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SITZUNGSBERICHTE

DER

KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.

MATHEMATISCH-NATURWISSENSCHAFTLICHE CLASSE.

HUNDERTERSTER BAND.

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WIEN, 1892.

AUS DER KAISERLICH -KÖNIGLICHEN HOF- UND STAATSDRUCKEREI. IN COMMISSION BEI F. TEMPSKY,

DUCHHANDLBR DER KAISBRLICHBN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.

SITZUNGSBERICHTE

V^

DER

MATHEMATISCH-NATURWISSENSCHAFTLICHEN CLASSE

DER KAISERLICHEN

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.

CI. BAND. ABTHEILUNG IIL

Jahrgang 1892. Heft I bis X.

(MIT 25 TAFELN UND 2 TEXTKIGUREN.)

WIEN, 1892.

AUS DER KAISERLICH -KÖNIGLICHEN HOF- UND STAATSDRUCKEREI IN COMMISSION BEI F. TEMPSKY,

Ut'l IIIIANDLEK DEK KAISEKLICIIEN AKADEMIE DER WlbbEN^ClIAl- i BN.

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APR 4 1893

I N H A LT.

Seite

I. Sitzung vom 7. Jänner 1892: Obersicht 3

n. Sitzung vom 14. Jänner 1892: Übersicht 4

m. Sitzung vom 21. Jänner 1892: Übersicht 5

IV. Sitzung vom 4. Februar 1892: Übersicht 9

V. Sitzung vom 11. Februar 1892: Übersicht 22

VI. Sitzung vom 18. Februar 1892: Übersicht 24

Vn. Sitzung vom 10. März 1892: Übersicht 263

Vm. Sitzung vom 17. März 1892: Übersicht 265

IX. Sitzung vom 24. März 1 892 : Übersicht ' . . 266

X. Sitzung vom 7. April 1892; Übersicht 271

XI. Sitzung vom 5. Mai 1892: Übersicht 275

XII. Sitzting vom 12. Mai 1892: Übersicht 349

Xin. Sitzung vom 19. Mai 1892: Übersicht 351

XIV. Sitzung vom 17. Juni 1892: Übersicht 355

XV. Sitzung vom 23. Juni 1892: Übersicht 359

XVI. Sitzung vom 7. Juli 1892: Übersicht 445

XVn. Sitzung vom 14. Juli 1892: Übersicht 447

XVni. Sitzung vom 21. Juli 1892: Übersicht 449

XIX. Sitzung vom 6. October 1892: Übersicht 455

XX. Sitzung vom 13. October 1892: Übersicht 459

XXI. Sitzung vom 20. October 1892: Übersicht 461

XXII. Sitzung vom 3. November 1892: Übersicht 465

XXra. Sitzung vom 10. November 1892: Übersicht 467

XXrV. Sitzung vom 17. November 1892: Übersicht 554

XXV. Sitzung vom 1. December 1892: Übersicht 557

XXVI. Sitzung vom 9. December 1892: Übersicht 559

XXVII. Sitzung vom 15. December 1892: Übersicht 560

Ebner V., v., Über die Beziehungen der Wirbel zu den Urwirbeln.

(Mit 1 Tafel.) [Preis : 40 kr. = 80 Pfg.] 235

Fonttanek is., Über den Einfluss hcisser Bäder auf die Stickstoff-

und Harnsäure- Ausscheidung beim Menschen 278

VI

Seite Knoll Ph. und Hauer i4., Über das Verhalten der protoplasmaarmen und protoplasmareichen, quergestreiften Muskelfasern unter pathologischen Verhältnissen. (Mit 8 Tafeln.) [Preis : 1 fl. 30 kr. = 2 RMk. 60 Pfg.] 315

Zur Lehre von den Structur- und Zuckungsverschieden- heiten der Muskelfasern. (Mit 3 Tafeln.) [Preis : 70 kr. =

1 Mk. 40 Pf.] 481

Zur Lehre von den doppelt schräggestreiften Muskelfasern. (Mit 2 Tafeln.) [Preis: 45 kr. =90 Pf.] 498

Kreidl A., Weitere Beiträge zur Physiologie des Ohrlabyrinthes.

(L Mittheilung,) Versuche an Fischen. [Preis : 1 5 kr. = 30 Pf.] 469

MareS F., Zur Theorie der Hamsäurebildung im Säugethierorga-

nismus. [Preis: 15 kr. = 30 Pfg.] 12

Meynerl Th., Neue Studien über die Associationsbündel des Him-

mantels. (Mit 4 Tafeln.) [Preis: 70 kr. = 1 Mk. 40 Pf.] . . 361

Paschkis H. und Obermayer F., Pharmakologische Untersuchungen

über Ketone und Acetoxime. [Preis: 20 kr. = 40 Pfg.]. . . 299

PJattndlerM., Zur Anatomie der Nebenniere. (Mit 2 Tafeln.) [Preis:

75 kr. = l Mk. 50 Pf.] 515

Reiht L., Die Nervenwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln.

(Mit 2 Textfiguren.) [Preis : 40 kr. = 80 Pfg.] 381

Konx W.y Beitrag zur Entvvickelungsmechanik des Embryo, Über die morphologische Polarisation von Eiern und Embryonen durch den elektrischen Strom, sowie über die Wirkung des elektrischen Stromes auf die Richtung der ersten Theilung des Eies. (Mit 3 Tafeln.) [Preis: 2 fl. 25 kr. =4 RMk. 50 Pfg.] 27

Schaffer /., Über Sarkolyse beim Menschen. (Vorläufige Mit- theilung.) [Preis : 10 kr. = 20 Pfg.] 293

Weidenfeld J., Versuche über die respiratorische Function der Intercostalmuskeln. I. Abhandlung. Der Einlluss der Inter- costalmuskeln auf die Capacität des Thorax. (Mit 2 Tafeln.) [Preis: 1 fi. = 2 Mk.] 421

JUL 11 1892

4fBRAtd-

SITZUNGSBERICHTE

DER

KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAHEN.

MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE CLASSE.

CI. BAND. I. HEFT.

ABTHEH^UNG III.

ENTHÄLT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN UND DER THIERE, SOWIE AUS JENEM DER

THEORETISCHEN MEDICIN.

I. SITZUNG VOM 7. JÄNNER 1892.

l

Der Vorsitzende gedenkt des Verlustes, welchen die kaiserliche Akademie und speciell diese Classe durch das am 7. Jänner d. J. erfolgte Ableben ihres wirklichen Mitgliedes, des Herrn Hofrathes und emerit. Universitäts-Professors Dr. Ernst Ritter v. Brücke in Wien, erlitten hat.

Die anwesenden Mitglieder geben ihrem Beileide durch Erheben von den Sitzen Ausdruck.

Der Secretär legt eine Arbeit von Dr. C. Schierholz in Wien vor, betitelt: »Zur Trennung von Jod, Brom und Chlor«.

Herr Alfred Justus R. v. Dutczvrtski in Wien übermittelt ein versiegeltes Schreiben behufs Wahrung der Priorität unter der Aufschrift: »Die Resultirende, Grundriss eines neuen philosophischen und biologischen Systems und neuer physiologischer Anschauungen«.

Das w. M. Herr Prof. Friedrich Brauer gibt eine Über- sicht der bis jetzt aus Afrika bekannt gewordenen Oestri den (25) und beschreibt die Larven von zwei neuen Gattungen (Dennatoestrns strepsicerontis aus dem Kudu und Strobiloestrus antilopinus aus dem Klippspringer), welche Herr Dr. H ol u b freundlichst dem kaiserlichen Museum überlassen hat.

Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht zugekommene Periodica sind eingelangt:

Risley, H. H., The tribes and Gastes of Bengal. Anthropometric Data. Vol. I and II. Galcutta, 1891; 8^.

IL SITZUNG VOM 14. JÄNNER 1892.

In Verhinderung des Herrn Vicepräsidenten führt Herr Prof. J. Loschmidt den Vorsitz.

Die Ungarische Naturwissenschaftliche Ge- sellschaft in Budapest ladet die kaiserliche Akademie zur Theilnahme an ihrer fünfzigjährigen Gründungsfeier am 17. Jänner d. J. ein.

Das w. M. Herr Regierungsrath Prof. E. Mach übersendet eine Mittheilung von stud.med. Ludwig Mach in Prag: »Über ein Interferenzrefractometer«.

Herr Prof. Dr. Franz Mare§ an der k. k. böhmischen Uni- versität in Prag übersendet eine Abhandlung, betitelt: »Zur Theorie der Harnsäurebildung im Säugethier- organismus«.

«

Das c. M. Herr Prof. C. Grobben in Wien überreicht eine Abhandlung unter dem Titel: »Zur Kenntniss des Stammbaumesund desSystems der Crustaceen*.

Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht zugekommene Periodica sind eingelangt:

Memoires de la Societe Ouralienne de Medecine äEkaterinebourg. P annee. Perm, 1891; 8**.

Toula, F., Der Stand der geologischen Kenntniss der Balkan- länder. Ein Vortrag, gehalten auf dem IX. Deutschen Geo- graphentage in Wien im Jahre 1891. (Mit l Tafel.) Berlin, 1891; 8».

III. SITZUNG VOM 21. JÄNNER 1892.

In Verhinderung des Herrn Vicepräsidenten führt Herr Intendant Hofrath F. Ritter v. Hauer den Vorsitz.

Der Secretär legt das erschienene »Verzeichniss der von der kaiserlichen Akademie der Wissen- schaften herausgegebenen und derzeit vorräthigen Schriften« vor.

Das k. k. Ministerium des Innern übermittelt ein Exemplar der in Ausführung des §. 60 des Unfallversicherungs- gesetzes an den Reichsrath gerichteten Mittheilung, betreffend die Gebarung und die Ergebnisse der Unfallstatistik der Arbeiter-Unfallversicherungsanstalten im Jahre 1890.

Der Secretär bringt ein von der kaiserlichen Aka- demie der Wissenschaften in Krakau aus Anlass des Ablebens des w. M. Herrn Dr. Ernst Ritter v. Brücke ein- gelangtes Beileid -Telegramm, femer ein aus dem gleichen Anlasse eingesendetes Beileidschreiben des Reale Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti in Venedig zur Kenntniss.

Das w. M. Herr Regierungsrath Prof. E. Mach übersendet eine im physikalischen Institute der k. k. deutschen Universität in Prag ausgeführte Arbeit von G. Jaumann, betitelt : »Abso- lutes Elektrometer mit Kuppelsuspension«.

Das w. M. Herr Prof. L. Pfaundler übersendet eine Arbeit aus dem chemischen Institute der k. k. Universität in Graz, betitelt: »Das Verhalten des Kupfers und der Edelmetalle zu einigen Gasen und Dämpfen«, von Dr. G. Neu mann.

6

f

DerSecretär legt eine Abhandlung des Privatdocenten Herrn Emil Waelsch an der k. k. deutschen technischen Hochschule in Prag: »Über die Isophoten einer Fläche bei centraler Beleuchtung« vor.

Das w. M. Herr Director E. Weiss überreicht eine Ab- handlung des Herrn Regierungsrathes Prof. G. v. Niessl in Brunn, betitelt: »Bahnbestimmung des grossen Me- teores vom 2. April 1891«.

Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht zugekommene Periodica sind eingelangt:

Bagnasco, G. G., Americae Retectio, Atlas. Monography. Palermo, 1892; 8^

SITZUNGSBERICHTE

DER

KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFIEN.

MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE CLASSE.

CI. BAND. IL HEFT.

ABTHEILUNG III.

ENTHÄLT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN UND DER THIERE, SOWIE AUS JENEM DER

THEORETISCHEN MEDICIN.

-*»»

l

IV. SITZUNG VOM 4. FEBRUAR 1892.

In Verhinderung des Herrn Vicepräsidenten führt Herr Intendant Hofrath F. Ritter v. Hauer den Vorsitz.

Der Secretär legt das erschienene Heft VIII (October 1891), Abth. II. a des 100. Bandes der Sitzungsberichte, femer das Heft X(Decemb er 1891) des 12. Bandes der Monats- hefte für Chemie vor.

Herr Prof. Dr. L. Weine k, Director der k. k. Sternwarte in Prag, übermittelt eine Abbildung der Wallebene Petavius des Mondes, zwanzigfach vergrössert nach der Li ck- Aufnahme vom 31. August 1890, in photographischer Copie nach seiner Originalzeichnung von 12 :\5 cm Grösse.

Das c. M. Herr Prof. H. We i d e 1 übersendet eine im ersten chemischen Laboratorium der k. k. Universität in Wien von Herrn E. Murmann ausgeführte Untersuchung: »Über einige Derivate des a-Pheny Ichinolins«.

Herr Prof Dr. A. Grünwald in Prag übersendet die empirisch-inductive Abtheilung des I. Theiles der in den akademischen Anzeigern Nr. IX und XIX vom 17. April und 9. October 1890 besprochenen Abhandlung: »Über das sogenannte zweite oder zusammengesetzte Wasser- stoffspectrum von Dr. B. Hasselberg und die Structur des Wasserstoffes.«

10

Der Secretär legt folgende eingesendete Abhandlungen vor:

1. »Die goniometrischen Functionen complexer Winkel« und

2. »Imaginäre Kegelschnitte«, beide Arbeiten von Prof. Adalbert Breuer an der k. k. Staatsrealschule im III. Bezirk, Wien.

3. »Die Theorie der Construction des lenkbaren Luftschiffes«, von Dr. Alois Herman, königl. Gerichts- adjunct zu Gospic in Croatien.

Herr Prof. Dr. A. Adamkiewicz übersendet eine sechste Mittheilung zu seinen »Untersuchungen über den Krebs.«

Herr Dr. Alfred Nalepa, Professor an der k. k. Lehrer- bildungsanstalt in Linz, übersendet eine dritte vorläufige Mit- theilung über »Neue Gallmilben.«

Das w. M. Herr Prof. Wiesner überreicht den ersten vorläufigen Bericht des Herrn Prof. G. Haberland t, welcher sich gegenwärtig mit Unterstützung der kaiserl. Akademie zum Zwecke botanischer Untersuchungen in Buitenzorg auf Java aufhält.

Ferner überreicht Herr Prof. Wiesner eine Abhandlung des Herrn Hugo Zukal, betitelt: »Über den Zellinhalt der Schizophyten.«

Das w. M. Herr Prof. Ad. Lieben überreicht eine Abhand- lung von Prof. Dr. G. Goldschmiedt und Dr. R. Jahoda in Prag: »Über die Ellagsäure.«

Das w. M. Herr Prof. E. Weyr überreicht folgende zwei Abhandlungen :

1. »Isodynamische und metaharmonische Gebilde«, von Prof. Dr. Jan de Vries in Kampen.

2. »Nachweis linearer Mannigfaltigkeiten beliebiger Dimension in unserem Räume, lineare Complexe und Strahlensystem in denselben«, von Herrn Kon- rad Zindler in Graz.

Der Secretär überreicht eine Abhandlung des Herrn Gejza V. Bukowski in Wien unter dem Titel: »Die geo-

11

logischen Verhältnisse der Umgebung von Balia- Maaden im nordwestlichen Kleinasien (My sie n)«.

Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht zugekommene Periodica sind eingelangt:

Lendenfeld, R* v., Die Spongien der Adria. I. Die Kalk- schwämme. (Mit 8 Tafeln und 1 Textfigur.) Leipzig, 1891; 8*.

Royal Society ofLondon, Catalogue of Scientific Papers (1874—1883). Compiled by the Royal Society ofLondon. Vol. IX. London, 1891; 4^

12

Zur Theorie der Hamsäurebildung im Säuge-

thierorganismus

von

Prof. Dr. F. Marcs,

Assistenten am physiologischen Institute der k. k. böhm. Universität in Prag. (Vorgelegt in der Sitzung am 14. Jänner 1892.)

Herr Prof. Horbaczewski hat in den Sitzungsberichten der kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien (mathem.- naturw. Classe, Bd. C, Abth. III) eine Abhandlung über die Bildung der Harnsäure im Säugethierorganismus veröflFentlicht, in welcher er die Theorie aufstellt, dass in der Norm die Harn- säure im Organismus beim Zerfalle nucleinhältiger Gewebe sich bildet, wobei das Nuclein der Zellkerne frei wird, zerfallt und die Muttersubstanzen der Harnsäure liefert; namentlich sei der Zerfall der Leukocyten die Hauptquelle der Harnsäure beim Säugethiere.

Diese Theorie stützt er auf die von ihm experimentell nach- gewiesene Thatsache, dass bei der Fäulniss der Leukocyten der Milzpulpa, sowie bei der Fäulniss anderer nucleinhältiger Organe Harnsäure gebildet wird. Auch das isolirte Nuclein liefert, durch Fäulniss gespalten, Harnsäure. Eine andere Methode der Zersetzung des Nucleins als die durch Fäulniss, um die Vor- stufen der Harnsäure abzuspalten, wurde vorläufig nicht auf- gefunden.

Nach diesen chemischen Versuchen in vitro tritt der Autor an die physiologische Frage heran, ob die Nucleine auch in vivo Muttersubstanzen der Harnsäure liefern. Um diese Frage zu beantworten, stellte er physiologische Versuche und Beob- achtungen an. Zuerst wurde Kaninchen und Menschen Nuclein

Hamsäurebildung im Säugethierorganismus. 13

einverleibt; es zeigte sich darnach eine Vermehrung der aus- geschiedenen Harnsäure.

Daraus folgert der Autor, dass auch im Organismus die Harnsäure aus Nuclein sich bilden kann, so dass die Bildung der Harnsäure als Ausdruck des Zerfalles nuclei'nhältiger Gewebe betrachtet werden könnte. Diese Gewebe sind, wenn von den epidermoidalen Gebilden und gewissen Drüsen abge- sehen wird, die Leukocyten, die zweifellos einem raschen Wechsel unterliegen. Die Schicksale der Leukocyten seien zwar nicht näher bekannt, es dürfte aber keinem Zweifel unterliegen, dass dieselben in den Geweben zu Grunde gehen und dass die Zerfallsproducte derselben offenbar als Nährmateriale für die Gewebe dienen. Unter diesen Zerfallsproducten muss aber auch das Leukocytennuclein und die Zersetzungsproducte desselben auftreten, die aber zur Bildung der Harnsäure beitragen können.

In bester Übereinstimmung mit der Ansicht, dass im Säuge- thierorganismus in der Norm nur die Leukocyten, respective deren Zerfallsproducte die Muttersubstanzen der Harnsäure abgeben, befinden sich die bis jetzt bekannt gewordenen That- sachen, betreffend das Verhalten des Leukocytengehaltes des Blutes und der Hamsäureausscheidung. Es soll nämlich ein Parallelismus zwischen der Menge der Leukocyten im Blute und der Menge der ausgeschiedenen Harnsäure bestehen.

Der Autor stellt nun Beobachtungen an, um diesen Parallelis- mus nachzuweisen. So führt er an, dass im Jugendalter, nach Fleischaufnahme, nach Pilocarpininjection vermehrte Leuko- cytenmenge und vermehrte Hamsäureausscheidung stattfindet; eben solcher Parallelismus zeige sich in einigen pathologischen Zuständen, namentlich in der Leukaemie.

Diese Versuche bilden die Grundlage der von ihm auf- gestellten physiologischen Theorie der Harnsäurebildung, dass die Harnsäure ein Zerfallsproduct nucleinhältiger Gewebe ist, namentlich der Leukocyten.

Ich habe vor fünf Jahren eine Abhandlung über den Ursprung der Harnsäure beim Menschen veröffentlicht (Marcs, sur Torigine de Tacide urique chez l'homme, Archives slaves de Biologie III, 207; Sbornik lekafsk]^ II, 1. Referirt im Centralblatt für die medicinischen Wissenschaften 1888, 2; Centralblatt für

14 F. Marcs,

Physiologie, I, 444), in welcher ich auf Grund physiologischer Versuche an Menschen zu der Anschauung gelangte, dass die Harnsäure nicht, wie man bisher annahm, eine Vorstufe des Harnstoffes bei der Zersetzung der Nahrungseiweissstoffe dar- stellt, sondern dass die Harnsäure ein Product der molecularen Veränderungen im Zellenprotoplasma ist, während der Harn- stoff aus den zersetzten Eiweissstoffen der Nahrung entsteht. So bildet sich nach der Nahrungsaufnahme die Harnsäure bei der Thätigkeit der Verdauungsdrüsen, bei welcher die Substanz der Drüsenzellen sichtbare materielle Veränderungen zeigt.

Diese Anschauung gründete ich auf folgende physiologische Versuchsergebnisse: 1. Die Harnsäuremenge ist im Hunger- zustande individuell constant, am grössten bei jugendlichen Individuen, namentlich bei Neugeborenen. 2. Nach eiweissreicher Nahrungsaufnahme erscheint die Harnsäure gleich in den ersten Stunden vermehrt und ihr Maximum fällt in die sechste bis achte Stunde nach der Nahrungsaufnahme; also augenscheinlich parallel mit der Bildung der V^erdauungssecrete. Die Vermehrung des Harnstoffes erscheint aber später, ihr Maximum fällt in die zehnte bis zwölfte Stunde nach der Nahrungsaufnahme und die Harnstoffvermehrung dauert viel länger an als die der Harnsäure; also augenscheinlich entsprechend der Resorption der ein- verleibten Eiweissstoffe. 3. Pilocarpin, das die Thätigkeit fast sämmtlicher Drüsen direct anregt, verursacht eine Vermehrung der Harnsäureausscheidung.

Diese Versuchsergebnisse wurden von anderen Forschern bestätigt, so namentlich die individuelle Constanz der Harn- säure von Salkowski, ihre Vermehrung nach Pilocarpin- einverleibung von Horbaczewski.

Der causale Zusammenhang der von mir gefundenen physiologischen Thatsachen schien mir am besten durch die Theorie erklärbar, dass die Harnsäure ein Product des Stoff- wechsels der Zellen ist, jenes chemischen Processes, der die Grundlage der Thätigkeit der Zellen bildet.

Da die Theorie des Herrn Prof. Horbaczewski, nach welcher die Harnsäure ein Zerfallsproduct der Körpergewebe ist, im Principe das Gleiche besagt, und da Herr Prof. Horba- czewski in seiner Abhandlung das theoretische Resultat meiner

1f» ^ j, ^ o

Arbeit, obzwar er dieselbe einigemale citirt, gar nicht erwähnt hat, sehe ich mich veranlasst, den Prioritätsanspruch zu erheben und zu behaupten.

Herr Prof. Horbaczewski hat seine Abhandlung in böhmischer Übersetzung auch im »Casopis ceskych lekafa« (1891, Z. 38 ff.) abdrucken lassen. Als ich an jener Stelle denselben Anspruch geltend machte, erklärte er, dass die beiden Theorien nicht identisch sind, sondern im Gegentheil einander ausschliessen. Denn ich nähme an, die Harnsäure entstehe durch den Stoffwechsel im Zellenprotoplasma, namentlich bei der Zellenthätigkeit, also durch den vitalen chemischen Process,. der die Grundlage der Thätigkeit der organisirten Materie bildet; er aber behaupte, die Harnsäure entstehe beim Zerfall oder Absterben der Zellen, namentlich der Leukocyten, wobei das Zellennuclein frei wird und selbst weiter zerfallen muss, damit die Muttersubstanzen der Harnsäure frei werden.

Das Princip beider Anschauungen ist jedoch offenbar gleich, dass nämlich die Harnsäure ein Product der organisirten Körpergewebe ist und nicht der Nahrungsstoffe. Diese Idee hatte vor uns beiden Niemand so klar und auf Thatsachen gestützt ausgesprochen, wie Herr Prof. Horbaczewski zugibt.

Der Unterschied aber, dass ich den Bildungsprocess der Harnsäure für einen vitalen chemischen Vorgang halte, während Herr Prof. Horbaczewski ihn als einen nekrotischen Zerfalls- process darstellt, ist secundärer Natur; denn diese Deutung wurde der Theorie erst nachträglich gegeben, sie ist durch die physiologischen Versuche des Herrn Prof. Horbaczewski nicht begründet und sie ist, meiner Meinung nach, für die Theorie wenig vortheilhaft. Dies will ich nun versuchen nach- zuweisen.

Der erste physiologische Versuch des Herrn Prof. Horba- czewski besteht darin, dass nach Einverleibung von Nuclein beim Menschen und Kaninchen Vermehrung der Harnsäure erscheint. Daraus schliesst der Autor, dass im Organismus die Harnsäure auch aus Nuclein, beziehungsweise beim Zerfalle nucleinhältiger Gewebe sich bilden kann. Das Nuclein der zerfallenen Zellen stellt also in der Norm die Muttersubstanz der Harnsäure dar.

16 F. Marcs,

Weiter aber findet der Autor, dass das einverleibte NucleVn Leukocytose hervorbringt, ebenso wie Pilocarpin und eiweiss- reiche Nahrung. Das Nuclein wirkt also vielleicht toxisch wie Pilocarpin, es erscheint Vermehrung der Leukocyten und der Harnsäure, obzwar diese viel weniger vermehrt erscheint, als bei Verdauungsleukocytose.

Es ist also fraglich, sagt der Autor, ob diese Harnsäure sich direct aus dem einverleibten Nuclein oder aus den Leuko- cyten bildet.

Daraus geht aber hervor, dass der physiologische Nach- weis, dass das Nuclein auch in vivo die Muttersubstanzen der Harnsäure liefert, nicht gelungen ist. Denn mit demselben Rechte könnte man, gestützt nur auf diesen physiologischen Versuch, das Nahrungseiweiss oder das Pilocarpin als Mutter- substanzen der Harnsäure im Säuge thierorganismus ansprechen. Es ist also bloss eine Hypothese, dass das Nuclein auch im Organismus die Muttersubstanzen der Harnsäure liefert, es ist keine physiologisch nachgewiesene Thatsache.

Der zweite physiologische Versuch des Autors besteht in dem Nachweis eines Parallelismus zwischen der Menge der Leukocyten im Blute und der Menge der ausgeschiedenen Harnsäure. Dieser Parallelismus zeigt sich in manchen Fällen; so im Kindesalter, im Hungerzustande und nach reichlicher Fleischnahrung, nach Einverleibung einiger Gifte, in manchen pathologischen Zuständen.

Nun sagt aber der Autor weiter: ^Betrachtet man aber diesen Parallelismus näher, so kann man sich gar nicht ver- hehlen, dass hier zuweilen ein gewisses Missverhältniss besteht. Nach Pilocarpin und Nuclein tritt eine sehr intensive Leuko- cytose, wie nach Aufnahme grosser Fleischmengen auf, die dieselbe begleitende Harnsäureausscheidung ist aber nicht sehr bedeutend, während nach Fleischaufnahme dieselbe viel an- haltender und bei weitem intensiver ist. Zu envarten wäre aber vielleicht, dass in allen Fällen, wo die Vermehrung der Leuko- cytenzahl aus irgend welchem Grunde eine bestimmte Höhe erreicht, immer auch eine gleich grosse Vermehrung der Harn- säureausscheidung auftreten wird. Dabei ist aber Folgendes zu berücksichtigen: Die Grösse der Harnsäurebildung kann nur

Hamsäurebildung im Säugethierorganismus. 1 7

von der Menge der zerfallenen Leukocyten abhängig sein. Es ist natürlich, dass, wenn mehr Leukocyten vorhanden sind, auch mehr zerfallen können, jedoch muss nicht in einem jeden Falle dieselbe Menge derselben zerfallen. Weiter ist zu bedenken, dass unter dem Terminus »Leukocyt« keineswegs einheitliche Elemente verstanden werden, und dass es Leukocyten gibt, die gross sind, viel Kemsubstanz haben, viel Nuclein enthalten, und Leukocyten, die klein sind, kleine Kerne haben und wenig Nuclein führen. Dass demnach die verschiedenen Leukocyten beim Zerfalle dieselbe Menge von Zerfallsproducten und speciell Harnsäurevorstufen liefern könnten, ist absolut undenkbar. . . . Es ist daher klar, dass nicht in allen Fällen numerisch gleich grosser Leukocytosen auch gleich grosse Hamsäuremengen als Ausdruck derselben auftreten können. Um diese Verhältnisse genau zu verfolgen, müssen die Leukocyten des Blutes nicht nur einfach gezählt, sondern auch auf ihre Eigenschaften, ins- besondere auf ihren Nucleinreichthum untersucht werden, in welcher Richtung aber vorläufig jedwede Erfahrungen und Methoden fehlen. «

Da nun aber in den Versuchen des Herrn Prof. Horba- czewski die Leukocyten des Blutes bloss gezählt wurden, konnte der gesuchte Parallelismus natürlich nicht gefunden werden. Und wenn es auch möglich wäre, die Leukocyten des Blutes auf ihren Nucleinreichthum zu untersuchen, könnte der gesuchte Parallelismus doch nicht gefunden werden, weil die Leukocyten des Blutes einen kleinen Bruchtheil der Gesammt- menge der Leukocyten vorstellen und die Mehrzahl derselben in der Lymphe, den Lymphknoten, der Milz und den Gewebs- interstitien unberücksichtigt bliebe.

Es scheint aber, dass überhaupt kein genauer Parallelismus zwischen Leukocyten- und Harnsäuremenge bestehen kann; denn nicht nur Leukocyten gehen im Organismus zu Grunde; dieses Schicksal trifft in reichlichem Masse auch die gesammten Epithelien, welche auch Nuclein enthalten und bei der Fäulniss Harnsäure liefern.

Es ist also der Parallelismus zwischen Leukocyten- und Hamsäuremenge in den Versuchen des Herrn Prof. Horba- czewski nicht nur nicht nachgewiesen worden, sondern vor

. Stizb. d. mathem.-natunv. Gl.; Ol. Bd. Abth. III. 2

18 F. Marcs,

läufig Überhaupt nicht nachweisbar. Es bleibt also auch dieser Parallelismus bloss eine Hypothese, er ist keine physiologisch nachgewiesene Thatsache.

Nehmen wir aber an, dieser Parallelismus zwischen der Leukocyten- und Harnsäuremenge bestehe thatsächlich. Dann kann die Entstehung der Harnsäure durch die reichlichere Bildung, als Nebenproduct des Vermehrungsprocesses, oder aber durch den reichlicheren Zerfall der Leukocyten bedingt sein, wenn wir nämlich auch annehmen, dass jener Parallelismus ein direct causaler, nicht aber von einer dritten gemeinsamen Ursache herrührender ist. Nun ist aber die Vermehrung der Leukocyten direct durch ihr Zählen und durch den histo- logischen Befund der Kariokinese nachweisbar; der Zerfall der Leukocyten bei deren Vermehrung ist aber direct nicht nach- weisbar, sondern erschlossen, hypothetisch, wie es ja der Autor selbst auseinandersetzt. Wenn also zum Beispiel nach Pilo- carpineinverleibung Vermehrung der Harnsäure und direct nach- weisbare Vermehrung der Leukocyten gefunden wird, so scheint es mir näher zu sagen, die Vermehrung der Harnsäure gehe parallel mit der vermehrten Bildung der Leukocyten, als zu sagen, sie gehe parallel mit dem vermehrten Zerfall derselben. Wenn also der Autor sagt, die Harnsäurebildung gehe parallel mit dem Zerfall oder dem Absterben der Leukocyten, so macht er wieder eine Hypothese, die durch seinen physiologischen Versuch nicht begründet ist.

Aus allen dem geht, meine ich, hervor, dass die physio- logischen Versuche und Beobachtungen des Autors keine physio- logischen Thatsachen, sondern blosse Hypothesen zum Resultate haben.

Es bleibt also die einzige thatsächliche Grundlage der Theorie, dass nämlich bei der Fäulniss nucleinhältiger Gewebe Harnsäure entsteht. Diese Thatsache ist vom chemischen Stand- punkte aus gewiss sehr wichtig. Sie ist aber für sich allein physiologisch nicht verwerthbar; sie könnte wohl direct für die Physiologie der betreffenden Fäulnissorganismen von Belang sein, wie die Bildung von Alkohol aus Zucker für die Physio- logie der Hefezellen von Belang ist; für die Physiologie der

Harnsäurebildung im Säugethierorganismus. 19

Thiere aber, denen die faulenden Organe angehörten, ist sie für sich allein nicht zu verwerthen.

Es ist sehr wichtig zu wissen, dass Harnsäure durch Fäulniss von NucIeYnsubstanzen entsteht. Aber Harnsäure ent- steht auch beim Erhitzen einer Mischung von Harnstoff und Glykocoll, wie Horbaczevvski gezeigt hat.

Eine in vitro nachgewiesene Bildungsweise der Harnsäure ist an und für sich physiologisch nicht verwerthbar, weil eben eine und dieselbe Substanz auf verschiedene Weise und aus verschiedenen Muttersubstanzen gebildet werden kann.

Für die Bildungsweise der Harnsäure aus Harnstoff und Glykocoll, die doch beide im Organismus disponibel sind, fehlt es im Thierkörper an der erforderlichen Hitze; für die Bildungs- weise aus Nuclein fehlt es an der Fäulniss.

Der Autor verwerthet aber dennoch diese Thatsache zu einer physiologischen Theorie, indem er sagt: »Obzwar bei den Versuchen die Organe, beziehungsweise das Nuclein, durch Fäulniss gespalten werden musste, um Harnsäure zu erhalten, und im Organismus keine Fäulniss in den Geweben vor sich geht, so besteht doch keine Schwierigkeit für die Annahme einer ähnlichen Spaltung des Nucleins im Organismus, da ana- loge Processe bekannt sind und nach Nucleineingabe eine Ver- mehrung der Harnsäure constatirt wurde.«

Was die Vermehrung der Harnsäure nach Nucleineingabe anbelangt, habe ich gezeigt, dass dadurch physiologisch nicht nachgewiesen ist, dass das einverleibte NucleYn thatsächlich die Muttersubstanz der Harnsäure im Organismus liefert. Es spricht jedoch nichts dagegen, dies als eine wahrscheinliche Hypothese anzunehmen.

Die zur Bildung der Harnsäure aus Nuclein erforderliche Fäulniss ersetzt nun der Autor durch »bekannte analoge Pro- cesse im Organismus«. Man könnte geneigt sein, diese der Fäulniss analogen Processe im Organismus für den vitalen, mit Absorption von Sauerstoff und Exhalation von Kohlensäure verbundenen chemischen Stoffwechsel in der lebenden Zelle zu halten, da die Fäulniss ein ebenfalls an das Leben gebundener chemischer Process ist.

20 F. Mares,

Dann würde aber die Theorie lauten, dass die Harnsäure ein Product des vitalen chemischen Processes in der lebenden Zelle ist, das heisst, die Theorie der Harnsäurebildung des Herrn Prof. Horbaczewski wäre vollkommen identisch mit jener, die ich vor fünf Jahren publicirt habe.

Nun hat aber Herr Prof. Horbaczewski den der Fäulniss analogen Processen im Organismus eine andere Deutung gegeben, indem er sagt, die Harnsäure entstehe beim Absterben, durch den nekrotischen Zerfall der Zelle. Dadurch entsteht ein Unterschied zwischen den beiden Theorien.

Ich habe gezeigt, dass die physiologischen Beobachtungen des Herrn Prof. Horbaczewski nicht beweisen, dass die Harnsäuremenge mit dem Zerfall oder der Nekrose der Leuko- cyten parallel geht, sondern dass dieser hypothetische Parallelis- mus eher zwischen der Mehrbildung der Leukocyten und der Harnsäurevermehrung angenommen werden könnte, da die Mehrbildung der Leukocyten direct durch Zählen und histo- logisch durch Kariokinese nachweisbar ist, während der Mehr- zerfall dieser Zellen bei bestehender Vermehrung derselben ganz hypothetisch ist.

Im Übrigen aber überlasse ich es dem Urtheile von Phy- siologen, zu entscheiden, ob die Deutung des Herrn Prof. Horbaczewski, durch welche er seine Theorie von der von mir aufgestellten unterscheidet, physiologisch begründet und für die Theorie selbst vortheilhaft ist.

Meiner Meinung nach verhält sich die Sache folgender- massen : Vor fünf Jahren habe ich auf Grundlage physiolo- gischer Thatsachen die Idee ausgesprochen, die Harnsäure ent- stehe in den Körperzellen durch den vitalen chemischen Pro- cess, welcher die physische Grundlage der Thätigkeit der Zellen bildet. Ich habe aber nicht näher bestimmen können, welche Substanz in der Zelle bei der Bildung der Harnsäure betheiligt ist; dies war eben eine specielle Frage chemischen Inhalts, auf die ich nicht näher eingehen konnte.

Herr Prof. Horbaczewski hat das Verdienst, diese specielle chemische Frage näher beantwortet zu haben, indem er auf Grundlage chemischer Versuche auf das Nuclein der Zellen als die mögliche Muttersubstanz der Harnsäure hinwies.

Harnsäurebildung im Säugethierorganismus. 2 1

Die Theorie der Hamsäurebildung im Säugethierorganis- mus würde nun lauten: »Die Harnsäure ist ein Product des Stoffwechsels in den lebenden Körperzellen, wobei namentlich die Nucleine der Zellenkerne betheiligt sind.«

Die neuere Zeit hat Beobachtungen gebracht, welche diese Theorie noch näher beleuchten. Den Nucle'inkörpern wird näm- lich bei der Zellenthätigkeit eine grosse Rolle zugewiesen, namentlich bei der Assimilation und der Vermehrung.

Ich verweise in dieser Beziehung auf die Arbeit von Liebermann (Studien über die chemischen Processe in der Magenschleimhaut, Pflüger's Arch. 50, 25), welcher den XucleYnen der Drüsenzellen eine grosse Rolle bei der Secretion der Magensäure zuschreibt, dann auf den Aufsatz von Loew (Physiologische Function der Phosphorsäure, Biol. Centralblatt 1891, 269), wo die grosse Rolle der NucleYne des Zellenkernes bei der Zellenthätigkeit überhaupt besprochen wird.

22

V. SITZUNG VOM 11. FEBRUAR 1892.

In Verhinderung des Herrn Vicepräsidenten führt Herr Intendant Hofrath F. Ritter v. Hauer den Vorsitz.

Das w. M. Herr Hofrath C. Claus übersendet die Fort- setzung des von ihm herausgegebenen Werkes: »Arbeiten aus dem zoologischen Institute der k. k. Universität in Wien und der zoologischen Station in Triest.« Bd. IX, Heft III, 1891.

Der Secretär legt folgende eingesendete Abhandlungen vor:

1. »Ein einfaches Gesetz für die Verdampfungs- wärme der Flüssigkeiten«, von Prof. Dr. O. Tumlirz an der k. k. Universität in Czernowitz.

2. »Die Bestimmung der geographischen Schiffs- position in dem sogenannten kritischen Falle«, von Herrn Eugen Gel eich, Director der k. k. nautischen Schule in Lussinpiccolo.

3. »Die Logarithmen complexer Zahlen in geome- trischer Darstellung. Ein Beitrag zur algebraischen Analysis«, von Prof. Adalbert Breuer an der k. k. Staats- realschule im III. Bezirke in Wien.

4. »Über die Theilbarkeit der Zahlen«, von Herrn Eduard Grohmann in Wien.

Das w. M. Herr Prof. V. v. Ebner überreicht eine Abhand- lung: »Über die Beziehungen der Wirbel zu den Ur- wirbeln.«

23

Herr Prof. Dr. Karl Exner in Wien überreicht eine Ab- handlung: »Über die polarisirende Wirkung der Licht- beugung« (IL Mittheilung).

Herr J. Liznar, Adjunct an der Centralanstalt für Meteoro- logie und Erdmagnetismus, überreicht eine Abhandlung: »Über die Bestimmung der bei den Variationen des Erd- magnetismus auftretenden ablenkenden Kraft, nebst einem Beitrage zur eilfj ährigen Periode des Erdmagne- tismus.«

24

VL SITZUNG VOM 18. FEBRUAR 1892.

Das w. M. Herr Prof. L. Pfaundler übersendet eine Arbeit aus dem physikalischen Institute der k. k. Universität in Graz von Prof. Dr. I. Klemen2i2: »Über eine Methode zur Bestimmung der elektromagnetischen Strahlung«.

Das c. M. Herr Hofrath Prof. E. Ludwig übersendet folgende fünf Abhandlungen aus dem chemischen Labora- torium der k. k. technischen Hochschule in Graz:

1. »Zur Darstellung des Stickoxydes«, von F. Emich.

2. Zum Verhalten des Stickoxydes in höherer Tem- peratur«, von F. Emich.

3. »Über die Reaction zwischen Sauerstoff und Stick- oxyd. Notiz zur Lehre von der chemischen Induction«, von F. Emich.

4. »Bemerkungen über die Einwirkung von Ätzkali auf Stickoxyd«, von F. Emich.

5. »Die Pikrinsäure als allgemeines Reagens für Guanidine«, von O. Prelinger.

Der Secretär legt folgende eingesendete Abhandlungen vor:

1. »Histologisch-experimentelle Untersuchungen über die Herkunft der chromatischen Substanz der Leukocyten und anderen cellulären Elemente«, von Prof. Dr. A. Obrzu t an der k. k. böhmischen Universität in Prag.

2. »Über die allgemeinsten abwickelbaren Räume, ein Beitrag zur mehrdimensionalen Geometrie«, von Prof. Dr. A. Puchta an der k. k. Universität in Czernowitz.

25

Das w. M. Herr Hofrath Director F. Steindachner über- reicht eine Abhandlung von Prof. Dr. August v. Mojsisovics an der k. k. technischen Hochschule in Graz: »Über eine auf- fällige neue Varietät des Acipenser ruthenus L,*

Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht zugekommene Periodica sind eingelangt:

Anspach L., Le role de Teau dans les cylindres ä vapeur. Bruxelles, 1891;

27

Beitrag zur Entwickelungsmechanik des

Embryo,*

über die morphologische Polarisation von Eiern und Embryonen durch den elektrischen Strom, sowie über die Wirkung des elektrischen Stromes auf die Richtung der ersten Theilung

des Eies

von

Wilhelm Roux.

(Mit 3 Tafeln.)

Aus dem anatomischen Institute der k. k. Universität zu Innsbruck. (Vorgelegt in der Sitzung am 17. December 1891.)

I. Abschnitt.*

Vom 5. bis 9. April d. J. machte ich Versuche an Eiern des braunen Grasfrosches (Rana ftisca) mit dem Wechselstrom, der zur elektrischen Beleuchtung des k. k. anatomischen Institutes zu Innsbruck dient. Der verwendete transformirte Strom hat eine Spannung von 100 Volt, die in einigen Versuchen mit wesentlich dem gleichen Erfolg, durch Umschaltung am Transformator, auf 50 Volt herabgesetzt war. Daraufwurdenauch Versuche mit einem Gleichstrom von 43 Volt angestellt. Der Zweck der Versuche war, festzustellen, ob der elektrische Strom die Richtung der ersten Theilung des Eies zu beeinflussen vermag.

1 Nr. 6 der fortlaufenden, in verschiedene Zeitschriften vertheilten Serie.

2 Ein Bericht über die in Abschnitt I mitgetheilten Beobachtungen wurde am 11. April, über die des Abschnittes II am 7. Mai 18Ü1 der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu Wien verschlossen eingereicht und durch Beschluss vom 16. April, resp. 14. Mai, gütigst in Depot genommen.

28 VV. Roux,

Die Beantwortung dieser Frage schien mir von Bedeutung, da wir mit ihrer Entscheidung im positiven oder nega- tiven Sinne eine Andeutung darüber erhielten, ob bei den morphologischen Vorgängen der indirecten, mitotischen Kern- theilung elektrische Wirkungsweisen einen wesentlichen Antheil haben oder nicht. Denn es ist klar, dass diese typischen Gestaltungen durch den elektrischen Strom alterirt werden müssen, sofern sie selber durch elektrische Kraftwirkungen ver- mittelt werden.

Ein sicheres negatives Ergebniss musste diese Eventualität als unzutreffend erweisen, ein positives zu weiteren Unter- suchungen darüber auffordern, ob die beobachtete Wirkung des elektrischen Stromes eine directe Wirkung auf die mito- tischen Theilungsvorgänge ist oder durch Einwirkung auf den Zellleib vermittelt wird, beides gleich wichtige Eventualitäten.

Aus diesen Gründen hatte ich schon im Jahre 1885* die gleiche Frage geprüft, aber ein negatives Ergebniss erhalten. Doch musste der mir damals zur Verfügung stehende Strom, ein Gleichstrom von drei Bunsen'schen Elementen viel zu schwach erscheinen, um eine sichere negative Folgerung zu gestatten. Zur Ableitung eines solchen Schlusses mussten Ströme von einer Stärke angewendet worden sein, die der deletär wirkenden Stromstärke benachbart war. Da zu ver- muthen war, dass der Strom meiner jetzigen Anstalt die genügende Stärke haben werde, und da zudem bei den früheren Versuchen die in eine Glasröhre aspirirten Froscheier nur von einer aussen umgewundenen Spirale aus umströmt, nicht aber die Eier selber durchströmt worden waren, so nahm ich diese Versuche wieder auf und begann zunächst mit der noch nicht verwendeten Methode der directen Durchströmung.

Sogleich bei dem ersten, an einem Sonntag Nachmittag (den 5. April) behufs Orientirung über die etwa nöthige Ver- suchsanordnung angestellten Versuche trat ein evidentes Resultat der Einwirkung des Wechselstromes hervor.

1 Beiträge zur Entwickelungsmechanik des Embryo, Nr. 3: Über die Bestimmung der Hauptrichtungen des Froschembn'o im Ei und über die erste Theiiung des Froscheies. Bresiauer ärztliche Zeitschr., 1885, Nr. 6 u. f.,Separat- Abdr. S. 38 u. f.

r

Entwickelungsmechanik des Embr^'o. 29

An einem 2 cm breiten und 4 cm langen, der Länge nach durchströmten, vvagrecht orientirten Bande von Froschlaich aus vor zwei Stunden befruchteten Eiern bemerkte ich bei einer nach zehn Minuten vorgenommenen Besichtigung schon an jedem Eie eine senkrecht stehende, das Ei halbirende Furche, welche an allen Eiern recht- winkelig zur Stromrichtung orientirt war. Ich glaubte natürlich, die fragliche richtende Wirkung des Stromes auf die Eitheilung gefunden zu haben; nur wunderte mich, dass die erste Furche eine ganze halbe Stunde eher, als ich nach der Zimmertemperatur envartet hatte, aufgetreten war. Als ich diese Furche jedoch mit der Loupe besichtigte, fiel mir sogleich auf, dass sie ein wenig weiter war, als normale Theilungs- furchen des Froscheies zu sein pflegen, und dass sie sich nach der Tiefe zu nicht verengte, nicht sich zu einem engen Spalt verjüngte.

Dies liess erkennen, dass hier eine ganz andere Erschei- nung vorlag; und die nächsten sogleich vorgenommenen, etwas variirten Versuche bestätigten diesen Schluss.

Die neue Erscheinung erregte durch ihre typischen Gestaltungen mein Interesse derart, dass ich ihr eine Zeitlang ausschliesslich nachging. Diese Sachlage ist der Grund, dass in den folgenden Mittheilungen zwei in ihrem Wesen verschiedene, aber theilweise in der nöthigen Versuchsanordnung und dem Versuchsmateriale übereinstimmende Themata zugleich be- handelt werden, und dass ich überhaupt eine Gruppe von Erscheinungen bearbeitet habe, die, wie sich bald herausstellte, mehr in das Gebiet der jetzigen Physiologie, als in das der Entwickelungsmechanik gehört.

Die nächsten Versuche ergaben im Wesentlichen nach- stehende Resultate.

Beim Durchströmen eines geraden Bandes Froschlaich von 5 bis 9 cm Länge, 2 bis 2*5 cm Breite und einer einzigen Eilage Höhe, in Richtung der Länge des Bandes von 17 cm breiten Platjnelektroden aus, entstand an jedem der vor ein bis drei Stunden befruchteten Eier innerhalb 1 5 bis 30 Secunden eine deutliche Scheidung der annähernd kugeligenOberfläche in drei Felder, welche durch zwei einander parallele kreisförmige

30 W. Roux,

Grenzlinien gesondertsind, nämlich in zwei einander gegenüber liegende, den Elektroden zugewendete P o 1 f e 1 d e r mit veränderter Oberfläche und ein zwischen ihnen gelegenes äquatoriales Gürtel fei d ohne solche Veränderung. Diese Scheidung der Oberfläche erfolgt gewöhnlich zunächst durch Aufhellung im Bereiche des Polfeldes unter anfänglichem Entstehen einer netz- artigen oder punctirten helleren Zeichnung; manchmal treten auch schon, ehe eine Verfärbung der Oberfläche erkennbar ist, auf der unteren, hellgrauen, oft fast weissen Hemisphäre des Eies die beiden Parallelkreise als schwärzliche Linien auf und bewirken so die erste sichtbare Scheidung in die drei Abschnitte. Bei weiterer Einwirkung des Stromes vertieft sich nach ein bis zwei Minuten die Stelle dieser beiden Parallelkreise zu je einer deutlichen, oben tieferen Ringfurche, und in derselben treten oben weisse Flecken, durch Austritt von Eisubstanz bedingt, auf. Längs der Mitte des Äquatorgürtels entsteht unter vollkommener Aufhellung seiner Ränder auf der helleren Unterseite des Eies nicht selten eine schwärzliche Linie mit oder ohne scharfe seit- liche Grenzen, also eine Pigmentanhäufung. An der schwarzen, oberen Hemisphäre des Eies sieht man, wenn die Polfelder sich nicht genügend aufhellen, nur die beiden Ringfurchen.

Während somit im Einzelnen das Bild der Veränderungen, und zwar je nach der Dauer und Stärke des wirkenden Stromes und wohl auch nach der Beschaffenheit der Eier selber, ein etwas verschiedenes ist, so ist das Wesentliche der Erscheinungen vollkommen constant, nämlich die Theilung der Eioberfläche in zwei den Elektroden zugewendete, sichtbar veränderte Pol- felder und einen sie trennenden, nicht veränderten, oder nur schwach und in anderer W^eise veränderten Äquatorgürtel ; und zwar sind diese drei Felder bei der erwähnten Anordnung des Versuches durch zwei fast oder ganz parallele, continuirlich (ungezackt) verlaufende, rechtwinkelig zur Stromrichtung orien- tirte Ringlinien gegen einander abgegrenzt.

Der Abstand dieser beiden Grenzlinien von einander ist an Eiern, welche in der Nähe der Elektroden stehen, am geringsten und nimmt gegen die Mitte des Stromfeldes allmälig zu. Ist der Strom durch Einschaltung grosser Widerstände geschwächt, so vergrössert sich der Abstand ; arbeitete ich, wie gerade beim

Entwickelungsmechanik des Embryo. 31

ersten Versuche, ohne solche Widerstände, so treten die sich erhebenden Ränder der beiden Polfelder oben einander so nahe, dass der von ihnen begrenzte, tiefer liegende Aquatorgürtel bloss als der schmale Grund einer einzigen Furche erscheint.

Über die Stellung der beiden Grenzlinien zu einander und zur Richtung der Kraftlinien des Stromes erfuhr ich Weiteres durch eine Änderung der Versuchs-Anordnung, indem statt der Verwendung eines parallel contourirten Bandes von Frosch- laich, die ganze runde Schale gleichmässig mit einer einzigen Lage von Froscheiem ausgefüllt und dies Material von zwei einander entgegengesetzten Stellen des Randes der Schale aus und unter Benutzung schmälerer Elektroden durchströmt wurde. Die Gesammtheit der beiden Linien von allen Eiern markirt als- dann typische Curven, die leichter zu erkennen sind, wenn man die Schale nach Beendigung des Versuches umdreht und die hellen unteren Hemisphären betrachtet, als bei Besichtigung der schwarzen Furchen auf der schwarzen oberen Eihälfte. Da die Froscheier durch ihre dicken Gallerthüllen von einander geschieden sind und nicht in den Curven entsprechenden Reihen liegen, so bilden die beiden Grenzlinien aller der etwa 200 Eier einer Schale keine continuirlich gezeichneten Curven, sondern man muss sich die Curven aus den vielen neben- einanderliegenden Bruchstücken selber integriren; was aber bei Benutzung einer seh wachen Loupe nicht schwer fällt. Das Bild, welches man so gewinnt, ist folgendes; Die Curven beginnen, entsprechend dem zuerst mitgetheilten Versuche, alle rechtwinkelig zu der mittleren geraden Verbindungslinie der Elektroden und wenden sich dann, die nächste Elektrode im Bogen umziehend, unter allmäliger Vergrösserung ihres Abstandes gegen den Rand der Schale, um daselbst in rechtem Winkel zur Umrandung zu enden. Die Krümmung der Curven ist daher unmittelbar neben den Elektroden am stärksten und nimmt bis zu der in gerader Richtung verlaufenden mittelsten Linie allmälig ab. Beide Grenzlinien jedes Eies entsprechen dieser Schilderung; es sind also beide bloss gegen die nächste Elektrode concav; nur an den in der rechtwinkelig zur Strom- richtung orientirten Mittellinie der Schale liegenden Eiern ist jede von beiden Grenzlinien gegen eine andere Elektrode concav.

32 W. Roux,

Auch stehen nur an den durch diese Mittellinie halbirten Eiern und an den in der geraden Verbindungslinie der Elektroden sich befindenden Eiern die Grenzlinien symmetrisch zu einem Eimeridian, wenngleich dies der flüchtigen Betrachtung an vielen Stellen so scheinen mag. Bei genauer Betrachtung der für diese Unterscheidung charakteristischen Stellen an vollkommen nor- malen Eiern kann kein Zweifel bestehen, dass die Richtung dieser Linien ihrem Wesen nach nicht zu einer i m E i selber gelegenen Linie typisch bestimmt ist, sondern dass diese Be- stimmung von aussen her, in je nach der zufälligen Lage der Eier zu den Elektroden und zur Gesammtform des elektrischen Feldes verschiedener Weise getroffen wird. Desgleichen hängt auch der Abstand dieser Grenzlinien wesentlich von den genannten äusseren Umständen ab (mit der Einschränkung, dass bei grösseren Eiern sie vielleicht ceteris paribus weiter von einander entfernt sind, worüber ich in Erman- gelung von Rieseneiern noch keine Beobachtungen machen konnte).

Ich halte die durch diese Grenzlinien markirten Flächen für Potentialniveauflächen, also für äquipotentiale Flächen des ganzen elektrischen Feldes.

In der Überzeugung, dass meine Vorstellung von der Gestalt der äquipotentialen Flächen die zutreffende ist, will ich die erwähnten Grenzlinien des durchströmten Froscheies weiterhin als Niveauringe bezeichnen; doch will ich die Möglichkeit nicht als ausgeschlossen hinstellen, dass die Physiker bei genauerem Vergleiche kleine typische Abweichungen obiger Niveauringe von den von ihnen berechneten Niveaulinien er- mitteln werden ; Abweichungen, die aber dann wohl nur durch secundäre Momente bedingt sind und den Hauptcharakter unserer Niveauringe als äquipotentialer Linien nicht alteriren werden.

An manchen Eiern, an denen die Polfelder sehr grobkörnig wurden, war die Grenze letzterer auch nicht continuirlich gerichtet, sondern gezackt, und die Gesammtkrümmung der Grenzlinien entsprach dann auch nicht vollkommen dem Durch- schnitt von Niveauflächen des elektrischen Feldes durch die Eioberflächen. Diese im Anfange der Versuche an den

Entwickelungsmechanik des Embryo. 33

frischen Eiern nicht vorgekommenen Fälle halte ich indess für abnorm, für bedingt durch die künstliche Verzögerung der Laichung, wobei auch schon am normalen Furchungsschema viele Abweichungen vorkommen.

Noch charakteristischer als bei der letzterwähnten Ver- suchsanordnung, noch evidenter nur äquipotentialen Flächen entsprechend, werden die durch die Niveauringe gebildeten Cur- ven, wenn man die Elektroden nicht an den Rand, sondern entfernt vom Rande der Schale und auf die Fläche der Froschlaichlage aufsetzt. Anden Eiern, welche alsdann von oben aus durchströmt werden, liegen die beiden Niveauringe fast wagrecht, während sie an den wagrecht durchströmten entfernteren Eiern senkrecht stehen. Es ist vollkommen deutlich, dass die durch die beiden Niveauringe markirten Flächen rechtwinkelig zu den Kraftlinien stehen. (Vergl. Fig. 2, Taf. III nebst der Figurenerklärung.)

An den bei dieser letzteren Anordnung seitlich im Stromfeld befindlichen Eiern entstehen im Bereiche desAquator- gürtels häufig nachträglich, im Laufe von Stunden oder Tagen vielfache Zersetzungen, grössere weisse und schwarze Flecken, sowie auch intensiv schwarze Punkte von zum Theil regel- mässiger, sternförmiger Anordnung, während im Bereiche der Polfelder nach der Durchströmung keine nachträglichen Ver- änderungen zu erkennen sind.

Wenn man Eier, die schon längere Zeit durchströmt worden sind, nachträglich in anderer Richtung, z. B. recht- winkelig zur früheren Richtung durchströmt, so findet keine neue, dieser Stromrichtung entsprechende Ringbildung, über- haupt keine äusserlich erkennbare Änderung des zuerst er- zeugten Bildes statt. Wird dagegen die wagrechtstehende Schale mit den Eiern während der Durchströmung continuirlich gegen die am Rand eintauchenden feststehenden Elektroden gedreht, so entsteht statt der beiden Polfelder ein Polgürtel und statt des Äquatorgürtels ein oberes und ein unteres rundes Feld. Werden die Eier während der Durchströmung auch noch aus der wagi'echten Ebene gebracht, z. B. in einer hohen mit Wasser gefüllten Schale zwischen den Elektroden nach allen Richtungen in ihrer Lage verändert, so tritt keine Sonderung in abgegrenzte Felder mehr auf.

Sitzb. d. matheni.-naturw. Cl.; CI. Bd. Abth. III. 3

34 W. Roux,

Schwimmen die Eier in einer Flüssigkeit von geeignet hohem specifischen Gewicht (Wasserglas oder Lösung von Gummi arabicum), so behalten dieselben während der Durch- strömung ihre vorher eingenommene zufällige Anordnung bei und drehen sich auch nicht um eine Axe; dessgleichen tritt auch nach der Bildung der Polfelder während der weiteren Durch- strömung sowie nach dem Aufhören derselben eine Änderung der Anordnung ohne äusseres Zuthun nicht ein. Werden die mit Polfeldern versehenen schwimmenden Eier gegeneinander verschoben, oder um ihre verticalen Axen verdreht, so behalten sie die ihnen gegebene Anordnung bei, selbst wenn aufs Neue ein Strom durch die Schale geleitet wird.

Unbefruchtete aber reife, der Gebärmutter entnommene, in Wasser gequollene Eier reagiren in ähnlicher Weise auf den Wechselstrom. Auch hier entstehen zwei Niveauringe an jedem Ei; die Polfelder werden hell und netzförmig gezeichnet. Doch sind in der Beschaffenheit der Oberfläche kleine Unterschiede vorhanden und die Reaction geht viel langsamer vor sich.

An mechanisch,durchDrückenmitden Fingern oderdurch Pressen zwischen Glasplatten insultirten und deformirten Eiern entstehen zum Theil keine, zum Theil mit ihren Niveau- ringen von dem gewohnten Anblick abweichende Stellungen einnehmende Polfelder. Von besonderem Interesse ist bei diesem Verfahren das Verhalten der entstandenen Dotterhernien.

Der Reife nahe, aber noch unreife Eier aus der Bauchhöhle und vom Eierstock standen mir noch nicht zur Verfügung. Kleine unreife Eierstockeier für das nächste Jahr zeigten keine Reaction auf den Wechselstrom, auch wenn sie schon eine schw'arze und weisse Hemisphäre ausgebildet hatten.

Geschieht die Durchströmung nach der Anlage oder Voll- endung der ersten Furche, also während der ersten Theilung des Eies, so findet gleichwohl die Scheidung in die beiden Pol- felder und den Äquatorgürtel statt. Doch ist das Bild nur dann dem früheren, amnochungetheiltenEie gewonnenen, wesentlich gleich, wenn die erste Furche zufällig ganz oder annähernd rechtwinkelig oder ganz parallel zu den Niveauflächen steht. Weicht die erste Furche dagegen etwa 10 45° von der Richtung der gedachten Niveauflächen des ganzen Eies ab, dann erfährt

Entwickelungsmechanik des Embryo. 35

der jeder von beiden Zellen zukommende Antheil am Äquator- gürtel eine deutliche Verwerfung gegen das Äquatorstück der anderen Zelle; auch sind die der Furche anliegenden Theile des Äquators stark von der Richtung der Niveaulinien des homogen gedachten elektrischen Feldes abgelenkt; siehe Fig. 7.

Nach der Entstehung der zweiten Furche wird das Bild dieser Verwerfungen oft noch etwas complicirter; doch ist auch hier die Bildung zweier Polfelder am Eie und einer Äquatorial- zone vollkommen deutlich.

War das Ei zur Zeit der Durchströmung schon in mehr Zellen zerlegt, also imMorulastadium befindlich, so entstand wieder ein continuirlicher, durch zwei Niveauringe begrenzter Äquatorgürtel; aber ausserdem traten, diesem letzteren ziemlich parallel auf den Polfeldern jederseits 2 3 helle Ringe auf, die anscheinend durch Austritt von Dottersubstanz aus den den Niveauflächen annähernd parallelen normalen Furchen (Zell- grenzen) entstehen, aber zum Theil wohl auch durch weisse Verfärbung der Oberfläche (im Bereiche der unteren Hemisphäre des Eies) bedingt sind, worüber erst die mikroskopische Unter- suchung genaueren Aufschluss geben kann. Die in noch kleinere Zellen zerlegte Blastula Hess ausser den beiden Niveauringen noch mehr solcher secundärer Parallelkreise hervorgehen, deren Zahl wiederum der Zahl der vorhandenen Zellreihen entsprach.

Im Stadium derGastrula traten kaum noch äusserlich sichtbare polare Veränderungen auf.

Alle durch den Strom in der geschilderten Weise alterirten Eier entwickelten sich nicht weiter; auch drehten sich dieselben nach Aufwärtswendung des Bodens der Schale, an welchem die Eihüllen anhaften, selbst im Verlauf von 24 Stunden nicht wieder mit der hellen Seite nach unten, wie dies befruchtete Eier in wenigen Minuten, unbefruchtete in 2 3 Stunden thun. Das Ausbleiben letzterer Erscheinung beruht jedoch nicht auf Ver- mengung der Eisubstanzen ungleichen specifischen Gewichtes (des Nahrungs- und des Bildungsdotters), sondern nur auf Befestigung des Eies gegen die Gallerthülle; denn mit dieser Hülle herausgenommene Eier nahmen, wenn man sie in Wasser- glas schwimmen Hess, rasch die normale Stellung mit dem hellen Theile nach unten wieder ein.

36 W. Roux,

Am Dotter eines gelegten Hühnereies, sowie an den Eier- stockseiern zweier Tauben konnte ich nach Anwendung des mir zur Verfügung stehenden Stromes bei äusserer Besichtigung keine denen der Froscheier entsprechenden Veränderungen wahrnehmen.

Die Kunstmühlenbesitzer Herren Gebrüder Rauch in Mühlau gestatteten mir am 8. April freundlichst die Benutzung des mit der kleineren ihrer Dynamomaschinen unter einer Tourenzahl von 1200 per Minute erzeugten Gleichstromes von 43 Volt Spannung; ich verw^endete von demselben nur eine schwache Stromschleife. Um möglichst verschiedene Strom- dichten zugleich zu prüfen, setzte ich die Elektroden einander nahe im Binnenraume des runden Stromfeldes auf.

Bei diesem Strom zeigte sich eine Verschiedenheit der von beiden Elektroden ausgehenden Wirkungen zunächst schon an der Gallerthülle. Während beim Wechselstrom die Gallerthülle unverändert blieb, entstand hier um die durch stärkere Gasent- wickelung ausgezeichnete, also negative Elektrode zunächst eine Aufhellung der Gallerthüllen, der später beim Kochen eine opak- weisse Trübung folgte; in der Umgebung der Anode dagegen ent- stand einbläulich hyalinerSchimmerinderihrzugewendetenSub- stanz der Gallerthüllen, der sich nach dem Kochen noch erhielt.

An reifen unbefruchteten Eiern entwickelte sich in weiter, die Mittellinie des elektrischen Feldes überschreitender UmgebungderpositivenElektrodean den Eiern bloss ein grosses grau verfärbtes, der Anode zugewendetes und demnach der Kürze halber als anodisches oder positives zubezeichnendes Polfeld mit einer deutlichen Niveauringfurche als Grenze. An den weiter gegen die negative Elektrode hin gelegenen Eiern trat danach eine kathodenwärts liegende Niv^eauringlinie hinzu als einzige Marke der Scheidung auf dieser Seite des Eies; und bloss die der Kathode nächsten zwei Reihen Eier hatten ein ver- färbtes, aber grosses kathodisch gelegenes Polfeld unter Fehlen eines anodischen. Die seitlich im Stromfeld liegenden Eier boten vielfach zwei schwach verfärbte Polfelder und zwischen ihnen einen unverfärbten Aquatorgürtel dar; aber an manchen Eiern fand sich nur anodenwärts ein verfärbtes Polfeld, kathoden- wärts dagegen wieder bloss eineNiveauringlinie. Die Richtungen,

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Krümmungen und Abstände derNiveauringe entsprachen wieder durchaus der ihnen gegebenen Bezeichnung.

An befruchteten, zwischen den Elektroden gelegenen Eiern zeigten sich nach kurz dauernder Durchströmung zwei Niveauringe von deutlicher Schärfe; das anodische Polfeld war gross und nur wenig verfärbt; das kathodische zeigte sich an manchen Eiern etwas verfärbt, an anderen gleich dem Äquatorgürtel unverfärbt, und war in der Stromrichtung verlängert und in verticale Längsfalten gebogen. Im seitlichen Theile des Stromgebietes war im Bereiche des Aquatorgürtels der Eier nach einigen Stunden vielfache Zersetzung, wie oben beim Wechsel- strom beschrieben, wahrnehmbar. Weiter seitlich und nach hinten von den Elektroden waren die Eier unverändert und theilten sich später normal. Am Übergang zwischen beiden letztgenannten Abschnitten fanden sich Eier mit zwei sehr kleinen verfärbten Polfeldem; an diesen Eiern bildete sich später im breiten Aquatorgürtel die typische erste Furche und stand auffallend häufig in Richtung der mittleren Verbindungslinie beider Pole.

Es ergab sich also ein deutliches Überwiegen der Wirkung dieses Gleichstromes auf der anodischen Seite der Eier, im Übrigen aber doch eine doppelseitige, wenn auch schwächere Wirkung als beim Wechselstrom. Bei dem Versuch an unbe- fruchteten Eiern zeigte sich deutlich eine Abnahme der ano- dischen und kathodischen Wirkung mit dem Abstände der Eier von der gleichnamigen Elektrode.

Von Bedeutung war mir die Wahrnehmung, dass bei dieser hohen Spannung von 43 Volt die seitlich gelegenen Eier schon keine Polfelder mehr bildeten, dass ich also schon an der unteren Grenze dieser Wirksamkeit angelangt war. Ich suchte daher, unter Einschaltung eines grossen Widerstandes, auch mit dem höher gespannten Strom meiner Anstalt diese Grenze und versuchte, die Eier mit dem stärksten, nicht mehr deletär wirkenden Strom zu beeinflussen. Dadurch wurde möglich, endgiltig zu prüfen, ob der Wechsel- strom eine Wirkung auf die Richtung der ersten Theilung des Eies ausübt, welche, wie ich' und bald

1 W. R o u X, Ober die Zeit der Bestimmung der Hauptrichtungen des Froschembryo. Leipzig, 1883.

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darauf Pflüger*festgestellt haben, die Medianebene des Frosch- embryo darstellt, so dass sie also das Eimaterial qualitativ und quantitativ halbiren muss und daher meiner Meinung nach eher auf den Wechselstrom reagiren könnte, als auf den Gleichstrom, der sich mehr für die zweite, nach meinen Beobachtungen kopf- und schwanzwärts sondernde Theilung zu qualificiren scheint Damit war ich zum Ausgangsproblem dervorstehend mitgetheilten Versuche zurückgelangt. Dahin führte auch die erwähnte Beob- achtung, dass an Eiern mit zwei sehr kleinen Polfeldern die erste Furche auffallend häufig in der mittleren Verbindungslinie beiderPolfelder lag. Durch Aspiration von Eiern in enge Glasröhren (wodurch die Eier Verlängert werden) und darauf folgende Durch- strömung längs der Röhre hätte sich sogleich entscheiden lassen, ob diese Richtung der Furche als besondere Wirkung des Stromes oder bloss der Verkleinerung des Eies in eben dieser Richtung durch Wegfall der an den Polen befindlichen veränderten Substanz bedingt sei, dennPflüger und ich haben experimen- tell nachgewiesen, dass die ersten Theilungen des Froscheies gewöhnlich in den kleinsten Richtungen des Zellleibes erfolgen.

Da jedoch schon bei den Versuchen des 8. April an den Probeeiern Zeichen von der entwicklungsstörenden Wirkung der künstlich verzögerten Laichung aufgetreten waren, sah ich mich veranlasst, eine dieser beiden Fragen zu bevorzugen, um wenigstens noch eine Frage erledigen zu können, und wählte die erstere, principiell wichtigere.

Ich schwächte den Wechselstrom von über 20 Ampere Stärke und 100 Volt Spannung in Ermanglung eines Rheostaten durch den Widerstand einer halbprocentigen Kochsalzlösung in einem Glasrohre von 81 cm Länge und 7 mm Durchmesser so stark ab, dass nach Aufsetzung der Elektroden nahe der Mitte der 7 9 cm im Durchmesser haltenden Schalen nur die den Elektroden nächsten Eier Polfelder bildeten. Mit diesem Wechselstrom wurden nun Eier in verschiedenen Phasen, nämlich während der Copulation der beiden Geschlechtskerne, während der Existenz des Furchungskernes und während der

1 E. Pflüg er, Über den Einfluss der Schwerkraft auf die Theilung der Zellen. Pflüger's Arch. f. Physiologie, 1883, Bd. XXXI.

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Theilung desselben durchströmt. Als die erste Furche auf- getreten war, zeigte sich, dass die Richtungen dieser Furchen an den etwa 200 250 Eiern einer Schale keine Beziehung zu den Niveauflächen oder Kraftlinien erkennen Hess. Zu einem vollen Resultat fehlt jedoch noch die Prüfung an einem maxi- malen ertragenen wirklichen Gleichstrom. Schliesslich wieder- holte ich auch den schon vor sechs Jahren mit einem schwachen Gleichstrom erfolglos angestellten Versuch der Umströmung der Eierjetzt mit dem Wechselstrom. Es wurden frisch befruchtete Eier in eben noch so weite Glasröhren aspirirt, dass sie keine Pressung in denselben erlitten, und darauf bei wagrechter Lage der Röhre mit dem zur Vermeidung zu hoher Erwärmung durch eine eingeschaltete Schale von schwacher Kochsalzlösung genügend abgeschwächten Wechselstrom stundenlang in dicht, aber bloss in einer Lage um die Röhre gewundenen Spiraltouren umströmt. Jedoch auch bei dieser Versuchsanordnung war keine richtende Wirkung des Stromes auf die erste Theilung des Eies, also keine Wirkung einer dynamischen Induction zu erkennen; die erste Furche der verschiedenen Eier stand weder durchweg quer zum Solenoid oder längs desselben oder wag- recht, sondern, wie sonst bei zwangloser Aufsetzung der Eier, allenthalben senkrecht, aber in den verschiedensten Richtungen.

II. Abschnitt. *

Zunächst habe ich zu erwähnen, dass es mir durch eine zur Verstärkung der Stromwirkung führende Änderung der Versuchsanordnung gelungen ist, auch an noch im Eierstock befindlichen Froscheiem Veränderungen hervorzurufen, die den an unbefruchteten Uteruseiem mit dem Wechselstrom ge- wonnenen zum Theil entsprechen.

An dotterkömerhaltigen Eierstockseiern, welche mehrere Stunden in Wasser gelegen hatten, entstanden unter nur sehr geringer Verfärbung der Polfelder zwei deutliche Niveauring- furchen, welche wie mit einer Nadel eingeritzt erschienen. Bei den Eiern von erst der halben Grösse reifer Eier, war der von diesen Niveau furchen begrenzte Äquatorgürtel nicht nur

* Vergl. die Anmerkung 2 am Beginne des ersten Theiles.

40 W. Roux,

relativ, sondern auch absolut breiter,, als bei den daneben befind- lichen fast reifen, grösseren Eiern.

Danach gelang es mir auch an frischen Eierstöcken, welche nicht in Wasser gelegen hatten, aber in Wasser durchströmt wurden, feine Niveaufurchen nach der Durchströmung an den Eiern wahrzunehmen; doch sind sie infolge des Mangels jeder Verfärbung schwer zu sehen.

Ausgewachsene Eierstockseier in V«Vo Kochsalzlösung zerquetscht und zerschnitten, Hessen an dem so gewonnenen Saft weder bei Verwendung des schwachen, noch des starken Wechselstromes eine besondere Wirkung des Stromes oder eine besondere Reaction der Substanz erkennen.

Wenn der geschlossene Uterus mit seinen einge- schlossenen Eiern direct durchströmt worden war, konnte ich keine Bildung von Polfeldern wahrnehmen, auch nicht, wenn die Eier nach der Durchströmung in Wasser gelegt worden waren. Bei Lagerung von Eiballen zwischen zwei Stücke gequollenen Laiches wurden dagegen durch Punktirung auf der hellen Hälfte des Eies zwei Polfelder markirt, die einen mit helleren Rändern versehenen Äquartorgürtel begrenzten. Wurden die trockenen Uteruseier jedoch einzeln zwischen die gequollene, aber durch Fliesspapier abgetrocknete Gallerthülle anderer Eier gelegt, so zeigten sich beim Durchströmen schon nach vier Minuten deutliche Niveauringe. Während dieser Zeit aber waren die Gallerthüllen der trockenen Eier schon deutlich erkennbar gequollen. Also ein gewisses Minimum an Wasser ist für die beschriebene Reaction nöthig.

Unbefruchtete Eier, welche aus dem Uterus in vier- und mehrprocentige Kochsalzlösung gelegt worden waren, und eine Stunde darin verweilt hatten , gaben selbst bei sieben Minuten dauernder Durchströmung nicht die specifischeReaction ; gleiche Eier in 27o Lösung Hessen erst spät zwei den Niveau- ringen entsprechende Reihen von Punkten wahrnehmen; auch sogleich in l^o Kochsalzlösung übertragene Eier reagirten noch trag. Eier, welche 1 74 Stunde in 47o Kochsalzlösung verweilt hatten, darauf in Wasser übertragen worden waren und nach 1 bis 15 Stunden fünf Minuten lang durchströmt wurden, zeigten keine Reaction.

Entwickelungsmechanik des Embryo. 41

Dagegen bildeten Eier mit in Wasser gequollenen Hüllen, wenn sie in gesättigte Kochsalzlösung oder dergleichen Bor- säure-, Boraxlösung versetzt und sogleich darin durchströmt wurden, schön die Polfelder und Niveauringe.

Im Anfang durchströmte ich die Eier viel länger als un- erlässlich nöthig war, um die Polfelder- und Niveaulinienbildung hervorzurufen, weil die Reaction auf der schwarzen, oberen Ei- hälfte bei Ranafusca viel später sichtbar wird, als auf der hellen Unterseite des Eies. Aus dieser Zeit stammt auch der im ersten Abschnitt mitgetheilte Versuch, in welchem die zweite, in anderer Richtung als die erste bewirkte Durchströmung ohne sichtbaren Erfolgblieb, weil dieReactionsfahigkeit der Eier schon erschöpft war. Wenn man dagegen die erste Durchströmung nur während des Minimums der zur Bildung der Niveaulinien auf der Unter- seite nöthigen Zeit oder Weniges darüber durchströmt und darauf die Stromrichtung ändert, entstehen zu den schon vorhandenen, neue dieser Richtung entsprechende Niveaulinien und Polfelder. Durchströmt man zuerst mit schwachem Strom bis zur Bildung der Niveaulinien, darauf mit starkem Strom in der gleichen Richtung wie früher, so wird der breite Äquator ver- schmälert, indem zugleich zwei weisse Bänder auf Kosten des früheren Äquators entstehen. Verwendet man zuerst den starken und danach den schwachen Strom in zur früheren gekreuzter Richtung, so kann man bei geeignetem Verhältniss in der Zeit- dauer beider Wirkungen noch einen zweiten Effect hervorbringen.

Bei sehr geschwächtem Strom (durch Einschalten einer Wassersäule von 129 cm Länge und 7 mm Durchmesser) ist nach 5 Minuten noch keine Wirkung an den befruchteten Eiern erkennbar; selbst bei Ersetzung des Wassers durch 7% Vo Kochsalzlösung war nach elf Minuten unten bloss ein leicht gedunkelter Äquatorgürtel mit helleren Rändern, oben keine Änderung zu sehen. Nach Verkürzung dieser Röhre auf 81 cm dagegen entstanden minimale, bei Ranafusca nur aus einem oder wenigen Flecken, bei Rana esculetita deutlich aus kleinen Extraovaten* bestehende Polfelder, und zwar nur

1 Mit diesem Namen habe ich die aus dem Ei unter Durchbrechung der Eirinde ausgetretene Substanz belegt. Vergl. Beitrag I zur Entwickelungs- mechanik des Embryo. Zeitschr. für Biologie, Bd. XXI, N. F. III, 1885.

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an den in derNähe derElektroden befindlichen Eiern; manchmal fand sich nach dernäheren Elektrode zu ein etwas grösseres, nach der entfernteren Elektrode ein kleineres Polfeld oder auf letzterer Seite gar keines.

Bei der gewöhnlich verwendeten, reichlich starken An- ordnung dagegen bieten sich beide Polfelder jedes Eies beim Wechselstrom für die einfache Besichtigung gleich gross dar. Nicht selten jedoch glaubt man an einem Eie, bei Besichtigung der noch in ihrer Hülle und in der Glasschale befindlichen Eier mit der Loupe, deutlich eine grosse Differenz der Polfelder wahrzunehmen; nach der Ausschälung jedoch ist meist kein oder nur ein geringer Grössenunterschied vorhanden, der auf Ungleichmässigkeiten in der Substanz der Hälften des be- treffenden Eies beruhen muss, wenn, wie gewöhnlich bei gleich- massiger Anordnung der Eier, die Eier der Umgebung solche Unterschiede nicht darbieten.

Bei nicht gleichmässiger Vertheilung der Eier in der Schale, beim Vorhandensein von Lücken oder Brücken im Eistratum wird die Breite der Äquatorgürtel neben einander liegender Eier manchmal erheblich verschieden, und die oft stark divergirenden Richtungen der beiden den Äquator begrenzenden Niveauringe entsprechen natürlich nicht mehr den Richtungen der Niveaulinien eines homogenen, die ganze Glasschale einnehmenden elektrischen Feldes.

Kurz dauerndeEinwirkung des Stromes auf befruchtete Eier bildet bloss die Polfelder ohne Niveauringe aus. Selbst bei wenig längerer Durchströmung kommt es vor, dass erst nach der Unterbrechung des Stromes die besondere Färbung und manchmal doppelte Contourirung der Niveauringe entsteht

Bei längerer Dauer der Einwirkung eines starken Stromes dagegen steigern sich die Veränderungen eine Zeit lang; es treten grössere Flecken auf, und selbst auf der oberen schwarzen Hemisphäre entstehen grosse, weisse Flecken (Extraovate), die von den Niveaulinien sich auf das Gebiet des Äquatorgürtels überlagern können.

Die Grösse derPolfelder hängt auch an reifen, befruch- teten und unbefruchteten Eiern ceteris paribus von der Qualität der Eisubstanz ab; dies macht sich am Ende der

Entwickelungsmechanik des Embryo. 43

Laichperiode, wo die Eier schon etwas gelitten haben, besonders bemerkbar; indem in denselben Niveauflächen neben einander liegende Eier gleicher Grösse erhebliche, unregelmässige Ungleichheiten in der Breite des Äquatorgürtels darbieten. Diese Verschiedenheiten sind jetzt am Ende der Laichperiode von Rana fusca so gross, dass sie den Versuch, die Wirkung der Grösse der Eier auf die Grösse der Polfelder festzustellen, erfolg- los machten, indem an durch einander gesäten Eiern verschie- dener (aber bloss zwischen 18 bis 2'bmm wechselnder) Grösse keine constante Verschiedenheit sich feststellen Hess.

An zwischen Glasplatten zusammengepressten, unbefruchteten Eiern entstehen auch bei erheblicher Deformation noch die Polfelder; aber ihre Ränderbieten, wie im ersten Theil bereits erwähnt, von den normalen Niveaucurven eines homo- genen Feldes mannigfach abweichende Richtungen dar. Bei dem Pressen platzt das Ei oft auf; an den so entstandenen, in der Gallerthülle eingeschlossenen, mit dem Eie noch zusammen- hängenden Extraovaten konnte ich jedoch keine sichere Polarisation wahrnehmen, weder eine selbstständige, vom Eie unabhängige, noch eine mit ihm in Verbindung stehende, wie sie zu erwarten wäre, wenn die Niveaulinien des Eies gerade die Richtung auf das Extraovat hin hatten.

Die früher mitgetheilten, beim Durchströmen während der ersten oder zweiten Furchung entstehenden Verwer- fungen der Theile des Äquatorgürtels gegen einander werden um so geringer, je stärker der Strom ist

Auch längere Zeit nach der Durchströmung der Eier finden noch mannigfache Veränderungen in den Eiern statt, die als Folgen der Durchströmung aufzufassen sind. So zersetzte sich zum Beispiel die Substanz der Äquatorscheiben unter Vacuolisirung und Fleckenbildung in einer Weise, wie sie auch sonst, aber nur an älteren Eiern vorkommt; bei noch jungen Eiern fand sie sich bloss an den mit Polfeldem versehenen Eiern, während andere Eier derselben Schale, die am Rande der Schale standen und keine Polfelder gebildet hatten, drei Tage lang ihr normales Aussehen behielten. Die Pol fei der selber dagegen erscheinen weniger veränderlich; im Bereiche der geraden Kraftlinie sind sie nach der Behandlung der Eier mit starkem

44 W. Roux,

Strome ganz unveränderlich, also wohl todt; während, wie früher mitgetheilt, an den breiten Äquatorgürteln in derselben Schale seitlich stehender Eier sogar noch die erste Furchung auftrat. Die Äquatorscheiben stellen also die am wenigsten veränderte Substanz dar.

Die Fähigkeit der Eier in der beschriebenen Weise auf den Strom zu reagiren, erhält sich an den aus dem Körper entnommenen Eiern ziemlich lange. So boten in Wasser versetzte, unbefruchtete Eier sie noch nach iVg Tagen dar. Und Eier von vor drei bis vier Tagen getödteten und mit eröffnetem Leibe gelegenen Weibchen, deren Eier zum Theil an die Uteruswandung angetrocknet waren, bildeten noch die Niveauringe, obgleich die zur Probe besamten aber nicht durchströmten Eier sich nicht furchten, also nicht mehr ent- wickelungsfähig waren.

Dagegen verlieren die Eier durch vier Minuten langes Einlegen in Wasser von 45 46** dies Vermögen auf den Strom zu reagiren; wohl ein Zeichen, dass gleichwohl diese Reaction an Lebenseigenschaften der Eier gebunden ist.

Die während der vorstehend mitgetheilten Versuche ent- wickelten Embryonen gaben Gelegenheit, auch an weiteren Entwicklungsstufen die Wirkung des Wechselstromes zu Studiren. Es zeigte sich, dass an noch in ihrer Gallerthülle befindlichen Froschembryonen, sei es mit noch offenem oder mit schon geschlossenem Medullarrohr, ja auch sogar an schon seit einigen Tagen ausgeschfüpften freien Embryonen der Wechselstrom scharf abgegrenzte Polfelder hervorbringt, die durch einen anscheinend unveränderten Äquatorgürtel getrennt sind. Doch bleibt bei schon ausgeschlüpften Embryonen manchmal die scharfe Begrenzung der Polfelder gegen das Äquatorfeld aus. Im Bereiche der Polfelder tritt leichte graue Verfärbung auf, die anscheinend auf Rundung der Epithelzellen, besonders der farblosen, und auf allmäligem Abfall derselben beruht: eine dem Tode des Embryo vorausgehende Veränderung, die ich alsFramboisia embryonalis finalis minor bezeich- net habe. * Diese Veränderung setzt sich auch nach dem Auf-

1 Vergl. W. Roux, Beiträge zur Entwickelungsmechanik des Embryo. Nr. I, Zeitschr. für Biologie, Bd. XXI, N. F. Ill, 1885.

Entwickelungsmechanik des Embryo. 45

hören der Durchströmung noch fort unter Verschärfung der Abgrenzungslinien der Polfelder gegen den unveränderten Äquatorgürtel. Hat man bei starker Anordnung zu lange durchströmt, so greift die Framboisia minor, wie sonst beim Absterben, rasch auf den ganzen Embryo über, und man übersieht alsdann leicht die zuerst vorhanden gewesene polare Localisation der Veränderung. Werden jüngst ausgeschlüpfte oder durch Scheerenschnitt etwas vor der Zeit zur Welt gebrachte Embr>'onen in dicke Lösung von Gummi arabicum gethan und durchströmt, so sieht man an den den Elektroden nächsten Stellen die Zellen sich runden, aber nur wenige abfallen; eine deutliche Grenze der veränderten Theile gegen ein unverändertes mittleres Feld ist jedoch nicht wahrnehmbar, obgleich gleichalterige Embr>'^onen derselben Abkunft, zur Probe in Wasser durchströmt, ein scharf begrenztes Äquatorfeld darbieten. In Wasserglas gelegte Embryonen bilden auch ohne Durchströmung sofort starke universelle Framboisie. Ist das Wasserglas aber beim Einlegen des Embryo schon durchströmt, so ist die alsdann auch in längerer Zeit eintretende Epithel- ablösung nur gering, so dass zu schliessen ist, die Epithelzellen werdenjetzt meist sofort getödtet, ehe sie noch Zeit hatten, sich in sich selber zusammenzuziehen. Die bei der Framboisia minor von den Embryonen abgefallenen Epithelzellen werden gewöhn- lich durch typische Strömungen an zwei Stellen der Umgebung des Embryo angehäuft, nämlich in der Umgebung der Schwanz- spitze und in der Umgebung der beiden, dicht bei einander befindlichen Haftnäpfe.

Die Breite des Äquatorgürtels der Embryonen wächst ceteris paribus mit der in Richtung des Stromes gemessenen Länge des Embryo (also mit l. cos a, wenn a den Winkel zwischen Stromrichtung und Embryo bezeichnet); dieses Wachsthum ist aber keineswegs proportional dieser Länge; das geht auch schon daraus hervor, dass der Äquator meist parallel contourirt ist, obgleich die Embryonen an beiden Seiten convex sind. Der Äquator steht also nicht etwa in einem bestimmten Verhältniss zu der von jedem Stromfaden durchsetzten intraembryonalen Länge, sondern mehr zu Verhältnissen der äusseren Con- figuration.

46 W. Roux,

Die Breite des Äquatorgürtels der Embryonen nimmt ferner mit der Abnahme der Stromstärke zu. Bei schwächerem Strom werden also ceteris paribus die Polfelder kleiner, während der Äquatorgürtel entsprechend an Breite gewinnt, so dass schliess- lich bloss noch die beiden äussersten, den Elektroden zuge- wandten Enden die Framboisie darbieten. Bei weiterer Strom- schwächung ist dann keine morphologische Wirkung mehr wahrnehmbar, sondern es finden an schon genügend weit entwickelten Embryonen bloss Zuckungen statt. Dieses dem früher über die Eier Mitgetheilten entsprechende Verhalten der Embryonen bekundet also wiederum, dass nur Ströme von gewisser Stärke die geschilderte morphologische Polarisation der durchströmten bezüglichen organischen Körper hervor- bringen, während schwächere Ströme ohne eine solche deletäre Polarisation zu bewirken diese Körper durchfliessen. Die Breite des Äquatorgürtels ist aber ausserdem auch erheblich von der Gestalt des Embryo abhängig.

Für die Lage des Äquatorbandes am Embryo zeigt sich unter Anderem von Bedeutung, dass das mit einer Spitze gegen die nächste Elektrode gerichtete, caudale Polfeld in Richtung des Stromes länger ist, als das eine stumpfere Form der Elektrode zuwendende andere, cephale Polfeld. Die Wirkung dieser Componente ist sehr bedeutend.

Die Intensität der imBereiche der Polfelder stattfindenden Veränderungen ist ausser durch die Intensität des Stromes und die Dauer seiner Einwirkung wesentlich wiederum durch die Gestalt, sowie durch die Richtung der Flächen zu den Strom- fäden bestimmt. Gegen die Elektrode gewendete Spitzen werden eher und stärker verändert als stumpfere Flächen.

Wenn man sich die Richtung der Stromfäden von einer Elek- trode aus vorstellt, so sieht man, dass die dieser Elektrode zuge- wendeten Flächen des nach ihr hin gelegenen Stückes des Embryo, welche also direct von den aus der Flüssigkeit in den Embryo eintretenden Stromfäden getroffen werden, eine stärkere Ver- änderung erfahren, als die hinter Vorsprüngen des Embryo gelegenen, demselben Polfeld zugehörigen Oberflächen. Dieser Stromschatten beweist zugleich, dass die im Bereiche der Pol- felder beobachteten Veränderungen durch den Ein- resp. Austritt

Entwickelungsmechanik des Embryo. 47

der Stromfäden veranlasst werden. Der Stromschatten ist sehr ausgesprochen; aber die räumliche Ausdehnung seines Gebietes entspricht nicht dem Schatten, den die zuerst von den Strom- faden des Elektrolyten getroffenen Flächen in Richtung dieser Fäden werfen würden; sondern das der geringeren Veränderung nach als im Stromschatten befindlich zu erkennende Gebiet ist kleiner, was auf den Eintritt seitlicher Stromfäden, also auf Ablenkung derselben von ihrer eigentlichen Richtung hinweist.

Auch bis zur Berührung zusammengedrängte und quer oder schräg zur Richtung der Berührungsflächen durchströmte Embryonen werfen auf einander einen Stromschatten.

Die Richtung des Äquatorgürtels, respective seiner beiden Grenzlinien weicht beiden complicirter gestalteten Embryonen sehr erheblich von den Niveaulinien des um- gebenden homogenen elektrischen Feldes ab; diese Abwei- chungen sind bei jungen, noch schwanzlosen aber cephal und caudal verdickten, sowie an schon mit dem Schvvanzstummel versehenen, aber infolge Raummangels in der Gallerthülle seit- wärts gebogenen Embryonen erheblicher als bei etwas älteren, freien, schon gestreckten und ausser den Kiemen keine grösseren Verwölbungen besitzenden Embryonen. Letztere lassen bei Stellung in Richtung der Stromlinien oder der Niveauflächen wieder deutlich die Annäherung der Aquatorränder an die bei kugeligen Gebilden (Eiern, Morulae und Blastulae) gewon- nenen Potentialniveaucurven erkennen; bei diesen Stellungen gewinnt man auch an den complicirter gestalteten jüngeren Embryonen noch bezüglich gerichtete Äquatorgürtel; aber die Abweichungen sind doch schon erheblicher.

Bei schiefer Lage der Embryonen zu den Kraftlinien erhält das Aquatorband mannigfach gebogenen Verlauf. Es können ferner an den in der Mitte eingeschnürten Embr^'onen zwei wohl contourirte Bänder auftreten. Auch Stücke von lebend zerschnittenen Embryonen zeigen eine den mitge- theilten Regeln annähernd entsprechende Polarisirung und in den Polfeldern die Framboisia minor; aber wenn die Schnitt- fläche der Elektrode zugewendet ist, wird von der Seitenfläche fast bloss der anstossende Epithelrand verändert. Dessgleichen bietenunvollkommenzertheilte Embryonen ausserordent-

48 W. Roux,

lieh mannigfach gestaltete Polfelder dar. Das Genauere dieser Verhältnisse kann nur an der Hand von Abbildungen mitgetheilt werden und verdient vorher noch weitere Beobachtung. Wesent- lich ist noch, dass an Embryonen mit umgebogenem Schwänze, die Umbiegungsstelle in ihrem, auf den mittleren Stromfaden be- zogen, lateralen Theil keinÄquatoralband enthält, was wiederum wohl durch seitlich eindringende Stromfäden bedingt ist.

Da bei der polarisirenden Wirkung des Stromes voraus- sichtlich auch die Differenz des Leitungsvermögens der organischen Körper und des Menstruums von Bedeutung ist, so variirte ich letzteres, indem ich es mehr der Leitungsfahigkeit der Eier zu nähern suchte. Ich verwandte zunächst, wie schon oben mitgetheilt, gesättigte Lösungen von Kochsalz, von Bor- säure und von Borax; in all diesen Lösungen ging an vorher in Wasser gelegenen, noch in ihrerGallerthülle befindlichen Frosch- eiern die Bildung der Polfelder vor sich. Da aus ihrer Gallert- hülle ausgeschlüpfte Embryonen beim Einlegen in Wasser- glas oder in auch nur 57o Kochsalzlösung auch ohne Durch- strömung sofort universelle Framboisia minor ausbilden, so sind sie zur Prüfung der Wirkung des Stromes bei diesem Men- struum nicht zu gebrauchen.

Die gesättigte Kochsalzlösung hat von den angewandten Lösungen das beste Leitungsvermögen. Aber es ist wohl daran zu denken, dass die an verschiedenen Salzen so reichen Eier vielleicht noch besser leiten; daher versuchte ich30%Schwefel- säure, die ein dreimal besseres Leitungsvermögen als gesättigte Kochsalzlösung und überhaupt das beste Leitungsvermögen von allen wässerigen Flüssigkeiten hat. Wenn die Schwefelsäure erheblich besser leitet als die Eier, dann durfte meiner Meinung nach keine Polarisation an ihnen entstehen. Beim Versuch er- gab sich zunächst, dass die Schwefelsäure, ein starkes Gift für das Ei, schon nach 30 Secunden die 2 3 mm dicke gequollene Gallerthülle durchsetzt. Daher verstärkte ich die Versuchsan- ordnung ad maximum, so dass an Eiern, welche in Wasser durchströmt wurden, schon nach 5 Secunden die Polfelder zu sehen waren. Danach Hessen befruchtete Eier von Rana fusca, 20 Secunden lang in 30 vol. procentiger Schwefelsäure durch- strömt, keine sicher feststellbare Polarisation erkennen, obschon

Entwickelungsmechanik des Embryo. 49

sie bei gleich darauf vorgenommener Durchströmung in Wasser innerhalb kürzerer Zeit schön ausgeprägte Polfelder, aber nur von einer für diese starke Anordnung auffallenden Kleinheit entwickelten. Wenn ein in 30 vol. procentiger Schwefelsäure schwimmendes Ei mit seiner Gallerthülle direct die Elektrode berührt, so scheint eine Spur der Polfelderbildung an ihm statt- zufinden.

Auch bei eine Minute dauernder Durchströmung in 30, ebenso wie noch in 5 vol. procentiger Schwefelsäurelösung ent- steht keine deutlich sichtbare Polarisation. In 4 vol. procentiger Schwefelsäure scheint schon eine schwache Polfelderbildung aufzutreten.

In 2 vol. procentiger Schwefelsäurelösung werden dagegen nach längerer Durchströmung deutliche, grobgefleckte, aber für die angewandte Stromstärke nur sehr kleine Polfelder gebildet.

Es war nicht zu beurtheilen, ob die Polfelder so klein sind, weil nur so wenig Stromfaden aus dem Menstruum in das Ei treten, oder weil die Eier durch die Schwefelsäure gelitten haben.

In blos 1 vol. procentiger Lösung entstehen die Polfelder noch langsam ; die wieder grobe, weisse Fleckung breitet sich sehr allmälig von den den Elektroden zugewendetsten Theilen der Eier aus, und die am Rande des Polfeldes befindlichen Flecke verlängern sich in zum Pole radiärer Richtung und bilden so einen typischen Kranz. Am Äquator zieht sich wieder das Pigment von den Rändern gegen die Mitte zurück. Die Polfelder entwickeln sich aber seitlich am Eie meist nicht mehr bis zu der den Niveaulinien entsprechenden Ausdehnung und stellen somit zwei um die Pole selber centrirte Kappen des Eies dar, ein Verhalten, welches ich wieder, wie schon früher an durch verzögerte Laichung geschädigten Eiern, für eine abnorme Reactionshemmung halte. In 7^ vol. procentiger Schwefelsäure zeigt sich wesentlich das gleiche Verhalten. Messungen des Leitungsvermögens der Eier im Vergleich mit dem Leitungs- vermögen der 5 vol. procentigen Schwefelsäure können er- kennen lassen, bei wie viel grösserem Leitungsvermögen des Menstruums als dem der Eier die Polarisation derselben infolge Durchströmung mit einem Strome von an sich geeigneter Stärke eben noch entsteht.

Sitzb. d. mathem.-naturw. Cl.; CI. Bd. Abth. IK. 4

50 W. Roux,

Herr College Wassmuth, der interimistische Leiter des k.k. physikalischen Institutes, war so freundlich, mir löBunsen'- sche Elemente von 20 cm Höhe zu leihen. Der mit diesen Ele- menten erzeugte Gleichstrom wurde auf die jetzt allein vor- handenen, im Allgemeinen viel empfindlicheren Eier des grünen Wasserfrosches, Ra^ta esculenta angewandt und Hess bei Nebeneinanderschaltung, wie ervyartet, auch bei starker Ver- suchsanordnung (kleine Schale, Abstand der Elektroden von bloss 1*6 cm) innerhalb drei Minuten keine Wirkung weder auf die Eier noch auf die Gallerthüllen derselben erkennen. Daher wurde weiterhin nur noch mit hintereinandergeschalteten Elementen experimentirt unter Gewinnung folgender Ergebnisse: Die Wirkung dieses Stromes auf die Gallerthüllen und auf die befruchteten Eier entspricht wesentlich der früher mitge- theilten Wirkung des mit der Gleichstrom-Dynamomaschine er- zeugten Stromes. Zuerst entstehen wieder die gegen die posi- tive Elektrode (Anode) hin gewendeten anodischen oder posi- tiven Polfeder. Von oben gesehen, wird der Bereich dieses Feldes am noch ungetheilten Eie auf einmal leicht graulich, trüb, dar- auf sogleich hellbraun, und grenzt sich oben durch eine deut- liche Furche ab; daraufsteigt ein, gewöhnlich zungenförmiger Strom der hellbraunen Substanz auf und breitet sich oben bohnenförmig aus, verschwindet aber einige Zeit nach der Stromunterbrechung oder beim sofortigen, behufs Fixation vor- genommenen Kochen in den meisten Fällen, wohl durch Ver- theilen der ausgetretenen Substanz im Eiwasser, wieder. Die Besichtigung der aus der Hülle ausgeschälten Eier zeigt das positive Polfeld unten mit hellen Flecken bedeckt, die durch ein eckig-maschiges Netz schwarzbrauner Linien getrennt sind. Dieses anodische Polfeld stellt in seiner Gestalt einen Kugel- abschnitt dar und setzt sich durch seinen oberen, vorspringenden Rand von dem übrigen, oft in Richtung des Stromes deutlich verlängerten, mit einigen leichten Längsfurchen und entspre- chenden Wülsten versehenen Theil des Eies ab. An letzterem Theil findet sich, dem positiven entgegengesetzt, das oft kleinere, der negativen Elektrode zugewendete »negative« oder »katho- dische« Polfeld. Dasselbe entsteht später als das positive und ist durch noch rundliche helle Fleckchen, die kleiner sind als

Entwickelungsmechanik des Embryo. 51

die zuletzt eckigen Flecken des anodischen Feldes, charak- terisirt; es hat meist keine deutliche Grenze; selten ist unten am Eie als Grenze eine dunkle Linie oder eine Reihe von Flecken vorhanden. Die Veränderungen sind viel geringer als am positiven Felde. Zwischen beiden Polfedern liegt der in seiner Farbe meist unveränderte Äquatorgürtel. Das Ei ist oben manchmal abgeplattet.

An unbefruchteten Eiern ist die Wirkung des Gleich- stroms wesentlich die gleiche; doch ist die positive Niveaulinie gewöhnlich weiss und der anstossende Äquatorrand um so dunkler; manchmal ist jedoch auch eine schwarze anodische Niveaufurche vorhanden. Das anodische Polfeld kann rosetten- artig ausgebogen sein. Das kathodische Polfeld ist mit weissen runden Flecken versehen und kann einer scharfen Grenze ent- behren. Nach der Ausschälung und Härtung sah ich amÄquator und kathodischen Theile des Eies von dem einen auf den andern Theil übertretend, durch seichte Furchen getrennte Längswülste, vondenen die beiden obersten in Richtung desStromes, die mehr seitlichen aber etwas nach der Seite concav verliefen, beiderseits aber symmetrisch zu einander geordnet waren. Manchmal hat das kathodische Polfeld eine deutliche Grenze und ist auch eine besondere negative Niveaulinie vorhanden. Die Summe der Niveaulinien bildet bei gleichmässiger Zusammenlagerung der Eier in der Schale wiederum deutliche Potentialniveauflächen.

Setzte ich die Elektroden zuerst im Binnenraume der Schale auf und sodann am Rande derselben, wobei die neu zwischen die Elektroden gelangten Stellen in zur früheren fast umge- kehrten Richtung durchströmt wurden, so zeigten die Eier dieser Stellen dann jederseits ein Polfeld vom Charakter des anodi- schen Polfeldes, so dass sich also die beim Wechselstrom beob- achteten Veränderungen leicht aus den alternirend in entgegen- gesetzten Richtungen erfolgenden Wirkungen des Gleichstroms ableiten lassen. Die ursprünglich zwischen den Elektroden ge- legenen' Eier dagegen Hessen durch den zweiten, geschwächten Strom keine diesem Strom entsprechende Ausbildung von neuen Niveauringen nach aussen von den früheren erkennen.

Auch an Eiern, welche in der ersten und zweiten Thei- lung begriffen waren, traten wesentlich dieselben Veränderungen

4*

52 W. Roux,

durch den Gleichstrom auf; doch folgte der aufsteigende Sub- stanzstrom den zufällig der positiven Elektrode zugewendeten Furchen, und zwar zunächst getheilt als zwei Ströme, an jeder Wandungsfläche der Furche einen; später aber vereinigen sich die neben einander aufgestiegenen hellbraunen Massen.

An Gastrulae bewirkte der Gleichstrom nur geringe Ver- änderung; man sah ein leicht grau verfärbtes, aber grosses, kathodisches, ein anscheinend kleineres anodisches Pol- f e 1 d, welche beide einen seine schwarze Farbe behaltenden, wenig scharf begrenzten Äquatorgürtel zwischen sich fassten. An den Polfeldern selbst entstand bloss Rauhigkeit mit einigem Epithel- abfall combinirt. Wenn bereits die Medullarplatte an der Gastrula vorhanden ist, so durchsetzt der Äquatorgürtel mit seinen, Niveauringe darstellenden Grenzen diese Anlage des Centralnervensystemes ohne jede Unterbrechung oder Rich- tungsänderung. Durch besondere Veränderungen ausgezeich- nete Niveauringe oder gar Niveaufurchen entstehen gleichfalls nicht im Bereiche der Anlage des Centralnervensystemes.

Noch in der Gallerthülle befindliche Embryonen mit soeben geschlossenem Medullarrohr zeigten dieselben Veränderungen, aber intensiver, mit stärkerem Epithelabfall. Das positive Pol- feld wurde zuerst weisslich,das negative schien wieder grösser. Schon ausgeschlüpfte, sogar mit Kiemenfäden versehene Em- bryonen bekamen unter Wirkung des Gleichstroms die beim Wechselstrom ausführlich nach Ausdehnung, Lage und Rich- tung erörterten Erscheinungen derFramboisia minor im Bereiche der Polfelder.

Zur Vervollständigung des früher über die Wirkung des Stromes auf die Richtung der normalen ersten Thei- lungsebene des Eies mitgetheilten, bloss mit dem Wechsel- strome angestellten Versuches, wiederholte ich jetzt dasselbe Experiment mit dem maximalen ertragenen Gleichstrom. Die Durchströmung begann 2 Stunden nach der Befruchtung und dauerte 1 7* Stunden bis zum Auftreten der ersten Furche. Der Strom war gerade so stark, dass die der Elektrode nächsten Eier noch kleine Polfelder bildeten. Die ersten Furchen waren jedoch wieder wie beim Wechselstrom vollkommen atypisch gerichtet, und Hessen somit trotz 1 '/^stündiger Wirkungsdauer

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in ihrer Richtung keine Beziehung zu den Kraftlinien des Strom- feldes erkennen. Damit ist dargethan, dass auch der Gleich- strom auf die Richtung der ersten Theilung des Furchungskernes und des Eileibes eine bestimmende Wirkung nicht auszuüben vermag.

Bei Ausdehnung der Versuche mit dem Wechselstrom auf andere organische Objecte ergab sich zunächst ein positives Resultat an der noch lebenden Gallenblase des Frosches. Dieses annähernd kugelig gestaltete, 5 7 mm grosse Gebilde lieferte nach Unterbindung des Ausführungsganges, bei praller Füllung Polfelder, deren Grenzen typische Niveauflächen des um- gebenden Elektrolyten darstellen. Je nach der Dicke der Wandung kann man nach 1 4 Minuten die den beiden Polen nächsten Theile durch grüne Farbe von dem blaugrauen Mittelstück sich abheben sehen; bei fortgesetzter Durchströmung breitet sich die diesen Farbenwechsel bedingende Exosmose der Galle weiter aus; die grünen Polfelder werden allmälig grösser, um dann, bei nicht zu starkem Strome auf gewisser Grösse stehen zu bleiben, so dass das zwischen ihnen gelegene unveränderte Äquatorband eine constante Breite erhält, welche in einem um- gekehrten Verhältniss zur Stromstärke steht. Ist die Anordnung sehr stark, so verschmelzen beide Polfelder zuletzt in der Mitte mit einander. Ist umgekehrt der Strom sehr schwach, so bleiben die Polfelder sehr klein, um bei gewisser Schwäche des Stromes überhaupt nicht zu entstehen. Der Strom durchfliesst dann also wieder den Gegenstand, ohne ihn in der beschriebenen Art zu polarisiren. Ist das Wasser ein wenig mit Schwefelsäure, wenn auch nur sehr schwach eingesäuert, so vollzieht sich die ganze Veränderung in wenigen Secunden und die Polfelder werden statt dunkel-, hellgrün. Durchströmt man eine in Wasser durch- strömte, bereits polarisirte Gallenblase zum zweiten Male, recht- winkelig zur früheren Richtung, so bildet sich, aber erst nach längerer Durchströmung als vorher, auf den jetzt polaren Seiten des Äquatorgürtels ein grünes Feld, jedoch bloss in der Mitte des Äquatorbandes aus; die seitlichen Ränder, also die den Pol- feldern der ersten Durchströmung anliegende Zone des Äqua- tors, bleibt blaugrau, sie wird also nicht mehr diffusibel durch den Strom. Während Erwärmen einer lebenden Gallenblase auf

54 W. Roux,

52*' C, wohl durch Tödtung des Epithels, bewirkt, dass schon nach 4 Minuten die ganze Gallenblase grün ist, waren auch da- durch die letzterwähnten, bei der zweiten Durchströmung un- veränderlich gebliebenen Niveauringe nicht mehr für die Galle diffusibel zu machen. Die gleiche Reation gibt die prallgefüllte, unterbundene Gallenblase ganz junger Kaninchen, wenn man sie quer oder schräg zum Strom stellt Diese Gallenblasen sind länglich (9 11 mm lang, 2 ^mm dick). Bei Längsein- stellung derselben im Strom konnte ich mit meinem Wechsel- strom keinen scharf abgegrenzten Äquator mehr hervorbringen, wohl aber in den anderen genannten Einstellungen. Bei schräger Einstellung entsteht das Polfeld jederseits zuerst an der der Elektrode nächsten Stelle des gewölbten Endes der Blase und breitet sich von da aus längs der Seitenkanten sowie nach oben und unten aus, ohne aber das andere Ende der Blase zu er- reichen. Daraus ergibt sich, dass an jedem seitlichen Ende bloss ein Polfeld vorhanden ist, und dass der Äquator daselbst eine Stelle einnimmt, welche fast direct gegen eine Elektrode gewendet ist. Die einander parallelen Grenzen der Polfelder entsprechen dabei nicht mehr, wie an der runden Gallenblase und an den runden Eiern des Frosches, den Niveaulinien des umgebenden elektrischen Feldes, sondern sie entsprechen dem oben für die länglichen, aber sonst einfach gestalteten Embryonen Mitge- theilten. Die Gallenblasen von Hühnern und Tauben sind sehr dickwandig; darauf beruht es vielleicht, dass ich auch nach Verkleinerung der Blase durch Abschnüren von Theilen der- selben, keine deutlich abgegrenzten Polfelder erhielt, selbst nicht, nachdem ich ihre Wandung durch Einlegen in warmes Wasser geschwächt hatte. (Vergl. Taf. I, Fig. 12 und Erklärung.) Auch das Frosch herz lässt bei derselben Versuchsanord- nung eine polar localisirte Reaction erkennen. Die Polabschnitte werden tonisch contrahirt und sind daher blass, die nicht con- trahirte rothe Äquatorscheibe lässt annähernd die Richtung von Niveauflächen hervortreten, besonders deutlich, wenn man drei Herzen zugleich in concavem Bogen um eine Elektrode gru- pirt. Das Herz mag seine Spitze, Basis oder eine Seitenfläche der Elektrode zuwenden, die drei Äquatorscheiben, von denen jede durch die ganze Herzsubstanz durchgeht, bilden zusammen

Entwickelungsmechanik des Embryo. 5o

ziemlich gut die Krümmung der Potentialniveauflächen dieser Stelle des elektrischen Feldes. Doch liegt hier keine morpho- logische, dauernde, sondern nur eine functionelle polar localisirte Veränderung vor, beruhend auf der polaren Muskelerregung im Sinne von Hering, Biedermann und Anderen. Immerhin ist für uns die übereinstimmende Localisation von Interesse, wenn- gleich diese Localisation zum Theil anders bedingt sich zeigt, indem sie auch auf die Schattenseiten übergreift.

Nach diesen Befunden lag natürlich die Vermuthung nahe, dass vielleicht auch in anderen organischen, lebenden oder todten Gebilden, wenn nicht auch in anorganischen Körpern der elektrische Strom bei geeigneter Spannung und Stärke für die Qualität und Grösse des durchströmten Objectes und für die Grösse der Differenz des Leitungsvermögens zwischen Men- struum und Object eine der beschriebenen entsprechende Polari- sation unter Zerlegung des Objectes in zwei Polabschnitte inten- siverer Wirkung und einen zwischen ihnen gelegenen Abschnitt geringster Wirkung, eventuell noch unter besonderer Äusserung an den oberflächlichen Grenzlinien der drei Abschnitte her- vorbringt Es ist aber nicht zu erwarten, dass alle lebenden Ob- jecte vermögen, so sichtbar darauf zu reagiren, wie die Frosch- eier es durch Bildung veränderter Polfelder und Bildung be- sonders gefärbter Niveaugrenzlinien, respective wirklicher Fur- chen thun, wie es ferner die jungen Froschembryonen durch das Verhalten der Epithelzellen, sich in sich zu contrahiren und daher den epithelialen Verband zu lösen bekunden, wie sie die Wandung der Gallenblase durch ihre Eigenschaft, im Bereich der Polfelder diffusibel, im Bereiche der Niveaulinien aber imper- meabel zu werden erkennen lässt, und wie es das Froschherz durch Contraction im ganzen Bereiche der Polabschnitte thut.

Obschon zu vermuthen ist, dass alle Organe des e r- wachsenen Frosches und anderer erwachsener Wirbelthiere von den Physiologen dem elektrischen Strom unterworfen worden sind, ohne dass jedoch ein hieher gehöriges Resultat mir bekannt wäre, so veranlasste mich doch der neue Befund an der Gallenblase, diese Prüfung mit meinem Strom und meiner Versuchsanordnung nochmals vorzunehmen. Ich durchströmte daher mit dem Wechselstrom die Milz, Stücke der Leber, der

56 W. Roux,

Haut, der Nerven und das Auge, ohne dass eine sichtbare po- lare Veränderung auftrat. Um eventuell entstandene unsichtbare Verschiedenheiten nachträglich sichtbar zu machen, legte ich die Organe in die zur Färbung der Gewebe üblichen Farbstoff- lösungen, indess ohne Erfolg. Auch wenn die Organe schon während der Durchströmung in der Farbstofflösung lagen, war keine polare Färbungsdifferenz bei der blossen Loupenbesich- tigung wahrzunehmen. Die mikroskopische Untersuchung der Objecte steht noch aus. Dessgleichen Hessen mit Farbstoff- lösung prall gefüllte abgeschnürte Theile der Harnblase und der Lunge des Frosches nach der Durchströmung keine polar localisirten Veränderungen erkennen.

III. Abschnitt.

Nachdem in den vorstehenden beiden Mittheilungen einige neue Erscheinungen in der Reihenfolge ihrer Ermittelung vor- geführt worden sind, ist es unsere Aufgabe, ihnen ihren Platz unter den Gruppen bereits bekannter Erscheinungen anzu- weisen. Da kann wohl kein Zweifel sein, dass wir es in diesen typisch gestalteten Reactionen der Froscheier und -Embryonen auf den elektrischen Strom mit Veränderungen zu thun haben, die sich trotz mannigfacher neuer, fremder Züge aufs Engste an die Entdeckung W. Kühnes* anschliessen, dass die Pro- tisten durch den elektrischen Strom polar erregt und eventuell auf der Polseite zerstört werden.

Reizte Kühne eine Amöbe mit dem Gleichstrom, so wurde der der Anode zugewendete Theil der Amöbe trüb und ver- wandelte sich in eine wie körniger Sago aussehende Substanz. Der der Kathode zugewendete Theil dagegen zeigte in seinem Innern und an seiner Oberfläche vielfache Blasenbildung. Auch die von Kühne beobachtete, nicht deutlich polare Reaction der Amöbe auf den Inductionsstrom ist für uns von Bedeutung. Wurde eine Amöbe wiederholt mit nicht zu starken Inductions- strömen gereizt, so contrahirte sie sich zu einer bewegungslosen Kugel, welche undurchsichtig und trüb wurde und endlich einen kugelig geronnenen Klumpen darstellte. Bei Reizung mit einem

1 W. Kühne, Untersuchungen über das Protoplasma und die Contrac- tilitat, Leipzig, 1864.

Entwickelungsmechanik des Embryo. 57

Starken Strom platzte da^ Thier und entleerte seinen Inhalt zum grossen Theil.

Noch bedeutsamer sind für uns die Beobachtungen W. Kühne's an Actinophrys Eichhornii (p. 56 u. f.). Auf Ein- wirkung eines schwachen Inductionsstromes werden bei diesem Protist bloss die gegen die Elektroden gewendeten Fortsätze ein- gezogen, während die seitlich am Thier entspringenden, recht- winkelig zum Strom orientirten Fortsätze unverändert bleiben. Auch zerplatzen nur auf den Polseiten des Thieres die Blasen der Rindensubstanz desselben. Wo der Strom eintritt, ist selbst bei minimaler Reizung die Erscheinung ebenso wie da, wo er austritt; und nur diejenigen Randtheile, deren Strahlen recht- winkelig zur Stromrichtung stehen, bedürfen mächtigerer Rei- zungen, um in Bewegung zu gerathen (p. 59). Im Gleichstrom wird der der Anode zugewendete Theil des Organismus einge- schmolzen, zerfällt zu einem Brei, während der kathodische Theil (beim Einschleichen in den Strom) unverändert bleibt. Beim raschen Stromschluss, sowie beim Unterbrechen des Stromes fand an diesem Theile Einziehung der Pseudopodien und Platzen einiger Blasen statt. Die zum Strome rechtwinkelig stehenden Strahlen bleiben jedoch auf dem wohlerhaltenen seit- lichen Rande des Protist stehen, sofern nicht besonders starke Ströme verwendet werden. Ausser der Einziehung der Pseudo- podien, dem Zerplatzen der Blasen führt Kühne auch den Zer- fall auf der Anodenseite des Thieres auf Contraction des Proto- plasmas zurück.

Auch für Nerven und Muskeln ist die polare Natur. der elektrischen Erregung dargethan. Pflüger, v. Bezold, Engel- mann, Hering, Biedermann u.A. haben das Gesetz erwiesen, dass die Erregung bei der Schliessung des galvanischen Stromes von der Kathode, bei Öffnung von der Anode ausgeht.

Der in diesen Angaben sich aussprechende Gegensatz zwischen der specifischen Localisation der Schliessungs- und ÖfTnungserregung an den Polen bei dem erwähnten Protist gegenüber dem Verhalten der Nerven und Muskeln wurde be- stätigt durch eine jüngste Arbeit Max Verworrns,* welcher

1 M. Verworrn, Die polare Erregung der Protisten durch den gal- vanischen Strom. Pflüger's Archiv f. Physiologie, Bd. 45 u. 46.

58 VV. Roux,

Autor an einer ganzen Reihe von Protisten die Angabe Kühne's bestätigte. Doch fand er auch einige Flagellaten und Ciliaten, welche nebst den Bakterien auf der Kathodenseite die Schlies- sungserregung darbieten. Bei Anwendung deslnductionsstromes beobachtete Verworrn gleich Kühne auf beiden Polseiten einen körnigen Zerfall, während der mittlere Theil des ein- zelligen Organismus zunächst unverändert blieb.

Meine mitgetheilten Versuche mit dem Gleichstrom zeigten, dass die Froscheier ähnlich Actinosphärium bei geschlossenem Strome zuerst und am stärksten auf der Anodenseite alterirt werden, und dass erst erheblich später eine weniger starke und oft weniger scharf begrenzte Veränderung auf der Katho- denseite stattfindet.

Über die besondere Wirkung des Stromschlusses, respec- tive der Stromunterbrechung habe ich keine Versuche gemacht, was bei der von mir beobachteten Reactionsweise wohl auch schwerer möglich gewesen wäre, immerhin aber durch Ein- und Ausschleichen hätte geschehen können. Meine Versuche sollen nicht die Beispiele über die specielle Localisation der Schlies- sungs- oder Öffnungsveränderung auf die Kathoden- oder Anodenseite vermehren; sondern der Schwerpunkt derselben liegt in der neuen Art der Reaction eines auch noch nicht als reactionsfähig bekannt gewesenen lebenden Materiales, beson- ders aber in der scharf umgrenzten, typisch gestalteten Loca- lisation dieser Reaction, welche letztere bei unserem Material so scharf umschrieben, so bestimmt gestaltet auftritt, dass sie unwillkürlich zur eingehenderen Betrachtung und zur Frage nach ihren Ursachen auffordert und vielleicht auch den Physio- logen Gelegenheit geben wird, den Ursachen der polaren Natur der elektrischen Erregung etwas näher zu treten.

Es wird zunächst unsere Aufgabe sein, die Ausdehnung des Vorkommens bezüglicher Veränderungen des Weiteren zu ermitteln und zugleich festzustellen, ob etwa noch Variationen der Art und Localisation auftreten, welche uns einen weiteren Blick in das Wesen der Vorgänge zu thun gestatten.

Da jedoch die besprochenen Reactionen embrj'onaler Proto- plasten auf den elektrischen Strom mit denjenigen Vorgängen, auf welchen, die mich speciell angehenden normalen Gestal-

Entwickelungsmechanik des Embryo. 59

tungen der Organismen beruhen, nur in geringer Beziehung zu stehen scheinen, so beabsichtige ich nicht, die neuen Erschei- nungen bis in's Letztmögliche zu verfolgen.

Ehe wir weiterschreiten, seien einige Termini erläutert, deren Gebrauch die Darstellung in diesem grösseren Abschnitte verkürzen wird.

Unter den Polen eines durchströmten Gebildes wird jeder- seits die der Elektrode dieser Seite nächste, also gegen die Elektrode vorspringende Stelle verstanden. Die Polseiten sind die gegen die Elektroden gewendeten Seiten eines Ge- bildes. Als Polmeridiane werden die über die Oberfläche des betreffenden Gebildes von Pol zu Pol gezogenen Linien mini- maler Krümmung benannt. Das Polfeld bezeichnet den Pol und dessen Umgebung, wenn, respective soweit die Theile durch den Strom polar verändert worden sind. Polabschnitt sei der Abschnitt des durchströmten Objectes, der etwa durch eine Fläche minimaler Krümmung abgetrennt wird, welche durch die Grenzlinie oder, wenn sie vorhanden ist, durch die Grenz- furche des Polfeldes hindurch gelegt werden kann. Die beiden Flächen fassen zwischen sich die Aquatorscheibe. Wenn vom Äquator gesprochen wird, so ist immer der von den Pol- feldern flankirte mittlere Theil der Oberfläche des durchströmten Gebildes, also genauer der elektrische Äquator gemeint; und unter der Breite des Äquators verstehen wir immer seine Ausdehnung in Richtung des Stromes. Da letzterer bei unserer wagrechten Anordnung der Elektroden zu einander, und bei der wagrechten Stellung unserer Schalen immer in wagrechter Richtung verläuft, so ist der Äquator, soweit er Niveauflächen- richtung des ganzen Feldes hat, immer senkrecht orientirt.

Bei Anwendung des Gleichstroms wird das der Anode zu- gewendete Polfeld als positives oder anodisches, das der Kathode zugewendete als negatives oder kathodisches Polfeld der Kürze halber bezeichnet, ohne dass damit irgend etwas über die anodische oder kathodische Natur dieser Pol- felder angedeutet sein soll. Dasselbe gilt von der Bezeichnung der beiden Polseiten eines Gebildes.

Von dem »elektrischen Äquator« ist zu unterscheiden der Eiäquator, worunter man am Frosch- und Tritonei die, bei

W. Roux,

gewöhnlicher Einstellung des Eies wagrechte Grenzzone des oberen, pigmentirten: braunen oder schwarzen, mehr protoplas- matischen und daher specifisch leichteren Eiabschnittes gegen den unteren, hellen, mehr aus den specifisch schwereren Dotterkörnern gebildeten, bald grösseren, bald kleineren Ei- abschnitt versteht. Diese beiden, gewöhnlich ungleich grossen Eiabschnitte werden als obere, braune oder dunkle, und untere, helle Hemisphäre bezeichnet. Unter Ei axe versteht man die gerade Verbindungslinie der Mittelpunkte der Ober- flächen beider Hemisphären.

Ferner seien noch einige Termini der ersten Entwicklungs- stufen kurz erläutert. Das in eine grössere Zahl von ab- gerundeten und entsprechend nach aussen sich vorwölbenden Zellen zertheilte Ei führt wegen seiner Ähnlichkeit mit einer Maulbeere den Namen Morula. Es hat in seinem Innern eine kleine Höhle. Ist diese Höhle gross geworden, so heisst das Ei Keimblase s. Blastula; dabei sind zugleich die Zellen so klein, dass man sie mit unbewaffnetem Auge nicht mehr gut erkennt. Das nächste, gleichfalls noch kugelig gestaltete Stadium heisst Bauchlarve s. Gastrula und entsteht unter Bildung einer neuen, mit der Aussenwelt communicirenden Höhle im Innern; die Mündung dieser Höhle heisst derUrmund. Danach wird aussen eine lange Furche am Ei gebildet, die Medullar- furche, deren beide Ränder sich einander nähern, schliesslich vereinigen. Das so aus der inneren Wandung der Furche her- vorgegangene Rohr ist das Medullarrohr, die Anlage des Centralnervensystems. Diese Entwickelungsstufe führt bereits den Namen Embryo. Derselbe ist nicht mehr kugelig, sondern länglich und an den Seiten abgeplattet; er besteht schon aus drei Keimblättern, dem äusseren oder Ectoblast, dessen das Medullarrohr bildender Theil als Medullarplatte bezeichnet wird, zweitens dem inneren oder Entoblast, welches die Auskleidung des Darmcanals und seiner Derivate bildet; und zwischen diesen beiden Blättern findet sich das mittlere Keim- blatt oder das Mesoderm. Die weiterhin mitgetheilten Versuche an Froscheiern erstrecken sich allein auf den grünen Wasser- frosch (Rana esailcnta)^ der aus dem Etschthal bezogen war, da die zu den Versuchen der früheren Mittheilungen fast aus-

Entwickelungsmechanik des Embryo. 61

schliesslich verwendeten Eier des braunen Grasfrosches (Rana fusca) nicht mehr brauchbar waren.

Für gewöhnlich wurde mit dem Wechselstrom ge- arbeitet; daher ist immer da, wo einfach von Strom die Rede ist, der Wechselstrom gemeint. Da die Herrichtung der Bunsen- schen Batterie natürlich besondere Umstände und Kosten ver- ursachte, so wurden mit dem Gleichstrom nur wenige Ver- suche gemacht. Erst später gelang es mir, eine Einrichtung zu treffen, um aus dem mir zur steten Verfügung stehenden Wechselstrom einen Gleichstrom zu gewinnen; was eine grosse Bequemlichkeit darstellt. Indess besitzt der Apparat noch Män- gel, deren Beseitigung zunächst anzustreben ist. Die Durch- strömung fand, wenn nicht anders vermerkt, in runden Glas- schalen und in Wasserleitungswasser statt. Das Instrumentarium bestand in Platinelektroden, einem Stromschalter, einem etwas trag reagirenden Federbart-Galvanoskop, welches nur grobe Schätzungen der Stromstärken von Vio Ampere und darüber gestattete, so dass es bei den grossen Widerständen meiner Objecte meist nicht reagirte, und einem Amperemeter mit Theilung von 1 12 Amperes. Letztere beiden Instrumente, sowie die Bunsen'- schenElemente verdanke ich der Güte des Herrn Collegen Wass- muth, des interimistischen Vorstandes des k. k. physikalischen Institutes der Universität. Leider erst gegen den Schluss der Untersuchungen Hess ich mich herbei, ein Horizontalgalvano- meter von Reiniger, Gebbert und Schall in Erlangen, welches von 7io ^ Milliampere getheilt ist, sowie oblonge Glasschalen anzuschaffen, womit dann manche, neuen Aufschluss gewäh- rende Versuche ermöglicht wurden.

An Protisten begonnene Versuche gab ich sofort als un- nöthig auf, nachdem ich die obencitirten ausgedehnten Unter- suchungen Verworrn's kennen gelernt hatte. Ich theile daher nur einige Versuche an dem gleichfalls von Verworrn geprüften Aethalium sepiicum mit, obschon ich von diesem Materiale noch nicht das geeignete Entwickelungsstadium angetroffen hatte, und daher nur einige, zum Theile eigentlich nicht hieher gehörige Beobachtungen an ihm gemacht habe.

Ich fand, dass die aus der Lohe nach dem Regen entnom- menen Theile der Lohblüthe sich sehr verschieden gegen den

62 W. Roux,

Wechselstrom verhalten. An Stückchen mit amöboiden Fort- sätzen wurde manchmal beim Stromschluss die Rinde jedes freien Fortsatzes gesprengt, und während der Dauer des Stromes fand ein Ausströmen von Inhalt statt, welches mit der Strom- unterbrechung cessirte, mit dem neuen Schlüsse wieder ein- setzte. Bei anderen, anscheinend gleichen Fortsätzen blieb jedoch diese Reaction aus. Bloss einmal trotz vieler Versuche beobachtete ich an zwei solchen Fortsätzen auf der, einer Elektrode frei zugewendeten Seite unmittelbar nach dem Strom- schlusse eine Bildung von Kerben und danach von glänzenden Körnern von 3*5 (x Grösse an dieser Stelle der 35 70 |x messen- den Fortsätze eines Klumpens von OAmm Durchmesser. Später trat blasige Entartung dieser Fortsätze ein. Die Protoplasma- körnchen mancher Fortsätze werden während des Purch- strömens stärker sichtbar, anscheinend durch Aufhören eines nach der Durchströmung vorhandenen minimalen Zitterns der Substanz. Ähnlich gibt W. Kühne (l. c. p. 31) an, dass bei der Durchströmung der Amöben mit dem Inductionsstrome die Körnchenbewegung in denselben aufhört.

Nicht selten findet man durch dunkle Kömer schwach bräunlich gefärbte Protoplasmakugeln von 84 100 |jl, die sich während der Durchströmung durch zwei parallele Furchen einschnüren, so dass ein der unten mitgetheilten Anfangs- reaction der Fischeier sehr ähnliches Bild entsteht; jedoch kommen bei Aethalium diese Bildungen auch ohne Durch- strömung häufig vor.

Von Evertebraten prüfte ich nur das Verhalten der Hydra ftisca an einigen Exemplaren, welche ich der Güte des Herrn Collegen von Lenden feld verdanke. Sie reagirten gleichfalls deutlich polar. An den direct bestrahlten Polseiten fand Contrac- tion der Zellen unter Entleerung ihres Inhaltes statt; ein Vor- gang, dessen allmäliges, von beiden Polen ausgehendes räum- liches Weiterschreiten am Thiere bei wiederholten momentanen Stromschliessungen deutlich verfolgt werden konnte. Die Zellen der Aquatorgegend blieben längere Zeit unversehrt. In den Polfeldern fand zuerst eine Schichtensondenmg statt, welche genauere Untersuchung verdient.

Entwickelungsmechanik des Embryo. 63

Frosch.

Zu den Amphibien zurückkehrend, sei zunächst als Fort- setzung der Ausgangsbestrebungen der vorliegenden Unter- suchung über einige Versuche zur Ermittelung eventueller Ein- wirkung des Wechselstromes auf die Besamungs- richtung des Eies, sowie auf die Copulationsrichtung des Eikernes und Samenkernes berichtet, wobei zugleich auch eine für unsere zweite Aufgabe wichtige Beobachtung gemacht wurde.

Um nicht etwa einen Einfluss des Wechselstromes bloss auf die Bewegung der Samenkörper innerhalb der Gallerthülle der Froscheier festzustellen, da das zuerst an der schwarzen Ei rinde ankommende Samenthierchen das Froschei befruchtet, sondern um den Einfluss des Stromes auf die Besamung des Eies zu ermitteln, wurden Eier des grünen Frosches erst zehn Minuten nach der Begiessung mit Samen (also zu einer Zeit, da die Samenkörper die Gallerthülle schon bald durchdrungen haben und an das Ei selber gelangen) mit dem, durch Ein- schaltung der 8\cm langen, mit V^procentiger Kochsalzlösung gefüllten Röhre geschwächten Strom in constanter Richtung durchströmt. Es konnte sich dabei herausstellen, dass etwa die Samenkörper leichter an den Polen oder an dem elektrischen Äquator eintreten, was daran zu erkennen gewesen sein würde, dass die später auftretende erste Theilungsebene des Eies durch diese Stelle hindurch ginge; denn ich habe früher experimentell nachgewiesen,* dass bei zwanglos gehaltenen Froscheiern die erste Theilungsebene (welche zugleich das Ei halbirt und senk- recht steht) durch die Eintrittsstelle des Samenkörpers in das Ei hindurch geht. Die Durchströmung wurde fortgesetzt, bis die Eier sich nach 32 Minuten mit den hellgelben Hemisphären nach unten gedreht hatten, also bis zum ersten äusseren Zeichen der erfolgten Befruchtung. Als nach 2*/^ Stunden die erste Theilung eintrat, standen jedoch die Theilungsebenen der Eier ohne jede constante Richtung zu den Stromlinien.

1 W. Roux, Beiträge zur Entwickelungsmechanik des Embryo, Nr. 4* Die Bestimmung der M'edianebene des Froschembryo durch die Copulation des Eikernes und des Spermakemes. Arch. f. mikroskop. Anatomie, Bd. 29, 1887.

64 W. Roux,

Unmittelbar nach der Stromunterbrechung in dieser Schale wurde mit demselben Strom eine andere Schale durchströmt, deren Eier sich soeben gedreht hatten. Es geschah, um zu prüfen, ob die Stromrichtung auf die Richtung der nun folgenden Vereinigung des Samenkernes und des Eikemes wirke, welche Vereinigungsrichtung, wie ich loco cit. gezeigt habe, gleichfalls die Richtung der ersten Furche zu beeinflussen vermag. Nach 27^ Stunden lang fortgesetzter Durchströmung trat die erste Theilung ein; aber die Richtungen dieser Theilungen Hessen wieder keine Beziehungen zu den Stromrichtungen erkennen. Da ich in Abschnitt I, S. 37 dargethan habe, dass der Wechsel- strom nach stattgehabter Copulation dieser Kerne nicht richtend auf die erste Theilung des Furchungskernes, sowie auf die des Zellleibes der Eier zu wirken vermag, so hätte eine jetzt hervorgetretene Constanz in der Stellung dieser ersten Theilungsrichtung zur Stromrichtung eine Einwirkung des Stromes auf die Copulationsrichtung erschliessen lassen.

Während dieser langdauernden Durchströmunghatten bloss die den Elektroden nächsten Eier Polfelder, und zwar bloss von sehr geringem Umfange gebildet. Es erhellt also, dass die anderen, ferner stehenden Eier mit der stärksten noch ertragenen Stromdichte behandelt worden waren. Da damit aber keine richtende Wirkung auf die Besamungsrichtung und auf die Copulationsrichtung erzielt worden ist, so geht hervor, dass der Wechselstrom eine richtende Wirkung auf diese Vorgänge überhaupt nicht auszuüben vermag; und da die Durchströmung auf die Periode der Theilung des durch die Copulation gebildeten Furchungskernes und des Zellleibes aus- gedehnt worden war, so ist zugleich auch die Unwirksamkeit des Wechselstromes auf die Richtung dieser Vorgänge aufs Neue bestätigt worden.

Die mit Polfeldern versehenen Eier zeigten zugleich ein interessantes Verhalten ihres Äquators. Dieser fast die ganze Eioberfläche einnehmende Äquator war hell geworden und in der Richtung von Polmeridianen braun gestreift, siehe Fig. 4. Die so veränderten Eier hatten die erste Furche nicht gebildet.

Entwickelungsmechanik des Embryo. 65

Die daran sich anreihenden Eier in der Mitte des Strom- feldes hatten bloss punktförmige Polfelder gebildet und besassen im Äquator die erste Furche, welche wieder, wie schon im ersten Abschnitte einmal beobachtet und mitgetheilt ist, in der Mehrzahl der Fälle (an 20 von 30 Eiern) die Polfelder direct verband. Bei den übrigen Eiern aber, welche keine äussere Ver- änderung durch den Strom erkennen Hessen, standen die ersten Furchen in beliebigen Richtungen durcheinander.

Die früheren Mittheilungen über Froscheier bezogen sich fast ausschliesslich auf den braunen Grasfrosch, die nachfol- genden dagegen ausschliesslich auf den grünen Wasserfrosch, Rana esculenta. Diese Froscheier sind mir von früher her als die weit empfindlicheren bekannt; und dementsprechend traten auch unter den vorliegenden Verhältnissen einige Reactionen stärker auf. Ausserdem gestattet die hellbraune Färbung eine genauere Beobachtung der Veränderungen der oberen Hemi- sphäre, als sie bei den schwarzen Eiern der anderen Species möglich war. Drittens wurde jetzt, nachdem in den früheren Beiträgen die Hauptzüge des Bildes der Veränderungen fest- gestellt waren, die Aufmerksamkeit mehr den Einzelheiten zugewendet und dadurch eine principiell wichtige Erweiterung unserer Kenntniss der bezüglichen Reactionen gewonnen.

Auch für die Eierstockseier von Rana esculenta bestätigte sich, was ich früher von denen dtrRanafusca ange- geben habe; nämlich, dass der Äquator um so grösser ist, je kleiner die Eier sind. Während z. B. ein Ei von 1 '7 mm Durch- messer bei 10 Minuten langer Durchströmung einen Äquator von bloss 0'\6 mm, also von 9% ^^t, ist ceteris paribus der Äquator eines Eies von 0*37 ww, 0*24 tw#w, also 64^/^ breit. Dies verschiedene Verhalten rein protoplasmatischer und ande- rerseits dotterkömerhaltiger Eier entspricht der an reifen Eiern gemachten Beobachtung, dass der Äquator im Bereiche der oberen braunen Hemisphäre deutlich breiter ist, als im unteren, vorzugsweise aus Nahrungsdotter bestehenden Theile, sowie dass bei abnormer Stellung des Eies mit der braunen Hemi- sphäre statt nach oben, seitlich gegen eine Elektrode hin, das braune Polfeld viel kleiner wird als das helle. An den noch durchscheinenden, also noch nicht nahrungsdotterhaltigen

SJUb. d. mathem.-naturw. Cl.; CI. Bd. Abth. HI. 5

66 W. Roux,

Eiern bis herab zu einem Durchmesser von z. B. 0'29fnm sind die, letzteren Falles bloss 0' 04 mm breiten, Polfelder durch Trübung des Protoplasmas und scharfe, ebene, parallele Ab- grenzung der Trübung gegen den 0*21 mm breiten Äquator vollkommen deutlich. An noch kleineren Eiern (die kleinsten messen 0-12 mm) konnte ich auch mit Zeiss' Objectiv A keine Polarisation erkennen. Jedoch auch grössere Eier, welche so trocken lagen, dass sie nicht von ein wenig Gewebesaft um- geben waren, Hessen gleichfalls keine Reaction erkennen.

Veränderungen der ungetheilten reifen Eier von R. esculenta : Nur bei kurzdauernder Durchströmung ist im Bereiche der braunen Hemisphäre der Äquator breiter und nimmt bis zum Beginne der unteren hellgelben Hemisphäre stetig an Breite ab, um auf dieser letzteren dann gleich schmal zu bleiben, s, Fig. 1. Bei längerem Durchströmen dagegen wird er oben schmaler, oft so schmal, dass bloss eine Furche übrig bleibt. Diese nach- trägliche Veränderung ist bei Rana esculenta durch die Über- wölbung der Polabschnitte über den Äquator und durch das Aufsteigen aus ihnen ausgetretener Substanz bedingt. Auf der unteren Hemisphäre sind oft ganz deutliche weisse Niveaulinien oder schon Niveaufurchen vorhanden, ehe die Polfelder selber merklich weisser geworden sind; die Niveaulinien sind also Stellen erster stärkster Veränderung. Der Äquator ist auf der unteren Hemisphäre oft weisser als die schwach gelblich geblie- benen Polfelder. Auch oben wird der Äquator oft heller durch Wegwanderung des braunen Pigmentes von den Rändern, so dass eswieder bloss inderMittedesÄquators noch als einbrauner Streif vorhanden ist, während unten der anfangs noch in der Mitte des Äquators verbliebene gelbliche Streifen bald unter zunehmender Verschmälerung verschwindet.

Bei sehr schwachem Strom dagegen bilden die un- getheilten Eier nur ein oder mehrere Extraovattröpfchen an den beiden Polen des Eies. Sind mehrere Extraovate ent- standen, so liegen sie manchmal in einer wagrechten Linie, nahe am Eiäquator, manchmal auch in einer senkrechten Linie, manchmal in unregelmässiger Anordnung um den Pol; ein Verhalten, welches also auf verschiedene örtliche Disposition

Entwickelungsniechantk des Embrj'o. 67

der Eier zur Bildung der Extraovate, respective zur Durch- brechung der Eirinde hinweist.

Über die Dauer dieser Reactionsfähigkeit wurden noch einige Beobachtungen gemacht

Vier Tage lang in Wasser gestandene, unbefruchtete, schon hochgradig zersetzte vacuolisirte Eier, bei welchen schon Öl sich ausgeschieden und oben angesammelt hatte, bildeten noch schöne Niveauringe, innerhalb deren die Eirinde auch auf- platzte und Eiinhalt austreten Hess. Diese noch reagirenden Eier hatten aber noch den schwach gelblichen und schwach durch- scheinenden Ton der Eirinde; während bloss drei Tage alte, auf Eis gestandene gleichfalls unbefruchtete Eier, die ihren gelb- lichen transparenten Ton verloren hatten und daher oben opakbraun oder grauweiss, unten opak weisslich waren, nicht mehr reagirten; dasselbe war der Fall bei vollkommen un- verfärbten, aber durch Carboldämpfe vergifteten Eiern. An oben zersetzten und daselbst nicht mehr deutlich reagirenden Eiern kommt es vor, dass sich auf der unteren Hemisphäre noch deutliche Niveaufurchen bilden; die Reaction ist also ein localer, nicht ein vom ganzen Ei vermittelter Vorgang.

Die Polfeldergrenzen verlieren ihre den Niveauflächen des umgebenden homogenen elektrischen Feldes entsprechende Richtung, wenn die runde Gestalt der Eier erheblich alterirt wird. Sind z. B. die Eier während der Durchströmung zwischen parallele ebene Glasplatten gepresst und dadurch abgeplattet, so ist der Äquator zwar an den Rändern noch parallel contourirt, an den abgeplatteten Flächen dagegen stark, fast zu einer runden Scheibe verbreitert, und die Polfelder sind demnach etwa viertelmondförmig (s. Fig. 14). Werden die Eier in enge Glasröhren aspirirt und dadurch mannigfach deformirt, so erhalten keilförmig gestaltete, etwas schief zur Röhre stehende Eier beim Durchströmen einen keilförmigen Äquator: ovale schiefstehende Eier bilden einen stark schief zur Haupt- richtung des Stromes stehenden, aber noch parallel con- tourirten Äquator.

Bei der Beurtheilung dieses neuen Verhaltens ist jedoch daran zu denken, dass zwei Componenten zugleich geändert worden sind, ausser der Gestalt des Eies auch die Gestalt

5*

68 W. Roux,

des sie umgebenden elektrischen Feldes. Wir werden später die besonderen Wirkungen jeder dieser beiden Componenten getrennt zu beurtheilen Gelegenheit nehmen.

Zwischen parallele ebene Glasplatten gepresste Ga- st r u l a e können, trotz gleich grosser Abplattung als an den eben erwähnten Eiern, gleichwohl noch einen parallel, gerad- linig contourirten Äquator bilden; wobei man sich wohl daran zu erinnern hat, dass die Gastrulae gewöhnlich eine dicker gequollene Gallerthülle besitzen als die noch ungetheilten Eier. Doch kommt an solchen Gastrulae auch die erwähnte centrale Verbreiterung des Äquators vor, stark ausgesprochen jedoch bloss, wenn die Gastrula beim Pressen aufgeplatzt ist und danach ihre beiden durch Pressung entstandenen Flächen eingesunken sind, wie die Seiten eines rothen Blutkörperchens.

Die Extraovate ungetheilter oder erst einige Mal getheilter, angestochener oder gepresster Eier sind immer nackt, das heisst nicht mit der typischen elastischen Eirinde überzogen. Trotz aller Sorgfalt in der Beobachtung ist es mir nicht gelungen, eine Bildung von Polfeldern an dieser frisch ausgetre- tenen Eisubstanz wahrzunehmen. An Extraovaten gepresster Gastrulae dagegen konnte ich wiederholt sehen, dass sie ein Polfeld oder bei geeigneter Lage zwei durch einen unveränderten Äquator getrennte, gleich denen der Gastrula selber grau ver- färbte Polfelder bildeten. Das Extraovat steht in diesen Fällen mit der Gastrula noch im Zusammenhang und bildet nur dann zwei Polfelder und einen eigenen Äquator, welcher stets mit dem der Gastrula zusammenhängt, wenn das Extraovat seitlich vom Stammtheil, also in denselben Niveauflächen mit ihm gelegen ist. Ist dagegen das Extraovat, vom Stammtheil aus ge- rechnet, schiefzur Stromrichtung gelegen oder gar einer Elektrode zugewendet, so bildet es biossein einziges, demdesStammtheiles zugehöriges Polfeld. Das Gemeinsame aller, sichtbare Polfelder bildenden Extraovate aber ist, dass sie noch einen Epithelüberzug von der Gastrula besitzen; und nur soweit dieser vorhanden ist, findet erkennbare Reaction statt. Dies scheint anzudeuten, dass nackte Extraovate desshalb nicht reagiren, weil ihnen ein reac- tionsfähiger Überzug fehlt. Indess habe ich an Eiern, welche in enge Glasröhren aspirirt und dabei aufgeplatzt waren unter Ent-

Entwickelungsmechanik des Embryo. 69

leerung des grössten Theiles ihres Inhaltes, trotz des Vorhanden- seins der längsgefalteten Eirinde am mittleren Theile, welche jede Veränderung gut hätte wahrnehmen lassen, beim Durch- strömen keine polaren Veränderungen beobachten können.

Einmal hatte ich ein seltenes, theoretisch besonders wich- tiges Verhalten zu beobachten Gelegenheit. Unter den Eiern eines Weibchens fanden sich zwei Eier, welche durch eine gemeinsame äussere Gallerthülle mit einander vereinigt waren, •der Art, dass sie gegen einander abgeplattet und nur durch eine Ciallertlage von ein Drittel des Eidurchmessers von einander getrennt waren. Siehe Fig. 5. Ich durchströmte dieselben, um das Specifische dieses Falles möglichst zu verwerthen, in Richtung ihrer Verbindungslinie und erhielt an jedem Ei ein grosses, je <iie halbe Eioberfläche einnehmendes, äusseres und ein kleineres, dem des anderen Eies zugewendetes, inneres Polfeld; letztere beiden nahmen ausser der Abplattungsfläche nur noch einen schmalen Saum der angrenzenden, gewölbten Fläche ein. Beide Polfelder jedes Eies waren durch einen parallel contourirten Äquator von einander getrennt. Derselbe Frosch bot noch zwei mit einander, aber weniger nahe, durch ihre Gallerthüllen ver- 'einigte Eier dar, so dass dieselben sich nicht an einander abplatteten. Siehe Fig. 6. Beim Durchströmen auch dieser in der Verbindungsrichtung entstanden wieder zwei äussere grössere, und zwei gegen einander gewendete, kleinere Polfelder; doch waren hier, bei grösserem Abstände der beiden Eier, die Breiten- unterschiede der inneren und äusseren Polfelder nicht so erheblich als bei den ersteren einander näheren Eiern.

Gehen wir nun zu dem eigenthümlichen Verhalten der e i n- oder mehrfach getheilten Eier über.

Bei genauerer Betrachtung und Erwägung der in der ersten Mittheilung schon kurz erwähnten Reactionen in mehrere Zellen getheilter Eier, erkannte ich, dass darin eine Special- polarisation der einzelnen Zellen sich ausspricht. (Siehe Fig. 7-11.)

Ich nahm daher Gelegenheit, dieses fundamentale Verhalten des Weiteren kennen zu lernen.

An dem in zwei und mehr Zellen getheilten Ei, ebenso wie an der Morula und noch an der schon in kleine Zellen zerlegten

70 W. Roux,

Blastüla beobachtete ich, dass jede Zelle der Eioberfläche für sich polarisirt wird; dies derart, dass die bloss an den Polseiten des Eies liegenden Zellen je ein von aussen sichtbares Polfeld erhalten, welches dem Pole dieser Seite des Eies zugewendet ist, während der Äquator den distal vom Pol gelegenen Theil der freien Oberfläche der Zelle einnimmt. Die Polfelder neben einan- der liegender Zellen formiren die auf Seite 35 erwähnten concen- trischen Ringe um den Pol, welche Ringe aber durch die unregel- mässige Lagerung der Zellen sich aus lauter Bruchstücken zusammensetzen. Die im Polmittelpunkte gelegene Zelle, hat ihr Polfeld in der Mitte der Zelle, ihren Äquator ringsum und unter- scheidet sich damit von den anderen Zellen. Die Zellen, welche in der Mitte zwischen beiden Polen, also am elektrischen Äquator des Eies liegen oder den Äquator von aussen her noch erreichen (siehe Fig. 35 und 36) und zugleich, wie es nach den ersten Theilungen und noch bei der Morula der Fall ist, so stark sich verwölben, dass sie von beiden Elektroden aus, durch direct aus dem Elektrolyten stammende Stromfäden, unter keiner oder nur geringer Ablenkung derselben von ihrer Bahn im Elektrolyten getroffen werden können, bilden bei genügend starkem Strom gegen jede Elektrode hin ein Polfeld aus, zwischen welchen beiden der Zelläquator gelegen ist. Dies geht so weit, dass auch neben der äquatorialen Mittelebene, z. B. auf der linken Hälfte des Eies,also gegen die linke Elektrode liegende Zellen, wenn die rechts neben ihnen liegenden Zellen gerade eine Lücke lassen, durch welche also Stromfäden von der rechten Elektrode die erstere Zelle treffen können, diese Zelle dann ausser ihrem grossen linken, noch ein deutliches, wenn auch entsprechend kleineres, rechtes Polfeld ausbildet. Aber auch anders gelagerte, zweite, kleine Zellpolfelder, welche offenbar eine etwas andere genetische Bedeutung haben, kommen vor (siehe Fig. 8 und 10): An erst in zwei, vier oder acht Zellen getheilten Eiern sieht man bei so kräftiger äusserer Rundung dieser Zellen, dass zwi- schen ihnen gut geöffnete Furchen entstehen, an der Begrenzung der annähernd oder ganz quer zum Strom orientirten Furchen def Äquatorgegend, sowohl in der Tiefe derselben wie auch gegen ihre Öffnung hin aufsteigend, die typische Polfeldveränderung an den die Furche begrenzenden Zellwänden. Manchmal schien

Entwickelungsmechanik des Embryo. 71

die Veränderung bloss an den mehr oberflächlichen Theilen der Furchen Wandung vorhanden zu sein und in der Tiefe zu fehlen; was indess sehr schwer zu sehen ist Im Gegensatz zu dieser Polfeldbildung in der Tiefe von quer zum Strom orientirten Furchen steht ein gleichfalls bei Durchströmung in Wasser beobachtetes Ausbleiben der Veränderung an ganz gleich ge- richteten, aber mehr auf der Polseite des Eies gelegenen Furchen. Es war deutlich zu erkennen, dass das Polfeld sich bloss auf den direct von den Elektroden aus bestrahlten Theil der Zellober- fläche ausdehnte und nicht auf die Wandungen der hinter dieser Zelle liegenden Furche übergriff. Um dieses auffällige Verhalten zu verstehen, werden noch weitere Beobachtungen über die speciellen Bedingungen seines Vorkommens zu machen sein. Nach anderer Richtung in einem Gegensatz zu der in der Aus- bildung von Polfeldem sich bekundenden Wirkung der directen Bestrahlung der Zelloberfläche steht die Thatsache, dass an dem schon in kleine Zellen zerlegten Ei nicht die ganze, den Stromfaden entgegenstehende Fläche der Zelle, sondern immer bloss der polwärts gelegene Theil dieser Fläche verändert wird, während der distal davon liegende Theil, der immer noch unter einem mehr dem rechten sich nähernden Winkel gegen die Stromfaden des umgebenden Feldes gerichtet ist, als ein Theil des Polfeldes der nächst distalen Zellen, unverändert bleibt und so den Zelläquator darstellt.

Die Niveaulinien der einzelnen Zellen platzen bei weiter fortgesetzter Durchströmung rasch auf und stellen so die weissen Linien dar, die ich in der ersten Mittheilung noch auf aufgeplatzte Furchen zwischen den Zellen bezog. Diese Täuschung ward dadurch hervorgerufen, dass sich die Zellpolfelder wie die Polfelder des ganzen, ungetheilten Eies gegen ihren Äquator etwas erheben und so durch eine Furche abgrenzen. Dabei ändert sich auch etwas die Gestalt der Zellen und Polfelder durch Abplattung der Zellen und durch Schluss der Furchen zwischen letzteren, so dass man in diesem Stadium sehr leicht die Polfelder zur polwärts, statt zur distal vom Eipol gelegenen Zelle rechnet; diese Täuschung ist oft eine so vollkommene, dass nur die genaue Verfolgung des ganzen Processes von seinem Beginn an vor derselben bewahren kann.

72 W. Roux,

Die Zellpolfelder werden im Bereiche der oberen, braunen Hemisphäre des KiesvonRana esculenta greLuhraxin, imBereiche der gelblichen, unteren Hemisphäre weisslich. Die Grösse dieser Polfelder nahm vom Eipol gegen den elektrischen Äquator des-, ganzen Eies ab.DiePolfeldbildungbeginntbeimittelstarkemStrom am elektrischen Pol des Eies und breitet sich von da aus ausseror- dentlich rasch auf die distal gelegenen Zellen und weiterhin lang- samer auf jeder einzelnen Zelle in distaler Richtung aus- ist das Ei noch nicht feingetheilt, so bekommt, wie erwähnt,, jede Zelle des ganzen Gebildes ihr Polfeld und ihren Äquator. Ein eigentlicher elektrischer Gesammtäquator des Eies besteht dabei also nicht, er umfasst bloss die von beiden Polseiten gegen einander stehenden Zelläquatoren der Zellen dieser Gegend; dem entsprechend ist er auch nicht durch eine fortlaufende Linie jederseits contourirt, sondern je nach der Lage der ihn bildendem Zellenäquatoren bald etwas breiter, bald etwas schmaler. Bei der weiter fortgeschrittenen Zertheilung in die kleineren und weniger vorspringenden Zellen der älteren Blastula und der Gastrula dagegen bleibt ein Gürtel, von den Polen am weitesten abgelegener Zellen deutlich unpolarisirt; und wir erhalten damit einen Gesammtäquator, der aber bei genauem Zusehen wieder ungleich breit ist, da er durch Specialpolfelder der an- stossenden Zellen begrenzt wird; je kleiner diese Zellen sind,, um so weniger treten natürlich diese Ungleichheiten hervor. An älteren Gas trulae bleibt auch bei stärkster Anordnung meines Stromes immer ein Eiäquator von wenigstens 7ii Eidurch- messer oder 3 4 Zellen Breite ohne äusserlich sichtbare Pol- felder der Zellen. Zugleich waren an alten Gastrulae die Zellen der Polseiten anscheinend auf ihrer ganzen freien Oberfläche hellgrau verändert.

Die durch den Strom ausgelösten Veränderungen des Eies- setzen sich noch eine Zeit lang nach der Einwirkung des Stromes fort. Wenn man nach bloss 2 3 Secunden dauernder Einwirkung eines Stromes von geeigneter Stärke auf ein noch ungetheiltes oder schon mehrfach getheiltesEi unterbrochen hat,, kommt es sogar vor, dass zur Zeit der Unterbrechung noch keine Veränderung am Ei zu sehen ist, sondern dass die Veränderung: erst danach beginnt. Wurde unterbrochen, als schon die Pol-

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feldbildung einsetzte, so kann man beobachten, dass erst nach der Stromunterbrechung die Veränderung, etwas polwärts vom Rande des Gesammtpolfeldes, so heftig wird, dass daselbst an der oberen Eihälfte unter starkem Aufplatzen und entsprechender Entleerung derZellen dieser Zone eine durchgehende Niveau- furche entsteht. Wurde dagegen längere Zeit, 2(y'— 4(y' durch- strömt, so entsteht diese Niveaufurche in grösserem Abstände vom Pol. Bei Unterbrechung des Stromes localisirt sie sich an ihrem jeweiligen Ort. Bei erneuter Durchströmung kann sie nach der dadurch bedingten Ausbreitung der Polfeldbildung gegen den Äquator gleichfalls avanciren; oder es entsteht ohne Ver- schwinden der ersten durch Stromunterbrechung localisirten Niveaufurche, bei erneutem Durchströmen äquatorwärts jeder- seits eine neue, alsdann weniger tiefe Furche, oder bloss ein pigmentirter Ring. (N. B. nur im Bereiche der oberen, braunen Hemisphäre wird die Veränderung so intensiv; es entsteht also jederseits bloss ein Halbring.)

Wartet man einige Minuten nach einer kurzen, 10" 20" dauernden kräftigen Durchströmung einer Morula oder jungen Blastula, so sieht man die Zellen sich meist stark abplatten und die früher offenen Furchen zwischen ihnen sich entsprechend schliessen. Durchströmt man dieses so zur Kugel abgeplattete Gebilde nochmals, so entstehen jetzt unter polarer Veränderung der bisherigen ZeHäquatoren auf den Polseiten des Eies, wie an einem ungetheilten Ei zwei grosse einheitliche General-Pol- felder, und zwischen ihnen bleibt ein einheitlicher, durch durch- gehende parallele ungebrochene Contouren begrenzter schmaler Äquator, dessen Ränder einander näher liegen, als die erwähnten früheren durch starkes Aufplatzen entstandenen beiden Furchen. Bei der Morula liegt natürlich im Bereich dieses General- aquators ein Theil der oben erwähnten kleinen Zellpolfelder; diese aber werden jetzt undeutlich oder von den Zellen abge- stossen. Manchmal ist der so nachträglich entstandene General- aquator in seinen Grenzlinien doch nicht ganz ungebrochen und nicht ganz parallel contourirt, und bei einem erst in 4 Zellen getheilten Ei ist er schmäler als der frühere Special- äquator einer einzigen Zelle, siehe Fig. 1 1 nebst der Figurön- erklärung.

74 W. Roux,

Natürlich entsteht auch bei ununterbrochen fortgesetzter Durchströmung mit der Zeit dasselbe Bild; auch hiebei platten sich die Zellen allmählig ab, und die Specialpolfelder der ein- zelnen Zellen werden allmählig grösser bis zum Verschwinden des Zelläquators an den im Bereich der Generalpolfelder ge- legenen Zellen.

Wenn auch die Rundung der Furchungszellen für die Bildung der kleinen zweiten Polfelder von Bedeutung erscheint, indem dadurch Gelegenheit zur Bestrahlung von der zweiten Seite her gegeben wird, so kann die Rundung doch nicht als die Ursache der Specialpolarisation der einzelnen, die Morula und Blastula zusammensetzenden Zellen angesehen werden; denn dieselbe Einzelpolarisation findet auch an der hellen, unteren Hemisphäre statt, wo die Zellen nur durch minimale Furchen geschieden sind, und mit ihrer freien Oberfläche im Niveau der Gesammtkrümmung des Eies liegen. Auch tritt im Bereich der oberen Hemisphäre die Specialpolarisation der Zellen auf, wenn man durch Abkühlung im Eisschrank die Lebensenergie der Zellen vorübergehend derart herabgedrückt hat, dass sich die oberen Zellen gleichfalls abgeplattet haben.

Von Eiern ferner, welche ohne auf Eis gestanden zu haben, also aus innerer Ursache die durch die dritte, vierte oder fünfte Theilung gebildeten Furchungszellen von selber wieder abge- plattet hatten, bildete ein Theil beim Durchströmen rasch zwei allgemeine Polfelder und zwei durchgehende Niveaulinien für das ganze Ei, indem die im ersten Momente entstandenen kleinen Specialpolfelder der einzelnen Zellen sich sofort über die ganze Aussenfläche derbetreflfendenZellen ausdehnten; dies Verhalten ist wohl zugleich ein Beweis, dass nicht die, die Zellen im Innern des Eies trennenden Zellmembranen oder die Kittsubstanz zwischen ihnen die Ursache der elektrischen Sonderung sind. Da zudem einige dieser abgeplatteten Eier ihre Zellpolfelder behielten, so folgt daraus wiederum, dass einerseits nicht die Abplattung an sich bei den anderen Eiern die Ursache der totalen Veränderung der Zellen durch den Strom war, ebenso wie auch, dass die vorspringende Wölbung der normalen Zellen nicht die Ursache der Specialpolfelderbildung ist.

Entwickelungsmechanik des Embryo. 75

Um die Richtigkeitdieser letzteren Anschauungdes Weiteren darzuthun, suchte ich das Ei schwach zu vergiften, und so in seinerLebensenergie zu schwächen, womöglich ohne die Gestalt der Zellen zu verändern: Wenn man Eier mit wohlgerundeten Zellen durch kurz dauerndes Einlegen in V«o gesättigte Garbol- säurelösung schwach vergiftet, so behalten sie ihre runde Zellgestalt, gleichwohl aber dehnen sich bei der Durchströmung die im ersten Momente entstandenen Specialpolfelder sofort weiter über die ganze direct bestrahlte Zelloberfläche aus, und es entsteht so ganz rasch jederseits ein einheitli ch es, aber imBereiche der oberen Hemisphäre ausgerundetvorspringenden Zellen bestehendes Polfeld; und zwischen beiden liegt der von zwei durchgehenden, parallelen Grenzlinien begrenzte General- Äquator. Die Polfelder greifen sogar etwas über die Zellkanten gegen die Furchen hin über.

Diese Beobachtungen beweisen wohl, dass die Special- polarisation der einzelnen, die Morula und Blastula zusammensetzenden Furchungszellen an eine mit der Vitalität derselben schwindende Eigenschaft geknüpft ist. Über die Natur dieser Eigenschaft werden wir unten etwas Weiteres erfahren.

Ein wenig längere Zeit mit der CarboUösung behandelte Eier reagiren nicht mehr auf den Strom, entwickeln sich aber auch nicht weiter und erhalten sich viele Tage lang unverändert ; während lebende, aber sich nicht weiter entwickelnde Eier sich in wenigen Tagen zersetzen.

Auch abnormer Weise schon vor der Zeit der ersten Eitheilung (vielleicht durch das Eindringen mehrerer Samenthierchen) an ihrer oberen Hälfte in viele Stücke zerschnürte Eier bildeten beim Durchströmen Specialpolfelder an den einzelnen, durch Furchen von der Umgebung abgesonderten Stücken des Zellleibes. Einige Eier aber entwickelten trotz dieser kugeligen Gliederung wieder sofort die allgemeinen Polfelder.

Gastrulae und junge Embryonen von R, esculenta ergeben bei genügend starkem Strom grau verfärbte Polfelder mit scharfem, deutlichen Grenzcontour, der einen schmalen unverfärbten Äquator einschliesst. Auch dem Ausschlüpfen nahe, sowie erst vor Kurzem ausgeschlüpfte Embryonen, welche beide schon

76 W. Roux,

ein geschlossenes Medullarrohr haben, bilden scharf gegen dei> unveränderten Äquator begrenzte Polfelder; nur muss man, um* sie deutlich zu sehen, nach 3 4 Minuten dauernder Durch- strömung noch eine halbe bis eine Stunde warten. Die Polfelder sind je nach der complicirteren oder einfacheren Gestalt der Em- bryonen und nach der Stellung derselben zur Stromrichtung sehr verschieden gestaltet, und der Äquator ist im ersten Falle nicht selten zickzackartig gebrochen und zeigt dabei in manchen' Stellungen zur Stromrichtung wieder, wie bei R. fusca, eine Neigung zu Parallelismus seiner Contouren, obgleich bei anderere Stellungen starke Abweichungen davon vorkommen. Auch treten stellenweise oder ringsum wieder (vergl. S. 47) zwei Äquator- bänder auf, welche durch ein drittes, an die schmalen centralen Polfelder des zwei- bis vierfach getheilten Eies (Fig. 8 und 9) erinnerndes Polfeld von einander getrennt sind. Die Richtung des Äquators entspricht gleichfalls wieder nicht mehr der Fort- setzung der Niveauflächen des umgebenden homogenen Mediums, vergl. S. 47; doch ist wohl selbstverständlich, dass die Ränder des Äquators äquipotentiale Linien des Embryo darstellen.

Wir wissen noch nicht, ob, respective wie weit diesen äusseren Veränderungen der Embryonen innere entsprechen,, wenn schon an durchscheinenden Gebilden, wie den kleinen Eierstockseiern des Frosches, sowie an dem Froschherzen und anderen später zu erwähnenden Organen die inneren Theile des Polabschnittes, bei Besichtigung auch ohne vorausgegangene Mikrotomirung verändert zu sein scheinen. Aus dem Verhalten der Embryonen geht aber deutlich hervor, dass sich die Gesammt- reaction eines Embryo nicht aus der Veränderung der in Richtung- der Stromfäden des homogen gedachten elektrischen Feldes liegenden, einzelnen, etwa für sich selbst veränderten Substanz- fäden integrirt, sondern dass jeder einzelne Embryo, wie auch nach den Beobachtungen an Rana fttsca jedes abgeschnittene, für sich im Menstruum liegende, lebende Stück eines solchen, als Ganzes beeinflusst wird. Denn die Reaction erfolgt in einer Weise, dass die in den Richtungen der Stromlinien des homo- genen Mediums gelegenen Substanzfäden des Embryo sehr ver- schieden, z. B. an beiden Enden oder bloss an einem Ende oder gar

Entwickelungsmechanik der Embryo. 77

nicht verändert werden würden. Schon desshalb ist nicht anzu- nehmen, dass die juxta- und intraembryonalen Stromfadenstücke in ihren Richtungen denen eines homogenen Feldes derselben Stelle entsprechen,worüber unten Weiteres ermittelt werden wird.

Selbst über vier Wochen alte Kaulquappen von Ranaftisca Hessen noch Spuren von unserer Polarisation erkennen. Wenn man eine solche Quappe von 10 mm, Rumpf- und 18 mm, Schwanzlänge der Länge nach, eine andere dagegen in Quer- richtung etwa 16Minuten durchströmt hat, so löst sich nach 1 bis 2 Stunden an ersterer das Epithel am Kopf und Schwanz, an letz- terer an rechter und linker Seite beim Bepinseln ab, während es im Bereiche der Mittelstücke, also desÄquators noch fest haftet.

Um die feineren Vorgänge der Polfeldbildung an Embryonen zu studiren, wurden Froschlarvenschwänze in dorsiventraler Richtung unter gleichzeitiger mikroskopischer Beobachtung mit Zeiss'Objectiv C und D 15Minuten lang durch- strömt. Doch waren die Larven leider schon erheblich älter, als diejenigen, welche noch scharf umgrenzte Polfelder ergaben. Die vielfach verästelten Pigmentzellen zogen sich auf ihre Haupt- balken zusammen; viele peripheren Äste wurden dabei isolirt und Contrahirten sich zur Kugel. Während in den nicht durch- strömten Epithelzellen des Probeembr>'0 der Kern kaum zu sehen war, bekamen während und nach der Durchströmung die Kerne je einedickeglänzendeMembran,und im Innern entstanden viele glänzende Fäden. Dann verloren die Kerne ihre Grenzen und an Stelle der glänzenden Fäden entstanden grössere und kleinere glänzende Körner; die grösseren Körner verschwanden darauf, die kleineren Körner vertheilten sich in derKernhöhle.Die Zellen fielen vom Schwänze ab, behielten dabei aber ihre eckige Gestalt; dieser Zellabfall fand etwa '/^ Stunden nach dem Be- ginn der Durchströmung an der Stelle stärkster Stromwirkung statt Framboisia minore d. h. Rundung der einzelnen Epithel- zellen unter Lösung des Verbandes mit den Nachbarepithelien trat in diesem vorgeschrittenen Stadium der Entwicklung nur an einzelnen Stellen schwächerer Stromwirkung und erst nach 1 P/4 Stunden auf. Um diese Zeit ist in vielen Epithelzellen der Kern ganz geschwunden. Zu bemerken ist, dass auch an einem zum Vergleiche abgeschnittenen, nicht durchströmten

78 W. Roux,

Schwänze einer gleichalterigen Quappe die Kerne später dicke Membranen gebildet hatten, dass an manchen Stellen zwischen den Zellen über Nacht viel Intercellularsubstanz abgeschieden wurde, und dass auch an diesen Zellen die Kerne nicht mehr erkennbar waren. Diese nicht polaren structurellen Reactionen embryonaler Zellen auf den elektrischen Strom und ohne solchen, bloss nach der Abtrennung vom Körper werden von mir an geeig- neteren Objecten genauer ermittelt und danach einer eingehen- deren Mittheilung unterzogen werden.

Der Einflu^s der Wärme auf die Polarisationsfähigkeit der Eier von Rana esculenta entspricht wesentlich dem bereits vom braunen Frosch Mitgetheilten. Noch ungefurchte Eier reagiren nach kurzem Einlegen in Wasser von 39"*, 40** 45°C. noch stärker und rascher als nicht erwärmte; Abkühlung durch Eis verzögert und schwächt die Reaction auf den Strom. Durch 3 Minuten langes Erwärmen der noch ungefurchten Eier in Wasser von 47 48"* C. wird die Reaction träge, die Polfelder werden nur wenig verfärbt und etwas kleiner als sonst, der Äquator wird also entsprechend breiter, und die Niveaufurchen sind bloss wie leicht eingeritzt. Nach ebenso langer Erwärmung in Wasser von 48 49° bleibt die Reaction auf den Strom aus. Dasselbe geschieht auch schon nach 5 Minuten langem Eir>- legen der Eier in Wasser von 46° C.

Morulae welche durch 2 Minuten langes Einlegen in Wasser von 40, 46 oder sogar 48° C. erwärmt worden sind, reagiren sehr rasch, bilden sofort die Specialpolfelder, und an der Grenze derselben treten an den oberen Zellen kleine Tropfen Dotters durch die Eirinde. Nach 2^/^ Minuten langem Liegen in Wasser von 49° C. wachsen beim Durchströmen die Specialpol- felder sofort über die ganze Aussenfläche der Zelle aus, und es ent- stehen die beiden Generalpolfelder mit den beiden durchgehenden Niveaulinien als Grenzen. Etwas polwärts von diesen Linien war die Veränderung, die Verfärbung am stärksten, nahm dann polwärts etwas ab, um am Pole selber wieder stärker zu sein. 272 Minuten in Wasser von 49° C. verbliebene Eier behalten normale Gestalt und Farbe, reagiren aber nicht mehr.

Befruchtete, mehrere Tage alte Eier, welche durch Carbolsäuredämpfe schwach vergiftet worden waren, und

Entwickelungsmechanik des Embryo. 79

sich desshalb nicht entwickelt hatten, zeigten nach der Be- handlung mit einem starken Strom einen ebenso schmalen Äquator, als normale Eier; aber die Polfelder waren nur wenig verfärbt, hatten keine Extraovate gebildet, und an Stelle der Niveaufurchen waren bloss pigmentirte Niveaulinien entstanden. Dieselbe Abschwächung der Reaction bei normaler Ausdehnung derselben findet auch an frisch mit Carbolsäure vergifteten, noch ungefurchten Eiern statt; und an beiden Arten von Eiern vollzog sich nach der Durchströmung allmälig eine erhebliche Verbreiterung und Aufhellung des Äquators. Nachdem solche Eier 12 Tage gestanden hatten, war der Äquator stark ge- wölbt und die Rinde des Äquators besser erhalten als die Rinde im Bereiche der Polfelder, welche oben zersetzt und macerirt war.

Mit Hilfe des oben erwähnten Federbart-Galvanoskopes prüfte ich die im Abschnitt II ausgesprochene Vermuthung, dass die beobachtete Polarisation unter Freibleiben eines Äqua- tors vielleicht zum Theil auf einem besseren Leitungsver- mögen des salzreichen Eies als das der Medien, innerhalb deren die Polarisation gelang, beruhe. Obgleich mit diesem trägen und nicht mit einer Scala ausgestatteten Instrument nur grobe Schätzungen möglich waren, und ich keine unpolarisirbaren Elek- troden zugerüstet, sondern nur die Platinelektroden angewandt hatte, schien doch als sicher sich zu ergeben, dass frisch bereitetes Ragout fin von zur Ablösung reifen Eierstockseiem, sowie von jungen Embryonen noch nicht einmal so gut leitet, als halb- procentige Kochsalzlösung. Da wir nun in fünfprocentiger und in concentrirter Kochsalzlösung, sowie in zweiprocentiger Schwefelsäure die Polfeldbildung haben vor sich gehen sehen, so hat sich obige Vermuthung anscheinend nicht bestätigt. Doch ist daran zu denken, dass nicht die Eier selber in diesen Lösungen lagen, sondern bloss ihre Gallerthüllen, und dass innerhalb der 1 Vbmm dicken, mit Wasser getränkten, und daher wohl schlechter als das Ei leitenden Hülle die Stromfäden noch eine erhebliche Umordnung erfahren konnten; und dass vor der Durchströmung nicht in Wasser, sondern bloss in ein- procentiger Kochsalzlösung gelegene Eier nur schwach reagirten, wobei aber zugleich die Möglichkeit einer schädigenden Neben-

80 W. Roux,

Wirkung vorliegt, weil in vierprocentiger Salzlösung gelegene Eier auch nach dem längeren Liegen in Wasser nicht mehr reagirten. Neue Versuche müssen &lso mit halbprocentiger Kochsalzlösung durchgeführt werden. Leider lässt sich, was im einen Frühjahr versäumt ist, bei diesen, an die Laichperiode gebundenen Versuchen erst im nächsten Frühjahre nachholen,- welches ich aber anderen Versuchen zu widmen gedenke.

Werden Eier in einen Ring von 2'Omm dickem Bleidraht oder in eine aus solchem Bleidraht gebildete und rechtwinkelig zum Strom gestellte Gabel gelegt, so bilden sie beim Durch- strömen nur kleine, bloss schwach höckerige, wenig scharf begrenzte Polfelder, wenn das Wasser den Draht überschwemmt; steht das Wasser nicht so hoch, so bilden die Eier keine Pol- felder. Wird dagegen an der Gabel das Verbindungsstück durchschnitten, so bilden die zwischen den Drähten liegenden Eier bei transversaler Stellung der Drähte fast ebenso grosse und durch Niveaufurchen begrenzte Polfelder, als frei im Elektrolyten liegende Eier. In einer längs des Stromes liegenden, nicht überschwemmten, engen Metallgabel bildeten bloss die beiden ersten der Öffnung der Gabel folgenden Eier Polfelder.

Diese Ergebnisse sind unmittelbar verständlich, ebenso wie die folgenden mit Einlegung von nicht überschwemmten Glasbälkchen in das dektrolytische Feld: Von Eiern, welche zwischen zwei einander nahen, rechtwinkelig zum Strom orientirten Glasbälkchen liegen, bilden bloss die den Enden der Glasbälkchen nächstliegenden die Polfelder, und zwar kleinere, weniger veränderte als die freien Eier. An den Eiern in der Mitte dagegen entstehen keine Polfelder. Bildet man aus den Glasbälkchen einen spitzen Winkel, so kann man gleichfalls nach der Grösse der Polfeider an den eingelagerten Eiern die Abschwächung des Stromes an den betreffenden Stellen, sowie aus der Richtung der Äquatorränder die abgelenkte Richtung der Stromfäden erkennen. Wird bloss eine Glasleiste recht- winkelig zu den Kraftlinien in das Stromfeld gelegt, so bilden wiederum die ihr anliegenden Eier zwei Polfelder, aber die- jenigen an der Mitte der Leiste entwickeln solche nur von geringerer Ausdehnung und geringerem Grade der Veränderung, als die an den Enden gelegenen.

Entwickelungsmechanik des Embryo. o 1

Bringt man zwischen die Eier Quecksilberkügelchen, so nähern sich die Kügelchen, wie auch sonst beim Durchströmen einander, verschmelzen, und die der so entstandenen Queck- silbermasse zufallig anliegenden Eier bilden unregelmässige, die nicht vom Quecksilber berührten aber nur kleine Polfelder.

In Dielectricis, wie geschmolzene Carbolsäure, Olivenöl eingebettete Froscheier reagirten nicht, auch bei grösster Nähe der Elektroden, so dass also eine Wirkung statischer Induction nicht erkennbar war; ebenso wie auch, nach dem in Abschnitt I Mitgetheilten, an den im Solenoid liegenden Eiern keine Wir- kung einer dynamischen Induction zu bemerken war. Wurden dieselben Eier unmittelbar darauf in Wasser durchströmt, so reagirten sie.

Zerreibt man fast zur Ablösung reife Eierstockseier in halbprocentiger Kochsalzlösung, und durchströmt von der Masse einzelne Tropfen im Wasser, so ist keine V'eränderung, also auch keine Polarisation erkennbar. Dasselbe ist der Fall, wenn man die Masse, um sie zu formen, mit eingedickter Lösung von Gummi arabicum versetzt hat.

Auch auf die Eier von Rana escnlenta wandte ich den Gleichstrom an und erhielt ausser der Bestätigung der am braunen Frosch gewonnenen Befunde noch einige neue Resul- tate durch Ausdehnung der Versuche auf andere Entwicklungs- stufen.

Noch durchscheinende Eierstockseier bilden ein weiss- lich trübes, anodisches und ein helles, wässerig durchscheinendes kathodisches Polfeld; letzteres wird allmälig etwas länglich und kann schliesslich aufplatzen, so dass sich der Eiinhalt in die umgebende Flüssigkeit entleert. Oft sieht man durch das trübe anodische Polfeld das grosse, klar gebliebene Keim- bläschen schon bei Loupenbetrachtung durchscheinen. An gleichen Eiemjwelche aber nicht von etwas Wasser oder Gewebe- saft umspült waren, konnte ich (N. B. bei Aufsetzung der Elektroden auf ein Stück des Eierstockes, und bei Anwendung von bloss 8 Bunsen) gleich wie beim Wechselstrom keine deutliche Veränderung wahrnehmen. Ebenso bilden dotter- körnerhaltige, grössere Eierstockseier bei Anwesenheit von Flüssigkeit deutliche Polfelder, zuerst ein scharf begrenztes

Siub. d. matliem.-naturw. Cl. ; Gl. Bd. Ahth. III. 6

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rauh werdendes, anodisches, darauf ein weniger deutliches, aber an, der Kathode nahen Eiern aufplatzendes kathodisches Polfeld. Die bekannte kataphorische Wirkung des Gleichstromes auf der Kathodenseite ist also hier eine sehr starke.

Unbefruchtete, reife Eier von Rana esculenta bilden gleichfalls zunächst ein grosses, leicht graubraun verfärbtes positives, darauf ein kleineres, aber in der Nähe der Kathode an Grösse zunehmendes negatives Polfeld.

Befruchtete Eier zeigten wesentlich dasselbe Verhalten; an ihnen beobachtete ich im Bereiche der Polfelder an der oberen Hemisphäre einen Durchtritt feinen, weissen Dotters durch die ganze Fläche der betreffenden Eirinde nach aussen, wodurch also die graue Verfärbung des Polfeldes zum Theil bedingt ist. An durch Eis gekühlten Eiern entstand erst zwei Minuten nach dem Auftreten des anodischen Feldes auf der kathodischen Eihälfte eine braun pigmentirte Niveaulinie, oder bei anderen Eiern ein anfangs kleines, dann fast zur Grösse des positiven anwachsendes wenig verfärbtes Polfeld. Die positive Eihälfte behält ihre Wölbung, die negative wird wieder in Richtung des Stromes etwas verlängert und gefaltet.

Bei geringem Elektrodenabstand, also bei starker An- ordnung, breitet sich die anodische Polfeldbildung nicht erkennbar successive vom elektrischen Pol des Eies aus, sondern tritt anscheinend gleichzeitig in einem grossen Polfelde auf; und die Veränderung ist sogleich in der Nähe der Niveaulinie am stärksten, so dass z. B. an der Morula in der Nähe der Niveau- linie die Zellen ganz weiss oder ganz aufgerissen sind, während am Pole ihre braune Farbe nur schwach grau verfärbt ist.

Bei schwachem Strom entsteht auf der negativen Seite des Eies überhaupt kein Polfeld. Bei starker Anordnung nimmt die Grösse derPolfelder deutlich in der Nähe der Elektroden trotz gleichen Querschnittes der Strombahn zu, und die unmittelbar neben der Kathode stehenden Eier werden in ihrer dieser zuge- wendeten Hälfte geradezu zerrissen; während die neben der Anode befindlichen Eier stark veränderte Polfelder von der typischen Form des positiven Polfeldes bekommen.

Wird bloss kurze Zeit (30 Secunden) durchströmt und darauf die Stromrichtung umgekehrt, so erhält man beider-

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seits Veränderungen von der Beschaffenheit eines positiven Polfeldes, und das Ei bietet das Aussehen eines mit dem Wechselstrom behandelten Eies dar. Wird erst später die Stromrichtung gewechselt, wenn schon die negative Niveau- linie vorhanden war, so kann man bei geeigneter Dauer der zweiten umgekehrten Ehirchströmung Eier mit jederseits zwei Niveaulinien erhalten, von denen die beiden vom Äquator ent- fernteren den Kathoden entsprechen; ein Bild, welches ich auch einige Male bei besonderer Anordnung unter Anwendung des Wechselstromes erhalten habe.

In der ersten oder zweiten Furchung begriffene, ebenso wie schon bis zur Morulastufe weiter getheilte Eier von Rana esculenia bildeten innerhalb 20 30 Secunden vom positiven Pole des Eies aus sich ausbreitende Polfelder an den einzelnen Zellen, aber bloss an den Zellen der Anodenseite des Eies. Das Zellpolfeld liegt wieder polwärts, der Zelläquator distal davon. Springt von der kathodischen Eihälfte eine (also dem Äquator nahe) Zelle so stark vor, dass sie noch von der Anode aus durch die Flüssigkeit hindurch direct bestrahlt werden kann, dann bildet diese Zelle gleichfalls ein ent- sprechendes, kleines, positives Polfeld.

Auch Gastrulae mit halboffenem Urmund wurden durch- strömt; sie bildeten zunächst ein leicht grau verfärb tes positives, dann ein ebenso beschaffenes negatives Generalpolfeld.

Herzen von Rana esculenia^ welchen wie früher bei An- wendung des Wechselstromes, um das Blut in der Herz- wandung zu stauen und so den Äquator durch Dehnung sicht- barer zu machen, mit einem durch den sinus transversus pericardii ohne jede Verletzung der Vorhofsganglien hindurch- geführten Faden distal vom Ursprung des bulbus arteriosus die beiden Arterien unterbunden waren, und welche danach so rasch in Zusammenhang mit den Vorhöfen herausgeschnitten worden waren, dass der Ventrikel wohl bluthaltig, aber nicht prall gefüllt war, bildeten bei der Durchströmung mit dem Gleichstrom nach einer oder einigen Contractionen zunächst ein von dem anodischen Pol des Herzens ausgehendes, stetig wachsendes, bis über die Hälfte des Herzens einnehmendes blasses Feld tonischer Contraction; darauf entstand auf die

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gleiche Weise auch auf Seite der Kathode ein kleinerer Abschnitt tonischer Contraction; und schliesslich war zwi- schen den blassen Feldern bloss noch eine rothe bluthaltige Scheibe, welche entsprechend weiter gegen die Kathode zu gelagert war und die Hauptrichtung einer Niveaufläche hatte. Sind die Vorhöfe, gegen die Anode gewendet, so beginnt der Tonus an ihnen und den Arterien, und die Äquatorscheibe steht schliesslich etwa in der Mitte des Gesammtherzens, also nahe der Basis des Ventrikels, wobei wohl die Begünstigung des kathodischen Feldes durch die Herzspitze von Bedeutung ist, ebenso wie bei Wendung der Herzspitze gegen die Anode die rothe Äquatorscheibe ganz an die Basis, an die Grenze des Ventrikels verlegt wird. Der Versuch gelingt auch, zumal mit dem Wechselstrom gut, ohne künstliche Blutstauung durch Unterbindung, besonders in starker Kochsalzlösung; selbst in fünf- oder zehnprocentigerKochsalzlösung wurden noch contra- hirte Polfelder gebildet, statt eines contrahirten Äquators, den man nach dem besseren Leitungsvermögen dieser Elektrolyten vielleicht erwartet hätte.

Schwerer als beim Wechselstrom gelingt es mit dem Gleichstrom, dieselbe Reaction ein zweites Mal in anderer oder in derselben Richtung als beim ersten Male hervorzubringen. Immerhin ist nicht zu zweifeln, dass in beiden Fällen beim Herzen keine in ihrer Natur der der Eier und Embrvonen ver- gleichbare, morphologische Reaction, sondern bloss eine polar localisirte Contraction, also eine functionelle Reaction, vorliegt. Mit dem Wechselstrom kann man dreimal polare Contract'on an demselben Herzen veranlassen, ohne dass eine sichtbare bleibende Veränderung eintritt, wie es bei den Eiern und Embryonen und der Gallenblase schon bei der ersten Reaction der Fall ist; bei diesen letzteren schwindet keine einmal sicht- bar gewordene Veränderung wieder. An dem Herzschlauch junger Embryonen werden wir auch noch bleibende, morpho- logische Polarisation, aber vielleicht nicht unbedingt deletärer Natur kennen lernen.

Werden Gallenblasen des Wasserfrosches mit sehr schwachem Wechselstrom durchströmt, so behalten die grünen Polfelder ihre geringe Grösse bald constant (13 Minuten

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lang geprüft); darauf rechtwinkelig durchströmt, bekommt der vorherige Äquator eben so grosse Polfelder, die constant bleiben; aber nach Verstärkung der Anordnung wachsen sie und können den Äquator ganz zum Verschwinden bringen. Am Polfeld sind bei schwachem Strom zu unterscheiden ein dem Pol sich anschliessender Theil mit grünlich gelbem, körnigem opaken Beschlag, und distal daran grenzend eine bloss blau durchscheinend gewordene Zone neben dem trüb graublau gebliebenen Äquator. Mit obigem Gleichstrom behandelt, bilden mitten zwischen den Elektroden liegende Gallenblasen sehr rasch gegen die positive Elektrode ein grosses, fast die halbe Blase einnehmendes, gegen die negative Elektrode nar ein ganz kleines grünes Polfeld. Die seitlich im Stromfeld stehenden Blasen zeigten nur das positive Polfeld. Bei darauf in umgekehrter Richtung erfolgender, 6 Minuten langer Durch- strömüng bildeten dieselben Blasen auf der früher negativen, jetzt positiven Seite gleichwohl kein Polfeld; auch war danach durch erneute Durchströmung in der ersten Richtung keine weitere Vergrösserung der bei der ersten Durchströmung erhaltenen Polfelder zu erzielen.

In fünf- oder zehnprocentiger, ja in concentrirter Kochsalz- lösung durchströmte Gallenblasen bildeten grüne Polfelder statt eines etwa erwarteten grünen Äquators. Selbst in so gut leiten- der Flüssigkeit wie verdünnte Schwefelsäure wurden zuerst die Polabschnitte verfärbt.

Triton.

Ein zu unseren Versuchen sehr geeignetes Material stellen ferner die Eier, Morulae und Embryonen des Triton alpestris dar. Die an den beiden Froschspecies gemachten Beobachtun- gen wurden daran in allen wesentlichen Punkten bestätigt. Zugleich bot dieses Material Gelegenheit, unsere Kenntnisse zu erweitern, da die Eihüllen hier leicht zu entfernen sind und das nackte Ei während der Durchströmung mikroskopisch (mit Zeiss-Objectiv A bis C) beobachtet werden kann; fernerauch, weil die Empfindlichkeit des Materiales eine sehr grosse ist. Ich theile auch die kleinen besonderen, zum Theil sehr wech- selnden Züge mit; denn wenn schliesslich aus den beobachteten

86 W. Roux,

Erscheinungen die wirklichen Vorgänge der Reaction und deren ursächliche Vermittlung abgeleitet werden sollen, womit aber erst nach der Mikrotomirung und der ihr folgenden inneren Besichtigung der Objecte begonnen werden kann, so sind uns die feinen Züge unerlässlich nöthig, ja viel wichtiger als das stets vieldeutige, constantere Geschehen erster Ordnung; denn die Vorgänge zweiter Ordnung und die unter ihnen vorkommen- den Variationen sind es, die uns das Wesen eines Geschehens verrathen.

Die Tritoneier stellen sich, wie die des Frosches, mit der pigmentirten hellbraunen Hemisphäre nach oben, mit der hell- gelben Hemisphäre nach unten ein; sie sind manchmal in der wagrechten Richtung etwas länglich gestaltet.

Werden ungefurchte Tritoneier mit sehr ge- schwächtem Strom bloss eine Secunde durchströmt, so bekommen sie erst hinterher ein Polfeld, welches aber nur sehr klein ist; bei 2 Secunden langer Durchströmung kann das danach entstehende Polfeld schon 90** einnehmen, ist aber bloss schwach grau verfärbt und durch eine seichte Niveau- furche umgrenzt; während nach 5 Secunden langer Durch- strömung das Polfeld fast nicht grösser, aber viel intensiver verändert ist. Doch sah ich auch bei ganz derselben Anordnung nach bloss 1 Secunde dauernder Durchströmung am Pole einige kleine, - punktförmige Extraovate entstehen, und nach einer Durchströmung von bloss einer halben Secunde eine sehr schwache Verfärbung in einer Ausdehnung von fast 90** auf- treten. Die Reactionen gleich alter Eier bei ganz gleichen äusseren Bedingungen sind also sehr verschieden.

Tage lang auf Eis gestandene, noch kalte ungefurchte Eier reagiren auch bei relativ langdauernder Durchströmung wieder sehr schwach, bilden braune Niveaulinien, wenig verfärbte Polfelder; nach 2*/^ Minuten langer Durchströmung ist jedoch der Äquator bloss noch etwa Ye Eidurchmesser breit, um schliesslich nach 8 Minuten langer Stromdauer bei einer Breite von Vio Durchmesser stehen zu bleiben und etwas zu ver- blassen. Auf eine rechtwinkelig zur ersten folgende zweite Durchströmung reagirte alsdann der Äquator nicht mehr. Ein ähnliches Erlöschen der Reactionsfähigkeit sah ich nach sehr

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langer Durchströmung auch an schon getheilten Eiern, z. B. an den in der zweiten Furchung begriffenen Eiern, darin sich aus- sprechen, dass der nach Zerstörung der Specialäquatoren der Zellen entstandene Generaläquator nicht continuirlich gerichtet, sondern oben bajonetteförmig geknickt war und es auch bei fortgesetzter Durchströmung blieb.

Bei geringer Verstärkung der Anordnung vergrössem und vermehren sich die Extraovate; auch treten an zahlreichen Stellen der Eirinde kleine Tröpfchen des Eiinhaltes wie durch Poren aus und confluiren nach und nach zu einer einheitlichen Masse, zu einer Polkappe, die entsprechend der Farbe der Extra- ovate anfangs oben braun, unten weiss ist. Allmälig steigen die weisseren Massen von unten auf und vermengen sich oben mit der braunen Masse.

In der Nähe der Elektroden stehende ungetheilte Eier bilden manchmal im Bereich der hellbraunen, oberen Eihälfte am Äquator Pigmentstreifen, welche annähernd die Rich- tung von Polmeridianen haben.

Vor dem Beginn der Niveaufurchenbildung ent- stehen an ungefurchten Eiern manchmal in der elastischen Eirinde im Bereich des Äquators dicht gestellte, einander parallele, quer zur künftigen Furche orientirte feine Falten, ähnlich den Falten, wie sie sonst bei Entstehung der ersten Theilungsfurche in der Rinde, aber in etwas anderen Richtun- gen, auftreten. Diese Falten machen hier wie dort den Eindruck von Dehnungsfalten. Die Bildung der Niveaufurchen beginnt mit einer Einschnürung an der Niveaulinie, und darauf erhebt sich oben am Ei der anliegende Rand der Polfelder. Vielleicht ist der Beginn dieser beiden Vorgänge als die Ursache der Fältelung der Eirinde an diesen Stellen aufzufassen. Die Über- wölbung des Polfeldes über den entsprechend einsinkenden Äquator ist beim ungefurchten Tritonei noch stärker als bei Rana esculenta und kann bei starkem Strom Ve Eidurch- messer erreichen (siehe Fig. 1 3).

Bei dreimaliger kurzdauernder Durchströmung derselben Eier sah ich jedesmal die Bildung einer Niveaufurche, welche letztere während der nächsten Durchströmung sich mehr oder weniger abglich und durch zungenförmige, in ihrer Farbe ver-

88 W. Roux,

änderte Sprossen des wachsenden Polfeldes überschritten wurde. Die so allmälig auf 7^ Eidurchmesser verringerte Breite des Äquators wurde dann während 5 Minuten anhaltender weiterer Durchströmung beibehalten, wonach sich der Äquator wieder im Ganzen etwas grau verfärbte, und darauf bei erneuter Durchströmung in zur ersten rechtwinkeliger Richtung keine Polfelder mehr bildete, sondern bloss noch etwas grauer wurde.

An einem ungetheilten Ei verfolgte ich genauer die am Äquator vor sich gehenden Pigmentwanderungen, siehe Fig. 3. Von der Niveaulinie aus bildeten sich im braunen Äquator der oberen Hemisphäre weisse, regelmässig neben einander liegende pigmentlose Felder, die sich äquatorwärts abrundeten und von einander durch stehengebliebene braune, in dem Pigment des Äquators auslaufende Streifen getrennt waren, so dass die braune Äquatorrinde also gegen das Polfeld hin Arcaden bildete; die- jenigen Arkaden, welche am wagrechten Eiäquator lagen, waren etwas aufwärts gerichtet, während die oberen annähernd Polmeridianrichtung hatten. Mit der Zeit wurden die Arcaden höher, danach schwanden die trennenden braunen Säulen, und damit war am braunen Äquator die helle seitliche Grenzlinie entstanden, neben welcher nach aussen die oft dunkelbraun pigmentirte Niveaulinie als Vorläufer der Niveaufurchenbildung gelegen ist.

An unbefruchteten Eiern, welche schon so alt waren, dass sie gelitten hatten, blieben die Durch tritte von Eiinhalt durch die Eirinde aus; die Polfelder überwölbten auch nicht den Äquator, welcher oben im Bereiche der braunen Hemisphäre weiss wurde und sogar bei 10 20 Minuten lang dauerndem Durchströmen seine in der ersten Minute gewonnene Grösse behielt.-

Einige ungefurchte Eier waren derart zersetzt, dass oben statt der Eirinde ein runde Hohlräume einschliessendes Netz- werk von Balken sich fand. Gleichwohl bildeten diese Eier Pol- felder, Niveaufurchen, einen convexen Äquator, alles dies, ob- gleich oben, also an der Stelle der intensivsten Veränderungen die zusammenhängende typische Eirinde fehlte.

Die getheilten Eier angehend, so bildeten diese die Specialpolfelder der einzelnen Zellen nach den für das

Entwickelungsmechanik des Embryo. 89

Froschei angegebenen Regeln und behielten damit auch an vielen Zellen den, unter einem scheinbar sehr wirksamen Winkel zu den Stromfaden stehenden Zelläquator. An Eiern, welche erst in vier oder acht Zellen zerlegt sind, reicht jede Zelle noch bis zur Ei- mitte; da nun die Specialäquatoren der Zellen alle distal vom Pol, also gegen die rechtwinkelig zur Stromrichtung stehende Mittelebene des Eies gerichtet sind, so formiren alle Special- äquatoren derZellen wieder den zusammenhängenden, scheinbar einheitlichen Äquator, der aber durch die gebrochene, nicht in continuirlich gleicher Richtung durchgehende Begrenzung be- kundet, dass er nicht ein wirklicher Generaläquator ist. Diese Auf- fassung bestätigt sich auf s Neue nach weiterer Theilung des Eies, wo dann Zellen vorhanden sind, die durch andere von der Mitte getrennt sind, indem diese Zellen ihren eigenen, von dem der mittleren Zellen durch die Polfelder dieser getrennten Äquator erhalten. Dieses Verhalten bleibt bei lebensfrischen Morulae, ja Blastulae mit gerundeten Zellen auch noch auf einer Stufe der Zellzerkleinerung von dem Maasse bestehen, dass drei oder vier Zellen die Breite des eben erwähnten Gesammtäquators jün- gerer, erst in vier oder acht Zellen zerlegter Eier einnehmen, wobei gleichwohl aber jede einzelne dieser kleinen Zellen für sich polarisirt ist; nur die der mittelsten Niveaufläche des Eies anliegenden Zellen berühren noch mit ihren Äquatoren einander und formiren so wiederum ein scheinbar einheitliches, aber jetzt nur sehr schmales Äquatorband. Diese Einheitlichkeit ist jedoch erst bei schon fein getheilten Blastulae wirklich vorhanden; denn wenn die Theilung noch nicht so weit vorgeschritten ist, erhält, wie beim Froschei, ein Theil der diesen Äquator bilden- den Zellen jederseits ein Polfeld, nämlich diejenigen Zellen, welche durch ihr Vorspringen und zufolge der Gunst der Nach- barschaft von beiden Seiten her durch direct aus dem Elektro- lyten kommende Stromfäden getroffen werden können. Bei sehr schwachem Strome sah ich nach längerer Durchströmung an Blastulae, dass die beiden mittelsten Zellreihen, die oben den scheinbar einheitlichen Äquator darstellten, jede i h r R i n d e n- pigment fast ganz in dem polwärts gelegenen Ende der Zelle anhäuften, und dass die Zellen selber fast

90 ' W. Roux,

zum doppelten ihrer vorherigen Grösse in der Strom- richtung verlängert wurden.

Werden Tritoneier nach der vierten und fünften Theilung mit V20 gesättigter Carbolsäurelösung vergiftet und durch- strömt, so bilden sie, wie die entsprechend behandelten Frosch- eier, bei vollkommener Erhaltung der Zellrundung, zunächst die Specialpolfelder der Zellen; diese Einzelfelder vergrössem sich aber sofort auf den Polseiten des Eies über die ganze Aussen- fläche der Zelle zur Bildung der beiden Generalpolfelder des Eies, während gleiche, nicht vergiftete Eier ihre zuerst gebildeten Specialpolfelder mehrere Minuten lang in constanter Grösse behalten, sie aber in verstärktem Maasse verändern und Zellniveaufurchen entstehen lassen, um erst später auf einmal zur Bildung der Generalpolfelder überzugehen.

Mit Zeiss' Objectiv A konnte ich an einer in kleine Zellen getheilten Blas tu la Folgendes beim Durchströmen erkennen. Zuerst entsteht an den seitlichen braunen Zellen im Bereiche des Zellpolfeldes eine ganz feine weisse Granulirung, wie durch Dottersubstanz, die durch die Rinde getreten ist; jede Zelle bildet ihre braune Niveaulinie; danach erfolgt Aufplatzen der Zellrinde längs der Niveaulinie und massiger Austritt von Zell- inhalt, in welchem man oft eine helle, wohl dem Kern ent- sprechende Stelle sieht. Es* erfolgt also hier dasselbe im Kleinen, was ich an den ersten Furchungskugeln und am ganzen un- getheilten Frosch- und Tritonei gesehen hatte. Die Special- polfelder der Zellen waren im vorliegenden Falle am Pole am grössten und nahmen gegen den elektrischen Äquator des Eies allmälig an Grösse ab. Die Zelle in der Mitte des Pol- feldes hatte statt einer Anhäufung des Pigmentes in einer Niveaulinie einen grossen, braunen, runden Fleck in der Mitte der Aussenfläche der Zelle, der zugleich das Polfeld darstellte und von einem helleren Saume,demZel]äquator,rings umgeben war.

Die Verfärbung der Polfelder ist also deutlich mit dem Durchtritte von weissem Zellinhalt durch die Zellrinde verbunden; zugleich findet- eine Pig- mentanhäufung an der Niveaulinie statt; darauf erfolgt Auf- platzen der Zellen und Entleerung von viel Zellinhalt als Extracellulat.

Entwickelungsmechanik des Embryo. 91

Auch an einer noch älteren Entwickelungsstufe, an einer dem Schlüsse nahen Gastrula, welche umgekehrt, d. h. mit dem Urmunde nach oben gewendet lag, konnte ich deutlich sehen, 'dass noch jede einzelne Zelle ein Polfeld bildete, welches gegen den Pol gewendet war.

Im feineren Verhalten schon vielfach getheilter Eier, bieten sich jedoch wieder, wie beim ungetheilten Ei, nach Strom- stärke, Stromdauer und offenbar auch in hohem Maasse nach der Individualität der Eier mannigfache theilweise entgegen- gesetzte Variationen dar, die jetzt dargestellt werden sollen. Die Versuche sind jedoch noch nicht zahlreich genug, um uns zu gestatten, diese Verschiedenheiten vollkommen nach den drei genannten Momenten zu sondern.

An der grob und fein getheilten Morula, sowie auch an der Blastula sah ich wiederholt deutlich, dass in einem be- stimmten Stadium der Durchströmung die Zellpolfelder in einem gewissen grösseren Abstände vom Pole und in einem kleineren von der Niveaulinie am grössten sind, und dass das der Bildung der Specialpolfelder (selbst nach sofortiger Unter- brechung des Stromes) nachfolgende Aufplatzen der Zellen längs der Niveaulinien am stärksten erfolgt in einer Zone des Eies etwa um 7^ 7^ Polfeldradius weit polwärts vom Äquatorrande; das Aufplatzen ist an dieser Stelle so stark, dass die daselbst befindlichen Zellen ganz verschwinden und die jederseits angrenzende Zellreihe auch noch sehr stark ver- ändert wird. Die polwärts, sowie die gegen den Aquatorrand hin von dieser Zone des Aufplatzens gelegenen Zellen sind dann weniger intensiv verändert, und zwar die ersteren mit gegen den Pol stetig abnehmender Intensität. Während also die erste Wirkung vom Pole sich ausgebreitet hat, wird dieser fernerhin doch am wenigsten vom ganzen Polfeld verändert. Durchströmt man dann das Ei nochmals in gleicher Richtung, so schreitet, wie beim ungetheilten Ei, die Veränderung gleich auf Kosten des Äquators weiter, und es bildet sich bald eine nun- mehr jederseits sogleich continuirlich gerichtete durchgehende Niveaulinie aus, die stets äquatorwärts von der früheren Stelle stärkster Veränderung gelegen ist.

^2 W. Roux,

Wenn man dagegen continuirlich durchströmt, so bildet sich nicht an der erst erwähnten Zone eine so starke Veränderung aus, sondern die Veränderung schreitet noch e^ne Zeit lang, wenn auch mit rasch abnehmender Geschwindigkeit, äquator- wärts fort, und erst später entsteht eine vom Pole entfernter ge- legene Zone stärkster Veränderung, also des Aufplatzens.

Nach sehr kurz dauernder Durchströmung war die Localisation derintensivsten Veränderung eine andere. Bei bloss drei Secunden langer Durchströmung hörten die Veränderungen erst einige Zeit nach der Unterbrechung auf, waren aber deutlich am Pole selber am intensivsten; die Zellen daselbst waren in toto weiss geworden, während die entfernten oberen Zellen ent- sprechend der Breite ihrer Polfelder blos zu ein halb bis ein Drittel weiss waren.

Bei längerer Durchströmung dagegen sah ich im Gegen- satze zur obigen Mittheilung einige Male, dass die Polfeldbil- dung nicht am Pole, sondern an einer etwas davon entfernten Zone begann und sich von da polwärts und äquatorwärts aus- breitete.

Bei sehr schwachem Strome entstanden an einem erst in der dritten Furchung begriffenen Ei nach 30 Secunden langer Durchströmung Polfelder mit braunen Niveaulinien als Grenzen, und äquatorwärts unmittelbar daneben brach die Eirinde; €s bildete sich jedoch auch bei zehn Minuten langer weiterer Durchströmung kein allgemeiner Äquator und die Polfelder vergrösserten sich nicht, während zum Beispiele bei einer Gastrula mit dem gleichen Strome eine Zeitlang eine stetige Vergrösserung stattfand.

V^iele, behufs Verzögerung der Entwickelung in dem Eis- schranke aufbewahrte Eier blieben auf der Gastrulastufe stehen und verfärbten sich allmälig grau. Beim Durchströmen entleerten manche dieser grauen Gastrulae ihre oberflächlich liegenden Zellen in sehr starkem Maasse, so dass fast das ganze Proto- plasma nebst dem Zellkern ausgestossen wurde; und zwar ge- schah dies bei genügend starkem Strome an der ganzen Ober- fläche der Gastrula. Andere solche Gastrulae bildeten nur geringe Extracellulate, welche auf den Polseiten am stärksten waren. Wieder anderebildetenbloss eine graue Verfärbung der Polseiten.

Bntwickelungsmechanik des Embryo. 93

Eine eventuelle Verschiedenheit in der Breite des Gesammtäquators an lebenskräftigen und ungeschwächten Eiern schien mir von Bedeutung für die Theorie der beobach- teten Erscheinungen; daher habe ich mich bemüht, an den noch vorhandenen letzterwähnten Gastrulae Sicheres darüber zu ermitteln, ohne indess ein klares Resultat gewinnen zu können. An einigen Gastrulae trat auch bei einem schwachen Strome an den Polseiten so viel Extracellulat aus, dass es sich von der Ei- oberfläche ganz loslöste, confluirte und aufsteigend den in Folge der Schwäche des Stromes breiten Äquator bedeckte und so rasch der Beobachtung entzog; während man doch längere Zeit durchströmen muss, um einen definitiven, von der Strömungs- dauer und Reactionsgeschwindigkeit unabhängigen Äquator zu erhalten.

Der Vergleich nun solcher schon verfärbter, alter Gastrulae mit noch braunen in Bezug auf die Breite des Äquators hat kein sicheres Resultat ergeben; denn erstens waren die initialen Polfelder unter gleichen äusseren Umständen nur wenig und in nicht constanter Weise verschieden, zweitens reagirten beim Wachsthum der Polfelder beide Sorten von Gastrulae nicht prompt, so dass der elektrische Äquator des Eies nicht seine typische, oben in der Mitte breiteste, von da gegen den Eiäquator etwas abnehmende, dann auf der unteren Hemisphäre con- stante Breite hatte; ferner, weil, wie erwähnt, die Extracellulate oft aufstiegen und die Grenze verdeckten. Und wenn auch zu erkennen war, dass die Grössenunterschiede nur gering sind, so wissen wir nicht, ob die älteren Gastrulae ihren Äquator desshalb nicht unter Vio Eidurchmesser verkleinerten, weil sie noch widerstandsfähig waren, oder weil sie schon fast getödtet, also nicht mehr reactionsfähig waren.

Zur Entscheidung dieser Alternative vorgenommene secun- däre Durchströmungen in rechtwinkelig zur ersteren stehender Richtung ergaben nur noch so unbestimmte Reactionen, dass man eher zur letzteren Annahme geneigt sein konnte. Erkennbar war, dassder Äquator nach längerem Durchströmen von etwa fünf Minuten eine feste, aber oft unregelmässig gestaltete Grenze gewann, dass dann der so begrenzte Äquator lange Zeit bei fortgesetztem Durchströmen sich unverändert erhielt, um dann

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bei den noch braun gewesenen Gastrulae mit einem Male sich in toto zu verfärben. An den schon vor der Durchströmung grau gewordenen Gastrulae, an denen die Polfelder eben nur durch Bildung deutlicher Extracellulate kenntlich sind, ist natürlich eine solche plötzliche Verfärbung des Äquators nicht feststellbar.

An einigen wenig reagirenden Gastrulae trat so wenig Dotter aus den Zellen aus, dass man ausser dem Äquator auch das Polfeld noch genauer sehen konnte; da erkannte ich, dass am Pole und dessen nächster Umgebung die Zellen noch braun waren, während der Äquator schon auf Vs Eidurchmesser ver- kleinert war, und die Zellpolfelder neben ihm stark grau verfärbt sich darboten.

Der Pol war also auch hier wieder die Stelle geringerer Re- action. Man könnte denken, dies rühre davon her, dass die Pole bei der gewöhnlichen Einstellung der Eier immer an dem Ei- äquator liegen, welcher weniger empfindlich sei, so dass also die geringere Veränderung auf schwächerer Reactionsfahigkeit beruhe. Diese Auffassung wird jedoch dadurch widerlegt, dass an der Stelle, wo die Niveaulinien den Eiäquator schneiden, eine intensive Veränderung sich findet.

Es muss zunächst dahin gestellt bleiben, ob diese schwächere Affection des Poles auf einen an dieser Stelle ge- ringeren Einfall von Stromfaden, was nicht wahrscheinlich ist, oder auf die geringere Brechung der eintretenden Stromfaden, oder auf ein besonderes Verhalten des Eies als Ganzen, zufolge dessen es mehr an der Grenze des Äquators und des Polfeldes reagire, beruht. Letzteres würde erklärlich machen, dass bei schwächeren Strömen die allein vorhandene, aber starke Ver- färbung am Pole sich findet, weil dabei das Polfeld eben bloss auf den Pol sich beschränkt; aber es wäre nicht zu verstehen, wie die in einzelne, für sich reagirende Zellen getheilte Morula und Blastula ebenfalls so als Ganzes reagiren sollte.

Manchmal platzt an der oberen Hälfte der Blastula längs der Niveaufurche die ganze Zellenlage, welche den grossen inneren Hohlraum von oben bedeckt, in grosser Ausdehnung auf, und es entleert sich aus dem Spalte eine so reichliche Menge Inhalt, als erfolgte eineContraction des Gebildes, also der

Entwickelungsmechanik des Embryo. 95

es zusammensetzenden Zellen. Dieses Maximum der späteren Veränderungen der Blastula ist also deutlich an den Niveau- linien localisirt. Liegt die Blastula mit dem braunen Pol nicht wie gewöhnlich nach oben, sondern nach der Seite einer Elek- trode hin, so kann man sehen, dass wieder, wie am ungetheilten Ei bei gleicher Lage, das braune Polfeld kleiner wird als das gelbe.

Bezüglich des Einflusses der Gestalt des Gebildes auf die Gestalt und Lage der Polfelder wurden noch einige wichtige Beobachtungen gemacht An einer durch Alter etwas geschrumpften, nach einer Seite zugespitzten und in dieser Richtung mit einer tiefen Längsfurche versehenen Gastrula, die in Längsrichtung durchströmt wurde, entstand auf der spitzen Seite ein viel grösseres Polfeld als auf der stumpfen und in der Tiefe der schmalen Furche, obwohl sie im Bereiche des Polfeldes lag, blieb die Veränderung aus. Letzteres Verhalten wurde an mehreren anderen, mit tiefen Gruben ver- sehenen Gastrulae bestätigt, selbst wenn die Öffnung der Grube gegen die Elektrode hin gewendet worden war. Auch eine Semi- biastula, an welcher also, wie ich gezeigt habe,* bios die eine Hälfte der beiden durch die erste Eitheilung gebildeten Zellen sich entwickelt hatte, wurde durchströmt, und zwar in Richtung der Vereinigung beider Hälften. Die ungetheilte Eihälfte reagirte nicht, während an der entwickelten Hälfte alle Zellen ihren Inhalt ausstiessen, so dass also kein Äquator stehen blieb.

Ein Triton-Embryo mit eben erst geschlossener Medullar- furche entwickelte Polfelder wie ein entsprechender Frosch- embryo und Hess erkennen, dass im Bereiche des Polfeldes jede Oberfiächenzelle einen weissen Vorsprung (Extracellulat?) bildete, wodurch die graue Färbung der Polfelder bedingt war.

Nach dieser Schilderung der äusseren Erscheinungen der Polarisation der Tritoneier seien noch einige Experimente mit- getheilt, welche angestellt wurden, um den diesen Erscheinungen zu Grunde liegenden Vorgängen ein wenig näher zu treten.

^ W. R o u X, Beiträge zur Entwickelungsmechanik, Nr. 5. Über die künst- liche Hervorbringung halber Embryonen durch Zerstörung einer der beiden ersten Furchungskugeln, sowie über die Nachentwickclung (Postgeneration) der fehlenden Körperhälfte. Virchow's Arch., Bd. 114, 1888.

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Man könnte denken, die Bildung der Niveaufurchen und ihr Aufplatzen wären Vorgänge, die an das Vorhandensein der ganzen Eirinde gebunden wären, indem der Zug nach innen nur dann zum Platzen der Eirinde führen könnte, wenn diese am Nachrutschen von der Seite her durch ihr Geschlossensein und die Anfüllung mit Inhalt gehindert wäre. Dies zu prüfen, brachte ich nackte, ungetheilte Eier vor "der Durchströmung zum Platzen. Beim Durchströmen jedoch bildeten sich im Be- reiche der Niveaulinien erst kleine, runde Extraovate, darauf platzte die Eirinde im ganzen oberen Bereiche der Niveaulinie, wie gewöhnlich, der Rand des Polfeldes sank alsdann rasch seitlich abwärts, wie nach unten gedrängt, so dass ein breiter Spalt entstand. Die Durchbrechung der Eirinde ist also ein Vor- gang, dessen Ursachen an der Stelle der sichtbaren Verände- rung oder in unmittelbarer Umgebung derselben sich befinden. In dem durch den Spalt sichtbar gewordenen, halbflüssigen Ei- inhalte waren lebhafte, nach verschiedenen divergirenden Rich- tungen gehende Strömungen erkennbar, die aber alle nach aussen führten. Während der Dauer der Durchströmung ver- grösserte sich das durch den Spalt entleerte Extraovat; wieder eine Erscheinung, welche auf Contraction des Eies hinweist.

An einem Ei, welches nach dem Zerdrücken zum grössten Theile, etwa Vs ausgeflossen war, und daher nur noch aus der lang gedehnten, längs gefalteten Eirinde mit wenig Inhalt be- stand, zogen sich die Niveaulinien tief ein, wie an einem nor- malen ungetheilten Ei, und die Polfelder wölbten sich danach stark über; allmälig aber verbreiterte sich der Äquator und erhielt Streifen in polmeridionaler Richtung.

Nackte Extraovate lassen keine polare Veränderung erkennen; sie verändern sich aber an ihrer Oberfläche in einer besonderen Weise, welche jedoch auch ohne Durchströmung vorkommt und wohl nur durch die Berührung mit dem Wasser bedingt ist.

Polare Veränderungen, Niveaufurchenbildung und Erhal- tung einer unveränderten Äquatorzone finden bloss an den mit Eirinde bedeckten Theilen statt. Ein solches Extraovat kann zwei verfärbte Polfelder bilden. Liegt daneben ein nacktes, noch mit ersterem in Zusammenhang stehendes Extraovat, welches

Entwickelungsmechanik des Embryo. 97

aber, wie oft, durch eine tiefe Furche vom anderen abgesetzt ist, so ist ein Einfluss des nackten Extraovates auf die Lage der Polfelder an dem mit Rinde versehenen nicht wahrnehmbar.

Fehlt dagegen eine solche trennende Furche und liegt das nackte Extraovat gegen eine Elektrode hin, so bekommt auf dieser Seite der mit Rinde versehene Theil kein oder ein ent- sprechend schmaleres Polfeld, und der Äquator wird so breit, als gehöre er dem ganzen Gebilde an. Ist auf der anderen Seite noch ein nacktes, nicht durch eine Einschnürung abgesondertes Polfeld, so kann auch auf dieser Seite das Polfeld ganz fehlen, und der Äquator wird somit noch breiter. Stehen die nackten Extraovate im Stromfelde seitlich vom rindenbedeckten Stamm- theile des Eies, so sieht man, dass die beiden tiefen Niveau- furchendes letzteren sich nicht auf den anliegenden, unbedeckten Theil fortsetzen. Also zur Bildung dieser Furchen ist wie zur Polfeldveränderung die Rinde und vielleicht noch das ihr unmittelbar anliegende Protoplasma nöthig.

Auch ein losgelöstes Stückchen eines schon in dritter Furchung begriffenen Eies, welches in seiner Grösse einer Furch ungszelle entsprach und rings mit Eirinde bekleidet war reagirte wie ein ganzes Ei mit zwei Polfeldern und aufgeplatzten Niveaulinien.

An weiter in Zellen zerlegten Eiern bekommt man natürlich keine mit Rinde bedeckten eigentlichen Extraovate mehr. Dagegen erhält man nun leichter i so lirte ganze Zellen, deren Verhalten gleichfalls von Interesse ist.

Vollkommen isolirte, also einzeln freiliegende, braune oder weisse Blastulazellen bilden gewöhnlich keine Pol- felder beim Durchströmen, sondern platzen an beiden Polen auf und entleeren fast vollkommen ihren Zellinhalt, und zwar, sofern kein äusseres Hinderniss vorhanden ist, in Richtung des Stromes (siehe Fig. 17), ein Beweis der allseitig symme- trischen Rindencontraction um den mittleren Stromfaden; der mittlere, die Zellrinde vorstellende Theil mit etwas Inhalt, bildet oft bloss einen Punkt von nicht Vioo ^^^ ganzen Zellmasse. W. Kühne, sowie M. Verworrn* haben in ähnlicher Weise

1 W. Kühne und M. Verworrn, siehe S. 'M) und 31. Sitzb. d. mathcm.-naturw. Gl. ; CI. Bd. Abth. III. 7

98 W. Roux,

Protisten bei der Durchströmung aufplatzen sehen. Dies Ver- halten erinnert auch an dasjenige der ganzen ungetheilten Eier, welche, allerdings nur bei sehr schwachem Strom, bloss an den Polen Extraovate und sonst kein Polfeld bilden. Hier an den freien Zellen erfolgt aber das Aufplatzen momentan beim Stromschlusse und mit so grosser Öffnung jederseits, dass bei der augenscheinlichen Contraction der Rindenschichten die Ent- leerung des Eiinhaltes so rasch sich vollzieht, dass weder Zeit noch Gelegenheit zu einem Durchtritte durch die Fläche der Zellrinde gegeben ist. Berühren sich zwei in Stromrichtung zusammenliegende Zellen so wenig, dass sie sich nur wenig, aber doch deutlich an einander abplatten, so entsteht das Extra- cellulat zuerst nur an den freien Polpunkten, danach aber auch an dem Berührungspunkte, obgleich an dieser Stelle keine Stromfäden vom Elektrolyten aus eindringen können.

Viele isolirte Zellen reagiren nicht. Zerfällt eine Blastula beim Zerreissen gleich von selber in viele einzelne Zellen, war also der Zellverband schon gelockert, indem sich die Zellen schon vorher gerundet hatten, d. h. befinden sie sich in einem Zustande, den ich als Framboisia embryonalis finalis interna* benannt habe, der ein Zeichen fortgeschrittenen Absterbens ist, so kommt es vor, dass keine dieser Zellen mehr auf den Strom reagirt.

Da indess ebenso alte und gleich aussehende, ein wenig abgeblasste Blastulae und Gastrulae im Ganzen durchströmt oft noch deutliche Polfelder unter Austritt von weissen Kugeln aus den Zellen, also unter Aufplatzen der Zellen bilden, so lässt sich schliessen, dass durch die vollkommene Isolirung und das Liegen in Wasser oder halbprocentiger Kochsalzlösung die Zellen derart geschädigt werden, dass sie den Rest ihrer noch vorhanden gewesenen Reactionsfähigkeit einbüssen.

An wenigen freiliegenden Zellen einer zerrissenen Gastrula, welche nicht wie viele anderen beim Durchtrennen an beiden Polen aufgeplatzt waren, sah ich nach Auftropfen warmer Chromsäure und nachträglichem Auswaschen, zwei hellere proto-

1 W, Roux, Beitr. I zur Entwickelungsmechanik. Zeitschr. f. Biologie, Bd. XXI, 1885. Sep.-Abdr. S. 25 und Beitr. V. Virchow's Arch., Bd. 114, 1888.

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plasmatische Polabschnitte und zwischen ihnen einen ein Drittel des Zelldurchmessers breiten, nicht scharf abgegrenzten Äquator, in dem die Dotterkörner angesammelt waren (siehe Fig. 16).

Die isolirten älteren Zellen von etwa 35 110 [t können also, wenn sie überhaupt auf den Strom reagiren, dies auf zweierlei Weise thun: entweder platzen sie an den Polen auf, oder, viel seltener, bilden sie bei doppeltseitiger Bestrahlung zwei durch Ansammlung des Protoplasmas gebildete Polab- schnitte; und in dem Protoplasma findet letzteren Falles manch- mal eine sehr starke Ausscheidung von grossen Tropfen statt. Man darf mit dem zuletzt beschriebenen Reactionsbilde nicht verwechseln das nicht seltene Vorkommen von auch im nicht- durchströmten Ei sich findenden Zellen, deren Dotter erst an zwei Seiten halbmondförmig angehäuft ist, wodurch der mittlere protoplasmatische Theil dann einen hellen, zwischen zwei Pol- feldem liegenden Äquator vortäuschen kann.

Ein einziges Mal beobachtete ich an einer durch Zer- reissung einer Blastula isolirten Zelle, welche dabei aufgeplatzt war, und etwa ein Viertel ihres Inhaltes in einer Richtung ent- leert hatte, die rechtwinkelig zu der späteren Durchströmung stand, dass der ausgetretene Zellinhalt beim Durchströmen sofort wieder eingezogen wurde ;. ein Aufplatzen an den Polen fand danach aber nicht statt. Es scheint also, dass die durch den Strom veranlasste Contraction sich unter veränderten Um- ständen in sehr verschiedener Weise bethätigen kann. Gleich- falls nur einmal sah ich an zwei sich berührenden runden Zellen einer zerrissenen Gastrula beim Durchströmen eine circu- läre Strömung in denselben. Die eine Zelle bildete dabei einen Fortsatz in Richtung des Stromes und sie verschob sich etwas gegen die andere Zelle, während jedoch die Verklebungsstelle beider Zellen ihren Ort nicht änderte.

Wurde eine bereits durchströmte Gastrula zerrissen und die isolirten Dotterzellen nochmals durchströmt, so platzten mehrere von ihnen nun sogleich auf; das Gleiche thaten auch die oberflächlichen Zellen ganzer Dotterklumpen; doch weiss ich nicht, ob die bei der zweiten Durchströmung noch in dieser Weise reagirende Substanz nicht etwa aus der Äquator- scheibe stammte.

100 W. Roux,

Ein anderesmal beobachtete ich ein noch zusammenhän- gendes Stück einer Blastula, von welcher vollkommen isolirte Zellen beim Durchströmen an beiden Polen aufplatzten; gleich- wohl sah ich an den das Stück bildenden Zellen dasselbe Ver- halten wie an einer ganzen Blastula, indem jede gegen eine Elektrode gewendeie Zelle zuerst ein dieser zugewendetes Pol- feld bildete und danach an der Niveaulinie aufplatzte. An einem platten Stückchen von einer braunen, frischen Gastrula platzten bloss die Zellen an den polarwärts gelegenen Rändern des Stückes auf, die Zellen auf den Flächen dagegen reagirten nicht; es zeigte sich, dass sie im Stromschatten lagen. Es war also dasselbe Verhalten, wie es die plattgepresste Frosch- gastrula bei der parallel zu den Seitenflächen erfolgenden Durchströmung darbot; hier reagirten auch bloss die Zellen des bestrahlten Randes.

Schliesslich wurden schon ohne Mikrotomirung einige Be- obachtungen über das innere Verhalten der durchströmten Gastrulae des Triton gemacht.

Auch an Gastrulae entsteht manchmal durch Aufplatzen im Bereiche der Niveaufurche oben ein grosser offener Spalt, ein Loch; aus diesem sah ich einmal viele kugelige Zellen, jede mit zwei trüben, polar gegenüber stehenden Abschnitten, heraus- strömen. Ein anderes Mal beobachtete ich an einer noch deut- lich braunen Gastrula, dass die Dotterzellen aussen weiss, trüb wurden, ihre gelbliche Farbe also aussen verloren. Als danach eine Spaltung an einer der Niveaufurchen entstand, tödtete ich sofort das Ei in erwärmter Chromsäure; darauf sah man an der Bruchstelle, dass die Zellen aussen weiss-trüb, innen gegen die Höhlung der Gastrula hin noch gelblich und durchscheinend waren. Isolirte dieser Zellen im auffallenden Lichte bei Zeiss' Objectiv A. u. C. betrachtet, zeigten das äussere trübe Polfeld in einigem Abstände vom Pole mit einem Ringe blasen- artiger grosser Erhebungen besetzt, siehe Fig. 15; optisch gleich sich verhaltende kleinere Tropfen waren im Polabschnitt selber enthalten und nahmen an Grösse sowohl gegen den Pol wie gegen den beide Polfelder trennenden Äquator ab. Dieser selber war parallel contourirt, breit und erschien leicht braun, homogen und schwa'ch durchscheinend. Der scharf gegen ihn abgegrenzte

Entwickelungsmeshanik des Embryo. 101

innere Polabschnitt war mit Dotterkörnern erfüllt und trüber als der Äquator, gleichwohl aber viel durchscheinender als der äussere Polabschnitt.

Diese Erscheinungen fanden sich zumeist an den Dotter- zellen, doch auch an manchen braunen Zellen der oberen He- misphäre. Beim Erschüttern des Mikroskopes wendeten sich die in halbprocentiger Kochsalzlösung befindlichen Zellen mit den weissen Polen nach oben, wohl ein Zeichen, dass dieser Ab- schnitt specifisch. leichter war. Eine der Zellen war 97 (jl gross, der Äquator 10 (jl, also Yj^ Durchmesser breit, während das ganze Ei einen Äquator von Yj Durchmesser hatte.

BeidurchfallendemLichtewareinabgegrenzterÄquator an diesen polarisirten Zellen nicht mehr zu sehen; sondern die ihn bildende äusserst feinkörnige (wohl protoplasmatische) Sub- stanz ging continuirlich in die Substanz des weissen äusseren Polfeldes über, die oben mit den 0*9 0*5 [t grossen Tropfen durchsetzt war, während die den Kranz bildenden freien, blasigen Erhebungen bis 21 |jl Durchmesser erlangten. Der innere Polabschnitt war gleichmässig und dicht mit den 2 1 3*5 [a grossen Dotterkörnern erfüllt. Bei manchen dieser Zellen war das weisse Polfeld etwas zugespitzt, das gelbe innere war immer halbkugelig. Dieses Gestaltverhältniss konnte auch einen Antheil an der Aufwärtswendung der weissen Pole bei Erschütterung haben. Andere, vielleicht nicht von der Oberfläche stammende Zellen zeigten auch im auffallenden Lichte bloss ein weisses Feld ohne blasige Erhebungen und ein gelbes Feld ohne einen Äquator zwischen sich zu fassen. Wie weit die so veränderten Zellen sich ins Innere des Eies erstrecken, wird später nach Mikrotomirung der aufgehobenen Objecte vielleicht erkenn- bar sein.

Ob das gelbe Feld als Polfeld oder bloss einfach als der nach der Sonderung des Protoplasmas vom Dotter und nach dem Übertritt der Hauptmasse des Protoplasmas in das vom Strom bestrahlte Zellstück verbliebene Zellrest aufzufassen ist, sei für jetzt dahin gestellt. Verworrn sah^ an Antoeba Umax, verrucosa und difflnenSy welche aber nicht mit dem Wechselstrom, sondern

1 M. Verworrn, Pflüger's Arch., Bd. 46. Taf. III.

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mit dem galvanischen Strom behandelt waren, das hyaline Protoplasma sich auf der Kathodenseite sammeln, während das körnige die Anodenseite einnahm; und an Peloniyxa palustris wurden Reste des hyalinen Protoplasmas an der Kathodenseite als hyaline blasenförmige Erhebungen hervorgepresst,

Fische.

Ehe wir aufwärts zu den an Reptilien gemachten Beob- achtungen übergehen, sei über bezügliche Erscheinungen an Fischen berichtet.

Aus der Classe der Fische verwandte ich Eier und Organe von 5 Stück des kleinen Knochenfisches Telestes Agassizii (He ekel), des Laugen.

Es traten hier im Wesentlichen die vom Frosche bekannten Erscheinungen wieder auf, doch fügte sich auch wieder mancher neue Zug in das Bild ein, und manche Erscheinungen traten verstärkt hervor, andere zeigten sich abgeschwächt.

Die Eier dieses Fisches bestehen, im Groben betrachtet, aus einer grossen, gelblich durchscheinenden kugeligen Dotter- masse, welche von einer dünnen Protoplasmaschicht überzogen ist, die sich auch vielfach ins Innere fortsetzt.

Nach der Befruchtung des Eies scheidet sich die Haupt- masse des inneren Protoplasmas als Bildungsdotter an einer Stelle aus und bildet hier einen Hügel, ähnlich wie die Horn- haut am Augapfel. Die übrige Hauptmasse stellt den Nahrungs- dotter dar. Der entstandene Hügel heisst die Keimscheibe, und diese allein wird bei der Furchung in Zellen zerlegt. Die Verbindungslinie der Mitte der Keimscheibe und der Mitte des Nahrungsdotters heisst die Eiaxe.

Beim Durchströmen solcher befruchteter, noch ungetheilter Eier mit dem mir zur Verfügung stehenden Wechselstrom bildete jedes Ei rasch eine tiefe Furche, welche das Ei fast ganz durchtheilte und annähernd halbirte. Die Furchen standen anscheinend regellos im Stromfeld durcheinander. Bei den- kender Betrachtung aber fiel auf, dass keine einzige Furche ganz oder auch nur annähernd in Richtung der Stromfaden des elektrolytischen Feldes stand, sondern dass eine annähernd rechtwinkelige Stellung zu dieser Richtung, aber mit häufigen

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Abweichungen von 20 30* sich in dieser Mannigfaltigkeit aus- sprechen. Betrachtete man die Eier, deren Furche zufällig in einer Niveaufläche des elektrischen Feldes stand, so waren es solche, deren Eiaxe entweder senkrecht oder, wenn schief resp. wagrecht, gleichwohl auch in einer Niveaufläche, oder gerade in einer Stromlinie stand.

Sorgt man dafür, dass alle Eier senkrecht stehen, so stellt die Summe dieser Furchen wieder ebenso schön wie beim Froschei die Niveauflächen dar. Der Grund der Furche ent- spricht dem Äquator, die beiden Seitenmassen den Polfeldern resp. Polabschnitten, welche im Bereiche der Keimscheibe trüb werden und etwas feine, schwer sichtbare Substanz austreten lassen, während das Protoplasma des Äquators vollkommen klar bleibt, siehe Fig. 18. Im Bereiche des Dotters ist manchmal, aber nicht immer eine Trübung an der Oberfläche der durch die Niveaufurchen markirten Polfelder deutlich.

Der Vorgang dieser Reaction bei einem mit der Eiaxe senk- recht stehenden Ei ist folgender. Es entstehen nach wenigen Secunden der Durchströmung im Bereiche der Keimscheibe die beiden trüben Polfelder, darauf unter Verlängerung des Eies in der Stromrichtung zwei seichte Furchen im Abstand von etwa Vj Eidurchmesser, rechtwinkelig zur Stromrichtung; diese Furchen vertiefen sich und nähern sich etwas einander und ihre sich erhebenden Seitentheile knicken sich fast rechtwinkelig gegen den Äquator ab. Die durch die Furchen abgegrenzten Pol- abschnitte vergrössem sich und überhöhen somit ringsum den schmaler und auch im Ringdurchmesser kleiner werdenden Äquator, so dass schliesslich der Äquator in der Tiefe zwischen den beiden einander genährten Polfeldern fast verschwindet und das Ei anscheinend durch eine einzige tiefe Furche getheilt ist. DerProfilcontour des Äquators ist nach aussen convex oder auch gerade und wird seitlich durch die rechtwinkelig zu ihm sich erhebende Innenfläche der Polabschnitte begrenzt. Die Keim- scheibe dehnt sich mit ihren mittleren Theilen allmälig, am meisten jederseits längs des Äquators und der Niveaukanten gegen den Dotter nach abwärts aus.

Um den Vorgang auf das beim Froschei beobachtete Ge- schehen zu beziehen, so entstehen Niveaufurchen, welche viel

104 W. Roux,

tiefer einschneiden als beim Froschei, und die Polabschnitte vergrössern sich dabei entsprechend mehr auf Kosten der Sub- stanz der Äquatorscheibe. Im Bereiche der Keimscheibe kommt noch eine ausgesprochene Trübung des Protoplasmas des Pol- abschnittes hinzu. Aus dem Polfeld wird auch hier etwas Substanz ausgeschieden, aber nur als ein zarter Schleier, also nicht annähernd so viel, als beim Frosch- und Tritonei durch die Rinde der Polfelder hindurchtritt. Der Abstand der Pol- abschnitte ist, wie beim Froschei, im Bereiche des Bildungs- dotters (seil, der Keimscheibe) wieder etwas grösser als im Bereiche des Nahrungsdotters. Auch hier überdauert der Ablauf der Veränderungen, besonders die Abschnürung der Polab- schnitte von der Aquatorscheibe, die Durchströmung, wenn diese von nur kurzer Dauer war.

Steht die Axe des Eies annähernd in Richtung der Stromlinien seines Ortes im elektrischen Felde, so schnürt sich die Keimscheibe etwas vom Dotter ab und wird für sich in zwei trübe Polabschnitte und einen zwischen ihnen liegenden, hell bleibenden Äquator von Niveauflächenrichtung zerlegt; aber diese drei Theile scheiden sich nicht durch Furchen von einander, siehe Fig. 19.

Die beobachteten Abweichungen in den Richtungen der Grenzfurchen der Polabschnitte von den Richtungen der Niveauflächen des elektrischen Feldes lassen sich vielleicht auf die unverkennbare mechanische Tendenz des Eies, die Furchen annähernd durch die Mitte sowohl der Keimscheibe wie des Dotters hindurch zu bilden, zurückführen, obgleich geringe Abweichungen nicht selten sind. Verläuft der durch die Mitte der Keimscheibe gehende Äquator im Dotter stark excentrisch, so findet bald eine Abknickung der Äquatorscheibe und ihrer Grenzfurchen statt. Überhaupt folgt der Äquator der Keimscheibe strenger der Richtung der Niveauflächen, als der Äquator des Dotters, der auch bei geeigneter Stellung der Eiaxe oft etwas schief zur bezüglichen Niveaufläche des Mediums verläuft. Bei schief mit der Keimscheibe gegen eine Elektrode stehenden Eiern kommt es auch vor, dass die Niveauringfurchen zunächst rein auf dem Dotter entstehen und dann sich seitlich gegen die Keimscheibe verschieben. Hier hat sich also wohl das Rinden-

Entwickelungsmechanik des Embryo. 105

Protoplasma des Dotters im Bereiche des Niveauringes zuerst contrahirt, und dann erst hat sich die Contraction auf die Keim- scheibe fortgesetzt.

Die trüb gewordenen Polabschnitte der Keimscheibe sind (infolge einer Contraction?) erheblich fester als ihre Umgebung, wie man beim Zerreissen wahrnimmt.

Hat sich der zur Keimscheibe gehörige Bildungsdotter vor der Durchströmung noch nicht abgesondert, so geschieht dies rasch beim Durchströmen und erinnert so an die Bildung eines protoplasmatischen und eines die Dotterkörner enthaltenden Polabschnittes an den Zellen der durchströmten Gastrula des Triton.

Auch an bloss amöboiden Fortsätzen der Keimscheibe, wie sie nach der Auslösung des lebenden ungetheilten Eies aus seiner Hülle entstehen, ebenso wie an durch Scheerenschnitt isolirten Stückchen selbst bloss von Vg <ier ungefurchten Keim- scheibe bilden sich die trüben Polfelder und zwischen ihnen bleibt ein heller, parallel contourirter, scharf begrenzter Äquator. An grösseren, von beiden Seiten bestrahlten Stücken erfolgt auch noch Abschnürung der Polabschnitte. An ganz nackten Eiern sieht man, dass auch am Dotter im Bereiche der Niveau- furche die oberflächliche Protoplasmarinde trüb wird, gleich dem Protoplasma in den Polabschnitten der Keimscheibe.

Bei eventueller Quercontraction zur Eiaxe bleiben die in und neben der Eiaxe verlaufenden parallelen Säulen von Dotter- körnchen, die durch Protoplasma von einander getrennt sind, erhalten, werden aber gedehnt.

Bei Erwärmung der Fischeier erfolgt ebenfalls wie beim Frosch die Reaction auf den Strom rascher; nach fünf Minuten langer Erwärmung der Eier auf 40** C. bleibt das sonst rasch vorübergehende Stadium der starken Überhöhung des Äquators mit noch weit offener Äquatorfurche lange Zeit be- stehen. Nach vier Minuten langer Erwärmung auf 46 "* C. ist die Keimscheibe schon trüb und reagirt gewöhnlich nicht mehr; im Bereiche des Dotters jedoch fand bei einigen Eiern noch eine geringe Einschnürung statt.

An schon ein- oder mehrfach getheilten Fischeiern entstehen trübe Specialpolfelder, welche meist den für die

106 W. Roux,

Froscheier gegebenen, durch die Bestrahlung bedingten Regeln entsprechen. Ist jedoch die Keimscheibe im Morulastadium gegen die Elektrode gewendet, so schnürt sie sich zuerst wie am noch ungetheilten Ei durch eine tiefe, in Niveauflächenrichtung stehende Furche vom Dotter ab, wird dadurch selber etwas abgeplattet kugelig und zeigt später zwei durch einen unver- änderten Äquator getrennte, aus theilweise polarisirten Zellen gebildete Polseiten, aber keine Niveaufurchen.

Da bei diesen Eiern die Zerlegung in Zellen nur einen kleinen Abschnitt der Eikugel ergreift, so ist Gelegenheit zu einigen weiteren, über die am in toto zerlegten Frosch- und Tritonei hinausgehenden Beobachtungen gegeben. Leider hinderte Mangel an Material, diese Möglichkeit genügend auszunutzen. Zweimal sah ich, dass die schief zu den Elek- troden stehende, getheilte Keimscheibe auf der einen Seite im Profilcontour drei mit je einem Polfeld versehene Zellen ent- hielt; darauf folgte eine einzige, trotz ihrer auf einer Seite der Elektrode direct zugewendeten Fläche unveränderte, also den Äquator repräsentirende Zelle, während die allein noch übrige anstossende Zelle der anderen Seite, welche nur von der an- deren Elektrode bestrahlt wurde, mit ihrem einen Polfeld zu- gleich die ganze zweite Polseite der Profilansicht der Keim- Scheibe repräsentirte. Dies Verhalten lässt sich kaum noch auf die vom Frosch und Triton bekannten Verhältnisse beziehen; und ich habe auch Vertheilungen der Polfelder gesehen, die dies noch weniger als möglich erscheinen lassen, also eine eigene Deutung erfordern werden. So beobachtete ich z. B. eine Morula mit schief zu den Niveauflächen stehendem, also anscheinend von einer Seite her bestrahltem Äquator, der von zwei ein- ander gleich grossen, aber gleichfalls von einer und derselben Elektrode anscheinend mehr bestrahlten, aus gesondert polari- sirten Zellen bestehenden Polfeldern flankirt wurde.

Grössere und kleinere Stücke der Morulakeimscheibe bilden gleichfalls zwei Polfelder, ohne sich jedoch dabei sichtbar zu contrahiren. Bei Besichtigung mit Zeiss' Objectiv E sieht man, dass viele der 29 35 [i grossen Zellen durch reichlichen Gehalt an kleinen und grossen Körnchen ganz trüb sind.

Entwickelungsmechanik des Embryo. 107

Vier Tage alte, durchscheinende Embryonen dieserFisch- art, welche das Rückenmark geschlossen und den kugeligen Dotter schon zu Y5 umwachsen hatten, bildeten auch noch Pol- felder und einen scharf begrenzten, annähernd parallel contou- rirten Äquator. Zuerst wurde die epitheliale Bedeckung des Dotters, dann das äussere Epithel des Embryo trüb im Bereiche der Polfelder. Bei Durchströmung in sagittaler Richtung, also parallel zur Medianebene des Embryo verschmälerte sich das Rückenmark in transversaler Richtung und erhöhte sich dem ent- sprechend erheblich in dorsi-ventraler Richtung, und im Bereiche der Polfelder wurde eine geringe Menge fast flüssiger klarer Substanz von ihm ausgeschieden. Die Rückenmarkssubstanz selbst blieb durchscheinend, schien also nicht polarisirbar zu sein; doch wurden wegen der geringen Zahl der Embryonen die Versuche nicht genügend variirt, um dies als sicher auf- fassen zu dürfen.

Vorspringende bestrahlte reagirende Theile werfen wieder einen Schatten auf die in der Stromrichtung hinter ihnen liegenden Theile desselben Polabschnittes, so dass diese Theile erst später trüb werden.

Auch Stücke von Embryonen reagiren; an ihnen zieht sich während der Reaction zugleich die den Dotter umschliessende Schicht derart zusammen, dass der Dotter aus der Schnittstelle zum Theil ausgepresst wird. Die Schnittfläche des Dotters selber erlangt, so weit sie bestrahlt ist, nur geringe, punktirte oder fadenförmige Trübung, wohl entsprechend der geringen Protoplasmavertheilung im Dotter,

Die durchscheinende Beschaffenheit des Fischeies hätte Gelegenheit geboten, uns über eventuelle, beim Durchströmen im Bereiche des Äquators vor sich gehende molekulare Ver- änderungen durch die Beobachtung eines hindurchgesandten polarisirten Lichtstrahles zu unterrichten; doch war ich zu dieser Zeit noch zu sehr mit der Übersicht über die Hauptformen der vorkommenden gröberen Veränderungen beschäftigt, um schon an die Ermittelung der feineren Verhältnisse zu gehen, und später konnte ich kein weiteres Fischmaterial erhalten.

An noch durchscheinenden Eierstockseiern bis zu einer Grösse von etwa Oomm bringt der Wechselstrom mannig-

108 W. Roux,

fache, aber nicht polar localisirte Veränderungen hervor, die jedoch selbst bei neben einander liegenden Eiern des Eier- stockes oft verschieden sind. Fast ausnahmslos indess entsteht in dem mit einer klaren Flüssigkeit erfüllten, grossen, von einer Membran umschlossenen Keimbläschen, an dessen Innen- wand eine Anzahl glänzender Körnchen (Nucleolen) liegen, rasch eine starke Vermehrung dieser; danach entsteht weiter- hin eine protoplasmaähnliche, dichte, feinkörnige, gelblich- bräunliche, trübe Masse, in der die glänzenden grösseren Körner liegen, die sich dann allmälig retrahirt, manchmal zu einer Scheibe mit vielen zackigen, kantigen Ausläufern. Den Zwischenraum zwischen der Kernmembran und dieser com- pacten Kernmasse füllt klare Flüssigkeit aus. In wenigen Zellen verdickt sich rasch die Kernmembran um das Drei- bis Sechs- fache. Im Zellleib scheiden sich der Eimembran anliegende, nicht glänzende (paraplasmatische) grosse halbkugelige Tropfen von etwa 34 {jl aus, die selten sich zu runden Tropfen ablösen und dann die äusserliche Zellschicht vacuolisirt erscheinen lassen. Das vorher helle Protoplasma sondert sich bei etwa ein Zehntel der Eier in eine äussere, gelbliche homogene und eine innere feinkörnige Schicht, die beide zusammenhängen. Bei Eiern, welche schon einige Dotterkörner enthalten, werden die- selben zwischen diesen beiden Schichten angehäuft. Diese Ver- änderung erfolgt in 10 bis 15 Minuten; während nichtdurch- strömte Eier, 24 Stunden nach dem Tode desselben Fisches der Bauchhöhle entnommen, noch normales Aussehen darbieten. In Wasser liegende, nicht durchströmte unreife Eier behalten lange ihr wässeriges Keimbläschen, scheiden aber bald Flüssig- keitstropfen gegen die Eihaut hin aus, und zwar in grösserer Zahl als die durchströmten Eier dies thun. Ist diese Aus- scheidung bei durchströmten Eiern zufallig an zwei gegenüber- liegenden Stellen localisirt, so kann es den Anschein einer Polarisation erwecken; doch berichtigt die variable Richtung dieser Pole zur Stromrichtung sofort diese Auffassung. Auch die envähnte Sonderung des homogenen Protoplasmas kann sich in dieser Weise anscheinend polar localisiren. Über diese morphologisch wichtigen Veränderungen durch den elektrischen Strom gedenke ich genauere Untersuchungen anzustellen.

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Das Herz des Telestes bildet zwei blasse, tonisch contra- hirte Polabschnitte und eine rothe Äquatorscheibe, letztere annähernd in Richtung der Niveaufläche des Ortes. Der Tonus der Polabschnitte überdauerte die Durchströmung. Auch die Vorhöfe betheiligten sich an dieser Reaction; und man kann bei Änderung der Stromrichtung das zuerst erhaltene Reactions- bild umarbeiten lassen.

Die Gallenblasen dieses Fisches sind dünnwandig und reagiren daher sehr schnell: schon nach 30 Secunden sind die Polfelder sichtbar. Zuerst entstehen auf dem dunkelgrünen Grund an dem Pole rundliche, dann eckig werdende und mit einander zusammenfliessende hellgelbe Flecken, die annähernd gerundete Maschen einschliessen. Dieser Vorgang breitete sich von den Polen aus und führte bei der von mir gewöhnlich angewandten Stromstärke schliesslich unter steter Verschmäle- rung zum Verschwinden des Äquators. Bei Durchströmung der Blase in Längsrichtung geht die Vergrösserung der Polfelder manchmal unter Voraussendung gelber Zacken gegen den Äquator vor sich. Bei äusserst geschwächtem Strom blieben die Polfelder auch während 25 Minuten langer Durchströmung nur kleine Käppchen.

Anhängende Lebersubstanz beeinflusst in keiner erkenn- baren Weise den Verlauf der Niveaulinien; dagegen wirft das angewachsene Fett einen kräftigen Schatten und alterirt so die Gestalt der Polfelder, indem an der Stelle dieses Schattens die \'eränderung ausbleibt.

Lacerta.

Von Reptilien untersuchte ich nur Eidechsen (Lacerta agilis).

Die von einem dicht anliegenden Follikelepithel um- schlossenen jungen Eierstockseier, also die Eierstock follikel ergaben bei Behandlung mit flem Wechselstrom folgende Resultate.

Durchscheinende Eierstocksfollikel von 0*5 bis 15 mm Grösse, deren Eier erst sehr wenige Dotterkörner enthalten, bilden deutlich trübe Polfelder; diese beginnen als isolirte trübe

110 W. Roux,

Punkte am Pole, dann confluiren die Punkte, während am Rande neue solche Punkte auftreten, sich weiter ausbreiten und eckig- maschige Netze bilden von 21 30 ji Maschenweite. Mit Zeiss* Objectiv C sieht man an Eiern von 0*9 10 mm Grösse, dass die trüben Punkte und Netze aus feinkörnigem Protoplasma mit eingeschlossenem Kern bestehen, also getrübte Follikelepithel- zellen sind.

Diese Polfelder wachsen noch erheblich nach dem Auf- hören des Stromes ; ja bei kurz dauernder Durchströmung treten sie überhaupt erst mehrere Minuten danach auf; durch Einlegen in Chromsäure werden sie deutlicher und scharf begrenzt. Nicht isolirte EierstocksfoUikel bilden bloss je ein Polfeld, nämlich bloss auf der ganz freien, vom Wasser umgebenen Seite, nicht auf der anderen zum Theil durch benachbarte Follikel bedeckten Seite, obgleich die benachbarten Follikel durch eine tiefe, mit dem Menstruum erfüllte Furche getrennt sind. Beim Durchströmen eines solchen umgestülpten Eier- stockes tritt demnach die beschattende Wirkung des reactions- fähigen Substrates in ähnlich ausgesprochener Weise herv^or, wie sie oben für querstehende Furchen am Pole der Morula des Wasserfrosches und des Triton beschrieben worden ist. An bloss mit einem Polfeld versehenen Eierstocksfollikeln breitete sich nach dem Durchströmen beim Liegen in Wasser die Trü- bung vom Polfelde allmälig während einer halben Stunde über das ganze Ei aus, aber mit vom Pole aus abnehmender Inten- sität. An grossen, dotterkörnerhaltigen Eiern von 7 mw Durch- messer vermochte ich nach der Durchströmung keine Polari- sation zu sehen oder durch Chromsäure sichtbar zu machen.

Die Gallenblase der Eidechse verhält sich im Wesent- lichen wie die der übrigen untersuchten Thiere. Die Polfelder werden grün, in verdünnter Schwefelsäure rasch opak gelb; obschon die ausfliessende Galle selber nicht opak gelb wird.

Auch an den Embryonen der Eidechse wurden einige bezügliche Beobachtungen gemacht. Es standen bloss von drei schwangeren Eidechsen Embryonen zur Verfügung, welche in den beobachteten Stadien noch durchscheinend waren und daher gestatteten, das Verhalten einiger inneren Organe kennen zu lernen.

Entwicketungsmechanik des Embryo. 111

An diesen Eidechsen -Embryonen mit schon stark vor- springendem Mittelhim (und mit Extremitätenstummeln) reagirte vorzüglich das Gehirn auf den Strom. Durchströmt man mit starkem Strom in cephalocaudaler Richtung, so bildet die vorspringende Blase des Mittelhims zuerst ein kleines trübes Polfeld an dem der Elektrode nächsten Theil, welches in 3 Minuten schon fast die halbe Kugel einnimmt; danach entsteht auch an der gleichfalls direct bestrahlten dorsalen Wandung des Hinterhirns, Zwischenhirns und Vorderhirns eine Trübung. Gleichzeitig wird die ausgedehnte, entgegengesetzte basale Seite des ganzen Gehirnes trübe; und zwischen diesen beiden Polfeldern bleibt ein grosser, annähernd parallel con- tourirter Streifen des Gehirnes vollkommen durchscheinend; nur im Bereich der ventralen Wandung der Mittelhirnblase, welche infolge der kugeligen Gestalt der Blase noch besonders bestrahlt wird, entsteht dem grossen dorsalen Polfelde gegen- über ein besonders abgegrenztes kleineres, etwas weniger trübes, aber vollkommen deutliches Polfeld. Die scharf be- grenzten polaren Trübungen der Gehirnwandung werden auch nach der Unterbrechung der Durchströmung des Embryo noch eine Zeit lang intensiver; während der schmale Äquator selbst nach längerer Durchströmung noch durchscheinend bleibt. Der gleichfalls unter günstigem Winkel bestrahlte Anfangstheil des Rückenmarkes bekommt nur eine schwache Trübung. Ferner wird der schlingenförmige Herzschlauch an den Polseiten trüb. Das gleiche gilt von den Polseiten derKiemenbogen und der Extremitätenstun^mel; sie werden ebenfalls oberfläöhlich trüb; doch konnte ich an ihnen keinen deutlichen Äquator wahr- nehmen.

Durchströmt man einen Eidechsen-Embryo des gleichen Stadiums in der Richtung vom Stirnhirn zum Nachhirn, so sind die trüben Polfelder in der Hirnwandung entsprechend anders vertheilt, aber ebenfalls scharf begrenzt; am Stirn-, Zwischen- und Mittelhirn ist je ein vorderes Polfeld; am Mittel- him, durch hellen Äquator getrennt, ein hinteres Polfeld, und daran schliesst sich die trübe Hinterhirndachplatte; letzterer ventral gegenüber liegt der stark trübe, dicke ventrale Theil des Nachhims. Am Rückenmark sind die Veränderungen wieder

112 W. Roux,

weniger deutlich; dagegen sind sie wieder vollkommen aus- gesprochen an den derzeitigen Polseiten des Herzschlauches. Auch die Gehörbläschen bilden polare, aber unscharf begrenzte Trübungen, Auf einem etwas jüngeren Stadium reagirte das noch sehr dünne Dach des Zwischenhirns und des vierten Hirnbläschens nicht erkennbar, sodass bei geeigneter Strom- richtung den betreffenden Abschnitten das zweite Polfeld fehlte, wie es übrigens im Bereiche des Nachhirns vorher schon der Fall war.

Die Hirnwandung der Embryonen verdickt sich im Bereiche der Polfelder schon während des Durchströmens und noch nach demselben innerhalb einer Viertelstunde sehr stark, stellenweise auf das Vier- bis Sechsfache unter Bildung von gleichfalls trüben, soliden Höckern und Wülsten, die zum Theil regel- mässig angeordnet sind, und in den Binnenraum der Hirnblase vorspringen; manchmal ist ihre Bildung schon in einer halben Stunde so stark, dass sie sich von den beiden Polfeldern aus in der Mitte berühren und so den durchscheinenden Äquator unterlagern. Anfangs solide Wülste können später zu Falten der Hirnwandung werden, indem sich der äussere Theil der Wandung mit einstülpt. Die Falten sind in Richtung des Stromes gelegen.

Zum Theil ähnliche, aber natürlich nicht polar localisirte Veränderungen der Hirnwandung erhält man ohne Durch- strömung, jedoch viel langsamer, wenn man die Hirnblase auf- schneidet und die verwendete wässerige, mit wenig VtP^^* centiger Kochsalzlösung versetzte Menstruumflüssigkeit ein- dringen lässt. Hiedurch wird die Hirnwandung unter Quellung von innen aus trüb.

Das Herz reagirt langsamer als das Gehirn und schlägt gewöhnlich noch, wenn schon am Hirn die Polfelder ent- wickelt sind.

Auch die AUantois Hess deutlich polare weissliche Trübung erkennen, besonders ausgesprochen auf der Höhe der nach aussen vorspringenden direct bestrahlten Falten, in den Furchen nicht deutlich. Ist die AUantois prall gefüllt, so sind die Polfelder etwas deutlicher umgrenzt, und daher auch ein parallel contourirter Äquator eher zu erkennen; aber nie

Entwickelungsmechanik des Embryo. 113

ist der Übergang vom trüben Polfeld zum durchscheinenden Äquator ein so plötzlicher wie am Gehirn desselben Embryos.

Huhn (G all US dornest icus).

Femer reagiren sehr gut Hühnerembryonen von 2*/^ bis 7 Brüttagen auf den Wechselstrom, während die schon früher geprüfte Keimscheibe keine Polfelder hatte erkennen lassen. Da dieses Material gut durchscheinend ist und fast zu jeder Zeit beschafft werden kann, so wurden an ihm die Beob- achtungen eKvas weiter ausgedehnt, als dies an den Embrj'onen der drei Eidechsen möglich war. Die Embryonen wurden in einhalbprocentiger Kochsalzlösung von 35" 39* C. durch- strömt Schon nach 3 bis 5 Minuten tritt an jeder Polseite der Himbiasen eine scharf umgrenzte Trübung der Wandung, ein deutliches Polfeld auf, welches wieder je nach der Lage des Embryo zu den Elektroden verschieden situirt ist, wie dies bereits von den Eidechsen-Embrj'onen geschildert worden ist.

Die durchscheinende Beschaffenheit gestattet, mit schwachen Objectiven, Zeiss A und C, zu beobachten, und lässt erkennen, dass es die innere Schicht der Hirnblasenwandung ist, welche trüb wird. Bald entstehen im Bereiche der Polfelder, besonders am Mittelhim, ausgesprochene, wieder in Stromrichtung gelegene Wülste und Falten der Wandung, siehe Fig, 20, und zwar vorzugsweise nach innen gegen den Binnenraum zu; während der scharf begrenzte Äquator jeder Hirnblase klar durchscheinend und ungefaltet bleibt, und zwar klarer durchscheinend als der bezügliche Theil des bei jedem Ver- suchsbeginne zum Vergleiche in 37 39" C. warme gleiche Kochsalzlösung eingelegten gleichalterigen Probe - Embryos. Letztere werden allmälig etwas trüb, während die durchströmten Embryonen zunächst durchscheinender werden, als sie waren, soweit sich nicht Polfelder an ihnen bilden. Erst nach einer Viertel- bis halben Stunde breiten sich die Trübungen der durchströmten Embryonen auch über die Äquatortheile aus und werden etwas hyalin; damit wird der durchströmte Embryo nicht durchströmten, in nicht mit Salz versetztem Brunnen- wasser liegenden Embryonen ähnlich, welche allgemein trüb, etwas hyalin schimmernd werden, aber ihre ungefalteten Hirn-

Sitzb. d. mathem.-naturw. Cl.; CI. Bd. Abih. III. 8

114 W. Roux,

Wandungen behalten. Die Hirnwulstungen oder Faltungen def durchströmten Embryonen bilden dann einen leicht sichtbaren Unterschied. An in halbprocentiger Kochsalzlösung ohne Durchströmung liegenden Embryonen dagegen werden viele verschiedene Schichten trüb, andere bleiben Tage lang durch- scheinend, so dass die Dififerenzirung viel mehr sichtbar wird, als im Leben und als an elektrisirten Embryonen.

Die polaren Trübungen finden sich wieder auch an der basalen Seite des Gehirns in entsprechender Weise, obgleich hier die Hirnwandung nicht so frei liegt wie dorsalerseits, sondern vom Kieferbogen, vom Mittelblattgewebe und vom Kopfdarm bedeckt ist. An dem dünnen Dach des vierten Ventrikels ist die Trübung nur an den Rändern ganz deutlich.

Die primäre Augenblase reagirt wie das Gehirn. Die secundäre, schwarz pigmentirte Augenblase reagirt sehr trag mit Faltungen und Abschnürungen, besonders an den Polen, und mit Verfärbung und Hellwerden, gleichfalls besonders an den Polseiten, siehe Fig. 20. Doch entstehen keine scharf abgegrenzten Polfelder und dem entsprechend auch kein solcher Äquator. Die Linse zeigt auch Veränderungen. Die Wandung der Gehörbläschen wird gleichfalls trüb, eventuell gefaltet, aber wieder nur mit undeutlicher polarer Begrenzung der Ver- änderung. Auch das Rückenmark Hess in seinem cephalen Theil polare Trübung, aber wenig deutlich erkennen.

Manchmal glaubte ich auch polare Trübung im freien Theil des äusseren Keimblattes, im äusseren Überzug des Körpers zu erkennen; doch war die Abgrenzung keine scharfe und ist bei der Zartheit dieser Epithelschicht das Urtheil unsicher. Nur ist eine starke, jedoch wie bei den Eidechsen- Embryonen, nicht deutlich polar begrenzte Trübung des Epi- thels der Extremitätenstummel, sowie der sehr direct von Stromfäden getroffenen Oberflächentheile der Schlundbögen zu erwähnen.

An jungen Embryonen von 2 2^1^ Tagen, an denen mit dem Mikroskop ohne vorherige Mikrotomirung der Kopfdarm sichtbar ist, sah ich eine starke, in manchen Fällen deutlich polar localisirte Trübung seines Epithels, also des Entoblast. Das Epithel der Rachenmembran und der inneren Seiten der

Entwickelungsmechanik des Embry'o. 115

Schlundbögen ist auch ohne Durchströmung schon trüb; diese Trübungen aber werden erheblich verstärkt bei geeigneter Lage der Elektroden. Auch andere stark durchstrahlte Theile des Entoblast, besonders der vorspringende Umschlagsrand der vorderen Darmwand zum Dottersack, werden bei Durchströmung in geeigneter Richtung auf den Polseiten deutlich trüb. An dem noch S-förmigen Herzen wird gleichfalls auf den Polseiten eine Trübung durch den Wechselstrom hervorgebracht. Weiter- hin entstehen an den Seitenplatten des mittleren Keim- blattes, sowie an den Ursegmenten des Kopfes, Halses und vorderen Rumpfes polare Trübungen. Manchmal bekommt jedes Ursegment je eine, bei Längsdurchströmung proximale und distale, weisslich trübe Grenzscheibe, bei Querdurchströmung ein mediales und ein laterales weisses Feld; andere Male ist die polare Localisation der Trübungen undeutlich. Einmal sah ich nach einer nicht bis zur Polfeldbildung an den Ursegmenten fortgesetzten Durchströmung innerhalb einer Stunde an der ganzen lateralen Seite jedes Rumpfsegmentes ein schmales Stück sich abschnüren und einige davon sogleich mit dem davor und dahinter liegenden Stück zu einem einheitlichen Strang sich verbinden. Erwähnenswerth ist, dass vor der Ab- schnürung jeder laterale Rand des Ursegmentes sich wie durch transversale Einschnitte, welche aber wohl durch Umordnung der Epithelzellen bedingt waren, sich in 4 oder 5 Sprossen sonderte, dass diese sich vom Ursegment abschnürten und dann zu dem Längsstrang sich vereinigten. Es ist die Bildung des Umierenganges, die ich da direct von der Dorsalseite des Embryo aus beobachtet habe; ob dieselbe durch die elektrische Behandlung beschleunigt war, oder ob sie für gewöhnlich so rasch verlauft, müssen erst weitere Beobachtungen darthun. Im Bereiche der polaren Trübungen der Ursegmente scheint der Zellverband gelöst, denn man sieht mit Zeiss C nur noch viele Zellkerne von 7 |t Grösse; also hat wohl Framboisia interna stattgefunden, wie beim äusseren Epithel der Frosch-Embryonen. Ahnliches sieht man auch an den Polfeldem von Stücken des Rückenmarkes und Gehirnes, sowie an der Chorda dorsalis; doch ist Genaueres erst nach der Mikrotomining der Objecte festzustellen. Dies gilt auch

8*

116 W. Roux,

allgemein für die zwischen den epithelialen Gebilden gelegene Bindesubstanz, an welcher ich in frischem Zustande keine Ver- änderung wahrnehmen konnte. In getrübten Stellen des Ento- blast sieht man schon mit Zeiss C viele glänzende Kügelchen von 1*4 3 -5 ji Grösse. Diese sind es wohl, welche die Trübung bedingen.

Am Mittelhirnbläschen entsteht auch manchmal eine be- sondere Niveaulinie, welche dunkler ist als der benachbarte Theil des Polfeldes, dessen Grenze sie darstellt.

Der Äquator beträgt bei der angewandten Stromstärke an der Mittelhirnblase etwa Vg ^^^ Ausdehnung des Gebildes in Richtung des Stromes; bei den beiden Grosshirnbläschen ist er breiter. Die Äquatoren der Mittelhirnblase, der Zwischen- himblase und der Grosshirnbläschen sind nicht einander parallel, sondern es ist, wie bei den schief zur Stromrichtung stehenden Gallenblasen der Kaninchen, eine Ablenkung des Äquators von der Niveauflächenrichtung des Menstruums nach der grössten Ausdehnung der bezüglichen Blase wahrnehmbar; dies gilt daher besonders für die Grosshirnbläschen und für das Zwischenhirn, siehe Fig. 20. Es gelten hier überhaupt die früher von der Localisation der Polfelder an Froschöiern und -Embryonen und an Gallenblasen aufgestellten Regeln von der directen Bestrahlung und vom Stromschatten.

Das das Hirn umgebende, selber nicht erkennbar reagrrende differente Gewebe beeinflusst nicht die Anordnung der Polfelder an den von ihm eingehüllten Organen; die Hirnblasen verhalten sich, als ob ihre bestrahlten Formen unverhüllt da lägen. So Hess auch die Einhüllung in das Amnion keine die Locali- sation alterirende Wirkung erkennen, von einer geringen Ver- zögerung der Polfeldbildung abgesehen, welche ich zu bemerken glaubte.

Am Herzschlauch des Hühnchens bilden die beim Durchströmen sich trübenden Theile den äussersten Theil der Wandung und stellen, bei Zeiss C gesehen, eine gelbliche, dichte, die einzelnen Zellen nicht mehr recht erkennen lassende Schicht von zum Beispiel 21 |x dar, während man an den nicht polarisirten Stellen der Rinde die einzelnen 7 14 [jl grossen Zellen deutlich unterscheiden kann. Die polarisirten trüben

Entwickelungsmechanik des Embryo. 11/

Stellen scheinen aus dicht gedrängten Zellkernen von 7 (jl Grösse zu bestehen. An einem bloss durch Liegen in warmer, V^procentiger Kochsalzlösung getrübten Herzschlauch war diese Schicht nicht auffindbar.

Alle bisher durchströmten Gebilde, mit Ausnahme der Stücke von Froschembryonen, waren durch gerundete oder auf andere Weise nach aussen vorspringende Flächen begrenzt. Es ist daher die Vermuthung zu prüfen, ob diese Gemeinsam- keit der Formen nicht vielleicht Veranlassung zu der gefundenen Gemeinsamkeit in der Localisation der Veränderungen auf zwei durch einen unveränderten Äquator getrennte Polfelder ist. Da in den Hirnblasen Hohlgebilde mit nicht collabirender Wandung vorhanden sind, war Gelegenheit gegeben, diese Vermuthung zu prüfen.

Ich zerschnitt daher den Kopf von Hühnerembryonen und Hess in die offene Höhlung des Vorder- und Mittelhirns den Strom direct eintreten. Es zeigte sich, dass jetzt nicht etwa ein trüber Polring am offenen Rande, eine Polkappe am blinden Ende und zwischen beiden ein unveränderter Äquator, an dem eine halbe Kugelschale darstellenden Gebilde entstanden, sondern das ganze bestrahlte Gebilde wurde trüb. Zugleich sah man jetzt sehr deutlich, dass nur die innere Schicht der Hirn- wandung sich trübt und zunächst allein die wieder in Richtung des Stromes gelegenen Wülste bildet. Ist dagegen das direct in seine Höhlung bestrahlte Hohlgebilde relativ lang, sackartig, dann sieht man, dass die Umgebung des Einganges und der Fundus viel trüber werden, als der zwischen ihnen gelegene mittlere Theil. Wird aber ein so gestaltetes Hohlgebilde parallel der Schnittfiäche durchströmt, so reagirt es, als wenn es noch geschlossen wäre, also wie früher beschrieben.

Ein zwei Tage bebrütetes Hühnerei wurde uneröffnet in der Längsrichtung des Embryo durchströmt und danach der, abgesehen vom Gehirntheil, noch flach ausgebreitete Embryo herausgenommen. Er hatte trübe Polfelder an der bestrahlten Seite des vorderen Endes des Gehirnes, dann einen quergestellten trüben Streif im Bereiche des Rückenmarkes hinter dem Nach- him, entsprechend einer zufällig daselbst vorhandenen Biegung, deren Oberfläche von Stromfäden getroffen werden konnte,

118 W. Roux,

ferner Trübung des Entoblast an der Umschlagsstelle desselben vom hinteren Ende des Vorderarmes zum Dottersack. Besonders an den trüben Stellen zeigten auffallend viele Zellen bei hoher Einstellung des Systems Zeiss' Immers. II zwei matte, an- nähernd den Elektroden zugewendete Felder, die durch einen hellen, homogen erscheinenden Äquator getrennt waren; jedoch habe ich in keinem anderen Falle, selbst nicht nach 6 Stunden langer Durchströmung ganzer Hühnereier solche polaren (?) Trübungen am Embryo und solche scheinbar polarisirten Zellen wieder aufgefunden. Nach Zerreissung des Embryo wurden alle Zellen der Rissfläche, sowohl der Chorda, wie des Rücken- markes kugelig. An den trüben Stellen fanden sich zahlreiche Körnchen zwischen den Zellen und bildeten wohl die Ursache der Trübung. Auch die noch innerhalb der Chordascheide befindlichen Zellen der Chorda dorsalis dieses Embryos zeigten sich nach dem Durchströmen gerundet, hatten also Framboisia interna gebildet; zum Theil hatten sie unter Aufnahme von Flüssigkeit zugleich ein bis etwa zum Neunfachen des Normalen gesteigertes Volumen angenommen.

Weitere Aufklärung über die Gestaltungsursache des Pol- feldes gewährten die noch ganz oder fast ganz platten, jüngeren Hühnerembryonen.

An Stücken von einem bloss 40 Stunden lang bebrüteten Embryo wurde deutlich, dass die polaren Trübungen an den gegen die Elektroden gewendeten Flächen oder Kanten begannen, und auch an den direct bestrahlten Theilen von Krümmungen des Medullarrohres, sowie des Ektoblast, auftreten.

Nur 20 Stunden, ja erst wenige Stunden bebrütete Keim- scheiben, welche früher bei plattem auf dem Boden liegen nicht reagirten, bildeten nach dem Zusammenfalten an dem gegen die Elektrode gewendeten Umbiegungsrande schwache, nach dem Wiederausbreiten noch sichtbare Trübungen, be- sonders aber vorspringende Buckeln des Ektoblast, ähnlich denen des Gehirnes der älteren Embryonen, aber kleiner, und zwar entwickelte von zwei parallel neben einander liegenden Falten jede einzelne zwei durch einen besonderen Äquator getrennte Polfelder, entsprechend den den Elektroden zuge- wendeten beiden Seiten. Auch in der Area opaca trübte sich

Entwickelungsmechanik des Embryo. 119

der Ektoblast etwas, wenn auch nicht so deutlich als auf der Zona pellucida und dem Embr^'o.

Auf den galvanischen Strom von 12 Bunsen'schen Elementen reagirten die Hühnerembryonen zum Theil noch stärker, als auf den für gewöhnlich verwendeten Wechsel- strom.

An Hühnerembryonen von 5 7 Brüttagen entsteht zuerst wieder, wie beim Froschei, das anodische Polfeld, welches schon nach einer Minute am Mittelhirn stark ausgeprägt, nach 4 Minuten schon gefaltet ist. Drei Minuten nach dem Beginne der Durchströmung trat das kathodische Polfeld auf, aber zuerst nur an den in der Nähe der Kathode liegenden Embryonen. Ähnliches zeigte sich auch an den anodenwärts liegenden Embryonen bezüglich des positiven Polfeldes, jedoch in minderem Maasse.

Für die Lage der Polfelder gilt das für den Wechselstrom Mitgetheilte. Schon nach 5 Minuten war die Wirkung im anodischen Polfeld so stark, dass einige der Falten der Hirn- wandung, welche auch hier wieder in Richtung des Stromes lagen, aufplatzten.

Auch die secundären Augenblasen reagiren wieder stark; die hell gewordenen Polfelder sind hier zum Theil besser vom schwarzen Äquator abgegrenzt als beim Wechsel- strom, und zeigen zum Theil auch Faltung in Richtung des Stromes.

Ganz evident ist beim Gleichstrom die Wirkung auf den äusseren Körperüberzug; der Ektoblast wird geradezu weiss, wo er direct bestrahlt wird. Besonders stark ist diese Ver- änderung wieder an den Extremitäten, deren Polfelder zwar auch hier nicht deutlich abgegrenzt waren, aber doch einen Äquator geringerer Veränderung zwischen sich zu haben schienen. Auch das bestrahlte Epithel der Kiemenbogen wird besonders stark weiss, und die Allantois ist deutlich polarisirt. Die den Boden des Gefässes berührenden, oder ihm sehr nahen Seiten der Embryonen bleiben durchscheinend; bloss die aufwärts gebogenen, gegen die Elektroden gewendeten Ränder an den Unterseiten bieten noch die Veränderung dar, so dass zum Beispiel ein am Boden liegendes Auge entsprechend

120 W. Roux,

der zugewendeten Elektrode nur ein anodisches, kein katho- disches Polfeld hat.

Bei diesen Versuchen fiel mir wieder, siehe S. 82, auf, dass die Wirkung mit dem Abstand von der Elektrode stark abnahm, indem das anodische Polfeld an den der Anode ent- fernteren Embryonen später auftrat und schwächer verändert, respective kleiner war, als an den der Anode näheren Embry- onen; dasselbe galt in noch stärkerem Maasse für das kathodische Polfeld.

Dieses Verhalten erinnert an eine Beobachtung von Ver- worrn an einem langen, in Stromrichtung liegenden, mit viel- fachen knolligen Verdickungen, versehenen Faden der Loh- blüthe, der gleichfalls mit dem Gleichstrom behandelt worden war. Seine Figur 7 auf Tafel IV zeigt, dass an diesem Faden die anodische Veränderung auf den Anodenseiten aller Knollen nicht bloss bis zur Mitte des Fadens, sondern fast in ganzer Länge auf */io desselben vorhanden war, dass aber diese Ver- änderung an Intensität, sowie an Ausdehnung an den einzelnen Knollen von dem Anodenende des Fadens stetig abnahm, und dass an den der Anode nächsten Knollen die anodische Ver- änderung auch auf der der Anode abgewendeten Seite, an den entfernteren Knollen bloss auf der direct der Anode zugewen- deten Seite sich findet. Verworrn^ sagt darüber S. 276: 3^ Diese Intensitätsabnahme der Verfärbung von dem positiven Pol aus nach dem negativen hinüber scheint daraufhinzuweisen, dass die Wirkung des Stromes an den anodischen Stellen um so schwächer ist, je weiter diese von der positiven Elektrode entfernt liegen, so dass es also an entfernteren Stellen einer längeren Stromdauer bedarf, bis der körnige Zerfall einen makroskopisch bemerkbaren Umfang angenommen hat.« Die mögliche Ursache dieses Verhaltens angehend, so liegt in der langen continuirlichen Ausdehnung in Stromrichtung seitens eines wohl besser als das umgebende Menstruum leitenden Gebildes ein Moment, welches diese Erscheinung der i\bnahme der Wirkung mit dem Abstand von der bezüglichen Elektrode durch Aspiration und Vorwegnahme der Stromfäden durch die

1 M. Verworrn, Pflüger's Arch., Bd. 46, 1889.

Entwickelungsmechanik des Embryo. 121

der Elektrode näheren Stellen des Gebildes auf eine sehr ein- fache Weise erklären lässt. Versuche über die wahre Bedeutung dieses Vorkommnisses, die gezeigt haben würden, was es für eine Bewandtniss mit ihm hat, sind vonVerworrn, dessen Untersuchung einen anderen Zweck verfolgte, nicht angestellt worden.

Da man Hühnerembryonen fast das ganze Jahr haben kann, verschob ich weitere Versuche über dieses Verhalten und nahm sie erst wieder auf, als leider am hiesigen Orte die befruchteten Eier schon zu Ende gingen.

Es waren bisher runde Glasschalen verwendet worden, so dass das Strombett sich gegen die Mitte stark verbreiterte, also die Stromdichtigkeit abnahm. Dies zu eliminiren, nahm ich bei Wiederaufnahme der Versuche eine oblonge Schale in Gebrauch, welche nur wenig breiter war als die Platinelek- troden. In dieser Schale wurden zwei Hühnerembryonen von acht Tagen Brütedauer durchströmt, von denen jedoch der eine Embryo nicht grösser und weiter entwickelt war, als ein normaler Embryo von fünf Tagen, obwohl er noch lebte, wie das schlagende Herz bekundete. Der grössere dieser Embryonen lag nahe der Anode, an die Seitenwand des Glases gelehnt, mit dem Hinter- ende gegen die Anode gewendet; und dicht neben seinem Kopf wurde der kleine Embryo gegen dieselbe Glaswand gelehnt, auch mit dem Steiss gegen die Anode gerichtet. Bei der Durch- strömung wurden zunächst die in der Nähe der Anode liegenden Theile des grossen Embryo trüb, weiss, und zwar die linke Hinter- und Vorderextremität in toto auf beiden Seiten ohne Äquator; auch sah man eine Zeit lang die trüb gewordenen Knorpelstrahlen der Zehen und die trüb gewordene Knorpel- substanz des Tarsus durchscheinen; ferner wurde der Steiss in toto trüb; vom Rumpf bloss die Anodenseite, desgleichen vom Kopf. Die Kathodenseite des Kopfes und Rumpfes, und der in Richtung des Stromes liegende Hals blieben durchscheinend. Der kleine Embryo blieb im Ganzen hell und erhielt bloss am Dach des Mittelhirns, welches der Kathode am nächsten stand, in Richtung des Stromes verlaufende Wülste, wobei dieser Theil nur wenig trüb wurde und sich dadurch augenfällig von den weissen oder weisslichen Polfeldern des anderen Embryo unterschied. Der

122 \V. Roux,

kleine Embryo selbst aber bekam keine deutlichen anodischen Pol- felder. Die gegen die Boden- und Seitenfläche gelehnten und die angrenzenden Theile beider Embryonen blieben gleichfalls hell.

Wir haben also in der Nähe der Anode an den Extremi- täten anodische Polfelder von starker Intensität der Veränderung, welche letztere sogar beide Seiten erfasste und keinen Äquator erkennen Hess; mit der Entfernung von der Elektrode nahm die Wirkung rasch ab und beschränkte sich bloss auf der Elektrode zugewendete Flächen. Ein kathodisches Polfeld war nur an dem der Kathode nahen kleinen Embryo und bloss am nächsten Theile sichtbar; allerdings ist zu berücksichtigen, dass die kathodische Veränderung überhaupt weniger sichtbar ist. Zugleich war noch die Wirkung des Schattens hier sehr deut- lich, indem gegen die Glaswand gewendete Flächen der Embryonen unverändert geblieben waren. Da die beiden Embryonen und ihre Theile in Stromrichtung hinter einander- lagen, konnte man denken, die Abnahme der Wirkung mit dem Abstände von den Elektroden beruhe auf Beschattung der distalen Theile. Um diese Vermuthung zu prüfen, respective zu beseitigen, wollte ich drei kleine Embryonen der Art seitlich gegen einander verschoben in die Strombahn zwischen die Elektroden vertheilen, dass sie sich nicht beschatten konnten. Die noch bebrüteten Eier waren jedoch nicht befruchtet und waren zur Zeit (im November) befruchtete Eier hierorts auch nicht mehr zu erlangen, so dass damit diese Versuche ein Ende nehmen mussten.

Zum Schlüsse prüfte ich daher noch den kleinen Embryo, der bei seiner Lage in Richtung des positiven Stromes hinter dem grossen Embryo trotz so langer, fast eine halbe Stunde dauernder Durchströmung kein anodisches Polfeld gebildet hatte, indem ich ihn in der früheren Richtung neben die Anode legte; alsbald wurde er ganz weiss auf der Anodenseite, und an der Gehirnbasis entstanden wieder die typischen parallelen Wülste in Richtung des Stromes. Dasselbe mit dem ganz gleich behandelten Kopf des grossen Embryo gethan, ergab jetzt ein ganz anderes Resultat; obgleich er, neben der Anode liegend, in derselben Richtung wie früher durchströmt wurde, verlor er seine anodischen Trübungen, statt sie zu verstärken.

Entwickelungsmechanik des Embryo. 123

Das interessante Verhalten der anscheinend in gleicher Weise ringsum anodisch veränderten Extremitäten konnte nun gleichfalls nicht weiter untersucht werden.

Säugethiere.

An Säugethieren wurden bis jetzt nur wenige Versuche gemacht. Ich verfolgte bloss den Zweck zu controliren, ob die bei allen anderen Wirbelthierclassen beobachtete Reactions- fahigkeit der embryonalen Organe hier auch vorhanden sei. Nur an den Gallenblassen wurden wegen ihrer besonderen fomnalen Qualification einige neue Experimente angestellt.

Was die Eier angeht, so verwendete ich zunächst die Eier der weissen Maus. Diese Eier bieten oft schon ohne Durchströmung ein polarisirtes Aussehen dar, ähnlich dem- jenigen einzelner Zellen der Tritongastrula, indem Dotterkörner an zwei einander gegenüberstehenden Seiten gelagert sich finden und ein helles, bei zufällig passender Richtung des- selben leicht für den elektrischen Äquator aufzufassendes Mittelfeld freilassen. Es ist mir jedoch mit dem Wechselstrom weder an den isolirten Eiern noch an den ganzen Eierstocks- follikeln der Maus gelungen, Polfeldbildung zu veranlassen; und das Gleiche gilt von den Eiern des Kaninchens und Schweines, obgleich die Eier der beiden ersteren unmittelbar nach der Tödtung dem Thier entnommen wurden.

Dagegen bildeten Embryonen der weissen Maus von einem Stadium der ausgeprägten Nackenkrümmung und An- deutung der Zehenstrahlen in den Extremitätenstummeln wieder, ebenso wie die Hühnchen- und Eidechsenembryonen annähernd gleicher Entwicklungsstufe, die Polfelder an den Himblasen und am Rückenmark. Auch wird die Oberfläche der Extremitäten wieder besonders weisslich trüb. Somit ist wenigstens auch an Embryonen von Säugethieren diese Reac- tionsfahigkeit nachgewiesen.

Die Gallenblasen neugeborner oder wenige Tage alter Kaninchen verhalten sich im Wesentlichen gleich denen des Frosches; sie sind aber nicht, gleich diesen, rund, sondern länglich, zwei- bis dreimal so lang als breit. Bei schwachem Strom sieht man deutlich, dass die Polfeldbildung in Form

I

124 W. Roux,

grüner Flecken an den Polen beginnt, sich von da allmälig ausbreitet, während die erstgebildeten Flecken grösser werden und confluiren. Nach zum Beispiel 5 Minuten langer Durch- strömung hatte der Äquator bloss noch eine Ausdehnung von einem Drittel der durchströmten Längsrichtung, und nach weiteren 8 Minuten war diese Grösse nur auf ein Viertel der Länge verkleinert.

Wird eine Gallenblase der Länge nach in so wenig Wasser durchströmt, dass die obere Fläche nicht vom Wasser bedeckt ist, so entstehen die Polfelder blos an dem im Wasser liegenden Theil und sind der Art gestaltet, dass der Äquator nicht parallel wie bei vollkommener Umschliessung der Blase, contourirt ist, sondern sich von unten her allmälig zu der unveränderten, nicht eintauchenden, bloss benetzten oberen Fläche der Blase verbreitert. Dieses Verhalten bew^eist erstens wiederum, dass nur im Bereich des Ein- und Austrittes von Stromfäden die Veränderung vor sich geht und zugleich, dass bei vollkommener Eintauchung auch von einem höheren Niveau aus Stromfäden gegen die Seitenwand der Gallenblasen con- vergirend eintreten.

Um zu prüfen, ob die beobachtete Erhöhung der Diosmose im Bereich der Polfelder auch für andere Flüssigkeiten als Galle zur Wirkung gelange, wurden die Gallenblasen von zwei fast erwachsenen Kaninchen durch Unterbindung in je zwei Abschnitte gelegt und dem einen Theil zu seiner Galle noch wässerige neutrale Carminlösung eingespritzt. Nach fünf Minuten dauernder Durchströmung bekam dieser Abschnitt rothe Flecken im Bereiche seiner Polseiten, obgleich die Blasen- wandung sehr sehnig war. Die grünen Flecke der anderen Ab- theilung ergänzten sich nach Einlegen in leicht mit Schwefel- säure angesäuertes Wasser sofort zu continuirlichen, scharf gegen den Äquator abgesetzten Polfeldern, während an dem Carmin haltigen, sehnigeren Abschnitte die rothe Fleckung nur wenig deutlicher ward, aber nicht zu continuirlichen Polfeldern confluirte.

Um zu Studiren, wie sich ceteris paribus die Breite des Äquators bei ungleicher absoluter Grösse der durch- strömten Gebilde verhält, unterband ich wieder Gallenblasen

Entwickelungsmechanik des Embryo. 1 25

vier W'ochen und darüber alter Kaninchen im Verlaufe ihrer Länge. Zugleich beabsichtigte ich, die Wirkung des Schattens, den diese nahen Abschnitte vielleicht auf einander werfen, kennen zu lernen.

Bei Längsdurchströmung einer solchen, an ihrem stumpfen Ende zur Kugel abgeschnürten Gallenblase mit schwachem Strom entstand zuerst am freien, spitzen Ende der Blase, dann am freien Theile der Kugel je ein Polfeld, nicht aber an den neben der Einschnürung liegenden gewölbten, einander zuge- wendeten Flächen; selbst bei 13 Minuten währender Durch- strömung nicht. Erst nach Ansäuerung des Wassers mit Schwefel- säure und erneuter Durchströmung entstanden an diesen Flächen auch Polfelder. Der längere, 9 mm lange, zugleich dünnere, also wohl auch dünnwandigere Abschnitt hatte in dieser langen Zeit einen Äquator von 7 mm, die Kugel mit 5 mm Durchmesser einen Äquator von l'bmm Durchmesser behalten; woraus deutlich hervortritt, dass das in Richtung des Stromes grössere Gebilde procentisch erheblich kleinere Polfelder gebildet hatte als das kleinere. Dieser Versuch wäre sehr beweisend, weil das längere Stück zugleich dünner und dünnwandiger war, also demnach eher einen procentisch kleineren Äquator hätte erhalten sollen, wenn es nicht zugleich mehr cylindrisch, das andere dagegen kugelförmig gewesen wäre, so dass also die cetera paria in Bezug auf die Gestalt nicht vorhanden waren.

An einer Gallenblase mit dickem Fundus und erheblich dünnerem Ausführungstheil wurde letzterer Theil abgeschnürt und die Gallenblase quer zum Strom gestellt, so dass jetzt beide Abschnitte ihre Rotationsflächen den Stromfäden darboten; da war zu sehen, dass an dem dünneren Abschnitt die Polfelder schon entwickelt waren, als an dem Pol des dickeren erst die ersten Flecken auftraten. Nach 10 Minuten war der Äquator des 2-7 ww dicken Theils bloss 1 -4 mm breit, während er am 4 5 mm dicken Abschnitt bloss 3 2 mm mass. Dieses Verhalten würde also den an ungleich grossen, unreifen Froscheiern gemachten Beobachtungen vollkommen widersprechen, wenn nicht anzunehmen wäre, dass der dickere Abschnitt der Gallen- blase eine seinem grösseren Umfange entsprechende, grössere

126 . W. Roux,

Wandungsdicke hätte. Die cetera paria sind leider nicht voll- kommen herzustellen.

Nach der anderen Seite aber haben wir in diesen und mehreren entsprechenden Versuchen ein vollkommenes Resultat in einer viel wichtigeren Frage erhalten: an all den in Unter- abtheilungen geschnürten Gallenblasen bildet jede Unter- abtheilung bei genügend starkem Strom ihre eigenen Pol- felder und ihren eigenen Äquator, und zwar dies nicht bloss, wenn die Gebilde im Strom neben einander liegen, wo es selbstverständlich ist, sondern auch, wenn sie in Richtung des Stromes hintereinander sich befinden; nur treten die beiden einander zugewendeten Polfelder erst später auf. Obgleich jede so behandelte Gallenblase ein aus einheitlicher Substanz bestehendes Continuum darstellt, bildet sie also doch vier Pol- felder mit zwei Äquatoren; jedenfalls weil sie eine tiefe Ring- furche hat, in welche der Elektrolyt eingreift und von Strom- faden durchsetzt wird. Bei sehr lang dauernder Durchströmung gehen die beiden mittleren Polfelder am Grunde der Furche in einander über. Dann gleicht also die Reaction wesentlich der von Froschembryonen mit einer Einschnürung in der Mitte des Leibes, welche bei Durchströmung auch zwei Äquatoren und ein drittes, sie trennendes Polfeld entwickelten.

In der Tiefe der Furchen zwischen diesen Abschnitten entsteht aber die Verfärbung erst spät, auch an den nicht vom Faden bedeckten Theilen. Diese Stellen befinden sich also in einem Stromschatten. An Gallenblasen, welche in keilförmige Abschnitte geschnürt waren, erhielt auch der Äquator des keil- förmigen Abschnittes bei Querdurchströmung keilförmige Gestalt.

Da ich über den Stromschatten etwas mehr zu erfahren wünschte, machte ich einige bezügliche Experimente.

Um zu sehen, ob auch an Stellen, wo der Strom nicht vom Elektrolyten aus in den »Intraelektrolyten« eintritt, sondern beim blossen Durchtritt durch den letzteren eine genügend starke Wirkung entsteht, wurden zwei Kaninchengallenblasen durch zwei Ligaturen mit ihren Langseiten fest gegen einander gepresst und quer durchströmt. Nach acht Minuten langer Durch- strömung war in einem Falle an den sich bloss berührenden Endabschnitten die Berührungsstelle weniger gelblich als die

Entwickelungsmechanik des Einbr}'o. 127

Umgebung, welche ein deutliches Polfeld gebildet hatte. An dem am innigsten zusammengepressten mittleren Abschnitte waren die ausgedehnten Berührungsflächen noch weniger gefärbt und oben von einem nur sehr schmalen freien Polfeld saumartig begrenzt. Die Schattenwirkung war also deutlich. Es war jedoch kein absoluter Schatten, und bei längerer Durchströmung wurden diese Berührungsflächen vollkommen polfarben.

An Gallenblasen, welche noch mit der Leber verwachsen waren, entstanden Polfelder auch an dieser Verwachsungsstelle. Wurde dagegen, um eine nur geringe Schattenwirkung erkennen zu können, die Gallenblase einer Eidechse, in ihrer Leber liegend bloss 45 Secunden durchströmt, so bot sie an dem freien Theil Polfelder dar, die einen parallel contourirten Äquator ein- schlössen, während im Bereiche der mit der Leber verwachsenen Oberfläche die Blasenwandung noch die frühere blaue Ober- fläche gleich dem Äquator besass. Eine beschattende Wirkung der Leber war also vollkommen deutlich. Trotz dieser quanti- tativen Wirkung vermag jedoch die Leber die Lage des Äquators an der Blase nicht wesentlich zu alteriren. Wenn man nämlich die Leber bloss auf einer Seite der Blase weg- nimmt und die andere angewachsene Hälfte der Leber gegen eine Elektrode wendet, so liegt nach genügender Durchströmung der Äquator der Gallenblase gleichwohl in der Mitte derselben wie bei einer freiliegenden Gallenblase.

Die vorliegende Lebersubstanz wirkt also nicht als Polfeld wie die Vorhöfe des Fisch- und Froschherzens bei gleicher Lage, indem sie den Äquator auf dem Ventrikelabschnitt gegen sich hin zu verschieben vermochten. Daraus könnte man vielleicht ableiten wollen, dass die Leber durch den Strom wirklich nicht polarisirt werde, und dass nicht etwa ihr polares V^erhalten bloss nicht sichtbar sei; dies wäre aber eine nicht zulässige Schluss- folgerung.

Bei den vorstehenden Versuchen über den Stromschatten lagen die Gebilde, die sich beschatten sollten, immer bloss neben einander. Wurden weiterhin, behufs vollkommener Umschliessung, Tritoneier auf den lebenden Leberlappen eines Kaninchens gelegt, und mit einem andern grossen Leber- lappen gut zugedeckt und 15 Secunden mit schwachem Strom

128 W. Roux,

behandelt, so bildeten sie nur ganz schwache Polfelder, etwa wie an den freien Probeeiern nach bloss zwei Secunden langer Durchströmung.

Wurden unbefruchtete Froscheier in die lebende Harnblase des Frosches gethan, also von einer nicht reagirenden Haut vollkommen umschlossen, so bildeten sie bei 9 Minuten langem Durchströmen die Polfelder wie ein freies Ei; wohl weil die Durchströmung für die empfindlichen Froscheier trotz des äusseren Hindernisses viel zu lang gedauert hatte. Dagegen entstanden an der Gallenblase eines jungen Kaninchens, welche in ein Stück Harnblase desselben Thieres, eng umschlossen, eingebunden war, bei 7 Minuten dauerndem Durchströmen nur sehr kleine Polfelder der Art, dass der Äquator 3 '5 mm Breite von 5 mm Organlänge in Stromrichtung besass, während an einer anscheinend gleichen, freiliegenden, ebenso lange durch- strömten Gallenblase diese Breite bloss 407o ^^^ Länge betrug. Die lebende Harnblase schwächte also die Stromwirkung erheblich.

Schliesslich wurden reactionsfähige Gebilde in ein anderes, gleichfalls reagirendes Substrat vollkommen eingeschlossen, indem Tritoneier in die schon ziemlich dickwandige Gallenblase eines vierwöchentlichen Kaninchens der Art gethan wurden, dass sie eng von ihr umschlossen waren. Nach nur 5 Secunden dauernder Durchströmung mit geschwächtem Strom hatten sie gleichwohl schon in gewohnter Weise reagirt. Die Stromfäden vermögen also auch nach dem Durchgang durch ein auf sie specifisch reagirendes Substrat sogleich ein weiteres reagirendes Substrat zu alteriren; also wo die Stromfäden auf ein reagirendes Substrat unter geeigneten Nebenumständen treffen, da wird es alterirt, auch wenn dieselben Stromfäden vorher schon gleiche Arbeit geleistet haben.

Dieses Verhalten des Wechselstromes ist jedem Physiker selbstverständlich, und ein besonderer Nachweis erscheint daher überflüssig. Mich veranlasste indess zu dieser Prüfung das beim Gleichstrom beobachtete scheinbar abweichende Ver- halten, indem ein der Elektrode näherer grosser Hühnerembryo fast vollkommen die Veränderung des in Stromrichtung hinter ihm liegenden kleineren verhinderte, ja indem trotz gleich-

Entwickelungsmechanik des Embryo. 1 29

bleibenden Querschnittes der elektrolytischen Bahn die polari- sirende Wirkung mit dem Abstand von der bezüglichen Elek- trode abnahm. Da wir gesehen haben, dass solche Wirkungs- weise dem Wechselstrom nicht zukommt, werden wir darauf hingewiesen, dass sie kein allgemeines, sondern nur ein mit der specifischen Wirkungsart des Gleichstromes in Zusammen- hang stehendes Verhalten ist.

Nicht morphologisch polarisirbare Organe.

Wenn man an so vielen lebenden Objecten, wie vorstehend berichtet, Monate lang, täglich mit immer wesentlich dem- selben Erfolg polarer Trübungen oder gröberer, polar localisirter fonnale Veränderungen experimentirt, so bildet sich unwillkür- lich die Vorstellung, diese Reactionsfähigkeit sei eine allgemeine Eigenschaft der lebenden Organe. Um so mehr fällt es daher auf, wenn plötzlich bei einem Objecte keine Reaction eintritt; und man ist zunächst versucht, dies auf eine ungenügende Versuchsanordnung zurückzuführen. Diese Vermuthung hat sich auch für manche Fälle als zutreffend erwiesen, indem sich bei entsprechender Änderung der Anordnung schliesslich noch die Reaction zeigte. So ist es mir schwer geworden, den noch platten Embryo und die secundäre Augenblase des Hühnchens zum Reagiren zu bringen.

Nicht gelungen ist es mir jedoch, mit dem Wechselstrom polare morphologische Veränderungen von keimplasmahaltigen Gebilden hervorzubringen an den Hodencanälchen, an deren isolirten Epithelien und ebenso nicht an den Spermatozoen des envachsenen Kaninchens, des Täuberich und Frosches; nicht an Eierstockeiern einer erwachsenen Henne, weder an Eiern

I

von 7 fHm bis herab zu 0*3 0*2 mm Durchmesser, des- gleichen nicht an Eierstockeiern von 0*2 0-3 mm Durch- messer einer Taube, sowie an Eierstockeiern der weissen Maus, des erwachsenen Kaninchens, desgleichen an Eierstockeiern erst einige Wochen alter Kaninchen und an Eierstockeiern des Fisches Telestes Agassizii. Von allen diesen Objecten wurden isolirte und noch im Eierstock befindliche Eier durchströmt.

Es wurde in diesen Fällen auch die stärkst mögliche Anordnung: halbprocentige Kochsalzlösung als Elektrolyt, nahe

Sitzb. d. mathem.-natur\v^ CL; CI. Bd. Abth. III. 9

130 W. Roux,

Elektroden, steter Wechsel der Flüssigkeit, sobald sie 40** C. warm geworden war, versucht; auch stundenlang fortgesetzte Durchströmung in schwächerer, bei grösserem Elektroden- abstand sich nicht über 40® C. erwärmender Lösung wurde in Anwendung gebracht. Von anderen Thierclassen reagirten nicht mit sichtbaren polar localisirten Veränderungen eine Daphne und ihre durch Druck aus ihr befreiten Embrj^'onen, ebenso eine Clepsine, Paramaecien, Ascaris nigrovenosa ; doch wurde hier die Versuchsanordnung nicht genügend variirt.

Von erwachsenen oder noch jungen Wirbelthieren prüfte ich nach dem allgemeinen Erfolg mit den Gallen- blasen aller Wirbelthierclassen zunächst andere blasenförmige, eine diffusionsfähige Flüssigkeit einschliessende Organe in ab- gebundenen Stücken von nicht über 9 mm Durchmesser be- sitzender Grösse: so die Harnblasen, Schallblasen und Lungen des Frosches, die innere Schicht der Schwimmblase des Telestes, die Harnblase des Kaninchens, Die Tunica muscularis (resp. fibrosa der Schwimmblase) wurde abpräparirt und die Blase mit Harn, Wasser, gefärbtem Wasser oder Galle gefüllt, alles jedoch ohne Erfolg. Auch nachträgliches Einlegen in stark verdünnte Chromsäurelösung, welche die Polfelder an wenig reagirenden Embryonen manchmal erst deutlich sichtbar gemacht hatte, so wie in verdünnte Schwefelsäure, die sich bei Gallenblasen so bewährt hatte, blieb ohne Erfolg; es waren keine, durch eine Besonderheit gekennzeichneten Polfelder sichtbar zu machen.

Gleiche Misserfolge ergab die Anwendung des Wechsel- stromes bei allen anderen Organen halb oder ganz erwachsener Thiere, als: Leber, Milz, Lungen, Flimmerschleimhaut der Mundhöhle, Schleimhaut der Trachea, hyalinem Knorpel, Gehirn und Rückenmark des Frosches; desgleichen, an Leber, Milz, Gehirn, Rückenmark, Flimmer- schleimhaut der Trachea des Kaninchens. Das Vas deferens und Stücke der Adductoren des Oberschenkels dieser Thiere Contrahirten sich bei Längs- und Querdurchströmung sogleich in toto, jedenfalls weil der Strom zu stark war, da ja Engel- mann und Biedermann hier mit schwachen Strömen die polare Erregung nachgewiesen haben. Ich verwandte absicht- lich den starken Strom, da es nicht meine Absicht war, hier polaj-

Entwickelungsmechanik des Embryo. 131

Ipcalisirte functionelle Leistungen, sondern morphologische Ver- änderungen, etwa Trübung hervorzurufen. Dasselbe Ergebniss zeigte sich an den Organen der Taube; nur bildeten Theile des Drüsenmagens nach der Durchströmung mehr Secret an den gegen die Elektroden gewendeten Kanten und Ecken als im Bereich der Fläche des der Länge nach durchströmten platten Stückes.

Aus diesen Versuchen ergibt sich, dass an den Organen dergenannten,ganz oder halberwachsenen Thiere die embryonale Fähigkeit zu den beschriebenen polaren morphologischen Re- actionen auf den Wechselstrom, wenn sie überhaupt noch vorhanden ist, jedesfalls sehr viel geringer ist als in früher embryonaler Periode; es wäre daher für die verschiedenen Wirbelthierclassen diejenige Entwicklungsperiode festzustellen, in welcher dieses Vermögen zuerst sich stark vermindert oder aufhört zu existiren. Beim Frosch war schon an vier Wochen alten Kaulquappen kaum noch ein deutlich begrenzter Abfall des Epithels, und zwar nur in zusammenhängenden Fetzen statt wie früher in einzelnen Zellen im Bereiche der Polseiten wahrzunehmen, ein sicherer Beweis der verminderten Reactions- fahigkeit der betreffenden Zellen.*

Ich erkenne wohl, dass die obenstehend mitgetheilten Er- gebnisse noch viele Lücken darbieten und dass daher auch nach der Mikrotomirung der aufgehobenen polarisirten Objecte unsere Kenntnisse nicht ausreichen werden, alle beobachteten Er- scheinungen unter sich und mit bekannten allgemeinen Prin- cipien in Zusammenhang zu bringen.

Die erwähnten, durch den elektrischen Strom veranlassten, polar localisirten morphologischen Veränderungen sind jedoch grösstentheils deletärer Natur und stehen daher den normalen

1 Bei Anwendung des kräftigen Gleichstromes von 20 Bunsen-Elementen lassen auch Organe des erwachsenen Frosches, wie Leber und Niere, deut- liche polare Veränderungen : Trübung auf der anodischen, anfängliche Trübung, dann Aufhellung und Quellung auf der kathodischen Seite erkennen. An der Leber sind beide Polabschnitte eine Zeit lang durch einen deutlich begrenzten, nicht sichtbar veränderten Äquatorabschnitt von einander getrennt. Die Milz und Stücke der Haut zeigen wenigstens deutlich die bekannte aufhellend« kataphorische Wirkung auf der kathodischen Seite.

9*

132 W. Roux,

gestaltenden Vorgängen, deren Ermittelung mein Ziel ist, in ihrem Wesen so fern, dass ich nicht beabsichtige, die bezüglichen Versuche fortzusetzen; sondern ich werde eher den im Laufe der Versuche erhaltenen Fingerzeigen, dass der Strom auch die normalen Gestaltungsvorgänge zu beeinflussen vermag, folgen. Bis jetzt haben wir unter den polaren Ver- änderungen in dieser Richtung blos Wanderung des Rinden- pigments und die Abschnürungdes Protoplasmas durch Furchen- bildung beobachtet; und «^s müssten sich erst bei der Mikro- tomirung Hinweise ergeben, dass diese Furchenbildung in ihrem Vorgange ÄhnHchkeiten mit derjenigen bei der normalen Einthei- lung besässe, um mich zu veranlassen, ihr ein erneutes Studium und neue Versuche zu widmen.

Wir haben gesehen, dass Eiern und jungen Embryonen der Wirbelthiere eine Reactionsfähigkeit auf den Wechsel- strom eigen ist, welche an den Geweben des erw-achsenen Thieres nicht mehr sich vorfindet (von der Gallenblase abge- sehen, welche zwar stark, aber wohl in qualitativ anderer Weise reagirt). Dieselbe oder eine sehr ähnliche Reactionsweise auf den elektrischen Strom bieten jedoch die Protisten undCoelente- raten dar; eine phylogenetisch gewiss interessante Thatsache.

IV. Abschnitt.

Verhalten nicht lebender Körper.

Die im Vorstehenden mitgetheilten Thatsachen schliessen manche specielle und allgemeineren Probleme ein.

Da ich jedoch kein Physiolog bin, so muss ich mich darauf beschränken, bloss für das Specifische der Beobachtungen, für die speciellen Gestaltungen der wahrgenommenen polaren Ver- änderungen die Erklärung, also die ursächliche Ableitung zu versuchen. Es bleibt den Fachmännern vorbehalten, die all- gemeineren Probleme, wie das der primären Ursachen der besonderen Wirkung des elektrischen Stromes an den Ein- und Austrittsstellen organischer Körper, der elektrischen Leitung flüssiger Körper, des Wesens der Elektrolyse etc. weiter zu führen und insbesondere zu beurtheilen, wie weit etwa die neuen Thatsachen hiezu eine Handhabe bieten.

Entwickelungsmechanik des Embryo. 133

Aus dem gleichen Grunde werde ich mich im Folgenden auch bloss solcher Ausdrücke und Vorstellungen bedienen, welche der älteren, sinnlich leichter vorstellbaren Auffassung der Elektricität entsprungen sind, wenn schon an der baldigen Alleinherrschaft der Farad ay -Max welFschen Auffassungen kaum mehr zu zweifeln ist. Ich bin ferner überzeugt, dass ich auf dem mir fremden Gebiete manchen Umweg gemacht habe, und ersuche daher die Fachmänner um Nachsicht.

Zunächst wollte ich ermitteln^ ob in der beobachteten, scharf begrenzten, polaren Localisation der durch den Strom veranlassten Veränderungen ein bloss lebenden Objecten zukommendes Verhalten sich ausspräche.

Über das negative Ergebniss an dicken Tropfen von trübem Gummi arabicum, von Eiweiss und von zerstossenen reifen Eierstockseiern des Frosches bei Behandlung derselben mit dem Wechselstrom ist oben schon berichtet. Dasselbe hat mich nicht gewundert. Dagegen hatte ich erwartet, dass Stückchen von Gelatine, welche mit Phenolphthalleinlösung und ausserdem bei einigen Versuchen mit Glaubersalzlösung getränkt waren und in einer Lösung von Glaubersalz liegend vom Gleich- strom durchströmt wurden, auf der der Anode zugewendeten Seite sich, wenn auch nur wenig, roth färben würden. Aber selbst wenn die Anordnung möglichst verstärkt wurde, indem zwei parallele, mit den Rändern einer kleinen Glasschale ver- schmolzene, aus dieser Gallerte gebildete Septa in die Strom- bahn durch den aus Glaubersalzlösung gebildeten, den oberen Rand der Septa nicht erreichenden Elektrolyten eingeschaltet waren, fand auch bei langer Durchströmung keine Spur von Röthung, also keine Abscheidung von Natron an den betreffenden Seiten statt Die Jonen erhielten also keine Veranlassung, sich auf ihrer Wanderung an diesem geformten Gebilde in bemerk- bar werdendem Maasse zu stauen. Auch bei umgekehrter Anordnung, wenn die Phenolphthalleinlösung in den genannten Elektrolyten gethan war, fand an den nicht damit getränkten, reinen oder mit Glaubersalzlösung imprägnirten Gelatinesepten keine Röthung statt, so stark auch an der Kathode die Röthung auftrat Dasselbe ergab sich, wenn eine lebende Froschleber in einer mit Phenolphthallein versetzten Glaubersalzlösung

134 W. Roux,

zerschnitten worden war, und die Streifen quer in die Strom- bahn gelegt wurden. Diese Versuchsergebnisse sprechen gegen die Abscheidung von freiem Natron, sei es an der Aus- oder an der Eintrittsstelle des Stromes oder an den Durchtritts- stellen wie der Gallerte sowohl auch thierischer Organe; Die von den Physiologen an- und in den Organen nachgevidesene äussere und innere Polarisation wird also wohl auf eine etwas andere Art vermittelt sein.

Nach diesen vergeblichen Versuchen griff ich zum Queck- silber, um einerseits noch den bildsamen flüssigen Aggregat- zustand dem Strome darzubieten und anderseits dieLocalisation der Jonen auf der Oberfläche des Tropfens beobachten zu können.

An diesem Material machte ich eine Reihe von Beob- achtungen, die den Physikern, wenn nicht alle, so gewiss zum Theil bekannt sein werden; da sie aber für die Deutung unserer biologischen Beobachtungen verwerthbar sind, so sollen sie hier mitgetheilt werden.

Das zunächst verwendete Quecksilber hatte schon oft zum Amalgamiren des Zinkes der Batterie gedient, war also stark mit Zink und vielleicht noch in anderer Weise verunreinigt. Als ich später durch die Güte des Herrn Collegen Sennhofe r in Besitz von chemisch reinem, frisch aus Zinnober destillirtem Quecksilber gekommen war, zeigte dieses in manchen für uns interessanten Einzelheiten ein anderes Verhalten; weshalb die Versuche mit beiden gesondert dargestellt werden sollen.

Wird ein Tropfen des in der angegebenen Weise verun- reinigten Quecksilbers von etwa A mm Durchmesser in Wasser mit dem Wechselstrom durchströmt, so verlängert er sich in Richtung des Stromes und bildet bei geeigneter Anordnung vier rechtwinkelig zum Strom orientirte Querwülste, deren Oberfläche fortdauernd oscillirt. Bei etwas anderer An- ordnung der Elektroden zum Quecksilbertropfen nimmt letzterer Sternform an und kann leicht zum Rotiren nach links oder rechts herum gebracht werden; ganz interessante elektro- dynamische Wirkungen, die uns aber nicht weiter angehen.

In 15 20 vol. procentiger Schwefelsäure dagegen tritt keine Gestaltänderung des Tropfens mehr ein, sondern es

Entwickelungsmpchanik des Embryo. 1 35

bedeckt sich das Quecksilber bei momentanem Stromschluss an beiden Polseiten mit Gasbläschen, und zwischen diesen beiden Polen bleibt ein blanker Äquator. Dieses Bild, welches polarisirten Froscheiern ähnlich sieht, verschwindet rasch, lässt sich aber eine Minute lang fixiren, wenn man der verdünnten Schwefelsäure eine dicke Lösung von Gummi arabicum zusetzt. Durchströmt man länger, so vermehren sich die Gasbläschen rasch der Art, dass sie successive die ganze obere Fläche ein- nehmen und den anfänglich vorhandenen, von Bläschen freien Äquator zum Verschwinden bringen. An dem auf dem Glase aufliegenden, abgeplatteten unteren Theile des Tropfens kann man durch Spiegelung wahrnehmen, dass auf den Polseiten mehr Bläschen entstehen als nach dem Äquator zu. Die unten entstandenen Bläschen strömen gegen den nächsten Pol zu und dabei bewegen sich die vom Äquator herkommenden fast wagrecht; auf der oberen Hälfte sieht man deutlich, dass die Bläschen in Richtung von Polmeridianen des Queck- silbertropfens oscilliren, unabhängig von der Richtung ihrer gleichzeitigen Locomotion am Tropfen. Mit der Stärke des Wechselstromes und mit der Verdünnung der Schwefel- säure bis etwa auf ein halbes Procent nimmt die Amplitude dieser Oscillationen zu, mit der Grösse der leicht sich ver- einenden Bläschen ab. Bei Anwendung eines stark geschwächten Stronnes und sehr verdünnter Schwefelsäure entsteht eine regel- mässige Circulation der Bläschen innerhalb jedes Quadranten der Oberfläche des Tropfens. Bei schwächstem Strom und schwächster Schwefelsäure entstehen nur wenige Blasen, die um die Mittellinie des Äquators rechtwinkelig zu demselben oscilliren und bei Wanderung der Elektroden dem neuen Äquator entsprechend mitwandern.

Setzt man dem Wasser, in welchem der Quecksilbertropfen stehende Schwingungen bildet, oder bei etwas anderer An- ordnung sternförmige Gestalt annimmt und sich dreht, so viel Tropfen Schwefelsäure zu, dass Gasblasen am Tropfen ent- stehen, so hören mit der Zunahme der Blasenbildung diese Schwingungen zugleich auf, was wohl darin begründet ist, dass jetzt die Oberfläche des Quecksilbers direct in anderer Weise beeinflusst wird. Die Schwingungen des Quecksilbertropfens

136 W. Roux,

hören aber auch auf, wenn am Tropfen und seiner Umgebung sich scheinbar nichts geändert hat, sofern nur eine der beiden, weit vom Tropfen entfernten Elektroden mit Quecksilber über- zogen ist, wobei dann an dieser Elektrode ein weisses Pulver gebildet wird. Es scheint also vielleicht bloss das leichteste Geschehen innerhalb einer auf mehrfache Weise reactions- fähigen Strombahn stattzufinden; eine freilich im Speciellen etwas dunkle Vorstellung.

Im galvanischen Strom von zwölf Bunsen'schen Ele- menten verhielt sich das mit Zink verunreinigte Quecksilber folgendermassen: In schwacher Kochsalzlösung läuft ein Quecksilbertropfen gegen die Anode, um sich mit ihr zu vereinigen, sogar unter Überwindung einer nicht geringen Steigung; wird diese Vereinigung durch stärkere Schiefstellung verhindert, so erkennt man deutlich, dass der Tropfen sich gegen die Kathode zuspitzt und sich durch eine geringe Verjüngung gegen den gerundeten anodischen Theil absetzt; wohl eine Äusserung derselben Wirkungsweise, auf der das Capillarelektrometer beruht. Circulirt die Anode, so folgt dieser Theil im Kreise ihr nach, während der kathodische Theil natürlich seinen Ort nicht verlässt, aber seine Richtung ent- sprechend den Richtungen der Stromfäden ändert. Die katho- dische Spitze des Tropfens zeigt bei diesen Änderungen unregelmässige Ecken, die ich auf Verunreinigung ihres Queck- silbers beziehe; während der anodische Theil immer gerundete Formen darbietet und auch flüssiger zu sein scheint. Die eingeschnürte Stelle hat Niveauflächenrichtung. Bei längerer Durchströmung wurde der anfangs grössere, anodische Theil des Tropfens kleiner unter entsprechender Vergrösserung des eckigen, kathodischen Theiles.

In einer Lösung von doppelt kohlensaurem Natron zeigt sich wesentlich dasselbe Verhalten; nur ist der Zug zur Anode noch stärker, so dass er noch höhere Steigung des Gefässbodens überwindet und leicht den Tropfen zerreisst; nach dem ersten Abreissen eines anodischen Stückes habe ich das- selbe noch ein zweites Mal beobachtet; das kathodische Stück wird an der Oberfläche trüb. In Brunnenwasser spitzt sich die kathodische Hälfte des Quecksilbertropfens nicht zu, sondern

Entwickelungsmechanik des Embryo. 1 37

behält ihre Lagerung und Gestalt, während die anodische Hälfte sich etwas gegen die Anode hin bewegt, also entsprechend spitzer wird; diese Gestaltung ändert sich sofort entsprechend dem oben Gesagten, wenn man Lösung von doppelt kohlen- saurem Natron derart zusetzt, dass sie zwischen beiden Elek- troden ausgebreitet ist. Alsdann wird sogleich die Kathodenseite des Tropfens spitz. Sobald ein Tropfen Quecksilber an die Platinkathode gekommen war, und diese sich damit überzogen hatte, fand beim Stromschluss keine Steigung des freien Quecksilbertropfens gegen die Anode mehr statt.

Ein Tropfen des chemisch reinen Quecksilbers wurde zunächst mit dem Strom von zwölf Bunsen'schen Elementen in einer Lösung von doppeltkohlensaurem Natron durch- strömt. Dabei wandert der ganze Tropfen wieder gegen die Anode hin. Der Tropfen wird oval und zwar mit dem spitzeren Theil gegen die Anode zu. Auf der Kathodenseite entsteht ein Beschlag des Tropfens, der gegen die Anodenseite sich hinzieht. Beim Unterbrechen wandert der Oxydbeleg gegen die Anodenseite, um unter ihr zu verschwinden. Beim Schluss tritt der Beschlag von der Spitze des Tropfens gegen die Kathoden- seite, so dass die zugespitzte Anodenseite blank ist und durch einen grauen, parallel begrenzten Oxydring von dem stumpfen Kathodentheil geschieden ist. Je näher die Elektroden einander und damit dem Tropfen sind, um so mehr verschiebt sich dieser Gürtel gegen die Kathode, um so mehr spitzt sich die blanke Anodenseite des Tropfens zu; bleibt aber immer noch anoden- wärts orientirt, bis bei geeigneter Nähe eine halsartige Ein- schnürung des Tropfens anodenwärts vom Oxydring stattfindet und weiterhin ein Abreissen eines Stückes unter Hinführung desselben gegen die Anode erfolgt.

Sobald der abgerissene Tropfen die Anode berührt, bekommt er eine gelbe Überzugsschicht; bei erneutem Stromschluss rutscht er langsam gegen die Kathode und rennt nach Berührung derselben manchmal wie angezogen und abgestossen zwischen beiden Elektroden hin und her.

Bei Durchströmen chemisch reinen Quecksilbers in Wasserleitungswasser entsteht wesentlich dasselbe. In sehr verdünnter Schwefelsäure findet auch dieselbe

138 W. Roux,

Gestaltänderung des Tropfens statt; das zugespitzte Ende ist gegen die Anode gewendet; der Tropfen wandert aber gegen die Kathode (statt wie bisher gegen die Anode). Der Oxydring nimmt die beschriebene Stellung ein, und bei Wanderung mit einer Elektrode um den Tropfen herum folgt der dem wandernden Pole zugewendete Theil des Tropfens der Elektrode, und es wird deutlich, dass der Oxydring im Ganzen immer Niveauflächenrichtung annimmt, wenn schon das Aquatorband bei einigen Anordnungen sich zwar parallel, aber wellig contourirt zeigt. Bei Zusatz von mehr Schwefelsäure entsteht an der Stelle des Oxydbandes ein Kranz von Gas- blasen, innerhalb dessen die einzelnen Blasen in Spiraltouren laufen.

Behandelt man den in Lösung von kohlensaurem Natron liegenden, noch von der Behandlung mit dem Gleich- strom her zum Theil mit Oxyd bedeckten, vorher chemisch reinen Quecksilbertropfen in dieser Lösung mit dem Wechselstrom, so erhält man je nach der Stromstärke verschiedene Bilder, welche alle für uns von Bedeutung sind. Bei sehr schwachem Strom und bei blosser Berührung der Flüssigkeit mit der einen Elektrode entstehen auf der Oberfläche des Tropfens mit dem Stromschluss aus den Oxydbröckeln Reihen in Richtung der von den Elektroden ausgehenden Stromfäden, der Art, dass die Oberfläche des Tropfens in zwei polare Hälften getheilt ist, von denen jede mit, den genannten Richtungen entsprechenden Reihen von braunen, schwingenden (?) Flecken bedeckt ist, die sich fortwährend seitlich verschieben und am seitlichen Rande des Tropfens auf die Unterfläche absinken, um dann an der Polseite wieder aufzusteigen. Der sehr schwache Strom bewegt also die auf der Oberfläche des Quecksilbers liegenden Theile noch in Richtung der Stromfäden des ganzen elektrischen Feldes. Je nach der Stromdichte bleibt ein blanker Aquator- gürtel frei oder nicht.

Bei geringer Verstärkung des Stromes durch ein Minimum tieferes Eintauchen der Elektroden oder bei statt- gehabter Erwärmung des Menstruum tritt schon eine geringe Convergenz der Bröckelreihen gegen die Polseite des Tropfens ein. Bei tiefem Eintauchen der Drahtelektrode bedecken sich die

Entwickelungsmechanik des Embryo. 139

beiden Polseiten mit einer geschlossenen Schicht von Oxyd- masse, und die so entstandenen Polfelder sind durch Niveau- linien des ganzen Stromfeldes, nicht durch Linien begrenzt, welche um die Pole des Tropfens centrirt sind. Sie schliessen einen blankenÄquator ein. In diesen Polkappen gehtBewegung vorsieh; die seitlichen Partieen sinken wieder ab; und wenn nicht gleich Ersatz vorhanden ist, gewinnt es den Anschein, als wäre das Polfeld um den Pol des Tropfens centrirt. Beobachtet man das Absinken, so sieht man die absinkenden Theile aber längs der Niveaulinie über den seitlichen Tropfenrand gleiten und so die normale Grenze der defect gewordenen Polkappe noch markiren. Je kleiner der Quecksilbertropfen im Verhältniss zur Grösse und zum Abstände der Elektroden ist, um so deut- licher tritt natürlich der Unterschied zwischen Niveaulinien des ganzen Feldes und um die Tropfenpole centrirten Linien hervor.

Wird die Stromdichte für den Tropfen durch Näherung der Elektroden verstärkt, so verschiebt sich jederseits die Oxydschicht äquatorwärts, so dass die Pole blank werden; die Oxydbrocken oscilliren jetzt in Richtungen von Polmeridianen des Tropfens und begrenzen sich polwärts mit einer um den Tropfenpol centrirten Linie, gegen den noch blanken schmalen Äquator mit einer annähernd einer Niveaulinie des ganzen Feldes entsprechenden Linie. Je näher die Elektroden einander gebracht werden, um so grösser werden die blanken Polfelder, um so mehr rücken die beiden braunen Bänder gegen einander, schliesslich bis zur Berührung in der Mitte und formiren so deutlich ein dichtes braunes Äquatorband. Dabei sind dann die Ränder dieses Bandes nicht mehr polwärts centrirt, sondern entsprechen Niveaulinien; der braune Äquator ist also jetzt ein durch Niveaulinien begrenztes, gleich breites Band, dessen Theile nicht mehr oscilliren. Bei weiterer Näherung der Elek- troden gegen den Tropfen wird dieser Äquator schmäler, bei Entfernung wieder breiter.

Manchmal sieht man beim Stromschluss die beiden, aus fibrirenden Bröckeln bestehenden braunen Niveaulinien sofort in gewissem Abstände von ihren Polen entstehen, darauf in kurzer Zeit einander sich nähern, um dann in constantem, der

140 W. Roux,

Stromdichte entsprechendem Abstände stehen zu bleiben; es entstehen also beim Stromschluss sogleich Polfelder von gewisser Grösse, die bei weiterer Durchströmung allmälig eine Vergrösserung erfahren, also ganz wie es von den Eiern des Frosches und Triton beschrieben worden ist.

Wird ein in starker Schwefel säure mit dem Gleichstrom behandelter Tropfen reinen Quecksilbers, welcher infolge dessen noch an seiner ganzen Oberfläche mit einer trüben Staubschicht bedeckt ist, in derselben Flüssigkeit mit dem Wechselstrom behandelt, so zieht sich die bedeckende Schicht auf die beiden Polfelder zurück und lässt einen Äquator blank hervortreten. Bald jedoch wird der graue Staub vom Tropfen fortgeführt. Nach dem Zusetzen von Wasser wird beim Durch- strömen die ganze Oberfläche des Tropfens trüb bedeckt, und erst bei der Stromunterbrechung sammelt sich der Überzug wieder auf die Polfelder und lässt einen Äquator frei.

Es hat sich also bei der elektrischen Behandlung von Quecksilbertropfen in verschiedenen Elektrolyten eine erheb- liche Übereinstimmung der Erscheinungen mit den an Eiern bei gleicher äusserer Einwirkung gemachten Beobachtungen ergeben: Eine Zerlegung der Oberfläche in drei verschiedene Abschnitte, in zwei gegen die Elektroden gewendete Polfelder, welche sich anders verhalten als der von ihnen begrenzte Äquator. Letzterer hat wieder, von vorhandenen kleinen Ab- weichungen abgesehen, im Ganzen die Richtung der Niveau- flächen der betreffenden Stelle des elektrischen Feldes. Im Gleichstrom nahm der unreine Quecksilbertropfen sogar eine Form an, welche der unter der gleichen Einwirkung ent- standenen Gestaltänderung des Froscheies etwas entspricht, indem auch bei ihm während der Durchströmung in Kochsalz- lösung der der Anode zugewendete Theil gerundet und dicker wurde als der übrige Theil, welcher sich, wie beim Froschei gegen die negative Elektrode verlängerte; die Grenze beider Ab- schnitte hat bei beiden Objecten die Richtung der bezüglichen Niveaufläche. Besondere Linien am Äquator, welche in ihrer Richtung von Polmeridianen den Richtungen der einige Male be- obachteten Pigmentstreifen am elektrischen Eiäquator ent- sprechen, sowie ein besonderes Verhalten der beiden Grenzen

Entwickelungsmechanik des Embryo. 141

des Äquators, der Niveaulinien, bei einem Versuche am Queck- silbertropfen vergrössern die Übereinstimmung.

Schliesslich wurde bei einer Versuchsanordnung auch ein Wachsthum der beim Stromschluss sogleich aufgetretenen Pol-, felder während der Dauer der Durchströmung am Quecksilber- tropfen, entsprechend dem Verhalten der Polfelder der thierischen Eier beobachtet.

Diese mehrfache Übereinstimmung in den wesentlichsten Merkmalen der Localisation der durch den elektrischen Strom an lebenden Objecten und am Quecksilber hervorgerufenen Veränderungen scheint auf eine Übereinstimmung auch der Ursachen dieser Localisation in beiden Fällen hinzuweisen, wenn schon der Versuch mit der in Phenolphthallein getränkten Gallerte nicht für einen Antheil der Jonen bei der Polarisation der organischen Gebilde zu sprechen vermag.

Wir haben also ermittelt, dass die scharfe, in Richtung von Niveauflächen umgrenzte Localisation der Reaction auf den Strom keine specifische Leistung der vitalen Substanzen ist. Und mit der Feststellung dieser principiellen Übereinstimmung des Verhaltens bei organischen und einem anorganischen Objecte hätte ich als Nicht-Physiker und Nicht- Physiologe mich vielleicht begnügen können. Doch das Queck- silber ist blos in rundlicher Gestalt zu verwenden; es blieb daher die Frage, ob auch bei den complicirter gestalteten an- organischen und organischen Gebilden eine Übereinstimmung auftritt. Deshalb beschloss ich noch mit festen Metallen, welche sich in jede Gestalt bringen lassen, einige Versuche anzustellen. Und weiterhin verlangte es mich, auch der Ursache der Lo- calisation selber näher zu treten. Dieser letztere Zweck, sowie der Umstand, dass sich bei den festen Metallen einige Ver- schiedenheiten in der Localisation der Polfelder gegenüber der der lebenden reactionsfähigen Gebilde ergaben, nöthigten zu einer weiteren Ausdehnung der Versuche an diesen Metallen,, insbesondere aber zu einem analytischen Vorgehen, so dass an ihnen Experimente mit Formen angestellt werden mussten, denen ich im Gebiete des Organischen zum Theile keine wesentlich gleichen gegenüberzustellen habe, welche somit leicht als nicht hieher gehörig beurtheilt werden könnten.

142 w. Roux,

Die festen Metalle erwiesen sich als sehr geeignet; und die nach den ersten brauchbaren Resultaten vorgenommene Durchsicht der Literatur zeigte, dass bezügliche Erscheinungen schon im Jahre 1880 von A. Guebhard* beschrieben worden sind. Er durchströmte mit dem galvanischen Strom blanke Metallplatten in Lösungen von Metallsalzen, ohne die Elektroden in Berührung mit der Platte zu bringen und beobachtete die an beiden Polseiten der Platte entstehenden Niederschläge, ins- besondere den der Anode zugewendeten Metallniederschlag. Sein Interesse wandte sich den bei dünnem Niederschlag ent- stehenden farbigen Linien zu, und er zeigte, dass bei gewisser Anordnung des Versuchs diese Linien äquipotentiale Curven darstellen.

An seine Publication schlössen sich sofort zahlreiche theoretische Erörterungen und Versuche anderer Autoren an, so von E. Mach, L. Ditscheiner, A. Tribe, Roiti, Volterra und Pasqual ini, von denen uns jedoch bloss die Mittheilungen der letztgenannten Autoren näher angehen.

Roiti* fand, dass auf der Kupferplatte der Metallniederschlag auf der Eintrittseite des Stromes ausgebreiteter stattfindet als der Oxydniederschlag auf der Austrittsseite. Den zwischen beiden Niederschlägen unbedeckt bleibenden Raum leitet er von einem Polarisationsstrom ab, welcher sich vom primären Strom subtrahirt.

A. Tribe ^ dagegen beobachtete an hohlen, in axialer oder äquatorialer Lage zwischen Elektroden in Kupfervitriollösung durchströmten silbernen Röhren, dass der Kupferniederschlag auf der Eintrittsseite des Stromes weniger ausgebreitet ist als der Oxydniederschlag auf der anderen Seite.

1 Guebhard, Adrien. Compt. rend. Bd. 90, p. 984 und 1124. 1880, Bd. 93, p. 403, 582 und 792, 1881, Bd. 94, p. 437 und 851. 1882, L'Electrien, Bd. 2, p. 59-67, 273-283, 429—439. 1881-1882. Journal de Physique, (2) Bd. 1, p. 205—222. 1882.

2 Roiti. N. Cim. Bd. X, p. 97, 1881.

3 A. Trib e, Über die Vertheilung der Elektricität auf hohlen Conductoren in Elektrolyten. Phil. Mag. Bd. 16, S. 384—386, 1883.

Entwickelungsmechanik des Einbr}'o. 143

Vito Volterra* berechnet,dassdie Linien gleicher Färbung mit den Linien gleichen Potentiales identisch sind für eine Kugel von Blech,sowie unter Umständen fürden Abschnitt einerKugel- oberfläche.

Pasqualini* hat die Abhängigkeit der Ausdehnung des vom Niederschlag frei bleibenden Raumes von der Strominten- sität, von der Natur des Metalles und des Elektrolyten, sowie von der Concentration des letzteren untersucht.

Statt der Metallplatte wurde ein verticaler, in 100 gleiche Grade im Kreise herum getheilter Messing-, respective Kupfer- cylinder von 28*5 ww Durchmesser in möglichst neutraler Zink- lösung verwendet Die Ausdehnung des auf diesen Cylinder niedergeschlagenen Zinkes ist bei gleicher Stromintensität con- stant und kann etwa 90* erreichen; grösser wird sie kaum auch bei grosser Vermehrung der Intensität; die Ausdehnung des braunen Niederschlages auf der anderen Seite wird fast eben so gross.

Der Winkel a von der Äquatorialebene bis zu den Nieder- schlägen steht bei constanter Concentration mit der Stromes- dichtigkeit in der Relation

D a sin a = N

wobei A^ eine Constante ist.

Bei verschiedenen Concentrationen der ZinkvitrioUösung von der Leistungsfähigkeit |jl ist AYjjl constant. Nach Vol terra ist unter der Annahme, dass die entblösste Stelle von einem Polarisationsstrom herrührt, wenn R der Radius des Cylinders, e. -4-gj s die elektromotorischen Kräfte dieses Stromes an den Niederschlägen sind:

£ = (E A cos*a),

(X

1 Vito Vol terra, Sülle figure elettrochimiche di A. Guebhard. Atti della R. Acc. delle Sc. di Torino, Bd. 18. Febr. 1883 und Über die elektrochemischen Bilder auf der Obernäche eines Cylinders. N. Cim. Bd. 13 p. 119-139 1883.

2 Pasqualini, L. Cber die elektrochemischen Bilder auf der Oberfläche eines Cylinders. N. Cim. Bd. 14. S. 26-38, 1883.

144 W. Roux,

WO

K

K='- ^'^

und

-/:

Ä

E == Tv/l— /t*sin*'f Jcp

und ^ =: sin a ist.

Auch diese Formel wurde vonP a s q u a 1 i n i bestätigt. (Referirt nach BeiblätterzudenAnnalen der Physik und Chemie,Bd.8,1884.)

Durch die vorliegenden Arbeiten ist das Gebiet noch nicht erschöpfend bearbeitet. Es fehlen noch alle Versuche über das Verhalten beim Wechselstrom; und auch bei Verwendung des Gleichstromes bieten Variationen der Versuchsbedingungen manche auffällige Erscheinung dar, von denen es zweifelhaft erscheinen muss, ob sie durch den von Roiti und Vol terra angenommenen Polarisationsstrom erklärbar sind.

Als Nicht-Physiker werde ich mich theoretischer Erörte- rungenenthalten und mich auf die Wiedergabe meiner Versuchs- ergebnisse beschränken, soweit sie zum Verständniss der an lebenden Objecten beobachteten Erscheinungen beitragen. Bei diesen Versuchen wurde manche Vermuthung experimentell ge- prüft, welche von einem Pysiker von vornherein ausgeschlossen worden wäre. Wer jedoch auf biologischem Gebiete arbeitet, wird bald daran gewöhnt, die Richtigkeit jedes scheinbar zwin- genden positiven oder negativen Deductionsschlusses vor seiner Verwendung immer erst noch auf ihre empirische Bestätigung zu prüfen, da unsere biologischen Grundsätze zumeist blos An- näherungen an die Wahrheit sind. Auf einem mir fremden Ge- biete war diese Vorsicht gleichfalls geboten; und ich denke, es wird aus demselben Grund vielleicht auch manchem meiner Leser die Darstellung dieser primitiven Ableitungen willkommen sein.

Es ist ferner zu erwähnen, dass Mateucci einen Draht in einer feuchten Hülle unter Verbindung der Elektroden eines gal- vanischen Stromes mit dieser Hülle durchströmt und gefunden hat, dass dann auf Polarisation beruhende Ströme auftreten, welche den elektromotorischen im Nerven gleichen; und L. Her- mann hat einen in verdünnter Schwefelsäure liegenden Platin-

Ent^ickelungsmechanik des Embryo. 14o

draht als »Kemleiter« verwandt. Doch hatten diese Versuche nicht die Ermittelung der speciüschen Localisation der Polari- sation zum Ziel.

Es entstehen nach obigen Citaten an dem in einen Elektro- lyten eingelegten, die Elektroden nicht berührenden Metallstück beim Durchströmen mit dem galvanischen Strom zwei den Elektroden zugewendete Felder oberflächlicher Veränderung des Metalles uhd zwischen beiden bleibt ein oberflächlich nicht verändertes Gebiet; auf erstere will ich gleich den für die an lebenden Objecten beobachteten polaren Veränderungen ein- geführten Namen Polfelder, auf letzteres den NamenÄquator ausdehnen. Der im Elektrolyten liegende, die Elektroden nirgends berührende Körper werde kurz, wenn auch nicht ganz correct, als »Intraelektrolyt« bezeichnet.

Gehen wir nun zu den Ergebnissen der eigenen, vor- wiegend, und wo nicht besonders anders bemerkt, stets mit dem Wechselstrom angestellten Versuche über.

Zunächst seien die für Wechselstrom und galvanischen Strom gemeinsamen Wirkungsweisen mitgetheilt.

Die Polfeldveränderungbeginnt immer anden den Elektroden nächstenTheilen des Metallstückes, den Polen, und breitet sich von da anfangs rasch, allmälig langsamer aus, um schliesslich stabil zu bleiben. Die Intensität der Veränderung ist an den Polen des Intraelektrolyten am grössten und nimmt von da continuirlich ab; bei lange dauernder Durchströmung nimmt sie derart stetig zu, dass dann auch die Grenzschichte des Pol- feldes gegen den blanken Äquator stark verändert ist, so dass also ein greller Contrast, kein allmähliger Übergang zwischen beiden Theilen besteht. Dies gilt natürlich nur, wenn der Elektrolyt nicht schon ohne Strom das eingelegte Metall verändert.

Nach Stromunterbrechung geht bei neuem Schluss die weitere Polfeldbildung nicht wieder erst von den Polen des Stückes aus; sondern sofort mit dem Schluss schreitet auch die Grenze des Polfelds fort. Daher breitet sich auch durch rasch intermittirende Ströme das Polfeld aus; während, wenn jede neue Polfeldbildung an den Polen beginnen und von da sich ausbreiten müsste, es eine Unterbrechungsgeschwindigkeit geben müsste, bei welcher das Polfeld nicht wachsen könnte. Dasselbe

Sitzb. d. roathcm.-natunfc'. Gl.; CI. Bd. Abth. III. 10

146 W. Roux,

erfahren wir, wenn man nach jeder kurzen Durchströmung das gebildete Polfeld mit Ausnahme seiner Aquatorgrenze mit Putz- pulver wegputzt. Bei erneuter Durchströmung sieht man dann das Polfeld sogleich auf Kosten des Äquators sich ausdehnen, obgleich an dem blank geputzten Pol selber die Veränderung von Neuem an den Polen beginnt und den von früher her er- haltenen Rest des Polfeldes noch nicht erreicht hat.

Daraus dürfen wir schliessen, dass die spätere Bildung des mittleren Theiles der Polfelder wohl nur dadurch bedingt ist, dass an diesen Stellen die Zahl der eintretenden Stromfaden bei kürzerer Dauer der Durchströmung zu gering ist, um schon eine sichtbare Veränderung hervorzubringen. Diese Auffassung wird bestätigt dadurch, dass bei Anwendung des Gleichstromes auf Kupfer in Kupfervitriol schon nach einer äusserst kurzen Durch- strömung, welche blos ein ganz kleines sichtbar mit Metall beschlagenes Eintrittspolfeld hervorgebracht hat, beim Heraus- heben gleichwohl schon die ganze Grösse des erst nach viel längerem Durchströmen sichtbar werdenden Polfeldes benetzbar geworden ist, während der Äquator noch, wie vorher die ganze Münze, unbenetzbar ist. Beim Austrittspolfeld dagegen ist die Benetzungsfläche nicht grösser als die jeweilig sichtbare mit Oxyd bedeckte Ausdehnung desselben.

Mit der Zunahme der Stromdichte nimmt auch die relative Grösse der Polfelder zu, also die Breite des Äquators ab, wie dies schon die obengenannten Autoren festgestellt haben. Besonders abhängig ist die sichtbare Grösse der Polfelder von der specifischen Beschaffenheit der Oberfläche. So bilden z. B. von Schrotkörnern, Rehposten und dgl., welche in Kochsalzlösung durchströmt werden, einige derselben ganz schwach veränderte, kleine Polfelder, während an daneben liegenden, gleiches Aus- sehen darbietenden Exemplaren gleicher Grösse grosse, stark veränderte Polfelder entstehen; diese Verschiedenheit beruht hier wohl nur auf zu geringer Veränderlichkeit der Oberflächen- schichte und auf dadurch bedingtem Unsichtbarbleiben der dem Äquator benachbarten Theile des Polfeldes selbst bei längerer Durchströmung. Dagegen ist vollkommen deutlich, dass an ihres Überzuges beraubten, also blanken Rehposten etc. der Äquator viel kleiner wird, als ceteris paribus an noch mit ihrer harten

Entwickelungsmechanik des Embryo. 147

Oxydkfuste versehenen, deren Polfelder auch nach sehr langem Durchströmen mit stark veränderten Rändern einen breiteren Äquator begrenzen.

Wenden wir uns zu den speciellen Ergebnissen der mit dem Wechselstrom angestellten Versuche, so sei zunächst der Einfluss der Gestalt und Grösse des Intraelektro- lyten auf die Gestalt und Lage der Polfelder, resp. des Äquators dargestellt und mit der Kugelgestalt begonnen.

Werden Bleikugeln oder Messingkugeln in einem grossen elektrolytischen Felde vertheilt und durchströmt, so bilden die Grenzlinien der Polfelder deutlich die äquipotentialen Curven eines homogenen elektrischen Feldes, gleich den Froscheiern.

Beide Polfelder freistehender Kugeln werden im Wechsel- strom gleich gross; nur in unmittelbarer Nähe einer Elektrode tritt eine, wohl von der divergirenden Richtung der Stromfaden ab- hängige Verkleinerung des dieser Elektrode zugewendeten Pol- feides unverkennbar hervor. Der hier deutliche Unterschied ist aber immerhin so gering, dass es nicht zu verwundern ist, dass ein entsprechendes Verhalten an den von einer dicken, die Beob- achtung durch Lichtbrechung erschwerenden Gallerthülle um- gebenen und blos 2*5 mm grossen Froscheiern nicht sicher fest- gestellt werden konnte.

Die Grösse derPolfelder steht bei den Metallkugeln der von mir geprüften Dimensionen, ähnlich wie bei den Froscheiern, in einem umgekehrten Verhältniss zur Grösse des Kugeldurch- messers, was aus folgender Tabelle hervorgeht. Die kugeligen Gebilde derselben wurden alle zwei und eine halbe Minute lang in einhalbprocentiger Kochsalzlösung in einer Schale von 63 mm Durchmesser, bei 56 mm Elektrodenabstand, bei Mittelstellung zwischen beiden Elektroden und constanter Flüssigkeitshöhe unmittelbar nach einander durchströmt. Da die Versuche unmittel- bar nacheinander vorgenommen wurden, ist wohl auch die Stromstärke als wesentlich die gleiche anzunehmen.

10*

148

W. Roux,

Durchmesser der Kugel

Durchmesser des Äquators

Breite des

Äquators in

Procenten des

Durchmessers

der Kugel

/'

Bleikugel mit ) Oxydüberzug ]

6- 8 mm

5-7

2-8

20

1-2

1 -3 1 -brnm

1-7 2-5 11 1-0 0-8

207,

30

40

50

66

Blanke Bleikugel l

6-8i

2-6

1-5

mm

0 3—0 6 mm 0-6 0-7 05

77o 24

33

Wachskugel mit sogenanntem Silberblatt über- zogen

16 mm

1 5 mm

97o

Wachskugel mit ( 1 6 3 mm Apotheker- Gold- \ 7-0

2-8— 3-8 mm 1-5— 20 1-4— 1-5

187o

247o

blatt überzogen l 4*9 1-4— 1*5 29*/^,

Wenn auch diese Messungen an sich sehr ungenau sind, so zeigen sie in Folge der starken Variationen der Durchmesser doch die Hauptsache deutlich; und es ergibt sich zugleich, dass Kugeln von kleinerem Durchmesser ceteris paribus einen ab- solut grösseren Äquator bekommen können als grössere, wie wir das auch an den ungleich grossen, unreifen Froscheiern stark ausgesprochen fanden. Durch lange fortgesetztes Durchströmen wird dieser Unterschied geringer, wie folgende Tabelle, gleich- falls für halbprocentige Kochsalzlösung, aber bei schwächerem

Strome zeigt:

Durch- Breite des Äquators

messer in

Millimeter

nach 1 Min.

Durch- strömung

dieselbe in ^l() des Durch- messers

nach 4Min. Durch- strömung

dieselbe in o/o des Durch- messers

Bleikugel ....

6-8

3- 0mm

44

2 2 mm

33

Messingkugel

7-0

2-0

28

1-85

26

»

2-65

1-35

51

1-2

46

>

1-3

0-85

65

0-75

57

»

1-3

0-9

69

0-75

57

Entwickelungsmechanik des Embryo. 149

Ausserdem geht aus beiden Tabellen hervor, dass ver- schiedene Metalle ceteris paribus verschieden grosse Polfelder bilden, wofür wir ein entsprechendes Verhalten an jedem ein- zelnen Froschei hatten, indem immer im Bereich des unteren, nahrungsdotterreichen, hellen Abschnittes der Äquator allent- halben gleich schmal war und sich im Bereiche des oberen, mehr protoplasmatischen Bildungsdottertheiles stetig nach oben verbreiterte.

Die Tabellen zeigen für halbprocentige Kochsalzlösung als Elektrolyten folgende Reihenfolge der abnehmenden Grösse der Polfelder an Kugeln von 6, 8 7 mm Durchmesser: blankes Blei, Messing, Bleischrot mit Rinde, Apothekergoldblatt. Ge- legentlich wurden an metallenen Gebilden einige Beobachtungen gemacht, welche darauf hindeuten, dass sich für andere Elektro- lyten, z. B. für schwefelsaures Natron, Salzsäure diese Reihen- folge vielleicht ändern würde.

Dem Polfelde anhaftende Luftbläschen werfen einen starken Schatten, so dass an ihrer Haftstelle und deren nächster Umgebung die Metalloberfläche unverändert bleibt, und in der darauffolgenden Zone das Polfeld geschwächt ist.

Eine zweite an Bleikugeln, in anderer Richtung als die erste, vorgenommene Durchströmung bewirkt Entstehung neuer, entsprechend gelagerter Polfelder, die natürlich im Bereich des früheren Äquators am deutlichsten sind. An Messingkugeln sieht man nach nur kurzer zweiter Durchströmung, dass im Bereiche der neuen Polfelder die beiden Seitentheile des früheren Äquators als scharf begrenzte blanke Niveau-Linien von der Veränderung frei geblieben sind, wie es entsprechend an der Gallenblase des Frosches, hier selbst nach langdauernder zweiter Durchströmung noch der Fall war.

Sind zwei Kugeln in Richtung der Stromfäden unter Yg ihres Durchmessers einander genähert, so werden die einander zugewendeten Polfelder derselben deutlich kleiner, und zwar um so kleiner, aber zugleich stärker verändert, je näher die Kugeln einander stehen; die einander abgewendeten Polfelder werden um so grösser, derart, dass sie zuletzt mehr als die Hälfte der Kugeloberfläche einnehmen. Berühren sich beideKugeln mit blanken Stellen,sind siealsoleitend verbunden

J

150 W. Roux,

dann entstehen blos noch die einander abgewendeten, weit über die Hälfte der Kugeloberfläche einnehmenden Polfelder; beide Kugeln also reagiren wie ein einziges Stück. Auch nebenein- ander, also in äquatorialer Richtung benachbart liegende Kugeln beeinflussen einander, aber erst bei grösserer Nähe, indem der Äquator beider sich gegen die Stelle grösster Nähe hin plötzlich stark verbreitert, wohl weil die Stromfäden sich hier auf zwei Gebilde vertheilen. Ist die Verbindungslinie einander sehr naher Kugeln schief zur Stromrichtung gestellt, so wird der Äquator gegen diese Stelle hin allmälig breiter, und die beiden Polfelder jeder Kugel werden wieder ungleich gross. Gegen die Berührungs- fläche beider Kugeln am Boden erfolgt gleichfalls eine Ver- breiterung des Äquators; während beim Froschei, welches durch die Gallerthülle an dieser Berührung gehindert wird, eine solche Verbreiterung fehlte, aber an aus der Hülle befreiten Embryonen deutlich ausgesprochen war.

An den beiden inneren, kleineren Polfeldern einander sehr naher, in Richtung des Stromes hintereinander liegender Messingkugeln bei Durchströmung mit demWechselstrom in VxPröc^^tigßi' Kochsalzlösung sah ich eigenthümliche Er- scheinungen, siehe Fig. 21. An den beiden einander nächsten Stellen ist ein dunkelgrüner, gleichmässiger rundlicher Fleck (1), der mit scharfer Grenze abschliesst; darauf folgt nach aussen ein metallisch gebliebener Ring (2), auf diesen eine braune Zone, welche, nach innen scharf begrenzt, mit starker Veränderung anhebt, nach aussen aber allmälig schwächer wird und so in einen (4) wieder metallischen blanken Hof übergeht. Dieser wird aussen begrenzt durch eine (5) blaugrüne viel breitere Zone, welche nach innen mit starker Veränderung beginnt und nach aussen allmälig an Intensität der Veränderung abnimmt und ihrer Farbe nach dem äusseren Polfeld entspricht. Das dunkle Centrum (Nr. 1) kann auch fehlen; dann wird das Centrum ent- sprechend Nr. 2 durch eine helle metallische Scheibe gebildet. Auch an Bleikugeln enstehen entsprechende Zonen bei gleicher Versuchsordnung.

Da hier zwei blanke metallische Ringe zwischen den ver- änderten Zonen liegen, kann also die zonale Färbung nicht blos auf optische Interferenz zurückgeführt werden; und da ich mir

Entwickelungsmechanik des £mbr}'o. 151

derartiges zonales Verhalten auch nicht aus dem sinusoidalen Verlauf der Phasen meines Wechselstromes ableiten konnte, so prüfteich noch das Verhalten so naherKugeln imGleichstrom, wieder in 7| procentiger Kochsalzlösung. Es zeigte sich, dass jetzt die beiden inneren Polfelder nicht wie beim Wechselstrom kleiner wurden, sondern eben so gross, eher sogar ein wenig grösser schienen als die äusseren. An den einander nächsten Stellen beider Kugeln entstanden wieder wiebeim Wechselstrom Ringzonen. Am kathodischen, rothbraunen, inneren Polfeld ist in der Mitte eine noch fast blanke, also nur wenig veränderte Scheibe ohne scharfe Ränder, oder das Centrum ist schwärzlich; darauf folgt die stärker veränderte, breite rostbraune Zone, die peripher einen schmalen schwarzgrünen Saum geringer Ver- änderung zeigt. Das äussere kathodische Polfeld kann auch im Centrum neben seiner rostbraunen Hauptfarbe noch einen deut- lichen schwarzen Schimmer haben und zwar in grosser Aus- dehnung. Das innere Anoden-Polfeld ist in der Mitte ganz blank; dann kommt ein grün-schwarz gefärbter Ring, der stark anhebt, aber nach aussen allmälig ausläuft; daran schliesst sich die breite Zone des nach dem Aufhören der Bläschenbildung blanken Bläschenfeldes, neben dessen peripherem Rand nach aussen manchmal eine deutliche, verschieden breite Trübung sich findet, besonders oben und seitlich an der Kugel. Das äussere anodische Bläschenfeld zeigt gleichfalls manchmal diese un- regelmässig gestaltete Randtrübung, ist aber sonst durchwtgs blank, nachdem die Bläschen entfernt worden sind. Die Rand- trübung ist offenbar ohne Bedeutung; sie rührt wohl von freien Jonen her, welche von den Elektroden oder vom kathodischen Polfeld aus sich ausgebreitet haben.

Wenn nun auch gewiss der zwischen den beiden einander nahen Polfeldern entstehende Polarisationsstrom an diesen Er- scheinungen einen Antheil hat, so bedarf doch die Ursache dieser zonal scharf begrenzten Veränderungen verschiedenster Intensität noch der Aufklärung.

Selbst unvollkommen vom Elektrolyten bedeckte Kugeln bilden, soweit sie in der Flüssigkeit liegen, Polfelder mit äqui- potentialen Curven ihrer Aquatorränder, im Unterschied zu dem Verhaltenderunvollkommen bedeckten Gallenblasen,bei welchen

152 W, Roux,

die Polfeldgrenzen stark von den Niveaulinien der Stelle des elektrolytischen Feldes abwichen.

Gehen wir zum Verhalten platter Gebilde über, so tritt bei ihnen, im Gegensatz zu den Kugeln, bezüglich der Grösse und Gestaltung der Polfelder deutlich der Einfluss der Höhe der über, respective seitlich vom Intraelektroly ten stehenden leitenden Flüssigkeit hervor, so auch bei runden Scheiben.

Die Erzeugungeinesgeradlinig parallel contourirten Äquators auf der Fläche von runden Scheiben in runden Schalen bei Mittelstellung des Gebildes zwischen den Elektroden ist ausser von der Höhe der Flüssigkeit noch von mehreren anderen Umständen abhängig. Bei geringem Abstände der platten Elektroden in enger Schale genügt gewöhnlich eine Höhe der überstehenden Flüssigkeit von etwas über dem Radius des Gebildes. Ist bei gleichem Elektrodenabstand die Schale grösser, so ist eine grössere Höhe nöthig, welche bei grösserem Elektroden- abstand noch erheblich vermehrt werden muss. Dabei ist aber am seitlichen Rande der runden Scheibe der Äquator immer noch schmaler als der Äquator auf der Fläche. In dem Maasse als die überstehende Flüssigkeitsschichte niedriger ist (bei gleich bleibender seitlicher Ausdehnung der Flüssigkeit), ent- steht in der Mitte des p^tten Gebildes eine zunehmende Ver- breiterung des Äquators, bis bei unbedeckter oder nur eben benetzter oberer Fläche diese keine Polfelder mehr bildet. Dies Verhalten entspricht der centralen Verbreiterung des Äquators an den zwischen Glasplatten flach gepressten Froscheiern, auf deren platte Flächen Stromfäden nur in Höhe der geringen Dicke der gepressten Gallerthülle eintreten konnten. Dasselbe gilt natürlich auch für die Unterfläche platter Gebilde; weshalb diese bei ebenem Boden des Gefässes unverändert bleibt, selbst bei dünnster Substanzlage, wie sie feinste Goldblättchen dar- bieten: alles Beweise, dass nur der Eintritt des Stromes aus dem Elektrolyten in das Metall und der Austritt in den Elektrolyten, nicht aber die Durchströmung der Oberfläche des vom Elektrolyten umgebenen Metalles die Veränderung des letzteren hervorruft; dass also die an der Ein- und Austritts- stelle entstehenden Jonen eine wesentliche Ursache dieser Ver- änderungen sind, was allerdings keines Beweises mehr bedurfte.

Entuickelungsmechanik des Embr}'o. 153

Mit diesen Verhältnissen im Zusammenhang steht auch derBefund,dass an den Seitenflächen platter Gebilde derÄquator bei oben überstehender Flüssigkeitsschicht oben schmaler ist und gegen den Boden hin sich continuirlich, wenn auch nicht viel, verbreitert Daraus ergibt sich, dass nicht blos im gleichen Niveau mit dem Objecte, sondern auch aus höheren Schichten seitliche Stromfaden in die Seitenfläche des Gebildes eindringen. Da die Eier und jungen Embryonen alle gerundete Gebilde sind, und ihr elektrischer Äquator der Mitte nahe liegt, also die- jenige Stelle einnimmt, an welcher die Stromfäden eines homo- genen Feldes fast tangential zur Oberfläche des Gebildes ver- laufen würden, hatte ich daran gedacht, dass dieser ungünstige Einfallswinkel vielleicht an der Entstehung des Äquators einen wesentlichen Antheil habe. Die Beobachtungen an platten Metall- stücken, deren ganze obere Fläche, bei geeigneter Lage der Elektroden, parallel zu den Stromfäden eines homogenen Feldes steht, gleichwohl aber grosse Polfelder bildete, zeigten, dass diese Ansicht für Metalle nicht zutrifft; was aber noch keinen Schluss auf die, nur wenig besser als der Elektrolyt leitenden organischen Körper gestattet.

Versuche mit einem gebogenen Stanniolstreifen dagegen ergaben, dass in der Mitte eines der Länge nach, siehe z.B. Hg. 24, durchströmten Metallstreifens ein rechtwinkeliger metallischer Vorsprung von der Höhe der halben, in Richtung des Stromes gemessenen Breite des Äquators vorhanden sein kann, ohne dass dieser Vorsprung verändert wird; daraus scheint zu folgern, dass ihn keine Stromfäden treffen, obgleich die Strom- faden eines homogenen Feldes rechtwinkelig auf ihn einfallen würden. Da sich an dieser rechtwinkelig zur Stromrichtung stehenden Metallplatte auch bei längerer Durchströmung keine Jonen abscheiden, wie es sonst an einer in gleicher Weise, aber frei stehenden Platte geschieht, ist es ein Beweis, dass die Jonen nicht allenthalben in der interpolaren Strecke, sondern nur längs der Stromfaden wandern. Ist die am Äquator vor- springende Platte höher, so bekommt sie jederseits ein eigenes Polfeld, aber nur in der Mitte ihrer beiden P^lächen; die Seiten- theile und Ränder bleiben als Äquator frei. Stanniol wurde immer in Glaubersalzlösung durchströmt.

154 W. Roux,

Eine ähnliche Reaction tritt auf, wenn ein rechtwinkelig gebogener Biechstreifen mit dem einen Schenkel rechtwinkelig zur Gesammt-Stromrichtung, mit dem andern also längs der- selben orientirt ist. Alsdann werden je nach der relativen, aber auch von der Stromdichte abhängigen Länge beider Schenkel verschiedene Befunde erhalten. Der freie Endtheil des Längs- schenkels wird wie gewöhnlich verändert. Ist der querstehende Schenkel etwa ein Drittel so lang als der andere, so erhält diejenige Fläche des queren Schenkels, welche gegen den in Richtung des Stromes stehenden Schenkel hin gewendet ist, kein Polfeld, die andere quergerichtetete Fläche dagegen entwickelt, als einer Elektrode nächst liegende Fläche ein kräftiges, ihre ganze Aus- dehnung einnehmendes und auch noch auf die Aussenfläche des Längsschenkels eine Strecke weit sich fortsetzendes Polfeld,

Wird der Querschenkel niedriger, so greift sein Polfeld all- mälig über die Ränder auf die Gegenseite über, aber mit nur schwacher Veränderung, und schliesslich entsteht auch auf der an letztere anschliessenden Fläche des Längsschenkels ein zuge- höriges Polfeld, welches aber immernoch durch eine blanke Stelle an der hohlen Biegungsseite von dem Umgreifungsfelde getrennt ist. Wird der Querschenkel höher, so erhälter (siehe Fig» 25) auf der vorher freigebliebenen Seite ein centrales, die Ränder der Fläche frei lassendes Polfeld; bei weiterer relativer Zunahme des Quer- schenkeis werden unter Wachsthum des centralen Polfeldes auch die Ränder der Fläche mit verändert; der Äquator bleibt aber immer auf dem längs des Stromes gestellten Schenkel, auch wenn dieser bloss einen kleinen Bruchtheil der seitlichen Ausdehnung des Querschenkels bildet; nur setzt sich der Äquator bei sehr kleinem Längsschenkel auf den Seitenrand des queren Schenkels fort.

Bei einem geraden, in Stromrichtung und, wie in allen unseren Versuchen, wenn nicht anders erwähnt, mitten zwischen den Elektroden liegenden, Stab findet sich beim Wechselstrom der Äquator in der Mitte der Länge des Stabes. Dies ändert sich, wenn ein Theil des Stabes rechtwinkelig abgeknickt wird; der neue Äquator liegt dann nahe der Mitte des jetzt noch in Richtung des Stromes gestellten Schenkels, aber etwas, und zwar

Entwickelungsmechanik des Embryo. 155

auf der Aussenseite weniger als auf der Innenseite des Winkels, gegen den Querschenkel hin verschoben; siehe Fig. 25. Der Quer- schenkel, dessen Theile ja alle in fast denselben Niveauflächen liegen, hat also einen viel geringeren EinOuss auf die Lagerung des Äquators als der viele Niveauflächen durchsetzende Längs- schenkel, obwohl ersterer von viel mehr Stromfäden getroffen wird.

Ein Übergreifen des einer Elektrode zugehörigen Polfeldes auf eine dieser Elektrode abgewendete Fläche findet bei metallenen Intraelektrolyten auch schon unter einfacherenVerhältnissenstatt, z.B. an einem Ring ; da sieht man deutlich, dass die Polfelder anfangs bloss auf den gegen die Elektroden gewendeten Aussenflächen entstehen, dann allmälig um die Ränder des Ringes herum etwas auf die Innenseite übergreifen, und zwar natürlich in der Nähe der Aquatorgegend am geringsten, in der Nähe der Pole am weitesten. Es gehören also hier, infolge ihrer Lagerung in der Nähe z. B. der rechten Elektrode, zum rechten Polfeld Flächen- theile, welche ihrer Richtung nach am directesten von der linken Elektrode aus bestrahlt werden könnten.

Dies Übergreifen eines Polfeldes auf eine Gegenseite der Hauptfläche, welches wir in geringerem Maasse schon an zwei leitend verbundenen Kugeln gesehen haben, lässt erkennen, dass bei den Metallgebilden an dem für die Stromfäden eines homo- genen Feldes im Schatten liegenden Theile der Oberfläche ein wirklicher Stromschatten, wie wir ihn an grobgefurchten Eiern und Embryonen kennen gelernt haben, nur rasch vorübergehend vorkommen kann. Wenn man z. B. einen platten Stern aus Metall durchströmt, so bekommt er nur zwei Polfelder; und die Polfeldbildung beginnt zwar auf den gegen die Elektroden ge- wendeten Flächen der Zacken, so dass anfangs ein Schatten auf den den Polen zum Theil näheren, aber abgewendeten Seiten- flächen der Strahlen liegt; während von den Polen entferntere, aber den Elektroden zugewendete Flächen schon verändert sind. Die Veränderung greift aber rasch auch auf die im Bereiche der beiden Gesammtpolfelder des Gebildes liegenden, von der nächsten Elektrode abgewendeten Flächen über; und zwar wird dies wieder rascher an den den Polen näheren als an den dem Äquator benachbarten Stellen sichtbar, an welchen wohl die Strom- laden relativ spärlicher sind. Die in der Tiefe zwischen den Zacken

156 W. Roux,

gelegenen Stellen dagegen bleiben, wie in derTiefe der Furchen an Embryonen, lange Zeit unverändert, jedenfalls infolge des vorher schon erfolgenden Übertrittes der Stromfäden in die seitlichen Wandungen der Furche. Dies ist somit ein Schatten durch Weg- leitung der Stromfäden von anderen Theilen des Intraelektro- lyten; aber die Wegleitung geschieht letzteren Falles bereits im Elektrolyten.

Wird ein eben und blank geschliffener Kupferkreuzer in Vs Vio gesättigter Glaubersalzlösung mit dem Wechsel- strom durchströmt, so entsteht manchmal mit den benetzbar werdenden, gelben oder grünen Polfeldern zugleich eine orangen- farbene Trübung zwischen beiden, also im Bereiche des breiten Äquators, welche nicht benetzbar ist und jederseits durch eine gleichfalls nicht benetzbare, blank gebliebene Niveaulinie vom Polfeld getrennt ist. Mit dem Wachsthum der Polfelder werden diese blanken Niveaulinien einander ge- nähert, auf Kosten des mittleren, vorher trüben Äquatorfeldes. Die Bildung unveränderter Niveaulinien ist also ein besonderer, sogar schon bestehende Veränderungen aufhebender Process. Der Äquator einer 18 '3 mm grossen Kupferscheibe war in der Mitte breiter als am Rande, obgleich die Flüssigkeit über der Münze 20 mm hoch stand, was zur Bildung paralleler Contouren in anderen Verhältnissen übergenug gewesen wäre. Dies hängt wohl mit geringerer Leitungsdifferenz zusammen, zufolge deren wohl auch der Äquator schon an sich sehr breit blieb. Die Pol- felder hatten eine besonders gefärbte, aussen schwarze, innen orangefarbene Grenzlinie gegen den Äquator. Das Anlaufen des mittleren Theiles des Äquators, so wesentlich es für die Bekun- dung besonders sich verhaltender Niveaulinien ist, hängt nur von Nebenumständen ab; denn es bleibt manchmal bei schein- bar ganz derselben Versuchsanordnung aus. Ich erhielt es häufiger, wenn die Münze nicht eben erst frisch geputzt, sondern vor dem Durchströmen ein wenig angelaufen war.

Ebenso treten Verschiedenheiten hervor bei einer zweiten rechtwinkelig zur ersten stattfindenden Durch- strömung der Kupferplatte. Dabei erhält man z. B. zwei weitere grüne, an die vorherigen sich anschliessende Polfelder, und von den vier Ecken des übrigbleibenden quadratischen

Ent^'ickelungsmechanik des Embryo. 157

Äquators gehen vier hellere Linien in diagonaler Rich- tung ab- Nach dem Abwischen zeigt sich an diesen Linien das Metall noch fast blank, was sich aus einem unten mitgetheilten Befunde bei rechtwinkelig zu einander erfolgenden Durch- strömungen mit dem Gleichstrom erklärt, wo jedoch bloss eine solche schiefe Niveaulinie gebildet wurde. Dass hier vier solche Linien entstehen, ergibt sich dann wohl aus den vier- fachen Stromrichtungen des gekreuzt angewandten Wechsel- stromes.

Nach weniger lang dauernder primärer Durchströmung als im eben erwähnten Falle wird bei der secundären, recht- winkeligen Durchströmung der neue Äquator viel dunkler, orange; die neuen Niveaulinien sind einander parallel und werden selbst im Bereiche des primären, orange- farbenen Äquators blank, kupferfarbig unter Rückbildung des Orange; im Bereiche der gelben, primären Polfelder dagegen sind sie schwärzlich, und allmälig wird der äussere Rand hell, der innere schwarz, als wenn die schwarze Substanz gegen den Äquator zu verschoben wäre, ähnlich also, wie es oft an dem Pigment in der Rinde des Froscheies der Fall war. Nach dem Abwischen sind auch diese Theile der Niveaulinien wieder heller als die Umgebung, ja fast blank; also hat auch hier eine Rück- bildung der primären Veränderung, welche das Metall trüb machte, stattgefunden. An den Niveaulinien findet also zweifellos eine besondere Einwirkung statt. Die pri- mären Polfelder sind auch im Bereiche des von den Niveau- linien umgrenzten secundären Äquators stark verändert worden, so dass dieser also gleichfalls wieder nicht als in- differente Zone aufzufassen ist.

Bei längerem Durchströmen von kupfernen Gebilden mit dem Wechselstrom in durch den Strom siedender 1*/^ Koch- salzlösung wird die Grenzlinie des Polfeldes immer schärfer und dunkler; derÄquator bekommt einen schwärzlichen Hauch bis auf jederseits eine, seinen Rand bildende, allent- halben gleich breite helle Niveaulinie.

Wurde Kupferdraht in warmer verdünnter Schwefelsäure liegen gelassen, so dass das Kupfer schwarz anlief, so wurden beim Durchströmen die Polfelder zunächst heller, die dunkle

158 W. Roux,

Färbung verstärkte sich am Äquator, darnach wurden die Polfelder auch dunkel und waren durch eine helle Niveau- linie vom dunklen Äquator getrennt. Auch an Bleischeiben kann man bei gekreuzter Durchströmung Andeutungen von Niveaulinien hervorbringen.

Sind zwei Metallplatten rechtwinkelig zur Strom- richtung aufgestellt und durch eine wenn auch nur minimale Schicht der Elektrolyten getrennt, so bekommt jede Platte auf jeder ihrer beiden Flächen je ein Polfeld, welches je nach der Dicke der Platten auch auf die Seitenränder derselben über- greift und daselbst mit dem andern den Äquator begrenzt Be- rühren sich jedoch die Platten leitend oder werden sie sonst leitend verbunden, so bekommen die einander- zugewendeten Flächen, wie bei den sich berührenden Kugeln, kein Polfeld mehr; erst bei einem Abstand von mehr als der Breite der leitend verbundenen Platten entstehen auch an den einander zugewendeten Flächen Polfelder, welche aber nur schmal und an den Rändern gelegen sind und wieder nur durch ein Über- greifen der äusseren Polfelder um die Ränder herum nach innen zu bedingt sind.

Wird eine dreieckige Platte mit der Spitze gegen eine Elektrode gewendet, so wird das spitze Polfeld länger als das stumpfe; aber der Unterschied ist nicht so gross als zwischen dem Schwanz- und Kopfpolfeld von Froschembryonen, welche der Länge nach durchströmt wurden.

Dass für die Ausdehnung der Polfelder und damit für die Lagerung des Äquators wesentlich die Grösse der Oberflächen, nicht die Grösse der von ihnen umgrenzten Massen in Betracht kommt, ist schon aus früherMitgetheiltem ersichtlich. Um es noch besonders darzuthun, löthete ich an einen, l'bntm dicken Bleistreif quer einen ebenso breiten, aber viermal so langen Stanniolstreifen von 7,^ mm Dicke, dessen freies Ende ich in einer der Dicke des Bleies entsprechenden Höhe umbog, um eventuelle Spitzenwirkungen zu beseitigen. Obgleich nun die Masse der einen Seite an 20mal grösser war als die der anderen, lag der Äquator infolge der beiderseits fast gleichen Gestaltung der Oberfläche fast in der Mitte des der Länge nach durch- strömten Gebildes.

Entwickelungsmechanik des Embryo. 159

An langen Stücken Metalldrahtes, also an Gebilden von sehr ungleichen Dimensionen, traten einige Verhältnisse be- sonders deutlich hervor. Der Äquator in Richtung des Stromes stehender Drähte erweist sich ceteris paribus an längeren Ge- bilden zwar grösser, aber verhältnissmässig viel kleiner als an kürzeren. So ergaben sich z. B. bei einem Elektrodenabstand von 114 ww an einem Bleidraht von l'Sww Dicke bei gleich dauernder Durchströmung in demselben Gefasse für den Äquator folgende Maasse:

Lange des Drahtes

Breite des Äquators

... in Procenten der Länge des Drahtes

35'Omfn

3' 6 mm

107«

8-0 *

30 »

377»

1-8 *

1-7 »

947o

An diesem Ergebniss ist das Verhältniss der Breite des Gebildes zur durchflossenen Länge desselben nicht erheblich betheiligt; denn eine quer zur Fläche durchströmte runde Scheibe von 8*5 mm Radius, 1 '8 mm Dicke (respective durch- flossenen Länge) ergab einen Äquator von gleicher Breite als der letzt erwähnte Draht von bloss 0-9 mm Radius und V8mm durchflossener Länge.

Nimmt die durchflossene Länge noch weiter ab, so dehnt sich der Äquator von den Seitenkanten noch auf die quer- stehenden Hauptflächen des Intraelektrolyten aus; es bekommt z. B. ein Stanniolblättchen von ^/^^mm Dicke, welches quer zur Fläche durchströmt wird, bei geeignieter Sti'omdichte jeder- seits ein grosses, centrales Polfeld, welches von einem schmalen Äquator von etwa 0* 1 0*2 mm umsäumt ist. Dieser Äquator- saum ist bei gleicher Stromdichte an einer quadratischen Platte von 25 mm Kantenlänge nur wenig breiter als bei einem Qua- drate von 0'6 mm Kantenlänge. Ist dagegen die Stromdichte sehr gering, so entsteht kein Äquator mehr am Rande der beiden Flächen. Der Äquator wird also hier bei geringerer Stromdichte (aber längerer Durchströmung) kleiner als bei grösserer Strom- dichte und kürzerer Durchströmungsdauer.

160 W. Roux,

Von gleich langen, aber ungleich dicken, quer abge- schnittenen Drahtstücken, welche in axialer Richtung durch- strömt werden, erhält ceteris paribus das dickere Stück, wie immer in Richtung des Stromes gemessen, einen breiteren Äquator während bei Querdurchströmung, gleich wie an den Kugeln, die dickeren Stücke in gleichen Zeiten einen relativ, oft sogar absolut kleineren Äquator erhalten.

Liegt der axial durchströmte Draht in der Mitte zwischen beiden Elektroden, so sind ceteris paribus beide Polfelder gleich gross. Ist der Draht dagegen einer Elektrode näher, so wird das Polfeld dieser Seite kleiner; doch treten die Unterschiede ähnlich wie bei Kugeln erst bei grosser Nähe des einen Endes gegen die Elektrode, also erst bei grosser Ungleichheit des beider- seitigen AbStandes von den Elektroden hervor, was sich wohl leicht aus der divergirenden Richtung der Stromfaden in der Nähe der Elektrode bei rundem Felde ableitet.

An den länglichen Gallenblasen der Kaninchen haben wir im Gegensatze zu den runden Gallenblasen des Frosches bei Durchströmung ersterer in schiefer Richtung gesehen, dass der Äquator schief zu den Niveauflächen eines homogenen elektrischen Feldes orientirt war. Um dies Verhalten auch am Metall zu prüfen, wurde ein blanker cylindrischer Kupfer- draht von 31 mm Länge und 1 '5 mm Dicke in einer runden Glasschale von 46 mm Durchmesser in Wasserleitungswasser durchströmt. Er lag 2 mm hoch vom Boden des Gelasses auf zwei lockeren Fliesspapiergefässröllchen und war in einer Höhe von 6 7 mm vom Wasser überdeckt. Der Mittelpunkt seiner Länge kam immer in den Mittelpunkt der mittleren geraden Verbindungslinie beider, einen Abstand von 40 fnm besitzenden Elektroden zu liegen, und nur der Winkel des Drahtes mit dieser Mittellinie, damit aber auch der Abstand der Drahtenden von den Elektroden, wurden verändert; der Draht wurde nach jedem Versuche blank geputzt. Die Durchströmungszeit betrug je 15 Minuten.

Entwickelungsmechanik des Embryo.

161

1

I.

II.

III.

IV.

V.

' Winkel des 1 Drahtes mit i der mittleren Verbindungs- linie der 1 Elektroden

Winkel des Äquators mit der Längs- richtung des Drahtes

Winkel des Äquators mit der mittleren Niveau- linie des elek- trischen Feldes

Breite des

Äquators, in

Richtung des

Drahtes

gemessen

Breite des

Äquators,

rechtwinkelig

zu seinen

Grenzlinien

gemessen

1

, 0"

90«

0'^

2 * 0 mm

2 ' 0 mm

4*5

38

47

2-0

2-0?

9

26

55

30—3 5

2-0?

18

19

53

3 3—4-0

ri

36

12

42

3-5— 5-0

0-8

' 54

5

31

4-5— 8-0

0-8

72

16

23

t ü-7

81

1

8

30

ü-7

90

0

0

1 31

1

0-7

Die Messungen leiden wegen unscharfer Grenzen der Polfelder und nicht vollkommen runder Gestalt des Kupfer- drahtes an Ungenauigkeiten; ausserdem ist der Äquator bei den mittleren Schiefstellungen etwas gebogen, so dass er in der Mitte einen grösseren, in Columne II angegebenen, Winkel mit der Längsrichtung des Drahtes bildet, als an den Enden; auch ist der Äquator an den Enden, in Richtung des Drahtes ge- messen, breiter als in der Mitte, was in Columne IV zum Ausdruck kommt. Die Columne III zeigt daher bloss annähernd die Abweichungen des Äquators von den Niveaucurven eines homogenen Feldes an; aber es fällt auf, dass diese Ab- weichungen schon bei 9 18° Schiefstellung des Drahtes ihr Maximum erreichen, was bei den im Ver- hältniss zu ihrer Dicke weniger langen und am verschlossenen Ende verdickten Gallenblasen der Kaninchen nicht hervortrat.

Ein Kugelabschalenabschnitt aus Stanniolblech bildet bei axialer Durchströmung auf der convexen Seite ein centrales, grosses und ein schmales marginales Polfeld, welche beide den Äquator zwischen sich fassen. Ist der Abschnitt klein, also flach, so ist die concave Fläche von einem in der Mitte schwächeren Polfeld eingenommen; ist er tief, so beschränkt sich wieder wie

Sitzb. d. rnathem.-naturw. Cl.; CI. Bd. Abth. III 11

162 W. Roux,

bei tiefen Furchen das Polfeld auf den Randtheil. Also die metallene Kugelschale verhält sich im Principiellen ebenso, wie wir es an dem abgeschnittenen Vorderhirn des Hühner- embryo sahen. Wesentlich dasselbe gilt natürlich auch für entsprechende Abschnitte anderer Rotationskörper - Schalen, deren Erzeugungslinie gegen die Axe concav ist.

Steht ein Ende oder beide Enden eines Drahtes oder Bandesaus demElektrolyten heraus, so erfolgt die Reaction des intraelektrolytären Theiles so, als wenn die äusseren Theile nicht vorhanden wären, wie wir ein Gleiches auch schon an der nicht vollkommen eingetauchten Kugel gesehen haben.

Anders ist dagegen das Verhalten, wenn die Enden des Metallstückes innerhalb der Elektrolyten stehen, die leitende Verbindung derselben aber zum Theil ausserhalb des Elektrolyten sich befindet. Unter diesen Umständen hängt die Abweichung der Reaction von derjenigen eines vollkommen eingetauchten Gebildes gleicher Gestalt wesentlich von der Stellung des Intraelektrolyten zu den Stromfaden, respective Niveauflächen ab.

Steht der ganze intraelektrolyrbare Theil des Gebildes in Richtung einer Niveaufläche, ist es zum Beispiel ein in einer Ebene gebogener Draht, welcher mit seinen eingetauchten Endtheilen mitten zwischen beiden Elektroden rechtwinkelig zur Verbindungslinie orientirt ist, so findet eine principielle Ab- weichung von dem Verhalten bei entsprechender vollkommener Eintauchung nicht statt. Die Reaction erfolgt, als wenn lauter einzelne neben einander liegende Stücke vorhanden wären, da innerhalb einer Niveaufläche keine Wirkung vor sich geht; und es ist daher vollkommen nebensächlich, ob alle oder nicht alle Theile eines Drahtes eingetaucht sind, nur dass sich selbst- verständlich die Wirkung auf die eingetauchten Theile be- schränkt>

Von den anderen Stellungen sei blos die einfachste in ihrem Verhalten geschildert. Steht das Gebilde mit seinem intraelektrolytären Theil in Richtung des Stromes und hat z. B. zwei gleich lange in gleichem Abstände gegen die Elektroden gerichtete wagrechte Schenkel, so sind deren Polfelder gleich gross, der Ort des Äquators hängt dabei von

Entwickelungsmechanik des Embry«). 163

der Stromdichte ab; ist die Stromdichte eine grosse, so werden die ganzen intraelektrolytaren Theile polarisirt, und der Äquator ist dann wohl als extraelektrolytär liegend zu denken. Ist die Stromdichte gering, so reichen die Polfelder nicht so weit; und es ist auf jeder Hälfte noch ein gegen den extraelektrolytären Theil zu gelegener Äquator vorhanden. Ist kein Äquator inner- halb der Flüssigkeit vorhanden, so kann man schon ein erheb- liches Stück, z.B. Vs der Länge des einen wagrechten Schenkels und darüber abschneiden, ehe bei derselben übrigen Versuchs- anordnungen der Äquator auf der anderen Seite aus dem extra- elektrolytären Theil des Drahtes in die Flüssigkeit herabrückt. Schneidet man noch mehr auf der früheren Seite ab, so entsteht zwischen dem Äquator und dem extraelektrolytären Theil noch ein Polfeld, welches dann also zu dem Polfeld des verkürzten Schenkels jenseits der extraelektrolytären Verbindung gehört.

Taucht der verkürzte Schenkel nur noch mit der Spitze in die Flüssigkeit und steht diese Spitze in derselben Niveaufläche als das Austrittsende des anderen Schenkels, so bewirkt das Eintauchen keine messbare Veränderung der Lage des Äquators am wagfechten Schenkel: steht jedoch die Spitze der anderen Elektrode näher, so findet eine Verschiebung des Äquators nach dieser Seite hin statt. Sind die senkrecht verlaufenden einge- tauchten Theile des Drahtes von erheblicher Länge im Ver- hältnisszum wagrechten Schenkel, so kommen die oben für recht- winkelige Intraelektrolyten angegebenen Regeln mit zur Geltung. Doch sind die Schattenwirkungen selbst bei grosser Nähe der Enden breiter Metallstreifen alsdann viel geringer als bei intra- elektrolytärer Verbindung, und die Intensität der Veränderungen weist manche Abweichung auf, besonders wenn beide Enden, von ihrem Verbindungstheil aus gerechnet, nach derselben Seite, also gegen ein und dieselbe Elektrode gewendet sind.

Stehen beide ungleich langen Enden nur senkrecht in der Flüssigkeit, aber in Richtung des Stromes hintereinander, so bekommt das kurze Ende ringsum ein kräftiges Polfeld, das lange ein kräftiges auf der Seite der nächsten Elektrode und ein schwaches, nach oben allmälig abnehmendes auf der Gegen- seite, doch reicht letzteres nur bis zur Höhe des anderen Draht- endes, sofern dieses in nicht zu grosser Entfernung sich findet.

11*

164 W. Roux,

Werden die beiden Enden des Drahtes in getrennte Schalen getaucht, in welcher jeder eine Elektrode sich findet, so werden die Drahtenden natürlich in ihrer ganzen intra- elektrolytären Ausdehnung verändert; ein Äquator entsteht an keinem derselben, auch wenn das eine Ende sehr lang in Richtung des Stromes verläuft, während das andere Ende nur eben eintaucht. Taucht dagegen ein breites Metallband z. B. von Stanniol in die beiden mit Glaubersalzlösung gefüllten Schalen, und sind die wagrechten, gegen die Elektroden ge- wendeten Enden rechtwinkelig abgeknickt gegen den auf- steigenden Verbindungstheil, so entsteht in der Winkelöffnung an der Knickungslinie und deren wagrechter und senkrechter Umgebung ein grosses frei bleibendes, von veränderten Flächen umgrenztes Feld, welches leicht für einen Äquator gehalten werden kann. Dass diese Auffassung nicht richtig ist, zeigt eine Verschmälerung des Streifens, wobei sich das Feld von den Rändern her verkleinert und schliesslich verschwindet; es ist also blos durch Vorwegnahme der Stromfäden durch die Ränder des freien Feldes und deren Umgebung bedingt gewesen, wie bei einer Furche; während ein Äquator durch eine in Richtung der Niveaufläche erfolgte Verschmälerung bei derselben An- ordnung in Richtung des Stromes nie verschwindet; wie wir ja auch beim rechtwinkeligen Intraelektrolyten die frei bleibende Seite der Transversalplatte wohl nicht zum Äquator rechnen durften.

Wenn man einen über halb so breiten als weiten Ring aus Stanniol mit einer Seitenkante auf den Boden des Glases legt und in ihn hinein ein nicht über V3 d^r Breite des Ringes hohes Stanniolbänkchen setzt, so bleibt letzteres beim Durchströmen des Elektrolyten unverändert. Es ist also durch den äusseren Ring vollkommen beschatttet. Der Ring erhält in dem aus einer Lösung von schwefelsaurem Natron bestehenden Elektrolyten jederseits aussen ein stark verändertes Polfeld, welches, wie früher mitgetheilt, über die obere, von Flüssigkeit etwas über- ragte Kante des Ringes ein wenig auf die Innenseite über- greift. Dieselben Polfelder entstehen, wenn der Ring an irgend einer Stelle aufgeschnitten ist, aber noch 360** umschliesst. Wird derRingnochmals durchschnitten und damit die metallische

Entwickelungsmechanik des Embryo. 165

Leitungseinheit zerstört, so bildet natürlich jedes Stück seine besonderen Polfelder und seinen eigenen Äquator.

Da wir auch Versuche mit dem Gleichstrom an organischen Gebilden mitgetheilt haben, und da es zum Verständniss der im Wechselstrom beobachteten Erscheinungen nöthig ist, seien noch einige Versuche mit dem galvanischen Strom an metallischen festen Intraelektrolyten mitgetheilt.

Zur Übereinstimmung mit den früher bei den organischen Gebilden angewandten Bezeichnungen soll auch hier als posi- tives oder anodisches Polfeld wieder rein topographisch das gegen die positive Elektrode (Anode) gewendete Polfeld bezeichnet werden, obgleich es kathodischer Natur ist, da hier der sogenannte positive Strom aus dem Elektrolyten austritt und sich an ihm daher die Kationen abscheiden.

Es interessiren uns hier weniger die qualitativen Eigen- schaften der Veränderungen des Intraelektrolyten, welche natür- lich dieselben sind als die an Elektroden aus der gleichen Substanz in den gleichen Flüssigkeiten vor sich gehenden Veränderungen, deren Farbe auch mit der Dauer und Dichte des Stromes häufig wechseln, sondern wir beschäftigen uns wesentlich nur mit der Localisation dieser Veränderungen, und zwar bloss an einfacher gestalteten Gebilden, nachdem wir mit dem Wechselstrom bereits den Einfluss der Gestalt in einer für unsere Zwecke genügenden Weise ermittelt haben. Diese Localisation ist, wie schon von Roiti und von Tribe angegeben und oben mitgetheilt worden ist, für verschiedene Metalle und Elektrolyten zum Theil verschieden, so dass diese immer mit namhaft gemacht werden müssen.

Eine runde Bleischeibe, in 10 20procentiger Salz- säure durchströmt, bildet beim Durchströmen zunächst ein auf drei Viertel des Durchmessers der Scheibe und darüber sich ausdehnendes, geradlinig, scharf begrenztes, schwarzes nega- tives und ein erst später auftretendes, mit Bläschen besetztes positives Polfeld, mit dessen Auftreten und Wachsthum das negative Feld vom Äquator aus unter Verschiebung des letzteren durch Aufhellung verkleinert wird. Dieses positive Polfeld wird erst allmälig schwarz und ist, wie auch in Kochsalzlösung, nicht scharf gegen den relativ breiten Äquator begrenzt, sondern

166 W. Roux,

läuft mit abnehmender Intensität seiner Veränderungen gegen ihn aus.

Bei seitlicher Verschiebung der Anode verschiebt sich ent- sprechend das positive Polfeld und der Äquator wieder unter metallischer Aufhellung des früheren negativen Polfeldes im Bereiche des neuen Äquators, ein Beweis, dass der Äquator keineswegs eine neutrale Zone darstellt. Die durch längeren Gebrauch zu diesen Versuchen entstehende Verunreinigung der Säure wirkt alterirend auf die Polfeldbildung ein. Zuletzt veranlasst solche Säure selbst am frisch polirten Blei schon für sich momentan ein Schwarzwerden. Bei der Durchströmung wird diese Schwärzung auf der positiven Seite und im Bereiche des Äquators, vom positiven Pol ausgehend, sogleich zurück- getrieben, so dass die Fläche bloss noch mattgrau ist; dasselbe entsteht auch ah jeder Stelle, über welche man die positive Elektrode hält.

Eine Bleischeibe bekommt in halbprocentiger Koch- salzlösung durchströmt zuerst ein schwarzes negatives Pol- feld, welches allmälig vom Pole sich ausbreitet. Aber ihm voraus läuft bei diesem Fortschreiten, dem Grenzcontour des schwarzen Polfeldes parallel, eine braune gegen den Äquator scharf, gegen den hellen schmalen Zwischen- raum zwischen ihr und dem schwarzen Theil des Pol- feldes ujischarf begrenzte Linie. Der Abstand des Äquator- randes dieser Linie vom negativen Polfeld bleibt anscheinend constant, während die braune Veränderung selbst sich allmälig rückwärts gegen das schwarze Polfeld ausdehnt. Dies negative Polfeld kann die Mitte der Scheibe überschreiten.

Erst eine erhebliche Zeit nach dem Auftreten des negativen Polfeldes beginnt die Sichtbarwerdung des viel kleineren, weniger trüben, nicht scharf gegen den Äquator begrenzten, sondern allmälig gegen ihn auslaufenden positiven Polfeldes.

In vierprocentiger Kochsalzlösung wird das negative Pol- feld viel grösser. Bei seitlicher Verschiebung der Anode erhält das negative Polfeld einen S-förmigen Grenzcontour gegen den Äquator.

Noch mit ihrer Oxydrinde versehene Bleikugeln, in Kochsalzlösung durchströmt, verhalten sich, wie beirri Wechsel-

Entwickelungsmechanik des Embryo. 167

Strom, wieder unter sich sehr verschieden ; während die eine ein grosses, nur mit Bläschen bedecktes negatives und ein kleines, mit grösseren Bläschen versehenes positives Polfeld bildet, ent- steht an einer anderen ein gelbes kleines negatives und ein grosses positives mit Bläschen bedecktes Polfeld.

Blanke Schrotkugeln bilden rasch ein grosses gelbes negatives Polfeld und ein positives Bläschenfeld.

Stanniol, in Kochsalzlösung durchströmt, wird wenig ver- ändert; dagegen entsteht in Salzsäure ein mehr als die Hälfte einnehmendes, geradlinig scharf begrenztes negatives, ein viel kleineres, wieder allmälig gegen den Äquator anlaufendes, posi- tives Polfeld.

Eine mit Apotheker-Goldblatt überzogene Wachs- kugel bildet in 15procentiger Salzsäure, wie in halbprocentiger Kochsalzlösung nur ein ganz kleines schwärzliches negatives Polfeld ohne scharfe Grenze und ein entsprechendes positives ßJäschenfeld.

Kupfer eignet sich durch schärfere, ja grelle Begrenzung des Polfeldes gegen den Äquator und grössere Mannigfaltigkeit des Verhaltens besser für unsere Zwecke als Blei, welches in manchen Flüssigkeiten nur allmälig gegen den Äquator aus- laufende Polfeldveränderungen bildete. Daher wurden mit dem Kupfer mehr Versuche angestellt.

Ein abgeschliffener Kupferkreuzer in Glaub er Salz- lösung durchströmt, bekommt blos ein negatives, minimales, gerade begrenztes, grünlich-gelbes Polfeld, trotz grösster Nähe- rung der Elektroden bei vier Bunsen'schen Elementen; ein Zeichen für den grossen Einfluss der Natur des Elektrolyten auf die Grösse des Polfeldes. In Kochsalzlösung wird gleich- falls nur ein kleines negatives Polfeld gebildet, welches aber immerhin grösser ist, als in der Glaubersalzlösung.

In Salzsäure entsteht an der Kupfermünze wieder ein sichtbares, positives Polfeld, welches erheblich kleiner ist als das bis fast zur Mitte oder noch darüber hinaus sich ausdeh- nende graubraune negative; dies positive Polfeld besteht aus zwei ganz verschiedenen Theilen: einem polar gelegenen, gerade abgegrenzten schwarzblauen und darauf aus einem eventuell ebenso breiten, bloss durch einen andersfarbigen Metallschimmer

168 W. Roux,

ausgezeichneten, äquatorwärts durch eine orange -kupferige Linie begrenzten Theil.

Auch im negativen Polfeld kommen wieder mehrere gerad- linig begrenzte, grell gegen einander abstechende, in sich selber aber fast gleichartige Zonen von Veränderungen vor, so dass nicht wohl eine nur allmälige Abnahme der Intensität der Ver- änderung vom Pole gegen den Äquator angenommen werden kann.

Wenn die Kupfermünze nicht, wie gewöhnlich, in der Mitte zwischen beiden Elektroden, sondern näher der Kathode sich befindet, so wird in Salzsäure das positive Polfeld mit seinen beiden Abschnitten grösser; bei Näherung gegen die positive Elektrode wird das negative Polfeld grösser als bei Mittel- stellung. Verunreinigung der Salzsäure mit Kupfervitriol alterirt sofort die relative Grösse beider Polfelder zu einander.

Wenn eine Kupfermünze in Kupfervitriol durchströmt und darnach mit Putzpulver wieder blank geputzt worden ist, so wird bei Durchströmung in Salzsäure dies frühere, durch den metallischen Kupferniederschlag gebildete Polfeld wieder sichtbar und die Grenzlinie des früheren Äquators kann im Bereiche des neuen positiven Polfeldes unverändert bleiben.

Wird ein glatt geschliffener Kupferkreuzer, mitten zwischen beiden Elektroden liegend, in Kupfervitriollösung durch- strömt, so entsteht ein schwarzes, anfangs halbmondförmiges negatives Polfeld, welches schmaler ist als das stets durch eine gerade Linie begrenzte, mit metallischem Kupfer beschlagene positive Polfeld. Bei sehr langer Durchströmung aber (z. B. 10 Minuten) wird das negative Polfeld allmälig grösser, sogar etwas grösser als das positive.

Auf dem positiven Polfeld der glatt und eben abgeschlif- fenen Kupfermünzen schlägt sich das Kupfer zuerst an den Randstellen der früher erhabenen Theile der weggeschliffenen Prägung nieder; auf dem negativen Polfeld haftet nach dem Wegwischen des Oxydes letzteres fester an den früher erhaben gebliebenen, also weniger dichten Stellen, so dass auf beiden Polfeldern die abgeschliffene Schrift und sonstige Prägung wieder sichtbar wird.

Liegt die Kupfermünze neben der negativen Elektrode, so wird der Äquator gegen sie hin concav, bei genügend langem

Entwickelungsmechanik des Embryo.

169

Durchströmen zugleich parallel contourirt, und beide Polfelder sind zuletzt in der Mitte gleich breit; neben der positiven Elek- trode wird der Äquator gegen diese concav; beides auch (N.B. in den zu allen Versuchen verwendeten, runden Glasschalen) wenn die Elektroden eben und breiter sind als die Kupfermünze.

Bei fortgesetztem Durchströmen läuft manchmal der Äquator im Ganzen trüb an, ohne sich vorher noch verschmälert zu haben, oder bekommt grosse unregelmässige Flecken, was beides wohl nur durch Ausbreitung der auf dem sogenannten katho- dischen Polfeld des metallischen Intraelektrolyten gebildeten Anionen bedingt ist.

Über den zeitlichen Gang der Verschmälerung des Äquators gibt folgende Tabelle Auskunft. Sie wurde durch Versuche an einem auf einer Fläche ebengeschliffenen Kupferkreuzer von Idmm Durchmesser, bei mittlerer Stellung zwischen den platten Elektroden von 32 mm Abstand, in einer runden Schale von 40 fnm Durchmesser bei einer Stromstärke von anfangs etwa 03 Amperes und einer Höhe der Flüssigkeit von \4mm gewonnen.

Dauer der

Breite des

Durchströmung

Äquators

30"

2 Ontm

1'

1-7

2'

1-3

3'

1-0

4'

0-8

6'

0 3

8'

0-2

10'

0-15

12'

0-13

Die letzten Messungen sind bei den natürlich nicht ganz scharfen Grenzlinien bloss Schätzungen, und die Erwärmung der Flüssigkeit hatte die anfängliche Stromstärke erheblich erhöht. Der Äquator ist noch zuletzt vollkommen blank; die Pol- felder dagegen sind unmittelbar neben ihm gleich intensiv ver-

170 W. Roux,

ändert. Das positive Polfeld war schliesslich in der Mitte S'8 mm, das negative lOmm breit. Während zuerst das positive Polfeld rascher wuchs, änderte sich das Verhältniss zuletzt in um- gekehrtem Sinne. Übrigens ist auch die Beschaffenheit der Metall- oberfläche von erheblichem Einflüsse auf die absolute und relative Grösse beider Polfelder, wie auch Froscheier vom selben Frosch entsprechend verschieden reagirten. Im Bereiche des negativen Polfeldes löst sich die in der Umgebung des Poles gebildete Masse in zusammenhängenden breiten Stücken ab, und beim Abspülen sieht man, dass der bezügliche Bezirk sich mit einer geraden Linie begrenzt. Auch sonst treten beim Abspülen oder Abwischen wieder, durch gerade oder gebogene Linien scharf begrenzte Zonen verschiedenen Verhaltens im negativen Polfeld auf, wie auch schon vorher solche sichtbar sind. Im Be- reiche des positiven, metallischen Polfeldes ist dies auch, aber in minderem Maasse der Fall.

Wurde auf eine Kupfermünze mit Siccativ ein Netzwerk gezeichnet, soreagirte beim Durchströmen in Kupfervitriollösung natürlich nicht jedes begrenzte und vom anderen oberflächlich isolirteFeld für sich; sondern, dasie unter diesem Netz homogen verbunden sind, so reagirt das Ganze wie gewöhnlich, nur fehlt an den mit Harz bedeckten Stellen die Veränderung; nach dem Reinigen springen daher auf der negativen Seite die Netz- linien, auf der positiven die umschlossenen Felder vor; im Be- reiche des Äquators ist von der früheren Netzzeichnung nichts mehr zu sehen.

Durchströmt man die bereits einmal in Kupfervitriollösung durchströmte Kupfermünze nochmals, aber rechtwinkelig zur früheren Richtung, siehe Fig. 22, so bleibt die dem früheren positiven Polfeld anliegende Zone a des primären Äquators auf der Seite, wo sie durch die Drehung in den Bereich des neuen negativen Feldes gelangt ist, unverändert, wird nicht schwarz; doch dehnte sie sich bei meinen V^ersuchen vom neuen Äquator nur ein Stück aus, ohne den Rand der Münze zu erreichen. Dies Verhalten erinnert wieder an die unveränderten Niveaulinien der Messingkugeln und der Froschgallenblase bei der zweiten, in anderer Richtung erfolgenden Durchströmung mit dem Wechsel- strom. Bei länger fortgesetzter Durchströmung ändert jedoch die

Entwickeiungsmechanik des Embryo. 171

blanke Linie hier ihre Richtung; von derselben Ecke des Äquators ausgehend, lenkt sie sich allmälig gegen 45* ab und bildet die Grenze zweier verschiedener Theile des secundären negativen Polfeldes, nämlich eines grossen Abschnittes, bestehend aus den im Bereiche des secundären negativen Polfeldes gelegenen An- theilen des primären negativen Polfeldes, femer des primären Äquators, sowie des an letzteren Theil anstossenden Stückes des primären positiven Polfeldes, innerhalb welches Therles die frühere Veränderung vom primären Äquator aus, eben unter V^erschiebung der sichtbar gewordenen Niveaulinie a, voll- kommen rückgängig gemacht worden ist und die gewöhnliche Oxydbildung stattgefunden hat.

Beim Abwischen verliert dies aus drei ursprünglich ver- schiedenen Theilen gebildete Stück des secundären negativen Polfeldes seine schwarze Bedeckung. Das übrige Stück des secundären negativen Polfeldes, der Zwickel dagegen, ist nicht schwarz, sondern bloss braunroth geworden; an ihm findet sich das Oxyd an früherem Kupferniederschlag. Es finden noch manche andere Besonderheiten bei aufeinanderfolgenden Durch- strömungen in verschiedenen Richtungen statt, welche Zeichen erst allmäliger Umarbeitungen aus den früheren Polfeldern in die der neuen Richtung ensprechenden sind; doch würde ihre Mittheilung über unser jetziges Ziel hinausgehen. Dieselben sind ausgeprägter, wenn die primäre Durchströmung längere Zeit gedauert, also kräftigere Veränderungen hervorgebracht hat. Die blank bleibende Linie a entsteht dadurch, dass der zwischen dem primären positiven Polfeld und dem neuen, auf dem pri- mären Äquator sich anlegenden negativen Polfeld liegende Theil weniger verändert wird als der übrige Theil des Äquators; aber wir sind nicht in der Lage zu unterscheiden, ob dieser Theil infolge dieser einem Äquator entsprechenden Lagerung sich so verhält, oder ob er schon von der ersten Durchströmung her an sich weniger veränderlich ist, denn auch für letztes haben wir in unseren Experimenten Analogien gefunden. Da diese blanke Stelle aber wandert, und zwar auf das früher positive Polfeld hin, also unter Rüökbildurig des positiven Niederschlages, so bezeichnet es, dass vom primären Äquator aus unter Einwirkung des sogenannten Stromaustrittes eine solche Rückbildung sich

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ausbreitet, der dann die typische Oxydbildung nachfolgt und dass zwischen beiden Gebieten eine gewisse Strecke frei bleibt, an welcher also die Bedingungen zur Oxydation fehlen wie bei einem Äquator, und wohl auch aus demselben Grunde, da hier wieder positives und negatives Polfeld einander gegenüber- stehen, so dass also die erstere obenerwähnte Möglichkeit hier wegfallt, während zugleich im ganzen jetzt negativ gelagerten Theil des ursprünglich positiven Polfeldes auch schon Verände- rungen vom Charakter eines negativen Polfeldes vor sich gehen.

Wenn Kupferdraht in einprocentiger Kochsalzlösung mit einem intermittirenden Gleichstrom so lange durchströmt wird, dass die Flüssigkeit siedet, läuft, entsprechend dem schon für den Wechselstrom mitgetheilten Verhalten, der Äquator trüb an, mit Ausnahme seiner beiden Randlinien, welche also wieder besonders beschaffene, weniger veränderliche Niveau- linien darstellen.

Für die Ableitung der im Wechselstrom beobach- teten Erscheinungen aus denen des Gleichstroms sind zunächst zwei Fälle zu unterscheiden: Erstens die Fälle, in denen beim Gleichstrom, infolge der specifischen Natur oder in- folge geringer Stromstärke, kein Polfeld die Mitte über- schreitet; dann können sich die Wirkungen beider entgegen- gesetzt gerichteten Ströme innerhalb jeder Seite und an jedem Ort aufeinandersetzen. Da schon beim Gleichstrom die Polfelder verschiedene Zonen hatten, so werden diese Verhältnisse ziem- lich complicirt sein, und wir sehen davon ab, sie im Einzelnen zu verfolgen, zumal da an unseren lebenden Objecten keine entsprechenden zonalen Erscheinungen aufgetreten sind. Uns interessirt daher allein noch die Localisation des Äquators und die Erscheinungen an den Niveaulinien. Da beide Polfelder im Gleichstrom gewöhnlich ungleich gross sind, der Äquator also nicht in der Mitte liegt, so gibt es bei entsprechendem Wechsel- strom einen mittleren Äquatorabschnitt, der für beide Strom- richtungen reiner Äquator ist, also auch im Wechselstrom un- verändert bleiben wird, und daneben einen Saum, der je nach der Stromrichtung bald Äquator, bald Rand des grösseren Pol- feldes ist. In diesem Bereiche ist natürlich eine andere Wirkung zu erwarten.

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Überschreitet zweitens ein Polfeld im Gleichstrom die Mittellinie, so müsste bei entsprechendem Wechselstrom eine mittlere Zone entstehen, in der bei jeder von beiden Strom- richtungen dies Polfeld vorhanden ist, wo die Veränderungen sich also steigern, so dass in der Mitte somit kein Äquator wäre. Daneben käme dann wieder jederseits eine Zone, wo abwech- selnd der Äquator und das grössere Polfeld sich finden, so dass hier eine Stelle geringerer Veränderung vorhanden wäre. Dar- auf folgt nach aussen ein dritter Abschnitt von der Grösse des kleineren Polfeldes im Gleichstrom, wo immer Polfelder- veränderung stattfindet, abwechselnd positive oder negative; dass sich diese aufeinandergesetzten positiven und negativen Veränderungen nicht aufheben, haben wir gesehen, da wir kräf- tige, mit der Durchströmungsdauer sich steigernde Verände- rungen an dieser Stelle erhalten haben. Es muss fraglich er- scheinen und bleiben, ob auf diese Weise diejenigen Fälle zu erklären sind, in denen wir einen veränderten Äquator von zwei Zonen geringerer Veränderung eingefasst erhielten, da ich keine Versuche gemacht habe, um die Richtigkeit dieser Ableitungen zu prüfen.

Ähnliches geschieht auch ohne Sieden, und zwar viel deut- licher, wenn der Salzlösung eine Spur Salzsäure zugesetzt war. Dann erhält man mitten im Äquator zwei dunkle Linien, die durch eine hellere getrennt sind.

Weiterhin prüfte ich noch an Metallmodellen direct das Verhalten der Formen einiger früher durchströmter, compli- cirter gestalteter organischer Gebilde.

Bezüglich der Morula wurde eine aus einer Bim geschnit- tene oder aus Wachs gebildete und mit 10 halbkreisförmig vor- springenden, einander fast berührenden Vorvvölbungen ver- sehene Scheibe mit sogenanntem Silberblatt überzogen und durchströmt; diese reagirte, wie schon aus dem früher Mitge- theilten sich ergibt, als Ganzes mit Bildung zweier Polfelder und eines Äquators, nicht aber jeder Buckel für sich. Nur wurden wieder wie bei dem Stern aus Blei zuerst die direct bestrahlten, später erst die der nächstgelegenen Elektrode abgewendeten Theile der Buckel verändert, und erst bei längerer Durchströ- mung findet auch eine Veränderung in der Tiefe der F'urchen

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zwischen den im Bereiche der Polfelder gelagerten Buckeln statt, zuletzt an den mehr seitlich dem Äquator nahen, also schwächer bestrahlten und zugleich mehr in Schattenrichtung liegenden Furchen.

Diese Reaction als Ganzes entspricht also der Reaction der durch Carbolsäure geschwächten Morula.

Beklebt man bloss die gewölbte Seite jedes Buckels mit einem besonderen Stückchen Silberblatt, welches dasderNachbar-

schaft nicht berührt, so erhält beim Durchströmen jede Vorwöl- bung auf dieser Aussenfläche zwei durch einen Äquator getrennte Polfelder. Dies entspricht nicht dem Verhalten der lebenskräftigen Morula, deren Zellen, von denen der Äquator- gegend des Eies abgesehen, aussen bloss ein einziges Polfeld zeigten. Wird jedoch ausser der freien convexen Fläche der Vorwölbung auch noch ein jeder Vorwölbung zugehöriges Stück der grossen Seitenfläche der Scheibe mit Stanniol be- klebt, so entsteht ein Polarisationsbild, welche an den convexen Flächen dem der lebenskräftigen Morula fast vollständig gleicht. Jeder Abschnitt hat wieder zwei Polfelder, von denen aber an den demPolbezirk zugehörigen Theilen das eine auf die grosse Seitenfläche (also ins Innere der Morula) fällt und daher an der Morula von aussen nicht sichtbar sein würde, so dass man von aussen bloss ein einziges Polfeld und den Äquator wahrnimmt. Aber an den mehr lateralen Abschnitten kommen wieder zwei Polfelder aussen zum Vorschein, was bei der Morula bloss an den direct am elektrischen Äquator des Ganzen gelegenen Zellen der Fall war. Es fehlt hier aber auch der Schatten durch die bei der kugeligen Morula vorhandenen Nachbarzellen.

Um die Wirkung der Gestalt der noch complicirter ge- formten Embryonen direct zu prüfen, schnitt ich das Nach- bild eines schon mit Kiemenhöckern versehenen Embr^'o aus einem Stückchen Blei. Nach kurz dauernder Durchströmung desselben in verschiedenen Richtungen zeigten sich die früher an den Froschembryonen beobachteten Gestalten des Äquators. Bei etwas länger dauernden Durchströmungen entstanden dagegen durch das Schwinden des Schattens bedingte Abweichungen.

Bisher wurden Metalle in Flüssigkeiten, also vielmal besser als der Elektrol vt leitende Substanzen durchströmt und die Locali-

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sation der Polfelder, also des Stromfädeneinfalles und -Austrittes studirt Die von uns untersuchten organischen Körper dagegen leiten millionenmal schlechter als Metalle; nach meinen rohen, mit Hilfe des wenig empfindlichen Galvanoskopes und bloss mit polarisirbaren Elektroden angestellten Versuchen schätzte ich das Leitungsvermögen der Froscheier etwa gleich dem der 7$' procentigen Kochsalzlösung. Da wir Eier und Embryonen auch in besser als sie selber leitenden Flüssigkeiten, in stärkerer Kochsalzlösung und in Schwefelsäurelösung untersucht haben, so wollte ich auch das Verhalten von anorganischen Körpern in besser als sie leitenden Elektrolyten direct prüfen.

Zu diesem Zwecke machte ich Kugeln aus mit Wasser zubereitetem Mehl teig, wälzte sie, um sie reactionsfähig zu machen, in Messingfeilspähnen und durchströmte in 4% Koch- salzlösung. Bei Anwendung des Wechselstroms erhielt eineKugel von 19 ww Durchmesser, wie erwartet, Andeutungen eines schwärzlichen Äquators, und zwar von 11 mm Breite, in VtVo Kochsalzlösung von bloss 6 mm Breite; jedoch war die Schwärzung bloss oben und unten, als an den durch die nahen Abgrenzungen des Feldes besonders begünstigten Stellen, gut ausgeprägt und scharf contourirt. Die Pole dagegen blieben un- verändert

Einen vollkommen ausgebildeten schwarzen Äquator er- hält man, wenn man eine mit Messingspähnen betupfte Wachs- kugel durchströmt; solche Kugel wird richtig äquatorisirt statt polarisirt. Dieser Äquator bestand aus 6 8 parallelen ring- förmigen, aber nicht continuirlich ringsherum gehenden schwarzen Streifen von verschiedener Breite, die durch gelb ge- bliebene, breitere oder schmälere Ringstreifen getrennt sind. Erstere bestehen meist aus Gruppen von Messingspähnen, von welchen jeder zwei schwarze Polfelder und einen gelben Äquator hat. Manchmal findet man auch Spähne ganz schwarz gefärbt; diese standen wohl mit anderen in leitender Berührung, so dass nicht jeder für sich Polfelder und Äquator bilden konnte. Eine mit einem Goldblättchen überzogene Wachskugel bildet da- gegen natürlich wieder veränderte Polfelder bei unverändertem Äquator. Wird die mit Messingspähnen bestreute Wachskugel mit dem Gleichstrom behandelt, so entstehen am Äquator un-

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mittelbar nebeneinander zwei verschiedene Zonen, gegen die Anode hin eine schwärzliche, gegen die Kathode eine gelblich- grüne, so dass also der beim Wechselstrom gleichartige Äquator jetzt, entsprechend der Verschiedenheit der Anode und Kathode, durch zwei veränderte Äquatoren vertreten wird.

Um auch Körper, welche nur wenig besser leiten als die Flüssigkeit, zu prüfen, wurde Mehl mit löprocentiger, noch mit Kochsalz und Glaubersalz versetzter Schwefelsäure angerührt und die daraus gebildete, mit Messingspänen be- streute Kugel bis zum Sieden in Wasser durchströmt, welchem ein wenig halbprocentiger Kochsalzlösung zugesetzt war, weil sonst der Strom zu schwach war, um eine deutlich begrenzte Reaction zu veranlassen; es entstanden, wie zu erwarten, nur kleine schwärzliche Polfelder.

Wenn Körper von verschiedenem Leitungsver- mögen sich berührend umschliessen, so muss je nach der positiven oder negativen Differenz des Leitungsvermögens des inneren Körpers gegen den äusseren und dieses gegen den Elektrolyten an der Grenzschicht derselben eine verschieden gelagerte Reaction erfolgen.

Dieses darzustellen, machte ich eine oberflächlich mit Messingspänen versehene Wurst aus mit Wasser angerührtem Mehlteig, und umgab sie mit einer Schicht von schwefelsaurem Teig, der aussen gleichfalls mit Messingspänen bestreut ward. Bei querem Durchströmen in Wasser mit wenig Kochsalz ent- standen aussen am schwefelsauren Teig schwarze Polfelder, innen an dem Wasserteig ein schwarzer Äquator, und die in ihrer Lage den äusseren Polfeldern entsprechenden Polseiten blieben unverändert. Wurde umgekehrt eine Messingkugel (von 25 mm) mit Wasserteig umgeben bis zur Grösse einer Kugel von \2'mm, diese mit Messingspänen bestreut und in 27o Kochsalzlösung durchströmt, so entstand aussen natürlich wieder ein schwarz geringelter Äquator bei unveränderten Polseiten, während die umschlossene Messingkugel grüne Polfelder und einen unveränderten Äquator darbot, welch letzterer in seiner Lage natürlich dem äusseren schwarzen Äquator entsprach.

Die Ursache der so specifisch localisirten Veränderungen am metallischen Intraelektrolyten wird zweifellos wesentlich in

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dem entsprechend localisirten Ein- und Austritt von Stromfäden bestehen. Immerhin aber haben wir mehrfache Verhältnisse kennen gelernt, welche nicht von dieser Annahme sich ableiten lassen. Es ist klar, dass gegen die Polenden eines Intraelektro- lyten, welcher besser leitet als der Elektrolyt, die Stromfaden wie aspirirt convergiren müssen, um so mehr, je grösser diese Leitungsdiflferenz ist, und zwar gegen die der betreffenden Elek- trodenächsten Theile in stärkerem Maasse, als gegen die von der Elektrode entfernteren Theile des Intraelektrolyten, und dass daher in der Mitte der, in mittlerer Stromrichtung gemessenen, Länge des Gebildes eine Stelle geringsten Stromeinfalles vor- handen ist. Trotzdem müssen jedoch auch an letzterer Stelle Stronnfaden einfallen, respective austreten, und diese Stelle müsste daher bei längerer Durchströmung verändert werden, da, entgegen Farad ay's früheren Angaben, festgestellt worden ist, dass auch der schwächste galvanische Strom Elektrolyse hervorbringt, sofern keine elektromotorische Eigenkraft wirk- sam ist Die Polfelder müssten ferner gegen diese Stelle hin stetig an Intensität der Veränderung abnehmen, so dass eine schroffe Grenze des Polfeldes nicht existirte. Statt dessen haben wir, zum Beispiel beim Kupfer einen blank bleibenden Äquator erhalten, der ohne Übergang durch eine stark veränderte Schicht begrenzt ward.

Dies würde sich beim Gleichstrom ohne Weiteres durch den von Roiti und Volterra angenommenen negativen Polari- sationsstrom erklären, welcher durch die Flüssigkeit über den Äquator weg circulirt, und diejenigen Stromtheile, die nicht stärker sind als er selber, vernichtet. Auch bei Anwen- dung des Wechselstromes lässt sich dieselbe Erklärung anwenden; denn während jeder Phase ist er ein Gleichstrom, der durch die bewirkten beiderseitigen polaren Veränderungen einen negativen Polarisationsstrom hervorruft, der nur eben mit dem primären Strom seine Richtung wechselt, aber sich immer von ihm subtrahirt

Wir haben aber auch Erscheinungen kennen gelernt, vvelcheauf diese Weise nicht zu erklären sind, zum Beispiel die beim Durchströmen von Blei in halbprocentiger Kochsalzlösung beobachtete Thatsache, dass das negative Polfeld nicht conti-

Sitzb. d. mathcm.-naturw. GL ; CI. Bd. Ahth. III. 1 2

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nuirlich ist, sondern dass ihm eine Linie besonderer Verände- rung vorausgeht, welche vom Hauptpoifeid längere Zeit durch eine unveränderte Zone getrennt ist, so dass zwei blanke Stellen (zwei Äquatoren?) vorhanden sind; ferner dass gewöhn- lich nur das kathodische Polfeld eine schroffe Grenze hat, während das anodische Polfeld allmälig gegen den Äquator ausläuft. Dessgleichen die Beobachtung, dass an sehr dünnen querdurchströmten Metallplatten der Äquator bei schwachem Strom schmaler wird als bei starkem Strom, während sich an in der Stromrichtung ausgedehnteren Metallkörpern dieses Verhältnis umkehrt. Dies weist darauf hin, dass noch andere Momente, darunter auch formale Verhältnisse, eine erhebliche Rolle mit spielen, dass also die Sachlage eine erheblich compli- cirtere ist. Hierauf deuten auch die bei einer zweiten, in anderer Richtung erfolgenden Durchströmung, selbst bei Anwendung des Wechselstromes unverändert bleibenden Niveaulinien der ersten Durchströmung hin. Andererseits kann im Sinne des Polarisationsstromes das Zurückweichen des zuerst entstandenen grossen negativen Polfeldes beim Auftreten des positiven Pol- feldes gedeutet werden. Als Nichtfachmann, und um mich nicht zu sehr in ein mir ferner stehendes Thema zu vertiefen, nahm ich Abstand davon, die Aufklärung dieser Verhältnisse zu versuchen.

Ich wünschte aber wenigstens ein eigenes Urtheil über den Verlauf der Stromfäden zu gewinnen, besonders dess- halb, weil wir vielfach dieselben Localisationen der polaren Ver- änderungen wie an Metallen auch an organischen Gebilden, welche kaum oder nicht besser leiten als der Elektrolyt, beobachtet haben. In Ermangelung eines geeigneten Galvanometers konnte ich die Niveauflächen nicht durch Einsetzen der Drahtenden aufsuchen, was auch bei unseren Verhältnissen äusserst mühsam gewesen wäre. Ich verwandte daher die Beobachtung, dass der Äquator von intraelektrolytär durchströmten Kugeln die Richtung der Niveauflächen der betreffenden Stelle des die Kugel umgebenden Feldes annimmt, also eine directe Construction des recht- winkelig zu ihm erfolgenden Verlaufes des mittleren Stromfadens, auch für den Fall der Abwesenheit dieser Kugeln gestattet.

Umgibt man einen geraden, in der Verbindungsrichtung der Elektrode liegenden Bleistab mit mehreren Reihen von

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2bntm grossen, im Abstand eines Radius oder darüber auf- gesetzten Messingkugeln, so erhält man beim Durchströmen in halbprocentiger Kochsalzlösung mit dem Wechselstrom rasch ein klares Bild über den Gang der Stromfaden, wie es zum Beispiel in Fig. 23 dargestellt ist.

Man ersieht, dass gegen die beiden Polenden und die anliegenden Theile Stromfaden weit von der Seite her conver- giren, so dass sie an den Enden sehr dicht stehen müssen und an den Seiten fast senkrecht zur Oberfläche des Intra- elektrolyten eintreten. Gegen die Mitte des Stabes zu nimmt die Dichtigkeit der Stromfaden und ihr Einfallswinkel ab; und neben der Mitte selber zeigt die daselbst befindliche Kugel nach lange fortgesetzter Durchströmung an, dass die spärlichen Stromfaden hier der Oberfläche parallel verlaufen; aber die Contouren der Polfelder bekunden, dass diese Stromfäden von aussen her gekommene, gegen den Intraelektroly ten eingebogene, aber ihn nicht erreichende sind, und auch gleich wieder sich nach aussen abbiegen. Beim Blei ist der Äquator sehr klein: und man kann daher hier am geraden Stabe nicht erkennen, ob auf ihn selber Stromfaden einfallen.

Um dies beurtheilen zu können, eignet sich besser ein Kupferdraht, der in dem gleichen Elektrolyten durchströmt wird. Man sieht daselbst an den Kugeln, welche neben dem breiten Äquator stehen, der sich in der Mitte etwas verdunkelt und an den beiden Seiten zu frischer Kupferfarbe aufhellt, dass Stromfaden auch in den breiten hellen Theil einfallen müssen. Da bei diesem Metall die Polfelder unmittelbar neben dem Äquator sogleich stark verändert sind, deutet dies schon an, dass hier ein kräftigerer Polarisationsstrom zwischen den Polfeldern bestehen muss als bei den ganz allmälig gegen den Äquator schwächer werdenden, und mit kaum deutlich wahrnehmbarer Grenze endenden Polfeldern des in Kochsalzlösung durch- strömten Bleies.

Darauf durchströmte ich unter gleichen Umständen einen Stanniolstreifen von 33 ium Länge (siehe F'ig. 24) in Glauber- salzlösung, welcher Streifen aber in der Mitte derart ge- bogen war, dass er einen rechtwinkelig zu ihm stehenden Vorsprung von 2*0 mm hatte. Die Kugeln zu beiden Seiten

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des letzteren bekamen erst nach sehr langem Durchströmen Polfelder, und zwar jede deren drei, ein äusseres, schräges zuführendes, ein kleines gegen den nächsten Theil des Balkens, und ein drittes, gegen den Vorsprung gewendetes, so dass diesem letzteren, sowie dem anstossenden, zwischen aa sich erstreckenden Äquator sicher Stromfäden zugeführt werden. Sie werden aber entweder zu schwach sein, um sichtbare Wirkung hervorzubringen, oder sie werden ganz durch den Polarisations- strom in ihrer Wirkung annullirt; da der durch Biegung des Stan- niolstreifens gebildete Vorsprung doppelte Wandung besitzt, zwischen welcher in der Mitte der Elektrolyt eingedrungen ist, muss der Polarisationsstrom auch den ganzen Vorsprung durch- setzen.

Schliesslich prüfte ich noch einen rechten Winkel aus Blei, dessen einer Schenkel in Niveauflächenrichtung steht, um zu sehen, wie sich die Stromfäden zu derjenigen Fläche des- selben verhalten, welche gegen den längs des Stromes gestellten Schenkel gewendet ist, und welche, wie oben mitgetheilt, bei der Durchströmung unverändert bleiben kann, sofern der Quer- schenkel nicht zu hoch im Verhältnisse zu dem anderen Schenkel und den sonstigen Verhältnissen ist. Hier, in Fig. 25, entstand, aber erst nach langem Durchströmen, ein ganz schwaches centrales Polfeld.

Die Figur zeigt durch die schmalen schwachen Polfelder der Kugel, dass gegen diese Fläche hin einige wenige Strom- fäden divergirend ausstrahlen; ferner ist aus den grossen dunklen Polfeldem der oberen Kugeln zu erkennen, dass ein dichter Zug von Stromfäden an der freien Kante des Quer- schenkels vorbei nach aussen abbiegt. Es ist interessant, aus welcher Ursache dies geschieht. Die rechtwinkelig anstossende schmale Seitenfläche ist stark verändert von der jenseitigen (linken) Elektrode aus; und wir haben früher gesehen, dass diese Veränderung sogar noch über die Seitenkante weg ein wenig auf die rechte Hauptfläche übergreifen kann. Warum aber bleibt diese grosse Fläche im Übrigen fast frei, unter Abbiegung eines von der anderen Elektrode herauf siegerichtetendichtenStromes.^ Es scheint mir desshalb, weil die links eintretenden Fäden nach dem Ohm'schen Gesetz grösstentheils durch den metallischen

Entwickelungsmechanik des Embryo. 181

Längsschenkel fortgeleitet werden, so dass nur ein kleiner Theil den Weg durch die Flüssigkeit nimmt, und der Polarisationsstrom, der über die Öffnung des Winkels zwischen beiden Polfeldern verläuft, vernichtet sie wohl grösstentheils. Man könnte nun fragen : Warum dringen aber nicht die von der rechten Elektrode ausgehenden dichten, gegen diese Fläche gerichteten Stromfaden in sie ein, sondern biegen plötzlich seitwärts ab? Wenn sie einen anderen Weg, als die von der anderen Elektrode ausgehenden Stromfaden nehmen könnten, würden sie dies wohl thun; da es nicht geschieht, scheint sich hier die Nothwendigkeit der Identität der Wege beider elektri- scher Ströme auszusprechen, sofern die dualistische Elektrici- tätstheorie die richtige ist; für die unitarische Theorie besteht diese Eventualität erst gar nicht.

Nach diesen Beobachtungen des Verlaufes der Strom- fäden im Wechselstrom konnte es überflüssig scheinen, denselben Versuch noch mit dem Gleichstrom zu wider- holen, denn es war vorauszusehen, dass der Verlauf derselben ganz der gleiche sei. Indess gewohnt, auch scheinbar selbst- verständlichen Ableitungen nicht eher zu trauen, als bis sie sich bewahrheitet haben, stellte ich einen Probeversuch an, und erhielt ein überraschend abweichendes Resultat, welches in Fig. 26 dargestellt ist. Von fünf, neben der in der Ver- bindungsrichtung der Elektrode stehenden Längskanten der Bleiplatte in annähernd gleichen Abständen aufgestellten Messingkugeln bildete beim Durchströmen in achtprocentiger, mit etwas verdünnter Schwefelsäure versetzter Kochsalzlösung die links an der Ecke des negativen Poles aufgestellte Kugel ein negatives, braunes Polfeld von einer Richtung seiner Grenze, welche bekundet, dass die Stromfäden gegen die Bleiplatte nur sehr wenig convergiren; das Polfeld der zweiten Kugel stand auch, aber noch weniger in dieser Weise schief; die dritte entwickelte ein kathodisches Polfeld von geringer Grösse mit rechtwinkelig zur Kante der Bleiplatte stehendem Grenzcontour, so dass also die Stromfaden hier parallel der Seitenkante der Bleiplatte verlaufen. Die vierte Kugel, welche schon neben dem positiven Polfelde liegt, hat nicht deutlich reagirt; die fünfte, neben dem Anfang des positiven Polfeldes liegende»

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hat ein deutliches negatives Polfeld, welches andeutet, dass die Stromfäden hier stark von der Seite her gegen den Stab convergiren. Die seitlich befindliche, zweite parallele Reihe von Kugeln, zeigt an, dass der Strom durch alle Kugeln unab- gelenkt in der Verbindungsrichtung der Elektroden verläuft

Das Resultat ist also ein wesentlich anderes als das mit dem Wechselstrom gewonnene. Die Stromfäden des Gleich- stromes convergiren nur äusserst weniggegen den kathodischen Theii des Bleistückes, obgleich das negative Polfeld weit über die Hälfte der. ganzen Platte einnimmt, und früher entsteht als das kleine positive Polfeld. Das Fehlen der Veränderung an den Kugeln neben dem Äquator und in der Nähe desselben kann auf den durch die Flüssigkeit geschlossenen Gegenstrom zurückgeführt werden.

Den abweichenden Verlauf der Stromfäden von demjenigen beim Wechselstrom vermuthete ich dadurch bedingt, dass das kathodische Polfeld sehr schlecht leitet, was sich um so mehr geltend machen musste, als die Messingkugeln im Gleichstrom nur schwach reagirten. Dadurch wurde lange fortgesetztes Durchströmen nöthig, um deutlich abgegrenzte Polfelder hervorzubringen, während dessen auch der Polfeldbelag des Bleistückes ein ziemlich dicker wurde. Unsere Beobachtung stellt also nicht den Verlauf der Stromfäden gegen das blanke Metall, sondern nur das Verhalten gegen die stark veränderten Polfelder fest.

Um die Wirkung der kathodischen Veränderimg auf den Stromeintritt vielleicht abschwächend zu variiren, bog ich aus einem Platin blech ein Kästchen zusammen, und legte es statt der Bleiplatte in den Strom. Jetzt zeigten die Messing- kugeln, welche neben die, wieder in Richtung der Verbindungs- linie der Elektroden gelegene, Seitenkante aufgesetzt worden waren, durch die Richtung ihres kathodischen Polfeldes einen etwas stärkeren Stromfädeneintritt von der Seite her an, aber nur nahe an den Polkanten und immer noch mit viel geringerer Conv-ergenz von den Seiten her gegen das Metall als bei dem zum Vergleiche hinterher vorgenommenen Durchleiten des (allerdings mindestens dreimal stärkeren) Wechselstromes. Zwischen den längs der Mitte aufgestellten Kugeln läuft

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der Gleichstrom wieder parallel der Seitenkante des Intra- elektrolyten und erfahrt selbst neben dem Äquator des Platins keine so erhebliche Abschwächung wie beim Blei im Gleich- strom. Dagegen boten beim Durchströmen eines Messing- balkens in Kochsalzlösung mit dem Gleichstrom die längs der Kante aufgestellten Messingkugeln eine Neigung ihrer Äquatoren gegen den Balken dar, welche auf einen ebenso ausgedehnten seitlichen Eintritt von Stromfäden hinweist, wie wir ihn gegen einen Kupferdraht im Wechselstrom gesehen haben.

Da die Leitungsdififerenz zwischen Elektrolyt und Intra- elektrolyt auf den Verlauf der Stromfäden im ersteren von grossem Einfluss ist, und da die organischen Körper millionenmal schlechter leiten als Metalle, so wollte ich den Verlauf der Stromfaden in der Nähe letzterer direct feststellen. In Ermangelung embryonalen Materiales von geeigneter Grösse konnte ich zur Zeit nur Organe des Erwachsenen verwenden. Ich umstellte daher ein in Wasserleitungswasser liegendes Froschherz seitlich zur Stromrichtung mit kleinen Messing- kugeln, s. Fig. 27, und durchströmte mit dem Wechselstrom. Die zwischen den entstehenden Polfeldern jeder Kugel ver- bleibenden Äquatoren boten einige Besonderheiten dar, aber im Ganzen verschmälerten sie sich gegen das Herz hin, ein Beweis, dass von der Seite her Stromfaden in das Herz ein- dringen. Wurde der Versuch dagegen in halbprocentiger Kochsalzlösung angestellt, so divergirten die Aquatorränder gegen das Herz hin, was bekundet, dass die Stromfaden dem Herzen ausweichen, dass also das Menstruum besser leitet als das Herz.

An den neben einem Herzen, welches in fünf- oder zehn- procentiger Kochsalzlösung durchströmt wurde, liegenden Messingkugeln bog sich der Äquator (Fig. 28) in einer Weise ab, welche noch viel stärker zeigt, wie die Stromfäden dem Herzen ausweichen.

Die neben einer Gallenblase desFrosches in den gleichen Medien liegenden Messingkugeln zeigten dasselbe Verhalten als beim Herzen (siehe Fig. 29 und 30j. Da beide Gebilde auch in dem viel besser leitenden Medium, wie wir oben erfahren

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haben, beim Durchströmen polarisirt, statt äquatorisirt wurden, so beweist dies, dass die örtliche und gestaltliche Disposition ein erheblich schlechteres Leitungsvermögen bei diesem Vorgang zu übercompensiren vermag; demnach ist es auch nichts Besonderes mehr, dass die Froscheier selbst in verdünnter Schwefelsäure veränderte Polfelder statt eines veränderten Äquators gebildet haben, wie wir ihn indess an der mit Messingspänen bestreuten nichtleitenden Wachskugel sehr ausgeprägt und an der Mehlteigkugel, bei welcher also wohl die Leitungsdifferenz auch noch grösser war, angedeutet erhalten haben.

Als dann die Herbstfrösche ihre Eier für das nächste Früh- jahr gebildet hatten, prüfte ich das Leitungsvermögen der unreifen Eier auf die gleiche Weise, indem unmittelbar neben ein längliches Stückchen Eierstock die Messingkugeln auf- gestellt wurden. Bestand das Menstruum in Wasserleitungs- wasser, so war eine deutliche Convergenz seitlicher Stromfäden gegen den Intraelektrolyten aus der schiefen Stellung der Kugel- äquatoren zu erschliessen; diente dagegen 0'2procentige Koch- salzlösung als Elektrolyt, so gingen die seitlichen Stromfaden parallel unabgelenkt am Eierstock vorbei. Dies ist von Bedeu- tung, da wir in diesem Menstruum die starke Schattenwirkung der Eierstockgruppen auf einander bei Anwendung des Gleich- stromes erhalten hatten. Damit fällt die Möglichkeit hin, dass diese Schattenwirkung auf Aspiration und Vorwegnahme der Stromfäden durch die den Elektroden näheren Eier bedingt gewesen sei, worüber sogleich des Weiteren erörtert werden soll.

Zum Schlüsse dieses Abschnittes wollte ich noch die bei Hühnerembryonen und Froscheiern im Gleichstrom beob- achtete, höchst auffällige Abnahme der Wirkung im elek- trischen Felde mit dem Abstände von den Elektroden bei gleich bleibendem Querschnitt der Strombahn auch am Metall prüfen. Ich legte daher in eine oblonge, der Länge nach zu durchströmende Schale in Stromrichtung 6 Messingkugeln von Itttni Durchmesser im Abstände von 06 0'8 mm von einander. Beim Durchströmen ergab sich ein dem der Hühnerembryonen zum Theil entsprechendes Resultat Sowohl die anodischen als die kathodischen Wirkungen nahmen,

Entwickelungsmechanik des Embryo. 185

von der Anode aus gerechnet, von der ersten bis vierten oder fünften Kugel ab, um an der letzten Kugel, also neben der Kathode eine plötzliche Verstärkung zu erfahren. Die Flächen- ausdehnung der kathodischen, oxydirten Polfelder entsprach diesem Verhalten nicht ganz, denn die mittleren, weniger ver- änderten, allerdings auch weniger deutlich begrenzten Polfelder schienen eher etwas ausgedehnter als das erste; dagegen war das Polfeld der letzten Kugel trotz seiner intensiven Verände- ning sehr klein. Bei den anodischen Bläschen bildenden Pol- feldern nahm, entsprechend der Intensität, also der in Zeit- einheit von ihm aufsteigenden, Bläschen auch die Ausdehnung des ganzen Feldes von der ersten bis vierten oder fünften Kugel ab; die letzte, der Kathode nächste Kugel dagegen hatte wieder ein Bläschenfeld von fast der Grösse des ersten, welches aber deutlich weniger Bläschen aufsteigen Hess als jenes.

Bei der Beurtheilung dieses Versuches sind verschiedene Momente zu berücksichtigen. Die Kugeln standen in Strom- richtung hintereinander, so dass sie sich beschatten konnten; femer waren sie derart einander genähert, dass die Verbin- dungslinie der Kugeln erheblich besser leiten musste, als die rein durch den Elektrolyten gehenden Bahnen neben ihnen. Ausserdem waren die beiden Endkugeln der langen Reihe bloss noch um Kugelbreite von den Elektroden entfernt und konnten daher von den daselbst abgeschiedenen Jonen direct chemisch oder durch den zwischen ihnen und dem zugewendeten Polfeld der nächsten Kugel entstehenden Polarisationsstrom erheblich beeinflusst werden. Schliesslich war auch die bloss 2bmm breite Strombahn im Verhältniss zu der 60 wm langen Kugel- reihe sehr klein. Daher ordnete ich den Versuch einfacher an, unter Verwendung von bloss 3 Kugeln.

Wurden die drei Kugeln in der Mittellinie derselben Glas- schale im Abstand von über zwei Kugeldurchmessern aufge- stellt, so trat aus zahlreichen Versuchen hervor, dass das anodische, mit Bläschen bedeckte Pol feld der Kugeln vonder Anode aus etwas an Grösse abnimmt, beson- dersaber, dass die Zahl der aufsteigenden Bläschen in dieser Richtung abnimmt, so dass an einer Abnahme der Stromwirkung mit dem Abstände von der

186 W. Roux,

Anode trotz des allenthalben gleich grossen Quer- schnittes der Strom bahn bei dieser Versuchsanordnung nicht zu zweifeln ist, wenn auch der Unterschied bei Weitem nicht so stark hervortritt, als er bei den Hühnerembryonen und Froscheiern sich zeigte.

Die Stromstärke musste bei dieser Anordnung, um die Zahl der aufsteigenden Bläschen gut vergleichen zu können, so gering genommen werden, dass das kathodische Polfeld nur aus einem schwachen, noch wenig scharf begrenzten Beschlag bestand, wesshalb die Grössen desselben an den drei Kugeln nicht genau genug bestimmt werden konnten, um einen sicheren Vergleich zu gestatten.

Überhaupt sind die einzelnen, sich oft widersprechenden Ergebnisse dieser scheinbar einfachen Versuche infolge des ungleichen speciftschen Verhaltens auch der in gleicher Weise frisch geputzten Messingkugeln nicht ohne besondere Vor- sichtsmaassregeln zu deuten. Ich habe daher obiges Resultat erst als gesichert betrachtet, nachdem ich jede der drei Kugeln nach einander an alle drei Plätze situirt und ihr Verhalten untereinander, wie mit dem Verhalten der andern Kugeln am selben Orte verglichen und diese Versuchsweise an zweimal drei weiteren Kugeln mit anscheinend demselben Erfolg wieder- holt hatte.

Um die Wirkung der an den Elektroden abgeschiedenen Jonen möglichst abzuschwächen, wurde zu jedem Versuche frische Lösung genommen, und um ihre Ausbreitung durch Massenbewegung zu vermindern, wurde jede Elektrode mit einer dreifachen Hülle von Filtrirpapier umgeben. Einfacher ist es, der Lösung einige Tropfen Schwefelsäure zuzusetzen (wonach die Flüssigkeit klar bleibt), und während des Versuches ab- wechselnd die Flüssigkeit in der Nähe der einen Elektrode auf- zusaugen und neben der anderen Elektrode wieder zuzusetzen.

Drei Bleikugeln schienen bei gleicher Anordnung, aber weniger deutlich, dasselbe Resultat zu ergeben.

Stehen die drei Messingkugeln in der Stromrichtung einander auf 0'6mm genähert, so bildet die der Anode nächste Kugel mehr Blasen als die der Kathode nähere; am wenigsten, respective gar keine jedoch die mittlere Kugel.

Entwickelungsmechanik des Embryo. 187

Von besonderer Wichtigkeit war es nun, zu erfahren, ob auch bei derartig schräger Anordnung der drei in grossem Ab- stände hintereinander liegenden Kugeln, dass sie sich möglichst wenig beschatten können, diese bei reiner Hintereinanderlagerung beobachtete Abnahme der anodischen Polfeldbildung mit der Entfernung von der Anode noch bestehen bleibt oder aufhört.

Zu diesem Zwecke wurde die eine der drei Kugeln in die Mitte der oblongen Strombahn, eine andere nahe der Anode und der einen seitlichen Glaswand, die dritte nahe der Kathode und der anderen seitlichen Wand aufgesetzt. Nach mehrfachen an- fangs gleichfalls sich widersprechenden Versuchen bin ich durch die Umstellungsmethode zu dem Resultat gekommen, dass auch hierbei die Abnahme der anodischen Wirkung mit der Entfernung von der Anode stattfindet, so dass also eine Schattenwirkung nicht wesentlich betheiligt ist.

Diese Abnahme der anodischen polarisirenden Wirkung descontinuirlich fliessenden Gleichstromes in einem elektrolytischen Feld von allenthalben gleichem Quer- schnitt auf mehrere Intraelektrolyten mit dem Abstände der- selben von der Anode muss demnach ihre Ursache in einer durch den Gleichstrom bewirkten ungleichen Beschaffen- heit der elektrolytischen Strombahn selber haben.

Dieses eigenthümliche Verhalten, sowie der beobachtete, von dem des Wechselstromes abweichende Verlauf der Stromlinien des Gleichstroms gegen manche Intraelektrolyten veranlassten mich, zu prüfen, ob nicht vielleicht die Stromlinien im homogenen elektrischen Felde beim Gleichstrom sich ceteris paribus anders vertheilen, als beim Wechselstrom. Es wurden daher in eine runde Schale, ringsum nahe dem Rande sowie inmitten, kleine Messingkugeln vertheiltund von zwei entgegengesetzten Punkten des Randes aus die stark mit Schwefelsäure versetzte Glauber- salzlösung mit Hilfe von Nadelelektroden durchströmt. Es zeigte sich aber kein Unterschied in den durch die Äquatorränder der Kugeln markirten Curven von denen beim Wechselstrom.

Die Abnahme der Stromwirkung innerhalb der Strombahn bei gleichbleibendem Querschnitt derselben widerspricht an- scheinend dem Fechner'schen Gesetz, dass in allen Quer- .schnitten einer Strombahn die Stromstärke gleich gross ist.

188 W. Roux,

Um der Ursache dieses Verhaltens näher zu kommen wollte ich mich zunächst durch Messung von dem Verlauf des PotentialgeföUes in der ganzen elektrolytischen Bahn unter- richten. Zu diesem Zwecke wurden an das Horizontal-Galvano- meter zwei Elektroden von Platindraht angeschlossen. Die Enden dieser wurden in gleicher Länge rechtwinkelig abge- knickt und im Abstand von 10 mm durch eine Korkplatte ge- steckt; um den Parallelismus und damit den bei allen Messungen Constanten Abstand dieser Enden möglichst zu sichern, wurde noch zwischen die Handhaben beider Elektroden eine Kork- platte von geeigneter Dicke gelegt und die Elektroden durch Zusammenbinden nochmals gegen einander befestigt. Diese beiden Enden des Nebenkreises wurden stets in Richtung der mittleren Verbindungslinien der Elektroden des Hauptstromes eingesetzt und zwar der Gleichmässigkeit wegen bis auf den Boden der oblongen Glasschale, bei geringem, bloss 2 mm betragenden Flüssigkeitsstande.

Bei Anwendung der breiten, platten Platinelektroden für den Hauptstrom, welche auch bei den Versuchen an Embryonen gedient hatten, sowie der Platinnadelelektroden für den Mess- kreis, ergaben sich nun folgende Verhältnisse, welche constant hervortraten, sofern die Vorsicht angewendet wurde, die Mess- elektroden nach jeder Anwendung in einer Schale mit halbpro- centiger Kochsalzlösung durch Eintauchen abzuspülen. Halb- procentige Kochsalzlösung bildete auch den Elektrolyten.

Mit dem schwachen Gleichstrom von 6 Bunsen (mit schon gebrauchter Säure) zeigte sich bei momentaner, bloss so lang dauernder Durchströmung, bis die Magnetnadel das Maximum ihrer ersten Schwingung erreicht hatte, der Ausschlag an allen Stellen des Elektrolyten (von den Orten der unmittelbaren Nähe der Elektroden abgesehen) fast ganz gleich gross, ent- sprechend dem anfänglichen Verhalten unter gleichen Um- ständen durchströmter, empfindlicher Froscheier; jedenfalls waren die Differenzen so gering, dass ihre eventuelle Gesetz- mässigkeit nicht festgestellt werden konnte. Nach auch nur wenige, etwa 10 Secunden dauernder, continuirlicher Durch- strömung dagegen stieg der Ausschlag beim Einsetzen neben der Anode erheblich höher und fiel von da allmälig gegen die

Entwickelungsmechanik des Embryo. 189

Kathode ab, neben welcher annähernd der ursprüngliche Werth bestehen blieb.

Bei Verwendung von 10 Bunsen-Elementen fand diese Steigerung so rasch statt, dass eine ursprüngliche Gleichheit im ganzen Elektrolyten nicht mehr feststellbar war; die Wirkung war schon bei der ersten Durchströmung während der Bildung des ersten Nadelausschlages neben der Anode viermal so gross als neben der Kathode und fiel von der Anode stetig ab. Ein Umrühren des Elektrolyten nach jeder Messung hatte keinen ausgleichenden Effect Eine Zeit lang stieg diese Erhöhung der Wirkung. Später aber trat allmälig neben der Anode ein deut- licher Abfall ein, und es entstand eine starke Steigerung der Wirkung zwischen der Anode und der Mitte des Gefässes, welche weiterhin bis fast an die Mitte fortschritt und die drei- fache Höhe des Ausschlages neben der Anode erreichte. Von diesem Gipfel fand nach beiden Seiten hin zunächst ein rascher, weiterhin ein allmälliger Abfall statt. Bei langfortgesetzter conti- nuirlicher Durchströmung konnte der Abfall an der Anode bis unter den, von vorn herein fast stabilen Werth neben der Kathode sinken und die erwähnte Erhöhung in der Mitte sich vergrössern, so dass sie das achtfache des Werthes an der Anode erreichte. Durch Umrühren des Elektrolyten wurde diese ganze Steigerung, sowie der Abfall an der Anode zum Ver- schwinden gebracht.

Zusatz von neutraler Lacmustinctur nebst einigen Tropfen Phenolphthallein Hess erkennen, dass die zuerst entstehende Steigerung in keiner Beziehung zu den freien an den Elektroden ausgeschiedenen Jonen stand; dass aber die secundäre Stei- gerung in der Nähe der Mitte dadurch bedingt war. Diese Steigerung tritt auf, wenn in grösserer Umgebung der Anode die Lackmustinctur entfärbt war; sie erreichte ihr Maximum, sobald diese Schicht der Anionen sich mit der rothen Schicht der Kationen berührte. Nach der Unterbrechung des primären Stromes zeigte das Galvanometer bei Messung an der Stelle des vorherigen Maximums einen nicht unerheblichen Ausschlag in der Richtung des primären Stromes von 1 Milliampere (gegen 60*0 Milliampere vorher beim Durchströmen); an den Elek- troden dagegen entstand ein entgegengesetzt gerichteter Aus-

190 W. Roux,

schlag, und zwar an der Anode von 0*3, vor der Kathode von O'o Milliampere.

War die Anode nicht von Platin, sondern von Kupfer, so blieb mit der Entfärbung der Lacmustinctur auch diese secun- däre Steigerung aus. War die Platinkathode erheblich schmaler als die Platinanode, so trat von vornherein, auch bei bloss momentaner Durchströmung, zwischen Anode und der Mitte des Feldes eine stärkere Erhöhung der Wirkung ein, als an der Anode selber; diese auffällige Erhöhung kann gleichfalls nicht durch die freien Jonen bedingt sein.

Die Werthe ferner, die man, sei es bei kurzer oder nach langer Durchströmung, erhält, wenn man eine der Messelek- troden in möglichst grosse Nähe einer Elektrode des primären vStromes, jedoch ohne sie zu berühren, setzt, sind vielmal grösser als die im Binnenraum des freien Feldes erhaltenen Werthe und fallen bei geringerer Vergrösserung des Abstandes rasch ab. Sie sind ausserdem natürlich auch noch von der Gestalt, respective Grösse dieser Elektroden abhängig: so neben einer dünnen Nadelelektrode mehrmals grösser als neben einer breiten Blattelektrode. In obigen Angaben bedeutet »neben« der Anode oder Kathode daher stets einen solchen Abstand der nahen Messelektrode von mindestens 2 mm.

DieMessungen wurden bisher unter Verwendung von Platin- elektroden, also von polarisirbarem Material, angestellt, und dabei ein der Wirkung des continuirlichen Gleichstromes auf die gleichfalls polarisirbaren Eier und Embryonen entsprechendes Verhalten wahrgenommen.

Für die Beurtheilung der Bedeutung der auffälligen Er- scheinung war es nöthig, zu wissen, ob sich diese Ungleich- heiten der Wirkung auch an unpolarisirbaren Elektroden bemerkbar machen würden. Da jedoch in Innsbruck kein Zink- draht zu erhalten war, musste ich Streifen Zinkblechs vom Klempner verwenden, die nicht aus ganz reinem Zink bestanden und daher wohl noch etwas polarisirt wurden. Auch mag die Anfertigung der Elektroden meinerseits selber mangelhaft gewesen sein.

Bei Anwendung dieser Elektroden als Elektroden des Mess- kreises blieb die im ersten Stadium beobachtete typische Un-

Entwickelungsmechanik des Embryo. 191

gleichheit der Wirkung, der Abfall von der Anode, aus; diejenige des zweiten Stadiums, also die Erhöhung an der Berührungs- stelle der Anionen und Kationen, war auf ein Viertel ihrer vor- herigen Grösse reducirt. Es ist also wohl zu vermuthen, dass sie ganz verschwunden sein würde, wenn die Elektroden voll- kommen unpolarisirbar gewesen wären.

Die Versuche wurden durch den etwas gewölbten Boden und die ungleiche Breite der Lichtung aller meiner oblongen Glasschalen, sowie durch den auch nicht vollkommen unver- änderlichen Abstand der Messelektroden erschwert; doch suchte ich, durch Variationen über die dadurch bedingten Fehler weg- zukommen.

Da die unpolarisirbaren Elektroden die erste typische Verschiedenheit der Wirkung im Stromgebiete nicht erkennen Hessen, so geht hen^'or, dass die bei Anwendung polarisirbaren Materiales beobachtete typische Abnahme der Wirkung innerhalb der elektrolytischen Bahn mit dem Abstände von der Anode bloss auf einer, an den verschiedenen Stellen ungleichen polarisirenden Wirkung des Elek- trolyten, nicht aber auf einer Verschiedenheit der Stromstärke beruht, wodurch wenigstens der scheinbare Widerstreit gegen das Fechner'sche Gesetz gehoben ist.

Bei den Froscheiern, welche nur relativ kurze Zeit durch- strömt worden waren, war diese erste typische Art der polari- sirenden Wirkung, insbesondere die starke Erhöhung in un- mittelbarer Nähe der Elektroden, also auch an der Kathode, sehr ausgesprochen zur Geltung gekommen; dessgleichen auch bei den Hühnerembryonen, sowie bei dem langen Fladen von Aeihalium septicum Verworrn's (siehe S. 120).

An den letzten Hühnerembryonen, welche über eine Viertel- stunde lang durchströmt worden waren, konnte danach ausser- dem noch die zweite Wirkungsweise erheblich mit zur Geltung gekommen sein, und darauf ist vielleicht das mitgetheilte, dem früheren widersprechende Resultat am Schlüsse des letzten Versuches, Seite 122, zurückzuführen. Jedenfalls werden weitere Versuche nöthig sein, um die Sachlage aufzuklären.

Ich wollte ferner das Verhalten der Strombahn auch während der Ausbildung dieser ungleichen Veränderungen an den ver-

192 W. Roux,

schieden gelagerten Gebilden aus specifisch reagirendem Mate- riale messend prüfen. Da jedoch befruchtete Hühnereier zur Zeit (im November) hier nicht mehr zu erhalten waren, musste ich mich auf das Ovarium des Frosches beschränken. Ein Stück solchen Organes wurde mitten in die durch einhalb- procentige Kochsalzlösung gebildete Strombahn gelegt und die Messelektroden an folgenden Stellen aufgesetzt: 1. neben der Anode, 2. mitten auf den Intraelektrolyten, 3. neben der Kathode; ferner an 2 a, wobei die eine Nadel in dem der Anode zugewen- deten Organrande steckte und die andere der Anode näher in der Flüssigkeit sich befand; dieselbe Stellung nach der Seite der Kathode. Stellung 1 a und 3 a bedeuten, dass die eine Mess- elektrode der der Ziffer entsprechenden Elektrode des primären Stromes möglichst, jedoch ohne sie zu berühren, genähert war. Die ersten Versuche wurden schon vorgenommen, ehe ich unpolarisirbare Elektroden angefertigt hatte; sie sind daher nur mit Platinelektroden angestellt.

In der ersten Versuchsreihe wurde continuirlich durch- strömt, die Nadeln rasch eingetaucht und so lange eingetaucht erhalten, bis die Magnetnadel nicht mehr oscillirte. Das Gal- vanometer zeigte in Stellung 1 a einen starken Strom (z. B. 0*25 Milliampere), bei 1 wieder einen viel schwächeren Strom- (z. B. 0*04 Milliamperes), bei 2 a stets eine erhebliche Zunahme (z. B. 0'08 Milliamperes), bei 2 eine weitere Zunahme (z. B. 0*18 Milliamperes), bei einen steten starken Abfall bis unter die Grösse von der Stellung 2 a, bei 3 einen weiteren Abfall bis ein wenig unter den Werth der entsprechenden Stellung 1, bei 3a fast denselben Werth als bei 1 a. Bei derartiger Querlagerung des Intraelektrolyten, dass er die ganze Breite der Strombahn einnahm, war die Steigerung bei 2 a und besonders bei 2 mehr- mals grösser, der Abfall bei dann aber vielmals stärker als bei Längsstellung, wobei dieStrombahn in halberBreite frei blieb.

Bei Längsstellung des Intraelektrolyten ist die Zunahme auch in der freien Strombahn neben dem Intraelektrolyten deut- lich ausgesprochen. Bei Anwendung stärkerer, z. B. zweipro- centiger Kochsalzlösung wurde die Steigerung der Stromstärke bei 2 a und 2 im Intraelektrolyten nochmals um das Mehrfache vergrössert.

Entwickelungsmechanik des Embryo. 193

Es ergab sich also eine starke Steigerung innerhalb und in der Umgebung des Intraelektrolyten, am stärksten inmitten desselben, weniger stark am Anodenrande, noch weniger am Kathodenrande desselben. Diese Steigerung betrug das sechs- bis zwölffache der Stärke des primären Stromes an den Stellen vor und hinter dem Intraelektrolyten. Nach der Unterbrechung des primären Stromes war dagegen an keiner Stelle mehr ein Strom mit meinem Instrumente nachweisbar; eine eventuelle wirkliche äussere oder innere Polarisation des Eierstockes konnte demnach bei der Empfindlichkeit des Instruments nur unter 0*01 Milliampere betragen.

Dieses Verhalten des Intraelektrolyten wich also bedeutend von dem vorher bloss am Elektrolyten, gleichfalls bei continuir- lieber Durchströmung beobachteten Verhalten ab.

Obgleich dieses Verhalten bloss einen Abweg, der uns von unserer Aufgabe wegführt, darstellt, wie ich nach weiteren Ver- suchen einsah, sollen doch die zur Aufklärung vorgenommenen Experimente in ihren Ergebnissen mitgetheilt werden, um einen, vielleicht gleich mir unerfahrenen Leser vor einer falschen Deu- tung zu bewahren.

Um zunächst die Wirkung der continuirlichen Durchströ- mung zu eliminiren, prüfte ich das Verhalten bei bloss mo- mentanem Stromschluss: hier konnte natürlich nicht die Ruhestellung der Magnetnadel abgewartet werden, sondern das Maximum des ersten Ausschlages musste notirt werden.

Die Methode des Eintauchens der Elektroden mit der Hand ist aber bei diesem Modus natürlich mit einem Fehler verbunden, indem bei raschem Eintauchen die erste Schwingung der Nadel nicht unerheblich grösser ausfällt, als bei langsamem Ein- tauchen. Da jedoch mein Stromschlüssel so primitiv war, dass beim Schluss und Öffnen durch ihn der Tisch erschüttert und daher die Magnetnadel abgelenkt wurde, musste ich die Methode beibehalten und durch möglichste Gleichmässigkeit den so be- dingten Fehler zu verringern suchen; doch ist es klar, dass in- folge dessen geringe Verschiedenheiten der Stromstärke, wie sie zwischen Ort 1 und 3 auch bei bloss momentanem Stromschluss zu bestehen scheinen, im Einzelnen nicht deutlich beurtheilt werden konnten, so dass bloss die Summe aller in Folgendem

Siizb. d. mathem. -natura-. Cl.; CI. Bd. Abth. III. 13

194

W. Roux,

ZU besprechenden Beobachtungen hierin einen Schluss ge- stattet.

Die Methode der momentanen Durchströmung auf den Eierstock des Frosches als Intraelektrolyten angewandt, ergab nun z. B. folgende, theils bei Querlage desselben im obigen Sinne, theils bei Längslage gewonnenen Werthe in Milliamperes:

Bei Querlage

C 3

Vi VI

TS

o

In halb- procentiger Kochsalz- lösung

In zwei- procentiger Kochsalz- lösung

In Wasser- leitungs- wasser

Bei Längslage

In halbprocentiger Koch- salzlösung

^ Ca u >

^ O

1—1 nj

0) g

•a 3

inie rium

a> cd

u >

■so

«> o

^ ««

2:

«> c

•O 3

f= '5

O

1

2a

2

2

0-015

0-09

0-60

0-03

0-02

0 02 008 0 62 0-05 0-01

0-015

0-10

1-50

0-06

0-01

0*02 0-04 0-085 0 03 0-02

0-02 0-03 0-10 0-02 0-02

0-02

0-05

0-07

0-025

0-03

0 0 0 0 0

03 07 12 03 02

0-03 0-05 0-09 0-03 0 03 i

Es ergab sich also bei momentaner Durchströmung wesent- lich dasselbe Verhalten, wie es nach continuirlicher Durchstro- mung beobachtet worden war; nur war die Wirkung auf den Intraelektrolyten und in der Nähe desselben, nach der Ampli- tude der ersten Schwingung zu urtheilen, noch mehrmals grösser als in der Flüssigkeit, indem die Stromwirkung im Intra- elektrolytendasvierzig-bis hundertfache der Wirkung im Elektrolyten erreichte. Wenn auch von dieser Wirkung ein Theil nur scheinbar, nur auf die Trägheit der Magnetnadel zurückzuführen ist, so bleibt doch immer noch ein ungeheuerer Erfolg übrig.

Am Schlüsse jeder, mit demselben Object angestellten V^er- suchsreihe wurden die Nadeln an den fünf Orten in gleicher Weise aufgesetzt ohne gleichzeitige Durchströmung; und es er- gab sich nirgends mehr ein Ausschlag der Magnetnadel, trotz der inzwischen an dem Ovarium aufgetretenen starken morpho- logischen Polarisation. Dieses eigenthümliche Verhalten musste nun auf seine Ursache zurückgeführt werden.

Entwickelungsmechanik des Embryo. 195

Da ich im ersten Momente über seine Bedeutung nicht klar war, prüfte ich sogleich die weichen Organe des Mutterfrosches, dem das Ovarium entnommen war; und alle zeigten wesentlich dasselbe Verhalten, nur war die Steigerung bei verschiedenen Organen quantitativ verschieden und stand anscheinend in Abhängigkeit von der Dicke des mit der Nadel durchstochenen Organes. Um zu sehen, ob andere organische Bildungen ähnlich sich verhielten, wurde Weizenmehl mit halbprocentiger Koch- salzlösung angerührt, und der so gebildete Teig in die Strom- bahn gelegt. Es trat wieder die gleiche Erscheinung auf. Da ich anderen Tages die annähernd unpolarisirbaren Elektroden gemacht hatte, verwendete ich auch diese, und da zeigte sich, dass jetzt die Verstärkung der Stromwirkung auf der Leber und auf dem Teige zwar noch evident vorhanden war, aber bloss das drei- bis vierfache der Wirkung im Elektrolyten erreichte. Um jede Berührung des Organes oder des Teiges zu ver- meiden, machte ich in dieselben entsprechend situirte, mit Flüs- sigkeit aus der Umgebung angefüllte Löcher und hielt in diese die Messelektroden; es ergab sich jedoch wieder das frühere Resultat.

Nachdem somit festgestellt war, dass hier nicht, wie bei den Versuchen ohne Intraelektrolyten, bloss eine Ungleichheit der Polarisation bei gleicher Stromstärke, sondern eine wirk- liche Ungleichheit der Stromstärke vorlag, kam ich der Ursache näher, was allerdings bei jedem anderen Untersucher, der nicht, wie ich, so gut als zum ersten Male mit Elektricität experimentirte, wohl früher der Fall gewesen wäre.

Da auszuschliessen war, dass hier eine wirkliche Production von elektrischer Kraft, ausgelöst durch den primären Strom, vor- liege, weil die Physiologen diese Fähigkeit der Organe längst wahrgenommen haben würden, so blieb nur die Möglichkeit, dass die geprüften Körper so viel schlechter als das verwendete Menstruum leiten, dass sie ein starkes Ausweichen des Stromes in die den Intraelektrolyten umgebende Flüssigkeit veranlassen. Die beobachtete Erscheinung beruhte dann nicht auf einer Vermehrung der Stromstärke in den ganzen bezüglichen Strom- querschnitten, sondern bloss auf einer localen Vergrösserung der Stromdichte an einzelnen Stellen derselben.

13*

196

W. Roux,

Gegen diese Annahme schien jedoch zu sprechen die in der Tabelle auf Seite 191 mitgetheilte Beobachtung, dass auch bei Verwendung von Wasserleitungswasser als Elektrolyten, welches doch voraussichtlich schlechter als das Ovarium leiten wird, an diesem eine Steigerung der Stromwirkung, wenn auch nur um das Vierfache, wahrgenommen worden war.

Dass aber das letztangenommene Moment stark genug in diesem Sinne zu wirken vermag, zeigte sich, nachdem ich drei Glasbälkchen über einander quer mitten in die Strombahn bei sonst der früheren gleichen Versuchsanordnung gelegt hatte. Es ergaben sich an, den früheren entsprechenden Örtlichkeiten folgende Resultate:

Ort der Messung

la

1

2

3

3a

1 re Elektroden

PI atinelektroden

ünpolarisirba

Flüssigkeit, um-

gerührt

_^

0-36 M.A.

0-24

0-32 M.A.

0-33

0-09

0-11

0-60

0-69

0-94

1-40

0-22

0-30

0-015

0-025

^•~'

0-22

0-09?

^■~

Es zeigte sich also eine ähnliche Verstärkung der Wirkung in der Umgebung der Glasbälkchen wie bei den Organen und dem Mehlteig.

Damit ist aber zugleich ein neues Räthsel erstanden. Ich habe nämlich nicht beobachtet, dass der auf Seite 121 erwähnte, in der Lücke zwischen der Wandung und dem grossen Hühner- embryo in Stromrichtung hinter diesem liegende kleine Embryo besonders stark verändert worden wäre. Im Gegentheil, er blieb fast unverändert, obgleich der Strom in verstärktem Maasse durch diese Strasse hätte gehen und auf ihn treffen müssen; auch blieb die diesem Strom anliegende Fläche des grossen Embryo fast unverändert.

Da das Versuchsmaterial jetzt nicht mehr zu haben ist, muss ich auf die jetzige Weiterführung der Untersuchung ver-

Entwickelungsmechanik des Embryo. 197

ziehten; und aus dem oben erwähnten Grunde gedenke ich auch nicht, sie später wieder aufzunehmen.

V. Abschnitt.

Erklärungsversuche und Zusammenfassung.

Fragen wir zunächst nach den Ursachen der allgemeinsten Verhältnisse der in den vorstehenden Abschnitten geschilderten Erscheinungen, also nach den Ursachen der Scheidung der Oberfläche der intraelektrolytär durströmten Gebilde in zwei veränderte Polfelder und einen zwischen ihnen gelegenen gürtel- förmigen Äquator.

Wir sahen, dass blos an denjenigen Stellen der Oberfläche der morphologisch polarisirbaren Gebilde, seien es lebende Orga- nismen oder Metalle oder sonstige von uns reactionsfähig gemachte Gebilde, die polaren Veränderungen stattfanden, an welchen zu erschliessen, ja durch Versuche direct nachzuweisen war, dass daselbst Stromfaden ein- oder austraten, während an anderen, zwar kräftig durchströmten und mit dem Elektro- lyten benetzten Stellen, an welchen aber Stromfäden-Ein- und Austritt nicht, respective nur in minimalem Maasse möglich war, unverändert blieben.

Daraus war zu erschliessen, dass die beobachteten polaren Veränderungen an den Ein- und Austritt von Stromfaden gebunden sind.

Ferner fanden diese Reactionen nur an benetzten Stellen statt; an trocken durchströmten Froscheiern blieben die bezüg- lichen Veränderungen aus; so dass also die Anwesenheit einer geeigneten Flüssigkeit, eines Elektrolyten als weitere Bedingung anzusehen ist.

Neben den äusseren Veränderungen fehlte es auch nicht ganz an inneren Veränderungen. Selbst an Metallen sind solche wahrnehmbar. Wenn ich ein früher durchströmtes Bleistück abgeschabt und blank polirt hatte, so wurden manchmal, auch nach Monaten noch, beim Einlegen desselben in Salzsäure von geeigneter Concentration die früheren Polabschnitte wieder erkennbar, indem sie rascher verändert wurden als der frühere Äquator. Diese inneren Veränderungen durch den Strom sind

198 W. Roux,

von den Accumulatoren her bekannt; die hier beobachtete Localisation derselben aber verdient vielleicht eingehendere Untersuchung. Auch treten unter Umständen Erscheinungen von Passivität des Bleies, nach dem Durchströmen, am Äquator auf.

DielebendenGebilde haben wir bis jetzt zumeist nur von aussen betrachtet, und wissen daher noch nicht, wieweit sich Ver- änderungen, die denen der Oberfläche ähnlich sind oder mutatis mutandis ihnen entsprechen ins Innere erstrecken, so dass wir unser Urtheil vorläufig beschränken müssen. Nur an den durch- scheinenden Eierstockseiern des Frosches und den Fischeiem, sowie an den Hühner-, Eidechsen- und Mausembryonen glaubten wir schliessen zu dürfen, dass die wahrgenommenen intensiven Trübungen der Polfelder sich ins Innere fortsetzen und die ganzen Polabschnitte betreffen.

Es ist also zunächst zu fragen: Warum wird nicht die ganze Oberfläche der Gebilde, soweit sie dem Ein- und Austritt von Stromfäden dienen könnte, also soweit sie nicht der Glas- wandung unmittelbar anliegt oder aus dem Elektrolyten frei heraussteht, sondern vom durchströmten Elektrolyten in ge- nügender Dicke der Schicht umgeben ist, verändert?

Eine spätere Frage wird es sein, warum nicht auch die blos durchflossenen Theile der benetzten Oberflächen, siehe Seite 124, sowie das durchströmte Innere der bezüglichen Or- ganismen, insbesondere die Substanz der Äquatorscheiben ent- sprechende Veränderungen erfahren.

Da wir die Stellen der polaren Veränderungen an jedem Gebilde durch die ihm gegebene Lagerung zu den Elektroden beliebig bestimmen konnten, so muss die Oberfläche jedes dieser Gebilde also an allen Stellen reactionsfähig auf den elek- trischen Strom sein. Daher müssen den anderen, vom Elek- trolyten umgebenen, aber unverändert bleibenden Theilen der Oberfläche eines Intraelektrolyten entweder zu wenig Strom- fäden zugeführt werden, um durch ihren Ein- und Austritt eine sichtbare Wirkung hervorbringen zu können, oder die an sich in genügender Zahl hingeführten Stromfäden müssen am Ein- tritt verhindert worden sein, was bei der Gleichheit der ganzen Oberfläche nur durch ein besonderes Agens geschehen kann.

Entwickelungsmechanik des Embryo. 199

Alssolches Moment wurde im vorigenAbschnitt ein zwischen den beiden Polfeldern circulirender, dem primären Strom ent- gegengesetzter, also negativer Polarisationsstrom angenommen. Mildem zuletzt beschafften Galvanometer habe ich diesen Strom an einem metallischen Intraelektrolyten unmittelbar nach der Unterbrechung des galvanischen Hauptstromes direct nachgewiesen, indem ich einen intraelektrolytär durchströmten Kupferdraht, um die polarisirende Wirkung der durchströmten Flüssigkeit auf die Messelektroden auszuschalten, rasch aus der halbprocentigen Kochsalzlösung, in der er durchströmt worden war, in frische solche Lösung übertrug und die blanken Kupferdrahtenden des Galvanometerkreises auf die Polfelder oder neben dieselben aufsetzte.

Der Strom war dem primären Gleichstrom entgegengesetzt gerichtet und betrug im Maximum bei meiner Anordnung sofort nach der Unterbrechung des primären Stromes 1, 5 M. Amp., fiel aber rasch ab. Der Intraelektrolyt verhält sich natürlich wie ein Accumulator. Auf die gleiche Weise gelang der Nachweis auch an dem mit dem Wechselstrom behandelten Intra- elektrolyten nach der Unterbrechung des primären Stromes, nur war die Richtung zum primären Strom nicht zu beurtheilen. Der Polarisationsstrom zeigte sich ein wenig stärker als der nach dem Gleichstrom beobachtete; freilich war auch der primäre Strom erheblich, mindestens dreimal stärker, als der verwendete Gleichstrom. Die specielle Ursache dieses letzteren Polarisations- stromes, sowie überhaupt die qualitative Beschaffenheit des vom Wechselstrom erzeugten Polfeldes bedürfen wohl der Unter- suchung. Wenn auch Drechsel schon die Thatsache der Polarisation der Elektroden im Wechselstrom nachgewiesen hat, so ist doch die Alkaliabscheidung an der Kathode und an der kathodisch beschaffenen Seite eines metallischen Intra- elektrolyten, also am sogenannten »anodischen« Polfeld, nur eine sehr geringe, wie ich oft beobachtet habe, nachdem dem Elektrolyten Phenolphthallein zugesetzt war. Daher kann immer- hin die relative Stärke des nach der Durchströmung nachweis- baren Polarisationsstroms Befremden erregen.

Für das Verhalten der Metalle, derenÄquator wirzunächst besprechen wollen, ist von Bedeutung, dass beim Fehlen einer

200 W. Roux,

elektromotorischen Gegenkraft auch durch den schwächsten elektrischen Strom schon Elektrolyse veranlasst wird, und somit die an den Ein- und Austrittsstellen des Stromes an der Oberfläche des Metalles abgeschiedenen Jonen eine Wirkung hervorbringen müssen.

Bei den Metallen summiren sich dieReactionen also einfach mit der Stromdauer; und wenn, von der in der Mitte liegenden Indifferenzlinie abgesehen, allenthalben Stromfäden eintreten, kann schliesslich ausser dieser, nur ein Minimum breiten Linie bloss dasjenige Stück blank bleiben, welches durch den negativen- Polarisationsstrom genügend geschützt ist. V'orher aber besteht bei schwachem Strom längere Zeit für die Besichtigung ein grösserer Äquator, dessen Grösse durch ungenügende locale Stromdichte bedingt ist.

Bei unseren lebenden Objecten ist wohl zu vermuthen, dass mit der sichtbaren morphologischen Polarisation eine elektrische Polarisation verbunden ist, ganz abgesehen von der sogenannten »inneren Polarisation feuchter Leiter« nach* du Bois-Reymond; verhält sich doch bei den Muskeln und Nerven nach L. Hermann jeder absterbende Quer- schnitt negativ gegen den lebenden; und unsere Polfelder sind, wie wir an den Froscheiern sahen, eine Substanz, welche an den Theilungsvorgängen der Zelle nicht mehr theil- nimmt, sondern unter Umständen von den Zellen direct ab-- gestossen, eliminirt wird, und welche auch nicht mehr jener Veränderungen (Vacuolisation etc.) fähig ist, wie sie sonst beim allmäligen Absterben der Eier beobachtet werden.

Wesentlich um diese Polarisation nachzuweisen hatte ich am Schlüsse meiner Untersuchungen das erwähnte Horizontal- galvanometer beschafft, dessen Theilung Zehntel Milliampere noch gross anzeigt, und welches auf Hundertel M. A. noch* reagiren soll. Aber weder beim Aufsetzen auf die mit dem Gleich- strom von 8 Bunsen durch directes Anlegen der Elektroden stark weisslich polarisirten Hühnerembryonen, noch auf den polarisirten Eierstock des Frosches gelang es mir, an diesem Instrument einen Ausschlag hervorzubringen; auch nicht wenn die Messelektroden sehr nahe neben einander standen, und wenn sie direct an die Stellen der Elektroden des primären Stromes

Entwickelungsmechanik des Embr}'o. 201

aufgesetzt worden \var6n. Um eine Nebenschliessung zu ver- hindern, waren die Embryonen nach dem Durchströmen dem Elektrolyten entnommen und auf trockenes. Fliesspapier gelegt worden. Dasselbe negative Resultat ergab sich nach Behandlung dieser Objecte mit dem Wechselstrom beim Aufsetzen einer Elektrode an der Stelle einer früheren Elektrode und der anderen auf den Äquator. Doch zeigte dieses Galvanometer auch den Muskelstrom des Froschmuskels selbst bei wirksamster Anord- nung nicht an. Den Physiologen dagegen wird es ein Leichtes sein, mit dem du Bois-Reymond'schen Multiplicator die Ent- scheidung über den hypothetischen Strom zu. geben.

Ist der Polarisationsstrom von genügender Stärke, so kann er, wie bei den metallischen Intraelektrolyten zur Ableitung einer scharfen, der allmäligen Abgleichung entbehrenden Grenze der Polfelder gegen den Äquator verwendet werden. Aber auch ohne diesen Strom muss sich bei den lebenden Wesen eine scharfe Grenze ergeben, da nur durch Ströme, welche die Reiz- schwelle überschreiten, die polare Reaction ausgelöst werden kann, während benachbarte Stellen nur wenig geringerer Ein- wirkung unverändert bleiben werden.

Unter Berücksichtigung der Reizschwelle wird es ver- ständlich, dass bei stark geschwächtem Strom selbst nach stundenlanger Durchströmung die Froscheier nur in sehr geringer Ausdehnung polare Veränderungen darboten, und dass weiter seitlich im runden Stromfelde, also in noch geringerer Strom- dichte stehende Eier gar keine Reaction mehr erkennen Hessen. Diese beiden Verhaltungsweisen würden bei der Zurückführung des Äquators bloss auf einen Polarisationsstrom natürlich nicht zu erklären sein.

Wie sich die Breite des durch dieses Moment bedingten Äquators zu der durch den hypothetischen Polarisationsstrom bedingten verhaltej wird erst nach der Nachvveisung der Stärke dieses letzteren erörtert werden können.

Alle Stellen, an welchen die für die Auslösung der polaren -Veränderungen bestehende Reizschwelle nicht überschritten wird, werden sich solange nicht verändern, bis schliesslich von den Polfeldern aus das einheitliche lebende Gebilde durch die Veränderung zu vieler oder zu lebenswichtiger Theile, oder

202 W. Roux,

durch eventuelle innere Wirkung der Durchströmung (durch innere Polarisation) als Ganzes getödtet worden ist und daraus resultirende anderweite, auch auf den Äquator sich erstreckende Alterationen vor sich gehen; wie wir denn an Blastulae und Gastrulae nach langer Durchströmung den ganzen Äquator sich plötzlich in toto grau verfärben sahen.

Die Reaction nach Überschreitung der Reizschwelle im Bereiche der Polfelder war bei demselben Objecte, dem Froschei oder dem Tritonei je nach der Stärke und Dauer der Gesammt- einwirkung eine örtlich, graduell und vielleicht auch qualitativ verschiedene. Während mit den schwächsten Strömen be- handelte Frosch- und Tritoneier ihre kleinen Polfelder unter minimalem Durchtritt von Eiinhalt durch die Eirinde nur ver- färbten, entstand bei starkem Strom an der Grenze des Polfeldes ausser grossen Austritten von Eiinhalt eine starke, wohl auf Contraction des Rindenprotoplasma eingeleitete Furche; bei ge- eigneter Stromstärke und Dauer blieben die elektrischen Pole des Eies fast unverändert und die starke Veränderung der Ei- rinde localisirte sich in derNähe derNiveaulinien. Dies alles sind Erscheinungen, die ihrer Natur nach an die specifisch vitalen Eigenschaften der Objecte anknüpfen. Weniger grell gegen den Äquator abstechend war die Polfeldgrenze an den Gehirnblasen der Hühner-, Eidechsen- und Mausembryonen; bei diesen Ge- bilden sowie bei Gallenblasen konnte ausserdem def Äquator durch lange fortgesetzte Durchströmungunter successiv e r Ver- kleinerung zum Verschwinden gebracht werden. An den Extre- mitäten der Hühner-, Eidechsen- und Mausembryonen, sowie an der Allantois der beiden ersteren war überhaupt keine scharfe Grenze zwischen Polfeld und Äquator vorhanden, ein Verhalten welches besonderer Aufklärung bedarf.

Gehen wir nun zur Ursache der speciellen Gestalt- verhältnisse der Polfelder und damit auch des zwischen ihnen gelegenen Äquators über, so ist zuerst ein Moment ira Zusammenhange zu besprechen, dem wir sowohl an organischen wie an anorganischen Gebilden wiederholt begegnet sind, und welches als Stromschatten bezeichnet worden ist.

Wir sahen, dass manche Flächen des Intraelektrolyten die Veränderungen nicht in derjenigen Intensität darboten

Entwickelungsmechanik des Embryo. 203

wie sie nach der Dichtigkeit der Stromfaden im homogenen elektrischen Felde an der betreffenden Stelle und nach der Richtung der betreffenden Fläche zu den Stromfäden zu erwarten gewesen wären. Auf solche Flächen bezog sich der Ausdruck, dass sie sich im Stromschatten befänden. Unter im Stromschatten befindlichen Flächen eines Intraelektrolyten verstehen wir demnach diejenigen Theile seiner Oberfläche, auf welche bei seiner Durchströmung weniger Stromfäden treffen, als nach der Lage der Fläche zu den Stromfäden des homogen gedachten elektrischen Feldes ihr zukommen würden.

Nach dieser willkürlichen, jedoch für uns zweckmässigen Definition ist der Stromschatten also durch Ablenkung der Stromfäden aus ihrer Richtung im homogenen Felde bedingt, und zwar entweder infolge von Anziehung oder Abstossung derselben durch den Intraelektrolyten.

Der Schatten durch Anziehung von Stromfäden besteht in der Vorwegnahme von Stromfäden durch den Elektroden näher befindliche Theile eines besser als der Elektrolyt leitenden Intraelektrolyten, also unter Benachtheiligung der darauf folgen- den Theile, so z. B. durch die Ränder und angrenzenden Seiten- flächen von Furchen, welche gegen die Elektrode gewendet sind, welche also in Richtung des Stromes stehen; wie wir solchen Schatten an derartig orientirten Furchen von Froschembryonen, an der gefalteten älteren Gastrula des Triton und an genügend tief gewölbten Stücken der Vorderhimblasen des Hühnerembryo gesehen haben. Ferner bekundeten wesentlich denselben Vor-, gang Froscheier, welche in einer längs des Stromes gerichteten Drahtgabel lagen, sowie das beim Durchströmen des Feldes un- verändert gebliebene Stanniolbänkchen innerhalb des Stanniol- ringes. Ferner zeigt sich dasselbe an den schief zur Strom- richtung liegenden länglichen Gebilden, wie den Gallenblasen der Kaninchen, an den Eiern von Tritonen und Fröschen, welche, in eine Glasröhre aspirirt, dadurch stark länglich geworden und durch seitlich daneben liegende Eier schief zur Röhre gestellt waren, ebenso wie an dem schief liegenden Metalldraht Alle diese behielten beim Durchströmen einen nicht rein seitlich, sondern schief gegen die Elektroden gewendeten, wie wir sagten, anscheinend »bestrahlten« Äquator,

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204 W. Roux,

der also bei gewöhnlichem Verlauf der Stromfäden, wie er im homogenen Felde stattfindet, von ebenso vielen Stromfäden getroffen worden wäre, als die angrenzenden, noch den gleichen Winkel mit der geraden Verbindungslinie beider Elektroden bildenden Theile der Polfelder. Trotz dieses gleichen Winkeis ist der eine Theil unverändert, weil ihm durch die der Elektrode nähere Nachbarschaft die Stromfäden grösstentheils vorher weggesaugt worden sind. Auch die mit dem Abstände von der Anode abnehmende anodische Verändierung der Knollen des Fadens von Aethalinm sepiicunt nach der Abbildung Verworrns* könnte neben dem auf S. 191 erörterten Moment auf Vorwegnahme von Stromfäden durch die der Anode näheren Theile beruhen, da die Durchströmung doch wohl in gewöhn- lichem Wasser stattfand und das Protist also besser leitete als der Elektrolyt. Im Wesentlichen gleichfalls derselbe Vorgang, wenn auch ein wenig modificirt, trat an einer quergestellten Drahtgabel ein; ebenso natürlich auch, als zwei rechtwinkelig zum Strom orientirte, einander nahe, leitend verbundene Platten durchströmt wurden; dabei bekam keine von beiden an der Innenfläche ein Polfeld, w^ie es sofort geschieht, wenn die leitende Verbindung unterbrochen wird. Dem ersteren dieser beiden Fälle Ähnliches beobachteten wir im Bereiche des Organischen an den in Wasser durchströmten, geschwächten Morulae des Frosches und Triton, welche zwei Generalpolfelder bildeten. Diese Polfelder nahmen die ganze gegen die Elektrode gewendete Seite der Zellen ein und griffen wohl auch ein wenig über die Ränder herum nach der Gegenseite; aber die beiden Begrenzungsflächen der vorhandenen kleinen, seitlich gerich- teten Furchen blieben einige Zeit lang unverändert, gleich wie in Richtung des Stromes stehende Furchen, aber unter etwas anderer Vermittelung. Während bei letzterer Stellung in die Tiefe der Furchen keine Stromfäden gelangen, weil die in die Öffnung der Furche eingetretenen Stromfäden vorher in die beiden Seitenwände übertreten, werden die auf die beiden Aussen- flächen der querstehenden Gabel oder Furche fallenden Stromfäden durch die leitende Verbindung derselben in einander übergeleitet und so die weniger gut leitende Flüssigkeit des Binnenraumes umgangen, respective die auf der einen Seite

Entwickelungsmechanik des Embryo. 205

eingetretenen Stromfäden gehen durch den besser leitenden Verbindungstheil, um erst auf der anderen Seitenfläche wieder auszutreten.

Der Stromschatten durch Abstossung von Strom- faden findet statt, wenn der Intraelektrolyt schlechter leitet als der Elektrolyt; da, entsprechend dem Ohm'schen Gesetz, der Strom in der dem relativen Leitungsvermögen entsprechenden Stärke mehr durch den besser leitenden Theil geht. Es blieben daher z. B. an den aus mit Wasser angerührtem Mehlteig gebildeten Kugeln die Polseiten unverändert, und nur am Äquator der Kugel wurden die an der ganzen Oberfläche befindlichen Messingspäne polarisirt. Dasselbe war natürlich der Fall, wenn ein schlechter leitender Körper in Richtung des Stromes vor dem Intraelektrolyten lag, wie Fett vor der Gallenblase, Luftblasen auf der Metallkugel oder Glasbalken vor den Froscheiern. Doch haben die den Elektroden näheren^ also gegen sie vorspringenden Theile immer noch eine Begünsti- gung für den Stromfädeneintritt vor den seitlichen . Theilen voraus, welche ein gewisses Maass von geringerem Leitungs- vermögen zu übercompensiren vermag. Dies sprach sich darin aus, dass in fünfprocentiger Kochsalzlösung die nach unserer Beobachtung schlechter leitende, runde Gallenblase noch grüne Polfelder statt eines grünen Äquators bildete.

Eine etwas schwieriger zu verstehende Art anscheinender Abstossung von Stromfäden haben wir an dem metallischen rechten Winkel gesehen, dessen einer Schenkel normal zum Strome des homogenen Feldes stand und auf der Seite, welche dem in Richtung des Stromes stehenden Schenkel zugewandt war, blank blieb, obgleich die Fläche direct der anderen Elektrode zugewendet war. Das Nöthige über diesen Fall ist im vorigen Abschnitte schon gesagt, siehe S. 154 u. f. Nach dem Vorstehenden kann noch hinzugefügt werden, dass sich das ganze Verhalten auf den Fall einer Metallgabel reducirt, deren einer Schenkel quer, deren anderer Schenkel in Längs- richtung zum Strome orientirt ist; die das freie Ende des Quer- schenkels umgehenden, scheinbar abgestossenen Stromfäden sind im Gegentheil von ihrer im homogenen F^elde seitlichen Bahn wie durch Anziehung abgelenkte Stromfäden. Hiebei

206 W. Roux,

braucht das Wort »Anziehung« nicht im wörtlichen Sinne gedacht zu werden, sondern als abgekürzter Ausdruck dafür, dass durch das Convergiren der benachbarten Stromfäden gegen das Metall die Bahn im Elektrolyten zum Theil frei wurde und daher seitliche Stromfäden in diesen Theil ein- bogen.

Wir haben noch Thatsachen kennen gelernt, welche auf eine weitere Art des Stromschattens im Sinne unserer Definition hinzuweisen scheinen, auf einen Stromschatten infolge localen Verbrauches oder localer Abschwächung von Stromfaden durch eine Arbeitsleistung; so z. B. die geringe Veränderung von Eierstockeiern, welche durch benachbarte, der Elektrode näher stehende, aber entsprechend vorspringende Eier von der directen Bestrahlung durch diese Elektrode ausgeschlossen sind und anscheinend nur die Stromfäden erhalten, welche schon das davor gelegene Ei passirt haben, ferner die Beobachtung, dass zwei zusammengebundene und quer zur Berührungsfläche durchströmte Gallenblasen an diesen Flächen erst erheblich später sich verändern, als an den direct bestrahlten Aussen- flächen, eine entsprechende Beobachtung auch an zusammen- gedrängten Froschembryonen. Eine solche Erklärung dieser Thatsachen würde jedoch dem Gesetze, dass jede locale Stromschwächung alle Querschnitte der ganzen Strombahn in gleicherweise afficirt, widersprechen; es wird daher eine andere Erklärung der bezüglichen Erscheinungen zu suchen sein.

Wohl nicht durch Stromschatten bedingt war das Aus- bleiben der Veränderung an der Fläche der platt ausgebreiteten Keimscheibe des Hühnchens. Diese Fläche lief einfach parallel den Stromfäden des homogenen Feldes, und infolge der nur geringen Leitungsdifferenz convergirten seitlich von ihr ver- laufende Stromfäden nicht in genügender Anzahl gegen sie, um die Reizschwelle zu überschreiten.

Nach diesen Erörterungen können wir zu einer kurzen Besprechung der Richtung der Grenzlinien der Polfelder zu den Niveauflächen des umgebenden, homogenen elektrolytischen Feldes übergehen.

An unserem ersten Untersuchungsobjecte, den Froscheiern, hatte sich gezeigt, dass die Grenzlinien der Polfelder gegen den

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Ent^nckelungsmechanik des Embr}'o. 207

Äquator den Richtungen der Niveauflächen des umgebenden elektrolytischen Feldes entsprechen; und diese Übereinstim- mung hätte leicht zu einer falschen Verallgemeinerung ver- führen können. Doch die an länglichen, schief zu den Strom- linien stehenden Gebilden, wie Gallenblasen und Embryonen, beobachteten Abweichungen der Polfeldgrenzen von diesen Niveauflächen wiesen auf den wahren ursächlichen Zusammen- hang hin; zumal da bei der Stellung dieser Gebilde mit der Längsaxe in Richtung der Stromlinien oder dieser Niveauflächen die Polfeldränder wieder annähernd die Niveauflächenrichtung erlangten. Dadurch wurde klar, dass die Lage und Richtung des Äquators sowohl von der Gestalt der Intraelektrolyten wie von der Lage derselben zur Richtung der Stromfäden abhängig ist.

Dass jede Wirkung an einem in sich homogenen Intra- elektrolyten, welche sich auf ihm begrenzt, mit einer äqui- potentialen Grenze des Intraelektrolyten abschliessen muss, ist selbstverständlich. Es bleibt also bloss übrig, uns auf elemen- tarste Weise eine Vorstellung darüber zu bilden, warum diese äquipotentialen Linien des Intraelektrolyten bei Kugelgestalt desselben sowie bei einigen anderen Formen zugleich die Richtung der äquipotentialen Flächen der betreffenden Stelle des homogenen Elektrolyten besitzen, und warum dies bei den abweichenden Gestaltungen nicht der Fall ist.

Wir nehmen an, der in einem runden homogenen elek- trolytischen Felde, dessen Elektroden am Rande einander gegenüberstehen, liegende Intraelektrolyt sei so klein, dass die Stromdichte in seinem Bereiche allenthalben wesentlich die gleiche sei; und ferner, zunächst wenigstens, dass der Intra- elektrolyt das gleiche Leitungsvermögen besitze als der Elek- trolyt. Alsdann werden die Stromfäden durch ersteren nicht abgelenkt Die einen kugeligen Intraelektrolyten tangirenden Stromfaden bilden mit ihren Berührungspunkten dann nicht bloss für den Intraelektrolyten eine äquipotentiale Linie, weil sie die Linie allenthalben gleich minimaler, nämlich keiner Wirkung darstellen; sondern, da aus geometrischen Gründen diese Tangentenlinie eine rechtwinkelig zu den betreffenden Stromfaden stehende Linie ist, ist sie zugleich auch eine

208 W. Roux,

äquipotentiale Linie für das homogene elektrolytische Feld. Die ■letztere Annahme trifft zwar genau bloss für ein aus parallelen Strahlen gebildetes sowie für ein concentrisches Strahlenbündel zu, dessen Symmetrie-Axe durch den Mittelpunkt der Kugel geht, also eigentlich bloss für Kugeln, die in der mittleren, geraden Verbindungslinie der Elektroden gelegen sind; jedoch -werden auch an den seitlich im Stromfelde stehenden Kugeln die Abweichungen jso gering sein, dass sie an den uns an- gehenden Objecten, den Froscheiern, nicht wahrnehmbar sind. Auch die durch den Umstand, dass die Froscheier nicht genau kugelig sind, bedingten Abweichungen werden kaum festzu- stellen sein» Da der Äquator die Zone geringster Veränderung, die Tangirungslinie aber die Linie ohne Einwirkung ist, so wird bei symmetrischer Lage der Kugel zu beiden Elektroden ■die Tangirungslinie die Mittellinie des Äquators darstellen. Die durch andere Stellung der Eier bedingten Abweichungen werden immer nur sehr klein sein. Dagegen waren die durch die man- gelnde Homogeneität der Eier hervorgebrachten Abweichungen so erheblich, dass wir sie mit Leichtigkeit wahrnehmen konnten. Da diese sich jedoch auf die obere Hemisphäre beschränkten, so erhielten wir bei der Betrachtung der Schalen mit Eiern von unten das Bild anscheinend vollkommen äquipotentialer Curven.

Dieselbe Ableitung gilt natürlich auch für die Tangenten- linie eines länglichen oder platten Rotationskörpers, dessen Axe in Richtung eines Stromfadens steht, und ferner wie für die Tangentenlinie annähernd auch für die übrigen Linien gleichen Potentials. Verlaufen die Stromfäden der Stelle des Feldes nicht gerade, so bedingt dies natürlich wiederum kleine Abweichungen. Leitet der Intraelektrolyt besser als der Elek- trolyt, so zieht der so orientirte Rotationskörper die Stromfäden an, aber allerseits in fast gleicherweise; die Tangirungslinie bleibt somit dieselbe, ebenso die Richtung der äquipotentialen Linien des Rotationskörpers.

An länglichen, aber schief zu den Stromlinien stehenden Rotationskörpern und an unregelmässig gestalteten Gebilden dagegen zeigten sich augenfällige Abweichungen zwischen den äquipotentialen Linien des Intraelektrolyten und denen des Elektrolyten, welche nicht bloss durch Abweichungen der

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Entwickelungsmechanik des Embryo. 209

Tangirungslinie bedingt waren, sondern durch die ungleiche Stromdichte an den verschiedenen Stellen des Feldes und durch die Spitzenwirkung noch in dem Maasse verstärkt wurden, dass z. B. an langen schief im Stromfeld stehenden Gallenblasen oder Embryonen jedes Polfeld weit über das der Elektrode zuge- wendete Ende der Blase, also auch über die Tangirungslinie herübergreift und der an diese Stelle angrenzende Theil des Äquators der entgegengesetzten Elektrode zugewendet, also scheinbar von ihr aus stärk bestrahlt ist.

Wir haben alle die an den organischen Gebilden beob- achteten Verschiedenheiten in der Localisation des Äquators an metallenen Intraelektrolyten in genügendem Maasse nachge- macht, um 2u sehen, dass in den Richtungsverhältnissen des Äquators nichts den lebenden Körpern als solchen Eigen- thümliches vorliegt.

Besprechen wir nun die Ursachen der Hauptunter- schiede zwischen dem Verhalten der Metalle und der lebenden Körper in der Localisation der Polfelder, so sind sie auf folgende Momente zurückzuführen:

Erstens auf das vielmal bessere Leitungsvermögen -der Metalle als das der organischen Körper. Dies bedingt, dass bei den Metallen die Stromfäden sowohl ausserhalb des Intraelektrolyten wie auch eventuell innerhalb desselben andere Bahnen einschlagen. Von viel grösserer Entfernung her con- vergiren die Stromfäden gegen den metallischen Intraelektro- lyten, werden also in viel höherem Maasse von ihrer Richtung abgelenkt. So wurden bei den Metallen auch die in der Richtung von nicht abgelenkten Stromfäden stehenden Seitenflächen bis auf einen schmalen Äquator verändert, während bei der platten Keimscheibe des Hühnchens nur die polwärts gewendeten Ränder eine Trübung zeigten, die Seitenflächen aber unver- ändert blieben. Und bei gerundeten organischen Gebilden treten so wenig Stromfäden an den seitlichsten Theilen ein, dass der daselbst befindliche unveränderte Äquator schon wesentlich darauf, in Verbindung mit dem Moment derKeizschwdle, zurück- führbar erscheint. Die Verschiedenheit der Bahnen innerhalb des Intraelektrolyten ist manchmal von noch grösserer Bedeu- tung. Berührten sich zwei in Richtung des Stromes hinter-

Sitzb. d. mafiem-naturw. Cl.; CI. Bd. Abth. III. l**

210 W. Roux,

einander liegende Metallkugeln leitend, so bekam jede bloss ein gegen die Elektrode gewendetes, über die Hälfte der Kugel einnehmendes Polfeld, und die gegen einander gewendeten Flächen stellten den Äquator dar. War dagegen eine Gallen- blase durch Unterbindung in zwei, den Kugeln ähnlich gestaltete, substanziell aber continuirlich verbundene Abschnitte zerlegt, so bekam gleichwohl jeder Abschnitt zwei Polfelder und seinen eigenen Äquator.

Dieser scheinbar fundamentale Unterschied beruht jeden- falls darauf, dass bei den Metallkugeln alle aussen auffallenden Stromfäden durch die metallene Verbindung als den leichteren Weg gehen, auch wenn sie noch so dünn ist; während bei den Gallenblasen, da deren Substanz nicht viel besser leitet als der Elektrolyt, dies nur die der Verbindung beider kugeligen Theile nächsten Stromfäden thun, die entfernter davon befindlichen aber an der anderen Seite der Kugel wieder aus- und in den, beide Kugeln trennenden Elektrolyten ein- und aus diesem in die andere Kugel übertreten, so dass an beiden einander zuge- wendeten Flächen aufs Neue die specifische Wirkung statt- findet. Auf dieselbe Weise erklären sich auch die an Embryonen, welche in der Mitte eingeschnürt sind, beobachteten zwei Äqua- toren, die durch ein drittes ringförmiges Polfeld von einander gesondert sind, desgleichen die Specialpolarisation der gesondert vorspringenden Gehirnblasen.

Die weiteren Unterschiede der Localisation der Verände- rungen knüpfen vermuthlich an specifisch vitale Eigenschaften der Organismen an, so vielleicht die stärkere AfTection des Frosch- und Tritoneies in der Umgebung des Poles als an diesem selber, sofern hierbei nicht die stärkere Brechung der Stromfäden an den seitlichen Theilen wesentlich mit betheiligt ist; ferner der Übergang der Specialpolarisation zur General- polarisation der Morulae, in Gleichem wie die specifische Natur der Reactionsweise selber. Die vitalen Eigenschaften kamen auch einigemal schon bei der abnormen Abgrenzung der Pol- felder in Betracht, siehe S. 32 und 49.

Wenn wir nun zur Besprechung der specifischen Re- actionsweisen der lebenden embryonalen Substrate übergehen, so fehlt uns für deren Beurtheilung, noch mehr als

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l Entwickelungsmechanik des Embryo. 211

für die Localisation der Veränderungen, die Kenntniss des inneren Verhaltens der Gebilde, weshalb wir uns jetzt nur zusammenfassende Vorstellungen, aber keine Erklärung der Vorgänge bilden können.

Bei den ungetheilten Frosch- und Tritoneiern war ausser der Verfärbung der Rinde der Polfelder und der An- häufung von Pigment an den Niveaulinien ein die Verfärbung wesentlich mitbedingender Durchtritt von Zellinhalt durch die Rinde in diffuser Weise oder, wie an den Niveaulinien, respec- tive bei sehr schwachem Strom auch an den auf die Pole beschränkten kleinen Polfeldern, in Form grösserer oder kleinerer Tropfen wahrnehmbar. Ausserdem fand eine irreparabele Con- traction des Protoplasma in den Niveaufurchen unter geringer Näherung derselben gegen einander mit gleichzeitiger Erniedri- gung des Äquators und Erhöhung der oberen Ränder der Pol- abschnitte statt. An unreifen Eiern entstand auf dem hellen Nahrungsdottertheil keine Verfärbung der Polfelder, sondern bloss eine weisse, wie eingeritzte Niveaulinie. An den Frosch- und Tritoneiem gingen auch im Bereiche des Äquators Verände- rungen, besonders der Pigmentvertheilung vor sich, theils indem die Ränder des Äquators das Pigment verloren, theils indem das Pigment sich in Richtung von Polmeridianen des Eies ordnete. Bei den ungetheilten Fischeiern erfolgte zunächst eine Absonderung des Haupttheiles des Protoplasmas auf einer nicht durch den Strom bestimmten Seite des Nahrungs- dotters; die auch bei diesen Eiern entstehenden beiden Einschnürungen an den Grenzen der Polfelder folgten bloss dann den Niveauflächen des umgebenden Mediums, wenn die Eiaxe zufällig selber in einer solchen Fläche oder rechtwinkelig zu ihr lag. Anderenfalls zeigte sich eine Tendenz, dass die von der Keimscheibe ausgehenden beiden Einschnürungen sich möglichst parallel der Eiaxe auch auf den Nahrungsdotter fort- setzen; der Art jedoch, dass bei Schiefstellung der Eiaxe gegen die Stromrichtung die Einschnürungen sowohl von der Richtung der Niveauflächen wie von der parallelen Richtung zur Eiaxe abweichen. Es ist also vollkommen deutlich, dass das Fischei nicht gleich dem Froschei fast homogen gegen den Strom sich verhält, sondern dass ein fester Mechanismus vorliegt, der die

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212 W. Roux,

Richtung der durch den Strom veranlassten Contractionen beeinflusst. Die durch die Schnürfurchen abgegrenzten Pol- abschnitte werden trüb. Bei Stellung der Eiaxe in Richtung des Stromes waren diese Trübungen wieder in Richtung der Niveauflächen begrenzt und lagen manchmal beide in dem kleinen Bereiche des Bildungsdotters. Auch bei den Fischeiern wurde Substanz, jedoch nur sehr wenig, im Bereiche der Pol- felder und bloss in feinster Form aus der Oberfläche hervor- getrieben.

An den noch durchscheinenden Eierstockeiern des Frosches wurden, wie bei den Eiern des Fisches, wie es schien, nicht bloss die Polfelder, also die oberflächlichen Theile, sondern die ganzen Polabschnitte trüb.

An den getheilten Eiern fand sich wesentlich dieselbe Art der Veränderung; nur sprach sich dabei ein Gegensatz zwischen dem Verhalten isolirter Zellen und noch im Verband der Morula oder Blastula befindlicher Zellen aus. Erstere platzten an den beiden Polen auf, also ähnlich den lange Zeit mit sehr schwachem Strom durchströmten ungetheilten Eiern. Die nicht isolirten Zellen dagegen bildeten Polfelder, die mit ihren Niveau- linien der äusseren Ansicht nach weniger um den eigenen Zell- pol, als vielmehr um den nächsten elektrischen Eipol centrirt waren und dann längs der Niveaulinien aufplatzten. Man kann sich zur Erklärung vorstellen, dass die isolirten Zellen zu einer Polfeldbildung keine Gelegenheit erhalten, weil sie sogleich an den Polen, als an den stärkst afficirten Stellen aufplatzen, wonach bei derContraction des Rindenprotoplasmas der Inhalt aus diesen beiden Öffnungen sich entleeren musste, so dass er nicht mehr diffus durch die Zellrinde gepresst werden konnte und diese selber auch nicht mehr an einer Niveaulinie aufzuplatzen in der Lage war, letzteres zugleich noch deshalb, weil durch die beiden ausgetretenen Protoplasmamassen die Stromfädenvertheilung alterirt und die Gegend der sonstigen Niveaufurchen auf diese verlegt '^wurde. Wir haben an Extraovaten der Frosch- und Tritoneier, sowie an mit dem Messer hergestellten Theilen des Dotters des Fischeies gesehen, dass die der Rinde beraubten Eitheile die Niveauring- Contraction nicht bilden. Die natür- Uche Rindenschicht dagegen ist sehr contractu; denn die Um-

Entwickelungsmechanik des Embryo. 213

schliessungsschichtderisolirtenBlastulazellen desTritons konnte sich bei der Entleerung ihres Inhaltes um *Vioo ohne Falten zu bilden zur Umschliessung des geringen Inhaltsrestes verkleinern.

An durchströmten Gastrulae des Triton wurde schon ohne Mikrotomirung, durch Zerzupfen erkannt, dass Zellen der Art polarisirt waren, dass sie einen gegen die Eioberfläche gewendeten hyalin-protoplasmatischen und einen inneren dotter- körnerreichen Polabschnitt besassen.

An jungen Fr o s c h e m b r y o n e n wurde im Bereiche der Pol- felder Abfall desEpithels in einzelnen,gerundeten Zellen, an älteren Embryonen in zusammenhängenden Fetzen beobachtet. An den durchscheinenden Embryonen des Fisches, der Eidechse, des Huhns und der Maus war auch polare Trübung an inneren Organen, besonders am Gehirn, aber auch am Entoblast und an den Urwirbeln von aussen wahrnehmbar. Die nachfolgende mikroskopische Untersuchung muss erst das Genauere über diese Veränderungen ergeben.

An dünnwandigen Gallenblasen aller Wirbelthierclassen wurde, wie durch den Gleichstrom so auch durch den Wechsel- jj^rom im Bereiche des Polfeldes sofort eine starke Osmose hervor- gerufen, welche vielleicht durch eine Tödtung oder Schwächung der die Blase auskleidenden Epithelien eingeleitet wird. An den angrenzenden Rändern des Äquators dagegen wurde die Diffusi- bilität bei geeigneter Stromdichte der Art herabgesetzt oder aufgehoben, dass diese Linien bei einer zweiten, sie direct bestrahlenden Durchströmung gleichwohl in ihrer Farbe unver- ändert blieben, was an ein gleiches Verhalten derselben Linien bei Messingkugeln und Kupferplatten erinnerte. Es liegt nahe, dies Verhalten auf einen zwischen dem primären und secundären Polfeld sich bildenden Polarisationsstrom zurückzuführen; der- selbe müsste allerdings sehr stark sein, um selbst an der Stelle stärkster Bestrahlung die Veränderung verhindern zu können; doch deutet die Rückgängigmachung schon vorhandener Ver- änderungen bei der auf der Kupferplatte beobachteten Wan- derung dieser Linie, auf einen complicirteren Zusammenhang hin; und dafür spricht auch die an den Gallenblasen gemachte Beobachtung, dass diese Linien selbst durch Erwärmen der Gallenblase auf 50° C. nicht mehr diffusibel zu machen sind.

214 W.Roux,

Ehe wir zu dem letzten, schwierigsten Abschnitte der uns obliegenden Erörterung übergehen, wollen wir einen Überblick über das Allgemeine der bisherigen Ergebnisse werfen.

Wir haben gefunden, dass embryonales Material von Wirbelthieren in deutlich sichtbarer Weise mit structurellen und gröberen formalen Veränderungen auf den elektrischen Strom reagirt. Die specifische Natur dieser Veränderungen bedarf noch vielfacher Aufklärung, wovon ich selber nur den durch die mikroskopische Besichtigung der behandelten Sub- strate möglichen Theil zu geben, das Weitere aber den Unter- suchungen Anderer, etwa der Physiologen oder der Elektro- therapeuten, zu überlassen gedenke. Die Veränderungen boten alle polare Localisation dar, d. h. sie waren auf die Polseiten der Gebilde beschränkt. Zu der ihrer Qualität nach schon morphologischen Natur der Veränderung als Pigment- wanderung, bleibende Trübung, umschriebene Substanzaustritte, Aufplatzen, abgesehen von Contractionen, welche ein physio- logischer Vorgang sind kam also noch eine typisch gestaltete Localisation dieser Veränderungen. Diese Localisation war theils abhängig von der Gestalt der untersuchten Gebilde, in erster Linie aber von der Versuchsanordnung, nämlich von der intra- elektrolytären Durchströmungsweise; denn diese allein machte es möglich, dass die Gestalt der Körper so zur Geltung kommen konnte, dass geradezu eine von der Gestalt und Leitungsfähigkeit der Gebilde abhängige Selbstgestaltung der Ein- und Austrittstellen des Stromes stattfand.

Dieselbe Anordnung war auch bei den Versuchen Kühne*s und Verworrn's an Protisten angewendet worden, worauf die Übereinstimmung in der Localisation der von ihnen beobachteten Wirkungen mit den obigen beruht. Fand dagegen keine voll- kommene Eintauchung statt, wie wir das bei einer Gallenblase gesehen haben, oder war der Eintritt von Stromfäden aus dem Elektrolyten gehindert, wie an den Berührungsstellen der Intra- elektroly ten mit dem Boden oder der Seitenwand des Glasgefasses, so blieben auch die betreffenden Stellen unverändert, obgleich sie selbstverständlich vom Strome durchflössen wurden. Bei den gewöhnlichen physiologischen Versuchen mit Auflegen des Objectes auf die Bäuschchen oder mit Aufsetzen der unpola-

Entw'ickelungsmechanik des Embryo. 215

risirbaren Elektroden auf das Object wird die Ein- und Austritts- stelle des Stromes vom Experimentator bestimmt; und nur von diesen Punkten aus kann sich der Strom noch innerhalb des Objectes in bestimmter Weise vertheilen, aber immerhin noch zumTheil ähnlich wie in der Wasserschale. L. Hermann hat hervorgehoben, dass Muskeln und Nerven aus Fäden, umgeben von indifferenten Leitern, bestehen, und hat daraus die von ihm zur Erklärung der Wirkung des elektrischen Stromes heran- gezogene innere Polarisation abgeleitet. Da auch das Proto- plasma wässerige Flüssigkeit, das Paraplasma, zwischen seinen Fäden, Häutchen oder Körnchen enthält, so sind also alle auf den elektrischen Strom reagirenden lebenden Substrate in gewissem Maasse als Intraelektrolyten zu betrachten.

Die Selbstbestimmung der Eintrittsstellen der Stromfaden durch die Objecte ist, wie oben dargethan wurde, um so grösser, je grösser die Leitungsdiflferenz von Elektrolyt und Intra- elektrdyt ist, und bis zu einem gewissen Grade, je grösser die vom Elektrolyten eingenommenen Zwischenräume zwischen den reagirenden Intraelektrolyten sind.

Um zum Überfluss das Verhalten embryonalen Materiales bei nicht intraelektrolytärer Durchströmung direct zu beobachten, setzte ich an frei, ohne Flüssigkeit in einer Glas- schale liegende Hühnerembryonen die Nadelelektroden direct auf; es entstand, wie zu erwarten, bloss an der Berührungsstelle der Anode und danach in der Umgebung derselben weisse Trübung, die sich allmälig weiter ausbreitete, und, wie der nach- her gemachte Durchschnitt zeigte, auch ins Innere eingedrungen war und alle anwesenden Organe, aber die verschiedenen Or- gane in nicht ganz gleicher Stärke und nicht ganz gleicher Ausdehnung von der Elektrode aus, weisslich getrübt hatte. Da wir bisher gesehen haben, dass diese Wirkung nur an der Be- rührungsstelle der reagirenden Substanz mit einem Elektrolyten stattfindet, so ist aus diesem Eindringen ins Innere zu schliessen, dass die in unserem Sinne polarisirte organische Sub- stanz sich gegen noch unpolarisirte lebende wie ein Elektrolyt verhält; und andererseits, dass die noch unver- änderte lebende Substanz keinen Elektrolyten in dem Sinne, dass erzur Veranlassung unserer morphologi-

.216 W. Roux,

sehen Reactionen ausreichte, darstellt oder auch nur ^einen solchen enthält, trotz des Paraplasma, welches allenthalben sich findet und leicht dafür zu halten wäre. An der Kathode fand so starke Gasentwickelung rstatt, dass man erst nach dem Aufhören der Durchströmung und Wegspülung der Blasen das Feld besichtigen konnte; es war heller^ durch- scheinender und weicher geworden und dehnte sich gleichfalls ins Innere des Embryo aus; an den Gehirnblasen aber wurden die innersten Theile der Wandung etwas trüb.

Danach wollte ich prüfen, ob vielleicht dieses Verhalten der Hühnerembryonen keine vital vermittelte Reaction, sondern auf Seite der Kathode bloss kataphorische Wirkung und auf Seite der Anode Gerinnung sei, ob sie also Veränderungen darstellen, wie sie auch an todten organischen Substanzen vorkommen, zumal da das änodische weisse Feld, durch Aufsetzei? der Kathode wieder hell durchscheinend wurde. Um zu ermitteln, ob die beobachtete Reaction an das Leben der Gewebe gebunden sei, legte ich ein Stück des vorigen Embryo drei Minuten lang in halbprocentige Kochsalzlösung von 50° C. und durchströmte es dann in derselben Richtung als früher; er wurde an der Anode .noch weiss, aber reagirte.viel träger. Daher verstärkte ich die W^irkung der Wärme durch drei Minuten langes Erwärmen eines anderen frischen Embryo auf 60° C., wodurch derselbe schon ein wenig trüb wurde; beim Durchströmen trübte sich alsdann auf den Anodenseiten, aber nur sehr langsam, das -Innere des Embryo, während eine Oberflächenschicht von etwa 0*7 mm Dicke nicht mehr trüber, sondern im Gegentheile hell <lurchscheinend. wurde. Dies deute ich so, dass die zunächst erwärmte oberflächliche Schicht vollkommen getödtet worden war und daher ihre Reactionsfähigkeit verloren hatte, während die tieferen Theile noch schwach reagirten. Zu weiteren Ver- suchen waren wegen der Jahreszeit keine Embryonen mehr zu .erlangen.

Um das an Embryonen beobachtete Verhalten mit dem Verhalten erwachsener Organe zu vergleichen, wurden die -Elektroden desselben, nicht starken Gleichstromes auf die Muskeln, den Darm, die Leber des erwachsenen Frosches aufgesetzt; es entstand jedoch keine, mit der an den Embryonen

Entwickelungsmechanik des Embryo. 217

beobachteten, V"ergleichbare Trübung, und desgleichen blieb eine entsprechende Reaction aus bei gleicher Anwendung des mindestens dreimal stärkeren Wechselstromes, welcher bei geringem Elektrodenabstand nur durch starke Erwärmung' allmälig eine Trübung, Gerinnung hervorbrachte.

Beim Durchströmen der Gallenblasen des erwachsenen Frosches jedoch entstand bei directem Aufsetzen der Draht- elektroden an der Anode ein allmälig auch auf deren Umgebung sich ausdehnender hellgrüner Fleck, aber bloss, wenn wässerige Flüssigkeit, so auch schwache Kochsalzlösung, an der Be- rührungsstelle sich vorfand; wenn dies nicht der Fall war, so bildete sich bloss ein trockener, dunkler Fleck.

Diese Versuche haben also die Annahme, dass die in den Abschnitten I IV mitgetheilten Localisationen der elektrischen Wirkung durch die intraelektrolytäre Versuchsanordnung be- dingt sind, aufs Neue bestätigt.

Wennwirdieseunddie früheren Beobachtungen zusammen- nehmen, so kann wohl kein Zweifel bestehen, dass den ge- nannten Eiern, Embryonen und den Gallenblasen eine besonders leicht eintretende, zum Theil eigenartige Reactionsfähigkeit auf den elektrischen Strom zukommt, sowie dass der Ort und die Gestalt dieser durch den Strom veranlassten polaren Verände- rungen von der Eintrittsstelle der Stromfäden in das noch nicht todte Substrat abhängig ist, und dass die Wirkungsfähigkeit an die Anwesenheit eines Elektrolyten gebunden ist. Es ist ferner zu vermuthen, dass die bezüglichen Veränderungen nur an der Oberfläche der lebenden Substanz vor sich gehen und nach dem Absterben der Oberflächenschicht sich bei einigen Gebilden auch auf die nächst tiefer liegende Schicht und so fort in die Tiefe ausdehnen können.

Wenn sich somit ergeben hat, dass diese so auffällig ge- staltete Localisation der beobachteten Veränderungen nichts den betreffenden Objecten Specifisches, sondern eine Folge der Versuchsanordnung und der Gestalt der Versuchsobjecte war, so treten diese doch immer polar localisirten Veränderungen, sowohl durch ihre morphologischen Charaktere, als: Pigment- vvanderung, Extraovate, grobe Trübungen und durch ihre Be-: schränkung auf eine Oberflächenschicht oder wenigstens durch

218 W. Roux,

ihr Ausgehen von derselben unter Freilassen mindestens einer Äquatorscheibe in einen Gegensatz zu der von Peltier 1834 entdeckten und von du Bois-Reymond und L. Hermann u. A. weiterhin untersuchten inneren Polarisation thierischer Gebilde, welche nicht sichtbar ist und sich auf die inneren Oberflächen der lebenden Theile, angeblich im ganzen Bereiche der durchflossenen Strecke ausdehnt. Um sie von letzterer Polarisation zu unterscheiden, habe ich die Entstehung dieser neuen polaren Veränderungen nach dem einen ihrer unter- scheidenden Hauptcharaktere als morphologische Polari- sation bezeichnet.

Es muss den Physiologen überlassen bleiben, die Ursache nachzuweisen, warum die beschriebenen Veränderungen nur von der Oberfläche ausgehen, obgleich im Inneren der Gebilde ebenfalls Gelegenheit sowohl zur Abscheidung von Jonen, welche nachBernstein als das die Veränderungen vermittelnde Agens anzusehen sind, wie zur Brechung von Stromfäden gegeben ist; so dass infolge dessen die Zelle trotz solcher inneren Structur nur von aussen her und somit als einheit- liches Ganzes entsprechend ihrer äusseren Gestalt polarisirt wird. Es ist ferner zu erforschen, worin die specielle Natur der Veränderungen und der Mechanismus derselben besteht.

So weit es richtig ist, dass beim elektrischen Durchströmen carcinomatöser Körpertheile gerade die Carcinomzellen alterirt werden und absterben, kann man auf Grund der vorstehenden Versuchsergebnisse darin eine Bestätigung ihrer von Virchovv und Cohnheim vermutheten embryonalen Natur erblicken, eine Annahme, welcher ich eine weitere Unterlage gegeben habe, indem ich mehrfach in Embryonen Zellen, welche abnormer Weise auf viel niederer Stufe der Differenzirung als die der Umgebung stehen geblieben und nicht an das umgebende Ge- webe morphologisch angeschlossen waren, an den verschie- densten Stellen aufgefunden habe.*

Es erübrigt zum Schlüsse, uns eine Meinung über das zweifache Verhalten des schon mehrfach getheilten

1 W. Roux, Beiträge zur Entwickelungsmechanik des Embryo, Nr. 5, loco cit. Über Hervorbringung halber Embryonen etc. Virchow's Arch., Bd. 114, 1888, Sep.-Abdr., S. 65.

Entwickelungsmechanik des Embryo. 219

Frosch- und Tritoneies, über die an diesen Gebilden beob- achteten beiden verschiedenen Localisationen der polaren Reac- tionen auf den elektrischen Strom zu bilden.

An der lebenskräftigen Morula, Rlastula und jüngeren Gastrula bildete jede einzelne Zelle ein besonderes »Special- polfeld*, respective deren zwei, und einen eigenen »Special- äquator«. An der geschwächten Morula oder Blastula dagegen entstanden zwei grosse »Generalpolfelder«, die einen über die Aquatorgegend des ganzen Eies weggehenden »Generaläquator« begrenzten. (Über ein etwaiges bezügliches, zweifaches Ver- halten auch der älteren Gastrula und der Embryonen liegen genügende Beobachtungen zur Zeit nicht vor; doch schien es, dass bei letzteren die oberflächlichen Zellen durch Contraction gerundet und ausserdem zur Abscheidung von Flüssigkeit (Schleim?) angeregt wurden; bei Gastrulae wurde sowohl Zell- contraction, siehe S. 92, sowie auch Zell-Polfeldbildung gleich der der jüngeren Gastrula beobachtet, siehe S. 91.)

Es ist die Frage, was jede der beiden obigen, an denselben Objecten vorkommenden verschiedenen Reactionsweisen be- deutet, und worin die Verschiedenheit, ja Gegensätzlichkeit derselben ihren Grund hat

Bei der Generalpolarisation verhält sich das in viele Zellen

zerlegte Ei wie das ungetheilte Ei; bei der Specialpolarisation

der einzelnen Zellen dagegen reagirt jede Zelle des Eies für sich.

Fragen wir zunächst, worauf das letztere Verhalten beruhen kann.

Die Zellen der Morula und Blastula sind normaler Weise

jede für sich nach aussen convex gewölbt. Es war daher mein

erster Gedanke, dass dieses Moment vielleicht wesentlich zu

dem Effecte beitrage; und da bei Schwächung des Eies durch

längere Durchströmung die Zellen sich abplatten, bevor dann

die Generalpolarisation des Eies eintritt, schien diese Annahme

sich zu bestätigen; diese wechselnden Gestaltverhältnisse

schienen also eine ausreichende Erklärung für den Wechsel

der Reaction zu geben.

Um diese Auffassung zu prüfen, wurden mehrere Experi- mente gemacht.

Ich fand zwei ungetheilte Eier, welche abnormer Weise eine grosse Furche gebildet hatten, die einen gewölbten, zungen-.

220 W. Roux,

förmigen Theil des Zellleibes unvollkommen absonderte. Diese Eier wurden sogleich in einer Richtung durchströmt, welche den Zungenlappen gegen eine Elektrode wendete. Obgleich nun dieser Lappen durch eine Furche abgeschnürt und durch in sie eingedrungene Flüssigkeit vom Haupttheil des Eies zum Theil gesondert und für sich gewölbt war, bildete er sogleich ein die ganze bestrahlte Fläche einnehmendes Polfeld als Theil des Generalpolfeldes dieser Seite, aber kein zweites Polfeld und keinen eigenen Äquator. Es trat also trotz vollkommen geeigneter Form keine Specialpolarisation ein.

Weiterhin hatte ich beobachtet, dass durch Carbolsäure getödtete Morulae ihre nach aussen gewölbten Zellformen behielten, also nicht wie sonst die Eier vor dem Absterben ihre Oberflächenzellen abplatteten. Daher vergiftete ich Morulae in geringerem Masse mit Carbolsäure, so dass sie noch reactions- fähig blieben; beim Durchströmen zeigte sich dann, dass sie trotz Erhaltung ihrer Zellrundung rasch die beiden Generalpolfelder bildeten. Ein weiteres Argument boten schon die normalen Morulae dar. Die helle Unterseite des getheilten Frosch- und Tritoneies hat immer zur Kugelfläche des Gesammteies abge- plattete, oberflächlich nur durch feine seichte Furchen von ein- ander getrennte Zellen; gleichwohl reagirten auch diese Zellen jede für sich. Das Gleiche war einigemale bei durch Eis ge- schwächten Eiern auch an den dadurch abgeplatteten Zellen der schwarzen oberen Hemisphäre der Fall.

Es kann also kein Zweifel darüber bestehen, dass die Glie- derung der äusseren Oberfläche in viele gerundete Wölbungen nicht, wie es bei den Gehirnblasen und eingeschnürten Gallen- blasen der Fall war, die Ursache der Specialpolarisation der die Morula zusammensetzenden Zellen ist. Ein entsprechendes Ver- halten zeigte auch die am Rande mit halbrunden Verwölbungen versehene Metallplatte beim Durchströmen.

Dem wirklichen Grunde werden wir zugleich mit der Unter- suchung der Ursachen des speciellen Verhaltens der Zell- p^olarisation näher treten.

Dies letztere bot folgende Hauptzüge dar: Die Polarisation der einzelnen Zellen dehnte sich auf alle Zellen der Morula und Blastula, auch auf die in der Gegend des sonstigen elektrischen

Entwickelungsmechanik des Embryo. 221

Eiäquators gelegenen, also von aussen am wenigsten bestrahlten Zellen aus. In gewissem Gegensatz dazu bildeten die näher dem Pole gelegenen, mit ihrer Aussenfläche fast rechtwinkelig gegen die Stromfaden gewendeten, also anscheinend dicht be- strahlten Zellen nur relativ kleine, oft kaum die Hälfte dieser äusseren Fläche einnehmende Polfelder aus, während der andere, polifugal gelegene Theil als Äquator der Zelle unverändert blieb. Es ist daher die Reaction der schwach bestrahlten äquatorialen Zellen nicht einfach auf eine Herabsetzung der Reizschwelle gegenüber den mit diesen Zellen nicht reagirenden, der General- polarisation unterliegenden, geschwächten Eiern zu beziehen. Nur die in der Gegend der Mittellinie des elektrischen Eiäqua- tors liegenden Zellen bildeten zwei äusserlich sichtbare Pol- felder, alle anderen Zellen Hessen an ihrer Oberfläche bloss ein einziges Polfeld erkennen.

Die Deutung dieser Erscheinungen ergibt sich aus den oben mitgetheilten analytischen Experimenten an Metallen und Gallenblasen.

Wir haben an den im Elektrolyten vertheilten Blei- und Messingkugeln gesehen, dass von allen durch den Elektrolyten von einander getrennten metallischen Gebilden jedes für sich je zwei Polfelder und einen Äquator bildete. Dabei sind zwei sondernde Momente zugleich vorhanden: die Einschaltung eines schlechteren Leiters zwischen bessere und die Benetzung der Oberfläche des Metalls mit dem Elektrolyten. Wir müssen daher den eventuellen Antheil jedes dieser Momente an der selbständigen Polarisation uns klar machen.

Die LeitungsdifFerenz des Elektrolyten und der Intraelektro- lyten kann nur den Ort des Ein- und Austrittes der Stromfäden beeinflussen; aber dieser Ein- oder Austritt hat nur dann eine polarisirende Wirkung, wenn er aus dem, respective in den Elektrolyten erfolgt Wenn zwei Kugeln sich metallisch leitend berühren, geht der Strom an der Berührungsstelle aus einer Kugel in die andere, ohne dass Polfelder daselbst entstehen. Also die doppelte Polfeldbildung beruht beim Metall sicher auf der vollkommenen Umschliessung mit dem Elektrolyten.

Aber die Ausdehnung der einander zugewendeten Pol- felder sehr naher Intraelektrolyten ist im hohen Maasse von

222 W. Roux,

der Leitungsdifferenz zwischen ihm und dem Elektrolyten abhängig. An den einander nahen Metallkugeln wurden die einander zugewendeten Polfelder im Wechselstrom mit dem Maasse der Näherung immer kleiner. Wenn jedoch der Elektrolyt fast ebenso gut leiten würde als das Metall, so würden die Stromfäden im Innern der Kugel nur schwach gegen den der anderen Kugel nächsten Punkt convergiren; sie würden in höherem Maasse durch die seitlichen Theile der einander zuge- wendeten Flächen beider Kugeln gehen; die bezüglichen Pol- felder würden also sogar trotz einer continuirlichen Verbindung der Kugeln fast ebenso gross werden als die äusseren, wie dies aus dem gleichen Grunde bei den eingeschnürten Gallenblasen der Fall war.

Aus der Specialpolarisation der Zellen der Morula und Blastula ist also zu schliessen, dass jede Zelle, wenn nichtallenthalben so doch grösstentheils, durch elektro- lytische Substanz in unserem Sinne von ihren Nachbarzellen gesondert ist. Elektrolytische Substanz in unserem Sinne ist ein Elektrolyt, der zur Vermittelung der morpho- logischen Polarisation der von ihm berührten reactionsfahigen Substanz geeignet ist, also eine andere Substanz als diejenige, welche zu der inneren Polarisation der Physiologen ausreicht, da unser Elektrolyt primär bloss an der Oberfläche der Zellen, letzterer aber im ganzen Inneren der Bionten vorhanden ist

Oberfläche einer Zelle ist in unserem Sinne danach die Berührungsfläche der lebenden Substanz der Zelle mit einem solchen Elektrolyten, mag sie nun an der äusseren Fläche der Morula oder in der Morula zwischen den Zellen oder gar in der Zelle selber liegen, welch* letzteres aber in unserem Falle primär nicht der Fall war, sondern erst von der Oberfläche aus im Pol- abschnitt alimälich sich ausbildete.

Dergleiche Grund für die Specialpolarisation gilt natürlich auch bezüglich der Urwirbel, des Darmrohres und der basalen Theile des Gehirnes, von denen ja trotz ihrer Umschliessungund Vereinigung durch ein anderes Gewxbe jedes seine besonderen Polfelder bildete; die Umgebung dieser Theile verhielt sich also zu ihnen wie ein Elektrolyt. Das ist bei den epithelialen Organen nicht zu verwundern, da sie alle zu dieser Zeit durch Lymph-

Entwickelungsmechanik des Embryo. 223

i spalten von den Theilen des umgebenden interstitiellen Gewebes getrennt sind oder, wie das Gehirn, im Binnenraum mit Flüssigkeit erfüllt sind. Für diese Auffassung spricht auch das Verhalten der reifen und unreifen Froscheier, welche bei voll- kommener Trockenhaltung nicht erkennbar reagirten. Beim Herzen reagirten die Vorhöfe und die beiden Arterien, auch wenn sie gegen die Elektroden zu gelegen waren, mit dem Ventrikel gemeinsam als eine Einheit, obgleich sie doch durch faseriges Bindegewebe von ihm geschieden sind, von welchem man wohl vermuthen könnte, dass es als Elektrolyt fungiren würde; dieses Verhalten des Herzens bedarf daher besonderer Untersuchung. Es bleibt ferner zunächst unbekannt, worin bei der Morula der intercellulare Elektrolyt besteht, ob in der Kittsubstanz, der Zellrinde oder einer nach innen von ihr gelegenen Schichte.

Nach der bisher gewonnenen Einsicht sind die Erschei- nungen der SpeciaJpolarisation der Morula und Blastula, soweit sie die Breite und Lage der Polfelder respective des Äquators angehen, analytisch auf folgende Momente zurückzuführen.

Erstens auf die Änderung, welche die Breite des Äquators einer Kugel erfährt, wenn sie durch eine rechtwinkelig zum Strome stehende elektrolytische ebene Halbinmgsfläche zerlegt wird. Sind dann die durch die entstehenden beiden inneren Polfelder bedingten zwei Äquatoren zusammen breiter als der frühere einfache Äquator? Da unsere entsprechend zerlegten Eier immer neben der Theilungsfläche abgerundete Kanten hatten, waren wir nicht in der Lage, Beobachtungen über diesen Fall anzustellen. Wir sahen vielmehr im Grunde der ersten Furche an beiden Theilstücken einen veränderten Saum, der die Grösse und Lage des Äquators beeinflussen musste.

Zweitens: Wird, wenn die Scheidungsflächen nicht eben sondern gegen jede der Hälften concav sind, der Äquator durch die Ausdehnung der inneren Polfelder nach aussen hin, also auf Kosten der äusseren Polfelder verschoben? Diese Frage ist an den eingeschnürten Gallenblasen in zustimmendem Sinne beantwortet worden.

Drittens: Treten die Wirkungen 1 und 2 auch bei unvoll- kommener Scheidung und zwar in mit der Zunahme der Scheidung stärkerem Maasse auf? Bei Metallen war solches

224 W. Roux,

nicht bemerkbar, weil die geringste metallisch leitende Ver- bindung der Gebilde zur Fortführung aller Stromfäden ver- wendet wurde infolge des millionenmal besseren Leistungs- vermögens der Metalle als der Flüssigkeiten. Bei den eingeschnürten Gallenblasen dagegen konnten wir diese Frage bejahen, denn wir sahen, dass der Strom theils durch den zu- nächst nicht polarisirten Verbindungsstrang, theils durch den Elektrolyten unter Polarisationswirkung an derAus- und Eintritts- stelle ging, beide Wege unmittelbar nebeneinander, ohne eine trennende Zone nehmend. Also könnten auch die Zellen der Morula theils durch Elektrolyten getrennt, theils, dazwischen verstreut, durch leitende Nicht-Elektrolyten, wie etwa protoplas- matische Intercellularbrücken verbunden und so die anzu- nehmenden inneren Polfelder durch viele nicht veränderte Stellen unterbrochen sein.

Viertens ist von Bedeutung die oben 'für lebendes und metallisches Material festgestellte Thatsache, dass kleine Kugeln relativ kleinere Polfelder, also einen relativ grösseren Äquator bilden als grössere Kugeln. Dazu käme noch ein weiterer Factor, den wir aber weder bei den ungleich grossen Eiern noch bei den frischen und bei den geschwächten Morulis er- mitteln konnten, nämlich die eventuelle Ungleichheit der Re- actionsschwelle der Zellen.

Wenn wir auch nicht sicher wissen, wodurch bei den Eiern der Äquator bedingt war, ob allein durch zu geringen Strom- fädeneinfall für die Höhe der Reizschwelle oder durch einen Polarisationsstrom, so haben wir doch die feststehende That- sache gefunden, dass immer zwischen der Ein- und Austritts- stelle des Stromes eine freie Zone bleibt, welche der Bedingung 4 entspricht. Dagegen zeigt ein Versuch mit einer Gruppe dicht zusammenstehender, sich aber nicht berührender Metallkugeln, dass eine Kugel, welche blos ein einziges Eintrittsfeld hat, mehrere von einander vollkommen getrennte Austrittsfelder und umgekehrt haben kann, und dass die gleichartigen dieser Felder bei entsprechender äusserer Veranlassung continuirlich in einander übergehen können. In demMaasse, als zwischen den Zellleibern Elektrolvten vorhanden sind, werden daselbst innere Polfelder auftreten, und sobald diese gross genug sind, werden

Entwickelungsmechanik des Embryo. 225

sie nach Moment 2 den mit ihnen zugleich entstehenden Zell- äquator auf die Aussenfläche treiben.

Da die Zellen mit ihren Nachbarflächen sich an einander abplatten, so stossen sie mit einander parallelen Flächen zu- sammen. Dies ist ein weiteres, die Grösse der inneren Polfelder und damit die Lage des Äquators beeinflussendes Moment. Ent- sprechend geschnittene und ohne, dass sie sich berühren, zu- sammengelegte Bleikugeln zeigen beim Durchströmen ausser dem äusseren kleineren Polfeld, dass die inneren Polfelder die ganzen einander gleich nahen Flächen einnehmen, mögen dieselben quer oder schief zum Strom stehen. Dasselbe wird auch bei nicht metallischen Gebilden der Fall sein. Da diese inneren Oberflächen der Zellen bei mehrfach getheiltemEi mit steigender Theilungszahl einen immer grösseren Theil der ganzen Zell- oberfläche, sehr bald aber schon über die Hälfte einnehmen, so werden also die intercellularen Polfelder den grössten Theil der Zelloberfläche einnehmen, damit den Äquator auf die äussere Oberfläche treiben und zugleich die Grösse des äusseren Polfeldes beschränken.

Fernerkönnte die Wirkungeiner Aspiration derStromfäden durch die Zellen auf die Grösse des Zelläquators hier sehr er- heblich sein, da die Zellen unmittelbar neben einander liegen und die kleinen Polfelder also einander sehr nahe sind, so dass die Stromfäden des Elektrolyten sich vollkommen auf letztere vertheilen könnten, sofern nur irgend eine erhebliche Leitungs- differenz zwischen den Zellen und dem Elektrolyten besteht.

Der Umstand endlich, dass die in der Gegend des elek- trischen Äquators des Eies liegenden Zellen zwei äussere Polfelder darbieten, erklärt sich einfach daraus, dass sie allein, als seitlich vorspringend, von beiden Elektroden aus durch den Elektrolyten hindurch direct von Stromfäden getroffen werden, während alle anderen Zellen die Stromfäden der einen Elektrode nur erst nach dem Durchgehen derselben durch die Morula erhalten und daher innere, von aussen nicht sichtbare Polfelder durch ihren Eintritt bilden werden.

Nachdem im Vorstehenden neben den Ursachen der speciellen Localisation zugleich dargelegt worden ist, auf was für einem Verhältniss meiner Meinung nach die Special-

Sitzb. d. mathem.-natunv. Cl. : CI. Bd. Abth. III. 1 ')

226 W. Roux,

Polarisation der Zellen der Morula beruhen muss, ist zu er- örtern, wodurch es- bedingt ist, dass an denselben Gebilden unter Umständen, sei es nach vorausgegangener Specialpolari- sation oder sogleich beim Durchströmen eine Generalpolari- sation auftreten kann, wobei uns freilich die noch mangelnde Einsicht in das Innere des Eies wieder fühlbar werden wird.

An denjenigen frischen Morulae, welche nach anfänglicher Zellpolarisation infolge längere Zeit fortgesetzter Durch- strömung zur Generalpolarisation übergehen, scheint dieser Wechsel leicht verständlich. Denn da bei der Zellpolarisation Zellinhalt nach aussen durch die Zellrinde hindurchtritt, kann man denken, derselbe Vorgang finde auch im Innern statt; die Zellrinde, respective die minimale Kittsubstanz wären die Elektrolyten gewesen, und sie würden durch den hindurch- tretenden Zellinhalt ihrer Eigenschaft als Elektrolyten zu wirken, mehr und mehr enthoben, da die sich berührenden Zellen jetzt durch Zellinhalt in directe, nicht morphologisch polarisirbare Verbindung gelangen und daher fast wie ein Ganzes reagiren; ähnlich wie zwei Metallkugeln, die sich leitend berühren, nur dass bei den organischen Gebilden die Verbindungsbrücken in dem Maasse ausgedehnter sein müssen, als ihre Substanz nicht erheblich besser leitet als der sie noch theilweise trennende Elektrolyt. Im Falle das geschwächte Protoplasma vielmal besser leitete als die nicht protoplasmatischen Trennungstheile der Zellen, könnten diese fast vollkommen umgangen werden.

Indess sind diese hypothetischen inneren Substanzdurch- tritte noch nicht gesehen worden; ausserdem wäre auch die auf sie sich gründende Erklärung nicht auf diejenige General- polarisaton anwendbar, welche nach der Erwärmung der Morula auf 40° C. und nach der Vergiftung mit Carbolsäure eintritt. Je stärker die Erwärmung oder Vergiftung war, um so rascher ging die beimBeginne der Durchströmung auftretende Zellpolarisation unter Wachsthum der Polfelder und Verschwinden der Zell- äquatoren im Bereiche der Polseiten des Eies in die General- polarisation über; bei den höchsten Graden derartiger Beein- flussung geschah dieser Übergang sogar so schnell, dass man kaum die initiale Zellpolarisation wahrnehmen konnte. Dabei stand die Intensität der sichtbaren Veränderungen in umge-

Entwickelungsmechanik des Embryo. 227

keJirtem Verhältniss zur Geschwindigkeit ihres Auftretens und zu ihrer Ausbreitung; zuletzt trat bloss noch eine schwache Verfärbung auf, kein erkennbarer Durchtritt von Substanz durch die Rinde.

Und diese Geschwindigkeit der Ausbildung der General- polarisation bei minimaler Intensität der Veränderung steht wieder in einem Gegensatz zu dem hochgradigen Substanz- durchtritt bei Durchströmung lebenskräftiger Eier, an welchen trotz dieser diffusen Extracellulate erst nach mehreren Minuten und erst, nachdem die Niveaulinien der äusseren Theile auf- geplatzt waren und nachdem schon dies einige Zeit bestanden hatte, der Übergang zur Generalpolarisation stattfand.

Daraus ergibt sich schon, dass die erstere Annahme zur Erklärung der vorliegenden Erscheinungen nicht zutreffend ist.

Man kann nun an andere Momente denken: z. B. an eine Abnahme der Widerstandsfähigkeit der Zellen durch die schädi- gende Wirkung der Vergiftung, der Erwärmung oder der länger dauernden Durchströmung, und zwar in Anknüpfung an die vorher relativ kleinen Polfelder der Zellen und an den grossen, fast die Hälfte der freien Oberfläche vieler Zellen einnehmenden Äquator. Besonders weist auf einen initialen Widerstand der lebenskräftigen Morula hin, dass der Äquator vieler Zellen hier fast rechtwinkelig gegen die Stromfäden gerichtet ist, also dicht von ihnen getroffen werden muss, sofern nicht die lebens- kräftigen Zellen vielmal besser leiten als die geschwächten und daher die Stromfaden vollkommen mit den der Elektrode nächsten Stellen aufnehmen.

Wenn die Änderung des Verhaltens der Morulazellen nach Erwärmung oder Vergiftung aber auf einer Schwächung ihres Widerstandes gegen den Strom beruhte, dann müsste die Ver- änderung auch an den im Bereiche des Generaläquators lie- genden Zellen weiter schreiten. Da an diesen Äquatorzellen die Veränderung jedoch nicht weiter schritt, ist diese Annahme also gleichfalls unzutreffend. Dasselbe gilt auch für eine eventuelle Schwächung der Widerstandsfähigkeit durch fortgesetzte Durch- strömung. Hierdurch würden zwar die Äquatorzellen weniger alterirtwerden,da sie viel weniger dicht von äusseren Stromfäden getroffen werden. Diese durch die Dichtigkeit der äusseren

15*

228 W. Roux,

Bestrahlung bedingte Schwächungmüsste aber von derÄquator- region gegen die Pole hin nur ganz allmählig zunehmen; dem- nach müsste auch die Erscheinung der Vergrösserung der Pol- felder vom Äquator her continuirlich zunehmen. Statt dessen entsteht jederseits am Ei ein einheitliches, durch eine braune Niveaulinie vollkommen scharf begrenztes Polfeld und ein ein- heitlicher allgemeiner Äquator, innerhalb dessen die früher vorhandenen kleinen Polfeldernicht nur nicht wachsen, sondern rückgebildet werden. Die Morula reagirt jetzt ganz wie ein un- getheiltes Ei, also wie ein einheitliches Gebilde.

Da unsere Erörterung über die möglichen speciellen Ur- sachen des Überganges der Specialpolarisation der einzelnen Zellen des getheilten Eies zur Generalpolarisation des ganzen Eies infolge der uns noch mangelnden Einsicht in die inneren Vorgänge zur Zeit nicht weiter geführt werden kann, müssen wir bei der experimentell abgeleiteten Folgerung stehen bleiben und sagen: Die am normal beschaffenen, getheilten Ei als vor- handen erschlossene, vollkorhmene oder unvollkommene Tren- nung der Zellen von einander durch eine wie ein Elektrolyt wirkende Substanz ist durch die genannten, die Vitalität schädigenden Mittel ganz oder theilweise aufge- hoben worden; und dies ist der Grund, dass der ganze Com- plex von Zellen nunmehr w^e ein einheitliches Gebilde ent- sprechend seiner äusseren Gestalt auf den elektrischen Strom reagirt.

Entwickelungsfnechanik des Embrj'o. 229

Figurenerklärung zu Tafel I bis III.

Allgemeines. Alle Figuren sind schematisirt, die der lebenden Objecte sind nach Momentskizzen gezeichnet.

Die durch den elektrischen Strom veränderten polaren Abschnitte sind in den Figuren 1 und 3 20 blau gefärbt. In Wirklichkeit sind die hier blau mar- kirten >Polfelder« bei den Frosch- und Tri ton eiern der Fig. 1 14 heller als der von ihnen begrenzte elektrische Äquator, mit Ausnahme von dessen oft auf- gehellten Rändern.

Wo nicht anders erwähnt, sind die abgebildeten Objecte mit dem Wechselstrom durchströmt worden. Die mittlere Stromrichtung, die gerade Yerbindungsrichtung der Elektroden ist auf den Tafeln immer wagrecht, also in Richtung der Zeilen verlaufend angenommen.

Fig. 1, Kurze Zeit mit nicht starkem Wechselstrom durchströmtes Froschei von der Seite gesehen. Siehe S. 66.

Fig. 2. (Tafel III.) Froscheier in einer niit Wasserleitungswasser gefüllten Glasschale, von den beiden geraden, die senkrecht eingesetzten Elek- troden markirenden Strichen aus durchströmt. Die Schale danach um- gedreht, und die Eier von unten, yergrössert abgezeichnet; die Polfelder dunkel markirt. Siehe S. 33.

fig- 3. Kurze Zeit durchströmtes Ei des Triton. Die Ränder des elektrischen .\quators sind in der Entfärbung begriffen. Siehe S. 88.

Pig- 4. Froschei, stundenlang mit äusserst schwachem Strom durchströmt ; von oben gezeichnet. Die polaren Extraovate sind blau gezeichnet Das Ei ist nicht schattirt, um die im Bereiche des breiten Äquators ent- standenen Streifen besser sichtbar zu machen. Siehe S. 64.

^ig- 5. Zwei in derselben Gallerthülle eingeschlossene Froscheier, in Richtung ihres geringsten Abstandes durchströmt; von oben gesehen. Siehe S. 69.

f^^g- 6. Zwei mit ihren Gallerthüllen vereinigte Froscheier, wie in Fig. 9 durch- strömt und abgebildet. Siehe S. 69.

*^ig- 7. Froschei schief zur ersten Furche durchströmt ; von oben gesehen. Siehe S. 35, 43 und 69.

f^ig. 8 und 9. Froscheier rechtwinkelig zur ersten Furche durchströmt ; von der Seite gesehen. Siehe S. 70.

f^ig« 10. Frosch- sowie Tritonei nach der zweiten Furchung durchströmt ; von oben gesehen. Siehe S. 70 und 89.

^'8; 11. Schief stehendes Froschei nach der zweiten Theilung so lange durch- strömt, bis die anfängliche Specialpolarisation der vier Zellen (Special- polfelder blau) unter Wachsthum der Polfelder (roth) in die Universal- polarisation übergegangen war; von oben aus gesehen. Siehe S. 73.

230 W. Roux,

Fig. 12. Gallenblase des Frosches von oben gesehen, erst in Richtung der Höhe des Blattes, darauf in Richtung der Zeilen durchströmt. Die beiden »Niveaulinien« der ersten Durchströmung sind bei der zweiten Durch- strömung unverändert geblieben. Siehe S. 54.

Fig. 13. Ei des Triton alpestris durchströmt; von der Seite gesehen« Siehe S. 87 >

Fig. 14. (Tafel II). Triton-, sowie Froschei in seiner Hülle zwischen ebenen Glas- platten platt gedrückt und durchströmt; von oben gesehen. Siehe S. 67.

Fig. 15. Oberflächliche Zelle des Polfeldes einer alten Tritongastrula ; Be- trachtung bei auffallendem Licht; äusserer Polfeldabschnitt blau, innerer roth gezeichnet. Siehe S. 100.

Fig. 16. Zelle einer alten Triton Gastrula, isolirt und dann durchströmt. Die beiden protoplasmatischen Polabschnitte blau, die dotterkömerhaltige Äquatorscheibe roth gezeichnet. Siehe S. 98.

Fig. 17. Eine wie die vorige behandelte Zelle, welche aber beim DurchströmeR an den beiden Polen aufgeplatzt ist und ihren Inhalt nach beiden Seiten in Richtung des Stromes entleert hat. Siehe S. 97.

Fig. 18. Ei von Telestes Agassi zii; rechtwinkelig zur Eiaxe durchströmt; von der Seite gesehen. Siehe S. 103.

Fig. 19. Gleiches Fischei; die Keimscheibe war etwas abgebogen, wurde in Richtung ihrer Axe durchströmt. Siehe S. 104.

Fig. 20. Skizze des Kopfes eines Hühnerembryo von fünf Brüttagen. Die Pol- felder am Mittel-, Zwischen- und Vorderhim sind blau markirt; die Ver- änderungen am Hinterhim und an der Himbasis waren nicht gezeichnet worden. Am Mittelhim sind die in Richtung des Wechselstromes stehenden Einfaltungen der Wandung sichtbar. Die an der secundären Augenblase gezeichneten polaren Faltungen und Abschnürungen sind erst nach viel länger fortgesetzter Durchströmung aufgetreten, durch welche die Himblasen bereits viel weiter verändert worden waren, als hier gezeichnet ist. Siehe S. 114.

Fig. 21. Die eine von zwei einander dicht benachbarten, in Richtung des geringsten Abstandes in einhalbprocentiger Kochsalzlösung mit dem Wechselstrom durchströmten Messingkugeln von. 7 mm Durchmesser; die der anderen Kugel zugewendete Fläche dargestellt. Siehe S. 149»

Fig. 22. Eine Kupferscheibe in Kupfervitriol mit dem Gleichstrom durchströmt;

a) Einmalige Durchströmung in Richtung der Zeilen der Tafel. Das der Anode zugewendete Polfeld senkrecht, das der Kathode zugewendete Polfeld schräg schraffirt. Siehe S. 170.

b) Dieselbe Scheibe um 90** gedreht und aufs Neue in Richtung der Zeilen durchströmt. Schraffirung wie bei a.

c) Dasselbe nach länger fortgesetzter Durchströmung.

a Bezeichnet die an der Grenze des primären positiven Polfeldes und des primären Äquators bei der zweiten Durchströmung blank bleibende Stelle und ihre nachträgliche Wanderung. Siehe S. 31. Fig. 23. Parallelepipedischer Bleistab in einhalb procentiger Kochsalzlösung der Länge nach mit den W echselstrom durchströmt nach Neben- stellung von 10 Messingkugeln, um den Verlauf der Stromfaden zu

Entwickelungsmechanik des Embryo. 231

erkennen. Die Polfeder des Stabes schraffirt, die der Kugeln schwarz gezeichnet. Siehe S. 178.

Fig. 24. Ein in der Mitte ausgebogener Stanniolstreifen, der Länge nach in Glaubersalzlösung mit dem Wechselstrom durchströmt. Die Strecke zwischen a a stellt den Äquator dar. Siehe S. 1 53 und 1 79.

Fig. 25. Rechtwinkelig gebogener Balken von Blei, in Richtung des wagrechten Schenkels mit dem Wechselstrom durchströmt. Siehe S.'128 und 154.

Fig. 26. Parallelepipedischer Bleibalken, in achtprocentiger, mit etwas Schwefel- säure versetzter Kochsalzlösung mit dem Gleichstrom seiner Länge nach durchströmt. Siehe S. 181.

Fig. 27. Froschherz mit Messingkugeln umstellt und in Wasserleitungswasser der Länge nach mit dem Wechselstrom durchströmt; die Polfeder der Kugeln lassen die Convergenz der Stromfäden (aber etwas zu stark) erkennen. Siehe S, 183.

Fig. 28. Ein gleiches Herz in fünfprocentiger Kochsalzlösung durchströmt; lässt die Divergenz der Stromfäden sehen. Siehe Seite 183.

Fig. 29. Gallenblase des Frosches in Wasserleitungswasser durchströmt. Siehe S. 183.

Fig. 30. Eine gleiche Gallenblase in fünfprocentiger Kochsalzlösung durch- strömt. Siehe S. 183.

Inhaltsverzeichniss.

L Abschnitt.

Seite Wirkung des Wechselstromes auf Eier von Ranafusca:

auf ein parallel contourirtes Band von Laich 29

auf eine runde Scheibe von Laich 31

bei wechselnder Durchströmungsrichtung 33

auf schwimmende Eier 34

auf unbefruchtete Eier 34

auf mechanisch insultirte Eier 34

auf getheilte Eier 34

auf Hühner- und Taubeneier 36

Wirkung eines Gleichstromes auf Froscheier 36

Wirkung des Wechselstromes auf die Richtung der ersten

Eitheilung: beim Durchströmen 37

beim Umströmen 39

232 W. Roux,

II. Abschnitt.

Seite. Weitere Wirkung des Wechselstromes auf Eier von RatM fusca:

auf Eierstockseier 39

auf nicht im Wasser gelegene Eier 40

auf in Salzlösung gelegene Eier 40

bei wechselnder Durchströmungsrichtung 41

Wirkung sehr schwachen Stromes 41

Wirkung bei verschiedener Stromdauer 42

Grösse der Polfeder 42

Verhalten gepresster Eier 43

Veränderungen der Eier nach der Durchströmung 43

Dauer der Polarisationsfahigkeit 44

Aufhebung derselben durch Erwärmung 44

Wirkung auf Embryonen von Rana fusca 44

Einfluss der Differenz des Leitungsvermögens von Ei und

Menstruum 4&

Wirkung des Gleichstromes:

auf Froscheier und -Embryonen J>0

aufdie Richtung derersten Eitheilung 52

Wirkung des W^echselstromes auf Organfe des erwachsenen

Frosches: 53

auf die Gallenblase 53

auf das Froschherz 54

auf andere Organe ... 55

III. Abschnitt 5&

Erläuterung von Terminis technicis 59

Wirkung des Wechselstromes auf:

Aethalium sepiicum 61

Hydra fusca 62

Rana esculenta : 63

Wirkung aufdie Besamungsrichtung 63

auf dieCopulationsrichtung 63

Wirkung sehr schwachen Stromes auf das Ei 64

Wirkung auf Eierstockseier 65

auf reife Eier 66-

auf deformirte Eier 67

auf Extraovate 68

auf einander sehr nahe Eier 6&

auf get heilte Eier

a) Specialpolarisation 69-

b) Generalpolarisation 73

auf Embryonen 75

Entwicklung smechanik des Embryo. 233

Seite

Einfluss der Wärme auf die Polansationsfahigkeit . . 78 Einfluss der Carbolsäure auf die Reactionsfahigkeit

ungetheilterEier 78

Prüfung des Leitungsvermögens der Eier 79

Wirkung auf von Metall umschlossene Eier 80

auf von Dielectricis lunschlossene Eier 81

Wirkung des Gleichstromes auf Ratta esculenta : 81

auf die Eier 81

auf das Herz und die Gallenblase S3

Wirkung des Wechselstromes auf Triton alpcstris: 85

auf ungetheilte Eier S6

auf getheilte Eier:

a) Specialpolarisation 88

b) Generalpolarisation 90

Art des Vorganges der Polarisation 90

Variationen der Polarisation 91

Wirkung auf Extraovate 96

auf isolirte Zellen 97

auf innere Theile der Gastrula 100

Wirkung des Wechselstromes auf Tclestes Agassizii: 102

auf die Eier, Morulae und Embryonen 102

auf Herz und Gallenblase 109

Wirkung des Wechselstromes auf Lacerta agilis: 109

auf die Eier 109

auf die Gallenblase 1 10

auf die Embryonen 11 0

Wirkung auf Gallus domesticus 113

Wirkung auf Säugethiere:

auf Eier und Embryonen 123

auf die Gallenblasen 123

Vorkommen des Stromschatten 126

Durch den Wechselstrom nicht morphologisch polarisirbare Organe 1 29

IV. Abschnitt.

Wirkung des elektrischen Stromes auf nicht lebende Intra-

elektrolyten: 132

auf Gallerte 133

auf Quecksilber 184

auf feste Metalle 142

Wirkung des Wechselstromes: 145

auf kugelige Gebilde 147

Verhalten einander sehr naher Kugeln 148

234 W. Roux, Entwickelungsmechanik des Embryo.

Seite

auf platte Gebilde 152

Verhalten des rechten Winkels 153

der Kupferscheibe 156

auf Draht 159

auf unvollkommene Intraelektrolyten 162

Wirkung des Gleichstromes auf feste metallische Intraelektrolyten 165

Wirkung auf metallische Intraelektrolyten von der Gestalt der untersuchten organischen Gebilde ... 1 73

Wirkung in besser als der Intraelektrolyt leitenden Medien :

scheinbare Äquatorisation 173

Bedingungen der Polarisation 174

Directe Ermittelung des Verlaufes der Stromfaden: gegen metallische Intraelektroly ten :

im Wechselstrome 178

im Gleichstrome 181

gegen organische Intraelektrolyten 183

Abnahme der galvanischen Wirkung mit dem Abstände von den Elektroden bei gleichem Querschnitt der clektrolytischen

Bahn 184

V. Abschnitt.

Erklärungsversuche und Zusammenfassung:

Ursache der polaren Localisation der Veränderungen 197

Ursache der scharfen Begrenzung des Äquators 201

Ursachen der speciellen Gestaltungen der Polfelder: 202

Stromschatten 202

Bestimmung der Richtung der Grenzlinien der Polfelder. . . . 206 Unterschiede der Localisation der Polfelder bei metallischen

und bei lebenden Intraelektrolyten 209

Zusammenstellung der specifischen Reactionsweisen der

lebenden Objecte 210

Vorbedingungen der beschriebenen Localisation der Polfelder. 214 Ursachen der Specialpolarisation der Zellen des ge-

theilten Eies 218

Ursachen der General Polarisation des getheilten Eies ., 226

W.Ronx: Elektrische Polarisation der Eier und Embryonen.

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Sitzungsberichte d-kais. Akad. d. Wiss., math.-naturw.Qasse, Bd.CI. Abth. ÜT. 1892.

W.Ronx: Elektrische Polarisation der Eier und Embryonen.

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Sitzungsberichte d. kais. Akad. d. Wiss., math.-naturw.Cla8se,Bd.CI. Abth.m, 1892.

W.Ronx: Elektrische Polarisation der Eier und Embryonen.

Taf.III.

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Sitzungsberichte d. kais. Akad. d. Wiss., math.-naturw.Qasse, Bd.CI. Abth.m. 1892.

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235

Ober die Beziehungen der Wirbel zu den

Urwirbeln

von

Prof. V. V. Ebner in Wien,

w. M. k. Akad.

(Mit 1 Tafel.)

In einer »Über die sogenannte Neugliederung der Wirbel- säule und über das Schicksal der Urwirbelhöhle bei Reptilien« betitelten Abhandlung beschäftigt sich Corning* mit der von mir* zunächst an Nattemembryonen beobachteten Thatsache, dass der skeletbildende Theil der Urwirbel schon frühzeitig eine mit der Urwirbelhöhle zusammenhängende Spalte zeigt, welche der Lage nach der späteren Wirbelgrenze entspricht. Ich nannte diese Spalte Intervertebralspalte.

Corning findet diese Spaltbildung sehr deutlich bei Embryonen der Blindschleiche und gibt von solchen eine Reihe von Abbildungen, in welchen das Verhalten der Spalte bis zur beginnenden Knorpelbildung dargestellt wird. Dadurch haben meine Angaben eine dankenswerthe Bestätigung und Envei- terung erfahren, und ich würde gegenwärtig keine Veranlassung haben auf den Gegenstand noch einmal einzugehen, wenn nicht Corning kritische Bemerkungen gegen meine Darstellung in seine Arbeit eingeflochten hätte, die den Anschein erwecken, als ob meine Angaben mit wesentlichen Punkten seiner Unter- suchungsergebnisse sich in Widerspruch befänden, während dies thatsächlich nicht der Fall ist. Es scheint mir, dass die von

1 Morphol. Jahrbuch, Bd. XVII (1891), S. 611.

« Diese Berichte, 1888, Bd. XCVII, Abth. III, S. 194.

236 V. V. Ebner,

Corning angewendete Kritik wesentlich auf Missverständnissen meiner Angaben beruhe. Diese Missverständnisse aufzuklären und die Frage, um die es sich handelt, genauer zu präcisiren, ist nun zunächst der Zweck der folgenden Zeilen.

Ich glaube denselben am besten zu erreichen, wenn ich in etwas anderer Form, als in meiner oben citirten Arbeit, den Ausgangspunkt meiner Untersuchungen darlege.

BekanntHch galten die Urwirbel nach den Untersuchungen V. Baer's für die alleinige öruridlage der Wirbel. Diese Annahme wurde gemacht, trotzdem v. Baer selbst, sowie die Anatomen seiner Zeit recht wohl wussten, dass es auch Wirbelthiere ohne Wirbelabtheilungen (Myxinoiden) und solche gibt, welche nur segmentale Bogen ohne segmentifte Wirbelkörper (Pelroinyzon, Accipenser, Chimaera) besitzen. JohannesMüUer* nahm daher, dem entsprechend, auch an, dass die Wirbelsäule in den ver- schiedenen Classen der Wirbelthiere nicht in derselben Weise entstehe. Erst Remak* erschütterte die Lehre, dass die Urwirbel die paarigen Anlagen der Wirbelkörper sammt den zugehörigen Bogen seien. Nachdem er vorübergehend die Urwirbel aus- schliesslich für die Anlagen der Spinalganglien erklärt, diese Angabe aber später berichtigt hatte, stellte er in seinem grossen Werke über die Entwicklung der Wirbelthiere die Lehre von den Beziehungen der Urwirbel zur Muskelbildung, zur Bildung der Spinalnerven, der Wirbel u. s. w. auf, welche bis zu den Untersuchungen von His die herrschende war. Remak nahm auf Grund seiner Beobachtungen zunächst mit Bestimmtheit an, dass aus der dorsalen Seite der Urwirbel die Muskeln zwischen zwei Wirbeln (intertransversarii, interspinales) hervorgehen ; Hess es aber dahingestellt, wie weit auch die anderen animalen Muskeln zu den Urwirbeln in Beziehung stehen. Jedenfalls ist Remak derjenige, welcher zuerst feststellte, dass die Metamerie der Urwirbel in erster Linie den segmentalen, dorsalen Rumpf- muskeln und somit dem entspreche, was man jetzt Myotome oder Myomeren zu nennen pflegt. Da aber Remak zugleich auch daran festhielt, dass aus der ventralen und medialen

1 Handbuch der Physiologie. Coblenz, 1840, 11. Bd., S. 733.

2 MÜIIer's Archiv, 1843.

Wirbel und Urwirbel. 237

Fläche der Urwirbel das Blastem hervorgehe, welches die bleibenden Wirbel bilde, die ja ebenfalls ein System von Meta- meren darstellen, musste er nothwendig eine Neugliederung der Wirbelsäule insoferne annehmen, als diederMuskelsegmentirung entsprechenden Urwirbel auch die Anlagen der Wirbel, welche mit den Myomeren alterniren, enthalten. Die Frage, wie diese Neugliederung geschieht, muss heute noch für alle diejenigen existiren, welche mit Remak das Blastem der Wirbelsäule aus den Urwirbeln hervorgehen lassen.

Es gibt wissenschaftliche Fragen, welche sich sozusagen von selbst lösen. Sie veralten, sie werden nicht mehr gestellt, weil ihre Formulirung den fortgeschrittenen Kenntnissen nicht mehr entspricht. Zu diesen Fragen scheint mir aber die >»so- genannte« Neugliederung der Wirbelsäule nicht zu gehören. Die Frage, wie die metameren Stücke des Axenskeletes aus den Urwirbeln entstehen, ist und bleibt für jeden eine berechtigte, der überhaupt einen genetischen Zusammenhang dieser Bildungen annimmt Sie scheint um so brennender, als His auf Grund um- fassender Arbeiten geradezu bestritt und bestreitet, dass die Urwirbel irgend etwas mit derBindesubstanzbildung,beziehungs- weise Skeletbildung zu thun haben und in dieser Behauptung vielfache Zustimmung fand. So von Rauber, Kollmann, Waldeyer u. A. Der Augenschein spricht gegen die Annahme von His und für die Annahme von Remak, wie insbesondere Kolli k er eindringlich hervorhob.* Kann man zweifeln, dass die mächtige Zellenmasse, welche augenscheinlich aus den Urwirbeln hervorkommt und die Chorda und das ganze Medullarrohr umhüllt, auch die Anlage für die Wirbelkörper und Wirbelbogen enthält? Der Augenschein spricht dafür, aber kann derselbe nicht trügen? Wissen wir nicht jetzt von einem segmentalen Organe, das Remak aus den Urwirbeln ableitete und das frühzeitig als eine mächtige Zellenmasse zur Seite des Medullarrohres liegt, von dem Spinalganglion, dass es, wie His zuerst zeigte, ganz oben an der Schlusslinie des Medullarrohres seine Entstehung nimmt und rasch grösser werdend sich in den Bereich der Urwirbel schiebt? Könnte nicht der Zusammenhang

' Zeitschr. f. wissensch. Zoologie, Bd. XL, S. 201.

238 V. V. Ebner,

des Wirbelblastemes mit den Urwirbeln auch ein secundärer sein und das, was aus den Urwirbeln nachweislich herauswächst, eine ganz andere Bestimmung haben? (Gefässmuskulatur etc. nach His). In der That, man sucht vergeblich nach einer strikten Widerlegung der Annahme von His, dass die gesammten Binde- substanzen, also auch das Wirbelblastem mit den Gefäss- endothelröhren von der Peripherie in den Embryo hinein gelange, so sehr der Augenschein an Schnitten dagegen zu sprechen scheint. Denn wenn Verschiebungen und diffuse Durch- wachsungen heterogener Anlagen erfolgen, so können solche Vorgänge mehr weniger vollständig der Beobachtung am todten Objecte sich entziehen, trotz bester Conservirung mit fixirten Mitosen und trotz vollständiger Schnittserien. Man wende nicht ein, die amöboiden Zellen seien »Allerweltszellen«, die überall, wo man sie einer Hypothese zuliebe brauche, zu Hih'e gerufen werden. Die Thatsache der activen Ortsveränderung sich ent- wickelnder Gewebeelemente steht fest; sie ist mitunter eine für die Untersuchung höchst unbequeme Thatsache, mit der man aber rechnen muss. Es gibt zweifellos entwicklungsgeschicht- liche Vorgänge, bei welchen Blutgefässe secundär in bereits bestehende Gewebeanlagen hinein wachsen (Retina, Central- nervensystem) ; aber auch solche Fälle, die kaum eine andere Deutung zulassen als die, dass mit den Blutgefässen auch Ge- webeanlagen in ein bereits bestehendes Organ hineingelangen. Hieher rechne ich zum Beispiel das Auftreten von Mark- gewebe im Innern der Knorpel bei der endochondralen Ossifi- cation, da das einzige zellige Element, von welchem man in loco das Markgewebe entstehen lassen könnte nämlich die Knorpelzellen der sich eröffnenden Markhöhlen wohl Zeichen des Zerfalles, des Kernschwundes u. s. w., nicht aber Ver- mehrungserscheinungen zeigen.

Angesichts einer solchen Sachlage glaubte ich im Jahre 1888 zwar immer noch an der alten Lehre von der Bedeutung der Urwirbel für die Skeletbildung festhalten zu müssen; war mir aber klar, dass mit den gegenwärtig zu Gebote stehenden Untersuchungsmethoden höchstens ein Wahr- scheinlichkeitsbeweis, keineswegs ein exact sicherer Nachweis der Abstammung der Wirbel aus den Urwirbeln geliefert

Wirbel und Urwirbel. 239

werden könne. Nichts konnte mir ferner liegen, als etwa die Vorstellung, genau die Zellenmasse umgrenzen zu wollen, aus welcher das Wirbelskelet hervorgehe, oder gar die Meinung zu hegen, es gingen aus den Urwirbelkernmassen R e m ak's oder (wie sie jetzt von Hatschek* und Rabl * genannt werden) aus den Skierotomen nur die Wirbel hervor. Die Auffindung der Intervertebralspalte schien mir in erster Linie desshalb von Interesse, weil sich der Nachweis erbringen Hess, dass diese Spalte bis zum Beginne der Gliederung der knorpeligen Wirbel zu sehen ist und zu dieser Zeit mit ihrem nahe an die Chorda reichenden Ende der Grenze zweier Wirbelkörper entspricht. Dies schien mir weiter mit Rücksicht auf die Thatsache, dass die Intervertebralspalten aus den Urwirbeln her\^orgehen und in einer bestimmten Zeit mit den Urwirbelhöhlen zusammen- hängen, ohne in irgend einer directen Beziehung zu Blut- gefässen zu stehen, nur durch die Annahme begreiflich» dass in der That die Intervertebralspalte die Wirbelsegmentirung einleite. Es Hess sich feststellen, dass die durch die Interverte- bralspalte halbirten Urwirbelkernmassen mit den nächst vorderen und nächst hinteren Hälften der benachbarten Urwirbelkern- massen verwachsen und dadurch zu den Myomeren alternirend gestellte Metameren bilden, welche der Wirbelsegmentirung ent- sprechen. Es fiel mir aber niemals ein, mir vorzustellen, dass jener Theil der Urwirbel, aus welchem die Wirbel hervorgehen, aus- schliesslich nur für diese das Bildungsmaterial enthalte. Wenn ich die Intervertebralspalte speciell nur im Bereiche der Wirbel- körperanlage genauer verfolgte und ihr endliches Verschwinden im Intervertebralknorpel beschrieb, so geschah dies aus dem Grunde, weil nur im Bereiche der Wirbelkörper die reine Knorpel- entwicklung und Segmentirung zu verfolgen war, während im Bereiche der Bogen, Querfortsätze und Rippen auch die Gang- lien mit ihren Nerven, die Blutgefässe, die Muskeln, die Bänder und die Verschiebungen und Umformungen aller dieser Theile in Frage kommen; lauter schwierige Fragen, die für eine Unter- suchung, deren Resultate in dem Rahmen von 12 Druckseiten in knapper Form mitgetheilt wurden, zu weit geführt hätten.

* Anatomischer Anzeiger, 1888, S. 654 und 662.

240 V. V. Ebner,

Kurzum, es war nicht meine Absicht, eine Entwickl ungsgeschichte der Wirbelsäule der Natter zu schreiben, sondern nur zu zeigen, dass die Intervertebral spalten den späteren Wirbelgrenzen ent- sprechen, und dass mithin die längs der Spalten liegenden, aus den Urwirbeln stammenden Zellenmassen, die Wirbelanlage ent- halten müssen. Ich habe klar und deutlich gesagt, dass meine ganze Beweisführung in erster Linie gegen die Parablasttheorie gerichtet sei und war dabei so vorsichtig, nicht mit apodikti- scher Sicherheit die Möglichkeit in Abrede zu stellen, dass von anderwärts herkommendes Zellenmaterial an der Wirbelbildung sich betheilige. Dies geht am besten aus den am Schlüsse meiner Abhandlung gegebenen Erwägungen hervor, welche mit den Worten schliessen: »Wenn ich nun trotzdem behaupte, dass die Urwirbel den wesentlichsten Antheil an der Wirbelbildung haben, so geschieht dies nicht, weil diese Annahme eben so gut oder eben so wenig gerechtfertigt ist, als ihr Gegentheil; sondern, weil ohne diese Annahme die nachweisbare Umgliederung der Urwirbelkerne zu einer den Wirbelkörpern und deren Bogen entsprechenden Segmentirung ganz unbegreiflich wäre.« Ich hätte mich nicht gewundert, wenn von Seite eines Anhängers der Parablasttheorie Einwendungen gegen meine Schlüsse er- hoben worden wären. Zu diesen gehört Corning, als Schüler Prof. Rabl's, natürlich nicht. Er nimmt als selbstverständlich anj was ich hauptsächlich zu beweisen suchte, nämlich die Ab- stammung der Wirbel aus den Urwirbeln, und ist daher nicht geneigt, die Neugliederung des skeletbildenden Theiles der Ur- wirbel im Zusammenhange mit der Intervertebralspalte aus dem Gesichtspunkte zu betrachten, aus welchem ich es that, und sucht daher in meiner Abhandlung Dinge, die zu besprechen mir ferne lag.

Dies vorausgeschickt, glaube ich nun ohne Schwierigkeit die nur durch ein Missverstehen dieses Standpunktes möglichen Einwendungen aufklären zu können.

Zunächst bemerkt Corning:* »Nähme man die Theorie V. Ebner's als richtig an, so hätte man sich vor Allem mit der Thatsache auseinanderzusetzen, dass diese Gefässe« (nämlich

1 L. c. p. 615.

Wirbel und Um-irbel. 241

die interprotovertebralen Blutgefässe, welche Corning, der alten Bezeichnung von Rathke folgend, als Intercostalgefässe benennt) »durch die Verschmelzung zweier einander zuge- kehrter Skierotomhälften von zwei Urwirbeln und der daraus erfolgten Bildung eines bleibenden Wirbels entschieden intra- vertebral zu liegen kämen, eine Annahme, welche von vorne- herein als unzulässig erscheint« Mit der Thatsache, dass die Gefasse intravertebral liegen würden, wenn sie in unmittelbarer Nähe der Chorda blieben, habe ich mich auf Seite 8 (201) meiner Abhandlung in sehr einfacher Weise abgefunden, nämlich durch die Annahme, dass sie infolge der Wachsthumsvorgänge im VVirbelblasteme seitlich verschoben werden und so aus dem Bereiche des werdenden Wirbelknorpels kommen. Mag man übrigens was immer für eine Vorstellung von der Bildung der Wirbelknorpel haben, so muss man eine Erklärung für die Ent- fernung der Blutgefässe von der Chorda, der sie anfangs sehr naheliegen, geben. Dass dies aber speciell mit dem Vorgange der Neugliederung der Wirbelsäule in meinem Sinne etwas zu thun haben soll, ist nicht einzusehen. Ferner meint Corning* »Die Neugliederung der Wirbelsäule ist kein so einfacher V^or- gang, wie v. Ebner annimmt. Dass die Urwirbelhöhle eine Rolle dabei spielt, ist sicher, und zwar dadurch, dass sie das Skierotom in Abschnitte zerlegt, innerhalb welcher die Bildung der Bogen und Wirbelanlagen vor sich geht. Die Behauptung v. Ebner s, dass mit einer secundären Gliederung des Skierotoms durch die Spalten auch schon die Wirbelanlage gegeben sei, ist nicht auf- recht zu erhalten. Schon die eine Thatsache, dass die Anlagen der oberen Bogen und die Querfortsatzanlagen zu einer Zeit vorhanden sind, wo von Wirbelanlagen noch nicht zu reden ist, genügt, um die v. Ebner*sche Anschauung zu widerlegen. Das älteste von v. Ebner abgezeichnete Stadium (Fig. 3 seiner Ab- handlung) zeigt nicht einmal die Anlagen der Querfortsätze.« Diesen Einwürfen gegenüber muss ich zunächst hervor- heben, dass mir durchaus nicht klar wurde, warum die angeb- lich vorauseilende Entstehung der Bogen und Querforsätze im Vergleiche zu den Wirbelkörpern gegen meine Darstellung der

' L. c. p. 620.

Sitzb. d. mathcm.-naturw. Cl.; CI. Bd. Abth. III. 1 6

242 V. V. Ebner,

Wirbelneugliederung sprechen soll. Bei dieser handelt es sich um den Nachweis, dass in der That die Intervertebralspalte der Grenze der Wirbelkörper entspricht. Diesen Nachweis glaube ich aber geführt zu haben (obwohl ich nicht alle Entwicklungs- stadien mit Zeichnungen belegte), und zwar mit folgenden Worten:* »Ist es schon nach den Befunden an dem besprochenen Entwicklungsstadium kaum zweifelhaft, dass die Interv^ertebral- spalten mit der Bildung der Zwischenwirbelbänder, beziehungs- weise Zwischen Wirbelgelenke in Beziehung* stehen, so wird dies durch die Untersuchung späterer Entwicklungsstadien, wie sie an demselben Embryo in der vorderen Rumpfregion und an Schnitten etwas älterer Embryonen zu beobachten sind, zur Gewissheit. Die Zellen, welche die Spalte begrenzen, ordnen sich neben der Chorda zu einer dichten Schichte, wodurch die ohnehin enge Spalte noch mehr verengert und endlich als solche unsichtbar wird, während nun ein dichterer Gewebe- streifen an ihre Stelle getreten ist. Vor und hinter dem Streifen rücken die mehr rundliche Form annehmenden Zellen aus- einander, und während die Urwirbelgrenzen durch seitliche Verschiebung der Blutgefässe neben der Chorda verschwinden, beginnt so die Dififerenzirung der knorpeligen Wirbelkörper, welche als etwas hellere Gewebemassen ohne scharfe Grenze in die dunkleren Zwischenwirbelbänder übergehen.«

Diese Beschreibung ist zwar sehr knapp gehalten, aber durchwegs auf Grund der Untersuchung von Präparaten, und zwar von solchen, welche bis zur vollendeten Knorpelbildung und noch weiter reichen, abgefasst. Dass die Intervertebral- spalte schliesslich in dem dichten Gewebestreifen verschwindet, in welchem viel später bei der Natter secundär die Gelenkhöhle auftritt, konnte ich an meinen Präparaten Schritt für Schritt ver- folgen, und man wird auch finden, dass diese Darstellung mit den Abbildungen Corning's von Anguis übereinstimmt, welche die Intervertebralspalte noch zur Zeit des Beginnes der Knorpel- bildung zeigen, das endliche Verschwinden der Intervertebral-

1 L. c. p. 7 u. 8 (200 u. 206).

2 Das Wort Beziehung ist, wie aus den folgenden Sätzen klar hervorgeht, nur topographisch gemeint.

Wirbel und Unvirbel. 243

spalte aber nicht mehr zur Anschauung bringen. Corning nennt das, was ich Intervertebralspalte nenne, Urwirbelspalte oder Urwirbelhöhle und gebraucht in den Abbildungen nur für die ältesten Stadien (Fig. 5 und 6 seiner Abhandlung) den Aus- druck Intervertebralspalte. Im Texte sagt Corning bei Beschrei- bung dieser Figuren, dass die Intervertebralspalten deutlich ausgebildet seien und weiter:* »Die Segmentirung der Wirbel- säule erfolgt durch die Ausbildung der Intervertebralspalten, welche in Bezug auf ihre Lage den Urwirbelspalten entsprechen. Ob sie aus letzteren hervorgehen, möchte ich dahingestellt sein lassen.«

Corning scheint demnach zu glauben, dass das, was er Intervertebralspalte nennt, bereits die Anlage der Gelenkhöhle sei. Davon kann aber gar keine Rede sein. Abgesehen davon, dass, soweit bekannt, niemals eine Gelenkspalte so früh ent- steht, ist speciell für die Blindschleiche durch die grundlegenden Untersuchungen Gegenbau r's* längst nachgewiesen, dass in den Intervertebralknorpeln drei Zoll langer Embryonen, bei welchen die Wirbel bereits in der Verknöcherung begriffen sind, noch keine völlig ausgebildeten Gelenkhöhlen vorhanden sind. Auch bei der Natter bilden sich die Gelenkhöhlen erst nach Beginn der Wirbelverknöcherung. Wenn Corning daher nur bezweifelt, dass aus dem, was ich Intervertebralspalte nenne, direct die Gelenkhöhle hervorgehe, so halte ich es geradezu für selbstverständlich, dass die Intervertebralspalte total ver- schwindet und mit der Gelenkhöhle nicht identisch ist. Nur das lässt sich, meiner Meinung nach, feststellen, dass die Inter- vertebralspalte im Bereiche der Wirbel dort verschwindet, wo der Intervertebralknorpel sich ausbildet. (Vergleiche Fig. 1, 3 und 4.) Wenn aber Corning daran denken sollte: 1. eine Ur- wirbelspalte (= Intervertebralspalte mihi), 2. eine Intervertebral- spalte (Corning) und 3. eine Gelenkhöhle zu unterscheiden, so würden bei der Blindschleiche nach einander drei Spaltbil- dungen sich finden, von welchen die beiden ersten rasch nach einander an derselben Stelle auftreten und wieder verschwinden,

1 L. c. p. 620.

* Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule bei Amphibien und Reptilien. Leipzig, 1862, S. 42.

16*

244 V. V. Ebner,

während erst die spät auftretende dritte Spalte, die Gelenkhöhle, einen bleibenden Bestand hätte. Es ist aber ganz und gar un- gerechtfertigt, wenn Carning eine Spalte, die offenbar ein und- dasselbe ist, zuerst als Urwirbelspalte * und dann später als Intervertebralspalte bezeichnet, da seine Befunde keinerlei An- haltspunkte für eine solche Unterscheidung ergeben, ganz ab- gesehen von der Verwirrung, die Corning damit anrichtet, däss er dem von mir zuerst und in einem genau definirten Sinne gebrauchten Ausdrucke »Intervertebralspalte« einen anderen Sinn beilegt, als ich. Selbstverständlich werde ich den Ausdruck Intervertebralspalte stets in meinem Sinne (= Ur- wirbelspalte Corning) anwenden.

Wenn ich nun nachgewiesen zu haben glaube, dass die thatsächlichen Befunde Comings bei Blindschleichen- embryonen eine Bestätigung meiner Darstellung der Neu- gliederung der Wirbelsäule sind und dass die erhobenen Ein- wendungen auf Alissverständnissen beruhen, so möchte ich doch noch auch auf einige, die Entwicklung der Wirbelsäule betreffende Punkte eingehen, die in meiner ersten Abhandlung ganz bei Seite gelassen wurden, weil sie mit der Hauptfrage nichts zu thun haben, die aber von Corning in den Vorder- grund gestellt werden.

Bei aller Anerkennung der Bedeutung phylogenetischer Gesichtspunkte muss man es doch beklagen, wenn dieselben in der Darstellung ontogenetischer Vorgänge zu Zwangs- vorstellungen werden, welche eine unbefangene Deutung der Befunde beeinträchtigen. Wenn man Corning's Schilderung liest, möchte man glauben, dass die Chorda und die Wirbel- säule der Blindschleiche bei der Entwicklung alle Stadien durchläuft, die als bleibende Zustände von den Acraniern herauf durch die Cyclostomen, Selachier etc. repräsentirt sind. Zuerst entsteht die cuticulare Chordascheide, unter welcher ein Chordaepithel liegt, dann entsteht vom Sclerotom aus eine äussere Chordascheide, es treten hierauf als erste Anlagen des eigentlichen Achsenskeletes die oberen Bogen und Querfort-

^ Es möge hier auch bemerkt sein, dass von anderen Autoren, z. B. von Froriep, mit dem Namen Urwirbelspalt die Spalte zwischen zwei Urwirbeln bezeichnet wurde.

Wirbel und Urwirbel. 243

Sätze auf, die dann gegen die äussere Chordascheide sich mit breiterer Basis anlegen und so die Anlagen der Wirbel bilden u. s. w. Dieses Schema trifft nun bei den Nattern onto- genetisch durchaus nicht zu, und so weit man nach den Ab^ bildungen Comings urtheilen kann, auch nicht bei den Blind- schleichen. Zunächst ist es eher verwirrend, als treffend, bei den genannten Reptilien von einer äusseren Chordascheide zu sprechen. Man kann allenfalls als solche die schmale Gevvebe- schichte, welche die sehr dünne cuticulare Chordascheide umgibt, bezeichnen, in welche die Intervertebralspalten nicht hinein- reichen und die daher anfänglich ungegliedert ist. Allein histo- logisch und histogenetisch zeigt diese Schichte nichts Beson- deres, da die Zellen derselben weiterhin sämmtlich bis ganz an die cuticulare Chordascheide heran in Knorpelzellen sich umwandeln. Ferner sehe ich bei den Nattern niemals ein Chordaepithel, das heisst eine besondere Zellenschicht, die, unmittelbar unter der Cuticula gelegen, sich von den central gelegenen Chordazellen durch eine eigenthümliche Beschaffen- heit auszeichnen würde. Die Zellen erleiden vielmehr sehr bald bis an die Cuticula allesammt dieselbe Umwandlung in bläschen- artige Gebilde.

Ferner halte ich es für unrichtig, dass die oberen Bogen früher entstehen sollen als die Wirbelkörper. Bestimmt unrichtig ist die Angabe wenn es sich um das erste Auftreten des deutlich als solchen erkennbaren Knorpels handelt; zweifel- haft könnte die Frage beantwortet werden, wenn es sich um die erste Anlage handelt, weil der Begriff »Anlage« in diesem Falle nicht leicht scharf zu fassen ist. Der deutlich ausgebildete Knorpel ist in den oberen Bogen, in den Querfortsätzen und Rippen und in den Wirbelkörpern wesentlich überall von der- selben Beschaffenheit. Es ist ein aus grossen rundlichen Zellen bestehender Knorpel, der nur sehr wenig Grundsubstanz ent- hält, welche sozusagen aus einfachen Knorpelkapseln zu be- stehen scheint. (Vergl. Fig. 3 WK u. Fig. 5.) Eine andere Beschaffenheit hat am ausgebildeten knorpeligen Skelet nur das Perichondrium, die fortwachsenden Knorpelenden (z. B. an den Rippen) und die Stellen, welche später Gelenkflächen bilden, was insbesondere von den Intervertebralknorpeln gilt.

246 V. V. Ebner,

Dort geht der grosszellige Knorpel allmälig in einen kleinzelligen über und die Stelle, welche topographisch der späteren Gelenk- höhle entspricht, besteht noch zur Zeit, wo die Ossification beginnt, aus dicht aneinander gedrängten Zellen, weil hier offenbar noch das Längenwachsthum des Knorpels fortdauert. Wenn ich nun den Ort aufsuche, wo der erste deutliche gross- zellige Knorpel auftritt, so finde ich als solchen den Wirbel- körper, und zwar zwei bilateral symmetrisch zur Seite der Chorda gelegene, der Mitte des Wirbelkörpers (in cranio- caudaler Richtung gerechnet) entsprechende Stellen. Von dieser Thatsache habe ich mich an zahlreichen Präparaten verschie- dener Embryonen, insbesondere aber durch wiederholte Durch- sicht einer geordneten Schnittserie eines Natternembryo über- zeugt, welcher im vordersten Rumpftheile bereits vollkommen knorpelige Wirbelkörper und Bogen zeigt, während am Schwänz- ende noch keine Spur von Knorpelbildung zu sehen ist. Dieser Befund stimmt mit dem, was durch die sorgfältigen Unter- suchungen Froriep's* über die Wirbelbildung bei Säugethier- embryonen bekannt ist, überein. Auch bei den Säugethieren (Rindsembryonen) treten die ersten, als solche zweifellos er- kennbaren Knorpelzellen bilateral symmetrisch im Wirbelkörper neben der Chorda auf. Was das weitere Auftreten der Knorpel- zellen anlangt, so finde ich, ebenfalls wesentlich in Überein- stimmung mit Froriep's Befunden bei Rindsembryonen, die Verknorpelung des Wirbelkörpers bei Natternembryone;i rings um die Chorda herum fortschreiten und auf die Querfortsätze und die Ursprungsstellen der oberen Bogen sich fortsetzen. Während dies geschieht, tritt aber ein neuer, selbständiger Knorpelpunkt an dem dortselbst noch nicht geschlossenen Bogen zur Seite des Rückenmarkes auf, von welchem aus die Verknorpelung rasch fortschreitet. Um diese Zeit beginnt auch die Verknorpelung der Rippen. Ohne in weitere histogenetische Einzelheiten der Knorpelbildung einzugehen, muss ich jedoch eine Thatsache, welche mir für die folgenden Betrachtungen von Wichtigkeit zu sein scheint, noch hervorheben, nämlich

1 Zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelsäule. Arch. f. Anat. u. Physiol. Anat. Abth. 1886.

Wirbel und Urwirbel. 247

die Thatsache, dass dort, wo am Wirbelkörper die ersten Knorpelzellhaufen sichtbar werden, niemals ein Gewebe von kleinen^ dicht gedrängten Zellen zu sehen ist; es geht vielmehr ein von vorneherein durch relativ viel formlose Grundsubstanz ausgezeichnetes, helles Mesoblastgewebe direct in Knorpel über. Dieses helle Gewebe von relativ locker geordneten Zellen schliesst sich durch allmäligen räumlichen Übergang an das dichte Gewebe der Intervertebralregion, welches an den dich- testen Stellen an Schnitten wie ein Streifen aneinandergepresster Kerne sich ausnimmt (Fig. 3.)

Steht es nach dem Vorhergehenden fest, dass, im Gegen- satze zu dem phylogenetischen Schema, bei den Schlangen, in Übereinstimmung mit den Säugern, die knorpeligen Wirbel- körper früher auftreten, als die knorpeligen Bogen, so könnte man sagen, die Verknorpelung ist nicht das Wesentliche, sondern die erste Anlage, und was diese betrifft, so ist die Anlage der Bogen das Frühere. Das ist nun eine sehr schwierige Frage, die sich meiner Meinung nach gegenwärtig gar nicht beantworten lässt Froriep* hat in seinen sorgfältigen Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelsäule einen Streifen dichter gedrängter Zellen, welcher medial unter der Chorda im Bereiche der späteren Zwischenwirbelbänder gelegen ist und lateral im Muskelseptum sich verliert, bei vier Tage alten Hühnerembryo- nen und bei 8 9 mm langen Rindsembryonen beschrieben. Frühere Stadien der Wirbelsäulenentwicklung hat Froriep nicht untersucht, da seine Arbeit wesentlich die eigenthümlichen Entwicklungsvorgänge desAxenskeletes im Bereiche des Hinter- hauptes und der Drehwirbel im Auge hatte. Die Deutung, welche Froriep diesen Zellenstreifen als Bogenanlage mit hypochordaler Spange gegeben hat, ist begreiflich mit Rücksicht auf den Umstand, dass Froriep nichts von der Intervertebral- spalte wusste. Immerhin muss es in Froriep's Darstellung auf- fallen, dass der Bogen ursprünglich im Bereiche der Wirbelkörper eine intervertebrale und zugleich hypochordale Lage haben soll. Ich fasse diesen Zellenstreifen in erster Linie als entstanden durch eine dichtere Lagerung der Zellen längs der Inter-

1 Arch. f. Anat. u. Physiol., 1883 u. 1886.

248 V. V. Ebner,

vertebralspalte, insbesondere längs des caudalen Randes der- selben, auf. Der Zellenstreifen hinter der Intervertebralspalte setzt sich lateral in relativ so vorgeschrittenen Stadien direct in eine dichter gedrängte Zellenmasse fort, welche caudal ab- biegend, in ein Myoseptum eindringt, und so entsteht der Ein- druck, als ob das Ganze ein einheitlicher Zellenstreif sei. (Fig. 1 u. 2, V.) Ob er dies auch wirklich ist, kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Im Bereiche der Chorda sieht man zu beiden Seiten derselben, wie aus den Abbildungen Corning's und meinen Präparaten hervorgeht (Fig. 1), eine dichtere Zellenanhäufung vor und hinter der Intervertebral- spalte; lateral liegt die dichte Zellenanhäufung zunächst hinter der Intervertebralspalte; im Bereiche der Muskelplatten biegt sie aber dann caudalwärts ab und schiebt sich, der Lage nach einem Myoseptum entsprechend, zwischen die Muskelanlagen. Vergleicht man frühere Stadien, wie ich sie in Figur 1 und 2 meiner ersten Abhandlung abgebildet habe, so findet man diesen Streifen noch nicht. Doch scheint es naturgemäss, dass derselbe längs der Intervertebralspalte aus den dort befind- lichen Zellen hervorgehe; was aber die Zellenmasse anbelangt, die dem Myoseptum angehört, so ist nicht zu entscheiden, wie weit die interprotovertebralen Blutgefässe an der Bildung derselben betheiligt sind; doch ist ja wahrscheinlich, dass die Verwachsungsstelle der Urwirbelkernhälften lateral vorwach- send im Anschlüsse an die längs der Intervertebralspalte ge- bildete Zellmasse zwischen die Muskelplatten eindringe.Froriep hat diese Zellenstreifen als primitive Wirbelbogen bezeichnet, Corning betrachtet sie als die Anlagen der oberen Bogen. Ich halte es aber nicht für gerechtfertigt, so bestimmte Ausdrücke zu gebrauchen und kann höchstens zugeben, dass diese Streifen theilweise mit den Rippen und Querfortsätzen in topographi- scher Beziehung stehen. Die Gründe hiefür sollen im Folgenden dargelegt werden.

Zunächst möchte ich daran erinnern, dass am ausgebil- deten Skelete die oberen Bogen der Ringelnattern und Blind- schleichen dachartige Stücke sind, welche in ihrer Längen- ausdehnung den Wirbelkörpern wenig nachgeben, während die Querfortsätze kurze Stäbe (Natter) oder Höcker (Blind-

Wirbel und Urwirbel. 249

schleiche) darstellen, welche mehr vom cranialen Ende der Wirbelkörper, als vom Neuralbogen abgehen und mittelst eines Gelenkhöckers mit den Rippen articuliren, welche letzteren, der Richtung nach, die directen Fortsetzungen der Querfortsätze sind. (Fig. 3, 4 u. 5.) Wenn man nun an Frontalschnitten durch die Chorda von Embryonen, an welchen eine Wirbelsegmentirung durch die Intervertebralspalte zu sehen ist, vom cranialen Ende des Wirbels einen dichten, aber relativ schmalen Gewebestreifen transversal und dann schwanzwärts in die Muskelsepten ein- dringen sieht, so ist wohl zunächst kein Grund vorhanden, diesen Streifen als »Anlage der Querfortsätze, respective der oberen Bogen« zu bezeichnen. Ich dächte, dass man die oberen Bogen knapp am Wirbelkörper und weiter hinauf in Frontal- schnitten, welche die ventrale Seite des Rückenmarkes treffen, zur Seite des letzteren suchen müsste. In dieser Gegend ist aber eine besondere Differenzirung im Mesoblastgewebe noch zu der Zeit nicht zu bemerken, wo bereits bilateral im Wirbel- körper die ersten Knorpelzellen auftreten. Zur Seite des Rücken- markes kann ich um diese Zeit eine Abgrenzung der Bogen gegen die Rückenmarkshäute etc. noch nicht erkennen, wohl aber sieht man an der Dorsalseite des Wirbelkörpers die erste Spur der Bogen, das Rückenmark unten umgreifend, sich er- heben. Wenn die von Corning als »Anlagen der Querfort- sätze und Bogen« bezeichneten Streifen die Neuralbogen liefern sollten, so müssten höchst merkwürdige Verschiebungen dieser Anlagen auftreten. Thatsächlich nachweisen lässt sich nur, dass der Gegend dieser Streifen entsprechend, später Querfortsätze und Rippen entstehen, jedoch, wie ich immer wieder betonen muss, bedeutend später, als die knorpeligen Wirbelkörper. Was die Neuralbogen anbelangt, so glaube ich dass die ersten selbständig entstehenden Knorpelkerne eben so direct in einem relativ lockeren Mesoblastgewebe auftreten, wie die ersten Knorpelkerne in den Wirbelkörpern und dass dem entsprechend anfänglich auch zwischen die Knorpelkerne des Bogens und des Körpers kleinzelliges Gewebe sich ein- schiebt, wie es in den Wirbelkörpern gegen die IntervertebraU knorpel hin auftritt. Es spricht nichts dafür, dass die Bogen aus der Verschiebung einer entfernt liegenden Zellenmasse

250 V. V. Ebner,

ihren Ursprung nehmen, sondern im Gegentheile alles dafür, dass sie in loco entstehen. Sobald die oberen Bogen und die Querfortsätze als solche erkennbar sind, bilden sie mit den VVirbelkörpern ein einziges zusammenhängendes Stück. Dass dann die Bogenknorpel dorsalwärts fortwachsend erst spätei sich über dem Rückenmarke schliessen, ist eine bekannte Thatsache, die sicher und leicht zu constatiren ist

Wenn man diese Thatsachen ohne Voreingenommenheit ansieht, wird man kaum zur Behauptung gelangen, dass die Bogen der Wirbel früher entstehen, als die Wirbelkörper. Der in Rede stehende Streifen ist vor dem Auftreten der Wirbel- körperverknorpelung nur segmental im Frontalschnitte deutlich zu sehen; schon knapp über der Chorda ist er nur mehr durch die Intervertebralspalte markirt, hinter welcher eine dichtere Zellenlage vorhanden ist, die sich ohne jede schärfere Abgrenzung in das lockere, die Blutgefässe und Nerven um- hüllende Mesoblastgewebe verliert. (Vergl. Fig. 2.) Nur zwischen den Muskeln ist auch hier noch eine dicht gedrängte Zellenlage. Ventralwärts unterhalb der Chorda verliert sich der Streifen ebenfalls ganz unmerklich und an Querschnitten ist derselbe desshalb schwer aufzufinden.

Wenn also die der Wirbelkörperanlage vorauseilende Anlage der oberen Bogen darin besteht, dass man nur ganz im Allgemeinen sagen kann, es zieht ein diffusbegrenzter Streifen dichterer Zellen aus den Muskelsepten gegen das Cranialende der Wirbelkörperanlage hin, der auch die Anlage der Quer- fortsätze und Rippen enthält, so ist das höchst unbestimmt. Was soll man aus einer Anlage eines Skeletstückes machen, die nach keiner Richtung des Raumes eine Abgrenzung hat? Die Wirbelkörperanlage ist um diese Zeit allerdings auch noch nicht allseitig abgegrenzt, sie wird es ja auch nie, da die oberen Bogen mit ihren Gelenkfortsätzen und die Querfortsätze ontogenetisch niemals als ganz selbständige Knorpelstücke er- scheinen; aber man kann um diese Zeit bereits das craniale und caudale Ende des Wirbelkörpers unterscheiden (Fig. 1 und 2), man kann ferner an derDorsalseitedes Wirbelkörpers früher,als imBe- reiche des oberen Bogens, die gefässhaltigen Rückenmarkshäute von der Wirbelanlage sich sondern sehen und noch früher als

Wirbel und Urwirbel. 251

dieses, an der ventralen Seite des Wirbels eine dichtere Schicht transversal verlängerter Zellen, welche weiterhin zum Perichon- driumwird. Man kann daher nicht behaupten,die Anlagen derBo- gen seien früher da, als die Anlagen der Wirbel; es sei denn, dass man unter Anlagen der Bogen ganz im Allgemeinen die cranio- caudalen Verwachsungsstellen der Urwirbel (Myosepten und deren hinter den Intervertebralspalten gelegene, nach den Wirbelanlagen hin gerichtete Fortsetzungen) verstehen will, in welchen das septale Skelet im Sinne Hatschek*s* (obere und untere Bogen sammt den verschiedenen Formen von Querfort- sätzen und Rippen) seine Entstehung nimmt. Diese Verwach- sungen sind phylogenetisch und ontogenetisch früher da, als die Sonderung der Wirbel; als erkennbare Anlagen von Skelet- stücken treten aber die Wirbelkörper bei den Schlangen und wohl bei allen Amnioten früher auf, als irgend ein dem Bogen- system angehöriger Theil und es hat ungefähr ebensoviel Be- rechtigung, die besprochenen Streifen als Anlagen der oberen Bogen und Rippen zu bezeichnen, als etwa die Behauptung, die Primitivrinne sei die Anlage des Medullarrohres. Es scheint mir unmöglich, einen Zellenstreifen als primitiven Wirbelbogen zu bezeichnen, der im Bereiche des Wirbelkörpers später theilweise dem Intervertebralknorpel entspricht, hypochordal zu keiner bleibenden Bildung in nachweisbarer Beziehung steht,* theil- weise vielleicht lateral mit den Querfortsätzen, Rippen und Bandapparaten, auf keinen Fall aber mit den oberen Bogen topographisch in Beziehung gebracht werden kann.

Man wird bis auf Weiteres gut thun, die Wirbelgliederung der Amnioten nicht gewaltsam in ein falsch verstandenes phylo- genetisches Schema zu zwängen, das ontogenetisch nicht sicht- bar wird. Auch dürfte es sich empfehlen, dem fraglichen »pri- mitiven Wirbelbogen« einen weniger präjudicirlichen Namen zu geben. Ich möchte diesen segmentalen Zellenstreifen wegen seiner Lage längs der Intervertebralspalte und seiner Fort- setzung in das Myoseptum als Vertebralstreifen bezeichnen. Zu

1 Vcrhandl. der anatom. Gesellsch. 1889, S. 113.

' Ich sehe hier vom vorderen Bogen des Atlas ab, der nach Froriep als einziger bleibender Skelettheil bei Säugern aus der allen Wirbelanlagen zu- kommenden »hypochordalen Bogenspange« hervorgeht.

232 V. V. Ebner,

welchen Unklarheiten es. führt, wenn man eine Unterscheidung segmentaler Skeletstücke vor dem Auftreten von Knorpelzellen durchführen will, wurde von Hasse und Born^ schon vor 13 Jahren auseinandergesetzt; doch leider wie man sieht ohne Erfolg.

Bezüglich des Verhaltens der Chorda stimmen, meine Be- funde an den Natternembryonen mit den Anschauungen Cor- nings ebenfalls nicht überein. In seiner Fig. 3 bildet Corning Chprdaanschwellungen ab, welche im Stadium des Beginnens der Wirbeldifferenzirung zu sehen sind. Die Einschnürungen liegen in der Zeichnung in gleicher Höhe mit den Myotom- grenzen und den Blutgefässen, also interprotovertebral. Im Texte sagt Corning: *Die Einschnürungen entsprechen der Lagerung der Intercostalgefässe, sind infolgedessen interverte- bral, wie es auch den Zuständen beim erwachsenen Thiere ent- spricht.« Zeichnung und Text sind also in offenbarem Widei- spruche. Was ist nun das Richtige.^ Ich glaube die Zeichnung, da ich ähnliche Bilder auch von Natternembryonen kenne. Dort, wo Corning mir den wunderlichen Einwurf macht, dass nach meiner Darstellung der Wirbelgliederung intravertebrale Blutgefässe entstehen müssten, versichert derselbe, dass das was ich als »interprotovertebrale Blutgefässe« bezeichne, »ein- fach die ersten Anlagen der Intercostalarterien« seien. Aber es ist doch nothwendig, sich gegenwärtig zu halten, dass die ersten- metameren Blutgefässe des Rumpfes und Schwanzes, mag man sie nun Intercostalgefässe nennen oder nicht, zwischen den Ur- wirbeln und nicht zwischen den Wirbeln liegen. Erst später rücken diese Gefässe in caudaler Richtung an die Ganglien, welche letztere primär knapp vor den Intervertebralspalten gelegen sind, heran und werden dadurch intervertebral. Es ist um so unbegreiflicher, dass Corning bezüglich der Lage der primitiven Chordaeinschnürungen mit Hilfe seiner * Inter-. costalgefässe« eine solche Confusion anrichtet, als in seiner Zeichnung ganz deutlich die stärkste Convexität der Chorda- anschwellungen mit den Intervertebralspalten zusammenfällt. Es kann also kein Zweifel sein, dass Corning's primitive

t Zoolog. Anzeiger 1879, S. 81

Wirbel und Unvirbel. 253

Chordaeinschnürungen bei Anguis nicht wie beim erwachsenen Thiere intervertebral, sondern vertebral gelagert sind.

Die bleibende intervertebrale Chordaeinschnürung ent- wickelt sich bei den in Rede stehenden Reptilien erst secundär im Zusammenhange mit der Ausbildung des Gelenkkopfes und der Pfanne. Die primitiven Chordaeinschnürungen, die niemals sehr ausgesprochen sind, gleichen sich später bei der Natter und offenbar auch bei der Blindschleiche, wie aus den Abbil- dungen Corning's zu entnehmen ist, nahezu aus, oder werden streckenweise auch zahlreicher, als die Wirbelsegmente und liegen dann theilweise intervertebral. (Vergl. Fig. 3 und 1.) Die definitiven unzweifelhaften Chordaeinschnürungen entstehen wie Gegenbaur* v^or 30 Jahren nachwies, in der Weise, dass insbesondere im Bereiche des Gelenkkopfes die Chorda durch die wachsende Knorpelmasse von der Seite her förmlich zu- sammengepresst wird, bis sich die gegenüberliegenden Wände der Chordascheide nahezu berühren, während in sagittaler Rich- tung der ursprüngliche Chordadurchmesser sich wenig ändert, wie an Querschnitten leicht zu sehen ist (Fig. 5). Insbesondere bei der Blindschleiche gehört die Chordaeinschnürung fast nur dem Gelenkkopfe an, sie liegt also grösstentheils im caudalen Wirbeltheile (Fig. 4). Im Bereiche der vorderen Gelenkfläche des Wirbelkörpers erscheint die Chordanur durch einen schmalen Wulst des Gelenksknorpels eingeschnürt (Fig. 4 pf.) und knapp unter der Gelenkpfanne erweitert sich die Chorda sofort zum Maximum ihres Durchmessers (Fig. 4, cha). Das Alles ist aber erst bei jungen Blindschleichen von etwa 9 10 Centimeter Länge deutlich zu sehen; bei einem circa 6 Centimeter langen Embryo, bei welchem zwar bereits die perichondraleOssification begonnen hat, aber endochondral noch keine Knochenbildung* im Wirbelkörper zu bemerken ist, zeigt die Chorda noch überall einen kreisrunden Querschnitt und keine merklichen Einschnü- rungen. Es ist nach diesen Befunden gar nicht daran zu denken, die primitiven Chordaeinschnürungen mit den bleibenden in eine Beziehung zu bringen.

J Lc.

254 V. V. Ebner,

Während ich im Vorhergehenden meine Ansichten über Wirbeientvvicklung nicht so sehr gegen sachliche Einwen- dungen zu vertheidigen, als schwer begreiflichen Missverständ- nissen gegenüber zu erklären hatte es hätte nur noch ge- fehlt, dass Corning gefunden hätte, nach meiner Darstellung müssten die Ganglien intravertebral liegen muss ich im Folgenden mich mit einer Arbeit auseinandersetzen, in welcher ich über kein Missverständniss mich zu beklagen habe, die aber sachlich mit meinen Anschauungen in Widerspruch steht Ich meine die Arbeit von J. Kollmann* über die Rumpfsegmente menschlicher Embryonen von 13 bis 35 Urwirbeln.

Kollmann verlässt seine ältere Ansicht, der zufolge er mit His eine Entstehung der gesammten Bindesubstanz, also auch der Wirbelsäule, von der Peripherie des Keimes her an- nahm, insoferne, als er jetzt die Wirbelsäule aus den Urwirbeln hervorgehen lässt Er bestätigt die Existenz der von mir als Intervertebralspal te bezeichneten Bildung auch für den Menschen ; betrachtet dieselbe aber als die Anlage einer Rinne, welche zur Aufnahme der Intercostalarterien, Nerven u. s. w. bestimmt sei und einem Myoseptum im Sinne Hatschek*s entspreche. Schliesslich soll aus der Intervertebralspalte das Foramen inter- vertebrale hervorgehen.

Den von mir behaupteten Zusammenhang der Interverte- bralspalte mit der Neugliederung der Wirbelsäule nimmt Koll- mann nicht an und er stellt sich auf den Standpunkt, dass die alternirende Metamerie der Muskeln und Wirbel wesentlich auf einer Verschiebung der Bogen der Wirbel beruhe. Es gebe demgemäss keine Neugliederung der Wirbelsäule im Sinne Remak's, in dem jeder Urwirbel ein Myotom und einen Wirbel •sammt Bogen etc. aus sich hervorgehen lasse, Kollmann beruft sich hiebei auf die Untersuchungen Froriep's.*

Bei diesen Darlegungen KoUmann's vermisse ich vor Allem einen genaueren Nachweis über das Schicksal der Inter- vertebralspalte im Bereiche des Wirbelkörpers. Dass die Spinal- ganglien und Nerven etc. in die Intervertebralspalte zu liegen

1 Arch. f. Anat. u. Physiol., 1891

2 L. c.

Wirbel und Urvvirbel. 255

kämen, muss ich mindestens bezweifeln. Die Ganglien liegen zwar schon primär knapp vor der Spalte, die Gefässe und Nerven rücken secundär an dieselbe heran, aber so lange die Spalte sichtbar ist, sind alle diese Gebilde durch eine deutliche, wenn auch dünne Schicht von Mesodermzellen von derselben getrennt. Später verschwindet die Intervertebralspalte überhaupt voll- ständig, sowohl im Bereiche des Wirbelkörpers, als ausserhalb desselben. Das Foramen intervertebrale als solches kann daher auf keinen Fall der Rest der Intervertebralspalte sein, wenn ich auch gerne zugebe, dass wenigstens der caudale Rand des ersteren der letzteren topographisch nahezu entsprechen muss.

Auf das Entschiedenste muss ich aber in Abrede stellen, dassdie Wirbelgliederung mit der Urwirbelgliederungzusammen- falle und dass daher je ein Sclerotom je einen Wirbel bilde. Diese Behauptung steht in einem unlösbaren Widerspruche mit der Thatsache, dass die Intervertebralspalte ursprünglich der Mitte desUrwirbels in cranio-caudaler Richtung entspricht; später aber im Bereiche der Wirbel im Intervertebralknorpel verschwindet. Ich halte es überhaupt für unmöglich, durch die Annahme von Verschiebungen im Bereiche der Wirbelbogen die alternirende Metamerie der streng segmentalen Muskeln und der Wirbel zu erklären, sobald man einmal zugibt, dass aus den Urwirbeln die Wirbel hervorgehen. Ich glaube dies am besten durch folgende Ausführimgen klar zu machen.

Als Ausgangspunkt wähle ich ein Schema, wie es that- sächlich durch die Rumpf- und Schwanzsegmente einer Am- phibienlarve repräsentirt ist. (Fig. 6). Wir haben hier eine un- gegliederte, bindegewebige Chordascheide, welche sich in die, zwischen je zwei Myotomen liegenden Muskelsepten fortsetzt. Wenn nun angenommen wird, dass je ein Myotom und ein Skierotom aus einem Urwirbel hervorgehen, so fragt es sich zunächst, was in diesem Falle das zum Myotom gehörige Skle- rotom ist Offenbar der ganze bindegewebige Apparat, der zu einem Myotome gehört, also: 1. das Stück Chordascheide, das zwischen zwei Muskelsepten liegt und das dem Muskel selbst angehörige Bindegewebe etc.; 2. und das ist die Hauptsache ~ je die der Insertion der Muskeln entsprechende Fläche des Muskelseptums, also für jedes Myotom die caudale Fläche des

256 V. V. Ebner,

nächstvorhergehenden und die craniale Fläche des nächstfol- genden Septums.

Wollte man die Skierotome anders abgrenzen, so käme man mit der Annahme in Widerspruch, dass Myotom und Skle- rotom ursprünglich eine gemeinsame Anlage (Urwirbel) sind. Denn wollte man etwa zu jedem Myotom nur ein Muskelseptum, ent- weder das nächst vordere, oder das nächst hintere rechnen, so hätte man einen functionell unmöglichen Apparat Es hätten dann die Muskeln eines Myotomes nur an einem Septum eine Befestigung an dem anderen aber nicht. Diese Schwierigkeit wird anch nicht durch die Annahme beseitigt, dass die Muskeln* secundär an ihrer freien Seite festwachsen; denn entwicklungs- geschichtlich ist das doch nichts anderes, als dass auf die Fläche des dem Myotom nicht zugehörigen Septums sich nun eine Schicht Skierotomgewebe anlagert, welche dem Myotom selbst angehört Denn damit der Muskel eine Insertion findet, muss sein eigenes Bindegewebe sich mit dem Septum verbinden. Es ist also dann das Endergebniss wieder, dass jedes Septum ideal in zwei Lamellen zerfällt, zwischen welchen die Sklerotom- grenze liegt und der einzige Unterschied wäre der, dass bei der zweiten Annahme die beiden Septenhälften eine nicht ganz identische Entstehung und infolgedessen vielleicht eine un- gleiche Beschaffenheit hätten, für welche Annahme indessen keine bestimmten Thatsachen sprechen.

Denken wir uns nun, dass aus den häutigen Septen starre Bogen und aus den häutigen Chordascheiden damit zusammen- hängend Wirbelgliederungen hervorgehen, so ist damit sofort die Neugliederung der Wirbelsäule im Sinne Remak's gegeben. Denn jeder echte Wirbelbogen gehört mit seiner cranialen Seite dem nächstvorhergehenden, mit seiner caudalen Seite dem nächstfolgenden Skierotome, beziehungsweise Urwirbel an, und dasselbe gilt natürlich für einen mit dem Bogen fest verbun- denen Wirbelkörper, während die intervertebrale Strecke, welche die Bewegung gestattet, einem und demselben Myotom ange- hören muss, wenn ein functionell brauchbarer Apparat zu Stande kommen soll.* Diese ganze Auseinandersetzung ist aber nur

J Ahnliche Betrachtungen machte bereits Balfour: Handb. d. vergl. Em- bryologie, übers, v. Vetter, Jena, 1881, Bd. II, S. 492.

Wirbel und Uru'irbel. 257

mit anderen Worten die Remak*sche Neugliederung, welche besagt, dass nebst anderem aus jedem Urwirbelkerne der Kopftheil eines Wirbels nebst Wirbelbogen, ein Zwischenwirbel- band und der Schwanztheil des nächstvorhergehenden Wirbels sich entwickle.

Diesem von Remak wohldurchdachten Satze kann man, wie ich glaube, in keiner Weise beikommen, sobald man ein- mal zugibt, dass die Wirbel mit ihren Bogen aus denUrwirbeln stammen. Da hilft kein Schieben und Biegen der Bogen, denn es ist vollkommen gleichgiltig, in welcher Höhe die Dornfort- sätze oder Querfortsätze etc. mit ihren Enden liegen. Ein dadurch erzieltes Zusammenfallen der Muskel- und Wirbelmetamerie wird immer nur ein scheinbares, nie ein wirkliches sein können.

Man wende gegen die gegebene Darstellung der Entstehung der Wirbelbogen nicht ein, dass thatsächlich nie ein knorpe- liger Wirbelbogen aus einer cranialen und caudalen Hälfte zu- sammenwachse, wie etwa der Brustbeinknorpel aus zwei bila- teralen Stücken. Denn es ist nicht zu bezweifeln, dass die cranio - caudale Verwachsung der Urwirbel (= Myotom -+- Sklerotom) phylogenetisch älter ist, als das Auftreten von knor- peligen Wirbelbogen, welche erst entstanden sein können, nach- dem die Myosepten im Sinne Hatschek's schon vorhanden waren. Dass ich demgemäss auch der Ansicht Kollmann's, als entspräche dielntervertebralspalte demMyoseptum Hatschek's mich absolut nicht anschliessen kann, ist selbstverständlich, da ja das Myoseptum aus der Verwachsung zweier Urwirbel und nicht aus der Spaltung eines Sklerotomes hervorgeht, wie die Intervertebralspalte.

So einleuchtend mir die vorhergehenden Betrachtungen zu sein scheinen, so lege ich doch viel mehr Gewicht auf die that- sächliche Beobachtung, der zufolge jener Vorgang, welcher dem Remak'schen Neugliederungsschema entspricht, mit dem Auf- treten und Wiederverschwinden der Intervertebralspalte im Be- reiche des Intervertebralknorpels wirklich nachgewiesen werden kann, ebenso wie die theoretisch als nothwendig erscheinende Verwachsung der benachbarten Skierotome in cranio-caudaler Richtung. Die Intervertebralspalte tritt ontogenetisch bei den Amnioten sehr früh auf und theilt die Unvirbelkerne nahezu

SiUb. d. inathem.-naturw. Cl.; Gl. Bd. Abth. 111. 1 7

^

258 V. V. Ebner,

in zwei symmetrische Hälften. Indessen ist die ungleiche Be- stimmung der beiden Hälften schon durch die Lage des Spinal- ganglions gegeben, welches im Bereiche des cranialen Theiles des UnA'irbels, also vor der Intervertebralspalte gelegen ist. Die primären Blutgefässe, welche interprotovertebral in der Ver- wachsungsstelle der Urwirbel liegen, werden secundär nach hinten gegen die Ganglien verschoben, wobei sie jedoch nicht in die Intervertebralspalte gelangen. Dadurch wird vor der Spalte die Region der Zwischenwirbellöcher bestimmt, welche ur- sprünglich der vorderen Hälfte des Urwirbels, mithin der hin- teren Hälfte des bleibenden Wirbels entspricht. Sehr schön sind diese primitiven Lagebeziehungen noch in dem bereits functio- nirenden Rumpfe und Schwänze junger Tritonlarven zu sehen, wie aus Fig. 6 ersichtlich ist, in welcher gl die ventralen Enden der Ganglien gf die an der Basis der Muskelsepten gelegenen metameren Gefässe bezeichnet.

Ob und wann bei den Anamniem die Intervertebralspalte sich zeigt, darüber habe ich keine Erfahrungen. Vielleicht ist ihr Auftreten an die Bedingung geknüpft, dass die Entwicklung eines gegliederten axialen Knorpelskeletes sofort nach den ersten Umwandlungen der Urwirbel einsetzt, eine Bedingung, die allgemein bei den Amnioten zutrifft. Es muss aber auch die Frage aufgeworfen werden, ob das Auftreten der Intervertebral- spalte nicht mit der charakteristischen Eigenthümlichkeit der Wirbel höherer Thiere im Gegensatze zu d^n Wirbeln der Te- leostier und Selachier, nämlich mit dem Auftreten des Interverte- bralknorpels im Sinne Gegenbaur's,* zusammenfallt,^

Bevor über das Verhalten der Anamnier, insbesondere der Selachier bezüglich der Intervertebralspalte Untersuchungen vorliegen, sind Speculationen über die phylogenetische Bedeu- tung dieser Bildung wohl als verfrüht zu betrachten.

Schliesslich möchte ich die wesenthchsten Ergebnisse dieser Arbeit in folgenden Sätzen zusammenfassen.

L Die knorpeligen Wirbelkörper der Schlangen und wohl aller Amnioten entwickeln sich früher als die knorpeligen Bogen.

1 L. c. p. 64.

Wirbel und ünvirbel. 259

2. Die sogenannten »primitiven Wirbelbogen« der Am- nioten sind embryonale Anlagen, die mit keinem bestimmten Skeletstücke in directe Beziehung gebracht werden können. Es sind segmentaJe Bildungen, welche eine Vielheit nicht näher be- stimmbarer, zum septalen Skelete gehöriger Anlagen enthalten und es ist daher besser, dieselben als Vertebralstreifen zu be- zeichnen.

Die Urwirbelspalte Corning's ist identisch mit dessen Intervertebralspalte und beide zusammen entsprechen der Inter- vertebralspalte, wie sie von mir beschrieben wurde. Die Inter- vertebralspalte ist aber nicht identisch mit der Gelenkhöhle.

4. Die von Corning bei Blindschleichen beschriebenen primitiven Chordaeinschnürungen haben keine bleibende Be- deutung und verschwinden später. Die bleibenden Chordaein- schnürungen der Schlangen und Blindschleichen entwickeln sich erst spät mit Beginn der Wirbelverknöcherung und im Zu- sammenhange mit der Ausbildung von Gelenkkopf und Pfanne.

5. Die Gelenkhöhle tritt ebenfalls erst um diese Zeit auf, nachdem vorher längst die Intervertebralspalte im Bereiche des Intervertebralknorpels verschwunden ist.

6. Die Intervertebralspalte verschwindet auch ausserhalb der Wirbelkörper vollständig; das Foramen intervertebrale kann daher nicht aus ihr hervorgehen, obwohl dasselbe der Lage nach in ihr Bereich fallt.

7. Die Intervertebralspalte liegt nicht in einem Myoseptum, da letzteres der Grenze zweier Urwirbel, erstere aber der cra- nio-caudalen Mitte eines Urwirbels entspricht.

Tafelerklärung.

Die Figuren 1, 2, 3, 4 und 6 sind sämmtlich so orientirt, dass das Kopfende der Wirbelsäule nach oben gerichtet ist.

Die Figuren 1, 2, 3 und 6 sind bei 70facher, die Figuren 4 und 5 bei 42facher Vergrösserung gezeichnet.

1*^ »

260 V. V. Ebner, Wirbel und Urviirbel.

Fig. 1. Frontalschnitt in der Höhe der Chorda durch den Rumpf eines Em- bryo von Tropidonotus natrix im Beginne der Verknorpelung der Wirbelsäule.

ch Chorda dorsalis mit undeutlichen inter\'ertebralen Einschnürungen, WK Anlage des Wirbelkörpers, 75 Intervertebralspalte, V Vertebral- streifen, ^Interprotovertebrale Blutgefässe, iV Spinalnerven, Af Muskeln.

Fig. 2. Schnitt aus derselben Serie wie Fig. 1, aber etwas mehr dorsalwarts. Vom sind die Rückenmarkshäute angeschnitten, deren Blutgefässe mit gf bezeichnet sind, zur Seite die Spinalganglien gl. Hinten ist die Chorda ch noch angeschnitten, am grössten Theil des Schnittes schim- mert die Chorda durch. Buchstabenbezeichnung im Übrigen wie in Fig. 1.

Fig. 3. Frontalschnitt in der Höhe der Chorda durch den Rumpf eines älteren Embryo von Tropidonotus natrix mit bereits verknorpelter Wirbel- säule. Ch Chorda mit unregelmässigen seichten Einschnürungen. WK Wirbelkörper, in der Mitte mit grosszelligem Knorpel, der nach rück- wärts in den dichtzelligen Intervertebralknorpel übergeht, in dessen .Mitte bereits der Contour des Gelenkkopfes angedeutet ist. Die Inter- vertebralspalte ist verschwunden, die Gelenkhöhle aber noch nicht vorhanden. Gl Ganglion intervertebrale, Q Querfortsatz, R Rippe, gf Blutgefässe, M Muskeln.

Fig. 4. Frontalschnitt in der Höhe der Chorda durch den Rumpf einer 9*5 Centimeter langen Blindschleiche. K Knochen des Wirbelkörpers, Mr Markraum, Gk Knorpel des Gelenkkopfes, 5 Anlage der Gelenk- höhle, Pf Kleinzelliger Knorpel der Gelenkpfanne, cha Chordaanschwel- lung, Che Chordaeinschnürung, chs cuticulare Chordascheide, Q Quer- fortsatz, R Rippe, M Muskeln, A^ Nerven, gf Blutgefässe.

Fig. 5. Querschnitt durch die Intervertebralregion zweier Rumpfwirbel von einem Embryo von Coronella laevis, an dessen Wirbelsäule bereits die Ossification begonnen hat. Schnitt nicht genau symmetrisch; auf der linken Seite der Zeichnung ist das Inter\'ertebralganglion getroffen. ch Chordaeinschnürung im Bereiche des Gelenkkopfes des vor- deren Wirbels, Q Querfortsatz, R Rippe, Z Gelenkfortsatz des hinteren Wirbels, Z' Gelenkfortsatz des vorderen Wirbels. (Zwischen Z und Z^ die spaltförmige Gelenkhöhle). K Perichondraler Knochen, Rm Rücken- mark. (Die Gelenkhöhle am Wirbelkörper schon angelegt, doch am Querschnitte nicht sichtbar.)

Fig. 0. Frontalschnitt durch die hintere Rumpfregion einer \Omm langen Larve von Triton crisiattts ohne Extremitäten.

ch Chorda, chs Cuticula chordae, ach äussere Chordascheide in die Myosepten (yfs) sich fortsetzend, ^ft Myotom, Gl Ganglion spinale, gf Arteria interprotovertebralis, E Hautepithel.

Y. V. Ebner: Wirbel und Urwirbel.

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Sitzungsberichte d.kais.Akad.d.Wiss., math.-naturw.Oa3se,B<J.CI.Abth.m:. 1802.

DER WISSENSCHAFTEN.

ATISCH-NATURWISSENSCHAFTUCHE CUSSE.

30

4^ßRA^

SITZUNGSBERICHTE

DER

.ISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.

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CI. BAND. III. HEFT.

ABTHEILUNG III.

ENTHALT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN UND DER THIERE, SOWIE AUS JENEM DER

THEORETISCHEN MEDICIN.

18

1

I

263

VII. SITZUNG VOM 10. MÄRZ 1892.

In Verhinderung des Herrn Vicepräsidenten führt Herr Intendant Hofrath F. Ritter v. Hauer den Vorsitz.

Der Secretär legt die erschienenen Hefte VIII X (October— December 1891), Abth. I, und VIII— X (October bis December 1891), Abth. IL b. des 100. Bandes der Sitzungs- berichte vor.

Der Vicepräsident, Herr Hofrath J. Stefan, übersendet eine Arbeit aus dem physikalischen Institute der k. k. Universität in Wien von Dr. Gustav Jäger: »Über die Capillaritäts- constanten nichtwässeriger Lösungen.«

Das c. M. Herr Hofrath Prof. E. Ludwig übersendet eine im chemischen Laboratorium der k. k. technischen Hochschule in Graz ausgeführte Arbeit des Herrn Heinrich Aufschläger: »Über die Bildung von Cyanid beim Erhitzen stick- stoffhaltiger organischer Körper mit Zinkstaub.«

Das c. M. Herr Prof. H. Weidel übersendet eine Arbeit des Herrn Dr. Rudolph Wegscheider in Wien: »Über Ester von abnormer Structur.«

Die Herren Prof. Dr. Ph. Knoll und Dr. A. Hauer in Prag übersenden eine Abhandlung: »Über das Verhalten der protoplasmaarmen und protoplasmareichen quer- gestreiften Muskelfasern unter pathologischen Ver- hältnissen.«

Die Herren Dr. J. Elster und H. Geitel in Wolfenbüttel übersenden eine Abhandlung unter dem Titel: »Beobach tungen des atmosphärischen Potentialgefälles und der ultravioletten Sonnenstrahlung.«

18*

264

Der Secretär legt eine von Herrn F. J. Popp in Deutsch- Giesshübel eingesendete Mittheilung vor, Vielehe die Frage behandelt: »Wie oft dreht sich die Erde in einem Jahre um ihre Axe?«

Das w. M. Herr Oberbergrath Ed. v. Mojsisovics über- reicht eine Abhandlung von Dr. A. Bittner in Wien: »Über Echiniden des Tertiärs von Australien.«

Das w. M. Herr Prof. Ad. Lieben überreicht eine Arbeit aus seinem Laboratorium: »Über die Oxydation von bi- secundärem Pentaäthylphloroglucin durch den Luft- sauerstoff«, von Herrn Carl Ulrich.

Herr Dr. Eduard Mahl er überreicht eine Abhandlung unter dem Titel: »Der Kalender der Babylonier.«

Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht zugekommene Periodica sind eingelangt:

Voyage of H. M. S. Challenger 1873—1876. Report on the scientific results. Deep-Sea Deposits. Published by Order of Her Majesty's Government, London, 1891; 4^.

265

VIII. SITZUNG VOM 17. MÄRZ 1892-

Das c. M. Herr Prof. H. Weidel übersendet folgende zwei Arbeiten aus dem ersten chemischen Laboratorium der k. k. Universität in Wien:

1. »Verfahren zur Bestimmung des Stickstoffs in organischen Substanzen«, von Dr. F. Blau.

2. >Zur Kenntniss der, aus Berberin entstehenden Pyridincarbonsäuren«, von Herrn Richard Mayer.

Der Secretär legt folgende eingesendete Abhandlungen vor:

1. »Zur Wärmeausdehnung des Wassers«, von P. Carl Puschl, Stiftscapitular in Seitenstetten.

2. Eine Mittheilung von Dr. Theodor Gross in Berlin, betitelt: »Kurzer Bericht über die chemische Zerlegbar- keit des Schwefels durch Elektrolyse«.

Femer legt der Secretär ein versiegeltes Schreiben behufs Wahrung der Priorität von Prof. Dr. Richard Godeffroy in Wien vor, welches die Aufschrift führt: »Zur Constitution der Kohlenhydrate«.

Das w. M. Herr Prof. Ad. Lieben überreicht eine Arbeit, betitelt: »Über ine Fehlerquelle bei chemischen Operationen infolge Verwendung von Gasflammen.«

266

IX. SITZUNG VOM 24. MÄRZ 1892.

Der Secretär legt das erschienene Heft IX X (November bis December 1891), Abth. IL a des 100. Bandes der Sitzungs- berichte und das Heft I— II (Jänner— Februar 1892) des 13. Bandes der Monatshefte für Chemie vor.

Das w. M. Herr Hofrath G. Tschermak übersendet einen vorläufigen Bericht von Prof. Dr. Friedrich Becke in Prag über seine mit Unterstützung der kaiserl. Akademie ausgeführten Untersuchungen über den Bau und die krystallinischen Schiefer des Hohen Gesenkes (Altvatergebirge).

Das vv. M. Herr Prof. L. Pfaundler übersendet eine Arbeit aus dem physikalischen Institute der k. k. Universität in Graz von Prof. Dr. Ign. Klemencic: »Über das Verhalten des Eisens gegen elektrische Schwingungen«.

Der Secretär legt ein versiegeltes Schreiben behufs Wahrung der Priorität von Herrn Franz Müller in Siegenfeld vor, welches die Aufschrift führt: »Hilfsmittel für den Rechenunterricht.«

Das w.M. Herr Prof. Wiesner überreicht eine Abhandlung, betitelt: „Über den mikroskopischen Nachweis der Kohle in ihren verschiedenen Formen, und über die Übereinstimmung des Lungenpigmentes mit Russ- kohle."

Das w. M. Dir. E. Weiss spricht über den von Denning zu Bristol in der Nacht vom 18. auf 19. März aufgefundenen teleskopischen Kometen.

Das w. M. Herr Hofrath J. Hann überreicht und bespricht eine gedruckte Abhandlung, betitelt: »Magnetische Beob-

267

achtungen an den Küsten der Adria in den Jahren 1889 und 1890«, ausgeführt auf Anordnung des k. und k. Reichs- Kriegs-Ministeriums (Marine-Section) und berechnet von den Herren F. L a s c h o b e r, k. und k. Fregatten - Capitän, und W. Kesslitz, k. und k. Linienschiffs-Lieutenant. (Beilage zu den »Mittheilungen aus dem Gebiete desSeewesens.«)Pola,1892.

Herr Dr. H. Strache, Privatdocent an der k. k. technischen Hochschule in Wien, überreicht folgende zwei Arbeiten aus dem Laboratorium für allgemeine und analytische Chemie an dieser Hochschule:

1. »Verbesserungen anderMethodezurBestimmung des Carbonylsauerstoffs und des Acetons«, von Dr. H. Strache.

2. »Oxydation des Phenylhydrazins mitFehling'scher Lösung«, von Dr. H. Strache und M. Kitt.

Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht zugekommene Periodica sind eingelangt:

Le Prince Albert I®^ de Monaco, Sur une nouvelle Carte des courants de TAtlantique Nord. (Mit 1 Karte.) Paris, 1892;

Risley H. H., The Tribes and Gastes of Bengal. Anthropometric Data. Vol. I and IL Calcutta, 1891; 8^

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«•*-

271

X. SITZUNG VOM 7. APRIL 1892.

Der Secretär legt das erschienene Heft VIII—X (October December 1891) des Bandes 100, Abtheilung IL a. der Sitzungsberichte vor. Mit diesem Hefte schliesst der Druck des ganzen 100. Bandes aller drei Abtheilungen.

Ferner ist erschienen das Register zum XII. Jahrgange 1891 der Monatshefte für Chemie.

Das c. M. Herr Prof. L. Gegenbauer in Innsbruck über- sendet eine Abhandlung: »Über einige arithmetische Determinanten höheren Ranges«.

Das c. M. Herr Albert v. Obermayer, k. u. k. Oberst des Armeestandes in Wien, übersendet eine Abhandlung: »Über gleitende Funken«.

Das c. M. Herr Hofrath Prof. A. Bauer übersendet eine Arbeit des Herrn Carl Mangold, Assistenten an der k. k. tech- nischen Hochschule in Wien, betitelt: »Zur Stereochemie der Trioxystearinsäuren aus Ricinusöl- und Ricine- laidinsäure«.

Das c. M. Herr Prof. H. Weidel übersendet folgende drei im ersten chemischen Laboratorium der k. k. Universität in Wien ausgeführte Untersuchungen :

1. »Über Euxanthonsäure und Euxanthon«, von Dr. J. Herzig.

2. »Notiz über Fluorescin, Galle'in und Aurin«, von Dr. J. Herzig.

3. »Über das aß-Dipiperidyl«, von Dr. Fritz Blau.

Herr Dr. M. Margules in Wien übersendet eine Abhand- lung, betitelt: »Luftbewegungen in einer rotirenden Sphäroidschale bei zonaler Druckvertheilung«.

272

Der Secretär legt folgende eingesendete Abhandlungen vor:

1. »Zur Stöchiometrie der Lösungen«, von Dr. Gustav Jäger in Wien.

2. »Beiträge zur Integrirung der Differentiale

x*P \/ {a'\'bX'{'Cx)'^dx*, von Dr. Victor Wolski, Director der k. k. priv. Südbahn i. P. in Fiesole (Italien).

3. »Aurorae Borealis Norvegicae. Verzeichniss der in Norwegen bis Juni 1878 beobachteten Nordlichter«, von Herrn Sophus Tromholt in Barmen.

4. »Über den Einfluss heisser Bäder auf die Stick- stoff- und Harnsäure- Ausscheidung beim Menschen«, Arbeit aus dem medicin.-chemischen Labo- ratorium an der k. k. böhmischen Universität zu Prag von Herrn Emanuel Formanek.

Das w. M. Herr Prof. Ad. Lieben überreicht eine Arbeit aus seinem Laboratorium; >Über den Abbau der fetten Säuren zu kohlenstoffärmeren Alkoholen», von Herrn Angelo Simonini in Wien.

Ferner überreicht Herr Prof. Lieben eine Arbeit des Dr. Br. Lachowicz, Privatdocent an der k. k. Universität in Lemberg: »Über die Dissociation der Ferriphosphate durch Wasser und Salzlösungen«.

Das w. M. Herr Prof. Wiesner überreicht eine Abhandlung des Herrn Dr. E. Heinrich er, Professor an der k. k. Universität zu Innsbruck, betitelt: »Biologische Studien an der Gattung Lathraea*. (I. Mittheilung.)

Herr Prof. Dr. Ed. Lippmann in Wien überreicht eine von ihm in Gemeinschaft mit Herrn F. Fleissner ausgeführte Arbeit: »Über Hydrojodverbindungen einiger China- alkaloide«.

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i

275

XL SITZUNG VOM 5. MAI 1892.

Der Secretär legt das erschienene Heft I II (Jänner und Februar 1892) des 101. Bandes, Abtheilung II. b. der Sitzungs- berichte, femer das Heft III (März 1892) des 12. Bandes der Monatshefte für Chemie vor.

Das k. k. Ministerium des Innern übermittelt die von der oberösterreichischen Statthalterei vorgelegten Tabellen und graphischen Darstellungen über die Eisbildung auf der Donau während des Winters 1891/92 in den Pegelstationen Aschach, Linz und Grein.

Das k. und k. Reichs-Kriegs-Ministerium (Marine- Section) übersendet den von Herrn k. und k. Fregatten-Capitän Wilhelm Mörth als Commandant S. M. Schiffes »Pola« vor- gelegten Bericht über die Ausrüstung dieses Schiffes für Tiefsee-Untersuchungen.

Das w. M. Herr Oberbergrath E. v. Mojsisovics über- sendet eine vorläufige Mittheilung: »Über die Cephalopoden- Faunen der Himalaya-Trias«.

Das c. M. Herr Hofrath Prof E. Ludwig in Wien über- sendet eine in seinem Laboratorium von den Herren Privatdocent Dr. H. Paschkis und Dr. Fritz Obermayer ausgeführte Arbeit unter dem Titel: »P h a r ma k ologische Unter- suchungen über Ketone und Acetoxime«.

Das c. M. Herr Prof L. Gegenbauer in Innsbruck über- sendet eine Abhandlung des Supplenten A. J. Gm ein er am k. k. Staatsgymnasium in Graz, betitelt: »Das allgemeine bicubische Reciprocitätsgesetz«.

276

Das c. M. Herr Prof. G. v. E seh er ich in Wien über- sendet eine Abhandlung: »Über die Multiplicatoren eines Systems linearer, homogener Differentialgleichun- gen«. (I.)

Der Secretär legt folgende eingesendete Abhandlungen vor:

1. »Über das Vorkommen und die Bildung von Natriumsulfat in den Kalibergwerken vonKalusz«.

2. »Über pyridinartige Basen im Erdöl«, die vorge- nannten beiden Arbeiten von R. Zaloziecki, Docent an der k. k. technischen Hochschule in Lemberg.

3. »Über die bei einer Gattung centri scher Rück ungs- flächen der vierten Ordnung auftretende Reci- procität«, von Prof. A. Sucharda an der k. k. Staats- Oberrealschule in Prag.

4. »Über eine neue Jodverbindung des Bleies«, von Prof. Max Gröger an der k. k. Staatsgewerbeschule in Brunn.

5. »ZurTheorie derHarnsäurebildungimSäugethier- organismus«, von Prof. Dr. J. Horbaczewski an der k. k. böhmischen Universität in Prag.

6. »Über Drehstrommotoren«, von Dr. G. Schilling in Czernowitz.

Der Secretär legt ein versiegeltes Schreiben behufs Wahrung der Priorität von Prof. Nicolaus Fialkowski in Wien vor, mit der Aufschrift: »Erste mathematisch richtige Lösung des Delischen Problems«.

Ferner übersendet Herr Prof. Dr. A. A d a m k i e w i c z , derzeit in Wien, ein versiegeltes Schreiben zur Aufbewahrung, welches die Aufschrift führt: »Mein Verfahren zur Behandlung der Carcinome«.

Das w. M. Herr Hofrath Director J. Hann überreicht eine für die Denkschriften bestimmte Abhandlung unter dem Titel: »Weitere Untersuchungen über die tägliche Oscilla- tion des Barometers«.

277

Das w. M. Herr Prof. E. Wey r überreicht eine Abhandlung des Regierungsrathes Prof. Dr. F. Mertens in Graz, betitelt: »Der Fundamentalsatz der Algebra«.

Das c. M. Herr Hofrath Prof. H. Meynert in Wien über- reicht eine Abhandlung unter dem Titel: »Neue Studien über die Associations-Bündel des Hirnmantels«.

Herr Professor Dr. Franz Toula in Wien berichtet über zwei neue Säugethierfundorte auf der Balkanhalb- insel.

Herr Prof. Dr. Franz Toula überreicht eine Abhandlung über die Ergebnisse seiner letzten mit Subvention von Seite des hohen Ministeriums für Cultus und Unterricht im Früh- jahre 1890 (vom 28. Mai 2. Juli) ausgeführten geologischen Untersuchungen im östlichen Balkan und in anderen Theilen von Bulgarien und Ostrumelien.

Herr Prof. Dr. E. Freih. v. Haerdtl in Innsbruck überreicht eine Abhandlung betitelt: »Über zwei langperiodische Störungsglieder des Mondes^ verursacht durch die .\nziehung des Planeten Venus«.

Siteb. d. mathcm.-nalurw. Cl. ; CI. Bd. Abth. III. 1 9

278

Über den Einfluss heisser Bäder auf die Stick- stoff- und Hamsäure-Ausseheidung'

beim Menschen

von

Emanuel Formanek.

Aus dem Laboratorium des Prof. J. Horbaczewski an der k. k. böhm.

Universität in Prag.

(Vorgelegt in der Sitzung am 7. April 1892.)

Obzwar diese Frage schon wiederholt Gegenstand experi- menteller Prüfung war, so konnte dieselbe noch immer nicht als gelöst betrachtet werden, da verschiedene Autoren zu Resul- taten gelangten, die einander mehr oder weniger wider- sprechen.

Bartels * war der Erste, der bei Versuchen am Menschen nach heissen Dampfbädern eine Vermehrung der HarnstoflF- ausscheidung constatirte.

Ahnliche Resultate erhielt auch Naunyn *an einem Hunde, dessen Körpertemperatur durch ein dreistündiges Bad um etwa 4** C. gesteigert war, bei dem am Badetage die Hamstoff- ausscheidung bedeutend stieg.

G. Schleich,^ der sechs Versuche theilweise an sich selbst, theilweise an Kranken der Tübinger Klinik ausführte, fand auch eine constante Vermehrung der Harnstofifausfuhr nach künstlicher Steigerung der Körpertemperatur durch warme Bäder von einstündiger Dauer. Ebenso fanden auch Frey und

1 Greifswalder, medic. Beitr. 1864. 3.

2 Berl. Klin. Wochenschr. 1869, Nr. 4. Arch. für Anat. und Physiol. 1870 8 Arch. für experim. Patiiol. und Pharm. 4. 82—106.

Stickstoff- und Harnsäure- Ausscheidung. 279

Heiligenthal* bei an Menschen angestellten Versuchen nach der Einwirkung heisser Luft- und Dampfbäder eine bedeutende Erhöhung der HamstoflFausscheidung an den dem Badetage nächstfolgenden 2 3 Tagen, während am Badetage selbst eine Verminderung derselben gefunden wurde.

Diese Forscher berücksichtigten auch die Hamsäureaus- scheidung und constatirten eine mit der Hamstoflfvermehrung einhergehende bedeutende Steigerung der Harnsäureausfuhr.

Der Einfluss russischer Bäder auf den Stickstoflfumsatz wurde von K o s t j u r i n* und Godlewskij* untersucht und es wurde von denselben in Übereinstimmung mit den oben er- wähnten Untersuchungen eine Vermehrung der Hamstoff- ausscheidung nach russischen Bädern gefunden.

Diesen, im Wesentlichen übereinstimmenden Resultaten gegenüber stehen aber andere entgegengesetzte Angaben.

So konnte Kaupp ^ bei Einwirkung höherer Lufttemperatur keine Vermehrung der Harnstoffausscheidung constatiren, und Senator* beobachtete dasselbe bei einem Tetanischen, dessen Körpertemperatur auf 41* C. stieg.

Abgesehen von diesen älteren Beobachtungen, sind in neuerer Zeit die Untersuchungen von C. F. A. Koch,* P. Si- manowsky** und N. Makowiecki^ erschienen, aus denen auch hervorgeht, dass die Steigerung der Körpertemperatur die Stickstoffausscheidung entweder gar nicht beeinflusst, oder sogar vermindert.

Koch experimentirte an sich selbst und fand nach einem Bade von einstündiger Dauer, wobei die Körpertemperatur bis auf 39*6° C. stieg, nicht nur keine Vermehrung, sondern eine

1 Die Wirkung der heissen Luft- und Dampfbäder in Baden-Baden. 1881.

* Citirt bei Makowiecki (vergl. später).

3 Arch. für physiol. Heilkunde. 1855 und 1856.

* Virchow, Arch. 48.

^ Zeitschr. für Biol. 19. 447-468.

6 Ebenda. 21. 1-24.

' Zur Frage der Einwirkung des russischen Schwitzbades auf den Stickstoffumsatz und die Fettassimilation, sowie auf die Assimilation der stickstoffhaltigen Substanzen der Nahrung. Inaung.-Diss. (russ.). St. Peters- burg. 1888.

19*

280 E. Formanek,

wenngleich unbedeutende Verminderung der Stickstaffaus- scheidung. Dasselbe Ergebniss hatte auch eine, an einem Ka- ninchen ausgeführte Versuchsreihe, in welcher die Körper- temperatur bis auf 44** C. durch Erwärmung im Thermostaten- gesteigert wurde.

Simanowsky studirte diese Frage im Laboratorium von Voit an einer hungernden Hündin im Stadium der gleich- massigen, langsam abfallenden Stickstoffausscheidung, wobei die Temperatursteigerung durch warme Bäder von einstündiger Dauer erzielt wurde. Nach dem Bade wurde auch die Grösse der Kohlensäureausscheidung bestimmt. Das Ergebniss der Ver- suche wird dahin zusammengefasst, dass in Folge der durch mehrere Stunden hindurch vermittelst heisser Bäder erhöhten' Temperatur sich die Menge der stickstofffreien Producte des- Stoffwechsels nicht steigert, und dass die Menge der stick- stoffhaltigen Producte entweder normal bleibt, oder sich nur in ganz geringem Masse vermehrt.

Makowiecki stellte fünf Versuche an Menschen an. Die aus Brot, Fleisch, Milch, Bouillon, Butter, Thee, Zucker und Kyselj (Moosbeerensaft mit Zucker und Milch) bestehende* Nahrung wurde auf N und Fett geprüft, und im Harne wurde neben dem festen Rückstand der Gesammtstickstoff (nach. Kjeldahl) und Harnstoff (nach Borodin) bestimmt. In den- Fäces wurde auch der feste Rückstand, sowie der Stickstoff ermittelt, als auch die Fettsäuren bestimmt. Jeder Versuch- zerfällt in drei Perioden : 1 . Normalperiode von 5 Tagen ; 2. Bade- periode von 5 Tagen, und 3. die Periode nach dem Bade von 2 Tagen. Die durch Bäder in der Badeperiode bei den Versuchs- männern erzielte Steigerung der Körpertemperatur war nicht bedeutend. In der Normalperiode schwankte die Körper- temperatur derselben zwischen 36 '4 und 37'8'' und stieg während des Bades meistens nur auf 38-2 38 •5'', nur dreimaP wurde eine Steigerung bis zu 39** beobachtet.

Das Verhalten der Stickstoffausscheidung erhellt aus dem im Nachfolgenden mitgetheilten Mittelzahlen:

Stickstoff- und Harns&ure-Ausscheidung.

281

Ver-

suchs-

Numraer

Normal-Periode

Bade-Periode

Periode n.

d. Bädern

Stickstoff-

Stickstoff-

Stickstoff-

Einfuhr

Ausfuhr

Einfuhr

Ausfuhr

Einfuhr

Ausfuhr

I.

20-5

20-5

20-5

17 4

21-6

18-5

II.

20-0

20-7

20-1

19 3

21-0

20-7

m.

18 3

17-2

17-3

15-1

14-8

18-3

IV.

20-5

21-1

20 0

20-7

16-6

19-7

V.

19-5

18 0

18-6

171

15-9

18 2

Aus diesen Versuchen wird geschlossen, dass der N-Um- satz herabgesetzt wird. Ausserdem findet Verfasser, dass die Assimilation der stickstoffhaltigen Nahrungsbestandtheile auch herabgesetzt, die Assimilation der Fette dagegen gesteigert wird.

Aus dem Mitgetheilten ergibt sich, dass die einzelnen Angaben über die Wirkung heisser Bäder, beziehungsweise der Körpertemperatursteigerung auf den Stickstoffumsatz sehr bedeutend divergiren. Aus diesem Grunde wurde beschlossen, diesbezüglich neue Versuche, und zwar am Menschen durch- zuführen, um so auf den Grund dieser merkwürdigen Meinungs- differenzen zu kommen. Während die weiter unten mitge- theilten Versuche bereits im Gange waren, erhielt ich noch von der neuesten Arbeit von Paul Richter * Kenntniss, in welcher unter Anderem auch über diesbezüglich angestellte Versuche berichtet wird. Die am Kaninchen ausgeführten Versuche ergaben kein entscheidendes Resultat, dagegen betrachtet Ver- fasser die Versuche an einer Hündin für entscheidend. Das mit 200^ Fleisch und 30 g Fett ernährte Versuchsthier, welches eine gleichmässige Stickstoffausscheidung hatte, wurde in einem Thermostaten auf 24 Stunden gebracht. In der ersten Versuchsreihe stieg die Körpertemperatur des Thieres von 36-5 bis zu 39'9", in der zweiten von 37 8 bis zu 41 •4''. Die Bestimmung des Harnstickstoffes (nach Kjeldahl-Wilfart) ergab an den Überhitzungstagen selbst keine auffallende, an den nächstfolgenden zwei Tagen aber eine sehr bedeutende

» Virchow, Arch. 123. 118-165.

282 E. Formanek,

Steigerung der SttckstofFausscheidung, die in der zweiten Ver- suchsreihe, in welcher die Steigerung der Körpertemperatur grösser war, ein höheres Mass erreichte.

Die Resultate der von mir ausgeführten Versuche sind folgende:

I. Versuchsreihe.

Diesen Versuch führte ich an mir selbst (22 Jahre alt) in der Zeit vom 13. 25. Juli 1891 aus. Die Nahrung bestand aus:

1. Rindfleisch (Lungenbraten). Dasselbe wurde in Quanti- täten zu etwa 2kg, die für 3 Tage reichten, angekauft, von allem Fett sorgfältig auspräparirt und als Beefsteak zubereitet genossen. In jeder Fleischportion wurde der Stickstoffgehalt ermittelt.

2. Emmenthaler Käse wurde für den ganzen Versuch in einem Stück auf einmal angekauft, der Stickstoffgehalt ermittelt und in einem gut schliessenden Glasbehälter aufbewahrt.

3. Brot wurde aus gutem, vorerst analysirtem Weizenmehl unter Zusatz von etwas Hefe und Wasser nebst Salz bereitet, und zwar für jeden Versuchstag ein Laibchen aus 144^ Mehl.

4. Reis in der täglichen Ration von 100^. Für den ganzen Versuch diente derselbe, im verschlossenen Gefösse aufbe- wahrte Vorrath, dessen Stickstoffgehalt bestimmt wurde.

5. Butter wurde ebenso für den ganzen Versuch ent- sprechend aufbewahrt, nach Ermittlung des Stickstoffgehaltes.

6. Bier (leichtes Smichover Bier) täglich \bO0 cnt^.

7. Theeeinfuhr aus 0*3^ russischem Thee.

8. Zucker 20 g,

9. Wasser (400 cm% 10. Kochsalz (5^).

Die tägliche Stickstoffaufnahme betrug in

400^ Fleisch 13

100^ Käse 4

1 Laib Brot (aus 144^ Mehl) . 2

100^ Reis 0

125^ Butter 0

1500 cw* Bier 0

Zusammen ... 22

20^ 33^ 70 g 92 g

09g 90 g

14^

Stickstoff- und Harnsäure- Ausscheidung. 283

Alle Stickstoflfbestimmungen wurden nach der volumetri- schen Methode nach Ludwig* mit der Modification von Horbaczewski* ausgeführt. Dasselbe gilt auch von den Bestimmungen des Stickstoffes im Harne und den Fäces, und zwar in allen Versuchen.

DieLebensweisewährendderVersuchszeitwareineäusserst gleichmässige. Es wurde die gewöhnliche Laboratoriumsarbeit verrichtet und Abends 1 Stunde spazieren gegangen. Die Nahrungsaufnahme wurde auf 3 Mahlzeiten, um 7 Uhr Früh, 12 Uhr Mittags und 7 Uhr Abends, vertheilt. Die Kost wurde sehr gut vertragen. Verdauungsstörungen kamen nicht vor. Der Harn wurde von 7 Uhr Früh des einen bis 7 Uhr Früh des nächsten Tages gesammelt und in demselben der Gesammt- stickstoff, sowie die Harnsäure (nach Salkowski-Ludwig) bestimmt Die Fäces, die jeden Tag regelmässig entleert wurden, wurden gesammelt und in einer mehrtägigen Partie derselben der Stickstoff bestimmt, worauf der Stickstoffgehalt auf die betreffende Periode vertheilt wurde. Vor dem Beginne des Versuches wurde die oben genannte Nahrung durch 4 Tage genossen, dann folgte die achttägige Normalperiode. Am 9. Tage wurde ein heisses Luftbad von ßö** R. in der Dauer von 20 Minuten, dann ein Dampfbad von 41'* R. von 15 Minuten Dauer, und schliesslich ein Douchebad mit lauwarmem Wasser genommen. Dem Badetage folgten noch drei weitere Normal- tage. In der nachfolgenden Tabelle sind die für die Stickstoff- und Harnsäure-Ausscheidung erhaltenen Werthe zusammen- gestellt.

1 Wiener medic. Jahrb. 1880. 4. ^ Ebenda. 1886.

284

£. Formanek,

Ver- suchs- tag

Körper- j Stick- gewicht Stoff

in Kilo- gramm

Ein- fuhr

Menge

des Harnes

in Cubik- centi- raetem

Stick-

Stick-

Ge-

Menge

Re- , Stoff

stoff

saromt- der

action

im

der

Stick- Harn-

Harne

Fäces

stoff

säure

Bemer- kung '

1 2 3 4 5 6 7 8

Mittel 1-8

9 10 11 12

Mittel 9-12

70 950 70-690 70 700 70-900 70-930 70-870 70-900 70-900

22-14 22-14 22 14 22 14 22-14 22-14 22 14 22 14

22 14

71-200 70 - 900 71-000 71-000

22-14 22 14 22-14 22-14

22-14

1870 1510 1400 1355 1470 1460 1410 1550

sauer

1400 1460 1410 1520

neutral

sauer

16-60 18-03 18-63 18 16 18-67 18-91 19-30 1910

18-42

18-80 18-91 18-52 19 20

18 88

2-52 2 52 2-52 2-52 2-52 2-52 2-52 2-52

2 52

2-52 2-52 2-52 2-52

2-52

19-12 20-55 21-15 20-68 21 19 21-43 21^82 21-62

20 94

21-32 21-43 21 04 21-72

21-39

0-804 0 839 0-830 0-848 0-913 0-895 0-904 0-897

0-866

0-878 0 896 0 882 0 854

0-877

Bad

II. Versuchsreihe.

Als Versuchsmann diente ein 23 Jahre alter Candidat der Medicin. Die Nahrung wurde in diesem Versuche dahin abge- ändert, dass das Rindfleisch durch eine Wurst ersetzt wurde. Dieselbe wurde für den Versuch aus Schweine- und Rindfleisch und etwas Speck, unter Zusatz von Salz und dem gewöhn- lichen Gewürze bereitet.

Die Wurstmasse wurde, um eine gleichmässige Mischung herbeizuführen, sechsmal durch eine Wurstmaschine getrieben und die Wurst für den ganzen Versuch auf einmal hergestellt, in verschiedenen Partien analysirt und in schliessenden Glas- gefässen aufbewahrt. Die übrigen Nahrungsmittel waren wie im Versuche I.

Stickstoff- und Harnsäure-Ausscheidung. 285

Die tägliche Stickstoffaufnahme betrug in :

200^ Wurst 6-88^

100^ Käse 5-07^

100^ Reis 0-92^

1 Laib Brot (144^ Mehl) . . 240^

125^ Butter 0-09^

1500 cw* Bier 0-90^

Zusammen . . . 16'26^N.

Einer viertägigen Vorperiode, in welcher die erwähnte Nahrung genossen wurde, folgte die achttägige Normalperiode, in welcher das Verhalten der N- und Harnsäure-Ausscheidung ermittelt wurde. Am 9. Versuchstage wurde ein heisses Luft- bad von 65" R. in der Dauer von 20 Minuten, welchem eine Abwaschung mit 28 ' R. warmem Wasser folgte, dann ein heisses Dampfbad von 46° R. in der Dauer von 25 Minuten, welchem auch eine Abwaschung mit lauwarmem Wasser folgte, genommen. Am 10. Versuchstage wurde ein ganz gleiches Bad genommen. Diesen zwei Badetagen folgten wieder 8 Nor- maltage (11 18 Versuchstage).

Die Lebensweise des Versuchsmannes war eine äusserst gleichmässige, während des ganzen Versuches. Die Nahrungs- aufnahme, Aufsammeln des Harnes und der Fäces geschah wie im vorigen Versuch. Nachfolgende Tabelle enthält die für die N- und Hamsäureausscheidung ermittelten Werthe.

Ver-

Körper-

Stick-

suchs- g«^'»^^^* s^off-

.^ I in Kilo- Ein- tag

in Kilo- gramm

fuhr

Menge

des Harnes

in Cubik-

I centi-

metem

Stick- Re- I Stoff action im Harne

Stick- Ge- Menge Stoff sammt- der Bemer in ! Stick- Harn- ' kung Fäces stoiT säure i

I

76 100

76 100

I

3 ' 76 000

4 5

16-26i 1240

16 26

1450

16 26; 1520

75-500 16-26; 1710

76 000

16 26! 1260

sauer

14-46

»

14 59

>

15 35

»

14-94

0 98 0-98

15 38 |0-6453 15-37 0-6612

neutral 14-50

0-98 I 16-43 |0-7478' 0-98 ' 15-92 0 7543,

0 98

15 48 0 6605

286

E. Formanek,

Ver-

suchs-

tag

Körper- gewicht in Kilo- gramm

Stick- stoff- Ein- fuhr

Menge

des Harnes

in Cubik- centi- metem

Re-

action

Stick- stoff im Harne

Stick- stoff in Fäces

Ge-

sammt-

stick-

stoff

Menge

der Harn- säure

Bemer- kung

6 7 8

76-000 76 000 76-000

16-26 16-26 16-26

1730 1250 1500

neutral sauer

»

14-56 14-67 14-90

0 98 0 98 0 98

15-48 15-65 15-88

0-6340 0-7580 0-6825

Mittel 1-8

16 26

14-74

0-98

15-72

0-6928

9 10

76 000 76-000

16 26 16-26

1215 1670

sauer

»

13-60 16-99

0 958 0 958

14-55 17-94

0-7308 1-1456

Bad Bad

Mittel 9-10

t

16 26

15-29

0 958

16-25

0-9382

11 12 13 14 15 16 17 18

76-000 76-000 76-000 76-000 76-000 76 000 76 200 76 000

16 26 16 26 16-26 16 26 16-26 16-26 16-26 16-26

1735 1262 1180 1540 1880 1750 1843 1875

sai

Lier

15-95 14-60 13-80 14 40 13-70 14-40 14 50 14 00

0-958 0 958 0 958 0-958 neutral 0-958 0-958 0-958

0 958

16-90 15-45

14 75 15-35 14-65 15-35

15 45 14 95

0 8627 0-6018 0-6100 0-7638 0-6730 0-7718 0 - 8662 0 8792

Mittel 11-18

16-26

14-41

15-36

0-7534

III. Versuchsreihe.

Als Versuchsmann diente ein 22 Jahre alter Candidat der Medicin. Derselbe war ausserordentlich mager und erhielt während des Versuches eine Nahrung, die viel weniger Fett und Kohlenhydrate enthielt, als die bei früheren Versuchen ver- wendete Nahrung. Mit Rücksicht auf mehrere Angaben, dass bei Körpertemperatursteigerung die stickstofffreien Körper- bestandtheile in grosser Menge zerfallen, war es möglich, dass in diesem Falle die Steigerung des Stickstoffumsatzes

Stickstoff- und Harnsäure-Ausscheidung. 287

markanter auftreten wird. Auch bei diesem Versuche wurde eine Wurst genossen, die jedoch nur aus ganz magerem Rind- und Schweinefleisch, in der beim vorigen Versuche angegebenen Weise, bereitet wurde. Die tägliche Käsemenge wurde auf 150^ erhöht, die Reismenge auf 50^ reducirt und die Butter wurde ganz weggelassen. Die übrigen Nahrungsmittel blieben wie in den vorigen Versuchen.

Die tägliche Stickstoffeinfuhr betrug in:

200^ Wurst 7

150^ Käse 7

1 Laib Brot (aus 144^ Mehl) . 2

50^ Reis 0

1500 cm^ Bier 0

Zusammen ... 18

04^ 2Qg A\g AQg 90^

07 ^N.

Ähnlich, wie bei den früheren Versuchen, folgte auch bei diesem einer viertägigen Vorperiode eine neuntägige Normal- periode. Am 10. Versuchstage wurde ein Wannenbad von 49 Minuten Dauer genommen. Die Wassertemperatur betrug 40" C, die Körpertemperatur (in der Mundhöhle) stieg auf 39", fiel aber nach 2 Stunden auf 37*2". Am nächsten (11.) Versuchstage nahm Versuchsmann am Vor- und Nachmittage je ein Wannenbad. Dauer des Bades am Vormittage =: 6 1 Minu- ten, Wassertemperatur r= 40" C, Körpertemperatur 40*5" (in der Mundhöhle), nach 2 Stunden = 37*1". Am Nachmittage: Dauer des Bades 41 Minuten, Wassertemperatur := 41" C, Körpertemperatur •=. 39 '3". Am nächsten Tage (dem 12. Ver- suchstage) wurden abermals zwei Wannenbäder genommen. Am Vormittag: Dauer des Bades 60 Minuten bei einer Wasser- temperatur von 43" C, Körpertemperatur stieg bis 40- 1", zwei Stunden nach dem Bade 1=37 -2". Am Nachmittage: Dauer des Bades z= 60 Minuten, Körpertemperatur stieg auf 39* 1", zwei Stunden nach dem Bade =: 37 3". Diesen drei Badetagen folgten noch vier Normaltage (Versuchstage 13 16). Dienachfolgende Tabelle enthält die bei der Stickstoffbestimmung erhaltenen Werthe. Die für die Harnsäureausscheidung erhaltenen Zahlen sind nicht angegeben, weil die in diesem Falle für die Menge der

288

£. Formanek,

ausgeschiedenen Harnsäure gefundenen Werthe auch in der Normalperiode derart bedeutend variirten, dass denselben keine Bedeutung beigemessen werden konnte. Der Harn dieses Ver- suchsmannes, der keinen von den gewöhnlichen bekannten, abnormen Bestandtheilen enthielt, zeigte die bei normalen Harnen sonst nie zu beobachtende Eigenschaft, dass derselbe die ammoniakalische Silberlösung, mit welcher die Harnsäure aus- gefällt wird, reducirte und Schwefelsilber auflöste, woraus eine Fehlerquelle für diese Bestimmungen der Harnsäure resultirte, die durch abermalige Lösung der durch Säure bereits abge- schiedenen Harnsäure nicht vollkommen eliminirt werden konnte, und die auch die stark variablen Werthe verschuldet haben mag.

Menge

1

1

1 1

Ver- 1 suchs- tage

1

Körper- .

gewicht

in Kilo- 1

gramm

1

Stick- stoff- Einfuhr [

des Hames

in Cubik- centi- metem

Re-

action

Stick- stoff '

im Harne

Stick- stoff

in Fäces

Ge-

sammt- Sück- stoff

Bemer- kung

i

l

65-500

18 07

1630

sauer

14 82

1-61

16 43

1

1

2

66 500

18 07

1840

»

14 91

1-61

16-52

3

66 000

18-07

2350

neutral

15-40

1 61

17-01

4

66 000

18 07

1660

»

16-20

1-61

17-81

5

66 000

18 07

1850

>

16 22

1 61

17-83

6

66-000

18-07

1500

»

15 30

1-61

16-91

7

66 000

18-07

1743

»

15 60

161

17-28

!

8

66 000

18-07

1610

>

15 70

1-61

17-31

. 9

NÜttel l 9

10

66 000

18-07

1866

sauer

16 30

1-61 l 61 1-61

17-91

66-000

18-07

1470

15 60

17-21

18 07

sauer

16-20

17 81

1 Bad

11

65 500

1807

1420

>

16-30

1 61

17-91

2 Bäder

12

65-500

18-07

1000 1046

neutral

17-60

1-61

19-21

2 Bäder

1

Mittel 10-12

18-07 1807

neutral

16-70

1-61 1-61

18 31

1

13

66 000

19-00

20-61

1

14

66 000

18 07

1730

sauer

18 66

1-61

20 27

! ir>

66 000

18 07

1570

»

1610

1-61

17 71

16

Mittel 13-16

66-000

18-07

1840

>

15-60

1 61

17 21

18 07

17-34

1 61

18-95

1

Stickstoff- und Harnsäure-Ausscheidung. 289

Die bei allen drei mitgetheilten Versuchen erhaltenen Resultate können dahin zusammengefasst werden, dass beim Menschen nach einem heissen Luft- und Dampfbade die Stick- stoffausscheidung, beziehungsweise der Stickstoffumsatz nur in sehr geringem, kaum wahrnehmbarem Masse, nach zwei solchen, an zwei Tagen genommenen Bädern dagegen am zweiten Badetage schon merklich gesteigert wird, welche Steigerung auch noch an dem nächstfolgenden Tage bemerk- bar ist.

Dieselbe Wirkung hatten auch mehrere kurz nach einander genommene heisse Wannenbäder.

Was die Harnsäureausscheidung anbelangt, so zeigte die- selbe ein gleiches Verhalten wie die Stickstoffausscheidung, d. i. beim gesteigerten StickstoflFumsatz wurde dieselbe in gesteigertem Masse ausgeschieden.

Diese Resultate stehen mit den diesbezüglichen, oben mitgetheilten Angaben früherer Autoren z. Th. in Überein- stimmung, z. Th. im Widerspruche. In mehreren neueren .Arbeiten wurde versucht, die bestehenden Widersprüche auf diese Weise zu lösen, dass man behauptete: die Versuche, welche zu entgegengesetzten Resultaten führten, seien nicht beweisend, da die insbesondere bei älteren Versuchen ange- wandten Methoden der Stickstoff- und Harnstoffbestimmung nicht fehlerfrei waren, und da bei diesen Versuchen die Nahrungs-, beziehungsweise Stickstoffaufnahme nicht con- trolirt wurde, so dass während der Badeperiode eventuell mehr oder weniger Stickstoff, als in der Normalperiode eingeführt und daher auch ausgeschieden wurde. Es mag sein, dass diese Umstände an den erhaltenen Resultaten z. Th. Schuld tragen, es dürfte aber schwer fallen, diese Verhältnisse nur auf diese Weise zu erklären, da auch neuere Untersuchungen, die anscheinend correct durchgeführt wurden, denn doch ent- gegengesetzte Resultate lieferten. Es müssen daher wohl noch andere Momente im Spiele sein.

Von diesen kommt zunächst die Höhe und die Dauer der Körpertemperatursteigerung in Betracht. Ist die Körpertempera- tur nur während kurzer Zeit und nicht bedeutend gesteigert^ so macht sich der Einfluss dieser Steigerung kaum geltend ; ist

290 E. Formanek,

dieselbe aber intensiver und länger andauernd, so trifft dieser Einfluss deutlich hervor. Auf diesen Umstand machte schon Richter (I. c.) aufmerksam, und unsere Versuche bestätigen diese Annahme. Versuch I, wo nur ein Bad genommen wurde, war beinahe ganz negativ, während die zwei übrigen Versuche ein positives Resultat ergaben.

Ein warmes Bad veranlasst nur eine relativ unbedeutende Steigerung der Körpertemperatur, wie auch aus den Versuchen von Makowiecki hervorgeht, und der normale Zustand stellt sich sehr bald ein.

Es muss daher die Wirkung eines Bades, die für gewöhn- lich unbedeutend ist und rasch vorübergeht, von der Wirkung einer andauernden Körpertemperatursteigerung strenge ge- schieden werden.

Ferner scheint es zweifellos, dass bei diesen Versuchen die Individualität eine grosse Rolle spielt. Derselbe Experi- mentator, Richter, konnte bei Kaninchen keine entscheidende, beim Hunde dagegen eine ganz zweifellose Steigerung des Stickstoffumsatzes bei derselben Versuchsanordnung durch Steigerung der Körpertemperatur hervorrufen. Es gibt daher wahrscheinlich Individuen mit einem mehr stabilen und einem mehr labilen Stickstoffgleichgewichte, und zwar nicht nur je nach der Species, sondern auch innerhalb einer und der- selben.

Diese Umstände würden die jetzt bekannten Beobachtun- gen, dass das eine Mal keine, das andere Mal aber eine bedeutende Steigerung des Stickstoffumsatzes durch Bäder hervorgerufen wird, vollkommen zwangslos erklären.

Es bleiben aber noch zwei Beobachtungen übrig, die denn doch problematisch erscheinen, nämlich die Beobachtungen von Koch (1. c.) und Makowiecki (1. c), dass nach Bädern sogar Herabsetzung des Stickstoffumsatzes platzgreifen kann. Koch constatirte allerdings nur eine so unbedeutende Minder- ausscheidung des Stickstoffes, dass ein sicherer Schluss auf die Verminderung des Stickstoffumsatzes nicht gezogen werden kann.

Die von Makowiecki erhaltenen Zahlen sind wenigstens z. Th. auch nicht entscheidend, so ist namentlich im Versuche

Stickstoff- und Harnsäure -Ausscheidung. 291

Nr. 4 (vergl. oben) eine solche Minderausscheidung des Stick- stoffes gar nicht vorhanden.

Die Versuche Nr. 3 und 5 gestatten diesbezüglich auch keinen Schluss, da in der Badeperiode weniger Stickstoff ein- geführt wurde als in der Normalperiode, und in Folge dessen musste auch die Stickstoffausscheidung heruntergehen.

Dagegen scheint der Versuch Nr. 1 für eine Herabsetzung des Stickstoffumsatzes zu sprechen, obzwar in der der Bade- periode nachfolgenden Normalperiode auch weniger Stickstoff ausgeschieden wurde, als in der ersten Normalperiode. Im Versuche Nr. 2 ist diese Herabsetzung auch nur wenig ausge- sprochen. Für den Fall, dass eine Herabsetzung des Stickstoff- umsatzes wirklich statt hat, dürfte die von Richter heran- gezogene Erklärung am wahrscheinlichsten sein, dass es sich um eine, in Folge der Körpertemperatursteigerung auftretende compensatorische Minderersetzung von Organeiweiss, die die Mehrzersetzung sogar übercompensirt, handelt.

Mit Rücksicht auf die Beobachtung von Prof. Horba- czewski, * der nach einem heissen Bade eine Vermehrung der weissen Blutkörperchen im Blute fand, wurde auch das Ver- halten der Blutkörperchen unter dem Einflüsse der Bäder in den ersten zwei Versuchen untersucht. Die Zählung wurde kurze Zeit vor dem Bade und gleich nach demselben nach Thoma-Zeiss vom Laboratoriumsassistenten Herrn Dr. Mra- zek vorgenommen. In beiden Fällen ergab sich ein relatives, ziemlich bedeutendes Ansteigen der Leukocytenzahl nach dem Bade, wie aus Folgendem hervorgeht, wobei sich die Zahlen auf 1 mm^ Blut beziehen.

Verhältniss Versuch I. der weissen

zu den rothen :

1 : 1007

Vor dem Bade: rothe Blutkörperchen

weisse »

Nach dem Bade: rothe »

weisse »

5,037.500> 5.000(

5,025.000/ 7.100»

1 :70;

^ Sitzungsber. der kais. Akademie in Wien, 1891, April.

292

E. Formanek, Stickstoff- und Harnsäure-Ausscheidung.

Versuch II.

I. Bad.

Vor dem Bade: rothe Blutkörperchen:

weisse »

Nach dem Bade: rothe » :

weisse » :

4,325.000) 4.450i

4,682.000) 6.800)

Verhältniss

der weissen

£u den

rothen :

1 :931

1 :688

IL Bad.

Vor dem Bade: rothe Blutkörperchen

weisse »

Nach dem Bade: rothe »

weisse »

^■"3 -

Das Verhältniss der weissen Blutkörperchen in den rothen steigt daher nach dem Bade, es handelt sich daher um einen relativen Mehrgehalt des Blutes an Leukocyten. Wieso diese Steigerung der Leukocytenzahl im Blute unter dem Einflüsse der Bäder zu Stande kommt, ist vorläufig schwer zu ent- scheiden, allem Anscheine nach handelt es sich um eine An- häufung derselben im Blute.

293

Über Sarkolyse beim Mensehen

(Vorläufige Mittheilung)

von

Dr. Josef Schaffer,

I Assistenten am histologischen Institute der k. *. Universität in Wien.

I

(Vorgelegt in der Sitzung vom 12. Mai 1892.)

i

I Untersucht man die quergestreifte Muscuiatur menschlicher

Embryonen zwischen der 10. bis 16. Woche an Schnitten oder

Isolationspräparaten, so wird man in derselben auf eine Reihe

eigenthümlicher Gebilde stossen, welche theils schon bekannt

I und vielfach beschrieben, im Ganzen aber noch nie in ihren

I richtigen, genetischen Zusammenhang gebracht worden sind.

j Derselbe wird an Isolationspräparaten viel schwerer erkannt,

I als an Schnitten, welche die Verhältnisse in situ, die einzelnen

1 Formen, wie man sie auseinander entstanden annehmen muss,

I nebeneinander zeigen und kann daher bei dieser Untersuchung

erstere Methode nur zur Controle dienen. Um die angeführte

Zeit sind die Muskelfasern noch hohle Cylinder, deren Mantel

von einer einfachen, meist aber schon doppelten Reihe von

,Primitivfibrillen" gebildet wird, während die Achse des Cy-

linders von den ovalen, in gewissen Abständen längsgereihten

Kernen und der zu diesen gehörigen, protoplasmatischen Masse

ausgefüllt wird, aus welcher sich eben die contractilen Fäser-

chen heraus dififerenziren. Ein Sarkolemm ist um diese Zeit

noch nicht vorhanden.

Während man also bei mittlerer Einstellung auf eine solche Faser in ziemlich weiten, zwischen 10 86 |x schwan- kenden Abständen die Achsenkerne und zu beiden Seiten der- selben einen Zug quergestreifter Fibrillen wahrnimmt, erscheinen die Fasern am Querschnitt als zierliche Punktkreise oder

Sitzb. d. mathem.-naturw. Cl.; Gl. Bd. Abth. III. 20

294 J. Schaffer,

-Ringe, deren Mitte entweder der runde Querschnitt eines Kernes oder das Bildungsplasma einnimmt. Den Durchmesser dieser Ringe finde ich in der Nackenmusculatur eines 12 13 Wochen alten, in Müller'scher Flüssigkeit erhärteten Embryos im Mittel 10 (jl, in der Oberschenkelmusculatur 8{i betragen. Zwischen diesen typischen, embryonalen Fasern sieht man fast in allen untersuchten Muskeln, aber an ein- zelnen Stellen zahlreich, an anderen vereinzelt Gebilde, welche sich als mehr oder minder veränderte Fasern erweisen.

An der Musculatur des erwähnten Embryo kann man im Wesentlichen Folgendes beobachten: Im einfachsten Falle umhüllt der unveränderte Fibrillenmantel eine Säule nahe, bis zur gegenseitigen Berührung aneinander gerückter Achsen- kerne. Dieser Befund ist ein seltener. Meistens zeigt sich der Fibrillenmantel verändert, und zwar in der Weise, dass er in verschiedener Ausdehnung verdickte Querscheiben zeigt, die durch stärkeres Lichtbrechungsvermögen auffallen, den sonst geradlinigen Contour der Faser perlschnurartig vorwölben und der Faser ein körniges Aussehen verleihen. Diese Verdickungen können an derselben Primitivfibrille sehr nahe aneinander rücken und endlich zu einem längeren, stäbchenförmigen Knoten zusammenfliessen. Aber auch die Verdickungsknoten benachbarter Fibrillen können theilweise oder die ganze Peri- pherie umfassend verschmelzen, so dass der ganze Fibrillen- mantel an solchen Stellen an Durchmesser zunimmt und es in der Längsansicht den Anschein hat, als wären in den Faser- mantel stark glänzende Knoten von cubischer, prismatischer oder ovaler Gestalt oder wulstförmige Ringe eingelagert Am Querschnitt erscheinen die Fasem an solchen Stellen bedeutend verdickt, bis zu einem Durchmesser von 20 25 [i, am un- gefärbten Präparate in schwach lichtbrechendem Medium stark glänzend und an Stelle der zierlichen Punktirung ist eine massige, dicht aneinander gerückte Felderung getreten. Der Länge nach werden diese Knoten und Ringe stets durch unveränderte Fibrillenabschnitte verbunden, die oft allerdings auf zarte Querdurchgänge reducirt erscheinen.

Schon in diesen Stadien kann die Faser an einer solchen Verdichtungsstelle ihre Continuität mit der unveränderten

Sarkolyse beim Menschen. 295

Faser wenigstens an einem Ende aufgeben und wir sehen dann eine unveränderte Faser mit einem solchen eigenthümlich umgestalteten Ende, das stets noch durch eine Kemsäule aus- gezeichnet ist, mitten im Muskel frei aufhören. Am häufigsten finden sich solche Abschnitte an den Ansatzenden der Fasern.

An anderen Fasern sind die Verdichtungsknoten oder die Verdichtungsringe der Länge nach miteinander verschmolzen und machen solche Stellen in ersterem Falle den Eindruck, als sei die Faser in dicke, homogenisirte Muskelsäulchen zerspalten, während sie in letzterem Falle als dicke, längs- streifige, spindelförmige Umhüllung der Achsenkeme erscheint, die an Eosin-Hämatoxylin-Präparaten durch eine intensivere Eosinfarbung auffallt. In einzelnen dieser spindelförmigen Verdickungen, welche an einem ihrer Enden meist noch isolirte Verdichtungsknoten zeigen, sind die Kerne durch stärkere Färbbarkeit und Querstellung auffallend. Neben der Längsstreifung können solche Achsenkernspindeln noch eine Querstreifung zeigen, welche aber mit der normalen Quer- streifung nur insoferne zusammenhängt, als sie die Grenzen der aneinander gerückten Verdichtungsringe andeutet. Das Querschnittsbild solcher Stellen ist bereits oben besprochen; bei fortschreitender Homogenisirung des Fibrillenmantels ver- schwindet auch die Felderung desselben.

So veränderte Faserabschnitte können nun entsprechend den Grenzflächen der Verdichtungsringe in kernhaltige kürzere oder längere Bruchstücke zerfallen oder dieser Zerfall betrifft nur den verdichteten Fibrillenmantel, der sich in Form kurzer, rinnen- oder halbröhrenförmiger Bruchstücke von der kern- haltigen, protoplasmatischen Achse loslöst und welche als mannigfach gestaltete, zunächst stets scharfkantige Fragmente zwischen die Fasern zu liegen kommen.

Hier erleiden sie einen Einschmelzungsprocess, der sich durch Abrundung ihrer Kanten und Ränder und durch das Auftreten eines zarten, in Eosin sich rosafärbenden, proto- plasmaartigen Hofes um dieselben kundgibt.

Solche Gebilde erscheinen dann als zelienartige, proto- plasmatische Massen, welche im Innern noch stark in Eosin färbbare, grössere oder kleinere, mannigfach gestaltete Bruch-

20»

296 J. Schaffer,

Stücke contractiler Substanz enthalten. Dass es sich nicht um wirkliche Zellen handelt, geht aus dem häufigen Mangel eines Kernes hervor, öfter kann allerdings bei der Entstehung der Muskelbruchstücke ein Achsenkern am Rande haften bleiben oder es lagert sich ein Bindegewebskern an diese Gebilde an, in welchen Fällen das täuschende Bild einer kernhaltigen Zelle mit eingeschlossenen Muskelbruchstücken entsteht. Schliesslich ist es nicht undenkbar, dass auch echte Zellen, wandernde Leukocyten solche kleinste Fragmente der contrac- tllen Substanz in ihren Protoplasmaleib aufnehmen.

Die morphologischen Producte dieses Faserzerfalles zeigen also verschiedene Formen, welche man nach dem Vorschlage S. Mayer's* passend als freie und eingeschlossene Sarkolyten bezeichnen kann. Letztere wären aber wieder zu unterscheiden, je nachdem die einschliessende Protoplasmamasse einen Kern enthält oder nicht.

Was nun die Constanz dieses Befundes anbelangt, so glaube ich für dieselbe eintreten zu können, nachdem ich die Beobachtungen an sieben anderen Embryonen aus der 10. bis 17. Woche wiederholt und auch bei Thierembryonen analoge Vorgänge gesehen habe.

Das kann ich allerdings nicht behaupten, dass bei der Resorption einer Faser stets der oben geschilderte Vorgang eingehalten wird ; es scheinen da viele Modificationen möglich zu sein. Auch darf man nicht erwarten, in jedem Muskel alle beschriebenen Stadien der Sarkolyse vorzufinden, da dieselbe allem Anscheine nach eine gewisse Periodicität besitzt, die besonders auch dadurch gekennzeichnet ist, dass der Process in der beschriebenen Ausdehnung und Form mit dem vierten Monate sein Ende erreicht. Bei sechs älteren Embryonen (aus dem fünften und sechsten Monate) konnte ich nichts derartiges mehr beobachten. Es scheint dies mit dem Solidwerden der Muskelfasern, das ja auch bei verschiedenen Muskeln zu verschiedener Zeit eintritt, zusammenzuhängen. Dass sich aber auch später noch sarkolytische Vorgänge an den Muskel-

1 Einige Bemerkungen zur Lehre von der Rückbildung quergestreifter Musculatur. - Zeitschrift für Heilkunde, Bd. VIII, 1887, S. 187.

Sarkolyse beim Menschen. 297

lasem abspielen, ist durch zahlreiche Befunde erwiesen; nur werden dieselben durch die veränderte Form der Fasern einen etwas anderen Verlauf nehmen, obwohl die einleitenden Ver- änderungen, wie ich in einer späteren ausführlicheren Arbeit zu zeigen gedenke, dieselben sind, wie bei den frühembryo- nalen Fibrillenröhren.

Kehren wir zur Besprechung der letzteren zurück, so ist man oft überrascht, in wie grosser Zahl diese sarkolytischen Fasern auftreten. Dieser Umstand gewinnt noch an Bedeutung, wenn man den Ort, an welchem diese rege Sarkolyse beob- achtet wird, näher in's Auge fasst. Es sind dies nicht so sehr die mittleren Partien der Muskelfasern zwischen Ursprung und Ansatz, sondern gerade die letzteren Stellen ; so sehe ich beim Ansatz der M. pectorales am Brustbein, an den Rippen und an der Clavicula beim dem Embryo von 12 13 Wochen fast sämmtliche Fasern sarkolytisch verändert.

Die nachfolgenden Bemerkungen über die Bedeutung dieses Vorkommens kann ich vorläufig nur als Vermuthungen, i wenn auch manchmal als wohlbegründete Vermuthungen aus- ! sprechen. Es scheint, dass es sich hier bei raschem Wachs- j thum und dem dadurch bedingten Auseinanderrücken der Skelettheile um eine typische Loslösung des gleichsam provi- I sorischen Muskelansatzes handelt, welche von einem erhöhten I Längenwachsthum der Muskelfaser gefolgt ist. Was den I letzteren Punkt anlangt, so erinnere ich daran, dass bei der oben beschriebenen Form der Sarkolyse vielfach nur der ver- änderte contractile Mantel der Resorption anheim fallt, während die Achsenkeme mit ihrem Bildungsprotoplasma mit dem unveränderten Theile der Faser in Zusammenhang bleiben kann. Durch dieselben ist einerseits der Weg einer neuen Fibrillenbildung vorgezeichnet, anderseits das Material für dieselbe geliefert. Durch Auseinanderrücken der eng gedrängten Kerne in der Längsrichtung der Faser und oberflächlicher Dififerenzirung von Fibrillen aus ihrem Protoplasma muss die alte Faser ein bedeutendes Längenwachsthum erfahren. Dieser Wachsthumsmodus würde auch die bekannte Verschiebung von Muskelansätzen an Skelettheilen leicht verständlich machen; anderseits ist die Bedeutung von terminalen Kern-

298 J. Schaff er, Sarkolyse beim Menschen.

Wucherungen für das Längenwachsthum der Muskelfasern von verschiedenen Seiten betont worden.

Die Berechtigung dieser Vorstellungen muss noch durch eine Reihe eingehender Untersuchungen geprüft werden; so viel scheint mir aber schon jetzt sicher, dass imwachsenden Muskel typischer Weise Einschmelzungs- und Neubildungs Vorgänge Hand in Hand gehen,* welche aufdie endliche Formgestaltung des Muskels einen ähnlichen Einfluss haben, wie die Resorption und Apposition bei Wachsthum und Formgestaltung der Knochen. Selbstverständlich muss die Sarkolyse nicht von einer Neubildung gefolgt sein, sondern sie kann dort, wo es nothwendig ist, auch zur einfachen Zerstörung von Muskel- fasern führen. In dieser Hinsicht dürfte das Studium der Ent- wicklung rudimentärer Muskeln, die im Embryo angelegt werden, später aber verschwinden, von Interesse sein.

Die oben angeführten Thatsachen sollen in einer aus- führlichen Abhandlung durch Abbildungen illustrirt und mit Berücksichtigung der Literatur demnächst ausgeführt werden.

1 Ich hebe hier ausdrücklich hervor, dass schon S. Mayer, der zuerst nachdrücklich auf diese interessanten Transformationsprocesse in unversehrten Geweben aufmerksam gemacht hat, der Meinung zuneigte, >dass auch im Muskel Vorgänge sich abspielen, durch welche innerhalb der Grenzen der Norm vereinzelt Muskelfasern in ihrer normalen Form und Zusammensetzung zeitweilig eingeschmolzen werden, um dann in der Folge wieder einem Neu- bildungsprocesse anheim zu fallen.« (Biolog. Centralblatt, IV. Bd., Nr. 5, 1884, S. 135.)

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299

Pharmakologische Untersuchungen über

Ketone und Acetoxime

von

Docent Dr. Heinrich Paschkis und Dr. Fritz Obermayer.

(Aus dem Laboratorium für medicinische Chemie der k. k. Universität in Wien.)

Seit mehr als 20 Jahren sind von zahlreichen Forschern mehr oder minder werthvolle Beiträge zur Kenntniss von einem anzunehmenden Zusammenhang zwischen chemischer Structur, beziehungsweise Constitution und physiologischer Wirkung einiger Körper geliefert worden.

Für diesen Zusammenhang erscheinen zunächst besonders wichtig die Verschiedenheiten in der Wirkung, welche sich durch Veränderung der Constitution eines Arzneikörpers ergeben. Ohne auf Vollständigkeit in der Aufzählung der in neuester Zeit recht zahlreich gewordenen Arbeiten Anspruch zu machen, wollen wir von den bisher untersuchten Körpern als für unsere vorliegenden Untersuchungen wichtig erwähnen jene, in deren Molekül ein oder mehrere Atome, beziehungs- weise eine oder mehrere Atomgruppen substituirt worden sind.

So wurden in einem Alkaloidmolekül ein oder mehrere Atome H durch Alkoholradicale ersetzt (Crum Brown, Fräser, Buchheim und Schüler). In gewissen basischen Körpern (Piperinen und Tropeinen) wurde ein Atom H durch einen Säure- rest ersetzt. In anderen Alkaloiden wurde eine HO-Gruppe ent- weder durch einen Säurerest oder durch eine andere Atomgruppe

300 H. Paschkis und F. Obermayer,

ersetzt (Stolnikow). In aromatischen Körpern wurden ein oder mehrere Wasserstoffatome durch Hydroxylgruppen oder Alkoholradicale substituirt.

In allen diesen Fällen sah man, dass die Wirkung der neugebildeten Körper von den ursprünglichen Substanzen in anscheinend gesetzmässiger Art unterschieden war.

Es sind aber auch Beispiele von einzelnen (homologen) Reihen bekannt, bei denen eine Grundwirkung zugleich mit der Zunahme des Moleculargewichtes nicht qualitativ, aber quantitativ verändert wurde (einsäurige Alkohole, Pyridin- reihe etc.).

Um vielleicht einigen Aufschluss über diesen Zusammen- hang zu erhalten, untersuchten wir die Gruppe der Acetoxime, welche aus mehrfachen Gründen uns dafür geeignet erschien. Zunächst dachten wir daran, dass ebenso wie durch gewisse chemische Agentien aus diesen Körpern Hydroxylamin abge- spalten wird, derselbe Process sich vielleicht allmählich im thierischen Organismus vollziehe. Es könnte also Hydroxyl- amin, welches schon in geringer Quantität eine bekannte, sehr energische Wirkung auf den Organismus übt, frei und wirksam werden.

Ferner war bei diesen Körpern als Isonitrosoderivaten der Methanreihe der Einfluss des Ersatzes eines Wasserstoff- atomes durch die Oximidogruppe NOH zu studiren.

Schliesslich waren hiebei auch Körper einer homologen Reihe zu untersuchen.

Die Acetoxime gehen aus der Verbindung von Ketonen mit Hydroxylamin hervor. Sie sind als Isonitrosoderivate auf- zufassen

(CH3),C0 -h NHjOH = (CH3)jCN0H -h H^O.

Zur Darstellung genügt es in der Regel, das in einem geeigneten Lösungsmittel gelöste Keton mit Hydroxylamin zu versetzen, welches aus dem salzsauren Salze durch Alkali in Freiheit gesetzt wurde. Die erhaltenen Acetoxime werden dann umkrystallisirt oder in anderer Weise gereinigt. Alkalische Reductionsmittel wirken auf dieselben nicht ein; von Säuren werden sie wieder in Hydroxylamin und Ketone zerlegt.

Ketone und Acetoxime. 301

Aceton qii/^0.

Die Wirkung dieses Körpers ist von zahlreichen Forschern studirt Bei den diesbezüglichen Versuchen wurde das Aceton zumeist zur Inhalation verwendet (Kruska, Tapp einer, Pen- zoldt), stomachal applicirt (Albertoni) und endlich subcutan verabreicht (Kussmaul, Penzoldt, de Gennes). An Fröschen, Kaninchen und Meerschweinchen wurde Narkose beobachtet, an Hunden wird Pulsbeschleunigung (von Kussmaul), Blut- drucksteigerung und Verminderung der Herzfrequenz (von Tapp einer) angegeben. Intravenöse Injectionen finden sich in der Literatur nicht verzeichnet. Unsere Versuche, welche wir allerdings nur im Hinblicke auf das sofort zu besprechende Acetoxim anstellten, ergaben, dass Dosen von 0-03 0*50 auf Frösche gar keine Wirkung hervorbringen. Bei einem Hunde bewirkten 2' lg intravenös applicirt keine Veränderung der Herzfrequenz, und unter Schwankungen eine kleine Steigerung des Blutdruckes. *

Acetoxim ^jj^^CNOH.

Dieser Körper, auch Isonitrosopropan (CH3),CN0H, wird dargestellt durch Mischen von Aceton mit wässeriger Hydroxyl- aminlösung,* die Flüssigkeit wird mit Äther geschüttelt; nach dem Verdunsten des abgezogenen Äthers verbleibt die Substanz in Form weisser, prismatischer Krystalle. Dieselben sind schon bei gewönlicher Temperatur sehr flüchtig, riechen nach Chloral und sind in Wasser, Alkohol und Äther leicht löslich. Acetoxim zerfällt beim Kochen mit concentrirter HCl in Aceton und Hydroxylamin, welche Zersetzung auch durch saure Reduc- tionsmittel stattfindet; durch alkalische Reductionsmittel wird es nicht zersetzt.

Das Acetoxim brachte beim Frosche zu 0*06 Narkose hervor, welche in 5 Stunden wieder schwand. 0 * 03 Hydroxylamin

1 Die Blutdrucksversuche haben wir mit gütiger Erlaubniss des Herrn Prof. Stricker in dessen Institute ausgeführt.

2 V. Meyer, Janni. Bericht der deutsch, ehem. Gesellsch. XV, 1324.

302 ff. Paschkis und F. Obermayer,

bewirkten in 3 Minuten Narkose, in 10 Minuten den Tod von Fröschen; deren Blut chocoladebraun; Methämoglobinbildung. Eine concentrirte wässerige Lösung hatte, auf das freigelegte Herz eines Frosches aufgeträufelt, keine Wirkung. Ein Frosch in ein Becherglas gesetzt, auf dessen Boden sich 0*3 Acetoxim befanden, war in 24 Stunden vollkommen narkotisirt, in 48 Stunden todt.

Beim Meerschweinchen brachten 0*5 leichte Narkose mit lähmungsartiger Schwäche hervor, welche Erscheinungen aber schon am nächsten Tage verschwunden waren. Einem grossen weiblichen Meerschweinchen wurde 0-5 in 2cm' H^O gelöst subcutan injicirt. Nach 17 Minuten ist das Thier unsicher auf den Hinterbeinen und fällt beim Putzen auf die Seite; nach weiteren 13 Minuten liegt es an der Wand des Käfigs, schläft mit geschlossenen Augen, aufgescheucht zieht es die hinteren Extremitäten nach und taumelt. Auch in den nächsten 20 Minu- ten kann es sich nicht aufrecht erhalten und schwankt bei dem Versuche sich fortzubewegen. Nach weiteren 30 Minuten sitzt es ruhig, ist schwer zu bewegen, den Platz zu verlassen, schliesst die Augen und bleibt so ruhig bis 3 Stunden nach Beginn des Versuches. Am nächsten Tage ist das Thier wieder normal.

lg der Substanz in H^O gelöst und subcutan injicirt, war bei einem Hunde von 3*3^^ vollständig wirkungslos; ebenso- wenig Wirkung zeigten 2^ stomachal applicirt. Auf den Blut- druck waren 1 * 5^ intravenös injicirt, wie aus folgender Tabelle ersichtlich ist, ohne Wirkung:

OM'B.D. ISOwwHg

1-5'

180

I.Inj. (0-5in5H,O)

2-5

190

2. »

3

172

3. »

4

162

5

154

6

150

8-5

150

12-5

150

Ketone und Acetoxime. 303

Der Puls schwankte während der Versuchsdauer von 156—168. In dem Blute der injicirten Thiere konnte spectro- skopisch Methämoglobin nicht nachgewiesen werden.

Diaethylketon qii/CO.

Dasselbe ist eine leicht bewegliche Flüssigkeit von ange- nehmem, etwa an Essigäther erinnerndem Gerüche, Siede- punkt 101. Es ist in 24 Theilen H^O löslich. Über eine Wir- kung dieser Substanz ist uns aus der Literatur nichts bekannt geworden.

Beim Frosch bewirken 0*05 in verdünntem Alkohol gelöst und subcutan injicirt nach 7 Minuten Narkose, Erlöschen des Comealreflexes und nach 5 Stunden Tod.

0*8^ einem Hunde (von 4:kg) subcutan injicirt, erzeugen nur geringe Erscheinungen: häufiges Niesen und 26 Minuten nach der Injection deutlichen Geruch der Exhalationsluft nach Diäthylketon. In dem Verhalten des Hundes war mehrere Stunden nach der Injection nichts Auffallendes zu bemerken.

Bei der intravenösen Injection von 0-5 Diäthylketon zeigte sich ein sehr geringes Ansteigen des Blutdruckes.

Rattler (4ft^).

0*^1' B. D. 100 fww Hg Inj. 0-5

4 112 Exspir.-Luft riecht

allmähliches Ansteigen bis

8' B. D. 160 mm Hg

9 144

9-15 164

9-30 146

12 156

Diaethylacetoxim q*j^^^NOH.

Dieser zuerst von Scholl * dargestellte Körper ist ein in Wasserunlösliches, farbloses öl vom Siedepunkt 162 163.

1 Berichte der deutsch, ehem. Gesellsch. XXI, S. 509.

304 H. Paschkis und F. Obermayer,

0*06 (entsprechend 0-05 Keton) in verdünntem Alkohol gelöst und einem Frosche subcutan injicirt, erzeugt nach 1 1' leichte Narkose bei Erhaltung der Reflexerregbarkeit; das Thier erträgt die Rückenlage, nach weiteren 9' ist die Narkose noch deut- licher, die Reaction sehr träge, Cornealreflex noch erhalten. 30' nach Beginn des Versuches ist auch der Cornealreflex geschwunden, und nach weiteren 1 V2 Stunden stirbt das Thier unter zunehmenden Lähmungserscheinungen.

Ein Meerschweinchen, welchem 0*5 Diäthylacetoxim sub- cutan injicirt worden waren, zeigt 4' nach der Injection Benom- menheit bei Erhaltung des Cornealreflexes und Seitenlage; Resp. 60; Puls arhythmisch; nach weiteren 9' ist Resp. 52, ebenfalls arhythmisch; in weiteren 4' Resp. 48, Cornealreflex erloschen ; im weiteren Verlaufe werden Respiration und Puls immer langsamer, die erstere stark intermittirend und der Puls sehr arhythmisch. Die sensiblen Reflexe gering, immer mehr abnehmend. 1 ^ 20' nach der Injection nach einigen schnappenden Athemzügen Herzschlag nicht mehr fühlbar: Exitus. Bei der Section ist das Herz schlaff, nicht contrahirt, in seinen Höhlen dunkles, flüssiges Blut, welches spectro- skopisch kein Methämoglobin nachweisen lässt.

Eine subcutane Injection von 0*8 Diäthylacetoxim bei einem Hunde von 4kg erzeugte nach 16' unsicheren Gang, Schwanken, namentlich auf den Hinterbeinen, starke Auf- regung, Niesen. Die Exhalationsluft riecht nach dem Oxim. Innerhalb der nächsten 14' nimmt das Schwanken noch immer zu, nach weiteren 8' lebhafter Bewegungstrieb. Das Thier läuft unablässig mit unsicherem, schwankendem Gange hin und her; der Herzschlag wegen ausserordentlicher Unruhe des Thieres nicht zählbar; das Thier ist sehr unruhig und zittert. Eine Stunde nach der Injection werden die geschilderten Erschei- nungen geringer; der Hund frisst und säuft und ist nach kurzer Zeit vollkommen normal.

Der während der Versuchszeit entleerte Harn reducirt Fehling'sche Lösung weder in der Kälte, noch nachdem der- selbe mit Lauge erwärmt wurde.

Intravenös applicirt bringt das Diäthylacetoxim Sinken des Blutdruckes hervor.

Ketone und Acetoxime. 305

A. Hund 4kg,

8.0.1=152 Inj. 0-8. OM-5' 148

3-5 94

5-5 84

7 5 Absinken bis zur Abscisse. Herz- lähmung. Im Blut kein Methaemoglobin. Deutlicher Geruch nach Oxim.

0^

B.

Hund. 5

kg.

1' B

. D.

106

Inj. 0-16

3

94

» 0-08

4

86

5

76

5*5

74

. 0-08

7

70

» 008

7-5

64

10

60

11

54

12

52

16

50

CH V Methylnonylketon q j| ^CO.

9 1 «I

Bestandtheil des Öles von Ruta graveoleus, flüssig, von angenehmem Gerüche, löst sich nicht in H^O. Auch über diese Substanz liegen Versuche noch nicht vor.

Bei der subcutanen Verabreichung bringt dasselbe keine schweren Erscheinungen hervor; beim Hunde sind 0-5 und rO vollkommen wirkungslos.

Beim Frosche tritt nur eine gewisse Trägheit und geringere Reaction gegen Reize ein, welche bei der Application von 0 016 nach zwei Tagen wieder verschwinden. 0*03 Methyl- nonylketon riefen dieselben Erscheinungen schon nach einer Stunde hervor; am nächsten Tage waren bei grosser Träg- heit die Reflexe etwas abgeschwächt, der Cornealreflex aber noch erhalten. Die Trägheit dauerte vier Tage an. Bei der

306 H. Paschkis und F. Obermayer,

intravenösen Injection bringt die Substanz eine vorübergehende starke Erniedrigung des Blutdruckes hervor.

Hund 5' 2kg

0^ V vor dem Versuch B. D. 102

4 B. D. 1 12, Inj. von 0*32 Keton

5 B.D. 60 7 B.D. 40

darauf allmähliches Ansteigen bis

10' 144. Die Exspirationsluft

riecht nach dem Keton.

CH V Methylnonylacetoxim q j| yCNOH.

y IV

Dieser Körper wurde von uns nach den Angaben Spiegler's * dargestellt. Die Substanz besteht aus wohl- ausgebildeten, nadeiförmigen, in Wasser unlöslichen Prismen mit dem Schmelzpunkte 42°.

Zur subcutanen Injection verwendeten wir eine alkoholische Lösung, zur intravenösen Injection eine Emulsion mit Gummi- schleim. Die erstere brachte weder beim Hunde zu 0'5 der Substanz, noch beim Frosche zu 0*03 besondere Erschei- nungen hervor; beim Hunde fehlten sie gänzlich, beim Frosche kam es nur zu vorübergehender, geringer Trägheit.

Auch intravenös applicirt scheint die Substanz kaum zu wirken.

Hund (5'2kgy

OM' B.D. 166 1 Inj.

4 B.D. 186

5 B. D. 1 64 2 Inj. [ 0 7 im Ganzen

6 B.D. 120 / injicirt. allmählich bis84, miteinzelnen Arhythmieni

8' B.D. 140 3 Inj. '

Es tritt also nur ein vorübergehendes, geringes Sinken des Blutdruckes ein.

1 Monatshefte für Chemie. V. 242.

Ketone und Acetoxime. 307

CH \. Methylphenylketon (Acetophenon) q p| yCO

CR

Diese als Hypnon seinerzeit zu therapeutischen Zwecken empfohlene Verbindung stellt grosse Krystallblätter mit dem Schmelzpunkte 20 -50. dar. * Das als Hypnon im Handel befind- liche Präparat ist ein nahezu farbloses Öl von eigenthüm- Jichem Gerüche.

Aus den Untersuchungen, welche 1885 und 1886 von Dujardin-Beaumetz und Bardet, dann von Laborde, von Mairet und Combemale, endlich von Grasset angestellt worden sind, ergibt sich, dass diese Substanz bei Thieren Betäubung, Trägheit, Coma und Tod hervorbringt. Bei der intravenösen Application tritt daneben Sinken des Blutdruckes und der Herzthätigkeit, Beschleunigung und Unregelmässigkeit der Athembewegung ein.

CH \ Methylphenylacetoxim q j| yCNOH.

CH,

I

Es bildet seidenglänzende Nädelchen, Schmelzpunkt 59**, I welche in Alkohol und Äther löslich sind. Beim Frosche I bewirkten 0*03^ in 50% Alkohol gelöst, erst nach 27, Stunden leichte Narkose und Fehlen der Reflexe, bei normalem Herzen; 0 05 bewirkten schon nach 6 Minuten Betäubung, und nach 19 Minuten Narkose mit vollständigem Erlöschen der Reflexe, ebenfalls ohne Beeinflussung des Herzens.

Die subcutane Injection von 0* 6 der Substanz brachte beim Hunde keine Erscheinungen hervor; dieselbe Menge in Emul- sion einem Hunde intravenös beigebracht, hatte auch keine nennenswerthe Änderung des Blutdruckes im Gefolge.

Laurineencampher Ci^Hi^O.

Da derselbe ketonartigen Charakter hat und sich mit Hydroxylamin zu Campheroxim verbindet, wurde er gleichfalls in den Bereich dieser Untersuchungen gezogen.

Was die, aus den verschiedenen Arbeiten von Hoffmann, Husemann, Wiedemann u. A. wohlbekannten Wirkungen des Camphers betrifft, so waren für uns von Bedeutung die bei

1 Beilstein III, S. 70.

308 H. Paschkis und F. Obermayer,

Fröschen auftretende allgemeine Paralyse, bei welcher jedoch zu bemerken ist, dass bei diesen Thieren vor der Lähmung auf Reizung krampfhafte Streckung, jedoch keine allgemeine Con- vulsionen auftreten, und dass die Reflexe lange Zeit energisch ausgelöst werden. Bezüglich des Kreislaufes soll der Campher beim Frosch den Herzmuskel direct erregen; Wirkung auf das Herz ist bei Säugethieren nicht nachweisbar; über eine eventuell eintretende Blutdrucksteigerung sind die Angaben (welche sich zudem nur auf die Application des Mittels in den Magen beziehen) nicht übereinstimmend.

Campheroxim, C,oH|qNOH.

Dieser Körper stellt lange, farblose Nadeln, Schmelzpunkt 115, dar, welche in Alkohol, Äther, Alkalien und Säuren löslich sind. Der Geruch soll nachNägeli* intensiv campherähnlich sein; wir fanden die Substanz nur wenig nach Campher, dagegen auch in sehr verdünnten Lösungen deutlich nach Lauch riechend. Beim Erwärmen mit HCl entsteht ein ange- nehmer Veilchengeruch. Die Angabe, dass das Campheroxim in Atzalkalien löslich ist, ist dahin zu verstehen, dass der Körper nur im Überschuss der Lauge gelöst bleibt, so dass also der- artige Lösungen, weder für die subcutane, noch für die intra- venöse Application verwendbar sind. Wir haben daher zu unseren Versuchen theils Lösungen in verdünntem Alkohol, einmal auch in Seife, theils Emulsionen mit Gummischleim benützt. Schon 0*03 Campheroxim führten einmal beim Frosche in 12 Stunden den Tod herbei; Gaben von 0*05, 0*06 wirken nicht rascher, aber ebenfalls tödtlich. Bei den Fröschen trat zuerst nach 1 Stunde eine lähmungsartige Schwäche oder Narkose ein, darauf, in der Regel am nächsten Tage, erhöhte Reflexerregbarkeit bei fortbestehender Betäubung, später tonische und klonische Krämpfe, welche anfallsweise unter heftigem Schreien und Maulaufreissen manchesmal so heftig auftraten, dass die Thiere schliesslich auf den Rücken fielen und sich nicht mehr aufrichten konnten. Die Zehen waren

1 Beilstein III, 275.

Ketone und Acetoxime. 309

krampfhaft gebeugt, die Schwimmhäute gespannt, der Kopf nach vorne abgebogen, der Bauch kugelähnlich aufgebläht; dabei war die Respiration angestrengt, verlangsamt und aus- setzend. Allmählich lassen die spontanen Krämpfe nach, wobei aber noch immer leichteZuckungen in den verschiedenen Muskel- gruppen auftreten und hie und da durch äussere Reize wieder Krämpfe ausgelöst werden können. Dieser Zustand dauert oft tagelang an. Die Thiere werden sehr träge, hüpfen nicht, ziehen die Beine nach, nehmen aber auch wieder hie und da die Hockstellung ein. Nach 4 5 Tagen tritt der Tod in Lähmung ein.

Bei dem Aufträufeln einer alkoholischen Campheroxim- lösung auf das blossgelegte Herz eines Frosches wurde bis auf eine leichte Verstärkung der Systole und eine sehr geringe Verlangsamung der Schlagfolge nichts Weiteres beobachtet. Kleine Gaben bis 0 08 sind auf Meerschweinchen ohne Wir- kung. Grössere Gaben, wie 0*3 (in alkoholischer Lösung), bewirken schon nach wenigen (4) Minuten unsicheren Gang, zuweilen Aufdieseitefallen. Sodann tritt grosse Unruhe und heftiger Bewegungstrieb auf, welche einige Stunden anhalten. Die Thiere fallen auf den Rücken, haben leichte, krampfhafte, aber nur einen Augenblick anhaltende Zuckungen in den Extremitäten. Der Bewegungstrieb nimmt immer mehr zu, die Thiere sind sehr unruhig, laufen aufgeregt umher, senken den Kopf tief nach unten, wie Futter suchend. Bei einem Thiere beobachteten wir ein krampfhaftes Drehen des Kopfes nach rechts, worauf auch das Thier Drehbewegungen nach derselben Richtung machte. Ausserdem treten krampfhafte Bewegungen in verschiedenen Muskeln, namentlich in den Halsmuskeln, Schütteln und Nicken des Kopfes auf. Hierauf werden die Thiere ruhig, sitzen zusammengeknauert und schreien hie und da erbärmlich auf. Die Krämpfe in den Muskeln und das Schreien treten anfallsweise in mehr oder weniger grösseren Pausen ein. Innerhalb 24 Stunden sterben die Thiere. Die Section ergibt nichts Besonderes. Das Herz fest contrahirt und blutleer; die Vorhöfe von Blut strotzend. Das Gehirn normal; überall deutlicher Geruch nach Lauch; im Blute spectroskopisch kein Methämoglobin nachweisbar.

Sitzb. d. roathem.natunv. Cl.; CI. Bd., Abth. III. 21

310 H. Paschkis und F. Obermayer,

Beim Hunde hatten Gaben von Y, Ig subcutan in Emulsion applicirt keinen Einfluss. Einem 3'3kg schweren Hunde wurden 0-5 Campheroxim in Emulsion in die Jugularis injicirt.

Blutdruck bei Beginn \32mm Hg. Puls 104; unmittelbar nach der Injection:

10 See. B. D. 60

0*^ 2' 50

4 60

6 70 P. 152

8 90

10 100

13 140

15 170

16-5 140 P. 150

17 170 Arhythmien

24 160 Vaguspulse

24-5 200

30 Vagi durchschnitten, P. 152,

einzelne Arhythmien

31-15 174

32-5 160 Injection von 0*15

33 Centrale Vaguswirkung: allmähliches

Absinken bis

36 86 P. 108

Vaguswirkung hat aufgehört. Druck allmählich steigend bis

37 116 Druckschwankungen

41 84

42 126 Athmung sistirt

43 104

44 104 Athmung wieder eingeleitet und all-

mählich Ansteigen bis 1 34 der Druck bleibt innerhalb der nächsten 10' zwischen 100 und 134.

Die Resultate sind in der nachfolgenden Tabelle über- sichtlich zusammengestellt.

Ketone und Acetoxime.

311

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2g ohne Wir- kung. Kleine Steigerung des Blutdruckes

0 8 wirkungs- los, 0'5 intra- venös: geringe Drucksteigerung

1 * 0 wirkungs- los, 0*32 intra- venös, vorüber- gehende, starke

Erniedrigung des Blutdruckes

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Ketone und Acetoxime. 313

Die gewonnenen Versuchsresultate können von ver- schiedenen Gesichtspunkten aus betrachtet werden. Als der wichtigste Punkt ist wohl die Thatsache zu bezeichnen, dass den Acetoximen die Wirkung des Hydroxylamins vollkommen abgeht. Es wäre nämlich denkbar gewesen, dass, ebenso wie beim Erwärmen mit HCl im Reagensglas eine Abspaltung von Hydroxylamin eintritt, ein ähnlicher Vorgang auch im lebenden Organismus vor sich gehen könnte. Das Hydroxylamin hat, wie bekannt, schon in sehr geringen Gaben eine deutlich aus- gesprochene Wirkung. Zu den wichtigsten und am meisten charakteristischen Erscheinungen derselben gehört die Ver- änderung des Blutes, das Auftreten von Methämoglobin. In keinem unserer Thierversuche, welche wir mit den Acetoximen anstellten, konnten wir diese Veränderung des Blutfarbstoffes nachweisen.

Sodann ist hervorzuheben, dass den Ketonen im Allge- meinen jene Wirkungen zukommen, welche für die Gruppe des Alkohols eigenthümlich sind: Narkose und Herabsetzung des Blutdruckes. Wie ersichtlich, ist die Wirkung der einzelnen Glieder dieser Reihe nicht gleich und es scheint, als wenn die Stärke der Wirkung zunächst mit der Zunahme des Molecular- gewichtes wachsen würde. Dass dieses letztere nicht aus- schliesslich massgebend ist, zeigt das Methylnonylketon, und wir glauben in diesem Falle nicht fehlzugehen, wenn wir die DiflFerenzen in dem Grade der Wirkung auch auf die Anwesen- heit der verschiedenen Alkylgruppen in dem Moleküle beziehen.

Es dürfte sich hier um ähnliche Verhältnisse handeln, wie sie Baumann für die Sulfone festgestellt hat So wie in diesen Körpern die Wirkung von der Anwesenheit und Menge der Äthylgruppen abhängig ist, so scheint, wie aus dem Vergleiche der Wirkung von Dimethylketon und Diäthylketon hervorgeht, auch hier ein ähnliches Verhalten obzuwalten.

Was nun die Acetoxime betrifft, so ist, wie schon oben gesagt, von einer Hydroxylaminwirkung nicht die Rede und man kann sagen, dass sie sich im Allgemeinen in ihren Wirkungen der Gruppe des Alkohols anschliessen, indem Narkose (hie und da auch Rausch) und Herabsetzung des Blut- druckes eintreten. Daneben gilt bei ihnen dasselbe über die

314 H. Paschkis und F. Obermayer, Ketone und Acetoxime.

Moleculargrösse und die Bedeutung der einzelnen Alkylgruppen, was wir eben bei den Ketonen bemerkt haben.

Der Eintritt der Oximidogruppe in das Keton hat keinen nennenswerthen Einfluss auf die Wirkung. Nur beim Campher tritt eine Änderung insofeme auf, als beim Frosche und beim Meerschweinchen die erregende Wirkung die lähmende über- trifft. Beim Hunde bleibt das Campheroxim, wie so häufig auch der Campher, wenigstens bei subcutaner Application, ohne Wirkung. Erwähnt zu werden verdient hier noch die vorüber- gehende Blutdruckherabsetzung, während beim Campher auch bei curarisirten Säugethieren Drucksteigerung angegeben wird.

Die Constitution des Acetoxim, welches auch als Isoni- trosopropan aufgefasst werden kann, veranlasste uns auch einen nahestehenden Körper, das Isonitrosoaceton, einer Untersuchung zu unterziehen. Dieselbe ist noch nicht abge- schlossen, jedoch können wir schon jetzt sagen, dass ganz wesentliche Unterschiede vorhanden sind und dass das Isoni- trosoaceton auch weit giftiger ist als das. Isonitrosopropan.

315

Über das Verhalten derprotoplasmaarmenund protoplasmareichen, quergestreiften Muskel- fasern unter pathologfisehen Verhältnissen

von

Ph. Knoll und Dr. A. Hauer.

(Mit 8 Tafeln.) (Vorgelegt in der Sitzung am 10. MSrz 1892.)

Über die wichtigsten der in den nachfolgenden Blättern eingehender darzulegenden Thatsachen hat der erstgenannte der beiden Verfasser schon im Jahre 1889 bei der Naturforscher- versammlung in Heidelberg kurz berichtet. (1). Die eingehenden Studien, die derselbe, im Anschlüsse an die Beobachtung jener Thatsachen, über das Vorkommen und die functionelle Bedeu- tung der protoplasmaarmen und protoplasmareichen Musculatur in der Thierreihe anstellte; (2). sowie der Wunsch bei einer Reihe weiterer Versuche die Stichhaltigkeit seiner, in der Discussion bei der Heidelberger Versammlung stark angefochtenen Behaup- tung, dass es nach Nervendurchschneidung zu einer Einwan- derung farbloser Rundzellen in die Muskelfasern kommen kann, und dass auf diese Weise Muskelzellenschläuche entstehen können, noch einmal zu prüfen, verzögerten die vorliegende Mittheilung so sehr.

Den Ausgangspunkt für die fragliche Untersuchung bildete die Beobachtung, dass in der Musculatur der Haustaube bei der Inanition an den »interstitiellen Körnern« (Kölliker) Ver- änderungen eintreten, welche den Gedanken nahe legten, dass ein wesentlicher Theil der Stofifwechselvorgänge in der Muscu- latur sich an diesen, in eipem Theile der Musculatur weit zahl- reicher als im anderen, auftretenden Körnern vollziehe (3).

316 Ph. KnoU und A. Hauer,

Die Absicht, das Verhalten der »interstitiellen Körner« unter verschiedenen, den Stoffwechsel der Muskeln verändernden Bedingungen ins Auge zu fassen, wurde schon damals bei Mittheilung jener Beobachtung ausgesprochen (3, S. 42), durch andere Arbeiten aber in den Hintergrund gedrängt

Das Interesse an dieser Frage aber war mittlerweile durch die an die Mittheilungen Ranvier's über rothe und weisse Musculatur anknüpfenden Untersuchungen Grützner's und seiner Schüler, über das Vorkommen und die functionellen Verschiedenheiten an »interstitiellen« Körnern reicher (trüber) und armer (heller) Fasern um so mehr gesteigert, als in einer der betreffenden Mittheilungen sich die Anjgabe findet, dass die trüben Muskelfasern nach Nervendurchschneidung später entarten als die hellen, und überhaupt gegen Schädlichkeiten widerstandsfähiger seien. (4.)

Die Wiederaufnahme jener Absicht erfolgte im Sommer- semester 1888, und als Object der Untersuchung wurde haupt- sächlich der grosse Brustmuskel der Haustaube gewählt, da bei den früheren Beobachtungen sich ergeben hatte, dass an »interstitiellen« Körnern sehr arme und sehr reiche Fasern in demselben vorkommen.

Da die Untersuchung sich begreiflicherweise nicht auf das Zerzupfen in indifferenten Flüssigkeiten beschränken konnte, wobei die Körner in den Muskelfasern im allgemeinen ziemlich gut erhalten bleiben, musste nach einer entsprechenden Methode der Fixirung gesucht werden, als welche sich, wie dies an anderer Stelle näher ausgeführt wurde, das starke Chrom- Osmium-Essigsäuregemisch erwies. (2, S. 650.)

Die möglichst rasch nach dem Tode des Versuchsthieres ausgeschnittenen Muskelstückchen blieben 4 8 Tage in diesem Gemenge und wurden dann in 70 90^© Alkohol nachgehärtet.

Die wesentlich dickeren protoplasmaarmen Fasern, die im grossen Brustmuskel, an Zahl viel spärlicher, hauptsächlich an der Peripherie und nur vereinzelt im Inneren der secundären Bündel liegen, zeigen dabei polygonalen Contur und erscheinen auf dem Querschnitte, abgesehen von ziemlich zahlreichen innenständigen Kernen und weit auseinanderstehenden, feinen, glänzenden Körnchen, in der Regel homogen, auf dem Längs-

Muskelfasern unter pathologischen Verhältnissen. 317

schnitte aber matt quergestreift, und zwar in der Regel ohne fibrilläre Zeichnung der Querstreifen (I, 10, 13). Ausnahmsweise findet sich an den Querstreifen und auf dem Querschnitte bei dieser Methode der Härtung eine ganz matte, feine Granulirung als Andeutung der Zusammsetzung der Faser aus Fibrillen. Die Kerne dieser Fasern sind längsoval und lassen an mit Safranin, Hämatoxylin oder Methylgrün gefärbten Präparaten ausser einer im Ganzen zarten und schwach gefärbten, stellenweise durch die Anlagerung von Chromatinklumpen verdickten Kern- membran kleine, durch sehr feine Chromatinfäden miteinander verbundene Chromatinklümpchen erkennen. (IV, 7.)

Die feinen »interstitiellen« Körnchen dieser Fasern finden sich meist an den Kempolen, die Kerne gewissermassen zu einer sehr lang ausgezogenen, spitzen Spindel ergänzend.

a, 10.)

Die im grossen Brustmuskel weit zahlreicheren dünneren, protoplasmareichen Fasern zeigen auf dem Querschnitte ziem- lich dicht und ziemlich regelmässig stehende, succulente, gröbere Kömer, die Glanz, und dort, wo die Fasern im Ganzen gelb gefärbt sind, auch Gelbfärbung erkennen lassen (I, 13). Die Kerne der diese Fasern dicht umspinnenden, zahlreichen Capil- laren und die Kerne der in diesen befindlichen Blutkörperchen können das Vorhandensein zahlreicher, randständiger Kerne an diesen Fasern vortäuschen. In Wirklichkeit sind die fast durchwegs randständigen Kerne dieser Fasern recht spärlich, viel spärlicher als an den anderen Fasern, aber ebenso beschaffen, wie in diesen. An den gefärbten Präparaten sind die Körner in einem Theile ihrer Substanz deutlich gefärbt, in einem anderen Theile derselben hell glänzend.

Auf Längsschnitten erscheinen die Körner in regelmässigen, Längs- und Querstreifung der Fasern bedingenden Längszügen angeordnet. (I, 10, 11.)

Abweichungen von dem eben beschriebenen Bilde sind nicht selten, an den Randpartien der Präparate sogar die Regel, da hier die Fasern nicht unwesentlich geschrumpft erscheinen, und, wie an den Alkoholpräparaten die Fibrillen, beziehungs- weise Säulchen, sehr scharf hervortreten lassen. Ferner erscheint die Randpartie, und zwar noch über jenen geschrumpften

318 Ph. Knoll und A. Hauer,

Theil hinaus, gelblich gefärbt, während die Mitte des Präpa- rates bei Objecten von ^l^cm Dicke zumeist ungefärbt ist. Auch sind zerklüftete Fasern an den Rändern nicht selten zu finden.

Am Herzmuskel, der aus lauter sehr dünnen, an feinen Körnchen reichen Fasern besteht, erscheinen an den Rand- partien die Fasern oft auf weite Strecken hinaus homogen und färben sich in diesen homogenen, meist an einer Kittleiste endenden Partien sehr stark.

Aber auch mitten im Präparate finden sich kleine, homogene Partien, die sich stärker färben, an den zuweilen ziemlich zahl- reichen Faserwülsten, an denen in den trüben Fasern die Körn- chen fehlen. (I, 11.)

Derartige, einerseits wohl durch die ungleichmässige Durchtränkung des Präparates von der Härtungsflüssigkeit, anderseits aber wohl durch die verschiedene Reaction der Fasern auf das Härtungsverfahren bedingte Abweichungen müssen natürlich bei der Deutung der Erscheinungen an den krankhaft veränderten Muskeln beachtet werden, finden sich aber auch bei anderen Härtungsverfahren mindestens ebenso zahlreich.

An in Alkohol und MüUer'scher Flüssigkeit gehärteten Objecten zum Beispiel wurde das Querschnittsbild der Fasern in den verschiedenen Partien der Präparate oft sehr wechselnd gefunden. Es gilt dies weniger von den dicken Fasern, welche bei jenen Härtungsverfahren in der Regel eine feine, von einem spärlichen, unregelmässigen Geäder durchsetzte fibrilläre Zeich- nung des Querschnittes erkennen lassen. (I, 14, 16, 17.) Doch stösst man auch hier, namentlich an den Präparaten aus Mülle r'scher Flüssigkeit, öfter auf im Ganzen homogene Quer- schnitte, von denen sich neben den Kernen an Stelle der Köm- chen rundliche oder strahlig verzogene Lücken abheben. (I, 15.) An den dünnen Fasern aber findet man neben Partien, in welchen die Querschnitte von einem ziemlich regelmässig die Muskel- säulchen umsäumenden Geäder durchsetzt erscheinen, das bei wechselnder Einstellung bald hell und glänzend und bald wieder dunkel erscheint und in Hämatoxylin ungefärbt bleibt (I, 16, 17; II, 1, 2.), zumeist Stellen, an denen die mannigfaltig-

Muskelfasern unter pathologischen Verhältnissen. 319

sten Übergänge von einem System rundlicher Lücken zu einem unregelmässigen und endlich zu jenem regelmässigen Geäder zu finden sind. (I, 14, 15.)

Zuweilen endlich, namentlich bei Verwendung absoluten Alkohols oder bei von 50 zu 907o steigender Concentration des Alkohols, kann man auch an den dünnen Fasern eine Dififeren- zirung der Fibrillen in den Muskelsäulchen und damit eine Verwischung des sonst scharf hervortretenden Unterschiedes im Querschnittsbilde der beiden Faserarten wahrnehmen.

Auf dem Längsschnitte unterscheiden sich die beiden Faserarten nach Härtung in Alkohol und Müllefscher Flüssig- keit hauptsächlich durch die verschiedene Dicke und durch die infolge der Gliederung der dünnen Fasern in Säulchen bedingte regelmässige Längsstreifung der letzteren. (I, 12.) Zuweilen sind auch Andeutungen einer Körnelung an letzteren Fasern zu sehen, doch ist dies kein häufiges und vor allem kein klar aus- geprägtes Vorkommniss.

Bei einer vergleichenden Versuchsreihe, bei welcher die Objecte dem Versuchsthiere theils sofort, theils 24 und 48 Stun- den nach der Tödtung entnommen und in absolutem Alkohol, Chrom-Osmium-Essigsäuregemisch und Pikrinschwefelsäure gehärtet wurden, ergab sich kein Einfluss der zwischen der Tödtung und dem Beginne der Härtung verstrichenen Zeit auf das Querschnittsbild der Muskelfasern.

Die Pikrinschwefelsäure wurde nur in einer kleinen Zahl von Versuchen neben den anderen Härtungsflüssigkeiten ver- wendet. Dieselbe conservirt die »interstitiellen« Körner sehr gut, und liefert trefflich schneid- und färbbare Präparate. Das starke Chrom-Osmium-Essigsäuregemisch hat aber den Vorzug, die Körner unter Umständen zu färben und dadurch Veränderungen an denselben ersichtlich zu machen, die bei der Verwendung der Pikrinschwefelsäure nicht zu erkennen sind.

Bei den meisten Versuchen wurden auch Goldpräparate nach wit's Methode angefertigt und nach Rollett's Angaben, behufs Gewinnung von Querschnitten zerhackt. Indem bezüg- lich der Einzelheiten der Goldbilder der trüben, protoplasma- reichen und hellen, protoplasmaarmen Fasern der Tauben- musculatur auf die unter 2 angeführte Monographie (S. 652,

320 Ph. Knoll und A. Hauer,

Taf. III, Fig. 14 21 und 25) verwiesen wird, in welcher auch die verschiedene Vertheilung der beiden Faserarten über die Skelettmusculatur der Haustaube dargestellt ist und die Ver- hältnisse erörtert werden, welche bei dem wechselnden Quer- schnittsbilde der trüben Fasern ins Spiel kommen, sei hier nur her\^orgehoben, dass beim Goldverfahren die Körner in den protoplasmareichen Fasern auf dem Längs- und Querschnitte roth gefärbt hervortreten. (I, 1, 6.)

I. Veränderungen bei Inanition.

Die Inanition wurde bei 5 Tauben durch vollständige Ent- ziehung der Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr, bei zweien durch Durchschneidung der Halsvagi erzeugt. Bei der ersten Gruppe erfolgte der Tod in 6, 7, 8, 13 und 14, bei der zweiten in 6 und 7 Tagen.

Beim Zerzupfen von Stückchen des grossen Brustmuskels in physiologischer Kochsalzlösung fanden sich in den dünnen Fasern und in der Zusatzflüssigkeit reichlich, doch nicht so zahlreich wie unter normalen Verhältnissen Körnchen, doch nur solche, die keinen oder nur einen ganz matten Glanz zeigten. Die dicken Fasern, sowie die meisten isolirten Muskelsäulchen der dünnen Fasern erwiesen sich deutlich quergestreift. Nach Zuleitung von stark verdünnter Essigsäure oder Natronlauge war an einem grossen Theile beider Faserarten die sonst bei dieser Reaction klar zu Tage tretende Quer-, beziehungsweise Quer- und Längsstreifung nicht sichtbar, an einem anderen Theile derselben war sie vorhanden, doch fehlten in beiden Fällen an den dünnen, die sonst unter diesen Umständen an den Kreuzungspunkten von Quer- und Längsstreifung, wahr- nehmbaren glänzenden, in Osmium sich schwärzenden, kleinen Körnchen. (2, S. 652, 53.)

An den Goldpräparaten war der hervorstechendste Unter- schied gegenüber der Norm die grosse Unregelmässigkeit in der Vertheilung und Gestaltung der vom Gold gefärbten Massen. Auf dem Längsschnitte wechselten grössere spindelförmige Massen und feine Körnchen, weite Lücken zwischen sich lassend, und ganz unregelmässig angeordnet mit einander ab

Muskelfasern unter pathologischen Verhältnissen. 321

(I, 2) und ebenso waren die gefärbten Massen auf dem Quer- schnitte bald gröber und bald wieder viel feiner, sowie weiter auseinanderstehend und minder regelmässig vertheilt als sonst.

(I, 3.)

Auch am Herzmuskel fanden sich ähnliche Verhältnisse, doch war hier die Verarmung der Fasern an in Gold sich färbenden Massen minder auffallend als an den dünnen Fasern des grossen Brustmuskels. (I. 7.)

Die Querstreifung war entsprechend den vorher ange- gebenen Folgen der Säureeinwirkung an einem grossen Theile der Fasern verschwunden.

Analoge Erscheinungen, wie an den Goldpräparaten, traten an den Schnitten nach Härtung in der starken Fl emm Ingu- schen Lösung hervor. Auch hier war die Körnelung der dünnen Fasern des grossen Brustmuskels eine lückenhafte und die Körnchen selbst waren zumeist in spindelförmigen Haufen zusammengedrängt. Die sonst an den dünnen Fasern von den Kömerzügen verdeckte Querstreifung der Muskelsäulchen selbst trat unter diesen Umständen klar hervor. (II, 3.)

Die Verarmung an Körnchen war sehr wechselnd, im Ganzen aber bei den Thieren, welche der Inanition später erlegen waren auffallender (II, 7, 10), als bei jenen, die sich

! gegenüber diesem Eingriffe weniger widerstandsfähig erwiesen

hatten. (II, 4.) Es wechselten aber oft in einem und demselben

j Präparate Stellen, in welchen die Querschnitte noch zahlreiche,

zum Theile grobe Körner enthielten, mit solchen ab, in denen nur ganz spärliche feine Körner zu finden waren. Alle, auch die groben Kömer Hessen, wenigstens bei den später erlegenen Thieren, den denselben sonst eigenthümlichen Glanz voU-

I ständig vermissen.

An vielen Stellen, insbesondere bei den später erlegenen

^ Thieren, erwiesen sich die dicken Fasern bedeutender ver-

I kleinert, als die dünnen, so dass im Zusammenhange mit der

Abnahme der Körnelung in den letzteren Fasern der sonst so auffallende Unterschied der beiden Faserarten, namentlich

1 bei Verwendung schwächerer Vergrösserungen sehr verwischt

erschien. Der Schwund der dicken Fasern war in dem zur Peripherie der secundären Bündel senkrechten Durchmesser

\

322 Ph. KnoU und A. Hauer,

derselben stärker ausgeprägt als in dem anderen, so dass sie oft wie plattgedrückt aussahen, was wohl mit den durch den Unter- schied in der Atrophie der beiden Faserarten und die Lage der einen an der Peripherie der secundären Bündel bedingten Druck- verhältnissen zusammenhängt. (II, 10.)

An den dicken Fasern war eine auffallende Vermehrung der Kerne wahrzunehmen. Nirgends fand sich aber ein Zeichen von Mitose an denselben, sondern nur Verbiegung oder Ein- buchtung, sowie unverkennbare Theilung derselben und wech- selnder Chromatingehalt ohne wesentliche Änderung der Kem- structur. (II, 8, 9 ; IV, 3, 4, 6, 8.) Stellenweise fand sich eine unzweifelhafte Betheiligung der an den Kernpolen liegenden feinkörnigen Massen, die nicht selten sehr erheblich vermehrt erschienen, an der Theilung. (IV, 4.)

Dieselben Veränderungen wie am grossen Brustmuskel, fanden sich an der übrigen Skelettmusculatur und auch am Herzen waren die Körner im Allgemeinen etwas spärlicher und im Durchmesser ungleichartiger, als sonst, doch waren hier die Veränderungen im Ganzen weit weniger schlagend. (II, 6.)

An in Alkohol oder Mülle rascher Flüssigkeit gehärteten Präparaten war das Geäder zwischen den Muskelsäulchen an den dünnen Fasern der Skelettmusculatur spärlicher und unregelmässiger als normal, an den Herzmuskelfasern aber war die durch den blätterigen Bau derselben bedingte radiäre Zeich- nung des Querschnittes wohl erhalten. (II, 5.) Die fibrilläre Zeichnung des Querschnittes der dicken Fasern war minder scharf ausgeprägt als normal.

Im Ganzen erweisen sich also die zwischen den Muskel- säulchen der trüben Fasern vertheilten körnigen Protoplasma- massen infolge der Inanition auffallend vermindert, und ins- besondere das sonst in ihnen enthaltene Fett, wie dies schon in der unter 3 angeführten Abhandlung hervorgehoben wurde (S. 44) geschwunden.

Dass die Fibrillen selbst dabei auch einschneidende Ver- änderungen erfahren, geht schon aus dem Umstände hervor, dass bei einem Grade der Säure- oder Alcali-Einwirkung, der die Querstreifung der Fasern sonst intact lässt, diese an einem grossen Theile der Muskelfasern der Hungertaube verschwindet.

Muskelfasern unter pathologischen Verhältnissen. 323

Ob dem nach der Inanition an vielen isolirten Muskel- säulchen (in physiologischer Kochsalzlösung) zu findenden Mangel der Querstreifung eine pathologische Bedeutung zu- kömmt, muss unentschieden bleiben, da dies auch bei normalen Haustauben nicht selten zu finden ist.

Eine sehr bemerkenswerthe Erscheinung ist es, dass die an kömigem Protoplasma so viel ärmeren dicken Fasern der Skelettmusculatur bei der Inanition im Ganzen stärker schwin- den, als die dünnen, bei diesen aber wieder die fibrilläre Sub- stanz im Allgemeinen weniger vermindert erscheint als die interfibrilläre, Thatsachen, die unsere Kenntnisse von der Bedeutung der letzteren für die Ernährung und Erhaltung der ersteren nicht unwesentlich erweitern, da aus ihnen hervorgeht, dass bei der Inanition das Protoplasma der Muskelfasern die Fibrillen derselben bis zu einer gewissen Grenze von der ein- wirkenden Schädlichkeit zu schützen vermag, dabei aber selbst aufgebraucht wird.

Dass entweder selbst unter den Fasern einer Kategorie nicht unwesentliche individuelle Unterschiede der Widerstands- fähigkeit, oder aber örtliche, vielleicht mit der Blutgefäss- vertheilung zusammenhängende Verschiedenheiten der Ernäh- rungsbedingungen in einem und demselben Muskel bestehen dürften, lehren die hervorgehobenen Verschiedenheiten an den einzelnen Stellen der Präparate.

Die Wucherungsvorgänge an den Kernen der hellen Fasern müssen wohl zu der von Flemming (5) geschilderten atrophi- schen Kernwucherung an den Fettzellen in Parallele gebracht werden. Dass diese Kernwucherung hier nur auf die proto- plasmaarmen Fasern beschränkt ist (II, 8, 9), ist wohl als ein weiteres Zeichen der hohen Bedeutung des Protoplasmagehaltes für die Ernährung der ganzen Faser anzusehen.

Bemerkenswerth ist es auch, dass die Vermehrung der Kerne, welche Gaglio schon in den Muskelfasern von hungern- den Fröschen beobachtet hat (6), bei der Taube ohne ander- weite wesentliche Änderung der Kernstructur amitotisch erfolgt

Es sei auf diese, aus den Fig. 3, 4, 6, Taf. IV, hervorgehende Thatsache hier nur verwiesen, da es nicht im Plane dieser

324 Ph. KnoU und A. Hauer,

Arbeit lag, die an den Kernen unter diesen Umständen statt- findenden Vorgänge in allen Einzelheiten zu verfolgen.

Schliesslich ist noch anzuführen, dass Zeichen einer massi- gen Emigration in der Skelettmusculatur der verhungerten Tauben zu finden waren.

II. Veränderungen bei Phosphorvergiftung.

Die Phosphorvergiftung wurde an 10 Tauben durch Injec- tion einiger Tropfen bis ^j\cin' Phosphoröl unter die Rückenhaut, an 4 durch Injection von V/^ ^,\cm' dieses Öls in den Rachen erzeugt. In 3 Fällen ging das Versuchsthier nach der ersten Injection von wenigen Tropfen unter Krämpfen zu Grunde, in den anderen Fällen musste die Injection an zwei oder mehreren ( 23) aufeinanderfolgenden Tagen wiederholt werden, um tödtliche Vergiftung zu erzeugen.

In zehn von den letzteren und einem von den ersteren Fällen war eine auffallende, blassgelbliche Färbung der Herz- und Skelettmusculatur und an den frisch in physiologischer Kochsalzlösung angefertigten Zupfpräparaten eine grosse Menge von glänzenden, z. Th. sehr grossen Körnern, sowohl in der Zusatzflüssigkeit, als. in den dünnen Fasern zu finden. Bei längerer Einwirkung 1®/^ Osmiumsäure, allein oder in Verbin- dung mit vorhergängiger Mazeration der Muskelstückchen in verdünnter Essigsäure, erschien die Randpartie der meisten dieser Körner geschwärzt und die Körner (richtiger wohl Tropfen) von grossem Durchmesser waren im Ganzen braun oder schwarz gefärbt.

Nach der Behandlung mit Chlorgold traten zwischen den in lückenhaften Längszügen die Fasern durchsetzenden, von Gold gefärbten Massen, zahlreiche ungefärbte, glänzende Tröpf- chen hervor. Auf Querschnitten machte sich die Verarmung an in Gold sich färbender Substanz an den dünnen Fasern sehr bemerkbar. (I, 5.) Die Ausprägung dieser die Umsetzung eines Theiles der interfibrillären Substanz in Fett anzeigenden, nach Präparaten vom Herzen und vom grossen Brustmuskel beschrie- benen Erscheinungen, war in den einzelnen Fällen verschieden, ohne dass ein Zusammenhang zwischen der Zahl derinjectionen

Muskelfasern unter pathologischen Verhältnissen. 32o

und dem Grade der Erscheinungen zu finden gewesen wäre. Die dicken Fasern des grossen Brustmuskels erwiesen sich dabei immer fettfrei, und die dünnen Fasern hatten ein um so kleineres Kaliber, je grössere Fetttropfen sie enthielten. Nicht selten waren diese Tropfen so dicht beisammen stehend, dass sie die Structur der betreffenden Faser ganz verdeckten, in anderen dünnen Fasern wieder erschien die Granulation auf einige wenige (eventuell geschwärzte) Körnchen, beziehungs- weise Tröpfchen reducirt.

Sehr schön traten diese Verhältnisse an Schnittpräparaten von in starkem Chrom-Osmium-Essigsäuregemisch gehärteten Objecten hervor, da in diesen, wenigstens an den Randpartien (2, S.656), die verfetteten Körnchen geschwärzt erschienen. Die Fig. 1, 2, 6 9 auf Taf. III lassen die verschiedenen Grade der Verfettung der Körnchen in den dünnen Fasern des grossen Brustmuskels, das dichte Nebeneinanderliegen verfetteter und nicht verfetteter Fasern, das Vorkommen von ganz und nur am Rande geschwärzten Körnchen in einem und demselben Quer- schnitte erkennen, und zeigen gleichzeitig, dass mit diesem Processe eine ausgeprägte Verarmung der Fasern an inter- fibrillärer Substanz einhergehen kann.

Fig. 3, 5 auf Taf. III zeigen, welch* hoher Grad von Ver- fettung in den Herzmuskelfasem der Taube bei der Phosphor- vergiftung Platz zu greifen vermag. Dabei kann aber die Quer- streifung, welche auch an den meisten isolirten Muskelsäulchen in Zupfpräparaten noch sichtbar war, immer noch wohl erhal- ten sein.

Hervorzuheben ist weiter, dass Wülste an den dünnen Fasern in den Schnittpräparaten auch bei hochgradiger Ver- fettung der betreffenden Fasern in der Mitte nahezu homogen erschienen, während die Fetttröpfchen sich an den Übergangs- stellen zu dem nicht contrahirten Fasertheil angehäuft zeigten, so dass der schon von G. R. Wagen er ausgesprochene (7) Gedanke nahe liegt, dass bei Bildung jener Wülste die inter- fibrilläre Substanz aus dem contrahirten Theile verdrängt wird.

(III, 1, 7.)

Das Freibleiben der dicken Fasern von der Verfettung trat unter diesen Umständen sehr scharf hervor, doch fand sich

Sitzb. d. mathem.-naturw. CL; CI. Bd., Abth. III. 22

326 Ph. Knoll und A. Hauer,

ausgeprägte Kernwucherung an denselben (IV, 5), und zwar selbst dort, wo anscheinend sich' eben eine Kemtheilung voll- zog, ohne Mitose, wobei zu bemerken ist, dass die Mitosen auch dann vermisst wurden, wenn die Objecte dem Versuchs- thiere sofort nach dem Tode entnommen und in die Flem- ming'sche Lösung geworfen wurden.

Bei der Phosphorvergiftung war übrigens Kemwucherung mindestens ebenso ausgeprägt an den dünnen, wie an den dicken Fasern zu beobachten (IV, 2); dabei waren die Kerne an den ersteren, wie unter normalen Verhältnissen fast aus- schliesslich randständig.

Auch hier waren Zeichen massiger Emigration, ausserdem auch von Diapedese, vorhanden.

Aus den angeführten Beobachtungen geht hervor, dass bei Phosphorvergiftung die wesentlichsten Veränderungen, zunächst wenigstens, sich an den dünnen, protoplasmareichen Fasern und hier wieder in der interfibrillären Substanz, dem proto- plasmatischem Reste der ursprünglichen Bildungszellen, ab- spielen. Letzteres ist von vornherein dadurch wahrscheinlich, dass die Verfettung, zunächst wenigstens, auf die protoplasma- reichen Fasern beschränkt erscheint, erhellt aber mit Bestimmt- heit aus der Lage der Fetttropfen in der Muskelfaser und aus den mannigfachen Übergängen zwischen den normalen, »inter- stitiellen« Körnern und den Fetttropfen.

Eine Umwandlung von »blassen interstitiellen Körnern« in »dunkle Fettkörnchen« hat KöUiker bereits im Jahre 1867 auf Grund von Beobachtungen an der Froschmusculatur ange- nommen (8), und betont, dass letztere zwischen und nicht in den contractilen Fibrillen liegen. Auch verwies er darauf, dass es sowohl wegen der Beziehung zu den mehr pathologischen Fettmolekülen und der fettigen Entartung der Muskelfasern, als auch der physiologischen Verhältnisse wegen von Interesse wäre, wenn die chemische Beschaffenheit der normalen inter- stitiellen Körnersubstanz sich genau bestimmen Hesse.

Im Jahre 1860 hat dann Steffan (9) angegeben, dass bei der traumatischen Entzündung der Froschmuskeln das Fett zwischen den Fibrillen auftritt und letztere secundär schwin- den, während später Alexander Stuart behauptete, dass bei

Muskelfasern unter pathologischen Verhältnissen. 327

der Entzündung der Muskelfaser (durch Ätzen mit Nitr, argenti erzeugt) zuerst albuminöse »Entartungskörner« zwischen den Fibrillen auftreten, die aus letzteren hervorgehen und sich später in Fetttröpfchen mit feinen durchsichtigen Albuminhäutchen umbilden sollen. (10.)

G.R. Wagener aber betonte, dass in den Muskeln bei Fettdegeneration vor dem Verschwinden der Fibrillen zuerst in der interfibrillären Substanz kleine Fetttropfen erscheinen. (11.)

Um wie viel die letztere Ansicht wahrscheinlicher ist als jene Stuarts, der anscheinend die bei den verschiedensten Thieren normal vorkommenden »interstitiellen Körner« als erste Folgeerscheinung des einwirkenden Entzündungsreizes aufge- fasst hat, geht aus dem Umstände hervor, dass die dicken Fasern in der Skelettmusculatur der Haustaube bei der Phos- phorvergiftung intact bleiben.

Dass aber die Fettdegeneration im Protoplasma der Muskel- faser für die fibrilläre Substanz derselben nicht ohne grosse Bedeutung ist, erhellt aus der Atrophie, die an stark verfetteten dünnen Fasern wahrnehmbar ist.

Umwandlung der normalen, in Fuchsin sich färbenden Granula in der Flugmusculatur von Dyticus, in durch Osmium geschwärzte, hat femer Alt mann abgebildet (12), der auch an den Granulis der Froschleber die Umwandlung der einen in die andere Körnerart durch eine Zwischenstufe verfolgte, in welcher die Kömer am Rande durch Osmium geschwärzt und in der Mitte durch Fuchsin gefärbt erscheinen. Er betont dabei, dass die Schwärzung durch Osmium für Fett ebenso charakteristisch sei, wie die Jodreaction für Amylum. (12, S. 76.)

Hiezu ist freilich zu bemerken, dass einerseits bekannt ist, dass auch das Amyloid unter Umständen bei einfachem Jod- zusatz Blaufärbung zeigt, und dass anderseits das Myelin, welches Gad und Hey man s als Lecithin in freiem Zustande oder in loser chemischer Bindung bezeichnen (13, S. 541), durch Osmium geschwärzt wird, während das Lecithin in anderen Gewebselementen als den Nervenfasern diese Reaction nicht gibt.

Es wurden an anderer Stelle (2, S. 654, 55) die Gründe erörtert, welche dafür sprechen, dass in den Körnern der

22*

328 Ph. Knoll und A. Hauer,

Zwischensubstanz der quergestreiften Musculatur der Haus- taube normalerweise zwei Substanzen innig mit einander ver- mengt vorkommen, die unter Umständen sich sondern und muthmasslich einerseits Lecithin, anderseits ein Fett sind. Nach den oben erwähnten Angaben von Gad und Heymans könnte es sich allenfalls auch um zwei verschiedene Lecithine handeln, von denen das eine dem Fett, wie es im Organismus im Fett- gewebe vorkommt, noch näher steht, als das andere.

In Folge der Phosphorvergiftung nimmt aber das Fett, oder jenes andere Lecithin relativ und absolut an Masse zu und bedingt die Umwandlung der interstitiellen Körner in durch Osmium sich schwärzende Tröpfchen. Die Angabe Heffter's, der den Fettgehalt der Leber bei der Phosphorvergiftung in demselben Maasse vermehrt fand, wie deren Lecithin- gehalt vermindert war (17, S. 105), macht wohl die Annahme wahrscheinlicher, dass es sich um eine wirkliche Verfettung handelt. Gewiss ist es aber, dass die unter diesen Umständen zwischen den Säulchen der Muskelfaser auftretenden Tröpfchen in Bezug auf Glanz, Ungefärbtbleiben bei Chlorgold- und Geschwärzt- werden bei Osmiumeinwirkung mit Fett überein- stimmen, und in diesem Sinne sind die in den vorhergehenden Auseinandersetzungen gebrauchten Bezeichnungen Fett und Verfettung aufzufassen.

III. Veränderungen nach Resection des Plexus axillaris.

Dieser Eingriflf wurde an 8 Versuchsthieren in der Chloro- formnarkose vollzogen. Das Operationsverfahren war im Ganzen dasselbe, wie es Samuel (15) beschrieben, doch wurde unter Benützung von Sublimatlösung aseptisch operirt und die Wunde durch Nähte verschlossen. An der operirten Seite wurden die Flügelfedern stark gestutzt, um mechanische Schädigung an und durch den schlaff herabhängenden Flügel zu verhüten.

Stets wurde ein möglichst grosses Stück der Nerven herausgeschnitten und die bis zum Schluss des Versuches andauernde, vollständige Lähmung festgestellt. Die Tödtung

Muskelfasern unter pathologischen Verhältnissen. 329

der Versuchsthiere erfolgte 5, 6, 8, 11, 13, 14, 18 und 35 Tage nach der Operation.

Die Thiere wurden nach Feststellung der elektrischen Reaction ihrer beiderseitigen Brustmusculatur, wo nichts anderes bemerkt erscheint, durch Entblutung getödtet und dann, nach vollständiger Entfederung, der Unterschied im Brustumfang der beiden Seiten durch einen umgelegten Faden, oder die Ver- schiedenheit in der Dicke des beiderseitigen grossen Brust- muskels festgestellt.

Behufs Prüfung der elektrischen Reaction der grossen Brustmuskeln wurden die Thiere schwach chloroformirt, die Brusthaut entfedert und mit Kochsalzlösung angefeuchtet, die eine Elektrode an einem indifferenten Punkte, die andere an dem grossen Brustmuskel aufgesetzt und unter Verwendung eines Du Bois-Reymond'schen Schlittenapparates, bezie- hungsweise einer Stöhrer'schen Zink-Kohlenbatterie das Reiz- minimum aufgesucht, bei dem eine deutliche Zuckung wahr- nehmbar war.

Vergleichende Versuche an symmetrischen normalen Muskeln ergaben, dass der Unterschied des Reizminimums auch da 2 cm, beziehungsweise 2 El betragen kann. Massgebend für die Beurtheilung des Reizerfolges bei vergleichender Unter- suchung der gesunden und gelähmten Musculatur konnten daher nur die Constanz der Ergebnisse und die über jenen Werthen gelegenen Unterschiede sein.

Die Darstellung der Versuchsergebnisse wird hier zunächst für jeden einzelnen Versuch abgesondert, nach der Versuchs- zeit angeordnet, in möglichst gedrängter Weise erfolgen.

Bei Besprechung der mikroskopischen Untersuchungen bedeutet Fr., Untersuchung des frischen Objectes an Zupf- präparaten in physiologischer Kochsalzlösung; G. Untersuchung an Goldpräparaten; F. an Schnittpräparaten aus starker Flem- ming*scher Lösung; A. an Alkoholpräparaten; M. an Präpa- raten aus Mülle rascher Flüssigkeit und P. an solchen aus Pikrinschwefelsäure.

Bei Anführung der Ergebnisse der Untersuchung an den einzelnen Muskeln bedeutet g. B. M. grosser, k. B. M. kleiner

330 Ph. Knoll und A. Hauer,

Brustmuskel und o. E. Musculatur der oberen Extremität, N. S. normale, G. S. gelähmte Seite.

An den in F. fixirten Präparaten wurden in der Regel ver- gleichende Messungen an den beiden Fasergattungen vorge- nommen.

Diese vergleichende Messung erfolgte ausschliesslich an Querschnitten durch die Fasern des grossen Brustmuskels. Hiebei mussten folgende Umstände in Betracht gezogen werden.

1. Es finden sich normal an den dünnen Fasern einzelne sehr kleine Querschnitte, die, nach Längsschnitten zu schliessen Faserenden angehören dürften, und darum ganz ausser Betracht gelassen wurden.

2. Ebenso sind die Randpartien der Präparate ganz ausser Betracht zu lassen, da hier mancherlei durch das Härtungs- verfahren bedingte Veränderungen der Musculatur auf den Querschnitt Einfluss nehmen.

3. Die Durchmesser des Querschnittes sind insbesondere an den dicken Fasern nicht alle untereinander gleich. Die Messung wurde darum immer im kleinsten Durchmesser vor- genommen.

Die Ergebnisse der zumeist sowohl am normalen, wie gelähmten Muskel der einzelnen Versuchsthiere vorgenommenen Messung können daher nur als annähernd richtige Werthe erscheinen.

I. 5 Tage. Die elektrische Untersuchung ergibt einen Unterschied von 5 cm und 4 El zu Ungunsten der g. S. Tod in der Narkose. Die Musculatur der g. S. ist etwas dünner als an der n. S., bietet aber keine Verschiedenheit in der Con- sistenz und Farbe dar. Fr. erscheinen die Kömchen in den dünnen Fasern des g. B. M., g. S. etwas weniger dicht stehend und feiner als an der n. S. Letzteres tritt noch klarer an Querschnitten aus F. hervor, an denen sich oft erhebliche Lücken der Kömelung an der g. S. finden. Auffälliger noch als diese Erschei- nung ist die Verringerung des Durchmessers der dicken Fasern, namentlich des senkrecht auf die Peripherie des secundären Bündels stehenden (VIII, 5). Das Verhältniss dieses Durchmessers an der g. S. gegenüber der n. S. beträgt 33/4 : 5, jenes der dünnen Fasern 21/2 : 3, d. h. also, es sind die dicken Fasern an der g. S. stärker geschwunden als die dünnen.

An gefärbten Präparaten des g. B. M. g. S. F. finden sich in einzelnen dicken Fasern langgestreckte, gebogene und anscheinend in Abschnürung begriffene Kerne. Unter den dünnen Fasern treten Gruppen von schwach gefärbten und wie etwas aufgequollenen Querschnitten hervor, in denen die

Muskelfasern unter pathologischen Verhältnissen. 331

Kömchen besonders spärlich stehen. An den in den Präparaten befindlichen Nervenstämmchen-Durchschnitten erscheint die Markscheide nur an vereinzelten Fasern erhalten. Die Venen sind an der g. S. strotzend mit Blut gefüllt, weit stärker als an der n. S. ; Diapedese und massige Emigration.

0. E. g. S. F. Abnahme der Kömelung der Fasern und starke Ii^jection der Venen.

IL 6 Tage. Q\ffCm. Unterschied im Rollenabstand zu Ungunsten der g. S. Tödtung durch Chloroform. Brustumfang an der g. S. um 3 mm geringer, Färbung der Musculatur derselben blasser, Consistenz gleich. Beim Einschneiden zuckt der g. B. M., n. S. kräftig, g. S. nicht.

G. B. M., g. S. : G. : Die Kömchen sind spärlicher als sonst und zum Theile ungefärbt. F. : Die auffälligste Erscheinung ist der hochgradige Zerfall der meisten dicken Fasern an den Randpartien der Präparate (V, 2); die daneben liegenden dünnen Fasern zeigen zumeist, beide Faserarten im Inneren der Präparate durchwegs diesen Zerfall nicht. Die Körnelung der dünnen Fasern ist lückenhafter, in vielen dieser Fasern sind die Kömchen geschwärzt, stellenweise auch in grössere schwarze Tröpfchen verwandelt. An den erhal- tenen dicken Fasern erscheinen stellenweise die Keme eigenthümlich verbogen, wie in amöboider Bewegung begriffen, vereinzelt auch wesentlich verlängert und eingeschnürt. Eine auffallende Kernvermehrung ist an ihnen nicht wahr- nehmbar. Das Verhältniss der beiden Faserarten zu einander ist: n. S. 6Y2 ^^Z-»* g. S. 572 : 31/4. Injectiun der Venen, Emigration und Diapedese, doch minder ausgeprägt als im Fall I. M. g. B. M. g. S. : Ausser hochgradigem Zerfall der dicken Fasern an der Randpartie der Präparate (VI, 4) keine auffällige Erschei- nung; ebenso bei A. (VI, 1 1).

O. E., g. S. F. : Auch hier finden sich in einzelnen Fasern geschwärzte Körnchen und in den nicht gekömelten Fasern amöboid verzogene, vereinzelt in Theilung begriffene Kerne.

K. B. M. F. ; Es ist hier keine Abweichung von der Norm nachweisbar

m. 8 Tage. Die elektrische Untersuchung ergibt einen Unterschied von icm und 2 E. zu Ungunsten der g. S. Es ist kein deutlicher Unterschied im Brustumfang der beiden Seiten wahrnehmbar, die Farbe ist an der g. S. blasser, die Consistenz an beiden Seiten gleich.

G. B. M. g. S. Fr. : Der wesentlichste Unterschied gegenüber der n. S. ist das Vorkommen zahlreicherer, glänzender Tröpfchen in den Fasern und der Zusatzflüssigkeit F. : Die Erscheinungen sind im Ganzen dieselben wie bei II, nur ist an den dicken Fasern der Zerfall weniger, die Kemtheilung stärker and an den dünnen Fasern die Schwärzung der Kömchen weniger ausgeprägt als dort Emigrationserscheinungen sind im höheren Grade zu finden. Die Durchmesser der beiden Faserarten verhalten sich an der n. S. wie S'/j : 7 an der g. S. wie 31/4 : 6. An A. treten, abgesehen von den Kömchen, dieselben Erscheinungen zu Tage.

0. £., g. S. F. und A. : Es treten keine deutlichen Abweichungen von der Norm hervor.

332 Ph. Knoll und A. Hauer,

IV. 1 1 Tage. Die elektrische Untersuchung ergibt einen Unterschied von 2cm zu Ungunsten der g. S. Brustumfang an der g. S. \, 2cm geringer. Mus- culatur an der g. S. blasser, beim Einschneiden keine, an der n. S. deutliche Zuckung.

G. B. M. g. S. G. : Die dünnen Fasern zeigen zumeist keine oder nur sehr lückenhafte und feine rothe Körnelung, dagegen ziemlich zahlreiche kleinere und grössere gelbliche Kömchen und Tröpfchen. An den Querschnitten kann man alle Übergänge vom normalen Bilde zum theilweisen oder vollständigen Verschwinden der roth gefärbten Kömer an den dünnen Fasern verfolgen. Die dicken zeigen etwas reichlichere Kömelung als sonst, doch sind die Körnchen sehr fein und ungefärbt. F. Eine der hervorstechendsten Erscheinungen sind die zahlreichen ausgewanderten Rundzellen, die bald in der Umgebung etvwas grösserer Venen haufenweise beisammenliegen (Emigrationsheerde), nicht selten strahlenförmig zwischen die Muskelfasern der Umgebung vordringend, bald wieder mannigfaltig amöboid verzogen längs der Wand von kleinsten Venen oder Capillaren verstreut sind. Die Keme dieser Zellen unterscheiden sich von den Muskelkemen, die hier zumeist ovoid, wie etwas gebläht sind und nur ein oder zwei etwas grössere, schwach gefärbte Chromatinpunkte enthalten, dadurch, dass sie eine grössere Zahl von Chromatinpunkten und intensivere Färbung derselben, sowie dickere, deutlicher gefärbte Verbindungsfäden erkennen lassen. An vielen Stellen sieht man diese Zellen von den Rändern her, und zwar ausschliesslich an dicken Fasern in die Muskelfasern eindringen, diese gewissermassen annagend (VII, 5, 6). Manche, nach Form und Lage, als Durchschnitte des Sarcolemmas dicker Fasem erscheinende Querschnitte sind theilweise erfüllt von diesen Zellen, an denen, wenn sie nicht zu dicht an- einander liegen, noch ein reichliches, in amöboider Bewegung fixirtes fein- körniges Protoplasma mit sehr starken Vergrösserungen erkennbar ist

An den dicken Fasern sind vielfach Vacuolen zu finden, in denen nicht selten noch mit Protoplasma umgebene Wanderzellenkeme, oder letztere allein, zuweilen aber auch nur feinere und gröbere Kömchen zu finden sind, die unge- färbt oder nur ganz wenig gefärbt erscheinen, (VIII, 6). Einzelne dicke Fasem sind von Vacuolen ganz durchsetzt, doch sind dann die dünnen Brücken von Fasersubstanz zwischen den Vacuolen zuweilen noch ganz deutlich quer- gestreift (VIII, 4). An anderen dicken Fasem findet sich eine ausgesprochene Zerklüftung oft in ziemlich regelmässige, sich stark färbende Abschnitte ; in den (ungefärbten) Zwischenräumen findet sich, wie bei den in indifferenten Flüssig- keiten absterbenden Fasern ein feines Kömer- oder Fadenwerk.

An den dünnen Fasem, die nur seltener und weit weniger ausgeprägt Zerklüftung und keinerlei Vacuolisirung erkennen lassen, fällt zunächst die Verarmung an Kömchen im Ganzen, und die Schwärzung der Kömchen auf (V, 1). In manchen Querschnitten derselben erscheinen die Kömchen fast ganz verschwunden, in anderen auf eine kleinere Zahl unregelmässig stehender feiner, meist geschwärzter Kömchen reducirt, in anderen dagegen finden sich deutlich geschwärzte grössere Tropfen. Die Fasem erscheinen dabei oft auf- fallend verdünnt, aber selbst in den dünnsten verfetteten Fasem erscheint öfter

Muskelfasern unter pathologischen Verhältnissen. 333

die Quer- und Längsstreifung noch deutlich ausgeprägt; selbst an Fasern mit zahlreichen grösseren Fetttropfen kann man, wenigstens an fettfreien Stellen, oft die Querstreifen noch erkennen (V, 4). Auch ist oft deutlich wahrzunehmen, dass die Fetttröpfchen an den Kreuzungspunkten von Quer- und Längsstreifen liegen (III, 4). An den der Norm gegenüber chromatinärmeren Muskelkemen lässt sich an beiden Faserarten Vermehrung und Theilung doch nur in massigem Grade erkennen. An unzweifelhaften Muskelkemen ist nirgends Mitose zu finden. P. Der Befund ist im Ganzen derselbe. Sehr schön tritt hier insbesondere die regelmässige Zerklüftung der dicken Fasern hervor (V, 6 a c) und zwar wie bei F. ausschliesslich an den Randpartien der Präparate. Minder häufig und ausgeprägt ist die Faserusur, die Physalidenbildung in den Fasern, und das Vordringen von Wanderzellen in die Fasersubstanz wahrzunehmen.

A. Von letzteren Erscheinungen ist hier gar nichts wahrzunehmen, dagegen findet sich hier eine auffällige Schrumpfung der Querschnitte der dicken Fasern, die ringsum oft von beträchtlichen Lücken umgeben sind, während die dünnen Fasern ganz dicht beisammen liegen (VI, 10). Die Zer- klüflungserscheinungen, Emigration und Kernvermehrung sind auch hier sehr deutlich, die Querstreifung ist an beiden Faserarten gut erhalten, an den Quer- schnitten derselben ist eine von spärlichem, ungefärbt bleibendem Geäder durch- setzte fibrillenartige Punktirung zu finden. M. Das Bild unterscheidet sich hier hauptsächlich dadurch von jenen der A.-Präparate, dass in vielen Querschnitten von dünnen Fasern reichlichere,, wohl den in F. erkennbaren Fetttropfen ent- sprechende, ungefärbt bleibende Zwischensubstanz zwischen den auffallend verdünnten Muskelsäulchen zu finden ist (VI, 2), die Querschnittsschrumpfung an den dicken Fasern dagegen fehlt. Die Querschnitte erscheinen sowohl an den dünnen, wie an den erhaltenen dicken Fasern verkleinert, in F. ist das Ver- hältniss der beiden Faserarten an der n. S. 7 : Sy^, an der g. S. 6 : 2V4, es erscheinen also hier die dünnen Fasern etwas stärker geschrumpft als die dicken.

An der o. E. und dem k. B. M., g. S. F., finden sich im Wesentlichen die- selben Erscheinungen wie am g. B. M., doch im Ganzen in minder ausge- sprochenem Maasse. Die Muskelkeme sind hier noch lang gestreckt, und lassen mancherlei Theilungserscheinungen, aber keine Mitosen erkennen (IV, 9). Dagegen finden sich vereinzelt Mitosen, die nach ihrer Lage, sowie nach ihren Grössenverhältnissen, einerseits zu den Muskel-, anderseits zu den Capillar- kemen, auf die Kerne der Capillarwand, an welcher sie liegen, bezogen werden müssen (V, 5), andere aber zwischen den Fasern, unter Zellen, die nach ihrer Lage zu benachbarten Captllaren, sowie nach ihrem Chromatingehalt und ihrer mannigfach verzogenen Gestalt als ausgewanderte farblose Blutzellen ange- schen werden müssen (V, 7).

V. 13 Tage. Die elektrische Untersuchung ergibt einen Unterschied von S'/jCiif zu Ungunsten der g. S., Brustumfang an derselben um \cm geringer. Der g. B. M., g. S. ist weit blasser als normal und zuckt beim Einschneiden gar nicht, während der normale lebhaft zuckt.

G. B. M., g. S. G. Die Verarmung der dünnen Fasern an in Gold sich färbenden Kömchen ist hier noch weiter vorgeschritten und tritt namentlich an

334 Ph. Knoll und A. Hauer,

Querschnitten sehr deutlich hervor (1, 4). Viele dünne Fasern erscheinen nur als im Ganzen schwach rosa gefärbte, structurlose Schläuche, die nur unregel- mässig stehende, feine und gröbere nicht gefärbte Körnchen und zahlreiche Kerne enthalten.

F. Die Erscheinungen sind im Ganzen dieselben wie bei IV, doch finden sich in den Emtgrationsheerden sehr zahlreich, ja nicht selten überwiegend rothe Blutkörperchen. Auch hier kommen an den Zellen des Zwischengewebes vereinzelt Mitosen vor, während die Muskelkeme beider Faserarten wie leicht gebläht aussehen, stark vermehrt sind und vielfach amitotische Theilung erkennen lassen. Beide Faserarten haben im Ganzen wesentlich verringerte Durchmesser, doch wechseln diese an den dicken Fasern sehr, so, dass diese vielfach wesentlich stärker geschwunden erscheinen, als die dünnen, oft aber auch verhältnissmässig noch recht gross erscheinen. Die Usur der Muskel- faser unter dem Andringen von Wanderzellen, das Eindringen dieser in die Fasern und ihre Anhäufung innerhalb des Sarcolemms tritt auch hier recht deutlich hervor (VIII, 2). Auch die Präparate aus P., A. und M. stimmen im Wesentlichen mit den analogen von IV überein; zu bemerken ist nur, dass die Querschnittsschrumpfung an den dicken Fasern in den A.-Präparaten seltener und geringer ist (VI, 7), und dass an den dünnen Fasern in denselben die Ver- dünnung der Muskelsäulchen sehr deutlich ist (VI, 9), sowie dass an den M.- Präparaten auch sehr auffällige Durchmesserverschiedenheiten an den dünnen Fasern zu Tage treten.

An der o. E. und am k. B. M., g. S. F. finden sich im Wesentlichen die- selben Erscheinungen, jedoch im Ganzen in geringerem Maasse, wie am g. B. M. Sehr schön prägt sich am k. B. M. dieFaserusur durch andringende Wanderzellen aus (VIII, 3). Hervorzuheben ist, dass die Kerne hier noch spindelförmig und im Ganzen von normaler Structur, aber in beiden Faserarten erheblich ver- mehrt sind und analoge Theilungsvorgänge erkennen lassen, wie bei Inanition und Phosphorvergiftung. Die in den Schnitten vom k. B. M. zu findenden Nervenstämmchen zeigen an allen Fasern Schwund der Markscheide.

VI. 14 Tage. Bei der Untersuchung mit dem Inductionsapparate ergibt sich ein Unterschied von 3 cm zu Ungunsten, bei der Untersuchung mit dem Constanten Strom ein Unterschied von 4 El zu Gunsten der g. S. Der Brust- muskel erscheint an der g. S. stark eingesunken, bei Messung findet sich wohl nur ein Unterschied des Brustumfanges von 1 cm, doch ist diese Messung, da die Brust an der g. S. hier concav ist, nicht massgebend für die Beurtheilung der Atrophie. Bei Vergleichung der Dicke der beiden g. B. M. erscheint diese an der g. S. auf die Hälfte reduzirt Die Farbe desselben ist gelblich, seine Consistenz wesentlich vermehrt.

G. B. M., g. S., Fr.; Es finden sich viele kleine, glänzende Tröpfchen in den dünnen Fasern. F. Die Erscheinungen sind im Ganzen dieselben, wie bei IV und V, doch ist die Verminderung der Durchmesser beider Faserarten beträchtlicher und gleichmässiger. Das Verhältniss der beiden Faserarten beträgt hier an der n. S. ö'/j : 31/4, an der g. S. : 41/4 : 2V4. Femer sind hier die Emigrationsheerde massiger und wohl im Zusammenhange hiemit erscheinen

Muskelfasern unter pathologischen Verhältnissen. 335

die meist stark usurirten Fasern in deren Umgebung abgeplattet und concen- trisch geschichtet (VII, 4). Auch die dünnen Fasern sind hier vielfach stark usurirt. An den A.-Präparaten tritt die Verdünnung der Muskelsäulchen in den dünnen Fasern noch deutlicher zu Tage, als bei V.

Vn. 18 Tage. N. S. zuckt bei Sem und 10 El, g. S. bei 6£/, während selbst bei Rollenabstand o hier keine Zuckung erfolgt. Der Brustumfang ist an derg. S. um \,ßcm geringer, doch ist die Brust auch hier stark concav. Beim Einschneiden an der n. S. deutliche, an der g. S. keine Zuckung.

G. B. M., g. S., G. : Es finden sich an den dünnen Fasern fast gar keine gefärbte Kömchen mehr; an den Querschnitten derselben sind zumeist innen- ständige Kerne wahrnehmbar.

F. Die dicken Fasern bieten an den Randpartien der Präparate starke Zerklüftungserscheinungen dar, der Durchmesser ihrer Querschnitte ist meistens stärker vermindert, als jener der dünnen Fasern ; an der Peripherie mancher secundärer Bündel fehlen sie ganz und scheinen durch nachrückende dünne Fasern ersetzt zu sein. An einzelnen Stellen finden sich noch einige aufTallend grosse, runde Querschnitte, die nach ihrer Lage und der grösseren Zahl von Kernen in denselben den dicken Fasern zugerechnet werden müssen. Ein Theil derselben wird durch Hämatoxylin sehr stark, ein anderer sehr schwach gefärbt Die dünnen Fasern enthalten keine Kömchen mehr, die Querstreifung tritt an denselben deutlich hervor (V, 8), zuweilen auch eine durch die Gliede- ning in dünne Säulchen bedingte Längsstreifung. Partien, in welchen die Quer- schnitte dieser Fasem kleiner sind und sich stärker färben, wechseln mit solchen ab, in denen dieselben grösser und schwächer gefärbt, wie gebläht sind. Öfter Hegen grössere Gruppen von beiderlei Querschnitten in einem secundären Bündel beisammen, meistens findet sich aber innerhalb letzterer nur eine Art derselben. In beiden Faserarten finden sich zahlreiche ovoide Keme, die im Ganzen grösser und chromatinärmer sind, als die gewöhnlichen Muskelkeme und wie gebläht aussehen. Sie enthalten gewöhnlich nur 1—3 sich nicht sehr stark färbende nucleolenartige Chromatinklümpchen und ein sehr feines, sich nicht oder wenigstens nicht deutlich färbendes Fadenwerk, das aber nur bei starker Vergrösserung (Compensations-Ocular 6—8, Apochromat 2 mm) und sehr scharfer Einstellung erkennbar ist, während sonst nur die Knotenpunkte dieses Fadenwerkes wie feine Kömchen wahrnehmbar sind (IV, 10 b). Aneinanderlagerung der Keme in längeren oder kürzeren Reihen, sowie Ein- schnürung derselben an der Peripherie, lassen rege Vermehrung derselben erkennen (IV, 1 b). Im Ganzen unterscheiden sich diese, nicht selten in Vacuolen liegenden und auf dem Querschnitt der dünnen Fasem zumeist central stehenden Keme, sehr deutlich von den kleineren, kugeligen, chromatinreichen Kemen in den auch hier sehr zahlreichen und sehr massigen Emigrationsheerden, doch finden sich an der Peripherie letzterer mancherlei Übergänge zwischen beiden Kemarten, so dass genetische Beziehungen zwischen denselben nicht ganz sicher auszuschliessen sind. Auf dem Querschnitt der dünnen Fasem erscheint meist nur ein Kern, öfter finden sich aber auch 2 3 über denselben verstreut Nicht selten stösst man auf kleine, glänzende Kömchen an den Fasem, die

336 Ph. Knoll und A. Hauer,

meist isolirt, zuweilen aber auch in kleinen, kemähnlichen Häufchen beisammen liegen und, wo sie etwas grösser sind, einen gelbrothen Farbenton erkennen lassen. Die Venen sind strotzend gefüllt, Hämorrhagien ziemlich häufig. An Nervenstämmchen findet sich keine Spur der Markscheide mehr, nur einzelne geschwärzte Tropfen kommen zwischen dem Faserwerke derselben vor.

A. Die dünnen Fasern erscheinen deutlich längs- und quergestreift, die Längsstreifen sind sehr fein. Auf dem Querschnitte dieser Fasern erscheinen die dünnen ßbrillenartigen Muskelsäulchen um den zumeist wie in einer V^acuole liegenden Kern concentrisch gruppirt (VII, 2), und zwar oft in einer einzigen ganz dünnen Reihe (VI, 3). Manchmal erscheint in letzterem Falle der Kern wie geschrumpft und im Ganzen gefärbt. Im Allgemeinen heben sich auch hier die schwächer gefärbten Muskelkeme von den dunkler gefärbten Kernen in den Emigrationsheerden deutlich ab (VI, 1), doch ßnden sich die oben beschriebenen Übergänge auch hier. Auf Längsschnitten ßnden sich die Kerne in den dünnen Fasern nicht selten wie in einer Art Canal aneinandergereiht (VI, 8). Auch an den dicken Fasern erscheinen die Kerne oft in Vacuolen und die Fibrillen weit auseinanderstchend (VII, 2).

M. Die Verhältnisse sind im Ganzen dieselben, wie bei den A. -Präpa- raten (VI, 6), insbesondere treten auch hier, die wie in einem Canal aneinander gereihten Kerne in den dünnen Fasern sehr schön hervor. Die Übereinstimmung des Farbentons zwischen den früher erwähnten glänzenden Körnchen und den Blutkörperchen ist hier recht auffallend.

O. E und k. B. M., g. S. F.: Die Fasern sind verdünnt, und zwar die dicken verhältnissmässig mehr als die dünnen, in welchen die Kömchen spär- licher und feiner sind als sonst. Es finden sich Zeichen massiger Emigration und kleine Blutungen, sowie in beiden Faserarten Kemwucherung.

VIII. 35 Tage. An der n. S. erfolgt Zuckung beim Rollenabstand von 9 cm und SEL, an der g. S. selbst bei Rollenabstand o keine Zuckung, dagegen Zuckung bei 4 El. Dicke des g. B. M. an der n. S. 1. 3 cm, an der stark concaven g. S. Y2 ^^- Auffallende Blässe und Resistenz desselben an der g. S.

G. B. M., g. S. G. : Der Befund im Ganzen, wie bei VII, doch finden sich hier vereinzelte, nicht gefärbte Kömchen (I, 8, 9), denen auf den Schnitten aus F. vereinzelte, geschwärzte Kömchen entsprechen. Ebenso ist die Gesammtheit der Erscheinungen an den F. -Präparaten dieselbe, wie bei VII, doch sind die Emigration, die Blutungen und deren Derivate hier noch massenhafter, der Schwund, namentlich der dicken Fasem und die Kemvermehrung in beiden Faserarten noch hochgradiger. Das Vorkommen von 2 3 Kernen an den Quer- schnitten der dünnen Fasern ist hier sehr häufig (V, 3). Überaus häufig finden sich hier, wie bei VII, Kerne, an deren Oberfläche eine bogenförmige Furche dahin zieht, und die an der Stelle, wo diese Furche liegt, häufig vorkommende seitliche Einbuchtung des Kernes, die Vertheilung der nucleoienartigen Chro- matinklümpchen auf die beiden durch die Furche geschiedenen Kerntheile, wobei zuweilen noch ein gefärbter Faden zwei Chromatinklümpchen verbindet, endlich die nahezu vollständige Sondemng der beiden Theile geben ein Bild der hier bei der Vermehrung der Muskelkerne sich vollziehenden Vorgänge

Muskelfasern unter pathologischen Verhältnissen. 337

(IV, la). Auch die Präparate aus A. und M. stimmen im Wesentlichen mit den bei VII beschriebenen überein (VI, 5, VII, 3). An den Längsschnitten treten die iibrillenartige Feinheit der Muskelsäulchen und die Trennung derselben durch erhebliche Zwischenräume, sowie die Kemreihen, an den Querschnitten starke Schrumpfung der dicken Fasern, sowie Sonderung der dünnen Muskelsäulchen deutlich hervor. In der Umgebung grösserer Gefässe findet sich oft reichliches Fettgewebe.

0. E., g. S., Fl. Auch hier ist die Körnelung an den dünnen Fasern und der Unterschied der beiden Faserarten an den meisten Stellen der Präparate fast verschwunden. In vielen Fasern besteht ausgesprochene Kemvermehrung, doch sind die Kerne langgestreckt und chromatinreicher als im g. B. M.

K. B. M., g. S. F. : Ausser denselben Erscheinungen, wie an der O. £. ist hier noch beträchtliche Emigration, Usur der Fasern durch die vordringenden Wanderzellen und Ansammlung dieser an Faserbruchstücken innerhalb des Sarcolemms zu beobachten, während an den entfernteren intacten Partien der betreffenden Fasern keine oder nur eine ganz geringe Kemvermehrung zu finden ist (VII, l; VIII, 1).

Kurz zusammengefasst, stellen sich die Vorgänge an der vom Plexus axillaris bei der Haustaube versorgten Musculatur nach Resection desselben folgendermassen dar:

Elektrische Reaction: Zunächst tritt eine Abnahme der Erregbarkeit gegenüber beiden Stromesarten am g. B. M. der g. S. hervor. Am 17. Tage nach der Operation ist die Erregbar- keit für den inducirten Strom hier vermindert, jene für den galvanischen aber gesteigert. Am 18. und 26. Tage ist die Erreg- barkeit für erstere Stromesart ganz erloschen, jene für die letztere gesteigert. Dabei erweist sich die KS, wie hier hinzu- zufügen ist, immer noch wirksamer als die A S.

Dicke, Farbe und Consistenz der Musculatur: Innerhalb der ersten 8 Tage ist nur eine geringe Abnahme der Dicke der Musculatur, und am 8. Tage ein deutliches Blass- werden derselben zu bemerken. Vom 11. Tage an tritt beides immer stärker hervor, und am 35. Tage ist die Blässe des g. B. M., g. S. sehr auffallend, seine Dicke auf wenig mehr, als % reducirt und seine Consistenz sehr vermehrt.

Reaction auf den mechanischen Reiz: Schon vom 6. Tage ab zuckte der g. B. M. beim Einschneiden an der g. S. nicht mehr.

Die Nervenstämmchen in den Schnittpräparaten aus F. Hessen eine, bis zum vollständigen Schwinden der Markscheide

338 Ph. Knoll und A. Hauer,

fortschreitende Degeneration erkennen, in Übereinstimmung mit den Ergebnissen der Untersuchung der peripheren Nerven- stümpfe in Osmium.

Die Venen in der gelähmten Musculatur sind schon vom 5. Tage ab strotzend mit Blut gefüllt und von da ab sind Zeichen von Emigration (V, 7; VII, 1—6; VIII, 1, 3), und Dia- pedese zu finden; vom 11. Tage ab sind in im Ganzen stetig anwachsenden Maasse Haufen ausgewanderter farbloser Blut- zellen (Emigrationsheerde, VI, 1; VII, 4) und Blutungen zu finden. Die Kerne in den Emigrationsheerden und den Wanderzellen überhaupt unterscheiden sich, wo sie nicht amöboid verzogen sind, von den Muskelkernen durch kugelige Form und stärkeren Chromatingehalt im Allgemeinen deutlich, doch finden sich auch Übergangsformen, welche die Möglich- keit, dass die Kerne von in Muskelfasern eingewanderten farb- losen Blutzellen zu Muskelkernen werden, nicht mit aller Sicherheit ausschliessen lassen.

Die Muskelkerne lassen in beiden Faserarten vom 5. Tage ab, Vermehrung und Theilungsvorgänge erkennen, doch ist nirgends an unzweifelhaften Muskelkemen Mitose zu finden, während solche an Zellen des Zwischengewebes vereinzelt vorkommt (V, 5, 7). Die Muskelkerne zeigen dabei zunächst noch im Ganzen die normale Form und Structur (IV, 9). Ob das unter diesen Umständen häufig zu findende amöboide Ver- zogensein der Kerne in Beziehung zur Kerntheilung steht, muss dahingestellt bleiben, da diese Erscheinung sich zuweilen auch an Muskelkernen der n. S. findet. Die Theilungsvorgänge sind zunächst denen bei Phosphorvergiftung und Inanition analog, und sind auch wie dort zunächst auf die dicken Fasern beschränkt.

Vom 11. Tage ab haben die Muskelkerne im g. B. M. zumeist eine ovoide Form, sind chromatinärmer, das Chromatin derselben ist im Wesentlichen auf 1 3 nucleolenartige Klumpen reduzirt, neben denen ein sehr feines, nicht deutlich gefärbtes Fadenwerk zu finden ist (IV, 10, a, b). Furchung und Ein- buchtung dieser Kerne, Vertheilung der nucleolenartigen Chromatinklümpchen in die Kerntheile, Bildung kleiner Kem- häufchen oder langer Kernreihen charakterisiren die Theilungs-

Muskelfasern unter pathologischen Verhältnissen. 339

Vorgänge an diesen, wie gebläht aussehenden Kernen (IV, 1 a, \b). An den dünnen Muskelfasern, die sonst nur spärliche, fast ausschliesslich randständige Kerne haben, erscheinen unter diesen Umständen zahlreiche innenständige, oft central gela- gerte Kerne (V, 3; VI, 1, 3, 6; VII, 2, 3). Die Frage, ob alle die letzteren von den ersteren Kernen abstammen, und welche Vor- gänge dann beim Wechsel der Kemlage stattfinden, muss offen bleiben.

An den dicken Muskelfasern ist vom 6. Tage ab aus- geprägter Zerfall zu beobachten, der aber auf die der mechani- schen und chemischen Schädigung in erster Reihe ausgesetzten Randpartien der Präparate beschränkt ist (V, 2; VI, 4). Die Zer- fallserscheinungen sind im Ganzen dieselben, wie man sie beim Absterben durch Zerzupfen in physiologischer Kochsalzlösung isolirter Muskelfasern unter dem Mikroskop beobachten kann.

Nicht selten erscheinen dabei die Fasern im Zustande regel- mässiger Zerklüftung in einzelne Abschnitte (V, 6a c) und die ganzen Erscheinungen des Absterbens derselben, insbe- sondere bei Verwendung von Chrom-Osmium-Essigsäure- gemisch sehr getreu flxirt. Der Querschnitt der erhaltener, dicken Fasern erscheint dabei schon vom 5. Tage ab ver- kleinert, und zwar erheblicher als jener der dünnen Fasern (VIII, 5). Dieses Verhalten ist auch in der späteren Zeit in der Regel festzustellen und am 35. Tage ist an den beiden Faser- arten zumeist kein erheblicher Unterschied in der Dicke mehr wahrzunehmen (V, 3). Die hinsichtlich dieses Punktes ange- führten Ausnahmen dürften vielleicht auf einen erheblicheren Wassergehalt der betreflFenden dicken Fasern zurückzuführen sein, wofür auch die unter Umständen sehr beträchtliche Schrumpfung derselben in Alkohol geltend gemacht werden kann (VI, 7, 10; VII, 3). Vom 11. Tage ab ist ein Vordringen von Wanderzellen gegen die dicken Fasern, sowie lacunäre Usur, Vacuolisirung und Physalidenbildung an diesen zu bemerken (VII, 1, 4—6; VIII, 1—3, 6). Da diese Vorgänge am II. Tage mit Sicherheit nur an dicken Fasern zu verfolgen sind (VII, 5, 6), hat es den Anschein, als wenn von diesen chemotactische Wirkungen ausgingen, die zu einer Zerstörung derselben durch farblose, aus dem Blute ausgewanderte Zellen

340 Ph. Knoll und A. Hauer,

führen, die sich dabei unter Umständen in grossen Massen innerhalb des Sarcolemmas ansammeln, eine Art von Muskel- zellenschläuchen bildend (VII, 1 6; VIII, 1, 2). Möglicherweise hängt hiemit die auffallende Abnahme der Zahl der dicken Fasern an der Peripherie der secundären Muskelbündel des g. B. M. in der späteren Zeit nach der Nervendurchschneidung zusammen.

An den dünnen Fasern ist von vornherein die auf- fallendste Erscheinung der Schwund der interstitiellen Köm- chen, der schon frisch in Kochsalzlösung untersucht, weit schlagender aber noch nach der Goldbehandlung oder an Schnittpräparaten von in F. oder P. gehärteten Präparaten her- vortritt (I, 4, 8, 9; V, 1—4, 8). Sowohl Fv. als in G., weit deut- licher, aber noch bei F. lässt sich erkennen, dass eine Umwand- lung der Körnchen in Fett hiemit Hand in Hand geht oder vielmehr wohl dem Verschwinden derselben vorhergeht. Die Querstreifung der Fasern bleibt dabei erhalten, aber das Ver- schwinden derselben bei ganz schwacher Säureeinwirkung, wie hier hinzugefügt werden muss, lässt erkennen, dass die fibrilläre Substanz selbst bei dem ganzen Vorgange nicht unverändert bleibt Die Muskelsäulchen in diesen Fasern lassen vom 11. Tage ab eine erhebliche Verdünnung erkennen (VI, 2, 3, 9) und erscheinen später, an Zahl sehr reduzirt, sowie die Kerne dieser Fasern von einer hyalinen Masse umflossen (VI, 3, 8), welche, da sie sich in Chlorgold nicht stärker färbt, mit der sonst in den Muskelfasern vorkommenden hyalinen inter- fibrillären Substanz nicht identificirt werden kann.

Die histologischen Veränderungen an der o. E. und dem k. B. M. sind im Wesentlichen dieselben, wie am g. B. M., doch treten sie im Ganzen schwächer und später auf.

Wie bei der Inanition und der Phosphorvergiftung ergibt sich nach dem Angeführten, auch nach der Nervenresection, ein verschiedenes Verhalten der beiden Faserarten, und wenn Grützner bei der Behauptung, dass unter diesen Umständen die »trüben« Fasern später entarten als die »hellen«, bloss den Faserschwund im Auge hatte, so liefern die angeführten Beob- achtungen eine Bestätigung seiner Behauptung. Ob aber hiemit, wie er anzunehmen geneigt war, die sogenannte Ent-

Muskelfasern utfter pathologischen Verhältnissen. 341

artungsreaction zusammenhängt, muss wohl dahingestellt bleiben, da sich gleichzeitig auch die ausgeprägteste Verände- rung an den die Hauptmasse des Muskels ausmachenden dünnen (»trüben«) Fasern vollziehen. Überdies wurde ein Kennzeichen der Entartungsreaction, das Überwiegen der Anodenwirkung bei unseren Beobachtungen ganz vermisst Es wäre aber immerhin noch eine dankenswerthe Aufgabe, in parallelen Untersuchungen, namentlich an Muskeln, welche bloss aus der einen Fasergattung bestehen, die Veränderungen in der Structur und der elektrischen Erregbarkeit derMusculatur weiter zu verfolgen.

Nach den beschriebenen, in Fig. 1, 6, Taf. VII und 1, 2, Taf. VIII wiedergegebenen Erscheinungen, muss die Behaup- tung, dass durch Einwanderung von farblosen Blutzellen in das Sarcolemm Muskelzellenschläuche entstehen können, was übri- gens Gussenbauer (16) und Erbkam (17) schon vor längerer Zeit angegeben haben, aufrecht erhalten werden. Die Ent- stehung dieser Gebilde vollzieht sich allem Anscheine nach unter lacunärer Usur der Muskelfasern, wie sie wohl zuerst von R. Volkmann beim Muskelkrebs (18), von Gussenbauer später auch bei der traumatischen Entzündung gesehen worden ist (16, S. 10, 33, 34, Fig. 1, 2).

Ob die Wanderzellen bei ihrem Vordringen in die Muskel- faser das im natürlichen Zustande vielleicht weiche Sacrolemma durchsetzen, oder ob dieses unter ihrer Thätigkeit selbst ein- schmilzt, muss wohl dahingestellt bleiben.

Ebenso, ob es sich bei diesem Vorgange, der an die Sar- kolyse im Froschlarvenschwanz und die Zerstörung der Gewebe bei den Dipteren erinnert, nur um die Beseitigung von abster- benden Muskelfasern handelt. Ganz unwahrscheinlich wird letztere Vermuthung nicht erscheinen, wenn man erwägt, dass jener Vorgang sich zunächst auf die dicken Fasern beschränkt, welche auf den mit dem Härtungsverfahren verbundenen Ein- griff hin, wie beschrieben wurde, so leicht zerfallen.

Die in der späteren Zeit in den dünnen Fasern zu findenden Zellreihen dagegen, gehen wohl in der Hauptsache aus Kern- theilungsvorgängen innerhalb der Faser hervor, wenn auch eine Betheiligung von eingewanderten Zellen nicht mit Sicherheit

Sitzb. d. mathem.-naturw. Cl. ; CI. Bd., Abth. III. 23

342 Ph. Knoll und A. Hkuer,

auszuschliessen ist, da zu dieser Zeit auch an den dünnen Fasern lacunäre Usur und in den Emigrationsheerden Über- gangsformen von den Wanderzellenkernen zu der chromatin- armen, ovoiden Muskelkernart zu beobachten sind.

Die Lagerung dieser Kerne in der Faserachse und die Gruppirung der isolirten, durch reichliche, hyaline Zwischen- substanz von einander getrennten Muskelsäulchen um den Kernstrang, welche Babinski bereits nach Nervendurch- schneidung am Kaninchen beobachtet und als ein Analogen des embryonalen Muskelfasertypus bezeichnet hat (19), bedingt eine Annäherung an einen bei Mollusken und Hexapoden, sowie bei den Selachiern sehr häufigen und in der Herz- musculatur der Wirbelthiere regelmässig vorkommenden Faser- typus (2, S. 693).

Die ausserordentlich rege amitotische Kerntheilung in den Muskelfasern, die ein Schüler Flemming's (Robert) und Nau- werck jüngst auch bei Muskelverletzungen beobachtet haben, legt den Gedanken nahe, die Vorgänge bei dieser Art der Kern- theilung genauer zu studiren, doch müsste hiezu wohl ein passenderes Object, etwa die Salamandermusculatur gewählt werden. An der Taube ist das Fadenwerk im Kerne so fein, dass ein genauerer Aufschluss über seine etwaige Theilnahme an den Theilungsvorgängen im Kerne ohne weitere besondere Hilfsmittel nicht zu erwarten war.

Schlussbemerkungen.

Aus der Gesammtheit der in den vorhergehenden Abschnitten mitgetheilten Beobachtungen geht die hohe Bedeutung des als Rest der embryonalen Bildungszelle die Zwischenräume zwischen den Fibrillen und dem Sarcolemma ausfüllenden Protoplasma für die Fibrillen selbst hervor. Je ärmer die entwickelte Muskel- faser an Protoplasma ist, desto rascher schwindet ihre fibrilläre Substanz bei derlnanition, und es dürfte wohl hiemit zusammen- hängen, dass der ausschliesslich aus sehr protoplasmareichen Fasern bestehende Herzmuskel unter diesen Umständen bekanntlich weniger an Gewicht verliert, als die Skelett- musculatur.

Muskelfasern unter pathologischen Verhältnissen. 343

An den protoplasmareichen Muskelfasern aber sind hiebe! die ersten auffälligeren Veränderungen an den im Protoplasma derselben enthaltenen Kömchen bemerkbar, die eine Abnahme im Ganzen und einen Schwund der in ihnen enthaltenen fettigen Substanz erfahren.

Auch bei der Phosphorvergiftung und nach Nervenresection sind die ersten deutlichen Veränderungen der Faserstructur an diesen Körnchen wahrnehmbar, die in beiden Fällen verfetten, in letzterem Falle später aber ganz schwinden.

In allen drei Versuchsreihen prägen sich also die ein- tretenden Veränderungen im Stofifwechsel der Muskelfasern, bauptsächlich in den Veränderungen der protoplasmatischen Granula aus, womit aber durchaus nicht etwa gesagt sein soll, dass diese als die einzigen Träger der Stoffwechselvorgänge in den Muskelfasern anzusehen seien, wogegen ja schon das Vor- kommen von Muskeln spricht, bei denen sie in allen Fasern sehr spärlich sind. Es scheint vielmehr, als würden die im gesummten Protoplasma sich vollziehenden Stoffwechselvor- gänge an diesen Formelementen desselben, die bei den Amphi- bien zu gewissen Jahreszeiten auch eine Neubildung erfahren können (2, S. 686), nur sichtbar werden.

Die fibrilläre Substanz selbst aber erfährt dabei unter Erhaltung ihrer Structur eine Reduction und wohl auch eine chemische Veränderung, wie das Verschwinden der Quer- streifen bei ganz schwacher Säureeinwirkung erkennen lässt.

Der Unterschied in den Lebenseigenschaften der beiden Fasern spricht sich auch darin aus, dass bei mechanischer und chemischer Schädigung nach der Nervenresection die proto- plasmaarmen Fasern in viel ausgedehnterem Maasse zerfallen, sowie dass die Kernwucherung und die Aufzehrung durch Wanderzellen an ihnen früher statt hat, als an den protoplasma- reichen Fasern, die in diesem Sinne wohl als widerstandsfähiger bezeichnet werden können, während wieder ein an den Muskel- fasern sehr häufiger degenerativer Vorgang, die Verfettung, auf die protoplasmareichen Muskelfasern allein beschränkt bleibt, oder wenigstens nur an diesen deutlich sichtbar wird. Das starke Hervortreten der Herzverfettung bei zur Verfettung führenden Allgemeinleiden mag hiemit zusammenhängen.

23-

344 Ph. KnoU und A. Hauer,

Noch sei bemerkt, dass es keineswegs in unserer Absicht liegt, aus den mitgetheilten, an einer einzigen Species gemachten Beobachtungen sichere Schlüsse auf die Vorgänge bei anderen Thieren und beim Menschen unter sonst gleichen Umständen zu ziehen. Es schien aber zweckmässig, diese Vorgänge zunächst an einem passenden Objecte möglichst eingehend zu Studiren. Eine Wiederholung dieser recht zeitraubenden Unter- suchungen an einer grösseren Zahl verschiedenartiger Thiere wird aber erst ergeben können, in wie weit eine Verallgemei- nerung der aus unseren Beobachtungen gezogenen Schluss- folgerungen zulässig ist. Ebenso muss das Verhalten der beiden Faserarten bei der Muskelregeneration weiteren Untersuchungen vorbehalten bleiben.

Verzeichniss der angeführten Abhandlungen.

1. Tageblatt der 62. Naturforscherversammlung zu Heidel- berg. Heidelberg 1890. S. 322.

2. Ph. Knoll. Über protoplasmaarme und protopiasma- reiche Musculatur. Denkschriften der mathematisch-naturwissen- schaftlichen Classe der kais. Akademie der Wissenschaften. Wien 1891. S. 633.

3. Ph. Knoll. Über Myocarditis und die übrigen Folgen der Vagussection bei Tauben. Zeitschrift für Heilkunde. Bd. 1. 1880. S. 42—47.

4. Grützner. Zur Physiologie und Histologie der Skelett- muskeln. Breslauer ärztliche Zeitschrift. 1883, S. 257.

5. Flemming. Weitere Mittheilungen zur Physiologie der Fettzelle. Archiv für mikroskopische Anatomie. Bd. 7. S. 328.

6. Gaglio. Sülle alterazioni istologiche e funzionali dei muscoli durante Tinanizione. Archivio per le scienze mediche. Vol. VII. N. 20. 1884.

7. G, R. Wagener. Über die Entstehung der Querstreifen auf den Muskeln und die davon abhängigen Erscheinungen. Archiv für Anatomie und Physiologie. Anatomische Abtheilung. 1 880. S. 268.

Muskelfasern unter pathologischen Verhältnissen. 345

8. Kolli ker. Einige Bemerkungen über die Endigungen der Hautnerven und den Bau der Muskeln. Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. Bd. VIII. S. 319. 1857.

9. Steffan. Die kernähnlichen Gebilde des Muskelprimitiv- bündels J. D. Erlangen 1860.

10. Alexander Stuart. Experimentelle Untersuchungen über die fettige Entartung des Muskelgewebes. Archiv für mikroskopische Anatomie. Bd. I. 1865.

11. G. R. Wagener. Die Entstehung der Querstreifen auf den Muskeln. Pflüger's Archiv. Bd. 30. S. 521.

12. Altmann. Die Elementarorganismen und ihre Bezie- hungen zu den Zellen. Leipzig 1890. Taf. X.

13. Gad und Heymans. Das Myelin, die myelinhaltigen und myelinlosen Nervenfasern. Du Bois-Reymond*s Archiv 1890. S. 530.

14. A. Heffter. Das Lecithin der Leber und sein Verhalten bei der Phosphorvergiftung. Archiv für experimentielle Patho- logie. Bd. 28. S. 97.

15. Samuel. Das Gewebswachsthum bei Störungen der Innervation. Virchow's Archiv. Bd. 113. S. 288.

16. C. Gussenbauer. Über Veränderungen des quer- gestreiften Muskelgewebes bei der traumatischen Entzündung. Archiv für Chirurgie. Bd. XII. S. 1030 ff.

17. B. Erbkam. Beiträge zur Kenntniss der Degeneration und Regeneration quergestreifter Musculatur nach Quetschung. Virchow's Archiv. Bd. 79. S. 67fiF.

18. R. Volkmann. Zur Histologie des Muskelkrebses. Ebenda. Bd. 50. S. 547.

19. J. Babinski. Des modifications que presentent les muscles ä la suite de la section des nerfs qui s'y rendent. Comptes rendus. T. 98. 1884. S. 51.

346 Ph. Knoll und A. Hauer,

Erklärung der Abbildungen.

Die römischen Ziffern zeigen die Tafeln, die arabischen die Figuren an. Wo nichts Anderes bemerkt ist, stammen die sämmtlich von der Haustaube gewonnenen Präparate vom grossen Brustmuskel her, sind in starkem Chrom- Osmium-Essigsäuregemisch gehärtet und in mit gleichen Theilen Wasser ver- dünntem Glycerin aufgehellt. Fig. 1 9 auf Taf. I, sind nach Goldpräparaten gezeichnet.

A. bedeutet Härtung in Alkohol, M. in M ü 1 1 e r 'scher Flüssigkeit, P. in Kleinenberg 's Pikrinschwefelsäure, Hä. Färbung in Grenacher'schem Hämatoxylin, S. in Safranin, C. Aufhellung mit Origanumöl und Canadabalsam. Die am Ende jeder Figurenerklärung angeführten Ziffern und Buchstaben zeigen die angewendeten Oculare und Objectivlinsen von Zeiss an, wobei der Zusatz Ap. Apochromate bedeutet. Die zu Beginn der Figurenerklärung stehenden eingeklammerten Ziffern zeigen die Zahl, der seit dem Beginn der Nahrungs- entziehung oder der Phosphorzufuhr, beziehungsweise seit der Nervendurch- schneidung verstrichenen Tage an.

I.

1. Normal. Querschnitte dünner Fasern. 3, D. D.

2. (6) Inanition. Längsschnitte dünner Fasern. Ap. 8, 8.

3. (6) » Querschnitte. 3, D.

4. (13) Nervendurchschneidung. Querschnitte dünner Fasern. 2, E.

5. (2) Phosphorvergiftung. Querschnitte. 2, E.

6. Normal. Längsschnitte dünner Fasern. 3, DD.

7. (6) Inanition. Herz. Querschnitte. 2, 1/12.

8. (35) Nervendurchschneidung. Querschnitte. 3, DD.

9. (35) » Längsschnitt. 3, DD.

10. Normal. Ap. 12, Srnm.

11. » Ap. 12, Smm.

12. * A. Ap. 12, Smm.

13. > Ap. 12, 8f»m.

14. » A. Ap. 12, Smm.

15. » M. Ap. 12, Smm.

16. » A. Ap. 12, Smm.

17. » M. Ap. 12, Smm.

Muskelfasern unter pathologischen Verhältnissen.

347

II.

l.

Normal.

M.

Ha. C. Ap. 12,8«»«.

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A.

Ha. C. Ap. 12, Smm.

3.

(7) Inanition. 2, F.

4.

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2, F.

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Herz. A. Ha. C. 2, 1/12.

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Herz, 2, 1/12

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8.

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9.

(7)

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S. C. Ap. 4, 2 mm.

10.

(14) .

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Ap. 8. Smm.

III.

Abgesehen von 4, stammen alle Figuren von mit Phosphor vergifteten Tauben her.

1. (23), Ap. 12, Smm.

2. (17), 3, DD.

3. (17), Herz. Ap. 4, 2mm.

4. (11) Nervendurchschneidung. Ap. 6, 2 mm.

5. (17) Herz. 3, D.

6. (23), Ap. 12, Smm.

7. (23), Ap. 12, Smm.

8. (23), Ap. 12, Smm.

9. (2), Ap. \2,Smm

IV.

S. C. für sämmtliche Figuren giltig. \a (35); \b (18), Nervendurchschneidung. Ap. 6, 2mm.

2. (10) Phosphorvergiftung. Ap. 6, 2 mm.

3. (7) Inanition. Ap. 6, 2 mm.

4. (7) » Ap. 6, 2 mm.

5. (23) Phosphorvergiftung. 2, 1/12.

6. (7) Inanition. Ap. 6, 2 mm.

7. Normal. Ap. 6, 2mm.

8. (7) Inanition. 2, 1/12.

9. (11) Nervendurchschneidung. Obere Extremität. Ap. 4, 2 mm.

10a (35); lOb (18) Nervendurchschneidung. Muskcikerne. Ap. 8, 2mm.

Die Figuren auf Taf. V VIII wurden sämmtlich nach Nervendurch- schneidung gewonnen.

348 Ph. Knoll und A. Hauer, Muskeif, unter patholog. Verhältn.

V.

1. (11) 2, F.

2. (6) 3, B.

3. (35) Ap. 12, SmtH.

4. (11) Ap. 12, Smm.

5. (11) Obere Extremität. S. C. Ap. 4, 2 mm. 6a,b,c (11) P. Hä. C. 2, D.

7. (11) Obere Extremität. S. C. Ap. 4, 2mm.

8. (18) Ap. 12, Smm.

VI.

1. (18) A. Hä. C. Ap. 4, Smm.

2. (11) M. Hä. C. Ap. 8, Smm.

3. (18) A. Hä. C. Ap. 4, 2 mm.

4. (6) M. Ap. 6, Smm.

5. (35) M. Hä. C. Ap. 12, Smm.

6. (18) M. Hä. C. Ap. 12, Smm.

7. (13) A. Hä. C. Ap. S,Smm.

8. (18) A. Hä. C. Ap. 12, Smm.

9. (13) A. Hä. C. Ap. 12, Smm.

10. (11) A. Hä. C. Ap. 6, Smm.

11. (6) A. Hä. C. Ap. 12, Smm.

VII.

1. (35) Kleiner Brustmuskel. S. C. Ap. 12, Smm.

2. (18) A. Hä. C. Ap. 12, Smm.

3. (35) A. Hä. C. Ap. 8, Smm.

4. (14) Hä. C. 2, 1/12.

5. 6. (11) S. C. 2. F.

VIII.

1. (35) Kleiner Brustmuskel. S. C. Ap. 4, 2mm.

2. (13) S. C. Ap. 4, 2mm.

3. (13) Kleiner Brustmuskcl. S. C. 2, F.

4. (11) S. C. Ap. 12, Smm.

5. (5) Ap. 8, Smm.

6. (11) S. C. 2, F.

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Sitzungsberichte d. kais. Akad. d. Wiss., math.-naturw.Classe, Bd.CI. Abth.m. 1892.

349

XII. SITZUNG VOM 12. MAI 1892.

Der Vorsitzende, Herr Vicepräsident Hofrath Dr. J. Stefan, gibt Nachricht von dem am 5. Mai d. J. erfolgten Ableben des Ehrenmitgliedes dieser Classe im Auslande, Herrn geheimen Regierungsrath und Director Dr. August Wilhelm Hof mann in Berlin.

Die anwesenden Mitglieder geben ihrem Beileide durch Erheben von den Sitzen Ausdruck.

Se. Excel lenz der k. u. k. Herr Feldmarschall-Lieutenant und Obersthofmeister Se. k. u. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer setzt die kaiserliche Akademie in Kenntniss, dass Se. k. u. k. Hoheit als Cur ator der Akademie die diesjährige feierliche Sitzung am 30. Mai mit einer Ansprache zu eröffnen geruhen werde.

Der Secretär legt das erschienene Heft III (März 1892) des 101. Bandes, Abtheilung II. b. der Sitzungsberichte vor.

Das w. M. Herr Regierungsrath Prof. E. Mach übersendet eine Abhandlung von Dr. G. J au mann, Privatdocenten für Experimentalphysik und physikalische Chemie an der k. k. deutschen Universität in Prag, unter dem Titel: »Versuch einer chemischen Theorie auf vergleichend-physi- kalischer Grundlage«.

Das c. M. Prof. Franz Exner in Wien übersendet eine Abhandlung, betitelt: »Elektrochemische Untersuchun- gent II.

Herr Prof. Dr. Josef Finger in Wien übersendet eine Abhandlung: »Über die gegenseitigen Beziehungen gewisser in der Mechanik mitVorthei' anwendbaren

Sitzb. d. mathcm.-natunv. Cl.; CI. Bd., Abth. III. 24

350

Flächen zweiter Ordnung nebst Anwendungen auf Probleme der Astatik«.

Der Secretär legt eine Abhandlung von Dr. Gustav Jäger in Wien vor, betitelt: »Die Zustandsgieichung der Gase in ihrer Beziehung zu den Lösungen«.

Ferner legt der Secretär ein versiegeltes Schreiben behufs Wahrung der Priorität von Herrn Ch. H. A. Schellhorn, Ober- Ingenieur a. D. in Wien, mit der Aufschrift: »Beitrag zur Mechanik der Welt« vor.

Das w. M. Herr Prof. V. v. Ebner überreicht eine vorläufige Mittheilung des Dr. Jos. Seh äff er, Assistenten am histologi- schen Institute der k. k. Universität in Wien: »Über Sarko- lyse beim Menschen«.

Das w. M. Herr Prof. J. Wiesner überreicht eine im pflanzenphysiologischen Institute der k. k. Universität in Wien ausgeführte Arbeit von Dr. Frid. Krasser: »Über die Structur des ruhenden Zellkernes«.

Femer überreicht Herr Prof. Wiesner eine Abhandlung des Assistenten am botanischen Universitätsinstitute zu Inns- bruck, Herrn A. Wagner, betitelt: »Zur Kenntniss des Blattbaues der Alpenpflanzen und dessen biologi- scher Bedeutung«.

351

XIII. SITZUNG VOM 19. MAI 1892.

Das w. M. Herr Prof. E. Hering in Prag übersendet eine für die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung unter dem Titel: »Zur Kenntniss der Alciopiden von Messina«.

Das w. M. Herr Prof. L. Pfaundler übersendet eine Arbeit aus dem physikalischen Institute der k. k. Universität in Graz von dem Privatdocenten Dr. Paul Czermak, ersten Assistenten dieses Institutes: »Über oscillatorische Entladungen«.

Der Secretär legt eine eingesendete Abhandlung von Herrn J. Sobotka in Zürich: »Über Krümmung und Indicatricen der Helikoide« vor.

Das c. M. Herr Regierungsrath Prof Adolf Weiss in Prag übersendet eine Arbeit von Dr. Wilhelm Sigmund, d. z. suppl. Professor an der Staats-Oberrealschule in Pilsen, unter dem Titel: »Beziehungen zwischen fettspaltenden und glycosidspaltenden Fermenten«.

Herr Dr. Alfred Nalepa, Professor an der k. k. Lehrer- bildungsanstalt in Linz, übersendet folgende vorläufige Mir theilung über »Neue Gallmilben« (4. Fortsetzung).

DEC 8 1892

SITZUNGSBERICHTE

DER

KAISERLICHEN AKADEMIE DER WiSSENSCHAHER

MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE CLASSE.

CI. BAND. VI. HEFT.

ABTHEILUNG III.

«

ENTHALT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN UND DER THIERE, SOWIE AUS JENEM DER

THEORETISCHEN MEDICIN.

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25

355

XIV. SITZUNG VOM 17. JUNI 1892.

Der Vorsitzende gibt Nachricht von dem am 31. Mai 1. J. zu Klosterneuburg erfolgten Ableben des seitherigen inlän- dischen correspondirenden Mitgliedes dieser Classe, des Herrn Hofrathes Dr. Theodor Meynert, Professor der Psychiatrie an der k. k. Universität in Wien.

Die anwesenden Mitglieder geben ihrem Beileide durch Erheben von den Sitzen Ausdruck.

Der Secretär legt die erschienenen Hefte I II (Jänner und Februar 1892) des 101. Bandes der Abtheilungen I und III der Si tzungsberi.chte, ferner das Heft IV (April 1892) des 13. Bandes der Monatshefte für Chemie vor.

Das k. k. Ministerium des Innern übermittelt die von der niederösterreichischen Statthalterei vorgelegten Tabellen über die in der Winterperiode 1891/92 am Donaustrome im Gebiete des Kronlandes Niederösterreich und am Wiener Donau- canale stattgehabten Eisverhältnisse.

Das Curatorium der Schwestern Fröhlich-Stiftung in Wien übermittelt die diesjährige Kundmachung über die Ver- leihung von Stipendien und Pensionen aus dieser Stiftung zur Unterstützung bedürftiger und hervorragender Talente auf dem Gebiete der Kunst, Literatur und Wissenschaft.

Herr Prof. Dr. Guido Goldschmiedt in Prag dankt für die Zuerkennung des Ig. L. Lieben*schen Preises, und die Herren Professoren Dr. Ig. Klemencic in Graz und Dr. Ernst Lech er in Innsbruck danken für den ihnen zu gleichen Theilen zuerkannten A. Freiherr v. ß aum gar tn er sehen Preis.

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356

Das w. M. Herr Hofrath Director F. SteindaChner über- gibt eine für die Denkschriften bestimmte Abhandlung ichthyo- logischen Inhaltes unter dem Titel: »Über einige neue und seltene Fischarten in den Sammlungen des k. k. natur- historischen Hofmuseums«.

Das c. M, Herr Prof. L. Gegenbauer in Innsbruck über- sendet eine Abhandlung: »Über den grössten gemein- schaftlichen Theiler«.

Das c.M. Herr Prof. H.Weidel in Wien übersendet folgende zwei Arbeiten aus dem I. chemischen Laboratorium der k. k. Universität in Wien:

1. »Studien über stickstofffreie aus den Pyridin- carbonsäuren entstehende Säuren« (II. Mittheilung), von Prof. H. Weidel und J. Hoff

2. ^Zur Kenntniss der Mesityl- und Mesitonsäure*, von Prof. H. Weidel und Dr. E. Hoppe.

Das c. M. Herr Hofrath E. Ludwig übersendet eine Ab- handlung des Herrn Prof. F. Emich in Graz: »Zum Ver- halten des Stickoxydes in höherer Temperatur« (II. Mit- theilung).

Der Secretär legt folgende eingesendete Abhandlungen vor:

1. »Zur Elasticität der Gase«, von P. Carl Puschl, Stifts- capitular in Seitenstetten.

2. "Die gegenseitigen Beziehungen der physik.i- lischen und chemischen Eigenschaften der chemi- schenElemente und Verbindungen«, von Prof. Herm. Fritz am Polytechnicum in Zürich.

3. »Üb er adjungirte lineare Differentialgleichungen«, von Prof. Dr. Georg Pick an der k. k. deutschen Universität in Prag.

4. »Über ein einfaches Hydrodensimeter*, von Prof Dr. Alois Handl an der k. k. Universität in Czernowitz.

Ferner überreicht der Secretär den von den Professoren J. Luksch und J. Wolf an der k. und k. Marineakademie in Fiume vorgelegten vollständigen Bericht über die an Bord S. M-

357

Schiff »Pola« in den Jahren 1890 und 1891 durchgeführten physikalischen Untersuchungen im östlichenMittel- meer.

Das w. M. Herr Prof. Friedrich Brauer bespricht die von Macquart aufgestellte Tachinarien-Gattung Pachystylum und weist nach, dass dieselbe wahrscheinlich identisch mit der von ihm und Herrn J. v. Bergenstamm in den Denkschriften beschriebenen Gattung Chaetomera sei.

Das w. M. Herr Prof. Ad. Lieben überreicht eine Abhandlung: *Ober Darstellung von Crotonaldehyd«.

Ferner überreicht Herr Prof. Lieben folgende zwei Ab« Handlungen:

1. »Über das Verhalten von Thiocarbonaten zu Phenolen«, Arbeit aus dem chemischen Laboratorium der k. k. Universität in Czemowitz von Prof Dr. R. P?ibram und C. Glücksmann.

2. »Über die Darstellung von Aldol und Croton- aldehyd«, von W. R. Orndorff und S. B. Newburg aus Ithaka, U. S. of America.

Von Herrn Dr. C. Diener, welcher im Auftrage der akademischen Boue-Commission eine geologische Forschungs- reise nach dem centralen Himalaya angetreten hat, wird ein Schreiben ddo. Almora (Kumaon), 23. Mai 1. J. vorgelegt.

Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht zugekommene Periodica sind eingelangt:

Fletcher, L., The optical indicatrix and the transmission of light in crystals. London, 1892, 8".

Haeckel, Ernst, Anthropogenie oder Entwickelungsgeschichte des Menschen. Keimes- und Stammes-Geschichte. L Theil. Keimesgeschichte oder Ontogenie; II. Theil. Stammes- geschichte oder Phylogenie. (Mit 20 Tafeln, 440 Text- figuren und 52 genetischen Tafeln.) Leipzig, 1891; 8".

Spezia, Georgio, Suirorigine del solfo nei giacimenti solfiferi della Sicilia.

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Siemens, Werner, Wissenschaftliche und technische Arbeiten. I. Band. Wissenschaftliche Abhandlungen und Vorträge. (Mit dem Bildnisse des \'erfassers und 41 Abbildungen im Texte.) II. Band. Technische Arbeiten. (Mit 204 Text- figuren.) Berlin, 1891; 8*^.

Preisaufgfabe

für den von A. Freiherm v. Baumgartner gestifteten

Preis.

(Ausgeschrieben am 30. Mai 1886 ; erneuert am 30. Mai 1 889 und am 30. Mai 1892.)

Die mathem.-naturw. Classe der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften hat in ihrer ausserordentlichen Sitzung vom 27. Mai 1892 beschlossen, für den A.Freiherr v. Baumgartner- schen Preis folgende Aufgabe abermals zu erneuern.

Der Zusammenhang zwischen Li cht ab Sorption und che misch er Constitution ist an ein er möglichst grossen Reihe von Körpern in ähnlicher Weise zu untersuchen, wie dies Landoldt in Bezug auf Refraction und chemi- sche Constitution ausgeführt hat; hiebei ist wo mög- lich nicht nur der unmittelbar sichtbare Theil des Spectrums, sondern das ganze Spectrum zu berück- sichtigen.

Der Einsendungstermin der Concurrenzschriften ist der 31. December 1895; die Zuerkennung des Preises von 1000 fl. ö. W. findet eventuell in der feierlichen Sitzung des Jahres 1896 statt.

359

XV. SITZUNG VOM 23. JUNI 1892.

DerSecretär legt das erschienene Heft III (März 1892) des 101. Bandes, Abtheilung II. a. der Sitzungsberichte vor.

Das k. und k, Reichs-Kriegs-Ministerium »Marine-Section« theilt mit, dass den Wünschen der kaiserlichen Akademie hin- sichtlich der während der diesjährigen Expedition S. M. Schiffes >Pola« einzuhaltenden Route, der durchzuführenden Arbeiten und des herzustellenden Einvernehmens zwischen dem Leiter des wissenschaftlichen Stabes und dem Schiffs-Commando zu ertheilenden Instruction Rechnung getragen werden wird, und dass mit Hinblick auf die während der Campagne zu lösenden Aufgaben, die Entfernung und Ausdehnung des Arbeitsfeldes einerseits und auf die vorgeschrittene Jahreszeit anderseits, die Maximaldauer der diesjährigen Expedition mit zehn Wochen festgesetzt wurde.

Der Secretär legt eine eingesendete Abhandlung des Dr. Gustav Jäger in Wien vor, betitelt: »Zur Theorie der Flüssigkeiten«, mit dem Ersuchen des Verfassers um deren Aufnahme in die Sitzungsberichte.

Femer legt der Secretär ein versiegeltes Schreiben behufs Wahrung der Priorität von Herrn Max Müll er. in Wien vor, welches angeblich folgende Manuscripte enthält:

1. »Project für Lenkbarmachung des Luftschiffes mit ver- mindertem Kraftbedürfniss bis zu 907o» benannt »Bug- spriet-Luftschiff*. <

360

2. »Zusammenstellung eines Flugapparates ohne Gasballon, ebenfalls mit Kraftverminderung bis zu 80%.«

Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht zugekommene Periodica sind eingelangt:

ArchiVes de Sciences Biologiques, publiees par Tlnstitut Imp. de Medecine Experimentale ä St. Petersbourg. Tome I. 1 et 2. St Petersbourg, 1892; 4^.

361

Neue Studien über die Assoeiationsbündel des

Himmantels

von

Theodor Meynert»

c. M. k. Akad.

(Mit 4 Tafeln.)

(Vorgelegt in der Sitzung am 5. Mai 1892.)

Wenngleich schon Svvammerdam Mitte des 17. Jahr- hunderts in der grauen Substanz des Gehirns die Zellen al^ geformte Körperchen wahrnahm, die er als Drüsen auslegte, so ging unter den Gehirnanatomen erst spät Friedrich Arnold die Erkenntniss der centralen Bedeutung des Gehirngrau durch seine Zusammensetzung aus Zellen auf. Weit mehr waren die Markgebilde durch die unmittelbare Aufeinanderfolge so bahn- brechender Anatomen wie R eil, Rosenthal, Burdach und Arnold selbst einer verständnissvollen Würdigung zugeführt worden. Der wichtigste Schritt geschah durch ReiTs Ent- deckung des Stabkranzes in der Erkenntniss von Mark- strahlungen, welche vom Hirnschenkel bis zur Hirnrinde aufstiegen, welche Wahrnehmung eines in die Rindenhöhle dringenden Projectionssystems sich durch RosenthaTs syste- matische Untersuchungen des Himstammes ergänzte.

Es war vergessen, dass schon der geniale Varoli aus den senkrechten Riefen des Hirnschenkels, sowie aus den queren der Brücke das Dasein einer Hirnfaserung entziffert und ihre wesentliche Richtung im Sinne eines Projections- systems gleichsam vorhergesagt hatte. Doch war es Reil schon klar, dass durch das Auseinanderfahren seiner radiären

362 Th. Meynert,

Stammfaserung dieselbe, je näher der Kinde, durch Divergenz um so unzulänglicher zur Erfüllung der Höhlung der Hirn- rinde werden müsse. Für die Bedeutung der radiären Projection der Nerven fand sich im R eil' sehen Stammsystem noch das beste Verständniss. Dann glaubte man noch die Commissuren zwischen den Halbkugeln, den Balken und die von Eustachius schon gezeichneten, von Haller »commissura anterior« ge- nannten Bündel als verständliche Nothwendigkeiten des Gehirn- baues für das Zusammenwirken beider Hälften zu erfassen. Das übrige Gehirnmark erledigte Reil als intermediäres Mark, Burdach als Belegungsmasse, Arnold als Ausfüllungsmasse, Benennungen, welche die Baarheit der hier niedergelegten morphologischen Kenntniss an physiologischen Gedanken ausdrücken.

Vor Friedrich Arnold war die früher nur als Verbindung der Streifenhügel betrachtete »commissura anterior« schon als eine Mantelcommissur zu dem mächtigeren corpus callosum gestellt. Der historisch umfassende Burdach belehrt uns, dass die Eintheilung in Hirnkern und in Hirnmantel von Rosenthal den Vorgängen beim Glockenguss entnommen war.

Huschke machte später darauf aufmerksam, dass der Hirnmantel nicht einen Bogen darstelle, sondern eine Spirale, indem die Basalfläche des Stirnendes von dem Schläfenende bedeckt wird.

Die Form, welche der Durchschnitt des Stabkranzes als Wurzel des Hirnmantels erhält, bestimmt Arnold weit früher, ihn mit der Ohrmuschel zu vergleichen, während wieder später Gratiolet ihn der überschlagenen Faden wegen eine Düte (cornet) nennt. Schon ReiTs Abbildungen, dessen fruchtbarer Geist der Entdecker fast sämmtlicher Formen der Belegungsmasse ist, bieten mehrfach nicht die volle Treue der Naturbilder dar, so die Tab. XII im XI. Bande von ReiTs Archiv mit der Darstellung des Hakenbündels und des Bogen- bündels. Auch Arnold's berühmte »Icones anatomicae« zeigen noch den Irrthum gleich Reil, das etwa der Spindel- windung entsprechende untere Längsbündel von einer Um- beugung des Stabkranzes abzuleiten. Arnold gibt aber, nach Burdach's Beispiel, später diesen Irrthum auf. Luj's, der

Associationsbündel des Hirnmantels. 363

in seinen Abbildungen vom Princip der Naturtreue eigentlich gar nicht geleitet ist, bildete den fasciculus longitudinalis weit richtiger ab (Recherches sur le systenie nerveux cerebrospinal, tab. XXVIII, fig. 2, /.), doch bleibt es unrichtig, wenn er dieses Längsbündel aus parallelen, gleich langen Fasern bestehen lässt. Arnold ist für die richtige Auffassung durch die Benen- nung »fibrae propriae corticis« massgebend, indem er diese als Fasersysteme betrachtet, deren beide Enden sich in verschie- denen Stellen der Rinde befinden; die kürzesten derselben ver- binden je zwei Nachbarwindungen um ihre Furche herum U-förmig. In arithmetischer Progression verlaufen längere »fibrae propriae«, um die Distanz zwischen einer ersten und dritten, ersten und vierten, zweiten und vierten Windung zu durchlaufen. Längere Bündel bestehen nicht aus gleich langen Fasern, sondern erwachsen nur durch Tangenten ungleich langer Fasern. So besteht auch das untere Längsbündel zwischen Hinterhauptspitze und Schläfenspitze keineswegs aus gleich langen Fasern, wie Arnold' s Tab. X zu ergeben scheint. (Meynert, Psychiatrie, p. 38, Fig. 18, L i.)

Es fordert uns nun gebieterisch auf, den Nervenzellen der Rinde Erregungszustände zuzuschreiben, die ihnen von der Aussenwelt durch die Projectionsbahnen mit einer Nach- dauer zugeführt werden, weil die Projectionsfasern Nerven- leitungen dieser Richtung sind. Das Mark der Fibrae propriae der Rinde ist nun auch leitende Substanz, seine Leitung führt aber nicht zur Aussenwelt, sondern von einer Rindenstelle zur andern. Sowie sie nun anatomische Verbindungen der Rindenstellen sind, werden an sie physiologische Beziehungen derselben Rindenstellen geknüpft sein, und der Inhalt dieser Beziehungen ist die Verknüpfung der von aussen an ver- schiedene Rindenstellen übertragenen lebendigen Kraft in Wahrnehmung und Gedächtniss. Dieses Axiom der beschei- densten exacten Denkfähigkeit über den Gehirnbau knüpft den functionellen Namen Associationssysteme an den anatomischen »Fibrae propriae« corticis an. Auch die Mantelcommissuren verdienen den Namen »Fibrae propriae« der Rinde.

Diese Mittheilungen sollen dem heutigen anatomischen Standpunkt der Erkenntniss beider angehören.

364 Th. Meynert,

Zunächst verbinden die Associationssysteme differente Stellen der Hirnrinde derselben Hirnhälfte wahrscheinlich so reichhaltig, dass nicht zwei in der Quere, der Länge oder Höhe, also in irgend einer Dimension zusammenstellbare Rinden- punkte physiologisch unverbunden bleiben. Zur Anknüpfung meiner Darstellung stelle ich unter Bereicherung durch früher nicht betonte Thatsachen Fig. 19 meiner Psychiatrie als Fig. 1 heran.

An der äusseren Hemisphärenfläche liegt der hintere Kand der basalen Stirnwindungen und der vordere Rand der Schläfenspitze sich so nahe, dass sie durch hakenförmig scharf gebogene Bündel (f. unc.) verbunden werden. (Haken- bündel, Fasciculi uncinati). Dass die Oberfläche des Linsen- kernes glatt erscheint, ist eine Nachfolge des ReiTschen Irrthums, und aus Fig. 3 ist die Irrthümlichkeit leicht ersichtlich. Diese scharf gekrümmten Bündel bilden, unter der Rinde des Fusses der Insel hinweglaufend, nur den vorderen Rand eines Systems von Fibrae propriae, welche gegenüberliegende Punkte der oberen und der unteren Lippe der Sylvischen Spalte, des Operculum und der oberen Schläfewindung unter der Insel- rinde weg miteinander vereinen, f. unc. Die sogenannten Fasciculi uncinati beschreiben, je weiter die vereinigten Punkte auseinander rücken, das ist vom Fuss der Insel längs der Sylvischen Spalte aufwärts, immer flachere, nach vorn unten offene Bogen, welche, wenn Stirn- und Schläfenende zur Ebene der Sylvischen Grube zusammenflössen, zu gerad- linigen Fibrae propriae rectae Fig. 1 f. pr. r. werden. Es gibt keinen nach oben convexen Fasciculus uncinatus mehr, sobald seine Bündel nicht mehr am kürzesten Rande des Hemi- sphärenbogens, sondern hinter demselben und nach Abblätte- rung der Inselwindungen und ihres Markes in der Vormauer, welche jetzt den Boden der Sylvischen Grube bildet, verlaufen. Der Verlauf der Bündel wird nun stumpfwinkelig (Fig. 3) und wendet den Hakenbündeln den Rücken, mit nach oben offenem Winkel, während die Bogen jener nach vorne offen waren. (Fig. 1 f. unc). Der tiefere Bogen der Sylvischen Grube, welchen diese Fibrae propriae durchlaufen, die Vormauer zeigt sich wellenförmig gekrümmt, den Fächer der darüber liegenden

Associationsbündel des Hirnmantels. 365

Inselwindungen nachahmend. Dieser Grund der Fossa Sylvii ^bleibt convex durch den äusseren Knoten des Linsenkernes, von dem sich fortwährend Mark der äusseren Kapsel abheben lässt, das offenbar aus zwei Lagen besteht. Die äussere lässt noch winkelige Bänder des Associationssystemes erkennen, die innere aber geht in das Putamen des Linsenkernes ein, und es ist ein von Reil stammender Irrthum, die äussere Kapsel sei vom Linsenkerne glatt abzuschälen. Seine Aussen- fläche ist nur glatt, solange sich noch Blätter von der äusseren Kapsel aus dem sogenannten Fasciculus uncinatus abspalten lassen. Sucht man jedoch deren innerstes Blatt abzulösen, so wird der Linsenkem rauh, weil durch die Verwachsung mit diesem Blatte angebrochen. Figur 2 zeigt die Einstrahlung der Kapsel in den Linsenkern ce^ in dessen Innerem sich die feinen Eintrittsbündel oft an die lamina meduUaris externa stossen (lam. med.), sie auch durchsetzen und Geflechte mit ihr bilden.

In Fig. 1 zeigt die Präpäration innerhalb der Stirnscheitel - Wölbung der äusseren Halbkugelfläche die Windungsfurchen durch Abschälen der Rinde von ihren Fibrae propriae als con- centrisch gefaserte Halbrohre, und dazwischen liegen die Mark- kämme der Windungskuppen aus Projections- und Balken- bündelsystemen. Diese Windungsfurchen und Kämme ruhen auf einem tieferen und breiteren Thalboden, um Schnopf- hagen einen Ausdruck zu entlehnen, continuirlicher Quer- bündel, welche aus den Windungen des medialen Hemi- sphärenrandes sich auf dem kürzesten Wege als nach oben flach concave Associationsbogen unter den Windungen der Convexität weg zum äusseren Rande des Stirnscheitelhirnes begeben.

Diese Bündel sind nicht Balkenbündel wegen ihrer queren Lage, denn sie streben keiner gedachten Mitte ihrer Länge zu, sondern fliessen von medialen Windungen nach aussen; sie würden denNamen der queren Grundbündel verdienen und ergänzen die langläufigen Associationssysteme der Geraden- und der Höhenrichtung gleichsam in der dritten Dimension.

Durch den schon erwähnten Abbruch der Convexitäts- windungen tritt der Fasciculus arcuatus ReiTs zu Tage, von Burdach und Arnold das äussere Gegenstück des

366 Th. Meynert,

Fasciculus fornicatus genannt. Er zieht im Windungsbogen auf weiterem Wege als die Fasciculi uncinati vom Stirnschenkel bis zum Schläfenschenkel des Mantels (Fig. 1/. arc).

Er tritt aus dem hinteren Schenkel des Bogens der Cber- gangswindung hervor (Fig. 1), weiter nach vorne reicht er nicht und zieht dann die Sylvische Grube, welche durch Entfernung der Inselrinde der oberen Rindenfläche der ersten Schläfenwindung, sowie des Klappdeckels weit und tief geworden ist, in nach vorne weit offenem Bogen, bis zur Spitze des Schläfelappens. Sein Beginn im Marke der Über- gangswindung ist noch dürftig, innerhalb seiner Scheitellänge aber wächst er mächtig an (Fig. 3, Fig. 4/a), gibt aber viel von seiner Masse in den Hinterhauptslappen ab (Fig. 4ao, Fig. 6/ao) und erschöpft sich durch Markabgabe theils ziem- lich queren Verlaufes (Fig. 6a0, theils langläufig in den ersten beiden Schläfenwindungen (Fig. 1).

Ich habe diese Verhältnisse getreuer als die Vorgänger in meiner Psychiatrie als Figur 19, S. 40, abbilden lassen, im dortigen Texte aber einen noch weiter im Stimlappen durch- führbaren Verfolg vorausgesetzt, welcher eine irrthümliche Annahme wäre.

Wenn auch abgeneigt, in der Terminologie zu neuern, scheint es mir dennoch angezeigt, die Associationssysteme der Convexität des Hirnmantels durch das Schlagwort eines Terminus anschaulicher zu machen. Wenn diese Hirnregion in ihrer ersten Anlage durch Bildung der Sylvischen Grube in ein inneres Gebiet dieses Namens und ein umgebendes Gebiet des noch windungslosen Rindenbogens zerfällt, an dem sich stirnwärts der Riechlappen vorbläht, so verdient der Fasciculus arcuatus mit seinen Strahlungen die Benennung des Mark- bogens, während der Name Hakenbündel nur ganz theil- weise passt und durch den Namen Associationssystem der Sylvischen Grube füglich ersetzt wird.

In Fig. 3 ergibt sich der Umstand, dass die Blätter des Markbogens das System der Sylvischen Grube keineswegs abgrenzen, sondern einerseits das innere Gebiet desselben über dem Linsenkern und seinem Associationsmark frei lassen, andererseits aber die darüber, dahinter und darunter liegenden

Associationsbündel des Hirnmantels. 367

Gebiete mit ihm theilen, welche doppelte Besetzung dieser Gebiete durch eine Durchflechtung beider Associationssysteme eraiöglicht wird, in welcher die beiderseitigen blattartigen Bündel keineswegs sich mit der Regelmässigkeit von Schuss und Einschlag eines Gewebes in einander flechten, sondern an geeigneten Stellen sich oft gröber durchsetzen, um dickere oder dünne Schichten nur den Markbündeln oder denen des Systems der Sylvischen Grube zu überlassen, so dass die feine, kunstgemässe Abschälung einem grossen Wechsel in der Form des Flechtwerkes begegnet. Die Abbildung zeigt nur ein vorderes Fragment des Markbogens (Fig. 3/a), dessen hinterer Bruch blätterige Lockerheit darstellt und aus Windun- gen der Scheitelrinde herabziehende lange zur Durchflechtung sich eignende Blätter aufnimmt (Fig. 3 hf). Der hintere Rand einzelner Blätterfascikel lenkt in die Flucht der hinteren Schenkel h stumpfer Winkel eines blätterigen Markes ein, welches Associationen zwischen jenen Scheitelwindungen und Stirnwindungen, jedenfalls noch vorderhalb der Über- gangswindung vermittelt Längere Strahlungen ziehen aus dem Hinterhauptslappen nach vorne, (Fig. Zocc), andere gehören dem Schläfelappen an. (Sa, Tp.) Die weitgreifenden Sylvischen Bündel zerfallen in hintere {Sp\ nach unten convexe zum Scheitellappen, in mittlere {Sm\ geradlinige, welche sich stirnwärts und hinterhauptwärts entbündeln und in nach oben convexe (Sa), auf kürzerem Wege aber nach rückwärts einer tieferen Schicht angehörend, als die Markstrahlungen des Fasciculus arcuatus, Stirnlappen und Schläfelappen ver- bindend. Letztere beide Formen sind in der Mitte strangförmig und diese Mitte wird von den Autoren nicht ganz glücklich noch als Hakenbündel bezeichnet.

Es war in der Bildebene von Fig. 1 noch der Antheil einer Mantelcommissur zu beachten, welcher sofort erschöpfend gedacht wird.

Ganz im Anschluss an die hinteren Schenkel der stumpf- winkeligen Antheile des Associationssystems der Sylvischen Grube schliesst sich an ihren unteren Rand die Entbündelung der vorderen Commissur, von welcher schon Rolando, Malacarne, Carus, Schönlein und Luys meinten, dass

368 Th. Meynert,

sie mit Fasern gemischt sei, welche ihr als Mantelcommissur nach vorne eine Commissur der Riechlappön anfügen.

Ich habe in meiner Arbeit »Über das Gehirn der Säuge- thiere« in Stricke r*s Lehre von den Geweben 1870 und in der »Psychiatrie« 1884 dieses Verhältniss der unteren Bündel der vorderen Commissur an durchsichtigen carminisirten Ab- schnitten an Menschen und Säugern klargestellt und gezeigt, wie der Riechlappenantheil der Commissur beim Menschen am schwächsten entwickelt, bei Hunden dagegen an Mächtig- keit deren Mantelantheil übertreffe, parallel gehend der in beiden Fällen so ungleichen Mächtigkeit der Riechlappen. Meine Darstellung ist später von Ganser, es ist mir nicht erinnerlich, mit welcher Abänderung im »Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten« wiederholt worden. Bezüglich des Mantelantheils, der für die meisten Autoren die ganze Com- missur vorstellte, erkannte nur Burdach eine Hinterhaupt- strahlung neben der Strahlung in den Schläfelappen an, welchen Burd ach' sehen Zusammenhang mit der Hinter- hauptsrinde ich an carminisirten Horizontalabschnitten durch Affengehime sicherstellte. Doch gehörte auch mir die Schläfe- lappenstrahlung, welche ein Irrthum ist, zu den zweifel- losesten Thatsachen.

Da deckte 1886 im Laboratorium des bedeutendsten Arbeiters unter den Psychiatern Deutschlands, des bahn- brechenden Flechsig, ein Fund des Herrn Dr. Pop off an einem ihm von seinem Lehrer übergebenen Präparate einen neuen Gesichtspunkt für die Anatomie der vorderen Commissur auf. Dies regte mich zu einer diesen Gesichtspunkt verfolgen- den Präparation an, deren anatomisches Resultat in Fig. 4 naturgetreu dargestellt ist.

Das von Flechsig in Müll er' scher Flüssigkeit erhärtete Gehirn zeigte an der Basis die beiden Zungenwindungen des Hinterhauptlappens erweicht (siehe: Neurologisches Central- blatt von Mendel, V. Jahrgang, Nr. 22).

Die Erweichung drang durch die Dicke der Hemisphäre bis in das Hinterhorn ein und erstreckte sich seitlich noch auf den hinteren Theil der Spindelwindung. Ursache der Erweichung war atheromatöse Degeneration mit verstopfender

Associationsbündel des Hirnmantels. 369

Thrombose in den Hinterhauptslappen. Durch secundäre Degeneration zeigte sich graue Entartung aller Fasern der vorderen Mantelcommissur sammt ihrem Mittelstück.

Sonstige Erweichungsherde boten die hintere Fläche der hinteren Kleinhimhälfte und das Pulvinar des Sehhügels, ohne dass letzterer Herd auch nur in die Nähe des hinteren Schen- kels der vorderen Commissur reichte. An den sonst von den Autoren mit der Commissur in Verbindung gesetzten Mantel- theilen, dem Schläfe- und Stammlappen, zeigte sich keine Veränderung. Diesem Befunde glich noch ein zweiter, von Flechsig untersuchter Fall, in welchem dieselben Hinter- hauptswindungen halbseitig erweicht und die vordere Com- misur halbseitig grau degenerirt waren.

Es lag nun kein Erweis nutritiver Abhängigkeit der vorderen Commissur vom Schläfelappen, wohl aber ein solcher zweimal für den Hinterhauptlappen vor. Ich untersuchte noch- mals meine Abfaserungs- und meine frontalen durchsichtigen Schnittpräparate über die vordere Commissur und musste gestehen, dass die so klaren Verfolgungen derselben in den Schläfelappen nirgends bis zur Rinde geführt waren, sondern überall noch Bedeckung durch anderes Mark, das zwischen Schläfe- und Hinterhauptlappen verlief, statthatte. In Fig. 4 zeigt sich das Mittelstück der vorderen Commissur aus der basalen Masse des Linsenkernes glatt herausgeschält, geht aus einer mittleren drehrunden Form in eine seitlichere plattere (Fig. 4ca) über, welche sich im Schläfelappen zu einer dreieckigen Bündelplatte verbreitert. Theilt man die Bündel in obere a, mittlere b und untere c, so laufen die oberen am geradesten der Hinterhauptspitze zu, die mittleren steigen im Schläfelappen abwärts und biegen stumpfwinkelig sich gegen die Occipitalspitze um, die unteren Bündel krümmen sich aber zuerst der Spitze des Schläfelappens zu, dann nach rückwärts und bilden eine untere Fläche der hinteren seitlichen Arme der vorderen Commissur, so dass dieselbe, nachdem sie vom mittleren drehrunden Strange sich zu einem platten Mark verbreitert hatte, dem Hinterhaupte wieder als ein Strang, der dreikantig erscheint (tet. Fig. 4) zustrebt, woraus zu schliessen, dass sie sich dort in keiner sehr grossen Rinden-

Stizb. d. mathem.-naturvv. Cl.; CI.Bd., Abth. III. 26

370 Th. Mcynert,

fläche ausbreitet. Dies wäre vollkommen erklärlich, wenn wirklich nur die beiden Zungenwindungen ihr angehörten, wofür zweimal das Degenerationsergebniss als Beweis eintritt.

Gedenkt man weiterhin der Beschreibung, welche Bur- dach von dem Mittelstücke der vorderen Commissur macht, dass ihre Bündel sich strickartig übereinander drehen, so ist sie keine Commissur in dem Sinne, dass die Enden ihrer Faserbogen identische Stellen symmetrischerRinden gebiete mit ein anderverbinden. Soweit die Bündel der vorderen Commissur aus der Rinde des Riechlappens in die Rinde des Hinterhaupt- lappens wahrscheinlich gekreuzt verlaufen, und daher Rinde mit Rinde durch ihre beiden Enden geweblich verbinden, functionell aber nothwendig deren Erregungszustände verknüpfen, so sind die Fasern der vorderen Commissur, wenn auch nicht ihrer ganzen Zahl nach, als Associationssystem zu betrachten, welche, um einen Ausdruck Schnopfhagen's über eine andere Mantelcommissur \-orweg zu nehmen, in gekreuztem Verlaufe differente Rindenstellen beider Hemisphären associiren. Die vordere Commissur enthält aber ausserdem, und wohl überwiegend, Bündel, welche Hinterhauptrinde mit Hinterhauptrinde und Riechlappen mit Riechlappen verbinden. V^on diesen Antheilen derselben könnte die bisherige Auffassung als Verbindungsfasern symmetrischer Stellen insoferne auch weiterhin gelten, als keine andere wahrscheinlicher erscheint.

Beim Menscheft" wären die Riechlappenbündel viel zu wenige, um der Commissur gekreuzt für die Bündel im Hirn- mantel auszureichen und bei Thieren, dem Hunde, noch mehr dem Meerschweinchen reichten die vorderen Commissuren- bündel für die schwachen Hemisphären durchaus nicht hin, um den mächtigen Zuzug, den der Riechlappen zur Commissur leistet, als gekreuzte Fortsetzung zu bestreiten.

Die gegebene Darstellung und Bedeutung der vorderen Commissur als ein gekreuzter Antheil des Associationssj^stemes führt das Interesse dieser Arbeit weiter zu einem Verständnis^ bringenden Parallelismus mit der grossen Mantelcommissur,

Associationsbündel des Hirnmantels. o/ 1

dem Balken. Ohne die ganze ziemlich reichhaltige neueste Literatur über dieses verwickelte, vielfach strittige Marksystem zu erschöpfen, finde ich eben vom Standpunkt einer Würdigung der Assocationssysteme von fast erschöpfender Bedeutung die eine hervorragende Arbeit, »die Entstehung der Windungen des Grosshirnes« von Dr.F. Schnopfhagen, am nöthigsten hervor- zuheben, dem forschungseifrigen Oberarzt der Irrenanstalt Niedemhart, veröffentlicht in den Jahrbüchern für Psychia- trie 1890.

Arnold zählt in seinen Bemerkungen über den Bau des Hirnes und Rückenmarkes, sowie in seiner »Anatomie des Men- schen« 2. Band, 2. Abtheilung, 1851 als besondere Anordnungen oder Lagen, welche mit dem Knie, dem Körper und dem Wulst des Balkens zusammenhängen, auf: 1. Die hintere oder grosse Zange, 2. die Tapete, 3. den Bogen fascicuius arcuatus, 4. die äussere Kapsel, und 5. die vordere oder kleine Zange und fügt hinzu: »Der Zusammenhang von der ersten, zweiten und fünften Formation mit dem Balkenstamm ist unverkennbar und leicht nachzuweisen; der der dritten und vierten aber setzt der Nachforschung viele Schwierigkeiten entgegen und wird erst klar, wenn man von innen und aussen die Untersuchung vor- nimmt.«

Ich möchte die mit dem Balkenkörper zusammenhängenden Bündelformen noch um die durchflochtenen Bündel vermehren, (Meynert: »Vom Gehirne der Säugethiere« in Strick er's Lehre von den Geweben, p. 718), welche den Gyrus fornicatus mit einem zweiten Projectionssystem ausstatten. Das eine Projections- bündel der Bogenwindung geht vom Ammonshorn aus und stellt das Gewölbe dar, welches nach seiner basalen Umbeugung im Corpus mammillare als aufsteigender Gewölbsschenkel (den von Gudden als Fund Vicq d'Azyr's hervorgehoben und anders aufgefasst hat) in einem Ursprungsganglion der Haube des Hirnschenkels, im Sehhügel, Fig. 2 7a, ca Tuberculum anterius, crus adscendens endigt. Die durchflochtenen Bündel gehen aus der Rinde des Cingulum reichlich das Knie durchsetzend, spar- samer durch den eigentlichen Balkenkörper, abermals reichlich in fontainenartigen Zügen durch das Splenium hindurch, um als Mark desSeptum pellucidum zu verlaufen und sich convergirend

26*

372 Th. Meynert,

zum pedunculus septi als Projectionsbündel der Rinde des Cin- gulum zu vereinigen, welches aber nicht wie das Ammonshorn (durch den Thalamus) in die Haube, in die hintere Bahn des Stammes verläuft, sondern in ein Ganglion der vorderen Bahn, in den Kopf des geschweiften Kernes, in die Substanz über der Lamina perforata anterior.

Aber diese beiden Formationen, das Ammonshorn und der basale Theil des Streifenhügelkopfes, in welchem das Mark des Trigonum olfactorium aufsteigt und endigt, aus welchem die Riechlappen-Antheile der vorderen Commissur entspringen, gehören dem Geruchssinne an.

Ich habe bisher eine Anschauung über den Balken fest- gehalten, vermöge deren beide Enden jeder Balkenfaser symmetrische Stellen der Hemisphärenrinde verknüpfen. Die ab- weichenden Anschauungen von Foville schienen mir durch seine Präparationsmethode nicht gestützt; er wollte die mit der inneren Kapsel behaupteten Zusammenhänge und Kreuzungen in der Mitte des Balkens an Auseinanderfaserung des Balken- querdurchschnitts darlegen, welche Methode mir nur zu ganz trüben Resultaten geeignet schien. Wegen Präparationsmängeln konnte mir auch Gratiolet's ähnliche Anschauung über den Balken (Tab. XXV, Fig. 7) nicht einleuchten. Schnopfhagen verfolgt seine Untersuchung in gleich vollendeter Technik an Abfaserungen und an durchsichtigen mit Goldchlorid und Chlorpalladium behandelten Abschnitten.

Ich muss bemerken, dass ich durch A rn o 1 d ' s Bemerkungen auf einen Lapsus meiner Leetüre Burdach's aufmerksam wurde, der schon auf strickförmige Verdrehung von Balken- bündeln aufmerksam macht, woraus ebenso, wie aus der strick- förmigen Drehung am Körper der vorderen Commissur auf Nicht-Identität der beiden Endigungsstellen einer Balkenfaser angehörigen Rindentheile zu schliessen war. Schnopfhagen zeigt mit höchster Klarheit an durchsichtigen Abschnitten des Balkenkörpers, sowohl die strickförmige Drehung seiner Bündel als die Lageveränderung anderer, welche links dorsal in den Balken eintreten und rechts basal aus demselben austreten. Weil die vortreffliche Arbeit des psychiatrischen Collegen im Original gewürdigt werden muss, beschränke ich mich darauf.

Associationsbündel des Hirnmantels. 373

sein Resultat über den Balken im Wortlaut wiederzugeben, „dass die Balkenfasern durchaus nicht, wie bisher angenommen wurde, nur gleichnamige und gleich- werthige St eil ender beiden Hemisphären miteinander verbinden, sondern, dass durch sie die Verbindung zwischen örtlich und functionell ganz verschiedenen Abschnitten beider Hemisphären hergestellt wird." Anderenorts sagt er: dass durch dieses mächtigste ge- kreuzte Associationssystem des Gehirnes beide Hirn- hälften erst zur vollendeten functionellen Einheit gestaltet werden."

Die Analogie des Verlaufes und der Verbreitungsweise der vorderen Commissur mit dem Balken gibt schon altern genetischen Anschauungen Berechtigung, welche die vordere Commissur nur als einen von der Balkenbildung losgelösten Antheil auffassen (Tiedemann). Ich möchte nun über die beiden schwierigen Antheile derBalkenbildung nicht unbetheiligt hinweggehen, welche Arnold in dessen Zusammenhängen mit dem Stammlappen, d. i. den Inselwindungen und der äusseren Kapsel, sowie in der Auffassung des Fasciculus arcuatus als Balkenantheile hervorhebt. Auch hierüber sucht Schnopf- hagen's Arbeit die bisher vermisste Klarheit zu verbreiten. Dieser Versuch tritt uns sehr berechtigt entgegen, indem er an durchsichtigen, vergoldeten Abschnitten auch das Feinste des Hemisphären-Markes entwirren will, in dessen Bau diese Methode bisher weniger eingedrungen ist, gleichzeitig aber diese für leichter verständliche Bilder so allgemeine Schnitt- methode durch Abfaserungen des Markes ergänzt, welche für weittragende Zusammenhänge beweisender ist. Was nun den Zusammenhang des Balkens mit derSylvischen Grube anbelangt, so geht das Balkenknie (Fig. 5 5) vor den Köpfen der ge- schwänzten Kerne (Fig. 5 Nc) basalwärts und vom Knie aus wird der Schnabel des Balkens R rückläufig und kommt vor der Endplatte zwischen die Basis der geschwänzten Kerne zu liegen. Besser gesagt, ruhen diese A^c auf queren Strahlungen des Balkenschnabels von diesen überzogen (Fig.ofcc). Seit- lich (bei /) ist das erste Glied des Linsenkernes mit dem Kopf des Streifenhügels confluent. Es wäre als Gedankengang

374 Th. Meynert,

consequent, zu meinen: die basalen Balkenstrahlungen schlügen sich gleich in Continuität vom Kopf des Streifenhügels auf die Aussenfläche des Linsenkernes über und bildeten Burdach's äussere Kapsel. Der Bau ist aber hier verwickelter, als die Voraussetzung. Zwischen den Linsenkern und die Inselwin- dungen drängt sich die Vormauer und das Associationsmark der Sylvischen Grube ein, welches Figur 3 dargestellt hat, und jenes Mark des Balkens setzt sich nicht über den Linsenkem als äussere Kapsel fort, sondern betritt die Sylvische Grube als Mark von Inselwindungen (Fig 5 /), was ich mit Sicherheit sah, ohne daraufhin zu behaupten, das Mark der Insel wäre reicher an Balkenfasern, als die Gehirnwindungen überhaupt. Dass die so klar vorliegenden nach aussen zur Sylvischen Grube ge- wendeten Balkenfasern mit den Hakenbündeln durchflochten wären, kann ich Schnopfhagen nicht bestätigen, sondern die Entbündelung des Hakenbündels im Boden der Sylvischen Grube von Reil liegt um eine Schichte tiefer, durchsetzt die Vormauer und bildet unter ihr noch eine Markschichte, welche man vom Linsenkern anscheinend glatt abziehen kann. Es ist aber Täuschung, in dieser abziehbaren Schichte die Oberfläche des Linsenkernes zu sehen. Dieselbe ist von einer dünnen Mark- lage noch bedeckt, die dem Associationssystem nicht angehört, aus fächerförmig nach der Linsenkernbasis convergirenden Bändern besteht (Fig. 6 Ce) und nur rauh wegen Anhaftens von Ganglienmasse zu entfernen ist. Wenn der Autor, welcher die äussere Kapsel vom Balken ableitet, Arnold es der Schwierigkeit dieses Nachweises wegen, begreiflich findet, dass Reil die äussere Kapsel vom Hakenbündel, Burdach dieselbe von der Stammfasemng ableite, so wage ich es nicht, Arnold ganz Unrecht zu geben und das Vorhandensein von Balkenfasern schlechthin abzuweisen, jedenfalls aber hat Reil und auch Burdach richtig gesehen, was auch Taf. XXIV, Fig. 2, 1. c. Luys bestätigt, wenn er gleich schematisch im Insel- mark verticale Balkenfasern annimmt Die äussere Kapsel ge- hört zu den Associationssystemen der Sylvischen Grube, im Sinne des Ersteren den Hakenbündeln zu; Fig. 6 f. f.S. Wie Fig. 2 zeigt, hat Burdach vollkommen recht, wenngleich nur bezüg- lich der innersten Schichten derselben, dass sie sich in ein

Associationsbündel des Himmantels. 375

Blatt an der Oberfläche des Linsenkernes zusammenfinden, welches im Sinne der Projectionssysteme sich mit dem Gan- glion durch Einstrahlung feiner Bündel verbindet.

Was nun Schnopfhagen's durchsichtige Abschnitte betrifft, so kommen für die Balkenverbindungen Fig. 14 17. in Betracht, ohne volle Klarheit zu bringen. In Fig. 14 haben die Balkenbündel sich mit den Stabkranzbündeln bereits vor dem Zusammenhang mit der äussern Kapsel gekreuzt und alle Autoren stimmen überein, wie schwer nach dieser Kreuzung Stammbündel und Balkenbündel zu scheiden sind. Die äussere Kapsel haftet aber in kurzbündeligem Eindringen, besonders nach vorne, im Linsenkern, was der sicherste Charakter der Stammbündelung ist.

In Fig. 15 ist der Lauf der Balkenfasern durch die von formlosem Bindegewebe geblähte breite Vormauersubstanz aus- einander gedrängt und was in die Inselrinde gelangt, zeigt eine so lange Fasercontinuität vom Balken her in der dünnsten Vertheilung, dass Täuschungen leicht zu Stande kommen, und die Fasern sind so schütter im Vergleich zu dem radiären Mark- einbruch in andere Windungen, dass die Unmittelbarkeit des Bildes viel Zweifel zulässt. Man mu.«=s erwägen, dass hier die- selben mehrfachen Fasern in Continuität Lager von so verschie- denen Härten und Spannungen, wie Hemisphärenmark, Vor- mauersubstanz und Rindengewebe durchmessen haben müssten. Die Ungunst von durchsichtigen Abschnitten für Darstellung von längeren Markbahnen liegt darin, dass allzumeist nicht längere Verlaufstück e, sondern nur kurze Schrägabschnitte erscheinen. Das Eindringen von Stammstrahlung in die Inselwindungen ist auch von Arnold. so weit zugegeben worden, dass er nur die Balkenbündel für überwiegender hält.

In Fig. 16 ist der Zusammenhang des Balkens mit der äusseren Kapsel mitten durch das dichteste Fasergewirr, nur durch wenige, ganz zweifelhaft den Balken erreichende Linien dargestellt und auch Fig. 17 bringt die vermisste Klarheit nicht, und ist sogar hier das Durchdringen der groben Bauverhältnissc, wie bezüglich des Linsenkernes, schwierig, vielleicht zu wenig interpretirt. Ich hebe hier Schwierigkeiten herx'or, welche Schnopfhagen's Verdienst gar nicht schmälern.

376 Th. Mcynert,

Vielleicht habe ich aber Grund bezüglich des letzten Balkenbestandtheiles, als welchen Arnold das Bogenbündel anspricht, mich grösserer Klarheit zu erfreuen. Der Meinung Arnold 's von dem Übergang einer groben Schichte des hintern Balkenendes in die Formationen des Bogenbündels kann ich zwar nicht beitreten, und Schnopfhagen spricht sich nicht mit Entschiedenheit darüber aus, wenn er in den Abbildungen der Abfaserungen Bestandtheile in seiner P'ig. 2 des Fasciculus arcuatus, als wahrscheinlich aus dem Balken stammend, bezeichnet. Die Art, wie Reil auf Tab. 12 und Arnold auf Tab. 10 die Formation des Bogens verjüngt gegen den Balken abklingen lässt, kann ich nur schematisch nennen. In meiner Darstellung, Fig. 1, hört der Fasciculus arcuatus am hinteren Ende des Stirnhirns im Marke des hinteren Schenkels der Übergangswindung auf, wovon ich mich durch weitere Präpa- rationen erst später als ganz sicher überzeugte. Wenn Arnold die Schichten des Balkens in obere scheidet, welche sich nach aufwärts biegen, dann in mittlere querlaufende und in untere, welche in Querschnitte des Balkens nach abwärts biegen, um zur Durchkreuzung mit dem Stabkranz zu gelangen, so zeigte mir der Abbruch derMarkkämme, mitweichen dieWindungen auf der Hemisphärenconvexität aufsitzen (Fig. 6 Ab), dass an das Bogenbündel tiefe Lagen von Querbündeln des wie nach aussen abgedachten Balkens angrenzen (Fig. 6 cc). Fig. 6 stellt dar, wie bei Abblätterung von Schichten des Scheitelstückes vom Bog3nbündel/a sich diese Querbündel (c) zwischen die längsläufig abzublätternden Schichten des Bogenbündels a nach aussen schieben und sich, gleichsam die Balkenstructur aufgebend, in einen glatten Rand fa) von ein paar Linien Breite vereinigen, welcher nun in der blätterigen Schichtung des Bogens seinen Weiterlauf nimmt. Dieser feine Zusammenhang, dieses Herx'^orgehen der Formation des Fasciculus arcuatus aus queren Balkenbündeln ist noch vollkommen klar, wenngleich an der Grenze der Feinheit makroskopischer Anschauung stehend. Fig. 4 at und Fig. 6 a^ und a' zeigen, wie von der untern Fläche, sowohl langläufig nach vorne, at, a- als rein quer a' ziehende Blätter des Markbogens abgehen, wie es scheint minder mächtig, als die von seiner obern Fläche sich in

Associationsbündel des Hirnmantels. 377

mannigfache Richtungen entblätternden Antheile. Die Windungen des senkrechten Stirntheils zeigen nur kurze Fibrae arcuatae, die Furchen zwischen Randwindung, mittlerer und unterer Längswindung auskleidend, und von längeren Bündeln nur quere, von der Rinde des Hemisphärenrandes unter den kurzen Bogenbündeln hinziehende Systeme.

Den Inhalt der voranstehenden Mittheilung an die ana- tomischen Arbeiter fasse ich in folgenden Sätzen zu- sammen :

1. Die Fibrae arcuatae zwischen den Longitudinalwin- dungen und Lappen der Convexität riihen auf einer queren Unterlage längerer Associationsbündel, welche die mittlere Masse der Convexität mindestens in der hinteren Stirnscheitel- region wie in einer flachen quer zusammengefügten Mulde umfasst.

2. Von den besonderen weitverbreiteten Formen des Associationssystemes sind dieFasciculi uncinati nur der vordere Rand einer sich vom Stirnende des Hirnmantels über die Sy\- vische Grube weg in das Scheitelhinterhaupts- und Schläfe- hirn verbreitenden, durch das Claustrum und unter deftiselben als äussere Lagen der Capsula externa laufenden Schichtung des Associationsmarkes, Associationssvstem der Sylvi- sehen Grube.

3. Die Strahlungen des Fasciculus arcuatus sind eine ober- flächlicher gelegene örtliche Wiederholung des genannten Asso- ciationsmarkes, welche im Marke der Übergangswindung be- ginnend in einer nach vorne offenen Curve die Sylvische Grube umzieht, auf welchem Wege sie in den Scheitellappen, Hinter- hauptlappen und in die Schläfewindungen bis zu deren Spitze sich an ausgreifenden Verbindungen der Rinde durch fibrae propriae betheiligt.

4. In dem Bau der vorderen Commissur ist eine gekreuzte Association der Riechlappenrinde mit Windungen der Hinter- hauptsrinde enthalten.

5. Die grosse Commissur des Balkens verbindet die durch den Fasciculus arcuatus associirten Gebiete der Gehirnoberfläche mit unbekannten Rindengebieten der anderen Hemisphäre,

•^^8 Th. Meyncrt,

und durch die Verbindung des Fasciculus arcuatus mit unteren Lagen der Balkenquerbündel.

Die Anwesenheit des Associationssystemes der Sylvischen Grube gleichörtlich mit den Ausbreitungen des Fasciculus arcu- atus erklärt sich aus der zweifachen Rolle der Associations- systeme, erstens als directe Verbindungen aller ungleichen Stellen je einer Mantelhälfte und zweitens als im Balken ge- kreuzte Verbindungen ungleicher Stellen der beiden Mantel- hälften (Schnopfhagen). Dass es auch Balkenfasern im Sinne der herrschenden bisherigen Auffassung zur Verbindung iden- tischer Stellen beider Mantelhälften gebe, ist, so gewiss als es für den Bau der vorderen Commissur ist, so wenig für den Bau des Balkens auszuschliessen.

6. Die Frage der V^erbindung der Schichten der Sylvischen Grube mit dem Balken lässt das Gelangen von Balkenfasern in die Sylvische Grube in einer Form zweifellos erkennen, kann aber noch nicht zu den in ihrem Umfang abgeklärten That- sachen gerechnet werden. Nachdem die dichte Durchflechtung vom Balken- und Projectionssystem oberhalb des oberen Randes der Insel vor sich geht, ist das Eintreten von Balkenfasem nach aussen von den Bündeln des Projectionssystemes in den Linsenkern in der ganzen obern Länge der Insel keineswegs abzuweisen, wenn auch kaum anschaulich zu machen. Ob sich diese Balkenbündel tiefer als im Mark der Inselwindungen, etwa in der Capsula externa finden, ist ganz unentschieden. In den anhaftenden inneren Schichten, welche in den Linsenkern ein- treten, sind weder einseitige Associationsbündel, noch Balken- fasern zu suchen, da beide lediglich Fibrae propriae der Hirn- rinde darstellen.

Ich erwähne noch, dass mindest wider eine ausschliessliche Function symmetrischer Rindenerregung durch die Balkenfasem zwei Thatsachen sprechen: 1. Die Hnksseitige Thätigkeit des Hirnmantels bei der Sprache und der Schrift, falls durch traditionelle Lehrmethode die linke Hemisphäre eingeübt wurde, wesshalb vorzüglich die schulenlosen Wilden und die zur schulmässigen Erziehung nicht gelangenden Kreise der socialen Noth, denen die eigentliche Verbrecherwelt entstammt, die meisten Linkshänder aufweisen. Im ersten Falle vermag die

Associationsbündel des Hirnmantels, 379

rechte Hirnhälfte die gleichen Bewegungsformen nicht zu innerviren; 2. die Thatsache, dass bei den Körperbewegungen beide Körperhälften in ungleichsinnigen Bewegungsformen mit- einander wirken.

Tafel-Erklärungen.

Fig. 1. Funiculi uncinati und Einbruchsgebiet des Fasciculus arcuatus. i** Stimspitze, T Schläfenspitze, or Hinterhauptende, nl. nucl. lenticularis, er. Corona radiata, f. arc, fasciculus arcuatus, f. unc. fasci- culi uncinati. f. pr. r. fibrae propriae rectae. Zwischen den an diesem Präparate nur bis zum Linsenkem ersichtlich gemachten geradlinigen Associationsbündeln und den untersten Stabkranzbündeln gehört ein Dreieck, dessen Spitze nach vorne sieht, der Entbündelung der vor- deren Commissur an. cc

Fig. 2. Äussere Kapsel des Linsenkernes aus dem Projections- systeme an dessen Vor der fläche. F Richtungslose Markmasse im Stirnlappen, Xc Kopf des Schweifkernes, nl äusseres Glied des Linscnkemes, eine nur durch die Markeinzeichnung von cia des vor- deren Abschnittes der inneren Kapsel getrennte Masse, lam. med. senkrechte Markplatte, ca commissura anterior, ce Aus dem Mark, gewirre des Stimlappens krümmen sich Bündel in eine Richtung zur Oberfläche des Linsenkemes und sammeln sich an derselben zu einem Überzüge, einem Markblatt, von welchem feine Fäden in das Innere des Ganglions treten, so dass diese äussere Kapsel nicht ohne Läsion des Ganglions abziehbar ist, cip hinterer Schenkel der inneren Kapsel, Th, Sehhügel, Tub. a. vorderer Höcker desselben, ca aufsteigender Gewölbschenkel.

Fig. 3. Verlauf des Associationssy stemes der Sylvischen Grube. F Stirnspitze, T Schläfen.spitze, 0 Occipitalende der Mantclhälfte, Sa nach hinten krumme, flache Bündel der Fasciculi uncinati, Sm gerad- linige Bündel vom Stirn- zum Schläfelappcn, S p nach vorn winkelige Bündel (Blätter) der Sylvischen Grube, a Vorderer Theil des Mark- bogens, an seinem hintern Bruche ersichtlich blätterig, h hintere Schenkel der Winkel (Bogen) Sp. der Sylvischen Grube, früher zu den Fase, uncinatis gerechnet, theils unter Blättern des F*. arc. verschwindend, von ihnen bedeckt, theils unter abgeblätterten Fragmenten solcher eine Strecke weit in das Scheitelmark weiter ziehend W bis in die Kuppe eines Gyrus verfolgbar, sich um eine Windungsfurche spaltend, occ in den Hinterhauptlappen fortziehende Blätter des Associations- systems der Sylvischen Grube, Tp in den Schläfelappen ziehende Blätter.

380 Th. M e V n e r t , Associationsbündel des Himmantels.

Fig. 4. Verlauf der vorderen Commissur. F Stimende, Tp Schläfen- ende, Occ Hinterhauptgegend. Trans rindenloses Gebiet der Über- gangswindung,/aFasciculus arcuatus, ao dessen Hinterhauptstrahlung, at dessen Strahlung in den Schläfelappen, nl nucleus lenticularis, abgebrochen, um die in ihn eingebettete Commissura anterior zu sehen. a. obere Bündel der Commissura anterior geradlinig nach dem Hinterhaupt verlaufend, b mittlere Bündel, zuerst stumpfwinklig schläfenwärts, dann nach dem Hinterhaupt laufend, c untere Bündel, zuerst spitzwinkelig schläfenwärts, dann umkehrend schläfenwärts laufend, tet hinterer, dreikantig strangförmiger Theil der comm. ant., er Corona radiata.

Fig. 5. Zusammenhang des Balkenschnabels mit derSyl vischen Grube (Inselwindungen). F Stirnende, Occ Hinterhauptspitze, T Schläfenende des Mantels, Cm aufsteigender Ast des Sulcus calloso- marginalis, So Hinterhauptfurche, C u Cuneus, Sc Sulcus calcarinus, Cr Knie, cc Körper, Sp Wulst des Balkens, um welchen Zwingenbündel bis zum erweiterten Ende des Sulcus occipitalis laufen. Xc Schweif- kern, Th Sehhügel, Q Querschnitt durch das Mittelhim, Ci Aussen- wand des Unterhornes, A Fragment des Mandelkernes vor demselben R Rostrum, Balkenschnabel, 0' vordere Bündel des Rostrum nächst dem Knie für den Gvrus rectus der Orbitalfläche, Ri Associationsmark. im Sulcus rectus, /cc Balkenbündel über dem Kopf des Schweifkemes, AV 1. perfor. ant. / vorderste Inselwindungen, /' Eindringen von Balkenfasern des Schnabels in das Mark einer Inselwindung.

Fig. 6. Zusammenhang tiefer Schichten des Balkens mit dem neben und aussen verlaufenden Fasciculus arcuatus. F Stirnende, Irans Mark des Gyrus transitorius, das vordere Ende der Bogenstrahlung enthaltend, cc Balkenquerbündel in der Scheitellänge des Balkens, Qu Lobus quadratus, 5oi innere Hinterhauptfurche, der Zwickel, cuneus, Soe äussere Hinterhauptfurche, Tp Schläfenspitze, par abgeschnittene Parallelwindung begrenzt von der 2. Schläfe- windung Gt. 2, Sp Parallelfurche, / Stimmark mit dem Associations- system der Sylvischen Grube /./. 5. verbunden, a hintere Strahlungen des Bogenbündels von der unteren Fläche des Fasciculus arcuatus lon- gitudinal gegen T und in a' quer nach aussen in der Parallel Windung verlaufend und in fa^ in das Mark der zweiten Schläfewindung, endlich in fao in den Hinterlappen, c Übergang von Balkenbündeln in glatte Schichten, welche sich in longitudinaler Richtung dem Fasciculus ar- cuatus anschlicssen. ce äussere Kapsel aus dem Projectionssystem, feine Bänder, basal gegen die Mitte des Linsenkemes convergirend. f.f.S sind die abziehbaren, ce die anhaftenden Blätter der äusseren Kapsel, äussere und innerste Schichten derselben. Ab Abbruch eines Windungskiimmcs.

Meynert: Associationsbündel des Hirnmantels.

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Lilh Aiisl vTh.Bannwarlh, Wim.

Sitzungsberichte d.kais. Akad. d.Wiss., math.-naturw.Classe, Bd.CI. Abth.m. 1892.

Meynsrt: Associationsbündet des Himmantels.

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Sitiungsberichted.kais.Alud. d.Wiu., math.-natuTw.Claue,Bd.CI. Abth.nt. 189S.

Meynert: Associationsbündel des Hiramantels. A Fig.'f.

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Fig. 6.

Sitiungsberichted.kais.Akad, d.Wiss,, math.-naturw.Classe,Bd.CI. Abth. in. IS92.

Meynert: Associadonsbündel des Himmantels.

Sitzungaberichle d.kais.Akad. d.Wiss., math.-naturw.ClaMC.Bd.CI. Abth. m. 1893.

381

Die Nervenwurzeln der Rachen- und Gaumen- muskeln

von

Dr. L. Röthi in Wien.

<Mit 2 Textfiguren.)

Aus dem physiologischen Institute der k. k. Universität in Wien.

^Vorgelegt in der Sitzung am 14. Juli 1892.)

In den nachstehenden Versuchen habe ich es unternommen, die Nervenwurzeln der einzelnen Rachen- und Gaumenmuskeln, namentlich also des M. stylo-pharyngeus, sämmtlicher Con- strictoren des Rachens, ferner des M. levator und tensor veli palatini und des M. palato-pharyngeus und palatoglossus auf experimentellem Wege zu erforschen.

Die bisherigen, diesbezüglichen Versuche, insbesondere von Volk mann und Hein, auf die ich weiter unten ausführlich zu sprechen komme, wurden an todten, oder vielmehr an frisch geschlachteten und geköpften Thieren gemacht, bei denen dann die betreffenden Theile behufs Reizung, beziehungsweise Beob- achtung freigelegt wurden. Ich habe die Versuche zumeist an lebenden Thieren ausgeführt und diese während der Ver- suchsdauer in der Narkose erhalten. In einzelnen Fällen wurden aber die Versuche zum Theil auch noch fortgesetzt, während die Thiere im Absterben begriffen waren, doch nur solange, als noch schwache, elektrische Ströme zur Auslösung von deut- lichen Muskelcontractionen genügten; mussten hiezu bereits stärkere Ströme in Anwendung kommen, so wurden die Ver- suche nur noch als Controle verwerthet und habe ich einzelne Details bei den betreffenden Abschnitten näher ausgeführt. Die Reizung war eine unipolare, d. h. eine Elektrode wurde mit dem Maulkorbe des Versuchsthieres verbunden, während man mit

382 L. Rethi,

der anderen, in einen feinen Platindraht auslaufenden und behufs Handhabung in ein Glasröhrchen eingelassenen Elektrode die einzelnen Nervenfäden, sowie einzelne Stellen der grösseren Nervenquerschnitte abtasten konnte.

Als Versuchsthiere dienten Kaninchen, Hunde und Katzen, zusammen 35 an der Zahl.

Es sollen vorerst in der Reihenfolge die Versuche über die Innervation der oben erwähnten Muskeln besprochen und dann eine übersichtliche Darstellung der hier in Betracht kommenden motorischen Functionen des N. trigeminus, facialis, glosso- pharyngeus und vagus, beziehungsweise auch des N. acces- sorius Willisii gegeben werden.

I. Die Nervenwurzeln des M. stylopharyngeus.

Der M. stylopharyngeus entspringt beim Menschen nach Henle* »an der vorderen und medialen Fläche der Wurzel des Grififelfortsatzes, geht nach ab-, median- und etwas vorwärts, breitet sich zugleich in einzelne platte Bündel aus, welche durch die Lücke zwischen Cephalo- und Hyopharyngeus, zum Theil auch zwischen Abtheilungen des M. cephalo-pharyngeus in die Tiefe dringen. Einzelne enden sogleich in der fibrösen Haut des Pharynx, in der Gegend des Ursprungs des Arcus palato-pharyngeus, die übrigen gehen an der Seitenwand des Pharynx herab und befestigen sich die vordersten am Seiten- rand der Epiglottis und am Lig. pharyngo-epiglotticum, die folgenden zu einer dünnen, membranösen Schichte ausge- breitet am Seitentheil des oberen Randes der Cart. thyreoidea*'.

In ähnlicher Weise zieht er beim Hunde nach Ellen- berger und Baum* vom Processus styloideus gegen die Rücken- und Seitenwand der Rachenhöhle herab, um sich zwischen den Fasern des M. constrictor medius und denen des pterygo-pharyngeus an der Rücken- und Seitenwand zu ver- breiten und auch beim Kaninchen entspringt er nach Krause'

1 Henle, Handbuch der s\'stematischen Anatomie des Menschen. 1876.

2 Ellenberger und Baum, Systematische und topographische Ana- tomie des Hundes. Pare\'. Berlin. 1891.

^ Krause, Die Anatomie des Kaninchens. Engelmann, Leipzig. 1884.

Nen'enwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln. 383

an dem beweglichen, dreikantigen, einige Millimeter langen Processus styloideus und inserirt sich in der Höhe zwischen Zungenbein und oberem Ringknorpelrande, indem er das rückwärtige Drittel des Rachenumfanges in Form eines Mantels umgreift.

Der M. stylo-pharyngeus wird vom R. stylo-pharyngeus des N. glosso-pharyngeus versorgt, während jedoch eine Anzahl von Forschem diese motorischen Fasern dem Glosso-pharvn- geus-Stamme selbst zuschrieb, sprachen ihm andere Autoren jede motorische Eigenschaft ab. So hat sich namentlich Mayo* von der gemischten Natur des N. glosso-pharyngeus überzeugt und nach J. Müller,* der die Details der Versuche nicht weiter beschreibt aus dem Zusammenhange mit dem Übrigen muss jedoch angenommen werden, dass er central gereizt hat »erregte der N. glosso-pharyngeus, unmittelbar mit beiden Polen der Säule in Verbindung gebracht, kleine Zuckungen in dem Schlund, nachdem das Thier (Kaninchen) schon todt war«.

Volkmann ^ gelang es, an frisch geschlachteten Kälbern, deren Kopf er der Länge nach auseinandergesägt hat, durch mechanische und galvanische Reizung der dünnen Wurzel den M. stylo-pharyngeus zu erregen.

Hingegen hält R ei d,* der zuerst an lebenden oder noch reizbaren Köpfen Versuche gemacht hat, den N. glosso-pharyn- geus für einen sensorischen Nerven, ebenso auch Valentin:'* dieser sagt: »Es ist mir oft vorgekommen, dass der herum- schweifende und der Beinnerv die längste Zeit die lebhafteste

1 Mayo, Anatom, and physiolog. Comment. London 1823. III.

2 J. Müller, Bestätigung des Bell'schen Lehrsatzes, dass die doppelten Wurzeln der Rückenmarksnerven verschiedene Functionen haben, durch neue und entscheidende Experimente. Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heil- kunde von Froriep, 30. Bd. 1831. S. 133.

3 Volkmann, Cber die motorischen Wirkungen der Kopf- und Hals- nerven. Müller's Arch. 1840. S. 475.

"* Reid, On experimental investigation into the functions of the eighth pair of nerves, or the glossophar. pneumogastric and spinal accessory. The Edinb. med. and surg. J. 1838.

^ Valentin, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. 1848. IL S. 391.

384 l. Rethi.

Schlundbevvegung anregten, während der unmittelbar nach der Entfernung des v^erlängerten Markes angesprochene Zungen- schlundkopfnerv keine Verkürzungen lieferte. Dem sei nun, wie ihm wolle, so erhellt so viel, dass der grösste Theil der Fasern des neunten Hirnnerven keine Bewegungsfasern von vorne- herein einschliesst« und Longet * sah beim Pferde und Hunde auf centrale Reizung des Glosso-pharyngeusstammes keinerlei Contractionen im Rachen; er sagt: * »j'ai galvanise, dans le but de provoquer des mouvements du pharynx etc., le nerf glosso- pharygien avant son entree dans le trou dechire posterieur, aucune contraction du pharynx ou des muscles qui l'avoisinent, n'a ete vue ni par moi ni par les personnes dont j'etais assiste«. Über die oben erwähnte Beobachtung Müller's macht er folgende Bemerkung': *il est permis de penser qu il a egale- ment agi au niveau du cou, c'est-ä-dire dans un point reelle- ment le glosso-pharyngien est devenu mixte par Tadjonction de filets empruntes au facial ou au spinal«. Er sowohl wie Rüdinger* leiten die motorischen Fasern, die im N. stylo- pharyngeus enthalten sind, vom R. communicans Nervi facialis et glosso-pharyngei ab.

Auch nach Henle*' ist »wahrscheinlich der R. communi- cans N. facialis et glossopharyngei dazu bestimmt, dem N. glosso-pharyngeus motorische Fasern mitzutheilen«. Hyrtl** sagt: »die motorischen Aste, welche er (nämlich der N. glosso- pharyngeus) zu den Rachenmuskeln sendet, mögen ihm durch Anastomosen mit dem Communicans und Vagus procurirt werden«. Nach Langer^ gibt »der N. glosso-pharyngeus an den M. stylopharyngeus . . .Aste ab; es ist jedoch nicht sicher- gestellt, ob der Nerv diese Fasern von Haus aus mitnimmt oder sie erst durch die Anastomosenkette zugeleitet bekommt, welche

1 Longe t, Recherches sur les Ibnctions des faisceaux de la moelle epiniere. Arch. gen. de med. 1841.

2 Long et, Traite de Physiologie. 1869. p. 501.

3 L. c. S. 502.

•* Rüdin g er, Anatomie der Gehirnnerven.

•'» Henle, 1. c.

^ Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie des Menschen. 1875.

" Langer, Lehrbuch der Anatomie des Menschen. 1865.

Xen'enwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln. 385

den Stamm mit dem Vagus und diesen mit dem Accessorius verbindet. Die Ergebnisse der an Thieren gemachten Versuche sind so vieldeutig, dass sich nicht einmal streng entscheiden lässt, ob in diesem ganzen Gebiete wenigstens den functionell geschiedenen Muskelgruppen besondere Nerven zugewiesen sind oder ob nicht gar der den einzelnen Muskel innervirende Faden seine Fasern aus mehreren Nerven beziehen kann». Und Schwalbe * sagt: »Vollständig sichergestellt ist, dass der Glossopharyngeusstamm motorische Fasern für den M. stylo- pharyngeus führt; doch liegt immerhin die Möglichkeit vor, dass sie ihm aus einer anderen Quelle zugeführt werden. Der R. communicans N. faciei et glosso-pharyngei zweigt sich gewöhnlich dicht unter dem Ganglion petrosum ab und bildet mit einem Theile des für den M. digastricus bestimmten Facialiszweiges eine nach unten convexe Schlinge, aus der Fasern beider Nerven in peripherer Richtung aus- strahlen können (Bisch off). Wahrscheinlich besteht aber die Bedeutung dieser Verbindung vorzugsweise darin, dass durch sie dem Glossophar^mgeus Fasern zugeführt werden, w^elche ihn möglicherweise zum Theil schon in der Bahn des N. stylo-pharyngeus verlassen.«

Die M. stylo-pharyngei heben den Rachen und erzeugen an der hinteren Rachenwand beiderseits von der Mittellinie eine Ausbuchtung nach hinten und aussen, so dass eine Erweiterung des Rachens entsteht, welche nebst anderen Momenten dazu dient, durch Druckabnahme ansaugend auf den Bissen zu wirken, das Hineingelangen von Speisen in den Kehlkopf zu verhüten und den Organismus vor den Gefahren des Ver- schluckens zu schützen. *

Beim Aufsuchen der motorischen Wurzelfasern des M. stylo- pharyngeus war die Versuchsanordnung mit geringen Ab- weichungen fast immer folgende: das Thier wurde narkotisirt, in der Rückenlage festgebunden, nach vorgenommener Spaltung

1 Schwalbe, Lehrbuch der Neurologie. 1881.

- L. Rethi, Der Schlingact und seine Beziehungen zum Kehlkopfe. Sitzungsber. d. kais. Akad. d. Wissensch. in Wien. Mathem.-naturwissensch. Cl. Bd. C. Abth. m. Oct. 1891.

Sitzb. d. mathem.-naturw. CI.; CI. Bd., Abth. Ilf. 27

386 L. Rethi,

der Weichtheile des Vorderhalses in der Mittellinie tracheo- temirtund dieTracheotomiekanüle eingebunden; die Sublingual- drüsen wurden abgebunden, die Membrana thyreohyoidea der Quere und der Länge nach bis zum Zungenbein hinauf durch- trennt und die Wundränder ligirt; dann wurde der Schild- knorpei, ebenso auch der weiche Gaumen seiner ganzen Länge nach in der Medianlinie gespalten und die Epiglottis abgetragen.

Im zweiten Tempo wurde das Thier in der Bauchlage fest- gebunden und die Nervenwurzeln in der Weise freigelegt, wie es Gross mann* bei seinen Versuchen gethan; der Kopf des Thieres wurde stark brustwärts gebeugt, die Haut zwischen Pro- tuberantiaoccipitalis externa und viertem Halswirbel durchtrennt, die Muskeln beiderseits doppelt unterbunden und quer durch- schnitten. Dann wurden die Muskeln von der Membrana obturatoria abgelöst, letztere gespalten und an den Ansatz- stellen mit einer feinen Scheere abgetragen, die Seitentheile der Membran jedoch zur Vermeidung von grösseren Blutungen, welche eine Fortsetzung des Versuches stets unmöglich machen (A. vertebralis) , geschont. Schliesslich wurden nach Bloss- legung der Medulla oblongata, um besseren Zugang zu ver- schaffen, Theile des Os occipitis an der oberen, äusseren Um- randung der gewonnenen Öffnung mit der Knochenzange abgetragen, jedoch eine Entfernung von Knochen in der Mittel- linie sowohl, als auch an der lateralen Begrenzung nach Mög- lichkeit vermieden.

Wurde nun das Versuchsthier auf eine Seite gelegt, so kamen die Wurzelbündel des N. glosso-pharyngeus, vagus und accessorius Willisii, indem sich die Medulla oblongata in Folge ihrer Schwere gegen die nach unten gekehrte Seitenwand senkte, auf der entgegengesetzten Seite gut zum Vorschein, so dass beim Kaninchen von einer Rotation der Medulla oblongata und einer Entfernung von Kleinhirntheilen mittelst Saugvor- richtung abgesehen werden konnte. Man sieht beim Kaninchen die von innen oben nach aussen unten absteigenden Wurzel- bündel (Fig. 1 bei 1), in einem kleinen Abstände von denselben

1 Grossmann, Das Respirationscentrum, insbesondere des Kehlkopfes und die Wurzelfasern des Kehlkopfes. Sitzungsber. d. kais. Akad. d. Wissensch. in Wien. B. XCVIII. Abth. III. 1889.

Nervenwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln.

387

die mehr oder weniger quer abgehenden mittleren Fasern (2) und dann die von innen unten nach aussen oben aufsteigenden Fäden (3), die sich in den ebenfalls deutlich sichtbaren Acces- soriusstamm (A) einsenken. Dass es sich im Ganzen und Grossen um ähnliche Befunde handelt, wie beim Menschen, ist schon aus der Ähnlichkeit der Bilder zu ersehen (Fig. 2).

Fig. 1.

Closso-pharyngeus -Vagus- und Accessoriuswurzeln beim Kaninchen (nach Grossmann). 1. Oberes. 2. Mittleres. 3. Unteres Wurzelbündel. A. N. accessorius, x und y Nervenwurzeln des M. stylo-pharyngeus, z Nerven- wurzeln der drei Constrictoren des Rachens, des M. levator veli palatini und des M. palato-pharyngeus und palato-glossus.

In der Seitenlage des Thieres war es möglich, die Wurzel- fasern mittelst der feinen Platinelektrode zu reizen und die einzelnen Fäden abzutasten, während ein Gehilfe bei aus- einandergehaltenen Schildknorpelplatten die hintere Rachen- wand beobachtete. Man sah bei massig starken Strömen, bei einem Rollenabstande von etwa 4o cm auf Berührung des oberen Bündels eine rinnenförmige Vertiefung auf der betreffenden Seite

27*

388

L. Rethi,

entstehen, eine Ausbuchtung der hinteren Rachenwand seitlich von der Mittellinie nach hinten aussen, ein Zurückweichen der- selben, und zwar vom Niveau des Zungenbeines angefangen bis über die Spitzen der Arytaenoidknorpel hinaus, demnach in der ganzen Höhe der Insertion des M. stylo-pharyngeus; gleichzeitig wurde die Raphe nach der gereizten Seite hinüber-

N. abducens N. trigeminus

Tensor veli palatini

N. facialis X. acusticus.^

N. glosso- pharyngeup

N. vagus N. accessoriuä

.. M. st}io-phar>Tigcas

Constrictor pharyn-

gis supeiior,

medius et

inferior; Levator

veli palatini, M. pa-

lato-phaiyngeus et

ossus

Fig. 2.

XeiTenursprünge beim Menschen (nach Henle).

Nervenwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln.

gezogen, der Pharynx gehoben und oft erfolgte auch ein Schlingact.

Wurden etwas schwächere Ströme angewendet, bei einem Rollenabstand von 55 bis 60 cm doch war die erforderliche Stromstärke von den verschiedenen Thieren selbst und wegen der Ermüdung und abnehmenden Erregbarkeit insbesondere auch von der Dauer des Versuches abhängig so konnte man die unteren Fasern des oberen Bündels in ihrer Wirkung von den oberen Fasern desselben differenziren : bei Reizung der oberen Fasern dieses Bündels (x) entstand eine geringe rinnenförmige

Nervenwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln. 389

Vertiefung, hauptsächlich im oberen Abschnitte der sichtbaren hinteren Rachenwand, in der Höhe des Zungenbeines und bei Reizung der unteren Fasern (y) eine Excavation hauptsächlich im Niveau der Spitzen der Arytaenoidknorpel, wie ich sie bei Reizung des N. laryngeus medius gesehen habe. * Das mittlere Wurzelbündel (2 Fig. 1) hatte auf den M. stylo'-pharyngeus keinen Einfluss und ebenso konnte eine Abhängigkeit dieses Muskels von den Accessorius-Wurzeln mit Bestimmtheit aus- geschlossen werden.

Bei anderen ebenso präparirten Thieren wurde auch der N. laryngeus medius auf einer Seite herauspräparirt und durch- schnitten; Reizung der oberen Fasern des oberen Bündels ergab unverändert ebenso, wie bei intactem N. laryngeus medius nebst Hebung des Rachens und Verziehung der Raphe nach der gereizten Seite hin eine geringe Vertiefung der hinteren Rachen- wand in der Höhe des Zungenbeines, bei Reizung der unteren Fasern des oberen Bündels hingegen entfiel auf der operirten Seite die Excavation im Niveau der Giessbeckenknorpelspitzen, während sie bei Reizung dieser Wurzelfasern auf der anderen Seite, auf welcher der N. laryngeus medius erhalten war, deut- lich auftrat.

Dann wurden auf dieser, nicht operirten Seite die unteren Fasern des oberen Bündels (y Fig. 1) mit einem feinen Häkchen durchgerissen und durch mechanische Berührung des Rachens ein Schlingact ausgelöst. Die Ausbuchtung wurde nun auf beiden Seiten vermisst, auf einer Seite, weil der N. larj^ngeus medius durchschnitten war und auf der anderen, weil die Wurzelfasern desselben durchtrennt waren. Auf Reizung der peripheren Enden dieser durchrissenen Fasern des oberen Bündels entstand die Excavation am Oesophagus- Eingang wieder.

Diese Versuche wurden in derselben Anordnung oder mit geringen Abweichungen in mehreren Fällen wiederholt und das Resultat war stets dasselbe, nur kam es zu Ende der Versuche, wenn die Thiere weniger erregbar geworden und stärkere Ströme angewendet werden mussten, in Folge von Strom-

1 L. Rethi, 1. c.

^

390 L. Rethi,

schleifen, die auf die benachbarten, noch nicht ermüdeten Fasern übersprangen, auch zu anderen Erscheinungen, insbe- sondere zu Vorspringen der Arcus palato-pharyngei und Hebung des Gaumensegels.

In den Versuchen, bei denen der Ursprung des N. facialis und trigeminüs blossgelegt wurde und die weiter unten aus- führlich besprochen werden sollen, konnte durch Reizung der genannten Nervenstämme eine Contraction des M. stylo-pharyn- geus niemals erzielt werden.

Demnach verlaufen die für den M. stylo-pharyn- geus bestimmten motorischen Fasern im oberen Wurzelbündel, insbesondere aber führen die unteren Fasern desselben die durch den N. laryngeus medius vermittelten motorischen Nerven.

2. Die Nervenwurzeln der Constrictoren des Rachens.

Man unterscheidet im Rachen beim Menschen sowohl als auch bei unseren Versuchsthieren, drei Constrictoren. Beim Menschen verhalten sie sich nach Hyrtl * folgendermassen ; >'Der Constrictor pharyngis superior nimmt die oberste Partie der hinteren Rachenwand ein, welche den Choanen gegenüber- steht; er entspringt vom Hamulus pterygoideus, von dem hinteren Ende der Linea mylo-hyoidea, vom Seitenrand der Zunge und von der zwischen Ober- und Unterkiefer ausge- spannten Partie der fascia bucco-pharyngea« ...» Der schwache Constrictor medius kommt mit zwei Bündeln von dem grossen und kleinen Hörn des Zungenbeines als Cerato- und Chondro- pharyngeus; seine oberen Fasern streben in der hinteren Rachen- wand nach aufwärts, seine unteren nach abwärts, während seine mittleren horizontal bleiben. . . Die obere Spitze schiebt sich auf den Constrictor superior hinauf, die untere wird von der«... * Spitze der beiden Constrictores inferiores überdeckt « . . . » Der Constrictor inferior entspringt vorzugsweise von der äusseren Fläche des Schildknorpels und von der Aussenfläche des Ring- knorpels. Auch seine Bündel vereinigen sich mit den entgegen- gesetzten in der Raphe und schieben sich mit qiner nach oben

1 Hyrti, 1. c.

Xervenwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln. 391

gerichteten Spitze über den Constrictor medius hinauf. . . die Schnürermuskeln bilden die Seitenwand und die hintere Wand des Rachens, gegen deren Medianlinie sie von beiden Seiten her zusammenstreben. «

In ähnlicher Weise verhalten sich die Rachenconstrictoren auch beim Hunde und Kaninchen, doch sind bei Letzterem ein- zelne Bündel dieser Muskeln schwer zu unterscheiden, wenn auch der mittlere Constrictor relativ stark entwickelt ist. ^

Bezüglich der motorischen Innervation der Schlundschnürer ist hervorzuheben, dass der N. glosso-pharyngeus, vagus, accessorius und sympathicus ein Geflecht, den Plexus pharyn- geus bilden und dass aus diesem Fäden zu den genannten Muskeln treten, doch werden darüber, von welchem dieser Nerven die für die Constrictoren bestimmten motorischen Fasern herstammen, verschiedene Ansichten ausgesprochen.

Goerres,* Scarpa,^ Bischoff,* Arnold'' und Valen- tin® hielten den Vagus für einen rein sensorischen Nerven und sprachen ihm jedwede Betheiligung an der motorischen Inner- vation des Rachens und der Constrictoren ab. Auch Longe t ist geneigt, die motorischen Nerven des Rachens ausschliesslich vom N. accessorius Willisii abzuleiten; er sagt:^ *>Le nerf glosso-pharyngien, devenu mixte par l'adjonction d'un rameau du facial et par son union avec le rameau pharyngien du spinal, se distribue ä la muqueuse pharyngienne, ä celle des piliers du volle du palais etc., tandis que les filets empruntes au spinal se terminent dans les muscles constricteurs du Pharynx«.

' Krause, 1. c.

- Goerres, Exposition der Physiologie. Coblenz 1805.

3 Scarpa, De gangliis ncrvorum deque origine et essentia nervi inter- costalis. Mailand 1831.

* Bisch off. Nervi accessorii Willisii anatomia et physiologia. Heidel- berg 1832.

^ Arnold, Bemerkungen über den Bau des Hirns und Rückenmarks. Zürich 1838.

ß V^al entin, De functionibus nervorum cerebralium et ner\'i sympathici. Bern 1839.

" Longet, Traite de Physiologie. 1869. III. S. 581.

392 L. Rethi,

Hingegen gibt Volk mann * an, bei frisch geschlachteten Thieren durch Reizung des Glosso-pharyngeusstammes Con- traction des Constrictor pharyngis medius und nach Exstirpation des N. glossopharyngeus und accessorius Willisii durch Reizung der Vaguswurzeln unter Anderem auch Bewegungen im Constrictor faucium superior und inferior erzielt zu haben. Bezüglich der Schlundschnürer gelangte auch Hein* zu den- selben Resultaten, da er den Constrictor medius ebenfalls durch Reizung des centralen Glosso-pharyngeusstammes erregen konnte.

Henle^ leitet die motorische Innervation des Constrictor superior von den motorischen Fasern der Vagusvvurzel des Plexus pharyngeus ab und Luschka* sagt: »Die motorischen Nerven des Rachens gehen aus dem Glosso-pharyngeus, welcher . . . auch Fädchen an die Constrictoren abgibt und aus dem Accessorius Willisii hervor, dessen innerer mit dem Vagus sich verbindender Ast durch die Rami pharyngei des letzteren Nerven den Constrictoren zahlreiche Elemente zuschickt«

Die Versuchsanordnung war dieselbe, wie bei der Eruirung der motorischen Wurzel des M. stylo-pharyngeus und als Ver- suchsthiere dienten auch hier Kaninchen, Hunde und Katzen; erwähnt soll jedoch werden, dass fast jedes Thier in jedem Ver- suche zur Erforschung des Wurzelgebietes mehrerer Muskeln verwendet wurde. Das Thier wurde narkotisirt, in der Rücken- lage festgebunden, tracheotomirt und der weiche Gaumen nach Durchtrennung der Membrana thyreo-hyoidea der Länge nach gespalten, damit die hintere Rachenwand im Bereiche des Con- strictor pharyngis medius und inferior beobachtet werden könne. In der oben beschriebenen Weise wurden dann die Wurzelfasern des N. glosso-pharyngeus, vagus und accessorius Willisii blossgelegt Mnd die einzelnen Fasern abgetastet.

Bei Reizung der oberen Fasern des mittleren Bündels (P'ig.l z, S. 387) entstand auf der gereizten Seite eine Vorwölbung;

1 Volkmann, 1. c.

2 Hein, Über die Nerven des Gaumensei^cls. .Müll er 's .Archiv. 1844. » Henle, 1. c.

•* Luschka, Die Anatomie des Menschen. 1860.

Nerv'envvurzeln der Rachen- und Gaumcnmuskeln. 393

die hintere und seitliche Rachenwand sprang einmal mehr im Niveau des Zungenbeines ein anderesmal hingegen mehr in der ' Höhe der Arytaenoidknoipel vor, d. h. es contrahirte sich sowohl der mittlere als auch der untere Schlundschnürer, doch war es nicht möglich die feinen Nervenfäden derart zu isoliren, dass man die Abhängigkeit jedes einzelnen dieser beiden Constrictoren von bestimmten Fasern hätte nachweisen können und auch bei den schwächsten Strömen waren stets auch Contractionen des be- nachbarten Schlundschnürers wenigstens theilweise zu sehen. Während der Durchschneidung der oberen Fasern des mittleren Bündels contrahirten sich diese beiden Constrictoren ebenfalls und ebenso entstand diese Contraction bei nachfolgender Reizung der peripheren Enden der durchschnittenen Fasern. Reizung der unteren Fasern des mittleren Bündels hatte keine Veränderung im Rachen zur Folge, und dass Durchschneidung des N. laryn- geus medius an der Contraction der Constrictoren nichts änderte, braucht nach dem Vorhergehenden nicht ausdrücklich erwähnt zu werden. Es soll hier auch vorweg genommen werden, dass auch Reizung des Facialis- und Trigeminusstammes keine Con- traction dieser beiden Constrictoren zur Folge hatte.

Der Constrictor pharyngis superior konnte durch diese künstliche Öffnung nicht gut gesehen werden und statt einer Beobachtung im Spiegel, die allerdings möglich war, zog ich es vor, die hintere Rachenwand in ihrem oberen Abschnitte nach Spaltung des Velum palatinum direct durch die Mundhöhle zu beobachten. Zu diesem Zwecke wurde das narkotisirte Thier mittelst eines eigens construirten Maulkorbes, der nur den Ober- kiefer fixirte und dessen unteres Blatt sich an den harten Gaumen stützte, während eine quere Spange hinter die oberen Schneidezähne zu liegen kam, am Kaninchenhalter fixirt, der Unterkiefer mittelst eines Fadens abducirt und beim Kaninchen, dessen Kiefer sich durch grosse Länge und dessen Mundhöhle sich durch bedeutende Tiefe auszeichnete, überdies, um mehr Raum zu gewinnen, auch noch die Wange von den Mund- winkeln aus nach doppelter Unterbindung etwa 2 cm weit nach hinten durchtrennt; nun wurde der weiche Gaumen, nach- dem andere die Innervation des Velum betreffende Versuche vorausgegangen waren, in der Mittellinie vorsichtig der Länge

394 L. Rethi,

nach bis zum harten Gaumen gespalten und die hintere Rachen- wand zur Ansicht gebracht.

Wurde die Stelle (z in Fig. 1), von der die motorische Abhängigkeit des mittleren und unteren Schlundschnürers nachgewiesen worden war, gereizt, so contrahirte sich auch der Constrictor pharyngis superior, dabei konnte man aber von hier aus zumeist auch die Contraction des mittleren und, wenn die Zunge gut niedergedrückt wurde, auch noch des unteren Schlundschnürers sehen. Auch die Erregung des oberen Con- strictor konnte nicht isolirt werden: wurden schwächere Ströme angewendet, so kam es überhaupt nicht mehr zu einem sicht- baren Reizeffecte^ und wenn man bei allmähliger Steigerung der Stromstärke eine Contraction wahrnehmen konnte, trat sie an allen drei Constrictoren auf.

Demnach führt das mittlere Wurzelbündel in seinen oberen Fasern die für die Constrictoren des Rachens bestimmten motorischen Nerven und wird der Constrictor pharyngis medius von demselben Wurzelbündelchen versorgt wie der Constrictor pharyngis superior und inferior.

3. Die Nervenwurzeln des M. levator veli palatini.

Die Anschauungen über die Innervation des M. levator veli palatini sind einander so widersprechend, dass nach den anato- mischen Untersuchungen, sowie den physiologischen und klini- schen Beobachtungen ein abgeklärtes Urtheil über die motorische Versorgung dieses Muskels bis nun nicht möglich war.

Es sollen vorerst die anatomischen Verhältnisse des M. levator palati mollis, dann die wesentlichsten bisherigen Beobachtungen und Untersuchungen berührt und schliesslich unsere Versuche ausführlich besprochen werden. Nach Hyrtl * entspringt »der Levator veli palatini s. petro-salpingo-staphylinus vor dem Carotischen Kanal von der unteren Felsenbeinfläche, sowie auch von dem Knorpel der Eustachischen Ohrtrompete und verwebt seine Fasern im weichen Gaumen theils mit den Fasern des Azygos uvulae, theils fliessen sie in einem nach

1 Hyrtl, 1. c.

Xervenwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln. 395

abwärts convexen Bogen mit jenem des gleichnamigen Muskels der anderen Seite zusammen.« Beim Hunde entspringt er nach Ellenberger und Baum ' »an dem Processus styliformis des Tympanicum, liegt an der Seitenwand der Rachenhöhle und breitet sich facherartig im Gaumensegel aus, indem seine Fasern zwischen das Drüsengewebe eintreten. Lateral liegen dem Muskel der Styloglossus und Pterygo-pharyngeus an, medial grenzt er an den M. palato-pharyngeus ; mit letzteren beiden kreuzt er sich. . . Der Levator endet im Gaumensegel.« Beim Kaninchen entspringt er nach Krause* »an der unteren Fläche der pars petrosa ossis temporum und Tuba Eustachi, verläuft abwärts und nach vorne. Insertion: Velum palatinum.« Was die motorische Innervation des M. levator veli palatini betrifft, so gibt Valentin ^ an, dass derselbe vom N. trigeminus und facialis versorgt wird; von letzterem Nerven sagt er: *R. petrosi superficialis majoris fibrae plurimae semper a N. faciali exeunt, aliae vero per eum a N. trigemino in N. facialem intrant et partim N. acusticum per R. communicatorium infe- riorem petunt. Itaque hoc nervo efficitur' ut fibrae quaedam motoriae N. facialis ad R. vidianum decurrant. Quam vero regionem postea petant, experimento erui non potuit nisi experientia, ut ita dicam, negativa aut quidem incerta aliquid probet. Ut enim viderem, num fibrae motoriae, quae in N.petroso superficiali continentur, palati mollis musculos moveant, caput animalis nunc necati ita dimidavi, ut facillime N. facialem adtingerem. Tum ne ceterae ejus fibrae motoriae experimentum turbarent, eum e foramine stylo-mastoideo egressum primo dividi et deinde partem, quae in meatum auditorium internum intrat, posteaque regionem decursus sub dura meninge recon- diti R. petrosi superficialis majoris irritavi. Quam vis quinquies hoc experimentum in equo, cane, feie et cuniculo instituissem, tarnen semel tantummodo in cane palatum moUe peristaltica quadam ratione aliquantum moveri vidi; quae vero res eo

1 Ellenberger und Baum, 1. c. ' Krause, 1. c.

3 Valentin, De functionibus nervorum cerebralium et nervi sympathici libri qualuor. Bern 1839. S. 33.

396 u Rethi,

cautius adhibenda est, quo saepius motus ejus movi sponte exoriuntur.«

Ebenso sah auch Debrou* auf galvanische Reizung des Facialisstammes in der Schädelhöhle in fünf Experimenten nur einmal deutliche Contractionen des Gaumens.

Nach Volkmann* rühren die motorischen Fasern des Levator veli palatini vom N. vagus her. Er sagt: »Unzweideutige Verkürzung zeigt an frisch geschlachteten Thieren bei . Reizung der freigelegten Facialiswurzel der M. frontalis, buccalis, orbicularis palpebrae, eine Muskelpartie, welche die Nase be- wegte, eine dergleichen, welche den Mundwinkel verzog, zahl- reiche Ohrmuskeln . . . ferner der hintere Bauch des Digastricus maxillae, der Stylohyoideus. . ., aber der Facialis bewegt durch- aus nicht die Zunge. . . . Auch der weiche Gaumen wird vom Gesichtsnerven nicht bewegt. Im Levator palati entstanden Bewegungen. . . .bei Reizung der Vaguswurzel.«

In demselben Sinne fielen die Versuche von Hein' aus, der sie an geköpften Thieren, Schafen, Kälbern, Ziegen und Hunden gemacht hat' indem er die Wirbelsäule im Atlasgelenk vom Schädel trennte, den Oesophagus von hinten her auf- schlitzte, das Gehirn entfernte und die durchschnittenen Ner\'en mechanisch und galvanisch reizte. Auch er sah »auf Reizung des Facialis keine Bewegungen im Gaumensegel, bei Reizung des Vagus hingegen Contractionen des Levator. . . .«. Er sagt weiter: »Dass der vidianische Nerv nicht aHein Fäden vom fünften Paar zum siebenten sondern durch den oberflächlichen grossen Felsenbeinnerven auch eine nicht kleine Zahl von Fäden auf umgekehrtem Wege aus dem siebenten Paar zum fünften führe, das ist längst ganz ausgemacht. Dass aber diese vom siebenten Nerven herkommenden Fäden durch den Gaumen- keilbeinknoten hiedurch ohne Unterbrechung m die Gaumen- nerven verfolgt werden könnten, das ist wohl sehr unwahr- scheinlich; mir ist es nicht geglückt.«

Diesen, einer Innervation des Levator veli palatini durch den N. facialis ungünstigen Anschauungen und Versuchen

^ Debrou, These inaug. 1831. Citirt nach Long et, 1. c. 2 Volkinann, 1. c, ■^ Hein, 1. c.

Nervenwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln. 39/

gegenüber machten sich jedoch wichtige Beobachtungen und Untersuchungen geltend, welche für eine direkte Betheiligung des N. Facialis an der motorischen Innervation des Gaumen- segels sprechen.

Nuhn' lässt motorische Fasern vom N. facialis zum Gaumensegel gelangen, da er bei Thieren, vier Hunden und einer Katze durch Reizung des Facialisstammes innerhalb der Schädelhöhle Contractionen des Gaumensegels erzielte. Was den vielfach citirten Fall von Nuhn betrifft*, so konnte er an einem Enthaupteten bei Reizung des Facialisstammes deutliche Bewegungen am weichen Gaumen bemerken: »obwohl ein eigentliches Heben desselben, wie ich dies bei Experimenten an Thieren sah, nicht wahrgenommen werden konnte, was übrigens bei der im Allgemeinen schon ziemlich gesunkenen Reizbarkeit der Muskeln auch kaum zu erwarten war.« Doch fügt er weiter hinzu: » hierauf brachte ich die Leitungs- drähte an den N. glossopharyngeus, vagus und accessorius Willisii, wodurch jedesmal Contractionen im Schlundkopfe und auch im Gaumensegel entstanden.« Er durchschnitt hier auch den N. petrosus superficialis major und reizte dann den Facialis- stamm, doch war die Reizbarkeit so gesunken, dass er die schwacKen Vibrationen, die er wahrnahm, nicht zu verwerthen wagte.

Longet^sagt: »Les resultats negatifsobtenusparDebrou se sont aussi ofiFerts parfois ä mon Observation.« Trotzdem hält er aber den Facialis für den motorischen Nerven des Levator palati. »Quant aux filets nerveux qui venus du facial, se ren- dent aux muscles elevateurs du voile du palais. . . .j'ai demon- tre des 1838* qu* ils partent du premier coude de ce nerf et que formant une notable partie du grand nerf petreux, ils abou- tissent au ganglion sphenopalatin, duquel ils emergent bientot

1 Nuhn, Versuche über den Einfluss des N. facialis auf die Bewegungen des Gaumensegels. Heidelberg 1 849.

2 Nuhn, Versuche an einem Enthaupteten nebst erläuternden Versuchen an Thieren. Zeitschr. f. rat. med. N. F. III. Bd. S. 129.

s Longet, 1. c.

* Longet, Journ. des connaissances mcdico-chir. von Trousseau und Libaudv.

398 L. Rethi,

pour se rendre ä leur destination II en resulte qua mes

yeux le nerf facial preside ä la contraction de tous ies muscles du voile palatin, excepte le peristaphylin externe (Tensor palati).-

Nach Hyrtl* besteht der N. petrosus superficialis major »theils aus Fasern, welche vom Ganglion sphenopalatinum zum Communicans ziehen, um diesem senorische Fasern zuzuführen, theils aus solchen, welche umgekehrt vom Communicans zum Ganglion sphenopalatinum herüberkommen und es ermöglichen, dass die. . . .Nervi palatini descendentes auch gewisse Gaumen- muskeln (Levator palati mollis und Azygos uvulae) versorgen können . . . ., wodurch bei einseitiger Lähmung des facialis, das Zäpfchen eine Abweichung nach der gesunden Kopfseite zeigt ; nicht constant «.

In ähnlicher Weise beschreibt ihn Langer*: »Der Zweig isolirt sich bereits im Knie und geht durch den Sulcus petrosus auf der oberen Pyramidenfläche zum N. vidianus, dessen weisse Portion er bildet und gelangt endlich zum Ganglion spheno- palatinum des zweiten Trigeminusastes .... er beherrscht den Levator palati.«

S. Meyer sagt^: »Da die Gaumenfasem des Facialis aller Wahrscheinlichkeit nach ihren Verlauf durch den N. petrosus superficialis major nehmen, so gibt das Auftreten der (Läh- mungs-) Erscheinungen am Gaumen einen Fingerzeig dafür, den Sitz der Nervenläsion im Niveau des Ganglion geniculi oder centralwärts zu vermuthen« und schliesslich erwähnen wir Merkel*: »Schon sein (des N. facialis) im Schläfenbein gelegenes Ganglion geniculatum sendet durch den N. petrosus superficialis major Fasern nach dem Ganglion nasale, welche endlich in den Gaumenmuskeln anlangen ; woher es sich erklärt, dass bei centraler Lähmung des N. facialis auch Lähmung der entsprechenden Gaumenseite mit Schiefstand des Zäpfchens nach der gesunden Seite hin beobachtet wird.«

Nach anderen Forschern hingegen ist der N. facialis nicht der alleinige Nerv, von dem der Levator veli palatini seine

1 Hyrtl, 1. c.

2 Langer, 1. c.

3 In L. H e r m a n n 's Handbuch der Physiologie 1 879. III. Bd. I. Th. S. 255. ** Merkel, Handbuch der topographischen Anatomie. 1890.

Nervenwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln. 399

motorischen Fasern erhält. Henle^ sagt: »Die schräge Stellung der Uvula bei einseitiger Lähmung des Facialis, sofern die Ursache der Lähmung im Centralorgan oder im Schläfenbein liegt, spricht dafür, dass die Gaumenmuskeln ihre Nerven zum Theil vom Facialis empfangen und weiter, da dies nur auf dem Wege vom Knie des letztgenannten Nerven durch den N. petrosus superficialis major, das Ganglion nasale und die Nn. palatini möglich ist, dass der N. petrosus superficialis major motorische Fasern führt, die vom Ganglion geniculatum zum Ganglion sphenopalatinum ziehen«; doch fügt er hinzu: »der directe experimentelle Beweis für diese Ansicht ist aber noch nicht mit der wünschenswerthen Sicherheit geführt«. An anderer Stelle sagt er dann: »Mit dem R. pharyngeus des Glossopharyngeus und mit sympathischen Zweigen bilden sie (die vom Plexus ganglioformis abgehenden Vagusfasern) den Plexus pharyn- geus, der seine Aste strahlenförmig gegen Schlund und

Gaumen entsendet die terminalen Zweige des Plexus

pharyngeus sind wahrscheinlich gemischter Natur jeden- falls fiele den motorischen Fasern der Vagusvvurzel des Plexus

pharyngeus die Innervation des M petro-staphylinus und

palato-staphylinus zu.«

Schwalbe* äussert sich hierüber folgendermassen : »Physiologische und klinische Beobachtungen, sowie sorg- fältige Zerfaserungen ergaben, dass er (der N. petrosus super- ficialis major) jedenfalls motorische Fasern enthält, welche aus der Bahn des Facialis stammen und vom centralen Theil des Facialis am Ganglion geniculatum in den N. petrosus super- ficialis major übertreten. Diese Fasern gehen vom Ganglion sphenopalatinum aus mit den Nn. palatini zum Gaumensegel undinnerviren denLevator veli palatini... Bei Facialislähmungen, deren Ursache centralwärts vom Hiatus Fallopiae sich befindet, wird deshalb Schiefstellung des Gaumensegels mit Abweichung nach der gesunden Seite beobachtet .... überdies steht es fest, dass ein Zweig des N. pharyngeus superior zum Levator veli

1 Henle, 1. c.

2 Schwalbe, 1. c.

400 L. Kethi,

palatini und Azygos uvulae geht, so dass diese beiden Muskeln von zwei Seiten vom Facialis und Vagus innervirt werden.«

Auch nach Luschka* stammen die motorischen Nerven des Levator palati moUis »aus dem Vagus, welcher durch Ver- mittelung der Rami pharyngei Fasern an den M. azygos uvulae, Levator veli und an den M. pharyngo-palatinus abgibt . . . und . . . aus dem N. facialis« und Brücke * sagt: »Jetzt muss man zugeben, dass die Ansicht die richtige ist » . . . <, indem ange- geben wird, dass auf Reizung der Wurzel (N. glossopharyngeus) Contractionen im M. stylopharyngeus, im Constrictor pharyngis medius, im Levator palati mollis und im Azygos uvulae erzielt worden seien. Wir sehen also eine zweite Quelle für die mo- torische Innervation des weichen Gaumens; die erste haben wir im N. facialis kennen gelernt.« ... »In neuerer Zeit ... hat man durch Reizung des Vagus an der Wurzel desselben Muskel- zusammenziehungen erhalten ... im Levator palati mollis.«

Was die klinischen Beobachtungen betrifft, so hat schon im Jahre 1831 Montault'^ bei halbseitiger Facialislähmung Paralyse des Zäpfchens und einer Hälfte des weichen Gaumens beschrieben, gleich darauf folgten Mittheilungen hierüber von Cruveilhier, Diday, Seguin etc., und jetzt werden von den klinisch beobachteten Erscheinungen der Gaumenlähmung wichtige Rückschlüsse auf vorhandene Veränderungen im Ver- laufe des N. facialis gemacht. Ueber die Lähmungserscheinungen im Gaumensegel sagt Erb:* »Trotz aller Untersuchungen und Debatten über diese Erscheinungen sind dieselben noch nicht bis in alle Details geklärt. Bekanntlich gehen vom Knie des Facialis motorische Fasern durch den N. petrosus superficialis major zum Ganglion spheno-palatinum und von diesem zum Gaumensegel. Hier dienen sie der Innervation einzelner Gaumensegelmuskeln (vorwiegend des Levator veli palatini). Liegt nun die Lähmungsursache oberhalb des Ganglion geniculi,

1 Luschka, 1. c.

2 Brücke, Vorlesungen über Physiologie. 1875.

3 .VIontault, These inaug. 1831.

^ Erb, Im Handbuch der spccielien Pathologie und Therapie von Zi ernste n.

Xervenwurzcin der Rachen- und Gaumenmuskeln. 401

SO werden die Gaumensegelfasern von derselben mitbetroffen und gelähmt . . .

»Wir sind jetzt durch unsere bisherigen Erfahrungen in den Stand gesetzt, sowohl in der peripheren Bahn des Facialis, wie in seiner centralen mehrere Unterabtheilungen zu unter- scheiden, die wir aus den vorhandenen Symptomen mit einiger Sicherheit von einander trennen können. Die dazu dienlichen Anhaltspunkte geben die von dem peripheren Facialis abgehen- den Äste, der N. auricularis post., die Chorda tympani, der N. stapedius, der Petrosus superficialis major . . Lähmung aller äusseren Zweige. Störung des Geschmackes und Gaumen- segelparese bedeutet Läsion in der Gegend des Ganglion geniculatum, weil in diesem die Geschmacksfasern ein- und die Gaumensegelfasern austreten.«

In ähnlicher Weise äussern sich die meisten Kliniker. Eichhorst' fügt jedoch noch hiezu: »Wir müssen uns hier mit den gegebenen klinischen Erscheinungen begnügen; zu ihrer genaueren anatomischen Begründung reichen unsere Kenntnisse noch nicht hin, sowohl inBezugauf die anatomische Zergliederung dieser verwickelten Nervenbahnen, als auch auf experimentelle und pathologische Erscheinungen«, und Valen- tin* sagt: »Soviel ist gewiss, dass wahrscheinlich der Antlitz- nerv längs des ganzen Felsenbeinnerven und bis zum Gehirn angegriffen sein kann, ohne dass sich eine Schiefstellung des weichen Gaumens nothwendig verräth.«

Erwähnt soll hier noch werden, dass Sanders,^ der an- gibt, dass der grösste Theil der für den M. Levator veli palatini bestimmten Nervenfasern aus dem N. facialis stammt und der weiter betont, dass das wesentliche Merkmal der Gaumen- lähmung in einer vertikalen Erschlaffung, einem Tieferhängen des Velum und einer geringeren Wölbung des betreffenden Gaumenbogens bestehe, in einem Falle bei Facialislähmung den Levator palati moUis nur unvollkommen gelähmt fand, obgleich auf der kranken Seite Taubheit eingetreten war, so dass man

^ ^ Eichhorst, Handbuch der speciellen Pathologie und Therapie, 1885.

- Valentin, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. 1848. II. S. 38Ö.

3 Sanders, Paralysis of the palate in fac. paral. Edinb med. Journ. 1865. August. S. 141. Citirt nach L. Hermann, 1. c.

Sitzb. d. mathem.-naturw. CI. ; CI. Bd.. Ahth. III. 'i8

402 L. Rethi,

auf eine hoch oben liegende Ursache schliessen musste, und schliesslich sei hier noch ein Fall von Eisenlohr' angeführt, in welchem es sich um eine Hemibulbärparalyse handelte: un- vollständige Anaesthesie des linken Trigeminus mit Ausnahme der Mund- und Wangenschleimhaut, Anaesthesie der tiefer stehenden, gelähmten linken Hälfte des Velum, erschwertes Schlucken, Lähmung und Unempfindlichkeit der linken Kehl- kopfhälfte. Die Section ergab: auf der linken Seite der MeduUa oblongata einen alten myelitischen Herd, der vom unteren Ende des Abducenskerns bis zur ersten Cervicalwurzel herab- reichte; Erkrankung des Tuberculum Rolandi, der gelatinösen Substanz des Hinterhorns, der Wurzeln des Accessorius und Vagus, des ganzen Vaguskerns, zum Theil auch der aufstei- genden Trigeminuswurzel, der innersten Abschnitte des Seiten- strangkerns und des corpus restiforme und theilweise des inneren Accessoriuskerns. Der bulbäre Theil des Accessorius- kerns, der Hypoglossus und Facialis waren jedoch intact.

Zur Eruirung der motorischen Wurzelfasern des M.Levator veli palatini habe ich ebenfalls Kaninchen, Hunde und Katzen verwendet. Die Versuchsanordnung war beim Kaninchen folgende: Das narkotisirte Thier wurde auf den Operationstisch in der Rückenlage festgebunden, tracheotomirt, die Membrana thyreo-hyoidea der ganzen Länge nach gespalten, ebenso auch der Schildknorpel und die Epiglottis abgetragen, so dass der freie Rand des weichen Gaumens und dieser selbst in einer Höhe von etwa 15 cm beobachtet werden konnte. Dann wurde das Thier in die Bauchlage gebracht und die Vaguswurzeln nach Spaltung der Membrana obturatoria und Entfernung schmaler Knochenleisten des Os occipitis blossgelegt

Reizung des oberen Bündels (1 in Fig. 1, S. 387) ergab keinerlei Bewegung am Velum; auch Reizung des Accessorius- stammes und seiner Wurzelfasem (3) hatte weder an den Rachenwänden, noch am Gaumensegel irgend eine Bewegung zur Folge, und bei Reizung der unteren Fasern des mittleren

1 Eisenlohr, Zur Pathologie der centralen Kehlkopflähroungen. Arch. f. Physiologie. 1888.

Xervenwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln. 403

Bündels war ebenfalls nichts zu sehen; wurden jedoch die oberen Fasern dieses Bündels (z) gereizt, so contrahirte sich der Levator veli ganz deutlich, der weiche Gaumen wurde asymmetrisch gehoben, er näherte sich auf der gereizten Seite dem Kopfende des Thieres, die Concavität des freien Velum- randes wurde stärker und die Schleimhaut an der vorderen Fläche des Gaumensegels in der Ausdehnung von etwa 1*5 cm in bogenförmige, dem freien Rande mehr oder weniger parallelle Falten gelegt; überdies war ein Vorspringen der hinteren Gaumenbögen und, soweit das intacte Gaumensegel einen Einblick gestattete, Contraction der Schlundschnürer zu sehen. Dann wurden vom Os occipitis grössere Stücke abge- tragen, so dass ein Theil des Kleinhirns zur Seite geschoben und der Facialis- und Trigeminusstamm blossgelegt werden konnten. In den meisten Fällen athmete das Thier noch von selbst und nun wurden nach Durchschneidung der genannten Nerven die peripheren Enden derselben unipolar gereizt. Bei Reizung des N. facialis sah man Contraction der Gesichts- und Ohrmuskeln, am Gaumensegel war jedoch gar keine Bewegung zu sehen; Reizung des N. trigeminus ergab Contraction der Kaumuskeln und des M. mylo-hyoideus, aber auch da war am Velum von der künstlichen Öffnung aus keine Veränderung und jedenfalls keine Hebung desselben zu bemerken.

Sehr lehrreich waren einige Versuche, bei denen Folgendes zu beobachten war: die Versuchsanordnung war im Wesen dieselbe geblieben, nämlich Eröffnung des Rachens von der Vorderseite des Halses, Blosslegung der Vaguswurzeln, Ent- fernung von Theilen des Hinterhauptbeines und Freilegung der Facialis- und Trigeminuswurzel. Bei schwachen Strömen war das zu sehen, was soeben beschrieben wurde: Hebung des Gaumensegels bei Reizung der oberen Fasern des mittleren Bündels und vollständige Ruhe desselben bei Reizung der unteren Fasern dieses Bündels, sowie des ganzen oberen Bündels, des N. trigeminus und Facialis,

Da nun einige dieser Versuchsthiere verhältnissmässig rasch zugrunde gingen, so dass auch von der inzwischen ein- geleiteten künstlichen Athmung wegen Herzstillstandes Abstand genommen wurde, so mussten die Ströme aUmälig verstärkt

28-

404 L. Rethi,

werden, um noch den Trigeminus- und Facialisstamm zu er- regen und die Kaumuskeln und die Muskeln des Gesichtes und der Ohrmuschel zur Contraction zu bringen, während zur Erregung des mittleren Bündels sowie der Vagusvvurzeln über- haupt, die sich stets viel erregbarer erwiesen, noch bedeutend schwächere Ströme ausreichten. Bei stärkeren Strömen, die eine deutliche Contraction der Gesichts- und Ohrmuskeln zur

Folge hatten, sah man nun auch bei Berührung der N. facialis

Hebung des weichen Gaumens, wurden sie jedoch etwas abge- schwächt, so dass man keine Contraction der Gesichtsmuskeln erzielen konnte, so verblieb auch das Velum in der Ruhelage. Doch gelang es noch durch Berührung des zwischen Facialis- und Vagusursprung befindlichen Theiles der Felsenbeinpyra- mide, je näher zum Vagus, desto sicherer, Contraction des Levator veli palatini zu erzielen und am ausgiebigsten war die Contraction bei Berührung der Vaguswurzeln selbst. In dem Masse, als die Erregbarkeit der Nerven sank, wurde auch die Entfernung, in der man noch Contraction des Levator veli palatini bekommen konnte, geringer und desto mehr concen- trirte sich diese Stelle auf die Vaguswurzeln, bis schliesslich die Contraction des Gaumenhebers wieder nur vom mittleren Bündel erzielt werden konnte. Wurden nun wieder stärkere Ströme angewendet, so wuchs auch der Radius um die Vagus- wurzel herum, innerhalb dessen man eine Hebung des Gaumen- segels auslösen konnte und bei noch stärkeren Strömen konnte der Levator palati wieder durch Berührung des N. facialis oft noch ganz gut erregt werden, wobei Stromschleifen auch auf den N. trigeminus übersprangen.

Jedenfalls wäre es möglich, manche Angaben früherer Autoren über die Abhängigkeit des M. levator veli palatini vom N. facialis auch hierauf zurückzuführen, umsomehr, als sie ihre Versuche nicht an lebenden, sondern an frisch getödteten und enthaupteten Thieren machten, bei denen immerhin so starke Ströme angewendet werden mochten, dass Stromschleifen auf die leicht erregbaren Vagusvvurzeln übersprangen.

Es wäre aber auch möglich, dass, wie dies Volk mann' einmal gesehen, bei Reizung des N. facialis der weiche Gaumen

^ V olkmann, 1. c.

Nervenwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln. 405

indirect durch die Zunge gehoben wird, so dass der Verdacht entstehen könnte, die Hebung des Gaumensegels sei direct vom N- facialis abhängig; doch könnte man sich in einem solchen Falle Klarheit verschaffen, indem man die Muskeln, welche hiebei thätig sind, den M. styloglossus und digastricus maxillae, die vom N. facialis versorgt werden, durchschneidet und ihre Wirkung ausschaltet.

Der weiche Gaumen des Kaninchens zeichnet sich durch eine ausserordentliche Länge aus und man kann von der künstlichen Öffnung aus nur Vg bis desselben direct beobachten; ich habe daher in den folgenden Versuchen, in denen ich zum Theil auch bei der Blosslegung der Wurzeln anders vorgegangen bin, den Gaumen von vorne durch den Mund beobachtet Es wurde blos der Oberkiefer des Thieres in der Weise wie bereits beschrieben fixirt, so dass der Unter- kiefer abducirt werden konnte, die Wange von den Mund- winkeln aus nach hinten durchtrennt, die Schädelhöhle durch Trepanation und mehr oder weniger vollständige Entfernung des Schädeldaches eröffnet, die Grosshirnhemisphären von der Schädelbasis abgehoben, Theile derselben auch stumpf ent- fernt und der Ursprung des N. facialis und trigeminus bloss- gelegt. Die Blutung stand oft schon nach kurzer Zeit; dann wurden indem die Zunge des Thieres behufs besserer Be- sichtigung des weichen Gaumens herausgezogen und an der Wurzel stark niedergedrückt wurde die Wurzeln der ge- nannten zwei Nerven durchschnitten, wobei es zu Contraction der Kau- und Gesichtsmuskeln, aber zu keinerlei Bewegung am Gaumen kam und das periphere Ende der durchschnittenen Nerven mit der Platinelektrode gereizt: diese wurde auch in den Nerven eingestochen und eine Strecke weit in den Knochen- kanal eingeführt; die Gesichtsmuskeln wurden wol erregt, aber am Levator veli palatini war keinerlei Contraction zu sehen und ebensowenig konnte durch Reizung der Trigeminuswurzel eine Hebung des weichen Gaumens erzielt werden.

Lebte das Thier noch und war auch Herzschlag vorhanden, so wurden die Vaguswurzeln rasch blossgelegt und mit sehr schwachen Strömen, schwächeren, als bei Reizung des N. faci- alis und trigeminus, gereizt. Bei Berührung des mittleren

406 L. Rethi,

Bündels eine genaue Differenzirung der einzelnen Fasern dieses Bündels war jetzt nicht möglich, weil die Spannung fehlte entstand ausgiebige Hebung des weichen Gaumens. Während des Versuches mussten in dem Masse, als die Erreg- barkeit der Nerven sank, stärkere Ströme angewendet werden, um noch in den vom N. trigeminus und facialis abhängigen Muskeln Contractionen zu erzielen und stets konnte man auch hier mit diesen starken Strömen den Levator veli palatini von dem zwischen Facialis- und Vagusaustritt liegenden Knochen erregen, am ausgiebigsten allerdings von den Vaguswurzeln selbst.

Noch besser konnte die Hebung des weichen Gaumens an Katzen gesehen werden, bei denen die Beobachtung vom Munde aus leichter, dagegen dieBlosslegung der Vaguswurzeln nach Spaltung der Membrana obturatoria und die Differenzirung der einzelnen Fasern des mittleren Bündels schwieriger war. Es wurde daher vorgezogen, das Schädeldach ebenso zu entfernen, wie in einigen Versuchen beim Kaninchen und die Vaguswurzeln und zugleich auch den Facialis- und Trigeminusstamm nach Entfernung des Gehirns blosszulegen.

Bei Durchschneidung des oberen Bündels war Contraction des M. stylopharyngeus und bei Durchschneidung des mittleren Bündels unter anderem auch Hebung des weichen Gaumens zu sehen. Die Erregbarkeit ist bei der Katze ausserordentlich anhaltend, so dass man mit den ursprünglichen Strömen fast noch eine halbe Stunde nach eingetretenem Tode experimen- tiren kann, ohne sie verstärken zu müssen. Bei Reizung des oberen Bündels konnte die Contraction des M. stylopharyngeus auf der gereizten Seite und bei Reizung des mittleren Bündels Verengerung des unteren Rachenabschnittes (M. constrictor pharyngis inferior und medius) und nebst Vorspringen der Gaumenbögen, wovon weiter unten ausführlich gesprochen werden soll, Hebung des weichen Gaumens auf der betreffenden Seite constatirt werden.

Zur Erregung des Facialis- und Trigeminusstammes waren auch hier stets etwas stärkere Ströme nothwendig und bei Reizung dieser Nerven war von einer Hebung des Gaumen- segels nichts zu sehen. Wurde bei derselben Stromstärke der

Nervenwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln. 407

Knochen zwischen den Austrittsöfifnungen dieser beiden Nerven, vom N. facialis beginnend abgetastet, so kamen allmälig immer deutlichere Contractionen des Levator veli palatini zum Vor- schein, bis sie in der Nähe der Glossopharyngeo-vagus-Wurzel und bei Reizung dieser selbst am ausgiebigsten wurden. Eine Differenzirung der einzelnen Bündel, der oberen und mittleren Fasern nach ihren Functionen wurde erst nach Abschwächung des Stromes möglich.

Wir müssen demnach die motorische Wurzel des Levator veli palatini in die oberen Fasern des mitt- leren Bündels verlegen, und wenn es auch zuweilen vor- kam, dass sich diese Wirkung auch bei möglichst schwachen Strömen, für die es ja in dieser Richtung kein absolutes Mass gibt, bei Berührung des oberen Bündels einstellte, so glaube ich diese Wirkung nicht einmal auf individuelle Verschiedenheiten, sondern auf Stromschleifen zurückführen zu müssen, denn erstens war die Levatorwirkung bei Reizung der oberen Fasern des mittleren Bündels bei genügender Stromstärke eine con- stante, während sie bei Reizung des oberen Bündels mit den- selben Strömen in der Regel ausblieb, und zweitens war in jenen Fällen, in denen auch Reizung des oberen Bündels Contraction des Gauntenhebers ergab, die Hebung des Gaumensegels immer ausgiebiger, wenn sie durch Berührung der oberen Fasern des mittleren Bündels ausgelöst wurde.

4. Nervenwurzeln des M. tensor palati mollis.

Mit grösseren Schwierigkeiten war wegen seiner tiefen und versteckten Lage die Beobachtung des Tensor palati mollis ver- bunden; es soll daher auch hier einer Beschreibung desselben, insbesondere seiner Insertion und Ausbreitung beim Kaninchen und Hunde und vergleichsweise auch beim Menschen voraus- geschickt werden.

Nach Hyrtl* »liegt der Tensor palati s. circumflexus s. spheno-salpingo-staphylinus als ein glatter und dünner Muskel an der äusseren Seite des Levator zwischen ihm und dem Ursprung des Pterygoideus internus. Er entspringt

1 Hyrtl, 1. c.

408 L. Reihi

an der Spina angularis des Keilbeins und an der knorpeligen Ohrtrompete, umschlingt mit seinen beiden Endsehnen den Haken der inneren Lamelle des Flügelfortsatzes und lässt die Fasern dieser Sehne im weichen Gaumen ausstrahlen, wo sie theils an den hinteren Rand des harten Gaumens sich inseriren, theils mit jenen des gegenständigen Tensor ver- schmelzend eine Aponeurose erzeugen, welche als die feste Grundlage des weichen Gaumens angesehen werden mag.«

Beim Hunde beginnt er nach Ellenberger und Baum' mit dem M. levator palati »gemeinsam am Processus styliformis des Tympanicum und liegt anfangs lateral an demselben; dann trennen sich beide Muskeln. Der Tensor geht an der Tuba, respective seitlich an der Schädelbasis herab und gelangt, sich verbreiternd, an die laterale Fläche des Pterygoideum, schlägt sich, sehnig werdend, um den freien Rand desselben herum und endet in der Fascie des Gaumensegels. Dabei bildet er noch ein Fascienblatt, welches den Levator veli überzieht und bis zum freien Rand des Segels herabreicht. Der Muskel liegt dem M. pterygoideus dicht an.«

Krause* beschreibt diesen Muskel beim Kaninchen folgen- dermassen: »Ursprung: laterale Fläche der Lamina medialis des Processus pterygoideus ossis sphenoidalis. Insertion: Der Muskel geht in eine glänzende platte Sehne über, welche sich um den Hamulus pterygoideus herumschlägt und in trans- versaler Richtung in das Velum palatinum ausstrahlt.«

Was die Innervation des M. tensor palati moUis betrifft, so konnte Volkmann^ entgegen den Angaben früherer For- scher über die Abhängigkeit desselben vom N. trigeminus, bei seinen Versuchen an geköpften Thieren durch Reizung der Trigeminuswurzel keinerlei Bewegung am weichen Gaumen erzielen. »Bei einem frisch getödteten Kalbe wurde die kleine Wurzel des Nerven (des N. trigeminus) galvanisch gereizt, worauf so heftige Kaubewegungen entstanden, dass die Zähne klappernd aneinanderschlugen; dasselbe Experiment gelang

^ F2l len berger und Haum , 1, c. 2 Krause, 1. c. •* ^ olkmann, 1. c.

Nervenwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln. 409

auch bei anderen Thieren . . . Reizung der kleinen Wurzel erregt in folgenden Muskeln deutliche Zusammenziehungen: Mylohyoideus, vorderer Bauch desDigastricus maxillae, Tempo- ralis, Massetericus und Pterygoideus internus. . . nie bewegte sich bei Reizung des fünften Paares der Buccinator oder Mund- winkel . . . ebensowenig der weiche Gaumen. . . . Ich glaube behaupten zu dürfen, dass sich der motorische Einfluss des Quintus auf die oben genannten Muskeln beschränkt, indem die abweichenden Angaben meiner Vorgänger auf anatomischen und pathologischen Beobachtungen zu beruhen scheinen, die weniger Sicherheit bieten, als meine zahlreichen, immer mit gleichem Erfolge angestellten Versuche.*

Hingegen hat Hein^ die Abhängigkeit des Tensor palati moUis vom N. trigeminus nachweisen können; um den Muskel zur Ansicht zu bringen, sägte er den Schädel der Länge nach auseinander und erst nachdem der Bauch des hinter dem Haken des Flügelfortsatzes versteckten Tensor frei zu Tage lag, konnte er Contractionen desselben bei Reizung des N. trigeminus sehen.

Die Ansicht, dass der N. trigeminus der motorische Nerv des Tensor palati mollis ist, wird auch von den neueren Autoren durchwegs vertreten. Nach Luschka* gibt der dritte Ast des fünften Nerven vermittelst des N. pterygoideus internus ein Fädchen an den M. tensor veli palatini ab, und Longe t'^ sagt: ». . .le nerf facial preside ä la contraction de tous les muscles du voile palatin, excepte le peristaphylin externe (Tensor veli palatini) qui est anime, comme on le savait, par la racine motrice du trijumeau«.

Nach He nie* »entspringt aus der vorderen Spitze des Ganglion oticum der Nervulus ad M. sphenostaphylinum und geht schräg vor-, lateral- und abwärts zum hinteren Rand des genannten Muskels. Auch dieser Nerv lässt sich zuweilen innerhalb des Ganglions zu dem N. pterygoideus internus zu- rückverfolgen*.

1 Hein, 1. c.

2 Luschka, 1. c.

3 Longet, 1. c. * Henle, I. c.

410 L. Rethi

Die Versuche habe ich in der Weise ausgeführt, dass beim narkotisirten Thier der Unterkiefer abducirt, der Mund weit geöffnet und beim Kaninchen überdies auch die Wange von den Mundwinkeln aus gespalten wurde. Dann wurde nach vor- genommener Trepanation des Schädels so viel Raum geschaffen, dass das Grosshirn von der Schädelbasis abgehoben nach Entfernung des knöchernen Tentorium cerebelli beim Hunde und bei der Katze - der Trigeminusursprung blossgelegt und der Stamm an seiner Austrittsstelle durchschnitten werden konnte. Bei Reizung des peripheren Endes des durchschnittenen Nerven konnte man nebst Contraction der Kaumuskeln und einer energischen Adductionsbewegung des Unterkiefers am weichen Gaumen auf der gereizten Seite eine Vorwölbung constatiren, die in der Höhe des Hamulus pterygoideus, zwischen diesem und der Medianlinie zuweilen ziemlich deutlich ausgesprochen war, zum Theil aber, namentlich in markirteren Fällen auch die Mittellinie überschritt, beim Kaninchen etwa 05 cm bis zum hinteren Rand des harten Gaumens heranreichte und in verti- caler Richtung in einer Ausdehnung von 15 cm bemerkbar war; die Wölbung, welche der weiche Gaumen in der Ruhe- lage an dieser Stelle aufweist, wurde geringer, so dass er eine plane Fläche darstellte und in der Mitte sogar ein wenig convex in die Mundhöhle vorsprang.

Man hätte vielleicht auch vermuthen können, dass es sich nicht um eine Contraction des M. tensor veli palatini, sondern anderer in der Nähe befindlicher Muskeln, insbesondere des M. pterygoideus internus, der sich bei Reizung des M. trige- minus ebenfalls contrahirt und somit um eine passive Bewegung des weichen Gaumens handelt. Ich habe daher beim Hunde und bei der Katze über der sich vorwölbenden Stelle die Schleimhaut abgelöst, die senkrecht verlaufenden Levatorfasern durchgeschnitten und die sehnige Ausbreitung des Tensor palati moUis blossgelegt. Wurde nun der Trigeminusstamm gereizt so zeigte sich nach aussen von der Medianlinie an dieser Stelle hinter dem M. levator veli palatini ganz deutlich eine Retraction der sehnigen Fasern, eine Bewegung derselben nach aussen, eine Verziehung der Tensorsehne gegen den Hamulus pterygoideus hin.

Nervenwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln. 411

Demnach liegen die motorischen Fasern des Ten- sor palati moUis, wie von den meisten Autoren ange- geben wurde, in der motorischen, kleinen Wurzel des N. trigeminus.

5. Die Nerven wurzeln des M. palato-pharyngeus und palato-

glossus.

Die Beobachtung des M. palato-pharyngeus bereitet zwar keine Schwierigkeiten, hingegen ist gegebenenfalls die Ent- scheidung ob sich der M. palato-glossus contrahirt umso schwieriger; daher mögen, wie in den vorhergehenden Ab- schnitten, auch hier diese Muskeln beim Hunde und beim Kanin- chen beschrieben und vergleichsweise auch ihr Verhalten beim Menschen erwähnt werden. Diese beiden Muskeln liegen in den gleichnamigen Schenkeln des weichen Gaumens einge- schlossen; der M. palato-pharyngeus »hängt mit der Aponeurose des Tensor palatinus zusammen, auf welcher auch die Fasern der beiderseitigen Palato-pharyngei bogenförmig in einander übergreifen .... er befestigt sich theils am hinteren Rand des Schildknorpels, theils verliert er sich in decr hinteren Pharynx- wand, deren Längsmuskelfasern er vorzugsweise zu liefern scheint.«^ Den M. glosso-palatinus s. Constrictor isthmi pha- ryngo-oralis beschreibt Luschka* in folgender Weise: »Auf jeder Seite geht aus dem Seitenrand der Zungenwurzel ein plattes dünnes Fleischbündel aus, welches theils von der Schleimhaut der Zunge entspringt, theils eine Fortsetzung von Fasern des M. stylo-glossus, theils mit den hintersten Fasern des M. transversalis linguae continuirlich ist. Dasselbe bildet den hauptsächlichen Inhalt des Arcus glosso-palatinus, steigt schräg von der Mandel medianwärts empor, fliesst unter der Schleimhaut und Drüsenschichte an der vorderen Seite des weichen Gaumens mit dem der anderen Seite grösstentheils bogenförmig zusammen.«

Beim Hunde bilden »die Arcus palato-glossi nach Ellen- berger und Baum^ zwei sehr deutliche, ziemlich senkrecht

J Hyrti, 1. c.

2 Luschka, I. c.

3 Ellenberger und Baum, I. c.

412 L. Rethi,

gestellte und nur etwas oral verlaufende, zum Seitenrand der Zunge ziehende Falten. Die Arcus palato-pharyngei » . . . * sind stärker als die ersteren und spalten sich bald nach ihrem Ursprung in zwei Schenkel ; der eine (kürzere) von diesen zieht schräg zur lateralen und aboralen Wand des Pharynx, um sich allmälig in der Schleimhaut zu verlieren, während der andere (längere) Schenkel an der Seitenwand des Pharynx bis zum Kehldeckel geht und sich mit dem der anderen Seite vereinigt, indem er dabei gleichzeitig in die Pharynxschleimhaut aus- strahlt.« . . . »Beim Hunde sind beide Muskeln (der M. palatinus et palato-pharyngeus) miteinander verschmolzen; der gemein- schaftliche Muskel entspringt mit einer dünnen Sehne platt am freien Rande des Palatinum bis zum Hamulus ossis ptery- goidei, woselbst er mit dem Pterygo-pharyngeus zusammen- stösst, verlauft zum Theil direct aboral zum Arcus palatinus, woselbst er endet, zum Theil seitlich zur Seitenwand der Rachenhöhle, um sich an der Fascia pharyngea gegen die Raphe hin zu inseriren; er hilft dadurch die orale und Seitenvvand dieser Höhle bilden. Er liegt auf der Rachenhöhlenfascie und einem Theile des Levator veli und wird zum Theil v^om Stylo- glossus und Pterygoideus bedeckt. Der mediale Theil des Muskels, der median am harten Gaumen« . . . »entspringt und zur Mitte des aboralen Randes geht« . . . »stellt den eigentlichen Palatinus dar. Wirkung: Heber, Verkürzer und Spanner des Segels, Vorzieher des Schlundkopfes, Verkürzer des Rachen- raumes.«

Beim Kaninchen liegen diese beiden Gaumenmuskeln eben- falls in den gleichnamigen Gaumenbögen; während jedoch der hintere Gaumenbogen beträchtlich entwickelt und deutlich ausgesprochen ist, springt der Arcus palato-glossus nur wenig vor.

Die motorische Innervation dieser Muskel betreffend, fand Volkmann* bei frisch getödteten und geköpften Thieren auf Reizung der Vaguswurzeln nach Exstirpation des N. glosso- pharyngeus und accessorius Willisii »Bewegungen im M. con- strictor faucium supremus, Constrictor infimus, Levator palati«

1 Volk mann, 1. c.

Xerv'enwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln. 413

..*und Arcus pharyngo-palatinus.« Contractionen des M. palato-glossus konnte er nicht bekonnmen.

In ähnlicher Weise fand Hein* bei Schafen, Ziegen und Hunden auf Reizung des N. vagus Contractionen des M. palato- pharyngeus. Die Beobachtung des M. palato-glossus hingegen bereitete auch ihm grosse Schwierigkeiten; Contraction des- selben konnte er, wie er meint, »wegen der Schwäche und Zart- heit dieses Muskels« nicht constatiren. Weil er jedoch keine anderen Nerven in diesen Muskel hinein verfolgen und ihn auch von einem anderen Nerven nicht erregen konnte, so nimmt er seine Abhängigkeit vom N. glosso-pharyngeus an.

So wie Hein leitet auch Luschka^ die motorischen Fasern des M. pharyngo-palatinus vom N. vagus und diejenigen des M. glosso-palatinus vom N. glosso-pharyngeus ab und Henle*' sagt: ». . .jedenfalls fiele den motorischen Fasern der V'aguswurzel die Innervation der« . . . »Palato-pharyngei zu.«

Nach J. Müller* »können diese Muskeln (Levator veli palatini und M. palato-pharyngeus) auch vom Accessorius bewegt werden.« Longet^ hingegen sagt: »Le nerf glossopharyngien se distribue ä la muqueuse pharyngienne tandis que les filets venus du facial s'arretent specialement, suivant moi, dans les muscles des piliers, c*est-ä-dire les glosso-staphylins et pha- ryngo-staphylins. «

Es wurde oben bereits erwähnt, dass Sanders** in einem Falle bei Facialislähmung den Levator palati moUis nur unvoll- kommen, und den M. palato-glossus und palato-pharyngeus gar nicht gelähmt fand, obgleich auf der kranken Seite Taub- heit eingetreten war, so dass man auf eine hoch oben liegende Ursache schliessen musste, was jedenfalls gegen eine Abhängig- keit der genannten Muskeln vom Facialisstamm sprechen würde.

Zur Eruirung der motorischen Wurzelfasern des M. palato- pharyngeus wurde das narkotisirte Thier in einer Reihe

1 Hein, 1. c.

- Luschka, 1. c.

■^ He nie, 1. c.

■* J. Müller, Handbuch der Physiologie des Menschen. 1844.

•'* Longet , 1. c.

*' Sanders, 1. c.

414 L. Relhi,

von Versuchen in der Rückenlage auf den Operationstisch festgebunden und nach vorgenommener Tracheotomie, sowie Spaltung der Membrana thyreo- hyoidea und Cartilago thyreo- idea der untere Theil des tief herabhängenden Gaumensegels sammt seinen bogenförmigen Fortsetzungen und ihrem Über- gang in die hintere, seitliche Rachenwand zur Ansicht gebracht. Dann wurden in der Bauchlage des Thieres die Wurzelfasern des N. glosso-pharyngeo-vagus und accessorius in der eben- falls beschriebenen Weise nach Durchtrennung der Membrana obturatoria zugänglich gemacht und die einzelnen Fasern mit der Elektrode abgetastet.

Reizung des oberen Bündels ergab am Arcus palato-pha- ryngeus keine Veränderung, weder bei Berührung der oberen noch der unteren Fasern desselben, wurden jedoch die oberen Fasern des mittleren Bündels gereizt (Fig. 1,2;. S. 387), und zwar dieselben, von denen man den Levator veli palatini und die Constrictoren des Rachens erregen konnte, so erfolgte nebst einer Hebung des Gaumensegels seitlich von der Mittellinie (Levator palati) und einer Verengerung des Rachens (Constrictor pharyngis inferior und medius der obere war von hier aus nicht zu sehen) eine sehr ausgiebige Contraction des M, palato- pharyngeus: starkes Vorspringen der hinteren Gaumenbögen und ein V^orrücken derselben gegen die Mittellinie auf der gereizten Seite. Von den unteren Fasern des mittleren Bündels konnte keine Contraction dieses Muskels bewirkt werden und ebenso wenig von den Accessoriuswurzeln.

Naturgemäss konnte auch hier nur die Wirkung der schwächsten Ströme verwerthet werden, bei denen es überhaupt noch zu einer Contraction kam, denn wurden die Ströme etwas verstärkt, so konnte man namentlich auch durch Berührung der unteren Fasern des oberen Bündels und schliesslich auch von den Accessoriuswurzeln Contraction des M. palato-pharyn- geus auslösen; man sah jedoch deutlich, dass es sich um Stromschleifen handelte, denn es trat bei Reizung des oberen Bündels gleichzeitig auch Stylo-pharyngeus-Wirkung und bei Reizung des unteren Bündels auch kräftige Contraction der Nackenmuskeln (N. accessorius) auf; auch waren diese genannten Bewegungen bei Reizung der oberen Fasern des

Nen'enwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln. 415

mittleren Bündels zu sehen; ferner war das Vorspringen der hinteren Gaumenbögen bei Berührung dieser Fasern (c) am deutlichsten ausgesprochen und dann deuteten sich diese Bewegungen auch bei Berührung des Knochens in der Nähe der Vagus-Wurzel an. Dass vom Facialis- und Trigeminusstamm keine Contraction des M. palato-pharyngeus erzielt werden kann, davon habe ich mich bei den zu anderen Zwecken vorgenommenen Versuchen schon früher überzeugt.

Dieser Versuch wurde ebenso, wie die anderen, öfter wiederholt, auch in der gleich unten zu besprechenden Modi- fication ausgeführt und stets dasselbe Resultat erzielt.

Die Wurzelfasem, deren Reizung Contraction des ge- nannten Muskels ergab, konnten von jenen, welche die motori- schen Nerven des Levator veli palatini und der Constrictoren des Rachens führen, nicht mit Sicherheit differenzirt werden; alle diese Erregungen schienen durch dasselbe Nervenbündel- chen nach der Peripherie geleitet zu werden. Die Erregbarkeit des M. palato-pharyngeus war ungefähr die gleiche, wie die des Levator palatinus und der Constrictoren.

Um den M. palato-glossus zur Ansicht zu bringen, musste der Versuch modificirt werden. Beim Kaninchen w^urde nach Fixirung des Oberkiefers die Mundspalte nach den Seiten hin künstlich vergrössert, der Unterkiefer abducirt und der Rachen von vorne durch den Mund beobachtet. Bei Reizung des oberen Bündels war am Gaumen und den Gaumenbögen nichts zu sehen, wurden hingegen die oberen Fasern des mittleren Bündels gereizt (Fig. 1 z), so sah man beide Gaumen- bögen, den Arcus palato-glossus sowohl, als auch den Arcus palato-pharyngeus auf der gereizten Seite gegen die Mittel- linie hin vorspringen, doch war erstens die Lageveränderung des hinteren Gaumenbogens viel ausgiebiger, als die des vorderen, und zweitens war dieses Vorspringen des Arcus palato-glossus nicht immer, in der Regel sogar nur andeu- tungsweise zu sehen; auch entzog sich die Contraction des M. palato-glossus, wenn schwächere Ströme angewendet wur- den, vielleicht wegen der grösseren Zartheit der Muskelbündel früher dem Auge, als die des weitaus kräftigeren M. palato- pharyngeus.

416 L. Rethi.

Auf den ersten Blick wäre auch eine Verwechslung der Contraction des M. palato-glossus mit der Wirkung anderer in der Nähe befindlicher Muskeln, insbesondere des Schlund- schnürers, möglich; doch kann derselbe höchstens die untere Partie des vorderen Gaumenbogens, nicht aber die Mitte des- selben beeinflussen, während sich dieser zuweilen ganz gleich- massig und am ausgiebigsten in seiner Mitte spannte. Überdies habe ich beim Hunde und bei der Katze die Schleimhaut des vorderen Gaumenbogens abpräparirt und die dürftigen Muskel- bündel blossgelegt, so dass man dann gelegentlich bei Reizung der oberen Fasern des mittleren Bündels die Contraction der Muskelbündelchen direct beobachten konnte.

Demnach verlaufen die motorischen Nerven der beiden Gaumenbogenmuskeln in den oberen Fasern des mittleren Bündels.

Was die einzelnen, hier in Betracht kommenden Hirn- nerven betrifft, deren Function wir nun überblicken wollen, so finden sich die oben beschriebenen Versuche bezüglich des N. trigeminus mit den bisherigen Angaben in Über- einstimmung; er führt bei seinem Austritte aus dem Gehirn in seinem Stamm (kleine Wurzel) nebst anderen, namentlich, für die Kaumuskeln bestimmten Fäden die motorischen Fasern für den M. tensor veli palatini.

Was den N. facialis betrifft, der vielfach mit der motori- schen Innervation des Levator veli palatini und Azygos uvulae in Verbindung gebracht wird, so muss die Wurzel derselben nach diesen Versuchen von einer Betheiligung an der Inner- vation der genannten Muskeln mit Bestimmtheit ausgeschlossen werden. Bezüglich der Zerfaserungen des N. petrosus super- ficialis major (Longet, Arnold, Valentin, Nuhn, Früh- wald) soll hier nur bemerkt werden, dass sich die Fasern nicht continuirlich von der Wurzel bis an ihr Endziel verfolgen lassen. Hein* hat bei einigen Hunden den N. petrosus superficialis

J Hein. 1. c.

Nervenwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln. 417

major von der Schädelhöhle aus, zwischen dem fünften und siebenten Nerven zerstört, um sich zu überzeugen, »ob viel- leicht centrifugale Fäden des zehnten Nerven, die wohl füglich durch den Ohrast zum Stamm des siebenten Nerven gelangen könnten, aus diesem durch jene Verbindungsnerven zum Gaumenkeilbeinknoten und so zu den Gaumenmuskeln geleitet würden. Die Bewegungen dieser Muskeln erfolgten aber stets auch nach Zerstörung der Felsenbeinnerven bei Reizung des zehnten und eilften Nerven, wie sonst auch.«

Die klinischen Erfahrungen scheinen, wie oben aus- einandergesetzt, der Annahme, dass der Levator veli palatini vom N. facialis abhängig ist, allerdings günstig zu sein, doch lassen sich einige Beobachtungen mit dieser Annahme nicht in Einklang bringen und insbesondere haben wir gegenüber zahlreichen, nicht näher angeführten positiven Angaben, auf die durch einen ausführlichen Sectionsbefund belegte Beob- achtung von Eisenlohr hingewiesen.

Was schliesslich die Experimente betrififl, so muss an- gesichts der vorliegenden zahlreichen Versuche angenommen werden, dass sich bei den positiven Ergebnissen der Versuche anderer Autoren Fehler eingeschlichen haben, und insbesondere, dass es sich bei denselben um Stromschleifen gehandelt haben dürfte; die Versuche rühren nämlich zum Theil aus einer Zeit her, in der man auf Fehlerquellen, die durch Stromschleifen entstehen können, und auf Methoden, dieselben zu vermeiden, weniger aufmerksam war.

Es kommt ganz besonders in Betracht, dass ich die Ver- suche an lebenden Thieren ausgeführt, beziehungsweise an solchen fortgesetzt habe, die noch während der Versuche starben, und dass ich mit wenigen Ausnahmen nur jene Ver- suche verwerthet habe, bei denen das Thier noch am Leben war, wo also noch sehr schwache Ströme genügten, um Con- tractionen auszulösen, und bei denen die Gefahr der Strom- schleifen wegen der schwachen Ströme eine sehr geringe war. Da sich die Gefahr der Stromschleifen aus physikalischen Gründen principiell niemals vermeiden lässt, so verfuhr ich in der Weise, dass ich bei massiger Stromstärke das Gebiet zwischen zwei Nervenursprüngen mit der Elektrode abtastete

Sitzb. d. mathem.-naturw. Gl.; Gl. Bd., Abth. III. 29

418 L. Rethi.

und beobachtete, welcher der Nervenursprünge bei Annäherung der Elektroden die betreffende Muskelaction auslöste.

Was den N. glosso-pharyngeus und vagus betrifft, so haben wir gehört, dass der N. glossopharyngeus insbesondere von Mayo und J. Müller für einen gemischten Nerven erklärt und dass die motorischen Eigenschaften desselben durch die Versuche von Volk mann und Hein sicher gestellt wurden, dass ihm aber Reid, Valentin und Longet die motorischen Eigen- schaften abgesprochen haben; ebenso wurde auch der X. vagus von Goerres, Arnold, Scarpa, Bischoff, Valentin und Longet für sensorisch gehalten, während andere Beob- achter, Reid, Müller, Volkmann, u. s. w. nachgewiesen haben» dass er gemischt ist.

Die Angaben über die motorischen Eigenschaften dieser Wurzelfasern werden also durch die vorstehenden Versuche bestätigt: Das obere Bündel führt die motorischen Fasern des M. stylo-pharyngeus; die unteren Fasern des mittleren Bündels hingegen, die ein anderes Aussehen haben, als die oberen, indem sie dünner und zarter sind, enthalten keine motorischen Nerven für die Rachenmuskeln, während die oberen Fasern desselben alle drei Constrictoren des Rachens, den Levator veli palatini, den M. palato-pharyngeus und palato-glossus mit motorischen Nerven versorgen. Eine Isolirung der Fädchen, welche die motorischen Elemente der einzelnen Muskeln ent- halten, war bei der Feinheit der Objecte nicht möglich.

Durch diese Versuche wurde sicher gestellt, dass die motorischen Nerven der genannten Muskeln in dem oberen und mittleren Wurzelbündel verlaufen; in welcher Weise sich jedoch aus diesen Wurzeln der sogenannte N. glossopharyngeus und der sogenannte N. vagus formiren, und welche Fasern in den Stamm des einen, und welche in den des anderen eintreten, ist nicht bekannt. Es soll hier auch unerörtert bleiben, auf welchen Bahnen die motorischen Nerven von den Wurzeln zu ihrem Bestimmungsorte gelangen, insbesondere auch, welchen Weg die für den Levator veli palatini bestimmten Fasern einschlagen, doch geht aus diesen Versuchen hervor, dass die für den M. stylo-pharyngeus bestimmten und in den unteren Fasern des oberen Bündels enthaltenen motorischen

Nervenwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln. 419

Nerven ihrem Endziel durch den N. laryngeus medius zugeführt werden.

Für die motorische Abhängigkeit des M. azygos uvulae von dem mittleren Bündel will ich nicht eintreten, da bei meinen Versuchsthieren die Uvula fehlt, doch ist es nach dem anatomischen Verhalten der Muskeln sowie nach den Angaben der Autoren, dass beide Muskeln, der Levator veli palatini und Azygos uvulae von demselben Nerven versorgt werden, wahr- scheinlich, dass bei Thieren, bei denen der letztere Muskel vorhanden ist, derselbe seine motorischen Nerven ebenfalls vom mittleren Bündel der Glosso-pharyngeo-vagus-Wurzel empfängt.

Um schliesslich auch den N. accessorius zu berühren, dessen Wurzelgebiet sich in unmittelbarer Nähe des N. vagus befindet und auf welchen bei den Versuchen Stromschleifen leicht überspringen können, so soll nur erwähnt werden, dass ich bei Reizung seiner Wurzeln (3 in Fig. 1), oder vielmehr jener Fäden, welche vom mittleren Bündel zumeist durch einen kleinen Zwischenraum getrennt sind und dann in der Regel in den sogenannten N. accessorius eintreten, niemals Contractionen im Rachen oder am Weichen Gaumen gesehen habe. Es muss nämlich auch hier bemerkt werden, dass man ebenso, wie die Wurzeln des neunten und zehnten Hirnnerven, auch die des eilften anatomisch nur in ganz conventioneller Weise trennen kann, und wenn Volk mann* angibt, auf Reizung der Accessoriuswurzel bei einer Katze Bewegungen des Gaumen- segels gesehen zu haben, so kann das daher rühren, dass er Fasern zum N. accessorius gerechnet hat, die höher oben liegen. Dass bei starken Strömen auch vom unteren Bündel Contrac- tionen im Levator veli palatini, M. palato pharyngeus, Constrictor pharyngis etc. erzielt werden konnten, wurde oben hervor- gehoben.

Auf Grund dieser Versuche können den, nach ihren Func- tionen geschiedenen Rachenmuskeln verschiedene Nerven- wurzeln zugewiesen werden: die Verengerer des Rachens, oder vielmehr jene Muskeln, welche zur Verengerung und zum

Volkmann, 1. c.

420 L. Rethi, Nervenwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln.

Abschiuss der Rachenhöhle gegen die benachbarten Räume dienen, die Constrictoren einerseits und andererseits die Mm. palato-pharyngei, palato-glossi und der Levator veli palatini, welche den Abschiuss theilweise wenigstens gegen die Mund- und Nasenhöhle zu besorgen haben, erhalten ihre motorischen Nerven von den oberen Fasern des mittleren Bündels, während die Erweiterer des Rachens, die Mm. stylo-pharyngei, vom oberen Bündel versorgt werden.

Bei der stets offenen Frage, in wie weit Thierversuche auf den Menschen übertragen werden dürfen, fällt hier der Umstand ganz besonders in's Gewicht, dass die Ergebnisse dieser Versuche auch bei verschiedenen Thieren stets dieselben waren und dass beim Menschen und bei meinen Versuchs- thieren nicht nur bezüglich der Nervenwurzeln, sondern auch bezüglich der betreffenden Muskeln keine wesentlichen anato- mischen Unterschiede bestehen. Demnach ist es sehr wahr- scheinlich, dass beim Menschen ähnliche Verhältnisse obwalten und dass die Rachen- und Gaumenmuskeln ihre motorischen Nerven von den analogen Wurzelgebieten ableiten.

Wenn wir die an Kaninchen, Hunden und Katzen ge- wonnenen Resultate nach dem anatomischen Verhalten auf den Menschen übertragen, so können sie in der auf Fig. 2 (S. 388) angegebenen Weise anschaulich gemacht werden.

Inhalt.

1. Die Nervenwurzeln des M. stylo-pharyngeus 382

2. » > der Constrictoren des Rachens 390

3. » » des Levator veli palatini 394

4. » » des Tensor veli palatini 407

5. > » des M. palato-pharyngeus und palato-glossus .411

421

Versuche über die respiratorische Function

der Intercostalmuskeln.

I. Abhandlung.

Der Einfluss der Intercostalmuskeln auf die Capacität

des Thorax

von

J. Weidenfeld,

stud. med.

(Mit 2 Tafeln.)

Aus dem physiologischen Institute der k. k. Universität in Wien.

(Vorgelegt in der Sitzung vom 14. Juli 1892.)

I. Geschichtliche Vorbemerkungen.

Der Streit, der im vorigen Jahrhundert durch Hamberger so heftig angeregt wurde, ist heute noch nicht beigelegt, denn Jahr für Jahr erscheinen Arbeiten, die sich bald für, bald gegen die Ansicht Hamberger's aussprechen, von denen aber noch keine allgemeine Anerkennung gefunden hat.

Schon vor Hamberger hatte VesaP die bis damals unan- gefochtene Ansicht Galen's,* dass die musculi intercostales externi Exspiratoren, die Mm. intercostales intemi Inspirations- muskeln wären, verworfen und sie beide für Expiratoren erklärt, weil beide Muskeln durch ihre Contraction die Intercostalräume nur verengern und damit das Volumen des Thorax verkleinern können. Trotzdem blieb die Galen'sche Lehre in der Folge noch bestehen.

1 V e s a l : De corporis humani fabrica. Über II, Cap. XXXV, p. 239. Opera omnia. Herausgegeben von Boerhave, 1725.

'Galen: I, 3. De causis respirationis. Omnia opera, prima classis, p. 225. Venetiis 1541.

422 J. Weidenfeld,

Auch Borelli* trat gegen die Galen 'sehe Lehre auf, wenngleich sich auch seine Ansicht von der Vesal's wesent- lich unterscheidet. Beide Muskelgruppen haben nach ihm eine simultane hebende Wirkung. Der Zweck ihres verschiedenen Verlaufes sei, jeden Rippenpunkt in genau perpendiculärer Rich- tung nach, aufwärts zu ziehen, welche Richtung den Diagonalen beider Muskelzüge entspräche. Nach ihm trat Bajleus' mit einer ganz anderen Ansicht hervor; die verschiedene Rich- tung beider Muskeln sei auch Ausdruck einer verschiedenen Wirkung. Die Mm. intercostales externi seien Heber der Rippen, also Inspiratoren, die Mm. intercostales interni Senker und Exspiratoren. Zur Erklärung führte er 'die mechanischen Verhältnisse der Rippen und der Muskeln an. In ganz ähn- licher Weise behandelte später Hamberger^ den Gegenstand. Das obere Ende einer jeden Faser der Mus. intercostales interni ist von dem Gelenke der zugehörigen Rippe weiter entfernt, als das untere Ende von dem der unteren Rippe. Die Rippen selbst stellt sich Hamb erger als einarmige Hebel vor, welche sich um einen Punkt drehen (um das Köpfchen der Rippe). Wenn nun diese Muskeln sich zusammenziehen, so muss die obere Rippe gegen die untere herabgezogen werden, weil für die obere Rippe der Muskel einen günstigeren Angriffspunkt hat, als für die untere. Das Herabziehen der Rippen verringert aber das Volumen des Thorax, folglich sind die Mm. intercostales interni Exspiratoren. Das umgekehrte Verhalten zeigen die Mus. intercostales externi; diese sind deshalb Rippenheber und Inspiratoren. Seine Erklärung stützt Hamberger auf eine den natürlichen Verhältnissen der Rippen und ihrer Befesti- gungen scheinbar entsprechende mechanische Vorrichtung. Dieses »Schema« besteht aus einem in Chanieren beweglichen aus Stäben gebildetem Parallelogramm. Ein Stab entspricht der Wirbelsäule; der gegenüberliegende dem Sternum, die beiden anderen zwei Rippen. Sie sind, der normalen Rippenstellung

' Borelli: De motu animalium II. Prop. 84.

- Bajleus: Institutiones phys. Tolosae 1700, tom III, tract. II, Art. V. 3 Hamberger: De respirationis mechanismo^et usu genuino una cum scriptis. Jenae 1749.

Respiratorische Function der Intercostalmuskeln. 423

entsprechend, von der Wirbelsäule gegen das Sternum als schief nach abwärts geneigt zu denken.

Wenn nun an den »Rippen« dieser Vorrichtung, ent- sprechend den Mus. intercostales externi, Bänder gespannt werden, welche einen Zug bewirken, so erweitem sich die Intercostalräume, die Ansatzpunkte der' Mm. intercostales interni entfernen sich, das »Sternum« und die »Rippen« heben sich. Das Umgekehrte findet statt, wenn die Action der Mm. intercostales interni nachgeahmt wird. Da nun ein Nähern der Ansatzpunkte eines Muskels hier gleichbedeutend mit seiner Contraction ist, so schloss Hamberger, dass die Hebung nur durch die Mm. externi und die Senkung durch die Mm. interni bewirkt werden könne.

Gegen diese Anschauung trat Haller* sehr entschieden auf. Er führte Vivisectionen aus, welche ihm das Gegentheil ergaben. Er sah die Intercostalräume sich inspiratorisch ver- kleinem, die Intercostales interni wurden hiebei gleichzeitig mit den Intercostales externi hart, woraus er schloss, dass so- wohl die Mm. intercostales interni als auch die Mm. intercost. externi Inspirationsmuskeln seien.

Die mechanische Betrachtung Hamberger's suchte er durch eine andere zu entkräften. Die untere Rippe werde immer leichter gehoben, als die obere gesenkt, und zwar im Verhältniss von 8:1. Dadurch muss sowohl beim Wirken der Mm. externi als auch der Mm. interni die untere Rippe gegen die obere hinaufgezogen werden, weil doch immer das Bewegliche gegen das weniger Bewegliche gezogen wird. Ausserdem ist die erste Rippe fix, was hier schwer ins Gewicht fällt.

Das Schema Hamberger*s entspräche demnach nicht der Wirklichkeit. An diesem zeigen die Rippen die gleiche Beweglichkeit, und es darf daher nicht Wunder nehmen, wenn beim Anziehen der den Mm. intercostales interni entsprechenden Binden die Rippen nach abwärts gezogen werden.

Zwanzig Jahre währte der Kampf zwischen beiden Forschern. Die Zeitgenossen entschieden sich meist für Haller's Ansicht. In unserem Jahrhundert ist es anders

« Hall er: Elcmenta physiologiae. III, p. 36.

424 J. Weidenfeld,

geworden, indem sich die meisten Forscher Hamberger's Ansicht zuneigen. Trotzdem gibt es nicht wenige, die diese verwerfen.

Unter ihnen wäre Budge,* Duchenne* und in neuerer Zeit Volkmann^ zu nennen. Budge und Volkmann zeigten dieUnanwendbarkeit des Hamberger'schen Schemas auf den menschlichen Thorax, da die Rippen sich nicht, wie Ham- berger annahm, um einen Punkt bewegen, sondern um Axen, welche nach Budge vom Capitulum costae zum vorderen Rippenende, nach Volkmann durch das capitulum und tuber- culum gehend zu denken sind. Auf Grund dieser neuen That- sachen kamen beide Forscher zu dem Resultate, dass beide Intercostalmuskeln gleichsinnig wirken.

Zu ähnlicher Anschauung gelangte Duchenne durch seine Untersuchungen am lebenden Menschen.

Auch Helmholtz* nimmt nur eine inspiratorische Thätig- keit beider Muskelarten an, indem die Exspiration keiner Muskel- kraft bedürfe. Functionen unterscheiden sich beide Muskel- gruppen nur insoferne, als die Mm. intercostales externi für die respiratio thoracica, und die Mm. intercostales intemi für die respiratio abdominalis in Verwendung kommen dürften.

Eine ganz eigenthümliche Stellung in dieser Frage nehmen He nie-'* und Brücke^ ein. Beide Forscher betrachten diese Muskeln überhaupt nicht als Respirationsmuskeln, sondern als bestimmt zur Regulirung der Spannung in den Intercostalräumen und zur Drehung des Thorax um eine Längsaxe.

1 Budge: Über die Wirkung der Mm. intercostales. Archiv für physio- logische Heilkunde. I. Band, N. F. Jahrgang 1857, S. 63.

2 Duchenne: Physiologie de mouvements. Paris 1867.

3 Volkmann: Zur Theorie der Intercostalmuskeln. Zeitschrift für Anatomie und Entwicklungsgeschichte. II. Band 1877, S. 159.

•* Helmholtz: Über die Bewegungen des Brustkastens. Verhand- lungen des naturhistorischen Vereines für Rheinlanden und Westphalen. Jahrg. XIII. S. 70 71. Wieder abgedruckt in Helmholtz 's: Wissenschaft- lichen Abhandlungen, II. Band, S. 953.

5 Henle: Handbuch der Anatomie des Menschen. I. 3. S. 106.

^' Brücke: Vorlesungen über Physiologie. S. 441. Wien, 1875.

Respiratorische Function der Intercostalmuskeln. 425

Im Gegensatze zu diesen Forschern vertritt wieder Hutchinson* die Ansicht Hamberger's. Von den neueren Forschem schreibt v. Ebner* den Mm. intercostales externi eine hebende Wirkung zu; die Frage über die Wirkung der Mm. intercostales intemi lässt er offen.

Landerer^ glaubt hingegen auf Grund seiner Unter- suchungen, die er gleich V. Ebner am menschlichen Cadaver angestellt hatte, den Intercostalmuskeln eine Wirkung nur per accidens zuschreiben zu können, indem diese eine ihnen übertragene Bewegung gleich Bändern fortzuleiten im Stande wären. Während der Inspiration hätten demnach die gespannten Muskeln den auf sie von den höheren Rippen übertragenen Zug auf die tieferen fortzuleiten, während sie die Exspiration durch Zurücktreten aus der Spannung in die Ruhelage bewirken könnten. Hermann v. Meyer* nimmt hebende Wirkung beider Muskelgruppen an.

Lukjanow^ untersuchte an Thieren die Veränderungen der Intercostalräume und kam zum Schlüsse, dass die Inter- costalmuskeln bei der Respiration nicht direct betheiligt sind, dass sie wahrscheinlich nur die Function haben, die ihnen Henle und Brücke zuschreiben.

Wenn Fick* sich in seiner Schrift gegen diese Ansicht wendet und mit Entschiedenheit die Wirkung der Intercostal- muskeln schon während der gewöhnlichen Respiration an-

1 Hutchinson: Todd: Encyclopädia of Anatomy and Physiolog. Article Thorax, p. 1016.

2 V. Ebner: Versuche an der Leiche über die Wirkung der Zwischen- rippenmuskeln und der Rippenheber. Arch. f. Anat. und Physiologie lanat. Abtheilung) 1880, S. 185.

8 Landerer: Über die Athembewegungen des Thorax. Archiv für Anat. und Physiologie fanat. Abtheilung;, 1881, S. 272.

•* Meyer: Der Mechanismus der Rippen mit besonderer Rücksicht auf die Frage von den Intercostalmuskeln. Arch. für Anat. und Physiol. (anat. Abtheilung), 188d.

^ Lukjanow: Über die Veränderungen der Intercostalräume bei der Respiration, als Beitrag zur Lehre von der Function der Intercostalmuskeln. Archiv für die gesammte Physiologie XXX. Band, 1 883, S. 82.

ß Fick: Einige Bemerkungen über den Mechanismus der Athmung ; Festschrift des Vereines für Naturkunde zu Cassel 1 88(5. Separatabdruck.

426 J. Weidenfeld,

nimmt, so stützt er diese Annahme wesentlich auf subjective Beobachtung, deren überzeugende Kraft doch nur für den, der sie selbst angestellt hat, eine zwingende sein kann.

Wie die Ansichten über die Wirkung dieser Muskeln ver- schiedenartig sind, sind es auch die Methoden, die zur Unter- suchung derselben angewendet wurden.

Man kann im Wesentlichen vier Methoden unterscheiden. Die erste Methode ist die theoretisch-mechanische, wie sie von Bajle', später von Hamberger* und in neuerer Zeit von Budge^ und Volkmann* geübt wurde. Sie besteht darin, dass die mechanischen Gesetze nach Feststellung der Drehungsaxen auf die Rippenbewegung angewendet und mit Berücksichtigung dieser die Wirkungen der Intercostalmuskeln bestimmt werden. Diese Methode vermag nach meiner Anschauung wegen des noch nicht ganz aSifgeklärten Mechanismus des Thorax, was Drehungsaxen, Befestigung und Biegsamkeit der Rippen be- trifft, nur unsichere Resultate zu liefern.

Die zweite Methode ging darauf aus, Mittel zu finden, die Consequenzen des Hamberger*schen Schemas am mensch- lichen Thorax beweisen oder verwerfen zu können. Die meiste

«

Verbreitung fand sie in der von Sibson**^ und Hutchinson* angewandten Form, den Thorax aufzublasen und so die Inspirationsstellung zu erzeugen. Der Gedanke, der hierbei ver- folgt wurde, ist folgender: Wenn durch Contraction der Mm. intercostales externi eine Hebung stattfindet, so müssen sich die Intercostalräume erweitern, die Ansatzpunkte der Intercost. externi sich nähern, die der Intercost. interni von einander ent- fernen, und ebenso müssten, wenn diese Muskeln Inspiratoren sind, dieselben Erscheinungen eintreten, wenn der Thorax auf irgend eine andere Weise in eine künstliche Inspirationsstellung gebracht wird. Durch Messungen werden die Veränderungen

» Bajlu: 1. c.

- Ha mbcrgcr: 1. c.

'• Budgc- 1. c.

Volkmann: 1. c. '* Sibson: On the mechanism of rcspiration. PhilosophicalTransactionö^ Vol. H. IS4B, p. 501, ref. in Müller's Archiv 1847, S. 97. '• Hutchinson: 1. c.

Respiratorische Function der Intercostalmuskeln. 427

ZU erkennen gesucht, v. Ebner' und v. Landerer* benützten in neuerer Zeit diese Methode.

Bei einer dritten Methode versuchte man durch Beob- achtung am lebenden Körper Einsicht in die Wirkung der beiden Muskelgruppen zu gewinnen. Es dienten hierbei ent- weder Thierexperimente, welche aber, abgesehen von der Schwierigkeit der exacten Ausführung, noch den Nachtheil haben, dass die gewonnenen Resultate nicht direct auf den Menschen übertragen werden dürfen, oder Untersuchungen am lebenden Menschen. Durch elektrische Reizung wurden die zu untersuchenden Muskeln in Contraction versetzt und ihre Wirkungbeobachtet, ein Verfahren, das vornehmlich Duchenne^ eingeführt hatte.

Endlich viertens kann man auch, ausgehend von dem Gedanken, dass sich bei jeder Contraction doch nur die Muskel- fasern zu verkürzen suchen und demnach einen Zug in der Rich- tung ihres Verlaufes ausüben, diesen Muskelzug am Cadaver nachahmen, und den Effect derselben direct beobachten. Diese letzte Methode ist es auch, die ich auf Rath des Herrn Prof. Exner, auf dessen Veranlassung hin ich überhaupt die Unter- suchung dieses Gegenstandes in Angriff nahm, einschlug. Sie wurde schon von Haller* und in neuerer Zeit von Ruther- ford ^ geübt.

II. Eigene Untersuchungen.

Ich verfuhr demnach derart, dass, entsprechend den Inser- tionspunkten einer Faser der Intercostalmuskeln, an den Rippen Befestigungspunkte angebracht wurden, zwischen denen ein Zug ausgeübt werden konnte, der die beiden Punkte einander zu nähern suchte. Ich wählte zur Befestigung Schrauben von

1 V. Ebner: 1. c.

- V. Landerer: 1. c.

•* Duchenne: 1. c.

^ Haller: 1. c.

'' Rutherford: Noteon the action of the internal intercostal muscles. Journal of Anatomy and Physiolog. X, 608 610, ref. in Jahresberichten über Physiolog. 1876, S. 82.

428 J. Weidenfeld,

2 mm Dicke und 1 Vj 2 cm Länge , die ich an einem Ende zuspitzte, am andern abrundete, und anstatt der von anderen Autoren gewählten elastischen Binden, wählte ich als Bänder aus Zinkdraht gemachte Klammern. Sie bestehen aus je einem Stück Drahtes, das an seinen Enden zu einem Ringelchen ein- gebogen ist und haben den Vortheil, nach Belieben leicht ver- längert oder verkürzt werden zu können (siehe Fig. 1). Die Löcher für die Schrauben bohrte ich mit einem Bohrer, der einen etwas geringeren Durchmesser hatte, als die Schrauben.

Für die zwei Intercostalmuskelgruppen wurden Schrauben aus zwei verschiedenen Metallen angewendet, damit während der Manipulationen keine Verwechselung eintreten kann. Die Schrauben, die den Mm. intercost. externi entsprachen, waren aus Eisendraht, die anderen aus gleich dickem Messingdraht. Sie wurden genau nach der Richtung einer Faser angeordnet. Damit aber doch eine grössere Anzahl von Fasern in ihrer Thätigkeit nachgeahmt werde, wurden, entsprechend einem Zwischenrippenraume, an zwei bis drei Stellen Klammem an- gelegt, und dieses für alle Rippen des Thorax in der Ausdehnung, in welcher die betreffenden Intercostalmuskeln überhaupt vor- handen sind, ausgeführt. Bekanntlich fehlen ja die äusseren Intercostalmuskeln in den vorderen, die inneren in den hinteren Antheilen jedes Intercostalraumes.

Diese Versuche wurden an zwei Brustkörben angestellt; der eine war der eines 20jährigen Mädchens, der andere der eines 44jährigen Mannes. Die Brustkörbe waren aller Weichtheile entblösst; der Kopf wurde im ersten Halswirbel- gelenke abgenommen, die Wirbelsäule im Lendentheile durch- trennt, die Muskulatur am Thorax abpräparirt, so dass die hitercostalmuskeln frei dalagen.

Beide Brustkörbe erwiesen sich als für unsere Versuche sehr geeignet; die Rippen waren leicht beweglich und die Knorpeln nicht verknöchert, nur waren beide, ich will es hier gleich bemerken, etwas scoliotisch nach rechts gekrümmt. Ausserdem waren die unteren sechs Rippen an den beiden Brustkörben nicht von gleicher Beschaffenheit. Am männlichen Thorax waren die siebente, achte, neunte, zehnte Rippe amphi- arthrotisch mit einander verbunden, am weiblichen war zwischen

Respiratorische Function der Intercostalmuskeln. 429

diesen Rippen keine Verbindung, vielmehr konnten sie sich an einander verschieben. Die Schrauben wurden an beiden Brust- körben an denselben Stellen angebracht. Die Conservirung der Präparate geschah in 2^l^^l^\gQV Carbolsäure.

Für die Mm. intercost. extemi wurden in der Gegend ihres vorderen Randes und am hinteren Rande 2 3 cm weit von der Wirbelsäule entfernt (das obere Ende gerechnet), Schrauben an- gebracht, für die Mm. interni hinten, wo sie endigen und vorne, wo sie eben noch von den Mm. externi bedeckt werden. Die Mm. intercost. externi mussten natürlich stellenweise aufpräparirt werden, damit die Faserrichtung der Interni übersehen werden konnte. Die eingedrehten Schrauben sassen fest genug, um oftmals zum Anbringen der Klammern verwendet zu werden. Wenn die Wirkung eines Muskels nachgeahmt werden sollte, so wurden um die Schrauben die Klammern gelegt, welche natürlich kürzer waren als der Abstand der zwei Schrauben von einander. Die Verkürzung betrug in allen Ver- suchen fast 2 mm und sie konnte annäherungsweise immer gleich genommen werden.

Angelegt wurden die Klammern zuerst vorne, dann hinten, wobei sich sogleich zeigte, dass beide Arten in demselben Sinne die Stellung der Rippen beeinflussen. Durch das nachträgliche Anlegen der hinteren Klammern wurden oftmals die vorderen Schrauben genähert und die Klammern fielen herab und mussten, um auch weiter einen Zug auszuüben, verkürzt werden.

In der ersten Zeit der Versuche diente mir als ßefesti- gungsapparat für den Thorax ein Brett, welches, am Tische festgeschraubt, zwei Querhölzer trug, an welchen die Wirbel- säule durch Klammern senkrecht fixirt wurde. Später, als ich auch die Verschiebungen der Rippen in einer anderen Richtung Studiren wollte, wurde der Thorax an einer hierzu construirten Vorrichtung befestigt. Diese bestand aus einer dicken, wenig federnden Eisenstange von circa 2 m Höhe, welche an ihrem oberen Theile zwei in einem der Länge des Thorax ent- sprechenden Abstände angebrachte Querhölzer trug, von denen das obere weiter vorne stand, als das untere. Die Stange war entsprechend der Krümmung der Wirbelsäule ausgebogen. Die

430 J. Weidenfeld,

Befestigung des Thorax geschah, indem sowohl an der Hals- als auch an der Lendenwirbelsäule eine passend gebogene Eisen- spange den Thorax an beiden Querhölzern festklemmte (siehe Fig. 1). Die ganze Vorrichtung war um eine senkrechte Axe drehbar, und zwar befand sich am Boden ein Lager, worin sich das abgestumpfte Ende der Stange drehte und am Tische eine Führung, welche aus zwei Theilstücken bestand, die einen runden Canal begrenzten, worin sich die genau passende Stange bewegte. So war die Drehung der Stange correct und diese durch Schrauben, welche die beiden Theile der Führung verbanden, in jeder Lage festzuhalten.

Für die uns interessirende Frage schien es in erster Linie von Wichtigkeit zu entscheiden, wie verändert sich der Thorax bei der Wirkung der einen Art und wie bei der Wirkung der anderen Art von Intercostalmuskeln ? Ob sich die einzelnen Rippen dabei einander nähern oder von einander sich entfernen, worauf so viele Messungen früherer Autoren sich bezogen, schien zunächst von untergeordneter Bedeutung. Dass die Änderung des Thorax, soferne sie durch Intercostalmuskeln bewirkt wird, wesentlich auf Hebung, Senkung und Drehung der Rippen beruhen musste, ist selbstverständlich, und damit diese Bewegungen in normaler Weise erfolgen, waren an meinen Präparaten sämmtliche Gelenke vollkommen intact gelassen.

Zur Beobachtung dieser Veränderungen am Thorax be- diente ich mich eines Visirapparates. Er besteht aus zwei ganz gleichen Holzrahmen von 50 cm Höhe und 40 cnt Breite, welche hinter einander in einer Entfernung von 40 cm parallel aufgestellt und durch Querleisten starr mit einander verbun- den sind. In jedem dieser Rahmen sind in senkrechter und horizontaler Richtung Fäden, und zwar in je einem Abstand von 1 cm gespannt. Zur besseren Orientirung wurden abwechselnd rothe, weisse und grüne Fäden verwendet. Selbstverständlich kamen auch die Fäden hintereinander und die gleich gefärbten in derselben horizontalen, beziehungsweise verticalen Ebene zu liegen. Die Fäden bildeten also in Form und Farbe con- gruente Netze von quadratischen Maschen. Visirt man durch zwei congruente Quadrate oder besser Kreuzungspunkte der

Respiratorische Function der Intercostalmuskeln. 431

Fäden, so steht die Visirlinie horizontal und sämmtliche Visir- linien laufen parallel. Hinter diesem Doppelnetz ist der Thorax aufgestellt, an dem einzelne Punkte (Marken) gekennzeichnet wurden, um die Veränderungen seiner Gestalt durch die Lage- änderung jener Marken zu bestimmen. Als solche dienten Reissnägel, die in Rippen und Sternum eingestochen und deren Mittelpunkte durch je einen kleinen farbigen Fleck kenntlich gemacht waren.

Bei den Bestimmungen verfuhr ich in folgender Weise. Nachdem der Thorax am oben beschriebenen Stativ befestigt war, wurden die Lagen der Punkte an Rippen und Sternum durch den Visirapparat bestimmt und auf einer Schablone ver- zeichnet. Dieselbe bestand aus einem gezeichneten Netz ganz derselben Art, wie das Netz des Visirapparates. Die markirten Punkte des Thorax wurden dann in dieses Netz so einge- zeichnet, wie es ihrer Lage im Visirapparat entsprach. Die Marken befanden sich an den vorderen Enden und an der Mitte einer jeden Rippe, also in einer Linie, welche ungefähr der mittleren Axillarlinie entsprechen würde. Auch war am oberen und unteren Ende des Sternums je eine Marke angebracht.

Bei jeder Beobachtung konnte natürlich nur die Ver- schiebung der Rippen in zwei Raumrichtungen bestimmt werden, und um die dritte Richtung zu bestimmen, musste der Thorax um 90** gedreht werden, was an meiner Vorrichtung leicht möglich war. Im letzteren Falle wurden die Stellungen der in der Mitte der Rippen angebrachten Marken bestimmt. Um auch die Lage des Sternums im Profil zu bestimmen, mussten rechtwinkelig gebogene Nägel in dasselbe eingebohrt werden, welche an ihrem Kopfe ebenfalls gefärbt waren, weil die vorderen Marken von der Seite nicht gesehen werden konnten.

Es waren also zur näheren Bestimmung der Lage einer Rippe zwei Ablesungen nöthig, und zwar eine von vorne und eine im Profil. Waren die Marken einzeln visirt und auf der Schablone verzeichnet, so wurden dann alle einer Art von Inter- costalmuskeln entsprechenden Klammem angelegt und aber- mals durchvisirt. Oder ich machte zuerst die Ablesung bei angelegten Klammern, und nachher die in der Ruhelage. Der

432 J. Weidenfeld,

Übersichtlichkeit der Resultate wegen verzeichnete ich beide Ablesungen auf eine Schablone. Dabei war es nöthig, dass die fixen Punkte des Thorax vor und nach der Manipulation mit den Klammern wieder genau dieselbe Lage hatten. Dies war leicht zu erreichen, indem zwei an Hals- und Lendenwirbel- säule angebrachte Marken wieder genau in ihre ursprüngliche Lage gegenüber dem Visirapparate gebracht wurden.

Die nachfolgenden Versuche sind aus einer Anzahl gleicher Versuche herausgenommen und als Paradigmata aufgestellt. Ich will nur noch bemerken, dass die Versuche zuerst am Mädchen- und dann am Männerthorax angestellt wurden, dass aber die Resultate an beiden so ähnlich sind, dass ich mir erlaube, die vom Männerthorax allein zu verzeichnen. Dort, wo sich doch Unterschiede finden, werde ich nicht unterlassen, sie anzuführen.

I. Versuch. Der Thorax wird bei entsprechend den Mm. intercost. interni angelegten Klammern durchvisirt. Die Klammern werden hierauf entfernt und der Thorax jetzt in dieser Stellung beobachtet.

Auf Fig. 1 ist der Thorax im Zustande der durch die Musculi interni bewirkten Contraction in die Schablone hinein- gezeichnet. Die späteren Figuren stellen nur die Schablone mit den den Marken der Rippen und des Sternums entsprechenden Punkten dar. Da alle Versuche (mitAusnahme des III. Versuches) dieselbe Anordnung haben, so hatte ich auch für alle Figuren dieselben Bezeichnungen für analoge Zustände gewählt. Es bezeichnet überall (ausgenommen Fig. 5[']), die in die normale Lage zurückgekehrte Marke nach Entfernung der Klammem; durch A und B wurde die obere und untere Sternummarke bezeichnet. Die Zahlen, die sich bei den Marken an allen Schablonen (mit Ausnahme von Fig. 1 , wo sie mir über- tlüssig erschienen) befinden, entsprechen den Nummern der Rippen.

Fig. 2 gibt die Ansicht von der Seite wieder.

II. Versuch. Dieselbe Anordnung. Die Klammern werden aber entsprechend den Mm. intercost. externi angelegt (siehe Fig. 3 und 4). Fig. 3 gibt die Resultate von vorne, Fig. 4 von der Seite gesehen wieder.

Respiratorische Function der Intercostalmuskeln. 433

Diese vier Figuren zeigen auf den ersten Blick, dass durch Wirkung der Mm. intercost. interni eine Senkung, durch die Wirkung der externi eine Hebung des ganzen Thorax zustande kommt. Auch die erste Rippe wird gehoben und gesenkt. Hall er* und seine Anhänger nahmen die erste Rippe als fix an, wodurch Ersterer seiner Theorie eine unumstössliche Basis zu geben glaubte.

Dieser Versuch beweist das Gegentheil. Wir werden aber später an einem anderen Versuch sehen, dass die Verhältnisse, wenn selbst die erste Rippe so gut als möglich fixirt ist, nicht geändert werden. Ich will hier noch hinzufügen, dass am Mädchenthorax für die oberen sieben Rippen gleiche Resultate sich ergaben; für die unteren Rippen fand durch beide Inter- costalmuskelarten eine Hebung statt. Das Sternum wurde aber analog den obigen Versuchen in einem Falle gehoben, im anderen gesenkt Es mag der Grund für diese Verschiedenheit in dem Geschlechte zu suchen sein.*

Durch die Hebung der Rippen wird aber infolge ihrer Gestalt und Befestigung, wie allgemein anerkannt, der Thorax- raum erweitert, durch Senkung verkleinert.

Eine Verschiebung des Rippenpunktes nach vorne oder nach hinten würde eine Vergrössenmg oder Verkleinerung des Thorax im antero-posterioren Durchmesser ausdrücken; die Verschiebung des Rippenpunktes nach aussen oder innen würde eine Vergrösserung oder Verkleinerung des Thorax im Durchmesser von rechts nach links ausdrücken.

Um die Veränderungen des Thorax im antero-posterioren Durchmesser zu beobachten, musste der Thorax von der Seite durchvisirt werden.

Die Versuche, die ich über diesen Punkt angestellt habe, ergaben die erste Zeit hindurch höchst mangelhafte und oft

I Haller: 1. c.

- Obgleich Tschaussow (zur Frage über die Sternocostalgelenke und den Respirationstypus. Anatomischer Anzeiger 1891, S. 512) fand, dass die Entwickelung der Sternocostalgelenke und die Erscheinungen an den vorderen Rippenenden in keiner Weise klar darauf hinweisen, dass irgend welcher Unterschied im Respirationstypus für Männer oder Frauen existire, so zeigt doch mein Fall oben er\vähnten nicht unwesentlichen Unterschied. Sitzb. d. malhem.-naturw. Gl.; CI. Bd., Ahth. III 30

434 J. Weidenfeld,

widersprechende Resultate. Der Grund lag in einigen Unvoll- kommenheiten der Methode selbst. Wenn nämlich die eine Seite des Thorax mit Klammern versehen wurde, die etwas stärker angezogen waren, als die der anderen Seite, so entstand eine asj^mmetrische Verschiebung des Thorax, welche sich natürlich an den Ortsänderungen der Sternal-Marken äussern musste. Um diesem Umstände abzuhelfen, musste die Möglich- keit einer Bewegung des Sternums nach rechts oder links genommen werden. Dieses wurde durch folgende Vorrichtung erzielt.

Zwei sehr dicke, nicht leicht biegsame Eisenstäbe wurden (siehe Fig. 1) am oberen und unteren Ende des Sternums durch Schrauben befestigt. Am unteren und oberen Querholz wurden zwei Brettchen angebracht, welche einen Ausschnitt hatten von der Breite des Durchmessers der Stäbe. In diesen Aus- schnitt passten die Stäbe hinein, konnten dabei sich nach oben und unten, nach vorne und rückwärts frei bewegen, von rechts nach links war ihnen hierdurch die freie Beweglichkeit genommen, somit auch dem Sternum.

Die genannten Figuren 1 4 sind bei derartiger Führung des Sternums gewonnen.

Das Sternum wird durch Action der Externi (Fig. 4) nach vorne gestossen, durch die der Interni (Fig. 2) nach rückwärts, was den Bewegungen des Sternums beim normalen Athmen entspricht. Hierbei wird das untere Ende des Sternums in der Regel mehr vorgestossen als das obere, was gerade bei dem Versuch dieser Tafel nicht der Fall war, in der Mehrzahl der Messungen aber verzeichnet worden ist.

Was vom Sternum gilt, gilt auch von den Rippen. Die Mm. intercost. interni bewegen wenigstens die oberen acht Rippen nach rückwärts, und die Mm. intercost. externi alle nach vorne (Fig. 2 und 4).

Gerade das Gegentheil behauptet H. v. Meyer.^ Übrigens zeigt auch der Anblick des Thorax vor und nach dem Anlegen der Klammern, dass die Mm. intercost. externi den Thoraxraum von vorn nach hinten erweitern, also die Rippen nach vorne

1 M e V e r : 1. c.

Respiratorische Function der Intercostalmuükeln. 435

schieben, die Mm. intercost. interni den Thorax abflachen, also die Rippen nach rückwärts schieben, wobei die anguli der Rippen spitzer werden.

Über die Bewegung der Rippen nach aussen oder nach innen geben die Figuren 1 und 3 Aufschluss. Es bewegen sich die Rippen beim Heben, also beim Wirken der Externi nach aussen und umgekehrt beim Senken nach innen, und zwar werden die oberen Rippen weniger nach aussen oder innen bewegt als die unteren.

In ganz ähnlicher Weise wie sich die Verhältnisse bei dieser Versuchsanordnung gestalteten, wo die Wirbelsäule befestigt wurde und das Sternum frei hing, gestalteten sie sich, wenn man umgekehrt das Sternum fixirt und die Wirbelsäule frei hängen Hess. Zu diesem Behufe wurde das Sternum an einer Stange befestigt, welche am Stativ festgeschraubt werden konnte. Die Wirbelsäule kam dabei senkrecht zu stehen. Durch diese umgekehrte Anordnung machten sich auch die umge- kehrten Wirkungen der Intercostalmuskeln geltend. Die Mm. interni hoben nun sehr stark die Wirbelsäule und zogen sie nach vorne; die Mm. externi senkten sie, wenn auch wenig, und schoben sie nach rückwärts. Der geringere Effect beruht offenbar darauf, dass das bedeutende Gewicht die Wirbelsäule soweit gesenkt hatte, dass sie durch die Mm. externi nicht mehr viel tiefer gesenkt werden konnte, denn wenn man die Stange, die mit dem Sternum verbunden war, in horizontaler Lage befestigte, so zeigte sich ein grösserer Ausschlag.

Wenn man einen Blick auf die gewonnenen Resultate wirft, so wird man sich leicht von der vollständig antagonisti- schen Wirkung beider Muskelgruppen überzeugen und Meinungen, welche manche Autoren vertreten haben, fallen lassen müssen.

Ludwig! glaubt auch eine Simultanwirkung leugnen zu müssen, weil durch die Contraction beider Muskelgruppen keine Wirkung zu Stande kommen könnte. Borelli,* H aller** u. A.

1 Ludwig: Lehrbuch der Physiologie. II. Hand. S. 4S2, 1S61

2 BoreUi: 1. c. •T Haller: 1. c.

436 J. VVeidenfeld,

hingegen nehmen mit Beslimmtheit eine Simultanwirkung an. Es war also der Versuch zu wagen, ob nicht doch bei Wir- kung beider Muskelgruppen irgend eine combinirte Bewegung resultirt.

Dieser Versuch wurde ausgeführt, und zwar in folgender Weise :

Versuch III. Der Thorax des Mädchens wird in normalem Zustande durchvisirt. Hierauf werden die den Mm. intercost. interni entsprechenden Klammern angelegt und die Veränderung durch Visirung bestimmt, worauf weiterhin die denMm. externi entsprechenden Klammern angelegt werden.

Fig. 5 gibt die Resultate wieder. Hier zeigen die unbe- zeichneten Punkte die Normalstellung an; die mit (') bezeich- neten Punkte geben die Stellung der Rippen nach Anlegung der Klammern im Sinne der Mm. interni, die mit ('0 bezeich- neten Punkte die Stellung der Rippen nach Anlegen der Klammern im Sinne der Mm. externi an. Die anderen Bezeich- nungen blieben dieselben. Es ist hier nur die Vorderansicht aufgenommen.

Ganz zweifellos tritt hier wieder der Antagonismus beider Intercostalmuskelgruppen hervor.- Die durch die Mm. interni gesenkten Rippen werden wieder durch die Mm. externi ge- hoben, und zwar an einigen Rippen bis zur Norm, an anderen bis unter die Norm oder etwas über dieselbe, je nachdem hier die Klammern stärker spannten oder weniger. An den fünf unteren Rippen zeigt sich eine gleichsinnige Wirkung, wie nach der oben angeführten Eigenthümlichkeit dieses Thorax zu erwarten war, indem an diesen auch die Mm. interni hebend wirken. Wurden die Klammern in der umgekehrten Reihen- folge angelegt, so erhielt ich dasselbe Ergebniss.

Daraus folgt, dass die Mm. interni und Mm. externi für die oberen Rippen Antagonisten sind.

Versuch IV. Die Hai 1er 'sehe Theorie beruht auf der Annahme der Fixation der ersten Rippe. Dieselbe soll durch die Verbindung mit dem Sternum und durch die mit Bändern und Muskeln unbeweglich sein. Da aber bei den bisherigen Versuchsanordnungen die erste Rippe ohne derartige Befesti- gung war, so musste sie zur Prüfung der Haller'schen

Respiratorische Function der Intercostalmuskeln. 43/

Ansicht fixirt werden. Aber nicht nur sie, sondern auch das Manubrium sterni wurde fixirt, um die Wirkung der gespannten Sternocleidomastoidei nachzuahmen. Es geschah auf folgende Weise:

Ich glaubte die natürlichen Verhältnisse in übertriebenem Masse dadurch herzustellen, dass ich vor der Wirbelsäule, in der Höhe des Atlas eine sagittal gestellte starke Eisenstange fixirte, von der aus theils Drähte, theils eiserne Kettchen in der Richtung der Mm. sternocleidomastoidei und der musculi scaleni zum Sternum und zu den Rippen verliefen. Dieselben wurden kräftig angespannt. Da sie schief von oben nach vorne und unten, sowie nach seitwärts und unten verliefen, so war eine Senkung des Sternums oder der ersten Rippe nur möglich bei einer Näherung derselben an die Wirbelsäule, also einer Ab- flachung des Thorax.

Wenn nun die Action der Mm. interni nachgeahmt wurde, so war in der That zu bemerken, dass ausser allen anderen Rippen auch die erste Rippe und das Sternum gesenkt wurden (Fig. 6 und 7). Bei mehrmaliger Untersuchung hatte ich das- selbe Resultat zu verzeichnen.

Versuch V. Etwas anders gestalteten sich die Ver- hältnisse bei der Action der Mm. externi. Die erste Rippe und das Manubrium sterni blieb fast an ihrem Orte, weil sie offenbar schon durch jene Zugvorrichtung ad maximum gehoben waren. Fig. 8 und 9 zeigen die Ergebnisse dieser Versuche. Bei den- selben findet sich ausser den schon oft gebrauchten Bezeich- nungen auch je eine mit zwei Strichen versehene Marke. Die- selbe bedeutet die Stellung nach Abkneipen der die oberste Rippe und das Manubrium sterni feststellenden Drähte.

Darnach ist Haller 's Ansicht, dass diePixirung der ersten Rippe einen bestimmenden Einfluss auf die Wirkung der Musculi interni hat, als unstichhältig zu betrachten.

Trotz dieser Resultate könnte immer noch der directe Nachweis wünschenswerth erscheinen, dass die Bewegungen der Rippen, welche die Intercostalmuskeln bewirken, eine Raumvergrösserung, also eine Inspiration, respective eine Ver- engerung oder Exspiration erzeugen. Um diese Frage ent- scheidend beantworten zu können, musste an einem Thorax,

438 J Weidenfeld,

an welchem die Lungen erhalten sind, durch ähnliche Nach- ahmung des Muskelzuges direct eine Inspiration oder Exspira- tion hervorgerufen werden können, d. h. es mussten die Lungen Luft aspiriren, wenn die Mm. externi wirken und Luft exspiriren, wenn die Mm. interni wirken. Gelänge es, dies zu zeigen, so dürfte weiter kein Zweifel über die Wirkung der Intercostal- muskeln sein. Dieser Versuch scheint in solcher Art bis jetzt von Niemandem ausgeführt worden zu sein.

Ich ging also darauf aus, analoge Versuche wie die be- schriebenen an einem Thorax mit erhaltenen Lungen durchzu- führen. Es musste nur die Vorsicht gebraucht werden, die Schrauben zwar fest, aber nicht so tief einzubohren, dass die Pleura verletzt werde.

Auch hier wurden Schrauben von derselben Grösse ver- wendet. Nur wurde für sie ein kaum 2 mm tiefes Loch gebohrt, somit die Rippe nicht in ihrer ganzen Dicke durchlöchert. An den Schrauben wurden von aussen her noch Muttern von dünnem Messingblech angebracht. Diese gewährten den doppelten Vortheil, die schon in den Rippen festsitzenden Schrauben noch fester zu machen und als Merkmal für die Länge des versenkten Schraubenendes zu dienen. Die Schrauben hatten natürlich kein zugespitztes Ende.

Der Thorax, den ich für diese Versuche verwendete, war der eines 58jährigen Mannes, der an Typhus gestorben war und muthmasslich gesunde Lungen hatte. Er wurde, wie die früher gebrauchten Brustkörbe, aus seiner Verbindung mit dem Kopfe im Atlasgelenke und aus der mit dem Becken durch Durchtrennung der Lendenwirbelsäule gelöst. Die Baucheinge- weide wurden mit aller Schonung des Zwerchfells entfernt, ebenso alle Muskulatur am Rumpfe bis auf die Intercostales. Die Haut und die Weichtheile aber am Halse, ebenso am ersten Intertfostalraum wurden, sowie auch die Clavicula, welche natürlich von der Scapula losgelöst war, geschont. Um den Thorax so viel als möglich vor Verwesung zu schützen, wurde von der Vena cava aus durch ihn eine 5^/^^ige Carbolsäure- lösung gespült. Im Übrigen ward so rasch präparirt, dass ich am Tage nach dem Empfang der Leiche den nachstehenden Versuch anstellen konnte.

Respiratorische Function der Intercostalmuskeln. 439

Trotz des Alters des Mannes erwies sich der Thorax zu den Versuchen sehr geeignet. Die Rippen waren, obgleich dünn, doch sehr beweglich. Der Thorax selbst war nicht ganz symmetrisch gestaltet und kurz. Wegen des geringen Dicken- durchmessers der Rippen wurden die Schrauben nur an der 2. 11. (exl.) Rippe angebracht. Die Schrauben entsprachen ungefähr den Fasern aus der Mitte eines Intercostalmuskels. Die künstliche Verkürzung dieser Faser wurde ganz wie bei den früheren Versuchen durch Zinkdrahtklammern bewerkstelligt.

Zuerst war aus Misstrauen gegen die Festigkeit der Schrauben die Verkürzung nur äusserst gering gewählt; in späteren Versuchen wurde sie etwas stärker genommen. Der Thorax lag bei diesen Versuchen frei mit dem Rücken auf dem Tisch und es wurde Vorsicht angewendet, ihn bei den Mani- pulationen nicht aus der Ruhelage zu bringen, da Änderung der Lage die Resultate hätte trüben können.

Als Messapparat diente mir ein Wassermanometer, welches durch einen Schlauch mit der Trachea verbunden war. Wie in den früheren Versuchen wurden auch hier zuerst die Klammern angelegt und dann die Verbindung der Trachea mit dem Mano- meter hergestellt, dasselbe abgelesen, und nun vorsichtig die Klammern entfernt.

Versuch VI. Es wurden die Klammern für die Mm. interni angelegt. Nach Verbindung mit dem Manometer wurde vor- sichtig eine Klammer nach der andern gelöst, wobei sich eine Druckerniedrigung im Sinne einer Aspiration zeigte, die nach Abnahme der letzten Klammer 22 mtn Wasserdruck betrug.

In einem späteren Versuche, bei dem die Klammern stärker angezogen wurden, zeigte das Manometer einen Aus- schlag von 27 mm. Diese Resultate genügen, um die Richtig- keit der an den früheren Brustkörben gefundenen Resultate und die exspiratorische Wirkung der Mm. intercostales interni zu erhärten.

Versuch VII. Die Klammern wurden im Sinne der Externi angelegt. Nach Verbindung der Trachea mit dem Manometer wurden die Klammem vorsichtig gelöst, wobei sich eine Druck- erhöhung im Sinne einer Exspiration zeigte, die 16w;>« Wasser- druck betrug. Hiernach sind die Mm. externi Inspiratoren

440 J. Wcidenfeld,

Der geringe Ausschlag darf nicht die Meinung veranlassen, dass die Intercostalmuskeln nur eine geringe Wirkung auszu- üben vermögen. Schon die Thatsache, dass in diesen Ver- suchen nur an einer Stelle die Thätigkeit der Muskeln imitirt wurde, lässt einen geringen Effect erwarten.

Übrigens ist die Kraft, mit der die Summe der angelegten Spangen den Thorax in seiner Gestalt veränderte, gar nicht gering. Um einen gleichen Ausschlag, wie ihn die Lösung der Klammern für die Mm. externi erzeugte, hervorzurufen, musste ein Gewicht von über 2 kg auf das Sternum gelegt werden. Dabei war es nicht ganz gleichgiltig, wie die Gewichte auf dem Sternum vertheilt waren.

Es war weiters interessant zu untersuchen, wie sich der Ausschlag des Manometers, der durch die Nachahmung der Contraction der Mm. intercostales gewonnen wird, zu dem Aus- schlag verhält, welcher durch Zug des Sternums nach unten oder nach oben gewonnen wird.

Zu diesem Zwecke befestigte ich den Thorax an dem oben beschriebenen Stative, brachte am oberen und unteren Ende des Sternums eine Schraube, an welcher ein Ring befestigt war, an, an welchem dann Gewichte aufgehängt wurden. Diese sollten den durch die Lösung der Klammern gewonnenen Ausschlag com- pensiren. Um einen Zug nach oben durch Gewichte auszu- führen, mussten diese an einerSchnur, welche von der Schraube am oberen Ende des Sternums über eine Rolle ging, aufgehängt werden

Versuch VI IL Thorax am Stativ befestigt. Es wurden die Klammern im Sinne der Interni angelegt. Nach Verbindung mit dem Manometer und nachträglicher Abnahme der Klammem zeigte das Manometer analog den früheren Versuchen eine Druckänderung im Sinne einer Aspiration von 28 mm Wasser- druck. Es wurden nun am unteren Sternumende Gewichte auf- gehängt, welche diesen Ausschlag compensiren sollten. 10^^ erwiesen sich als nöthig, um das Manometer auf den Nullpunkt zurückzubringen.

Versuch IX. F!s wurde nun die Gegenprobe gemacht, indem am oberen Sternumende, nachdem vorher das Nano- meter auf den Nullpunkt gebracht wurde, Gewichte aufgeliängt,

Respiratorische Function der Intercostalmuskeln. 44 1

welche dieselbe Druckerniedrigung erzeugen sollten, wie sie früher die gespannten Klammern erzeugten. Dasselbe Gewicht (10 kg) war hierzu erforderlich.

Versuch X. Dieser Versuch wurde ähnlich wie der frühere ausgeführt, nur dass hier die Klammern im Sinne der Mm. externi angelegt waren. Um hier die sich am Manometer zeigende Druckerhöhung von 12 mm Wasserdruck im Sinne einer Exspiration zu compensiren, musste ein Zug am oberen Sternumende von 4 kg ausgeübt werden. Um dieselbe Druck- höhe an dem auf den Nullpunkt zurückgeführten Manometer zu erzeugen, musste dasselbe Gewicht am unteren Sternum- ende angebracht werden.

Alle diese Versuche ergaben also das Resultat, dass die Mm. intercostales externi als Inspirationsmuskeln, die Inter- costales interni als Exspirationsmuskeln wirken können. Dass sie als solche thatsächlich wirken, wird kaum bezweifelt werden können, wenn man bedenkt, dass wenigstens unter gewissen Verhältnissen alle Muskeln des Thorax, deren anatomische Anordnung es erlaubt, zu den Respirationsbewegungen heran- gezogen werden.

Die Kraft, mit der sie wirken, darf mit Rücksicht auf ihren grossen physiologischen Querschnitt, nicht unterschätzt werden; anderseits wird man freilich nicht daran zweifeln können, dass sie, wie alle bekannten Respirationsmuskeln, auch noch anderen Functionen dienen, z. B. der Drehung des Thorax um eine ver- ticale Axe und dergleichen. Es scheint auch durchaus nicht ausgeschlossen, dass sie unter gewissen Verhältnissen gleich- zeitig in Contraction gerathen, sei es zur Feststellung des Thorax, sei es um der Pleura costalis oder um einem von aussen wirkenden Zug oder Druck als feste Unterlage zu dienen.

Wenn ich nun auch erwiesen zu haben glaube, dass die Innervation der Mm. intercost. externi eine inspiratorische, die der Mm. intercost. interni eine exspiratorische Thoraxbevvegung erzeugen muss, so bleibt doch noch die Controverse über die Frage bestehen, ob und unter welchen Verhältnissen diese

1

442 J. W e i d e n l'e 1 d , Respiratorische Function der Intercostalmuskeln.

Muskeln bei der Athmung wirklich innervirt werden. Es wäi ja immerhin noch möglich, dass dieselben, wenn sie z. B. bi gewissen Körperstellungen in Action treten, die Gestalt d( Thorax verändern, und dieser nun während der ganzen Dau( der neuen Stellung und unabhängig von dieser seine Athei bewegungen fortsetzt.

Studien über die Frage, ob und unter welchen V( hältnissen die Intercostalmuskeln bei der Athmung innervii werden, sollen den Inhalt einer zweiten Abhandlung bilden.

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SITZUNGSBERICHTE

DER

KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.

MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE CLASSE.

CI. BAND. VII. HEFT.

ABTHEILUNG 111.

ENTHALT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN UND DER THIERE, SOWIE AUS JENEM DER

THEORETISCHEN MEDICIN.

^

445

XVI. SITZUNG VOM 7. JULI 1892.

Der Secretär legt das erschienene Heft V (Mai 1892) des 13. Bandes der Monatshefte für Chemie vor.

Das w. M. Herr Hotrath L. K. Schmarda übersendet eine Abhandlung des Dr. Alfred Nalepa, Professor an der k. k. Lehrerbildungsanstalt in Linz, unter dem Titel: »Neue Arten der Gattung Phytoptits Duj. und Cecidophyes Nal.«

Das w. M. Herr Oberbergrath E. v. Mojsisovics übergibt ein Schreiben von Dr. C. Diener ddo. Munshiari (Kumaon) 4. Juni 1892, welches einen weiteren kurzen Bericht über dessen geologische Forschungsreise nach dem centralen Himalaya enthält.

Der Secretär legt ein versiegeltes Schreiben behufs Wahrung der Priorität von Herrn I. E. Pfiel, Chemiker in Wien, vor, welches angeblich die Beschreibung der Art und Erzeugung eines neuen Düngmittels mit besonderer Empfehlung desselben zur Anwendung gegen die Reblaus enthält.

Das w. M. Herr Hofrath A. Kerner v. Marilaun über- reicht eine Abhandlung von Dr. Karl Fritsch: »Über einige südwestasiatische Prumis-Avien des Wiener botani- schen Gartens«.

Das w. M. Herr Prof. Ad. Lieben überreicht eine in seinem Laboratorium ausgeführte Arbeit von Dr. K. Natterer, betitelt: »Chemische Untersuchungen im östlichen Mittelmeer« (IL Abhandlung), als Ergebniss der im Sommer 1891 auf S. M. Schiff »Pola« vorgenommenen zweiten Tietsee-Expedition in der Umgebung von Kreta.

446

Herr Dr. Richard R. v. Wettstein, Privatdocent an der k. k. Universität in Wien, überreicht eine Abhandlung mit dem Titel: »Die fossile Flora der Höttinger Breccie«, in der er die Resultate seiner in den letzten fünf Jahren, zunn Theii mitSubventionirun^ der kaiserlichen Akademie, durchgeführten Untersuchung dieser Ablagerung niederlegt.

Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht zugekommene Periodica sind eingelangt:

Documents relatifs ä TUnification de THeure et ä la legalisation du nouveau mode de mesurer le temps. Imprimes par ordre du Parlement. Ottawa, 1891; 8".

Lepsius, R., Geologie von Deutschland und den angrenzenden Gebieten. Handbücher zur deutschen Landes- und Volks- kunde. Bd. I. (Mit 1 geolog. Karte, 1 Profil-Tafel und 130 Textfiguren). Stuttgart, 1892; 8®.

447

XVII. SITZUNG VOM 14. JULI 1892.

Der Secretär legt das erschienene Heft III und IV (März und April 1892), Abtheilung I, ferner das Heft IV und V (April und Mai 1892), Abtheilung II. b, des 101. Bandes der Sitzungs- berichte vor.

Das Präsidium der k. böhmischen Kaiser Fr anzJosef- Akademie der Wissenschaften, Literatur und Kunst inPrag übermittelt die aus Anlass derGründung dieser Akademie geprägte Gedenkmedaille.

Das w. M. Herr Prof. L. Pfaundler übersendet eine Arbeit aus dem physikalischen Institute der k. k. Universität in Graz von Prof. Dr. I. Klemencic und Dr. Paul Czermak, betitelt: »Versuche über die Interferenz elektrischer Wellen in der Luft«.

Das w. M. Herr Prof. J. Wiesner übergibt eine Abhandlung: »Untersuchungen über den Einfluss der Lage auf die Gestalt der Pflanzenorgane. Erste Abhandlung: Die Anisomorphie der Pflanzen«.

Das w. M. Herr Prof. Ad. Lieben überreicht eine in seinem Laboratorium ausgeführte Arbeit des Herrn Dr. Titus Schindler: »Über die Einwirkung von Schwefelsäure auf ß-Trimeth^Mäthylidenmilchsäure«.

Das w. M. Herr Prof. E. Weyr überreicht eine Abhandlung des Prof. J. Tesar an der k. k. deutschen Staatsgewerbeschule in Brunn: »Über ein Paar unicursaler Degenerirungs- Curven dritter Ordnung des Normalen-Problems und das Normalen-Problem einer confocalen Kegelschnitt- schaar«.

448

Das w. M. Herr Prof. Sigmund Exner überreicht eine im physiologischen Institute der k. k. Universität in Wien aus- geführte Untersuchung von stud. med. J. Weidenfeld, betitelt; '^Versuche über die respiratorische Function der Intercostalmuskeln. I. Abhandlung. Der Einfluss der fntercostalmuskeln auf die Capacität des Thorax*.

Herr Prof. Sigmund Exner überreicht ferner eine Abhand- lung von Dr. L. Rerhi in VV'ien: *Über die Nervenwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln«.

Herr Dr. Jos. Schaffer, Privatdocent und Assistent am Histologischen Institute der k. k. Universität in Wien, theilt kurz als histologisches Novum das Vorkommen von Drüsen im menschlichen Nebenhoden mit.

449

XVIII. SITZUNG VOM 21. JULI 1892.

Der Secretär legt das erschienene Heft III V (März Mai 1892) des 101. Bandes derAbtheilung III der Sitzungsberichte, ferner das Heft VI (Juni 1892) des 13. Bandes der Monatshefte für Chemie vor.

. Das w. M. Herr Prof. L. Pfaundler übersendet eine vor- läufige Mittheilung aus dem physikalischen Institute der k. k. Universität in Graz, in welcher Herr Dr. H. Luggin über Ver- suche, welche sich auf das Potential von Metallen im ersten Augenblick der Berührung mit einem Elektro- lyten beziehen, berichtet

Das c. M. Herr Prof. L. Gegenbauer in Innsbruck über- sendet eine Abhandlung: »Über die aus den vierten Ein- heitswurzeln gebildeten primären ganzen complexen Zahlen«.

Das c. M. Herr Prof. H. Weidel übersendet folgende zwei Arbeiten aus dem I. chemischen Laboratorium der k. k. Uni- versität in Wien:

1. >Über die Esterificirung der Opiansäure«, von Dr. R. Wegscheider.

2. »Über die Zersetzung der Chinolinsäure durch nascirenden Wasserstoff«, von A. Perlmutter.

Der Secretär legt folgende eingesendete Abhandlungen vor:

1. »Über die Änderung der Capillaritätsconstanten des Quecksilbers mit der Temperatur«, von Dr. Gustav Jäger in Wien.

Sitzb. d. mathem.-naturw. CI.; CI. Bd., Abth. III. 31

450

2. »Vorläufiger Bericht über die Dendroiden des böhmischen Silurs«, von Dr. A. J. Jahn, d. Z. in Pardubitz (Böhmen).

Das w. M. Herr Oberbergrath E. v. Mojsisovics übergibt ein Schreiben von Dr. C. L. Griesbach aus Milam, Camp via Almora (Kumaon), vom 13. Juni 1892, welches weitere Mittheilungen über dessen geologische Forschungsreise nach dem centralen Himalaya berichtet.

Das w. M. Herr Hofrath Director F. Steindachner über- reicht eine Abhandlung: »Über zwei noch unbeschriebene Nototrema- Arten aus Ecuador und Bolivia«.

Herr Hofrath Steindachner legt ferner eine Abhandlung des Herrn Karl Koelbel: »Ein neuer ostasiatischer Fluss- krebs« vor.

Das w. M. Herr Director E. Weiss überreicht eine Ab- handlung vom Herrn k. u. k. Oberstlieutenant H. Hartl: »Bestimmung von Polhöhe und Azimuth auf der Stern- warte in Athen«.

Herr Director E. Weiss überreicht ferner eine von ihm ausgeführte Untersuchung über die systematischen Diffe- renzen einiger südlicher Sternkataloge, deren gegen- seitiges Verhalten noch nicht näher bekannt war.

Das w. M. Herr Prof. Ad. Lieben überreicht zwei Ab- handlungen aus dem chemischen Institute der Universität Graz:

1. »Über Umwandlungen des Cinchonins«, von Dr. Gustav Pum.

2. »Die Einwirkung von Jodwasserstoffsäure auf Cinchonidin«, von Dr. Georg Neumann.

Ferner überreicht Herr Prof. Ad. Lieben folgende vier von Prof. Dr. Guido Goldschmiedt eingesendete Abhand- lungen aus dem chemischen Laboratorium der deutschen Uni- versität in Prag:

1. »Über das Laudanin«, von Guido Goldschmiedt

2. »ZurKenntniss'der Papaverin säure«, von G. Gold- schmiedt und F. Schranzhofer.

451

3. »Über das Mekoninmethylphenylketon«,von Franz V. Hemmelmeyr.

4. »Eine neue Synthese der Isoäpfelsäure«, von Dr. Karl Brunn er, Privatdocent an der k. k. deutschen Universität.

Herr W. Mey erhoffer überreicht eine Arbeit aus dem II. chennischen Laboratorium der k. k. Universität in Wien, be- titelt: »Über ein neues Doppelsalz und seine Existenz- bedingungen«.

31*

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SITZUNGSBERICHTE

DER

KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFIEN.

MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE CLASSE.

CI. BAND. VIII. HEFT.

ABTHEILUNG III.

ENTHALT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN UND DER THIERE, SOWIE AUS JENEM DER

THEORETISCHEN MEDICIN.

1

455

XIX. SITZUNG VOM 6. OCTOBER 1892.

Herr Vicepräsident Hofrath Dr. J. Stefan führt den Vorsitz und begrüsst die Mitglieder der Classe bei Wieder- aufnahme der akademischen Sitzungen.

Hierauf gedenkt der Vorsitzende des Verlustes, welchen die Akademie und speciell diese Classe durch das am 30. August 1. J. erfolgte Ableben des wirklichen Mitgliedes Herrn Hofrath und emerit. Professor Dr. Anton Win ekler erlitten hat.

Die anwesenden Mitglieder geben ihrem Beileide über diesen Verlust durch Erheben von den Sitzen Ausdruck.

Der Secretär legt die im Laufe der Ferien erschienenen akademischen Publicationen vor, und zwar:

Den 42. Jahrgang des A 1 m a n a c h der kaiserlichen Akademie für das Jahr 1891 ; ferner von den

Sitzungsberichten der Classe, Jahrgang 1892, Bd. 101: Abtheilung I, Heft V— VI (Mai— Juni); Abtheilung II. a, Heft IV— V (April— Mai) und Heft VI (Juni); Abtheilung II. b, Heft VI VII (Juni— Juli); dann das Register zu den Bänden 97 bis 100 der Sitzungsberichte und die

Monatshefte für Chemie, Jahrgang 1892, Bd. 13: Heft VII (Juli) und VIII (August); ferner den eben erschienenen ersten Band (Jahrgang 1880) dieser Publication, von welcher eine Neuauflage der ersten sechs Bände durch anastatisches Verfahren bei der Buchhandlungsfirma Mayer & Müller in Berlin veranstaltet wurde.

32*

456

Für die Wahl zu inländischen correspondirenden Mit- gliedern sprechen ihren Dank aus die Herren Prof. Dr. Zd. H. Skraup in Graz und Prof. Dr. Friedrich Becke in Prag.

Herr Prof. Dr. Ludwig v. Graf f in Graz dankt für die ihm zu einer zoologischen Forschungsreise nach den Tropen behufs Vollendung des II. Bandes seiner Monographie der Turbellarien bewilligte Subvention.

Das k. k. Ackerbau- Ministerium übermittelt ein Exemplar der im Auftrage desselben herausgegebenen Publi- cation: »Montan-geologische Beschreibung des Pfi- bramer Bergbau-Terrains und der Verhältnisse in der Grube nach dem gegenwärtigen Stande des Auf- schlusses in diesem Terrain«.

Das w. M. Herr Hofrath C. Claus überreicht die Fort- setzung des von ihm herausgegebenen Werkes: »Arbeiten aus dem zoologischen Institute der k. k. Universität in Wien und der zoologischen Station in Triest«, Bd. X, Heft I.

Das w. M. Herr Regierungsrath Prof. E. Mach in Prag übersendet eine Abhandlung, betitelt: »Ergänzungen zu den Mittheilungen über Projectile«.

Die Herren Oberlehrer J. Elster und H. Geitel vom herzogl. braunschweigischen Gymnasium zu Wolfenbüttel übersenden eine Abhandlung, betitelt: »Elmsfeuerbeobach- tungen auf dem Sonnblick«.

DerSecretär legt folgende eingesendete Abhandlungen vor:

1. »Über chemische Äquivalenz«, von P. C. Puschl, Stiftscapitular in Seitenstetten.

2. »Das periodische Gesetz«, von Dr. G. C. Schmidt in Eberswalde (Preussen).

Ferner legt der Secretär ein versiegeltes Schreiben behufs Wahrung der Priorität von Dr. Fritz Obermayer in Wien vor,

457

welches die Aufschrift führt: »Chemische Studien über Eiweiss«.

Herr Prof. Dr. L. Weinek, Director der k. k. Sternwarte in Prag, übermittelt als Fortsetzung seiner photographischen Mondarbeiten eine Copie der 20 fach vergrösserten Zeichnung der Mondwallebene »Vendelinus*.

Herr Dr. Alfred Nalepa, Professor an der k. k. Lehrer- bildungsanstalt in Linz, übersendet eine vorläufige Mittheilung über »Neue Gallmilben« (5. Fortsetzung).

Der Secretär berichtet, dass die diesjährige wissenschaft- liche Expedition S. M. Schiffes »Pola« am 16. August den Centralhafen von Pola verlassen hat und bringt die bis jetzt vom Commando des Expeditions-Schiffes im Wege der hohen Marine-Section an die kaiserl. Akademie gelangten tele- graphischen Mittheilungen zur Kenntniss.

Zugleich theilt der Secretär ein Schreiben des Leiters der wissenschaftlichen Arbeiten der Expedition, Herrn Hofrath Director F. Steindachner, ddo. Port Said; 6. September mit, welches mit einem vorläufigen Bericht von dem Mitgliede des wissenschaftlichen Stabes, Herrn Prof. J. Luksch, ddo. Alexan- drien, 30. August eingelangt ist.

Weiter theilt der Secretär die ihm neuerlich zuge- kommenen Berichte des Herrn Dr. C. Diener über die geolo- gische Expedition in den Himalaya, sowie den Inhalt eines an das w. M. Herrn Oberbergrath E. v. Mojsisovics gelangten hierauf bezüglichen Schreibens des Dr. Diener im Auszuge mit.

Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht zugekommene Periodica sind eingelangt:

K. k. Ackerbau - Ministerium, Montan - geologische Be- schreibung des Pribramer Bergbau-Terrains und der Ver- hältnisse in der Grube nach dem gegenwärtigen Stande

458

des Aufschlusses in diesem Terrain. Herausgegeben im Auftrage dieses Ministeriums von der k. k. Bergdirection in Pfibram. Redigirt vom k. k. Oberbergrathe Wilhelm Göbl. {Mit 1 Karte und 9 Tafeln.) Wien, 1892; 4<». Technische Hochschule in Karlsruhe, Festschrift zum Jubiläum der vierzigjährigen Regierung Seiner königlichen Hoheit des Grossherzogs Friedrich von Baden. Karlsruhe, 1892; 4«.

459

XX. SITZUNG VOM 13. OCTOBER 1892.

Der Vorsitzende theilt mit, dass der Herr Secretär verhindert ist in der heutigen Sitzung zu erscheinen und begrüsst hierauf das neu eingetretene Mitglied Herrn Prof. Dr. Gustav V. Escherich im Namen der Classe.

Die Herren Regierungsrath Prof. Dr. F. Mertens in Graz und Prof. Dr. A. Weichselbaum in Wien danken für ihre Wahl zu inländischen correspondirenden Mitgliedern.

Das w. M. Herr Oberbergrath Dr. E. v. Mojsisovics über- sendet für die Sitzungsberichte eine Mittheilung über: »Die Hallstätter Entwicklung der Trias«.

Das c. M. Herr Prof. Franz Exner in Wien übersendet eine Abhandlung, betitelt: »Elektrochemische Unter- suchungen«. (III. Mittheilung.)

Herr Prof. Dr. Ph. Knoll in Prag übersendet eine Abhand- lung: »Zur Lehre von den doppelt schräg gestreiften Muskelfasern«.

Vom Commando S. M. Schiffes »Pola« sind zwei weitere Telegramme im Wege der h. Marine-Section des k. u. k. Reichs- Kriegs-Ministeriums eingelangt, und zwar:

Nr. 8. Rhodus, 8. October: Morgen Abfahrt nach Syra behufs Kohleneinschiffung.

Nr. 9. Syra, 10. October: Abfahrt Dienstag nach Corfu.

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Der k. u. k. Oberst Herr Ludwig Roskiewicz, d. Z. in Wien, übersendet eine versiegelte Rolle behufs Wahrung der Priorität, mit der Aufschrift: »Studie über Bergwesen«. (Mit 12 Special- und 2 Generalkarten-Blättern.)

Das w. M. Herr Prof. J. Wiesner überreicht eine Ab- handlung des Herrn Prof. Dr. G. Haberlandt in Graz, betitelt: »Anatomisch - physiologische Untersuchungen über das tropische Laubblatt. I. Abhandlung: Über die Transpiration einiger Tropenpflanzen«.

461

XXI. SITZUNG VOM 20. OCTOBER 1892.

Der Secretär legt das erschienene Heft VII (Juli 1892) des 101. Bandes der Abtheilung I der Sitzungsberichte vor.

Der a. o. Gesandte und bevollmächtigte Minister der Schweiz am k. u. k. Hofe in Wien, Herr A. O. Aepli, übermittelt im Auf- trage seiner Regierung die von derselben herausgegebene Publication: »Die Neuenburgischen Marine-Chronometer, beobachtet und prämiirt auf der Neuenburger Sternwarte«.

Vom Commando S. M. Schiffes »Pola« ist eine tele- graphische Nachricht ddo. Corfu 14. October eingelaufen, welche lautet: Tiefseearbeiten beendet, Abfahrt Mittwoch.

Herr Prof. J. Luksch an der k. u. k. Marine-Akademie in Fiume und Mitglied der Tiefsee -Expedition übersendet aus Corfu einen vorläufigen Bericht über die Resultate der auf der dritten Reise S. M. Schiffes »Pola« im Sommer 1892 im öst- lichen Mittelmeere zwischen dem Meridian von Rhodus bis zur syrischen Küste ausgeführten physikalisch-oceano- graphischen Arbeiten.

Herr Dr. H. Malfatti, Privatdocent an der k. k. Universität zu Innsbruck, übersendet eine im Laboratorium für angew. medicin. Chemie an dieser Universität ausgeführte Arbeit, be- titelt: »Einige Versuche über die Zersetzbarkeit von Salzlösungen durch Capillarwirkung«.

Der Secretär legt eine von Herrn Johann Kämpf, Lehrer in Werlsberg (bei Joachimsthal), eingesendete Abhandlung vor, welche betitelt ist: »Einheit der Naturkraft oder Wärme als alleinherrschende Macht im Weltall«.

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Ferner theilt der Secretär ein ihm neuerlich zugekom- menes Schreiben des Herrn Dr. C. Diener, ddo. Joshimath (Gurwhal), 19. September 1892, über die geologische Expedition in den Himalaya mit.

Das w. M. Herr Oberbergrath Dr. v. Mojsisovics theilt ebenfalls ein Schreiben des Herrn Dr. Carl Diener vom selben Tag und Ort mit.

Herr Dr. Gottlieb Adler, Privatdocent an der k. k. Uni- versität in Wien, überreicht eine Abhandlung: »Über die an Eisenkörpern im Magnetfelde wirksamen Oberflächen- spannungen«.

SITZUNGSBERICHTE

DER

KAISERLICHEN AKADEME DER WISSENSCHAfTEN.

MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE CLASSE.

CI. BAND. IX. HEFT.

ABTHEILUNG III.

ENTHÄLT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN UND DER THIERE, SOWIE AUS JENEM DER

THEORETISCHEN MEDICIN.

mt-

465

XXII. SITZUNG VOM 3. NOVEMBER 1892.

Die Nachricht von dem am 24. October 1. J. erfolgten Ab- leben des wirklichen Mitgliedes Herrn Prof. Dr. Anton Gindely in Prag wurde in der Gesammtsitzung der kaiserl. Akademie vom 27. October 1. J. zur Kenntniss genommen und das Beileid über diesen Verlust von der Versammlung zum Ausdruck gebracht.

Herr Prof. Dr. Ph. Knoll in Prag übersendet eine Abhand- lung: »Zur Lehre von den Structur- und Zuckungs- verschiedenheiten der Muskelfasern«.

Der Secretär legt eine im anatomischen Institute der k. k. Universität in Graz von Herrn stud. med. Meinhard Pfaundler ausgeführte Arbeit vor, betitelt: »Zur Anatomie der Nebenniere«.

Ferner legt der Secretär eine Arbeit aus dem physika- lischen Institute der k. k. Universität in Wien von dem Privat- docenten Herrn Dr. Gustav Jäger: »Über die Art der Kräfte, welche Gasmolekeln auf einander ausüben«, vor.

Herr Stefan Heinrich, Ingenieur in Wien, übermittelt behufs Wahrung der Priorität ein versiegeltes Schreiben mit der Aufschrift: »Kräfte im Räume«.

Das w. M. Herr Hofrath Prof. V. v. Lang überreicht eine Abhandlung des Herrn Prof. Dr. J. M. Eder, Director der k. k. Lehr- und Versuchsanstalt für Photographie und Reproductions- verfahren in Wien: »Über das sichtbare und ultraviolette Emissions-Spectrum der Ammoniak-Oxygen-Flamme (Ammoniak -Spectrum)«.

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Herr Dr. Eduard Mahl er überreicht eine Abhandlung unter dem Titel: »Der Kalender der Babylonier« (II. Mit- theilung).

Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht zugekommene Periodica sind eingelangt:

Bergbohm, J., Entwurf einer neuen Integralrechnung auf Grund der Potential-, Logarithmal- und Numeralrechnung. Die rationalen algebraischen und die goniometrischen Integrale. Leipzig, 1892; 8".

Fl et eher, L., M. A., F. R. S., The Optica! Indicatrix and the transmission of light in crystals. London, 1892; 8®.

Publicationen für internationale Erdmessung, astrono- mische Arbeiten des k. k. Gradmessungs-Bureau, aus- geführt unter Leitung des Hofrathes Theodor v. Oppolzer; nach dessen Tode herausgegeben von Prof. Dr. Edmund Weiss und Dr. Robert Schräm. IV. Band. Längen- messungen. Wien, 1892; 4®.

Wilhelm Weber's Werke, herausgegeben von der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. L Band: Akustik, Mechanik, Optik und Wärmelehre (mit dem Bild- nisse Wilhelm Webers und 13 Tafeln), besorgt durch Waldemar Voi gt. II. Band: Magnetismus (mit 10 Tafeln), besorgt durch Eduard Rietke. Berlin 1892; 8®.

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XXIII. SITZUNG VOM 10. NOVEMBER 1892.

Der Secretär legt das erschienene Heft VI VII (Juni und Juli 1892) des 101. Bandes der Abtheilung III der Sitzungs- berichte vor.

Die Naturforschende Gesellschaft in Danzig ladet die kaiserliche Akademie zur Theilnahme an der Feier ihres 150jährigen Stiftungsfestes am 2. und 3. Jänner 1893 ein.

Der Secretär berichtet, dass die wissenschaftliche Expedition S. M. Schiffes »Pola« von ihrer diesjährigen III. Forschungsreise im östlichen Mittelmeere zurückgekehrt und das Expeditionsschiff am 22. October, 7 Uhr früh im Central- hafen von Pola eingelaufen ist.

Ferner legt der Secretär eine Abhandlung von Prof. Dr. O. Tumlirz an der k. k. Universität in Czernowitz vor, betitelt: »Die Dichte der Erde, berechnet aus der Schwerebeschleunigung und der Abplattung«.

Das w. M. Herr Hofrath Prof. V. v. Lang überreicht eine Mittheilung des Herrn Ingenieurs Victor Schumann in Leipzig über eine neue ultraviolett empfindliche Platte und die Photographie der Lichtstrahlen kleinster Wellen- längen.

Herr stud. phil. Thaddäus Garbowski in Wien überreicht eine Abhandlung, betitelt: »Materialien zu einer Lepido-

468

pterenfauna Galiziens, nebst systematischen und biologischen Beiträgen«.

Herr Dr. A. Kr ei dl, Assistent am physiologischen Institut der k. k. Universität in Wien, überreicht eine Abhandlung be- titelt: »Weitere Beiträge zur Physiologie des Ohr- labyrinthes« (I. Mittheilung).

^

4t)9

Weitere Beiträge zur Physiologie des Ohr- labyrinthes

I. Mittheilung.)

Versuche an Fischen

von

Dr. Alois Kreidl,

--1. .s/.s/t/i/i« iini fhysioloiiischen Institute der k. k. Universität in Wien.

I. Einleitung.

WenigeMonate, nachdem ich* meine »Beiträge zur Physio- logie des Ohrlabyrinthes auf Cirund von Versuchen an Taub- stummen« veröffentlicht hatte, bot sich mir die Gelegenheit, Dank der Unterstützung, die mir von Seite der hohen kais. Akademie der Wissenschaften in Wien zu Theil wurde, dieses Thema in vergleichend -physiologischem Sinne von Neuem, diesmal an der zoologischen Station in Neapel, aufzunehmen.

Ich habe mich bei diesen Untersuchungen vorwiegend mit der Frage von der physiologischen Function der Otolithen- organe bei wirbellosen Thieren beschäftigt; da mir in der zoologischen Station, bei dem reichen Material, das zur Ver- fügung gestellt wird, die Möglichkeit geboten wurde, an Fischen dasselbe Thema in Angriff zu nehmen, so habe ich diese in den Rahmen meiner Untersuchungen mit einbezogen, umso- mehr. als diese P>age noch immer Gegenstand einer Contro- verse ist.

J A. Kreidl, Beiträge zur Physiologie des Ohrlabyrinthes auf (irund v.n Versuchen an Taubstummen. (Pflüger's Archiv LI. Hd. S. 119.) Sitzb. d. mathem.-naiiirw. Tl.: ci. ijj., Abth. III. '^^'^

470 A. Kreidl,

Die Veröffentlichung der von mir an Wirbellosen ausge- führten Experimente hat sich jedoch (infolge der nöthig gewor- denen genaueren histologischen Untersuchung der Versuchs- objecte) in unfreiwilliger Weise verzögert, und ich sehe mich daher veranlasst, vorläufig über jene Resultate zu berichten, die ich an Haifischen gewonnen habe.

Ehe ich an die Besprechung dieser Untersuchungen gehe, erfülle ich eine angenehme Pflicht, einer hohen kais. Akademie der Wissenschaften, sowie den Herren der zoologischen Station zu Neapel an dieser Stelle meinen wärmsten Dank zu sagen.

2. Zerstörung des Labyrinthes an Haifischen.

Es lag ziemlich nahe, die Fische überhaupt, die bekannt- lich keine Schnecke, wohl aber, mit geringen Ausnahmen, wohlausgebildete Bogengänge und Otolithenorgane besitzen, zu Versuchen über die physiologische Function von Bogen- gang- und Otolithenapparat heranzuziehen.

A. Tommaszewicz * berichtet bereits über einige ein- schlägige Experimente an Knochenfischen, doch beschränkt sich die Forscherin auf wenige Versuche: bezüglich der passiven Rotation heisst es daselbst: »Der Ausführung dieser Versuche setzten sich manche Schwierigkeiten entgegen, die Jahreszeit war ungünstig, der Apparat wenig geeignet; sie sind daher wenige an der Zahl, und ich möchte die Resultate nicht besonders betonen, nur flüchtig erwähnt haben, dass ich eine Reaction der Fische auf passive Drehung nicht beobachtet habe.«

Auch die Exstirpation des Labyrinthes nahm A. Tomma- szewicz nur in wenigen Fällen vor; es wurden im Ganzen 6 Fische operirt; von diesen ^blieben nur 2 so lange am Leben, dass ihre Bewegungen beobachtet werden konnten; der erste schwamm in den ersten Stunden nach der Operation ziemlich lebhaft und bev^orzugte keine Richtung; am anderen Morgen wurde er todt aufgefunden: der zweite lebte drei Tage, schien

J A. Tommaszewic z, Beitrage zur Physiologie des Ohrlabyrinthes. Inaug. Diss. Zürich 1877.

Physiologie des Ohrlabyrinthes. 4 t 1

ziemlich munter und verhielt sich ganz normal beim Schwimmen«.'

Die Verfasserin sagt wohl selbst, dass sie, da die Versuche mit Labyrinthexstirpation viel zu wünschen übrig lassen, die- selben in der Arbeit nicht erwähnt, spricht sich jedoch auf Grund von Versuchen an Thieren anderer Classen gegen die nicht aku- stische Function des Labyrinthes aus.

Kiesselbach* hat an Karpfen und Schleien operirt, und war der Erfolg sämmtlicher Versuche sowohl nach einseitiger, wie nach beiderseitiger Durchtrennung der halbzirkelförmigen Canäle ein negativer.

Cyon^ hat an Neunaugen {Petromyzon) Zerstörungen von Bogengängen vorgenommen und bei einseitiger Verletzung Manegebewegungen und drehende Bewegung um die Längsaxe beobachtet. Nach beiderseitiger Exstirpation der Bogengänge bewegt sich das Thier im Kreise und wälzt sich um die Längs- axe des Körpers. Cj^on sagt dann weiter: »Während dieser Umwälzung ereignet es sich öfters, dass es auf dem Rücken liegen bleibt; dann fährt es fort, sich in dieser Lage im Kreise zu bewegen, und nur mit vieler Mühe gelingt es ihm, seine normale Körperhaltung einzunehmen. Dieselbe Erscheinung beobachtet man, wenn man es auf den Rücken umlegt; es schwimmt alsdann während einiger Zeit in dieser Lage; macht es Halt, so sucht es vermöge des dorsalen Theiles der Haft- scheibe sich anzusaugen und nur nach mehrfachen fruchtlosen Versuchen nimmt es seine normale Stellung wieder ein.*

9

Aus diesen Versuchen schliesst der Verfasser, dass bei den Neunaugen » das sogenannte Gehörorgan wahrscheinlicher- weise zu nichts anderem dient, als zur Orientirung im Räume.«

Sewall* hat an Haien und Rochen operirt und bei einigen Thieren die Bogengänge, bei anderen die Otolithenapparate zerstört und gefunden, dass bei Extraction der Bogengänge bei

1 L. c. S. 89-90.

2 Kiesselbach, Zur Function der halbzirkelförmigen Canäle. Archiv für Ohrenheilkunde. XVIII. Bd. 1882.

^ E. V. Cyon, Gesammelte physiolog. Abhandl. Berlin, 1888. S. 337 -339. * Sewall, Experiments upon the ears of fishes with reference to the * function of Equilibrium. (Journ. of Phys. IV. p. 339).

33*

4/2 A. Kreidl,

Haifischen kaum nennenswerthe Bewegungsstörungen auf- treten, vvolil aber bei Verletzungen der Otolithenapparate. Sewall urtheilt jedoch, da Laesionen der Bogengänge und Otolithen oft keine Störungen zur Folge haben, dass dieselben nicht als Gleichgewichtsorgan angesehen werden können.

Steiner* hat ebenfalls seine Experimente an Haifischen ausgeführt und gefunden, dass weder eine einseitige noch doppelseitige Zerstörung sämmtlicher Bogengänge irgend eine Störung in den Bewegungen des Thieres hervorruft.

In einer späteren Arbeit* hat derselbe Autor auch Zer- störungen der Otolithenapparate bei Haitischen vorgenommen und gefunden, dass, wenn man die Otolithen mit einer Pincette herauszieht oder auch nur herauszuziehen versucht, Störungen auftreten, welche gewöhnlich in Rollungen nach der operirten Seite bestehen. Steiner führt diese Störungen nicht zurück auf eine Läsion der Vorhofsgebilde, sondern auf eine Zerrung des centralen Acusticusendes und in. weiterer Folge einer Zerrung des Nackenmarkes, weil dieThiere bei derExstirpation der Otolithen mit dem Auge zwinkern, was der Verfasser für eine Schmerzensäusserung hält, hervorgerufen durch Zerrung des sensiblen Facialis, welcher mit dem Acusticus enge ver- bunden ist.

Loeb"* hat aber in letzter Zeit gefunden, dass Haifische, denen man das Labyrinth beiderseits zerstört, desorientirt sind, auf dem Rücken ebenso schwimmen wie auf dem Bauch, dass die Drehungen der Bulbi bei dauernder Änderung der Orien- tirung fehlen und dass eine beiderseitige Acusticusdurchschnei- dung einer Zerstörung der Otolithenapparate gleichkommt.

Loeb schliesst sich auf Grund dieser Resultate wieder der Breuer'schen Theorie an, nach welcher das Ohr- labyrinth mit Ausnahme der Schnecke ein Sinnesorgan ist.

^ Steiner, Über das Centralnervensystem des Hairischcs und des Ainyhiffxns lanccolatus und über die halbzirkelförmigen Canäle des Haifisches. iSiizungsberichle der Berl. Akad. der Wissensch. XXVIII. Bd. ISSß-^i

- Derselbe, Die Functionen des Centralnervensystems und ihre Phyllo- ^enesc. 2. Ablh. P'ische. Vieweg, 1S8S.

•' L'»eb. l'ber Geotropismus bei Thieren. Pflüi2:er'*^ Archiv. XLIX. HJ. S. 17.-).

Phv->ioloG;ie des Ohrlabvrinthes. 4/^^)

bestimmt zur Wahrnehmung von Bewegung und Lage des Körpers.

Ich habe meine Versuche fast ausschliesslich an Haitischen {Scyllium canicula und cattdus) ausgeführt, bloss zu einigen Control-Rotationsversuchen habe ich lebhafte, kleine Knochen- fische benützt. Ich operirte an Thieren verschiedener Grösse (0*2^1 -Oiw), doch möchte ich hier gleich hinzufügen, dass sich die grossen Thiere zu den Exstirpationsversuchen weniger eignen, da sie in ihren Bewegungen weit träger sind und des- halb weniger prägnante Resultate geben.

Ich habe bei mehr als 25 Thieren die beiderseitige Exstir- pation der Otolilhen vorgenommen und die Thiere durch längere Zeit, ein Exemplar durch fast zwei Monate, im Aquarium beob- achtet. *

Die Exstirpation der Otolithen wurde in folgender Weise vorgenommen: DasThier wurde mit Seewasser respirirt, indem ihm mittels eines Schlauches Wasser durch den Mund geleitet wurde: grosse Exemplare mussten gehalten werden, mittel- grosse und kleine blieben während der Operation in der Regel ruhig liegen. Die Kopfhaut wurde über dem Hinterhaupt nach Steiner mit einem kreuzförmigen Schnitte in vier Lappen ge- trennt, dieselben zurückgeschlagen, wobei alsbald die bläulich durchschimmernden Gehörblasen sichtbar wurden. Mit einem feinen Scalpell wurde die knorpelige Decke soweit abgetragen, dass man mit einer Pincette, einer entsprechend dicken Glas- pipette oder mit einem kleinen Löffelchen auf den weisslich glänzenden Otolithen eingehen konnte. Derselbe wurde nun mit der Pincette gefasst und herausgezogen, oder mit der Pipette (Se wall) angesaugt; bei einiger Übung gelingt es, auf einen Zug den Otolithen herauszubringen. Wenn dies geschehen war, habe ich die Gehörblase mit Seewasser ausgespült, um noch die etwaigen Reste zu entfernen. Hierauf wurde die Wunde vernäht und ausserdem mit Tannin - Gelatine nach Steiner gedeckt. Die Thiere wurden nun auf dem Operations-

1 Ein anderes E.xemplar Hess ich in der Xeapeler Station zurück und erhielt die briefliche Nachricht, dass es nach einem weiteren .Monate noch die- selben Erscheinungen bot. auf die ich gleich zu sprechen komme.

474 A. Kreidl,

f

lische bei fortgesetzter VVasserrespiration so lange liegen ge- lassen, bis die Gelatine erhärtet war. Hierauf kamen die Thiere in das Bassin zurück, wo sie sich alsbald von der Operation erholten. Es geschah mitunter, dass ein oder der andere Bogen- gang verletzt wurde. Die exstirpirten Otolithen wurden stets mikroskopisch untersucht und selbstverständlich ein jedes operirte Thier secirt und der Sectionsbefund nofirt.

Die Zerstörung eines oder mehrerer Bogengänge geschah nach derselben vorbereitenden Operation; bei einigen Thieren wurde das ganze Labyrinth zerstört.

Exstirpation der Otol ithen. Haifische, denen die Oto- lithen beiderseits mit Schonung der Bogengänge exstirpirt worden waren, zeigen alle ein ganz charakteristisches Verhalten- Schön kurze Zeit nach der Operation kann man beobachten, dass diese Thiere wieder schwimmen; dieses Schwimmen ist aber kein normales. Man sieht ein solches Thier oft das ganze circa 2 m lange Bassin auf dem Rücken durchschwimmen, dann kehrt es wieder in die Bauchlage zurück. Es scheint dem Thiere das Bewusstsein von seiner Lage im Räume zu fehlen. Ganz besonders deutlich tritt dies hervor, wenn man die Thiere, die oft, wie es in der Gewohnheit der Haifische liegt, stunden- lang auf dem Boden des Aquariums liegen, mit der Hand zu fassen sucht; dann schwimmen sie eilig davon und gerathen dabei in ungeregelter Abwechslung in die Bauch- und Rücken- lage, natürlich auch in die Seitenlage. Geht man vorsichtig mit einem entsprechend gebogenen Glasstab unter den ruhig liegenden Fisch ein, so gelingt es ausnahmslos das Thier aus der Bauchlage in die Rückenlage zu bringen, in welcher es dann längere Zeit verharrt; ich habe solche Thiere oft eine halbe Stunde in der Rückenlage beobachten können.

Auch spontan trifft man die operirten Haie auf dem Rücken liegend im Bassin an, und zwar liegen, wie dies die Thiere zu thun pflegen, mehrere aufeinander, in unregelmässiger Anordnung, wie ein Haufen zusammengeworfener todter Fische.

Die Lieblingsstellung der Haifische ist im Bassin die, dass sie in irgend einer Ecke mit der hinteren Körperhälfte am Boden, mit der vorderen rechtwinkelig nach aufwärts gebogen an der Seitenwand gewissermassen lehnen, so dass sie dem

Physiologie des Ohrlabyrintes. 4^75

durch die senkrechte Wand blickenden Beschauer die Bauch- seite zukehren; es ist nun ganz bezeichnend, dass beiderseits otolithenlose Thiere ebenfalls diese Lage einnehmen, jedoch in ganz charakteristischer Weise oft statt des Bauches den Rücken dem Beobachter zukehren. Aus dieser Stellung ist es nun sehr leicht, die Thiere mit einem Stabe vorsichtig umzuwerfen, wo- bei die operirten Thiere -die Lage, in die man sie so gebracht hat, stets beibehalten, während normale Thiere sofort die Bauchlage einnehmen. Manchmal gehen die operirten Haifische mit dem Kopfende gegen den Boden des Bassins, als ob sie auf dem Kopfe stehen wollten, offenbar darüber desorientirt, wo oben und unten ist. Bei normalen Fischen beobachtete ich ein solches Benehmen niemals.

Ich kann es nicht unterlassen, an dieser Stelle darauf hin- zuweisen, wie analog das Verhalten der operirten Fische ist mit dem der nach Schrader operirten Frösche. Bei diesen beschreibt Breuer,* dass sie, ins Wasser gebracht, über ihre Lage vollständig desorientirt sind, auf dem Rücken ebenso schwimmen wie auf dem Bauch, gelegentlich auch auf dem Rücken liegend gefunden werden.

In der Regel zeigen otolithenlose Haifische keine Roll- bewegungen, sondern nur dann, wenn ein oder der andere Bogengang mit verletzt ist.

Exstirpation der Bogengänge. Thiere, denen ich die Bogengänge zerstört habe, schwimmen im Kreise und rollen sich öfters ein;* wenn sie sich beruhigt haben, liegen sie in normalerweise auf dem Bauche; bei dem Versuche, sie auf den Rücken zu legen, führen sie sofort Rollbewegungen, Schwimmbewegungen im Kreise und mannigfaltige Combina- tionen dieser aus, bleiben jedoch, wieder beruhigt, niemals auf dem Rücken liegen. Auch ein Thier, dem die Bogen- gänge zerstört, die Otolithen jedoch intact gelassen wurden benahm sich, mit Ausnahme von Rollbewegungen, normal.

1 Breuer, Über die Function der Otolithenapparate. Pflüger's Archiv. XLVIII. Bd. 1890.

2 Zwei normale Exemplare von Scyllium catulus rollten sich ebenfalls sehr oft ein, wenn ich sie zu fassen suchte, derart, dass sie sich gelegentlich in den Schwanz bissen.

476 A. Kreidl.

Bei normalen Thieren ist es mir niemals gelungen, sie aus der Bauchlage herauszubringen. Da es immerhin denkbar wäre, dass diese Erscheinungen von einer Reizung der Wunde, z. B. durch das Seewasser, herrühren konnten, habe ich bei einem Thiere zur Controle an derselben Stelle bloss eine Haut- muskelwunde gesetzt; wiewohl das Thier an dieser Wunde empfindlicher war, zeigte es jedoch stets ein ganz normales Verhalten.

Grosse Exemplare ohne Otolithen ich habe zwei 1 nt grosse Thiere operirt zeigen dieselben Eoßcheinungen, lassen sich auf den Rücken legen, allein nicht so schön wie kleine Thiere, vermuthlich deshalb, weil sie in ihren Bewe- gungen viel träger sind und infolge ihres breiten Querdurch- messers schwerer aus ihrer Gleichgewichtslage zu bringen sind.

Ich vermuthe auch, wenn ich nicht annehmen will, dass Steiner falsch beobachtet hat, dass sich die abweichenden Resultate dieses Forschers am ehesten dadurch erklären lassen, dass derselbe bloss an grossen Exemplaren operirt und die- selben im Aquarium beobachtet hat, ohne sie zu reizen.

Die an und für sich trägen Thiere liegen dann ruhig am Boden des Aquariums und können den Eindruck normaler Thiere hervorrufen.

Ich hatte Gelegenheit, meine operirten Thiere auch Nachts zu beobachten, und konnte constatiren, dass die Erscheinungen der Desorientirung weniger ausgeprägt sind, offenbar weil die Thiere nur bei Nacht sehen.

Alle diese Erscheinungen, die die operirten Thiere zeigen, lassen sich ungezwungen durch die Breuer-Mach'sche Theorie erklären.

3. Rotationsversuche an normalen und operirten Fischen.

Die Drehversuche habe ich auf einem Centrifugalapparat ausgeführt, an dem zu diesem Zwecke einige besondere Vor- richtungen angebracht waren. Dieselben ermöglichten, ein cvlindrisches Gefäss oder eine Schale rasch um ihre Axe zu drehen; ersteres konnte auch horizontal gelegt und um einen ungefähr durch seine Mitte gehenden Durchmesser seinem Querschnittes gedreht werden. Die cvlindrischen Gefässe, die

Phvsioloyrie des Ührlabvrinthes. 4/ t

'n

ich verwendete, waren 30 40 cm hoch und die Lichtung betrug 8 \Ocm. Die verwendeten Schalen hatten einen Durch- messer von circa 20 30 cm.

Ich habe zu diesen Rotationsversuchen keine grossen Exemplare genommen und auch nicht nehmen können, da die Drehscheibe nicht darnach eingerichtet war; der Durchmesser der Scheibe betrug circa 30 cm, und da sowohl das cylindrische Gefass als die Glasschale nicht über den Rand hinausragen durften, so waren auch die Fische von dieser Grösse. Die ge- drehten Thiere wurden nach der Rotation mit dem Inhalt des Gefässes, in welchem sie gedreht worden waren, in das Bassin geworfen und darin ihr ferneres Verhalten beobachtet. Die Hai- fische eignen sich besonders gut zu diesen Rotationsversuchen, da sie sehr widerstandsfähig sind und sehr lange Zeit ohne Wasserwechsel aushalten können.

Die Rotationsversuche mit normalen Thieren wurden ebenfalls an einer grösseren Anzahl vorgenommen und ent- halten die Angaben über das Verhalten dieser Thiere während und nach der Drehung selbstverständlich das von allen gemein- sam gebotene Bild.

Ich habe auch an Knochenfischen der angegebenen Grösse ähnliche Versuche ausgeführt, doch in so geringer Anzahl, dass ich auf dieselben nicht näher eingehen möchte.

Die Rotationsgeschwindigkeit wurde in allen Versuchen entsprechend variirt, ebenso die Dauer der Drehung; für gewöhnlich wurden die Thiere V2 ^ Minute mit mittlerer (4 6 Umdrehungen in der Secunde) oder grosser Geschwindig- keit (10 12 Umdrehungen in der Secunde) gedreht.

Die Haifische zeigen nun folgendes Verhalten: Wenn man ein Thier in einem horizontal liegenden Cylinder durch längere Zeit so im Sinne eines Uhrzeigers dreht, dass es um eine durch seine Mitte gehende und auf der Wirbelsäule senkrecht stehende Axe rotirt, so schwimmt es, rasch ins Wasser geworfen, in einem Kreise herum, und zwar auch im Sinne des Zeigers einer Uhr; wird das Thier im vertical stehenden Cylinder, also um seine Längsaxe ziemlich lange gedreht, so führt es, ins Wasser geworfen, einige Drehungen um dieselbe Axe aus, wobei ich jedoch bemerken möchte, dass diese

478 A. Kreidl,

Drehbewegungen nicht so sicher eintreten wie die früher genannten.

Bringt man einen Haifisch in eine flache Glasschale und beginnt ihn langsam zu drehen, so schwimmt er gegen die Drehrichtung, oder versucht es zum Mindesten; wenn man die Drehrichtung umkehrt, so kehrt sich auch das Thier um, um von Neuem gegen die Drehrichtung zu schwimmen; dabei halten sich die Thiere gewöhnlich an die Peripherie des Gefässes.'

Wird die Drehung allmälig schneller, so geben die Thiere die Schwimmversuche auf, und wenn man nun in diesem Tempo (10 12 Umdrehungen in der Secunde) längere Zeit fort rotirt, und dann ein solches Thier rasch ins Bassin schüttet, so schwimmt es ganz regelmässig im Kreise herum, und zwar in demselben Sinne, wie die ursprüngliche Drehung war; auf- fallender Weise treten diese nach der passiven Drehung im Wasser activ fortgesetzten kreisförmigen Bewegungen sicherer auf, wenn man das Thier mit dem Schwanzende voraus gedreht hat; wird das Thier mit dem Kopfende voraus gedreht, so treten diese Erscheinungen weniger prägnant auf; ganz besonders sind es die kleinen Exemplare, welche auf diese Art in sehr schöner Weise schwindlig zu machen sind. Die grösseren Exemplare zeigen die ganze Reaction weniger auffallend; möglicher Weise liegt dies daran, dass diese Thiere in höchst unbequemer Weise zusammengerollt in den für sie zu kleinen Gefässen sich befanden.

Während der Rotation zeigen die Thiere ausser der früher erwähnten Erscheinung, dass sie immer gegen die Drehung zu schwimmen versuchen, nichts Besonderes; ein einzigesmal beobachtete ich, dass ein Haifisch während der länger dauern- den Rotation die eben kurz vorher verschlungene Nahrung erbrach! (Eine amüsante Analogie der Seekrankheit bei Hai- tischen!)

^ Ich konnte ein gleiches Verhalten bei Petromyzon Plancri von dem ich zufällig einige Exemplare erhielt sehr schön beobachten. Ein ähnliches Verhalten beschreibt K. L. Schäfer (Über den Drehschwindel der Thiere, Xaturw. Wochenschrift Nr. 25, 1891; von den Schnecken.

Physiologie des Ohrlabyrinthes. 479

Es war nicht möglich, Haifische, deren Labyrinth zerstört war, in Betreff dieser Rotationsversuche mit normalen zu vergleichen, denn erstere machten auch ohne vorhergehende Drehung, jedesmal, wenn man sie in das Bassin schüttete, so stürmische Rotationsbewegungen, dass von dem Erkennen eines Mehr oder Weniger abgesehen werden musste.

4- Über den Einfluss der Centrifugalkraft auf normale und

otolithenlose Fische.

Um den Einfluss der Centrifugalkraft auf otolithenlose Haifische zu studiren, habe ich vorerst an normalen solchen Thieren und einigen kleinen Knochenfischen aus dem Golfe von Neapel Versuche ausgeführt.

Diese Thiere wurden alle in einer flachen Glasschale mit sehr grosser Geschwindigkeit mehr als 15 Umdrehungen in der Secunde rotirt und während der Drehung in diesem beobachtet. Sowohl alle Haifische auch diesmal habe ich nur die kleinen Thiere verwendet wie auch die übrigen kleinen Fische zeigen ein ganz typisches Verhalten, indem sie sich in die Richtung der Resultirenden von Schwerkraft und Centrifugalkraft einstellen, und zwar in der Weise, dass sie sich stets mit dem Rücken gegen die Drehungsaxe hinneigen, mit der Bauchseite nach aussen. Ganz besonders schön konnte man dies bei den Haifischen beobachten; während der lang- samen Rotation lagen die Thiere auf dem Bauche, wie jedoch die Geschwindigkeit und damit die Centrifugalkraft zunahm, neigte sich das Thier mit dem Rücken nach innen und wies die glänzend weisse Bauchseite dem Beschauer. Diese Neigung entspricht derjenigen des galoppirenden Pferdes im Circus.

Haifische, welchen beiderseits dieOtolithen entfernt wurden, ändern nun unter dem Einfluss der Centrifugalkraft ihre Lage in dem Gefässe nicht, zeigen also keine Schiefstellung; ja, sie behalten auch bei der Rotation alle jene abnormen Stellungen bei, die oben geschildert worden sind; es kommt sogar vor, dass diese Thiere sich in dem Gefässe gelegentlich auf den Rücken legen und die längste Zeit während einer sehr raschen Drehung diese Lage beibehalten.

480 .\_ Kreidl, Physiologie des Ohrlabyrinthe>.

Kin ähnliches Verhalten habe ich bei normalen Thieren niemals beobachtet. *

Ich habe diese Versuche, die ich gelegentlich an Knochen- fischen noch fortzusetzen gedenke, in Kürze mitgetheilt und mich darauf beschränkt, bloss die zu dem speciellen Thema in Beziehung stehende Literatur zu erwähnen.

Auf die in jüngster Zeit erschienene reichhaltige Literatur auf diesem Gebiete, sowie auf die Consequenzen, die sich aus diesen Versuchen für die Theorie von der Function des Ohr- labyrinthes ergeben, will ich im Zusammenhange mit meinen an Wirbellosen gewonnenen Resultaten in einer nächsten Mit- theilung ausführlich eingehen.

^ Zum Vergleiche mit dem Verhalten eines normalen Thieres diene folgendes zufällige interessante Versuchsergebniss. Ich verfügte über zwei ziemlich elende Exemplare von Haifischen, von denen dem einen die Otolithen beiderseits entfernt worden waren, während das andere zwar normal, jedoch dadurch, dass es durch einen Sprung aus dem Bassin auf den Boden de> Zimmers gefallen und längere Zeit daselbst gelegen war, fast moribund war. Während nun das operirte Thier während der Drehung seine Rückenlage bei- behielt, stellte sich das normale Thier, obwohl es zu Beginn der Drehung eben- falls auf dem Rücken lag, bei rascher Rotation in die Richtung der Resultirenden von Schwerkraft und Centrifugalkraft.

481

Zur Lehre von den Struetur- und Zuekungs- Verschiedenheiten der Muskelfasern

von

Ph. Knoll.

(Mit 3 Tafeln )

I. Zuckungscurven von Schliessmuskeln der Lamelli-

branchiaten.

Bei meinen Beobachtungen über die Structurverschieden- heiten am Schliessmuskel der Lamellibranchiaten (Lit.-Verz. 1, S. 659 bis 663, 2, S. 3 bis 13) drängte sich mir begreiflicher- weise die Frage auf, ob und wie diese Verschiedenheiten auch in der Zuckung des Schliessmuskels der einzelnen Lamelli- branchiaten zum Ausdruck kommen.

Erörtert wurde diese Frage bereits von verschiedenen Forschern, zunächst, soweit ich zu ermitteln vermochte, von Schwalbe (3, S. 235), welcher im Anschluss an Mittheilungen über das Vorkommen von längs- und von doppelt schräg- gestreiften Muskelfasern bei der Auster, während im Schliess- muskel der Miessmuschel nur längsgestreifte »fibrilläre« F'asern vorkämen, ausführt, dass der Act des Schalenschliessens bei der Auster auf Einwirkung äusserer Reize plötzlich und rasch geschieht, bei Mytilus dagegen sehr langsam und allmälig, wodurch er zu der Annahme veranlasst wird, >dass die doppelt schräggestreiften Fasern der Auster mehr für plötzlich und energisch auszuführende Bewegungen eingerichtet sind, während die fibrillären Fasern vielleicht den festen Schluss besorgen, der hier nur durch andauernde Contraction zu erzielen ist«'.

482 Fh. Knoll.

Fast ein Jahrzehnt später hat H. v. Ihering (4, S. 15 18) auf Grund von Versuchen, die er im Herbste 1876 an Pecteu glaber und variiis angestellt hat, eine analoge Functions- verschiedenheit für den gelblichen und weissen Antheil des Schliessmuskels dieser Thiere aufgestellt, da er fand, dass diese Muscheln nach isolirter Durchschneidung des ersteren Antheiles ihre Schalen auf Reize nur sehr wenig und langsam schliessen, dieselben aber dann in der gewonnenen Stellung sehr fest halten, nach isolirter Durchschneidung des letzteren Antheiles dagegen auf Reize die Schalen rasch, aber nur für wenige Momente schliessen. Er folgert hieraus, dass die gelb- lichgraue Portion die eigentlich >»musculöse«, die Rolle der weissen mehr die einer dem Schlussbande der Schalen als Antagonist entgegenwirkenden Sehne sei, und führt weiter aus. dass der »musculöse« Theil des Schliessmuskels der Muscheln >aus den bekannten glatten Faserzellen« bestehe, an denen sich kein Zerfall in Fibrillen, unter Umständen aber, wie gerade von Pecten bekannt sei, Querstreifung finde. Die Fasern des sehnigen« Theiles des Schliessmuskels aber seien »fibrillär gebaut, in so exquisiter Weise, dass man fast eine Ner\- enfaser vorsieh zu haben wähnen könnte« und es fände sich nie Quer- streifung an denselben.

Engelmann (5, S. 563) aber fand keinen merkbaren Unterschied in der Geschwindigkeit der Zusammenziehung zwischen den beiden verschieden gefärbten Antheilen des Schliessmuskels von Anodonta und zwischen diesen und dem Schliessmuskel von Cardinm und Mytiltts und ist geneigt, die doppelt schräggestreiften Fasern wegen ihrer verhältnissmässig trägen Contraction auch physiologisch nur als eine Abart der glatten Muskeln zu betrachten.

Allen diesen Beobachtungen mangelte eine genauere Ver- folgung und Darstellung der Zusammenziehung der betreffenden Muskeln, beziehungsweise Muskelantheile auf graphischem Wege, während wieder die mittels dieser Methode von Fick (6), Pawlow (7) und Biedermann (8) vorgenommenen Beob- achtungen an Auodouta sich theils nur auf die Verzeichnung der Zuckungscurve des ganzen Muskels (6, 7), theils nur auf jene des gelblichen Antheiles desselben beschränkten (8).

Structur und Zuckung der Muskelfasern. 483

Dieser Stand der Dinge veranlasste mich während eines Aufenthaltes an der zoologischen Station in Triest im April dieses Jahres selbst an die Beantwortung der eingangs auf- geworfenen Frage zu schreiten. Da ich alle Hilfsmittel zur . elektrischen Reizung der Muskeln und graphischen Beobachtung ihrer Zusammenziehung selbst dahin mitbringen musste, war ich genöthigt mich mit den einfachsten und compendiösesten Apparaten zu begnügen, die der Untersuchung von vornherein enge Schranken zogen. Weitere Schwierigkeiten verursachten die nothwendigen kleinen Reparaturen an diesen Apparaten in einer Stadt, wo keine Hochschulen und keine mit den Bedürf- nissen dieser vertrauten Mechaniker zu finden sind. Dazu kam noch vorwaltend ungünstiges Wetter, welches die Beschaffung von geeignetem Material so erschwerte, dass ich beispielsweise von Lima hians nur ein, von Lima sqiiamosa aber gar kein Exemplar in dieser Zeit zu erhalten vermochte.

Diese Umstände mögen es rechtfertigen, dass meine Unter- suchungen nicht die wünschensvverthe Ausdehnung erfuhren; da dieselben aber einerseits doch mehrere bemerkenswerthe Thatsachen ergeben haben und ich anderseits dieselben kaum weiter werde führen können, sei es mir gestattet über dieselben dennoch zu berichten.

Als Reizvorrichtung stand mir lediglich ein Du Bois- Reymond'scher Schlittenapparat mit 5000 Windungen der secundären Spirale zur Verfügung, der mit einem Leclanche- Element verbunden wurde. Zur Stromschliessung diente ein Quecksilberschlüssel, zur Stromzuleitung auf einem Stativ angebrachte bewegliche Platinnadel -Elektroden, die an den Muskel seitlich angelegt wurden. Die einzelnen Muscheln wurden bis auf den zu prüfenden Muskel oder Muskelantheil ausgeweidet, zumeist nach längerem oder kürzerem Trocken- liegen derselben, was ein Klaffen der Schalen bewirkt, ohne die Reizbarkeit des Muskels zu beeinträchtigen, die eine Schale horizontal an einem Stativ mittels einer der gewöhnlichen Muskelklemmen fixirt, die andere mittels Häkchen und Schnur mit dem Schreibhebel in Verbindung gesetzt. Das Häkchen steckte entweder in einer Bohröffnung der Schale oder war, bei Muscheln mit dickerer oder spröderer Schale, an dieser mittels

4^;4 Ph. Knüll,

einer jener federleichten Neusilberklemmen befestigt, welche zum Verschluss von Postsendungen gebraucht werden. Von beiden Schalen war soviel abgetragen, dass sich die Elektroden leicht an die eine (untere) Insertion des Muskels anlegen Hessen, die Last, welche der Muskel bei seiner Zusammenziehung herab- zuziehen hatte, möglichst gering, der Abstand zwischen den freien Schalenrändern, aber dennoch möglichst gross war. Das Schlossband wurde nach dem Vorgange Fick's stark gelockert, jedoch stets nur soweit, dass die nicht fixirte Schale nach mechanisch bewirktem Schalenschluss sich ganz jäh wieder erhob. Der durch das Schlossband gegebene Widerstand für die Zusammenziehung des Muskels war aber begreiflicherweise bei den einzelnen Versuchen sehr wechselnd.

Die Schnur ging schräg ansteigend von der Schale über eine Rolle zu dem wesentlich höher tixirten Srhreibhebel, als welcher ein an jener Rolle aufgehängter einarmiger Hebel diente, wie ich ihn zur Verzeichnung der Augenbewegungen benützte (9). Dicht an dem nahe der Axe des Hebels befind- lichen Angriffspunkt der Schnur war eine 5 Gramm schwere Schale zur Aufnahme von Gewichten angebracht. Bei sehr kleinen Muscheln wurde von einer weiteren Belastung meist abgesehen, sonst wechselte dieselbe zwischen 5 und 30 Gramm, je nachdem hiebei hinsichtlich der Curvenhöhe und der Schnellig- keit der Erschlaffung das Optimum erreicht wurde.

Der fein einstellbare Schreibhebel verzeichnete seine Aus- schläge auf Papier, das durch die zum Rothe'schen Poly- graphen (10) gehörende Vorrichtung berusst, bewegt und in Schellack getränkt wurde. Die Bewegung des Papiers erfolgte mit der Geschwindigkeit von 37 Millimeter in der Secunde.

hidem ich nun an die Darstellung der an den einzelnen Arten angestellten Beobachtungen schreite, sei vorweg bemerkt, dass dieselben, abgesehen von Lima hians, immer an mehreren Exemplaren jeder Art gemacht wurden. Am leichtesten gelang die Herstellung eines geeigneten Präparates bei den Mono- myariern Pcctcn und Lima. Bei Area erwies sich die ungemeine Hrüchigkeit, bei Venus verrtieosa die Dicke der Schalen, bei Scrobieiilaria piperata und Cardium ednle die Sprödigkeit der- selben und die Kleinheit derThiere im (Ganzen recht hinderlich.

Siructur und Zuckung der Muskelfii«»ern. 48Ö

Pecten. Es wurden die Arten Jacobaens, glaher und varins untersucht. Wird nach Blosslegung des aus zwei scharf gesonderten Antheilen bestehenden Schliessmuskels, wobei das Thier seine Schalen fest zusammenpresst, der weisse Antheil des Muskels durchschnitten, so schnellen diese mit einem Ruck weit auseinander, selbst bei einem ganz frischen auf Reize lebhaft reagirenden Thiere, was erweist, dass hier, abweichend von Anodonta, der gelblichgraue Antheil keinen höheren Tonus besitzt. Im Gegensatz zu den von Fick und Biedermann an Anodoitta gemachten Beobachtungen ist hier auch sofort eine lebhafte Reaction auf den Inductionsreiz wahrzunehmen, selbst einzelne Schliessungs- und Öffnungsschläge, die nach Bieder- mann bei Anodonta nur »in günstigen Fällen«, »bisweilen eine deutliche Contraction des Muskels« bewirken (8, S. 46), rufen hier sofort deutliche Zuckungen hervor. An mehreren Thieren trat schon bei RA (Rollenabstand) 13 14 cw JÖZ (Zuckung bei Öffnung des Inductionsstromes) ein, in der Mehrzahl der Fälle bei RA 8 10. In der Regel bedurfte es eines mehrere Centimeter geringeren Rollenabstandes um JSZ (Zuckung bei Schliessung des Inductionsstromes) und wieder einer ähnlichen Verminderung des Rollenabstandes, um JSZ =: JÖZ hervor- zurufen. Dreimal fand ich bei RA 2 3 JSZ >- JÖZ. Der Anstieg der Curven war immer ganz jäh, bei Pecten varins in der Regel auch der Abfall (I, 1). Bei einzelnen Exemplaren dieser Pecten- Art und bei den vier Exemplaren von Pecten Jacobaens, sowie acht Exemplaren von Pecten giaber, die ich untersuchte, war der Curvenabfall zuerst auch sehr jäh, zuletzt aber gedehnter

(I, ■!)•

In den letzteren Fällen konnte bei rascher Folge von

Stromschluss und Öffnung allmälig anwachsende Dauer- contraction, also gewissermassen eine Verstärkung des Tonus des Muskels, wie dies Biedermann und Pavvlow bei ana- loger Reizung des Schliessmuskels von Anodonta mittels Ketten- strömen beobachteten, erzielt werden und sodann ein Ver- harren in einem gewissen mittleren Contractionszustande,

ff

während die durch die einzelnen Schliessungen und Offnungen des Inductionsstromes bewirkten Zuckungen an Grösse allmälig abnahmen oder bei gleichbleibender Reizfrequenz viel seltener

Stizb. d. mathem.-naturw. Cl.; CI. Bd., Abth. III. '34

48(3 IMi. K'noll,

wurden als. die Reizungen (I; 7, 8;. Ab und zu trat nach solchen Reizungen eine sehr starke Erschlaffung des Muskels über das ursprüngliche Mass hinaus auf, wie Pawlow es unter analogen Verhältnissen bei Anodonta beobachtet und aus der Einwirkung auf »besondere Theile im Innern der Muskelfasern« zu erklären versucht hat (I, 8).

Tetanisirende Ströme riefen, wenn der Strom kräftig und der Muskel nicht durch vorhergehende Reizungen bereits erschöpft war, eine Dauercontraction hervor, die zur Ver- zeichnung einer horizontalen Linie führte, von der die Cur\'e anfangs jäher und dann mehr allmälig wieder abfiel (I, 9). Hielt die Tetanisirung länger an, so erfolgte in der Regel das Absinken noch während der Reizung, und zwar dann zumeist unter zuckungsartigen Schwankungen (I, 1 1). Bei ermüdetem Muskel konnten solche Schwankungen auch auf der Höhe der Curven wahrgenommen werden (I, 10), oder es sank die Curve selbst bei längerer Tetanisirung sofort nach erreichtem Gipfel unter solchen Schwankungen ab. Sowohl bei Reizung mit Einzel- schlägen, als namentlich bei tetanisirenden Reizen ermüdet der Muskel sehr schnell (I, 11 13).

Wurde die Reizung am intacten Muskel, also bei Erhalten- sein des weissen Antheiles vorgenommen, so war bei Anwendung von Einzelschlägen eine Abänderung der Form der wegen des geringen Klaffens der Schalen sehr niederen Curven nicht wahr- nehmbar; bei längerem Tetanisiren aber war ein ungemein langes Verharren in einem mittleren Contractionszustande (1, 5), ja zuweilen selbst ein allmäliges Anwachsen desselben während der Reizung wahrzunehmen (I, 3).

Dass dies auf der Miterregung des weissen Antheiles beruhte, lehrte der Ausfall der Erscheinung nach Durch- schneidung desselben (I, 6), sowie seine isolirte Reizung. Diese blieb nämlich bei Verwendung von Einzelschlägen bei Pecten ganz wirkungslos, während die Verwendung starker tetani- sirender Ströme zu einer sehr trägen, aber auch sehr lange, sogar über die Reizung hinaus anhaltenden und nur ganz all- mälig nachlassenden Zusammenziehung des Muskels führte (1, 2).

So stellt sich also ein sehr ausgeprägter und den Angaben I h e r i n g's im Ganzen entsprechender Unterschied in der

Structur und Zuckung der Muskelfasern. 487

Zusammenziehung der beiden Antheile des Schliessmuskels von Pecteit heraus, ein Unterschied, der wohl ohne Zwang auf die bei Erschlaffung und Zusammenziehung sich gleich bleibenden Structurverschiedenheiten der beiden Antheile zurückzuführen ist, deren einer quergestreift ist, während der andere nur eine durch der Länge nach angereihte stärker lichtbrechende Theilchen bedingte Längsstreifung erkennen lässt.

Allerdings sind nicht alle Fasern des gelblichgrauen An- theiles quergestreift, es finden sich in demselben vielmehr in der Regel auch homogene Fasern in wechselnder Zahl. Es mag vielleicht von dem Verhältnisse der beiden Faserarten zueinander abhängen, ob die Erschlaffung des gelblichgrauen Antheiles nach Reizung mit einzelnen Inductionsschlägen sich blitzschnell vollzieht, wie dies bei Pecten varitis in der sehr überwiegenden Zahl von Fällen beobachtet wurde, oder anfangs jäher und dann träger, wie es bei Pecten Jacobaeus und glaber zu sehen war.

Area Noae.V'on den beiden Schliessmuskeln dieser Muschel wurde nur der hintere, aus zwei deutlich gesonderten Antheilen bestehende benützt, der in seinem weissen Antheil längs- gestreifte Fasern von derselben Beschaffenheit wie bei Pecteu, im gelblichgrauen aber im contrahirten Zustande neben längs- gestreiften und homogenen doppeltschräg- und stellenweise auch quergestreifte Fasern in überwiegender Anzahl enthält (2, S. 10, 11). Auch hier klaffen die Schalen beträchtlich, wenn nach Abtrennung des vorderen der weisse Antheil des hinteren Schliessmuskels durchschnitten wird. Zu den durch die Brüchig- keit der Schale hier bedingten Schwierigkeiten der Präparation gesellen sich solche, welche durch die Beschaffenheit des Schlosses bedingt sind, das gezahnt ist und durch öfteres mechanisches Auf- und Zuklappen der Schalen gelockert werden muss, wobei der Schliessmuskel stark gedehnt wird und leicht einreisst.

Im Ruhezustande, auch im Wasser, klaffen die Schalen dieser Muschel etwas, schliessen sich aber auf Reize ziemlich rasch und öffnen sich hienach viel träger wieder.

Bei Reizung des isolirten grauen Antheiles trat in mehreren Fällen schon bei RA 8 rw JÖZ, bei einem um 8 4 cm geringeren Rollenabstande JSZ ein, welche bei einer weiteren ähnlichen

34*

488 Ph. Knoll.

Verminderung des Kollenabstandes annähernd gleich stark wie die JÜZ ausfiel (II, 1 3). Die Curven zeigten einen ziemlich jähen, doch etwas minder steilen Anstieg als die vom gelblich- grauen Antheil von Pecten gewonnenen, und einen sehr gedehnten Abfall. Bei rascherer Folge der Reize trat auch hier ein treppenförmiges Ansteigen der Curve unter Abnahme der einzelnen Zuckungen {II, 6), bei Anwendung stärkerer tetani- sirender Ströme ein jäherer Anstieg derselben (II, 8) und während längerer Tetanisirung noch während der Reizung ein allmäliges Absinken der Cur\'e ein (11,4). Wiederholte Reizungen führten auch hier zu rascher Ermüdung. Reizung des isolirten weissen Antheiles dieser Muschel ergab nur bei Ver- wendung stärkerer tetanisirender Ströme Curven, und zwar solche von ganz analoger Beschaffenheit wie die vom weissen Antheil von Pecten gewonnenen (I, 15). In einem Falle folgte einer derartigen Reizung regelmässig eine starke, das ursprüng- liche Mass weit überschreitende Erschlaffung des Muskels (I, 16).

Reizung des gesammten intacten hinteren Schliessmuskels ergab bei Verwendung von Einzelschlägen analoge Curven wie bei Reizung des isolirten grauen Antheiles, bei länger dauernder Tetanisirung aber nach jäherem Anstieg der Curv^e eine lang anhaltende allmälig anwachsende Zusammenziehung (I, 14).

So prägt sich also die typische Verschiedenheit in der Structur der Fasern zwischen dem weissen und grauen Antheil des Schliessmuskels von Pecten und Area und zwischen dem grauen Antheil von Pecten einer- und Area anderseits in typischen Verschiedenheiten der Zuckungscurven aus.

Venus verrucosa. Die Schalen dieser Muschel klafften selbst nach sechs- bis siebenständigem Trockenliegen sehr wenig. Die Präparation ist darum und wegen der Dicke und Brüchigkeit der Schalen recht schwierig, und die beiden Schliessmuskeln, die je aus zwei deutlich gesonderten Antheilen bestehen, reissen dabei leicht ein. Nach Durchschneidung des vorderen und des weissen Antheiles des hinteren Schliess- muskels klaffen die Schalen etwas mehr, doch auch nicht in dem Masse, wie dies bei den beiden vorher besprochenen Muscheln der Fall ist, was begreiflicherweise die Gewinnung

Structur und Zuckung der Muskelfasern. 489

guter Curven sehr erschwert. Indessen gelang es mir doch fest- zustellen, dass der graue Antheil des hinteren Schliessmuskels dieser Muschel in allem Wesentlichen auf einzelne Inductions- schläge (II, 5) und tetanisirende Reize in gleicher Weise reagirt wie der analoge Muskelantheil von Ajxay mit dem er auch in der Structur im Wesentlichen übereinstimmt.

Lima inflata. Ich habe an anderer Stelle (2, S. 3 bis 8) ein- gehend dargethan, dass der Schliessmuskel dieses Thieres wohl nicht aus zwei makroskopisch deutlich gesonderten Antheilen besteht, aber in mehrfacher Lage an der Peripherie und vereinzelt im Inneren die dem weissen Antheil von Pecteti, Area u. s. vv. eigenthümlichen längsgestreiften dicken sogenannten fibrillären Fasern neben an Zahl weitaus über- wiegenden dünnen Fasern enthält, die im gedehnten Zustande vorwaltend schräg, beziehungsweise doppelt schräggestreift erscheinen, während sie im contrahirten Zustande zumeist aus- geprägt quergestreift sind.

Ruhig im Seewasser gelassen klaffen die Schalen dieser Muschel in der Regel nicht unerheblich. Von Zeit zu Zeit aber klappen sie jäh zusammen, wodurch das Thier sich ähnlich wie Pecten kräftig weiter zu schnellen vermag. Während aber bei Pecten sich die Schalen rasch nach dem Schluss wieder öffnen und nicht selten (auch bei der Präparation des Schliess- muskels) Schluss und Öffnung rasch nacheinander sich zwei- bis dreimal wiederholt, erfolgt das Öffnen der Schalen bei Lima ziemlich trag.

Dem mechanischen Öffnen der Schalen setzt auch Lima bedeutenden Widerstand entgegen; während aber bei Pecten die Überwindung desselben leicht zum Zerreissen des Schliess- muskels, namentlich seines weissen Antheiles führt, gelingt es unschwer, den Muskel von Lima unverletzt beträchtlich zu dehnen, wonach derselbe, wenn das Thier vorher ausgeweidet wurde, in diesem gedehnten Zustande verharrt. Da hiebei der Muskel vollständig reizbar bleibt, auch die leicht durchbohr- baren Schalen so leicht sind, dass sie intact beim Curven- zeichnen verwendet werden können, sind die Bedingungen für das Gewinnen guter Curven bei dieser Muschel besonders günstig. Bei RA 10 9 rm erhielt ich in der Regel schon deut-

490 Ph. Knoll,

liehe JÖZ, bei 3 - 4 an geringerem Rollenabstande JSZ und bei weiterer ähnlicher Verminderung des Rollenabstandes wurden JSZ und JÖZ gleich stark (II, 11 13j. Der aufsteigende Cur\*en- Schenkel war dabei meistens nahezu ebenso steil wie bei Pecteu, der Abfall der Curve erfolgte aber immer gedehnter. Das stufenförmige Ansteigen der Curve bei rasch aufeinander folgenden Reizungen und die hiebei eintretende Dauercontraction prägten sich sehr schön aus (II; 7, 10). Auch hier kam es nachträglich zuweilen zu einer Erschlaffung des Muskels über das ursprüngliche Mass hinaus (II, 10). Bei länger dauernder Tetanisirung kam es in der Regel zu einem allmäligen Absinken der Curve noch während der Reizung, nachher aber zu einem anfangs jäheren und dann sehr allmäligen Abfall (II, 9).

Wie der Vergleich der Curven lehrt, steht der Ablauf der Einzelzuckungen hinsichtlich der Schnelligkeit bei Lima uiflata gewissermassen auf einer Zwischenstufe zwischen jenem beim gelblichgrauen Antheil von Pecien und beim gelblichgrauen Antheil von Area und Venus. Und auch die histologische Beschaffenheit der betreffenden Muskelfasern nimmt eine Art Zwischenstellung ein, indem, wie ich an anderem Orte dar- gethan (2), diese bei Lima inflata^ abweichend von Peeten^ nur in verkürztem Zustande quergestreift sind, bei Area und Venus im verkürzten Zustande aber doppelt schräg- gestreift und nur an besonders stark contrahirten Stellen quer- gestreift sind.

Wie ersichtlich ist, lässt sich also am Schliessmuskel der Bivalven hinsichtlich der Schnelligkeit der Contractionsvorgänge eine Art Stufenleiter feststellen, auf welcher der graue Antheil von Peeteii als der flinkste Muskel obenan steht, hierauf der Schliessmuskel von Lima inflata, dann der graue Antheil von Venus und Area folgt, und der weisse Antheil von Peeten und Area (wahrscheinlich wohl auch jener von Venus) zu unterst steht, eine Art Stufenleiter, der eine analoge hinsichtlich der Streifung der Muskelfasern entspricht.

Mit Rücksicht auf den Umstand, dass der Schliessmuskel von Lima hians im Übrigen gleich beschaffen ist wie jener von Lima inflata^ sich von diesem aber dadurch unterscheidet, dass er auch im erschlafften Zustande zahlreiche quergestreifte

Structur und Zuckung der Muskelfasern. 49 1

Fasern enthält (2, S. 8), wäre mir ein Vergleich der Zuckungs- curven dieser beiden Muscheln begreiflicherweise von Werth gewesen. Wie ich aber schon eingangs hervorgehoben habe, vermochte ich während meines letzten Aufenthaltes in Triest nur ein Exemplar von ersterer Art zu erhalten. Aus der Unter- suchung dieser einen Muschel fühle ich mich aber umso weniger zu einem Schluss berechtigt, als dieselbe, im Gegen- satze zu den sonst zur Curvenaufnahme benützten Thieren wenig reizbar war und nur sehr niedrige Curven ergab.

Zur Vervollständigung meiner Beobachtungen habe ich auch Zuckungscurven von je mehreren Exemplaren von Cardium edule und Scrobicularia piperata aufgenommen, welche ruhig im Wasser gelassen ihre Schalen fest geschlossen hielten. Weder am vorderen, noch hinteren Schliessmuskel ist hier eine Sonderung in zwei Theile zu finden, wohl aber enthält der hintere Schliessmuskel dieser Thiere, der zu den Versuchen verwendet wurde, neben zahlreichen im verkürzten Zustande doppelt schräggestreiften Fasern solche von der Beschaffenheit der sogenannten fibrillären Fasern in sehr grosser Menge. Die Curven bei Anwendung einzelner Inductionsschläge fielen hier so niedrig aus, dass ich keinen weiteren Schluss daraus ziehen kann, als dass durch dieselben auch bei diesen Muskeln Zuckungen zu erzielen sind (II, 18). Bei Anwendung tetani- sirender Reize kam es zu höheren Curven mit jäherem Anstieg und sehr trägem Abfall, bei länger dauernder Tetanisirung auch zu einer dem ersten Anstieg folgenden ganz allmäligen weiteren Erhebung der Curven (II, 14). Es verhielt sich also dabei der Muskel so, wie es bei gleichzeitiger länger währender Tetani- sirung beider Antheile einer der früher genannten Muschelarten zu beobachten war, was mit seiner histologischen Beschaffen- heit in Übereinstimmung steht.

Aus allen angeführten Beobachtungen geht hervor, dass meine Annahme, dass so grosse Verschiedenheiten, wie sie sich mir im Bau der Fasern des Schliessmuskels der Lamelli- branchiaten ergeben, nicht ohne Einfluss auf die Muskelthätig- keit sein dürften (1, S. 661), begründet war. Besonderes Inter- esse scheint mir dabei der Umstand zu verdienen, dass wir hier in einem Muskel einer einzigen Thierclasse histologisch

492 Vh. Knoll.

und functionell den Übergang von der quergestreiften zur glatten Musculatur zu verfolgen vermögen.

II. Zuckungscurven vom Mantel von Eledone.

Die Beobachtung, dass in der Musculatur der Cephalo- poden zahlreiche doppelt schräggestreifte Fasern, beziehungs- weise Faserstellen sich finden, der Bau der Fasern im Ganzen dabei aber ein ausgeprägt blätteriger ist, Hess es mir wünschens- werth erscheinen, die Eigenthümlichkeiten in der Zusammen- ziehung der Musculatur auch hier festzustellen.

Bis zu einem gewissen Grade war dies schon durch die Beobachtung der Athembewegungen des Mantels dieser Thiere möglich, dessen freier Rand 23 25 mal in der Minute sich jäh verengert. Behufs graphischer Verfolgung des Vorganges wurde bei mehreren grossen und drei beiläufig einen Zoll grossen Eledonen der Kopf derart vom Körper abgetrennt, dass die spontanen Athembewegungen erloschen; das stumpfe Körper- ende wurde mittels einer starken Präparirnadel auf der Wachs- platte einer Präparirschale fixirt, das Muskelhäkchen in den freien Rand des Mantels eingestochen und die mit demselben verbundene Schnur schräg ansteigend zu dem (je nach der Grösse des verwendeten Thieres) mit 10 40^ belasteten Schreibhebel geführt. Zur Auslösung der Zusammenziehung des Mantels diente in der Regel der Inductionsstrom, doch wurden wiederholt auch mechanische und chemische Reize ver- sucht. Da mit letzteren, selbst wenn sie streng local angewendet wurden, dieselben den ganzen Mantel betreffenden Zusammen- ziehungen herbeigeführt wurden, wie sie bei Anwendung von Inductionsströmen auftraten, dürften wohl auch diese nur reflectorischer Natur sein, ein Umstand, der aber für die Beur- theilung der Art der Zusammenziehung wohl umso weniger in Betracht kommt, als ich an dünnen, dem Frosch-Sartorius ähnelnden, der Länge nach durchströmten Streifen, welche aus der Mantelmusculatur herausgeschnitten wurden, ganz analoge Zusammenziehungen zu beobachten vermochte wie am intacten Mantel. Diese aber waren bei Anwendung einzelner Inductions- schläge, die von 7 cm RA an wirksam waren, sowie bei einer Serie solcher und bei Verwendung tetanisirender Ströme, wie

Structur und Zuckung der Muskelfasern. 493

Fi^. 15 17, 19 und 20 auf Taf. II erweisen, im Wesentlichen ebenso beschaffen wie bei Lima iuflata, obwohl zwischen den Muskelfasern hier und dort, abgesehen von der beiderseits vorhandenen deutlichen Sonderung der einfach und doppelt brechenden Elemente nicht unwesentliche Structurverschieden- heiten bestehen.

III. Zuckungscurven der weissen und rothen Musculatur von

Cistudo europaea.

Ich habe an anderer Stelle (1, S. 686) auf den Unterschied in der Färbung und Structur zwischen der Extremitäten- musculatur und der Musculatur an der Wirbelsäule von Cistudo europaea hingewiesen und angegeben, dass mich vergleichende Reizversuche an diesen Muskeln lehrten, dass weiss und flink und roth und trag durchaus nicht zusammenfallen müssen, und dass ich nach weiterer Durchführung dieser Versuche über die- selben besonders zu berichten gedenke.

Indem ich hiemit an die Einlösung dieses Versprechens schreite, sei zuerst daran erinnert dass in der rothen Extremi- tätenmusculatur von Cistudo Fasern von verschiedenstem Kaliber durcheinander gemengt vorkommen, die dünneren der- selben reich an ziemlich dicht stehenden feinen Körnchen und die dicken verhältnissmässig arm an solchen sind, während die langen, weissen, zum Zurückziehen des Kopfes dienenden Muskeln an der Seite der Wirbelsäule fast ausschliesslich aus an Körnchen armen Fasern zusammengesetzt sind (1, S. 686).

Letztere liegen je zu zweit an den Seiten der Wirbelsäule und bilden wegen ihrer an den Froschsartorius erinnernden Beschaffenheit ein günstiges Object für Reizversuche. Benützt wurde hiebei lediglich der längere Muskel des Paares, der sich ohne ausgeprägte Sehne am Becken und mit längerer flacher Sehne an der Schädelbasis inserirt. Diese Muskeln wurden nach Abtragen des Brustschildes durch Ausweiden des Thieres blossgelegt, die Extremitäten abgetrennt, dann der feine von der Wirbelsäule an die Mitte des Muskels gehende Nerv für die Reizung vorbereitet, hierauf die lange Sehne des Muskels abgetrennt und in der üblichen Weise mit dem Myographion verbunden und sodann die Reizung vom Nerven aus vollzogen.

494 Ph. Knoll,

Da an den Extremitäten kein für die isolirte Reizung vom Nerven aus geigneter Muskel aufzufinden war, wurden hier die Beuger im Ellbogengelenk von einem dem Nerv, brachialis beim Frosch analogen, dicken, an den Vorderarm ziehenden Nerven aus gereizt. Die vordere Extremität wurde zu diesem Behufe am Schulterblatt eingeklemmt, in der Haut der Vola manus das Muskelhäkchen befestigt und die Extremität durch ent- sprechende Belastung am Myographion gestreckt.

Es wurden Zuckungscurv^en von 1 1 Exemplaren von Cisinäo europaea und einem Exemplar von Tesiudo graeca aufgenommen, ausserdem noch an zwei Exemplaren von Cisitido europaea, die anderweiten Vorlesungsversuchen dienten, durch Betrachtung der Muskeln festgestellt, dass die Erschlaffung der weissen Musculatur träger ablief als jene der rothen.

Mit Ausnahme eines einzigen Falles, in welchem die Musculatur der Extremitäten auffallend blass war, verlief die Zusammenziehung und Erschlaffung der rothen Beuger des Vorderarms sehr rasch (III; l, 3). Die Zusammenziehung der weissen Musculatur fiel sehr wechselnd aus, war manchmal sehr trag, in einzelnen Fällen dagegen nahezu ebenso flink als jene der rothen; stets aber erfolgte die Erschlaffung derselben ungleich träger als jene der rothen Extremitäten- musculatur (III; 2, 4). In zwei Fällen versagte sowohl die Reizung vom Nerven aus als die directe Muskelreizung, selbst bei Verwendung stärkerer tetanisirender Ströme gänzlich, in zwei anderen Fällen mussten als Minimalreiz ungewöhnlich starke Inductionsschläge in Anwendung gezogen werden, um eine Zuckung auszulösen. In anderen Fällen wieder trat schon bei einem Rollenabstand von 21, ja sogar von 33 rw JÖZ auf.

Macht auch dieses wechselvolle Verhalten der weissen Musculatur, das wohl auf pathologischen Verhältnissen der- selben beruhen dürfte, sowie der Umstand, dass von der rothen Musculatur nicht ein isolirter Muskel gereizt wurde, die Durch- führung einer genaueren Vergleichung zwischen den beider- seitigen Zuckungscurven unmöglich, so gestattet doch wohl der regelmässig weit trägere Ablauf der Zuckungscurve der weissen Musculatur das Eine zu sagen, dass hier ein Fall vor-

Slruclur und Zuckung der Muskelfasern. 4U5

liegt, auf welchen der Satz, dass die weisse Musculatur flinker reagirt als die rothe, keine Anwendung finden kann.

Literaturverzeichniss.

1. Ph. Knoll, Über protoplasmaarme und protoplasma- reiche Musculatur. Denkschriften der mathematisch - natur- wissenschaftlichen Ciasse der kaiserl. Akademie der Wissen- schaften. LVIII. Bd., S. 633 fif.

2. Derselbe, Zur Lehre von den doppelt schräggestreiften Muskelfasern. Sitzungsber. der kaiserl. Akademie der Wissen- schaften in Wien. Mathem.-naturw. Classe, Bd. CI, Abth. III, October 1892.

3. G. Schwalbe, Über den feineren Bau der Muskelfasern wirbelloser Thiere. Schultzens Archiv, Bd. V, S. 205 ff.

4. H. V. Ihering, Über Anomia, nebst Bemerkungen zur vergleichenden Anatomie bei den Muscheln. Zeitschr. für wissenschaftliche Zoologie, Bd. 30, Suppl. S. 13 (1878).

5. Th. W. Engel mann, Über den faserigen Bau der con- tractilen Substanzen, mit besonderer Berücksichtigung der glatten und doppelt schräggestreiften Muskelfasern. Pflüger's Archiv, Bd. 25, S. 538 ff.

6. A. Pick, Beiträge zur vergl. Physiologie der irritablen Substanzen. Braunschweig 1863.

7. Joh. Pawlow, Wie die Muschel ihre Schale öffnet. Pflüger's Archiv, Bd. 37, S. 6 ff.

8. W. Biedermann, Über die elektrische Erregung des Schliessmuskels von Anodottta. Sitzungsber. der kaiserl. Aka- demie der Wissenschaften in Wien. XCI. Bd., III. Abth., S. 29 ff.

9. Ph. Knoll, Über die nach Verschluss der Hirnarterien auftretenden Augenbewegungen. Ebenda, Bd. XCIV, S. 220 ff.

10. Derselbe, Über einen verbesserten Polygraphen. Präger medicinische Wochenschrift, 1879, Nr. 21.

41.h;

Ph. Knüll,

Erklärung der Tafeln.

Sämmlliche Curven auf Taf. I und II wurden mittels des im Text beschriebenen Verfahrens im Monat April in der zoologischen Station in Triest gewonnen und geben, mit Ausnahme von 15 17, 19, 20 auf Taf. II, welche vom Mantel von Ekdone herrühren, die Contractionsvorgänge am Schliessmuskei von Bivalven bei Schliessung {s) und Öffnung (o) eines Inductionsstromes oder Anwendung tetanisirender Inductionsströme (/) wieder. Die den Zeichen s, ö und / beigefügten Ziffern zeigen den Abstand der secundären von der primären 1

Spirale in Centimetern an. Das Zeichen X markirt das Ende der Tetanisirung, , |

Jedoch nur beiläufig, da das Zeichen immer erst sofort nach beendigter Reizung ' auf dem berussten Papier angeschrieben werden konnte. Wo sich ö ver- zeichnet findet, wurde fortgesetzt in rascher und möglichst gleichmässiger Folge der Strom geschlossen und geöffnet.

Die Curven 1 4 auf Taf. lll geben die Zuckungen von Schildkröten- muskeln wieder; 1, 2 wurden mittels des im physiologischen Institute der deutschen Universität in Prag gebräuchlichen Myographion, 3, 4 mittels der im Text beschriebenen Vorrichtung auf dem berussten Papier am He ring 'sehen Kymographion verzeichnet. Die Buchstaben s, ö und die beigesetzten Ziffem|^] haben dieselbe Bedeutung wie auf Taf. I, II, die Abscissenstrecke zwischen je zwei einfachen senkrechten Strichen hat den Zeitwerth einer Secunde. Sämmtliche Curven sind von links nach rechts zu lesen.

Tafel I.

Fig. 1, 2, 9 wurden von Peclcn variits gewonnen, und zwar 1, 9 vom isolirten

gelblichgrauen, 2 vom isolirten weissen Antheil des Schliessmuskels. Fig. 3—8 stammen von PecUn glaber her; 3, 5 bei Reizung beider Antheile,

6 bei Reizung des isolirten gelblichgrauen Antheiles derselben Muschel.

4, 7, 8 wurden ebenfalls vom isolirten gelblichgrauen Antheil gewonnen.

Bei Fig. 7, 8 wurde Schluss- und Öffnung des Stromes fortgesetzt in

möglichst gleichmässigem Tempo vorgenommen, wobei im weiteren

Verlaufe der Reizung die Zuckungen des Muskels weit seltener wurden

als die Reizungen. Fig. 10 13 verzeichnet die Vorgänge bei einer in rascher Aufeinanderfolge

vorgenommenen Serie von Reizungen mit tetanisirenden Strömen am

isolirten grauen .\ntheil von Pectcn Jacobaeus. Fig. 14 wurde durch gleichzeitige Tetanisirung beider .-\ntheile bei Area

gewonnen. Fi«4. 1,'), 16. Reizung des isolirten weissen Antheiles von Area.

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Structur und Zuckung der Muskeliasern. 49/

Tafel II.

Fi|!c. 1 4, 6, 8. Reizung des isolirten gelblichgrauen Antheiles von Atra.

Fig. 5. Reizung des isolirten gelblichgrauen Antheiles von Venus.

Fig. 7, 9 13. Reizung des Schiiessmuskels von Lima inßala; 7, 10 bei gleich- bleibender Frequenz der Reizungen.

Fig. 14, 18. Reizung des hinteren Schiiessmuskels von Scrobictilaria.

Fig. 15 17, 19, 20. Reizung des Mantels einer (ohne die Arme) beiläufig einen Zoll langen EUdone.

Tafel III.

Fig. 1,3. Reizung der rothen, 2, 4 Reizung der weissen Musculatur von Cisludo enropaea vom Nerven aus.

498

Zur Lehre von den doppelt schräggestreiften

Muskelfasern

von

Ph. Knoll.

^Mit 2 Tafeln.) (Vorgeleg^t in der Sitzung am 13. October 1892.)

In einer im Vorjahre erschienenen Mittheilung (1) habe ich die Frage nach der Structur der doppelt schräggestreiften Muskelfasern kurz erörtert und indem ich mich hinsichtlich dieser Fasern bei den Cephalopoden der von Schwalbe (2) für die Hirudineen aufgestellten Ansicht anschloss, dass die die Faser zusammensetzenden Muskelblätter in zwei spiraligen Systemen, von denen das eine der dem Beobachter zugekehrten, das andere der entgegengesetzten Seite der contractilen Rinde angehört, um die Marksubstanz herumlaufen (1, S. 670), im

*

Übrigen die Meinung ausgesprochen, dass nicht alles, was als Doppeltschrägstreifung erscheint, nach einem und demselben Schema erklärt werden kann, und dass es immer Sache besonderer Untersuchung sei, zu ermitteln, worauf in diesem oder jenem Falle dieses eigenthümliche Bild zurückzuführen ist (l,S. 663).

Ein Aufenthalt an der zoologischen Station in Triest im Herbst des vorigen und im Frühling dieses Jahres, bei welchem ich dem Inspector derselben, Herrn Dr. Ed. Graeff e, für bereit- willige Beschaffung von Material wieder zu Dank verpflichtet wurde, regte mich zu weiterer Beschäftigung mit diesem Gegen- stande an, der mich um seiner Bedeutung für die Fragen nach der Entwickelung der quergestreiften Muskelfaser in der Thier- reihe und nach den Vorgängen in den gestreiften Muskelfasern bei der Zusammenziehung immer wieder anzog, wenn derselbe auch ausserhalb meines eigentlichen Arbeitskreises liegt.

Doppelt schräggestreifte Muskelfasern. 499

Indem ich nun das Ergebniss langwieriger, mühevoller Untersuchungen in diesen Blättern kurz darlege, bin ich mir dabei wohl bewusst, nur einzelne Thatsachen, die für eine der- einstige Lösung der Fragen, um die es sich hier handelt, heran- gezogen werden können, beizubringen; da mir aber die eine oder andere dieser Thatsachen, wie die Umordnung der stark lichtbrechenden Theile in der Muskelfaser bei der Zusammen- ziehung recht bemerkenswerth erscheint, und ich nicht weiss, ob und wann ich den fraglichen Gegenstand weiter zu verfolgen vermag, glaubte ich mit meiner Darlegung nicht zurückhalten zu sollen.

Wie widersprechend die Ansichten der verschiedenen Beob- achter über die Structur der von Schwalbe als doppelt schräg- gestreift (2, S. 212) bezeichneten Muskelfasern sind, geht schon zur Genüge aus meinen, sowie aus den ausführlicheren Mit- theilungen von Ballowi tz (3) über die Literatur dieses Gegen- standes hervor. Und nimmt man hinzu, dass jüngst Th. Eimer (4) im Einklang mit einer älteren Mittheilung Margo's (5) angab, am Schliessmuskel von Anodonta, der seit Engelmann*s (6) bekannten Untersuchungen gewissermassen als classischer Repräsentant der doppelt schräggestreiften Musculatur galt, Querstreifung beobachtet zu haben (4, S. 80, 81), und ausführte, die »schiefen, gekreuzten und Zickzacklinien würden dadurch hervorgerufen, dass die Fibrillen aneinander verschoben sind», wie man ähnliche Bilder auf Grund derselben Ursache sehr häufig auch bei den quergestreiften Muskeln der höheren Thiere finde (S. 84, 85), so dürfte eine weitere Untersuchung dieses Gegenstandes wohl als ein gerechtfertigtes Beginnen erscheinen.

Mich leitete hiebei zunächst der Gedanke, zu ermitteln, welche Stellung innerhalb des Muskelgewebes die doppelt schräggestreiften Muskelfasern einnehmen, ob wir in denselben eine Abart der fibrillären glatten Muskelfasern vor uns haben, wie Engelmann annimmt, oder eine durch schräge Anordnung der doppelt brechenden Theilchen charakterisirte Abart der gestreiften Muskelfasern, wie Schwalbe behauptete, eine Frage, deren Beantwortung für unsere Kenntnisse der Entwickelung der Muskelfaser innerhalb der Thierreihe von Wichtigkeit ist, und mich in weiterer Folge zum Studium der Zuckungseigen-

1

ÖOO Ph. Knoll,

thümlichkeiten der längsgestreiften, doppelt schräggestreiften und quergestreiften Muskelfasern der Mollusken veranlasste.

Ich habe mich dabei auf das Studium der Schliessmuskeln der Lamellibranchiaten und die Musculatur des Mantels, der Buccalmasse und der Arme der Cephalopoden beschränkt da diese Objecte alle genannten Faserarten in vvohlausgeprägten Typen enthalten und, abgesehen von der Buccalmasse der Cephalopoden, gleichzeitig sich zu Reizversuchen eignen, über deren Ergebnisse ich aber abgesondert berichten werde.

Die mikroskopische Untersuchung wurde an frischen und an fixirten Objecten, an gefärbten und ungefärbten Zupf- und Schnittpräparaten vorgenommen. Am geeignetsten erwies sich die Untersuchung an, in einer Mischung von Wasser und Glycerin zu gleichen Theilen liegenden ungefärbten und gefärbten Zupfpräparaten von fixirten Objecten, namentlich von in Flemming'scher Lösung (nach dem stärkeren Recept und nach der von Cori angegebenen Modification) und in Pikrin- schvvefelsäure fixirten Objecten. Einschluss in Balsam erwies sich, abgesehen von Präparaten, die für die Untersuchung mit dem Polarisationsmikroskop bestimmt waren, als unvortheilhaft. Die Beobachtung erfolgte fast durchaus mittels Zeiss'scher Öl-Immersionslinsen.

I. Die doppelt schräggestreiften Muskelfasern der Lamelli- branchiaten.

Den Ausgangspunkt meiner diesbezüglichen Unter- suchungen bildete der Schliessmuskel von Lima inßaia, in welchem, wie ich bereits angegeben (1, S. 660), einfach und doppelt schräg-, sowie quer- und längsgestreifte Fasern neben einander vorkommen.

Lima inflata. Der Schliessmuskel dieses Thieres erscheint in seinem ganzen Umfange weiss, sehnig glänzend, auf dem Querschnitte aber gelblichgrau. Makroskopisch ist eine Son- derung in zwei Antheile nicht vorhanden, mikroskopische Schnitte durch die Dicke des ganzen Muskels lehren aber, dass die dem sogenannten sehnigen Antheile des Schliessmuskels anderer Muscheln eigenthümlichen dicken, ausgeprägt längs-

Doppell schräggestreifte Muskelfasern. öOl

gestreiften Fasern den Muskel an seinem ganzen Umfange in mehrfacher Lage umsäumen, vereinzelt eingesprengt, aber auch im Inneren desselben vorkommen.

Das Thier, dessen Schalen bei voller Ruhe stets etwas klaffen, setzt dem gewaltsamen Öffnen derselben erheblichen Widerstand entgegen, der aber ohne das bei anderen Muscheln so leicht eintretende Zerreissen des Muskels überwunden werden kann, so dass der Schliessmuskel desselben unversehrt beträchtlich gedehnt werden kann, in welchem Zustande er dann verharrt. Eine ähnliche Verlängerung erfährt der Muskel beim Absterben des Thieres spontan.

Nach Abtrennung von einer Schale schrumpft der künst- lich stark gedehnte Muskel unter Umständen bis auf den vierten Theil der erreichten Länge zusammen. Viele Fasern zeigen dann eine starke Kräuselung, was mir für eine Mitbetheiligung elastischer Kräfte an der Verkürzung zu sprechen scheint.

Mit Rücksicht auf die Angabe Engelmann 's, dass bei Anodottta alle Fasern des Schliessmuskels, auch wenn sie dem gelben Theil entnommen sind, zwar deutlich fibrillär, aber nicht deutlich oder doch nur unter sehr spitzem Winkel doppelt schräggestreift erscheinen, wenn der Muskel im gedehnten Zustande fixirt wurde, dagegen an allen Fasern und an nahezu allen Stellen aller Fasern stark ausgesprochene doppelte Schräg- streifung sichtbar ist, wenn der Muskel ad maximum, und end- lich wohl an vielen Stellen aber an keiner Faser in ihrer ganzen Länge Doppeltschrägstreifung zu finden ist, wenn er in geringerem Maasse verkürzt fixirt wurde (6, S. 555 557), habe ich die Untersuchung am Schliessmuskel von Lima inflata bei verschiedenen Graden der Dehnung, beziehungsweise Ver- kürzung desselben vorgenommen.

Im Ganzen wurde der Schliessmuskel von 21 sehr ver- schieden grossen Exemplaren dieser Muschelart untersucht, hievon acht im gedehnten, die übrigen im Zustande verschieden- gradiger Verkürzung. Sechs hievon, durchwegs sehr kleine Exemplare, gehörten nach Bestimmung des Prof. Dr. Boettger in Frankfurt a. M. wahrscheinlich der var. hesperia an.

Zunächst ist hervorzuheben, dass sowohl in den gedehnt, wie in den verkürzt, frisch in Seewasser oder in ein Drittel-

Sitzb. d. mathera.-naturvv. CK; CI. Bd., Abth. III. 35

502 Ph. Knüll,

beziehungsweise absolutem Alkohol, osmiumreicherer und osmiumärmerer Flemming'scher Lösung (Modification von Cori) und Pikrinschvvefelsäure fixirten Objecten doppelt schräg- gestreifte Fasern zu finden waren, weit zahlreicher sogar in den gedehnten Muskeln als in den verkürzten, in welchen letzteren die quergestreiften Fasern überwogen. Wenn ich den Unter- schied des Schliessmuskels von Lima inflata im verkürzten und gedehnten Zustande mit Schlagworten kennzeichnen sollte, müsste ich den Muskel im ersten Falle als quergestreift, im letzteren als doppelt schräggestreift bezeichnen. Dabei fanden sich aber in beiden Fällen zahlreiche Fasern, die in der Structur von der Hauptmasse der Fasern in verschiedener Weise ab- wichen, was das Zusammenfassen der Befunde von einem ein- heitlichen Gesichtspunkte aus sehr erschwert.

Die Durchmusterung einer überaus grossen Zahl von ungefärbten oder in Hämatoxylin gefärbten Zupf- und Schnitt- präparaten von den in 50 zu 70 und 907o ansteigendem Alkohol nachgehärteten Objecten lehrte, dass im gedehnten wie im ver- kürzten Muskel die Fasern, abgesehen von einer wechselnden Zahl von homogenen, in der schwach lichtbrechenden, in Hämatoxylin nicht oder doch nur schwächer sich färbenden Grundsubstanz stärker lichtbrechende und in Hämatoxylin sich stärker färbende Theilchen von in den einzelnen Fasern sehr wechselnder Anordnung enthielten.

In den gedehnten Muskeln überwogen weitaus die Fasern, in welchen diese Theilchen entweder regellos verstreut, oder in Längsreihen (Taf. I, Fig. 1 ; Taf. II, Fig. 1) oder in von der Faser- axe mehr oder weniger abweichenden Schrägreihen (Taf. II, Fig. 2 4; Taf. II, Fig. 4 6) angeordnet waren. Oft machten diese Schrägreihen den Eindruck fein gekörnelter Fibrillen, an denen eine leichte wellige Biegung wahrzunehmen war (Taf. II Fig. 5). Bei wechselnder Einstellung trat dann zumeist, so auch bei der eben bezeichneten Faser, ein System entgegengesetzt verlaufender solcher Streifen hervor. War die wellige Biegung stärker, so entstand der Eindruck einer eigenthümlichen zopf- artigen Durchflechtung jener fibrillenartigen Züge (Taf. I,Fig. 2,3), wobei sich die einzelnen fibrillenartigen Reihen stärker licht- brechende»- und stärker sich färbender Theilchen, oft linienartig

Doppelt schräggestreifte Muskelfasern. 503

mit einander verschmolzen, immer nur auf kürzere Strecken im ununterbrochenen Zusammenhange verfolgen Hessen.

Nicht selten aber auch erschienen die Schrägreihen stärker lichtbrechender Theilchen bandartig verbreitert und letztere zuweilen durch helle Zwischenräume weiter von einander gesondert (Taf. I, Fig. 19), wodurch ein Bild entstehen kann, das der von Schwalbe (2, Taf. XIV, F'ig. 4) gegebenen Abbildung einer doppelt schräggestreiften Faser sehr ähnelte. In der Regel konnte ich mich aber dann durch vorsichtig wechselnde Einstel- lung davon überzeugen, dass dieses Bild durch die Kreuzung zweier in verschiedenem Niveau liegender und verschieden gerichteter Systeme von hellen und dunklen Bändern bedingt war. In anderen Fällen aber konnte ich auch bei wechselnder Einstellung nur ein System solcher Streifen wahrnehmen, das aber unter Umständen seine Richtung innerhalb einer und derselben Faser wechselte (Taf. II, Fig. 4, 6; Taf. I, Fig. 4).

In dem stark verkürzt fixirten Muskel fanden sich neben den vorwaltenden quergestreiften Fasern stets theils vereinzelt, theils in Gruppen, Fasern von derselben Beschaffenheit wie im gedehnten Muskel, während anderseits in diesem wieder an ein- zelnen Fasern an gewissen Stellen eine nur einen Theil der F'aserbreite durchsetzende Querstreifung zu sehen war (Taf. II, Fig. 1), wie Vosseier (7) sie jüngst von Anthropodenmuskeln abgebildet hat, an Faserwülsten wohl auch eine über die ganze Faserbreite sich erstreckende Querstreifung fand.

Die mannigfaltige Erscheinungsform der Querst'reifung, der Wechsel zwischen Quer- und Schrägstreifung und einer regellosen Vertheilung der stark lichtbrechenden Theilchen, das Vorkommen dachsparrenartiger Zeichnung und der Übergang von dieser in die Querstreifung an einer und derselben Faser, sowie die gleichzeitige, an Alkoholpräparaten oft sehr aus- geprägte fibrilläre Längsstrichelung der Fräsern ergibt sich genügend aus den Fig. 5 auf Taf. I, und 3, 10. 11, 12, 14, 16 auf Taf. II. Aus allen diesen Beobachtungen aber wird sich meines Erachtens kaum ein anderer Schluss ziehen lassen als der, dass die stärker lichtbrechenden und stärker sich färbenden Theilchen, welche die Zeichnung der Fasern des Schliessmuskels von Lima inflata bedingen, überaus labil sind, bald linienartig mit einander

504 Ph. Knoll,

verschmelzen, bald wieder zu gröberen, weiter von einander gesonderten Partikeln zusammentreten und unter dem Einfluss richtender Kräfte aus der Längs- in die Schräg- und Queranord- nung übergeführt werden.

Dass unter diesen richtenden Kräften die bei der Zusammen- ziehung der Faser thätigen wohl in erster Reihe stehen, scheint mir nicht bloss aus dem Unterschiede zwischen den verkürzt und erschlafft fixirten Objecten, sondern insbesondere daraus hervorzugehen, dass man an Fasern, an denen sich ein Wulst findet, zuweilen den Übergang aus der Längs- durch die Schräg- stellung in die innerhalb des Wulstes herrschende Querstellung beobachten kann (Taf. II, Fig. 13), wobei aber bemerkt werden muss, dass die Querstreifung an Faserwülsten oft nur an einer Stelle deutlich ist, ja, dass diese sehr häufig im Ganzen nur unregelmässig granulirt oder homogen und glänzend erscheinen.

Ob wir in der spiraligen Biegung der fibrillenartigen Reihen stärker lichtbrechender Theilchen, welche so häufig zu finden ist, den Beginn der zur Anordnung dieser Theilchen in Quer- reihen führenden Bewegung zu suchen haben, lässt sich nach Erscheinungen, wie sie auf Fig. 13, Taf. II dargestellt sind, nicht geradezu verneinen, doch finde ich auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dies geradezu zu behaupten.

Ebenso zurückhaltend muss ich mich hinsichtlich der Frage aussprechen, ob die auf Fig. 1, Taf. II abgebildete partielle Querstreifung auf Entwickelungsvorgänge oder auf stellenweise Faserthätigkeit zu beziehen ist.

Dass die stärker lichtbrechenden und stärker sich färbenden Theilchen Disdiaklasten-Gruppen sind, ist nicht nur nach ihrer stärkeren Lichtbrechung und Färbung, sondern insbesondere dadurch wahrscheinlich, dass breitere, stärker lichtbrechende Streifen an diesen Muskelfasern an in Glycerin liegenden Alkoholobjecten bei gekreuzten Nicols auf Gyps, Roth erster Ordnung, blau erscheinen.

Bei Zuleitung schwacher Essig- oder Ameisensäure unter dem Deckglase werden selbst breite Quer- oder Schrägstreifen an diesen Fasern rasch auf eine feine Linie reducirt, die bald darauf auch verschwindet.

Doppelt schräggestreifte Muskelfasern. oOo

Im Zusammenhange hiemit findet man an dem Goldver- fahren unterzogenen Fasern in der Regel keine Structur- Zeichnung oder nur feine, an eingekerbten Faserstellen liegende rothe Linien. Bei der Vergoldung sehr schwach angesäuerter Objecte aber oder von Alkoholpräparaten, kann man auch breite, rothe Streifen zur Darstellung bringen, die in letzterem Falle wohl auch noch eine fibrilläre Strichelung erkennen lassen (Taf. I, Fig. 20).

Inwieweit der Umstand, dass man bei Lima inflata die Umordnung der in der erschlafften Faser in Längsreihen ange- ordneten Disdiaklasten-Gruppen zu Querreihen bei der Con- traction beobachten kann, als Stütze der von Eimer (4) ent- wickelten Ansicht zu dienen vermag, dass die Querstreifung der Muskelfasern nur Product ihrer Thätigkeit ist und bei den höheren Thieren gewissermassen nur infolge ihrer anhaltenden Thätigkeit stabilisirt erscheint, muss ich ganz dahingestellt sein lassen. Der Umstand aber, dass man bei den sofort anzuführen- den nahe verwandten Arten, bei denen, soweit ich dies zu er- mitteln vermochte, eine wesentliche Verschiedenheit der Lebens- weise nicht besteht, die Fasern wenigstens in gewissen Ab- schnitten des Schliessmuskels dauernd quergestreift findet, scheint mir nicht sehr für diese Ansicht zu sprechen.

Lima hians (2 Exemplare) und squamosa (4 Exemplare^, Pecten Jacobaeus (5 Exemplare), varius (2 Exemplare) und glaber (2 Exemplare). Bei allen diesen Lamellibranchiaten finden sich am gedehnten, wie am verkürzten Schliessmuskel aus- geprägt quergestreifte oder solche Fasern, bei denen die Streifen nur ganz wenig von der Querlage abweichen in grosser Zahl, die bei dem makroskopisch mit jenem von Lima irtßafa ganz analogen Schliessmuskel von Lima hians, abgesehen von der Peripherie, die Hauptmasse des Muskels ausmachen, bei Lima squamosa, wo wenigstens an grösseren Exemplaren eine deut- lichere Sonderung in einen weissen und gelblichgrauen Antheil vorhanden ist, sowie bei den Pecten-Arten, bei denen beide Antheile scharf gesondert erscheinen, nur in dem letzteren, und zwar in der Regel vermengt mit homogenen Fasern vorkommen. Wohl finden sich auch hier dachsparrenartig gezeichnete F'aser- stellen, oder solche, wo die Streifen stärker schräg liegen, ver-

'")0G Ph. Knoll,

einzelt, sehr selten auch solche, wo die Schrägstreifen innerhalb einer Faser nach verschiedener Richtung laufen. Ab und zu stösst man auch auf eine Faser mit partieller Querstreifung (Taf. I, Fig. 6). Im Ganzen aber beherrscht, und zwar sowohl im gedehnten, wie im verkürzten Zustande des Muskels eine durch verhältnissmässig breite, meist ausgeprägt fibrilläre und oft in der Mitte aufgehellte Streifen bedingte Querstreifung das Bild vollständig (Taf. I, Fig. 7 10, 16). Es ist gewissermassen als ob sich hier bereits eine Stabilisirung der bei Lima inflata noch sehr labilen, stärker lichtbrechenden Theilchen in Quer- reihen und damit der Übergang zur eigentlichen quergestreiften Muskelfaser vollzogen hätte.

Die Doppelbiechung der stärker lichtbrechenden Streifen ist bei diesen Pectiniden noch ausgeprägter als bei Lima inflata^ das Verhalten gegen Säuren und Chlorgold das Gleiche.

Bei allen Pectiniden fand ich an Schnitt- und Zupfpräparaten an einer Anzahl von Fasern kolbige Enden, die oft noch, wenigstens an dem der übrigen Faser zugekehrten Theile, eine sehr feine Querstreifung erkennen Hessen, sonst aber nur un- regelmässig granulirt oder homogen erschienen. Ich muss es dahin gestellt sein lassen, ob es sich dabei immer um Contractions- wülste handelte, da nicht selten auch den von Margo bei Aiiodonta und den Cephalopoden beschriebenen Sarkoplasten (5, Fig. 6, 7) ähnelnde, an beiden Enden kolbig abgerundete sehr kurze Fasern von gleicher Structur wie jene kolbigen Faser- enden vorkamen.

Ebenso wie Schwalbe, der letztere Gebilde im Schliess- muskel von Mytihts bobachtet hat (2, S. 237), habe ich Kerne an denselben vermisst, und kann gleich diesem »über die Bedeutung derselben kein sicheres Urtheil fällen«.

Der Umstand, dass die Structur dieser Gebilde mit jener von unzweifelhaften Contractionswülsten übereinstimmt und dass dieselben sich auch bei erwachsenen Thieren zahlreich finden, lässt es meines Erachtens nicht ausschliessen, dass man in denselben oder wenigstens in einem Theile derselben voll- ständig contrahirte Fasern vor sich hat, wobei es freilich immer noch zu erklären bliebe, wie es kommt, dass hiebei der aussen- ständige Kern unsichtbar wird.

Doppelt schräggestreifte Muskelfasern. oO/

Endlich habe ich noch 7U bemerken, dass ich mich diesmal im Gegensatze zu meiner ersten Beobachtung über diesen Punkt (1, S. 660) davon überzeugt habe, dass die zuerst von Wagener (8), bei Lima »spec». beobachtete dachsparrenartige Zeichnung bei den Pectiniden auch an Fasern vorkömmt, die bei keinerlei Einstellung Doppeltschrägstreifung zeigen (Taf. 1, Fig. 4, 5, 9; Taf. II, Fig. 11, 12).

Area (5 Exemplare), Venus verrucosa (3 Exemplare), Ano- donta (8 Exemplare), Unio pictorum (6 Exemplare), Scrobi- cularia piperata (4 Exemplare), Cardium edule (2 Exemplare).

Während die früher erwähnten Lamellibranchiaten Mono- m^^arier sind, gehören die eben angeführten zu den Dimyariern. In der Regel wurde hier nur der hintere Schliessmuskel der Untersuchung unterzogen, der bei den ersten vier angeführten Arten eine ausgeprägte Sonderung in einem »sehnigen« (weissen) und »glasigen« (gelblich grauen) Antheil erkennen lässt, während dies bei Scrobicularia und Carditim nicht der Fall ist.

Der Vergleich zwischen gedehntem und verkürztem Muske wurde hier nur bei Auodonta und ('nio vorgenommen. In Über- einstimmung mit den Angaben Engelmann's erwiesen sich die Fasern hier auch im »glasigen« Antheile im gedehnten Zustande in der Hauptmasse längsgestreift, im verkürzten Zustande dagegen zumeist doppelt schräggestreift, wobei in der Regel nachzuweisen war, dass die beiden sich kreuzenden Streifensysteme in verschiedenem Niveau liegen. Doch muss ich hervorheben, dass an Muskeln, welche stark gedehnt durch 24 Stunden in osmiumreicherer Flemming*scher Lösung fixirt und dann von den Schalen abgelöst in derselben Flüssigkeit und hierauf in Alkohol von steigender Dichte nachgehärtet worden waren, neben einer erheblichen Zahl homogener oder unregelmässig granulirter Fasern und neben sarkoplastenartigen ausgeprägt quergestreiften Gebilden (Taf. I, Fig. 18) auch nicht wenige Fasern zu finden waren, die an verdickten Stellen un- zweifelhafte in Hämatoxylin sich färbende Querstreifen zeigten (Taf. I, Fig. 21), und dass vereinzelt Fasern vorkamen, welche Übergang aus der Längs- in die Doppeltschrägstreifung, beziehungsweise in die einfache Schräg- und Querstreifung erkennen liessen (Taf II, Fig. 2).

508 Ph. Knoll,

Anderseils fand sich auch im ad maximum verkürzt fixirten '»glasigen« (gelben) Antheil von Anodonta und Unio, wie in dem- selben Antheile von Area und Venus und bei Scrobictdaria und Cardium, die alle nur in stark verkürztem Zustande untersucht wurden, stets eine Anzahl von Fasern, die wenigstens stellen- weise Längsstreifung erkennen Hessen (Taf. I, Fig. 12). Längs-, Schräg- und Querstreifen erwiesen sich in der Regel bei Ver- wendung eines apochrom. Systems von Zeiss 2-0 mm, Com- pensat. Ocul. 4 6 aus einzelnen stärker lichtbrechenden Theilchen zusammengesetzt, welche oft noch durch eine etwas schwächer lichtbrechende und schwächer sich färbende Sub- stanz verbunden erschienen (Taf. I, Fig. 12 15, 17,21,22). Nicht selten aber, namentlich an Alkoholpräparaten waren die Streifen linienhaft.

Am klarsten trat die Zusammensetzung der stärker licht- brechenden Streifen (in dem »glasigen« Antheil der genannten Lamellibranchiaten) aus einzelnen kleinen Theilchen gewöhnlich an den auch hier nicht seltenen Übergangsstellen von der Längs- und Schräg- zur Querstreifung hervor (Taf. I, Fig. 17; Taf. II, Fig. 2, 7). Doch konnte ich mir dieselbe auch an im Ganzen doppelt schräggestreiften Fasern in der Regel dadurch zur Anschauung bringen, dass ich möglichst scharf nur auf das dem Beobachter zugekehrte Streifensystem einstellte (Taf. I, Fig. 11, 13, 15, 22), wobei dann auch der Eindruck einer Art von Doppeltschrägstreifung entstand. Weniger deutlich war dies aus naheliegenden Gründen an dem bei tieferer Ein- stellung hervortretenden zweiten, gekreuzt verlaufendem Streifensystem.

Recht schlagend, namentlich an den in osmiumreicherer Flemming'scher Lösung fixirten Objecten, trat in der Regel die Zusammensetzung aus einzelnen und zwar hier meist etwas gröberen Theilchen, an den stärker lichtbrechenden Streifen der Fasern des »sehnigen« Antheiles aller angeführten Lamelli- branchiaten hervor, bei denen ein solcher deutlich gesondert sich findet. Die Anordnung derselben aber war hier im gedehnten wie im ad maximum verkürzten Zustande stets von der Längs- axe nicht oder nur ganz wenig abweichend; die den Fasern des glasigen Antheiles eigenthümliche Labilität dieser Theilchen

Doppelt schräggestreifte Muskelfasern. 509

fehlte also hier. Möglicherweise hängt hiemit die Verschiedenheit in der Zusammenziehung dieser beiden Antheile, über die ich besonders berichten werde, zusammen.

Alles zusammengenommen, muss ich mit Engelmann die Doppeltschrägstreifung in den Fasern des Lameilibran- c h i a t e n - Schliessmuskels auf einen Contractionsvorgang zurückführen. Aus zahlreichen Beobachtungen muss ich ferner schliessen, dass die stärker lichtbrechenden Theilchen dabei in den Fällen, wo die Richtung der Streifen mit der Einstellung w'echselt, in der That in Spiralen um die Faseraxe angeordnet sind, und da man nicht selten die Kreuzung der in verschiedenem Niveau liegenden Streifen bis an die Spitze der Fasern verfolgen kann, vermag ich mich auch nicht der von Fol aufgestellten (9) und später auch von Ballowitz (3, S. 320) vertretenen Ansicht anzuschliessen, dass es sich nur um Anordnung in einem Spiral- system handelt, dessen dem Beobachter zu- und abgewendete Hälften sich kreuzen, sondern muss mit Engelmann Anreihung in zwei verschieden gewundenen Spiralsystemen annehmen.

Zweifelhaft muss ich es lassen, ob eine Anordnung der stärker lichtbrechenden Theilchen in Spiralen auch an voll- ständig erschlafften Fasern oder Faserstellen besteht. Es müsste sich dann um einen so gedehnten Verlauf der Spirale handeln, dass ich die Abweichung von der Längsaxe nicht mehr aufzu- fassen vermochte.

Worin ich mich aber von der Ansicht Engelmann 's ent- fernen und jener Schwalbe's nähern muss, der die Doppelt- schrägstreifung durchwegs auf schräggestellte Reihen doppelt lichtbrechender Theilchen zurückführt (2, S. 213), das ist, dass ich die Streifen der doppelt schräggestreiften Fasern nicht als homogene Fibrillen, sondern als Reihen von fibrillenartig ange- ordneten Disdiaklastengruppen von grosser Labilität ansehen muss. Wohl besitzen die Fasern eine gewisse Neigung zur Spaltung in der Richtung jener Reihen (^Taf I, Fig. 11, 14, 22); anderseits aber konnte ich auch nicht selten, insbesondere an Alkoholpräparaten, und hier wieder namentlich bei Lima inflata (Taf II, Fig. 3, 6, 10), aber auch bei Area und Venus eine Zer-

r)lO Ph. Knoll,

theilung der Faser in feine, die Richtung der stark lichtbrechen- den Streifen kreuzende Fibrillen beobachten.

Ich kann danach auch die Fasern, um die es sich hier handelt, nicht lediglich als glatte Muskelfasern mit besonderem \'erlaufe der Fibrillen betrachten, sondern erblicke in denselben eine Übergangsform zu den bei einer Anzahl von Pectiniden bereits in wohl ausgeprägten Typen vorkommenden quer- gestreiften Fasern.

II. Die doppelt schräggestreiften Muskelfasern der Cephalo-

poden.

In meiner eingangs erwähnten Monographie habe ich bereits eine mit Abbildungen versehene Beschreibung dieser Fasern gegeben, aus der ich folgerte, dass die Deutung nahe liegt, dass die Doppeltschrägstreifung hier dadurch zu Stande kommt, »dass die die Faser zusammensetzenden Muskelblätter in zwei spiraligen Systemen, von denen das eine der dem Beob- achter zugekehrten, das andere der entgegengesetzten Seite der contractilen Rinde angehört, um die Marksubstanz herum- laufen«.

Seitdem hat Ballowitz (3), ohne von meiner ja erst kurz vorher erschienenen und in einer grösseren Monographie ein- geschachtelten Darstellung Kenntniss zu besitzen, eine ein- gehendere, im Wesentlichen mit der meinen übereinstimmende Beschreibung dieser Fasern veröffentlicht.

Drei Punkte sind es aber, in denen unsere Deutung der Befunde von einander abweicht. Während Ballowitz die in Gold sich färbenden Streifen der Rinde mit den schwach licht- brechenden Streifen der ungefärbten Präparate identificirt, habe ich dieselben als aus den stark lichtbrechenden Streifen hervor- gehend angesehen. Und da für meine Auffassung der Umstand spricht, dass die stark lichtbrechenden und die in Gold gefärbten Streifen feiner sind als die anderen und häufig eine körnige Beschaffenheit zeigen, die anderen aber nicht, muss ich auch heute noch an derselben festhalten.

Ballowitz betrachtet ferner die stark lichtbrechenden, blätterigen Streifen als fibrilläre, die schwach lichtbrechenden als interfibrilläre Substanz. Ich musste früher diese Frage un-

Doppelt schräggestreifte Muskelfasern. 511

beantwortet lassen, und glaube nun, da ich in Übereinstimmung mit einer älteren Angabe Margo's (5, S. 570) die ersteren Streifen unter Verwendung von Gypsblättchen doppelt, die letzteren einfach brechend fand, dass es sich hier überhaupt nicht um einen Wechsel von fibrillärer und interfibrillärer Sub- stanz im gewöhnlichen Sinne, sondern um eine Schichtung von einfach und doppelt brechender Substanz handelt, deren ersterer man eine Betheiligung am Contractionsvorgange schon aus dem Grunde kaum wird absprechen können, weil es bei den Cephalo- poden zahlreiche, nur aus schwach lichtbrechender Substanz bestehende Muskelfasern gibt.

Ballowitz führt ferner mit Fol die Doppeltschrägstreifung auf Kreuzung der beiden Hälften eines einzigen Systems von Spiralfasern zurück (3, S. 320).

Ich muss dem gegenüber bemerken, dass man auch an den Cephalopodenmuskelfasern häufig die Doppeltschräg- streifung bis an das Faserende verfolgen kann, habe aber ausser- dem zu Gunsten meiner Ansicht Fig. 23 auf Taf. I beizubringen, welche das Rissende einer doppelt schräggestreiften Faser aus der Buccalmasse von Eledone, und zwar bei hoher (a), mittlerer {b) und tiefer {c) Einstellung wiedergibt.

Ich habe in meiner eingangs erwähnten Monographie darauf aufmerksam gemacht, dass bei den Cephalopoden neben den ausgeprägt doppelt schräggestreiften Fasern, welche zu- gleich dicker sind und eine verhältnissmässig breitere Rinden- substanz besitzen, Fasern vorkommen, die scharf ausgeprägte Längsstreifung mit nahezu, aber nicht vollständig parallelem Verlauf dieser Streifen zur Faseraxe besitzen (1, S. 669).

Ich habe dabei die Frage aufgeworfen, ob etwa genetische Beziehungen zwischen diesen beiden Faserkategorien bestehen, es aber als sehr unwahrscheinlich bezeichnet, dass die erste dieser Faserkategorien etwa nur einen Contractionszustand der zweiten darstellt.

Ich habe diese Beziehungen in neuerlichen Untersuchungen verfolgt und ein Übergehen der einen in die andere Faserart nicht selten nachweisen können (Taf. II, Fig. 8, 9, 15). Nach den im ersten Capitel angeführten Beobachtungen und Er- wägungen aber und nach Bildern, wie sie die eben angeführten

512 Ph. Knoll,

Figuren wiedergeben, scheint mir die Ansicht, dass die erste Faserart nur einen Contractionszustand der zweiten darstellt, durchaus nicht abzuweisen.

Ich muss auch hier anführen, dass ich bei einigen zoll- grossen Eledonen, die ich im Frühjahre in Triest zu untersuchen Gelegenheit hatte, durchaus nicht auffallend mehr »Sarco- plasten« fand, als bei erwachsenen Thieren. Anderseits aber führte auch die Untersuchung an Mantelmusculatur, die in stark contrahirtem Zustande durch Injection von Osmiumsäure ins Gewebe jfixirt worden war, zu keinem schlagenden Ergebnisse. Möglicherweise könnten Beobachtungen an ganz schlaffer, nicht mehr erregbarer Musculatur zum Ziele führen.

Jedenfalls scheint mir die Frage nach der Natur der »Sarco- plasten« weiterer Verfolgung, auch auf dem Wege entwicklungs- geschichtlicher Untersuchung werth.

Verzeichniss der angeführten Literatur.

1. Ph. Knoll, Über protoplasmaarme und protoplasma- reiche Musculatur. Denkschriften der mathem.-naturw. Classe der kaiserl. Akad. in Wien, Bd. LVIII, S. 633 ff.

2. G. Schwalbe, Über den feineren Bau der Muskel- fasern wirbelloser Thiere. Schultze's Arch., Bd. V, S. 205 ff.

3. E. Ballowitz, Über den feineren Bau der Muskel- substanzen. Ebenda, Bd. XXXIX, S. 291 ff.

4. Th. Eimer, Die Entstehung und Ausbildung des Muskelgewebes. Zeitschr. für wiss. Zool., Bd. LIII, Suppl. S. 67 ff.

5. Margo, Über die Muskelfasern der Mollusken. Sitzungs- ber. der Wiener Akad., mathem,-naturu'. Cl., Bd. XXXIX, S. 559 ff.

6. Th. ?Zn gel mann. Über den faserigen Bau der con- tractilen Substanzen, mit besonderer Berücksichtigung der glatten und doppelt schräggestreiften Muskelfasern. Pflügers Arch., Bd. XXV, S. 551.

7. Vosseier, Untersuchungen über glatte und unvoll- kommen quergestreifte Muskeln der Arthropoden.Tübingen, 189 1 .

8. G. R. Wagen er, Über die Muskelfaser der Evertebraten. Arch. von Reichert und Du Bois-Re\^mond, 1863, S. 211.

9. Fol, Sur la structure microscopique des muscles des mollusques. Compt. rend., T. 106, p. 300.

Doppelt schräggestreitte Muskelfasern. ol3

Erklärung der Abbildungen.

Sämmtliche Figuren, mit Ausnahme von Taf. I, 23 und Taf. II, 8, 9, 15, stammen vom Schliessmuskel von Lamellibranchiaten her und sind mit Ver- wendung von Zeiss'schen Systemen gezeichnet. Nur bei Taf. I, Fig. 1 1 wurde eine Reichert'sche Öl-Immersion V20 verwendet. Mit Ausnahme der auf Taf. I, Fig. 2, 3 und 23 gezeichneten, die in Canadabalsam lagen, waren sämmtliche Präparate in einer Mischung von Glycerin und Wasser zu gleichen Theilen eingeschlossen.

A. bedeutet Fixation in absolutem, AV3 in Drittelalkohol, F in osmium- reicherer Flemming'scher Lösung, FC in der osmiumärmeren Cori'schen Modification derselben, P in Kleinenberg'scher Pikrinschwefelsäure, H Färbung in Grenach er'schem oder Böhme r'schem Hämatoxylin. Die Ziffern und Buchstaben am Ende jeder Figurenerklärung zeigen die verwendeten Systeme an, wobei Ap. »Apochromat« bedeutet.

Tafel I.

1—4. Lima inflata, gedehnt. A ^A,. H. 1—3: Ap. 6; 2 mm; 4:2; 1/12.

5. Lima inflala, verkürzt. A. H. Ap. 6; 2 mm,

6. Lima squamosa, verkürzt. FC. H. Ap. 4; 2 mm.

7. Pecten Jacobactts, gedehnt. FC. H. Ap. 4; 2 mm.

8. Pecten varius, verkürzt. FC. H, Ap. 4; 2 mm.

9. Lima squamosa, verkürzt. FE. H. Ap. 4; 2 mm.

10. Pecten JacobaenSy gedehnt. FC H. Ap. 4; 2 mm.

11. Venus verrucosa f xerküTZi. P. H. Reichert, 2; '/.»o Öl-Imm.

12. Anodonia^ verkürzt. .\ V3. H. Ap. 6; 2 mm.

13. Anodontaj gedehnt. A Va- H. Ap. 6; 2 mm.

14. Anodontay verkürzt. A Vs- H. 6: 2 mm.

15. Venus verrucosa, vertcürzt. P. H. 6; 2 mm.

16. Lima squamosa, verkürzt. FC. H. Ap. 4; 2 mm.

17. Area, verkürzt. P. H. Ap, 4; 2 mm.

18. Anodonta, gedehnt. F. 2; 1/12.

19. Lima inflata, gedehnt. A Va- Ap. 4; 2 mm.

20. Dasselbe. Anwendung des Löwit'schen Goldverfahrens auf das in 50 bis

90% Alkohol nachgehärtete Object. Ap. 4; 2 mm.

21. Anodonta, gedehnt. F. H. 2; 1/12.

22. Venus verrucosa, verkürzt. P. H. Ap. 6; 2 mm.

23. Eledone, Bucc&lmasse.FC. H. 2; 1/13. aj bei oberflächlicher, b) bei mittlerer,

cj bei tiefer Einstellung gezeichnet.

«>14 Ph. KnoU. Doppelt schrüj^gestrcifte Muskelfasern.

Tafel IL

1. Litna tnjlala, gedehnt. FC. Ap. 4; 2 ;/////.

2. Anodonta, gedehnt. F. 2; 1/12.

3. Lima inflata^ verkürzt. FC. Ap. 4; 2 mm.

4. Dasselbe. A J/g. 2; 1/12.

5. Dasselbe. F. Ap. 6;2fifw.

6. Dasselbe, verkürzt. A 1/3. 2; 112.

7. Arcüy verkürzt. A. 2; 1 12.

8. 9. EUdottCj Buccalmasse. FC. Ap. 4; 2 mm.

10 13. Lima inflata, verkürzt. FC. 10: 2; 1/12, 11 13: Ap. 4; 2 mm.

14. Dasselbe. A ^'3. Ap. 4; 2 mm.

15. EledonCy Buccalmasse. FC. Ap. 4; 2 mm.

16. Lima inßata, verkürzt. F. 2; 1/12.

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515

Zur Anatomie der Nebenniere

von

Meinhard Pfaundler,

stud. med. Aus dem anatomischen Institute der k. k. Universität in Graz.

(Mit 2 Tafeln.)

Das Ergebniss der vielen und eingehenden, von verschie- denen Forschern vorgenommenen Untersuchungen über den Bau der Säugernebennieren ist keineswegs derartig, dass man sagen könnte, die Kenntniss von der Anatomie dieser Organe sei zu einem befriedigenden Abschlüsse gebracht.

Bei Durchsicht der Literatur findet man widersprechende Angaben und noch viele der Lösung harrende Fragen. Besonders auffallend erscheint es, dass die Beschreibungen der Neben- nierenstructur für manche sonst nahe verwandte Säugerarten sehr beträchtliche Abweichungen bieten, so dass man zur Meinung gelangen muss, es liege dem Bau der Nebennieren kein einheitliches, aligemeines Gesetz zu Grunde. Alexander Dostoiewsky* äussert geradezu, dass die Rindensubstanz der Nebenniere durchaus nicht bei allen Thieren denselben Bau besitze, wesshalb auch die Darstellung der Structurverhältnisse nicht »in einem Rahmen« geschehen könne.

Die vorliegende Abhandlung versucht es, zu unseren Kenntnissen über die descriptive Anatomie der Nebennieren einiger Säuger einen kleinen Beitrag zu liefern; es sei gleich

1 Alexander Dos toiewsky, Materiale zur mikroskopischen Anatomie der Nebennieren. Dissertation, Petersburg 1884.

'>16 M. Pfaundler,

im Vorhinein die Bemerkung gestattet, dass sich dieselbe in einem eng begrenzten Felde bewegt, und daher manche während der Untersuchung sich aufdrängende Fragen, deren Studium entwicklungsgeschichtliche und weit ausgedehnte ver- gleichend-anatomische Untersuchung erfordert hätte, nicht ein- gehender berücksichtigt wurden.

Am meisten machte die Erforschung des Baues der Rinden- substanz zu schaffen, da diese im Anfange der Untersuchung bei verschiedenen Säugern in der That wesentlich abweichende Befunde ergab; erst im weiteren Verlaufe zeigte sich, dass die richtige Erkenntniss des Rindenbaues in hohem Grade von der Behandlung der Objecte und insbesondere von der Orientirung der Schnitte abhängig sei. Nicht entsprechend behandelte und in schlechter Orientirung geschnittene Objecte können leicht zu irrthümlichen Anschauungen Veranlassung geben und darin ist vielfach die Ursache der sich wiedersprechenden Literaturangaben zu finden. In dieser Hinsicht sei erwähnt, dass sich z. B. die auffallend differenten Beobachtungen der Autoren über das Fehlen oder Vorhandensein und über die Breitenverhältnisse gewisser Rindenzonen nur durch Befunde an mannigfach schräg geführten Schnitten erklären lassen.

Es scheint nicht nothwendig, der Arbeit eine ausführliche Literaturübersicht vorauszuschicken, da frühere Forscher, namentlich Räuber,* Dostoiewsky* und in jüngster Zeit Alexander' eine solche in erschöpfender Weise geboten haben.

Zur Untersuchung wurden herangezogen die Nebennieren des Menschen und der folgenden Säuger: Affe; Katze, Hund; Maulwurf, Igel; Fledermaus; Maus, Ratte, Meerschweinchen, Kaninchen; Rind, Ziege; Pferd und Schwein.

1 Huso Räuber, Zur feineren Structur der Nebennieren. Inaugural- Dissertation. Berlin, 1881.

- Alex. Dostoiewsk y, Ein Beitrag zur mikroskopischen Anatomie der Nebennieren bei Säugethieren. 1886. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 37, S. 272.

'* Carl Alexander, Untersuchungen über die Nebenniere und ihre Beziehungen zum Nervensystem. Ziegler's Beitr. d. path. .Anat. u. allg. Path. Band XI, Heft 1, 1S91. S. 14.')- 197.

Anatomie der Nebenniere. 517

Die Organe stammten von Thieren verschiedenen Alters und Geschlechtes; sie wurden lebenswarm entnommen, unter möglichster Schonung in Stücke zerlegt und der weiteren Behandlung zugeführt.

Da ich beobachtet hatte, dass verschiedene Fixirungs- und Färbungsreagentien sehr verschieden auf die Elemente der Nebenniere einwirken, versuchte ich bei allen Thieren möglichst viele Methoden der Behandlung.

Zur Fixirung und Färbung dienten:

Absoluter Alkohol, der sich als sehr brauchbar erwies; Essigsäure -Sublimat, Chromsäure P/o» Kaliumbichromat 57o» Erlyki'sche und Müller'sche Flüssigkeit (im Brütofen 8 10 Tage), Pikrinschwefelsäure nach Kleinenberg, ^I^^^/q Platin- chlorid, Flemming'sche, Hermann'scheFlüssigkeit, Osmium- säure lo/o und Sublimat-Pikrinsäure nach Rabl. Ferner wurde die durch Ramon y Cajal modificirte Golgi'sche Osmium- silbermethode verwendet.

Zur Färbung dienten: Alauncarmin, Pikrocarmin, Alaun- cochenille, Boraxcarmin, die Hämatoxylinlösungen von Böh- mer, Kleinenberg, Ehrlich, Friedländer, ferner Safifranin und andere Anilinfarben, sowie verschiedene Vergoldungs- methoden.

Die gehärteten Objecte wurden mit Toluol und Paraffin behandelt und meist in Schnittserien zerlegt. Zur Isolirung der Gewebselemente eignete sich Drittelalkohol und 107o Koch- salzlösung.

Injectionen wurden mittelst Dr. Grübler's Leiminjec- tionsmasse oder dessen wasserlöslichen Berlinerblau vorge- nommen. Es empfiehlt sich venös bei klemen Thieren durch das rechte Herz in die Vena cava inf., bei grösseren durch die Vena suprarenalis oder eine Vena phrenica und zwar bei unterbundenen Leber- und Nierengefässen einzu- spritzen. Arterielle Injectionen ergaben nie ein völlig befriedi- gendes Resultat; überhaupt bieten die Ausspritzungen derNeben- nierengefässe ziemliche Schwierigkeiten.

Der Bau der Nebennierenrinde ist durchaus radiär und dies macht es erklärlich, dass eine richtige Auffassung und körperliche Anschauung ihrerStaicturverhältnisse am sichersten

Sitzb. d. mathem.-n.iturw. CK; CI. Bd. Abth. III. '^0

518 M. Pfaundler,

durch die Combination der Bilder von streng radiären und darauf senkrecht geführten, Oberflächen -parallelen Schnitten erreicht werden könne. Schräge Schnitte werden nur dann verstanden und richtig gedeutet, wenn Beobachtung der in der angegebenen Weise genau orientirten Schnitte vorausge- gangen ist.

Am klarsten unter allen untersuchten Säugethieren stellt sich dieStructur der Nebenniere beim Pferde dar, deren Studium aus diesem Grunde bereits durch v. Brunn* empfohlen wurde. Ich lege meiner Beschreibung die der Pferdenebenniere zu Grunde und werde an geeigneter Stelle Beobachtungen über die gleichen Organe anderer Thiere anführen.

Anlangend die makroskopischen Verhältnisse der Pferdenebenniere, so ergab sich zunächst als auffallender Befund eine Asymmetrie der rechten und linken Nebenniere, welche in allen acht untersuchten Fällen (an 6 männlichen und 2 weiblichen gesunden Pferden im Alter von 8 20 Jahren) beobachtet wurde.

Die rechte Nebenniere ist flach und oval mit Durchmessern von 272» 4 und 6 cm; die linke lang gestreckt, walzenförmig, am unteren Ende medialwärts hakig umgebogen, 8 an lang, je 2 cm breit und dick. Der Querschnitt zeigt die starke binde- gewebige Kapsel, die dunkle Rindenzone um das helle Mark. An die innere Oberfläche der Kapsel grenzt der äussere Theil der Rindensubstanz als schmaler, braunrother Saum; ihm folgt eine breite innere Zone, welche im peripheren Theil gelbrosa, gegen innen allmälig dunkler und endlich graubraun gefärbt ist und sich mittelst eines hellgelben Streifens scharf gegen das Mark absetzt. Feinere und stärkere radiäre Bindgewebsbalken durch- ziehen, von der Kapsel ausgehend, die Rinde und bedingen deren radiären Bruch. Die derbe, ziemlich widerstandsfähige Rindensubstanz umgibt dasgleichmässigweisslichgrau gefärbte Mark, welches von weicher, breiiger Consistenz ist

i A. V. Brunn, Ein Beitrag zur Kenntniss des feineren Baues und der Entwicklungsgeschichte der Nebennieren. Arch. f. mikr. Anat 1872. VIII. Bd., S. 620.

Anatomie der Nebenniere. 519

Die Rindenmarkgrenze ist am frischen Organe sehr scharf -erkenntlich, stellenweise nach innen oder aussen buchtig er- weitert; das Massenverhältniss von Rinde und Mark wechselt zwischen weiten Grenzen und ist im Durchschnitte etwa 4:1.

0

Die makroskopische Anatomie der Organe anderer Thiere betreffend, wäre den Literaturangaben beizufügen, dass bei Hunden und Katzen die Nebenniere meist beiderseits in zwei Lappen getheilt ist, welche sich nur durch eine schmale, mark- lose Brücke miteinander verbinden und sich eng an die zwischenliegende Vene anschliessen.

Beim Affen, bei der Ziege, beim Meerschweinchen und Igel ist die Nebenniere oval bis nierenförmig; bei der Ratte, Maus, Kaninchen und Fledermaus besitzt sie ungefähr die Gestalt einer dreiseitigen Pyramide, deren Basis der Niere aufliegt.

Bei allen Thieren steht die rechte Nebenniere topographisch in unmittelbarer Beziehung zur Vena cava inf. und liegt meist ganz v^on der Leber bedeckt. Bei den Nagern und anderen ist die Nebenniere beiderseits von einem eigenthümlichen fettähnlichen Gewebe umschlossen. Die Farbe der durch die Kapsel schimmernden Rindensubstanz ist beim Ochsen, Schweine und der Ziege braunroth, bei allen anderen Thieren weiss bis gelb.

A. Bau der Rinde.

I. Die Anordnung des Bindegewebes und der «Rinden- stränge«.

Die Rindensubstanz besteht bei allen untersuchten Thieren aus Fortsätzen der sie einhüllenden bindegewebigen Kapsel, aus Blut- und Lymphgefässen, Nerven und specifischen zelligen Elementen: den Rindenzellen.

Alle erwähnten Theile zeigen eine durchaus radiäre Anordnung; und zwar die Rindenzellen, insoferne sie zu radiären Zellreihen (»Rindensträngen« , »Zellsäulen«, » Rindencylindern «) zusammentreten , die Bindewebsbalken, Gefässe und Nerven, indem sie von der Kapsel direct gegen die Rindenmarkgrenze verlaufen.

36*

r)2() M. IM'aundler,

Nicht bei allen Thieren tritt der strahlige Bau der Kinde SU deutlich hervor, wie etwa beim Pferde, beim Hunde und Kaninchen; er ist kaum erkenntlich beim Schweine und der Ziege. Es hängt dies mit der mehr oder minder mächtigen Entwicklung der von der Kapsel abgehenden Bindegewebs- balken zusammen. Je stärker und zahlreicher diese sind und je mehr sie in die Tiefe dringen, umso klarer tritt die radiäre An- ordnung der Rindenstränge zu Tage und umso deutlicher wird ihre Individualisirung.

1. Kapsel und deren Fortsätze in die Rinde. Die bindegewebige Kapsel stellt beim Pferde eine 80 120|i starke Membran dar, welche in den äusseren Schichten fast durchwegs aus dicht verfilzten, elastischen Fasern, in den inneren Schichten aus fibrillärem Bindegewebe mit stäbchen- förmigen bis ovalen oder runden Kernen und spärlichen elasti- schen, selten contractilen Elementen besteht.

Die Kapsel (Taf. I, Fig. 1, k) entsendet starke, lamellen- artige Dissepimente centralwärts , welche am radiären Schnitte als breite, in Abständen von etwa 160|x entspringende Fortsätze (im) erscheinen. Die Lamellen lassen sich bis unge- fähr V:, ^^^ gesammten Rindenbreite verfolgen, lösen sich hier in feine, radiäre Fasern auf, die sich mitunter noch bis an die Markgrenze hinziehen.

Das Gewebe der Lamellen besteht aus bindegewebigen» elastischen Fasern und spärlichen Muskelzellen.

In den Lamellen verläuft ein Theil der Rindenge fasse; es sind dies feine Arterien, welche durch die Kapsel eingetreten sind, längs ihres ganzen Verlaufes nach allen Seiten kurze Äste abgeben und sich noch vor der Rindenmarkgrenze ver- lieren.

Auf dem Tangentialschnitt erscheinen die Lamellen zu einem Netze verbunden, wie es Kölliker's* Zeichnung (Fig. 374) und Fig. 2, Im auf Taf. I, zeigen, aus welch' letzterer auch ersichtlich ist, dass die Kapselfortsätze keine cylindri- schen, baumartig sich verzweigenden und den Gefässwandungen

^ A. V. Külliker, Handbuch der Oewebelehre des Menschen. Füntie Auflage, 1867, S. 514 ff.

Anatomie der Nebenniere. o2 1

adventitiell aufgelagerten Bindegewebszüge sind, wie dies neuere Autoren annahmen, sondern in der That breite, zu- sammenhängende, die Rindenstränge umschliessende Scheiden darstellen.

Neben diesen Lamellen finden sich beim Pferde, Hunde und anderen Säugern noch makroskopisch sichtbare, ungemein mächtig entwickelte Balken vor, welche die ganze Rinde durch- setzen und starke Gefässe in das Mark eintreten lassen. Diese Balken sind weniger zahlreich und entsenden gleich der Kapsel nach allen Seiten hin Lamellen vom oben beschriebenen Bau, welche in diesem Falle als secundäre Äste aufzufassen sind.

Diese mächtigen Balken sind nichts anderes, als Ein- ziehungen der bindegewebigen Kapsel in das Rindeninnere, die durch den Eintritt starker Arterien ins Mark bedingt werden.

Relativ fast ebenso stark wie beim Pferde sind dieBinde- gevvebslamellen und die Balken beim Hunde und Kaninchen entwickelt; viel schwächer sind sie beim Affen, der Fledermaus, Katze, Maus, Ratte, Meerschweinchen, Ziege, Rind, sehr zart beim Schweine und bei allen jungen Thieren. BeimKaninchen herrschen die elastischen Fasern in den Lamellen so stark vor, dass diese meist einen welligen Verlauf nehmen, welches Verhalten charakteristisch ist.

Von grossem Werthe für die Darstellung des binde- gewebigen Rindenstromas sind die Fixirungsmethoden mit Osmiumsäure.

2. Rindenstränge. Durch die radiär gestellten Fächer, welche die Fortsätze der Kapsel erzeugen, ist die radiäre An- ordnung der Rindenzellen bedingt. Die Verhältnisse an den Rindensträngen, namentlich deren Beziehungen zu den lamellen- artigen Fortsätzen erscheinen ziemlich verwickelt und, so viel über dieselben schon angegeben wurde, gelangt man doch zu keiner richtigen Vorstellung vom Sachverhalte beim Vergleiche der verschiedenen Beschreibungen. Von der weitaus grössten Bedeutung sind in dieser Hinsicht die folgenden Mittheilungen KöUiker's:* »Auf senkrechten Schnitten erkennt man zier- liehe strangförmige Bildungen, welche in den äusseren Theilen

J L. c. S. 51H.

522 M. Pfaundler,

der Rinde aus lang gestreckten, schmalen, quergelagerten Zellen bestehen, die aufs täuschendste gewissen Cylinder- epithelialzellen gleichen, weiter nach innen kürzere, mehr rundliche und rundlich- eckige Zellen zeigen. Von diesen Cylindern hängen in der Regel je zwei an der Oberfläche bogen- förmig zusammen und zwischen denselben liegt eine an Blut- gefässen reiche, faserige Bindesubstanz mit Bindegewebs- körperchen, die zum Theile in der Gestalt von Scheidewänden zwischen den Rindensträngen erscheint und von der äusseren Hülle aus zwischen dieselben sich erstreckt, zum Theile zwischen je zwei verschmolzenen Rindencylindern ihre Lage hat. Genauere Aufschlüsse über diese Bildungen gewähren erst Flächenschnitte der Rinde, welche zeigen, dass die ver- meintlichen Rindencvlinder selten wirklich solche sind, sondern meist bandartige, oft der Fläche nach gewundene Stränge dar- stellen, ja selbst als geschlossene Ringe erscheinen, so dass sie schlauchförmigen Drüsen gleichen. Es gehören som.it häufig" zwei scheinbar selbständige Cylinder des Längsschnitts zu- sammen, und sind die bogenförmigen Anastomosen derselben, die auch He nie erwähnt und als solche deutet, nicht wirklich solche, sondern nur die Enden eines und desselben bandartigen Rindenstranges, der hier canalartig geschlossen zu denken ist, während er weiter einwärts in einen erst fast geschlossenen^ und dann nach und nach sich öffnenden Halbcanal umwandelt. Weiter nach innen, wo die Rindenstränge kleinere Zellen ent- halten, beginnen dieselben alle, auch die, welche vorher nicht schon rinnenförmig ausgehöhlt waren, verschiedentlich in der Fläche sich zu krümmen und ergeben Flächenschnitte dieser Gegend mannigfach gewundene und in einander greifende Zellenstränge (die Querschnitte der Rindenstränge), während auf senkrechten Schnitten scheinbar schmale parallele Cylinder zum Vorschein kommen. Hier beginnen dann auch, wie es scheint, die einzelnen Rindenstränge untereinander zusammen- zuhängen und schliesslich ein Netz zu bilden, dessen Lücken von den Blutgefässen eingenommen sind.««

In der ganzen Nebennieren-Literatur von 1867 an finden sich nur an zwei Stellen Angaben, welche je einen Theil dieser wichtigen Beobachtungen Kölliker's bestätigen.

F

Anatomie der Nebenniere. OS,o

V. Brunn* betont, dass sich die Zellen der äusseren Rinden- schichte (Kolli ker's »langgestreckte, quergelagerte«) all- mäligund innerhalb der Ze listränge in die Zellen der mittleren Rindenschichte verwandeln; er leitet aus diesem Verhalten die gleiche, gemeinsame Herkunft beider Zellformen ab.

Creighton^ bestätigt einige andere Angaben Kolli ker's, nämlich die, welche den Querschnitt der Stränge betreffen, schliesst sich aber der Ansicht dieses Autors von dem Zustande- kommen der bogenförmigen Anastomosen nicht an, und stellt den directen Übergang der Cylinderzellen in die inneren Rinden- zellen und die Fortsetzung der Stränge in die innere Rinden- schichte ausdrücklich in Abrede.- Über v. Brunnes diesbe- zügliche, oben erwähnte und ganz richtig gedeutete Beob- achtung spricht er sich folgendermassen aus: »The attempt of V. Brunn to show that these structures are really continuous at their lover ends with the tissue internal to them, and that there is essentially nothing to separate the one kind of structure from the other, can only be regarded as an effort of perverse ingenuity setting aside the common sense view ofthecase.«

An keiner Stelle gehen die genannten Autoren näher auf Kölliker's Untersuchungen ein und andere neue Arbeiten lassen dieselben ganz unberücksichtigt: es scheint demnach angezeigt auf sie zurückzukommen und die vorliegenden Be- funde mit denen Kölliker's zu vergleichen.

Was zunächst den Radiärschnitt betrifft (Taf. I, Fig. 1), so zeigen sich hier die Räume zwischen den Lamellen als arkaden- artige Fächer, in welchen die Rindenstränge (Taf. I, Fig. 1 p) enthalten sind. In der Mehrzahl der Fälle liegen je zwei Stränge in einem Fache; sie schliessen sich dann einerseits dicht an das Gewebe der Kapselfortsätze an, anderseits be- grenzen sie einen centralen Spalt (Taf. I, Fig. 1 g), um dessen peripheres, kolbenartig erweitertes Ende sie unter Bildung eines äusserenBogens (Taf. I, Fig. a^^) ineinander übergehen. In anderen Fächern liegt keine solche »Rindenschleife«,

1 L. c. s. 623.

'- C. Creighton, A theory of the homology of the suprarenals, bascd on Obsen'ations. Journal of .A-nat. and Phys. Vol. XIII.

»">-4 M. Pfaundler.

sondern ein einfacher Strang, der in gestrecktem Verlaufe die Kapsel erreicht und den Raum zwischen den Fortsätzen ganz erfüllt.

Man kann sich in diesem Falle leicht vorstellen, dass auch dieser Strang einer Rindenschleife angehört, deren Beugungs- ebene jedoch zur Schnittebene senkrecht stand und deren zweite Hälfte dementsprechend in den nächst höheren oder tieferen Schnitten enthalten sei, worauf mitunter auch das Aussehen des Stranges an der Kapsel hinweist.

Diese Vermuthung Hess sich manchmal an Serien be- stätigen; anderemale aber zeigte sich, dass der Strang sich nicht weiter fortsetzte, dass also in der That manche Fächer keine Rindenschleifen, sondern einfache Rindenstränge (ein- fache Zellsäulen) enthalten.

Sowohl die beiden Schenkel der Rindenschleifen, als die einfachen Stränge, die in gleicher Weise aus cylindrischen, aneinander gereihten Zellen bestehen, gehen, ohne von ihrer Richtungslinie gegen das Mark abzuweichen, in einer be- stimmten Entfernung von der inneren Kapseloberfläche in etwas schmälere Säulen aus kubischen (»rundlich-eckigen« Kölliker) Zellen über; diese dringen, dicht an die Kapselfortsätze sich haltend, in radiärem Verlaufe tief in das Rindeninnere ein.

Es ist sehr schwer, die Säulen hier weiter zu verfolgen, doch gelingt dies an manchen günstigen Stellen und es zeigt sich dann: In der Mehrzahl der Fälle gehen die beiden, einem gemeinsamen Bindegewebszuge anliegenden, also aus benachbarten Fächern stammenden Zell- stränge um das centrale Ende des Balkens in einem nach aussen concaven Bogen (innerer Bogen) in- einander über (Taf. I, Fig. 1 ibg); niemals konnte beobachtet werden, dass die beiden aus demselben Fache stammenden Stränge in irgendwelche Beziehungen treten, vielmehr setzt sich der zwischen ihnen betindliche, oben erwähnte Spalt noch (Taf. I, Fig. 1 g) weiter fort und zieht beide Stränge trennend bis an die Rindenmarkgrenze.

Dieser Spalt ist nichts anderes, als ein Gefäss, dessen Wandung aus einer kernreichen Intima besteht, und welches von der concaven Seite der Strangbeuge an die ganze Rinde

Anatomie der Nebenniere. 525

durchzieht, um mit den Bluträumen im Mark zu communi- ciren.

Manchmal lagern sich um die Wandung dieser Gefässe zarte Bindegewebszüge, wodurch sie sich dann in ihrem Bau wenig von den in den Lamellen laufenden Gefässen unter- scheiden. Kölliker^ fasst beide Arten von Geweben als »•gefässreiche, faserige Bindesubstanz« zusammen.

Wie Arnold* erwiesen hat, sind die »Rindenschläuche« der älteren Autoren' nichts anderes als jene Zellsäulen und die »Membrana propria« derselben ist die Wandung des eben erwähnten Gefässes.

Von den Bindegewebszügen der Kapsellamellen ziehen seitliche Aste gegen das centrale Gefäss, und zwar finden sich diese im Bereiche der cylindrischen Zellen in Form senkrecht abzweigender, den Strang leicht gewölbt über- brückender Fasern, im Bereiche der »rundlich-eckigen» Zellen als stärkere Faserzüge (Taf. I, Fig. 1 h), die sich in kurzem, schief nach innen gerichteten Verlaufe noch weiter verästeln. Die letzteren schienen auch Gefässästchen zu enthalten; sie senden ihre feinsten Ausläufer um die Zellen und bilden dadurch die durch v. Brunn* erwähnten »korbartigen« Um- hüllungen derselben.

1 L. c. s. 516.

- J. Arnold, Ein Beitrag zu der feineren Structur und dem Chemismus der Nebennieren. Virchow's Arch. f. path. Anat. u. Phys. Band 35. 1866.

^ AI. Ecker, Der feinere Bau der Nebennieren. Braunschweig 1846. G r a n d r j' , Memoire sur la structure de la capsule surrenale etc. R o b i n s, Journal de TAnat. et de la Phys. 1867. Frey, Suprarenal capsules. Cyclopaed. Vol. 4, pag. 827. G erlach. Gewebelehre, 2. Aufl. S. 258. Hassel, Mikroskopische Anatomie, 1849. 11. und 12. L S. 370. Luschka, Ana- tomie d. Menschen, Bauch. S. 372. Henle, Zeitschrift f. rat. Med. Bd. XXIV. H. 1 u. Handbuch der systero. Anat. d. Menschen. 1866. II. Bd. S. 561. ff.

•* L. c. S. 620. Die gleiche Beobachtung machten G. J Osten. Der feinere Bau der Nebenniere. Arch. f. Heilkunde. Heft 2. Räuber, (S. 16) und Arnold. L. c. 1864. S. 97 ff. Mors, Über den feineren Bau d. Nebenniere. Virch. Arch. Bd. XXIX. S. 357; im Gegensatze zu Leydig, Lehrbuch der Histologie, Frankfurt, 1857. und Werner, De capsul. suprarenal. Diss. Dorpat 1857, welche grössere Rindenzellcomple.xe in gemeinsamen Bindegewebsmaschen angaben.

Ö26 M. Pfaundler,

Das bindegewebige Stroma ist in dem äusseren Theile der inneren Rindenschichte stärker entwickelt, als weiter central- wärts.

Wenn man den inneren Bogen (Taf. I, Fig. 1 ibg) ins Auge fasst, so zeigt sich häufig, dass sich dieser mittelst einer schmalen Zellsäule fortsetzt, die von seiner convexen Seite entspringend in gewundenem Verlaufe gegen das Mark zieht (Taf. I, Fig. \f). Diese Endstücke der Rindenstränge pflegen miteinander zu anastomosiren (Taf. I, Fig. 1 an), sich zu theilen, oder zu verschmelzen und können auf diese Weise das Netz bilden, welches von den meisten Autoren ' angegeben woirde, und in Taf. I, Fig. 3, Querschnitt durch den inneren Rinden- antheil (nahe dem Marke), dargestellt ist.

In manchen Fällen theilen oder vereinen sich auch die Rindenstränge in den peripheren Abschnitten in mannigfacher Art, namentlich an der Cbergangszone der cylindrischen Zellen (Fig. 1 c) in die rundlich-eckigen (Fig. 1 /?), sowie weiter central- wärts (Taf. I, Fig. 1 /).

An einem Oberflächen-parallelen Schnitt durch den äussersten Rindenantheil unmittelbar unter der Kapsel (Taf. I, Fig. 2) bilden die querdurchschnittenen Rindenstränge meist ringförmige Complexe (Fig. 2 A), welche das dünnwandige centrale Gefäss (Taf. I, Fig. 2 g) umschliessen. Die Hauptaxen der Cylinderzellen stehen im Ringe radiär. Häufig ist auch (wie auf Taf. I, Fig. 2 B zu ersehen) der Ring an einer Stelle durch- brochen. Selten finden sich massive Strangquerschnitte (Taf. I, Fig. 2 Q.

Die ring- und die halbringförmigen Querschnitte gehören solchen Strangformen an, die sich am radiären Schnitte als Strangpaare mit bogenförmigen Anastomosen (Rinden- schleifen) darstellten; die massiven Querschnitte entsprechen den erwähnten soliden Säulen.

Man gewinnt hieraus eine körperliche Vorstellung.

In den jetzt körperlich gedachten, durch breite Lamellen gebildeten F'ächern, die einerseits durch die Kapsel verschlossen

^ M. Güttschau, Structiir und embryonale E)ntwicklung der Neben- nieren bei Säugethieren. Arch. f. Anat. und Entwicklungsgeschichte 1883. S. 412. ff. V. Brunn, Kölliker 1. c.

Anatomie der Nebenniere. o2 /

sind, anderseits gegen das Mark sich öffnen, liegen folgende, durch Rindenzellen aufgebaute Formen:

1. An der Kapsel kuppenförmig geschlossene Hohl- cylinder (Taf. I, Fig. l abg, Fig 2 D).

2. durch Halbkuppen abgegrenzte Rinnen (Taf. I, Fig 2 B) und

3. massive, bandartige Stränge (Fig. 2 C)

Im Lumen des Hohlcylinders und der Rinne verläuft jedesmal das erwähnte dünnwandige Gefäss.

Am Radiärschnitte ist zu ersehen, dass der einem Kapselfort- satz anliegende Zellstrang (Taf. I, Fig. 1 a) nicht nur mittelst eines äusseren Bogens (Taf. I, Fig. 1 abgebildet) an der inneren Kapseloberfläche mit dem anderen Zellstrang desselben Faches in Verbindung tritt, sondern auch am centralen Ende des Kapselfortsatzes mittelst eines inneren Bogens (Taf. I, Fig. 1 abgebildet) mit dem benachbarten Zellstrang (Taf. I, Fig. 1) des angrenzenden Faches zusammenhängt. In Erwägung dessen, drängt sich der Gedanke auf, dass die ganze Anordnung des Rindenbaues auf eine ursprünglich mit einer einfachen Zellage bekleideten, zu vielen ver- schiedengestalteten Falten centralwärts einge- zogenen bindegewebigen Kapsel zurückzuführen sei.

Die gefässhaltigen Lamellen würden den beiden ver- wachsenen Blättern der eingezogenen Kapsel entsprechen; die in Kapselfächern gelegenen einfachen Zellstränge wären als solide, die Einfaltung vertretende Wucherungen der Zellage anzusehen.

Eine Sicherstellung der Annahme, dass die Rinde der Nebenniere durch einen Einfaltungsvorgang entstanden sei, ist freilich nur durch entwicklungsgeschichtliche Untersuchung zu gewinnen, doch können einige Befunde angeführt werden, welche für die Richtigkeit derselben zu sprechen scheinen.

An einem radiären Schnitt durch die Nebennierenrinde eines wenige Tage alten Hundes(Taf.I, Fig. 4) findet man das Bindegewebe sehr schwach entwickelt; die Lamellen erscheinen als kurze zapfenartige F'ortsätze. Die äussersten cylindrischen Rindenzellen (Fig. 4 c) bilden eine epithelartige Lage an der Kapsel, welche durch die Fortsätze derselben leicht eingestülpt

o28 M. Pfaundler,

wird. Es entstehen dadurch an der Kapsel nach innen, an der Spitze der Bälkchen nach aussen concave Bögen, die den Bogenformen beim Pferde offenbar entsprechen, aber den Charakter der Einstülpung noch deutlich an sich tragen.

Ferner wurden auch beim erwachsenen Thier (namentlich beim Hunde, Kaninchen und der Fledermaus) gar nicht selten gewisse Abweichungen von dem normalen Verhalten beob- achtet, die für diese Frage von Bedeutung sind. Taf. I, Fig. 5, zeigt kurze Kapselfortsätze vom erwachsenen Hunde, an welchen der bogenförmige Übergang im centralen Theile noch im Bereiche der Cylinderzellen, nicht, wie dies Regel ist, im Bereiche der »rundlich-eckigen« Zellen stattfindet. In diesem Falle erinnert das Bild des Längsschnittes einerseits auffallend an die Beobachtung beim neugeborenen Thiere, anderseits an die Darstellung der beim Pferde obwaltenden Verhältnisse.

Endlich wäre für diese Anschauung von der Bildung der Rinde auf die Angabe der Autoren zu verweisen, dass sich an der Aussenseite der Kapsel bei neugeborenen und erwachsenen Thieren eine feine Kerbung bemerklich macht, wie ich sie ebenfalls beobachtete (Hund).

Der geschilderte Grundzug des Baues der Pferdeneben- nierenrinde konnte auch bei anderen Thieren, nämlich beim Hunde, bei der Fledermaus (Taf. II, Fig. 6), der Katze, dem Igel, Maulwurf, der Maus und dem Kaninchen, (also Vertretern der meisten Säugethierclassen) deutlich wieder- erkannt werden. Weniger gut gelang dies beim Affen, der Ratte, dem Meerschweinchen, der Ziege und dem Rinde, sowie bei der menschlichen Nebenniere. Die Ursache der leichteren oder schwierigeren Erkenntnis des Rindenbaues bei verschiedenen Thieren, ist hauptsächlich die verschiedene Entwicklung der Bindegewebsbalken und die wechselnde Form der Rinden- strangzellen.

Beim Pferde sind die Balken ungemein zahlreich und mächtig, und ist die Form der äusseren Rindenzellen insoferne günstig, als man aus der Lage der nach den drei Dimensionen so ungleich ausgedehnten Elemente auf die Orientirung des Stranges schliessen kann.

Anatomie der Nebenniere. 529

II. Die Zellen der Rinde. 1. Pferd und Hund.

Der Form nach lassen sich beim Pferde und Hunde die Zellen der Rindencylinder in zwei Gruppen bringen: in »cylin- drische« und »rundlich-eckige« (Kölliker).

Die »cylindrischen« Zellen bauen die früher als äussere Bögen (Taf. I, Fig. 1 abg) bezeichneten Theile der Rinden- stränge, somit den äusseren Rindenantheil auf, während die rundlich-eckigen Elemente von diesen äusseren Bogenstücken an bis zum Mark reichen (Taf. I, Fig. 1 p).

Dem entsprechend könnte man die Rindenstränge in zwei Abschnitte trennen, in einen äusseren aus »cylindrischen«, und einen inneren aus »rundlich-eckigen« Zellen bestehenden.

a) Zellen des äusseren Rindenantheils.

Der äussere Theil der Rindenstränge besteht beim Pferde aus bald cylindrischen, bald kegelförmigen, manchmal an beiden Enden verschmälerten, durch gegenseitigen Druck in ihrer Form beeinflussten, aber stets sehr langgestreckten Zellen, die einen deutlichen Epithelcharakter aufweisen. Um an Schnitt- präparaten die Form dieser Zellen bestimmen zu können, bedarf es äusserst feiner Schnitte, die nur eine einfache Zell- lage enthalten.

Ein genauer Untersucher, v. Brunn,* erklärt die in Rede stehenden Elemente für Spindelzellen: »Wenn man aus dem völlig frischen Organe des Pferdes Schnitte fertigt und aus den- selben durch Schütteln mit Kochsalzlösung einen Theil der Zellen entfernt, dann sieht man, dass die Zellen einen spindel- förmigen Leib und einen bis zwei lange Ausläufer haben

Mittelst dieser Ausläufer hängen sie mit dem Bindegewebe der Umgebung zusammen.« v. Brunn gibt an, diese Zellen seien bindegewebiger Natur und nichts anderes als modificirte, den Gefässen zugehörige Adventitia-Zellen.

Obwohl, wie ich glaube, unsere heutigen Kenntnisse von der Entwicklungsgeschichte der Nebenniere gtgQn diese Annahme V. Brunn's sprechen, mussten dessen Beobachtungen

* L. c.

530 M. Pfaundler,

doch mit denen an Isolationspräparaten, die ich nach seiner Methode herstellte, verglichen werden. Die Zellen zeigten cylindrische oder kegelförmige Gestalt (wie sie auch v. Brunn in Fig. 2 abbildet) oder sie waren an beiden Enden etwas ver- schmälert; niemals aber gewahrte ich einen solchen Bau der Zellen, dass ich sie als Spindelzellen im eigentlichen Sinn des Wortes hätte ansehen können. Wurde auf das Deck- gläschen ein leichter Druck ausgeübt, dann floss mehr oder weniger vom Inhalte des Zellleibes aus, der Rest des Proto- plasmas sank zusammen und stellte fadenartige Ausläufer der Zelle dar, welche mitunter Spindelzellen vortäuschen konnten.

Dass die intacten cylindrischen Zellen an ihren basalen Enden, mittelst welcher sie sich an die Unterlage anheften, fadenförmige Ausläufer besitzen, ist gewiss, doch ändert dies an ihrem Cylinderzellencharakter nichts, da ja solche Fortsätze den Cylinderzellen überhaupt zukommen.

Die meisten von Brunn abgebildeten Zellen (Fig. 2) sind wohl nicht als Spindelzellen anzusehen und dürften auch nicht ganz unversehrt sein, sondern ihre Fortsätze durch Auslaufen des Zellinhaltes erworben haben. Ich darf nicht unterlassen an- zugeben, dass, wenn ich kleine Stückchen der frischen Neben- nierenrinde durch 24 Stunden mit 10"/oiger Kochsalzlösung behandelte und dann auf dem mit Kochsalzlösung v^ersehenen Objectträger aufschwemmte, Zellen mit Ausläufern und aus- gesprochener Spindelform, wie sie zum Theil v. Brunn ab- bildet, zum Vorschein kamen. Ein Vergleich dieses Befundes mit dem an frisch untersuchten Stücken lässt mich vermuthen, dass es sich hier um eine Macerationserscheinung handle und die Formveränderung wieder auf den Austritt von Zellinhalt zurückzuführen sei.

Die fraglichen Zellen sind äusserst zarter Natur; der Isolirungsvorgang und die Behandlung mit den verschiedenen Reagentien sind offenbar von bedeutendem Einflüsse auf ihre Gestalt. Indem ich nun weder einerseits an den frischen Präpa- raten (Methode v. Brunn), noch anderseits an den nach zahl- reichen Methoden hergestellten Schnitten durch die äusseren Rindenantheile Spindelzellen im eigentlichen Sinn des Wortes beobachten konnte, so möchte ich mich der Meinung derer

Anatomie der Nebenniere. 1

>

anschliessen, welche für diese Schichte der Pferdenebenniere cylindrische Zellen angeben.

Die Messung der Zellen an Schnittpräparaten ergab eine Länge von 40 60 |x, eine Breite von 4 10 ja; für die Kerne eine Länge von 8 12 |x, eine Breite von 5 6 (x.

Das Protoplasma der Cylinderzellen ist feinkörnig; es nimmt bei Carmintinctionen eine ganz hellrosa, bei Hämat- oxylinbehandlung eine graue Färbung an; durch Osmiumsäure wird es gelbgrau. Es enthält eine grössere oder geringere Menge von gelben, stark lichtbrechenden Körnchen, welche meist in Gruppen neben dem Kern beisammen liegen, aber auch zerstreut durch die ganze Zelle sowie ausserhalb derselben vorkommen können.

Die Körnchen sind rund, ihr Durchmesser beträgt kaum mehr als 1 (i im Maximum, meistens aber weniger bis herab zu einer unmessbaren Grösse. Bei der frischen Präparation treten sie häufig aus den Zellen und vereinigen sich dann oft zu grösseren Tropfen. Mineralische und organische Säuren greifen sie auch bei Concentration nicht an, ebensowenig andere ver- wendete Reagentien, wie Alkohol, Äther, Chloroform, Terpentin, Chlorwasser, Wasserstoffsuperoxyd u. s. w.

In den meisten Tinctionsmitteln verändern sie ihr Aus- sehen nicht; concentrirte Säurefuchsinlösung schien sie schwach zu färben. Durch Osmiumsäure P/o schwärzen sie sich intensiv, doch erst nach längerer Einwirkung.* Sie vertragen eine

^ Anders als die frischen Körnchen verhalten sich diese in osmirtem Zustande verschiedenen Reagentien gegenüber; es wurden in Osmiumsäure erhärtete Stücke in feine Schnitte zerlegt und diese mit verschiedenen Reagentien behandelt. In Wasserstoffsuperoxyd verschwanden die Körnchen in 15 bis 25 Minuten, in 10% Chromsäure in vier Stunden; in Chlorwasser ebenfalls in kürzerer Zeit. Dagegen blieben sie in Terpentin und terpentinigen Lacken, Toluol und Xylol wenigstens durch mehrere Stunden unverändert. Dadurch unter- schied ich sie auch von den bei älteren Thieren, namentlich in der äusseren Rindenschichte, manchmal vorgefundenen Fetttröpfchen, welche sich nach Einwirkung von Osmiumsäure und den eben erwähnten Reagentien s e h r b a I d lösten. Vergl. darüber Dekhuyzen (Centralblatt für Phys. 1889, Nr. 21). Flemming (Zeitschr. f. wissensch. Mikr. u. mikr. Technik VI. Bd., S. 39 und 178) und H. Rabl (Arch. f. mikr. Anat. Bd. 38. Entwicklung und Structur der Nebennieren bei Vögeln,*S. 513).

'>''52 M. Pfaundler,

Temperatur von öO 60° C. durch mehrere Stunden, nachdem sie sich an Schnitten von Paraftinstücken ebenso finden, wie in frischen Zellen.

Ihre Zahl ist bei verschiedenen Individuen verschieden; am reichlichsten fand ich sie bei einem schlecht genährt aus- sehenden 12jährigem Hengst; bei älteren Thieren sind sie im Allgemeinen seltener; bei einem 20jährigen Thiere fand ich nur in einzelnen Zellen Körner.

Der Kern der Cylinderzellen ist sehr scharf contourirt, immer von ovaler Gestalt; er lässt sich mit allen gebräuch- lichen Farbstoffen sehr gut imprägniren. Er enthält 1 3 runde Chromatinbrocken (Kernkörperchen ?) von etwa 2 {jl Durchmesser und ausserdem feine, stark tingirte Körnchen (Kernnetz?). Die Längsaxe des Kernes ist stets mit der Längenrichtung der Zelle parallel; er füllt meist die ganze Breite der Zelle aus und macht häufig Biegungen der Zelle mit. In den Kegel- zellen steht er immer basal, in den Cylinderzellen dagegen central;^ desshalb trifft man auch an Längsschnitten durch die Stränge sehr selten nur eine Keinreihe, meistens deren zwei oder drei.

Frische Präparate und dünne Schnitte lehren, dass die Cylinderzellen nicht dicht aneinander schliessen, sondern einen capillaren Spaltraum umgrenzen, den ich an einem meiner Injectionspräparate durchwegs von der eingespritzten Masse erfüllt sah.

Die Verbindung der Zellen mit dem sie stützenden Ge- webe geschieht nach v. Brunn* durch die basalen Ausläufer. Dabei kommt aber noch eine Beobachtung in Betracht, die von Räuber* an der Pferdenebenniere gemacht wurde, und über welche dieser Autor schreibt: '> Während der grösste Theil des die Hohlräume bildenden Bindegewebes (unsere Lamellen) Kerne besitzt und die Gefässe enthält, erkennt man nach dem

1 Vergl. J. Guarnieri et J. .Magini. Ktudes sur la fine structure des capsules surrenales. Archives Italiennes de Biologie, Tome X, 1888, pag. 380. (Rendicunti della R. Acc. d. L. Vol. IV, 1881, pp. 844-848).

•-' L. c. S. 622, 623.

•'• L. c. S. 15.

Anatomie der Nebenniere. 533

Inneren des Lumens zu jedesmal eine kernlose, feingranulirte, etwa 3 4 »x dicke Schicht«, und später: »Man bekommt durch das Schütteln solcher Schnitte (mit Methylmischung behandelt) Bilder, in welchen die Zellen mit ihrem einen Ende frei flottiren, während sie mit dem anderen an der Wand festsitzen. Es gelang nicht, das genaue Verhalten des festsitzenden Fort- satzes nachzuweisen. Derselbe Hess sich nicht durch die structurlose Schicht verfolgen, daher konnte eine Verfilzung mit dem Bindegewebe, wie sie v. Brunn angibt, nicht con- statirt werden.«

Ich untersuchte zunächst das Verhalten der Zellen und deren Ausläufer an ihren den Kapsellamellen anliegenden Enden und glaube hier namentlich nach dem Befunde an frischen Zerzupfungspräparaten die Angaben v. Brunn's bestätigen zu können.

Das andere Ende der Zellen ist gegen das centrale, mit einfacher Intima versehene Gefäss gerichtet. Zwischen den Zellenden und der Gefässintima liegt ein äusserst feiner Faser- filz, ' der an die Fasermassen um den centralen Zottenraum erinnert. Ob dieser Faserfilz ein Product der Zellen ist, oder eine besondere Bildung darstellt, vermag ich nicht zu ent- scheiden. Wenn derselbe von Ausläufern der Cylinderzellen gebildet wird, so hätten dann die Cylinderzellen zwei faden- artige Ausläufer, ihre Anordnung und Verbindung wäre dann eine solche, wie sie v. Brunn beschreibt. Die im obigen Citate von Räuber erwähnte feingranulirte, 3 4 (jl dicke Schicht ist offenbar mit der centralen Gefässwand identisch.

Ich habe oben angeführt, dass ältere Autoren die Wandung des centralen Gefässes für die Membrana propria der Zell- schläuche gehalten haben und Ecker* gibt zur Darstellung derselben die Behandlung mit Kalilauge an. Davon unabhängig, bemerkt Räuber,^ dass sich die von ihm beobachtete Schichte unter anderem auch besonders nach Zusatz von Kalilauge deutlich zeige.

J »Grenzschicht der bindegewebigen Septa«. Kolli ker, 1. c. 2 L. c.

•^ L. c. S. 15. Sitzb. d. mathem.-naturw. (*1.; CI. Bd., Abth. IIl. 37

534 M. Pfaundler,

Kölliker hat die Beobachtung der besprochenen, so ver- schieden gedeuteten Zone ebenfalls gemacht, und »die scharfe Linie, welche die die Stränge enthaltenden Fächer häufig zu innerst zeigen* nicht als besondere Hülle (Membr. propria), sondern als »Grenzschicht der bindegeweblichen Septa« an- gesehen.

Der Cylinderzellenschicht des Pferdes ist die des Hundes sehr ähnlich.

Die Cylinderzellen sind hier von etwas plumperem Bau, (v. Brunn), zeigen aber sonst keine wesentlichen Unterschiede. Der Einschluss von gelben, stark lichtbrechenden Körnchen wurde in gleicher Weise wie beim Pferde bei allen zwölf unter- suchten Hunden beobachtet.

Bei einigen Individuen waren die Zellen höchst auffallend verändert, und zwar in ganz ähnlicher Weise, wie dies Dostoiewsky* für die innere Rindenschicht des Pferdes be- schrieben, und als »regressiv metamorphosirt« bezeichnet hat. Dostoiewsky gibt an: »Die Zellen werden kleiner und in ihrem Protoplasma zeigen sich von allen Seiten Einkerbungen, so dass die Zellen eine sternförmige Gestalt annehmen; eine geringe Menge Protoplasma bleibt nur um den Kern herum, die Zellen grenzen sich nicht deutlich von einander ab und scheinen mit ihren Fortsätzen zu verschmelzen, so dass die Rindensubstanz auf Schnitten dieser Stellen gleichsam ein feinstes Gespinnst darbietet«.

Ausserdem zeigten sich auch die Kerne an meinen Präpa- raten vom Hunde geschrumpft, mit zackigen Rändern versehen, und gleichmässig dunkel gefärbt. Das Gebiet der metamor- phosirten Zellen erstreckte sich in manchen Fällen über die ganze äussere Rindenschichte.

h) Zellen des inneren Rindenantheils.

Die Cylinderzellen der. Pferdenebenniere gehen in einem Abstände von etwa Od mm von der inneren Kapseloberfläche allmälig in die Zellen der inneren Schichte, in Kölliker's *rundlich-eckigec' Zellen über. (Taf. I, Fig. \ p.)

1 L. c. S. 279.

Anatomie der Nebenniere. o35

Die Form dieser Elemente ist eine sehr wechselnde; sie erscheinen an Längs- und Querschnitten meist polygonal, oval oder quadratisch, häufig aber auch niedrig cjdindrisch und in dem letzteren Falle ist die Anordnung immer wieder die der äusseren Rindenzellen. Nach dem Aussehen des Zellleibes und Zellkerns unterschied ich: a) Zellen mit dunklem, fein reticulirtem Protoplasma und rundem, glattrandigen Kern. (Taf. II, Fig. 7 a)

b) Zellen mit hellem, von lockerem Maschenwerk erfüllten Leib und einem Kern wie bei a). (Taf. II, Fig. 7 b)

c) Zellen, deren Protoplasma in ein sehr lockeres Netz von feinen Fäden verwandelt schien, deren Kern geschrumpft und zackig war. (Taf. II, Fig. 7 c)

Diese verschiedenen Zellformen zeigten in der angegebenen Reihenfolge mannigfache Übergänge, und es scheint mir höchst wahrscheinlich, dass ihr differentes Aussehen auf verschiedene physiologische Zustände zurückzuführen sei.

Es Hess sich nicht feststellen, dass bestimmte Formen dieser Zellen in bestimmten Zonen der Rinde besonders auf- fallend vorherrschen; dagegen ist es ein häufiges Vorkommniss, dass innerhalb der einzelnen Stränge z. B. nur dunkle, oder nur helle Zellen liegen. Oft sah ich Stränge, die aus einer Art von Zellen ausschliesslich bestanden, zwischen anderen verlaufen und dadurch besonders markirt erscheinen.

Alle genannten Zellformen enthalten wie die Cylinderzellen stellenweise eine gelbe Körnung, die auch hier an Osmiumpräpa- raten schwarz gefärbt ist und sich insbesonders in den innersten Rindenpartien anhäuft. Hier erreichen die einzelnen Körnchen eine Grösse bis zu 3 ;jl und ballen sich zu Haufen zusammen, welche die ganze Zelle einnehmen, den Kern allein freilassen.

Dostoiewsky* beobachtete dieselbe Erscheinung beim Pferde und anderen Thieren und bezeichnete solche Zellen als »fettig infiltrirte«.

Die Grösse der Durchmesser der Zellen in dieser Schichte ist beim Pferde etwa 20 30 |x, der des Kernes etwa 6|jl. Gegen die Markgrenze nimmt die Grösse der Zellen etwas ab.

1 L. c. S. 282.

37*

5:^ü M. Pfaundler,

Beim Hunde sind die Verhältnisse dieselben, nur tritt oft die »regressiveMetamorphose«, welche Dostoiewsky erwähnt, auch in dieser Schichte ein, wodurch das Gewebe das Aus- sehen eines Netzwerkes mit blasigen Maschen erhält.

Auf einen Befund an den Kernen der inneren Kindenzellen des Pferdes glaube ich noch insbesondere aufmerksam machen zu sollen.

Es zeigte sich, dass die Kerne der erwähnten Zellformen uj und hj neben dem Kernkörperchen in den Maschen des Kerngerüstes, sowie insbesonders an der Kernwand kleine, rundliche chromatische Brocken enthalten (Taf. II, Fig. 8). In anderen Kernen lagen dicht an der Kernwand 2-3 chromatische Klumpen von der Grösse der Kernkörperchen, die aber nicht ganzrandig und rund, sondern aus einigen (3 4) chromatischen Kugeln zusammengesetzt schienen. In sehr zahlreichen Fällen beobachtete ich nun, dass solche chromatische Kugeln oder Kugelcomplexe theilweise oder ganz ausserhalb der Kernwand im Zellleibe lagen (Taf. II, Fig. 8).

Es scheint demnach in den Zellen der inneren Rinden- schicht der Pferdenebenniere ein Auswandern von chroma- tischer Substanz aus dem Kerne in Form von kleinen Kugeln oder höckerigen Kugelcomplexen stattzufinden.

Dieser Vorgang hat Ähnlichkeit mit dem erst im ver- gangenen Jahre von Holl* an der menschlichen Eizelle und von Jarisch* an Oberhautpigmentzellen der Froschlarve beob- achteten Austritt von Kernsubstanzen in den Zellleib.

Manche Kerne waren an einer Stelle durch die austretenden chromatischen Brocken in einen spitzen Fortsatz ausgezogen. (Fig. 8 a). An den ausgewanderten, grösseren Klumpen bemerkt man deutlich, dass sie aus einzelnen kleineren Antheilen zusammengesetzt sind, und es ist deren Zusammenhang in manchen Fällen ein sehr lockerer.

^ M. Ho 11, Über die menschliche Eizelle. Vorläufige Mittheilung. Ana- tomischer .Anzeiger 1891. Nr. 19.

- J arisch, Über die Bildung des Pigmentes in den Oberhautzellen. Arch. für Dermal, u. Syph. 1189.

Anatomie der Nebenniere. 537

2. Die übrigen untersuchten Thiere.

Von den übrigen Thieren lassen sich die Nager (Maus, Ratte, Kaninchen, Meerschweinchen) mit den Insecten- fressern (Maulwurf, Igel) und den llandflüglern (Fleder- maus) in eine Gruppe zusammenfassen. Bei den genannten Thieren findet man im äusseren Theil der Rinde Zellen, welche an die beim Pferde beschriebenen erinnern, mit ihnen verwandt zu sein scheinen, und es fällt meist nicht schwer, die früher beim Pferde unter a) b) und cj beschriebenen Zellformen wieder zu erkennen, oder wenigstens eine oder zwei derselben ver- treten zu finden. Die Gestalt der Zellen ist mannigfachen Abweichungen unterlegen.

Beim Kaninchen besteht die ganze Rinde mit Ausnahme der innersten Partien (der Zona reticularis Arnold 's und Gottschau*s) aus Zellen mit lockerem, protoplasmatischen Netzwerk und rundem Kern; die Zellen nahe der Kapsel sind halbmondförmig oder rechteckig mit schwacher Krümmung, oder haben die Form eines gebogenen Keils. Ihre Concavität ist stets nach aussen gerichtet; sie sind kleiner als die in den inneren Partien gelegenen Elemente und die dicht stehenden Kerne bedingen die dunkle Färbung der äussersten Rindenzone (Gottschau).

Es erinnern die sichel- und keilförmigen Elemente an die hochcylindrischen Zellen beim Pferde und Hunde, und es bietet überhaupt die Nebennierenrinde des Kaninchens am meisten Annäherung zu der jener Thiere.

Wie Gottschau bemerkt, trift't man zwischen je zwei Zellen häufig sichelförmige, helle Räume, die er als Schrumpfungs- erscheinungen deutet. Ich fand dieselben an vielen und ver- schieden behandelten Präparaten regelmässig wieder.

Weiter centralwärts liegen grössere Zellen von kubischer und polygonaler Gestalt, die gegen die Markgrenze hin in platte, lang- gestreckte Formen mit dunklem, fein reticulirten Protoplasma übergehen. Ich vermuthe, dass diese häufig eine körnige Einlage- rung enthaltende Zellen es sind, welche Gottschau' für das Kaninchen und andere Thiere als »braune Zellen« anführt.

» L. c, s. 482.

538 M. Pfaundler,

Beim Meerschweinchen sind die Verhältnisse ganz ähnliche. Die hellen, halbmondförmigen Zellen sind etwas plumper, die Keilformen herrschen vor. In der innersten Schichte ist der Zellleib sehr stark tingirbarund die Zellgrenzen scheinen oft verwischt. Eine körnige Infiltration förbt manche Zellen gelb.

Bei der Maus und der Ratte lässt sich (namentlich an Osmiumpräparaten) erkennen, dass sich eine äussere, hellere, von einer inneren, dunkleren Rindenschichte scheidet. Jene besteht aus den hellen Zellen mit weitmaschigem Protoplasma- netz, diese aus fein reticulirten Elementen. Halbmondförmige, stark gekrümmte Zellen mit zwischenliegenden ähnlich gestal- teten Lücken reichen von der Kapsel bis zum Mark.

Die Rattennebenniere zeigt in der Nähe der Kapsel auch die erwähnten, mit geschrumpften Kernen versehenen Zellen.

Einen Radiärschnitt durch die Rinde der Fledermaus- nebenniere stellt Taf. II, Fig. 6 dar. Nächst der Kapsel liegen helle, centralwärts dunkle Zellen, welch' letztere bei der Behandlung mit Müll er'scher Flüssigkeit und Hämatoxylin- färbung einen eigenthümlichen grauen, weichen Ton annehmen, wie er ähnlich auch bei den Cylinderzellen des Pferdes beob- achtet wurde.

Die Form der Zellen ist wie ersichtlich grössten- theils cylindrisch (Fig. 6 zi)y doch trifft man auch auf sichel- förmige Gebilde, wie bei den Nagern. (Taf. II, Fig. 6 s.)

Beim Maulwurf und Igel unterscheiden sich die Rinden- zellen in den einzelnen Schichten nur durch ihre Grösse und ihren Körnchengehalt.

An der Kapsel und an der Rindenmarkgrenze fand ich stets durch ihre Osmiumsäurereaction sehr leicht ersichtlich zu machende Körnchen in grosser Zahl, während die mittleren Rindenpartien nur wenige solche aufwiesen. Die centralen Zellen sind bedeutend kleiner als die peripheren.

Über das Rind liegen ausführliche Untersuchungen von Stilling,* Räuber* und Dostoiew'sky' vor, deren Resultate

^ H. Stilling, Zur .A.natomie der Nebennieren. Virch. Arch. f. path. Anat. u. Phys. 1887, Bd. 109, S. 324. -* L. c. •"• L. c.

Anatomie der Nebenniere. o39

zum grossten Theile mit denen meiner Beobachtungen über- einstimmen. In der äussersten Rindenzone fand ich schmale, cylindrische Zellen mit rundem, oder ovalen centralen Kern, wie sie Stilling* beschreibt; dagegen konnte ich die Pigment- zellen mit verästelten Fortsätzen Stillings auch an den Organen scheckiger Thiere weder in der Kapsel noch im Innern des Organs antreffen.

Während die erwähnten äusseren Rindenzellen ein glasiges Ansehen haben, liegen in der ganzen, sehr weit ausgebreiteten inneren Rindenpartie wieder die dunkeln, fein reticulirten poly- gonalen Zellen,

Von ähnlicher Beschaffenheit sind die Rindenzellen beim Schwein und der Ziege. Bei einer neugeborenen Ziege fand ich die Zellen der äussersten Zone hochcylindrisch wie beim Pferde.

Die Rinde der Katzennebenniere weist drei sehr diffe- rent aussehende Arten von Zellen auf, wovon zwei bereits von Dostoiewsky* beschrieben wurden. Man unterscheidet Zellen mit sehr hellem, feinkörnigen Protoplasma, ausge- randetem, dunklen Kern; femer Zellen mit sehr grobreti- culirtem (bei oberflächlicher Betrachtung grobkörnig aus- sehendem) Protoplasma und rundem oder wenig ge- schrumpftem Kerne; beide Arten zeigen sehr scharfe Zell- grenzen und erinnern mich an die in menschlichen Haar- balgdrüsen beobachteten zwei Secretionszellformen; endlich Zellen mit dunklem, stark färbbarem Leib und blasigem Kern mit deutlichem Kernkörperchen. Die letzteren Zellen sind wenig scharf contourirt und kleiner als die vorerwähnten; sie finden sich in den inneren Rindenpartien bis ans Mark und haben in Form, Structur und Anordnung auffallende Ähnlichkeit mit den Leberzellen der Säuger. Die grobreticulirten und feinkörnigen Zellen bilden die äussere Rindenschichte, und zwar herrschen die erstgenannten vor. Von den hellen bis zu den dunkeln Zellen finden sich zahlreiche Zwischen- formen.

1 L. c. S. 325, 327. -* L. c. S. 280.

540 M. Pfaundler.

Die Erforschung des Baues der menschlichen Neben- niere ist ungemein schwierig; es gelang nicht über die Ver- hältnisse vollständig ins Klare zu kommen. Die Form und Structur ist hier eine sehr mannigfaltige. Manche Zellen der peripheren Zone haben Ähnlichkeit mit den glasigen Zellen des Rindes, die centralen Rindenzellen mit den dunkeln fein- reticulirten desselben Thieres.

An der Rindenmarkgrenze liegen kleine Zellen mit ein- gelagerten gelben Körnchen. In den drei mir zu Gebote stehenden Justificirten 3 Stunden post mortem entnommenen, und mit RabTs Sublimatpikrinsäure vorzüglich conser\^irten Organen suchte ich vergeblich nach einem »körnigen, braunen Pigment«, wie es Räuber^ fand.

Stellenweise zeigten sich ganz verstreut kleine Kern- häufchen von wenig Protoplasma umgeben, wie sie von Dagonet* beim Menschen beschrieben und als lymphoides Gewebe gedeutet wurden.

Aus den hiemit dargelegten Beobachtungen über die Anordnung, die Structur und sonstigen Eigenschaften der die Nebennierenrinde verschiedener Säuger zusammensetzenden Elemente ist ersichtlich, dass dem Bau der Rindensubstanz ein allgemein durchgreifendes Gesetz zu Grunde liegt, dass es aber trotzdem nicht angeht, eine Scheidung von einzelnen concen- trischen Rindenzonen bei den verschiedenen Säugern in einem bestimmten Sinne durchzuführen, und dabei ein Eintheilungs- princip, das sich bei einzelnen der untersuchten Thiere bewährt hat, auch auf die Nebennierenrinde aller anderen Thiere zu übertragen, wie dies von manchen älteren Autoren versucht wurde; es würde z. B. nicht gelingen, die beiden beim Pferde als »Schicht der cvlindrischen« und »Schicht der rundlich- eckigen Zellen- bezeichneten Antheile der Rindensubstanz bei anderen Säugern wiederzufinden, da Zellen vom Charakter der Cvlinderzellen des Pferdes nur noch beim Hunde ans^etroffen werden.

i L. c. s. 2:3.

- L. c. S. 18.

Anatomie der Nebenniere. o4l

Arnold* theilte die Rindensubstanz der Nebenniere in eine Zona glomerulosa, eine Zona fascicularis (s. fasciculata) und eine Zona reticularis. Schon Kölliker* und andere Autoren' haben sich dieser Trennung der Rindenschichten nicht angeschlossen und aus den ungemein abweichenden An- gaben jener späteren Autoren, welche sich der Arnold'schen Eintheilung bedienten, ist zu ersehen, dass die Abgrenzung der einzelnen Zonen nach derselben durchaus keine präcise und unzweideutige ist. So z. B. nimmt beim Hunde Eberth* drei Schichten an, die den Arnold'schen entsprechen, v. Brunn'' und Gottschau® bemerken ausdrücklich, dass eine Zona glomerulosa fehle, Räuber^ beschreibt eine Zona glomerulosa, Grandry*^ beschreibt zwei Schichten, die sich mit der Z fascicularis und Z. reticularis Arnold 's decken, Creighton* nimmt wieder eine Glomerulosa an, während Dostoiewsky sich über die Zonenvertheilung beim Hunde gar nicht aus- spricht und Arnold selbst über einzelneThiere nichts Specielles angibt.

Zur allgemeinen Verwirrung trug allerdings noch der Umstand bei, dass fast alle Autoren das Eintheilungsprincip Arnold's verkannten. Während Arnold nämlich den Gefäss- verlauf seiner Eintheilung zu Grunde legte, bemühten sich spätere Autoren eine »haufenweise«, »bündelweise« und »netz- artige« Zellenanordnung in den Rindenschichten der ver- schiedenen Thiere aufzufinden und darnach die Zonen Arnold 's abzugrenzen.

Man traf in der That bei allen Thieren an der Kapsel rundliche Zellhaufen und an der Markgrenze eine breite Schichte mit netzartiger Zellanordnung. Die ersteren waren

1 L. c. ■J L. c.

^ Eberth, in Stricker's Handbuch der Gewebelehre. 1871, I. Bd. »Die Nebennieren«. Dostoiewsky u. a. S. 508 516. * L. c. S. 510.

ß L. c. S. 425.

L^m W* 1 *tf

» L. c. S. 229 u. 2:34. ^ L. c. S. 62.

r)4*2 M. Pfaundler,

schräg durchschnittene Zellstränge, aus denen die vermeint- liche Zona glomerulosa bestand; die Zona reticularis täuschten wenig orientirte Schnitte durch die innere Rindenschichte vor.

Arnold * gibt an: *Die zu der Oberfläche der Nebenniere tretenden und unter deren Kapsel in Form beschränkter Gefass- bezirke angeordneten, arteriellen Gefasse bilden in der Zona glomerulosa Knäuel. Aus diesen gehen ziemlich weite Gefäss- schläuche hervor, welche die Zona fasciculata in radiärer Rich- tung durchsetzen und in gleichmässigen Abständen verlaufen. Durch vielfache Theilung und Verbindung dieser Gefässe wird in der Zona reticularis ein sehr enges Gefässnetz gebildet.«

Bezüglich der Gefässknäuel (»Glomeruli«) in der Glome- rulosa, welche von keinem der späteren Autoren gefunden wurden,* schliesse ich mich der Ansicht Räuber's' an, welcher meint, Arnold verstehe unter den Knäueln »die Bildung von Capillarschlingen, welche dadurch zu Stande kommen, dass die Gefässchen die äussersten Zellhaufen umspinnen und auch ins Innere dieser Haufen treten.« Damit verträgt sich denn auch unsere Anschauung, nach welcher der Querschnitt eines Strang- complexes an der Kapsel von dem in den Lamellen liegenden Gefässnetz umgeben und mit einem centralen Gefasse ver- sehen erscheint.

An einem genau radiären Schnitte lässt sich jedoch wie die Abbildung Taf. I, Fig. 1 zeigt die Arnold'sche Ein- theilung in keiner Weise rechtfertigen.

Eine andere Eintheilung der Nebennierenrinde schlägt Creighton* vor. Dieser Autor untersuchte accessorische Xebennieiwn vom Pferde und geht von diesen aus. Er fand darin in Übereinstimmung mit anderen Forschern nur zwei Schichten, die er auch in einer Weise abbildet, "* wie es dem Sachverhalte an einem meiner Präparate hierüber genau ent- spricht. Die äussere Schichte ist auf den ersten Blick erkennt- lich als die Schichte der Cylinderzellen die ganze centrale

' L. c. S. 91.

-' Siehe Kölliker. S. 520.

■' L. c. S. 31.

* L. c. 4. The limits of the Suprarenal Cortex and MeduUa etc.

b V\,T S

Anatomie der Nebenniere. o4o

Schichte besteht aus Elementen, die sich in keiner Weise von den inneren Rindenzellen des Organs unterscheiden. Mark im Sinne der sämmtlichen Autoren findet sich in accessorischen Organen niemals vor. *

Diese Anordnung entsprichtauch der nach Dagonet's* Angaben zweifach möglichen Entstehungsweise der accessori- schen Nebennieren: durch Propulsion oder Segmentation.

Creighton hebt noch besonders herx'or, dass die innere Zone durchaus gleichmässig sei und sagt: »The central part is uniform throughout; there being no region of brown coloration, and there is only one way, in which the body can be sub- divided into cortex and medulla«. Der einzige Weg sei der, die Cylinderzellenschichte für sich als »Rinde«, die innere Zone und dementsprechend alles, was sich beim Hauptorgan inner- halb dieser »Rinde« befindet, als »Mark« zu bezeichnen.

Creighton trennt dadurch Theile der Rinde, die sich nur beim Pferde und Hunde deutlich, dagegen bei allen anderen Thieren nur unwesentlich unterscheiden, die ineinander über- gehen und in Gemeinschaft miteinander dieStructuren der Rinde aufbauen, anderseits fasst er zusammen, was anerkanntermassen verschiedenen Ursprungs ist, sehr typisch verschiedene Reac- tionen zeigt und von allen bisherigen Untersuchern in ganz übereinstimmender Weise auseinander gehalten wurde.

B. Der Bau der Marksubstanz.

I. Die Anordnung des Stromas und der Zellreihen.

Schnitte durch die Marksubstanz der in gleicher Weise behandelten Nebennieren verschiedener Thiere zeigen unter- einander so grosse Ähnlichkeit, dass die Darlegung der Befunde für alle untersuchten Säuger gemeinschaftlich vorgenommen werden kann.

Die Gefässe des Marks sind sehr zahlreich und, wie es scheint, grösstentheils venöser Natur. Die feinsten Verzwei-

^ Vergl. Marc h and, über accessorische Nebennieren im Ligamentum iatum. Virch. Arch. f. path. Anat. u. Phys. Bd. 92, S. 14.

- J. Dago n et, Beitr. z. path. Anat. d. Nebennieren d. Menschen. Zeit- schrift für Heilkunde. Bd. VI, 1885, S. 1.

544 M. Pfaundler,

gungen, die mit den Markzellen in enge Beziehungen treten, haben den Charakter von Capillaren und besitzen als Wandung nur eine dünne Intima. Durch Vereinigung der kleinen Äste entstehen immer stärkere Gefässe, die endlich in die V^ena cen- tralis münden. Diese verlässt das Organ am Hilus und ergiesst als Vena suprarenalis ihr Blut in die Vena cava inf.

Das bindegewebige Stroma und die zelligen Elemente der Marksubstanz ordnen sich in bestimmter Weise um die Gefässe.

Ein Querschnitt durch ein kleineres Gefäss des Marks (Taf. I, Fig. 1 ge) zeigt eine von wenigen zarten Adventitia- fasern umsponnene Wandung, von welcher stellenweise feinste, radiär gerichtete Bindegewebsfibrillenzüge abgehen; diese treten zwischen die um das Gefass radiär gestellten Mark- zellen, um sich mit einem diese Zellen umfassenden Ring von Bindegewebsfasern zu verbinden.

Der Längsschnitt durch ein ungefähr gleich starkes Gefäss (Fig. 1 /) zeigt in entsprechender Weise in einiger Entfernung beiderseits neben der Wandung, dieser parallel ziehende Fasern, welche mit dem Bindegewebe an der Intima durch quere Anastomosen in Verbindung stehen.

Demnach hätte man sich das bindegewebige Stroma des Markes vorzustellen als ein System von Lamellen, welche die Gefässe in der Form von Cylindermänteln rings umgeben und mit den bindegewebigen Antheilen der Gefässwände durch radiäre Septen zusammenhängen. An Schnitten durch das periphere Mark trifft man nirgends Theile des Bindegewebs- netzes, die nicht mit einem der umliegenden Gefäss-, Quer- oder Längsschnitte in der angegebenen Beziehung stehen.

Etwas anders scheinen die Verhältnisse in dem centralen, um die stärksten Gefässstämme liegenden Markantheile zu sein, in welchem Bereiche sich das Gewebe so dicht zusammen- drängt, dass eine Entwirrung des Maschenwerks ungemein schwierig ist. Dieser centrale Marktheil fehlt übrigens bei den kleineren Säugethieren in allen Fällen und stellenweise auch bei Pferd und Rind.

Die Anordnung der Markzellen ist, wie bereits erwähnt, eine mit dem Längsdurchmesser zum Gefässlumen radiäre.

Anatomie der Nebenniere. o4o

Am Querschnitt entstehen durch diese Anordnung die»S t r a h 1 e n- k ranze« (Räuber), am Längsschnitte breite Säume von Zell- reihen, die von den Autoren mit Cylinderepithelien verglichen wurden. Sehr auffallend ist die streng basale Lagerung der Zellkerne, welche auch eine reihige Anordnung derselben bedingt. Nachdem die Kerne überall an dem, vom Gefässlumen entfernten, äussersten Ende der Zelle liegen, kommt es dazu, dass bei parallelem und nachbarlichem Verlaufe zweier Gefässe die Kerne beider Zellstränge eine gemeinsame breite Reihe bilden (Taf. I, Fig. 1 r). Dostoiewsky * deutet diesen Befund wohl irrthümlich beim Schafe, Schweine und Rind in der Weise, dass er neben basal stehenden auch central stehende Kerne annimmt.

In den durch die radiären Septen gebildeten Fächern liegen stets einige, 2 3 Markzellen gemeinsam.

II. Die Zellen des Marks

sind bei allen untersuchten Thieren cylindrisch, und zwar beim Pferd, Rind und Schwein sehr hoch-, bei den niederen, namentlich den kleineren Thieren mehr breit-cylindrisch. Das Protoplasma ist sehr feinkörnig, der Kern rund und scharf begrenzt mit 1 2 Kernkörperchen. Die Farbe des Zellleibes ist bei Carmintinctionen hellrosa, bei Hämatoxylinfärbung hell graublau.

Eine Zellmembran ist nicht nachweisbar, die Zellgrenzen sind selten sehr scharf zu erkennen und wenn das Organ nicht lebenswarm eingelegt wurde, meist nicht mehr ersichtlich.

Die durch v. Brunn* erwähnten kurzen Ausläufer der Markzellen fand ich an Schnitten nirgends und auch an Isola- tionspräparaten, an welchen es übrigens sehr selten gelingt, die ausserordentlich zarten Elemente des Marks unverletzt zu erhalten, konnte ich mich von deren Vorhandensein nicht überzeugen. Die Zellen liegen mit ihren Längsseiten dicht aneinander, mit ihren Schmalseiten einerseits an der dünnen Gefässwand, anderseits an den beschriebenen Bindegewebs- zügen.

» L. c. S. 285. 2 L. c. S. 624.

546 M. Pfaundler,

Sehr eigenthümlich ist die von Henle entdeckte Reaction der Markzellen auf Chromsäure und deren Salze. Die Braun- färbung erstreckt sich, wie Dostoiewsky im Gegensatze zu V. Brunn's Angabe bemerkt, manchmal auch auf die Zellkerne, sowie bei längerer Einwirkung auch auf die Rindenzellen.

Demnach scheint, dass jener Stoff, welchen Dostoiewsky' als die Ursache der P'ärbung annimmt, und welcher höchst wahrscheinlich in Beziehung zur physiologischen Leistung der Organe steht, sowohl in der Rinde als im Mark enthalten ist.

Das Aussehen der einzelnen Alarkzellen nach der Behand- lung mit Müller's Fl. ist häufig ein verschiedenes; man unter- scheidet deutlich gleichmässig gelb gefärbte, von mehr grau gefärbten, körnigen Zellen, welch' erstere an den Wandungen der grösseren, welch* letztere an den kleinen Gefässen vor- herrschen.

Schon bei Sublimat- und Alkohol-Fixationen lässt sich eine solche Unterscheidung treffen. Grössere Gefässlumina sind von Zellen umgeben, deren Protoplasma sich ziemlich dunkel färbt, deren Zellgrenzen an der Längsseite kaum mehr erkenntlich sind und deren Kerne nicht mehr das bläschen- förmige Ansehen der anderen Markzellkerne haben, sondern geschrumpft unregelmässig geformt und sehr stark tingirt erscheinen (Pferd).

Eine andere Beobachtung machte ich noch unabhängig von Dostoiewsky's Mittheilungen am Mark der Pferde - nebenniere. Dostoiewsky* schreibt: »Studirt man diese Reihen (der Markzellen) genauer, so findet man, dass nicht alle Zellen gleich sind zwischen den eben beschriebenen cylindri- schen Zellen, die in Chromsäure und ihren Salzen eine braune Färbung annehmen, liegen runde oder ovale bläschenförmige Zellen mit je einem kleinen excentrisch angeordneten Kern, die sich sehr schwach in Müller's Fl. färben. Mitunter ist die

Gestalt solcher Zellen eine becherförmige Diese Zellen

sind sehr vergänglicher Natur und gehen leicht zu Grunde: in solchem Falle sieht man auf Schnitten zwischen den cylin-

1 L. c. S. 286.

2 L. c. S. 285.

Anatomie der Nebenniere. o47

drischen Zellen scharf begrenzte leere Räume, deren Form der zu Grund gegangenen Zelle entspricht.«

Auch bei anderer Behandlung (Sublimat; Borax-Carmin), sowie insbesonders bei Härtung und Tinction nach Ramon y CajaTs Methode erhielt ich die becherförmigen Zellen und ovalen Räume Dostoiewsk y's sehr deutlich. Der Vergleich der differenten Zellformen im Marke lässt vermuthen, dass es sich auch hier nur um verschiedene phvsiologische Zustände einer und derselben Art von Zellen handle.

Viele der Markzellen (vom Pferd, Rind, Hund, Igel etc.) enthalten ebensolche Körnchen, wie sie für die Rindenzellen beschrieben wurden, nur in weit geringerer Anzahl.

Von manchen Autoren wurden neben den eigentlichen Markzellen noch andere Elemente des Markes erwähnt, welche nach Holm's* Zeichnungen auch mit dessen »zweifelhaft nervösen Zellen« identisch sein dürften. Schon Holm sagt, dass diese Zellen völlig den Charakter von Rindenzellen an sich tragen und es lässt sich auch an seinen Abbildungen (5^ und 6 c) kein Unterschied zwischen den »zweifelhaft nervösen« und den Parenchymzellen der Rinde erkennen.

Räuber* bezeichnet diese, meist durch Nerven- oder Gefässstämme von der Rinde ins Mark eingezogenen Zellen, zuerst als Rindenzellen und Dostoiewsk}^, '^ der eine Ähn- lichkeit dieser Elemente mit echten Nervenzellen gleich mir nicht erkannte, lieferte den Nachweis, dass sie in der That nichts anderes als Rindenzellen sind.

Nerven, sowie echte Ganglienzellen* fand ich im Mark aller grösseren Thiere (Pferd, Rind u. a.) in ziemlich grosser Anzahl.

Wenn man die Rinden-Markgrenze verfolgt, wie sich dies bei kleineren Thieren leicht unter dem Mikroskope, bei grösseren

1 F.Holm. Über die nervösen Elemente in den Nebennieren. Wiener Akad. Ber. Bd. Uli. 1866. S. 314. "^ *-i L. c. S. 28.

3 L. c. S. 288 fT.

* Über Ganglienzellen d. Nebenniere vergl. auch: Pförtner, Unter- suchungen über das Gangl. intercarot. und d. Nebenniere. Zeitschr. f. rat. Med. Bd. XXXIII.

•'>48 M. Pfaundler,

mit freiem Auge ausführen lässt, dann trifft man es sehr häutig, dass dieselbe kein geschlossenes Oval bildet, sondern zuweilen zipfartige Fortsätze in die Rinde entsendet, und sich manchmal sogar bis an die Oberfläche des Organes erstreckt.

Die Marksubstanz liegt in letzterem Falle nur theilweise von der Rinde umgeben an einer Stelle frei nach aussen, wie dies beim Kaninchen von Mitsukuri^ beobachtet wurde. Mitsukuri beschreibt beim erwachsenen Thiere sogar einen zweiseitigen, solchen '»Markaustritt«, wobei sich das Mark an der Oberfläche des Organs ausgebreitet habe und in Beziehungen getreten sei zu Haufen von Zellen, die den Markzellen geglichen und dieselbe Chromreaction gezeigt hätten. Diese Zellhaufen selbst standen wieder in Verbindung mitComplexen von ähnlichen, aber deutlicher abgegrenzten und mit grösserem Kern versehenen Elementen, die Mitsukuri für Nervenzellen hält. Diese Ganglienzellenstränge schienen ihm in Nervenfaserbündel überzugehen und Ausbreitungen von Nervenstämmen zu enthalten.

Meine Beobachtungen an Stellen solcher -Markaustritte < stimmen genau mit denen Mitsukuri's überein, namentlich konnte ich mich von dem allmäligen Übergange der an der Oberfläche des Organs liegenden Markzellen in wirkliche Ganglienzellen überzeugen (Katze). Bei Hund, Katze, sowie bei Kaninchen, Ratte, Maulwurf und Fledermaus scheint das Vorkommen einer solchen Ausbreitung des Marks, und zwar meist längs der stärkeren Venen (Gott schau) sehr häutii^ zu sein.

Physiologische Bemerkung. Wie schon Stilling^ erwähnt, finden sich die seit langer Zeit bekannten feinen Körnchen der Nebennieren nicht nur innerhalb der Rinden- und Markzellen, sondern auch zwischen diesen in Lücken des Gewebes und sie wurden von mir auch in den Blutgefäss- räumen angetroffen. Dies gab mir die Veranlassung, den Inhalt der Nebennierenvene (Kaninchen) zu untersuchen. Nach-

^ Mitsukuri, On the Development of tiie suprarenal Bodies in Maramalia Journal of microscopical Science. London. New Series. Xr. 85. ••2 L. c. S. 327.

Anatomie der Nebenniere. 549

dem ich dieselbe mit grösster Sorgfalt und unter Vermeidung jeden Druckes auf das Organ, doppelt unterbunden, herausgenommen hatte, wurde der Inhalt frisch, sowie nach vorhergegangener Härtung der Vene an Schnittpräparaten untersucht. Ich fand darin dieselben Körnchen wie innerhalb des Organes in auffallend grosser Zahl. Sehr häufig waren sie auch noch in dem der Einmündungsstelle der Vena suprarenalis nächstgelegenen Theile der Vena cava.

Die Körnchen finden sich im Blute dieser Venen einzeln oder in kleine Conglomerate vereinigt und unterscheiden sich nicht von dem im ganzen Körperblute der Säuger vorgefundenen Körnchen fraglicher Herkunft.

Der Vergleich des Nebennierenvenenblutes mit dem Blute der vorderen Extremität und des linken Herzens vom näm- lichen Thiere ergab, dass die Körnchen in dem ersteren in der 40-fachen relativen Zahl zu den rothen Blutkörperchen vor- handen waren.

Die Beobachtung von Körnchen in dem durch die Vene aus der Nebenniere herausgepressten Safte wurde bereits von Gottschau* gemacht.

Das Blut, welches durch die Nebenniere wegen der Weite der in ihr enthaltenen Blutgefässe in langsamem Strome fliesst, kommt mit den Zellen, von denen es nur durch eine zarte Intima getrennt ist, in innigste Beziehung (v. Brunn).

Da nun, wie oben bemerkt, die Körnchen theils in den Zellen liegend, theils in dem Inneren derGefässe, sowie endlich in der Vena suprarenalis angetroffen werden, so liegt die Vermuthung nahe, dass die in den Zellen gebildeten Körnchen in den Blutstrom der Nebenniere gelangen und durch die Nebennierenvene dem Körperkreis- lauf zugeführt werden. Die Nebennieren wären dem- nach als Organe anzusehen, deren Elemente eigen- thümliche Stoffe* in Form feinster Körnchen aus-

1 L. c. s. 437.

'-i Was die chemische Zusammensetzung dieses den Nebennieren eigen-

thümlichen Stoffes betrifft, so scheint es sich nach den in neuester Zeit von Sitzb. d. mathem.-naturw. Cl.; CI. Bd. Abth. III. 38

550 M. Pfaundler,

scheiden und deren Gefässe die ausgeschiedenen Körnchen aufnehmen und abführen. Die im Blute der Säuger vorhandenen bekannten Körnchen würden demnach wenigstens zum grossen Theile aus den Nebennieren stammen.

V. Brunn's* Hypothese über die physiologische Bedeutung der Nebenniere geht dahin, dass die Zellen »aus dem Blute irgend einen Bestandtheil aufnehmen, ihn in irgend einer Weise verändern und dem Blute zurückgeben«. Im Vorher- gehenden wurde gezeigt, dass von den Zellen der Nebenniere Stoffe in Form von feinsten Kömern gebildet, ausgeschieden und in die Blutbahn überführt werden. Der Annahme, dass diese Kömer von Bestandtheilen des Blutes stammen, welche von den Nebennierenelementen aufgenommen und verändert wurden, steht, in Anbetracht der innigen Beziehungen der Zellen der Nebennieren zu dem in ihr kreisenden Blute nichts im Wege; jedenfalls ist aber auf die specifische Fähigkeit der Zellen der Nebenniere, der Production von eigenthümlichen Körnern, die Aufmerksamkeit zu richten.

Nach dem Gesagten schliesse ich mich der Anschauung St i Hing's,* welcher seinen Untersuchungen über die Lymph- gefässe der Nebenniere zufolge, diese als die Abführungs- wege eines Secrets ansah, nicht an. Auch der heute in Geltung stehenden Ansicht Still ing*s, dass die Nebenniere im gesunden Körper zur Pigmentbildung in Beziehung trete, kann ich nicht beipflichten, und zwar hauptsächlich auf Grund des, wie mir scheint, wichtigen Befundes, dass

Alexander (1. c.) ausgeführten Untersuchungen um Cholesterin und Lecithin (»einen der wichtigsten Stoffe für das Nervensystem«) zu handein. Über die Chemie der Nebennieren vergl. ferner: J. G. Zellweger^ Unter- suchungen über die Nebennieren. Frauenfeld, 1858. Virchow, in dessen Archiv. Bd. XII, S. 481-483. - Vulpian, Gaz. med. 1856, 1857, Gaz. hebdom. 1857. Seligsohn, Virchow's Archiv Bd. XYIll. S. 355 ff. - Arnold, 1. c. S. 104 ff.

1 L. c.

2 L. c. vergl. auch Kulmus inHaller's Elementa physiologiae 1575. Vlil, S. 65.

Anatomie der Nebenniere. OD 1

sich im Aussehen der Nebennierenelemente bei sehr stark pigmentirten und bei albinotischen Thieren . derselben Art (Kaninchen, Maus, Katze, Taube) kein, wenn auch noch so geringer, wesentlicher Unterschied erkennen Hess.

Am Schlüsse dieser Arbeit sei es mir gestattet, meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Professor H oll, für die Anregung zu derselben und die mir zu Theil gewordene vielfache Unter- stützung meinen besten Dank auszusprechen.

38

552 M. Pfaundler,

Erklärung der Abbildungen.^

Fig. 1. Aus einem Radiärschnitt durch die Nebenniere eines 15jährigen Pferdes. Sublimatbehandlung, Friedländer 's Hämatoxylin. K Bindegewebige Kapsel, Im deren Fortsätze in das Innere, b Zweige derselben, /w^Gefass in den Fortsätzen der Kapsel, c, p, a, ß Rindenstränge, c äussere Schichte der Rinde mit Cylinderzellen, p innere Schichte derselben mit polygonalen (rundlich-eckigen) Zellen, abg äusserer Bogen zweier in demselben Fache liegender , ibg innerer Bogen zweier aus benachbarten Fächern stammender Rindenstränge, / zellige Fortsätze der Rinden- stränge, an Anastomose der Rindenstränge, t Zweige der Rinden- stränge, g Gefäss zwischen zwei Rindensträngen, mz Markzellen, ge quergeschnittenes, / längs geschnittenes Gefäss im Mark, r die basalen Kerne zweier Markzellenreihen (doppelte Kemreihe s. Text).

Fig. 2. Aus einem Oberflächen -parallelen Schnitt unmittelbar unter der Kapsel einer Pferdenebenniere. Sublimat, Friedländer's Hämatoxylin, Zeiss, Apoch. 16*0 mm Oc. 12. Im quergeschnittene lamellenartige Fortsätze der bindegewebigen Kapsel. A geschlossener, B nicht ge- schlossener Zellring (Querschnitt eines Hohlcylinders), C solider Zell- strang, D Querschnitt der Kuppe eines Cylinders (Fig. 1 äbg)^ g Gefäss im Hohlcylinder (Fig. 1 g), c Cylinderzellen, Img Geföss im binde- gewebigen Fortsatz der Kapsel.

Fig. 3. Querschnitt der inneren Rindenschichte einer Pferdenebenniere, nahe der Markgrenze. Absol. Alk., Böhmer*s Hämatoxylin, Zeiss, Apoch. 16 mm Oc. 8. p polygonale Zellen (Fig. \ p). ^ Gefasse.

Fig. 4. Aus einem Radiärschnitte durch die Nebennierenrinde eines fünf Tage alten Hundes. Sublimat, Grenacher's Hämatoxylin, Zeiss. Apoch. 16 '0mm Oc. 12. K Kapsel, Im bindegewebiger F'ortsatz derselben, c Cylinderzellen.

Fig. 5. Aus einem Radiärschnitt durch die Nebennierenrinde eines erwachsenen Hundes. Sublimat, Gre nach er's Hämatoxylin. Zeiss Apoch. 16' 0mm, Oc. 6. K Kapsel, Im deren bindegewebige Fortsätze, ihg innere Bögen der Rindenstränge, abg äussere Bögen der Rindenstränge c cylin- drische, p polygonale Zellen.

Fig. 6. Aus einem Radiärschnitt durch die Nebennierenrinde einer Fleder- maus. M Uli er'sche Flüssigkeit. Friedländer's Hämatoxylin, Zeiss

1 Die Zellen in den Abbildungen 1 und 6 wurden, um die Zeich- nungen einfacher zu gestalten, nach der Natur etwas schematisirt.

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Sitzungsberichte d.kais. Akad. d.Wiss., math.-naturw.Classe, Bd.CI. Abth.IH. 1892.

Anatomie der Nebenniere. 553

Apoch. S'Omm, Oc. 8. K Kapsel, Im deren Fortsätze, za helle, zi dunkle Zellen der Rinde, s sichelförmige Zellen, ibg innerer Bogen der Rindenstränge, abg, äusserer Bogen der Rindenstränge / Fortsetzung der Rindenstränge gegen das Mark, g Gefass zwischen zwei Rinden- strängen.

Fig. 7. Zellen aus einem Schnitt durch die Nebennierenrinde des Pferdes. Hermann 's Flüssigkeit. Zeiss Apoch. 4*0 mm, Oc. 18. a Zelle mit feinreticulirtem Protoplasma, b Zelle mit lockerem protoplasma- tischen Netzwerk, c Zelle mit sehr weitem Maschenwerk und ge- schrumpftem Kerne (siehe Text S. 535).

Fig. 8. Zellen aus der inneren Rindenschichte der Pferdenebenniere. Absol. Alk. Friedländer 's Hämatoxylin. Zeiss Apoch. 4' 0 mm, Oc. 18 (siehe Text S. 536).

554

XXIV. SITZUNG VOM 17. NOVEMBER 1892.

Der Secretär legt das erschienene Heft VII (Juli 1892) des 101. Bandes der Abtheilung H.a. der Sitzungsberichte» femer das Heft IX (November 1892) des 13. Bandes der Monatshefte für Chemie vor.

Femer legt der Secretär folgende eingesendete Ab- handlungen vor:

1. »Gesetzmässiger Vorgang beim Factorenzer- legen eines Polynoms«, von Herrn k. und k. Hauptmann Josef Baschny, Lehrer an der Infanterie-Cadettenschule zu Karlstadt in Croatien.

2. »Luftelektricitätsmessungen im Luftballon«, von Dr. Josef Tuma, Assistent am physikal.-chemischen In- stitute der k. k. Universität in Wien.

Das w. M. Herr Prof. Emil Weyr in Wien überreicht eine Abhandlung: »Über algebraische Jn-\ auf Trägern vom Geschlechte Eins«.

Das w. M. Herr Prof. Ad. Lieben überreicht eine in seinem Laboratorium ausgeführte Arbeit des Herrn Emerich Selch: »Über das Diresor ein und die Einwirk ungderSchwe fei- säure auf dasselbe«.

Herr Dr. Jos. Finger, Professor an der k. k. technischen Hochschule in Wien, überreicht eine Abhandlung: »Über jenes Massenmoment eines materiellen Punktsystems, welches aus dem Trägheitsmomente und dem Devia- tion smomente in Bezug auf irgend eine Axe resultirt«.

SITZUNGSBERICHTE

DER

KAISERLICHEN AKADEM DER WISSENSCHAFTEN.

MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE CLASSE.

CI. BAND. X. HEFT.

ABTHEILUNG I.

ENTHÄLT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER MINERALOGIE,

KRYSTALLOGRAPHIE, BOTANIK, PHYSIOLOGIE DER PFLANZEN, ZOOLOGIE.

PALÄONTOLOGIE, GEOLOGIE, PHYSISCHEN GEOGRAPHIE UND REISEN.

557

XXV. SITZUNG VOM 1. DECEMBER 1892.

Die American Philosophical Society ia Phil- adelphia ladet die kaiserliche Akademie zur Theilnahme an der Feier ihres 150jährigen GründungsfestTes in den Tagen vom 22. bis 26. März 1893 ein.

Herr Dr. V. Hilber in Graz übersendet eine Abhandlung, betitelt: »Fauna der Pereiraia-Schichten von Bartelmae in Unter-Krain«.

Herr Gejza v. Bukowski übersendet eine vorläufige Notiz über die Molluskenfauna der levantinischen Bildungen der Insel Rhodus.

Der Secretär legt eine Abhandlung von Dr. Gustav Jäger, Privatdocent an der k. k. Universität in Wien, betitelt: »Über die Temperaturfunction der Zustandsgieichung der Gase«, vor.

Femer legt der Secretär ein von dem k. k. Bezirks- hauptmann i. R. Herrn Emanuel Puch berger in Wien behufs Wahrung der Priorität eingesendetes versiegeltes Manuscript vor, mit der Aufschrift: »Lösung eines mathematischen Problems«.

Das w. M. Herr Director E. Weiss berichtet über die Kometenentdeckungen der letzten Zeit, und zwar über jene, welche Holmes am 6. November und über jene, welche Brooks am 20. November 1. J. gelang.

Das w. M. Herr Hofrath Prof V. v. Lang überreicht eine Mittheilung der Herren Director Dr. J. M. Eder und E. Valenta

558

in Wien über einige neue Linien im brechbarsten, ultravioletten Emissionsspectrum des metallischen Calciums.

Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht zugekommene Periodica sind eingelangt:

Le Prince Albert I®^ Prince de Monaco, Resultats de Cam- pagnes Scientiflques accomplies sur Son Yacht »THiron- delle«. Fascicule II. Contribution ä Tetude des Spongiaires de r Atiantique Nord par E.Topsent. (Avec onze Planches.) Publies sous Sa direction avec le concours deM. LeBaron Jules de Guerne, Charge des Travaux zoologiques ä bord. Imprimerie de Monaco, 1892; 4*

Adamkiewicz A., Untersuchungen über den Krebs und das Princip seiner Behandlung. (Experimentell und klinisch.) (Mit 8 Tafeln.) Wien, 1893; S^.

Festschrift für die Mitglieder der XXVI. Wanderversammlung ungarischer Arzte und Naturforscher: Beiträge zu einer Monographie der königl. freien Stadt Kronstadt Herausgegeben auf Kosten der Festgemeinde. Kronstadt, 1892; 8^

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XX VL SITZUNG VOM 9. DECEMBER 1892.

Herr Geheimrath Prof. Dr. Albert von Koelliker in Würz- burg dankt für seine Wahl zum ausländischen Ehrenmitgliede der nnathematisch-naturwissenschaftlichen Classe.

Das c. M. Herr Regierungsrath Prof. Dr. F. Mertens in Graz übersendet eine Abhandlung: »Ober einen algebrai- schen Satz«.

Das w. M. Herr Hofrath Dr. C. Claus überreicht die Fort- setzung des von ihm herausgegebenen Werkes: »Arbeiten aus dem zoologischen Institute der k. k. Universität in Wien und der zoologischen Station in Tri est«. Bd. X, Heft II. 1892.

Ferner überreicht Herr Hofrath Claus eine Abhandlung unter dem Titel »Die Anatomie der Pontelliden und das Gestaltungsgesetz der männlichen Greifantenne«.

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XXVII. SITZUNG VOM 15. DECEMBER 1892-

Der Secretär legt den 59. Band (Jahrgang 1892) der Denkschriften und die aus demselben veranstaltete CoUectiv- Ausgabe der Berichte der Commission für Erforschung des östlichen Mittelmeeres (Erste Reise), ferner das erschienene Heft VIII (October 1892) des 101. Bandes der Abtheilung II. a. der Sitzungsberichte vor.

Das w. M. Herr Regierungsrath Prof. E. Mäch in Prag übersendet eine Abhandlung: »Zur Geschichte und Kritik des Carnot'schen Wärmegesetzes«.

Ferner übersendet Prof. Mach eine vorläufige Mittheilung des Herrn Med. Cand. W. Pascheies: »Über ein elek- Irisches Mass der Circulation und Resorption in der menschlichen Haut«.

Das w. M. Herr Prof. J. Wiesner überreicht eine von A. Zoebl und C. Mikosch in Brunn ausgeführte Arbeit, betitelt: »Die Function der Grannen der Gerstenähre«.

Das w. M. Herr Prof. E. Weyr überreicht eine für die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung: »Über Vervoll- ständigung von Involutionen auf Trägern vom Geschlechte Eins und über Steiner'sche Polygone« (II. Mittheilung).

Das w. M. Herr Hofrath Director J. Hann überreicht eine Abhandlung von Prof. Karl Kolbenheyer unter dem Titel: »Untersuchungen über die Veränderlichkeit der Tageste mperatur«.

Das w. M. Herr Prof. Ad. Lieben überreicht eine in seinem Laboratorium ausgeführte Arbeit von Dr. C. Pomeranz: »Über das Bergapten« II.

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Das w. M. Herr Hofrath Prof. V. v. Lang überreicht eine Abhandlung von Director Dr. J. M. Eder in Wien: »Über die Verwendbarkeit der Funkenspectren verschiedener Metalle zur Bestimmung der Wellenlänge im Ultra- violetten, mit Bezug auf das Spectrum des Sonnen- lichtes, Drummond'schen,Magnesium-und elektrischen Bogenlichtes«.

Der Vorsitzende Herr Hofrath Prof. J. Stefan überreicht eine für die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung: »Über das Gleichgewicht der Elektricität auf einer Scheibe und einem Ellipsoide«.

Herr J. Liznar, Adjunct der k. k. Centralanstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus, überreicht einen IV. vor- läufigen ßerichtüber: »Eine neue magnetische Aufnahme Österreichs*.

Herr Dr. H. Strache, Privatdocent an der k.k. technischen Hochschule in Wien, überreicht eine von ihm in Gemeinschaft mit Herrn S. Iritzer ausgeführte Arbeit: »Über die Oxyda- tion der Säurehydrazide durch Fehling'sche Lösung«.

Herr Dr. Josef Schaff er, Privatdocent und Assistent am histologischen Institute der k. k. Universität in Wien, über- reicht eine Arbeit, betitelt: »Beiträge zur Histologie und Histogenese der quergestreiften Muskelfasern des Menschen und einiger Wirbelthiere«.

Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht zugekommene Periodica sind eingelangt:

Otto Herman, J. S. v. Petenyi, der Begründer der wissen- schaftlichen Ornithologie in Ungarn 1799 1855. Ein Lebensbild. Schriften des ungarischen wissenschaftlichen Comites für den II. internationalen ornithologischen Con- gress. (Mit Titelbild.) Budapest, 1891; 4«.

Weinek J., Astronomische Beobachtungen an der k. k. Stern- warte zu Prag in den Jahren 1 888 1891, nebst Zeichnungen und Studien des Mondes. Appendix zu den Jahrgängen 49—52. Prag 1893; 4«.

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