Sitzungsberichte der königl. böhmischen - GEDELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN avi Era Jahrsans 13653. če 3 ji as, mn. Januar Juni. Pr: Sun S ER RI PRAG, 1863. ass pěn! Sitzungsberichte der königl. böhmischen (esellschaft der Wissenschaften tr I Tao. gJahrsans 1363. Januar — Juni. REEL a ——— PRAG Druck von Dr. E. Gregr. — Selbstverlag der Gesellschaft. 1863. Druckfehler: Seite 12 Zeile 12 von unten Grabstäten, lies: Grabstätten. " 18 20 49 52 64 » " 11 „ » den Mythus, lies: der Mythus. oben Dieste, lies: Dienste. n unten » PD] oben unten oben unten oben unten den letzten, lies: der letzten. ruthenischon, lies: ruthenischen. philosophische, lies: philologische. mit den, lies: mit dem Namen: Auge, lies: mAdore. mkAaga, lies: mARoTE. Kledonasora, lies: Kledonasorakel. Sprachweise, lies: Sprechweise. nur, lies: nie. dritten, lies: weitern. generum, lies: sexuum. A. Braun, lies: Ganterer. == _ o r jj M ko var Al # Jahresbericht fůr 1862, in der ordentlichen Sitzung der königl. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften am 7. Januar 1863 erstattet vom beständigen Secretär Dr. Wilhelm Rudolph Weitenweber. Königliche Gesellschaft der Wissenschaften ! Hochgeehrte Herrem ! Am Schlusse des Jahres glücklich wieder angelangt, beehre ich mich hiemit — bei der heute stattfindenden Eröffnung der ordentlichen Sitzungen für das Jahr 1863 — Ihnen den, durch unsere Geschäfts- ordnung mir zur Pflicht gemachten, gedrängten Jahresbericht zu er- statten, indem ich, wie alljährlich, auf das während des eben verflos- senen Jahres im Kreise unserer Gesellschaft Erlebte und Geleistete einen geschichtlichen Rückblick werfe. Der von mir seit den zehn Jahren meiner Amtsführung immer in den Jahresberichten beobachteten Anordnung gemäss, beginne ich zuvörderst mit den inneren Verhältnissen der Gesellschaft, ihrem in- neren Leben und Wirken. Was den Personalzustand anbelangt, so liesse sich die ebenso seltene als erfreuliche Bemerkung machen, dass im ganzen Verlaufe der letzten Jahresperiode kein Abgang stattge- funden hatte, indem der Tod uns kein Mitglied — weder aus der Reihe der einheimischen noch fremdländischen Mitglieder — geraubt hatte; — erst in den letzten zehn Tagen des Jahres verloren wir leider das auswärtige Mitglied, Hrn. Carl Kreil (gest. in Wien am 21. December) und das ausserordentliche Mitglied, Hrn. Josef Čejka Sitzungsberichte 1863. I 1 2 gest. in Prag am 25. December). Beiden geehrten Collegen sei ein wehmuthsvoller Nachruf geweiht! — Aber eben so negativ fällt der Bericht über einen etwaigen Zuwachs binnen des eben verflossenen Jahres aus; es wurde nämlich auch Niemand im Verlaufe des Jahres 1862 in den Verband der Ge- sellschaft neu aufgenommen. Auch das, durch den im April 1861 erfolgten Tod Sr. Excellenz des Herrn Grafen Franz Anton von Kolowrat-Liebsteinsky erledigt gewordene Ehrenamt des Gesell- schaftspräsidiums ist bisher unbesetzt geblieben, und dürften wir wohl im Laufe dieses Jahres zur Neuwahl schreiten. Nur einige Lokalveränderungen der Herren Mitglieder, wodurch den Statuten gemäss die Einreihung in eine andere Kategorie bedingt wurde, sind zu erwähnen. So ist das corresp. Mitglied, Hr. Dr. J. Pe- čírka, aus Blatna wieder zurückgekehrt und kam somit wieder in die Kategorie der ausserordentlichen Mitglieder zu setzen; dagegen wurde das bisherige ausserord. Mitglied, Hr. Franz Karlinski, zum Di- rector der k. Sternwarte in Krakau befördert , sowie das. bisherige ausserord. Mitglied, Hr. Franz Květ, einem Rufe als Lector der böhmischen Sprache an der Universität zu Warschau gefolgt ist, so dass beide Herren in die Kategorie der corresp. Mitglieder. einzureihen kamen. Die (Gesellschaft besteht demnach gegenwärtig aus 12 Ehren- miteliedern, 20 ordentlichen, 29 auswärtigen, 38 ausserordentlichen und 42 correspondirenden, daher im Ganzen aus 141 Mitgliedern. - Ich lasse nun das Verzeichniss der (pl. tit.) Herren. Mitglieder folgen: .. Präsident : (Vacat.) D. Z. Director: Wenzel Wladiwoj Tomek. Beständiger Secretär: Wilhelm Rudolph Weitenweber. Ehrenmitglieder : Carl Graf Chotek v. Chotkow und Wojnin, in Grosspriesen (1840). Joseph Mathias Graf v. Thun-Hohenstein, in Salzburg (1840). Joseph Ditmar Graf v. Nostiz-Rienek, in Dresden (1841). Eugen Graf Černín v. Chudenic, in Wien (1842). Leo. Graf v. Thun-Hohenstein, in Wien (1842). j Leopold Sacher-Masoch, Ritter von Kronenthal, in Graz (1852). Andreas Freiherr v. Baumgartner, in Wien (1852). Rudolf Graf v. Stillfried-Rattonitz, in Berlin (1857). Alexander Freiherr v. Bach, in Rom (1857). Carl Freiherr v. Mecséry, in Wien (1858). Leopold Felix Graf v. Thun-Hohenstein, in Prag (1858). Albert Graf v. Nostiz-Rienek, in Prag (1858). © Ordentliche Mitgheder: Franz Palacký (1830). Jacob Philipp Kulík (1832), Cassier der Gesellschaft.*) Johann Erasm. Wocel (1846). Wenzel Wladiwoj Tomek (1848). Joachim Barrande (1849). | Carl Jaromir Erben (1849). Carl Nap. Balling (1850). Johann Evang. Purkyně (1850). Wilhelm Matzka (1850). August Emanuel Reuss (1850). Vincenz Franz Kostelecký (1852). Ienaz Joh. Hanuš (1852), Bibliothekar der Gesellschaft. Wilhelm Rudolph Weitenweber (1853). Joseph Wenzig (1856). © C. A. Constantin Höfler (1856). Friedrich Rochleder (1857). Johann Heinrich Loewe (1859). Friedrich Stein (1859). | Martin Hattala (1861). Victor Pierre (1861). Auswärtige Mitglieder : Wilhelm Carl Haidinger in Wien (1829). Carl Christ. Rafn in Copenhagen (1830). Franz Xav. Max. Zippe in Wien (1832).**) Adam Ritter v. Burg in Wien (1833). Adolf Martin Pleischl in Wien (1834). Ferdinand Hessler in Wien (1838). Eduard v. Eichwald in St. Petersburg (1838). Carl Czórnig Freiherr v. Czernhausen in Wien (1840). *) Ist mittlerweile am 26. Februar 1. J. gestorben. **) Mittlerweile am 22. Februar L. J. gestorben. 1* 4 Johann August Grunert in Greifswald (1841). Georg Heinr. Pertz in Berlin (1843). Johann Friedr. Böhmer in Frankfurt a. M. (1843). Joseph Hyrtl in Wien (1845). | Joseph Redtenbacher in Wien (1845). Johann Lamont in München (1846). Carl Fritsch in Wien (1849). Joseph Alex. Freiherr von Helfert in Wien (1854). Adolf Lamb. J. Quetelet in Brüssel (1855). Heinrich Robert Göppert in Breslau (1855). Theodor Georg v. Karajan in Wien (1855). Franz Miklosich in Wien (1855). Peter Mar. Flourens in Paris (1856). Gideon Jan Verdam in Leyden (1857). Math. Font. Maury in Washington (1858). Ignaz Döllinger in München (1859). Justus Freiherr von Liebig in München (1859). Carl Friedr. Phil. v. Martius in München (1859). Gustav Köhler in Berlin (1859). Heinrich Wilh. Dove in Berlin (1859). Peter Ritter v. Chlumetzky in Brünn (1859). Ausserordentliche Mitglieder : August Wilh. Ambros (1859). Carl Amerling (1840). Friedrich Graf v. Berchtold (1850). Franz Sal. Bezděka (1850). Georg Bippart (1861). Joseph Georg Böhm (1853). Vincenz Alex. Bochdalek (1860). Johann Czermak (1851). Franz Cupr (1850). Franz Doucha (1850). Johann Nep. Ehrlich (1854). Anton Gindely (1855). Joseph Rob. Ritter v. Hasner (1855). Leopold Ritter v. Hasner (1855). Carl Jelinek (1848). Johann Jungmann (1850). Philipp Ladisl. Kodym (1850). Carl Fr. Eduard Kořistka (1855). Johann Krejčí (1850). Herrmann Freiherr v. Leonhardi (1850). Joseph Wilh. Lóschner (1855). Wenzel Bol. Nebeský (1848). Franz Anton Nickerl (1850). _ Johann Palacký (1858). Johann Friedr. Schulte (1856). Franz Šohaj (1850). Wenzel Stanisl. Staněk (1850). Carl Bol. Storch (1850). Wenzel Stule (1856). Heinrich v. Suchecki (1858). Johann Slav. Tomíček (1850). Wilhelm Fridolin Volkmann (1856). Carl Winařický (1859). Rudolph Constantin Graf v. Wratislav (1856). Jarosl. Anton Vrfätko (1854). Carl Vladislav Zap (1845). Wenzel Zelený (1860). Wenzel Zikmund (1861). Johann Zimmermann (1841). Correspondirende Mitglieder : Alexander D. Bache in Washington (1858). Anton Jaroslav Beck in Wien (1851). Gustav Biedermann in Bodenbach (1861). Theodor Brorsen in Senftenberg (1850). Georg Curtius in Kiel (1850). Christian d'Elvert in Brůnn (1853). Joseph Engel in Wien (1852). Franz Xav. Fieber in Chrudim (1846). Joseph Ginzel in Leitmeritz (1858). Michael Gloesener in Lůttich (1853). Jacob Fedor. Golowacki in Lemberg (1850). Gustav Heider in Wien (1851). 6 AL pe al Alexander Fedor. Hilferding in St. Petersburg (1860), | arřku Hermenegild Jireček in Wien (1858). Joseph Jireček in Wien (1858). Franz Karlinski in Krakau (1860). Matháus Klácel in Brůnn (1850). Adam Klodzinski in Lemberg (1850). Joseph Georg Kóhler in Olmůtz (1840). Friedrich Rud. Kolenatý in Brůnn (1848). Wenzel Adalb. Kuneš in Triest (1854). Franz Bol. Květ in Warschau (1859). Wilhelm Dušan Lambl in Charkov (1856). Joseph Leidy in Philadelphia (1860). August Le Jolis in Cherbourg (1858). Emanuel Liais d. Z. in Brasilien (1856). Franz Moigno in Paris (1856). John H. Nevmann in Birmingham (1859). Emil Franz Rössler in Sigmaringen (1845). Anton Rybička in Wien (1858). August Schleicher in Jena (1859). Adolph Schmidl in Wien (1854). Robert Shortred in Ostindien (1851). Adalbert Šafařík in Wien (1850). Alois Sembera in Wien (1850). Giuseppe Valentinelli in Venedig (1853). Wilhelm Vrolik in Amsterdanı (1853). Gustav Adolf Wolf in Lemberg (1840). Constantin Edl. v. Wurzbach in Wien (1858). James Wynne in New-York (1859). Gregor Zeithammer in Gratz (1849). Robert Zimmermann in Wien (1854). re rät Sr Was nun das in verflossenem Jahre 1862 nach Aussen kund gegebene, wissenschaftliche Leben und Wirken der königl. Gesellschaft betrifft. so kann man dasselbe für ein, nach Massgabe der ihr zu Gebote stehenden mässigen äusseren und materiellen Mittel wohl zufriedenstellendes erklären. Es hatten nämlich in diesem Jahre, nebst den zehn ordentlichen oder Geschäfts-Sitzungen , nicht weniger denn 7 dreissig wissenschaftliche oder Sections-Sitzungen stattgefunden, in welchen letzteren eine beträchtliche Anzahl von theils grösseren, theils kürzeren Vorträgen aus dem Gesammtgebiete der Wissenschaften ge- halten worden sind, über deren Werth und scientifische Bedeutung die durch den Druck veröffentlichten „Sitzungsberichte“ einen, wie ich glaube, immerhin erfreulichen Aufschluss geben dürften. : Ferner hat die Gesellschaft wiederum einen ziemlich umfangreichen XII. Band ihrer Denkschriften zu Ende gebracht, und ich erlaube mir hier nur die Titel der darin enthaltenen: Abhandlungen anzuführen: 1. Prager Synodalbeschlüsse (1353—1413) von Prof. C. Höfler. (23 Bogen.) 2. Rozbor filosofickych nahledü Tomy ze Štítného, podává J. Da- stich. (54 Bogen.) 3. O erbích, pečetích a znacích stavu kněžského v Čechách, od Rybičky. (4 Bogen mit 4 Tafeln.) 4. Příspěvky k neurčité analytice, od Vácslava Šimerky. (83 Bogen.) 5. O methodickém výkladu pověstí re Vypravuje J. J. Hanuš. (8 Bogen.) 6. Auflösung der Gleichungen des 2., 3. und 4. Grades u. s. W., von Joseph Machowetz (mit 1 Tafel). 7. Die römische Staatsverfassung zur Zeit der Könige, von Prof. G. Bippart (4 Bogen). Auch der mit anderen Akademien und gelehrten Vereinen des In- und Auslandes eingeleitete literarische Verkehr hat im J. 1862 wiederum eine grössere Ausdehnung gewonnen, so. dass die königl. Gesellschaft gegenwärtig bei den in neuerer Zeit so. erleichterten Communicationsmitteln, mit den meisten bedeutenderen, selbst über- seeischen Vereinen dieser Art in eine rege literarische Verbindung getreten ist und ein lebhafter Austausch der. gegenseitigen Druck- schriften stattfindet. Zum Belege dessen sind im Anhange zu den von der kónigl. Gesellschaft semesterweise veröffentlichten Berichten über die wissenschaftlichen Sectionsverhandlungen immer auch die im selben Monate bei der Gesellschaft eingelangten Bücher verzeichnet, und lässt sich aus diesen Verzeichnissen auch die Menge und Bedeutenheit der jedenfalls stattgefundenen Zuwächse für unsere Bibliothek. ersehen. Ich ergreife schliesslich diese Gelegenheit, um auch jenen geehrten 8 Herren, welche im eben verflossenen Jahre unsere Bibliothek mit der freundlichen Einsendung ihrer schätzbaren Druckschriften bedacht haben, im Namen der königl. Gesellschaft den ergebensten Dank aus- zusprechen. su Wenn wir zum Schlusse noch unsere ganz bescheidenen äusseren Mittel, so wie die inneren Kräfte und Verhältnisse im Vergleiche zu anderen reich dotirten Instituten des In- und Auslandes unbefangen erwägen, so können wir mit einiger Genugthuung auf unsere seitherige Wirksamkeit zurückblicken und dürfen uns wohl das Zeugniss geben, dass auch wir stets den Zweck unserer Vorgänger unverrückt vor Augen gehabt haben, auf dem unermesslichen Felde der Wissenschaft im Allgemeinen das Beste anzustreben und insbesondere die Kunde des engeren Vaterlandes nach Kräften zu fördern. — In diesem er- muthigenden Bewusstsein wird die Gesellschaft auf der bisher ver- folgten Bahn auch fernerhin fortwandeln und getrost einer besseren Zukunft entgegensehen , wo sie dann eine noch erfolgreichere Wirk- samkeit entfalten könnte. Philologische Section am 5. Januar 1863. Anwesend die Herren Mitglieder: Tomek, Erben, Weitenweber, Hanus, Bezdeka, Winaricky, Wrtätko und Zap; als Gast Hr. Prof. Tro- jansky aus Kasan. Hr. Erben las zwei Parthien aus seiner böhmischen Uebersetzung des ältesten russischen Chronisten Nestor. Der Vortragende hatte hiezu den Abschnitt über die Fürstin Olga gewählt, die in der Taufe den Namen Helena erhielt; ferner über die Bekehrung der Russen zum christlichen Glauben unter dem Fürsten Wladimir. Historische Section am 19. Januar 1863. Anwesend die Herren Mitglieder: Wocel, Erben, Weitenweber, Doucha, Winaricky und Graf Wratislaw; als Gäste die Herren Emler, Klemt, Patera und Prof. Petrovsky aus St. Petersburg. Herr Wocel hielt einen Vortrag über die ältesten in Böhmen vorkommenden Alterthumsobjeete und insbeson- dere über die Bedeutung der in den Gräbern vorhandenen Metallgegenstände, 9 Der Vortragende ging von der Ansicht aus, dass die Aufgabe des Forschers auf dem Gebiete der fernen Urzeit Böhmens in zwei Theile zerfalle. Der erste derselben beschränkt sich auf die Be- stimmung der Zeitschichten, aus welchen die aufgedeckten, von Stein und Metall verfertigten Objecte herrühren, worauf es dem Ge- schichtsforscher überlassen bleibt, zu bestimmen, welche Völkerschaften in den einzelnen von dem Archäologen ermittelten Zeitperioden die Heimatsstätte jener Alterthumsgegenstände bewohnt haben. Sodann schreitet der Archäolog an den zweiten Theil seiner Aufgabe, indem er die Ergebnisse der historischen Forschung mit den archäologischen Erfahrungen combinirt, um endlich die Resultate der historischen und archäologischen Untersuchungen als wissenschaftlich sicherge- stellte Thatsachen zu constatiren. Die ältesten Werkzeuge und Waffen der Völker waren, wie all- gemein bekannt, von Stein; späterhin wurde die Bronce der ältesten Legirung, welche beiläufig 909 Kupfer und 10° Zinn enthält, zu die- sem Zwecke verwendet; diese Bronceperiode umfasst in Böhmen we- nigstens 4 Jahrhunderte vor Christo. Die Bronceobjecte der darauf folgenden, etwa sechs Jahrhunderte n. Chr. umfassenden Periode, sind aus einer Legirung von Kupfer, Zinn und Blei (in schwankenden Verhältnissen) verfertigt, neben welchen aber bereits auch Waffen und Werkzeuge von Eisen gefunden werden; die Bronce der letzten heidnischen Jahrhunderte enthält bereits Zink und ist mit unserem Messing fast identisch, und das Eisen waltet als Waffe durchgehends vor. Allerdings werden unter den Objecten einer späteren Periode zuweilen auch Gegenstände einer früheren Zeit gefunden, insbesondere gilt dieses von den Steinhämmern, deren man sich auch in den ersten christlichen Jahrhunderten bediente. Der Vortragende machte auf den merkwürdigen Umstand aufmerksam, dass, je älter die Gräber sind und je spärlicher sie von der Geschichte beleuchtet werden, desto unverwüstlicher sich die darin enthaltenen Gegenstände darstellen: zuerst treten nämlich Objecte von Stein, dann von edler, der Zeit trotzender Bronce auf; in dem spátern, bereits lichteren Zeitraume kommt die weniger dauerhafte Bronce der Blei- und Zinklegirung, und endlich in der letzten, vom vollen Lichte der Geschichte bestrahlten Periode das dem Oxydationsprocesse unterworfene Eisen vor. Da nun die historische Forschung zu dem Resultate gelangt war, 10 dass etwa vier Jahrhunderte vor Christo Böhmen von einem 'kelti- schen Volke, den Bojern, bewohnt wurde, so fand sich der Vortragende bereits vor 18 Jahren veranlasst, die Meinung auszusprechen , dass die Objecte der ersten Bronceperiode von diesem Volke herrůhren, stiess aber mit dieser Ansicht auf vielfachen Widerspruch. Um nun diese seine Ansicht zu erhärten , legte Derselbe das im verflossenen Jahre in Paris erschienene Werk: „Histoire de France par‘ H. Bordier et Ed. Charton“ vor, ‘welches die Geschichte Frankreichs durch zahlreiche Abbildungen von Alterthums- und: Kunst-Gegen- ständen illustrirt. Der Vortragende wies vor Allem auf die in: die- sem Werke vorkommenden Darstellungen von Broncewaffen , Celten und Palstäben, auf die Hals- und Handringe von Bronce u. s. w. hin, und machte darauf aufmerksam, dass nicht bloss die. Formen jener Waffen und Ringe, sondern auch die Ornamentirung derselben, na- mentlich die .eigenthümliche Streifung an den Ringen genau den Ge- genständen dieser Art entsprechen, welche in grosser Menge in Böh- men gefunden wurden und von denen das böhmische Museum eine bedeutende Anzahl bewahrt. Sodann lenkte derselbe die Aufmerksam- keit auf die keltischen, in jenem Werke abgebildeten Münzen, welche denselben Typus haben, wie jene, die man in Böhmen gefunden und über die der Vortragende vor dreizehn Jahren eine ausführliche Ab- handlung geschrieben , die in der Museumszeitschrift vom J. 1850 veröffentlicht wurde. Dabei machte Derselbe auf den grossen Münz- fund auf der Insel Jersay aufmerksam, in welchem viele Exemplare vorkommen, welche den in Böhmen, namentlich bei Nischburg gefun- denen kymrischen Münzen vollkommen gleichen. Uebrigens stellt sich durch die Vergleichung der in dem Werke von Bordier und Charton abgebildeten Eberstandarte am Triumphbogen zu Orange, sowie auch der gallischen Münzen mit dem Feldzeichen des Ebers deutlich heraus, dass die in der Šárka bei Prag gefundene, zum Aufstecken an eine Stange vorgerichtete Broncestatuette eines Ebers ein Feldzeichen der Bojer gewesen sei. Auch glaubte der Vortragende die, Vermuthung aussprechen zu dürfen , dass die auf dem Triumphbogen zu Orange an gekrůmnten Stangenenden angebrachten Thiergestalten darauf hin- deuten, dass die Bronceschwäne von Svijan, die gegenwärtig das böh- mische Museum besitzt, auf ähnliche Weise auf Stangen befestigt waren und als Feldzeichen dienten. © Ferner bemerkte Derselbe, dass 11 auch in England Broncewaffen und Schmucksachen gefunden wurden, von denen das brittische Museum eine reiche Sammlung besitzt, welche den in Böhmen gefundenen vollkommen gleichen , wobei er anführte , dass diese Metallobjecte, nicht wie einige Gelehrte, namentlich Lindenschmit in seinen Alterthůmern der Hohenzoller- schen Sammlung zu Sigmaringen, behaupten, aus Italien eingeführt, sondern im Lande selbst verfertigt wurden, indem man in Frankreich und insbesondere in England zahlreiche Gussformen von Celten und Palstäben gefunden, von denen einige bei Bordier und Charton abgebildet sind und ferner wurde bemerkt, dass eine grosse Anzahl solcher in Eng- land gefundenen Gussformen sich im Besitze des brittischen Museums befindet. Ueberdies muss erwähnt werden, dass nicht bloss in England und Frankreich, sondern auch in Böhmen und in Ungarn zum Gusse vorgerichtete Broncemassen und Gussformen neben fertigen OPER dieser Metallmischung häufig genug vorkommen. Als ein Beispiel, wie sehr die in den Gräbern der Vorzeit vorkommenden Metallobjecte geeignet sind, Licht zu verbreiten über das Alter und den Ursprung sämtlicher als Beigaben daselbst vorhandenen Gegenstände, führte der Vortragende den merkwürdigen Gráberfund von Schelenken (Zelenky) an, den er in der I. Abthei- lung seiner „Archäologischen Parallelen“ beschrieben. In jenem Grabe befanden sich kunstvoll verfertigte goldene Ohrringe, eine sil- berne Doppelplatte mit dem Reliefbilde eines Hirsches, auf dessen Rücken ein Vogel sitzt. eine lange Goldkette mit einer in Gold ge- fassten Camée und úberdies ein hölzernes Gefäss, welches aber bei der ersten Berührung in Staub zerfiel, so dass sich bloss die zierlich gearbeitete breite Bordüre aus Eisenblech und der eiserne, in der Form eines Halbkreises gebogene Henkel des eimerförmigen Gefásses erhalten hatten. Aehnliche Eimer, grösstentheils mit bron- zenen Beschlägen, wurden in Deutschland, England und Frankreich jn Grábern gefunden, und růhren, nach der Ansicht neuerer Archáo- logen aus der zweiten Hälfte des ersten christlichen Jahrtausendes her, was insbesondere dadurch constatirt wird, dass man in den Grä- bern zu Envermeu, wo nach Abbe Cochet’s Berichte vier solche Eimer gefunden wurden, Merovingische Münzen und eine Münze Carl d. G. entdeckt hatte. Dass die Grabstätte zu Schelenken der bereits christ- lichen Periode Böhmens angehört habe, wird überdies dadurch ausser 12 allen Zweifel gesetzt, dass man daselbst, ausser den oben angeführten Gegenständen , ein kleines Kreuz von Blei gefunden, welches an der Stirne eines Gerippes lag, ein Umstand, der dem Vortragenden zur Zeit, als er die Archäol. Parallelen schrieb , nicht bekannt war. Es ist eine crux benedictionis, welche in den früheren Jahrhun- derten der katholischen Kirche, so wie es noch heut zu Tage nach dem griechischen Ritus in Russland statt findet, dem Verstorbenen auf die Stirne gelegt wurde. — Aus diesen hier flüchtig angeführten Andeutungen ist zu ersehen, dass es hauptsächlich die Metallob- jecte sind, welche uns Aufschlüsse über die Zeitschichten geben, welchen die Gräber längst untergangener Menschengeschlechter an- gehören. Die systematische Eintheilung der Gräber in Reihen-, Hügel- oder Kegelgräber, der Umstand, ob das Grab flach, mit Steinen ein- gefasst, mit Platten überdeckt u. s. w. gewesen, gewährt keine sicheren Anhaltspunkte; denn abgesehen davon, dass die meisten Gräberauf- würfe der Pflug und die Reute längst nivellirt hatten, ist selbst die Orientirung derselben schwankend. So wurden bald nach Osten bald gegen Norden orientirte Heidengräber in Böhmen von einer und der- selben Begräbnisstätte aufgedeckt; die Gräber bei Čičevic, welche Metall- und Thonbeigaben einer und derselben Art enthielten , waren nach verschiedenen, divergirenden Himmelsgegenden gerichtet, einige derselben waren, wie sich der Vortragende durch den Augenschein überzeugte, mit Steinen ausgelegt, in anderen lagen die Leichen in blosser Erde; ja man fand Spangen, Ringe und Heftnadeln von der- selben Form und Materie sowohl in Reihen- und Hügelgräbern, als auch inbrunnenförmigen Grabstäten, welche zahlreiche Aschenurnen und Grabgefässe enthielten, dergleichen in neuerer Zeitin Chrudim entdeckt wurden. Ringe von Messing, die unverkennbaren Merkmale der spätheidnischen Periode, findet man in Böhmen sowohl in Leichen- gräbern als auch in Aschenurnen (z. B. am Schlaner Berge), wodurch unwiderleglich dargethan wird, dass beiden heidnischen Čechen sowohl Leichenbestattung als auch der Leichenbrand stattgefunden hatte. Ä Wiewohl auch die Formen der Grabgefässe einige Erkennungs- zeichen des Ursprungs der heidnischen Grabstätten gewähren, so sind dieselben zu allgemein und nicht prägnant genug, um uns zu ent- scheidenden Schlüssen zu berechtigen, abgesehen davon, dass in den 13 meisten Fällen die Thongefässe in zertrůmmertem Zustande aus dem Schosse der Erde gehoben werden. Die Metall-, und insbesondere die Bronceobjecte stellen sich hingegen in ihren ursprünglichen For- men fast unverändert dem Auge dar; sie sind gleichsam die Schlüssel, welche nach Jahrtausenden die irdischen Geheimnisse der Gräber dem Forscher öffnen, damit er aus dem Inhalte der Grabstätten nicht bloss das Alter derselben und den Todtenkultus der Vorzeit, sondern auch die Art und Weise der technischen Fertigkeit, den Grad der Kunst- entwickelung, wie auch die localen und nationalen Kulturzustände längst verschollener Generationen kennen lerne. Herr Graf Wratislaw theilte einen interessanten Aus- zug aus dem Testamente des Väclav Vresovsky von Vre- sov mit. Dasselbe ist in böhmischer Sprache verfasst und befindet sich im himmelfarbenen Kaufs- und Verkaufs-Quatern der königl. böhmi- schen Landtafel vom Jahre 1641. Naturwissenschaftlich-mathem. Section am 26. Januar 1863. Gegenwärtig die Herren Mitglieder: Weitenweber, Stein, Pierre, Amerling, v. Leonhardi, Josef v. Hasner und Cermäk; als Gast Dr. A. Nowak. Hr. Weitenweber legte vor und besprach einige der in neuester Zeit eingegangenen Druckschriften, und zwar: 1. Die erste Lieferung von Josef Peyls grösserem Werke über die land- wirthschaftliche Pilzkunde, mit besonderer Berücksichtigung der pa- rasitischen Feinde und Zerstörer der Oekonomie-, Industrie-, Forst- und Gartengewächse, sowie der Nahrungssubstanzen (Prag, 1863 mit 3 Tafeln Abbild.); 2. das kürzlich erschienene 15. Heft der Jahrbücher für die Naturkunde Nassau’s (Wiesbaden 1862), wo der Vortra- sende namentlich die vom Prof. A. Schenk verfasste ausführliche Monographie über die Wespen-Arten Deutschlands hervorhob; endlich 3. Memorie dell’ J. R. Istituto Veneto di scienze etc. Venezia 1862, Vol. X. parte 3., in welchen insbesondere ein interessanter Aufsatz von Visiani und Pančic über seltene und neue Pflanzen Serbiens. ferner eine Abhandlung über die Fucoiden im adriatischen Meere, von Prof. Zanardini (mit schönen Abbildungen) enthalten sind. M Hr. Czermak berichtete úber die von W. Kůhne ge- machte Beobachtung einer lebenden Nematode dn einer le- benden Muskelfaser des Frosches. | A Diese Beobachtung verdient nicht nur ihrer Seltenheit wegen, sondern auch deshalb eine weitere Veröffentlichung, weil sie ganz besonders lehrreich ist für die Frage von dem Aggregatzustande der contractilen Substanz. Hr. Dr. Kühne sah nämlich in einer, so eben aus dem Musculus iliococcygeus eines Frosches noch zuckend heraus- präparirten einzelnen Muskelfaser, die er in Froschserum unter das Mikroskop gebracht hatte, eine (offenbar nicht geschlechtreife) lebende Nematode. Die Muskelfaser war in ihrem grössten Theile noch nicht todtenstarr, sondern fast durchweg biegsam, durchsichtig und glän- zend, wie es der lebenden Faser eigen ist; nur an einigen bei der Präparation misshandelten Stellen waren unregelmässige Ballen von todtenstarrer Substanz zu sehen, welchen nur mit eingedrungenem Serum gefüllte, sonst aber leere Röhrenabschnitte des Sarkolemmas folgten. — Der Wurm zeigte nun durch äusserst lebhafte Bewegungen seines langen, sich schlängelnden Leibes, wie wenig Hindernisse ihm die contractile Substanz auf seinem Wege bereitete. Er bewegte sich frei in allen Tiefen der Faser hin und her, bald vor-, bald rückwärts, bald nach oben und dann wieder nach unten, kurz ganz so bequem, wie wenn er sich in einem Blutgefässe von entsprechendem Querschnitte befunden hätte. Dabei versuchte der Wurm offenbar, den ihm ange- wiesenen Canal zu verlassen, indem er häufig im Innern mit dem Kopfe gegen das Sarkolemma anstiess und es mit grossen Anstren- gungen zu zerreissen drohte. Die elastische Hülle der Muskelfaser wurde dabei trichterfórmig nach Aussen hervorgetrieben, widerstand jedoch den angewendeten Kräften so weit, dass der Wurm sich auf einige Zeit wieder zurückzog. Eben so wenig vermochte derselbe über einige der erwähnten todtenstarren Stellen des Muskels hinaus seinen Weg fortzusetzen oder sich in die geronnene Masse hineinzubohren. An der Discussion, welche sich hierauf über die Deutung und Er- klärung dieses Beobachtuugsfalles entspann, hatten sich nebst dem Berichterstatter die Herren von Hasner, Stein und Pierre be- theiligt. 15 Im Januar 1863 eingelaufene Druckschrifien. K. V. Zap. Česko-Moravská Kronika. V Praze, 1862. Sešit 4., 5. Ch r. Lassen. Indische Alterthumskunde. Anhang zum 3. und 4. Bande. Leipzig, 1862. Atti dell’ J. R. Istituto Veneto di scienze ete. Tomo VII, disp. 10. Memorie dell" J. R. Istituto Veneto di seienze etc. Vol. X. part. 3. Venezia 1862. Erman's Archiv fůr die Kunde Russlands. Berlin 1862. XXII. Band, 1. Heft. Sitzungsberichte der königl. bayr. Akademie der Wissenschaften in München. 1862. II. Band, 1. und 2. Heft. The Quaterly Review. London 1862. October Nro. 224. Crelle's Journal für die reine und angewandte Mathematik. LXI. Band, 3. Heft, Berlin 1862. „Westphálisches Urkundenbuch u. s. w. ‚IH. Bandes 1. Abthei- lung. Münster 1859. — III. Bandes 2. Abtheilung. Münster 1861. Index zu Erhardt’s Regesta historiae Westphaliae, von R. Wil- mans. Můnster 1861. Memorie del R. Istituto Lombardo di sscienze ete. | Vol. IX., fasc. 2. Milano 1862. Atti ete. Vol. II., fase. 5—8, Milano 1862. Magazin der Literatur des Auslandes. Leipzig 1863. Nro. 1—3. -K. V. Zap. Památky. Časopis a t. d. „V Praze 1862. Díl V., sešit 4..; nad Jahrbůcher des Vereines fůr Naturkunde im Herzogthum Nassau. Wiesbaden 1861. XVL Heft. © | Beiträge zur ältern ‘Geschichte des Herzogthums Schlesien. Troppau 1863 (vom Hrn. Verfasser J. Lepař in Troppau.) Lotos, Zeitschrift u. s. w., redigirt von Dr. W. R. Weitenwe- ber. Prag, 12. Jahrgang, 1862. December. Poggendorff's Annalen u. s. w. Berlin 1862. Nro. 12. Philologische Section am 3. Februar. 1863. Anwesend die Herren Mitglieder: Tomek, Erben, Weitenweber, Ambros, Bezdeka , Cupr, von Suchecki, Winařický und Wrtätko: als Gäste die Herren P. Dvorský, Dastich und Klemt, 16 Herr Wrtätko las (in böhm. Sprache) eine Abhandlung des corresp. Mitgliedes, Ministerialsecretárs Jos. Jireček in Wien, über die Vorstellungen der heidnischen Böhmen von Seele und Leib. Die Seele galt ihnen für ein von dem Leibe verschiedenes und auch ausserhalb des Leibes lebensfähiges Wesen. Ihr Sitz war in der Brust. Ihre Anwesenheit bekundete sie durch das Athmen, daher auch der Name (duše — die Athmende, duch, Geist — der Athem). Mit dem Aufhören des Athems hörte das Leben des Leibes auf. Die Seele entfloh ans dem Leibe durch die Kehle und den Mund. Durch einen starken Schlag auf die Brust konnte sie weit aus dem Leibe hinaus- geschleudert werden. — Sobald die Seele den Leib verliess, wurde sie beflügelt und schwebte auf den Bäumen umher. In diesem Zu- stande war sie Thieren sichtbar, welche sie entsetzt flohen; nur Eulen schreckte sie nicht. Mitunter nahm die Seele vollständig die Gestalt eines Vogels an; Seelen schuldloser Menschen verwandelten sich in weisse Tauben; nach Massgabe der Schuld wurde die Farbe der Taube dunkler. “Gottloser Menschen Seelen nahmen die Gestalt von Raben an. — Die Seelen mussten mitunter lange umherirren, ehe sie Ruhe und Frieden fanden. Es geschah dies in älterer Zeit nicht eher, als bis die Leiche verbrannt war. Die friedlosen Seelen zeigten sich den Lebenden in mannigfachen Gestalten. Ihr Erscheinen war rasch vor- übergehend. Irrende Seelen (bludné duše) war ihr allgemeiner Name; sonst werden sie auch přiešery, obludy, přeludy, přístrachy, mátohy, strašidla und duchy genannt. Seelen Ermordeter, deren Mórder nicht entdeckt ist, gehen in die an ihrem Grabe oder sonst in der Náhe befindlichen Bäume (Ahorne, Weiden ete.), Binsen und sonstige Ge- genstände über und rufen daraus nach Rache. — Die Leichen wurden gewissermassen als lebend gedacht; daher rührt insbesondere die unter Slaven verbreitete Sitte, den Todten in den Sarg oder zu ge- wissen Zeiten auf das Grab Speisen zu legen. Die bei Raigern gefun- denen Leichen hatten einen čakan und eine Milchdose bei sich. Thrä- nen der Angehörigen verursachten der Leiche einen brennenden Schmerz, so dass sie das Grab verliess, um jene zu bewegen, dass sie zu weinen aufhören. Knoten im Todtengewande waren ihr lästig. Die Leiche trägt es schwer, wenn auf ihrem Grabe herumgegangen wird. Hat der Todte etwas am Herzen, so kann selbst seine Leiche 17 dies aussprechen. Jammernd klagen die Todten ihren Lieben, die durch ihren Tod unglücklich geworden sind, dass sie so hilflos da liegen müssen. Ein Kind im Mutterleibe kann die Mutter, selbst wenn sie schon im Grabe liegt, zum Leben zurückbringen. Rührend ist die Sage von der Entstehung der Quendel, welche die Seele der Mutter (mateří douska) heisst. Lange beerdigte Todte können durch Zauber- künste aus dem Grabe herausgeholt. werden. — Durch Zauberei kann der Mensch bei Lebzeiten auf bestimmte, durch Verwünschung auf unbestimmte Dauer in andere Wesen verwandelt werden. Namentlich ist der Fluch einer Mutter sehr wirksam. Grosses Leid verwandelt in Kukucke. — Es wurde auch eine theilweise Verwandlung für mög- lich gehalten, d. h. einzelne Menschen konnten ihr Leben mit anderen Wesen (Thieren, Pflanzen) gemeinsam haben. Traf ein Unglück diese letzteren, so gingen auch jene zu Grunde. Darauf beruht die Vor- stellung von Werwölfen (vlkodlaci) und Druden (mory, morúsi). Vlko- dlak war ein Mensch, dessen Seele in Wolfsgestalt zeitweise den Körper verlassen konnte. Mora und morüs suchten in allerlei Gestalten 'Schlafende heim und saugten ihr Blut, oder drůckten sie wenigstens auf der Brust. Die ältesten Nachrichten von vlkodlaks in Böhmen reichen in die Jahre 1336 und 1344, wo sich Verbrennungen der- selben in Blow (Flahn) bei Kaaden und in Levin ereignet haben. — Die Seele lebte, ehe sie sich mit dem Leibe verband, und auch nach dem Tode desselben hörte ihr Leben nicht auf. Der Ort, wo die Seelen guter Verstorbener Ruhe fanden, hiess bei den heidnischen Böhmen nav (ein weiblicher i- Stamm). In der nav war alles grün und wunderschön anzuschauen. Dort wohnten die Seelen der Ahnen, daher die altböhmische Redeweise: otjiti k otcem (zu den Vätern abgehen) in der Bedeutung des Sterbens. In der nav blieb jedermann in jenem gemeinschaftlichen Verhältnisse, welches er im Leben einnahm. Ein Sklave blieb auch jenseits ein Sklave. Daher liessen sich die Streiter im Kampfe eher tödten, als gefangen nehmen. — Seelen böser Ver- storbener, d. h. solcher, die schon hinieden aus der Familien- oder Stammes-, oder Volks-Genossenschaft wegen ihrer bösen Thaten aus- gestossen waren, So wie auch die Seelen der Feinde lebten jenseits in schwarzer Nacht (črná noc). — Mit den Lebenden standen die Todten in mannigfacher Verbindung. Sterbende gaben ihren fernen Freunden durch Zeichen (znamenie) Nachricht von ihrem Ableben. Sitzungsberichte 1863. I. 9 18 Diese Zeichen wurden oft im Voraus verabredet. Todte riefen ihre Lieben zu sich, ja holten sie selbst ab. Auf dieser Anschauung be- ruht die freiwillige Witwenverbrennung, welche bei den Slaven noch im 8. Jahrhunderte üblich. war. (Vollständig abgedruckt im. „Časopis mus. král. česk.“ 1863, I. S. 1—18.) Philosophische Section am 9. Februar 1863. Anwesend die Herren Mitglieder: Wocel, Erben, Hanus, Weiten- weber, Doucha, Jos. v. Hasner, Storch, Winařický und Ambros. Herr Ambros hielt einen musikgeschichtlichen Vor- trag úber die angebliche Rettung und Reform der Kir- chenmusik durch Palestrina.. Man pflegt das Jahr 1565, in welchem die sogenannte Missa Papae Marcelli in der Sixtinischen Kapelle des Vaticans aufgeführt wurde und die Figuralmusik durch den Eindruck , den sie hervor- brachte, von dem ihr drohenden Verbote gerettet worden sein soll, als wahres Epochenjahr in der Musikgeschichte anzusehen — und Palestrina als den „Retter der Kirchenmusik“ zu bezeichnen — ja, als den Meister, der die von ihm in ein Gewebe seltsamer Kunst- stücke eingesponnene Tonkunst befreit und erst zu dem Range einer schönen Kunst erhoben habe. Nicht ohne schreiende Ungerechtigkeit gegen Palestrina’s Vorgänger sucht sein Biograph Baini alles Verdienst ihm zuzuschreiben. Es genügt aber, die noch vorhandenen Werke der Tonsetzer der Periode 1520—1550 auch nur flüchtig durchzusehen um zu finden, dass Palestrina eben nur die letzte, grösste Erschei- nung einer langen Reihe ihm vorangegangener, grosser Künstler ist, und auch den Mythus von der angeblichen Rettung der Kirchenmusik ist auf einen bescheidenen Kreis historischer Wahrheit zu reduziren. Giovanni Pierluigi da Palestrina wurde zu Palestrina, dem alten Praeneste, von armen Eltern geboren, nach der gewöhnlichen Annahme 1524. Sein Talent für Musik mag sich bald gezeigt haben, er kam vermuthlich als Singknabe nach Rom. Erinnert man sich, wie durch eine mehr als ein volles Jahrhundert fortgesetzte Kunstübung, durch das Heranziehen der tüchtigsten Talente, insbesondere aus den Nie- derlanden, die Singmusik der päbstlichen Kapelle eine sehr bedeutende Ausbildung erreicht hatte, dass ein Meister wie Goudimel in Rom offene Schule hielt, wo Talente wie, Giovanni Animuccia, Gio- 19 vanni Maria Nanini, Stefano Bettini (il Fornarino), Ales- sandro della Viola u. a. ihre Ausbildung suchten und fanden, dass berůhmte Meister aus allen Nationen wie aus den Niederlanden Jaquet Berghem, Jakob Arcadelt, Ghiselin Dankerts, aus Frankreich (neben Claude Goudimel) Franz Roussel und An- ton Lohial; aus Niederdeutschland Johannes Mont von Aa- chen, die Spanier Jouan Scribano, Christofano Morales von Sevilla, Bartolomeo Escobedo von Zamora, der Portugiese Don Vicenzo u. A. Rom zu ihrem bleibenden Wohnsitz gemacht, denen sich als eingeborner Römer Costanzo Festa rühmlich anschloss: so sieht man, in welch’ überreiche Welt der Kunst und des Geistes Palestrina hier eingeführt wurde. Die Schule Goudimel’s nahm auch den jungen Pierluigi auf, der berufen war, sich zu ihr genau in das Verhältniss zu stellen, wie Raphael zur Schule seines Lehrers Perugino. Er hat den Familienzug der Schule nie verläugnen können, aber er ging so weit über ihre Schranken hinaus, dass sie in seiner ganzen Erscheinung sich fast nur wie ein vereinzeltes, untergeordnetes Bildungselement ausnimmt. Pa- lestrina muss sich früh genug Beifall und Anerkennung erworben haben, denn 1551 ernannte ihn Pabst Julius III. zum Knabenlehrer (maestro de putti) in der Capella Giulia im Vatican und er wurde über besondere An- ordnung desselben Pabstes am 13. Jänner 1555 in das Collegium der päbstlichen Sänger aufgenommen. Aber schon nach sechs Jahren sollte ihn ein unvermutheter Schlag treffen. Am 23. März desselben Jahres wurde nach dem Tode des etwas leichtblütigen Julius III. der Car- dinal-Erzbischof von Neapel, Gian Pietro Carafa, unter dem Namen Paul IV. zum Pabste gewählt, ein nahezu achtzigjähriger Greis, dem Camaldulenserorden angehörig, der strengste aller Cardinále. Gegen die deutsche Reformation, die eben in dem Jahre seiner Wahl den Religionsfrieden erkámpft und ertrotzt, hegte Paul IV. den glühendsten Hass, aber auch in der eigenen Kirche wollte er gewaltig aufräumen: — „Reform“ war sein stets wiederholtes Lieblingswort, wobei er mit rücksichtsloser Energie vorging. Die Kunst war ihm gleichgiltig. In den Sängern der päbstlichen Kapelle sah er nur Kle- riker der Kirche, nicht Künstler. Er fand darin, dass drei davon ver- heiratet waren, „ein Skandal des Gottesdienstes und der heiligen Kir- chengesetze.“ Schon die Erwartung der päbstlichen Resolution warf 20 den armen Palestrina auf das Krankenlager , vierzehn Tage später, am 30. Juli 1555 erfolgte das päbstliche motu proprio, womit der Kapellensänger Lionardo Barre von Limoges ohne Rücksicht auf seine langjährigen, treuen und ausgezeichneten Dienste Domenico Ferrabosco, ohne Rücksicht auf die um der päpstlichen Kapelle © willen von ihm verlassene Kapellmeisterstelle von S. Petronio in Bo- logna; Palestrina ohne Rücksicht auf den Wunsch Julius II., der ihn aus einer guten Versorgung in die Kapelle berufen, mit einer Pension von monatlich 5 Scudi 13 Bajocchi ihres Dienstes’ entlassen wurden — nicht genug daran, mit der dem greisen Paul in allen Dingen eigenen excentrischen Uebertreibung erfolgte diese Entlassung in der härtesten Form: cacciamo, discaceiamo e togliamo del numero! — Der kranke, von Sorge für Weib und Kind fast erdrückte Pale- strina erhielt zum Glücke schon am 1. Oktober 1555 die Berufung - als Kapellmeister bei der Lateranensischen Basilica. Es war vielleicht heilsam, dass Palestrina den niederländischen Kunstmessen der päbst- lichen Kapelle entrückt wurde. Als Musikleiter des Laterans compo- nirte er die berühmten Improperien, die in ihrer wundervollen Ein- fachheit so unwiderstehlich ergreifen, und durch welche er sich die Gunst Pius IV. errang (Paul IV. war am 18. August 1559 gestorben). Am 1. März 1561 erhielt Palestrina die etwas einträglichere Kapell- meisterstelle bei der liberianischen Basilica. In die Zeit seiner zehn- jährigen Dienstleistung bei dieser Kirche (bis 31. März 1571) fällt seine berühmte Rettung der Kirchenmusik vor dem ihr drohenden Bannfluche. Die Beschuldigungen, welche sich gegen die Figuralmusik erhoben hatten, waren zu laut geworden , als dass das tridentiner Coneil nicht auch die Frage hätte anregen sollen, ob die Figuralmusik als Kirchengesang überhaupt noch zu dulden, oder ob letzterer ganz streng auf die alten, völlig einfachen gregorianischen Intonationen beschränkt werden solle. Der Katholieismus sollte allüberall restaurirt werden, auch im Kirchengesange. Man war geneigt, in all’ der reichen Kunst, die sich auf und um den allein authentisch gutgeheissenen gregorianischen Gesang aufgebaut hatte, eine grosse Verwirrung, einen verwerflichen Auswuchs zu erblicken. Wie bei der Geistlichkeit in Klöstern und endlich bei allen Mitgliedern der Kirche im weitesten -Sinne die alte Zucht und Ordnung herzustellen, den Ritus zu rei- nigen, für ihn ein für allemal eine unverrückbare Ordnung festzustellen 21 sei, wurde ernstlich in Ueberlegung gezogen. Die Musik, oder viel- mehr der Gesang, und zwar ganz eigens der gregorianische Gesang hatte nun von jeher für einen wesentlichen Theil des, Ritus, nicht bloss als zufälliger, entbehrlicher Schmuck des Gottesdienstes gegolten. Die reichen und kunstvollen Figuraleompositionen waren nun freilich — neben den weltlichen Liederweisen, an denen man jetzt unter also bewandten Umständen das höchste Aergerniss nehmen musste — über gregorianische Antiphonenmotive, Messenmotive, über altgeheiligte Hymnen oder in den Kirchengesang eingeführte Sequenzen componirt; aber so wie die weltliche Liedermelodie im Stimmengeben verschwand und somit aufhörte anstössig zu sein (nur der anstössige Name blieb), so verschwand ‚auch die gregorianische, und hörte auf, durch sich selbst erbaulich zu wirken. Verschnörkelten vollends die Sänger ihre Parte mit sogenannten Diminutionen (schon Josquin. hatte einen sol- chen: Schuörkler zurechtgewiesen), so verschwand jede, auch die kleinste Spur des autorisirten gregorianischen Gesanges. — Selbst der Fauxbourdon deckte ihn schon fast bis zum Unkenntlichen. Ihn wieder hör- und vernehmbar zu machen und ihn in der ursprünglichen Reinheit herzustellen, war also das letzte Ende und Ziel der ange- bahnten, Reformirung — nicht aber eine Verbesserung des Musikstyles im künstlerischen Sinne. Man muss durchaus den Gesichtspunkt fest- halten, dass die Kirche nach ihrem innersten Wesen keine specifische Kunstanstalt sein konnte. Die Kunstliebe von Päpsten wie Julius II. und:Leo X. hatte allerdings diese Seite der Entwickelung kirchlichen Lebens mit grösster Vorliebe in den Vordergrund gerückt. Der Rück- schlag konnte nicht ausbleiben. Schon Leo’s X. Nachfolger , der fromme, gelehrte Professor von Löwen, der als Hadrian VI. den päpstlichen Thron bestieg, rief beim Anblicke des Laocoon: „Sunt idola ethnicorum“ ; aber Hadrian war ein Papst, wie ihn die Kirche brauchte, worüber man ihm die mangelnde Kunstkennerschaft sehr zu Gute halten kann. Paul IV. liess in der Sixtinischen Capelle vor der Gigantenwelt Michel Angelo’s den unwilligen Ausruf hören, „ob das „ein Gotteshaus oder eine öffentliche Badstube sei!“ Mit Mühe wurde das jüngste Gericht durch Daniel’s von Volterra Uebermalung einzelner Nacktheiten, vor dem Urtheilsspruche des Herunterschlagens bewahrt. Sixtus der V. wollte die hässlichen Trümmer der altrömischen Bau- werke beseitigt wissen und christianisirte altägyptische Obeliske durch 22 aufgesteckte Kreuze u.s.w. Geht man auf den Grund der Ausmalune der Kirchen u. s. w. von Altersher zurück, so ist es in letzter In- stanz wohl echter Kunstdrang, und nebenbei fromme Prachtliebe, was sie hervorrief; aber der ausdrücklich betonte Grund blieb der Lehr- zweck, an die Heiligen und die heiligen Begebenheiten auch die des Lesens unkundige Kirchenbesucher zu erinnern. Daher dann auch die Composition der Bilder, ja selbst die Farben und Gewänder der Figuren (letztere nicht ohne symbolische Seitenblicke) ein für allemal in einer gewissen Weise authentisch vorgeschrieben waren; — die Begebenheit sollte dem Beschauer in gewohnter Anordnung vorgeführt, er sollte nicht durch mannigfache Composition derselben Scene irre gemacht, ihm nicht zugemuthet werden etwas zu errathen — es Sollte ja für die Unwissenden und Geistesarmen dienen — nicht dem Künstler etwa Anlass bieten, durch geistreiche, originelle Auffassung zu glänzen. Aehnlich ist auch der gregorianische Gesang zu verstehen; er sollte der Gemeinde die Worte des Ritus in ganz bestimmtem, immer gleichem Klange entgegentragen, er sollte sie ferner nur um desto hörbarer, verständlicher machen , denn die Worte waren die Hauptsache, die Musik nur die vermittelnde Trägerin. Wo sie eigene Bedeutung ansprach , in grossen , kunstvoll verschránkten Tonsätzen den einfachen Gang der authentischen Urmelodie untergehen liess und die blanke Verständlichkeit des Textwortes perturbirte, konnte sie freilich nicht mehr jenem Zwecke entsprechend genannt werden. Es ist ganz begreiflich, dass es nur in dem munusirten byzantinischen Staate glücken konnte, einen solchen eigentlich kunstwidrigen Stand- punkt festzuhalten. — die byzantinischen Bilder, die vitualgerechten Intonationen der griechischen Kirche blieben durch alle Jahrhunderte dieselben; aber von Kunst und Kunstleben konnte und kann keine Rede sein — es sind todte Typen geblieben bis auf den heutigen Tag. In der abendländischen Kunst lag zu viel Lebenskraft und Zu- kunft ; diese kräftige Pflanze sprengte das einengende Gefäss und schlug im hellen Sonnenlichte nach allen Seiten in Zweig’ und Blüten aus. Die abendländische Kirche fand dieser freieren Auffassung, dem Wesen des lebendigmachenden Geistes nicht entgegenzutreten, sie be- gnügte sich, die Bewegung zu leiten, und hatte an der immer herr- licher leuchtenden christlichen Kunst, welche jetzt schon der antiken als Rivalin entgegentreten konnte, ihre Freude. 23 „ Wo nun einmal das Schóne sich so weit emancipirt hatte, dass es um seiner selbst willen erscheinen durfte, wobei freilich noch immer die Heiligengestalt, die biblische Begebenheit die Anschauung des Schönen zu vermitteln hatte, so ist es ganz natürlich, dass man nach dem abstracten Schönheitsideal der Antike griff und dass endlich die Zeit kam, wo sich das anfängliche Verhältniss umkehrte , statt dass die an sich gleichgiltige Kunst die blosse Trägerin des an sich werth- vollen Erbaulichen zu sein aufhörte, und vielmehr gerade umgekehrt das an sich gleichgiltig angesehene Erbauliche zum blossen Träger der an sich werthvollen Kunst wurde. Die Musik konnte sich freilich nicht antikisiren, — jede Spur echter antiker Tonkunst war längst verloren — aber sie emancipirte sich durch sich selbst, und zwar zu einem Grade, der Anstoss erregte. Dies ist im innersten Kerne die sogenannte „Entartung der Kirchenmusik“ im 16. Jahrhunderte, und man muss bei deren leidenschaftlichen Anklagen nie vergessen, dass sie meist von unmusikalischen — des Kunstsinnes ermangelnden, obwohl wohlmeinenden Bischöfen, Gelehrten u. s. aw. erhoben wurden, denen der Ritus, aber nicht entfernt die Kunst, am Herzen lag. Leo X. hatte auch in der Musik geschwelgt; er pflegte die Mo- tive und Gänge leise mitzusummen, während seine Capelle sang. — Carpentras und Mouton waren neben dem allbewunderten Josquin seine Lieblinge. Auch hier blieb die Reaction nicht aus. Wie jene folgenden Päpste im Laocoon ein Götzenbild, in den Fresken der Sixtina nur Nuditäten sahen, so fand man in den kunstvoll figurirten , fugirten Messen, Psalmen, Vespern eine schmähliche, ja frevelhafte Ausartung echten Kirchengesanges ; — gleichviel, ob es sich um Vater Okeghems lederne Prolationsmesse oder um Willaert’s, Gabrielis, Arcadelt’s, Gou- dimel’s, Animuccia's u. a. Meisterwerke echt christlich-geistiger Kunst handelte. Die Entscheidung der Reformationsfrage war leicht ; — man brauchte nur Alles eben auf den strengen gregorianischen Kirchenge- sang zu reduziren. Wie wäre das aber in dem Jahrhunderte der schönsten Kunstblůte möglich gewesen ? Die strenge Restaurirung des eigentlich zum Ritus gehörigen Gesanges konnte sich zum Glücke und hauptsächlich nur in einer Revision der rituellen Gesangbücher bethätigen ; was wieder das Ge- witter von der Figuralmusik einigermassen ablenken half. Darum 24 übertrug Gregor XIH. dem Palestrina eine strenge Revision des Di- rectorium Chori nach den ältesten und besten Handschriften der Va- ticana, eine Arbeit, welche der Bolognese Johannes Guidetti 1582 vollendete.*) ‚Darum liess Paul V. das Graduale durch Rug- gieri Giovanelli (den Nachfolger Palestrina's in der Capellmeister- stelle von St. Pietro im Vaticane) neu redigiren.**) So wie man. be- stimmte, der lateinische Text der Bibelübersetzung des hl. Hierony- mus, die sogenannte Vulgata, habe für die katholische Kirche als der echte, wahre Bibeltext zu gelten, so sollten diese revidirten, neu re- digirten Gesangbücher den Kirchengesang regeln und von jeder. will- kührlichen Abweichung bewahren. Paul V. liess diese von Gioyanelli besorgte Redaction in der mediceischen Druckerei zu Rom mit von deren Leiter Giov. Batt. Raimondi besorgten neuen Typen prächtig drucken — sehr zum Verdrusse der speculativen Venezianer, wo man als Privatarbeit eine ähnliche Neuredaction. durch die berühmten Meister Giov. Gabrieli, Organisten von S. Marco, P, Lodovico Balbi, Capellmeister bei Santo zu Padua, und Orazio Vecchi hatte vornehmen - und das Graduale in. Peter Liechtenstein’s und Angelo Gardano’s Buchdruckerei in schöner Ausstattung, hatte an’s Licht treten lassen.”*) *) Das Werk erschien, unter dem Titel: „Directorium Choré ad usum sacro- sanctae Basilicae Vaticanae, etaliarum cathedralium et collegiatarum Ecelesiarum, collectum opera Johannis Guidetti Bononiensis, ejusdem Vaticanae Basilicae cle- rici beneficiati et SS. D. N. Gregorii XIII. capellani. Permissu Superiorum. Romae apud Robertum Granjon, Parisiensem, 1582.* Spätere Auflagen: 1589, 1600, 1604, 1642 (letztere von D. Florido Silvestri de Barbarano, Canonicus, revidirt), 1665 (revidirt und vermehrt von Nic. Stamegna, Capellmeister ‚bei St. Maria Maggiore). Die neueste; Ausgabe erschien 1737 zu Rom in der vatic. Buchdruckerei. Diesem Werke liess Guidetti folgen: 1586, Cantus ecelesiasticus passionis Domini nostri Jesu Christi secundum Matthaeum, Marcum, Lucam et Joannem juxta ritum capellae SS. D. N. Papae ete. — 1557, Cantus ecelesiasticus officiiů majoris hebdomadae juxta ritum u. s. w. 1588, Praefationes in Cantu firmo, juxta ritum Sanctae Romanae Ecelesiae emendatae. **) Diese Redaction Giovanelli's erschien unter dem Titel: Graduale de tem- pore juxta ritum Saerosanctae Romanae Ecelesiae cum Cantu, Pauli V. P. M. jussu reformato. Cum Privilegio. Romae ex typographia Medicaea, anno 1614. Graduale de Samctis, juxta u. s. w. 1615. ***) Graduale Gloria Christo Domino Amen. Graduale Sacrosanctae Romanae © ‚Ecelesiae integrum et completum tam de tempore quam de Sanctis juxta 25 Diese Redactionen bilden fast: den wichtigsten Theil der durch das Tri- dentinum vermittelten, vielbesprochenen: Musikreform, — sie gehen, wie man sieht, den blanken Ritualgesang an. © Indessen konnte auch die Figuralmusik, welche eine so. grosse Rolle spielt, so beliebt sie war und von Meistern allerersten Ranges betrieben wurde, der Aufmerksamkeit des Concils nicht entgehen. Ganz besonders musste, von dem Standpunkte, den man einnahm, die Unverstándlichkeit der Texte Anstoss erregen — man setzte ganz auf Rechnung der Mus-Weise, was zum grossen Theile Folge unge- schickter Textlegung und ungenügender Vocalisation von Seiten der Sänger, war.*) . Wenn jeder einzelne Sänger den Text zerrte, zerstückte, Worte wiederholte oder ausliess, wenn vollends fremde Texte, nach dem Bei- spiele der Tropen, eingemischt wurden, so ist es begreiflich, dass dem Zuhörer in dem Durcheinander von Stimmen und Textsylben nur ein unverstándliches Chaos geboten wurde.“ Die missbilligenden Aeusse- rungen, besonders aus den Reihen der Kirchenvorsteher mehrten sich denn auch, und wurden nicht selten zu, leidenschaftlichen, geradezu übertriebenen Anklagen. Der bekannte Cornelius Agrippa von Nettes- ritum Missalis novi ex decreto Sacrosancti Coneilii: Tridentini restituti et Pii Quinti, Pontificis maximi jussu editi: nunc primum aceuratissime impres- sum summague diligentia tam in textu, quam in Cantu emendatum. Cum Kyriali modulationes omnes continente, quibus in ipsis, Hymno Angelico ac symbolo decantando Romana utitur Ecelesia. Venetiis ex offieina Petri Liechtenstein, latine: lucidus lapis Patricii Agrippinensis.e Anno Christi re- demptoris 1580. — Graduale Romanum, juxta ritum missalis novi ex de- creto Sacrosancti, Coneilii Tridentini restituti. Cum additione Missarum de Sanctis ut in praecepto SS. D. N. Sixti Papae V patet. Nuperrime impres- sum et a multis erroribus, temporis vetustate lapsis, magno studio et labore multorum excellentissimorum musicorum emendatum. Una cum Kyriali, Hymno Angelico, Symbolo Apostolorum ‚''ae modulationibus omnibus, quibus utitur Sacrosancta Ecelesia Romana. Venetiis, apud Angelum Gardanum 1591. — Das officielle römische Gradual Paul des Fünften schlug natürlich diese venezianischen Ausgaben, obwohl Giovanelli’s Arbeit nicht gerade vorzüglich ist. Fetis (Biogr. univ. 4. Band S. 12) bemerkt: „J’ai vu avec regret que Giovanelli s’est écarté, en beaucoup de passages, des bonnes lecons des anciens manuscrits.“ ; *) Auch die rein rituelle Intonation lässt bei ungenügendem Vortrage den Text unverständlich. Die Erfahrung kann man allsonntäglich machen. 26 heim hat ein sonderbar misslauniges Bůchlein geschrieben: „von der Unsicherheit und Eitelkeit aller Wissenschaften und Kůnste“ — wo denn im 17. Capitel auch die Kirchenmusik in folgender Weise ge- schildert wird: „Heutzutage ist die Zügellosigkeit der Musik in den Kirchen so gross, dass man zugleich mit dem Messtexte auf den Instrumenten üppige Liedeleien zu hören bekömmt, und beim Gottes- dienste die für schweres Geld gemietheten liederlichen Musiker ihre Gesänge nicht zur Erbauung der Anwesenden und zur Geisteserhebung aufführen, sondern zur Erregung der schlimmsten Sinnlichkeit, nicht Menschen- sondern Thierstimmen hören lassen ; denn hier wiehern Knaben den Discant, andere brüllen den Tenor, andere bellen den Contrapunkt, wieder andere blöcken den Alt oder brummen den Bass. So hört man Töne im Ueberfluss, aber vom Texte kein Wort.“ Ruhiger, dabei aber weit eindringlicher sind die Worte des Bischofs von Ruremonde, Wilhelm Lindanus, der sich beklagt, dass er oft bei der angestrengtesten Aufmerksamkeit, zu verstehen was man denn eben singe, auch nicht ein einziges Wort habe unterscheiden können, „so war alles mit Wiederholungen der Sylben durchgemengt — es war ein Durcheinander von Stimmen, das eher ein verworrenes Ge- schrei als Gesang zu heissen verdiente.“ Die sogenannte Rettung der Kirchenmusik durch Palestrina ist nun eine der Mythen, die sich zuweilen berühmten Namen anhängen. Man hört denn immer und immer wieder: wie Papst Marcellus II, hocherzürnt über den Missbrauch der Kirchenmusik beschlossen habe, alle Musik aus der Kirche zu verbannen; wie Palestrina ihn bat, das Verbot so lange zurückzuhalten, bis er, der Papst, noch eine musikalische Messe, die Palestrina eben componirte, gehört — wie der Papst durch diese Messe völlig anderen Sinnes geworden, und wie diese Messe daher Missa Papa Marcelli genannt werde, bis auf diesen Tag. Der wahre Sachverhalt ist folgender: Neben anderen Fragen über die innere Einrichtung und die Disciplin des Gottesdienstes stand auf dem Pro- gramme des Concils, wie natürlich, auch jene über die gottesdienst- liche Musik. In der 22. Sitzung sollten verschiedene Missbräuche bei der Messfeier zur Sprache kommen — wobei auch nebenher ein Blick auf die Musik geworfen wurde. Aehnlich den Versammlungen unserer Deputirten vor den eigentlichen Kammersitzungen hatten auch die Väter des Concils ihre Zusammenkünfte zu Vorberathungen und 4 27 Besprechungen. Eine solche fand auch vor der 22. Sitzung am 11. September 1562 statt. In der 21. Sitzung wurde das Programm der 22. Sitzung vertheilt und es wurde eine eigene Commission ernannt, welche die zu besprechenden Missbräuche formuliren sollte. Begreif- licher Weise gab es unter den Bischöfen einige, welche der Ansicht waren, man solle in der Kirche ganz einfach zum reinen gregoriani- schen Ritualgesange zurückkehren. *) Sie regten die Frage in jener Versammlung am 11. September an. Zum Glücke gab es unter den Uibrigen viele eifrige Musikfreunde und fein gebildete Kenner ; man darf sich nur erinnern, dass insbesondere die Cardinäle von Rom her gewohnt waren, treffliche Musik zu hören, und ihren Werth sehr wohl erkannten. Papst Pius IV. selbst war ein ausserordentlicher Musikfreund, hatte für gelungene musikalische Compositionen das grösste Interesse und lebendiges Verständniss. Es erhoben sich denn auch sogleich viele Stimmen für die Musik — und beriefen sich, sehr bezeichnend, auf die Stelle im Sirach „non impedias musicam.“ Freilich redet der hebräische Weise von nichts weniger als von Kirchenmusik, vielmehr von „Musik beim Weingastmahl,“ gleichviel, es war eine Bibelstelle, hinter welche sich die Kunstliebe verstecken und sie zum ostensiblen Grunde machen konnte. So fiel denn auch der Beschluss in der 22. Sitzung sehr gemässigt aus: nur wo man den Rituellen in der Musik etwas „Lascives“ oder „Unreines“ bei- mische, solle es verbannt werden „ab ecelesiis vero musicas eas, ubi sive organo, sive cantu, lascivum aut impurum aliquid miscetur arce- ant, ut domus Dei vere domus orationis esse videatur ac dici possit.“ Da entstand allerdings die weitere Frage, was denn eigentlich „lasciv“ zu heissen verdiene, und wirklich sollte die Angelegenheit der Kirchen- musik in der 24. Sitzung nochmals zur Sprache kommen ; die dritte Proposition sollte das direet auszusprechende Verbot einer allzuweich- lichen Musik (mollior harmonia) enthalten. Die 42 Propositionen der bevorstehenden 24. Sitzung, welche wie gewöhnlich, und zwar Anfang August 1563 dem kaiserlichen Ablegaten mitgetheilt und von diesem „ am 10. August an den Kaiser Ferdinand I gesendet worden waren, *) Pabst Benedict XIV. erwähnt es in seinem berühmten Buche de synodo dioe- cesana (II. 7.). Cum in concilio Tridentino a quibusdam episcopis ecelesiasticae disciplinae cultoribus propositum fuisset, ut cantus musicus ab ecclesiis om- nino tolleretur. — Solche Stimmen hören wir auch heut noch. 28 : wurden vom Kaiser schon am 23. August mit seinen Bemerkungen rückgesendet. Er antwortete seinen Commissären, dass man doch den Gesang, der „Figuralgesang“ genannt werde, nicht ausschliessen möge, weil er oft den Geist der Frömmigkeit weckt.”) Diese ganz richtige Ansicht, unterstützt von dem Wunsche des weltlichen Oberhauptes der Christenheit und den Neigungen . des geistlichen Oberhauptes ganz entsprechend, drang so sehr durch, dass man in der 24. Sitzung die Frage über das Verbot der Figuralmusik eigentlich stillschweigend fallen liess — der ganze Beschluss beschränkte sich darauf, dass die öfter zusammenzuberufenden Provinzialsynoden auf Missbräuche achten und sie abstellen sollen. | Erst als das Concil beendet war (es geschah: noch in demselben Jahre 1563), wurde Palestrina in die Sache hineingezogen. Papst Pius IV. dachte sehr ernstlich daran, dem gefassten tridentiner Be- schlusse , möglichst bald Geltung zu verschaffen, wozu er denn auch in dem Motu proprio. vom 2. August 1564 „Alias nonnullas Consti- tutiones“ die Initiative ergriff, und die Obsorge einem Collegium von acht. Cardinálen übertrug. Hier kam nun auch der allerdings sehr allgemein lautende Beschluss wegen der Musik zur Sprache und die Cardinále wählten. zur besseren Instruirung der Sache aus ihrer Mitte den. damals ‚33jährigen Cardinal Vitellozzo Vitelli, einen be- kannten Musikfreund und tüchtigen Kenner, und den Cardinal Carl Borromeo ausgezeichnet durch hohe Frömmigkeit, edlen Sinn. und Humanität. Cardinal Vitellozzo zog überdies zu den Berathungen acht Sänger der päpstlichen Kapelle**) herbei. Nach den gefassten: Be- schlüssen sollte die, Musik in der päpstlichen Kapelle eingerichtet; und das Muster für alle Kirchenmusik überhaupt werden. Uiber die Punkte, dass Messen über weltliche Lieder nicht weiter gesungen *) Item ubi in templis interdicebatur mollior harmonia, optavit (der Kaiser Ferdinand) — ne cantio, quam figuralem appellant, exeluderetur, cum saepe sensum pietatis excitet. (Pallavicini Hist. Cone. Trid. XXII, 5, 3. Theil, S. 249.). Der Berichterstatter meldet, dass jener kaiserliche Brief vom 23. so schnell befördert worden sei, dass, er schon am 29. um Mitternacht ankam., Heut- zutage geht es freilich rascher, und es würde für schlimme Verspätung gelten, wäre ein Brief von Wien nach Trient sechs Tage unterwegs. *) Es waren die Sänger Antonio Calasans, Federigo Lazisi, Giovanni Lodo- vico Vescovi, Vicenzo Vimercato, Giovanni Antonio Merlo, Francesco des Torres, Francesco Soto und Christian Hameyden. 29 werden sollten, dass die Einmischung fremder Texte in dem Ritual- text fortan strenge zu verbieten sei, dass man nur Motetten mit auto- risirten Texten singen dürfe, war man bald einig. Mehr Schwierigkeit machte die vom Cardinal Borromeo abermals zur Sprache gebrachte Unverständlichkeit des Textes. Die Cardinäle bemerkten sehr richtig, dass man in dem Te Deum des Constanzo Festa, in Palestrina’s Im- properien und einigen ‚ähnlichen Stücken jede Sylbe verstehe, und also das Problem gar wohl zu lösen sein müsse. Die Sänger dagegen meinten, so äusserst klar könne der Text bei längeren Sätzen, wie das Gloria oder Credo, kaum hervortreten, da ‘solche Sätze der kunst- reicher Nachahmungen und Fugirungen unmöglich entbehren können, wenn die Figuralmusik überhaupt beibehalten werden wolle. Da man sich nun nicht einigen konnte, beschloss man endlich einen praktischen Versuch zu machen. Dass man gerade Palestrina, damals Capellmeister bei St. Maria Maggiore, dazu auswählte, mag wohl nicht ohne direct ausgesprochenen Wunsch Pius IV. geschehen sein. Palestrina hatte sieh durch die Improperien entschieden bei ihm in Gunst gesetzt und erst im vorhergegangenen Jahre waren mehre seiner Composi- tionen in der päpstlichen Kapelle zu allgemeiner Bewunderung auf- . geführt worden: die fünfstimmige Motette Beatus Laurentius (mit dem ritualmässigen Cantus firmus der betreffenden Antiphone als Tenor), die sechsstimmige Motette „Estote fortes in bello“ mit einem schönen Canon in der Quinte zwischen Tenor und Alt — besonders aber eine Messe über das Hexachord (Missa super ut re mi fa sol la), deren Crucifixus — einer der seraphischen Sätze Palestrina’s, für zwei Soprane und zwei Contraalte ist — den Papst und die Cardinäle entzückt hatte. Gerade dieses Crucifixus kam den geistlichen Com- missarien wieder in Erinnerung. — Cardinal Borromeo liess Palestrina rufen, eröffnete ihm den ehrenvollen Auftrag, und ersuchte ihn alle seine Fähigkeit aufzubieten „damit der Papst und die Cardinäle der Musik ihren Schutz ja nicht entziehen.“ Palestrina war von tiefster, aufrichtigster Frömmigkeit beseelt. Er hat mit zwei Heiligen (Carl Borromäus "und Philipp Neri) viel verkehrt und ist selbst eines Heiligen würdig gestorben. Wie sehr ihn der wichtige Auftrag ergriff, lässt sich denken, denn es war ihm Sache Gottes und Sache der Kunst zugleich : genug, um sein Letztes aufzubieten. „Domine illumina oculos meos“ war sein Gebet bei dem 30 ' Werke — er hat es nachher zum Motto der ersten der drei Probe- messen gewáhlt, die er componirt — denn statt der bestellten einen schrieb er gleich drei Messen, jede zu sechs Stimmen und legte sie den Commissarien vor. Die Taktik, welche Palestrina dabei beobachtet, lässt den sichern Blick des Genies erkennen. Während die erste Messe*) durchaus ganz einfache alterthümliche strenge Formen zeigt, und die Absicht, einen vereinfachten Styl nach einem vorgefassten Plane zu schaffen, darin deutlich ausgesprochen ist, werden in der zweiten Messe in den Gegenthemen schon wieder reichere Noten- gruppen in Bewegung gesetzt, das (Ganze gewinnt ein leichteres, freieres Ansehen, und wirksam contrastirt gegen die erhabene strenge Würde der ersten Messe die zweite durch zarte Innigkeit und eine beinahe schüchterne Anmuth. In der dritten Messe aber, der von Pa- lestrina in Erinnerung an den der Kirche leider schon nach 21 Tagen entrissenen edeln Marcellus II., der zuerst unter den Päpsten jener Zeit „den Gottesdienst zu seiner echten Feierlichkeit zurückzuführen bedacht war“,**) Missa Papa Marcelli genannten, schwingt sich der Meister zur vollen Höhe empor; wenn die erste Messe etwas von der schroffen Grösse, von den harten aber festgezogenen Con- touren der älteren Niederländer an sich hat, die zweite sich dem — man erlaube das kurz bezeichnende Wort — peruginesken Style Goudimels nähert, so wird Palestrina in der Missa Papa Marcelli er selbst — es ist das Werk, mit dem er „der Pyramide den letzten Stein des Gipfels aufsetzt.“ In den beiden ersten Messen wirft er einen fast historisirenden Rückblick auf die früheren Zustände der Kunst, er geht wie auf Stufen immer höher, bis er mit sicherem Schritte jenes höchste Ziel erreicht. Die Missa Papa Marcelli bildet noch heut die Bewunderung der Welt, wie sie bei ihrem Erscheinen Bewunderung erregte. *) Rancke, Päbste I. Theil S. 278. Cardinal Marcello Cervini — hernach Pabst Marcell II. — war der tugendhafte Kirchenfůrst , der die Reformation der Kirche, von der die anderen schwatzten, in seiner Person darstellte. Man sieht, wie tief bedeutungsvoll und wohlgewählt der Name Missa Papae Mar- celli ist — und eine ganz andere Bedeutung hat, als die gewöhnliche Mei- nung annimmt, die darin nur einen Act der Dankbarkeit Palestrina’s gegen seinen ehemaligen Gönner erblickt. **) Sie wurde 1600 bei Hieronymus Scoto’s Erben in Venedig BEE 91 Am 28. April 1565 wurde in Gegenwart der acht Cardinále im Palaste des Cardinals Vitellozzo die Probe der drei Messen vorge- nommen. Das Interesse der kunstverständigen Versammlung steigerte sich den Messen das Interesse der Composition, und wurde zum höchsten Antheil bei Marcellusmesse. Dies sei der wahre, lange ge- suchte, jetzt erst gefundene Kirchenstyl. — Und dennoch darf man sagen, dass sich die ehrwůrdige Commission täuschte. Was sie hin- riss, war nicht ein neuer, unerhörter Styl*) — es war der Zauber des Wohlklangs, das Mysterium reiner Schönheit, was hier so unwider- stehlich wirkte. Die Cardinäle waren einig, dass Palestrina’s Messen allen Wünschen volle Rechnung tragen, und erklärten den Sängern, „dass sie keinen Grund finden, in der Kirchenmusik eine Veränderung anzurathen — doch sollen die Sänger stets bedacht sein, ähnliche Werke, wie die eben gehörten, für den Gottesdienst zu wählen. Car- dinal Borromeo aber erstattete seinem Oheim, dem Papste, Bericht über den günstigen Erfolg der vorgenommenen Probe und äusserte sich besonders über die dritte Messe in Ausdrücken der Bewunde- rung. Pius IV. war äusserst begierig das neue Werk zu hören. Ein Te Deum, das am 19. Juni 1565 wegen des Bůndnisses des päpstlichen Stuhles mit den Schweizer Eidgenossen gefeiert wurde, bot dazu Ge- legenheit. (Cardinal Carl Borromäus celebrirte am Altare, der Papst und die Würdenträger der Kirche waren anwesend. Die Feier fand in der Sixtinischen Kapelle statt. Pius war äusserst ergriffen — er hatte gemeint die Chöre der Engel zu hören. Zu den Begleitern ge- wendet rief er: „Queste dovettero essere le armonie del cantico nuovo, che Giovanni I apostolo udí. cantare nella Gierusalemne trionfante delle quali un altro Giovanni ci da un seggio nella Gieru- salemme vlatrice.“ Jetzt stand Palestrina’s Ruhm und Ansehen für alle Zeiten fest. Eine unmittelbare Folge jener glänzend bestandenen Probe war ein Motuproprio des Papstes, wodurch Palestrina zum „Compositore“ der päpstlichen Capelle ernannt wurde. *) Palestrina selbst glaubte ganz ehrlich hier einen neuen Styl geschaffen zu haben. In der Dedicationsvorrede des zweiten Bandes seiner Messen (1567 bei den Brüdern Dorici zu Rom) sagt er: „Gravissimorum et religisio- sissimorum hominum secutus consilium ad sanctissimum missae sacrifi- cium novo modorum genere decorandum omne meum studium, operam in- dustriamque contuli.“ 32 Historische Section am 16. Februar 1863. Anwesend die Herren Mitglieder: Erben, Tomek, Zap, Doucha, Winařický, Bezděka, Zikmund; als Gast Herr Frühauf. Herr Tomek setzte seinen, in der Sitzung am 20. October vor. Jahres abgebrochenen Vortrag (in böhmischer Sprache) über die To- pographie der Neustadt Prags zu Ende des 14. und zu An- fang des 15. Jahrhundertes fort. Die diessmaligen Mittheilungen um- fassten die Partie vom Viehmarkt bis zum Wysehrad, dann anderer- seits vom Rossmarkt bis zum Moldauflusse. Hierauf las Herr Dr. Frühauf (als Gast) einige Kapitel aus einer grösseren Abhandlung über die handelspolitischen Verhältnisse des Byzantuinischen Reiches. Naturwiss.-malhem. Section am 23. Februar 1863. Anwesend die Herren Mitglieder: Reuss, Weitenweber, Pierre, Amerling, Cupr, v. Leonhardi, Kořistka und Palacký jun. Der Secretár der Gesellschaft, Dr. Weitenweber, theilte ein gedrucktes „fliegendes Blatt“ unter dem Titel: Newton und Leibnitz, mit. Der Aufsatz, von Pau in Frankreich aus datirt Januar 1863, ist in drei Sprachen , der französischen , englischen und deutschen verfasst. Er betrifft die von Herrn Gerhardt veranstaltete Edition der Leibnitz’schen Werke. Derselbe hatte nämlich „auf Staatskosten jetzt 14 Jahre lang den berühmten grossen Schrank der Bibliothek zu Hannover, der die unendlich vielen, unordentlich daliegenden Massen „Leibnitzischer Manuscripte“ enthält, benutzt, durchsucht, gelesen, studirt, zum Theile edirt.“ Doch unterliess Herr Gerhardt, aus der erwähnten Sammlung von Handschriften Leibnitzens eine zu veröf- - fentlichen, welche sich dort ebenfalls befindet und die Aufschrift führt: Excerpta ex tractatu Neutoni Msco. de Analysi per aeguationes nu- mero terminorum infinitas. Und gerade diese Excerpte sind es, auf deren Grundlage die Gegner Leibnitzens zu wiederholten Malen die Beschuldigung aussprechen, es habe. Leibnitz an Newton bezüglich der Erfindung der Diferentialrechnung ein Plagiat begangen. Der Ver- 33 fasser vorliegenden Blattes fordert — wie das bereits im J. 1858 durch eine Schrift des Dr. Sloman in zarter Weise geschehen — zur endli- chen Publication jenes Documents auf, indem er für diesen Fall die „überreichlich genügende Summe“ von 250 Franken für die Kosten der Publication bestimmt und bei dem Notar de Fanget (no. 18 Rue de Prefecture in Pau, departement des Basses-Pyrenees) deponirt habe. Herr Amerling besprach die Weinreben und den Wein- bau Oesterreichs überhaupt und Böhmens insbesondere. Nachdem der Vortragende in Kurzem die Literatur über diesen Gegenstand angeführt und namentlich die betreffenden Abhandlungen von Helbling, Pohl und David erwähnt hatte, schilderte er insbesondere alle die im hierländigen Weinbau obwaltenden Fehler und Missbräuche, welche sich nach seiner Meinung nothwendig bei einer entsprechenden naturökonomischen Betrachtung der Eigenschaften und der Complexe der Weinrebe ergeben. Dahin rechnet Dr. Amerling vor Allem das zu viele Zertheilen und widernatürliche zur Frucht Treiben junger Weinstöcke, wodurch dieselben vorzeitig geschwächt und entnervt werden, während die Natur die Reben in ihrem Urvaterlande, und als Vitis Labrusca, d. i. in verwildertem Zustande stets in grossen, mehrere hundert Jahre alten Hochstämmen liebt. Es steht die Erfah- rung fest, dass die ältesten Weinstöcke ohne Ausnahme die besten Trauben und auch den besten Wein liefern. Zum Belege führt der Vortragende die vorzüglichsten Weinreben-Sorten in den Weinwäldern Imeretiens, Mingreliens, so wie in Schiras (Buchenwälder), auf Cypern und Candia (Ahornhaine), endlich in Burgund, am Rhein u. dgl. an. Ein weiterer Uebelstand sei, dass man häufig bei der Weinlese alle Sorten zusammen mischt und so presst. Im Februar 1863 eingelaufene Druckschriften. Berichte über die Thätigkeit der St. Gallischen naturwissenschaft- lichen Gesellschaft. St. Gallen 1860—1862. Drei Hefte. Bulletin de la Societ& geologique de France. II. Serie Tom. 18. feuill. 44—52., Tom. 19. feuill. 13—45. Paris 1860—1862. Natuurkundig Tijdschrift voor Nederlandsch Indie. Deel XXIV. Batavia 1862. Sitzungsberichte 1863. I. 3 34 Atti dell I. R. Istituto Veneto di scienze ete. « Venezia 1863. Tom. VII. disp. 2. hi 1 Johann Giestl. Münchshöfen in Niederbaiern als Mineral- Badecurort. Landshut 1854. Ders. Die südwestbaierische Schweiz. Small 1857. E. Laspeyres. Geschichte der volkswirthschaftlichen Anschau- ungen der Niederländer u. s. w. Gekrönte Preisschrift. Leipzig 1863. Mémoires de la Societe des Antiguaires du Nord. 1850—1860. Copenhague 1861. Magazin der Literatur des Auslandes. Leipzig 1863. Nro. 3—6. Quellen und Erörterungen zur baierischen und deutschen Ge- schichte. II. Bandes 2. Abtheilung. München 1862. Časopis českého Musea. V Praze 1862. Ročník XXXVL er W. Shakespeara díla dramatická. V Praze 1862. Číslo 63, 64. Mémoires de la Société de Physigue et d’Histoire naturelle de Genéve. Tom. XVL 2. parte. Genéve 1862, in 4". B. Silliman. The American Journal of Sciences and. Arts. Vol. XXXIV. no. 102. New Haven 1862, November. Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft. Berlin 1862. XIV. Band, 3. Heft. ;ulletin de la Sociéte Imper. des Naturalistes de Moscou. Annee 1862. Nro. IL Česko-moravská kronika K. VL. Zapa. V Praze 1863, sešit 6. Zeitschrift für Philosophie und philos. Kritik, herausgegeben von Fichte u. sw. Neue Folge. XL. Band, 1. Heft. Halle 1863. The Transactions of the Royal Irish Academy. Dublin 1862. Vol. XXIV. part 2. F. ©. Schübeler. Die Culturpflanzen Norwegens. Christiania 1862. Th. Hiortdahl og M. Irgens. Geologiske Undersogelser i Bergens Omegn. Christiania 1862. Forhandlinger i Videnskabs-Selskabet i Christiania. Aar 1861. M. Sars og Th. Kjerulf. Nyt Magazin for Naturvidenskaberne. X. 1. 2: 3.4, Rd do 30 Jahrbuch der k. k. geologischen Reichsanstalt. Wien 1861 bis 1862. Nro. 4. A. Em. Reuss. Die Foraminiferen des norddeutschen Hils und Gault. Wien 1862. (Sep. Abdruck, vom Hrn. Verfasser.) 35 Philologische Section am 2. März 1862. Anwesend die Herren Mitglieder: Erben, Hanuš, Weitenweber, Zap, Storch, Winařický, Wrťátko, Staněk; als Gäste die Herren Da- stich und Klemt. Herr Wrtätko las (in böhmischer Sprache) eine Abhand- lung des corresp. Mitgliedes Jos. Jireček in Wien über bozi und běsi der heidnischen Böhmen. Der Widerstreit des Guten und Bösen war das Grundprincip der Theologie der heidnischen Slaven. Was gut und böse sei, bemassen sie nicht nach ethischen Grundsätzen , sondern nahmen beides ganz in empirischer Bedeutung. Alles Widerwärtige war bös, alles Wohl- thuende war gut, mochte es die Seele oder den Leib, oder beide zu- gleich betreffen. Da die slavischen Heiden jede Erscheinung in der „Natur höheren Wesen zuschrieben, so theilten sich auch diese in gute und böse, in bozi und běsi. Das Wort boh bedeutet ein leuch- tendes, freundliches, běs ein böses, unfreundliches Wesen. — Letz- teres ist mit dem deutschen bös auch etymologisch verwandt. Die Bekehrer der Slaven nahmen bog für Gott, bes für die Teufel. Letz- teres war insbesondere in Böhmen bis in das 14. Jahrhundert der Fall; damals erst verdrángte das jetzt übliche črt, čert den bes. — Nachweise über diesen Dualismus finden sich bei Helmold, bei Nestor und in altböhmischen Denkmälern, in denen die Entgegenstellung der bozi und besi klar hervortritt. — Den běsen wurden rücksichtlich der Menschen und Thiere alle verderblichen Vorfälle zugeschrieben , ins- besondere Lähmungen , heftige Leidenschaften , Zorn, aufbrausende Wuth, übermässige Ueppigkeit in sexueller Beziehung, Raserei, Wahn- sinn, kurz jeder Zustand, wo die freie Bewegung des Körpers oder die Herrschaft der Seele über die Sinne aufhört. Von den běsen rührten ferner die Wirkungen der Gifte her. Die bösen waren die Bewirker alles Unglückes im Kriege und Frieden. Wünschte ein Krieger seinem Feinde das Aergste, so sprach er, der běs möge in ihn hineinfahren. Auch die Todesgöttin, Morana, die Dämonen der Furcht und des Schreckens, Třas und Strach, gehörten zu den běsen. In der übrigen Natur waren die „besen“ Urheber der Gewitter und Erderschütterungen. Dies wurde noch im 16. Jahrhunderte fest geglaubt. Aber nicht bloss im Raume unter dem Himmel (podnebesie) hausten 3 * 36 die bösen; sie hatten ihre Stätten auch in den Tiefen der Wásser und der Erde. Insbesondere waren ihnen Reptilien únterthan. Daher kam es, dass die Missionáre vor Cyril und Method böse Geister als Grossköpfe (veleglavy), unter der Erde wohnend, schilderten und den neuen Christen die Tödtung von Reptilien als Verdienst anrechneten. Daher rührt auch die Opferung von lebenden Wesen beim Baue grosser Gebäude. — Während des Winters beherrschten die běsen das Weltall, und wurden erst von der Frühjahrssonne besiegt. — Den bozi schrie- ben die heidnischen Böhmen alles irdische Wohl zu. Da’den Slaven der Glaube an ein Fatum fremd war, glaubten sie, Wohl und Wehe hänge allein von der Gunst oder Ungunst der bozi ab... Vor Unter- nehmungen machten sie den bozi Gelübde, welche sie nach glücklich erreichtem Erfolge gewissenhaft erfüllten. Die bozi ‚führten als Be- schützer der Menschen den Beinamen spásy (Retter), als ewig le- bende Wesen das Epithet věkožízný. Die bozi liebten: Sänger und begeisterten. sie zum herzergreifenden Gesange. Von den bozi rührten die Volksgesetze und Volkseinrichtungen her. — Die bozi waren des Zornes und der Rache fähig. Aber sie liessen ihren Zorn nicht selbst über die Sterblichen ergehen , sondern entzogen: diesen nur.(ihren Schutz und gaben sie den besen preis. Das geschah auch insbesondere im Kriege. Auf diesem Glauben. beruhen die bei den Slaven uralten Gottesurtheile: wem die bozi-wohlwollten , ‘wer also ‚schuldlos | war, -den retteten sie aus Feuer und Wasser; wer‘ schuldig und ihres Zor- nes würdig war, den liessen ‘sie dabei untergehen oder schadhaft werden. — Allein bei all’ dem gelangte das böhmische Heidenthum nicht zu jener Entwickelung,, um sich einen eigenen Repräsentanten des Guten und Bösen zu bilden, wie wir es bei den Elbeslaven finden. Daher kennt die böhmische Mythologie weder einen belbog noch einen črnobog. (Vollständig abgedruckt: in der böhm. Museumszeitschrift, 1863..1. S. 19—28.) | Philosophische Section am 9. Marz. 1863. Anwesend die Herren: Weitenweber, Hanuš, Volkmann, Wrťátko, Storch und Frühauf; als Gäste: Dastich und Lang. Ir Far dri Herr Hanuš las (in böhmischer Sprache) eine Aha über die slavische Ježi- Bába., Da der Vortragende der vorge- ‚rückten Zeit halber nur von den beiden mythologischen Gestaltungen m are Pe U 37 dieser Góttin, die mit Demeter — Ceres — Perahta parallelisirt werden kann, nämlich von den Gestaltungen derselben als Zeměmáti (Erden- mutter) und Zlatá-Bába oder Bílá-Paní (Weisse Frau) handeln konnte, so wurde die Fortsetzung und der Schluss einer künftigen Sitzung vorbehalten , nach welcher auch eine kurze Uebersicht des Inhaltes des heutigen Vortrages hier nachträglich eingerückt werden wird. Hierauf besprach (in deutscher Sprache) Hr. Volkmann das Wesen und die Schwierigkeiten der verschiedenen Farbentheorieen unserer Zeit. Historische Section am 16. März 1863. "Anwesend die Herren Mitelieder: Weitenweber, Cupr, Bezdeka, Winařický, Zikmund und Frühauf; als Gast Herr Emler. Herr Frühauf setzte seinen (in der Sitzung am 16. Februar 1. J. abgebrochenen) Vortrag über den byzantinischen Han- deEH or 4 i | Naturwiss.-mathem. Section am 23. März 1863. ' Anwesend die Herren Mitglieder: Weitenweber, Pierre, Amer- ling, Pečírka, Nickerl, Kořistka und Palacký jun. (Herr Weitenweber theilte eine Schilderung der im verflossenen Jahre bei Němčic in Mähren neuaufgefunde- nen grossartigen unterirdischen Höhle mit. Der um die Natur- und Landeskunde Mährens bereits vielseitig verdiente Bergarzt zu Blansko, Hr. Dr. Heinrich Wankel, hat so eben eine schätzbare briefliche Mittheilung über diesen Gegenstand an uns gelangen lassen , welche wir hier unverändert folgen lassen wollen. Sie lautet: | Wie Sie aus den ausgezeichneten Arbeiten des Herrn Prof. Dr. A. Reuss über unsere Gegend ersehen haben werden, sind die den devonischen Kalk durchziehenden Ausbuchtungen, Mulden und mit dem Tag in Verbindung gestandenen Höhlungen, theilweise von einer erzführenden zerstörten Juraformation erfüllt, welche eine grosse Menge verhüttbaren Brauneisensteins für die Hochöfen Jedovnie, Ernsthal und Klepačov liefert. Solche bauwürdige Lagerstätten finden sich auf und in dem Kalke bei Němčic, Rudic, Habruvka, Olomučan, Babic 38. u. d. gl. Es wird gewöhnlich durch die Juraformation ein Schacht bis auf den Kalk abgetauft, aus denen in verschiedenen Horizonten Quer- strecken nach der die Mulde umgebenden Kalkwand getrieben werden, an welcher man oft weiter geht, um entweder das Erz abzubauen, oder ein Bild von der Gestalt der betreffenden Mulde. zu. erhalten. Das Erz findet sich bald in grossen , ausgedehnten , lageráhnlichen,. bald in kleinen zerstreuten Putzen in der Juraformation vor; sobald man nun auf eine solche Putze stösst, wird diese abgebaut und sodann versetzt. Obwohl nicht zu läugnen ist, dass die Erzablagerung im Goa doch einige Regelmässigkeit besitzt, und stets von einem sich con- stant bleibenden liegend und hangend Gestein begleitet wird, so ist doch der Abbau nur ein Versuchsbau und der Aufschluss des Erzes mehr dem Zufalle anheimgestellt. Es geschieht nicht selten, dass sonst bedeutende Parthien des Kalkes durchsprengt werden müssen, um in eine andere Kalkmulde zu gelangen. Bei dieser Gelegenheit ereignet es sich auch häufig, dass, die Bergleute auf leere Räume stossen, die mit den schönsten Kalk- spathkrystallen drusenartig ausgekleidet sind; oder es wird eine Spalte aufgeschlossen, durch die ihnen ein heftiger Luftstrom entgegenzieht und darthut, dass solche Spalten in Höhlen führen, welche mit: der Atmosphäre in Verbindung stehen; nicht selten aber gelangen sie dureh breite, sich öffnende Spalten in oft mehrere Kubikklafter ınes- sende Räume, in denen sich manchmal stehendes, sehr tiefes Wasser vorfindet. Solche Höhlen hat man in Němčic schon frühere Jahre aufge- schlossen; sie sind grösstentheils kahl gewesen oder nur spärlich mit Tropfstein besetzt. (Ein Handstück aus einem drusenartigen Raume bin ich so frei beizulegen.) Die neueste Entdeckung verdanken wir einem Bergmanne,, Na- mens Prokop aus Sloup, der längs einer mit Erz ausgefüllten Spalte des Kalkes arbeitend, plötzlich den Boden unter seinen Füssen wanken fühlte und einige Klaftern tief in einen finstern Raum herabstürzte. Als er sich erholt hatte und den Ort näher betrachtete, gewahrte er, dass er sich in einer Grotte befinde, die mit dem schönsten glashellen Tropfstein, gleich einer Eisgrotte, ausgestattet war. Nachdem die Kunde bis zu mir gelangte, beeilte ich mich, die- 39 selbe in unsern Augenschein zu nehmen. Ich fuhr durch einen 15 Klaftern tiefen Schacht herab, gelangte sodann durch eine 38 Klafter lange enge Spalte des Kalkes zur Oeffnung der Grotte, durch die ich in dieselbe herabstieg. Schon gleich beim Eintritte in dieselbe über- raschten mich die von der First herabhängenden wasserhellen Zapfen, und als ich herabkam und linker Hand in eine 3 Klafter lange, 14 Klafter hohe und 2 Klafter breite kapellenartige Halle trat, entzückte mich die reiche Fülle und wasserhelle Durchsichtigkeit reicher Tropf- steingebilde. In tausendfachen Blitzen widerstrahlte das Licht von den zahlreichen Krystallflächen ; gleich Eiszapfen von reinstem Wasser hingen schuhlange Stalaktiten herab und ein 3 Schuh hoher und 2 Schuh dicker, durchscheinender Trawertinkogel erhob sich aus der Mitte der Halle. Der Boden ist überfluthet mit eisähnlichen Massen , die sich gleich einem erstarrten Wasserfalle cascadenartig herabsenken. Zu meiner Ueberraschung fanden sich an allen Stalaktiten die Enden mit deutlichen, theils stumpferen theils spitzigeren Rhomboědern ausge- bildet. Während sie bei den Stalakmiten mehr abgerundet erscheinen, sind sie bei ersteren grösstentheils scharfkantig; auch ist die Anord- nung der Tropfsteingebilde von allen von mir bisher gesehenen so verschieden, dass ich unwillkürlich auf die Idee geleitet wurde, diese Bildung möge ursprünglich auf ganz andere als auf die gewöhnlich tropfsteinbildende Weise entstanden sein. Es ragen nämlich oft meh- rere zolllange Tropfsteine, die hie und da mit Spuren deutlicher Kry- stallbiidung umgeben sind, horizontal aus der Wand hervor; oder es ordnen sich mehrere Stalaktiten zu einer rosettenartigen Gruppe nach allen Seiten, sie sehen dann ganz deutlich geschmolzenen Krystallen ähnlich mit abgerundeten Kanten und Flächen. Nach dem Sitze, der Form und dem Vorkommen der krystallartigen Tropfsteine zu schliessen, dürften dieselben sich ursprünglich aus dem Wasser abgesetzt haben. Die Höhle mag früher ganz mit Wasser ausgefüllt gewesen sein, in welchem der Krystallisationsprozess stattgefunden und Krystalle an die Wände der Höhle abgelagert hat. Nachdem nun das Wasser ab- gelaufen ist, mag der gewöhnliche Tropfsteinprozess begonnen haben. Mehrere Stalaktiten, wie z. B. jene, die Se. Durchlaucht der Herr Fürst Salm in Besitz genommen hat, zeichnen sich besonders durch reiche Combinationen aus; so findet sich namentlich an einem, einem wasserhellen Glase gleichen Stalaktit folgende Combination: R — 1. 40 R + 2. R + 1. R. (P)*. P + oo. Die Flächen sind rings herum nur angedeutet, die Spitzen aber vollkommen ausgebildet; an einigen ist die eine oder andere Combination vorwaltend, oder einzelne Flä- chen auf Kosten der anderen vergrössert. Dort, wo die Spathsubstanz die Fläche des Krystalles nicht erreicht , ist sie tropfsteinartig abge- rundet und rauh, die Flächen aber in der Regel glatt und glänzend. Viele der Stalakmiten stellen oft nur ein Individuum vor, ohne gerade. ein vollkommener Krystall zu sein; es sind oft alle 12 Flächen des, Skalenoöders vorhanden, doch sind sie so weit nicht ausgebildet, dass sie sich gegenseitig berühren, um einen vollständigen Krystall darzustellen.*) In nördlicher Richtung stieg ich einige Klaftern tief; herab zu einem Wassertümpel von 6 Klaftern Länge und 4 Klaftern Breite und 8 Klaftern Tiefe; die Grotte ist hier kahl und überall ragen die scharfen Kanten des Kalksteines hervor, der Boden ist mit Trümmern von Kalkblöcken und ungeheuern Erztrümmern bedeckt. Eine lange Fahrt führte uns über den Wassertůmpel auf die andere Seite des-: selben; von da stiegen wir 6 Klaftern empor und gelangten durch einen 5—6 Klaftern langen Gang in eine 20 Klaftern lange, 18 Klat- tern breite und 6 Klaftern hohe, domartige Halle, deren Sohle lauter Erz enthält, das sich an einzelnen Stellen in Form von Hügeln bis zur First der Grotte erstreckt. Auch hier, auf dem tiefsten Punkte ; der Grotte, findet sich ein einige Klaftern breiter Wassertümpel, dessen Tiefe ich jedoch nicht ermessen konnte. | Der grosse Reichthum an sehr ausgezeichnetem Eisenerz, Pes mit dieser Höhle aufgeschlossen wurde, hat die Höhle in dieser, Ge- gend sehr berühmt gemacht , es wurden Feste veranstaltet und der Schatz der Höhle feierlichst eingeweiht. Dadurch ist dem Bergbau daselbst ein weites Feld geöffnet, viele Jahre hindurch kann aus dieser ; Höhle eine reiche Quelle fliessen für. die fleissige Industrie, und einer. grossen Anzahl Menschen Erwerb und Auskommen. sichern. : Es ist, diess daher ein Schatz nicht allein für den Gewerken und die Wissen- schaft, sondern auch für das Land und die Bevölkerung. — *) Ich sende Ihnen einige Stückchen dieses Tropfsteines; leider ist es mir nicht gelungen, bessere Exemplare zu erhalten, da man von dem Schönsten nichts abschlagen will und die Grotte unter einer Aufsicht steht, welche den wissenschaftlichen Werth einzelner Gebilde nicht würdigen kann, daher vieles und schönes Material nutzlos verloren geht. 41 Hierauf sprach Herr Palacký jun. úber die geographische Verbreitung der Thalamifloren im Allgemeinen, Philologische Section am 30. März 1863. Anwesend die Herren Mitglieder: Wocel, Staněk, Doucha, Zik- mund und Wrťátko; als Gäste die Herren Beneš und Patera. Herr Wocel hielt einen Vortrag über die Echtheit der Königinhofer Handschrift auf Grundlage des über diesen Gegenstand von den Herren Joseph und Hermenesg. Jire- tek herausgegebenen Werkes. Der Inhalt jenes Vortrages , welcher‘ vollständig im „Časopis Musea království Českého“ (Jahrgang 1863 1. Heft): vorliegt, ist in Folgendem enthalten: Seit einer Reihe von Jahren erschienen zahlreiche polemische Schriften, in welchen die Echtheit der Königin- hofer Handschrift negirt und dieselbe als» sein: um das Jahr 1817 fabrieirtes Falsificat hingestellt wurde. Insbesondere waren es zwei Abhandlungen dieser Art, welche am ausführlichsten und mit schein- barer -Gründlichkeit auf diesen Gegenstand eingingen, und zwar: „Die Königinhofer Handschrift und ihre Schwestern“ von Max Büdinger (in Sybel’s „Historischer Zeitschrift“ 1859, 1.) und „Ueber die Kč- niginhofer Handschrift“ von Julius Fejfalik (Wien 1860). Gegen die Polemik Büdinger’s und Fejfalík's, besonders aber gegen die Schrift: des Letztern, in der alle bisher gegen die Echtheit der Königinhofer Handschrift vorgebrachten Argumente. zusammengefasst erscheinen, ist nun das Werk: „Die. Echtheit der Königinhofer Handschrift, kri- tisch nachgewiesen „von ‚Joseph und. Hermenegild Jireček, Prag 1862“ gerichtet, in welchem die Ansichten der Gegner mit Gründen bekämpft. werden, deren Haltbarkeit wohl Niemand, der ohne Vorur- theil dieselben prüft, bezweifeln wird. Leider wurde die mit ungemei- » nem Scharfsinn und wissenschaftlicher. Gründlichkeit verfasste Apologie der, Gebrůder Jireček bisher von der deutschen. literarischen Kritik kaum beachtet, so dass es den Anschein hat, als wollte man dieselbe: todtschweigen, und die in Folge der wiederholten leidenschaftlichen © Angriffe verbreitete Ansicht von der Unechtheit jener altbohmischen Dichtungen zur dauernden, Geltung bringen. Hier mögen. einige der schlagendsten Argumente. der Apologie angeführt und überdies noch. 42- andere Grůnde vorgebracht werden, welche für die Echtheit der Königinhofer Diehtungen sprechen. Fejfalik behauptet unter Anderem, dass die Stelle in de Kč- niginhofer Gedichte „Ludiše a Lubor“ : „vlasy v prstenciech skadeřeny“ (die Haare in Ringen gelockt) ein neuhochdeutscher Germanismus und somit ein modernes Fabricat sei. Allerdings kommt in dieser Bedeu- tung das Wort „prstenec“ in den bis zum J. 1860 bekannten böhmi- schen Sprechdenkmalen nicht vor; aber in der von Dr. Pečírka in Stockholm entdeckten St. Katharina-Legende — deren Handschrift durch die Vermittlung Sr. Eminenz des Kardinal-Erzbischofs von Prag im J. 1859 nach Prag gelangte, — heisst es: „Auf seinem Nacken wanden sich die Locken gleich goldenen Ringen“ (jakožto zlatí pr- stenci); wie hätte nun ein Betrüger im J. 1817 wissen können , dass das Wort „prstenci“ in dieser Bedeutung im Altböhmischen vorkomme, und dass ein Beleg für die Echtheit dieser Sprachweise sich in einer Handschrift der Stockholmer Bibliothek berge? Bei der Stelle des Gedichtes „Zaboj“: „Aj ty vraze, běs v tě“ (ha, du Wůrger, běs fahre in dich) tritt Fejfalík mit der Behauptung auf, dass „běs“ den heidnischen Slaven keineswegs ein böser, sondern ein guter Gott gewesen sei, während doch alle altslavischen Quellen seit Nestor „b&s“ als den mythi- schen Repräsentanten des Bösen bezeichnen, und selbst J. Grimm die Verwandtschaft des deutschen „bös“ ahd. „pósi“ mit dem sla- vischen „b&s“ nachweiset. — Ferner glaubte Fejfalik einen Beweis gegen die Echtheit der Königinhofer Handschrift darin zu finden, dass in dem Gedichte „Zaboj“ nur „Götter gemeinhin“ erwähnt werden. Dieses hält Fejfalik für eine bei den böhmischen Heiden des IX. oder X. Jahrhunderts unmögliche Ausdrucksweise; denn ein böhmischer Heide jener Zeit hätte gewusst, dass der Sieg von einem einzigen bestimmten Gotte abhänge und den Namen dieses 'Einen Gottes hätte er gewusst; und wenn es heisst, dass „Götter einen guten Sänger lieben“ , so sei dies ein ebenso arger Verstoss, denn die heidnischen Böhmen schrieben gewiss die Sangeskunst einem bestimmten Gotte zu. Die Vertheidiger der Königinhofer Handschrift weisen hingegen aus unverdächtigen Quellen (Procopius Casariens., Nestor, Cosmas) nach, dass gemäss der Anschauung der alten Slaven das Wohl und Wehe in der Hand der Götter‘ und zwar nicht bloss’ 7 43 einzelner, sondern Aller insgesammt , lag, und dass der ausgebildete Gótzencultus der Elbeslaven , die allerdings einen Gott des Krieges kannten, mit dem Naturcultus der heidnischen Böhmen nicht ver- wechselt werden dürfe, und dass eben jener Götzendienst mit seiner einflussreichen Priesterkaste, wie Hilferding in seiner trefflichen Monographie: Heropia 6arriück. Crasanp nachgewiesen , eine der Ur- sachen des heftigen Widerstandes der baltischen und Elbeslaven gegen das Christenthum gewesen, während die Lehre Christi bei den übrigen Slaven viel leichter Eingang fand. Würde das Gedicht „Za- boj“ den Kriegsgott der baltischen Slaven oder gar den in viel spä- terer Zeit fingirten Gott der Gesanges Chason anführen, so müsste man eben darin einen deutlichen Beweis des modernen Ursprungs der Königinhofer Handschrift erblicken. — Mit welch’ krampfhafter Anstrengung Fejfalik bemüht war, die Königinhofer Handschrift zu verdächtigen, ergibt sich insbesondere aus dem dritten mythologischen Anklagepunkte desselben, dass nämlich die Einechtheit jener Dichtung daraus hervorgeht, weil im Zaboj und Čestmír „Morana“ als Todes- göttin angeführt wird, „da doch Morana die grosse mütterliche Erd- góttin der Slaven und mit der „Vesna“ identisch gewesen war.“ Andere allgemein bekannte Gründe, durch welche diese absonderliche Behaup- tung widerlegt wird, úbergehend, bemerken wir bloss, dass nach Mik- losié (Bildung der nomina im Altslovenischen , S. 40) „Vesna“ die heitere Jahreszeit bedeute, und dass die Wurzel des Wortes Morana „mar“ (mr) in dem böhmischen mor, die Seuche, mříti, sterben, smrt der Tod u. s. w. enthalten sei und dass im Sanscrit marana der Tod heisse. Eben so grundlos erscheint die heftige Ereiferung Fejfalik’s gegen die Stelle des Königinhofer Liedes „die Lerche“, wo ein Mädchen singt: „Wenn ich ein Federchen hätte, würde ich ein Blättlein (Briefchen) schreiben.“ „Diese schreibende, Gänsekiel-führende Bauern- dirne des XIH. Jahrhunderts“ — ruft Feifalik aus — „würde allein genügen, die Königinhofer Handschrift in den Augen aller klar Den- kenden zu richten.“ Hingegen wird in unserer Apologie ausführlich nachgewiesen, dass in russinischen, serbischen und slovakischen Liedern Dorfmädchen häufig genug Briefe schrieben , obgleich , wie bekannt, die russinischen, serbischen und slovakischen Bauernmädchen ebenso wenig im Schreiben bewandert sind, wie die böhmischen des XII. 44 Jahrhunderts. — Aus Fejfalík's Argumentation‘ můsste man folgern, dass die serbischen Lieder, in ‘welchen Mädchen Briefe schreiben, durchaus Falsificate wären , weil die serbischen‘ Bauernmädchen © bis. heute noch gar nicht schreiben kónnen. | Ba Hola Fejfalik findet, dass in dem Gedichte Jaroslav die am Berge Hostein vom Feinde umringte Christenschaar Schla chtgesänge anstimme, deren Inhalt dem 7. und 26. Psalme entlehnt ist; dieses“ sei nun ein arger Anachronismus, weil die alten Böhmen‘ keinen andern Schlachtgesang als „Hospodine, pomiluj ny“ gekannt hätten. — Nun weiss aber ein Jeder, dem die herrliche Dichtung Jaroslav bekannt ist, recht wohl; dass die Christen am Hostein keine Schlacht- lieder, sondern Gebete singen in der heiligen Kapelle vor dem Altare der heiligen Gottesmutter. Dass aber an einigen Stellen dieser Gebete Anklänge an die Psalmen vorkommen, wird jeder natürlich finden, der da weiss, dass sich böhmische Psalmübersetzungen aus der Mitte des XIII. Jahrhunderts bis auf unsere Tage erhalten haben. — Das Gedicht Ludiše a Lubor wird von Fejfalik aus dem Grunde als ein modernes Falsificat bezeichnet, weil die in demselben vorkom- mende Schilderung eines ritterlichen Kampfspieles an einigen Stellen mit der Beschreibung des Zweikampfes in dem böhmischen Volksbuche von Stilfrid übereinstimmt. Es existiren aber zwei böhmische Be- arbeitungen der bekannten Stilfridsage und zwar eine ältere in einer“ Handschrift des XV. Jahrh. in der Prager Universitätsbibliothek, und eine zweite, viel jüngere, in der Textirung und Ausdrucksweise von der ersteren sehr abweichende Chronik von Stilfrid, welche im Jahre 1738 im Drucke erschien. Bloss mit dem älteren handschriftlichen Texte dieser Chronik stimmen einige auf den Zweikampf sich‘ bezie- hende Ausdrücke des Gedichtes Ludiše a Lubor überein, "keineswegs aber, wie die Gebrüder Jireček ausführlich nachweisen ,' mit dem spátern gedruckten Texte der Chronik. aká klas Es hatte aber im J. 1817 Niemand eine Ahnung von der Exi- stenz jener handschriftlichen Chronik, die erst im J. 1825 in einem Miscellaneenbande (IX. B. 4) der Prager Universitätsbibliothek zufällig‘ entdeckt wurde; ein Betrüger hätte daher unmöglich aus einer Quelle schöpfen können, welche erst nach acht Jahren entdeckt werden sollte. ' Ja eben in dem Umstande, dass die auf den Zweikampf: sich bezie- ' henden Ausdrücke in Ludiše a Lubor mit den homogénén Benennungen ! 45 in der altböhmischen Handschrift übereinstimmen, liegt ein beachtens- werther Beweis von der. Echtheit der Königinhofer Gedichte; und wenn Fejfalík einen neuen Verdachtsgrund gegen die Originalität der Kóniginhofer Handschrift darin erblickt, dass gewisse, dem deutschen Ritterwesen entlehnte Kunstausdrůcke, wie sie in der spátern Periode in Böhmen gebräuchlich waren, in der Dichtung Ludiše a Lubor ver- misst und durch eigenthůmliche bohmische Benennungen ersetzt werden, So můssen wir dagegen einwenden, dass in dieser Dichtung ein Zwei- kampf nach einheimischer, seit uralter Zeit úblicher Weise (sedanie), keineswegs aber ein deutsches Turnier geschildert wird, ja, dass ein solches Turnier hier nicht einmal geschildert werden konnte, ‚weil: die Turniere (klanie, turnaje) erst unter Wenzel I. in Böhmen, wie der Fortsetzer des Cosmas berichtet, eingeführt wurden. Mit 'Unwillen ussert sich Dalemil über diese Neuerung: „Hoger (von Friedberg) brachte das Turnier (klanie) nach Böhmen und Verarmung kam in dessen: Gefolge. Man fing an zu Turnieren zu fahren und richtete sich durch nutzlosen Aufwand zu. Grunde“ u. s. w. Hätte nun der Dichter ‚der: Königinhofer: Handschrift ein Turnier. nach deutscher Weise geschildert, so wäre eben dieses ein arger Ana- chronismus und ein Beweis des späteren Ursprungs jener Gedichte. Wir gewahren somit, dass eben: durch die Angriffe der Gegner Stellen in der K. H. aufgedeckt werden, welche sich als prágnante Kennzei- chen der Echtheit derselben: darstellen. "Ein heiteres Intermezzo bildet in diesem Streite Herrn Max Büdinger’s Angriff auf die Trommeln, deren in der K. H. mehrmals ‚Erwähnung geschieht. Derselbe behauptet nämlich (Sybel’s historische Zeitschrift: 1859, I. Heft, S. 137.): „Trommeln sind bei europäischen Heeren während des ganzen frühern Mittelalters unbekannt gewesen. Es wäre thöricht, im XII. Jahrhunderte an Trommeln bei einem böh- misch-deutschen Heere zu denken und die Fälschung hätte schon hieraus allein einleuchten können.“ — Nachdem jedoch Herr Büdinger späterhin zur Einsicht gekommen, dass Vincentius, der als Augen- zeuge den Kriegszug König Vladislav I. gegen Mailand (1158) beschreibt, das „tympanum bellicum, tympanum signum Bohemorum“ anführt, tritt er am Schlusse seines Artikels: „Die Königinhofer Handschrift und ihre Schwestern“ mit der Behauptung auf, jenes „tympanum sei keine „Trommel“, sondern ein „Kessel“ oder vielmehr „eine Glocke“ 46 gewesen. Bald aber ánderte derselbe Gelehrte seine Ueberzeugung und liess am Schlusse des 2. Heftes der historischen Zeitschrift eine neue Ansicht úber die altbohmische Trommel abdrucken: „Was unter dem tympanum bellicum, von welchem Vincentius spricht, zu verstehen sei, geht unzweifelhaft aus einer Stelle in Aschbach’s Geschichte der Almoraviden (11. 18.) hervor; aus der Kriegsordnung Abdelmumens (um 1150) wird nämlich dort angeführt, dass das Zeichen zum Auf- bruche des Heeres in drei Schlägen auf einer ungeheuren Trommel bestand, die fünfzehn Ellen im Umfange hatte. Ein ähnliches Instrument hatte offenbar der Böhmenkönig im Orient kennen gelernt und brachte es vor Mailand in Anwendung.“ — Die Trommeln machten Herrn Büdinger viel zu schaffen; denn im 4. Hefte der genannten Zeitschrift gibt Derselbe eine vierte Trommelversion zum Besten, die er aus Nestor’s Chronik geschöpft, wo nämlich von Trommeln und Geigen, deren sich höllische Dämone bei einem Feste bedienten, Er- wähnung geschieht. Zu welchen Resultaten gelangte nun Hr. Büdinger bei seiner gelehrten Forschung? Zuerst behauptet er, die Trommeln der K.H. wären keine Trommeln, sondern Kessel oder vielmehr Glocken, bald darauf wurden aus den Glocken doch Trommeln, die überdies zu einem Umfange von fünfzehn Ellen anschwollen, und endlich schrumpft die Riesentrommel zu einer kleinen teufli- schen Tambourin zusammen. Hätte sich aber derselbe Gelehrte in den russischen und polnischen Quellenwerken genauer umgesehen, so hätte er die zuversichtliche Ueberzeugung gewonnen, dass bereits im XII. Jahrh. bei den böhmischen , polnischen und russischen Kriegs- heeren der Gebrauch der Trommeln und Trompeten eingeführt war. Das, Chronicon Ypatiev. erwähnt zum J. 1151 ausdrücklich der Kriegstrommeln, ja nach diesem Chronicon berechnete man die Stärke der Heereshaufen nach der Zahl der Fahnen, der Trommeln und Trompeten (biaše bo u Jurja stjagovs 13 — a trubs i bubnovs 60). Endlich erwähnt der gleichzeitige polnische Chronist Mart. Gallus ausdrücklich der Trommeln im polnischen Heere bei der Schilderung des Feldzuges des polnischen Königs Boleslav in Böhmen mit den Worten: „Vexillis erectis, tubis canentibus, tympamis resonantibus — per campos Bohemiae patentes bellum guarens et non inveniens incen- debat.“ (Pertz Monum. XI. p. 472.) In unserer Apologie wird ausführlich nachgewiesen, wie die alt- 47 böhmische Volkspoesie, die durch einen regelrechten Versbau und den Abgang des Reimes sich charakterisirt, um die Mitte des XIII. Jahrhunderts zu ihrer höchsten Blüthe gelangt war, und wie auf Grundlage derselben sich die Kunstpoesie, welche den Reim aufnahm, entwickelt hatte. Auf ähnliche Weise entwickelte sich ja die pro- vencalische, spanische, nordfranzösische und altdeutsche Kunst- poesie, wie auch die Kunstdichtung der Südslaven, so zwar, dass bei den romanischen , germanischen und slavischen Völkern in ge- wissen Zeitperioden beide Dichtungsarten neben einander gepflegt wurden, wie denn Ferdinand Wolf, der competenteste Fachmann auf diesem Gebiete, behauptet: „Es bedarf wohl jetzt keines Beweises mehr, dass die Volkspoesie überall und jederzeit vor der Kunstpoesie sich entwickelt und bestanden habe.“ (F. Wolf über die Lais S. 15.) Dass dieses auch der Fall in Böhmen gewesen, kann nicht bezweifelt werden; ja selbst Fejfalik führt in seiner posthumen von der Wiener kais. Akademie publicirten Abhandlung: „Altčechische Laiche, Lieder und Sprůche ,“ reimlose böhmische Volksgedichte aus dem spätern Mittelalter an. Die Königinhofer Dichtungen sind Denkmale der herrlichen Blü- thenperiode der altnationalen Poesie der Böhmen, während die böhmische Alexandreis als das durch Diction und Technik vollendetste Werk der Kunstpoesie des XIII. Jahrhunderts bezeichnet werden muss. Wie verletzend muss daher jeden Freund der böhmischen Literatur das absprechende Urtheil Fejfalik’s berühren, der da behauptet, „dass die Gedichte der K. H. im XIII. Jahrh. Niemanden hätten interessiren können, geschweige denn, dass Jemand solches Zeug, welches ihm hätte barbarisch dünken müssen, niedergeschrieben oder gar verfasst habe.“ Die Verachtung der K. H., welche das Urtheil Fejfalik’s invol- virt, die Beschuldigung der Rohheit, welche die Gegner der K. H. gegen diese jedem Böhmen theueren Nationaldenkmale schleudern, ist gewiss höchst unverdient und steht insbesondere deutschen Ge- lehrten nicht wohl an. In ethischer Beziehung muss man den alt- böhmischen Dichtungen den Vorzug vor den Denkmalen der altger- manischen Poesie einräumen. Aus dem Inhalte der altgermanischen und nordischen Dichtungen ergibt es sich, dass die Helden derselben zumeist durch die Begierde, fremde Länder zu erobern, rothes Gold und schöne Jungfrauen zu gewinnen, in blutige Kämpfe und gefahr” 48 volle Abenteuer getrieben werden; die zarten Regungen des Menschen- herzens, das Gefühl des der Gottheit schuldigen Dankes vermisst man fast durchgehends in jenen Dichtungen. Hingegen gewahrt man, dass die beiden in die heidnische Urzeit reichenden Königinhofer Dich- tungen Zaboj und Čestmír Helden besingen, welche keineswegs» um fremde Länder zu erobern, sondern zu dem Zwecke Kämpfe unter- nehmen, um das Vaterland vom Joche der Fremden zu befreien und den eingedrungenen Feind zurückzutreiben; ist dieser Zweck erreicht und der Feind über die Landesgränze gedrängt, so bringt das siegesfrohe Heer Dankesopfer den Göttern dar, stimmt Lieder des Dankes zum Preise der Geber des Sieges an und kehrt heim zu seinen Hütten. Findet man nun, fragen wir, etwas Aehnliches in den altgermanischen und skandinavischen Sagen und Dichtungen? — Vergleichen wir ferner die Tendenz des mit vollem Rechte hochgefeierten deutschen Nibelungenliedes mit jener, die sich in der Dichtung Jaroslav kund gibt, so wird man finden, dass diese Dichtung in ethischer Beziehung weit über dem Liede von den Nibelungen steht. Die Haupt- motive, die im ersten Theil des Nibelungenliedes walten, sind arger Betrug und Täuschung; im zweiten aber blutige, widernatürliche Rache; und diese Motive zucken unheimlich durch den reichen poe- tischen Blüthenschmuck , der über jener grossartigen Dichtung aus- gebreitet ruht, und trüben die Bewunderung, welche der Heldenmuth und die Charakterstárke der Nibelungenrecken hervorruft. :Fejfalik behauptet, im XII. Jahrhunderte habe den Geist des böhmischen Volkes und seine Dichtung eine vollständige Umwandlung ergriffen. Diese wurde, meint er, durch die unglaubliche Menge deutscher. Diehter, welche eine Unzahl fremder Sagen, Lieder und Gedichte colportirend an den königlichen Hof zu Prag und an die Burgen des böhmischen Adels sich herandrängten, herbeigeführt. Diese Behauptung von der völligen Umwandlung des böhmischen Volks- geistes im XIII. Jahrh. ist eben so unsinnig, wie die Ansicht, welche Fejfalik seinen Lesern auftischt, dass nämlich das böhmische Volk von den Deutschen gar Nichts zu fürchten hatte, wohl aber der Adel und die Bewohner der Städte. Wenn also nach dem ausdrücklichen Zeugnisse der Zeitgenossen die böhmische Bevölkerung in vielen Ge- genden des Landes Grund und Boden verlassen’ musste „ um den deutschen Emphyteuten Platz zu machen, wenn es nicht bloss aus der 49 Vorstadt Prags (der Kleinseite), sondern auch aus anderen könig- lichen Städten verdrängt ward und sehen musste, wie deutsche Ein- wanderer in seine alte Heimatstätte eingezogen, — so waren solche Vorgänge denn doch geeignet, einige Furcht vor dem neuen Elemente im Volke zu erregen und weit entfernt, den Geist desselben völlig umzuwandeln und für das Deutschthum zu enthusiasmiren. Der Adel hingegen gewann offenbar unter dem Einflusse des Feudalwesens, welches zur Zeit den letzten Přemysliden in Böhmen feste Wurzeln fasste. Dass jedoch unter dem Adel jener Zeit sich zwei Parteien gebildet, deren eine, die Hofpartei, den unter Wenzel I. eingeführten Neuerungen huldigte, während die andere, die nationale, gegen die- selben ankámpíte, ersieht man aus den gleichzeitigen Chronisten, ins- besondere aber aus Dalimil, dem starren Vertreter des Nationaladels, der die Standesgenossen, welche der fremden Sitte huldigten, mit Vorwürfen überhäuft. Fejf. hatte nur die nationale Minorität des Adels, insbesondere ihren Repräsentanten Dalimil in’s Auge gefasst, als er jene Worte schrieb, ohne die viel zahlreichere Klasse seiner adeligen Gegner zu berücksichtigen. „Die einheimischen Dichter, fährt F. fort, mussten sich also der im Inhalt und Form veränderten Dichtkunst fügen, welche den Reim und die kurzen epischen Verspaare mit Versen von vier He- bungen einführte.* — Dagegen muss bemerkt werden, dass die Böh- men den Reim nicht erst aus deutschen Dichtungen kennen lernten, sondern dass sie mit demselben Jahrhunderte früher durch die latei- nischen Versificatoren vertraut wurden, wozu die gereimten lonischen Verse in der Chronik des Cosmas die überzeugendsten Belege liefern. Verse von vier Hebungen findet man aber auch in zahlreichen Dich- tungen der Südslaven aus dem XV. Jahrhunderte, unter welchen doch, wie allgemein bekannt, die Colporteure deutscher Gedichte sich nie- mals eingefunden hatten. Mit gründlicher Fachkenntnis handeln die Verfasser der Apo- logie über das Wesen und die Formen der altböhmischen Poesie und weisen durch Parallelstellen aus russischen, polnischen und südsla- vischen Volksdichtungen schlagend nach, dass in den Königinhofer Gedichten dieselbe Anschauungsweise und derselbe Geist waltet, welcher die alten Volkssänge der übrigen Slavenstämme belebt. — Es wird ferner dargestellt, wie zumal zur Zeit Königs Johann, unter dem die Sitzungsberichte 1863. 1. 4 50 fremden Sitten und Gebräuche sich schrankenlos in Böhmen ausbrei- teten, auch die altslavische Sangsweise, der modulirende Vortrag (pění) grösserer Dichtungen, in Verfall gerathen war. Wer sich über diesen Gegenstand näher unterrichten und zugleich die Ueberzeugung gewinnen will, wie unhaltbar und nichtig die Gründe waren, mit wel- chen F. und Consorten das Wesen, den Geist und die Form der K. H. angriffen, der möge das lebhaft und geistvoll geschriebene Buch selbst aufschlagen. Ebenso wenig kann hier die historische Seite der Streitfrage über die Dichtungen Oldřich a Jaromír und über die Perle der K. H., das Epos Jaroslav, besprochen werden; der Leser muss im Buche selbst den Faden der historischen Beweisfüh- rung verfolgen, um urtheilen zu können, von welcher Art die Angriffe der Herren Büdinger, Fejfalik und Schwammel gegen die ge- schichtliche Basis jener Gedichte waren. Mit vornehmer Nonchalence gehen diese Herren über die in neuerer Zeit in böhmischer Sprache geschriebenen diesen Gegenstand betreffenden Abhandlungen Nebesky’s und Tomek’s hinweg, reiten hingegen um so unverdrossener auf Häjek’s Chronik herum, um nachzuweisen, dass in der K. H. Anklänge an jenen berüchtigten Chronisten vorkommen, worauf sie rasch zu dem Schlusse gelangen, der Verfasser unserer Handschrift habe aus Hajek’s Chronik und theil- weise aus Dalimil geschöpft. Auf diese scheinbare Concordanz, die Herr Büdinger keineswegs zwischen den böhmischen Originaltexten, sondern zwischen der deutschen Chronik des Häjek und der deut- schen Uebersetzung der K. Handschrift von Prof. Svoboda nach- zuweisen sucht, legen unsere Gegner ein grosses Gewicht, ohne zu be- (denken, dass Dalimil und Hájek alte Volkssagen und Dichtungen, deren auch Cosmas in seinem Chronicon erwähnt, gekannt und für ihre Zwecke benützt haben konnten. Es findet ja auch eine bedeu- tende Uebereinstimmung zwischen dem Inhalte des Nibelungenliedes und dem Texte einiger nordischen Heldenlieder, insbesondere dem Liede: „Verrath der Frau Grimild an ihren Brüdern“ dem altdeutschen „Wolfdietrich“ (Heldenbuch) und der nordischen Dichtung von „Diet- richs Kampf mit dem Löwen“ statt (vgl. die ausführliche Nachwei- sung in W. Grimm’s altdänischen Heldenliedern), ohne dass es Jemanden eingefallen wäre, zu behaupten, dass das Nibelungenlied aus den nordischen Heldenliedern geschöpft, oder die letzteren 51 dem Nibelungenliede entlehnt worden wären. Der Stoff dieser Sagen wurzelt ebenso gewiss in der gemeinsamen Tradition der ger- manischen Stämme, wie die dem heidnischen Sagenkreise angehörenden Königinhofer Dichtungen sich als Fragmente uralter Traditionen dar- stellen, die auch Häjek und Dalimil gekannt, und deren Nachklänge noch in viel späterer Zeit vernehmbar ertönten. Die Vermuthung liegt sehr nahe, dass wohl den meisten von Hájek amplificirten fabel- haften Erzählungen, die derselbe in das Gewand der Geschichte klei- det, ähnliche altnationale Dichtungen zu Grunde liegen. Die Handschrift von Königinhof ist bloss ein geringer Ueberrest einer umfangreichen Sammlung von theils historischen theils sagen- haften Dichtungen: denn aus den Ueberschriften, welche an der Spitze der einzelnen Abschnitte der Königinhofer Handschrift stehen, ersieht man, dass sich ausser einem Bruchstücke des 25. Kapitels bloss das 26., 27. und 28. Kapitel des III. Buches der ganzen gross- artigen Sammlung alter Nationaldichtungen erhalten hatten. Wenn nun jedes der fehlenden fünfundzwanzig Kapitel des dritten Buches nur drei Gedichte enthielt, so haben wir bloss vom dritten Buche den Verlust von fünfundsiebenzig Gedichten zu beklagen. Wird nun die Echtheit der vorhandenen Bruchstücke des grossen Ganzen nach- gewiesen, so wird dadurch die Ueberzeugung von der ehemaligen Existenz einer überreichen Fülle, eines mächtigen Blüthenwaldes von Dichtungen geweckt, welche uns ahnen lässt, wie grossartig der Auf- schwung des nationalen, von poetischer Gluth durchhauchten Lebens unserer Vorfahren gewesen sei. Diese consequente Schlussfolgerung mag wohl manchem Gegner der K. H. vorgeschwebt und denselben so heftig angetrieben haben, die Grundlage derselben, d. i. den Glau- ben an die Echtheit jener Bruchstücke, zu untergraben. Es ist allerdings möglich, dass eine potenzirte Skepsis gegen Alles, was hier zu Gunsten der K. H. vorgebracht wurde, Einwen- dungen erheben könnte; doch selbst der Skepticismus hat eine ge- wisse Gränze, und eine solche ist die Beschränktheit des menschlichen Wissens in Beziehung auf künftige Ereignisse. Dieses vorausgesetzt. wird ein Skeptiker, der doch nicht an Wunder glaubt, keineswegs behaupten wollen, dass der Falsarius vom J. 1817 vorausgewusst habe, welche eigenthümlichen zu seiner Zeit völlig unbekannten Sprachwendungen und Idiotismen sichin Manuscripten bergen, 4 * 52 welche erst zwanzig, dreissie ja vierzig Jahre später aus dem Staube der Vergessenheit hervorgesucht und veröffentlicht werden sollten. Man vergleiche nur z. B. die eigenthümlichen Redeweisen: rozenü kräastı — (Olm. Handschr. D. VII), zamüti sč od obličeje jeho (Witting. P.), káza všem svým radcem — radce sě sebrachu (Katharma-Leg.), mit den Phrasen der K. H. „rozenů krásů sěše — zamůti se ot krajin — Kublaj kaže všem svým čarodějem — sebrachu sě čaroději u. s. w Man vergleiche ferner die durch ihre eigenthümlich concise Partici- pialeonstruction merkwürdige Stelle aus emem in neuerer Zeit in einer Handschrift des Wittingauer Archivs entdeckten Liede: již ptáčkové vzhuoru vstali — vzhuoru vstavše zazpievali, zazpievavše preč letali — mit der Stelle in der „Rose“ der K. H.: čemu si ranně rozkvětla, rozkvetavsi pomrzla, pomrzavši opadla, — und man wird doch nicht behaupten wollen, dass der Falsarius vor 46 Jahren alle diese Hand- schriften in Olmütz, Wittingau und Stockholm bereits gekannt und durchgeforscht hatte? — Und wenn nun sogar in polnischen und russischen Volksliedern, die erst in neuerer Zeit veröffentlicht wurden, nicht bloss ähnliche Sprachweisen, wie in der K. H., sondern selbst (dieselben eigenthümlichen Epitheta und Vergleiche vorkommen, ja, wenn in einem von Čelakovský veröffentlichten russischen Liede dieselbe poetische Idee fast in dieselben Worte wie im Liede „Rose“ der K. H. gekleidet erscheint, und wenn diese auffallende Aehnlichkeit auch zwischen dem K.H.Liede „Kytice“ und einem ruthenischon von Z. Pauli (I. 3.) publicirten Liede 'stattfindet, so wird man endlich doch zugestehen müssen, dass die Ursache dieser auffallenden Harmonie im Wesen und im Geiste der slavischen Völker ruht, die trotz ihrer mannigfachen Abzweigung die Reminiscenzen an das ursprüngliche ge- meinsame Volksleben im Urstamme in der Sprache und Dichtung bewahrt haben. Mit besonderem Nachdrucke muss eine Eigenthümlichkeit der altböhmischen Gedichte betont werden, welche erst in neuester Zeit eruirt und ausser allen Zweifel gesetzt wurde, und zwar der Vers- bau nach festen prosodischen Regeln, der in den meisten D9 böhmischen Dichtungen des XIII. und XIV. Jahrhunderts nachgewiesen werden kann. Die Gesetze der altböhmischen Prosodie wurden zum Theile von Erben in dessen Einleitung zur Katharina-Legende, voll- ständiger aber in einer im Čas. českého Musea 1861 von J. Jireček veröffentlichten Abhandlung nachgewiesen und entwickelt. Das oberste Gesetz der altböhmischen Poesie verlangt, dass jeder Vers eine be- stimmte Anzahl von Silben enthalte, und um diesem Gesetze zu ent- sprechen, mussten die Dichter die Silben nach gewissen festen Re- seln bald kürzen bald dehnen. Die Regeln über die Elision der Selbstlaute am Ende, am Anfange und in der Mitte der Wörter, über die Umänderung der Vocale « in v, % in 7, über die eigenthümlichen Funktionen der Consonante m n, %, r, č bei der Silbenbildung und über die Dehnung der Wörter sind überaus zahlreich und werden in jener Abhandlung der Museumszeitschrift durch eine Menge prágnanter Belege aus gleichzeitigen Dichtungen erhärtet. Wenn man nun er- wágt, dass diese Regeln, welche noch vor drei Jahren unentdeckt und unbekannt waren, im Libušin soud und in den Königinhofer Dich- tungen Oldrich a Jaromir, Jaroslav, Lud.a Lubor und in den lyrischen Gedichten der K. H. mit strenger Consequenz vor- walten, so muss dadurch die Ueberzeugung von der alterthümlichen Originalität der K. H. auf entschiedene Weise gekräftigt werden. So wird, um nur einige Beispiele anzuführen, das % in der Partikel (7, wenn es das Versmass erfordert, wie es zahlreiche Belege der Starob. skladanie, Nova Rada usw. darthun, elidirt; diesem Gesetze entspricht der Bau der Verse im Libušin soud: budetě-li u vás po rozumu; nebudete- u vás po rozumu — Das Zahlwort sedm bildet stets eine Silbe; osm aber war in der frühern Periode zweisilbig gewesen; dem gemäss lauten die Verse; der"K.H.: sedm sich vládyk s udatnými sbory (a na druhej sedm běše jich) (Desat. káz.) hrnüse se za niem 0-sm vládyk. (K. H.) (tahniechu vóz 0-sm koní.) (Alex.) 54 Die Consonanten », /, © waren nicht silbenbildend und % bloss nach den Kehllauten: počechu trsti spolu vojevati. (K. H.) (jakžto trstie neb seschlé lestie.) (Alex.) trapná žižň utrobu kruto smáhše. (K. H.) (proto pojde v kazů jich duše.) (Des.) svlekl sě zlatý prstének, smekl se drahý kamének (K. H.) (ten sě zlý lid velmi rozmohl) (Výbor.) Besonders hervorzuheben ist hier das Wort „krvi“, welches in allen correcten Dichtungen des XIII. und XIV. Jahrh. einsilbig er- scheint. Jireček führt achtundzwanzig Beispiele aus der Alexandreis, Starob. sklád., Dorota, und aus der Katharina-Legende an (und die Anzahl derselben kann noch bedeutend vermehrt werden), durch welche die Einsilbigkeit dieses Wortes ausser allen Zweifel gesetzt wird. Herr Büdinger tritt aber, auf eine competente Autorität sich berufend, gegen die Ansicht Palacky’s, dass krvi in dem Verse der K. H: Jaroslav ves ve krvi s ofem zbrocen eine Silbe bilde, mit der Behauptung auf, „dass in gar keiner alten Form irgend einer hier in Betracht kommenden slavischen Sprache die Einsilbigkeit des Wortes krvi zulässig sei.“ Weil nun in jenem Verse von fünf Hebungen eilf Silben vorkommen, so habe schon Botek, um den Gegnern diesen Verdachtspunkt zu entziehen, statt „Jaroslav“ den Namen „Zdislav“ (Herr Büdinger schreibt falsch „Idi- slav“) substituiren wollen. Aus Boček's Bedenken folgt aber nichts Anderes, als dass derselbe die Regeln der altböhmischen Prosodie gar nicht verstanden, was Niemand Wunder nehmen kann, da noch vor wenig Jahren das Gebiet der altböhmischen Prosodie eine terra incognita war. Ja, mit voller Zuversicht kann behauptet werden, dass, wenn in jener Stelle der K. H. krvi nicht ein-, son- dern zweisilbig wäre, eben diese Zweisilbigkeit einen ei k ia a 55 sehr erheblichen Verdachtsgrund gegen die Echtheit der Königinh. Dichtungen bilden müsste. Wenn daher Hr. Max Büdinger bei diesem Anlasse sich an Palacky mit dem empha- tischen Ausrufe wendet: „Es ist, als ob ein böser Zauber den hellen Blick des Geschichtsschreibers von Böhmen eben für die K. H. ver- schleiert hätte!“ so müssen wir diesen Satz gegen Hrn. Büd. wenden und ausrufen: Es ist, als ob der böse Zauber des nationalen Anta- gonismus den Blick des Verfassers der „österreich. Geschichte bis zum Ausgange des XII. Jahrh.“ verschleiert und ihn auf tückische Weise getrieben hätte, in seinen Verdachtsgründen gegen die Echtheit der K.H. entscheidende Beweise für die Echtheit derselben zu liefern ! Nebenbei muss bemerkt werden, dass Jul. Fejfalik seinen Bundesge- nossen in der krvi-Frage, sowie in der oben berührten Trommelan- gelegenheit gänzlich im Stiche gelassen hatte. Durch die neueste Forschung Joseph Jireček's wurde auf Grundlage der böhmischen Localnamen in den vom X. bis in das XII. Jahrhundert reichenden Urkunden nachgewiesen, dass die böh- mischen männlichen und sächlichen Substantiva des jotirten a-Stammes in der ältesten Zeit ihre Locale nicht auf «u, (welches erst im Anfange des XIV. Jahrh. auftaucht), sondern auf bildeten, was durch Belege aus der böhmischen Version des „Evang. Johann.“ (X. Jahrh.) , des ältesten Bruchstůckes der Alexandreis, der Fragmente „Seslání Ducha sv.“, „Umučení Páně“ u. s. w. vollkommen erwiesen ist. Bis vor Kurzem noch war man mit Dobrovsky der Meinung, dass die ältesten Locale dieser Art durch die Sylbe -/w gebildet wurden, und aller- dings ist es auffallend, dass Keinem der zahlreichen Kritiker der K. H. der Umstand auffiel, dass eben in dieser Handschrift jene Locale nicht auf -in , sondern auf -i auslauten („na dubci, v hoři, v poli, po nebi“ u. s. w.). Hätte nun Jemand im J. 1817 ein Falsi- ficat dieser Art unternommen, so hätte er nothwendig jene Locale auf -iu gebildet: denn die Behauptung, er habe den wahren Sach- verhalt, der erst durch die Herausgabe der Regesten hatte ergründet werden können, bereits gekannt, gliche der Behauptung, dass ein Mensch die Kenntniss zukünftiger Dinge wirklich besitzen könne. Die Echtheit der Grünberger Handschrift (Libušin Soud) hat Prof. Hattala in seinen philologischen Abhandlungen: „Obrana Li- bušina Soudu se stanoviska filologického“ (Casop. Mus. 1858. 1859, 56 1860) gründlich nachgewiesen und in denselben zugleich gewichtvolle, aus dem Gebiete der Sprachforschung geschöpfte Gründe für die Echtheit der K. H. angeführt. Endlich darf nicht unerwähnt bleiben, dass der Bibliothekar des böhmischen Museums Hr. Vrtatko durch die Vergleichnng der im verflossenen Jahre verfertigten photographi- schen Bilder der K. H. mit ihrem Originale in einer besondern Ab- handlung („Rukopis Kralodvorský. Vydání fotografické“) nachgewiesen, dass in den Lichtbildern gewisse in dem Originale matt und undeut- lich sich darstellende Worte klar hervortreten, wodurch die bis dahin schwankende Textirung einiger Stellen auf überraschende Weise berichtigt wird. Dieser Streit um die Echtheit eines nationalen Schriftdenkmales der fernen Vorzeit steht übrigens in neuerer Zeit nicht vereinzelt da. Es ist ja bekannt, welch’ ein heftiger Kampf in den zwei ersten De- cennien dieses Jahrhunderts um die Echtheit der älteren oder Semun- dischen Edda geführt wurde, in welchem gegen Schlötzer, Adelung, Delius und Rühs die Vertheidiger der Edda P. E. Müller, Nyerup von der Hagen, Dozen und die Gebrüder Grimm auftraten. Auch Adelung nahm seine Zuflucht zur Herabsetzung der Culturverhältnisse der alten Bewohner des Nordens, die er als das roheste europäische Volk zunächst nach den Finnen und Slaven schildert, und sodann behauptet, der Eddamythus könne nicht echt sein, weil dessen Ueber- einstimmung mit christlichen Traditionen sich nicht verkennen lasse, (versucht aber anderseits nachzuweisen, dass darin die griechische Mythologie geplündert werde), und ferner, dass schon die Sprache die Neuheit der Edda verrathe, so dass es am Tage liege, das Ganze sei von müssigen Menschen an langen Winterabenden erdichtet worden. Und doch gelang es den Vertheidigern der Semundsedda, alle Angriffe der Gegner zurůckzuweisen , und die Echtheit jener Sagen für alle Zukunft sicherzustellen. Dieser Fall wird ohne Zweifel auch in unserer Angelegenheit eintreffen, ja wir glauben uns schon jetzt der Ueber- zeusung hingeben zu dürfen, dass die Echtheit der Königinhofer Dichtungen aus dem Gluthofen der Kritik, sowie echtes Gold aus dem Feuer, unversehrt und geläutert hervorgehe. Damit soll aber nicht gemeint sein, dass die Vertheidiger der K. H. vor etwaigen neuen Angriffen ihrer Gegner zurückschrecken; aus der gegenwärtigen Darstellung ersieht man, wie die bisherigen Angriffe eben dazu ge- 57 dient haben, den Forschersinn der Böhmen zu wecken, zu schärfen und Beweise für die Echtheit jener Handschrift aufzudecken, welche sonst gar nicht beachtet und an den Tag gekommen wären. Es mögen daher immerhin neue Angriffe gegen die K. H. statt finden; sie werden den Vertheidigern der Handschrift gewiss willkommen sein, denn wir sind überzeugt, dass jeder neue Angriff das Schicksal seiner Vorgänger haben und zur kräftigeren Ueberzeugung von der Echtheit und zur Verherrlichung jenes Nationaldenkmals beitragen werde. Nur wäre es höchst wünschenswerth, dass die deutschen Gelehrten, ehe sie diesen Kampf erneuern, sich über die Culturverhältnisse und die wissen- schaftliche Stellung der Böhmen etwas genauer orientirten. Man ist in Deutschland häufig geneigt, die Čechen als ein in der Cultur zurückgebliebenes Volk zu betrachten und auf die neueren Leistungen der böhmischen Schriftsteller vornehm herabzublicken. In unseren Tagen, wo das von unserem hochherzigen Kaiser und König ausge- sprochene Prineip der Gleichberechtigung der Nationalitäten immer entschiedener zur Geltung gelangt, wo der böhmische, im Vergleiche mit den Landwirthen anderer Länder reich begüterte Landmann, voll- kommen selbstständig und freier Herr seines Grund und Bodens ge- worden, gibt sich ein neuer, kräftiger Aufschwung des nationalen sowohl als auch des wissenschaftlichen Lebens der Cechen kund. Der gebildete Čeche hört aber deshalb nicht auf, an den Fortschritten der deutschen Literatur und Wissenschaft Theil zu nehmen. Während derselbe die literarischen Erscheinungen der Deutschen kennt und nach seinen Bedürfnissen aus denselben schöpft, bietet ihm die böh- mische Schule und Literatur die Resultate der einheimischen Forschung, durch welche sich ihm zugleich die Sprachquellen der übrigen slavi- schen Völker erschliessen; und während die Sprache der Deutschen am Böhmerwalde ihre Gränze findet, während dieselben die Kenntniss der Literatur und des Lebens im Osten Europa’s erst aus dritter Hand und gewöhnlich aus trüber Quelle schöpfen: überblickt das gei- stige Auge des Cechen frei und schrankenlos einen Gesichtskreis, der sich vom Rheine bis weithin über den Ural dehnt. Wenn nun der Čeche in deutschen Schriften Verunglimpfungen seiner Nationalität und seiner historischen Erinnerungen liest, und gewahrt, wie selbst in deutschen Hymnen die Čechen als „struppige Karyatidenhäupter“ bezeichnet werden — was allerdings mit reichem Wucher in böhmi- 58 schen Tagesbláttern zurückgegeben ward — so kann dadurch die in unserer Zeit so nothwendige, von allen wahren Freunden des Va- terlandes sehnlich gewünschte Eintracht der Nationalitäten in Oester- reich nicht gefördert werden. Der Auffinder der Kön. Handschrift, Váceslav Hanka, dem dieser Fund anfangs Ruhmeskränze, gegen den Schluss seines Lebens aber die Märtyrerkrone gebracht, ruht nun seit zwei Jahren im Grabe; in kühler Erde ruht auch der Hauptgegner der Handschrift, Julius Fejfalik, ein junger Mann von ausgebreitetem Wissen, der sich aber auf ein Feld gewagt, zu dessen Behauptung er, wie seine in den Sitzungsberichten der kais. Akademie publicirten Aufsätze über alt- böhmische Literatur sattsam beweisen, weder den vorurtheilsfreien Blick noch die nothwendige Sprachkenntniss besass. Möge nun, nach- dem auch der literarische Streit über die hier besprochene Frage vor der Hand verstummt ist, der nationale Antagonismus, der sich in diesem Kampfe mächtig in den Vordergrund drängte, einer ruhigen, gerechten Würdigung der Verhältnisse Platz machen, auf welcher allein die befriedigende Lösung der Disharmonie beruht, welche in den lite- rarischen und politischen Kreisen zweier durch das Schicksal anein- ander geknüpften Nationalitäten leider noch nicht verklungen ist. Im März 1863 eingelaufene Druckschriften. Nachrichten von der Georg-Augusts-Universität u. s. w. Vom Jahre 1862. Göttingen. Poggendorff's Annalen der Physik und Chemie. Leipzig, Jahrg. 1863, Nr. 1. Handelingen der Vergadering van de Maatschappij der neder- landsche Letterkunde. Leiden 1862. G. Bippart, die römische Staatsverfassung zur Zeit der Könige. Prag, 1863. Jos. Machowetz, Auflösung der Gleichungen des 2., 3. und 4. Grades. Prag, 1863. Les mondes. Revue hebdomadaire etc. par Fr. Moigno. Paris 1863. Tom. I. 1. 2. livr. (vom Hrn. Redakteur). Magazin der Literatur des Auslandes. Leipzig 1863. Nr. 7—10. Crelle’s Journal für die reine und angewandte Mathematik. LXI. Band, 4. Heft. Berlin 1863. 59 Ljubice od Mirka Bogovica. U Zagrebu 1844. (Vom Hrn. Verfasser.) Smilje i Korilje od M. Bogovica. U Zagrebu 1847. Domorodni glasi od M. Bogovica. U Rěki 1848. Kolo. Članci za literaturu, umětnost i narodni život. Knjiga IX. U Zagrebu 1863. Frankopan. Drama u pět činah od M. Bogovica. U Zagrebu 1856. Stěpan, poslednji kralj bosanski. Drama u pět činah. U Za- grebu 1857. Matija Gubec, kralji seljacki. Drama u pět činah. U Zagrebu 1859. Pripověsti od M. Bogovica. U Zagrebu 1859. Govor Mirka Bogovica deržan na saboru ete. u Zagrebu 1861. Vinjage od M. Bogovica. U Zagrebu. 1., 2. svazek. (Sämmt- lich vom Hrn. Verfasser.) Životopis Mirka Bogovica. Napisa Gjuragi Stjepan Deželié. U Zagrebu 1862. K.Vl.Zapa Památky. Časopis Musea kr. českého. V Praze 1863. Díl V., sešit 5. Lotos. Zeitschrift für gesammte Naturwiss., redig. von W. R. Weitenweber. Prag 1863. Februar. The American Journal of Science and Arts; by B. Silliman and J. D. Dana. New Haven 1863. Vol. XXXV. Second Series. Nro. 103. January. Verslagen en Mededeelingen der k. Akademie van Wetenschappen. Afdeel. Natuurkunde. Amsterdam 1862. XIII. XIV. Deel. — Afdeel. Letterkunde 1862. VI. Deel. Verhandelingen etc. Amsterdam 1862. Achtste Deel (Exposé de la Theorie des proprietes des formules de transformation ete. des In- tegrales definies, par Bierens de Haan). Jarboek van de Koninkl. Akademie etc. voor 1861. Amsterdam. Philologische Section am 13. April 1863. Gegenwärtig die Herren: Weitenweber, Hanuš, Nebeský, Wina- řický, Doucha, Staněk, Štorch und Čupr; als Gáste: Dastich, Lippich. Hr. Nebeský hielt (in bohmischer Sprache) einen Vortrag úber die Volkslieder der Neugriechen. 60 © Der Vortragende wies zuerst darauf hin, dass die neugriechi- schen Volkslieder sehr spát in der literarischen Welt bekannt wurden. Als Herder im J. 1778 seine „Stimmen der Völker“ heraus- gab, stand ihm noch kein einziges neugriechisches Lied zu Gebote und er musste die Lücke mit einigen altgriechischen Oden und Scho- lien ausfüllen. — Zwei ausgezeichneten Reisenden und Forschern, dem Franzosen Pouqueville und dem Engländer Leake gebührt das Verdienst, dass sie die literarische Welt zuerst mit der neugrie- chischen Volkspoesie bekannt machten, indem sie einzelne Proben daraus und Notizen über dieselbe in ihren Werken gelegenheitlich bei- brachten. Ebenso hat der geniale Dichter Byron, der mit edler Be- geisterung sein Leben der neuerwachten Freiheit der Neugriechen opferte, in seinem „Childe Harold“ mit viel Wärme auf ihren Volks- gesang hingewiesen. Die erste Sammlung neugriechischer Volkslieder veranstaltete mit der Absicht, sie in Druck zu geben, ein deutscher Edelmann, Werner Baron von Haxthausen (um das J. 1812). Proben aus dieser Sammlung wurden Goethe’n mitgetheilt, der sich lebhaft darum interessirte und das Urtheil fällte, dass die neugriechischen Volks- lieder zu den schönsten gehören, die er kennt; nirgends. seien die drei Gattungen der Poesie: Epik, Lyrik und Dramatik so schön ver- bunden, wie hier. Goethe veröffentlichte in seinen Heften über Kunst und Alterthum einige Proben von Uebersetzungen dieser Lieder, auch in seine gesammelten Werke übergingen. Während man vergebens auf das Erscheinen der Haxthausen’- schen Sammlung wartete, gab der gelehrte Franzose Fauriel inden J. 1824 und 1825 zwei Bände neugriechischer Volkslieder mit treuer prosaischer Uebersetzung, geist- und kenntnissreichen Anmerkungen und einer ausgezeichneten Einleitung heraus*), ein Werk, von dem sein Uebersetzer, der edle Philhellene und gemüthsvolle Dichter, Wilh. Müller mit Recht sagte, dass es zu den wichtigsten Erweiterungen des poetischen Welthorizontes gehöre. — Fauriel’s Sammlung erschien zu einer Zeit, als die ganze gebildete Welt mit gespannter Theilnahme und Begeisterung ah Blicke auf das Volk der Neugriechen und seinen verzweifelten Freiheitskampf richtete; sie wurde demnach auch *) Chants populaires de la Grece moderne ete. par C. Fauriel. Paris 1824. 1825. 61 mit dem lebhaftesten Interesse aufgenommen. Diese philhellenische Begeisterung beseelt auch das Fauriel’sche Werk und gibt demselben einen eigenthümlichen Reiz, der seine Wirkung auf edle Gemüther nie verfehlen dürfte und dem Buche seinen Werth auch dann noch sichern wird, bis es durch das massenhaft angewachsene neue Mate- rial und durch eine tiefer eindringende und kritischere Behandlung desselben veraltet sein wird. Fauriel unternahm seine Sammlung unter den günstigsten Ver- hältnissen. Der Nestor, ja so zu sagen, der Schöpfer der neugrie- ehischen Literatur, Adamantios Korais überliess ihm seinen hand- schriftlichen Vorrath neugriechischer Volkslieder; dasselbe that ein anderer hochgebildeter Grieche, Andreas Mustoxides, der selbst die Absicht hegte, eine ähnliche Sammlung herauszugeben. Die reich- haltigsten und wichtigsten Beiträge erhielt jedoch Fauriel aus Grie- chenland selbst, wo sein Unternehmen als eine Nationalsache ange- sehen und eifrigst gefördert wurde. Auch sein Aufenthalt in Triest bereicherte seinen Schatz wesentlich. Ueberdies hatte Fauriel so zu sagen eine kleine Akademie gebildeter und gelehrter Neugriechen bei dieser seiner Arbeit um sich, die ihm bei Feststellung des Textes, beim Uebersetzen und beim Abfassen der Anmerkungen und der Ein- leitung wesentliche Hilfe leisteten, ohne die‘er bei der Neuheit des Gegenstandes und dem Abgange fast aller literarischer Hilfsmittel seine Aufgabe wohl kaum hätte durchführen können. Fauriel’s Samm- lung wurde besonders in Deutschland mit lebhafter Freude begrüsst. Alsogleich erschienen zwei Uebersetzungen derselben, die eine bereits erwähnte, von Wilh. Müller, und eine zweite von einem Ungenannten.“) Um die weitere Verbreitung neugriechischer Volkslieder machten sich theils durch Herausgabe der Originale, theils durch Uebersetzungen _ unter den Deutschen verdient: Schmidt-Phiseldek, Iken, Firmenich, Sanders und A., besonders aber Theodor Kind, der seit dem J. 1827 bis 1861 mehrere Sammlungen, zum Theil mit Uebersetzungen, her- ausgab.””) *) Toayovdır Poucine. Neugriechische Volkslieder. Gesammelt und heraus- gegeben von Ü. Fauriel. Uebersetzt von Wilhelm Müller. Leipzig 1825. 2 Bd. — Mittheilungen aus der Geschichte und Dichtung der Neugriechen. Coblenz 1825. 2 Bd. **) Dr. Theodor Kind: a) Neugriechische Volkslieder, Grimma 1827. d) Neu- 62 In der italienischen Literatur hat der gefeierte N. Tommaseo eine Auswahl dieser Lieder im 4. Bande seiner Canti Popolari (Ve- nezia 1842) veröffentlicht, in der französischen ausser Fauriel noch M. de Marcellus.*) Wie zu erwarten war, blieben auch die Neugriechen nicht zurück im Sammeln und Veröffentlichen der Schätze ihrer Volkspoesie, und unter denen, welche in dieser Beziehung thätig waren, sind Männer, welche einen gefeierten Namen in der Literatur haben, z. B. Eylam- pios, Xanthopulos, Zampelios, Aggelides und A.**) Ueberdies wurden hie und da in anderen Werken einzelne dieser Lieder veröffentlicht***) und ein grosser Theil derselben war in bekannten handschriftlichen Sammlungen niedergelegt. Solche Sammlungen be- sassen der schon genannte Theodor Kind, A. Conze, A. Lykurgos, Thiersch, die asiatische Gesellschaft in Leipzig, besonders aber Hein- griechische Poesien. Leipzig 1833. c) Neugriechische Chrestomathie. Leipzig 1835. d) Neugriechische Anthologie. Leipzig 1844. e) Neugriechische Volks- lieder. Leipzig 1849. /) Anthologie neugriechischer Volkslieder. Leipzig 1861. Schmidt-Phiseldek: Auswahl neugriechischer Volkspoesien in deutsche Dichtungen umgebildet. Braunschweig 1827. Dan. Sanders: a) Neugriechische Volks- und Freiheitslieder in's Deutsche übersetzt. Grünberg und Leipzig 1842. b) Das Volksleben der Neugriechen. Mannheim 1844. J. M. Firmenich: Towyovdırz Poueind. Berlin 1840. Dr. K, Iken: Eunomia. Grimma 1827. 3 Bd. *) M. de Marcellus: Chants du peuple en Grece. Paris 1851. 2 Bd. **) G. Eylampios: (O Audoauvtog řtor Ta vodu T7g advaysvun®eions EMados. 'Ev IIergomoAsı 1843. Xanthopulos in der zu Athen erscheinenden Zeitschrift: ©$ilokoyvnog ovverndnuos, im Jahrg. 1849: Toanegovvrıc. Sp. Zampelios : “Aouar« Önuorızd ng 'Ellddog. Kegnvon 1852. N. Aggelides : Aviřokoyi« ntoı ovAloyn &ouarov damávy ete. Adv. 1856. Von Ungenannten : "Aouer« dLapogwv moıntav. Ev Navmiim 1835. — Toaxyadıa tor dıdpoga douara remíza, nAeprinů nat Epwrınd. Adv. 1841. +**) H. N. Ulrichs: Reisen und Forschungen in Griechenland. Bremen 1840. Lud. Ross: Reisen auf den griechischen Inseln. Stuttg. 1840—45. 3 Bd. Pashley : Travels in Creta. 1837. Christ. Perraibos : Iotogia« tov Zovkiov xai IIápyag. Adv. 1857. In der seit 1848 erscheinenden Zeitschrift: Née IIevöog«. Xoovoyou- plu trs Hmelpov. Adv. 1856. 63 rich Ulrich, der sich dieselbe wáhrend seines Aufenthaltes in Grie- chenland angelegt hatte. Nach seinem Tode kam sie in die Hände seines Schwiegersohnes, Arnold Passo w, der die schwierige Aufgabe unternahm, aus den vorhandenen Quellen eine vollständige Sammlung neugriechischer Volkslieder herauszugeben, welche im J. 1860 in Leipzig bei Teubner unter dem Titel: To«yovdır Poucixa. Popularia carmina Graeciae recentioris. Edidit Arn. Passow. erschien. — Passow's Sammlung, bis jetzt die vollständigste, umfasst 646 Lieder und 1157 Di- stichen. Es versteht sich von selbst, dass auch sie nicht vollständig sein kann, indem sicher noch viele dieser Lieder dem Eifer der Sammler entgingen, und fort und fort neue erwachsen und aus älteren umbildet werden. Dieses gilt namentlich von den Distichen und den Myrolo- gien (Todtenklagen), da sich besonders bei diesen Liedern täglich die Veranlassungen wiederholen, die poetische Productionskraft des Volkes anzuregen. Und so enthält auch bereits die im J. 1861 erschienene Anthologie von Kind einige neue Lieder und andere in besserer Form. Obgleich Kind in der Einleitung zu seiner Anthologie bemerkt, dass er Manches an den Texten der Passow’schen Sammlung auszu- setzen hätte, so wird doch Niemand Diesem das Verdienst abspre- chen, dass er mit kritischem Geiste seine Quellen benützte und mit diplomatischer Genauigkeit die verschiedenen vorhandenen Lese- arten anmerkte. — Bei dem mehr historisch-etymologischen als pho- netischen Charakter der neugriechischen Orthographie bietet die Fixi- rung der verschiedenen Nuancen der zahlreichen dialektischen Abwei- chungen der neugriechischen Sprache in der That die grössten Schwie- rigkeiten, und es muss so Manches beim Niederschreiben nivellirt werden, was besonders der Sprachforscher zu beklagen hat, indem er eben in den Volksliedern die eigentliche Sprache des neugriechischen Volkes suchen muss, da, wie bekannt, die jetzt herrschende Schrift- sprache vielfach ein reconstruirtes Kunstwerk ist, welches, so zu sagen, durch ein Compromiss zwischen der historischen (altgriechischen) Schrift- sprache und der jetzigen Vulgarsprache zu Stande kam, wobei beson- ders Adam. Korais sich ein grosses Verdienst erworben hat. So hat bereits Lud. Ross im 3. Bande seiner „Reisen auf den griechi- schen Inseln“ darauf hingewiesen, dass in den Texten der Fauriel’- schen Sammlung Manches zu Gunsten einer grösseren schriftsprach- lichen Regelmässigkeit abgeändert worden ist. Auch mag hie und da 64 eine kleine Interpolation unterlaufen sein. Als eine solche müssen offenbar die Verse: Orod uč zaedryce vw mv naTeldu Eis nv udynv čtocše uě tiv čAnide in dem schónen Liede bei Fauriel-Můller II., p. 82 bezeichnet werden. Es kann kein Zweifel darüber sein, dass sie von einem Aopıos und zereıorns in das liebliche Lied, welches mit einer spanischen Ro- manze in J. Grimm's Silva p. 261 eine interessante Aehnlichkeit hat, in patriotischer Absicht eingeschaltet worden sind. Doch sind jene schriftsprachlichen Glättungen im Wesentlichen so unbedeutend, und diese inhaltlichen Veredlungen und Verschönerungen so äusserst selten, dass sie kaum stören und irren können. Nachdem der Vortragende weiter in Kürze den Umwandlungs- process der neugriechischen Vulgarsprache aus dem altgriechischen äolischen Volksdialekte, der in ähnlicher, freilich nicht so tief eingrei- fender Weise vor sich ging, wie bei den romanischen Sprachen, cha- racterisirt hatte, wobei er besonders den Verlust der quantitativen Messung der Silben und die Alleinherrschaft des Accentes hervorhob, entwickelte er einige Eigenthümlichkeiten der neugriechischen Vers- bildung in den neugriechischen Volksliedern, wobei der politische Vers, als das Lieblingsmetrum nicht nur in dem epischen sondern auch lyrischen Gedichte besonders in Betracht kam. Obgleich Philo- logen denselben bis auf Hipponax (500 vor Chr.) zurückführen und als Beleg dafür den vom Scholiasten zu Aristophanes (Plut. v. 252) eitirten Vers: "Eu wor yEvoıro nag»Evog, nak TE Kal věpevwu beibringen, so sprach er seine Ansicht über diesen Allerweltsvers der Byzantiner und Neugriechen dahin aus, dass er wohl nicht ein Erbstück der klassischen Ahnen sei, sondern auch bei den Griechen während der Zersetzung der altklassischen Elemente demselben rhyth- mische Triebe seinen Ursprung verdankt, welcher. bei anderen, na- mentlich romanischen Völkern die epische Langzeile hervorbrachte, und dass er eben so wenig wiedie accentuirenden Verse der Neugrie- chen überhaupt als offenbarer Ausdruck der Barbarei an- gesehen werden dürfe. Es waltet nun einmal im Neugriechischen das Princip des modernen Sprachgeistes vor, dem am Ende nur eine ver- altete philosophische Engherzigkeit und Einseitigkeit seine Berechti- 65 gung absprechen kann, ausser man wollte die Sprache und Verskunst aller Kulturvölker des jetzigen Europa für eine Barbarei erklären. Jedenfalls ist die Schwärmerei der Philhellenen und Philologen, und selbst einiger Neugriechen für das vergötterte Altgriechenthum und das mitleidsvolle Herabsehen auf den neugriechischen Sprachwildling eine arge Uebertreibung und Ungerechtigkeit. Hierauf gab der Vortragende eine Eintheilung der neugriechischen Volkslieder. Zuerst wies er darauf hin, dass das epische Element in ihnen vorherrschend ist; die lyrischen Gedichte, wie selbstverständlich, zumeist Liebeslieder und von den Griechen in gleicher Weise wie von den Serben „Weiberlieder“ genannt, werden ‚vorzüglich nur in den Küstengegenden und auf den Inseln gesungen, wo die Bewohner vielfacher mit fremden mehr eiyilisirten und auch ver- weichlichten Völkern in Berührung kommen. Sie haben auch schon häufig den Reim, der spät und nur theilweise in die neugriechische Dichtung aus der Fremde Eingang fand. Der rauhe und mannhafte Bergbewohner hegt gegen diese Lieder eine gewisse Verachtung und benennt sie mit einem Ausdrucke, der unseren nordischen Ohren zu derb erscheinen müsste, wogegen der weichere Insulaner die Kleph- tenlieder der Berge zu rauh und roh findet; nur in der Fremde söhnen sich die Geschmacksrichtungen aus und alle Lieder werden von Allen mit Freude angehört. Wenn man diese rein-lyrischen Liebeslieder und die zahlreichen Distichen, die zumeist zu den Liebesliedern gehören und den spani- schen Seguidillas, den polnischen Krakoviaken, den deutschen Schna- derhüpfern etc. analog sind, ausscheidet, gruppirt sich der übrige Vorrath neugriechischer Volkspoesien in zwei grosse Abtheilungen, die epischen und die häuslichen Lieder, welche wieder in mehrere Unterabtheilungen zerfallen. Die epischen Lieder scheiden sich wieder in zwei Klassen, je nachdem ihr Inhalt mehr historisch oder ideal. ist. Unter den historischen sind vorzüglich die Klephtenlieder wegen ihrer besonderen Bedeutsamkeit und eigenthümlichen Schönheit hervorzuheben. Die andere Klasse der epischen Lieder, die man im Allgemeinen mit dem „erdichtete“ (rgayovdıa rAasé) bezeichnet und mit den spanischen romances novelescos vergleichen könnte, kann wieder in mehrere Unterklassen eingetheilt werden, in die eigentlichen mAugů Tomyovdıa (= romances novelescos), welche Begebenheiten Sitzungsberichte 1863. 1. 5 66 aus dem Leben, zumeist mit erotischem Inhalte und Charakter besingen, ferner jene interessante und zahlreiche. Klasse, die von dem Todes- boten. Seelenführer und Hadeswächter Charos handeln, und Lieder, welche andere Stofie aus dem Volksglauben, z. B. Vampyre, Nereiden. die Lamia, den Drachen, Zauberinnen, den Wunderhirsch, den Fluss- und Hausgeist u. s. w. zum Gegenstand haben und vorzugsweise ‚von Hirten gesungen werden, wesshalb sie auch ro«yovdıa BAayıza heissen. Unter dem Namen der häuslichen Lieder werden alle jene umfasst, welche bei besonderen Veranlassungen des Familien- und Volkslebens gesungen werden, als Wiegen-, Hochzeits-, Abschieds- lieder, Todtenklagen; ferner jene Gesänge, welche bei gewissen V olks- gebräuchen und Festen angestimmt werden, wie z. B. am Christ- tage, am Feste des hl. Basilios, am Palmsonntage, das Schwalben- oder Frühlingslied, das Regenmädchenlied, Tanzlieder, die Liedchen beim Kledonasora u. d. el. Bei den historischen Liedern führte der Vortragende den bei Luitprand (Pertz Monum. Germ. V. 295) enthaltenen Spottvers auf den Markgrafen Adelbert als die älteste bis jetzt bekannte: Spur eines solchen Liedes an (900 nach Chr.). Das hohe Alter eines anderen epischen Liedes, das Zampelios aus einer Pariser Handschrift mit- theilt und in das 10. Jahrh. versetzt (Kind Anthologie p. 2), bezwei- felt der Vortragende. Weiter wies er hin auf die Nachricht: der Anna Komnena über historische Volkslieder, deren sie in der Lebensbe- schreibung ihres Vaters Alexios erwähnt. Gegenstände historischer Gesänge sind besonders die Eroberung Adrianopels (1361), Constan- tinopels (1455), die Kämpfe der Sulioten (1792—1804), die Räumung Parga's (1819) und die neuesten Freiheitskämpfe der Griechen (v. J. 1821). Der Vortragende theilte zugleich Proben solcher Lieder. in metrischer Uebersetzung in böhmischer Sprache mit; dasselbe that « er auch bei den anderen Abtheilungen, die er besprach. Bei den Klephtenliedern wurde auf den Ursprung und die Bedeutung des Klephtenthums hingewiesen. wie diese Flüchtlinge gleich den Hajduken der Serben nicht als blosse Räuber aufzufassen seien, sondern wie selbe in der That häufig wahre und echte Volkshelden waren, welche die Waffen gegen die barbarischen Unterjocher und Bedrücker ihrer Nation führten, und wie sich ihrer eben wegen dieser ihrer Bedeutung häufig die Politik bei Anschlägen gegen die Türkei 67 bediente, so z. B. des Nikotsaras, Andrutzos u. s. w. und wie aus diesen Klephten die kůhnsten und gefeiertsten Helden in dem Freiheits- kampfe der Griechen hervorgingen. Hiebei wurden einzelne Züge aus dem Leben einiger der berühmten Klephtencapetane mitgetheilt. Der älteste, dessen das Volkslied gedenkt, ist Christos, nach seiner Flinte Milionis zubenannt, am Anfang des vorigen Jahrhunderts. Der nächste ist Bukovalas (1715), der den Grossvater des Ali Pascha, Veli, Bei von Tebelen, schlug, weiter sein Schwiegersohn Stathas. Zur Verwandt- schaft des Bukovalas gehörte auch Gyphtakes (das Zigeunerlein), wie überhaupt die Bukovalas eine Art Aristokratenfamilie unter den Klephten waren und Ali Pascha ruhte nicht eher, als bis er seine Rache an ihr durch vollständige Ausrottung derselben gesättigt hatte. Eine Frau, die letzte dieses Stammes, verheirathete er an einen seiner Offiziere und liess sie dann vergiften. Ein gefeierter Klephte war auch Zidros (1750). Die hervorragendsten und edelsten Gestalten sind aber ohne Zweifel Andrutzos und. Nikotsaras. , Letzterer, eine wahre Heldengestalt , von schönem und eisernem Körperbau und riesen- mässiger Tapferkeit , ein Läufer und Springer, der es mit einem Pferde im Rennen aufnahm, war von angesehener Familie und hatte in seiner Jugend Unterricht in einem Kloster genossen und: bewahrte in semem Benehmen und seiner Sprachweise stets einen Anflug seiner Jugendbildung, namentlich zeichneten sich seine Briefe durch eine kräftige Originalität und Eleganz aus. Er fand einen schönen Kleph- tentod durch eine gute Kugel (x«A0v uoAvßı) schon in seinem sechs- unddreissigsten Jahre. Im Volksglauben lebte er aber fort, indem er für kugelfest galt. Die Albanesen nannten es Pulververschwendung, wenn ‚sie nach ihm schossen. Nicht so glücklich war Andrutzos. Im J. 1770 ‚machte er im Einverständniss mit Russland eine Diversion gegen die Türken nach Morea und, im Stiche gelassen, verdankte er seine Rettung nur seiner kühnen Tapferkeit und seiner strategischen Geschicklichkeit. Und dennoch war Andrutzos wieder der Erste, der die Waffen gegen die Türken ergriff, als Russland im J. 1786 aber- mals einen Aufstand der Griechen gegen sie bewerkstelligte. Er musste flüchten und wurde später von den Venetianern an die Pforte ausge- liefert. Nachdem er lange im Bagno geschmachtet, glaubten die Türken, dass er bereits mürbe geworden, und boten ihm Freiheit und Ehren an, wenn er Muselmann werden wollte; doch Andrutzos verwarf mit 5* 68 Verachtung diesen Antrag und blieb in Bagno, wo er elend zu Grunde eing. Vergebens hatte sich die französische Republik bei der Pforte um seine Freiheit verwendet; der Gross-Vezier antwortete: Fordert drei Millionen, nur nicht den Andrutzos! Bei den einzelnen Proben, die der Vortragende aus diesen epi- schen Liedern mittheilte, machte er zugleich auf einige Aehnlichkei- ten aufmerksam, die zwischen ihnen und den südslavischen Helden- liedern vorkommen, so wie er auch andererseits die grosse Differenz zwischen beiden hervorhob. Die Aehnlichkeit, welche am meisten in die Augen springt, ist die häufige Einleitung der Lieder durch ein Naturbild, der Hauptunterschied aber die scharf ausgeprägte, in con- ciser dramatischer Form rasch dahin eilende Kürze der griechischen Lieder, die sich nur in der langsam vorrückenden epischen Breite, wie die serbischen Heldenlieder bewegen. Es ist in ihnen eine ge- wisse stramme Energie und mannhafte Einfachheit; die Zeichnung ist scharf und kräftig, die Farben lebhaft. Unter den epischen Liedern, welche nichthistorische Stoffe behandeln, finden sich schon einige, welche eine grössere epische Breite haben, z. B. jenes von der ge- spenstischen Wiederkehr des todten Bruders, der seine in der Ferne verheirathete Schwester holt — ein ausgezeichnet schönes Lied aus der weitverzweigten Familie, zu der auch Bürger’s Lenore gehört; ferner jenes von der eingemauerten Baumeistersfrau; ein ebenfalls weit verbreiteter Stoff, den die Griechen in Arta localisiren, wie die Serben in Scutari, die Rumänen im Kloster Argisch u. s. W. Von mythologischem Interesse und grosser Schönheit sind die Lieder von Charos, oft tief ergreifende und grossartige Nachtstücke. Eines unter ihnen, wie Charos die Seelen in die Unterwelt führt, war ein besonderes Lieblingsgedicht Göthe’s, der wiederholt Maler auf diesen herrlichen Stoff aufmerksam machte. Weiter berührte der Vortragende die Gebräuche der Neugrie- chen bei Begräbnissen und beim Abschiede von Familiengliedern, welche in die weite Ferne ziehen. Beide geben Veranlassung zu zahl- reichen Liedern, die, oftin der Unmittelbarkeit des Schmerzes impro- visirt, sich durch grosse Tiefe und Wahrheit der Empfindung auszeich- nen, aber gewöhnlich auch gleich nach ihrer Entstehung, wie der Seufzer des Schmerzes, verwehen. Ebenso schilderte er in Kürze die Umzüge an gewissen Kirchen- 69 festtagen, die Umzüge mit dem Regenmädchen (Perperuna) und der Schwalbe, welche von mitunter reizenden Liedchen begleitet sind. Bei dem Regenmädchen wies er auf ähnliche Gebräuche bei anderen Völ- kern hin, z. B. die Dodola und die Prporuše bei den Serben, die Pa- paluga bei den Rumánen, die Peperuda der Bulgaren; so wie bei den Schwalbenliedern auf das hohe Alter dieses Gebrauches, indem man ihn schon bei den Altgriechen findet und ein áhnliches Liedchen bei Athenaeus erhalten ist. Schlůsslich theilte der Vortragende noch einige besonders cha- rakteristische Liebeslieder und Disticha mit, in denen sich theils eine grosse Gluth und Tiefe der Empfindung, theils eine liebenswůrdige Naivität und Schalkhaftigkeit oder ein gesunder Humor aussprechen. Historische Section am 20. April 1863. Anwesend die Herren Mitglieder: Weitenweber, Höfler, Zap. Gindely, Čupr, Bezděka und Winařický; als Gast Herr Prof. C. Ad. Můller. Hr. Dr. Höfler hielteinen Vortragüber die Unionen der deutschen Fürsten und Stände im Anfange des XVII. Jahrhunderts. Man kann nicht läugnen, dass das Jahr 1606 für den Abschluss einer Union im Sinne König Heinrich’s IV. und des Fürsten von Anhalt am meisten Aussicht auf Gelingen darbot. Man erkannte dies nament- lich im Jahre 1608, und Paolo Sarpi, der venetianische Servit, welcher, wie später der französische Kapuziner Pater Joseph, unter dem Mönchs- habite den umfassenden Geist eines Staatsmannes barg, der Länder zu bewegen sich vermass, sprach dieses auch mit dürren Worten später aus. Venedig war damals mit dem Papste verfeindet, Spanien mit den Morisken im Kampfe, die Osmanen in Ungarn siegreich; das * war eine politische Combination, welche für eine Partei, die in Mittel- europa losschlagen wollte, sich nicht zum zweiten Male darbot. Es fehlte auch an dem Hofe des Churfürsten Friedrich IV. von der Pfalz nicht an Männern, welche die alten Unionsprojecte um so lieber aufzunehmen bereit waren, als sich gerade im J. 1606 unter den österreichischen Erzherzogen die Meinung geltend gemacht hatte, es müsse ihrerseits Alles aufgeboten werden, um mit oder gegen 70 den Willen des schwachen Kaisers die Successionsfrage zu ordnen, von welcher der Bestand der österreichischen Monarchie wie eines von Frankreich unabhängigen Kaiserthums abhing: 37: Es ist nun nicht meine Absicht auseinanderzusetzen, in welcher Weise damals zuerst an den Erzherzog Albrecht, Schwiegersohn König Philipps II. und Regenten der Niederlande, gedacht wurde. Wohl aber gehört hieher, dass der ungemein thätige Abgesandte K. Heinrichs IV., Herr von Bongars, unvermuthet nach Heidelberg citirt , und mit ihm im grössten Geheim unterhandelt wurde. Der Herr von Plessen, der damit beauftragt war, schob den Patriotismus und die Eide des Chur- fürsten in den Vordergrund, um zu erklären, warum sein Herr in die Wahl Erzherzog Albrechts nicht einstimmen könnte. Das Reich möchte in den niederländischen Krieg verwickelt werden; es möchten - die Zeiten K. Karls V. wiederkehren, Pfalz und andere Fürsten von der Krone Frankreich dividirt (losgerissen) werden. Der Gesandte möge den König veranlassen sich in das Wahlgeschäft der deutschen (noch unerledigten) Krone einzumischen und namentlich auf die geistlichen Churfürsten einwirken. welehe die Krone Frankreich allzeit respectirt hätten. — Am 19. Januar 1606 berichtete Bongars an den Staatsminister Villeroy, der Churfůrst von der Pfalz wolle die Wahl des Erzherzogs Albrecht zum römischen Könige verhindern ; allein: das einzige Mittel diese Wahl zu hindern bestehe darin, einen andern zu unterstützen. Die- ses könne nur der Erzherzog Mathias sein.*) Allein beide waren mit 'ein- ander einig, sich nichts im Wege zu legen und demjenigen, der nicht er- wählt würde, Vortheile zukommen zu lassen. In der nächsten Zeit wohnte Bongars einem Ministerrathe in Heidelberg bei, über welchen er am 1. Februar 1606 berichtete. Es handelte sich hiebei um die Wahl eines Königs der Römer, wobei man pfälzischer Seits hervorhob, dass die Wahl des Erzherzogs Albrecht Frankreich. nachtheilig sei.”) Der Churfürst wollte von dem Gesandten wissen, ob der König ihm helfen *) Le Palatin vent empecher que Varchiduc Albert necoit elu roiides Romains, mais le seul moyen de V empécher est d'en soutenir un autre, qui serait V archiduec Mathias. Mais ils sont d’accord de ne se point troubler Vun Vautre et de faire das avantages a celui qui ne sera pas élu. Paris. Bibl. Impér. Coll. Harlay 238—9. F. I **) Préjudiciable a la France. 1. c. f. II. Ik a ee 71 wůrde, diesen Streich zu vernichten, welcher auch Deutschland schäd- lich sei. Sobald der König ihm seine Absichten zu wissen gemacht, werde er ihm die Mittel mittheilen, diese Wahl zu hintertreiben. Wahr- scheinlich stand die Opposition, welche in der nächsten Zeit die Chur- fürsten von der Pfalz und Brandenburg bewog gegen den Wunsch des Kaisers einen Churfürstentag in Gelnhausen zu halten, hiemit in Ver- bindung. Doch geht aus den Correspondenzen der Harlayschen Sammlung hervor, dass die Bouillon’sche Angelegenheit wenigstens vorübergehend eine Erkaltung zwischen dem Churfürsten von der Pfalz und dem Kö- nige herbeiführte. Der Herzog und der Churfürst wandten sich an den Kaiser und riefen dessen Schutz an; der Churfürst beklagte sich über die Drohungen, welche der französische Gesandte Herr von Montglat von Seiten des Königs gegen ihn ausstiess. K. Heinrich scheint seine eigenen Wege gegangen zu sein, da Bongars am 27. Februar 1606 die Minister des Churfůrsten von der Pfalz in Kenntniss setzte, es handle sich um ein Bündniss zwischen Frankreich, England und den Generalstaaten. Sie möchten ihrerseits das Mögliche thun, um die getrennten deutschen Fürsten zu vereinigen. Die Sache kam jedoch erst in Fluss. als sich ihrer Fürst Christian von Anhalt annahm , welchen der König schon früher auf- gefordert hatte, auf Churpfalz und den Herzog von Württemberg einzuwirken, dass beide, ein Calvinist und ein Lutheraner, den Anderen mit dem Abschlusse eines Bündnisses vorangingen. Freilich Alles im grössten Geheim. Endlich am 26. Juni berichtete Bongars, der Fürst werde sich selbst nach Frankreich begeben. Der Fürst erhielt eine weitläufige Instruction mit auf die Reise, um die alten Beziehungen vom J. 1603 wieder anzuknüpfen und einen Bund abzuschliessen, welcher der Churpfalz eine Hilfe von 3000 Mann zu Fuss und 300 zu Pferd liefern sollte. Wenn bisher behauptet wurde, es habe in Deutschland keine französische Partei gegeben, so beweist die fast kriechende Werbung um König Heinrichs Gunst (28. Juni 1606) allein schon das Gegentheil. Dann sollte der Fürst den König auch für die pfälzische Behandlung der jülichschen Sache gewinnen für den Fall, dass der Herzog, wie erwartet wurde, kinderlos sterben würde, damit nicht Spanien und Oesterreich sich der Orte bemächtigten. Der König möge für diesen Fall eine Summe Geldes im Reiche depo- niren, hingegen verspreche der Churfürst „Handhabung des Delphins 72 (Dauphin)*) fůr den Fall, der schon 1603 bestimmt worden war. Was Ungarn betreffe, so wůsse der Fürst, dass der Churfůrst stets nur einen beständigen Frieden, aber diesen nur mit Beistimmung der Chur- fürsten gewünscht habe. Die Unterhandlungen wurden nun nach den zahlreichen Correspondenzen von den Fürsten mit ungemeiner Energie fortgesetzt, auf Würtemberg, Brandenburg, Nassau, Altenburg, Hessen- cassel und die Generalstaaten ausgedehnt ; die neue Union und die Assi- stenz von Seite der Letzteren sollten jedoch nach dem pfälzischen Plane auseinandergehalten werden, da sonst Niemand zur Union zu bringen wäre! Im October konnten bereits von Seite des Churfürsten von der Pfalz über eine Union die bestimmtesten Zusagen gemacht werden. Am 26. October erhielt der Fürst eine Audienz bei dem Churfürsten von Brandenburg und übergab demselben bereits die Unionsnotul. Der Churfürst konnte sich jedoch darauf nicht resolviren. Fortwäh- rend drang auch der unermüdliche Fürst von Anhalt darauf, die Union zum Abschlusse zu bringen. Seiner Gewandtheit schien es vorbehalten , was im Jahre 1601 dem Abschlusse so nahe gebracht worden war, durch persönliche Besprechung mit den einzelnen Fürsten zu vollenden. Andererseits kam dem Fürsten der würtembergische Gesandte B. von Buwinkhausen auf halbem Wege entgegen, während zugleich der König von Seiten des Landgrafen Moritz von Hessen der nachdrücklichsten Unterstützung seiner Pläne sicher sein konnte. Fürst Christian unternahm angeblich „in eigenem Geschäfte“ eine Reise nach Paris zu König Heinrich IV., liess sich jedoch , wie sich am 23. September 1606 Churfürst Friedrich an den brandenbur- gischen Markgrafen Christian ausdrůckte, „von ersterem mit Sachen, das gemeinwesen **) betreffend bei erwelter Königlicher Würde unsert- wegen zu verrichten gutwillig beladen. ****) Nach seiner Zurückkunft besprach er sich mit dem würtembergischen Geschäftsträger Benjamin *) Bezog sich dieses auf eine künftige Erhebung des Dauphin auf den römischen Königsthron ? **) Ms. des Bamberger Archivs. ++) König Heinrich machte bereits am 14. August davon eine gedrängte Mit- theilung an den Landgrafen. Corresp. S. 321. 73 von Buwinkhausen*) und brachte endlich am 1. Jan. 1607 seine Wer- bung bei dem Markgrafen Christian von Brandenburg an. Sie ist uns in einer sehr unleserlichen Aufzeichnung des Kanzlers von Varell er- halten, die merkwürdiger Weise dem sonst so genauen Kenner des Plassenburger Archivs, Ph. E. Spiess entging. Aus ihr geht denn hervor, dass die „Specialcommission“ , mit welcher der Pfalzgraf-Churfürst seinen Statthalter des Fürstenthums Baiern behelligte, in nichts Ge- ringerem bestand, als den König von Frankreich bei Zusammensetzung einer unio principum et statuum zu betheiligen. Der König hatte jedoch die Sache sehr geheim behandelt und Niemanden dazu gezogen, als den .Herzog von Bouillon (welcher somit vollständig in Gnaden aufgenommen war), den Herrn von Villeroy, den Herrn von Sillery, bisher Gesandten in der Schweiz, und den Herzog von Sully, indem sonst, wenn die Sache transpirire, der Gegentheil Widerstand thun würde. Die Vorschläge des Fürsten von Anhalt bezogen sich aber vorzüglich auf den nervus, die Geldbeiträge, und König Heinrich erbot sich denn auch seinen Beitrag (2) in Deutschland zu deponiren, damit er für den Nothfall zur Verfügung stände. Er verlangte aber, dass Churbrandenburg, Hessen, Würtemberg und die zwei Markgrafen (von Culmbach und Ansbach) gewonnen würden. Wie er dem Landgrafen geschrieben, sei es nicht seine Absicht, dass schon jetzt die Waffen ergriffen würden oder man vor der Zeit das Geld verschwende, sondern nur dass man sich vorbereite den Gefahren entgegenzutreten , welche von türkischer und spanischer Seite drohen. Auch wolle er sie zu nichts vermögen, was dem Reiche prájudicirlich sei, sondern nur was zu ihrem eigenen Guten und zur Erhaltung ihrer Autorität und Freiheit diene.**) Auch möge der Churfürst sein Ansehen aufbieten, damit die Jülich’sche Angelegenheit friedlich geschlichtet werde; der *) Schmidt S. 169, 170. König Heinrich nennt ihn Bunichausen. Corresp. 8. 324. Buwinkhausen p. 359. Bei Häusser sucht man wieder vergeblich hierüber mehr Aufschlüsse, als die Correspondenz enthält. Er kennt nur einen Aufenthalt des Fürsten in Paris, Aug. 1606, sowie dass dieser den Landgrafen von Hessen bearbeitete, welchen doch Heinrich selbst als Ur- heber bezeichnet hatte. Die Bundesnotul kennt Häusser so wenig als Rommel. Seitdem wird die Angelegenheit der Königswahl vertagt. Nur Cöln und Trier proponirten den Erzherzog Maximilian. Der nächste Reichstag sollte angeblich darüber entscheiden. **) Corresp. S. 322. 74 Fürst aber für die Union bei den deutschen Fürsten werben. Letzteres übernahm der König auch selbst bei dem Landerafen von Hessen. welchen er durch den üblen Stand der niederländischen Angelegenheit und die Fortschritte Spinolas zu gewinnen suchte. Die Bundesnotul“), offenbar von dem Churfürsten von der Pfalz und dem Fürsten Chri- stian entworfen. lautete folgendermassen: N „Wir von Gottes Gnaden N. N. thun kund und bekennen vor uns, unser Erben und Nachkommen gegen jedermännielich : demnach ge- nugsam bewusst und offenbar, was vor ein erbärmlicher Zustand und zerrüttet Wesen in jetziger Zeit in ganz Europa sey, sonderlich was vor Unruhe, Kriegsempörung, Aufstand und Unwesen in den benach- barten Königreichen und Provinzien furgehen und je mehr überhand nehmen, destegleichen wie gefährlich es auch sonst allenthalben wegen allerhand praktiken im hl. Rom. Reich teutscher Nation unsrm ge- liebten Vaterland stehe, wie alles sich darin zu einem ebenmässigen weiten Aussehen anlasse und albereit sich gleichsam darzu disponirt ereuge (sie), welches alles uns so viell beschwerlich weile das Reich durch den beharrlichen türkischen krieg, vielfältige ohnerschwingliche Contributiones, durchzug, musterplätz, auch stätte von beeden nidr- ländischen kriegenden theilen herrürende einlagerung an seinen Kräften fast gar abgemattet und erschöpft . dergestalt , dass auch kein stand sich fast einiges schutzes und obhalts, dahin er uf den Fall sein Zu- flucht zu nehmen hett, zu getrösten, dass wier hieruf in zeitiger vor- betrachtung dieses alles, auch in Ansehung wie wenig sich uff die Creiss und Exekutionsmittel zu verlassen gleichsam getrungen und angetrieben werden uff mittel und weg zu gedenken, wie bei diesen zumal geschwinden und gefährlichen zeiten vermittels einer vertrauli- chen Zusammensetzung und ein gemeinschaft und zuthun zu dem Zweck zu gelangen, dahin sonst keiner vor sich selbst und ‚kraft. seiner. ei- genen Privatmittel und. vermögens zu seiner und. der seinigen Be- sehützung auch erhaltune seines stands , wie auch‘ hanthabung der *) Diess ist jener Entwurf, von welchen Rommel schrieb (Corresp. S. 333 n. 2): La copie de ce premier projet de V act d'union ne s’est, pas rétrouvé. Nach den Urkunden in der Collection Harlay standen ‚damals, Kaiser Rudolf und König Heinrich in dem scheinbar freundlichsten Verhältnisse, was Fortführung des Krieges in Ungarn betraf. ts 75 uralten wohlhergebrachten teutschen Libertät und Freiheit kom- men könnte. Haben derowegen uns hernachfolgender gestalt gegen einander in verbindlicher vertrewlichkeit freund- brüder- und nachbarlich vers slichen, jedoch zu keiner neuerung oder änderung im reich, sondern villmehr zur defension und rettunk desselben vor allem: gewaltüber- ziehung , drangsal und dergleichen, gefährlich úberhand nehmenden praktiken und: beginnen und. also keineswegs zur offension weder wider die Röm. Kais. Majestät, unsern: allergnädigsten‘ Herm , noch auch einige friedfertigen stände des Reichs. so sich dessen: ordnung gemess erzeigen, auch keinem ‚menschen zum nachtheil oder beschwe- rung; viel’ weniger aber des hl. R. Reichs allgemeinen Constitutionen und satzung noch auch den Churfůrstenverein oder andern sonderbaren unter uns unter einander habenden erbvereinigungen und verglei- chungen zu abbruch und nachtheil, sondern vielmehr zu bestärkung derselben und besserer niederhaltung friedens und einigkeit in unser allerseits Churfürstenthumer Landen und gebieten, thun: das hiemit im Namen des Allmächtigen freiwillig und wohlbedechtiglich also und dergestalt, dass wir für allen dingen die. zeit über gegenwärtige ver- einigung , wie auch sonsten einander samt und sonderlich im guten rechte und ganzen Vertrauen meinen, keiner den andern der Reli- sion halber unfrieden, noch auch ichtes unfreundliches thätliches viel weniger feindliches wider den andern vornehmen, sondern: viel mehr bei einander vest stehen und halten und der eine oder der an- dere von einander; der sei auch 'wer' er wolle feindlich‘ angegriffen einander beispringen, die‘ hände bieten, einander‘ umbtreten , und mit Rath und That »darwider beholfen seyn,’ noch uns davon: durch einige betrohune glatte vertröstung oder anderes schrecken oder ab- halten lassen wollen und sollen. . Demnach aber zu dergleichen heilsamlichen defensionswerk negst Gottes hůlf vor allen dingen ein ziemlich vorrath von Geld; welches nervus rerum gerendarum ist, erfordert: wird, ausserhalb dem sonst dergleichen Zusammensetzung von geringen Kräften sich befinden, so ist under uns ferner: diss verglichen abgeredt und versprochen ‘worden, dass ein jeder under uns nach seinem’ Anschlag (der Reichsmatrieul uff den einfachen Römerzug für seine inhabende landt und leut, auch die zukünftige als dann und pro rato der. zeit da disse landtin die 76 Verein kommen, darzu diejenigen, so er excipirt, innerhalb eines Jahres frist zu zweyen zielen, Ostern und Michális negstkünftigen 1607 Jahres zu der ersten Anlage und vorraht 00 Monat an geldt, an ein ort oder zwei, deren man sich zu vergleichen, richtig und baar zur Verwahrung in der änge und geheimbde gegen gebürenden Revers, so jedes orts unirter Chur oder Fürst solcher empfangenen Summen halber von sich geben wurdt, erlegen; dessgleichen auch jede folgenden Jahrs, so lange diese Verstendnuss wehret, zu solchem Voraht 00 Monat nachschicken wolle. Würde sich dann zutragen, dass der einigung Stände einer oder derselben Lande und leut, so wir jetzt haben oder uns künftig zu- fallen oder wir sonst erlangen mögen, mit thetlicher gewalt überfallen, beschädigt, und beschwert, sollen wir uns sambt und sonders dessen uff mass und weiss wie wir uns hierüber hienegst weiter vergleichen werden, zu gebrauchen haben, dahin wir auch all das andere so zu wirklichen Vollziehung und Administration dieses ganzen Werkes gehörig und nöttig hiemit gespart und verschoben haben wollen. Damit auch diese notwendige Zusammensetzung und defension in desto mehrerem Bestand angerichtet , vortgetrieben und uff den Beinen erhalten, so haben die K. W. von Frankreich unser sehr liebe Vetter und Schwager auch aus guter wohlmeinender königlicher Affec- tion, so sie zu uns sammt und sonders haben und damit wir bei unser Hoheit, Würde und Stand verpleiben, auch solches uff unser Posterität pflanzen, sodann das Reich teutscher Nation unser geliebtes Vaterland bei seiner wohlhergebrachten Verfassung, Libertät und Freiheit handvesten möge, dahin f. und gnedig erklärt, dass sie nit allein mit uns samtlich vereinigt sondern auch jeden in specie und uns dero loblichen vorforderen exempel nach gute Correspon- denz (doch allerdings ohne einmischung in unser der Churfürsten und Stände Amt oder einige andere des Reiches sachen) halten, jeder- zeit uff ersuchen beisprung leisten, auch zu dem ende uffs wenigst ®/, zu dem was wir gemelt zum vorraht hinlegen werden, ins Reich deponiren wollen. Und soll diese einigung von Zeit der vollziehung an 20 oder zum wenigsten 15 Jahre wehren und in cräfte verpleiben. Solches alles haben wir obgenannte Churfürsten und Stende aus mit einander vor uns, unsere erben und nachkommen zu halten und 7 handzuhaben bei unseren churfürstl. fůrstl. und gräfl. würden ehren und wahren worten, auch bei guten trewen und an eydes statt ein- ander zugesagt und versprochen, treulich sonder gefehrde. dessen zu Urkund etc. 8. September 1606.* So sehr der König den Antheil des Herzogs von Bouillon an der Zustandebringung des Bundes in Abrede zu stellen bemüht war, so sicher ist doch, dass vorzüglich er das Bündniss betrieb, wie eben aus der am 1. Januar 1607 mit Markgraf Christian und Markgraf Joachim gepflogenen Unterredung hinlänglich hervorging. Diese wurde am 2. Januar fortgesetzt, indem beide Markgrafen von Brandenburg sich ver- glichen, ehe sie sich auf das Anbringen des Fürsten Christian resol- virten, zuerst von ihm über mehrere Puncte Aufschlüsse zu erhalten. Sie wollten wissen, was der Fürst unter dem gemeinen Wesen verstehe, das er angeführt hatte. Fürst Christian antwortete: es sei der Zustand des Vaterlandes. Spanien habe die Monarchie der ge- sammten Christenheit erstrebt, aus Herrschsucht die grössten Länder und Leute und seine Reputation darangesetzt; nur die Libertät des deutschen Reiches hindere noch die Ausführung dieser Gelüste, wesshalb dahinzusehen wäre, wie dieselbe vielmehr möge erhalten, als labefactando niedergedrückt werden. Die confirmatio liber- tatis consistire aber sicher 1. in der Wahl eines Kaisers (in electione imperatoris), der nicht von Spanien sogar dependiret oder gar nicht. 2. Darin, dass man im Reiche ohne Bewilligung des Kaisers möge werben lassen, wie früher geschehen, welches Spa- nien jetzt hindern wolle. 3. Dass die Chur- und Fürsten des Reiches Macht haben (nach Belieben) einer Partei zu assistiren, wie Ihre fürstliche Gnaden Fürst Christian und Markgraf Joachim Ernst bisher gethan. 4. Bestehe die deutsche Freiheitin der Souverainetät der Fürsten, welche abermals Spanien hindern wolle. 5. In der (Kriegs-) Verfassung mit Aufbauung von Vestungen und dergleichen Lan- desverwahrungen gegen alle feindliche Angriffe. Alles diess wollten die Spanier gern hintertreiben und uns um die hergebrachte Freiheit bringen. Die Intention des Papstes sei bisher gewesen, die welt- lichen zu distrahiren und zu trennen; er suche durch die vielfältigen persecutiones und seinen nuntium, den er zu Prag hat, uns zu schwächen und zu ruiniren. Schon Granvella habe den Rath gegeben, weil der Kaiser mit offener Macht nichts thun könne, sie poco a poco 78 zu vermehren , was sonst mit grossmächtiger Gewalt nicht geschehen könne. Anno 58 (55 7) habe man die Arma aus'den Händen gegeben, als man dem Kaiser die Vermittlung des Krieges und Friedens ganz über- geben ; jetzt sei man durch Contributionen entkráftet. Sei te Er- schöpfung an Gold gross, sei die an Leuten noch grösser und was das schlimmste (et gnod pejus) hätten es dieEvangelischen: zu keiner sicheren 'Verschreibung (in Betreff der niederländischen Verhältnisse) wollen kommen lassen, sondern die Katholischen mit unserem guten Gelde ihre Reputation und Beförderung erlangt. Spanien könne da- durch 60000 Mann aus den Niederlanden in das Feld bringen und sie gebrauchen zu seinem Gefallen. Andererseits sei der Kónig von Frankreich ein guter Soldat, habe Macht, würde sich‘ aber nicht Jeichtlich zum Kriege bringen lassen, weil: der König von Spanien in Frankreich eine so starke Faction habe, dass er ohne Schwertstreich Frankreich ‘oeeupiren könne. © Darnach müssten also die deutschen Fürsten ihre Resolution nehmen.“ So war denn mit dürren: Worten ausgesprochen , dass, was diese Partei unter deutscheri' Libertät ver- stand, eigentlich die Auflösung des Kaiserreiches und die. vollendete Tervitorialmacht der Fürsten in sich begriff. Weil aber die kaiserliche Majestät das Haupthinderniss einer solchen Freiheit war, die diesen Namen nur zu sehr missbrauchte, und der Kaiser im Reiche fast ohne Macht, durch seine Familienvertráge aber wie durch -die Pflicht der Selbsterhaltung an Spanien angewiesen war, so war es ganz consequent, die Verbindung mit Spanien nach Kräften zu lösen, sich desshalb an Frankreich anzuschliessen und durch solche Machinationen jene Un- sestraftheit zu erlangen, welehe man mit dem Namen der deutschen Freiheit belegte. rn Wohl niemals war aber das Schreckbild spanischer Allgewalt für die deutschen Fürsten weniger am Platze als unter Rudolph II., dem furchtsamsten aller Kaiser. Wie richtig hatte König Karl V. erklärt, die deutschen Fürsten hätten zu viele Freiheit. „Sie gebrauchten sie zum Siege des Auslandes, zum Verderben Deutschlands. Nach diesen für uns nicht minder als fůr die Markgrafen: wich- tigen Erklärungen erkundigten sich. die ersteren‘ wer: in: specie die unirten Fürsten sein sollten und ob neben ihnen auch andere‘ Reichs- stánde, als Grafen, Herren und Städte m der Verbindung (in' confoe- deratione) sein sollten. Anhalt antwortete: der Herzog von Würtiem- 79 bere sei der erste gewesen alıs Gutachten des Königs selbsten, weil derselbe nun auch von Frankreich dependiren möge wegen des Herzog- thums Alencon, wie sich denn. Würtemberg an den König durch den von Buwinghausen erklären lassen. dass Er die Union für das einzige Mittel halte, die deutsche Freiheit zu erhalten. 2. Landgraf: Moritz sei Pensionär des Königs und vor diesem“ in vielen Wegen (dazu geneigt gewesen.’ 3. Das Haus Nassau. Graf Johann sel. sei schon vor diesem darzu geneigt gewesen; der junge Graf Johann habe sich gar wohl dazu erklärt, auch allein auf sich genommen, die Sache auch am die andern wetterauischen Grafen zu bringen. 4. Anhalt. 5. Churbranden- bure. 6. Die beiden Markgrafen. Der König habe erinnert, das Werk im Anfange nicht gar zu weitläufig zu machen , damit es nicht mehr aufgehalten als befördert werde; auch weil sie nicht alle gleich fähig, auch nicht gleich dem Werk affectionirt, darumb weil solche Sachen müssen mit kleinen initiis anfangen und forteehen. Des Kónies Absicht wäre überhaupt geheim zu verfahren: und so lange zu zögern, bis dass er selbst assistiren könnte. ' Mit Braunschweig zu tractiren sei dem König auch nicht zuwider gewesen ; der Churfürst von der Pfalz aber meine, dass es zur Zeit noch einzustellen sei, weil es gegenwärtig zu sehr erschöpft und zu besorgen sei, es hänge gar zu sehr vom kaiserlichen Hofe ab. Hingegen sei aber die Intention des Königs von Frankreich, der Churfürsten von der Pfalz und Churbrandenburg, Dänemark und Eng- land hineinzuziehen. Sachsen , für dessen Beiziehung Brandenburg erinnert, müsse wegen der Gefahr der Mittheilung noch ausgelassen und später durch Dänemark ersucht werden. Brandenburg und Hessen erböten sich mit Meklenburg, Holstein, Lüneburg zu unterhandeln. Auch Pfalzgraf Ludwig wolle man nicht ausschliessen ; Pfalz habe auch gute Hoffnung die Reichsstädte zu gewinnen. ‘Der König erbiete sich das Geld in die Hände der Chur- und Fürsten zu geben, wenn alle reso- lutiones einkämen und Pfalz wieder nach Frankreich schicken würde. Auf weitere Anfrage über die Pflicht der gegenseitigen Assistenz er- widerte Fürst Christian: Niemand solle seine Privathändel hinein- ziehen. Die beiden Markgrafen begmügten sich jedoch mit dieser Ant- wort nicht, verlangten immer mehr „substantialia,“ wie es mit dem Bun- desconvent und dem Bundesheere stehen solle ; endlich folgte auch die Frage nach dem unverfänglichen Endzwecke des ganzen Vorschlages, 80 sowie ob man denn dem Kaiser die Reichs- und Landhilfe sollte ab- schlagen, worauf Fürst Christian antwortet; „er besorge, eswerde dahin gelangen müssen.“ Nun entstand erst die Gegenbesorgniss, man möchte dem Kaiser gegenüber blossgestellt und allein gelassen werden. Der markgräfliche Unterhändler Varell meinte selbst unend- lich harmlos, man sollte die Sache dem Kaiser insinuiren, damit sie nicht den Anschein einer Conspiration habe. Jeder andere wäre dar- über in Verzweiflung gerathen. Fürst Christian, der seine Leute kannte, versicherte , er selbst sehe gerne, dass die Markgrafen diess monirten und der König von Frankreich hätte esauch admonirt ! und wenn wir die höchst unleserliche Schrift recht verstehen, so war nach ihm der König von Frankreich selbst der Meinung, den Kaiser in das Bündniss hineinzuziehen. Welche Meinung von der diplomatischen Fähigkeit deutscher Fürsten Heinrich der IV. nach diesen Proben haben musste, wird weiter unten erhellen. Die beiden Markgrafen liessen sich nun über die Unterredung referiren und erklärten endlich, sie liessen sich das Unionswerk allerdings belieben und gefallen, hielten es auch für nothwendig, wollten sich aber noch mit Churbrandenburg vorerst in Vernehmen setzen. Auf dieses ruhten die Unterhandlungen über ein Bündniss, dessen defensiver Vorwand keinen Einsichtsvollen über seine Bestimmung täu- schen konnte, — so weit wenigstens unsere Acten reichen, bis zum April 1607, wo Fürst Christian den markgräfl. geh. Kammerrath und Kanzler Huldreich von Varell auf Burgkhaig in geheimer Audienz empfing (19. April 1607.) War die erste Unterredung sehr merkwürdig in Betreff der Pläne der Unirten, dem Kaiser allmälig seine Reichsfürsten abwendig zu machen, so mangelte es der zweiten auch nicht an eigenthümlichem Interesse. Man erfährt aus dem, was der Kanzler vorbrachte, dass Rück- sprache gepflogen worden war, dass zur Abwendung allerhand besor- gender Gefahr in Ungarn von den Chur- und Fürsten ein specialis exercitus von ungefähr 30000 Mann zu unterhalten und ein generale consilium von den Ständen und protestirenden Fürsten angeordnet werde, wodurch die gravamina abgeschafft und also die Freiheit des Vaterlandes erhalten werden könnte. Allein man wolle die Sache erst auf dem nächsten Reichstage 1608 zu Ende bringen, und der Kanzler hatte daher den Auftrag erhalten, im Namen des Markgrafen Christian den Fürsten von Anhalt um mehrere darauf bezügliche Auf- 81 schlüsse des allgemeinen Bestens wegen zu ersuchen. Der Fürst, wel- cher die an ihn gestellte Werbung nicht vermuthete, antwortete in Bezug auf einzelne Punkte so, dass daraus hervorgieng , man habe das ganze Project wegen Mangel an Theilnahme fallen lassen. Der spe- cialis exercitus sei, seit der Friede in Ungarn geschlossen worden, nicht mehr nöthig; er hoffe zwar, dass das Unionswerk mit Frankreich seinen Fortgang nehme, inzwischen werde Pfalz auf dem nächsten Reichs- tage davon nicht tractiren lassen ; wenn aber doch, werde der Mark- graf davon in Kenntniss gesetzt werden. Dann rückte der Fürst mit der Art und Weise hervor, wie die Sache in Frankreich aufgenommen worden sei. Der König habe sich beklagt , dass er keine Resolution bekäme. Es wäre um die Deutschen einseltsam Werk. Ent- weder sie tränken oder sie schliefen, sonste thät oder dächtkeinernichts. Der Fürst wäreaber unterdessen bey Frankreich ge wesen, gegen denselben hätte Ihre Maj. sich resolvirt, sie wollte zu bevorstehendem Unionswesen allein so viel contribuiren, als die deutschen Chur- und Fürsten allesamt deponiren würden. Allein es wolle Frankreich nicht gerne , dass die Gelder vergeblich liegen und ruhen sollen. Derowegen wollte er bei Kaufleuten die Summe assigniren, dass man sie erhebe, wenns nöthig sei. Pfalz habe jedoch diess nicht für sicher erachtet und gemeint, der König sollte alles in baarem Gelde erlegen, und verhoffte sich gute Resolution, worauf mit den Chur- und Fürsten ebenfalls tractirt werden sollte. Würtemberg hätte seither eine eigene Opinion gefasst und wolle sich mit Pfalz allein eonjungiren und Brandenburg sich anschliessen. Mit Markgraf Jacob Ernst von Baden hätte es etliche Differenzen , jedoch werde sichs wohl enden. Der König habe die bei der jülichschen Succession Interessirten auffordern lassen, sich gütlich zu vergleichen. Der König sei hiebei sehr interessirt, da Östreich, Lothringen, Neuburg auch Ansprüche erhöben. Weiter führte der Fürst an, Prinz Moritz berichte seltsame Sachen; Brandenburg, mit welchem Fürst Christian in neuester Zeit in Spannung gerathen war, und Sachsen wollten den König von Dänemark zum deutschen Kaiser machen, andere einen andern.“ Es war dieses nicht ein blosses Gerede. Schon hatten der König von Dänemark und der Churfürst von Brandenburg sich mit dem Herzoge Ulrich von Meklenburg zu Küstrin und Berlin wegen Übertragung der Kaiserkrone besprochen. Der König hatte Holstein, Sitzungsberichte 1863. I. 6 82 Braunschweig, Meklenburg , Lüneburg, den Bischof von Bremen und Osnabrück zu seinen Verwandten, betrieb die Sache bei seinem Schwager dem Könige von England und wurde noch später in dem Kampfe Kaiser Rudolphs mit Mathias wieder in den Vordergrund gestellt. Die Sache ging somit nicht auf allen Punkten so leicht vor- wärts, als mit den fränkischen Markgrafen. Wenn der Fürst von An- halt im Gespräche mit diesen auf den Landgrafen Moritz als Theil- nehmer hingewiesen, so war diess mindestens verfrüht. Landgraf Mo- ritz hatte schon am 28. Oct. 1606 dem Könige bemerkt, der Bundes- entwurf sei ihm zu allgemein, zu wenig bestimmt und ins Einzelne gehend. Der Fürst von Anhalt suchte ihm dann seine Zweifel zu benehmen, indem er ihn auf das Beispiel seines Vaters wies, welcher ohne Rück- sicht auf die Erbverträge und ihr Verbot sich in Bündnisse einzu- lassen, welche den Reichsfrieden stórten , sich mit dem Churfürsten von Sachsen und dem Markgrafen Johann Kasimir verbunden habe. Er versprach ihn mit Hilfe des Churfürsten von der Pfalz mit dem Herzoge von Braunschweig und dem Landgrafen von Hessen-Darmstadt auszusöhnen. Was die Niederländer betraf, so meinte der Fürst selbst, so lange die Union ein Embryo sei, müssen sie sich darauf beschränken, ihnen nur so weit Hilfe zu leisten, um ihre Rückkehr unter Spanien zu verhindern. Der Landgraf wollte aber auch, dass der Churfürst von Sachsen für die Union gewonnen würde, und meinte in Betreff der Niederländer, man dürfe nicht den guten Anfang mit den nie- derländischen Angelegenheiten vermengen. Der Fürst werde ver- stehen, was er meine. Es bezog sich dieses wohl auf den Plan Heinrichs IV., die Niederlande wo möglich unter französische Pro- tection zu stellen. Auch der König fand den Entwurf, als er ihn gesehen , zu allgemein ; meinte aber, für's Erste lasse sich keiner anders entwerfen, Er trieb jedoch fortwährend den Landgrafen an beizutreten. Auch dass jetzt mit dem Frieden von Zytwatorok (mit den Türken) ein Anlass zur Union weggefallen war, kümmerte den König nicht. Er machte erst den Argwohn gegen den Kaiser aufs Neue rege, so dass selbst der Landgraf die vorgespiegelte Gefahr für unbegründet hielt. Nicht im J. 1608, nicht in Verbindung mit den Vorgängen am Reichstage und in Oesterreich, sondern gänzlich unabhängig von diesen späteren Dingen sollte die Union in's Leben treten. Seit Jahren, 83 schrieb Friedrich IV. von der Pfalz an den lutherischen Herzog von Würtemberg,*) habe er mit seinem gleichfalls lutherischen Vetter, Pfalz- srafen Philipp Ludwig v. Neuburg wegen einer Conjunction unterhandelt; nicht an ihm, dem Churfürsten, ermangle es, wenn sein Vetter nicht schon beigetreten. Jetzt aber zu der von S. K. Würden von Frank- reich wohlmeinendlich vorgeschlagenen Conjunction den Pfalzgrafen schon zum Anfange der Tractation hinzuzuziehen, halte er nicht für gut, da nach des Königs Meinung der Anfang nur mit wenigen gemacht werden solle. Die Verständigung der deutschen Fürsten mit dem französischen Könige erfolgte mehr und mehr.**) Der Letztere ging von dem sehr richtigen Grundsatze aus, dass aller Particularstreit der Fürsten (seit hundert Jahren) hingelegt und ver- tragen werden müsse, und zur Schande der deutschen Fürsten muss es gesagt werden, dass nicht ihre eigene Ehre noch die Noth des Vaterlandes sie bewog, sich zu einigen, sondern das Drängen und Treiben des französischen Königs, dessen eifrige Affection zu der Christenheit Frieden und Ruhe insgemein „sie je länger desto mehr spürten; oder auch wie sie daneben sagten: „die Nothdurft, die uns alle mit einander nöthiget uns vorzusehen, unsern Freunden vorzu- kommen und ihnen den Rang ihrer bösen Anschläge abzulaufen.***)“ Fortwährend versichert auch König Heinrich diese Fürsten, dass an der neuen Union ihr Glück und ihre Sicherheit nicht weniger als die Erhaltung gemeiner deutscher Freiheit gelegen sei. Daneben freilich ward auch das Unvereinbarste versprochen, dass sie dem Allgemeinen *) Heinrich’s Schreiben vom 12. März 1607 an den Herzog von Wůrtemberg. Ihr und mein Vetter (der Churfürst von der Pfalz), heisst es darin, habt mit einander das erste Fundament der Union mit Zuthuung meiner Hilfe und Correspondenz gelegt. **) Nach einem Schreiben des Herzogs von Würtemberg an König Heinrich hatte dieser durch Buwingshausen bei dessen letzten Herauskunft aus Frankreich dem Herzoge Eröffnungen machen lassen. Noch viel reicher und deutlicher geschah dieses durch den Fürsten von Anhalt und in eigenem Schreiben vom 17. September. Aber schon am 23. September (also ehe letz- teres Schreiben an den Herzog gelangte), war dessen Declaration an König Heinrich erfolgt; ein zweites Schreiben erfolgte am 16/26. Februar 1607. Wann sie anderst die Gefahr und die Rew und Verwiss, so sie haben werden, dass sie zu spät demselben fürkommen, vermeiden wollen. Er verlangte deshalb, sie möchten Brederode’s Werbung besonders unterstützen. 6* — 84 zum Guten, ihren Häusern aber zum Besten gereichen solle. Wie wenig es aber ihm selbst an Demjenigen lag, was er als Grund der Union vorgab, erhellte aus dem eigenen Geständnisse, dass „die Vor- theile, welche unsere Nachbarn diese zwei letzten Jahre in den Niederlanden erlangten, die Interessirten ermahnen und obligiren zu dieser Sache, in solchem Werk ohne weitere und längere Dilation beide Hände zum Beschlusse anzulegen.“ Anfang Januar 1607 war die Angelegenheit durch den Pfalzgrafen- Churfürsten und den Herzog von Würtemberg soweit bereiniget, dass in Heidelberg ein Memorial in 6 Punkten ausgearbeitet wurde, welches Fürst Christian von Anhalt mit Noten versah. Welche Gesinnung hiebei herrschte, und auf diese kommt es doch vor Allem an, geht aus der Hauptbemerkung des Letzteren hervor, was den Modum agendi betreffe, es bei der Generalität (allgemeinen Ausdrücken) und diesen beiden Hauptpunkten bleiben zu lassen, erstlich einander recht treulich zu meinen ; fůr's Andere die benannte Summe alsbald zu erlegen- „Da man den vornemsten Willen und Effect hatt, so würde sich künftig wegen der übrigen Umbstände noch wol vergleichen lassen und wan Pfalz und der König solche meinung approbiren, so muss Hessen und viel- leicht Würtemberg auch fort, Anspach wird sich nicht separiren, also würde solche meinung per pluralitatem leichtlich erhalten werden. Wenn dann die Union statt fände, so sollte nach dem Antrage des Königs die Sache bei Gelegenheit dem Kaiser selbst unterbreitet werden. (Memorial v. 21. Jan. 1607.)* Ich möchte nicht zweifeln, dass Letzteres mit Bedenken im Causalzusammenhange stand, die, wie es scheint, würtembergischerseits erhoben worden waren. Ende März 1607 war man bereits zu der Erkenntniss gekommen, dass Sachsen nicht beitreten würde. Hingegen erklärte sich der Chur- fürst von Brandenburg wenigstens in allgemeinen Ausdrücken dafür. Der Herzog von Würtemberg schrieb selbst an den König; von dem Beitritte der fränkischen Markgrafen benachrichtigte diesen der Fürst von Anhalt, Die Boten zwischen dem Könige und den unionsfreund- lichen Fürsten gingen hin und her. Allein König Heinrich verfolgte wie immer seine Zwecke, welche nicht die der deutschen Fürsten waren und jetzt darauf hinausliefen, den Niederländern, deren Angelegenheiten nicht am besten von Statten gingen, rasche Hilfe zukommen zu lassen. Einsichtsvolle Personen, 85 welche ihnen näher standen, wie der würtembergische Gesandte von Buwingshausen, trugen daher bald Bedenken. Letzterer rieth seinem Herın ab, ein Bündniss mit einem Mächtigeren abzuschliessen , bei welchem der Schwächere jedenfalls zu kurz käme. Die übrigen wür- tembergischen Räthe fürchteten mit Recht, es möchte dem Könige ein Ansehen im Reiche eingeräumt werden, das zu Zerwürfnissen mit dem Kaiser führen könnte. Als es sich dann um Abschluss des niederländischen Waffenstillstandes handelte und der König Freiheit des Cultus für die niederländischen Katholiken verlangte , brachte ihn das in Misscredit bei seinen deutschen Freunden. Man kam end- lich Anfangs Mai 1607 zwischen Würtemberg und der Churpfalz zu einem Bündnisse überein, das durch keine Verschiedenheit des pro- testantischen Bekenntnisses aufgehalten werden sollte und im August in militärischer Beziehung festzustellen sei. Der Herr von Buwing- hausen überbrachte dem Könige die Nachricht von dem Abschlusse der Union (zu Heidelberg). Der König war hoch erfreut über den guten Rath und das weise Beispiel. Er sah darin eine Bekräftigung der deutschen Freiheit, welche Frankreich stets in der Hinfälliekeit des Kaiserthums erblickte, und meinte daher , ähnliche Einverständ- nisse könnten nur von grösstem Nutzen sein, — wenn auch nicht für das Reich, doch für die französische Krone. Wie er selbst sagte, war sein erster Gedanke gewesen ,*) eine vollkommene Partei zu bilden, d. h. nicht mit wenigen Fürsten anzufangen. Nachdem ihm aber das Memorial zugesendet worden, betrieb er auch die kleine Union in der Hoffnung, die beiden Churfürsten von der Pfalz und Brandenburg, der Landgraf von Hessen und der Herzog von Würtemberg würden beitreten. Zugleich war aber auch die Successionsfrage im Reiche und die Jülich’sche Erbschaftsangelegenheit von dem Könige hineingezogen worden. Im Betreff der ersten Angelegenheit sagte der König dem Churfürsten von der Pfalz durch dessen Abgesandten von Plessen Hilfe zu,**) „da vonnöthen sein sollte, in seinen Landen zu den Waffen zu greifen.“ Die unirten Fürsten hatten bald Gelegenheit, sich zu über- zeugen, aus welchen Gründen König Heinrich gerade jetzt so sehr . . . 27. Mai den Abschluss eines (eneral-Vereines betrieb. — Schon am 333; *) Schreiben vom 29. März 1607 an Churpfalz. **) Auf des Churfürsten Bitte. 86 klagte der Herzog von Wůrtemberg dem Churfůrsten von der Pfalz, dass man alles Geld, so zu contribuiren sein wůrde, zu Fortsetzung des deutschen Kriegswesens gleich verwenden sollte. Der Herzog trug daher grosses Bedenken unter solchen Verhältnissen die Hand zur Generalunion zu bieten und sprach seine Geneigtheit zu einem Frieden mit den Generalstaaten unverholen aus. Vorderhand schlossen Churpfalz und Würtemberg am- 1./11. Juli auf die Grundlage des Verständnisses von 1601 einen Vertrag auf 15 Jahre ab, einzig und allein zur Abwendung der androhenden Gefahr, in 11 Punkten, versprachen nicht wider einander sich im Bündniss oder Fehde einzulassen, vertrauliche Correspondenz zu halten, mit getreuem Rathe einander beizustehen , namentlich in Betreff der Contributionen, den 4 Klostersachen und gravamina vertrauliche Corre- spondenz zu halten, Irrungen auszugleichen , in religiöser Beziehung keine Unbescheidenheit auf den Kanzeln zu dulden und einander bei- zuspringen, wenn ein feindlicher Ueberfall statt fände. Ueber Letzteres erfolgten dann besondere Bestimmungen. In Betreff der Lande, die einem oder dem andern etwan künftig zukommen würden, sollte eine besondere Vergleichung erfolgen. Nachdem so die Grundlagen gelegt worden waren, kamen die churfürstlichen und fürstlichen Bevollmächtigten, Johann Graf zu Nassau, Otto der Jüngere, Graf zu Solms, Voland von Plessen, Bern- hard Schug, Burkhard Stickel, Samson Schürer von Schwarzenberg, Hauptmann in Heilbronn, zusammen, um sich in Betreff des Verhal- tens bei drohender Gefahr näher zu besprechen und Bestimmungen zu treffen. (11,14. August 1607.)*) Bei der Mittheilung, welche an den König über diesen ‘Vertrag gemacht wurde, welcher freilich ganz anders aussah, als die von Hein- rich betriebene Generalunion, wurde hingewiesen, dass die Verände- rung der Zeitumstände weder diese noch die Hinterlegung von Gel- dern habe aufkommen lassen. **) Aus der Generalunion war ein Particularverein geworden, ***) *) Diese erstreckten sich auf alles Detail der Ausrüstung und sind für die Kriegsrüstung jener Tage von Wichtigkeit. **) Schreiben Würtemberg’s an den König, Juni 1607, und von Churpfalz 1./11. Juli. ***) Schreiben von Churpfalz an Anhalt 7./17. Juli 1607. 87 der sich auf den Vortheil beider Häuser bezog, wie König Heinrich in seiner Antwort vom 9. October auf die im Juli erstattete Anzeige sagte. Er selbst erklärte seine stete Bereitwilligkeit dabei mitzuwirken*), war aber factisch denn doch auf die Seite geschoben. Hingegen be- nachrichtigte der Churfürst noch am 3./13. November 1607 den König, dass er und der Herzog übereingekommen waren, Fürsten und Städte für ihren Verein zu gewinnen und den König zu bitten, mit seinem Ansehen einzutreten und diese Vereinigung zu begünstigen (A favoriser cette conjonction). In dem Augenblicke, als man glaubte, die beiden Fürsten würden sich von Frankreich unabhängig machen, erfolgte auf’s Neue die Hereinziehung des Königs in die deutschen Ange- legenheiten. Dank der Erbärmlichkeit der deutschen Fürsten ging dem Kö- nige von Frankreich alles nach Wunsch. Schon im Jahre 1607, d. h. in demselben Jahre, in welchem das Heidelberger Bündniss zu Stande kam, konnte Sully dem Könige sagen, dass er endlich alle Verträge abgeschlossen habe, um das Haus Habsburg auf dem Continent von Europa zu beschränken, der Primogeniturlinie Italien und das burgundische Erbe, der deutschen Linie Elsass, Tirol und das Kaiserthum zu entreissen. Was seit 1601, theilweise schon früher, imsbesondere aber seit 1603 unterhandelt worden war, kam jetzt zum Abschlusse; Grossbritannien, Dänemark und Schweden verpflichteten sich zur Auf- stellung einer Armee, **) welche sich nach den verabredeten Punkten begeben sollte. Der grosse Plan Heinrich’s IV., Europa durch Umsturz der habsburgischen Doppelmacht neuzugestalten, wie seine Anhänger sagten, dadurch die Freiheit Europa’s zu begründen, in Wahrheit die französische Herrschaft aufzurichten, näherte sich seiner Vollendung; zugleich aber auch die Abgränzung Frankreichs durch Artois, Cam- bresis, Tournay, Luxemburg, Roussillon und die Rheingränze, „da man König Heinrich IV. doch nicht zumuthen könne, 60 Millionen für andere auszugeben, ohne etwas für sich zu behalten. Das sei seine Absicht nicht.“ ***) Plötzlich waren die Bedenken des lutherischen Herzogs von * Cooperer et contribuer. — Der Churfürst antwortete am 21. Oct. dankend. ** Poirson S. 866. ***) Poirson S. 931. 88 fürsten von der Pfalz, die des Letzteren gegen eine Verbindung mit den Lutheranern durch eine uns unbekannte Macht gehoben worden. Das Gewissen dieser Fürsten, so ausserordentlich zart, wenn es sich darum handelte, den Katholiken Freiheiten oder Rechte zu ge- währen oder ihre Unterthanen bei einem Glauben zu belassen , der nicht der des Landesherrn war, sah auf einmal in demjenigen, was den beiderseitigen Theologen das Aergste war, in einer Verbindung des Lutherthums mit dem Calvinismus kein Hinderniss. Was so lange nicht von Statten gehen wollte, fand jetzt Statt. Die Hoffnung , die katholischen Staaten zu stürzen und bei dem allgemeinen Umsturze des Reiches einen Fetzen an sich zu reissen , führte beide Fürsten zu einander. Auch den Preis der Einigung sind wir im Stande anzu- geben ; er bestand offenbar aus gewissen Domainen in der Normandie. Der Churfürst von der Pfalz aber verlangte nach dem Berichte Baugry's vom 1. Juli 1607 noch einen besonderen Unionsvertrag mit dem Kö- nige von Frankreich. *) Die Hoffnung, den Kaiser zur Regelung der Succession zu bringen, war 1607 entschwunden. Rudolph hatte den gegen ihn gerichteten Sturm abgeschlagen und den Churfürsten auf ihre Vorstellungen er- wiedert, er sei noch mit Leibeskräften begabt und hofte dem Reiche fürder wie bisher vorzustehen.“*) Der Tag zu Fulda und seine Er- klárung, dass des Reiches Wohlfahrt und Sicherung zeitliche Vorse- hung zu thun erfordere, war somit vergeblich gewesen. Pfälzischer Seits berieth man sich Anfang Januar, was weiter zu thun sei. Man kam überein, sich mit Churmainz wegen einer bestimmten Person zu ver- ständigen. ***) Auf dieses erfolgte die Zusammenkunft der beiden Churfürsten von Mainz und der Pfalz in Neuenschloss 17./27. März und die gegenseitige Verpflichtung, der abgeredeten Person (Erzh. *) L'électeur palatin au roi de France. Il desire faire un traité d’ union plus intime avec la France. Coll. Harlay 238/9 f. 377. Bibl. Impér. Derselbe vom 8. Juli. Lettre du duc de Wurtemberg au roi. Il desire l’union gene- rale projetée et un trait plus précis avec la France. I. c. £ 380. Am 14. Dee. 1607 heisst es: Lettre du duc de Wurtemberg au roi. L'électeur palatin et lui ne demandent qu’ A fortifier leur alliance avec le roi. Il enverra des députés pour assister au traité de pain qui se negocie au pais bas. **) P. C. 5478. f. 3. ”**) Schreiben des Churfürsten von der Pıalz an Anhalt. 25. Februar 1607, 89 Maximilian) ihre Stimme zu geben, die anderen Churfůrsten dazu zu gewinnen, die Sache aber im äussersten Geheim zu halten.*) Somit war auch eine Mainzisch - Pfálzische Union aufgerichtet, welche die wichtigste Angelegenheit des Reiches betraf. Das Pfälzische Me- morial sagt mit dürren Worten, der Churfürst habe sich über den Kaiser erzürnt, weil dieser von der Successionssache nichts hören wollte. Hierauf fanden nun die weiteren Werbungen bei den übrigen Churfürsten statt. Allmählich wurde auch Erzherzog Maximilian in das Geheimniss gezogen und den Sommer hindurch unterhandelt. Es war dies die Zeit, in welcher Fürst Christian von Anhalt das volle Vertrauen des Erzbischofs besass und zugleich die Unterhandlungen mit dem erzherzogl. Rathe Dunker führte. Der Fürst gewann bei dieser Gelegenheit einen tiefen Blick in die österreichischen Verhältnisse und erfuhr, aus welchen Gründen der Erzherzog Maximilian in Prag gewesen und wie er den Kaiser zu bereden gesucht, entweder das ungarische Kriegswesen zu verbessern oder einen beständigen Frieden zu schliessen, auch die Successionsfrage zu regeln. Ebenso kounten die Hausverträge der habsburgischen Fürsten nicht uner- örtert bleiben. Aus diesen Notizen sammelte nun der Fürst von Anhalt die Grundlagen zu den nachfolgenden Beschwerden**) der Churfürsten gegen den Abschluss des Türkenfriedens. Damals glaubte er selbst an die Incorporation des Königreichs Ungarn in’s Reich zu denken, damit die Reichscontributionen für dasselbe verwendet wůrden.***) Das sei das beste Mittel, um Frieden und Krieg nicht ohne der Stände Rath zu treffen, die Gränzhäuser mit deutscher Nation ohne Widerwillen zu besetzen. Auch würden die Türken viel lieber mit dem Reiche, als mit dem Hause Oesterreich Frieden schliessen. Aber schon Ende Juli machte sich in Heidelberg die Befürchtung Bahn, dass der Protestirenden Interesse versäumt und von den Geist- lichen ihr Vortheil allein erlangt werden möchte. +) Auch die Donau- wörthische Sache ging ihren Gang und wurden von Seiten des Kaisers EN 7? +, 175, ***) F, 176. Dieses Memorial ist von ausserordentlicher Wichtigkeit. +) F. 192. 21. Juli 1607. 90 die „im Donauwörthischen Religionswerke correspondirenden Stände“ (Aug. 1607) mit ihren Beschwerden zurückgewiesen. Zugleich traten die Verwicklungen in Ungarn ein, die den Fürsten von Anhalt zu dem Ausspruche beeinflussten , dass sie sich ansahen, als wenn das Haus Oesterreich selbst sich um dieselbe Krone bringen wolle, denen die Böhmen auch wohl nachfolgen werden.*) Man liess jedoch Mainz noch mit den geistl. Churfürsten unterhandeln — als ein mit dem gefassten communi scopo sich conformirendem Werke, **) ohne zu be- denken, dass ein so vorsichtiger und wohlwollender Fürst, wie Johann Schweykard, sich nicht täuschen lässt, ohne das Vertrauen (gegen An- halt) für immer zu verlieren. Zugleich war die Unterhandlung über die Successionsfrage auch dem Erzherzoge Mathias wenigstens im Allgemeinen bekannt geworden und desshalb von beiden Erzherzogen bestimmt worden, welchem Gott das Glück schicke, dass demselben der andere in patrimonio und anfallenden regnis in etwas weichen solle. ***) Bereits wurde auf eine mögliche Verbitterung der beiden Brüder hingewiesen! Mitten unter diesen obschwebenden Fragen und Unterhandlungen bot sich eine andere Aussicht dar. Der lutherische Pfalzgraf von Neu- burg sandte seinen Rath Ludwig Fuchs von Bimbach an den Chur- fürsten von der Pfalz sowohl in Betreff der Irrungen des Pfalzgrafen mit dem Abt von Kaisheim, als auch um zu versuchen, wie man zum etwaigen näheren Verein in politischen Sachen kommen möchte.) Gerade damals wurde von Seite des Kaisers am Zustandekommen des Reichstages gearbeitet, während von Chur- pfalz erst die stärkeren Schritte geschahen, auf Churbrandenburg im Interesse der Successionsfrage einzuwirken. fr) Zugleich bearbeitete der Pfalzgraf von Neuburg die Donauwörtherfrf) und bestärkte sie in ihrer Unnachgiebigkeit gegen kaiserliche Mandate. Unglücklicher Weise beschwerte sich jetzt der Kaiser in Actenstücken ') gegen seinen *) 10./20. August. F. 211. **) F. 212. Anhalt 1. c. ***) Bericht Dunckers an Anhalt. F. 213. +) Schreiben an den Churfůrsten vom 6./16. September 1607. ++) Allein die churbrand. Ráthe waren zu sehr auf Seite Sachsens. F. 282. +++) F. 280. 19. October 1607. !) Von ausserordentlicher Wichtigkeit. F. 287. 91 Bruder Mathias, den der Kaiser Rudolph auch nicht zum Stellvertreter bei dem Reichstage ernannte, weil die Beschwerden gegen ihn zu arge Dinge enthielten. Auf dieses wurde die Donauwörther- Angelegenheit in den Vordergrund gestellt, und erfolgte die Beschwerde von Chur- pfalz an den Landgrafen von Leuchtenberg, welcher die gravamina gegen Mathias als kais. Gesandte vorgebracht hatte. Der Churfürst erklärte am 28. Nov., dass die evang. Stände leicht daran Anlass nehmen würden, dem Kaiser nichts zu contribuiren oder gar von dannen abzu- ziehen, wodurch sich der Reichstag zerschlagen würde. *) Unter solehen Verhältnissen entstand die Instruction des pfälz. Gesandten zum Reichstage 26. Dec. 1607 a. St. Sie drückte die Be- sorgniss aus, es möchte das Reich (dem Kaiser) tributär werden; man sollte daher die Contribution von Bedingungen abhängig machen und im Reichstage an die Majorität und deren Beschluss nicht ge- bunden sein. Das Recht zu reformiren sollte im protestantischen Sinne gewahrt werden, wenn etwa ein katholischer Stand protestantisch würde oder einem evang. Stande Land und Leute zufielen. Es müsste ihnen frei stehen, ihre Stifter und Klöster zu reformiren, d. h. sie prote- stantisch zu machen und den Religionsfrieden fürder so zu interpretiren. In Betreff der niederländischen Sache sollte man sich mit den Evangelischen dahin vergleichen, dass den H. Staaten nichts Beschwer- liches zugezogen werde. **) Neben der Instruction findet sich noch das vollständige Project einer Union und einer Verbindung zu Heidelberg, wie man sich bei dem Reichstage verhalten solle,***) dessen Beschickung über- haupt in Zweifel gezogen wird. Theilnehmer schienen gewesen zu sein die Churfůrsten von der Pfalz und Brandenburg, M. Friedrich von Baden, der Fürst von Anhalt, der Landgraf von Hessen. Der Heil- bronner Abschied von 1594 war zu Grunde gelegt, die Hineinziehung des Königs von Frankreich besprochen. Neuburg war aber auszulassen. *) F. 205. Der Bericht des Landgrafen von Leuchtenberg darüber im Briefe vom 6. Dec. 1607. F. 301. 202. ZE, 332. ***) F, 345 mit der Bemerkung: Das ist eine uncorrieirte Abschrift, uf die nicht zu gehen. F. 355. Das Datum fehlt das Concept ist vielfach durchstrichen, die Reinschrift ist nicht da, so dass es unsicher ist, ob es mehr als eine Verabredung war. > 92 So war dem Wesen nach die Union fertig, ehe der Reichstag zu Stande kam, und es bedurfte nur eines Anlasses, dasjenige, was als punctirte Verabredung bestand, in volle Ausführung zu bringen. Denn noch immer zögerte der Landgraf von Hessen, der dritte im Bunde zu sein. Er wollte den Betrag der Gelder wissen, die zu- sammengeschossen werden sollten, den Ort, wo sie hinterlegt würden. Der Churfürst von Sachsen verlangte Heimzahlung von ausgeliehenen Summen und begab sich endlich nach Prag zum Kaiser, was für die beiden Unirten nichts weniger als angenehm war. Gerade in diesem Augenblicke trat die Donauwörther Streitig- keit äusserst gelegen ein. um der schon in der Geburt welken Ange- legenheit einen unerwarteten Schwung zu geben, die Zögernden zum Beitritte zu vermögen; Alle aber erhielten dadurch einen äusserst willkommenen Vorwand, die längst gehegten Pläne in Ausführung zu bringen und dabei die Maske der Gesetzlichkeit zu bewahren. Die Stadt Donauwörth gehörte zu den deutschen Städten, welche am meisten von den Schwankungen der Reformations-Periode betroffen worden waren. Nachdem die Stadt allmälig den katholischen Gottes- dienst theils erschwert, theils geradezu abgeschafft hatte, befahl der Kaiser 1594 der Stadt, die Katholiken in ihrem Cultus unbelästigt zu lassen. Nichtsdestoweniger verweigerten die Bürger den Katholiken die Ausübung ihres Cultus, so dass die Stadt zur Verantwortung ge- zogen wurde 1605. Die Bürger machten gleichsam als Antwort auf die kaiserliche Citation eimen Auflauf gegen die Procession vom 11. April 1606 (des Abtes vom hl. Kreuz), worauf der Herzog von Baiern das Mandat des Reichshofrathes erhielt, die katholischen Bürger zu schützen. Als die protestantischen Bürger sich auf’s Neue zu Tu- multen rüsteten, der Magistrat von vorneher alles für null und nichtig erklärte, was der Abt vom hl. Kreuz, gegen welchen dieses Treiben vorzugsweise gerichtet war, thun würde, kam die Stadt in die Reichs- acht, 5. Sept. 1607, und der Herzog von Baiern erhielt den Auftrag, sie in Ausführung zu bringen. Der Kaiser befahl jedoch auf Vor- stellung einiger Bürger damit noch zu zögern und verlangte dagegen, dass man seinen Commissären zwei Hauptaufwiegler ausliefere. Nun aber mussten die Commissäre zweimal durch den Lärm und die Dro- hungen der Bürger entweichen und erst das dritte Mal schien endlich eine bessere Stimmung einzutreten, als der Pfalz-Neuburger Anwalt 93 Rhodius den Bürgern begreiflich machte, ihre Sache sei eine allge- meine Sache der Protestanten und würde auch so behandelt werden. Auf dieses wurde die Stadt am 17. Dez. 1607 durch die Baiern be- setzt, die Bürger entwaffnet und die Stadt musste nun für so lange als Unterpfand in der Gewalt des Herzogs bleiben, bis sie die Exe- eutionskosten bezahlt hatte. Ein neuer Magistrat von 8 katholischen und 4 protestantischen Mitgliedern wurde eingesetzt, viele Familien wandten sich zum katholischen Glauben zurück und diese verlangten nun die Rückgabe der alten Pfarrkirche, was ihnen auch am 5. April 1608 von dem Kaiser zuerkannt wurde. Am 3. Juni 1609 erfolgte sodann die Lossprechung von der Reichsacht. Die Aufreizung der Donauwörther durch den pfalzneuburgischen Ad- vokaten war keine Privatsache. Mit Begierde ergriffen Churfürst Friedrich, der Pfalzgraf Ludwig, der Markgraf Joachim Ernest zu Brandenburg, der Herzog Friedrich zu Würtemberg, der Markgraf Friedrich zu Baden und die Städte Regensburg, Nürnberg, Nördlingen und Schwäbisch- Hall diesen Anlass, dem Kaiser gegenüber zu behaupten, es sei dies eine Religionssache, deren Cognition und Deeision nicht ihm, sondern dem kaiserlichen Kammergerichte zustehe. Der Kaiser bemerkte ihnen jedoch (2. August 1607), dass Streitigkeiten, welche im Reiche über © den aufgerichteten Religionsfrieden vorfallen und noch dazu wie in Donauwörth keinen Glaubensartikel betrefien, recht wohl ihm zur Cognition und Decision zuständen. Man sieht aber gerade aus dieser Erklärung sehr deutlich, dass Donauwörth nur den Anlass geben sollte, um den der kaiserlichen Jurisdiction „schuldigen Gehorsam“ zu entziehen. Der Kaiser erklärte ferner, nicht an die Zuthuung der Kreisobersten gebunden zu sein, unter welchen der Condemnirte ge- sessen, und in dem donauwörther Fall „noch viel weniger, da der Herzog von Würtemberg die Exekution zu übernehmen nicht Lust hat, sondern selbst der Sache sich theilhaftig macht und der Par- teiung Beifall thut.“ Übrigens gehörten ja die Fürsten, welche sich die Sache anmassten, selbst nicht zum Kreise. Allen Gotteshäusern, führt der Kaiser weiter an, und Stiftungen sind wir und ein jeder regierender römischer Kaiser zum obristen Vogt, Schutz und Schirm- herr fürgesetzt und dieweil das hl. Reich nicht weniger uff den geist- lichen als welltlichen Stand gewidmet und gegrundet ist, so geburet uns den geistlichen ebenso wohl als den weltlichen Hülf und Hand- 94 reichung zu erzeigen. — — Derowegen und dieweil nun also dieses alles sowie zu abwehrung der Stadt Thonawörth unleidenliche Ver- brechen und landfriedbruchiger Gewaltthaten anbefohlen und fürge- nommen den beschribenen rechten, der Reichsordnung und der Billig- keit gemäss ist, ja noch darzu desselben Tumults Rädelfürer in gegen- wärtigkeit der fürstl. bayrischen Subdelegirten wie unser kais. Person, desgleichen des Herzogs zu Baiern Liebden schändliche abscheuliche solche Verspottung und Schmachreden ausgestossen, die weder E. L. und Ihr (die Fürsten und Städte) noch jemand geringeren Standes dulden würde, vielweniger aber uns als der höchsten Obrigkeit nach- zusehen und welches E. L. und Ihr kraft der Eide und Pflicht damit ihr uns zugethan selbes eifern und rechten zu helfen schuldig , so ermahnen wir E. L. und euch gnedigst und ernstlich, ihr wollet den Donauworthern auf den Fall beharrlichen Trotzes und Ungehorsams nicht allein darin nicht staifen, sondern vielmehr unsere gerechte kai- serliche Erkenntniss zu gebührender Vollziehung befördern und oft- genanntem Herzog zu Baiern L. im geringsten keinen Eintrag thun.“ Es war die alte Frage wie bei der 4 Klostersache. Sollte die Donauwörther Angelegenheit als vereinzeltes Factum grosser und nicht zu läugnender Straffälligkeit angesehen und behandelt werden, oder (daraus wieder eine Prineipienfrage gemacht werden und ein Reichs- streit entstehen. Im ersten Falle musste man der Sache ihren Lauf lassen, die Uebelthäter bestrafen und nur dafür Sorge tragen, dass nicht Donauwörth die Reichsfreiheit einbüsse, eine Gefahr, die aller- dings nahe lag, da die baierischen Herzoge schon einmal wegen Do- nauwörths einen Reichskrieg begonnen hatten und den Verlust dieser Stadt, des Schlüssels zu Schwaben und Franken, nicht verschmerzen konnten. Blieben die protestantischen Fürsten auf diesem Standpunkte stehen, wie sie denn auch sich dagegen verwahrten, dass die Stadt ihre Reichsfreiheit verlieren sollte, so handelten sie ihren Pflichten als Reichsfürsten gemäss; hielten sie jedoch an dem Prineipiellen fest, so mussten sie sich den gegründeten Vorwurf gefallen lassen, dass sie jeden Unfug, welcher die Maske des Eifers für die protestantische Confession annahm, unterstützten, die Gerechtigkeit den Katholiken verweigerten und den Religionsfrieden, auf welchen sie, wo er für sie war, so gewaltig pochten, fort und fort verletzten. Allein die Donauwörther Angelegenheit war nun einmal in dem 95 Stadium, in welchem sich die Unionssache befand , ein zu günstiger Anlass, das Schifflein, welches absolut nicht vorwärts gehen wollte, flott zu machen. Man sah überall nur Gespenster, Dolche und Ver- schwörungen, und weil man sich selbst in reichsgefährliche Verbin- dungen eingelassen, muthete man auch dem Gegentheil nur das Schlech- teste und Verderblichste zu. Dieser aber, selbst innerlich gespalten, fand jetzt an dem Herzoge von Baiern einen jugendlichen und ener- gischen Vertreter , der die Donauwörther Sache seinerseits gleichfalls ergriff, um der bisher consequent fortgesetzten Rechtsverweigerung ein Ziel zu setzen. Die Donauwörther Angelegenheit hatte im XV. Jahrhunderte die beiden Zweige des Hauses Wittelsbach, Pfalz und Baiern, den Chur- fürsten Friedrich den Siegreichen und den Herzog Ludwig den Rei- chen von Baiern Landshut gegen Kaiser Friedrich IV. vereinigt. Es charakterisirt die deutschen Zustände und die schweren Folgen der Reformationszeit, dass sich jetzt beide Zweige, wieder bei Donauwörth begegnend, feindlich gegenüberstellten. War Herzog Maximilian entschlossen den Protestanten eine De- monstration zu machen, dergleichen sie nie verhofften und bei dem inneren Zwist der Glieder des Kaiserhauses jetzt am Wenigsten er- warteten, so gab sich sein Vetter, der Churfürst von der Pfalz, alle Mühe , die Angelegenheit von Schwäbisch Wöhrt seinen Glaubens- genossen als eine gemeinsame Religionssache darzustellen. Der Churfůrst erliess , unter Hinweisung auf diese, am 7. Sept. 1607 ein Schreiben, man möge sich berathen, wie den beschwerlichen Hofprocessen ein Ende gemacht werden könne; die Justiz im Kammer- gerichte müsse in ihren ordentlichen Gang gebracht werden. Man solle sich wegen eines beständigen Friedens berathen, sonderlich in Ungarn, dann wegen der Beschwerden auf künftigem Reichstage, wegen der Contributionen und Kriegsverfassung, in welcher sich Baiern befinde. — Eine engere Zusammenkunft wurde, um Aufsehen zu vermeiden, nicht für nöthig erachtet, sondern es schien zu genügen , wenn die Gesandten der befreundeten Fürsten gleichmässig instruirt zum Reichstage kamen. Allein die Angelegenheit war auch von den katholischen Ständen als äusserst ernst und zwar als ein Beweis aufgefasst worden, was 96 man sich im Schosse der Reichsstánde gegen die Katholiken erlauben zu können glaube. Der Bischof Wolfgang von Regensburg hatte offen ausgesprochen, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen sei, in welchem die Katholiken nicht mehr den Umgriffen der Protestanten ruhig zu- sehen dürften. Herzog Maximilian war selbst entschlossen, diessmal nicht nachzugeben, sondern eher Hammer als Ambos zu sein. Unter diesen für das Reich so traurigen Verhältnissen war der Reichstag zu Regensburg durch Erzh. Ferdinand am 12. Jan. 1608 eröffnet worden. Die kaiserlichen Propositionen bezogen sich zuerst “ auf eine Türkenhilfe, dann durch welche Mittel und Wege den Be- schwerden und gesperrtem Kammergerichtswesen abzuhelfen sei. *) Drittens mit was Mittel man doch dem hochschádlichen und teut- scher Nation sehr verderblichen niederländischen Krieg möchte nachschaffen. Viertens wie in dem Můnzwesen eine Moderation zu schaffen. Fünftens ob doch des hl. Reichs Matrikel dermalen eins möchte ergänzt werden. Der Reichstag diente jedoch nur dazu, die Spaltung , welehe unter den Reichsständen längst eingetreten und durch die Bemühungen, eine Art von Gegenreich zu schaffen, auf den höchsten Punkt gestiegen waren, zum Ausbruche zu bringen. Was immer an Zerwürfnissen sich bisher geltend gemacht, trat nicht bloss hier wie in geschlossenen Reihen auf, sondern die einen schwirrten in die anderen über, so dass keine von den kaiserlichen Proposi- tionen in ihrer einfachen Weise aufgefasst , sondern nach ihrer Tragweite auf die übrigen begriffen würde. Erst erhoben sich die protestirenden Fürsten auf das Heftigste wider die Ordnung, nach welcher die kaiserlichen Propositionen vorgenommen werden sollten. Zuerst, behaupteten sie, müsse das Reich rechtschaffen vereinigt, Ver- traulichkeit, Recht und Gerechtigkeit nach Nothdurft fortgepflanzt *) Relation aus Regensburg v. 23. März 1608. Vom Reichstag ist nicht viel zu melden, allein das zu erinnern, weil man auff der Protestirenden seiten nicht anders daran, so muss es sich ja woll entlich zerschlagen. Es ist ihnen so viel zugesagt worden, dass sie des Religionsfriedens wie in andern Reichsabschieden sollten versichert werden, das wille ihnen aber nicht er- bothen, daran die Calvinisten schuldig, die erinnern sich mit sowoll auch in den Religionsfrieden zu dringen, weil sie darinen nicht begriffen und würde letzlich dahin kommen, dass man den Communismus für die A. C. müsste erkennen. P. C. 9608. P. 1, f. 370. 97 und im Gleichen Friede und Ruhe erhalten werden,“ dann sei es eine leichte Sache die Reichsfeinde wirksam zu bekämpfen. Allein diese wohlfeile Weisheit richtete nothwendie ihre Spitze gegen diejenigen, welche sie geltend machten und deren Friedensliebe bisher nur in Worten bestanden hatte. Dann wurde einerseits der Abschluss des türkischen Friedens und Bezwingung der ungarischen Rebellen mit dem Schwerte gerathen; andererseits wurde in jeder Stärkung des landesherrlichen (kaiserlichen) Ansehens eine gemeinsame Gefahr für die protestirenden Stände gewahrt. Die ungarischen Unruhen beträfen meistentheils die Religion, *) weshalb sie zur Bezwingung derselben nicht den geringsten Pfennig contribuiren würden. Alle Zusammenkünfte der verschiedenen Stände führten zu nichts, und wie ein gleichzeitiger Bericht sagt, „sind die beiderseitigen Stände zu öftermalen in Un- frieden von einander geschieden.“ Angeblich erfuhren jetzt die Stände A. C. etliche seltsame An- schläge und Praktiken von Seiten Spaniens und der Jesuiten, welche, wie es scheint, auf das Gerücht hinausgingen, als habe der Religions- frieden von 1555 für die Katholiken seine bindende Kraft verloren. Es erfolgten nun Conventikel, die meist in churpfälzischem Losament sehalten wurden und als Resultat derselben das Verlangen, es solle der Religionsfrieden auf’s Neue bestätiget werden. War damit gemeint, dass er bisher gehalten worden sei, oder wollte man die katholischen Stände dadurch zu einer indirecten Erklärung ver- mögen, welche sanctionirt hätte, was gegen ihn geschehen war: das seltsame Verlangen wurde zuletzt von dem Churfürstenrath ange- nommen, jedoch betont, dass der Friede nur unter Katholiken und Lutheranern abgeschlossen worden sei, und man deshalb hoffe, dass andere Secten nicht darunter begriffen würden. In dem Fürsten - rathe kamen „ungeräumte, hässige Vota“ vor, welche der Bericht- erstatter nicht mittheilt. Nach Allem, was wir wissen, erklärten sich die katholischen Fürsten sehr scharf gegen die bisherige Verletzung des Religionsfriedens und drangen darauf, dass der Friede nur unter der Clausel confirmirt werde, „woferne ihnen alle diejenigen Kirchengüter , Klöster und andere geistlichen Sachen , die seit dem Frieden von 1555 von den Evangelischen eingezogen worden, resti- *) F. 48. Sitzungsberichte 1863. I. T 98 tuirt wůrden.“ Anstatt hierauf einzugehen, erwiederten die Evange- lischen: es sei den Katholiken um Austilgung und Unterdrückung der wahren Religion — es handelte sich aber um katholische Kirchen- süter — zu thun. Sie müssten es also walten lassen, der Zeit ein wenig weichen und des Ausganges erwarten. Die Zerreissung des Reichstages stand in nächster Nähe, und nur noch ein Mittel konnte helfen, wenn es unter den Protestanten selbst eine Partei gab, welche die Gerechtigkeit der katholischen For- derungen anerkannt und das Gottes Wort von 1517 von dem Kirchen- raub seit 1555 zu trennen wusste. Der Kaiser sandte daher den jungen Herrn von Fürstenberg an den Churfürsten von Sachsen und liess diesen auffordern, sich der Verlängerung des Reichstages anzu- nehmen. Allein der Churfürst antwortete nun selbst mit Beschwerden*) und betheuerte, wenn der Reichstag, zu dessen Erhaltung er nichts that, zergehe, er vor Gott und der Welt unschuldig sein wolle. **) Da gab der Umstand, dass Briefe des Königs Mathias und anderer ausländischer Potentaten an die evangelischen Fürsten auf- gegriffen ***) und dem Kaiser übergeben worden waren; dass ferner dem jungen Herzog von Würtemberg nach dem Tode seines Vaters nicht sogleich (vor empfangener Belehnung) Sitz und Stimme im Für- stenrathe zuerkannt worden war, endlich das leere Gerücht, die Spanier bezweckten einen Einfall in Deutschland, einen Vorwand zur völligen Trennung des Reichstages. Anonyme Briefe, man strebe den evange- lisehen Fürsten „mit Gift, Feuer, Schiessen und anderen meuchel- mörderischen Stücken“ nach dem Leben, trugen das Ihrige auch dazu bei; am meisten dürfte jedoch die offene Sprache der katholischen Stände die Entscheidung beschleunigt haben, da diese erklärten, dass gerade durch das Benehmen der Protestirenden in der 4 Klostersache das ganze Justizwesen in Stocken und Verwirrung ge- rathen sei; dass sie den Frieden täglich brächen und ihr Ver- langen nach Bestätigung dem einer Sanctionirung des Friedensbruches gleich komme. Selbst der französische Gesandte meinte, die von den *) Die Antwort des Churfürsten ist vom 16. März datirt und steht Cgm. 1251 f. 54. Er erklärte sich vorzüglich gegen die Clausel des Fürstenrathes. +), ***) Auch der Churfůrst von Sachsen beschwerte sich, dass der K. Rath Hannibal an ihn gerichtete Briefe aufgefangen und dem Kaiser geschickt habe. 99 Protestanten erhobenen Schwierigkeiten glichen den Köpfen der Hydra, welche in dem Masse wuchsen, als man sie abhieb. Endlich sechs Tage, nachdem eine neue kaiserliche Proposition und Erinnerungsschrift ein- gelaufen war, übergaben sie eine schriftliche Protestation 17./27. April, worin sie erklärten, den Religions- und Profanfrieden halten zu wollen*), und obwohl Erzh. Ferdinand sie sogleich beantwortete und nur um 8 Tage Ausharren ersuchte, da er den Kaiser davon in Kenntniss setzen wolle, ritten den Tag darauf „Montag Morgens zu 8 Uhr Bran- denburg und Pfalz solemniter* davon und hat also diese Reichsver- sammlung unversehener Sach und mit vielen schweren Unkosten und höchster Erbitterung und Misstrauen ein Ende genommen.**) Man war von Seiten der katholischen Stände entschlossen, der fortwährenden Verletzung des Religionsfriedens nicht mehr ruhig zu- zusehen. Es handelte sich für sie um Sein oder Nichtsein. Man war aber andererseits eben so entschlossen, das ungerechte Gut nicht zu- rückzugeben und wenn man sie dazu zwingen wollte, so werde es, wie sich Anton von Streithorst, des H. Julius von Braunschweig Ge- sandter, ausdrückte, noch blaue Augen kosten, ehe es dahin kommt, „und hoffen wir noch viele andere in unsere Hände zu bringen.“ Man war der Ueberzeugung, dass es zum Schwerte kom- men werde. Karl Pauli, einer der geheimsten Räthe des Pfalzgrafen Churfürsten, hatte bereits dem Landgrafen von Leuchtenberg mit důrren Worten bemerkbar gemacht, dass der Kaiser nicht blos von den Churfür- sten gewählt, sondern auch abgesetzt werden könne Mit Mühe ward eine Schlägerei zwischen beiden Theilen verhindert; von einer Ausglei- chung war keine Rede mehr. Wie in einem Schreiben der evangelischen Stände an den Kaiser von Regensburg aus gesagt war, befürchteten diese, es möchte durch den Anfang mit dieser armen geringen Stadt (Donauwörth) gern ein solches Feuer aufblasen, das allgemach sich weiter verbreiten und andere mehr und höhere evangelische Stände mit der Zeit auch ergreifen *) Cgm. 1251 f. 62 unterschrieben von den Räthen von Churpfalz, Brandenburg (Churf. Culmbach und Ansbach), Braunschweig, Baden, Anhalt, Pfalz-Zwei- brücken. **) Wo es nun jetzt hinaus will, wird man hoffentlich bald inne werden. f.51. ***) Nach einem höchst merkwürdigen Schreiben aus Regensburg vom 26. April 1608. Cem. 1251. f. 52. =* 4 100 měchte. Wenn aber Diejenigen, welche bei Bisthůmern keine Beden-- ken getragen, „ein Loch in den Reichsfrieden zu machen“, jetzt wegen der armen geringen Städte einen so grossen Lärmen aufschlugen, und darin die Vernichtung des Friedens erblickten, so war dieses denn doch eine bis zur Heuchelei reichende Selbsttäuschung. Von entschei- dender Wichtigkeit war aber der Umstand, dass jetzt die Reichsstädte, welche ihre Isolirung fühlten, „zu weit entsessen und allein zu schwach seien, die Fürsten um Assistenz baten.“ Das war eine der unheilvoll- sten Folgen der Donauwörther Sache und gab bei den späteren Un- terhandlungen mit den zu Ahausen verbundenen Fürsten ein schweres Moment ab.*) Es ist selbst nach dem, was zu Schwabisch-Hall 1610 gesagt wurde,**) sicher, dass in Regensburg von einer solchen Union auf dem Reichstage geredet wurde und die Frankfurter sogleich sich da- von abgesondert hatten und nichts von einer Union wissen wollten. Schon am 11./14. Januar 1608 bemerkte der Markeraf Chri- stian von Brandenburg Culmbach dem Churfürsten von der Pfalz***), er halte gänzlichen dafür, dass die unio der evangelischen Glieder, wenn sie jemalen nothwendig gewesen, anitzo zur Vindieirung und Vortsetzung der Libertät unumgänglich erfordert werde. Bei dem Reichstage selbst drang der Churfürst von Brandenburg durch seine Räthe auf Begründung einer evangelischen Generalunion, sowie auf einen besonderen Tag. Sachsen und Neuburg, die lutherischen Länder, räumten diesmals dem Churfůrsten von der Pfalz das Direc- torium ein.+) Ludwig Camerarius schrieb in hoher Freude, was so lange Jahre Pfalz vergeblich prophezeihet, erfülle sich jetzt mit der That, nur müsse es sich in keinen Verdacht bringen, dass es von dem rechten Wege abweichen wolle. Man kam überein, es gebe kein Mittel, die Gefahr der Hofprocesse abzuwenden, als Verweigerung der Contribution, worauf Würtemberg und etliche Andere stark drängten. Allein in dem Momente, als der Berichterstatterff) dieses aussprach, musste er auch bekennen, dass andere (evangelische *) Nůrnb. Un. Act. II. S. 115. **) Protokoll von 1610. f. 218. ***) P, C. 1608. T. 1. +) Die Luterischen, schreibt Ludwig Camerarius am 17. Jan. 1608, erscheinen bei unsern Convocationen und gehen ziemlich, ja mehr, alsich gehofft, heraus ++) Ludwig Camerarius. 101 Stánde) doch einen Mittelweg kannten und die Frage entstehe, ob sich der Churfürst dann von den übrigen Ständen absondern wolle oder nicht.*) Während des Reichstages war die Nachricht einge- laufen, dass Erzh. Mathias wider den Willen des Kaisers zu dem ungarischen Landtage nach Pressburg (jedoch vergeblich) gezogen war und der Kaiser sich auch mit dem Erzh. Maximilian überworfen habe. Der Churfürst von der Pfalz liess nun während des Reichstages durch den Fürsten Ludwig von Anhalt dem Kaiser Vorstellungen machen, dass auf katholischen Kanzeln gepredigt würde, der Religionsfrieden habe keine Geltung mehr**), und Vieles von der Nothwendigkeit guten Vertrauens daselbst vorbringen. Der Churfürst von Brandenburg aber unterhandlte mit K. Christian von Dänemark und Jakob von Gross- britannien, um sich die Jülich’sche Erbschaft zu sichern***), Landgraf Moritz aber wegen seiner hessischen Länderf) mit den Niederlanden. Zu allen diesen Dingen kamen jetzt erst noch die Zerwürfnisse zwischen dem Kaiser und Erzh. Mathias und die offene Parteinahme der protestantischen Reichsfürsten für letzternff); der Churfůrst von Mainz nahm jedoch den früheren Plan des Churfürsten von der Pfalz, dass der Frieden in Ungarn durch die Reichsstände bewerk- stelligt werden möchte, wieder auf und betrieb umsomehr, dass dem Kaiser die Contribution gewährt werdefff), ohne welche derselbe so viel als entwaffnet war. Der Churfürst von der Pfalz erblickte je- dochf*), wenn der Kaiser die Verabredung mit Mathias nicht ratificire, die Gefahr eines Universalaufstandes und den Untergang des deutschen Reiches. Er sandte den Fürsten Christian von Anhalt zu dem Erzbischofe von Mainz $**) und stellte durch ihn das Ansinnen, *) Andererseits fürchtete man, der Churfürst vou der Pfalz sei gestorben oder möchte sich bald zu Tode saufen. Richii relat. über den Reichstag. **) Schreiben an König Jakob vom 3. Februar 1608. ***) Pour la maison et terre de Hessen. Schreiben des Dathenos vom 9. Feb. 1608. +) Pfalzgraf Philipp Ludwigs Schreiben an Mathias vom 4./14. März 1608. TT) Schreiben an Pfalz vom 21. (?) März 1608. +rp) An Erzh. Maximilian 11./21. März 1608. +*) Der Kaiser antwortete am 21. März in einer Audienz dem Fürsten Ludwig, er habe niemals in Sinn genommen, den Religionsfrieden zu ändern oder aufzuheben, wüsste auch, dass die katholischen Stände ein solches nicht thun würden. P. C. 1608. T. 1, f. 367 Or. +%*) Instruction vom 15.—25. März 1601. o 102 ob nicht dem Kaiser zu rathen sei, „der Vereinigten Begehren statt zu thun.“ Eben so solle sich der Fürst über die Meinung des Chur- fürsten in Betreff eines Nachfolgers des Kaisers erkundigen, was ferner mit dem Kriegsvolke zu thun, welches, wenn der Friede mit den Nie- derlanden — wie allem Anscheine nach geschehen möchte — abge- schlossen werden würde, da der Churfürst von der Pfalz fürchtete, es möchte derselbe dem Kaiser zu Hilfe eilen. Der Churfürst liess selbst den Gedanken vorbringen, Pfalz, Mainz, Trier und andere be- nachbarte Fürsten, Grafen und Städte möchten sich deshalb einer Landesrettung vergleichen*). Der Fürst sollte dem Churerzkanzler alle Gedanken benehmen, als „ob man diesseits auf violenta consilia ginge und die k. Majestät gar hilflos lassen wolle.“ Er hatte die Dreistigkeit, in den Instructionen zu sagen, nicht blos dass der Reli- sionsfrieden wieder confirmirt werden solle, sondern der Churfüst von Mainz werde bei sich selbst befinden, dass die Geistlichen (nach der fortwährenden Spoliation) nit genügsame Ursache gehabt, sich an ihre Clausel so steif zu setzen. Nothwendig müsse der Hofrath zu Prag reformirt und auch Evangelische zugezogen werden. Nachdem ferner die deutschen Reichsstände 15 Jahre hindurch zum türkischen Kriege eontribuirt, wäre es unordentlich, wenn man nicht nachfrage, wie es mit Ungarn stünde. **) Bereits war aber auch im Namen des Kaisers der Graf von Für- stenberg an die Churfürsten abgeschickt worden, sowohl um den Reichstag zu befördern, als auch eine Hilfe gegen Mathias zu begeh- ren, so dass sich die Sache entscheiden musste ***). Der Churfürst von Brandenburg hatte mit Beschwerden geantwortet, in allen Dingen nur Angriffe gegen die Evangelischen erblickt, die Schuld der Verzöge- rung des Reichstages von den letzten abgewälzt und dem Kaiser ge- rathen, den Frieden anzunehmen. In ähnlicher Weise hatte schon am 16./26. März der Churfürst von Sachsen erwiedert. *) Anfänglich war von einem churfürstlichen Collegialtage, dann von einer Zusammenkunft der 4 Rhein-Churfürsten die Rede, dann sollte der Kaiser aufgefordert werden, sich nicht zu übereilen, sondern nach Rath der Chur- fürsten zu handeln. **) Der Churfürst von Mainz lud den 25. März den Churfürsten von der Pfalz zu einer persönlichen Besprechung auf den 8. April nach Gernsheim ein. ***) Abgeschickt den 5. März. In Berlin 5. März. Resolut. 22. März — L. April. 103 Um die Sache noch mehr zu verwickeln, hatte Mathias ohne alle Rücksicht auf die von ihm gegebenen feierlichsten Versprechun- gen”) von dem erzherzogl. Hausvertrage von 1606 Copien machen und verbreiten lassen. War der Reichstag durch die eigenen Zwistigkei- ten bereits ein Unglück zu nennen, so war der Zwiespalt der Brüder ein noch grösseres geworden und bot gerade letzteres Denjenigen, welche den Reichstag zu zerreissen gedachten , eine willkommene Handhabe dar. Man sah bereits kein anderes Mittel, als den Kaiser zu bewegen, Ungarn und Oesterreich an Mathias abzutreten und ihn als Nachfolger für Böhmen und das Reich zu bestimmen. Allein Die- welche gerade in dem letzteren Theile des Vorschlages waren, da die Zustimmung der Churfůrsten ebenso wie die der Böhmen, und vor Allem des Kaisers erholt werden musste und aus demjenigen, was sie für einen Ausweg erachteten , erst noch sich eine dreifache Frage gestaltete. Wie aber diese beantwortet werden sollte, konnte auch der Klügste nicht sagen, da der Ausgang des Reichstages darauf auch einen Antheil nahm. Der Kaiser, bereits von seinem Bruder bedrängt,, und mit dem Abfalle Ungarns, Mährens, Oesterreichs, wo nicht gar auch Böhmens bedroht, wurde von den Reichsfürsten im Stich gelassen, der Reichs- tag zerrissen, so dass später nicht einmal die Wiederaufnahme des- selben zugestanden wurde, Kaiserthum und Reich der heillosesten Zerrüttung übergeben. Wer sich helfen konnte, mochte sich helfen, die Reichsinstitutionen schienen weder dem Rechte Vorschub, noch Hilfe dem Bedrängten zu verschaffen. Das Gehäuse, welches man seit den Tagen der goldenen Bulle Reichsverfassung nannte, schien unter den Händen der Reichsfůrsten in dem Augenblicke zu zerbre- chen, als die Einheit der habsburgischen Länder sich auflöste. Neben dem Reichstage hatten auch die Reichsstädte ihren ge- wöhnlichen Correspondenztag zu Regensburg gehalten und sich über die kaiserlichen Propositionen berathen. Was die allgemeinen Ver- handlungen nicht vollständig klar machen, bringen diese zu Tage. *) Nach der merkenswürdigen Schrift der Erzh. Maria an den Grafen v. Thurn vom 23. März 1608. **) P. C. 1608. T. 1. £. 479. 104 Die Städte gewahrten in dem Schicksale von Donauwörth ihr eigenes, und hatten sie schon 1607 sich an Churpfalz angelehnt, so hoffte man jetzt vollständig Hilfe nur von einem Zusammenhalten mit den Fürsten. Aus den geringfügigsten Streitigkeiten wurde eine Reichs- sache gemacht, wie denn, als der Deutschordens-Commenthur Freiherr von Wolkenstein in Heilbronn „die fordere grosse Kirchthür in das Deutschordenshaus gegen offener freier Strasse aufsperren liess,“ so sewahrte der Rath von Heilbronn darin das exercitium publieum pon- tifii@ religionis und wandte sich mit einer Art Entsetzen an Chur- pfalz um Abhülfe. *) Am 22. Januar, also nicht lange nach Beginn des Reichstages, wurde im Städterathe unumwunden hervorgehoben*), dass die Ursache, warum es zu keiner Visitation des Kammergerichtes, wovon doch die Ertheilung rascher Justiz abhing, komme, überhaupt die Reichsjustiz aufhöre, darin bestehe, weil die protestantischen Stände, die die Stifter reformirt, d. h. den Religionsfrieden verletzt, wie die protestantischen Erzbischöfe von Magdeburg und Bremen, nicht Sitz im Reichs- und Visitationsrathe erlangten. Die Berathenden meinten jedoch selbst, dass da nicht bald Mittel sich finden liessen. Die Päpstlichen hätten 13 Stimmen, sie nur 7; also müsse der Sturm jetzt auf Stimmen- gleichheit gerichtet werden, was denn auch in der nächsten Zeit das Feldgeschrei wurde. Man beklagte sich über Rechtsungleichheit, wo es sich um nichts anderes handelte, als Ungestraftheit in Betreff der Verletzung des Religionsfriedens zu erlangen. Da man ferner fühlte, dass in der Klostersache das Unrecht auf protestantischer Seite sei, aber doch nicht nachgeben wollte, so wollte man die Streitigkeiten von den Reichsgerichten an den Reichstag bringen, natürlich unter der Voraussetzung, hier die Majorität zu erlangen. Bei dieser Ge- ‚egenheit wurden jedoch von milderer Seite drei Vorschläge gemacht. firstens sollen derartige Sachen ganz ausgesetzt bleiben. Dies hielt man aber der Conseguenz wegen für unthunlich. Zweitens sollten von beiden Seiten gleich viel Personen zu Richtern niedergesetzt werden. Allein in der 4. Klöstersache hatten sich ja auch die protestantischen Beisitzer für das Recht der Klöster ausgesprochen und doch sollten *) 10. März 1608, **) Städtetagsacten Msc. 105 jene Unrecht haben! Man kam daher bis zu der Meinung, die Kam- merrichter gar nicht zu hören und von allen Kreisen Personen zu deputiren und ihnen das Werk aufzutragen. Es sollte etwas ganz Neues geschehen, um nur sich nicht den Anschein zu geben, dass man gefehlt habe, und sich zurückziehen müsse. Endlich war drittens der Vorschlag gemacht worden, man solle künftig keine Klöster und Stifter reformiren, sondern bei dem stehen bleiben, was bereits reformirt und geschehen war. Dieses war un- streitig das Vernünftigste; das Rechtlichste freilich wäre gewesen, das ungerechte Gut zurückzugeben. Wollte man dieses nicht, nun so musste man sich wenigstens von neuem Kirchen- und Reichsdieb- stahle enthalten. Dieser Punkt wurde umgangen; so weit reichte das evangelische (Gewissen der Mehrzahl nicht. In Betreff der vom Kaiser verlangten Contribution wurde nach reiflicher Berathung in so weit nachgegeben, als sich damit die Ein- bringung von Beschwerden verband und die Besorgniss gehoben wurde, dass sonst, wenn die Türken in Ungarn Schaden zufügten, dieses den Evangelischen zugerechnet würde, während sie ihn den Katholiken zuschreiben wollten. Auch meinten sie, man müsse die Extreme ver- meiden, wenn man mit anderen Mitteln denselben Zweck erreichen kónne.*) Im Jahre 1607, heisst es auf dem Unionsconvente von Schwä- bisch-Hall (1610), hatten die anwesenden Städte ihre gravamina zu- sammengetragen und Strassburg und Nürnberg anbefohlen, diese in eine Ordnung und Form und bei Churpfalz fürzubringen. Wie dann ge- schehen und sonsten auf allerlei Mittel gedacht worden, wie densel- bigen abzuhelfen. Hierzwischen sei die Donauwörth’sche Sache dazugekommen und dieselbige Stadt allen höheren und niederen evangelischen Ständen zum Hohn und Despect vor den Nasen gleichfalls (gleichsam) hinweg- gerissen worden. ”*) Was bisher gefehlt hatte, ein Verbindungspunkt zwischen den Städten und Fürsten, war unerwartet eingetreten. Der Abschluss einer *) Das Intercessionsschreiben der Reichstädte für Donauwörth vom 19. Februar 1608. Cgm. 1251, f. 155. **) Protokoll des Hall’schen Conventes 1620 f. 59. 106 allgemeinen Union war dadurch nicht wenig gefördert; es bedurfte nur mehr eines geringen Anstosses und sie war fertig. Man war mit dem Reichstage des Jahres 1608 auf das Aeu- sserste gekommen. Das Benehmen der evangelischen Stände in der Donauwörther Sache hatte den Katholischen auf’s Neue den Beweis ge- liefert, dass sie in keinem Falle den Katholiken die Reichshilfe gegen. Unterdrückung in Religionsangelegenheiten zugestehen wollten. Nie- mand, hatten sie erklärt, habe wegen angestellter Reformation und Veränderung geistlicher Güter einen Anspruch und Forderung (neque dominici negue contractus jure) zu erheben. Sie hatten ferner erklärt, sich der Majorität nicht fügen zu wollen und die Entscheidung durch dieselbe eine unleidenliche Decision genannt. Da blieb dann nichts anderes übrig, als ein Auseinandergehen in Theile. Was sollte aber dann mit dem angeblich so hoch geliebten deutschen Vaterlande werden ? — Naturwiss.-mathem. Section am 27. April 1863. Anwesend die Herren Mitglieder: Reuss, Weitenweber, Rochleder, Amerling, Böhm, Jelinek, v. Leonhardi; als Gäste die HH. P. Dwor- sky, P. Walter, Jirusch und Reuss jun. Hr. Böhm sprach über ein in der k. Hofbibliothek zu Münchenbefindliches Schreibendes Tycho Brahe und legte eine Abschrift desselben vor. Vor einiger Zeit hatte ich Anlass mit dem Oberbibliothekar der k. Hof- und Staatsbibliothek zu München, Herrn Dr. Halm, in Verkehr zu treten. Im Verlaufe desselben machte mich Hr. Halm auf einen Brief von Tycho Brahe aufmerksam, den die k. Hofbibliothek besitzt: und er war so freundlich, mir eine von ihm revidirte Abschrift des- selben anzubieten. Ueberdiess war der Herr Oberbibliothekar so gütig mir die beliebige Benützung des genannten Briefes, — von dem ihm nicht bekannt sei, dass er bereits veröffentlicht worden — zuzu- gestehen. Der Brief selbst ist an Tycho’s Freund, den seiner Zeit be- kannten und berühmten Doctor Camerarius in Nürnberg, gerichtet und enthält manches Interessante als Beitrag zur Characteristik des unsterblichen Mannes und der Sitten der damaligen Zeit. 107 Vorerst muss bemerkt werden, dass der Text selbst nicht von Tycho’s Hand geschrieben ist, nur die Unterschrift ist Autograph, woraus klar hervorgeht, dass sich Tycho bei seinen Correspondenzen zu jener Zeit entweder eines Copisten oder eines Secretärs zu be- dienen pflegte. Der Brief trägt das Datum des J. 1590 , ist also zu einer Zeit geschrieben, wo sich der grosse Astronom noch im Voll- genusse seiner bevorzugten Stellung befand. Der Inhalt befasst sich mit einigen auf Tycho’s Publicationen und Arbeiten Bezug habenden Bemerkungen, geht dann aber über auf die Unterstützung eines jungen strebsamen Mannes, der längere Zeit bei Tycho studirt und gearbeitet hat. Da der unsterbliche Däne nach der Hand mehrfach der Härte und Unduldsamkeit beschuldiget wurde: so ist dieser Theil des Briefes von besonderer Bedeutung, indem aus der Wärme, mit welcher sich Tycho seines Eleven annimmt, und den Opfern, die er ihm zu bringen bereit ist, hervorgeht, dass er wenigstens dort, wo wahres Verdienst um seine Person und ächter wissenschaftlicher Trieb auftraten, mit © allen seinen Kräften bereit war, überall helfend und unterstützend beizuspringen. Wo er sich anders zeigt, dürfen auch andere Umstände als zu Grunde liegend vermuthet werden, und so lange uns diese nicht ihrem vollen Umfange nach bekannt sind, so erscheint ein Urtheil unbegründet. Der letzte Theil des Briefes hat die Besorgung eines Poeten zum Gegenstande, behufs der Verfassung der den Werken in jener Zeit vorausgeschickten Lob- oder Huldigungsgedichte. Ich nahm an- fänglich Anstand diesen Theil des Schreibens zu veröffentlichen; allein es war damals allgemeine Sitte, sich seine Poeten selbst zu besorgen ; es war diess Jedermann bekannt, und liegt daher nichts verfängliches in eimem solchen Vorgehen. Heut zu Tage geschieht diess wohl auch nicht zu selten, nur in etwas verkappter Manier, und wer da weiss, wre vie] in den Artikeln der unterschiedlichen Tages- und Wochen- blätter mittelbaren und unmittelbaren Lobes vorkömmt: wird jener ehe- maligen Sitte wenigstens den Vorzug grösserer Offenheit gern einräumen. Ich übergehe nun zur Mittheilung des Briefes selbst. Die Adresse lautet: „Excellentissimo et clarissimo viro, Domino Joachimo Camerario, Phi- losophiae et Medicinae Doctori eximio, earundemque in inclyta Nori- bergiensium Republica excultori, et Civi. Amico suo in primis colendo.“ 108 Es folet nun der Text: Clarissime et eruditissime vir, amice summopere dilecte. Quas ad me circa aeguinoctium vernum huius anni dedisti, literulas accepi, et quod tardius atque breuius, quam expectabam , meis lam dudum ad te datis respondebas, te ob occupationum molem , qua distineris, amicitia etiam nostra candidius omnia interpretante, lubens excusatum habeo. Librum meum secundum recentiorum caeli Phaenomenon tibi allatum, nec displicuisse, mihi auditu gratum est: quodque illum ad Ilustrem et excellentiss. virum Dnm Vincentium Pinellum Patauium miseris, adhuc multo acceptius habeo. Si is, ut est Mathematum insig- niter peritus, suum grauissimum atque eruditissimum de iis, quae inibi continentur, per literas communicárit iudicium, adhuc longe gra- tissimam rem, tam ille guam tu mihi praestiteritis. Idgue, ut mature feret, exoptarem. Intellexi jam nuper ex litteris cuiusdam studiosi Dani, qui Patauii studiis incumbit, Gellii Sasceridis nomine, qui octennium mihi in studiis Astronomicis et Pyronomicis diligenter in- seruiuit, praedicto Dno Pinello tractatulum etiam guendam meum de huius anni Cometa forte tua quoque opera redditum esse, utpote ab Illustrissimo Principe Hassiae Landgrauio, (ad quem ista breuiter per- scripseram) tibi transmissum. Quem adeo secretum et charum habeat, ut ne Gellio guidem meo nedum aliis eum describere, nomini nostro (uti ait) fauens, concedat. Quae viri illius sincera et beneuola erga me de facie illi ignotum voluntas inprimis omnem gratitudinem me- retur. Si et de hac Cometae illius descriptiuneula suam eruditam subiunxerit censuram, benefecerit. Tomum nostrum primum, qui iam typis meis pene absolutus est, restante saltem ultimo et decimo capite, ob papyri impressoriae defeetum (cui tamen propria molestrina illi usul destinata et non parvis impensis hac insula iam nuper a me extructa sufficienter mox subueniam) futura aestate fauente diuino auxilio obtinebitis, unaque tertium de quatuor aliis minoribus Cometis postmodum conspectis, inter quos hie, de quo dixi, paulo ante vernum tempus huius anni prodiens, quartus et ultimus est. Habebitis etiam una (modo tam cito typographico labore ad Colophonem deduci poterit) Episto- larum Astronomicarum volumen, in guo plurimae et variae eruditissimo- rum virorum literae mecum de re Astronomica et Cometometrica affatim conferentium una cum nostra ad singulas responsione continebuntur. Has ternorum librorum euulgationes operi illi magno de perennium et 109 mundo coaeuorum syderum reuolutionibus ad normam caelestem ad amussim restituendis, quod longo jiam tempore molior, quasi prodromi sine praeludii loco praemittere animus est. Plurague enim continebunt, quae ingenti illi molimini atque structurae viam sternent et nonnulla ponent fundamina. Quae cum (vires atque industriam suppeditante Caelestium opifice) magnis laboribus exantlata fuerint, vos eorundem quoque reddam participes. Sed est, mi Camerari, quod tenune obnixe rogatum cuperem nomine ejus, cuius antea mentionem feci, studiosi, eui ob ingenium, diligentiam et morum integritatem, quodque multis (uti dixi) annis fidelem mihi praestitit operam, quam optime cupio; Seripsi itague Dno Joachimo Pomerio vestrae ciuitatis Senatori pri- mario, ut ili meo nomine 50 Coronatos confestim per Mercatores Venetiis negotiantes, Collybo siue literis Cambii (ut vocant) transmitti procuret. Ego nulla intercedente mora, Lubecae vel ubicunque in propinguo voluerit, renumerari una cum interesse non inuite curabo. Sin vero Dns Pomerius se hac in parte (quod tamen non spero) dif- ficilem praebuerit, da tu operam amantissime Camerari, ut Gellius meus mature et quam citissime fieri poterit, 50 illos Coronatos Patauii vel ubicungue in Italia agat, obtineat. Fiet illud absque omni tuo damno, egogue ad recompensandum et promptus et gratus inueniar. Admonui etiam eundem Gellium per literas, ut guotiescungue aliguid illi ad studiorum suorum subleuamen necessarium fuerit (tum etiam in sumptus Instrumenti cuiusdam Astronomici, guod illic ob guaedam in Italia commodus, quam hic obseruationi patentia meis impensis fieri iniunxi) statim ad Dnm Pomerium et te de eo audacter seribat, atque a vobis meo nomine expetat. Praebete igitur vos faciles obsecro in exponendo et subministrando illi, guicguid a vobis petierit. Scio enim satis illum superflua non desideraturum. Ego vicissim bona et integra fide spondeo, id guicguid erit, quod in eius usum a vobis erogatum fuerit, primo quoque tempore citra omne dispendium, etiam cum lucro in vicinia ubicungue vobis placuerit persolutum iri. Da operam, Cla- rissime Camerari, ut omnia votis meis hac in parte quam optime re- spondeant. Feceris mihi officium ea in re multis nominibus acceptam. Quin et aliud quiddam est, quo te molestare, amicitia nostra sic suadente, non intermittam. Si eximius ille Poeta Melissus adhuc vo- biscum est, vel etiam alibi, per literas illum roga, ut carmen quoddam egregium in effigiem meam, unacum eircumscriptis Insignibus, atque 110 in operis commentationem ex sua illa melliflua poötica vena concinare non grauetur: ita ut unum latus paginae in 4to typis impressum adim- plere possit. Et si quos excellentes in Italia et Gallia, tum etiam alibi in Germania vestra nosti Počtas, illos eodem nomine in mei gratiam rogatos habe. Inueniar vieissim erga ipsos gratus. Poterit quilibet inuentionem extruere , prout libuerit, et spiritus feret poöticus, ut consideratis et expensis singulis, quae maxime placuerint,, seligam. Icona autem meam breui (volente Deo) obtinebis per peculiarem quendam hominem, quem Noribergam cum instrumento quodam e nostris, ut illic nonnulla caelitus mihi denotet, mittere decreui. Qua de re antea quoque, si recte memini, te per literas, me aliquando facturum, certiorem reddidi: et cum Dno Pomerio, quando hic prae- sens aderat, oretenus collocutus sum, qui mihi operam suam, quo nuntius ille meus commodum observationi caelesti atque a turba se- paratum locum , dum illie est, naneiscatur, non inuite addixit. Qua in parte ut tuum quoque subministres una cum consilio auxilium, te etiam atque etiam rogatum habeo. Verum nolo te a tuis multiplieibus oceupationibus ulterius auocare, unicum saltem amanter insuper petens, ut adiunetarum literarum fasciculum absque omni mora ad antenomi- natum studiosum Gellium Sasceridem in Italiam Patauiam tuto et certo perferri procurare non molestum ducas. Ego ad tibi vieissim quacunque occasione dabitur, gratificandum perpetuo me polliceor, quam paratissimum. Vale cum uxore et tota familia quam diutissime felieissimeque. Datae Vrainburgi die 21 Octobris anno 1590. Tycho Brahe manu propria. Hr. von Leonhardi zeigte die in Böhmen bisher mit Sicherheit nachgewiesenen Characeen vor, nachdem er Einiges zur Erläuterung dieser Pflanzenfamilie und ihrer Bildungs- orundverháltnisse, wonach dieselbe in Gattungen, Artengruppen und Arten zerfällt, vorausgeschickt hatte. Obgleich die Befruchtung noch nicht beobachtet worden ist, so ist doch, nachdem Pringsheim vor Kurzem durch richtige Deutung des längst bekannten Keimungsvorganges das Dasein eines Vorkeimes nachgewiesen hat, der durch Sprossbildung in die ausgebildete Pflanze übergeht, und bei dem Vorhandensein spiralig gewundener Spermato- 111 gonidien, kein Zweifel mehr, dass sie ähnlich wie bei den moosartigen Gewächsen auf der entwickelten Pflanze selbst vorgeht, und es wird nur um so wahrscheinlicher, was Alexander Braun längst vermuthete, dass auch bei ihnen die Fruchtbildung das Ergebniss der Befruchtung ist. Wenn sich die Armleuchtergewächse somit als eine ihrer äusserst einfach zelligen Bildung wegen zwar noch den Algen nahestehende, eigene Ordnung eng an die moosartigen Gewächse anschliessen , und mit diesen, gegenüber den ersteren und den anderen niederen Zellen- kryptogamen, eine eigene Klasse bilden, so ist doch auch nicht zu verkennen, dass sie einerseits eine Analogie, andererseits einen Gegen- satz zu der Klasse der höheren oder Gefässkryptogamen, insbesondere zur Ordnung der eigentlichen Farrne darstellen, indem auch bei ihnen die Fructification an die Blattbildung gebunden erscheint, jedoch nicht wie bei den Farren an die Unterseite, sondern an die Ober- seite des Blattes. Dadurch aber, dass die Fructification, die bei der entwickelten Farrenpflanze eine ungeschlechtliche ist, bei ihnen im gleichen Entwicklungsstande im geschlechtlichen Gegensatze auftritt, stehen sie der Klasse der Blüthenpflanzen näher, als selbst die höchste Ordnung der Gefásskryptogamen, der Rhizospermen; so wie sie sich auch durch Knollenbildung mancher ausdauernden Arten in ihrem vegetativen Verhalten den Blüthenpflanzen nähern. Dass die Characeen wirklich Kormophyten sind, dass sie ausser Stengeln und Zweigen auch seitliche Theile haben, die — wie sie von den vorlinneischen Botanikern und von A. Braun aufgefasst worden, — Blätter (im Schleiden’schen Sinne) und nicht Aestchen sind, wird durch ihre vorstehend bezeichnete systematische Stellung in Verbin- dung mit der Entwickelungsgeschichte (S. Al. Braun, über die Rich- tungsverhältnisse der Saftströme in den Zellen der Characeen, in den Monatsberichten der Berliner Akademie der Wissenschaften vom 17. Mai 1852 und 17. Januar 1863, und Pringsheim, über die Vor- keime und die nacktfüssigen Zweige der Characeen in dessen Jahr- büchern für wissenschaftliche Krittik Bd. III., Heft 2. 1862) fortan ausser Zweifel gestellt. Diess ist auch von Wichtigkeit für die Wür- digung des systematologischen Werthes der natürlichen, wie A. Braun zeigt, in der Entwickelungsgeschichte und der stufenweisen morpho- logischen Vervollkommnung gegründeten —- dritten Eintheilung der Familie; denn die verschiedenen Stellungsverhältnisse der Antheridien 112 und der Samensprósschen, sowohl unter sich als im Verháltniss zu den Haupt- und Seitenstrahlen des Blattes begründen eine, auf dem Wege der wiederholten Zweitheilung sich ergebende Stufenreihe von Gattungsbegriffen. Besonders hervorzuheben ist dabei, dass die Natur in dieser Familie einen förmlichen Concursus generum anstellt, in welchem das Vorantreten des männlichen vor dem weiblichen Ge- schlechte , welches in allen höheren Abtheilungen des Pflanzenreiches zu bemerken ist, zur Entscheidung gebracht wird. Hieraus ergeben sich genügende logische Gründe, die Braun’schen Subgenera, die ohnehin durch eigenthümliche Tracht sich unterscheiden, als wirkliche Genera anzuerkennen, die Braun’schen Genera aber als Unterfamilien. Die Ausführung hievon beabsichtigt Prof. Leonhardi in einer grösseren (für die Jahreshefte des naturforschenden Vereins in Brünn be- stimmten) Arbeit über die Familie der Characeen zu veröffentlichen, welche zugleich ein Beitrag zur objectiven Begründung des Genus- begriffes im Allgemeinen sein soll. Die Familie der Characeen, die über die ganze Erde verbreitet ist, ist mit Rücksicht auf das eigenthümlich verschiedene Vorkommen einzelner Abtheilungen und Arten auch von grosser pflanzengeogra- phischer Bedeutung. Aber Böhmen ist in Beziehung auf dieselbe noch fast unerforscht. Von ungefähr 40 wohlunterschiedenen europái- schen Arten, von welchen nur etwa 10 als Salz- oder südliche Pflanzen mit Bestimmtheit in Böhmen nicht zu erwarten sind, und von welchen etliche und zwanzig Arten in den Floren innerhalb Leipzig und Berlin sich finden, also wohl auch in Böhmen vorkommen werden, wurden aus diesem Lande bisher nur 7 Arten aufgeführt, und selbst diese Aufführungen erwiesen sich dem Vortragenden entweder als gänzlich unkritisch, oder es mangeln zur Sicherstellung doch bisher die Belege in den Herbarien. Von Chara ceratophylla Wallr., die A. Braun von Dr. Welwitsch in Böhmen gesammelt, im Herbarium des k. k. Mu- seum zu Wien gesehen haben will, findet sich dort wenigstens jetzt kein Exemplar, und nur die Autorität dieser beiden Botaniker machte es nicht unwahrscheinlich, dass hier kein Irrthum obwalte, obwohl die Pflanze meist nur in wenigstens schwach salzigem Wasser vor- kommt. An sich wahrscheinlicher ist, dass Ch. aspera Willd. m Böhmen vorkommt; aber die bei Pardubiz von Opiz gesammelte und als solche bestimmte Pflanze ist vielmehr Ch. tragilis Desv. Opiz 113 Aufführungen fünf anderer Arten sind theils überhaupt unbelegt, theils wenigstens hinsichtlich eines oder des anderen Standortes geradezu irrig; nur einige wenige sind richtig. Gestützt auf die Untersuchung älterer Herbarien, worin die Pflanzen theils unbestimmt, theils falsch bestimmt lagen, so wie gestützt auf die Funde einiger eifriger, um die Erforschung der Flora Böhmens besonders verdienter jüngerer Botaniker, und auf seine eigenen Funde in verschiedenen Theilen Böhmens vermochte der Vortragende nicht nur die übrigen fünf der bisher aufgeführten Arten für Böhmen sicher zu stellen, sondern auch sechs neue hinzuzufügen; also zusammen folgende 11 Arten nach- zuweisen: 1. Nitelloödeue. A. Nitella Ag. em. 1. N. synearpa (Thuill.). 2. N. capitata (Nees ab Es., non Meyen). 3. N. opaca Ag. 4. N. flexilis Ag. 5. N. mucronata A. Br. (N. mucronata Kütz. und N. exilis [A mici]). 6. N. gracilis Smith. II. Charoideae. B. Chara Vaill. em. 7. Ch. stelligera Bauer. 8. Ch. coronata Ziz. 9. Ch. foetida A. Br. 10. Ch. hispida L. e. p. (Ch. spinosa Rupr.) 11. Ch. fragilis Desv. Die kritischen Standortsnachweise hierüber, sowie manches All- semeine, nebst einer Anweisung zum Sammeln und Einlegen dieser (rewächse hat der Vortragende in einem Aufsatze niedergelegt, den die April- und die Mai-Nummer dies. Jhrg. der Zeitschrift „Lotos“ bringen wird. (Vergl. auch Juli- und Septemberbericht.) In Prags unmittelbarer Nähe findet sich jetzt nur noch Ch. foetida A. Br. in mehreren interessanten und seltenen Formen — diese kraft ihrer grossen Variabilität für sich allein alle verschiedene Trachten der Gattung darstellende und, da sie neuerdings auch in Australien aufgefunden ist, auf der ganzen Erde verbreitete Art. Der von Prof. Sitzungsberichte 1863. I. 8 114 v. Leonhardi nachgewiesene Standort dreier Arten Nitellen in mehren seltenen Formen und der Chara coronata Ziz war im Prager Baum- garten; doch sind leider daselbst einige Grabentheile in den letzten Jahren durch den landwirthschaftlichen Pächter verschüttet worden, so dass diese Gelegenheit zu microscopischen Untersuchungen, die in Bezie- hung auf manche noch unaufgeklärte Theile der Entwicklungsgeschichte von besonderer wissenschaftlicher Wichtigkeit sein würden, den Botani- kern Prags entgangen ist. Im Interesse der Wissenschaft ist die Wie- der-Eröffnung der betreffenden Grabentheile, deren Verschüttung nicht einmal einen ökonomischen Nutzen gebracht hat, gewiss wünschens- werth, und in einem kaiserlichen Garten, in welchem der Nutzen ohnehin nicht die Hauptrücksicht ist, lässt sich das wohl hoffen. Da die Samen der Characeen ihre Keimkraft lange Zeit bewahren , so würden sie sich nach Entfernung des Schuttes alsbald wieder in ihrer früheren Ueppigkeit entwickeln. Im April 1863 eingelaufene Druckschriften. Verhandlungen des naturhistorischen Vereins der preussischen Rheinlande u. s. w. Bonn 1862. XIX. Jahre.. 1..u. .2..Hältte. Correspondenzblatt des Vereins für Naturkunde in Pressburg. l. Jahrgang 1862. Nro. 1—4. XXV. Bericht über das Wirken und den Stand des historischen Vereins zu Bamberg im J. 1861—62. Schriften der k. physicalisch-ökonomischen Gesellschaft zu Kö- nigsberg. III. Jahrgang. 1862. 1. Abtheilung. Die Fortschritte der Physik im Jahre 1860. XVI Jahrgang. Berlin. 1862. 1. und 2. Abtheilung. Joh. Nep. Ehrlich. Apologetische Ergänzungen zur Fundamental- Theologie. Prag 1863. 1. Heft (vom Hın. Verfasser). Memorie del R. Istituto Lombardo di seienze etc. Volume VL. fasc. 7. Vol. IX Milano 1862. Fase. 1. Atti dell’ I. R. Istituto Lombardo di scienze etc. Volume IH. Fasc. 9 ed 10. Milano 1863. Atti dell’ I. R. Istituto Veneto di scienze ete. Tomo VII. Serie 3, disp. 3. 4. Venezia 1862—63. Magazin für die Literatur des Auslandes, v. J. Lehmann, Leipzig. 115 Reise der österr. Fregatte Novara um die Erde usw. Nautisch- physical. Theil. 2. Abtheilung. Wien 1563. (Von der hydrographischen Anstalt der k. k. Marine in Triest.) Ivana Engelmanna Graždanskie zakony Pskovskoi sudnoi gramoty. St. Petersburg 1855. (Vom Herrn Verfasser.) I. Engelmanna O priobrětenii prava ete. St. Petersburg 1859. Denkschriften der kais. Academie der Wissenschaften in Wien. Phil.-histor. XII. Band. — Naturwiss.-math. XXI. Band. Sitzungsberichte usw. phil.-histor. XXXIX. Band 3. 4. 5.—L. Band 1. 2. 3. — Naturwiss.-math. 1863. I. Abtheil. 5. 6. 7. 8. Abhandlungen der naturforschenden Gesellschaft zu Halle. 1863. VII. Bandes 2. Heft. Ludwig Baur. Hessische Urkunden. Darmstadt 1562. II. Bandes 2. Abtheilung. Archiv für hessische Geschichte und Alterthumskunde. X. Bandes 1. und 2. Heft. G. W. J. Wagner. Wüstungen im Grossherzogthume Hessen. Darmstadt 1862. Fr. Moigno. Les mondes. Revue hebdomadaire ete. Paris 1863. I. Annee. Tom. 1. livr. 3—6. (Vom Hrn. Herausgeber.) A. E. Reuss. Les Foraminiferes du Crag d’ Anvers. Bruxelles 1863. (Vom Hrn. Verfasser.) A. E. Reuss. Ueber die Paragenese der auf den Erzgängen von Příbram einbrechenden Mineralien. (Sep.-Abdruck aus den Wiener Sitzungs-Berichten.) J. J. Hanuš. Zusätze und Inhaltsverzeichnisse zu Hanslik’s Geschichte und Beschreibung der k. k. Prager Universitätsbibliothek. Prag 1863. (Vom Hrn. Verfasser.) Philologische Section am 4. Mai 1863. Anwesend die Herren Mitglieder: Tomek, Hanus, Hattala, Ne- besky, Wrtätko, Winařický, Frühauf; als Gäste die Herren Patera und Alex. Potebna. Herr Wrtätko berichtete über zwei böhmische Ma- nuscripte des antiken Romans Apollonius Tyrius. 8* 116 Beide Manuseripte befinden sich in der Bibliothek des böhmischen Museums, wovon das ältere in der Collection des Zeberer’schen Quar- tanten, einer Papierhandschrift vom J. 1459 (4. D. 4.) als Nr. 4 vor- kommt, das andere aber ein getreues Facsimile des ehemaligen Lem- berger Manuscriptes vom J. 1557 ist, welches letztere einst der Osso- Iinskischen Bibliothek angehörig, nach der Notiz des Zettelkatalogs im J. 1848 in Folge des Bombardements durch den General Hammer- stein in Flammen aufeing, glücklicher Weise aber im J. 1840 auf Kosten des Grafen Adam von Rosciszewski getreu abgebildet und dem Prager Museum verehrt worden war. Neben diesen beiden bisher einzigen handschriftlichen Quellen sind noch fünf verschiedene böh- mische Drucke des genannten Romanes bekannt. Der älteste ist durch die vom Olmützer Bischof im J. 1567 ertheilte Bewilligung, die Druck- schrift verkaufen zu dürfen, constatirt, ohne dass jedoch bisher ein Exemplar dieser Auflage aufgefunden worden wäre. Der zweite Druck vom J. 1733 ist in Neuhaus (w Jindficho-Hradey) aufgelegt, der dritte vom J. 1761 in Prag bei Karl Jos. Jaurnych , bei Jungmann eitirt; der vierte vom J. 1769 in Olmütz, und der fünfte vom J. 1799 auf der Kleinseite Prags, letzterer von Jungmann nicht angeführt. Mit Ausnahme des ersten Druckes und der Auflage vom J. 1761 besitzt von den anderen Auflagen, soviel bisher hat ermittelt werden können, nur das Prager Museum je ein Exemplar, von der Olmützer 1769 zwei, deren eines, aber auch nur dieses, schon Dobrovsky zur Hand hatte. Die beiden genannten Manuseripte sind blosse Abschriften eines be- deutend älteren Originales, wie die darin enthaltenen Reste älterer sprachlicher Formen zur Evidenz darthun. Ihnen und den sämmtlichen sedruckten Auflagen lag eine und dieselbe Bearbeitung zu Grunde, die sich unter keine der in deutschen Literaturgeschichten aufgestellten drei Recensionen (die eine nach der editio princeps vom J. 1470, die zweite als 153 cap. der Gesta Romanorum, und die dritte nach der lateinischen Bearbeitung des Gottfried von Viterbo in Versen) unter- bringen lässt, wodurch die aus der Luft gegriffene Behauptung , wie sie in Grässe’s Literärgeschichte vorkommt, und von dem russischen Schriftsteller Pypin auf guten Glauben hin aufgenommen wurde, „das böhmische Volksbuch sei gleichfalls aus dem Deutschen hervorgegangen, * als jeden Grundes entbehrend von selbst zusammenfällt. Die böhmische Recension des Apollonius Tyrius stellt sich im Gegentheile als eine 117 in der Detailausführung ziemlich selbstständige, bedeutend alte, durch Einfachheit der Darstellung und edle Motivirung im hohen Grade ausgezeichnete Bearbeitung dar. Durch gegenseitige Complirune der beiden böhmischen Handschriften, von denen kürzere Lieder abge- rechnet, der Leberer'schen das Ende, der Lemberger der Anfang fehlt, und mit Zuhilfenahme der gedruckten Auflagen ist vom Vortragenden der alte Text festgestellt worden und wird nebst einer erschöpfenden Abhandlung in dem 3. und 4. Hefte des „Časopis Musea království českého“ 1863 publieirt werden. Herr Wrtatko las schliesslich einige Proben des hergestellten Textes vor. Im Mai 1863 eingelaufene Drucksehriften. B. Silliman. The American Journal of science and arts. New Haven 1863. Vol. XXXV. Nro. 104. Erman’s Archiv für wissenschaftliche Kunde von Russland. Berlin 1862. XXI. Band. 2. Heft. Jahresbericht des physicalischen Vereins zu Frankfurt am Main für 1861—1862. Jos. Virg. Grohmann. Sagenbuch von Böhmen und Mähren. Prag 1863. 1. Theil (vom Herrn Verfasser). Bulletin de la Societe imp. des Naturalistes de Moscou. 1862. Nr. 3. J. C. Poggendorff. Annalen der Physik und Chemie. Leipzig 1863. Nro. 3. A. L. Crelle. Journal für die reine und angewandte Mathematik. Berlin 1865. LXII. Band. 1. Heft. Les mondes. Revue hebdomadaire ete. par F. Moigno. Paris 1863. Livr. 7.8. (Vom Herrn Herausgeber.) Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik von Fichte, Ulriei und Wirth. Halle 1863. XL. Bandes 2. Heft. Magazin der Literatur des Auslandes. Leipzig 1863. Nro. 16—20. Lotos. Zeitschrift für Naturwissenschaft, redieirt von W. R. Weitenweber. Prag 1863. April. J. W. L. Schwartz. Der heutige Volksglaube und das alte Heidenthum. Berlin 1862. Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft. Berlin 1862 XIV. Band, 4. Heft. — 1863. XV. Band, 1. Heft. 118 Naturwiss.-mathem. Section am 1. Juni 1863. Anwesend die Herren Mitglieder: Weitenweber, Jelinek, Amer- ling, Staněk, Krejčí, Kořistka und Winařický. Als Gäste die Herren Ruda, Pribram und Walter. Herr Krejčí sprach über die Verbreitung der Komo- rauer undRokycaner Schichten in den Umgebungen Prags. In den nächsten Umgebungen Prags sind bekanntlich alle Etagen der silurischen Formation entwickelt, indem bisher nur die Schichten der Etage C und die Schichtengruppe d 1 Barrande’s vermisst wurden. Neuerdings wurden aber die Schichten d 1 in mächtiger Verbreitung vor den Thoren Prags gefunden und nur das Vorkommen der Etage C oder der Jinecer Schichten ist noch zweifelhaft. In der Abtheilung d 1 Barrande’s wurden bei der geologischen Aufnahme des silurischen Terrains durch Hrn. Bergrath Lipold und den Vortragenden von unten nach oben folgende Schichtengruppen unter- schieden: 1. Krušnahora-Schichten (Conglomerate und Sand- steine mit Lingula Feistmantelii); 2. Komorauer Schichten, Schiefer, Schalsteine , Mandelsteine und Eisenerzlager mít Graptolithen, Cysti- deen, Orthis und Trilobitenarten. 3. Rokycaner Schichten, weiche Schiefer mit kugligen Concretionen, die stellenweise ungemein reich an charakteristischen Petrefaeten sind; Hauptfundorte derselben waren bisher Rokycan, St. Benigna und Ouval. Bei den Aufnahmen der k. geologischen Reichsanstalt wurden die zwei ersteren Schichtengruppen in den unmittelbaren Umgebungen Prags bloss in der Begränzungslinie zwischen dem azoischen und dem petrefactenführenden Gebiete von Brandeis angefangen über Myškovic, Kobylis, Troja und Särka constatirt, obwohl in denselben zu jener Zeit keine Petrefacten nachgewiesen wurden. Die analoge Beschaffenheit der Gesteine und ihrer Lagerung, namentlich das charakteristische Vorkommen der Schalsteine und Eisenerze, dienten hierbei als Anhalts- punkte. Bei einer wiederholten Untersuchung der Schichten in der Särka, welche im vorigen Jahre (1862) gemeinschaftlich von Bergrath Lipold und Dr. Anton Frič, in diesem Jahre von dem Letztern und Krejčí vorgenommen wurde, entdeckte man in den weichen Schiefern des Scharkathales zu beiden Seiten der Strasse südlich der Jenerálka Bruchstücke von Trilobiten (Dalmanites atavus) und Grapto- 119 lithen in ähnlichen Concretionen wie bei Rokycan und Ouval, und es ist nun gar kein Zweifel vorhauden, dass auch die Rokycaner Schichten, die man bisher nur an den früher genannten Fundorten kannte, mächtig entwickelt sind. Es sind zu denselben nicht bloss die Schiefergebilde der Šárka, welche auf den Kieselschiefern und azoischen Gesteinen lagern, zu zählen, sondern auch die mächtigen Felsenwände an der Moldau bei Troja und Klein-Holešovic. Indessen beschránkt sich das Vorkommen dieser Schichtengruppen nicht bloss auf den Rand des petrefactenführenden Terrains, sondern dieselben treten auch mitten in demselben zu Tage, wo durch grosse Dislocationen der regelmässige Schichtenbau gestört erscheint. Schon vor einigen Jahren hatte der eifrige Paläontologe Herr Schary bei der Anlegung eines Kellers nächst dem Kloster Emaus in Prag in dem aufgeschlossenen Schiefer den für die Rokycaner Schichten bezeichnenden Trilobiten Placoparia Zippei erkannt; und es wurde dadurch klar, dass unter den Quarzitsandsteinen (d 2) von Emaus die Rokycaner Schichten (d 1) abgelagert sein müssen, obwohl dieselben in der Nähe nicht zu Tage treten. Bei einer Begehung des Terrains im Osten von Prag glaubte Dr. A. Frič am nördlichen Abhange des Zizkaberges ebenfalls die Rokycaner Schichten zu erkennen; bei einer Untersuchung , die der Vortragende gemeinschaftlich mit Dr. Frič unternahm , wurde diese Vermuthung bestätigt und es zeigte sich, dass die steile Lehne des Ziäkaberges längs einer Dislocationsspalte sich hinziehe, an welcher die Rokycaner Schichten (d 1) hoch über die Zahoraner Schichten (d 4) gehoben sind. Diese Dislocationsspalte folgt, wie andere ähn- liche, dem nordöstlichen Streichen des Silursystems und veranlasst eben die Bildung des steilen Abhanges vom Žižkaberce. Eben so treten längs ähnlicher Spalten im Thale von Košíř die Rokycaner Schichten unter den Quarzitsandsteinen zu Tage und es gewinnt den Anschein, dass bei näherer Untersuchung ein grosser Theil. der sogenannten Grauwackenschiefer in den Umgebungen Prags, welche bisher zur Schichtengruppe d 4 oder zu den Zahoraner Schichten gerechnet wurde, den Rokycaner Schichten beizuzählen sein wird. Da die Rokycaner Schichten die constante Decke der Eisenstein- führenden Komorauer Schichten bilden, so hat das Erkennen derselben 120 in der unmittelbaren Náhe der Hauptstadt auch den praktischen Nutzen, dass man dadurch über die muthmassliche Verbreitung von Eisenerz- lagern belehrt wird. Es ist demmach höchst wahrscheinlich, dass ganz Prag auf einem ausgedehnten, von Schiefern und Quarziten bedeekten Eisensteinlager ruhe. Hierauf sprach Hr. Amerling Einiges über die 8Sy- stematik der Varietäten einer Naturspecies. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass das namentlich. theils durch unmittelbare Kreuzung, theils durch Zuthun der Thierzüchter, der Gärtner und Cultivateurs sich bei manchen Gattungen und Species ungemein mehrende Reich der Varietäten, Racen, Sorten, Spielarten u. s. w. růcksichtlich ihrer Systematik in einem Zustande begriffen sei, welcher ungeachtet der Bemühungen eines Bernhardi, Decandolle, Diel, Trummer, Godron, Hlubek, Babo, Sickler u. A. kein erfreulicher genannt werden kann. Wir wollen hier beispielsweise nur die durch ihre Form-Mannigfaltiekeit besonders hervorragenden Racen und Va- rietäten unserer Nutz- und Hausthiere, der Zierpflanzen , Obstarten u. d. gl. anführen, welche bei der bisher versuchten Systematisirung und Beschreibung nach gewissen Charakteren, an der grössten Incon- sequenz bezüglich des Eintheilungsprineips leiden. Die Natur hat die Species hinlinelich von den Racen, Varietäten u. s. w. durch die zu- nehmende Unfruchtbarkeit heterogener Species und steigend noch mehr der Genus-Eltern, also der Bastarde, geschieden; während Blendlinge, also Erzeugnisse homophyer Eltern innerhalb der Species gerade desto kräftiger, entwickelter und zahlreicher erschienen, je grösser ihre Gegensätze innerhalb der Species waren. — Der längere Vortrag war übrigens keines einigermassen genügenden Auszuges fähig. Philologische Section am 8. Juni 1863. Anwesend die Herren Mitglieder: Hattala, Hanus, Bezdeka, Storch, Čupr und Doucha: als Gast Hr. Dastich. Hr. Hanus las eine Abhandlung über die diätetische Literatur der Böhmen im XVI. Jahunderte (in böhmischer Sprache) vor. 121 Der Vortragende stellte vor Allem die Scheidegränze zwischen der medieinischen und diätetischen Literatur im Begriffe fest, obschon sich diese in der Wirklichkeit fast bei keinem einzigen Literaturwerke des Mittelalters eingehalten vorfindet; da man eben bei den mangelhaften Vorstellungen über die physiologischen Func- tionen auch das gesunde Leben mit medieinischen Mitteln und Ope- rationen stützen zu können meinte, gleichwie noch heutzutage manche Paedagogen die wirkliche Entwickelung des Körpers und Geistes durch gar sonderbare, künstliche, ausser der anthropologischen Sphäre lie- gende Mittel zu fördern meinen. Der Vortragende stellte die Diä- tetik im Organismus der Naturwissenschaften und namentlich im Kreise der anthropologischen Wissenschaften in ein ähnliches Verhält- niss zu denselben, wie das Verhältniss ist, das im vernünftig geglie- derten Staatsorganismus die Polizei einnimmt, die nicht bestimmt ist, das gesunde Staatsleben ängstlich zu überwachen, den kräftigen Fort- schritt desselben zu hemmen: sondern welche gerade umgekehrt dafür zu sorgen hat, dass nichts eintrete, das sich dem kulturhistorischen Fortgange des Staatslebens hindernd in den Weg stellen könnte. Die diätetische Literatur des gesammten europäischen Mittel- alters entspricht natürlich nicht dem angegebenen Begriffe, da sie von gar keinem einheitlichen Prineipe ausgehend eine Mosaik der verschiedenartigsten Elemente bildet. Denn sie ist 1. vor Allem ein Nachhall übel verstandener heidnischer An- sichten, greift somit in die Sphäre des Aberglaubens ein. So ist hier z. B. nicht das Bad als solches unter den günstigen natürlichen Be- dingungen ein diätetisches Mittel, sondern das Osterbad, das Wasser- schöpfen aus sogenannten Gesundbrunnen, das Suchen und Bereiten des Lebenswassers u. dgl. Vor Krankheiten bewahrt ihn nicht ein ge- regelter natürlicher Lebensprocess , sondern mysteriöse Mittel, z. B. rothe und blaue Tuchlappen, um dem Beschrieen-werden zu entgehen u. dgl. m., bei denen allen sie gar nicht mehr ahnt, welche ursprüng- liche mystische oder symbolische Bedeutung sie im Heidenthume hatten. 2. War die diätetische Literatur des Mittelalters ein Nachklang der hellenistisch-arabischen Ansichten, die selbst das Bun- teste in sich befassten, den missverstandenen Hippokrates und Ga- lenos, etwas neuplatonische und gnostische Mystik, sowie bedeutende Dosen von astrologischen Wundereinflüssen; wie man denn solche in 122 den mittelalterlichen Minutien und Kalendern dem horchlustigen Publicum mit grosser Emphase mitzutheilen pfleste. 3. Endlich die diätetischen Ansichten , welche man bis auf die Salernitanische Schule zurückführte und wahrscheinlich mehr staunend und bewundernd las, als practisch befolete, insoferne sie dem Menschen unangenehm waren. Die Darstellung der ersteren Elemente der mittelalterlichen dátetischen Literatur fällt der mythologischen Wissenschaft an- heim und lässt sich auf kein bestimmtes Jahrhundert einschränken. Die Darstellung der Elemente zweiter, oben angegebener Art wurde bei der Gelegenheit berührt, als der Vortragende eine Abhandlung über die astronomische und astrologische Literatur der Böhmen im 16. Jahrhunderte vorlas. (Siehe die Sitzungsberichte der kön. böhm. Gesellschaft der Wissenschaften vom J. 1862 2. Juni. Seite 89 et segg.) Es blieb sohin nur zur heutigen Darstellung jener Theil der diätetischen Literatur der Böhmen im 16. Jahrhunderte zu verhan- deln, der da seinen Ursprung aus der Salernitanischen Schule nahm oder zu nehmen doch vorgab. Der Vortragende gab die Haupt- werke an, in denen man sich seitens der Salernitanischen Schule Raths erholen könne, und ging dann speciell zu den böhmischen Werken über, in denen sich der Haupteinfluss «derselben äussert. Weil nun die Werke, die sich auf diese Schule zumeist beziehen, zweierlei Art sind, nämlich eine sogenannte Wissenschaft der Diätetik unter dem Namen: regimen sanitatis, und eine Art Compendium oder Lehrbuch, die bekannten: versus (memoriales) scholae Salernitanae nämlich, mit deren Commentaren ; so. zer- fällt auch die böhmische Literatur, in dieser Beziehung ein Nachklang der allgemein europäischen Literatur, jedoch mit manchen nationalen Eigenthümlichkeiten, im die Literatur dieser zwei Wissenszweige. Eines der ältesten Werke dieser Art ist die „Zpravovná“, eine Art Rathgeber des Prager Magisters und Doetors anderer Uni- versitäten, Pawel mit dem Beinamen Zidek, für den König Georg von Pod&brad im Jahre 1470 verfasst, worin neben chronikenartigen Auffassungen der allgemeinen und der Geschichte Böhmens, Regie- rungsrathschlägen udgl., auch diätetische Vorschläge derart gemacht werden, dass sie zumeist auch als allgemeine diätetische Regeln an- gesehen werden können. Das älteste, sauber, aber incorrect geschrie- 123 bene Exemplar dieser „Zpravovna“ befindet sich gegenwärtig in der Büchersammlung des Prager Domcapitels, gehörte aber einst dem Clementinischen Jesuitencolleeium an. (Von Balbin's Hand finden sich noch inhaltreiche Glossen an den Rändern der Papier-Handschrift.) Die kais. Universitätsbibliothek besitzt eine späte, sehr elende Ab- schrift dieses Manuscriptes. Die diätetischen Grundsätze Pavel Zi- dek’s — der auch Magister der Mediein, so wie sonst auch ein ge- lehrter, jedoch äusserst unruhiger Kopf war — sind noch das Beste an dem ganzen Buche, während die historischen Daten von lauter Irrthümern wimmeln, da er, der Sage nach, nach blossem Gedächt- nisse über Stunde, Tag und Jahr historischer Ereignisse absprach. Allerdings sind seine Rathschläge manchmal sehr einfach , manchmal sogar naiv genug. So sagt er z. B.: „Die Natur lehre von selbst, weleher Kleidung man sich in den verschiedenen Jahreszeiten bedienen solle.* — „Auch von den Speisen, mit denen der König allmonatlich wechseln solle, wolle er nichts angeben, da dies der Küchenmeister Sr. Majestät besser wisse, als alle Doctoren zusammen.“ „Beim Nacht- male räth er besonders Mássiekeit an und ein Fallenlassen aller Sorgen vor dem Schlafengehen, so wie heitere Unterhaltungen mit Musik und Jungfrauen.* „Hühner sollen wenigstens zwei Wochen lang mit Kör- nern gefüttert werden, ehe sie auf den Tisch kommen , denn die Hühner nähren sich im Naturzustande von allen Unreinlichkeiten, ja sogar von für den Menschen giftigen Thieren, deren Schädlichkeiten durch den Kornfrass aufgehoben werden. Unter diesen Bedingungen ist unter den Hühnern die schwarze Gattung mit den hellrothen Kämmen allen anderen vorzuziehen.“ Schriftlich haben sich gleichfalls in fast jeder grössern Bibliothek Werke erhalten, die im Allgemeinen mit medieinischen Gegenständen sefüllt, mitunter ebenfalls diaetetica enthalten. So sind auch die alten Kräuterbücher, z. B. der hortus sanitatis in die Literatur der Diátetik, aber nur mittelbar einzubeziehen, daher sie der Vor- tragende für diesmal auch übergieng. Der Vortragende bewies darauf, dass das in Europa fast allen Nationen bekannte Werk: regimen sanitatis im Verlaufe der Zeit eine ganz andere literarische Arbeit geworden, als es ursprünglich war, und dass auch die einzelnen Ausgaben gleichen Namens bedeu- tend unter einander differiren, was namentlich durch den Vergleich 124 der deutschen Incunabel (Hain. nro. 13746, Brunet. 1862. 4. B.. S. 1181) vom Jahre 1495 (Bibliothekssignatur: 44. G. 14) mit bůh- mischen Werken desselben Titels nachgewiesen wurde. An die deutsche Incunabel angebunden findet sich abermals eine andere literarische Arbeit unter dem Namen: regimen sanitatis (Hain. nro. 13733) nur neun Blatt stark, die versus scholae Salernitanae verdeutscht enthaltend. Sehr viel Selbstständigkeit zeigt das böhmische Buch: „Grun- tovní a dokonalý regiment neb zpráva, jak jedenkaždý člověk ve všech věcech zdraví své opatrovati má a může.“ Selbes ist von Dr. J. Kopp von Raumenthal, der Leibarzt Ferdinand I. war, deutsch verfasst, und weil er des Böhmischen nicht genugsam mächtig war, von Andern in’s Böhmische übertragen worden. Der Druck wurde auf seine Unkosten bei Joh. Had in Prag besorgt und 1536 beendet (54. A. 68; 54. A. 61). Als Ursache dieses kostspieligen Unterneh- mens — das Buch ist ein starker Folioband — gibt Dr. Kopp an, dass „einerseits die Böhmen einer grösseren Unmässigkeit und einem grösseren Luxus frönen, als andere Völker“ andererseits aber gar „zu viele schreibselige Juden, die nach Unreinlichkeit riechen, dann Hexenweiber, Kuplerinen, Färber und unwissende Popen“ sich für Aerzte ausgeben, „so dass ein ordentlicher Arzt eine grosse Seltenheit ist.“ — Das Buch ist in Form eines Zweigesprächs zwischen Meister und Lehrling (der indessen schon verheiratet ist) ge- schrieben und geht in grosser Ausführlichkeit alle menschlichen Le- bensverhältnisse durch. Natürlich ist es für unsere Tage mehr in eulturhistorischer Hinsicht, als in diaetetischer Beziehung interessant, da Dr. Kopp von den Vorurtheilen seiner Zeit, wie niemand, frei ist. Das deutsche Original scheint Kopp nie herausgegeben zu haben, obwohl er es zu thun willens war, so dass also die böhmische Ue- bersetzung den Werth des Originals hat. Am Ende des Buches klagt Kopp in böhmischer Sprache über grossen Zeit- und Geldverlust bei der kostspieligen Herausgabe des böhmischen Werkes, und hält sein Urtheil seitens der Güte der Uebersetzung zurück, da er nicht ge- nugsam böhmisch verstehe. Zwei der Uebersetzer habe er dazu genommen, der eine ist am Titelblatte genannt, Hynek Krabice von Waitmil, der andere blieb unbenannt und es ist unsicher, in welchem Verhältnisse beide an der Uebersetzung Antheil nahmen. Die Ueber- BE Ze an >; 125 setzung zeichnet sich durch kein kerniges Böhmisch aus, auffallende Unkenntniss verrathen aber die Uebersetzer seitens der einheimischen Namen der Pflanzen und Thiere, die meist nur lateinisch angege- ben sind. Im Jahre 1584 erschien in Olmütz eine Sammlung diäte- tischer Schriften in böhmischer Sprache, die sehr selten geworden ist. Die Universitáts-Bibliothek zu Prag besitzt davon nur eine — und dazu fragmentarische Abschrift im Manuscripte 17. D. 4. Fol. Diese Sammiung enthält 1. „Ueber Erhaltung der Gesundheit. Das Buch der Salernitanischen Schule. 2. Otto Kremonsky's: Ueber das Auffinden der Arzneikräuter — in Reimen. 3. Philipp Me- lanchthon’s: Ueber die Mässigkeit im Essen und Trinken, Schlafen und Wachen. 4. Polybius: Ueber die gesunde Lebensweise des Volkes. Aus dem Griechischen ins Latein übersetzt von Ander- nak(?). Nicht einmal die erste Schrift ist vollständig abgeschrieben, sondern der Rest der Handschrift von der Frau Elisabeth Castola- rova Dlouhoveská z Dlouhévsi, einer geborenen von Solopisk, mit den verschiedenartigen Recepten technologischer, ärztlicher und mythischer Natur fast vollgeschrieben. Am interessantesten davon ist ein Zaubersegen gegen die Fraisen (božec, psotník), der also lautet: „Herr Jesus begann, auch ich beginne nach seiner heiligen Gnade. Es gieng einst der Herr Gott seines Weges, da begegnete ihm der Božec. „Wohin gehest du, Božče?“ Ich gehe in den Kopf, in Füsse und in Hände, den Bauch, den Rücken und in alle Glieder des ( ... hier muss der Name, des Kindes genannt werden), um dort die Knochen zu zerdrücken (tříti), das Fleich zu saugen (ssati), das Blut zu trinken, Adern zu zerreissen (žil trhati). „Du sollst nicht hin in den Kopf u. s. w., um dort die Knochen u. s. w., son- dern du begibst dich auf den Kreuzweg, wo die Herren Wagenführer (scil. des Todtenheeres) fahren, damit sie dich auf den Hufen ihrer Pferde in alle Welt tragen; du begibst dich in den Brunnen, aus dem die Menschen kein Wasser schöpfen (in die Wolken?), da bade, da reinige dich und lasse den... in Frieden!“ Das soll man dreimal über dem Kinde und seinen Windeln sprechen. Obschon die Handschrift ins 17. Jahrhundert gehört, so ist doch der Spruch uralt, nur dass in ihm christliche hehre Wesen an die Stelle der ursprünglichen heid- nischen getreten sind. 126 Das nüchternste Buch im diätetischer Beziehung des 16. Jh. ist das regimen sanitatis des Rantzow, übersetzt unter dem Titel: regiment zdravi und herausgegeben von Huber von Risen- pach. 1587. 8’ Prag bei Daniel Adam von Weleslavin. Růck- wärts sind die Verse der Salernitanischen Schule angehängt. In bio- graphischer Beziehung ist das Buch insofern interessant, als es mit einer ausführlichen Vorrede dem bekannten Wenzel Budovee z Bu- dowa gewidmet ist, den nach der Schlacht am weissen Berge im J. 1621 am altstädter Ringe zu Prag ein so trauriges Geschick hin- raffte. Die Vorrede hat das Datum: „Gegeben zu Prag am Tage des hl. Veit, des böhmischen Landespatrons (dedie), 15. Juni im letzten Zeitalter (posledního věku) 1587.* Das lateinische Original erschien unter dem Titel: de conservanda valetudine im J. 1576, die böhmi- sche Uebersetzung erschien also 14 Jahre vor der deutschen, die 1601 gedruckt wurde. Huber selbst, nachdem er Decan und Rector der Prager Universität gewesen, starb im J. 1613, 77 Jahre alt. Der Inhalt des Buches ist gedrängt geschrieben und basirt auf viel na- türlicheren Grundlagen, als die anderen Bücher dieser Gattung, doch was darin insbesondere lobenswerth auffällt, ist die Sorgsamkeit, mit welcher auf Leibes- oder gymnastische Uebungen gedrungen wird, denen ein ganzes Capitel, das neunte, gewidmet ist. Die angehängten Versus schole Salernitan® sind eine Zuthat des berühmten Weleslavin, dessen Werke im Preise immer mehr steigen. Er war Freund und Gevatter des Huber. Die üblichen, wie er sagt: „erassa Minerva rhythmis boemicis explicatos versus schole Salernitane“ schienen ihm denn doch zu ungelenk zu sein, um neu aus seiner Druckerei hervorzugehen, er übersetzte sie daher nur in Versen, womit er in vier Tagen fertig wurde. Das eben genannte Werk Rantzov’s sammt den Weleslavin’schen Versen gab im J. 1786 der Prager Univ.-Bibliothekar Faustin Pro- chazka auszugsweise in Prag heraus. Aber auch dieses Buch beginnt schon sehr selten zu werden. Philosophische Section am 15. Juni 1863. Gegenwártig die Herren Mitglieder: Hattala, Hanuš, Štorch, Bezděka und Dastich. 127 Hr. Hanuš setzte seinen Vortrag über die mythi- sche Gestalt der Ježi-Bába (s. 8. 36) fort, daher denn auch die Uebersicht des Hauptinhaltes dieses Vortrages hier im Ganzen angedeutet wird. Die mythische Gestalt der Göttin Baba, so wie ihres männ- lichen Gegenbildes, des Děd, ist eine der hehrsten der slavischen Mythologie, da beide die Ur- oder Hauptgötter des gesammten mythischen Kreises bezeichnen und wörtlich „Grossmutter“ und „Altvater“ oder Grossvater bedeuten. © Sie. sind indoeuropáische Gestalten und konnten sohin nur durch die comparative Mythologie der Wissenschaft wiedergewonnen werden, nachdem sie schon durch Jahrhunderte, ja Jahrtausende im Volksbewusstsein nur in zerstückel- ten und verzerrten Bildern fortvegetirten. Die Hauptquellen ihrer mythischen Begründung und Systemisirung liegen daher einerseits in den Resultaten der vergleichenden allgemeinen Sprach- und Mythen- wissenschaft — andererseits in den dürftigen Nachrichten der Chro- nikenschreiber des Mittelalters und in den reichtliessenden Reminis- cenzen der Volkssagen, Volkslieder, Sprüche und Sprüchwörter, die an sich betrachtet dem gewöhnlichen Ohre gar oft nur Nichtssagendes oder Widersinniges ‚bieten, durch die Mythenforschung aber, wieder neu belebt, oft die ältesten Volksanschauungen, allerdings häufig in einem sehr abgetragenen Gewande, auftreten lassen. Da der Vor- tragende schon in einem frühern Vortrage über die jungfräuliche Göttin Děva und über den Gott Div und Děd-Vševěd, die sich alle in einem und demselben Götterkreise mit Bába und Děd be- wegen, gesprochen, (siehe: Sitzungsberichte 1860. Juni, S. 113. Juli, S. 7) und auf die bereits in den Actenbänden der Gesellschaft abge- ruckven Abhandlungen sich berufen konnte, so blieb für diesmal die Hauptgestalt der Baba zu zeichnen, offenbar stets mit dem männ- lichen Doppelbilde derselben, mit Ded, insofern sich dieser in mythischen Fragmenten erhalten, weil es eine Thatsache ist, dass die Volkserinnerung treuer an der mütterlichen Bába, als an dem Alt- vater hieng. Es zerfiel jedoch die Betrachtung über diese mütterliche Göttin nach zwei Seiten hin, insofern sie das Volksbewusstsein sowohl auf der Erde wandelnd, als im Himmel herrschend sich vorstellte, und theilweise noch vorstellt. Beiderlei Betrachtungen gieng die sprach- 128 vergleichende Untersuchung über die Wurzeln der beiden Wörter Bäba und Ded voraus. Die echte Wurzel der Reduplication: ba-ba ist der Urbedeutung nach schwer zu bestimmen, da das Wort auch in vielen nicht indoeuropáischen Sprachclassen vorkömmt. Sie scheint jedoch den Begriff des „erwachsenen, hohen,“ in sich zu schliessen und sich gleichfalls im serbischen ba-n, im böhmisch-russischen ba-tja, ba-tjuska, so wie im mährisch-slovenischen ba-ca (ba-tja), der Vor- steher der Berghirten, erhalten zu haben. Damit stimmt überein, dass der Sprachgebrauch der Slaven, namentlich in Böhmen und Mähren, hervorragende Berge, ja auch Felsenspitzen eben so báby zu nennen pflegt, wie die grossen drohenden Gewitterwolken. Auch im Worte Děd erblickte der Vortragende eine Reduplication der Wurzel di, gross, erhaben, die sich im Litauischen di-di-s, di-de-lis, so wie im Slavischen in den mythischen Ausrufungen Di-di-Lado, Do- do-la, Dun-da u. dgl. erhalten zu haben scheint. Die Urbedeutungen von Děd und Bába sind daher identisch mit Akrios und Akria, Altus, alt (vgl. Altvater und Grossvater), woher es auch kommen mag, dass in manchen Sprachelassen Děd weiblichen Geschlechtes ist, z. B. Dede im Litauischen gleich Ahnfrau, Urgrossmutter, in andern hinwiederum Baba einen Vorsteher männlichen Geschlechtes bedeutet, so z. B. im Serbischen, wo es die Bedeutung des Vaters hat, während im Allgemeinen alle slavischen Sprachen die Grossmut- ter bába und den Grossvater Děd nennen. Am Schlusse dieser etymologischen Reflexionen machte der Vor- tragende noch darauf aufmerksam, dass im Slavischen viele Orts- namen, Berge und Dörfer den Namen Ded und Baba führen, wie z. B. Pra-děd oder Děd der Berg Altvater zwischen Mähren und Schlesien — Babia-góra in dem Tatragebirge der Slovakei, dem slavischen Blocksberge oder Brocken — wobei die drei Berggruppen- Namen: Ta-tra, Ma-tra, Fa-tra gewiss nicht bloss sprachliche, sondern auch mythische Urformen in sich schliessen. Bába, als Erdenmutter betrachtet, stellt sich im slavischen Mythus als dieselbe Gestalt dar, wie, ihres poetischen Gewandes ent- kleidet, die griechische D&-meter (G&-meter) und römische Ceres. Aus der sprachvergleichenden Analyse des Wortes země, Erde, er- gibt sich auch für das slavische Wortgebiet das folgenreiche Resul- 129 tat, dass dessen Wurzel auf die Urbedeutung Kuh und Trägerin (Gebärerin) führet: welcher die Wurzel von Bába nicht nur etymo- logisch entgegenkömmt, sondern auch mythisch derselben entspricht, indem noch genugsame Spuren vorhanden sind, dass die mythische Kuh-Gestalt der Baba-Gestalt nicht nur zur Seite steht, sondern in Spruch und Sage mit derselben varirt. So heisst die Milchstrasse, die mythisch enge mit dem Bába-Mythus verknüpft ist, im Altböhmi- schen (Vacerád) geradezu Mléčnice, d.i. Milchgeberin, und im Slo- venischen mavra, mavrica, d. i. Kuh, so wie der Böhme heut zu Tage noch sagt: „die schwarze Kuh trat ihm auf den Fuss,“ wenn Jemanden ein grosses Unglück widerfuhr. Er kannte sohin einst auch eine weisse Kuh, dieselbe Urgestalt, die später im poetisch ver- edelten Mythus, identisch mit der Bába als Bílá-paní, weisse Frau, hervortrat. Der Vortragende unterliess es nicht, mythenver- sleichend auch die bedeutungsvollen Stier- und Kuh-Gestalten der Götter und Göttinen anderer Völker hervorzuheben. Die Verehrung der Erde als Göttin ist durch Vacerád fest- gestellt, indem er geradezu Země, das als Wort nun nur Erde be- deutet, als Dea terra himstellt, also als dieselbe Göttin, der man im lithauischen Mythus als Zeme-pati (Erdenmutter, Erden-Frau), oder als Zemenyle (die liebe Erde) mit dem Epitheton: Javine- Devaite, d. i. Getreide-Göttin, begegnet. Auch diese letzte Eigen- schaft ist für den slavischen Mythus gewährleistet, da derselbe Va- ceräd die Göttin auch Ziva (Siva) nennt, sie einmal geradezu nur: Diva, Dea nennt, was dem Lithauischen Devaite entspricht, das ande- re Mal als Dea frumenti hinstellt, ja das dritte Mal sie ausdrück- lich mit der römischen Ceres parallelisirt. Auch andere Slaven kennen ihre Gestalt, wie sie denn überhaupt eine der hehrsten Göt- tergestalten war, wesshalb auch die Vacerádschen Glossen sie im Miniaturbilde: Siva-Aestas an ihrem ersten Blatte sogar gezeichnet haben. Sie reihet sich ebenmässig an die Tacitus’sche „Herthum“ (Nerthum) „terram matrem,“ slavische Lieder preisen sie, im Kreise mit Děd und Děva, in den Fragmenten ihrer Frühlingslieder unter den christianisirten Namen: St. Peter, St. Margareta und Jungfrau Maria; und eben so kennen sie als Flur-, Feld- und Waldgöttin, bald als Frau, bald als Mädchen, die Sagen aller Slavenstámme, was der Vortragende durch Belegstellen nachzuweisen sich bemühte. Auch Sitzungsberichte 1863. I. 9 130 der Erntesitte erwähnte er, dass man in slavischen Ländern aus- drücklich der Baba zu Ehren etwas Getreide am Felde stehen lässt, wie in deutschen Ländern dem Wuotan, ja dass man die letzte Garbe feierlich als Göttin aufputzt und sie festlich ins Dorf führt, wie es namentlich in Polen noch Sitte ist. Selbst die Mythe von der Ent- führung ihrer Tochter vom Gotte der Unterwelt, die in dem poetisch gestalteten griechisch-römischen Mythus von der Demeter-Ceres so hervortritt, wies er vollständig bei den Litauern und in solchen Frag- menten bei den Slaven nach, die auf die ehemalige volle Mythe mit Sicherheit schliessen lassen. Er deutete jedoch die Entführung als missverstandene Sitte der alten. Vermählungsfeierlichkeiten — wozu er auch die Sage vom Raube der Sabinerinen herbeizog — und die Unterwelt nicht als einen gleich ursprünglich unter oder in der Erde gedachten mythischen Ort, sondern als den verhüllenden dunklen Wolkenhimmel, der gegen den Winter zu alle Frühlings- und Sommer- gottheiten in sich einschliesst, festbannt, um sie im Frůhjahre wieder entlassen zu müssen. Die Sage von einer wirklichen Unter- Welt ist nur ein mythisches realistisches Product späterer Zeiten, in denen man die Bilder einer dunklen Burg („hrady“), eines finstern Waldes — eines tiefen Berges, die ursprünglich alle Bilder der Wolken waren, missverstehend, für, wirkliche Berge und unterirdische Burgen und Wälder nahm. So erklärte er auch die sogenannte Berg- entrückung der Helden eines jeden Volkes: des Svatopluk in Mähren, des hl. Vácslav in Böhmen, der patriotischen Ritter im Berge Blanik, von denen allen sich wenigstens noch der hoffende Glaube, wie von den ehemaligen Lichtgottheiten im Wolkenberge, erhielt, dass sie einst hervortreten und siegreich Gutes verbreiten werden. Der Vortragende erklärte auf eben die Weise die in Böhmen, Mähren und Schlesien fast auf allen grössern Ritterburgen annoch verbreitete Sage von der weissen Frau (Bílá-paní), die in unzähligen Variati- onen verbreitet, im Verlauf der Zeit so sehr zu einer historischen Person sich verdichtete, dass sogar wichtige wirkliche Stiftungen (die ursprünglich nur Cultusformen waren) in ihrem Namen bestehen. ‚Auch sie ist ursprünglich nichts anderes, als die Lichtgöttin in der Wol- kenburg hausend gedacht, die bald weiss, bald grau, bald weiss- schwarz in derselben erscheint, und wie alle Wolkengöttinnen (Sudičky) prophezeiend — wie alle Geburtsgöttinnen (Rodenice, Rojenice) für 131 die Stammkinder sorgend — sie nach Umständen bringend, nach Umständen entrückend — erscheint, in welcher letztern Beziehung sie auch Todesgöttin (Morana) wird. Sie verschwindet im Burgge- mäuer, in dem sich auch grosse Schätze verbergen — und tritt auch daraus hervor, auf die Schätze weisend, ganz wie die Lichtgöttinnen. die in ihrem Wolkenburggemäuer den Frühjahrssegen vor der Win- terzerstörung aufbewahren, um ihn dann im Frühjahre als wiederkeh- rende Flurgöttinnen (Vesny) den Menschen neu zu bieten. Berühmt ist der süsse Brei (sladká kaše), den die weisse Frau austheilt — der eben so durch den befruchtenden Frühlingsregen (der goldne Regen Danaě's), als durch die Gaben der Ceres gedeutet werden kann. nur dass der böhmische Mythus nicht mehr blosses Lebenswasser und Getreideähren, sondern das Ergebniss der Bienenzucht (Honig, med) und der Oeconomie, (Verarbeitung der gemahlenen Getreide- körner zu Brei — dem Vorgänger des Brotes) die Frühlingsgöttin bringen lässt. Insofern ist die Mythe von der weissen Frau als Vesna schon ein Culturmythus, während dieselbe Frühlingsgöttin als Ziva noch „dea frumenti“ ist, und als solche wie gesagt auch im Miniatur- bilde der „Mater verborum“ des Vacerad’s „Siva, Aestas“ wieder erscheint, wo sie in einer jugendlichen, halbentblössten Gestalt ab- gebildet, in der Hand, nach der Deutung der Einen Blumen, nach der Deutung Anderer aber Getreideähren hält. Es ist sohin die weisse Frau die Erdenmutter Baba selbst, nur localisirt erhalten in den Sagen alter Adelsfamilien und Burgen, die von Altersher eben der Hort slavischer Nationalität waren. Wie nun der slavische Adel im Verlaufe der Zeit dem deutschen weichen musste, so kam mit den slavischen Burgen auch die weisse Frau an die deutschen Besitzer derselben. Der Vortragende entwickelt nun, wie in der Mythe und Sage die Göttin Bába, bald segnend und gabenreichend, bald zürnend und zerstörend im Volksglauben annoch das ganze Jahr das Volk besucht — an einzelnen Festen erscheint, auch localisirt in der Form einer weissen Jungfrau so gerne in Brunnen wohnt und daraus hervorsteigt, was speciell hier anzuführen umsoweniger noth thut, als seither das treffliche Sagenbuch aus Böhmen und Mähren der Be- legstellen dazu die Hülle und Fülle liefert. Er berůhrte parallelisi- rend auch Mythenkreise anderer Völker, namentlich der Litauer, 132 nur bedauernd hinzufügend, dass der so reiche Schatz litauischer Mythensammlung und Deutung erst allmälig gehoben zu werden be- ginnt. Ebenso gedachte er bei der Berührung und Verschmelzung slavischer und deutscher Völkergruppen in Böhmen des Factums, dass die Göttin Baba local oft als Perchta auftrete, ja in den Formen Perchta, Paruhta, Berta sogar: mitten in slavischen Sagen und Sprüchwörtern ihren Platz einnehme. Nun überging der Vortragende zu dem ursprünglichen und echten Sitze der Göttermutter Baba, nämlich zu dem Himmel, wo ihr bis heut zu Tage die nordwestliche Gegend unter dem Namen Babi-kout vorbehalten ist, in welcher sie als allgemeine Schick- salsgöttin (Sudenice, Sujenice) mit ihrem männlichen Ebenbilde Děd herrscht. Auch einzelne Sterngruppen des Nordens führen im Slavischen den Namen Baba oder Baby. Er ging alte Liederfragmente, Sprüchwörter, Kinderspiele und Kinderreime durch, um nachzuweisen, in welcher Hülle und Fülle bisher unverständlicher Ausdrücke sich das alte Andenken an die Himmelsgöttin erhalten habe — und wie alle Sagen, die sie späterhin auf Erden localisirten, ursprünglich am Himmel gemeint seien. Da er einen nicht speciell slavischen, sondern indoeuropäischen Mythus vor sich hatte. so brachte er auch den He- rodot-Plinius’schen Ausdruck für den hyperboräischen Norden, nám- lich Pterophoros, Federträger, d. i. Schnee-bringer, in Verbindung mit dem slavischen Babi-kout. der heut zu Tage noch dem Volke für den Wetterwinkel gilt. Noch heut zu Tage sagt man zu böhni- schen Kindern, wenn es schneit, dass die Baba, oder die Engelein (ursprünglich: Kinderseelen, die bei Bába in der Hut waren). ihre Federbetten machen, eben so, wie der Mädchen- oder Weibersommer (Babí-léto) dem Worte wie der Sache nach bis auf den gegen- wärtigen Tag in Beziehung zu dieser Göttin gebracht wird. Dieser mythischen Erscheinung des Babíléto wurde eine eingehende Be- trachtung gewidmet. Wie der slavische Himmel in doppelter Form im Heidenthume vorkam, nämlich als der lichte, blaue Himmelsraum Räj und als die verhüllende Nebel- oder Wolkenhülle Nebe; so präsentirt sich dem entsprechend auch die Bába, entweder als Zlatá Bába oder als Ježi-Bába im böhmisch-slavischen Mythus. Diese Zweitheilung, welche die Baba in eine Sommer- oder Winter-Göttin 133 scheinbar spaltet, wiederholt sich auch fůr den Sommer, insofern die Bába als Zlatá-Bába (Gold-Grossmütterchen) die reine und lichte Himmelsluft symbolisirt — als Ježi-Bába aber Gewitterwolken sammelt, um dann verjüngt als lichte Jungfrau (Deva) mit dem Schönheitsgür- tel (dem Regenbogen, duha) zu prangen. Der Vortragende brachte auch da den litauischen Mythus der Laima in Berührung mit der slavischen Baba, und wies die litauischen Laumes-Gestalten nur als Herabdrückungen der Laima-Bilder nach, wie solche auch der slavische Mythus kennt, der neben den hehrsten Bildungen der Him- melsgöttin Baba auch verzerrte Bildungen derselben in der Form verwildeter Weiber (divé ženy) und der zauberhaften Poludy kennt, die schon gespensterartig sind. So sah das böhmische Volk, nach Hájek, wenn sich die Pest verbreitete, stets nur die Poludy, wáhrend die Heiden von der Bába-Morana bei ähnlichen Gelegenheiten ge- sprochen haben werden, wie es andere Slavenstämme (Polen, Russen, Serben) noch thun, welche theilweise die Pestjunefrau, d. i. die To- desgöttin, annoch als Gevatterin ansprechen, wie solches auch bohmisch-máhrische Sagen mit der Morana thun. Um die einzelnen Gestaltungen aller dieser Arten der Baba im Volksbewusstsein nachzuweisen, gieng der Vortragende abermals die entsprechenden Kinderspiele, Kinderreime, Sprüchwörter und Volks- lieder durch, wie sie in den reichen Sammlungen Safarik’s, Kol- lar's, Celakovsky’s aus älteren Tagen, so wie in den Sammlungen Erben’s, Susil’s und Fejfalik’s der jüngsten Zeit in überraschen- der Fülle vorhanden: sind, und bald Gestalten der Urmythologie, bald Gestaltungen der sich schon poetisch verschönernden Sagendichtung enthalten und ohne erklärenden mythologischen Sinn als inhaltsloses Geplauder von Mund zu Mund übergehen. Sie be- rühren die Bába, von der Thiergestalt, namentlich der Kuhgestalt angefangen, bis zu der veredelten Gestalt, wo sogar Jungfrau Maria ihre Rolle übernimmt, welche letztere — dem Dualismus der Zlata-Baba und Jezi-Baba entsprechend — auch der slavische Glaube als weisse und schwarze Jungfrau Maria sehr wohl kennt, wie denn auch Römer und Griechen ihre Göttin Ceres und Demeter in ähnlichen Formen und Wandlungen, wie die der Baba sind, kannten. Obwohl der Vortragende: hiebei den böhmisch-mährisch-slovakischen Sagenkreis insbesondere und vorzugsweise im Sinne hatte, so unter-: 134 liess er es dennoch nicht, auch Sagenmomente der anderen slavischen Nationen in den Kreis der Besprechung hineinzuziehen, um nachzu- weisen, dass diese Mythenkreise ein allgemein slavisches Product und Eigenthum seien und dass es das Geschäft einer künftigen Mythologie sein werde, nach Feststellung des allgemeinen mythischen Bildes auch die besondern Formen desselben, wie sie Zeit- und Ortsverschieden-- heiten bei einzelnen Slavenstämmen gestalteten, zu entwerfen. Was sodann speciell die Gestalt der Jezi-Bäba betraf, be- rührte der Vortragende, nach kurzem etymologisirenden Exeurse über deren Namen, der auch in den Formen Jedži-Bába, Jahoda- Baba — Jaga-Baba u. dgl. m. vorkömmt, ihren innigen Zusam- menhang mit dem slavischen Himmels-Wolken-Baume und betrachtete sie sodann vor Allem als zůrnende Sommergewittergottheit. Als solche lässt sie sich namentlich in einer vierfachen Gestalt unterscheiden, 1. als stürmende Luftgöttin, in Böhmen vorzüg- lich als Meluzina bekannt, der man annoch Salz und Mehl vor die Fenster streut. Hier ergab sich die Gelegenheit, der Formen zu ge- denken, wie die Sage vom wüthenden Heere sich im slavischen Mythus abspiegele, und namentlich in den slavisch-eigenthümlichen Vlkodlak- oder Wärwolfsagen erscheine, in denen der Vlkodlak noch nicht zum gespensterhaften Mahr oder gar Vampyr herabgedrückt. sondern als himmlischer Sturmgott — sehr analog mit dem zürnenden deutschen Wuotan, auftritt, sohin zu dem slavischen Vit-Mythus ge- hört. In Beziehung auf die Gestalt der Bába besprach bei dieser Gelegenheit der Vortragende auch die Luftfahrten der Baby-čaroděj“ nice auf ihre Babi-hory oder Blocksberge, wobei er abermals darauf aufmerksam machte, dass auch diese Berge nur mythische Herab- drückungen der ursprünglichen Wolkenberge sind, auf oder in denen die Sturmgöttinen wirbelnd tanzen. 2. Als Góttin des leuchtenden Blitzes, sodann herabge- drückt als Göttin des häuslichen Feuers, Herdes, Ofens. © Die heid- nischen Böhmen sahen den Blitz in den verschiedenartigsten Gestalten erscheinen und der Vortragende wies nach, wie selbst noch im 16. Jahrhunderte selbst relativ gebildete Männer, als z. B. der Pfarrer Steleär es war, an derlei Erscheinungen glaubten. Steleär regi- strirt sogar in seinem Werke: „Mohou-li čarodějníci a čarodějnice. sami od sebe povětří, krupobití, bouře a hromobiti vzbuditi“ (1588), 135 chronologisch alle die Formen, in denen der Blitz nach Menschener- innerung in Böhmen bis zu seinen Tagen erschien. Es ist wohl si- chergestellt, dass die Heiden sich eine ganz eigene Augenphysik in ihren Mythen gebildet hatten, das ist, dass sie die einzelnen Er- scheinungen der Wolkenformen und die einzelnen Blitzerscheinungen auch durch besondere Thiergestalten symbolisirten — die uns nun grósstentheils als Willkürlichkeiten der Auffassung erscheinen, was sie gewiss ursprünglich nicht waren. Eigenthümlich ist den Slaven die Erscheinung des Blitzes in der Form des Fuchses, der böhmisch in weiblicher Form: Liška, aufgefasst, in Volksliedern und Sagen ganz die Baba vertritt. Auch der eigenthümliche Blitzgeruch (das Ozon) ist im slavischen Mythus vertreten, und die sonst so hehre Baba scheut sich durchaus nicht, selbst in der Gestalt der hl. Lueia, ungehorsamen Spinnerinnen das Gesicht und den Spinnrocken höchst unanständig zu besudeln. 3. Als Göttin des rasselnden Donners. Slavische Sagen und Volkslieder kennen in dieser Beziehung sehr wohl die Baba als himmlische Müllerin und Schmiedin, so wie die russischen Sagen insbesondere derselben ‚erwähnen, wie sie in einem Mörser (wohl einer alten Form der Handmühle) zürnend und tosend durch die Lüfte fahre. Auch als Köchin mit dem kochend aufbrausenden Breie ist sie in böhmischen Liedern bekannt, die sich insofern an die den Methbrei kochende weisse Frau anlehnt, welche nebstdem nie ohne den klirrenden Schlüsselbund, das Symbol der die Donnerwolke durchtosenden Blitze, erscheint. Der Vortragende wies bei derselben Gelegenheit auch nach, wie alle Kinderreime ‚beim Frühlingsgebrauche des Pfeifenklopfens entweder symbolisch auf den dem Gewitter vorangehenden pfeifenden Sturm, oder auf das Donnergesause sich beziehen, und wie denn auch die Sage vom Pfeifer, der durch angezůndetes Feuer (Blitz) und Ertönenlassen seiner Pfeife alle Mäuse und Schwaben hervorlockt, ursprünglich auf den donnernden Gott sich beziehe, da nun, nach dem eingehenden Werke Dr. Grohmann’s über den Máusecultus im indoeuropäischen Mythus, die Bedeutung der Mäuse als Blitzsymbole feststeht. Die böhmische , den Urmythus umformende Tendenz-Poe- sie verwandelte die Mäuse in „deutsche Mäuse“ (německé myši, krysy) und sieht in dem himmlischen Pfeifer den nationalen Helden, 136 der das Land Böhmen durchziehend es reinigt, so wie es immer noch auf die bergentrůckten Helden wartet, bis diese rettend aus ihren Donnerwolkenbergen tosend hervorbrechen werden. Wie die litauiche Bába, unter dem Namen der Laima, schreiend d. i. donnernd úber die Gefilde hinzieht, schreit im russischen Igorliede ihr Gemal, der Div oder Děd, vom Donnerwolkenbaume herab. Böhmische Sagen kennen auch weisse Frauen (Blitzgöttinnen), die in wasserversun- kenen Burgen, deren Glocken fernehin tönen (donnern), hausen und sich nach Erlösung sehnen. Auch der Umstand, dass in den Mythen fast sämmtlicher Völker die Donner- und Blitzgottheiten hinken oder sonst einen Fehler am Fusse haben, erscheint im slavischen Mythus bei der Jezi-Baba wieder, indem diese im russischen Mythus einen Kunochenfuss hat, im böhmisch-mährischen Volksliede aber als die Hinkende (Šmatlavá) vom Teufel (Ded) im schwarzen Walde (Donnerwolke) verfolgt wird. Böhmische Kinderlieder verlachen in vielfachen Variationen stets die „herabgefallene Baba,“ die sich beim Falle entweder die Brüste zerschlägt oder eine Mulde u. dgl. umwirft, was auf den herabströmenden Regen bei Donnerschlägen zu beziehen ist. Auch ist hieher der böhmische Spruch: „Čím dále, tím hůř, pravila Bába, když padala,“ zu beziehen, worin die Bába insofern sogleich als die alte Góttin sich erweiset, als das Volk ge- genwärtig noch sagt, diese Baba sei die hl. Anna und der Fromme solle diesen Spruch daher nicht einmal aussprechen, eben weil die heil. Anna die Fallende gewesen sei. Ja der böhmische Chroniken- schreiber Beckovsky wendet dasselbe sogar auf die Anna (Anežka), die Gattin Otakar’s II. an, indem er sie vom Teufel die Stiege her- abwerfen und (wie die weisse Frau) erscheinen und verschwinden lässt, ganz ähnlich die Sage missverstehend und historisch personi- ficirend, wie bei Hájek die Mäuse aus verdorbener Luft herabfallen, was ursprünglich auf Blitze und die riechende Donnerluft sich bezieht. 4. Als Göttin des Donnerkeils (peroun) oder Donnerschla- ges (hromo-biti) erscheint die Baba als Hüterin der goldenen Aepfel — als Mithelferin beim Ausziehen der goldenen Federn, Haare, Zähne aus dem Leibe des Gewitter-Drachen oder Donnerriesen. Aus Frag- menten von Kinderliedern ergibt sich noch deutlich, dass die Baba selbst den westlichen Slaven in der Gestalt einer goldenen Sau vorschwebte, die im Gewitter vom Blitzgotte gejagt wurde, um ihr 137 soldene Borsten auszuziehen, was im germanischen Mythus der Gul- linbursti vertritt. Auch beim Ausziehen der Zähne ist die Baba und ihre Stellvertreterin, die Füchsin (Liška) thätig. Den ersten aus- sezogenen Zahn pflegen böhmische Kinder, mit dem Rücken gegen den Ofen oder den Herd gerichtet, über den Kopf dahin zu werfen mit den Worten: „Da gebe ich dir, Füchsin, den beinernen, gib mir dafür den eisernen.“ Fromme Böhmen stecken noch heut zu Tage ihre ausgefallenen Zähne in die Ritzen alter Krucifixe, die an Kreuzwegen stehen, um des Nachwuchses und der Schmerzlosigkeit für die Hin- kunft versichert zu sein. Es scheint ursprünglich das Einstecken solcher Zähne in die Heiligthümer ganz dieselbe Tendenz gehabt zu haben, als das Zurückwerfen des Erstlingszahnes rücklings gegen den Ofen, nämlich die Tendenz des Zurückgelangenlassens (derselben an die Baba, an die blitzende und donnernde Gewitterwolke, bei deren fallenden Donnerkeilen man sich auch das Werden nicht bloss der Geburten einzelner Kinderseelen, sondern, wie u. a. die griechischen Drachenzähne beweisen, sogar ganzer Völker vorgestellt zu haben seheint. Auch bei den Slaven ist Baba, und zwar vorzugsweise, Ge- burtsgöttin und die Kinder stehen unter ihrem Schutze, denen sie im Winter gegen das Frühjahr zu, auch in der Gestalt der Blitzgöttin Liska, geheimnissvoll in der Nacht Bretzeln an die Gartenbäume hängt. Mit diesen Gewittergeburten und dem Kinderschutze der Baba wird im mythischen Zusammenhange auch der litauische Name der Don- nerkeile: nämlich Brüste der Lauma stehen, der auch im böhmischen Liede nachklingt, dass die fallende Bába sich die Brüste (cecky) zerschlägt und dann mit Kernen herumwirft (pecky). Auch das blinde Kuh- oder „Mäuschen-Spiel,* das im Böhmischen und Mähri- schen geradezu den Namen: Blinde Baba führt, hat auf den Kin- dersegen Bezug. Es heisst bei den Litauern: gužineti, d. i. auf die Göttin Gu že spielen, die Todtengöttin, sohin auch Geburtsgöttin war, wie die slavischen Kmotřičky. Die Slovaken nennen es Cic- Baba (vergl. böhm. cec-ky, Zitzen, Brüste) oder Kolem baba, die Polen Cinciu-Babka. Die Jezi-Baba erscheint aber endlich im slav. Mythus auch als die winterliche Göttin, die im verhüllten Wolkenhimmel wohnt, dort nicht nur das Menschengeschick spinnt, sondern auch alle die - Güter, welche die lichte und warme Sonnenwelt brachte und neuer- Sitzungsberichte 1862. 1. 10 138 dings wiederbringen soll, sorgsam aufbewahrt. Die slavischen Sagen schildern auch sie nach einer doppelten Richtung. Insofern sie näm- lich vom Sommer gegen den Winter hin zueilt, wird sie als Todes- söttin oder Morana, Morena aufgefasst, die, wahrscheinlich der mit Schnee überdeckten Wintergefilde halber, wiederum als weisse Frau (bílá-paní) zu erscheinen pflegt, wie sie als solche oft auch in der Form der Pestjungfrau vorkómmt. Vom Zeitpunete der Weih- nachten, oder präciser gesprochen, vom Zeitpunkte des h. Abend, der slovakisch geradezu der Abend der Baba heisst, angefangen, erscheint sie schon wohlthuend. Sie lässt am hl. Abend in den Him- mel (ráj) selbst blicken, zeigt sich auch als goldenes Ferkel, besucht als Mütterchen (Matička) die Menschen, bis endlich am Sonntag Lae- tare in den slavischen Westländern das grosse Fest ihrer Wiederver- jüngung in dem Gebrauche des sogenannten Todaustragens gefeiert wurde. In der Gestalt einer alten Frau (Baba) trug man sie hinaus in die Flur, und brachte sie, in die Frühlingsgöttin Vesna verwandelt, zurück, damit sie wiederum Ziva, aestas und Dea fru- menti würde. Die ausführliche, in böhmischer Sprache geschriebene Abhand- lung über die Göttin Baba, wird, vermehrt mit dem dazugehörenden Mythus vom Děd, im XIII. Actenbande der königl. böhm, Gesellschaft der Wissenschaften erscheinen. Historische Section am 22. Juni 1863. Anwesend die Herren Mitglieder: Wocel, Tomek, Erben, Wei- tenweber,-Zap, Wrtätko, Gindely, Winařický und Frühauf. Hr. Gindely sprach über ein verloren gegangenes, vom Herrn Jeník von Waldstein verfasstes bohmisches Buch: Geschichte der Jahre 1606—1612. Jest vůbec známá věc, že mnohé spisy nad míru důležité pro historii českou za príčinou nepříznivých poměrů předešlých století ouplně zničeny jsou. Nespůsobí to tedy žádného podivení, jestli se ten neb jiný spis ze jména od spisovatelů 16. neb 17. věku uvádí, a všecko bádání po něm marným zůstává. Nic však méně pozoru hodno jest, že k ztraceným spisům též dílo historické připočteno býti musí, které časem svým vůbec známé a od pana Jeníka z Wald- 1 C N . ; N | [ 159 štejna složeno bylo. Mezi oudy slavné rodiny Waldštejnské nacházeli se na počátku 17. věku někteří, kteří se strany císařské drželi, jako nejvyšší hofmistr Adam z Waldštejna a později proslulý vejvoda Fried- landský ; jiní, jako Jeník z Waldštejna pán na Doubravici náleželi k straně opposiční tak zvané stavovské. O Jeníkovi z Waldštejna praví se v současných spisech, mezi jiným v Kronice Kutnohorské, která se v rukopisu chová v Museu českém, že byl muž učený a ducha- plný ; a s tímto udáním srovnává se ovšem okolnost ta, že podniknul sepsání historie své doby. Tento spis, který obsahoval asi histori od 1. 1606—1612, jest ten, nad jehož ztrátou tak Zelime. Podlei zpráv, které se o tom spisu zachovaly, počítal rukopis původní ne méně než 885 listů in folio, celý spis byl na deset kněh rozvržen. Z těchto 10 kněh byla první kniha ouplně, druhá pak méně, toliko sedm listů, na počátku I. 1615 vytištěna a nalezly rychlého rozšíření po městech českých. Jak mile tisk tak daleko, jak zde udano jest, pokročil, došla císaře Matiáše zpráva o obsahu jak ti- štěného tak posud jen v rukopisu chovaného spisu. Jelikož obsah urážlivý se býti zdál, obeslal císař Jeníka z Waldštejna k ospravedl- nění se před soud komorní. V obeslacím listu uvádí se sedm mist zevrubně, v nichžto prý Waldštejn osoby císaře Rudolfa II., Matiáše a některých ouředníkův zemských urážlivě se dotknul. Waldstejn byl později (1. 1617) za vinného uznán a pokutou peněžitou potre- stán. Nechceme o tom pochybovati, že spis Waldštejnův jako od člena opposice pocházející ve mnohých částkách jednostranností trpěl. jisté jest, že musel býti neocenitelným pokladem pro historii českou od 1. 1606—1612, neb vypravování obsahující 886 listů in folio mu- selo zasahovati podrobně do všech událostí. © tom spisu tedy, 0 kterém v zmíněném obeslacím listu se praví, že ne jen „mezi lid do měst Pražských, ale i do jiných měst království českého v ruce uveden byl“ nezachovalo se nie jiného než skromná památka. Zajisté by každý velikou zásluhu o historii českou sobě získal, kdokoliv by část nebo celý spis někde v archivu neb v bibliotece nějaké našel. Hr. Frühauf las aus seiner grössern böhmischen Abhandlung (s S. 37) den Abschnitt über die Handels- verhältnisse im byzantinischen Reiche. 140 Das Getreidemonopol war bis zu den Zeiten der Komnenen niemals vollständig durchgeführt, aber viele Herrscher machten dahin gerichtete, stets vergebliche Versuche. Die Preise des Getreides wechselten damals mehr als zu unserer Zeit; im Durchschnitt ver- kaufte man 10 bis 12 modii Weizen um ein nomisma (d. i. 6 fl. 0. W.). Ein Modius enthielt 40 römische Pfund reinen Weizens, was 23.281 österr. Pfund macht. Die Münzen waren von Gold, Silber und Kupfer. Schon damals verhielt sich das Silber zum Gold, wie 14:1, Die Handelsleute in Constantinopel hatten ihre eigene Verfassung; sie bildeten Genossenschaften und Zünfte, unter denen manche mit bedeutenden Privilegien ausgestattet waren. In Juni 1863 einselanfene Druckschriften. Crelle's Journal für die reine und angewandte Mathematik 3erlin 1563 LAI. Band, 2. Heft. A. Safarik’s Chemische Mittheilungen (Sep.-Abdruck). International Exhibition 1862 Oftieial Catalogue. © London. Amtlicher Bericht über die 37. Versammlung der Naturforscher und Aerzte in Carlsbad 1562. Přednešení jednatelovo ve valnem shromáždení Musea českého. V Praze 1863. Gr. v.Stillfried’s Stammtafel des Preussischen Kónieshauses, Berlin 1862. Ders. die Münsterkirche zu Heilsbronn. F. Moigno: Les mondes. Revue hebdomadaire ete. I. Année Tom. I. 10—16 livrais. Paris 1863. (Von Hrn. Redacteur.) Jos. Dastich. Základové praktické filosofie atd, V Praze 1863. Mittheilungen der k. k, máhr.-schl. Ackerbaugesellschaft in Brünn. Jahrgang 1863. Lotos. Zeitschrift für Naturwissenschaften, redigirt von W. R. Weitenweber. Prag 1863. Mai. VV Sitzungsberichte der königl. böhmischen > GRSELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN in Frag. Jahrgangs 1363. Juli — December. RI PRAG, 1864. ra Un: ER: x KR kB P Sitzungsberichte der königl. böhmischen (sesellschaft der Wissenschaften im: Prag. Jahrsans 1363. Juli — December. une a NADEL) ne PRAG. Druck von E. Gregr in Prag. — Verlag der k. böhm. Ges. der Wissenschaften. 1864. ee oh side 4 nod bznoee 2 58 Philologische Section am 6. Juli 1863. Anwesend die Herren Mitglieder: Erben, Weitenweber, Hanus, Hattala, v. Suchecki, Wrtatko und Dastich; als Gast Herr Anton Kostecki. Herr Wrťátko besprach eine altböhmische Uiber- setzung des antiken Romans: Apollo von Tyrus, auf Grundlage einiger älteren Handschriften, welche sich in der Prager Museumsbibliothek aufbewahrt befinden (die ganze Abhandlung wird im „Časopis kr. česk. Musea“ erscheinen). Hierauf besprach (in einem freien böhmischen Vortrage) Herr Hanuš die Ausgabe des „díl opozděný“ der „Starobyla sklada- nie“, welche der um die böhmische Literatur hochverdiente Vácslav Hanka im Jahre 1823 in Prag (bei Josefa Fetterle von Wildenbrunn) besorste. Es existiren nämlich in der böhmischen Literaturgeschichte von diesem fünften oder „verspäteten Theile“ zweierlei Ausgaben. Die eine ist echt, die andere an vielen Partien mit Cartonen versehen, die sich auch schon áusserlich durch blaueres Papier von den echten unterscheiden. Herr Hanuš zeigte beide Ausgaben den Versammelten vor und las auch den echten Text vor, während dem die Versammlung damit den spätern geänderten Text verglich. Da nun die Ausgabe mit gefälschtem Texte es eben ist, die gewöhnlich im Buchhandel sich befindet, so lohnt es wohl den echten Text kennen zu lernen. Die Aenderung traf mehrere Partien der Sammlung und zwar zuvörderst: I. Das Gedicht: Mäjovy sen (Maitraum), welches Hynek von Podiebrad, dem jüngern Sohne König Georg’s, zugeschrieben wird N : Sitzungsberichte 1863. II, 2 (vergleiche Jungmann’s Literaturgeschichte 1847. S. 63. Nro 61.). Die Fälschung traf da vor Allem die Seite 114.,wo es vom Verse 1—9 wie folgt lauten soll: Pro- sim tvé milosti, rač se svléci a lehnüti ke mnie sem; pustím tie pryč přede dnem, a ještě dobře před svitáním, žeť já ty všecky přeraním, ktožby tvé poviesti strážce byli, žeť nie neustřehu, byť se zapadali; a že budem zatiem kratochvíl míti, jakž jedno sami budem chtíti.“ — Sodann vom Verse 11—13. „a naobjímáme se do sytosti a budem veselí spolu ploditi, i všecko, což sluší k milosti pösobiti.“ Vers 16., 17. „a protož svleč se, a lehni, mé utiešenie! chceš-li at neumru ohnie milého milovanie.“ Seite 117. Vers 20—23. „lehni, ma najmilejší panie! a lehni, me najmilejší srdečko! lehni, má přepiekná ženčičko! a-n! lehni, má najkrašší róže.“ — Fermer: Vers 25. „svleč se a lehni, má holubičko!“ Seite 118. Vers 1. „a polež mnoho neb maličko.“ Vers 10. „do tohoto lože svého.“ Seite 119. Vers 2—4. „že ji hned nahu uhledach, takž jakž ji matie urodila, co jest tepruv piekna byla.“ — Vers 19. „a nemoha dočekati, aby lehla ke mnie. — Vers 23. „a když již lehnüti miela.“ Seite 120. Vers 6. „požehnavší sie 1 vkročí do lože mého.“ — Vers 13—20. „a já vždy kdes pieknie mluvím, a proto vždy svého hledím, zda bych jí mohl kolena rozložiti, a mezi nie se rychle vlo- žiti, že mi přijde na to slovo, jakož praví, chceš-li mému, má milá, zdraví, ať neshořím jako v ohni, tehdy v stranu svů nohů pohni.“ II. Auch das Fragment des Osterspieles, das in der böhmischen Literaturgeschichte unter dem Namen des „Mastičkář“ bekannt ist, ist an manchen Stellen in der Ausgabe der Skladanie geändert und zwar: Seite 207. die Vs. 10., 11., der Vers 13.; sowie S. 208. der Vs. 12. Den echten Text hier anzugeben ist unnöthig, da die Heraus- geber des „Výbor ze staročeské literatury“ den echten Text abdruckten. Das Gedicht „Májový sen“ erschien jedoch nicht im „Výbor.“ Auch die Seite 237 und 238 (die Paginirung fehlt jedoch an letzter Stelle) ist kartonirt. Im Originale befindet sich allda das Lied an den heil. Wenzel: „Svatý Vácslave! vévodo české zemie“, das 3 mit der alten Melodie, Anmerkungen und einigen Varianten versehen, bis über die Mitte der 239. Seite reichte, worauf dann das Lied des heiligen Adalbert (Vojtěch) folgte. Das Wenzelslied ist nun in der verstümmelten Ausgabe ganz ausgelassen und es nimmt die (nicht sig- nirte) 238. Seite das Adalbertslied ein, worauf dann Seite 241. das Gedicht: „Král Jan Lucemburský“ folet, so dass also, wie man sieht, im verstümmelten Exemplare die Seiten 239 und 240 gar nicht vorkommen, obschon dann (nach Seite 238) noch die Seiten 241—252 nachfolgen, was gewiss eine bibliographische Rarität ist. Seite 243 ist wiederum das Gedicht: „Wilém z Waldeka“. das im echten Exemplare bis zu Ende des eigentlichen Textes, d. 1. bis zur Seite 246 inelusive reicht, ganz ausgelassen, wofür die ver- stümmelte Ausgabe mitten der Seite 243 und anfangs 244 eine Ergänzung (Doplněk) fehlender Verse gibt und zwar zur Seite 176 und 177 je 5 Verszeilen. Nach S. 244 folgt sodann in der verstůmmel- ten Ausgabe dieS. 247.-—252 enthaltend: vysvětlení zatmělejších slov. An die Thatsache dieser so bedeutend geänderten Ausgabe knüpfte der Vortragende folgende Bemerkungen: a) Es liegt offenbar eine absichtliche Aenderung altböh- mischer Handschriften vor. So steht z. B. statt des echten oben mitgetheilten Textes Seite 114 Vers 1—9 folgender unechter in der verstümmelten Ausgabe: „I nemuož jazyk moj to vyřieci i při- stupiž, prosím, milá! sem, oblažiž mne sličným pohledem laskavým a přivitáním i milostným objimáním, i nelají moudří na milosti, buď spojena to jedno s nevinností. Budemy tu čistou rozkoš míti, v oba- polné lásce blaze žíti.“ b) Der Grund der doppelten Ausgabe, und in Folge derselben auch der Aenderung, sind ganz gewiss in erster Reihe damalige Censurverhältnisse. Die Censur mag nämlich anfangs unter so vielen altböhmischen Gedichten ganz unverfánelicher Natur die berührten Gedichte übersehen, die Herausgabe des Buches erlaubt, sodann aber, etwa durch manche zartfühlende Personen des literarischen Publicums selbst aufmerksam gemacht, die noch vorhandenen Exemplare mit Be- schlag belegt haben. Die Beanständigung durch die Censur hatte pí 3. 4 aber einen zweifachen Grund. Das Gedicht: der Maitraum und das Drama: der Salbenkrämer sind nämlich, jenes sinnlich üppig, dieses äusserst obscön gehalten. Das Lied an den heiligen Wenzel galt in Böhmen als Bitte, dem betrübten Lande dadurch aufzuhelfen, dass die Deutschen daraus vertrieben würden und wurde auch als solche in den Kirchen gesungen (vergleiche die latein-bökmischen Osterspiele. Prag 1863. S. 9.), wie es noch der Vater und die Mutter des Vortragenden nach dem Segen in der Teynkirche zu Prag, wenn das grössere Publicum sich schon entfernt hatte, von den Uibrigge- bliebenen vernommen haben. Das Gedicht: Wilém z Waldeka ist aber ein Epitaph, das den Verlust dieses energischen Feindes der Deutschen bitter betrauert. Die Censur handhabte also nach den damaligen politischen Verhältnissen ganz berechtigt ihr Amt. c) Es wäre nun an dem Herausgeber gewesen, das Werk ent- weder gar nicht — oder mit Censurlůcken versehen, erscheinen zu lassen, nicht aber zu Aenderungen zu greifen, die besonders im gegenwärtigen Falle nicht lobenswerth waren, da man zur Hebung der böhmischen Literatur wahre Urkunden aus dem 12—15. Jahrhundert dem literarischen Publicum in die Hand zu geben hatte. Zu der so ungeschickten Herausgabe mag jedoch der Verleger gedrängt haben, der seine Unkosten für Honorar und Druck wenigstens eingebracht wissen wollte. Dass bei der veränderten Ausgabe keine böse Absicht vorlag, zeigt die gebliebene Vorrede, weil darin ganz naiv vom Liede an den heiligen Wenzel und von dem Dalemil-Fragmente: Wilhelm von Waldek, so gesprochen wird, als ob sie im Buche geblieben wären. Wer der eigentliche Aenderer der Gedichte gewesen, ist wohl nicht mehr zu eruiren; Hanka selbst soll es nicht gewesen sein. d) Die Fälschung selbst ist ein Muster poetischen und grammatischen Ungeschickes. Die verworren in einander gefloch- tenen Gedanken bewegen sich rathlos in ungelenken sprachlichen Formen; echten altböhmischen schwierigen Beugungen und Construc- tionen geht sie scheu aus dem Wege, indem sie auf der gemeinen Heerstrasse in Bänkelsängerweise ihr verselahmes Pensum ableiert. Was kann z. B. fader sein, als Seite 120. Vers 14—20: „S milenkou se drahou tieším, vroucnie ji ku srdci vinu, v rozkoši oblažen plynu, 5 v objímání, v celování, v rozmluvách a v laskování zdá se mi tu že trváme, na nic vůkol pozor nemáme“ — worin man nicht einer alt- böhmischen Form, sondern ganz modernen Weitschweifigkeiten begegnet- e) Dieser Umstand wirft aber wieder auf die Echtheit der Königinhofer Handschrift ein neues Schlaglicht, die in archäo- logischer und poetischer Hinsicht wie ein Chimborasso den kleinlichen geänderten Gedichte-Haufen überragt. Vor dem Jahre 1817, wo man die Kóniginhofer-Handschrift auffand, ist gar keine Spur von Fäl- schungen vorhanden — nach der Hand wurden aber einige Pygmäen zeugungslustig, doch siehe da! sie gaben sich selbst das Zeugniss der Impotenz. Wäre die grosse Gedicht- und Liedersammlung der Kóni“ sinhofer-Handschrift gefälscht, dann wären ihr noch grössere Gedicht- fabrikate gefolgt; so aber folgten ihr nur elende kleine Flickwerke! — Philosophische Section am 13. Juli 1863. Gegenwártie die Herren Mitglieder: Weitenweber, Hattala, Hanuš, Winařický, Wrtätko, Storch und Dastich. Herr Hanuš wählte sich zum Gegenstande seines Vortrages (in böhmischer Sprache) diejenigen Werke Abbé Jos. Dobrovskýs, die nicht in das Gebiet der Linguistik und der Literaturgeschichte fallen, um sie in einer kri- tischen Analyse durchzugehen. Er begründete gleich anfangs die Wahl dieses Gegenstandes durch den Umstand, dass am 17. künftigen Monates der Gedächt- nisstag der Geburt Dobrovsky's eintrete — die königl. böh- mische Gesellschaft der Wissenschaften zu Prag aber diesem Denker und Forscher ganz besonders verpflichtet sei, wie aus dem Vortrage selbst erhellen werde. Da nun der 17. August in die Ferien der Gesellschaft falle, so wollte der Vortragende vor den Ferien noch, in der letzten Sitzung der Seetion den 110. Geburtstag des unsterblichen Dobrovsky durch eine kritische Uibersicht jener Werke feiern, welche weniger bekannt, durch ihren wissenschaftlichen Werth es in hohem Masse verdienen, neu gesichtet in Erinnerung gebracht zu werden. Er fasste Dobrovsky zuerst als gelehrten Theologen auf, 6 den nicht so sehr das eläubig anzunehmende Dogma und die demut- voll auszuübende Liturgie, als vielmehr die palaeographische und phi- losophische Kritik der Religionsquellen interessirt hatte. Noch als Kleriker gab er z. B. die Abhandlung: „Pragische Fragmente hebräischer Handschriften“ im die orientalische und exegetische Bibliothek von Michaelis (im Jahre 1777 — Signatur der Prager kais. Bibliothek: 3. J. 15. 12. Band). Es sind darin einige Stellen des alten Testamentes im Urtexte angeführt, die anders lauten, als der Text der Vulgata. Ein Jahr darauf trat er aber bereits mit emem Haupt- werke hervor, das noch in den neuesten Zeiten nachwirkt. Es hatte nämlich im Jahre 1354 oder 1355 Kaiser Karl IV. von dem Patri- archen in Aquileja 16 grosse Quartpergamenblätter erhalten, die das Evangelium Marci enthaltend von der Hand des heiligen Markus selbst in Aquileja geschrieben sein sollten. Diese schenkte Karl IV. dem Prager Domkapitel als Autograph des heiligen Markus. Dobrovsky trat nun im Jahre 1778 in einem äusserst gelehrten Werke gegen die Meinung auf, dass die Prager Fragmente überhaupt ein Autograph aus der Zeit des heiligen Markus sein könnten; gestand jedoch, wie er denn auch musste, gerne ein, dass sie sonst in der That äusserst alt und ehrwürdig seien. Das Werk führt den Titel: Fragmentum P’ragense Evangelit St. Marci, vulgo autographi.“ (Signatur 46. B. 2.) Im Jahre 1780 erschien in Prag handschriftlich ein gegen Do- brovsky’s Ansicht gerichtetes Werk des italienischen Priesters An- tonio Comoretti, das als Widerlegung gelten sollte. Dobrovský gab aber diese Gegenschrift selbst in den Druck (Signatur: 46. B. 2. Nr. 1.) und sendete sie mit seinen Bemerkungen versehen in aller Stille nach Italien an den Schriftsteller zurück. In neuester Zeit hatte sich der Staatsanwalt Hr. Rokos das Verdienst erworben, einige Blätter dieses Mareuscodex zu photographiren. Das eine Blatt enthält die Hand- schrift Karl IV., in dem er das Manuscript für em AutographonMarci er- klärt, dann die bestättigenden Unterschriften: Marquardi, episcopi Augustensis — Egidii, episcopi Vincentinensis et comitis — Johannis epis- copi „Luthomuschlensis“, die alle gleichzeitig sind. Von neuerem Datum ist aber folgende Inschrift: Josephus Aloisius Trevisanato, Ar- ehiepiscopus Utinensis, Patriarchatus Aguilejensis successor, vide hune k .- 4 tj Ya JM "A 7 codicem, cujus pars est Venetiis, codex vero continens cetera Evangelia est Forijulii in mea dioecesi.“ Durch diese neuere Unterschrift ist es also sichergestellt, dass die Prager Fragmente nur Fragmente eines Fragmen- tes sind, und dass das ursprüngliche Manuscript kein blosses Marcusevan- gelium, sondern ein vollständiges Evangeliare war, sohin auch — abgesehen von allen andern schlagenden paläographischen und lingui- stischen Gründen — nicht von der Hand des heiligen Marcus ge- schrieben ist, da dieser wohl, weder für sich noch andere, die in hel- lenistischer Schrift und Sprache ursprünglich geschriebenen Evangelien in lateinischer Uibersetzung und lateinischen Schriftzügen des 6. Jahrhunderts wird abgeschrieben haben. Do- brovsky deutete aber eine absichtliche Täuschung in seinem Werke schon durch folgende Worte an: Pars evangelii Veneta et Pragensis integrum confieciunt evangelium B. Marci; hoc vero est pars evulsa e codice Forojuliensi. Separatum fuerat evangelium S. Marci a religuis, certo eo fine, ut magis indoctis persuaderetur, illud esse autographon.“ (S. 8. 9.). Die kais. Bibliothek besitzt in ihrer Handschriftensamm- lung zwei (ungenaue) Facsimilia des Marcus-Evangelium, insoweit es fragmentweise in Prag vorhanden ist, denen (sienirt XIV. C. 2.) gegenwärtig die Photografien beigefügt sind. Hierauf erwähnte der Vortragende die Schrift Dobrovský 's über die alten Schriftcharactere der Hebräer, die in Prag im Jahre 1783 erschienen war (Sign. 19. G. 109. N. 3.) und abermals ein Be- weis der tiefen Studien ist, die D. in der so schwierigen Materie der orientalischen Graphik. die durch Vermittlung der phönieischen Schrifteharaktere bis zu den ägyptischen Hieroglyphen hinanreicht, schon im jugendlichen Mannesalter gemacht hatte. Es candidirte damals Dobrovský um eine Professur der hebräischen Sprache und biblischer Exegese, liess aber von ferneren Bewerbungen ab, als er weg von seiner ihm so lieben Heimat Böhmen in das ferne Lemberg als Pro- fessor gelangen sollte. Auch war er damals noch nicht geweiht, sondern zögerte damit, auffallend genug, bis zum Jahre 1786, also fast volle zehn Jahre nach beendeten theologischen Studien. Bis zum Jahre 1788 finden wir ihn dann noch als Mitarbeiter an der berühmten Rossi’schen Folgeschrift: Variae lectiones veteris testamenti e codicum 8 congerie haustae (Sign. 27. F. 79.), wo man im 2. Bande die Böhmen: Ungar, Durich und Procházka, sowie Dobrovský nicht nur unter den Subseribenten, sondern auch unter den „promotores hujus operis“ findet. In das theologische Gebiet fallen einigermassen noch folgende Schriften: „Prüfung der Gedanken über die Feldwirth- schaft der Geistlichen“ (Prag 1781. Sign. 47. G. 71.). Es hatte nämlich ein ungenannter Kaplan solche „Gedanken“ veröffentlicht, die dahin abzielten, durch Hinwegnahme jeder Feldwirtschaft den Geist- lichen den Boden zu entziehen, auf welchem sie gemeinschaftlich mit dem Landvolke stehen. Dobrovsky, in dem der philosophische Geist des Josephinischen Zeitalters bedeutend wirkte, nimmt sich nun nicht allein der Feldwirthschaft der Geistlichen eifrig an, sondern plaidirt auch, um die Schranken zwischen Geistlichen und Volk so viel als möglich aufzuheben, für die Aufhebung des Coelibates, dem er, was 3öhmen betrifft, ein bedeutungsvolles Schriftehen widmete unter dem Titel: De sacerdotum in Bohemia coelibatu narratio historica (Prag 1787. Sign. 46. C. 162.). Der zweite (Gresichtspunet, nach welchem der Vortragende Do- brovsky auffasste, war der des gelehrten Naturforschers. Er charakterisirte ihn als einen Mann von scharfer Beobachtungsgabe ; als ihn daher eine schwere Geisteszerrüttung, die ihn schon im Jahre 1795 heimgesucht hatte, zur Erholung und Heilung der Natur näher brachte, und Dobrovsky sich am Lande mit Landwirthschaft und Botanik eifrig abgab, war die Folge davon die, dass ihm ein Pflan- zensystem vorschwebte, welches die Mitte halten sollte zwischen der natürlichen und künstlichen Methode, die Pflanzengattungen zu gruppiren, ein System, das nicht bloss die Anerkennung der Mit: welt, sondern auch die Billigung der Nachwelt dadurch erhielt, dass Dobrovský s System theilweise in die Wissenschaft wirklich eingeführt wurde. Spis jeho má nápis: Entwurf eines Pflanzensystems nach Zahlen und Verháltnissen (Prag 1802. Sign. 50. E. 48. Nr. 1.3 49. C. 93.). Dobrovský nannte darin nicht seinen Namen, sondern unterschrieb nur die Vorrede bescheiden mit J. D. Ein dritter Gesichtspunct, unter welchem der Vortragende den 9 Abbé Dobrovský auffasste, war der des gelehrten Geschichts- orschers, den namentlich die Geschicke der Slaven überhaupt, sodann die der Böhmen insbesondere interessirten, und zwar sowohl in kirchlicher, politischer nnd kulturhistorischer Hinsicht. Doch da kam der Vortragende sowohl mit dem Reichthum der Schriften, als (eben dadurch) mit der Kürze der Zeit in ein grosses Gedránge. Werke und Abhandlungen der eben erwähnten Gattung gibt es nämlich gegen vierzig, und da die Zeit schon vorgerückt war, wählte der Vortragende aus der Fülle der Schriften ein einziges, das Dobrovsky im echten Lichte zeigt und mit dem Geschicke der kön. böhm. Gesellschaft der Wissenschaften in inniger Beziehung steht. Es ist die Schrift: „Uiber die Ergebenheit und An- hänglichkeit der slavischen Völker an das Erzhaus Oesterreich,“ 1791 in Prag erschienen. (Signatur 52. B. 27—)5.). Kaiser Joseph hatte nämlich, aufmerksam gemacht auf die Leistungen der Gesellschaft, die unter Maria Theresia zuerst als Pri- vatgesellschaft auftrat, dieselbe zur öffentlichen Gesellschaft, sohin zur ersten wissenschaftlichen Academie in Oesterreich erhoben. *) Kaiser Leopold II. besuchte am 25. September 1791 eine öffentliche Sitzung der Gesellschaft selbst als neugekrönter König von Böhmen in Begleitung des Herrn Erzherzogs Franz, nachmaligen Kaisers, bei welcher Gelegenheit nach einer Eröffnungs- rede des Präsidenten die Herrn: von Riegger, Graf Joachim Štern- berg, Gruber, Gerstner, Strnadt und Procházka gelehrte Vorträge hielten. Mit dem Schlussvortrag betraute und beehrte man eben Abbe Dobrovsky, der den obenberührten Gegenstand gewählt hatte. Folgendes sind die prägnantesten Gedanken der mit patriotischem Enthusiasmus geschriebenen und vorgetragenen Rede: *) „Joseph, Theresiens rastloser Folger auf der von Ihr gebrochenen Bahn krönte den Wunsch der Verbündeten (Gelehrten), so wie sie ihn zu seinem Throne brachten. Er verlieh ihnen den Namen und die Vorrechte einer öffentlichen Gesellschaft mit der Erlaubniss, auswärtige Mitglieder aufzunehmen und beschenkte sie mit einem eigenen Saale, um so ihren Versammlungen mehr Bequemlichkeit und Feierlichkeit zu ver schaffen.“ (Neuere Abhandlungen I. B. 4°. Prag. 1790. 4. Blatt.) 10 „Wir Böhmen als ein Stamm der grossen, weit ausgebreiteten slavischen Völkerschaft halten es für unsern grössten Ruhm, nebst andern slavischen Völkern, das deutsche Kaiserhaus bei seiner (Grösse, bei seinem Ansehen erhalten zu haben und durch die ver- einigten Kräfte aller übrigen slavischen Völker die öster- reichische Monarchie noch ferner gegen alle feindlichen Anfälle sicher stellen zu können.“ — „Den Titel, den E. M. von vier slavischen Königreichen als König von Kroatien und Dalmatien, von Slavonien, Böhmen und Galizien führen, ist nicht bloss Wort- gepränge nach Art asiatischer Fürsten, er bezeichnet wirklich das- jenige, was er aussagt.“ — „Die polnische Nation hat sich schon ehedem, durch den Entsatz von Wien, ein unsterbliches Verdienst um das Haus Oesterreich erworben.“ — „Es ist in Wahrheit aller Aufmerksamkeit werth, wie sehr sich die Lage aller slavischen Völkerschaften geändert hat. Vor Jahrhunderten wurden die Slaven — bis auf wenige Uiberbleibsel verdrängt und ausgerottet, jetzt herrschen sie in und durch den russisch-slavischen Stamm vom schwarzen Meere an bis an das Eismeer, schliessen Verträge an den Gränzen des chinesischen Reiches, schicken in ihrer Sprache Ukasen auf mehr als zweihundert Meilen weit und breit, machen Entdeckungen im Weltmeere zwischen Asien und Amerika.“ Nachdem Dobrovsky noch durch mehrere historische Daten die Hebung der politischen Macht der slavischen Völker bewiesen, wendet er sich schliesslichst zu den Böhmen und berührt, dass die Folgen der Schlacht am weissen Berge immer mehr zurücktreten werden, da S. Maj. „als weiser und gerechter Gesetzgeber nach menschen- reundlichen Grundsätzen so viele Völker zu ihrem - Glück führen wollen.“ Schliesslich übergab Dobrovsky dem Kaiser selbst „einige un- vollkommene Versuche unserer einheimischen, lichtscheuen und verachteten böhmischen Musen“, d. i. einige böhmische (redichte des Landvolkes. Damit scheint er seine Rede geschlossen zu haben; als sie jedoch in den Druck kam, spinnt er die Ansprache an den Kaiser fort. Er sagt, dass in dem einen Gedichte, welches der Bauer Vavák aus Milčic verfertigte, der böhmische Löwe: 11 der zu den Füssen des Kaisers liegt, „aufgefordert wird, die Be- schwerde des böhmischen Volkes, dass es in seiner Mutter- sprache nicht gehört wird, vorzutragen.“ „Diess veranlasst mich. fährt Dobrovsky fort. im Namen vieler Hunderttausende únterthániest zu bitten, E. Maj. wollten allergnädigst die böhmische Nation auch bei diesem kostbaren Erbe von ihren Vor- ältern, bei ihrer Muttersprache, gegen ungestümmes Ver- fahren und unbescheidenen Zwang zu schützen geruhen.“ Schon zwei Tage darauf, am 27. September, liess der Kaiser der „kóniglich-bohmischen Gesellschaft der Wissenschaf- ten zu Prag“ sein gnädigstes Wohlgefallen „über die sich aus- zeichnenden rühmlichen und patriotischen Beschäftigungen“ zu erkennen geben und befahl zugleich der Kammeralzahlungskasse sechs Tausend Gulden als unterstützendes Fondeapital auszuzahlen, damit durch die gewonnenen Kenntnisse „das Beste der menschlichen Gesellschaft überhaupt, und die Wolfahrt Böhmens insbeson- dere praktisch befördert werden könne.“ Die Gesellschaft der Wissenschaften hat sohin im Vereine mit den andern damaligen Gelehrten, es dem Abbe Dobrovsky zu dan- ken, dass durch ihn von dem Kaiser das Bedürfniss einheimischer Sprachkenntniss und Wissenschaft ausgesprochen und durch den Kaiser selbst, also im Namen des Staates, dasselbe Bedürfniss theoretisch und praktisch anerkannt wurde. Darin liegt denn auch die Richtung angedeutet, welche nach dem Willen des- Stifters des Gesellschafts- fondes, die königlich böhmische Gesellschaft in der Pflege der ein- heimischen Sprache, Wissenschaft und Literatur zu nehmen hat, wenn sie würdig ihrem ämtlichen Namen: königlich-böh- mische Gesellschaft der Wissenschaften entsprechen soll. Historische Section am 20. Juli 1863. Anwesend die Herren Mitglieder: Tomek, Zap, Bezdeka, Wina- řický und Frühauf. Herr Tomek las abermals einen Abschnitt seines, in der Arbeit befindlichen zweiten Bandes der Geschichte Prags, enthaltend die ersten Zeiten der Regierung Carl’s IV. 12 Naturwiss.-malhem. Section am 27. Juli 1863. Anwesend die Herren Mitglieder: Weitenweber, Kořistka, Amer- ling, v. Leonhardi, Staněk; als Gäste die Herren Nowak und Ruda, Freih. v. Leonhardi theilt einige Beitráge zur Mor- phologie der Pflanzen, namentlich der Rosen, mit. Insbesondere zeigte Derselbe vor und besprach eine grössere Zahl durchwachsener Rosen verschiedener Art und Bastarde, die er während der letzten Tage im Prager Vereinsgarten gesammelt hatte, und die ihm besonders geeignet schienen, die klareren Bestim- mungen der Begriffe des Lebens und der Lebensaufgabe, die auf Grund eines allumfassenden Kategorienorganismus der Phi- losoph Krause gegeben hat, *) an ihrer thatsächlichen Durchführung im Pflanzenleben beispielsweise zu erläutern und dadurch zugleich Erscheinungen verständlicher und lehrreicher zu machen, deren reiche individuelle Verschiedenheit man gewöhnlich unbeachtet lässt, weil man sich gewöhnt hat, sie in bloss abstrakten Gemeinbegriffen, wie: Durchwachsung oder Monstrosität, zusammenzufassen, und die man durch die Belegung mit solchen wenigsagenden Namen meist schon für wissenschaftlich abgethan hält. Der Vortragende behielt sich vor, für eine spätere Sitzung die Reihe des heute Vorgezeigten durch mehrere zu anderer Zeit gesammnelte, in eigenthůmlicher, merk- würdiger Weise abweichende Rosenbildungen und Missbildungen zu ergänzen und dadurch nicht nur in den genannten allgemein biolo- gischen Beziehungen noch beweiskräftiger zu machen, sondern auch in einer, durch einzelne der vorgezeigten Exemplare nahe gelegten, speziell botanischen. nämlich betreffs einer richtigen Beurtheilung des sogenannten Kelchkruges der Rose. Zugleich versprach Derselbe, als Vorbereitung der späteren Demonstration, die Beschreibung und *) Siehe Dessen Vorlesungen über das System der Philosophie (Göttingen, 1528) und Vorlesungen über die oder reine allgemeine Lebenslehre und Philosophie der Geschichte (das letzte Werk nach des Verfassers Tode herausgegeben von Dr. H. v. Leonhardi, Got- tingen 1843). 13 Erläuterung der in dieser Weise ergänzten Reihe im Voraus in einem späterern Vortrage mitzutheilen. Herr Dr. Nowak (als Gast) trug abermals eine hydro- logisch-meteorologische Studie vor, u. z. über das kaspi- sche Meer und die Verdunstung. Nichts ist dem erspriesslichen Vorwärtsschreiten einer Wissen- schaft hinderlicher, als wenn sich unter die Fundamentalsätze derselben Irrlehren einschleichen. Je jünger eine Wissenschaft, desto häufiger sind derlei Irrlehren und darum kann es nicht sehr befremden, dass auch die Hydrologie und Meteorologie ihre unrichtigen Fundamental- sätze, ihre falschen Dogmen haben. — Schon wiederholt bin ich be- müht gewesen, darzuthun, wie ein derlei grundfalsches. besonders dem YTı Fortschreiten der beiden obenerwähnten noch sehr jungen Wissen- schaften nachtheiliges Dogma die dermalige Ansicht vom Ursprunge unserer Quellen sei. Es steht aber mit diesem noch ein zweites, das Gedeihen aller hydrologischen und meteorologischen Forschung nicht weniger beein- trächtigendes Dogma in Verbindung, jenes nämlich, welches bezüglich des Verhältnisses zwischen der Verdunstung und der verschiedenen Einnahme sowohl des Oceans wie der mancherlei Binnenseen der Erde aufgestellt und ohne jede genauere Prüfung selbst von sonst hocher- leuchteten Männern vertreten wird. „Bekanntlich ist das Volumen Wassers — sagt z. B. der geniale Maury*)— welches durch die Flüsse, den Regen, Thau u. s. w. dem ganzen Ocean zurückgegeben wird, dem Volumen genau gleich, welches der Ocean an die Atmosphäre abgiebt.“ — Und nachdem Herr Maury diesen kategorischen, noch von Niemanden auch nur einigermassen stichhaltig erwiesenen Satz vorange- schickt, spricht er in Beziehung auf „das grosse Becken im Innern Asiens, wo sich der Aral- und der Caspi-See befinden“, wörtlich, wie folgt: „So weit unser Wissen hier reicht, ist das Niveau jener beiden *) Die physische Geographie des Meeres. Von M. F. Maury. Deutsch bear- beitet von Dr. C. Böttger. 2. Auflage. Leipzig 1859. S. 183. 14 Seen sich stets gleich geblieben; also muss auch hier eine solche (Gleichheit der verdampften und im Gebiete dieser Bin- henseen niedergeschlagenen Massen statt haben.“ Diess Alles klingt offenbar höchst entschieden und man sollte daher meinen, es basire sich das Gesagte auf ganz unumstössliche Prämis- sen, um so mehr als noch andere Stellen des Maury’schen Wer- kes denselben Gegenstand in gleich deeidirter Weise abfertigen.*) Ich habe aber schon im vorigen Jahre den kategorischen Ausspruch Hrn. Maury’s bezüglich des Todten Meeres kritisch beleuchtet **) und olaube schlagend nachgewiesen zu haben, dass wenigstens beim Todten Meere die bisherige, von Maury vertretene Ansicht, es berrsche zwi- schen «der Einnahme des Todten Meeres und der Verdunstung dessel- ben ein vollkommenes Gleichgewicht, eine absolut falsche sei. Ich will nun versuchen, dasselbe auch bezüglich des „Kaspi-See's“ zu erweisen, wenn mir auch hier nicht so bestimmte Zahlen zu Ge- bote stehen, wie im vorigen Jahre bezüglich des Todten Meeres. Natürlich frägt es sich bei meiner Untersuchung zunächst um die möglichst genaue Bestimmung der einzelnen mit einander zu ver- oleichenden Grössen. Wie hoch also mag sich wohl die Einnahme des Kaspi-See’s binnen Jahresfrist belaufen, und zwar erstlich diejenige, welche man in gewissem Sinne die direkte benennen kann, durch den binnen je einem Jahre sich auf der Gesammtoberfläche des Kaspischen Meeres nieder- schlagenden Regen, Schnee, Thau, Nebel u. s. w.? — Bekanntlich nennt man diese Einnahme kurzweg die „Regenmenge.“ Wie gross also ist wohl die jährliche mittlere Regenmenge des Kaspischen Meeres? „Nach einer Zusammenstellung von Arago, sagt Cornelius"), fällt jährlich zwischen 25° und 40° N. Br. eine Regenmenge = 35 Zoll; von 40° bis 50° N. Br. = 25 Zoll.“ — Es liegt aber der Kaspi- see beiläufig zwischen 37° und 47° N. Br. und wäre daher dessen *) Ebendaselbst. S. 176 Z. 1—8 von oben, und S. 76 Z. 1—11 von oben. **) Das Todte Meer und die Verdunstung. In der Zeitschrift „Lotos“ Prag 1862 (April und Mai). Ein Auszug davon in den Sitzungsberichten der königl. böhm. Gesellschaft der Wissenschaften 1862. S. 27—51. ***) Meteorologie von C. S. Cornelius. Halle 1863. S. 336. 15 Regenmenge nach Arago’s Zusammenstellung jedenfalls auf 27 Zoll anzuschlagen. Nach Johnston *) beträgt die Regenmenge im Jahresdurch- schnitt in der nördlichen gemässigten Zone sogar 37 Zoll, und betrüge dann die mittlere jährliche Regenmenge des Kaspisees, welcher eben der nördlichen gemässigten Zone der Erde angehört, in dieser sich aber mehr der tropischen als der nördlichen Polarzone nähert, min- destens auf 37 Zoll. Nach Dove endlich **) sind die Regenmengen in den an der Westseite des Kaspisees gelegenen Orten Tiflis, Schemacha, Lenkoran, Pa“ undo Derbent "4 19.401 TA a udi und es ergäbe sich darnach als mittlere jährliche Regenmenge 21. .. Wenn man aber darauf Rücksicht nimmt, dass die Beobachtungen von Schemacha nur 1 Jahr umfassen, dass der Zeitraum der Beobachtun- gen von Derbent gar nicht angegeben ist, dass ferner die grösste der angeführten Regenmengen (Lenkoran) gerade eine unmittelbar am Gestade des Kaspisees liegende Station, eine Hafenstadt betrifft, wäh- rend die übrigen vier Orte mehr weniger von der Küste entfernt sind, so wie endlich, dass in Redutkale und Kutais, welche beide, was die geographische Breite anbelangt, ebenfalls hierher gehören, nur dass sie um mehrere Grade der Länge westwärts abliegen, Regenmengen vorkommen = 58“ und 59, so ist es wohl sehr erlaubt anzunehmen, dass die mittlere jährliche Regenmenge des Kaspisees sich bei ge- nauerer Untersuchung nicht auf bloss 21.“, „. sondern höchstwahrschein- lich in Uibereinstimmung mit Arago’s Zusammenstellung um etwas höher herausstellen werde, und dass es hiemit immerhin gestattet sein dürfte, diese mittlere jährliche Regenmenge des Kaspischen Meeres auf 27 par. Zolle zu schätzen. Anstatt aber nun sofort schon an die Beantwortung der weiteren Frage zu gehen, wie hoch sich nämlich die in gewissem Sinne indi- rekte Einnahme des Kaspisees durch die von sämmtlichen in denselben einmündenden Ströme, Flüsse und Bäche gelieferte Zufuhr belaufen *) Maury a. a. O. S. 66. **) Ueber die Vertheilung der Regen in der gemässigten Zone; von H. W. Dove in Poggendorff’s Annal. Bd. 9. 16 möge, sei es gestattet, erst die Frage zu erörtern, wie gross wohl die mittlere jährliche Ausgabe des Kaspischen Meeres durch dessen Ver- dunstung sein möge ? Es ist bekannt, dass auch die Verdunstung so wie die Regen- menge in demselben Grade an Intensität abnehme, je weiter man sich vom Aequator entfernt und sich der Polarzone nähert; und eben so bekannt ist es ferner, dass die Verdunstung des Mittelländischen Meeres, welches doch grösstentheils um ein Erhebliches südlicher liegt, als der Kaspisee, seit Halley zu beiläufig 36,, Zoll angesetzt werde und man diess für so ausgemacht ansehe, «dass selbst Männer, wie Prof. Berghaus, von dieser Halley’schen Schätzung der Mittelmeer- Verdunstung als von „Resultaten“ sprechen, die „gegenwärtig völlig unbestritten“ dastehen. *) Unter diesen Umständen muss es jedenfalls erlaubt sein anzuneh- men, dass die Verdunstung des zum grossen Theile viel nördlicher gelege- nen, wenn auch minder salzreichen Kaspisees wenigstens keine intensivere sein werde, als jene des Mittelmeeres, und darf mir also auch für so lange, als die vorerwähnte Halley’sche Schätzung der Mittelmeer- verdunstung für richtig anerkannt wird, kein Vorwurf gemacht werden, wenn ich die Ziffer der Verdunstung des Kaspisees höchstens zu. 36 Zoll ansetze. Wird nun die wahrscheinliche mittlere jährliche Regenmenge des Kaspisees — 27 Zoll mit der die Höhe von 36 Zoll nicht leicht über- steigenden mittleren jährlichen Verdunstungsmenge verglichen, so bleibt in Betreff der Bilanz zwischen Einnahme und Ausgabe des Kaspisee’s für jedes Jahr ein durchschnittlicher Abgang von beiläufig 9 Zoll. Dieser Abgang also ist es, um den es sich noch handelt und welchem die so zu sagen indirekte Einnahme des Kaspisee’s, näm- lich die durch sämmtliche in den Kaspisee einmündende Ströme, Flüsse und Bäche vermittelte Zufuhr an Wasser gegenübersteht. Es frägt sich demnach um das Verhältniss dieser manichfachen Zufuhr zu jenem Abgange. ; Selbst dann, wenn die Gesammtoberfläche des Kaspisee’s wirklich, *) Berghaus, Länder- und Völkerkunde. II. Bd. S. 7. EN 17 wie die neuesten Berechnungen ergeben haben sollen,*) nicht, wie man bisher gemeint hat, 7330 Q. M., sondern sogar über 8400 O. M., also beiláufig 461.000 Millionen ©. Meter betrůge, wáre offenbar das oben erwáhnte Deficit nur einer Wassermasse gleichzusetzen, die sich kaum auf volle 116.000 Millionen Kubikmeter beliefe. Wird dieses Defieit nun wohl durch die Zufuhr der einmündenden Gewässer gedeckt? — Herr Maury freilich versichert uns, dass das Niveau des Aral- wie des Kaspisees sich „stets gleichgeblieben“ sei, und folgert eben daraus, dass zwischen der Einnahme des Kaspisee’s und seiner Verdunstung ein vollkommenes Gleichgewicht bestehen müsse. Leider scheint es jedoch gerade umgekehrt Thatsache und schon längst, namentlich von Prof. Lenz, ausser Zweifel gestellt zu sein, dass das Niveau des Kaspisee’s nicht nur zeitweiligen mehr weniger beträchtlichen Schwankungen unterliege, sondern dass es sogar über- haupt gegenwärtig viel niedriger stehe, als vor Jahrtausenden. **) Man sollte also, wenn die Resultate der Lenz’schen Forschungen verlässlich sind, geradezu zu befürchten haben, dass die jährliche, durch die ein- mündenden Gewässer vermittelte Zufuhr gar nicht genügen werde, das vorerwähnte Deficit selbst nur nothdůrftig zu decken. Nun wird aber diese Zufuhr durch eine ansehnliche Zahl be- trächtlicher Wasseradern vermittelt und zwar von europäischer Seite durch die Wolga, die Kuma und den Terek, von asiatischer durch den Aral, die Emba, den Atrek, den Gurgan, den Kisil-Osen und den Kur. Die mächtigste derselben ist unstreitig die Wolga. Nach Berg- haus ***) umfasst das Stromgebiet derselben nicht weniger als 24840 d. Geviertmeilen, während z. B. das Stromgebiet der Newa nur 4200 und das des Rheins bloss 4080 derlei Geviertmeilen einnimmt. Die Stromentwicklung der Wolga beträgt 510 d. M., die der Newa aber nur beiläufig 111 und die des Rheins 150. *) Nach Petermann’s Mittheilungen (1862. S. 392) beträgt die Area des Kaspi- schen Meeres 407.075 Q. Werst oder 8413,,, geogr. Quadratmeilen. +*) Vergl. Gehlers neues physikalisches Wörterbuch (Artikel: See) und Berghaus a. a. O. S. 395. ***) Physikalischer Atlas. Sitzungsberichte 1863. II, 18 Nach diesen Verháltnissen zu schliessen, sollte man berechtigt sein, anzunehmen, dass die mittlere jáhrliche Abfuhr der Wolga je- denfalls ein Mehrfaches der Abfuhr jedes der beiden andern, so eben damit verglichenen Ströme sein werde, und zwar, dem Stromgebiete nach ein Sechsfaches, der Stromentwicklung nach ein Vierfaches. Der Sicherheit halber nehme ich jedoch diese jährliche Abfuhr der Wolga wesentlich geringer an und lasse sie nur das Dreifache jener Abfuhr betragen, welche durch die halbe Summe des von der Newa und dem Rhein zusammen binnen Jahresfrist ins Meer gewälzten Wasserquan- tums repräsentirt wird. Es beträgt aber die Abfuhr der Newa nach Berghaus *) in der Sekunde 3284,,, also im Jahre weit über 100000 Millionen Kubik- meter, und die des Rheins **) in der Sekunde mindestens 2600, also im Jahre über 82000 Millionen Kubikmeter, so dass die halbe Summe dieser beiden Grössen eine Wassermasse repräsentirt von wenigstens 91000 Millionen Kubikmeter, und das Dreifache dieser Wassermasse, nämlich die wahrscheinliche jährliche Abfuhr der Wolga, einer Wasser- masse gleichzusetzen ist von 273000 Millionen Kubikmetern. Eine einfache Rechnung zeigt sogar, dass die Wolga die eben- erwähnte beträchtliche Quantität schon dann ins Kaspische Meer zu schütten im Stande sein würde, wenn sie an ihrer Mündung nur bei- läufig eine halbe deutsche Meile breit, im Durchschnitte nur 2,, Meter tief wäre und eine mittlere Geschwindigkeit von 1 Meter hätte. Dass aber die Wolga solchen Dimensionen in der Wirklichkeit mehr als entsprechen dürfte, wird kaum Jemand bezweifeln, der er- wägt, dass die Wolga von allen Geographen der erste Strom Europa’s und wegen der gewaltigen jährlichen Ueberschwemmungen, denen ganze Provinzen ihre Fruchtbarkeit verdanken, ein „zweiter Nil“ genannt wird; dass sie sich in mehr als 60 Armen, darunter in acht Haupt- armen ins Kaspische Meer ergiesst und an ihrer Mündung ein Delta von mehr als zehn Meilen Breite bildet, dass sie überdiesss meist schiffbar ist und zwar selbst für Fahrzeuge von 80—90000 Pfund Be- *) Länder- und Völkerkunde. II. Bd. S. 331. **) Berghaus a. a. 0. S. 285. 19 lastung und dass endlich selbst einzelne ihrer zahlreichen Nebenflůsse, wie namentlich die Oka und Kama, beträchtlich grösser seien als der Rhein. *) Es dürfte demnach kaum gewagt erscheinen, anzunehmen, dass die mittlere jährliche Abfuhr der Wolga wirklich, wie schon angeführt wurde, gleichgesetzt werden könne einem Wasserquantum von 279000 Millionen Kubikmetern, so dass also durch die alleinige Abfuhr dieses Stromes nicht nur das früher erwähnte Deficit von 116000 Millionen Kubikmetern vollständig gedeckt wird, sondern dass nur in Folge der Wolgaabfuhr schon ein jährlicher Ueberschuss bleiben möge = 157000 Millionen Kubikmetern, also ein Ueberschuss, der das Niveau des Kaspisees um volle 12 Zoll steigen machen sollte. Es sind aber auch die übrigen, vorhin nebst der Wolga noch genannten Zuflüsse des Kaspisees alle von mehr weniger beträchtlicher Grösse, den Rhein ziemlich erreichend und mehr weniger schiffbar. Hiemit dürfte es immerhin zulässig erscheinen anzunehmen, dass diese acht übrigen Flüsse, zumal bei Hinzurechnung der vielen nicht ge- nannten kleinen Flüsse und Bäche, zusammen genommen beiläufig eben so viel Wasser ins Kaspische Meer ergiessen, wie die Wolga für sich allein, hiemit auch ihrerseits dem Kaspisee eine Wassermasse zuführen, welche im Jahresmittel auf 273000 Millionen Kubikmeter anzusetzen und hiemit im Stande sein dürfte, den Spiegel des Kaspisees, abge- sehen von jedem Ersatze, jährlich um weitere 21 Zoll steigen zu machen. Aus der bisher angestellten Untersuchung ergibt sich, dass die mittlere jährliche Regenmenge des Kaspisees zu 27 Zoll angenommen, dann die Zufuhr sämmtlicher Gewässer einer Wasserschicht, gleich- gedacht von der Ausbreitung des Kaspisee’s und der Höhe von 42 Zoll, die Gesammteinnahme des Kaspisee’s sich binnen Jahresfrist einer Wasserschicht gleichdenken lasse von der Höhe von 69 Zoll d.i. von mehr als 889000 Millionen Kubikmetern, während die Verdunstung des Kaspisee’s, auch wenn man selbe für so intensiv annimmt, wie *) Die Kama z. B. soll, nach Berghaus, eine Stromentwicklung von 263 d. Meil. haben; der Rhein nur 150. 9* 20 beim Mittellándischen Meere, von dieser Gesammteinnahme doch nur bei- láufig 36 Zoll oder beiläufig 464000 Millionen Kubikmeser zu verzehren vermag, so dass jedenfalls ein sehr namhafter Ueberschuss bleibt, ein Ueberschuss, beiläufig gleich einer Wasserschicht von der Area des Kaspisee’s — 8400 deutsche Meilen und von der Höhe von 33 Zoll d. i. also von mehr als 425000 Millionen Kubikmetern oder von mehr als einer deutschen Kubikmeile. Dieser Ueberschuss ist offenbar viel zu beträchtlich, als dass ich irgendwie zu besorgen haben könnte, es würden ihn genaue Messungen und Beobachtungen je illusorisch erscheinen lassen. Er wird sicher auch dann sich noch als sehr namhaft herausstellen, wenn ich wirk- lich, wie ich diess nicht glaube, die Gesammteinnahme des Kaspi- see's um etwas zu hoch oder die Ausgabe dessen durch die Ver- dunstung noch um etwas zu niedrig genommen haben sollte, so dass ich es unbedenklich schon jetzt für ausgemacht und erwiesen ansehen zu dürfen glaube: wie die Verdunstung auch beim Kaspi- schen Meere das keineswegs leiste, was ihr daselbst bezüglich des Gleichgewichtes zwischen Einnahme und Ausgabe bisher zugemuthet worden. Hiemit aber sollte das Niveau des Kaspischen Meeres fortwährend steigen und zwar, wenn der Ueberschuss wirklich die von mir wahr- scheinlich gemachte Grösse erreicht, während eines einzigen Jahrze- hens um 27} Fuss, im Laufe eines Jahrhundertes aber um 275 Fuss. Und dennoch ist, wie schon erwähnt wurde, von solch’ einem beharrlichen Steigen des Niveaus daselbst keine Spur vorhanden, ja deuten mancherlei Umstände darauf hin, dass das Kaspische‘ Meer ehedem mit dem zwanzig Meilen davon entfernten Aralsee, dessen Spiegel angeblich um 110 Fuss höher steht, wie der des Kaspisee’s, zusammengehangen und hiemit damals mindestens um diese 110 Fuss höher gestanden habe, als gegenwärtig. Auch ist dieses Missverhältniss zwischen der Einnahme und der durch die Verdunstung gesetzten Ausgabe des Kaspischen Meeres, welches heutzutage unverzeihlicherweise so gleich hingenommen wird, bereits im vorigen Jahrhunderte Gegenstand mancher Erörterung und Veranlassung mancher Hypothese gewesen, jedenfalls von tüchtigen 21 Männern, wie z. B. dem Professor Torbern Olaf Bergmann *) als si- cherbestehend anerkannt worden. Der eben genannte Naturforscher berechnete den muthmassli- chen jährlichen Ueberschuss auf 94 Billionen Kubikfuss, also nur um beiläufig drei Dreizehntel oder 97000 Millionen Kubikmeter geringer, als sich derselbe Ueberschuss aus meinen Wahrscheinlichkeitsberech- nungen ergeben hat. Wohin kömmt nun solch’ ein enormer Ueberschuss an Wasser, ein Ueberschuss, welcher, durch 300 Jahre sich anhäufend, mehr als genügen würde, den in Rede stehenden Kaspisee, dessen mittlere Tiefe selbst zu 725 Fus angenommen, zum zweitenmale zu bilden’? Dass das überschüssige Wasser nicht, wie man wohl angenommen hat, durch unterirdische Kanäle in ein oder das andere benachbarte Meer abfliessen könne, darf wohl als ausgemacht angesehen werden: denn der Spiegel des Kaspischen Meeres liest um 84 engl. Fuss tiefer als der Spiegel des Schwarzen, und ‘daher denn auch um ein Be- trächtliches tiefer als der Spiegel des Mittelländischen, dann des Rothen Meeres und als der Spiegel des Persischen Meerbusens. Eben so wenig genügen andere Hypothesen, z. B. jene Gmelin’s. dass nämlich ‘der Ueberschuss sich unterirdisch landeinwärts ver- liere und daselbst Salzbrunnen, Salzseen u. s. w. bilde; denn auch dieser Hypothese steht die unbestreitbare Tieflage des Kaspisee's entgegen, und zwar um so mehr, als derselbe Zuflüsse von allen Seiten her empfängt, daher das angränzende Land nothwendie auf allen Seiten höher liegen mus, als der Kaspisee selbst. Auch ein Abfliessen in unterirdische Hohlräume, wie man sich solche gegenwärtig vorzustellen pflegt, ist nicht wohl denkbar. Dem bei der Massenhaftigkeit des Ueberschusses würde das unterirdisch abfliessende Wasser, wie vorhin gesagt wurde, schon binnen 300 Jahren einen unterirdischen Hohlraum ausfüllen von dem Rauminhalte des Kaspisee’s selbst, binnen 3000 Jahren aber zehn solche Hohlräume, binnen 30000 Jahrhunderten hundert u. s. w. Wo aber sollten sich diese mächtigen Hohlräume unterhalb des Kaspischen Meeres befin- *) Physikalische Beschreibung der Erde, deutsch von Rühl. Greifswalde 1791. 22 den? Und wie kam es bis jetzt, dass bei dem Vorhandensein sol- cher mit dem Becken des Kaspisee's in Verbindung stehender un- terirdischer Hohlráume sich úberhaupt Wasser im Becken des derma- ligen Kaspisee's ansammeln, ja dieses in früherer Zeit sogar höher als jetzt erfüllen konnte? — Immer also bleibt die Frage stehen, wohin der gewaltige Ueber- schuss an Wasser sich beim Kaspisee verliere? — i Meine Antwort aber auf diese Frage ist gleichlautend mit der- jenigen, welche ich im vorigen Jahre bei Gelegenheit einer ähnlichen bezüglich des Todten Meeres versuchten Wahrscheinlichkeitsberech- nung gegeben habe.*) Sie lautet: Das überschüssige Wasser des Kaspischen Meeres gelangt durch die mancherlei Zerklüftungen des Seebeckens in den zwischen dem eigentlichen Erdkörper, dem sogenannten Erdkerne, und zwischen der ihn umhüllenden Erdrinde befindlichen allgemeinen tellurischen Hohlraum, und fällt damit jener grossartigen unterirdischen Wassereirculation anheim, welche innerhalb dieses Hohlraumes und zwar in der Weise stattfindet, dass die aus dem Ocean und allen tieferen Binnenseen unserer Erdoberfläche durch die verschie- denen Formationen, der nur mässig (vielleicht nicht einmal fünf d. M.) dicken Erdrinde eindringenden Abflüsse die Anfänge und gleichsam das Rohmaterial liefern, welches sofort in Folge der innerhalb des tel- lurischen Hohlraumes waltenden, durch ein (höchstwahrscheinlich mag- neto-elektrisches und verschiedenen Intensitätsschwankungen unter- worfenes) constantes Glühen des Erdkernes bedingten grossen Hitze und eines manichfachen intensiven Chemismus vollständig umgewandelt wird, um sich nachträglich in einem siedendheissen Zustande unterhalb unseren Continenten und Inseln zu mächtigen unterirdischen Wasser- vorräthen, zu jenen tellurischen Meeren und Binnenseen anzusammeln, aus denen, bis auf höchst geringe Ausnahmen, alle Quellen unserer Erdoberfläche und im Zusammenhange mit diesen wichtige, auf die meisten meteorologischen Processe einen we- *) Siehe Zeitschrift „Lotos“. Prag 1862. S. 96. 23 sentlichen Einfluss ausübende tellurische Emanationen ab- stammen. *) Nur mit Hilfe dieser Hypothese ist das stetige unterirdische Ab- fliessen des überschüssigen Wassers aus dem Becken des Kaspisee’ leicht zu begreifen, und bedürfen selbst die zeitweiligen Schwankungen des Niveau’s so wie dessen langsames säculäres Sinken nur sehr ein- facher, sehr annehmbarer Hilfshypothesen. Meine heutigen Auseinandersetzungen hatten jedoch weniger den Zweck, diese meine Theorie zu begründen, als vielmehr den, einen abermaligen Beleg dafür zu geben, dass man gar sehr Ursache habe, gewissen in die Hydrologie und Meteorologie eingeschlichenen Dogmen zu misstrauen, und dass es sehr wünschenswerth sei, die Naturforscher fänden es endlich der Mühe werth, sowohl die Theorie vom Ursprunge der Quellen wie die Theorie von dem vermeintlichen zwischen der Verdunstung und den verschiedenen Einnahmen des Oceans sowohl, wie auch der meisten grösseren Binnenseen herrschenden Gleichge- wichte, einer Revision und strengen Prüfung zu unterziehen. Im Juli und August 1863 eingelaufene Druckschriften. The Quaterly Review. London Nr. 225. 1863. Januar, Nr. 226. April. Jahrbuch des naturhistor. Landesmuseums von Kärnten; herause. von J. L. Canaval. Klagenfurt 1862. V. Heft. Bulletin de la Société geologique de France. Paris 1862. Tom. XIX. Magazin der Literatur des Auslandes. Leipzig. Jahrgang 1863. Nro. 26—31. Schriften der k. physikal.-ökon. Gesellschaft zu Königsberg. II. Jahrgang 2. Abtheil. Königsberg 1863. *) Ausführlicher, wenn auch mancher Berichtigung bedürfend, ist diese Theorie dargestellt in: der Ocean, oder Prüfung der bisherigen Ansichten über das Niveau, die Tiefe etc. des Meeres... Von Dr. A. F. P. Nowak. Leipzig 1852. Otto Wigand. (S. 865—430); dann in: Witterung und Klima in ihrer Abhän- gigkeit von den Vorgängen der Unterwelt. Leipzig. Otto Wigand. 1854. (S. 115—135). 24 Lotos, redig. von W.R. Weitenweber. Prag. Jahrg. 1863. Juni. J. G. Pertz Monumenta Germaniae historica. Hannover 1863. Tom. XV. und XVII. Magnetische und meteorolog. Beobachtungen in Prag; von Böhm und M. Alle. XXIII. Jahre. Astronomical and meteorolog. Observations made at the U. S. naval Observatory during the year 1861. Washington 1862 in 4®. Poggendorff’s Annalen für Physik und Chemie. 1863. Nr. 5 The American Journal of Science and arts; by Silliman and J. Dana. Vol. XXXV. Nr. 105. May 1863. New Havn. H. von Leonhardi die böhmischen Characeen. Prag 1863. (Sonderabdruck). Neues lausitz. Magazin. Görlitz 1863. XI. Band. 2. Hälfte. The home and foreign Review. London 1863. Nr. 3—5. K. V. Zap. Česko-moravská Kronika. V Praze 1863. Sešit 8. Památky. Časopis Musea atd. V Praze 1863. Díl V. Sešit, 6. K. V. Zap. Versuch einer kurzen Geschichte der bildenden Kůnste in Bóhmen. Prag 1863. (Vom Herrn Verfasser.) Memorie dell’ Istituto I. R. Veneto di scienze ete. Vol. XI. parte 1. Atti dell’ Istituto I. R. Veneto di scienze etc. Venezia 1862—63. disp. 5—7. Zeitschrift des Vereins fůr hess. Geschichte usw. Kassel 1862. IX. Band. 2—4. Heft. Mittheilungen usw. Kassel 1863. Nr. 5—8. Sitzungsberichte der k. baier. Academie der Wissensch. München 1862. II. 3. und 4. Heft. — 1863. I. 1. und 2. Heft. Proceedings of the Royal Society. London XII. Volum. Nr. 50—55. Hor. R. Storer. On artificial dilatation of the os and cervix uteri by fluid pressure from above. Boston 1863. Memoires de la Sociéte R. des sciences de Liege. 1863. Tom. XVII. (E. Candéze Monogr. des Elaterides. IV. Tom.) Mittheilungen der Geschichts- und Alterthumsforsch. Gesellschaft des Osterlandes. Altenburg 1862. V. Band. 4. Heft. Fichte, Ulriei und Wirth. Zeitschrift: für Bhilnsonli Halle 1863. XLIH. Bd. 1. Heft. 25 A. Erman’s Archiv für wissenschaftl. Kunde von Russland. Berlin 1863. XXII. Band. 3. Heft. Sveriges geologiska undersökning; af Karlsson, Sidenbladh, Ku- gelberg, Törnebohm. Stockholm 1862-——-63. (Mit 5 geolog. Karten.) J. und W. Grimm's deutsches Wörterbuch. Leipzig 1863. IV. Bandes i. Lief. Lotos. Zeitschrift für Naturwiss.; redig. von W. R. Weiten- weber. Prag 1863. Juli. Journal of the Academy of natural Sciences of Philadelphia. New Series: Vol.; V., part. 2,3. Proceedings ete. Philadelphia 1862. Nr. 5—12. Address of John A. Andrew etc. Boston 1863. Annual Report of the Trustees of the Museum of comparation Zoologie. Boston 1863. | Boston Journ. of nat. History. Boston 1859 —62. Vol. VII. Nr. 1-3. Proceedings of the Boston Society of natur. History. Vol. VIII. 1861—62. — Vol. IX. 1—11. J. Kennedy. Preliminary Report on the eighth Census 1860. Washington 1862. (Vom Hrn. Verf.). Catalogue on the Army medical Museum. Washington 1863. Annual Report of the board of Regents of the Smithsonian In- stitution. Washington 1862. Memoir of the American Academy of arts and sciences. New Serie 2. C. Vol. VIH. part. Cambridge and Boston 1863. Proceedings ete. Vol. V. 49—57. Vol. VI 1-10. A. D. Bache. Discussion of the magnetic and meteorological Ob- servations etc. Second section. Washington 1862. (Vom Hr. Verfasser.) Appendix ete. Nro. 16—20. 23. Report of Lieut. Col. J. D. Graham. Second edition. Chicago 1862. (Vom Hrn. Graham.) The Transactions of the Academy of Science of St. Louis. Vol. V. Nr. 1. 1863. Poggendorff’s Annalen usw. Leipzig 1863. Nro. 7. Die Gesetze vom 9. Februar und 2. August 1850 über die Ge- bühren u. s. w. Wien 1863. 26 E. Weyrauch Geschichte des kgl. Prämonstratenser Chorherren- Stiftes Strahow. Prag 1863. | Crelle's Journal für die reine und angewandte Mathematik. Berlin 1863. LXII. Band. 4. Heft. Atti dell’ J. R. Istituto Veneto di scienze etc. Tomo VII. Ser. JL. disp. 8.9 Atti dell’ Reale Istituto Lombardo di scienze ete. Milano 1836. Vol. III. fasc. 11—14. Memorie dell’ R. Istituto Lombardo ete. Vol. IX. fase. 3. Philologische Section am 5. October 1863. Anwesend die Herren Mitglieder: Purkyně, Weitenweber, Hanuš, Winařický, Dastich, Frühauf; als Gast Herr Výšek. Herr Hanuš trug seine kritischen und sceptischen Bemerkungen zu den bisherigen Auffassungen des Tex- tes und der Miniaturen des sogenannten „Passionales“ der Aebtissin Kunigunde, der Tochter des Königs Ota- kar II. (in böhmischer Sprache) vor. Von diesem Pergamen-Originalcodex, der in der Prager Univer- sitátsbibliothek unter der Signatur 14. A. 17. aufbewahrt wird, geht die bisher geltende Ansicht dahin, dass denselben der Dominicaner- Mönch von St. Klement zu Prag, Kolda 1312—1314 für die Königs- tochter Kunigunde verfasst und der Canonicus von St.,Georg Beneš (Benessius) abgeschrieben habe. Die herrlichen Miniaturen .des- selben werden, da der Maler im Codex nicht selbst genannt wird, von den Einen (z. B. Prof. Wocel) dem Benes, von Anderen (z. B. von Mikovee) dem Kolda zugeschrieben. Die ausführlichsten Mittheilungen über den ganzen Codex lieferten bisher Gelasius Dobner. (latein.), Hanslik (deutsch) und in neuster Zeit am eingehendsten. Wocel (böhmisch und deutsch, 1860.); die feinen Miniaturen aber werden in allen neuern kunsthistorischen Werken auf das eingehendste gewürdigt und von Einheimischen und Fremden einer eigenen böhmischen Malerschule, die anfangs des 14. Jahrhunderts noch vor Karl IV. in Prag blühte, zugeschrieben. Auch Abbildungen der Miniaturen liefern beispielsweise die meisten kunstgeschichtlichen Werke der 27 Neuzeit, am reichlichsten abermals die böhmischen und deutschen Beschreibungen Prof. Wocel’s in Prag und Wien; neuester Zeit wurden auch durch Hrn. Rokos einige Miniaturen desselben Codex photo- graphisch aufgenommen: alles zum Beweise, wie Bibliographen und Künstler diesen Schatz der Bibliothek zu würdigen verstanden. Es lohnte daher — so schloss der Vortragende — diesen Codex einer genauen bibliographischen und aesthetischen Untersuchung zu unterziehen, die denn zu gar vielen, von den bisherigen Betrachtun- sen verschiedenen Resultaten führte, welche hier auch im Ein- zelnen wenigstens zu berühren und zu begründen noth thut, schon deshalb, damit dieselben mit den weitverbreiteten kunsthistorischen Ansichten kritisch parallelirt werden könnten, um neue Anschauun- gen über den Codex und dessen Miniaturen anzubahnen. Die hauptsächlichen Fragen, die sich hier zur Beantwortung darbieten, sind etwa folgende: 1. Ist der Codex 14. A. 17. wirklich der Originalcodex der Königstochter Kunigunde ? 2. Ist er ein „Passionale“ überhaupt? oder enthält er auch andere Schriften in sich vereint? 3. Sind die Miniaturen desselben alle von einer Hand oder doch von einer Schule? 4. In welchem Verhältnisse stand die Aebtissin Kunigunde zu den genannten Kolda und Beneš, wareiner derselben der Ma- ler und welcher ? 5. Welchen kunstgeschichtlichen und welchen kultur- historischen Werth haben die Miniaturen des Codex? Da sich diese Hauptfragen theils durch allgemeine Betrach- tung des ganzen Codex, theils durch besondere Forschungen über den Text, die Miniaturen, sowieüber die Personen, die damit in Beziehung stehen, gewinnen liessen, so theilte auch der Vortra- gende seine Abhandlung darnach ein. Allgemeine Reflexionen. Der Codex ist in der Bibliothek unter dem Namen: Franz Goldius: liber de passione Domini bekannt. Dieser irrthümlich in 28 den Bůcherstaub eingeführte Franz Goldius verdankt der Unbe- kanntschaft eines frůhern deutschen Bibliotheksbeamten. mit der böhm. Sprache seinen Ursprung, der da die Deckelaufschrift des 17. Jh.: „Kniha o umučení božím — od Fr. Goldy“ d. i. von Frater Golda (für Colda) mit liber passionis Francisci Goldij wiedergab, ob= schon gleich am ersten Miniaturbilde ganz deutlich zu lesen ist: Fra- ter Colda, lector de s. Clemente, ordinis fratrum praedieatorum, egregius dictator hujus libri. Der einheimisehe Name, desselben ist in der That Kolda z Koldic, ein Name, dessen Stamm noch in den bestehenden Ortsnamen Koldice, Koldin, Koldovka wiederkehrt. Ihm hatte, gleichfalls nach Inschriften und dem Vor-und . Nachworte Kolda’s selbst, Kunigunde die Aufgabe ertheilt, eine Schrift: de strenuo milite zu verfassen, in welcher Kolda das: „mysterium passionis Christi in parva parabola sub militis metaphora“ auffasste und dann mystisch durch den Fall Adam und Evas und die Erlösung der Menschen mittelst des Leidens Christi erklärte. Diese Schrift verfasste Kolda nach eigener Ruhmredigkeit in der Nachschrift binnen drei Tagen im J. 1312. Mit ihr beginnt unser Codex. Ihr hatte noch Kolda eine ausführliche Beschreibung der „arma redemtionis nostrae“, um in seiner erzählenden Metapher conse- guent zu bleiben, angefügt, die zugleich auf geistliche Weise die. Zeit und Art der Turniere nachzuahmen und in lebendige Erinnerung sei- ner Zeit zu bringen bestimmt scheint. Dasselbe unterstützer auch die Miniaturen. Sie begleiten nämlich nicht nur in kleineren Formen die Erzählung (Parabola) von der er- wählten, gefangenen und erlöseten Braut und die nıystische Erklärung derselben durch den Fall Adam und Eva’s, so wie durch das Leiden und den Sieg Christi: sondern bringen auch in grossen, über die ganze grosse Quartseite gehenden Malereien, die Leidenswerkzeuge — und was das auffallendste eben bei letztern ist — zweimal. — Das einemal — ohne die Form eines Schildes und zwar dort, wo von den Leidenswerkzeugen die Rede zu Ende geht, am 10 Bl.; das anderem al — als angedeuteter Schild — ganz am unrechten Orte, wo von ihnen gar nicht die Rede ist, nämlich zwischen der Vorrede Kolda's und dem Anfange der Parabel am 3. Blatte. Das letztere Bild 29 derselben ist in der That nur ein magerer malerischer Auszug aus dem Bilde am Bl. 10., indem es alle menschlichen Figuren — die schöne „Veronika“ und den knienden Christus, so wie Christus am Kreuze ausliess, ebenso wie alle Inschriften. und sich überhaupt als eine und zwar unvollendete Nachbildung des ältern Bildes darstellt, was auch die genauere Betrachtung bestätigt, die den Schild nur durch seine einfache Peripherie ausweiset. Die Theil-Inschriften dieser Schildwaffen sind sonderbarer Weise durch eine Hauptinschrift er- setzt. die aber nicht am Miniaturblatte selbst, wie alle übrigen, son- dern am vorangehenden Blatte 2. b. gleich unter der rothen Da- tirung: Datum Prage A. D. 1312. 6, kal. Septembris, gleichfalls roth mit den Worten angebracht ist: Tytulus. Hie est clipeus arma et insignia invietissimi militis, qui cognominatus est vietor cum 5 vul- neribus, fultus lancea, decoratusque corona. Sonderbarerweise ist, was bisher ganz unbeachtet wurde, diese rothe Inschrift spätern Ursprungs, als der schwarzgeschriebene Text, denn die rothe Dati- rung ist an die Stelle einer ältern palimpsestirten schwarzen Datirung getreten, wovon noch die Worte: „Datum Prage A. D. — — — sexto kal. Septembris“ gut, die zwischen lie- genden Worte: millesimo trecentesimo új (also 1313!) nur vermu- thungsweise zu lesen sind, weil sie «durch die spätere rothe Inschrift zu meist gedeckt sind. Aber auch bei dieser spätern rothen Inschrift ist es bemerkenswerth, dass das: „duodecimo“ wieder als Correc- tur der Correctur sich erweiset. Diese Correcturen sind um so auffallender, als man ihnen durch ihre sehr gekünstelte Ausbreitung die Absicht anmerkt, den grossen übrig gebliebenen Raum zu über- decken. Die Schriftzüge derselben sind jedoch gleichfalls Schriftzüge des 14. Jh. Es ist nun wohl anzunehmen, dass das ältere Bild der Leidenswerkzeuge entweder aus einer frühern Abschrift — in wel- cher es wahrscheinlich die einzige Miniatur war — hieher übernom- men wurde, wodurch auch die Abgebrauchtheit desselben — wie man sagt — durch Nonnenküsse veranlasst — erklärt würde, wogegen das neuere Bild ganz rein erhalten ist. Das ältere Bild war ursprünglich auch viel grösser, indem ein Theil der Inschriften und Miniaturen weggeschnitten erscheint, Schon dieser Umstand ist ein gewaltiger 30 Vordächtigungsgrund, dass wir nicht den Originalcodex Kuni- gundens vor uns haben, sondern dass dieser ein grósseres For- mat, als das gegenwártige hatte. Besondere Reflexionen über den Text. Die Schrift: de strenuo milite ist mit der Parabel und deren Erklärung bis zum Bl. 9. b. fortgeführt, dort bricht sie unvollendet ab, wie denn auch eine Hand des 17. Jh. unten die Worte hinzufügte: dee st folium aut plura. Viel kann jedoch nicht mehr gefehlt haben, da Text und Mi- niatur schon am Ende der Geschichte angelangt sind. Denn wie in der Parabel die Miniatur mit der coronatio sponsae ‚schliesst, so schliesst auch die Erklärung mit der Miniatur der Segnung Christi im Himmel laut der Unterschrift: „Donis plene bonis nos celi junge co- ronis — Redditus est populus celis et glorificatus.“ Mit dem Bl. 11. a. beginnt eine andere Schrift, nämlich ein Dialog Mariens mit Johannes in der Form des bekannten Planctus Mariae, der nur insoferne verderbt scheint, als darin die epische und dramatische Darstellung nicht nur mit einander unor- ganisch wechselt, sondern offenbare Glosseme zu einem früheren reineren Texte ununterbrochen in den spätern Text verwebt sind z. B. fol. 16. a. „Erat autem Maria orbata filio inconsolabiliter desolata, sicut ex verbis planetus mei (sic) suprapositis potest advertere industria humana.“ Bl. 17. a. „Nunc ergo mater benignissima per ip- sum gaudium, quod tibi resurgens filius attulit, — recordare, cum in aspectu ejus assistis, ut memor nostrarum lacrimarum et miserie, loquaris pro nobis bona et ut avertas indignacionem ejus et ab compilatore hujus opusculi ad honorem tui nominis editi et a lectore hujus soripture ad te devocius recurrente.“ Ob der „compilator“ noch derselbe Kolda war, ist ungewiss; es scheint dagegen zu sprechen, dass er in einer spätern Nachschrift für Kunigunde diesen planctus Mariae gar nicht anfůhrt — auch ist darin oder dabei von einer Dedication an Kunigunde keine Rede mehr, sondern die Schrift scheint schon mit einer allgemein frommen Tendenz abgeschrieben und mit, den Text begleitenden, neuen Miniaturen versehen worden zu sein, ja, um nach einem 31 andern Glossem (Bl. 16. a.) zu schliessen, für Kloster brüder bestimmt gewesen zu sein, welches Glossem also lautet: „Audite fratres Mariam vobiscum colloquentem et virginali pudorem (sic) se paululum avertentem“, welcher letztere Zusatz in Bezug auf die schmerzhafte Mutter Gottes sich dazu noch geradezu gesagt recht albern ausnimmt. Diese Schrift unterscheidet sich von den erstern: de strenuo milite, auch noch offenbar und äusserlich dadurch, dass sie von einer an- deren etwas späteren Hand geschrieben, zwischen schwarz gezogenen Zeilen, 29 auf jeder Seite, steht, während die Schrift „de strenuo milite“ zwischen roth gezogenen Linien, 30 auf jeder Seite geschrieben ist. Die noch nachfolgenden späteren Schriften sind gleich- falls nur zwischen solchen schwarz gezogenen Linien, deren Zahl nicht einmal constant bleibt und von andern Händen, die sich auch nicht, wie die erstere, gleich bleiben, sondern sich bald bessern, bald wieder verschlechtern, geschrieben, und schliesslichst in die ärgsten Abbreviaturen oder Siglen ausarten, was gewiss gleichfalls nicht für einen Originalcodex, für eine Königstochter bestimmt, spricht. Am auffallendsten sind in diesem planctus Mariae die zwei Blätter 12 und 13. Sie sind offenbar später eingefügt, da sie zwichen die Signaturen a. und b. (Blatt 11. b. und 14. b. unten) einge- schoben, von Schreibfehlern wimmeln (namentlich Bl. 13. a. b.) und am Bl. 13. b. sogar nur 231 Zeilen bei einer auffallend engeren Textes- säule zählen. Beiden Blättern fehlen auch alle Miniaturen. Sie deuten entweder auf ein unaufmerksames Textüberspringen beim Abschreiben oder auf ein späteres Augmentiren des schon einmal abgeschriebenen Textes hin. Die dritte Schrift des Codex handelt: de mansionibus coelestibus und ist wiederum vom Kolda verfasst. Sie beginnt mit Bl. 18. a. und geht bis zum Bl. 29. b., wo sie mit den Worten schliesst: „Ecce! sic celestes mansiones descripsimus, ecce! talia in domo domini gaudia reperimus.“ Darauf folgt mit dem Blatte 30. a. eine neue, vierte Schrift und zwar wiederum Kolda’s, in welcher er unkirchlich und schmeich- lerisch nachzuweisen sich bemüht, dass die Königstochter und Aebtissin Kunigunde aller Himmelsfreuden theilhaftig wer- 32 den werde, welche den 9 Engels- und Himmelschóren im Himmel zu- sammen zusteht. Ueber die drei seiner Schriften — die zwei eben- genannten und die erste: de strenuo milite — spricht sich der „dic- tator“ Kolda selbst, wie folgt, aus (Blatt 31. a. b.): „Tu (0 regis excel- lentissimi filia) longis oracionibus decursis lectionibus fatigata assiduis, quedam compingere opuscula me compellis. Vestris jussionibus fra- ter Colda, predicatorum minimus (vom „lector“ ist hiebei noch keine Rede) parere satagit, et si sufficientia forte desit. Jam transacto biennio opusculum laborio triduani: de strenuo milite Vestris pul- satus peticionibus pulsatus composui. Nunc Vestris postulationibus stimulatus opus: de mansionibus celestibus quodam breviloquio infra biduum compilavi. Illud A. D. 1312. sexto kalendis Septembris edidi. Istud anno ejusdem domini 1514. benedictionis vero Vestrae 13. feria 3. et 4. infra octavas beati Dominici consumavi. In hoc autem opusculo (über die sämmtlichen neun Himmelsfreuden Kunigundens) nunc in plurali, nunc in singulari Vestram personam alloquor — Valeat Vestre ingenuitatis nobilitas in secula seculorum. Amen.“ Wann diese letztere Schrift, die nur zwei grosse Auartblátter 30. und 31. füllt, Kolda verfasst habe, wird nicht gesagt, es ist die Schrift auch überhaupt nicht datirt: dass sie Kolda jedoch nicht gleich ursprünglich mit der Schrift: de mansionibus coelestibus Ku- nigunden überreicht habe. folgt aus seinen Worten: „consumavi anno 1311“ — „in hoc autem opusculo — alloquor,* welche Präsensform: „alloquor“ auf eine andere Zeit als 1314. deutet. Da nun Kunigunde im Jahre 1321 starb, so kann immerhin angenommen werden, dass die Schrift gegen dies Jahr hin, um Kunigunden etwa mit den neun Himmelsfreuden vor dem anrückenden Tode zu trösten. von ihm verfasst wurde, sohin etwa in die Jahre 1319. oder 1320. fällt, da auch zwischen die beiden ersteren Schriften ein Zwi- chenraum von 2 vollen Jahren fiel, wenn überhaupt die Jahreszahl 312 gleich ursprünglich die wahre gewesen: wogegen die Correctur m Blatte 2. b. etwa spricht, durchaus aber nicht diese eben ange- ihrten Datirungen, die keine Rasuren zeigen, wornach sogar die 'stere Rasur vorgenommen zu sein scheint. Allein daraus darf irchaus nicht geschlossen werden, dass wir etwa mit den beiden | | 39 Blättern 30 und 31 den überreichten Originaltext vor uns haben; denn eingestreute Glosseme geben offenbar auch hier den Auf- schluss, dass wir nur Abschriften vor uns haben, die zu einem späteren Klostergebrauch bestimmt waren. Denn nachdem auf dem Blatte 30. a. noch die Worte Kolda’s an Kunigunde ge- richtet sind: „Vestra mihi inoportuna (!) institit oportunitas, ut pre- sentis opusculi seriptum ederem, Vestrisque parere postulacionibus non negarem,“ wendet sich in einem späteren Glossem Kolda als Klosterbruder an seine Mitbrüder, um ihnen, sie züchtigend und verweisend, Kunigunden als ein nachahmungwärdiges Beispiel in der Lesung frommer Schriften vorzuführen. Die Worte dieses Glossems lauten: „Nova res — fratres! — geritur, ex qua virorum vere- cundia generatur. — Nostris temporibus femina, regio orta se- mine, a me compilationes scripturae, ut studeat, exigit, virorum ienavia in hujusmodi torpescit: illa, ut nova scribantur, petit, istorum (se. virorum) dampnabilis desidia eciam scripta legere fastidit. Eru- bescat igitur nostra rudis rusticitas et intra semet ipsam vehe- mencius confundatur, que jam a feminarum studiis superatur.“ Es scheint also angenommen werden zu müssen, dass die eben so gelehrte als fromme Aebtissin Kunigunde, die erweisender Massen durch Kauf und kostspielige Abschriften frommer Werke die Kloster- bibliotheken, darunter besonders die Bibliothek ihres St. Georgsklo- sters, zu bereichern pflegte, etwa kurz vor ihrem Absterben eine mit Miniaturen illustrirte Sammelschrift anzufertigen befahl, die sie etwa aus Dankbarkeit gegen den Dominicanermónch Kolda und zu ihrem Andenken dem Dominicanerkloster im Clementinum zu schenken beabsichtigte. Dass Kunigunde im Jahre 1320 (schon 55 Jahre alt) an ihren Tod dachte, beweist die Fundation zu ihrem Todtengedächt- nisse im St. Georgskloster (Tomek, dějiny Prahy. S. 444). Es konnten auch einzelne Miniaturen noch zu ihren Lebenszeiten be- gonnen worden sein — sie blieben jedoch, wie wir sehen werden, un- beendet, und zu diesen Miniaturen, so sonderbar es auch "anfänglich klingen mag, sind gleichfalls erst nach ihrem Tode die gegenwär- tigen Textesschriften mit häufig eiliger Hand hinzugefügt worden, weil wahrscheinlich nach ihrem Tode der Fond dazu versiegte und Sitzungsberichte 1863. U, 3 34 die „rudis rusticitas“ auch mit einer incorrecten Copie der beabsich- tigten Sammelschrift sich begnůgte; denn auf keinen Fall ist an ein blosses „Passionale“ oder an einen Originalcodex bei dem Ma- nuscripte 14. A. 17. der Prager Universitätsbibliothek zu denken, also auch nicht an die Jahre 1312 oder 1314, sondern nur an eine Ab- schrift aus den Originalen dieser und noch späterer Jahre, vermehrt mit anderen frommen Schriften nach dem Tode Kunigundens, sohin nach dem Jahre 1321, obschon immerhin noch in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, wie diess die Schriftzüge und die Art der Interpunctation wohl beweisen. Die fünfte Schrift beginnt mit dem 32. Blatte und ist: Sermo s. Leonis papae de passione domini in dominica ' palmarum überschrieben. Sie beginnt mit den Worten: Sceripturam quippe hebraici textus, et verba misterii, fratres earissimi! audistis, guomodo agnus immolatus est... Es enthält die Schrift eine Betrachtung über das Leiden, den Tod und die Auferstehung des Heilands mit einer An- rede an das verblendete Israel. Sie schliesst Bl. 34. a. mit der all- gemeinen Kirchenformel: qui vivit et regnat ete. ab. Von einer Be- ziehung auf Kunigunde oder auf eine der vorangehenden Schriften ist darin gar nichts zu finden. Mit ihr nehmen wir auch Abschied von der bisherigen zweiten Handschrift, die sich, obschon sie im Vergleiche mit der ersten zwischen den rothen Zeilen geschriebenen stets gröber und grösser schrieb, gegen das Ende wieder besserte. Die sechste Schrift endlich, und die letzte der Sammlung, ist ein Dialog zwischen der Jungfrau Maria und Magdalena über das Leben und den Tod Jesu. Sie beginnt Bl. 34. b. mit den Worten: Cum virgo beata mortem dolorosissimam unigeniti sui lamentabiliter deplanxisset ... und endet — ohne jede Auf- und Schlussschrift mit den Worten: „cujus regnum et ipsius permanet in eternum;* nachdem sie im Gegensatz zu den fünf andern Schriften durch gar starke Ab- breviaturen den kleinen eng bemessenen Raum bis an das äusserste Ende karge benützte. Auch sie ist allgemein kirchlichen Inhaltes, ohne jede Beziehung zur Aebtissin Kunigunde. Besondere Reflexionen über die Hauptpersonen, mit denen 35 der Codex im Verhältniss steht, nämlich über die Aebtissin Ku- nigunde, den Dominicaner Kolda undden Canonicus Beneš. Aus der eben gegebenen Inhaltsůbersicht und der Art der ver- schiedenen Schreibweise ist es gewiss ersichtlich, dass wir weder den Originalcodex der Aebtissin Kunigunde bloss mit den Schriften Kolda's erfůllt, noch úberhaupt einen einheitlichen Sammelcodex vor uns haben, sowie auch kein blosses „Passionale,“ sondern nur eine Sammelschrift, die zum Andenken an Kunigunde beginnend, am Ende in allgemein klösterliche Verhältnisse auslief. Das Disharmonische des innern Textes der Sammelschrift zeigt sich auch bei der Vertheilung der Miniaturen in derselben. Die sechste, fünfte und vierte Schrift haben nämlich gar keine Miniaturen, wohl aber den freigelassenen Raum für dieselben. der viel mehr als ein Drittheil der ganzen Blattseite einnimmt. Da sich die 6. und 5. Schrift wohl nicht zu Miniaturen der früher ange- brachten Art eignen, so scheinen ursprünglich ganz andere Theile für die Sammelschrift bestimmt gewesen zu sein. Die Miniaturen enden mit der Schrift de coelestibus mansionibus, das ist schon mit dem Bl. 22. b., welche Schrift nur noch am Bl. 20. a. und 18. a. zwei grosse über das ganze Blatt gehende Miniaturen besitzt, welche die Einführung von drei unschuldigen Seelen (etwa der Mutter Kunigun- dens, ihrer Grosstante Agnes und ihrer selbst?) durch Kristus in den Himmel, sowie die 9 Chöre der Engel und die 9 Chöre der Heiligen im Himmel darstellen. Die eigentlichen vielen und kleineren über- häuften und gedrängten Miniaturen finden sich nur in der ersten und zweiten Schrift. Doch auch bei diesen sind manche Seiten unminirt, so dass 44 volle Seiten den leeren Raum zeigen, sohin weit mehr als die Hälfte der gesammten Seiten unminirt geblieben sind; was gewiss auch von dieser Seite auf Unterbrechung der Miniaturarbeit und Unvollendung des Ganzen hinweiset, die, wie gesagt, wohl am besten durch den Tod Kunigundens sich erklären lässt, der zu einer Zeit erfolgte, in welcher nicht nur ihr kóniglicher Bruder Wenzel IL, sondern überhaupt das ganze edle Premysliden-Geschlecht schon aus- gestorben und eine ganz andere königliche Dynastie, und zwar die der Luxemburger mit Johann auf den böhmischen Thron gelangt war. 8* 36 : Dieses führte den Vortragenden zur Kritik der bisherigen Auf- fassungen der Verhältnisse Kunigundens zu Kolda und Beneš. Die vorgerůckte Zeit erlaubte nicht den Vortrag, der durch die Vorlegung der darin besprochenen Materien anschaulich gemacht wurde, fortzusetzen — der Beschluss wurde daher zur nächsten Sitzung der philosophischen Section verschoben. „ Philosophische Section am 12. October 1863. Anwesend die Herren Mitglieder: Purkyně, Weitenweber, Hanuš, Zap, Storch, Dastich; als Gast Hr. Výšek. Hr. Hanus setzte seinen Vortragüber die bisherigen Auffassungen des Kunigundencodex fort, und begann vor Allem die dahin einschlagenden biographischen Daten der Aebtissin Kunigunde, des Verfassers Kolda und des Schreibers Beneš darzustellen. 1. Kunigunde. — Die Geschicke dieser Königstochter sind in vieler Beziehung noch dunkel. Sie ward 1265 geboren, als 13jähri- ges Mädchen mit Hermann, dem Sohne Kaiser Rudolf’s verlobt, ohne dass es jedoch später zur Heirath kam. Im Gegentheile kam sie zu ihrer Grosstante Agnes, der Aebtisin und Tochter Přemysl I. in das Kloster der Klarissinnen zu Prag, wo sie 13 Jahre verweilte. Als 25jährige Jungfrau findet sie die Geschichte aber an einen — unge- nannten! — Herzog von Masovien vermählt, um abermals gleich im Beginn des 14. Jahrhundertes selbst als Aebtissin des St. Georgsklo- sters in Prag am Hradschin zu erscheinen, wo sie am 27. November 1321 starb. Dies lehrt die doctrina plana der Geschichte. Ob ihr Gemahl in Masovien früher starb und wann, ist unsicher; von Kindern weiss die Geschichte nichts, obschon nach den bisherigen Auffassun- gen ihre Tochter Perchta auf dem ersten Miniaturbilde unseres Co- dex dargestellt sein soll. Dass sie von ihrem Gemahle geschieden wurde, deutet (wiewohl nicht nothwendig) eine Aufschrift auf der ebenge- nannten Miniatur an: regnum terrestre sprevisti. Dass sie nicht als Jungfrau ins Georgskloster kam, deutet Colda selbst in einer 37 Ansprache am sie an und zwar mit den Worten: „Et sic guemadmodum in virgine sancta castitas virginitati copulatur: sic in persona Vestra religiosa humilitas regali germine decoratur“ (fol. 31 b.). Die Fabel aber, dass sie eine Tochter mit in's Georgskloster brachte, erzeugte die bisherige irrige Deutung der genannten Miniatur und deren Inschrift. Es ist nämlich auf dem Bilde der Frauenkonvent des Georgsklosters (8 Nonnen) abgebildet und hinter ihm ein kleines Nönnchen mit einer Inschrift, die man bis an die neuesten Zeiten: „Domina Perchta dominae Abatissae, filiae regis, gnatta*, aber irrig las; denn die Inschrift besagt: „Nonna Perchta, dominae Abatissae gnana“, d. i. Perchta, die Zwergin (gnana, nana) der Aebtissin. Kunigunde muss also eine solche in ihrem Kloster gehabt haben. Das Bild zeigt wirklich eine zwergige Nonne und keineswegs ein Mäd- chen. Da, wie wir gleich sehen werden, Kunigunde 1301 schon Aeb- tissin ward, so hätte ihre Tochter im Jahre 1314, in welchem Colda ihr zu Ehren das Werk über die Himmelswohnungen schrieb, bereits das Alter eines 15jährigen Mädchens, sohin die Form eines ziemlich erwachsenen Frauenzimmers, keineswegs aber eines winzigen Zwerges gehabt, selbst wenn man annehmen möchte, dass sie erst im letzten Jahre ihrer mehrjährigen Ehe ein Kind geboren hätte. Hätte sie ein Jahr nach ihrer Heirath (1290) die Tochter geboren, se wäre diese schon im Jahre 1312 eine reife Jungfrau von 21 Jahren gewesen: ist es hingegen wohl sicher, dass vor dem J. 1319 weder die Miniatur, noch der vorliegende Text verfertigt wurde, so wäre im erstern Falle die Tochter schon 18 Jahre, im letztern Falle sogar 28 Jahre alt gewesen. Diese Zahlen werden noch steigen, wenn so- gleich mit Wahrscheinlichkeit gezeigt werden wird, dass gerade diese besagte Miniatur nicht vor dem Tode Kunigundens gemacht werden konnte, sohin nicht vor dem Jahre 1322. Wir setzten die Benedici- rung Kunigundens als Aebtissin in das J. 1301, sind sohin von der gewöhnlichen Annahme abgewichen, die das Jahr 1302 obschon nicht ohne jeden Widerspruch festhált. Der Gewährsmann für das J. 1301 ist Colda selbst. Denn eben als derselbe anführt, dass er für sie das Werk: de mansionibus coelestibus im J. 1314 schrieb, fügt er hinzu „benedictionis Vestrae anno XILL“ Damit harmoniren die ganz um- 38 verdächtigen Inschriften aller jener Handschriften, die auf das Geheiss Kunigundens für das Georgskloster theils gekauft, theils abgeschrieben wurden und nun in der Prager Universitätsbibliothek aufbewahrt werden, als z. B. 14. D. 13. „Ao. dom. 1306. benedictio- nis suae anno 5.“ — 14. E. 10. „Ao. dom. 1312. bened. suae ao. 11.“ — 12. D. 11. „Ao. dom. 1318. ben. suae ao. 17.“ — 12. D. 10. „Ao. 1319. ben. suae ao. 18.“ — Gegen diese glaubwůrdigen Zeu- gen scheint der liber memorabilium („fragmentum praebendarum“) des St. Georgsklosters zu sprechen, der gleichfalls in der genannten Bibliothek (unter der Signatur: 13. A. 2.) aufbewahrt wird. Dieser sagt, dass Kunigunde „anno 1302 recepit habitum monasticum die Mariae Magdalenae.“ Allein dieser liber memorabilium ist nicht so gleichzeitig, wie die genannten Quellen, denn er ist nur die Ab- schrift eines ältern Buches und wenigstens 30 Jahre nach dem Tode Kunigundens begonnen; auch kann immerhin angenommen werden, dass sie früher zur Aebtissin ernannt und später als Nonne einge- kleidet wurde. — Gegen das J. 1301 spricht aber ein noch gewichtigerer Zeuge: der Krummstab Kunigundens selbst. Denselben soll sie von ihrem königlichen Bruder Wenzel II. im J. 1303 erhalten haben, wie die noch an demselben erhaltene Inschrift besagt: „Ao. dom. 1303 hunc baculum fieri fecit W. II. Bohemie et Polonie rex et dedit ger- mani sue domine Cunigunde abatisse monasterii S. Georgii in castro Pragensi ao. primo benedictionis sue.“ (Photographisches Album böhm. Alterthümer. Im Namen des Vereins Arcadia herausg. von Mikovee. Prag 1862 bei Kuranda.) Doch bietet sich auch hier ein Ausweg dar. Der Stab ist nämlich leider grösstentheils in Folge der zweimaligen Renovirungen vom J. 1553 und 1836 zum Nachtheile des Ganzen völlig umgestaltet worden, wovon im J. 1836 die Reformen den Stab selbst trafen. (Památky archaeologické v Praze II. 89. — Lind: über den Krummstab. Wien 1863 S. 46.) Es wäre sohin auch möglich, dass die alte Inschrift, die sich an den vergoldeten Ringen des Schaf- tes angebracht vorfindet, eine Beschädigung erhielt, besonders als sich das fragliche Jahr: primo an dem untersten Ring befindet und nun davon nur die Buchstaben P.M ©. sich erhalten haben. (Uiber an- dere Datirungen s. Dobner: monumenta. tom. VI. pag. 373, 346.) 39 Mag aber auch die Jahrzahl 1502 des Stabes gegen die Jahrzahl 1301 der angeführten Bücher sprechen, so wird wohl bei so bewandten Umständen das Zeugniss des einen restaurirten Stabes das Gewicht für die sechs ganz unverdächtigen Zeugnisse der zu verschiedenen Zeiten und von verschiedenen Händen jedoch coaev geschriebenen alten Bücherinschriften in die Wagschale fallen. Wie dem aber auch sein möge, so ist doch die Schnecke dieses Krummstabes für unsere Untersuchungen in anderer Beziehung so wichtig, dass wir derselben unsere Aufmerksamkeit noch besonders zuwenden müssen. Diese Schnecke erlitt nämlich bei den Restaurirungen in den Jahren 1553 und 1836 an sich gar keine Aenderung, wenn man den nur hin- zugefügten reichen Edelstem- und Perlenbesatz nicht in Betracht zieht, da er eben den Kern des Ganzen vollends unberührt liess. Diesen Kern bildet nämlich eine äusserst alterthümliche Figur des hl. Georgs, der stehend, als Ritter mit dem Harnisch bedeckt und bei geschlossenem Visiere einem vorsündfluthigen Drachen den Speer in den Rachen stösst. (Man sehe die Abbildung in den Památky ar- chaeologické zu Prag 2. B. S. 89.; — in der Leipziger illustrirten Zeitung 1861. B. I.; in dem obengenannten Werke Lind’s über den Krummstab und endlich — und zwar am schönsten — in der grossen und getreuen Photographie, welche bei der archaeologischen Ausstellung der Künstlergesellschaft Arkadia im Jahre 1861 der nun verewigte Mikovec verfertigen und mit anderen photographirten Merkwürdig- keiten dieser Ausstellung 1862 bei Kuranda in Prag, und zwar pom- pös, verlegen liess.) Vergleicht man nun das ganz eigenthümliche und sehr in die Augen fallende Bild dieses Georgritters in der Krummstabschnecke Kuni- sundens mit dem Bilde des Krummstabes, den in der ersten Miniatur unseres Codex die Aebtissin Kunigunde in der Hand hält, so findet sich in letzterem nichts dergleichen vor. In der Miniatur hält Kuni- sunde einen ganz gewöhnlichen Krummstab in der linken Hand, dessen Schnecke in ein Fünf-Blatt ausläuft, vom Georgritter ist am Stabe auch andeutungsweise keine Spur, ja auch die Inschriftenträger, die vergoldeten Ringe am silbernen Stabe, fehlen ganz, denn der Schaft der Miniatur ist ganz glatt und gelb (sohin golden oder vergoldet) 40 und nicht, wie die Památky sagen, silbern. Wáre nun, wie noch 1860 in den bohmischen „Památky“ und zugleich in den deutschen Wiener „Mittheilungen“ gelehrt wurde, die Miniatur im J. 1312 für Ku- nigunden gemalt worden, wie hätte es da ein Maler wagen können, der Aebtissin Kunigunde den ihr eigenthümlichen Krummstab, ein königliches Geschenk ihres Bruders, das Zeichen der Macht- vollkommenheit des St. Georgsklosters, aus den Händen zu ent- reissen — wie hätte ein Maler, der nur einigermassen dem Georgs- kloster nahe stand, so blöde sein können, ein solches Charakte- ristikon zu übersehen, dessen Andenken noch ganz frisch war, da es damals Kunigunde selbst erst neun Jahre in Händen hatte, wie hätte Cold a, welcher Kunigunden und dem königlichen Hofe, wie wir gleich sehen werden, sehr nahe stand, oder Beneš, der Cano- nicus im Georgskloster war, die fragliche Miniatur malen können! Schon dieser Umstand zwingt (um die Resultate zu wiederholen) zu folgenden Annahmen: 1. Die Miniaturen des vorhandenen Codex sind nicht gleich alt. 2. Die Titelminiatur, Kunigunden, die Aeb- tissin, mit einem fremden Krummstabe vorstellend, ist die letzte unter allen. 3. Eben darum hat diese Miniatur (die an sich noch andere Merkmale hat, dass sie unvollendet ist, wovon unten,) Kuni- gunde gar nie gesehen — oder mit andern Worten, die Miniatur ist erst nach dem Tode Kunigundens entstanden. Diese letztere Behauptung wird durch das Bild selbst noch weiter begründet. Denn am Bilde sitzt Kunigunde schon in einer eben solehen „mansio coelestis,“ wie am Blatte 20. a. und 22. b. Christus und Maria, ja auf eben solchem Throne und Pfühle, so dass das Bild nur die malerische Ausführung dessen ist, was derselben der schmeichlerische Mönch Colda in seiner letzten Schrift versprach, dass ihr nämlich alle neun Seligkeiten der Engel und Heiligen im Himmel zu Theil werden werden. Wie am Bl. 20. a. Kristus die Jungfrau Maria im Himmel krönt, so krönen in der Titelminiatur zwei En- gel mit einer sehr grossen Krone die Aebtissin Kunigunde, wobei noch in rother Inschrift die Worte aus dem Himmel schallen: „Mun- dum sprevisti, regnum terrestre liquisti: felici dono jam te pre- miando corono,“ was doch nur als Worte Christi, ihres himmlischen 41 Bráutigams, gedeutet werden kann und mit Bestimmtheit den schon erfolgten Tod Kunigundens voraussetzt, da wohl vor dem Tode niemand selig gesprochen werden kann. Dadurch sind auch die andern Figuren der Miniatur erklärlich. Rechts steht der ganze Frauen- convent und 'sieht, bei einer ganz eigenthümlichen Handbewegung, demuthsvoll zur verewigten Kunigunde wie zu einer Heiligen hinauf, links knien Colda und Beneš. Colda überreicht mit demuthsvoller Miene einen starken Octavband der Aebtissin (unser Exemplar ist ein unförmlicher Quartband, 11 3“ Höhe, 9 3° Breite) ; hinter ihm erhebt Beneš, der Canonicus, wie betend die Hände gegen Kuni- gunde, welche Stellungen und Geberden der beiden Geistlichen wohl nicht recht thunlich und erklärlich wären, wenn Kunigunde nicht schon wie eine Verewigte vor ihnen sässe. Es ist daher anzunehmen. dass die Ausführung dieser Miniatur wohl zum Andenken an Ku- nigunde als eine selig Dahingeschiedene ausgeführt, nicht aber von ihr veranlasst, ja nicht einmal von ihr gesehen wurde und von einem Maler verfertigt sein musste, der dem Georgskloster fern stand, weil, wie gesagt, Kunigunde einen fremden Krummstab in der Hand hält. Auch diese Betrachtung schiebt daher die Vollendung des gegenwär- tigen Codex über das Jahr 1321 hinaus, in welehem Kunigunde starb. Denn der Text ist erweislicher Massen erst zu den Miniaturen hin- zugeschrieben worden. | 2. Kolda von Koldie. So hiess ein adeliges Geschlecht in Böhmen. Ein Henricus de Colditz wird schon 1212, ein Colda 1221 bei Erben erwähnt (Reg. 246, 301). Ein Kolda ging im J. 1305, also die ersten Jahre nach Kunigundens Eintritt ins. Kloster, einen Tausch seiner Güter gegen einige Güter des St. Georgsklosters ein, um die letzteren mehr zu arrondiren (Tomek. Dějepis Prahy. I. str. 444). Da Kolda in den J. 1312—1314 die zwei ersten Schriften für Kunigunde schon als Dominikanermönch schrieb („Colda ordinis predicatorum minimus“), so scheint nicht er, sondern etwa sein Vater oder Bruder den Güter- tausch unternommen zu haben. Es ist sonderbar, dass er nirgends mit seinem Klosternamen, sondern auch im Kloster mit seinem Fa- miliennamen: „frater Colda“ genannt wird. Ist das etwa Claudius, 46 — wie Beneš Benedietus? — Mit dem Hofe, und zwar sowohl der Pře- mysliden als der Luxemburger stand er in näheren Beziehungen. Der Premysliden erwähnt er selbst in der Vorrede zu seiner ersten Schrift für Kunigunde: de strenuo milite: „memor honoris eximii et quam plurimum beneficiorum in serenissimi Wenceslai, Bohemie quon- dam regis, sanctae recordationis fratris Vestri palacio perceptorum, fateor“ etc. Dies war im J. 1312, also 7 Jahre nach dem Tode Wenzel II. Noch im J. 1314 nennt er sich nur: „frater Colda or- dinis praedieatorum minimus.“ Erst spát, wahrscheinlich erst nach dem Tode Kunigundens kam er za der ansehnlichen Stelle eines lec- tor (doctor, professor philosophiae et theologiae) im Dominikaner- kloster und als solchen empfahl ihn der Luxemburger König Johann dem Pabste Clemens als Poenitentiar für die Böhmen in Rom und zwar mit sehr anempfehlenden Worten: „honestus et religiosus vir, frater Colda de Coldiez ordinis praedicatorum lector Pragen- sis, qui de nobilibus regni mei praedieti trahit originem, de literarum scientia et honestate morum, vitae munditia, religionis zelo, conversatione placida et circumspectionis providentia plurimum commendatur.“ © Es ist ungewiss, wann das geschah, da die Urkunde sich nur in einer Sammlung von Dietanunibus ohne Datirung befindet. (Palacky: Formelbücher I. 339. 340.) Johann regierte vom Jahre 1310—1346. Da er im Texte der Kunigundenschriften, auch noch im J. 1314 selbst nur frater minimus sich nennt, am Titelmmiatur- bilde aber schon: frater Colda, lector de St. Clemente ordinis fra- třum predicatorum, egregius dietator hujus libri“ genannt wird, so ist auch dies wiederum ein Beweis mehr, dass die Miniaturen und (olelich die ganze Abschrift, die wir vor uns haben, viel später als im J. 1314, wie man bisher meinte, und zwar wie nachgewiesen, nach dem Tode Kunigundens entstanden seien. In den Vor- und Nach-Worten an Kunigunden nennt er sich nur „compilator“, also Zusammensteller der Schriften, am Titelminiaturbilde aber wird er schon „egregius dictator hujus libri“, wol also Gründer dieses Mi- niaturcodex genannt, da das mittelalterige „dictator“ auch den Sinn des Urhebers hat (Du Cange, glossarium. 1846. S. 845. b. N. 2.). Dies brachte wol manchen z. B. den Archaeologen Mikovec auf den 45 Gedanken, Colda auch für den Maler der Miniaturen zu halten. In der That spricht er zu Kunigunde einmal: „Tu — guaedam, com- pingere opusceula me compellis.“ Allein bei ihm bedeutet „compin- gere“ nur darstellen, wie aus andern Worten, die er spricht, zu ersehen ist: „materia operis in prologo brevi sermone depingitur.“ Auch würde bei seiner Ruhmredigkeit sowohl er selbst, als auch der Inschrif- tenschreiber des Codex schon dafür gesorgt haben, dass eine solche Denkwürdigkeit seiner Person und seines Namens nicht würde ver- loren gegangen sein. Ein Colda, der dem Hofe Wenzel II. und der Kunigunde so nahe stand, würde der Aebtissin auch das königliche Geschenk des Krummstabes in die Hände gegeben haben, und nicht einen ihr fremden baculus. Er war also nur dietator hujus libri egregius, d. i. er liess es als lector für die Dominieanermönche malen und abschreiben, damit er ihre „rudis rusticitas“ mit seinem und dem Beispiele der frommen und gelehrten Kunigunde beschäme. Wurde die Bitte König Johann's vom Pabste Clemens erfüllt, so kam er nach Rom, was bei seiner Abwesenheit von Prag den desolaten Charakter unseres unvollendeten Codex am besten erklären würde. Palacký hält (I. e.) den genannten Pabst für Clemens V., der, am 20, April 1314 starb, aber in diesem Jahre war Colda noch nicht lector, sondern nur „frater praedicatorum minimus,“ es muss sohin Clemens der VI. gewesen sein, der vom Jahre 1542—1352 regierte, so wie Johann vom J. 1310—1346. Der Brief Johanns und sohin auch die fragliche Anstellung Colda's als Poenitentiar in Rom fiele m die Jahre 1342— 1346, vor welchen Jahren sich daher auch unser Codex seiner rela- tiven Vollendung näherte. Hat aber Palacky mit Clemens dem V. Recht (die Urkunde schreibt den Namen nicht einmal aus), dann würde auch die Verfertigung unseres Codex in eine viel frühere Zeit fallen, was jedoch vor dem Jahre 1322 nicht wohl möglich ist. Clemens der V. starb, wie gesagt, schon am 20. April 1314. Kolda schrieb aber das Werk: de coelestibus mansionibus im J. 1314 „feria tertia et quarta intra octavas beati Dominici“ und dann darnach noch eine andere Schrift für Kunigunde („in hoc autem opusculo“ ete, Bl. 31. b.) in Prag, kann also wohl kaum von Clemens V. zum Poeniten- tiar ernannt und zu dessen Lebzeiten noch nach Rom gereiset sein: wol aber piny pb in den ersten Jahren der Regierung Clemens VI. Je näher man die Verfertigung unseres Codex gegen das J. 1314 schiebt, desto uner klärlicher wird in und an demselben alles; je später man denselben nach dem J. 1521 (dem Todesjahre Kuni- sundens) zusammengestellt sein lässt, desto mehr klärt sich alles in demselben auf. Auch darf nicht unberührt bleiben, dass eine Abschrift in einem Formelbuche (Dietamina) nie die Autorität einer wirk- lichen | Urkunde besitzt: auf jeden Fall scheint die Bittschrift um ein Poenitentiariat die letzte Nachricht úber Colda's Leben zu sein. Auch in ihr wird der etwaigen Malerkunde Colda's keine Erwähnung gethan, was obwiss bei etwas so Ausserordentlichem in jenen Tagen gesche- hen wäre. b. Benessius (Beneš) canonicus. Seitens Beneš des Canonicus haben sich noch spärlichere Daten erhalten, als seitens Colda’s. Von einem Beneš sagt der schon er- wähnte liber memorabilium, früher unpräcis „fragmentum präben- darum St. Georgii“ genannt, „anno 1397 in die undecim millia vir- sinum obiit dominus Benessius canonicus ecelesiae sancti Appollinaris olim canonicus ecelesiae S. Georgii in castro Pragensi,* indem zu- »leich erwähnt wird, welche Geschenke er dem Georgskloster machte. Wären nun die Schriften Colda’s im J. 1312 und 1314 von Benes geschrieben worden, so hätte er sie in früher Jugend, ja Kindheit schrei- ben müssen, in welcher er schwerlich sehon Canonicus gewesen sein konnte. ar 12). Dobner Monum. VI. 348.) Denn nähme man an, Beneš wäre im J. 1397 als 90jähriger Greis gestorben, so wäre er im J. 1314 erst 7 Tone, alt gewesen. in welchem man weder Canonicus zu sein noch solche Dinge zu schreiben pflegt. Nimmt man dagegen aber wie wir an, dass «die vorliegenden Schriften Colda's von Beneš erst nach dem J. 1322 abgeschrieben wurden, bei einem Alter von 24 Jahren, so würde auch das sein Geburtsjahr schon zum Jahre 1298 hinausrücken, das ihm das ungewöhnliche Alter eines vollen Jahrhunderts brächte. Diese Unwahrscheinlichkeit wird gleichfalls desto mehr vermindert, Je später man die Verfassungszeit unsers Codex ansetzt. Starb Beneš als 80jJähriger Greis, so wäre er im Jahre 1317 geboren, im Jahre 1341 24 Jahre alt gewesen, wo er als Cano- 45 nieus, wie es ausdrücklich heisst, die Schriften geschrieben haben konnte, um welche Zeit, wie wir oben sahen, auch Colda als poeni- tentiarius nach Rom gekommen sein konnte. Das wirde auch seine gar jugendliche Gestalt am Titelminiaturblatte, der Figur des ältern Colda’s gegenüber erklären. Es kommen wohl in dem mehrerwähnten „liber memorabilium“ noch andere Notizen über Beneš vor, die aber genau berechnet ihm ein Alter von wenigstens 117 Jahren zutheilen würden, was doch nicht wohl mbglich ist, da von einem so hohen Alter bei der Nachricht von seinem| Tode keine Er- wähnung geschieht. Es bleibt da nichts anderes möglich, | als zwei Canonici desselben Namens Beneš (d. i. Benediefus) auzunehmen, was jedoch jedes nähere Eingehen in unseres Beneš | Lebensge- schicke unthunlich macht. Dahin gehört denn nun alıch die Frage, ob denn Beneš zugleich der Maler der Miniaturen unseres Ei war. Auch Tomek führt in seiner Geschichte Prags (J. 397) zwei Cano- nici Beneš, einen Beneš in der Praebende | Přílepy zwischen den J. 1294—1304, den andern in der Praebende Bohnice nach dem J. 1342 an. Von dem Přileper Beneš sagt nun der liber memorabilium (I. e.), dass er und sein Vorgänger Jakob „per se officia debita ipsi prabendae sacerdotalia peregere.“ Ist nun dieser! Beneš im J. 1304 nur 24 Jahre alt gewesen und dieselbe Person mit dem, im Jahre 1397 gestorbenen Bene$, so wäre dieser schon im Jahre 1280 geboren, sohin, wie oben angedeutet, 117 J.alt geworden, welches vor- sündfluthige Alter doch ohne jede Beglaubigung anzımehmen, nicht wohl angeht. Wenn daher in den Wiener Mittheilungen der k. k. Centralcommission vom J. 1860 und in den Prager Památky ar- chaeologické von demselben Jahre behauptet wird, dass der Schrei- ber Beneš wohl auch der Maler war, so ist das offenbar eine Be- hauptung, die ohne alles Eingehen in die Quellen nur die bald hundertjährige doctrina plana wiederholte und sich von derselben nur dadurch unterschied, dass sie dieselbe mit Grün- den zu stützen unternahm. Da diese Gründe in den „Památky“ ausführlicher dargelegt sind als in den Mittheilungen, so gieng der Vortragende die Památky in dieser Beziehung kritisch durch. Sie sind dort S. 106, 107 und zwar im wesentlichen wie folgt angeführt: inen (Canonicus 46 „Der Maler pflegte weniger geehrt zu sein, als der Schreiber, welcher wenigstens nich; die allgemein grammatischen und wissenschaftlichen Kenntnisse entbehren könnte, wie ein blosser Iluminator. Es ist daher natürlich, dass ein Schreiber, der zugleich auch Illuminator war, nach der Regel: denominatio fit a potiori, sich lieber Schreiber als Illumi- nator nannte. Finden wir daher in einem minirten Codex nur den Namen des Schreibers, so haben wir ihn auch für den Hluminator zu halten.“ — Wem man nun auch hier die Frage über die logische und archaelogische Consequenz dieser ganz merkwürdigen Schluss- folgerungen ganz bei Seite lässt, so ist doch gewiss nicht zu über- sehen, dass zwischen einem blossen Illuminator, der etwa einzel- nes der Handschrift farbig verziert oder hie und da Arabesken an- bringt, und einem Maler solcher Miniaturen, die Veranlassung zur Annahme einer eigenen böhmischen Malerschule ge- geben haben, doch ein gewaltiger Unterschied ist, besonders da der Codex selbst ersichtlich nachweiset, dass der Hauptmaler der Mi- niaturen, der fein und genau malte und zeichnete, und der sehr mit- telmässige Illumina tor durchaus nicht dieselbe Person war: Ein zweiter Grund soll darin liegen, „dass in die Malereien selbst Buchstaben und Inschriften so hineingelegt und künstlich! eingefügt sind, dass man augenscheinlich! daraus erkennen kann, dass dieselben mit den Bildern zugleich und zwar von derselben Hand! sammt dem Texte zu einem harmonischen! Ganzen vereint wur- den.“ Der Vortragende und mit ihm die anwesenden Zuhörer und Zu- seher, die den fraglichen Codex vor sich hatten, fanden nun das ge- rade Gegentheil dieser Behauptung. Denn die Autopsie er- gab, dass vor allem die Miniaturen selbst des ersten, ältern Theils der Schrift früher verfertigt waren, als der Text und dass die farbigen Verzierungen, so wie die Auf-und Inschriften viel später und dies nach Vollendung auch des spätern Tex- testheiles hinzugekommen und zwar nicht nur ganz unor- Ganisch, sondern oft sogar barbarisch den Miniaturen und dem Texte sehr spät hinzugefügt wurden. Dass die Miniaturen vor dem Texte verfertigt waren, ist im ersten Textestheile beson- ders zu ersehen am Blatte 7 a; 8 a; 9 a; im zweiten Theile aber 47 am Bl. 18 a, namentlich bei den Zeilen 2 und 3, wo der Schreiber Langzeilen und Kurzzeilen schrieb, je nachdem ihm von der Malerei dazu Platz gelassen wurde, der er ausweichen musste oder eigentlich sollte, da er die Zeile 2 und 53 bis über die Miniatur plump hinüber- führt, so wie der spätere Illuminator seine rothen Inschriften bis in und über die gothischen Phialen der Miniatur hineinzog. Freilich ist am Bl. 17. a. eine scheinbare Ausnahme davon zu sehen, indem dort. namentlich in der Zeile 2 und 12 die Malerei über einzelne Buch- stabentheile des Textes hinübergeht. Allein das ist nur Schein, denn nicht die Malerei als solche, sondern nur die späteren Vergoldungen "der Heiligennimbuse, sammt deren gleichfalls späteren und roheren rothen Umsäumungen verfahren also barbarisch mit dem Texte, so dass gerade auch das Bl. 17 ein Beweis unsrer obigen Behauptung ist. Die Autopsie des Codex führt daher zur Antithese der Identität zwischen Schreiber und Maler. Es wurde das im Vortrage noch deut- licher, als sogar 4. von den verschiedenen Malern der Miniaturen gesprochen wurde. Wie die historischen Quellen zwei Canonici Beneše in den Ta- gen Kunigundens und nach deren Tode aufweisen, wovon der im J. 1397 verstorbene wohl der Schreiber unseres Codex, d. i. des einen Theiles desselben war: so führt die genaue Autopsie der Malereien auf mehrere Maler verschiedener Qualität. a) Das älteste Stück des gegenwärtigen Codex ist unläugbar das Blatt 10, über dessen Vorderseite die oben erwähnten Abbildungen der Leidenswerkzeuge Christi im ganzen führen, während die Rückseite ganz leer ist (ohne Malerei, ohne Linierung, ohne Text). Es ist von den späteren Vergoldungen frei geblieben, indem die Nimbuse nur gemalt erscheimen. Die glücklicher Weise ganz wohlerhaltene „Veronica“ dieses Blattes ist übrigens das beste, was Malerei und Zeichnung im Codex leisteten: ein edles, ernstes Antlitz von wahrhaft erschütterndem Ausdrucke. Das ganze Blatt gehörte ur- sprünglich gar nicht in diesen, sondern in einen Codex von viel grösserm Formate, da jetzt die Malereien und Inschriften über die äussersten Ränder oben und unten hinausgehen. Es musste nicht 48 einmal in dem Urcodex, den Kunigunde von den Schriften Colda's besass, gewesen sein, da es allgemein religiösen Inhaltes ist und ein Passional überhaupt zieren konnte. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass es in dem Urcodex Kunigundens war, da Colda der Leidenswerk- zeuge besonders Erwähnung thut („in qua insuper narracione“ arma redemcionis nostre, que papa Innocentius explicavit, induce rem.“ Bl. 2. a.). Dort war es wohl die einzige und zwar die Titel- minjatur, woraus sich auch dessen auffallende Abgebrauchtheit, wohl durch wiederholtes Küssen, erklären liesse. Als Pergamen hängt es eben mit dem gegenwärtigen Blatte 2, jetzt die Dedicationsschrift Colda’s enthaltend, zusammen, welches auf seiner Vorderseite ein Palimpsest zu sein scheint und auf seiner Kehrseite die oben be- rührte Rasur der alten Datirung enthält. Die roth und fein gezogenen Linien «desselben, die gar nichts mit den späteren rothen Aufschriften gemein haben, sind jedoch von der Art, dass sie ursprünglich zur Aufnahme einer andern Form des Textes bestimmt gewesen zu sein scheinen. wie es die 25. Linie beider Seiten, die durch beide Textessäulen hindurchgeht, sowie die ausserhalb des Textes befind- lichen Verticaldoppel - Zeilen andeuten, die Arabeskenverzierungen aufzunehmen bestimmt sein mochten. Doch ist leider nicht alles, was sich gegenwärtig auf dem Blatte 10 befindet, gleich ursprüng- lich alt; ungeschickte Hände viel späterer Tage versuchten sich mit Inschriften und Nachzeichnungen darauf. Wer der ursprüngliche Ma- ler gewesen, wird wohl für immer unbekamt bleiben, es sei denn, dass sich über den ursprünglichen Codex irgend wo Nachrichten oder Spuren auftreiben liessen. b) Zu den Malereien der spätern Epoche, verfertigt nach dem Tagen Kunigunden's, wenn auch etwa durch sie noch veranlasst, ge- hören die übrigen minirten Blätter. Vergleicht man sie mit den Ma- lereien des Blattes 10, so erscheinen sie jünger, frischer, bewegter als diese. Ein und derselbe Styl weht jedoch durch beide (von einer böhmischen Schule im Allgemeinen ist wohl nicht räthlich zu reden, es wäre genug, von einer böhmischen Klosterschule zu spre- chen), was besonders deutlich wird, wenn man den knienden Kristus der Blätter 10 und 6. vergleicht: es ist derselbe Styl, aber nicht 49 etwa blosse Nachahmung ; der jüngere Maler bewegt sich, wenn auch in einem engen Farbenkreise (meist roth, blau, grün), doch frei in Zeichnung und Farbenanwendung, welche Freiheit und Feinheit be- sonders in dem sehr geschmackvollen Faltenwurfe erscheint. Am ent- ferntesten vom wahren Kunstgeschmacke pflegt die Zeichnung der Köpfe und Hälse zu sein, welche beim Bemühen um einen tiefen Ge- müthsausdruck oft karrikirt und verzeichnet sind, was jedoch, wie wir bald sehen werden, nicht vollständig diesem Maler allein zur Last fällt. Man wird gewiss nicht so leicht behaupten wollen, dass die- selbe Hand, welche das edle Antlitz der „Veronica“ malte, auch das karrikirte Gesicht der Madonna auf dem 11. Blatte zeichnete. Die Ge- wandung ist durch den starken Wechsel von Licht und Dunkel etwas ungelenk, wie von schweren Stoffen, oft lederartig, was mit der netten Zeichnung der Faltenwürfe oft contrastirt. Diese Art der Malereien ist unbeendet geblieben. Nicht nur sieht man durch den ganzen Codex noch Raum für Malereien freigelassen, sondern auch einzelne Male- reien zeigen Spuren der Nichtvollendung. So gleich die Titelminiatur. Die Köpfe der Nonnen waren nämlich nur im Antlitz, den Händen und dem Oberkleide beendet, der Schleier und das Unterkleid erhielten erst später sehr ungeschickte und rohe Straffirungen. Am Blatte 22, b. „sacerdotes et episcopi“ hat nur der eine Bischof das Pedum vol- lendet, die beiden andern nur die Schnecke, sie erhielten sohin durch einen spätern Maler nur zwei rothe Striche statt der Stäbe in die Hand. Wer war nun der Maler dieser unvollendeten Miniaturen, die eben den Kern des Codex bilden? Eine knieende Figur führt viel- leicht zur Entscheidung. Am 1. Blatte knien nämlich Colda und Beneš vor Kunigunde und Colda überreicht ihr ein Buch. Am Blatte 7. b. aber kniet eine Nonne, die Christus ein Buch überreicht hat. Das Bild gehört gar nicht an seine Stelle. Denn vor dem Bilde oben geht Christus erst den Leidensweg mit dem Kreuze, dann folgt die knieende Nonne vor Christus dem Auferstandenen und erst die nächste Miniatur zeigt die Kreuzigung. Neben Christus ist auch die blutige Lanze schon im Boden eingesteckt, obschon Christus erst am Bl. 8. a., wie gesagt, gekreuzigt ist. Der Text bezieht sich nur auf die Lanze, keineswegs auf eine knieende Person. Wer Sitzungsberichte 1863. II, 4 50 ist nun diese knieende Nonne? Man gibt sie fůr Kunigunden selbst aus, wogegen aber der ganze Anzug spricht. : Denn Kunigunde war als Benediktinerin ganz schwarz gekleidet, die Nonne hat aber ein schwarz-weisses Velum, einen schwärzlich braunen Mantel und ein schmutzig grünes Unterkleid. Sollte es nieht die — allerdings dem Namen nach uns unbekannte — Malerin sein? aus deren Habit man auch das Kloster, das diese Malerschule barg, erfahren könnte. Die ersten Inschriften sind nur allgemein religiös, ohne jede persön- liche Bezeichnung. Sie lauten seitens Christus: Aspice vulnera sevaque verbera que toleravi, seitens der Nonne: Fili Christe Dei tu miserere mei — queso mihi (mi!) da te totum, ne disgreger a te.“ Sollte das Kloster, wo Kunigunde in früherer Jugend eingekleidet war, das der Klarissinnen, je eine solche Tracht gehabt haben? Tomek spricht vom grauen Mantel; graue Unterkleider haben nur auf dem Miniaturbilde Kunigunde und die Nonnen. Hiess irgend ein Kloster monasterium de sancta lancea, wie es mon. de s. corona gibt? Da ist ein neues Feld der Forschung offen, das die obigen Behauptungen bestätigen, aber auch widerlegen kann. Eine Hauptschwierigkeit wird dabei der Umstand abgeben, dass die Nonne übermalt zu sein scheint und dazu noch sehr elend! War es etwa ursprünglich nur Maria Magdalena, welche später in eine Nonne verkleidet wurde? Die Gewänder liessen dies zu, wenn man die drei Marien am Bl. 14. a. mit ihr vergleicht. Auch bei diesen hat Christus ein Buch in der Hand, wobei aber der Gedanke an die Malerei ganz wegfallen würde. Mag sohin der Maler oder die Malerin unbekannt bleiben, so ist doch sein Werk da, was gewiss besser ist, als wenn wir nur den Namen wüssten, das Werk aber nicht hätten. Interessant ist auch der son- derbare Vorgang beim Malen, Der Maler fand überall roth und schwarz linirtes Pergamen vor, hat sich aber nicht überall an die ihm ange- wiesenen Gränzen gehalten, wie man dies z. B. auf dem Bl. 3. b.; 5. a.; 14. b.; u. a. a. O. sehen kann. Er malte mit -wenigen und lichten Farben, auch die Pergament-Farbe mit benůtzend und das zuerst mit dem Pinsel, dann mit der Feder, die Contouren zu geben hatte. Mit der Federzeichnung wurde er nicht überall fertig. Vgl. z. B. Bl. 17 a. b.; 9. a. Doch sind zweierlei Federzeichnungen an den Minia- D1 turen zu unterscheiden: alte und feine, neuere und gröbere. Man vgl. z. B. 9. a. bei Joachim und Anna die älteren, bei den übrigen Figuren die neueren Contouren, eben so bei Beneš, Colda und den Nonnen. Besonders missglückte dem spätern ungeschickten Maler die Lanze am Bl. 7. b. und das Dach der Arche am Bl. 20. a. oben im dritten Bilde. Die älteren Malereien mögen zwischen die Jahre 1321 — 1340 fallen, worauf erst der Text hinzukam, wie oben gezeigt wurde. c) Die Epoche der dritten Art der Malerei, also des dritten Malers, die Epoche des Verfalles ist nicht näher zu bestimmen. Er strebte schlecht zu vollenden, was der zweite Maler gut begonnen. Seine Wirksamkeit zeigte sich im speciellen: 1. am bereits berührten Contouriren oder Auffrischen der Um- risse, wodurch gar viele Gesichter verzerrt wurden, z. B. der Nonnen auf dem ersten Miniaturbilde. 2. Im Bemalen mit gröberen, undurchsichtigen Farben, wobei ihm besonders die grüne Farbe zu missbrauchen beliebte. Hierher gehört Bl. 11. a. der grüne Berg, worauf Maria steht, Bl. 14. Maria Salome oben und unten, Bl. 17. a. das Kleid des letzten Apostels in allen drei Miniaturen. Dies musste auf jeden Fall nach fertigem Texte vor sich gehen, da er ungeschickt darüber fährt. 3. Ertrug den heiligen Personen einen groben goldenen Nimbus auf den früher nur gemalten auf und glaubte den goldenen dann noch mit rothen Linien bereichern zu müssen. So blieb der Nimbus des heil. Georg auf dem 1. Bl., dann das Bl. 10. verschont (war es etwa da- mals noch gar nicht im Codex?), so wie die eine Krone der „mar- tyres“ und die Schnecken an den Bischofsstäben am Bl. 22. b. Ist am Bl. 20. a. das Schwert Pauli und der „potestatum“ unaufgelegtes Gold oder nur verdorbenes Silber? Wie er damit Text und Minia- turen verdarb, ist ersichtlich besonders am Bl. 22. b. beim Kopfe des Erlösers, am Bl. 17. a.; 15. a. am verdorbenen Texte, am Bl. 14. a. b. bei einzelnen Theilen der Miniaturen von Christus und Maria. 4. Auch liebte er ausnehmend das Blutvergiessen z. B. am Bl. 7. b.; 14. a.; 16. b.; wo die Wunde Christi auch über die Kleider geht und a. v. a. 0. 5. Aber das ist noch nicht die letzte Periode, es kömmt noch 4* 52 eine ärgere der Malerei, die schon dieses Namens unwůrdig ist. Sie traf leider das Bl. 10., das dem 3. Maler entgieng. Dort musste nach der ältern Inschrift: haec linea sedecies ducta ete. ursprünglich eine Linie gewesen sein, die aber mindestens im 16. Jahrhunderte von Jemanden zu einer förmlichen gebräunteu Klafter ausgeweitet und mit der böhmischen Inschrift: Tato linea šestnáctkrát spojená, velikost znamenává Kristovu, versehen wurde. Man findet auch andere böhm. und latein. Inschriften dieser verdorbenen Art dort. Aus allen diesen Thatsachen leuchtet doch gewiss so viel ein, dass es eine ganz oberflächliche Behauptung ist, zu sagen: der Cano- nicus Bene$ sei der Maler des Codex und ein Hauptbeweis dessen sei die künstliche (!) Verflechtung der Inschriften, Malereien und des Textes, indem gerade das Gegentheil vorliegt. Doch von den Inschriften muss noch besonders gesprochen werden. Wie man aus den bisher angeführten Beispielen davon schon ersehen haben wird, gibt es im Codex zwei Arten von Inschrif- ten. Die einen sind blosse Aufschriften z. B. Anna, Joachim, Maria Magdalena u. dgl.; die anderen aber leoninische Verse, diese Lieblinge des Mittelalters. Wer nun diese Verse verfasst, ist unbekannt. Colda schwerlich, dessen Ruhmredigkeit ihrer gewiss Erwähnung gethan hätte, da er es zu seinem Lobe zu sagen glaubt, dass er die zwei ersteren seiner Schriften in fünf Tagen vollendet habe. Auch ist nicht zu übersehen, dass die Schriftform, in welcher die Inschriften geschrieben sind, um ein gut Halbjahrhundert jünger ist, als der Text: wir würden sie in die Epoche des dritten Ueber- malers setzen, dem überhaupt die rothe, wie die grüne Farbe die Lieblingsfarbe war. Auch darin scheidet sich das alte 10. Blatt von den späteren Miniaturen Die Inschriften dieses Blattes sind nämlich von einer ältern, festern Hand geschrieben, als,die Inschriften der übrigen Blätter, die eine jüngere, leichtfertigere Hand zeigen. Diese spätern Auf- und Inschriften sind nun durchaus nicht „künst- lich“, sondern wahrhaft barbarisch zu den Malereien hinzugefügt und weisen schlagend nach, dass Illuminator und Maler nicht eine und dieselbe Person waren. Wenn nämlich der Maler Aufschriften überhaupt hätte haben wollen, so hätte er sich Platz dazu gelassen. 53 Gerade auf dem Bl. 20., auf welches sich die „Památky“ berufen, schabte der Illuminator die Malerei an zwei Orten ah, damit er erst Platz gewänne für die Inschrift: Seraphim et domina- tiones, und trotz dem schrieb er noch in die Malereien hinein. Am zweiten grossen Miniaturbilde Bl. 23. ist dieselbe Barbarei vor- handen. Dafür besteht ein ganz eigenthümliches Verhältniss zwischen dem Maler (der Malerin?) und dem Verfasser des Textes d.i. Colda. Der Text ist nämlich trocken und kalt, die erklärenden con- creten Malereien bewegen sich auf dem freien Boden lebendiger, poe- tischer, ja oft ausserkirchlicher Auffassungsweise, die gar oft in das mythische Bereich hinüberstreift. Sehr roh heisst es z. B. im Texte der Parabel: Anteguam ipsam (sponsam) in thalamum tra- duceret nuptiarum (homo nobilis), latro degener desponsatam illam decipiens constupravit.* Der Maler lässt jedoch den „latro“ der Braut nur einen Liebesapfel darreichen. Auch sagt der Text ein- fach, dass der Bräutigam seine verlorene Braut durch 32 Jahre suchte, bis er sie endlich „vietoriosus decertaret.“ Der Maler lässt jedoch einen Ritter, mit rothen Rosen bekränzt, kühn zu Pferde aufsitzen und im vollen Gallop dem Räuber den Speer durch den Hals stossen, worauf erst im neuen Bilde der Bräutigam seine Braut aus einem Feuergefängnisse hervorholt. Auf die Art erläutert der Maler die Parabel von der verlorenen Braut (der Menschheit) durch die My- the der Befreiung der verzauberten Jungfrau durch den Frühlingsgott. Am Bl. 7 weiset Gott Adam und Eva nur ernst mit dem Fin- ger drohend aus dem Paradiese, worauf erst „Belial rex“ in der Gestalt eines kühn gezeichneten grauen Teufels, der da selbständig wie ein Ahrimann auftritt, Adam und Eva im ein Feuergefängniss hineinwirft, wobei die Menscheneltern gebunden sind, auch die Augen verbunden haben. Am Bl. 6. beschneidet Joseph selbst das Christuskind. Am Bl. 6. wecket der hl. David, wie ein zweiter Orpheus, durch sein Saitenspiel Christus aus dem Grabe. Am Bl. 15. b. ladet der schon auferstandene Kristus die fischenden Apostel Petrus, Joannes, Thomas und Nathanael zu einem Male ein, indem er auf einen Fisch. 54 / der vor ihm auf einem Roste geröstet wird, hinweiset, während der Text es mystisch erklärt: „instar piseis in rogo crucis pas- sionis igne assus erat.“ Dieses letztere Bild ist schon im zweiten Theile des Codex, wo die Miniaturen die Geschichte der Auferstehung und Himmelfahrt wie von neuem beginnen, wie es der neue Text des planctus Mariae forderte. Denn schon am Bl. 9. a. steht Kristus nicht nur aus dem Grabe auf, sondern ist schon in dem Himmel und segnet dort die gekrönten Ureltern (Adam und Eva), so wie Joannes Baptista, Joachim und Anna — und erst auf dem Bl. 14. a. findet sich in der Miniatur abermals das Grab Kristi, darin der Engel, den drei Marien das Grabestuch vorweisend, am Bl. 15. Petrus und Joannes abermals vor dem Grabe und dann die Emauslegende in zwei Bildern. Am Bl. 17. a. steigt Kristus erst in den Himmel, also 8 Blätter später, nachdem er am Bl. 9. a. schon in dem Himmel ist. Auf demselben Bl. 17.a. ist Kristus (ohne die Wundmale) sammt den Aposteln vor dem Bette der sterbenden Maria und hat wie ein Psychopompos die Seele Mariens in seinen Armen, worauf er sie auf der Kehrseite des Blattes 17. im Himmel krönt, wozu David wiederum sein Saitenspiel erklingen lässt. Gleich daneben ist aber abermals der verwundete Kristus, wie er Josef von Arimathea erst aus der Vorhölle befreit. Ueber alle diese Merkwürdigkeiten und Sonderbarkeiten, die zum Theile in dem ganz selbstständigen Texte des zweiten Theiles begründet sind (Planctus Mariae), den man bisher nur als eine Fortsetzung des Textes: de strenuo milite ge- nommen, verwundern sich nicht einmal weder die „Pamätky“, noch die „Mittheilungen“, vielleicht nach dem Grundsatze: Sapientis est, nil admirari. Es scheint jedoch nöthig zu sein, dabei auf ein zweifaches Moment aufmerksam zu machen. Das erste ist, dass dem Malerauch apokryphe Evangelien oder evangelische Legenden vor- schweben mussten, die weder im Texte, noch in der Kirchenlehre als solcher vorhanden sind, wie denn ein Evangelium infantiae Domini unter den Büchern sich vorfindet, welche Kunigunde im Georgskloster hatte; das zweite, dass sich über Kunigunde nach ihrem Tode eben solche Mythen gebildet haben müssen, wie um andere fromme Mitglider eder königlichen Familie der Přemysliden, z. B. über die 95 Tochter Přemysl Otakar I. Anna (Anežka), die Grosstante Kunigundens. (Vgl. Beckovský: Poselkyně. S. 440—442.) Vielleicht findet darin auch die „Nonna Perchta — abatissae gnana“ eine Art neuer Lösung. Doch gibt es noch mehrere Einzelnheiten, worauf bei den Miniaturen die Aufmerksanıkeit gelenkt zu werden verdient. 1. Vor allem diedrei Wappenschilde auf dem 1. Miniaturbilde: „Boemie. S. Georgii. S. Wenceslai.“ Das erste ist der gewöhnliche böhmische weisse Löwe im rothen Felde, ein heraldisches Zeichen, das sammt dem Löwen auf die orientalischen Züge der Kreuzfahrer hindeutet. Das Georgswappen, oberhalb der Aebtissin von St. Georg ist der nämliche Ritter ohne Helm, aber auch ohne den Kranz von Rosen, den man an dem Frůhlingsgotte, den Räuber durchbohrend, auf dem Bl. 3. a. wiederfindet. Es ist eine bekannte Thatsache der My- thengeschichte, dass in christlichen Zeiten St. Georg, in Volksliedern und Sagen, den heidnischen Frühlingsgott stellvertreten musste, ja von vielen wurde die Georgslegende selbst nur als eine christliche Verkleidung einer uralten heidnischen Legende erklärt. Das dritte Wappenbild aber, der Flammenadler, der „sancti Wenceslai“ über- schrieben ist, ist jedoch das ursprüngliche Wappen der böhmischen heidnischen Herzoge und auf den hl. Wenzel nur in einer Zeit übertragen, in welcher man gewiss «essen heidnische Bedeutung nicht mehr kannte, da gerade der hl. Wenzel in der böhmischen Geschichte den Wendepunkt bildet, der da von der heidnischen Bildung einerseits und der eyrillisch-slavischen Christianisirung anderseits zu der durchgeführten römisch-deutschen Christiani- sirung Böhmens hinüberführt. Wenn man nun von der Wahrheit aus- geht, dass in der heidnischen Bildung das religiöse Moment auf das In- nigste mit dem politischen vereint war, wie sich denn auch wirklich der heidnische Landeshaupttempel der Slaven in der Landesburg (hrad) befand, und die Sage vom Vater Čech erzählt, dass er seine Götter (Palladien, Diedky) trug, als er in Böhmen einzog: so wird man auch nicht fehl gehen, wenn man annimmt, dass auch der Flammenadler der heidnischen Herzoge Böhmens ein religiöses Symbol war, gleich wie andere altslavische Wappen die Sonne, den Mond, die Sterne dar- stellen. Da sich nun als Grundkern der Mythen des böhmisch-sla- 56 vischen Stammes die Verehrung der Luft- und Gewittergottheiten ergibt, das Hauptsymbol derselben aber eben der Feuervogel (Ptäk ohnivak) ist, der in unzähligen Sagen und Märchen verherrlicht wird, so ist wohl anzunehmen, dass das älteste Wappen der heidn: Böhmen, der Feuervogel, eine Art Gorgoneion d. i. das Symbol der blitzenden Gewitterwolke war, die man bekannter Massen unter der Gestalt eines Raubvogels darzustellen pflegte. Die „plamennä or- lice“ oder orlice v plameni, d. i. der (weibliche) Flammenadler oder der Adler in der Flamme wäre uns sohin auch in unserm Codex, allerdings ohne Ahnung seiner ursprünglichen Bedeutung erhalten und zwar in seiner vollen Farbenpracht. Die zwei gelben dreikantigen Streife, die über seine Flügel gehen (irrig nahm man sie bisher für das Bild des Halbmondes, womit sie aber gar keine Aehnlichkeit haben), müssten sodann consequent für Symbole des Feuervogels d.i. für Donnerkeile (perouny) eben so erklärt werden, wie die drei gelben Kugeln (zusammen einem Dreiblatt ähnlich) für die goldenen Aepfel (poma aurantia), die der Feuervogel in allen Märchen. von dem Wun- derbaume holt. Der Vortragende wies eine andere alte Darstellung dieses heidn. Wappens der Böhmen in einem Abdrucke des ältesten Wenzelssiegels vor, das bei der böhm. Landtafel aufbewahrt wird und die Ueberschrift führt: Sigillum justitiae totius terrae Sancti Wen- ceslai ducis Boem. Es kann nach der Form der Buchstaben dem 12. Jahrhundert angehören. Darauf ist Wenceslaus in voller ritter- licher Rüstung abgebildet, in der linken Hand eine Fahne und zugleich das Adlerbild haltend. Die Fahne enthält einen siebenstrahligen Stern, der Adler aber statt den ihn rings umsprühenden Flammen nur Flammenspuren auf dem Leibe, die man als Blutstropfen zu deuten pflegt, was mythisch gleichfalls ein Symbol der rothen Blitze ist. Die Flügel weisen die Donnerkeile in der Form. zweier Streife, die goldenen Aepfel fehlen da, dafür erscheinen sie aber auf dem Wun- derbaume selbst, der neben dem Adler steht, worauf auch der Adler hinblickt und zwar nach rechts, da am Miniaturbilde der Adler links schaut, und zwar finden sich die goldnen Aepfel in der- selben Dreigestalt wie in der Miniatur. Die Blutstropfen am Leibe des Feuervogels erscheinen ebenfalls an dem Adler des mährischen 57 Landeswappens, nur heraldisch zu weissrothen Vierecken umgestaltet. Wenn nun mit dieser Genauigkeit die drei Wappen am Miniaturbilde gezeichnet sind, so erscheint es um so sonderbarer, dass, wie gesagt, der Krummstab Kunigundens weder seine eigenthůmliche alte Form im allgemeinen, noch den so charakteristischen Georgsritter in. der Schnecke im besondern enthält. 2. Am Bl. 3. und 8. sind bei den Leidenswerkzeugen auch die "so selten abgebildeten tabulae lusoriae oder tabulae lusus dargestellt, die den Würfeln vorangingen (Siehe: Du Cange glossa- rium edit. Parisiis. 1846. pag. 481. Nro. 9. Tabularum lusus). Dies bemerken weder die „Památky“ noch die „Mittheilungen.“ 3. Die Personen, welche auf dem Bl. 8. um das Gewand des Herrn die eben genannten Tafeln (und nicht Würfel) spielen, sind keine Knechte (drabi), sondern Juden, kenntlich genug an dem spitzen Judenhütlein des Mittelalters. In den böhmisch-lateinischen Oster- spielen gewinnt auch ein Jude, der aber mit den Soldaten Würfel spielt, das Gewand Christi. Nach beendeter Darstellung der Miniaturen, deren einige auch photographisch nachgebildet vorgewiesen wurden, ging der Vortragende zum Aeuszern des Codex, zu dem Einbande desselben über, be- sonders darum, weil sowol die „Památky“, als die „Mittheilungen“ denselben wohl als einen herabgekommenen, aber doch als den Ur- einband darstellten consequent mit dem archaeologischen Vorurtheil, dass wir den Urcodex Kunigundens vor uns haben. Die Spuren des Ueberbindens sind jedoch gar zu sichtbar. Gleich das erste Blatt zeigt noch deutlich die früheren, alten Einband-Einschnitte in das Pergamen, ja sogar noch Spuren des alten Leimes, das Bl. 3. zeigt Spuren des Beschneidens des frühern grössern Formates, indem ein Theil des Thronuntersatzes der Braut abgeschnitten ist, so wie dasselbe das allerletzte, das 37. Pergamenblatt nachweiset, wo zwei leoninische Verse abgeschnitten sind. Die Lederholzdeckel gehen kaum über das 15. Jahrhundert hinaus, und was man als Reste der alten Spangen und Schmuckverzierungen ausgegeben, sind arge Reste des sogenannten — Wurmfrasses! — 58 Nachdem der Vortragende schliesslich den Inhalt seiner kritischen und sceptischen Bemerkungen zu den bisherigen Auffassungen des Kunigunden-Codex dahin zusammengefasst, dass durch dieselbe die herrlichen Miniaturen nichts an ihrem künstlerischen und kulturhisterischen Werthe eingebüsst hätten, nur dass sie der Zeit nach mehr gegen die Epoche Karl IV. von Böhmen, in welcher der Einfluss der italienischen Malerei in Böhmen kennt- licher wurde, gedrängt seien, versicherte er, dass er durchaus nicht gewillt sei, zu behaupten, der Kunigundencodex, der mehr Ráthse! und Fragen errege, als dogmatische Antworten zulasse, sei nunmehr definitiv erforscht: sondern nur, dass er durch seine Be- merkungen wahre Literaturfreunde, Archaeologen und Kunsthistoriker zu neuen gründlicheren Forschungen angeregt His? wolle, als sie bisher Thatsache gewesen. Historische Seetion am 19. October 1863. Anwesend die Herren Mitglieder: Tomek, Weitenweber, Hattala, Zap, Doucha, Bezděka und Wrťátko; als Gäste die Herren Hospodář und Zoubek. Hr. Tomek las einen weitern Abschnitt seines zwei- ten Bandes der Geschichte Prags, welcher die spätere Zeit der Regierung Carl IV. enthält. Mathem.-nalurwiss. Seetion am 26. October 1863. Anwesend die Herren Mitglieder: Matzka, Weitenweber, Pierre, Kořistka, Amerling, v. Leonhardi, Čermák und Skřivan; als Gäste die Hrn. Prof. Hornstein, Walter und Lippich. Secr. Weitenweber setzt die Section in Kenntniss von dem bedauerlichen Verluste, welchen die kgl. Gesellschaft durch die kürzlich erfolgte ehrenvolle Berufung ihres hochgeschátzten ordentl. Mitgliedes Prof. Dr. August Em. Reuss an die Wiener Universität erlitten hat. Hr. Matzka trug eine Prioritátsreclamation des Hrn. Prof. Spitzer in Wien gegen Herrn Jos. Popper vor. 59 Bei einer im verflossenen Sommer mit Hrn. Professor S. Spitzer zu Wien gepflogenen Unterredung lenkte derselbe meine Aufmerk- samkeit auf seine gegründete Reclamation eines Prioritätsrechtes, be- züglich seiner anerkennenswerthen Erweiterungen der von dem Eng- länder Weddle im Jahre 1843 zuerst veröffentlichten Methode der Auflösung numerischer Gleichungen, gegen eine von Hrn. Joseph Popper veröffentlichte Abhandlung und ersuchte mich, diese Angelegenheit in einer unserer Sectionssitzungen zur Sprache zu bringen. Diese interessante Auflösungsweise hatte Herr Prof. Spitzer be- reits im Jahre 1851 in seiner geschätzten Abhandlung: Allgemeine Auflösung der Zahlen-Gleichungen mit einer oder mehreren Unbe- kannten.“ 4. Wien 1851 Gerold, zuerst auf Seite 69 in $. 33. dem Wesen nach, so wie Dr. Schnuse in seiner „Theorie und Auflösung der höheren Gleichungen, 1850“ skizzirt; darnach aber auf Seite 70 im 2. Beispiele des $. 34 auf die Berechnung der imaginären Wurzeln und auf Seite 71—73 in 8. 35 auch noch auf die Auf- lösung von Systemen höherer Gleichungen ausgedehnt. Aehnlich hat Herr Joseph Popper in seinen, erst im Jahre 1861 von der kgl. böhm. Gesellschaft der Wissenschaften in den 11. Band der V. Folge ihrer Abhandlungen aufgenommenen „Beiträgen zu Weddle’s Methode der Auflösung numerischer Gleichungen“ die nämlichen er- weiterten Benützungen dieser trefflichen Methode gezeigt, es jedoch ganz unterlassen, der von seinem rühmlichst bekannten Herrn Vor- gánger bereits um ein Decennium früher um diese Doctrin erworbenen Verdienste, obwohl sie ihm bekannt gewesen waren, ehrend zu ge- denken. — Deshalb ergreife ich, auf den Wunsch des Herrn Profes- sors Spitzer, diese Gelegenheit in dieser Sitzung der mathematisch- naturwissenschaftlichen Section unserer Gesellschaft öffentlich für ihn das Recht der Priorität der Ausdehnung jener interessanten Auflö- sungsmethode der Zahlengleichungen nach den erwähnten beiderlei Rich- tungen in Anspruch zu nehmen; und glaube auf die Beipflichtung der verehrlichen Section zählen zu dürfen. Dabei bleiben natürlich die minder erheblichen Verschiedenheiten in der Ausführung der ein- zelnen Zifferrechnungen beider Herren Verfasser ausser Betracht. Herr Czermak sprach Einiges über das sog. Bell- 60 sche Gesetz, die Functionen der Růckenmarksstránge betreffend. Nachdem der Vortragende eine bündige Schilderung dieses phy- siologischen Gesetzes im Allgemeinen vorausgeschickt, erläuterte er dasselbe an einem lebenden Frosch, welchem er rechterseits die vor- dern, linkerseits die hintern Rückenmarkswurzeln durchschnitten hatte. Das rechte Bein des Frosches zeigte sich gelähmt und wurde beim Kriechen mühsam nachgeschleppt, war aber gegen jede Berührung empfindlich. Das linke Bein hingegen, welches der Frosch willkürlich zum Bewegen und Weiterkriechen zu benützen vermochte, erschien völlig empfindungslos und konnte ganz tüchtig gestochen und gequetscht werden, ohne dass das Thier nur die leiseste Schmerzensäusserung machte. Herr Amerling berichtete über seine neuerlichen naturökonomischen Wahrnehmungen in der sog, golde- nen Ruthe Böhmens (zlaty prut). In der Sectionssitzung am 21. Januar 1861 (s. Sitzungsberichte Jahrg. 1861. S. 16—17) hatte der Vortragende seine physiokratischen Untersuchungen kurz mitgetheilt, welche er in den vorjährigen Herbst- ferien in den Gegenden von Nimburg und Elbeteinitz (dem Tangen- tialpunkte des sehr starken Anbaues von Digitaria sanguinalis) über Pardubic, Bohdanec und Kunětic bei Opatowic anzustellen Gelegenheit genommen hatte. Heuer begann er seine Forschungen von Opatowic aus, ging über Königgrätz, Neuköniggrätz, Kukleny und Plotišť nach Stěžery, Libčan, Předměřic, ferner über Sendražic, Trotina und Smiřic nach Jaroměř, Kukus, Schurz, Kóniginhof, Skalic bis Neustadt an der Metau, welche eigentlich die Orte sind, wo jene bekannte Gemůse- gärtnerei im Grossen mit äusserst günstigem Erfolge ‘betrieben wird. Das Resultat dieser mehrwochentlichen Untersuchungen lässt sich im Kurzen folgends zusammenfassen: 1. Den volksthümlichen Namen „goldene Ruthe“ (zlatý prut) führen hier die oben angeführten Ländereien, die sich im ersten Frühlinge oder im Spätherbste schon von Weitem durch ihre. rothe Ackerkrume (červenka) zu erkennen geben und später, nach stattge- fundenem Anbau, weithin mit strotzend fruchtbaren Gemüsegärten 61 gleichsam übersäet sind. Sie sind sámmtlich am rechten Flussufer, sowohl der Elbe als auch der Metau und Aupa gelegen, sind allu- vialen Ursprungs aus der nördlich gelegenen Permischen Formation (Old read sandstone) bei Turnau, Arnau, Hohenelbe usw., wo einst eine südliche Palmenflora mit allen ihren Merkwürdigkeiten bestanden hatte. Das eigentliche Terrain der „goldenen Ruthe“ ist die Pläner- kalk- und unter ihm die Grünsandstein-Formation, welche aber in den Flussgebieten ziemlich breit weggerissen und nach den südlicheren Gegenden weggeschwemmt worden. Sie besitzt, ohne irgend welche künstliche Bewässerungsanstalten, von den obengenannten Flüssen aus einen grossen Quellen-Reichthum, die an den Thalböschungen herab von den untersten Lagen der Glauconie anfangend, fast jeden Bauernhof und Chaluppe nebst dem zugehörigen Gemüsegarten hinlänglich be- wässern, ja noch überdiess entlang des Elbeufers und der vorbeigehenden Eisenbahn weitläufige mitunter schädliche Tümpel veranlassen. Die obenerwähute „Červenka“ ist eine feine, vielfach mit Eisenoxyd ver- setzte Erde, über deren besondere Fruchtbarkeit seit den Erfahrungen von Dubrau und Fürst Salm-Horstmar kein Zweifel mehr ob- walten kann. Die Quellen werden häufig von Nasturtium officinale und Dipsacus fullonum begleitet; die Kresse wird aber nicht, wie z. B. bei Erfurt, im Grossen gebaut und die Weberkarden nur bei dem entfernten Solnie in der böhmischen Dobruska (sachlich verwandt mit der Dobrudža an den Donau-Můndungen) mit Erfolg cultivirt. 2. Die meteorologischen Verhältnisse sind in den früheren Jahren (von 1819 bis 1847) insbesondere durch Hrn. Prof. Lhotsky zu Königgrätz, in neuerer Zeit wieder durch den dortigen Stadtarzt Dr. Zeiske mit vielem Eifer beobachtet worden, und die jährliche Isotherme für Königgrätz, Plotišť u. s. w. ist mit 6.0, die Isochimene — 2.0, die Isothere mit 14.1 und die Niederschlagsmenge mit 24.6 be- rechnet; so dass die Gegend von Saaz am Goldbache und an der Eger, welche bekanntlich als der Gemüsebauort Böhmens ersten Ran- ges gilt, jedenfalls im Vortheile ist, weil dort die Isotherme 6.3, die Isochimene mit — 1.7, die Isothere 14.2 und die Niederschlagsmenge 19.9 beträgt. Leider ist für die Bestimmung der jährlichen und mo- natlichen Windesrichtungen in der goldenen Ruthe bisher noch nichts 62 geschehen; was aber Herr Dr. Zeiske für die Zukunft in Angriff zu nehmen versprach. 3. Merkwürdig ist hier die Ueppickeit der Vegetation und der oft grelle Wechsel der Culturpflanzen, je nach den abwechselnden Höhenlagen und nach monatlichen, viertel- und ganzjährigen, ja selbst säcularen Turnusfolgen. Wie sehr eine selbst geringe Aenderung der Höhenlage einwirkt, sieht man z. B. bei SendraZie, wo nur Lein, Kar- tofteln und Korn mit Nutzen gebaut werden, während bei dem ganz nahe gelegenen Lochenie die schönsten Felder mit Koptkohl, Gurken, Meer- rettig (Kren), Sommerzwiebel, Fenchel, Cichorie (nebst einer eigenen Varietät, der Eibisch-Cichorie) udgl. besitzen und feine Obstsorten ge- deihen. Nach der Bemerkung des Vortragenden findet bei Neustadt an der Metau gerade jetzt der Säcularwechsel mit den bisher berühmt gewesenen Kirschbaumpflanzungen statt, indem dort in neuester Zeit bereits 30.000 Kirschbäume wegen eingetretener, durch Bostrichus bedingter Absterbeperiode gefällt werden mussten, und die Bostrichus- Colonien selbst wieder durch eine Art eines verheerenden Kryptogams (Myiophyton) entfernt wurden. Während nun die Kirschbäume aus ihrem Centrale bei Neustadt verschwinden und da grösstentheils zu Grunde gehen, erscheinen sie dafür ganz rüstig an den Peripherie- Orten, z. B. bei Skalic, Smiřic, Jaroměř u. s. w. — Schliesslich er- wáhnte der Vortragende unter andern kleinen Mittheilungen noch, dass die weitläufigen Lindenalleen innerhalb des Festungsrayons von Kö- niggrätz durch den Tetranychus telarius vielfach, oft bis zum völligen Absterben der einzelnen kräftigen Bäume, belästigt werden; sowie dass in den Stoppelfeldern um Kukleny der Therismoptes ganz ungemein verbreitet vorkommt. Im September und October 1863 eingelaufene Druckschriften. Bulletin de la Société Imp. des Naturalistes de Moscou. Annee 1862. Nr. 2—4. Denkschrift zur Feier des 25jährigen Bestehens der Philomathie in Neisse. 1863. B. Silliman and J. Dana. The American Journal ete. New- Haven. 1863. Nr. 106. 63 Abhandlungen der math.-physikal. Classe der k. bayr. Academie der Wiss. Můnchen 1863. IX. Bandes 3. Abthl. Abhandl. der philos.-philolog. Classe usw. IX. Bandes. 3. Abthl. Sitzungsberichte der k. bayr. Akademie u. s. w. München 1863. 13, Heft. C. Fr. Ph. v. Martius Denkrede auf Joh. Andreas Wagner. München 1862. Cornelius. Ueber die deutschen Einheitsbestrebungen im 16. Jahrhunderte. München 1862. Just. Freih. v. Liebig. Rede in der öffentlichen Sitzung usw. am 28. März 1863. Zeitschrift für die gesammte Naturwiss. von Giebel u. Heintz. Jahrg. 1862. XX. Band. — Jahrg. 1863. XXI. Band. Magazin der Literatur des Auslandes. Leipzig 1863. Nr0.32—37. -Poggendorff’s Annalen der Physik und Chemie. Leipzig 1863. Nro. 8. Bulletin de la Société geologigue de France. Paris. 1863. Tom. XX. feuill. 6—20. C. Baron Callot. Beiträge zur Höhenkunde des Königreiches Böhmen. Prag 1863. I. Heft. (Vom Hrn. Verfasser.) Dessen. Die projectirten Eisenbahnen in Böhmen und die tech- nischen Vorarbeiten. Prag 1863. C. V. Zap. Kronika Česko-moravská. V Praze 1863. Sešit 9. C. Kořistka. Der höhere polytechnische Unterricht in Deutsch- land usw. Gotha 1863. (Vom Hrn. Verfasser.) Eilfter Jahresbericht über die Wirksamkeit des Werner-Vereins im J. 1861. — Zwölfter Jahresbericht usw. im J. 1862. C. Kořistka. Hypsometrie von Mähren und Oesterr.-Schlesien. Brünn 1863. Dessen Bericht über einige im innern Gesenke und im Marsge- birge ausgeführte Höhenmessungen. Wien 1861. (Sep. Abdruck.) Journal de V Ecole Imper. polytechnigue ete. Paris 1862. 39. Cahier. Tome XXII. Centralblatt für die gesammte Landescultur. Red. A. Borrosch. XVL Jahrgang. Prag 1862. 64 Wochenblatt für die Land-, Forst- und Hauswirthschaft. XIII. Jahrgang 1862. Hospodářské Noviny, red. Jos. Kučera. Ročník XIII. V Praze 1862. K. Vlad. Zapa Památky. Časopis Musea král. Českého. Díl V. sešit 7. V Praze 1865. Magazin der Literatur des Auslandes. Leipzig 1863. Nr. 37—41. XXVI. Nachricht úber den historischen Verein fůr Niedersachsen. Hannover 1863. | Zeitschrift des historischen Vereines usw. Jahrgang 1862. The home and foreigne Rewiew. London. October 1863. C. Jaubert Notice de la vie et les travaux de P. J. Cordier. Paris 1862. Mémoires de I’ Academie Imp. des sciences ete. de Lyon. Tom. 1861. XI. XII. 1862. Lotos. Zeitschrift usw. redigirt von W. R. Weitenweber. Prag 1863. Aug. Sept. Annales des sciences physiques ete. Lyon et Paris. Troisiéme Serie Tom. V. 1861. VI. 1862. Philologische Section am 9. November 1863. Gegenwärtig die Herren Mitglieder: Hattala, Hanuš, Jos. Jireček, Doucha und Dastich. Herr Hanuš berichtete über ein in der Handschrif- tensammlung der Prager kais. Bibliothek neu aufge- fundenes altböhmisches Kirchenlied. Der Vortrag desselben war folgender: Hledaje v letošních prázdninách (1863) pilně po rukopisech, zachovaných po klášteře jeptišek Svatojirských na hradě Pražském v knihovně vysokých škol našich, dobral jsem se i jednoho breviaře latinského, rukou pozdějšího století 15. psaného a rukou 17. sto- letí doplněného a v témže čase převázaného, jenž mimo pergamen a zřetelné písmo na první zdání málo co zajímavého v sobě uzavírati se zdál, Je to rukopis 12. F. 8. 49212 pergamenových listů (starších) a sice 50 papírových (později připsaných a přivázaných) v sobě chovaje. 65 Na posledním listu pergamenovem stojí nápis: Iste liber est domicelle Marie ad S. Georgium. Po čemž, jako klášterní hrou, ještě připsáno: Pu superno__ te >rum mor < superbo < serip. li PD ba tor N DIL rap ii potia . tur Amen. moria_ Juž jsem byl blízek tomu, rukopis uložiti opět k spánku snad věčnému nazpět, když mi se, skoro uprostřed breviaře, zjevil list jeden pergamenový, jenž miniaturu starou v románském slohu na sobě chovaje, nezdál se původně do rukopisu patřiti, což se i bližším pá- tráním potvrdilo. Byla tam ta miniatura v skutku, bůh ví odkud, později přivázána. Stojí mezi nynějším listem 80. a 81., představujíc obětování. Krista pannou. Marií a Josefem v chrámu. Na prázdné stránce miniatury má píseň výše naznačenou rukou ze začátku 14. století, bohužel ne celou, napsanou, jež takto počíná: (W ) itay kraly wsiemohuczí. | we wsiech miestech wse wi | duczi. wsiech kaíuczích mí | lugiezi. wieezny ziuuot da | wagýczi. Jak juž z těchto versüv patrno, jeví se v ni přechod prastaré češtiny do pozdější, srovn. k. př. formu: kajucí k formě milující. Jiné staré formy jsou ještě: kvucí (m. ktvúcí), sktvucí; kirmi- teli; ež siny račil vykupiti; ež nam činiš divov mnoho. Pravopis, jak viděti, je prastarý. Dlouhé čárky nad í, tečky nad y, taktéž interpunkcí či dělidlo pouhý punkt. Pisménka 0 užíváno sta- roněmeckým spůsobem m. vu, k. př. koeczí ktvucí, sktwezy m. sktvucí, zgiewgyczy m. zjievující. Pismenko s, z psáno i pro Ss a Š, zaž, k. př. nas m. náš, wseho m. všeho; ez m. ež; pisménko cz zastu- puje i c i č, k. př. moczi m. mocí, z sczedreho m. z sčedreho, ezinis m. činíš. Tato redakcí písně té byla až podnes neznáma, znalit jsme jen přepis rozmnožené písně té pozdější z jiného rukopisu téže kni- hovny na papíře na konci 14. století psaného (17. F. 30.), jenž v sobě Sitzungsberichte 1863. II, 66 i modlitby i písně sebrané z nějakého staršího rukopisu uzavírá, určené k askesi a k liturgii nějakého mnišského ústavu. © Popsalť. ru- kopis ten zevrubně juž zvěčnělý Jungmann r. 1840 a četl popis jeho zde v společnosti 25. listopadu téhož roku (viz Rozbor, I. 131—140). Mezi jinými písněmi je naznačená píseň otistěna i ve Výboru d. str. 326—330), ač nikoli veskrz správně, neboť „Výbor“ měniv starší pravopis v accentuovany moderní, proměňoval i některé starší formy v modernější, k. př. m. ot nas — od nás; m. otpustiti, odpustiti. Julius Fejfalík tušil dobře pokaženost tu, namáhaje se ve svém spisu: „Untersuchungen über altböhmische Vers- und Reimkunst“ (Wien 1862. str. 19.) napraviti, co se mu zdálo nepravého, a ji uvesti v starší a původnější její formu, co se mu v skutku na nejednom místě podařilo, ku př. že je „milý Jezu Kriste“ in der ersten Zeile Schrei- berzusatz,“ čím se ihned verše a strofy jinak upraviti daly. Avšak i starší písně forma, jež právě nyní na jevo se vynáší, je jen zběžnou, jak se zdá, ženskou toliko rukou přepsána, pročež poslouží i předešlá její forma na nejednom místě k upravení původního textu, jako k do- končení jeho aspoň poměrně, jelikož starý text jako ulomen je slovy: Tu sve divy .... Pokusmež se tudíž 0 starý text, jakož o verš jeho. Podámeť předně starý text doslovně s připojeným novějším z ru- kopisu samého vzatým. Starší (12. F. 9.). Pozdější (17.!F!’30): 1. Vitaj, krali! vsiehomuci Vitaj, mily Jezu Kriste! krali vše- mohuci, 2. ve vsiech miestech vseviduci ve všech miestech vše viduci, 3. vsiech kajucich milujici všech kajieich milujici, 4. vlečny život davajici. všem život davajici! 5. Všeho kvietie kvuci Všeho kvitie krasie ktvuci, 6. vsiech svietlosti viece stkvuci všie svietlosti viece sktvuci, 7. svym sie mile zjievujici svym si(e) milym zjevujici, 8. i rozkosnie chovajici. jie rozkošnie kochajici. 9. Vitaj, mily spasiteli ! Vitaj, slavny stvořiteli! 10. vitaj, naš mily příteli, vitaj, mily spasiteli, 11. vsie dobroty davateli, 12. vitaj, v nuzi tiesiteli! 13. Všeho hořie zbaviteli 14. vitaj, divny slaviteli 15. i rozkošny kirmiteli. 16. Diekujem tobie, mily hospodine! z tveho 17. smilovanie z velikeho, 18. z vysokeho, z potřiebneho, 19. i z radostneho i z sčedreho. 20. Ež si ny račil stvořiti 21. i tak draho vykupiti 22. dnes nebesa otvořiti 23. svym ny tielem obdařiti. 24. Chvala tobie, bozie, z toho 25. ež nam činiš divov mnoho 26. divnu moci slova tveho 27. v ruku popa všelikeho. 28. Tu sve divy (ty zjevuješ, z chleba tielo promienuješ, z vina svu krev učinyješ). 67 vierny moj přieteli, vsie dobroty davateli. Vitaj, v nuzi utiešiteli, všeho hricha zbaviteli. Diekujemy tobie z toho z tveho milovanie velikeho, z potřebncho, z radostneho, z rozkošneho i z sčedreho. Jež si ny račil stvořiti, velmi drazie vykupiti, nebesa dnes otvořiti, a svym svatym tielem obdařiti. Všeho kvitie kraše ktvuce, živuce, nikdyž neumierajice. Chvala tobie, bože! z toho, jenž činils' divov mnoho, tvu moci slova tveho, ruku knieze všelikeho. Tu sve divy ty zjevuješ, z chleba sve tielo promienyješ, z vina svu krev učinyješ. V chlebnej tvaři ty sie skryvaš, bozsku svietlosti pokryvaš, ciele na nebi přiebyvaš ciele v oplatcie otpočívaš a t. d. Patrné z toho, Ze to je píseň církevní o božím těle t. j. pů- vodně na zelený čtvrtek zpívaná, jakož v rukopise 17. F. 30. po písni té ihned následují: hodinky ot umučenie bozieho, zpívány na veliký pátek. Celá píseň chová 30 strof, z nichž se ve formě starší zachovalo sedm celých a začátek osmé. Osnova veršův není snad pouze strofa čtverřádková, jak se Fejfalík domníval, než taková, že dvě čtverřádkové menší strofy působily jednu větší, již násle- dovala strofa, majic sedm toliko veršů. Tato osnova M se patrněji 68 v starší formě, než v pozdější, což spořadatele „Výboru“ přinutilo, velmi nepravidelně oddělovati — ač jen většími písmenky začáteč- nými — jednotlivé sloky. Pozdější forma přidává mnoho do písně nepatřičného, opakovaného k. př. verš: „všeho kvietie kraše ktvuce,“ což někdy až k nesouvislosti smyslu vedlo, jakož v skutku „Výbor“ přinucen byl, na str. 328 část malou zrovna vynechati. Jest-li že tudiž nám dovoleno, tušíce původní formu, pokusiti se o sestavení její, budiž pokus ten dán v následujícím: O božím tiele. Vitaj krali vsiemohuci, ve vsiech miestech vše viduci, vsiech kajueich milujuci, vieöny život davajuci; všeho kvietie ktvuci, vsie svietlosti viece sktvuci, svym sie mile zjevujuci, i rozkošnie chovajuci. Vitaj, mily spasiteli, vsie dobroty davateli, vitaj, v nuzi tiešiteli, vierny naš mily přicteli: vsieho hořie zbaviteli, vitaj, divny slaviteli (stvořiteli?) i rozkošny kirmiteli! Diekujemy tobie z tveho smilovanie z velikého, z vysokého, z potřiebneho, z radostneho i z sčedreho ; ež si ny račil stvořiti, i tak draho vykupiti, dnes nebesa otvořiti, svym ny tielem obdařiti. Chvala tobie, bozie! z toho ež nam činiš divov mnoho, divnu moci slova tveho, ruku popa všelikeho ; tu sve divy ty zjevuješ z chleba tielo promieniuješ, z vina svu krev učiniuješ. V chlebnej tváři ty sie skryvaš, božsku světlost sde otkryvas, ciele na nebi přiebyvaš ciele v oplateie otpočivaš; na nebi jsi vešken zjevnie, v oplateie jsi vešken tajnie, jakož jsi na nebi slavnie, takež jsi na zemi tajnie. Když tak divnie k nam přichodiš, k velikej nam to cti hodiš, ež s andiely o nas chodiš, s sebu andiely přivodiš ; tielo divov naplnieno, když jest slovem posvieceno, viernym srdcem uchvaceno. To každemu mieti za to, jenž jest srdcem takež vzato, jako usty vzemše svato, Augustin jest sviedek za to; když to bude rozlomeno, v male častky rozdrobeno, po všem svietie rozdieleno, vše křestianstvo obdieleno, Kakožkoli i každemu malo dano jest viernemu, a však ciele jest prvemu ciele dano i druhemu, ciele dano i třietiemu, ciele viernie tisiciemu, cele také posledniemu. Avšak pro to nenie dvoje tielo bozie, ani troje, ve vsiech miestech vše jedno je tak, jakž vieri srdce moje; na to slunce sviedka mamy, kdyžto na nie vzpominamy, mnoho poprslkov vidamy, a však slunce jedno znamy. To, jenž z dievky porozeno, tež na křiži umořeno, a tež v zemi pohřebeno; ten chleb živy nejde dolov, jde na vysost k otci domov krmie jest vsiech apoštolov 1 tiech svatých vsiech andielov. Protož, bože! prosim“ tebe, živy i rozkošny chlebe! by otvořil nam dnes nebe, dal nam ščedre dary z sebe; daj, dostojnie tie vidieti, i dostojnie tie přijieti, rač ny krmie naplniti, jejie silu posilniti. : 69 Daj nam za hřiechy plakati i jich sie pravie pokati, tobie z darov diekovati, tie vsiem srdcem milovati pro tve tiežke prorazenie pro tve svate zkrvavenie 1 pro krasy tve zbavenie. Prosim" bože (na vysosti) prosim“ bože! tve milosti, by ny zbavil škaředosti, 1 tiech hřiechov obtiežnosti, račiž hriechy otpustiti, a viee jinych uchovati, račiž zlosti umeniti, a dobroty prisporiti. Daj životu polepšenie,. zle žadosti uhasenie, prave milosti rozezženie a diel dobrych umnozenie; račiž s sebu ny zjednati, na tie vesdy vzpomináti, a v tom naš život skonati. Račiž tehdy s nami byti, když bude duše z tiela chtieti, v hrozy ny neuvoditi než-li v rozkoš provoditi daj nam, s matku tie viduce. kralovati, v tobie jsuce vesdy v sobie tie majuce, v rozkoši sie kochajuce! — Amen. Důmínka, že v této písni po osmiřádkové větší strofe násle- duje sedmiřádková menší, zakládá se hlavně na tom, že v starším rukopise první taková strofa je v skutku jen 7řádková, v druhém pak jen 6rädkovä, ba že i v pokračování písně v mladším rukopise vždy, kdy má se v ní zjeviti ona strofa kratší, pozorovati lze nějakou ne- uhlazenost ve veršování. Co se rýmův týče, ukazujíť patıne na 70 základ celé písně, na čtverřádkovou sloku toliko a lehce tudíž možná, že původní píseň, o polovičku menší byvši, složena bývala jen slokami čtverřádkovými. Kratší tuto formu zvestuji i myslenky písně, někdy příliš rozvláčeně, někdy v protivách k sobě jsoucí k. př. Ež si ny račil stvořiti, Protož, bože! prosim' tebe, i tak draho vykupiti, živy i rozkošny chlebe! dnes nebesa otvořiti, by otvořil nám dnes nebe svym ny tielem obdařiti. dal nam ščedre dary z sebe. Než veškerou uhlazenost, již káže nynější poetika, nemožno ni hledati, ni najíti v písni středověké! — Přejmež si tudíž, aby se brzo objevil buď starší a správnější ještě přepis, buď původní jeho forma v nějakém latinském kancionálu: pak bude i rozhodnuto 0 soustavě její strofove. Historische Section am 16. November 1863. Anwesend die Herren Mitglieder: Fr. Palacký, Tomek, Erben, Weitenweber, Zap, Bezděka, Graf Wratislaw, Staněk, Stule, Wina- řický, Wrfätko, Joh. Palacký, Zikmund, Frühauf; als Gäste die Herren: Plaček, Dr. Rieger, Demuth, Tieftrunk und Patera. Hr. Franz Palacký las (in böhmischer Sprache) Mitthei- lungen über die von ihm zu Breslau entdeckte kurze böhmische Chronik des Benedict Johnsdorf, Abtes des Klosters bei „St. Maria am Sande“ in Breslau, aus dem Ende des XV. Jahrhunderts. Dieselbe, in der älteren Zeit meist aus Aeneas Sylvius schöpfend, enthält interessante Nachrichten aus der Zeit Wla- dislaws IL, wichtiger für die Geschichte Schlesiens als Böhmens. Naturwiss.-math, Section am 23. November 1863. Anwesend die Herren Mitglieder: Weitenweber, Stein, Amerling, v. Leonhardi, Staněk und J. Palacký; als Gast Prof. J. Walter. Herr Weitenweber legte vor und besprach kurz die soeben aus Stockholm an die k. Gesellschaft cingesandten, sehr in- structiven geologischen Charten zu des verdienstvollen schwe- 71 dischen Geologen, Prof. Axel Erdmann neuestem Werke: Sveviges geologiska Undersökning. Hierauf berichtete Derselbe über das Vorkommen von Ueberresten vorweltlicher Baumstämme bei Bfras, nach Mittheilungen des Hüttenverwalters C. Feistmantel daselbst. In den Hangendschichten am nordwestlichen Ausgehenden des Braser Steinkohlenbeckens (bei Radnic) sind durch die in den letzten Monaten ausgeführten Abraumsarbeiten mehrere Ueberreste vorwelt- licher Baumstämme entdeckt worden. Bis jetzt sind zehn solcher Stämme von grösseren Dimensionen, theilweise mehr bei einander, blossgelegt. Davon gruppiren sich acht um eine ziemlich von N.-W. nach S.-0. gerichtete Linie derart, dass die meisten mehr südöstlich beisammen stehen, während der achte, der nordwestlichste, 21 Klafter weit von dieser Gruppe entfernt ist. Von eben dieser Gruppe ist ferner in südwestlicher Richtung ein Stamm 5, ein zweiter 9 Klafter weit aufgefunden worden. Alle diese Stämme sitzen unmittelbar auf dem Steinkohlenlager auf. Dieses hat hier ein Verflächen von 12—15 Grad nach Nordost, und auch sämmtliche Stämme sind nach Nordost geneigt. Sie stehen daher mit kleinen Abweichungen senkrecht auf dem Kohlenlager, und reichten eben so in die dasselbe bedeckenden, eben so verflächenden Schieferthone mehr oder weniger weit hinein. — In die Kohle selbst setzen sie nicht fort; sind aber fast sämmtlich an ihren untern Enden plötzlich, theilweise wulstförmig erweitert. Ihre Durchmesser sind 24, 28, 33 bis 45 Zoll vom unteren Stammende; mit der Höhe nehmen sie an Stärke ab. — Sie wurden nur 6—8 Fuss hoch in die Schieferthonschichten ragend gefunden, und endeten alle oben bei noch bedeutendem Durchmesser plötzlich und ohne Verzwei- sungen. — Von den umgebenden Schiefern waren alle bloss durch eine Kohlenrinde getrennt, die sie an ihrem ganzen Umfange umgab. Diese ist bis } Zoll stark, und so sehr zerklůftet, dass selbst kleine Stücke durchaus nicht im Zusammenhange losgelöst werden konnten. Nach Ablösung dieser Kohlenrinde bleibt der Stamm mit einer ziem- lich ebenen, unregelmässig, fein gestreiften, braunen Oberfläche zurück. Die Masse, aus der die Stammreste bestehen, ist derselbe Schieferthon, von dem sie eingeschlossen waren, eben so geschichtet und zerklüftet, 12 * ohne alle Spur von vegetabilischer Textur. Es sind diese Stammüber- reste sonach bloss auf die Rinde der einstigen Bäume beschränkt, und die von diesen eingeschlossenen Massen bloss als Infiltrations- Kerne zu betrachten. Bei den meisten dieser Stämme war kein erkennbarer Abdruck der einstigen Rindengestalt in den umgebenden Gesteinsschichten auf- zufinden. Nur an einzelnen Stellen mehrerer Stämme war ein Ab- druck unregelmässiger, oft äusserst verworrener, runzlichter, nach der Länge des Stammes gerichteter, ungleich breiter Streifen oder Wulste vorhanden, die mit der Streifung von Calamiten, Syringoden- dron oder Sigillaria durchaus keine Verwandtschaft zeigten, und in keiner Weise gedeutet werden konnten. Einzelne dieser Wulste waren flach über einander gefaltet, und zwischen diesen Falten waren dünne Partbieen von Kohle eingezwängt. Endlich gelang es, bei zweien der zuletzt zum Vorschein gekommenen Stämme deutlichere Abdrücke der Rindenoberfläche in dem Umhůllungsgesteine zu entdecken. — Diese Abdrücke beschränkten sich aber bloss auf einzelne kleine Stellen der Stammesoberfläche. Doch sind sie genügend, um Aufklä- rung über die Gattung zu geben, der die sämmtlichen Stämme ange- hören. Diese Ahdrücke lieferten deutliche, in Spiralen gestellte Schuppen, wie sie die Gattung Lepidodendron characterisiren, in einer Grösse von 14 Zoll. Die Narbe liegt in der Mitte des Blattpolsters; die Blattpolster selbst sind nicht selten wellig gestreift; die Schuppen sind aber alle mehr oder weniger verzerrt, wodurch die genaue Be- stimmung der Art etwas unsicher wird. Doch scheint diese dem Le- pidodendron caudatum nahe zu stehen. Sehr interessant ist es aber, dass bei demselben Rindenabdrucke, der vollkommen erkennbare Lepidodendron-Schuppen enthielt, auch solche unregelmässige, runzlichte Streifen und Wulste sich vorfanden, wie solche an den früher aufgeschlossenen Stämmen allein vorkamen, und dass Uebergänge aus den Schuppen in diese Streifen erkennbar wurden. Durch diese Uebergänge sind die unregelmässigen runzlichten Streifen an den übrigen Stämmen, wo sich solche fanden, als äusserst verzerrte, verschobene Schuppen erklärt, und ie Identität dieser mit den Rinden, welche deutliche Lepidodendron-Schuppen zeigen, 73 sicher gestellt, so dass alle die aufgeschlossenen Stammreste als zur Gattung Lepidodendron gehörig erklärt werden können. Die Verzerrung der Schuppenabdrücke bis ins Unkenntliche mag in einer Zusammenziehung der thonigen Schichten ihren Grund haben, mit denen die Stämme sowohl umhüllt als ausgefüllt wurden. Die meisten der Stämme sind übrigens eckig gequetscht, oder an einer Seite eingedrückt, was dem Umstande zugeschrieben werden darf, dass die Stämme noch hohl blieben und nachgeben konnten, während sie schon von Thonschichten umschlossen wurden, bis der Absatz des Sediments in einer solchen Höhe erfolgte, dass auch deren Inneres erfüllt wurde. Spätere Veränderungen, welche die Gesteinsschichten erlitten, haben unter Einem auch die Stammreste betroffen, und namentlich sieht man Klüfte, mit Eisenoxydhydrat erfüllt, ohne Unterbrechung durch das Innere der Baumstämme durchsetzen. Ein noch räthselhaftes Vorkommen sind längliche, im Quer- schnitte meist ovale, an der Oberfläche mit einer ganz schwachen Kohlenrinde überzogene Körper, die im Innern einiger dieser Stämme und zwar immer zunächst des äusseren Umfanges derselben sich vor- fanden. © Dieselben können aus dem Gestein gelöst werden, und lassen einen stellenweise schwach kenntlich, jedoch unregelmässig gestreiften Abdruck zurück, sind ganz von demselben Materiale, wie die Stellen des Baumkernes, in denen sie liegen, und scheinen sich manchmal gegen die Stammoberfläche auszukeilen. In einem Stamme war nahe unter dessen Rinde ein soleher Körper von zwei bis drei Zoll Stärke spiralartig bis 3 Fuss Länge ausgeschieden. Bei dem unvollkommenen Zustande, in dem sich alle diese Baumreste vorfinden, ist es schwer, diese erwähnten Einschlüsse, die an ihrer Oberfläche keine Aehnlichkeit mit anderen bekannten Pflanzenresten zeigen, befriedigend zu erklären. Hr. Joh. Palacky sprach über die Verbreitungsge- setze der Pflanzen Australiens. Zur Grundlage des freien Vortrags diente das neueste botanische Werk Bentham’s. Gegen die hiebei erwähnten und theilweise gel- tend gemachten Ansichten Darvin’s über die Bildung und Umwand- lung der Species sprach sich bei dieser Gelegenheit der anwesende Hr. Prof. Stein entschieden aus, 74 Im November 1863 eingegangene Druckschriften. The American Journal of Science and arts, conducted by B. Silliman and J. Dana. New Haven 1863. Nro. 107. Ferd. Lippich. Ueber die Natur der Aetherschwingungen usw. Wien 1863. (Sep.-Abdr.) J. A. Grunert drei mathematische Abhandlungen. (Sep. he drůcke aus dessen Archiv; vom Hrn. Verfasser.) Atti dell R. Istituto Lombardo di scienze ed arti etc. Milano 1863. Vol. III. fase. 15. 16. Atti della distribuzione dei premj all’ industria agricola ete. 1863. Fr. Moigno. Les mondes. Revue hebdomadaire des sciences etc. Paris I. Année. Tom. I. livr. 15—19. XXII. Bericht über das Museum Francisco-Carolinum. Linz 1863. Die Gesetze vom 9. Februar und 2. August 1850 über die Ge- bühren u s. w. Wien 1863. On the total Solar Eclipse of 18. July 1860. By Warren de la Rue. London 1862. Proceedings of the R. Society. Lond. 1862. Vol. XII. Nr. 56in 8°. Philosophical Transactions of the R. Society of London. Vol. 152. part. 1. Lond. 1862. — part. 2. Lond. 1863. in gr. 4°. Bessels Hypsometric tables, es corrected by Plantamour, recaleulated by A. Ellis. 1863. Magazin der Literatur des Auslandes. Leipzig 1863. Nr. 42—45. Zeitschrift vom histor. Verein für Niedersachsen. Jahrg. 1862. XXVI. Nachricht vom histor. Verein. Hannover 1863. The home and foreign Review. London 1863. October. Jaubert. La vie de Mr. Cordier, Paris 1863. Poggendortt's Annalen der Chemie und Physik. Berlin 1863. Nr. 9. J. Barrande. Représentation des Colonies de Boheme etc. 5 Existence de la faune seconde silurienne en Belgique. | $ Faune primordiale aux environs de Hof en Baviere. ý Présentation d’un mémoire de Mr. Volborth. Note de Mr. Barrande en séance du 28. Avril 1862. (Sämmtlich vom Hrn. Verf.) 75 Jahrbuch der k. k. geolog. Reichsanstalt in Wien. 1865. Nr. 3. Droysen Schlacht von Warschau im J. 1656. Leipzig 1862. Mettenius. Ueber Angiopteris. Leipzig 1862. Berichte der k. sáchs. Gesellschaft der Wiss. Math.-phys. 1862. — Berichte usw. philos.-hist. 1862. Časopis Musea českého. V Praze 1863. 1. 2. 3. Bulletin de la Soc. Imp. des Naturalistes de Moscou. Annee 1863. Nr. 1. Société de Grandduché de Louxembourg. 1865. VI. Tome. Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft in Berlin 1863. XV. Band. 2. Heft. Jahrbücher des Vereins. von Alterthumsfreunden usw. Bonn 1863. Nro. 35. XL. Jahresbericht der schles. Gesellschaft usw. Breslau 1863. Abhandlungen der schles. Gesellschaft. Abtheil. für Naturwiss. 1862. 2. Heft. Jahresbericht der naturforsch. Gesellschaft Graubündens. Chur 1863. 8. Jahrg. Philosophische Section am 7. December 1863. Anwesend die Herren Mitglieder: Hanus, Volkmann und Dastich. Herr Volkmann las aus einem grösseren: Werke einen Abschnitt über die philosophische Theorie vom Raume. Der Vortragende begann mit einem Ueberblicke aller Ausgangs- punkte, die zu einer psychologischen Erklärung des Zeit- und Raum- vorstellens benützt werden können, und unterzog dieselben einer näheren Besprechung. Der zweite Theil des Vortrages gewährte einen gedrängten Grundriss der Geschichte der bisherigen Zeit- und Raum- theorie, verweilte sodann länger bei der Theorie Kants und der Kantschen Schule, unterwarf dieselbe einer eingehenden Kritik, und schloss mit einer Darstellung des gegenwärtigen Standes der Unter- suchungen. 76 Historische Section am 14. December 1863. Anwesend die Herren Mitglieder: Tomek, Weitenweber, Höfler und Bippart; als Gäste die Herren Prof. Wilhelm Zahn und Josef Walter. Herr Bippart hielt einen Vortrag über die beiden römischen Volkstribune, Tiberius und Cajus Gracchus. Durch eine eingehende Schilderung ihrer Persönlichkeit und ihres politischen Wirkens, sowie eine kritische Beleuchtung der im Alterthum (namentlich in den Werken von Cicero, Sallustius, Plutarch u. A.) über dieselben gefällten. Urtheile versuchte der Vortragende den Beweis, dass die beiden Gracchen nicht gewöhnliche Demagogen und leidenschaftliche Revolutionsmänner waren, sondern vom edelsten Patriotismus beseelt und von den hervorragendsten Männern des Senats unterstützt es unternahmen, auf gesetzlichem Wege zwei Fragen zu lösen, von deren riehtiger Entscheidung der Bestand der römischen Republik abhing, nämlich Herstellung des Mittelstandes und Aufnahme 5 der italischen Bundesgenossen in die Zahl der römischen Bürger. Hiezu machte Hr. Höfler einige Bemerkungen, in welchen auch auf «ie Schattenseiten des Betragens der Gracchen hin- gewiesen wurde. Naturwiss.-math. Section am 21. December 1863. Anwesend die Herren Mitglieder: Matzka, Weitenweber, Pierre, Kořistka, Krejčí v. Leonhardi und Skřivan; als Gäste die Herren Hornstein und Lippich. Seer. Weitenweber trug einen Aufsatz des Herrn Hüttenverwalters Č. Feistmantel vor, in welchem Letz- terer mehrere Beobachtungen über die Entstehung und Charakteristik einiger sphäroidischer Gebilde im Mi- neralreiche, die sog. Sphärosiderite, mittheilt. Wie überall in den Steinkohlengebirgen finden sich auch in jenen der Umgebung von Radnie (im Pilsner Kreise Böhmens) eisen- reiche sphäroidische Gebilde ziemlich häufig vor. (Hiebei machte der 17 Vortragende die historische Zwischenbemerkung, dass bereits im J. 1816 unser berühmte Naturforscher, Graf Caspar v. Sternberg eine hieher gehörige: Beschreibung und Untersuchung einer merkwür- digen Eisengeode usw. veranlasst und im V. Bande der Abhandlungen unserer kel. Gesellschaft veröffentlicht habe.) Besonders günstig lässt sich, nach Feistmantel, deren Vorkommen im Břaser Koh- lenbecken durch die dort zu Bergbauzwecken häufig angewandte Ent- blössung der Gebirgsschichten beobachten. Die genauere Beobachtung der Einlagerung von Sphärosideriten in diesen Gebirgsschichten liefert ungemein belehrende Ergebnisse, die in ihrer Nebeneinanderstellung besonders geeignet sind, einen Schluss auf die Entstehung dieser concentrisch-schaligen Gebilde zu wagen, die, wenn sie ausgelöst aus den Gesteinsschichten getroffen werden, sich oft nieht unähnlich Roll- gesteinen darstellen. Die das Steinkohlenlager im Břaser Becken be- oleitenden Schichtgesteine sind Schieferthone und Sandstein: erstere vorwaltend als unmittelbare Decke (er Kohle, letztere zumeist in den höheren Horizonten entwickelt. Wo die Sandsteine in etwas grösserer Ausdehnung aufgeschlossen werden, sieht man fast immer in derselben unregelmässig zerstreut sphäroidische Bildungen von verschiedenartiger Beschaffenheit, von denen sich einige als vollkommen ausgebildete „Sphárosiderite“ darstellen. — Wir müssen aber an diesem Orte von einer detaillirten Schilderung und der Entstehungstheorie dieser kuge- ligen Gebilde Umgang nehmen, und verweisen auf die Abhandlung selbst, welche im nächsten Actenbande der kgl. Gesellschaft in der Gänze veröffentlicht erscheinen und mit den betreffenden Abbildungen illustrirt versehen sein wird. Herr Gustav Skrivan theilte nachfolgenden einfa- chen Beweis des Gauss'schen Theorems von der Con- vergenz unendlicher Reihen mit. Gauss hat in den Comment. Societatis Regiae Seient. Gottin- gensis Recentiores (Vol. II. ad A. 1811—13. Tom. II.) veröffentlicht das Theorem: Und n „Wenn der Quotient der Reihe: Sem em Usa i in inf. (1. 78 in der Form ee k = VÍ RR RE (2 u P E SE erscheint, worin p ganzzahlig und von positiver Beziehung ist, ferner Nenner und Zähler des Bruches (2. keine identischen Polynome sind, so convergirt die Reihe (1. nur dann, wenn die Differenz A Pr IST, in allen andern Fällen ist die Reihe (1. divergent.“ Beweis. Soll die Reihe convergiren, so ist vor Allem nöthig, dass von einer bestimmten Stelle des n angefangen, stattfindet Un+1 Ustí Sál, Aus diesem folgt: ne uh Un Demgemäss kann man setzen: Unger bí l € Un 1+ « wobei « einer dieser Gleichung eben genügenden Zahlenwerth reprá- sentirt. Man erhält aus (3. in Verbindung mit (2. leicht die Gleichung: [a m A) a ka) = a u Eid nn Aula (4. n 7 A, 2 n Für unendlich gross werdende n folgt aus derselben: a — A W, BE Ly ===) (7 u +A, u und ebenso aus (3. lim. ©- = Im. ———— — 1 (6. Un+1 Gilt nun (5., so hat (6. nur dann eine richtige Bedeutung, wenn von einer bestimmten Stelle des n angefangen, die Beziehungszeichen der successiv aufeinander folgenden Reihenglieder, als Un; Uns, Un+2 .... Identisch, also entweder positiv oder negativ sind. Aus der Gleichung (4. folgt: l EEE ny i la = A) Be = u ee a S und hieraus für hinreichend grosse n, 79 lim. na = A, — Aj (8. bezüglich dieses Resultates hat man drei Hauptfälle zu beachten, und zwar: L. Fall. Wenn die Differenz a, — A, ein in negativer Be- ziehung stehender Ausdruck ist, etwa — H, dann folst aus (8. ba = SA =r=rH Nachdem n einen in positiver Beziehung stehenden Zahlenwerth reprásentirt, so kann die negative Beziehung für H allein nur aus einer negativen Beziehung des « resultiren ; welches auf (3. angewendet, führt zu der Relation, dass Us44 > Un > W-ı > .... ist, d.h. die Reihe ist eine steigende und somit divergent. IE, -F all: Wenndie.Differenza — As Ořebenso"a, —A, = 0 .. ist, und erst u — Ax einen von der Nulle verschie- denen Differenzausdruck liefert. Dann folgt für unendlich wachsende n aus (7. jim. no = 0 und man kann allerdings setzen: ne n* wobei k ganzzahlig ist und für hinreichend grosse n offenbar lim. 2 „> O wird; sonst hat man aus dieser Gleichung: n | eh : 5 je 1 mithin é < n li ebenso Le 1. = 1 = 1 = ar (9. ne > n EP 1 Un Setzt man acht und wie in (3 3 N +1 : |- 1 Kk BR ln l -+-« I. = 80 so hat man: ks n = (10. Un th Nachlem aber der Quotient "TI — —-—— aus der har- (P 1 asp L n : x l l monischen Reihe 1 + s E = Be Rune ee resultirt und diese divergent ist, so ee mit Bezug auf (10., auch die Reihe u, -+ Us -F Uz —. l. i- die Reihe (1, wenn die Dif- ferenz a, — A, = 0 usw. ist. NI. Fall. Wenn endlich die Differenz a, — A, ein in positiver Beziehung stehendes Resultat gibt, z. Ba, — A, =+H * . . 74 ++ .. < Dann hat man die drei speciellen Fälle zu erwägen, — H == a) Es sel a, — A, = + H < + L, so folgt aus (7. lim. na = a — A, < +1 und nachdem n im Verhältnisse zu « beliebig gross eingerichtet werden : ee kann, so kann man immer a ne < 1, oder « < n, ebenso l ni 1- a 1:+ — mithin —— ZS, Nee ur n l 7 & 1-+ 5 welches die unter (9. angeführte Relation ist, und daher folgt, wie dort weiter dargethan wurde, dass die Reihe (1. divereirt, wenn a — A, < T List. b) Ist a, A, =-+1, so folgt aus (7. lin. na — 4, — A, = 1 und daher kann gesetzt werden: = 11: Da dod ( wobei © ganzzahlig und für hinreichend grosse n, lim. nn = 0 ist. O o Da jedoch © entweder die positive oder die negative Beziehung haben J : ! a 5 kann, so folgt, wenn © negativer Beziehung ist: l ne < 1 oder « Er — 1 1 ebenso I+e<ı-+ s daher ee = Sir n 81 welches wieder die unter (9. angeführte Relation ist; — nach welcher die Reihe (1. divergirt. Ist © von positiver Beziehung, so folgt aus (11. l 5 a = — ——, mithin n je en? 1 De 2 ala Dr Jun MOB 2 1 1 also 1 a 1 —, und daher ———— > — -+ a m fertig Beer m 2 l 1 =) .. * . wobei statt a geschrieben wurde. Nachdem sich für hinreichend grosse n, allerdings //. m mit Zöm. n identificirt, folgt, mit Bezug auf (9. im Vergleiche mit der oben gefundenen Relation, dass auch in diesem Falle (1. divergirt, also überhaupt divergirt, wenn I er A, = + Last. c) Wenn endlich a, — A, =+H>-+-1 ist, so hat man aus (7. dilu. ZU A1 Rd und es kann fůr hinreichende n gesetzt werden: 1 na >> 1 — BR woraus sich weiter ergiebt: 2 1 1 Ben 25 4n? ah SR oder l+te>i\il-+ an De 1 Er 1 mithin 1-0 G + z) G = 1% 2n m welches geschrieben werden kann: Un+1 Vm-+-1 are (12. wobei Vm+1; Vm der Reihe: 1 1 l 1 1 251 = = če P sak MPR 1 ge T za Fe er Ste Sitzungsberichte 1863. IL, 82 angehören. Nachdem man sich von der Convergenz dieser letz- teren Reihe auf eine leichte Weise überzeugen kann, (mit Hilfe des bekannten Theorems von Cauchy), so folgt auch gemäss (12., dass die Reihe (1. convergent ist, wenn nämlich a, — A, >> + 1 ausfällt. Hierauf theilte Hr. Pierre die Ergebnisse einiger Untersuchungen mit, welche er im Verlaufe dieses Som- mers mit Aesculin und Fraxin unternommen hat; nebst den Fluorescenzerscheinungen beim Purpurin. Als Nachtrag zu meinen bei einer früheren Gelegenheit (vergl. Prager Sitzungsberichte Jahrg. 1562 II. Sem. S. 66.) gemachten Mit- theilungen über die Benützung der Fluorescenz-Erscheinungen zu che- mischen Zwecken erlaube ich mir in Kurzem die Ergebnisse einiger Untersuchungen bekannt zu geben, die ich im Läufe dieses Sommers mit Aesculin und Fraxin unternommen habe. Wie bekannt zerfallen diese Stoffe durch geeignete Behandlung in Zucker und in Aesculetin und Fraxetin. Letztere sind fluorescirende Körper, während Zucker nicht fluoreseirt. Es war daher von Interesse nachzusehen, in wie ferne die Fluorescenz derselben mit jener des Aesculins und Fraxins übereinkomme oder nicht. Die Untersuchung ergab nun, dass, wie- wohl beide letztere Stoffe als Verbindungen der ersteren mit einem in Beziehung auf Fluorescenz-Erregung ganz indifferenten Stoffe er- scheinen, dennoch die Jluorescenz jener eine ganz und gar ver- schiedene, wenn auch immerhin ähnliche ist. Diese Aehnlichkeit bezieht sich indessen nur auf den Farbenton der Fluorescenz ; die Gränzen, der Ort des Maximums sind verschieden. Das entgegenge- setzte Verhalten ergab sich bei dem Aesculetinhydrat (C;; H,; O,-), einem Stofle, der nach Rochleder’s Untersuchungen ebenfalls in der Rosskastanienrinde vorkömmt, und durch Erhitzung unter ge- eigneten Umständen in Aesculetin übergeht. Dieser Körper zeigt genau dieselbe Fluorescenz wie das Aesculetin selbst, so dass hier das Eintreten eines indifferenten Stoffes, des Wassers, in die Zu- sammensetzung des Aesculetins keine Veränderung des Charakters der Fluorescenz bewirkt. Ueberhaupt scheint die Fluorescenz che- mischer Verbindungen von der etwaigen Fluorescenz ihrer Be- 83 standtheile ganz unabhängig zu sein, so dass die Fluorescenz einer chemischen Verbindung nicht wie bei Mischungen chemisch indiffe- renter Stoffe, die aus den einfachen Wluorescenzen der Bestandtheile zusammengesetzte, sondern eine ganz verschiedene und wieder ein- fache ist. Es scheint ferner die Fluorescenz mit der chemischen Consti- tution der Körper in keinem Zusammenhange zu stehen; so besitzt z. B. nach Rochleder (Sitzungsbericht der kais. Akad. d. Wiss. XLVII. Band) das Daphnin die Zusammensetzung des Aesculins, das bei 100" getrocknete Daphnetin die Zusammensetzung des Aesculetinhydrates, und während dieses und das Aesculin fluoresciren, zeigen Daphnin und Daphnetin keine Spur von Fluorescenz. Ein ganz ähnliches Verhalten wie Aesculin und Aesculetin, Fraxin und Fraxetin beobachtet man ebenfalls beim schwefelsauren Chinin. Die Lösung des einfach schwefelsauren Chinins zeigt eine Fluorescenz, die von jener des sauren schwefelsauren Salzes ganz und gar verschieden ist, während doch die Schwefelsäure in Beziehung auf Fluorescenz indifferent ist. Die von Stockes ausgesprochene Vermuthung, dass es möglich sein dürfte die Fluorescenz als eine Art von Reactionsmittel zur Er- kennung gewisser Stoffe in ihrer Verbindung mit anderen zu benützen, dürfte sich demnach wohl nur auf die Fälle beschränken, in denen zwei oder mehrere, auf einander nicht chemisch einwirkende tluores- cirende Stoffe einfach mit einander gemengt sind, — und keine An- wendung finden auf chemische Verbindungen solcher Körper. Ob aber selbst im Falle blosser Mischungen die Regel ohne Ausnahme sei, bedarf erst einer weiteren Untersuchung, da meine schon früher mit- getheilte Beobachtung, dass eine Mischung der Lösungen von Fraxin und Aesculin, von denen doch nicht bekannt ist, dass sie auf einander chemisch einwirken oder sich zu irgend einem neuen Körper verbinden, keine zusammengesetzte Fluorescenz erkennen lässt; sondern vielmehr eine neue, so viel ich bis jetzt feststellen konnte, einfache Fluorescenz zeigt, in welcher namentlich die durch die Gränze ihres Beginnens ganz verschiedene Fraxin-Fluorescenz nicht mehr zu erkennen ist. Der Farbenton der Fluorescenzfarbe ist zwar demjenigen der Fraxin- 84 fluorescenz ähnlich, dagegen stimmt die Gränze des Beginnes und der Ort des Maximums sehr nahe mit jenen der Aesculinfluorescenz zusam- men, so dass es auf den ersten Blick scheint, als ob das Aesculin die Fluorescenz des Fraxins ganz vernichtet hätte. Bei dieser Gelegenheit kann ich eine merkwürdige Erscheinung nicht unerwähnt lassen, die meiner früheren Behauptung, dass die Zusammensetzung der Fluorescenzfarbe von der Natur der erzeugenden Farbe unabhängig, und somit für alle Farben des prismatischen Spec- trums, so weit selbe Fluorescenz erregen, dieselbe sei, zur neuen Stütze dient, und jedenfalls eine für die künftig zu gebende Theorie dieser vorläufig noch in Dunkel gehüllten Erscheinungen nicht unwich- tige Thatsache sein möchte. Eine Auflösung von Purpurin in concentrirter Alaunlösung gibt nämlich, bei der von mir angewendeten Untersuchungsmethode ein abgeleitetes Spectrum, in dessen ganzer Ausdehnung das Gelb vollständig fehlt, so dass sich ein ziemlich breites dunkles Band gleichmässig durch die ganze Breite dieses Speetrums erstreckt. Einmal auf diese Erscheinung aufmerksam geworden, suchte ich sie auch in andern Fällen von Fluorescenz, und fand ein noch auflälligeres Verhaáten dieser Art am Uranglase. In dem abgelei- teten Spectrum desselben existiren vier dunkle Bänder, deren erste in die Gegend der Linie D, deren letzte in die Gegend von E fällt, während die beiden übrigen so zwischen die ersteren zwei fallen, dass alle vier dunklen Streifen nahe gleich weit aus ein- ander liegen. Diese dunklen Streifen sind wohl bei Purpurin als beim Uranglas gänzlich verschieden von den Absorbtionsstreifen, welche das Spectrum des durch diese Körper durchgegangenen Lichtes zeigt, und erstrecken sich ebenfalls gleichförmig über die ganze Breite des abgeleiteten Speetrums. Es ist «demnach die Fluorescenzfarbe, welche durch irgend eine Farbe des auffallenden weissen Lichtes er- zeugt wird, genau in derselben Weise zusammengesetzt, wie die durch irgend eine andere, noch Fluorescenz erregende homogene Farbe. Dieser Umstand macht es möglich, die Erscheinung zu beobachten, ohne dass man erst nöthig hat ein reines lineares Spectrum auf die Oberfläche des fluorescirenden Körpers zu projiciren, und die so ent- 85 standene Lichtlinie erst weiter in ein abgeleitetes Spectrum auszu- breiten. Es genügt einfach die Mischungsfarbe, mit welcher der Körper im direeten Sonnenlichte fluoreseirt, in bekannter Weise prismatisch zu analysiren. Bei anderen fluorescirenden Körpern konnte ich bisher etwas Aehnliches nicht mit Sicherheit wahrnehmen, wiewohl es mir schien, als ob auch bei Aesculin und Fraxin Spuren dieser Erscheinung wahr- zunehmen wären. Doch bedarf es, um hierüber ins Klare zu kommen, anderer Vorrichtungen, als sie mir bisher zu Gebote standen, auch war mittlerweile die Witterung und Jahreszeit für derartige Unter- suchungen ganz ungünstig geworden, so dass ich mir weitere Mitthei- lungen für eine nächste Gelegenheit vorbehalten muss. Im December 1863 eingelaufene Druckschriften. Archiv für Kunde österr. Geschichtsguellen. Wien 1863. XXVIH. Band 2. Hälfte; XXIX. Band 1. 2. Fontes rerum austriacarum. I. Abthl. V. Band. (Codex Straho- viensis. — Todtenbuch der Geistlichkeit der böhm. Brüder.) — U. Abtheil. XXII. Band. (Relation der Botschafter Venedigs.) Sitzungsberichte der kais. Academie der Wiss. Math.-naturwiss. Classe. XLI. Band. 4. und b. Heft. — Jahrgang 1863. XLVI. 1—4. Heft. — Philosoph.-hist. Classe. XL. Band. 1862. 4. und 5. Heft; 1863. XLI. Band 1. und 2. Heft: — 1863. XLIL. Band 1. Heft. Register zu den Bänden 31—40 der Sitz. - Berichte der phil.- histor. Classe IV. Almanach der kais. Academie der Wiss. in Wien für 1863. The Quaterly Review. London 1863 Jahrg. Nro. 227. Berichte über die Verhandlungen der naturforsch. Gesellschaft zu Freiburg i. B. 1863. III. Band. 1. Heft. Ant. Frič. Dvě cesty do Londýna. V Praze 1864. (Vom Hrn. Verfasser.) Bulletin de la Société g6ologique de France. X. Serie. 20. Tome Feuill. 13—20. Paris 1862—63. Journal of the Academy of natural Sciences of Philadelphia. New. Series. IV. Vol. part. 3. 4. 86 Lotos. Zeitschrift fůr Naturwiss. Prag 1863. November. Magazin der Literatur des Auslandes. Leipzig 1863. Nro. 48—50. Verhandelingen van het Bataviaasch Genootschap van Kunsten en Wetenschappen. Batavia 1862 Deel XXIX. (A dictionary of the Sunda language.) ; Tijdschrift vor Indische Taal-Landen- en Volkenkunde. Batavia 1861. Deel XI. — 1862. Deel XII. Bulletin de la Société Imper. des Naturalistes de Moscou. 1863. Nro. 2. Register zu den Prager Sitzungsberichten im Jahrgange 1863. Ambros. Die Kirchenmusik und Palästrina. I. S. 18. Amerling. Der Weinbau in Oesterreich. I. S, 33. — Ueber Varietäten einer Naturspecies 1. 120. — Die goldene Ruthe Böhmens. I. 60. Bippart. Ueber Tiberius und Cajus Gracchus. II. 76. Böhm. Ein Schreiben Tycho Brahe’s. I. 106. Czermak. Ueber Kühne’s Beobachtung einer Nematode in einer Muskel- faser des Frosches. I. S. 40. — Ueber das Bell’sche Gesetz. II. 59. Erben. Aus dem russischen Chronisten Nestor. I. 8. Frühauf. Ueber die handelspolitischen Verhältnisse des byzantinischen Reiches. I S. 32. und. 34. .-— L,'139. Hanuš. Ueber die slavische Ježi-Bába. I. S. 36. und 127. — Die diä- tetische Literatur der Böhmen im XV]. Jahrhunderte. I. S. 120. — Ueber den 5. Theil der Starobyla skladanie. II. 1. — Ueber einige Werke Dobrowsky’s II. 6. — Ueber das Passionale der Aebt. Kuni- gunde. II. 26. und 36. — Ueber ein altböhmisches Kirchenlied. 11.82.04; Höfler. Die Unionen der deutschen Fürsten und Stände im Anfange des 17. Jahrhunderts. I. 69. Krejčí. Die Verbreitung der Komorauer und Rokycaner Schichten in den Umgebungen Prags. I. 118. v. Leonhardi. Ueber die böhmischen Characeen. I. S. 110. — Zur Morphologie der Rosen. II. 12, Matzka. Prioritäts-Reclamation des Hrn. Prof. Spitzer gegen Hrn. Pop- per. H. 58. Nebesky. Ueber Volkslieder der Neugriechen. I. 59. Nowak. Ueber das kaspische Meer und die Verdunstung. II. 13. Franz Palacký. Die böhmische Chronik des B. Johnsdorf. II. 70. 88 Joh. Palacký. Ueber die geograph. Verbreitung der Thalamifloren. I. 41. — Die Verbreitung der Pflanzen Australiens. II. 73. Pierre. Neuere Mittheilungen über Fluorescenz-Erscheinungen. II. 82. Skrivan. Einfacher Beweis des Gauss’schen Theorems von der Convergenz unendlicher Reihen. II. 77. Tomek. Zur Topographie der Neustadt Prags. I. 32. — Aus der Ge- schichte Prags. II. 11 und 58. Volkmann. Ueber die Farbentheorien. I. 37. — Ueber die philoso- phische Theorie vom Raume. II. 75. Weitenweber. Jahresbericht für 1862. I.-3. — Besprechung einiger Werke. I. 13. — Newton und Leibnitz. I. 32. — Unterirdische Höhle bei Němčic, nach Wankel. I. 37. — Ueber die Sphärosiderite bei Bras, nach Feistmantel. II. 76. — Ueberreste vorweltlicher Baum- stämme, nach Feistmantel. II. 71. Wocel. Ueber die ältesten in Böhmen aufsefundenen Metallobjecte. I. S. 8. — Ueber die Aechtheit der Könieinhofer Handschrift, nach Jireček. T. "Bi. AT. Gr. v. Wratislaw. Aus dem Testamente des Waclaw Wresowsky. I. 13. Wrtätko. Vorstellung der heidnischen Böhmen von Seele und Leib. I. 16. — Ueber bozi und běsi der heidnischen Böhmen. I. 35. — Ueber den antiken Roman Apollonius Tyrius. I. 115. ——— —— Druck von Dr. E. Grégr in Prag 1864. — Verlag der k. b. Gesell. der Wissensch, Sitzungsberichte der königl. böhmischen GROBLILHAFT DER WISSENSCHAFTEN in Prag. | Januar — Jun ee äh k IRS UD | N | Jahrgsans 1364. Ee An 5 o 1337 a) vi P, | 4 P | Sitzungsberichte der königl. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften i bo Jahrgangs 18G4. Januar — Juni. SID a name ar PRAG. Druck von E. Gregr in Prag. — Verlag der k. böhm. Ges. der Wissenschaften. 1864. usd osialkád (oi ah PDBI CEF" (ŘS s — is ushtadwasesiW Jahresbericht fůr 1863, in der ordentlichen Sitzung der kóniel. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften am 13. Januar 1864 erstattet vom beständigen Secretär Dr. Wilhelm Rudolph Weitenweber. Köntgliche Gesellschaft der Wissenschaften ! Hochgeehrte Herren! Der bei allen Gesellschaften und Vereinen gepflogenen Uebung gemäss fühle auch ich mich wieder verpflichtet, die heutige erste ordentliche Sitzung unserer Gesellschaft im heurigen Jahre — mit einem gedränsten Berichte über das im eben verflossenen Jahre 1863 im Bereiche der Gesellschaft Erlebte und Geleistete zu eröffnen. Frei- lich können diese alljährlich zu erstattenden Berichte über die Wirk- samkeit und Schicksale von Instituten, welche der Pflege der strengen Wissenschaft gewidmet sind, der Natur der Sache nach im Laufe der einzelnen Jahre keine grosse Abwechslung darbieten; sie werden — wie Prof. Schrötter sagt — immer in gewissem Sinne dem, mehr einförmisen Leben der Männer gleichen, durch ‘deren vereinte Thä- tigkeit eben jene Resultate zu Stande gekommen sind, welche im all- gemeinen Umrisse zu schildern der nächste Zweck und die Aufgabe dieser Jahresberichte ist. Was die im Innern der Gesellschaft, namentlich in deren Perso- nalstande selbst, eingetretenen Veränderungen betrifft, so habe ich vorerst die bedauerlichen Verluste zu erwähnen, welche die Gesell- schaft durch den während des J. 1863 erfolgten Tod folgender hoch- geschätzter Mitglieder erlitten hat. Es starben nämlich: I. aus der Kategorie der ordentlichen Mitglieder: Herr Jacob Phili pp Kulik 1* 4 (gest. zu Prag 28. Februar); II. aus der Classe der auswärtigen Mit- glieder die Herren: Franz X. Zippe (gest. zu Wien 22. Februar), Peter R. v. Chlumetzky (gest. zu Brünn 29. März) und Johann Friedrich Böhmer (gest. zu Frankfurt am Main 22. October) ; endlich aus der Kategorie der correspondirenden Mitglieder die Herren: Adolf Schmidl (gest. zu Ofen 17. November), Emil Franz Röss- ler (gest. zu Sigmaringen 6. December) und Wilhelm Vrolik (gest. zu Amsterdam 22. December). Wegen ehrenvoller Berufung nach Wien und Uebersiedelung in die Kaiserstadt wurden statutenmässig das bisherige ordentliche Mit- glied Hr. Prof. Dr. August Em. Reuss in die Reihe der auswärtigen, sowie die bisherigen ausserordentlichen Mitglieder, Hr. Präsident Dr. Leopold Ritter v. Hasner und Prof. Carl Jelinek in die Reihe der correspondirenden gestellt. Neu gewählt wurden im Verlaufe des Jahres 1863: das frühere ausserordentliche Mitglied, Hr. Prof. Carl Kořistka zum ordent- lichen (gew. am 3. Juni), ferner zu ausserordentlichen Mitgliedern die Herren Dr. Adalbert Frühauf (gew. 4. März), Dr. Wilhelm Kaulich (gew. 1. Juli) und Dr. Joseph Dastich (gew. 1. Juli); zu ceorrespondirenden Miteliedern Hr. Prof. Gustav Skřivan in Wien (gew. 7. Januar, trat noch im selben Jahre in Folge seiner Uebersiedelung nach Prag in die Kategorie der ausserordentlichen Mitglieder) und der k. preuss. Oberst Friedrich Otto in Spandau (gew. am 4. März). Die k. Gesellschaft besteht demnach am Schlusse des J. 1863 aus 12 Ehrenmitgliedern, 19 ordentlichen, 28 auswärtigen, 39 ausser- ordentlichen und 41 correspondirenden, also im Ganzen aus 139 Mit- gliedern; so dass sich, in Entgegenhaltung zum verflossenen Jahre, die Gesammtzahl um 2 vermindert hat und sich, nach den Kategorien geordnet, folgendes Verzeichniss der (pl. tit.) Herren Mitglieder für den Beginn des Jahres 1864 ergibt: Präsident: (Vacat.) D. Z. Director: Carl Jaromir Erben. Bestůndiger Secretär: Wilhelm Rudolph Weitenweber. Ehrenmitglieder : Carl Graf Chotek v. Chotkow und Wojnin, in Grosspriesen (1840). Joseph Mathias Graf v. Thun-Hohenstein, in Salzburg (1840). Joseph Ditmar Graf v. Nostiz-Rienek, in Dresden (1841). Eugen Graf Černín v. Chudenic, in Wien (1842). Leo Graf v. Thun-Hohenstein, in Wien (1942). Leopold Sacher-Masoch, Ritter von Kronenthal, in Graz (1852). Andreas Freiherr v. Baumgartner, in Wien (1852). Rudolph Graf v. Stillfried-Rattonitz, in Berlin (1857). Alexander Freiherr v. Bach, in Rom (1857). Carl Freiherr v. Mecsery, in Wien (1858). Leopold Felix Graf v. Thun-Hohenstein, in Prag (1858). Albert Graf v. Nostic-Rienek, in Prag (1858). Ordentliche Mitglieder: Franz Palacky (1830). Johann Erasm. Wocel (1846). Wenzel Wladiwoj Tomek (1848). Joachim Barrande (1849). Carl Jaromir Erben (1849). Carl Nap. Balling (1850). Johann Evang. Purkyně (1850). Wilhelm Matzka (1850), Cassier der Gesellschaft. Vincenz Franz Kosteletzký (1852). Ignaz Joh. Hanuš (1952), Bibliothekar der Gesellschaft. Wilhelm Rudolph Weitenweber (1853), Secretár. Joseph Wenzig (1856). C. A. Constantin Höfler (1856). Friedrich Rochleder (1857). Johann Heinrich Loewe (1859). Friedrich Stein (1859). Martin Hattala (1861). Vietor Pierre (1861). Carl Kořistka (1863). Auswärtige Mitglieder : Wilhelm Carl Haidinger in Wien (1829). Carl Christian Rafn in Kopenhagen (1830). Adam Ritter v. Burg in Wien (1833). Adolph Martin Pleischl in Wien (1834). Ferdinand Hessler in Wien (1838). Eduard v. Eichwald in St. Petersburg (1838). 6 Carl Czörnig Freiherr v. Czernhausen in Wien (1840). Johann August Grunert in Greifswald (1841). August Eman. Reuss in Wien (1842). Georg Heinr. Pertz in Berlin (1843). Joseph Hyrtl in Wien (1845). Joseph Redtenbacher in Wien (1845). Johann Lamont in München (1846). Carl Fritsch in Wien (1849). Joseph Alex. Freiherr von Helfert in Wien (1854.) Adolf Lamb. J. Quetelet in Brüssel (1855). Heinrich Robert Göppert in Breslau (1855). Theodor Georg v. Karajan in Wien (1855). Franz Miklosich in Wien (1855). Peter Mar. Flourens in Paris (1856). Gideon Jan Verdam in Leyden (1857). Math. Font. Maury in Washington (1358). Ignaz Döllinger in München (1859). Justus Freiherr von Liebig in München (1859). Carl Friedr. Phil. v. Martius in München (1859). Gustav Köhler in Berlin (1859). Heinrich Wilh, Dove in Berlin (1859). Ausserordentliche Mitglieder : August Wilh. Ambros (1859). Carl Amerling (1540). Friedrich Graf v. Berchtold (1850). Franz Sal. Bezdeka (1850). Georg Bippart (1861). Joseph Georg Böhm (1853). Vincenz Alex. Bochdalek (1860). Johann Czermak (1851). Franz Čupr (1850). Joseph Dastich (1863). Franz Doucha (1850). Johann Nep. Ehrlich (1854). Adalbert Frühauf (1863). Anton Gindely (1855). Joseph Rob. Hasner Ritter v. Artha (1855). Johann Jungmann (1850). Wilhelm Kaulich (1865). Philipp Stanisl. Kodym (1850). Johann Krejčí (1850). Herrmann Freiherr v. Leonhardi (1850). Joseph Wilh. Löschner (1855). Wenzel Bol. Nebesky (1848). Franz Anton Nickerl (1850). Johann Palacky (1858). Johann Friedr. Schulte (1856). Gustav Skrivan (1863). Franz Xav. Sohaj (1850). Wenzel Stanisl. Staněk (1850). Carl Bol. Storch (1850). Wenzel Štule (1856). Heinrich v. Suchecki (1858). Johann Slav. Tomíček (1550). Wilhelm Fridolin Volkmann (1856). Carl Winařický (1859). Rudolph Constantin Graf v. Wratislaw (1856). Jarosl. Anton Wrťátko (1854). Carl Vladislav Zap (1845). Wenzel Zelený (1860). Wenzel Zikmund (1861). Johann Zimmermann (1841). Correspondirende Mitglieder : Alexander D. Bache in Washington (1858). Anton Jaroslav Beck in Wien (1851). Gustav Biedermann in Bodenbach (1861). Theodor Brorsen in Senftenberg (1850). Georg Curtius in Leipzig (1850). Christian d’Elvert in Brünn (1853). Joseph Engel in Wien (1852). Franz Xav. Fieber in Chrudim (1846). Joseph Ginzel in Leitmeritz (1858). Michael Gloesener in Lüttich: (1853). Jacob Fedor Golowacki in Lemberg (1850). 8 Leopold Hasner Ritter v. Artha in Wien (1855). Gustav Heider in Wien (1851). Alexander Fedor. Hilferding in St. Petersburg (1860). Carl Jelinek in Wien (1848). Hermenegild Jireček in Wien (1858). Joseph Jireček in Wien (1858). Franz Karlinski in Krakau (1860). Mathäus Kläcel in Brünn (1850). Adam Klodzinski in Lemberg (1850). Joseph Georg Köhler in Olmütz (1840). Friedrich Rud. Kolenaty in Brünn (1848). Wenzel Adalb. Kunes in Triest (1854). Franz Bol. Květ in Warschau (1859). Wilhelm Dusan Lambl in Charkov (1856). Joseph Leidy in Philadelphia (1860). August Le Jolis in Cherbourg (1858). Emanuel Liais d. Z. in Brasilien (1856). Franz Moigno in Paris (1856). John H. Nevmann in Birmingham (1859). Anton Rybicka in Wien (1858). August Schleicher in Jena (1859). Robert Shortred in Ostindien (1851). Adalbert Safarik in Wien (1859). Alois Sembera in Wien (1850). Giuseppe Valentinelli in Venedig (1855). Gustav Adolph Wolf in Lemberg (1840). Constantin Edl. v. Wurzbach in Wien (1858). James Wynne in New-York (1859). Gregor Zeithammer in Klattau (1849). Robert Zimmermann in Wien (1854). Das innere wissenschaftliche Leben und Wirken der Gesellschaft war im Jahre 1863 ein ebenso reges wie in den vorhergehenden Jahren; es haben nicht nur die, der Geschäftsordnung gemäss allmo- natlich abzuhaltenden Geschäftssitzungen der ordentlichen Mitglieder, sondern auch die ausschliesslich zu wissenschaftlichen Vorträgen und Besprechungen bestimmten Sectionssitzungen stattgefunden, deren von der historischen Section 9, von der naturhistorisch-mathematischen 9, 9 von der philosophischen 7 und von der philologischen 8, im Ganzen 33 während des J. 1863 abgehalten wurden. Die in denselben ver- handelten Gegenstände sind in den, bekanntlich von der Gesellschaft seit dem Jahre 1859 abgesondert semesterweise herausgegebenen „Sitzungsberichten“ in mehr oder weniger ausführlichen Auszügen veröffentlicht worden. Aus letzteren kann man die Manigfaltigkeit und scientifische Bedeutenheit der in den vier Sectionen der Gesell- schaft gehaltenen Vorträge ersehen, wesshalb ich hier nur im Allge- meinen auf jene Gesellschaftsschriften verweisen will. Mit grösseren Vorträgen haben sich übrigens in eben verflossenem Jahre von den in Prag wohnenden Mitgliedern namentlich betheiligt: die Herren Fr. Palacky, Wocel, Tomek, Erben, Hanus, Weitenweber, Höfler und Pierre, ferner die Herren Amerling, Zap, Nebeský, Krejčí, v. Leonhardi, Böhm, Wrťátko, Čermák, Volkmann, Ambros, Bippart, Joh. Palacký, Frühauf -und Skřivan, das corresp. Mitglied Hr. Joseph Jireček aus Wien und Dr. A. Nowak als Gast. Hinsichtlich der im verflossenen Jahre 1863 geäusserten litera- rischen Wechselbeziehung zu anderen gelehrten Academien und Ge- sellschaften des In- und Auslandes wurde nicht nur der seit Jahren gepflogene Austausch der betreffenden Druckschriften und Jahresbe- richte udgl. lebhaft unterhalten; sondern es wurde unser Augenmerk auch noch darauf gerichtet, eine und die andere neue, bisher nicht bestandene literarische Verbindung anzuknüpfen und einzuleiten; so dass sich unsere Gesellschaftsbibliothek von Jahr zu Jahr mancher sehr schätzbaren, durch den gewöhnlichen Buchhandel nicht zugäng- lichen Bereicherung erfreut, welche käuflich zu erwerben ihr in Folge ihrer beschränkten finanziellen Verhältnisse nicht gegönnt wäre. Bei dieser Gelegenheit erfülle ich zugleich die angenehme Pflicht, sämmt- lichen geehrten Herren Verfassern, welche im Laufe des Jahres 1863 durch die freundliche Zusendung ihrer schätzbaren Druckschriften ihre Sympathie für unsere Gesellschaft an den Tag zu legen die Güte hatten und deren Verzeichniss allmonatlich den betreffenden Sitzungs- berichten sich beigeschlossen befindet, im Namen der kgl. Gesellschaft den ergebensten Dank auszusprechen. 10 Philosophische Section am 4 Januar 1864. Gegenwärtig die Herren Mitglieder: Weitenweber, Hanus, Wina- řický, Doucha, Štorch und Dastich; ais Gast: Hr. Jedlička. Hr. Hanuš trug (in böhmischer Sprache) aus seinem grösseren sprachphilosophischen Werke über böhmische Stylistik (zum Theile in freier Rede) die Partie vor, die da: von den Rede- theilen und dem Verhältnisse des „Wortes“ zum „Satze* handelt. Er sandte allem seine Ansicht über die Wissenschaft der Sty- listik voran. Die gewöhnliche Ansicht bei Seite. schiebend: Die Stylistik sei die Lehre von schriftlichen. Aufsätzen, suchte er das Verhältniss der Stylistik zwischen der Grammatik, Psychologie, und Logik festzustellen. Dass die wahre Stylistik keine blosse Lehre von den schriftlichen Aufsätzen sei, wies er dadurch nach, dass er die Schrift selbst — und zwar unsere gegenwärtige Lautschrift — nur als ein mnemonisches Zeichen der Sprachlaute bestimmte, sohin den Styl in der lebendigen Rede (řeč) selbst fand. ‚In der That haben z. B. Volkssagen und Volkslieder, wenn sie auch von der Schrift noch gar nicht berührt wurden, ihren eigenthümlichen Styl. Der Styl ist sohin im Allgemeinen die Form der Rede, d. i, der in einem bestinmten Falle concret gewordenen Sprache. Die Sprache (jazyk, mluva) selbst, als ein abstractum, enthält wohl die verschie- densten lautlichen Formen in sich, hat aber an sich keine concrete Form: diese erhält sie erst in ihrer Anwendung in den Einzelnfällen durch die Redenden, d. i. eben in der Rede im weiteren Sinne, wohin z. B. das Sprüchwort, die Erzählung, das Gespräch, die Beleh- rung u. dgl. zu zählen ist. Die Grammatik hat es nun mit der abstract betrachteten Sprache, mit der systematischen Darstellung. der einzelnen Sprachformen — vom. einfachen Laute angefangen bis zu den Satzgruppen hinauf — zu thun, sie ist auf diese Weise und unter dieser Einschränkung durch und durch Formenlehre, :obne dass deshalb die Sprache an sich (mluva), weil sie kein abgeschlossenes Ganze ist, eine bestimmte Form hätte. Einzelne verwandte. Sprachen unterscheiden sich von einander eben durch die einzelnen Formen ihrer Laut-, Wörter- und Satz-Gruppen, keineswegs aber etwa durch ihre allgemeinen Formen, die höchstens in der Phantasie, niemals aber in 11 der Wirklichkeit bestehen. Anders ist esnun allerdings in jeder ein- zelnen Rede (řeč), mag sie was immer für eine Zeitdauer, welchen Sinn und welchen Zweck immerhin haben: diese ist nur das, was sie eben ist, durch ihre conerete Form — durch ihren Styl. Jede Rede ist aber ein sehr zusammengesetztes Seelenphae- nomen, oder noch besser gesagt, eine anthropologische Er- scheinung, deren specifische Erklärung sohin der Psychologie und Logik anheim fällt und zwar der Psychologie insofern, als diese in ihr die Stufe und Art geistiger Erregung und Anregung zu begreifen hat, der Logik aber, inwiefern sich in jeder (vernünftigen) Rede zugleich die allgemeinen. Denkgesetze coneret manifestiren, ohne welche von einem Verständniss derselben gar nicht gespro- chen werden könnte. Daraus folgt das Verhältniss der Stylistik (der Wissenschaft des Styls überhaupt und der Stylarten insbesondere) zur Grammatik und den philosophischen Doctrinen Nach. dieser Einleitung übergieng der Vortragende zur Erörterung des Zweckes der Stylistik. So wenig wie die Logik schon an sich denken, die Kunstlehre schöne Gestalten bilden lehrt: eben so wenig hat die Stylistik einen directen Einfluss auf das richtige Stylisiren: es gibt geborene gute Stylisten und Stylisten, die durch keine, noch so gelehrte Theorie an Deutlichkeit oder Eleganz des. Styls. gewinnen. ‚Das ist aber auch nicht der Zweck der Stylistik, die da den Gebildeten zum Selbst- bewusstsein des Wesens und der, Eigenthümlichkeiten des Styls und der Stylarten zu bringen hat. Dass dies Selbstbewusstsein beim praktischen Stylisiren mittelbar Mangelhaftes hindern und Vorzüg- liches fördern könne, versteht sich vou selbst. Nun übergieng dei Vortragende erst zum eigentlichen Thema: zur stylistischen Theorie der Redetheile und dem Verhältnisse des Wortes zum Satze. Die grammatische. Theorie der Redetheile ist, was die Be- grifisbestimmung der einzelnen Arten der Redetheile betrifft, in gar manchen Beziehungen von der stylistischen Theorie verschieden, ja m der Begriffsbestimmung ihrer "Theile überhaupt geht die empirisch-historische Grammatik schon über ihre Gränzen hinaus, Ibgleich sie derselben praktisch nicht entbehren kann. Linguistische 12 Begriffsbestimmungen sind überhaupt schon Sache der Sprachphilosophie Auch die Giltigkeit der einzelnen Redetheile ist in der Grammatik und Stylistik verschieden. Die Vorwörter z. B., obschon sie, wie eine Art Könige „Endungen regieren,“ behandelt die Grammatik in Ver- bindung mit den Neben- und Bindewörtern wie eine Art linguistischer Proletarier; während in ihnen die Stylistik das bewegende Princip des Styls erblickt u. dgl. m. Um die Natur der Redetheile zu ergründen, muss man von ver- schiedenen Gesichtspuncten ausgehen. Der eine ist der psy- chisch-phaenomenologische. Mit Empfindungen, dann mit Gefühlen beginnt der psy- chische Organismus seine Thätigkeitsäusserungen — diese bleiben auch, wenn immerhin in den Hintergrund geschoben, durch das ganze Menschenleben wirksam. Ihren pathognomisch-sprachlichen Ausdruck finden sie in den (einfachen oder wahren) Empfindungswörtern (eitoslovce, mezislovce). Wie die pathognomischen Ausdrücke zumeist allen Menschen gemeinsam sind, bilden auch die Empfindungswörter aller Sprachen eine Pasilalie. Das Verständniss derselben gründet sich in der Sympathie, wie bei allen pathognomischen Ausdrücken und ist von dem Verständnisse anderer Redetheile durchaus verschie- den. Sie sind die im Laute freigewordene (Geberde. Ihr Styl ist daher reiner Naturstyl. Durch Entwicklung des objectiven Momentes der Empfindungen und Gefühle werden diese zu Anschauungen: bei diesen ist das Seelenwesen wie ausser sich, es meint darin mit rein gegenständlichem zu thun zu haben und weiset darauf durch die sogenannten Für- wörter (zajmena) hin. Es ist ein grosser Irrthum, die Pronomina für blosse Stellvertreter der Hauptwörter zu halten, was sie selbst im Satzgefüge nicht sind, da sie darin die Hauptwörter nicht vertre- ten, sondern nur darauf, als auf die Stellvertreter des Gegenständlichen, hinweisen, sich auf sie beziehen. Alle Fürwörter sind dem Wesen nach Anschauungswörter, wie es auch die Ausdrücke: ten-hle, tu-hle, to-hle, tam-hle u. dgl. beweisen. Sie haben als Wörter nur einen unbestimmten oder allgemeinen Sinn, welcher erst concret durch die Geberde des Hinweisens auf die angeschauten Dinge, Per- sonen und Raumverhältnisse oder im Satzgefüge durch die Beziehung wird. S-de, (z-de), sem, tam, ten, onen, já, ty, on können 13 z. B. alle möglichen Orte und Personen bezeichnen, erst durch die anschauliche Geberde (sem-hle, tam-hled) oder durch die Rede (já- řku) werden sie durch und durch, aber auch nur für die Dauer der Anschauung bestimmt. Anzeisend zu sein, ist die Natur aller Fürwörter, auch der sogenannten persönlichen (on, ona, ono deuten so gut auf Personen, wie auf Sachen hin), der beziehenden (wozu auch die zueignenden und reflexiven, ihrer Bedeutung nach, ge- hören), ja sogar der fragenden, die den Gegenstand in der An- schauung suchend, diesen im Geiste schon anschaulich sich vorstellen. Diese Natur der Fürwörter, ihr Gebundensein an die pathognomische Geberde, bringt sie mit den Empfindungswörtern in nahe Berührung, welche man für subjective Fůrwórter erklären könnte. Auf diese Art ist der Styl der Fürwörter anschaulich, indem sie die eigene Er- regung durch das Angeschaute ausdrücken und durch die Geberde darauf hinweisen. Anschauungen entwickeln sich durch das Mittel der conservativen Erinnerungen und der zerstörend aufbauenden oder reformirenden Einbildungen im Geiste allmälig zu Gemeinbil- dern (allgemeinen oder abstracten Vorstellungen) z. B. dub, člověk, červeň, choditi, mluviti u. dgl. Schon im Wesen der Gemeinbilder liegt es, nur m Beziehungen, in Verhältnissen aufgefasst werden zu können, da sie nur psychische Producte einer Analyse und Syn- these verschiedener und gleicher Gesammtanschauungen sind. Jedes Gemeinbild kann nur mittels oder durch ein anderes höhere (abstractere) Gemeinbild aufgefasst werden, so wie durch dasselbe wiederum andere niedere Gemeinbilder begriffen werden. So kann z. B. das Gemeinbild „strom“ nur durch das Gemeinbild živok oder rostlina aufgefasst werden, eben so wie durch „strom“ wiederum die Gemeinbilder „dub, lípa, jabloň“ u. del. begriffen werden. Unter den allgemeinsten Gemeinbildern sind es besonders drei, wodurch die Auffassungen der niederen Gemeinbilder vermittelt werden. Es sind dies die Gemeinbilder der Eigenschaft (vlastnost), der Thätigkeit (činnost, měna) und des Verhältnisses (vztah, po- mer). Dasselbe Gemeinbild wird durch sie, oder kann wenigstens durch sie, in einer dreifachen Form erscheinen, etwa wie dieselbe Gegend nach drei verschiedenen, ja sogar entgegengesetzten Stand- puncten. Die Vorstellung: Sonnenuntergang z. B. ist nach dem Ge- meinbilde: „Eigenschaft“: šerý, šerost, mrak, soumrak, (dämmernd, 14 Dämmerung), nach dem Gemeinbilde „Thátigkeit“: šeří se, tmí se (es dämmert), endlich nach dem Gemeinbilde „Verhältniss“: zá-pad, za hory, roz-pro-stírání tmy (Unter-gang hinter die Berge, Aus-breitung der Dunkelheit). | Wird das Gemeinbild Eigenschaft für sich auf andere Ge- meinbilder bezogen, so werden dadurch Eigenthümlichkeiten (obzvlast- nosti) begriffen, deren sprachliche Bezeichnung Bei- oder Neben- wörter (přídavná jména, příslovky) sind, z. B. tmav, tmavý, tmavě: rychl, rychlý, rychle: dobr, dobrý, dobře; zel, zlý, zle, hůře. Durch das Gemeinbild der Thätigkeit betrachtet, entstehen Vorstellungen des Werdens, Schwindens, Veränderns, deren sprachliche Bezeichnung die Zeitwörter (slovesa) sind, z. B. tmiti se, svitati. Durch das Gemeinbild des Verhältnisses endlich entstehen Vorstellungen der Beziehungen, die in der Sprache namentlich in den Vor- und Bindewörtern (předložky, spojky) ihre Bezeichnung finden z. B. na, nad, pod: před, po; ale, ani, bez, by, aby. Der Unterschied der Vor- und Bindewörter liegt seitens ihrer Bedeutung darin, dass die ersteren die Verhältnisse einseitig (z. B. za, ku, do), die letzteren dieselben vielseitig (stets wenigstens zweiseitig) bezeichnen (z. B. a, 1, ba, sice), weshalb sie auch Doppelbeziehungen lieben z. B. jak— tak; ni—ni, ani— ani; než—1; nejen — ale. Darum kann man die Bindewörter auch die Vorwörter der Sätze nennen. Fasst man nun die Eigenschaftswörter insbesondere ins Auge, so findet man, dass die Eigenschaften, denen sie den Ursprung verdanken, d. i. ihre Bedeutungen gewöhnlich nur in Gruppen vorkommen, weil eben die Mehrsinnigkeit des Menschen von demselben Objectiven verschieden afficirt zu werden pfleet. Das Gold- stück ist z. B. gelb für das Auge, klingend für das Ohr, rund und geprägt für das Getaste, schwer für die Muskelanstrengung u. s. W. Die verschiedenen Eigenschaften hängen nun nicht an sich oder ob- jeetiv zusammen z. B. das gelbe muss nicht zugleich rund, das runde nicht zugleich klingend sein, obschon es dies in der Anschauung (des Goldstückes) wirklich ist; im Gegentheil jede Figenschaft ist für sich etwas specifisch ganz anderes, eine verschiedene Qualität, welche Qualitäten nur durch die Gleichzeitigkeit oder vielmehr durch die unmittelbare Aufeinanderfolge der Eindrücke zu einer Gruppe, also subjectiv und relativ zu einem angeschauten Ganzen verbunden 19 sind. Auch sind sie nicht gleich objeetiv: das harte erscheint z. B. objectiver als das schwere und runde, beide wiederum objectiver als das klingende u. del. Die objectivste Qualität in jeder solchen Gruppe nennen wir das Ding und reihen daran die anderen Qualitäten als dessen Merkmale. Mit anderen Worten: wir verwandeln — unbe- wusst — eine Qualität durch das Gemeinbild der Gegenstándlichkeit in eine Sache —- wir hypostasiren sie, wodurch sich auch die sprachliche Bezeichnung des Beiwortes in ein Hauptwort (substan- tivum, jmeno podstatne) verwandelt, weil eben die Qualität zur Substanz geworden, und zwar nicht an sich, sondern in unserer Vorstellung. Prüfen wir nämlich genau, was wir eigentlich Dinge, Sachen, Personen nennen, so finden wir als ihre Substanz die objectiv- sten Qualitäten, die minder objectiven aber als deren Accidenzen. Was wir z. B. Apfel nennen, ist das feste, runde, schwere; dessen subjeetivere Eigenschaften oder Accidenzen uns das rothe, riechende, schmackhafte zu sein scheinen, obschon doch alles im Grunde nur Qualitäten sind. Diese Trennung und Wandlung geht durch einen nothwendigen psychischen Process vor sich, dessen subjectives Ver- borgensein daran Ursache ist, dass wir Dinge in der Anschauung, natürlich sodann auch im Gemeinbilde als einem psychischen Extracte der ähnlichen Anschauungen, z. B. ovoce, vor uns zu haben meinen, während doch in Wahrheit nur Qualitäten gegeben sind. Das Haupt- wort ist sohm die Bezeichnung einer hypostasirten Qualität (man vergl. z. B. das Himmelsblau, der blaue Himmel), das Bei- und Ne- benwort die einer nicht hypostasirten Qualität. So verwandelt sich z. B. červen in Cerven, modr in modřeň, rychl, rychle in rychlost. zelen, zeleň, zelenost, Sir, širý in šíř, šířku, Sirokost. Aehnlich ver- halten sich zu einander: mužský a muž; ženská und Zenska, žena; dole, dolný, Dolan-y, ú-dol-í, divný, dávno (im ursprünglichen Sinne des leuchtenden, sichtbaren, frühen und den (divan); didi (veliký) děd; star, stáří, starost, starosta; vesel, veselí; polní; roz-pol-ený. pole, poleno, pül-ka. Wenn uns der Sinn der Wurzeln und damit die ursprüngliche, beiwörtliche Bedeutung vieler Hauptwörter klar wäre, wiesen sich auch die meisten Substantiva als hypostasische Beiwörter aus (z. B. Rose, růže, roth, ruda, rez, röthe). Dann liesse sich auch die Behauptung durchwegs begründen, dass sich jedes Beiwort in ein Hauptwort wandeln kann, wenn ihm nämlich der Sinn der Substan- 16 tialität unterlegt wird z. B. chutný, chuť; ostrý, ostří; živ, život. Doch werden wir auch noch einen andern, verbalen Ursprung der Substan- tiva kennen lernen, so wie wir auch die Bemerkung machen müssen, dass wir hier die stylistische Bedeutenheit der Prae- und Suffixe (předpony, přípony) ausser Betracht sein lassen mussten. Was die Thätigkeitswörter, Zeitwörter (slovesa, verba) ge- nannt, betrifft, so sind sie die Grundlage, das Hauptmaterial jeder Sprache, weil einerseits die Acnderung (měna) der Erscheinungen auf- fälliger zu sein pflegt, als die Ruhe der Eigenschaften, und es eigentlich nichts in der Welt gibt, das sich der Aenderung entschlagen könnte, wie denn auch selbst die Eigenschaften der Dinge zu kommen und zu gehen, anderen Eigenschaften zu weichen pflegen. Es sind daher wohl auch die meisten Wurzeln ursprünglich verbalen Sinnes gewesen, wie z. B. noch deutlich zu sehen ist an folgenden Beispielen: hon, honiti; lov, loviti; kuti, kov, kovati. Aber auch umgekehrt kann, ja muss jede Thätigkeit, wie sie von einer andern Thätigkeit unterschie- den, für eine Eigenthümlichkeit genommen wird, unter das Gemein- bild der Dingheit, der Substantialität fallen. sohin auch das Zeitwort zum Hauptworte werden z. B. hon, honba; psáti, psäni, psaní; řezati, pa-řez, řezba; sluti, slovo. Dies greift um so mehr Platz, als sich im gewóhnlichen Vorstellen an den Begriff reiner Thátigkeit gar so gerne die Begriffe eines Urhebers, eines Mittels, einer Wirkung der- selben anzuschliessen pflegen, z. B. hud (hüd-ti, hüs-ti, hous-ti), hudec, hudba, hüsle (hud-dle); orati, ora@, or (?), oradlo, role (oralja, srovn. rádlo a oradlo). Das Hauptwort bringt nämlich durch seine Bedeu- tung die Thätigkeit eben so zur Ruhe, zum Bleiben, wie der Maler, der eine Schlacht, einen Tanz malt; das Hauptwort fixirt das Ge- schehen wie in einem Momente. Wird dies Moment nun als blosse Qualität betrachtet. so bilden sich auch Zeitwörter von beiwörtlichem Sinne, z. B. červenati; zelenati; žloutěti, žlutiti, Zlutati; kysati, kys- nouti, kvasiti. Aber auch umgekehrt: Fürwörter, Vorwörter und Bindewörter erhalten einen verbalen Sinn, wenn sie durch das Ge- meinbild der Thätigkeit betrachtet werden z. B. ty-kati; po-tak-ati; lehce, lehčiti; vele, velice, veličiti; před, předčiti; za, za-stanu, zů- stanu, zůstávám; buď-buď, budiž; veď; choť (slovakisch). Verhältnisswörter endlich sind im concreten Style darum so verbreitet, weil nichts in der Welt ohne Verhältniss besteht, 17 daher auch ohne dieses nicht vollständig aufgefasst werden kann. Darin liegt auch die Ursache, dass im Urstyle der Menschheit, als sich Wurzeln (kořeny) bildeten, diese sogleich mit Prä- und Suffixen, d. i. eben mit Verhältnisswurzeln verbunden wurden, wodurch eben wahre Wörter, Wörter im gegenwärtigen Sinne sich bildeten. Unsere heutigen Vor- und Bindewörter sind eben nur die spärlichen Reste, die einst für sich freistanden, während sie nun integrirende Theilwörter bilden, z. B. tar, dar, tel, dlo == činitel z. B. hos-po-dar, pa-ter, uči- tel, ora-dlo; s-tv-o, s-tv-i = jednota, podstata (ku př. lidstvo, lidstvi); — (pach-ati, pach-titi); zápas, zapasiti; roztok, rozto@iti; výnos, vy- nositi; z-po-věď, po-vídati, povídka; na-o-pak, pačiti, o-pak-ov-ati. Damit soll allerdings nicht gesagt sein, dass alle Práfixe und Suf- fixe gleich ursprünglich Verhältnisswörter gewesen, sondern im Gegen- theil: was immer für Wurzeln zusammengenommen geben einen Ver- hältnissbegriff oder das, was die Grammatiker Beziehung (vztah) oder das Verhältniss des Grundwortes zur Bestimmung (určení) nennen. Dass sich nun dazu vor Allem die Fürwörter am besten schickten, folgt schon aus ihrer Bedeutung, die aus ursprünglich räumliche Ver- hältnisse andeutenden, veranschaulichenden Geberden erst hervor- wuchs. Ja unsere heutigen Fürwörter sind selbst Combinationen von Wurzeln und nur wenige sind ziemlich reine Wurzeln geblieben, z. B. ty, si, mi. Denn auch die Anschauung (das Angeschaute) und insofern man sie nicht näher kannte, d. i. keinen Namen dafür hatte, das durch Fürwörter anschaulich Gedeutete (z. B. tu-hle!) konnte nur in Verhältnissen angeschaut und sohin auch sprachlich durch Prä- fixe und Suffixe bezeichnet werden, wodurch z. B. Compositionen ent- standen wie: toť (to-ti), totoť (to-to-ti); ty-to (vel. ty-hle!); tvůj (ty-ji), mů-j (mi-ji), svů-j (si-ji); se-mo, ta-mo (se-m, ta-m); to-mu, tom u. dgl. Darum wurden auch Fürwörter sowohl zu Declinations- als Conjugationssuffixen verwendet z. B. dobrého, dobrému (fůr dobr- je-ho, dobr-je-mu); dám (da-da-mi) u. dgl. Wer aber Fürwörter für blosse Aushilfsworte oder Stellvertreter der Hauptwörter nehmen wollte, der müsste die ganze Doctrin von der Bildung der Worte (tvo- ření slov) und der Flexion (ohybani) über den Haufen werfen! Ist ja doch gewiss die Anschauung (das Angeschaute) und die Aufmerksam- keit darauf erregende Hindeutung des Pronomen sichtlich ein früheres Phänomen des sich entwickelnden Bewusstseins, als der M spátere © Sitzumgsberichte 1864. I 18 Name (das nomen), sohin gerade umgekehrt, das nomen substantivum ein (späterer) Stellvertreter des pronomen. Aber auch auf andere Weisen konnten Verhältnissvorstellungen gebildet werden und zwar: 1. auf beiwörtliche und nebenwörtliche Weise, da auch Ver- hältnisse Wirklichkeiten, Eigenschaften und keine blosse Form, wie: man hie und da meint, sind; ja die wahre und echte, nicht einseitig und abstract betrachtete, Wirklichkeit ist eben stets eine Verhältniss- oruppe, z. B. otcův, matčin, dubový, mírný, poměrný; chladný, teplý, horký; bílý, bělavý; dobrý, lepší, nej-lepší; málo, více, méně, nejvíce, nejméně. 2. Auf hauptwörtliche Weise, wenn nämlich Verhält- nisse hypostasirt wurden z. B. míra, výška, dálka, blízkost, půl, půlka, celek, hromada, kamení, stromoví, les, dědic, Sládkovic, Váceslavič u. del. 3. In zeitwörtlicher Form z. B. měřiti, deliti, výšiti, nížiti, dáti, dávati, dávával u. dgl. Esist ersichtlich, wie der ganze stylistische Process des Declinirens und Conjugirens mittels Prä- und Suffixen immer nur innerhalb der Verhältnissbegriffe sich fortzieht und wie irrig die ganze Lehre von fleetirbaren und flexionslosen Rede- theilen ist, wenn man selbst auch sichtliche Endungen und Conju- Gationsformen für flexionslose Redetheile erklärt, z. B. dole (vergl. na hoře, máhrisch: na vrchu), potom, zítra, včera, hle-hle, bud, na- schval, vloni, vstříc, zároveň, nakvap, naspěch u. dgl. Auch die. einzelnen Arten der Fürwörter sind daher nun im Vergleiche mit ihren reinen Wurzeln schon Verhältnisswörter z. B. muj, svůj, jenž, který, wie es ja schon ihre Namen: zueignende, be- ziehende Fürwörter von selbst anzeigen. Auch das ganze grosse Ge- biet der Zahlwörter gehört hieher, da jede Zahl als Grösse an sich schon ein Verhältniss ist, das nun sprachlich verschiedene Formen der Wörter annehmen kann; so sind z. B. adjectivische Verhältuisswörter die Ordnungszahlwörter und die verwandten Arten: druhý, třetí — dvojí, trojí — dvojnásobný, trojnásobný ; sub- stantivisch sind die Grundzahlwörter z. B. dva, tři; dann auch die hypostasirten Formen: dvojka, trojka; dvojice, trojice; úterý, pátek, čtvrtek; půl, čtvrt; pronominell manche der allge- meinen Zahlwörter z. B. některý, ves, vše, všecken; adverbiell sind wiederum předně, nyní, jindy, teď, zaraz, hned, dvakrát, třikrát, mnohokrát, vieekrät. Sám und vterý haben auch pronominelle Formen. Celkem, dílem sind reine Hauptwörter. Conjunctionell lauten: d M PR 19 kolik- tolik; když, druhdy, onehdy, obschon ihre Zusammensetzung so complieirt ist, dass sie auch unter andere Formen versetzt werden könnten. © Ueberhaupt bleibt selten die ursprüngliche Bedeutung fest bestehen, woher es auch kömmt, dass grammaticalisch, nach Wurzelwort und Suffix, ein und dasselbe Wort einer ganz andern Classe angehört, als stylistisch. So ist z. B. k-dy offenbar ursprünglich ein interrogatives Fürwort der Zeit, entsprechend dem deutschen wann; als k-dy-ž ist es schon Bindewort, entsprechend dem deutschen wenn, in der Phrase aber: nemäm kdy, ist es sogar ein Hauptwort: ich habe keine Musse, keine Zeit. Darum besteht auch der Unter- schied zwischen Zusammensetzungen (skládání) und Flexio- nen (ohybání) höchstens nur stylistisch: denn grammaticalisch sind alle Flexionen auch nur Zusammensetzungen. Der Grad der Deut- lichkeit des Sinnes aller Zusammensetzungen seitens ihrer Theilmo- mente ist gegenwärtig nur subjectiv und relativ. So ist das indo- europäische pa-tir, va-ter, erhalten im slav. gos-po-dar, nun dem Lin- guisten in seinen Theilen deutlich, das slavische gos-po-dar heisst Kühen-nahrung-gebend (vgl. trava und potrava), ist sohin für den Lin- suisten, wie für die Alten eine Zusammensetzung, während hospodar dem gewöhnlichen Böhmen, so wie die Nebenform hospodin den alten Böhmen, gewiss nur eine Ableitung (odvozování) ist und war. Ueber den bloss relativen Unterschied zwischen Ableitungen und Flexionen insbesondere zu sprechen, verbot dem Vortragenden schon die vorgerückte Zeit der Sitzung; darüber und über manche andere grammaticalisch-linguistische Fragen soll zu einer andern Zeit gespro- chen werden. Der Vortragende eilte sohin zur stylistischen Erörte- rung des Satzbegriffes. Wie aus dem Gesagten erhellet, ist jedes echte Wort ein Ver- hältnissbegriff seinem ursprünglichen Sinne nach und zwar dies schon deshalb, weil concret stets nur Verhältnissgruppen gegeben sind. Den aus diesem Grunde. durch Wurzelcombinationen zusammengesetzt ge- wordenen Worten musste jedoch ein Werden, d. h. ein ins Ver- hältniss Setzen vorangehen, welches Werden in der Urzeit so wie noch jetzt eben der Satz (věta, früher sada) ist. Der Satz ist nämlich die sprachliche Bezeichnung des ins Verhältnisssetzens zusammenge- hörender Vorstellungen, des Zusammendenkens derselben und in wie fern dies eben ein Gedankenorganisiren ist, die sprach- 9% 20 liche Bezeichnung eines (relativen) Gedankenorganisirens in seiner einfachsten Form. Nach dem Unterschiede der drei Gemeinbilder: Eigenschaft (Substanz), Thätigkeit und Verhältniss sind auch die einfachen Sätze dreifach: Eigenschaftssätze, Thätig- keitssätze und Verhältnisssätze, z. B. jarni träva je zelena, jarní tráva zelená se, tráva roste po loukách, on je pán, ona panuje, ono přeskakuje příkop. Was beim zusammengesetzten Worte das Grundwort ist, ist im Satze das Subject (podmět); was dort die Beziehung ist, ist im Satze das Prädicat (přísudek, výrok). Die sogenannte Copula (spona) ist kein dritter Satzbestandtheil zwischen Subject und Prädicat, sondern der ganze Satz ist eben die Copula; diese liegt nicht in den Worten, sondern im Denken, sie ist das Urtheilen über die Zusammengehörigkeit des Subjectes und Prädicates, das ins organische Verhältnisssetzen beider. In Sätzen, wie z. B. tráva je rostlina, gehört das je zum Prädicate, denn es wird eben geurtheilt, dass sich trava und rostlinou byti zu- sammendenken lasse; in Sätzen hingegen, wie z. B. bůh je, strašidla nejsou, zeiet sich das Gesagte noch schlagender, denn auch bei ihnen liegt die Copula im Zusammendenken der Vorstellung bůh und jsouc- nost, so wie im Verneinen der Zusammendenkbarkeit zwischen strašidla und býti. Auf die Worte kömmt es beim Satze über- haupt weniger an, als auf die Gedanken, ein Wort ist oft hinreichend, einen ganzen Satz zu bezeichnen z. B. jdi (latein. %), pojď, stůj. Wo wáre da die Copula, wenn sie in den Worten sein sollte? Die Conjugationsformen sind sohin keine blossen Wortformen, son- dern Satzformen, z. B. dám, dáš, podám, nepodáš. © Wáre nun die Syntax die Lehre von den Sätzen, so gehörten die Conjugationsformen in dieselbe. Infinitive und Partieipien sind eben darum keine wahren Conjugationsformen, sondern substantivische und adjective Formen. Man vergleiche z. B. býti und byť; dan, dání, daň; jsouc: jsouc-í, jsoue-nost; dole žal, Doležal, zachoval, zachovalý u. dgl. Alle Formen der Ableitungen, Zusammensetzungen und Declinationen sind unter der Form der Eigenschaft und der Substantialitát zu einem Ganzen erstarrte Organismen oder abgestorbene und mumificirte Sätze, eben so wie die Conjugationsformen und die Sätze überhaupt unter der Form der Thätigkeit Organisirungen oder lebendig ge- wordene Wörter sind: dort ist der copulirende Denkprocess vorüber 21 oder schon geschehen, hier in vollem Werden begriffen. Steht ein Wort von den Todten auf, so wird es zum Satze, stirbt es aber ab, so wird es zur gewöhnlichen Wortform, z. B. tráva je zelená, zelená tráva; loví ryby, rybolovec, rybář; východ slunce, slunce vychází. Historische Section am I. Januar 1864. Anwesend die Herren Mitglieder: Weitenweber, Höfler, Zap, Doucha und Bippart; als Gäste die Herren Dr. Wiechowski, Kraut- schneider, Dr. Hallwich und Dr. Schlesinger. Herr Prof. Höfler las aus einem grösseren Werke über K. Ludwigs des Baiern Römerzug, ein Bruchstück über die Entstehung und den Verlauf der Kämpfe der Guelfen und Ghibellinen vor. Der Vortragende wies den Zusammenhang dieser Kämpfe mit dem Auftreten K. Ludwigs in Italien nach, berührte aber für diessmal nur den Römerzug des J. 1327—29, um eine übersichtliche Darstellung des Verlaufes einer der grössten politischen Bewegungen zu geben. Wir theilen einen Auszug derselben mit: — — Die italienischen Geschicht- schreiber führen den Ausbruch des Guelfismus und Ghibellinismus auf die Streitigkeiten zwischen Otto IV. und Friedrich II. zurück, ver- knüpfen aber damit den inneren Zwist, welcher in Florenz im J. 1215 entstand, als Messer Buondelmonte de’ Bondelmonti seine Braut aus dem Hause Amidei verliess, um ein schöneres Mädchen aus dem Hause Donati zu heirathen. Als ihn deshalb die Uberti und Amidei er- schlugen, theilte sich Florenz. Die Buondelmonti stellten sich an die Spitze der Guelfen, die Uberti an die Spitze der Ghibellinen, der Adel der Stadt schloss sich an die eine oder andere Partei an und der Bürgerkrieg begann. Die Erzählung, in welcher Giovanni Villani dem Malaspina, sei- nem Vorgänger folgte, verdient näher untersucht zu werden. Einmal weisen die florentinischen Geschichtschreiber, wo sie selbst über den Parteinamen Welfen und Ghibellinen Aufschlüsse geben sollen, auf Deutschland hin, wo diese Benennungen zuerst enstanden sein sollen; zugleich aber auch auf Rom, wo nicht bloss die Parteinamen, sondern auch die Parteiung bereits Wurzel geschlagen hatten. Nicht in Flo- renz werden sie erfunden, sondern diejenige Parteiung im der Stadt, 22 die zum Morde greift, jede Ausgleichung und Versöhnung von sich weist, schliesst sich an eine schon vorhandene, Kirche und Reich spal- tende Parteiung an, findet sich in dieser zurecht und legt sich die Namen derjenigen bei, die unabhängig von den Ereignissen einer ein- zelnen Stadt, seit längerer Zeit um die Herrschaft und auf verschie- denem Boden kämpfen. Sie überkleiden damit den Familienhader, der entstehen musste, damit auch der florentinische und allmáhe der toscanische Adel an dem allgemeinen Streite Antheil zu nehmen sich berufen fühlen konnte. Hiermit tritt denn erstens der italienische Ghibellinismus als etwas ganz anderes hervor, als der deutsche Hader zwischen Welfen und Hohenstaufen. Zweitens ist er aber auch sei- nem Ursprunge nach durchaus nicht zu verwechseln mit einem jener Localkämpfe, wie sie seit langer Zeit um streitiges Gebiet oder Hege- monie zwischen Lucca und Pisa, Florenz und Siena, oder so vielen lombardischen Städten hin und herwogten. Niemanden fiel es bis- her ein diese zahlreichen Kämpfe, welche ausserhalb der Thore der einzelnen Städte geführt wurden, mit dem erwähnten Beinamen zu belegen Aber auch im Heimatlande der letzteren, in Deutschland selbst war es nicht der Kampf zweier schwäbischer Dynastien, nicht ein blosser Geschlechterstreit, der das Reich unter Lothar III., Kon- rad III., Friedrich I. im XII. Jahrhunderte erschüttert hatte, bis er im Anfange des XIII. wirklich eine bleibende Spaltung, ein Doppel- reich zu begründen schien! Ist hier auch nicht der Ort, die Geschichte dieser Kämpfe aus- führlich zu schildern, so muss doch um das Nachfolgende richtig auf- zufassen, hervorgehoben werden, dass, wenn auch Staufer (Ghibellinen) und Welfen ihre Erhebung zur herzoglichen Würde Kaiser Heinrich IV. verdankten, doch eigentlich erst die Familienverbindung, in welche erstere mit dem Geschlechte dieses Kaisers traten, ihre Stellung in Deutschland die entscheidende Wendung gab. Die Staufer erbten nicht bloss das Allod des mit Heinrich V. 1125 ausgestorbenen fränkischen Kaisergeschlechtes, sondern auch seine Traditionen und Ansprüche, welche die letzten Heinriche in einem fünfzigjährigen Kampfe einerseits © der Kirche, andererseits dem Reiche und den deutschen Fürsten gegenüber geltend gemacht hatten. Ihr Versuch, die deutsche Krone als fränkisches Erbe zu gewinnen, schlug jedoch fehl und hatte die ungeheure Erweiterung der Welfenmacht über Baiern und Sachsen 23 (nebst Tuscien) zur Folge, nachdem die Staufer zuerst Schwaben und Franken (jedoch nicht in Einer Hand, wie der Welfe Heinrich der Stolze) erworben. Es folgten die bösen Zeiten der Regierung Konrads III., des ersten Staufenkönigs der Deutschen, der seine Macht dazu verwandte, die Macht der so rasch. gehobenen Welfen zu stürzen und bis an das Ende seiner Regierung derselben nicht mehr den Charakter einer Parteiherrschaft entzog. Besser gestalteten: sich die Dinge durch die Wahl seines Neffen Friedrichs I. 1152, welcher von den deutschen Fürsten nicht sowohl als Staufer zum König ge- wählt worden war, sondern weil er staufisches und welfisches Blut in seinen Adern hatte, durch seine Abstammung von beiden Familien am geeignetsten erschien, statt des bisherigen Haders und Streites Ver- söhnung und Ausgleichung unter ihnen zu stiften und damit dem Reiche selbst seine naturgemässe Entwicklung, dem Kaiserthume eine Stelking über den Parteien zu verschaffen. Die Hoffnung, welche in dieser Beziehung gehegt wurde, ging aber nur in so ferne in Er- . füllung, dass Heinrich der Löwe, Herzog von Sachsen, sein Welfen- herzogthum in Baiern 1156 wieder erlangte. Als aber nun Friedrich I. wohl den Pfad seines Oheims vermeidend, in den Parteikampf zwi- schen Staufen (Ghibellinen) und Welten nicht einlenkte, dafür aber sich in zwei andere, gegen P. Alexander III. und gegen die lombardischen Städte stürzte und in beiden den Kürzeren zog (1177-—-1183), so erneute er nach dem Frieden von Venedig den Kampf mit dem Wel- fen und trieb denselben bis zum Sturze Heinrich des Löwen, worauf die unbestrittene Uebermacht des staufischen Hauses im Reiche auf- gerichtet wurde. Der Kaiser zersplitterte selbst die grossen National- herzogthümer, um seine Hausmacht zur einzigen und übermächtigen zu erheben. Die Gegensätze, welche schon damals von beiden Seiten in das Feld geführt wurden, hatten an den beiden Vettern, an Friedrich Rothbart einerseits, an Heinrich dem Löwen andererseits ihren ge- waltigsten, grossartigsten und einander ebenbürtigen Ausdruck gefunden. Hatte ersterer seine Macht in italischen Kämpfen vergeudet, welche die Entwicklung der Communen ebenso aufhielten als sie die Freiheit der Kirche vernichten, die Allgewalt des Kaiserthums gebieterisch aut- richten sollten, aber das Gegentheil hervorbrachten, so gab Heinrich der Löwe der weltlichen Fürstenmacht im deutschen Reiche, dem Kai- serthume wie dem geistlichen Fürstenthume gegenüber, eine Concentri- 24 rung und Betonung, dass von dem Ausgange dieses Kampfes nichts ge- ringeres abhing, als ob die alte Verfassung des Reiches sich erhalten oder einer im Interesse der Staufen umzuwandelnden Erbmonarchie Platz machen werde, ob Deutschland neben dem Kaiserthume mehrere grosse, Königreichen- zu vergleichende Staaten bewahren oder eine Fülle geist- licher und weltlicher (kleiner) Staaten erhalten solle. Während der ghi- bellinische Kaiser den Papst auf Leib und Leben in Italien bekämpite, führten die niederdeutschen Erzbischöfe und Bischöfe einen ähnlichen Kampf mit Heinrich dem Löwen, und als dieser von dem Kaiser ge- stürzt wurde, war auch der Zeitpunkt gekommen, in welchem durch die Anordnungen des Kaisers die Macht der weltlichen Fürsten we- sentlich durch die Gegenmacht der geistlichen beschränkt, das deutsche Reich zu einem halb geistlichen halb weltlichen Staatencomplex um- gestaltet wurde. Der Welfismus des XII. Jahrhunderts bestand daher wesentlich in dem Bestreben: 1. die alte Verfassung des Reiches, vor allem das Wahlreich zu erhalten; 2. die Macht der Bischöfe auf dem weltlichen Gebiete zu beschränken; 3. an die Stelle der Zersplitterung des Reiches in viele kleinere Staaten die grossen Nationalherzogthümer zu erhalten oder zu concentriren; 4. das weltliche Element im Reiche gegen das Geistliche zu betonen. Es sei uns gestattet, diese Grundsätze als den alten und eigent- lichen Welfismus zu bezeichnen. Dass derselbe mit einem Siege der Kirche über das Kaiserthum, mit einer Preisgebung der Rechte des (weltlichen) Kaiserthums an die geistliche Obermacht nichts zu thun hatte, ist klar; dieser Welfismus hatte die deutschen Bischöfe zu Feinden, welche auf Kosten der Weltlichen Fürsten werden wollten, verweigerte aber dem Kaiser im ungerechten Kampfe mit dem Papste, in Unter- drückung der Freiheiten der lombardischen Communen die (1175) er- betene Hülfe. Andererseits ist es wohl begreiflich, dass die Interes- sen eines welfischen Kaiserthums und des Papstthumes des XIII. Jahr- hunderts in mancher Beziehung, wie z. B. Erhaltung des Wahlreiches, als des Inbegriffes fürstlicher Rechte und der Spitze der alten Ver- fassung, identisch waren, in anderen aber sich auf das Bestimmteste schieden und der Welfe als Repräsentant deutscher Fürstenmacht am allerwenigsten daran dachte, das Reich den Geistlichen preiszugeben. Der Ghibellinismus erhielt seinen wahren Ausdruck durch dasjenige, was Friedrich I. that, als er den Welfen Heinrich zu seinen Füssen 25 liegen sah, die Zersplitterung des Reiches in eine Vielheit kleiner Staaten; durch das Streben ganz Italien zu erwerben, namentlich durch die Regierung Heinrichs VI. 1190—1197, von welcher es hiess, sie habe die Deutschen überall mächtig, aber auch überall verhasst gemacht. und mit dessen Tode die Völker erst wieder frei zu athnıen begannen. War Friedrich I. in seinem Verfahren wider Alexander III. in West- europa laut als Tyrann bezeichnet worden, so knüpfte sich an die blutige und grauenvolle Erwerbung des normännischen Königreiches Sieilien ein Abscheu und ein Hass gegen das Andenken Heinrichs VÍ., so dass Grausamkeit, Unterdrückung, Streit mit der Kirche, Zertre- tung der Rechte der Unterthanen, Gewalt, Uebermuth und gemeine Hinterlist (wie gegen die Genueser, seine Bundesgenossen, gegen Richard von England), Vereinigung Italiens mit Deutschland, Umwandlung der deutschen Verfassung zum Zwecke der Aufrichtung einer Erbmonarchie, deren Schwerpunkt zweifelsohne Sicilien und nicht Deutschland geworden und geblieben wäre, den Inbegriff des Ghibellinismus bildeten, wie er Ende des XH. Jahrhundertes thatsächlich hervortrat. Kein Wunder, wenn nach dem Tode Heinrichs VI. ein grosser Theil der Reichsfürsten von einem ghibellinischen Kaiser nichts mehr wissen will und das Todesjahr dieses Fürsten ebenso den Höhepunkt der absoluten Kaisermacht, den Sieg des Ghibellinismus als den Anfang des unauf- haltsamen Verfalles des Kaiserthums und Kaiserreiches bezeichnet. Als jetzt die Normannen sich erhoben das deutsche Joch abzu- schütteln, P. Innocenz den Kirchenstaat wieder herstellte, dem Kaiser- thume wenn auch nicht in gleicher Weise wie Innocenz IV. das re- publicanische Element entgegenstellte, das deutsche Reich sich von dem Knaben Friedrich II., dem zum Nachfolger seines Vaters Hein- richs VI. erwählten Könige losriss, that nichts mehr Noth als Eintracht der Fürsten, sollte nicht das Reich Gefahr laufen schelsüchtigen Nach- barn zur Beute zu werden. Jetzt trat aber das Schlimmste ein, als nicht. etwa ein Fürst aus nicht welfischem und nicht staufischem Blute zum Könige erhoben wurde, sondern die ganze volle Parteiung, wie sie im Reiche vorhanden war, nun in den beiden Gewählten, Philipp von Schwaben, jüngstem Bruder Heinrichs VI., und Otto IV., dem Sohne des geächteten H. Heinrich von Sachsen hervortrat. Eine Generation frü- her waren Heinrich der Löwe, nicht König, aber Haupt der Fürsten, und Friedrich L., König und Kaiser, die Vertreter beider Richtungen ge- 26 wesen. Jetzt bemächtigte sich die Spaltung schon des Königthums selbst. Doch dauerte glücklicher Weise dieses Schisma nur bis zum Jahre 1208, in welchem freilich der Mord König Philipps ihm ein Ende bereitete. Als der Welfe Otto als einziger König anerkannt wurde, schien sich der Par- teiabgrund zu schliessen und nur ein innerlich begründeter Wechsel, eine gerechte Wendung der Dinge einzutreten, als auf drei stau- fische Könige *) und Kaiser ein Welfe, Otto IV. Kaiser wurde. Da führten die Zerwürfnisse zwischen dem kaum: gekrönten Welfen und seinem Beschützer P. Innocenz UI. rasch und unver- muthet des ersteren Bannung, seine Absetzung, die Erhebung. des Hohenstaufen Friedrich II., Königs von Sicilien, zum römischen Könige, eine neue Parteiung, den Sturz des Welfen durch das Papstthum und den damit verbündeten Staufen, des Letzteren Anerkennung als ein- zigen rechtmässigen Königs der Deutschen, das Kaiserthum Friedrichs II. herbei. 1215. — — Damals war es denn auch, dass der Streit sich aus den höchsten Schichten in die zunächst niederen hinabzog und der in sich gespal- tene florentinische Adel die Parteinamen des streitenden. König- thums amnahm. Als aber der Streit der beiden Könige Friedrich und Otto durch des Letzteren Tod geendet war, blieb die Parteibe- zeichnung, da der einmal erwachte Hass der Factionen eine: Versöh- nung auch dann nicht mehr zuliess, als dieselbe im Königthum durch die Macht der Ereignisse schon eingetreten war. Allein wenn nun auch nach dem Beispiele von Florenz die Factionswuth allmälig: sich wie eine Seuche von Stadt zu Stadt zog, fehlte der Bewegung doch so lange Stoff, grösserer Einfluss und Bedeutung, als nicht das Kai- serthum wieder in dieselben oder ähnliche Bahnen einlenkte.. Dafür schien aber, als der gleichnamige Enkel Friedrichs I. Kaiser geworden war, weniger als je Aussicht zu sein. War sein»Grossvater König ge- worden, weil er „ein Eckstein“ der Welfen und Ghibellinen war, durch seine Abstammung von beiden Häusern die Versöhnung beider Parteien in sich zu schliessen schien, so war Friedrich II. erhoben worden, weil er alle Bürgschaften zu bieten schien, in die Pfade seines Vorgängers. des Welfen Otto nicht einzulenken. In der That tritt‘ denn auch mit den Zerwürfnissen, in welche König Friedrich II. gerieth, als er wider sein Versprechen die sicilianische Krone an seinen Sohn abzu- *) Eigentlich fünf: Conrad III., Friedrichl., Heinrich VI., Friedrich II., Philipp I. . 27 geben, wenn er Kaiser werde, sie behielt und nun er (der Kaiser) durch sie Vasall des römischen Stuhles ward, in der welfisch-ehibellinischen Bewegung ein neue Phase ein. Da der Kaiser den Sitz seiner Regierung statt nach Deutschland nach Italien verlegte und die Zer- würfnisse, in welche er mit dem römischen Stuhle gerieth, vorzugs- weise aus den freiwillig von ihm aufgenommenen Verpflichtungen in den Orient zu ziehen, so wie aus den Obliegenheiten hervorgingen, die Friedrich als König von Sicilien und Vasall der Päpste auf sich nahm, als Kaiser aber, obwohl er Sicilien behielt, nicht zu halten ge- dachte, endlich sich auf die Zwistigkeiten der Lombarden mit dem Kaiser bezogen, so wird Italien der eigentliche Schauplatz der neuen Wirren; Deutschland aber, in welchem der Kaiser 1235 das welfische Haus zu beschwichtigen suchte, wird von ihnen nur in so ferne berührt. als es sich um den Streit Heinrichs VII. mit seinem Vater, dem Kaiser, zuletzt um die Absetzung Friedrichs und die Erhebung eines anderen als eines staufischen Königs handelte. Da treten dann die Fürsten ein, suchen die Bewegung in ihre Hände zu nehmen und da der Kaiser die letzten 13 Jahre seines Lebens gar nicht mehr nach Deutschland kam, nach seinem "Tode (1250) sein Sohn Konrad IV. sehr bald nach Italien eilte, und frühe dort starb, gestalteten sich die Kämpfe in Deutschland nicht zu Vernichtungskämpfen, wenn auch das alte Kaiserthum in ihnen für immer unterging. Jetzt entwickelte sich denn der eigentliche Ghibellinismus des XIII. Jahrhundertes im Gegensatze zu dem des XII. Nicht aber bezeichnete den wah- ren Ghibellinen die Anhänglichkeit an das Kaiserthum, wie man häufig meint; das Kaiserthum wollten auch die Welfen. Der Ghi- belline des XII. Jahrhundertes machte sich die Grundsätze eigen, mit welchen Kaiser Friedrich in den Kampf gegen das Papstthum ge- zogen war; er bekannte sich zum absoluten Kaiserthum nach dem Wortlaute des eigentlich ghibellinischen Satzes: „der Himmel gehöre dem Herrn des Himmels, die Erde aber den Menschenkindern“, was nach der Ansicht der Ghibellinen hiesse, der Clerus solle auf das Gebiet des Unsichtbaren zurückgeführt, das Irdische aber dem Weltlichen gehören; ein Grundsatz, welcher, nachdem die deutschen Kaiser seit den Tagen der Ottonen fort und fort daran gearbeitet hatten, die Bi- schöfe zu Reichsfürsten zu machen, nachdem namentlich Friedrich I. noch in jüngster Zeit in dieser Beziehung so weit vorangegangen war, 28 bereits nicht bloss mit der Kirchen- sondern auch mit der Reichsver- fassune in nicht zu lösendem Widerspruche stand. Es war ferner der An- schauung dieser Vertreter des Absolutismus ganz angemessen, ebenso wenig Freiheit den Communen als der Kirche zu gewähren und die wüthendsten Tyrannen der damaligen Zeit, Ezzelino da Romano und seine Genossen waren nicht bloss Häupter der Ghibellinen, sondern auch die consequentesten Verfechter ghibellinischer Prineipien, die wärm- sten Anhänger des ghibellinischen Kaisers. Ebenso gehörte hiezu ein Theil des Adels wie die Uberti in Florenz, die Frangipani in Rom, und neben Pisa jene Städte, in welchen entweder Tyrannen oder starke Adelsgeschlechter die Herrschaft führten. Hingegen waren diejenigen suelfisch, in welchen die Erinnerung an die Zeit des Lombarden- Bundes lebte und während man nach der gewöhnlichen Auffassung meinen sollte, es müssten vor Allem die Communen vom shibellinischen zeiste erfüllt geworden sein, bildete Mailand wieder den Mittelpunkt der antikaiserlichen Partei. Ueberhaupt war guelfisch nicht bloss wer gegen kaiserlichen Absolutismus noch freie Bewegung für andere Ord- nungen verlangte, sondern auch und vor Allem wer im Kampfe mit dem Kaiser auf Seite der Päpste stehend, die Sentenz (1245) der Absetzung des Kaisers, der staufischen Familie, ihre Anhänger nach Aussen ver- trat, ihre Ausführung unterstützte: aber ebenso auch alle ächten Re- publicaner und Demokraten, alle, welche die Freiheit der Communen und Italiens wollten und durch Verbindung mit den Päpsten dieselbe gegen den Kaiser zu erstreiten suchten ; die Lombarden im doppelten Gegensatze gegen Fürsten und Kaiser; endlich alle, welche noch einen höheren Lebenszweck kannten als staufischer Zwingherrschaft zu fröhnen. Man kann für diese älteren Zeiten das Programm der Guelfen in den wenigen Worten zusammenfassen, welche, als der lombardische Bund (1238) auf Mailand, Piacenza, Bologna, Brescia beengt war, die Brescianer aussprachen, sie wollten lieber gegen die Lanzen und Schwer- ter Kaiser Friedrichs kämpfend sterben, als, wenn sie sich dem Kaiser ergäben, am Galgen, durch Hunger oder auf dem Holzstosse umkommen. Im Gegensatze zu früher sind es nicht mehr Weltliche, die als Häupter des Guelfismus hervortreten, sondern Päpste, unter diesen am meisten Innocenz IV., früher ein Freund des Kaisers (somit Ghibelline) und zum Frieden, nicht zum Kampfe, am wenigsten zum Vertilgungs- kampfe geneigt; dann als das von dem Kaiser selbst begehrte Concil 29 (zu Lyon) sich wider diesen erklárte, der eifrigste, beharrlichste, un- ermüdlichste Gegner desselben, welcher nicht ruhte, als bis der Sturz des Kaisers und der gesammten kaiserlichen Partei erfolgte. Dieser Guelfismus lernt von dem Kampfe, den der Kaiser eröffnet, die Füh- rung der Waffen, und bedient sich ihrer bis zum Untergange der hohenstaufischen Kaisermacht. Er scheint nicht zu gewahren, welche Stütze denn doch der christlichen Welt das Kaiserthum gewesen; er bricht sie ab, ohne im Stande zu sein, eine neue zu schaffen und muss nun sehen, zu welchen Surrogaten er seine Zuflucht nehmen kann. Er ist eine Parteiströmung beinahe unwiderstehlicher Art, die aber, nachdem sie ihr Ziel erreicht, gegenstandlos wird und, wie sich sehr bald zeigt, Gefahr läuft, im Siege sich selbst zu spalten. Andererseits nimmt der Ghibellinismus seit 1245 aus siegreicher Angriffsstellung erst in die defensive gebracht, dann in einen Verzweif- lungskampf übergehend gleich seinem Gegner in der Mitte des XII. Jahrhundertes einen anderen Charakter an als früher. Auch dieser ist nicht bleibend, ist nur transitorisch, ist eine Ausgeburt eigenthümlicher Umstände, eine Frucht jener Verkettungen, die die Regierung Frie- drichs H. (1215—1250) so unendlich schwierig machen, und der sich eben nur so lange erhält, als die inneren. Gründe seines Bestandes sich erhalten — der Kampf des staufischen Hauses mit den Päpsten, welche Friedrich II. und seine Söhne weder als Könige von Šicilien noch als Kaiser mehr anerkennen wollten. Da tritt dann aber die bezeich- nende Thatsache hervor, dass, während Friedrich I. seinen Gegner durch Gegenpäpste bekämpfte, ohne dass Alexander HI. zu dem Ver- suche greift, dem grossen staufischen Kaiser einen Gegenkönig gegen- über zu stellen und er selbst die Anträge des byzantinischen Kaisers zurückweist, so wagt es Friedrich I. nicht, auch nur gegen einen der Päpste, die er bekämpft, einen Gegenpapst aufzustellen. Wohl aber finden die Päpste an der deutschen Nation und den von den Staufen selbst in Betreff der geistlichen Fürsten getroffenen Einrichtungen eine so grosse Stütze, dass 3 Gegenkönige nach einander aufgestellt werden, der Kaiser Deutschland seinem Sohne Konrad IV. überlas- sen und sehen muss, wie er Italien behaupten kann, Konradaber kann Deutschland in die Länge nicht behaupten und muss sich nach Italien wenden, wo er früh und vielleicht nicht einmal eines natürlichen Todes stirbt. 30 Es gesellte sich aber, um dem Ghibellinismus seinen eigenthům- lichen Charakter zu verleihen noch ein Umstand hinzu. Er kránkelte fortwährend an einem inneren Widerspruche. Friedrich II. von einem Papste gegen die deutschen Anhänger Heinrichs VI. beschützt und er- halten, als König von Sicilien Vasall des römischen Stuhles, als deutscher König wegen seines Anschlusses an die geistlichen Fürsten nur der Pfaf- fenkönig genannt, hatte durch päpstliche Unterstützung das Kaiserthum, durch die geistlichen Fürsten die Uebertragung des deutschen König- thums auf seinen Sohn Heinrich erhalten, und war der erste Kaiser, welcher sich als solcher des deutschen Königthums entschlug, um Si- cilianischer König zu sein und zu bleiben. In dieser doppelten Ei- genschaft hatte er den Krieg mit der Kirche begonnen, nachdem er noch bei seiner Kaiserkrönung (1220) alle Decrete der Städte, die dem Clerus und der kirchlichen Freiheit entgegen waren, cassirt hatte. Viel eher sollte man daher meinen, dass die Städte ghibellinisch ge- wesen wären, als dass sie guelfisch waren. Nun hatte aber die Er- oberung Constantinopels durch die Lateiner (Venetianer, Belgier und Franzosen) und der Erwerb einer. grossen Anzahl von Inseln durch die Venetianer vom adriatischen Meere bis zum Bosporus die Stellung der italienischen Seestaaten zu einander gänzlich verándert. Noch gegen Ende des XII. Jahrhundertes waren die Machtverhältnisse Ve- nedigs, Pisa’s und Genua’s ziemlich gleich gewesen und suchte sich das erstere über Dalmatien auszubreiten, so hatten die-Beiden an- deren sich der Erwerbung Sardiniens zugewendet. Schienen die Ve- netianer überwiegende Vortheile in der Levante zu erlangen, so wurden diese durch die Macht der Genuesen in den spanisch - italischen (rewässern und Inseln, der Pisaner im griechischen Reiche, an den afrikanischen und levantischen Küsten wieder aufgewogen. Besetzten die Venetianer Candia, so suchten sich die Genuesen in Cyprus einzu- richten und erlangten durch den Schleichhandel mit den Aegyptern — dem Verbote so vieler Concilien zum Trotze — ungeheueren Gewinn. Schon war es 1209 wegen Candia's zum Kampfe zwischen Genua und Venedig gekommen, als sich die Pisaner an den Guelfen Otto an- schlossen und dessen Plan die hohenstaufische Herrschaft in Sicilien zu stürzen, beförderten, um bei dieser Gelegenheit sich in den Besitz des Castells und der Strasse von San Bonifacio zu setzen. Eben desshalb kam K. Friedrich, als er sich um die deutsche Krone bewarb, 31 nach Genua und verschrieb der Republik für ihre Unterstützung die grössten Vorrechte am Handel in Sicilien. In Folge dieses Umstandes ward Pisa, das sich an den Kaiser (Otto) angeschlossen hatte, wider seinen Willen guelfisch, obwohl kaiserlich, und Genua ghibellinisch, obwohl es auch kaiserlich (jedoch Fridericianisch) gesinnt war. Die Pisaner hatten diese Stellung angenommen, weil Friedrichs Vater Heinrich VL sie mit empörender Treulosigkeit behandelt hatte. Die Genueser aber rühmten sich, ihre Stadt (Janua, Thor), sei die Pforte geworden *), durch welche Friedrich zum Kaiserthume gelangt war. Im Jahre 1215 erlangten die Genannten auch Freiheit von allen Auf- lagen in Sieilien, 1220 die Einladung zur Kaiserkrönung. Allein im Besitze der Macht weigerte sich der Kaiser die Privilegien Genua’s in Bezug auf das Kaiserthum zu bekräftigen; in Bezug auf Sieilien versprach er in Sicilien selbst die Bestätigung vorzunehmen. Anstatt aber dieses zu thun, entzog er ihnen jetzt die 1218 ertheilten Privi- lesien, und der genuesische Admiral Wilhelm Poria konnte selbst sein Leben nur durch die Flucht retten. **) Es verband sich mit dem Ghibellinismus, der sich an die beiden letzten hohenstaufischen Kaiser anschloss, von Anfang an der Charakter der Treulosigkeit, des Bruches von Eiden und Verträgen, so wie einer mit Willkür und Grausamkeit aufgerichteten Herrschaft, — am wenigsten aber der der Freiheit und der rechtlichen Entwicklung. Nachdem aber einmal, wie wir bei Florenz gesehen, schon bei dem Ausbruche dieser Kämpfe zum Morde gegriffen worden, war, als K. Friedrich von Gregor IX. gebannt den Papst bekriegte, den Kirchenstaat verheerte, die zum Concil reisenden Cardinäle und Bischöfe durch seinen Sohn Enzio und die Pisaner auf dem Meere überfallen, theils ertränken theils gefangen nehmen liess, P. Gregor in Rom eingeschlossen starb, endlich unter Innocenz IV. des Kai- sers Absetzung auf dem Concil zu Lyon 1245 erfolgte, nur mehr Vernichtung der einen Partei durch die andere, nicht aber ein ferneres Nebeneinanderbestehen möglich. Und dies ist denn auch das Wesen des italienischen Ghibellmismus und Guel- fismus auf der Höhe des XII. Jahrhundertes. Die Grausamkeiten, welche von der einen wie von der anderen Seite statt fanden, die % *) Caffari, p. 403. **) Marchisius Seriba p. 423. 32 zahlreichen Hinrichtungen, Einkerkerungen, Exilirung und Zerstörung der Wohnsitze der Exilirten, das Verfahren des Kaisers, die Procla- mationen P. Innocenz IV. rechtfertigen diesen Ausspruch. Der Sieg der einen Partei über die andere war mit einer Gütervertheilung ver- bunden, der Kampf ging auf Leben und Tod und zog sich von Stadt zu Stadt, von Land zu Land, von Geschlecht zu Geschlecht. Die Re- sierung Friedrichs II. hat diesen Parteikampf nicht geschaffen; diess anzunehmen wäre irrig. Wohl aber bewirkte sie, dass alle bisher vorhandenen Wirren, Zänkereien und Leidenschaften der italienischen Städte nach zwei grossen Kategorien wie in zwei Flammenkegeln sich ansammelten, eine unendliche Fülle des gegenseitigen Hasses losbrach und unter den schnödesten Thaten alle Hoffnung des Besserwerdens schwand, die man in den Tagen zu fassen berechtigt war, als sich der lombardische Bund den Beschlüssen des roncalischen Reichstages ent- gegen warf. War es doch wirklich, als wenn die Städte jetzt nur die Aufgabe hätten, sich selbst um die Früchte ihrer Siege zu bringen und den ärgsten Tyrannen, die ihre Freiheit zu zerstören beabsich- tigten, die Wege zu bereiten. Doch war glücklicher Weise der Bund im J. 1225 erst in San Zenone, dann in Mantua auf 25 Jahre erneut worden und diese Vereinigung sicherte nicht blos unmittelbar vor dem wildesten Ausbruche des Parteikampfes die Selbstständigkeit vor ar- biträrer kaiserlicher Gewalt, sondern hinderte auch selbst das Um- sichgreifen des eigentlichen Bürgerkrieges, in wie ferne die alte grös- sere Parteistellung den Bürger vom Partieularkampfe zum gemein- samen Kriege der Communen rief. Freilich als jetzt der Kaiser, selbst im Kampfe mit der Kirche begriffen, zu dem Mittel seine Zuflucht nahm, die Ghibellinen in den einzelnen Städten zu unterstützen, und dadurch die Thätiekeit der Communen zu lähmen, löste sich Italien unaufhaltsam in die wildesten Parteikämpfe auf. Platina hat daher nicht Unrecht, wenn er von dem Aufenthalte des Kaisers in Pisa 1240 diese unheilvolle Wendung herleitet. Als damals Friedrich die Uberti in Florenz unterstützte, begann ein so nachdrücklicher Um- schwung der Dinge, dass hundertfach mehr von diesem Verfahren (1240) an als von dem Morde des Buondelmonte der Bürgerkrieg in den Städten. die eigentliche Scheidung der Guelfen und Ghibellinen erfolgte und nicht mehr aufhörte. Doch war unter dem Banner Friedrichs der Ghibellinismus bei- nahe auf allen Punkten siegreich und man kann aus der Růcksichts- losiekeit, mit welcher der Sohn Heinrichs VI. seinen Sieg verfolgte, wo doch noch eine Schonung der Gegenpartei am Platze gewesen wäre, sich die Frage beantworten, welche Veränderungen ein Sieg dieser Partei hervorgerufen hätte. Die apulischen Kerker und die Ent- schlossenheit der Gegner (Guelfen), lieber zu sterben als sich dem Kaiser zu ergeben, enthalten die Antwort auf diese Frage. Die Wen- dung erfolgte, als Parma unerwartet von der ghibellinischen Partei abfiel. Nicht bloss dass die Stadt dem Kaiser selbst beharrlichen Widerstand leistete, sie ward der Sammelplatz aller Guelfen, die zuletzt den Kaiser in die Flucht schlugen, selbst seine Krone erbeuteten. Dadurch ward die Sache anders. Die Bolognesen nahmen den König Enzio gefangen und behielten ihn bis zu seinem Tode im gefänglichen Gewahrsame. Der Kaiser, welcher während der Belagerung von Parma täglich gefangene Guelfen hatte hinrichten lassen, zog sich allmälig nach Unteritalien, jedoch nicht ohne dass zuerst die Guelfen aus Flo- renz verjagt und 36 Paläste und hohe Thürme bei dieser Gelegenheit zerstört worden wären. Die Häupter der Guelfen endeten durch höchst. grausamen Tod in Apulien. Als aber dann Friedrich erst 53 Jahre alt 13. December 1250 starb, erhoben die Guelfen aufs neue ihr Haupt. Jetzt concentrirte sich der Streit in Sicilien, welcher unter K. Konrad IV. und nach seinem Tode (1254) unter seinem Bruder Manfred der Schwerpunkt des Ghibellinismus wurde, von wo die letzten Staufen auf Toscana und Lombardei als ghibellinische Vorlande einzuwirken und den schon zweifelhaften Sieg der Ghibellinen allgemein zu machen strebten. Damals erfolgte die grosse Schlacht bei Monteperti, welche für lange Zeit die Macht der Guelfen in Toscana brach und bewirkte, dass Lucca und Otranto die Zufluchtsorte der Guelfen wurden, diese nun sich mit K. Manfred an Konrads IV. Sohn, Conradin wandten und ihn einluden nach Italien zu kommen. Wer kann sagen, wie die Dinge sich gestaltet hätten, wenn Conradin diesen Ruf angenommen hätte, an der Spitze der Guelfen nach Italien gezogen wäre. Die Be- rufung Karls von Anjou den zu Boden geworfenen Guelfismus wieder aufzurichten, wäre dann unnöthig geworden und die Katastrophe des staufischen Hauses unterblieben. Als Conradin den Ruf der Guelfen nicht annahm, musste auch Lucca die Guelfen verjagen, die nun in Modena und Regsio eine Zuflucht fanden. Die Parteiung war in Italien a Sitzungsberichte 1864. I, 9 34 bereits allgemein geworden. Es gab ghibellinische und guelfische Ge- schlechter, deren Mitglieder als Cardinále, Aebte u. s. w. sich zur Po- litik ihrer Partei bekannten. Mochten die einzelnen Städte ihre Farbe wechseln; die Geschlechter blieben dabei und theilten Glück und Un- glück ihrer Partei. Es gab aber nicht blos ghibellinische und guelfische Städte, sondern auch ghibellinische und guelfische Staaten. Zu den ersteren gehörte die Herrschaft des Ezzelino, der an 11000 Paduaner umbringen liess; vor allem die Conrads und Manfreds. Als. endlich diese durch Uebergabe Siciliens an Karl von Anjou Graf der Provence gestürzt, Manfred besiegt und erschlagen, Conradin von den Ghibellinen berufen, durch Karl von Anjou gleichfalls 1268 besiegt und dann hin- gerichtet wurde, war der Triumph der Guelfen vollständig und. die Reaction wider die Sieger von Monteperti im vollen Gange, trat dureh das Uebergewicht Karls von Anjou als Haupt der Guelfen nach allen Seiten ein. Der Ghibellinismus, in wie ferne er mit dem Friedrichschen Kaiserthume sich identificirt hatte, war, als der Sturz der Hohenstaufen dem Tode des Kaisers nachfolgte, gegenstandlos geworden. Zwar schloss sich Pisa als nichtghibellinische Stadt dem Alfons von Castilien an; allein was wollte (dieses heissen ? Die Partei hatte kein Centrum, kein Programm als eben nicht guelfisch zu sein, und bestand eigentlich nur mehr durch den Hass der Geschlechter, die sich zur einen oder an- deren Seite geschlagen und durch die Versuche mächtiger Führer, sich durch den Anschluss an die eine oder andere Seite zur Herr- schaft zu erschwingen. — — Der Zeitpunkt war gekommen, in welchem eine Versöhnung der Parteien, sei es auf geistlichem, sei es auf weltlichem Wege, versucht werden konnte und musste. Bereits hatte sich Deutschland der Gefahr entwunden, gleich Italien blosser Factionswuth anheimzufallen. Das Aussterben der Babenberger, Thüringer, Merane, welches den Fürsten Beschäftigung und Aussicht auf Ländererwerb verlieh, die geschlossene Haltung der Reichsstädte, vor Allem der durch die Entfaltung einhei- mischer Literatur, tiefen religiösen Ernst und strenge. Sitte gehobene Nationalsinn liessen es weder zu so wilden und grässlichen. Scenen kommen, wie sie in Italien an der Tagesordnung waren, noch duldeten sie Parteikämpfe, die denn doch nur gegenseitiges Würgen zum Zwecke hatten. Dazu kam, dass, wenn auch das Königthum nach dem Tode Wilhelms von Holland lange erledigt blieb, doch nicht der eigentliche 35 Kern der Nation, die Staaten, die Beute der Ausländer oder blosser Parteihäuptlinge wurden, sondern bei ihren rechtmässigen Fürsten verblieben. Ward auch das Königthum geschwächt, das Fürstenthum blieb stark. Als aber nun der alte Ghibelline Rudolph von Habsburg durch päpstlichen und geistlichen Einfluss zum deutschen Könige ge- wählt, seine Stellung richtig erkannte, alles aufbot das Königthum aus seinem Verfalle herauszureissen, blieb Italien fortwährend von diesen Sorgen und Segnungen unberührt. Hier schien man nur möglichste Ausdehnung des Sieges anjouinisch-guelfischer Uebermacht zu kennen. Wohl knüpfte Rudolph seine königlichen Acte an die Friedrichs II. vor seinem Banne und seiner Absetzung an; er hütete sich aber wohl die shibellinische Erbschaft des letzten staufischen Kaisers auf sich zu nehmen. Er übergab den Kirchenstaat dem römischen Stuhle; er zog nicht einmal nach der Lombardei, sich die lombardische Krone zu holen, geschweige die Kaiserkrone, so dass die Scheidung Italiens und Deutschlands auch in dem Augenblicke der Wiederherstellung des Letzteren sich bemerkbar machte. Um so mehr traf es nun die Päpste sich mit den Angelegenheiten Italiens zu befassen und erlangten diese in Betreff Italiens bei der fortwährenden Vacanz des Kaiserthums ein Ansehen, welches sie begreiflich auch dann noch zu behaupten suchten, als von Seite der Deutschen Schritte gemacht wurden, das Kaiserthum wieder herzustellen. Zuerst unternahm es ‘der Zeitgenosse König Rudolfs, P. Gregor X., welcher wesentlich dessen Wahl betrieben hatte, zwischen den Guelfen und Ghibellinen zu vermitteln. Allein seine Bemü- hungen, Frieden zu stiften, konnten den Untergang der Ghibellinen nicht aufhalten. Die toskanischen Städte wenden sich in Verbindung mit Genua gegen Pisa, welches die grosse Seeschlacht bei Mallorca wider Genua verlor (Juli 1384) und nun von den Guelfen mit dem Schicksale bedroht ward, das einst Mailand durch König Friedrich betraf, als Stadt ganz aufzuhören, und Borghi aufgelöst zu werden. Aber eines bleibt doch. Die Päpste selbst treffen Anstalten die Ueber- macht Karls und der Guelfen zu brechen und dem Geschicke Italiens eine andere Wendung zu geben, als bloss dem guelfischen Interesse zu verfallen; und in der That, wo früher Guelfen und Ghibellinen abhängig waren von der Politik K. Friedrichs II., so wurden sie es gegen Ende des Jahrhundertes von der der Päpste. Das Erste und Nothwendigste in dieser Beziehung war aber, dass die Letzteren sich 3* 36 selbst von einer Identificirung mit der guelfischen Partei losmachten, welche auf dem Höhepuncte ihres Glückes angekommen, wie früher der Ghibellinismus Friedrichs, keine Rücksicht noch Schonung An- derer kannte. Vor Allem musste Frieden geschlossen und damit die Möglichkeit eines Nebeneinanderbestehens der Parteien geschaffen worden. Hatte Gregor X. hiemit begonnen, so setze Nicolaus III. 1277—80 diesen Plan fort und entzog namentlich dem K. Karl I. von Sicilien die bisherige Stellung als Reichsvicar in Toscana, als Senator in Rom, während er den Frieden unter Guelfen und Ghibellinen (durch den Cardinal Latino) unterhandeln liess. Alle diese Anstalten und Ver- suche, sowie ihre Erfolge beruhten auf der Voraussetzung, dass ein kraft- volles Kaiserthum, welches sich mit dem Papstthume verstände und un- parteiische Gerechtigkeit übte, wieder aufkomme und in Italien Boden gewinne. Dies aber wollte noch immer nicht kommen. Andererseits er- kannte Karl von Anjou die ihm drohende Gefahr als Haupt der Guelfen des bisherigen Vogteirechtes über den römischen Stuhl enthoben zu wer- den, und bot Alles auf, die alte Stellung wieder zu erlangen. Die Er- hebung des Franzosen Simon von Boin auf den päpstlichen Thron schien ihm dazu zu verhelfen. Letzterer, Martin IV. (1280) übergab dann wirk- lich dem sicilianischen Könige die alte Macht aufs Neue und bedrängte die Ghibellinen, als wäre er das Haupt der Guelfen. Da erfolgte, als das Kaiserthum sich nicht erneute, der Papst mit dem guelfischen Partei- haupte sich identificirte, der gewaltsame Durchbruch der Dinge, indem auf einmal durch den Aufstand der Sicilianer der schon halb erloschene ghibellinische Brand aufs neue angefacht wurde. Nicht nur behauptete sich Sieilien ungeachtet aller geistlichen Censuren und weltlichen Mittel als unabhängiger Staat, sondern blieb auch Neapel gegenüber der festeste Hort des Ghibellinismus, ja der nationalen Sache. Das Haus Anjou hatte am Hause Arragonien, welches die Sicilianer zur Herrschaft über sich beriefen, seinen Hammer gefunden und die nachfolgenden Päpste, von den Kaisern verlassen und selbst einer glücklichen siegreichen Re- volution gegenüber gestellt, befanden sich nun in der schlimmsten Lage, die Partei des Anjous dem Rechte nach nehmen zu müssen, während ihre eigentliche Aufgabe war, sie in den gebührenden Schran- ken zu erhalten und nicht unter dem Deckmantel des Guelfismus zur unumschränkten in Italien zu erheben. Sie befanden sich in der un- günstigen Lage Principien bekämpfen zu müssen, deren Entwicklung 37 ihnen selbst eine Erleichterung verschaffte. Man hůtete sich jetzt nach Martin IV., dem Franzosen (7 1285), wieder einen Ultramontanen zu wählen; Honorius IV. aber wie Nicolaus IV. boten Alles auf wohl einerseits den sicilianischen Brand zu löschen, andererseits aber auch die Uebermacht der Anjous zu beschränken und so Raum für eine ruhigere Entwicklung zu gewinnen. In der That schien es denn auch 1285—92 allmälig dazu zu kommen, als nach langem Interregnum der Einsiedler Peter von Morano als Cölestin V. 1294 Papst wurde und ohne alle Kenntniss und Erfahrung in weltlichen Dingen in völlige Ab- hängigkeit von K. Karl II. von Neapel (dem Sohne Karls I. 7 1285) gerieth. Glücklicher Weise wurde dieser heilige, aber als Papst gänz- lich unfähige Mann bald bewogen, auf die päpstliche Würde zu ver- zichten und sein Nachfolger Bonifacius VIII. unternahm es nun einerseits das Papstthum von dem neapolitanisch-guelfischen Einflusse unabhängig zu machen, andererseits die Ghibellinen, welche durch die fortwäh- rende Behauptung Siciliens (Trinakrens) von Seite des Arragonesen ihr Haupt kühner als je emporhoben, zu Paaren zu treiben. Nachdem schon Innocenz IV. im Kampfe mit Friedrich II. dazu geschritten war, den Ghibellinen als Anhängern der gebannten Kaiser ihre Besitzungen abzusprechen, Martin IV. diess in Bezug auf Forli erneut hatte, ging Bonifacius VIII., obwohl es keine Ghibellinen im alten Sinne des Wortes mehr gab, wo möglich noch weiter und suchte, wo sich Ghi- bellinen zeigten, in Rom die Colonnese, in Sieilien König Friedrich, die Genueser geradezu zu vernichten, dadurch Frieden in Italien zu schaffen! Ein Experiment, welches seinem Urheber den eigenthümlichen Beinamen verschaffte, womit ihn der älteste Commentator der divina comedia des Ghibellinen Dante d’ Aldighini schildert: magnanimo paccatore! Allein nicht bloss dass Papst Bonifacius hieran scheiterte und in der Folge dieser Bemühungen tragisch unterging, nachdem er die Bitten der Ghibellinen zurückgestossen hatte; er erlebte es auch, dass eine Parteiung in Pistoja und die Trennung des dortigen Adels in Weisse und Schwarze dem alten Parteizwiste neue Nahrung und neue Flamme gab. Die Weissen verschmolzen sich mit den Ghibel- linen Toscanas und der alte Streit entstand in neuer Form und neuem Namen. Da traten zwei Ereignisse ein, welche für ganz Italien mass- gebend wirken mussten, die Verlegung des römischen Stuhles nach 38 Lyon durch Clemens V. (1305) und der Römerzug Heinrichs VII. (1310). Das erste Ereigniss benahm Italien, welches schon das Kai- serthum verloren hatte, auch das Papstthum. Nicht bloss dass die Leitung der italienischen Angelegenheiten dadurch der letzten Einheit entbehrte, die ihr noch geblieben war; es hörte für 75 Jahre. (1305 — 1378) die Reihe italienischer Päpste ganz auf und Italien wurde geradezu unter die geistlich-weltliche Politik der Franzosen gestellt. Nothwendiger Weise steigerte die Entfernung der Päpste aus Ita- lien das Ansehen K. Roberts von Neapel, Nachfolgers K. Karls IL., als des natürlichen Hauptes der Guelfen. Er wurde factisch General- vicar der Päpste in temporalibus. Das zweite aber zeigte die Noth- wendigkeit eines bleibenden Aufenthaltes der Kaiser in Italien, nicht bloss eines vorübergehenden Zuges, welcher dem Loche im Wasser glich, das ein hineingeworfener Stein verursacht. Nun blieben aber wohl die Päpste anfänglich freiwillig ferne von Italien; als sie später vielleicht gerne zurückwollten, war die Macht der ein- segangenen neuen Verhältnisse stärker als ihr Wille oder ihre Kraft. Ob sie aber zurückwollten oder nicht, darin waren diese Franzosen einig in keinem Falle in ihrer Abwesenheit dem Kaiserthume mehr Rechte einzuräumen als sie absolut thun mussten. Endlich hob die nun eingetretene Verwirrung ebenso die Sehnsucht der Ghibellinen nach einem Kaiser, wie andererseits die Welfen sich im Gegensatze zu ihnen und dem Kaiserthume an K. Robert und das königliche Haus von Sicilien anschlossen, welches ohne einen neuen Römerzug, ohne zu grosse Schwierigkeiten die Herrschaft über Italien erlangt hätte. Dadurch erwuchs dann wieder für K. Heinrich den Luxenburger ebenso die Höhe seiner Aufgabe, als die Schwierigkeit sie zu lösen. Wohl verkündete K. Heinrich von Mailand aus den allgemeinen Frieden unter den Parteien und suchte sich so wie einst Gregor X. über denselben zu erschwingen. Allein während K. Philipp von Frankreich von ihm Abtretung des arelatischen Königreiches begehrte, wollte Heinrich französische Einmischung ferne halten, verlangte K. Robert die Statt- halterschaft (Reichsvicariat) über die Lombardei und Tuscien, d. h. nichts geringeres als Verzichtleistung auf Italien und Preisgebung der Reichsangehörigen und der Partei des Kaisers an ihn, den Vasallen des römischen Stuhles. Da konnte nur der Plan Heinrichs VIL, Florenz zum Mittelpunkte des Kaiserthums in Italien zu machen und 29 sich auf Pisa und Genua, wie auf Sicilien zu stützen, dem Kaiser- thume helfen und zugleich dem Ghibellinismus einen Halt und ein festes Programm gewähren. Alles aber sank, als Heinrich VII. un- vermuthet 1313 starb. — Was war jetzt im Anfange des XIV. Jahr- hundertes der Ghibellinismus ? — — Einerseits verband sich mit ihm die Anschauung von der Noth- wendigkeit einer obersten weltlichen Gewalt, welche nicht bloss Träger einer Partei werden sollte, sondern die Idee der Gerechtigkeit auf Erden zu realisiren hatte. Dieser ideale und doctrinäre Ghibellinismus wurzelte vor Allem in Dante d’ Aldiehini, welcher dem Kaiser eine Art von Allgewalt beilegte, nicht bloss ein kräftiges, sondern auch ein unumschränktes Kaiserthum als das einzige Heil, die einzige Ret- tung Italiens und der christlichen Welt gewahrte. Dieses unumschränkte Kaiserthum war aber seiner Natur nach etwas ganz anderes als die Willkürherrschaft, die der Ghibellinismus des XII. Jahrhundertes ver- fochten hatte und theilweise im XIV. wieder sah. Und dadurch un- terschied sich der doctrináre und ideale Ghibellinismus wesentlich von dem praktischen, denn ganz anders lautet das Programm im Munde der mächtigen Ghibellinenfürsten als nach der Auffassung des vertrie- benen florentinischen Dichters; dieses verläugnete seinen Ursprung nicht, sondern behauptete nach wie vor, dass sich Gott nicht um die Angelegenheiten der Erde und die Thaten der Menschen kümmere, umsomehr also die letzteren thun könnten, was ihnen gefiele. Für’s Zweite, dass die Kirche Roms nichts sei als ein Spiel- oder Lotter- haus (quaedam bavataria); endlich dass die Kirchen zu berauben nichts weniger als sündhaft sei. *) Es war die ausschweifendste Ansicht von weltlicher Willkür und Unumschränktheit, neben welcher ein Rechts- staat und die Rechtsidee keinen Platz fand. Im Ganzen trat aber soviel hervor, dass die Ghibellinen ihrem ursprünglichen Programm am treuesten geblieben waren, wenn auch die Hauptsache fehlte, da sie sich bei dem Aufhören des Kaiserthums nicht an einen Kaiser halten konnten; dieser selbst, wenn er die Zwecke des Kaiserthums erfüllen wollte, nicht mehr wie Friedrich II. als Parteihaupt erscheinen durfte. Hingegen hatten sie im Vergleiche zu früher an Boden gewonnen und während Massino della Scala im östlichen Lombardien das ghibelli- nische Panier aufrecht erhielt, erklärten sich die Este in Ferrara. *) Meinungen Reynalds und Opiga von Este. Rag. 1328, 54. 40 die Gonzaga in Mantua, die Visconti in Mailand, die Tarlotti in Arezzo, endlich Castruceio Castraccani in Lucca dafür, und hielt Sicilien fortwäh- ‚rend den Kampf gegen die Päpste und K. Robert aus. Gerüstet und einander ebenbürtig standen die Parteien einander gegenüber, als hätte der Kampf erst jetzt begonnen. Die Drachensaat des XIII. Jahrhundertes war aufgegangen und da nun auch die Vermittlung des Papstthums fehlte, war die Hoffnung der Ghibellinen auf einen Kaiser als Retter in der Natur der Sache vollkommen begründet. Anderer- seits aber hatten sie doch keine Zukunft, so lange sich die Päpste wider sie erklärten, und K. Robert an Florenz und Genua eine Stütze wider sie gefunden hatte, und nach K. Heinrichs frühem Tode sich erst zeigen musste, ob das nächste Kaiserthum sich auch die extreme Seite ihres Programmes eigen machen, die erste und- ideale erfüllen und auch der practischen genügen könne. Hingegen hatten die Guelfen wohl die alten Ghibellinen vernichtet, aber ebenso wenig sich von der inneren Spaltung zu befreien vermocht, als sich ohne Hilfe von Aussen — namentlich Neapels, erhalten. Und wenn in den ghibellinischen Städten regelmässig Tyrannen entstanden, musste sich erst zeigen, ob die welfischen sich in die Länge von dem übermächtigen Einflusse des Hauses Anjou und der Franzosen frei erhalten konnten. Sicher war bisher, dass selbst in der bedeutendsten guelfischen Stadt, in Flo- renz, eine wahre Entwicklung der Verfassung nur durch den Stoss und Gegenstoss der Parteien ermöglicht ward, beide Factionen wider ihren Willen daran arbeiteten die Adelsmacht zu brechen und der Volksmacht, dem eigentlichen demokratischen Elemente, Bahn zu be- reiten. Nichts desto weniger waren sie im Anfange des XIV. Jahr- hundertes noch immer die Italien beherrschenden Mächte, auf welche Papsttbum und Kaiserthum angewiesen waren und wo sich nun zeigen musste, was, wenn die eine oder andere siege, der siegende Theil in seinem Schosse berge. \aturwiss.-malh. Neelion am IN. Januar IN64. Anwesend die Herren Mitglieder: Weitenweber, Stein, Pierre, Koristka, Amerling und v. Leonhardi; als Gäste die Herren Hornstein und Walter. Herr Stein hielt einen Vortrag über den Proteus 41 tenax von ©. F. Müller und über die InfusorienB8attuu- gen Distigma Ehrbg. und Epiclintes Stein. 1. Ueber Proteus tenax und Distigma. Als ich im November 1863 zwischen abgeschnittenen Wasser- linsenwurzeln nach Infusorien suchte, fiel mir ein sich sehr leb- haft im Wasser umherwälzendes, einfach schlauchförmiges, farblo- ses, rhizopodenähnliches Thier von nicht unbedeutender Grösse auf, welches in unaufhörlichem proteischem Formenwechsel begrif- fen sich ziemlich schnell von der Stelle bewegte und in kurzer Zeit eine ansehnliche Strecke Weges zurücklegte. Der nackte, ringsum geschlossene Thierkörper zeigte sich von einer derbhäutigen Cutii- cula begränzt, welche ein überaus weiches, breiartiges, halbflüssiges, von sehr feinen Körnchen getrübtes Parenchym umschloss, aus dem ein leichter ovaler Nucleus hervorleuchtete. Im völlig ausgestreckten Zustande glich das Thier im Allgemeinen einem nach vorne finger- oder fast pfriemenförmig zugespitzen, nach hinten keulenförmig ver- dickten Schlauche. Diese Gestalt wurde jedoch kaum einen Augen- blick festgehalten, sondern sie machte alsbald einer Reihe anderer, schwer zu beschreibenden Formen Platz. Gewöhnlich zog sich zuerst das hintere Ende mehr oder weniger zusammen, die weiche Paren- chymmasse floss nach vorn, und es bildete sich entweder nur eine gewaltige mittlere bauchige Auftreibung, oder es erschienen deren zwei oder drei hinter einander liegende kleinere, die dem Thiere oft ein zierlich flaschenförmiges Ansehen ertheilten. Alsdann rückte das verengerte Hinterende von der Spitze her gegen den bauchig erwei- terten Abschnitt vor und floss ganz oder zum grössten Theil in den- selben über. Fast gleichzeitig oder etwas später schwoll das finger- förmige Vorderende durch von der mittleren Region herbeifliessende Parenchymmasse zu einem rundlichen Köpfchen mit kurzkegelförmiger Zuspitzung an, worauf sich diese wieder weiter nach vorne ausreckte, während die kopfförmige Anschwellung verschwand. Häufig floss gleich- zeitig das Parenchym aus dem vordern und hintern Körperende nach der Mitte zu, und dann nahm das Thier eine unregelmässig kugel-, birn- oder pfropfenförmige Gestalt mit lappigen und höckerförmigen Auftreibungen an; im nächsten Augenblicke schoss aber sogleich aus der zusammengeknäulten Masse das Vorderende wieder in Gestalt 42 eines sich schnell verlángernden finger- oder tentakelfórmigen Fort- satzes hervor. Nachdem ich das Thier soweit studirt hatte, konnte ich keinen Augenblick zweifelhaft sein, dass ich den ächten Proteus tenax von O. F. Müller (Animalcula infusoria 1786 p. 10. Tab. I. Fig. 13—18.) vor mir hatte, den dieser Forscher nur einmal im sůssen Wasser, worin Chara nitida wuchs, und dann noch einmal im Meer- wasser beobachtete. Sowohl Müller’s Abbildungen, wie auch seine ausführliche Beschreibung passen aufs genaueste auf mein Thier, ja selbst Müller’s prägnante Diagnose: „Proteus in spieulum diffluens“ ist für dasselbe characteristisch. Ehrenberg hat den Proteus tenax bei Berlin zwischen Wasser- linsen, jedoch auch nur ein einziges Mal beobachtet; er unterschied am anderen Ende des Thieres noch zwei schwarze Pünctchen, die er als Augen deutet Ehrenberg versetzt deshalb den Prot. tenax, wie- wohl nur fraglich, in seine Infusoriengattung Distigma (vergl. In- fusionsthierchen 1838 S. 116 u. Taf. VII. Fig. 3.), die übrigens selbst nur auf einigen ungenügend erforschten Thieren beruht. Mich erinnerte der Prot. tenax gleich beim ersten Anblick an zwei gregarinenartige Thiere der Regenwürmer, nämlich an meine Monocystis agilis aus den Geschlechtsorganen (vergl. meine Ab- handlung über die Natur der Gregarinen in Müller’s Archiv 1848 8. 193, 220. u. Taf. IX. Fig. 1—3.) und noch weit mehr an eine zweite grössere Monocystis-Art, die ich öfters im hintern Theile des Lumbri- cus terrester, aber immer nur vereinzelt angetroffen habe. Letztere Art wurde zuerst von Dujardin ans Licht gezogen, der von ihr auch schon eine ganz gute Darstellung gegeben hat (vergl: Annales des science. naturell. II. Série. Tome IV. 1835 p. 352. Pl. 10. A—C.); er fand sie dem Můllerschen Proteus tenax so ähnlich, dass er sie un- geachtet des verschiedenen Vorkommens damit geradezu identificirte und sie ebenfalls als Proteus tenax beschrieb. Ich werde diese. Art, die in der That dem Můller'schen Thiere ausserordentlich nahe kommt, aber dennoch von ihm speeifisch verschieden ist, Monocystis Du- jardini nennen. Dujardin hatte schon aus dem so seltenen Vorkommen des Pro- teus tenax im Wasser und aus seinen Beobachtungen von anscheinend ganz gleichen Geschöpfen im Regenwurm geschlossen, dass: jene Art 43 kein wirklicher Wasserbewohner, sondern nur der Parasit des Regen- wurmes sei, den ein blosser Zufall in das Wasser verführt habe. Dafür sprach noch besonders der Umstand, dass jener Regenwurm- parasit sich längere Zeit im Wasser frisch und munter erhielt und ungestört seine wunderlichen Bewegungen fortsetzte. Auch ich hatte Anfangs denselben Gedanken, wie Dujardin; glücklicher Weise fiel mir aber beim Verfolgen meines Proteus tenax auf dem Objectelase ein quer durchschnittener Cyclops quadricornis auf, und dadurch kam ich auf die Vermuthung, dass möglicher Weise in diesem kleinen Krusten- thiere der Proteus tenax seinen ursprünglichen Wohnsitz haben und nur durch den Schnitt aus ihm ins Wasser gelangt sein möge. Diese Vermuthung bestätigte sich vollkommen; denn als ich nun zahlreiche Individuen des Cyclops guadricornis aus den verschieden- sten Localitäten der Prager Umgegend einsammelte, fand ich zu mei- ner Freude, dass fast aus jedem zweiten oder dritten Exempiar, wel- ches ich durchschnitt, ein oder mehrere Individuen des Proteus tenax hervortraten, die in jeder Beziehung mit dem oben beschriebenen übereinstimmten. — An den grösseren Individuen unterschied ich im vorderen Ende meist noch einen rundlichen lichten Hohlraum, der einige Aehnlichkeit mit einem contractilen Behälter hatte, und vor demselben machten sich nicht selten noch zwei schwarze Půnetehen oder Körnchen bemerklich, die aber wohl schwerlich von einer beson- deren physiologischen Bedeutung sind. Ich erwähne sie nur deshalb, weil sie auch den letzten Zweifel, den man noch gegen die Identität meines Proteus mit dem Distigma tenax Ehrbg. hegen könnte, besei- tigen. Eben so gewiss ist aber nunmehr auch, dass Müller’s Proteus tenax oder Distigma tenax Ehrbg. ein wahres gregarinenartiges Thier ist, welches in die Gattung Monocystis gehört und fortan den Namen Monocystis tenax St. führen muss. Was die drei noch übrigen Arten der Ehrenberg’schen Infusorien- gattung Distigma betrifft, so scheint mir das ebenfalls nur ganz vereinzelt beobachtete Distigma proteus kaum von Monocystis tenax verschieden zu sein; wenigstens sehen junge Individuen der letzteren Art genau eben so aus. Distigma viride wird schwerlich etwas anderes, als eine kleine Englena-Art gewesen sein, die ihre Geissel verloren hatte. Distiema planaria endlich beruht auf einer in Africa mit ungenügenden Vergrösserungen beobachteten Thier- 44 form, die niemals zu entráthseln sein wird. Die Gattung Distigma darf daher wohl getrost aus dem Infusoriensystem gestrichen werden. 2. Ueber die neue Gattung Epiclintes St. In einem 1862 auf der Naturforscherversammlung in Karlsbad gehaltenen Vortrage (vergl. den amtlichen Bericht S. 162.) wurde von mir bereits angezeigt, dass ich in der Ostsee bei Wismar eine der beiden von Claparede und Lachmann beschriebenen merkwürdigen Oxytricha-Arten, welche sich durch ein sehr entwickeltes Schnellver- mögen auszeichnen, aufgefunden und mich überzeugt habe, dass sie den Typus einer neuen Gattung bilden müsse, für welche ich den Namen Epiclintes vorschlug. Jene Art, welche ich damals, eben von einer Ferienreise kommend, aus dem Gedächtnisse nicht zu Ci- tiren vermochte, war die Oxytricha auricularis Clap. et Lachm. (vergl. Etudes sur les Infusoires et les Rhizopodes Vol. I. 1858 p. 148. Pl. V. Fig. 5—6.) Die Trichoda felis von O. F. Müller (Animal- cula infusoria 1786 p. 213 ad Taf. XXX. Fig. 15.) könnte der Abbil- dung nach sehr wohl dieselbe Art gewesen sein; diese Vermuthung bleibt jedoch darum unsicher, weil Můller leider anzumerken vergessen hat, wo das von ihm beobachtete Thier gefunden wurde. Stammte es aus dem Meere, so würde ich es unbedenklich mit Oxytr. auricularis Clap. et Lachm. für identisch halten; wäre es dagegen ein Süsswasserbe- wohner gewesen, so könnte es nur eine Uroleptus-Art sein. Bei einem neueren Aufenthalte in Wismar, im Sommer vorigen Jahres habe ich wiederholt Gelegenheit gehabt, die Oxytricha auricu- laris noch genauer zu studieren, und ich bin nunmehr im Stande, eine nahezu erschöpfende Darstellung von der Organisation dieses Thie- res zu liefern. Seine Beobachtung ist mit ungewöhnlichen Schwie- rigkeiten verknüpft; denn es steht immer nur wenige Momente still, dann zuckt es plötzlich heftig zusammen, oder schnellt durch Aus- strecken seines in der Regel knieförmig nach rechts oder links gebo- genen schwanzförmigen Hinterleibes weit weg. Hierzu kommt noch, dass der stark aufgedunsene Mittelleib gewöhnlich von Nahrungsresten und Fettablagerungen sehr undurchsichtig ist und die Erkennung des hier vorhandenen reichen Organisationsdetails sehr erschwert oder gänzlich verhindert. Erst aus vielen mühsamen Beobachtungen setzt sich nach und nach ein klares Bild von den gesammten Organisations- verhältnissen, namentlich von der höchst complieirten Bewimperung 45 zusammen, und dann gelingt es auch wohl zuweilen, an kleineren, durchsichtigeren Individuen, die zufällig längere Zeit stille halten, die . Hauptzüge der Organisation mit einem Blicke zu übersehen. Es ist daher sehr zu entschuldigen, dass Claparede und Lachmann nur eine sehr unvollständige Darstellung vom Baue des in Rede stehenden Thieres lieferten; sie fassten nur die Totalform des Körpers im Allge- meinen richtig auf, ein grosser Theil der höchst characteristischen Be- wimperung wurde aber in der Zeichnung gänzlich weggelassen, da die genauere Anordnung der Wimpern nicht ermittelt werden konnte. Der Körper sondert sich deutlich in drei Regionen, nämlich in den kurzen, das Peristom tragenden Vorderleib, den fast 2'/„mal so langen, beträchtlich breiteren, spindelförmig erweiterten und auf der Rückseite stark aufgedunsenen Mittelleib und in den langen, schmalen schwanzförmigen Hinterleib, der fast so lang ist, als Vorder- und Mittelleib zusammengenommen. Der um den ganzen Vorderrand herum- laufende adorale Wimperbogen setzt sich auf der rechten Seite noch ziemlich weit nach rückwärts und einwärts fort. Auf dem Stirnfelde stehen drei schiefe parallele Wimperreihen, deren hinterste in der Fortsetzung des adoralen Wimperbogens liegt und zum Mundwinkel verläuft. Hierauf folgen sieben schiefe, parallele Bauchwimperreihen, die in gleichen Abständen von einander von vorne und rechts nach hinten und links über den Mittelleib verlaufen. Ausserdem sind die Seitenränder des Vorder- Mittel- und Hinterleibes mit ungewöhnlich kurzen, borstlichen Randwimpern besetzt, die in der Zeichnung von Claparede und Lachmann nur am Hinterleibe angedeutet sind. An dem etwas schief abgerundeten Schwanzende gehen beide Randwim- perreihen in einander über, und die hier stehenden Wimpern sind merklich länger, als die anderen Randwimpern, so dass sie fast einen Schopf bilden. Ausser den Randwimpern trägt der Hinterleib noch drei, seine ganze Länge durchlaufende, parallele Wimperreihen, die Claparede und Lachmann richtig angegeben haben. Die linke Wim- perreihe ist aus weit längeren und kräftigeren Wimpern zusammenge- setzt, als die mittlere und rechte, welche beide unmittelbare Fort- setzungen der beiden letzten Bauchwimperreihen bilden. Die dritt- letzte Bauchwimperreihe setzt sich nur eine kurze Strecke in den Basaltheil des Hinterleibes hinein fort und endigt noch ziemlich weit vor der Mitte der linken kräftigeren Wimperreihe des Hinterleibes, 46 die als eine Fortsetzung der vierten Bauchwimperreihe angesehen werden kann. Der ganze Hinterleib ist glasartig durchsichtig, da in ihn niemals Nahrungsstoffe oder Nahrungsreste eindringen. Denn der After liegt am Uebergange des Mittelleibes in den Hinterleib, also viel weiter nach vorne, als bei irgend einer andern Oxytrichinengattung. Der con- tractile Behälter liegt nicht da, wie ihn Claparede und Lachmann an- seben, sondern an seiner gewöhnlichen Stelle, dicht neben dem Mund- winkel. Der Nucleus ist mir nicht ganz klar geworden, es schienen mir jedoch zwei hintereinander gelegene ovale Nuclei, wie bei den meisten Oxytrichinen vorhanden zu sein. Aus der eben gegebenen Darstellung geht klar hervor, dass ich vollkommen im Rechte war, die Oxytricha auricularis zu einer neuen Gattung zu erheben, die ich mit Rücksicht auf das ungewöhnlich ent- wickelte Schnellvermögen Epiclintes nannte. Zu dieser Gattung gehört offenbar auch die Oxytricha retractilis Clap. et Lachm. (Etudes I: p. 148, Pl. 5. Fig. 3. 4.); die von Claparéde und Lachmann in dem Bergenschen Fiord entdeckt, aber ebenfalls nur unvollständig er- forscht wurde. In der Ostsee ist mir dieses Thier bisher noch nicht vorgekommen. Die Gattung Epiclintes schliesst sich ihrer zahlreichen Bauch- wimperreihen wegen am nächsten an die Ehrenberg’schen Gattungen Urostyla und Kerona an, unterscheidet sich von denselben aber so- fort durch den langen schwanzartig verengerten Hinterleib und durch die Lage des Afters an der Basis des Hinterleibes. Bei Urostyla verhält sich auch die Stirnfeldbewimperung anders, und die Bauch- wimpern sind fast gerade oder doch lange nicht so schief, wie bei Epielintes. Dagegen besitzt die Gattung Kerona eben so schräge Bauchwimpernreihen und eine sehr ähnliche Stirnfeldbewimperung, sie ist aber gänzlich ungeschwänzt. — Die Gattung Epiclintes beschränkt sich gegenwärtig auf die beiden Meeresbewohner: Epiclintes auricu- laris und Epiel. retractilis. Im Januar 1864 eingegangene Druckschriften. Sitzungsberichte der k. Academie der Wiss. in München. 1863. I. 4. und II. 1. Heft. Acta societatis scient. fennicae. Helsingsfors 1863. VII. Tom. 47 Förteckning öfver finska Boksamlung. 1862. Bidrag of Kännedom ete. Nro. 5. 6. 8. 9. Öfversigt of Förhandlingar ete. V. 1857—1868. Schriften der Universität Kiel aus dem J. 1862. IX. Band. Nova Acta societatis seient. Upsaliensis. Series IH. Vol. IV. 2. Bulletin de V Academie Imp. de St. Petersbourg. V. Tom. f. 1—8. Al. Bunge. Anabasearum Revisio. Petropoli 1862. H. Abich. Sur la structure et la Géologie du Dacghestan. St. Petersbourg 1862. Verhandlungen des naturforsch. Vereines m Brünn. 1862. I. Band. IV. Bericht über den Offenbacher Verein für Naturkunde 1863. Der Senkenbergischen Stiftung gewidmet zur Säcularfeier. 4". K. Svenska Vetenskaps-Akademiens Handlingar. Stockholm 1861 IV. Bandet 1. Häftet in 4°. Öfversigt ete. Stockholm Jahrg. 1862 in 8" A. Goäs Crustacea decapoda ete. Sueciae 1863. (Sep.-Abdruck.) The American Journal of Sciences and Arts; by Silliman and J. D. Dana. XXXVL Vol. Nro. 108. New Haven 1863. Göttinger gelehrte Anzeigen. 1864. 1. Stück. Nachrichten von der Universität u. s. w. Göttingen 1864. Nr. 1. Abhandlungen der k. preuss. Academie der Wissensch. in Berlin. Aus dem Jahre 1862. The home and foreign Review. London 1864. January. Magazin der Literatur des Auslandes. Berlin 1864. Nro. 1. 2. 3. Poggendorff’s Annalen der Physik u. Chemie. Leipzig 1863 Nr. 12. Philosophische Section am 1. Februar 1864. (Gegenwärtig die Herren Mitglieder: Weitenweber, Hanuš, Storch, Dastich, Nebeský; als Gäste die HH. Zoubek und Jedlička. Herr Hanuš brachte (in einem böhmischen Vortrage) einige nachträgliche Bemerkungen zur kulturgeschichtlichen und literarischen Wirksamkeit des Jesuiten Antonius Koniáš vor, welche diejenigen Bemerkungen darüber ergänzen sollten, die in der Sitzung der philosophischen Section am 15. Decemb. 1862 gemacht wurden. Die nachträglichen Bemerkungen waren vor Allem in der kri- 48 tischen Analyse eines eigenhándig von Koniáš geschriebenen Briefes enthalten, den Hr. Dechant Rojek mitlerweile der k. k. Universitáts- Bibliothek zu Prag zum Geschenke gemacht hatte. Dieser Brief lautet in diplomatischer Abschrift wie folgt: J. X. (Benedicat Jesus Christus?) Urozenemu a Mnohowzact- nemu tež statecznemu Panu Karlowy Kleimmer na Panstwj Oppoczen- skem dobrze merytyrowanemu Regentowy, Panu mně przizniwemu a laskawemu w Opoczně '/. Urozeny a Mnohowzactny Pane Regens. Uznawa tož za dobre G. P. Officyal, aby ssindelarz na tenkrat k Appellacy donešen nebyl, mně zatim swěrzuge a dowoluge, abych ho po několika měsyczych, pokudž staly w swem nam wygewenem przedsewzetí setrwa, dle zdanj meho k wyznani wiry připustil; Czož take w swym čase wykonati neopominu. Bude se tehdy moct) s do- brym napomenutj propustiti. Porauczi mně spolu G. P. Officyal, abych Katerzinu němečkowau, s ginymi take z ginych Panstwj pospolu k au- rzadu Kragskemu, a skrze ten k slawne Appellacjy donesl; czož dle žadosti geho take wykonati neopominu. Zatim aby ona Katerzina Němečkowa, gakož y Matěg Krysstuffek dobrze zaopatrzenj zůstali, uctiwě gmenem Kralowskych Mistodrziezych Zadam, gakož taky aby nebo mně nebo G. P. Officyalowy Copia Examina Katerziny němečkowe, totiž co se Panu Duchodnjmu prziznala, communicyrowana byla do Hradeze poslussně Uroz. P. Regenta prosym, dle czehož do Przizni- wosti stale poniženě se porauczege zustawam — — Urozeneho, Sta- teczneho, a Mnohowzactneho Pana Regenta poniženy w K. P. Slu- Zebnik Antonin Konyass S. J. Miss. m. pr. w kral. Hradezy 9. Mage 1732. Aus diesem an den Regens (Director, Verwalter) der Herrschaft Opočno Karl Kleimmer (Clanner von Engelshofen?) gerichteten Briefes ist zu ersehen, dass auch 1. Koniáš als Missionár eine ganz eigene Glaubensinguisi- tion leitete, die Besserung Versprechenden genau beobachten liess, um ihnen nach der gegebenen Prüfungsfrist das Glaubensbekenntniss abzunehmen, die Starrsinnigen aber in gutem Gewahrsam halten liess, um sie im Falle der Unverbesserlichkeit durch die Kreisgerichte der Appellation zuzuführen, und dass dazu auch die Privatherrschaftsdi- rectoren hilfreiche Hand leisten mussten. Es werden dadurch manche Stellen der Vorrede zum Index librorum prohibitorum et expurgan- 49 dorum des Koniáš deutlicher, in welcher er nicht bloss úber die Bů- cher, sondern auch über die Aeusserungen, namentlich der Gemeinen, zu wachen anräth und die Angabe bedenklicher Aeusserungen von jedem guten Katholiken fordert. 2. Dass der glaubenseifrige Missionär wenig Kenntnisse der böh-. mischen Grammatik und daher auch der Orthographie hatte, sondern das Böhmische nur vulgär sprach und schrieb, was aus seinen gedruckten Büchern nicht so einleuchtet, als aus seinem Briefe. 3. Dass sein Name wirklich Koniáš und nicht, wie auch schon vermuthet wurde, Konas lautete, so dass nur die Aussprache Koniáš oder Konyáš zweifelhaft ist. Doch ist nach seiner stäten lateinischen Schreibung des Namens Konias die Form Koniáš mehr als wahrscheinlich. Ob er dem im 17. und 18. Jahrhunderte blühenden böhmisch-adeligen Geschlechte der Koniašové z Vydří (Manuscript der kais. Bibliothek 15. E. 1. N. 1. Seite 23.) angehörte, ist gleichfalls noch unbestimmt. In Beziehung auf die in der Sitzung am 15. December 1862 (S. 88) fragweise gestellte Bemerkung über das Erscheinen des Hauptwerkes des Jesuiten Koniäs, seine Postille betreffend, ob deren erste Auf- lage nämlich schon im Jahre 1746 erschienen und überhaupt in der 1. und 2. Auflage ein selbständiges Werk desselben sei, konnte in dieser Sitzung der Vortragende seitens der ersten Auflage eine befrie- digende Antwort geben, da ihm dieselbe seither zu Gesichte gekom- men. Es haben nämlich die Bücher des Koniáš ein eigenthümliches Geschick erlebt. Von ihm ausdrücklich dazu bestimmt, dem böhmi- schen Volke für die durch ihn verbrannten und verstůmmel- ten ketzerischen Schriften als Ersatz in die Hand gegeben zu werden, haben sie sich, wenigstens in unseren Tagen, dieser Bestim- mung entzogen, während die von ihm perhorreseirten Bücher, bis auf einige wenige religiöse Streitschriften und Kirchenlieder, auch in un- seren Tagen ziemlich häufig anzutreffen sind. Es ist z. B. wirklich sonderbar, dass nicht einmal die Clementinische Bibliothek in Prag seine Bücher vollständig besitzt, da er doch lange Zeit im Collegium Clementinum wirkte und auch allda starb. Die erste Ausgabe der Postille ist vergebens auch in den reichen Bibliotheken des böhm. Museums und des königl. Chorherrnstiftes Strahow gesucht worden. Erst die Erscheinung des Aufsatzes über die literarische Wirksamkeit 4 Sitzungsberichte 1864. I, 50 des Jesuiten Koniáš hat Veranlassung zum Bekanntwerden eines Exem- plares derselben gegeben. Herr J. U. Dr. R. erinnerte sich námlich nach der Lesung dieses Aufsatzes, dass in seiner Familie noch immer an Sonn- und Feiertagen eine Postille im häuslichen Gebrauche sei und als er nachsah, fand er, dass es eben das gesuchte Werk des Missionärs sei. Er lieh dasselbe zur bibliographischen Bestimmung sütigst dem Vortragenden, der sohin nun darüber folgendes bestim- men kann. ? 1. Die erste Auflage führt den Titel: Vejtažní Naučení a Vej- kladové na všecky nedělní a sváteční Epištoly, též Evangelia celého roku — na tři díly rozdělený a vydaný od Antonína Konyasse z tovaryšstva Ježišova. Vytištěné v Hradci Králové u Václava Ty- bely, 1740. 8° osm listů předmluvy dedikační hraběti Frant. Josef. Šlikovi a hraběnce Anně Josefově Šlikové, rozené hraběnce Kra- kovské z Kolovrat, s předmluvou k čtenáři, pak 1079 stránek a 8 listů registříku. Papier und Druck ist in dieser Auflage viel besser als in der dritten, ja als in allen andern Werken des Koniáš. In der Dedicationsschrift sagt er über das Schlick’sche Geschlecht: Tot jest ten staročeský rod z veleslavných sv. Ludmily a sv. milého Václava předků zstupující (B. Balbinus, miscell. hist. reg. Boem. decad. 2.1. 2. part. 3. tab. 2. litt. nn. Item. par. 4. lit. n.), od něhožto co- koliv sem až posavad pro věčné našich vlastencův spasení žádal, všecko sem ochotně obdržel. Tot jest ta štědroty a lásky plná Jo- sefova špižírna, která mně před 14 lety při těžkém začátku mém v rozdávání knéh přehojnou pomocí přispěla a od té chvíle do dneš- ního dne v té příčině pomáhati nepřestává. Hieraus ist also das feste Datum des Jahres 1726 oder 1725 (da die Vorrede auch ein Jahr älter sein kann, als der Druck), in welchem Koniáš mit der Verbrei- tung seiner Ersatzbücher begann, zu entnehmen. Das Jahr 1725 fällt wahrscheinlich auch mit dem Jahre des Beginnes der Verfolgung ketze- rischer Schriften zusammen, denn im Jahre 1727 erschien schon die erste Auflage seines Index librorum prohibitorum unter dem Namen: Klíč oder clavis haeresin claudens et aperiens, ebenfalls in Königgrätz gedruckt. In dieser Wirksamkeit verharrte Koniáš bis zu seinem Lebensende im Jahre 1760 also durch etwa 35 Jahre. Die Censur der ersten Auflage der Postille ist Brunae 12. Augusti anno 1739 datirt, die der 3. Auflage: Pragae in cancellaria archiepiscopali die 51 21. Novembris, 1750; die erste Censur scheint daher Ordenscensur zu sein, wie die 3. erzbischöfliche Kanzleicensur ist. Die 2. Auflage der Postille entzieht sich noch immer der bibliographischen Bestim- mung. In der 3. Auflage fehlt die ganze Dedication an die Schlick’- sche Familie. Auch Jungmann, sohin auch Dobrovsky, ist sogar in der 2. Ausgabe seiner Literaturgeschichte (1847. S. 300. Nro. 850.) nur die 3. Ausgabe bekannt gewesen. Sonderbar genug kennt auch Pelzel, sein Biograph, der Koniáš in seiner Jugend wohl gekannt haben mag, nur die 3. Prager Ausgabe, die sich vor der 1. König- srätzer höchstens durch ein genaueres Inhaltsverzeichniss unterscheidet (4 Blätter Vorrede an den Leser, 1034 Bll. Text und 15 Bll. Register), obschon auch hie und da der Text etwas geändert ist. Es ist sohin die Behauptung, welche früher das Unbekanntbleiben der 1. und 2. Auflage zu erklären bestimmt war, dass nämlich die beiden früheren Auflagen der Postille vielleicht „einen andern Verfasser hatten, den Koniáš nur benützte oder sein Werk bearbeitete“ gegenwärtig un- begründet. Herr Dastich hielt einen freien Vortrag (in böhmi- scher Sprache) über die neueren für die Psychologie der Sinne wichtigen Forschungen der Physiologie im Gebiete der sensitiven Nerven im Allgemeinen, und über die das Bereich des Gefühlsinnes betreffenden insbesondere. Der Vortragende versprach die Fortsetzung dieser Mittheilun- gen, bezüglich der übrigen Sinne, für eine der nächsten Sections- sitzungen. Historische Section am 8. Februar 1864. Anwesend die Herren Mitglieder: Palacky, Wocel, Tomek, Erben, Weitenweber, Hattala, Zap, Winařický, Wrtatko, Doucha, Gindely, Zelený, Zikmund und Frůhauf. Herr Fr. Palacký theilte mit einen Brief des böh- mischen Oberstburggrafen Beneš Lew von Rožmital aus dem J. 1527 an den nachherigen Geschichtschreiber Wenzel Ha- jek von Libočan, damals gewesenen Pfarrer zu Rožmital und antre- tenden Karlsteiner Domdechanten, als einen Beitrag zur Lebensge- schichte des Letzteren. L 4 52 Naturwiss.-math. Nection am 15. Februar 1864. Anwesend die Herren Mitglieder: Weitenweber, Kořistka, Amer- ling, Krejčí, Staněk und Skřiwan; als Gäste die Herren Hornstein und Lippich. Herr Weitenweber legte ein Verzeichniss der Mil- ben Böhmens vor. | Dasselbe, von dem bekannten eifrigen Naturforscher Hrn. Leo- pold Kirchner in Kaplitz, in alphabetischer Form verfasst, záhlt mit Zuhilfenahme der hieher bezůglichen Beobachtungen Nicolet's, Amerlings, Dugé, Kochs, Kaltenbachs, Pagenstechers u. A. die boh- mischen Acariden nach ihren natürlichen Standörtern auf. Letzterer Umstand ist auch in naturökonomischer Beziehung bemerkenswerth und erinnert an eine analoge Schrift unseres unvergesslichen, um die böhmische Pflanzenkunde gleichwie um die jüngeren heimischen Bo- taniker hochverdienten Ph. M. Opiz, welcher bekanntlich schon vor fünfzig Jahren von derselben Idee geleitet, unter dem Titel: Deutsch- lands kryptogamische Gewächse nach ihren natürlichen Standorten ge- ordnet (Prag 1816) herausgegeben hat. — Das oben erwähnte Kirch- ner’sche Verzeichniss wird in einer der nächsten Nummern der Zeit- schrift „Lotos“ veröffentlicht werden. Möge es von den betreffenden Wissenschaftsfreunden und Sammlern der obengenannten bisher noch grösstentheils nicht hinreichend gewürdigten Thierchen berücksichtigt werden und, wie wir hoffen, baldige Bereicherungen und Nachträge erfahren. Hierauf hielt Hr. Prof. C. Hornstein (als Gast) einen Vortrag: Bemerkungen zu Gauss’ Kennzeichen der Con- vergenz unendlicher Reihen. Es ist bekannt, dass das von Gauss in seiner berühmten Ab- handlung: Disguisit. c. ser. infin. etc. gegebene Kennzeichen der Con- vergenz einer gewissen Klasse von Reihen später von Raabe er- weitert und in folgender Weise ausgesprochen wurde: Wenn in einer Reihe wre eh. 0 der Quotient en beim unendlichen Wachsen von n die Einheit n zur Gränze hat, so bilde man 53 n ( ner u) Ist die Gränze, welcher sich ne A beim Wachsen von n nähert, positiv und grösser als 1, so convergirt die Reihe. Die folgende Ableitung dieses Satzes scheint mir wegen ihrer grossen Einfachheit bemerkenswerth. Die Reihe u, u, u,.... ist convergent, wenn beim unendlichen Wachsen des n das Product n’u, (r positiv und grösser als 1) endlich bleibt. Letzteres findet aber sicher statt, wenn das genannte Product, von einem bestimmten Werthe von n an, fort und fort abnimmt, d.h. wenn für belie- bige, sehr grosse Werthe von n die Ungleichung (n + 1) m < MW Un besteht. Aus ihr folgt Un+t Un I + Be oder a- a an -) < Un+1 r Bike so L jis 1) Kn Ska še bř Un en n PON IE ; Uni m o, TE Aue === — tá 0. oder endlich n (= ) + r oo NT < Es wird also die Reihe convergent sein, wenn beim unendlichen Wachsen von n na — 1) + 1r<0, also n FR = positiv und grósser als 1 ist. Gauss hat in der oben erwähnten Abhandlung nur jene Classe von Reihen untersucht, bei welchen der Quotient + = die folgende Form besitzt: En ER oka lo. FR, DIT ce ac P EEA a a ER zugleich hat er einige höchst merkwürdige Sätze bezüglich des Wach- sens und Abnehmens der spätesten Glieder solcher Reihen gefunden, deren Nachweis jedoch durch die dabei zu Hilfe gezogenen Vergleichs- 54 reihen sehr verdunkelt wird. Ich werde im Folgenden eine einfache Formel entwickeln, aus welcher alle diese Sátze sich fast unmittelbar ergeben. Bezeichnet nämlich k eine sehr grosse aber endliche Zahl, so findet man durch Division des (k + 1)! Gliedes unserer Reihe durch das k'* Une er k + a, ki: + a, kosí Vena M ovl 1 úkdot A487 ee N ur Ah a : 1 = TEN: Si A, A, 1 + B + = 3 stán Geht man zu den Logarithmen über, so wird a A log. np — log. m = log ( 1+ 21 sc A; A, > bg (1+5 + k Bo) 1 1 1 = (a —A) + (a —A) - Ian |E +... Setzt man hier beliebig oft nach einander k +1 statt k, so erhält man folgendes System von Gleichungen: log u —log = (aA) + a, — A) Z (at — A9) [ir log Ux+2 — log up = (a, — A) = + | (r Aal log Ne 108 es Br A) T: a — ar; 1 A ga al Kenndaten ni iM ; (a? A?) ae Tr H Addirt man diese, je bezeichnet für ein beliebiges r die Summe + en ie mit S. ; an (n—1) so ist log un = log uz + (a, —A,) 8, +| (a, —A,) — 5 (a? — Aj) ]s.+ 55 Lässt man nun n ins Unendliche wachsen, und bemerkt, dass mit n auch S, ins Unendliche wächst, S, S, ... aber endlich bleiben, so ergibt sich die Richtigkeit folgender Sätze: erstens: wenn a, — A, > 0 ist, so ist log u, == + O0, also u, = 00, d. h. die spätesten Glieder der Reihe u, u, u, . wachsen ins Unendliche; zweitens: wenn a, — A, < 0 ist, so ist log u, = — 0, also u, = 0, d.h. die spätesten Glieder der Reihe convergiren gegen Null; drittens: ist aa — A, = 0, so ist das Glied (a, — A,) S, in dem Ausdrucke für log u, nicht vorhanden; daher log u, und u, endliche Grössen. Ist úberdiess a, — A, > 0, so ist die Reihe eine steigende und die spätesten Glieder nähern sich einer bestimmten, endlichen Gränze; viertens: ist a, — A, < 0, so ist die Reihe eine fallende und die spätesten Glieder nähern sich gleichfalls einer endlichen Gränze. — Diess sind die vier, von Gauss gefundenen Sätze. Nur im zweiten Falle kann die Reihe convergent sein. Wendet man das oben gegebene Kennzeichen an, so ergibt sich als Bedingung der Convergenz, dass (a, — A,) negativ und numerisch grösser als 1 sein müsse. Philologische Section am 22. Februar 1864. Auwesend die Herren Mitglieder: Purkyně, Weitenweber, Hattala, Zap, Winařický, Bezděka und Doucha. Herr Hattala sprach über den Rhinesmus im Sla- vischen. Nach einer gedrängten historisch-kritischen Erörterung der bis- herigen Ansichten darůber bewies der Vortragende zuerst vornehmlich aus den Ueberresten der Sprache der Bulgaren in Siebenbürgen das Vorhandensein von zwei Nasalvocalen im Altbulgarischen, that hierauf ihre phonetische Geltung als a und e dar; beleuchtete ferner die Be- dingungen ihrer Entstehung und führte schliesslich den Beweis, dass es auch im Polnischen von jeher zwei Nasale, und zwar ebenfalls a und e gegeben habe. 56 Philosophische Section am 29. Februar 1864. Anwesend die Herren Mitglieder: Purkyně, Tomek, Hanuš, Čupr, Winařický, Storch, Wrťátko und Dastich; als Gast Hr. Jos. Novotný. Hr. Dastich setzte seinen, -am 1. Februar 1. J. (s. Sitz.-Ber. S. 51) begonnenen Vortrag fort, und sprach diessmal über die neueren psycho-physischen Forschungen im Bereiche des Geruchs-, Geschmacks-, Gehörs- und Gesichtssinnes. Da die ganze Abhandlung in den nächsten Actenband aufge- nommen werden wird und überdiess keines Auszuges fähig ist, so ent- halten wir uns hier eines Berichtes über diesen Vortrag. Im Februar 1864 eingegangene Drucksehriften. Fortschritte der Physik im J. 1861. Berlin 1863. XVII. Jahrg. 1. und 2. Abtheilung. Fichte, Ulriei und Wirth Zeitschrift für Philosophie. Halle 1864. XLIV. Band. 1. Heft. Meisterlieder der Colmarer Handschrift, herausgegeben von K. Bartsch. Stuttgart 1862. Ein geistliches Spiel von St. Meinrad’s Leben und Sterben, herausg. von Gall Morel. Stuttgart 1863. Des Teufels Netz, herausg. von K. A. Barack. Stuttgart 1863. H. Mynsinger von den Falken, Pferden und Hunden, herausg. von K. D. Hassler. Stuttgart 1863. Der Vetter Buoch, herausg. von H. Palm. Stuttgart 1863. Paul Flemings Lateinische Gedichte, herausg. von J. M. Lap- penberg. Stuttgart 1863. Reimchronik über Herzog Ulrich v. Würtemberg usw.; von Ed. Freih. von Seckendorff. Stuttgart 1863. Magazin der Literatur des Auslandes. Berlin 1864. Nr. 6. 7. Programme de la Societe batave de Philosophie experimentale de Rotterdam. 1863. Det k. Frederiks Universitets halvhunderd Aarsfest. Sept. 1861. Christiania 1862. Nyt Magazin for Naturvidenskaberne, ved M. Sars og Th. Kjerulf. Christiania 1863. XII. Band. 1—3. Heft. 57 Forhandlinger Videnskabs-Selskabet i Christiania. Aar 1862. Tredie Aarsberetning om Fantefolket; ved Eilert Sundt. Chri- stiania 1863. C. A. Holmboe. Norske Vaegtlodder fra fjortende Aarhun- derde. Christiania 1863. J. Lieblein Aegyptische Chronologie. Christiania 1863. Zeitschrift der deutschen geolog. Gesellschaft. Berlin 1863. XV. Band 3: Heft. A. Czengery Budapesti Szemle. Pest. 1861—1863. XLI—LX. Füzet. Monumenta historica Hungariae. Diplomataria VIII. IX. — Scrip- tores XV. Magyar Törterelmi Tár. Pesten 1861. IX—XII Kötet. © Archaeologiai Közlemenyek. Pesten 1861. I—III. Kötet. Statistikai Kózlemények. Pesten 1862—63. J. Hunfalvy A Magyar Biradalom ete. 1. 2. 3. Török-Magyar-kori Törtehelmi Emlékek. Pest. 1863. I. U. Kótet. Erdély érmei (Numi Transylvaniae) kózli Dr. J. Erdy. Pest. 1862. J. Vass. Hazai és Kůlfóldi Izkolázás ete. Pest. 1862. J. Szabó Egy continentalis Emelkedes es Sülyadesrol etc. Pest. 1862. -© Képatlasz az archaeologiai Közlemenyek. Pest. 1861. Margö Tivadar Az isomidegek Vegzödesesröl. Pest. 1862. A. Ipolyi A közepkori Szobräszat magyarorszagon. Pesten 1863. Historische Section am 7. Marz 1864. Anwesend die Herren Mitglieder: Wocel, Tomek, Erben, Wei- tenweber, Zap, Doucha, Sembera, Winařický, Jungmann; dann als Gäste die Herren: Franz Beneš, Jos. Emler, Leon Grellepois und Joseph Porsch. Hr. Wocel hielt einen Vortrag über die Baureste der Kirche des ehemaligen Cistercienserklosters Hra- dišť bei Můnchengrátz. Die erste Abtheilung des Vortrags enthielt eine aus den spár- lichen, in verschiedenen Quellenschriften und Urkunden zerstreuten Nachrichten zusammengestellte Uebersicht der Schicksale des Klosters Hradist. Dasselbe war bei der gleichnamigen Zupenburg ursprünglich 58 fůr die Benedictiner gegrůndet; im J. 1177 wurden jedoch daselbst von Hermann von Ralsko die Cistercienser eingefůhrt. Herr- mann war ein Sohn Marguard's, von dem das gesammte in der Župa von Hradišť reich begůterte Geschlecht der Herren von Michalowic, Lámberg, Zwiřetic, Waldstein, Wartenberg usw. abstammte. In gleich- zeitigen Urkunden wird Beneš der Sohn Hermanns (Benes Hermanni filius, böhm. Hermanov) häufig genannt. Dieser Beneš Hermanov war es, der im J. 1203 die das Land verwůstenden Schaaren des Markgrafen von Meissen Dietrich bei Gross-Skal ge- schlagen, welcher Sieg in der Königinhofer Dichtung Beneš Hermanov verherrlicht wird. Der Vortragende wies nach, dass dieser Beneš nicht, wie man gewöhnlich annimmt, Castellan von Budissin, sondern ein Markwartic gewesen, der als mächtigster Leche der Hradister Zupa die Würde eines Zupans bekleidete, und durch seine Stellung berufen war, die Kriegsscharen zur. Abwehr des feindlichen Einfalles zu versammeln und im. Felde anzuführen. Der erst durch das Erscheinen der Regesten von Erben ermöglichte Nachweis dieses Sachverhaltes stellt sich zugleich als ein Beitrag zur Erhärtung der Echtheit der Königinhofer Handschrift dar. Darauf wurden die in gleichzeitigen Urkunden, zumeist als Zeugen vorkommenden Aebte des Klosters Hradist angeführt, und zwar: Theodoricus vom J. 1184, Johannes (1221), Henricus (1230), Rivinus (1232), Modlie (1250). Aus der zweiten Hälfte des XIII. und aus dem XIV. Jahrhunderte finden wir nur wenige Nachrichten in den Li- bri erect. und in dem von Dobner herausgegebenen Diplomat. Wald- stein-Wartenberg. verzeichnet; ein Grabstein aus dem XIV. Jahrhun- derte, der aus den Trümmern der Klosterkirche gehoben ward, nennt einen Abt Paulus, und in einer von Dobner veröffentlichten Urkunde wird eines Abtes Předbor erwähnt. Die letzten Aebte, welche kurz vor dem Ausbruche des Hussitenkrieges dem Kloster vorstanden, waren Nemogius und Johannes; des Ersteren erwähnen die Libri erect., der zweite Name, wahrscheinlich der des letzten Hradister Abtes, kommt in Palacky’s Archiv Český II. S. 444 vor. Im Hussitenkriege, und zwar am 30. April 1420 wurde das Kloster eingeäschert, die Kirche selbst aber nicht zerstört, indem dieselbe noch zur Zeit Balbin’s, allerdings wüste und profanirt, auf- recht stand. — Nach dem Hussitenkriege wurden die zahlreichen 59 Güter der Abtei Hradišť von König Sigismund eingezogen, und von diesem und den nachfolgenden Königen Böhmens an verschiedene Besitzer verpfändet. — Die Art und Weise, auf welche die Verpfändung der Klostergüter in Böhmen stattgefunden und wie sich durch die nach und nach gesteigerten Pfandsummen eine reiche Finanzquelle dem Staatsschatze eröffnet hatte, wurde eingehend besprochen und sodann die verschiedenen Pfandbesitzer der Hradišťer Güter angeführt. Unter den zahlreichen Besitzern sind besonders hervorzuheben die Labounsky von Laboun, welche das wüste Kloster umgebaut und in einen Herrensitz umgewandelt hatten, und der gelehrte, durch seine politische Thätigkeit und sein unglückliches Ende hervorragende Wenzel Budowec von Budowa. Nach der Schlacht am Weissen Berge wurden die confiscirten Güter des Budowec dem Albrecht von Waldstein verkauft, nach dem gewaltsamen Tode desselben aber vom königl. Fiskus eingezogen. Kaiser Ferdinand III. schenkte endlich die ehemaligen Besitzungen der Abtei Hradist dem Grafen Maximilian von Waldstein zur Belohnung der Verdienste, die sich derselbe um den Staat erworben, und diese Güter befinden sich bis auf den heutigen Tag im Besitze jener Linie der Grafen von Wald- stein-Wartemberg, deren Zweig der mächtige Friedländer Herzog ge- wesen war. Nach dieser geschichtlichen Uebersicht wandte sich der Vortra- gende zur Schilderung der Ueberreste des Kirchenbaues. Es haben sich bloss einige Theile der Hauptmauer, Fragmente von Pfeilern, Rundsäulen, Kapitälen und Gewölberippen erhalten; aus der nördlichen Umfassungsmauer tritt aber das Portal vor, das mit seinen reichen Sculpturen den deutlichen Beweis von der ehemaligen Grossartigkeit des ganzen Baues gewährt. Die Ostseite des Gotteshauses war nach der Weise der Cistercienserkirchen in gerader Linie abgeschlossen; unter diesem sogenannten Chorschlusse dehnt sich noch jetzt eine weitläu- fige unterirdische Halle aus, deren Gratgewölbe von Pfeilern getragen wird; dieselbe stellt sich aber keineswegs als eine Krypta, sondern als ein Gruftgewölbe dar. Die Kirche hatte ein Querschiff, von dessen nördlicher Kreuzvorlage sich die etwa 49 hohe Mauer erhalten hat; dieselbe Höhe haben die Ueberreste der Umfassungsmauer des Lang- hauses, in welcher das Portal angebracht ist; überdies fand man die Substructionen mehrerer Hauptpfeiler des Mittelschiffes. Die im oberen 60 Theile der nördlichen Chormauer noch erhaltenen Reste von Wand- säulen, Kapitälen, Kreuz-und Quergurten, wie auch die Pfeiler unter der geraden Stirnseite lassen deutlich erkennen, dass sich rings um den Chor ein Umgang von zwölf Travéen oder Kapellen hinzog. Diese Architekturreste gewähren hinreichende Anhaltspunkte und Mittel zum Entwurfe eines genauen Grundrisses und zur Bestimmung der Dimen- sionen der ehemaligen Kirche. — Der von dem gräfl. Waldstein’schen Baudirector A. Wender sorgfältig ausgeführte Grundriss der Kir- chenreste, wurde nebst anderen Detailzeichnungen desselben , sowie die vom akadem. Maler H. Scheuwel ausgeführten Darstellungen der Kapitäle, Schlusssteine, Gewölbgurten und des schönen Portals zur Ansicht vorgelegt. Der Vortragende hob sodann den merkwürdigen Umstand hervor, dass nicht bloss die sämmtlichen Dimensionen, sondern auch die auf- fallenden Abweichungen von der regelrechten Bauform im Grundrisse der Hradišťer Kirche mit dem im zweiten Bande des Jahrb. der k. k. Central-Commission dargestellten Grundrisse der Kirche des Klosters Lilienfeld in Oesterreich genau übereinstimmen. Das Kloster Lilien- feld wurde im J. 1202 von Herzog Leopold dem Glorreichen gegründet; weil nun die Einführung der Cistercienser in Hradišť bereits in das J. 1177 fällt, so könnte man vermuthen, dass das Alter der Hra- dister Stiftskirche um mehr als 20 Jahre höher hinaufreiche als jenes der Kirche zu Lilienfeld. Da aber die vorhandenen Baureste zu Hra- dist den charakteristischen Typus des Uebergangsstyles, wie er sich am Anfange des XII. Jahrh. entwickelt hatte, weisen, so kann man nicht umhin anzunehmen, dass die Erbauung beider Kirchen einer und der- selben Periode angehört. Wahrscheinlich war die erste Cistercienser- gemeinde in das bis dahin von den Benedictinern bewohnte Kloster zu Hradišť eingezogen, worauf dann an der Stelle des alten Gottes- hauses im Verlaufe der nächstfolgenden Jahre eine neue, den Regeln der Cistercienser entsprechende Kirche aufgeführt ward. — Die Uebereinstimmung des Grundrisses der Kirche zu Hradist mit jenem des noch bestehenden Gotteshauses zu Lilienfeld berechtigt zu dem Schlusse, dass in der Gesammtanlage beider Kirchen dieselbe Uebereinstimmung geherrscht habe. Mochte aber auch die Gesammt- anlage der Kirche zu Hradišť mit jener der Lilienfelder Kirche über- eingestimmt haben, so wird man doch bei der Betrachtung der ein- 61 zelnen Baureste der erstgenannten Kirche, insbesondere aber der plastischen Ornamente derselben zu der Ansicht gedrángt, dass die Ausfůhrung des Hradišťer Kirchenbaues von einheimischen Architekten herrührt und einer Kunstrichtung angehört, deren Eigenthůmlichkeiten man an anderen gleichzeitigen Baudenkmalen in Böhmen und Mähren gewahrt. — Während die Formen und Motive der Säulenkapitäle, Tragsteine, wie auch die Construction und Verzierungsweise des Portals der Lilienfelder Kirche gar keine Aehnlichkeit mit den Architektur- elementen dieser Art zu Hradišť haben, gewahrt man ähnliche Formen und Motive in der um das J. 1234 gegründeten St. Franciscus- oder Agneskirche zu Prag, insbesondere aber an der Kirche des Cistereienser - Nonnenklosters zu Tisnovic in Mähren, deren Gründung in das Jahr 1232 fällt. Die Portalwandung dieser Kirche ist eben so wie die zu Hradist durch zwölf schlanke Säulchen in Felder getheilt, welche schön stylisirte Arabesken schmücken; nur stehen im oberen Theile der Zwischenfelder zu Tišnovic Apostelge- stalten, welche man am Hradister Portale vermisst. Aehnliche Motive von Weinlaub, Kleeblatt, Distel und Acantus zieren die Bogengurte sowohl zu Tišnovic wie zu Hradišť, ja sogar eine Vogelgestalt am Hradišťer Portale findet ihr Pendant am Prachtthore zu TiSnovic. Das ursprüngliche Reliefbild im Tympanon des Hradišter Portals wurde entweder von den Hussiten oder von W. von Budowa vernichtet, so- dann an dessen Stelle ein Rundbogen gespannt und auf das flache Mauerwerk eine symbolische Darstellung hingemalt. Dieselbe wird in den Fundgruben des Orients mit dem Orden der Tempelherren in Verbindung gebracht, ist aber offenbar ein Sinnbild des dem Tode entkeimenden Lebens, das sich auf einige Stellen der heil. Schrift des neuen Bundes bezieht. Lateinische und böhmische Wahlsprüche wahrscheinlich des W. von Budowa sind dieser Darstellung beigefügt. — Nachdem der Vortragende den Einklang der architektonischen Glieder und Ornamente in den Kirchen zu Hradišť, Tišnovic u. St. Agnes ausführlich nachgewiesen, gelangte derselbe zu dem Schlusse, dass insbesondere die ornamentalen Partien jener Baudenkmale auf einen südlichen Einfluss hinweisen, indem die weichen Formen der- selben weit entfernt sind yon den strengen und massvollen aber nüchternen Ornamenten, die sich an deutschen Baudenkmalen des Uebergangsstyles darstellen. Die Forschung weiset somit immer 62 entschiedener auf die Thatsache hin, dass sich im XII. Jahrh. in den Ländern der Böhmischen Krone eine eigenthümliche Kunst- schule entwickelt hatte, deren bedeutendsten Werke leider längst von der Oberfläche der Erde verschwunden sind. Die grosse Anzahl und Pracht der Kirchenbauten, welche sich vor dem Hussitenkriege in Böhmen erhoben, veranlasste ja selbst einen mit den Kunstdenk- malen der südlichen Culturländer vertrauten Kenner, den nachmaligen Papst Pius II. (Aeneas Sylvius) zu der Behauptung: Nullum ego regnum aetate nostra in tota Europa tam frequentibus, tam augustis, tam ornatis templis dicatum fuisse quam Boemiam reor! In der südlichen Kreuzvorlage der Hradister Kirche kam man im J. 1853 auf Felsengräber, welche mit Steinplatten geschlossen waren. Die bedeutendste derselben ist eine grosse Marmorplatte, auf welcher zwei Gestalten eingegraben sind; die Umschrift bezeichnet die Ruhestätte des Jenko von Wartenberg und Weselé, der zur Zeit Karl IV. die Würde eines obersten Burggrafen bekleidet hatte, und der, wie die Aufschrift meldet, im Jahre 1369 starb; neben dem- selben ward seine Gattin beigesetzt. Man gewahrt deutlich, dass in die Umrisse der beiden Figuren wie auch in die vertieften Züge der Umschrift ehemals Metallstreife eingelassen waren. — An einem zweiten Grabsteine stellt sich im Relief ein Abtstab dar, und die Aufschrift des XIV. Jahrhunderts bezeichnet die Ruhestätte des Abtes Paulus. Eine dritte Steinplatte, auf der ein mächtiges Schwert, dessen Griff eine Hand umfasst, im Relief sich darstellt, deckte das Grab des Ni- colaus de Čejetic. — Endlich wurden in der Mitte des Kirchenschiffes die Reste eines aus Thonfliessen gefügten Mosaikpflasters aufgedeckt, von denen eine bedeutende Menge dem böhmischen Museum übergeben ward. Die Thontliessen hatten einen glänzenden, theils rothen, theils schwarzen oder gelben Ueberzug, und waren in Bandstreifen ange- ordnet, welche sich zu einem zierlichen Ganzen fügten. Die rothe Farbe dominirt in dieser schönen Ziegelmosaik, welches nach Viollet- le-Duc's Wahrnehmung (Diet. de 1’ archit. franc.) ein Kennzeichen ist, dass dieses Werk aus dem XIII. Jahrhundert herrührt. Da sich eben im Mittelschiffe, das von den Tritten der Kirchenbesucher am wenigsten verschont werden konnte, das Fragment des glänzenden Bodenschmuckes vorgefunden, so müssen wir daraus schliessen, dass das Mosaikpflaster 63 über den ganzen Fussboden der Kirche sich ersteckt habe und ins- besondere dass ein solches im Presbyterium, als der bedeutungsvollsten Stelle des Gotteshauses in erhöhter Zierlichkeit angeordnet gewesen sei. Schöne Muster eines solchen Pflasters haben sich bekanntlich in Frankreich (z. B. zu St. Denis) erhalten; in Deutschland kommen nur hie und da Ueberreste solch einer Fliessenmosaik aus dem XII. Jahrh. vor. In Oesterreich sind Mosaikfussboden von derselben alterthümlichen Technik bisher nicht vorgekommen; hingegen findet man Fliessen von gebranntem Ziegelthon mit eingedrückten Verzierungen und heraldischen Thiergestalten ziemlich häufig, diese gehören aber einer viel späteren Zeit an. Wir sind in der Lage, bemerkte schliesslich der Vortr., uns nach dem Vorbilde der Kirche zu Lilienfeld eine Vor- stellung von der Gesammtanlage der ehemaligen Kirche zu Hradišť zu machen. Wenn wir nun, um dieses Nachbild zu vervollständigen und in seiner Individualität auszuführen, die eigenthümlichen Ele- mente dieses Baudenkmals: die Rundsäulen, Kapitäle, Schlusssteine, das prachtvolle Portal und den glänzenden Schmuck des Fussbodens an die ihnen entsprechenden Stellen hineinfügen, so stellt sich uns ein herrliches Bauwerk dar, dessen bildliche Darstellung einem ge- wandten Künstler und Kenner der Architekturdenkmale des Mittel- alters nicht schwer fallen dürfte. Der Versuch solch einer bildlichen Reconstruirung erscheint eben so berechtigt wie die bildliche Wieder- herstellung der antiken Tempel zu Selinunt, Agrigent, Samos, Prienne u. s. w., von denen sich nur Trümmerhaufen oder bloss einzelne Säulenfragmente erhalten haben, und welche der Alterthumskenner, den im Tempelbau der Alten waltenden Gesetzen folgend, in Bildern darzustellen vermag. Jede Epoche des Mittelalters hatte ihre eigen- thümlich nůancirten Stylgesetze: es hängt nur davon ab, dass beru- fene Künstler sich mit diesen Gesetzen vertraut machen und aus den Resten hervorragender Architekturdenkmale jener Zeit die ursprüng- lichen Bauten dem Auge der Gegenwart in Bildern vorführen, welche eben so belebend auf die Verständniss der kunst-und kulturhisto- rischen Denkmale des Mittelalters einwirken würden, wie die allgemein verbreiteten Abbildungen der Tempel der antiken Vorzeit, deren Reste seit Jahrtausenden in Trümmern liegen, zur Verständniss und Würdigung der Kunstschöpfungen der Griechen und Römer bei- tragen. 64 Naturhistor.-math. Nection am 14. Marz 1864. Anwesend die Herren Mitglieder: Weitenweber, Stein, Amerling, Pečírka, Winaricky; als Gäste die HH. Dr. Nowak und Peyl. Dr. Weitenweber sprach über C. Sundevall’s Buch: die Thierarten des Aristoteles von den Classen der Säugethiere, Vögel usw. und legte die schwedische Original- Abhandlung vor. Der rühmlich bekannte Custos des zoologischen Museums zu Stockholm Carl J. Sundevall hat in der Kongliga Svenska Ve- tenskaps-Akademiens Handlingar (Ny Fölid IV. Bandet första Häftet. Stockholm 1861) eine grössere Abhandlung unter dem Titel: Ett Försök att bestämma de af Aristoteles omtalade Djurarterna. I. Luft- andande Djur etc. (148 S. in 4°) veröffentlicht. Diese fleissige, auf gründliche Quellenstudien basirte Arbeit wurde später in einer deut- schen Uebersetzung (Stockholm 1863) auch den deutschen Lesern zu- gänglich gemacht. Die betreffenden Aristotelischen Schriften hatten früher in Deutschland namentlich an II. J. Köhler (die Cephalopoden des Aristoteles. Riga 1821), Jürgen Bona Meyer (Aristoteles Thierkunde. Berlin 1855) und Herrmann Aubert (die Cephalo- poden des Aristoteles in zoologischer, anatomischer und naturgeschicht- licher Beziehung. Leipzig 1862) schätzbare Bearbeiter gefunden. Es ist wohl sicher, dass dem Aristoteles in allen seinen naturhistorischen Schriften bereits die Idee einer Stufenordnung der Thiere vorgeschwebt habe; doch war es den Bearbeitern wegen der bei Aristoteles oft so mangelhaften Angaben und Charakteristiken noch keineswegs gelungen, die vielen Gattungen und Arten der Thiere mit Gewissheit zu be- stimmen, welche der Stagyrite im Einzelnen gemeint und vor sich ge- habt hat, und ihnen die systematischen Namen der jetzigen Natur- wissenschaft zu vindieiren. Hr. Amerling hielt einen Vortrag über die wissen- schaftlichen Grundlagen der Pomologie. Wenn man auch die bisherigen Bestrebungen und Leistungen auf dem Gebiete der pomologischen Systematik im Ganzen nicht un- erheblich nennen kann, und bereits mehrfältige dankenswerthe Ver- suche gemacht worden sind, die bedeutenderen Obstgattungen (Aepfel, Birnen, Weintrauben, Pflaumen, Kirschen udgl.) nach gewissen empi- 65 rischen Kennzeichen, Gestalt, Farbe, Geruch, Zeit der Reife, Dauer- haftigkeit usw. einzutheilen und darnach wieder zu erkennen, so blieben doch nichts desto weniger gar manche Schwierigkeiten und Uebel- stände übrig, welche der Beseitigung auf streng wissenschaftlichem Wege harren. Erstens findet man, dass hiebei eben so viele Eintheilungs-Prin- cipe in Anwendung gebracht wurden, als es Obstgattungen, selbst bei grosser Verwandtschaft derselben gibt. Ferner liess es Nachwehen zurück, dass die pomologischen Systematiker: Diel, Liegel, Truch- sess, Babo, Metzger u. A. meist keine Botaniker vom Fache waren und folglich die Begriffe von Ueber- und Unterordnungen der Merkmale zur Bestimmung der Klassen, Ordnungen, Familien, Ge- schlechter und Species ziemlich verwirrt herauskamen. Ein anderer misslicher Umstand ist der, dass alle diese obenerwähnten Systema- tiker sich das eigenthümliche Varietäten-Reich der Pomologie nicht biologisch scharf genug von dem Naturreiche der Species geschieden, ja polarisch nicht entgegengesetzt gedacht und erkannt haben, was doch eine Hauptsache ist, indem es ganz entgegengesetzten Gesetzen und Behandlungs-Proceduren unterliegt. Ueberdiess vermisst man überall die Berücksichtigung der Obst- ausschläge oder sogenannten Exantheme, deren es doch eine ziem- liche Anzahl gibt. Eine ebenso wichtige Berücksichtigung des Pomo- logen verdient der anatomische und histologische Bau des Obstes, ferner die chemischen und morphologischen und ganz besonders die, je nach den Stadien verschiedenen, pathologischen Veränderungen in und am Obste. Es lässt sich leicht begreifen, dass man sich eine wahre Pomo- logie, wie sie der jetzige Zustand der Wissenschaften erfordert, ohne jene berührten Doetrinen nicht mehr denken kann, wesswegen in der Sache rasch vorwärts geschritten werden muss. Diess um so mehr, als die für die Pomologie errungenen Fortschritte nach dem ganzen Sachverhalte zugleich für alle anderen Früchte der Urproducenten sich als sehr unterrichtend erweisen müssen. Was unmittelbar die Obst-Exantheme betrifft, so sei es bemerkt, das sie den Ausgangs- und Anfangspunkt meiner Forschungen, welche ich bisher vorzugsweise an zahlreichen Apfelsorten gemacht habe, bildeten, und da ich erst durch diese an sich sehr oft ganz unschein- d Sitzungsberichte 1864. I, 66 baren Pünktehen zur Untersuchung der übrigen Zustände des Obstes seleitet worden bin. Die erwähnten Pünktchen und Fleckchen, welche der Obstmaler wohl sehr gern zur mehr pittoresken Deckung der orossen und leeren Obstflächen aufnimmt und darstellt, meistens aber ihre Unterschiede und Bedeutsamkeit gar nicht ahnt, diese Pünktchen sind wie bei menschlichen Hautausschlägen, Interpretatoren des inneren Zustandes des Obstes; dem zunächst hängen sie eines Theils ganz vorzüglich mit der grösseren Güte und Feinheit, mit dem Aroma und dem Parfume zusammen und anderntheils mit der grösseren oder klei- neren Haltbarkeit, so wie mit ihren chemischen Phasenveränderungen bis zur völligen Verdorrung oder mannigfaltigen Verfaulungsart. Sie sind, erwiesener Massen, wenn man ihr Entstehen bis zur auf- und absteigenden Entwicklung verfolgt, die Vorbereitungs- und Bildungs- stätte der den angenehmen oft sehr verschiedenen Obstgeruch bewir- kenden ätherischen Alkyl-Verbindungen, der Arome, so wie selbst der wieder gährungerregenden Proteinstoffe. Die erste Form Ausschlag ist die Lederigkeit d. i. ein allge- meiner Ausschlag, der eine kleiige Abschuppung der Epidermis bewirkt und darum wohl den Namen „Pityriase“ verdient. Ist dieselbe am Obste sehr verbreitet und bei allen Individuen der Obstsorte als ein beständiges Merkmal, so nennt man diese Obstvarietät: lederig z. B. Lederäpfel oder Lederbirnen, sogar Lederpflaumen usw. Uebrigens gibt es auch eine krankhafte locale Pityriase. Die folgenden Formen von Ausschlag sind zwar manchmal: von der Lederigkeit oder Pityriase begleitet, mit ihr combinirt, oft aber nur sporadisch auf der Oberfläche der Obsthaut und zwar manchmal in allen Abstufungen ausgebildet. manchmal oder gar oft je nach den Varietäten des Obstes wie zurückgehalten, so dass die 1. Stufe für sich, wie abgeschlossen, also weiterer Fortentwicklung in die 2. Stufe bleibt; die 2. Stufe wohl die 1. zur Grundlage hat, aber. nicht in die 3. übergeht, und so bis zur 4. und 5. Stufe. Der zweiten Art und zugleich Stufe vom Ausschlag würde ich den Namen „Ekthym“ beilegen; dasselbe ist als Punkte auf der grün oder ins roth gefärbten Oberfläche des Obstes durch seine hel- lere, ınehr durchscheinende Farbe leicht aufzufinden. Die hellere Färbung der mehr oder weniger zerstreuten Punkte rührt von, dem Inhalte her, der bald ätherisch bald ätherisch-ölig ist, ohne dass 67 die enthaltenden Zellen noch geborsten und verdorrt wären. Manche Obstsorten, z. B. die Weinäpfel, behalten selbe für immer und selbst im faulenden Zustande zeigen diese Punkte nicht nur im auffallenden, sondern auch im durchfallenden Lichte solche hellere Punkte, wie sie bei den Citronen längst bekannt sind. 3. Die nächstfolgende Art und Stufe Ausschlag heisst „Ekzem“. Es unterscheidet sich vom Ekthym durch die bereits zerrissenen und hernach entweder verkorkten, braun gefärbten, oder in die Fäulniss langsam übergehenden Hautzellen. Das verflüchtigte Oel oder Aether hat die Zellen gesprengt und die Natur hat als Heilungs- und Schutz- process die Verkorkung der äusseren Zellenwände eintreten lassen. Die Risse sind also braun und die Obsthaut sonst ganz frisch und unangetastet, ohne alle Entfärbung oder sonstige Veränderung. Die Risse sind meist centrifugal und dreistrahlig, seltener vierstrahlig oder zwei- strahlig etc. 4. Die folgende Form und Stufe des Ausschlages heisst „Ochria“, was eigentlich einen Erblassungsfleck durch Schwächung, Nahrungs- entziehung bedeutet, während „Achroma“ blosse Farblosigkeit und „Chloasma“ eine Verfärbung oder Andersfärbung als die der Grund- farbe, und „Vitiligo“ eine Verfärbung durch das Alter, durch das winterliche Liegen. 5. Der Gegensatz von dem vorhergehenden Ausschlage Ochria heisst „Phlogom“, indem es einen hart angränzenden Entzündungs- kreis oder strahligen Entzündungskranz mit mehr oder weniger roth pigmentirten Exythrophylizellen andeutet. 6. Die höchste Ausschlagsstufe würde ich „Exanthem“ nennen. Von diesen 6 Arten Ausschlägen muss man aber I. Perizoén oder Thiereinhüllungen und II. eigentliche Krankheiten des Obstes unter- scheiden. Von den Perizoön. unterscheidet man 1. die Chloasmen oder Grünflecken. Oft sind sie äusserlich schwer aufzufinden, erscheinen aber erst recht, selbst dem Schabemesser und dem Handgefühl deut- lich, wenn man eine Obsthaut für ein pathologisches Pomarium (wovon später) mit dem Schabemesser präparirt. Es sind engangewachsene und verwachsene Hautknötchen an den Rückseiten der Obsthaut, meist sehr klein und, an der Aussenseite besehen und controlirt, meist 5* 68 mehr grün, selbst mitten auf rothem Farbengrunde. Wenn man sie sorgfältig aufschneidet, so sieht man mittelst der Loupe meist ein In- secteneichen oder schon ein Lärvchen darin, von meist bisher noch nicht erforschten Insecten, die somit in ihren Ausschwitzungen nach Art der Gallwespen, einiger Fliegen (und Milben) ein Reizmittel zu Callo- sitaten, Galläpfeln, Verhärtungen und Chlorophylifärbungen selbst auch für jene Zeit besitzen, wo z. B. die Blätter im Herbste, gelb und welk oder sogar schon abgefallen und fast zu braunem Humus ge- worden sind, was die Natur sicher als Ausnahme zu Gunsten des ein- gebetteten Thierorganismus thut. 2. Das Kalpion ist eine weitere und gróssere Entwicklung des Chloasma und bedeutet die meist urnenförmige Callosität, welche sich in dem durch Insectenstich und Reiz verwundeten Oberfleisch rings um die Eier und Larven, oder sogar Puppen theils zum Schutz der In- secten, theils aus Heilungs- und Trennungsabsichten der Natur hart an der Oberfläche des Obstes sich grösser, kleiner, und oft aggregirt gebildet hat. Wie ich früher bemerkt, sind viele sehr klein, viele zu 2—3—7 usw. nebeneinander gedrängt, später nach dem Auskriechen der Inseeten oder Milben ete. (?) offen, weissstäubig, oft auch sehr oross und von den Löchern der Garpocapsa pomonana wohl zu un- terscheiden. Was II. die Krankheitsausschläge betrifft, so ist zuerst: 1. das Pityron anzuführen; es ist eine der Pityriase ganz ver- wandte, sehr häufige, aber so lange sie nur oberflächlich bleibt, nicht schädliche Krankheit des Obstes und entsteht vermuthlich durch aus- geschwitzte ätzende Säfte der Milben und vielleicht auch anderer In- secten, besteht in einer kleienartigen Abschuppung der äussersten Epi- dermis und zwar in Folge der Schutz- und Heilungsversuche der Natur, welche die äusseren noch lebendigen Zellenwände chemisch zur Korksäurebildung aus Kohlenhydraten (aus C6H606 zu C16H1408 in der Kleesäurenreihe C!* H!? > O5) und morphologisch zur selbst nöthigefalls oftmaligen Aufschichtung von Korklagen zwingt, so dass in Folge dessen die naheliegenden Gefässe in eine lebendige Mitleidenschaft, zu einer verstärkten Gefässbildung gezogen werden. Wenn man folglich ein Pityron mit histologischer Vorsicht abhebt, so erblickt man an der Innenseite der Obsthaut einen mit dem ganzen 69 Gefásssystem zusammenhángenden, ins Fleisch tief eingreifenden leb- haft grůnlichen Gefásspelz, der unter dem Mikroscope in einer Faser angesehen eine sehr verstárkte Cambialschichte, welche die Vasa lac- tea so wie ihre Siebröhrchen begleitet, zeigt, während gewöhnlich die Gefässebündel fast unmerklich unter der Obsthaut aufhören, hier aber beim Praepariren für ein Pomarium durchgeschnitten werden müssen, um zur autoptischen Ueberzeugung daselbst zu dienen. Es gibt verschiedene Formen von Pityron, und zwar: a) limitatum, meistens abgegränzt, rundlich, oft auch vieleckig, strahlig, linienartig, verschieden gedehnt, aber immer mit scharf un- terscheidbaren Gränzen; b) obliteratum, verfliessender, wo die Ränder wie verwaschen aufhören ; c) polare, weil es sich an den Polarenden des Obstes, um den Kelch herum (caliculare), meist aber beim Apfel in der Grube überhaupt um den Obststiel befindet (petiolare) und hier erwiesener Massen von Milbenfamilien (Tachymorphaeus Pomonae) durch ihre Aetzungen veranlasst und gegen den Winter zu mit einem Spinnwe- bennetz gegen die Feinde und das rauhe Wetter bis zum Frühling verwahrt wird. Nebst den Milben veranlassen auch die mechanischen Bewegungen des Obstes ein Reizen und Reiben der Apfelgrube, wo- durch ebenfalls d) das Pityron infundibulificum entsteht. Es ist eine dem Obste sehr schädliche, dasselbe oft sehr verunstaltende Form von Pityron, ist rund und trichterförmig, geht tief ins Obstfleisch, und endigt meistens in einen starken Gefässstamm, den es gleichsam bis dahin ganz auf- gezehrt hat. Uebrigens muss es nicht ein einfaches infundibuliforme sein, sondern kann eine grössere Fläche ergreifen, verschiedengrubig hie und da vertiefen und das Obst sehr verunstalten, wobei aber doch darunter das Obstfleisch nicht verdorben ist und somit gut genossen werden kann; e) Pityron gibbificum, das höckerbildende Pityron, ist das Entgegengesetzte von der vorigen Form; es macht meist rundliche oder zusammenfliessende, mit Kork bedeckte Erhabenheiten in Mitte von offenbar unterdrückten Obststellen ; pf das Eschar-pityron, es ist eigentlich eine Combination 70 von einem Pityron obliteratum auf der Oberfläche, während darunteı eine Eschara liegt. 2. Die Eschära oder der Brandfleck, ist eine sehr häufige, und in ihrer Gehäuftheit an einem Individuum sehr schädliche Krankheit, die in manchen Gegenden (nach Hrn. Peyl’s Wahrnehmung besonders in der Umgegend von Leitmeritz sehr häufig) localisirt ist, alle Obstver- edlung behindert, ja zu Grunde richtet, wie mir bereits ein Fall mit Quittenbäumen bekannt ist. Es sind schwarze, meist linsengrosse, am Aussenrande etwas wie gefranzte Flecke, welche näher besehen meist aus zwei Theilen bestehen, in der Mitte aus dem Spiegel (Speculum) und dem Rahmen (Peribole), dessen Rand oft dendritisch eingefasst erscheint; der Rahmen ist nicht immer vom Spiegel getrennt, weil die Scheidungsrisse erst später durch das Zusammenschrumpfen und Schwartigwerden oder Werfen des Speculum entstehen. Das Speculum selbst hat immer ein Centrum, um welches ringsum concentrische, meist graphitartig glänzende Wülste, 15—20 an der Zahl, enstehen, oben immer mehr eintrocknen und so sich von ihrem Grunde oder Beete, wo es lag, abheben und endlich oft auch ganz abfallen, worauf dann der leere, meistens dunkelroth gefärbte, wie Sammt aussehende Ort, das sogenante Speculium, in der Mitte des Rahmens erscheint. Schabt man das purpursammtige Speculium mit einem Messerchen weg, so erscheint der Boden hellfrischerün und zeigt keinen Gefässpelz wie das Pityron. Die Escharen sind nach Hrn. Peyls Behauptung kein Uryptogam, kein Lichen und auch durch kein Cryptogam veranlasst, wohl aber ein chemisches Reductionsproduct der Obsthaut, das ganz ähnlich sich verhält und verbreitet, wie die Farbkreise auf einer jo- dirten Silberplatte im Salzwaschwasser, wenn man ein Zinkstäbchen auf irgend einen Punkt der Platte stellt. In ihrem ersten Entstehen bilden sie einen schwärzlichen etwas erhabenen Punkt, um den rings- herum die Obsthaut eingesenkt und blass, ein Achroma entsteht, dann aber von einem dunklen bräunlichen Zickzackkreise umgeben wird, der sich immer mehr ausbreitet, während die Mitte immer mehr abstirbt. Wodurch aber die Escharen eigentlich entstehen, ist bisher unbekannt und muss erst vom Frühlinge an seit ihrem ersten Entstehen fleissig beobachtet werden. Sind an einem Stücke Obst "mehrere Escharen nahe beisammen, so sieht man genau das Einschrurapfen und Sichvertiefen solcher Stellen; aber das Obst ist übrigens brauch- bar und kann nach dem Abschálen und Ausschálen recht gut gegessen werden. Oft entsteht eine Eschara über einem Pyrrhon, wie sie früher unter einem Pityron entstehen konnte. 3. Das Pyrrhon ist von einer Putriske wohl zu unterscheiden. Während die letztere immer ein Ekzem in der Mitte hat und immer nur aus einem Ekzem entsteht, ist das Pyrrhon ein brauner, elänzender, etwas vertiefter, linsengrosser und oft noch grösserer Fleck, bestehend aus der Obsthaut, unter welcher das kastanienbraune Parenchym sich befindet. Aus der glänzenden Fläche erhebt sich oft ein wulstiger niederer Rahmen. Eine weitere Krankheit bildet 4. das sehr oft vorkommende Suberum, oder Korkgrübchen, das linsengrosse, so wie grössere und kleinere zu Kork verwandelte, oft recht tief greifende Korkmassen zeigt, die oben meist nur locker von der glänzenden, entfärbten und meist getrennten Obsthaut bedeckt, in- nerlich aber und auch äusserlich durch lanzettförmige Risse in zwei oder mehrere Theile zerrissen sind, ohne innerlich etwas fremdartiges zu beherbergen. Manchmal ist das Oberhäutchen schneeweiss, ähnlich den Escharen, oft mit ausgefallenem Speculum, und hat das Aussehen wie von Spitalbrandwunden, die äusserlich weissrandig und missfarbig werden. Auch ihre Entstehungart wird nur nach langen und viel- seitigen Beobachtungen zu eruiren sein. 5. Fängt das eine oder das andere von den sechs Exanthemen an durch Ozon und andere Einwirkungen sich weiter zu verbreiten, so werden die Stellen auch braun, nämlich das Erythrophyli (rother Farbstoff in den Zellen) stuft ich zu Humusgraden ab und auch das umgebende Zellengewebe selbst wird braun zu trockenem, bitter- schmeckenden tanninreichen Humus. Diese Krankheit nennen wir eine Putriske. Diese meist brauneren Pünktchen, dann Punkte und endlich tiefergehende Flecken, müssen aber von der 6. Putrine unterschieden werden, welche viel blasser, fast durchscheinend hie und da von braungewordenen Gefässzweigchen durch- zogen ist. Sie fängt nicht um einen Punkt langsam herum an, son- dern greift im einem Stücke Obst viel schneller und massenhafter an, worauf meist in der Mitte der weisse und grüne Schimmel, Schnur- moder sammt Schimmelwällen (Epochnium monilioides, flavum, vires- cens, aus der Familie der Mucedineen) entsteht. Die Putrine ergreift oft viele Haufen Obst auf einmal wie durch eine Art verpesteter Luft: 12 was bei den feinen, stark aus einander stäubenden Schimmelsporen, welche in den Exzemen und den anderen Exanthemen bald sogar in paar Stunden keimen, sehr leicht erklärlich wird, und die Obstreser- voirs sehr gefährdet. Die Putrine ist eine nasse Faulung der Gelul- lose durch das proteinartige Tungin der parasitischen Pilze, wo auch die Coriumfarben, d. i. das Erythrophyll desoxydirt wird und. somit sehr bald erblasst und das carbonhydratige Zellgewebe bis auf den Inhalt ganz aufgelöst wird. Die Putrine verwandelt das Obst sehr bald zu Brei und dieser kann nur als Dünger verwendet werden. Verwundungen durch Insecten, besonders durch den Mytilococeus communis Am., dessen Weibchen einer winzigen angeklebten Miess- muschel ähnlich ist, ferner Cycaden, Tenthredinen udel., sowie äussere leichte Beschädigungen veranlassen ebenfalls Entfärbungen und Bräu- nungen, sowie zugleich Vertiefungen der Obsthaut, aber sie sind leicht auf den ersten Blick von jenen Krankheitsformen zu unterscheiden. In anderer Beziehung steht aber eben so sehr die Wahrheit fest, dass, wenn auch die Birnsorten, Pfirsiche, Apricosen, Mispeln, Pflaumen und Kirschen, Traubensorten etc. etc. untersucht sein werden, unter allen ein Einheitssystem, eine Vereinfachung der ganzen Sache eintreten wird, welche nothwendig auf den inneren chemischen Gehalt und Werth richtige Schlüsse erlauben werden; und es bleibt als höchst bezeichnungswürdig, wie überraschend pünktlich Schritt für Schritt der organisch-chemische Bestand auch äusserlich durch Farbe, Zeichnung und Gestalt wiedergegeben wird, was in unseren Tagen um so ver- folgbarer erscheint, als chemischer Seits keine Partie mit mehr Erfolg und bestimmter Nachweisbarkeit oft selbst bis in die kleinsten Nuancen bearbeitet, wie eben die Abtheilung über die Kohlenhydrate, Alkyle, Amide etc. Es ist nunmehr auch an der Zeit, die äussere Oberfläche des Obstes zu verlassen, und ins Innere desselben, zu den Gefássen des Parenchyms, zur Anatomie und Histologie von den angedeuteten kleinen Putrisken und Pityrons aus überzugehen. Bei der Gefäss- und Fleisch-Gefässmasse des Obstes ist es gut, dieselbe wie aus einer Anhäufung von Hyphen und Sporen (sammt Sporidien und Sporangien) anzusehen, was der Pilzkenner sehr gut kennt, aber auch der Laie bald versteht, indem die Hyphen taube Schutz- und Hebezellen sind für die fruchtbaren Zellen, die 75 bald Sporen (als ordentliche Samen) heissen, bald Sporidien, ver- änderte, durch Umstände verschieden modificirte, aber doch auch frucht- bare, fortpflanzungsfähige Zellen, oder mehrere solche Zellen, die durch Schläuche vereinigt (Sporangien) sind; also fruchtbare und unfrucht- bare. In der Fleischmasse des Obstes ist es ebenso; es sind Gefässe, längere, sich von gewissen Gentren nach allen Seiten verzweigende härtere Fäden, um welche herum durch die ganze Masse des Obstes die sogenannten Fleischzellen meist strahlig herumgelagert sind. Schnei- det man einen Apfel der Länge nach auf (die horizontalen Durchschnitte zeigen es viel weniger), besonders ganz senkrecht durch den Kelch und das Kernhaus bis hart zum Fruchtstiel, so bemerkt man erstens die grünlicheren oder gelblicheren Gefässverzweigungen, und zwischen diesen aus, besonders von dem Unterkernhauswinkel nach unten und aussen aus, atlasglänzende, blässere, zellige Reihen und ebenso oben von dem Kelchwinkel aus nach unten und allmählig nach aussen, bis sie mit jenen aus dem Unterkernhauswinkel mehr oder weniger hori- zontal und parallel sich begegnen. Dieses Zellengewebe ist das ei- gentlich in der Haus-Oekonomie brauchbare und auch zugleich die Werkstätte zur Bildung der Stärkemehlkörner, der Salzkrystalle, der Proteinkörperchen, der Säuren, des Wachses, der ätherischen Oele und Aethyle, der Arome und Farbstoffe, freilich angeschürt und dirigirt von den Gefässen aus, welche beim Altwerden des Obstes auch, die ersten braun und die Holzzellen derselben sogar schwarz und mürbe werden, ehe noch die Katalysstunde für die Umänderung des rings- herum liegenden Parenchyms geschlagen hat, was zu merken wichtig ist. Wichtiger aber als das Parenchym sind die Gefässe, deren Stel- lung, Eintheilung, Verzweigung, Function etc., welche jeder wissen- schaftliche Pomolog kennen muss. Machen wir einen senkrechten Hauptschnitt durch einen Apfel. so wird man bald sehen, dass es nicht gleichgiltig ist, wo man oder in welcher Meridianrichtung gleichsam man schneidet. Alle solche Hauptschnitte werden zwar durch das Kernhaus gehen, aber nur fünf Halbschnitte werden mitten durch die zwei Klappen eines Kernfaches (Loculus) gehen, und nur in ihrer Richtung werden in dem Parenchym auch sehr starke deltaförmig gewundene Gefässe in einiger Entfernung bemerkt. Ich würde diese Gefässe „Vasa prolocularia,“ d. h. vor den Loculi gestellte Gefässbündel nennen, die von unten hinauf verfolst, 74 in die Mitte der Kelchlappen führen und folglich vasa calicu- laria (Kelchgefássbůndel) heissen. Schneidet man scharf in der Mitte zwischen diesen angeführten Vasa prolocularia oder calicularia, so trifft man ein anderes, ebenfalls deltaförmig sich biegendes Gefässbündel (also ringsum im Apfel 5 solche Bündel), das Vas interloculare oder Vas petalare oder alle fünf zu- sammen vasa corollaria (Blumenblättgefässe oder Zwischenfach- sefässe) heissen, weil sie besonders in der Blüthezeit zu den 5 Blu- menblättern Petala die Adern und Gefässe hervorgebracht haben. Sie sind schwächer als die vasa prolocularia und auch etwas mehr nach Innen gelegen, wie es auch bei der Corolla überhaupt nothwendig ist. Schneidet man einen Apfel horizontal mitten gleichsam durch den Aequator auf, so sieht man jene 5 und 5 Gefässe als blosse grünliche oder gelbliche etwas schwerer durchzuschneidende Punkte theils I— 2—3 Linien vor den Loculi, theils fast ebenso zwischen ihnen gelegen, welche aber, sowohl horizontal als perpendiculär betrachtet, immer schwächer als jene ersten sind. Im perpendieulären Durchschnitte sieht man alle diese Gefässbündel aus den Petiolargefässen hart unter dem Kernhause entstehen, oval und parallel den Kernhausfächern auf- steigen, im Verlaufe 4—5 starke Gefässzweige abgeben und in die nach der Blüthezeit etwas verschrumpften Kelch- und Blumentheile übergehen. Der Hauptstamm der Petiolar- oder Fruchtstielgefässe steigt senkrecht auf, bildet die Columella und aus ihrer Mitte gehen die 10 Gefássbůndel zu den zehn Samen in den fünf Fächern ab, so wie jene 10 Gefässe zu den hornenen Fächerklappen und noch 10 andere Gefásszweige, um bei einigen Obstsorten mehr hervortretende Cir- cumlocular-Gefässnetze zu bilden, welche besonders bei schon ziemlich alten Aepfeln braun und somit besonders beim Aufschneiden sichtbar werden. Verfolgt man nun weiter noch die Gefässverzweigungen, so sieht man bei sorgfältigen horizontalen Schnitten, dass jeder abgegebene Zweig in einiger Entfernung sich in drei divergente Zweigchen gabelt (die vasa prolocularia oder stärker als die interlocularia), dann in einiger Entfernung alle diese Gabelungen (furcationes) unter einander anastomisiren (welche Fleischschichte ich die Anastomosen-Schichte nenne), und endlich in einer dritten Entfernung nicht so sehr pinsel- artig als vielmehr nach Art eines Corymbus mit oft sich fenestrirenden 75 oder durchgebohrten Gefässbündeln hart unter der Obsthaut vertheilt, wesswegen die letzte Schichte auch das stratum corymbaceum heisst. Obgleich alles Parenchym schon früher als die Werkstätte der verschiedenen organischen Stoffe angeführt wurde, so dass überall Amylum, Proteinkörper, die Pigmente usw. selbst inmitten des Apfels gebildet werden kann, so ist besonders die Obsthaut ein dergleichen vorzüglicher Ort hiezu, gleichsam die Blüthenverschmelzungsfläche selbst, wo somit der Blüthenschmuck wie auf eine Fläche ausgegossen ruht, und somit auch allen Farbenschmelz und alle Duftentwicklungs- processe im fast vollen Masse äussert. Dieses bestätigen nicht nur alle oben angeführten Exanthemarten, sondern auch die vielfach auf- tretenden Krankheiten und Insectenbeschádigungen, so wie noch auch ein Umstand, der in physiologischer Hinsicht einige Aufmerksamkeit verdient. Der anatomische Bau des Obstes nämlich zeigt auf ein ganz ähnliches Verhältniss wie in den Wurzeln der allbekannten Zucker- rübe. Die Wurzel der Zuckerrübe nämlich zeigt in horizontalen und vertikalen Durchschnitten, je älter sie ist, desto je nach Monaten sich mehrende Ringe, die wohl den Jahresringen des Holzes ganz ähnlich sind, aber nur Monatsringe genannt werden können, weil sie nur Monatszeiträume zu ihrer Ausbildung brauchen und das Besondere in ihrem Verlaufe zeigen, dass sie ein um den andern tuttenförmig auf- steigen, dann aber wie sie in die Wurzelkopfhöhe kommen, die soge- nannte Markhöhle, ihre Gefässbündel zu den zwei Kotyledonen nach Aussen strahlenförmig abschicken, die 2. Tutte (die Apriltutte) zwischen den Cotyledonarmarkstrahlen aufsteigen, merkwürdig nach der Mark- höhle zuerst umbiegen und von hier aus erst nach aussen in Form der Markstrahlen als Gefässe in dem Unterblätternkreise abgehen. Ganz ähnlich, nur höher, macht es die Maitutte und geht nach der Um- biegung oder Abprallung zu dem Mittelblattkreise, eben so die Juni-, dann Juli-, August- und Septembertutte, um den Oberblattkreis, dann den Kelch, die Corollen, Staubfäden und den Ovarienkreis mit Geläs- sen zu versehen. Was hier bei der Zuckerrübe die innere Markhöhle, und die Blatt- und Blüthenkreise sind, das ist bei dem Obste die Kelch- höhle, wohin sich alle Gefässbündel, nachdem sie das Kernhaus deltaförmig umgangen haben, begeben, und von da erst in die Kelch- lappen, in die Corolle, die Stamina etc. abgehen. Den Physiker 76 errinnert alles dieses an die Interferenz- und Polarisationsinstrumente des Lichtes und der damit verbundenen Farbenentwicklungen. Bedenkt man, dass die Gefässbündel Leiter und Träger ähnlicher, ja noch hö- herer organischer Befruchtungsbestrebungen sind, welche alle von undulatorischen Wellenlängen, Färbungen, chemischen Processen, äthe- rischen Exhalationen, ja selbst von electrischen Entladungen ete. in allen Perioden begleitet werden, so wird man hier in der Mark- und Kelchhöhle leicht ähnliche Reflexionsprocesse und nachfolgend ver- anlasste verschiedene Wellencombinationen zu Licht- und Stoffverbin- dungen vermuthen, wie sie bei den Interferenzversuchen und Pola- risations-Complementirungen immer beobachtet werden. Denn sonst woher sollten bei aller Einwirkung des Sonnenlichtes die längst von der Chemie im Obste beobachteten Protein- und Chromogenabände- rungen zu dem indigoähnlichen Leucophyll und Chlorophyll der Che- miker (C'®NH°O8) *), ja selbst in Verbindung mit Eisenoxyden (nach Verdeil) wie im Blut, so wie jene Processe der Cellulosebildung zu Korkumbildung, die Entstehung des Wachses aus Amylum, durch Licht des eigenthümlichen Erythrophylis, woher die Bildung der mannigfal- tigen Aethylverbindungen der ätherischen Oele, und durch das Ent- stehen des wirksamen Ozons aus dem neutralen Oxygen und eine Menge anderer Processe herkommen, wenn alle diese Fibern und Fasern nichts weiter als todte Fasern wären; was bei Heilungsbestrebungen der organischen Masse im Falle von Beschädigungen und klimatischen harten Einflüssen um so entschiedener in die Augen springt, ja selbst im Absterbungsacte noch sich auf eine mannigfaltige Art beurkundet. Die Auflösung der Cellulose fordert auf chemischen Wege sogar con- centrirte Schwefelsäure, während die Auflösung derselben bei der Pu- trine wunderbar ohne alle diese heroische Mittel in kleinen Parthien so gut und mit grossen Substanzdistinctionen geschieht wie in grossen Massen. Ganz ähnlich mikrochemisch geschehen die Korkbildungen, während der Chemiker bisher complexlos nichts als starke Säuren, Basen, Kochungen, Weingeist- oder Aetherextractionen etc. anzuwenden versteht, obgleich nichts desto weniger schon sehr Vieles geleistet wurde. *) Das Blattgrün der Botaniker ist meist ein Gemenge von Chlorophyll mit Pro- teinstoffen, Wachs, Amylum ete., während das Chlorophyll der Chemiker durch Aether- und Alkohol-Extractionen aus einem Zentner Blätter kaum so viel erhält, damit einige Versuche damit angestellt werden können. 17 Es erübrigt mir nur noch von den zu pomologischen Zwecken, Nachuntersuchungen und Demonstrationen, angelegten Pomarien zu sprechen. Nachdem weder Abbildungen und selbst die besten nicht, noch auch Abgüsse von Wachs und Gyps, noch Porzellanmalereien etwas Ausgiebiges zu leisten vermögen, musste nach anderen Wegen und Mitteln geforscht werden. Nach den bisherigen Erfahrungen scheint es, dass für eine wissenschaftlich behandelte, folglich auch allem Vor- wärtsschreiten in der Naturgewältigung ihres Gegenstandes allein günstige, Pomologie folgende Mittel dienlich sind: 1. Das Anlegen eines physiologischen und eben so eines pathologischen Pomariums, das, ähnlich einem Herbarium wohl präparirt und getrocknet, die nöthigsten Theile des Obstes z. B. die Haut des Obstes sammt Kelch und Fruchtstiel auf reines Papier je nach Varietäten und Krankheiten frisch und für alle Zeit erhalten darstellt. 2. Das Anfertigen von Praeparaten für Mikroskopie, wo auf Glasplatten mit französichen Deckgläschen (Objectplatten) com- primirt oder in gemugelten Grübchen die wichtigeren Partien der Obst- substanz je nach Sorten, Exanthemen, Krankheiten udgl. zum stets bereiten Nachrevidiren und Ueberzeugen, selbst für Schuldemonstra- tionen udgl. aufbewahrt werden. Die Etiketten besagen den Gegenstand, die Zeit der Präparirung und den Ort. Reiche Sammlungen können sich auf Tausende erstrecken, was eben so vom Pomarium gilt. 3. Selbstverständlich müssen ebenfalls mikroskopische Zeichnungen von den berührten Gegenständen angefertigt werden und zwar als Controle und Präparative für Diejenigen, welche auch mikroskopische und mikrochemisch- histologische Präparate studiren wollen. Alle diese Behelfe dreifacher Art habe ich selbst bereits that- sächlich angelegt, und es bedarf nur eines hiemit sich ausschliesslich befassenden pomologischen Präparateurs, um jene berührten Behelfe, theils die Pomarien, theils die mikroskopischen Präparate in benöthigten Exemplaren vervielfältigen zu können. Dass endlich die pomologischen Forscher nicht säumen werden auch lithographische Zeichnungen oder Darstellungen in ihrem Interesse anfertigen zu lassen, ist gar nicht zu zweifeln, so wie Dieselben gewiss sehr bald auch nicht nur die Loupe, 75 sondern auch das von mir sogenannte Excursions-Mikroskop *) an- wenden werden. Ad 1. Was die Präparirung des frischen Obstes für ein Poma- rium betrifft, so wäre eine kurze Anleitung hiezu folgende: Als Vor- bild diene dem Präparateur die Procedur eines Anfertigers von Erd- und Himmelsgloben, der besonders dahin abzielen muss, um regel- mässig abgetheilte, meistens aus 10 beiderseits lanzettförmigen Lappen bestehende Aufklebplatten für die angemessenen Gipskugeln zu for- miren. Der Präparateur zieht sodann mittelst eines Scalpells die ganze Obsthaut herab, muss aber um Falten zu vermeiden, vom Kelche und vom Fruchtstiele aus 5 tiefere und 5 seichtere Einschnitte machen, die hiedurch entstehenden Lappen durch Unterminiren oder Unter- schneiden abheben, bis alle Lappen nach links und rechts abgehoben und auch die Mitte der sich begegnenden Richtungen so getrennt ist, dass gleichsam der ganze Balg des Apfels abgenommen, und auf einen Tisch verflacht und ausgebreitet werden kann. Hiezu fasst man den Apfel mit der linken Hand zwischen den Daumen und den Mittelfinger, so dass der Apfelstiel an den Daumen und der Kelch an den Mittel- finger zu stehen kommt. Sodann suche man die Spitze des Scalpells mitten in den Kelch und zwar zwischen die zwei Kelchzipfel einzustechen, führe dann den ersten Schnitt wie einen Erdkugelmeridian über die ganze Mitte des Apfels bis nach unten zum Fruchtstiele und zwar so tief, bis die Messerspitze in die Columella reicht. Der Schnitt wird also genau in die Mitte zwischen zwei Kernhausfächer zu liegen kommen. Sodann kehre man mit dem Messer zum Kelch zurück, mache nach einander den 2., 3., 4., 5. Schnitt zwischen je zwei Kelchzipfeln und sodann auch tiefere Einschnitte so wie diesen 2., 3., 4., 5. correspon- dirende Einschnitte zum Fruchtstiel, worauf dann mit dem Scalpell die Unterminirung und Abhebung geschieht, und zwar nach zwei Richtungen hin, nach rechts unter die Lappen 2—3—4 und nach links unter die Lappen 5—4—3, wobei aber zu merken ist, dass beim letzten Lappen der Fruchtstiel mit ausgeschnitten sein muss. Ist der Balg nun abgehoben, so wird er auf den Präparirtisch und zwar mit der Fleischseite nach oben gekehrt, die weichen Fleischparthien sanft *) Siehe die Beschreibung dieser neuen Excursions-Mikroskope in der von Dr. Weitenweber redigirten Zeitschrift Lotos. (Prag. 1864. XIV. Jahrgang. Januar S. 13.) 79 abgeschabt, bis nur das Corium, die dritte meist fest an der Apfel- haut anhángende Hautschichte úbrigbleibt; wobei aber auf Excrescen- zen und sonstige Verunstaltungen genau Acht gegeben werden muss, damit dieser pathologisch wichtige Theil zum Studiren gut erhalten bleibe. Es versteht sich von selbst, dass die beiden oberen Schichten der Haut mit ihren Pigmenten etc. vorzüglich verschont bleiben müssen. Ist die Haut so präparirt, so wird sie vorsichtig zwischen mehrere Bogen von weissem Fliesspapier zum schnellen Austrocknen eingelegt, ordentlich ausgebreitet, und dann in die botanische Presse gegeben, nach 6—8 Stunden in ein anderes trockenes Fliesspapier umgelesgt, und dieses so vielmal wiederhohlt, bis das Exemplar ganz trocken ist, und keine Gährung noch Farbenveränderung in dem Balge mehr ein- treten kann. Ad 2. Das physiologische Herbar erfordert ganze Bälge, nicht immer das pathologische, wo zu einer Species Krankheit selbst auch kleinere präparirte Abschnitte hinreichend sind. Werden nun gut und schnell getrocknete Bälge auf starke weisse Halbbögen Papier mittelst arabischen Gummi aufgeklebt, gut numerirt und unten die Erklärun- gen beigeschrieben, so nimmt sich eine solche Sammlung wirklich sehr unterrichtend und nett aus, und kann selbst nach hundert Jahren ihre guten Dienste leisten. Ad 3. Was die mikroskopischen Präparate anbelangt, so will ich dieselben nicht weiter besprechen, indem ich das Nöthige bei der Be- schreibung des Exeursionsmikroskops anzugeben gedenke. Was endlich die Zeichnungen nach anatomischen und mikrosko- pischen Vorlagen der Pomologie betrifft, so sind selbe derart wichtig und unterrichtend, dass sie die jetzige tiefer eingreifende naturhisto- rische Wissenschaft nirgend mehr vermissen kann; theils weil sie das Gesehene und aus mehreren untersuchten Exemplaren Corrigirte und Abstrahirte enthalten, theils weil sie das Directiv oder den Leitfaden abgeben, nach welchem man beiläufig beurtheilen kann, wie weit und wie richtig man die in Frage stehenden Objecte gesehen und verstanden hat, ohne endlich ihres guten demonstrativen Nutzens zu erwähnen. Für das laufende Jahr so wie für viele künftigen Jahre bleibt nun für den Fortschritt der Pomologie nichts Angelegentlicheres zu thun übrig, als vom Frühlinge einige, nicht viele, der wegen Krank- heiten oder Güte bekannten Bäume recht sorgfältig zu beobachten, 80 das Entstehen und die Weiterbildung der einzelnen Exantheme und Symptome unablässig nebst Aufzeichnungen in physiokratischen Dia- rien zu verfolgen und so nach und nach an recht vielen pomologischen Stationen recht viel Beobachtungs- und Versuchsdaten zu sammeln, damit selbe endlich zusammengetragen und verglichen, zu recht vielen Entzifferungen, besonders über die Veredelungsangelegenheiten so wie die Schádlichkeitsabwenčangen führen könnten; denn noch immerfort schwebt der sortenerzeugende Obsteultivateur vom Zufall und Glück ab, und kann somit nicht im vollen und sichergestellten Fortgange und Genusse verbleiben, was doch immer für alle Rohproducenten wirklich wichtig ist. Philologische Section am 21. Marz 1864. Anwesend die Herren Mitglieder: Wocel, Hattala, Bezdeka, Storch und Doucha; als Gast Hr. Grellepois. Hr. Léon Grellepois (als Gast) trug einige Parthien aus seinem demnächst zu veröffentlichenden Werke: Geschichte der roma- nischen Sprachen, vor. Im Marz 1864 eingelaufene Druckschriften. K. Vlad. Zapa Kronika Česko-moravská. V Praze 1863. Sešit X.—XII. Památky. Časopis Musea kr. Českého ete. V Praze 1863. Díl V. Sešit 8. Verhandlungen der k. k. zoologisch-botan. Gesellschaft in Wien. Jahrg. 1863. XII. Band. Friedr. Brauer's Monographie der Oestriden. Wien 1863. Magyar Akademici Ertesitö. Mifolyam. (Toldy Ferencz. — Györy Sandor. — Gzengery Antal.) Pest 1861—1863. Lotos. Zeitschrift für Naturwiss., redig. von W. R. Weiten- weber. Prag 1864. Jan., Febr. Magazin der Literatur des Auslandes. Berlin 1864. Nro. 8—11. Roczniki towarzystwa przyjaciól nauk Poznaňskiego. Tom I. 1860. — Tom II. 1863. (Vom Hrn. Grafen August Czieszkowski.) Mémoires de la Société R. des sciences ete. de Liege 1863. Tome XVII. 81 J. C. Poggendorff's Annalen der Physik u. Chemie. Leipzig 1864. Nro. 2. Silliman and Dana, The American Journal of Science and Arts. New Haven 1864. Vol. XXXVII. Nro. 109. January. A. L. Crelle’s Journal für Mathematik, fortgesetzt von C. W. Borchardt. Berlin 1864. LXIII. Band. 2. Heft. Jahresbericht der Lesehalle der deutschen Studenten in Prag für das J. 1862—1863. Codex diplomaticus Saxoniae regiae (Urkundenbuch des Hoch- stiftes Meissen; von E. G. Gersdorf). Leipzig 1864. I. Band. (Vom k. Ministerium des Cultus in Dresden.) Historische Section am 18. April 1864. Anwesend die Herren Mitglieder: Wocel, Weitenweber, Zap, Doucha, Winařický, Nebeský, Bippart und Frühauf; als Gäste die HH. Beneš, Emler, Jedlička, Lepař und Rirensaft. Herr Wocel las folgende Entgegnung auf Herrn Dr. Hanušs kritische und skeptische Bemerkungen zu den bisherigen Auffassungen des Textes und der Mi- niaturen des sogenannten „Passional’s“ der Aebtissin Kunigunde, der Tochter des Königs Otakar's II Herr Dr. Hanuš hat im 2. Hefte der Sitzungsberichte unserer Gesellschaft vom J. 1863 ein ganzes Arsenal von Waffen angehäuft, mit denen er gegen meine in den Památky archaeologické und -in den Mittheilungen der k. k. Central-Commission für Baudenkmale veröffentlichten Ansichten über das sogenannte „Pas- sionale der Aebtissin Kunigunde“ zu Felde zieht. Nicht bloss in meinem eigenen, sondern auch im Interesse der Wissenschaft, unter deren’ Aegide Herr Dr. Hanu$ zu kämpfen vorgibt, fühle ich mich verpflichtet, etwas näher die Kampfweise des Hrn. Gegners in's Auge zu fassen, um, wie ich hoffe, darzuthun, dass derselbe seine Waffen, allerdings ohne die geringste - Ahnung davon zu haben, gegen sich selbst gekehrt hatte. Der Hr. Kritiker bemerkt vor Allem, dass der unter der Signatur 14, A. 17 in der Prager Universitätsbibliothek bewahrte Codex kein Passionale sei, und versucht dann nachzuweisen, dass belle erst Sitzungsberichte 1864. I, 82 lange nach dem Tode der Aebtissin Kunigunde nach einer alten Ori- ginalhandschrift copirt und mit Miniaturbildern verziert worden sei. -Die Hauptbeweise, welche zur Begründung dieser Behauptung Verf. der skeptischen Bemerkungen anführt, sind: 1. Der Dictator des Codex, Frater Colda, lector de sct. Clemente, gelangte erst nach dem Tode Kuni- gundens zu der Stelle eines Lectors. 2. Der Scriptor des Codex, Benessius canonicus, den ich für den Maler der Miniaturen halte, starb im J. 1397; derselbe konnte somit unmöglich im J. 1314 die Bilder gemalt haben. 3. Die bildliche Darstellung am Titelblatte der Handschrift, die Aufschriften derselben, insbesondere aber der Abtsstab, den Kunigunde in der Hand hält, sind Beweise, dass der Codex mit seinen Miniaturen nach dem Tode der Aebtissin geschrieben und minirt worden war.“ Der Hr. Verf. der skeptischen Bemerkungen weiset umständlich nach, dass jener Codex kein Passionale, sondern eine aus verschie- denen Traktaten bestehende Sammelschrift sei. Daraus soll nun her- vorgehen, dass ich den ganzen Codex für ein „Passionale“ gehalten und keine Idee davon hatte, dass derselbe aus mehreren verschieden- artigen Schriften bestehe. Wiewohl der eigentliche Zweck meiner obenerwähnten Abhand- lungen, über die der Hr. Verf. seine skeptische Lauge ausgiesst, die Schilderung der in jenem Codex enthaltenen Miniaturen war, So unterliess ich es doch nicht, darauf hinzuweisen, dass jene Handschrift mehrere verschiedenartige Tractate enthalte, und zwar die Parabel vom christlichen Ritter, unter dem Christus verstanden wird, der mit den Werkzeugen seines Leidens und Todes die Menschenseele vom ewigen Tode rettet; ferner Planctus Mariae, De mansionibus coe- lestibus, Sermo s. Leonis Papae etc. Daraus folgt doch nicht, dass ich die Parabel, Planctus Mariae, De mans. coelest., Sermo Leonis etc. für ein „Passionale“ halte und ausgebe. Herr Dr. Hanuš selbst be- merkt (S. 27), dass der Codex unter dem Namen „Franz Coldius liber de passione Domini“ in der Bibliothek bekannt ist, und dass auf den Deckeln die Aufschrift steht: „Kniha o umučení božím 83 od Fr. Goldy.“ Ueberdiess schreibt Dobner (Observationes praeviae ad fragmentum Codicis praebendarum etc. Monum. VI, 329): argu- mentum hujus codicis „passio Christi est sub parabola militis.“ Da nun das Buch doch eine allgemeine Bezeichnung haben muss, so habe ich jene von jeher gangbare angeführt, was mir wohl Niemand — mit Ausnahme des Hrn. Verf. der skept. Bemerkungen — verübeln wird. Frater Colda. Einen gewichtvollen Verdachtsgrund gegen die Annahme, dass jener Codex bei Lebzeiten der Aebtissin Kunigunde geschrieben und minirt worden sei, schöpft der Hr. Skeptiker aus den Lebens- verháltnissen des Dictators der Schrift, Frater Colda lector de sct. Clemente. „Erst spát“ — schreibt der Verfasser der skep- tischen Bemerkungen — „wahrscheinlich erst nach dem Tode Kuni- gundens kam er zu der ansehnlichen Stelle eines Lectors im Domi- nikanerkloster, und als solchen empfahl ihn der Luxemburger König Johann dem Papste Clemens als Poenitentiar für die Böhmen in Rom. (S. 42.) Da er im Texte der Kunigundenhandschriften auch noch im J. 1314 selbst nur frater minimus sich nennt, am Titelminiatur- blatte aber schon „frater Colda, lector de st. Clemente ordinis fra- trum praedicatorum, egregius dietator hujus libri“ genannt wird, so ist diess wiederum ein Beweis mehr, dass die Miniaturen, und folglich die ganze Handschrift, die wir vor uns haben, viel später als im J. 1314 entstanden sei.“ Fassen wir nun die Stelle, welche nach der Behauptung des Hrn. Kritikers im Widerspruche steht mit den Titeln _ des Colda am ersten Blatte der Handschrift, etwas näher in’s Auge; diese lautet (Cod. Bl. 31.): „Tu (o regis excellentissimi filia) longis oracionibus, decursis lectionibus fatigata assiduis, quedam compingere opuscula me compellis. Vestris jussionibus frater Colda predicatorum minimus parere satagit, etsi sufficientia forte desit“ — Der Herr Kritiker macht hier die Bemerkung: „von lector ist hiebei noch keine Rede.“ Derselbe ist somit der Meinung, Colda würde, wenn er bereits das Amt eines Lectors und zufälliger Weise auch noch das eines Poeni- tentiarius bekleidet hätte, alle seine Titel niedergeschrieben, und jene Stelle würde dann gelautet haben: „Vestris jussionibus frater 6* 84 Colda predicatorum minimus, lector de saneto Clemente, ordinis fra- trum predicatorum et poenitentiarius Boemorum parere satagit, etsi sufficientia forte desit.*“ Das Unzukömmliche, ja Lächerliche einer solchen Zumuthung leuchtet von selbst ein, und doch ist diese Zumuthung eines der Hauptfundamente, auf welche sich des Hrm. Kritikers Ansicht von dem späteren Ursprunge unseres Codex basirt. Ich finde dagegen einen wichtigen Beweis der Thatsache, dass Colda bereits vor dem Jahre 1314 Lector gewesen war, in dem Briefe Königs Johann an den Papst Clemens V., in welchem der Erstere den Colda zum Poenitentiar für die Böhmen in Rom vorschlägt, und mit folgenden Worten anempfiehlt: „honestus et religiosus vir frater Colda de Coldicz, ordinis predicatorum lector Pragensis, qui de nobilibus regni mei trahit originem, de literarum scientia et honestate morum, vitae munditia..... plurimum commendatur.“ — Palacký hat diese Urkunde (s. dessen Formelb. I. Beil. B. Nro. 139) veröf- fentlicht und bezeichnet den Papst, an den der Brief gerichtet ist, als Clemens V. — Da nun Clemens V. im J. 1314 starb, so fand sich der Herr Kritiker bemüssigt, um das Lectorat des Colda nicht in eine so frühe, allerdings mit der Angabe am Titelblatte unseres Codex übereinstimmende Periode setzen zu müssen, gegen Palacky zu behaupten, dass in jenem Briefe unter papa Clemens nicht Clemens V., sondern der sechste zu verstehen sei. Clemens VI. regierte aber vom J. 1342—1352. Nur hatte der Hr. Skeptiker übersehen, dass Colda in seiner Dedication (am zweiten Blatte des Codex) schreibt: „Memor honoris eximii et quam plurimum beneficiorum in sere- nissimi Domini Wenceslai Boemie quondam regis sancte recordacionis fratris Vestri palacio perceptorum ...“ Die Regierungszeit Wenzel II. fällt zwischen die J. 1283—-1305. Da nun Colda im J. 1312 einge- denk ist der ausgezeichneten Ehren, mit denen er am Hofe Königs Wenzel überhäuft wurde, so musste er doch zu jener Zeit das reife Mannesalter erreicht haben, denn einen bartlosen Jüngling pflegt man nicht mit eximiis honoribus zu überhäufen. War daher Colda am Anfange des XIV. Jahrh. bloss 30 Jahre alt, so wäre er beim Regierungsantritt des Papstes Clemens VI. wenigstens 70 Jahre alt gewesen und es ist kaum zu glauben, dass König Johann einen mehr als 70jihrigen Greis zum Poenitentiarius in Rom würde vorge- schlagen haben. Ferner bemerkt der Hr. Kritiker: „Colda schrieb 85 das Werk de coelestibus mansionibus im J. 1314 und darnach noch eine andere Schrift für Kunigunde in Prag, kann also wohl kaum von Clemens V. zum Poenitentiar ernannt und zu dessen Lebzeiten noch nach Rom gereist sein; wohl aber ganz bequem in den ersten Jahren der Regierung Clemens VI.“ Der Brief König Johann’s enthält jedoch bloss die Anempfehlung des Colda zum Poenitentiar; davon aber, dass diese Anempfehlung den gewünschten Erfolg gehabt, und der so warm angepriesene Colda die Stelle eines Poenitentiars zu Rom erlangt habe, melden unsere historischen Quellen gar nichts. Ein Umstand in dem Briefe Königs Johann ist aber in dieser Streitfrage entscheidend und schlägt die Behauptung, derselbe sei an Clemens den sechsten gerichtet, mit Nachdruck zu Boden. Die Eingangs- worte jener Urkunde lauten nämlich: „Sanctissimo in Christo patri et domino D. Ole, sacrosanctae Romanae ac universalis ecclesiae summo pontifici, Joannes, dei gratia Boemiae et Poloniae rex...“ Im Jahre 1314 konnte sich mit Fug und Recht Johann „König von Polen“ schreiben, keineswegs aber im J. 1342. Denn bekanntlich hatte König Johann im Jahre 1355 im Vertrage mit König Kasimir den Titel eines „Königs von Polen“ abgelegt und dem- selben feierlich entsagt. (Vergl. Palacký Gesch. v. Böhmen Il. 2. S. 222. Tomek, Děje kr. česk. I. 162.) Wie hätte es nun Johann noch im J. 1342 einfallen können, in einem an das Haupt der Chri- stenheit gerichteten Briefe sich den Titel „Poloniae rex“ abermals beizulegen? — Colda war also, wie urkundlich nachgewiesen ist, bereits zur Zeit Clemens V., also vor dem J. 1314 Lector, und konnte sich somit am ersten Blatte des Passionals diesen Titel mit vollem Rechte beilegen. Dass der Hr. Verfasser der skeptischen Bemerkungen gar nichts von jenem historischen Sachverhalte gewusst, ist gar nicht befremdend, denn mit solchen Kleinigkeiten befasst sich bloss die doctrina plana; die doctrina profunda aber blickt von ihrer luftigen Höhe mit Ver- achtung auf dieselben nieder. Benessius canonicus. Auf dem Titelblatte des Passionals erblicken wir die Gestalt eines Mönches mit der Beischrift: „Benesius canonicus sti. Georgii seriptor ejusdem libri. Aus dem „liber memorabilium s. Ge- n 86 orgii“ hat der Hr. Kritiker einen „Canonicus Benessius ecelesiae sancti Appollinaris olim canonicus s. Georgi“, der im J. 1397 starb, hervorgeholt, mit der mathematisch richtigen Bemerkung: „wenn dieser Beneš im J. 1397 als 90jähriger Greis gestorben wäre, so wäre er im Jahre 1314 erst 7 Jahre alt gewesen, in welchem Alter man weder Canonicus zu sein, noch solche Dinge zu schreiben pflegt.“ Dieser Satz enthält eine Wahrheit, die wir durchaus nicht anfechten wollen. Tomek führt aber in seinem „Verzeichnisse der Domherren der St. Georgskirche“ zwischen den Jahren 1294—1304 einen Benessius, ca- nonicus sti. Georgii in der Präbenda Přílepy an. Ist nun dieser Beneš im J. 1304 nur 24 Jahre alt gewesen, so záhlte derselbe um das J. 1314, zur Zeit námlich, in welcher jener Codex entstanden, um 10 Jahre mehr, also 34 Jahre, „in welchem Alter“ er jene Miniaturen füglich hätte ausführen können. Das ist eine Schlussfolgerung, die der normale Menschenverstand jedenfalls als eine richtige anerkennt. Die Schlussweise des Hrn. Verfassers der skeptischen Bemerkungen ist aber eine ganz andere; derselbe schrieb nämlich (auf S. 45) die merkwürdigen Worte nieder: „Ist nun dieser Beneš im Jahre 1304 nur 24 Jahre alt gewesen und dieselbe Person mit dem im J. 1397 gestorbenen Beneš (! ?), so wäre dieser schon im J. 1280 geboren, sohin, wie oben angedeutet, 117 J. alt geworden, welches vorsünd- fluthige Alter doch ohne jede Beglaubigung anzunehmen, nicht wohl angeht.“ — Darauf setzt der Herr Kritikus seine scharfe Lanze ein gegen meine in den „Mittheilungen der k. k. Central-Com.“ vom J. 1860 und in den „Památky“ von demselben Jahre ausgesprochene Ansicht; dass der Schreiber Beneš wohl auch der Maler der Mini- ‘ aturbilder des Codex gewesen sei, und sagt, dies sei eine Behauptung ohne alles Eingehen auf die Quellen, welche nur die bald hundert- jährige doctrina plana wiederholt und sich von derselben nur dadurch unterscheidet, dass sie dieselbe mit Gründen zu stützen unternahm. Ich spreche nämlich in den Pamätky die motivirte Ansicht aus, dass im Mittelalter der Schreiber eines Buches mehr geehrt zu werden pflegte, als der Illuminator desselben, und dass somit ein Schreiber, der zugleich Illuminator war, nach der Regel: „denominatio fit a po- tiori“ sich lieber seriptor als illuminator schrieb. Nun zieht der Hr. Kritikus die Schleussen seines Witzes auf, und spottet über die lo- gische und archäologische Consequenz dieser ganz merkwürdigen 87 Schlussfolgerung und meint, dass zwischen einem blossen Illuminator, der etwa Einzelnes der Handschrift farbig verziert, oder hie und da Arabesken anbringt, und einem Maler solcher Miniaturen, die Veran- lassung zur Annahme einer eigenen böhmischen Malerschule gaben, ein gewaltiger Unterschied ist.“ Der Hr. Gegner ist daher fest über- zeugt, dass im Mittelalter die Maler bedeutender Miniaturwerke we- nigstens auf derselben Linie der Achtung mit den Schreibern standen, und ignorirt das von mir in den Pam. S. 106 angeführte Zeugniss des Gerson, der in seinem Traktate: „de laude scriptorum ad Coelestinos“ schreibt: „Sunt alii (scriptores) gradus infimi, nullum penitus habentes intelleetum eorum, quae transcribunt, quos quasi pictores appel- lamus.“ Da nun Gerson die unwissendsten mechanischen Abschreiber den Malern gleich stellt, so ergibt. sich daraus, dass die pictores und illuminatores der Handschriften keiner besonderen Werthschätzung im Mittelalter sich erfreuten. Eben durch diesen Ausspruch des ge- lehrten Charlier (Gerson) habe ich die Angabe, dass die Illuminatoren weniger als die scriptores geachtet wurden, in den Pamätky motivirt; von dieser Motivirung nimmt aber der Hr. Skeptiker keine Notiz, sondern -erlaubt sich, mich logischer und archäologischer Inconsequenzen zu beschuldigen! Ebenso hat der Hr. Kritiker mein Citat aus der Revue de I chret. übersehen, wo ein Kenner der französischen Mi- niaturen (de Linas) schreibt: „a cóté des scriptores proprement dits on doit placer les miniaturistes, qui souvent ne faisaient gu un avec le calligraphe.“ Der Hr. Kritiker ist offenbar der Mei- nung, dass die Maler grösserer, durch Kunstwerth ausgezeichneter Miniaturen des Mittelalters ihre Namen in den Werken dieser Art niedergeschrieben und verherrlicht hatten. In welche Quellen ist der Hr. Kritiker, der mir alles Eingehen in die Quellen abspricht, einge- sangen, um solch’ eine Ansicht konstatiren zu können? Wahrscheinlich hat er diese Ansicht einzig und allein aus dem Urquell seiner Wis- senschaftlichkeit geschöpft, denn die kunstarchäologische Forschung hat ganz andere Ansichten an den Tag gefördert. Deutsche, franzö- sische und englische Kunstforscher haben nämlich nachgewiesen, dass bis in die Mitte des XIV. Jahrh. selbst in den grössten und brillan- testen Miniaturhandschriften der Name des Schreibers selten, viel seltener noch und bloss ausnahmsweise der Name des Malers vorkommt. Davon hatte ich mich bei der Besichtigung der zahlreichen 88 Miniaturwerke in den Bibliotheken und Museen zu Wien, Venedig, München, Paris, Brüssel usw. durch Autopsie überzeugt; sollte der Hr. Kritiker gegen diese Versicherung einige Zweifel hegen, so möge er die einschlagenden Werke von Agincourt, Waagen, Kugler, Passa- vant u. A. nachschlagen. Der Name des Miroslav in der Mater ver- borum ist eine solche überaus seltene Ausnahme. Und eben weil der scriptor und illuminator der letztgenannten Handschrift zwei verschie- dene Personen ‚waren, so finden wir darin neben Miroslav auch den Namen des Schreibers Vacerad verzeichnet; hätte jedoch Vacerad den Codex nicht bloss geschrieben, sondern auch illuminirt, so hätte er, dem Gebrauche seiner Zeit entsprechend, sich wahrscheinlich nur mit dem Namen „scriptor“ begnügt. Der Hr. Verfasser der skeptischen Bemerkungen ist bemüht, nachzuweisen, dass das erste Miniaturblatt (die Titelminiatur) erst nach dem Tode Kunigundens und von einem Maler verfertigt sein musste, der dem Georgskloster fern stand; ja der Hr. Kritiker be- merkt, dass eben dieses Miniaturbild das späteste der in diesem Codex vorhandenen Bilder sei. Auf diesem Blatte ist näm- lich die Aebtissin auf einem Throne sitzend und in der linken Hand den Krummstab haltend dargestellt, während sie nach dem Buche langt, welches ihr ein knieender Mönch überreicht, den die Aufschrift als: „Frater Colda, leetor de sto. Clemente ordinis fratrum predicatorum, egregius dietator hujus libri* bezeichnet. Hinter diesem kniet ein zweiter Mönch, bei dem die Aufschrift steht: „Benessius canonicus sti. Georgii, scriptor ejusdem libri.* Ueber der Aebtissin schweben zwei Engel, welche in einiger Entfernung über dem Haupte Kuni- gundens eine Krone halten. Zur linken Seite des gothischen Thron- bogens stehen neun Nonnen, über denselben ist die Aufschrift zu lesen: „Priorissa cum conventu“; rechts vom Thronbogen stehen die Worte: „Chunigundis abbatissa monasterü sti. Georgii in castro Pra- gensi serenissimi Boemie regis domini Ottacari secundi filia.“ Oben gewahrt man drei Wappen, und zwar in der Mitte jenes des St. Georgs- klosters, zur Seite aber das ältere Landeswappen, den Adler und das von Otakar II. angenommene Wappen, den böhmischen Löwen. Den späten Ursprung dieser Titelminiatur, lange nach dem Tode der Aebtissin Kunigunde, sucht der Hr. Kritiker durch ERBE Be- weisgründe zu erhärten: sb M 89 „Am Blatte sitzt Kunigunde schon in einer mansio coelestis; wie am Blatte 20 Christus die Jungfrau Maria krönt, so krönen in der Titelminiatur zwei Engel mit einer sehr grossen Krone die Aeb- tissin Kunigunde.“ Am Blatte 20 krönt Christus wirklich die Jungfrau Maria, d. h.: er setzt ihr die Krone auf das Haupt, hier aber schwebt die von Engeln getragene Krone über dem Haupte der Aebtissin, was wohl auf die Versicherung des „schmeichlerischen“ Mönches Colda, dass Kunigunde aller Seligkeiten der Engel und Hei- ligen theilhaftig sein werde (Bl. 30), sich bezieht. Die Worte, die sich von oben zu der thronenden Aebtissin herabziehen: „mundum spre- visti, regnum terrestre liguisti“ deuten keineswegs auf das Hinscheiden Kunigundens, sondern auf die Thatsache hin, dass die Königstochter und verwittwete Herrscherin dem Glanze und der Herrlichkeit der Erde entsagt und sich dem beschaulichen Klosterleben gewidmet hatte, weshalb ihr schon jetzt der Lohn der Seligkeit durch den zweiten Spruch: „felici dono jam te premiando corono“ zugesichert wird. Zur Seite des Thrones ist der Convent der Nonnen versammelt, an der Spitze derselben, laut der Aufschrift die Priorin, Priorissa; den Schluss bildet die kleine Nonnengestalt, welche die Beischrift nach Dobner’s und nach meiner Lesung als „Perchta, domine abbatissae filiae regis gnatta“ bezeichnet. Hr. Dr. Hanus liest statt gnatta — gnana, Zwergin, wogegen ich nichts einzuwenden habe, und gerne Dobner’s und meinen Irrthum zugebe, nur wäre es sehr zu wünschen, dass Hr. Dr. H. einen wenn auch noch so fern liegenden Präcedenzfall vorgebracht und nachgewiesen hätte, dass Aebtissinen zu ihrer Un- terhaltung in den Klöstern auch Zwerginen genährt und in die Ge- wänder ihres Ordens eingemummt haben. Nun hatte aber der Herr Gegner bei der skeptischen Betrachtung dieses Bildes einen sehr wich- tigen Umstand übersehen. Wir gewahren hier den Convent der Non- nen versammelt, an der Spitze derselben, laut der Aufschrift die Priorin, und nicht einmal die Zwergin des Hrn. Kritikers hat der Maler darzustellen unterlassen. Wo ist aber die zu jener Zeit fungirende Aebtissin? Sie ist nicht da, sie ist abwesend! denn die thronende Aebtissin ist ja nach des Hrn. Kritikers Behauptung die verstorbene, in der mansio coelestium gekrönte Kunigunde. Warum erscheint nun, fragen wir, ihre Nachfolgerin nicht an der Spitze der Nonnenschaar, welche der hingeschiedenen Königstochter Kern u 90 huldigt? War dieses Miniaturblatt etwa während der Sedisvacanz im St. Georgskloster verfertigt? Aber nach dem Hinscheiden Kunigundens wurde noch im Jahre 1321 Wracka und nach dieser Sophie von Pěti- chwost zur Aebtissin gewählt und als diese im J. 1345 starb, folgte ihr in der Würde einer Aebtissin zu St. Georg Agnes von Wřeščow nach. (Vgl. Tomek, Dějiny Prahy, S. 597, Hammerschmid Prodrom. Glor. Prag. 387.) Der Hr. Kritiker wird doch endlich, er mag wollen oder nicht, zugeben müssen, dass die thronende Aebtissin keine andere als die zur Zeit, wo dieser Codex ge- schrieben und minirt worden, noch lebende Aebtissin Kunigunde sei. Daraus geht hervor, dass ich keinen so argen Fehler begangen, als ich in den Památky (S. 106) mich äusserte, dass ein Theil des Codex im J. 1312 und ein späterer Theil desselben im J. 1314 verfasst und mit Miniaturen geziert worden sei. Jedenfalls ist hier der Nachweis geliefert, dass das Ganze noch vor dem Tode Kunigundens, d. i. vor dem J. 1321 vollendet und derselben über- reicht worden war. Der zweite Grund, den der Hr. Kritiker gegen meine Behaup- tung, dass dieses Blatt noch zur Zeit der Aebt. Kunigunde und zwar zwischen den J. 1314—1321 minirt worden sei, ist, dass im J. 1314 Colda, der sich hier als „lector de sto. Clemente“ nennt, noch nicht lector, sondern nur frater minimus gewesen sei. Diesen aus dem Borne der historischen Unkenntniss geschöpften Gegenbeweis habe ich durch den Brief Königs Johann an Papst Clemens V. schlagend wi- derlegt, und die aus der Luft gegriffene Annahme des Hr. Krit., als habe Colda diesen Codex für die Dominikanermönche malen und ab- schreiben lassen, ist eben nur eine der gelehrten Seifenblasen, die der Hr. Dr. zur Belustigung seiner Leser steigen lässt. Der Hr. Kritiker setzt p. 44 mit Bestimmtheit voraus, dass der Codex nach dem schon erfolgten Tode Kunigundens zu Stande ge- kommen war und meint sogar: „je später man denselben nach dem Todesjahre Kunigundens zusammengestellt sein lässt, desto mehr klärt sich alles in demselben auf!“ Um dieses nachzuweisen, führt derselbe nebst den oben erwähnten „Gründen“ auch den an, „dass der Frauen- convent bei einer eigenthümlichen Handbewegung demuthsvoll zur ver- ewigten Kunigunde wie zu einer Heiligen hinaufsieht, und dass links Colda und Beneš mit demuthsvoller Miene einen starken Octavband iR Ir 91 der Aebtissin knieend überreichen.“ Der Hr. Verf. schliesst aus der eigenthümlichen Handbewegung der beiden ersten Nonnen auf das selige Hinscheiden der sitzenden Aebtissin; denn leider fällt der zweite Grund der Heiligkeit derselben, nemlich das demuthsvolle Hinauf- sehen zu der Verstorbenen weg: die Augen der Nonnen sind nemlich gar nicht gegen die Aebtissin, sondern nach Vorne, gegen den Be- schauer des Bildes gerichtet. Doch das sind Nebensachen. Viel wich- tiger erscheint wohl dem Hrn. Skeptiker die demuthsvolle knieende ; Stellung des Dictators und Seriptors. Ich kann nicht umhin, zu bez: dauern, dass der Hr. Skept. sich so gar wenige Kenntnisse auf dem . Gebiete der alten Ikonographie gesammelt, dass er nicht einmal weiss, wie auf alten Bildwerken und inbesondere in Miniaturhandschriften Diejenigen dargestellt werden, welche hohen geistlichen und weltlichen Personen, den Päpsten, Bischöfen, Aebten, Königen und Fürsten ihre Werke überreichen. Es geschieht, insoweit mir bekannt ist, knieend. Der Hr. Skept. wolle z. B. Agincourt’s Werk (Malerei T. 68) nach- schlagen; da wird er N. 4 gewahren, wie der Abt des Klosters della Cava von zwei vor ihm knieenden Mönchen ein Buch. (Manuser. des Klosters della Cava) empfängt; ferner überreicht auf demselben Blatte Nr. 5 Johann de Mehun knieend dem Könige Philipp dem Schönen eine Uebersetzung von Boötius’ Buch „de consolatione,“ und in Nr. 6. übergibt Nicolaus Oresmes dem französischen Könige Karl V. knieend seine Uebersetzung der „Politik des Aristoteles;“ endlich, um auch ein Beispiel aus unserem Vaterlande anzuführen, weisen wir auf die Handschrift der Kniha Tovačovská hin, auf deren erstem Blatte Herr Ctibor von Cimburk seine „leges et statuta“ dem Kö- nige Georg von Podebrad knieend überreicht. — Wie lässt sich ferner die Aufschrift, die auf dem aus der Hand des Colda sich zu der Aebtissin emporschwingenden Streifen steht, mit der Ansicht zu- sammenreimen, dass dieses Miniaturbild nach dem Tode Kunigundens gemalt worden sei? Wir lesen darauf: „Suscipe dictata de regum sanguine nata ad laudem christi que me dictare fecisti.“ Glaubt etwa der Hr. Krit., der Maler des Bildes habe diesen Schriftstreifen nach der mansio coelestis hinfliegen lassen ? Nun kommt aber das dritte, nach der Meinung des Hrn. Verf. gewichtvollste Argument, welches gegen meine Ansicht streitet. Es ist der bis auf den heutigen Tag noch vorhandene Krummstab der 92 Aebtissin Kunigunde, weichen dieselbe zufolge der auf dem Stabe be- findlichen Aufschrift von ihrem königlichen Bruder Wenzel IL im J. 1303 erhalten haben soll. „Dieser Stab ist“ — bemerkt der Hr. Krit. — „in Folge der zweimaligen Renovirung vom J. 1553 und 1836 zum Nachtheil des Ganzen völlig umgestaltet.“ Hr. Dr. Hanus be- hauptet weiter: „Die Schnecke dieses Krummstabes erlitt bei der Re- staurirung an sich gar keine Aenderung, wenn man den nur hinzugefügten reichen Edelstein- und Perlenbesatz nicht in Betracht zieht, da er eben den Kern des Ganzen vollends unberührt liess. Diesen Kern bildet nemlich eine äusserst alterthümliche Figur des heil. Georgs, der stehend, als Ritter mit dem Harnisch be- deckt und bei geschlossenem Visire einem vorsündfluthigen Drachen den Speer in den Rachen stösst.* (Der Hr. Kritiker weiset aus- drücklich auf die Abbildungen dieses Stabes in den Pamätky, in der Leipziger illustr. Zeitung, in Lind’s Abhandlung über den Krummstab und auf die getreue, bei Kuranda 1862 erschienene Photographie des- selben hin.) „Vergleicht man nun,“ fährt Dr. H. fort, „das ganz eigenthümliche und sehr in die Augen fallende Bild dieses Georgs- ritters in der Krummstabsschnecke Kunigundens mit dem Bilde des Krummstabs, den in der ersten Miniatur unseres Codex die Aebtissin Kunigunde in der Hand hält, so findet sich im letztern nichts der- gleichen vor. In der Miniatur hält Kunigunde einen ganz gewöhn- lichen Krummstab in der linken Hand, dessen Schnecke im ein Fünf- Blatt ausläuft; vom Georgsritter ist im Stabe auch andeutungsweise keine Spur; ja auch die Inschriftenträger, die vergoldeten Ringe am silbernen Stabe fehlen ganz, denn der Schaft der Miniatur ist ganz glatt und gelb (sohin golden oder vergoldet) und nicht, wie die Pa- mätky sagen, silbern. Wäre nun, wie noch im J. 1860 in den böhmi- schen „Pamätky“ und zugleich in den deutschen „Mittheilungen“ gelehrt wurde, die Miniatur im J. 1312 für Kunigunden gemalt worden, wie hätte es da ein Maler wagen können, der Aebtissin Kunigunde den ihr eigenthümlichen Krummstab, ein königliches Geschenk ihres Bruders, das Zeichen der Machtvollkommenheit des St. Georgsklosters, aus den Händen zu entreissen — wie hätte ein Maler, der nur einigermassen dem Georgskloster nahe stand, so blöde sein können, ein solches Characteristikon zu übersehen, dessen An- denken noch ganz frisch war“ u. s. w. u. s. w., denn der von wissen- 93 schaftlichem Zorne erfüllte Skeptiker führt diesen schwungvollen Satz noch weiter aus und gelangt zu dem Schlusse, dass der auf dem ersten Miniaturblatte dargestellte Krummstab ein fremder baculus sei, welchen Kunigunde gar nie gesehen, oder mit anderen Worten, dass diese Miniatur erst nach dem Tode Kunigundens ent- standen ist! Es war ein für den Hrn. Krit. höchst ungünstiger Augenblick, in wechem ihm ein tückischer Dämon jenen langathmigen Satz einge- flüstert, um den gelehrten Nimbus des Hrn. Krit. in dunklen Schatten zu hüllen. Die alterthümliche Figur des St. Georgsritters, der stehend als Ritter mit dem Harnische bedeckt und bei geschlos- senem Visire einem vorsündfluthigen Drachen den Speer in den Rachen stösst — welche Figur auf dem Miniaturblatte vermisst wird — das ist also einer der Hauptbeweise des spätern Ursprungs der Miniaturen und des ganzen vorhandenen Codex! Jeder Kenner der Waffentracht des Mittelalters wird aber beim ersten Anblick des Ritters in der Krümmung des noch vorhandenen Stabes des St. Georgsklosters deutlich erkennen, dass dieser Ritter nicht in der Waffentracht vom J. 1305, sondern in jener des Jahres 1553 dargestellt ist. Im XIII. Jahrh. trugen die Ritter ein Panzerhemd nebst einer Panzerkappe, die über die Schulter fällt; auf letztere setzten sie den Helm. Arm- und Beinbekleidung sind von Panzer- ringen, so auch der Schurz. Hätte der Hr. Krit. im Passional die Gestalt des den latro niederrennenden Bräutigams, dessen Haupt jedoch statt des Helmes mit einem Kranze geschmückt ist, seiner Betrachtung gewürdigt, so hätte er vielleicht Anstand genommen, seine oben angeführten absoluten Schlusssätze so grell hinzustellen! Ueber die Waffentracht des XIV. Jahrh. schreibt Hefner, sicher der kompetenteste Kenner auf diesem Gebiete (Trachten des christl. Mittelalters I. S. 24): „Die Waffengatung wird immer reicher: der Helm erhält einen Aufsatz des Wappenbildes und eine Helmdecke; die Panzerhemde verstärkt man mit eisernen Schienen an den Armen, so auch an den Beinen bis über das Knie und die Füsse. Der le- derne Waffenrock mit dem Wappenbild geschmückt, ist eng anliegend und sehr kurz, so dass das Panzerhemd darunter hervorsieht. — Die Schilde sind sehr klein, mit dem Wappenbilde versehen und dreieckig.“ 94 Epoche des XV. Jahrh. (Hefner I, 27): „bei der Kriegskleidung verschwand immer mehr das Panzerhemd, welches über einen mit Wolle gesteppten Rock getragen wurde, und die vollständige Rüstung aus geschlagenem Eisen tritt nach der Mitte dieses Jahrhudertes allgemein an dessen Stelle. — Dass seit den Kriegen der Engländer und Franzosen auch in Deutschland die geschmiedeten Harnische in Aufnahme gekommen seien, bemerkt Königshofer in seiner Elsässichen Chronik ausdrücklich. Man unterscheidet überall den Turnierhelm und den Kriegshelm. Ersterer, auch Stechhelm genannt, erhielt gegen Ende des XV. Jahrh. das bewegliche Visir.“ Epoche des XVI. Jahrh. — Hefner zählt die Bestandtheile der Rittertracht vollständig auf; unter diesen sind die wichtigsten: der Helm mit Visir und Federn, die Halsberge, der Harnisch vorn und hinten, die Schulterstücke, Armstücke, Kniestücke, die Beinschienen u. s. w. — Betrachten wir nun einmal die Figur des Ritters an dem im Theresianischen Damenstifte bewahrten Abtsstabe des St. Georgs- klosters. Der Ritter ist mit dem Harnisch bedeckt, und zwar mit dem vorderen und rückwärtigen Panzer, sein Helmvisir ist, wie Hr. Dr. H. schreibt, geschlossen; man gewahrt an der Rittergestalt die Schulterstücke, wie auch die Kniestücke deutlich ausgeprägt. Wir wollen von den übrigen Bestandtheilen der Rüstung dieser Figur absehen und nur noch den Schild in’s Auge fassen. Dieser Schild ist oben, unten und selbst an den beiden Seitenkanten auf eine über- triebene und absonderliche Weise ausgeschweift; das untere Ende desselben ist überdies in der Form einer Schnecke zusammengerollt, und deutet somit auf den Einfluss der Renaissance hin. Nur die ab- solute Unkenntniss der Waffentracht des Mittelalters könnte sich es beikommen lassen, eine solche Schildform dem Anfange des XIV. Jahrh. zuzumuthen. Ich will hier nicht auf die in das Fach der Heraldik ein- schlagenden Werke, wie Majer’s heraldisches A B C Buch oder auf Hefner’s Handbuch der Heraldik hinweisen, sondern begnüge mich mit einigen Andeutungen aus dem kleinen, aber mit praktischem Ver- ständniss verfassten Katechismus der Heraldik von D. v. Sacken, wo es auf S. 9 heisst: „In der zweiten Hälfte des XIII. und im XIV. Jahrh. sind die Schilde klein von der Form eines fast gleichseitigen Dreieckes. Im XV. Jahrh. werden sie an den Seiten gerade, unten abgerundet; in der spätern Zeit im XVI. Jahrh. in der Periode der » PPP 95 Renaissance gab man denselben willkürliche Formen: oval, rund, verschiedenartig ausgeschweift mit allerlei Verschnörkelungen“ u. s. w. Einen solchen barocken Schild fasst nun unser St. Georg, der sich vollständig in der Rittertracht des XVI. Jahrh. darstellt, mit der linken Hand! „Und das Gewicht dieser alterthümlichen Figur,“ schreibt der Hr. Skept. (S. 39), „die bei den Restaurirungen keine Veränderung er- fahren, fällt schwer in die Wagschale!“ Schwer, sehr schwer fällt sie allerdings in die Wagschale, welche des Hrn. Skeptikers wissenschaft- liche Befähigung zur Beurtheilung solcher Kunst- und Alterthums- denkmale gewaltig in die Höhe schnellt! Ich glaube die wohlbegründete Vermuthung ausprechen zu dür- fen, dass der am Titelblatte des Passionals dargestellte Abtsstab eine wenn auch flüchtige Nachbildung des ursprünglichen Pedums Kuni- gundens ist und dass ehemals in der Krümmung des letzteren ein roset- tenförmiges Ornament und unter der Krümmung ein Nodus als Ver- mittler zwischen derselben und dem Schafte angebracht gewesen war. Bei der Restaurirung im J. 1553 wurde aus der Krümmung die Rosette entfernt und jene, der Renaissanceperiode vollkommen entsprechende, Darstellung des mit dem Drachen kämpfenden St. Georgs angebracht. Ueberdies ist es sehr warscheinlich, dass bloss der Schaft des Stabes der alte ursprüngliche ist und dass die ganze Krümmung desselben vom J. 1553 herrührt; denn es hätten sich trotz den bedeutenden Umänderungen, die man im J. 1553 vorgenommen, doch einige gothische Motive an derselben erhalten, von denen man aber, wie ich mich bei der genauen Besichtigung des Stabes im J. 1861 überzeugte, keine Spur nachzuweisen im Stande ist. — Nebenbei muss ich bemerken, dass der Hr. Krit. mich einer falschen Angabe beschuldigt, indem er S. 39 schreibt: „der Schaft in der Miniatur ist ganz glatt und gelb (sohin golden oder vergoldet) und nicht, wie die Pamätky sagen, silbern.“ Da ich vor einigen Tagen das Miniaturbild besichtigte, fand ich, dass nicht ich, sondern der Hr. Skept. sich geirrt, denn der Schaft ist bis zu dem Nodus weiss, die Krümmung aber, so wie ich es richtig in den Pamätky angegeben, vergoldet. Ich kann nicht umhin aus der langen Reihe der absonderlichen Behauptungen des Verfassers der skeptischen Bemerkungen noch eine hervorzuheben, welche uns eine neue Parthie der wissenschaftlichen 96 Bestrebung des Hrn. Dr. Hanuš aufschliesst. Es ist die gelehrte Lucubration über das am. ersten Miniaturblatte abgebildete St. Wen- zelswappen, den Flammenadler. Der Hr. Kritiker schreibt (S. 55): „Wenn man von der Wahrheit ‚ausgeht, ‚dass. in der ‚heidnischen Bil- dung das religiöse Moment auf das innigste mit dem politischen vereint war, wie sich denn auch wirklich der heidnische Landeshaupttempel der Slaven in der Landesburg (hrad) befand, und die Sage vom Vater Čech erzählt, dass. er seine Götter (Palladien, Diedky) trug, als erin Böhmen emzog: so. wird man auch nicht fehl sehen, wenn man an- nimmt, dass auch der Flammenadler der heidnischen Herzoge Böhmens ein religiöses Symbol "war, gleichwie andere altslavische Wappen die Sonne, den Mond, die Sterne darstellten. (?!) Da sich nun als Grund- kern der Mythen des böhmisch-slavischen Stammes die Verehrung der Luft- und Gewittergottheiten ergibt, das Hauptsymbol derselben aber eben der Feuervogel (Pták ohnivák) ist, der in unzähligen Sagen verherr- licht wird, so ist wohl anzunehmen, dass das älteste Wappen der heidnischen Böhmen der Feuervogel, eine Art Gorgoneion d. i. Symbol der blitzenden Gewitterwolke war. — Die zwei gelben dreikantigen Streife, die über die Flügel des Adlers gehen, müssten sodann consequent für Symbole des Feuervogels, d. i. für Donnerkeile (perouny) ebenso erklärt werden, wie die drei gelben Kugeln (zusam- men einem Dreiblatt ähnlich) für die goldenen Aepfel (poma aurantia), die der Feuervogel in allen Mährchen von dem Wunderbaume holt.“ Mit diesen Worten hat der gelehrte Mytholog die bisherige Ansicht über das Alter der Wappen mit einem Schlage umgestürzt. Es ist nicht wahr, dass die Wappen, wie bisher allgemein gelehrt und geglaubt wurde, in der Zeit der Kreuzzüge, am Ende des XI. und im XII. Jahrh. entstanden; die Ansicht, dass diese Sitte in noch späterer Zeit in Böhmen aufkam, ist irrig und Palacky’s Ausspruch: „známá po- vídačka o rozdávání erbův rodinám českým ba i království českému v ležení před Milánem (r. 1159) sama v sobě hloupá jest a od jiných již dávno vyvrácena byla“ beruht auf einem gewaltigen Irrthume; denn der Hr. Dr. hat dargethan, dass das älteste Wappen der alten heidnischen Böhmen der Feuervogel, eine Art Gorgoneion, d. i. Symbol der blitzenden Gewitterwolke war. Nicht das Bild des hl. Landespatrons Wenzel, das man auf den altböhmischen Münzen gewahrt, war das älteste Wahrzeichen des 97 Landes Böhmen und seiner Beherrscher, sondern der Flammenvogel mit den Donnerkeilen und den drei goldenen Aepfeln prangte bereits © im Wappenschilde der heidnischen Herzoge Böhmens. Den Um- stand, dass erst Otakar I. den Adler in den Schild des hl. Wenzels aufge- nommen hatte, dürfte wahrscheinlich der Hr. Kritiker dadurch erklären, dass Otakar I. aus irgend einem heidnischen Archive das ursprüngliche Wappen der heidnischen Böhmen hervorgewühlt und sich beeilthabe, dasselbe in den Wappenschild® des Glaubenszeugen Christi, des hl. Br Wenzels zu verpflanzen. — Es ist, ‚nebenbei gesagt, sehr zu bedauern, 6 dass auf dem, nach der Ansicht des Herrn Mythologen aus dem XII. Jahrh. herrührenden „heidnischen Wappen“ i im Siegel des. "böhmischen Landrechts (welches Size] aber ‚offenbar der zweiten Hälfte des XIII. Jahrh. angehört) bloss zwei Streife in den Schwingen des Adlers an- gebracht sind, und dass der Verfertiger des Siegels die drei poma aurantia an den Zweig eines daneben stehenden Bäumchens aufgehängt hatte. — Allerdings ist es viel leichter in den Gefilden des vorge- schichtlichen Mythus umherzuschwärmen und Citate aus fremden Schrif- ten schockweise an einander zu schweissen, als sich auf dem positiven Grunde der Geschichte und Alterthumskunde zu bewegen, denn zu diesem gehört positives Wissen und eine klare Urtheilskraft, welche. beiden Eigenschaften in den skeptischen Bemerkungen keineswegs glänzend hervortreten. Ich will, m. H., Ihre Geduld nicht länger durch die Anführung der übrigen in den skeptischen Bemerkungen enthaltenen bedenklichen Ansichten auf die Probe stellen, und will mich bloss auf einige, die Gemälde des Passionals betreffende Bemerkungen beschränken. Ob die Miniaturen früher oder später gemalt wurden, als der Text geschrieben war, ist von sehr geringer Bedeutung. Dass jedoch der Codex zu dem Zwecke geschrieben wurde, um mit Miniaturen verziert zu werden, ist daraus zu ersehen, dass überall ein 4“ breiter Seiten- rand zur Aufnahme der Bilder leer gelassen wurde. Dass die Malerei über einzelne Buchstaben des Textes geht, hat der Hr. Krit. selbst; erwähnt, bemerkte jedoch, dass dieses nur Schein sei. Derselbe be- hauptet, dass die Miniaturen nicht von einem, sondern von mehreren Malern herrühren. Als das älteste Stück des gegenwärtigen Codex bezeichnet er das Blatt 10, auf welchem die Leidenswerkzeuge Christi dargestellt sind, behauptet aber, „dass es zu einem fremden, viel Sitzungsberichte 1864. I, 7 (98 gróssern Codex gehört habe, weil die Malereien und Inschriften über die äussersten Ränder oben und unten hinausgehen.“ Daraus müsste man schliessen, dass ein Theil der Malereien und Inschriften oben und unten weggeschnitten sei; dem ist aber nicht so, denn das Blatt ist zwar vollständig mit den zahlreichen Leidenswerkzeugen ausgefüllt, aber nicht ein Buchstabe, nicht ein Federstrich wurde von dem Messer des Buchbinders verletzt. Dass dieses „älteste* Blatt von eben der Hand, wie die Bilder, welche der Hr. Krit. einem dritten Maler, und zwar der Epoche des Verfalles zuschreibt, herrührt, er- sieht man aus der Darstellung Christi am Oelberge auf eben diesem 10. Blatte, welche ganz in derselben Manier wie die übrigen in diesem Codex befindlichen Abbildungen des Heilands ausgeführt erscheint. Nicht bloss die leichte Verwaschung des Carmins am Mantel, und der Faltenwurf des blauen Untergewandes, sondern auch der eigenthüm- liche Ausdruck des mit der Feder gezeichneten Antlitzes Christi ent- spricht vollkommen den übrigen in diesem Codex enthaltenen Dar- stellungen desselben. Es ist nach meiner Ueberzeugung eine und dieselbe Hand, welche die Bilder des Passionals ausgeführt, nur muss allerdings zugestanden werden, dass die Hand des Malers beim Fortschreiten in der Arbeit an Festigkeit und Zuversicht in der Form- darstellung gewonnen, welches am deutlichsten aus der Vergleichung der Bilder auf dem Bl. 20 und 22, an welchem die weltlichen und himm- lischen Hierarchien dargestellt sind, mit den auf den früheren Blättern des Codex vorkommenden Bildern hervorgeht. Leider hat das mei- sterhafte Bild am Bl. 22 keine Gnade gefunden vor den Augen des Hrn. Krit., weil da irgend Etwas am Kopfe des Erlösers verdorben worden. Ueber das herrliche Bild der Mater dolorosa auf dem Bl. 11. äusserst sich Waagen (Gesch. der deutsch. Mal. S. 46): „Ergreifend in Motiv und Ausdruck, grossartig in dem Wurf des Gewandes ist die Mater dolorosa;“ und Passavant (Quast und Otte Zeitschr. f. christl. Archäol. I. 5) preiset dasselbe Bild mit den Worten: „Besonders grossartig gedacht ist die schmerzhafte Mutter Gottes — der grosse Ernst und die Innigkeit, welche sich darin auspricht, sind wahrhaft ergreifend.“ — Hr. Dr. Hanuš versetzt hingegen dieses Bild in die Periode des Verfalles, und schreibt (S. 49): Man wird gewiss nicht behaupten wollen, dass dieselbe Hand, welche das edle Antlitz der „Veronica“ malte, auch das karrikirte Gesicht der Madonna 99 auf dem 11. BL zeichnete. (!!) — Der Hr. Verf. spricht (S. 50) die Vermuthung aus, dass die vor dem Heilande auf Bl. 7 knieende Nonne (die ich fůr die Aebt. Kunigunde halte) die Malerin der Bilder ge- wesen sei, und dass dieselbe möglicher Weise einem bis jetzt unbe- kannten Kloster de sancta lancea angehört habe; darauf folgt die Auf- forderung an die Forscher, diesem verschollenen Kloster von der heil. Lanze nachzuspüren. Diese Aufforderung charakterisirt die kindlich naiven Ansichten des Hrn. Kr. von der böhmischen Geschichtsforschung auf so drastische Weise, dass sie jedem, der mit dem Wesen und dem gegenwärtigen Standpunkte dieser Forschung nur einigermassen vertraut ist, ein mitleidiges Lächeln abgewinnen muss. Am Bilde selbst ist Christus dargestellt, wie er in der linken Hand das Buch des Lebens haltend, die Rechte über eine vor ihm knieende, und die Hände faltende Nonne segnend ausstreckt. In der rechten Seite des Heilands klafit eine weite Wunde, und neben demselben steckt in der Erde eine mächtige Lanze, die dem Hrn. Verf. die Veranlassung zur Construirung eines monasterii de sancta lancea gab. Bei diesem Bilde bemerkt der Hr. Krit.: „Am Bl. 7. kniet eine Nonne, die Christus ein Buch überreicht hat.“ Wiewohl bei der Gestalt des Heilandes die Worte stehen: Aspice vulnera sevaque verbera que toleravi, und bei der Nonne die Worte geschrieben sind: Fili Christe Dei tu miserere mei etc., welche Worte doch nicht die entfernteste Beziehung zu einer Buchüberreichung haben, so verstieg sich doch der Hr. Verf. zu der Behauptung, dass die Nonne dem Heilande ein Buch (von dessen symbolischer Bedeu- tung der Hr. Kr. keine Idee hat) überreicht hat. Christus hält also hier nicht das Buch des neuen Bundes in der Hand, wie es bekanntlich auf zahllosen Bildwerken dargestellt wird, sondern den ihm von der knieenden Nonne überreichten Octavband. Offenbar war es dem H. Verf. darum zu thun ein Analogon zu der Darstellung am Titelblatte aufzuweisen, wo nach seiner Meinung der Mönch Colda der in der Himmelswohnung thronenden Kunigunde einen „Octavband“ überreicht. — Auf dem Bl. 14 hält Christus, vor dem die drei Marien anbetend knieen, gleichfalls ein Buch in der Hand, „wobei aber, wie der Hr. Kr. bemerkt, der Gedanken an die Malerei ganz wegfallen würde.“ Warum sollte ein solcher Gedanke hier wegfallen? Nach der von dem H. Skept. aufgestellten Theorie können die knieenden Frauen dem 7* 100 Erlóser einen von ihnen verfassten, geschriebenen und minirten Codex eben so gut überreicht haben, wie auf Bl. 8 die Nonne de sta. lancea dem Heilande einen Oktavband überreicht hatte. — Aus dem Umstande, dass die heiligen Personen auf einigen Bildern grobe goldene Nimben haben, dass eine grüne Deckfarbe aufgetragen ward oder dass das Blut aus der Wunde Christi an einigen Darstellungen über die Kleider geht, schliesst der Hr. Verf., dass solche Bilder später verfertigt wurden und einer Periode des Verfalls angehören. Nicht also die Zeichnung, Composition, Behandlung des Faltenwurfs und der ästhetische Ausdruck der einzelnen Bilder, sondern das Auf- tragen von Gold und Silber und der „undurchsichtigen grünen Farbe“, wie auch das stärker markirte „Blutvergiessen“ gewähren dem H. Verf. die Anhaltspunkte zur Beurtheilung des künstlerischen Werthes TORE Miniaturen ! Uebrigens darf nicht unerwähnt bleiben, dass der Hr. Skeptiker selbst, allerdings unwillkürlich, nachgewiesen hatte, dass sämmtliche Miniaturen des Passionals noch bei Lebzeiten Kunigundens vollendet worden waren. Derselbe hat nämlich nach mühevollen Studien eruirt, dass das erste Miniaturblatt, auf dem Colda der thronenden Aebtissin sein Werk überreicht, das späteste unter allen Bildern des Codex sei. Da nun nicht der mindeste Zweifel darüber obwalten kann, dass dieses Blatt noch bei Lebzeiten Kunigundens verfertigt ward, so müssen folgerichtig sämmtliche, diesem letzten Blatte der Zeit nach vorangehende Miniaturen um so mehr in jene Zeit fallen, wo Kunigunde dem Georgskloster als Aebtissin vorstand. „Von einer böhmischen Klosterschule,“ schreibt der Hr. Kritiker, „könnte man bei der Würdigung der Bildwerke des Passi- onals höchstens sprechen,“ von einer böhmischen Kunstschule im Allgemeinen ist nach der Versicherung des Verf. nicht räthlich zu reden. Es scheint dem Hrn. Verfasser unbekannt zu sein, dass die Kunst noch am Anfange des XIV. Jahrhundertes zumeist in Klöstern geübt wurde, und dass, wenn von einer böhmischen Kloster- schule zu jener Zeit die Rede ist, eine solche nothwendig mit der böhmischen Kunstschule identificirt werden muss. Am Schlusse seiner kritischen und skeptischen Bemerkungen versichert der Hr. Verfasser, dass durch seine Bemerkungen die Mi- niaturen dieses Codex nichts an ihrem künstlerischen und kulturhisto- c L ja KU (vč 101 rischen Werthe eingebůsst haben — wovon wir vollkommen überzeugt sind — nur dass sie der Zeit nach mehr gegen die Epoche Karl IV., in welcher der Einfluss der italienischen Ma- lerei in Böhmen kenntlicher wurde, gedrängt seien.“ Das also ist des Pudels Kern, Karl IV. Epoche und fremder Einfluss! Es wäre in der Thatsache wünschenswerth, dass der Hr. Skeptiker selbst, wie auch die von demselben aufgeforderten „wah- ren Archäologen und Kunsthistoriker“ recht viele „dog- matische Antworten“ auf die „Räthsel und Fragen des Kunigundencodex“ in der von Dr. H. eingeschlagenen Richtung veröffentlichten; denn ich bin fest überzeugt, dass alle auf diese Weise angeregten Einwendungen gegen die Ansicht, dass dieser Codex zu Lebzeiten Kunigundens, also in der vorkarolinischen Periode vollendet worden war, zur allseitigen Constatirung und Erhärtung dieser rich- tigen Ansicht eben so beitragen werden, wie es mit den bekannten Einwendungen Büdingers und Fejfaliks gegen die Echtheit der Köni- sinhofer Handschrift der Fall gewesen war. Es ist in der That überraschend, dass, während fremde Ken- ner, insbesondere Waagen (Handb. der deutschen Malerei 1862. S. 46.) mit solcher Achtung von den Bildwerken unseres Passionals reden, und der Letztere das Sprechende und Lebendige der Motive, den edlen Geschmack in den nach dem Vorbilde gothischer Skulp- turen geworfenen breiten Falten der Gewänder, und die gute Zeich- nung preiset, und diese Bilder an die Spitze aller gleichzei- tigen Miniaturen stellt, dass, sage ich, ein böhmischer Forscher den Werth dieser Kunstproducte bemáckelt und die von den. ersten deut- schen Kennern anerkannte Existenz einer in der ersten Hälfte des XIV. Jahrh. in Böhmen sich entwickelten Malerschule in Frage stellt! Die Kunstarchäologie ist eine Erfahrungswissenschaft. Man kann sie nicht aus Compendien lernen, man muss selbst viel gesehen, ge- forscht, verglichen und überdiess die Geschichte und die Culturver- hältnisse des Mittelalters überhaupt, und des eigenen Vaterlandes insbesondere genau studirt haben, wenn man nicht in Gefahr gerathen soll, sich durch Urtheile zu compromittiren, dergleichen der Hr. Kri- tiker in seinen „skeptischen“ Bemerkungen zu Markte getragen hatte. — Aus eigener Erfahrung kenne ich nur allzugut das Schwierige einer solchen Forschung, und weiss wohl, dass meine früheren Schriften 102 gar manches enthalten, worůber ich gegenwártig ein strenges Urtheil aussprechen můsste. In dem Masse wie der Vorrath an Erfahrungs- kenntnissen zunimmt, wáchst auch das Misstrauen in die Tadellosig- keit der eigenen Forschung in dieser Sphäre. Ich hätte daher Be- richtigungen etwaiger Irrthümer in meinen anspruchlosen Aufsätzen über die Miniaturen des Passionals der Aebtissin Kunigunde mit Dank und freundschaftlicher Anerkennung hingenommen, wenn sie mit Ruhe und Mässigung vorgebracht und auf einer festen, wissenschaftlichen Grundlage basirt gewesen wären. Aber die masslosen, höhnischen Angriffe des Hrn. Dr. Hanuš, in welchen derselbe nicht meine, son- dern seine eigenen Irrthümer auf dem Felde der Geschichte und der Alterthumskunde blosslegte, nöthigten mich in diesem Vortrage die äussersten Gränzen der wissenschaftlichen Convenienz zu berühren, die ich, weit entfernt von Neid und Streitsucht, von jeher eingehalten habe. Philosophische Section am MM. April 1864. Gegenwärtig die Herren Mitglieder: Weitenweber, Hanuš, Wina- řický, Doucha und Dastich. Herr Hanuš legte das kostbare Manuscript 17. D. 38 der kais. öffentlichen Bibliothek in der Absicht vor, um darin die böhmische Uebersetzung von „Erasmi Ro- terodami Encomium Moriae“ näher zu besprechen. Der Vortragende erklärte sich zum vornherein gegen die Ansicht, das Werk für eine blosse Satyre, oder gar nur für ein Unter- haltungsbuch, das durch Komik wirken sollte, zu halten, indem er demselben wissenschaftlichen Werth und dazu eine durch und durch philosophische Richtung beilegte.. Um nun diesen Beweis in einer der folgenden Sitzungen führen zu können, legte er in dieser Sitzung die dazu nöthige Grundlage empirischer Natur, indem er 1. die Einrichtung des ganzen Werkes, seine bisherige litera- rische Verbreitung und die Aufnahme desselben im wissenschaftlichen Publicum zur Zeit Erasmi und in den nachfolgenden Jahrhunderten auseinandersetzte, sodann 2. die böhmische Uebersetzung in deren Verhältniss zum Ori- ginale näher besprach und i 3. mehrere der wichtigsten Kapitel vorlas. 103 Ad 1. Erasmi Moria schildert die einzelnen Momente der Culturwelt im Beginne des 16. Jahrhundertes, in einer historischen Epoche also, womit die Historiker die Schilderung der Neuzeit d. i. des Bruches selbstständiger Forschung und sich selbst bestimmenden Handelns mit dem positiv und absolutistisch bestimmten Mittelalter beginnen. Erasmus geht alle Stände und Lebensrichtungen dieser Zeit, und zwar vom durchaus humanistischen Standpuncte aus, durch, und weiset deren Verfallenheit nach, wobei er sogar consequent das damalige Chri- stenthum nicht ausnimmt, das denn auch wirklich auf oppositio- nellem Felde durch Luther (1517), auf conservativem Gebiete aber durch das Concil zu Trident (1541) und die Organisirung des Jesuitenordens (1540) sich zu reformiren versuchte. Der lateinischen Ausgaben des Encomium Moriae gibt es unübersehbar viele, ja die erste und zum Theile auch die zweite Ausgabe ist in ein bisher undurchdringliches Dunkel verhüllt. Von Uebersetzungen in lebende Volkssprachen ist die böhmische die erste (schon im Jahre 1513 in einer prächtigen Abschrift vorhanden), was bei den dama- ligen religiös erregten Zuständen in Böhmen, dem das ungünstige Schicksal eine Reformation auf oppositionellem Felde vor der „Refor- mation“ zugedacht hatte, nicht Wunder nehmen kann. Die nächst älteste Uebersetzung ist die französische, bei der das Jahr der Erscheinung im Druck zwischen 1517 bis 1520 strittig ist. Darauf folgt die deutsche Uebersetzung durch Sebastian Franck, ohne Jahr- zahl, doch später als die böhmische und französische Uebersetzung, da Franck erst im J. 1500 geboren ist. Die holländische Uebersetzung ist vom J. 1597 (Amsterdam), die erste englische vom J. 1659 (London), die erste schwedische vom J. 1728, endlich die erste italienische vom J. 1761 (encomia della pazzia, Bassano, französisch und italienisch). Ad 2. Die böhmische Uebersetzung ist von Rehor Hruby z Je- leni, dem Vater des berühmten Sigmund z Jeleni, welcher in nähern freundschaftlichen und literarischen Beziehungen zu Erasmus von Ro- terodam selbst stand, verfertigt und dem Prager altstädter Magistrate im Jahre 1513 gewidmet und zwar in einer Sammlung humanistisch- reformatorischer Schriften, deren nähere Angabe und Beschreibung man in der neuen wissenschaftlichen Zeitung Krok (Prag 1864 1. Heft S. 38—55) findet. Der Humanist, eifrige Utraquist und Patriot Rehor Hruby hat auch noch das Verdienst, dass er weit früher als Ge- 104 rardus Listrius (1522) gelehrte Commentare zur „Moria“ schrieb, die gleichfalls schon in der genannten Sammelschrift vom J. 1518 vorkommen und so ausfůhrlich sind, dass ihr Text an Volumen fast der „Moria“ gleicht. Doch führte ihn zum Commentiren nicht so sehr der Trieb einer wissenschaftlichen Erklärung des an vielen Stellen dunklen Erasmus (weil die seiner Zeit klaren Beziehungen zur Wirk- lichkeit uns theilweise in den Hintergrund getreten sind), sondern mehr der utraquistische Eifer, dem Prager Magistrate als eifrigen För- derer des Utraguismus, so wie der Kunst und Wissenschaft der Re- naissance-Epoche, darzulegen, wie Erasmus, der erste Gelehrte Euro- pa's und angesehene Katholik, im Wesentlichen mit den Lehren der Böhmen utraquistischer Färbung übereinstimme. Da die Zusätze und Erklärungen des aufrichtigen Řehoř Hrubý zum Erasmus deutlich zeigen, dass dem Hruby der gewandte feine Weltmann und kluge Humanist, Erasmus, an manchen Stellen viel zu diplomatisch elegant sich ausdrücke, so ist es wirklich befremdend, wie sich in seiner Uebersetzung nicht nur einzelne derbere ‘Wendungen des lateinischen Originales, sondern ganze Stellen, ja Seiten aus Erasmi Text nicht vorfinden, und gerade solche, die Řehoř Hrubý als Utraquisten be- friedigen mussten, wie denn auch manche Aenderungen im Gedanken- laufe des Erasmus durch die Uebersetzung in ihrer Wirkung als abgeschwächt erscheinen. — Diesen sonderbaren Umstand suchte der Vortragende dadurch zu erklären, dass er annahm, dem Hruby läge bei seiner Uebersetzung nicht einmal die Ausgabe der Moria zu Grunde, welche Erasmus am Ende des Jahres 1511, wie man: we- nigstens sagt, selbst (Argentorati in aedibus Mathiae Schurerii, mense Augusto) veranlasste (womit aber nicht alle folgenden Auflagen im wesentlichen übereinstimmen), sondern der Text, welcher ohne Wissen des Erasmus nach dessen eigener Behauptung im J. 1509 in Paris bei Gilles Gourmont erschien. Dieser Text ist aber bibliographisch und literaturhistorisch fast ganz unbekannt, denn mit Ausnahme seiner Erwähnung bei Brunet (alte und neue Ausgabe, J. Ch. Brunet, manuel du libraire Paris, 1861 II. tome, pag. 1036 J. G. Th. Grasse: trésor. Dresde, Londres 1859 II. tom. p. 494 b.) ist die ganze Aus- gabe wie verschollen. Nun klagt wohl Erasmus in seinem merkwürdigen Briefe an Dorpius im J. 1515, der ihm im Namen ernster Theologen Vorwürfe über das Erscheinen der „Moria“ ‘gemacht, dass das Exem- > 3 ká , +8 £ } re V ir a a 77% > O 2 so a ní. JC As ta 105 plar, welches ihm unter den Hánden ohne sein Vorwissen genommen und nach Frankreich gesandt worden sei, mendosum und mu- tilum gewesen wäre, weshalb er sich beeilt habe, ein vollständiges und treues Exemplar in Strassburg im J. 1511 auflegen zu lassen. Der ganze Brief des Erasmus an Dorpius ist aber keine Rechtfer- tigung, sondern nur eine geschickte Entschuldigung des aalglatten Erasmus, die merkwürdige Widersprüche in sich enthält. So sagt darin Erasmus, dass seine Moria denselben Inhalt, nur in Form eines Scherzspieles, habe, wie sein ernst gehaltenes Enchiridion chri- stiani militis. Wäre dies wahr und namentlich von Erasmus ernst gemeint gewesen, dann hätte es ja nicht so vieler Blätter gebraucht, in denen Erasmus zu beweisen sucht, dass er es nicht sei, der den Theologen in seiner „Moria“ das Wasser getrübt hätte. Der Vortra- sende nahm daher an, dass ohne auf die Ausflüchte des Erasmus in dem Briefe an den glaubenstreuen Dorpius Rücksicht nehmen zu müssen, die durch Erasmus veranstaltete Ausgabe der Moria aller- dings etwas correcter — aber auch herber sei, als die weiter un- bekannte Pariser Ausgabe vom J. 1509. Dass nun aber diese höchst- wahrscheinlich dem Řehoř Hrubý vorgelegen, zeige nicht nur die an- gedeutete Art seiner Uebersetzung, sondern auch und zwar insbe- sondere der Umstand, dass Hruby Text und Commentar seiner Uebersetzung wenigstens im J. 1512 fertig haben musste, da schon eine prächtige Abschrift einer grossen Sammelschrift vom J. 1513 vorliegt, diese Uebersetzung aber nicht den Text vom J. 1511 werde zum Grunde gehabt haben, da es nicht anzunehmen sei, dass ein Werk, das Ende des Jahres 1511 in Strassburg erschienen, auch schon in diesem Jahre in Prag bekannt und verbreitet gewesen wäre, ein Werk aber, das etwa erst im Jahre 1512 nach Prag gekommen, nicht sogleich und mit moderner Uebersetzungshast von dem bereits sehr alten Hrubý, der Anfangs 1514 starb, werde ergriffen und commentirt worden sein: während die Annahme einer Uebersetzung der Ausgabe vom J. 1509 in Paris alles auf einfache Weise erkläre. Allerdings, fügte der Vortragende hinzu, könne diesen Folgerungen nur ein Exemplar vom J. 1509 volle Gewissheit verleihen, da aber ein solches nicht mehr zu existiren scheine, so sei eben darum unter den gedachten Verhältnissen und Annahmen die Uebersetzung des Ř. Hrubý eine bibliographische Merkwürdiekeit und Rarität mehr. 106 Ad 3. Um nun zu beweisen, dass Hrubý einen andern Text als den gewöhnlichen (seit 1522 üblichen) vor sich hatte, wählte der Vor- tragende mehrere Partien der böhm. Uebersetzung und verglich sie mit den unter einander divergirenden lateinischen Ausgaben vom J. 1511 (Argentorati. M. Schurer. 4°) und vom J. 1522 (Basileae. Js. Frobenius. 8°. Manche Lagen in der Strassburger Ausgabe sind jedoch auch zu 8 Bll., z. B. die Signatur E). Denn der Text der letztgenannten Ausgabe, die mit den Noten des Listrius versehen ist, ist bedeutend erweitert und schärfer gegeben, als die Aus- gabe v. J. 1511, ein Beweis, dass die Entschuldigung des Erasmus an. Dorpius nicht im Ernste gemeint war, da erauch darnach seine Ausgaben noch vollständiger, schärfer und beissender gestaltete. So weit es dem Vortragenden möglich war, die so seltenen ältern Aus- gaben der „Moria“ zu vergleichen, bemerkte er, dass mit der Ausgabe v. J. 1522 (Basil. Frobenius) die spätern übereinstimmen, doch weichen die frühern, namentlich die Ausgabe v. J. 1511 (Argentorati, Schurer) bedeutend davon ab, was vielleicht bisher nicht bemerkt worden zu sein scheint. Die Baseler Ausgabe hat auch unter dem Dedi- cationsbriefe an Thomas Morus die sonderbare Jahrzahl 1508, die unmöglich scheint, inwiefern allgemein die Rückreise des Erasmus aus Italien nach Rom in das Jahr 1509 verlegt wird, die Strassburger Ausgabe vom J. 1511 hat aber wiederum die sonderbare Datirung: „Ex rure. Quinto Idus Junias“ (ohne Jahreszahl!) So auch die Uebersetzung Hrubý's: „Dan na diedinie quinto Idus Junias,“ was, wenn die obige Annahme über den Urtext, den Hruby vor sich hatte, richtig ist, auch so in der Pariser Ausgabe vom J. 1509 vor- kommen müsste. Es scheinen überhaupt, trotz den entgegenstehenden Behauptungen des Erasmus in dem Entschuldigungsschreiben an Dor- pius, die erste Pariser und die erste Strassburger Ausgabe nicht bedeutend von einander abzuweichen. Vielleicht sind erst alle Basler Ausgaben mehr nach dem wahren Texte des Erasmus, die andern ältern aber nach der Pariser Ausgabe veranstaltet worden, wovon aber, wenigstens in der Ausgabe Strassburg v. J. 1511 keine äussere Spur zu finden ist, wenn man nicht etwa das sonderbare Wort: op- pido in der Zuschrift: ad lectorem darauf beziehen will, die gleich unter dem Titel angebracht, also lautet: „Habes hic lector Encomion tes morias, hoc est laudem stulticiae, libellum oppido (!) quam 107 facetissmum, ab Erasmo Roterodamo Germanorum decore concinnatum, in quo varii hominum status mire taxantur. Hunc tu si emeris et legeris, dispeream, si non impendio gaudebis. Vale“ (libellum tam lepidum guam facetissimum ?). Mag aber auch die Ausgabe vom J. 1511 mit der Pariser noch so gleich oder doch ähnlich sein, so scheint doch Hrubý dieselbe nicht benützt zu haben, da er z. B. den latei- nischen Text: „ut nihil iam referat etiamsi Chameleonti aut Cucur- bitae — librum inseribes (Sign. E. S. a) böhmisch also gibt: „a již vše jest jedno, by své kniehy Camaleontem totiz jménem jakés byliny, nebo jménem tykve nadepsal.“ (List 168. a.) Dass aber Hrubý's Uebersetzung von den nun gebráuchlichen, mit der Basler Ausgabe vom J. 1522 (Frobenius) übereinstimmenden insbesondere abweiche, ist an dem Capitel: Theologi (Ausgabe 1522. pag. 264, Ausgabe Lugduni Batauorum 1851 pag. 93) deutlich zu sehen, denn von den Worten: Porro Theologos silentio transire fortasse prastiterit, geht die böhm. Uebersetzung nur bis zu den Worten: iam num post resur- rectionem edere aut bibere fas sit futurum (pag. 270, pag. 95), um- dann sogleich bis zur Pag. 279 und 99 úberzuspringen. Dies Stück lautet böhmisch nämlich so (List 169 b.): Ale v písmě svatém uče- ných lépe jest snad mlčením pominüti a tím jezerem kamerýnským nehybati a toho se bajlé smrdutého a nechuť činicieho nedotykati, jakožto těch lidí, ješto jsů naramně hrdí a popudní, aby se snad valem na mne neobořili s nečislnými věcmi k hadaní vydanými a aby mne nepřinutili k odvolání toho, což bych mluvila proti nim: ješto, budü-li chtěti toho učiniti, totiž odvolati, hned budü, Ze sem kacěřka s voláním praviti; neb hned tím hromobitím straší, když se na koho hněvají. Ale ačkoli není jiných lidí žádných, ješto by neradči se přiznávali k těm, kteráž ode mne berü, dobroděním, však i ti sů mi z nemalých přičin zavázáni, když súce blahoslavení samých sebe zalí- benim, rovně jako by sami v třetím obývali nebi, tak všemi jinými lidmi jako zeměplazy z vysoka pohrdají a poněkud jich i pýčí; když tak velikým množstvím k hádaní vypovědí nebo zavržení, přidavkuov přihodných, propovědění rozpravených a nerozpravených jsüce ohraženi (dum tanto magistralium definitionum, conclusionum, corollariorum, propositionum explicitarum et implicitarum agmine septi sunt): tak hojně mají útočist, že ani Vulkanovým tenetem nemohü tak býti po- lapeni, aby nikam ujíti nemohli jakýmis svými rozdíly, kteréž v svých 108 řečech činí, kterýmižto rozdíly (distinctionibus) všecky suky tak snadně rozštěpují, že by jich lépe neroztiela Tenedska halaparta (secant, ut non Tenedia bipennis melius); a velmi mnohými v nově vymyšlenými slovy a potvornými řečmi hemžejí. K tomu, když bozská tajemství vedlé svého zdání vypravují, totiž: kterým spuosobem stvořen a zřížen jest svět, kterými trubami nečistota onoho hříchu Adamova na potomni jeho přišla, kterým obyčejem, které měry, v jak brzkém času v životě panny učiněn jest Kristus, jak v svátosti tiela a krve Kristovy při- padné věci bez toho, na čemž bývají, jsú zuostaveny (accidentia sub- sistant sine domicilio). Ale ty věci jsü již obecné! Nez tyto pak pokládají, že sú hodny velikých a osviecených (jakož oni říkávají) v písmě svatém mužuov a k těm věcem, když na ně kdy uhodí pro- citují, totiž: jest-li jaké vokamžení nebo jaká chvílka v bozském ro- zení, jest-li několikero v Kristu synovstvi (filiationes), jest-li toto pravé propovědění: „buoh otec syna nenávidí“, moh-li jest buoh na se vzíti ženu (suppositare mulierem), nebo ďábla, nebo osla, nebo tykev, nebo kamen; potom, když by již byl buoh tykví, kterak by ta tykev k lidu mluvila, kterak by divy činila a kterak by na kříži byla přibita, a co by byl posvětil sv. Petr v ten čas, v kterýž jest tělo Kristovo na kříži pnělo, a moh-li jest v ten čas. Krystus člověkem nazýván býti, a bude-li možné po zmrtvých vstání jisti a píti? Vidím že se již dávno smějete tak nepevnym vtipnostem těch, ješto jsü v písmě svatém učení. Ale oni se sobě náramně v tom líbí a t. d. Die Ausgabe vom J. 1511 hat nun dem conform den Schluss: Et num post resurrectionen edere aut bibere licebit! Video ridetis jam dudum tam friuolas theologorum argutias. At ipsi felicis- sime sibi placent ete. (Sign. E. 8 b.) Hingegen bei der Basler Aus- gabe weicht der Schluss schon folgendermassen ab: Et num post resurrectionem edere aut bibere fas sit futurum. iam nunc famem sitimque praecauentes. Sunt innumerabiles leptoleschiai, his quoque multo subtiliores ete. (pag 270.) Und so auch die Ausgabe vom J. 1851 (pag. 95). Worauf denn gar arge scholastische Spitzfindigkeiten in theologieis folgen, die in der Strassburger Ausgabe und in Hruby’s Uebersetzung fehlen, sohin auch wohl in der Pariser Ausgabe nicht vorhanden waren, sondern erst später durch Erasmus hinzugefügt wurden. | „vd S ho 109 Naturwiss.-math. Section am 25. April 1864. Anwesend die Herren Mitglieder: Weitenweber, Kořistka, Amer- ling, v. Leonhardi, J. Palacký, Pečírka; als Gäste die HH. Nowak, Ruda und Walter. Secretár Weitenweber legte vor die so eben an die k. Gesellschaft eingelangte Martius-Medaille. Diese zu Ehren des am 30. März 1. J. gefeierten 50-jährigen Doctor-Jubiláums des Münchner berühmten Botanikers und brasilia- nischen Reisenden, geh. Rathes Prof. Carl Friedrich Philipp v. Martius, auf Veranlassung mehrerer Münchner und Wiener Gelehrten herausgegebene Gedenkmedaille gibt im Avers das Bildniss des ver- dienstvollen Jubilars in künstlerisch-gelungener treuer Weise, und stellt im Revers drei Palmenzweige dar mit der Devise: „In palmis resurges“ und der sinnreichen Aufschrift: „Palmarum patri dant lustra decem Tibi palmam.“ Hierauf trug Derselbe einen Aufsatz des Museums-Custos, Hrn. Dr. Lad. Čelakovský vor über die zwölf böhmischen Arten der Gattung Orobanche. Der Vortragende demonstrirte zugleich die betreffenden in Böhmen bisher aufgefundenen, im reichhaltigen Herbarium des Prager Museums aufbewahrten Exemplare derselben, nebst zahlreichen Varietäten. Der Aufsatz lautet: „Von den zahlreichen Orobanchen Mitteleuropas waren bis vor Kurzem nur wenige als in Böhmen wachsend bekannt, und auch P. M. Opiz's Seznam rostlin vom J. 1852 enthält nur sieben Arten (mit Ein- schluss von Phelipaea), von denen jedoch zwei (O. Rapum und 0. Avellanae) sehr zweifelhaft sind. Mir sind gegenwärtig zwölf Arten aus Böhmen mit Gewissheit bekannt geworden, deren nur eine unserem Museumsherbar fehlt. Das meiste Verdienst um die Auffindung neuer böhmischer Orobanchen haben im letzten Decennium die Herren Winkler, Malinsky und Thiel. Eine Mittheilung der sicher bekannten böhmischen Arten dürfte um so willkommener sein, als bei der Schwie- rigkeit der Gattung Orobanche die Kenntniss derselben bei uns noch gar sehr im Argen lag. Für ihre richtige Bestimmung bürgt übrigens der Name des Hrn. Grafen H. Solms, der die Güte hatte unsere Museums- Sammlung zu revidiren, und dem wir manche Berichtigung verdanken. 110 Aus der Untergattung I. Osproleon Wallr. sind folgende Arten einheimisch: | 5 a) Staubgefässe über der Basis innerhalb des un- tersten Drittheiles der Kronenröhre entspringend. © 1. ©. Epithymum DC. Fehlt noch in Opiz’s Seznam rostlin, ist aber schon im J. 1816 von J. Jungbauer bei Krumau unter an- derer Benennung gesammelt worden. Die gewöhnliche armblüthige, niedrige Form findet sich im Bielathal bei Bilin (Hampel), auf der Rovney bei Aussig (Winkler, Juni 1852), bei Kaplitz (Kirchner, 1840 als O. caryophyllacea), am Mileschauer Berg (Jos. Kablik, ebenfalls als O. caryophyllacea), bei Oberplan in Südböhmen (E. Purkyně). Die Forma congesta Solms mit wenigen in eine runde, kopfförmige Aehre genäherten Blüthen: bei Krumau auf dem Kalkfelsenberg und der Felsenwand dem Schwalbenhof gegenüber (Jungbauer 1816). Die Forma elongata Solms mit etlichen 15, ziemlich entfernt stehenden Blüthen in verlängerter Aehre ist ebenfalls von Krumau (Jungbauer). Die prachtvolle var. superba Solms, die nach Graf Solms bisher nur in Böhmen gefunden worden, über 1—2“ hoch, mit langer locker- blůthiger Aehre aus grossen (1° langen) lichtblaurothen und dunkler geaderten Blüthen, sammelte Winkler an der Bielalehne bei Bilin, (Juli 1853); sie soll auf Trifolium alpestre, Salvia silvestris schmarotzt haben, während die normalen Formen auf Thymus Serpyllum aufsitzen. 2. ©. Galii Duby (0. caryophyllacea Smith). Hat wohl unter allen bei uns vorkommenden Orobanchen die grösste Verbreitung. -Bei Prag sammelte ich sie im Juni 1851 auf Galium verum unterhalb der Kirche auf dem Berge bei Kuchelbad nebst der gelben Variet. stro- biligena; in einem folgenden Jahre sah ich sie daselbst wieder in vielen Exemplaren, in einem noch späteren Jahre aber war sie zur selben Jahreszeit ganz ausgeblieben. Dann im fůrstl. Lobkowitz’schen Garten (Knaf 1825), auf dem Břežaner Berg, gegenüber Königsaal (Grimm, Kalmus), auf den Bergen von Karlstein (Dr. Ruda) und St. Ivan, in der Podbaba (nach Presl). In der Tupadler Fasanerie (Opiz), am Hradišken und bei Pokratic bei Leitmeritz (Thiel); bei Roudmic (Presl); am Sperlingstein bei Tetschen (Malinský). Im Eidlitzer Eich- busch bei Komotau (Knaf); bei Saaz (nach A. Reuss fl. * O. Avellanae Pfund. Diese Orobanche wurde von Corda einmal im Stern bei Prag, angeblich auf den Wurzeln der Hasel- 111 nusstaude gefunden und von Pfund in der Flora von 1843 ausfůhrlich beschrieben. Die Originalabbildung Pfund’s befindet sich, nach des Grafen Solms Mittheilung, im Besitze Alexander Braun’s in Berlin; die Originalexemplare aber sind wahrscheinlich mit Pfund’s Herbar, unbekannt wohin, ausgewandert, daher die Art bis heute zweifelhaft geblieben ist. A. Braun glaubt, dass sie zu seiner O. lucorum ge- hören oder derselben wenigstens ziemlich nahe stehen dürfte. Von anderen Arten dieser Gruppe soll sich O. Avellanae durch unbehaarte, nur in der Mittellinie des Staubfadens mit einer Reihe von Haaren versehene Staubgefässe unterscheiden. Es verlohnte wohl sie in der angegebenen Gegend wieder zu suchen. b) Staubgefässe über dem untersten Drittheil, bis fast in der Mitte der Kronenröhre entspringend. «) Narbe gelb. 3. O. rubens Wallr. Ich fand sie bei Prag im Juni 1851 auf der Marienschanze nahe am Bruskathore auf Medicago sativa, Opiz bei Kuchelbad, Knaf in Prag im fürstl. Lobkowitz'schen Garten mit O. Galii (1825), Ruprecht auch bei Prag ohne nähere Angabe. Ferner wurde sie gefunden bei Bilin (Hampel, Winkler), bei Hollay bei Leit- meritz (im Herb. Opiz), bei Roudnic (nach Reuss fil.), bei Jungfer- břežan (v. Leonhardi). 4. O.stigmatodes Wimmer (?). Die Entdeckung dieser schönen, kräftigen Art haben wir Hrn. Prof. Thiel zu verdanken, der sie bei Leitmeritz angeblich auf Papilionaceen, wie z. B. Ervum Lens, Trifo- lium pratense, Medicago sativa und Onobrychis, gesammelt hat. Hr. Graf Solms bemerkte brieflich zu ihr: „Diese Orobanche ist ausnehmend interessant. Es gehören die Exemplare weder zu O. Kochii noch zu O. rubens. Der O. Cervariae Suard ähnlich, aber viel robuster und mit stark behaarten Staubfáden.“ — Ich halte sie für die ächte O. stigmatodes Wimmer’s, wiewohl leider unsere Museumsammlung kein authentisches Exemplar derselben zur Vergleichung besitzt. Aber die genaue Beschreibung in Wimmer’s Flora von Schlesien, sowie die von Schultz in der Flora 1847 gegebene Blüthenanalyse lassen mich an der richtigen Bestimmung kaum zweifeln, welcher auch Graf Solms, dem O. stigmatodes ebenfalls nicht genauer bekannt ist, nicht entgegen ist. Möge hier eine kurze Beschreibung der Leitmeritzer Pflanze stehen: Kelchblätter fast gleichmässig 2-spaltig mit lanzettlich-pfriem- 112 lichen Zähnen, länger als die halbe Kronenröhre, sowie die Deckblätter dicht drůsenhaarig zottig. Krone röhrig-glockig,: mitten am Rücken gebogen; Saum faltig-kraus, stark ausgefressen gezáhnt; ‚Oberlippe schwach 2-lappig. Staubgefásse gerade im. untersten Drittheil: der Röhre eingefügt, sehr ungleich: die zwei unteren (mittleren) sind be- deutend länger und stark bogig herabgekrümmt, die zwei oberen kür- zer und gerader; die Staubfäden über die Mitte hinauf innen» dicht- zottig, zuoberst drüsenhaarig; Staubkolben kurz eiförmig mit ziemlich langen, abgesetzten Spitzchen. Narbenlappen abstehend, fast kugelig. — Die Kronen verrathen auch getrocknet einen röthlich-braunen An- flug. Die ganze Pflanze robust, oben stark zottig. Be Die O. stigmatodes ist nach Schultz, Wimmer, Fries und Rei- chenbach synonym mit O. elatior Sutton oder O. major Linné. Sie kommt in Schweden und Schlesien nur auf Centaurea Scabiosa vor, womit allerdings Thiel’s Angabe nicht stimmt, doch mögen derlei An- gaben nicht gar sicher sein, wie auch für unsere O. Picridis, loricata etc. andere Nährpflanzen als anderwärts angegeben werden. | 5. O. Kochii Schultz (0. strictiflora Knaf in Herb. 1859). Sie wurde zuerst bei Gratz gefunden, von Koch in seiner Synopsis der deutschen und schweiz. Flora unter O. stigmatodes mit einbegriffen, erst von Schultz (in der Flora 1847) als besondere Art aufgestellt. Da sie in Koch’s Synopsis 2. Auflage noch nicht enthalten ist, so gebe ich ihre vorzüglichsten Unterschiede von O. stigmatodes und rubens. Sie ist weit schlanker, dünner, kleinblůthiger, weniger behaart, besonders die ziemlich gleichmässig getheilten Kelchblätter sind glatt mit spárlichen Drůsenhaaren. Die Corollen frisch blassroth oder pfir- sichblüthroth ; getrocknet hell röthlich-braun, unten weisslich und ziemlich gerade, glockig-röhrig, am ganzen Rücken nur sehr sanft ge- bogen, mit klein kerbig-gezähneltem Saume; Staubgefässe bis zur Hälfte weich behaart, ziemlich gerade, die unteren nur wenig länger, die Staubkölbchen in die kurze Spitze verschmälert. Narbenlappe sehr gespreizt, mehr nierenförmig (nicht kugelig). O. Kochii war bisher in Böhmen unbekannt, dürfte. aber, nach den bereits ausgemittelten Standorten zu urtheilen, hier nicht selten sein. Dr. Knaf fand sie auf dem „Schwarzen Hůbel“ bei Komotau an einem Ackerrande auf Centaurea Scabiosa im Juli 1859 blůhend. Die von Dr. J. Schöbl in der Podbaba (15. Juli 1853) angeblich auf 113 Artemisia campestris gefundene und als O. loricata Rchb. bestimmte Pflanze gehört ebenfalls hierher. Im Herbar des Dr. Ruda sah ich sie auch von Karlstein (mit O. Galii zusammen gesammelt) und bei Volšan nächst Prag. Auch habe ich sie vor Jahren mit Dr. Em. Pur- kyně in einem Weizenfelde auf See in der Náhe von Beroun gefunden. 6. O. Cervariae Suard (in Godron Flore de Lorraine 1843, 2. p. 180). Diese Art fand Malinský | zuerst im Juli 1851. auf dem Mileschauer Berge, dann 1856 bei Sebusein an der. Elbe. Der Finder hielt sie zuerst für O. lucorum Br., daher die unrichtige Angabe Winkler's (im österr. botan. Wochenblatt 1853 p. 251), dass die O. lucorum auf dem Donnersberge vorkomme. Malinsky überzeugte sich später, dass die Pflanze auf Libanotis montana schmarotze, und: Opiz bestimmte sie in der Lotos 1856 p. 247 als 0. Libanotidis Ruprecht, die wohl ebenfalls auf der genannten "Náhrpflanze ‚aufsitzt, aber eine © ganz andere Art ist. (S. Reichenbach Icones Fl. german. Ledebour Fl. ross.) In der Zeitschrift. Lotos (a.'a. O.) veröffentlichte auch Opiz die von Malinsky nach der frischen Pflanze entworfene Beschreibung dieser Art, daher ich sie nicht wiederholen mag, obwohl die Art in. Koch’s Werke noch nicht vorkommt. Die Verbreitung der: O. Cerva- riae, soweit sie bis jetzt bekannt, ist sehr. interessant; dieselbe besitzt nämlich mehrere weit getrennte Verbr eitungsbezirke , so einen in Frankreich und im angránzenden westlichen Deutschland (Hessen nach. Grisebach, Baden nach Döll.), einen anderen im westlichsten Theile Oesterreichs, nämlich in Böhmen und in Mähren (bei Olmütz nach Reuter). In Frankreich ist Peucedanum Cervaria die sAtuelange. B) Narbe purpurn oder purpurviolett. 7. O. Picridis Schultz. Für Böhmen eine neue Art; wurde bisher nur einmal von Prof. Thiel am Radobyl bei Leitmeritz (1857 angeblich auf Eryngium campestre) gefunden. Anderswo sitzt sie der Picris hieracioides auf. 8. O. loricata Reichenb. Opiz hat sie zwar in seinem Seznam aufgeführt, allein er scheint unter diesem Namen keineswegs die Rei- chenbach’sche Art verstanden zu haben; wenigstens ist die angebliche - O. loricata aus der Podbaba,- auf ach sich Opiz in der Lotos 1856 beruft, wie oben bemerkt, eine ©. Kochii.' Dadurch wird auch : der andere von Opiz angeführte Standort, die Sasa von "Leitmeritž, wo ; 8 Sitzungsberichte 1864. I. ai ur ET 114 Mediz. Schultz die Pflanze schon 1831 gefunden haben soll, sehr zwei- felhaft. Einzig sicheres Vorkommen ist auf dem Sperlingstein bei Tet- schen; daselbst sammelte sie Malinský im Juni 1852 angeblich auf Alyssum saxatile, wiewohl diese Art sonst auf. Artemisia RR wuchert. . * O0 min or Smith? Nach Wolfner (Lotos 1853 p. 48) hátte“ dieselbe Müller bei Leitmeritz gefunden. Da mir kein böhmisches Exemplar zu Gesicht gekommen ist, so mag die Richtigkeit der Angabe s bleiben. y) Narbe weisslich, Blumen blau. sis 9. O. coerulescens Stephan. „Um Weisswasser, nicht háufig © aber auf mehreren. Punkten auf Artemisia (campestris (Hippelli 1862). Früher schon entdeckte sie Malinsky bei Černosek a 1854); hielt sie aber für O. arenaria Borkh. . -Die Untergattung II. PAS Tournef. enthält dení böhmische Arten, und zwar: 10. O. arenaria Borkh. Der einzige sichere Standort ist in der Podbaba bei Prag, wo sie schon den beiden Presl’s bekannt war und später wieder von Tausch und Opiz gesammelt worden. Presl’s Flora čechica und Opiz's Seznam haben die Pflanze unter dem Namen 0. coerulea, die erstere jedoch mit dem eitirten Synonym: O. purpu- rea Jaca., welche: nach Neilreich wirklich die Ó. arenaria ist. | (11. 0. coerulea Vill. Im- Herbarium des Hrn. F. Tempsky in Prag fand ich die ächte Pflanze, welche vor vielen Jahren von J. Sy- kora bei Stirin einige Stunden von Prag gesammelt worden. 12. O. ramosa L. Auf Cannabis sativa bei Pardubic und Böh- misch-Brod (Opiz), bei Tetschen (Malinský). „Anmerk. O. Rapum Thuill., welche Opiz (a. a. O.) anfůhrt, . dürfte schwerlich in Böhmen vorkommen; ich vermuthe, dass Opiz die O. major der älteren böhmischen Botaniker (Presl Fl. čech.) durch O. Rapum interpretirt habe. Hr. A. Nowak (alsGast) hielt einen Vortrag über die Schwankungen des Quellenergusses oder der ur ausflussmenge. : Dass nahezu alle Quellen bezüglich. ihres Ausfnssen oder ihrer Ergiebigkeit mehr weniger betráchtlichen Schwankungen. unterworfen seien, steht nun bereits fest und mit vollstem Rechte sägte der aus-- 115 gezeichnete Lyoner Hydrologe J. Fournet schon vor sechs Jahren: gu" il est a croire que le débit d’ aucune fontaine n’ est réellement invariable.“ *) — Wenn ich mir nun erlaube, hier úber die verschie- denen Schwankungen des Quellenergusses zu sprechen, so geschieht diess, weil ich diese Erscheinungen für viel wichtiger halte, als man gewöhnlich pflegt, und weil ich dabei nicht sowohl die Ab- sicht habe, alles darüber schon Bekannte **) hier neuerdings in er- müdender Breite auseinander zu setzen, sondern mehrere dieser Phä- nomene in eine naturgemässe Verbindung zu bringen, hin und wieder minder bekannte Thatsachen an die schon allgemein bekannten an- zureihen, insbesondere aber bei mehren derselben nachzuweisen; dass die bisherige Auffassung und Deutung mindestens unzureichend, ja nach meiner Ueberzeugung sogar durchaus falsch und unrichtig sei. Wenn man, nebenbei gesagt, bei vielen Quellen und Brunnen die quantitativen Schwankungen des Quellenergusses häufig nicht be- merkt, so hat diess sehr oft nur darin seinen Grund, dass jede Quelle den über ihrem Austritte befindlichen Brunnenraum bloss bis zu einer gewissen Höhe erfüllen kann, indem die Masse des über der Quelle sich ansammelnden Wassers dem weiter empor- oder überhaupt hervor- strebenden Quellwasser durch seine Last immer mehr entgegenwirkt, so dass endlich alles fernere Einfliessen, bezichungsweise alles fernere Emporsteigen der in das Bassin mündenden Quelle nach Erreichung einer gewissen Gränze aufhören muss, ein Umstand, den besonders der k. Franzensbader Brunnenarzt Dr. Cartellieri experimentell in äusserst anziehender Weise sichergestellt hat. ***) Was nun zunächst diejenigen Schwankungen des Quellenergusses anbelangt, welche in einem mehr weniger deutlichen Zusammenhange mit den Jahreszeiten stehen, so muss ich insbesondere der sogenannten Mai- oder Frühlingsbrunnen Erwähnung thun, und zwar darum, weil es mir platterdings ungerechtfertigt erscheint, diese hochinteressanten. Quellen kurzweg damit abzufertigen, dass man sie aus dem nur in * *) Mémoires de l’ Academie imperiale des sciences, belles-lettres & arts de Lyon. Classe des Sciences. VIII. Tome. 1858 p. 223. **) Vergl. Gehler’s physikal. Wörterbuch. Artikel: Quellen. - ***) Die Franzensquelle in Eger-Franzensbad und der atmosphärische Luftdruck. Ein Beitrag zur Physik der Mineralquellen.-Von Dr. Cartellieri. Prag 1860. 8* ei wur le a Mr u Eu rt o 3 PERS a A a Ze 116 der'wármeren Jahreszeit schmelzenden ewigen Schnee und Gletscher- eise entstehen lässt. *) Schon Prof. Gustav Bischei erzählt von zwei Schweiskiksellie ‚deren eine ihm an der Töll bei Meran, die andere zu Hitte hinter - Platte in Tyrol gezeigt wurde, welche beide regelmässig um Georgi (Ende April oder Anfang Mai) erscheinen und ebenso regelmässig im November (um Katharina) verschwinden, und von denen beiden die Anwohner versichern, „dass ihr Erscheinen und Verschwinden ganz regelmässig und unabhängig davon sei, ob es viel oder ‚wenig schneit, ‘ob ein trockenes oder nasses Jahr sei, und ob der Schnee früh oder spät im Herbste erscheint oder im Frühjahre verschwindet.“ Aber -noch bestimmter, wie diese Aeusserung der Bewohner von Meran und Hitte in Tyrol, spricht gegen die bisherige Ansicht eine Quelle „des zwischen Ungarn und Siebenbürgen liegenden Bihar-Gebirges. Dieser. Maibrunnen, den Dr. Adolf Schmidl**) die intermittirende. Quelle von Kaluger nennt, und der schon darum interessant ist, weil er Eruptionen von zweierlei Art macht, nämlich stärkere und schwä- chere, denen entsprechende längere und kürzere Perioden der Ruhe vorhergehen, ***) jst es noch mehr darum, weil derselbe trotzdem, dass er in einem notorisch ganz gletscherlosen Gebirge und weit unter der Schneegränze, nämlich in der mässigen Höhe von nur 1220 Fuss über. dem Meere aus Kalkstein entspringt, doch, und zwar „nach den übereinstimmenden Aussagen verlässlicher Männer in der Gegend,* mit den Jahreszeiten regelmässig zu- und abnimmt. „Im Spätherbste, nach dem griechischen Feiertage des hl. Medru (Demetrius, Santul Demetriu, 7. November neuen Styles) bleibt das Wasser ganz. aus und die Eruptionen beginnen erst wieder nach dem griechischen Feier- tage.40 Märtyrer im Monate März.“ — Gewiss würden sich, wenn man diesem Gegenstande nur mehr Aufmerksamkeit schenken wollte, in kurzer Zeit noch viele andere derlei Maibrunnen constatiren lassen, *) J. Fournet a. a. O. p. 225. dann: Lehrbuch der chemischen und physika- lischen Geologie von Gustav Bischof. I. Band. Zweite Auflage. Bonn 1863. ‚Seite 238. **) Beschreibung des Bihar-Gebirges an der Grenze von Ungarn und Sieben- bürgen. Von Dr. Adolf Schmidl. Wien 1863, es von Förster und Bar- telmus. S. 56. ***) Erstere im Mittel 1 Stunde 21 Minuten 54 Secunden; letztere im Mittel 23 Minuten 45 Secunden: WW. die ebenso wie die intermittirende Quelle von Kaluger, unabhängig von allem sogenannten ewigen Schnee und allem Gletschereise in Ge- genden vorkommen, wo weder jener noch dieses irgendwo zu finden ist. Allerdings gibt es periodische, nur im Hochsommer fliessende Quellen, die unbestreitbar von dem Schmelzwasser der Gletscher . erzeugt und genährt werden. Eine solche ist, nebst manchen anderen, die schon von Ebel erwähnte und von Gustav Bischof *) genau beschriebene, 200 Schritte von den berühmten Leucker Bädern . (Schweiz) entfernte, eiskalte Quelle, die den Namen Liebfráuen-Brunnen führt.‘ Aber bei dieser lässt sich ihre Abstammung: aus dem Lötsch- Gletscher ziemlich verlässlich nachweisen, und es ist der Umstand’ wichtig, dass sie in der Regel erst im Juni zu fliessen beginnt und schon Ende August oder Anfangs, September wieder verschwindet, während die eigentlichen Maibrunnen um viele Wochen eher erscheinen und um viele Wochen später zu fliessen aufhören. Was überhaupt die sämmtlichen Gletscherbäche anbelangt, so wäre es wohl sehr ungereimt, deren zur Sommerszeit jedenfalls immer viel reichlicheres Fliessen nicht wenigstens zum Theil auf Rechnung der in der gedachten Jahreszeit kräftiger vor sich gehenden Schmel- zung des Gletschereises und ewigen Schnee’s zu setzen. Wenn man. aber sofort sich schon für berechtigt hält, den im Sommer vorkom- menden höheren Stand aller Seen der mit Gletschern"bedachten Ge- birgslánder; ž. B. den um beiláufig 6 Fuss höheren Stand des Bodensees nuř dieser sommerlichen Eis- und Schneeschmelze zuzuschreiben; so übersieht man, dass es thatsächlich unzählige Seen gibt, die keine - ‚derartige Gletscherbäche .in sich aufnehmen, und welche dennoch ebenfalls im Sommer ein beträchtlich höheres Niveau zeigen, wie im "Winter. So z. B. die Canadaseen, wo die Differenz zwischen dem- © Sommer- und Winterniveau beim Ontario im Mittel von 4 Jahren über 11 Fuss, beim Erie sogar in einem Jahre gegen 22 Fuss betrug. **) Auch in einer mit Seen reichlich gesegneten Gebirgsabtheilung unseres Continentes, welcher: es an eigentlichen Gletschern durchaus fehlt, nämlich in der hohen Tatra (Central- Karpathen), :scheint überall zur Sommerzeit ein höherer Beate jener Seen, ‚die‘ man dort 'sewöhnlich +) a. a. 0. S. 239. -. : **) Poggendorff"s Annal. Bd. 94. Antane die werde der, Regen in der ge- N Zone. Von- H. W. ča : ře | Meeraugen nennt, und hiemit auch eine gróssere Ergiebigkeit der jene Seen speisenden, von keinen Gletschern ernáhrten Ouellen vorzukommen. Wenigstens meldet Hr. Prof. GC. Kořistka in seiner trefflichen Schil- derung dieses Gebirges, *) wie sich die Tiefe dieser zahlreichen Seen auch dadurch ändere, dass das Niveau derselben periodischen Schwan- kungen ausgesetzt sei, und wie ihn Männer, die das Gebirge genau kennen, versichert haben, der Wasserspiegel der meisten jener Seen sinke im Spätherbst und "Winter um 4, 5, ja sogar bis 12 Fuss unter -das Niveau des Frühlings und Sommers. Uebrigens haben schon zu Ende des vorigen Jahrhünderien die - Engländer W. Bland und Henwood hieher gehěrende Beobach- tungen gemacht und hat dabei wenigstens Bland gefunden, **) dass - die Wasserhöhe in gegrabenen Brunnen zur Zeit des Sommersolsti- tiums am höchsten, zur Zeit des Wintersolstitiums am niedrigsten erscheine. Und selbst Prof. Gustav Bischof, der entschiedenste neu- ere Verfechter der bisherigen Quellentheorie, muss gestehen, dass es Quellen‘ gebe, „welche in der wármsten Jahreszeit am reichlichsten- fliessen.“ ***) Nicht minder ist jener Erfahrungen hier zu gedenken, die Prof. Pettenkofer in neuerer Zeit über das mit den Quellen im innigsten Zusammenhange stehende sogenannte „Grundwasser“ ge- sammelt und aus denen sich ihm ergeben hat, dass der tiefste Stand des Gründwassers (in München) gewöhnlich Ende December oder Anfangs Jänner eintrete, dass von da an das Grundwasser regelmässig steige und seinen höchsten Stand meistens Ende Juri oder Anfangs - Juli erreiche, wo dann wieder eine rückschreitende Bewegung folge usw. Wenn man aber meint, dass man sich die grössere Ergiebigkeit der Quellen während des Sommers auch dort, wo die Hinweisung auf ewigen Schnee und Gletschereis nicht zulässig, dadurch leicht erklären * könne, dass man sich. auf die im Allgemeinen meist grössere: Regen- menge des Sommers beruft, so ist auch hiegegen gar- manche -nicht unbedeutende Einwendung zu machen. Zunächst ist schon der Umstand sehr beachtenswerth, den be- züglich des Grundwassers selbst Prof. Pettenkofer ausdrücklich *) Mittheilungen aus Justus Perthes geographischer Anstalt von Dr. A. Peter- mann. Ergänzungsheft Nr. 12. Koristka: Die hohe Tatra in den Central- Karpathen. S. 19. „**) Gehler’s physik. Wörterbuch ; Artikel Quellen. 779) a. 2.0. S. 259. 119 hervorgehoben hat, dass námlich der Regen auf den Stand des Grund- wassers keinen Einfluss habe, indem es oft geschehe, dass: es sehr stark regnet, ohne dass das Grundwasser in dem Masse steigt, als der Regen fällt usw. ”) | Aber noch viel wichtiger erscheint die Thatsache, dass Dr. Car- tellieri auch die quantitativen Schwankungen der Franzensbader Mineralquellen vollkommen unabhängig gefunden hat von den atmosphärischen Niederschlägen; und es dürfte nicht über- flüssig sein, die bezügliche, einem werthen Schreiben desselben ent- ‘lehnte Stelle, deren ich schon vor zehn Jahren öffentlich gedacht habe, **) hier noch einmal wörtlich anzuziehen: „Obgleich, sagt der- selbe, zur Regenzeit das Wasserquantum (der Franzensbader Mineral- quellen) gewöhnlich grösser war, so fand ich in den atmosphärischen ‚Niederschlägen doch keinen Erklärungsgrund, einmal schon wegen. der immer gleichen Temperatur der Quelle und wegen ihres constanten (mit: den besten Apparaten geprüften) Mineralgehaltes, andererseits aber, weil sich die Wassermenge immer schon vor Ein- tritt des Regens vermehrte, dagegen nach mehrtägigem Regen, wo sie hätte steigen müssen, gerade abnahm.“ — Und doch ist auch in Franzensbad, nach dem um Vieles älteren Zeugnisse des Chemikers Zembsch zu Eger, welcher die Mineral- quellen von Franzensbad durch die Jahre 1826—1829 „mit grösster Genauigkeit“ beobachtete, das Wasserquantum der Heilguellen in den Monaten Mai bis August, also im Sommer, immer am bedeutendsten. ***) Desgleichen ist bei sehr vielen anderen Mineralguellen die Er- siebigkeit während des Sommers notorisch eine wesentlich grössere, als im Winter. Von Pfáfers z. B. meldeten die Zeitungen im Sommer 1856 umständlich, dass die dortige Heilguelle sogar bis zum 18. Juni zur grossen Besorgniss des Curortes nicht einmal ein volles Drittel. ihrer gewöhnlichen Wassermenge geliefert und erst vom 19. Juni reichlicher zu fliessen begonnen und nur allmálig ihre vollständige‘ Ergiebigkeit wieder erlangt habe, so dass auch der Hof Ragaz. wieder mit dem erforderlichen Quantum ihres Wassers versorgt werden konnte. © *) eich Allg. Ztg. 1859. Nro. 56, 61. **) Nowak’s: Witterung und Klima in ihrer Abhängigkeit von den Vorgängen der Unterwelt (des Erd-Innern). Leipzig 1854. S. 103. ***) Constitutionelles Blatt aus Böhmen. Prag 1851. Nro. 85. 120 „n Westphalen hat man sowohl bei vielen Sůsswasser- wie bei den ‚meisten der ‚dortigen Soolguellen ein starkes Schwanken in der Quan- tität nach den Jahreszeiten, namentlich zu Werl, bestimmt beobachtet. *) Sogar gewisse Erdölquellen fliessen nur im Sommer. 80 nach Eichwald’s Versicherung **) in Kachetien (Gouvernement Tiflis) die in der Nähe eines Salzsee’s, beziehungsweise in der Nähe der | sogenannten Königsquelle auf einem Berge befindlichen, acht bis zehn . Naphthaquellen. Ja selbst bei den Luftvulkanen (Volcanitos) des Dorfes Turbaco in Neugranada, kleinen, mitten in einer Ebene 'gele- genen Kegeln, an ‘deren Gipfeln sich eine mit Wasser erfüllte Oeffnung © befindet, ‚soll sich sowohl die Gewalt der Gasausströmung (fast reiner Stickstoff), wie auch die Zahl der Explosionen nach der Jahreszeit richten. ***) ‘Wer aber durch alles dieses noch nieht davon überzeugt ie sein sollte, dass die grössere während des Sommers stattfindende Er- giebigkeit der Quellen keineswegs in der vermeinten bequemen Weise durch die Hindeutung auf die in eben dieser Jahreszeit vorkommende grössere Regenmenge erklärt werden könne, dem möchten wir noch die von Russegger verbürgte Thatsache zu Gemüthe führen, die Thatsache nämlich, dass auf der Insel Milo, also einer Insel der an Sommerregen notorisch überaus armen Cykladen- gruppe, am Fusse eines Hügels eine mächtige, jährlich 218000 Ki- logramme Salz liefernde Soolquelle hervorsprudelt, welche im Monat August jedes Jahr an Quantität zuzunehmen beginnt, während zu gleicher Zeit aus vielen runden, röhrenförmigen Löchern von einigen Zoll Durchmesser, die sich südwestlich von dem erwähnten Hügel befinden, Eruptionen von heissem, schlammigem Wasser statt- finden, so dass sich also daselbst periodische Schlammvulkane bilden.) - Auch regelmässige Schwankungen der Quellenergiebigkeit nach den Mondesphasen scheinen vorzukommen, wenigstens bei: man- chen Quellen. Diess wurde bekanntlich schon von Astruc bezüglich *) v. Alberti. Halurgische Geologie. I. Band. S. 321. **) Eichwald's Reise in den Kaukasus; daraus in v. Alberti Halurgische Geo- logie. I. Band. 1852. S. 142. (9%) A. de Humboldt & Bonpland Voyages. Relation historigue. Atlas pittoresgue. Paris. 1810. p. 240 sg. +) Neues Jahrbuch fůr Mineralogie. 1840. S. 204. Daraus in v. Alberti: Ha- lurgische Geologie. I. Band 1852. S. 154. 121 einer Auelle auf dem sogenannten Wunderberge bei Krakau behauptet. *) Und im Militárhospital zu Lille, etwa 8; geogr. Meilen vom náchsten Punkte der Meereskůste entfernt, stellte man stůndliche Beobachtungen über die bei constanter Wasserhöhe ausfliessende Wassermenge und viertelstündige über die Höhe des Wassers, nach Unterbrechung des Ausflusses an und es ergab sich, „dass die grössten Veränderungen in dem Ergusse und in der Wasserhöhe den Syzygien, die schwächsten den Quadraturen entsprechen,“ sowie ferner, dass das Maximum etwa -8 Stunden nach dem Eintritte der höchsten Fluth zwischen Důnkirchen und Calais stattfinde. **) Ebenso hat im J. 1844 Richard Schom- burgk zu Georgetown (Britisch-Guiana) siebzehn artesische Brunnen vorgefunden, von denen einzelne ihre Wasserstrahlen zur Zeit der Springfluthen um 2—3 Fuss höher steigen lassen als zur Ebbezeit, ***) während sonst dieser Unterschied zwischen der Höhe des Strahles während der Ebbe und Fluth nur beiläufig 18 Zoll beträgt. Hr. Epede sah auf Grönland mehrere Quellen, welche die Ei- genheit hatten, nur zu Zeiten der Springfluth auszutreten. +) Auch bei zwei Brunnen auf den Sanddünen von Helgoland, bei denen sich nach Art der Ebbe und Fluth des Meeres die Höhe des Wasser- spiegels um 2—3 Fuss zu verändern pflegt, hat Fr. Hoffmann den Einfluss der Springzeit „sehr merkbar“ gefunden. $+) Ein ähnliches Verhalten mögen übrigens wohl sämmtliche Quellen | zeigen, bei denen man, wie diess von einzelnen Fällen schon einem Julius Cäsar und Plinius bekannt war, eine tägliche, Ebbe und Fluth darstellende, Oscillation der Ausflussmenge beobachtet und deren Berghaus eine ziemliche Anzahl namhaft gemacht hat. +++) Quellen mit regelmässiger täglicher Ebbe und Fluth hat auch Darwin in einigen Theilen Westindiens als „eine gewöhnliche Erscheinung“ und im indischen Meere auf den Keeling-Inseln, ungefähr 110 Myriameter von der Küste von Sumatra entfernt, angetroffen. *7) Und ohne Zweifel *) Gehler’s physik. Wörterbuch, Artikel: Quellen. **) Compt. rend. 1842..pag. 310. Daraus in Poggendorft’s Annalen. Band 56, S. 641, 642. ***) Reisen in Britisch-Guiana. I. Theil. Leipzig 1847. S. 51. ‘+) Gehler a. a. O. ++) Berghaus: Lánder- und Völkerkunde. II. Band. S. 18 u. 19. +++) Ebendaselbst. *+) Wissenschaftliche Reisen. II. Bd. S. 238. 122. gehört auch noch jene interessante Thatsache hieher, die mir vor einigen Jahren mitgetheilt wurde, dass nämlich zu Warmbrunn in Schlesien auf Kosten des Hrn. Grafen Schafgotsch durch den Ingenieur “Hrn. Milch in Granit eine Quelle mit regelmässiger Wärme-Ebbe und Fluth erbohrt worden sei, was wohl kaum anders gedeutet werden kann, als dass die betreffende Quelle auch in Betreff ihrer Ergiekiéšh einer regelmássigen Ebbe und Fluth unterworfen sei. Wenn man nun aber nach dem Grunde all’ dieser interessanten Quellenerscheinungen frägt, so wird uns kurzweg gesagt, die Ebbe ‘und Fluth des benachbarten Meeres sei die Ursache derselben. Ist dem aber wirklich so? Vor Allem ist Nachstehendes zu erwägen. Quellen, deren Zusammenhang mit dem benachbarten Meere wirklich nachweisbar, sind durchaus salzhaltig. Angenommen nun, alle die von Munke, Berghaus u. A. aufgezählten Quellen mit deutlicher Ebbe und Fluth stammen aus dem benachbarten Meere, und eben darum nehmen sie an den rhythmischen Bewegungen desselben Theil, so ist nicht wohl zu begreifen, wie selbe nicht salzige sondern Süsswasserquellen sein können. Allerdings wird -man darauf hinweisen, dass das Meerwasser auf seinem mehr weniger weiten unterirdischen Wege zur betreffenden Quelle einer Art Filtration unterworfen sei, durch die es leicht seines Salzgehaltes entledigt werden könne. Zugegeben; aber dann wird gewiss eben durch dieses natürliche unterirdische Filtrum die vom Meere ausgehende rhythmische Bewegung sehr bald schwächer und schwächer werden und längst nicht mehr bemerkbar sein, bevor das durchpassirende Meerwasser den Ort der Quelle noch erreicht hat. Geschieht letzteres nicht, dann konnte das Meerwasser eben kein derlei Filtrum passiren, und die betreffende Quelle müsste nothwendiger Weise eine Salz- nicht eine Süsswasserquelle sein. Soll aber das Wasser solcher, Ebbe und Fluth zeigenden Quellen von einer mit dem Meere nur communicirenden, aber doch süsses Wasser haltenden Schicht gespendet werden, so ist wenigstens dann die Fortpflanzung der Oscillationen des Meeresniveaus auf den Quellenerguss nicht zu begreifen, wenn die betreffende Quelle wesentlich höher liegt, als der Spiegel des Meeres, wie z. B. jene von Budum in Island, welche um 30 Fuss höher als das 1000 Schritte davon entfernte Meer. Sie wird endlich, trotz allen scharfsinnigen Hinweisungen Bischofs o auf die © Ya. a. 0. S. 258, s ří 193 Aehnlichkeit mit einem Stossheber udgl. ganz unbegreiflich, wenn man die Erscheinung auch bei Quellen findet, welehe sogar acht und eine halbe geogr. Meile vom nächsten Meere entfernt sind, wie beim Brunnen im Militärspitale zu Lille und bei jenen von Ebeling angeführten Quellen, die aus einer Bergreihe bei Hannover in New-Jersey (Nord- amerika) entspringen. Wie ungemein gerade und glatt und weit müsste nicht der unterirdische Kanal construirt sein, durch welchen sich, ohne von der unendlichen Reibung auf dem acht und eine halbe Meile langen Wege vollständig paralysirt zu werden, die Pulsschläge des Oceans noch in deutlich bemerkbarer Art in einer bescheidenen, so weit vom Rande des Meeres entfernten Quelle äussern könnten. Wo aber fänden sich solche Ideale von Wasserleitungen in der Natür? Auch die überall zwischen der Ebbe und Fluth des Meeres und den entsprechenden Oscillationen der Quellen wahrnehmbaren Diffe- renzen der Zeit sind nach der bisherigen Ansicht schwer zu begreifen. Wie z. B. lässt sich annehmen, dass die Schwingungen des Meeres, wenn sie wirklich Ursache der Ebbe und Fluth des Brunnens im Mi- litärspitale zu Lille, erst acht Stunden später daselbst fühlbar werden? Und wenn man diess vielleicht damit erklären wollte, dass ja eben die Entfernung des Meeres daselbst über acht Meilen beträgt, so muss ‚dagegen bemerkt werden, dass es wieder nach dem Journal de Tre- voux (1728... October) zwischen Brest ..und "Landerneau zu Plougastet, - an einem Meerbusen und nur 75 Fuss vom Meere entfernt, einen 20 Fuss tiefen Brunnen. gibt, dessen Boden :höher liegt, als die: Oberfläche des Meeres, und welcher die Eigenschaft hat, zu 'steigen, "wenn das Meer ebbt und umgekehrt fast ganz zu versiegen, wenn es ' fluthet. Also auch .bei diesem, so nahe am Meere liegenden Brunnen ‘* findet sich eine mehr als sechsstündige Verspätung der Gezeiten. Wie ist das Alles in Einklang zu bringen? — Doch genug. Jeder Unbe- fangene wird bereits überzeugt sein, dass das interessante Phänomen der Ebbe und Fluth bei den Quellen durch die bis jetzt florirende Quellentheorie nicht erklärt werden könne. Diess führt aber un- mittelbar zu einer andern Betrachtung... © Wie kommt es, darf man fragen, dass man, wenn nicht das be- nachbarte Meer sondern irgend eine: andere noch unbekannte Ursache bei dieser Ebbe und Fluth der Quellen im Spiele, solche regelmässig oscillirende Quellen doch bis jetzt fast ausschliesslich nur in der Nähe RE CAM, S 124 des Meeres auf Küsten und Inseln wahrgenommen hat? Ohne hie- . gegen auf die Quelle des Wunderberges bei Krakau und die interes- - sante Therme im Granit von Warmbrunn hinzuweisen, mache ich nur áuf zweierlei aufmerksam. © Erstlich darauf, dass der Küstenbewohner durch das täglich sich wiederholende Schauspiel der Ebbe und Fluth des Meeres zur- Aufmerksamkeit auf solche rhythmische Vorgänge an- gespornt wird, während diess im Innern der Continente nicht geschieht. Es kann daher auch im Innern der Continente recht füglich derlei regelmässig oscillirende Quellen geben, aber man beachtet sie nicht. Andererseits ist sehr zu erwägen, dass es selbst mit der Ebbe und Fluth des Meeres sich wesentlich anders verhalte an den Küsten wie auf hoher See; dort mitunter Differenzen des Niveaus von mehr als 70 Fuss (Fundibay); hier nur Unterschiede von 12— 14 Zoll und selbst | noch weniger (Tahiti, Sargassomeer u. m. a.) Warum könnte nicht ° Aehnliches auch bezüglich der Ebbe und Fluth der Quellen stattfinden, so nämlich, dass die Quellen im Innern der Continente nur eine ganz unscheinbare, ‘schwache, jene an den Küsten und auf Inseln aber eine weit beträchtlichere hätten? —— Und wirklich lassen sich schon’ jetzt manche Thatsachen anführen, welche dafür- sprechen, dass überhaupt fast alle Quellen eine wenn auch häufig nur sehr schwache, so doch immer ziemlich regelmässige Ebbe und Fluth zeigen.. Diese That“ sachen aber "umfassen wieder eine höchst. merkwürdige Reihe von Schwankungen des Quellenergusses, die ich der Kürze wegen die- barometrischen nennen will. | Das Verdienst, diesen, allerdings auch schon Anderen, einem © Haus, Lersch u. A. bekannten Schwankungen eine ganz besondere’ Aufmerksamkeit geschenkt zu haben, gehört dem Hrn. Dr. Cartel- lieri. In seiner bereits angeführten kleinen Schrift wird uns kate- gorisch gesagt: „dass die Menge der Franzensbader Mineralquellen mit der Grösse des Luftdruckes im umgekehrten Verhältnisse stehe.“ — „Je höher. das Barometer. steigt, heisst .es weiter, desto weniger — Wasser fliesst von den Quellen ab; je tiefer es sinkt, desto reich- licher werden die Abflüsse. - Bei einem Quecksilberstande voh 325 Linien lieferte das Abflussrohr der: Franzensquelle immer 7—8 Mass (zu 40 Unzen) Wasser in der Minute; bei 309 Linien flossen jederzeit | 17—18 Mass ab.“ — „Bei mittlerem Barometerstande war auch die Ergiebigkeit der Franzensquelle stets eine mittlere, d. h. sie betrug © 125 12—13 Mass in der Minute ....“ Genug, Hr. Dr. Cartellieri hat nachgewiesen, dass bei den Franzensbader Mineralguellen eine immerhin überraschende, wenn auch nicht vollständige Uebereinstimmung der Ergiebigkeitsschwankungen mit den in umgekehrter Weise stattfin- denden Schwankungen des Barometerstandes vorkomme. Bei gewöhn- lichen Quellen werden freilich, und zwar aus Gründen, deren Ausein- andersetzung hier zu weit führen möchte, diese Ergiebigkeits-Schwan- kungen mit den Oscillationen des Barometerstandes minder deutlich übereinstimmen, wie bei den Mineralquellen; sie werden aber doch auch bei den meisten immer noch mehr weniger nachweisbar sein. © Ich habe dies umständlich wenigstens an dem von Dr. Cartellieri be- schriebenen ‘Verhalten einer Franzensbader Süsswasserquelle gezeigt, und muss hier der Kürze wegen auf jene Arbeit verweisen. *) Hoffentlich werden diese Verhältnisse recht bald durch andere sorgfältige Beobachtungen die gewünschte Bestätigung erhalten. Ge- schieht diess aber, wie ich nicht zweifeln kann, und wird sich dann mit Bestimmtheit herausstellen, dass die barometrischen Ergiebigkeits- schwankungen, von denen ich so eben gesprochen, so ziemlich allen oder doch den meisten Quellen gemein sind, dann wird eben damit auch nachgewiesen sein, was ich oben vorläufig nur als Wahrschein- liehkeit bezeichnet habe, dass nämlich das Phänomen der täglichen Ebbe und Fluth nicht bloss bei gewissen Kůsten- und Inselquellen, sondern auch bei den Quellen im Innern der Continente, wenigstens bei sehr vielen derselben, allerdings aber nur in schwacher Ausprä- gung beobachtet werden könne. Oder zweifelt noch Jemand an den - täglichen Barometerschwankungen mit ihrem regelmässigen meist zwei- maligem Maximum und Minimum? — Nun aber zur Erklärung dieser interessanten Erscheinung. Alle, welche bisher über derlei Schwankungen gesprochen, am entschie- densten eben wieder Dr. Cartellieri, nahmen keinen Anstand, die ganze Erscheinung ohneweiters auf Rechnung des nun stärker, nun schwächer auf die Quellenausflüsse einwirkenden atmosphärischen Luft- druckes zu setzen. Ausgehend von der bisherigen falschen Ansicht vom Ursprunge der Quellen, kann man am Ende keine andere, we- 774) Bemerkungen zu Dr. Caitellieri’s Schrift „die Franzensguelle zu Eger- Franzensbad und der atmosphärische Luftdruck.“ (In der Zeitschrift Lotos, ‚Jahrg. 1860. Juli. S. 149, 150.) 3 126 nigstens einigermassen befriedigende Erklärung finden. Ich habe aber bei Besprechung der Cartellieri’schen Beobachtungen und Ansichten *) unwiderlegbar nachgewiesen, dass die in Rede stehende Erklärung, so naheliegend und ungezwungen sie zu sein scheint, dennoch eine durchaus unrichtige sei. Selbst Dr. Cartellieri sah sich genöthigt, einige Thatsachen einzugestehen, die sich mit solch’ einer Erklärungs- weise nicht wohl vertragen. Er sagt z. B. ausdrücklich **): „Es kam allerdings vor, dass die Wassermenge hinter der Erwartung einiger- massen zurückblieb oder die letztere um etwas übertraf, so dass also die Bestimmung der Wassermasse, welche die Franzensquelle bei jeder Linie des Barometerstandes geben sollte, nicht immer haarscharf zutraf.“ Und weiter: „In der That eilen die Veränderungen der Abflussmenge jenen des Barometers meistens vor- an usw.“ — Aber nicht genug daran; bei einem strengeren Eingehen in die von Dr. Cartellieri veröffentlichten Beobachtungen stellte sich heraus, dass sich ohne Mühe bei wenigstens 20 unter 60 Beobach- tungstagen mehr weniger bedeutende Abweichungen von der im Allge- meinen allerdings zutreffenden Regel nachweisen liessen, dabei Ab- weichungen von ziemlich auffallender Art, von denen man durchaus nicht gelten lassen kann, es sei nur eben kein „haarscharfes Zutreffen“ udgl. Mit einem Worte: der Luftdruck scheint wohl die Ursache der barometrischen Quellenschwankungen zu sein, er ist es aber nicht wirklich! — — Zunächst an das eben besprochene Phänomen reiht sich das mitunter vorkommende zeitweilige, mehr weniger plötzliche Aus- bleiben sonst reichlich fliessender Quellen. So hörte die schon mehrerwähnte Franzensquelle zu Franzensbad am 10. November 1859 Nachmittags 5 Uhr plötzlich zu laufen auf und fing erst nach 32 Stunden d. i. den 12. November Morgens 1 Uhr wieder zu laufen an. Dabei zeigten auch alle anderen Mineralquellen von Franzensbad, und auch eine gewöhnliche Süsswasserquelle eine Verminderung ihres Abflusses, ohne jedoch, wie die Franzensquelle, vollständig zu versiegen. Um so merkwürdiger war es, dass zu derselben Zeit eine viele Meilen davon entfernte Quelle, nämlich der Sprudel in Soden bei Frankfurt a. M. ein gleiches Ausbleiben zeigte und ebenfalls nach einigen Tagen in *) in der Zeitschrift Lotos. Prag 1862. Juli. **) a. a. O. . 127 seiner gewöhnlichen Máchtigkeit wiederkehrte. — Dass man zur Er- klärung dieser Erscheinung mit dem allerdings auch hier zu Hilfe genommenen Luftdrucke nicht wohl ausreiche, obwohl letzterer wirklich während des ebengemeldeten Ereignisses zu Franzensbad bedeutend hoch, náhmlich 27“ 63 und zur Zeit des Wiedererscheinens um 53 niedriger gewesen, geht schon daraus hervor, dass derselbe hohe Luftdruck doch jedenfalls öfters in Franzensbad wahrgenommen wird, ohne dass die Quelle ausbleibt. Uebrigens kommt ein Ausbleiben von - Mineralquellen mitunter unter ganz. eigenthümlichen Umständen vor, so dass man wenigstens in solehen Fällen die Ursache dieses Aus- bleibens nicht in der Luit, sondern im Innern der Erde zu suchen berechtigt ist. So erwähnt R. Herrmann bei Besprechung der kau- kasischen Mineralquellen, zumal jener von Pětigorsk ausdrücklich, dass die Haupt-, nämlich die Alexandersquelle, in Betreff ihrer Wasser- menge wie ihrer Temperatur überhaupt, grossen Schwankungen unter- worfen, von: Zeit zu Zeit gänzlich versiege, und dass dem Ausbleiben der Quelle regelmässig Explosionen im Innern der Erde vorhergingen, die mit einem heftigen Donnerschlage oder mit dem Knalle einer ex- plodirenden Mine verglichen wurden. Ein solches plötzliches Versiegen der genannten Alexandersquelle sei, nach der Zusammenstellung von Batalin,-in den Jahren 1807, 1822, 1830, 1839 und 1853 beobachtet worden. In anderen Fällen,’ deren leicht sehr viele namhaft gemacht werden könnten, sind gleichzeitig Erdbeben, vulkanische Ausbrüche und sonstige grossartige Naturerscheinungen, wenn nicht in unmittel- barer Nähe, so doch irgendwo beobachtet worden und hat man dann diese und jene Erscheinungen auf die mannichfachste Weise mit ein- ander in Verbindung zu setzen gewusst. Auch das plötzliche Stillstehen ganzer Quellencom- plexe, also ganzer, wenn auch nur kleiner, Flüsse gehört hieher, nicht sowohl jenes, welches in Folge von Stockung des Wassers durch irgend einen heftigen gerade entgegenwehenden Wind oder durch irgend ein seitwärts eindringendes, eben übermächtig angeschwollenes Gewässer eines zweiten Flusses herbeigeführt wird, sondern ein Still- stand, zu welchem sich wenigstens dort, wo er sichtbar wird, kein unmittelbarer Grund finden lässt. Einige nicht uninteressante derartige Thatsachen finden sich in 128 Jos. Hoser's Beschreibung des Riesengebirges. *) Es heisst daselbst: „Den 10. December des Jahres 1810 ereignete sich in den Frůh- stunden das sonderbare, noch nicht befriedigend erklárte Phánomen, i dass der Zacken still stand d. h. durch mehrere Stunden zu fliessen aufhörte, so zwar, dass sein Bette vom Gebirge bis zu seiner Mündung in den Bober (unter Hirschberg) stellenweise trocken lag, und man trockenen Fusses hindurch gehen konnte. Dieses Phänomen — fährt Hoser fort — hat sich, so viel man weiss und aufgezeichnet hat, seit Anfang des 18. Jahrhundertes siebenmal ereignet, nämlich in den Jahren 1703 den 17. März Früh von 6—9 Uhr, 1746 Mitte März nach Thebesius, 1773 den 19. März Früh von 5—9 Uhr, 1785 den 3. December durch 3 Stunden nach Leonhardi, 1797 den 13. März Früh von 4—6 Uhr, 1797 den 19. März Früh von 5—7 Uhr, 1810 den 10. December Früh von 64—74 Uhr“ — Aehnliche vorübergehende Stillstände hat schon zu wiederholten- malen der aus dem Wettersee entspringende Fluss Motala gezeigt. Sie waren bei diesem die natürliche Folge eines ungewöhnlichen, ziemlich plötzlichen Sinkens des Wettersees, eines Vorganges, der auch bei vielen anderen’ Seen häufig genug beobachtet wird, beim Gen- fersee unter dem Namen der „Seiches“* bekannt ist und den man ebenfalls, wıeder mit Unrecht, durch den Luftdruck erklärt hat.. Auch vom Flusse Clyde in Schottland, von der Pregel bei Kö- nigsberg, dem wasserreichen Duro und dem Flusse Alba de Tormes in Spanien haben Kant und v. Hoff derlei Stillstände erwähnt; wobei es interessant ist, dass bei diesen wie beim Zacken, die Still- stände, deren Zeit genauer angegeben, durchgehends in die Winter- monate (zu welchen in unserem Riesengebirge auch der März gehört), also in diejenige Zeit fallen, wo bei den Quellen überhaupt der nie- drigste Stand des Jahres beobachtet wird. Dem zeitweiligen Ausbleiben der Quellen und dem dadurch be- dingten vorübergehenden Stillstehen der Flüsse direct entgegengesetzt sind jene Vorgänge, wo der Erguss einer oder einiger Quellen plötzlich so enorm gesteigert wird, dass die gewöhnlichen Quellenmün-, dungen für -die herandringende Wassermasse nicht mehr zureichen. Dann pflegen hin und wieder neben den gewöhnlichen Quellen, und zwar meist an etwas höher gelegenen Stellen neue Quellen zu —*) Das Riesengebirge und seine Bewohner. Von Dr. J. Hoser. Prag 1841. P 129 erscheinen, Quellen, welche man an diesen Stellen sonst nie oder doch nur sehr ‚selten fliessen gesehen. hatte. — Mit einigen solcher Ueberschussquellen, die in der Provinz Languedoc den beson- deren Namen Estavelles führen, hat uns in neuster Zeit Fournet bekannt gemacht. *) „Nicht weit vom Thale der Bourne, erzählt Der- selbe unter Anderem, befindet sich jenes des Flusses Cholet, in dessen Bett sich die Wasser mehrerer Quellen ergiessen. Als nun am 30. Juli 1851 die gewöhnliche Mündung der einen dieser Quellen (des Flüsschens Frochet) für die Ausleerung des andringenden Was- sers nicht mehr ausreichte, bildete sich zur Linken und etwa 30 Meter höher, eine andere Oefinung, die Niemand früher gekannt, und ergoss ebenfalls eine grosse Menge Wassers.“ — „Was den Cholet selbst anbelangt, so ist derselbe mit zwei höher gelegenen Ueberschussquellen versehen, deren Ergiessung zur Zeit grosser Anschwellung ein nor- males Ereigniss bildet. Am 13. Mai 1554 gegen 6 Uhr Nachmittags wurden dieselben Erscheinungen beobachtet in Folge eines Sturmes, der auf dem Berge von Larps ausbrach; aber sie zeigten sich noch eigenthümlicher an den Quellen von Laval, indem rechterseits von denselben plötzlich eine ganz unbekannte Quelle hervorsprang und eine so entsetzliche Menge Wassers ausschüttete, dass der Cholet, der damals nur wenig angeschwollen war, fast plötzlich um mehr als einen Meter höher stieg.“ Als eine derlei Ueberschussquelle, welche jedoch häufiger als die meisten dieser Classe, zu fliessen pflegt, ist auch die interessante periodische Quelle von Ztracena in der Nähe der hohen Tatra (Un- sarn) zu betrachten. Nach Dr. Schaub **) nämlich fliesst diese am Fusse des „Rabensteines“ hervorsprudelnde Quelle „nicht in regel- mässigen Zeitabschnitten, sondern je nachdem die Jahreszeit nass oder trocken ist, manchmal binnen 12, manchmal jedoch auch nur binnen 48, gewöhnlich aber binnen 24 Stunden einmal; voran geht ein Brausen und Murmeln in der Erde, dann erscheint das Wasser anfangs langsam einsickernd auf dem Grunde des Beckens, sprudelt aber bald reichlich von allen Seiten zwischen dem Gestein, besonders von unten hervor. Das überlaufende Wasser treibt gleich bei dem Austreten aus dem Becken ein kleines Mühlrad, an dem ein Hammer FAR **) Mittheilungen der k. k. geograph. Gesellschaft zu Wien. V. ně * Sitzungsberichte 1864. I. x HE rd’ 130 angebracht ist, welcher auf eine Eisenplatte schlägt und so weithin über Berg und Thal das Fliessen der Quelle verkündigt. Das Wasser ergiesst sich länger als eine halbe Stunde, dann sinkt es langsam, bis es allmälig ganz ausbleibt. Unterhalb der periodischen Quelle sickert das Wasser an vielen Stellen schwach, aber ununterbrochen hervor. Das ganze umliegende Gebirge besteht aus grauem Kalke.“ — Sehr grossartige derlei Ueberschussquellen sind: der sogenannte Bauerngraben bei Rotteberode am Südabhange des Harzes, der Eichner See in der Nähe des Rheins, der Zirknitzer See in Krain usw. — Auch diese Ueberschussquellen sind nach der bisherigen Quellentheorie nicht genügend zu erklären, ausser man wollte sich wieder mit dem „Luftdrucke“ udgl. zufrieden stellen. Insbesondere muss man die Annahme verwerfen, dass die Ueber- schussquellen nur durch vorangehende starke Regengüsse entstehen, zumal dann verwerfen, wenn man die von Fournet mitgetheilten Notizen genauer würdigt. Denn nicht allein, dass er ausdrücklich angibt, die beiden Ueberschussquellen des Cholet haben am 13. Mai 1854 in Folge eines auf dem Berge Larps ausbrechenden Sturmes zu fliessen angefangen; so wird noch bestimmt erwähnt, dass der Cholet damals „nur wenig angeschwollen gewesen“, was offenbar sagen will, es habe um diese Zeit gar nicht oder doch nur unbedeutend geregnet. Vom Eichner See meldet Kant sogar wörtlich, es sei das merkwür- digste an ihm, dass er bald stark anlaufe, bald ganz austrockne, ohne darin von Zeit oder Witterung abzuhängen. *) Aehnliches lässt sich vom Zirknitzer See behaupten. In die Klasse solcher Ueberschussquellen gehören unstreitig auch alle jene, welche unter dem Namen „Hungerquellen“ oder „Theu- erbrunnen“ (franz. bramafan) bekannt sind und die nur dann zum Vorschein kommen, wenn sogenannte „nasse Jahre“ eintreten, **) ja die gewöhnlich diesen nassen Jahren gewissermassen schon vorher- zugehen, sie zu verkündigen, dagegen schon zu verschwinden pflegen, wenn sogenannte trockene Jahre erst im Anzuge sind. Dass es endlich auch Störungen im gewöhnlichen Abflusse der Quellen gebe, welche mit Erdbeben, vulkanischen Ausbrüchen und =) Kant's Physische Geographie. III. Bd. I. Abthl. S. 94, 95. **) Beispiele dieser Art in Bischof’s Lehrbuch der Geologie. I. Auflage. S. 74 und figd., dann in Nowak’s Witterung und Klima. S. 102. * 131 andern ausserordentlichen Naturprocessen im Zusammenhange stehen, ohne dass dieser Zusammenhang bis jetzt genügend aufgeklärt wäre, diess wurde schon früher flüchtig angedeutet. Ueber mehrere eigenthůmliche, von Arago gesammelte That- sachen, auf Quellenerscheinungen vor und während Gewittern sich beziehend, hatte ich bereits vor drei Jahren die Ehre, an eben diesem Orte meine Ansichten auseinanderzusetzen. *) Alle damals bespro- chenen Thatsachen liessen sich dahin zusammenfassen, dass bei sehr vielen Quellen unmittelbar vor und während Gewittern eine unge- wöhnliche Ergiebigkeit vorkomme. Aber es scheint, dass die meisten Quellen auch vor und während beträchtlichen Stürmen, selbst wenn mit letzteren keine Gewitter ver- bunden sind, bedeutend ergiebiger fliessen als sonst, was sich freilich nach dem früher gesagten schon darum erwarten lässt, weil ja zur Zeit solcher Stürme gewöhnlich ein starkes Fallen des Barometers beobachtet wird. Ein bekanntes Beispiel dieser Art, von mir auch schon vor drei Jahren erwähnt, lieferte eine Nauenheimer Soolquelle, welche am 21. December 1846 während eines orkanartigen Sturmes aus dem seit vier Jahren verlassenen 150 Meter tiefen Bohrloche in der Nähe des Kurbrunnens mit enormer Mächtigkeit hervorbrach und seitdem ununterbrochen reichlich fliesst. Nach Mallet's topographischer Skizze der Insel Trinidad **) findet sich nahe an der Punta Brea, nach Süden zu, eine Art von Sprudel oder Schlund, der während stürmischer Witterung das Wasser 1—2 Meter hoch anschwellen und das Meer in ziemlicher Entfernung umher mit Steinöl bedecken soll. Auch von anderen Naphthaquellen wird berichtet, dass sie zur Zeit stürmischer Witterung reichlicher fliessen. Von einer gewöhnlichen Quelle in der Dauphiné (Pfarrei Set. Stefan beim Schlosse Male-Mort) meldet Fournet***) ausdrücklich, dass dieselbe zur Zeit starker Regen, besonders wenn selbe von stür- mischen Winden begleitet sind, oft 7 bis 8 Meter hoch emporsteige und an die Decke der sie umfassenden Grotte anschlage. — Zu Ende *) Sitzungsberichte der k. böhm. Gesellschaft der Wiss. 1861. Juni. — Aus- führlicher in der Zeitschrift „Lotos“ 1861. September, October. **) v, Alberti a. a. O. I. Bd. S. 145. et) a, a. O. S. 241. vý 132 des vorigen Jahres (1863) brachte der „Oest. Volksfreund“ die Notiz aus Mistelbach (Niederösterreich), dass es merkwürdig gewesen sei, wie während des Sturmes vom 13. December (v. J.) mehrere reich- haltige Brunnen jener Gegend „fast scháumend“ überströmten, „als würden sie von einem unterirdischen Orkane gepeitscht. — Dass die beiden gewöhnlichen Ueberschussquellen des Cholet am 13. Mai 1854 in Folge, oder wohl richtiger gesagt, während eines Sturmes, der auf dem Berge Larps ausbrach, zu fliessen anfingen, davon war schon vorhin die Rede. — Und bezüglich der Quelle in der Villa Planiana am Comersee wird nach Amoretti gemeldet, dass dieselbe mit „dem wachsenden Winde“ gewöhnlich 3—4 Stunden lang steige, während sie bei Windstille ganz unverändert bleibe. Nach „sehr heftigem Winde“ hat sie einen so starken Abfluss, dass sie dann, wie Amoretti sich ausdrückt, so lange kein Wachsthum zeigt, bis der unterirdische Wasserbehälter sich wieder gefüllt hat. *) Selbst vor anhaltendem und ausgiebigem Regen, auch wenn weder Gewitter noch Sturm im Gefolge, werden sehr viele Quellen merklich ergiebiger fliessen. Diess beweisen insbesondere die soge- nannten „wetterlaunigen“, welche bei Eintritt und selbst vor eintreten- dem Regen trübe werden, auch wohl allerhand Geräusche verursachen. Es spricht dafür ferner auch die von mir schon erwähnte Erfahrung Dr. Cartellieri’s in Franzensbad. — Und von den Salsen von Maina berichtet Spallanzani, dass selbe, „wenn Regen bevorsteht oder fällt,“ Schlammeruptionen machen mit einem Geräusche, welches rund herum auf anderthalb italienische Meilen gehört werden könne. — Alles heute Vorgebrachte aber dürfte wenigstens einen neuer- lichen Beweis geliefert haben, dass die Schwankungen im Ausflusse der Quellen (mit Einschluss der artesischen Brunnen, der Salsen, der Grubenwässer, der Gebirgsseen und des in dieser Beziehung schon von Prof. Pettenkofer sehr richtig gewürdigten Grundwassers) die bisherige Ansicht vom Ursprunge der Quellen überhaupt in keiner Weise unterstützen, dabei jedoch gewiss aller Beachtung der Naturforscher und namentlich der Meteorologen werth seien, und dass man von fortgesetzten umsichtigen Beobachtungen dieser Kategorie seinerzeit vielleicht ungemein wichtige, jetzt noch gar nicht geahnte Aufschlüsse *) Adolf Schmidl a. a. O. 133 über so manche bisher noch nicht gelöste Räthsel der Physik und insbesondere der Meteorologie erwarten könne. Herr Amerling sprach Einiges über die Vorzüge der italienischen und dalmatinischen Bienen. Der Vortragende zeigte mehrere Exemplare von italienischen (gelben) und dalmatinischen (weissen) Bienen vor, welche nach einer Mittheilung des kais. Hofgärtners Hrn. Petřikowský in Prag in neuester Zeit in dem ob dem Hradschin gelegenen Garten Sr. Majestät des Kaisers Ferdinand gezüchtet werden. Er hob die vortrefflichen Eigenschaften der Italienerinnen (Apis ligurica) hervor, besonders was ihren Fleiss sowohl im ersten Frühling als in den selbst späteren Herbsttagen betrifft, ferner die Süssigkeit und das Aroma des von ihnen bereiteten Honigs; wobei freilich der Bienenzüchter die mög- lichste Unterstützung der Ortsflora durch Cultur angemessener honig- reicher Blumen nicht unterlassen darf. — Von den dalmatinischen Bienen kamen bisher nur zwei Stöcke durch Fürsorge Sr. Majestät nach Böhmen, wurden aber als grösstentheils mit Braula coeca be- haftet und an Diarrhöe leidend erkannt, woran die etwas unregel- mässige Ueberwinterung Schuld zu sein scheint. — Schliesslich er- wähnte der Vortragende eines rechtsstrittigen Falles, welcher kürzlich in einem Orte des Wodnianer Bezirkes vorgekommen ist. Es hatte ein Bienenzüchter im verflossenen Herbste ein Weisel als befruchtet (?) angekauft, welches aber im heurigen Frühjahre (22. April) schwärmte und dabei umkam; es handelte sich nun darum, ob dasselbe beim Ankaufe wirklich befruchtet gewesen, warum es geschwärmt und hiebei umgekommen, so dass es im Grase todt gefunden worden. Man fand bei der anatomischen Untersuchung des Individuums, dass der Samen- beutel in der That ganz voll von Spermatozoen, das Ovarium dagegen ganz unbedeutend, ja verkümmert war — und stellte die Vermuthung auf, dass das Thierchen in Folge von Schwäche umgekommen sei. Im April 1864 eingelaufene Druckschriften. Mémoires de la Société de physique et d’ histoire naturelle de Genéve. XVII. Tome 1. partie. Genéve 1863. 4°. A. Ritt. Auer v. Welsbach. Beiträge zur Geschichte der Auer. Wien 1862. (Vom Hrn. Verfasser.) 134 C. v. Wurzbach, die Fůrsten und Grafen Kinský. Eine bio- graphisch-genealog. Studie. Wien 1864. (Vom Hrn. Verfasser.) Schriften der physikal-ökonom. Gesellschaft zu Königsberg. IV. Jahrg. 1863. I. Abtheilung. Magazin für die Literatur des Auslandes. Berlin 1864. Nr. 13—16. A. Petermann’s Mittheilungen usw. XH. Ergänzungsheft: C. Ko- ristka, die hohe Tatra in den Centralkarpathen. Gotha 1864. 4", (Vom Hrn. Kořistka.) Archiv für hessische Geschichte und Alterthumskunde. Damostidů 1864. X. Band, 3. Heft. Hessische Urkunden von L. Bauer. Darmstadt 1863. III. Band. Lotos. Zeitschrift für Naturwissenschaften. Prag 1864. März. Poggendorff's Annalen der Physik. Leipzig 1864. Nro. 3. Jahrbuch der k. k. geolog. Reichsanstalt. Wien 1863. Nro. 4. K. Vlad. Zapa Česko - moravská Kronika. V Praze 1864. Sešit 13. (Vom Hrn. Verfasser.) The Quaterly Review. London 1864. Nro. 229. Joh. Palacky’s Pflanzengeographische Studien. I. Prag. 1864. Monatsberichte der k. preuss. Academie der Wissenschaften. Aus dem J. 1863. Berlin 1864 mit 7 Tafeln. Zeitschrift des Vereins für hess. Geschichte und Landeskunde. Kassel 1863. X. Band. 1. und 2. Heft. Mittheilungen an die Mitglieder des Vereins usw. Nro. 9—11. Historische Beiträge zur Schlacht bei Hanau usw., von G. W. Röder. Bulletin de la Imp. Société des Naturalistes de Moscou. 1863. Nro. 3. Mittheilungen der k. k. geograph. Gesellschaft in Wien. VI. Jahrg. redig. von Fr. Fötterle. Wien 1862. Reale Istituto Lombardo di scienze e lettere. Rendiconti. I. Vol. fasc. 1. 2. Milano 1864. Memorie etc. Milano 1863. IX. Vol. fasc. 4. Atti ete. Milano 1863. III. Vol. fasc. 17. 18. Emil Czyrnianski. Neue chemische Theorie durchgeführt usw. Krakau 1864. (Vom Hrn. Verfasser.) Memorie dell I. R. Istituto Veneto di scienze, lettere ete. Ve- nezia 1863. XI. Vol. 2. parte. Atti ete. VIII. Vol. disp. 10. IX. Vol. disp. 1—4. 5 > 4 M X Mas i i “ ae dá un > BE : h + Zai le au dl o hk ap o on dd 135 Philologische Section am 2. Mai 1864. Anwesend die Herren Mitglieder: Hattala, Winařický, v. Su- checki und Sembera aus Wien; als Gäste die Herren Fr. Beneš, J. Lepař und Ad. Patera. Herr Hattala erörterte das Verhältniss der rus- sischen Grammatik zu den Ergebnissen der historischen Sprachforschung. Einleitend wies der Vortragende vor Allem nach, dass die rus- sische Grammatik im Allgemeinen sich an die sogenannten empirischen anschliesse; hierauf fing er an, diesen Beweis durch eine ins Einzelne gehende Betrachtung des russischen Alphabetes zu erhärten, indem er vorzüglich die Mängel desselben in Beziehung des j hervorhob und darthat, dass sie im ältesten Cyrillischen Alphabet weder so zahlreich. noch so grell auftreten wie in jenem. Hr. Hattala zeigte hiebei auch die Mittel an, die geeignet wären diese Mängel vollkommen zu be- seitigen; endlich wies er auch nach, dass der bisherige Gebrauch der Buchstaben 5, » und s den Ergebnissen der historischen Sprachfor- schung vielfach zuwiderlaufe. Die übrigen Theile der russischen Grammatik, die Laut-, Formen- und Satzlehre nämlich, in derselben Richtung zu erörtern, behielt sich der Vortragende für die nachfol- genden Sectionssitzungen vor; der ganze Aufsatz wird im Časopis musea království českého erscheinen. Im Mai 1864 eingelaufene Druckschrifien. The home and foreign Review. London 1864. April. Magazin für die Literatur des Auslandes. Berlin 1864. Nro. 17. Fr. X. Fieber. Die europäischen Hemiptera (Halbflügler). Wien 1861 mit 2 lith. Tafeln. (Vom Hrn. Verfasser.) A. Erman’s Archiv für wiss. Kunde von Russland. Berlin 1864. XXIM. Band 1. Heft. Journal de I’ Ecole imper. polytechnique. Paris 1863. Tome XXIII. XXVI. Bericht über das Wirken des histor. Vereins zu Bam- berg. 1863. | Sitzungsberichte der k. bayr. Academie der Wissenschaften zu München 1863. II. 4. Heft. Fo A 7 : INTERNEN EN EWR S51" SN zák JM x pí Ak yh ha eh de ar o a Zoro k a7 Z AR SNK 136 Bibliothegue de Mr. le Baron de Stassart. Bruxelles 1863. Magnet. und meteorolog. Beobachtungen in Prag; herausg. von Jos. G. Böhm und Moritz Alle. Prag 1864. XXIV. Jahrgang. Fichte, Ulrici und Wirth. Zeitschrift für Philosophie. Halle 1864. XLIV. Band, 2. Heft. Poggendorff’s Annalen der Physik und Chemie. Leipzig 1864. Nro. 4. Bericht über die Thátigkeit der St. Gallischen naturwiss. Ge- sellschaft im J. 1862. St. Gallen 1863. Verhandlungen des naturhistor. Vereins der preuss. Rheinlande und Westphalens. Bonn 1863. XX. Jahrgang. 1. und 2. Hälfte. Novorum Actorum Acad. C. Leopold.-Carol. germanicae naturae curiosorum Tomus XX. Dresdae 1864. Mémoires couronnés, publiés par I’ Academie R. des sciences ete. de Belgique. Bruxelles 1862. Coll. in 8°. Tome XIV. Annuaire de I’ Academie R. des sciences ete. XXIX. Année. Bruxelles 1863 Abhandlungen der philosophisch - philolog. Classe der k. bayr. Academie der Wissenschaften. X. Bandes 1. Abtheilung. München 1864. L. Buhl. Ueber die Stellung und Bedeutung der pathologischen Anatomie. Festrede. München 1863. Quellen und Erörterungen zur bayrischen und deutschen Ge- schichte. IX. Band, 1. und 2. Abtheilune. München 1863. 1864. B. Silliman and J. Dana. The American Journal ete. New Haven 1864. Nro. 110. Philosophische Section am 13. Juni 1864. Gegenwärtig die Herren Mitglieder: Hattala, Hanuš und Storch. Herr Hanuš legte mehrere handschriftliche Be- weise vor, wie ein genaueres Durchforschen des Manu- seriptenschatzes der kais. Bibliothek immer neue Be lege zu den verschiedensten Seiten der böhmischen Cul- turgeschichte an den Tag fördere. Vor Allem berührte er I. einige neu aufgefundene alt-böhmische Beschwörungsformeln. Er erklärt das Bezaubern und Be- schwören des Alterthums als diejenige romantische Potenz, die da 137 dem Besprechen mit gewissen feierlichen Formeln übernatürliche Kräfte zuschreibt, sohin des Menschen Macht über die Natur in dessen feierlich gesprochenes Wort legt. Es liegt dieser Ansicht der Wahn zu Grunde, dass der Mensch Herr der Natur und diese nicht nach nothwendigen Gesetzen wirke, sondern theilweise in der Willkür des Menschen liege. Dieses Besprechen oder Beschreien ist im Böhmischen bis auf den heutigen Tag unter dem Namen urknuti (u-řek-nouti) bekannt, doch verlor sich im Bewusstsein des Volkes die bestimmte Beziehung auf die Rede oder den Spruch (řeč), so dass nun das Volk darunter auch z. B. das Verzaubern durch den Blick begreift. Das Bezaubern mit feierlichen Zeichen oder Geberden hiess im Alterthume bei den Böhmen udelati někomu oder uro- biti nekomu, welches aber meistens dem kirchlichen Zehnati gewichen ist, das als verdorbene fremde Wortform dem lateinischen und deutschen signare, segnen entspricht. Die einzelnen Arten solcher Bezauberungen mögen im Alterthume sehr zahlreich gewesen sein. Die Handschriften führen jedoch meistens folgende Zaubererarten an: Incantatores, zaklinači; sortileci, čarodějníci; divini, hadači; karagi, navazači (et sunt, gui characteres aut evangelia circa se ligant); arioli, svatokuzedlníci (cum consecratis rebus nefanda operantes), aruspices, časokuzlní (gui dies et horas observant eundi vel revertendi); augures, ptakopravni (qui in gar- ritu avium vel volatu de futuris fidem reponunt); lekovníci, gui per benedietiones et pulera verba infirmitates conantur innaturaliter me- dere (Mscript. 5. H. 27. Blatt 170. Hand. 16. Jahrhundert). Es ist nun diese Formel, die háufie fast wórtlich citirt in den Handschriften vorkömmt (vergl. Erben, česká říkadla. Časop. č. mus. 1860. S. 51. — Malý výbor ze staročeské literat. Prag 1863. S. 40.), nicht etwa wórtlich so zu nehmen, dass alle die genannten Arten von Zauberern auch noch im 15. und 16. Jahrhundert unter den angefůhrten Namen wirklich existirt hátten, da diese Aufzáhlung eine kirchlich recipirte Form ist, die ausserkirchlichen zauberhaften Formen im Einzelnen aufzuzählen und zu verdammen. Eben deshalb sind einzelne böhm. Namen der Zauberer ganz unpopulár und gelehrt eben so fabricirt, wie die mittelalterlichen Planetennamen: kralomoe, ctitel, hladolet u. dgl. So sind auch hier gewiss die Namen svatokuzedlníci, časokuzlní, ptakopravní nur gemacht, während die Namen za- „ 138. klínač, čarodějník, hádač, navázač und vielleicht auch lé- kovnik uralt populär sind. Die oben genannten Besprecher oder Beschreier wären "sodann speciell die hier sogenannten incantatores oder zaklínači, welche denn auch wirklich noch unter diesem Namen in Böhmen vorkommen und wiederum in zwei Classen sich theilen, in solche Zauberer nämlich, welche schädliche Naturerschei- nungen z. B. Hagel, Gewitter, und in solche, welche Krankhei- ten besprechen. Der Vortragende gab an, noch im J. 1858 in Jičín mit einem Gewitterbeschwörer zusammengekommen zu sein, der sich rühmte, die Stadt Jičín sammt Umgebung durch 15 Jahre schon von drohenden Stürmen befreit und gesichert zu haben. Solche häufig genug mitten in den Schichten des positiven Christenthums und moderner Bildung vorkommende Erscheinungen sind nur durch das Vorwiegen der Phantasie als gestaltenbildende Potenz der Cultur- geschichte, deren Kraft gar oft den Eingebungen der Sinne und des nüchternen Verstandes nur Hohn spricht, zu erklären, was dem Vortragenden Gelegenheit bot, zu bemerken, dass Psychologen und Philosophen die Bedeutung der Einbildungskraft (wenn diess veraltete Wort zu gebrauchen, noch erlaubt ist) zu sehr unter- schätzen, da sie dieselbe nur als eine Potenz oder als ein Moment in dem Processe des Seelenlebens anzusehen pflegen, während doch das gestaltengebende Princip der Phantasie nicht bloss den theore- tischen Functionen der Sinne und des Verstandes, sondern auch den practischen Functionen bei Entwerfung von Plänen und deren Aus- führung zu Grunde liegt. Allerdings ist bei einem solchen Grade der Herrschaft der Phantasie, welche da durch blosses Sprechen oder Schreien die Naturphaenomene lenken will, eine gar bedeutende Dosis von Unklarheit des Kopfes und derben Egoismus des Willens die Hauptursache der Wirksamkeit — aber gar oft nur unbewusst, da solche Zauberer nicht immer selbstbewusste Betrüger, sondern gar oft Betrogene der eigenen Phantasie sind. Den Glauben, den solche Zauberer noch immer beim Volke — und zwar nicht immer bloss in den Kreisen des eigentlichen Pöbels — finden, erklärte der Vortra- gende durch die nur schichtweise wirkende Macht der fortschrei- tenden Naturwissenschaft, die jedem Zauberwesen ein Ende macht und wiederum durch den Egoismus der Menschen, ‘die da gar zu gerne — selbst gegen alle Einsprache der Sinne und. des 139 Verstandes — das glauben, was sie wůnschen oder brauchen, wie z. B. so viele sogenannte sympathetische CČuren, für welche bedürftige Halbgebildete schwärmen, beweisen. Von den vielen Beschwörungs- formeln, die der Vortragende in dem Manuscriptenschatze der kais. Bibliothek vorfand, legte er Abschriften vor und las beispielsweise die eine und die andere z. B. aus der Handschrift 11. J. 7. (17. Jahr- hundert): Vejmenu sv. trojice, znamení sv. kříže — zažeň příval škodný a dej vodam jamu tichou, jakož jest byla ticha v Jordaně. — Pomni na nas, milý pane! aby nedopouštěl hněvu svého na pole, vi- nice, Štepnice, zahrady naše. Zaklínám anděle pekelny, kteříž jste svrhli z nebe, z stolice velebnosti, jenž činíte nasilí, bouřky, povětří, posýláte kroupy. Zaklínám vas skrze hroznej den soudný, aby jste šly kroupy od polí sennejch a sázenejch a odvedly se na pustiny a braly se, kdežto nesejí, ani kdo sadí, ani kdo štěpuje, aby v den soudný nemohly říci svou zlost, že nižádný nás nezaklinal! Protiviž se vám bůh otec nebeský, protiviž se vám syn, protiviž se vám duch svatý.“ Das Manuscript gibt auch deutlich und genau an, wann die nöthigen Kreuze (Zehnäni) gemacht werden sollen, um das Beschreien (zaklinani) kräftig zu unterstützen. Der Vortragende wies auf die Mengung heidnischer Vorstellungen mit christlichen Begriffen in den meisten Beschwörungsformeln vor, auf die darin vorherrschende Perso- nification der Naturphaenomene, ja das Besessensein derselben von bösen Geistern, den Stellvertretern der ehemaligen Naturgötter, z. B. in den Worten einer Beschwörungsformel: „Věčný bože račiž poZehnati téchto oblakuov, aby ukrutnost diabelská svazána byla. Roztrhni je bůh otec, roztrhni je b. s.; r. je b. d. sv., zbav tie, an- děla šatana, který jsi v tomto oblaku“ atd. Pag. 125—127. Das Bekreuzen der Wolken, so wie das Bekreuzen der beschworenen Dinge überhaupt, ist, nach der Meinung des Vortragenden, nicht so sehr gegründet in dem Eindringen des Christenthums mitten in heidnische Gebräuche, sondern noch ein Rest des Heidenthums selbst, das da ebenfalls ein Kreuz, das Thor- oder Perunzeichen nämlich (den Miöl- nirhammer oder Mlat) hatte, welches eben gegen die Riesenmächte der wie Gebirge sich aufthürmenden Gewitterwolken schon in alten Tagen kräftig gewesen sein soll. II. Ein zweites culturgeschichtliches Moment, das sich in den Handschriften kund thut, berührte der Vortragende in dem Gebrauche, k 140 k der in Böhmen etwa anderthalb Jahrhunderte gedauert haben mag, die böhmische und lateinische Sprache maccaronistisch selbst bei ernsten Gelegenheiten in einander gemengt zu haben. Er wies auf ein Hauptbeispiel hin, auf lateinisch-bohmische Predigten, von denen er Excerpte in seinem Malý výbor ze staročeské literatury (S. 31—37) gegeben. Wie dort das Manuscript 11. F. 3. benützt ist, so wurde jetzt auf das Manuscript 1. G. 1. (15. Jahrhundert, Blatt 245—250) hingewiesen, das dergleichen ebenfalls mit enthält, z. B. „Ne zajiste, ne tak: sed sancti nunquam recedunt a facie dei, sed inspicientes vident in eam, v té jasné a přečisté tváři“ — „quidam voverunt, ut nihil habeant proprii in speciali, vlastnieho ani oblascie nec vuobci“ Es ist nun interessant, wie solche Maccaronismen auch in die juridische Terminologie der alten Böh- men eindrangen, wovon wiederum das Manuseript 1. G. 18 (15. Jahrh.) Beispiele gibt. Dieses Manuseript ist nämlich seinem Hauptinhalte nach ein sogenanntes Formularium, indem es Dietamina als Muster juridischen Styles enthält. Unter rein lateinischen Mustern kommen nun z. B. auch folgende maccaronische vor. Bl. 29. b. Quia fecit ei dampnum cum suo posse sine jure in sua comisali hereditate in Lhota, quum ibi poručenstvie miel, in equis, na skotie et in diversis domus rebus ... Bl. 30. Sub eodem vadio debuit ei postaviti Peška (Jeska?) de Pietipeš ku pravej rzety (sic) letos ultimo sabbato...... .:.. Pro delieto 4 mare. argenti, Ze to argentam recepit ot Peska de Sternberka pro sua hereditate Radkovicku, ji2to vendidit za to jiste střiebro i miel ei hoc restituere et non restituit, ideo ad eum tiem diedinym dluhem debitus remansit.- B]. 31. Pro debito 10 mare. arg. quod ei tenetur pro dubovy, za habrovy, za rozličny les, ješto jemu prodal et debuit vydati a na splavu na Vltavie položiti et non vydal, nec posnit: ideo .... Soleher Formeln ist dort eine grosse Menge. HI. Der Vortragende berührte auch ein Memorabilienbuch der Kirche in Bausovic. Die Kirchenregister sind darin vom Jahre 1602 bis zum ominösen Jahre 1620 böhmisch, ‘sodann bis zum J. 1672 deutsch geführt, der Schwur der „kostelníci“ oder Kir- chenwärter ist jedoch selbst noch im J. 1630 böhmisch. Da er nun k 141 den Verein dieser Männer, die fast alle Jahre neu gewählt wurden und in angesehenen Gemeindemiteliedern bestanden, in seiner Bestim- mung scharf zeichnet und von den sogenannten Literaten-Vereinen genau abgránzt, so mag er auch hier seine Stelle finden. „My N. N. přisahame panu bohu všemohucjmu, blahoslavené pa- mieti pannie Mariji, rodičce boži i všem božim svatym a v dustojnosti velebnemu p. p. kniezi Crispinovi, p. proboštovi Doxanskemu a panu kollatorovi tehož zaduší, vrchnosti naší milostive, žie v tomto úřadie kostelnickem viernie, pravie, a spravedlivie pracovati a opatrovati, zaduší dobreho vyhledavati, zvoniení, což nam naleží, pilni byti, au- roky peniežite 1 vosk. nalezitie přijimati a z toho spravedlivy počet učiniti, cti a chvaly boži vyhledavati a jine k tomu vesti, panu faraři v tomto našem povolaní poslušní byti a nim se spravovati, kostelny nastroj a klainod bedlivie opatřiti chceme, tež Ziadnemu pro přatelství neb nepřatelství ani dary, neb jako užitky, co by proti poviesti dobre bylo, zanedbati a neodpoustieti, pokudž rozum naš postačí. Toho nam dopomahej pan buh na vieky požehnany i všickni svatí. Amen.“ Bl. 122. a. des Memoriale steht auch die historische Bemerkung: „Expulsio ultimi parochi et exustio templi S. S. Procopii et Nicolai, nec non parochiae, ipsiusque totius pagi per milites ducis Dresden- sis circa a. 1644.“ IV. Endlich brachte der Vortragende ein kleines Zettelchen in Briefform vor die Augen der Versammelten, das in dem Manuscripte 1. G. 11. I. Band, Bl. 104. b. beigebunden ist, und in dem innern Theile des Blattes folgendes enthält: „Račte prosbu obeenu zdieti za dvie osobie, jenž chtie tielo bozie přijimati, aby jim pan buoh rail ten dar dati s naboženstviem a skrusenym srdcem k sve duši spasenie přijieti.“ © An der Aussenseite ist jedoch von anderer Hand (gleich- falls des 15. Jahrh.) folgende lateinische Inschrift: „Anno domini 1416 (sic) currente in die S. Agnetis virginis gloriose et martyris. dicto matutino conscripsi in media nocte in carcere civitatis Constancie tempore concilii, quod per procuratorem agebatur causa contra me super multis articulis, finaliter perlegi legendas librorum et non potui plene corrigere, quia carui biblia.“ Gleich darauf und zwar ununter- brochen steht, wie es scheint, wieder von anderer Hand (wenigstens mit etwas blässerer Dinte) geschrieben: „Hec Johannes Hus pro- pria manu sua in viatico suo, quem ad petitionem palatinatus con- 142 secutus est et donavit monasteris in Ingell (em).“ — Denselben Zettel wollte der Vortragende auch in der nächsten historischen Sitzung am 20. Juni den Versammelten vorweisen, damit die vielen Probleme, die im Inhalte und der Form dieses Zettelchens liegen, genau kritisch besprochen würden. Doch kam diese Sitzung nicht zu Stande, so dass nur die anwesenden HH. Mitglieder Winařický und Frühauf den merkwürdigen Zettel betrachten konnten. Eben darum wird aber der Inhalt desselben hier in Gänze mitgetheilt, um auch ferne: stehende Culturhistoriker darauf aufmerksam zu machen und zur Beantwortung folgender Fragen anzuregen: 1. Ist der Zettel ein Autograph des Hus oder nur die Ab- schrift eines Autographs? Ist es ein Autograph, wie die Worte des unbekannten Schreibers (in Ingelheim?) andeuten: „Haec Johannes Hus propria manu sua,“ wie kömmt die irrige Jahrzahl 1416 in das Autograph ? 2. Hängt die innere, böhmisch geschriebene Innenseite des Zettels mit der lateinisch beschriebenen Seite inhaltlich oder historisch zusammen, oder wurde nur die leere Rückseite des böhmischen Briefes zur Abschrift der Worte des Hus benützt, so dass die gesammte Rück- seite nur von einer Hand herrührte, die da aus einer Ingelheimer Originalhandschrift sich die Worte des Hus gelegentlich abschrieb. Die Handschrift selbst, in welcher der Zettel beigefügt gefunden wurde, ist ein Sammelwerk (wahrscheinlich durch den gelehrten und fleissigen Kříž z Telče, Crux de Telč) zusammengebracht, der im: Bene- dictinerkloster zu Wittingau (Třeboň) lebte und zwar zu Ende des 15. Jahrh. — In demselben Codex fand sich auch des Nicolaus de Bibrach, magister scolae Erfordiensis: „Carmen occulti autoris“ auch „occultus“ genannt, welches Gedicht durch Hrn. Prof. Hofer im Druck herausgegeben wurde. Der Zettel selbst ist mitten in eine Handschrift gebunden, welche von der Hand des Kříž z Telče die Aufschrift führt: „Husonis scripta et dieta contra Praelatos.“ 3. Ist die Jahreszahl 1416 zufällig irrig, oder ist Hus mit Hie- ronym von Prag vermengt worden ? 4. Welchen Sinn haben eigentlich die Worte, die da dem Hus in den Mund gelegt wurden? „Conscripsi“, was? die böhmische Innen- seite? oder etwas anderes und worauf? in seinem „viaticum“ nach den Worten: „Haec Johannes Hus propria manu sua in viatico 143 suo. Was bedeutet hier viaticus oder viaticum; alle Erklárungen, welche von diesem Worte Du Cange in seinem Glossarium (edit. Henschel, Parisiis, 1846. S. 803. 804) gibt, passen nicht gut zum ganzen Sinn. Sind die Worte des Hus: „dicto matutine“ genügend, „viaticum“ hier für „Breviarium“ zu erklären’? 5. Für wen und warum schrieb Hus diese Notiz auf und wie konnte er es („donavit monasterio in Ingell.... das übrige ist ver- löscht) dem Kloster zu Ingelheim schenken, und was schenkte er, das Viaticum oder nur die Notiz? — Naturwiss.-mathem. Section am 27. Juni 1864. Gegenwärtig die Herren Mitglieder: Weitenweber, Pierre, Amer- ling, v. Leonhardi, Staněk ; als Gäste die Herren: Ritt. v. Zepharovich, Walter und Lippich. Herr Amerling zeigte vor und besprach wieder ei- nige neu entdeckte schädliche Pflanzenparasiten, na- mentlich 1. den Tachymorphaeus Capreae, 2. die Caly- eophthora Carpini, 3. das Erineum und den Eryneus Vitis und 4. die Schädlinge in den Spargelbeeten. Ad 1. Der Tachymorphaeus Capreae ist eine Species der Gattung Tachymorphaeus; die kugelrunden, glatten und zinnoberrothen Eier- chen finden sich in den verschiedenen Hybernakelgrübchen und Ritz- chen der Saalweide (Salix Capreae L.) und werden hier von der Sonne ausgebrütet; die sogleich fertigen Imagines kriechen alsbald auf die Blätter, auf welchen sie, weil letztere weisswollig sind, sich leicht unterscheiden lassen. Die Körperform der sehr kleinen ebenfalls rothen Imagines ist elliptisch, der Rückentheil kleiner als der Bauchtheil; an der Scheidungslinie, mit einer eben so rothen erhabenen Quer- leiste versehen, wodurch sie sich von allen anderen Tachymorphaeen unterscheidet. Ad 2. Was die Calycophthora Carpini betrifft, so ist sie, so weit ich selbe in den Kunraticer Wäldern nächst Prag gefunden habe, eine wahre Seltenheit; sie nistet mit ihren Eiern und Larven in den Blatt- knospen der Weissbuche, hält allen Wuchs der Zweigchen zurück, wodurch diese nach und nach verdicken, endlich zusammenwachsen und so ganze Knorren harten Buchenholzes veranlassen. Ausser den 144 Eiern und Larven hatte ich bisher auch die Gelegenheit, die betref- fenden Imagines zu ertappen. " Ad 3. In Bezug auf das Erineum Vitis, so habe ich dasselbe bisher bloss au den Blättern des Weines gefunden; durch die Güte des Herrn Obergártners Horáček im Prager pomologischen ‚Vereins- garten erhielt ich jedoch am 20. d. M. auch junge Trauben aus dem pomologischen Garten vor dem Blühen, und überzeugte mich, dass das Erineum auch selbst die Traube infestirt, und zwar in dem Masse und letztere im ganzen Wuchse so retardirend, dass Hr. Horáček sie an- fänglich für die Folgen der Weinkrankheit selbst, also von Oidium Tuckeri, hielt. Kein erynirtes Knöspchen kann auf diese Weise zur Blüthe gelangen. Das Erineum zeigt noch eine weitere Differenz von seinem ursprünglichen Aussehen, wenn es nämlich von der Unterfiáche der Blätter auf ihre Oberfläche, besonders der sehr jungen Blätter, tritt; es wird viel dünner, niedriger, gelblich und beherbergt viele Eierchen und junge sich metamorphosirende Imagines von der Milbe Erineus vitis. Auch das Entstehen der Blatthaare des Erineum ist hiebei sehr unterrichtend; die Oberwand irgend einer Parenchymzelle wird vermuthlich in Folge der einen Aetzsaft ausschwitzenden Füsse oder Rüssel der Milben derartig gereizt, dass sie sich röthet, inflammirt, anschwillt, in die Höhe wächst und endlich jene Höhe erreicht, die sie zu dem schützenden Gestrippe für die Milben am Blatte macht. Die inflammirten Stellen lassen sich sehr leicht durch ihre Grösse und Höhe unterscheiden und zwar von den hie und da zerstreuten Milben- eierchen, welche 3—4mal breiter und grösser sind als jene inflammirten Punkte, die stets die Durchschnittsbreite der einzelnen Parenchym- zellen behalten und nur in die Höhe wachsen, während die Eierchen zugleich auch bezüglich der Farbe unterschieden werden können ; denn sie sind bleich, milchig durchscheinend, und zeigen bald unter dem Mikroscope die sich bildenden Anfänge der Füsschen, der Eingeweide ete. — Der einzige missliche Umstand bei der ganzen Sache ist. der, dass man bisher nicht weiss, wo die Eltern ihre Eierchen im Herbst ablegen, ob schon in die vorbereiteten Herbstknospen, oder irgendwo unter dem leicht ablösenden Rindenbaste, oder in den Ritzchen, wie wir es mit Bestimmtheit bei Tachymorphaeus Pomonae, Avellanae, Capreae nachweisen können, leider aber auch hier ausser‘ dem im Grossen unpraktischen Abbürsten und Zerstören der Eierlagerchen SFR DOREEN AZ LI a pn: Hz TE u há A ET ko Be a oj je Z dak Sh A a ar | “ 145 kein ausreichendes Vorbauungssmittel kennen. Die Weinblatt-Milben haben einige 2—5 Generationen (also nicht so viele wie bei Tetra- nychus telarius etc.), und die eben besprochenen Eierchen scheinen schon von den Imagines nach der Begattung oder durch Partheno- genese, also durch von Ammen gelegte Eier, mit nächstens folgender Verwandlung in Imagines zu sein. Bloss zwei Rebestöcke sind im hiesigen pomologischen Garten hievon stark befallen und gehören der Sorte Gutedel zu, wobei also die Beobachtung der weiteren übergreifenden Ergebnisse nicht so schwierig sein wird. Bei der Weinblattmilbe (Eryneus vitis) besprach der Vor- tragende den bereits im hiesigen pomologischen Garten eingetretenen Anfangspunkt ihrer Verheerungsperiode, wo sie über die Blattgränzen der Reservezeit ausschreitend Alles, selbst die Trauben, und zwar schon sogar von ihrer allerersten Blüthezeit befällt und wie eine Seuche nach Art der Weintrauben-Krankheit durch Oidium Tuckeri verheert. Herr Horáček versprach der betreffenden Weinstöcke zum Zwecke der weiteren Procedur-Beobachtungen zu schonen. Ad 4. Endlich besprach Hr. Amerling die Spargelbeetver- heerungen im Hradschiner Garten Sr. Majestät des Kaisers Fer- dinand I. durch Crioceris duodecimpunctata in der Blüthezeit des Spar- gels, besonders aber die Verheerung der Stängel und Mütter durch die Fliege Platyparea poeciloptera, mit deren Beobachtung sich der Hr. Hofgärtner Friedrich Petřikovský bereits zwei Jahre befasst. Hr. Amerling machte hiebei besonders auf die vier Beobachtungsmethoden der Naturforscher aufmerksam und wies hiebei nach, dass die Natur- forschungsmethoden der Systematiker, welche blosse Imagines (den vollkommensten Zustand) beschreiben, und selbst die der Embryologen, welche bereits alle Lebensstadien eines und desselben Individuums begreifen, nicht mehr ausreichen, sondern dass die Beobachtung nach ganzen Complexen erfolgen muss, um dann zur vierten Methode der Gewältigungsversuche fortschreiten zu können. In Folge der dritten Beobachtungsmethode ergab es sich schon, dass beim Spargel die Platyparea fast zuerst auftritt, sodann in der Blüthezeit die Crioceris duodecimpunetata, worauf in der Reifzeit die Crioceris brunea und endlich bei überständigen Spargeln die Crioceris asparagi aufzutreten pflegt. Die nothwendigen 0 Sitzungsberichte 1864. I. 146 über Substitution, Vicarirung, je nach Ländern, Höhen, dann über die Feinde der Crioceriden können ebenso wie bei Platyparea, erst später erfolgen, obgleich nach der Bouche’schen Beobachtungsmethode nicht nur alle Zustände, sondern auch nach der Complexmethode, der zugehö- rige Ichneumonide aus dem Sanitätshaushalte, und die Milben Diaphanea und Pirtanea in dem eingezwingerten Spargelmulm bereits aus den Funeralindividuen entdeckt worden sind, Herr Petřikovský aber auch die übrigen Complexglieder unablässig zu verfolgen versprach, um dann mit Erfolg zur vierten i. e. physiokratischen Methode, nämlich der der Gewältigung und des Abbaues, schreiten zu können. Freiherr von Leonhardi legte eine Menge missge- stalteter Blätter vor, meist von Syringa vulgaris. Bei vielen dieser Blätter erklärt sich die Abweichung von der gewöhnlichen Gestalt aus dem ungleichen Wachsthum, sei es der beiden Blatthälften, sei es einzelner Theile derselben, oder aber der Blattrippen und des Blattfüllsels, oder der Blattspitze und der Blatt- seiten oder einzelner Theile derselben. Dadurch entstehen Faltungen, Zerreissungen, Fensterbildung; aus Anlass des Druckes des Gefalteten in der Knospe theils Verwachsungen, theils Brechen der Ober- oder der Unterfläche und, wenn nicht bloss Randbildung, Wucherung an den Bruchstellen; auf diesem Wege auch Doppelspreitung und Duten- bildung; weiterhin Verkrümmung, Schiefblätterigkeit, Zwei- oder Mehr- lappigkeit, bei vielen Pflanzen selbst Finger- und Fiedertheilung. Sehr schöne Uebergänge zur letzteren boten Blätter von Gleditschia und Robinia dar. Die Allgemeinheit dieser Vorgänge und der Gestaltungs- zusammenhang durch das Pflanzenreich beweist, dass es sich hier um Thatsachen handelt, die durch das Leben der Pflanze selbst sich er- klären. Freilich gibt es auch zahlreiche, oft ganz übereinstimmende Missbildungen, die durch sehr frühzeitige, von aussen gewordene Ver- letzungen veranlasst werden, und in vielen Fällen lässt es sich hin- terher nicht mehr mit Sicherheit entscheiden, ob der Anlass ein innerer oder ein äusserer war. Aber auch die Veränderungen der Gestaltung, welche einer von aussen gekommenen Wachsthumstörung: folgen, be- weisen, dass die Pflanze selbst — wohl zu unterscheiden von dem blossen Pflanzenleib — ein untheilbares Ganzes ist, und als solches bei Bildung und Fortbildung jeder. Zelle thätig und gegenwärtig. Wo, durch Beeinträch- l o ET a oo obl pp de VÁ oa ok Ks Ha a 2 ne 147 tigung oder Unterbrechung des Zusammenhanges eines Theiles des Pflanzenleibgebildes mit seinem nächst- umfassenden Ganzen, der Theil der Zucht des letzteren theilweise enthoben ist, da bewährt er sich insoweit selbst als Ganzes, da tauchen in ihm die verschiedenen Möglichkeiten des Ganzen auf, beim Zweig, die verschiedenen Zahlen der Blattstellung, die verschiedenen Stufen der Blattbildung, ja im Blatte selbst noch diese letzteren, so dass dasselbe Blatt stellen- weise verschiedene Stufen darstellt, wie z. B. bei Mischgebilden von Laub- und Blumenblatt (diesen Fall boten vergrünte Rosen dar; die Seitenzweige der Blüthe waren theils geradezu Laubzweige ge- | worden, theils liessen die zu Laubblättern herabgesetzten zerstreuten Kelch- und Blüthenblätter die ursprüngliche Blüthenanlage noch er- kennen). Mit andern Worten: Die als ganzes Wesen sinnlich nicht sichtbare, aber sinnlich sichtbare Wirkungen (den Pflanzenleib) hervorbringende Pflanze mit ihrem Ge- sammtvermögen (Gesammtmöglichkeit) ist auf jedem Schritte ihrer leibbildenden (leibwebenden) Bewegung anwesend; die Pflanze ist be sich, ist ein lebendiges Ganzes, eine individuelle Natur, keine blosse Natur- maschine, kein blosses Zusammentreffen und Zusam- mengeschobenwerden einer Masse ursprünglich fremd- artiger Dinge, die vielmehr von der Pflanze erst angeeignet (assi- milirt) werden müssen, um der Leibbildung derselben dienen zu können. Herr Lippich (als Gast) hielt einen Vortrag über Darstellung und Anwendung der Schwingungscurven. (Mit einer Tafel Abbildung.) I. Die schönen Untersuchungen Lissajous’s waren es zumeist, die vielfach anregten, die Curven, die entstehen, wenn zwei oder auch mehrere einfache Schwingungen sich gleichzeitig auf einen Punkt übertragen, sowohl theoretisch als auch experimentell einer näheren Betrachtung zu unterziehen, und in der That scheinen die häufigen Anwendungen dieser Curven und die erzielten Erfolge eine Beschäf- tigung mit diesem Gegenstande zu rechtfertigen. In Berücksichtigung der erschöpfenden Zusammenstellung aller hieher einschlagenden Arbeiten durch Melde in seiner Lehre von den Schwingungscurven, die bei der Zerstreutheit des Mate- 10* 148 rials um so dankenswerther ist, als sie auch die vielen und bekannten Ori- ginaluntersuchungen des Verfassers in einheitlicher Verbindung darstellt und manche neue Gesichtspunkte eröffnet; können wir uns jeder wei- teren Details überheben, und es möge gestattet sein, den vielen Dar- stellungsmethoden zur Sichtbarmachung dieser Curven, eine wie ich glaube, noch neue und vielleicht manche Vortheile gewährende hinzu- zufügen, die namentlich eine grosse Mannigfaltigkeit von Curven und eine wohl nicht zu verachtende Anwendbarkeit derselben darzubieten scheint. Ich will vorerst die Einrichtung und die verschiedenen Bestand- theile des einfachen Apparatchens beschreiben, sodann die Zusammen- stellungen, die sich erzielen lassen, anführen, und endlich einige An- wendungen zur Demonstration mehrerer Schwingungsgesetze an Stäben besprechen. II. Man kann an der zu beschreibenden Vorrichtung im Wesent- lichen folgende Theile unterscheiden. a) Eine Messingzwinge gestattet auf eine aus der Zeichnung Fig. I ersichtliche Weise eine Stahllamelle von etwa 7”® Breite und 1“ Dicke, deren Länge nicht über 300%" zu betragen braucht, an irgend einem Querschnitte zu fixiren. Diese trägt an ihrem oberen Ende einen plattenförmigen Ansatz, auf welchem nach Bedürfniss zwei gleich zu beschreibende Theile mittelst zweier Klemmschrauben be- festigt werden können. Ein Laufgewicht L von etwa 10 grm. dient zur Hervorbringung geringer Aenderungen der Schwingungsdauer; es hat im Querschnitt die in Fig. II angegebene Form, um eine mög- lichst kleine Berührungsfläche darzubieten. b) Der eine Theil, welcher auf das Ende des eben beschriebenen Hauptstabes aufgeschraubt werden kann, ist in Fig. III dargestellt. (Die Platte trägt ein kleines 50== langes Stäbchen (Versicherungs- stäbchen) aus einer Uhrfeder hergestellt und am freien Ende mit einem polirten Knopf versehen; seine Breite kommt senkrecht gegen die Breite des Hauptstabes zu stehen. c) Der zweite Aufsatz, der in Fig. I in Verbindung mit dem Hauptstabe dargestellt ist, hat zwei, nahe 2%" Durchmesser benöthigende Seitenarme von gleicher Länge, an denen Läufer von 12 grm. Gewicht sich verschieben lassen. In der Mitte trägt dieser Ansatz einen Spiegel, vertical gestellt und mit der spiegelnden Fläche parallel den 149 Seitenarmen und zugleich der Breite des Hauptstabes. Es ist gut auch hier etwa hinter dem Spiegel ein Versicherungsstäbchen anzu- bringen, welches jedoch auch häufig zwischen den beiden Platten ein- geklemmt werden kann. Dieser Theil möge der „Torsionsansatz“ heissen. d) Mehrere dickere und dünnere Lamellen, 2—3"" breit, aus verschiedenen Stoffen, darunter einige von gleicher Dicke aber un- gleichem Materiale, e) zwei mit einander rechtwinklig verbundene Stahllamellen Fig. IV, oder noch besser, zum Verstellen eingerichtet, um den Nei- gungswinkel der Seitenfláchen abändern zu können, wie diess von Melde in seinem Universalkaleidophon (Pogg. Ann. Bnd. 115) geleistet wurde, können nach Bedürfniss mit dem Hauptstab entweder verbunden werden durch Einklemmen zwischen die. End- und Aufsatzplatte, oder aber mit einem p Statif Fig. V, welches durch einen Bleifuss eine möglichst stabile Aufstellung erhält. Die verschiebbare Klemme K ist so ein- gerichtet, dass ein Stab mit seiner Längsaxe horizontal, mit seiner Breitenfläche aber beliebig gegen den Horizont geneigt, festgestellt werden kann. Dieses erreicht man mit der einzigen Druckschraube D, deren Wirkung aus den Figuren V,, V+, V., welche die Theile a, b, c gesondert darstellen, sofort klar sein wird. Sämmtliche Stäbe sind an ihren Enden mit hell polirten Knöpfen versehen. III. Es mögen nun die hier realisirbaren Fälle bezüglich der Componenten, welche die Schwingungscurve liefern, aufgezählt werden. Zu dem Ende bemerken wir nur, dass der Hauptstab verbunden mit dem Torsionsansatz die Spiegelebene um zwei aufeinander senkrechte Axen dreht, und zwar um eine horizontale bezüglich der transversal Bewegung des Hauptstabes und um eine verticale, bezüglich der Tor- sionsschwingungen desselben Stabes. Die Dauer einer transversalen Schwingung wird regulirt durch die Veränderung der Länge des Haupt- stabes; ist sie einmal fixirt, so kann man den Torsionsschwingungen noch verschiedene Dauer geben innerhalb gewisser Gränzen durch Verschieben der auf den horizontalen Armen befindlichen Laufgewichte, und macht man die Verschiebungen so, dass der Schwerpunkt des ganzen Torsionsansatzes in der Axe des Stabes bleibt, so wird die Schwingungsdauer der Transversalbewegung ungeändert bleiben, so 150 lange das Gewicht des ganzen Ansatzes ‚dasselbe ist. Es ist nämlich ein Ergebniss der Theorie belasteter Stäbe; dass: ie A a) wenn die mit dem Stabe verbundene starre Masse so vertheilt wird, dass ihr Schwerpunkt in die Axe des Stabes fällt, und. zwei Hauptträgheitsaxen mit den Hauptträgheitsaxen des Querschnittes des Stabes zusammenfallen, b) die Schwingungsdauer der transversalen Schwingungen nur abhängig ist von der angehängten Masse und ihrem Trägheitsmoment bezüglich einer durch den Befestigungspunkt gehenden auf der Mn gungsebene senkrechten Axe, und c) die Schwingungsdauer der Torsionsschwingungen nur en wird durch das Trägheitsmoment der angehängten Masse bezüglich der Axe des Stabes. *) j Man ist so im Stande dem Spiegel gleichzeitig zwei Bewegungen von gewisser Dauer zu ertheilen, und es ist sofort klar, dass das Spiegelbild eines ruhenden Lichtpunktes die Schwingungseurve durch- laufen muss, die aus den beiden Componenten, nämlich der transver- salen und der darauf senkrechten Torsionsschwingung, resultiren würde, wenn man beide zugleich auf einen beweglichen Punkt übertrüge. Der Vortheil dieser Zusammenstellung besteht nun einmal’ darin, dass man ein und dieselbe Schwingungscurve aus Componenten zu- sammensetzen kann, die sehr verschiedene absolute Schwingungsdauer besitzen und es somit in der Macht hat, einer und derselben Schwin- gungscurve ebenfalls innerhalb gewisser Gränzen beliebige absolute Schwingungsdauer zu geben; dann aber auch in der Leichtigkeit, mit welcher man zusammengesetzte Curven erhalten kann. Es. ist nämlich sofort klar, dass wenn der leuchtende Punkt, dessen Bild man im Spiegel betrachtet, selbst in einer schwingenden Bewegung begriflen ist, dieses Bild eine Curvenform durchlaufen muss, die man auch erhalten würde, wenn man die Schwingungsform, die bei ruhendem Lichtpunkt im Spiegel erscheint, und die Bewegung des Lichtpunktes parallel zu sich selbst auf einen ge Punkt über- tragen würde. j Nach diesen Bemerkungen sieht man sofort die Nicht fol- gender Combinationen ein. Man erhält nämlich: ul *) Der Nachweis dieser Sätze bleibt einer später zu FFEGBENMIChend.n Arbeit aufbehalten. | lh 1. Zwei Componenten, die aufeinander senkrecht stehen. a) wenn der Hauptstab mit dem Versicherungsstäbchen ver- bunden ist, 0) wenn am freien Ende des Hauptstabes eine von den unter d) art. II. angeführten Lamellen eingeklemmt wird. ©) wenn an dem mit dem 'Torsionsansatz verbundenen Hauptstabe nur eine Schwingundsweise erregt wird, der Lichtpunkt aber durch das Knöpfchen an einer der Lamellen (d. art. II.) hergestellt wird, welche dann in dem unter (£. art. II.) beschriebenen Statif befestigt ist, d) durch Anwendung der in (e. art. II.) erwähnten Vorrichtung, endlich e) durch Verbindung des Hauptstabes mit dem Torsionsansatz. 2. Zwei Componenten gegeneinander beliebig geneigt a) durch die Zusammenstellung (T. c), b) mittelst der Vorrichtung (e art. II). 3. Drei Componenten, zwei gegen einander senkrecht, die dritte beliebig geneigt, a) durch die Zusammenstellung (I. c), wenn man an dem Haupt- stabe beide Schwingungsweisen erregt, o) durch Verbindung des Doppelstabes (e art. II.,) der an dem Statif angebracht ist, mit (I. c), und Erregung nur einer Schwingungs- weise an dem Hauptstab. 4. Vier Componenten, je zwei auf einander senkrecht, wenn man bei der Zusammenstellung (3, b) an dem Hauptstabe beide Schwin- gungsweisen erregt. Für den speciellen Fall, in welchem bei drei Componenten zwei zusammenfallen, kann man auch den Doppelstab an dem Ende des Hauptstabes bei aufgesetzten Versicherungsstäbchen einklemmen, und ebenso, wenn bei vier Componenten drei zusammenfallen sol- len, indem man nur den Torsionsansatz anwendet, und den Doppel- stab soweit seitlich einklemmt, dass die Arme mit den Laufge- wichten nicht hinderlich werden; sollen aber von den vier Compo- nenten je zwei zusammenfallen, so stellt man den Doppelstab so, dass er in die Schwingungsebene des Hauptstabes zu liegen kommt. Erlaubt der Doppelstab selbst eine Veränderung der Neigung der beiden Com- ponenten, so kann man natürlich durch (3, b) auch drei beliebig gegen einander geneigte Componenten erhalten. „152 IV. Es möge noch kurz angedeutet werden, wie man sich zu benehmen hat, um eine gewünschte Beziehung zwischen den Schwin- gungsdauern der Componenten zu erhalten. Will man nur zwei Com- ponenten combiniren, so gelangt man bald durch einige Versuche zu der gewünschten Curve, und es mag nur bemerkt werden, dass es nicht ohne Vortheil zu sein scheint, bei aufgesetztem Torsionsansatz durch Verschieben der Laufgewichte nur die Schwingungsdauer der Torsionsschwingungen abändern zu können, ohne dass zugleich die Dauer der transversalen Schwingungen affıcirt werden würde. Bei anderen Vorrichtungen, wo die beiden schwingenden Theile mit ein- ander verbunden sind, ist diese Möglichkeit gewöhnlich nicht vorhanden. Man wird aber bemerken, dass in allen Fällen, wo die resulti- rende Curve dadurch erhalten wird, dass die Theile, welche die Com- ponenten geben, fest mit einander verbunden werden (wie etwa beim Doppelstab oder wenn der Hauptstab den Torsionsansatz trägt) die Hervorbringung von Ellipsen, also des Verhältnisses 1:1 im den Schwingungsdauern besondere Schwierigkeiten macht, da die Curven kaum genügend ruhig zu erhalten sind. Es rührt diess hauptsächlich daher, dass, wenn das Verhältniss 1 : 1 nicht genau getroffen ist (und in aller Strenge kann es nie geschehen), die Schwingungsinten- sitäten periodisch zu und abnelımen, indem der eine schwingende Theil auf den andern zurückwirkt, so dass nebst den Veränderungen die aus der Ungenauigkeit, mit welcher das Verhältniss 1 : 1 hergestellt ist, und welche die Erscheinung bedingen, als ob die Phasendifferenz sich continuirlich mit der Zeit änderte, auch noch periodische Ver- änderungen in den Dimensionen der Curve, und zwar so hinzukommen, dass die Maxima und Minima nicht gleichzeitig in beiden Dimen- sionen auftreten. Für Ellipsen wird man daher zu solchen Zusam- menstellungen greifen müssen, bei welchen die beiden, die Componenten liefernden Theile getrennt von einander sind. Will man demnach eine Ellipse mit der Schwingungsdauer A combiniren mit einer geradlinigen Schwingung, deren Dauer B ist, so wählt man die Zusammenstellung (3, a) art. III., erzeugt an dem Haupt- stabe, der mit dem Torsionsansatz verbunden ist, die Curve A: B, und verschiebt die Lamelle in dem Statif so lange, bis sie, je nach dem man es wünscht, mit A oder B gleiche Schwingungsdauer hat, d. h. entweder mit den Transversal- oder Torsionsschwingungen allein 153 combinirt eine Ellipse gibt. Durch Drehung der Klemmvorrichtung um die horizontale Axe kann der Schwingungsrichtung immer die nöthige Lage ertheilt werden. Hat man zwei Ellipsen zu combiniren etwa unter Voraussetzung des Verhältnisses A : B, so stellt man an dem Doppelstab die diesem Verhältniss entsprechende Curve her, combinirt die Schwingung einer von den beiden mit einander verbundenen Lamellen, etwa die hori- zontale, mit der Transversalschwingung des Hauptstabes, so dass Ellipsen zum Vorscheine kommen, und- verschiebt dann die Laufgewichte so lange, bis die Torsionsschwingungen mit dem Transversalen combinirt, (wobei man den im Stativ angebrachten Doppelstab in Ruhe lässt, und sein Knöpfchen als Lichtpunkt benützt), wieder die zuA:B gehörige Curve geben. Wie man in jenen Fällen zu verfahren hat, in denen es sich nicht um die Combination von Ellipsen, sondern anderer Curvenformen handelt, braucht nach diesen Auseinandersetzungen wohl nicht erst angeführt zu werden. V. Man kann mit der beschriebenen Vorrichtung leicht die Rich- tigkeit der Erklärung nachweisen, welche sich auf das Oscilliren der Curven bezieht, d. h. auf die Erscheinung, dass die Phasendifferenz sich mit der Zeit zu ändern scheint. Wenn nämlich die Zeit, in welcher die ganze Curve von dem leuchtenden Punkte durchlaufen wird, bedeutend grösser ist als die Zeit, durch welche ein Lichtein- druck im Auge andauert, so kann man nur einen kleinen Theil der Bahn des Punktes als nahezu continuirliche Lichteurve erblicken, und es wird dieser Fall immer eintreten bei solchen Verhältnissen der Schwingungsdauer. welche einem einfacheren Verhältnisse nahe kommen, ohne es wirklich zu erreichen. Diese einfacheren Verhältnisse, die sich durch einen Apparat noch darstellen lassen, hängen daher auch schon von den Schwin- gunesdauern der Componenten ab, und je kleiner diese sind, desto complicirtere Verhältnisse werden mit einem Apparat erhalten werden können. Es können daher für einen Apparat Verhältnisse noch ganz gut darstellbar sein, die für einen andern bereits als zu complieirt erscheinen werden. Um nun diess zu veranschaulichen, stelle man den Doppelstab, der in dem Stativ befestigt ist, so, dass z. B. die Curve 1:5 er- 154 scheint, wo natürlich die schnellere Schwingung, die wir uns zugleich vertical gestellt denken, dem oberen Stabe angehören wird. Sodann erzeuge man zwischen den Torsionsschwingungen und den Transver- salschwingungen des Hauptstabes ebenfalls das Verhältniss 1:5, und die schnelleren Schwingungen mögen die Torsionsschwingungen sein. Dabei sei aber die Länge des Hauptstabes so gewählt worden, dass die aus der Torsion und aus der verticalen Bewegung des Doppel- stabes resultirende Curve dem Verhältnisse 5 : 6 beispielsweise ange- höre. Lässt man nun diese beiden eben genannten Schwingungen allein vor sich gehen, so erscheine die Curve 5:6 in ihrer ganzen Ausdehnung; die transversalen Schwingungen des Hauptstabes bloss combinirt mit den horizontalen des Doppelstabes haben nun auch das Verhältniss 5 : 6, nur ist die Zeit, in welcher die resultirende Curve durchlaufen wird, 5-mal grösser als im vorigen Falle, es erscheint aber (wenn die Dimensionen des Apparates darnach sind, wie etwa in dem beschriebenen) nicht dieselbe Curve, sondern man sieht mässig schnell oscillirende Ellipsen. VI. Da die Schwingungscurven, namentlich die aus zwei Com- ponenten resultirenden, Eigenschaften besitzen, durch welche man leicht auf das Verhältniss der Schwingungsdauern der Componenten schliessen, und eine dieser Eigenschaften wenigstens ohne alle Rechnung dureh eine kleine Betrachtung erschlossen werden kann; so werden sie auch für jene, die nicht mit den eingehenderen mathematischen Untersu- chungen vertraut sind, in vielen Fällen dort Anwendung finden können, wo es misslich oder unmöglich ist, die durch die Schwingungen er- zeugten Töne einer Messung zu unterziehen. Namentlich die Anzahl der Maxima, an je einer Seite des die Curve einschliessenden Rechteckes steht in einer Beziehung zum Ver- hältniss der Schwingungsdauer, die fast von selbst einleuchtet. Macht z. B. die verticale Componente m Schwingungen, während die hori- zontale n macht, wo m und n ganze Zahlen bedeuten, die auch leicht aus einem gegebenen Verhältnisse der Schwingungsdauern erhalten werden, so ist die Zahl der horizontalen Maxima m, die der verti- calen n. JE Es treten jedoch Curvenformen bei gewissen Phasendifferenzen auf, wo je zwei Aeste der allgemeinen Form über einander fallen (die vereinfachten Curven nach Melde), in diesen ist also auch die 155 Zahl der Maxima halb so gross, und da zugleich immer singuläre Punkte auftreten, die in zwei Eckpunkte des der Curve umschriebenen Rechteckes fallen, so folgt daraus die Regel: Man zähle die Maxima in verticaler und horizontaler Richtung, wobei die singulären Punkte als '/, hmzuzugeben sind, verdopple die Resultate, so hat man das Verhältniss der Schwingungszahlen und kann zugleich schliessen, in welcher Richtung die eine oder die andere Schwingung erfolgt. Man kann wegen dieser einfachen Beziehung auch den beschrie- benen Apparat dazu verwenden, um mit Hilfe der Schwingungscurven einige Gesetze an schwingenden Stäben theils qualitativ theils quan- titativ anschaulich zu machen. Die Anzahl der Schwingungen in der Zeiteinheit für einen am Ende eingeklemmten Stab ist: eg Var DE R G und es bedeutet I die Länge des Stabes, A? die Grösse des in die Schwingungsebene fallenden Trägheitsradius des Querschnittes, G das Gewicht der Volumseinheit der Materie des Stabes, E den Elasticitáts- modul, © die Acceleration und & eine Wurzel der Gleichung: (er +eT7t)cse +2 = 0, deren erste Wurzel 187011, die folgenden aber sehr angenähert und um so mehr je höher die Ordnungszahl der Wurzel +1) sind. Es folgt nun aus obiger Formel: a) Die Anzahl der Schwingungen in der Zeiteinheit ist dem Quadrat der Länge verkehrt proportionirt. | Experimentell kann dieses Gesetz so nachgewiesen werden, dass man die Zusamenstellung (1, b) oder (1, c) wählt, erst die Ellipsen erzeugt, und dann auf andere Curvenformen übergeht. zugleich die Länge misst, welche für jede Curve die Lamelle haben muss. Der Hauptstab behält dabei fortwährend dieselbe Schwingungsdauer, die er bei Einstellung der Ellipsen hatte, und die zu den erzeugten Curven gehörigen Verhältnisse von n beziehen sich daher auf die Länge der Lamelle bei den Ellipsen und der bei einer anderen Curvenform 156 gemessenen. Sollte bei der Zusammenstellung (1, b) durch das Ver- schieben der Lamelle der Hauptstab seine Schwingungsdauer ändern, so erkennt man diess an der Curve, die der Knopf des Versicherungs- stäbchens gibt und kann mit deren Hilfe durch das Laufgewicht L wieder aufdie ursprüngliche zurückgeführt werden. Einige Zahlen mögen einen Begriff von der Genauigkeit der Zusammenstellung (1, b) geben. Beobachtetes Länge der berechnetes Verhältniss Lamelle N nn i Verháltniss jE Pow 1000 Y = 1165 mm £94="1:333 1511008 1'336 32.2. <=1500 ie) 1'473 2 172212000 18V 2.014 HE OD vr Zee 2'479 Es mag bemerkt werden, dass die zweite Zusammenstellung noch genauere Resultate liefert. b) Bei demselben Material und bei derselben Länge nimmt n zu mit der Dicke des Stabes. Man benützt dieselben Zusammenstellungen wie vorher, ebenfalls mit der Vorsicht, dass man dem Hauptstab immer dieselbe Schwin-, eungsdauer ertheilt. Aus der Länge, die man einem dickeren Stabe geben muss, um dieselbe Curve zu erzeugen wie mit einem dünneren, kann man das Verhältniss der Querdimensionen ableiten. c) Alles übrige gleich gesetzt, ist n der Quadratwurzel aus dem Elasticitätscoöffiecienten proportional. Hiezu dienen mehrere Lamellen von gleichen Dimensionen aber ungleichem Materiale, und man kann wieder aus den zur Hervorbringung gleicher Curvenformen nöthigen Längen das Verhältniss der Elasti- citätscoöfficienten finden. d) Die n und n‘, welche den Fällen entsprechen, in denen der Stab ohne Knoten und mit einem Knoten schwingt, verhalten sich wie 1: 6-35. Zu diesem Ende nimmt man eine feine Uhrfeder von ziemlicher Länge, welche in dem Statif befestigt wird. Der mit dem Torsions- ansatz versehene Hauptstab wird so lange regulirt, bis seine trans- versalen Schwingungen mit jener der Feder Ellipsen geben. Hierauf lässt man die Feder mit einem Knoten schwingen und erblickt sofort k j er RER 4 157 die entsprechende Curve. Es gelingt leicht die Feder in die gewünschte Schwingung zu versetzen, wenn man an der Stelle, an welcher der Knotenpunkt auftritt, so lange eine Fixirung anbringt (etwa indem man einfach einen dünnen cylindrischen Stab an die Seitenfläche der Feder anlegt), bis sich die Schwingungen ohne Knoten beruhigt haben. Endlich sei noch bemerkt, dass aus der Combination der trans- versalen und der Torsionsschwingungen auf die angegebene Weise, das Verhältniss der beiden Elastieitätscoöfficienten, bei entsprechender Einrichtung, erhalten werden könnte. Im Juni 1864 eingegangene Druckschriften. Jahresbericht des physikal. Vereins zu Frankfurt a. M. für das Rechnungsjahr 1862 —63. Mittheilungen der k. k. mähr.-schles. Gesellsch. des Ackerbaues usw. Brünn. Jahrg. 1863. V. Ritter v. Zepharovich die Krystallformen des unter- schwefligsauren Kalkes usw. (Sep. Abdruck). Wien 1862. Desselben Berichtigung und Ergänzung usw. des Epidots. (Sep. Abdruck.) Desselben Krystallografische Mittheilungen aus Graz. (Vom Hrn. Verfasser.) Magazin für die Literatur des Auslandes. Berlin 1864 Nr. 22—25. J. M. Gilliss. Astronomical and meteorolog. observations etc. during the year 1862. Washington 1863. (Vom Hrn. Verfasser.) Journal für die reine und angewandte Mathematik, fortges. von C. W. Borchardt. Berlin 1864. LXIII. Band. 1. Heft. Lotos. Zeitschrift für Naturwiss. Prag. 1864. Mai. Schriften der k. physikal. - ökonom. Gesellschaft zu Königsberg. IV. Jahrg. 1863. IT. Abth. Abhandlungen der naturforschenden Gesellschaft zu Halle. 1863. VII. Band. 3. Heft. Zeitschrift der deutschen geolog. Gesellschaft in Berlin. 1863. XV. Band. 4. Heft. B. Silliman and J. Dana. The American Journal ete. New- Haven 1864. Nro. 111. > Mittheilungen des naturwiss. Vereins fůr Steiermark. Graz 1863. 183 Heft. 27 iy re C. G. Poggendorff’s Annalen der Physik und Chemie. Leib 1864. Nro 5. ERS Verhandlungen der kon. Akademie van ne Afdel. Letterkunde II. Deel. Amsterdam 1863. Verslagen en Mededkelngen etc. Afdel. Letterkunde. VI. Dee. Amsterdam 1863. Jaarboek van de kon. Akademie ete. voor 1862. Catalogue du Cabinet de Monnaies et Medailles ete. Amster- dam 1863. J. H. Hoeufft. De Lebetis materia et forma ete. Amstero- dami 1863. Verslagen en Mededeelingen etc. Afdel. Natuurkunde XV. en XVI. Deel. 1864. D. Bierens de Haan Over de Magt van het ee, onbestaanbare in de Wiskunde. Deventer 1863. (Vom Hrn. Verfasser.) Jahrbuch der k. k. geologischen Reichsanstalt. XIV. Band. Nro. 1. Wien 1864. Pamiatky Jazlowieckie zebral X. Sadok Baracz. Lwow 1862. (Vom Hrn. Verfasser.) Atti del Reale Istituto Lombardo di scienze, lettere ed arti. Vol. III. fasc. 19—20. Milano 1864. Bulletin de la Soc. des Naturalistes de Moscou. Année 1863. Na 4. Denkschriften der kais. Akademie der Wissenschaften. Wien 1864. XXI. Band. Naturwiss.-math. Abtheil. Archiv für Kunde österr. Geschichtsquellen. XXX. Band. 1. rl 2. Hälfte. — XXXI. Band. 1. Hälfte. Fontes rerum austriacarum. I. Abtheil. Seriptores IV. Band. (Siebenbürg. Chronik des G. Kraus.) Sitzungsberichte der kais. Academie der Wiss. Math.-naturwiss. Classe. Erste Abtheil. Jahrg. 1863. Heft 4—10 1864. 1. Heft. — Zweite Abtheil. 1863. 5—-9 Heft. 1864 1. Heft. HY M. Hattala. Mluvnica jazyka slovenského. V Pešti 1864. Archiv des Vereins fůr siebenbůrg. Landeskunde. Kronstadt 1862. Neue Folge V. Band. 2. und 3. Heft. jak Jahresbericht des Vereines usw. Hermannstadt+1862. 51 pejsků 159 n ja Unvesn i 2 aamlee und "alteriijmaton s Gesellsch. Osterlandes. Altenburg 1863. VI. Band. 1. Heft. 2 © Moses Paié System einer Universalsprache USW. Wien 1864. Ň n Hrn. Yen BEN en — = a Prager Sitxungsberichte 1861-18. er RE Fer by = “ : ? = n © Druck von Dr. Ed. Grégr in Prag. Sitzungsberichte der königl. böhmischen GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN Ananas | in Prag. | kt | ee B | | o Jahrgang 1864. Juli — December. it einer lithographirten Tafel.) o ER o nee | T PRAG, 1865. a | B) asto) eo RR Sitzungsberichte der königl. böhmischen Gesellschaft der Wissenschalten im JE rec. Jahrgsang 135%. Juli — December. zRáRY OF 75 SL v fl B (Mit einer lithographirten | Tafel.) +, \ JELIGATI KEY p OMA DBT Te PRAG. Druck von Dr. E. Grégr in Prag. — Verlag der k. böhm. Gesell. der Wissenschaften. 1865. rloenanod Iaininl ol a i p ir a u, | MUJ VEN SER EN ae Mně M: W ká PÁR Hr í \ i zk N kei © 17) 9 aby viní já IR PR 4 u k ; MOSS Philologische Sein am 4 Juli 1804: IA mi odlozash M [ Assessed die HH. Moleliadt sie účlanuě P obalená ps Zap; v: Suchěcki und: Winařický; als Gast: Hr. »Jos. Kolář jb) ‘Hr’ wu Buchecki chielt, einen Vortrag (in, ink Sprache),über den»urslavischen,Nasalvocal wlo22911. oil «Nachdem. |,Bopp -eine neue, ‚früher ‚ungeahnte Wissenschaft, ‚die! historisch © vergleichende ;Sprachwissenschaft , . geschaffen.,.hatte;l, be, schränkte man sich- einige Zeit hindurch auf) dem. positiven: Felde den, monumentalen Sprachen. Mit vorleuchtendem Genie that sodanwS;chlei-, cher -in seiňem: „Compendium der; vergleichenden Grammatik',der in- dogermanischen Sprachen (Weimar; 1861)“ (einen ‚kühnen Schritt:zuj einém neuen Fortschritt „der Spuackwisseikchefte, vom positiven; zum! deductiven Gebiete;'es liegt nämlich | vor uns ein! wissenschaftlich 61 schlossenes Bild der indoeuropäischen Ursprache; welche: ein‘ weit; hel- leres Licht auf die positive Sprachenerkenntniss: verbreitet. Hin, von Suchecki's Forschune gibt, die Initiative, zu weiteren „Forschungen, um durch :deduetive‘ Erschliessungen:: im.vegressiven Wege; den Ha=: bitus der urslavischen Sprache, welche ein; klareres Licht im., Gebiete! der Slavistik -zu werfen vermag, aufzustellen: © Er ‚trachtet,.hiemit ein) Moment (der Urslavistik; nämlich: ‚den! Nasalvocalound!,dessen- Eigenthümlichkeiten, zu enthůllen. pls! i bau Die: Abhándlung bespricht das nakálé: as. im dení ani Sla-ı dl verwandten Sprachen: Zend, Sanskrit, Iikanischn und Gabi ein 2. im Altpolnischen, 3. im Urslavischen. iayt Moi ‘Der ursprüngliche Starrdiphthong an, am, aus als jenů Nas, an, sprachhistorisch meistens, aber, nicht durchgängig entstanden sind; verhält sich zum Flussdiphthong, dem reinen Nasalvocali,o (ohne Begleitung des consonantischen Nachklanges in der Aussprache); wie, l Sitzungsberichte 1864. II. 2 av zu au, wie aj zu ai in physiologischer, nicht immer aber in sprach- historischer Beziehung. Nachdem der Vortragende durch zahlreiche Beispiele nachge- wiesen hatte, dass der reine Nasalvocal a zum alterthümlichen Orga- nismus der indoeuropäischen Stammsprachen gehörte, überging er zur Betrachtung und Constatirung desselben im Altpolnischen. Das nasale a war einstens der einzige Nasalvocal des Altpol- nischen. 1. Alle Schriftdenkmäler der altpolnischen Sprache bieten dasselbe im Allgemeinen mit unmassgebenden dialectischen Ausnahmen. 2. Die polnische Nation erhält Ueberreste des altpoln. nasalen a: «) selbst in ihrer heutigen Schriftsprache; 8) das Landvolk verschiedener Gegenden bewahrt es am treuesten in der Aussprache neben den neu- poln. und aksl. nasalen 0, e, wie die Masuren an der mittleren Weichsel, die preussischen Oberschlesier und die Kaschuben. 3. Die ausgestor- benen Elbeslaven sprachen es überwiegend (neben dem nasalen u wie die Kaschuben) aus. 4. Man findet es in weiteren Oder-, Elbe- und Wesergauen zerstreut in Ortsnamen, deren Sinn nur aus sla- vischen Wurzeln erklärt werden kann. Jede der obigen Enthüllungen wird durch zahlreiche Beispiele bewährt. — Die sub 1. 2. «) B) und 3. angeführten Thatsachen lie- fern positive Beweise für die Existenz des reinen nasalen a im Alt- polnischen und überhaupt Altnordslavischen; die Thatsache sub 4. hat relativen Beweiswerth, ist aber ein logisches Postulat der vorhergehenden Thatsachen, und unterstützt gegenseitig die Beweiskraft derselben. Die Beweisfůhrung, dass das nasale a der einzige Nasalvocal auch im Urslavischen gewesen ist, wird zuvörderst von der Evidenz- haltung der linguistischen und historischen Wahrheit eingeleitet, dass das lithauisch-slavische Element nach dessen Einwanderung aus Asien sich nicht von Süden nach Norden, sondern umgekehrt von Norden nach Süden, von den baltischen und sudeto-karpatischen Gebieten nach dem illyrischen Dreieck hin ausbreitete, und dass daher im Norden die Momente der urslavischen Sprache zu suchen sind. Später hat sich freilich die slavische Sprache in dem Individuum des Altbulga- rischen unter dem Einflusse der griechischen Cultur zu einer Schrift- sprache emporgeschwungen, bevor noch im Nordslavischen an der Elbe, Oder und Weichsel das südeuropäische Schriftthum sich ent- wickelte. 3 Für das nasale a im Urslavischen sprechen nachstehende Gründe: 1. Wenn das nasale « im Zend, Sanskrit, Litauischen und Gothischen eine Thatsache ist; wenn solches im Nordslavischen seit alten Zeiten sich erweiset; wenn es in neupoln. Mundarten bis auf den heutigen Tag fortlebt, und wenn das Urslavische sich von Norden nach Süden ausgebreitet hat: so ist die Folgerung, dass dasselbe auch im Südslavischen ursprünglich, d. h. vor der Schwächung desselben in die aksl. nasalen 0, e, geklungen hat, eine logische Forderung. — 2. In altböhmischen Denkmälern wird das nasale « nicht nachgewiesen); aber vereinzelte, im Neuböhmischen erhaltene Worte (blankyt, kam- pa....), so wie das ältere au (neuböhm. ow) für den Nasal sprechen für das nasale « auch im Urböhmischen. — 3. Im Südslavischen bieten die vielen Volksmundarten noch ein offenes, aber ergiebiges Feld für Studien zum Ausbeuten des Urslavischen. Im karantanischen Aufsatze findet man keinen Anhaltspunkt für das nasale a; wohl aber in alten Namen und in der neuslovinischen Volksmundart mancher Gegend. — 4. Die glagolitischen und kyrillischen Schriftzeichen für Nasalvocale in Vergleichung mit koptischen und gothischen Buchstaben zeugen vom Leben des nasalen a, oder wenigstens von dessen. nicht ganz verschollener Spur der Aussprache um die Zeiten Kyrill’s und Klement’s: Das indoeuropäische, altpolnische und urslavische nasale a fing an sich im Polnischen erst im XVI. Jahrh. in die zwei Klänge na- sales o und nasales e zu zerspalten, während man in den ältesten Denkmälern der aksl. Sprache schon: den entschiedensten Gebrauch der nasalen 0, e, und fasst keine Spur mehr vom ursprünglichen in- doeuropäischen nasalen a findet. Das nasale « war aber doppelter Natur, das einfache und das erweichende nasale a; jenes hat das Aksl. zum nasalen o, dieses zum nasalen e herabgeschwácht. Die Aussprache des einfachen nasalen a erhielt sich in der polnischen Schriftsprache fort bis in die Mitte des XVIII. Jahrh. Hieraus ist die Schreibart des nasalen o im Neupolnischen mit a cedille zu erklären, was anderwärtige Linguisten nachahmen, sobald sie das nasale o umschreiben wollen. Das Schrift- zeichen a mit der Cedille wäre in wissenschaftlichen Behandlungen der Sprachen ausschliesslich dem nasalen a zu überantworten. Irrig wäre die Ansicht, dass die Gruppen an, am nach physio- logischen Grundsätzen kein nasales a, aber nothwendig ein nasales o 1* 4 hervorbringen müssen: Das reine nasale a hat gar keinen consonan- tischen Nachklang, und ist physiologisch absolut reell wie: au, a%; welche letztere Laute nicht nothwendig zu 04, e% herabsinken müssen. (31 "Aus (der Constatirung des. urslavischen nasalen: « erhellet nun klar die ‚Entstehung der neuslavischen verschiedenen Surrogate für das ursprüngliche nasale a. Die sprachhistorisehe Betrachtune der: slavischen Dialecte, vorzüglich älterer Zeit, zeigt, dass das, einfache nasale'«' durch negative Steigerung zu dem nasalen 0,4 das. erweis chende nasale « dagegen zu den nasalen &, © sich! abschwächte. Durch einfachen Verlust des. nasalen Beiklanges entstanden stufenweise die: Grundvocale 0, u — ©; % in den verschiedenen mannigfaltig’ im Laut; verdorbenen neueren Slavinen. dos vole zá "Die nasalen 0, e des Altbulgarischen für: nasales -a sind: dem: Einfluss’ des byzantinisch Griechischen zuzuschreiben. nr rob Das nasale a ist somit eines der Merkmale mehr; welche das. áltere Nordslavisch vom älteren Sůdslavisch scheiden. (Die. kirchen“ slávischen nasalen 0, e sind um die Zeit des: Apostelamtes der HL. Cyrillus und Methodius in nördlicheren Gegenden erklungen, und haben: an’'der'''Weichsel zuerst im Weisschrobatischen;, welches « polnische Schriftsprache geworden ist, das ursprüngliche helle nasale a gedämpft. Hierauf besprach Hr. M. Hattala den Ursprung des goth. naus im Vergleich mit dem slav.ınav 691-1 don mm Eingangs nahm er Fr. Miklosich's „Lexicon palasoslovenico-gra800- latinum“ gegen die vom Standpunkte der vergleichenden Sprachwis-! senschaft aus gemachten’ Ausstellungen A. Schleichér's in Schutz. ‚Hierauf kritisirte er die bedeutendsten der bisherigen Deutungen děs goth.: naus "aus dem zend. nacus und griéch: Véxvg, "indem er unter an- deren hervorhob: 1. dass sich die’ ‚angenommene | Ausstossung des: gutturalen 4 zwischen zwei 'Vocalen im Gothischen’ durchaus nicht) rechtfertigen lasse, und 2. dass naus, als zu den auf % auslautendeu: Stämmen gehörig, auf ein nahu-is oder nahvý-is nur" dann mit Recht zurückgeführt werden dürfte, wenn es gehörig‘ nachgewiesen‘ werden könnte: «) dass im Gothischen die Uebertragung der u= in die i“ Stimme gang und gäbe ist, 4) dass die goth. Lautgesetze geradezu‘ ein naus aus nahvs fordern, und c) dass das Gothische keinen Grund hatte, die Consonantengruppe Av Wenjestens vor Vocalen zu schonen. Der Vortragende stellte ferner diese Schwierigkeiten als“ unůberwinds! i 5 lich "dar und führte" schliesslich dén Beweis, dass’ das goth. naus 'vom zend. nacus und griech. v&xvg entschieden zu trennen und sammt dem Slav. 'navs durch Steiceruné der Wurzel nu, welche‘ im Sla- 'vischen 'als »y'(tabescere) wirklich vorkommt, zu ai mittels" des Suf- fixes 7 entstanden” sei. Ein Theil des Vortrages wurde bereits boh- inisch in deti hierorts“ erscheinenden „Krok“ (I. 166-172) 'veröf- fentlicht. ehe Mais nn s bs desselben rg abgedruckt. £b „4194 [1 | Philosophische. Section am I. Juli 1864. robo nobng1ů H9AI9/7 .11jC u Gegenwártig die. Herren Mitelieder: Winařický, [Hanáš, Storch, Pečírka, Dastich; als Gäste: die Herren Klemt und Lepař. ocrHerr Hanuš trug (in böhm. Sprache) seine Ansicht vor über»sdas Verháltniss des prosaischen Styles zum poe- tischen und rhetorischen Style. (Verel. den kon vom 4.. Januar 1864. 8. 10.) A ‘Er; suchte vor Allem die übliche Drcithdiluhé m Stylbegrifiex in dis ii poetischen und rhetorisechen als eine 'unlo- gische anzugreifen, indem er behauptete, dem sogenannten prosaischen Style fehle die differentia ' specifica, der Artunterschied, der’ihn erst ‚berechtigen würde, im Verhältnisse der Nebenordnung zum poetischen und rhetorischen Style hinzuzutreten: Der poetische Styl unterscheide sich námlich vom Style úberhaupt oder vom Style im Allgemeinen dadurch, dass er nicht: Verständlichkeit überhaupt, sondern eine solche Verstándlichkeit bezwecke, die mittels daregestellter Vorstellungsgruppen den Eindruck der Schönheit abzwecken. Der rhetorische Styl bezwecke wiederum eine solche’ (Verstándlichkeit, die nicht Vorstel- lungenvüberhaupt,; sondern solche Vorstellungen betreffe, die Motive oder Beweggründe fůrs Handeln abgeben. © Průft man nun die Art- unterschiede des sogenannten prosaischem Styles, so'erweisen sie sich entweder als ganz. irrig, oder als zu allgemein. © Denn 'sagt mat. dass: der Zweck -der prosaischen Mittheilune- die Wahrheit oder die Belehrung, Ueberzeugung oder etwas dergleichen sei, so bedenke man, dass einerseits „Wahrheit“ nur der Zweck besonderer Arten des sogenannten prosaischen Styles, z. B. des wissenschaftlichen Styles, „Be- lehrung“ der des didaktischen Styles sei: dass „Ueberzeugung“ kein Artunterschied des prosaischen Styles, sondern nur die beabsichtigte 6 Wirkung, auch anderer Stylarten z. B. des rhetorischen Styles sei, wie denn auch der rhetorische Styl auf Wahrheit fussen müsse, wenn nicht sámmtliche Rhetorik auf List und Trug zurůckgefůhrt werden soll, und derselbe Styl, d. i. der rhetorische, gar háufig auch durch Belehrung oder durch Didaktik wirke, námlich dann, wenn eben die Belehrung zugleich hinreichend ist, mit der gewonnenen Einsicht Mo- tive im Gemůthe zu erregen. Das einzige stichháltige Merkmal des sogenannten prosaischen Styles ist nur die Verständlichkeit, d.i. Erregung derselben Vorstellungsgruppen im Geiste des Hörenden oder Lesenden, welche man selbst gehabt und durch seinen Styl wecken wollte. Das Merkmal der Verständlichkeit ist jedoch kein Artun- terschied, sondern das allgemeine oder Gattungsmerkmal des Styles überhaupt. Denn jeder Styl, auch der poetische und rhetorische muss, wie sich von selbst versteht, verständlich sein, weil er eben erst; durch die verstandenen Worte in irgend einer Angelegenheit und in irgend einer Richtung wirksam werden kann.. Es ist sohin der prosaische Styl nicht dem poetischen und rhetorischen nebenzu- ordnen, weil er keine Art des Styles überhaupt ist, sondern eben nur der Styl im Allgemeinen, der Styl als Gattung. Diese scheinbare Sonderbarkeit bedarf jedoch noch weiterer Er- klárungen. Die Etymologie des Wortes Prosa ist dunkel, ja un- bekannt, wenn man nicht bei der problematischen Erklärung: prosa stehe für prorsa (oratio) stehen bleiben will. Aber auch dieser Sinn: gerade Rede, directe Rede, Sprechen geradezu ist so viel, wie Rede überhaupt, sohin, wie oben, Styl im allgemeinen und nicht im besondern, wie die poetischen und rhetorischen Reden, die eben Arten darum sind, weil sie nicht nur geradezu sprechen und reden, sondern mit einer bestimmten Richtung hin, und zwar die poetische um zu gefallen, die rhetorische um zu rühren. Eine andere Eintheilung des Styles, nämlich die Eintheilung in die gebundene und ungebundene Rede, bestätigt das Gesagte von einer andern Seite. Unter gebundener Rede meint man: nämlich hier. die geverste, die Rede in Versen, unter ungebundener jede andere, zumeist aber die sogenannte prosaische. Verse beziehen sich nun durchaus nicht direct auf den Styl, d. i. auf die Auswahl und Aufeinanderfolge des ‚Gesagten, sondern nur auf die regelmässige Zählung und Anordnung: der Sylben des Gesagten, denn geverst kann 7 gutes und schlechtes, poetisches und unpoetisches sein, und wenn man z. B. ein Strafgesetzbuch in Verse bringen würde, so wäre es auch in gebundener Rede verfasst. Die gebundene Rede ist daher unmittelbar keine Stylart, wohl aber eine Art der äusseren Form irgend eines Gesagten, während die ungebundene Rede — wenigstens formell — dasselbe ist, wie die oratio prorsa, also: prosaischer Styl im etymo- logischen Sinne betrachtet, d. i. Styl überhaupt, Styl ohne jeden äusseren Zwang seitens der Form. Da sich nun also der prosaische Styl als keine Art des Styls, sondern als Styl überhaupt manifestirt, so sollte man die histo- rische Uebung, ihn dem poetischen und rhetorischen Style entgegen zu setzen, fallen lassen und sich um eine andere Stylbegriffeintheilung umsehen. Diese ist nun sehr verschiedenartig, da es der Einthei- lungsgründe viele gibt. So kann man den Styl in den natür- lichen und positiven eintheilen, je nachdem man dabei auf her- gebrachte oder positiv sanctionirte Formen nicht Rücksicht zu nehmen braucht, oder Rücksicht nehmen muss. So gehört z. B. die Stylisirung von Quittungen, Wechseln und anderer Geschäftsstücke — so wie die Formulirung der Gebete einer bestimmten Confession — die Ansprache bei volksthümlichen Gebräuchen und Festen, z. B. der Hochzeitbitter, zum positiven Style. Der natürliche Styl kann wiederum in den allgemeinen und besonderen eingetheilt werden, je nachdem er gegen das allgemeine Publicum, oder nur gegen einzelne, bestimmte Personen gerichtet ist, wie es z. B. bei dem sogenannten Brief- style der Fall ist. Der allgemeine Styl ist an das Gesetz der all- semeinen Verständlichkeit, der besondere an das Gesetz der speciellen Verständlichkeit gebunden, denn z. B. in einem vertrauten Briefe schreibe ich dann gut, wenn mich die bestimmte Person, der er gehört, vollständig begreift, wenn auch andere unbe- rufene Leser den Brief gar nicht verstehen würden. Der allge- meine Styl kann sodann in den unmittelbaren oder münd- lichen, und in den schriftlichen oder mittelbaren in der Be- ziehung wenigstens eingetheilt werden, als die schriftliche Mittheilung, die Mittheilung durch Gedächtnisszeichen (Buchstaben), viel mittelbarer ist, als die mündliche Darstellung, und in wieferne bei einer Lautschrift der Lesende das Gesehene erst in das Gehörte — die Schriftzeichen in die Schriftlaute — verwandeln muss, wenn er überhaupt ein Ver- 8 ständniss erzielen will. Aber. ‚eben. darum ist der Schriftstyl keine ‚eigentliche, Art, oweil die; Mittheilung und; Verständlichkeit durch; die ‚Schrift wenig berůhrtound wmodifieirt, wird, denn der, eigentliche, Styl, ‚die -Darlegung einer ‚bestimmten (Gedankengruppe nämlich ‚durch; eine bestimmte Wortgruppe - bleibt‘ derselbe; ob, man sie, nun ausspricht oder; aufschreibt.; + Der, unmittelbare, můndliche; oder „der Grundstyl dst sodann; mach „der Eigenthůmlichkeit der darzustellenden Gedankengruppen, d. i. also seinem Inhalte -oder „Sinne;„nach ‚abermals, ein‘ verschiedenartiger. 40 ts; däia.- al -olatd Beruht die) darzustellende Sal nämlich. auf, einem «oneret> gegebenen ‚ruhenden ‚(segenstande,, so, ist der, Styl dex.(be- schreibende. oder, deseriptive;,beruht (sie auf einer coneret; gege- benen. Begebenheit; d. i, einer, gleichgiltig. ob, ‚äussern, oder, innerm, Veränderung, so ist'der Styl der .erzáhlende; ist; die, darzustellende Gedankengruppe „ein ‚grösseres, oder kleineres System, von, allgemeinen oder. abstracten Vorstellungen über, | ein Gegebenes,; so/ist, der. Styl der didaktisiche oder belehrende; ist sie; jedoch „durchaus, an kein @egebenes gebunden, sondern mur aus solchen Theilvorstellungen zusammengesetzt, ‚die, in Ihrem Grundverháltnisse; ‚den Eindruck. des allgemeinen Wohlgefallens, den Eindruck der Schönheit erzeugen sollen, dann ist, den,Styl der poetische ‚oder „dichte rusch e;,,wenn; end- ich die; Gedankengvuppe dem. Inhalte, und „der Form, nach, 504 0rga- nisirt ist, dass sie als, Vorstellungsmasse im; Hörenden ‚in. Handlungs- motive oder Beweggründe sich verwandeln,soll, damn ist „dev Styl.der nednerische, oder, rhetorische. let 19brolyša Diese Eintheilung der, Stylarten — in denen vom prosaischen Style, gänzlich ‚Umgang ‚genommen! wird ,—+ jist, wiederum; em Beweis, dass. der. sogenannte „prosaische Styl; keine, Styl-art;ı sondern dn seinem Wesen; nur Styl überhaupt, num Styl im Allgemeinen sein kónne. az 9ualıre Daran knůpfte ‚der en noch Zac "en Bew das von Vielen behauptete nähere, Verháltniss ‚des. poetischen, Styles zur sogenannten ‚gebundenen Rede, das erdenn gánzlichin. Abredesstellte. Er, verlegte | nämlich‘ ‚den, Eindruck der Schönheit,, den. der poetische Styl „hervorbringen. soll, in, die Harmonie: der: Gedankengruppe,; dem Ideale -und dem (schönen) Bilde nach, also in, das Innere, u:den Sinn, nicht in, das; Aeussere, der Worte, die ‚ihm, úberhaupt nur. beim Ge- 08 diehte das Wertreten: sollen, was z. B.: bei der Pantomime die Gesten, welehe) die äusseren Zeichen: oder) Mittel sind, (die, etwa: zu Grunde liegenden schönen Vorstellungen im Zuschauer zu erregen. Das äussere der (Worte, "etwa ihrı angenehmer Klang, ihre ‘geschickte /Vertheilung ‚nach (den Zahlsylbenyerhälthissen' eines»bestimmten Meétrums gibt ein ganz 'apartes:Wöhlgefallen, eine musicalische Harmonie, welche das ‚Innere,veigentliche oder poetische Wohlgefallen: des 'Gedichtes, un- mittelbar gar nicht berührt, wohl aber einen andern, »höhern Gesammt- effect: hervovzubrřingen im Stande: ist, 'auf eine ähnliche ‚Weise, wie etwa der ein Gedicht begleitende Gesang das Wohlgefallen vergrössert, micht: aber -die innere Bchonheit des Gedichtes''an und für sich erhöhth Zunssi@ 91b rl (NÍ | -ı0710Nach’ beendetem Vortrage legte ‚Hr Hanuš das Fragment des raltbohmischen Gedichtes vor; das'schon in einer früherh. Sitzung (am 3. Febr. 11862) ‘besprochen worden» war. (Es (ist -aus -dem 13. Jh. und wurde‘ auf einer. palimpsestartigen Seite: eines Nibelungenfragmentes gefunden; worüber nicht nur die Sitzungsberichte der kön. bohm. Ge- sellschaft‘ der: Wissenschaften »von’ dem genannten Tage, sondern auch die Germania, Vierteljahrschrift! fůr deutsche ‚Alterthumskunde (herausgeg. | von (Pfeifer. 8. Jahrgang 1863..8.187—195: Prager Bruchstücke’ des Nibelungenliedes von Franz Pfeiffer 1. das, Bruch- stück der Universitätsbibliothek. 2. P. J. Safatik’s Bruchstück) genaue Kunde geben. In letzterem Berichte heisst es. nun seitens! des ’böhm. Gedichtes,) wie folgt: Die ganze' zweite Seite (les ersten Blattes ist abgesehabt‘ und: bietet dem Auge drei Zeilen) einer äusserst. feinen, róthlichen; aber vielfach‘ beschädigten und schwer’ lesbaren Perlschrift in bohmischer Sprache. Hanuš, der die Zeilen‘ zu: entziffern gesucht hat, ist der Meinung, dass diese Seite: alsı die 1. Blattseite des Ma- nuseriptes zw betrachten: sei. Dieses ist jedoch in keiner Weise der Fall. Erstens‘ můss“ schon am sich unglaublich scheinen dass -cin so grosses‘ Gedicht ‚wie das Nibělungenlied, auf der. Rückseite © eines Blattes begonnen habe, und dann! zeigt das 2, Bl ganz! deutlich, dass beide ‚ursprünglich: in der von uns bezeichneten Weise zusammenge- hängt und (das äussere: Doppelblatt der 1, Lage“ gebildet haben. — Die‘ aufoder Rasur des ‚Blattes stehenden’ Zeilen, deren Anfang nách Hrn. Hanuš etwa den Sinn gibt: „Höret zu, ich will euch Wunder- 10 bares singen,“ halte ich für nichts anderes, als einen Versuch, die erste vorausgehende Strophe des Nibelungenliedes ins Böhmische zu übersetzen.“ (S. 188.) | | Der Vortragende liess nun die Entscheidung, ob das Paliipasát die erste oder die zweite Seite einnahm, vorláufie ganz bei Seite liegen, da er dies Fragment nicht mit den Šafařik'schen Fragmenten ver- gleichen konnte, indem die betreffende Manuscriptenkiste im böhm. Museum noch nicht ausgepackt war, auch es sich in der Sitzung der philosophischen Section eigentlich nur darum handelte, die Frage be- antworten zu können, ob das böhm. Gedicht nur die Uebersetzung der ersten Nibelungenstrophe, oder der Anfang eines selbständigen epischen Gedichtes sei. Zu diesem Zwecke nahm die Sitzung die Auf- frischung der verblassten Schriftzüge mit Schwefelammoniak vor, die allerdings das Resultat zuwege brachte, dass so viel Text hervor- trat, um die Uebersetzung negiren zu können, nicht aber, um vollen Zusammenhang in das böhm. Gedicht selbst zu bringen, weil eben viele Worte und Buchstaben in der ehemaligen Leimlage ganz: zu Grunde gegangen waren. Es lässt sich nämlich jetzt mit einiger Ge- wissheit folgendes ahnend lesen: Posluchayte swaki narod hrv (hzv?) wam diwno spewaci (spewati?) hrv swau (smati?)... „ ne rachi witati ten bude duorzwo snati vn swu chwilu semnu... weze (wero?) pitati. Kto ze snati ktere radosti nebo ketere (?) we- zele (?) bdis m (kdes?) m... Kein Kenner der slav. Sprachen wird nun einerseits behaupten wollen, dass das Gelesene durchaus correcte Formen des Slavischen seien, allein gewiss auch nicht, dass darin irgend eine noch so freie Uebersetzung des Anfangs des Nibelungenliedes liege; gegen welche letztere Ansicht auch der Umstand spricht, dass die Uebersetzung selbst an einer radirten spätern Strophe des Nibelungenliedes stehen müsste, was doch nicht füglich anzunehmen ist. Es schien also die frühere Ansicht des Vortragenden bestätiget, dass im böhmischen Frag- mente der Anfang eines epischen Gedichtes aus dem 13. Jahrhunderte vorliege in Schriftzügen, die noch ein älteres Gepräge an sich tragen, als das der Schriftzůge der Königinhofer Handschrift ist. Gerade die Anwesenheit des Nibelungenliedes kann einen Böhmen veranlasst haben, ein ihm bekanntes böhmisches Heldengedicht demselben 'an die Seite zu setzen. Historische Section am 18. Juli 1864. Anwesend die Herren Mitglieder: Wocel, Tomek, Gindely, Zap, Winaricky und Bezdeka. Herr Wocel las eine von Hrn. Rud. Temple einge- schickte Abhandlung: Zur Kenntniss der Ansiedelungen und darauf hindeutender Denkmale auf der Terrasse nördlich der Karpaten. Die Abhandlung enthält eine historische Uebersicht der Schick- sale der seit der ältesten Zeit bis zur Ankunft der Slaven in den Karpatenländern angesiedelten Völker, und der Herr Verfasser schildert sodann einige Alterthumsdenkmale, die am nördlichen Abhange der Karpaten, in Galizien aufgefunden wurden, und lenkt insbesondere die Aufmerksamkeit auf das am Wronowski-Berge bei Lemberg entdeckte Standbild — wahrscheinlich des Perun — und auf die merkwürdige weit ausgedehnte Höhle bei dem Dorfe Straez, in welcher Hr. Temple ein Hypogeum zu erkennen glaubt, welches dem heidnischen Cultus der Slaven gewidmet war. Naturwiss.-math. Section am 25, Juli 1864. Anwesend die Herren Mitglieder: Weitenweber, Stein, Pierre, Amerling, Freiherr von Leonhardi, Ritter von Zepharovich; als Gast Herr Stolba. Der Secretár Weitenweber legte vor die soeben an die k. Gesellschaft eingelangten: Philosophical Trans- actions of the Royal Society of London. Unter den in jüngster Zeit für die Bibliothek unserer Gesellschaft eingelaufenen Sendungen eine der schätzbarsten ist der aus 2 Theilen bestehende Jahrgang 1863 der obengenannten Londoner Abhandlungen (Vol. 153). Sein Inhalt ist ebenso manniefaltig dem weiten Gebiete der Naturwissenschaften entnommen, als für die betreffenden Fach- gelehrten wichtig. Dem ersten Theile sind 23, dem zweiten 17 Tafeln zur Illustration beigegeben. Schliesslich wurde auf einige der be- achtenswerthesten Abhandlungen namentlich aufmerksam gemacht. Herr von Zepharovich besprach ausführlich seine 12 gróssere Abhandlung: rg jn ko Studien úber den fdokras, *W% M4 SN -© Dieser Arbeit, welche, in den 49. Band der Sitzungsberichte der kais. Academie der Wissenschaften in Wien aufgenommen worden, a die Aufgabe vor, die krystallographischen Constanten des Idokrases durch Messung möglichst vieler Krystalle von verschiedenen, Localitäten festzustellen und gleichzeitig die Annahme Breithaupt's. einer asymmetrisch-tetragonalen Grundgestalt einer genauen Prüfung : zu unter- ziehen. Breithaupt fand nämlich an manchen Idokras-Krystallen optische Zweiaxigkeit und damit im Zusammenhange eine ungleiche Neigung der 4 Flächen der tetragonalen Pyramide gegen die Hauptaxe. So an piemontesischen Exemplaren die Winkel einer Pyramiden- gegen die Endfläche — 142° 55, der beiden anliegenden — 1429 50%, und der vierten, der ersten gegenůberliegenden — 142° 47°; demnach würde die Pyramide P in drei Theilformen zerfallen, in eine vordere £ B und eine růckwártige Tetartopyramide, + s und — p und in eine domatische Hemipyramide Aehnliche Winkeldifferenzen wurden von 9* Breithaupt auch an Krystallen anderer Fundorte beobachtet (Vollst. Handbuch der Miner, 1886 3. Band) und diese gegen Kokscharow, dessen sorgfältige Messungen eine symmetrische Grundform des Ido- krases erwiesen (Materialien zur Miner. Russland's 1853, 1./ Band), in der: „Vorláufigen Nachricht über: die 13 Krystallisations- Systeme des Mineralreichs und deren optisches Verhalten“ (Bergad und Hůtten- männische, Zeitung 1860, Nr. 10) festgehalten; (I Hr. v. Zepharovich ist nach sorgfältiger; Prüfung seiner Mes- sungen in dieser Richtung zu dem Resultate gelangt, dass! eine Gesetz- mássigkeit in der Ungleichheit der Kanten im Sinne Breithaupts nicht bestehe. Nur wenige Krystalle können überhaupt zur Entschei- dung dieser Frage beigezogen werden, denn. die Bedingungen, dass von. P alle’ 4 Flächen vorhanden und ihrer Beschaffenheit nach einé sichere. Reflexionsmessung zulassen, werden nur selten gleichzeitig erfüllt gefunden; so könnten zu dieser Untersuchung von 81: gemes- senen grünen Krystallen von der Mussa-Alpe in Piemont nur'18 be- nützt werden, und von diesen ergab nicht einer die Winkel mit Breit- © haupt's Angaben übereinstimmend. Nur ein Krystall von’ der: genannten 13 Localität erwies, die 4 gut, messbaren Kanten (0 P: P)'von gleicher Grösse, während an den übrigen 17 die | verschiedensten Fálle von Gleichheit und Ungleichheit der ‚Kanten. auftraten; überblickt man aber: sämmtliche 139 Beobachtungen von o P: P; angestellt an grünen Mussa-Krystallen, so ergibt sich ein Schwanken des bezeichneten Kantenwinkels zwischen 1429 22“ und 1429 58, am häufigsten zwischen 1429 43° und 142° 50“ (ber 194 Messungen). ‚Man wird daher ent- weder fůr die in ihren Kantenwinkeln differirenden genau messbaren Individuen eben, so, verschiedenartige geometrische, Anschauungsweisen wählen, oder — die, Abweichungen als, zufällig betrachtend — sich entschliessen müssen, „aus dem Besonderen das Allgemeine, mit Zu-, grundelegung einer, ‚einfachen ‘Annahme ,., abzuleiten. , Der. letztere Vorgang; ist als der naturgemássere der ‚bisher‘ geübte und es wird demnach. die Grundgestalt der Idokrasformen so lange als symmetrisch- tetragonal‘zu gelten: haben, bis nicht: fůr-eine, andere : Annahme, zahl- reiche Beobachtungen ‚beigebracht ‚und dieselben mehrseitig. bestätigt werden. — Wie es sich. mit den Idokras- und: anderen Krystallen in optischer Beziehung verhält, hat W. Haidinger, nach Brewster’s, Bios, und seinen eigenen Beobachtungen, bei Besprechung . von, Breithaupt’s „Vorläufiger Naehricht“ gezeigt (Jahrb, der geolog. Reichs- anstalt, XI. 1860, Verhdlg. S. 63). 7 Das Materiale, an welchem Hr. v. Zepharovich seine Studien vornahm) umfásst weit über 200 Krystálle von vielen Fundorten; auf 138 Krystalle beziehen sich ber 1900 Messungen angestellt mit einem Reflexions-Goniometer, welches mit zwei Fernróhrén versehen ist und! dessen Limbüs-Theilung direct 10 Minuten, mit dem Nonius 10 Secundeni oibt. Die gemessenen Krystalle stammen vom Vesuv (17 Stk.), von der Mussa-Alpe in Piemont (99), aus der Umgegend von Zermatt in der Schweiz (18), von Pfitsch und vom z in Tirol (17) und von Eker in Norwegen [61 i {Re Als Resultate der in I Rede stehenden Arbeit © Vortragenden wáren folgende zu bezeichnen: ob, Die Mittelwerthe der Kantenwinkel an Kıystallen yerschie- dener ‚Fundstellen sind nicht identisch. , Es lassen sich nach den vorliegenden. Messungen. 5 Krystall- -Varietäten unterscheiden: a) Mussa-Alpe (Ala) grüne Krystalle: o P:,P.= 142° 45“ 294; 14 b) Mussa-Alpe, braune (manganhaltige) Krystalle; Achmatowsk und Poljakowsk im Ural; Rympfischweng bei Zermatt: | Pre P=s142 46a c) Findelen-Gletscher bei Zermatt; Pfitsch; Mte. Somma am os o P: P— 1499 47 264, d) Monzoni-Berg im Fassathal, braune Krystalle: o P: P= 1429 55°, e) Eker in Norwegen: o P: P = 142957.. Fůr die Feststellung dieser Kantenwerthe, besonders der beiden letzten, sind noch wiederholte Beobachtungen erforderlich. 2. Die Kantenwinkel der grünen Mussa-Krystalle, entsprechend dem Parameter-Verháltnisse c : a = 0,537541 : 1, wurden aus 306 Messungen, — welche sich auf 7 in verschiedenen Zonen gelegene Kanten vertheilen — abweichend von den bisherigen Methoden, berechnet. Für die uralischen Krystalle von Achmatowsk und Poljakowsk fand v. Kokscharow c:a = 0,537199 und o P: P = 142° 46‘ 30% übereinstimmend mit Kupffer’s Messungen an einem piemontesischen Krystalle (Preisschrift 1825, 96). Die Messungen v. Zepharovich’s an braunen Mussa-Krystallen und an jenen von der Rympfischweng bei Zermatt ergeben in ihren Mittelwerthen das nur in den Secunden differirende Resultat o P: P = 142° 46° 18”, abgeleitet aus 33 Beobachtungen. Mit etwas verschiedenen Dimensionen sind die Krystalle vom Findelen-Gletscher bei Zermatt, von der Porgumer-Alpe am Wild- kreuzjoch in Pfitsch, und von der Somma am Vesuv ausgebildet. Der oben c) angegebene Winkel stützt sich auf 59 Messungen. Es ist jedoch zu bemerken, dass weder für die Zermatt- noch für die Somma-Krystalle Messungen in solcher Anzahl angestellt werden konnten, als bei den grösseren Unterschieden, welche selbst die sichersten zeigten, wünschenswerth gewesen wäre. — An drei braunen Krystallen vom Monzoni in Fassa gaben 11 approximative Messungen o P: P= 1429 54° 55, welcher Winkel, ebenso wie jener für die norwegischen Krystalle von Eker — 142° 57, als ungenügend bestimmt aufzu- nehmen ist. 3. Breithaupt’s Annahme einer unsymmetrischen Grundform hat sich durch die Beobachtungen an 18 grünen Mussa-Krystallen, welche unter 81 allein zur Entscheidung dieser Frage geeignet waren, nicht bestätigt erwiesen. 15 4. Am Idokras treten 46 verschiedene einfache Krystallformen auf, und zwar 22 tetragonale Pyramiden — 17 in normaler und 5 in diagonaler Stellung — , 17 oktogonale Pyramiden, 2 tetragonale und 4 oktogonale Prismen und die Endfläche. 24 von diesen Formen waren schon früher bekannt. Die Beobachtungen, welche für die neu auf- gefundenen 22 Formen vorliegen, sind nicht alle von dem gleichen Grade der Verlässlichkeit. 5. Die Umrisse der beim Fortwachsen der Krystalle sich anla- gernden Theilchen sind an vielen Individuen nachzuweisen. Dieselben bilden durch ihre Begränzung und Anordnung bezeichnende Merkmale für die Flächen verschiedener Gestalten und zum Theile auch für die einzelnen Fundstellen. 6. Die verschiedenen Localitäten werden überdiess durch Eigen- thümlichkeiten in der Ausbildung der Combinationen und in den pa- ragenetischen Verhältnissen charakterisirt. 7. Der Idokras ist bisher an 96 Localitäten — von welchen mehrere Gruppen von Fundstellen repräsentiren — bekannt geworden. Dieselben lassen sich in geognostischer Beziehung in 4 Abtheilungen bringen, námlich nach dem Vorkommen des Idokrases 1.im krystallini- schen Schiefergebirge und diesem untergeordneten Gesteinen, 2. an Calcit gebunden als Contactgebilde, 3. in einer tuffartigen Ablagerung (am Wilui in Sibirien) und 4. in Geschieben (bei Potsdam Preussen, und am Barsowska-Fluss im Ural). Ueber das Vorkommen an mehreren . Localitäten liegen keine genaueren Nachrichten vor. Hr. Stolba (als Gast) sprach über die Bedeutung der Kieselflusssäure für die chemische Analyse. Die Kieselflusssäure gehört zu denjenigen Reagentien, die von Seite des Analytikers noch nicht die verdiente Beachtung gefunden haben; man wendet sie in den Laboratorien bisweilen zur Nachweisung des Kali und Baryts und bei einigen Scheidungen an. Die für den Analytiker wichtigste Eigenschaft der Kieselflusssäure ist, in Kali-Natron-Baryt- und einigen anderen Salzen Fällungen von Kieselfluormetallen zu bewirken, die sich im Wasser schwer, im Wein- geist nicht auflösen. Weil diese Fällungen eine bestimmte und be- kannte Zusammensetzung besitzen, so lässt sich aus ihrem. Gewichte in vielen Fällen das betreffende Metall oder Oxyd des mittelst Kiesel- " ae { 16 flusssäure zerlegten“ Salzes sehr genau "bestimmen." Dass! dessenunge- achtet’ diese Methode bezüglich) der Kali- und Nátron-Salzes so uselfem: angewendet wird, důrfte ausser dem Mangel, an zahlreichen Beleg5 Analysen (auch darin seine Erklärung fimden, dass derártice Bešťim- mungen die Anwendung’ gewogener getrockneter Filter und eine cent: sprechende Behandlung fordern, denen die Chemiker gern! a Wege zu gehen pflegen. doraz 19h she Als: -ich im, Jahre 1863, einige, an en zu stu- diren begann, erkannte ich, bald; von welchem Nutzen es; wäre, wenn, sich eine“ Methode ausfmdig, machen liese,, das, Kieselfluor-Kalium und; Natrium mass-analytisch. zu bestimmen, ‚Da, die, wässerige Auflósung; dieser Verbindungen stark sauer reagirt, so richtete ich hierauf mein, Augenmerk und untersuchte, welche Mengen von a; er- forderlich waren, um, in gewogenen Quantitäten der in ‚heisser, Lösung befindlichen und mit ‚Lakmustinktur versetzten Kieselfluor- metalle die alkalische. Reaction eben eintreten zu lassen. Da die Normalkalilauge, in einem Litre 47:12 gm. Kali enthält, so war die Beziehung der verbrauchten Kubikcentimeter der Nor malkalilauge zu den Quantitäten der Kieselfluormetalle leicht festzustellen und es ergab sich, dass dieselbe ihren genauen Ausdruck findet in der längst be- kannten Gleichung: RFI, SiFl, + 2KO = RFI+ 2KFl + SiO, ; wo das R Kalium oder RER Baus it, kann. N, Indem ich mich im Folgenden auf die mass-analytische Bestin- mung, als die Grundlage, wiederholt berufen werde, so ist es noth- wendig dieselbe hier eingehender zu betrachten. SR Gesetzt den Fall, es sei das Kieselfluorkalium TER a zu bestimmen. Dasselbe wird, wie sich aus der obigen Gleichung er“ giebt, durch zwei Aequivalente Kali vollständig zerlegt, wobei Fluor- kalium und Kieselerde entstehen. Damit diese Zerlegung rasch»vor' sich gehe, ist es nothwendig, die heisse Lösung des Salzes der Ein-! wirkung der Normalkalilauge auszusetzen. — Ich pflege bei derartigen’ Bestimmungen in folgender Art vorzugehen. Das’. zu’ 'bestimmende Kieselfluorkalium wird entweder in einer geräumigen 'Porzellanschale‘ oder auch in einem Becherglase, je nach seiner Qualität von'0.b =! 1 gm. mit 200-500 Kubik-Centimeter kochendheissem Wasser über-' gossen und etwas Lakmustinktur zugesetzt. Nun kann man auf dop- pelte Art verfahren: \ | sbugilsudad záb walls aslsiv wi 17 1. Nach der ersten Art setzt man der rothgefárbten Flůssigkeit aus der Quetschhahnbürette so lange Normalkalilauge vorsichtig zu, bis dieselbe eben blau wird.. Um die Bůrette vor den heissen aufstei- genden Dämpfen zu schützen, ist es nothwendig, oberhalb des Quetsch- hahns eine gut passende durchbohrte Scheibe von Pappe. oder Karten- papier anzubringen, welche als Schirm wirkt. Um sicher zu sein, dass. alles Kieselfluorkalium gelöst und zer- legt ist, muss man die Flüssigkeit zum Kochen ‚erhitzen und diess Kochen einige Minuten unterhalten; sollte sich die Flüssigkeit neuer- dings roth färben, so setzt man die Normalkalilauge bis zum Eintritt der alkalischen Reaction zu. Das Kochen hat auch noch den Vortheil den Punkt des Eintrittes der blauen Färbung recht scharf beurtheilen zu können. 2. Nach der zweiten Art setzt man der heissen Lösung, über- schüssige Normalkalilauge zu, kocht und setzt, nachdem. man sicher sein kann, dass die Zerlegung stattgefunden, Normalsäure zu, bis die Flüssigkeit, roth wird. Nun geht man wieder mit der Normalkalilauge zurück, bis die Flüssigkeit eben blau wird; die Menge der verbrauchten Normalsäure wird von der Menge der Normalkalilauge in Abzug gebracht. Bei guter Arbeit bekommt man nach beiden Arten. dasselbe Re- sultat. Porcellanschalen bieten Bechergläsern gegenüber, den Vortheil, dass man in denselben viel rascher erhitzen kann und dass ‚selbe nicht leicht springen; während man, wenn das, Leuchtgas‘ zum Er- hitzen angewendet wird, mit den Bechergläsern, sehr behutsam um- gehen muss, falls der Versuch nicht verloren gehen soll. — Man er- kennt das Ende der Zerlegung auch daran, dass die Einfallsstelle des Alkali von der andern Flüssigkeit nicht unterschieden werden kann. Ich pflege gewöhnlich nach vollendetem, Versuche, die Flüssigkeit aus der Porcellanschale in ein Becherglas zu giessen und nun 1—2 Tropfen Normalsäure zuzusetzen; wurde richtig gearbeitet, so: muss die Flüssigkeit eine deutliche Farbenveränderung zeigen. Um aus der Zahl der verbrauchten C. C. Normalkalilauge die Menge des Kieselfluorkaliums zu bestimmen, gebraucht man die obige Zerlegungsgleichung. Setzen wir die Aequivalente von Kalium = 3912; von Silicium = 140 und von Fluor = 19; so ist das Aequivalent des Kieselfluorkaliums = KFl, SiFl, = 110:12. Da ein Aeguivalent dieses Salzes zu seiner Zerlegung 2 Aequivalente Kali bedarf, so be- Sitzungsberichte 1864. II. 2 18 rechnet sich hieraus, dass ein C. C. Normalkalilauge == 004712 se. Kali, entsprechen müsse, 0:05506 gm. Kieselfluorkalium. 2 Sehr zahlreiche Versuche, welche an gewogenen Mengen des reinen Salzes angestellt wurden, haben bewiesen, dass sich das Kie- selfluorkalium auf diese Art sehr rasch und genau bestimmen lasse. Die analoge Formel und das gleiche Verhalten des übrigens vie] leichter löslichen Kieselfluornatriums NaFl,SiFl,, liessen es mit Bestimmtheit voraussehen, dass sich auch dieses in ganz gleicher Art werde bestimmen lassen, was auch durch die Versuche vollkommen bestätigt wurde. Da das Aequivalent dieses Salzes, Natrium — 23 gesetzt, 94 beträgt, so entspricht je 1 C. C. Normalkalilauge 0'047 gm. Kiesel- fluornatrium. Da sich die Kieselflusssäure HF], SiFl, beim Zusammen- kommen mit Kali zunächst in Kieselfluorkalium verwandelt, dessen Quantität sich acidimetrisch scharf bestimmen lässt, da ferner die End- producte der Zerlegung dieselben sind, wie beim Kieselfluorkalium ; so ergiebt sich daraus, dass auch die Kieselflusssäure durch Normal- kalilauge genau bestimmt werden könne, falls sie keine fremden Säuren enthält. Zu Folge der Gleichung HFIJ, SiFl, + 3KO = 3KFI + 510, +HO bedarf I Aequivalent der Säure 3 Aequiv. Kali zur Zerlegung; da nun das Aeguiv. der Säure = 72, so berechnet sich hieraus sogleich, dass 1 C. C. Normalkalilauge 0'024 gm. HFI, SiFl, entsprechen müsse. Es muss hier noch bemerkt werden, dass man bei der Bestim- mung der Kieselflusssäure nach der zweiten Art verfahren, d. h. die- selbe mit Normal-Kalilauge übersättigen müsse, da eine wässerige Kieselflusssäure beim Kochen etwas flüchtig ist, und man somit, wenn nach der ersten Art operirt würde, Verlust erleiden könnte. Nach diesen nothwendigen Erörterungen kommen wir nun zum eigentlichen Gegenstande. 1.. Anwendung der Kieselflusssäure zur Analyse der Kalisalze. Eine sehr grosse Anzahl Kalisalze kann mittelst Kieselflusssáure ebenso rasch als genau analysirt werden. — Bringt man nämlich zu dem Kalisalze eine genügende Menge Kieselflusssäure und hierauf, nachdem die Zerlegung, die man durch gelindes Erwärmen unter- 19 stützen kann, stattgefunden hatte, das gleiche Volum reinen starken Weingeist hinzu, so fällt sich Kieselfluorkalium, welches nach dem voll- ständigen Absetzen in einem Filter gesammelt, und so lange mit Wein- geist (gleiche Volumina starker Weingeist und Wasser) gewascheh wird, bis das Filtrat auf empfindlichem blauem Lakmuspapier nicht mehr sauer reagirt. Das Filter wird hierauf in einer Porcellanschale mit heissem Wasser übergossen, Lakmustinktur zugesetzt und in der bekannten Art weiter verfahren. Es ist hiebei nothwendig, dass man das Gefäss, in welchem die Fällung vorgenommen wurde, nach dem Aussüssem mit Weingeist, innen und an den Rändern mit heissem Wasser auswasche und dies Waschwasser zu dem Filter bringe, da man sonst Verlust erleidet, indem Theile des durchscheinenden Niederschlages an dem Glase haften bleiben und leicht übersehen werden können. Aus der -Zahl der verbrauchten C. C. Normalkalilauge findet man das Kalium, mit- telst des Factors 001956 = — das Kali mittelst des Factors 0 02356 = -= Diese Zahlen ergeben sich sogleich, wenn man berůcksichtigt, dass jedes Aeguivalent Kalium oder Kali des mit Kieselflusssáure be- handelten Kalisalzes, ein Aequivalent Kieselfluorkalium liefert, welches durch 2 Aequivalente Kali zerlegt wird. Die Frage, was für Kalisalze in gleicher Art untersucht werden können, kann nur im Allgemeinen beantwortet werden. Es ver- steht sich von selbst, dass die Säure, woran das Kali ‘gebunden ist, in Weingeist löslich sein müsse, da sie durch Auswaschen beseitigt werden muss. — Ferner muss Borsäure ausgeschlossen bleiben, wegen der möglichen Bildung von Fluorborkalium, worauf: ich übrigens noch speciell zu reden komme; ebenso müssen grössere Mengen: ‚freier Säure (namentlich der Schwefelsäure), wenn. sie flüchtig sind, vorher durch Verdampfen beseitigt werden, da man sonst leicht ein zu nie- driges Resultat erhält. Hat man es mit Kalisalzen von bestimmter Zusammensetzung zu thun, so ist durch eine genaue Bestimmung des Kali auch die betreffende Säure und die ganze Verbindung genau bestimmt. — Um die betreffende Säure zu berechnen, ist es nur nothwendig die Zahl der verbrauchten C. C. 9* 20 Normalkalilauge mit dem entsprechenden Factor zu multipliciren. Dieser wird jedoch, wie sich leicht ergibt, ganz analog wie der des Kaliums oder Kalis berechnet, indem man das durch die Zahl 1000 getheilte Aequivalent der betreffenden Säure durch 2 dividirt. So wurde z. B. gefunden, dass 0:3 gm. schwefelsaures Kali, in Kieselfluor- kalium umgesetzt, 6:86 CU. C. Normalkalilauge erforderten; hieraus ergibt sich durch Multiplication mit der Zahl 0:02356, die Kali- menge zu 0'1616 gm.; die Menge der Schwefelsäure, deren Aequi- valent — 40 durch Multiplication mit der Zahl 0.020 = = zu 0:1372 gm. Schwefelsáure. © Es wurde also gefunden: Kali 0:1616 gm. oder in Procenten Kali 53:87 "/, Schwefels. 0:1372 „ Schwefels. 45:73" Summa 0:2988 gm. 0 Summa 99:60 Will man aus der Zahl der verbrauchten C. C. Normalkalilauge die ganze Verbindung berechnen, so. ergibt sich leicht, dass man, falls sie ein Aequivalent Kalium oder Kali enthält, den Factor findet, indem man mit dem durch 1000 dividirten Aequivalente mul- tiplicirt, und das Product durch 2 dividirt. So erhalten wir z. B. in unserem Falle beim schwefelsauren Kali, dessen Aequivalent = 6:86 C.C.X 0:08712 8712, durch Multiplication von u = 02988 gm, wie oben. Enthált jedoch die Verbindung 2 Aeguivalente Kalium oder Kali, wie z. B. das gelbe Blutlaugensalz 2 K Cy, Fe Cy + 3 HO; -so muss man das erhaltene Product schliesslich durch 4 dividiren, da die hier resultirenden 2 Aeguivalente Kieselfluorkalium zu ihrer Zer- legung 4 Aeguivalente Kali brauchen, Bezůglich der Menge und Beschaffenheit der zu diesen Versuchen bestimmten Kieselflusssäure ist noch Folgendes nachzutragen. — Am besten wendet man frische Kieselflusssäure, da dieselbe beim längeren Stehen das Material der Glasgefässe angreift und sich so verunreinigt. — Ich arbeite meist mit 3—52 Säure; in der Regel ist eine stärkere Säure ‚einer schwächeren vorzuziehen. Um einen Anhaltspunkt zur Beurtheilung der Quantität der zu verwendenden Säure. zu besitzen, vergleicht man die Aequivalente der in Betracht kommenden Verbin- dungen und verwendet 2—6mal mehr Kieselflusssáure an, als der 21 Reehnung zu Folge entsprechen sollte, was namentlich dort nothwendig ist, wo die vorhandene Säure mit dem Kali ein in Weingeist unlös- liches Salz bilden könnte, z. B. beim neutralen weinsauren Kali, wo sich bei wenig Kieselflusssäure der im Weingeist unlösliche Weinstein ausscheiden würde. I. Die Versuche, 1. Kaliumplatinchlorid. Das Kalium- platinchlorid wird von der Kieselflusssäure sehr leicht zerlegt, namentlich bei gelindem Erwärmen. Setzt man nach stattgefundener Zerlegung (was man daran er- kennt, dass der gelbe Bodensatz vollständig verschwunden ist) ein gleiches Volum starken Weingeistes hinzu, so scheidet sich ‘das Kie- selfluorkalium vollständig ab. Hatte man vorher erwärmt, so lässt sich die Abkühlung des Gefässes durch Einstellen in kaltes Wasser beschleunigen. Man kann schon nach 5 Minuten filtriren, da sich das Kieselfluorkalium rasch absetzt. Die erhaltenen Resultate stimmen mit der Theorie vollkommen überein. Ich fand z. B. 0'336 gm. (K Cl, Pt Cl,) wurden mit 5 C. C. Kieselflusssäure = 0:2 gm. (HFI,SiFl,) behandelt, die Fállung for- derte 2:7527 C. C. Normalkalilauge. *) Da das Aeguivalent von KCI,PtCI, = 24443, so berechnet sich 27527 X 0124443 = was sehr gut übereinstimmt. — Ganz ähnliche Resultate lieferten mir andere Versuche. — Dieses Verhalten des Kaliumplatinchlorids setzt uns in den Stand, die Gewichtsbestimmung desselben zu umgehen, und sie durch die rasch ausführbare Massanalyse zu ersetzen; auch bietet sie eine neue Controle einer stattgefundenen Gewichtsbestim- mung.‘ Ich wende diese Methode bei technischen Bestimmungen des Kali gerne an. Das Platinchlorid enthaltende Filtrat kann oft neuer- dings zur Fällung des Kaliums dienen, wenn man durch Zusatz einer genügenden Menge reinen Chlornatriums die Kieselflusssäure ausfällt. Anmerkung. Da das Rubidiumplatinchlorid dasselbe Verhalten zeigt, so lässt sich dasselbe benutzen, um es mittelst Kieselflusssäure zu zerlegen, wo sich nach Entfernung der überschüssigen Kieselfiuss- -die Menge des Kaliumplatinchlorids zu =0'3364gm.., *) Die gebrauchte Kalilauge, etwas schwächer als normal, musste mit dem Factor 09331 multiplicirt werden, um sie auf Normalkalilauge zu berechnen, woraus sich die Decimalstellen hier und in der Folge erklären. 22 sáure durch Chlornatrium, das abgeschiedene Platinchlorid neuerdings zur Fällung des Rubidiumplatinchlorids aus Rubidium-haltenden ei benutzen lässt. 2. Chlorkalium. 0'127 gm, KCl. erhielten 5 C. C. Kieselfluss- sáure = 02 gm. (HFI,SiFl,). Das gefällte Kieselfluorkalium forderte 3406 C. C. Noriseikefiliniäl hieraus ergiebt sich, das Aequivalent des KCl = 7458 an die Menge des Chlorkaliums zu 0'127 gm., wie oben. 3. Chlorsaures Kali. 0'552 gm. KO,C1O; erhielten 15 C. C. Kieselflusssäure —= 06 gm. (HFI,SiFl,). Die Fällung forderte 9'051 Normalkalilauge, hieraus berechnet sich das Aeguivalent des KO,01O, = 12258 gesetzt, die Menge des- selben zu 0:5547..— Es muss jedoch bemerkt werden, dass das Salz 0'15°/, Chlorkalium enthielt. 4. Saures chromsaures Kali. 1 gm. (K0,2CrO,) erhielt 15 C. C. Kieselflusssáure = 1 gm. (HFI,SiFl,); die Flüssigkeit, welche ihre Farbe bald zu ändern begann, wurde nach 10 Minuten filtrirt. — Das gefällte schwachgelb gefärbte Kieselfluorkalium forderte 13-438 C. C. Normalkalilauge, hieraus berechnet sich, das Aequivalent KO,2Cr0, = 14759 gesetzt, die Menge desselben zu 09916 gm. Hier fehlen 0:84 /,. 5. Weinstein. 1 gm. lufttrockener Weinstein erhielt 20 C.C. Kieselflusssäure = 1 gm. (HFI,SiF],), der Feuchtegehalt wurde durch einen besondern Versuch zu 1:6 Procent bestimmt. Das gefällte Kie- selfluorkalium forderte 10'451 Normalkalilauge, hieraus berechnet sich, das Aequivalent KO, T--HO0=188'12 gesetzt, die Menge des Wein- steines zu 09829 gm., was zu dem ermittelten Feuchtegehalte gut stimmt; der Kaligehalt berechnet sich zu 0'24621 gm. d. h. zu 24:62 Procent. 6. Gelbes Blutlaugensalz. Obgleich diess Salz bei seiner Zerlegung durch Kieselflusssäure Ferrocyanwasserstoffsäure liefert, welche sich unter Zerlegung bald blau färbt und hiebei etwas Ber- linerblau absetzt, so erhält man bei rascher Arbeit ziemlich befriedi- gende Resultate. 0:5 gm. (2KCy, Fe Cy +- 3HO) erhielten 10 C. C. Kieselflusssáure —= 0.4 gm. (HFI,SiFl,). Die Fällung forderte 9'424 C.C. Normalkalilauge, hieraus berechnet sich, das Aeguivalent des Salzes zu 211'24 gesetzt, die Menge des ’... 5430 Antimon.:*“. 4413-91 Nickel ' #1 weni) 33:65 | 10000 | Eine ähnliche Verbindung, die dem Gehalte nach als Arsen-Anti- mon-Nickelkies zu bezeichnen wäre, ist bisher nicht bekannt gemacht 3 43 ‚worden. Von Antimon-Arsen-Nickelkies: m (Ni8*, Ni Sb)+-(Ni S*, Ni As) theilt Rammelsberg (Mineral-Chemie, 1860, S. 63) drei Analysen mit, welche fůr m die Werthe $, 3 und 12 ergaben. Das Mineral von der Grube Albertine bei Harzgerode, fůr welches m = 12 und das spec. Gew. = 6,35 — 6,51, mit einem Arsenik-Gehalte von 2,65 Pro- cent (Summa der Bestandtheile = 102,13), ist wohl mit dem Ullman- nit zu vereinigen; für die Proben von Freusburg und Sayn-Alten- kirchen (m = $ und 3) mit dem grösseren Arsengehalte von 11,75 und 9,94 Proceut (Summe. der Bestandtheile = 100) und einem wahr- scheinlich entsprechend niedereren eigenthümlichen Gewichte dürfte diese Vereinigung jedoch nicht zulässig sein. — Für den Korynit ist m = 4; in der Zusammensetzung nähert er sich demnach dem Gersdorffit von nicht österreichischen Fundorten, unterscheidet sich aber von diesem, abgesehen von den Aggregatformen, durch das Ver- halten vor dem Löthrohre; er schmilzt nämlich auf Kohle unter starker Entwicklung von Antimonrauch, der vorwaltend nach schwefeliger Säure — kaum nach Arsenik — riecht. Arsendämpfe entweichen erst, wenn man das geschmolzene spröde Metallkorn mit Borax behandelt, wobei diesem successive die Färbung von Eisen, Kobalt und Nickel ertheilt wird. — Die gelben und grünen Verwitterungsproducte des Korynit enthalten nach Hrn. F. Stolba’s Untersuchung Arsensäure, Eisen- oxyd, Nickeloxydul und Wasser. Nickelhaltige Minerale sind bisher aus Kärnten nicht bekannt gewesen, kürzlich erst gelang es Herrn v. Zepharovich ein solches, Chloanthit, in Krystallen und derben Partien, auch an einem Exem- plare aus der Lölling bei Hüttenberg, welches als krystallisirter Löl- lingit eingesendet worden war, nachzuweisen. — Während man den in ansehnlichen Massen auftretenden Korynit- Varietäten wenig Aufmerksamkeit widmete, hatte Olsa bereits den Ruf des zweiten Kärntner Fundortes für den seltenen Wölchit ge- wonnen. Bekanntlich haben Rammelsberg und Zirkel nachge- wiesen, dass der Wölchit aus der Wölch im Lavant-Thale, unter ana- logen Verhältnissen vorkommend, ein hochgradig zersetzter Bournonit sei. Die krystallographische und chemische Untersuchung hat dies nun für das Olsaer Vorkommen vollkommen bestätigt. Eine mit grossen Krystallen, vom Typus des eigentlichen Bournonit, bedeckte 1—5“ mächtige plattenförmige Masse dieses Minerales fand sich von Baryt 44 begleitet in dem zersetzten Siderit des sogenannten „Vorlagers“ ein- geschlossen. Für diese Lagerstátte, so wie für jene des Bournonit in der Wölch, hat Herr v. Zepharovich, unter Hinweisung auf analoge Bildungen im Lobner Erzberge bei St. Leonhard, eine gang- artige Bildung nachgewiesen, während die Haupterzmassen, Siderit und aus diesem entstandenes Braunerz an den genannten Orten als Lager im Kalksteine des Glimmerschiefers erscheinen. Die bis 35 millim. hohen und 27 mm. breiten eubischen Bourno- nit-Gestalten, sind tief einwärts ockerig verändert, so dass es, trotz aller Sorgfalt, doch nicht gelang für die Analyse ein von Zersetzungspro- ducten ganz freies Materiale zu erhalten. Herr Dr. M. Buchner in Graz fand folgende Bestandtheile: Schwefel . . . . 18:54 Antimon . - . . 2095 Blei uwi-4 rw 441967 Kupfer.» vb. tab Eisen ara, ir Kohlensäure Wasser eb AT Berechnet man aus der gefundenen Menge von Kohlensäure und Wasser den Sauerstoff für gleiche Theile von beigemengtem Malachit und Cerussit — welche unter den Zersetzungsproducten am reichlichsten vertreten sind —, so erfordern diese 1:64 0, welche sich mit der gefundenen Summe der Bestandtheile auf 99:91 ergänzen. Die nachgewiesene Menge Schwefel zeigt aber, dass die genannten Salze nicht an Ort und Stelle aus dem Bournonit gebildet wurden. Die obige Zerlegung nach Abzug der 456 Kohlensäure und Wasser in Procenten (a), folgt hier zur Vergleichung mit den nach der Formel (Pb? €u) Sb des Bournonit berechneten Bestandthei- len (b): | (a) (b) Schwefel . . . 1978 19:6 Antimon . . . 2237 251 Bet 424 Kupfer'.''. 41239 12:9 Eisen . . . . 100 100-060 100-0 2 ee 45 Die Uebereinstimmung ist mit Růcksicht auf den gegenwártigen Zustand des Olsaer Minerales wohl genůgend, um dasselbe in Zusam- menhalt mit den physischen Eigenschaften als Bournonit zu bestimmen. Der grössere Bleigehalt lässt sich ungezwungen durch zugefůhrten Cerussit erklären; es würde dann die Veränderung der zerlegten Probe vorzugsweise auf einer Verminderung des Antimongehaltes beruhen. — Die manchfach gefärbten Ockerlagen, welche die Stücke überziehen, enthalten nach Hrn. F. Stolba’s Mittheilung die Oxyde von Blei, Kupfer, Eisen und Antimon, Kohlensäure und Wasser als vorwaltende Bestandtheile. i Aus diesen Ockerabsátzen haben sich die Carbonate: Cerussit, Malachit und Azurit stellenweise in Krystallen entwickelt. Vom Ce- russit, welcher unter den Neubildungen am reichlichsten vertreten ist — entsprechend dem mehr als dreifach grösseren Gehalte von Blei gegen Kupfer in dem unzersetzten Bournonit — konnten drei auf einander folgende Generationen in verschiedenen Krystall-Typen nachgewiesen werden. — Besonders bemerkenswerth durch ansehnliche Dimensionen und vorzügliche Ausbildung sind die Malachit-Kry- stalle; sie erreichen bis 7 mm. Höhe bei 3 mm. Breite. Messungen mit dem Reflexions-Goniometer konnten an denselben vorgenommen werden; alle erwiesen sich, auch die scheinbar einfachen Krystalle, als Einigungen zahlreicher Individuen, welche sich zu einander theils in paralleler, theils in hemitroper Stellung, nach dem bekannten Ge- setze: Zwillingsebene das Orthopinakoid, befinden; nur an einzelnen dieser Gruppenkrystalle zeigt die Endfläche eine concave Eintiefung nach der Makrodiagonale, welche die Zwillingsbildung auch äusserlich kenntlich macht. — Als Seltenheit erscheint auch Azurit in ver- einzelten Krystállchen, während grosse Krystalle desselben Minerales in einer ungewöhnlichen Flächenentwicklung, an die Combination des Sáulen-Barytes von Příbram oder Freiberg erinnernd, gegenwärtig völlig in Malachit verändert sind. Wie die Olsaer Minerale, gehört ebenfalls den letzten Jahren das Vorkommen von Anglesit in dem Bleibergbaue von Miss an, wäh- rend jenes aus den benachbarten Gruben von Schwarzenbach, bereits längere Zeit bekannt, aber noch nicht krystallographisch unter- sucht wurde. Die Schwarzenbacher Krystalle können den ausge- zeichnetsten von anderen Fundorten angereiht werden; bei wasser- 46 klarer Masse und ansehnlichen Dimensionen — bis 15 mm. Hóhe bei 17 und 18 mm. Breite — bieten sie einen bemerkenswerthen Reich- thum an Flächen ; siebzehn verschiedene Gestalten konnten an ihnen bestimmt werden, nämlich (100), (010), (001), (011), (021), (401), (301), (201), (210), (110), (411), (311), (211), (111), (421), (221) und (423), bezeichnet nach der von V. v. Lang für die Krystalle ge- wählten Aufstellung, nach welcher die längste Axe a Hauptaxe, die mittlere b Längsaxe (Makrodiagonale) und die kürzeste c Queraxe (Brachydiagonale) ist; die obigen Indices beziehen sich auf abe. Die beiden Pyramiden (311)== ! P und (41l)=!P und das Makrodoma (301) = 31P wurden am Anglesit bisher nicht beob- achtet, sie erhöhen die Zahl der nun an diesem Minerale. nachge- wiesenen Formen auf 36, und zwar 3 Pinakoide, 7 Prismen, 3 Makro- und 5 Brachy-Domen und 18 Pyramiden; von den letzteren gehören der Hauptreihe an (611), (411), (311), (211), (111) und (122). In dem Combinations-Typus schliessen sich die Schwarzenbacher Krystalle jenen von Linares an. Die beiden neuen Pyramiden er- scheinen auch au den Krystallen von Miss — also Uebereinstimmendes der beiden nachbarlichen Vorkommen bei auffallender Verschiedenheit für den ersten Blick, da in der Form der letzteren die Endfläche (100) oP und das stumpfe Makrodoma (401) = | Po., vorwaltet. Oft unvollkommen ausgebildet, erscheinen diese Krystalle als dünne Platten, zu schaligen Massen vereint oder als Fachwerk, zellige Hohl- räume begränzend; seltener zeigen einzelne Individuen ihre durch (411) Lanzenspitzen-áhnlich gestalteten vorderen und rückseitigen Enden. An beiden Localitäten, wie an den meisten übrigen, bildet Ga- lenit, mehr weniger zerstört, die Unterlage der Anglesit- Krystalle; auch die Begleitung von ockrigem Limonit wird in Schwarzenbach nicht vermisst, während in Miss nette Cerussit-Krystalle vor und nach der Anglesit-Bildung aufgetreten sind. Von verschiedenem Alter, er- scheinen dieselben auch mit verschiedenen äusseren Merkmalen. Im Januar 1865 eingegangene Druckschriften. Silliman's und J. D. Dana, The American Journal of Science and Arts. New-Haven 1864. Nro. 114. : Schriften der k. physical.-ökon. Gesellschaft zu ae 1864. V. Jahrg. 1. Abtheil. re Bi Fr. Graf v. Marenzi Das Alter der Erde. Triest 1864. Ders. Der Karst. Ein geologisches Fragment. Triest 1864. Ders. Zwölf Fragmente über Geologie usw. Zweite Auflage. Triest 1864. Centralblatt für die gesammte Landescultur. Prag 1865. XVL Jahrg. Nro. 1. Hospodářské noviny. V Praze 1865. XVI ročník, číslo 1—3. Wochenblatt für Land-, Forst- und Hauswirthschaft. XVI. Jahrg. Prag 1865. Nro 1. : Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart (LXXV. Publi- cation) 1864. M. Hörnes Die fossilen Mollusken des Tertiárbeckens von Wien. 1864. II. Band. Nro. 5, 6. Novorum Actorum Acad. Naturae Curios. Tomus XXXI. Dres- dae 1864. Pflanzengeographische Studien von Dr. Johann Palacky. Prag 1864. (Aus d. Abhandl.) Nástin báječných bytostí Báby a Děda, hlavně co do staroži- tnosti česko-slovanských; podává I. J. Hanuš. V Praze 1864. (Aus den Abhandl.) C. Feistmantels Beobachtungen úber die Entstehung einiger sphároidischer Gebilde im Mineralreiche. Prag 1864. (Aus d. Abhandl.) A. Miller v. Hauenfels die nutzbaren Mineralien von Ober- steiermark usw. Prag 1864. W. Mrazek. Ein Beitrag zur Theorie der Pribramer ordinären Bleiarbeit. — Chemische Mittheilungen aus dem Laboratorium der k. k. Montan-Lehranstalt zu Pribram. — Ueber Nickel- und Kupfer- vorkommen in den Producten der Přibramer Schmelzhütte. Prag 1864. (Sep.-Abdrücke.) Joh. Grimm. Ueber die geognostischen Verhältnisse usw. zu Oberlischnitz in Böhmen. — Ueber den Goldbergbau zu Eule in Böhmen. (Sep.-Abdrůcke.) Die Lehren des Hugo und Richard von St. Victor, dargestellt von Dr. Wilh. Kaulich. Prag 1864. (Aus den Abhandl.) P. J. Safarika Rozpravy z oboru ved slovanskych. V Praze 1864. sešit 1. 48 Kurze Uebersicht des Silber- und Bleibergbaues bei Přibram in seinem jetzigen Zustande. Von Gustav Faller. Prag 1863. Přírodnické poměry Ameriky. Sepsal Dr. Jan Palacký. V Praze 1864. Mémoires de la Société Impér. des sciences uaturelles de Cher- bourg. Paris et Cherbourg 1863, IX. Tome. Philosophische Section am 6. Februar 1865. Anwesend die Herren Mitglieder: Hanus, Löwe, v. Leonhardi, Bippart, Dastich; als Gäste die HH. Jos. Bayer, Beneš, Jedlička und Patera. Das ausserord. M. Hr. Bippart sprach über die Mythe der Griechen von der Entstehung der Welt, namentlich über Hesiod’s Theo- und Kosmogonie. Hierauf wählte das ord. Mitglied Hr. Hanuš zum Gegenstande seines Vortrages das Salamon’sche Lexicon, Mater Verborum genannt und zwar in Bezug einer kritischen Beleuchtung des angeblichen Alters desselben und der Glaubwürdigkeit der böhm. Glossen, wie sich dieselben in dem Pergamenprachtexemplare der Prager Musealhandschrift befinden. Der kritischen Beurtheilung der bis- herigen Ansichten über die Miniaturen derselben, so wie der vielen Ausdrücke, welche auf die slavische Mythologie sich beziehen, erklärte er eigene Abhandlungen widmen zu wollen, welchen die ge- genwärtige als Grundlage dienen sollte. Dass in der Musealhandschrift (neben den schon bekannten deut- schen) auch böhmische Glossen vorkommen, wurde man erst im J. 1827 gewahr, als der damals berühmte Germanist Dr. Graff das- selbe zu Prag behufs der deutschen Glossen in Augenschein nahm. Freudigst berichtete darüber Hanka und Palacky in der böhm. Musealzeitschrift vom J. 1827 und Graff in seiner Diutiska im J. 1827. Sonderbarer Weise setzten es alle drei in das Jahr 1102 gegen alle palaeographischen Merkmale der Schrift, welche unver- kennbare Züge des Ende des 13. oder des Anfanges des 14. Jahr- hundertes an sich trägt, weil sie die Abbreviatur der Jahrszahl, die sich in einer der letzten Miniaturen befindet, übersahen. Diesen Uebelstand verbesserte im J. 1840 Palacky, als er mit Safarik 49 die Handschrift und die Glossen in den „Aeltesten Denkmalen der böhmischen Sprache“ (Prag, herausgegeben im 1. Bande der V. Folge der Abhandlungen der königl. böhm. Gesellschaft der Wiss.) wissenschaftlich beleuchtete. Beide Gelehrte setzten da die Museal- handschrift um ein ganzes Jahrhundert später an, d. i. in das Jahr 1202. Doch konnten sie auch da der Handschrift und ihren Glossen nicht mehr die eingehende Betrachtung zuwenden, welche den älteren böhm. Denkmälern zu Theil geworden und so lohnt es noch immer die Mühe, beide kritisch noch einmal zu würdigen, be- sonders da inzwischen die Ineunabel-Ausgabe des Salamon’schen Lexicons (um d. J. 1475 gedruckt), die sich in der k. k. Bibliothek im Clementinum befindet (Sign. 44. B. 30) besser bekannt wurde (Hanslik, Geschichte und Beschreibung der Prag. Univ. Bibliothek. S. 506) und auch Herr Rokos im J. 1864 die hervorragendsten Mi- niaturen sammt Proben der Musealhandschrift photographirte. Beson- ders ist hier die Wichtigkeit der Incunabelausgabe hervorzuheben, weil sie mit einigen Hundert deutscher Glossen versehen, oft den Text sowohl als die Glossen der Musealhandschrift zu commentiren vermag. Denn es ist Thatsache, dass Hanka viele Glossen für böh- misch erklärte, die sich später als deutsch auswiesen, was an sich unverzeihlich scheint, in der That jedoch leicht verzeihlich ist, weil die indoeuropäische Verwandtschaft germanischer und slavischer Worte oft ganz ähnliche Formen im Alterthume ausweisen. So ist z. B. thorale als sidala glossirt, was als ursprüngliches sid-dal-a, sowohl das deutsche Siedel, als das böhmische sídlo und židle sein könnte. Da nun die Incunabel nur deutsche Giossen enthält und sidala gleichfalls angibt, so ist dies ein äusseres Zeichen deutschen Ursprunges der Glosse. Dazu kömmt noch, dass auch die böhmischen Glossen der Mater verborum dem Geschicke so vieler der ältesten Sprachdenkmäler nicht entgingen, als verdächtig, ja geradezu als unterschoben betrachtet zu werden, woran sich namentlich der berühmte Slavist Kopitar noch vor dem Erscheinen der „ältesten Denkmäler“ betheiligte. Das unge- wöhnlich hohe Alter, in welches man anfangs die Handschrift hinauf- schraubte, mag dazu die Veranlassung gegeben haben, was aber gerade umgekehrt nun, da, wie wir finden werden, die Handschrift in den Anfang des 14. Jahrhunderts gehört, sowohl ein Beweis ihrer Echtheit als 4 Sitzungsberichte 1865. I. 50 des schlichten Sinnes des verdächtigten Bibliothekars Hanka in dieser Beziehung ist. Die Verdáchtigung nahm keine Rücksicht darauf, dass ja nicht Hanka, sondern Graff die böhmischen Glossen in der Hanka näher unbekannten Handschrift fand, dass manche böhmische Glossen sogar mitten in den alterthümlichen lateinischen Text aufgenommen sind und dass die interlinearen Glossen wiederum mit altdeut- schen Glossen und lateinischmittelalterlichen Synonymen gemengt sind, von denen letztern gleichfalls Hanka manche, aller- dings unbegreiflicher Weise, für böhmische Glossen erklärte, z. B. den Genitiv des mittelalterlichen salmus für psalmus, nähmlich sali- morum (Sbirka 1833. S. 18). Es verstummte auch später nach der kritischen Würdigung der Glossen durch Safarik und Palacky im J. 1840 jede weitere Verdächtigung. Allein daraus folgt durchaus nicht, dass die Glossen jeder ferneren Kritik entbehren könnten, weil, wie gesagt, Palacky und Šafařík durch Raummangel wie sie sagen, genöthigt waren, nur flüchtig über die Glossen hinweg zu gehen und selbst am Schlusse ihres Aufsatzes darauf aufmerksam machen, dass die Glossen nur mit grosser Vorsicht zu gebrauchen seien, nicht etwa weil sie gefälscht, sondern weil sie — mittelal- terlich sind. Diese Vorsicht greift nun um so mehr Platz, als wir sie in dem ersten Jahrzehende des 14. Jahrhunderts geschrieben an- sehen, da die alterthümlichen Gegenstände, welche sie berühren, z. B. altslavische Götternamen, eben noch im 14. Jahrhundert sehr auffallend sind und die andern böhmischen Lexica und Glossen des 14. Jahrhunderts sehr viele damals erst geschaffene, sohin nicht wahrhaft alterthümliche Namen z. B. Hladolet, Saturnus, kralemoc, Ju- piter u. dgl. auf uns gebracht haben. Die Kritik muss nun einerseits die gegebenen Formen der Glossen als die bisherigen Auslegungen derselben berühren. Am interessantesten sind nun die Textesglossen selbst, da sie in einem altböhmischen Manuscripte, welches in der Musealhandschrift überschrieben wurde, gewiss auch nur Interlinearglossen waren, und von dem böhmischen Abschreiber erst neben den deutschen Glossen in den Text einbezogen wurden. Dass der Abschreiber ein Böhme war, würde, auch wenn wir seinen Namen Vaceräd nicht kennen würden, schon aus dem Glossem folgen, das er den Namen: barba- rus, tardus und anderen ehrenrührigen Wörtern beisetzte, nämlich‘ 1 O1 němec d. i. der Deutsche. Wir haben es somit nicht so mit einem schlichten Mönche, sondern mit einem entschiedenen Freunde des böhmischen und einem Feinde des deutschen Wesens zu thun. Wo das Resultat unserer Forschung mit den Ergebnissen der Palacky- Safarik’schen Texteskritik harmonirt, werden wir die Textesglossen einfach ansetzen, wobei wir uns nur zu bemerken erlauben, dass die äusserst ungeschlachte und unpräcise Orthographie der Handschrift den beiden Forschern Gelegenheit gab, den gegebenen Glossen ältere Formen zu unterlegen, als sie nach unserer Ansicht über das Alter des Manuscriptes nöthig sind. Der Interlinearglossen werden wir hier nur gelegenheitlich Erwähnung thun. Die Textesglossen sind jedoch folgende: 1. beo, rechlo, blasu (str. 31. mus. rukop.) t. j. blažu. Der Druck setzt: beatum reddo, das unverständliche: rechlo, was S. und P. für eine deutsche Glosse hielten, ist sohin ein Schreibfehler in der Musealhandschrift. 2. bedulla, bircha, breza (31) d. i. březa. S. und P. setzen die ältere Form: brieza als Aussprache. 3etcepe, ceDolle (418) t. j. cebole. Š. und P. setzen: cebolje, was wegen der Reduplication des 7 möglich ist. Der Druck fügt das deutsche: louh vocata hinzu. 4. simia cum cauda, duran (319). Der Druck fügt hinzu: S. c. cauda, guam quidam claram vocant. Demzufolge ist: duran fraglich. Handschrift und Druck wimmeln von Schreib- und Druckfehlern. 5. hospitales hoste (435) d. i. hoste. Š. und P. schreiben hostie. Der Druck hat im 2. Wörterbuche: hospitalis gastlo m er (sic). 6. puber, iun (466) d. i. jun. Der Druck: pubes iuvenius adolescencia. 7. aviarium cletce (26) d. i. kletce, Š. und P. klötce. Druck: aviaria sunt secreta nemorum, dicta, guia ibi aves freguentant. 8. barbarus, tardus, obtunsus ete. nemec d. i. Němec (30) Druck: barbarus a barbaris, tardus ete. 9. cantar, naph, okrin (41) d.i. okřin. Auch sonst beglaubigt. Der Druck hat nur: cantar, naph. 10. hulcus, pastyr (143) d. i. pastýř. Druck: hulcus, pastor. In der Musealhandschrift ist: pastyr offenbar aus: vě nachge- Kr: 52 bessert: ob von alter Hand, obschon die Dinte dafür spricht, in fraglich, da die Handschrift das y selten gebraucht. 11. centon, pilzt (48) d. i. plsť. Druck: centon, filz. Sounds. dass in der Handschrift das deutsche: Filz nicht vorkömmt. Doch an einem andern Orte (116) steht: filtrum, pilst, vilz. Druck: fil- trum, filcz. 12. Sarmate, sirbi (303) tum dicti a serendo i. quasi sirbntm (sic). Diese Unform klärt der Druck durch das Auslassen eines ganzen Glossemes auf: „Sarmata a studio armorum Sarmate nuncupati. Sar- mentum a serendo dictum i. e. quasi sirimentum. Das interlineare: Sarabaite, zirbi, proprie currentes vel sibi viventes (302) bei Š. u. P. (S. 225) klärt gleichfalls der Druck auf, indem er richtig schreibt: „Sarabatte, propria curantes vel sibi viventes,“ wobei der Böhme mit seinen „Zirbi“ d. i. Sirbi oder Srbi an die Reste der Mönche aus den serbischen Klöstern in Böhmen gedacht haben mag, die dann von Karl IV. im slavischen Kloster zu Emaus in Prag versammelt wurden. 13. sedacium, harsib, szito (311) d. i. sito, sejtko; Sieb. 14. braxa, zlad (36) d. i. slad und interlinear: prazium, zlad (262). Druck: braza malz. Auch hier scheint der Böhme das deutsche: malz durch das böhmische slad ersetzt zu haben. Ares, bellum, suatouyt (20) d. i. Svato-Vit. Interlinear kómmt dieser wichtige Ausdruck noch zweimal vor und zwar (197) Mavors zuatouit, dann (446) Mavortem suatouit. In neuester Zeit (1865) wurde von J. Jireček in dessen sehr interessanten Stu- dien zur slav. Mythologie zwar behauptet, dass Vacerad den Namen dieses Gottes nur aus den elbeslavischen Kroniken kannte: wäre dies der Fail, dann hätte Vacerad nicht die böhmische Form, sondern die nasale polabische Form Swantowit gesetzt, wie dies noch 1809 Hněvkovský in seinem Děvín und Linda 1817 in seiner Záře thaten. 16. consilium suet, swet (56. 421) d. i s-vet, altslav. sb-věts. Kein moderner Böhme hätte dies jetzt verschollene altböhm. Wort im J. 1827 so glossirt. 17. lanx, statera, vaha (169). Der Druck hat nur: lanx, statera. 18. ventriculus varlle (362) d. i. varle, nach S. und P. varlje zu lesen. Druck: ventriculus, mago. Varle ist sonst nur im Sinne von 53 testiculi bekannt, kein moderner Böhme hätte sohin also glossiren können. 19. phitones vlichvec (255), das altslav. velchvs in deminu- tiver Form. Druck: phitones vuissagon, phitonissa zaubrata. Das interlineare Glossem: „grincas taws wilchuec“ (137) haben S. und P. irrig gelesen, denn die Musealhandschrift schreibt: „grineas, taxos, wilchnuece.“ Druck: grineas, taxos. grinea insula quondam dieta, plurimi ibi taxi naseuntur. Der Text berührt hier den Gry- neischen Apollocultus. Die Wurzel von vlchvec ist unbekannt, doch dieselbe wie im ahd. fluoh-an, mhd. vlnoch-on, fluchen. 20. burra, stiega, wzchod (37). Druck: burra, stiga. 21. Dea frumenti, Ceres, siua (68) und: diva, dea siua (83). Š. u. P. lesen Živa, was fraglich ist. Druck: diva, dea siue impe- ratrix, Lucina Junoque. Der böhmische Glossator änderte hier offenbar das lateinische sive in das böhmische siua ab. Die Form Siva ist durch die Titelminiatur gewährleistet, die deutlich: Estas Siva schreibt, auch eine Interlinearglosse (409) liest: Ceres, fruges, fru- mentum, siua. Es ist offenbar, dass den böhmischen Glossatoren an diesem Namen gelegen war, da sie ihn viermal setzten. Die Wurzel ist jedoch wahrscheinlich nicht im altslav. Ziv-ots, vita, animal zu suchen, wie Š. und P. vermuthen, sondern nach den Worten: fruges frumentum im altslav. sějati, s&-ti, serere, böhm. siev-ati, sív- ati, si-ti oder aber nach dem Worte: »stas im altslav. sie v-anije, splendor, altböhm. pro-siev-ati, illucescere. Das erstere ist wahr- scheinlicher, da die Gestalt der Göttin in der Miniatur Aehren in der Hand zu halten scheint. Wer wird bei diesen Umständen noch be- haupten wollen, dass ein moderner Böhme die Glossen fabricirte? 21. culix, zizala (65), jest žižala. Druck: culex ab aculeo dic- tus. Das Wort žižala bedeutet nun Regenwurm, kein moderner Böhme hätte sohin also glossirt. Die Wurzel dieser uralten Wort-Redupli- cation liegt im altslav. ze-lo, poln. ža-dlo, böhm. žíha-dlo, Stachel. Das sind alle Glossen, die im Texte selbst, gleichzeitig und gleichförmig mit den andern grossen Textesworten geschrieben sind. Die analytische Kritik derselben gibt zum Resultate, dass keine ein- zige Glosse einen modernen Glossator verrathe, wohl aber bei den alten böhmischen Glossatoren das nationale Bestreben, die deutschen 54 Glossen durch bohmische Glossen zu paralysiren, was im Beginn des 14. Jahrhunderts, das ein Jahr 1309 kennt, nicht Wunder nehmen kann. Die gänzliche Schuldlosigkeit Hanka’s rücksichtlich der an- geblichen Fälschung der Glossen zeigen noch folgende, meist in dem Texte sich befindliche Glossen, die Hanka in seiner Sbírka nejdá- vnějších slovníků im J. 1833 noch für böhmisch erklärte, die jedoch von Šafařík und Palacký im Jahre 1840 als deutsche Glossen erkannt wurden. Auch sie, so wie ihre bisherige Deutung wollen wir analytisch und kritisch durchgehen. Sie sind folgende: 1. cetauca, taha (410). Hanka mag an täha gedacht haben, wie in Böhmen hie und da der Brunnenschwengel heisst. Doch da der Druck, der keine böhm. Glossen kennt, eben so schreibt, so muss taha wohl deutsch sein, obschon Graff (althochdeutscher Sprachschatz 1840 V. 364) selbst nicht weiss, was er mit cetauca, was mit taha beginnen soll. 2. tessera coste (479). Bei Hanka für böhmisch (S. 22), bei Šafařík und Palacký (S. 231) für lateinisch erklärt. Doch ist das Wort weder lateinisch noch böhmisch, sondern aller Wahrscheinlich- keit nach das verschriebene griechische tessarakonta d. i. vierzig, denn der Druck schreibt: tessaracoste, quadraginta, allerdings mit einem Druckfehler, deren es in der Handschrift so wie im Drucke unzählige gibt, da die Mönche ohne Verstand abschrieben, worin die Drucker ihnen nacheiferten. Sonderbar ist es immerhin, dass Šafa- řík und Palacký (l. c.) schrieben „tessera, coste, XL.“ d. i. vierzig, ohne das nahe liegende griechische Wort zu ahnen. 3. succula, gelca (331). Für welches böhm. Wort Hanka diese Form gehalten, sagt er nicht (S. 21), Š. und P. erklären (9428). es nicht zu verstehen. Druk: „succula, galsza.“ Es ist das ahd. galza, gegenwärtig gälz, ein Schweinchen, sohin sucula (sus). 4. calicula, gellita (39). Druck dasselbe. P. und S. erklärten es mit Recht für das Deutsche: gelte oder gelde, was eine Massein- heit bedeutet. 5. rivola, chlipa (293), das jetzige klippe. Druck: riuala, clipa. Auch die Musealhandschrift hatte ursprünglich clipa, was eine Hand in chlipa umänderte. 6. Sinistra, sceua, leua (321). Druck: sinistra, leua, und 55 erklärt es witzig: quia aptior sit ad levandum onus. Die Museal- handschrift fügt hinzu: „leua vel opera mala.“ 7. funam, ovin (125). Druck: funam, ovan, wahrscheinlich wieder verschrieben und verdruckt fůr furnum, Ofen. 8. Von salmorum, salimorum (178) war schon oben die Rede. 9. Eben so von sidala (344) thorale. 10. subridens (475) las Hanka smiet (S. 21), Š. und P. smirt (S. 231), indem sie beifügen: dunkel. vgl. das engl. smile, lächeln. Das Wort lässt sich in der Handschrift nicht gut lesen, indem andere Buchstabenzüge hinein ragen. Da in der oberen Zeile von supremum und ultimum die Rede ist, so kann es subscribirt sein und smirt, smrt, den Tod bedeuten. 11. oriens, exortus, zara (383. 480). Auch der Druck hat es auf dem letzten Blatte. S. und P. erklären es für hebräisch. 12. renter, zubar (289). S. und P. gestehen, nicht finden zu kón- nen, was das lat. renter bedeute, weshalb sie auch nicht wůssten, ob zubar böhmisch sei (S. 230), wie es Hanka behauptete (S. 18). Da der Druck ebenfalls diese Glosse hat, so ist zubar sicher deutsch und zwar zweifelsohne das jetzige Wort Zuber d. i. zu-bar, zwei-tráger, ein Gefáss von zwei Seiten tragbar. 13. gula, gicich (137). Hanka hält jieich für eine Neben- form des nun gebräuchlichen jicen, Kehle (S. 10); doch S. und P. machen ein? und sagen: „Sonst: jicen. Die Endung ich ist unge- wöhnlich und wir getrauen uns nicht, zu bestimmen, wie hier das ch ausgesprochen werden soll“ (S. 213). Es ist dies jedoch ein unrichtig gelesenes deutsches Wort. Der Druck schreibt nämlich (S. 183. b.): „gula gulosa, geitige.* Geit-ig oder git-ig ist im altdeutschen das, was das jetzige geiz-ig, im Sinne von gierig ist, der Glossator glossirte daher gulosa (das auch im Musealmanuscript steht) und nicht gula. Die Musealhandschrift hat auch in der That darüber „gitich“ d. i. git-ich geschrieben, was man irrig für gieich las. Ob auch diese Glosse Hanka gefälscht haben mag? Diese Glossenanalyse hat uns nun mit dem Glauben an ihre Glaubwürdigkeit zugleich zur Ueberzeugung geführt, dass wir wohl Recht hatten, als wir oben deren Entstehungszeit in den Anfang des 14. Jh. versetzten. Denn wir begegneten nicht einer einzigen ent- 56 schieden alten Form, die auf das 13. oder gar wohl auf das 12. Jahr- hundert hinwiese. Das böhmische der Glossen ist eben eine Ueber- sangsform vom altböhmischen zum neuböhmischen, wie wir sie auch in anderen Schriften des 14. Jahrhundertes vorfinden. Damit harmo- nirt auch die Schrift des Musealmanuscripts mit ihren unzähligen Abbreviaturen. Da nun im zweiten Theile der Handschrift d. i. im zweiten, kleineren Wörterbuche sich bei den Bildnissen des Malers und Scriptors auch die Jahrzahl MEI. in Abkürzung vorfindet, so kann wohl mit ziemlicher Sicherheit die Jahrzahl als MCCCH. ge- lesen werden, die jedoch nur vom eigentlichen Texte gilt. Die Glossen, wenigstens die meisten, sind, nach den Schriftzügen und der Ortho- graphie zu schliessen, gleichfalls in den ersten Jahrzehenden des 14. Jh. geschrieben worden, da sie durchgehends die vorhussitische Rechtschreibung an den Tag legen. Historische Section am 13. Februar 1865. Anwesend die Herren Mitglieder: Wocel, Tomek, Zap und Wi- nařický; als Gäste die HH. Beneš, Hospodář, Kostěnec, Lepař und Seiwl. Das ordentl. M. Hr. Tomek las einen Abschnitt aus dem I. Bande seiner Geschichte Prags und zwar aus der Topo- graphie der Altstadt, betreffend jenen Stadttheil, welcher sich von der Aegidigasse und dem Bergstein westlich bis an die Moldau ausbreitet. \aturwiss.-malh. Section am 20. Februar 1865. Anwesend die Herren Mitglieder: Weitenweber, Pierre, Koristka, Amerling; als Gäste die HH. Durége, Walter, Wesely, Lippich und Pihrt. : Sekr. Weitenweber theilte des Hrn. Geheimrathes Góppert Schreiben úber die fossilen Stámme von Břas mit. In der Sections-Sitzung am 23. November 1863 habe ich, wie die geehrten Herren sich erinnern dürften, auf Grundlage eines schriftli- chen Aufsatzes meines Freundes, des Hrn. Hüttenverwalters €. Feist- mantel über das interessante Vorkommen von Ueberresten vorwelt- 57 licher Baumstámme, welche sich in den Hangendschichten am nord- westlichen Ausgehenden des Břaser Steinkohlenbeckens vorfinden, be- richtet (vergl. Prager Sitzungsberichte 1863 Juli — December S. 71). Am Schlusse jenes Aufsatzes heisst es nun: Ein noch räthsel- haftes Vorkommen sind längliche im Querschnitte meist ovale, an der Oberfläche mit einer ganz schwachen Kohlenrinde überzogene Körper, die im Innern einiger dieser Stämme — und zwar immer zunächst des äusseren Umfanges derselben — sich vorfanden. Die- selben können aus dem Gesteine gelöst werden und lassen einen stellenweise schwach kenntlich, jedoch unregelmässig gestreiften Ab- druck zurück, sind ganz von demselben Material wie die Stellen des Baumkernes, in denen sie liegen und scheinen sich manchmal gegen die Stammoberfläche auszukeilen. In einem Stamme war nahe unter dessen Rinde ein solcher Körper von 2—3 Zoll Stärke spiralartig bis 3 Fuss Länge ausgeschieden. Bei dem unvollkommenen Zustande, in dem sich alle diese Baumreste befinden, ist es schwer, diese erwähnten Einschlüsse, die an ihrer Oberfläche keine Aehn- lichkeit mit anderen bekannten Pflanzenüberresten zeigen, befrie- digend zu erklären.“ Es gereicht mir nun zum besonderen Vergnügen, in letzterer Beziehung eine Notiz mittheilen zu können, welche mein hochverehrter Freund, der berühmte Pflanzen-Paläontolog, Prof. Dr. H. R. Göp- pert zu Breslau, in einem seiner letzten an mich gerichteten Schreiben erwähnt und wo er diesen interessanten: Gegenstand wohl auf eine sehr dankenswerthe Weise befriedigend erledigt. Derselbe schreibt: „Nun eine kurze literarische Notiz, zu der ich mich beim Lesen der Beschreibung’ der fossilen Stämme (am oben angeführten Orte) veranlasst sehe. Die dort erwähnten länglichen, im Querschnitte meist ovalen Körper im Innern der Stämme gehören der Gefässachse an, welche die Lepidodendreen als ächte Lycopodiaceen bei nur eini- germassen guter Erhaltung stets noch besitzen. Auf ihrer Oberfläche (nämlich der Achse) kann man oft noch guincuncirte Narben erkennen, von denen die Gefässbündel nach den Blättern hin verliefen. Wenn man solche ausgefüllte Stämme abschleift, so zeigen sich diese Gefäss- bündel nicht selten noch in Form von zarten excentrischen kohligen Streifen erhalten. Sehr selten findet man diese Achse noch in der Mitte; gewöhnlich ist sie excentrisch, ja zuweilen sogar an der Aussen- 58 seite der Stämme in einer tiefen Rinne, so dass die eine Hälfte der Achse ganz frei da liegt. An einem 13 Fuss langen, 14 Fuss dicken Lepidodendronstamme, aus dem Waldenburger Kohlenreviere, welcher eine Hauptzierde der paläontologischen Parthie des botanischen Gar- tens an der Breslauer Universität ausmacht, lässt sich überall 3 Zoll von der Rinde, die 14 bis 2 Zoll dicke Achse wahrnehmen. Wenn man sich den Ausfüllungsprocess ins Gedächtniss ruft, so kann man diess leicht erklären. Die zellige Hülle der Achse leistete der Fäulniss ebenso wie die zellige Rinde längeren Widerstand als das Parenchym, wurde also auch besonders ausgefüllt und später ihre Hülle auch in Kohle verwandelt. Lässt man jetztweltliche Lycopodiaceen, oder z. B. Myriophylleen - Stengel, deren Gefässachse durch Zellgewebsarme mit der Rinde in Verbindung steht, faulen und bringt dann unter bestän- diger Bewegung dünneren Thonbrei hinzu, so kann man — wie ich oft gethan — sich die anschaulichste Vorstellung von diesem einst stattgehabten Process verschaffen. Wenn bereits jede seitliche Ver- bindung der Achse mit der Rinde gelöst war, wurde sie bei Seite geschoben oder gedrückt; wenn aber dergleichen noch stattfand, auch in der Mitte in ihrer natürlichen Lage erhalten. — Stigmarienzweige gaben glatt geschliffen ebenso instructive Präparate. Sehr häufig liegt auch hier die Achse auf der Aussenseite und die Gefässbündel sind fast immer noch vorhanden.“ — — (H. R. Göppert.) . Hr. Joseph Wesely (als Gast) hielt einen längeren Vortrag über sein Verfahren elementarer Bestimmung der Beharrungs- (Trágheits-) Momente mittelst Anwen- dung von Summenreihen. Der Vortragende suchte an mehreren gewählten Beispielen nach- zuweisen, dass man zu diesen Bestimmungen nicht nur durch die bisher meistens übliche höhere Rechnung, sondern auch auf elemen- tar-mathematischem Wege gelangen könne. Im Februar 1865 eingelangte Druckschriften. Bulletin de ' Academie royale des sciences etc. de Belgique. Bruxelles 1863. 32. Année II. serie, tom. 15, 16. — 1864. 33. Année, tom. 17. 59 Mémoires couronnés et Mémoires des Savants étrangers etc. Bruxelles 1863. Tome XXXI. in 4“. Mémoires de I’ Academie royale des sciences etc. Bruxelles 1864, Tome XXXIV. Annuaire etc. 1864. Trentiéme Année. Bruxelles 1864. Mémoires couronnés et autres mémoires ete. Coll. in 8°. Tome XV. 1863. — Tome XVI. 1864. Poggendorff's Annalen der Physik und Chemie. Leipzig 1864. Nro. 12. XXIV. Bericht úber das Museum Francisco-Carolinum. Linz 1864. Forhandlinger i Videnskabs-Selskabet i Christiania. Aar 1863. M. Sars og Th. Kjerulf Nyt Magazin for Naturvidenskaberne. Christiania 1863. XII. Binds 4. Heft. — 1861. XIII. 1, 2, 3. S. A. Sexe Om Sneebáren Folgefon. Christiania 1864 in 4°. M. Irgens og Th. Hiortdahl Om de geologisk Forhold paa Kystsräkningen af nordre Bergenhus Amt. Christiania 1864 in 4°. Magazin fůr die Literatur des Auslandes. Berlin 1865. Nro. 4—8. Lotos. Zeitschrift für Naturwiss., redigirt v. Weitenweber. Prag 1865. Januar. Uebersichten der Witterung in Oesterreich und einigen auswár- tigen Stationen im J. 1865. Wien 1865. Jan Verdam Bijdrage tot de toepassing van het Beginsel van D’ Alembert etc. Amsterdam 1864. (Vom Hrn. Verfasser.) Fr. Palacký Dějiny národu Českého. V Praze 1865. V. dílu 1. částka. Fr. Palacký Geschichte von Bóhmen. Prag 1865. V. Bandes 1. Abtheil. (Vom Hrn. Verf.) The Quaterly Review. London 1864. October. Nro. 232. Nachrichten von der k. Gesellschaft der Wissenschaften usw. aus dem Jahre 1864. Göttingen 1865. Die Fortschritte der Physik im Jahre 1862. Berlin 1864. XVIII Jahrg. 1. und 2. Abtheil. K. V. Zap Česko-moravská Kronika. V Praze 1865. II. sešit 18. (Vom Hrn. Verfasser.) Centralblatt für die gesammte Landescultur. Prag. 1865. Nro. 6—8. Wochenblatt der Land- Forst- und Hauswirthschaft. Nro. 6—8. Hospodářské noviny. V Praze 1865, číslo 6, 7. 60 Ouaterly Journal of microscopical Science etc. London 1069. 1—4. Heft. — 1864. 1—4. Heft und 1865. 1. Heft. | Ferd Lippich, Studien über den Phonautographen von en (Sep.-Abdruck vom Hrn. Verfasser.) Sam. Haughton Experimental Researches of the Granites ot Ireland 1862. Part III. IV. Neues Lausitzisches Magazin. Görlitz 1865. XLI. Band. 1. und 2. Hälfte. Historische Section am 13, März 1865. Anwesend die Herren Mitglieder: Wocel, Tomek, Weitenweber, Winařický, Wrfátko und Kaulich; als Gäste die HH. Beneš, Lepař, Patera, P. Petera, Frost und Zoubek. Hr. Wocel las (in böhmischer Sprache) folgende Abhandlung: Ueber die Zeitepoche der Einwanderung der Kelten in Italien und in das hercynische Waldgebiet, wie auch über den Zeitpunkt des Auszuges der Bojer aus Bojo- hemum. Am fernsten historischen Horizonte Böhmens taucht der Name der Bojer auf, eines gallischen oder keltischen Volkes, nach welchem das Land Bojohemum genannt wurde. Die Kelten bewohnten in ferner Urzeit Gallien, einen Theil der pyrenäischen Halbinsel und Britannien vom Vorgebirge Kornwall bis zu dem Grampiangebirge. Aus jenen ursprünglichen Wohnsitzen zogen in verschiedenen Zeit- räumen keltische Volksschaaren nach Italien und Germanien, drangen in das Illyrische Dreieck ein, besetzten die Karpathenländer und brei- teten sich bis zum Dnöster, ja beinahe bis zum Pontus Euxinus aus; so dass im ersten Dämmerlichte der europäischen Geschichte ein grosser Theil des Ländergebiets zwischen dem Atlantischen und dem Schwarzen Meere von Keltenstämmen bewohnt erscheint. Julius Caesar schreibt, dass in alter Zeit die Gallier (Kelten) an Tapferkeit die Ger- manen übertrafen, und dass grosse Schaaren derselben, weil ihnen ihr Stammland nicht mehr den nothwendigen Lebensunterhalt gewähren konnte, zum Theil über die Alpen nach Italien gezogen, theils über den Rhein in die Gaue Germaniens vorgedrungen waren, wo sie am hercynischen Walde sich niederliessen. 61 Ueber die Veranlassung zur Auswanderung eines Theils der kel- tischen Bevölkerung aus Gallien nach Italien und zum hercynischen Walde, wie auch über die Art und Weise, wie von den Galliern die südlichen Gegenden überströmt wurden, hat uns Livius eine auf alten Sagen gegründete Nachricht aufbewahrt (Liv. V, 34). „Zur Zeit,“ so berichtet Livius, „als zu Rom Tarquinius Priscus regierte, waren die Bituriger das herrschende Volk in Gallien, welche auch dem Kel- tenlande die Könige gaben. Damals hatte sich die Bevölkerung des Landes so sehr vermehrt, dass der greise König Ambigat sich ge- nöthigt fand, um das aus der Uebervölkerung hervorgehende Unheil abzuwenden, seine tapferen Schwestersöhne, Bellovesus und Ši- govesus an der Spitze zahlreicher Volksschaaren in die Fremde aus- zusenden, um sich neue Wohnsitze aufzusuchen. Durch Götterspruch wurde dem Sigoves das hereynische Waldgebiet, dem Belloves aber Italien angewiesen.“ — Livius schildert darauf den Zug der Schaaren des Belloves nach Italien, und berichtet, wie dieselben nach Besiegung der Tusker sich auf den Insubrischen Gefilden niedergelassen und Mailand gegründet hatten. Darauf folgten der Spur der ersten keltischen Auswanderer die Caenomanen unter Anführung des Eli- tovius und liessen sich in der Umgegend von Brixen und Verona nieder. Nach diesen zogen die Saluvier über die Alpen und nahmen die Gegend am Ticinus in Besitz. Sodann überstiegen Schaaren der Bojer und Lingonen die Poenischen Alpen, und, da sie fanden, dass die Länderstrecken zwischen dem Padus und den Alpen bereits von ihren keltischen Vorgängern in Besitz genommen waren, so setzten sie über den Padus und vertrieben die Etrusker und Umbrer aus ihren Sitzen. Endlich haben, wie Livius berichtet, die neuesten Ankömmlinge, die Senonen, das Gebiet zwischen den Flüsschen Usens und Aesis in Besitz genommen. Es ist ungewiss, fügt der- selbe hinzu, ob es der letztere Volksstamm allein gewesen, welcher Clusium und Rom bedrängte; oder ob demselben alle cisalpinischen Gallier bei dieser Unternehmung Hilfe geleistet hatten. Darauf erzählt Livius, wie die Clusier, durch die ihnen drohende Gefahr in Schrecken gesetzt, den römischen Senat um Hilfe gegen den furchtbaren Feind gebeten, und endlich, wie die Römer, in den Krieg mit den Galliern verwickelt, an der Allia geschlagen und genöthigt wurden, die Stadt Rom dem Feinde preiszugeben und ihre kampfiáhige Mannschaft auf 62 dem Capitol zusammenzuziehen. Livius bemerkt ausdrücklich, dass jene Gallier, weiche Clusium belagerten, nicht zu jenen Schaaren ge- hörten, welche zuerst die Alpen überschritten hatten, „denn die Gal- lier,“ schreibt er, „waren zwei hundert Jahre früher, ehe Clusium bekriegt und Rom eingenommen ward, in Italien eingedrungen, und die Heere der Gallier hatten nicht zuerst mit den Etruskern, sondern bereits viel früher mit jenen Völkern, welche zwischen den Apenninen und den Alpen sassen, gekämpft.“ *) Livius behauptet somit, dass die erste keltische Auswanderung nach Italien und zum hercynischen Walde bereits zur Zeit des Targuinius Priscus, also etwa 600 Jahre vor Christo stattgefunden habe.**) Diese An- gabe wird aber von neueren Geschichtsforschern nicht bloss in Zweifel gezogen, sondern als eine irrige und falsche erklärt, und es wird namentlich von Niebuhr nachzuweisen versucht, dass der erste Kel- tenzug um zweihundert Jahre später, d. i. auf das Jahr 390 vor Christo zu setzen sei. ***) Die genauere Untersuchung der in Böhmen und Mähren aufge- fundenen ältesten Culturreste, insbesondere der Münzen und der Bronze- obj®cte, welche, wofern die archäologischen Kriterien nicht trügen, grossentheils für keltische Denkmale anzusehen sind, drängt mich aber zu der Ansicht, dass in diesen Ländern nicht erst im IV. Jahrhunderte vor Christo, sondern bereits vie! früher ein keltischer Volksstamm dauernd angesiedelt war. Um nun in dieser historischen Frage, in welcher die neuere geschichtliche mit der archäologischen Forschung in ofenbarem Wider- spruche sich befindet, einige Klarheit zu gewinnen, fand ich mich genöthigt, die Gründe, welche Niebuhr in seiner „Römischen Ge- schichte“ zur Erhärtung seiner Ansicht, der fast alle neueren Geschicht- *) Sed eos, qui oppugnaverint Clusium, non fuisse, qui primi Alpes transierint, satis constat; ducentis quippe annis ante, quam Clusium oppugnarent, ur- bemgue Romam caperent, in Italiam Galli transcenderunt: nec cum his pri- mum Etruscorum, sed multo ante cum iis, qui inter Apenninum Alpesgue incolebant, saepe exercitus Gallici pugnavere. Liv. V. 33. **) Tarquinius Priscus regierte vom J. 616 v. Chr. bis 578 v. Chr. ***) Nach der Varronischen Zeitrechnung 390, nach der Catonischen im J. 388 vor Christo [4 63 schreiber und selbst Šafařík und Palacký beitraten, entwickelt, etwas näher ins Auge zu fassen. *) a) Das erste Bedenken gegen die Angabe des Livius schöpft Niebuhr aus Herodot, indem er behauptet (Röm. Gesch. II, 575): „Herodot kannte die Kelten nur erst im äussersten Westen Europa’s, in so weiter Ferne, dass er sie ausserhalb der Säulen des Herkules denkt. Nicht sie setzt er an den Fuss der Gebirge, aus denen Drau und Inn fliessen, sondern Umbrer; auch nennt er sie nicht unter den Völkern, aus denen das Heer geworben war, welches Hamilkar wider Gelon und Theron geführt hatte.“ Nun schreibt zwar Herodot, dass die Kelten nächst, den Cyneten den östlichsten Theil von Europa be- wohnen, aber er berichtet zugleich, und zwar an zwei Stellen (II, 33; IV, 49), dass der Isterfluss in ihrem Lande entspringt. Dadurch, dass in den Gebirgen, aus denen Drau (Lech ?) und Inn (Karpis und Alpis bei Herod.) fliessen, die Ombriker sassen, wird nicht Herodot’s Angabe *) Auf diesen Widerspruch macht auch Streber in seinem Werke über die Regenbogen-Schüsselchen (I. 272) aufmerksam, indem er die Ueberzeugung ausspricht, dass diese keltischen, in Böhmen und Baiern gefundenen Münzen theilweise dem V. Jahrh. v. Chr. angehören. „Ist das richtig, schreibt der- selbe, sind die Regenbogen-Schüsselchen vor dem Jahre 400 geschlagen, so bleiben uns nur zwei Möglichkeiten, das hohe Alter dieser Münzen einerseits und die dürftigen Nachrichten über eine Ansiedelung keltischer Stämme diesseits des Rheins anderseits in Einklang zu bringen. Entweder hat Li- vius dennoch Recht, wenn er die Auswanderung der Gallier bis in die Zeiten des Tarquinius Priscus hinaufsetzt, und in diesem Falle stimmt das Alter unserer Münzen mit den historischen Nachrichten überein, oder Livius hat sich geirrt, dann gehören die Regenbogen-Schüsselchen keltischen Stämmen an, die nicht erst unter Sigoves aus Gallien über den Rhein und gegen den hercynischen Wald herübergewandert, sondern schon vorher daselbst sich angesiedelt hatten.“ Weil nun nach Strebers Meinung in Gallien keine Re- genbogen-Schüsselchen gefunden wurden, so glaubt derselbe aunehmen zu müssen, dass der Zug unter Sigoves und Beloves eine spätere, rückläufige Wanderung der Keltenstämme gewesen sei, und dass jene Münzen von Kelten herrühren; welche statt mit ihren Brüdern bis zum äussersten Ziel im }Yesten, nach Gallien und Britannien vorzudringen, an der oberen Donau und am oberen Rhein Halt machten, und sich daselbst eine bleibende Wohnstätte wählten. — Hätte der verdienstvolle, der Wissenschaft leider zu früh entrissene Gelehrte gewusst, man werde in Belgien (zu Frasnes) Regenbogen-Schüsselchen finden, so würde er ohne Zweifel seine Ansicht geändert haben. — Ich hege die Ueber- zeugung, es sei die Pflicht des wissenschaftlichen Forschers, bei solchen Streitfragen die vorhandenen historischen Angaben sorgfältig zu prüfen und zu vergleichen, ehe er sich zur Annahme von Hypothesen entschliesst, für welche die Geschichtsquellen keinen Anhaltspunkt darbieten. 64 widerlegt, dass zu seiner Zeit die Keltensitze von den Pyrenäen bis zu den Quellen der Donau sich erstreckten, mochte auch derselbe gedacht haben, dass die Isterquellen weiter gegen Osten, in Gallien sich befinden. — Der weitere Einwurf Niebuhr’s, dass nach He- rodot unter den Völkern, aus welchen Hamilcar seine Kriegsmacht gegen Gelon und Hiero gesammelt, kein Name irgend eines keltischen Volkes vorkommt, kann unmöglich als Beweis dienen, dass zu jener Zeit keine Keltenstámme am Südabhange der Alpen sassen; dagegen. erwähnt Polybius (I, 29), dass bereits vor dem ersten punischen Kriege Soldtruppen der Gallier im Heere der Karthaginenser dienten. *) b) Den zweiten Beweis für die Richtigkeit seiner Behauptung glaubt Niebuhr in den Worten Appian’s zu finden, welcher berichtet (Celt. 1.): „Die Griechen zählten die siebenundneunzigste Olympiade, als ein ansehnlicher Theil der am Rheine wohnenden Kelten sich erhob, um andere Wohnsitze aufzusuchen. Sie zogen über die Alpen und griffen die Clusier an, welche das &lückliche Tyrrhenenland (Hetru- rien) bewohnten. Die Clusier hatten sich kurz zuvor mit den Römern verbündet und nahmen daher ihre Zuflucht zu diesen.“ — Hier wird offenbar bloss von dem Zuge und der Unternehmung jener Kelten- schaaren berichtet, welche die letzten unter ihren Stammgenossen waren, die von den Alpen herabstiegen und in der 97. Olympiade Clusium bedrängten. Auf eben diese beziehen sich die Worte des Livius: „sed eos, gui oppugnaverint Clusium, non fuisse, qui primi Alpes transierint, satis constat“ (V. 33). — Appian erzählt weiter, wie die Clusier, aufgestachelt von den römischen Gesandten, die Kelten verrätherisch überfielen, und wie in dem Kampfe, der darauf erfolgte, O. Fabius, einer der römischen Gesandten, mit eigener Hand den Anführer der Kelten erlegte. Als nun Brennus, der König der Kelten, die Auslieferung des Q. Fabius verlangte, und die Römer den Boten *) Zeuss ist in seinem trefflichen Werke: „Die Deutschen und die Nachbar- stämme“ derselben Ansicht wie Niebuhr in Betreff des späteren Auftre- tens der Kelten in Italien, und meint, dass zu Herodot’s Zeit die Ombriker (Umbrer) und Tyrrhener die Po-Ebenen bewohnten; sich auf die fabelhafte Sage bei Herodot (I, 94) berufend, dass die Lydier zu den Umbrern gekom- men wären und dort Städte gegründet hätten. Aber von der Po-Ebene ge- schieht in dem angeführten Cap. bei Herodot nicht die geringste Erwähnung, und es ist wohl bekannt, dass die Sitze der Etrusker und Umbrer auch südlich vom Po am Apennin lagen. 65 des Kónigs mit einer abschlágigen Antwort abfertigten, „da schickte Brennus,“ schreibt Appian, „bei den übrigen Kelten herum, um sie zur Theilnahme am beabsichtigten Kriege aufzufordern; nachdem Viele zu ihnen gestossen waren, so brachen sie auf und zogen nach Rom.“ Da entsteht nun die Frage, an welche Kelten Brennus jene Auffor- derung erlassen habe? Seine Boten konnten unmöglich die Reise nach Gallien unternommen haben, um ihre Stammgenossen zum Zuge über die Alpen aufzurufen, denn dazu reichte nicht einmal die Zeit hin, weil gleich darauf die Kelten Rom bestürmten; und da von einem neuen dadurch veranlassten Keltenzuge über die Alpen nicht die. ge- ringste Spur in alten Quellenwerken zu finden ist, so sind wir be- rechtigt, anzunehmen, dass Brennus zu jenen Keltenstámmen seine Boten geschickt habe, welche schon lange vordem sich zwischen den Alpen und dem Padus niedergelassen hatten. Daraus ergibt sich zugleich, dass die Stelle bei Appian: „Die Kelten gingen über das Alpengebirge und griffen die Clusier an, welche das glückliche Land Tyrrhenien bewohnen“ sich unmöglich auf die primitive Einwanderung der Kelten in die Fluren der Lombardei, sondern auf die letzte Phase der Keltenzüge beziehen könne. Mit dieser Ansicht steht im Ein- klange die Stelle bei Livius (V, 35): „Hane gentem (Senones) Clu- sıum Romamque inde venisse comperio; id parum certum est, solamne an ab omnibus Cisalpinorum Gallorum populis adjutam.“ c) Niebuhr führt ferner das Zeugniss Plutarchs an, welcher (Camillus 15, 16) erzählt, dass die Kelten, angelockt durch die Lieb- lichkeit des italischen Weines, die Waffen ergriffen und über die Alpen zogen, um jenes Land zu suchen, das solche Früchte trage. Sie eroberten, berichtet Plutarch, gleich beim ersten Angriff die ganze Landschaft, die sich von den Alpen bis an das beiderseitige Meer erstreckt und die vor Zeiten von den Tyrrhenern bewohnt wurde; „aber,“ bemerkt er weiter, „dies war lange vorher (ehe die Gallier Clusium belagerten) geschehen (dAA« raür« učěv črody?y ovyvě rıvı gpóvo mEoTEE0V). Niebuhr will das Gewicht der letzteren Bemerkung Plutarchs durch die Behauptung vernichten, dass Plutarch den Livius vor Augen gehabt und aus demselben geschöpft habe. Allein wie kommt es, dass Plutarch die Sage von Arnus, der, von Rachsucht angetrieben, die Kelten durch die Süssigkeit des Weines nach Italien gelockt, und zwar weitläufig erzählt (eine Sage, die auch Sitzungsberichte 1865. 1. 9 66 Livius berůhrt, aber bloss als Veranlassung des letzten Zuges der kel- tischen Senonen gelten lässt), während derselbe die ausführlichen Angaben des Livius über die Ursachen und die Reihenfolge der Aus- wanderungszüge der Kelten mit keinem Worte erwähnt? Hätte Plut- arch, wie Niebuhr vermeint, „Livius vor sich gehabt“, so hätte er unmöglich die von dem letzteren erzählten Hauptsachen mit Still- schweigen übergehen und bloss eine von jenem beiläufig berührte Sage (welche überdies, wie Niebuhr vermeint, Plutarch nicht einmal aus Livius, sondern aus Dionysius von Halicarnass geschöpft hatte) in sein Werk aufnehmen können. Es berechtigt somit gar nichts zu der Behauptung, dass Plutarch den Livius vor sich gehabt. Mochte aber auch Plutarch andere Quellen als den Livius benützt haben, so stimmt er jedenfalls mit demselben in der Angabe überein, dass die ersten Einwanderungen der Kelten nach Italien viel früher (6vyvě vw yoovo moórsgov), als der Zug derselben gegen Clusium und Rom, stattge- funden hatten. d) Niebuhr schreibt (II, S. 624): „Es leidet nicht den geringsten Zweifel, dass die bei Dionysius von Halicarnass (1, 74) vorkom- mende Angabe von Timaeus herrührt, der Zug der Kelten, auf dem Rom erobert worden sei, falle in das Jahr des Archonten Pyrgion, Ol. 98, 1, und Dionysius sagt, über diese wären fast Alle einstimmig. Denn Timaeus folgt Diodor durchgehends; und wie dieser die un- verkennbar römische Erzählung von dem Unglücke der Stadt mit der von Dionysius’ Krieg in Süditalien verknüpfend sagt, um die Zeit, da dieser Rhegium belagerte, wären die Kelten über die Alpen gekommen, so ist wohl nicht zu bezweifeln, dass Timaeus, so viel oder so wenig er darüber erwähnte, in gleicher Weise auf jene Zeit bezog. — Dionysius’ oben angeführte Worte — und er wählt sie immer umsichtig — reden von dem Heerzug der Kelten, von Roms Erobe- rung nur als einem der Ereignisse desselben.“ — Welche sind aber die betreffenden „mit Umsicht angeführten Worte“ des Dionysius? Derselbe schreibt in seiner Urgeschichte der Römer (1, 74): „Der Einfall der Kelten, durch welchen Rom erobert ward (7 KeAráv čno- dos, aad dv 1 modus éáAe) geschah, worin fast Alle übereinstimmen, zur Zeit, da Pyrgion Archon in Athen war, im ersten Jahre der acht- und neunzigsten Olympiade.“ Die Worte: 7 KeAráv Emodog, nad iv o modus EdAm beziehen sich doch offenbar blos auf den Zug jener 67 Kelten, welche Rom eroberten, d. i. der Senonen, nicht aber auf die ersten Einwanderungszůge der Gallier, von welchen Timaeus (bei Dion. v. Halic.) nicht das Mindeste erwáhnt. e) „Ganz unmittelbar vor der Einnahme Roms setzt Diodor die Einwanderung úber die Alpen, wahrscheinlich nach Fabius“, schreibt Niebuhr (II, 576). Diodor berichtet, ebenso wie Appian und Dionys. v. Halic., dass zu eben der Zeit, als Dionysius Rhegium belagerte (Ol. 97), die Kelten in Italien eindrangen und das Land zwischen den Apenninen und den Alpen nach Vertreibung der daselbst angesie- delten Tyrrhener besetzten. Derselbe erzáhlt aber gleich darauf, dass einem der Keltenstimme, den Senonen, der entfernteste, am Meere gelegene Theil des Landes zugefallen war; da es hier aber sehr heiss war, so beschlossen diese, die ungůnstige Wohnstátte zu verlassen, und sandten eine Kriegsschaar aus, um ein Land zu suchen, wo sie sich niederlassen könnten. Dieses dreissig Tausend Mann starke Heer fiel in Tyrrhenien ein und verheerte das Gebiet der Clusier u. s. w. Diodor setzt, wie Niebuhr bemerkt, ganz unmittelbar vor die Einnahme Roms (Ol. 97) den Zug der Kelten über die Alpen, scheint aber mit sich selbst in Widerspruch zu gerathen, indem er angibt, dass die Senonen sich früher an der Adriatischen Küste niedergelassen und erst, nachdem sie gefunden, dass dieses Land zu heiss oder vielmehr ungesund sei, hätten sie den Entschluss gefasst, andere Wohnsitze zu suchen. Alles das kann sich unmöglich ganz unmittelbar vor der Ein- nahme Roms zugetragen haben; es muss eine geraume Zeit verflossen sein, ehe die Länderstrecke zwischen den Alpen und dem Padus wie auch am rechten Ufer dieses Flusses von den verschiedenen Kelten- stämmen in Besitz genommen und so bevölkert wurde, dass für den Stamm der Senonen daselbst kein Raum mehr übrig geblieben, und derselbe gezwungen war, sich an der ungesunden adriatischen Küste niederzulassen. Aus der allerdings verworrenen Angabe Diodors geht jedenfalls hervor, dass die Senonen die letzten keltischen Einwanderer waren, welche zu jener Zeit in die Po-Ebene hervorbrachen, da sich in dieses schöne Land die früher eingewanderten Keltenstämme bereits getheilt und daselbst ihre Wohnstätten gegründet hatten. Ueberdies muss bemerkt werden, dass Livius, ein Zeitgenosse des Diodor, schwerlich die Worte niedergeschrieben hätte: „eos, qui oppugnaverint Clusium, non fuisse qui primi Alpes transierint, satis constat“, 5* 68 wenn zu seiner Zeit die Meinung allgemein geherrscht hätte, dass, wie Diodor angibt und Niebuhr behauptet, die erste Einwanderung der Kelten über die Alpen ganz unmittelbar vor der Einnahme Roms stattgefunden hätte. f) Ein besonderes Gewicht legt Niebuhr auf das Zeugniss des Trogus Pompejus: „Ganz unverkennbar,“ schreibt Nieb., „dachte sich Trogus Pompejus den Gang dieser Begebenheiten und dessen Dauer ebenso: seine Stimme bedeutet hier um so mehr, da er aus einem gallischen oder doch den Galliern benachbarten Volke ab- stammte. Nach seiner Erzählung waren sie, dreimalhunderttausend an der Zahl, ausgezogen: von diesen blieb ein Theil in Italien, und dieser eroberte Rom, ein anderer wandte sich an den illyrischen Busen des adriatischen Meeres, bahnte sich einen Weg durch die widerstrebenden Völker — — und nahm Pannonien ein.“ (Nieb. II. 577.) Die Stelle des Trogus Pompejus (Just. XXIV, 4), auf welche sich Nieb. beruft, beginnt mit den Worten: „Galli abundante multi- tudine cum eos non caperent terrae, quae genuerant, trecenta millia ho- minum ad sedes novas quaerendas, veluti ver sacrum, miserunt. *) Ex his portio in Italia consedit, quae et urbem Romanam captam incendit; et portio Illyricos sinus, ducibus avibus — per strages barbarorum penetravit, et in Pannonia consedit.“ Aus diesen Worten geht keineswegs hervor, dass die Gallier gleich nach ihrem Einfalle in Italien gegen Clusium und Rom vorgedrungen waren, sondern es wird blos soviel angedeutet, dass ein Theil der Gallier sich in Ita- lien niedergelassen habe, und selbstverständig dass von diesen Stämmen Rom erobert worden sei, nicht aber von jenen, welche sich, Alles rings verheerend, gegen Norden gewendet und in Pannonien nieder- gelassen hatten. Die Zeitepochen der einzelnen Begebenheiten werden hier nicht aus einander gehalten; es ist eine allgemeine, summarische Angabe über die Einwanderung der Kelten und über die Vorfälle, welche sich an diese knüpften. Ausführlicher berichtet aber Trogus Pompejus an einer anderen Stelle (Just. XX, 5) über den ersten Auswanderungszug der Kelten, indem er schreibt: „Dionysium ge- *) Der Ausdruck: ver sacrum, Frühlingsopfer, lässt vermuthen, dass Trogus unter jener gallischen Volksschaar den ersten Zug der Auswanderer ver- standen habe, denn die Gesammtmasse der Kelten, die Italien überschwemmt hatten, würde er schwerlich ver sacrum genannt haben. 69 rentem bellum legati Gallorum, gui ante mensem Romam incenderant, societatem amicitiamgue petentes adeunt..... His autem Gallis causa in Italiam veniendi sedesgue novas quaerendi intestina discordia et assiduae domi dissensiones fuere: quarum taedio cum in Italiam ve- nissent, sedibus Tuscos expulerunt; et Mediolanum, Comum, Brixialn, Veronam, Pergamum, Tridentum, Vicentiam condiderunt.“ Aus dieser Stelle ergibt sich vor Allem, dass zur Zeit des Livius und seines Zeit- genossen Trogus Pompejus mehrere von einander mehr oder minder abweichende Traditionen úber die Einwanderung der Kelten in Italien cursirten. Nach der einen, von Livius weitläufig angeführten Ueber- lieferung war die Ursache des Auszuges der Gallier die Uebervölke- rung ihres Stammlandes, und auf diese Tradition scheinen auch die oben angeführten Worte des Trogus Pompejus: „Galli abundante multitudine, cum eos non caperent terrae, quae genuerant...“ hin- zudeuten; nach der andern Tradition, die Trog. Pomp. im XX. Buche anführt, waren es innere Zwistigkeiten (intestina discordia et assiduae domi dissensiones), welche die Auswanderung eines Theils der Gallier veranlassten. Nach der ersten von Livius benützten Sage sollen die Gallier blos Mediolanum gebaut haben, während Trogus Pomp. aus der zweiten Ueberlieferung die Sage schöpfte, dass dieselben ausser Mailand auch noch Como, Brixen, Verona, Bergamo, Trident und Vicenza gegründet hätten. Eine dritte die Einwanderung der Kelten in Italien betreffende Tradition, welche später besprochen werden soll, führt überdies noch Polybius an; hier glaube ich vor Allem auf den argen Widerspruch hindeuten zu müssen, in welchen Niebuhr mit Trogus Pomp., einem Zeugen, dessen Glaubwürdigkeit er so hoch erhebt, gerathen ist. Trog. Pomp. berichtet, dass die Gallier, nach- dem sie die Tusker aus ihren Sitzen vertrieben, daselbst sieben Städte gegründet; in eine spätere Zeit fällt selbstverständlich der Zug der Senonen gegen Clusium, und die Einnahme Roms. Da nun Niebuhr behauptet, dass die Kelten von den Alpen bis nach Clusium in einem Zuge vorgedrungen waren, so müsste er, um die Glaubwürdigkeit seines Gewährsmannes aufrecht zu erhalten, auch annehmen, dieselben hätten in Einem Zuge, in Einem Anlaufe, Mediolanum, Brixia, Verona, Pergamum, Tridentum und Vicentia auf- geführt. Warum hat Niebuhr eben diese Stelle des Trog. Pomp., dessen Glaubwürdigkeit er so hoch achtet, mit Stillschweigen über- 70 gangen? Wahrscheinlich darum, weil Trogus vollkommen mit Livius darin übereinstimmt, dass die Kelten, nachdem sie die Alpen über- stiegen, Mailand und andere Städte gegründet hatten, wozu doch eine geraume Zeit nothwendig gewesen, und dass sie somit nicht in Eňem Zuge auf Clusium und Rom losgestürmt waren. Niebuhr, der den Worten des Livius keinen Glauben beimisst, hätte daher früher die Unzulässigkeit der Angaben des Trogus über die Grün- dung jener Städte durch die Gallier nachweisen müssen, bevor er diese Worte niedergeschrieben: „Ist es möglich, dass Jemand, damit Livius’ Angabe gelte, sich im Ernst überrede, das nämliche Volk, welches, nachdem es die Apenninen überstiegen hatte, in Einer Be- wegung von Clusium bis Rom vordrang, und dann ferner in Einem Zuge, mitten durch die wehrhaftesten Völker Italiens und ihre unwegsamen Gebirge bis nach Apulien, habe zwei Jahrhunderte zugebracht, um sich schneckenmässig von den Alpen bis an den Po fortzubewegen? So langsam erweitert wohl ein Staat durch ausgesandte Heere seine Gränzen; ein Volk, welches mit Weib und Kindern seine Heimat verlassen hat, wie die Kimbern und Helvetier, muss weitläufige Landschaften überströmend einnehmen, oder es geht unter.“ (Nieb. Röm. Gesch. II, 579.) Es wäre wohl überflüssig, das Gewagte und Uebertriebene, das dieser Passus enthält, weitläufig nachzuweisen: dieses bei Seite lassend, wollen wir noch die Angaben eines Histo- rikers vernehmen, der unmöglich aus Livius geschöpft haben konnte, aus dem einfachen Grunde, weil er wenigstens 100 Jahre vor Livius sein Werk niedergeschrieben, nämlich die Angaben des Polybius. Das Zeugniss dieses grossen Geschichtschreibers und Staatsmannes be- rührt Niebuhr nur leise und nebenbei, indem er schreibt: „Ganz un- mittelbar vor der Einnahme Roms setzt Diodor die Einwanderung der Kelten über die Alpen. — — — Dass zwischen denselben einige Zeit verflossen war, deutet Polybius an, aber auch nur einige.“ Wir wollen nun die betreffende Stelle des Polybius, auf welche sich Niebuhr beruft (Pol. II, 17), etwas näher ins Auge fassen. Polybius berichtet: „Die Ebenen der Lombardei bewohnten vor Zeiten die Etrusker — — — mit diesen standen wegen der Nachbarschaft die Kelten im Verkehr; da diese nun wegen der Schönheit des Landes jene be- neideten, so überfielen sie mit einem grossen Heere ohne rechten Grund die Etrusker, vertrieben sie aus dem Lande am Padus und 71 bemächtigten sich selbst dieser Ebenen. In dem ersten östlich vom Padus gelegenen Landstriche liessen sich die Laer und Lebekier, und diesen zunächst die Isombrer (Insubrer) nieder, welche das grösste Volk unter ihnen sind; sodann diesen zunächst die Go- nomanen (Kenomanen). In den weiter nach dem Adria zu gele- genen Theilen behauptete sich ein anderes sehr altes Volk, Ve- neter mit Namen. — In dem Lande jenseits des Padus, am Apennin liessen sich zuerst die Ananen, und nach diesen die Boier nieder, zunächst diesen an dem Adria die Lingonen und zuletzt am Meere die Senonen.“ *) Darauf schildert Polybius die überaus einfache Lebens- weise dieser Völker, indem er berichtet, dass die Kelten auf Streu schliefen, in unbefestigten, offenen Ortschaften wohnten, dass Fleisch ihre hauptsächlichste Nahrung bildete, und dass sie nichts Anderes, als was zum Kriege und zum Ackerbau gehörte, kannten, dass bei ihnen die Kunst völlig unbekannt und das Vermögen der Einzelnen Vieh und Gold gewesen war, welches sie bei allen Unglücksfällen leicht überallhin mitnehmen konnten, und fährt sodann in seinem Be- richte fort: „Im Anfang beherrschten sie nicht bloss das Land (welches sie eroberten), sondern hatten sich auch viele der benachbarten Völker unterworfen, die sie durch ihre Kühnheit in Schrecken gesetzt hatten. Nach einiger Zeit besiegten sie in einer Schlacht die Römer und die Bundesgenossen derselben, verfolgten die Fliehenden und eroberten drei Tage nach der Schlacht Rom mit Ausnahme des Capitols.“ **) Bei genauer Prüfung des vorliegenden Berichtes ergibt sich, dass zuerst das an das Keltenland gränzende Gebiet nach Polybius die Laer und Lebekier einnahmen, weiterhin gegen Osten schlossen sich denselben die Insubrer und sodann die Kenomanen an. Die Sitze der letzteren erstreckten sich bis zu dem bereits früher *) Ta učv 00v modTU ai mepi tag avaroAdg tod Iládov nsiusva Ador zal Asßerıoı, ust dě Tovrovg "Icoufess narennowv, 0 ueyıorov čdvog v avrav. Eing dč tToúroig mape TOV morauov T'ovoudvor. — — TG dě névav tod Ilédov, TO megl TOV Amévviov, mo$TOt wsv "Avavsg, uer« dč Tovrovg Boioı xaTw- nnoav, £Eng Ač Toúrov ©g Te0g T0V Adolev Alyyoveg, ta dg veAsvratu m00g doukórr Zjvoveg. Pol. II., 17. **) TG Ev obv doyas 00 uóvov T7)S Xwoug čmenodrovy, ČAAG nal TOV GÓvEYyVY mollodg Úmynóovg Enenoinvro, N) TOoAuN narvansmAnyuévou“ usrTů O Tie zoóvov udyn vimrjcavreg Pouciovg nal TOVg UETE TOVTOV TUoaTUŠUusVOVS, émóusvov Tolg peVyovaL TELGL T7)S UNS T)učovig Voregov xaTÉ6xOv adenv nv Pounv minv tod Kametroklov. Pol. II, 18. 72 daselbst ansässigen Volke der Veneter, welches von den Kelten im Besitze seines Gebiets nicht gestört wurde. Dafür ergoss sich der Strom der späteren keltischen Einwanderer über das rechte Ufer des Padus, wo sich zuerst (me@ro:) die Ananen, nach diesen die Boier, dann zunächst diesen (&&7s de roúrov) am Adria die Lingonen und endlich (ra de rsAevraie) am Meere die Senonen niedergelassen hatten. Wir entnehmen übrigens aus der Schilderung des Polybius, dass derselbe aus einer anderen Quelle als Livius geschöpft, indem er ausser den bei den letzteren angeführten Keltenstämmen, die sich in die Padusebene getheilt, auch noch die Laer, Lebekier und Ananen angeführt, welche von Livius nicht genannt werden. Polybius schildert sodann die überaus einfache, ja rohe Lebens- weise der am Padus angesiedelten Kelten. Offenbar werden hier die primitiven Verhältnisse des Keltenvolkes, wie sie bei demselben zwei Hundert Jahre vor der Schlacht an der Allia gewaltet, geschildert, denn diese Angaben stechen bedeutend ab von den historischen auf die Gallier, welche Rom belagerten, sich beziehenden Reminiscenzen. Plutarch (Camillus 18) spricht von den glänzendeu Rüstungen der Gallier, welche Rom eroberten, und erwähnt (Cam. 41), dass dieselben bereits mit eisernen Schwertern bewaffnet waren. Ueberflüssig wäre es übrigens die bekannte Stelle Virgil’s anzuführen, der den prunk- vollen Schmuck und die bunte Bekleidung der das Capitol erklim- menden Gallier mit lebhaften Farben schildert. — Endlich berichtet Polybius, dass die Kelten nicht bloss die Länder am Po in Besitz ge- nommen, sondern auch die benachbarten Völker sich unterworfen hatten. Nach Erwägung all dieser Verhältnisse wird man schwerlich der Behauptung beipflichten können, dass zwischen dem ersten Ein- falle der Kelten gar keine oder nur einige Zeit verflossen war, d.h. dass die Kelten in Einer Bewegung vom Padus nach Clusium und Rom, wie Niebuhr angiebt, vorgedrungen waren. Zwischen dem ersten Ein- bruche der Gallier in die Lombardei und der Ansiedelung der ein- zelnen Volksstämme daselbst, wie auch zwischen der Unterwerfung der benachbarten Völker unter die gallische Zwingsherrschaft und ihrem Zuge nach Clusium muss doch eine ziemlich geraume Zeit verflossen sein. Endlich wird nicht bloss von Niebuhr, sondern auch von 73 Zeuss (Die Deutschen usw. 165) dem Livius der Vorwurf gemacht, derselbe sei mit sich selbst in Widerspruch gerathen, indem er die Gallier, welche gegen Clusium heranzogen, novi accolae Etruriae, gens inusitata, nova — inauditus hostis etc. nennt. Fasst man jedoch die Stellen bei Livius, in welchen jene so hart gerügten Bezeichnungen auftauchen, näher ins Auge, so gewinnt die Sache ein ganz anderes Aussehen. In der Antwort, welche die Römer den um Hilfe gegen die Senonen bittenden Etruskern gaben, heisst es (Liv. V, 17) novas accolas Gallos esse, in ea parte Etruriae gentem inusitatam. Die Senonen werden hier neue Nachbarn (accolae), ein in jenem Theile Etruriens ungewöhnliches Volk, genannt. Diese Fremdlinge waren also bereits neben den Etruskern (an der adriatischen Küste) angesiedelt, drangen aber noch tiefer in das Gebiet der letzteren ein. Ausdrück- lich spricht Livius c. 35, L. V. von den zuletzt über die Alpen vor- gedrungenen Senonen (Senones recentissimi advenarum), die er daselbst als eine nova gens und im c. 37. V. als einen inusitatus et inauditus hostis mit Recht bezeichnet, weil in diesen Theil Italiens die keltischen Barbaren noch niemals frůher eingedrungen waren. Aus der hier gegebenen Uebersicht der Quellenangaben stellt sich heraus, dass der Bericht des Livius über die Zeit der Einwan- derung der Kelten nach Italien und zum hercynischen Walde nicht in das Gebiet der Fabeln gehöre, sondern auf dem richtigen Sach- verhalte gegründet sei. Dieser Ansicht nähert sich Mommsen, indem er schreibt: „Einzelne Einfälle und Einwanderungen mögen sehr früh stattgefunden haben; aber das gewaltige Umsichgreifen der Kelten in Norditalien kann nicht vor die Zeit des Sinkens der etruskischen Macht, das heisst nicht vor die zweite Hälfte des dritten Jahrhun- dertes der Stadt gesetzt werden.“ *) — Die Gallier belagerten Rom um das Jahr der St. 364; Mommsen setzt das gewaltige Umsich- greifen der Kelten in Italien in die zweite Hälfte des dritten Jahrh. d. St.; der Unterschied zwischen der Zeitangabe des Kelteneinfalles bei Livius, und der von Mommsen angedeuteten Zeitepoche beträgt somit etwa 90 Jahre, wogegen sich nach Niebuhr eine Differenz von wenigstens 210 Jahren ergeben würde. Weil aber Mommsen ver- muthet, dass einzelne Einwanderungen der Kelten schon viel früher mögen stattgefunden haben, so ergibt sich, dass derselbe in der Haupt- *) Mommsen, Röm. Geschichte. I. 210. 74 sache der Angabe des Livius beipflichtet. Endlich muss hervorgehoben werden, dass Mommsen durch archäologische Motive sich veranlasst fand, auszusprechen: „Es hat lange gewährt, ehe die Kelten den Padus überschritten; womit es zusammenhängt, dass auf dem rechten Ufer desselben das etruskische und umbrische Wesen weit tiefere Wurzeln geschlagen hat, als auf dem früh aufgegebenen linken.“ (Mommsen, Röm. Gesch. I. 83.) Die Ansicht Mommsens, dass die Kelten früher das linke Po-Ufer occupirt, und erst in einer vie] späteren Zeit den Padus überschritten, und die am rechten Ufer angesiedelten Etrusker und Unibrer vertrieben hatten, stimmt mit der Angabe des Livius überein, der (V. 35) schreibt: Poenino deinde Boii, Lingonesgue trans- gressi, guum jam inter Padum atgue Alpes omnia tenerentur, Pado ratibus trajecto, non Etruscos modo, sed etiam Umbros agro pellunt. In eine noch spátere Zeit setzt endlich Livius die Ankunft der Se, nonen und ihre Ansiedelung an der adriatischen Küste: Tum Senones- recentissimi advenarum, ab Utente flumine usque ad Aesim fines hag buere, worauf auch die Worte des Polybius: Ta de reAsvrat« 00- daAárry Zůúvoves, hindeuten. Ist est nun sicher gestellt, dass diese Senonen um 390 v. Ch. Clusium und Rom bedrängten, so kann man mit gleicher Gewissheit annehmen, dass bereits zwei Hundert Jahre früher, wie Livius berichtet, die ersten Keltenschaaren unter Bello- vesus nach Italien, und andere Abtheilungen derselben unter Sigovesus zum hercynischen Walde gezogen waren. Mit der von Livius aufbewahrten Nachricht, dass ein Theil der Kelten in das Hercynische Waldgebiet eingezogen war, stimmt das Zeugniss des Posidonius (Strabo VII. 2) überein: gpnol de xaů (0 IToosıdawvıog) Botovg rov Foxúviov dovuov olxelv modrsgov. Tacitus berichtet, dass zwischen dem Rhein und Main und dem hercynischen Walde Helveter wohnen, und hinter diesen die Bojer, beide Völker gallischen (keltischen) Ursprungs; sodann folgt bei Tacitus die wichtige Stelle: Manet adhuc Boihemi nomen, significatque loci veterem memo- riam, quamvis mutatis cultoribus. Germ. 28. Der Name: Hercynia silva wird bekanntlich bei den Alten bald dem ganzen Gebirgszuge vom Schwarzwald angefangen bis zu den Karpaten, bald bloss einem Theile desselben beigelegt; dass aber Tacitus, wo er des von den Bojern bewohnten Landes jenseits des hereynischen Waldes erwähnt, in der That unser Böhmerland gemeint habe, erhellt aus seinen Annalen 75 (II. 45), wo Armin den Marobud einen Feigling nennt, der sich in die hereynischen Schlupfwinkel versteckt hatte. Diese vom hercynischen Gebirge umwallte Zufluchtstätte war das Land Böhmen, welches nach Verdrängung der Bojer das Svevenvolk der Markomannen eingenommen hatte, von dem Vellejus Paterculus (II. 108) berichtet: quae gens Marcomannorum — incinctos Hercyniae silvae campos incolebat. Präg- nanter noch und alle Zweifel beseitigend wird die geographische Lage Bojohemums und seine Identität mit Böhmen von Vell. Paterculus be- zeichnet durch die Worte (II. 109): Eratque (Marobuduus) etiam eo timendus, guod, cum Germaniam ad laevam et in fronte, Pannoniam ad dextram, a tergo sedium suarum haberet Noricum. Die Sitze der Bojer reichten bis zur Donau, und dehnten sich tief nach Baiern hin; überdies ergibt sich aus den Berichten der Autoren, dass jener Stamm der Bojer, welche vereint mit den Lingonen am rechten Ufer des Padus sich niedergelassen, im J. 191 vor Chr. von den Römern aus diesem Gebiete vertrieben und gezwungen wurde im Norden eine neue Wohnstätte zu suchen, die er endlich in Pannonien, in der Nachbar- schaft der Taurisker fand. Südlich von den in Böhmen und Mähren angesiedelten Bojern hatten sich die Taurisker, von der Donau bis zu den Carnischen Alpen, niedergelassen, und den südlichen Theil Pannoniens, von der Drau angefangen wie auch die nördliche Hälfte des Illyrischen Dreiecks nahmen die Skordisker gewaltsamin Besitz. Die Skordisker waren ohne Zweifel jener Theil der Kelten, der zur Zeit, als die Senonen gegen Clusium ausgezogen waren, nach Justins Berichte (XXIV. 4) über die Leichen der Barbaren (per strages barbarorum) nach Pan- nonien vorgedrungen war. Bis zur Zeit Alexanders sassen in Nieder- pannonien und Moesien die Triballen, daher ist es natürlich, dass bei Herodot noch keine Kelten, sondern Triballen in jener Gegend angeführt erscheinen. Appian (Ilyr. 3) berichtet, dass der Stamm der Triballen bis zu den Zeiten des Philippus und Alexander in höch- ster Blüthe gestanden, dass er aber bald darauf durch die Skordisker bis auf wenige Ueberreste ausgerottet wurde. Auf diese Triballen bezieht sich offenbar die strages barbarorum des Trogus Pomp. Ob nun die Triballen ein Zweig der Slaven waren, die bereits, wie Šafařík ver- muthet, vor dem gewaltsamen Einbruche der Kelten jene Landstriche bewohnten, můsste allerdings erst bewiesen werden. — Die Nachbarn 76 der in Böhmen und Mähren angesiedelten Bojer waren im Nordosten die Ombronen. Wahrscheinlich waren diese ein Theil der grossen Völkerschaar, die mit Sigoves gegen Osten ausgezogen war. Der Strom dieser Auswanderer breitete sich weiter gegen Osten aus, und die Stämme derselben liessen sich unter den Namen der Gothinen, Sidonen, Bastarnen, Anartophracten und Peuciner längs den Karpaten in Ober- ungarn, Gallizien, Siebenbürgen, in der Moldau, Wallachei und Bess- arabien bis zum Bug (Hypanis) nieder. *) — Somit finden wir, die historischen Angaben verfolgend, eine fast ununterbrochene Kette keltischer Völkerschaften, die sich vom atlantischen Ocean durch Mit- teleuropa bis beinahe zum euxinischen Pontus hinzog. Dieses Er- gebniss der historischen Forschung wird auf überraschende Weise durch die Resultate archäologischer Untersuchungen bestätigt. So weit nämlich die von der Geschichte nachgewiesenen Sitze der Kelten in Mitteleuropa reichen, so weit rei- chen die Fundstätten der Bronzeobjecte der älteren Le- girung (im beil. Verhältniss des Kupfers zu Zinn wie 10:1), d. i. der Schwerter, Lanzen, Kelte, Messer, Spangen, Ringe usw. von edler Bronze. Oestlich von dieser durch das Zeugniss der Geschichte constatirten Gränze werden aus den Grabstätten der Vorzeit bloss Gegenstände von Stein, Eisen und Schmuckobjecte von Bronze der späteren Messing- ähnlichen Legirung gehoben. Zu den grössten archäologischen Seltenheiten gehört der Fund eines Keltes oder eines Palstabs von Bronze in der ungeheueren Landstrecke von den Karpaten und der Weichsel bis zum Ural, und vergeblich würde man in den zahlreichen archäologischen Publicationen der Russen und Polen nach Berichten über Fundobjecte dieser Art forschen. Ueber diese, für die Urgeschichte unseres Erd- theiles wichtige Thatsache, welche, in soweit mir bekannt, bisher noch nirgends berührt wurde, wird in meinem Werke über die Urzeit Böhmens ausführlich gehandelt werden. Hier glaube ich nur vorläufig andeuten zu müssen, dass nach meinem Dafürhalten ein grosser Theil jener in den alten Keltenländern gefundenen Bronzeobjecte phöni- eisches und altitalisches Fabricat sei, während gewichtige Gründe dafür sprechen, dass späterhin nach jenen Vorbildern ähnliche Bronze- gegenstände auch in Mitteleuropa von den Kelten verfertigt wurden. 0%) Vergl. Šafařík's Starožitn. Okr. I. č. II. $. 17. 77 Um Missverständnissen vorzubeugen, glaube ich bemerken zu müssen, dass Bronzeobjecte der antiken Legirung nicht als ausschlies- sendes Eigentbum des keltischen Stammes zu betrachten sind. Gegen- stände dieser Art kommen bekanntlich nicht bloss in Italien und Griechenland, sondern auch und zwar häufig im Norden Deutschlands, in Dänemark und im südlichen Schweden vor, ja Bronzeobjecte, genau derselben Form und Legirung, wie jene, die man in Italien, Frankreich, England, Böhmen und in Siebenbürgen findet, wurden an vielen Stellen der Küste Finnlands ausgegraben, während man im Innern dieses Lan- des, eben so wie in Polen und Russland bloss Werkzeuge und Waffen von Stein und Eisen antrifft.*) Daraus ergibt sich, dass die Bronze als Handelsartikel von den südlichen Völkern dem Norden Europas zugeführt ward, und dass die in diesen Gegenden aufgefundenen Bronzeobjecte auf die Spuren uralter Handelsverbindungen hinweisen. Welche Conseguen- zen aus dem Umstande, dass der Osten Europas keine Denkmale dieser Gattung aufzuweisen hat, für die älteste Ethnographie und Culturge- schichte des europäischen Ostens sich ergeben, leuchtet von selbst ein. In griechischen und römischen Quellenschriften tauchen nur we- nige und vage Andeutungen über die Bojer, welche sich in dem vom hercynischen Waldgebirge umwallten Bojohemum niedergelassen hatten, auf. Strabo berichtet, sich auf das Zeugniss des Posidonius berufend, **) die Cimbrer hätten auf ihrem Verwüstungszuge die Bojer, welche den hereynischen Wald bewohnten, angegriffen, wären aber von denselben geschlagen und gegen den Ister gedrängt worden (im J. 115 v. Chr.). Darauf zogen die Cimbrer zu den Skordiskern, wandten sich sodann in das Gebiet der Taurisker und von diesen zu den Helvetern; mit diesen vereint warfen sie sich auf Italien, wurden aber von Marius und Catullus (101 v. Chr.) bei Vercelli geschlagen und grösstentheils vernichtet. Die Schlacht, in welcher die Cimbrischen Räuberhorden von den Bojern besiegt wurden, fiel wahrscheinlich im heutigen Mäh- ren vor, weil der Strom der geschlagenen Cimbrer sich gegen die Donau, und sodann zu den Skordiskern, im Süden Pannoniens hin- wálzte. — Ueber die ferneren Schicksale der hereynischen Bojer gewáhren die alten Quellenschriften sonst keine Andeutung, bis auf *) Vergl. Finska Fornlemningar, of H. J. Holmberg, im: Bidrag till Finlands Naturkännedom, Etnografi och Statistik. 9 Hft. Helsingfors 1863. **) Strabo Geogr. VII. 2. 78 Julius Caesar, der in seinen Commentaren über den Gallischen Krieg berichtet, dass in dem Kampfe der Römer mit den Helvetern die Bojer ihren Stammverwandten Hilfe geleistet hatten. Nachdem Caesar die Helveter und ihre Bundesgenossen bei Bibracte geschlagen, gestattete er auf die Fürbitte der Aeduer, dass die übriggebliebenen Bojer, weil sie durch Tapferkeit besonders sich ausgezeichnet hatten, im Gebiete der Aeduer sich niederlassen durften. (Caes. Bell. gall. I. 28.) Es entsteht nun die Frage, ob jene bojischen Schaaren aus Bojohemum herbeigezogen waren, um den Helvetern in dem Kriege mit den Römern beizuspringen? Dunkel sind allerdings die wenigen Nachrichten, die sich über jene Vorfälle erhalten haben; aus der Combination derselben gelangen wir aber zu der Schlussfolgerung, dass zur Zeit, da Caesar mit den Helvetern kämpfte (im J. 58. v. Ch.), es gar keine Bojer in Bojohemum gab. Denn Posidonius, welchen Strabo (Geogr. VII. 2.) als Zeugen anführt, berichtet: Die Bojer hätten früher den hereynischen Wald bewohnt; als nun die Cimbrer diese Gegend an- griffen, seien sie von den Bojern gegen den Ister gedrängt worden. Posidonius schrieb in der ersten Hälfte des ersten Jahrh. vor Chr., zu jener Zeit war also Bojohemum nicht mehr von den Bojern bewohnt, denn sonst hätte Posidonius unmöglich sagen können, dieselben hätten früher (zeoregov) den hercynischen Wald bewohnt. *) Caesar er- wähnt, dass die Bojer, welche jenseits des Rheines wohnten, in das Gebiet der Noriker eingedrungen waren und Noreja belagert hatten, worauf sie sich mit den Helvetern gegen die Römer verbündeten. (Bojosque, qui trans Rhenum incoluerant, et in agrum Noricum trans- ierant, Noreiamque oppugnarant, receptos ad se socios sibi adsciscunt. B. G. I. 5.) — Ohne Zweifel steht der Einfall der Bojer in Noricum und sodann ihr Anschluss an die Helveter mit der Vernichtung der Bojerherrschaft im hercynischen Waldgebiete in naher Verbindung. Denn ebenso wie die Römer zu jener Zeit die südlichen Keltenvölker hart bedrängten, so wurden auch die nördlichen Keltenstämme von *) Damit stimmt Streber (Regenb. Schüss.) vollkommen überein, indem er schreibt: Da Posidonius bereits im J. 60 v. Chr. den Ausdruck zg012g0v ge- braucht, und auch die von Caesar erwähnten Wanderungen der Bojer, die doch sicherlich erst stattgefunden haben, nachdem sie ihre alten Wohnsitze ver- lassen, eine geraume Zeit in Anspruch nahmen, so müssen sie bald nach dem Jahre 113, (d.i. nach ihrem Kampfe mit den eindringenden Cimbrern) vertrieben worden sein. 79 den kriegerischen Hermunduren, Markomannen, Lygiern u. a. heftig bedroht, so dass jene, unvermögend einem solchen Andrange Wider- stand zu leisten, den Entschluss fassten Bojohemum zu verlassen, und in südlichen Gegenden sich neue Wohnsitze aufzusuchen. Die Bojerschaar, welche sich den Helvetern anschloss, und damals noch nach Caesars Angabe mit Weibern und Kindern 32.000 Köpfe zählte, war wie es scheint ein Theil der bojischen Auswanderer, welcher nach vergeblichen Eroberungsversuchen in Noricum, deren Misslingen einen bedeutenden Verlust an Menschen voraussetzt, sich den Helvetern angeschlossen hatte, um sich jenseits des Rheins neue Wohnsitze mit dem Schwerte zu erwerben. Der Umstand, dass Caesar auf die Für- bitte der Aeduer die Ansiedelung jener tapferen Bojerschaar im Ge- biete der Aeduer zwischen den Flüssen Elaver (Allier) und Liger (Loire) gestattete, bestätigt diese Vermuthung; denn wären diese Bo- jer aus Bojohemum den Helvetern zu Hilfe abgesendet worden, so hätten sie es wahrscheinlich vorgezogen in die Heimat zurückzukehren, als im fernen Lande die von Caesars Gnade ihnen gewährte Wohn- stätte zu beziehen. Wohin der Ueberrest der keltischen Bewohner Bojohemums ge- zogen, ob er durch das Schwert aufgerieben oder von anderen Völ- kerwellen verschlungen wurde, vermögen wir nicht anzugeben, denn die Geschichte der Römer, die alleinige Quelle der Völkerkunde jener Zeit, reicht nur so weit, als das Schwert der Römer reichte. Dass aber die gesammte keltische Bevölkerung Bojohemum verlassen hatte, ergibt sich aus der Analogie mit den Auswanderungszügen anderer Keltenstämme. Caesar erzählt (Bell. g. I. 5), dass die Helveter, nachdem sie die nöthigen Vorbereitungen zur Auswanderung getroffen, ihre Befestigungen, zwanzig an der Zahl, vier hundert Dörfer und alle einschichtigen Wohnplätze eingeäschert und den gesammten Ge- treidevorrath, den sie nicht mitnehmen konnten, verbrannt haben. Dasselbe thaten auch die Stämme der Rauraker, Tulinger und La- tobriger, die sich bei dieser Auswanderung den Helvetern ange- schlossen hatten. Dieses Verfahren mochten um so mehr die Bojer vor ihrem Auszuge aus Bojohemum befolgt haben, da sie wohl wussten, dass ihrer bisherigen Wohnsitze sich feindliche Völker bemächtigen werden. Aus dieser Darstellung dürfte somit einleuchten, dass die Bojer 80 bereits vor der Mitte des ersten Jahrh. vor Chr. jedenfalls vor dem J. 60 Bojohemum verlassen hatten, und aus diesem ergibt sich zu- gleich, dass die hercynischen Bojer unmöglich Theil nehmen konnten an dem Kampfe des Getenkönigs Boerebista mit jenem Stamme der Bojer, welcher in Pannonien um den Plattensee bis nach Noricum an- gesiedelt war. Der herrschsüchtige Getenfürst hatte im Vereine mit den Skordiskern diese Bojer am Flusse Patisus (Theis) im J. 48 v. Chr. auf das Haupt geschlagen, und das Land derselben so grausam verwüstet, dass dieses hundert Jahre wüste lag und nicht anders als deserta Bojorum genannt wurde. Kritasir war, wie Strabo (VI. 3.) berichtet, der König des von Boerebista vernichteten Bojerreiches. Dass die Ueberreste der pannonischen Bojer sich nach Böhmen ge- flüchtet, wie in unseren Geschichtsbüchern angeführt wird, ist eine Vermuthung, die gar keine Bestätigung in den Quellenwerken findet. Caesar kennt keine Bojer mehr im Norden der Donau, nur Volcae Tectosages sind ihm als Anwohner des hercynischen Waldes bekannt. Nicht unwahrscheinlich ist es, dass die Baimi, welche Ptolomaeus zwischen die Donau und die Luna silva setzt, Bojer waren, die in dem von der March und Donau eingeschlossenen Winkel ihre Zufluchts- stätte gefunden hatten. *) Endlich muss auf den Umstand hingewiesen werden, dass bei keinem alten Historiker von einem Conflicte Marobuds mit den in Bojohemum angesiedelten Bojern irgend eine Erwähnung vorkommt. Strabo berichtet (VII. 1): Hier ist auch der hercynische Wald und das Volk der Sveven, welche zum Theile auf dieser Seite des Waldes wohnen, wie die Kolduer (Kvaden?), in deren Lande der Königssitz Marobuds Buiaimon liegt, nach welchem Orte dieser unter mehren Anderen auch seine Stammgenossen, die Markomannen versetzte. **) *) Diese Baimoi hält Zeuss (d. Deutsch. 118) für ein deutsches Volk, und zwar für Sueben, welche nach dem Sturze der beiden Gewalthaber, des Ma- robod und Catualda, in die Gegend zwischen den Flüssen Marus und Cusus verpflanzt wurden. **) ori nei To Boviaıuov, 10 Tov Maoofovdov Pacihewov, eig Ov čneivog tonov aAlovg Te meravécrnce mhelovs, Kal Or) Toüg Ouoedveig Envr@ Mae- »ouuavovg.— Zeuss (die Deutschen S. 116) bemerkt dabei: „Bei Ptolomáus ist aus Bovlaıuov ein Volk Bawoyaiueı (Bovoyaiucı) erwachsen und durch ein zweites Missverständniss als ein von den Markomannen verschiedenes auf- geführt. Der Name ist durch ein eingeschaltetes v entstellt, wovon bei Ptol. 81 Daraus geht hervor, dass Marobud keine Bojer mehr in Bojohemum gefunden, sondern einige Stämme der Sveven, welche derselbe wahr- scheinlich mit Gewalt dahin brachte, seiner Oberherrschaft sich zu unterwerfen. Dass die bereits früher von svevischen Völkern ver- drängten Bojer nach keltischer, von Strabo geschilderter Sitte ins- gesammt mit Weib und Kind das Land verlassen hatten, bestätigt Tacitus durch die Worte: Manet adhuc Boihemi nomen, significatque loci veterem memoriam, quamvis mutatis cultoribus. (Germ. 28.) — Daher lässt die Stelle bei Tacitus (Germ. 42): Praecipua Marcomanorum gloria viresque atque etiam sedes pulsis olim Bois, virtute parta, nach meinem Dafürhalten keine andere Auslegung zu, als dass Marobud sich mit Gewalt in den Besitz Bojohemums setzte, aus dem schon vor Zeiten die Bojer vertrieben waren. Wenn man somit die Hypothese nicht gelten lässt, dass unsere Bojer Abkömmlinge der bei der ursprünglichen Einwanderung aus Asien am hercynischen Walde zurückgebliebenen Kelten waren, wofür die Geschichte keinen Anhaltspunkt bietet, sondern annimmt, dass dieselben einen Bestandtheil des von Sigoves geführten Keltenvolkes ausmachten, so würden dieselben vom J. 600 bis etwa 60 v. Chr. somit 540 Jahre Böhmen bewohnt haben, während sie nach der bisher fast allgemein geltenden Annahme vom J. 390 bis 12 vor Chr. d. i. 378 Jahre daselbst angesiedelt gewesen wären. Die Festsetzung der Einwanderung der Bojer in Bojohemum auf das J. 600 v. Chr. stimmt nicht bloss mit den historischen Quellen- schriften, sondern auch mit dem Typus und Charakter unserer antiken Bronze- und Münzfunde überein; hingegen würde es überaus schwer, ja beinahe unmöglich gelingen, diese archäologischen Objecte, die greifbaren, unverwüstlichen Denkmale uralten Völkerlebens, mit der Geschichte in Einklang zu bringen, wenn man bei der Ansicht, dass die grosse Keltenbewegung erst im J. 390 v. Chr. stattgefunden, ver- harren wollte. noch andere Beispiele vorkommen. Ueber die Sitze der Markomannen er- lauben keinen Zweifel die Bestimmungen des Ptolomäus: úmčěeo Tě Zoúdyre 807, Tevoroyoiuou. úmo dě ra den, Ovagioroi elra,n VůBonte Vin... úxo dž ıriv TáBontav Vinv, Maoxopavoí.. Hier ist kein Schwanken und hält eines das andere. : 6 Sitzungsberichte 1865. I. 82 Naturwiss.-math. Section am 20. März 1865. Anwesend die Herren Mitglieder: Weitenweber, Pierre, Amerling, Krejčí und v. Leonhardi; als Gäste die HH. Durége, Lieblein, Grün- wald und Lippich. Secr. Weitenweber las eine Abhandlung des Hm. C. Feistmantel, Hüttenverwalters in Břas: Beiträge zur Stein- kohlenflora von Radnic, folgenden Inhalts: In seiner Bearbeitung der Steinkohlenflora von Radnic in Böhmen lieferte Constantin v. Ettingshausen eine Zusammenstellung sämmtlicher bis dahin, sowohl von früheren Forschern, namentlich von Grafen Caspar v. Sternberg und Corda bekannt gemachten, als auch der von ihm selbst in der Umgebung von Radnic aufgefun- denen Pflanzenreste. — Diese Zusammenstellung weist, mit Ausschluss der verschiedenen vorgekommenen Frůehte und Samen, 115 Species aus. Zugleich ist bei jeder Species die Localität angeführt, an wel- cher dieselbe in der Umgebung von Radnic bis dahin gefunden worden ist. — Seitdem haben sich mehrere der Pflanzenarten auch an Loca- litäten gefunden, an denen sie früher nicht bekannt waren. Nach Bestimmungen, die von der k. k. geologischen Reichsanstalt in Wien gemacht und im Jahrbuche derselben (XII. Band, Jahrgang 1861 —1862 Seite 142—143) veröffentlicht wurden, sind mehrere Spe- cies, die früher bloss im Mošticer Becken bekannt waren, auch im Břaser Becken sichergestellt. Es sind folgende: Neuropteris acutifolia Brong. i rubescens Sternb. Sphenopteris acutiloba Sternb. Cyatheites arborescens @öpp. č oreopteridis GGópp. Syringodendron pes capreoli Sternb. Lepidodendron dichotomum Sternb. i aculeatum Sternd. u Haidingeri Ett. a undulatum Sternb. Lepidophloyos laricinum Sternb. . Ebenso sind mehrere, früher nur im Mošticer Becken gekannte ‚Species im Becken bei Syina neu aufgefunden worden, und zwar: 83 Neuropteris Lashii Brong. Pecopteris pennaeformis Brong. Cyclopteris orbicularis Brong. Lepidodendron Haidingeri Ett. Cyatheites oreopteridis Gópp. Lepidophloyos laricinum Sternb. Ausserdem ist Nöggerathia foliosa, bisher nur von Wranowic aus dem Břaser Becken bekannt, nun auch von Svina in meinem Besitze. Neben dieser Ergänzung der Local-Flora der einzelnen Locali- täten ist dieselbe aber auch durch mehrere, hier früher gar nicht bekannt, gewesene, somit für die Flora von Radnic neue Species be- reichert worden; die ebenfalls durch Bestimmungen der k. k. geolo- gischen Reichsanstalt ermittelt, in demselben 12. Bande des Jahr- buches aufgeführt sind. Diese sind für das Břaser Becken: Sphenopteris latifolia Brong. X fragilis Brong. Cyatheites Miltoni Gópp. s dentatus Gópp. Pecopteris silesiaca Göpp. Sigillaria trigona Sternb. Knorria Sellonii Sternb. für das Becken von Svina: Sphenopteris spinosa Gópp. Cyatheites Miltoni Gópp. Sigillaria Sillimani Brong. endlich für die Localität bei Chomle: Woodwardites acutilobus Göpp. Alethopteris nervosa Gópp. Mit diesen Entdeckungen ist die Flora von Radnic im Ganzen um 11 neue Species bereichert worden. Ist diese Bereicherung an und für sich interessant, so ist es nicht minder die Sicherstellung früher nur an einer Localität bekann- ter Arten auch an anderen Fundorten, weil dadurch die mehr gleich- förmige Verbreitung der Species nachgewiesen wird, obwohl man die- selbe erwarten konnte, da gleichzeitige Schichten eine weitere, über mehrere Becken in der Umgebung von Radnic reichende Verbreitung besitzen. So gehören die Schichten des Mošticer Beckens einer und derselben Periode mit einem grossen Theile der im Braser Becken entwickelten Schichten an, und es war zu erwarten, dass die von Mostic bekannt gewordenen Species im Břaser Becken nicht gänzlich fehlen sollten. 6* 84 Dagegen gehört die Bildung des Beckens von Svina einer älteren Gruppe an, und es werden sonach durch die Auffindung von, im Mo- šticer Becken bekannt gewordenen Species, auch in diesem, eine grössere Schichtenfolge gemeinschaftlich durchsetzende Arten con- statirt. Neuerer Zeit hat sich Alethopteris Sternbergi Gópp. und Alethopteris muricata Gópp., früher nur bei Svina und in dem diesem entsprechenden Schichtencomplexe von Chomle bekannt, ebenfalls im Břaser Becken, und zwar in den der jüngeren Schichtengruppe ange- hörigen Schieferthonen gefunden. | Interessante neue Entdeckungen stammen aus der letzten Zeit her, und ist durch sie die Flora von Radnic nicht unwichtig vermehrt worden. Die Bestimmungen dieser neu aufgefundenen Species ver- danke ich der Güte des Hrn. Prof. Dr. B. Geinitz in Dresden. — Er erkennt in denselben: Sphenopteris coralloides Gutb. Caulopteris giganteus L. H. Sigillaria Knorri Brong. und eine neue Sigillarien-Species, von Herrn Prof. Geinitz nach dem Berichterstatter benannt. Davon stammen erstere Art aus dem Gr.- Lochowicer, die letzteren drei sämmtlich aus dem Bfaser Becken. Ferner erkennt Hr. Geinitz bisher noch nicht gekannte Frucht- stände der Nöggerathia foliosa und mit Wahrscheinlichkeit Fruchtähren einer Sigillaria; beide dem Břaser Becken entnommen. Der bemerkenswertheste Fund ist aber ein Graminites, ein von Geinitz als solches erkanntes wirkliches Gras. — Die in Bronn’s Lethaea geognostica unter den Gramineen aufgeführte Art Poacites wird dort selbst für die Steinkohlenformation mehr als zweifelhaft erklärt, und so dürfte der Fund von Bras das erste in der Steinkoh- lenformation vorgekommene und daher das älteste ächte Gras sein. Der Flora von Radnic sind durch diese Bestimmungen wieder fünf neue Arten und zwei bisher nicht bekannt gewesene Fruchtstände zugewachsen. — Endlich haben sich von früher nicht bekannten Arten vorgefunden: Adiantites giganteus Gópp. und eine neue Species Huttonia. (?) Die bereits früher bekannte Huttonia spicata Sternd. unterscheidet sich von dieser Art durch bei weitem grössere, deutlich und weit von einander stehende, getrennte schuppenartige Blättchen, welche die Uda 85 weit grösseren Glieder des Fruchtstandes umgeben, und durch eine in die Spitze zulaufende Aehre. Die neue Art ist nur in wenigen Exemplaren vorgekommen; davon ist das grösste, an dem jedoch das untere Ende der Aehre nicht erhalten ist, 44 Zoll lang, fast einen Zoll breit. Die Spitzen der Aehren sind flach abgerundet, fast gleich -breit mit der Aehre; diese letztere überhaupt gegen die Spitze zu sich wenig verschmälernd und stets etwas gekrümmt. Die Exemplare sind flach gedrückt, waren mit einer sehr dünnen, staubartigen Koh- lenrinde überzogen, die sich nicht erhält und einen nur schwachen Abdruck zurücklässt. — Indessen ist die Gliederung der Aehre deut- lich genug erhalten. Die Glieder sind kaum 1+ Linie lang, zeigen undeutliche, auf die Querstreifung senkrecht gestellte etwas erhabene Linien, welche auf, die Glieder umgebende, bracteenartige gekielte Blättchen deuten. Spuren dieser Blättchen sind noch vorhanden; sie sind vom Grunde aus unter einander verwachsen und laufen oben in getrennt neben einander stehende kurze Spitzen aus, welche mit ziemlich langen, nicht steifen Grannen versehen sind; diese sind be- sonders deutlich an der Seite und der Spitze des Aehrenabdruckes erhalten; sind jedoch nur bei einem einzigen Exemplare deutlich zu beobachten. — Der durch die Verwechslung der einzelnen Bracteen entstandene häutige Rand ist fein gestreift. Die Charactere dieser Aehren stimmen mit der von Germar (Die Versteinerungen des Steinkohlengebirges von Wettin und Löbejün, 7. Heft) beschriebenen und (auf Tab. XXXII. Fig. 1.) abgebildeten Art vollkommen überein, müssen sonach als Huttonia carinata Germ. erkannt werden. — Germar konnte eine Verwachsung der Blättchen, obwohl ihm eine solche angedeutet schien, nicht mit Bestimmtheit behaupten. In unseren Exemplaren ist dieselbe deutlich ausgesprochen. Sowohl Adiantites giganteus, als Huttonia carinata sind in den Schichten der oberen Gruppe des Břaser Beckens gefunden worden. Die Flora von Radnic ist demnach seit C. v. Ettingshausen’s Zusammenstellung (a. a. O.) um 18 neue Arten und 2 neue Frucht- stände bereichert worden; davon entfallen: 1 auf die Ordnung Cala- miteae, 11 auf die Filices, 4 auf die Sigillarineae, 1 auf die Lycopo- diaceae und 1 auf die Gramineae. Mehrere noch unbestimmte Arten liegen vor, und lassen eine weitere Bereicherung dieser Flora hoffen. 86 Hr. Dr. A. Grůnwald (als Gast) hielt einen Vortrag über die imaginären Grössen im Allgemeinen, wobei er einige neue eigenthümliche Definitionen der hieher einschlägigen Termino- logie aufstellte, deren weitere Ausführung aber auf ein anderes Mal sich vorbehielt. Das ausserord. M., Hr. Amerling entwarf in allgemei- nen Umrissen eine Skizze der bemerkenswerthesten Eigenthümlichkeiten der einzelnen Kreise Böhmens, namentlich in geographischer, naturökonomischer und anthropologischer Beziehung unter den Namen von Naturscenarien. Eine Fortsetzung des betreffenden Gegenstandes im Speciellen wurde für eine der nächsten Sitzungen vorbehalten. Im März 1865 eingelaufene Druckschriften. Wilh. Kaulich Geschichte der scholastischen Philosophie. Prag 1863. I. Theil (vom Hrn. Verfasser). A. Erman’s Archiv für wissenschaftl. Kunde Russlands. Berlin 1865. XXIII. Band 4. Heft. Poggendorfi’s Annalen der Physik u. Chemie. Leipzig 1865. Nr. 1. Magazin der Literatur des Auslandes, von Jos. Lehmann. Berlin 1865. Nro. 9—12. Atti dell’ I. R. Istituto Veneto di scienze etc. Venezia 1864—65. Tom. X. disp. 1, 2, 3. Centralblatt für die gesammte Landescultur. Prag 1865. Nro. 7. Wochenblatt der Land-, Forst- und Hauswirthschaft. Nro. 9. Hospodářské Noviny. V Praze 1865. XVI. ročník, číslo 9. Anzeige der Vorlesungen und des Personalstandes am Polytech- nischen Institute des Königreiches Böhmen. Studienjahr 1864—65. Jos. Al. Freih. v. Helfert, Die Schlacht bei Kulm 1813. Wien 1863. (Vom Hrn. Verfasser.) Dess. Russland und Polen in ihrem politischen und confes- sionellen Antagonismus. I. Abth. Wien 1861. (Aus der „österreichischen Revue.“) Archives des missions scientifigues et litéraires. Paris 1861. I. Tome, livr. 2. ER a 87 Sitzungsberichte der k. bayr. Academie der Wiss. Můnchen 1864. II -2. Heft. Journal of the Academy of natural Sciences of Philadelphia. 1863. V. Vol. part 2 and 3. Denkschriften der kais. Academie der Wiss. in Wien. Math.- naturwiss. Classe. XXIII. Band. — Philos.-histor. Classe. XIII. Band. Wien 1864. Almanach der kais. Academie für das J. 1864. XIV. Jahrgang. AL V. Šembera Základové Dialektologie česko-slovanské. Ve Vídni 1864. | Tabulae codicum manu scriptorum etc. Vindobonae 1864. Vol. I. Sitzungsberichte der philos.-histor. Classe XLV. Band. 2, 3. — XLVL 1, 2, 3. — Mathem.-naturwiss. Classe. Jahrg. 1864 I. Abthl. Febr.— Juni, Jahrgang 1863 II. Abtheil. December, Jahrgang 1864 Febr. —Juli. \ Zeitschrift der deutschen geolog. Gesellschaft. Berlin 1864. XVI. Bandes 3. Heft. Abhandlungen der königl. Academie der Wissenschaften zu Berlin Vom Jahre 1863. Verzeichniss der Abhandlungen gelehrter Gesellschaften usw. Berlin 1864. Crelle’s Journal für die reine und angewandte Mathematik. Berlin 1865. LXIV. Band, 2. Heft. Bulletin de la Societé geologique de France. Paris 1864. XXI. Tome feuill. 14—23. Notice sur les travaux scient. de Marquis Anatole de Caligny. Notice historique et critique sur les machines a compression d’air du Mont Cenis, par leM. Anatole de Caligny. Turin 1860 (Vom Hrn. Verfasser.) B. Silliman The American Journal of Science. New Haven 1865. Vol. XXXIX. Mittheilungen der k. k. geograph. Gesellschaft. Wien 1863. VII. Jahrgang. Franc. Mich. Karlinski Hestiae planetae minoris elementa nova etc. Cracoviae 1865. Bulletin de la Societé Imp. des Naturalistes de Moscou. 1864. Nro. 4. 88 Philosophische Section am 3. April 1865. Gegenwärtig die Herren Mitglieder: Hanuš, Winařický und - Freiherr v. Leonhardi. Das ordentl. Mitglied Hr. Hanuš sprach über die Wesen- heit der slavischen Gottheit Svatovít und der Verbrei- tung von deren Gultus auch über Böhmen. Zuerst wendete sich der Vortragende zur Etymologie ne Na- mens Svatovit. Dieser Name hatte schon manigfache Deutungen erfahren, da namentlich die Sylbe Vit von mehreren Stämmen oder Wurzeln ableitbar ist. In der Deutung des Wortes Svaty in „Swanto- Vitus“ stimmen alle Etymologen überein, es mit dem altslavischen svete conferirend, dessen Bedeutung: heilig, in den Compositis aber auch: vollständig, stark, gross u. dg. ist, wie denn auch das deutsche Wort heil-ig ursprünglich so viel, wie heil (sal), ganz, kräftig bedeutet. Das Wort Vit wurde aber bald zum Worte vítěz, altslav. vit-ezs, Sieger, bald zum altslav. Worte vit-ija, Redner bezogen, wodurch Svatovit entweder zum heiligen, mächtigen Sieger oder zum heiligen, machtvollen Redner (als Orakelgott) wurde. Doch sind diese beiderlei Bedeutungen nur abgeleitete und weichen den beiden ursprünglichen, die in unseren Tagen von den Wurzeln selbst hergenommen werden; denn einige Mythologen leiten den Namen von vit, leuchten, Licht (böhm. vit-ice, Kerze), andere von vět, athmen, bewegen, Luft, ab, wobei die ersteren Svato-Vit d. i. heiliges, mächtiges Licht als den Sonn en-gott betrachten, während er den Andern heilige, reine Luft, sohin Luftgott und conform dem deutschen W u ot-an, Odbin, ist. Von rein etymologisch-grammatischer d. h. bloss formeller Seite scheint die eine Herleitung eben so wie die zweite gleich berech- tigt zu sein, da man den Namen Vít selbst nicht in der alterthümlichsten Form, sondern zumeist nur in den Chroniken Helmold’s und Saxo Grammaticus, die dem 12. Jahrh. entstanımen, und in den Vace- rad’schen Glossen der Mater Verborum vom J. 1302, dort als Swan- to-Vitus, hier als suatouyt, zuatouit, suatouit verzeichnet findet. Zur Begründung der Etymologie müssen sohin andere histo- rische Notizen, die sich über Svatovit erhalten haben, herbeigezogen werden, wohin namentlich die Beantwortung der Frage gehört, ob Svatovit ein allgemein slavischer Gott, oder nur ein Localgott, namentlich er « “ 7 n 0 4 89 der Elbeslaven im 11. oder 12. Jahrhunderte war. Mag er nun aber entweder der Sonnengott oder der Luftgott gewesen sein, so ist es sicher, dass er ein allgemein-slavischer Gott war, da diese beiden Göttergestalten in keinem Götterkreise der indisch-europäischen Völker- familie fehlen können, wenn er auch etwa nicht bei allen Slaven nur unter diesem Namen verehrt worden sein mag; ja es muss behauptet werden, dass er überall im Götterkreise eine hervorragende Stelle einnahm, wobei es sich wiederum darum rechten liess, ob er überall die erste Stelle einnahm, da gewiss die Mythologien der einzelnen slavischen Völker nicht nur örtlich, sondern auch zeit- lich bedeutend verschieden waren. Aber fehlen konnte er nirgends, dies kann man aus den schlagenden Analogien der indoeuropäischen Sprachen- und Sagenkreise mit Sicherheit folgern. Dass sein Name sich nicht überall, sondern nur bei den westlichen Slaven (den Elbeslaven und Böhmen) erhielt, ist durch die Ungunst der Zeiten entstanden, die so vieles culturhistorisch wichtige verschlang: die Wurzeln seines Namen leben aber bei allen Slavenvölkern bis zur Gegenwart. Das Auffallende, dass er unter den vielen erhaltenen Namen russischer Götter sich nicht befindet, ist kein fester Ge- genbeweis, aus dem eben berührten Grunde, und mythologisch hindert nichts, seine Wesenheit hinter dem verbreiteten slavischen Götter- namen Volos, Veles zu vermuthen, der in russischen Quellen dem Götternamen Perun so gerne an die Seite gesetzt wird, in welchem Namen Volos oder Vološ sich sogar etymologisch der griechische Göttername Ares erhalten haben kann. Auch Vacerad glossirt Ma- vors, Mars mit Svatovit. Dass jedoch Vacerad den Namen Svatovit nicht den polabischen Chroniken entnahm, wie gleichfalls schon be- hauptet wurde, um die Verehrung Svatovit’s in Böhmen bestreiten zu können, folgt schon aus dem Umstande, dass ihn Vacerad nicht in der polabischen Form mit dem ausgesprochenen Nasallaute, wie er getreu gewiss gethan hätte, sondern in der böhmisch-nationalen Gestalt ohne jeden Nasallaut und zwar dreimal in seinen Glossen, einmal sogar mitten im Texte wiedergibt. Hätte Vacerad, der so viele böhm. Götternamen uns erhalten, die polabischen Chroniken überhaupt zu seinem Musterbilde vor sich gehabt, so hätte er auch andere polabische Götternamen unter seinen Glossen angeführt; was nicht geschah. Der Namen Veles, den wieder die Polaben 90 nicht kennen, kennt er als Pan, ein Beweis, dass er dessen ehema- lige hohe Bedeutung noch ahnte, obwohl er von seinem Verháltniss zu Svatovit nichts mehr weiss, was gewiss nicht Wunder nehmen kann, wenn man bedenkt, dass er erst im J. 1502 schrieb, da selbst mitten im Heidenthum die inneren Wechselbeziehungen der vielnamigen und vielgestaltigen Götter wohl nur wenigen bekannt waren. Gegen die Ableitung des Namens Vit von vitice, Kerze, erhebt sich dazu noch ein etymologisches Bedenken. Allerdings heisst altböh- misch vitice, Leuchte, lucina: allein es ist fraglich, ob darin die Wurzel Vit in der Bedeutung des Lichtes ruhe, da diese von den slavischen Etymologen in die Wurzel si, im altslav. si-jati, leuchten, glänzen, pro-sin-ec, Lichtmonat, s vit-ati, leuchten, Licht verlegt wird. Vitice, die weibliche Form von vitec, svitec, kann ursprünglich auch nur das gewundene bedeutet haben, da man Holzgeflechte eben so als Brenn- und Lichtstoff benützen konnte, wie man es mit Spänen annoch thut. Heisst es ja doch in der Königinhofer Hand- schrift ausdrücklich: „vsie dfiezhy, lúčky sežžech“, ich habe alle Späne und alles Kienholz verbrannt, als das harrende Mädchen ver- gebens ihren Geliebten bis zum Morgenanbruche erwartete; wenn es nicht etwa vorzuziehen ist, hier lůčky in der ursprünglichen Bedeu- tung von Leuchte zu nehmen (Wurzel luk, altslav. luča, radius) und: ich habe alle Späne, die leuchtenden, verbrannt, zu übersetzen. In der That heisst vitica serbisch noch heutzutage das gewundene, z.B. ein Fingerring, eine Haarlocke, und russisch vitvina eine Gerte zum Flechten, ein Zweig, wie böhmisch větvina, větev. Für die Etymologie des Wortes Vit von vě, flare, spirare, woher das allen Slaven bekannte Wort altslav. vetrs für vě-ti-s, Luft, Wind (cf. Winter) gleichfalls stammt, spricht aber der historische Umstand, dass Saxo Grammaticus in seiner Chronik beim Cultus des Svantovit ausdrücklich sagt: „Der Hohepriester, dem es allein gestattet war, das Adyton des Gottes zu betreten, musste den Tag vor dem Feste das Heiligthum sorgfältig reinigen und zwar so, dass er, wenn ihm das Bedürfniss zu athmen kam, hinausgehen musste, weil er innerhalb des Ortes nicht ausathmen durfte, damit die Gegenwart des Gottes durch den menschlichen Hauch nicht verunreinigt würde.“ Diese Nach- richt passt denn doch -nur auf den Gott der reinen, heiteren Luft, keineswegs aber auf den Sonnengott; darauf weiset auch 91 dessen Vierköpfigkeit nach den 4 Weltgegenden, da der Sonnen- gott nur 2 Weltrichtungen (Ost - W :t) beherrscht, darauf das Sattel- zeug in seinem Tempel, darauf das weisse Pferd, worauf der Gott Nachts gegen seine Feinde kämpfte, da doch von einer Wirksamkeit des Sonnengottes in der Nacht kein Mythus sprechen wird, wohl aber von der Wirksamkeit des Luftgottes, die in der Sage vom Wuotans-Heere d. i. vom wüthenden Jäger in ganz Europa noch heute fortlebet. In den Sagen aller slavischen Völker kömmt dessen mythische Gestalt gleichfalls vor, z. B. in den häufigen Varianten von den drei Schwägern, dem Könige des Mondes, der Sonne und der Luft, wobei immer der Luftkönig es ist, der den besten Rath zu er- theilen im Stande ist, da er überall, auch dorthin zu dringen vermag, wohin der Sonne und dem Monde der Zugang unmöglich wird. Auch der polabische Svatovit war ein mächtiger Orakelgott und zwar einer der berühmtesten, wie die Chronikenschreiber ausdrücklich er- wähnen, ja sein Name Vit erscheint eben so in dem slav. Namen vět-rs, Wind, wie in den Worten altslav. větii, Redner, vět, Ver- sprechen, Vertrag und dgl. Nach H. Jireček's altböhm. Rechte ist vítěz auch Rechts- und Gesetzkundiger, welches Wort Vacerad schon mit heros glossirt, und der mythische Ausdruck: věščby vitezovy in der Grünberger Handschrift, d. i. Wahrsagungen des Vítěz, hat zweifelsohne eine Beziehung auf diese mythische Grundlage. Es ist auch gewiss nicht gering anzuschlagen, dass die ersten Heidenbe- kehrer den heiligen Vitus, den heiligen Veit hauptsächlich des Na- mens halber an die Stelle des alten heiligen Vit zu substituiren trach- teten; da sonst keinerlei innere Beziehungen zwischen dem den Slaven- völkern ganz. fremden heiligen Veit und dem mächtigen, alten Svato- Vit stattfanden, wie denn auch die Gründung der Kathedrale zu Prag unter dem Namen des hl. Veit eine Verehrung des alten Vit in der Heidenzeit auf den Höhen des Hradschin vermuthen lässt. Trotz dem, dass dort schon zwei»ältere Kirchen stunden, die Marienkirche nämlich und die Kirche des hl. Georg, ward doch diese Veitskirche die Kathedrale des Landes. Die Sagen, die ehemals in Böhmen von dem Gotte Vit circuliren mussten, wurden später auf den ersten Gründer der Veitskirche, auf den hl. Wenzel (Václav) übertragen, denn noch heute weiss sich das böhmische Volk nicht genug zu er- zählen von dem bergentrückten hl. Wenzel, wie er mit seinem 92 Rittergefolge, den Wenzelsrittern, in dem Berge Říp und Blaník schlummere und dem Lande einst siegreich zu Hilfe eilen werden, eben so wie die deutschen Sagen ihren Wuotan in der Gestalt Karl des Grossen mit dem weissen Barte fortleben lassen, der gleichfalls im Unterberge und im Odenberge schlummert. Dies alles, so dünkte es den Vortragenden, seien Beweisstellen genug, die da rechtfertigen sollten, den slavischen Swanto-Vitus als ursprünglichen Luftgott aufzufassen und dessen Parallelisirung mit dem deutschen Wuotan zu gestatten, dessen Namen noch dazu auf eine ähnliche Wurzel, dem Laute und der Bedeutung nach führt, wie die des slav. Vit. Der Vortragende wollte jedoch dadurch keines- wegs behaupten, dass die mythische Gestalt Vit’s etwa mit der mythischen Gestalt des Lichtgottes in keiner Beziehung stünde, was schon aus der Bedeutung des Gottes der reinen Luft folge- richtig sich ergäbe, wenn auch nicht die Wesenheit des Vit’s als „des Gottes der Götter“, als des Urgottes, auf diese und auf seine Beziehung zum Donnergotte Perun hinweisen würde, deren aus- führliches Detail er in der mythologischen Alhandlung: Nästin ba- ječných bytostí: Baby a Děda (Prag 1864 in den Abhandlungen der kön. böhm. Gesellschaft der Wissensch. V. Folge, 13. Band) nieder- gelegt hatte. Und so möge denn, so schloss der Vortragende, die Bedeutung des Svato-Vit’s, als des Gottes der mächtigen Luft, die der Böhme noch heutzutage mit anderen Slaven: boží duch d. i. Gottes Hauch, Gottes Odem nennt, zur Kritik nochmals und angelegentlich anempfohlen werden. Historische Section am 24. April 1865. Anwesend die Herren Mitglieder: Weitenweber, Höfler, Wina- řický, Storch und Dastich; als Gäste die Herren Kreuzberg, Kraut- schneider und Schindler. Das ordentl. Mitglied Hr. Höfler hielt folgenden Vortrag über K. Napoleon’s Geschichte des Julius Cäsar. Wenn ich es wage, die Ergebnisse meiner Studien über ein Werk mitzutheilen, das durch seinen Gegenstand ebenso bedeutend ist, als durch seinen Verfasser, so erkenne ich vollkommen an, dass Andere un- gleich mehr als ich berechtigt sind, hierüber öffentlich zu sprechen. an Na 93 Warum diese schweigen, habe ich nicht zu untersuchen. Meine Auf- gabe kann auch nur sein, die innere Berechtigung des neuen Principes zu erwägen, welches der kaiserliche Autor in die Behandlung der Geschichte einführte, und zu untersuchen, welche Bereicherung an geschichtlicher Wahrheit wir dadurch erlangten. Ist es unsere Pflicht Sorge zu tragen, dass, was gesagt wird, eines Cäsars würdig sei, *) so haben wir auch ein Recht zu verlangen, dass ein mit kaiserlichen Mitteln unternommenes Werk den bisherigen Stoff erweitere und nicht bloss neue Gesichtspunkte gewähre, sondern diese auch erweise. In dem grossen Gebiete der Literatur hört, wie auf dem Schlachtfelde, der Unterschied des äussern Ranges auf. Auf dem Schlachtfelde, meinte Napoleon I. in einem Tagsbefehle, gibt es keine Prinzen. In der Literatur gibt es keine privilegirten Stände oder Personen, welche sich über die allgemeinen Gesetze der Forschung erschwingen könnten. Hier ist gleiche Pflicht für Alle, das gleiche Ziel ist Allen vorgezeichnet, und wer einen Nebenzweck erreichen will, muss es sich selbst zuschreiben, wenn die Wahrheit ihn flieht. Alle rufen sie an, aber nur Ein Weg, der der Selbstverläugnung führt zu ihr. Die römische Geschichte hat besonders durch zwei characteristische Momente stets eine ungemeine Anziehungskraft auf Männer von streng gelehrter Bildung, so wie auf diejenigen ausgeübt, welche, im prak- tischen Leben wohl erfahren, einen vorübergehenden oder dauernden Einfluss auf Staatsverhältnisse ausübten. Einmal durch ihre grosse innere Einheit und Abgeschlossenheit, wodurch sie die griechische Geschichte bei Weitem überragt; dann insbesondere dadurch, dass sie mehr als jede andere sich von der blossen Stadt- Volks- und Staats- geschichte zum Range einer universellen erschwang, alle übrigen, wahrhaft lebensvollen Völker des Alterthums allmälig erfasste, sie selbst einsargte, das Alterthum fertig machte und mit ihrer eigenen Beendigung eine neue Zeit hervorrief. Niemand kann sich ferner ver- hehlen, dass das Studium der römischen Geschichte ganz andere Er- fordernisse erheischt als das der hellenischen; und verlangt letztere neben den sprachlichen Kenntnissen auch vorzugsweise ästhetische und philosophische, einen tiefen Einblick in jene Thätigkeit des Seelenlebens, aus welcher die grossartigen Erzeugnisse der redenden und bildenden Kunst hervorgehen, so erfordert das Eindringen in den Geist der *) Silvae sint consule dignae. 94 römischen Geschichte einen gereiften männlichen Verstand, eine nicht gewöhnliche Kenntniss des Völker- und Staatenlebens, eine hervor- ragende juristische Bildung, eine politische Erfahrung, wie sie nur aus unmittelbarer Betheiligung an Regierungsverhältnissen entsteht, will man weiter gelangen als zu dem blossen Formalismus, dem äusseren Rahmen der Geschichte Rom’s. Unwillkürlich wird man hiebei an die Worte erinnert, welche kurz vor der Beendigung seines sturmbewegten, thatenvollen Lebens Dr. Martin Luther aussprach : Virgils Bucolica könne Niemand verstehen, der nicht 5 Jahre lang Hirt, seine Georgica nur, wer 5 Jahre lang Bauer gewesen; Cicero’s Briefe nur, wer 20 Jahre lang in einer grossen Republik gelebt — wobei wir die Anwendung, welche der Reformator auf die Erkenntniss der hl. Schrift macht, wie natürlich als nicht hieher ‘gehörig weglassen. Da ist es denn ganz begreiflich, dass wir unter den genialen Bearbeitern der römischen Geschichte, den Vorgängern Napoleons III., den grossen Staatssecretär der florentinischen Republik Niccoló Macchiavelli finden, der im Ge- gensatze zu dem Kaiser der Franzosen die emporstrebende, nicht die absterbende Republik, den Uebergang Roms vom Königthum zur Re- publik, nicht den Uebergang der Republik zum sittlich verworfenen aber dennoch innerlich berechtigten Cäsarismus zum Gegenstande seiner „discorsi“ machte und siegreich nachwies, dass Rom gross wurde, weil die beiden Völker in seinem Innern sich im entscheidenden Au- genblicke verstándigten, nicht aber in der gegenseitigen Befehdung die Aufgabe Roms erblickten. Wir zählen dazu nicht bloss den Fi- nanzmann und Gesandten Niebuhr, welcher den reichen Abend eines politisch-thätigen Lebens der römischen Geschichte widmete; vor allem aber den Präsidenten von Montesquieu, den Verfasser der „considera- tions“, welche noch so grossen Werth besitzen, dass der Verfasser der Geschichte Cäsars, wo er von der sittlichen Weltordnung spricht, nach den ersten Sätzen der berühmten Vorrede nur an der Hand dieses hohen Beamten des ancien régime die literarische Arena betritt. Nicht als wenn der Kaiser ein Bedenken trüge, den eigenen Standpunkt schon in der Vorrede sehr klar und selbst polemisch aus- einander zu setzen, nachdem er mit einem Satze begonnen — dass die historische Wahrheit so heilig gehalten werden sollte als die reli- giöse — der, so wie er lautet, freilich nur als Phrase betrachtet werden kann; denn Niemand wird einsehen, warum gerade die historische x, ol 95 Wahrheit diese Auszeichnung verdienen solle, die doch ungleich we- niger sicher gestellt ist als z. B. die mathematische, und schon deshalb der religiósen nicht gegenůber gestellt werden kann, weil diese einem ganz anderen Gebiete, dem Glauben und der Autorität, nicht aber der Wissenschaft angehört, welche auch die Autorität eines Kaisers nicht annimmt, ohne sie geprüft und bewährt zu haben. Wenn ausserordentliche Thaten ein eminentes Genie darthun, so lautet die Darlegung des kaiserlichen Systems, so ist dem richtigen Sinne nichts mehr entgegengestellt, als ihm alle Leidenschaften und Gefühle mittelmässiger Persönlichkeiten anzudichten; nichts falscher, als nicht die Bevorzugung jener privilegirten Wesen anzuerkennen, welche in der Geschichte wie Leuchtthürme erscheinen, die das Dunkel ihrer Epoche erhellen und die Zukunft beleuchten. Diesen Vorzug läugnen zu wollen, hiesse der Menschheit eine Unbilde zufügen, indem man sie fähig hält in die Länge und freiwillig eine Herrschaft zu bestehen, die nicht auf wirklicher Grösse und einem unbestreitbaren Nutzen beruhte. Seien wir logisch, so sind wir auch gerecht. Woran er- kennt man aber, frägt der Kaiser — nachdem er sich über einige abge- schmackte Suppositionen ausgelassen, welche schon die Alten Cásar's Thaten unterbreiteten, — dass der britannische Krieg begonnen wurde um Perlen zu gewinnen, aber auch seine Ermordung wegen des angeb- lichen Strebens nach dem Königthum gleichfalls zu diesen falschen Sup- positionen hinzugezählt wurde, woran erkennt man die Grösse eines Man- nes? An der Herrschaft seiner Ideen, wenn seine Principien und sein Sy- stem auch trotz seiner Niederlage oder seines Todes triumphiren. — Wir wollen nicht fragen, ob in diesen Sätzen nicht ein leiser Widerspruch liege, wenn einerseits als Beweis der Theorie von den privilegirten Wesen gesagt wird, die Menschheit hätte sich sonst die Herrschaft derselben in die Länge nicht gefallen lassen, und andererseits denn doch zugegeben werden muss, dass die eines Cäsars abgeschüttelt wurde, hierauf aber der Satz folgt, man erkenne die Grösse eines Mannes an der Herrschaft seiner Ideen und ihrem Triumphe auch nach seiner eigenen Niederlage. Consequent d. h. logisch ist, dass Cäsars Ermordung nicht seinem Streben nach dem Königthume zugeschrieben werden darf, indem sonst seine „wirkliche Grösse“ eine Beanständung finden könnte. Es ist nun wohl unbestreitbar, dass ein neues System nur dann Bürgerrecht erlangen kann, wenn es sich von den Fehlern des alten frei zu halten und 96 Aufschlůsse zu geben vermag, welche nach anderen Principien nicht gewonnen werden können. Es ist gewiss ebenso richtig, dass, wenn in der wissenschaftlichen Durchführung eines Systemes Fehler im Ein- zelnen gemacht werden, diese weder der Güte des Systems Eintrag thun, noch als Beweismittel gegen seine Richtigkeit gebraucht werden dürfen. Wohl aber steht und fällt ein neues System, wenn die Be- weise, auf die es sich stützt, sich als unzulänglich oder gar als irrig erwiesen. Speciell für Cäsar und zur Beweisführung für die Richtigheit des Systemes von den privilegirten Wesen wird nun als schlagender Beweis von der Herrschaft der Ideen auf eine Stelle Cicero’s hingewiesen, wel- cher als Gegner Cäsars wider seinen Willen Zeugniss von der Macht sei- ner Gedanken abgelegt habe, da der Einfluss des Gemordeten grösser war als der des Lebenden. Toutes les actions de César, ses écrits, ses paroles, ses promesses, ses pensées ont plus de force apres sa mort que sil vivait encore. Leider müssen wir jedoch bemerken, dass dieser Beweis auf einem Missverstándnisse der angeführten Stelle Cicero’s (ad Atti- cum XIV, 10) beruhe. Wohl findet sich daselbst die Klage: ut omnia facta, scripta, dicta, promissa, cogitata Cxsaris plus vale- rent, quam si ipse viveret; allein die Stelle bezieht sich einfach auf die Reaction Marc Antons in Folge der unüberlegten Entfernung des M. Brutus, des Trebonius und Anderer aus Rom, wo nun M. Anton Gelegenheit fand seine Gedanken als die Cäsars auszugeben, den Commentaren Cäsars willkürlich seine Verfügungen unterzuschieben. Diese „Gedanken, Worte, Versprechungen, Handlungen Cäsars“ waren somit die des Marc Anton, welcher sie als Ideen Cäsars ausgegeben hat. Ist über den Sinn der angeführten Stelle Cicero’s ein Zweifel vorhanden, so wird derselbe durch den vorausgehenden Brief Cicero’s beseitigt, wo es heisst, der Tyrann ist untergegangen, die Tyrannei besteht. Dieses Zeugniss Cicero’s ist unzweideutig, würde aber schwerlich passen, wenn damit bewiesen werden sollte, dass Cäsars Grösse an der Herrschaft seiner Ideen zu erkennen sei, welche nun trotz seines Todes triumphirten. Vivit tyrannis, tyrannus oceidit. (Ad Att. XIV, 9.) Wenn aber, was als charakteristisches Moment für die Grösse der privilegirten Wesen gilt, nur von der Herrschaft gesprochen wird, während nach antiken Anschauungen, geschweige nach höheren, der Werth und die Bedeutung von Handlungen in Tugend und Recht, im freien Entschlusse, im heldenmüthigen Kampfe gegen erdrückende 97 Gewalt besteht, so kann doch wohl aus dem Stillschweigen des kaiser- lichen Verfassers nicht geschlossen werden, dass diese Bedingungen wahrhafter Grösse nur den Gefühlen der Mediocritäten beizuzählen seien und der Erfolg allein entscheide. Es wäre diess ebenso irrig als jener Cultus des Genius, welcher Einem Alles gestattet, dem An- deren aber nur passive Hingabe oder Thätigkeit nach empfangenen Directiven. Die wahre Grösse des Menschen, der Werth jeder Hand- lung besteht im Einklange der persönlichen Freiheit mit den Gesetzen nicht des Schicksals (destin), sondern der sittlichen Weltordnung. Wird dieses nicht zugegeben, so hat ein Brutus das Recht den Cäsar im Senate anzufallen, wie Pompejus Magnus ihn als Verächter der Staatsgesetze in offener Feldschlacht bekämpfte und würde eine zur Apologie Cäsars gesteigerte Biographie als wissenschaftliche Reaction die des Brutus naturgemäss veranlassen. Oder sollen wir an jene Worte eines Franzosen erinnern, der einer von den Weltbewegern im XVI. Jahrhunderte war: „Um die Verbrechen einer tyrannischen Herr- schaft zu bestrafen (Cicero ad Attic. XIV, 9.) beruft Gott einige seiner Diener und rüstet sie mit seinem Ansehen aus; diese verletzen, indem sie die Waffen gegen die Gewalthaber gebrauchen, die Majestät nicht, welche auf die Stirne dieser Herrscher gedrückt ist. Vom Himmel autorisirt weisen sie eine niedere Macht durch eine höhere zurück. Der Herr vollführt dann seine Werke, indem er die blutbefleckten Scepter übermüthiger Könige zerbricht und die unerträglichen Herr- schaften umstosst. Die Herrscher sollen dieses hören und erschrecken!“ — Auch dieses ist eine Theorie von privilegirten Wesen und man muss gestehen, sie hat in der Welt Katastrophen genug hervorgerufen. Der Leser kann sich entscheiden, wie sich das Alterthum entschied, ob Harmodios und Aristogeiton, Brutus und Cassius Mörder oder Ver- theidiger des gesetzlichen Standes der Dinge (homicidae an vindices libertatis. Cic. Philipp. II. c. 12) waren. Von unserem Standpunkte, wel- cher gleichfalls der Meinung huldigt, man solle weder Cäsar noch sonst Jemanden Absurditäten zumuthen, jedoch in Cäsars Streben nach dem Königthume keine Absurdität erblickt, vermögen wir das Dilemma zu lösen und brauchen nicht zu befürchten, dass uns Jemand einer beson- deren Vorliebe für die blutige That des 15. März 44 v. Ch. zeihen wird. Ob man vom Standpunkte der privilegirten Wesen so leicht wird An- dere überzeugen können, der Umsturz der Tyrannei, der Versuch, die Sitzungsberichte 1865. 1. j 7 98 Herrschaft der Gesetze Roms und des Senates wieder herzustellen, sei keine wunderherrliche That (habet istius pulcherrimi facti clarissimos vi- ros respublica autores. Cic.), beantworte ich mit den kaiserlichen Worten: soyons vrais et nous serons justes. Macht und Erfolg sind kein wissen- schaftliches Prineip, sondern unterliegen demselben. Die Geschicht- schreibung hat sich über „Cäsar“, über „Karl den Grossen“, über „Napo- leon I.“ zu stellen, nicht sich ihnen unterzuordnen. Sie muss ebenso alle dioptischen Bilder zurückweisen, als Parallelen, die nur schroffe Gegensätze, aber keine innere Verwandtschaft darbieten. Die Ge- schichte hat eine unerbittliche Logik und ohne dieselbe kann man weder wahr noch gerecht sein. Die römische Herrschaft hat sich bekanntlich in drei grossen Ringen, welche sich durchschnitten, entwickelt. Von einer königlichen Zeit ausgehend, welche viel ehrwürdiger und grossartiger ist, als man gewöhnlich annimmt, wandte sie sich der republicanischen Gestaltung zu, in welche Periode die Begründung der Weltherrschaft fällt, und die kein grösseres Verbrechen kannte, als das Streben nach Wieder- herstellung des Königthums, nach Alleinherrschaft. An die republi- canische Periode schloss sich dem Anfange analog die Cäsarenmacht an, die aber erst möglich war, nachdem in den drei Bürgerkriegen Cäsars, in den fünfen des Octavianus Augustus nicht bloss die Träger der Republik, sondern auch diese selbst untergegangen, eine Wieder- herstellung derselben eine Unmöglichkeit geworden war. Anfang und Ende der römischen Geschichte sind so einander zugewendet. Wäh- rend aber, wie früher bemerkt, das Ende der römischen Geschichte auch das Ende der alten Welt ist, tritt das Centrum, die republica- nische Zeit, riesengross hervor, mit der Abschliessung der Einheit der römischen Bevölkerung, welcher dann nach den gewaltigsten Kämpfen die Einheit des römischen Bürgerthums in Italien nachfolgte, bis die Kaiserzeit auch die Einheit des römischen Bürgerthums in der eroberten Welt hinzufügte. Der Stadtkampf ward zum italischen Kampfe, der italische zum Weltenkampfe, dieser selbst aber war doppelt. mit freien Völkern und freien Staaten, mit Monarchien ande- rerseits. Der Friede, den das Kaiserthum brachte, war dann der Leichenfriede der Welt. Es ist unentschieden, ging die Welt in Rom auf oder Altrom in der bezwungenen, römisch gewordenen Welt unter. Man kann das Eine sagen wie das Andere. Der kaiserliche Verfasser beginnt die Geschichte des „Julius Cäsar* 99 (Cajus Julius Cásar) mit der Grůndung der ewigen Stadt, deren Ge- schichte er in selbst gewählten Perioden fortfůhrt, so dass sie zum Pie- destal Cäsars wird, um dessen willen Rom’s Geschichte sich gebildet zu haben scheint. Diese Zusammenfassung der römischen Geschichte in zum Theile sehr sorgfältig und ins Einzelne ausgearbeitete Skizzen, gleicht einer genialen Zeichnung, die mit sicherer Hand da ausscheidet, was nicht zum Zwecke passt, dort zusammenträgt und verbindet, was bestimmte Effecte hervorzubringen vermag, und bildet unseres Er- achtens die Krone des Werkes, welches, wenn es als Studien über römische Geschichte in die Welt getreten wäre, sich gewiss eines dauernden Beifalles erfreut hätte. Wo es möglich ist, wird auf C. J. Cäsar als den künftigen Retter der Gesellschaft wie auf den poli- tischen Messias hingewiesen, ohne dass wir sagen könnten, dass die Spannung, welche das Ganze der Darstellung erzeugt, gerade dadurch vermehrt werde. Es scheint auch Pflicht gerade diese Partie nicht mit dem kritischen Messer zu durchstreifen und ich übergehe mit Absicht, was ich etwa über Quellenbenützung da und dort sagen könnte, um nicht in jene ekelhafte Pedanterie eines englischen Kri- tikers zu verfallen, welcher Anforderungen stellte, die kaum einem Fachmanne gegenüber sich rechtfertigen liessen. In der Zusammen- stellung liegt der Werth, in der Hinzufügung der geistvollen Bemer- kungen, welche, wenn auch nicht immer die bestimmte Periode der römischen Geschichte, doch den kaiserlichen Verfasser charakterisiren. „Die Könige, heisst es bei dem Sturze des Tarquinius Superbus, sind aus Rom vertrieben; sie verschwinden, weil ihre Mission vollendet ist. Es besteht, möchte man sagen, in der moralischen wie in der physischen Ordnung der Dinge ein höchstes Gesetz, welches Einrichtungen wie Per- sonen eine Schicksalsgränze vorzeichnet, bestimmt durch die Schran- ken ihrer Nützlichkeit. So lange dieses providentielle Ziel nicht erreicht ist, hilft das Entgegenstemmen nichts. Complotte, Empö- rungen, Alles scheitert an der unwiderstehlichen Gewalt, die das erhält, was man umstürzen will. Wenn aber im Gegentheile ein Zustand der Dinge, dem Anscheine nach unerschütterlich, aufhört, den Fortschritten der Humanität nützlich zu sein, dann wird weder die Herrschaft der Traditionen, noch Muth, noch Andenken an eine glorreiche Vergan- genheit auch nur um einen Tag den vom Geschicke bestimmten Fall aufhalten.“ Offenbar passen diese Sätze vielleicht nach Rebe als 100 auf die Targuinier auf — Julius Cásar. Ganz abgesehen von dem logisch Unzulásslichen, wie hier Humanitát und Nůtzlichkeit, Providenz und Schicksal unter einander gemengt werden, enthält diese Ausein- andersetzung nichts anderes als die Apologie aller glücklichen Com- plotte, die Verwerfung aller unglücklichen Verschwörungen. Was wir von Anfang besorgten, als die kaiserliche Vorrede getrennt von dem Buche selbst erschien, ist eingetroffen. Als Cäsar verschont im gal- lischen Kriege, im spanischen, pharsalischen, afrikanischen und noch- mal im spanischen, den Dolchen des Brutus und seiner Genossen erlag, erreichte er seine Schicksalsgränze, sein providentielles Ziel; er hörte auf den Fortschritten der Humanität nützlich zu sein und Brutus war somit ein Werkzeug der Vorsehung, als er Cäsar tödtete. Die Theorie des kaiserlichen Autors geht, wie wir sehen, in die Lehre vom Tyrannen- morde über, wie sie das XVI. Jahrhundert aufstellte, und jenes Hin- terthürchen, welches derselbe vorsichtig durch Marcus Tullius Cicero erbauen lassen wollte, ist ja leider durch diesen selbst vermauert: tyrannis vivit, tyrannus oceidit. Jaques Clement, Ravaillac, Louvet sind Werkzeuge der Vorsehung, weil ihnen ihr blutiges Werk gelang; sie sind providentiell, sind im Dienste der Humanität nützlich. Damiens und Orsini sind verruchte Verschwörer, nicht weil sie morden wollten, sondern weil sie vor der Zeit, ehe es nützlich war, zu morden ge- dachten. Sie sind ihrer Zeit vorangeeilt und deshalb fielen ihre Häupter; die Anderen hatten Recht, weil der Erfolg für sie war. Die Theorie der privilegirten Wesen dürfte denn doch einem zweischnei- digen Messer gleichen, das auch den zu verwunden vermag, der es führt, und den Begriffen von Recht und Pflicht. von Tugend und Laster so ganz und gar den Abschied zu geben, alles auf den Erfolg zu stellen und diesen zu präconisiren, ist mindestens ebenso unsittlich als unhistorisch, muss von allen Männero, denen die Wissenschaft nicht Mittel zum Zwecke ist, in alle Ewigkeit verworfen werden. Wir sprechen hier nur vom Standpunkte der Wissenschaft, auf welchem, wie oben bemerkt, wir keinen König anerkennen, als den die Erhaben- heit des Geistes, die Reinheit des Willeus, die Tiefe der Erkenntniss dazu machte; mit der Politik haben wir nichts zu schaffen. So lange aber noch ein Athemzug besteht, muss eine Theorie verworfen werden, welche wie ein Attentat, wie eine Conspiration gegen den Geist der Geschichte erscheint und den Mörder zum Helden, den Verschwörer 101 zum Werkzeuge der Vorsehung stempeln würde. Allein die erwähnten Sätze gelten gar nicht für die römische Königszeit. Denn für’s Erste haben wir eine viel zu geringe Kenntniss von den eigentlichen Ur- sachen, welche den Sturz der Targuinier herbeifůhrten; für’s Zweite aber ist wenigstens so viel sicher, dass derselbe Rom in das tiefste Verderben stürzte und dass, wenn auch das Königthum Rom's sank. seine Einrichtungen dasselbe nicht bloss überlebten, sondern auch den- jenigen Halt bildeten, durch welchen die Republik sich aus dem Ruine erholte, welchen die Vertreibung der Tarquinier bereitet hatte. Senat, Priesterthum, Augurien, servianische Verfassung, beinahe Alles, was man als die Fundamente der Grösse Rom’s zu bezeichnen pflegte, waren Einrichtungen des Königthums, das sich ebenso wohlthätig für Rom erwies, als das Cäsarenthum Rom und die römisch gewordene Welt sittlich, geistig. physisch und politisch fertig machte, so dass Hilfe nur der Menschheit von den Barbaren kommen konnte, deren Besiegung durch Cäsar Rom ermöglichte sich m die Periode stinkender Gráuel zu stürzen. Glücklicher Weise konnte aber Julius Cäsar die Germanen nicht schlachten, wie er edle und unedle Gallier seinem Ehrgeize zu Hunderttausenden opferte. Endlich hatte das Königthum sich doch nicht selbst überlebt, wenn eine Periode voll Glanz, Ruhm und Macht, wie die republicanische damit endigen konnte, es mutatis mutandis unter der Form des Cäsarismus wieder herzustellen. Der kaiserliche Verfasser hält sich nicht viel bei den grossen Männern der republikanischen Zeit auf. Wie immer ist es die Herr- schaft, deren Ausbreitung und Befestigung, welche den kaiserlichen Autor vorzugsweise beschäftigt, sowie das Emporkommen der socialen Fragen, welche die Römer über die grossen politischen zeitig zu lösen verabsäumten. Das Werk verweilt längere Zeit bei der Ertheilung der Freiheit an die Griechen, auffallend aber ist, dass die Bedeutung des grossen Principienkampfes, in welchen die Römer gegen Ende des zweiten punischen Krieges verwickelt wurden, so wenig hervorge- hoben wird, als die verhängnissvolle Wendung, die in der römischen Politik durch den perseischen Krieg entstanden ist. Denn nicht darin lag der Nachdruck, dass die Römer, nachdem sie die Punier, die alten Feinde der Hellenen, besiegt, mit den Hellenen zusammen- kamen — das war längst in Grossgriechenland und Sicilien geschehen — sondern dass die römische Republik, der römische Westen gegen den 102 hellenischen Osten und die Monarchien auftrat, in welchen das helle- nische Leben untergegangen war. Auf den Kampf mit freien Völkern folgte der Kampf mit den Militärmonarchien aus der Erbschaft Alex- anders. Der kaiserliche Verfasser verweilt viel lieber bei dem Nachweise, wie die Römer nach den grössten Schlachten und Feldzügen zuletzt doch Italien zur Einheit brachten, als bei der Auseinander- setzung, in welcher Weise das republicanische Element über den hel- lenischen Imperialismus — wenn man diesen Ausdruck gebrauchen darf — siegte. Auch ein näheres Eingehen in das Leben der her- vorragendsten Helden der Republik wird vermieden, die Pedanterie des älteren Cato wohl dargestellt, den Gracchen eine grössere Wür- digung geschenkt, aber gerade die Scipionen und Aemilius Paullus nicht in der Weise bedacht, dass sich darauf eine Parallelisirung mit Julius Cäsar begründen liesse. | Man darf dem kaiserlichen Verfasser wegen der Conseguenzen seines Standpunktes keine Vorwürfe machen; er muss sie freilich tragen wie jeder, welcher eine bestimmte Stellung einnimmt, sich auch zu dem bekennt, was daraus hervorgeht. Wir erheben selbst in Betreff der letzteren in so ferne kein Bedenken, als wir es unbegreiflich fänden, wenn der Verfasser sich den Anschein gäbe, besondere Sympathien für die Republik zu hegen. Nichts begreiflicher also, als dass derjenige gepriesen wird, welcher die Republik umstürzte, die Alleinherrschaft aufrichtete, den Imperialismus begründete. Nur darf der kaiser- liche Verfasser nicht verlangen, dass auch wir so fühlen wie er und unsere Sympathien nicht denen angehören sollen, welche den wenn gleich fruchtlosen Kampf für die Erhaltung des römischen Gemein- wesens unternahmen und nicht früher das Cäsarische: nihil esse rem publicam annahmen, als nachdem Tugend, Ehre, Freiheit und Recht untergegangen waren. Liegt es in einer gewissen Nothwendigkeit, die auch den Mächtigsten bezwingt, dass der kaiserliche Autor den Cäsar lobe, so hindert uns nichts, gegen diejenigen gerecht zu sein, welche, Römer wie sie waren, ein höheres Glück auf Erden kannten als den Frieden, welcher der Knechtschaft gleich war, und in dem Ruhme parthischer Eroberung kein Aequivalent für die verlorene Freiheit sahen. Welcher Standpunkt nun der wahrhaft berechtigte sei, wird sich ergeben, wenn nachgewiesen wird, welcher am ig bedürfte der Geschichte Gewalt anzuthun. 103 Der erste Band des Julius Cásar fůhrt die Geschichte noch nicht bis zum Ausbruche der Bůrgerkriege, welche jede republicanische Schilderhebung im Blute derjenigen erstickten, die dazu nach den Gesetzen Roms nicht bloss berechtigt, sondern auch verpflichtet waren; er bringt nicht die Geschichte jener Tage, in welchen C. J. Cásar den wohlthuenden Gegensatz seines Wesens, der clementia Caesaris, zu dem Wüthen des C. Sulla kund that; er enthält die Geschichte jener Stadien, welche Cäsar vor dem Abschlusse des Triumvirates durch- wanderte, mit dessen heillosem Abschlusse drei Ehrgeizige die Republik in ihre Hände zu spielen suchten, bis Zufall oder die ehernen Würfel aus der Dreiheit eine Zweiheit, aus dieser eine Einheit schufen. Irre ich mich nicht, so begann die Schwierigkeit des Werkes mit dem Momente, in welchem der kaiserliche Verfasser bei dem Leben des J. Cäsar anlangte und nun der Leser an die Biographie die An- forderung stellt, Schritt für Schritt nachzuweisen, wie der nachherige Dictator, der seinen Zusammenhang mit den Königen Rom’s so früh als möglich den Römern vorhielt, sich einer Partei nach der anderen bediente, um emporzukommen, beseelt von jener nescia virtus stare loco, *) die ihn alles als Mittel zum Zwecke gebrauchen lehrte. Die Darstellung beginnt jedoch mit einer Entschuldigung Cäsars in Betreff der ihm vorgeworfenen Ausschweifungen und behält den apologetischen Ton in so ferne, dass Cicero, Cato, Pompejus verkleinert werden, als bestünde Cäsars Grösse darin, der erste unter Kleinen gewesen zu sein. Namentlich muss es sich Cicero gefallen lassen als kurz- sichtig und widerspruchvoll dargestellt zu werden; er bezeichnete ja denselben als einen Tyrannen, welchen der kaiserliche Autor als Freund des Volkes hinstellt, der durch allgemeine Zustimmung zur höchsten Würde getragen ward. Eine Fernsicht in den zweiten Band zeigt uns ja Cäsar bereits als den zweiten Marius, der Rom vor Ariovist, vor ic, Sed non in Caesare tantum Nomen erat nec fama ducis, sed nescia virtus Stare loco solusque, pudor non vincere bello. Acer et indomitus, quo spes guogue ira vocasset, Ferre manum, nunquam temerando parcere ferro, Successus urgere suos, instare favori Numinis, impellens quidquid sibi summa petenti Obstaret gaudensgue viam fecisse ruina. Lucan. I. 143—50. ke „S a be ň ý 104 Galliern, Briten, Deutschen rettete; der zum Bůrgerkriege nur ge- drängt wurde, und dem nur die untergeordnete Sorte von Geschicht- schreibern nachreden kann, dass er, der sich öffentlich rühmte der Nach- komme des vierten Königs von Rom zu sein, nach dem Königthume getrachtet habe. Da wird von Pompejus gesagt, für ihn sei die Mächt der Endzweck, für Cäsar nur ein Mittel gewesen, während das Richtige. doch wohl darin liegt, dass Pompejus in der Republik, durch sie, nur mit Beobachtung der republicanischen Formen zu herrschen suchte, Cäsar aber von dem Satze ausging, die Republik existire nicht mehr (nihil esse rempublicam) und dem von ihm entwürdigten Senate seine Verachtung offen zu erkennen gab. Ungeachtet des geringschätzen- den Ausspruches über Pompejus wird aber doch in der Note S. 284 mitge- theilt, welche Massregeln er als designirter Consul durchzuführen be“ „absichtigte, aus denen hinlänglich hervorgeht, dass auch er die Macht’ als ein Mittel betrachtete den Staat zu ordnen. Allein Cäsar, — welcher damals selbst erst einer Stütze bedurfte, habe nun den Pompejus unterstützt, (was wiederholt gesagt wird,) weil er gesehen, dass Pom- pejus sich seine (Cäsars) Ideen und Ueberzeugungen eigen gemacht habe! Was Pompejus *) Gutes that, geschah nur durch Unterstützung Cäsars, welcher hiebei von ehrgeizigen Absichten freigesprochen wird. Als dann Pompejus nach Beendigung des Consulates unter der allge- meinen Spannung des römischen Volkes, was er thun würde, da die Censoren ihr Lustrum hielten, die equites vorforderten und die üblichen Fragen über Kriegsdienst u. s. w. an sie richteten, obwohl bereits der be- deutendste Mann Roms, selbst sein Pferd den Censoren vorführte, ihre Fragen beantwortete, und auf die, ob er die vorgeschriebenen Kriegs- dienste gemacht, erwiederte, ja, alle und unter meiner Anführung, so wird diese eines Römers alter Zeit würdige Antwort als Beweis unerträglichen Hochmuthes bezeichnet. **) Hingegen wird von Cäsar als Zeichen des guten Herzens die bekannte Aneedote erzählt, dass er einem seiner kranken Officiere bei heftigem Sturme die für ihn selbst bestimmte Hütte einräumte, so wie eine andere über sein Verhalten einer nicht sehr *) Au coeur aussi pervers que son visage était modeste. Sallust. tragm. II. 176: Pompejus oris improbi, animo inverecundo! **) L'ostentation (?) de la répense montre que la démarche de Pomj pée était une fausse modestie, forme la plus insupportable de I orgueil, | Snivant V expression de Marc Aurel. I. p. 209. er 105 zartfühlenden Einladung gegenüber. Es dient diess zum Anlasse zu erwähnen, welch gutes Herz und welche Delicatesse (de ' homme bien élevé, gui observa partout les convenances) Cäsar besessen. Da aber der Meister des Styles sich nicht sowohl in demjenigen zeigt, was er sagt, als was er verschweigt, ist die weitere Anecdote, welche Sueton gleich darauf (c. 72.) anführt, übergangen, wo es heisst, wie Cäsar aussprach, er habe nicht bloss seinen Freunden und seien sie aus dem niedersten Stande, die höchsten Ehren der Republik zugewendet, er hätte dasselbe auch Banditen und Mördern gethan, wenn er sich ihrer zur Erhaltung seiner Würde bedient hätte! *) Seit dem Aedilate, in welchem Cäsar mit dem Maneuvre debu- tirte, das er als Consul meisterhaft zu handhaben wusste, seinen Collegen auf die Seite zu schieben, galt er als derjenige, welcher auf den Umsturz des Staates offen hinarbeitete. Die Popularpartei, sagt der kaiserliche Autor, hatte ihr Haupt. Er unterstützte auch Cati- lina in seinen Bemühungen das Consulat zu erlangen und versuchte es mit diesem, ehe er es mit Pompejus versuchte. Denn die Senats- partei war ja trotz ihrer Tugenden nur eine Art von Clique und dem Untergang geweiht, da ihr die richtige Würdigung der Bedürfnisse des Momentes gebrach, was das wesentlichste Erforderniss im Revo- lutionszeitalter ist. Gewiss, sie beging einige Fehler. Sie siegte, so lange es einen Catilina von der obersten Gewalt auszuschliessen galt, der diese zum Umsturze der Republik zu verwenden gedachte. Als sie dasselbe bei Pompejus versuchte, der herrschen aber nicht um- stürzen wollte, trieb sie diesen auf die Seite Cäsars; sie unterlag, weil sie nach Besiegung Catilina’s in ihren Reihen keinen Mann besass, welcher den Pompejus bewegen konnte sich nicht an Cäsar anzu- schliessen ; weil sie Niemanden besass, der der Vereinigung des Pom- pejus und Cäsar gewachsen war. Können wir hiebei dem hohen Autor *) Si grassatorum et sicariorum ope in tuenda sua dignitate usus esset, talibus (0 quoque se parem gratiam relaturum. Dazu gehört aber auch die Stelle Cicero’s: habebat hoc omnino Caesar, quem plane perditum aere alieno egentemgue si eundem etiam neguam hominem audacemque cognoverat, hune in familisritatem libentissime recipiebat. Philipp. II. 32. Es handelt = sich eben nur um den Erfolg und privilegirte Wesen sind ja der Rück- sichten gewöhnlicher Menschen enthoben. Tugend und Ehre waren für © Schwármer wie Cato, die Herrschaft für Cäsar, den Retter der römischen 0 Gesellschaft. 106 in seiner historischen Darstellung der Ereignisse nicht beipflichten, so dürfen wir dem scharfen auf tiefer Kenntniss analoger Verhältnisse beruhenden Urtheile unsere Bewunderung nicht versagen, wenn es uns auch bedünken will, dass dasselbe mehr römischen Verhältnissen angepasst ist, als ihnen wirklich zukomme, und der dioptische Cha- rakter der ganzen Darstellung geeignet ist, die Züge des C. Julius’ Cäsar mehr und mehr verschwinden zu machen, um andere an ihre Stelle treten zu lassen. Ich begreife, dass Brissot seiner Nation das wahre Talent für Geschichtschreibung absprach. 7 Die Catilinarische Verschwörung wird damit eingeleitet, dass Cäsar wohl das Talent des Cicero achtete, aber wenig Vertrauen auf seinen Charakter setzte, was wahrscheinlich gegenseitig der Fall war. Cäsar sei desshalb der Candidatur Cicero’s entgegengetreten und ihm während seines ganzen Consulates feindlich gewesen. Da aber Cäsar dem Cicero entgegen war, bringt es die Consequenz des einmal ange- nommenen Standpunktes mit sich, sich auch des Catilina und seiner in Rom zurückgebliebenen, von Cicero verhafteten Gefährten anzu- nehmen, Cicero aber im Widerspruche mit sich selbst darzustellen. Indem aber der hohe Autor sich zum Beweise des Widerspruches auf eine Stelle in der Rede pro M. Coelio stützt, die nebenbei gesagt ein bewunderungswürdiges Stück historischer Eloquenz ist, so muss zuerst bemerkt werden, dass sie dem Wesen nach mit dem Bilde überein- stimmt, welches Sallustius von Catilina entwarf. Wenn dann bei dem kaiserlichen Autor, welcher den Beweis des Widerspruchwollen im Cicero antritt, die Stelle heisst: non, je ne crois pas qu’il ait jamais existé sur la terre un homme (Catilina) gui offrit un assemblage aussi monstrueux de passions et de gualités si diverses si contraires et en lutte continuelle, so möge man damit den Text vergleichen: negue ego unguam fuisse tale monstrum in terris ullum puto tam ex contrariis diversisgue inter se pugnantibus naturae studiis cupiditatibusgue con- flatum. Im lateinischen Texte ist jener Widerspruch nicht vorhanden, nur im französischen. Ich habe nicht alle Stellen, welche der hohe Autor citirt, nachgeschlagen und verglichen, kann jedoch nicht sagen, dass ich überall eine bessere Uebereinstimmung zwischen Text und Citat gefunden hätte. Wohl war es aber die Pflicht der Uebersetzer, ich rede zumal von den deutschen Uebersetzern, dieses zu thun x dass sie es nicht thaten, ist ein grosses Vergehen gegen deutsc 107 Wissenschaft, welche vor Allem Wahrheit und Genauigkeit, nicht bloss schöne Effecte verlangt. Auch in der letzten Zeit seines Lebens ist sich Cicero, wo er sich über die catilinarische Verschwörung ausspricht, gleich geblieben und hielt er fest daran, dass die Verschworenen die Stadt anzünden wollten; dass er sie ergriffen, dass der Senat sie bestraft habe (com- prehensio sontium mea, animadversio senatus fuit), gegen welche Be- strafung, da Cäsar dagegen war, auch der kaiserliche Autor sich erklärt. Doch fügt er dem Versuche einer Ehrenrettung Catilinas die Worte hinzu, sein Erfolg wäre ein Unglück gewesen: ein blei- bendes Gut kann nicht aus unreinen Händen kommen !— Wohl! Hat aber der pontifex maximus C. Julius Cäsar den Bau des Imperialismus mit reinen Händen aufgeführt, nachdem gallisches wie römisches Blut in Schläuchen zum Mörtel dieses neuen babylonischen Thurmes verwendet wurde? Wir übergehen die Schilderung des Verhältnisses Cicero’s zu Pompejus, wobei Cicero wieder durch Auslassung jener Stel- len in Schatten gestellt wird, die für die entgegengesetzte Ansicht sprechen ! Nach der Darstellung des Kaisers war die Revolution schon un- aufhaltsam, als Cäsar als Proprätor nach Spanien ging, geschweige als er nach Rom zurückkehrte und das Consulat erlangte. Da wird nun S. 356 auseinandergesetzt, Cäsar habe der Revolution ein Bette graben wollen; später (nach seinem Consulate, das das Ansehen des Senates und der Augurien, „der beiden Grundpfeiler des römischen Staates“ vernichtete), heisst es, er habe, ohne die Fundamentalgesetze zu verändern, die Anarchie (welche er erst künstlich hervorge- rufen, um die Gesellschaft retten zu können!) durch eine energische Macht ersetzt, welche zugleich den Senat und die Comitien beherrschte. Er habe nur einer edlen Leidenschaft folgend nach Macht und Ehre gestrebt.*) Und die übrigen, welche die Gesetze des Staates gegen Cäsar vertheidigten? In Rom meinte man, Cäsars Amtsführung als Consul käme der der verwegensten Tribunen gleich. Es handelte sich von nun an den Staat gegen Cäsar zu schützen; er war verloren, als Pompejus schwach genug war, statt auf Cicero zu hören, welcher © ihm von der Verbindung mit Cäsar abrieth, diese einging, um sie *) Caecilio Metello turbulentissimas leges ferenti — auctorem propugnatorem- que se pertinacissime praestitit. Suet. 16. "108 nachher doch wieder zu lösen, das eine wie das andere in gleich un- seliger Stunde. Vermögen wir dem hohen Autor nicht zu folgen in dem, was er zu Gunsten Catilina's sagte, so hat uns seine Darstellung des Consulates J. Cäsars mehr als irgend etwas in der Ueberzeugung bestärkt, Cäsar habe die Revolution entfesselt, um sie sich dienstbar zu machen; dass der Umsturz der Republik, welcher ohne Bürger- kriege nicht stattfinden konnte, seit Cásars Consulat unaufhaltsam war: Er steuerte consequent dahin, sagen zu können: nihil esse rempublicam ; dann freilich als er dem Staate allein gegenüber stand, war die Mei- nung begründet, sein Leben sei für den Staat nothwendiger als für ihn. Da zeigten ihm 23 Wunden, dass auch der mächtigste Bürger den Staat nicht ungestraft umwälzen könne, und höre die Herrschaft der Gesetze aut, beginne die der Macht, so sei dieser Begriff ein zweischneidender. Wir, die wir in unserer Niedrigkeit uns vor jeder sittlichen und geistigen Grösse gerne beugen, aber keine privilegirten Wesen aner- kennen, sie müssten denn unsterblich sein — können so wenig, wie wir die Berechtigung der in der Vorrede ausgesprochenen und — wie wir nachwiesen, nicht bewiesenen Grundsätze anerkannten, dem kaiser- lichen Verfasser beipflichten, wenn er mit allgemeinen Sätzen den ersten Band eines Werkes schliesst, das unserem Gefühle nach mehr und mehr aus einem historischen Buche ein politisches geworden ist. Wer damals — als Cäsar als Proconsul nach Gallien zog, — ihm den Gedanken untergebreitet hätte, über Rom regieren zu wollen, hätte dem General Bonaparte 1796 den Gedanken geliehen Kaiser zu werden. Wie Cäsar daran hätte denken können, dass ihm nach 10 Jahren die Gemüther in Rom hätten gewogen sein können; dass seine Tochter, des Pompejus Gattin, sterben und die Verbindung mit Pompejus sich auflösen; dass Crassus in Syrien umkommen; dass die Ermordung des Clodius Italien erschüttern; dass die Anarchie, welche er durch das Triumvirat ersticken wollte, die Ursache seiner Erhebung werden würde? Nur der Hass seiner Feinde habe ihn gezwungen die Dietatur gleich Sulla zu ergreifen; er selbst sei. glorreich nur — den Fusstapfen der Seipionen und des Aemilius Paullus gefolgt. Ich halte auch bei einem Kaiser die Polemik nicht gerechtfer- tiget, welche Andersdenkenden eine Absurdität zuschreibt, um durch die Bekämpfung der letzteren die ersteren zu besiegen. Der General 109 Bonaparte, welcher 1796 nicht Consul war und sich das Consulat erst auf Kosten des Directoriums cıkämpfte, steht mit dem Proconsul Jul. Cásar in gar keinem Vergleiche, sondern nur der erste Consul Bo- naparte, welcher bei Marengo sich das Kaiserthum erfocht. Auch stammte der General Bonaparte nicht von Königen noch von Göttern; er hatte damals noch nicht sein Triumvirat abgeschlossen, noch nicht der republicanischen Partei durch Ermordung des Herzogs von En- ghien ein Pfand zu ihrer Sicherheit gegen die Bourbonen gegeben. Wohl aber fehlten Cäsar noch die Lorbeeren des Pompejus, noch be- durfte er des Mannes, mit welchem er nachher sich bei Brundisium, bei Dyrrhachium und Pharsalus schlug; noch bestand der Senat trotz Cäsar und war die Republik nicht vernichtet. Wir werden an Cäsar nicht den Massstab anlegen, welchen man in den Tagen eines Cinein- natus an den römischen Bürger anlegte, der keine höhere Aufgabe kannte, als den Gesetzen des Staates zu gehorchen ; ihn aber, welcher — gezwungen oder nicht gezwungen, das lassen wir unentschieden — mit römischen Legionen den Rubico überschritt, mit den theuersten, trefflichsten Söhnen Altroms, mit Aemilius Paullus, mit den Scipionen vergleichen, heisst die Asche dieser grossen Männer verunehren. Oder soll das tertium comparationis darin bestehen, dass Aemilius Paullus den gefährlichsten auswärtigen Krieg siegreich beendigend, die Götter anflehte Unheil von Rom weg und auf sein Haupt und seine Familie zu wenden; oder dass Scipio die Dietatur, welche ihm das römische Volk dankbar für seine Siege über Nichtrömer anbot, aus- schlug, Cäsar aber sie annahm und das jugum servile dem freien Rom auferlegte? Hier gehen die Wege auseinander; der Historiker kann dem Kaiser nicht mehr folgen. Wir müssen mit dem ersten Napo- leon sagen: vom Erhabenen zum Lächerlichen ist nur Ein Schritt. Wenn wir uns in irgend einer Beziehung auf das kaiserliche Werk wahrhaft freuten, so war es in Betreff der Karten. Niemals - ist unsere Erwartung ärger getäuscht worden. Wir zählen hier die Fehler der Hauptkarte, Roms Umgebung in der Zeit der Vertreibung der Könige, nicht auf; sie gehen in das Unglaubliche. Städte, die auf Ber- gen liegen, werden in Ebenen versetzt, die Namen der Flüsse verwech- selt, falsche angeführt, Tarquinia (Tarquinii) auf einem anderen Fluss- ufer als wo es wirklich stand, Aquila als schon damals bestehend ange- führt, der Velinus mit einem Laufe, welchen er erst Jahrhunderte später 110 künstlich erlangte. Darüber können wir nur unser Bedauern aus- sprechen. ls Handelt es sich nun um ein Gesammturtheil, so wird vor Allem Niemand die Natur historischer Arbeiten verkennen dürfen, welche im Gegensatze zu diplomatischen Noten nicht den Gedanken des Ver- fassers verschleiern, sondern diesen zwingen, sich so zu zeigen wie er ist. Auch ohne dieses Verdienst ist das Werk ein grossartiges Zeugniss von der Macht der Wissenschaft, welche auch den Kaiser zwang, in die Arena hinabzusteigen, von deren Uebungen ein deutscher Dichter so richtig meinte, „und eine grosse Tugend ist die Kunst der Rede,“ Es bleibt immer nicht blos eine bemerkenswerthe, es ist eine be- deutende That, dass der Kaiser, den nur Ein Gedanke beherrscht, der nur Ein Ideal kennt, auch auf diesem neutralen Boden aller Parteien, aller freien und denkenden Köpfe sich Waffen sucht und die Welt durch Cäsar für Napoleon zu gewinnen, die napoleonische Herrschaft, welche er der Welt als Rettungsmittel zuerkennt, durch Julius Cäsar in den Gemůthern zu bereiten sucht. Für uns freilich, deren Wiege der Frei- heitsruf der Völker umschwebte, welche sich vom Napoleonischen Joche losrissen und die wir als den glücklichsten Moment des Lebens jetzt noch, wo die Sonne einer bescheidenen Wirksamkeit ihren Höhepunkt er- reichte, den der Wiederkehr jener glücklichen Krieger preisen, die end- lich die eisernen Legionen des Wütherichs zersprengten, tönen diese Si- renenstimmen vergeblich. Uns ist Julius Cäsar Julius Cäsar und Napoleon Napoleon, und wir wollen weder in Cäsar Napoleon, noch in Napoleon Cäsar. Wer aber beide Bilder so lange in einander schiebt, bis die fremdartigen Gesichtszüge in einander übergehen, verlange nicht, dass die Generation dem Beginnen huldige, welche unter den Erinnerungen an Leipzig und Waterloo gross geworden. Mag das Werk auf Franzosen berechnet gewesen sein; in dem Augenblicke, als der kaiserliche Autor in der Vorrede mit geschickter Hand die Bilder Cäsars und Napoleons vor dem unbefangenen Auge so rasch vorüber- gleiten liess, dass das letztere nicht mehr folgen konnte, trat jene Verstimmung ein, welche, wie Göthe sagt, sich stets einstellt, wo man die Absicht merkt. Wir fürchten sehr, das Buch gehört den Todten an, ehe es vollständig erschienen ist; es ruft Gefühle wach, welche den- jenigen schnurstraks entgegen sind, welche der kaiserliche Autor be- absichtigt, und bespricht er vom Standpunkte des Siegers den Kampf Dá PW 111 zwischen der Republik, die von Cásar gemordet wurde, und demje- nigen, welcher siegend den letzten Republikanern, den Rächern Cato's erlag, welche Macht der Erde kauu hindern, die aufgeworfene Frage von einem andern Standpunkte aus als dem seinigen zu beantworten, der, wie wirsahen, als der historische nicht bezeichnet werden kann, auf den Namen des ethischen von Anfang an verzichtet, der aber, wenn er nicht den Julius Cäsar zeigt, wie er war, doch den Cäsar giebt, wie er ist. Im April 1865 eingelangte Druckschriften. Jos. Smolík Mathematikové v Čechách atd. V Praze 1865. Část 1. (Vom Hrn. Verfasser.) Poggendorff's Annalen der Physik und Chemie. Leipzig 1865. Nra 2, 3. Magnet. und meteorolog. Beobachtungen zu Prag. XXV. Jahrg. Prag 1865. Mittheilungen der k. k. máhr.-schles. Gesellschaft fůr Ackerbau u. s. w. Brůnn 1864. Magazin der Literatur des Auslandes. Berlin 1865. Nro. 13—16. Mémoires de la Société de Physigue et d' Histoire naturelle de Genéve. XVII. Tome 2. part. Genéve 1864. Lotos, redig. von W. R. Weitenweber. XIV. Jahrgang 1864. Febr. Márz. Grimm, Deutsches Wórterbuch. V. Bandes 2. Lieferung. Leip- zig 1865. Abhandlungen der naturforsch. Gesellschaft zu Görlitz. 1865. XII. Band. Sitzungsberichte der k. bayr. Academie der Wissenschaften. München 1864. II. Band. 3. und 4. Heft. Jos. A. Freih. v. Helfert, Fünfzig Jahre nach dem Wiener Congresse. Wien 1865. (Vom Hrn. Verfasser.) Atti dell’ I. R. Istituto Veneto di scienze ete. Venezia 1864—65. Tomo X. disp. 4. Proceedings of the Royal Society. London 1865. Vol. XIII. Nro. 65—69. 112 Philosophical Transactions of the R. Society of London fo, 1864. Vol. 154. part. 1. and 2. o. Abstracts of Meteorological Observations ete. of Toronto, during the years 1854—59. Toronto 1864. Results of Meteorological Observations ete. during the years 1860—62. Toronto 1864. Monatsberichte der k. preuss. Academie der Ilissanas zu Berlin. Aus dem J. 1864. Berlin 1865. fm Archives des missions scientifigues et literaires. Paris 1865. II. Serie, Tome I. livr. 3 Centralblatt für die gesammte Landescultur. Prag 1865. XVL Jahrgang Nro. 10—12. Hospodářské noviny. V Praze 1865. Ročník XVI. číslo 15—17. Wochenblatt der Land-, Forst- und Hauswirthschaft. XVI. Jahrg. Nro 15—17. Zeitschrift der deutschen geolog. Gesellschaft. Berlin 1865. XVL Jahrg. 4. Heft. Annalen der kgl. Sternwarte bei Můnchen. 1865. XIV. Band. J. Lamont Astronomische Bestimmung der Lage des bayrischen » Dreiecksnetzes auf dem Erdsphäroid. München 1865. I. Mittheilung. Nalturwiss.-malhem. Section am 1. Mai 1865. Anwesend die Herren Mitglieder: Weitenweber, Kořistka, Amer- ling, Winaricky und Storch; als Gäste die HH. Nowak und Walter. Der Secretär der Ges. Weitenweber legt den neuesten XII. Band der Memorie dell’ I. R. Istituto Veneto di scienze, lettere ed arti (Venezia 1864) vor. Nachdem der Vortragende die Bedeutenheit der Denkschriften der Venetianischen Academie im Allgemeinen besprochen, hebt er ins- besondere, als für die naturwissenschaftliche Section wichtig, die durch mehrere Hefte der Memorie gehende, mit 40 Tafeln illuminirter Ab- bildungen ausgestattete gediegene Abhandlung des berühmten italieni- schen Botanikers Dr. G. Zanardini: Scelta di Ficee nuove o piu rare del mare adriatico hervor, und machte namentlich auf die vom Verfasser neu aufgestellten und hier zuerst beschriebenen Arten von Fucoideen aufmerksam. Tr : "mh « n če k 113 Das ausserord. Mitglied, Hr. Amerling setzte seinen in der vorigen Sectionssitzung (s. 5. 86) abgebrochenen Vortrag über die eigenthümlichen Naturscenarien der einzelnen Kreise Böhmens fort. Philologische Section am 8. Mai 1865. Anwesend die Herren Mitglieder: Purkyně, Hanuš, Weitenweber, Hattala, Winaricky, Dastich; als Gäste die HH.: Dworsky, Walter, Novotný, Kolář und Patera. Das ordentl. Mitglied Hr. M. Hattala hielt einen lángeren Vortrag (in böhm. Sprache) über die Veränderung der sla- vischen Consonanten. Die ausfůhrliche Abhandlung wird im náchsten (XIV.) Akten- bande der kgl. Gesellschaft aufgenommen werden. Philosophische Section am 15. Mai 1865. Anwesend die Herren Mitglieder: Weitenweber, Hattala, Doucha. v. Leonhardi und Kaulich; als Gast Hr. Dr. Grohmann. Hr. Grohmann (als Gast) begann eine Reihe von Vorträgen über einige Krankheitsformen im Atharva-Veda. I. Ueber den Takman. Der Takman war im indischen Alter- thume eine sehr gefürchtete Krankheit, die einen lethalen Ausgang sehr leicht zur Folge haben konnte. Sie muss bei einzelnen indischen Völkerschaften endemisch gewesen, zuweilen auch epidemisch aufge- treten sein. Folgende Symptome werden im Atharva-Veda von dieser Krankheit angegeben: 1. Eine unnatürliche Temperatursteigerung des Körpers (calor praeter naturam). 2. Frost und Wechsel von Frost und Hitze. 3. Kopfschmerz. 4. Der Kranke hat ein fahles Aussehen, häufig ist zugleich Ikterus vorhanden. 5. Auf der Haut des Kranken erscheinen zuweilen Hautauschläge, welche wohl páman, Krätze, ge- nannt werden, mit der Krätze jedoch nur äussere Aehnlichkeit haben. Complicationen des Takman sind Kásá, Husten, (Bronchitis) und Ba- lasa, Geschwulst, Anschwellung (Hydrops). Die Anfälle des Takman wiederholen sich nach bestimmten Rhythmen, weiche mit denen der Malariafieber vollkommen übereinstimmen. Gleich dem Malariafieber 8 Sitzungsberichte 1865. L 114 zeigt der Takman auch ein eigenthümliches Verhalten zu den ver- schiedenen Jahreszeiten: die Regenzeit (varsha) die schwůle Jahres- zeit (carada) und die heisse Jahreszeit (grishma) scheinen eine epi- demische Entwicklung des selben besonders zu begünstigen. Aus allem diesen geht hervor, dass wir unter dem Takman des Atharva- Veda Fieber zu verstehen haben, nicht bloss Malariafieber, sondern Fieber überhaupt, im Sinne unserer Volksmedicin, und im Sinne von jvara in der späteren Medicin der Inder. Der Takman wird ein Sohn des Königs Varuna genannt, weil Varuna, der Rächer begangenen Frevels, mit dem Takman die Men- schen straft. Auch Rudra und Agni werden als jene Götter bezeichnet, welche den Takman über die Menschen senden, der letztere vielleicht deshalb, weil die Fieberhitze dem Feuergotte angehört, der erstere, weil er als Sturmgott die Regenzeit, die der Entstehung des Takman günstig ist, herbeiführt. Bi; Die Heilung des Takman geschieht im Atharva-Veda auf mehr- fache Weise. 1. Durch Gebet zu den Göttern, um Nachlass der Sündenschuld und um Entfernung der Krankheit, welche sie in Folge der Sündenschuld uber den Menschen verhängt haben. 2. Indem man sich unmittelbar an den Dämon wendet, und ihn bittet, den Kranken zu verlassen. 3. Durch Transplantation der Krankheit auf einen Frosch, wie das auch im böhmischen Aberglauben noch stattfindet, und endlich 4. durch die Heilpflanzen Jangida und Kushtha (costus speciosus), durch deren zauberische Kraft der böse Dämon vertrieben wird. In Fällen, wo die Krankheit epidemisch in eine Landschaft ein- brach, wurde sie durch ein feierliches Opfer in jene (Gegenden, wo sie endemisch war, zurückgetrieben. Historische Section am 22. Mai 1865. Anwesend die Herren Mitglieder: Tomek, Winařický, Zap, Doucha und Storch. Das ordentl. Mitglied Hr. Tomek las eine Abtheilung seines II. Bandes der Geschichte der Stadt Prag, nament- lich über die Topographie der Prager Altstadt im 14. und am An- fange des 15. Jahrhundertes. Pa 115 Naturwiss.-math. Section am 29. Mai 1865. Anwesend die Herren Mitglieder: Weitenweber, Pierre, Amerling, v. Leonhardi; als Gäste die HH. Stolba und Vesely. Der Secretär der Gesell., Dr. Weitenweber legte vor und besprach J. Barrandes: Défense des Colonies. Prague et Paris 1865. III. Bekanntlich hat unser berühmte Paläontologe, Hr. Joachim Barrande, auf eine vieljährige ungemein genaue Erforschung des Terrains der Prager Umgegend in Bezug auf die hier vorkommenden Etagen des silurischen Systems basirt, bereits im I. Bande seines klassischen Werkes: Le System Silurien du centre de la Bohéme (Prague et Paris 1852) so wie später im Bulletin de la Societé geo- logique de France etc. seine eigenthümlichen Ansichten über die von ihm sogenannten „Colonien“ aufgestellt und auseinander gesetzt. Da nun diese letzteren von einigen Geologen, namentlich von Hrn. Lippold in Wien, Krejčí in Prag und Anderen angegriffen und be- stritten worden sind, fand sich Hr. Barrande bewogen, diesen Ge- genstand nochmals wiederholt an Ort und Stelle controllirenden Un- tersuchungen zu unterziehen, welche wieder ganz zu Gunsten seiner früheren Behauptungen ausfielen. Mit gewohnter Gründlichkeit hat Hr. Barrande dieselben in drei selbständigen Druckschriften unter dem gemeinsamen Titel: Défense des Colonies (I. Nov. 1861, II. 11. Feyr. 1862 und II. 1. Mars 1865) veröffentlicht und ist aus diesem gelehrten Streite, wie wir glauben, siegreich hervorgegangen. Das ausserordentl. Mitglied Freih. v. Leonhardi sprach über neuere Vorkommen einiger böhmischer Characeen und über die Art und Weise, dieselben einzusammeln. Hr. Fr. Stolba (als Gast) hielt einen Vortrag: Beiträge zur analytischen Chemie. I Zur Scheidung der Magnesia von Kali und Natron. Die guten Resultate, welche ich bei der Scheidung des Kali und Natron von mehreren anderen Oxyden, wie Uranoxyd, Thonerde, Li- thion usw. mittelst Anwendung der Kieselflusssáure erhalten hatte, wurden Veranlassung zu Untersuchungen, in wie fern sich diese Me- thode auch zur Scheidung von der Magnesia anwenden lasse. Zu gr 116 diesem Zwecke wurden gewogene Mengen verschiedener Alkalisalze mit den reinen Lösungen ‚von schwefelsaurer und salpetersaurer Magnesia und von Chlormagnesium, als denjenigen zusammengebracht, mit denen man es am meisten zu thun hat. Der Gehalt dieser Lö- sungen an Magnesiasalz war genau bekannt. Zu den Auflösungen wurde eine genügende Menge Kieselflusssäure, und hierauf hochgra- diger Weingeist zugefügt, wornach mittelst eines Glasstäbchens Alles umgerührt und dem ruhigen Absetzen überlassen wurde. Sobald sich das Kieselfluormetall vollständig abgesetzt hatte, wurde es auf einem Filter gesammelt und mit Weingeist ausgewaschen. Die auf diese Weise angestellten Versuche ergaben bezüglich der Scheidung der Magnesia von Kali Folgendes: In Folge der Unlöslichkeit des Kie- selfluorkaliums in weingeistiger Flüssigkeit lassen sich in den ge- nannten Magnesiasalzlösungen schon kleine Quantitäten von Kali mit Genauigkeit bestimmen. Will man das Kali in der Form von Kiesel- fluorkalium aus der Auflösung von schwefelsaurer Magnesia herausfällen, so muss berücksichtigt werden, dass die schwefelsaure Magnesia sich bei einem gewissen Alkoholgehalte der Flüssigkeit aus- zuscheiden beginnt; es muss demnach der Weingeist in kleinen An- theilen und unter stetem Umrühren nur so lange zugesetzt werden, als noch keine derartige Erscheinung eintritt. — Bei dem Chlorma- gnesium und der salpetersauren Magnesia ist man in Folge ihrer Löslichkeit in starkem Weingeiste an solche Vorsichtsmassregeln nicht gebunden und kann sogleich das gleiche Volum, oder auch mehr, an hochgradigen Weingeist zusetzen. Das gesammelte und ausgesüsste Kieselfiuorkalium wird nach der bereits beschriebenen Art durch Fil- triren mit Normalkalilauge bestimmt. Von den zahlreichen in dieser Art angestellten Versuchen will ich hier nur zweier erwähnen, wo bei Anwendung von je 1 gram. krystallisirten reinen Bittersalzes und von 0:005 und 0'010 gm. salpetersauren Kalis je 0:0049 und 00098 gm. zurückerhalten wurden. Handelt es sich darum, dass auch die Menge der Magnesia bestimmt werde, so ist es am einfachsten, aus dem weingeistigen Filtrate wieder die Kieselflusssäure zu entfernen. Diess geschieht durch Zusatz einer genügenden Menge von weingeistiger Lösung des essigsauren Kalis. Man lässt sich das ausgeschiedene Kieselfluorkalium gut absetzen, sammelt es am Filter und wäscht es mit einer Mischung gleicher Raumtheile starken Weingeistes und 117 Wassers aus. Das weingeistige Filtrat wird mit einer Auflösung von Sal- miak, phosphorsaurem Ammoniak oder Natron und Aetzammoniak ver- setzt, und die phosphorsaure Ammonmagnesia auszuscheiden. Die am Filter gesammelte wird mit Ammoniak ausgesüsst, überhaupt wie ge- wöhnlich verfahren. Die angestellten Probeanalysen ergaben ganz befriedigende Resultate. Ist man jedoch nicht genöthigt die Menge der Magnesia in der- selben Probe, in welcher das Kali bestimmt wurde, zu ermitteln, so wird die Analyse noch viel einfacher und rascher ausführbar, da man in einem bestimmten Antheile das Kali und in einem zweiten die Magnesia gleichzeitig bestimmen kann. Alsdann lässt sich nach keinem anderen Verfahren eine derartige Analyse ebenso rasch und genau ausführen. Handelt es sich um die Scheidung des Natrons von der Magnesia, so ist es vielweniger gleichgiltig, mit was für einem Magne- siasalze man es zu thun hat. Ist nämlich wenig Natronsalz zugegen, etwa 0°005 gm. und es soll die Menge des Natrons in einer Auflösung der schwefelsauren Magnesia bestimmt werden, so erhält man in Folge der grösseren Löslichkeit des Kieselfluornatriums und weil die Flüssigkeit nur bis zu einem gewissen Grade mit Weingeist ver- setzt werden kann ohne Bittersalz auszuscheiden, ein fehlerhaftes Resultat, indem man durch die Analyse etwa nur die Hälfte des vor- handenen Natronsalzes findet. In diesem besonderen Falle ist dem- nach dieses Verfahren nicht zu empfehlen. Ist jedoch mehr Natronsalz zugegen, so erhält man ebenso befriedigende Resultate, wie bei An- wendung der gewöhnlich gebrauchten Methoden. Es lässt sich von diesem Verfahren zur Analyse eines mit Glaubersalz verfälschten Bit- tersalzes vortheilhaft (Gebrauch machen. Ist das Natron in einer Auflösung von Chlormagnesium oder von salpetersaurer Magnesia zu bestimmen, so ist es gut, die Flüssig- keit mit dem doppelten Volum hochgradigen Weingeistes zu vermischen. Man wartet mit der Filtration so lange, bis sich der Niederschlag gut abgesetzt hat. Filtrirt man früher, so setzt sich aus dem Filtrate häufig etwas Kieselfluornatrium ab, wodurch man genöthiget wird, die Filtration zu wiederholen. Die angestellten Probeanalysen ergaben ganz befriedigende Resultate. — Hat man gleichzeitig Kali und Natron von der Magnesia zu scheiden, so müssen die gemeinschaftlich ge- 118 fállten Kieselfluormetalle nach dem Trocknen entweder in Chloride oder Sulphate úberfůhrt werden. Sollen sie in Chloride überführt werden, so löst man sie mit möglichster Vermeidung jeglichen Verlustes vom Filter los, mengt sie innig mit Salmiakpulver und erhitzt in einem Platintiegel vorsichtig so lange, als sich noch Dämpfe bilden. Das Filter wird mit etwas Salmiakpulver bestreut und bei möglichst niederer Temperatur ver- ascht. Sowohl diese Asche als auch der Inhalt des Platintiegels werden mit Wasser ausgelaugt, wornach man die Chloride rein in Lösung erhält und nun in gewöhnlicher Art weiter bestimmen kann. Sollten die Magnesiasalze freie Säure oder Ammoniaksalze ent- halten, so müssen dieselben bei Anwendung der erwähnten Scheidungs- methode durch Glühen vorher beseitigt werden, da sie sonst Ver- luste bedingen. U. Zur massanalytischen Bestimmung der Kieselerde. Die Nothwendigkeit, eine grössere Anzahl Proben von Wasserglas möglichst rasch zu analysiren, führten zu nachstehenden Versuchen einer quantitativen Bestimmung der Kieselerde durch Massanalyse in ihrer Verbindung mit Kali oder Natron. Die Grundiage des Verfahrens beruhet auf der möglichen Umwandlung der Kieselerde in Kieselfluss- säure, respective in Kieselfluorkalium, welche letztere Verbindung, wie bekannt, durch Massanalyse bestimmt werden kann. (relingt es nun, die Kieselerde in der zu analysirenden Verbindung gänzlich in Kiesel- fluorkalium zu überführen, und dasselbe ohne Verlust zu sammeln, so ist mit der genauen Bestimmung des Kieselfluorkaliums auch die Kieselerde genau bestimmt, da eine bestimmte Menge Kipapletien einer bestimmten Menge Kieselfluorkalium entspricht. Berücksichtigt man, dass die Kieselerde (SiO,) für je ein Aequi- valent, wieder 1 Aeguivalent (KFl, Si Fl,) liefert, berücksichtigt man ferner, dass das (K Fl, SiFl,) zu seiner Zerlegung 2 Aeguivalente Kali fordert, so ergiebt sich sogleich, dass (Si=14) gesetzt, je ein CC. der zur Titrirung des schliesslich erhaltenen Kieselfluorkaliums erforderlichen Normalkalilauge 0'015 gm. Kieselerde entsprechen müsse. Es handelte sich nun hauptsächlich darum, auf welche Art man die Kieselerde am besten in Kieselfluorkalium umwandeln könne. Nach vielen Versuchen blieb ich bei folgendem Verfahren stehen. Die ge- m. w 119 wogene zu analysirende Wasserglaslösung wird mit etwa dem 10-fachen Volum Wassers verdünnt, einige Tropfen Lakmustinetur zugesetzt, und nun Essigsäure zugefügt bis zum Eintritte einer deutlich sauren Reaction. Durch die Essigsäure wird die Kieselerde in Freiheit ver- setzt, und bleibt in der verdünnten sauren Flüssigkeit aufgelöset. Zu dieser Lösung wird nun eine hinreichende Menge einer bereit gehaltenen sauren Fluorkaliumlösung gebracht, welche mindestens 8-mal so viel Fluorkalium enthält, als man Kieselerde zu vermuthen Grund hat. Man bereitet diese Fluorkaliumlösung, indem man ein bekanntes Gewicht Fluorkalium in etwa der zehnfachen Menge Wassers auflöst, etwas Lakmustinctur und so viel Essigsäure zufügt, dass die Flůs- sigkeit deutlich sauer reagirt. Man fügt nun ein gleiches Volum Wein- geist zu, wodurch sich nach einiger Zeit etwas Kieselfluorkalium in Folge des gewöhnlichen Gehaltes des Fluorkaliums an Kieselerde absetzt, worauf man durch ein schwedisches Filter filtrirt. Es ist nothwendig den Gehalt dieser Flüssigkeit an Fluorkalium annähernd zu wissen, damit man bei dem Versuche die hinreichende Menge an- wenden möge, denn. ein Ueberschuss davon schadet nicht, während man bei zu wenig, falsche Resultate erhält. Diese Fluorkaliumlösung kann nicht in Glasgefässen aufbewahrt werden, indem sie das Glas anätzt und dünne Glasblättchen ablöst. Sie in Platingefässen auf- bewahren zu wollen, wäre unpraktisch, da man selbe zu anderen Zwecken häufig dringend bedarf. Wahrscheinlich würden sich Gefässe von Guttapercha zur Auf- bewahrung eigenen ; ich pflege jedoch auch von solchen keinen Gebrauch zu machen, sondern von Glasflaschen, die innen mit einer Rinde von Paraffin gut überzogen sind. Die Flasche wird sorgfältig getrocknet, erwärmt und etwas heisses Paraffın eingegossen, umgeschwenkt und ausgegossen, wornach es in der Flasche einen gut haftenden Ueberzug zurücklässt. Dieser haftet noch besser, wenn das Glas vorher mittelst gasförmiger Flusssäure rauh gemacht wird. Es ist zweckmässig, auch das Becherglas, worin man die Kiesel- erde als Kieselfluorkalium fällt, immer mit Paraffin ebenfalls zu über- ziehen, weil es sonst beim längeren Stehen leicht angefressen wird und alsdann. kein sicheres Resultat liefert, indem auch etwas Kiesel- fluorkalium auf Kosten der Kieselerde des Glases entstehen kann. 120 Man lässt es nun so lange stehen, bis sich das Kieselfinorkalium aus der Lösung, welcher man das gleiche Volum hochoradigen Wein- geistes zugefügt hat, vollständig abgesetzt hat, was um so leichter wahrzunehmen ist, da es sich in Form einer vom gerötheten Lakmus- farbstoffe roth gefärbter Schicht ziemlich schnell niederschlägt. Das Absetzen kann noch beschleuniget werden, wenn man das Gefäss in kaltes Wasser einsetzt. | Man filtrirt hernach das Kieselfluorkalium ab, sammelt es auf einem Filter, wäscht das Gefäss, in welchem die Füllung vorgenommen wurde, sowohl, als auch das Filter mit einem Gemisch gleicher Volu- mina Weingeist und Wasser so lange aus, bis das Filtrat nicht mehr sauer reagirt. Es ist räthlich das benutzte Filter vorher mit der Fluorkalium- lösung zu benetzen, mit Essigsäure anzusäuern und nach einiger Einwirkung mit heissem Wasser auszusüssen, da sonst ein Theil die Kieselerde des Filters in Kieselfluorkalium übergeführt werden könnte, Sowohl der Trichter, mitelst dessen man filtrirt, als auch das Gefäss, worin man das Filtrat auffängt, müssen mit Paraffin überzogen sein. Das gesammelte Kieselfluorkalium wird nach der bereits bekannten Art mit Normalkalilauge austitrirt. Die angestellten Probeanalysen ergaben mir sowohl unter sich, als auch mit dem gewichtsanalytischen Resultate eine gute Ueberein- stimmung. Als z. B. je 10 CC. eine Lösung von Natronwasserglas, welche nach gewichtsanalytischen Versuchen 0'108 gm. SiO, enthielten, in drei Versuchen in gleicher Art untersucht wurden, gebrauchte ich je 714 CC., 718 CC., 723 CC. Normalkali entsprechend 01071 0:1077 ) gm SiO,, anstatt 0'108 gm. 0:1084 Bei einer anderen Versuchsreihe forderten 10 CC. Wasserglas- lösung, worin 0'114 gm Kieselerde enthalten waren 7:65 CC. Normal- kalilauge entsprechend 0:11475 gm. Kieselerde. Als 10 CC. dieses Wasserglases in einem Kolben durch Wasserzusatz auf 100 CC. ergänzt wurden, verlangte das ausgeschiedene Kieselfluorkalium 0:8 CC. Nor- malkalilauge entsprechend 0:0120 gm. Kieselerde, als 10 CC. dieser Lösung analysirt wurden, welche 0'0114 gm. Kieselerde enthielten. Viele andere Versuche mit wechselnden Mengen von Kieselerde, er- dá 121 gaben ähnliche günstige Resultate. — Das beschriebene Verfahren wäre einer noch grösseren Anwendung fähig, wenn es nicht nothwendig wäre die Flüssigkeit mit Weingeist zu versetzen, welcher viele Ver- bindungen fällt. Eine neue Versuchsreihe, in welcher anstatt des Weingeistes gewisse Alkalisalzlösungen verwendet wurden, in denen das Kieselfluorkalium ungemein schwerlöslich ist, gab ziemlich günstige Resultate; es sind jedoch die Versuche noch nicht so weit abgeschlossen, um darüber hier schon heute berichten zu können, Schliesslich muss ich noch bemerken, dass das oben beschrie- bene Verfahren der quantitativen Bestimmung der Kieselerde natürlich auch dazu dienen könne, dieselbe qualitativ nachzuweisen, wo man in ganz gleicher Art verfáhrt. Nur muss man ein reines, nicht mit Pa- raffın überzogenes Glasgefäss nehmen, um das Kieselfluorkalium leichter sehen zu können. Sollte der Absatz von Kieselfluorkalium nicht deut- lich genug warnehmbar sein, so braucht man nur mittelst eines Glas- stäbchens die Flüssigkeit umzurühren, wodurch die Theilchen vom Boden gehoben und so deutlich sichtbar werden. Es gelang mir in dieser Art schon kleine Quantitäten Kieselerde nachzuweisen. ‘Da sich, wie erwähnt, das Kieselfluorkalium rasch absetzt, so hat man hiebei einen nachtheiligen Einfluss des Glasgefässes um so weniger zu befürchten, da man in reinen Glasgefässen selbst quantitative Bestim- mungen ausführen kann, wenn die Flüssigkeit gleich nach dem Ab- setzen filtrirt wird. Im Mai 1865 eingelangie Druckschritten. B. Silliman and J. Dana. The American Journal of science and arts. New Haven 1865. Second Series. Vol. XXXIX. Nro. 116. Fr. Palacky Geschichte von Böhmen. 3. Abdruck. Prag 1864. I. Band. — Prag 1865. V. Bandes I. Abtheil. Fr. Palacký Archiv český čili staré písemné památky české i moravské. V Praze 1862—64. V. díl, svazek 21—25. Fichte, Ulrici und Wirth Zeitschrift für Philosophie usw. Halle 1865. XLVI. Bandes 2. Heft. Magazin der Literatur des Auslandes. Berlin 1865. Nro. 17—20. Hospodářské noviny. V Praze 1865, ročník XVL. číslo 17—20. 199 Wochenblatt für Land-, Forst- und Hauswirthschaft. Prag 1865. Nro. 19—22. he The Quaterly Review. London, January 1865. Nro. 233. Schweizerisches Urkundenregister usw. Bern 1863 I. 1. 1865 1076. ZZ, Archiv für schweizerische Geschichte. XIV. Band. Zürich 1864. Jahresbericht des physicalischen Vereins zu Frankfurt a. M. für 1863—64. J. Barrande Defense des Colonies. III. Etude generale sur nos etages G—H avec application spéciale aux environs de Hlubočep pres Prague. 1. mars 1865. (Vom Hın. Verfasser.) Jahrbuch der k. k. geolog. Reichsanstalt in Wien. 1865. XV. Band Nro. 1. | Jahresbericht der Gesellsch. fůr Natur- und Heilkunde in Dresden. für 1863—64. J. B. Ullersperger Memoria sobre la influencia del cultivo del arroz y exposicion ete. premiada por la real Academia de medi- cina de Madrid. 1564. (Vom Hrn. Verfasser.) ° Archiv für hessische Geschichte. Darmstadt 1865. XI. Band 1. Heft. Bibliothek des literar. Vereins in Stuttgart. LXXVI—LXXAX. (Ayrer’s Drama, herausgeb. von Ad. v. Keller I—V. Band.) Stutt- sart 1865. Poggendorfi's Annalen der Physik und Chemie. Berlin 1865. Nr. 4. Zeitschrift für die gesammten Naturwissenschaften, redigirt von Giebel und Siewert. Berlin. Jahrgang 1864. XXIV. Band. K. VL Zap, Česko-moravská Kronika. V Praze 1865 sešit 20. (Vom Hrn. Redacteur.) Memorie del R. Istituto Lombardo di scienze e lettere. Milano 1865. Classe de lettere ete. Vol. X. fasc. 1. — Classe di scienze math. e naturali. Vol. X. fasc. 1. Rendiconti etc. Classe math. Vol. I. fasc. 8-—10 und Vol. II. 1, 2. Jahrbuch des naturhistor. Landesmuseums von Kárnthen. Kla- genfurt 1864. 6. Heft. Lotos. Zeitschrift für Naturwissenschaften, redig. von W. R. Wei- tenweber. Prag. Jahrg. 1865 Mai. : 123 Philologische Section am 12. Juni 1865. Anwesend die Herren Mitglieder: Tomek, Hattala, Winařický, Zap; als Gäste die HH. Lepar und Tyn. Das ordentl. Mitglied, Hr. Hattala führte den Beweis, dass es auch im Neubulgarischen noch Nasalvocale a und e gebe. Philosophische Section am 19. Juni 1865. Anwesend die Herren Mitglieder: Hanuš, Hattala, Nebeský und Winaricky. Das ordentl. Mitglied, Hr. Hanuš trug (in böhmischer Sprache) seine skeptischen Bemerkungen darüber vor, ob je von den heidnischen Slaven eine Göttin unter dem Namen Ziva ver- ehrt worden sei. -O bohyni Živě. Ve všech téměř bájeslovích uvádí se i bohyně Živa. Co nejstarší doklad její bytnosti slouží stať jedna v kronice latinské Helmolda, psané okolo roku 1160. Čteme tam v první knize (kapitole 52) jak následuje: „Invaluit in diebus illis (Pribislao rege Polaborum) per universam Slaviam multiplex idolorum cultura, errorgue superstitionum. Nam praeter lucos atgue penates, guibus agri et oppida redundabant, primi et praecipui erant Proue, deus Aldenburgensis terrae, Siwa, dea Polaborum, Radigast, deus terrae Obotritorum. His dicati erant flamines et sacrificiorum libamenta, multiplexgue religi- onis cultus.“ "Tato „Siwa“ čte se co Živa, co je však velmi po- chybné. Neboť nestává ještě veskrz spolehlivého vydání Helmoldovy kroniky, jako je kroniky Thietmarovy v Pertzových Monumenta, o neznámeť tudíž formy slova tohoto rukopisné, abychom mohli kri- ticky na pravou formu uhoditi, kterouž úsečně a správně sotva udal Němec Helmold při vší své poctivosti, i kdyby opisy a tištěné knihy k tomu ještě nebyly spotvořovaly podané Helmoldem tvary slo- 'vanskych slov. Jméno boha Proue čtou a píšou ku př. jednou též: Proven, podruhé Prone, Prono; Siwa tak též jednou Synna, což zajisté nedodává bezpečnosti, čísti a vykládati ihned slovo to „Živou“, poněvadž na tom místě Helmoldem jsme se jen dozvěděli, 124 že nějaká bohyně slovanská se jako v trojici nejhlavnějších bohů polabských ctila na konci 11. a na začátku 12. st. v hlavním městě Ratiboři (Racenburg. Šafařík starož. 309). Vrátíme se však k ní ještě nížeji. Druhou starou zprávu podávají nám podle domnění obecného české glossy Vacerádovy v slovníku Mater Verborem, jenž se co rukopis z r. 1302 chová v českém Museu. Jmenujit ji tam třikrát, ba vlastně čtyřikrat, beřeme-li ohled i na titulní miniaturu. Poza- stavmež se hned u něho. Na prvním listě rukopisu je velká mini- atura, jež na dolejší části vyobrazuje Zenstinu polonahou, která v obou rukou drží, jak jedni vidí, květiny, jak druzí, klasy. Máť nad sebou nápis: ESTAS SIVA. Toto Šiva je prý Živa, již jednou © text: diva, dea (str. 83), podruhé: dea frumenti, Ceres (str. 68), po třetí ale jen interlinearně či meziřádkovou glossou text: Ceres, fru- ges, frumentum vel dea frumenti (str. 409) opět co siua podává. Není však víře podobno, že by to slovo siva ua miniatuře bylo české, poněvadž Mater Verborum je velký encyclopaedický spis la- tinský, hlavně za tím účelem sestavený, aby latinou středověkou vy- jasňoval hlavně hebrejská a řecká jmena osob, míst, důstojností a p. České a německé glossy nalézají se v něm jen porůznu. Je tudíž více než pochybno, že by se hlavní či titulní jeho obraz měl vztahovati na jedinkou glossu českou, na glossu, která se k tomu ještě v textu jinak píše (Siua) a jinak vykládá, nežli aestas. © Mám tudíž za to, že výraz Siva na obräzce je hebrejské slovo Sivan, jméno to měsíce, jenž běžel od novoměsíce v červnu až do novo- měsíce v červenci (J. Fürst hebr. und chald. Handwörterbuch Leipz. 1863. II. B. str. 79. a.), odpovídaje tudíž latinskému aestas, léto. Mluvíť o něm i Mater Verborum sama, rukopisni ve formě „Siban“ na listech 190. 316.; tištěná ve formě „Sidan“ na str. 410. vyklá- dajíc jej co maius, mensis tertius. Obě Mater verborum oplývají chybami pravopisními a tiskovými, pročež není i divno, že miniatura píše Siva místo Sivan. Podle toho nemá miniaturní „Siva“ ničehož co činiti s glossami českými znějícími písmem: Siua, 0 nichž pro- mluvíme nížeji obšírně. Tyto tři glossy: „Siua“ mohli by se ovšem čísti Živa, poněvadž Vacerád píše i „živok, animal“ pismenky „siuok“. Živa odpovídala by pak jednak latinskému diva, dea, jinak latinskému: fruges, frumentum, Ceres, dea frumenti. 125 Proti jedné glosse dalo by se ovšem namítati, že stojí, jak shledáme, tam, kde stojí v latinském tištěném textu sine t. j. sive (oder), že totiž opisovač starý latinské sive proměnil v siva, z čeho by opet souditi se dalo, že i tam, kde v rukopise Mat. Verb. stojí siva, mohlo a mělo by snad státi sive. "Této poslední pochybnosti stojí však naproti, že glossa meziřádková na str. 409 nad slovo Ceres položila slovo siua veskrz zřetelně. Ti učenci ovšem, již mají glossy meziřádkové za podezřelé, nepokladou na to žádné váhy, než na jiném místě bylo juž doloženo, že podezřívání to nemá podstatnosti nižádné. Co do obrázku samého na miniatuře titulní je podobný vyobrazením starým v kalendářích a to panny co souhvězdí v zvě= rokruhu: míním tu ovšem kalendáře rukopisné pergamenové, jako je ku př. jeden v cís. knihovně Pražské pod sign. 13. C. 1., v nichž při máji tu „pannu“ nalezáme, ana v rukou kvítí drží podobným spů- sobem, jako ona „aestas, Šiva“ v rukopisné Mater Verb. v museum, u které panny zodiak naznačen je modrým pruhem, přes čelo panny běžícím, co výklad náš, že tu Siva je jmeno hebrejské měsíce máje, ztvrzuje. V rukopisné Mat. Verb. elossuje se měsíc máj jednou slovem izok (str. 190), po druhé: Yzok, Siban (str. 316), které slovo v staroslovanštině co izok» znamená i červen i svrčka (cikadu), jak Miklosié (lex. 1850 str. 56) dokládá, jako opětný dovod, že i při „Siban“ se myslelo na léto (aestas). Pustmez tedy obraz ten mini- aturni veskrz mimo sebe, navracejíce se ke glossam „Siua“. Mohlo by to snad znamenati tuže bohyni, již Helmold nazval Siwa. Ve mnohém velmi důkladná „Studia z mythologie české,“ jež pan J. Jireček r. 1863 v musejníku uveřejnil, dávají na str. 157 a jinde na jevo, že Mater Verborum je důležitým pramenem mythologie polabské, co se však čerpání z ní pro bájesloví české týká, tu že nelze jinak postupovati, leč s přísnou kritikou, poněvadž prý Vacerád o bozích svých se hlavně dozvěděl z kronik polabských. Než zdá se nám přece, že J. Jireček tu příliš přísný výrok vydal, ač se k nutnosti kritiky milerádi přitulíme, jež je u nás všude nutna. hlavně pak v bájesloví slovanském, poněvadž se posud, právě z ne- dostatku kritiky u nás vyvinulo jen báječné bájesloví. Že tu v skutku J. Jireček příliš přísně soudí, viděti na nejednom zjevu. Tak dokládá ku př. též, že i svého Peruna Slované si z Německa, nápodobňujice hlaholem slovanským jmeno Donara, převzali. Pokratovalo-li by se 126 však tím přepřísným kritickým spůsobem dále, pak by se ze staro- žitností Slovanských a českých zvlástě stala skoro holá tabula rasa, což předce proti vůbec uznané zásadě, že základové vzdělanosti, tudíž i bájesloví, u všech pranárodů indoeuropských byli stejní, poněvadž všeobecní, bojuje. Podobným spůsobem zdají se nám zprávy Vace- rádovy, ač se ovšem z nich ráz středověký setříti nedá, veskrz jiného charakteru býti, nežli zprávy kronikářů polabských, melt t. Vacerád za hlavní směr svůj, slovník Mater Verborum co možná českým neb Čechům přístupnějším učiniti, překládaje a vykládaje česky, co našel v něm přeloženo německy a vyloženo latinsky, budiž to juž pouhé slovo, budiž to věc, ku př. aratrum, pluh (str. 18.) plecto, vlichto, pletu (str. 117). — Mercurius a mercibus est dictus, Radihost, vnuk Kirtov (str. 447.), Dlirie regio, Slovanska zemie (str. 154). Formu: Radihost nenašel Vacerád v žádné kronice latinské, kde se píše: Radegastus nebo Riedegost, formu: Zvarasici neb Lvarazici našel sice, nepřevzal však do gloss svých: taktéž jsou jména: vnuk Kirtov, Sytivrat a mnohá jiná veskrz neznámá kro- nikám; na důkaz, že Vacerád vládl hojnému pokladu vlastních svých vědomostí. Tam, kde v textu latinském stojí: Mercurius nepos Ath- lantis t. j. v prvním a pravém slovníku Mat. Verb. (tisk. str. 263. 1. sloupec) nepřipsal ničehož, v druhém slovníčku ale, kde jen stojí: M. a mercibus est dictus (tisk. str. 543. sloupec 1.) připsal: vnuk Kirtov, na důkaz, že samostatně si počínal. A v skutku, kde by se byl z kronik polabských dozvěděl slov, jako jsou: Zirtva, holo- caustum, žarovišce, rogum, vilkodlaci, incubi, Veleš, Pan, Svor, zodiacus, skret, daemon, raj, paradisus, prěšera, porten- tum, obniščenin, libertus, navazač, haruspex, Morana, He- cate a p., Máme tudíž i slovo „Siua“ u Vaceráda za domácí, ba domý- šlíme se, že je jiného kořene a jiného znění nežli Helmoldova „Siwa“, dea Polaborum. Posud se tato hlavně kronikáři středověkými četla a vykládala co Dzjeva, Dévana, Venus, Krasopaní — Vaceradova „Sina“ však čtla se téměř bezvýminečně co Živa; než nedostávalo se i vykládačů, již měli Djevu a Živu za totožnou. Proti výkladu Helmoldovy Siwy co Živy opíral se první Do- brovský v Slavínu, neb praví při úvaze o Kaysarov& bájesloví slo- vanském takto: „Siwa die göttin des lebens bei den Polaben. Dies 127 ist die gewöhnliche Erklärung, weil man dabei an Živ, živa, vivus, viva dachte. Hätte man nicht vielmehr an den indischen Shiva denken sollen? Sonderbar genug, dass die slavischen Mythologen nicht darauf verfallen sind, ihre Götternamen in Indien zu suchen“ (str. 413. edit. prine.). Vyplnilo se v skutku toto přání Dobrovského a bohužel v přehojné míře, neb vedlo pacestím neschůdnějším ještě, než jím zaváděla bohyně Živa; neboť dal se tu slovůtný jazykozpytec zavésti pouhým zvukem Helmoldovy Siwy a indického Shiva. Šafařík však držel se bohyně Zivy; nehledalt ji ovšem v Indii, ale v báje- sloví skandinavském. Pravit ve svých starožitnostech: „Slovanská Prija (Venus) slula u dřevných Skandinavcův Freya, příjmím Vana- dis, t. vendická bohyně. Skandinavská Sif (st. něm. Sippia, ags. Sib) lot. Seewa jest naše Živa a Wöla naše Vila (str. 51. edit. princ.). Avšak i toto srovnání Živa — Sif nezdá se, že vede k účelu žá- danému. Jméno skandinavské bohyně Sif (goth. sibja, st. nem. sippia, angl. sibbe, sib, J. Grimm, d. myth. 286. Mannhardt, Zeitschr. f. d. myth. I. 331.) neodráží se t. v slovanském slově živ-a, než bezpo- . chybí ve slově žup-a (srov. st. slov. župan?, k čemuž srovnává Mi- klosich, lexis 1865. str. 201. b. goth. siponeis, discipulus, pruské: supüni, mater familias, litev. župoné, id. a maďar. ispan). Význam však bohyně Sif, že byla t. ženou 'Thöra (Donara) a že měla zlaté vlasy, může ovšem státi v souvislém báječném poměru s bohyní „Siwa“, jak my ji t. vyložíme. Co se však správnosti týká, že Šafařík a Palacký ve svém spisu die ältesten Denkmäler d. böhm. Sprache (1841. str. 231. a) glossu Vaceradovu: „siua“ čtou: živa, není nic proti ní co namítati, poněvadž obdoba pravopisu Vacerádova aspoň z jedné strany ji podporuje, an Vacerád též píše: siuok=Zivok, ani- mal (str. 144), blasu=blazu, blažím, beo (str. 31), sahadlo= žáhadlo, cauterio (str. 46), pasit=paäit, cespis (str. 191). Avšak takto čísti a vykládati není nutno, poněvadž Vacerádův nejapný pravopis 1 Ji- nému čtení podává rukověť; píšeť t. též: salase=salase, casa pa- storalis (str. 193), san=san, serpens (str. 114), sytiwrat=Sitivrat, Saturnus, jak opět Šafařík a Palacký čtou a vykládají (1. c.). Taková nejasnost a nejistota panuje i ze strany výkladu Helmoldovy bohyně Siwa, neboť jakožť juž výše jsme se toho byli dotkli. čtou podle Bangerta někteří rukopisové místo: Siwa i Synna, co Eccard (duo monumenta perantigua cap. IV. $. 25. pag. 67, 68.) vztahuje na jméno 128 kláštera Synna při Jutroboze. Bylo-li by tomu tak, mizela by veskrz nějaká obdoba se „Siwa.“ Jistotu přinese teprva Pertz, jest-li že vydá Helmolda se vším různočtením v rukopisech. Než na ten čas předce volno, zavrhovati slovo Synna co neslovanské a různočtení si vysvětliti tím, že slovo Siwa v starších rukopisech se asi psalo Syuua, co pak někdo mylně četl a psal Synna. Čím sporejší a záhadnější jsou pravá a stará zřídla o bohyni „Siwa“, „Siua“: tím výmluvnější a obrazovitější jsou středověcí kronikáři 15—17. věku, u nichž bys chladnou a rozumnou soudnost darmo hledal. Dám toho jen několik, ale makavých příkladů, jichž dosti bude, poněvadž každý kronikář pozdější rád prvějších opisuje. Známá stará kniha: Chronica der Sachsen podává (ad annum 1134 fol. 9.) následující zprávu o Sivě: „Unde de affgodinne de heyt siven, de hodde de hende ouver ruggen, in der eynen hand hadde sy eynen gůlden appel, unde in der anderen hand hadde se ein wyn-druueben mit eynem gronen Blade und öre hare hangede ör went in de waden“: kronika ta přidala tomu i podobiznu, již i s vý- kladem převzal i Bangertus, vydavatel Helmoldův r. 1659. Čím by však výklad té staré kroniky a popis odůvodněn byl, o tom nikde se neděje ani zmínky. Jistý Abraham Hosz man vydal r. 1616 v Budišíně německý spis o chrámu Venery v Brně, jehož prý r. 367 král moravský Mero- vius vystavěl, jmenovav bohyni tu: „Parthenian“, tudíž Děvu. Spis je velmi řídký, ale zachoval se v latinském překladu Bohusl. Balbina v 1. svazku: Miscellanea historica regni Bohemiae (Pragae, Černoch 1679. str. 163. 164). Odvolává se co do dokladu na zprávy Jana Turpina, Salmutha, Spanberga, Morice Brandta, z nich pro stáří své jediný Turpin zde by padl na váhu, jelikož ostatní na něho jen se odvolávají. Turpinus žil prý v 9. století, psav historii o císaři Karlu Velikém. Než sám starý Jócher praví, že tato hi- storie je jen „ein erdichteter Roman, welcher von einem Be- trůger, der im 11. oder 12. Jahrhunderte gelebt, unter des Turpini Namen edirt worden.“ I Balbin sám, ač bývá mnohdy nekritický, připojuje: „majorem difficultatem movet historica veritas, guis enim Merovius ao 367 in Moravia regnavit? — Turpinum, magnum aliogui fabulatorem sursum deorsum pervolutavi, nihilgue istorum inveni “ A v skutku nenajdeš tam mimo článek: „de idolo Mahumeth“ ničehož, s 2 129 co by se jakési Partheniy - Děvy týkalo. Hoszman výše dotčený popisuje sochu bohyně Děvy půvabnými slovy: simulacrum nudum, admirandi operis ad justam virginis formosissimae figuram confor- matum stabat, oculi erant ludibundi, melliti, illecebrarum plenissimi“ atd. „Curru aureo vehebatur, quem duo albuli columbuli et duo cygni trahebant. Adstabant tres nudae virgines“ ete. Z těchto lichých zpráv obrazivost Jana Jiřího Středovského, faráře Moravského, jenž r. 1710 vydal: sacram Moraviae historiam (Solisbaci, Lehman, 49) vyvedl rozkošné bájesloví, jež netoliko do podrobna zná Helmol- dovu „Siwu“, než i „Děvu“ Hoszmanovu, kterouž též stkvostným obrazem poctil i se třemi jejími nahými krásotinkami. Pravíť: „Inter praecipua Slavorum numina referebatur etiam Siwa seu Dziwa, cuius deminutivum Dzivica adhuc in usu est et virginem Slavis sig- nifieat. Et haec Polaborum qui sunt Raceburgenses Venus fuit.“ Odvolava se Středovský výslovně na Bangertovo vydání Helmolda (Lubecae 1659 str. 127). „Apud Moravos Venus seu Krasopani dicta etiam Zyzilia longe magnificentiori celebrabatur cultu“ a pouští se pak do vypravování Hoszmanova podle Balbina. Tuto Kraso- pání - Zyzilii počítá mezi vyšší bohy Moravců, co menší jich bohy a bohyně uvádí pak jestě mezi jinými i „Marzena - Diana, Živěna- Ceres, “ aniž by jich jinak, určitě a správně, doložil, jako pří- davků svých k Helmoldovi a Hoszmanovi. Právem tudíž jmenuje Palacký (v dějinách I. 1. str. 135) Středovského Hájka Morav- ského. Avšak jako v Hájku mnoho bájeslovného se zachovalo, taktéž jsou i v Středovském jména připojená: Dziva, Dzivica, Zyzilia pozoru hodna, jak nížeji shledáme, kdežto jméno krasopaní jen středověký výraz je pro planetu Venus, ničehož nemajíc společného s dotčenými slovy starožitnými. Mařena je známá bohyně Morana, Živěna, však Středovským utvořená z polského Dzievana, Děvana, Děva. I náš Vacerad zná děvice co parthenos, virgo (str. 241) a Dě- vanu co „letničina i perunova dei* (str. 76). Výraz však Živa, Živěna není co do bájesloví ničím doložitelný. Národní písně všech Slovanů neznají jí veskrz, ač předce dobře znají domnělou protivu její Móru, Můru, Moranu. Taktéž se ná- rodní pořekadla, přísloví a pověry nikdy Živy netýkají. Kralodvorský Rukopis jmenuje výslovně Moranu, nikoli však Živu co protivu Mo- rany, nýbrž Vesnu, a při obřadu jarním vynášení Morany přináší Sitzungsberichte 1865. I. ' 9 130 se opět nikoli Živa, Živěna do vsi, než léto neb máj v podobě zeleného stromku. Polák Dlugoš zprávu dávaje o vynášení smrti na neděli Laetare u Poláků praví, že za svých dnů (1415 — 1480) modly nikoli Morany a Živeny, než modly Dzievany a Marzany nosili na žerdích (in longo ligno extollentibus, vydání 1711, fol. 94). Viděti ze všeho, že jméno Živa co bohyně povstalo dílem z výkladu slova Siva, dílem zpotvořením výrazu Dzieva, Dzievana, poněvadž nikde se nenalezá o ní nějaká spolehlivá zpráva. Nic méně žila živě Živa aspoň v obrazotvornosti archeologů českých, žilať na obrázku Vaceradově, vykopalat se i podobizna její na Vyšehradě a to na jedné mísce, kteráž za drahý peníz se sbírkou Pachlovou přišla do národního musea, až se tam pak najednou proměnila v pannu Marii. (Wiener Sitz. Ber. philos. hist. Classe, 11. Band, Je. 1853. S. 760.) Avšak na pohled zdá se, že jsme bojujíce proti bohyni Živě jedno důležité místo kronikářské naschvál vypustili z našeho vypra- vování. Je to místo, jenž se u kronikaře Prokoše či Prokosia nalezá. Psalt prý Prokoš v 10. stoleií knihu, jež roku 1825 pod titulem vyšla: Kronika polska przez Prokosza ve Varšavě a la- tinsky co Chronicon Slavosarmaticum Procosii roku 1827 tamtéž. V latinském vydání praví se na str. 113 takto: „Divinitati Zy wie fanum exstructum erat in monte ab eiusdem nomine Ziwiee dicto, ubi primis diebus mensis maji innummerus populus pie conveniens, precabatur ab ea, guae vitae autor habebatur, longam et pro- speram valetudinem. Pracipue tamen litabatur ei ab iis, gui primum cantum cuculi audivissent, ominantes superstitiose, tot annos se vi- cturos, quoties vocem repetisset. Opinabantur enim supremum hune universi moderatorem transfigurari in cuculum, ut ipsis annunciaret vitae tempora.“ Tato zpráva je velmi nejasna, neboť nesezná se z níani, mluví-li Prokoš o bohu (,„hune supremum universi moderatorem“), nebo o bohyni (,„quae vitae autor habebatur“). Nez zdá se, že Prokoš mluvil o Bohu, jelikož ženská forma „guae“ mluvnicky nutná byla pro výraz „divinitas.“ "Tomu však stojí naproti, Ze u všech Slo- vanü kukulka je ženského rodu, jako u Latinikü a Němců rodu muž- ského. Neví se tudíž s jistotou, jmenoval-li se podle Prokoše „divi- nitas Žywie“, u. nebo „Zywa“ f. Text polský pomohl by ovšem snadně z této rozpačitosti, než v něm, jenž dvě léta před latinským 131 vyšel, hledal bys toho celého místa nadarmo! Ale i text latinský a celá tudíž kronika polská Trokosova je hrubý vynález pozdějších sto- letí, poněvadž Prokoš nemohl žíti v 10. století (Srovn. Jos. Dobrov- ského ve Wiener Jahrbücher 52. Band, str. 77—80). A v skutku vězí v celé té knize podivný literární podvod. Jsouť to totiž vlastně dvě kroniky a to obě zdánlivé: jedna prý od prvního arcibiskupa krakovského Prokoše psána, též prý „Prochorus“ zvaného, jenž zemřel r. 986. Praví se, že psal latinsky dějinstvo Slovano-Sar- matické, počínající juž 2000 let před Kristem a zasahající až do r. 992 po Kristu — druhá kronika je hraběte Kagnimira z Gory, počínajíc tam, kde Prochorus končil, k tomu napsavši ještě pojednání o polských šlácheckých rodinách a jich erbech. Tajný účel obou těchto kronik podvržených je netoliko starožitnost rodin pol- ských na jevo vynésti, než i doložiti, že celý národ, ba stát polský juž v dávných stoletích před Kristem v neobyčejné slávě se stkvěl, ku kterým dokladům použito právě starých pověstí. Totě podává i měřítka, pokud kriticky lze ohled bráti na tyto kroniky. Než ne- podejmež se radosti, že aspoň co do pověstí a báječného podání máme skutečné kroniky Prokoše a Kagnimira před sebou. Obě kroniky ne- zachovaly se t., jak předmluva v knize tištěné udává, nýbrž teprva v 18. století (!) našla se najednou novopolská práce, v které obě kro- niky spracovány a vyloženy byly, a tuto práci novopolskou opět přepracovanou vydal pak r. 1825 někdo neznámý polsky ve Varšavě, pak r. 1827 i latinsky. Abychom na chatrnou spolehlivost tištěné knihy poukázati mohli, uvádíme z ní, že mnohá století před Kristem byl juž stát sarmato-polský proslaven, v němž kralovali neb aspoň panovali mezi jinými: Sarmata, Car, Ščyt, Vandal, Li- stig, jenž s Alexandrem Vel. válčil, pak Poznaň, Sandomír, Lu- blin, Lech atd. Lech byl bratr „Bojema a Rusa“ za časů Julia Caesara, s nímž i bojoval. Mezi písaři polskými byl prý i kronikář Vojan „za poganskich iešče królóv Zyjacy, dobře před narodzeniem božym na lat kilka set, który piervšy z hieroglifiönych pism vyna- lazlšy svoim přemyslem litery one Slovakom, Lechitom, Vene- dom, Dořyngom, Serbom, Polabom, Polanom, Polachom albo Polakom k užyvaniu v nastepujacy sposób zostavil: Ala, Byt, glava, dom, aia, woy, zewa, kam, ten, lek, jia, nebo, mamo, oy, slava, jest, fa, cyt, knia, rez, ypo, ubo, xagngna, pan“ (str. 249, zo)! = 182 Dosti zajisté toho, by se přesvědčení jasného dobylo, že jen s nej- přísnější sudbou lze i pověstí bájeslovních používati z kroniky oné. Následujmež tu Jakuba Grimma, jenž tu kroniku ve své deutsche mythologie (str. 643) cituje, avšak ne snad pro bohyni Živu, již Grimm ani nezná co bohyni slovanskou, než pro mythický poměr že-: zulky. A v skutku bude snad v oné zprávě jen to pravdivé, že Poláci na jaře slavili slavnost, při níž kukačky se vzpomínalo, k ostatku dalo snad jen jméno městečka Žywie VŘ Žywie, co nyní spotvořeno je Saypusch a Seybusch, nějaké příčiny. Starý kro- nikář polský DlugoS nezná žádný vrch Zywiec, jako jej zná Prokoš, než jen městečko Žywie pod vrchem Baba a na blízku vrchu Dzjevky (fol. 34.1. c.), připouští však ovšem, že znali Poláci boha- života Zywie, a Dzjevanna že prý byla u nich „Diana“ (fol. 37). Blízkost těch vrchů pod jmenem Bába a Dzjevka je báječně dů- ležitá, neb vidíme v nich protivu výše naznačenou Morany a Vesny, Mařany a Dzievany t. j. zimy a léta v podobě stařeny a mla- dice: a kdo bájesloví slovanské zná, ví, že i tyto protivy jsou jen zdánlivé, že t. Vesna neb Děva (Dzjevana) jen je omlazená Mo- rana a Bába, a Morana či Bába opět jen sestárlá Vesna či Děva. Na jméno Bába vztahovala se snad tudíž původně pověst v Prokoši zachovaná: „guae vitae autor habebatur,“ neb právě Bába je to, jež se bájeslovně hojně jeví co Rodenice (Sudička) a: tato mohla též kukulkou lidem zvěstovati, kolik let budou žíti. Sou- visí-li s tímto jméno městečka Živiec čili nic, těžko uhodnouti, po- něvadž nynější formy Saypusch a Seybusch i na jinou původní formu toho jména kázati by mohly. Avšak i kdyby souvislosti té bylo a jméno Živiec by bylo starožitné, nemluvilo by toto pro bohyni Živu, poněvadž tvar živa je významu skoro trpného, nikoli činného (živ, živa, živo), Ze všicci bohové jsou „věkožižní“, a nikoli jen jedna bohyně živa. Pravdou je ovšem, že v národních: pověstech „živá voda naproti se staví mrtvé vodě“ ve smyslu: oži- vující, rány zacelující, co by se dobře hodilo k významu Vesny naproti Moraně: avšak je to dílem smysl jen přenešený, jelikož výrazy: živý plot, živé stříbro (rtuť) původně znamenají jen pohybující se, rostoucí, nikdy však život dávající, dílem musila by bájeslovní forma Živa vůbec doložena býti, co právě nikde není. „Polští bájeslovci neznajíce bohyni Zivu, drží se jakéhos boha Žy wie, rodu nižádného; _ 133 pošlého ze zprávy ProkoSovy neb jí podobné kronikářské. Videti to z výkladův jich, Kromer ku př. upustiv od obzvláštnosti boha neb bohyně vykládá slovo středního rodu žŽy wie toliko slovy všeobec- nými: „žyvotnym albo: žyiacym.“ Naruszewicz (hist. nar. polsk. 1786. 2, 33.) dotýká se jeho slovy: „Lyčili Polaci miedzy bogami swemi Žywie, jakoby duch ožywiaiacy t. i. Venere (!) albo milosé, matke wšelkiego tworu,“ z čehož viděti, Ze mu základ pevný, báje- slovný ucházel, poněvadž v samých protivách se pohybuje: Žywie je t. 1. duch oživující, 2. pak Venus, láska, 3. matka, tudíž co kdo chce na výběr. Ba i slavný Linde nevychází z této neurčitosti ve svém slovníku (VI. sv. str. 1071) vykládaje to holými slovy: „lebensgeist, lebensgott, lebensgöttin, bohemice zevěna, carniolice sej vina, Ceres.“ Ještě hůř to vypadá u Lindeho v předmluvě k slovníku, kde srovnává bohy řka: „Cerera, Mařana u Čechov Zevena, u Kraincu Sejvina, u našich zas Dzjevana, Dzivena, Zievonia, Diva, tož co Diana!“ Základná je i tu, jak jsme výše juž seznali, jen „D zie- vana, Děvana, Děva“ a česká Zevena jako polská Zievonia ničím jiným než jich pokaženým jménem. K „Sejvině“ Krainců při- dáme ještě zprávu Lienharta ve Versuch einer Gesch. von Krain, II.. 259. jak ji podává slavný bájozpytec Bernardi ve svých Bau- steine zur slav. Mythologie (Jahrbůcher. 1844. str. 103.): „Die Krainer nennen den Planeten Venus Shiwa (Živa), welches so viel heissen würde, als die belebende.“ Avšak darmo jsme hledali, bychom u Krainců spolehlivých těch výrazů se dobrali, nenašli. jsme ni Sej- vinu ni Živu; a nebude to opět nic jiného, než že se Sejvina promění v Dzievanu a Shiva v Dzievu, není-li u Krainců snad Živa tak uměle tvořena jako u nás Krasopaní = Venus. U „Mi- kalia“, 1649, našli jsme jen danica, zvjezda, stella, Diana; u „Vol- tiggi“, 1802 taktéž: danica, lucifero, stella Venere; u „Ballmann“ 1839 danica, jutrenica, zvjezda večernaja, Venus; u „Balukié“ 1849: danica stella di Venere, živa, rtuť, argentum vivum. I v literatuře české nenajdeme pro Živěnu, Živu nižádných podstatných dokladů. Tak nezná Jungmann ve svém slovníku mimo Mater Verb. a mnohomluvného Kroka ani jediný pravý doklad pro ni (V. 825), a opatrný Jos. Jireček opominul ve svých kritických studiích o mythologii slovanské veskrz tu bohyni Živu! Nebylo jí bezpochyby nikdy a vše, co posud o ní mluveno, vlo- 134 ženo jen co výklad do Helmoldova slova: Siwa, dea Polaborum a Vaceradova Siua, Frumentum, Ceres. Ostatek přibásněn dílem z vý- znamu Venus a Diana, dílem z výrazů: Dzieva, Dzievana! — Avšak znatelé starožitností slovanských namítnou snad ještě, že tu posud — a to snad úmyslně — je stranou nechán jeden z nejdůle- žitějších pramenů o bytosti Živy bohyně t. j. Prilvické či Obo- tritské starožitnosti vydávané Maschem a Wogenem r. 1771 v Berlíně pod titulem: die gottesdienstlichen Alterthůmer der Obotriten aus dem Tempel zu Rhetra am Tollenzer See. Tam v skutku i boha Zibog i bohyni Sieba a to šoškami a runami zaručené s obdive- ním před sebou shledáváme. Kdo by však nesmyslnou a podvodnou knihu tu za našich dnů ještě za správný pramen bájesloví slovanského míti mohl, ten by věru nezasluhoval jméno pravého skoumatele bájí slovanských (Zur slav. runenfrage. Wien, 1855 str. 13 — 19). Než vizmež předce, co tam kloudného je psáno 1. ze strany Ziboga (str. 86 — 88). Ze sošky jeho zachovala se jen hlava, podobna ženskému obličeji, a předce to má býti Radegast, ale po- něvadž na obětných mísách Radegastových na jedné stojí runami na- psáno Zibog, na druhé Tsiboz, dáno od vykladatelů sošce jméno Zibog. Nuž! to jistě nesmyslů dosti. 2. ze strany „Sieba“ praví se (str. 95 — 98), že soška její nejeví postavu nahou, jako to prý obyčejem bylo při „Siwie“: „was auf die Willkůr des Kůnstlers beruhet, welcher allem Ansehen nach sich nicht getraut hat, eine nackende Figur zu bilden“ Jet t. tam oděna „Sieba“ kabátkem, majíc opici na hlavě. Jméno její je dvakrát napsáno runami: Sieba, co prý znamená slovansky das leben! Juž prof. Thunmann psav: „über die Gesch. einiger nordischen Völker“ věnoval nesmyslu výše dotčenému zvláštní článek: über die Obotritischen Alterthümer, v kterém vše co Maschem bylo praveno, jmenuje: „falsch, ohne Critik, ohne Gelehrsamkeit.“ Co do slova Sieba poznamenal týž Thunmann, že jinde se vždy jméno Siwa nalezá, co prý znamená: Frau, gebie- terin, beherrscherin, rovněž jak skandinavská Freja. Slovo to: Siwa že se však nalezá ještě nyní v Lotyšskem, worin Seewa oder nach © der Ausprache der Pintainen Siwa die Frau, die Hausmutter be- deutet.“ Lotyšský výraz: sseewa t. j. sěva co weib potvrzuje. Stenderův slovník (1789. str. 225. 688), dada též diminutivum jeho: ssewina, co však litevští slovníci neznají více. Kořen toho zajíma- a 135 vého slova a tudíž původní jeho význam je bohužel neznámý, jeli ale vůbec slovanský, leží pak v něm výraz: světlá (st. slov. sěvanije, splendor) co epitheton ornans, asi tak jak Polák ženské pohlaví jme- nuje bílým. Že v tom slově však neleží kořen živ, vidno z toho, že u Lotyšů sluje život „dsiwoht“, lebendig „dsiws“ (str. 383. 384). Nemohu tudíž na nynějším stanovisku bájesloví jinak, leč tvr- diti, že žádná spolehlivá stará zpráva nevede k nějaké slovanské bo- hyni Živa, ač jsem sám ještě r. 1861 ba 1864 hájil její bájeslov- nou bytost. Vznikla v bájesloví mylným výkladem výrazu Siwa a Siua, nutno tudíž by i s ním opět ustoupila. Ze byl výklad ten neodüvod- něný, stalo se patrně z pojednání výše daného: nutno tedy aspoň pokusiti se o jiný výklad oněch slov. Mämet příčinu, dotknouti se prvé slov Vaceradových, až pak přistoupíme k slovu Helmoldovu. a) Vaceradova Siua. Z příčin výše udaných nedotýkáme se tu více ni miniatury ti- tulní ni slov Estas Šiva, než jen tré znamých gloss. Co se těch týká, sluší rukopis musejní M. V. srovnati k incunabuli tištěné, o níž řeč byla v Kroku v. 1865 (I. str. 46), jejíž titul je: Sale- m o nis ecclesiae Constantiensis episcopi glossae ex illustrissimis collectae autoribus (Augustae in monasterio S. S. Udalrici et Afrae. Circa 1475). Tato kniha má na str. 111. řádek 1 — 3 tištěno: „Diua, dea siue imperatrix, lucina iunogue in ultima parte Italiae colitur. diva parens dea mater.“ Z tohoto slova siue uděláno je v musejnim rukopise: siua (str. 83. sloupec 1. řádek 32). Je-li to pouhá náhoda, poklesk písaře starého, pak by to slovo co latinské sive pro nás nemělo žádné důležitosti více. Taktéž by se ta věc měla, byla-li by tato reformací pokus novější, což se nám však nezdá tak býti, než že snad Vacerad sám, libuje si v glossování českém, použil té příle- žitosti, na místo zde ne veskrz potřebného latinského slova sive položiti českou glossu siua a to tak, že tam nyní čteš: Diua, dea, siua, imperatrix, lucina, iunogue in ultima etc. Viděti, že v celé té glosse o životě není ani řeči, že tedy jen podle zvuku vnějšího siua by se vztahovalo na živa a sluší též v úvahu vzíti, že tato zdánlivá glossa siua tu při veskrz jiných jménech božských stojí, 136 nežli ostatní glossy rovněž siua znějící. U ostatních stojí t. hlávně: Frumentum a Ceres. Byla-li by tudíž Živa- skutečná bohyně česká bývala, jež se podobala bohyni obilí, nemohla by zároveň býti bohyní nejvyšší či prosto: diva, dea, imperatrix, Juno; neb Lu- cina je jen výklad slova Juno m. Diuna, divina — lucens dea (kořen div znamená t. svítiti). Tato protiva nevyšla posud na jevo, poněvadž. Hanka (sbírka nejdávnějších slovníků, str. 6. b.) i Pa- lacky a Šafařík (älteste Denkmäler, str. 231. a) ku glosse té siua přidali jen část latinského textu: diva, dea, nikoliv celek a okolnost tu, že to je vlastně latinské sive. Není tudíž proč zá- stavovati se déle při této glosse. Než abychom predce:i tu mož- nost uvážili, že by to byla staročeská glossa, ovšem -že jiného významu, než ostatní glossy: siva znějící, tož by mohlo zde slovo siva jen vztah míti na kořen si neb na kmen siv, svititi, pro- siev-ati, poněvadž lat. text sama slova obsahuje, jež na světlo vztah mají, byla by tedy glossa siva = tolik co svítící, světia, aniž by to musila hned býti bohyně, než jen slovní výklad slova lucina, diva, juno, jako (na str. 96. sloupec 2. řádek 29. a na str. 182. sloup. 2. řádek 11.) vykládá: aurora denice, lucifer, zuetlonose alucifer, iubar vel stella opět suetlo nose t. j. světlonoše nepomysliv opět na nijaké božství. Avšak tomu všemu stojí naproti, že Vacerad téže slovo siva zná ve významu šedivá, jak to str. 134. sloup. 2. řádek 18 ukazuje slovy: glaucus (nad řádkou): ziu t. j. siv a ná téže straně a témže sloupci, řádek 22. glauci ziue t. j. sivé. Není tudíž v skutku s touto podezřelou glossou nic započíti. Přistupmež k dvou jiným glossám. Na str. 92. sloup. 1. řádek 42 klade tištěná Mat. V. slova: „Dea frumenti Ceres sed hoc pagani alunt.“ Na místě toho latinského aiunt položil Vacerad na str. 68. sloupec 3. řádek 27. 28 opět své siua, neboť přečteš tam: „dea frumenti Ceres sed hoc pagani siua“. Vynechaväni opětované toho latinského slova je věru podivu hodné. Poslední glossa je pouze nadřádková. Tištěná Mat. V. klade t. „Ceres, quasi creres a creando, eius enim sacrificia proprie erant cerimonie sicut orgia li- beri“ (str. 502. sloup. 1. řádek 42. 43.) Taktéž píše i musejní Mat. V. připojivši nad slovo Ceres menším písmem siua (str. 409. sloup. 2. řádek 10). Patrné, Ze tu o životu není řeči a že slovo živa trp- ného významu jsouc nemotorný výklad latinský: a creando nebyl by 137 ani z dáli podal. Předpokládajíce, že obě glossy jsou pravé, do- mníváme se, že Vacerad neb kdo jiný při Ceres hlavně význam: fruges, frumentum měl na zřeteli, že tudíž siva mu měl slovesný význam od st. českého siev-ati, sívati, nynější síti (srov. st. slov. SĚV-6Cb, m. Sator, sějati, serere) snad ani nepomysliv na nějakou bohyni, jako při lat. slově ver napsal vesna a to dvakrát (str. 339. 363). b) Helmoldova Šiva. Při výkladu Helmoldova slova „Siwa“ držíme se jiných zásad, než při výkladu slov Vaceradových a to za tou příčinou, že Helmold byl Němec, jemuž jemné zvuky slovanské i uchu i ústám se příčily, kdežto Vacerad Čech jen nemotorným svým spůsobem psaní nesnázi ve výkladu působí. Jelikož Helmold bohyni „Siwa“ čítá mezi bož- stva „primi et praecipui“, musí býti bohyní vznešenou. Četl bych tudíž místo Siwa Dsiva či Dzieva (Dieva, Děva), o níž jsem bližších zpráv podal v pojednání: Děva zlatovlasá bohyně pohanských Slovanů r. 1860. Dzieva ta polabská mohla by pak ovšem zápasiti se zlatovlasou Sif skandinavskou i když nikoli stejným kořenem slovným, tož předce významem svým báječným. Co se oprávnění týká, měniti Siwa v Dzieva zakládá se na přechodu podnebných hlásek v sykavky, tak píšeme ku př. sedění v sezení, Čech píše dědina t. j. djedina, Polák dziedzina, Čech devět, Polák dzieviec, Čech divať se; Polák dzievaé sie, Čech děva, děvice, Polák dzievica. Polabská nářečí působila však přechod mezi nářečím českým a polským. Zastu- pování pak hlásek s a z je obecně známo, ba skoro zákonem, že Němci píší s m. slovanského ž ku př. Zuarazici m. Svarazié, sima m. zima a domýšleti se je tedy volno, že Helmold, byl-li by býval Slovanem, bohyni byl jmenoval a psal: Ziwa t. j. Dzieva, jako Čech píše na- řízení m. nařídjení, jelikož z je právě znaménko pro zvuk ds, dz. To by se bylo stalo tím rovným právem, kterým měnili latinští kro- nikáři v středním věku, i když byli Slované, slova D&vana, Dzie- vena v Zevana, Zievana, Di-di-lada, Dzidzilada v Zizilii. Hled- mež, jak píše Christian Hen ning ještě r. 1705, když sestavil: teutsch- wendisches Wörterbuch von der Sprache, welche annoch unter den Wenden im Dannebergischen, Herzogthums Lüneburg, im Schwunge ist.“ Opis nachází se v Klementinsk& bibliothece pod znakem 16. E. 18. 42. bůsa deisko, Gottestisch m. biza deisko (boží deska), wist- reise, abscheren m. vistrejze (vystříhá, vystříze), dirse m. dirze © (drží), anhalten, siwe m. zive (zove), anrufen, to-sine m. do žine (dožene) antreiben; seiwat m. zeivat (život) bauch, seiwe m. zeive (živé), leben, seiwat m. zeivat (život) das leben, jo gis seiwe m. jo jis zeive (já jsem živý) atd. Vratmež se však nyní k starému Prokošovi zpět, jenž ač je podvržen, předce staré pověsti v sobě zahrnuje, jako to právě se zdá býti v citátu výše dotčeném: Divinitati Zywie fanum exstructum erat in monte ab eiusdem nomine Zywiec dicto“ a čtemež jej nyní správněji, tož bude zníti jak následuje: „Divinitati Dzievie fanum exstructum erat in monte ab eiusdem nomine Dziewiec dicto“ a to netoliko proto, že nebylo žádné Živy než Dzievy vůbec, ale též proto, že juž starý Dlugoš (Longinus) žádný vrch „Zywie“ neznal, ovšem že při potoku Sola na blízku sobě hory: Baba a Dzievka zvány. Lze tudíž domnívati se, že v starých dobách i město pod vrchem „Baba“ ležící se jmenovávalo: Dzieviec (jako je Děvínů, Děvic ve všech zemích Slovanských hojnost), co potom se pokazilo v Živiec a Saypusch! Nynější až podnes Polákům dobře známá forma Dzievana je jen mluvnicky sesilněné neb koncovkou prodloužené slovo Dzieva, jako je Morana, Mařena taktéž prodloužené slovo Mora, můra. Polská forma Dziev-ka neb Dzievice je opět jen zdrobnělá forma staršího- slova Dzieva, Děva. Připamatujmež si nyní opět Dlugoše výše dotčeného, jak pravil, že Poláci na jaře sochy Mařany a Dzievany v neděli Laetare na žerdích nosili: a máme tu pak pod jménem Dzievany Dzievy naši českou Vesnu (a Moranu: „po puti vsiej z Vesny (z Děvy, Dzievy) po Moranu“), naše „léto, maj“, co přinášejí při vynášení Smrtholky či Morany do vsi zpět. Avšak touže bytostí máme i výklad onoho citatu z Prokoše jak následuje: „Ubi primis diebus maji populus pie conveniens precabatur ab ea, guae vitae autor (jaro, vesna, léto) habebatur, longam et prospe- ram valetudinem,“ aniž bychom zapotřebí měli vymyšlené Živy. V paměti Polákův žije slovo Dzievana podnes co jméno čarovné ro- stliny, u nás Divizna (verbascum) zvané. Německá jména této byliny jsou: Königskerze, lichtblumenkerze, himmelbrand, všechna majíť tudíž význam netoliko světla vůbec, než světla ne- 139 beského t.j. blesku zvlášť. Není to tudíž zajisté náhodou, Ze i původný význam slova Děva, Divizna leží v indoevropském kořenu div t. j. svítiti, a že Vacerad náš, znaje ještě bohyni Děvanu píše o ni: Děvana, Perunova a Letničina dei“ (str. 76)! I po dnes odpovídají sobě i mluvnicky jména nejhlavnějších u nás svátků: Hromnice — Letnice: Vá-noce, Velikonoce! Historische Section am 26. Juni 1865. Anwesend die Herren Mitglieder: Tomek, Storch, Winařický, Doucha und Wrťátko; als Gast Hr. Walter. Das ordentl. Mitglied Hr. Tomek beendigte die, in meh- reren früheren Sitzungen gehaltenen, Vorträge über die ältere Topographie der Prager Altstadt. Die ausführliche Abhandlung wird im nächsten (XIV.) Acten- bande der k. Gesellschaft unter dem Titel: „Základy starého místo- pisu Pražského“ veröffentlicht werden und auch als selbstständige Schrift separat erscheinen. Im Juni 1865 eingelangte Drucksehriften. -. Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens, herausg. von C. Grünhagen. Breslau 1864—65. VI. Bandes 1. u. 2. Heft und Register zu I—V. Codex diplomatieus Silesiae. Breslau 1865. VI. Band. (Urkunden vorzüglich zur Geschichte Ober-Schlesiens.) Acta publica. Verhandlungen und Correspondenzen der schle- -© sischen Fürsten und Stände. Herausg. von H. Palm. (Jahrg. 1618.) - Breslau 1865. Dante e Padova. Studj storico-critici. Padova 1865. (Maggio.) Lotos. Zeitschrift für Naturwissenschaften, redig. von W. R. _ Weitenweber. Prag XV. Jahrg. 1865. Mai. Journal für die reine und angewandte Mathematik. Berlin 1865. LXIV. Band. 3. Heft. 3 Centralblatt für die gesammte Landescultur, redig. von A. Bor- - _rosch. Prag 1865. XVI. Jahrg. Nro. 17. E: Wochenblatt für Land-, Forst- und Hauswirthschaft. Prag 1865. - XVL Jahrg. Nro. 33. a für die Titetskur des (Atistaaě Berlin 1865. 1 r Poggendorff’s Annalen usw. Leipzig 1865. Nro. 5. Fichte, Ulrici und Wirth, Zeitschrift für Philosophie ı Halle 1865. XLVII. Bandes 1. Heft. sn A Memorie dell’ I. R. Istituto Veneto di scienze, letter! ed arti Venezia 1864. Vol. XII. Be. Atti del I. R. Istituto Veneto ete. Tomo X. ser. III. k 6. Berlin 1865. XXIV. Band. 1. Heft. Druck von Dr. Ed. Grögr in Prag. BA eb = fr = z O R om = ; | a E A ZA S on i $ 80 s = ı 2 a Es | z 9 É : < : i f=) M BS < | 2 M 5 no = z 6 | N 3 g 5 : = č | L p t o m ; \ Sitzung sberichte M x. der königl. böhmischen schaft der Wissenschaften na Prag. Jahrgang 1865. Juli — December. Natnrwiss.-mathem. Section am 3. Juli 1865. Anwesend die Herren Mitglieder: Weitenweber, Amerling, von Leonhardi, Pečírka und Nowak; als Gast Hr. Prof. Walter. Das ausserord. Mitglied, Freih. v. Leonhardi theilte 1. einige Stellen aus einem botanischen Schreiben Dr. Herbich’s über ga- lizische Characeen mit, und besprach 2. eine morphologisch interessante Rosenblüthe. I. Freiherr v. Leonhardi verlas, als erfreulichen Beleg und als zur Nachahmung aufmunterndes Beispiel echt wissenschaftlichen Eifers und Entgegenkommens folgende Stellen aus einem kürzlich erhaltenen grösseren Schreiben des bereits im 75. Jahre stehenden und kaum von einer schweren Krankheit genesenen, um die Flora Galiziens be- kanntlich wohlverdienten pens. k. k. Regimentsarztes Dr. Franz Herbich zu Krakau, an den er sich wegen galizischer Characeen gewendet hatte. Letzterer schreibt demselben: „Da Sie eine mono- graphische Abhandlung schreiben, so denke ich, es sei jeder wissen- schaftliche Botaniker, an welchen Sie sich schriftlich wenden, ver- pflichtet, Sie in Ihrer Arbeit zu unterstützen. Dies sagt mir mein tiefes freundschaftliches Gefühl, denn gelehrte Männer sind in der ganzen Welt geistige und freundschaftliche Verwandte. Ich habe es mir daher zur Aufgabe gemacht, alles anzuwenden, um Ihnen dienlich zu sein, und Ihnen aus verschiedenen Orten des Landes von den westlichen Gegenden, nämlich der Gränze Schlesiens aus den Sümpfen der Przemsza, bis nach Osten an der Gränze von Volhynien usw. Exemplare zu verschaffen. Hierzu bedurfte ich aber, um Briefe zu schreiben, Zeit, viel Zeit. Ob ich meinen Zweck erreiche und Ihre Wünsche befriedigen werde, weiss ich nicht; doch ist mein Wille der beste. Ich bin seit meinem Hiersein in Krakau, also seit neun Jah- ren, unermüdet beflissen, mit allen wissenschaftlichen Männern des Landes bekannt zu werden, habe 180 Briefe geschrieben, und mehr als 2000, sage zwei Tausend Pflanzenabbildungen gezeichnet und gemalt, 1* und Anweisungen zum Pflanzensammeln, Einlegen und Trocknen ver- fasst und nach allen Richtungen versendet, um zu unterrichten und den © Sinn und Liebe für Botanik im Lande zu erwecken, und aus allen Gegen- © den des Landes Pflanzen zu erhalten ; ich selbst aber habe Galizien nach allen Richtungen durchreiset, und die höchsten Alpenkuppen bestiegen. Durch meine Correspondenz wurde ich mit allen wissenschaftlichen Männern bekannt und erhielt reichliche Pflanzensendungen. Um also für Sie Chara-Arten zu erhalten, habe ich 14 Briefe mit Beschrei- bungen und Anweisungen geschrieben und viele Abbildungen von Chara gezeichnet und gemalt und nach allen Richtungen ausgesendet, und zwar: 1. an Hrn. Prof. der Botanik in Lemberg Dr. Weiss. 2. An Hrn. Dr. Tangl in Lemberg um Exemplare aus dem See von Janow ete. zu erhalten. 3. An Herrn Klöber, Kaufmann in Brody, den fleissigsten Botaniker in Galizien. 4. An den Hrn. P. Szulak, Prof. am Jesuiten-Col- legio zu Tarnopole. 5. Freund Lenz, Mag. Pharmac. und Fabriks- director zu Niwra am Sbrucz an der podolischen Gränze im Czort- 7 kower Kreise. 6. Hrn. Prof. Kornicki, am Gymnasium zu Rzeszow. 7. Hrn. Heger, Pharmaceut in Tarnow. 8. Hrn. Prof. Hückl zu Dro- | hobycz im Samborer Kreise. 9. Freund Zipser, Pfarrer zu Gelsen- : dorf im Stryer Kreise. 10. Hrn. Pfarrer Grzegoszyk im Sandecer Kreise; ich hoffe von ihm Exemplare von Neumarkt zu erhalten. 11. © An Herrn Schechtl, Gymnas.-Direktor zu Brzezany. 12. Hrn. Prof. k Limberger, am Gymnasium zu Czernowitz. 13. Hrn. Dr. Titus Alth, 3 Professor an der Realschule zu Czernowitz in der Bukowina. 14. Habe 4 ich Hrn. Prof. Moritz Majer, dermalen in Stuhlweissenburg, ersucht, er möchte Exemplare aus dem Balaton-See, aus dem gesalzenen Teiche und aus dem See von Velencze sammeln. Mir ist die Gegend von Stuhlweissenburg wohl bekannt, ich habe dort botanisirt. — Hrn. Lomnicki, welcher den 3. Juni in die Tatra-Alpen abgereist ist und dort bis September verbleibt, ersuchte ich Chara zu sammeln; er ist aber Entomolog. Herr Gunkiewicz versprach mir hier in Krakau zu sammeln. Hier habe ich Ihnen alles getreu mitgetheilt, was ich eingeleitet, um für Sie Chara-Exemplare zu erhalten. Ich wünsche, dass das Resultat meinen Bemühungen entsprechen werde. — Herr Alois von Alth, Dr. juris und Landesadvokat in Krakau, dermalen zngleich Professor der Geologie an der hiesigen Universität, wird mir im Mergelschiefer versteinerte Chara Arten übergeben, welche er auf der podolischen — Hochebene bei Podhayce im Brzezanyer Kreise sammelte, und ersuchte © mich Ihnen diese zu überschicken, und Sie zu bitten, diese Charen zu bestimmen.“ sul 5 Hieran anknüpfend zeigte der Vortragende einige Bruchstücke einer sehr wohl erhaltenen Characee vor, die Karl Schimper in der Gegend von Baireuth in grossen Exemplaren gefunden. II. Zum Schlusse besprach Derselbe eine Rosenblüthe, die er noch frisch vorzeigte. An derselben trat eines der fünf Kelchblátter schon auf der halben Höhe des Kelchkruges, indem es nicht weiter hinauf mit den anderen Kelchblättern verwachsen war, frei hervor. Die Stelle oberhalb desselben war nicht wie die der übrigen Theile grün, sondern röthlich und das Gewebe, offenbar nur den Ueberzug des von den nicht völlig zusammengewachsenen nebenstehenden Kelch- blättern freigelassenen Stängeltheiles bildend, war viel dünner als an den übrigen Theilen des Kelchkruges. Prof. v. Leonhardi fand im vori- gen und diesen Sommer zahlreiche Fälle ganzen oder theilheitlichen Freibleibens eines Rosenkelchblattes; in einzelnen Fällen blieb auch ein zweites theilweise frei. Diese Fälle, sowie diejenigen, wo bei Durchwachsungen die krugartige Verdickung und Einsackung des Stengels nicht zur Ausbildung kommt, der Kelchkrug aber von Seiten der Kelchblätter vorbereitet und theilweise ausgebildet wird, wie an der breiten, rinnigen, manchen Blattstielen ähnlichen Gestalt die ab- stehenden fıei bleibenden, oder unter einander theilweise verwach- senden, und eben dadurch einen abstehenden Krug bildenden unteren Theile der verlaubenden Rosenkelchblätter zu ersehen ist, — dürften wohl als ein Beweis angesehen werden, dass auch der regelmässige s. g. Rosenkelchkrug nicht bloss der Stengel-, sondern zugleich auch der Blattbildung angehört. Eine überzeugende Reihe von Belegstücken behielt der Vortragende sich vor, ein anderes Mal vorzuzeigen. Philosophische Section am 17. Juli 1865. Anwesend die Herren Mitglieder: Hanuš, Weitenweber, Hattala, Wrťátko und Kaulich; als Gast Hr. Grohmann. Hr. Grohmann (als Gast) hielt einen grösseren Vortrag über einige Krankheitsformen im Atharva-Veda und nament- lich über Rudra als Heilgott. Der indische Gott Rudra erscheint in den Vedas hauptsächlich als der wilde zerstörende Gott des Sturmes, der den Donnerkeil schleudert (R. V. 2, 33, 2) oder die Gewässer peitscht, welche auf die Erde niederstürzen (R. V. 10, 92, 5). Zu gleicher Zeit wird er aber auch der erste göttliche Arzt (prathamo daivyo bhishat (V. S: 16, 5) genannt, und (R. V. 2, 33, 4) folgendermassen angerufen crinomi: Lass uns nicht erzürnen dich Rudra, durch unsere Verbeu- gungen, nicht durch fehlerhaftes Loblied, Du Stier, nicht durch ge- meinsame Anrufung; richte auf unsre Helden durch Heilmittel, ich höre, dass du der Heilkundigste bist unter den Heilkundigen. — Die. Vereinigung so verschiedener Functionen in einer und derselben Per- sönlichkeit hat bereits zu mehrfachen Erklärungsversuchen angeregt. Nach Muir (Orig. Sanskr. texts 4, 340) ist Rudra vor allem ein böser, zerstörender Gott, der Tod und Krankheit über die Menschen brachte, und nur insofern sei er himmlischer Arzt genannt worden, als es in seiner Macht stand, von seiner zerstörenden Thätigkeit abzulassen und hiedurch dem Opfer seines Zornes die frühere Gesundheit wieder zurückzugeben. Der Ausdruck „prathamo daivyo bhishak“ wäre so- nach nur ein besänftigender Euphemismus. Dem widerspricht, dass von der Heilthätigkeit Rudras in den Vedas in so directen Ausdrücken gesprochen wird, dass bei denselben an bloss euphemistische Wen- dungen nicht gedacht werden kann; Rudra hält nach R. V. 1, 114, 5 die besten Heilkräuter in den Händen wie Apollo Pon den Kräu- terbüschel (Panotka, Heilgötter, 262), er heilt nicht bloss seine Krank- heiten, welche er selbst über die Menschen gesandt hat, sondern überhaupt alles Uebel (rapas), womit die Götter den Menschen heim- suchen. (R. V. 2, 33, 7.) Es ist daher nicht anders möglich, als dass Rudra in der indischen Mythologie als wirklicher Heilgott, wahrhaft als oberster göttlicher Arzt verehrt wurde, wie in der griechischen Mythologie Apollo oder sein Sohn Asclepios. — Als wirklicher Heil- gott ist Rudra auch bereits von Weber (Ind. Stud., 2, 20) und von Whitney (Journ. of. Amerie. Society, 3, 318) anerkannt worden. Beide Gelehrten erklären sich die Heilthätigkeit dieses Gottes aus: der ele- mentaren Wirksamkeit Rudras, „weil der Sturm Nebel und Dünste verjagt, die Luft reinigt und klärt.“ — Allein der Gott des reini- genden, erfrischenden Windes ist in den Vedas überall Vata, nirgends Rudra. Rudra ist nach Allem, was wir wissen, eine lebhafte Personi- fieation jener lurchtbaren Orkane, welche in Indien den Eintritt der Monsune begleiten, den Einbruch der Regenzeit eröffnen. Die nasse Jahreszeit aber, in welcher Rudra also vorzugsweise herrscht, ist gerade für den menschlichen Organismus die ungesundeste des ganzen Jahres. Es entstehen die .bösartigsten Fieber, Dysenterien und an- © dere Krankheiten werden häufiger, Wunden und Geschwüre sind schwe- © 5 KL M DR 7 rer zu heilen. (Moor, diseases of India pag. 15.) Als Gott der Ge- witterstürme also, welche die Regenzeit bringen, könnte Rudra viel- mehr zum Herrn der Krankheiten geworden sein, wie von ihm auch wirklich der Takman ausgeht, das Malariafieber, welches zur Regen- zeit die grossen Verheerungen anrichtet. — Wir sind daher genöthigt, uns nach einer anderen Erklärung seiner Heilthätigkeit umzuschauen. Die Heilung der Krankheiten geschah in den ältesten Zeiten vorzugs- weise durch Lied und Gesang. Unter heiligen Gesängen opferte der Kranke den Göttern und flehte sie an, die Strafe für seine Sünden- schuld wieder von ihm zu nehmen; durch Zauberlieder suchte man wohl auch direct die Krankheitsdämonen, welche in den Körper des Menschen eingezogen waren, zu vertreiben. Der Arzt war also in jener Zeit vor allem ein Sänger, ein Priester, welcher die heiligen, zauberkräftigen Lieder kannte und anzuwenden wusste. Dieselbe Anforderung musste man aber auch an den Heilgott stellen, der ja jederzeit als das Vorbild der irdischen Aerzte betrachtet wurde. Nun wird aber in den Vedas das Brausen des Sturmes gern mit Musik und Gesang oder auch mit dem Beten eines Priesters vergli- chen. Insbesondere sind die Söhne Rudras, die Maruts, die himm- lischen Sänger und Flötenspieler; sie werden aber auch als Heilgötter verehrt und angerufen. — Auch Rudra, der Sturmgott, heisst R. V. 1, 43, 4 gathapati Herr des Gesanges, und selbst sein Name, den Benfey mit dem griechischen Avo« verglichen hat (W. L. 2, 6) und der in der Nigh. 3, 16, neben karu (Lobsänger) kıri (Dichter) als stotrnama aufgezählt wird, gemahnt noch an den himmlischen Sänger und das wunderbare Sturmlied. — Wie Wuotan, der in der deutschen Mythologie nur deshalb als Heilgott verehrt wird, weil er die heil- kräftigen Zauberlieder kennt, so hat auch in der indischen Mythologie Rudra: seine Heilthätigkeit nur seinem Sturmliede zu verdanken. Rudra ist Heilgott, weil er als Sturmgott himmlischer Sänger ist und daher die Lieder kennt, welche auch die irdischen Aerzte zur Heilung von Krankheiten verwendeten. Historische Section am 24. Juli 1805. Anwesend die Herren Mitglieder: Wocel, Valentinelli aus Ve- nedig, Zap, Winařický, Wrťátko und Storch; als Gäste die HH. Dat- telbaum, Scheiw! und Sedláček. „Das corresp. Mitglied, Hr. Abb. Gius. Valentinelli hielt (in italienischer Sprache) einen Vortrag über die Bedeutung der 8 Skulpturdenkmale für die Kenntniss des Alterthums, © mit Hinweisung auf sein so eben erschienenes Werk: Catalogo dei — marmi scolpiti del Museo archeologico della Marciana di Venezia. Darauf las das ord. M. Hr. Wocel einen Abschnitt aus seinem im Drucke befindlichen Werke: Pravěk země České (Die Urzeit Böhmens), in welchem er Böhmen zur Zeit der Marko- mannenherrschaft schildert. | Aus den Angaben der alten Quellenschriftsteller erhellt, dass unter Marbods Führung die Markomannen, ein Zweig des wahrschein- lich mit Slaven vermischten Svevenvolkes, um das J. 9 v.Chr. Bojo- hemum in Besitz genommen, aus dem die Bojer von anderen germa- nischen Stämmen bereits früher verdrängt worden waren. Nachdem der Vortragende die Ereignisse geschildert, durch welche Marbod sich bewogen fand, sein Volk aus der Maingegend in das von dem hercy- nischen Gebirge umschlossene Bojohemum zu führen, ging er auf die Schilderung des Landes und auf die Darstellung der Culturverhält- nisse des Markomannenvolkes über. — Bojohemum zur Zeit der Mar- komannen kann füglich mit dem Bilde verglichen werden, welches Nordamerika damals gewährte, als nach der Vernichtung der älteren halbcivilisirten Race, welche die gewaltigen Wälle und Denkmale im Stromgebiete des Mississippi aufgeführt, jenes Ländergebiet von den wilden Indianerstämmen in Besitz genommen ward. Die zahlreichen Stein- und Erdwälle, die im Staate New-York anfangend bis zum Golf von Mexiko zerstreut auf Waldhöhen und Flussufern sich erheben, wie auch die hohen Grabhügel, welche Werkzeuge und Waffen von Stein und Kupfer enthalten, sind die Erinnerungen an ein unbekanntes ackerbauendes Urvolk, welches einst jenen Theil des amerikanischen Continents bewohnt hatte. Eben so ragten auf den Waldhöhen Böh- mens und Mährens zur Zeit, als die Markomannen in Bojohemum eingedrungen waren, kyklopische Steinmauern und Erdwälle, die Reste der ehemaligen Burgen und Landwehre (oppida) der keltischen Bojer, dergleichen, wie die alten Autoren berichten, und die noch vorhan- denen Denkmale bestätigen, überall vorkommen, wo Kelten ihre Sitze aufgeschlagen hatten. In Thälern und auf Anhöhen erhoben sich Steindenkmale und zahllose Grabhügel der Bojer, deren Nachkom- men im Kampfe aufgerieben oder gezwungen waren, das Land ihrer Väter zu verlassen. Und noch heutzutage bergen sich auf vielen Waldhöhen Böhmen «waltige, zu strategischen Zwecken aufgeführte Steinwälle und (rabhügel, welche Aschenurnen und Bronzeobjekte enthalten, und wie bekannt überaus häufig im Lande gefunden werden. 9 Jene Steinwálle und insbesondere diese Grabhůgel mit ihrem wich- tigen Metallinhalte sind es, die uns wichtige Anhaltspunkte zu einer beiläufigen Darstellung der Culturverhältnisse Bojohemums in jener fernen Vorzeit darbieten. Am zahlreichsten werden nämlich Metall- objekte, deren Legierung, Form und Verzierungsweise der sogenannten Bronzeperiode, d. i. der Zeit der Bojerherrschaft angehört, in den fruchtbaren, durch klimatische Verhältnisse begünstigten Gegenden Böhmens gefunden. Dieser Vorzüge erfreuen sich die Elbeufer von Jaroměř bis Aussig, ferner die Ufer der Iser, Eger, Běla, der Mies, Sazava, Radbuza und Votava, insbesondere aber die Umgegend Prags; in allen diesen Gegenden werden zahlreiche antike Bronzeobjekte, zumeist in Gräbern gefunden. Auffallend ist es, dass in den östlichen Gegenden des Königgrätzer, Chrudimer, Caslauer und Taborer Kreises keine Gegenstände dieser Art, und überhaupt keine Denkmale der heidnischen Vorzeit bis jetzt entdeckt wurden. Man kann daraus schliessen, dass die gebirgigen, weder durch Fruchtbarkeit noch durch Klima begünstigten Landstriche im Osten Böhmens in jener fernen Zeit mit Urwäldern und Sümpfen bedeckt und gar nicht bewohnt gewesen waren. Eben so erstreckten sich von der Gebirgskette, die sich längst der nördlichen Landesgränze bis zur Elbe hinzieht, tief in das Innere des Landes ungeheure Waldungen, an welche sich am linken Ufer der Elbe die Waldmassen am Fusse des rauhen Erzge- birges anschlossen. Die anmuthigen Gefilde von Teplitz und Leit- meritz, die Umgegend des Geltschberges und die Auen der Elbe, die sich von Aussig bis in den Saazer Kreis hindehnen, waren, wie aus den Gräberfunden erhellt, bereits in jener Vorzeit dicht bevölkert, während die vom Böhmerwalde auslaufenden Urwälder im breiten Gürtel sich im Osten und Süden des Landes lagerten. Nur dort, wo sich die Saumpfade zu den Thoren des Landes (portae terrae) hin- schlängeln, insbesondere in der Umgegend von Taus, Ronsberg wurden Grabhügel und antike Bronzesachen entdeckt. In unfruchtbaren Kes- selebenen, die sich von Wodnan gegen Budweis, und weiterhin nach Wittingau und Weseli hinziehen, wurden bis jetzt keine heidnischen Grabstätten aufgefunden; höchst wahrscheinlich aus dem Grunde, weil diese Ebenen in der heidnischen Vorzeit mit Seen und Sümpfen be- deckt waren, deren Ueberreste bis auf unsere Tage in den ausge- dehnten Teichen jener Gegenden sichtbar sind. Aehnliche Verhält- nisse scheinen zu jener Zeit in dem Schwesterlande Mähren gewaltet zu haben, indem zumeist bloss in dem mittleren fruchtbaren Theile des Landes Denkmale der Bronzezeit ausgegraben wurden, während in 10 den gebirgigen, kälteren Gegenden Mährens bis jetzt keine thumsreste dieser Art zum Vorscheine gekommen sind. Der Naturbeschaffenheit des Landes entsprach auch a | desselben zu jener Zeit. Der Wármegrad und die Regenmenge hi grösstentheils, wie noch heutzutage, von der localen Beschaffenheit der einzelnen Distriete ab, daher die gegenwärtigen klimatischen Ver- 2 hältnisse Böhmens uns den Massstab zur Beurtheilung der zu jener © Zeit in den verschiedenen Gegenden des Landes herrschenden Tem- = peratur-Verhältnisse darbieten. Das günstigste Klima haben gegen- wärtig jene Landstriche, in welchen am häufigsten antike Gräberfunde vorkommen, und zwar die Umgegend Prags, wo der durchschnittliche Wärmegrad 7.4°R. beträgt, ferner die Umgebungen von Leitmeritz, Saaz, Pilsen, usw. mit dem durchschnittlichen Wärmegrade über 7°R. Nicht weniger günstige Wärmeverhältnisse walten in den von den Ausläufern des Riesen- und Iser-Gebirges gegen die Elbe und weiter hin nach Süden gegen Caslau und Chrudim sich hinziehenden Fluren. (Bunzlau mitt]. Wärmegrad 7.5, Jičín 7.2, Königgrätz 7.7, Čáslau 4.14) Ein viel kälteres Klima herrscht in dem östlichen und südlichen Hoch- plateau des Chrudimer, Caslauer, Taborer und Budweiser Kreises. (Theresienthal bei Neu-Bystrie durchschnittl. Wärme 4.65°R., Hohen- furth 5.19°R.) Noch kühler sind die Gegenden des Erzgebirges, wo die durchschnittl. Wärme 4.5°R. beträgt. Im Böhmerwalde, wo eine fast tropische Regenmenge fällt, schwankt die Wärme zwischen 5° und 6° R., die geringste Wärme hat bekanntlich das Riesengebirge. Es ist offenbar, dass in jener Urzeit die klimatischen Verhält- nisse Böhmens viel weniger günstig waren, als sie es heutzutage sind. Die dichtverschlungenen Zweige der Urwälder bildeten mächtige, die Sonnenstrahlen abwehrende Schilde, in deren Schatten Schnee und Eis bis in die Zeit der intensiven Sonnenwärme gelagert "blieben ; | aus den ausgedehnten Seen, Sümpfen und feuchten Waldthälern stiegen zur Sommerszeit dichte Nebel und Dünste empor, die sodann in häu- © figen Regen niederfielen, die Bette der Bäche und Flüsse mit gewal- tigen Wassermassen füllend. Viel kühler und feuchter als in unseren © Tagen war somit das Klima in dem waldreichen Bojohemum, und wir können immerhin der Schilderung, welche Plinius, (Hist. nat. XVI. a: von den im Norden des Hereynischen Waldgebietes’ liegenden Gegen- 9 den entwirft, vollen Glauben beimessen. Alle Wunder übertreffen, ae berichtet derselbe, die ungeheueren, mit der Welt entstandenen, von © Menschenhänden unberührten Stämme des Hercynischen Wald (rewiss ist, dass die Wurzeln der Bäume, wo sie an. einander StOBŘENK 11 das Erdreich zu Hügeln emporheben, und dass dort, wo die Erde nicht nachgab, die Wurzeln gleich Bogen bis zu den in einander ge- flochtenen Aesten emporsteigen, so dass dadurch gleichsam Thore entstehen, durch welche ganze Reiterschaaren hindurchdringen können. In diesen Wäldern, welche den grössten Theil des Landes bedeckend, durch ihre Schatten, wie Plinius bemerkt, die Kälte steigerten, hausten Bären, Wölfe, Hirsche, Eber, Auerochsen, und ausser diesen erwähnt Caesar (B. G. VI. 26, 27) auch das Elenn und das Rennthier. Dass die Stämme der Sveven, welche nach dem Abzuge der Bojer das Land in Besitz nahmen, sich zumeist in den von den frü- heren Bewohnern ausgerodeten und angebauten wärmeren Gegenden niedergelassen hatten, wird durch die daselbst vorhandenen Begräb- nissstätten derselben nachgewiesen. Aus der Beschaffenheit des Lan- des und selbst aus der Lebensweise der Germanen, deren Hauptbe- schäftigung die Jagd gewesen, ergiebt sich, dass die eingewanderten svevischen Volksmassen nicht besonders zahlreich waren. Wiewohl der südliche Strich des Landes bis zur Donau mit Wäldern bedeckt war, so erhellt aus den gleichzeitigen Angaben, dass sich in vielen ausgerodeten Strecken dieses Berglandes Markomannenstämme nieder- gelassen, und dass zwischen dem mährischen Gebirge (Luna silva) und der Donau Ueberreste der verdrängten Bojer eine Zufluchtsstätte gefunden hatten. Nachdem der Vortragende über die Handelsverbindungen der Markomannen, insbesondere mit den Völkern an der Donau, gespro- chen und die bekannten Schilderungen der Sitten und Gebräuche der (Germanen angeführt, versuchte derselbe die Vermuthung zu begründen, dass die politischen und staatlichen Institutionen der Markomannen unter Marbods Regierung von den Verhältnissen dieser Art, die unter den germanischen Völkern nach Cäsars und Taeitus Angaben vor- herrschten, sich wesentlich unterschieden. Die Hauptbeweise für diese Ansicht liefert Velejus Paterculus, der nicht bloss als Zeitgenosse, sondern auch als Staatsmann und Anführer einer Heerschaar an den Begebenheiten jener Zeit einen unmittelbaren Antheil genommen. Dieser schreibt, dass die Stellung des Markomannenkönigs nicht eine ephemere, vom Volkswillen abhängige, sondern die eines wirklichen, eigenmächtigen Herrschers gewesen sei. Sein Reich hatte er, wie Vellejus berichtet, durch anhaltende Uebungen auf eine Machtstufe erhoben, die jener der Römer fast gleichkam, so dass sie den letz- teren Furcht einflössen musste. Die von den Römern abgefallenen Völker und Individuen fanden Zuflucht in Marbods Reiche, und nach- m [> 12 dem dieser sein Heer, das 70000 Mann Fussvolk und 4000 Reiter k zählte, durch unaufhörliche Kriege mit den Nachbarvölkern abgehártet und eingeůbt, war er zu grösseren Unternehmungen bereit und ent- schlossen, als jene waren, die er bisher ausgeführt hatte. Aus der Angabe des Velejus, dass Marbod sein Reich durch anhaltende Uebung nach der Weise der römischen Disciplin organisirt hatte, könnte man zwar vermuthen, derselbe habe auch in die innere Verwaltung seines Landes römische Einrichtungen eingeführt; aus dem weiteren Texte des Autors erhellt aber, dass jene den römischen nachgeahmten Ein- richtungen bloss das Kriegswesen der Markomannen, auf welchem die Machtstellung Marbods gegründet war, betrafen. Die Organisation des Heeres, die Taktik der einzelnen Waffen, die Schlachtordnung und wohl auch die Befestigungskunst der Römer wurden vom Marbod im Heere seiner Svevenvölker eingeführt; und dass dem Markoman- nenfürsten zur Ausführung seiner Pläne zahlreiche wohlgeübte Kräfte zu Gebote standen, erl.ellt daraus, dass, wie Tacitus (Annal. II. 62) berichtet, in seinem Lande, insbesondere aber dort, wo er seinen Herrschersitz aufgeschlagen, römische Ueberläufer in grosser Anzahl sich aufbielten. — Die nationalen Gebräuche und die Lebensweise des Volkes selbst wurde aber nicht durch jene Neuerungen berührt, weil durch die Einführung derselben dem Herrscher kein Vortheil erwachsen, und vielmehr der Same gefährlicher Gährungen unter das Volk gestreut worden wäre. Die Lebensweise, Sitten und Ge- bräuche der Markomannen waren wohl wenig verschieden von jenen der übrigen germanischen Völker; hingegen müssen wir folgerichtig schliessen, dass Marbods gewaltiges Auftreten in Bojohemum und seine kriegerischen Bestrebungen bedeutende Aenderungen nicht bloss in der althergebrachten Kriegsweise seines Volkes, sondern auch in dem Verhältnisse des Selbstherrschers zum Volke, und in der Stellung der höheren Schichten der Freigeborenen d. i. des Adels nach sich ziehen mussten, aus welchen wesentliche Abweichungen von den Verhältnissen dieser Art bei den übrigen Germanen, wie sie von Tacitus geschildert werden, sich ergeben. Die in der Nachbarschaft der Markomannen sesshaften Svevenvölker, die Lygier, Narisker, Silinger, Burgunder und. Hermunduren wurden durch das Schwert gezwungen, sich der Herr- schaft Marobods zu fügen. In einem solchen, durch die Macht der Waf- fen geschaffenen Reiche konnte nicht jenes patriarchalische Verhältniss zwischen dem Herrscher und seinem Volke herrschen, welches Taci- tus (Germ. VII. und XI.) schildert; Marobod war kein durch den Willen des Volkes beschränkter, von der Versammlung des Adels und der I RR. ke og S 2, ber = 13 Freien abhángiger Fůrst, sondern nach des Tacitus und Vel. Pater- culus Ausspruche ein wirklicher Selbstherrscher. — Die Stellung des Adels in Marobods Reiche unterschied sich bedeutend von jener, welche nach Tacitus die Adeligen (nobiles) bei den übrigen Germanen einnahmen. Von der Zeit der Völkerwanderung war, nach der herr- schenden Ansicht, ein grosser in der Familie sich forterbender Grund- besitz die eigentliche Grundlage des Adels bei den Germanen, und erst nach der Völkerwanderung soll sich in den auf weströmischem Boden gegründeten Reichen der Franken, Burgunder, Westgothen und der Longobarden, der Lehns- oder Feudaladel gebildet haben, als nämlich die Könige oder Heerführer die durch Tapferkeit ausgezeich- neten Glieder ihres Gefolges mit eroberten Ländereien zu belehnen anfingen. Wenn wir nun den unbestrittenen Angaben des Tacitus und Velejus Paterculus über Marbods Stellung als Herrscher Glauben beimessen, so müssen wir auch zugestehen, dass Marbod die hervor- ragenden Glieder seines Gefolges mit Gütern in dem eroberten Bo- johemum beschenkte, und dass diese dadurch in ein Abhängigkeits- verhältniss zum Herrscher traten. An einen unabhängigen, auf alten Familienbesitz gegründeten Adel kann unter solchen Verhältnissen nicht gedacht werden, denn die in Bojohemum eingedrungenen Mar- komannen können daselbst unmöglich freie Familienallode besessen haben. Den Anfang der Lehns- und Feudalverhältnisse finden wir somit bei den Markomannen bereits einige Jahre vor Christus, es ist daher unstatthaft anzunehmen, dass das Lehnswesen der Germanen seinen Ausgangspunkt in der Zeit der Völkerwanderung hat, indem dasselbe bereits 500 Jahre früher bei den Markomannen eingeführt ward. Naturwiss.-malh. Section am 31. Juli 1865. Anwesend die Herren Mitglieder: Weitenweber, Koristka, Amer- ling, v. Leonhardi, Krejčí und Nowak; als Gäste die HH. C. Frost und Stolba. Der beständ. Secretär Weitenweber setzte die Section in Kenntniss von dem bedauerlichen Verluste, welchen die k. Ge- sellschaft durch den gestern, am 30. d., zu Hietzing bei Wien er- folgten Tod unseres, um die Naturwissenschaft hochverdienten, viel- jährigen Ehrenmitgliedes, des Freiherın Andreas v. Baumgartner Exec., gew. k. k. Ministers, Präsidenten der kais. Academie der Wis- senschaften in Wien usw. erlitten hat. Derselbe war am 28. Nov. 1793 zu Friedberg in Böhmen geboren. 14 Das ausserord. Mitglied Hr. Amerling wies 1. fünf schöne mikroscopische Präparate zoologischer Gegenstände von Hrn. Leopold Kirchner aus Kaplitz vor und zwar: © 1. Ein Monostoma ellipticum aus der Lunge einer Feuerkröte (Bom= © binator igneus), ein schon desswegen merkwürdiges Thier, weil es höchst wahrscheinlich, wenigstens annähernd, eine ähnliche Lebens- und Entwicklungsgeschichte im Bereiche der Pfützen haben dürfte, wie wir es bereits sicher nachgewiesen wissen bezüglich des Mono- stoma mutabile, das als sogenannte Grossamme lebendig geboren aus den Lungenzellen der Reiher ins Wasser kömmt, sodann in Wasser- schnecken und Muscheln als Amme lebt, hierauf durch Knospung bewegte Cercarien (Larven) hervorbringt, welche letztere sich in Was- serinsecten einbohren, hierauf den Schweif verlieren, sich einkapseln, von Fischen sammt jenen Insektenlarven gefressen werden, um mit diesen endlich ihre höchste Imago-Vollendung wieder in den warm- blütigen Reiher-Augen zu erlangen. Herr Kirchner versprach, dieses vermuthliche Analogon von M. mutabile auch bei den Feuerkröten sofort weiter zu verfolgen. — 2. Das zweite Präparat stammt eben- falls aus einer Feuerkröte her, nämlich 2 Exemplare von Distomum cygnoides, aus deren Urinblase. — 3. Das dritte Präparat war Di- stoma flexuosum aus Talpa europaea nach dem Winterschlaf bereitet im März 1865. — 4. und 5. zeigten Taenien und zwar die Taenia Serpentulus aus Corvus corone, sammt Kopf, sehr rein präparirt und die Taenia undulata aus dem Dünndarme eines Corax frugilegus, eben so schön. Hr. Amerling bemerkt, dass die Zeit auch nicht mehr ferne sein dürfte, wo wir bezüglich des sogenannten Schnepfenkothes, d. h. der darin vorkommenden Enthelminthen-Genera und Species, die vermuthlich je nach Orten und Zeiten wechseln, ins Reine kom- men werden. Ueberhaupt bemerkte der Vortragende, dass Herr Kirchner, der so ganz seiner Wissenschaft und seinem Sammelgeiste hingegeben lebt, bald auch in dieser helminthologischen Hinsicht das Verdienst eines Mollin in Venedig haben wird, der schon im J. 1858 eine unschätzbare Localsammlung von Helminthen zusammen brachte, be-: stehend aus 34 Generen und 115 Species, worunter 4 neue Genera und 54 neue Species. Mit dieser merkwürdigen Sammlung eilte Mollin allen Städten Europas voran, und wohl ist unser Wunsch begründet, dass auch bei uns jede Stadt durch ihren Stadtphysikus oder we- nigstens jeder Kreis durch seinen Kreisphysikus mit Hilfe des ge- sammten Sanitätskörpers für Sanitätszwecke und autognostische Na- 15 turkunde, und zwar vor Allem vom Menschen und vom Schlachtvieh, wie es bereits in Würzburg der Fall ist, zu besitzen trachte. Auch Kinderspitäler wären hier hervorzuheben, weil diese besonders mit Enthelminthen viel zu thun haben u. del. mehr. 2. Zeiete Hr. Dr. Amerling mikroskopische Präparate von Cy- nanchum Vincetoxicum var. contiguum Bartling (nach der Bestimmung des Herrn von Leonhardi) aus der Anhöhe der Wenzelsburg bei Kun- ratic nächst Prag, wie die Fliege Empis chioptera wesentlich zur Befruchtung beiträgt. meist aber bei dieser Gelegenheit ihr Leben, und zwar durch das Zerreissen des zwischen den Antheren einge- klemmten Saugrüssels, verliert. — Ganz ähnliche Präparate wies der Vortragende vor von Apocynum androsaemifolium, das im Glas- hause des hiesigen Vereinsgartens gehalten und, weil es hier seinen Naturcomplex nicht hat, durch verschiedene andere Fliegen ebenso besucht wird. 3. Zeigte Hr. Amerling den Naturcomplex der Centau- rea Cyanus (gemeine Kornblume), welche bei der heurigen Getrei- demissernte überall so sehr überhand nahm, dass sie ganze Felder bedeckte und dabei ihren Naturcomplex, besonders den der in Schach haltenden Naturpolizei in sehr entwickelter Weise nachwies. Die bandflügelige Tripota quadrifasciata sticht nämlich die Samen im all- gemeinen Kelche an, worauf diese Samen grösser werden und oft selbst untereinander verwachsen (Nüsschen). Bei dem Ausschlüpfen der Tripeta werden dann die Nüsschen durchbohrt. Im Zwinger einiger 50 Stück frühreiferen Kornblumen kamen bis 23. Juli 1. J. 7 Arten verschiedener Ichneumone hervor, welche aber noch syste- matisch bestimmt werden müssen, und später mitgetheilt werden. 4. Zeigte Hr. Amerling an einem vom Hrn. Baron von Leon- hardi erhaltenen Exemplare der Asperula cynanchica die Calycoph- thora Leonhardii Am., welches Milbengeschlecht schon durch dessen Vorkommen bei Corylus Avellana, bei Thymus serpillum, Populus pyramidalis ete. bekannt ist, und hier in besonderer Species, als jene, welche das ganze Blůthenwirtelchen verrunzelt und verkůmmert auf- tritt. Bloss der Larvenzustanď ist bisher bekannt. Der Eizustand, die Zwischenform, die Imago kennt man noch nicht, was aber durch ein fleissiges, unausgesetztes Beobachten mehrerer dieser Pflanzen geschehen kann. 5. Der Vortragende legte die soeben erschienene 15. Lieferung der von ihm herausgegebenen „Nützlichen Insekten“ (Prag 1865) vor, und besprach hiebei insbesonders folgende Gegenstände. Unsere 16 wirklich durch den blossen Stockausschlag-Betrieb und die Rinden- 4 schälung zur Lohgárberei misshandelten Eichenwälder können durch dreierlei Mittel ganz in Edelkultur, in Abbau gewonnen werden und zwar: 1. durch die Einführung der Galläpfelproduction mittelst der wahren Galläpfelwespe aus dem Banate und Kleinasien, 2. durch de Einführung des japanischen Seidenwurmes (Saturnia Perny), der nur von Eichenblatt lebt und 3. durch den abbauartigen Betrieb der Trüf- felzucht, wie sie in Frankreich seit Jahren bekannt und allgemein geschätzt wird. Es lässt sich auf den ersten Blick begreifen, welch’ eine andere und edlere Gestalt unsere Eichenwaldbewirthshaftung durch die Aus- führung jener, den naturgemässen Branchen annehmen würde, und wie gleichsam höher-ökonomisch es ist, die Seidenfäden aus dem Maulbeerbaume (der Maulbeerbaum hat wirklich in seiner Rinde, wenn sie wie Flachs durch Rösten etc. behandelt wird, eine sehr schöne glänzende weisse Seide, aber man müsste hiezu die Maulbeerbäume ebenso wasenmeisterisch abschälen, wie wir es für unsere Lohgärbe- reien in unseren Eichenwäldern thun), nicht durch Schälung und Röstung usw., sondern durch die naturökonomisch zugetheil- ten Insekten zu gewinnen, was in ähnlichem Sinne von der Gall- äpfelwespe, von der Saturna Pernyi etc. gilt. Hierin liegt das Schöne der Natur, dass sie hier die Insekten an die Bäume als höhere Ar- beiter knüpft. Sodann besprach Hr. A. die Cultur der inländischen 4 Seiden- spinner und zwar der zwei Watte webenden Motten (Iponomento padella et cognatella) nach Hebenstreits Methode, und sodann der Sei- denfilzraupen Saturnia Pyri und Saturnia Spini (am Erzgebirge), aus deren letzteren Coccons in Wien fabriksmässig die seidenen Filzhüte angefertigt werden. Auch die ausser dem Garten-Luxus ganz unbenützten Ge. wurden zur Sprache gebracht und hiebei gezeigt, dass durch den Anbau der spanischen Eichen in Parken (Quercus Ilex) auch selbst der Kermes des Handels bei uns gewonnen werden könnte, wie nicht minder der auf den Herbstäckern wuchernde Scleranthus perennis, um die deutsche Cochenille (Porphyrophora polonica) entweder hier oder an Heideörtern (Erica vulgaris) zu cultiviren. Auch die Naturökonomie des Schilfs (Arundo phragmites) wurde eingehender besprochen und ganz vorzüglich nebst der in der Gegend von Wittingau, Frauenberg erwiesenen ökonomischen Brauchbarkeit auf den reichen Schilfcomplex hingewiesen, der eine Menge Was- 17 serinseeten enthält, welche wieder bei den vielfach misslungenen Fischvermehrungs - Versuchen berücksichtigt werden müssen, indem ohne hinlänglich versorgte naturgemässere Nahrung durch Wasserin- sekten-Larven, Eintagsfliegen etc. jede Fischvermehrung ein Unsinn bleibt. Endlich wurde die naturökonomisch wichtige Anlegung von Eschenhainen (Fraxinus Ornus) inmitten von Eichenwäldern, so wie inmitten von grossen Obstanlagen hervorgehoben, weil die hier natür- lich hausenden spanischen Fliegen (Lytta vesicatoria) nach Hrn. Kirch- ner’s Beobachtungen in ihrer Larvenzeit die wahre, gehörig beschrän- kende Naturpolizei der Maikäfer - Engerlinge sind, folglich selbst nicht von den Apotheken aus raubbauartig, sondern abbauartig benandelt werden sollten; nicht zu gedenken des guten und brauchbaren Eschen- holzes solcher Fanghaine und auch nicht der etwa auch wie in Italien und Griechenland schon gang und gäben Mannagewinnung. Diese Eschenhaine inmitten von an Laubholz reichen Gegenden sind somit aus naturhaushälterischen Absichten wirklich sehr zu berücksichtigende Gegenstände und den grossen Maikäferverheerungen als naturgemässes Beschränkungsmittel entgegenzustellen. | Im Juli und August 1865 eingelangte Druckschriften. Mittheilungen der geschichts- und alterthumsforsch. Gesellschaft des Osterlandes. Altenburg 1864. VI. Bd. 2. Heft. Correspondenzblatt des Vereines für Naturkunde zu Presburg. U. Jahrg. 1863. Schriften der Universität zu Kiel aus dem Jahre 1864. XI. Band. Handelingen en Mededeelingen van de Maatschappij der nieder- landsche Letterkunde te Leiden, over het Jaar 1864. Leiden 1864. Levensberichten der afgestorvene Medeleden ete. Leiden 1864. Sitzungsberichte der k. bair. Akademie der Wiss. zu München. 1865. 1. und 2. Heft. Lotos. Zeitschrift für Naturwissenschaften, redigirt von W. R. Weitenweber. Prag 1865. Juni, Juli. Dr. Joh. Nep. Ehrlich, nach seinem Leben und seinen Schriften geschildert von Prok. Dworsky. Wien 1865. (Vom Hrn. Verfasser.) Magazin für die Literatur des Auslandes von Jos. Lehmann. Berlin 1865. Nro. 28—35. V. Bericht des Offenbacher Vereins für Naturkunde für 1863-—64. 2 Sitzungsberichte 1865. I. 18 Jahrbuch der k. k. geolog. Reichsanstalt. Wien 1864, XIV. Ria Nro. 4 und 1865 XV. Bd. Nr. 2. Uebersicht der Witterung in Oesterreich usw. im Jahre 1863. Wien 1865. Centralblatt für die gesammte Landeskultur; redig. von A Bor- rosch. Prag, Jahrg. 1865. Nro. 19—25. Wochenblatt der Land-, Forst- und Hauswirthschaft. Prag 1865. Nro. 28—35. Hospodářské noviny. V Praze 1865. Ročník XVI., čís. 28—35. G. Salmon’s Analytische Geometrie des Raumes; deutsch bearbeitet von W. Fiedler. II. Theil: die Theorie der Curven usw. Leipzig 1865. (Vom Hrn. Prof. Fiedler.) Poggendorfi’s Annalen der Physik und Chemie. Leipzig 1865. Nro. 6. XIV. Bericht der Philomathie in Neisse usw. 1865. Denkschrift zur Feier ihres 25-jähr. Bestandes usw. Neisse 1863. Bulletin de la Société géologigue de France. Paris 1865. II. Série Tom. XXI. feuill. 24—28. — Tom. XXII. feuill. 1—7. ‚The Quaterly Journal of microscopical Science. London 1865. New Series Nro. 19. Bericht über die Sitzungen der naturforsch. Gesellschaft zu Halle im J. 1864. Mittheilungen der k. k. geograph. Gesellschaft. Wien 1864. VII. Jahrgang 1. Heft. Atti dell’ I. R. pěn 2 di scienze, lettere ed arti. Ve- nezia 1865. Tom. X. disp. Annales de la Société a de Lyon 1863. X., 1864. XI. Tome. Mémoires de V Academie Imp. des sciences ete. Classe des let- tres. Lyon 1862—63, XI. Tome. — Classe des sciences 1863. XII. Tome. Bulletin des Sciences de V Academie Imp. etc. Lyon 1865. Annales des sciences physigues et naturelles. III. Serie 7. Tome. Lyon 1863. Jahresberichte der Oberrealschule in Böhmisch-Leipa für 1864 und 1865. B. S. Silliman and J. D. Dana. The American Journal of Science and Arts. New Haven 1865. Nro. 117 May, Nro. 118 July. Journal de V Ecole impériale polytechnigue ete. Paris 1865, 41. Cahier, tome XXIV. ČTE T k, 19 Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft. Berlin 1865. XVII. Bandes 1. Heft. Třetí roční zpráva realniho gymnasia v Táboře za školní rok 1865. Bulletin de la Société palaeontologique de Belgique. Anvers 1860. Tome I. J. Barrande Systeme Silurien du centre de la Bohéme. I. Partie: Recherches palaeontologigues. Vol II. Céphalopodes. Prague et Paris 1864. (Vom Hrn. Verfasser.) XLI. Jahresbericht der schles. Gesellschaft für vaterländ. Cultur in Breslau für 1864. W. Zmursko Wyklad Mathematyki na podstawie atd. Lwów 1864. Tom. I., II. Archiv für wiss. Kunde von Russland, herausg. von A. Erman. Berlin 1865. XXIV. Band, 2. Heft. Philologische Section am 2. Octob. 1865. Gegenwärtig die HH. Mitglieder: Hattala, Hanuš und als Gäste die HH. Alex. Duvernoy, K. Ruppeldt, P. Tomášik und Ad. Patera. Das ordentl. Mitgl. Hr. Hanuš sprach über die in der Literaturgeschichte unter dem Namen: „Sprochy vajov- ské“ bekannten Sentenzen. Im J. 1814 scheint Dobrovsky dieselben in der Handschrift 17. F. 2 gefunden und an Prof. Hromadko in Wien übersendet zu haben, der sie in den Prvotiny krásných umění (Wien, 1814. S. 63), jedoch ohne die sie kritisirende Antwort abdrucken liess. Nach der sehr dürftigen Nachricht, welche Jungmann in der 2. Auflage seiner Lit.-Geschichte (S. 73. Nr. 201) darüber gibt, scheint er dieselben in der Handschrift selbst nicht eingesehen zu haben. In seinem Wör- terbuche erklärt er die beiden unböhmischen Ausdrücke Sprochy vajovské als Jáger- oder Waidmann’s-Sprüche, welche Auslegung dahingestellt bleiben mag, indem die Sprüche nichts specifisch Waid- mannartiges enthalten und der Ausdruck vajovské auch einen Per- sonen- oder Ortsnamen in sich schliessen kann. In der genannten Handschrift, die. ein „Manuale“ des Magister Václav Koranda ist (Palacký, dějiny národa českého, díl V. 1865. S. 171. Anmerk. 142.), steht zum Texte von anderer Hand hinzugeschrieben: Jos. bi- Skup Vratislavský, poslal králi Jiřímu tyto kusy und zur Seite: anno 1467 post Johannis. Dem verewigten Fr. Lad. Čela- kovsky sind diese meist gereimten Sprüche ebenfalls aufgefallen, da Ir 20 sie in Abschrift in seiner Verlassenschaft aufgefunden wurden (Lite- — ratura příslovnictví 1853. S. 18. 19). Er nahm, und zwar mit Recht, die wenigsten in seine Sammlung slavischer Sprüchwörter auf, da sie wirklich mehr den Character humoristischer Sentenzen als den Cha- racter der Volkssprüchwörter haben, was aber ebenfalls gegen die bisherige Erklärung derselben als Waidmannssprüche eingewendet werden könnte. Jos. Jireček, derin seiner Antholögie (doby střední, 1858. S. 9) eine ausführliche Nachricht über den Breslauer Bischof Jošt aus dem Hause der-Rosenberge (gebor. 1430 $ 1467) gab, benützte einige dieser Sprüche, die nicht verfánelich waren, für die genannte Anthologie. Da Jošt schon im J. 1465 vom König Georg (Jiří) ab- gefallen war, so mag sich das oben citirte Jahr 1467 nicht auf die Zeit der Uebersendung dieser Sprüche an den König Georg, die ohne- hin nur durch die spätere Aufschrift im Manuscripte begründet ist, beziehen. Auch K. Jar. Erben giebt im Výbor z literatury české (II. 722) eine ausführliche Nachricht über Jošt und liess die „Waid- sprüche“ sammt der Antwort darauf vollständig und getreu abdrucken (S. 727—730). Mit dieser „Antwort“ hat es aber auch ein eigenes Bewandtniss. Es steht nämlich die „Antwort“ so überschrieben im Manuscripte (fol. 182): „Odpovied na Sprochy Klymovy z Prudo- vic. Třinadcte ne šprochov vajovskych.“ Die hier mit Durchschuss gedruckten Wörter sind jedoch in der Handschrift von einer andern alten Hand hinzugeschrieben. Liest man nun: Odpověd na šprochy K li- movy z Prudovie, so giebt das den Sinn, dass die sogenannten „Waid- mannssprůche“ ein Klima von Prudovic zu Wege gebracht hätte, d. h. dass sie nicht allgemeine Waidsprüche waren, wie schon oben berührt worden. Dass sie Sentenzen eines Einzelnen sind, zeigt auch ihre 12. Gruppe nach, denn es heisst unter Anderem darin: „Ne- byvaj tu hostem, kdež pleš a vrkoč vladne mostem. A v této řeči bych sám sebe nechal, snad by se na mnie niekto rozhnieval.“ Läse man aber statt „Klimovy“, „Klimovi z Prudovic“, so könnte es den Sinn haben, Václav Koranda hätte diese Antwort verfasst und sie einem Klima von Prudovic zugesendet. Diess wäre auch da- durch begründet, dass in dem Manuale Koranda’s überall, wo seine literarischen Producte unterschieden werden sollen von den blossen Abschriften, die er von wichtigen Actenstücken siner Zeit (um das J. 1423 geboren, im J. 1519 gestorben) in seinem Manuale zum Theile selbst nahm, zum Theile von andern verfertigen liess, ein K. oder ein W. K. sich beigeschrieben findet. Das ist denn auch hier der Fall. Denn am Rande neben der nun durchgestrichenen Aufschrift: , 21 Třinadcte kusuov ne mudrych ale slanych steht in der That ein X. Die ursprüngliche Aufschrift Koranda's, falls man das Dazu- geschriebene weglässt, hätte sohin gelautet: Odpovied na šprochy. Třinadete kusuov ne mudrych ale slanych. K. První: Což komu přirozenie da usw. Was diesem Spruchč bei Erben (Výbor, sloupec 728) vorangeht, ist auch von anderer Hand hinzugeschrieben und kommt, nun allerdings ebenfalls durchgestrichen, schon vor der „Od- povied“ unmittelbar an die 13. Gruppe angelehnt in folgenden Worten vor: Žadost človieka mnoheho jest hrob vieci tajných a ne- dobrych, takovemu podle toho muož odpoviedieno byti. Odpovied na šprochy. Man sieht also daraus, dass jemand Spáterer Redaktionen der ursprünlichen Schrift vorgenommen habe. Allein nicht genug daran. Wenn man nämlich zwei Blätter dieses Manuales, das an vielen Orten von alter Fäulniss stark angegriffen ist, umwendet, so findet man auf der Rückseite des Blattes 183 die Worte: Aliud respon- sum na šprochy, worauf dann wieder 13 Sentenzengruppen folgen. Diese sind bisher noch nirgend gedruckt und erscheinen daher hier, zum Theile, weil die Handschrift unaufhaltsam dem Verderben ent- gegen geht (schon Safarik schrieb auf die Titelcopie: Codex putre- dine valde laesus), zum Theile um auf die räthselhaften Sprüche, die wohl erst durch das Wiederauffinden in einer andern Abschrift end- giltie werden beurtheilt werden können, ein neues Licht zu werfen. Ein X findet sich hier nicht beigeschrieben. 1. Nedvied v tenata, liška utieka v dupata. Svinie, ač ostre zuby mieva, však za nie Stietiny dava. A často male vyžlatko za lišku pada v dupatko. A když mu lovči pomaha, častokrat s psikem vytažena byva. A tak jeden kmen druhemu, dubovy lipovemu, i ratolest zvieřiti (tak?) Zivemu často chuť česenkovu dava za sladkost medovu. Řetiez z krušneho železa nemož trvati, a když nemož rozplesti i nit hedvabnu musi človiek ztrhati. 2. Kozel po skali vysoko skače a hledi daleko: nehledie před sve nohy srazie sobie častokrat rohy. 3. Nic spieše neoklama (než potakač atd. viz Výbor, str. 727. č. 3). Ta řeč je v sobie prava lest. Řeč z přieslovie davna: neguior etc. poviem česky, tot nenie klam: rad zlosyn pozna zlosyna, dobreho to nenie vina. Často sie o jinem domnieva, ktož do sebe licomiernictvo mieva. 4. Jest velike blaznovstvie, jinych činy suditi, sam sve přikryti; plevy zbie- rati, zrna nechati; i kto muož vypraviti vytazky lidij Istivych, falešnych i nevier- nych: jest jim to od přirozenie; takovi sie dubna rodie. 5. Duostojenstvie, bohatstvie, prelatstvie a jinych množstvie zda sie jim byť dobr (a...1...) jine pravie zpravovali. Nehlediece za sebu (....) je jich cesty vedu. 6. Komuž jest co přirozeno, tiežceť bude odvedeno; neb radieji svinie blato mnohe. vidi, nežli zlato: i co viec poviem o tiech, kteřiž maji dobre v posmiech: 22 dobremu zle řiekaji, praveho pisma neznají. Ktož sie na takove hnieva, odplatut od boha mieva. Protož byvaj zajiec u lesa a ježek pospieš jablka nesa. 7. Ktož hrozij, ten vystřieha, ktož uči, braň na sie dava, a ktož netaji vieci skrytých, muož sluti vuodce blaznovych. : 8. Mnohym sie lidee vrabci zdaji, když jich za nic nemievaji, ktož sobie © vše lehce važi, jest nemudry: ktož vše tiežce, jest nestatečny, ktož obe, jest bla- zen: blahoslavena střiedmost bud zachovana. 9. Mudrost s nemudrosti srovnati, dobrotu s zlosti, ščestie s nesčestim a ne- pokoj s mierem spojiti: nemuož to ne mudreho byti, neb sie častokrat zda, že nebe na horach leha a hory sie k nebi pozdvihuji, když je z daleka zpatřuji. Neb ktožkoli jinym (nadepsano jinee) daři, take sčestie v ruce drži, komuž je bude račiti dati, nemuož toho žadny znati. : 10. Snaz sie na vrchu braniti, než sie v dole vodie skryti: než voda na. horu přijde, buoh vie, kde ten z duolu bude; ktož ma huol i wardu (stř. lat. guarda, něm. warte, stráž) v ruce, s pomoci boži odolat mnohe muce. 11. Když sie mnoho natrusi, muož oplesti, aby sie nerosypalo a přikryti, aby vietr nerozval. 12. Nic nesčastniejšieho, ani v svietie opustilejšieho, komuž sie zda byti mudrym a nenie, snažným a nemaje, a praviti sie statečným, ana by jej zastrašila baba rubašem svym, neb jest přieslovie, že (z) přielišne mudrosti nemuož byti statečnosti. Již opustie removanie tak mi sie zda, že kniezie mieli by zpravovati vieci duchovnee a ne ženské vrkoče. Ale tomu sie nedivim, neb i jinych v svych radiech . . . nevidim. (Poslední řádek zpukrelosti nejasen, jako částky výše vy- puštěné.) 13. Takt jest jistie pravdu, ktož ma, na vodu, ohen, vietr nic nedba, ale však co lide umieji, že i tomu odolaji, ohni drievie odejmuce, vodu dieru vypu- stiece a vietru okna zahradiece, pomoc o všem majice, jenž všim vladne, od nieho je čekajice.“ Der Character dieser Sentenzen, namentlich ihres Endes, spricht für einen geistlichen Verfasser, und da es Koranda seiner nicht für unwürdig hielt, auch die „šprochy vajovské“ in sein interessantes Manual aufzunehmen, so wird vielleicht die Behauptung nicht zu ge- wagt sein: Sprüche und Gegensprüche für Sprüche der damals strei- tenden religiösen Parteien zu halten und nicht für Waidmannssprüche. Philosophische Section am 9. October 1865. Anwesend die Herren Mitglieder: Purkyně, Weitenweber, Hanuš, Winařický, Nebeský, Storch, Cupr, Dastich; als Gáste die HH. A. Du- vernoy, Kolář, Patera. Das ordentl. Mitgl. Hr. Hanuš sprach sich über das Wesen und den Ursprung der slavischen Mythologie (in böhm. — Sprache) ungefähr wie folgt aus. In früheren Zeiten hielt man die Mythologie eines Volkes 23 für die heidnische Religion oder für eine gläubig erfasste Reihe von Göttern und Göttinen, deren Namen die Mythologen sam- melten und sie fast eben so deuteten und die Göttergestalten eben so äusserlich beschrieben, wie es bei der descriptiven Naturgeschichte früherer Tage zu geschehen pflegte, wenn überhaupt auch nur hiezu das nöthige mythische Material vorhanden war. Nun aber fasst man die Mythologie als die genetische Wissenschaft der alterthümlichsten Ansichten eines Volkes über Natur- und Menschenwelt auf, so wie die Mythen selbst als theoretische Culturäusserungen des noch kindlich sinnenden Volksgeistes. Um diese begreifen zu können, muss man vor allem unsere gegenwärtige Auffassungs- und Denkweise, die schon durch vielfache geregelte Vorstellungsgruppen die natürliche und lebendige Ideenassociation oder Appercipirung der Vorstellungs- reihen hemmt, aber auch regelt (corrigirt), fast ganz ausser Acht lassen, und sich in das Werden ungebundener, nur durch Sinnen- eindrücke und Einbildung geleiteter Auffassungen der Welt- phänomene hineinversetzen. Dies hat denn ebenfalls in Beziehung der slavischen Mythologie zu gelten. Die frühere Methode der Mythologen, die slavischen Mythen als eirén blossen Abdruck oder Nachklang irgend welcher asiatischen Mythen z. B. der indischen anzusehen, ist bereits verlassen und dafür der Standpunkt eingenommen worden, die slavischen Mythen, eben so wie die germanischen, als ein Culturproduct Europas aufzufassen. Germanen und Slaven sind gewiss als solche nie in Asien gewesen, daher auch nie als solche nach Europa eingewandert, sondern sie haben sich erst aus dem ari- schen, auch über Europa seit Urzeiten theilweise ausgebreiteten Ur- volke als Germanen und Slaven entwickelt. Das Gemeinschaft- liche in der Cultur der Europäer und Asiaten tritt bedeutend zurück gegen das Unterscheidende derselben, worauf doch mehr Rücksicht genommen werden muss, wenn man die wirklichen Gestaltungen nicht abstract, sondern concret auffassen will, da die Gattungen und Arten nur inden Individuen in Wirklichkeit bestehen. Dies Princip der Individualität muss sogar so weit greifen, dass von einer allgemeinen slavischen Mythologie erst dann in Wahrheit wird gesprochen werden können, wenn die Mythen der einzelnen sla- vischen Völker werden erforscht worden sein, und nur unter dieser Restrietion kann auch hier vom Wesen und Ursprung der slav. My- thologie die Rede sein, d. h. unter der Restriction, dass die Grund- sätze wohl allgemeine, die Belege derselben jedoch stets specielle sein werden. Unter dieser Voraussetzung kann denn behauptet werden, dass 1. eine Eintheilung slavischer Mythen in Naturmythen, z. B. das in’s Badsteigen der Sonne nach dem Untergange, um früh rein und gestärkt wieder zu erscheinen, und in Mythen, welche Hypostasen abstracter Begriffe sind, z. B. bei den Römern: Victoria, Fides, Spes gar nicht gesprochen werden könne, weil wahre Mythen stets concreten Inhaltes sind, und solche Abstrac- tionen einer Zeit angehören, die längst schon nicht mythenbil- dend, weil reflectirend war. Mit Recht sagt daher Procopius, dass die heidnischen Slaven kein Schicksal kennen oder demselben irgend einen Einfluss in menschliche Angelegenheiten einräumen. In der That sind alle slavischen Götter so menschenähnlich, dass sie als Ge- beten (Bitten) und Opfern (Geschenken) zugänglich willkürlich handeln und nicht mit unerbittlicher Nothwendigkeit wie das: Fatum. Wie naiv heisst es noch in der Königinhofer Handschrift: wohin der Vater legte für die Götter Speisen u. del. Doch auch solche Götter sind ein spätes Product des mythenbildenden Geistes, da die Urmythen alle götterlos sind. In Bezug des Schicksales haben nun wohl die Serben ein Märchen Usugd (Schicksal) genannt, doch die darin vor- kommende Persönlichkeit ist weit entfernt von der griechischen Ei- marmene, Tyche oder dem römischen Patum, da sie nichts an- deres als den ewigen Wechsel zwischen Sommer und Winter, zwischen Reichthum und Armuth ausdrückt. Der serbische Usud ist die Welt selbst, im Sommer ist seine Wohnung ein herrlicher Palast, im Winter eine armselige Hütte, und so verschieden sind denn auch die Gaben, die er den eben Geborenen verleiht. Das ist eben so wenig abstract, wie wenn im griechischen Hadesmythus die Danaidenwolken immerfort Regen (der Wolkenhimmel ist ein Sieb) tröpfeln müssen, wenn die Sisyphuswolke sich hoch erhebt, um immer wieder, gleichfalls in Regenform, sich zur Erde senken zu müssen. Denselben Mythus drückt der böhmische Spruch aus: Weiber, Bäby, steigen auf, es wird regnen (Bäby bedeutet im Böhmischen hohe Steine, Gewitterwolken und alte Weiber). Diese Concretheit ohne irgend einen abstracten Hintergedanken ist eben der Grund, dass alle bisher bekannt gewordenen slavischen Mythen sich 2. vollständig von Allegorien und Symbolen unterscheiden, die schon in Zeiten kalter Reflexion und gekünstelter Absichtlichkeit entstehen, während die Mythen in fast bewusstloser Naturwüchsigkeit traumartig entstanden. Man hat daher auch im slavischen Mythus durchaus keine Mysterien, keine verborgene, tiefe Weisheit zu 25 suchen. Die slavischen Mythen interessiren durch ihre Naivitát und Fülle der Phantasie. Kann es z. B. etwas naiveres geben. als zu glauben, dass Wärme, Licht, Sommergewitter u. dgl. Phänomene nicht entstehen und vergehen, sondern stets sind und nur kommen und gehen z.B. aus dem Wolkenberge und in den Wolkenberg; dass im Winter sämmtliche Güter des Sommers sich in das Paradies (ráj) zurückziehen, wo alles stets grünt und blüht; ist es nicht naiv, die Wolken, ob-vlaka d. i. wirklich die Einhüllenden, ja den ganzen Wolkenhimmel sich als einen Hut zu denken (im Deutschen die Tarn- kappe), worin der junge Div die reife Gewitterstaude (ostružiny, Brom- beeren) verborgen hält, um damit die Jezinky, die Gewitterwolken, die ihn mit Aepfeln (Donnerkeilen) und Rosen (rothen Blitzen) äffen, zu schlagen und zu fesseln, weil sie als finstere und Winterdämonen- jungfrauen. seinem Grossvater (dědoušek), dem lichten Sommerhimmels- gotte, die Augen (Sonne und Mond) ausstachen, der auf diese Weise geblendet, Ziegen (Wolken) weidet, d. h. mit dunklen Regenwolken das Firmament überzieht. Wenn man daher die Mythen Hyposta- sen nennt, so bezeichnet man ihr Wesen damit nur in so ferne prácis, als in ihnen alles sachlich vorgestellt wird, nicht aber dass durch die Mythen etwa Abstractionen concret gemacht werden. 3. Besser thäte man die Mythen Metamorphosen zu nennen, d. h. Verwandlungen, da sie ein Concretes in ein anderes Con- crete wandeln und zwar ein der Urzeit unbekanntes sinnliches Ding durch ein ihr bekannteres oder bekannter scheinendes sich vorstellen. So sahen die Slaven der Urzeit die verschiedenen Formen der Wolken und nannten sie Steine, Felsen (aus denen durch den Schlag eines Stabes [Blitzstrahls] Wasser fliesst), Schafe, Ziegen, Kühe, Stiere, Pferde, Schwäne, alte Weiber, die gerne zanken (donnern) u. del, um sodann mit jeder solchen Metamorphose den verwandten Ideenkreis zu verbinden. So schwimmen z. B. die Schwäne und der Wolkenhimmel ist daher z. B. ein Teich, ein See, ein Fluss; die Schäfchen weiden und der dunkle Wolkenhimmel ist dann ein finsterer Wald, usw. Bei solchen Metamorphosen fallen dann die Verdopplungen und überhaupt die Vervielfachung eines und desselben Wesens auf, z. B. ein altes Weib wohnt in einer Hütte im Walde und besitzt Ziegen im Stalle, wo Weib, Wald, Hütte, Ziegen und der Stall fort und fort nur Wolken sind und das ganze nur den Sinn hat: am Himmel standen viele Wolken... Statt daher nach unserer Anschauungsweise zu erklären und zu verdeutlichen, 26 sind die Mythen immer Verhüllungen oder Verschleierungen: sie geben statt der Natur nur Wunder. | 4. Es ist gleichfalls unrichtig zu meinen, dass durch diese Me- tamor; hosen stets nur das Leblose zum Lebenden potenzirt werde, dass daher durch die Mythen, wie man sagt, die Natur verleben- digt werde. Wenn z. B. der Blitz seines Schlages wegen bald als Strick, bald als Stab, seines Lichtes wegen als brennende Kerze, feurige Kette u. dgl. aufgefasst wird, so ist das keine Vivification. Dem Mythus ist in dieser Beziehung lebloses mit dem lebenden gleichgeltend, wenn es nur dem Grundgesetze der Metamorphisi- rung, d. h. eine sinnenfällige Eigenschaft in ein analoges Ding zu verwandeln, entspricht: die Wolke wird ihrer Dunkelheit halber zur Nacht, ihrer Ausbreitung wegen zum Walde, ihrer Gestalt halber zum Felsen, Berge, Schlosse, ihrer Verhüllung (ob-vlak) hal- ber zum Gefängnisse u. dgl. 5. Es ist sohin auch nicht der Theriomorphismus d. i. die Auffassung mythischer Momente unter einer Thiergestalt eine hö- here Stufe des Mythus, wie er allerdings uns erscheinen muss, denn der Naturmensch gab sich der Ideenassociation unbedingt hin. Wenn z. B. der Mythus die Gewitterwolke alsirgend ein wildes, zer- reissendes Thier auffasste und dessen Zähne als die Blitze: so meinte er nicht höher in der Auffassung zu steigen, als wenn er die Gewitterwolke als Berg auffasste, in welchem goldene Schätze lägen. Aehnlich verhält es sich mit dem mythischen Anthropomorphis- mus d. i. der Auffassung der Naturmomente in Menschengestalt z. B. die Wolke als altes Weib (bába), den Sturmgott als brummen- den Alten, Grossvater (děd); denn die Naturmenschen kannten die Trennung des Menschen vom Thiere gewiss nicht in dem Grade, wie sie uns Sitte und Wissenschaft lehren. Die Verschiedenheit der Naturphänomene rücksichtlich der Grösse und Kleinheit gaben die Riesen- und Zwergmythen von selbst, nur dass diese nicht allein als Menschengestalten vorkommen, sohin nicht. alleinige Unter- arten des mythischen Anthropomorphismus sind. Wenn z. B. der Mythus der Elbeslaven den ungeheuren Gewittereber kennt, wie er öfters aus einem See (Wolkenhimmel) emportauche und durch seinen weissen Zahn weithin leuchte, so ist das ein Riesenmythus, wie es ein Zwergmythus ist, wenn die Blitze unter der Gestalt kleiner weisser Mäuse oder ihrer slänzenden Zähne aufgefasst werden. In dieser Beziehung kommen Zwergmythen bei den Slaven so häufig vor, wie bei den Germanen. Die sogenannten Göttermythen, der k: Nb: 27 mythische Theomorphismus ist von dem Anthropomorphis- mus nicht durch den Inhalt, sondern nur durch die Form der Veredlung verschieden, so hat z. B. in slav. Márchen der Blitz-Feuer-Gott oft die Gestalt eines Koches (beim Feuerheerde). Den Uebergang der ge- wöhnlichen Menschenmythen in die Göttermythen bilden die Königs- mythen, die zugleich im Slavischen den Uebergang der Märchenwelt in die Sagenwelt vermitteln. Es kann daher immerhin einen Mythus geben, und es gab ihn auch beim Beginne jeder Mythenbildung, der ganz götterlos war. 6. Der subjective (psychische) Ursprung des Mythus macht es erklärlich, dass eine bestimmte Naturthätigkeit den Menschen zur ideenassociirenden Metamorphose aufforderte. Es sind sohin die My- then in ihrem Ursprunge stets local oder nur Orts-Mythen und Mythen einer bestimmten Zeit, falls sie in ihrer Eigenthümlich- keit aufgefasst werden. Warum der Slave die blitzende Wolke ein- mal als Eber, ein andermal als Fuchs. das drittemal als Maus, das viertemal als einen Ameisenhaufen auffasste, hatte gewiss seinen Grund in der Analogie eines bestimmten Naturphäno- mens mit der Metamorphose. Daraus erklärt sich der Umstand der Eigenthümlichkeit der slavischen Mythen trotz ihrer Verwandt- schaft z. B. mit germanischen und litauischen. So spielt z. B. na- mentlich der Fuchs eine viel grössere Rolle im slavischen Mythus, als im deutschen. Sein Name liška wurde in der Form des Perso- nennamens Eliška der Gegenstand häufiger Personenmythen. Es gab sohin, wie schon gesagt, nie einen allgemein slavischen Mythus, sondern nur Mythen einzelner slavischen Stämme in einer bestimmten Zeit. Das Gemeinsame oder Allgemeine derselben exi- stirte in der Wirklichkeit eben so wenig, wie Gattungen (genera) überhaupt existiren, die nur Verstandesabstractionen sind. Die ver- gleichende Mythologie darf sohin über dem generellen nie das specifische aus den Augen lassen. Die Erklärung eines einzelnen slavischen Märchens, eines mythischen (Kinder-) Spieles u. dgl. lässt genauere Einsicht in die Eigenthümlichkeit des slavischen Mythus zu, als die reihenweisen Göttervorstellungen der Chronikenschreiber z. B. „Sie beten zum Perun, Chorš, Mokša und den Vilen.“ 7. Der mythenbildende Geist erstarb eben so wenig, wie die ewig frische, ewig neu sich verjüngende Natur. Daher gab es in der Mythenbildung selbst nie einen Stillstand, eine Abgeschlossenheit, son- dern ewige Entwicklung. Der slavischen Mythologie steht daher die 28 schwierige Aufgabe, bevor, auch Epochen der Mythenbildung bei den einzelnen slavischen Völkern zu unterscheiden. | 8. Die Berührung der einheimischen Stämme mit fremden wirkte auf den Zuwachs mythischer Erkenntnisse in ähnlicher Weise ein, wie es die Veränderung des Locales that, z. B. bei Reisen Ein- zelner, bei Verbreitungen (Wanderungen, Kriegszügen) ganzer Stämme. Es finden sich daher auch in den slavischen Mythen nicht ganz gleich- artige Elemente. So ist z. B. der Perahta-Mythus unter den Böhmen sehr verbreitet, der Wampyr-Mythus zeigt jedoch seine Unslavieität dadurch, dass ein Volk, das seine Todten verbrennt, unmöglich dieselben mit wirklichen Leibern wieder erscheinen lassen kann. Fremd ist auch*dem slavischen Mythus die Reihe der sieben Planetengötter mit der daran sich anknüpfenden siebentägigen Woche (ty-den), die von Babylon aus über Aegypten wahrscheinlich durch Vermittlung der Phönizier im Alterthume unter Slaven und Germanen kam. Fraglich ist es, ob die Slaven im Alterthume auch die Götternamen in die Namen der Wochentage aufnahmen, wie die Deutschen es thaten. Die Elbeslaven nannten ällerdings den Don- ners-tag Peren-dan (den Peruna). Eine Berührung mit Fremden erfuhr auch der slavische Mythus nach der Christianisirung. An die Stelle heidnischer Götter und Göttinen wurden dem Namen oder der Sache nach analoge Heilige gesetzt z. B. St. Peter oder Elias (Ilija) an die Stelle Perun's (z. B. „Sv. Petr hřímá“), daher auch die Abbil- dung desselben mit Schlüsseln (Blitzen), während altkirchliche Ur- kunden ihm eine Rolle in die Hand geben. 9. Der sichtbare Erdenkreis war der mythenbildenden Mensch- heit einzige Welt, von deren Rundung, Ausbreitung und Bewegung sie keinen Begriff hatte. Das tast-, sicht- uud hör-bare wurde für zweifellose Realität gehalten: daher mussten die Gegenstände der obern Welt d. i. die Phänomene des Firmamentes gerechtes Stau- nen erregen, da sie, wenn auch nicht den Gesetzen der Sicht- und Hörbarkeit, so doch den Gesetzen der Tastbarkeit und Schwere ent- zogen zu sein schienen. Dies Staunen, der psychische Hauptbeweg- grund zur Mythenbildung, äussert sich noch in dem Begriffsübergang von div-ati, schauen und div-iti, staunen. Div ist der slavische Zeus (Dju-piter) und zugleich das Wunder, das Wunderbare. Dar- aus erklärt sich auch der Grundzug aller mythischen Metamorphosen: das wunderbare oder unbegreifliche Oben wurde durch das begreif- liche Unten erklärt oder mit andern Worten: die obere Welt in eine irdische metamorphisirt. Der mythische Himmel ist dadurch 29 ein getreuer Spiegel des irdischen Thun und Lassens geworden. Daher stand auch, als sich die Mythe der Slaven úberhaupt vorwiegend auf die Stufe des Anthropomorphismus gehoben hatte, ein Götter-Starosta über allen Göttern, und je blutsverwandter irgend ein Gott mit ihm war, desto höher war auch seine Götterstufe. Die obere Welt war aber den Slaven in zwei Abtheilungen geschieden, die Welt vor dem blauen Firmamente (tvird, tvrd) und die Welt binter demselben. Das blaue Firmament galt den Slaven für hart (tvrd), krystall- und später auch für glasartig, woher dann die Mythen-Märchen vom Krystall- oder Glasberge, den die Seelen der Verstorbenen erklimmen müssen. Später wurden Glasburgen daraus, aber auch die Ansichten von glänzenden metallenen z. B. Gold- und Silber- burgen leuchten aus den Märchen hervor. Wie die Slaven in ihren Zupenburgen all ihre Schätze aufbewahrten, so dachten sie sich auch in der Götterburg alle Schätze, alle Reichthümer d. i. ursprünglich alles Gute des Sommers aufbewahrt. Der Gedanke des Vernich- tens war dem hohen Alterthume überhaupt fremd, an die Stelle- des Vergehens trat daher der Begriff des sich-Verbergens. Kam doch die Abends untergangene Sonne früh wieder verjüngt hervor, eben so wie das Licht uud die Wärme, die Herbst und Winter ver- scheucht hatten, im Alles verjüngenden Frühjahre wiederkehrten. In der Götterburg, die aus einem abgeschlossenen Baue, hrad, und aus einem Garten, ráj, bestand, dachte man sich daher Alles geborgen, was im Frůhjahre wieder sichtbar werden sollte, selbst auch die Blitze, ja man meinte eben, wenn ein Blitz sich zeigte, dass dadurch der Himmel sich öffne, weshalb auch der Blitz der Himmelsschlüssel hiess. Götter und Göttinen zogen sich daher gegen den Winter in die Himmelsburg, oder alterthümlicher gesprochen, in den Himmels- berg zurück. Die Welt vor dem blauen Firmamente hiess, im Un- terschiede vom ráj, dem Himmelsburggarten, nebe, nebesa, was ursprünglich Wolkenwelt, Nebelwelt bedeutet (vgl. latein. nubes, - Nebel), wie denn auch die Wolken noch heutzutage ob-vlaka, die Ver- hüllungen heissen, die man auch, wie gesagt, als Seen, Meere, Flüsse auffasste, woher dann natürlich die Sage, dass diejenigen, die in den eigentlichen Himmel wollen, über Flüsse oder Meere Setzen müssen. Als Verhüller galten die Wolken auch für Uebelthäter: standen sie ja doch dem ewigen Lichte im räj ent- gegen und entzogen es, sammt der Wärme und Fruchtbarkeit, dem Menschen, besonders in den langen Wintern, wo sie oft monatelang nicht einmal den Mond und die Sonne aus der Himmelburg heraus- 30 liessen, denn das Tageslicht (den d. i. ursprünglich div-an, das Sichtbare) unterschied die alte Welt vom Sonnenschein (svit slunce). Im Frühjahre, das in der alten Welt, etwa der häufigen Waldungen halber, wohl mehr Gewitter hatte als gegenwärtig, sah man in den Gewitterstürmen den Kampf zwischen der dunklen Wolkenwelt und der lichten Himmelswelt und zwar immer zum Vortheile der lichten Welt entschieden. Es ist daher erklärlich, dass den Mythen die Ge- witter als das Hauptphänomen galten, womit sich denn auch der grösste Theil der Märchen beschäftigt. Namentlich war der Blitzgott der siegreiche Kämpfer, der den Wolkenunhold unter gewaltigem Ge- töse alles dessen beraubte, was dieser der lichten und warmen Welt geraubt und in sich verborgen hielt. Dahin gehen auch die Sagen vom Ausreissen goldener Haare, goldener Zähne, worunter eben Blitze, die der Wolken- und Winterdämon inne hatte, gemeint sind. Nach den Frühlingsgewittern sah man alles neu werden, neu ent- stehen, daher denn auch der Gewitterkampf als Zeugungs- und Schöpfungsaect galt. Der persische Mythus von Ormuzd (Ahuro-mazdao) und Ahriman (Agro-mainyus) d. i. der Kampf um die Schöpfung durch das Wort (den Donner) ist ursprünglich nichts als ein Gewittermythus, dessen Spuren auch in slavischen Mythen sich zeigen, wie K. J. Erben in seinem Aufsatze: die slavische Göt- terzweiheit und Götterdreiheit (Musealzeitschrift, Jahrgang 1857) nach- wies. Der Götterdualismus von: Bělbozi (Lichtgöttern) und Černo- bozi (Schwarzgöttern) ist sohin ursprünglich nichts Festes, denn die Černobozi verwandeln sich ja endlich stets in Weissgötter (b&lbohy), wie selbst ihr Urbild Ahriman zeigte. Während den Schöpfungs- gewittern dachte man sich gleichfalls die meisten Seelen zur Erde fahren und sich mit den Leibern bei deren Geburt verbinden. Es ist noch nicht aufgehellt, wie sich der slavische Mythus die Kinder- seelen dachte: es gibt Belege, dass sie im ráj, im Himmelsgarten Hähnchen („kohoutky“) weiden („pasou“, was aber auch die Bedeu- tung des Náhrens hat), aber auch Belege, dass sie als Hauche (duše) in Vogelgestalt flatteru und durch die Blitze aus den Wolken heraus- geschleudert werden. Vielleicht gab es zweierlei Arten Seelen, Licht-Seelen, die auch mit Gestirnen, Irrlichtern in Beziehung gebracht werden, und Luft-Seelen, wozu die Wärme (Feuerwärme) und das Athmen des lebendigen Menschen Veranlassung gegeben haben mögen. Ausser diesen beiden Welten: Erdenwelt und Himmels- welt, deren letztere, wie gesagt, wieder verdoppelt wurde (Paradies und Wolkenwelt), gab es ursprünglich im Mythus keine dritte, keine 31 Unterwelt, diese entstand erst durch das Sinken des mythen-bil- denden und die Mythen verstehenden Geistes, also in späte- rer Zeit. 10. Als nämlich die Haupteigenschaft einer jeden Mythe, nämlich ihr wirkliches Werden, ihr Geschehen, verkannt und das Ge-- sagte als ein Gewordenes oder Starres geglaubt wurde, musste der gläubige Geist demselben auch einen festen Platz anweisen. Dies geschah nun auf folgende Weise. Die Oberwelt selbst konnte dieser feste Ort nicht sein, denn an ihr gingen ja eben die steten Wand- lungen vor sich, die zum Irdischen metamorphosirt, eben den Inhalt des ursprünglichen Mythus bildeten. Man übertrug daher 1. die er- starrten Vorgänge als feste Gegenstände in die fortgesetzte, aber unsichtbare (Hades) Unterwelt, die man entweder in unbe- stimmbare Fernen verlegte, oder sie unter der Erde als eine eigene Welt dachte. Das Auf- und Untergehen der Gestirne, des Mondes und der Sonne mögen dazu die Veranlassung gegeben haben, denn irgendwo mussten doch diese Dinge, die der Oberwelt angehörten, sein, wenn sie nicht wirklich in der Oberwelt sichtbar waren. Diese ferne oder untere Welt (böhmisch: limb [o-Iymp-os?] und peklo, die Tiefe genannt) enthielt daher nur solche mythische Momente, die auch in der wirklichen beweglichen Oberwelt ‘gedacht wurden, nicht aber die Momente des eigentlichen Paradieses (ráj), weil dieses eben hinter dem unbeweglichen, sich stets gleichen Firmamente gedacht wurde. Bei den Slaven ist der Mythus von dieser Unterwelt nicht so poetisch ausgebildet, wie bei den Hellenen, wo die Danaidenmythe die regelmässig wiederkehrenden Regen aus den Wolkensieben, die Sisyphusmythe das wiederkehrende Aufsteigen und Niedersinken der Wolkenberge u. dgl. bedeutet. Die vielen Unterwelt-Flüsse sind nur die Flüsse d. i. die Wolkengewässer der Oberwelt. Der litauische Mythus kennt jedoch in seiner poetischen Niola d. h. Persephone- mythe nicht gut die Unterwelt. 2. Da man die Erscheinungen der Oberwelt durch Gegenstände und Vorgänge der irdischen Welt ursprünglich sich. erklärte, so vermengte man später die Metamor- phose mit dem, was zur Metamorphose Veranlassung gab. Die Wolken, als die Verhüllenden, waren böse Wesen, sie hielten z. B. nach dem Glauben noch manche Seelen fest, sie sind z. B. die noc černá, die finstere Nacht, in welche die Morena den Vlaslav eindámmert: sie waren aber zugleich in Flüsse, Seen u. del. metamorphosirt, daher verlegte man auch das, was man von solchen oberweltlichen Gewäs- sern dichtete, in die wirklichen Gewässer der Erde und fabelte, dass 32 in den Flüssen, Seen böse Wesen, vodníci hausten, welche Seelen in ihren Tiefen festhielten, ja jährlich ihr Opfer forderten. Aber Wolken waren zugleich durch die Metamorphose zu Bergen geworden, woraus die Fabel entstand, dass in manchen Bergen gute Wesen ver- zaubert wären u. dgl. So ist die böhmische Mythe, dass im Blanik, Rip, ja selbst im Wyšehrader Berge Wenzelsritter schliefen, nichts, als eine ins christliche übersetzte Mythe der Bergentrückung des Svatovit mit seinen Schaaren. Da aber die Wolken nicht ewig die guten Wesen festhalten können, so wurde die Fabel zur Sage, dass einst die Berge sich öffnen und die Wenzelsritter zur Rettung Böhmens hervorkommen werden. Wenn nun bei uns das Landvolk noch fabelt, dass am Charfreitage oder am O-termontage die Berge sich öffnen und die allda verborgenen Schätze hervortreten, so ahnt es nicht, dass es eigentlich so viel sagt, als: im Frühjahre öffnen sich die Winterwolkenberge und werden den Schätzen des Sommers: der Feuchte, dem Lichte, der Wärme nicht mehr hindernd entgegentreten. 11. Sieht man nun auf den psychischen Vorgang der My- thenbildung zurück, so liegt ihm a) ein unbedingter Sinnen- glauben ohne jede Kritik, ohne jede Reflexion zu Grunde: der Schein wird für Sein genommen, Unwahrscheinliches und Zweifel- haftes existirt noch nicht für den mythenbildenden Geist: Alles, auch das für uns unglaubliche ist nicht nur möglich, sondern sogar wirklich; verwandeln sich doch die Wolken bald in die Gestalt der Berge, Bäume, Thiere, warum sollten sie vicht wirkliche Berge, Bäume und Thiere sein? Das Auge zeigt es ja! b) es liegt dem Mythenpro- cesse ein schrankenloser Hang nach Wissen zum Grunde: allein das Wissen wird wohlfeil erworben: was um den Menschen, auf der Erde bekanntes ist, das wird auch bei den geringsten Anknüpfungsmitteln, der geringsten Ideenapperception auf die Oberwelt übertragen. Das Tönende auf der Erde ist entweder ein Gespräch oder ein Ge- zänke, oder eine Musik, oder ein Wagengerassel u. dgl., daher spre- chen, wenn es donnert, auch die Wolken, oder man zankt sich dort, man musicirt, oder ein Wagen rasselt dort u. dgl. Da der Mensch sich selbst der nächste ist, und sich daher nach der Naivität der mythischen Anschauungsweise am besten kennt, so werden die unbekannten und sonderbaren Phänomene der Oberwelt durch men sch- liches Thun und Lassen am besten erkannt; Sonne und Mond sind daher Augen und das Oben ist ein Riese, der nie beide Augen offen hat, ja im Winter erblindet er sogar: das sternhelle Firma- ment ist jedoch Argos, ein Königssohn, der am gesammten Leibe 33 Augen hat, daher er Panoptes d. i. allsehend ist, sohin kann er auch die sonderbaren Wandlungen des Mondes gut beobachten, er ist sohin dessen Aufseher. Da der Mensch jedoch entweder Mann oder Weib ist, so ist auch der Mond bei manchen Völkern Mann z. B. bei den Slaven, die Sonne ist seine Frau; weil er jedoch höchst selten mit ihr zusammen kömmt, stets aber mit dem Abendsterne, so ist dieser seine Buhlerin. — Der lebende Mensch athmet, sein Leben, seine Seele ist daher ein Luftwesen, das in den Menschen hinein kömmt und aus ihm heraus geht, daher maus- oder vogelähnlich, und entflieht beim Tode in die Luftliöhe, woher es bei der Geburt gekommen, es wird also von der Verwesung (beim Begraben) oder der Zerstörung (beim Verbrennen) gar nicht ergriffen, ist sohin unsterb- lich und kehrt einst wieder, wenn auch nicht in seinen Leib, so doch in andere Leiber; denn was sollten die Seelen nur immer in den Lüften machen? Bei grossen Schlachten flattern daher die Seelen der vielen Erschlagenen von Baum zu Baum, so dass sogar Vögel davon erschreckt werden; c) eine wilde, ungezügelte, rücksichtslose Phantasie (Ideenapperception) herrscht durchgehends im Mythus: sie fürchtet sich vor keinem Undinge, vor keinem Widerspruche: der Donnergott (Děd) hat eigentlich die Blitze als seine goldene Peitsche, womit er das schlimme Wolkenweib (Ježi-baba) schlägt, damit sie das von ihr verhüllte Licht und das genossene Wasser herausgebe, allein auch sie hat Blitze, sie schlägt daher auch ihn, sie ist im Grunde er und er ist sie. Sie ist die schwarze Frau, verwandelt sich jedoch nach dem Regen in die weisse Frau und doch sagt der Mythus zugleich, dass sie in sich ein Lichtmädchen (Deva) ein- schliesse. Allerdings gebraucht auch der Mythus schon Verstan- deskategorien: Ursache, Wirkung, da er ja sonst nicht einmal echter Worte, die stets einen allgemeinen Sinn in sich schliessen, sich bedienen könnte, doch bedient er sich derselben, gleichwie es Kinderseelen thun, nicht logisch, da auch diese Kategorien nur der üppigen meist nur äusserlich geleiteten Apperception anheimfallen: ihr innerer Zusammenhang und ihre Consequenzen dienen, wenn es gefällt, wenn nicht, so werden sie bei Seite geschoben, als ob sie nie ‚gesetzt worden wären. Es herrscht darin nur eine individuelle oder egoistische Apperceptionsweise und wir müssen von unserer Apperceptionsweise, wie gesagt, ganz Umgang nehmen, wenn wir den ursprünglichen Sinn der Mythen auffinden wollen. Alles Hineinver- legen unseres Sinnens und Denkens verdirbt nur den eigent- lichen Sinn der Mythen. So auch im Moralischen. Nur praktische Sitzungsberichte 1865. II. 3 34 Ideen, wie sie der Egoismus eingibt, leiten die Moral der Mythen, d. h. es ist nach unserer Weise gesprochen, in demselben keine Moral und ein Egoismus so derber Art, dass er mit einigen empha- tisch ausgesprochenen Worten (zafikävati, uhranouti) und einer ge- ringen Gabe an die Götter (dem Opfer), ja sogar auch nur dem Ver- sprechen des Opters (ob-vět) alles zu seinen Gunsten gewendet zu haben meint. Es ist daher ursprünglich auch in der Theomorphose der Mythen keine Aeusserung der Demuth zu suchen, sondern nur die egoistische Freude an der Verherrlichung der Menschengestalt und des Menschenwesens, da die Götter Menschen sind, die fast durch keine Schranken in ihrem Belieben und in ihrer Willkür gehemmt sind. Die Morana ereilt eben, wen sie will: Kind, Braut gilt ihr so viel, als der alterschwache Greis und das sieche Weib. 12. Es scheint, dass anfangs der mythenbildende und mythen- glaubende Völkergeist die Naturvorgänge mit den Mythenbil- dern wirklich identificirte d. h. sich des Gedankens nicht be- wusst war, er sei es, der die Wolken, Berge, Felsen, Wälder, Bur- gen u. dgl. nenne: sondern, dass er sie wirklich als solche sah, als solche zu sehen glaubte: je mehr jedoch der Therio-An- thropo- und endlich der Theomorphismus überhandnahm, musste doch das Unangemessene der Metamorphose und zwar nach zwei Seiten hin auffallen; nach der einen Seite, weil die regelmässige Wiederholung der Naturphänomene das Wesen, den Kern derselben als solchen d. i. ohne mythische Metamorphose den Naturmenschen vor die Sinne stellten, nach der andern Seite aber, weil der Natur- mensch auch sich selbst und das Leben seiner Nachbarn immer mehr kennen lernte, dessen Veränderungen beobachtete, wodurch das Unangemessene der Metamorphose bei nie sich ändernden, son- dern stets ähnlich sich wiederholenden Naturerscheinungen um so auffälliger erscheinen musste. Dadurch lässt sich der auch beim sla- vischen Mythus wahrnehmbare Zwiespalt zwischen dem mythischen Bewusstsein und dem allmälig herauwachsenden empirischen Bewusstsein, der wirklichen Erfahrung erklären. Dieser Bruch des Bewusstseins führte jedoch nicht sogleich etwa zur Geringschätzung oder gar Verwerfung des Mythus und zwar vor allem deshalb, weil a) der Naturmensch sich nicht bewusst war, sein Inneres sei irgendwie mitthätig bei der Bildung des Mythus gewesen, da in der That beim Mangel nüchterner Reflexion und klaren Selbstbewusst- seins der Mythus wie eine natürlich-psychische Nothwendig- v keit im Bewusstsein des Naturmenschen sich vorfand und seinen 35 unbedingten Glauben erzwang, b) weil der Inhalt des Mythus eben als unbedingter Glaubensartikel zu Fleisch und Blut dem Na- turmenschen wurde, indem er sein Privat- und öffentliches Leben lenkte und als Familiengeist, Recht, Sitte ihn überall umgab, sein Thun und Lassen durchdrang. Auch der von der natürlichen Wirk- lichkeit losgelöste Mythus wurde daher noch geglaubt: er, in dem früher die Grundlagen der Naturkunde des Naturmenschen enthalten waren, wurde nun zu einem ganz selbstständigen Vorstel- lungskreise, der, weil eben die Mythen ursprünglich Naturvor- gánge, sohin Geschehnisse enthielten, hauptsächlich geglaubte Erzählung d. i. Geschichte wurde. Diese Geschichte erlebte dann wieder ein doppeltes Geschick: es wurde ihr nämlich entweder ein bestimmter Ort und eine bestimmte Zeit angewiesen, wo- durch sie zur Sage wurde, oder aber wurde sie nur als concret unbestimmtes Ereigniss erzählt, was sie zum Mährchen machte. So erzählt z. B. die böhmische Sage (pověst), dass Horymír auf seinem Pferde Šemík vom Wyšehrad gegen Děvín über die Moldau sprang d. i. von Ost nach West, da doch Horymír d. i. Höhenmesser ursprünglich nur der Sonnengott ist; die polnische Sage aber erzählt vom König Popiel, dass ihn Mäuse auffrassen, was auf einen Gewit- termythus deutet (V. Grohmann, Apollo Smintheus). Die Mährchen (báje) beginnen jedoch meist unbestimmt: Es war einmal eine Köh- lersfrau usw. 13. Des losgelösten Mythus in der Form der Sage und des Mährchens bemächtigte sich endlich der Kunstsinn: Sagen und Mährchen wurden zu Poesten und Kunstwerken umeebildet. So lange der Naturvorgang nicht vom Mythus abgelöst war, fand dessen Form in der Natur ein bleibendes Correctiv: wie jedoch einmal die Ablösung vor sich gegangen war, war der rückgebliebene Vorstel- lungskreis, besonders wenn zugleich der Glaube daran etwas durch die Loslösung erschüttert war, ein bloss psychisches Materiale, das künstlerisch durch Wort (Poesie) oder That (plastisches Kunstwerk) umgestaltet wurde oder werden konnte. Auch hier überging sohin Religion in die Kunst, allerdings zu ihrem eigenen Nachtheile, da das Schöne sodann nur der Lieblichkeit halber gesucht, nicht aber mehr der Wahrheit wegen geglaubt wurde. Nach K. J. Erben ist z. B. die Grünbergerhandschrift in Bezug wenigstens auf den darin geschilderten Brüderstreit nur ein poetisch gestalteter Mythus. Bei den Wandtapeten und Malereien, so wie bei dem Götterstatuen der ehemaligen Elbeslaven wissen selbst die mittelalterlichen Chro- 3* 36 nisten deren Schönheit nicht genug hervorzuheben. Auch blosse. Mythenfragmente wurden in späteren Tagen in wirklichen Poesien als verschönernder Zusatz verarbeitet, wie es in der Königin- hofer Handschrift heisst: „Nur eine Lebensgefährtin sollten wir (Böh- men nach dem Wunsche der christlichen Franken) haben, die uns auf dem gesammten Wege von der Vesna angefangen, bis zur Mo- rana begleiten sollte.“ 14. Schliesslich wurde der missverstandene Mythus zum theo- retischen und practischen Aberglauben (po-vera, pa-věra). Wenn Wolken die Sonne verdeckten, so sagte der Mythus, dass schwarze Unholde die Lichtgöttin gefangen nahmen, sie im Gefängnisse quälten u. dgl. Entstand dann in den Zeiten des gesunkenen Mythus z. B. eine Sonnenfinsterniss, so sah man dann wohl die Sonne als leuchtenden Körper an, aber sagte abergläubig, dass schwarze Thiere die Sonne abfrässen. Sich kreuzende Blitze namentlich im Frühjahre waren die Erretter vor den Unbilden der Winterdämonen, die keilförmigen Steine (Belemniten), die man beim heftigen Gewitter als Donner-schläge durch die Wolken zur Erde gefahren glaubte, waren als Boten Gottes (poslové boží) geehrt und geheiligt: wenn aber nun noch jemand sich bekreuzt, um vor dem Gewitter gesichert zu sein, wenn er an Kreuzwegen an Geisterspuck glaubt, sich und andere durch An- hängen eines rothen oder blauen Lappens oder einer so gefärbten Schnur (blau und roth waren heilige Blitzfarben) sich gefeit glaubt, so ist er im argen Aberglauben befangen. Gewitterwolken hiessen auch Ziegen, Kühe, das in ihnen enthaltene Wasser hiess Milch: wenn daher der Donnergott mit seinen Blitzen und Donnerkeilen durch die Wolken fuhr, so sagte man, er melke die Ziegen und der Heide das Bild missverstehend, zog wirklich beim Gewitter den Ziegen die Milch ab, gleichsam als Nachahmung des himmlischen Vorganges, der die Beendigung des Gewitters kennzeichnete, die man herbeiwünschte. Wenn nun unsere Landleute beim Gewitter die Ziegen aus den Ställen ziehen und sie im Freien melken, damit es nicht einschlage, so sind sie im reinen Aberglauben befangen. Sammlungen abergläubischer An- sichten und Gebräuche, in unserer Zeit so hochgepflegt, sind daher sehr anzuempfehlen, weil sie durch die Reconstruction des Mythus aus dem Aberglauben die Mythologie bereichern. 37 Historische Section am 16. October 1865. Anwesend die Herren Mitglieder: Tomek, Weitenweber, Höfer, Hattala, Jos. v. Hasner, Winařický und Wrfátko; als Gäste die HH. Dr. Claudis, A. Duvernoy, Kolář und Patera. Das ausserord. Mitgl., Hr. v. Hasner las eine Abhandlung über die ältere Geschichte der Arzneikunde in Böhmen überhaupt, und über das Leben und die Schriften des Magister Albicus von Urinov insbesondere. Nach einem gedrängten Hinblick auf den Zustand der Heilkunde in der heidnischen Epoche Böhmens, während welcher Zeit die ärzt- liche Kunst sich zunächst in den Händen der Frauen befand, erwähnt der Vortragende die als Aerzte bekannten höheren kirchlichen Wür- denträger Thiddag (998), Izzo (1023) und Laurenz (1264), so wie die Klosterschulen der Benedictiner, woselbst die Heilkunde gelehrt und geübt wurde. Er übergeht sodann zur Betrachtung der weltlichen, theils christlichen, theils jüdischen Aerzte in Prag, soweit deren Wirk- samkeit und Namen bis zum Regierungsantritte Karl’s IV. nachweis- bar sind. An der neugegründeten Universität Prag dürften namentlich vier Aerzte gelehrt haben: Mag. Walther, Gallus, Nie. von Gevička und Balthasar von Taus. Von diesen ist nur Gallus durch die von ihm aufbewahrten Schriften näher bekannt, und wird auch vom Vortra- senden nach dem Inhalte seiner Werke eine Schilderung dieser Per- sönlichkeit versucht. Ebenso wird dasjenige mitgetheilt, was über die von 1367—1419 an der Universität wirkenden Aerzte: magister Petrus, Hermanus de Ravensperg, Johann Bebbe von Wydenbrughe, Nicolaus de Jenich, Jacobus Canon. in Olmůtz, Bruno von Ofenbrughe, Henri- cus de Bremis, Sulco von Hosstka, Antonius de Luna, Paulus de Kra- vář, Christannus de Prachatic, Joh. Šyndel bekannt ist. Nach einer kurzen Erwähnung der 1409 ausgewanderten Aerzte: Anselm von Frankenstein, Liebert von Osnabrück, Nicol. Fabri von Sagan, Vince. Hel- mont, Vincent Vyan übergeht Derselbe zu einer eingehendern Schilde- rung des Lebens von Sigismund Albicus (1347—1427). Nament- lich verweilt der Vortragende länger bei der Wirksamkeit dieses Man- nes als Erzbischof (1411—12) und versucht aus dem Gange der Zeit- verhältnisse und dem Character dieses Mannes die von demselben in jenen Tagen beobachtete politische und kirchliche Haltung zu recht- fertigen, namentlich aber ihn gegen die Beschuldigungen des Geizes in Schutz zu nehmen. "38 Hierauf gibt der Vortragende ein Verzeichniss der Schriften © Albik's, und kommt nach einer kurzen Schilderung des Inhaltes der- selben, namentlich der bedeutendsten, des regimen sanitatis s. vetu- larius, zu dem Resultate, dass der reformatorische Geist, welcher zu jener Zeit in Böhmen herrschte, auch einen wesentlichen Einfluss auf Albik’s medicinische Grundsätze ausübte, indem bei Albik allenthalben das Streben bemerkbar wird, sich von der galeno-arabischen Richtung zu emancipiren. Aus diesen Gründen schon verdient Albik in wei- teren ärztlichen Kreisen Beachtung. „Der von ihm ausgestreute Sa- men“ — so schliesst der Vortragende — „hätte zu schönen Früchten reifen können, wenn er nicht auf den blutgetränkten, von Rossen und Rüstwagen zerstampften Boden des Vaterlandes gefallen wäre, welches in der Zeit der hussitischen Bewegung den herrlichen Blüthenstand seiner unter den beiden Luxemburgern Karl und Wenzel weithin leuchtenden Cultur wieder zum grössten Theile welken sehen musste.“ Hierauf legte das ord. M. Hr. Höfler eine von ihm er- worbene glagolitische Urkunde vom J. 1484 zur prüfen- den Ansicht vor, deren nähere Besprechung der nächsten Sitzung der philologischen Section vorbehalten wurde. Naturwiss.-math. Section am 23. October 1865. Anwesend die Herren Mitglieder: Weitenweber, Koristka, Amer- ling, Winaricky, Nickerl, Cupr und Nowak; als Gast Hr. Ad. Pozděna. Der beständ. Secretär Weitenweber setzte die Section. in Kenntniss von dem bedauerlichen Verluste, welchen die k. Ge- sellschaft durch den am 12. d. M. in Wien plötzlich erfolgten tra- gischen Tod unseres geschätzten auswärtigen Mitgliedes, Hrn. Prof. der Physik Dr. Ferdinand Hessler in Wien (geboren zu Regens- burg am 23. Febr. 1803) erlitten hat. Derselbe legte vor und besprach den so eben fertig ge- wordenen und durch die Liberalität des Hrn. Verfassers an die k. Gesellschaft gelangten II. Band der Abbildungen zu Dr. Joachim Barrande’s grossem paläontologischen Werke: Systeme Silurien du centre de la Boheme (Prague 1865), nicht weniger als 107 Tafeln von, in wissenschaftlicher wie künstlerischer Beziehung vor- trefflich gearbeiteten, Abbildungen eines Theiles der silurischen Ce- phalopoden Böhmens (u. z. die Gattungen Goniatites, Nothoceras, Trochoceras, Nautilus, Hercoceras, Gyroceras, Lituites, Phra guilagu und Gomphoceras) enthaltend. 39 Das ausserord. M. Hr. Nickerl schilderte im freien Vor- trage einige interessante Scenen aus seiner in den heurigen Herbstferien nach Siebenbürgen, namentlich auf den Rothenthurmpass, den Suriel an der wallachischen Gränze usw. unternommenen natur- historischen Reise, und theilte die ziemlich dürftigen Ergebnisse an dort gesammelten Schmetterlingen, seltenen Pflanzen udgl. mit. Sodann trug das ausserord. M., Hr. Nowak eine hydrolo- gisch-meteorologische Studie vor unter dem Titel: „Ein Streif- licht über den dunklen Grund der „nassen“ und „trockenen“ Jahre.“ Da diese gewöhnlich gruppenweise auftretenden Jahre von verschie- -denem Charakter wohl kaum irgendwo eine so deutlich ausgeprägte Periodicität zeigen, wie in Texas, so nahm der Vortragende eine von Ad. Douai gebrachte Schilderung dieser in Texas vorkommenden Periodieität zum Ausgangspunkte, wobei er zunächst Douai’s Erklä- rungen der besagten Periodicitát sowohl wie der Regen- und Wasser- armuth des Staates Texas überhaupt einer scharfen Kritik unterzog und gänzlich zu widerlegen suchte. Nach Hın. Dr. Nowak's Ueber- zeugung lässt sich die in Rede stehende Periodicitát nicht nur in Texas, sondern überall nur dann richtig und ungezwungen erklären, wenn man sich von der bis jetzt florirenden Quellentheorie gründlich lossagt und annimmt, dass die Quellen fast ausschliesslich aus ei- genthümlichen unterirdischen, nicht durch Einsickerung des Regens, Schnees usw. enstandenen Wasservorräthen abstammen, aus Was- servorräthen, welche periodisch stärker, periodisch schwächer nach aussen gedrängt werden und von denen gleichzeitig jetzt reichlichere, jetzt spärlichere Wasserdampf-Emanationen in die Atmosphäre treten, um in dieser das einemal häufig und ausgiebig, das anderemal selten und kärglich Nebel und Wolken und durch deren Niederschläge Regen, Schnee u. s. w. zu bilden. Bei Zugrundelegung dieser oder doch einer ähnlichen Theosie werde man, wie Herr Fr. W. Stannebein bei Leipzig heuer glänzend bewiesen hat, zu der praktisch überaus wich- tigen Einsicht kommen, dass die Beobachtung der Quellwasserstände den Eintritt oder beziehungsweise das Aufhören einer derlei nassen oder trockenen Periode am verlässlichsten vorhersehen lasse, welches letztere selbstverständlich für den Landwirth von geradezu unbere- chenbar grossem Nutzen wäre. — Es darf hier hinzugefügt werden, wie am Schlusse des Vortrages wirklich von zwei der anwesenden Herren versichert worden ist, dass Jedem von ihnen ein Mann bekannt sei, welcher reich geworden einfach dadurch, dass er die Quellwasserstände in derselben Weise wie Hr. Stannebein beobachtet und sich bei seinen Getreide-Einkäufen streng darnach benommen habe. Philologische Section am 30. October 1865. Ye Anwesend die Herren Mitglieder: Hanuš, Hattala, Winařický, Nebeský, Doucha und Dastich; als Gáste die HH. Komárek, Kolář. Hr. Emil Komárek (als Gast) las in böhmischer Sprache eine Abhandlung über die Verfasser und den Sammler der Königinhofer Handschrift. Kö: Der Vortragende begründet den Standpunkt der vergleichende Methode bei dieser Frage und erklärt den ganzen geschichtlichen Zusammenhang der Zeit dieser literarischen Erscheinungen als Unter- suchungssphäre. Nachdem der Stoff der epischen Gesänge aus wirk- lichen Thatsachen entnommen ist, mit denen nach den von der histo- rischen Forschung erbrachten Beweisen die vom Dichter gewählte Formel in genauer Uebereinstimnung steht, so müssen sie vermöge der Natur des epischen Gesanges und wegen inneren Beziehungen den historischen Ereignissen unmittelbar nachgefolgt sein. Die Ueber- einstimmung in der Technik der epischen Gesänge und die geringe Veränderung der Form in der Ueberlieferung weist auf Schule, zwi- schen den einzelnen Gedichten finden sich aber genug úbereinstim- mende Worte, Bilder und Phrasen, dafür desto bemerkbarer Verschie- denheiten nach Geist, Sprache, Styl und Versbau. Aus äusseren und inneren Gründen bestimmt sich daher die chronologische Reihenfolge der Verfasser durch die einzelnen Stücke: Záboj um 806, Čestmír um 830, Jelen im 9. Jahrhundert, Oldřich um 1004, Zbyhoň zwischen dem 11. und 12. Jahrhundert, Beneš Heřmanóv 1203, Jaroslav nach 1261 oder 64, Ludiše 1270 bis 80. Die reinen lyrischen Gedichte sind Volkslieder, von denen kaum welche über das 12. Jahrhundert hinaufreichen dürften. Jahody, Róže, Skřivánek und Opuščena scheinen in das 13. Jahrhundert zu reichen. Einige, wie Jahody, scheinen aus höheren Ständen in Kreise des Volkes, andere wie Róže aus Volks- kreisen in höhere Stände gelangt zu sein und dort eine feinere Form erhalten zu haben. Die Verfasser sind kunstmässig gebildete Sänger gewesen, local begränzt erscheinen sie im Zäboj durch das Centrum des Landes, in den übrigen durch die Feier der Thaten der Prager Fürsten. Ob- wohl ihr Kreis sich auf alle Stände erstreckte, so scheinen sie wegen der Kenntniss der Muster, der Beziehung zu den Grossthaten der Fürsten und der ausserordentlich treuen historischen Detailkenntniss nach den gleichzeitigen Analogien in der böhmisch-lateinischen Kunst- poesie vornehmlich den begüterten Ständen, meist dem niedern Adel: © Jar 41 anzugehören. Der Dichter des Záboj erscheint wie ein Gefáhrte des Wojwoden Záboj; der Charakter des Čestmír und Oldřich als Loblieder setzt die Dichter derselben in nahe Beziehungen zum Hof, wie die Localfarbe im Beneš Heřmanov den Verfasser in solche zu dem Burg- sitze der Markvartice. Die Dichter des Jaroslav und der Ludiše ge- hören schon durch ihre Bildung in die Sphäre des niederen Adels. Die Handschrift entstand aus älteren Sammlungen, auf deren Rechnung mit Ausnahme der Interpolation im Oldrich, ebenso die im Allgemeinen geringe Veränderung wie die grösseren Versetzungen und Interpolationen im Záboj, die kleineren im Čestmír fallen. Die Ent- stehung soleher Sammlungen fällt schon in das LO. Jahrhundert. Eine der reichsten und vollständigsten, die die Producte aus der Schule der nationalen Poesie umfasste, war die Königinhofer Sammlung. Bei der Frage nach dem Sammler ist die Congruenz der Abfas- sungszeit der letzten Stücke der Sammlung mit der Zeit ihrer Nie- derschrift und die Beziehung dieser Stücke, sowie einzelner aus dem Volksmunde gesammelter Lieder zum Fundorte der Sammlung wichtig. Die dem Jaroslav zu Grunde liegenden Begebenheiten scheinen theil- weise aus dem Volksmunde der dortigen Gegend geschöpft, Ludiše weist auf Erinnerungen eines bestimmten Schauplatzes in dem östlichen Elblande, den Sitze der Theilfürsten. Einzelne Lieder scheinen dort gesammelt wegen der Nähe der Zeit und der erhaltenen szeeifischen Merkmale des Ortes. Die Gegend von Königinhof erscheint als ein Ursitz slavischer Cultur und Sitz wichtiger historischer Erinnerungen. Der Fundort der Handschrift ist ein fürstlicher Hof, wo dieselbe bereits ın der ersten Hälfte des 15. Jahrhundertes auftaucht, wesshalb er auch der Ort der Niederschrift der Sammlung scheint. Bei der Identität des Schreibers mit dem Sammler und der poetischen Individualität desselben, bei den reichen Mitteln des Samm- lers und dem Zusammenfallen des Fundortes und der Zeit der Nie- derschrift der Sammlung mit der Zeit und der Localitát der Ludise und der gesammelten Volkslieder scheint sich zur Bezeichnung des Sammlers die Formel zu ergeben, dass er identisch mit dem Dichter der Ludiše und ein in der Gegend sesshafter, mit einem Gute begna- deter Sänger gewesen sein möge. An einen bestimmten Namen lässt sich jedoch weder für die Dichter noch für den Sammler vorläufig anknüpfen. Gegen die Autorschaft des Zavis Vitkovie spricht sein jugendliches Alter um die Zeit der letzten Stücke der Sammlung und die Unkenntniss im Jaroslav über die Kublajevna, sowie das Urtheil der nach fremder Kunstpoesie gebildeten Citatoren des Záviše im 15. 42 Jahrhundert. Von dem Kreise gebildeter Männer aus dem 12. und 13. Jahrhundert, die namentlich angeführt werden, wird bloss eine lateinische oder fremdländische Bildung der ausdrücklichen Erwähnung werth gehalten, wiewohl gerade Ludise schon Berührungspunkte mit der lateinisch-böhmischen Kunstpoesie bietet. Die namhaft gemachten joculatores knüpfen an kein in dem Rest erhaltenes Denkmal an. Im Sept. nnd October 1865 eingelangte Druckschriften. Abhandlungen der schles. Gesellschaft für vaterländ. Cultur. Philos.-histor. Abtheil. Breslau 1864. 2. Heft. — Abtheil. für Natur- wiss. und Medicin. Breslau 1864. W. W. Tomek Základy starého místopisu Pražského. Oddíl I. polov. 1. V Praze 1865. Bulletin de la Société geologigues de France. Paris 1863. II. Série XX. Tom. f. 49—57. — Paris 1865 XXII. Tome f. 8—16. Magazin für die Literatur des Auslandes. Berlin 1865. Nro. 36—-42. | Verhandelingen der Koninkl. Akademie van Wetenschappen. Abdel- Letterkunde III. Deel. Amsterdam 1865. Verhandelingen etc. Afdel. Naturkunde 1864, X. Deel. Verslagen en Mededeelingen der k. Akademie van Wettenschap- pen. Amsterdam 1864. Afdel. Letterkunde VIII. Deel. — Afdel. Na- turkunde XVII. Deel. Jaarboek van de k. Akademie etc. voor 1863. — I. voor 1864. Senis vota pro patria. Carmen elegiacum ete. Amstelodami 1864. Lotos. Zeitschrift für Naturwiss., redig. von W. R. Weiten- weber. Prag, Jahrg. 1865, Aug. Sept. Das 50-jährige Doctorsjubiläum C. E. Baer's usw. St. Peters- burg 1865. Mémoires et documents publiés par la Societé d’ histoire et d’ archeologie di Geneve. 1865, XV. Tome. Centralblatt für die gesammte Landeskultur. Herausg. von der k. k. patriot.-ökonom. Gesellschaft. Prag Jahrg. 1865. Nro. 26. Wochenblatt der Land-, Forst- und Hauswirthschaft für den Bürger und Landmann. Prag 1865 XVI. Jahrg. Nro. 36— Hospodářské noviny. Časopis c. kr. vlasten.-hospod. společnosti České. V Praze 1865 ročník XVI. číslo 36. Atti del I. R. Istituto Veneto di scienze ete. Venezia 1864—65. X. Tomo serie 3, disp. 9. 43 R. Istituto Lombardo di scienze e lettere. Rendiconti, elasse di lettere ete. Milano 1865. Vol. IT., fase. 3—6. — (lasse di scienze mathem. ete. Vol. U. fase. 3—5. P. Ritt. v. Chlumecky, Carl von Zierotin und seine Zeit. Brünn 1862. Schriften der historisch-statist. Section der k. k. máhr.-schles. Gesellschaft usw. Brünn 1865. XIV. Band. Crelle’s Journal für die reine und angewandte Mathematik. Berlin 1865. LXIV. Band 4. Heft. Blätter für Landeskunde von Niederösterreich. Wien 1865, I. Jahrgang Nro. 1—6. Ad. Quetelet, Histoire des sciences mathematiques et phy- sıques chez les Belges. Bruxelles 1865. (Vom Hrn. Verfasser.) Mémoires couronnés et autres mémoires, publie par Academie etc. Collection in 8%. Tome XVII. Bruxelles 1865. „Tulletin de ! Academie r. des sciences etc. de Belgique 33. 34. Année. XVII. XIX. Mémoires couronnés et mémoires de Savants etrangéres etc. Tome XXII. 1864—65 in 4°. Annuaire de l’ Academie royale des sciences etc. Belgique. Bruxelles 1865. H. Freih. Leonhardi. Ueber den von Dr. Fr. Bialloblotzky vor- geschlagenen allgemeinen wissenschaftl. Congress, über dessen Mög- lichkeit usw. Prag 1865. (Vom Hrn. Verfasser.) 34—36. Jahresbericht des Voigtländ. alterthumsforsch. Vereins zu Hohenleuben. Weida 1865. Journal of the Portland Society of Natural History. Portland 1864. Vol. 1. Nro. 1. Proceedings of the Portland Society ete. Portland 1862. Vol. I. part. 1. Report of the Superintendent of the Coast. Survey etc. during the year 1862. Washington 1864 in 4°. Results of meteorogical observations etc. from the year 1854—59. Washington 1864. Vol. II. part 1. Smithsonian Contributions to Knowledge. City of Washington 1865. Vol. XIV. Annual Report of the boards of regents of the Smithsonian In- stitution for 1863. Washington 1864. Proceedings of the Academy of Natural sciences of Philadelphia. 1864. Nro. 1—5. Jan. —Decemb. 44 Annals of the Lyceum of natural history of New-York. Vol. VIII. Nro. 1—3. Proceedings of Boston Society of natural history. Boston 1859 —61. Vol. VII. Jahresbericht der naturforsch. Gesellschaft Graubündens. Chur - 1865. Neue Folge. X. Jahrgang. Sitzungsberichte der k. bayr. Academie der Wiss. zu München. 1865. I. 3. und 4. Heft. A. d’ Hericourt Annuaire des Societes savants de la France et de V Etranger. Paris 1863—65. I. et II. Vol. Poggendorff’s Annalen der Physik und Chemie. Leipzig 1865. Nro. 8. Zeitschrift für Philosophie und philosoph. Kritik, von Fichte, Ulrici und Wirth. Halle 1865. Neue Folge XLVII. Band. 2. Heft. Verhandelingen van het Bataviaasch Genotschap van Kunsten en Wetenschappen. Batavia 1863 XX. Deel, 1864 XXI. Notulen van de Algemeeneen Bestuurs-Vergaderingen ete. Batavia 1863. I. Deel Aflev. 1—4. Tijdschrift voor Indische Taal-Land-en Volkenkunde ete. redig. van der Chijs. Batavia 1863—64. XIII. Deel 1—4, XIV. Deel 1—4. Památky archaeologické a místopisné atd. V Praze 1865 VI. díl, svaz. 5. a 6. (Vom Hrn. Red. Zap.) Česko-moravská Kronika Karla Vlad. Zapa. V Praze 1865. Sešit 21. a 22. : Bulletin de la Société Imper. des Naturalistes de Moscou. 1865. Nro. I. The American Journal of Science and Arts, by Silliman. New Haven 1865. Nro. 119. Philosophische Section am 6. November 1865. Gegenwártig die Herren Mitglieder: Purkyně, Hanuš, Storch, Cupr und Dastich; als Gäste die HH. Jedlička, Veselý, Novotný. Das ausserord. Mitglied Hr. Dastich hielt einen freien Vortrag „Ueber das Zustandekommen der räumlichen (resichtsanschauung, unter Berücksichtigung der phy- siologischen Mitbedingungen.“ Das Problem des Raumes hat bekanntermassen in der Philo- sophie eine doppelte Bedeutung: eine metaphysische und eine psychologische; in ersterer Hinsicht wird gefragt nach der Rea- 45 litát oder Idealitát des empirisch gegebenen Raumes, in letz- terer Růcksicht kommt aber, abgesehen von der eben erwáhnten me- taphysischen Streitfrage, das Bedürfniss der Erklärung des Zu- standekommens der räumlichen Anschauung und Wahrnehmung in Betracht, welche im Bewusstsein als thatsächlich sich vollzie- hend gegeben ist und doch mit der Thatsache der Einheit und Raumlosigkeit des Bewusstseins unverträglich zu sein scheint. Es ist kaum nöthig, darauf zu verweisen, dass bereits Kant dieses Dop pelproblem gekannt und nicht nur zu lösen versucht, sondern zu dessen- Lösung hauptsächlich durch Hinwegschaffung von gedankenlos sich forterbenden Vorurtheilen wesentlich beigetragen hat, wenn man auch seiner Lehre von den angebornen Anschauungsformen der Sinnlichkeit oder der „reinen Anschauung a priori“ bei dem gegen- wärtigen Stande der genetischen Psychologie unmöglich beipflichten kann. Man wird Kant gewiss vollends Recht geben müssen mit den Bemerkungen, der Raum stelle „keine Bestimmung an den Dingen an sich vor, die an den Gegenständen selbst haftete und welche bliebe, wenn man auch von allen subjectiven Bedingungen der An- schauung abstrahirte“; „der Raum sei nichts anderes, als nur die Form aller Erscheinungen äusserer Sinne, unter der allein uns eine äus- sere Anschauung möglich ist“; das Prädicat „ausgedehnt“ werde „den Dingen nur insofern beigelegt, als sie uns erscheinen;“ man dürfe die besonderen Bedingungen unserer Sinnlichkeit „nicht zu Bedingungen der Möglichkeit der Sachen machen“; sie gelten nur für ihre Erscheinung uns gegenüber und „wir können von den Anschauungen anderer denkenden Wesen gar nicht urtheilen, ob sie an die nämlichen Bedingungen gebunden seien, welche unsere An- schauung einschränken und für uns allgemein gültig sind“ — kurz, man wird sich seiner Unterscheidung der empirischen Rea- lität des Raumes in Ansehung aller möglichen äusseren Erfahrung, und der transcendentalen Idealität desselben ganz und gar anschliessen dürfen, der zufolge er „Nichts sei, sobald wir die Bedingung der Möglichkeit aller Erfahrung weglassen und ihn als etwas, was den Dingen an sich selbst zu Grunde liegt, annehmen“; und dennoch wird es noch immer fraglich erscheinen, ob die, dieser richtigen metaphysischen Lehre zu Grunde gelegte psycholo- gische Auffassungsweise der Sache, nicht eine völlig verfehlte sei. Kant behauptet nämlich die Idealität des Raumes, nicht in dem Sinne, dass es bloss die empfindende Seele sei, welche, entweder lediglich durch die ihr aus der Wechselwirkung mit der Aussenwelt erwachsenden 46 manniefaltigen Empfindungen selbst oder úberdiess durch einen ihrer Natur inwohnenden „besonderen Zug“ dazu veranlasst, das ihr durch die Sinne zugeführte Empfindungsmaterial nach bestimmten Raumbeziehungen auffasst und hierauf, auf Grund der allmälig gewonnenen Vorstellungen von den mannigfachsten Raumverhältnissen die Vorstellung vom Raume selbst entwickelt, sondern er will eben diese letztgenannte Vorstellung des Raumes selbst, als „reine An- schauung a priori“ der Seele vor und unabhängig von aller Erfahrung zugetheilt wissen. Freilich nicht in der Art, dass die Seele vom Uran- fange an gewissermassen in den leeren Raum „hineinstiere“, doch so, dass sie diese Anschauung als ursprüngliches Eigenthum besitzt, nicht erst empirisch gewinnt, und dieselbe jedweder Erscheinungsmaterie unterlegt, um ihr die Form einer geordneten Erscheinung zu geben. Aus ihr schöpft die Seele zugleich die apodictische Gewissheit für die mathematischen und namentlich geometrischen Grundsätze, sowie die Möglichkeit ihrer Constructionen, was nach Kant insgesammt unmöglich wäre, wenn wir Raum und Zeit nicht „vor aller wirklichen Wahrnehmuug“ zu erkennen vermöchten. Diese psychologische Unterlage der Kant’schen Lehre vom Raume (sie gilt zugleich für die zweite, „reine“ Anschauung, die der Zeit, welche jedoch für den gegenwärtigen Zweck nicht nothwendig in Rücksicht kommt) ist es nun vor Allem, die einerseits in Folge ihrer Unbeweisbarkeit, an- dererseits des direeten Widerspruches halber, der Erfahrung gegenüber, welche eine allmälige fortschreitende Entwicklung der Raumvorstellungen unzweideutig darthut, und endlich wegen ihrer völligen Unfruchtbarkeit bezüglich der Erklärung des Zustande- kommens bestimmter räumlicher Wahrnehmungen, eine scharfe Kritik von Seite der Anhänger einer genetisch erklärenden Psycho- logie erfahren und eben durch ihre eigene Unhaltbarkeit zum weiteren Fortschritt über Kant hinaus gedrängt hat. Klar stellt sich die her- vorgehobene Unfruchtbarkeit heraus, sobald man auch nur den ersten Schritt versucht, um einer wirklichen Erklärung der Gesammtfülle der zahlreichen Raumbilder näher zu kommen, welche sich aus dem Reichthum der Sinnesempfindungen herausgestalten. Wenn die Kant’sche Darstellung auf die psychologisch unerlässliche Frage nach dem Woher? der thatsächlich gegebenen räumlichen Anschauung überhaupt mit dem Hinweis auf die vermeintliche reine Anschauung a priori antwortet, dann hat sie im günstigsten Falle lediglich die reale Möglichkeit der empirischen Raumanschauung ganz im All- gemeinen festgestellt; für die detailirte Erklärung des Zustande- 47 kommens verschiedenfacher, hier so, dort anders gestalteter Raumgebilde, innerhalb unseres Vorstellungskreises, ist jedoch mit diesem Hinweise noch immer Nichts gewonnen. Auf die fernere. ebenso unerlässliche Frage, wienach auf Grund der supponirten reinen Anschauungsform das thatsächliche, specielle, räumliche An- schauen bald eines Dreiecks, bald eines Vierecks zur Entwicklung komme, erhalten wir keine Antwort, Die Kant’sche Theorie kennt nur den allgemeinen Satz, dass die Sinne die Empfindungen, als das durch die Sinnlichkeit nach Raum und Zeit zu verbindende Material liefern - und die Sinnlichkeit nach den ihr immanenten Anschauungsformen diese Verbindung vollzieht: welche Momente, und ob überhaupt welche Motive die Sinnlichkeit hiebei bestimmend leiten, diese Frage kam bei Kant zunächst gar nicht zur Sprache. Und doch bleibt ohne eründliche Erwägung derselben die Thatsache des räumlichen Wahr- nehmens auch bei angeborner reinen Anschauung des Raumes ein unerklärtes Räthsel, und zwar so lange, als es nicht gelingt, die psy- chischen Antriebe oder Momente festzustellen, um deren willen die Seele in jedem empirisch gegebenen Falle die ihrer Sinnlichkeit im- manente Anschauungsform in der bestimmten Weise zur Anwen- dung bringt, welcher wir uns eben bewusst werden, wenn wir die Summe der gegebenen Empfindungen nach Raumbeziehungen bestimmt searteter Linien, Flächen und Körper anschauen. Ist dem aber so, dann folgt zugleich, dass trotz der angeborenen Raumanschauung die Seele in jedem einzelnen Falle die Räumlichkeit so wiederer- zeugen muss, als ob ihr eine reine Raumanschauung gar nicht an- geboren wäre und als ob sie erst allmälig, nach demselben Gesetze, nach welchem sie aus Einzelvorstellungen allgemeinere Vorstellungen bil- det, zu einer umfassenderen Raumanschauung gelangte. Für die zu erklä- renden Thatsachen des räumlichen Wahrnehmens innerhalb der Psychologie ist somit die psychologische Theorie Kant’s von ange- bornen Formen der Sinnlichkeit ohne bedeutenden Werth — ob sie vom Gesichtspunkte der geometrischen Synthesen a priori aus be- trachtet werthvoller erscheine, oder ob sich diese ohne die genannte Fiction besser und stichhältiger erklären lassen, ist eine jenseits des Gebietes des gegenwärtigen Vortrages fallende Frage. Interessant ist es nun zu sehen, wie sehr die beiden extrem ent- gegengesetzten Ansichten über das Wesen des Raumes in der Unfä- higkeit übereinstimmen, dem psychologischen Bedürfnisse nach Erklärung bestimmt gearteter Raumgebilde festen Boden und wirk- same Mittel zu bieten. Kant’s kritischer Idealismus, der eine innere 48 Raumform behauptet, und der unkritischeste Empirismus, dem das blosse Dasein des äusseren Raumes als genügender Erklärungsgrund für die genannten Fragen erscheint, sie beide treffen darin zusammen, dass auf Grund des einen, wie des andern keine ins Einzelne gehende Erklärung der Räumlichkeit gegeben werden kann. Beide bewegen sich lediglich im Bereiche einseitiger Möglichkeiten, unfähig der Wirklichkeit selbst einen adäquaten Ausdruck zu geben. Auf der einen Seite das ursprüngliche Gegebensein des Raumes in uns, auf der anderen ein ebenso beschaffenes Gegebensein ausser uns; doch man erhält im letz- teren Falle ebensowenig eine endgültige Lösung des Problems, wie- nach denn die einzelnen äusseren Raumgebilde dazu kommen, in dem unräumlichen Bewusstsein räumlich abgebildet zu werden, als man im ersteren Falle eine genügende Antwort erhielt auf die Frage, was wohl die Sinulichkeit nöthige, in jedem bestimmten Falle eine bestimmte räumliche Erscheinung und keine andere als diese zu ge- stalten? — Lotze gebührt das Verdienst, in seiner „inedic. Psych.“ mit scharfen Waffen die gangbare Anschauungsweise eines der äusse- ren Erscheinung blind anhängenden Empirismus bekämpft und wider- legt zu haben, nachdem schon zuvor Herbart mit kräftigen Zügen die zu verfolgende Bahn angedeutet hat, stark betonend die lebendige Wechselwirkung der einfachen einheitlichen Seele mit dem nicht bloss ruhenden, sondern zugleich sich bewegenden Tast- und Gesichts- organ. Dadurch komme neben der Reihe der eigentlichen sensuellen Empfindungsqualitäten auch eine Glied für Glied damit zusammenhän- sende Reihe von Bewegungsempfindungen zu Stande, als Mittel für das Auseinanderhalten der Glieder der ersteren. Darin lag und liegt der Grundirrthum des Empirismus, dass ihm die Seele für einen Spiegel gilt, in welchem sich die vorliegenden Gegenstände passiv abspiegeln, nur dass der Spiegel gewissermassen dieser passiven Ab- spiegelung selbst zuzuschauen vermag. Man übersah dabei allerdings das Nächste, nämlich, dass unsere Vorstellung vom Ausgedehnten nicht selbst ausgedehnt sind und dass es somit schwer fallen müsse, das blosse Dasein der Gegenstände und einer bestimmten räumlichen Anordnung derselben für den vollen, ausreichenden Grund des Wahrnehmens derselben nach ihren realen gegenseitigen Beziehungen anzusehen. Mit Recht sagt daher Lotze: „Welche Zeichnuug und Gestalt, welche Regelmässigkeit oder Unregelmässigkeit der Lagen und der Distanzen in einer Gesammtheit zugleich vorhandener Reize auch immer liegen mag, nie können alle diese Verhältnisse durch ihre blosse Gegen- 49 wart eine ebenso geordnete, ihnen ähnliche Ansı hauung erzeugen; sie können überhaupt nur wahrgenommen werden, sofern sie wirken und sie können in ihren räumlichen Beziehungen nur wahrgenommen werden, sofern auch diese im Stande sind, in der Gesammtheit der Erregungen; welche die Seele von jenen Elementen erfährt, sich durch eigene Wirkungen geltend zu machen.“ Aber hüten muss man sich vor dem andern, dem eben besprochenen, gleichsam physikalischen gegen- über, als psychologisch erscheinenden Vorurtheile, dass nämlich die Form, in welcher eine Anzahl gleichzeitiger Erregungen im Ner- vensystem räumlich neben einander verläuft (namentlich beim Re- tinabild), unmittelbar den Grund für eine ähnliche räumliche Dispo- sition der Empfindungen erhalte, ein Irrthum, von dem Lotze be- merkt, dass er „in den allermannigfachsten Gestalten wiederkehrend die Erklärung der sinnlichen Weltauffassung überall verderbe.“ Man übersieht dabei völlig, dass die Erregungen im Nervensystem als solche nicht in die Seele eingehen, sondern dass sie lediglich die zwingende Veranlassung abgeben, der gemäss in der Seele selbst correspondirende Zustände geweckt werden, die jedoch die Natur des Seelischen an sich tragen, d. h. einfach und raumlos oder was dasselbe sagt rein intensiv sind. In der Seele tritt somit an die Stelle des Inbegriffs der räumlichen Erregungen im Nervensystem ein Inbegriff von rein intensiven Zuständen, die an die Einheit eines ein- fachen Ortes gebunden, allerdings daselbst keine gegenseitige Lage auch keine sonstige Raumanordnung einhalten können. Ob sie trotzdem, vermöge ihres nun bloss qualitativen Inhalts, dessen fähig sind, die percipirende Seele zur Bildung von Raumanschauungen zu ver- mögen, und da dies, wie es die thatsächliche räumliche Anschauung bejaht, wirklich der Fall ist, durch welche Momente des genannten Inhaltes dies möglich ist, das zu untersuchen, ist eben der Kern un- serer Frage, dem wir uns wenigstens insofern genähert haben, dass nun sicher steht, nicht auf dem Wege der passiven Auffassung, sondern auf dem der thätigen Wiedererzeugung würden wir aller Räumlichkeit inne. Die einzelne bestimmte Raumform wird weder durch die sinnliche Einwirkung als solche fertig gegeben, noch wird sie als eine fertige aus dem ursprünglichen Besitze der Seele herge- nommen, als Rahmen für den durch den Sinn gelieferten Empfindungs- inhalt, sondern die lebendige Wechselbeziehung der Seele zum Organis- mus enthält für dieselbe veranlassende nicht nur, sondern zugleich zwin- sende Motive, um deren willen bestimmte sinnlich gegebene Empfindungs- qualitäten im Bewusstsein nach räumlichen Verhältnissen geordnet und Sitzungsberichte 1865. U. 4 50 dieser Ordnung nach angeschaut (nicht empfunden) werden můssen. 3 Erfahrungsmässig sind nun ganz vorzugsweise er Tas t- und A der Gesichtssinn die „raumentwickelnden“ Sinne (Gehör und Ge- ruch die „zeitentwickelnden“), obchon auch die übrigen Sinne in be- © stimmten Beziehungen zur Wahrnehmung der Räumlichkeit stehen, indem wir beispielweise in die Ferne riechen und gewissermassen Distanzen hören. Doch ist der Beitrag dieser Sinne zur Ausbildung der Raumvorstellungen unter normalen Verhältnissen, wenigstens für den Menschen im Culturzustande von verhältnissmässig so geringer Bedeutung, dass man wohl nicht fehlgreift, wenn man das Zustande- kommen der gesammten Raumanschauung lediglich auf die beiden erstgenannten Sinne basirt. Allerdings ist auch der Beitrag dieser beiden Sinne von verschiedenem Werthe und von verschiedenem Umfang. Vom genetischen Gesichtspunkte angesehen, gebührt unstreitig dem - Tastsinne die zeitliche Priorität; das Kind lernt gewisse Raumver- hältnisse viel früher durch den Tastsinn, zu allererst durch den allgemeinen Hautsinn“) kennen, bevor es im Stande ist, ihnen mittelst des Auges zu folgen und sie übersichtig in den Rahmen eines einheitlichen Bildes zusammenzufassen. Der Tastsinn ist nach einer Vergleichung Drobisch's dem Lehrer das Gesicht des Schülers, vergleichbar, welcher jedoch talentvoll, wie er ist, in Kurzem den bedäch- tigen und etwas pedantischen Lehrer überholt. Freilich führt diese Leichtigkeit des räumlichen Auffassens durch das Gesicht nicht sel- ten zur Leichtfertigkeit, woraus sich’s erklärt, weshalb in unserem Bewusstsein die Augenscheinlichkeit nie den vollen Werth der Ueberzeugungskraft der Handgreiflichkeit erreicht, und nicht bloss das Kind, sondern auch der Erwachsene stets geneigt bleibt, Gegenstände, die ihm zum erstenmal geboten werden, um sich ja ein recht lebendiges Bild von ihnen zu verschaffen, unwillkürlicl mit dem Getast zu untersuchen. Die bei Sammlungen von wissenschaft- lichen oder Kunstobjecten nothwendig erscheinenden „Warnungen“ und „Bitten“, die Gegenstände nicht zu berühren, sprechen klar für diese willkürlose Neigung. Die Frage ist nun, welche Motive bieten der Tast- und der *) Vgl. hierüber die interessanten Beobachtungen Kussmaul’s (das Seelen- leben des neugeb. M. S.36.), aus denen klar hervorgeht, dass das Kind aus dem Fötalleben gewisse Raumanschauungen mitbringt, sammt dem Vermögen gewisse Tastempfindungen zu localisiren und sammt einer gewissen In schaft über seine Bewegungen. 51 Gesichtssinn in ihren Empfindungsqualitäten dem Bewusstsein dar, aus denen dasselbe die räumlichen Beziehungen der wirkenden Reize zu reconstruiren vermag? Denn offenbar muss in dem Empfindungs- quale «, welches durch eine Erregung der isolirten Nervenfaser « zu Stande kommt und zwischen dem Empfindungsquale ß, hervorgerufen durch den Erregungszustand der ‚ebenso isolirten Faser 4 eine für das Bewusstsein irgendwie verständliche Beziehung herrschen, wofern dasselbe nicht bloss zwei Erregungen überhaupt, sondern die- selben zugleich als von zwei, sei es unmittelbar an einander liegenden, sei es in bestimmter Distanz von einander abstehenden Orten herrüh- rende Erregungen percipiren soll. Wollte man, wie es sonst gesche- hen ist, auf die der peripherischen Verbreitung der Nervenfaser ana- loge centrale Lagerung derselben sich berufen, dann würde man abge- sehen von der anatomischen Problematicität dieser Behauptung die Erklärung nicht im Mindesten gefördert haben, indem die ganze Frage vom Neuen zu wiederholen wäre, wienach nämlich das Bewusstsein dazu gelangt, die ihm durch die isolirten Fasern gesondert zugeführten _ Erregungen, nicht bloss als eine Fülle von eigenen Zuständen aufzu- fassen, aus denen in Folge der Einheit des Bewusstseins alsogleich Ein Gesammtzustand resultiren muss, sondern als ein räumlich ausgedehntes Bild anzuschauen. | Die Anatomie und Physiologie der Sinnesorgane bieten der Psy- chologie einzelne Hilfsmittel, mittelst deren man hoffen darf, der Lösung des Problems näher zu kommen. Die Physiologie lehrt nämlich eine unterschiedliche Functionsthätigkeit sowohl des Haut- als des Gesichtsinnes kennen, die lediglich von der Eigenartigkeit der erregten Stelle des Organs abhängig ist, für welche Eigenthümlich- keit man anatomische Verschiedenheiten im Baue der einzelnen Theile des Organs anzunehmen hat, wenn es auch bis jetzt nicht gelungen war, dieselben ins kleinste Detail nachzuweisen. Doch der Psycho- logie selbst genügt schon vollständig die physiologisch verbürgte That- sache der individuellen Functionsweise der einzelnen erregbaren Punkte im Organe, und diese ist neuerer Zeit durch die Versuche von Aubert und Kamler betrefis des Hautsinnes und rücksichtlich des Gesichtssinnes schon längst durch Purkyně und neulichst wieder von Aubert sichergestellt. Derselbe Druckreiz bewirkt diesen Versuchen zu Folge an verschiedenen Punkten der Haut verschie- dene Empfindungsqualitäten, an einzelnen eine blosse Berührungs- an anderen eine thatsächliche Druckempfindung und dieselbe Farbenreizung bewirkt an den centralen Stellen der Retina anders : 4* 52 gefárbte Nuancen als an den seitlich gelegenen. Ich habe bereits in meiner Studie „Ueber die neueren physical-psychol. Forschungen © im Gebiete der menschl. Sinne.“ (Für die Abhdlg. der k. b. G. d. Wiss. V. Folge 13. Bd. Prag 1864. S. 22 und S. 57) auf den psycho- logischen Werth dieser Ergebnisse im Allgemeinen aufmerksam ge- macht, muss aber hier ganz besonders hervorheben, dass dieselben den Gedanken im höchsten Grade wahrscheinlich machen, es bestände innerhalb der empfindung-zuleitenden Organe der genannten Sinne eine stetig abgestufte Scala eigenthümlicher Erregungsweisen, die den Grund abgibt zu einer analog gegliederten Stufenleiter innerhalb der hieraus im Bewusstsein resultirenden Empfindungsqualitäten. Wundt schlägt in seinen „Beiträgen“ (S. 54) für diese verschiedene Färbung der Empfindung, die von der Verschiedenheit des Ortes der Berührung abhängt, den von Lotze in etwas anderem Sinne eingeführten Aus- druck „Localzeichen“ zu gebrauchen ; man kann dies thun, wofern man später für den Gesammtinbegriff der Motive, die das Be- wusstsein zu einer bestimmten Localisation im äusseren Raume ver- anlassen, etwa den Ausdruck Localisationszeichen zulässig finden will. Die Wundt’schen Localzeichen sind nämlich weder die ein- zigen, noch die entscheidendsten physiologisch-psychischen Motive der Raumbildung; durch dieselben wird eben nur verhütet, dass die von dem- selben qualitativen, jedoch ausgedehnten Reize herrührenden Empfin- dungen in ein ungetheiltes Eins zusammenfliessen; sie werden vielmehr als eine Menge gesonderter mehr oder weniger fein abgestufter Quali- täten percipirt werden müssen. Gleichwohl ist es klar, dass hieraus in Hin- sicht aufihre Simultaneität höchstens eine Empfindungsgruppe resul- tiren kann, in welcher allerdings in Folge der erwähnten Abstufung irgend welche Anordnung unverkennbar sein müsste, der jedoch sowohl die Continuität des eigentlichen Raumbildes als die festen Beziehun- gen jedes einzelnen Punktes desselben zu allen übrigen abgehen würden. Namentlich kann beim Gesichtssinn, auf den es uns hier zunächst am meisten ankömmt, der Einfluss jener localen Färbung gar nicht bedeutend sein, indem beim gewöhnlichen normalen deutlichen Sehen bekanntermassen nur ein kleiner Theil der Netzhaut unmittelbar zur Wirksamkeit gelangt, der sog. gelbe Fleck (nach Kölliker 1,44% nach E. H. Weber nur 0,338 lang und 0,36‘ breit, etwa 1,0— 1,2 vom Eintritt des opt. entfernt), und beim Fixiren lediglich sein Mit- telpunkt, die Netzhautgrube; und so gewiss es ist, dass inner- halb dieses geringen Intervalls die Deutlichkeit des Sehens immerhin bedeutend varirt, so ist es doch nicht in dem bedeutenden Masse der © 53 Fall, um mit Sicherheit lediglich auf die Localfärbung ein aus- giebiges Motiv der Raumanschauung grůnden zu důrfen. Ungleich wich- tiger erscheint diese locale Fárbung beim Tastsinn; doch auch dort gibt sie erst in ihrer Association mit bestimmten Körper- und später im Vereine mit zugehörigen Gesichtsempfindungen wirk- samen Ausschlag. Von unvergleichlich grösserer Wichtigkeit ist ein zweites phy- siologisches Moment, nämlich die Beweglichkeit des den empfin- dungerregenden Reiz aufnehmenden Organs, welche namentlich beim Auge, welches bekanntlich unter allen übrigen Körpertheilen am losesten mit dem übrigen Organismus zusammenhängt, nicht bloss ihrer Vielseitigkeit, sondern auch ihrer ausnehmenden Fein- heit nach, die überdies durch Uebung noch bedeutend gesteigert werden kann, den höchsten Grad erreicht. Da nun das Bewusstsein nicht bloss der sensuellen Empfindungs- sondern auch der Bewegungsvor- gänge durch eigene innere Zustände gewahr wird und in den hieraus resultirenden Muskelgefühlen, sowohl für den Umfang einer ausgeführten Bewegung (Bewegungsempfindung), als für die Grösse der angewandten Muskelkraft ein unmittelbares Mass besitzt, so folgt, dass gerade die Beweglichkeit des Organs in Folge dieser Muskelempfindungen und ihrer Association mit gleich- _ zeitigen sensuellen Empfindungen für das Zustandekommen des Raumbildes am entschiedensten in die Wagschale fällt. Ob ein Ge- © sichtsfeld bei absolut ruhendem Auge entstehen könnte, ist zwar bei der völligen Unmöglichkeit directer Versuche sehr schwer zu entscheiden, doch erscheint es in Rücksicht auf den bis jetzt bekann- ten anatomischen Bau der Retina und auf die factisch bestehenden äusserst feinen Reflexbewegungen, welche das Auge stets in die Richtung des deutlichsten Sehens zurückführen, sehr unwahr- scheinlich. (Vgl. Cornelius Th. d. Sehens p. 584.) Wie schon bemerkt wurde, hat Herbart zuerst die Beweglich- keit der Auges als constitutives Moment bei der Bildung des Ge- sichtsfeldes mit Entschiedenheit hervorgehoben, was auch von physiologischer Seite (Vgl. Wundt’s Beiträge p. 102) gebührend an- erkannt wird, worauf denn Lotze, in richtiger Würdigung der ge- nannten Bewegungsempfindungen für die Theorie der Raumanschau- ungen das System seiner Localzeichen als ein System von Bewegungen, beziehungsweise, namentlich beim Gesichtssinn als System blosser Bewegungstriebe bezeichnet hat. (Med. Psych. p. 333 u. ff.) Denn, wenn auch das System der Localzeichen aus blossen 54 „Localempfindungen“ gebildet sein könnte, indem „jede Stellung eines Gliedes nicht nur, sondern auch jede Berührung einer einzelnen Stelle © sich von jeder andern Stelle durch die eigenthůmliche Combination der leisen Mitempfindungen unterscheiden könnte, welche die Ver- breitune der Wirkungen des Reizes über seine eigentliche Aneriffs- o o o stelle hervorbringt“, so ist doch „ein System von Bewegungen, die durch den Eintritt des Reizes entweder hervorgebracht oder zu denen mindestens eine Tendenz entwickelt wird, viel vollkommener — und mathematisch vergleichbaren Grössenbestimmungen noch Zu- gänglicher.“ Gleichwohl will Lotze die Bedeutung der besagten Lo- calzeichen nicht überschätzen; ihm zufolge sind sie für die Seele © zwar bestimmender und leitender, aber keinesfalls zwingender © Grund des räumlichen Vorstellens. Lotze’s Absicht geht nicht dahin, „aus jenen Localzeichen die Fähigkeit der Seele, Raum überhaupt anzuschauen oder ihre Nöthigung abzuleiten, das Empfundene in diese Anschauung aufzunehmen.“ Sie „sollen nicht der Seele, die an sich weder Neigung noch Fähigkeit zu räumlicher Anschauung hätte, beide einflössen, sondern sie sollen ihr, die ihrer Natur gemäss zu räumlicher Entfaltung ihres intensiven Inhalts drängt, Mittel sein, diese ihre allgemeine Vorstellungsweise in Uebereinstimmung mit der Natur und den gegenseitigen Verhältnissen der Gegenstände anzu- wenden.“ Hiezu allein sollen sie dienen, als „intensive Merk- zeichen an den Empfindungen, welche die Lage ihrer Objecte im Raume vertreten und aus welchen die Seele die räumliche Ordnung wieder- herstellen kann.“ In der Natur der Seele selbst müsse ein „beson- derer Zug“ zur räumlichen Auschauungsweise angenommen werden, ohne welchen „kein noch so fein gegliedertes und abgestuftes System von Beziehungen zwischen den doch stets intensiven Eindrücken der Reize für sich selbst auffordern könnte, als System räumlicher Beziehungen angeschaut zu werden.“ Vielmehr würde dies überall stets nur ein Analogon zu den gleichfalls „abgestuften Harmonien oder Disharmonien der Töne“ zur Folge haben. — Man erkennt hierin unschwer ein Zuzückgehen auf eine gemilderte Form der Kant’schen Lehre von angeborner Raumform, welche Supposition jedem sowohl Waitz als Cornelius vom Standpunkte Herbarts, als auch Wundt vom physiologischen unnöthig erscheint. In der That ist mit ihr auch im Grunde für die Sache selbst wenig gewonnen, höchstens wird dadurch die Möglichkeit räumlicher Anschauung auch von Seite der Seele schärfer betont, wodurch jedoch die Erklärung selbst © Nun gar nicht vereinfacht, sondern eigentlich verwickelt wird; überdies © 55 erscheint es im Interesse der erklárenden Psychologie nicht gerathen, ohne zwingende Gründe zu den alten Seelenvermögen als Erklärungs- gründen zurückzugreifen. Mir scheint die Erwiederung Cornelius (p. 591) auf diesen Punkt der Lotze’schen Lehre ganz richtig, dass „eben darum, weil die Seele ein einfaches Wesen ist, sie befähigt und genöthigt sei, eine Mehrheit homogener Farbenempfindun- gen in der Form des continuirlichen Nebeneinanders vorzustellen, wenn diese Empfindungen wegen ihrer Association mit einem System von qualitativen Nebenbestimmungen nicht zu einem intensiven Eins verschmelzen können, sondern in der Seele zu gleichmässiger Klarheit emporgehoben, gewissermassen auseinander streben.“ So auch jene p- 593: es sei nicht nur schwer, „sich ven einer ursprünglichen Fä- chigkeit oder Geneigtheit der Seele zum räumlichen Vorstellen einen klaren Begriff zu bilden,“ sondern es kämen dabei zugleich „alle Schwierigkeiten, die man darin finden kamn, dass die Seele ein System von gegebenen intensiven Eindrücken in räumlicher Weise vorstellen soll“ wieder zu Tage, da der apriorische Besitz der Seele doch wohl als „eine gewisse allgemeine Vorstellungsweise, als ein Zustand der Seele, entweder schlechthin einfach oder als irgend ein System von irgend welchen intensiven inneren Zuständen aufgefasst werden müsste“ und somit von Neuem die Schwierigkeit entstünde, wienach intensive Zustände extensiv aufgefasst werden können. Allerdings muss man dabei auf die Natur der Seele zurückgehen, aber es wird wohl das Festhalten ihrer Einfachheit und Einheit in Ver- bindung mit der Mehrheit in bestimmter Ordnung associirter Gesichts- und Bewegungsempfindungen zur Erklärung ausreichen. Die fernere Frage, die nun in den Vordergrund tritt, erstreckt sich auf die Feststellung der besonderen Arten der als Localzeichen (oder wie ich eben vorgeschlagen hatte, Localisationszeichen) dienen sollenden Bewegungsempfindungen, sei es in Folge thatsächlich voll- führter oder bloss intendirter Augenbewegungen. Denn auch bloss intendirte Bewegungen oder nach Lotze Bewegungstriebe können als Localzeichen dienen, freilich thun sie diese Dienste nicht beim Kinde, das eben erst sehen lernt, wohl aber beim Erwachsenen, - welcher sich mit Bestimmtheit auch einer blossen reflexartig er- zeusten Bewegungstendenz bewusst werden kann. Es geht daher ‚Cornelius (8.590) Lotze gegenüber in dieser Rücksicht allerdings zu weit, wenn er zweifelnd frägt, „ob die Seele überhaupt durch die Bewegungstendenz, welche aus der Uebertragung des Reizes einer - Netzhautstelle auf die Fasern der motorischen Augennerven hervor- 56 geht, einen bestimmten Eindruck empfangen kann, falls diese Ten- denz keinen Erfolg hat.“ Diese Frage hat nur für die ersten An- fänge des Erlernens, das Auge in allen möglichen Beziehungen zu gebrauchen, eine triftige Bedeutung; — doch befindet sich, wie be- kannt, gerade in dieser Zeit das Auge in einer regen automatischen Bewegung. Ist jedoch bereits eine feste Association der wech- selnden Lichtempfindungen mit den constant wiederkehrenden Bewegungsempfindungen gewonnen, dann reicht jedenfalls die blosse Bewegungstendenz als wirksames Reproductionsmittel vollständig aus. Auf Grund dieser Bemerkung dürften sich Lotze’s und Cornelius An- sichten zu einer einheitlichen vereinigen lassen. Im Uebrigen hat allerdings Cornelius mit seiner Verfechtung der Herbartschen Theorie der Raumreihe im Zusammenhange mit jener der Zeitreihe unstreitig Recht. i Begreiflicherweise sind die physiologischen Daten über die Augenbewegungen im Allgemeinen sowohl, als in Bezug auf die einzelnen Vorgänge bei den einzelnen Erscheinungsgruppen des räumlichen Be- hens für die eben entwickelte allgemeine psychologische Theorie des räum- lichen Wahrnehmens überhaupt von nicht zu unterschätzender Bedeutung, obgleich zugleich hervorgehoben werden muss, dass nicht allen Ergebnis- sen der bezüglichen physiologischen Forschung für den Zweck der Psy- chologie gleiche Wichtigkeit zukömmt, wie denn auch andererseits nicht alle gleich exact, verlässlich und unbestreitbar sind, des sonsti- gen von Seite der Psychologie stets zu betonenden Umstandes gar nicht zu gedenken, dem zu Folge die physiologischen Vorgänge für die Psychologie nie die Bedeutung des Princips, sondern lediglich die der thatsächlichen und daher nothwendig mitzubeobachtenden Mitbe- dingungen erhalten» dürfen. Von physiologischer Seite hat man in letzter Zeitden Gesetzen der Augenbewegungen, wie auch den besonderen Vorgängen in be- stimmten Fällen des räumlichen Sehens eine höchst sorgfältige Pflege angedeihen lassen. Die vorzüglichsten Forscher widmeten ihre Auf- merksamkeit beharrlich diesem Gegenstande, einander ergänzend und berichtigend, so Listing, Volkmann und Müller schon früher, Donders, Meissner, Fick, Wundt und Helmholz in den Jüngsten Jahren. Die betreffenden Arbeiten findet man theils in selbst- ständigen Monographien, theils in den rühmlich bekannten Archiven Müller’s und Gräfe’s. — Sucht man nach einer Gliederung sämmt- licher Bewegungsvorgänge in und an dem Auge nach einzeln abge- sonderten Gruppen, die allerdings lediglich zum Behufe der theoreti- 97 schen Zurechtlegung aufgestellt werden dürfen, indem der thatsách- liche Bewegungszustand des Auges auf einer Combination mehrerer der so entstehenden Bewegungsformen gegründet ist, so dürfte als die geeignetste Gliederung die nachstehende sich erweisen: 1. Bewe- gungen im Augapfel selbst, wodurch seine variable äussere und innere Formgestaltung bedingt ist. Bekanntlich beruht auf dieser Formen- gestaltung zumeist die sog. Accomodation des Auges für deut- liches Sehen in verschiedene Entfernungen hin. 2. Die Bewegungen des einzelnen Augapfels, 3. die combinirte Bewegung beider Augapfel, die unter gewöhnlichen Umständen als eine Convergenz- stellung der bezüglichen Sehachsen auftritt. Sachlich ist jedoch weder die Parallelstellung (beim stieren Blick), noch die Divergenz der Sehachsen ausgeschlossen, obschon letztere für den Ungeübten ohne künstliche Hilfsmittel etwas schwierig zu erzielen und zu erhalten ist. Beim Sehen mit beiden Augen treten offenbar alle drei Arten von Bewegungszuständen gleichzeitig ein, und man kann schon hieraus entnehmen, wie complicirt eigentlich jede bezügliche Muskelem- pfindung sein muss, auf Grund deren wir der bestimmten Stellung des Auges gewahr werden, indem dieselbe natürlich verschmolzen ist aus einer Reihe von einfacheren, die einerseits durch den bestimmten Accomodationsgrad (für das Bewusstsein ein Anspannungs- oder Ab- spannungsgefühl versetzt in den Augapfel), andererseits durch die betreffenden Spannungszustände correspondirender Muskelgruppen des einen und des anderen Auges bedingt sind. Zugleich geht hieraus hervor, dass man thatsächlich das räumliche Sehen erlernen müsse, in dem Sinne nämlich, dass auf Grund der Vergleichung des Umfangs und der Intensität der betreffenden Bewegungsvorgänge im und mit dem Auge die Fertigkeit erworben werden muss über Ausdehnung, Entfernung, Begränzung udgl. sichere Urtheile zu fällen. Diese Erlernung wird jedoch durch die verhältnissmässige Ein- fachheit der Bewegungsgesetze der Augen im hohen Masse erleich- tert, indem der anatomische Bau und die Anordnung der bewe- genden Muskel die Durchführung des Princips einer höchstmöglichen optischen Zweckmässigkeit repräsentirt. Schon der Umstand ist nicht ohne Belang, dass die drei Paare von Muskeln den Augapfel, obschon er von der Kugelgestalt beträchtlich abweicht, in der Art um einen ideellen Mittelpunkt bewegen, als ob er eine vollständige Kugel wäre. Ferner genügt zu den der Natur der Sache nach gewöhn- lichsten, den horizontalen Bewegungen nach aussen und innen nur die Wirkung eines einzigen Muskels, des äusseren oder inneren ge- 58 raden, während für die Bewegungen nach oben und unten die Thá- © tigkeit je zweier Muskel erheischt wird und zwar für Oben der obere © gerade und untere schiefe, für Unten der untere gerade und obere schiefe. Erst schräge Bewegungen, als Combinationen von je zwei der eben genannten Stellungen erfordern das Zusammenwirken von je drei © Muskeln. Wenn nun für das Bewusstsein der Bewegungszustand stets unter die Form einer eigenthümlichen Bewegungsempfindung fällt, so kann nun neuerdings abgenommen werden, wie complieirt sich dieselbe in dem letztgenannten Falle darstellen muss, indem sie die drei einfacheren, den Anstrengungen der einzelnen thätigen Muskel entsprechenden, in verschmolzener Einheit in sich begreift. Wie der gesammte Bewegungszustand als Resultante dreier einfacheren Be- wegungen, stellt sich die zugehörige Bewegungsempfindung als Ver- schmelzung dreier einfacheren Empfindungen dar. Im Allgemeinen vollbringt sonach das Auge (jedes für sich be- trachtet) drei Arten von Bewegungen, indem sich die Gesichtslinie entweder um bestimmte Winkel nach links und rechts, oder: ferner nach oben und unten oder endlich das Auge „um die Gesichtslinie als Achse“ bewegt, wobei der Fixationspunkt sich nicht ändert, wie gross auch der Winkel wäre, um den sich jener drehte. Letztere Bewe- gung nennt Helmholtz (Ueber die normalen Bewegungen des menschl. Auges. Gráfe's Arch. IX. Abth. 2. p. 188 u. ff.) „Radbe- wegung“, weil sich hiebei die Iris „wie ein Rad dreht“. Alle drei Bewegungen kommen in Betracht bei jeder schrägen Stellung des Auges. Nun wäre die Realisirung des optischen Endzweckes, den das Auge mit seiner Bewegung zu erreichen strebt, nämlich „nach einander verschiedene Punkte des vor uns liegenden Gesichtsfeldes zu fixiren d. h. das optische Bild derselben mit der Netzhautgrube „als der Stelle des deutlichsten Sehens zusammenfallen zu machen“ bei Weitem nicht so leicht und die psychologische Ausdeutung der hieraus resultirenden Muskelempfindung zum Zwecke der Entwicklung des Raumbildes von dem Inbegriff der über die Netzhautgrube hinweg- geführten Punkte bei Weitem nicht so einfach, als sie ist, wofern sämmtliche drei genannten Bewegungszustände von einander unab- hängig variabel wären und nicht vielmehr gerade das dritte, um- ständlichste Moment, das der Radbewegung in einer constanten Weise von den beiden andern abhinge. Die bestimmte Art dieser Abhän- gigkeit wurde eben durch die genannten Untersuchungen über die Gesetze der Augenbewegung ins rechte Licht gestellt. Der Gesetze selbst gibt es drei, von denen das erste namentlich von Donders © 59 zweifellos dargethan wurde, das zweite wurde zuerst von Listing ausgesprochen, hierauf von Andern bezweifelt, jüngst aber von Helm- holtz als nothwendig mit dem ersten zusammenhängend erwiesen. Das dritte endlich sprach zunáchst A. Fick als ein vermuthliches Gesetz aus (Zeitschft. für rat. Med. N. F. B. IV. S. 101.), worauf es in neuester Zeit Wundt (Gräfe’s Arch. VIII. B. 2. p. 46) einer de- tailirten Untersuchung unterwarf und auf Grund umfassender Versuchs- reihen bestätigt fand. Von Wundt rührt auch ein künstliches Augen- muskelsystem her, welches zum Zwecke der empirischen Darlegung des eben erwähnten Gesetzes construirt, dessen Gültigkeit in der anschau- Jichsten Weise darthut. Der Inhalt der Gesetze selbst lautet also: 1. Der Werth des Raddrehungswinkels ist nur abhängig von den beiden Werthen des Erhebuneswinkels und der Innenbewegung des Au- ges, nicht abhängig von der Stellung des Kopfes und der Willkür des Se- henden, d. h. jeder Stellung der Gesichtslinie entspricht eine ganz be- stimmte für sie constante Orientirung, weshalb man auch diess Gesetz das Princip der constanten, auch der leichtesten Orientirung genannt hat. 2. Die Orientirung des Auges ändert sich nicht, wenn dasselbe von einer bestimmten, nicht ganz mit der Mitte des Gesichtsfeldes zusam- menfallenden, Primär stellung aus in jede neue Secundärstellung durch die Drehung um eine feste, auf der ersten und zweiten Richtung der Gesichtslinie senkrecht stehende Achse übergeführt wird — das Princip der besten Örientirung. © 3. Die Anordnung der Augenmuskel ist von der Art, dass die Muskelanstrengung bei der Augenbewegung ein Minimum ist, wenn die Bewegung nach den eben ausgesprochenen Gesetzen vor sich geht. „Zugleich werden durch blosse Muskelanordnung die Convergenz- bewegungen der Gesichtslinien beider Augen, namentlich die Conver- genzbewegungen nach unten, als die mit der geringsten Anstrengung ausführbaren Bewegungen, besonders begünstigt“ — Princip der klein- sten Muskelanstrengung. Mit Recht heben Meissner und Helmholtz die psychologische Bedeutung der beiden erstgenannten Gesetze hervor. Wäre es nämlich * möglich, dass in Rücksicht des ersten Gesetzes „das Auge seine Rad- drehung veränderte, so würde es bald dieser, bald jener Netzhaut-Meri- dian sein, welcher bei unveränderter Stellung der Gesichtslinie das Bild der verticalen Linien, oder sagittalen oder lateralen aufnáhme,“ welche nun zufolge der Giltigkeit des gedachten Princips, sofern sie durch den Fixationspunkt gehen, „bei derselben Stellung der Gesichts- 60 linie unveránderlich immer auf demselben Netzhautmeridiane sich abbilden.“ Aber gerade hiedurch ist die richtige Beurtheilung der Lage der Objecte im Gesichtsfelde wesentlich vereinfacht, indem le- diglich „zwei Winkel, der der Erhebung und Innenwendung durch das Muskelgefühl zu bestimmen sind ;“ der der Radbewegung ist damit unveränderlich mitgegeben. Für die Ausbildung des räumlichen Vor- stellens folgt der vereinfachende Vortheil natürlich aus der Ueber- legung, dass „je verwickelter die Umstände sind, für die wir unser sinnliches Urtheil ausbilden müssen, desto längere Uebung im Allge- meinen nothwendig sein wird und desto geringer der Grund der Ge- nauigkeit, die wir bei der Schätzung der Grössenverhältnisse errei- chen.“ Ebenso wahr ist eine andere Bemerkung, die sich auf die Bedeutung des zweiten Gesetzes bezieht. Sind nämlich ABCD Punkte des optischen Bildes und a b c d Punkte der Retina, wobei a (die Netzhautgrube) den Punkt A fixiren mag und man dreht das Auge um einen unendlich kleinen Winkel, dann rücken offenbar A B C D von abcd auf andere Punkte « By d. „Wenn nun jedesmal, wenn der Lichteindruck von a nach « fortrückt, zugleich b, c, d be- züglich auf B, v, d fortrücken, so wird diese Verbindung zusammen- sehöriger Veränderungen durch Erfahrung leichter als ein zusam- mengehöriges Ganze, erzeugt nur durch eine Bewegung des Auges bekannt werden können, als wenn zu derselben Verschiebung ae neben bß, noch andere z. B. bp“ bB“ etc. möglicherweise zugehören würden.“ Und diese Vereinfachung wird eben durch das Princip der besten Örientirung herbeigeführt, welches offenbar dem Wesen nach die Giltigkeit des Princips der constanten Orientirung während der Dauer einer bestimmt gearteten Bewegung des Auges ausspricht. In Rücksicht des 3. Gesetzes kann zwar die thatsächliche Giltigkeit desselben nicht in Zweifel gezogen werden, aber als selbststän- diges Princip neben den beiden genannten darf es doch kaum auf- gefasst werden, wohl aber als nothwendige Folge der beiden ersteren im strengeren Sinne optischen Principe, indem sich jede bestimmten Zwecken dienende Muskelgruppe „immer mehr oder weniger der For- derung anpassen muss, dass die zweckmässigste Art der Bewegung auch die leichteste und am wenigsten anstrengende sei.“ Auch der Accomadationsvorgang ist durch Helmholtz’s bezügliche Schrift in Gräfe’s Archiv erschöpfend abgehandelt worden, woselbst auf Grund der Grössenabnahme der durch dreifache Spiegelung des Auges (an der Cornea, an der Vorder- und an der Hinterfläche der Linse) entstehenden Bilder einer Flamme bewiesen wurde, dass 61 bei der Accomodation fůr die Náhe die Vorderfláche der Linse eine stärkere Wölbung und schwache Vorrückung nach vorn erfahre, die Hinterfläche zwar gleichfalls eine, jedoch schwächere Wölbung, aber keine Verschiebung. Ferner verengt sich die Pupille, der Pupillenrand rückt nach Vorn und die Peripherie der Iris zieht sich nach hinten zurück, was durch die Verzerrung einer seitlich auf der Iris entwor- fenen kaustischen Linie dargethan werden kann. Alle diese Vorgänge fallen jedoch nur als bestimmter Grad bestimmt gearteten Muskelge- fühles ins Bewusstsein und gehen die Psychologie eben nur als solches an. Interessant ist auch Wundt’s Beobachtung der Genauigkeit der Accomodation nach bestimmten, irgend wie hervorstechenden Punkte, die er „dominirende Punkte“ genannt hat. Eine ausnehmende Bedeutung für die psychologische Erklärung des räumlichen Sehens haben die Convergenzbewegungen beider Augen und zwar nicht nur in Rücksicht der genauen Fixirung, sondern hauptsächlich in Hinsicht auf die Beurtheilung der Tiefen- dimension, wobei sie von dem Einfluss des Accomadationsgefühls in ausgiebigster Weise unterstützt werden. Recht eingehende und schla- gende Versuche hat über diesen Punkt Wundt angestellt, die er in seinen „Beiträgen“ publieirte. Donders glaubte zwischen die Acco- modation und die Convergenz ein constantes Abhängigkeitsverhält- niss setzen zu dürfen, als ob zu bestimmtem Accomodationsgrade ein ebenso bestimmter Convergenzgrad zugehörte; doch erwies sich diese Annahme in strengem Sinne gedacht für unzulässig, indem man höchstens von der Zugehörigkeit bestimmter Gränzen für beide Mo- mente sprechen darf. Die Convergenzbewegungen haben indess für die Psychologie noch von einer anderen Seite nicht zu unterschätzende Wichtigkeit, indem sie den Erscheinungen des gemeinsamen Gesichts- feldes, des Einfach- und Doppelsehens dem Horopter, dem stereoskopischen Sehen u. A. mit zu Grunde liegen; doch liegt die Betrachtung dieser Vielseitigkeit ihrer Bedeutung für diesmal jen- seits der gesteckten Gränzen. Zum Schluss will ich nur noch jene directen Beweismittel für den Einfluss der Bewegungsempfindungen veranlasst durch den Augapfel auf die Bildung der Raumanschauung anführen, welche Wundt in der An- merkung zu $. 222 seiner Physiologie (1564) zusammengestellt hat: 1. Verticale Linien erscheinen im Verhältniss von 4,8 :4 grösser als horizontale, und dies ist eben auch das Verhältniss der bewegenden Kräfte bei verticaler und horizontaler Bewegung des Auges. 2. Die Längen horizontaler Linien werden eben noch unterschieden, wenn : ; = CH der Unterschied etwa 50 der Gesammtlánge der einen beträgt, aber 62 demselben Verhältniss eben noch unterschieden. 3. Die kleinste a solute Entfernung zweier Punkte oder Linien und die kleinste Bewe 2: sung des Auges, die eben noch wahrgenommen werden können, stim- men mit einander überein, jede beträgt etwa 1 Winkelminute. 4. Patho- © logische Beobachtungen Gráfe's und Anderer bezeugen, dass das ganze Sehfeld sich verschiebt bei theilweiser Lähmung eines Augenmuskels. Naturwiss.-math. Neetion am 20. November 1865. Anwesend die Herren Mitglieder: Weitenweber, Pierre, Koristka, Jos. R. v. Hasner, R. v. Zepharovich, Nowak; als Gäste die HH. Jul. Walter, Ad. Barden, | Hr. Pozděna (als Gast) trug einen auf ne obachtungen basirten Commentar zur modernen Quel- lentheorie vor. Nachdem der Vortragende eine kurze kritisch - geschichtliche Skizze der modernen Quellentheorie vorausgeschickt hatte, besprach er die der Durchsickerung des meteorischen Wassers von Seite der Adhäsion des Wassers an die verschiedenen Bodengattungen, sowie von Seite der Vegetation und Verdunstung entgegenstehenden Hin- dernisse, die auf diesen Gegenstand Bezug habenden schon von An- deren — insbesondere von Dalton, Schübler, Cadet de Gossicourt und Justus v. Liebig vorgenommenen, sowie seine eigenen Untersuchungen. Hierauf ging Hr. Pozděna zur speciellen Schilderung mehrerer, von ihm selbst genauer beobachteten Quellen über, welche auf dem Ab- hange des links vor dem sogenannten Reichsthore Prags sich hin- ziehenden Kalksteinrückens entspringen. Durch eine auf verläss- liche Messung und Schätzung gestützte Berechnung der von jenen Quellen gelieferten jährlichen Wassermenge und durch die Verglei- chung dieser Abfuhr mit den notorischen Niederschlagsmengen und den Localverháltnissen der beobachteten Quellen kam der Vortra- sende zu dem bestimmten Resultate, dass die besagten Quellen nimmer- mehr von den, auf ihr Quellgebiet fallenden meteorischen Nieder- schlägen gespeist werden können; schon darum nicht, weil die jähr- liche Abfuhr derselben der gesammten Niederschlagsmenge des betref- {enden Quellenbezirkes um ein Mehrfaches überlegen ist. — Am Schlusse des Vortrages entspann sich eine längere wissenschaftliche Debatte über diesen Gegenstand, an welcher sich, nebst Hrn. Pozděna, j | | | | | | | | 63 zunächst und vorzüglich Hr. Prof. Pierre, ferner die HH. Prof. Ritt. v. Hasner, Prof. Ritt. v. Zepharovich und Dr. Nowak betheiligten. Das ausserord. M., Hr. Ritt. v. Zepharovich hielt einen mit mehreren interessanten Demonstrationen begleiteten Vortrag: Mittheilungen über neue Vorkommen österreichischer Minerale. 1. Epidot von Zöptau in Mähren. Lange schon ist in der Umgegend des genannten Ortes das Vorkommen von Epidot in Krystallen und mannigfaltigen stängeligen und körnigen Aggregaten auf Klüften in amphibolhältigen krystalli- nischen Gesteinen *) bekannt. Der Butterhübel bei Marschendorf, dann Wermsdorf und Petersdorf wurden als Localitáten angegeben und insbesondere die zum Theil ansehnlichen, von -Albit und Quarz begleiteten Epidot Kıystalle von Marschendorf hervorgehoben. **) In neuester Zeit wurde Epidot auch in und nächst Zöptau an zwei Stellen angetroffen. Von den beiden bemerkenswerthen Varietäten erhielt ich Exemplare von den Herren Prof. R. Niemtschik in Graz und Dr. M. Urban in Troppau, und verdanke der freundlichen Vermittlung des Letzteren Nachrichten über Localität und Vorkommen durch Herrn Friedr. Klein, Hüttenbeamten in Buchbergsthal bei Wůrbenthal. Die eine Fundstelle liegt in Zöptau selbst am sogenannten Rauberstein; sie liefert einen am Epidot ganz ungewöhulichen Kry- stalltypus, statt den nach der Orthodiagonale gestreckten Säulen, sechsseitige Täfelchen, bedingt durch die vorwaltenden Flächen von Po (T), mit schmalen ziemlich gleichmässig ausgedehnten. Seitenflä- chen: — P(n), 3Po(e), o Po (M), —3P m (i), s. Vať.:1, Fie:.l. Für die Deutung der Flächen und die Zeichnung der Figuren wären wohl statt der Mohs’schen Achsen die von Marignac gewählten an- zunehmen gewesen, — in Uebereinstimmung mit den Arbeiten N. v. Kokscharow's u. a. — nachdem für diese Stellung der Formen durch Descloizeaux nun auch optische Gründe gewonnen sind. Die weilig unebenen oder krummen Flächen der Täfelchen liessen *) Körnige und schieferige Amphibolite und Amphibol-Gneiss (nicht Diorit, wie früher angegeben wurde, s. mein miner. Lexicon p. 140), welche mit Phyllit- Gneiss, Phyllit und Chloritschiefer in oftmaliger Wechsellagerung stehen. Lipold, geol. Verh. des Süd- und Ost-Abfalles der Sudeten (10. Jah- resber. des Werner-Ver. 1860). '**) Kolenati, die Mineralogie Mährens usw. 1854. 64 nur fůr die Combinationsbestimmung genůgende Messungen am Re- ; flexionsgoniometer zu, doch stimmen zwei derselben als Mittel meh- rerer (6 und 11) Beobachtungen, gut mit den berechneten (einge- — klammerten) Werthen PERS T== 8838) 2 Ta = 68959"(69%3) Das spec. Gew. einer sehr geringen Menge (0.049 Gramm) fand js = 3.094. Die Táfelchen erreichen eine Breite von 5 mm. und eine Dicke von 2 mm.; sie sind einzeln oder gruppenweise, gewöhnlich mit dem einen Ende der Orthodiagonale auf der Kluftfläche eines aus kurz- stängeligem Amphibol und Albit (?) mit wenig Glimmer und Quarz gemengten schiefrigen Gesteines aufgewachsen. An dem mir vorlie- genden kleinen Exemplare dieses schönen Vorkommens beobachtete ich auch zwei mit den T-Flächen in hemitroper Stellung an einander gelagerte Täfelchen; in Figur 2 ist dieser nach dem bekannten Ge- setze gebildete Contact-Zwilling abgebildet. — Die stark glänzenden Krystalle sind schwärzlichgrün in refleetirtem Lichte, die dünneren durchsichtigen erscheinen ölgrün oder schön smaragdgrün gefärbt, je nachdem man quer oder schief — der Richtung M M genähert — durch die Tafelfláchen T sieht. Als Begleiter des Epidot zeigen sich blassróthlichweisse Albit- Zwillingskryställchen in der gewöhnlichen Form. Gleichzeitig auftre- tend haben sich die Krystalle beider Substanzen gegenseitig in ihrer freien Entwickelung gehemmt; die Krystallisation des Epidot dauerte aber noch fort, als jene des Albit bereits zum Abschluss gelangt war. Die unmittelbare Unterlage der drusig bekleideten Kluftfläche, welche die parallele Sructur des Gesteins durchkreuzt, lässt sich deutlich als ein bei 10 mm. breites Band durch Mengung und lichtere Fär- bung von der übrigen Gesteinsmasse, wenn auch beide allmálig in einander übergehen, unterscheiden. Vorzüglich liegt die Differenz in dem Zurücktreten der feinen schwärzlichgrünen Amphibol- Nadeln, welche sonst vorwaltender Gemengtheil des Gesteins, in der, zumeist aus einem feinkörnigen Gemenge von Albit und wenig Quarz beste- henden Zone nächst der Kluftwand nur durch einzelne grüne Streifen angedeutet sind. Gleichfalls am Rauberstein findet man nach Fr. Klein als Sel- tenheit mit dem Epidot Sphen in gelben bis schmutzig grünen, schönen Krystallen von 1—15 mm. Höhe und }—6 mm. Breite. Die Titan- säure desselben stammt wohl aus dem Titaneisen, welches in den 65 amphibolháltigen Gesteinen der Umgegend (Petersdorf, Marschendorf) enthalten ist. Von einer anderen Fundstelle nächst Zöptau stammen plattenfór- mige Stücke eines Hornblendeschiefers, welcher nur wenig Feldspath- theilchen enthält, und auf den, der Gesteins-Structur parallelen Kluft- flächen, Drusen, zum Theil ausgezeichneter, gelblichweisser durchschei- nender Albitkrystaile trägt, welche bis 14 mm. grösste Länge, nach der Brachydiagonale gemessen, erreichen. Es sind Zwillinge nach « P%, an denen nach der Bestimmung von Prof. Dr. Reuss, welcher die Exem- plare dem Mineralienkabinete der Prager Universität eingereiht hatte, die Flächen von ooPo :»P-,P, a.» P.oP‘.o'P5.oP’s.oP%. ‚P und P, auftreten. (Aehnlich Fig., 1 p. 316 in Naum. Min., 1864.) Wo die Albitkrystalle nicht dicht gedrängt sind, sieht man zwi- schen ihnen und der Kluftfläche des Hornblendeschiefers eine dünne Lage von Amianth, dessen kurze Fäden, entweder weisse, seiden- glänzende, pinselartige Büschel bilden oder in einander verfilzt als zusammenhängende Decke erscheinen. Viele Albite sind von Amianthfáden in den verschiedensten Richtungen durchzogen. Es un- terliegt keinem Zweifel, dass hier der Amphibol zu Amianth verändert wurde; man sieht ihn überall auftreten, wo eine Kluft durch das Ge- stein sich zieht und findet auch einzelne dunkle Amphibolnadeln, die an den Enden sich als weisser Amianth auffasern. Auch auf diesen Exemplaren kommt Epidot mit dem Albit vor; theils zeigt er sich in Säulchen neben demselben, theils ist er in haarfeinen Nadeln in Al- bitkrystallen eingeschlossen oder reicht brückenartig über solche hinweg. An einer mir vorliegenden Stufe bemerkt man auch eine grössere Gruppe über- und nebeneinander liegender, Epidot-Säulen. Aeusserlich von frischem Ansehen umschliessen sie mit ihren dünn- schalig zusammengesetzten Wänden einen der Länge nach sich er- streckenden Hohlraum. — Auf der Rückseite desselben Stückes, welche gleichfalls von einer Kluftfläche eingenommen wird, ist der Amianth weit reichlicher entwickelt und hat, nebst einem ockerfarbigen Thon, anscheinend die schmale Spalte ganz erfüllt. Hier beobachtet man nun deutlich, dass der Amianth zu Epidot verändert wurde; mehrfach glänzen licht pistaziengrüne dünne Nadeln zwischen den matten gelb- lichen Amianthhaaren hervor; an einer Stelle erhebt sich aber ein kurzes dickes Bündel an der Basis noch Amianth, oben hingegen bereits Epidot, begränzt durch eine stark glänzende ebene Fläche, die unter der Loupe die Einigung einer grossen Zahl von Endflächen der einzelnen Epidotnadeln erkennen lässt. Das Innere des unfer- Sitzungsberichte 1865. II {8} 66 tigen Gebildes ist lůckenhaft, so wie es auch die in ihrer Bildung weiter vorgeschrittenen Epidotkrystalle auf der oberen Seite der Stufe sind. Es hat sich also hier durch die Mittelstufe des Amianth der Amphibol zu Epidot verändert. Aber auch unmittelbar scheint der Amphibol in Epidot übern z gangen zu sein. An mehreren Stellen im Querbruche der Amphi- bolit-Stücke sieht man kleine Nester eines ockerfarbigen Thones, welche krystallinische Partien von pistaziengrünem Epidot einge- sprengt enthalten. Ein derartiges kurzes Stängelchen aus einem Thon-Neste liess die gewöhnliche Form des Epidot erkennen und hatte an dem einen Ende, ohne dass eine scharfe Grenze sich zeigte noch ganz Ansehen und Farbe des unveränderten Amphiboles. Beide Fälle, die mittelbare und unmittelbare Bildung des Epidot aus Am- phibol, für welche wir an den besprochenen Zöptauer Exemplaren Belege gefunden zu haben glauben, wurden bereits durch R. Blum beobachtet. *) Aus den mitgetheilten paragenetischen Verhältnissen der Drusen- Minerale ergibt sich, dass nach der Bildung des Asbestes und wäh- rend der Umwandlung desselben in Epidot, der Albit abgesetzt wurde; da wir diesen in der Unterlage der Druse als Gesteinsgemengtheil finden, bietet die Erklärung des Vorkommens in den Klüften wohl keine Schwierigkeit. **) — Noch ist wasserheller Quarz in Körnchen und Aggregaten unvollkommener Krystalle in den Drusen hie und da zu finden, der sich gleichzeitig mit dem Albite einstellte. Dass sich Quarz in Folge der Epidot-Bildung im Hornblende-Gestein aus- scheiden musste, wurde durch G. Bischof ***) hervorgehoben. Einer besonderen Aufmerksamkeit ist endlich jenes Epidot-Vor- kommen werth, welches in jüngster Zeit am Storch-Berge durch den neu angelegten Feldweg zum Topfsteinbruch in geringer Entfernung von der Zöptauer Kirche eröffnet wurde. Durch ansehnliche Dimensionen und treffliche Ausbildung sind die Krystalle von dieser Localität gleich ausgezeichnet. Der Pleo- chroismus ist an ihnen im Vergleiche zu den erstbesprochenen Tä- felchen weniger auffallend; durch M gesehen erscheinen sie schön grasgrün, durch T und i aber ölgrün gefärbt. An kleinen durchsich- tigen Exemplaren fand ich das spec. Gew. = 3.434. Wie Fr. Klein berichtet, wurden die bis 50 mm. langen und 17 mm. breiten Kry- *) Pseudomorphosen 3. Nachtrag, 5. 132. **) Vergl. Bischof Geologie 1. Aufl. 2. Band, S. 859. be) A. a. O. S. 888. 67 stalle theils lose, theils auf Prasemknollen aufgewachsen, in einer mit Letten ausgefüllten Kluft im Amphibolit angetroffen. An den mir ‚vorliegenden Combinationen in der gewöhnlichen horizontal-prisma- tischen Ausbildung beobachtete ich folgende Flächen: vorwaltend, ee Ds en er ae a op. 9 Po. Pa. P: untergeordnet, i j : 4 Die Fig. 3 und 4 sind Projectionen von einfachen, die Fig.5—10 von Zwillingskrystallen; an einigen der letzteren (Fig. 7—10) ist das Klinopinakoid, welches an einfachen Krystallen nicht beobachtet wurde, in zum Theil bedeutender Ausdehnung anzutreffen. Fig. 10 zeigt an einem Exemplare von 24 mm. Länge und 11 mm. grösster Breite, eine mehrfache Wiederholung der Zwillingsbildung, welche durch die schwachen welligen Erhebungen auf oP © — eine undeut- liche Riefung parallel der Kante mit —P bewirkend — besonders hervortritt. Zuweilen sind die Zwillinge an den beiden freien Enden verschieden begränzt, indem an einem Ende vorwaltend wo Pm er- scheint, während an dem andern die Flächen von —P und »„P2 sich unmittelbar vereinigen. In der orthodiagonalen Zone sind die Flächen M namentlich an den dünnen Säulen ziemlich eben, die übrigen fein horizontal gerieft. Das Wachsen der Krystalle erfolgte, wie sich diess an den grössten mir vorliegenden Exemplaren — ein Zwilling von 24 mm. Länge und 13 mm. Breite, und ein anderer 40 mm. Länge und 13 und 17 mm. Breite, beide einerseits begränzt und quer abgebrochen, wie Fig. 6 darstellt — nachweisen lässt, durch Anlagerung kurzer nadelförmiger oder lamellarer Individuen auf dié M und i Flächen; in höchst mangel- hafter Einigung sind alle unter sich und zum Ganzen parallel neben- und zum Theil dachziegelartig über- einander gelagert. Auf den in den Zwil- lingen unter 129° 12° zusammentreffenden M-Flächen waren es insbe- sondere die oben bezeichnete Kante, und der gegen das freie Krystall- ende liegende Theil, in welchem die Fortbildung voraneilte, so dass die beiden M durch einen deutlichen Grad getrennt, und jede gegen die Seitenfláche o ansteigend erscheint. An letzterer Stelle zeigen sich die einzelnen Individuen als dickere Nadeln; ihre gut entwickelten Enden treten jedes für sich <"kennbar, bald mehr, bald weniger vorragend zur Fläche o zusammen; die hierdurch resultirende Unebenheit kenn- zeichnet die o auch an kleineren Krystallen mit ziemlich glattem M. Die Anlagerung gleich orientirter Lamellen und Nadeln auf M undi erklärt auch die horizontale Riefung der Flächen T und r. 5* 68 An einigen grösseren quer abgebrochenen Krystallen ist dieam — Epidot bekannte Schalentextur deutlich durch Unterschiede in Farbe und Pellucidität wahrzunehmen; an einem Zwillinge ähnlich Fig. 9 — fehlt ein ansehnlicher Theil der obersten Krystallschichte und ist hie- durch ein dunklerer glanzloser Säulenkern mit gerieften Flächen und ziemlich scharfen Kanten entblösst; an den Gränzen der Ent- blössung sind von der früheren Nebendeckung noch einzelne Ru- dimente mit angeätztem Aussehen vorhanden. Gleichfalls durch Ero- sion scheint die auffallende Discontinuität der Flächen r an dem Zwillinge Fig. 7 veranlasst zu sein. Ursprünglich waren die lose in Letten angetroffenen Krystalle einzeln oder gruppenweise sowohl liegend als auch stehend aufge- wachsen; die ersteren oft nur mit einem kleinen Theile auf anderen Epidot - Krystallen ruhend, konnten an beiden Enden ihre Flächen entwickeln, — eine seltene Erscheinung am Epidot. — Später wurden sie aber sámmtlich von ihren Stůtzpuncten abgebrochen, wie wir an- nehmen möchten, in Folge einer Verschiebung in der Gesteins-Spalte, deren Wände mit den Epidot-Krystallen bekleidet waren; hierbei mussten die Krystalle, sobald sie nur beiderseits weit genug in den Drusenraum hineinragten, von ihren Ansatzstellen weggebrochen werden. Es liegt nahe, sich auch den, die Kluft ausfüllenden Letten in Zusammenhang mit der vorausgesetzten Dislocation zu denken, indem dadurch den Wässern von oben her ein freierer Weg in die Spalte eröffnet werden konnte. — Aber die weitere Zuführung von Epidot- Lösung war hiermit nicht abgeschlossen; die vom Letten umhůllten abgebrochenen Krystalle zeigen mit wenig Ausnahmen den Absatz neuer pistaziengrüner Epidot-Masse, úBerall wo sie gewaltsam beschä- digt wurden; kleinere Bruchstellen sind völlig wieder ausgeglichen, an grösseren zeigt sich der Beginn der Ergänzung durch viele ein- zelne oft unregelmässig angelagerte neue Kryställchen. Es ist dies ein Fall der Ausbildung verstümmelter Krystalle, worüber wir so werth- volle Nachweise durch Pasteur, C. v. Hauer, Scharff und an- dere erhielten. Obgleich an den, von dieser Localitát stammenden Krystallen, deren Bildung auf Kosten des Amphiboles, direct nicht nachzuweisen ist, scheint es doch gestattet dies anzunehmen, nachdem an den von den beiden anderen Zöptauer Localitáten uns vorliegenden Stufen dafür die Anzeichen vorhanden sind. Als solches darf man wohl das zuerst beschriebene Zurücktreten des Amphiboles in der unmittelbaren Unterlage der Drusen von Epidot-Täfelchen ansehen. In diesem Falle 69 — wie gewiss in vielen anderen — kann der aus dem Amphibol durch Pseudomorphose hervorgegangene Epidot in Lösung weggeführt und in Spalten abgesetzt worden sein. Dass er späteren lösenden Ein- wirkungen ausgesetzt war, zeigen deutlich die an den Krystallen von der dritten Fundstelle erwähnten Erosions-Erscheinungen. Daselbst, so wie an anderen Orten um Zöptau wird der Epidot von Quarz begleitet, welcher sich bei der Umänderung des Amphi- boles ausscheidet. Ueber die Vorgänge, welche diese bewirkten, dürften sich von einer, die genetischen Fragen berücksichtigenden Un- tersuchung dieser Gegend interessante Aufschlüsse erwarten lassen. Von Wichtigkeit ist, dass auch Prehnit hier vorkommt. Nach Ad. Oborny“) erscheint derselbe derb und körnig, gemengt mit Epidot; dies würde für eine gleichzeitige Bildung der beiden nahe verwandten Minerale sprechen. **) Noch citirt Oborny von dieser Fundstätte fleischrothen Ortho- klas in Drusen auf Strahlstein und aus dem Talkbruche gleichfalls *) Verzeichniss der Zöptauer Minerale (Verhdl. des naturf. Ver. in Brünn. 1 Bd. 1863 und 2. Bd. 1864. **) Nach G. Tschermak ist der Epidot ein Eisen-Zeolith, und darf man ihn den Analysen zum Trotz nicht zu den wasserfreien Sitikaten rechnen (Sitz. Ber. d. Wr. Akd. der Wiss. 47. Bd. 1863, 449). Bischof hingegen sagt, die Epidote gehören unstreitig zu den wasserfreien Mineralen. Wo man Wasser gefunden hat, waren sie schon in Zersetzung begriffen oder durch pseudomorphe Processe aus anderen Mineralen gebildet worden (Geol. II. Aufl. 1864, 2. Bd. 559). Derartig waren aber wohl nicht jene normalen Krystalle, in welchen Stockar-Escher und Scheerer einen Wassergehalt von 2,02—2,46% nachgewiesen haben (Pogg. Ann. 95. Bd., 1855, 501 f.). — Müssen wir nach diesen Ergebnissen nun den Epidot zu den wasserhaltigen Silikaten stellen, so können wir hierin allein bei dem Abgange anderer für die Zeolithe gültiger Merkmale den flüchtig hingestellten Ausspruch Tschermak’s nicht begründet finden. Es dürfte aber keinem Zweifel unter- liegen, dass in sehr vielen Fällen Epidote und Zeolithe unter gleichen Um- ständen sich gebildet haben, da wir von manchen Epidoten und Zeolithen ein ganz analoges, von manchen ein gemeinschaftliches Vorkommen kennen. So finden sich, um nur einige Beispiele anzuführen, Zeolithe und Epidote in Drusenräumen der Melaphyre (Bischof, Geol. I. Aufl. 2. Bd. 655, 657), des schottländischen „Trappes“ von Argyleshire, der Inseln Mull und Skye (Greg and Lettsom, min. of. gr. brit. a irel. 104). Alle selle im Monzoni erscheint Epidot zuweilen mit Chabacit auf Klůften in Syenit. Auf Aphanit von Pribram bildet eine dünne Epidot-Schichte stellenweise die Unterlage von Desmin, Harmotom, Chabacit und Caleit. Wie um Zöptau erscheint auch bei Marschendorf und Wermsdorf Prehnit mit Epidot auf Amphiboliten (mein österr. miner. Lexicon, 144 u. 323). Prehnit mit Epidot sind gleich- falls bekannt vom Maggiathal in Tessin, von Bourg d’ Oisans, Cornwall und 70 am Storchberge, Apatit (Spargelstein)- Krystalle in Talkschiefer, Ma- gnetit und Pyrit im Asbest und Chloritschiefer, letzterer auch. in Hornblende und endlich Bitterspath, — über deren allfällige Beziehungen zu einander, zum Epidot und dessen Begleitern, nähere Aufschlüsse zu erhalten wünschenswerth wäre. 2. Schwefel, Pyrit und Bergkrystall von Eisenerz in Steiermark. Exemplare dieser Minerale erhielt ich als neue Vorkommen bei einem Besuche des Eisenerzer Erzberges vor zwei Jahren von dem subst. Bergverwalter daselbst Herrn Joh. Heigl. Feinerdiger Schwefel wurde im Jahre 1861 auf der Südseite des Erzberges in einem 6 und 12 Zoll messenden Hohlraume mitten in einer eigenthümlichen Erzbreccie angetroffen. Diese Breceie besteht aus grossen Fragmenten von in Limonit verändertem Siderit, die durch faserigen Arragonit verkittet sind. Der Schwefel erscheint in staubartigen und krümeligen Theilchen, auch in sehr kleinen Körnchen, meist lose, hin und wieder locker zu Knöllchen vereinigt. Im dieses Pulver von lichtbráunlichgelber Farbe, in welchem chemisch eine Beimengung geringer Quantitäten von kohlensaurer Kalkerde und kohlensaurem Eisenoxydul nachgewiesen wurde, sind ziemlich. zahl- reich eckige Bröckchen von weissem Quarz und etwas grössere Stück- chen eines weisslichen Schieferthones eingestreut. An den letzteren Fragmenten lässt sich durch die Beschaffenheit der Structurflächen leicht erkennen, dass sie ursprünglich von solchem Thonschiefer stammen, wie sie am Erzgebirge öfter putzenweise in den Erzmassen auftreten. In solchen dünnblätterigen gelblichgrauen Thonschiefern sind bis 4 mm. grosse trefflich ausgebildete Penetrations- Zwillinge von Pentagondodekaedern des Pyrit eingewachsen. Die grösseren Krystalle sind oberflächlich gebräunt, die kleineren gänzlich in Limonit umgewandelt. Es ist nun wahrscheinlich, dass der in dem früher erwähnten Hohlraume angetroffene Schwefel bei der Pyrit-Metamor- phose abgeschieden und daselbst abgelagert wurde, umsomehr, da die dem Schwefelmehl beigemengten Thonschieferreste anzeigen, dass VARGRR, welche jene Zersetzung bewirken konnten, aus der Pyrit-häl- Grünstädtel in Sachsen (G. Leonhard, topogr. Min. 422), und kommen überhaupt Epidot so wie Prehnit sehr häufig auf Amphibol- und auch auf Augit-hältigen Gesteinen vor (L. Fischer über Prehnit, Datolith usw. in Leonhardt’s Jahrb. 1862, 450). Andere Zeolithe finden sich wie Epidote — in Klůften der ältesten Schichtgesteine. Ph V 71 tigen Schieferregion nach jener Höhlung zogen. Es läge dann hier einer der seltenen Fälle *) vor, in welchen der Vorgang, wie wir ihn bei der Veränderung der Pyrite zu Limonit annehmen, durch das nachbarliche Vorkommen von Schwefel ergänzend nachgewiesen wird. In den Siderit-Drusenräumen zeigen sich zuweilen in und auf den frischen Siderit-Krystallen, nette Pyrit-Krystalle; an einem solchen mit 4 mm. Durchmesser bestimmte ich durch Messungen die Com- bination | 002. 0 <.. 302% BEE BERRRS die Flächen der ersten und letzten Form wenig, die der übrigen stark glänzend. — Im Allgemeinen erscheint zu Eisenerz Pyrit nur äusserst fein eingesprengt im unveränderten Siderit. o 02 In Gollrad kommen ebenfalls Pyrit-Kreuzzwillinge von vor; ausgezeichnet durch besonders regelmássige Ausbildung und bis 5 mm. im Durchmesser erreichend, sind sie zahlreich in einem grůn- lichgrauen sehr feinkörnigen Grauwackenschiefer unmittelbar im Hang- end des Haupt-Sideritlagers eingewachsen. Die Krystallfláchen sind oft sekrümmt und bunt angelaufen. Quarz ist häufig derb eingesprengt und in Schnüren in den Eisenerzer-Stufen zu finden, seltener beobachtet man Krystalle. Ein Exemplar, welches ich in die Grazer Universitäts-Sammlung einreihte, zeigt einen 19 mm. hohen und 10 mm. breiten völlig wasserklaren Bergkrystall in einer kleinen Höhlung in zum Theil ockerigem aus Siderit entstandenem Limonit. Während alle Kanten der gewöhn- lichen Quarz-Form ganz scharf sind, ist es eine schief aufsteigende, zwischen einer ausgedehnteren Pyramiden- und einer seitlich anlie- genden Prismen-Fläche, nur in ihrem mittleren Theile; ein kurzes Stück beiderseits von diesem nach auf- und abwärts bemerkt man eine schmale, matte Abstumpfung durch die Fläche einer Partialform von 2P2, gegen unten übergehend in eine rechte Trapezoeder-Fläche. Es sind demnach hier secundäre Flächen der scharfen Ausbildung der Kante vorausgegangen. **) — Auffallend ist das Erscheinen eines, im Vergleiche zu dem vorhandenen Bildungsraume so grossen Krystalles. Einzelne kleine Quarzkryställchen sind zunächst den Wan- dungen des Hohlraumes zu bemerken; derselbe wurde später durch *) Blum Pseudom. p. 193, Bischof Geol. 2. A. 1. Bd. p. 864. **) Vergl. Fr. Scharff, Pogg. Annal. 1860, Bd. 109, p. 529. 72 Caleit, der in der Nachbarschaft des grossen Berekrystalles in flachen Rhomboedern krystallisirte, fast vollständig erfüllt. Die braune derbe Masse des Stückes, an der noch stellenweise die späthige Textur des ursprünglichen Minerales zu erkennen ist, brauset überall ziemlich lebhaft mit Salzsäure und wird von Quarzadern durchzogen. 3. Vanadinit aus Unterkärnthen. Der seltene Vanadinit, welcher bekanntlich im Jahre 1854, mit dem Adolfstollen des Zaucher-Bleibergbaues bei Windisch-Kappel an- gefahren wurde, ist schon in früherer Zeit und nach der Art des Vorkommens zu schliessen an einem anderen Orte in Unterkärnthen aufgefunden worden. Die Belegstücke hiefür, zwei ausgezeichnete, aus einer alten Sammlung stammende Exemplare (Nro. 1075 und 1076) mit der Etiguette „Gelbbleierz aus Unterkárnthen“, hatte mir zur näheren Prüfung der um die Kärnthner Minerale sehr verdiente Custos des Landes-Museums in Klagenfurt J. L. Canaval, welcher sie vor- läufig als Vanadinit bestimmt hatte, anvertraut. *) Diese Bestimmung erwies sich als vollkommen richtig. Leider vermissen wir eine nähere Angabe des Fundortes, dessen Ermittelung bei allfälligen neuen An- brüchen vielleicht der Zukunft vorbehalten bleibt; es dürfte daher nicht überflüssig sein, unsere Wahrnehmungen an den beiden Exem- plaren der Klagenfurter-Sammlung hier folgen zu lassen. Auf dem einen Stücke sind nette Säulchen und feine Nadeln von der Form o P.P. und o P.oP. mit gekrümmten Prismenflächen, über- gehend in an beiden Enden ausgebildete spindelartige Gestalten, bis 7 mm. hoch und 1—3 mm. breit, zahlreich liegend und stehend aufge- wachsen, auf mit graulichgelben flachen Calcit-Rhomboedern beklei- deten, und durch diese zu einer Breccie verkitteten Bruchstücken eines gelblich weissen erdigen Dolomites. Eine, ein Loth schwere, Vanadinit-Kruste bildet die zweite Stufe, ganz aus bis 9 mm. langen und ebenso breiten Krystallen bestehend. Diese sind an den freien Enden fast sämmtlich abgebrochen und sind innen porös oder mehr weniger hohl. Hier hat eine im Inneren der Krystalle beginnende Zerstörung stattgefunden, welche aber nur aus- nahmsweise bis an die Prismenflächen nach aussen vordrang, so dass diese dadurch an einzelnen Stellen lócherig wurden; meist sind die- *) Nach der Aehnlichkeit des Gesteins der einen Stufe mit dem Bleiberger Erzkalke hatte Canaval als Fundort muthmasslich Bleiberg bezeichnet, doch blieben dort die bezüglichen Nachforschungen bisher ohne Resultat. (Jahrber. des Kärnth. Landes-Mus. 1854.) 73 selben noch in ihrer ursprünglichen Gänze mit ihrem lebhaften Glanze und fein verticaler Riefung erhalten, und erscheinen als höchstens 1} mm. dieke, einfache oder dünnschalig zusammengesetzte Wände. Nur an einen Krystalle liess sich noch das obere Ende wahrnehmen, bis auf eine ansehnliche Lücke an der Spitze, dureh die Pyramiden- Flächen geschlossen; an einem anderen zeigte sich die hexagonale Prismen-Wand an ihrem unversehrten Rande in kleine zinnenartig nebeneinander gestellte Spitzen aufgelöst. Auch die oben erwähnten spindelartigen Formen sind innen schalig zusammengesetzt und zum Theil ausgehöhlt. Die innere Seite der Krystallwände hat die be- kannte Beschaffenheit angeätzter Flächen. Das spec. Gew. der graubraunen Kıystalle fand ich = 6.985; die Kante o P:P. = 130° durch sehr aproximative Messung mit dem Anlege-Goniometer. Die Substanz enthält nur Spuren von Phos- phorsäure. 4. Sideroplesit und Magnesit aus Salzburg. Die wichtigeren Eisenerzlagerstätten von Salzburg, welche in die Richtung des sogenannten nördlichen Spatheisen-Zuges fallen, gehören nach Lipold *) zwei verschiedenen geologischen Formationen, der (ober-) silurischen Grauwacke und der unteren Trias an. Die ersteren werden an vielen Puncten in der Gegend von Flachau und Dienten und im Schwarzleothale abgebaut, und liefern späthige Eisensteine, welche Verbindungen der isomorphen rhomboedrischen Carbonate von CaO, MgO und FeO darstellend, als eisenreiche Dolomite, Ankerit, Mesitin, Breunnerit und als Mittelstufen derselben, — nicht aber als Siderit, — zu bezeichnen sind. Diese Erze mit einem Eisen-Geha't von 20—30, selten 36%, bilden in Grauwackenschiefer eingelagerte linsenförmige Massen und stehen häufig mit Dolomiten, in die sie all- mählig übergehen, in Verbindung. Aus den hier erwähnten Lager- stätten stammen zwei krystallisirte Vorkommen, die näher zu unter- suchen mir in Graz Gelegenheit geboten war. Nach einem Exemplare der Bergrevier-Suiten Sammlung in der geologischen Reichsanstalt zu Wien hatte ich schon früher in mein mineralogisches Lexicon (S. 274) die Notiz über Mesitin von Dienten aufgenommen, wobei die Bestimmung nach äusseren Merkmalen erfolgt war. Bei Durchsicht der Laden-Sammlung des Joanneums in Graz fiel mir ein ganz gleiches Stück ebenfalls von Dienten auf, von welchem Material zu einer eingehenderen Untersuchung zu gewinnen, *) Jhrb. d. k. k. geol. Reichsanst. V. Bd., 1854, S. 369. 74 | : Prof. Dr. S. Aichhorn freundlichst gestattete. Das Vorkommen erwies sich nun nahe übereinstimmend mit Breithaupt's Sideroplesit, Die linsenförmigen Gestalten desselben — hervorgegangen durch Con- vexität der Flächen des Grund-Rhomboeders und des basischen Pina- koides — etwa 10 mm. breit — sind auf eine Kante gestellt, mit nahe gleich grossen weissen Dolomit - Rhomboedern und 15 mm. hohen wasserklaren Bergkrystallen, von gleichzeitiger Bildung, in einer Druse vereinigt. Spätter hatten sich noch kleine Dolomit-Kryställchen von einer Seite her auf den genannten Mineralen angesiedelt. An zwei Spaltungs-Rhomboedern fand ich mit dem Reflexions- goniometer die Polkante = 107° 5“ 16“ als Mittel aus 11 Messungen, mit den Gränzen 106° 27—107° 53. Das Fadenkreuz wurde von den zum Theil etwas gekrümmten oder rissigen Spaltflächen nicht refleetirt. — Das specifische Gewicht wurde durch zwei nahe überein- © stimmende Wägungen 3.699 gefunden. Die von K. Sommer, Assistenten am chemischen Labora- torium der Grazer Universität, ausgeführte Analyse ergab folgende Bestandtheile: Kohlensäure . . . 40.31 berechnet Eisenoxydul . . . 43.86 Manganoxydul . . . 2.57 Talkerde . .' . ..10.46 Kalkerde ©. .* „0.49 Eisenoxyd -© 4407 101.76. Obgleich von ganz frischem Ansehen weiset das im Minerale gefun- dene Eisenoxyd — welches wohl als Hydrat vorhanden war — auf eine theilweise Zersetzung hin. Berechnet man das Eisenoxyd als kohlensaures Eisenoxydul, ferner die geringen Mengen von Mangan- oxydul und Kalkerde, auf Eisenoxydul und Talkerde, so erhält man in Procenten: Kohlensäure . . 4.11 Eisenoxydul . . 48.46 Talkerde . . .. 10.43 100.00 Diese Zusammensetzung entspricht der Formel: ur SFeO. CO, + 3 Mg 0. CO, nak welche erfordert: 11 C0, == 212 = 41.02 paži 8 Fe 0 = 288 = 48.81 tl "HM 38Mg0—= 60 = 10.17 ee 590 100.00 75 Für den Sideroplesit (von Pohl im sächsischen Voigtlande = 2 Fe O CO, + Mg 0. 00,) hat Breithaupt das spec. Gewicht = 3.616 — 3.660 und das Spalt- Rhomboeder = 107° 6“ angegeben *). Das Dientner Mineral steht bezüglich Zusammensetzung und specif. Ge- wicht in der Mitte zwischen dem Sideroplesit von Pöhl und dem magnesiareichen Siderit von Mitterberg in Tirol (= 4 FeO0.CO, + Mg0.CO, . spec. Gewicht — 3.735). — Zum. Sideroplesit wären ausser den von Breithaupt noch genannten Vorkommen von Böhms- dorf bei Schleiz, von Traversella und Freiberg, nach den von Ber- thier vorliegenden Analysen auch die französischen Vorkommen **) von Autun und Vizille (=2FeO (CO, -+ Mg0.CO,) zu rechnen so wie noch jenes von Allevard (=3Fe 0. CO; -+Mg0.CO,) sich hier an- schliessen würde. — Stellen wir in der Uebergangsreihe zwischen Magnesit und Siderit zum Mesitin,nach Kenngott's Vorgange, die von Breithaupt Mesitin, Pistomesit und Sideroplesit genannten Verbindungen und genäherte, so ergibt sich für diese Stufe das spec. Gewicht = 3.2 —3.7 und ein Magnesia-Gehalt von 10—29 Procent, entsprechend °/, bis 2 Atome kohlensaure Magnesia gegen 1 Atom kohlensaures Eisenoxydul. Der Magnesit von Flachau, bemerkenswerth durch eine an diesem Minerale noch nicht bekannte Form und die freie Ausbildung sei- ner Krystalle, wurde mir aus der Sammlung der Bergakademie zu Leoben von Prof. Alb. R. v. Miller zur Untersuchung übergeben. Das Stück, welches von dem Hüttenmeister Paskal von Ferro in einer kleinen Eisengrube in unmittelbarer Nähe von Flachau ge- funden wurde, ist eine 55 mm. hohe und 55 mm. lange plattenförmige, grobkörnig zusammengesetzte Masse, auf beiden Breitflächen mit Kry- stallen besetzt. Es sind niedere hexagonale Säulen oRc, o R, von denen einzelne bis 5 mm. Breite und 3 mm. Höhe messen. Auf den frisch entblössten Spaltflächen, die überall in der Unterlage der Drusen erglänzen, ist das Mineral lichtgrau mit perlmutterartigem Glasglanz ; das Ganze ist mit einem dünnen. braunen Ueberzuge bedeckt, der insbesondere auf und zwischen den Krystallen stärker abgelagert, sich als erdiges Eisenoxydhydrat erwies. Die Krystallflächen sind wenig eben, auch angefressen, die Endflächen zart schimmernd. ” An kleinen, zu Messungen sehr ungeeigneten Spaltstücken, fand ich die Rhomboederkante = 106° 58, als Mittel aus 28 Beobachtungen (*) Bere- und Hůttenmánnische Zeitung 17, 54.; Kenn gott Uebersicht miner. Forsch. 1858, S. 34 und 55. -**) Rammelsberg. Miner. Chemie 219. | 76 | P 3 a \ Kr, ne RW bad en k 5 p NOK h PH tí č p ká 5 ar a + am Reflexionsgoniometer, mit den Gránzen von 106°6’—108°36‘. Das specif. Gewicht ergab sich — 3. 015, als Mittel aus drei Wägnmage) Herr K. Sommer ermittelte folgende Bestandtheile : PA Kohlensáure ..... 49.67 berechnet Talkerde. . .'. 44.53 Kalkerde. . . . 0.65 Manganoxydul . . 0.28 Eisenoxyd . . . 3.62 Unlösliches . . . 0.58 99.33 welche Summe sich mit dem Wasser des Eisenoxydhydrates auf 99.94 stellen würde. Es enthält demnach dieser Magnesit 9314 Proc. koh- lensaure Magnesia. Die Berechnung des Eisenoxydes als kohlensaures Eisenoxydul, ferner der Kalkerde als Magnesia, des Manganoxydul als Eisenoxydul giebt in Procenten: Kohlensäure . 51.56 Talkerde. . ©. 44.91 Eisenoxydul . 3.53 100.00 Die aus diesen Zahlen folgende Formel: 90 M80 .C0O, +4Fe0.C0, verlangt: 94 CO, — 2068 = 51.54 90 Mg 0 = 1800 = 44.87 4 Fe-O-= 1 ME = 359 4012 100.00 Philologische Section am 27. November 1865. Anwesend die Herren Mitglieder: Hanuš, Winařický, Čupr und Doucha; als Gäste die HH. N. Tomalčev aus Kasan und Kolář. Das ord. M. Hr. Hanuš hielt einen Vortrag (in böhmi- scher Sprache) über zwei lateinisch-böhmische Gesaungs- bücher oder Hymnarii. Beide befinden sich in der k. k. Univers.-Bibliothek: Signatur 11 D. 1. und 17. J. 20., und sind beide aus dem Anfange des 15. Jh. Das erste ist mit älterer Schrift geschrieben, das zweite jüngere führt die Datirung 1429. Jungmann berührt wohl beide (Hist. liter. S. 61. N. 33), hält sie jedoch mit gewöhnlichen Glossen gefüllt, da er sagt, sie enthielten „böhmische Erklärungen zur Seite (po s Bann dní k k B a de běh ně > ka #7 kraji) geschrieben.“ Ihr Zweck ging jedoch viel weiter und tie- fer, nämlich, um den Böhmischen Gesang in der Kirche einzuführen, oder den lateinischen der Kirche wenigstens zu verstehen. Sie waren für Schulen bestimmt, wie die patriotisch geschriebene Vor- rede kundthut. Sie lautet in dem ältern Exemplare unter andern wie folgt: „O juvenes artem grammatice cupientes accurrite hunc, oleum egregie latinitatis haurite, literam vulgariter exponendo et bohemice appropriando, sine quo impossibile est, aliquid intel- ligere et obtinere. Nam quidam antigui absconderunt lac doctrine a piculis suis (das 2. Exempl. a parvulis) et fovebant cos pane durita- tis, guem non poterant dentes eorum mastigare, et in terra invidie lac doctrine servaverunt, guam infantes fame decedebant. Mel glo- solarum in petra obscuritatis dimiserunt, quod pueri suggere non poterant, non valebant, et non intelligentes, valde famelice redebant. Oleum exposicionis in saxo durissime latinitatis condebant, guod iu- venes multis annis laborantes elicere nequebant, sed animo esurien- tes latino et sicientes vulgari idiomate discedebant, quia per hostia clausa cogebant eos intrare. — — Ergo omnes pueri collacodate do- minum, quia nobis talem pietatem modernis temporibus demonstravit, quam ab antiquis occultavit. — — Ex quo eciam Theutunici suo idiomate plurima anexerunt, per que efficiuntur sapienciores. Quare coram nos propter honorem Bohemice gentis et ampliacionem nostri - idiomatis bohemice non exponeremus? Ergo dignum et iustum est, nobis bohemice exponere i. e. appropriare.“ Das erste Lied in beiden Exemplaren ist: Veni redemptor gencium und wird, wie folgt, glossirt: Veni přiď redemptor vyku- -piteli, gencium lidi, ostende ukaž, partum porod, virginis dievky, miretur dive sie (17. J. 20) div sie, omne seculum veš- ken sviet, talis partus, taky porod, decet slušie, deum, boha. Das letzte Kirchenlied im Codex 11. D. 1. ist Blatt 78. Plas- mator hominis deus, und wird wie folgt glossirt: Plasmator stvoři- teli, hominis človieka, gui jenž, solus sam, ordinans spuso- buje, cuncta všiecky vieci, iubes veliš, humum zemi, produ- cere vynesti, genus rod, reptantis hmyzaných i. e. zvířat, gui jenž, magna corpora velika tiela, rerum vieci i. e. zvířat, umida, živa, ductu vedeniem, iubentis přikazajiciho, sub- disti dal si, subdens podav, homini človieku, ut serviant aby služili jemu, per ordinem po řad. In dem zweiten Exemplare ist dies Lied nicht das letzte, sondern es folgen ihm noch die Lieder: Summe deus potencie — Aurora jam spargit nebst einer Nachschrift, 78 welche die Bestandteile des Werkes darstellt, worunter secundo loco: exposicio vulgaris propriacio bohemicalis steht. Darauf: Explicit ymnarius bonus per manus Joannis de Domašin finitus feria guarta in die Ciruli et Metudi ao. d. 1429. Das Lied: plasmator. wird in diesem Codex auf folgende Weise glossirt: o deus o bože, plasmator stvořiteli, hominis človieka, gui jenž, solus sam, or- dinans zposobuje, cuncta všechno, iubes veliš, humum zemi, producere vyvesti, et ferre i nesti, reptantis hmyzaviejicich t. zvierat, umida vlažna, t. živa, ductu vedenim, iubentis přika- zujicieho,t. bo2i, subdisti dal si, subdes davaš, hominis človie- ka, utserviantaby služily jemu, per ordinem po řad. Daraus folgt: 1. dass beide Codices nur Abschriften eines bisher unbekann- ten Orginales sind, 2. dass die Glossen in linguistischer Beziehung nicht viel Aus- beute liefern werden, 3. dass jedoch beide Codices zur Geschichte des böhmischen Kirchengesanges des 15. Jh. wichtige Beiträge zu leisten im Stande sein werden, worauf eben hier aufmerksam gemacht wird, da die Epoche des böhm. Kirchengesanges, die der eigentlichen Herr- schaft des Brüdergesanges vorangeht, eine der dunkelsten ist. s Anmerkung. Jungmann berührt (I. c.) noch einen Codex der Univ.-Bibliothek, jedoch mit einer unvollständigen Signatur, náml. XI. D. Allein das, was er davon anführt, beweiset, dass das kein Hymnarius, sondern nur ein kleines Glossarium überhaupt sein muss, das nur durch Zufall unter die Jungmann’schen Hymnarien hineinkam. Im November 1865 eingelangte Drucksehriften. Mémoires de la Société de Physique et d’ histoire naturelle de Géneve. 1865. XVIII. Tome 1. part. V. Ritt. v. Zepharovich Krystallographische Mittheilungen aus den chemischen Laboratorien zu Graz und Prag. en Abdruck aus den Wiener Sitz.-Berichten 1865.) | Magazin für die Literatur des Auslandes. Berlin 1865.. Nr. 49, Verhandlungen des naturhistor. Vereins der preuss. Rheinlande und Westphalens. XXI. Jahrg. II. Folge I. Band 1. und. 2. Hälfte. Bonn 1864. un The Quaterly Review. London 1865, Tal Nro:; 285449" 6 Poggendortt's Annalen der al und Sa Be 1865... Nro. 9, 10. + ně 79 Register zu den Bänden XCI. bis CXX. von Poggendorff's An- nalen. Leipzig 1865. Zeitschrift des histor. Vereins für Niedersachsen. Jahrgang 1864. Hannover 1865. XXVIII. Nachricht über den histor. Verein für Niedersachsen. Hannover 1865. Centralblatt für die gesammte Landescultur. Prag 1865. Nr. 32, 46. Wochenblatt für Land-, Forst- und Hauswirthschaft. Prag 1865. Nro. 45—48. Hospodářské Noviny. Časopis atd. V Praze 1865, č. 44—47. Quaterly Journal of microscopical Science; by E. Lankaster and G. Busk. New Series Nro. 20. London 1865. October. A. Schleicher. Kratky očersk ete. indo-germanskych jazykov. St. Petersburg 1865. (Vom Hrn. Verfasser.) Erster Jahresbericht úber die Wirksamkeit usw. fůr wissensch. Durchforschung von Bóhmen im J. 1864. Prag 1865. První roční zpráva 0 činnosti obou komitétů atd. V Praze 1865. Monumenta graphica medii aevi. Vindob. 1865, VII. und VIII. Lieferung. Ä -Nova Acta reg. Societatis Scientiarum Upsaliensis. 1865. Seriei PRESVOL- V" faseč“ Mittheilungen an die Mitelieder des Vereins fůr hess. Geschichte und Landeskunde. Kassel Nro. 12—19. Zeitschrift des Vereins fůr hess. Geschichte und Landeskunde. Kassel 1865. X. Band, Heft 3, 4— IX. und X. Supplement. Verhandlungen des naturforsch. Vereins in Brůnn. 1865. III. Band. Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft. Berlin 1865, _ XVIL Band 2. Heft. | Memoires del’ Academie Imper. des sciences de St. Petersbourg. 1862. V. Tom. no. 1. (F. Minding Integration der Differentialglei- chungen 1862.) Bulletin ete. VII. Tom. feuill. 12—36 und VIII. feuill. 1—36. Mémoires de I’ Academie de Sciences de St. Petersbourg. VI. Serie VII. Tome. (I. Fr. J. Ruprecht Barometrische Höhenbestimmungen im Caucasus usw. 1863. — 2. W. Gruber Ueber den Sinus com- © munis und die Valvulae der Venae cardiacae ete. 1864. — 3. J. Th. Struve Novae curae in O. Smyrnaei Posthomerica. — 4. J. Mar- cusen die Familie der Mormyren. — 5. A. Schiefner Tschetschen- zische Studien. — 6. W. Volek Ibn Mälik’s Länüyat Al Ať Al, mit Badraddin's Commentar. — 7. A. Winnecke Pulkowaer Beobachtungen 80 des hellen Cometen von 1862. — 8. F. J. Wiedemann Versuch úber den Werroesthnischen Dialekt. — 9. N. v. Kokscharow Ueber den Lepolith. 1864). Memoires ete. VIII. Tome (1. Otto Bremer Lepidopteren Ost- sibirieus, insbesondere des Amurlandes. 1864. — 2. Carl Linsser. Vier von Delisle beobachtete Plejaden-Bedeckungen. — 3. Zachariä v. Lingenthal Beiträge zur Geschichte der bulgarischen Kirche. — 4. J. Fr. Brandt Observationes de Elasmotherii religuiis. — 5. J. Somov Mémoire sur les accélérations de divers ordres. — 6. H. Struve Ueber den Salzgehalt der Ostsee. — 7. Ph. Owsjanikow Ueber das Gehörorgan von Petromyzon fluviatilis. — 8. N. v. Kok- scharow Notiz über den Chiolith. — 9. A. v. Volborth Ueber einige neue esthländische Illaenen. 1864. — 10. M. Brosset Inseri- ptions géorgiennes et autres ete. — 11. H. Struve die artesischen m und untersilurischen Thone zu St. Petersburg. 1865. — 12. N. v. Kokscharow Beschreibung einiger Topas-Krystalle usw. — 18: ee Strauch die Vertheilung der Schildkröten über den Erd- ball. — 14. N. v. Kokscharow Monographie des russischen Pyro- xens. 1865. — 15. A. Famintzin die Wirkung des Lichtes auf das Wachsen der keimenden Kresse. — 16. J. Somow Moyen d’ expri- mer directement en coordonées curvilignes quelconques etc. 1865). Philosophische Section am 4. December 1869. Gegenwärtig die Herren Mitglieder: Weitenweber, Hanuš, Sem- bera, Storch, Winaricky, Dastich und Grohmann; als Gast Herr Je- dlička. Das ordentl. M. Hr. Hanuš las aus einer deutschen grös- seren Schrift über böhm. Literaturgeschichte einige Par- tien vor, die von den Grundlagen der böhm. Literatur-. geschichte der ältesten heidnischen Zeiten, zu handeln hatten. Diese Grundlagen schied er in formale und reale. Die for- malen ruhten in der Ausdehnung des Begriffs: Sprachdenkmale. Strenge genommen ist nämlich die Literaturgeschichte nur mit litteris, mit Schriftdenkmalen beschäftigt; hätte sohin bezugs der ältesten, heidnischen Zeiten einen kleinen Umfang, da der Schrift- reste aus dem Heidenthume gar wenige sind, es überhaupt noch sehr. fraglich ist, ob überhaupt die heidnischen Böhmen in unserem Sinne. schrieben, d. i. eine Lautschrift kanmten. Der Vortragende be- v ži E F: v i de ds ný jd k ala ob o úd os nk ba ala bn ae Dt E- = 81 růhrte nun, dass eine Lautschrift viel weniger mit den Sprachdenk- malen zusammenhänge, als es den Anschein hat, dass nämlich dieselbe unmittelbar keine Zeichen für die Gedanken, sondern nur Zeichen für bedeutungslose, vereinzelte Laute hat, die erst durch physiolo- gische Processe (des Lesens) und durch psychologische Processe (des Erinnerns an die Bedeutungen der Lautzeichen für Worte) einen geistigen Inhalt bekommen, der aber nicht in ihnen, sondern in dem verstehenden, begreifenden Geiste ruht, während Sprachdenkmale sich unmittelbarer an den Geist anschliessen. Da es nun gewiss der Zweck jeder Literaturgeschichte ist, den geistigen Gehalt der Sprach- denkmale eines Volkes zu würdigen, so darf gewiss der, den Sprach- denkmalen meist äusserliche Umstand, ob sie in einer Lautschrift aufgeschrieben wurden, nicht dafür massgebend sein, ob sie in die Literaturgeschichte aufzunehmen seien oder nicht, wenn sie nur, und in wie fern sie getreu durch Tradition aufbewahrt: wurden, z. B. al- terthümliche Sprichwörter, Beschwörungsformeln, Lieder u. dgl. Denn sollte die Tradition, die durch Jahrhunderte im Volks- munde treu ihre Alterthümer fest erhält, weniger Werth haben, als einige flüchtige Schriftzüge, um dem wörtlichen Sinne des Wortes Literaturgeschichte ängstlich gerecht zu bleiben. Würde man ein- wenden, solche durch blosse Tradition erhaltene Sprachdenkmäler gehörten in die Culturgeschichte des Volkes: so behauptet man ei- gentlich auch: sie gehörten in dessen Literaturgeschichte, weil eben diese derjenige Theil der Culturgeschichte ist, der da den Geist der Sprachdenkmale zu würdigen hat, wenn sie keine blosse Literärge- schichte oder gar eine Bibliographie sein will. Trotz dem, dass der Vortragende auf diese Weise die Sprach- denkmale als solche in Schutz nahm, schloss er doch die Sprach- geschichte von der Literaturgeschichte aus, dagegen kämpfend, dass man bisher gewöhnlich: „Geschichte der Sprache und ihrer Literatur“ als eine Wissenschaft auffasste. Das konnte man nám- lich nur so lange, als es keine eigentliche Sprachgeschichte gab; nun ist aber durch die comparative Linguistik diese zu einer so gewaltigen Wissenschaft herangewachsen, dass schon das praktische Prineip der Theilung der Arbeit auch zu einer Trennung der Sprach- und Lite- ratur-Geschichte räth. Eine andere formale Schwierigkeit bildete die Frage, ob in eine böhmische Literaturgeschichte nur sprachlich böhmische Denk- mäler, oder auch Denkmäler in anderen Sprachen aufbewahrt aufzu- 6 Sitzungsberichte 1865. II. 82 nehmen seien, die erweislich ursprünglich böhmisch waren, und um- gekehrt, ob fremde in böhmischer Sprache heimisch gewordene Denk- mäler Anspruch auf Aufnahme haben oder nicht. So schreibt z. B. der älteste Chronist der Böhmen, Cosmas nämlich, in lateinischer Sprache von der fabulosa senum relatione, womit er auf jeden Fall altböhmische Sagen meint: so ist die Perchta-Me- lusina Sage in böhmischen Sagen heimisch geworden, so wie umge- kehrt in vielen germanisirten, ehemaligen Slavenländern mythische Sprüche, Sagen udgl. cirkuliren, die einst echt böhmisch waren z. B. die Mahrensagen, die Sagen von der weissen Frau. In Beziehung auf solche literarhistorische Momente behauptete der Vortragende, dass sich kein festes Princip über Aufnahme oder Nichtaufnahme derselben statuiren lasse, sondern dass es dem Tacte des Historikers überlassen bleiben müsse, was aufzunehmen, was auszuschliessen sei. In Bezug aber auf die realen Grundlagen der böhmischen Li- teraturgeschichte der ältesten Zeiten handelt es sich, nach der Meinung des Vortragenden, vor Allem darum, den Träger desselben, den böhmisch-slovenischen Volksstamm nämlich, in seiner alter- thümlichen Eigenthümlichkeit zu erfassen. Dies sei aber ohne Beant- wortung der Frage über die Aboriginität der Slaven — sohin auch der Deutschen — in Europa unmöglich, weil, wenn es eine Ein- wanderung dieser Völker aus Asien gäbe, die Grundlagen aller Cultur dieser Stämme, sohin auch der Sprach- und Denk-Cultur der- selben entlehnt, asiatisch und, speciel gesprochen, alt-arisch wären. In dieser Beziehung trat der Vortragende der üblichen Ansicht über die stets behauptete aber nie bewiesene Einwanderung dieser Völker als solcher entgegen, und versuchte seine abweichende Hy- pothese mit folgenden Betrachtungen zu stützen. Europa, im Grunde nur eine kleine Halbinsel Asiens, kennt seit jeher, das heisst, so weit überhaupt menschliches Gedenken in die Urzeiten dringen kann, Germanen und Slaven unter den andern arischen (indo-europäischen) Stämmen in seinen Landen hei- misch und zwar stets in inniger Berührung mit dem litauischen Stamme (z. B. der alten Preussen). Es ist nun zwar Thatsache, dass alle arischen Stämme in Europa mit allen arischen Stämmen in Asien nicht nur in Bezug auf die Raceneigenthümlichkeit, sondern auch in Bezug auf die Grundlagen der Sprache, des Familienlebens, der Sitte, der Rechtszustände und der Religion auf das innigste zusam- menhängen: allein es ist durchaus nicht nothwendig, zur Erklärung dieser Zusammengehörigkeit eine äusserliche Erklärungsweise, 83 námlich eine eigentliche massenhafte Uebersiedlung oder allge- meine Völkerwanderung aus Asien nach Europa in Form bereits nationell gesonderter Völkermassen anzunehmen. Denn eine solche allgemeine Völkerwanderung, mag sie auch in der zeitlichen Aufeinanderfolge der keltischen, pelasgischen, litauischen, sermanischen und slavischen Wanderung gedacht werden (wel- che Form beiläufig gesagt, diese Hypothese nur noch erschwert), ist keine Thatsache weder der beglaubigten Geschichte — keine Induc- tion — noch Thatsache einer concret berechtigten Vermuthung — keine Deduction — sondern nur eine althergebrachte Fiction. In Bezug nämlich auf die fragliche Induction kennt die be- slaubigte Geschichte wohl partielle Völkerwanderungen unter andern z. B. in Asien die der Hindu nach dem Süden, der Buddhisten nach Nord und West, so wie in Europa z. B. der Normannen namentlich nach dem Süden, allein sie kennt keine allgemeine Völkerwan- derung. Die Ansicht von einer solchen Wanderung ist ein Spross der Völkerwanderung vom Thurme Babel aus, welcher wohl ein Ge- wittermythus, aber keine historische Thatsache zum Grunde liegt. In Bezug aber auf die fragliche Deduction, ist die Annahme einer allgemeinen Wanderung ebenfalls gegen alle Geschichte, und durch- aus nicht nothwendig, um die thatsächliche Verwandtschaft der betref- fenden Europáer und Asiaten zu erklären, da es ja innere Entste- hungsgründe derselben gibt. Wenn nämlich Lebendes eines ana- logen Lebenskernes auch in den entferntesten räumlichen Ver- hältnissen aufspriesst, so muss es ähnliche Lebensformen äussern. Nun entwickeln sich Sprache und Sitte anerkanntermassen noth- wendig und instinctmässig aus dem menschlichen Lebenskerne ebenso, wie sich die Blätterformen aus dem pflanzlichen und die Empfin- dungs- und Instinetformen aus dem animalen Lebenskerne einer Gat- tung entwickeln, mögen nun die Arten derselben ohne äussere Be- rührung von einander getrennt in Europa und Asien existiren. In Anwendung dieses Principes auf Germanen und Slaven in Europa möge man nun in Betracht ziehen, dass es neben den einzelnen, äusserlichen und historisch beglaubigten Trennungen partieller Völ- kerschaften auch eine allgemeine, innerlich nothwendige, besonders in vorhistorischen Zeiten vor sich gegangene Verbreitung der Racen gegeben habe, die sich in der Entwicklung der Familien zu Gemein- den, Stämmen und Völkern gründete, dabei natürlich immer grössere Räume beanspruchte und dies besonders in der Periode des Jäger- lebens. Schon in den Urzeiten, in denen selbst in Asien die Arier- 6* 4 völker noch nicht in die so individuell bestimmten Hindu- und Zend- Stämme gegliedert waren, hat sich wahrscheinlich das arische Urvolk, dessen ursprünglichen geographischen Kernsitz man übrigens gar nicht kennt, auch über einen Theil der asiatischen Halbinsel all- mälig verbreitet, die man nun Europa nennt. Dies gilt dann, wenu man der Hypothese beipflichtet, jede Völkerhauptgattung sei auch aus einem geographischen Centralraume entsprossen: nimmt man hingegen zur Hypothese die Zuflucht, dass unter ähnlichen äussern Bedingungen derselbe Lebenskern auch in äusserlich von einan- der entfernten Räumen emporspriessen könne: dann kann man sich auch mehrere arische Völkerkernsitze in gleich ursprünglich verschiedener Ráumlichkeit, sohin auch eine Wiege arischer Völ- ker in Asien, eine andere derselben in Europa denken, wie ja auch ähnliche Arten und Gattungen der Thiere und Pflanzen gewiss nicht alle an einem und demselben Orte ins Dasein gerufen wurden. Sei es nun auf die eine, sei es auf die andere Weise: im- merhin kann ein arischer Volkskernstamm in Europa gleich ursprüng- lich gedacht werden, ohne mit seinen späteren Völkerbeson- derheiten schon aus Asien eingewandert zu sein. In Europa fand er, wie in Asien, schon frühere nichtarische Urbewohner vor, die er bei seiner weiteren nothwendigen Entwickelung entweder an die Gränzen, wo sie theilweise noch sind, zurückdrängte, oder aber sıch assimilirte oder endlich sie gar aufrieb. Dies arische, relative Urvolk in Europa darf man sich allerdings als kein einför- miges Abstractum denken, da ein solches überhaupt nicht existirt, allein man darf es sich auch noch nicht in Völkerbesonderheiten getrennt denken, die später z. B. als Litauer, Germanen und Slaven gegeben sind. Das fordert nämlich einerseits das allgemeine Natur- gesetz, dass alles Besonderte aus einem relativ Ungesondertem her- vorgehe, andererseits aber das Grundgesetz der Sprach- und Sitten- Geschichte dieser Völker, das eine Gemeinschaftlichkeit derselben in der Urzeit constatirt. Wir denken uns sohin die Germanen und Slaven als solche erst in Europa, somit autochthon und glauben an keine vorhisto- rischen Sitze derselben als solche in Asien, an keine Einwanderung derselben als solcher in Europa. Allerdings denken wir uns das arische Urvolk in Europa während seiner Entwicklung zu den späteren europäischen Völkern nicht ganz, weder dem Raume, noch der Zeit nach vom arischen Ur- volke in Asien geschieden, indem wir nicht nur Kulturberührungen i 85 beider an den Gränzen (Kaukasus, Kleinasien) statuiren, sondern auch thätige Handelsbeziehungen, die zugleich Kulturbeziehungen zu sein pflegen, annehmen. Auch können vermittelnde Völkerschaften, wie z. B. die Phönizier, Europa und Asien in Einzelnheiten einander näher gebracht haben, wie es später die Araber wiederholten. So schreibt jetzt ganz Europa mit indischen Zahlzeichen, die ihren Vermittlungsursprung in dem Namen arabische Ziffern verrathen. Auch denken wir uns keineswegs das europäische Urvolk in einer und derselben Zeit zu den einzelnen spätern Völkerschaften gegliedert. Während dies Urvolk nämlich im Norden und Osten Europa’s nur zumeist mit ausserkaukasischen (mongolischen), sohin ungeschichtlichen Völkern in Berührung kam, kam es im Süden und Westen Europa's mit geschichtlichen, kulturverbreitenden Vol- kern, z. B. den Phöniziern, in nahe Berührung, welche seine eigene Besonderung oder Specificirung förderten. Darum erscheint der pe- lasgische (griechisch-lateinische) und der keltische (gälische) Stamm in Europa schon in der Urzeit bekannt, in welcher überhaupt die europäische Geschichte beginnt, während welcher Zeit die Ger- manen und Slaven kaum noch aus ihrem relativen — dem litau- ischen am meisten ähnlichen Urstamme zu den Eigenthümlichkeiten sich entwickelt hatten, mit welchen sie so spät in der Geschichte erscheinen, was die Einwanderungshypothese durch deren verspätete Einwanderung zu erklären sich bemüht. Diese Hypothese des Vortragenden kann nach seiner Ansicht auch noch durch folgende Thatsachen gestützt werden: 1. Die Grundelemente der germanischen und slavischen Spra- chen weisen zumeist auf die Sprache der alten Litauer hin, wie auf ihre gemeinschaftliche Heimath (kratkij oterk» doistoritesko) Zizni sěverovostočnago otděla indo-germanskich» jazykovs Aug. Schlei- chera. St. Petersburg. 1865). 2. Dies relative Urvolk, das, wie gesagt, dem der spätern Litauer am ähnlichsten war, erstreckte sich einst vom Nordost Europa’s tief gegen die Mitte Europa’s hin und nahm immer mehr ab, je mehr sich Germanen und Slaven entwickelten, eben weil diese seine Be- sonderungen waren. 3. Aus ihm entwickelte sich das germanische Element früher als das slavische, weil die slavische Sprache der litauischen auch heut zu tage noch viel ähnlicher ist, als die germanischen Sprachen (A. Schleicher, O jazyku litevském ohledem na slovanský. Časop. česk. Musea 1853. S. 320), so dass das slavische Volk am spätesten 86 in seiner Eigenthůmlichkeit im Osten Europa's, in seiner hinterkarpa- thischen Urheimat erscheint, während das germanische von seiner nördlichen Heimat, von den skandinavischen Gebirgen aus viel früher thätig erscheint. BRD 4. An die Stelle der keltischen Völker traten, allem diesem consequent, in der Geschichte auch längst schon die pelasgischen, und davon namentlich die römischen Völker; doch auch diese spielten bereits längst ihre Geschichte aus, und beide wirken nur noch in den Mengvölkern der Romanen nach: die germanischen Völker, einst in den verschiedensten Formen z. B. als Gründer des Feudal- systems, Herren von ganz Europa, treten an politischer Wichtigkeit immer mehr zurück, und machen so dem jüngsten d. h. in seinen noch unverbrauchten Kräften rüstigsten Volke Europa’s d. i. den Slaven zur Geschichte der Zukunft Platz, eine Erscheinung, die nichts anderes als die perennirende Fortentwicklung der autochthonen Völker Europa’s aus dem arischen Urvolkskerne ist. Aus dieser seiner Hypothese zog der Vortragende folgende Resultate: a) Die Cultur der europäischen Völkerschaften ist Bezugs der Urzeit eine originelle, nicht aber aus Asien abgeleitete. Sprache, Sitte, Religion der europäisch autochthonen Völker arischen Stammes ist urwüchsig, eine Ableitung der germanischen Ureultur z. B. von dem Zendvolke und der slavischen Ureultur von dem Hinduvolke führt nur auf Abwege. Die europäischen Völker stehen weder in Bezug auf das Alter, noch in Bezug auf die Ur- sprünglichkeit oder Güte ihrer Urkultur in irgend einem Ver- hältnisse der Dependenz von Asien, sondern nur im Verhältnisse der Coordination und die frühere systematische Methode: in der Copie das vermeintliche Original auffinden zu wollen, muss der comparativen Methode weichen. Was ehemals als Original ge- deutet wurde von der einen und als Copie von der andern Seite, er- scheint nun als gleichberechtigtes, urwüchsiges Gemeinsame, und zwar ebenso wie das Wesen der Gattung bei selbständigen Arten. Daher ist auch das Eigenthümliche mehr hervorzuheben, als das Allgemeine, wenn eben die einzelne Cultur eines Volkes als einzelne begriffen werden soll. Was auffalend gemeinsam ist d. i. gleich, ohne modificirende Eigenthůmlichkeit, ist nicht als urwüchsig, sondern als gegeben oder entlehnt anzuseheu, wie es z. B. bei der Sitte der siebentägigen Woche der Fall ist. So stehen auch gewiss die Betkügelchen der Buddhisten mit den Kügelchen des Rosenkranzes we " SOE a O » 4 k 2 1 N : : “ we 4 a 3 4 TR bb Ka, AL Sh Be HE FE ne» n 2 aa an 70 2 UL a E k ek el naš 87 im Verhältnisse einer historischen Entlehnung. Aber auch solche auffallende Gemeinsamkeiten sind von Fall zu Fall erst dann als entlehnt anzusehen, sohin als solche zu beweisen, wenn sie auf keine Weise als urwüchsig und selbständig zu begreifen sind. Bringt doch die Eiche, die in Asien wächst, bedeutende Gemeinsamkeiten mit der Eiche hervor, die sich selbständig in Europa entwickelt, warum sollte denn der menschliche Geist, wenn er in Asien und Europa auf gemeinsamer Raceneigenthümlichkeit sich gründet, da und dort nicht auch selbständig bedeutende Gemeinsamkeiten her- vorbringen? — Diese Urwüchsigkeit und Selbständigkeit gilt aber dann auch von den einzelnen autochthonen Völkern in Europa, obschon da allerdings bei den vielen historischen Berührungen dieser Völker einzelne auffallendere Uebertragungen Platz greifen. b) Das gilt denn auch von der Urcultur der Germanen und Slaven in den historischen Zeiten. Was jedoch die vorhistorischen Zeiten, sohin das Stein-Bronze- und Gold-Zeitalter betrifft, so fällt dies Zeitalter in die noch litauische Vorzeit der Germanen und Slaven, in welcher noch keine Rede von Germanen und Sla- ven, sohin auch kein Unterschied von Germanen- und Slaven-Pro- ducten sein kann. Dies bestätigen denn auch die Gräberfunde in germanischen und slavischen Ländern. Man vergleiche z. B. Güm- bel’s Untersuchungen über die ältesten Kulturüberreste im nördli- chen Baiern in Bezug auf ihre Uebereinstimmung unter sich und mit Pfahlbauten-Gegenständen der Schweiz (Sitzungsberichte der kön. baier. Acad. 1865 I. 1. S. 66). Erst in ihrer weiteren Entwicklung und Verbreitung gegen die Mitte und den Süden von Europa kamen beide Völker sowohl in Bezug auf Grund und Boden, als auch in Beziehung auf Characterbildung und Cultur in die feindlichsten Ge- gensátze. Vel. Fr. von Sacken: Leitfaden zur Kunde des heidn. Altertums, Wien 1865 besonders S. 126—136. V. Křížek: Ueber die Ursitze, Ausbreitung und erste Entwickelung der Slaven. Va- rasdin 1857. Es ist sohin, so schloss der Vertragende, auch die Geschichte der böhmischen Literatur der ältesten Zeiten auf die Grund- lage sowohl einer urwüchsigen Gemeinsamkeit mit anderen arischen Völkern, aber zugleich auch auf die Grundlage eigenthümlicher Selbständigkeit dieses Slavenstammes zu bauen, was eben die sonst schätzbaren literaturhistorischen Schriften Jul. Fejfalik’s ver- nachlässigten. 88 Naturwiss.-math. Section am IN. December 1865. Anwesend die Herren Mitglieder: Weitenweber, Kořistka, Amer- ling, v. Leonhardi, Nowak; als Gäste die HH. Ruda, Čelakovský, Walter, Studnička und Štolba. 3 Hr. Dr. Čelakovský (als Gast) theilte seine Beobach- tungen der an den vegetativen Theilen der Carices, zumal an deren Rhizomen sich kundgebenden sl logisch-biologischen Gesetze mit. Es sind dies hauptsächlich folgende viererlei Gesetze: 1. Gesetze der Vertheilung der vegetativen Blattformationen auf verschiedene Sprosse. 2. Gesetze der Streckung und damit zusammenhängender Wachs- thumsrichtung der Internodien. 3. Gesetze der Zutheilung der Vermehrungs- oder Ersatzknospen an bestimmte Blattformationen. 4. Gesetze der Remission und Wiedererstarkung des Wachs- thums während der Jahresperiode, dargestellt durch die Grösse und Anzahl der in derselben producirten Blattorgane. Aus dem Gesichtspunkte der angedeuteten Gesetze wurden die Beobachtungen an den Rhizomen in einer systematisch gegliederten Reihe dargestellt: I. Das Rhizom ist einaxig, besteht aus wesentlich gleichen Axen- generationen. A) Die Rhizomaxen bestehen aus lauter unentwickelten Glie- dern (Internodien) mit aufrechtem Wachsthum; nur ausnahmsweise, offenbar in Folge physischer Einflüsse, verlängert sich ein oder das andere Stängelglied ungewöhnlich. a) Niederblátter in geringerer Anzahl, nur am Sprossanfang, so dass dessen Ersatzknospen in Achseln von Laubblättern sich bilden. ©) Nach dem ersten Jahrestriebe findet keine Remission des Wachsthums statt, so dass der zweite (oder dritte) den Stängel bil- dende Trieb mit ebenso wohl entwickelten Laubblättern anhebt, als jene waren, mit denen der erste geendet hatte. 1. C. pallescens L. Der kräftige Rhizomspross, in der Achsel eines Laubblattes angelegt, bildet im folgenden Jahre, d. i. dem ersten Entwickelungsjahre 6—7 Niederblätter und ebensoviele Laubblätter, von denen die unteren (etwa 3) Knospen ansetzen, die oberen 3 keine Knospen enthalten. Im zweiten Entwickelungsjahre bildet er noch — 3 knospenlose Laubblätter, um alsdann in den Stängel auszuwachsen. © 89 9. C. Oederi Ehrh. Im ersten Jahre nur 3 Niederblátter, ein Uebergangsblatt und 4—5 sämmtlich knospenbergende Laubblätter, -im zweiten Jahre 3 knospenlose Laubblätter. B) Am Ende des Jahrestriebes findet eine bedeutende Remission des Wachsthums statt, der folgende Jahrestrieb hebt mit einem kurz- - bespreiteten Uebergangsblatt oder geradezu mit einem Niederblatte an. *) Der zweite oder dritte Jahrestrieb, der zum blühenden Stän- gel wird, producirt nach dem Uebergangsblatte keine vegetativen Blätter mehr. 3. C. pediformis C. A. Meyer. Im ersten Jahre nur ein Niederblatt und eine grössere Anzahl von (6—8) Laubblättern, deren 4 oberste keine Sprosse treiben, wohl aber 2 tiefer stehende; die letzten Blätter sind bereits viel kleiner. 4. C. humilis Leyss. Am Anfang des Sprosses 2 Niederblátter, 1—2 kurzspreitige Uebergangsblätter, hierauf meist 6 Laubblätter; von diesen die 2 obersten stets leer, die 2 unter ihnen stehenden der Sprossung dienend. Das letzte Laubblatt des ersten Triebes bereits bedeutend kleiner. Schliesst der Spross im zweiten Jahre mit einem Stängel, so producirt er nur ein Uebergangsblatt; verharrt er aber, was öfter geschieht, auf der vegetativen Stufe, so folgen auf das erste Uebergangsblatt noch 2 entwickeltere Ucbergangsblátter und abermals eine Anzahl von Laubblättern. *) Der zweite fructificirende Jahrestrieb zeigt erst noch eine Stei- gerung des vegetativen Wachsthums, indem auf einige Uebergangs- blätter noch mehrere, an Grösse zunehmende Laubblätter folgen. 5. C. montana L. Am Sprossanfang 1 Niederblatt, mehrere (an 5) Uebergangsblätter und etwa ebensoviele (5—6) Laubblätter des ersten Triebes, von denen die 2 obersten abermals sprosslos sind, die tieferstehenden mittleren 3—4 Seitensprosse stützen. Am zweiten (stän- gelbildenden) Triebe folgen auf 3 Niederblátter 4 Laubblätter. 6. C. longifolia Host. Am Sprossanfang 3 Niederblätter, 1 Uebergangsblatt und 4 langspreitige Laubblätter, davon die 2 obersten sprosslos sind, der dritte von oben einen Ersatzspross aus seiner Achsel entlässt; im zweiten Jahre 2 Uebergangsblätter und 3 Laubblätter. b) Niederblätter herrschen vor, und ihnen ist auch die Spross- bildung zugetheilt. 7. C. stellulata L. Der Rhizomspross bildet eine Anzahl von Niederblättern (je nach der Stärke 3—10), und nur 2—4 Laubblätter im ersten (oder auch erst im zweiten) Jahre, die obersten Nieder- blätter sind sprossfähig, die Laubblätter sprosslos. Der folgende Stän- 90 geltrieb erzeugt nur noch 2 an die letzteebildeten der Grósse nach sich anschliessende Laubblätter. Häufig streckt sich ein oder das andere Internodium unterhalb der sprossfähigen Niederblätter. Ge- wöhnlich gelangen auch einzelne Seitensprosse im selben Jahre mit dem terminalen Stängel zur Stängelbildung, also schon im ersten Jahre ihrer Entwicklung. B) Die unteren, kräftigeren Rhizomsprosse (Läufer) bilden nur im Anfange einige unentwickelte Internodien, alsdann verlängerte und horizontal fortwachsende Glieder, der Läufer staucht sich in einem folgenden Jahre wieder und geht schliesslich in den terminalen Stän- gel über. a) Die Sprossfähigkeit ist den Niederblättern zugewiesen. 8. C. supina Wahl. Der gestreckte Theil des Läufers, der im ersten Entwickelungsjahre gebildet wird, trägt nur Niederblätter, auch der gestauchte Theil noch mehrere Niederblätter; die im fol- genden Jahre gebildeten Laubblätter (etwa 5—6) sind gänzlich knos- penlos; ebenso die am Stängelgrunde stehenden 2 Laubblätter des dritten Jahres, in welchem der Läufer zur Blüthe gelangt. An recht kräftigen Läufern stehen schon an den letzten verlängerten Gliedern Knospen, stets aber an den unteren gestauchten, ebenfalls noch in Achseln von Niederblättern. Die obersten Knospen wachsen in auf- rechte, bis zur Stängelbildung nur kurzgliedrige Sprosse, welche im ersten Jahre zunächst ein Niederblatt, ein Uebergangsblatt und etwa 3 Laubblätter bilden. Im selben Jahre, wo der Läufer in einen End- stängel auswächst, treiben die erwähnten aufrechten 1—2 Sprosse nur ein paar Laubblätter oder es treibt auch einer nach 2 Laubblättern in einen Seitenstängel. Welche Knospe zum aufrechten Spross, welche zum Läufer werden soll, dies bestimmt nicht gerade die höhere oder tiefere Stellung der Knospe am Läufer, sondern ihre untere oder obere Lage; so wachsen Knospen auf der oberen concaven Seite des sich emporkrümmenden Läufers aus der Achsel eines 1. und 3. Nie- derblattes zu kurzen Sprossen aus, während die auf der convexen Unterseite gelegenen aus Achsel 2 und 4 zu Läufern werden. b) Die Sprossfähigkeit kommt den Laubblättern zu. ©) Im Bereiche der Laubblätter findet keine Remission nach einer abgeschlossenen Vegetationsperiode statt. 9. C. praecox. Jacg. Am gestauchten Láufertheile nach we- nigen Niederbláttern alsbald zahlreiche Laubblátter, in deren Achseln Knospen sngelegt sind, die theils zu Läufern, theils zu aufrechten, im ersten oder erst im zweiten Jahre blühbaren Sprossen sich aus- 91 bilden, nach der bei C. supina angegebenen Regel. Oberhalb der knospenerzeugenden Laubblätter bilden sich zugleich mit dem Stängel noch mehrere (5—6) knospenlose Laubblätter aus. Der Läufer gelangt daher normal im dritten Jahre zur Fructification, kann aber auch noch das dritte Jahr mit Laubblattbildung sich aufhalten und erst im vierten blühbar werden, daher man gleichzeitig blühende verkettete Läufer zweier auf einander folgenden Generationen häufig findet. B) Der Jahrestrieb, der den Stängel bildet, beginnt mit Ueber- sangshlättern, nachdem der vorjährige mit entwickelten Laubblättern abgeschlossen hatte. 10. C. vaginata Tausch. Der Läufer bildet am gestauchten Theile nach wenigen Niederblättern im ersten Jahre einige Laub- blátter; am folgenden Jabrestriebe entwickeln sich zuerst 3 Ueber- gangsblätter und 3 Laubblätter, worauf der Stängel sich streckt, oder aber es verbleibt bei der Laubblattbildung und es wiederholen sich im nächsten Jahrestriebe dieselben Blätter und kommt dann erst zur Stängelbildung. 11. C. Michelii Host. Verhält sich ähnlich wie C. vaginata, jedoch trägt der Läufer im ersten Jahre nur Niederblätter, erst im zweiten wird eine Anzahl Laubblätter gebildet. Auch erwachsen aus den oberen der knospentragenden Laubblätter aufrechte Sprosse, wie bei C. praecox, welche der C. vaginata ganz zu fehlen scheinen, wenigstens gewöhnlich nicht vorhanden sind. TI, Das Rhizom ist zweiaxig; die Hauptaxe wächst nie in einen blühbaren Stängel aus, diese erscheinen als Nebenaxen des Rhizoms. A) Die unteren Rhizomssprosse läuferartig, aus verlängerten Gliedern bestehend. a) Hauptaxe beschränkt. 12. C. pilosa Scopoli. Ein merkwürdiges Beispiel eines zwei- axigen Rhizoms, dessen Hauptaxe, wie bei den vorigen Beispielen durch Stängelbildung, so ohne eine solche sehr bald beschlossen wird. Auch der gestauchte Theil des Läufers trägt noch zahlreiche Nieder- blätter, ähnlich wie C. supina, und ist ebenfalls der Herd der Spross- bildung, er schliesst mit einigen (3—4) Uebergangsblättern und ebensovielen langspreitigen Laubblättern. Die Seitensprosse am Stauchling sind dreifacher Art: Läufer, aufrechte Laubblattsprosse, und seitliche Blüthenstängel, letztere als die obersten Sprosse. Die Stängel kommen zur Blüthe im folgenden Jahre nach der Entwicke- lung der obersten Laubblätter, zur Zeit wo diese bereits abgestorben 92 sind, die Hauptaxe aber bildet keine weiteren Blattorgane, sondern ihr Wachsthum erlischt gänzlich. Die Seitenstängel tragen zahlreiche Nieder- und Uebergangsblätter; an den aufrechten Blattsprossen folgen auf die Uebergangsblätter wie am Hauptspross ebenfalls 3—4 Laubblätter, womit auch deren Wachsthum abgeschlossen ist; sie enthalten gleich dem Hauptspross in den Achseln ihrer unteren Nie- derblätter Knospen, welche wieder theils zu ihnen ähnlichen Blatt- sprossen, theils zu Blüthenstängeln werden können, so dass also ein Läufer, dessen Wachsthum längst beschlossen ist, noch mehrere Jahre durch Sprossung in höhere Grade am Leben bleiben kann. b) Hauptaxe des Rhizoms unbeschränkt. 13. C. brizoides L. (ebenso C. Schreberi, arenaria, disticha). Die Hauptaxe beginnt mit unentwickelten Internodien, aus denen allein die zweiten Axen (die Blüthenstängel) entspringen, die folgen- den Glieder strecken sich immer mehr und mehr, dann wiederholen sich lauter lange Glieder; immer nach 4—3 solcher Glieder zweigt sich ein Wiederholungsspross der Hauptaxe ab, welcher wohl öfter in der angegebenen Weise sich ausbildet, nicht selten aber als Knospe verharrt und nur einen oder mehrere Stängelsprosse hervortreibt. Diese tragen zu unterst einige (an 3) Niederblätter, dann Uebergangs- und Laubblätter, gelangen aber erst im zweiten Jahre, wo noch ein © Laubblatt neu entfaltet wird, zur Stängelbildung. Merkwürdig ist hiebei die Stellung der Knospe, aus welcher eine Hauptaxe sich ent- wickeln soll, zu ihrem Mutterspross. Die Knospe sitzt nicht in einer Blattachsel, sondern unterhalb eines Niederblattes und zwar unterhalb seiner Mediane. Zur Erklärung dieser Erscheinung könnte ange- nommen werden, dass eine Emporrückung der Knospe durch Zusam- menwachsen zweier Axen stattfand. In diesem Falle könnte aber die Knospe kein Seitentrieb sein wegen der Stellung des nächst tieferen Niederblattes, dessen Oeffnung unter der Knospe liegt. Aber auch als Fortsetzung des Haupttriebes kann sie nicht gelten, weil die Stel- lung ihres untersten Niederblattes so beschaffen ist, dass dieses Blatt gerade über dem vorausgehenden Niederblatt des Hauptsprosses steht, eine an einer Axe unmögliche Blattstellung. Es muss sonach die Knospe als Seitenspross zu dem über ihr stehenden Niederblatte des Hauptsprosses gehören, und bieten uns die erwähnten Arten interes- sante Beispiele von wirklich infraaxillärer Aststellung. B) Die Hauptaxe besteht nur aus verkürzten Internodien und besitzt ein aufrechtes Wachsthum. 14. C. digitata L. Abgesehen von der Láufarildaté hat das 93 Rhizom dieser Art die grösste Aehnlichkeit mit dem der C. pilosa, nur dass seine Hauptaxe entwickelungsfähig bleibt und jährlich Laub- blätter bildet. Die Hauptaxe trägt am Anfang 1 Niederblatt, 1—2 Uebergangsblätter und alsdann nur Laubblätter. Die Stängelaxen aber nach 1—2 Niederbláttern 2 Uebergangsblätter, doch keine ent- wickelten Laubblätter. In der Stellung und weiteren Verzweigung der Seitensprosse kommt diese Art mit C. pilosa überein. (Die beobachteten mannigfaltigen Verhältnisse an Carexrhizomen wurden durch schematische Zeichnungen erläutert). Die angeführten 14 Beispiele sind aus einer grösseren Anzahl von untersuchten Arten ausgewählt, indem die übrigen im wesent- lichen sich gleich verhalten, und dürfte die Annahme nicht zu gewagt sein, dass in vorstehender kurzer Darstellung die wichtigsten Unter- schiede in der Rhizombildung der ganzen Gattung erschöpft worden sind. Die Frage nach dem Werthe, den diese biologisch - morpholo- gischen Eigenthümlichkeiten für die Systematik besitzen, wurde dahin beantwortet, dass sie für die Diagnostik der Arten von Werth sein, und auch zur Abgränzung kleiner Gruppen sich eignen dürften, kei- neswegs aber zur Aufstellung grösserer Abtheilungen verwendet werden können. So sind z. B. C. brizoides, arenaria, disticha u. ein. and., sehr in der eigenthümlichen Rhizombildung übereinstimmende Arten auch sonst gewiss nahe verwandt, und werden nach anderen Einthei- lungsprineipien mit Unrecht von einander gerissen, wie z.B. in Steu- dels Cyperographie, in welcher C. disticha um 100 Nummern von bri- zoides entfernt steht. Andererseits haben z. B. C. praecox und C. longifolia, dann C. vaginata und panicea (mit praecox übereinstimmend), ferner C pediformis und digitata, an deren specifischer Verschieden- heit früher von verschiedenen Seiten gezweifelt worden, also gewiss ähnliche Arten, gar sehr abweichende Bildungsweisen der vegetativen . Sprossformen. Hr. Fr. Štolba (als Gast) hielt einen Vortrag über die Darstellung von Sauerstoffgas aus Chlorkalk und über ein Verfahren diess Gas in Flaschen aufzufangen. I. In der letzten Zeit war in den chemischen Zeitschriften von einem Verfahren vielfach die Rede, reines Sauerstoffgas auf eine einfache Art aus Chlorkalk darzustellen. Diese Methode beruht auf der Einwirkung gewisser Metallsuperoxyde auf den Chlorkalk und besteht darin, dass man eine klar filtrirte Chlorkalk-Auflösung bei höherer Temperatur auf kleine Mengen dieser Metallsuperoxyde ein- wirken lässt, wozu Fleitmann Kobaltsuperoxyd empfiehlt. Man ge- 94 braucht desswegen eine klar filtrirte Lósung, weil eine trůbe oder ein Gemenge von Chlorkalk mit Wasser beim Erwármen sehr scháumt und äusserst, leicht übergeht. Die Darstellung der klaren Chlorkalk- lösung ist umständlich und zeitraubend, und kann meinen Versucken zufolge leicht umgangen werden, wenn man in folgender Art verfährt. Der Chlorkalk wird mit ein wenig Wasser zerrieben, damit sämmtliche Klümpchen zertheilt werden, und man fügt während des Zerreibens fortwährend Wasser in kleinen Antheilen hinzu, bis ein dickflüssiger Brei entsteht. Diesen bringt man in einen geräumigen Glaskolben und fügt eine kleine Menge einer Lösung von salpeter- saurem Kupferoxyd oder Chlorkupfer hinzu und hierauf einige erbsengrosse Stückchen Paraffin. Ich wende desswegen diese Kupfersalze an, weil sie, wie Böttger gezeigt hat, gerade so wirken wie Kobaltsalze und leichter zu be- schaffen sind. Beim Erwärmen, wozu man sich entweder des directen Feuers oder eines Wasserbades bedienen kann, schmilzt das Paraffin und bedeckt den Brei mit einer Schicht, welche jedes unangenehme und störende Schäumen und Ueberlaufen verhindert. Die Gasent- wicklung findet sehr ruhig und regelmässig statt. Obgleich alle Methoden aus dem Chlorkalke Sauerstofigas darzustellen eine verhältnissmässig geringe Menge von Oxygen liefern, weil nur eine dem sogenannten freien Chlor aequivalente Menge Sauer- stoffoas, also z. B. beim Chlorkalk von einem Gehalt von 25 pCt. wirksamen Chlors 5:6 pÚt. Sauerstoffgas frei wird, so empfiehlt doch diese Methode die Leichtigkeit und Bequemlichkeit der Darstellung und die grosse Reinheit des erhaltenen Gases; auch ist der Chlor- kalk ungemein billig und es kommen jetzt an wirksamem. Chlor sehr reiche Sorten im Handel vor. II. An diesem Orte sei auch ein zweckmässiges Verfahren be- schrieben, Glasflaschen von beliebigen Dimensionen mit dem Sauer- stofgase oder auch anderen Gasen, ohne Anwendung einer pneuma- tischen Wanne, zu füllen; ein Verfahren, von dem ich schon seit Jahren Gebrauch mache. Die zu füllende Glasflasche wird mit Wasser gefüllt und ein sehr gut schliessender Kork eingesetzt, in den zwei Oeffnungen ein- gebohrt sind. Die eine trägt ein kurzes Glasröhrchen, welches bei- derseits offen, knapp an der unteren Seite des Korkes endet, während die obere Seite etwa einen Zoll hoch gerade aufsteigt und hierauf horizontal gebogen ist. Die andere Bohrung trägt eine Glasröhre, 95 welche bis auf den Boden reicht und einige Zoll über dem Korke nach unten heberförmig gebogen erscheint, während dieser geneigte Arm nur ganz kurz ist. Beide Glasröhrchen dürfen nicht zu eng sein, meist genügt eine innere Weite von 2—3 Linien. Die erste Glasröhre ist mit einem Kautschukröhrchen in Ver- bindung und dient zum Einleiten des Gases, die zweite hat die Be- stimmung das verdrängte Wasser abzuleiten, zu welchem Behufe die- selbe ebenfalls mit einem hinreichend langen Kautschukrohr ver- bunden ist, welche in ein zur Aufsammlung des abfliessenden Wassers bestimmtes, niedriger gestelltes Gefäss mündet. Es ist wesentlich, aass der Kork luftdicht schliesse, und diess lässt sich sicher erreichen, wenn derselbe mit Wachs getränkt wird, dem man ein wenig Ter- pentin zugefügt hat. Soll nun die vorgerichtete Flasche mit Gas gefüllt werden, so verbindet man das Gasleitungsrohr mit dem entsprechenden Kautschuk- rohrchen, nachdem man sich vorher überzeugt hat, dass das entwi- ckelte Gas hinreichend rein sei. In dem Maasse, als sich Gas ent- wickelt, fliesst das Wasser durch den Heber ab, und man hat es durch Regulirung der Wasserflächen in der Flasche und dem Gefäss, worin das abfliessende Wasser gesammelt wird, in seiner Gewalt, die Wirkung des Hebers zu leiten und beliebig abzuändern. Ist eine hinreichende Menge des Gases aufgesammelt worden, so sperrt man das Kautschukröhrchen am Gaszuleitungsrohre entweder mittels eines Quetschhahns oder auch mittels eines entsprechend _ weiten massiven Glasstabes ab, während man das Kautschukrohr an dem Heber in ein mit Wasser gefülltes Gefäss münden lässt, damit bei einer etwaigen Volumsänderung des Gases, Wasser ein- oder austreten könne. — In solchen Flaschen lässt sich das Gas, wie Ver- suche gelehrt haben, sehr lange ohne irgend eine Veränderung aufheben. Will man das Gas in andere Gefässe überfüllen, so braucht man nur den Kautschukheber mit einem entsprechend hoch gestellten Aspirator in Verbindung zu setzen, wodurch das Gas durch Wasser Ě verdrängt wird, und durch das geöffnete Gasleitungsrohr entweicht. Diese Methode Gase aufzufangen gewährt die Annehmlichkeit, dass man selbst sehr grosse Gefässe auf eine bequeme Weise mit Gas füllen kann; ein Zurücksteigen des Wassers in den Entwicklungs- apparat, wie es bei anderen Verfahren manchmal stattfinden kann, ist hier unmöglich. Die Manipulation ist überdies sehr einfach, auch ein Verlust an Gas nicht zu befürchten, weil durch die Wirkung des _ Hebers der Druck des entwickelten Gases verringert wird. 96 Sollen auf diese Art solche Gase aufgesammelt werden, die vom Wasser stark absorbirt werden, so wendet man, um diess zu verhindern, andere entsprechende Flüssigkeiten an; so kann man in 9ewissen Fällen zuoberst ein wenig Oel geben, welches hernach auf dem Wasser eine dünne Schicht bildet, man kann gewisse Salzlösungen anwenden, usw. Besitzt man mehrere Flaschen mit gleich weiten Hälsen, welche der betreffende vorgerichtete Kork sämmtlich gleich gut schliesst, so kann man, nachdem die erste Flasche gefüllt worden, denselben heraus- nehmen, rasch durch einen massiven, sehr gut schliessenden ersetzen, den erstgenannten in die zweite Flasche einsetzen, dieselbe wieder mit Gas füllen, und so fort, bis sämmtliche Flaschen gefüllt sind; im anderen Falle muss eine jede Flasche mit ihrer eigenen Hebervorrichtung ver- sehen sein. Schliesslich muss ich noch bezüglich des zur Sauerstoffdarstellung dienlichen Chlorkalkes erwähnen, dass es wesentlich sei denselben mit Wasser zu zerreiben; denn geschieht diess nicht, so entwickelt sich das Gas nur langsam und träge, auch unvollständig, weil der Chlorkalk Klumpen bildet, auf welche das Superoxyd nicht einwirkt. Derselbe sprach hierauf über die Anwendung titrirter Säuren bei gewissen quantitativen Kohlensäurebestim- mungen. Die quantitative Bestimmung der Kohlensäure aus dem Gewichts- verluste lässt sich in manchen Fällen sehr vortheilhaft in der Art ausführen, dass man zugleich in den Stand gesetzt wird, gleichzeitig an derselben Probe die Basis alkalimetrisch zu bestimmen. Hiezu ist es betreffenden Falles nur nothwendig genau bekannte Men- sen von titrirter Säure zum Austreiben der Kohlensäure anzu- wenden, und nach vollendetem Versuche den Ueberschuss der Säure durch Normalalkali hinwegzunehmen, wodurch die Daten zur Bestim- mung der Base gegeben sind. Zu derartigen Versuchen ist nicht jeder von den zahlreichen in Gebrauch gekommenen Kohlensäure-Apparaten gleich geeignet. Am besten dient hiezu ein solcher, an welchem eine Pipette zur Aufnahme der Säure dient. | Da ich ausschliesslich mit einem, dem bekannten Mohr’schen ähnlichen, etwas modificirten Apparate arbeite (vergl. Dingler’s Journal 164. 128), so ziehe ich hier nur diesen in Betracht, da es sich haupt- sáchlich um die Grundlage des Verfahrens handelt. Bei derartigen TO 270 V 97 Versuchen, von denen später das Nähere, kann man sehr häufig auf doppelte Art vorgehen: A) Man bringt in das Zersetzungskölbchen, welches früher im Innern mittelst Leinwand- oder Papierstreifen ausgetrocknet wurde, das trockene zu analysirende Carbonat z. B. Soda, Pottasche, doppelt-kohlensaures Natron. Hierauf bringt man in dasselbe Kölb- chen eine genau gewogene Menge reiner krystallisirter Oxal- säure, die zur Zersetzung des Carbonates weit ausreicht. So nimmt man z. B. auf 1 gm. kohlensaures Natron 2—3 gm. Oxalsáure. Es ist zweckdienlich ein für alle Malin kleine, glatte gut verschliessbare Glascylinder die Oxalsäure zu 2.52, 5.04, 6.3 gramm abzuwägen, und diese Menge am Korke zu bezeichnen. Beim Versuche braucht man den Inhalt nur in das Kólbchen zu entleeren. Sollte etwas Oxalsäure darin zurückbleiben, so wird das Gläschen nach vollendetem Versuche mit heissem Wasser ausgesüsst und diese Flüssigkeit der anderen zu titrirenden zugesetzt. In diesem Falle wird die Pipette nur mit reinem Wasser angefüllt. Der Apparat wird wie gewöhnlich tarirt, indem man nicht zu befürchten hat, dass die trockenen Substanzen während dieser kurzen Zeit auf einander einwirken könnten. Ist alles vorbe- reitet, so lässt man das Wasser zutropfen, wodurch die Stoffe gelöst werden und die Kohlensäure-Entwickelung in Gang kommt. Schliesslich wird bis fast zum Kochen erhitzt, die Kohlensäure ausgesaugt, das Kólbchen durch vorsichtiges Einstellen in kaltes Wasser abgekühlt, abgetrocknet usw. Der Gewichtsverlust ergiebt die Menge der Kohlensäure. Um nun auch die Menge der Base zu bestimmen, braucht man nur das Kölbchen abzulösen, den Kork und die Spitze der Pipette mit heissem Wasser ins Kölbchen abzuspülen, etwas Lakmustinktur zusetzen und mit Normalalkali bis zum Eintritt der blauen Farbe zurückzugehen. In der kohlensäurefreien Flüssigkeit lässt sich dieser Punkt ganz scharf beobachten. Aus den vorliegenden Daten lässt sich die Menge der Base mit Leichtigkeit berechnen. B) Nach dem zweiten Verfahren lässt sich jede zweckmässig gewählte titrirte Säure gebrauchen, wobei Folgendes zu berücksich- tigen ist: | Da diese Säure in die Pipette eingefüllt werden muss, deren Dimensionen, um den Apparat nicht zu schwer zu machen, nur einer Capacitát von 18 Cl. entsprechen; so könnte man bei Anwendung von einer Normalsäure nur verhältnissmässig kleine Mengen von Car- bonaten analysiren. Da jedoch die Genauigkeit der Analyse mit der 7 Sitzungsberichte 1865. II, 98 Menge des analysirten kohlensauren Salzes steigt, und es ráthlich ist, mindestens 1 gm. zur Analyse zu nehmen, so muss, um eine voll- ständige Zersetzung zu erzielen, für diese Capacität der Kugelpipette die Säure viel stärker sein. Ich wende eine Säure an, welche 3mal so stark ist, als die normale, so dass 18 Cl. derselben zur Zerlegung von 1—2 gm. der gewöhnlich vorkommenden Carbonate (wie Soda, Pottasche) vollkommen ausreichen. Es lässt sich übrigens für eine gegebene Menge irgend eines solchen Salzes bei den be- kannten Mengen der titrirten Säure leicht beurtheilen, ob die Säure zur Zersetzung ausreicht, respective im entsprechenden Ueberschuss vorkommt. Hiernach lässt sich auch leicht bemessen, wie viel irgend eines Carbonates höchstens abgewogen werden kann. Was die Natur der zunehmenden Säure anbelangt, so richtet sich dieselbe nach der Natur der Basis des analysirten Salzes; meist genügt Schwefelsäure (Oxalsäure lässt sich nicht so stark darstellen), in gewissen Fällen muss man jedoch Salz- oder auch Salpeter-Säure nehmen. Zu dem im Kölbchen befindlichen Salze bringt man eine entsprechende Menge Wassers. Ich pflege die Kugelpipette in folgender Art zu füllen. Die Spitze der mit reinem Wasser sorgfältig ausgespülten Pipette wird mit Filtrirpapier getrocknet und über einer Spiritusflamme erwärmt, wobei dieselbe nach oben gehalten wird. Hält man nun an die warme ein Stückchen Talg, so zieht sich letzterer geschmolzen in die Spitze ein und erstarrt darin in der Kälte, wobei er dieselbe vollkommen dicht schliesst. Hierauf lasse ich durch die obere Oeffnung mittels einer feinen Spitze aus einer genauen Quetschhahnbürette so viel der ent- sprechenden 3fach normalen Säure einfliessen als dieselbe fasst, und das verbrauchte Quantum wird genau notirt. Hiebei muss man na- türlich mit grosser Sorgfalt vorgehen. Mann setzt nur auf die Ku- gelpipette das Kautschukröhrchen mit der Stahlklemme (oder dem Quetschhahn) auf, tarirt den Apparat und bestimmt die Kohlensäure wie gewöhnlich. Nach vollendetem Versuche wird das Zersetzungskölbchen weg- genommen, Kork und Spitze der Pipette abgespült und zwar in das Kölbchen Lackmustinktur zugesetzt usw. Die Menge des verbrauchten Normalalkali wird von der 3fach genommenen Anzahl Cubikcentimeter der 3fachen Normalsäure abge- zogen, wodurch man die Menge Cl. Normalsäure erfährt, welche von der Basis des analysirten Carbonates gesättigt werden, woraus sich sodann die Menge derselben leicht berechnen lässt. 2 99 Bezüglich der praktischen Ausführung muss ich noch hinzufügen, dass es gut ist, wenn der Kork innen mit Wachs getränkt ist, dass man, um die Säure beim geöffneten Quetschhahn zum Abfliessen zu bringen, nur zu erwärmen braucht, wobei der Talg bald schmilzt und ausfliesst, und, wenn das Kólbchen klein sein sollte, der Inhalt zum Zurücktitriren in eine geräumige weisse Porzellänschale gebracht und sowohl das Kólbchen als auch die Pipette mit Wasser gut nachgespült werden muss, denn in der letzteren bleiben immer noch einige Tropfen Flüssigkeit, welche mit titrirt werden müssen. Ferner ist es zweck- mässig während der Kohlensäureentwicklung das Kólbchen zu neigen. Das soeben beschriebene zweite Verfahren ist zwar etwas umständ- licher als das erstere, allein allgemeiner anwendbar. Diese Modification der gewöhnlichen Kohlensäurebestimmung gestattet meinen Erfahrungen zu Folge folgende Anwendungen: 1. Sie bietet eine Controlle einer richtigen Bestimmung der Kohlensäure in constant zusammengesetzten Carbonaten, wie kohlen- saurem Natron-Kali-Kalk-Lithion an einem und demselben Quantum. 2. Sie gestatet an derselben Quantität des Carbonates fast gleichzeitig die Kohlensäure und die Base zu bestimmen, demnach unter Einem Analysen solcher Salze auszuführen wie doppelt-kohlen- saures Natron, doppelt-kohlensaures Kali, kohlensaures Kupferoxyd, kohlensaures Zinkoxyd. Da man zur Analyse gewogene Mengen von Salz nimmt, so ergiebt sich (reine Salze vorausgesetzt) nach Abzug der Kohlensäure und Base die Menge des Wassers, und dadurch ist die Analyse vervollständigt. Es braucht wohl kaum bemerkt zu werden, dass man bei Anwendung von Zink- und Kupfer-Salz mit Kupferoxyd- Ammon zurückgehen müsse. 3. Sie erlaubt bei Analysen von Soda oder Pottasche, welche Aetzalkali enthalten, unter einem die Menge des Carbonates und des Aetzalkalis zu bestimmen. Denn die Menge des Carbonates ergiebt sich aus der Menge der Kohlensäure, und zieht man die Menge des dieser entsprechenden Aetzalkalis von dem direct gefundenen ab, so ergiebt sich die Menge des unverbundenen. 4. Lässt sich in dieser Art in Carbonaten, die nicht ohne Zer- legung getrocknet werden dürfen, z. B. an gewissen frischen aufge- schwemmten Niederschlägen (nach entsprechendem Auswaschen) an ungewogenen Mengen das relative Verhältniss zwischen Kohlensäure und Base bestimmen, und sonach bei Analyse der trockenen. Verbin- dung beurtheilen, ob keine Zersetzung, und welche beim Trocknen stattfand. 7* 100 Wie eben erwähnt, habe ich meine diessfälligen Versuche nur mit meinem Apparate angestellt, bei welchem mit trockenem schwe- felsaurem Kupferoxyd imprägnirte Bimsteinstückchen zum Trocknen der Kohlensäure dienen, von denen das obere Drittel mit concentrirter Schwefelsäure befeuchtet wurde. Die so vorgerichtete Mischung hat sich im Laufe einiger Jahre vollkommen bewährt, da sie nicht allein Wasser, sondern auch salzsauren Dampf und kleine Mengen von Schwefelwasserstoff vollkommen zurückhält. Eine in beschriebener Weise angestellte Bestimmung fordert bei meinen Versuchen nur etwa 20 Minuten Zeit. Im December 1865 eingelangte Druckschriften. Sitzungsberichte der k. bayr. Academie der Wissensch. München 1805. JEST m 2. heit: Bericht über die Thätigkeit der St. Gallischen naturwiss. Ge- sellschaft usw. St. Gallen 1864. Philosophical Transactions of the Royal Society of London 1865. Vol. 154 part 3. — Vol. 155 part 1. Proceedings of the Royal Society. London 1865. Vol. XIII Nro. TOLLER V 7774. Jahrbuch der k. k. geologischen Reichsanstalt. Wien 1865. XV. Band Nro. 3. Magazin für die Literatur des Auslandes. Berlin 1865. XXXIV. Jahrg. Nro. 49—52. Berichte über die Verhandlungen der naturforsch. Gesellsch. zu Freiburg in Br. 1865. III. Bandes 3. und 4. Heft. Crelle’s Journal für die reine und angewandte Mathematik, fort- gesetzt von C. W. Borchardt. Berlin 1865. LXV. Band 1. Heft. Codex diplomaticus Saxoniae regiae, herausgegeb. vou E. G. Gers- dorf. II. Haupttheil: Urkunden des Hochstiftes Meissen II. Band. Leipzig 1865. (Vom h. k. sächs. Minist.) B. Dudik Mährens allgemeine Geschichte. Brünn 1865. IV. Band. (Vom hochlöbl. mähr. Landesausschusse.) A. Erman’s Archiv für wissensch. Kunde von Russland. Berlin 1865. XXIV. Band. 3. Heft. Alessandro Cialdi Cenni sul moto del mare e sulle cor- renti di esso. Roma 1865. (Vom Hrn. Verfasser.) a) Abhandlungen der histor. Classe der k. bayr. Academie der Wiss. München 1865. IX. Band. II. Abtheil. — X. Bandes 1. Abtheil. Fr P 101 Abhandlungen der philosoph.-philolog. Classe usw. X. Bandes II. Abtheil. Chinesische Texte zu Plath's Abhandlungen. II. Abtheil. Můn- chen 1864. G. M. Thomas die Stellung Venedigs in der Weltgeschichte. München 1864. C. Aug. Muffat Verhandlungen der protestant. Fürsten usw. München 1865. C. Nägeli Entstehung und Begriff der naturhistor. Art. 2. Auf- lage. München 1865. Just. v. Liebig Induction und Deduction. München 1865. Poggendorff's Annalen der Physik und Chemie. 1865. Nro. 11. Oefversigt af kon. svenska Vetenskaps-Akademiens Förhandlingar. Stockholm 1865. XXI. Jahrgang. Kon. svenska Vetenskaps - Akademiens Handlingar. Ny fölid. V. Band. 1. Heft. Stockholm 1863. S. Lovén Om Östersjön. 1864. (Separ.-Abdruck.) Reise der österr. Fregatte Novara um die Erde usw. Nautisch- physicalischer Theil. Wien 1862—65. (Durch das k. k. Kriegsminist.) XXV. Bericht über das Museum Francisco-Carolinum. Nebst der 20. Lieferung der Beiträge zur Landeskunde von Oesterreich ob der Enns. Linz 1865. Memorie del Reale Istituto Lombardo di scienze e lettere. Classe di lettere etc. X. Vol. (I. della Serie III.) fasc. 2. Milano 1865 Memorie etc. Classe di sc. mathem. e naturali. X. Vol. (1. della Serie III.) fasc. 2. Rendiconti ete. Classe di lettere ete. II. Vol. fasc. 7. Rendiconti etc. Classe di sc. math. e naturali. II. Vol. fasc. 6—8. Solenni adunanze del R. Istituto Lombardo 7. Aug. 1865. Memorie dell I. R. Istituto Veneto di scienze etc. XII. Vol. part. 2. Atti dell I. R. Istituto Veneto etc. X. Tomo, disp. 10. Hospodářské Noviny. Časopis atd. Ročník XVI. V Praze 1865. Číslo 50—52. Centralblatt für die gesammte Landescultur. Prag. Jahrgang 1866. Nro. 1. Wochenblatt der Land-, Forst- und Hauswirthschaft usw. Prag 1865. Nro. 52. — 1866. Nro. 1. ——I— Dane Avi val Jo His V dě Mlý s Kb mıyf Are ir | - ii i J Ay. ; : 24 An Rn 1% in Ham uud ly | oak A AT Ih Prior | or A al 4 4 4 A tan Kubů OA A id R je 88 TUK bát oby dá Auen 5 ? + o S ET nap zuje T : pos“ tak“ Bit vote (hněv „i > A zd WW ENTER ET EB ITL 1 0A GEBE, ; sh ur? OL sítí ar eur: a BA Rn ON pa" en hd rudá, oh Ale es nílý il "l cs "bn ee 3098 RT tr ří (a M War: tea aa Hirn ť ok “3 WERDE FO RER re u een ar a u Zi ni P „a dě k . Pu ká P r < i EM , P RR S NY Br K a A x Register zu den Prager Sitzungsberichten im Jahrgange 1365. Amerling Skizzen der Eigenthümlichkeiten der einzelnen Kreise Böhniens E596, 143. Bippart die Mythe der Griechen von der Entstehung der Welt. I. S. 48. Čelakovský Morphologische Bemerkungen über die Rhizome der Carices. II. S. 88. Dastich Ueber das Zustandekommen der räumlichen Gesichts-Anschaunng usw. II. S. 44. Fritsch Ueber eine fossile Heuschrecke. I. S. 41. Grohmann Ueber einige Krankheitsformen im Atharva-Veda. 1. Takman I. S. 113. — 2. Rudra als Heilgott. I. S. 5. Grünwald Begriff der imaginären Grössen. I. S. 96. Hanuš Ueber das Salamosche Lexicon (Mater verborum). I. S. 48. — Die Wahrheit der slavischen Gottheit Svatovit usw. S. 88. — Skep- tische Bemerkungen über die Göttin Živa. S. 123. — Ueber die Šprochy vajovské. II. S. 19. — Wesen und Ursprung der slav. My- thologie. II. S. 22. — Ueber zwei lateinisch-böhm. Gesangsbücher oder Hymnarii. II. S. 76. — Von der Grundlage der böhm. Literaturge- schichte der ältesten heidnischen Zeiten. II. S. 80. v. Hasner Zur älteren Geschichte der Arzneikunde in Böhmen (Albik) I 8.737. Hattala Ueber die Veränderungen der siav. Consonanten. I. S. 113. Höfler Ueber die Beziehungen K. Karl IV. zum arelatischen Königreich. I. S. 22. — Ueber K. Napoleons: Geschichte des Julius Cäsar. I. 92. Jedlička Entstehung und Beschaffenheit des zusammengesetzten Wortes. KS. 8. ; Komärek Ueber den Verfasser und den Sammler der Königinhofer Hand- schrift. II. S. 40. v. Leonhardi Schreiben des Dr. Herbich über galizische Characeen. II. S. 3. — Eine morphologisch interessante Rosenblüthe. II. S. 5. © Löwe Ueber die Idee des Guten und ihr Verháltniss zu der Idee Gottes. 1:8. 8. Nickerl Ueber den neuen Getreideschädling Gelechia Cerealella Oliv. lL S. 40. — Aus einer naturhistorischen Reise in Siebenbürgen. II. 39. Nowäk Ueber die nassen und trockenen Jahre. II. S. 39 Pozděna Commentar zur modernen Quellentheorie. II. S. 62. Štolba Beiträge zur analytischen Chemie. I. S. 115. — Darstellung von Sauerstoff aus Chlorkalk usw. II. S. 93. — Anwendung titrirter Säuren bei gewissen Kohlensäure-Bestimmungen. II. S. 96. Tomek Abschnitte aus dessen älterer Topographie Prags. I. S. 56, 114, 139. Valentinelli Bedeutung der Sculptur-Denkmale usw. II. S. 7. Weitenweber Jahresbericht für 1864. I. S. 3. — Ueber Göppert’s Schreiben über die fossilen Stämme von Břas. I. S. 56. — Feist- mantel’s Beiträge zur Steinkohlenflora von Radnic. I. S. 82. — Ueber die Memorie dell Istituto Veneto I. 112. — Ueber Barrande’s De- fense des Colonies. I. 115. — Notiz über den II. Band von Barrande’s System Silurien ete. II. S. 16. Wesely’s Verfahren elementarer Bestimmung der Phone 1. 38 Wocel Zeitepoche der Einwanderung der Kelten usw. I. S. 60. — Böh- men zur Zeit der Markomanen-Herrschaft. II. S. 8. R. v. Zepharovich Einige neue Mineralvorkommen aus Kärnten. I. S. 41. — Mittheilungen über neue Vorkommen österr. Minerale (1. Epidot von Zöptau. 2. Schwefel, Pyrit und Bergkrystall von Eisenerz in Steiermark. 3. Vanadinit aus Unterkärnten). II. S. 63. P 2% : ky