auffassungen am meisten beschränkt, setzt das früheste Erscheinen der Menschen erst nach der Periode der grossen Eiszeit. Unbestritten sind indess die ersten Einwanderer noch tief im Süden mit den Polarthieren zusammengetrofien, wie durch die Hölilen- funde im Garonnegebiet und durch die ältesten Pfahlbaue der Schweiz bekundet ist^). Der Gang der Zuwanderung aber ist aus klimatischen und ethnologischen Gründen von zwei Seiten her anzunehmen. Der Westen musste zuerst zugänglich werden und eröffnete an- scheinend afrikanischen Völkern über Spanien und Italien den Weg, wäh- rend Afrika den Druck des sich steigernden Wüstenklimas empfand ^). Die Dolmen und die Pfahlbaue zeigen, dass diese südlichen Ein- wanderer, vielleicht Iberer und Ligurer, in der Kultur verschieden waren. Die einen scheinen vom Hochlande, die anderen aus Niede- rungen zu stammen. In der Sesshaftigkeit aber stimmten sie überein. Die Erbauer der Pfahlbaue übten schon in der Zeit der Polarthiere ihren noth wendig aus dem Süden mitgebrachten Ackerbau^). Für die zweite Richtung der Einwanderung, von Osten her, ist eine so frühe Zeit weder nachgewiesen noch wahrscheinlich. Alle Umstände weisen auf die Finnen als den ältesten östlichen Zuzug hin^). Soweit die Geschichte zurückreicht, werden sie am Altai gefunden, und von ihm aus bilden sie östlich und westlich bis zum Eismeer hin von jeher das äusserste Polar volk. Zur Eiszeit war der Altai grösstentheils eisfrei. Auch auf dem Thian-schan sind nur sehr geringe Gletscherspuren gefunden. Die Luft ist hier zu trocken, um Gletscherbildungen zuzulassen. Dabei musste in damaliger Zeit Turkestan je mehr nach Süden hin, desto günstigere Lebensbedingungen bieten. Das kaspische Meer und der Aralsee waren noch nicht durch Verdunstung eingeschränkt, die Zuflüsse noch flacher ein- geschnitten. Feuchtigkeit im Boden und einige Grade niedrigere Temperatur vermochten das Land mit reicher Vegetation zu bedecken. Nach der Eiszeit wurde es wüster, der Norden aber erst spät wohn- licher. Züge der Finnen sind entsprechend schon in früher Zeit bekannt. Einer ihrer Vorstösse ging nach dem Euphrat. Als Akkadier oder Summerier hatten sie hier das schriftenkundige Sippara bis in späte babylonische Zeit inne. Andere Finnenstämme nehmen noch heut das Wolga- und Kamagebiet von Samara nordwärts ein. Weitere ') Bd. I, S. 242, ni, 96. =) ITT, 103. ^ I, 242, IH, 97, 595. *) II, 164, Hl, 106. 678 XIII. 2. Verrauthungen über die Vorzeit. Züge können nicht füglich einen anderen Weg genommen haben, als von der Wolga nach den podolischen und norddeutschen Ebenen zur cymbrischen Halbinsel und nach Skandinavien. Sie kamen so auf demselben Breitengrade in immer günstigeres Klima und bessere Jagd- und Weidegründe. In Deutschland kennt sie wenigstens noch die Sage, in Skandinavien die beglaubigte Geschichte. Akkadier, Wolgafinnen und Lappen sollen sich in ihren Dialekten am nächsten stehen. Die nördlichen Finnen haben sich vom Irtysch nach Sibirien und nach Wiätka ausgebreitet, und erst im 6. und 7. Jahrhundert nach Chr. sind ihre westlichsten Stämme vom Onegasee nach Finn- land und Esthland vorgedrungen. Ueber die Zeiten der älteren finnischen Wanderungen lässt sich nur sagen, dass für die fabel- haften Zahlen, mit denen Sippara bei Berosus erscheint (Berosi und Abyd. fragm. 1. ed. Müller), ein Schlüssel noch nicht gefunden ist. Aber die Akkadier rücken mit den bereits bekannten babylonischen Königen mindestens in das 5. Jahrtausend vor Chr. hinauf. (Winkler, Geschichte Babyloniens und Assyriens, S. 37.) Entwickelung und Wanderung der In doger man en gehört, wie es scheint, erheblich späterer Zeit als die der südlichen Finnen an. Anhaltspunkte für Zeitbestimmungen sind für sie nur höchst unge- nügend zu gewinnen. Das Anschaulichste, was sich über die Indo- germanen beibringen lässt, ist ihr Parallelismus mit den Chinesen. Soweit die Geschichte zurückreicht, theilte sich die ungeheure centralasiatische Steppe, wie um 750 v. Chr. Aristaeos (Herodot, IV, 24) berichtet, in das arische Issedon scythica und das von kahlköpfigen, plattnasigen Menschen bewohnte Issedon serica. Die Chinesen hatten hier im 4. Jahrtausend vor Chr. noch in dem ausgedehnten Gebiet von Khotan an der Kwen-lun-Kette gesessen ^) und dort, wahrscheinlich von Babylon her, mancherlei astronomische und andere Kenntnisse erlangt^). Dass sie sich aber im 3. Jahrtausend als Sieger und Herrscher über einen grossen Theil Ostasiens bis an die Küsten des Gelben Meeres ausbreiten konnten, das lässt sich nicht besonderer •) Ferd. Fhr. v. Richthofen, China, Berlin 1877, Bd. I, 403—425. ^) Schon die eigene Aufstellung und Benennung der Mondstationen durch die Chinesen ist, wie v. Richthofen I, 404 zeigt, höchst zweifelhaft. Die Untersuchungen von W. D. Withney, The lunar Zodiac of India, Arabia and China (in Oriental and linguistic studies IT ser. Cambridge 1874, S. 341 — 421) führen dahin, dass die Uebereinstimmung in Eintheilung und Benennungen des Mondzodiakus aller dieser Völker verschiedenen Ursprung und verschiedene Zeit der Entstehung ausschliessen. Auch setzte die Entwickelung des Sonnenjahres von 360 Tagen bei den Chaldäern nicht nur die Kenntniss, sondern anscheinend, wie bei den Aegyptern, auch den älteren XIII. 2. Vevmuthungen über die Vorzeit. 679 Bildung, sondern nur dem Charakter zuschreiben, den sie in ihrem liarten Nomadenleben gewonnen hatten. Die extremen Gegensätze und steten Gefahren der Hochsteppennatm* forderten von jedem Einzelnen ebenso rauhe Ausdauer und tapfere , selbständige Ent- schlüsse, wie politische Einsicht und sichere Fügsamkeit unter die das Weidewesen ordnenden Chane. Westlich von Khotan lebten, worauf alle Anzeichen zurückgehen, stets arische Stämme, deren Reste noch in der Gegenwart in Jarkand und auf dem Pamir bestehen ^). Ihre Rasse wurde als die der Pferde- nasen sicher von der der Mongolen unterschieden. So wenig wie für die Chinesen ist aber für die Indogermanen irgendwie denkbar, dass sie auf diesem rauhen und öden, jeder Frucht entbehrenden Hochlande als Autoch tonen entstanden. Diese charakteristischen Rassengegensätze konnten sich nicht in derselben auf hunderttausende von Quadratmeilen gleichen Oertlichkeit erzeugen, deren Bodengestalt und Klima, wie die Höhe der Lössablagerungen beweist, seit vielen Myriaden von Sommern dieselben geblieben sind^). Beide bis heut unveränderten Rassen- Gebrauch des Mondjahres voraus, der sich weit verbreiten konnte. Man kann aber von den Mondhäusern ganz absehen. Die Frage nach den astronomischen Kenntnissen der Chinesen hat ihr Hauptinteresse darin, ob man genöthigt ist, anzunehmen, dass sie durch sehr lange Zeiträume und schon ehe sie Khotan verliessen, durch eigene Beobachtungen den Turnus der Finsternisse erkannten und selbständig dieselben Cyklen der Zeitrechnung aufstellten, die bei den Chaldäern angetroffen werden. Wenn sich bei der wahrscheinlichen Ueberlieferung von den Chaldäern auch einige Unterschiede zwischen Chaldäa und Khotan geltend machen mussten, so konnte der einmal übertragene ein- fache Schlüssel doch in wenigen Jahrhunderten genau berichtigt werden. ') Spiegel, Eranische Alterthumskunde, Bd. I, Leipzig 1871, S. 339. =') F. Fh. V. Richthofen, China, Bd. I, S. 96, 117. A. v. Middendorff, Ferghana, 1881, S. 87. Daraus kann kein Einwand genommen werden, dass nicht sicher ist, ob das Urvolk der Chinesen in Khotan als eigentliche Mongolen im heutigen Sinne des Wortes zu bezeichnen sei, es kommt nur darauf an, ob sie zur mongolischen Rasse gehörten, und in ihrem Rassencharakter den Ariern ausgeprägt gegenüberstanden. Dies aber ist, wie von Richthofen (I, 48, n.) nachweist, ganz bestimmt bekundet. Aller- dings verliess die Hauptmasse der chinesischen Bevölkerung schon im 3. Jahrtausend vor Chr. Khotan und drang durch das Thal des Wei in immer weiterer Ausbreitung zum unteren Hoang-ho, zum Jang-tse-Kiang und bis zum Gelben Meere vor. Aber im Yü-kung werden innerhalb der Provinzen des Reiches unter den neun Hauptströmen noch der Yo-schui oder Khotanstrora, der im Sande verläuft, und der westlichere Hc'i-schui, der zum Südmeere fliessen soll, beschrieben. Dies war nur noch um 2300 vor Chr. möglich, denn nicht lange darauf ging alle Verbindung mit diesen Theilen Centralasiens verloren, und sie wurden erst wieder durch Heereszüge im 5. und 6. Jahrhundert nach Chr. aufgefunden. Aus diesen Kriegszügen lautet nun der Be- richt dahin, dass in Yü-tun, das hier zum erstenmal Khotan genannt wird, von den 680 XIII. 2. Vermutliungen über die Vorzeit. bildungen müssen auf weit verschiedenen, uralten und für die Lebens- haltung günstig ausgestatteten Rassengebieten entwickelt sein. Erst sehr spät können Vcilkersplitter unter durchaus zwingenden Umständen, wegen Kriegsgefahr und Noth, und bereits ausgerüstet mit einigen Hülfs- raitteln des Daseins, dazu veranlasst worden sein, sich in diese höchst unwirthliche, durch tägliche Schwankungen des extremen Klimas gefahr- volle und kaum erträgliche Natur zu begeben, und dort ihr Leben zu fristen. Deshalb ist auch klar, dass nicht die Anlagen beider völlig ver- schiedenen Rassen, sondern die gleichen Anforderungen eines solchen streng erziehenden Lebens diese Völker in gleicherweise zu Nerven- und Willenskraft, Todesverachtung und opferfreudiger, einmüthiger Tapfer- keit und damit zu Siegern und Kulturbringern für beide Theile der bekannten Welt, für Asien und Europa, erhoben. Aus den schwersten Bedingungen des Daseins, in die sie sich fügsam eingelebt, gingen sie, als sie erstarkt waren, und die von der fortschreitenden Wüste bedrohte Heimath trotz ihrer ungeheuren Ausdehnung für den Nachwuchs zu eng wurde, unüberwindlich nach Ost und West und gestalteten weite Länder nach ihrer Ideenwelt um^). Dies ist der Hauptgrund, weshalb es vergeblich scheint, nach einer anderen Oertlichkeit für die Entwickelung der Lidogermanen zu suchen, als das westliche Centralasien mit den Gebirgen und Thälern des Hindukusch. Auch die Sagen der Inder und die in ihren Götternamen und Liedern enthaltenen Beschreibungen der Himmelserscheinungen weisen auf ihr Herabsteigen von den nördlichen Hochgebirgen hin. Dies stimmt nicht mit der Lage Armeniens, welches ähnliche Verhältnisse bieten könnte, für solche Völkerentwickelung aber auch viel zu klein ist. Jedes von dort fortwandernde Volk würde überdies schon vor dem 4. Jahrtausend auf eine erheblich vor- geschrittenere Bevölkerung gestossen sein, welche die Zuwanderer entweder besiegte und zu Sklaven machte, oder wenn sie besiegt wurde, den Siegern Mittel bot, sich wie die Akkadier als ihre Herren festzusetzen. Völkerzüge von Süden über Baku und die kaspische Salzsteppe nach Skythien sind nach der Natur des Landes ebenso undenkbar, wie ein Ursitz der Arier in den ungangbaren Pripetsümpfen (s. Bd. II, S. 141), welchen Th. Poesche^') wegen der Albinos vermuthet. Chinesen die eigenen Stammverwandten vorgefunden worden seien, dass dagegen alle Völker von Khotan im Westen tiefliegende Augen und vorstehende Nasen hatten, und weder Höflichkeit noch Gerechtigkeit kannten. Abel Remusat, histoire de la ville de Khotan, Paris 1820, S. 20, 29. ') Bd. I, S. 2. ^ Die Arier, Jena 1878, S. 67. XIII. 2. Vorimithungen über die Vorzeit. (581 In der fruchtharen Mitte Russlands können die Wanderzüge der Indogermanen zwar längere oder kürzere Zeit verweilt haben, wie die Slawen sie dauernd in Beschlag nahmen, da aber die Noth- wendigkeit einer anfänglich einheitlichen Heimath aller Arier unlic- stritten und sprachlich völlig gesichert ist, würden für diese Heimath in der Russischen Ebene sowohl die von jeher gletscherfreien Flächen, als die für Centralasien angegebenen Bedingungen fehlen, es müsste auch angenommen werden, dass die verschiedenen arischen Stämme von hier aus nach Centralasien, Persien und Indien gezogen seien. Nun ist zwar leicht denkbar, dass um 5000 oder später die Arier vom Hindukusch über den südlichen Ural und Russland nach Westeuropa gelangen konnten, weil sie kein anderes Hemmniss als die Nomadenstämme der Finnen zu beseitigen hatten. Der grade Weg von Mittelrussland nach Persien und Indien würde dagegen in der uralten und kultivirten Bevölkerung und in den Verschiedenheiten und Gefahren des Weges für Nomaden unüberwindliche Schwierigkeiten geboten haben ^). Indess es kommt für die Auffassung der arischen Wanderungen in Europa auf dem Kulturgebiete nördlich der Alpen wenig in Be- tracht, ob als Ausgangspunkt derselben der Hindukusch oder west- licher belegene Landstrecken angenommen werden. Jedenfalls mussten die mittelrussischen Steppen von allen diesen Völkerzügen berührt werden. Zugleich sind diese Wanderungen in ihren näheren Umständen nur als Züge von Nomaden mit allen den Bedingungen zu denken, welche das Vorschieben zahlreicher Heerden, ihre Ernährung, Be- wachung und tägliche Benutzung erfordern. Es ist deshalb die Erklärung der Hundertschaften als Weidegenossenschaften von je ungefähr 1000 Seelen für ihre Bedürfnisse die nächsthegende ^). — Mit diesem Herankommen aus Osten erhält die Reihenfolge der arischen Wanderungen eine feste Grundlage in den geographischen Verhältnissen. Sie wird durch die nähere oder entferntere Sprach- verwandtschaft der Stämme und durch die Erinnerungen in den Fluss- und Bergnamen, welche für Nomaden besondere Sicherheit und Dauer haben, bestätigt^). Deshalb ist für das Gesammtbild zur Voraussetzung genommen worden, dass die Wanderung der Kelten, als die erste und unbehinderte, von Russland, v>^ie die durchweg keltischen Flussnamen l)ekunden, Donau aufwärts und Rhein abwärts ging. Die der Germanen führte nördlich der Karpathen in das ebene Ostseegebiet '^). Möglich ist, dass ostgermanische ') Bd. I, S. 144 ^ T, 140. ^ T, 235. *) I, 379. 632 XIII. 2. VerrauthungcMi ül)t'r die Vorzeit. Stämme auch über die Südküste Finnlands, nicht lediglich über die dänischen Inseln nach Skandinavien gelangten^). Die Italer zogen, wie anzunehmen, längs der untern Donau und der Sawe nach Umbrien in die Sitze der Ligurer. Die Griechen wandten sich bereits östlicher durch Thrazien in die Ebenen und Gebirgsthäler älterer Mittelraeer- völker. Ihnen folgten an den Küsten des Pontus die Skythen. Im Norden setzten sich die Lithauer^) hinter der Sumpf Knie Peipus, Düna, Beresina, Pripet, Bug, Narew bis zur Ostsee fest. Endlich füllten die eigentlichen Slawen^) die Lücke zwischen den Pripetmooren und den Karpathen und weiter die Podolischen Ebenen bis zu den Gebieten der Finnen und Skythen. In welchen Zeiträumen sich diese Wanderungen gefolgt sind, und wie lange der einzelne Volksstamm bedurfte, um von fernher bis in seine späteren Sitze zu gelangen, ist nicht festzustellen. Sitte und Lebensweise konnten sich in der Heimath der Arier nicht ändern. Die Gleichartigkeit der Jurten und Grabstätten, so lange das Noraadenthum dauerte, ist nachweisbar^). Leichter wandelbar sind Sprachgebrauch und religiöse Anschauungen. Im wesentlichen wird anzunehmen sein, dass alle Verschiedenheiten, die mit der Zeit ])ei den einzelnen Volksstämmen geltend geworden sind, durch Iso- lirung, durch den Einfluss der veränderten Oertlichkeit und durch neue Bedürfnisse eintraten. Ganz allgemein halten Nomaden an ihren her- kömmlichen Gebräuchen und Anschauungen äusserst fest. Indess reizen, wie vielfach zu zeigen war, bisher unbekannte Gegenstände, die als staunenswerth, oder heilig, oder als besonders nutzbar er- scheinen, leicht zur Nachahmung, werden von Volk zu Volk über- tragen und selbst in fremdartiger Weise weiter entwickelt^). — Unter diesen Gesichtspunkten ercheinen auch die ersten Ideen und Vorgänge der Ansiedelung in bestimmterem Lichte. Obgleich das Nomadendasein aller dieser Wandervölker überein- stimmte und übereinstimmen musste, führte doch jedes derselben die feste Ansiedelung unter besonderen Anschauungen und auf eigene Weise durch, und zwar war die Siedelung zwischen Kelten''), Slawen^) und Germanen*) wesentlich verschieden, innerhalb des einzelnen Volkes aber überraschend gloicliartig. Auch nahm die Siedelungsweise in jeder dieser drei Nationen von Anfang an einen dauernden Cha- ') Bd. ]I, S. 179, 485. 2) II 139. 3^ n, 145. ») m^ \01, Anl 28. ') III, 101, 28. ») I, 177, II, 53, 23-27, 69—73, 87—93. ') II, 219, 248, 390, 97, 106, 123. *) I, 151, 168, II, 109, 495, 5-19, 37-48, 95, 96, 141-143. XIII. 2. Vermuthungen über die Vorzeit. 683 rakter als bestimmte, volksthümliche Sitte an. Aus den bis auf die Gegenwart fortbestehenden agrarischen Thatsachen hat sieh mit Sicherheit festgestellt, dass gerade die Hauptverschiedenheiten der Anlage der Wohnsitze und der Einthoilung des Anbaulandes auf jede Art der Bodengestaltung und der Bodenbeschaffenheit, auf Berg und Ebene, auf fruchtbares und unfruchtbares Land, übertragen worden sind, dass .sie also in keiner Weise auf der Oertlichkeit beruhen. Viel- mehr erweist sich, dass die Unterschiede unmittelbar durch Ge- müthsanlage und Rechtsanschauungen bedingt wurden. Sie waren bei den Kelten im wesentlichen durch die Auffassung von der Stellung des Geschlechtshcäuptlings, bei den Slawen von der des Familien- hauptes, und bei den Germanen von der jedes einzelnen Volks- genossen gegeben. Bei den Kelten kann die Art der festen Siedelung durch die Häupt- linge der Clane nur im Sinne ihrer väterlichen Gewalt über alle Clan- mitglieder angeordnet worden sein^). Die entstandene Theilung in Einzelhöfe und Kämpe ist wirthschaftlich sehr zweckmässig, aber sie war nicht völlig gerecht durchzuführen. Bei den Slawen^) entwickelte sich die Theilung der Flur aus der väterUchen Gewalt des Familienhauptes, der, im Sinne des vollen Kommunismus der Familie, über den Besitz derselben so lange ver- fügt, bis sich diese wegen der Unmöglichkeit weiter gemeinsam hauszuhalten in mehrere kommunistische Familien unter besonderen väterlichen Leitern theilen muss. Traten die Theilungen selten ein, so bestanden die Hauskommunionen gut, häuften sie sich, so führten sie zu Ungleichheit, Verarmung und starker Parzellirung. Die Art der Ausführung aber bedurfte ebenso wie die keltische des Macht- spruches. Bei den Germanen dagegen sind ursprünglich nur politische Ge- meinden gleichberechtigter freier Familienväter bekannt, welche als Gesammtheit des Gaues oder der Hundertschaft ihre Streitigkeiten unter Leitung eines gewählten Richters nach ihrem Rechtsbewusstsein durch Beschlüsse entschieden, wirthschaftliche Fragen aber nach Her- kommen oder Vertrag feststellten^). Demgemäss konnte auch die feste Ansiedelung auf dem bisher nomadisch durch Weidegenossenschaften genutzten Lande des Gaues oder der Hundertschaft nicht befohlen werden, sondern nur durch Vertrag entstehen. Denjenigen aus den ') Bd. I, S. 175, 197, II, 77, 90, 392. ') II, 213, 261, 269. ^ I, 61, 153, II, 495, 531. ^ I, 138, 151, (584 XITI. 2. Vermuthungon über die Vorzeit. Volksgenossen, welche der Uebervölkerung wegen forderten, oder sich dazu verstanden, an Stelle des altgewohnten bewegten Hirtenlebens dauernd zu der verhassten und bis dabin für knechtisch geachteten Ackerarbeit überzugehen'*), musste das nöthige Land mit mehr oder weniger Nebennutzungen vertragsweise in dem gemeinsam verbleiben- den Volkslande zugewiesen werden. Dies lag im öffentlichen Rechts- zustande. Zwang oder Streit hätte zu blutigem Bürgerkriege geführt, bei dem die wohldurchdachten Neuschöpfungen unausführbar gewesen wären. Dass diese Landzuweisung gruppenweise an je 10 bis 30, und vorzugsweise an unter einander verwandte Vertragsgenossen geschah, beruhte auf Anschauungen von Zweckmässigheit, und auf Neigung zu geselligem Leben ^). Das Land wurde ihnen in festen Grenzen zum ausschliesslichen Besitz überwiesen, den Genossen selbst aber blieb überlassen, sich darein zu theilen. Sie thaten dies in der geschil- derten Weise der Hufen und Gewanne. Jede Hufe bekam gleichviel Landstücke von gleicher Grösse, Güte und Entfernung, in gleichem Gemenge und übereinstimmend unter Flurzwang zu bewirthschaften^). Dies Verfahren war völlig gerecht und streitfrei, und wurde allgemeine volkthümliche Forderung. Daraus ergiebt sich, dass bei allen drei Nationen der Beginn derSiedelung den gemeinsamen Besitz einer bestimmten, ausschliess- lich den an ihr Berechtigten zustehenden Flur voraussetzt, auch wenn diesen Genossen ausserhalb ihres besonderen Gebietes noch Nutzungen auf Volks-, Königs- oder Markenländereien zuständig blieben. Die Gesammtheit des Clans ist gemeinsamer Besitzer des Clan- gebietes, obwohl der Clanhäuptling darüber verfügt. Die slawische Hauskommunion besitzt ihr gesammtes kommunistisch bewirthschaftetes Areal gemeinsam, und den germanischen Hufenbauern muss die ihnen überwiesene Gemarkung nothwendig so lange gemeinschafthch ge- hören, bis sie dieselbe getheilt haben ^). Es ist auch unzweifelhaft, dass von allen diesen ursprünglich im Gemeinbesitz befindlichen Ländereien ein oft erheblicher Theil dauernd geraeinsam blieb. Bei der An- weisung des Anbaulandes an die Clanmitglieder konnten AVälder, Haiden und Brüche im Clangebiete zur Verthcilung ungeeignet sein, deren Besitz und Nutzung zwar zur Verfügung des Häuptlings stand, aber doch gemeinsam war^). Dasselbe konnte geschehen, wenn die slawische Hauskommunion in mehrere zerfallen musste, und jede '; Bd. T, S. 73, 155, 160. ■) I, 74, 83, 106. ^ I, 160. '') I, 193, 203. XIII. 2. VeimuthuiigeD über die Vorzeit. 685 ihren verhältnissmässigon Antheil aus dem Kulturlande erhielt, Haide und Moor aber allen freigestellt wurde. Bei den germanischen Ge- wannfluren ist selbstverständlich, dass das Hufschlagland als eine fortschreitende Auftheilung der gemeinsamen Flur entstand, dass aber jederzeit die in derselben noch nicht aufgetheilten Ländereien als Almende nach gleichen Anrechten im gemeinsamen Besitz der Hufen verblieben '). Deshalb ist also der vielerörterte Gemeinbesitz überall zu finden inul kann nicht als eine agrarische Besonderheit betrachtet, oder in den Begriff' der sogenannten Feldgemeinschaft eingeschlossen werden. Unter der Feldgemeinschaft^) muss vielmehr ein Rechtszustand verstanden w^erden, nach welchem dem einzelnen Flurgenossen das ihm zukommende Land zwar zum Anbau zugetheilt wird, aber weder in sein Eigenthum noch in seinen dauernden Besitz tritt, sondern entweder jährlich oder in längeren Perioden nach dem Loose oder nach bestimmter Reihenfolge oder Anwartschaft wechselnd auf einen anderen Genossen übergeht. Solche agrarische Einrichtungen, welche Anlage 151 näher be- handelt, sind bei den Iren und Walen und auch bei den schottischen Crofters^) als Runridge^) gefunden. Bei den Slawen gehört dahin der Mir^), bei den Finnen die Schwendländereien'^). Auf westger- manischen Fluren haben sie sich als eine nicht seltene Art der Wiesentheilung, als Anwartschaften auf Almendenutzung und als Ge- höferschaften^), bei den Ostgermanen endlich bei der Ansetzung von Almendebauern ^), bei der Theilung von Bauerhöfen, und bei Kolonien, wie die auf der Lisel Runoe, vorgefunden. Aber von allen diesen Beispielen der Feldgemeinschaft entspricht keines dem kulturgeschichtlichen Sinne, an welchen sich das all- gemeine wissenschaftliche Interesse geknüpft hat. Keines derselben giebt hinreichenden Anhalt dafür, dass es mit der ursprünglichen Wirthschaftsgestaltung bei der ersten Ansiedelung im Zusammen- hange stand. Allerdings hat die nähere Untersuchung in Anlage 151 gezeigt, dass bei einigen Völkern, wie bei den Joloffen in Senegambien, bei den Afghanen und namentlich bei den Ungarn^), theils bis zur Gegenwart, theils wenigstens lange Zeit nach der ersten Besitznahme der festen Wohnstätten, kein Privateigenthum oder dauernder Besitz '} Bd. I, S. 152, 160, 162. ^ III, 574, Anl. 151. ^ I, 211. ^) I, 195, 208, 215, 620, 27. •', I, 25, II, 181, 219, 97. ^) II, 185, III, 331. ') I, 163, 477, II, 602. «) II, 528, III, 543, 574, 579. ^) LI, 581. (380 XIII. 2. VenuutlmugC'U über die Vorzeit. an dem Anbaulande, sondern ein steter periodischer Wechsel Ijc- standen hat. Indess diese Fälle höchst primitiven Agrarwesens bilden, ganz abgesehen von den mitwirkenden, nicht völlig fest- gestellten Verhältnissen, allzu vereinzelte Erscheinungen, als dass auf sie die Voraussetzung gestützt werden könnte, es müsse bei allen Völkern auf den ersten stets vorhandenen Gemeinbesitz der Ansiedler, ehe festes Eigenthum eintrat, durch kürzere oder längere Zeit ein periodischer Besitzwechsel gefolgt sein. Auch das anscheinend bestimmte Zeugniss des Tacitus über einen solchen Agrarzustand bei der ersten Siedelung der Germanen lässt sich, selbst wenn die übliche Lesart anerkannt wird, weder als klar, noch als zutreffend beurtheilen^). Die Stellung der Vangionen, Nemeter und Triboker den Aeduern gegenüber^) beweist, dass diese Sueven Ariovists schon zu Caesars Zeit für die Ernährung ihrer Volkszahl ihr kleines Land mit Acker- fluren von der Ergiebigkeit derer bedeckt haben müssen, die sich dort als unverändert überkommen vorfinden. Wie weit man auch die Angaben Caesars über die Kopfzahl der Völker Galliens (o. Bd. I, S. 225) bezweifeln mag, so abweichend sind die Meinungen der Ausleger nicht, dass nicht den Aeduern allein, ganz abgesehen von den Sequanern und Mediomatricern, eine viel- fache Uebermacht zugeschrieben werden müsste, wenn die 3 deutschen Völkerschaften, wie o. Bd. I, S. 420 berechnet ist, als Nomaden nicht mehr wie 7200 Waffenfähige zählten. Sie konnten auch auf ihrem Kriegszuge grosse Heerden weder mitführen, noch den x\eduern weg- nehmen. Strabo erklärt ausdrücklich, dass Gallien überall angebaut war. Sporadische Ackerbestellung aber, wie sie o. Bd. ni, S. 581 für Ungarn beschrieben ist, würde keine grössere Volkszahl als das Hirten- leben ernährt haben. Auch lassen sich Gründe oder Vortheile irgend welcher provisorischer Zustände nicht einsehen. Sie konnten nur zu schädigenden Weiterungen und Streit führen. Die Ankömmlinge hatten sich mit ihren Angehörigen auf dem vorgefundenen Ackerlande einzurichten. Dafür gab es kein einfacheres, leichter fassliches und schneller und streitfreier durchzuführendes Verfahren, als die übliche Gewanneintheilung. Sie erst später einzuführen, nachdem sich die Anbauer schon in andere Besitzverhältnisse eingelebt, wäre, wie der Fortbestand der Einzelhöfe in Westfalen und am Niederrhein zeigt, wenn überhaupt möglich, jedenfalls sehr schwierig gewesen. Auch ') Bd. I, S. 586 ^) I, 419. XIII. 2. VtM'imitliuugüu über 167 Zeile 17 v. o. Vgl. Profess. Kihlmann in Helsingfors 1892, Studien über die Vegetation au der Polargrenze. 173 = 8 V. o. Vgl, Ignatius, Les peuples ünno-ugriennes, Journ. de la soci6t6 de statistiquc de Paris, 1885. 5 176 s 2 V. o. Vgl. auch All Iq vi st, Kulturwörter der westfinnischen Sprachen, 1847. « 177 ' 20 V. o. Die finnische Urbevölkerung Schwedens und Nor- wegens wird durch Hunderte von Ortsnamen be- zeugt. Auch südlicher erwähnt sie die Saga auf der dänischen Insel Lessoe an der jütischen Küste, Geijer, Gesch. v. Schweden I, 961. G. Haussen I, 7. Zwischen Wermeland und der norwegischen Grenze finden sich aber auch Finnen, welche um 1600 von der Regierung aus Finnland dorthin übergeführt wurden. 181 - 15 V. o. Statt der lies das. . 185 « 8 V. o. Statt Sjölen lies Sjölin. * 186 = 17 V. o. Statt Skorskifte lies Storskifte. = 187 * 9 V. o. Lies Om jordnaturerna. = 188 - 5 V. u. Statt Skattebördern lies Skatteböndern. = 188 » 2 V. u. Statt Frailsejard lies Fraelsejurd. '. 189 '- 9 und 29 v. o. Statt Sater lies Saeter. « 189 • 29 V. 0. Statt Knopio lies Kuopio. » 195 Note 3. Statt Castren lies Castr^n. « 212 Zeile 5 v. o. Statt Alquist lies Ahlqvist. Vgl. dazu die finn. Dissert. des Dr. J, Koskinnen, 1892, über die älteste gesell- schaftliche Ordnung des finnischen Volkes. s 238 = 17 v. u. Vgl. über die Gorod H. Zimmer, altindisches Leben, Berlin 1879, S. 146. * 241 » 4 v. o. Statt Lehns- lies Bcdeverzeichuiss. Abgedruckt in Beruh, v. Schönberg, Geschichte des Geschlechtes von Schönberg, Leipzig 1878, Bd. II, S. 252. . 259 • 19 V. o. Statt 253 lies 235. « 285 '- 20 V. u. Vgl. V. Schwind, Zur Entstehungsgeschichte der freien Erbleihen, Breslau 1891 (in Gierke's Untersuchungen zur deutschen Staats- u. Rechtsgeschichte, Heft 35), S. 91. ■• 288 « 14 V. 0. Statt pervulas lies parvulas. * 317 « 15 v. o. Vgl. v. Schwind a. a. 0. S. 45. - 320 . 15 V. o. Vgl. V. Schwind a. a. O. S. 31, 66. * 322 « 8 V. u. Statt zahlroiclien lies zahlreiche. Seite 332 Zeile 8 V. 0. . 336 . 340 • 18 V. u. . 399 « 20 V. 0. . 405 ' 19 V. 0. - 413 s 8 V. u. . 416 s 21 V. u. . 428 s 7 V. o. 698 >iacliträgti und l'crirlitigungeii zu Band II. Lies: mit ihrem Zehnt in Frisonofeld. Statt Fig. 86 lies Fig. 87. Statt ihrer lies der. Lies 20 .solche, oder 5 König.shufen. o. Vgl. V. Inama- Sternegg, Deutsche Wirthschaftsgesch. Bd. I, S. 238. Statt Fig. 87 lies Fig. 88. Statt Effelter lies Efleltern. Vgl. K. Lamprecht, Deutsches AVirthschaftsleben Bd.L S. 609-61Ü. 433 » 8 V. u. lieber die Erblichkeit der Güter der Milites seit Konrad IL vgl. v. Inama -Sternegg a. a. 0. Bd. II, S. 58—69, K. Lamprecht a. a. 0. Bd. I, S. 880. 436 * 4 V. u. Vgl. Anl. 128. Die Weiler um Meissen sind auf den Messtischblättern deutlich zu unterscheiden. 442 . 20 V. u. Vgl. Anl. 130 Duvenheim. 444 • 8 V. o. 1196 überlilsst das Moritzstift zu Hildesheim Flanderern Grundbesitz zur Ansiedelung und sagt (Döbener, Urkb. V. Hildesheim I, No. 29, S. 22): in his et aliis jus aliorum Flandrensium, qui morantur Brunswic vel circa Albim, prorsus sequi decreverunt advocati accedente consensu. Diese Erwähnung von Brunswic bezieht sich auf die um 1150 von Heinrich dem Löwen, wie danach anzunehmen, an Holländer vergebene Anlage von Hagen ("Warges, Die Gerichts- verfassung der Stadt Braunschweig, Marburg 1890). 448 Note Zeile 9 v. u. Statt XX lies XXX solidos. Vgl. Bd. III, S. 433. o. Statt 1154 lies 1550. u. Otto IL schätzt für einen Kriegszug eine ganze Reihe Kirchen nach Panzerreitern. Jaflf^, Bibl. V, 471. Vgl. V. Inama a. a. O. Bd. II, S. 137. 0. Statt Anl. 13i lies Anl. 135. u. Statt Branderup lies Bramdrup. u. Vgl. Güterverzeichnisse um 1200, bei Kromer, Origines Nassic. II, 236: agris dominicalibus, qui bundin di- cuntur, et mansis censualibus. u. Vgl. Dahlmann, Geschichte von Dänemark, Bd. I, S. 130. u. Vgl. culturae communes seit dem 13. Jahrhundert, Lamprecht I, 458. 639 • 2 V. o. lieber Auflösung der Frohuhöfe vgl. Lamprecht I, 767, 773, 947. 449 s 4 V. 456 ' 16 V. 479 , 21 V. 514 ;. 7 V. 590 c 8 V. 592 . 11 V. 612 = 6 V. nnick von E. Buchbinder in Neü-Riippiti. r G Q) C i Q) ti) -P CQ 0) Er (D Q) 73 4^-p 5§ H -P •H