^;:¥^ *.^^^ ik-.^^^eY-V-: ,**# >* ' ^. Muirii y- 'i i ^ ■% > jk. **' ^- ' -^ ■ f^' rv A-^ ■iSf'. ' -,% =/' HARVARD UNIVERSITY. LIBRARY OF THE MUSEUM OF COMPARATIVE ZOÖLOGY. 4-C3irxiXrNvC>5^. ^A^^\o. /¥' SITZUNGSBERICHTE DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN, MATHEMATISCH-NATURWISSENSCHAFTLICHE KLASSE. HUNDERTVIERZEHNTER BAND. WIEN, 1905. AUS DER KAISERLICH-KÖNIGLICHEN HOF- UND STAATSDRUCKEREL IN KOMMISSION BEI ALFRED HOLDER, K. U. K. HOF- UND UNIVERSITATSBUCHHÄNDLER, BUCHHÄNDLER DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. SITZUNGSBERICHTE DER MATHEMATISCH-NATURWISSENSCHAFTLICHEN KLASSE DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. CXIV. BAND. ABTEILUNG I. Jahrgang 1905. — Heft I bis X. (MIT 18 TAFELN UND 59 TEXTFIGUREN.) -^C— <•>— 3*- WIEN, 1905. AUS DER KAISERLICH-KÖNIGLICHEN HOF- UND STAATSDRUCKEREI. IN KOMMISSION BEI ALFRED HOLDER, K. U. K. HOF- UND UNIVERSITATSBUCHHANDLER, BUCHHÄNDLER DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. V I N H A LT. Seite Berwerth F., Künstlicher Metabolit. (Mit 1 Tafel.) [Preis : 50 h -=r 50 Pfg.] 343 Diener C, Die triadische Fauna desTropitenkalkes von Byans (Himalaj-a). [Preis: 30 h = 30 Pfg.] 331 — Über einige Konvergenzerscheinungen bei triadischen Ammoneen. [Preis: 50 h = 50 Pfg.l 663 — Entwurf einer Systematik der Ceratitiden des Muschelkalkes. [Preis: 80 h = 80 Pfg.] 765 Doelter C, Die Silikatschmelzen. (III. Mitteilung.) (Mit 1 Tafel und 14 Textfiguren.) [Preis: 1 K 50 h = 1 Mk. 50 Pfg.] 529 Friedberg W. S., v., Eine sarmatische Fauna aus der Umgegend von Tarnobrzeg in Westgalizien. (Mit 1 Tafel und 3 Textfiguren.) [Preis: 1 K 20 h = 1 Mk. 20 Pfg.] 275 Gräfe V., Studien über Atmung und tote Oxydation. (Mit 1 Tafel und 1 Textfigur.) [Preis: 1 K 10 h = 1 Mk. 10 Pfg.] 183 — Studien über den mikrochemischen Nachweis verschiedener Zucker- arten in den Pflanzengeweben mittels der Phenylhydrazinmethode. (Mit 2 Tafeln.) [Preis: 70 h = 70 Pfg.] 15 Hoernes R., Untersuchungen der jüngeren Tertiärgebilde des westHchen Mittelmeergebietes. (Erster Reisebericht.) [Preis: 30 h = 30 Pfg.] 467 ■ — Untersuchung der jüngeren Tertiärablagerungen des westlichen Mittelmeergebietes. (II. Reisebericht.) (Mit 2 Textfiguren.) [Preis: 50 h = 50 Pfg.] 637 — Untersuchung der jüngeren Tertiärgebilde des westlichen Mittel- meergebietes. (HI. Reisebericht.) (Mit 4 Textfiguren.) [Preis: 60 h 3= 60 Pfg.] 737 Knoll F., Die Brennhaare der Euphorbiaceen-Gattungen Dalechavipia und Tr^^m. (Mit 2 Tafeln.) [Preis: 70 h = 70 Pfg.J 29 Kraskovits G., Ein Beitrag zur Kenntnis der Zellteilungsvorgänge bei Oedogoniiim. (Mit 3 Tafeln und 11 Textfiguren.) [Preis: 1 K 40 h = 1 Mk. 40 Pfg.j 237 Kubart B., Die weibliche Blüte von Juniperus communis L. Eine onto- genetisch-morphologische Studie. (Mit 2 Tafeln und 8 Textfiguren.) [Preis: 1 K — h = 1 Mk. — Pfg.] 499 VI Seite Linsbauer L., Photometrische Untersuchungen über die Beleuchtungs- verhältnisse im Wasser. (Ein Beitrag zur Hydrobiologie.) (Mit 1 Tafel und 2 Textfiguren. [Preis: 70 h = 70 Pfg.j 51 — Zur Kenntnis der Reizbarkeit der Centaurea-Filamente. (Mit 4 Text- figuren.) [Preis : 60 h = 60 Pfg.) 809 Molisch H., Über das Leuchten von Hühnereiern und Kartoffeln. [Preis: 30 h = 30 Pfg.] 3 Pöch R., Erster Bericht von meiner Reise nach Neu-Guinea über die Zeit vom 6. Juni 1904 bis zum 25. März 1905. (Mit 4 Textfiguren.) [Preis : 50 h = 50 Pfg.] 437 — Zweiter Bericht über meine Reise nach Neu-Guinea über die Zeit vom 26. März 1905 bis zum 21. Juni (Bismarck- Archipel, 20. März bis 14. Juni) 1905. [Preis: 30 h = 30 Pfg.] 689 Suess E., Über das Inntal bei Nauders. [Preis: 80 h = 80 Pfg.] , ... 699 Tschermak G., Darstellung der Orthokieselsäure durch Zersetzung natür- licher Silikate. (Mit 2 Textfiguren.) [Preis: 30 h = 30 Pfg.] ... 455 Uhlig V., Einige Bemerkungen über die Ammonitengattung Hoplites Neumayr. [Preis: 90 h = 90 Pfg.] 591 Waagen L., Die systematische Stellung und Reduktion des Schlosses von Aetheria nebst Bemerkungen über Clessinella Stitranyi nov. subgen., nov. spec. (Mit 1 Tafel und 2 Textfiguren.) [Preis: 80 h = 80 Pfg.] 153 Werner F., Ergebnisse einer zoologischen Forschungsreise nach Ägypten und dem ägyptischen Sudan. I. Die Orthopterenfauna Ägyptens mit besonderer Berücksichtigung der Eremiaphilen. (Mit 1 Tafel.) [Preis: 1 K 60 h = 1 Mk. 60 Pfg.] 357 Wiesner J., Untersuchungen über den Lichtgenuß der Pflanzen im Yellow- stonegebiete und in anderen Gegenden Nordamerikas. Photo- metrische Untersuchungen auf pflanzenphysiologischem Gebiete. (V. Abhandlung.) (Mit 2 Textfiguren.) [Preis: 1 K 40 h = 1 Mk. 40 Pfg.] 77 — Über korrelative Transpiration mit Hauptrücksicht auf Anisophyllie und Phototrophie. (Mit 2 Tafeln.) [Preis : 70 h = 70 Pfg.] .... 477 SITZUNGSBERICHTE DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. MATHEMATISCH-NATURWISSENS CHAFTLICHE KLASSE. CXIV. BAND. I. UND IL HEFT. JAHRGANG 1905. — JÄNNER UND FEBRUAR. ABTEILUNG L ENTHÄLT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER MINERALOGIE, KRISTALLOGRAPHIE, BOTANIK, PHYSIOLOGIE DER PFLANZEN, ZOOLOGIE, PALÄONTOLOGIE, GEOLOGIE, PHYSISCHEN GEOGRAPHIE UND REISEN. (MIT 5 TAFELN UND 4 TEXTFIGUREN.) "WIEN, 1905. AUS DER KAISERLICH-KÖNIGLICHEN HOF- UND STAATSDRUCKEREI. IN KOMMISSION BEI KARL GEROLD'S SOHN, BUCHHÄNDLER DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. INHALT des 1. und 2. Heftes, Jänner und Februar 1905 des CXIV. Bandes, Abteilung- I der Sitzung-sberichte der mathem.-naturw. Klasse. Seite MoUsch H., Über das Leuchten von Hühnereiern und Kartoffeln. [Preis: 30 h = 30 Pfg.] 3 Gräfe V., Studien über den mikrochemischen Nachweis verschiedener Zuckerarten in den Pflanzengeweben mittels der Phenylhydrazin- methode. (Mit 2 Tafeln.) [Preis: 70 h = 70 Pfg.] ....... 15 KnoU F., Die Brennhaare der Euphorbiaceen-Gattungen Dalechampia und Tragia. (Mit 2 Tafeln.) [Preis : 70 h = 70 Pfg.J 29 Linsbauer L., Photometrische Untersuchungen über die Beleuchtungs- verhältnisse im Wasser. (Ein Beitrag zur Hydrobiologie.) (Mit 1 Tafel und 2 Textfiguren. [Preis: 70 h = 70 Pfg.] 51 Wiesner J., Untersuchungen über den Lichtgenuß der Pflanzen im Yellow- stonegebiete und in anderen Gegenden Nordamerikas. Photo- metrische Untersuchungen auf pflanzenphysiologischem Gebiete. (V. Abhandlung.) (Mit 2 Textfiguren.) [Preis : 1 K 40 h = 1 Mk. 40 Pfg.] 77 Preis des ganzen Heftes: 3 K 60 h = 3 Mk. 60 Pfg. SITZUNGSBERICHTE DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE KLASSE. CXIV. BAND. I. HEFT. ABTEILUNG L ENTHÄLT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER MINERALOGIE, KRYSTALLOGRAPHIE, BOTANIK, PHYSIOLOGIE DER PFLANZEN, ZOOLOGIE, PALÄONTOLOGIE, GEOLOGIE, PHYSISCHEN GEOGRAPHIE UND REISEN. Ober das Leuchten von Hühnereiern und Kartoffehi Hans Molisch, k. M. k. Akad. Aus dem pflanzenphysiologischen Institute der k. k. deutschen Universität Prag. Nr. 71 der 2. Folge. (Vorgelegt in der Sitzung am 19. Jänner 1905.) A. Hühnereier. In der älteren Literatur finden sich zwar einige wenige Angaben über das Leuchten von Hühner- und Reptilieneiern, doch wird die Erscheinung nirgends genauer beschrieben, auch sind die Ursache des Leuchtens sowie die Umstände, unter welchen ein Leuchten auftritt, noch unbekannt. Nach Co hausen^ hat man bei Hühnereiern manchmal ein Leuchten bemerkt und Heinrich^ fügt hinzu: »Setzen wir diesen das Leuchten des Fischrogens und der Krebseierchen hinzu, so gewinnt das Phänomen merldich an Allgemeinheit; nur ist zu bedauern, daß auch dieser Fall unter Hunderten kaum einmal zutrifft.« Heinrich erwähnt, es sei ihm von Augenzeugen berichtet worden, daß auch die Eier unserer Eidechse (Lacerta agilis) leuchten. 1 Cohausen, Lumen novum Phosphoris accensum, Amstel 1717, p. 109. Zitiert nach PI. Heinrich. 2 HeinrichPlacidus, Die Phosphoreszenz der Körper etc. III. Abhandlung etc. Nürnberg 1815, p. 381. 1* 4 Hans Mo lisch, Heller^ äußert sich über das Leuchten von Eiern folgender- maßen: »Von Hühnereiern wird angegeben, daß man sie bis- weilen schwach leuchtend gefunden hat. Ich selbst sah ein Hühnerei, welches aber mit unreifer, weicher Schale gelegt wurde, nachdem es im Zimmer gelegen, am zweiten Tage stellenweise leuchten, das Licht war ganz so wie beim ver- wesenden Holze, somit wie bei den Rhizomorphen. Landgrebe erzählt, daß er die Eier der Lacerta agiJis und mancher Schlangen öfter leuchten gesehen habe, und zwar mit einem grünen phos- phorischen Lichte. Auffallend ist die Bemerkung, die Landgrebe macht, daß, je frischer die Eier sind, desto intensiver das Licht sei. Sogar bei Tage an schwach leuchtenden Stellen ist das Licht beobachtbar. Werden die Eier in feuchter Erde auf- bewahrt, so können sie wochenlang leuchtend erhalten werden. Beim Trocknen und Einschrumpfen der Eier verschwindet das Leuchten, die nicht mehr phosphoreszierenden Eier können noch durch Bewegung zum Leuchten gebracht werden. Ich selbst habe die Eier von Cohiber natrix leuchten ge- sehen und habe die Überzeugung gewonnen, daß die leuchtende Substanz nur in dem feuchten schlüpfrigen Überzuge der Eier, solange er feucht ist, ganz locker enthalten ist, so daß mit dem Wegwischen dieses das Ei befeuchtenden Überzuges auch die leuchtende Substanz abgewischt wird. Der Grund ist der- selbe wie bei den faulenden Fischen und liegt in der beginnen- den P'äulnis der tierischen Substanz, welche die Schalen der Eier umgibt und von der Kloake herrührt.« Aufmerksam gemacht durch diese in der Literatur vor- handenen Angaben, habe ich zu verschiedenen Jahreszeiten Hühnereier im Finstern beobachtet, habe aber weder bei frischen noch bei alten oder verdorbenen Eiern ein Leuchten nachweisen können. Daher war ich außer stände, daiüber Näheres in meinem vor kurzem erschienenen Buche - mit- teilen zu können. 1 Heller Johann Florian, Über das Leuchten im Pflanzen- und Tierreiche. Archiv für physiolog. und patholog. Chemie und Mikroskopie etc. Neue Folge Jg. 1853 und 1854. Des Ganzen VI. Band. Wien, p. 165. 2 Molisch H., Leuchtende Pflanzen. Eine physiologische Studie. Jena 1904, p. 82. Leuchten von Hühnereiern und Kartbffehi. O Anfang Oktober 1904 erhielt ich von dem Augenarzte in Nauheim Herrn Dr. Oswald Gerloff einen Brief, in welchem er mich auf das Leuchten von sogenannten Sooleiern aufmerksam machte. Unter Sooleiern versteht man Hi.ihnereier, die in ge- kochtem Zustande in Salzwasser aufbewahrt werden. Sie werden, wie mir Dr. Gerloff^ mitteilt, in den Wirtshäusern Deutsch- lands nicht selten vorrätig gehalten und sollen manchmal leuchten. Herr Dr. Gerloff hatte die Güte, mir darüber folgendes zu schreiben: »Ich selbst sah das erste Soolei in Göttingen etwa 1892, wo ich längere Zeit praktizierte. Es leuchtete auffallend stark in grünlichem Lichte, war an der Spitze zerbrochen und, wenn ich nicht irre, mit gewöhnlichem Kochsalz gekocht. Als ich, sehr überrascht, mein Erstaunen äußerte, sagte der Wirt, ein äußerst intelligenter Aiann, das sei doch nichts Besonderes, es käme sehr oft vor und sei ihm längst bekannt. Auch einige Bürger, die im Lokale verkehrten, fanden durchaus nichts Ungewöhnliches in der Erscheinung, so daß ich glaubte, die Sache sei auch in wissenschaftlichen Kreisen wohl bekannt. Ich wollte damals der Merkwürdigkeit wegen ein solches Ei in seinem eigenen Lichte photographieren, unterließ es aber aus irgend welchen Gründen. Bei dieser Gelegenheit äußerte sich ein anderer Wirt, daß er die Erscheinung kenne und öfters Sooleier leuchten gesehen habe. Andere Wirte, die über das Leuchten von Sooleiern befragt wurden, bemerkten, nie etwas desgleichen gesehen zu haben, wieder andere meinten, es sei nur im Frühjahr zu sehen.« ^ 1 Für das außerordentlich Hebenswürdige Entgegenkommen und für die zahh-eichen Auililärungen in unserer Frage sage ich Herrn Dr. Gerloff meinen verbindlichsten Dank. 2 In dem Briefe Dr. Gerloffs findet sich auch folgende interessante Stelle: »Bei dieser Gelegenheit möchte ich Ihnen mitteilen, daß der Physiologe E. du Bois Reymond 1879 es für eine Fabel erklärte, daß Holz oder Fleisch leuchten könne. Ich verkehrte als Junge sehr viel in seinem Hause und erzählte eines Abends bei Tisch von leuchtendem Holze, das ich wiederholt gesehen hätte. Er behauptete, das Mondlicht hätte mich getäuscht und wurde zuletzt sogar etwas erregt. Ich entsinne mich genau, daß er sagte, er hätte mir nicht zugetraut, daß ich auf eine alte Fabel hineinfiele. Darauf schickte ich ihm eine ganze Kiste voll leuchtenden Holzes und erhielt von ihm beiliegenden Brief, in welchem er sich für die Sendung bedankt.« 6 Hans AI o lisch, Dr. Gerloff teilte mir mit, wie die sogenannten Sooleierlier- gerichtet würden, und auf Grund dieser Mitteilungen begann ich, die Sache in Prag eifrig zu verfolgen. Am Markt gekaufte Hühnereier wurden 8 Minuten gekocht und zur Abkühlung hin- gestellt. Hierauf wurde die Schale mit einem Löffel zerschlagen, so wie das beim Abschälen vor dem Essen zu geschehen pflegt, und schließlich wurde das Ei in eine dreiprozentige Kochsalz- lösung (in Leitungswasser) so hineingelegt, daß es nur ganz wenig über die Flüssigkeit hinausragte. Die Eier wurden im Laboratorium entweder in einemi ungeheizten Zimmer (10 bis 12° C.) oder in einem geheizten Zimmer bei 16 bis 18° be- lassen. Unter diesen Umständen konnte ich bei sehr oftmaliger Wiederholung des Versuches niemals auch nur eine Spur von Licht beobachten. Dieses Resultat wäre begreiflich, wenn die das Leuchten des Eies bedingende Bakterie aus dem Darm, dem Eileiter oder der Kloake des Huhnes stammen würde. Denn dann würde die Leuchtbakterie der Schale oder dem Ei über- haupt anhaften und beim Kochen des Eies getötet werden und aus diesem Grunde könnte es nicht zum Leuchten kommen. Ich legte daher zu den gekochten Eiern frische ungekochte Eier oder Schalen von solchen hinzu, aber auch unter diesen Um- ständen war niemals auch nur das geringste Leuchten wahr- zunehmen. Um so mehr war ich überrascht, als mir Herr Dr. Gerloff telegraphierte, er habe drei gekochte Hühnereier in Kochsalzlösung in seiner Küche eingelegt und schon am dritten Tage an zweien Lichtentwicklung bemerkt. Da der Genannte die Güte hatte, mir die Eier in der Salzlösung von Nauheim nach Prag per Post zu schicken, so hatte ich Gelegenheit, mich von der Richtigkeit seiner Beobachtung zu überzeugen. Als ich die Salzlösung nach ihrer Ankunft in eine Glasschale ausgoß und die Eier dann hineinlegte, bemerkte ich in der Dunkelkammer nach einiger Zeit, daß die ganze Salzlösung im milchweißen Lichte leuchtete und daß auch die Eier an verschiedenen Punkten, wo die Schale zerbrochen war, leuchtend waren. Drei Tage nach der Ankunft leuchteten die Eier noch ziemlich stark, nach acht Tagen nur mehr ganz schwach. Ich ging nun sofort daran, den Erreger des Lichtes rein zu kultivieren, weil ich vielleicht hiedurch einen Fingerzeig Leuchten von Hühnereiern und Kartoffeln. 7 dafür erhalten konnte, wie und unter welchen Verhältnissen das Leuchten der Eier zu stände l' Leuchtende Pflanzen« p. 82 zusammengestellt: »Schon in der älteren Literatur findet sich mehrfach die Angabe, daß auch Kartoffelknollen sowie Rüben und Kohl im faulenden Zustande zu leuchten vermögen. So bemerkte man^ in der Militärkaserne zu Straßburg am 7. Jänner 1790 leuchtende ungekochte Kartoffeln. Heller 2 sah Rüben und KartoftelknoUen in verwesendem Zustande leuchten, er fand die Farbe und Intensität des Lichtes so wie beim leuchtenden Holze und als Ursache bezeichnet er wieder einen Pilz, aber leider ohne etwas Genaueres darüber zu sagen. 1 H einrieb PL, 1. c, III. Abb., p. 337. 2 Heller F., 1. c. p. 54. Leuchten von Hühnereiern und Kartoffeln. 1 1 Prof. E. Zacharias in Hamburg hatte die Güte, mir mit- zuteilen, daß ihm einmal daselbst zum Speisen hergerichtete gekochte Kartoffeln in leuchtendem Zustande übersandt wurden und daß er sie einem größeren Publikum demonstrierte. Es war mir nicht möglich, obwohl ich mich sehr darum bemi.ihte, in den Besitz leuchtender Kartoffeln zu kommen, und so bin ich leider nicht in der Lage, etwas Bestimmtes darüber zu sagen. Immerhin möchte ich, namentlich auf Grund der Schilderung, die Prof. Zacharias mir von den leuchtenden Kartoffeln entwarf, der Vermutung Raum geben, daß sie in diesem Falle von leuchtendem Fleisch, also Leuchtbakterien infiziert worden waren. Ob bei faulenden leuchtenden Kartoffeln gleichfalls Bakterien beteiligt sind oder Fadenpilze (H3Aphomyzeten), die die Zersetzung der Kartoffel bedingen, bleibt noch zu unter- suchen.« Am 30. Juni 1904 erhielt ich durch die Güte des Herrn Dr. Kleb ahn, dem ich hiefür meinen verbindlichsten Dank aus- spreche, leuchtende Kartoffeln. Ein Hamburger Bürger bemerkte zu seinem Entsetzen, daß die in der Vorratskammer seines Haushaltes aufbewahrten Kartoffeln leuchteten. Er eilte damit zu Herrn Dr. Klebahn, klagte ihm sein Leid und dieser war so freundlich, sie mir nach Prag zur Untersuchung einzusenden. Es waren geschälte, gekochte, anscheinend zum Speisen her- richtete Kartoffeln. Als ich sie in der Nacht mit wohl aus- geruhtem Auge betrachtete, konnte ich an mehreren Kartoffeln eine deutliche Lichtentwicklung wahrnehmen. Ich impfte von den leuchtenden Stellen auf Salzpeptongelatine ab und erhielt leuchtende Bakterienkolonien. Leider war ich damals gerade mit Arbeiten verschiedener Art überhäuft und ich kam nicht dazu, die Bakterie zu bestimmen. Da die Hamburger Kartoffeln gekocht waren und im Haushalt leuchtend wurden, so bildete ich mir die Ansicht, daß derartige Kartoffeln durch irgend einen leuchtenden Fisch oder durch leuchtendes Fleisch in der Küche infiziert worden sein dürften. Leuchtendes Fleisch ist ja, wie wir jetzt wissen, eine ganz gewöhnliche Erscheinung; wenn also solches Fleisch mit Kartoffeln in Berührung kommt oder gar darauf gelegt wird, so kann eine Infektion mit Leucht- bakterien leicht erfolgen und dies wird in einer Hafenstadt wie 12 Hans Molisch, wie Hamburg um so leichter sein, wo neben Rindfleisch auch leuchtende Seefische sich in der Küche häufig vorfinden dürften. Von der Richtigkeit dieser Ansicht war ich erst recht überzeugt worden, als ich meine Erfahrungen über das Leuchten von Hühnereiern und über das willkürliche Hervorrufen ihrer Lichtentwicklung gemacht hatte. Es war nunmehr für mich in hohem Grade wahrscheinlich, daß das Auftreten leuchtender gekochter Kartoffeln wirklich in der angedeuteten Weise zu Stande kommt, und die folgenden Tatsachen haben die Richtig- keit meiner Vermutung außer Zweifel gestellt. Es läßt sich nämlich leicht zeigen, daß m an mit derselben Sicherheit, mit der man sich leuchtende Hühnereier verschafft, auch leuchtende Kartoffeln gewinnen kann, wenn man in folgender Weise vorgeht: Ich koche geschälte Kartoffelkn ollen eine halbe Stunde in gewöhnlichem Vv^ asser, streiche nach der Abkühlung jede einzelne über ein flaches Stück frisch gekauften Rindfleisches, lege schließlich alle so in eine Schale mit drei- prozentiger Kochsalzlösung, daß sie mit ihrer Ober- fläche etwas aus der Flüssigkeit hervorschauen. Nach 1 bis 2 Tagen schon beginnen sie bei gewöhn- licher Zimmertemperatur zu leuchten. Die Berührung mit dem noch gar nicht leuchtenden Fleischstücke genügt, um die Kartoffel mit der Leuchtbakterie des Schlachtviehfleisches zu infizieren und so das Leuchten hervorzurufen. Benetzt man das Fleisch für sich mit dreiprozentiger Kochsalzlösung, so leuchtet es, sobald sich die Photobakterien genügend vermehrt haben, ebenfalls. Ich habe mich zu wiederholten Malen überzeugt, daß die Infektion der Kartoffeln nur mit solchen Fleischstücken gelingt, die später für sich zu leuchten vermögen, die also mit der Leucht- bakterie infiziert waren. Daß es sich auch hier um das Bacterium phosphoreum (Cohn) Molisch handelte, lehrten zu wiederholten A-Ialen ausgeführte Reinkulturen. Niemals gelang es mir, Leuchtkartoffeln zu erzielen, ohne die Kartoffeln mit Fleisch direkt oder indirekt in Berührung zu bringen; daraus geht wohl mit Sicherheit hervor, daß das Auftreten von leuchtenden Kartoffeln im Haushalte auf eine Leuchten von Hühnereiern und Kartoffehi. 13 Infektion mit der LeuchtbalN.NH2 beson- ders geeignet. Nach den Untersuchungen von Neuberg^ geben mit dieser Hydrazinbase nur die Ketozucker, niemals aber die Aldozucker ein charakteristisches Methylphenylosazon. Dieses Reagens ist um so geeigneter, zur Identifizierung der Fruktose verwendet zu werden, als auch andere in der Natur vor- kommende Ketosen, wie die erwähnte Sorbinose, das Methyl- phenylosazon nur in Form eines Sirups, nicht aber so wie die Fruktose sofort in kristallisierter Form geben. Die Empfind- lichkeit der Reaktion, die man in Bezug auf die Phytochemie wohl als spezifische Fruktosereaktion ansprechen kann, ist etwas geringer als die der Senft'schen Probe. Während die Phenylosazonbildung bei Traubenzucker noch bei einem Traubenzuckergehalt der Probe von 0-015 Pro- zent^ deutlich und charakteristisch eintritt, habe ich das Ein- treten der Methylphenylüsazonbildung bei Fruktose nur bei einem Mindestgehalte der Lösung von 0 ■ 08 Prozent an Fruktose konstatieren können. In all erjüngster Zeit glaubte übrigens Ofner^ auf Grund seiner Versuche die Eindeutigkeit der Reaktion anzweifeln zu müssen, da es ihm gelungen war, das Methylphenylosazon auch der Glykose, allerdings auf recht ungewöhnlichem Wege, gänzlich abweichend von der Neu- berg'schen Vorschrift und erst nach ötägiger Einwirkung in sehr geringer Ausbeute zu erhalten, während das betreffende Osazon der Fruktose schon nach 5 bis 10 Minuten langer Behandlung am Wasserbade und darauffolgendem mehrstün- digen Stehen in fast theoretischer Ausbeute gewonnen wird. 1 Ber. d. d. ehem. Ges., 35, 959, 2626 (1902), E. Fischer, ebendaselbst 22, 91 (1889), Zeitschr. d. Vereines d. deutschen Zuckerindustrie, 52, 246; Hoppe-Seyler, Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 36, p. 227 (1902). 2 E. V. Lippmann, Die Chemie der Zuckerarten, I, p.565, III. Aufl., 1904. 3 Ber. d. d. ehem. Ges., 37, 2623, 3362, Dezemberheft d. Monatsh. f. Chemie p. 4399. Sitzb. d. mathem.-naturw. Kl.; CXIV. Bd.. .Abt. I. 2 18 V. Gräfe, Überdies ist bei Ofner's langandauerndem Prozeß auch eine teilweise Umlagerung der Glykose in Fruktose im Sinne Lobry de Bruyns und van Ekensteins durchaus nicht ausgeschlossen. Auf alle diese Umstände, die übrigens zum Teil auch schon Ofner in seiner Abhandlung anführt, hat dann auch Neuberg^ hingewiesen und im Einklang mit den Ergebnissen von Kontrollversuchen festgestellt, daß die Ein- deutigkeit der Methylphenylhj^drazinreaktion auf Ketosen auch ferner zu Recht besteht. Auch ich habe bei der im folgenden beschriebenen Arbeitsweise auf dem Objektträger in zahllosen Einzelversuchen mit reiner Glykose und Fruktose bei den ver- schiedensten Konzentrationsgraden stets nur bei letzterer einen positi ven Erfolg der Methylphenylhydrazinmethode, d.h.Osazon- bildung, feststellen können, während bei Glykose auch nach vielen Tagen lediglich ein undefinierbarer Sirup zu beobachten war. Zur Ausführung der Reaktion benützte ich Methylphenyl- hydrazinchlorhydrat und Natriumacetat, welche beide nach Senft's Angabe getrennt in käuflichem Glyzerin im Verhältnisse 1 : 10 aufgelöst und für sich in Stiftfläschchen aufbewahrt wurden. Die Auflösung der Base geht leicht in der Kälte vor sich und ist jedenfalls nach einigen Stunden Stehens und Durchschütteins vollendet. Die Lösung nimmt mit der Zeit dunkelrote Farbe an, soll aber keinen oder nur schwachen Geruch zeigen. Man vermeide es, die Auflösung durch Erwärmen zu beschleunigen, um eine etwaige Abspaltung von Phenylhydrazin zu vermeiden. Da in dem käuflichen Methylphenylhydrazin stets etwas Phenylhydrazin beigemengt zu sein pflegt, ist es empfehlenswert, sich die Base selbst darzustellen: Ein Gemisch - von 5 Teilen käuflichen Methylphenylnitrosamins und 10 Teilen Eisessig wird allmählich unter fortwährendem Umrühren in ein Gemenge von 35 Teilen Wasser und 20 Teilen Zinkstaub eingetragen, wobei man die Temperatur der Flüssigkeit durch sukzessiven Zusatz von 45 Teilen Eis auf 10 — 20° hält. 1 Ber. d. d. ehem. Ges., Bd. 37, Heft 17, p. 4616 (1904). 2 E. Fischer, Ann. d. Chemie 190, p. 153 (1877), 236, p. 198 (U H. Mayer, Analyse und Konstitutionsermittlung organ. Verbindungen, p. 417. Zuckernachweis in den Pllanzengeweben. 19 Nachdem das Gemisch unter öfterem Umrühren noch einige Stunden bei gewöhnhcher Temperatur gestanden, wird bis fast zum Sieden erhitzt, nach einiger Zeit heiß filtriert und der zurückbleibende Zinl\Staub mehrmals mit warmer stark verdünnter Salzsäure extrahiert, der Extrakt mit dem Filtrat vereinigt. Die Base wird warm durch einen sehr großen Über- schuß konzentrierter Natronlauge abgeschieden und das Öl in Äther aufgenommen. Nach Abdunsten des Äthers wird mit 40prozentiger Schwefelsäure 'versetzt, auf 0° abgekühlt und mit dem gleichen Volumen absoluten Alkohols verdünnt. Die abgeschiedene Kristallmasse wird m.it Alkohol gewaschen, abgepreßt und aus siedendem absoluten Alkohol umkristalli- siert. Das so gereinigte Sulfat wird durch konzentrierte Lauge zerlegt und die in Freiheit gesetzte Base im Vakuum destilliert. (S. P. 131° bei 35 wm.) Das so gewonnene reine Methylphenylhydrazin wird in möglichst wenig Äther gelöst und sodann sorgfältig von Wasser befreites Salzsäuregas darübergeleitet. Es muß ein Eintauchen der aus dem Salzsäure entwickelnden Kolben in das die ätherische Lösung enthaltende Gefäß führenden Röhre in die Ätherlösung vermieden werden, da sonst leicht Zurücksteigen erfolgt. Alsbald scheidet sich das Chlorhydrat als voluminöse weiße Kristallmasse ab, die rasch abgesaugt, mit Äther nach- gewaschen und getrocknet werden muß; sie wird bis zur Auflösung in Glyzerin zweckmäßig in einem blauen Glas- fläschchen mit eingeriebenem Stöpsel aufbewahrt. Man kann natürlich auch statt des Chlorh3^drats -f- Natriumacetat die freie Base verwenden, welche mit der für die Umsetzung zu essig- saurem Methylphenylhydrazin berechneten MengeöOprozentiger Essigsäure versetzt wurde, doch habe ich gefunden, daß die Resultate mit diesem Reagens nicht immer zufriedenstellend ausfielen, so daß ich in der Folge dem Methylphenylhydrazin- chlorhydrat den Vorzug gab; ich vermute, daß das NaCI, welches bei der Umsetzung des Chlorhydrats und Natrium- acetats entsteht, »aussalzend« wirkt und so die Entstehung des Osazons begünstigt. Ein Tropfen des in Glyzerin gelösten salzsauren Methjdphenylhydrazins wird auf dem Objektträger mit einem Tropfen des in Glyzerin gelösten Natriumacetats 2* 20 V. Gräfe, innig gemengt und dann die Schnitte eingelegt. Nachdem man dafür Sorge getragen hat, daß sie mit dem Reagens allseitig in Berührung getreten sind, wird mit dem Deckglas bedeckt und das eine Präparat bis auf weiteres bei Zimmertemperatur stehen ge- lassen, das andere am Wasserbade höchstens 10 Minuten erhitzt. Nach kürzerem oder längerem Stehen, je nach Konzen- tration, bei den kalt behandelten Präparaten oft erst nach 3 bis 4 Tagen, scheidet sich das Fruktosemethylphenylosazon ab. Die Form der Osazonkrista-lle ist recht verschieden, bald erscheinen sie als Garbenbündel von Kristallnadeln, bald als sternförmige Aggregate, dann wieder als Sphärite oder warzenförmig, sehr oft in gelappten oder strukturlosen Schollen. Ebenso wechselt die Farbe von hellgelb bis gelbrot und braun. In heißem Alkohol löslich, kristallisieren sie beim Verdunsten desselben in schönen Kristallbüscheln aus. Ebenso wie .Senft habe ich die Erfahrung gemacht, daß Zuckerlösungen respek- tive wasserreiche Gewebe, welche den Zucker in Lösung enthielten, viel schnellere und charakteristischere Osazonbildung ergaben als Zuckerkörnchen oder wasserarme Gewebe zucker- reicher Objekte. Um Objekte nacheinander auf Glykose, Fruktose. Saccha- rose und Maltose zu prüfen, ging ich folgendermaßen vor: Eine Serie von Schnitten wurde in der oben angegebenen Weise mit dem Methylphenylhydrazin-Reagens behandelt, eine Operation, die ich in Hinkunft der Kürze halber mit I bezeichnen werde, und zwar die eine Hälfte in der Kälte (la), die andere mit 10 A-linuten andauerndem Kochen am Wasserbade. Diese kurze Kochdauer führt, wie Parallelversuche mit reiner Saccha- rose ergeben haben, in der Regel noch nicht zur Inversion etwa vorhandenen Rohzuckers, doch ist es zweckmäßiger, die Er- wärmung im Brutofen bei zirka 40° durch mehrere Stunden vorzunehmen (IZ?). Ergab einer dieser Versuche das Auftreten von Osazonkristallen, so konnte auf das Vorhandensein von Fruktose geschlossen werden, da Glykose mit diesem Reagens nicht in Reaktion tritt, Rohrzucker aber bei richtig geleitetem, Prozeß noch nicht invertiert sein konnte. Eine zweite Serie von Schnitten desselben Objektes wurde mit dem Senft'schen Reagens ebenso in der Kälte (Ha) und Zuckenicachweis in den Pflanzengeweben. 21 Wärme (Üb) behandelt. Fiel die Reaktion positiv aus, so konnte sowohl Fruktose als auch Glykose die Ursache der Osazon- bildung sein; doch hatte schon der erste Versuch die An- oder Abwesenheit von Fruktose dargetan. Die Vornahme der Reak- tionen in der Kälte bezweckte, den Zucker, welcher in der Wärme aus den Zellen hinausdift'undiert, eventuell zum Teil im Gewebe beobachten zu können. Eine dritte Serie wurde mit dem Senft'schen Reagens 1 bis 1^/2 Stunden am kochenden Wasserbade erwärmt, wobei die Saccharose und zum Teil auch die Maltose durch die Ein- wirkung des Glyzerins^ invertiert wird (lil), was sich natürlich in einer bedeutenden Vermehrung der gebildeten Osazon- kristalle ausdrückt. War bloß oder vorwiegend Maltose vor- handen, welche in zwei Moleküle Gl^^kose zerfällt, so gibt Methylphenylhydrazin natürlich keine Vermehrung der Fruk- tose-Methylphenylosazone. Überdies bildet sich nach IV2 stün- diger Kochdauer und folgendem Erkalten (IV) das Maltose- phenylosazon, welches durch seine charakteristischen Formen — es kristallisiert in flachen, breiten Einzelnadeln, nie in Aggregaten- — leicht unter den übrigen Osazonen identifiziert werden kann. Sehr gute Resultate erhielt ich auch mittels der Invertinmethode ^, welche die Inversion des Zuckers ohne Anwendung von Hitze gestattet; das Verfahren wurde stets zur Kontrolle verwendet. Die Schnitte wurden nach Hof- meister's Vorschrift mit der Invertinlösung (Merck'sches Präparat) behandelt und dann erst der Phenylhydrazinreaktion unterworfen. Es sind folgende Objekte nach der beschriebenen Methode auf Glykose, Fruktose, Saccharose und Maltose untersucht worden: 1 Donath, Journ. f. prakt. Chemie, II, 49, 546, 556. 2 Rolfe und Haddock, American chemical Journal, 25, 1015; Fischer, Ber. d. d. ehem. Ges., 17, 579; 20, 821; Fischer und Tafel, eben- daselbst 20, 2566. •5 Czapek, Über die Leitungswege der org. Baustoffe im Pflanzenkörper. Diese Ber. CVI, I, März 1897; Hofmeister, Pringsheims Jahrb. für wiss. Botanik, Bd. 31, p. 688 (1897). 22 V. Gräfe, 1. Früchte. Birne (sehr zuckerreiche Spezies): Fruchtfleisch. \b zeigte schon nach zwei Stunden sehr reichHche Abscheidung von Sphäriten (Taf. I, 4). la ergab nach zwei Tagen schöne ver- zweigte Sterne (Taf. I, 5). IIa und b lieferten massenhafte Nadelbüschel. Nach Behandlung mit III war das ganze Präparat mit Osazonsphäriten erfüllt, welche einander in der Ausbildung gehemmt hatten. Auch Methylphenylhydrazin ergab nach dem Kochen am Wasserbad eine sehr reichliche Vermehrung der Methyl phenjiosazonbil düng. Es war also Fruktose, Dextrose und Saccharose vorhanden. Apfel: Nach la Methylphenylosazonkristalle in schönen Sternaggregaten (Taf. I, 1). II h Kristallbildung in stark ver- mehrtem Maß. Ebenso mit III nach der Inversion. Vorhanden: Fruktose, Dextrose, Saccharose. Rosine: Gab schon mit Ib und Üb ein solches Gewirr brauner Nadeln, daß eine etwaige Vermehrung der Kristall- bildung nach der Inversion nicht mehr konstatiert werden konnte. Tomate (Fruchtfleisch): Mit la nach 24 Stunden Reaktion, mit Ib nach etwa einer Stunde. Mit II ^7 und HZ» konnte eine Vermehrung der Kristallbildung nicht konstatiert werden. Wohl aber nach der Inversion mit III und ebenso nach Anwendung" derinvertinmethode. Vorhanden daher: Fruktose undSaccharose. Frucht des Johannisbrot baumes: Möglichst dünne Querschnitte durch die zähe Frucht ergaben nach Behandlung mit den Reagentien: Fruktose und Saccharose. Feige (getrocknet): Ein wenig von dem Fruchtfleisch wurde mit der Nadel herausgezupft und mit dem Reagens unter dem Deckglas zerquetscht. Die Kristalle sonderten sich in schollenförmigen Aggregaten besonders am Deckglasrande ab. Vorhanden: Fruktose, Saccharose, Dextrose (wahrscheinlich aus Invertzucker). 2. Blüten. Bassia latifoUa (Mohra): Die Untersuchung ergab sehr reichliches Vorhandensein von Dextrose, Fruktose (Invert- zucker), Saccharose. Zuckernachvveis in den Pflanzengeweben. 23 Tulpe: Quersclmitte durch den Blütenboden: la ergab erst nach vier Tagen, \b nach zehnstündiger Behandlung Ab- scheidung von feinen Nadeln und braunen Schollen, IIa und b wesentlich reichlichere Mengen von Sphäriten. Bei Behandlung mit III zeigten sich zahlreiche Osazonbüschel (Taf. I, 3) von hellgelber Farbe, mit Methylphenylhydrazin nach der Inversion große Sphärite (braun) (Taf. I, 7). Dextrose, Fruktose, Saccha- rose . Narzisse: Querschnitt durch den Blütenboden ergab nach Behandlung mit allen Reagentien Saccharose, Dextrose, aber keine Fruktose. Hyazinthe: Querschnitt durch den Blütenboden lieferte Saccharose, Dextrose und Fruktose. 3. Wurzeln. Beta vulgaris: la ergab nach einigen Tagen sehr reichliches Auftreten von Fruktose-Methylphenylosazonsternen im Paren- chym, und zwar desto reichlicher, je mehr gegen die Mitte zu der Schnitt geführt worden war. Nach der Inversion konnte daselbst auch der meiste Rohr- zucker nachgewiesen werden im Einklang mit den diesbezüg- lichen Untersuchungen Wiesner's.^ Die Gefäßwände färbten sich braun, ohne daß es jedoch dort zu einer Kristallaus- scheidung kam. Das Fruktoseosazon tritt hier in den ver- schiedenartigsten Formen auf, in verästelten Zweigen, die nicht selten zu sternförmigen Gebilden zusammentreten oder auch in feinen Nadeln, die stets die charakteristische braune Farbe zeigen. IIa ergab vermehrtes Auftreten von Osazonkristallen. Es konnte auf Saccharose, Fruktose und Dextrose geschlossen werden. Maltose fand sich in den Zuckerrüben, die mir zur Verfügung standen, nicht. Von besonderem Interesse war die individuelle Form, in welcher der Zucker beim Keimen und Treiben auftritt und wie dabei die einzelnen Zuckerarten ineinander übergehen. Einige 1 Öst.-ung. Zeitschrift für Zuckerindustrie und Landwirtschaft, 20, 850; Wiesner, Unters, über das Auftreten von Pektinkörpern in den Geweben der Runkeh-übe. Sitz. Ber. d. k. Akad., Wien, L, IL Abt., p. 442. 24 V. Gräfe, dieser Verhältnisse wurden bei den diesbezüglichen Prozessen an: Kartoffel, Allinm cepa, Gerste, Acer campestre und Brotissonetia papyrifera studiert. Kartoffel: Am 23. Dezember wurden zwei Knollen auf ihren Zuckergehalt untersucht. Die Zellen erwiesen sich mit Stärke vollgepfropft, ohne daß eine Zuckerreaktion hätte kon- statiert werden können. Beide wurden einer Temperatur von 0° C. durch 24 Stunden ausgesetzt und dann von neuem unter- sucht. Es erwies sich das Vorhandensein von Dextrose und Saccharose, doch konnte Fruktose nicht konstatiert werden. Die Knollen wurden nun im Dunkeln angetrieben. Am 10. Jänner wurden die ersten Sprosse untersucht und zeigten sehr reichliche Fruktose- und Dextrosebildung, weshalb das Saccha- rosevorkommen schwer zu konstatieren war. Nach der Inversion trat jedoch kaum eine Vermehrung der Osazonbildung ein. Sehr deutlich konnte jedoch Saccharose nachgewiesen werden, als die etiolierten Sprosse beiläufig Fingerlänge erreicht hatten. In Parallelversuchen wurde der Zuckergehalt der treibenden Knollen bestimmt. Es ließ sich in keinem Stadium der treibenden Knollen Dextrose^ oder Fruktose, sondern lediglich Saccharose nachweisen. Allmm cepa: Am 5. Dezember wurden die zum Treiben bestimmten Zwiebeln untersucht. In den Zwiebelschuppen fand sich reichliches Vorkommen von Dextrose. Fruktose war nicht vorhanden. Nach der Inversion war eine reichliche Vermehrung der Osazonkristalle (Taf. I, 8) zu beobachten, doch zeigte sich auch jetzt noch nicht das Vorhandensein von Fruktose. Obwohl auch Maltosazonbildung bei Behandlung mit IV nicht eintrat, konnte doch geschlossen werden, daß der invertierbare Zucker sicherlich nicht Rohrzucker (entsprechend einer alten An- gabe von E. Schultze)"^, wahrscheinlich aber Maltose war, welche zu Dextrose invertiert wurde. Anfang Jänner begann eine Zwiebel (aufgestellt an einem halbdunklen Ort) zu treiben. Die Untersuchung der noch nicht ergrünten Blätter ergab denselben Befund wie die der Zwiebel. Gegen Mitte 1 Wiesner, Öst.-ung. Zeitschr. f. Zuckerindustrie u. Landvv., XV'III, 409. •'■ Zit. bei C. Hofmeister, Pringsh. Jahrb. d. Bot., Bd. XXXI, 688 (1897). Zuckernachweis in den Pflanzengeweben. 2o Jänner, als die Blätter schon ziemlich groß und ergrünt waren, wurde eine Untersuchung von Zwiebel und Blatt vorgenommen. Die Zwiebel zeigte nunmehr Dextrose und Fruktose, nach der hiversion jedoch kaum eine Vermehrung der letzteren. Es mußte also ein Teil der Glykose sich in Fruktose umgelagert haben. Das junge Blatt wies Dextrose, Fruktose und Saccharose auf. Nachdem die Pflanzen ans Licht gestellt worden waren und starke grüne Blätter ausgebildet hatten, wurden diese untersucht. Die Chlorophyllkörner waren rostrot gefärbt. Der Querschnitt durch das Blatt ließ mit 11.^- nach etwa zwei Tagen schöne Nadelbüschel von Dextroseosazon, mit la charakteristische braune Büschel und Einzelnadeln von Fruk- tosemethylphenylosazon (Taf. II, 1) und eine reichliche Ver- mehrung beider nach der Inversion auf dem kochenden Wasser- bade erkennen (Taf. I, 6, und Taf II, 2). In Taf. I, Fig. 6, ist die Masse der in einem Stern vereinigten Kristallnadeln so groß, daß die ursprünglich hellbraune Farbe der Nadeln bräunlich-rot erscheint. Es sei hier bemerkt, daß man schon nach der Farbe das Dextrosephenylosazon und das Fruktosemethylphenyl- osazon unterscheiden kann. Ersteres ist stets gelb bis gelbbraun, letzteres bräunlich bis braunrot. Das gilt für die Ausscheidung unter normalen Verhältnissen. Nimmt man ein Umkristallisieren des gebildeten Osazons durch Auflösen in heißem Alkohol und Verdunstenlassen des Lösungsmittels vor, so erhält man aller- dings auch das Fruktosazon gelblich (Fig. 2 in Taf. I, während Fig. 1 und 5 nicht umkristallisierte Typen darstellen).^ In Fig. 2 der Taf. 11 liegen die Osazonsterne im ganzen Parenchym verstreut, während das Xylem frei ist, es muß jedoch erwähnt werden, daß dieselben bisweilen auch im Xylem zu beobachten waren (Taf. II, 3), doch ist es nicht ganz gewiß, ob dieser Umstand nicht bloß der Präparationsmethode zuzuschreiben ist. Regelmäßig aber erscheinen sie im Siebteile des Gefäßbündels. Gegen die Blattspitze nahm die Ausscheidung der Sphärite nach der Inversion am kochenden Wasserbade zu. Im grünen Blatt also war Dextrose, Fruktose und Saccharose, jedoch keine Maltose vorhanden. 1 Die feinere Nuancierung der Farben ließ sich leider durch den Druck nicht wiederareben. 26 V. Gräfe, Gerste; Schnitte durch das Endosperm des ruhenden Kornes ergaben beun Kochen am Wasserbade mit den Zucker- reagentien Goldgelbfärbung respektive Braunfärbung des Prä- parates, besonders dort, wo reichlich Stärke angehäuft lag; doch kam es selbst nach vielen Tagen nicht zu einer Osazonaus- scheidung. Es ist — das sei an dieser Stelle bemerkt — oft notwendig, das Objekt Wochen hindurch zu beobachten, denn es ist vorgekommen, daß sich eine Reaktion erst nach vielen Tagen zeigte und noch häufiger geschah es, daß noch nach Wochen eine fortwährende Vermehrung der Osazonbildung eintrat, z. B. beim Blatt von Allmm cepa, so daß das einmal festgehaltene Bild auch für die zeichnerische IJarstellung un- liebsame \'eränderungen bot. Nachdem die Gerstenkörner 24 Stunden in Wasser quellen gelassen worden waren, um zum Keimen gebracht zu werden, ergab IV das Auftreten von charakteristischen hellgelben Maltosazonsternen, wie sie Fig. 4 in Taf. II zeigt. Andere Zuckerarten ließen sich in diesem Stadium nicht nachweisen. Nach drei Tagen wurden die Keimlinge untersucht. I a und II a ergaben geringe Mengen von Dextrose und Fruktose. Nach der Inversion war auch Saccharose als Dextrose und mit IV sehr reichlich Maltose zu konstatieren. Fig. 5 auf Taf. II zeigt das Auftreten der Blättchen von Maltosazon in demselben Präparate neben den strahligen Gebilden von Dextrosephenylosazon, herrührend von der in- vertierten Saccharose. Im jungen Blatt endlich, besonders reichlich an Quer- und Längsschnitten der Blattscheide, konnte schon in der Kälte Fruktose und Glykose in ziemlich großer Menge nachgewiesen werden, Saccharose aber erst deutlich in einem späteren Stadium der Entwicklung. Maltose war in keinem Pralle vorhanden. Brotissonetia papyrifera: Eine eingetopfte, in Winter- ruhe befindliche Pflanze wurde gegen Mitte Dezember ins Warmhaus gestellt. Die Untersuchung, an Stamm- und Quer- schnitten durchgeführt, ergab nicht eine Spur von Zucker. Die verholzten Elemente färbten sich intensiv gelb. Die Proben wurden in Intervallen von fünf Tagen bis gegen Mitte Jänner wiederholt, ohne das Vorhandensein von Zucker zu zeigen. Um diese Zeit begann die Pllanze zu treiben. Querschnitte Zuckernachweis in den Pflanzengeweben. 27 durch die jungen Triebe zeigten, mit den Reagentien behandelt, sehr reichliches Vorhandensein von Fruktose, jedoch keine Dextrose und Saccharose. Erst in einem späteren Zeitpunkt war auch Dextrose deutlich nachzuweisen. Saccharose konnte ich nicht mit Sicherheit konstatieren. Wenn Rohrzucker vor- handen war, so war seine Quantität jedenfalls verschwindend. In den jungen Blättern war nur Dextrose und Fruktose, keine Saccharose vorhanden. Acer campestre: In der Winterruhe waren die Verhältnisse ganz analog wie bei Bronssonetia. Die jungen Triebe enthielten Dextrose und Fruktose, jedoch keine Saccharose. Diese letztere Zuckerart war jedoch schon nach weiteren acht Tagen in größerer Menge daselbst nachzuweisen. In den Blättern zeigte sich lediglich Dextrose und Fruktose, nicht aber Saccharose. Aus den beschriebenen Versuchen geht hervor, daß im Pflanzenreich die beiden Monosaccharide Dextrose und Lävulose in der Regel gemeinsam vorkommen. Saccharose tritt häufig, aber nicht immer, in ihrer Begleitung auf. Vielleicht sind in diesen Fällen die genannten Monosaccharide aus Rohr- zucker durch natürliche Inversion entstanden (Invertzucker). Bei Keimungsprozessen und beim Treiben tritt jedoch Saccha- rose regelmäßig erst in einem späteren Stadium der Ent- wicklung auf, ist also da offenbar erst durch Synthese ihrer Komponenten entstanden. Schließlich konnte auch in einem Fall gezeigt werden, daß sich in der Pflanze Dextrose in Fruktose umlagern kann, ein Prozeß, den ja bekanntlich Lobry de Bruyn in vitro vermittels sehr verdünnter Alkalien durchzuführen vermochte. Die Versuche, die individuelle F'orm des Zuckers bei verschiedenen Vorgängen im Leben des pflanzlichen Individuums festzustellen, werden fortgesetzt und solche bezüglich der Lokalisation des Zuckers angeschlossen. Meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Hofrat Prof. Dr. Julius Wiesner, sage ich an dieser Stelle für seine Ratschläge und vielfache Anregung meinen ergebensten Dank. 28 V. Gräfe, Zuckernachweis in den Pllanzengeweben. Erklärung der Tafeln. Tafel I. Fig. 1. Sternförmig angeordnete Nadeln des Erui^großen« Brennhaaren. Die »kleinen«, »ein- fachen« Brennhaare bestehen »aus einer einzigen haarförmigen Zelle, in deren Spitze, an Zellstoffbalken befestigt, ein pfriemen- artiger, nach oben nadelscharf zulaufender Kristall aus oxal- saurem Kalke hangt. An seinem unteren Ende besitzt er zwei bis drei kleine abgestumpfte Zacken. Sehr oft ist dieses ein- zellige Brennhaar an seinem unterem Teile bauchig erweitert.« Rittershausen erwähnt solche Brennhaare für die Gattungen Tragia, Cnesmone, Leptorliachis und Dalechampia und benützt das Vorkommen dieser Haare zur Sicherung der systematischen Stellung der letzterwähnten Gattung. Zuletzt wurden diese Brennhaare von So lere der untersucht, der zu den gleichen Resultaten kam wie Rittershausen. Die von letzterem gebotenen unklaren Abbildungen hat Solerede r durch deut- lichere ersetzt. Da diese Brennhaare einen so auffallenden Bau besitzen und die schon vorhandenen Angaben ziemlich unvollkommen sind, habe ich dieselben einer genauen Untersuchung unter- zogen. Die interessanten Ergebnisse derselben will ich der größeren Übersichtlichkeit wegen in zwei gesonderten Teilen darlegen. I. Bau und Funktion der Acalypheen-Brennhaare. (Hiezu Tafel I.) Meine über diesen Gegenstand gemachten Beobachtungen und Untersuchungen beziehen sich vor allem auf die im Gewächshause des hiesigen botanischen Gartens kultivierte Dalechampia Roezliana a rosea Müll. Arg., welche das ganze Jahr hindurch reichlich blüht und an den zarten, rosenrot gefärbten Hochblättern jene erwähnten Brennhaare stets in großer Anzahl hervorbringt. Schon bei schwächerer Vergrößerung sieht man die glas- hellen, mit stark reflektierenden glänzenden Außenwänden versehenen Haare längs des Blattrandes und an der Unterseite der Haupt- und Nebennerven. Die vollkommen entwickelten frischen Brennhaare zeigen uns, abgesehen von derBeschaffenheit Brennhaare von Euphorbiaceen. 31 des lebenden Protoplasten, nur sehr wenig. Weit besser lassen sich die Verhältnisse untersuchen, wenn das Material nach Fixierung mit Alkohol 24 Stunden in Eau de Javelle gelegt und nach dem Auswaschen mit Wasser etwa gleich lange Zeit mit zehnprozentiger Essigsäure nachbehandelt wird. Die meisten Details lassen sich an dem so vorbereiteten Materiale durch verschieden hohe Einstellung des Mikroskops ermitteln; für die feineren Untersuchungen ist die Benützung von Mikrotomschnitten erforderlich. Nach den von mir gefundenen Tatsachen kann der Bau eines normal entwickelten ausgewachsenen Brennhaares in Kürze folgendermaßen zusammengefaßt werden. D u r c h e i n e n S o c k e 1 von drei bis fünf hoch emporgehobenen Epidermis- zellen (ich nenne sie »Seitenzellen«, »Außenzellen«) zieht sich, etwas unter dem Niveau der Epidermisinnenwand beginnend, eine langgestreckte Zelle (»Zentralzelle«), welche mit ihrem zugespitzten Ende, das einen Kristall aus oxalsaurem Kalk enthält, weit über das Ende des Sockels emporragt. Fig. 5 der beiliegenden Tafel I gibt ein klares Bild dieser Verhältnisse bei der Gattung Dalechampia. Die Brennhaare von Tragia vohibilis Michx., welche mir nebst anderen Tragia-Arten in Herbarexemplaren vorlag, zeigen in den vorerwähnten Details das gleiche Ver- halten wie die von Dalechampia. Der Fehler aller bisherigen Beobachtungen besteht also vor allem darin, daß man von einer birnförmigen Zelle sprach, welche der mittleren Zelle des Sockels aufsitzen sollte, somit in der Annahme einer (in Wirklichkeit nicht vorhandenen) Scheidewand zwischen dem oberen und unteren Teil der Zentralzelle. Schon aus Fig. 10 und 11 der Arbeit Rittershausens ergibt sich, daß die beiden darauffolgenden Figuren 12 und 13 unrichtig sein müssen, wenn, wie schon dieser Autor selbst vermutet, die »großen« und »kleinen« Brennhaare nur als Entwicklungsstadien auf- zufassen sind. Die Zentralzelle ist die eigentliche Brennhaarzelle. Die Außenzellen bilden den dazugehörigen Hilfsapparat. Die Zentralzelle steckt mit dem etwas verdickten Fußteil zwischen dem subepidermalen Zellgewebe und ist innerhalb des Sockels 32 F. Knoll, SO außerordentlich dünnwandig, daß sie hier in den meisten Fällen ohne eine entsprechende Präparation überhaupt nicht sichtbar ist. Darauf hat schon Crüger hingewiesen. Dadurch ist auch erklärlich, daß Kohl nur von drei Sockelzellen spricht — die zentral gelegene Zelle ist ihm jedenfalls entgangen. Der- jenige Teil der Zentralzelle, welcher über die Seitenzellen hinausragt, zeigt unten eine sehr dicke Außenwand, welche dann rasch an Dicke abnimmt, in eine längere, sehr dünne Partie übergeht und an der Spitze des Haares mit einer kappen- artigen Verdickung endigt. Die Beschaffenheit dieser kappen- artigen Endverdickung wird später noch genauer dargelegt werden. An jener Stelle, wo die Zentralzelle den Sockel verläßt, zeigt sich, an Zellulosebalken aufgehangen, eine Kristalldruse, deren in der Richtung der Haarspitze gelegene Kristall auf Kosten der übrigen Kristallindividuen außerordentlich bevor- zugt ist. Während der das freie Ende der Zentralzelle durch- ziehende Kristall der Druse eine für die Stichfunktion ganz besonders günstige Beschaffenheit hat, sind die übrigen Kristalle meist nur als kleine Ecken oder Hervorragungen am unteren Ende des Spießkristalls ausgebildet (Fig. 15 und 17). Mitunter findet sich auch in entgegengesetzter Richtung ein mehr oder wenigei ausgebildeter, spießförrhiger Kristall ent- wickelt (Fig. 16). Der Hauptkristall zeigt an dem nach außen gewendeten Ende eine unter spitzem Winkel (zur Längsachse des Kristalls) gelegene Fläche (Fig. 17e). Die sehr großen Brennhaare von Tragia bicolor M i q. (= Tragia Miqiieliaua Müll. Arg.) aus Ostindien lassen die Beschaffenheit des Kristalls besonders gut erkennen. Bei Tragia zeigt sich am Kristall außerdem eine unter sehr spitzem Winkel verlaufende (rinnen- artige ?) Seitenfläche (Fig. 17 s), welche auch bei Dalechampia meist vorhanden ist, aber wegen der Kleinheit der Kristalle b^ dieser Gattung wenig auffällt. Die ganze Kristalldruse ist von einei- Zellulosehül' geschlossen, welche jedoch nicht überall die gleiche ^ weist. Besonders mächtig ist sie dort, wo die ^ -e durch Zellulosebalken in der Außenwand der 7 ver- ankert ist. Diese Verankerung erstreckt sich ,iampia Brennhaare von Euphorbiaceen. 33 auf die untere Hälfte, bei Tragia auf das untere Diittel des freien Endes der Zentralzelle. Der mittlere Teil des Spieß- kristalls wird von einer sehr dünnen, eng anliegenden Zellulose- schichte umhüllt, welche erst nach der Auflösung der Druse durch Salzsäure sichtbar gemacht werden kann (Pig. 5, 6 und 10). Bei Tragia Miqtieliana Müll, ist die Verankerung ent- sprechend der bedeutenden Größe der Brennhaare eine über- aus kräftige. Kristallhülle und Zellvvand sind durch dicke, deut- lich geschichtete Balken verbunden, welche öfters unterein- ander zu massiven Platten verschmelzen (Fig. 10, 11, 13). In manchen Fällen (Fig. 12) beobachtete ich solche Platten von besonderer Größe, welche dann nur einige wenige kleine Löcher aufzuweisen hatten. Vielleicht wurden durch ähnliche Bildungen die bisherigen Beobachter zur Annahme von Tüpfeln in der von ihnen gedachten unteren Brennhaarwand gebracht. Oft sieht man in den Zellulosebalken ein feines Lum.en (?), das sich in der Ouerschnittsansicht als Punkt darstellt. Jedenfalls hängt diese Bildung mit der Entstehungsweise der Balken an oder in Plasmafäden zusammen. Die Spitze des Spießkristalls steckt in einer etwas dickeren Hülle von Zellulose, welche ohne deutliche Grenze in die kappenförmige Verdickung der Brennhaarspitze übergeht. Die mit mäßig verdickten Außenwänden versehenen drei bis fünf Seitenzellen fixieren die Zenti'alzelle in der für die Brennhaarfunktion günstigsten Stellung. So stehen die Brenn- haare an den Hochblättern von Dalechainpia stets etwas schief von der Epidermis ab (Fig. 5), so daß sie nach außen gegen die Spitze des Blattes zu gerichtet sind. Die Cuticula, welche das ganze Brennhaar überzieht, ist bei Dalechainpia vollkommen glatt, während sie an den Seiten- zellen älterer Brennhaare von Tragia kurze strichförmige Skulpturen aufweist (Fig. 13). Im lebenden Zustande enthalten die Außenzellen der Dale- champia-BrennhsLare stets sehr viel Protoplasma. Doch fand ich den Plasmareichtum bei den von mir untersuchten Brennhaaren nicht überall gleich groß. Der Zellsaftraum ist oft auf eine oder mehrere Vakuolen reduziert, oft aber sehr groß und von körnchenreichen Plasmasträngen durchzogen. Die Zellkerne der Sitzb. d. mathem.-naturw. Kl.; CXIV. Bd., Abt. I. 3 34 F. Knoll, Seitenzellen sind häufig schon an dem lebenden Brennhaar zu erkennen; sie haben die Größe der in den Epidermiszellen vor- handenen Kerne und liegen meist der dünnen Innenwand der Außenzelle an. Der Zellkern der Zentralzelle ist größer als der- jenige der Seitenzellen und liegt in ausgewachsenen Brenn- haaren im oberen Teil in der Nähe der Kristalldruse (Fig. 9). Die Zentralzelle der Dalechampia-Brennhaa.ve enthält ebenfalls reichlich Protoplasma und, was sehr wichtig ist, große Mengen von Eiweißstoffen, welche im Zellsaft gelöst sind. Ameisensäure ist in der Zentralzelle (nach Ritters- hausen) nicht vorhanden. Jedenfalls deutet der große Eiweiß- gehalt der Zentralzelle auf eine Übereinstimmung mit den von Haberlandt untersuchten Brennhaaren und läßt vermuten, daß es sich wohl auch hier um die Absonderung eines ferment- oder enzymartigen Giftes handelt. Die Seitenzellen sind frei- von nachweisbaren Eiweißmengen. Bei längerem Liegen in absolutem Alkohol oder beim Kochen in Wasser bleiben die Seitenzellen vollkommen klar, während sich die Zentralzelle mit einem dichten undurchsichtigen Coagulum angefüllt hat, welches alle für Eiweiß charakteristischen Reaktionen zeigt. Außerdem enthalten die Zentralzellen bei Dalechampia meist eine Anzahl Stärkekörner, während bei Tragia vohihilis Michx. die Seitenzellen sehr viel Stärke aufweisen. Bei letzterer wird die Stärke vielleicht zum größeren Teil an Ort und Stelle gebildet, da Crüger in den lebenden Brennhaaren derselben Pflanze »viele grobe, weiße und grünliche Körner« im Plasma- strome sich bewegen sah. Wahrscheinlich wird die in den aus- gewachsenen Brennhaaren dieser Pflanze vorhandene Stärke bei der Giftbereitung aufgebraucht. Ich habe die in Rede stehenden Organe von Dalechampia als »Brennhaare« bezeichnet, obwohl sich niemand mit ihnen zu brennen vermochte. Rittershausen konnte sich an den in München kultivierten Exemplaren von Dalechampia nicht ver- letzen, auch konnte ich selbst an den hier vorhandenen lebenden Exemplaren nicht einmal bei der Berührung mit der sonst so empfindlichen Zungenspitze eine Schmerzempfindung wahr- nehmen. Ri tters hausen meint, daß es sich hier vielleicht um eine Kulturerscheinung handelt, so daß bei den in unseren Brennhaare der Euphorbiaceen. 35 Gewächshäusern kultivierten Dalechampia-Arten überhaupt kein Gift ausgebildet werde; ich halte es aber für wahrschein- licher, daß die Brennhaare dieser Pflanzengattung für den Menschen überhaupt unschädlich sind. Gegen welche Feinde sich aber die Dalechampia-Bvennha.a.re als nützlich erweisen, ließe sich nur in der Heimat der Pflanze, in Mexiko, genau fest- stellen. Soviel ist aber sicher, daß die ganz gleich gebauten Haare der Gattung Tragia auch den Menschen verletzen können. Müller Arg., welcher die Acalypheen in De Ca n do lies Pro- dromus bearbeitete, sagt daselbst, die Tragia -Arten seien » . . fru- tices vel suffrutices vel herbae .... saepissime urticarum more pilis plus minusve vehementer urentibus vestitae«. Frisches Material von Tragia ist leider nicht zu erhalten; ich mußte also trachten, mir am Herbarmateriale eine klare und möglichst sichere Vorstellung von der Funktion dieser Brenn- haare zu verschaffen. Ich ging dabei von dem Gedanken aus, daß Brennhaare, die ihren Zweck erfüllen sollen, ihr Gift in zweckmäßiger Weise in die vorerst geschaffene Wunde ent- leeren müssen. Wenn man z. B. an den bereits geöffneten Brenn- haaren von Urtica die verkieselte Spitze stets schief abgebrochen findet, so ist das eine Eigentümlichkeit, welche durch die ana- tomische Beschaffenheit derselben zu stände kommt und dem Zweckmässigkeitsprinzip vollkommen entspricht. Das durch Verkieselung steife Ende dringt leicht in die Haut ein, die Spitze bricht an der präformierten Stelle ab und das Gift fließt durch die schiefe Ausflußöffnung beim Zurückziehen des Haares in genügender Menge in die Wunde. Daß im Brennhaare der Acalypheen der Spießkristall ein überaus günstiges Werkzeug darstellt, um eine Wunde zu schaffen, geht aus Fig. 17 deutlich genug hervor. Ein Abbrechen der Brennhaarspitze zur Schaffung einer zweckmäßig gelegenen Ausflußöffnung ist schon deshalb ausgeschlossen, weil das unverdickte Ende der Zentralzelle eine überaus elastische Beschaffenheit der Wand besitzt. Davon kann man sich leicht überzeugen, wenn man an die Spitze eines solchen Brennhaares, das sich gerade im Gesichtsfeld des Mikroskops befindet, von der Seite her, also normal auf die Längsachse des Haares, mit einem Glasfaden stark genug anstößt. Wenn durch einen stärkeren Stoß der 3* 36 F. Knoll, Kristall entzweigebrochen ist, läßt sich dasjenige Ende des Haares, welches die Kristallspitze enthält, rechtwinkelig zur Seite biegen, um nach dem Zurückziehen des Glasfadens so- fort in die ursprünglich gestreckte Lage zurückzukehren. Die Membran zeigt an der umgebogenen Stelle dann nur selten Spuren der vorgenommenen Knickung. Wenn der Kristall hier tatsächlich als Stichwaffe dient, würde eine feste, spröde Beschaffenheit der Haarspitze ein Durchbohren der Membran durch die Kristallspitze erschweren oder ganz verhindern. Ich habe früher erwähnt, daß die Brennhaarspitze eine starke kappen- förmige Verdickung aufweist, welche mit dem oberen Teil der Kristallhülle verbunden ist. Diese Verdickung müßte, Vv^enn an ihr nicht ganz besondere Einrichtungen getroffen wären, der hindurchdringenden Kristallspitze einen ziemlich bedeutenden Widerstand entgegensetzen. Um uns über diese Einrichtungen zu orientieren, wählen wir wieder am besten die großen Brenn- haare von Tragia Miqtieliana Müll. An allen unverletzten Brennhaaren werden wir sofort sehen, daß die äußerste Kristall- spitze bis nahe an die Cuticula reicht (Fig. 14). Vollkommenen Aufschluß gewähren jene Brennhaare, welche den Kristall so orientiert zeigen, daß dessen Breitseite dem Beschauer zu- gekehrt ist (Fig. \A:b). Da zeigt sich denn, daß die ganze schräge Endfläche fast unmittelbar unter der Cuticula zu liegen kommt. Hier haben wir die für das Hindurchdringen des Kristalls präformierte Stelle. — Mit seinem breiten unteren Ende steckt der Spießkristall unbeweglich in der festen Zellulose\'er- ankerung, mit seinem oberen dünneren Ende in der Zellulose- kappe der Brennhaarspitze. Daraus geht hervor, daß der Kristall nur dann die Brennhaarspitze durchbohren kann, wenn ein Stoß annähernd in der Richtung der Brennhaarachse das Ende der Zentralzelle trifft. Die Zellwand wird an der verdünnten Stelle gesprengt, die Kristallhülle an der zarten, in Fig. lAa mit * bezeichneten Stelle zerrissen und das ganze dünnwandige Endstück der Kristallzelle kann nun unter der Führung der durchbohrten Zellulosekappe am entblößten Kristall zurück- geschoben werden (Fig. 18 und 19). Wenn der Turgor der Brennhaarzellen sich an der Entleerung des Giftes auch gar nicht beteiligt, so genügt die durch das Zusammenschieben Brennhaare der Euphorbiaceen. 37 der Membran des Zentralzellendes bewirkte Volumsver- minderung, um eine wirksame Menge der giftigen Substanz in die Wunde ausfließen zu lassen. Die durch diesen Vorgang bloßgelegte schiefe Endfläche des Spießkristalls bewirkt nun dasselbe wie die schief abgebrochene Spitze der Urtica-Brenn- haare. Mit der einmaligen Funktion ist der Zweck des Brenn- haares erfüllt; eine Regeneration findet nicht mehr statt. An den Brennhaaren von Tragia vohihilis Michx. bleibt das Ende der Zentralzelle oft am Kristall zurückgeschoben, wo es jedenfalls antrocknet. Bei Tragia Miqueliaiia Müll. Arg. sah ich nur sehr selten Stadien, wie ich sie für die vorerwähnte Art in Fig. 18 und 19 abgebildet habe, dagegen die Zellulosekappe in sehr vielen Fällen durchbohrt. Es scheint, daß sich in diesen Fällen die Membran infolge ihrer Elastizität nachträglich in die ursprüngliche Lage zurückbegeben hat. Kohl sagt über die Funktion der Brennhaare von Tragia vohihilis: »Unmittelbar an die Rhaphiden schließen sich in ihrer Wirkui^g als Schutzmittel die großen Kalkoxalatkristalle an, welche in den Brennhaaren einiger Pflanzen als Stichwaffen funktionieren Bei jeder unsanften Berührung der Haarspitze hohrt sich der Kristall durch die dünne Membran der Endzelle hindurch in die Haut ein und verursacht, in der Wunde stückweise stecken bleibend, ein unangenehmes Jucken. Noch ist es nicht bekannt, ob gleichzeitig ein flüssiges Gift vom Haare entleert wird.« Ich weiß nicht, ob Kohl diese Wahr- nehmung an sich selbst gemacht hat oder ob diese Äußerung nur eine Darlegung dafi^ir bietet, wne sich Kohl die Funktion der Brennhaare vorstellt. Ich halte es für möglich, daß mit- unter ein Stück des Kristalls in der Wunde stecken bleiben kann — ich glaube aber, daß das nur zufällig geschieht. Denn an den von mir untersuchten Brennhaaren der Tragia vohtbilis fand ich den Kristall fast immer unversehrt, trotzdem die meisten derselben geöffnet waren und die Endmembran der Zentralzelle oft bis zur Verankerung zurückgeschoben war. Wenn der Kristall abgebrochen war, fand ich stets die Zellhaut an der betreffenden Stelle durch- oder ganz weggerissen, was natürlich, da es sich um Herbarmaterial handelte, im 38 F. Knoll, getrockneten Zustand leicht geschehen sein konnte. — Jeden- falls bringen diese Brennhaare ein weiteres Argument für die von L. Lew in angenommene Bedeutung der Rhaphiden; denn auch hier schafft der spießförmige Kristall eine Wunde für ein in der Zelle vorhandenes Gift. Im übrigen unterscheiden sich die Rhaphiden wesentlich dadurch von dem Kristallapparat der Brennhaare, daß die Rhaphiden von allem Anfang an als voll- kommen ausgebildete, in Bündeln nebeneinander liegende Einzelkristalle entstehen, während der Spießkristall einer um- gebildeten Kristalldruse angehört. Ich muß hier noch einmal darauf zurückkommen, daß die Brennhaare von Dalechampia Roezliana Müll. Arg. nach meiner Ansicht für den Menschen unschädlich sind. Wenn diese Brennhaare eine fühlbare Wirkung hervorbringen sollen, muß der Spießkristall zuerst eine ausreichend große Ver- wundung zu Stande bringen können. Nun beträgt aber die Gesamtlänge des Kristalls hier im besten Falle nur 50[jl! Da das untere Ende noch in der dicken Zellulosehülle der Verankerung steckt, kann der Kristall, wenn die Zellwand möglichst weit zurückgeschoben wird, höchstens 20 [x tief in die Haut ein- dringen. Ferner dürfte der ganze Hilfsapparat zur Übertragung des Giftes bei Dalechampia viel zu schwach gebaut sein, um den ziemlich großen Widerstand zu überwinden, welchen die menschliche Haut der Verwundung entgegensetzt. Denn wenn man an einem lebenden Hochblatt von Dalechampia einige Male auf der Unterseite des Blattes mit dem Finger gegen die Basis streift und dann die dadurch vielfach deformierten Brennhaare untersucht, so findet man in vielen Fällen den Kristall entzwei- gebrochen in der Zentralzelle, oft aber auch unverletzt in den zwischen den Seitenzellen befindlichen Teil der Kristallzelle hinabgesunken. Leicht begreiflich erscheint es dagegen, daß sich mit den sehr spitzen, oft bis 170[x langen Kristallen von Tragia Miqueliana Müll. Arg. auch der Mensch hinreichend verletzen kann, zumal da der Spießkristall außerordentlich gut verankert ist. Wenn es auch, wie Haberlandt sagt, »in erster Linie auf den spezifischen Charakter und nicht auf die Quantität des ent- leerten Giftes ankommt«, so möchte ich doch der Vollständigkeit Brennhaare der Euphorbiaceen. 39 wegen einige Zahlen anführen, welche uns eine Vorstellung von den Dimensionen dieser Brennhaare ermöglichen. Die Größenverhältnisse sind ohnevveiters aus folgender Tabelle ersichtlich; jede Zeile repräsentiert das Ergebnis der Messungen an einem einzelnen Brennhaar. Bei Brennhaaren von Länge der Zentralzelle der Seitenzellen des Spießkristalls Dalechampia Roezliana^ Tragia vohtbilis Tragia Miqtteliana 26-6p. 30-4 38-0 152-Op. 159-6 171-0 418[x 437 17101JL 2812 3382 15-2 p. 15-2 19-0 102-6[x 125-4 114-0 342 iJ. 334,4 399 1900 [J. 2660 3230 ll-4[j. 11-4 19-0 41 •8h 45 6 53-2 95 [i. 140,6 114 152 |x 171 152 Fi.ir eine mittelgroße Zentralzelle von Dalechampia Roez- liana berechnete ich ein Volumen von 0-000009234 nim^, für eine solche von Tragia Miqiieliana ein Volumen von 1 Zum Vergleich sei erwähnt, daß die Epidermiszellen bei Dalechampia eine Höhe von 15-2 fx besitzen. 40 F. Knoll, Ö'00023nir>f; bei den Brennhaaren von Urtica beträgt der Gesamtinhalt der Brennhaarzelle im Mittel 0-007 bisO'008 mm^ (nach Haberlandt). Die im vorigen geschilderten Brennhaare finden sich bei den von mir untersuchten Arten von Tragia und Dalechampia besonders zahlreich in der Blütenregion und an jungen Laubsprossen, wo sie stets in der Gesellschaft mehr oder weniger langer unverzweigter einzelliger Haare vorkommen. Daraus geht hervor, daß jene Organe zum Schutze der sich e n t w i c k e 1 n d e n L a u b b 1 ä 1 1 e r u n d B 1 ü t e n t e i 1 e, ganz beson- ders aber der heranwachsenden Früchte dienen. Die zer- teilten Kelchblätter an den sich entwickelnden Früchten von Tragia Miqiieliaiia sind mit einem überaus dichten, verderben- drohenden Pelz von "dniui langen Brennhaaren versehen; bei Tragia volubilis ist die junge Frucht außen ganz von Brenn- haaren überzogen. Die Brennhaare finden sich außerdem noch an anderen Teilen dieser Pflanzen, wenn auch sehr ver- streut, so daß die Blütenregion dieser Gewächse die best- bewehrte Region der ganzen Pflanze darstellt. IL Die Entwicklungsgeschichte und Phylogenie der Acaly- pheen-Brennhaare. (Hiezu Tafel II.) Betrachtet man den auf Taf. I, Fig. 5, dargestellten Längs- schnitt durch ein erwachsenes Brennhaar von Dalechampia, so muß es auffallen, daß die Zentralzelle mit ihrem unteren Ende so tief unter das Niveau der inneren Ep id er mis- wände hinabreicht. Diese Tatsache kann auf zweifache Art zu Stande gekommen sein. Entweder entsteht die Zentralzelle aus einer Epidermiszelle, welche sich nach unten verlängert und zwischen die Zellen des unter der Epidermis gelegenen Gewebes hineinwächst, oder die Zentralzelle ist subepi- dermalen Ursprungs, durchdringt die Epidermis und wächst, gestützt von den mitwachsenden benachbarten Epidermiszellen (»Seitenzellen«) weit über die Außenfläche der Epi- dermis hinaus. Daß subepidermal gelegene Zellen tatsäch- lich imstande sind, durch gleitendes Wachstum bis in die Brennhaare der Euphorbiaceen. 41 Epidermis vorzudringen, hat W. Rothert für die Kristallzellen der Pontederiaceen und H. v. Guttenberg für Citrus nach- gewiesen. Ich habe schon früher mitgeteilt, daß sich die Zentraizellen der jungen Dalechampia-^\-&nnha.a.ve. durch einen bedeut-enden Gehalt an Stärke auszeichnen. Wir wollen diesen Umstand benützen, um die ersten Anfänge der Brennhaarbildung aus- findig zu machen. Junge Hochblätter xon Dalechampia werden zu diesem Zwecke in der im ersten Abschnitt dieser Arbeit angegebenen Weise mit Eau de Javelle und einer zehnprozen- tigen Essigsäure behandelt und auf einige Zeit in Jodwasser gelegt und in Jodglyzerin untersucht. Die Stärkekörner sind durch Eau de Ja\elle nicht gelöst worden und haben sich durch Jod schwarzblau gefärbt; der sonst sehr störende Protoplast dagegen ist ganz verschwunden und die Zellen sind dadurch vollkommen durchsichtig geworden. Wir untersuchen nun an den so präparierten jungen Hoch- blättern die Unterseite der Blattbasis und der Nerven, sowie den Blattrand. Bei entsprechender Einstellung finden wir bald subepidermal gelegene Zellen, welche sich von den benach- barten durch etwas geringere Größe und besonders durch den vorerwähnten Stärkereichtum auszeichnen. Eine solche Zelle zeigt uns Fig. 10 auf Taf. II. Sie liegt an der Grenze dreier Epidermiszellen, die Epidermis darüber zeigt noch nichts Auf- fallendes. In Fig. 9 dagegen hat sich die stärkeführende Zelle keilförmig nach oben verschmälert und ist gerade im Begriff, die beiden ober ihr liegenden Epidermiszellen auseinander zu drängen. Bald treten die Epidermiszellen etwas auseinander und die junge Zentralzelle tritt aus der Tiefe hervor. Sie ist entweder »zweischneidig« (Fig. 9, 11, 12) oder »dreischneidig« (Fig. 8a a, 10, 13), je nachdem das Hindurchdringen an der Grenze zweier oder dreier Epidermiszellen erfolgte. In manchen Fällen ist die Zentralzelle gezwungen, in schiefer Richtung empor zu wachsen; es bildet sich dann ein Buckel an der darüber liegenden Epidermiszelle (Fig. 8 a ß, 8 b). Wenn die Zentralzelle nach Art von Fig. 10 angelegt wird, dann ist ein Durchdringen leicht möglich; wenn aber die Anlage mitten unter eine größere Epidermiszelle zu liegen kommt, ist 42 F. Knoll, eine Weiterentwicklung entweder ausgeschlossen oder es tritt im richtigen Zeitpunkte eine Teilung der betreffenden Epidermiszelle ein. Solche Teilungen scheinen in der Tat sehr oft vorzukommen. Ein gutes Beispiel hiefür bietet Fig. 9, wo die Kontur der ursprünglichen Epidermiszelle noch deutlich sichtbar ist. Sehr auffallend ist es auch, daß die (im Verhältnis zur Größe der Epidermiszellen) ziemlich kleinen Zentralzellen- anlagen fast immer wie in Fig. 10 entstehen. Daß nicht jede beliebige, für ein Durchdringen der Epidermis günstig gelegene subepidermale Zelle zur Zentralzelle auswachsen kann, zeigt schon der Umstand, daß die dazu befähigten Zellen sehr plasma- und stärkereich sind und in kleinen Dimensionen ver- harren, während ihre Nachbarinnen oft schon sehr stark heran- gewachsen sind. Sie scheinen also gleichsam ihre ganze Ent- wicklungs- und Wachstumsfähigkeit für jenen Zeitpunkt zu sparen, der ihnen infolge günstiger Zellteilungen ein Durch- dringen der Epidermis ermöglicht. Vielleicht werden die Epi- dermiszellen durch die darunter liegenden Brennhaaranlagen zugleich in irgend welcher Weise veranlaßt, sich entsprechend zu teilen. — Fig. 13 zeigt (etwas schief von der Seite gesehen) ein an einem Blattnerv entstehendes Brennhaar, das in seinem oberen Teile bereits eine kleine Kristalldruse ausgebildet hat. Die Kristallindividuen sind aber noch vollkommen gleichartig; eine Andeutung des Spießkristalls ist noch nicht vorhanden. In diesem Stadium dürften bereits Zellulosebalken entwickelt sein, welche die Druse in ihrer Lage im oberen Teile der ganzen Zentralzelle festhalten. Wir wollen nun die in der Oberflächenansicht beobachteten Entwicklungsstadien auch am Blattquerschnitt betrachten. Die Figuren 1 bis 7 sind nach Mikrotomschnitten gezeichnet worden und sie geben uns in ihrer Reihenfolge von 1 bis 4 ein vollkommen klares Bild der sich entwickelnden Brennhaar- anlage. Fig. 1 zeigt uns eine Brennhaaranlage von einem etwa 1 mm langen Hochblatt von DaJechampia. Das Präparat ist mit Hämatoxylin gefärbt und zeigt vor allem den Plasma- und Stärkereichtum der jungen Zentralzelle. Auch sieht man ihre geringe Größe sehr deutlich an den benachbarten subepi- dermalen Zellen. Nach oben zu ist sie keilförmig zwischen zwei Brennhaaie der Euphorbiaceen. 43 Epidermiszellen eingedrungen und hat dieselben im unteren Teile schon weit auseinandergedrängt. Im oberen Teil der Epidermiszellen ist die Mittellamelle noch nicht gespalten. Fig. 2 zeigt uns eine Anlage, in welcher die künftige Zentral- zelle ihren ursprünglichen Platz zur Hälfte verlassen" und noch ein Drittel der Epidei-misdicl^e zu überwinden hat. In Fig. 3 — der Schnitt ist etwas seitlich geführt — hat die junge Zentralzelle die Außenfläche der Epidermis erreicht und die späteren Seitenzellen bereits mit emporgehoben. Fig. 4 zeigt zwei junge Brennhaare; bei ß, das ebenfalls einen etwas seitlich geführten Schnitt darstellt, ist bereits der Spießkristall aus- gebildet — der untere Teil der Kristalldruse ist beim Schneiden des Objektes weggebrochen. Die benachbarten Epidermis- zellen werden zu Seitenzellen; doch treten unterdessen noch Teilungen in den ersteren auf, so daß aus den ursprünglich »zweischneidigen« und »dreischneidigen« Zentralzellen meist vierseitige Brennhaare gebildet werden. Oft ist der Kristall- apparat einer Zentralzelle schon vollständig ausgebildet, die Seitenzellen sind jedoch noch nicht emporgehoben (Fig. 5 und 7); das sind die »kleinen Brennhaare« im Sinne Ritters- hausens. Meist tritt jedoch das Emporheben der Seitenzellen gleich nach dem Durchdringen der Epidermis ein (Fig. 4 und 6) und dann wachsen Seitenzelle und Zentralzelle gemeinsam in die Länge. Von dem Wachstum und der Gestalt der Seitenzellen wird nun die Richtung der Brennhaarspitze und der Habitus des ganzen Haares bestimmt. Wachsen die Seitenzellen gerade in die Länge, dann entstehen Brennhaare wie Fig. 1, Taf. I; wachsen sie aber spiralig, dann entstehen gedrehte Brennhaare wie Fig. 2, Taf. I. Das Aussehen jüngerer Brennhaare hängt auch davon ab, ob die Seitenzellen oben oder unten die größte Breite haben (Fig. 3 und 4, Taf. I). Öfters treten im Verlaufe der Seitenzellen Querwände auf, welche die normale Gestalt des Brennhaares nicht verändern. So sah ich an einem ausge- wachsenen Brennhaar jede Seitenzelle in drei gleich lange Teile geteilt. Fig. 1 der Taf. I zeigt links imten eine solche Querwand. Oft sind solche Querwände die Ursache von Miß- bildungen (Fig. 7, Taf. I). Eine interessante Mißbildung anderer Art ist in Fig. 8, Taf. I, abgebildet. Es ist dies ein vierseitiges 44 F. Knoll, Brennhaar mit zwei wohlausgebildeten Zentralzellen. Diese Bildung kam dadurch zustande, daß die Zentralzellen ent- weder in unmittelbarer Nachbarschaft angelegt wurden oder dadurch, daß sich eine Anlage ausnahmsweise geteilt hat. Die beiden Zentralzellen sind dann an derselben Stelle der Epi- dermis hindurchgedrungen und haben sich vier Epidermis- zellen für das gemeinsame Postament mit emporgenommen. Die im Vorigen gegebenen Details beziehen sich sämtlich Q.ui Dalechanipia RoezUana Müll. Arg. Für Tragia habe ich die Entwicklungsgeschichte nicht genauer untersucht; der vollkommen mit den Dalechampien übereinstimmende Bau der Brennhaare und das Vorkommen »großer« und »kleiner« Brennhaare bei Tragia berechtigt uns, auch für diese Gattung der Acalypheen die gleiche Entstehung der Brennhaare anzu- nehmen. Wie Rittershausen nachgewiesen hat, liegen in der Epidermis der Acalypheen-Blätter sehr oft Idioblaste, welche sich durch verschiedenartig ausgebildete Kristalldrusen, oft auch nebenbei durch eine von den Epidermiszellen verschiedene Form und Größe auszeichnen. Schon Rittershausen hat an verschiedenen Stellen seiner Arbeit auf einen phylogenetischen Zusammenhang dieser in der Epidermis liegenden Kristall- zellen und der Brennhaare hingewiesen. Doch wird die Phylo- genie dieser Gebilde erst durch die soeben dargelegte Ent- wicklungsgeschichte verständlich. Sehr wichtig ist es, daß in der Blattepidermis von Dale- champia RoezUana Mü.\\. A v g. ebenfalls Kristalldrusenzellen vorkommen. Ich konnte nachweisen, daß diese Zellen keine echten Epidermiszellen sind, sondern daß es sich auch hier um subepidermal entstandene Gebilde handelt. Fig. 16 zeigt eine solche in der Epidermis gelegene Zelle, welche ihren Ursprung kaum mehr erkennen läßt. Sie enthält eine nach allen Rich- tungen gleichmäßig ausgebildete Kalkoxalatdruse, welche von einer enganliegenden Zellulosehülle umgeben ist. Bei der in Fig. 15 dargestellten Zelle, deren subepidermale Entstehung man noch ganz deutlich erkennt, ist die Kristalldruse durch Salzsäure gelöst worden, so daß die Zellulosehülle nunmehr als unregelmäßig geformter Körper im Zellumen sichtbar ist. Brennhaare der Euphorbiaceen. 45 Von den zahlreichen subepidermal liegenden Drusenzellen, welche ich bei Daleckampia beobachtete, scheinen nur sehr wenige in die Epidermis emporzudringen. Doch besitzen diese Drusenzellen sehr häufig nach oben zu eine keilförmig ver- schmälerte Partie, welche sich, wie Fig. 14 zeigt, mehr, oder weniger weit zwischen die darüberliegenden Epidermiszellen einzwängt. Zwischen den subepidermal gelegenen und den epidermal gelegenen Drusenzellen finden sich in den Präparaten alle Übergänge. Von Daleckampia scandens ^ fallax Müll. Arg. erwähnt Rittershausen, daß neben Drusen »in den Epidermiszellen« auch große prismatische Einzelkristalle mit Neigung zur Zwillingsbildung vorkommen. Es ist klar, daß auch diese Kristallzellen wie wohl die meisten oder alle anderen Drusen- zellen der Acalypheen-Blätter subepidermalen Ursprungs sind, wenn sie zwischen den Epidermiszellen liegen. Einen wich- tigen Anhaltspunkt dafür bieten die von Ri ttershausen an vielen Stellen seiner Arbeit gemachten Bemerkungen, daß die in der Epidermis gelegenen Drusenzellen stets sehr weit ins Blattinnere hinabreichen. Dasselbe zeigt ein von Ritters- hausen gezeichneter Blattquerschnitc von Claoxylon. Die von demselben Autor entdeckten sternförmigen »Drusenhaare« der Blätter von Phikenetia (und FragariopsisJ sind, so merkwürdig es auch auf den ersten Blick erscheinen mag, jedenfalls auch subepidermalen Ursprungs. ^ 1 Nach Rittershausen bestehen diese »Drusenhaare« »aus papillös ent- wickelten Epidermiszellen, welche in ihrem Lumen eine dasselbe erfüllende Kristalldruse aus Kalziumoxalat enthalten, deren (3 bis 6) spitze Strahlen nach außen gerichtet sind und derart von der sehr dünnen Außenwand der papil- lösen Epidermiszelle eng umschlossen werden, daß das ganze Trichomgebilde ein sternhaarartiges Aussehen besitzt. Unter dieser Epidermiszelle liegt in der Regel eine ziemlich schmale lange Zelle, die tief in das Palisadengewebe ein- dringt.« Rittershausen hält diese Gebilde für eine Modifikation der kristall- führenden Brennhaare. — Ich glaube, daß Rittershausen bei der Betrach- tung dieser »Drusenhaare« denselben Fehler begangen hat wie bei der Unter- suchung der Brennhaare. Die »papillöse Epidermiszelle« und die unter ihr liegende »schmale, lange Zelle« entsprechen zusammen der Zentralzelle der Brennhaare, so daß auch hier die Zellulosehülle der Kristalldruse eine Zell- wand vorgetäuscht haben mußte. Natürlich konnte das mächtige Längenwachstum 46 F. KnoU, Mit Benützung der von Rittershausen angegebenen Details läßt sich die Umbildung der subepi dermalen Drusen- zellen zu typischen Brennhaaren von Tragia etc. in der folgen- den phylogenetischen Reihe übersichtlich zum Ausdruck bringen. I. Subepidermal entstandene Drusenzellen dringen zwischen die Epidermiszellen ein, ohne daß sich die Gestalt der ersteren und die gleichmäßige Ausbildung der Kristalldrusen viel verändert: Dalechampia etc. II. Die in die Epidermis vorgedrungenen Drusenzellen zeigen bereits eine ungleichmäßige Ausbildung der Kristalldrusen, indem sich die der Blattaußenseite zuge- wendeten Kristallindividuen stärker ausbilden. Die von der dünnen Außenwand der Zelle überzogenen längeren Kristalle ragen etwas über die Epidermisaußenfläche empor: Caperonia, A rgyro thamnia. III. Die subepidermal entstandenen Zellen dringen durch die Epidermis und bilden nun Kristalldrusen, deren nach außen gewendete Kristalle ganz besonders groß und lang werden. Die Außenwand der Drusenzelle ist sehr dünn, kann jedoch aus lokalmechanischen Gründen an einer bestimmten Stelle verdickt sein. aj Die Druse zeigt 3 bis 6 mächtige Spießkristalle ent- wickelt; die Außenwand ist der Zellulosehülle der Druse eng anliegend und wahrscheinlich mit ihr vielfach oder ganz verwachsen: »Drusenhaare« von Phikenetia (und Fragariopsis) oder: bj Die Druse zeigt nur einen Kristall besonders stark ausgebildet. Die dünne Außenwand der Zelle berührt den Spießkristall nur an der Spitze und ist hier etwas verdickt; ferner ist sie hier und im unteren Teil der Kristall- druse mit der Zellulosehülle der letzteren verbunden. der Kristallindividuen erst dann erfolgen, nachdem die Epidermis von der Drusenzelle vollkommen durchwachsen war. (Vergl. Rittershausen, Fig. 4 bis 6 und Solereder Fig. 180, R. S.) Brennhaare der Euphorbiaceen. 47 Durch starkes Längenwachstum der Drusenzelle und der benachbarten Epidermiszellen erhebt sich das ganze Ge- bilde weit über die Oberfläche des Blattes: Brennhaare von Dalechanipia, Tragia etc. Zum Schlüsse komme ich der angenehmen Pflicht nach, Herrn Prof. G. Haberlandt, unter dessen Leitung vorliegende Arbeit ausgeführt wurde, sowie Herrn Prof. E. Palla für die mannigfaltige Unterstützung und Anregung, die mir von ihnen während meiner Untersuchungen zukam, den besten Dank auszusprechen. Auch Herrn Prof. R. v. Wettstein in Wien fühle ich mich für die überaus bereitwillige Überlassung des nötigen Herbarmaterials zu großem Danke verpflichtet. Literatur. 1. Crüger Herrn., Westindische Fragmente (Beschluß). Botanische Zeitung, 13. Jahrg. 1855, Nr. 36, S. 618 f. 2. Kohl F. G., Anat. phys. Untersuchung der Kalksalze und Kieselsäure in der Pflanze. S. 164. Marburg 1889. 3. Weiß Ad., Die Pflanzenhaare. In »Karsten's Bot. Untersuchungen«, Band I. S. 464. Berlin 1867. 4. Rittershausen P., Anat. System. Untersuchung von Blatt und Axe der Acalypheen. Dissertation d. Univ. Erlangen. München 1892. 5. So lere der H., Systematische Anatomie der Dikotyledonen. S. 851 f. Stutt- gart 1899. 6. Haberlandt G., Zur Anatomie und Physiologie der pflanzlichen Brenn- haare. Sitzb. d. kais. Akad. d. Wiss. (math. naturw. Kl.) Bd. XCIII. Wien 1886. 7. Haberlandt G., Physiologische Pflanzenanatomie, 3. Aufl. Leipzig 1904. 8. Müller Joh. (argoviensis),Acalypheae in De Candolle, Prodromus syste- matis naturalis regni vegetabilis, pars XV, sectio posterior, Fase. II, p. 927. 9. Rothert W\, Die Kristallzellen der Pontederiaceen. Botan. Zeitung. 58. Jahrg. 1900. 10. Guttenberg H. v., Zur Entwicklungsgeschichte der Ki-istallzellen im Blatte von Citrus. Sitzb. d. kais. Akad. d. Wiss. (math. naturw. Kl.) Bd. CXI. Wien 1902. 11. Lewin L., Über die toxikologische Stellung der Rhaphiden. Ber. d. Deutschen Bot. Gesellschaft, Bd. 18. 1900. 48 F. Knoll, Tafelerklärung. Tafel I (Bau und Funktion der Brennhaare). iMg. 1 bis 4. Brennliaarformen in der Außenansiclit, 1 und 2 erwachsene Brenn- haare. Fig. 5. Optischer Längschnitt durch ein ausgewachsenes Brennhaar; 5 = Seiten- zelle, C =^ Zentralzelle. Fig. 6. Optischer Querschnitt durch ein ausgewachsenes Brennhaar, a in der Höhe der Kristalldruse, b nahe an der Basis. Fig. 7. Brennhaarabnormität. Fig. 8. Vierseitiges Brennhaar mit zwei Zentralzellen (Abnormität). Fig. 9. Oberes Ende der Zentralzelle, zeigt den Zellkern derselben. Fig. 10. Oberer Teil des Brennhaares im opt. Längsschnitt. Fig. 11 und 12. Verankerung der Kristalldruse (opt. Längschnitt). Fig. 13. Ansicht der Verankerung von außen. Fig. 14. Beschaffenheit der Brennhaarspitze; Ansicht derselben von drei Seiten (opt. Längschnitt), b in Profilansicht. Fig. 15 rt bis <^. Ausbildung der Kristalldruse an der Basis des Spießkristalls. Fig. 16. Kristallapparat mit zwei Spießkristallen. Fig. 17. Kristallapparat; 5 = Seitenfläche, e = schräge Endfläche. Fig. 18 und 19. Geöffnete Brennhaarspitzen. Die Figuren 1 bis 9, 15 und 16 beziehen sich auf Dalechampia Roezliana, Fig. 10 bis 14 auf Tragia Miqneliana, Fig. 17 bis 19 auf Tragia volitbilis. Tafel II (Entwicklungsgeschichte und Phylogenie). Fig. 1 bis 7. Entwicklungsstadien im Längschnitt (Erklärung im Text). Fig. 8 a. Epidermisaußenansicht mit jungen Brennhaarstadien. 8 b ist die Vergrößerung von 8 a ß. Fig. 9. Entwicklung einer »zweischneidigen« Zentralzelle, Flächenansicht der Epidermis. Fig 10. Entwicklung einer »dreischneidigen« Zentralzelle, Flächenansicht der Epidermis. Fig. 11. »Zweischneidige«, die Epidermis durchdringende Zentralzelle (von der Seite gesehen). Fig. 12. »Zweischneidige«, die Epidermis durchdringende Zentralzelle (von oben gesehen). Fig. 13. »Dreischneidige« Zentralzelle, schief von der Seite gesehen. Fig. 14 bis 16. Zellen mit allseitig ausgebildeten Kristalldrusen; in 14 noch unter der Epidermis liegend, in 15 und 16 bereits in die Epidermis vor- gedrungen. Alle Figuren beziehen sich auf Dalechampia Roezliana. Kl\oll,F.:l>iTTnilia;u'e iler Euphoriiiaceen . Tan. LiÜLAnst v.Th JtwmvHrfh,,W'n.i Sitztiug-sberichte d.kais. Akotl. d.Wiss, maüirualurw. Klasse, Bd. CXIV.Abt.M9()5. !vnoIl.F.:BreraAhaarc der Eiiphorbinceea. Taf.E. LiÜiJüist v.Th JtannwullOl Silzung-sberichte d.kais. Akad. d. Wüss.. math.-miüirw. Klasse, Bd. CSIV,jVbt.T.1905. SITZUNGSBERICHTE DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. MATHEMATISCH - NATURWISSENSCHAFTLICHE KLASSE. CXIV. BAND. IL HEFT. ABTEILUNG I. ENTHÄLT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER MINERALOGIE, KRISTALLOGRAPHIE, BOTANIK, PHYSIOLOGIE DER PFLANZEN, ZOOLOGIE, PALÄONTOLOGIE, GEOLOGIE, PHYSISCHEN GEOGRAPHIE UND REISEN. 51 Photometrisehe Untersuchungen über die Be- leuehtungsverhältnisse im Wasser (Ein Beitrag zur Hydrobiologie) Dr. Ludwig Linsbauer, k. k. Gymnasialprofessor in Wien. (Mit 1 Tafel und 2 Textfiguren.) (Vorgelegt in der Sitzung am 3. Februar ]905.) Das Studium der Lichtverhältnisse des Wassers nahm von rein praktischen Interessen der Schiffahrt seinen Ausgang. Bald nachdem die Physik sich des Gegenstandes bemächtigt hatte, wurden die Untersuchungen über Farbe und Durch- sichtigkeit auf exaktere Grundlagen gestellt und als interessantes Kapitel der Hydrographie behandelt. Noch größere Aufmerk- samkeit wurde den Lichtverhältnissen seitens der Biologen zu teil. Ich selbst wurde zu meinen eigenen Beobachtungen angeregt durch die von Wiesner ^ inaugurierte und so erfolg- reich angewendete Methode der »chemischen« Photometrie. Die Aufgabe, welche ich mir stellte, besteht nicht so sehr in der Ermittlung von bestimmten Zahlenwerten für die Licht- stärke im Wasser, etwa im Genauigkeitsausmaße exakter physikalischer Meßmethoden, als vielmehr in der Eruierung der- jenigen Beleuchtungsverhältnisse, welche an einem bestimmten Orte, z. B. an einem Algenstandpunkte tatsächlich zu messen sind. 1 »Photometrische Untersuchungen auf pflanzenphysiologischem Gebiete« [Sitzungsber. d. kais. Akad. d. Wissenschaften in Wien, 1893 — 1904] und »Untersuchungen über das photochemische Klima von Wien, Kairo und Buiten- zorg« [Denkschr. d. kais. Akad. d. Wissenschaften in Wien, 1896]. 4« 52 L. Linsbauer, In den folgenden Zeilen will ich neben einer kurzen Dar- stellung der bisher üblichen Untersuchungsmethoden namentlich die von mir vorgeschlagene Methode besprechen, meine Meß- apparate beschreiben und einige Ergebnisse mitteilen. Ich werde ferner nur die Verhältnisse der Lichtstärke näher besprechen, ohne die Farbenfrage ganz außer acht zu lassen. Die einfachste Tatsache, von der man ausgehen konnte, um über die Stärke der Beleuchtung im Wasser einigen Auf- schluß zu erhalten, sind die Durchsichtigkeitsverhältnisse des- selben. Von dem uralten und sozusagen primitiven Beobachtungs- faktum ausgehend, daß verschiedene Gewässer — Meere haupt- sächlich — einen differenten Grad von Transparenz aufweisen, dauerte es noch sehr lange bis zu einem weiteren Schritte, der eine vergleichsweise Schätzung dieser Verhältnisse an- bahnte. Es wurde hiezu die sogenannte »Senkscheibenmethode« erfunden, deren Prinzip höchst einfach war. Ein meist scheiben- förmiger Körper wurde allmählich im Wasser versenkt, bis er dem Auge unsichtbar wurde. Je nach dem untersuchten Gewässer, der Küstennähe oder -Ferne, der Wellenbewegung, der Farbe der Scheibe u. s. f. wurden auf diese Weise ver- schiedene »Sichttiefen« erreicht, welche zunächst ein Ausdruck für die herrschende Transparenz des Wassers waren, anderseits aber auch zu dem einfachen Schlüsse führten, daß ein Gewässer desto mehr von Licht durchstrahlt war, einen je höheren Betrag seine Sichttiefe erreichte. Als historisch sei angeführt, daß die ersten unvollkommenen Senk versuche von O. v. Kotzebue an Bord des Rurik 1817 angestellt wurden. Planmäßigere Beobachtungen in größerem Maßstabe stellten dann P. Secchi und Cioldi (1865), Wolf und Luksch (1880) an, während Aschenborn (1887) wohl die größte Beobachtungsreihe zu verdanken ist. Die größte Sichttiefe läßt sich nach Secchi zu 40 — 45 m annehmen. Diese Methode leidet an einer Anzahl von Mängeln, auf deren Besprechung ich hier nicht eingehe. Ich verweise bezüg- lich näherer Angaben auf die Ausführungen in den »Annalen der Hydrographie und maritimen Meteorologie«, XVII. Jahrgang, Beleuchtungsverhältnisse im Wasser. 53 Berlin 1889, welche eine übersichtliche Darstellung der ein- schlägigen Fragen namentlich auch in historischer Beziehung enthalten. Die Ergebnisse der Senkscheibenmethode befriedigten nicht und man suchte dem Problem auf andere Weise bei- zukommen. Die Methode der direkten Beobachtung der in einer bestimmten Wassertiefe herrschenden Lichtverhältnisse mit Hilfe des menschlichen Auges wurde meines Wissens nie in Anwendung gebracht (der Vorschlag dazu wurde von Halley gemacht) und die geringe Tiefe, bis zu welcher Taucher ein- zudringen vermögen, hätte auch keine Aussicht auf gründ- lichere Lösung der in Betracht kommenden Verhältnisse geboten. Da tauchte der Plan auf, den umgekehrten Weg ein- zuschlagen: Eine Lichtquelle zu versenken und das Ver- schwinden ihrer Sichtbarkeit von der Oberfläche des Wassers aus zu beobachten. Über die Untersuchungsergebnisse berichtete Soret in der Soc. phys. et d'histoire nat. de Geneve 1884 Folgendes: Die mit verschiedenen Lichtquellen erhaltenen Resultate ergaben natürlich untereinander abweichende absolute Werte, je nach der Lichtstärke der ersteren, und die beiden Experi- mentatoren lehnten es selbst ab, aus diesen vorläufigen Ver- suchen Schlüsse auf die Tiefe zu ziehen, in welche die Sonnen- strahlen in das Wasser eindringen können. Was aber an diesen Versuchen wertvoll ist, das ist das Auseinanderhalten von direktem und von diffusem Lichte und die Feststellung, daß das diffuse Licht sich in ungefähr doppelt so große Entfernungen ausbreitet, als diejenige ist, in welcher ein leuchtender Punkt, die Lichtquelle, dem Auge entschwindet. Denn auch dann, als der Lichtpunkt dem Auge entschwunden war, blieb das Wasser in der Umgebung der versenkten Lampe noch immer erhellt. Wenn auch eingewendet werden kann, daß bei den eben erwähnten Experimenten die Sachlage gegenüber den natürlichen Verhältnissen insoferne verändert ist, als dort das Licht aus dichteren in dünnere Schichten übertritt (höchst- wahrscheinlich läßt sich die daraus entspringende Differenz ganz vernachlässigen in Anbetracht der relativ geringen Tiefen, 54 L. Linsbauer, in welchen experimentiert wurde), so bleibt doch die prinzipiell wichtige Unterscheidung zwischen den beiden Beleuchtungs- formen, der direkten und der indirekten bestehen, und welche Bedeutung dem zukommt, geht aus zahlreichen Belegen in Wiesner's photometrischen Untersuchungen^ und Studien hervor. Abgesehen von der Verschiedenheit im physikalisch- optischen Verhalten, welche hier zunächst in Betracht kommt, sei schon jetzt auf die verschiedene Rolle der direkten und der diffusen Beleuchtung im Haushalte der pflanzlichen Organismen hingewiesen, welche der genannte Forscher zu wiederholten Malen erörtert und klargelegt hat. Man hat aber sehr bald ein ganz anderes Untersuchungs- prinzip in Anwendung gebracht, indem man die Reduktion von Silbersalzen durch das Licht, d. h. die dabei auftretende Schwärzung des chemischen Präparates als Maß für die Licht- stärke benützte. Indem man der Reihe nach Chlorsilberpapier, Bromsilberpapier, Bromsilber-Gelatineplatten verwendete, rückte die untere Grenze der Lichtwirkung immer tiefer hinab. Nach einem mißglückten Versuche der Challenger- Expedition war Forel der erste, der im Genfersee die neue Methode einführte, ihm folgten Fol und Sarasin, Apter, Luksch und andere, welche teils im Süßwasser, teils im Meere beobachteten. Bei allen diesen Versuchen handelte es sich zunächst um die Feststellung, wie weit das Licht in die Tiefen des Wassers eindringen könne, mit anderen Worten, bei welcher Grenze die sogenannte aphotische Region des Meeres ihren Anfang nehme. Die schon erwähnte Tatsache, daß je nach der Empfind- lichkeit des zur Bestimmung der Lichtstärke benützten photo- graphischen Präparates auch die erhaltenen Grenzwerte (im obigen Sinne) andere Zahlenverhältnisse repräsentieren, weist schon zur Genüge auf den problematischen Wert derartiger »Messungen« hin. Zur Illustration des Gesagten sei erwähnt, daß beispiels- weise Forel im Genfersee bei Anwendung von Chlorsilber- papier im Maximum bis 100 m, Fol und Sarasin ebenda bis rund gegen 200 m Schwärzung auftreten sahen, wenn sie mit 1 Siehe AnmerkunG; Seite 51. Beleuchtungsverhältnisse im Wasser. 55 Bromsilberplatten operierten. Noch weiter nach unten rückte Luksch^ diese Grenze, der im Mittelmeer bis 600 w vordringen konnte. Wie aus dieser kurzen Darstellung zu ersehen ist, bedeutet das Aufsuchen einer solchen unbestimmbaren Grenze eigentlich sehr wenig Gewinn. Es würde schon lohnender sein, sie aufzusuchen, wenn man damit die Grenze einer bestimmten Lichtintensität in einem vergleichbaren Maße ausgedrückt eruieren würde. Aber die gefundenen Tiefenwerte bedeuten so, wie sie gewonnen werden, nicht einmal so viel. Sie sind nicht mehr und nicht weniger als ein Ausdruck dafür, daß mit zunehmender Tiefe des Wassers die Lichtstärke innerhalb des- selben endlich soweit abnimmt, daß die angewendeten Chlor- silber- oder Bromsilberpräparate auf sie gar nicht mehr reagieren, da ihre (spezifisch so verschiedene) Empfindlichkeits- grenze erreicht ist. Alle Arten von Messungen sind erst dann verwertbar, wenn sie mit anderen verglichen werden können. Wohl haben einzelne Beobachter auch versucht, sich durch Vergleiche eine deutlichere Vorstellung von den im Wasser wirksamen Lichtstärken zu bilden. So haben sich beispielsweise Fol und Sarasin in einem Falle damit geholfen, daß sie das im Hafen von Villafranca bei 390 in Tiefe gefundene Licht seinem Schwärzungseffekt nach für schwächer als das einer hellen, mondscheinlosen Nacht erklärten, eine an sich ziemlich anschauliche Vergleichsmethode, die aber für längere Beob- achtungsreihen und Abstufungen des Schwärzungsgrades ihre Brauchbarkeit sehr bald verliert. Gar keine Vorstellung aber läßt sich mit einer willkürlich aufgestellten Schwärzungsskala verbinden, deren Glieder durch Ausdrücke, wie: Lichteindruck sehr schwach, schwach, stärker, sehr stark u. s. f. bezeichnet werden. Gleichwohl hat man auch dieses Auskunftsmittel in Anwendung gebracht. Es soll mit den vorhergehenden Worten nicht gesagt sein, daß nicht auch diese Form zu anschau- licher Darstellung benützt werden könnte; nur wird sie dazu erst geeignet sein, bis die Vergleichsskala nach irgend einer 1 Denkschr. d. kais. Akad. d. Wissenschaften in Wien, LXIX (1901). 56 L. Linsbauer, brauchbaren Einheit geeicht ist, was die Beobachter meines Wissens bis jetzt nicht getan haben. Ich will nicht unerwähnt lassen, daß es auch nicht an dem Versuche gefehlt hat, die Lichtstärke im Wasser a priori nach einer bestimmten Formel auszurechnen. Hüfner hat es so gemacht. Wie weit die theoretische Richtigkeit derart errechneter Werte von der Wirklichkeit abweicht, muß und kann natürlich erst die Beobachtung an Ort und Stelle ergeben. Die Methoden, sich einen Einblick in die Licht- und also auch in die Farbenverhältnisse des Wassers zu verschaffen, sind mit den aufgezählten nicht erschöpft. Seit langer Zeit schon haben die Biologen, als am meisten daran beteiligt, sich an die Aufhellung der hiehergehörigen Probleme gemacht und aus ihren Beobachtungen die entsprechenden Schlüsse gezogen. Dabei hat man meist weniger die Lichtstärke als vielmehr die qualitative Seite der Frage, nämlich die Wellenlänge des durch- gelassenen Lichtes als Ausdruck der Lichtfarbe im Auge gehabt. Es ist hier nicht beabsichtigt, über diese Verhältnisse zu sprechen. Weit weniger sicher als die Schlüsse oder, für viele Fälle zutreffender, Spekulationen über die Licht- qualität sind diejenigen, aus gewissen biologischen Tatsachen gezogenen Folgerungen, welche die Intensität des Lichtes im Wasser auf diese indirekte, so vielfachen Irrungsmöglichkeiten ausgesetzte Art zu eruieren trachten. Ich erwähne beispiels- halber eine Beobachtung Berthold's. Bei seinen Algenstudien sah der Genannte im Meere von Capri an gewissen Algen pathologische Erscheinungen, Ausbleichungsvorgänge, ein- treten, welche er mit anscheinend gleichen Veränderungen, welche durch direktes Sonnenlicht hervorgerufen werden, ohne weiteres identifizierte. Er schloß daraus, daß bei Capri in einer Meerestiefe von etwa 70 — 80 m, in welcher er das Ausbleichen beobachtete, eine noch sehr intensive Lichtwirkung vorhanden sein müsse. Eine Überlegung anderer Art veranlaßte Kny zu einem originellen Vorschlage. Er wollte zunächst die größte Tiefe ermitteln, in welche Lichtstrahlen in das Wasser einzudringen vermögen; wichtiger aber ist, daß er zu diesem Zwecke die stärker und die schwächer brechbare Hälfte getrennt unter- Beleuchtungsverhältnisse im Wasser. 57 suchen wollte. Erstere sollte mit Hilfe eines photographischen Papieres gemessen werden. Zur Ermittlung der Intensität der letzteren aber schlug er vor, eine Wasserpflanze in einem luft- dicht schließenden Gefäße gleichzeitig mitzuversenken, und zwar unter vollständigem Lichtabschlusse. Erst in der gewünsch- ten Tiefe wäre die Pflanze und das Papier eine Zeit lang dem Lichte zu exponieren. Schwärzung des Papieres würde dann die Gegenwart (und Stärke) der kurzwelligen Strahlen angeben, während die Änderung des Kohlendioxyd-, beziehungsweise auch des Sauerstoffgehaltes des vorher daraufhin genau unter- suchten Vegetationswassers auf die etwaige Anwesenheit assimilatorisch wirksamer Strahlen hinwiese. Manche, die sich mit algenbiologischen Fragen beschäf- tigten, machten ebenfalls die Assimilationstätigkeit dieser Organismen, als vom Lichte bestimmter Brechbarkeit und Intensität abhängigen Prozeß, zum Ausgangspunkt für Speku- lationen über beide Seiten der in Rede stehenden Frage nach den Lichtverhältnissen des Wassers, nämlich nach der quali- tativen und quantitativen Seite hin. Ich will darauf nicht näher eingehen, da die betreffenden Forscher nicht wie Kny bis zum Experimente gelangten und möchte hier auf meine Dar- stellung dieser Verhältnisse verweisen ^ Ich habe die Absicht, ebenfalls mit Hilfe photographischer Präparate die Lichtstärke und -färbe des Wassers zu prüfen. Es kommt mir nicht sowohl auf die »untere Grenze des Lichtes« an, welche biologisch lange nicht die Bedeutung hat, die man ihr anfangs wohl zuschrieb. Für die Tiefenverbreitung der vom Lichte abhängigen Wasserorganismen, insbesondere für die Lebenstätigkeit der assimilierenden Pflanzen, ist gewiß schon weit früher eine untere Grenze des Funktionierens eingetreten. Und im allgemeinen läßt sich wohl der Satz aussprechen, daß schon oberhalb des physikalischen Nullpunktes des Lichtes bereits das Minimum der vom Lichte abhängigen physio- logischen Prozesse eingetreten ist, wobei natürlich zu beachten ist, daß dieser «Schwellenwert« des Lichtes keineswegs bei 1 Die Lichtverhältnisse des Wassers etc. [Naturwissenschaft!. Wochen- schrift, XIII.] (1898). 58 L. Linsbauer, allen Lebensvorgängen, noch weniger bei den verschiedenen Organismenarten ein und derselbe ist. Wichtiger ist zweifellos die Konstatierung der spektralen Zusammensetzung und Stärke des Lichtes in bestimmten Tiefen. Auch hier kann ich auf meine frühere Darstellung dieser Sachlage^ hinweisen. Mein Plan ist im Prinzipe der, mit hochempfindlichen Silbersalzen — photographischen Films — welche in beliebiger Tiefe eine bestimmte Zeit hindurch dem Lichte ausgesetzt werden, in vergleichenden Maßangaben die Lichtintensität zu ermitteln. Da aber bei dem Eindringen der Lichtstrahlen in das Wasser mit der Abschwächung gleich- zeitig eine spektrale Zerlegung desselben erfolgt, so ist es nötig, zur Intensitätsbestimmung nur möglichst monochro- matisches Licht zuzulassen und für dieses Licht die photo- graphische Schichte zu sensibilisieren. Die schon oben erwähnte theoretische Berechnung der Intensitätswerte, sowie die im Laboratorium ermittelte Größe des Absorptionskoeffizienten des Wassers müssen erst am Beobachtungsorte durch den der Berechnung sich entziehenden Einfluß verschiedenartiger Faktoren auf ihren faktischen Wert reduziert werden. Ich habe mich selbst bemüht, einen Apparat zu kon- struieren, der geeignet wäre, Lichtmessungen in verschiedenen Wassertiefen auszuführen. Da ich ihn für größere Tiefen bestimmt hatte, kamen bei der Ausführung namentlich zwei Punkte in Betracht. Einmal mußte er geeignet sein, einen größeren Wasserdruck zu ertragen und aus diesem Grunde, da seine Oberfläche — wie aus den folgenden Ausführungen erhellen wird — relativ groß war, mußte eine besondere Solidität des Apparates angestrebt werden. Am einfachsten schien es, die Wandstärke entsprechend groß zu wählen. Eine weitere Aufgabe bestand darin, einen nicht nur licht-, sondern auch wasserdichten Verschluß herzustellen. Derselbe wurde anfangs dadurch zu erreichen versucht, daß der Deckel mittels Schraubengewindes auf das übrige Gehäuse aufzuschrauben 1 Vorschlag einer verbesserten Methode zur Bestimmung der Lichtverhält- nisse im Wasser. (Verhandl. d. k. k. zool. bot. Gesellschaft in Wien, 1895.) Beleuchtungsverhältnisse im Wasser. 59 war. Da diese Befestigungsweise den Anforderungen nicht entsprach, wurde dieselbe später dahin abgeändert, daß der Deckel mit Hilfe mehrerer Schrauben auf dem aufmontierten vorspringenden Rand des Gehäuses befestigt wurde. Auf welche Weise die Lichtdichtigkeit der ganzen Vorrichtung hergestellt wurde, ist den Details der folgenden Einzelbeschrei- bung zu entnehmen. Das Hauptprinzip aber, das der Konstruktion als Aufgabe zu Grunde gelegt wurde, bestand darin, daß es möglich sein sollte, mit dem einmal vorbereiteten Apparate mehrere Messun- gen unmittelbar hintereinander auszuführen, da das ziemliche Gewicht des Apparates, sowie das Versenken in größere Tiefen ein jedesmaliges Einholen und wieder Hinablassen nach jeder Einzelbeobachtung als unpraktisch ausschlössen. Die Exposi- tion der photographischen Präparate innerhalb der Dose mußte nun, das war eine weitere Bedingung, in beliebiger Wasser- tiefe beliebig lange Zeit vorgenommen werden können; zu diesem Zwecke wurde die vom Boote leicht und sicher zu handhabende elektrische Auslösung in Anwendung gebracht. Nach dieser Vorausschickung des Konstruktionsprinzips gebe ich nun die Detailbeschreibung. Die Form des Apparates ist die einer flachen Dose. Ihre Wandstärke im Betrage von etwa 1 an ist eine Gewähr für große Widerstandskraft gegenüber dem Wasserdrucke und ermöglicht ferner ein rasches Versenken im Wasser. Der Dosen- durchmesser beträgt im Lichten I9cm, die innere Höhe der- selben 8 cfw. Der äußere Durchmesser der Dose mißt 21 cm, der Deckel ist 23 cm breit, springt also über das Dosengehäuse vor, dessen Gesamthöhe inklusive Deckel sich zu etwa 10 cm bestimmt. Der Apparat, dessen Gehäuse aus Bronzeguß her- gestellt und innen geschwärzt ist, erreicht ein Gewicht von 20 kg. Einen Zentimeter unterhalb der Mündung des Gehäuses verläuft rings um dasselbe ein 2Y2 ^*^ breiter Rand, welcher in gleichen Abständen acht Löcher besitzt. Auch vom Deckel springt ein solcher Rand vor, der mit korrespondierenden Löchern versehen ist. Hindurch gesteckte Schrauben mit Flügel- muttern gestatten ein festes Zusammenschrauben von Deckel und Dose, zwischen welchen ein Kautschukring eingelegt ist. 60 L. Linsbauer, um den Apparat gegen das Eindringen des Wassers abzu- dichten. Der Deckel trägt nun den ganzen Bewegungs-, d. h. Expositionsmechanismus. Derselbe besteht aus zwei Haupt- teilen: Der eine bewirkt die Umdrehung einer Achse, an welcher ein Träger zur Aufnahme der lichtempfindlichen Schichte (Platte, Papier etc.) befestigt ist, der zweite reguliert die Bewegung, welche er teils auslöst, teils arretiert. Die Drehungsachse, welche zentral v^om Deckel in das Doseninnere vorspringt, hat das eine Widerlager im Deckel selbst; das andere wird dadurch Fi.ir. 1 . Großer Apparat. (Vgl. auch die Tafelerklärung.) A Gehäuse; auf dasselbe ist umgekehrt aufgelegt: A' Der Deckel mit seinem Mechanismus. B Träger der .\nker- und Scheibenachse. C Elektromagnet. D Anker desselben. F Scheibenachse, mittels am Grunde angebrachter starker Feder drehbar. G Zahnrad. J Metallscheibe, auf welcher die die photographischen Papiere tragende und mit sechs Ausschnitten versehene Kreisscheibe K aufgeschraubt wird. Durch den darüber befestigten Stern L werden die Papiere niedergehalten. N Lichteinlaßöffnung. Beleuchtungsverhältnisse im Wasser. 61 gebildet, daß die Achse durch eine Kreisöffnung eines Metall- trägers hindurchgeht. Diese Bevvegungsvorrichtung wird durch eine kräftige Spiralfeder, welche am Deckel befestigt ist, auf- gezogen. In der Nähe des zweiten Widerlagers trägt die Achse ein Zahnrad. In dieses greifen die Metallschenkel eines Winkels als Sperrhaken, miteinander abwechselnd, ein. Die Auslösung sowie die Arretierung erfolgt durch einen Elektro- magnet. Seine beiden Spulen sind ebenfalls auf dem Deckel aufmontiert. Die Leitungsdrähte führen durch denselben hin- durch und setzen sich in ein Kabel fort. Wird der Strom geschlossen, so wird durch den Anker des Elektromagnets, welcher mit dem Sperrhakenpaare in fester Verbindung steht, dieses in der Art bewegt, daß der eine Sperrhaken, welcher während der Stromlosigkeit die Drehung der Achse verhindert, zurückgezogen wird, gleichzeitig aber der zweite Sperrhaken in das Zahnrad eingreift, so daß also an der Achse keine Bewegung erfolgt. Wenn man jetzt den Strom öffnet, so wird durch eine Feder mit dem Anker der zweite Sperrhaken zurückgezogen, die Achse dreht sich ein Stück weiter, aber schon greift der erste Haken in den nächstfolgenden Zahn ein und hemmt so die weitere Drehung. Dieses abwechselnde Spiel der Arretierung kann sechsmal hintereinander ausgelöst werden. Es erübrigt noch, die Exposition zu besprechen. Unter dem Zahnrade trägt die Achse eine fixe, kleine Metallplatte. An diese wird ein kreisförmiges, in der Mitte durchlochtes Blech angeschraubt, das sich also gleichzeitig mit der Achse dreht. An diesem Bleche sind in gleichen Abständen sechs Ausschnitte angebracht, welche die Gestalt von Rechtecken besitzen, 2^l^c'm breit und Sow lang sind. Die Lichteinlaß- öffnung ist im Deckel exzentrisch angebracht und durch eine starke Glasplatte verschlossen. Sie hat Acm Durchmesser und wird im Innern des Apparates von vier senkrechten Wänden begrenzt, welche eine Art Dunkelkammer vorstellen. Das durch den Deckel einfallende Licht kann demnach nicht seitlich in den Apparat entweichen, sondern nur durch die untere, recht- eckige Öffnung dieses Aufsatzes. Dieser hat eine Höhe von einigen Zentimetern, um in seinem Innern Gefäße mit absor- bierenden Flüssigkeiten aufzunehmen, welche nur spektro- 62 L. Linsbauer, skopisch bestimmtes Licht durchzulassen haben. Damit diese Gefäße leicht eingesetzt werden können, hat der Ausfsatz eine Seitenwand, welche zu öffnen ist. Das durchgegangene Licht wird abermals vor seitlichem Ausstrahlen dadurch geschützt, daß die rechteckige Austrittstelle, welche dieselben Dimen- sionen wie die Scheibenausschnitte besitzt, mit einem etwas vorspringenden Streifen weichen, schwarzen Tuches umgeben ist, welches auf der großen Metallscheibe aufschleift. Die Abmessungen dieser Scheibe sind so gewählt, daß, je nachdem der Strom geschtossen oder geöffnet ist, vor der Lichteintritt- stelle abwechselnd sich ein Ausschnitt oder ein volles Scheiben- segment vorschiebt und hier bis zur nächsten Exposition stehen bleibt. Im ersteren Falle wird das photographische Papier etc., welches auf der Unterseite der Scheibe dieser angedrückt und durch eine aufschraubbare Spange festgehalten wird, beliebig lange dem Lichte exponiert, worauf ein undurchsichtiges Segment die Einlaßöffnung wiederum, bis zur nächsten Expo- sition, verschließt. Als Stromquelle dienten drei Siemens'sche Trockenelemente, System Obach, Type C. Zum Tragen des Apparates wurde ein starkes Hanfseil in Anwendung gebracht, welches an drei in den Deckel des Apparates eingelassenen Ringen befestigt war. ^ Für geringere Tiefen konstruierte ich einen einfacheren, handlicheren Apparat. Derselbe besteht aus einem vierseitig prismatischen Blechgehäuse von etwa 7Y2 cm Seitenlänge, dem nach unten zu eine vierseitige Pyramide von 7 cm Höhe aufgesetzt ist. Der Zweck dieser Zuspitzung ist das schnelle Untersinken des Apparates. Dieses wird noch dadurch beschleu- nigt, daß im Innern der Pyramide ein entsprechend geformter Bleikörper den Spitzenraum ausfüllt. Außerdem wird dadurch das aufrecht stabile Schwimmen der ganzen Vorrichtung gewährleistet. An jeder der vier Seitenflächen der Pyramide befindet sich je ein Loch, das außen von einem kleinen Blech- dache überwölbt ist, dessen Öffnung nach unten gerichtet ist. Dadurch kann das Wasser leichter in das Innere des Apparates, 1 Der Apparat kann auch zur Messung des Unterlichtes verwendet werden, wenn man das Tragseil an drei Ringen der Bodenfläche befestigt. Beleuchtungsverhältnisse im Wasser. 63 dessen Gewicht erhöhend, eindringen, ohne daß zuviel Außen- licht in den inneren Hohlraum gelangte; um auch diese geringe Lichtmenge noch weiter möglichst unschädlich und in ihrer tatsächlichen Wirkung ganz bedeutungslos zu machen, ist im Innern des Apparates, da, wo das Prisma in die Pyramide übergeht, ein dünnes Blech mittels federnden Metalldrahtes festgeklemmt. Dieses Blech besitzt nur in der Mitte eine kleine Öffnung, durch welche die im unteren Teile der Hohlpyramide Fi£ Kleiner Apparat. A Gehäuse. B Großer Deckel. C Ring zur Aufnahme der Öffnungsschnur. D Führung für die Öffnungsschnur. E Schwerer Würfel mit den beiden Dosen F und F. G Kleiner Deckel mit Äquilibriervorrichtung H. J Feder, um beim Herabsinken des Würfels (£) den kleinen Deckel (G) abwärts zu drücken und zu schließen. K Wassereinlaßöffnungen. 64 L. Linsbauer, durch das eindringende Wasser zusammengepreßte Luft nach oben und weiterhin durch den Deckel nach außen entweichen kann. An beiden Seitenwänden des prismatischen Teiles sind kurze Arme angebracht, welche an ihrem oberen Ende in Ösen umgebogen sind und zur Aufnahme der Karabiner der beiden Tragschnüre dienen. An der Hinterwand ist ein ähnlicher, nur viel längerer Arm befestigt, durch dessen Öse eine dritte Schnur hindurchgeht, deren Karabiner in einen Ring des Deckels eingefügt ist. Der ganze Apparat ist nämlich oben durch einen beweglichen Doppeldeckel verschließbar, dessen zwei Teile ungleich groß sind; der eine ist etwa doppelt so breit als der zweite. Ersterer ist um eine Achse parallel zur Hinterkante, der andere ebenso parallel zur Vorderkante des Prismas in Scharnieren drehbar. Der kleinere Deckel greift über den größeren oben 1 cm weit über, umfaßt aber auch dessen Rand. Da beide Deckelhälften mit ihren eigenen Rändern einige Millimeter nach unten umgebogen sind, so dringt auf diese Weise ein Minimum an Licht in das Innere des Apparates ein, dessen kaum mehr schädliche Wirkung durch die später zu besprechende Anordnung der lichtempfindlichen Teile noch weiter verringert wird, so daß in der Praxis dieser Verschluß, wie die Erfahrung gezeigt hat, als genügend lichtdicht gelten kann. Wird mit Hilfe einer Schnur, welche, durch die oben genannte Führung kommend, in einem beweglichen Ringe des größeren Deckels befestigt ist, dieser emporgezogen, so hebt er natürlich den schmäleren Deckel mit in die Höhe. Dieser letztere besitzt nun in Form eines angelöteten, etwa 2 mm, starken Bleibandes ein Gegengewicht, das ihn nach außen zieht und so am Zufallen hindert, den Apparat also geöffnet erhält, bis durch Nachlassen der erwähnten Schnur der größere Deckelteil wieder sinkt und mit Hilfe eines stark federnden Drahtes, welcher über den schmäleren Deckel über- greift, diesen niederdrückt und wieder mit herabbewegt. Damit keine der Deckelhälften über ein gewisses Maß nach außen geöffnet werden kann, sind an beide kurze Blechstreifen ange- lötet, welche bei einer gewissen Stellung des Deckels an die Hinter-, beziehungsweise Vorderseite des Prismas anstoßen und so ein weiteres Überkippen verhüten. Beleuchtungsverhältnisse im Wasser. d5 Der größere Abschnitt des Deckels trägt an seiner Unter- seite, mittels Schrauben befestigt, einen Körper aus hartem Holze, welcher mit geschmolzenem Paraffin getränkt und so wie alle übrigen Apparatbestandteile mit mattschwarzer Farbe über- zogen ist. Die Grundform dieses Holzklotzes ist würfelförmig. Um jedoch den Widerstand, welchen das Wasser dem sich niedersenkenden Körper entgegensetzen würde, zu vermindern und dadurch einen schnelleren Verschluß des Apparates herbei- zuführen, ist die in geschlossenem Zustande des Apparates nach unten zu liegende Würfelüäche schief abgeschrägt worden, so daß der Holzklotz bei seiner Abwärtsbewegung einen mit der Kante nach unten vorspringenden Keil vorstellt. Nur die rechte Seitenfläche des ursprünglichen Würfels ist erhalten geblieben, indem die keilförmige Zuschärfung erst weiter nach innen zu begann und daher eine etwa 1 cm breite Seitenwand bestehen blieb. Durch Anschrauben einer entsprechenden Blei- platte ist das Gewicht des Holzkörpers so reguliert, daß der daran befindliche Deckel mit Hilfe der Schnur leicht gehoben und nach dem Nachlassen desselben von selbst wieder mög- lichst rasch geschlossen werden kann. Bei geschlossenem Deckel hängt der Klotz in das Innere hinein und bewirkt so einen selbstätigen Verschluß des Apparates. Die Vorderfläche des »Würfels« wird beim Hochziehen des Deckels, der sich durch die schon besprochene Führung vertikal einstellt, nun in horizontale Lage gebracht, während die rechte Seitenfläche vertikal bleibt, aber über das Niveau des Deckels ebenfalls emporgehoben wird. Erstere ist daher bei dieser Stellung dem Oberlichte, letztere dem Seitenlichte exponiert. Auf diese beiden Würfelflächen werden nun zwei kleine Metalldöschen aufgesetzt, welche dadurch in ihrer Lage fixiert werden, daß über ihre scheibenförmige etwas vorspringende Fußplatte je vier kleine Schrauben mit rechtwinklig umge- bogenem Schenkel (sogenannte Reiber) übergreifen. Wird eine derselben gedreht, so kann das Döschen sofort herausgenommen und auf demselben Wege ebenso rasch wieder eingesetzt werden. Jede Dose hat A'^/^cm äußeren und 3 cm inneren Durchmesser. Eine Platte aus reinem, weißem Glase von etwa Sitzb. d. mathem.-naturw. KL; CXIV. Bd., Abt. I. ^ 66 L. Linsbauer, 1 funi Stärke schützt das Innere der Dose vor dem Eindringen des Wassers. Zur sicheren Befestigung der Glasscheibe wird nämlich auf diese ein Metallring aufgelegt, dessen Unterseite mit einem dünnen Kautschukringe belegt ist; dieser wird seinerseits wiederum durch einen aufschraubbaren Messingring mit etwas übergreifendem Rande gegen die Bodenfläche der Dose zu wasserdichtem Verschlusse niedergedrückt. Vor Beginn einer Messung wird jede Dose mit einem licht- empfindlichen Papierstreifen (entweder selbst gesilbertes oder käufliches Vindobonapapier) beschickt, verschraubt und mit den »Reibern--< am Holzklotze fixiert, hierauf der Apparatdeckel geschlossen. Nun zieht man durch die Öse des langen Führungs- armes an der Hinterwand des Prismas eine Schnur, deren Karabiner in dem auf dem Deckel aufgeschraubten Ringe ein- gehängt wird. Zwei Tragschnüre werden in den Seitenarmen befestigt und der Apparat mit Hilfe der Längenmarken führenden Tragschnüre in eine beliebige Tiefe versenkt. Das durch die Löcher in den Seitenwänden einströmende Wasser verdrängt die Luft aus dem Apparate, welche durch den nicht hermetisch schließenden Deckel leicht entweicht. Wenn keine Luftblasen mehr aufsteigen, wird an der Führungsschnur gezogen, wodurch der Deckel geöffnet und das photographische Papier in den beiden Dosen je dem Ober-, beziehungsweise dem Vorder- lichte eine bestimmte Zeit lang exponiert wird. Nach beendeter Exposition läßt man die Führungsschnur wieder locker, der Deckel wird durch das Gewicht des Holz-Bleikörpers wieder abwärts gezogen und schließt sich von selbst, worauf der ganze Apparat an den Tragschnüren wieder zu Tage gefördert wird. An einem vor schädlichem Lichte geschützten Orte (am einfachsten unter einem großen, schwarzen Einstelltuche, wie es Photographen gebrauchen) wird der Deckel wieder geöffnet, die Döschen entnommen, aufgeschraubt und die mit Nummern versehenen Papierstreifen an einem lichtdichten Orte bis zur Vornahme der indirekten Bestimmung aufbewahrt. Nach neuer- licher Beschickung der Dosen mit frischem Papiere kann der ganze Apparat zur Vornahme einer weiteren Messung neuer- dings versenkt werden. Beleuchtungsverhältnisse im Wasser. 67 Ich habe mit beiden Apparaten eine Reihe von Messungen vorgenommen, und zwar bis jetzt im Süßwasser. Mit dem größeren derselben arbeitete ich am Traunsee in Oberösterreich, mit dem kleineren teils im alten Donauwasser über der Reichs- brücke bei Wien, teils in Schönbrunn im Teiche hinter der Gloriette. In den beiden letzteren Fällen handelte es sich nur um ganz geringfügige Tiefen. Ich will nun zunächst die Traunsee-Messungen besprechen. Zur Ausführung derselben ist zu bemerken, daß ich mich der größeren Stabilität halber eines Flachbootes, einer sogenannten Plätte bediente, um mit dem Apparat an eine bestimmte Stelle des Sees hinauszufahren, an welcher eine entsprechende Tiefe herrschte. Letzteres war aus dem Grunde nötig, um nicht auf dem Boden aufzustoßen und so durch Emporwirbeln des Schlammes das Wasser zu trüben. Das Tragseil war samt dem Leitungskabel auf einer großen Trommelvorrichtung auf- gewickelt und konnte mittels einer Kurbel auf- und abbewegt werden. Ein Zahnrad mit eingreifender Hemmvorrichtung diente zum selbsttätigen Arretieren der Trommel. Natürlich war es notwendig, um das mitabgerollte Kabel mit der Batterie in steter Verbindung zu erhalten, an der Achse einen Schleif- kontakt anzubringen. Seil und Kabel mußten sich auch rasch vom Apparate ablösen und wieder daran befestigen lassen, um diesen allein in die Dunkelkammer zu bringen und über- haupt leichter transportieren zu können. Für das Seil war eine solche Auswechslung durch Verwendung von Ring und Kara- biner leicht zu erreichen. Das Leitungskabel aber wurde folgendermaßen vorgerichtet. Das auf der Trommel auf- gewickelte 1 ange Kabel endigt in zwei voneinander natürlich isolierte Drähte. Beide Drähte wurden durch eine Öffnung in der Schmalseite eines parallelepipedischen, innen ausgehöhlten Ebonitkörpers eingeführt und hier mittels Klemmschrauben an einem Metallstücke angeschraubt. Das andere Ende des letzteren leitet zu zwei an der gegenüberliegenden schmalen Außenseite des Ebonitkörpers eingelassenen Klemmen. Diese sind dazu bestimmt, das am Apparate eingedichtete Kabelstück von etwa 1 m Länge aufzunehmen. Dies geschieht leicht und schnell dadurch, daß dieses kurze Kabelstück seinerseits eben- 68 L. Linsbauer, falls in zwei isolierte Drähte endigt, deren jeder in eine flache, blanke Metallgabel ausgeht. Diese werden einfach unter die gelockerten Schraubenmuttern der Klemmen eingeschoben und letztere dann angezogen. Dadurch ist der Kontakt mit der Batterie hergestellt. Der Hohlraum des Ebonitstückes kann zur Isolierung gegen Wasser mit geschmolzenem Paraffin aus- gegossen werden. Doch ist diese Prozedur im Süßw^asser unnötig, da infolge des großen Wasserwiderstandes eine merk- liche Stromschwächung gar nicht eintritt. Um auch die Batterie in eine handliche, leicht tragbare Form zu bringen, wurden die drei Trockenelemente in einen Holzkasten mit verschieb- barer Vorderwand eingestellt und die Verbindungsdrähte im Innern desselben so geführt, daß an der Außenseite des mittels Handhabe zu tragenden Kastens nur zwei Klemmen und ein Druckknopf sichtbar sind. In die Klemmen werden zwei Drähte eingespannt, welche zum Schleifkontakt der Trommel führen. Durch Niederdrücken des Knopfes und darauf folgendes Aus- lassen desselben wurde die Exposition eingeleitet, durch Wiederherstellen des Kontaktes und neuerliche Unterbrechung dieselbe sistiert. Nach Abschluß der Beobachtungen wird der Apparat in der Dunkelkammer geöffnet und zur Intensitätsbestimmung geschritten. Ich habe bei den hier zu besprechenden Messungen davon abgesehen, nur rein monochromatisches Licht zuzulassen, da ich für meine orientierenden Versuche Chlorsilberpapiere verwendete, welche ohnehin fast nur für Blauviolett empfindlich sind. Die Intensitätsbestimmung war dann die von Wiesner eingeführte indirekte. Ich will von meinen Beobachtungen hier eine aus den ersten Augusttagen als Beispiel anführen. Beleuchtungsverhältnisse im Wasser. 69 Zeit der Beobachtung 51 51 Tiefe Metern Intensität 2 des Tages- lichtes des Lichtes im Wasser Verhältnis (für ^0 = 1) 4 — 5^ p. m. See fast spiegel- glatt. 0-063 0-063 0-053 0-048 0-030 0-015 0-008 0-003, 0-000, 4-2 1 14 1 34 Fasse ich meine aus einer Serie von Beobachtungen gewonnenen Daten zusammen, so ergeben sich folgende Mittel- werte: Tiefe Verhältnis /,, : /q 1/2 fft 1 m 2 m 3 w 5 m 10 m 3-4 1 5-2 1 20-3 1 32-9 1 69 1 69 1 Anmerkung. B und 5 bedeuten die Beschaffenheit der Bewölkung, beziehungsweise der Sonne in der Art, wie sie von Wiesner in dessen bekannten photochemischen Untersuchungen angewendet wird. B^ heißt also, daß der Himmel halb bewölkt war, ^3, daß die Sonne durch Wolken schien. 2 Wenn nicht ausdrücklich anderes gesagt wird, so ist hier und im folgenden stets das auf die Horizontalfläche einfallende Oberlicht gemeint. 70 L. Linsbauer, Noch Übersichtlich werden diese Daten, wenn man sie prozentual ausdrückt und dabei die Intensität des auffallenden Lichtes = 100 setzt: Tiefe Om 1/2 m 1 m 2 m 3 m 5 in 10 m Stärke des durch- gelassenen Lichtes 100 29 19 4-9 3 1-4 1-4 Es werden also folgende Prozente des auffallenden Lichtes aufgehalten: Dicke der Wasser- schichte V2 '« 1 m 2 m ■im 5 m 10 m Prozente 71 81 95 97 98-6 98-6 Ich möchte nun keine besonders weitgehenden Schlüsse, namentlich aber keine absoluten Zahlenwerte aus obigen Daten ableiten, sondern nur auf verschiedene sich dabei ergebende Gesichtspunkte aufmerksam machen, die eine Vor- stellung davon geben, nach welchen Richtungen aus weiteren, umfangreicheren Beobachtungsreihen Ausblicke zu erwarten sind. Beleuchtungsverhältnisse im Wasser. 71 Ich beginne mit der Intensitätsabnahme mit steigender Tiefe. Es entspricht der allgemeinen Formel, welche die Licht- absorption in einem beliebigen Medium zum Ausdrucke bringt J' ■=. — T, daf3 der in arithmetischer Reihe erfolgenden Tiefen- zunähme eine Intensitätsabnahme in geometrischer Progression entspricht. Der Regelmäßigkeit dieser Abnahme, welche für reines Wasser gilt, wird in der Natur nicht voll entsprochen werden können, da offenbar die weitere Abschwächung des Lichtes durch suspendierte Partikelchen sowie diffuse Reflexion an deren Oberfläche störend hinzukommt und Wellenbewegung, Sonnenstand, Bewölkung etc. ebenfalls von Einfluß sind. Nichtsdestoweniger ergibt sich aus den oben bei den Traun- seemessungen mitgeteilten Zahlen als unverkennbar eine 'Gesetzmäßigkeit insoferne, als die nach diesen Angaben gezeichnete Kurve ihrem Verlaufe nach mit der theoretisch geforderten im allgemeinen übereinstimmt. Aus den mitgeteilten Durchschnittswerten geht auch — ohne Rücksicht auf die absolute Größe der Absorption — deutlich in Bestätigung der theoretischen Forderungen die Tatsache hervor, daß der größte Teil des auffallenden Lichtes schon von den obersten Schichten aufgefangen wird. Die hienach gezeichnete Kurve zeigt daher sehr bald einen Verlauf, der asymptotischen Charakter in Bezug auf die Abszissen- achse besitzt. Auch das scheint aus den faktischen Beob- achtungen zu folgen, daß (für das untersuchte Traunseewasser wenigstens) der Absorption und diffusen Reflexion seitens suspendierter Partikel im Vergleich zur Wirkung des Mediums selbst keine die (theoretisch) verlangte Gesetzmäßigkeit wesent- lich alterierende Bedeutung zukommt. Welche Rolle diese Faktoren aber in ihrem Verhalten gegenüber dem rein diffusen, beziehungsweise dem aus direktem und diffusem gemischten Lichte spielen — ich verweise auf ein paar von Soret mit- geteilte Versuche, welche schon Erwähnung gefunden haben — ist für beide Beleuchtungsarten getrennt durch umfang- reichere Beobachtungsreihen erst genauer zu studieren. Die Schönbrunner Messungen, welche sich auf ganz geringfügige Tiefen beschränken, sollen hier weniger wegen 72 L. Linsbauer, der Abnahme des eindringenden Oberlichtes angeführt werden, als aus dem Grunde, um das Verhältnis der Abnahme für das Oberlicht im Vergleiche zum Vorderlichte zu beleuchten. Für ersteren Zweck lassen sich auch keine Vergleiche mit den Traunseemessungen anstellen, da nicht nur die Anwendung des großen Apparates hier durch den kleineren ersetzt war, sondern auch die Versenkung desselben vom Ufer aus erfolgte, so daß vom Gesamtoberlichte, das in der Teichmitte geherrscht hätte, hier nur etwa die Hälfte in Betracht kam. Ich will aus einer Reihe von Beobachtungen die folgenden zwei anführen: « Zeit der B 5 Beobachtung 27. Oktober 10 2 3^ p. m. 10 0 ' 10 2 10 0 Tiefe Intensität des Tages- lichtes des Lichtes im Wasser (/) Oberlicht Vorder- licht (Jv) Verhältnis ^0 • -'o ij,m 0-009 1 m 0-009 1/2 m 0-009 2 m 0-007 0 • 003 3 0-002 1 0-001 8 0-001 0-0007 1 0 0004 7 0-0002,>. 2-7 4-6 4-3 4-4 5 ^ 7 Zeit der Beobachtung B S Tiefe Intensität Verhältnis des Tages- lichtes: Oberlicht (■^0) des Lichtes im Wasser '0 ■• -^0 ('0=1) (/V=l) Oberlicht (^0) Vorder- licht (iv) 1. November 31/2^ p. m. Wasser viel klarer ge- worden 0 0 0 4 4 4 1 m 2 m 0-020 0-020 0-028 0-005^ 0 ■ OO64 0-0033 0-0033 0-0023 0-002^ 1 3-7 1 3^1 1 7-1 1-6 2-8 1-6 Beleuchtunsfsverhältnisse im Wasser. 73 Betrachtet man auch hier wieder nur die abgerundeten relativen Zahlenbeziehungen, ohne den Wert der absoluten Zahlengrößen als definitiv hinzunehmen, so bekommt man ganz ähnliche Verhältniswerte für die durchgelassenen, bezie- hungsweise aufgehaltenen Lichtmengen in Prozenten des auffallenden Lichtes ausgedrückt, nämlich: Stärke des durchgelassenen Lichtes Verhältnis /q : /q 0 m I/o m 1 m 1 1 /a m 2 m 100 33 23 20 14 Es werden demnach aufgehalten: Bei einer Wasser- Prozente des auf- schichte von fallenden Lichtes 1/2 m Dicke 67 1 m » 77 Vl^m » 80 2m » 86 Auch die Verhältniszahlen der zweiten Beobachtungsreihe stimmen im allgemeinen damit überein. Die Abnahme des Oberlichtes sagt uns also nichts Neues. Interessant ist das Verhalten des Vorderlichtes. Bei vollständig bewölktem Himmel und fehlender oder äußerst schwacher Wirkung des direkten Sonnenlichtes ist das Vorderlicht im Mittel etwa fünfmal so schwach als das Oberlicht. 74 L. Linsbauer, Am wolkenlosen 1. November erfolgt nun bei vollem Sonnenscheine die Lichtabnahme im wesentlichen ganz ähnUch wie bei Vorherrschen des rein diffusen Lichtes, aber das Vorderlicht zeigt ein neues Verhalten: Es ist im Verhältnisse zum Oberlicht im Wasser nicht mehr so viel schwächer als bei Bewölkung, sondern wenn man einen Durchschnitt annehmen will, nur etwa zweimal so schwach. Das hängt in unserem Falle wohl mit dem tiefen Sonnenstande in Verbindung mit der größeren Durchsichtigkeit des Wassers zusammen. Es scheint aus den Daten der letzten Kolonne vielleicht auch hervorzugehen, daß bis zu 2 m. Tiefe wenigstens das Vorderlicht im gleichen Maße ungefähr wie das Oberlicht abnimmt. Und da ferner sowohl am trüben, wie am sonnigen Beobachtungstage das Oberlicht von der Oberfläche bis 2 m Tiefe dieselbe Schwächung erfährt, so scheint es, als ob bei niedrigem Stande der Sonne die Absorption (im allgemeinsten Sinne) des Oberlichtes, unabhängig von dem Einflüsse der direkten Beleuchtung, stets annähernd in demselben Verhält- nisse erfolge. Dies einige vorläufige Mitteilungen. Manche Beobachtungs- daten sind schon vor langer Zeit gewonnen worden, doch haben äußere Gründe es mir nicht ermöglicht, meine Vor- untersuchungenweiter zu führen. Ich sehe mich daher genötigt, zunächst diese Zeilen als ersten einleitenden Teil meiner hoffentlich bald fortzusetzenden Studien zu veröffentlichen. Der hohen Akademie der Wissenschaften, Welche diese meine Bestrebungen durch eine Subvention fördern half, sage ich hiemit meinen tiefgefühlten Dank. Ich fühle mich ferner verpflichtet, Herrn Hofrat Wiesner, dessen photometrischen Untersuchungen ich die Anregung zu dieser Arbeit, und dem ich die Einführung in die Methode der Photometrie verdanke, für sein mir stets bewiesenes Interesse und seine tatkräftige Förderung meiner Studien meinen verbindlichsten Dank abzu- statten. Beleuchtunsrsverhältnisse im Wasser. 75 Figurenerklärung zur Tafel. Fig. I. Vertikaler Durchschnitt durch den großen Apparat. A Gehäuse; A' Deckel, aufgeschraubt. B Träger der Anker- und Scheibenachse. C Elektromagnet. D Anker desselben. E Seine Drehungsachse. F Scheibenachse, mittels Feder (F') drehbar. G Zahnrad an der Achse, in welches die mit dem Anker verbundene Sperrvorrichtung (H) eingreift. H Sperrvorrichtung. / Metallscheibe, auf welcher die die photographischen Papiere tragende und mit sechs Ausschnitten versehene Kreisscheibe K aufgeschraubt wird. L Sternförmige Scheibe, welche durch die Schraube M an das photographische Papier angepreßt wird. N Lichteinlaßöffnung. 0 Rahmen aus schwarzem Tuche als Schutz gegen seitlich aus- tretendes Licht. Fig. II. Grundriß des großen Apparates. B — H und N wie oben. PP zwei Schrauben zur Regulierung der Ankerbewegung. Q Feder zum Zurückziehen des Ankers. (Die Scheiben K und L wurden weggelassen, um den Einblick in das Innere des Apparates zu ermöglichen.) Linsbauer L: Beleuchtungsverhältnisse im Wasser. Sitzungsberichte der kais. Akad. d. Wiss., math.-naturw. Klasse, Bd. CXIV, Abt. I. 1905. Kk.Hof-u.Siaalsdrü.-kerei 77 Untersuchungen über den Liehtgenuß der Pflanzen imYellowstonegebiete und in anderen Gegenden Nordamerikas. Photometrische Untersuchungen auf pflanzenphysiologischem Gebiete (V. Abhandlung) J. ^Viesner, w. M. k. Akad. (Mit 2 Textfiguren.) (Vorgelegt in der Sitzung am 16. Februar 1905.) Einleitung". Meine seit Jahren betriebenen Studien über den Licht- genuß der Pflanzen wurden bisher in den verschiedensten Zonen der Erde angestellt. Dank der Unterstützung, welche mir seitens der hohen Akademie der Wissenschaften zuteil geworden ist, konnten diese Untersuchungen bis etwa zum 79° n. B. und bis zum 6° s. B. ausgedehnt werden. Doch erhob sich in der Regel das untersuchte Vegetationsgebiet nicht sehr hoch über die Meeresfläche. Einige vereinzelte, in den österreichischen Alpenländern angestellte Beobachtungen, auf deren Ergebnisse ich später noch zurückkommen werde, betrafen allerdings die Höhenregionen der Vegetation. Aber ausgedehntere systematische Studien über die Änderung des Lichtgenusses der Pflanzen mit der Seehöhe habe ich bisher nicht angestellt, weil mir ein hiefür erforderliches Terrain nicht zugänglich gewesen ist. In den Gebirgen Mitteleuropas erlischt die Baumvegetation und sodann die Vegetation überhaupt schon in so geringen 78 J. Wiesner, Seehöhen, daß die Beeinflussung der Vegetation durch die mit der Seehühe sich ändernde Lichtintensität sich wegen der zu schmalen Beobachtungsbasis nicht mit der erforderlichen Sicherheit ableiten läßt, hi den Gebirgen des wärmeren Europas, insbesondere in den Apenninen und Pyrenäen, wo die Baum- vegetation bis auf 2000 in und darüber aufsteigt und die Strauch- und krautige Vegetation selbstverständlich noch höher hinaufreicht, könnten Lichtgenußstudien zweifellos mit größerem Erfolge durchgeführt werden. Allein es sind in den dortigen Hochgebirgen nicht jene ausgedehnten Plateaus zu finden oder doch nicht leicht zu erreichen, welche zur Bestim- mung der Intensität des gesamten Himmelslichtes erforderlich sind. Und die dortigen Lokalverhältnisse bringen es mit sich, daß umfassende Beobachtungen nur auf einer förmlich organi- sierten Expedition, welche auf Kampieren fern von mensch- lichen Wohnungen eingerichtet sein müßte, ausgeführt werden könnten. Auch wären die dort erreichbaren Profile, etwa im Gebiete des Gran Sasso d'Italia (2921 m in der östlichen Haupt- kette des Apennins) oder in der Maladettagruppe (Pyrenäen), zu kurz, imi die Messungen auf ein genügend reiches Vege- tationsgebiet ausdehnen zu können. So gab ich den Gedanken, den Lichtgenuß der Pflanzen in seiner Änderung nach Höhen- regionen in Europa zu studieren, auf.^ 1 Nach meiner Rüclckelir aus Amerika besprach ich das Thema meiner Lichtgenußbestimmungen, namentUch nach pflanzengeographischer Richtung, mit dem gerade in Wien anwesenden Direktor des botanischen Gartens in Belgrad, Herrn Professor Dr. L. Adamuvic, einem der besten Kenner der Vegetationsverhältnisse des Balkans. Er machte mich darauf aufmerksam, daß vielleicht das Rilagebirge (in Südbulgarien) ein passendes Terrain für Studien über den Zusammenhang von Lichtgenuß der Pflanzen und Seehöhe darbieten würde. Die größte Höhe des Rilagebirges beträgt 2923 m, steht also nur wenig zurück gegen den thessalischen Olymp (2980 m). Die subalpine Region m.it einer viermonatlichen Vegetationsperiode liegt in dem genannten Gebiete zwischen 2000 bis 2300 m. Innerhalb derselben wird bis 2150 w die Baum- grenze erreicht. Größere Plateaus zur Bestimmung der Intensität des gesamten Tageslichtes sind nach Professor Adamovic dort mehrfach leicht zu erreichen. In den Höhenregionen befinden sich mehrere vom Fürsten von Bulgarien, dem Eigentümer des Gebietes, errichtete Hütten, wo man nächtigen könnte. Proviant muß allerdings mitgenommen werden. Wie Professor Adamovic mir mitteilt, muß der allein reisende Forscher für sich, seine Beerleitmannschaft und für das Lichtgenuß der Pflanzen. 79 Schon vor längerer Zeit habe ich Umschau gehalten, wo solche Höhenregionstudien besser als in Europa durchzuführen sein würden. Bald blieb mein Auge auf dem Yellowstonegebiete haften. Mir schien aus bestimmten Gründen ein Profil, welches aus dem Missouritale zum Unterlauf und sodann zum Oberlauf des Yellowstone River aufsteigt, für meine Zwecke sehr passend zu sein, nicht nur weil ich hier ein Terrain vor mir hätte, welches kontinuierlich in ostvvestlicher Erstreckung von einigen hundert Metern bis zu einer baumbedeckten fiöhe von mehr als 3000 w sich erhebt, zahlreiche leicht zugängliche Plateaus umschließt, deren Vorhandensein aus schon früher angedeuteten Gründen für meine Lichtbestimmungen erforderlich ist, sondern auch weil in den Höhenregionen des Yellowstone National Park den Bedürfnissen wissenschaftlich Reisender durch mehr als genügende Hotels in nicht geringer Zahl ent- sprochen wird. Fast in unmittelbarer Nähe dieser Hotels lassen sich passende Beobachtungen anstellen und die Erreichung bedeutender Höhen ist von diesen Unterkunftsorten aus eine leichte Sache. Dieser Plan schwebte mir seit längerer Zeit vor Augen, allein es erschien mir derselbe k'aum ausführbar. In meinem vorgerückten Alter entschließt man sich schwer zu einem solchen fern von der Heimat auszuführenden Unternehmen und es müssen besondere günstige Umstände eintreten, um die Möglichkeit der Durchführung in einem besseren Lichte erscheinen zu lassen. Vor allem schien mir ohne Unterstützung seitens einer oder mehrerer wissenschaftlicher Hilfskräfte die Aufgabe zu groß, um erfolgreich bewältigt werden zu können. Da erging im August 1903 an mich die Einladung zur Teil- nahme an dem im Jahre 1904 in St. Louis abzuhaltenden Gepäck vier Pferde mitnehmen. So bequem wie im Yellowstonegebiete ist also das Reisen im Rilagebirge nicht. Auf Grund der Mitteilungen des Herrn Prof. Adamovic scheint dieses Gebirge mit Rücksicht auf die Länge der zugäng- lichen Profile, auf die Höhe und auf die Vegetationsverhältnisse unter den europäischen Erhebungen ein Gebiet zu sein, welches für weitere Lichtgenuß- studien besonders ins Auge zu fassen wäre. Doch erreicht es ebensowenig wie andere Gebirgsgegenden Europas die Vorzüge des Yellowstonegebietes, namentlich bei weitem nicht die großen Höhen, bis zu welchen dort die Baum- vegetation ansteigt. 80 J. Wiesner, Congress of arts and science und dies lockte mich, dem alten Plane wieder näher zu treten. Es fügte sich nun gut, daß Herr Leopold Ritter v. Portheim, ein jüngerer, auch in der Methode der Lichtmessung wohlerfahrener Pflanzenphysiologe sich auf meine Einladung bereit erklärte, mich in das Yellow- stonegebiet zu begleiten und an meinen Studien Anteil zu nehmen. Auch Herr Siegfried Strakosch, der, in meinem Laboratorium mit anatomischen und physiologischen Unter- suchungen beschäftigt, gleichfalls in die Methode der Licht- messung gut eingeführt ist, bot für einen Teil der Reise seine Mitwirkung an. Nachdem ich noch auf meine Bitte hin von Herrn Professor Dr. Aven Nelson, Direktor der »Wyoming Experiment Station« in Laramie (Wyoming), welcher bekannt- lich in neuerer Zeit das in Rede stehende Vegetationsgebiet botanisch durchforscht hatte, ausreichende Aufklärungen über für mich wichtige Terrain- und Lokalverhältnisse des Yellow- stone Natioucil Park erhalten hatte und er auch durch Über- sendung eines umfassenden, aus prächtig konservierten Pflanzen bestehenden Herbars, das sich auf die von mir zu Studien- zwecken in Aussicht genommenen Vegetationsgebiete bezog, meiner Pflanzenkenntnis zu Hilfe kam, nachdem endlich auch noch einige Vorstudien teils floristischer und pflanzengeo- graphischer, teils lichtklimatischer Art beendet waren, hatte der Plan des durchzuführenden Unternehmens endlich eine bestimmte Gestalt angenommen. Dieser Plan fand die Billigung der mathematisch-natur- wissenschaftlichen Klasse der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften und diese gewährte mir aus der Trei tl Stiftung zur Durchführung meines Unternehmens eine ansehnliche Subvention, für welche ich hiemit meinen ergebensten Dank ausdrücke. Am 5. August 1904 erfolgte meine Abreise von Wien nach New-York. Hier und bald darauf in der Nähe der Nia- garafälle wurden die ersten — freilich nur gelegentlichen — Beobachtungen angestellt, auf die ich später noch zurück- komme. Nach eintägigem Aufenthalte bei den Niagarafällen ging die Reise über Chicago und St. Paul (Minnesota) dem Ziele entgegen. In der Umgebung dieser beiden Städte wurden Lichtgenuß der Pflanzen. 81 bereits eingehendere Lichtmessungen und Vegetationsbeob- achtungen gemacht, welche mit den später im Yellowstone- gebiete anzustellenden in Zusammenhang gebracht werden konnten. Auch über diese Beobachtungen wird weiter unten zu berichten sein. Nun ging die Reise nach Bi smarck (North Dakota, am i\Iissouri gelegen), dem eigentlichen Ausgangspunkte des zu studierenden Profils. Weitere Punkte des Profils waren Billings, Livingstone und Gardiner (alle drei in Montana am Yellow- stone River, der letztgenannte Ort am Einfluß des Gardiner in den Yellowstone River gelegen). Gardiner liegt schon knapp am Eingange in den National Park, woselbst die Hauptbeob- achtungspunkte waren: Mammoth Hot Springs, Cafion, Lake, Thumb bay, Cid Faithful und Fountain. Von Mammoth Hot Springs wurden zu vergleichenden Beobachtungen Mt. Evarts (2710 m) und Sepulcher Mountain (2895 'nt) vom Canon Hotel aus Mt. Washburne (3150 in) bestiegen. Die Beob- achtungen auf allen größeren Höhen wurden von Herrn v. Portheim ausgeführt Das Profil, welchem unsere Beobachtungen folgten, ist durch folgende Höhen charakterisiert. Seehöhe Bismarck 515 m Billings 950 » Livingstone 1367 » Cinnabar bis Gardiner. . . .zirka 1600 » Mammoth Hot Springs . . . 1946 » Cafion 2350 » Lake 2360 » Fountain 2210 » Die Rückreise ging über Salt Lake City (\ 290 in) und Colorado Springs (1851 m), von wo aus zum Zwecke von Lichtmessungen und Vegetationsbeobachtungen Herr v. Port- heim den Pike's Peak (4310 w) besuchte, um noch einzelne ergänzende Beobachtungen anzustellen, während ich in der Höhe von Colorado Springs einige Lichtgenußbestimmungen vornahm. Sitzb. d. mathem.-naturw. Kl.; CXIV. Dd., Abt. I. 6 82 J. Wiesner, Die Beobachtungen wurden in der Zeit zwischen dem 16. August und 16. September ausgeführt, einiger vereinzelter, später angestellter Beobachtungen hier nicht zu gedenken. Die hier angeführten Höhenangaben genügen für viele der mitgeteilten Beobachtungen. Wo besondere Höhenangaben erforderlich sind, werden dieselben den betreffenden Beob- achtungen angefügt werden. Die Resultate meiner bisher zum Zwecke des Studiums des Lichtgenusses unternommenen Untersuchungen wurden in je zwei Abhandlungen niedergelegt, indem ich die pflanzen- physiologischen Ergebnisse von den lichtklimatischen trennte. So wurden meine in Wien, Kairo und Buitenzorg aus- geführten Studien über Lichtgenuß in einer besonderen Abhandlung^ veröffentlicht und die an den gleichen Orten gemachten lichtklimatischen Beobachtungen in einer beson- deren Schrift publiziert.^ In gleicher Weise ging ich bei Ver- öffentlichung meiner Lichtstudien im arktischen Gebiete vor.^ Dieser Darstellungsart werde ich auch diesmal folgen. Allein für die Zwecke der vorliegenden Abhandlung ist es erforderlich, die Hauptresultate meiner lichtklimatischen Studien schon hier vorzubringen, weil sonst die auf den Lichtgenuß der Pflanzen Bezugnehmenden Beobachtungen eine Erklärung und einen rationellen Zusammenhang nicht zulassen würden. Es sind folgende zwei Resultate meiner im Yellowstone- gebiete gewonnenen lichtklimatischen Studien, welche ich hier vorzuführen für notwendig halte. LUnter sonst gleichen Verhältnissen der Hi mm eis- bedeck ung nimmt bei gleicher Sonnenhöhe die Inten- sität des Lichtes mit der See höhe zu. 1 Photom. Unters., IL Diese Sitzungsber., Bd. 104 (1895). ^ Beiträge zur Kenntnis des photo chemischen Klimas von Wien, Kairo und Buitenzorg. Denkschriften der kais. Akad. der Wiss., Bd. 64 (1896). 3 Photom. Unters., III. Diese Sitzungsber., Bd. 109 (1900), und Beiträge zur Kenntnis des photochemischen Klimas im arktischen Gebiete. Denkschriften, Bd. 67 (1898) Lichtgenuß der Pflanzen. 83 2. Unter sonst gleichen Verhältnissen der Himmel s- bedeckung nimmt bei gleicher Sonnenhöhe die Inten- sität der direkten (parallelen) Strah lung im Vergleiche zur diffusen mit der Seehöhe zu. Der erste Satz ist eigentlich selbstverständlich. Aber es liegen speziell bezüglich der chemisch wirksamen Strahlen bisher nur so spärliche Beobachtungen vor, daß es gewiß zweckmäßig erscheinen muß, durch möglichst genaue und zahlreiche Beobachtungen die mit der Seehöhe erfolgende Steigerung der (chemischen) Lichtintensität zahlenmäßig fest- zusetzen. Was den zweiten Punkt anbelangt, so ist auch dieser, aus allgemeinen Gesichtspunkten betrachtet, selbstverständlich. Denn je dünner die Atmosphäre wird, desto geringer wird die Lichtzerstreuung ausfallen und wo die Atmosphäre ihr Ende hat, wird auch die Umwandlung des direkten Sonnenlichtes in diffuses Tageslicht aufhören. Aber in dieser Richtung liegen bisher, so viel ich weiß, noch gar keine Beobachtungen vor. Über die Bestimmung des Verhältnisses der direkten (chemi- schen) zur diffusen Strahlung habe ich früher schon zahlreiche Beobachtungen in geringen Seehöhen angestellt. Ich wählte hiezu anfänglich das von Bunsen aufgestellte Prinzip. Es ist mir aber gelungen, auch diese Methode zu vereinfachen und zu zahlreichen, aber nur auf geringe Seehöhen Bezug nehmenden Beobachtungen zu verwerten. Nach der von mir angegebenen Methode sind sehr zahlreiche auf mehrere Jahre ausgedehnte Beobachtungen in Kremsmünster (Oberösterreich) von Herrn Professor P. Franz Schwab, Direktor der dortigen Stiftsstern- warte, angestellt worden, die sich aber auch nur auf eine verhältnismäßig geringe Seehöhe beziehen.^ Die Sternwarte zu Kremsmünster, in deren Nähe die lichtklimatischen Beob- achtungen angestellt wurden, steht auf einer Seehöhe von 384 m. Bei dieser Gelegenheit scheint mir folgende zum Ver- ständnis später angeführter Daten erforderliche Einschaltung 1 Prof. Franz Schwab, Das photochemische Klima von Kremsmünster. Denkschriften der Wiener Akad. der Wiss., Bd. 74 (1904). 6* 84 J. Wiesner, am richtigen Platze zu sein. Der letztverflossene Sommer (1904) umschloß eine Periode großer Hitze, welche in einem beträcht- lichen Teile Europas sich sehr fühlbar machte. Die Annahme schien nicht unberechtigt, daß auch die chemische Intensität des Tageslichtes in dieser Periode eine Steigerung erfahren habe. Meine in Wien im Juli 1904 angestellten Lichtmessungen haben aber ergeben, daß sich die Maxima der chemischen Intensität nicht über die in früheren Jahren ermittelten, den gleichen Zeiten entsprechenden Werte erhoben hatten. Der Sicherheit halber wendete ich mich an Herrn Direktor Schwab mit der Bitte, in Kremsmünster Messungen der chemischen Lichtintensität in der auch dort fühlbar gewordenen Hitze- periode anzustellen. Herr Direktor Schwab teilte mir brieflich mit, daß er seine Lichtmessungen überhaupt nicht unterbrochen habe und mich versichern könne, daß die dort in der Hitze- periode beobachteten Werte der chemischen Lichtintensität, mit den in den vorhergehenden fünf Jahren gemachten korre- spondierenden Zahlen verglichen, keine außergewöhnliche Steigerung der chemischen Tageslichtstärke erkennen lassen. Es können also die in Amerika gemachten Lichtbeobachtungen ohneweiters mit den früher in Europa (von mir und anderen), ferner mit meinen in Ägypten und auf Java ermittelten Werten verglichen werden. Und ein anderes muß hier noch beigefügt werden, was für die nachfolgende Darstellung doch auch einigermaßen ins Gewicht fällt. Man hat die große Hitze des vorjährigen Sommers von mancher Seite als ein die ganze Erde beherrschendes Phänomen betrachtet und mit der elfjährigen Sonnenflecken- periode in Zusammenhang gebracht. In Amerika hörte ich aber in allen von mir besuchten Staaten, daß der Sommer (1904) durch relative Kühle charakterisiert sei, was die mir später bekannt gewordenen meteorologischen Daten bestätigt haben. ^ Es ist daraus zu entnehmen, daß die europäische Hitzeperiode des letzten Sommers (1904) kein kosmisches, die ganze Erde 1 Nach Washington Weather Bureau, Monthly Weather Review 1905 Juni — August, waren die Monatsmittel in jenen Staaten, in welchen ich meine Beobachtungen ausführte, durchwegs unter dem Mittel, wie folgende Zusam- Lichtgenuß der Pflanzen. 85 betreffendes Phänomen, sondern auf bestimmte Gebiete Europas beschränkt war. Rücksichtlich der weiter unten anzuführenden Beobachtungen über »Hitzelaubfall« ist diese Einsicht von Wert; es erklärt sich, weshalb ich in Amerika nicht jene grellen Formen von Hitzelaubfall wie in Mitteleuropa beobachtet habe. Die Hauptaufgabe, welche ich mir auf meiner amerikani- schen Studienreise stellte, bestand, wie schon erwähnt, darin, die Vegetation in ihrer Abhängigkeit von den durch die See- höhe gegebenen Beleuchtungsverhältnissen zu verfolgen. Es geschah dies planmäßig in dem schon skizzierten Profil^ welches von Bismarck bis zum nordwestlichen Ausgang des Yellowstone National Parks reichte. In Luftlinie gemessen hatte dieses Profil eine Länge von beiläufig 900 hn. Der Höhen- unterschied zwischen Bismarck und den höchstgelegenen Beob- achtungsorten des Yellowstonegebietes betrug etwa 2500 m. Die Breitenunterschiede betrugen im äußersten Falle etwas über 2°. Die wichtigste Linie innerhalb des Profils, der Anteil nämlich, in welchem die überwiegende Mehrzahl der Beob- achtungen angestellt wurde, von Billings bis ans westliche Ende des Profils, hatte, in Luftlinie gemessen, eine Länge von zirka 250 km und der Breitenunterschied betrug selbst im äußersten Falle weniger als 1°. Wie schon bemerkt, wurden einzelne vorläufige Beob- achtungen auch auf der Reise nach Bismarck gemacht. Die betreffenden Beobachtungsorte lagen tief unter dem Niveau menstellung lehrt. Die Beobachtungen (Abweichung vom Mittel) sind in Fahrenheit ausgedrückt. Juni Missouri — 3'3 Minnesota .,.. + — 1'9 Colorado — 3"9 North Dakota —1-7 Montana — 0-8 Wyoming — 2'6 Utah — 29 Juli August — 3-3 — 2-2 — 3-6 — 2-5 — 2-4 — 1-5 — 3-6 — 2-0 — 1-1 — 0-2 — 2-9 — 0-9 — 2-6 — 0-6 86 J. Wiesner, des letztgenannten Ortes. Einzelne auf der Rückreise gemachte Aufzeichnungen beziehen sich aber auch auf Orte, die den höchsten Punkt unseres Profils noch überrafften. Über die Änderung des Lichtgenusses mit der Seehöhe habe ich schon früher Beobachtungen angestellt, die aber, wie ich besonders hervorgehoben habe, nur bezüglich des mittel- europäischen Alpengebietes eine Verallgemeinerung zulassen.^ Ich bin zu dem Resultate gekommen, daß sowohl im arktischen als im alpinen Gebiete die Wirkung der direkten Besonnung auf die Pflanze eine größere ist als in mittleren Breiten bei geringer Seehöhe, daß diese Beeinflussung aber bei der alpinen Pflanze in weit höherem Maße zutrifft als bei der hoch- arktischen, und schon damals habe ich dies vermutungs\\'eise auf die größere Intensität der parallelen Strahlung im alpinen Gebiete zurückgeführt.^ Auf Grund der im arktischen und im alpinen Gebiete (Mitteleuropas) angestellten Beobachtungen sprach ich den Satz aus, daß der Lichtgenuß einer und derselben Pflanze desto größer ist, je kälter die Medien sind, in welchen die betreffende Pflanze ihre Organe ausbreiten; ferner, daß mit der Zunahme der geographischen Breite der (relative und absolute) Lichtgenuß wächst, desgleichen mit der Steigerung der Seehöh e.^ Daß der Lichtgenuß einer und derselben Pflanze mit der Erhebung über der Meeresfläche zunimmt, ist von mir, wie gesagt, nur mit Rücksicht auf unser Alpengebiet, wo schon in verhältnismäßig geringen Höhen die Vegetation erlischt, ausgesprochen worden. Wie sich die Sache in Gebieten ver- hält, z. B. in dem von mir besuchten, wo selbst die Baum- vegetation über 3000 ni hinaufreicht und wo die Gewächse ganz anderen Beleuchtungsverhältnissen ausgesetzt sind als 1 Photom. Unters., III., p. 377, 409. 2 L. c. p. 411. 3 Photom. Unters., II., p. 709, und III., p. 437. Lichtgenuß der Pflanzen. 87 unsere mitteleuropäischen Pflanzen, ist bisher ununtersucht geblieben und bildet die vornehmste Frage, welche ich mir zur Beantwortung vorgelegt habe. Über den Lichtgenuß der nordamerikanischen Pflanzen sind bisher keine Untersuchungen angestellt worden. Ich stand also einem großen Beobachtungsmateriale gegenüber. Selbst- verständlich mußte ich mir betreffs Auswahl der in Bezug auf den Lichtgenuß zu prüfenden Gewächse eine große Beschrän- kung auferlegen. Ich wählte vor allem solche Pflanzen zur näheren Beobachtung aus, welche sich durch besondere Häufigkeit auszeichneten. Ferner traf ich eine weitere Auswahl, indem ich solche Gewächse in den Kreis der Beobachtung einbezog, welche sich aus geringen Seehöhen hoch erheben. Natürlich schenkte ich auch jenen Pflanzen, welche unter sichtlich charakteristischen Beleuchtungsverhältnissen leben, besondere Aufmerksamkeit. Noch habe ich hier eine Bemerkung über die Verläßlichkeit der Bestimmung jener Pflanzenarten, welche ich auf ihren Lichtgenuß prüfte, vorzubringen. Die Flora der von mir studierten Vegetationsgebiete ist von unserer mir einigermaßen doch geläufigen Flora sehr verschieden. Ich habe mich in erstere schon vor meiner Reise so weit eingearbeitet, daß sie mir nicht fremd erscheinen konnte. Ein sehr wichtiger Behelf war mir hiefür das schon oben erwähnte Herbarium, welches ich dem freundlichen Entgegenkommen des Herrn Professors Aven Nelson in Laramie verdanke. Um aber den Bestim- mungen der untersuchten Pflanzenarten die möglichst größte Sicherheit zu geben, habe ich diese Gewächse gesammelt, in gut präpariertem Zustand mitgenommen und von den berufen- sten Kennern revidieren lassen. Die Kontrolle wurde von den Herren Professoren Trelease (St. Louis, V. St. v. A.) und V. Wettstein (Wien) vorgenommen. Ich danke hier den geehrten Kollegen für ihre Mühewaltung. Ich werde im nach- folgenden stets jene Autoritäten, aufweiche ich mich in Bezug 88 J. Wiesner, auf die Artbestimmung stütze, besonders namhaft machen. BezügHch mehrerer Pflanzen bestand für mich kein Zweifel in Betreff ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Spezies, bei diesen fällt natürlich die Berufung auf eine Autorität fort. I. Beobachtungen über den Liehtgenuß krautartiger und staudenartiger Gewächse. 1. Hordeum jubatum L. Diese höchst charakteristische, insbesondere wegen ihrer überaus zart begrannten Fruchtähren leicht erkennbare Grasart ist in Nordamerika sehr verbreitet,^ kommt nach Ledebour auch in Asien (Sibirien) vor und wurde im verwilderten Zu- stande auch in Nord- und Süddeutschland und sonst auch noch in einigen Gegenden Mitteleuropas gefunden.^ Ich habe diese Pflanze von Chicago aus verfolgt. Ich beobachtete sie daselbst, später in St. Paul, hierauf in Living- stone und Mammoth Hot Springs, sodann am Wege nach dem Caiion (8168 a. F.), in der Umgebung von Colorado Springs. Auch auf der Rückreise habe ich in verschiedenen Orten des Staates Colorado, so in Monument (6874 a. F.) und Palmer Lake (7237 a. F.) dieses Gras gefunden. In der Regel tritt dieses Gras auf trockenem Boden auf; nur um Mammoth Hot Springs sah ich die Pflanze auch auf feuchtem bis nassem Grunde. In diesen beiden Fällen erscheint der Habitus geändert, auf feuchtem Grunde, an Bachufern in hoch aufgeschossenen schönen Exemplaren mit verlängerter Ähre, auf nassem Boden kurz mit relativ sehr kleinen Ähren. 1 Näheres über die Verbreitung in Nordamerika s. Mc. Millan, >The Metaspermae of Minnesota Valley«, I., Minneopolis 1892, p. 87. Britton and Brown, »Illustr. Flora of the Northern United States etc.«, I., New-York 1896, p. 229. 2 Ascherson und Gräbner, >Synopsis der mitteleuropäischen Flora«, Bd. II, I. Abt. (1902), p. 740, wo es heißt: »Bei uns mitunter zu Makartsträußen angebaut, und aus diesen Kulturen verwildert, auch anderweitig eingeschleppt« (Hamburg, Berlin, Warschau etc.). Vielleicht ändert die Pflanze in der Kultur ab, aber was ich von dieser Pflanze in Nordamerika sah, scheint die Eignung zur Verfertigung haltbarer Sträuße auszuschließen. Es zerfallen nämüch die Ähren außerordentlich leicht. Lichtgenuß der Pflanzen. 89 Überall, auch dort, wo die Pflanze auf feuchtem oder nassem Grunde wächst, ist sie in der Regel völlig frei exponiert. Der Lichtgenuß erreicht also das mögliche Maximum (L i= 1). An den verschiedenen Orten sind aber die Minima verschieden. Doch konnte ich diese Minima nur bezüglich jener Pflanzen genau ermitteln, welche auf trockenem Boden auftreten, also nur bei der gewöhnlichen Form, da ich nur diese Pflanzen bei verschiedenerBeschattung beobachten konnte. Die auf feuchtem und nassem Boden auftretenden Pflanzen sah ich nur auf freien Standorten und kann also nicht angeben, welche Minima des Lichtgenusses diese Formen faktisch besitzen. Zahlreiche von mir angeführte Messungen ergaben für diese Pflanze folgende Minima des relativen Lichtgenusses: Seehöhe Chicago 1 80 w St. Paul • 220 » Bismarck 515 » Billings 950 » Livingstone 1 346 » Mammoth Hot Springs 1946 » Canon 2491 » Collorado Springs 1851 » Palmer Lake 2205 » 5-5 1_ y 1 "5" 1 1 5 Es wurde also von 180 bis zirka 2000 w Seehöhe eine schwache Steigerung des relativen Lichtgenusses wahr- genommen. Bei weiterer Erhebung des Bodens blieb dieses Minimum konstant. 90 J. Wiesner, Aus dieser Beobachtung geht hervor, daß das Minimum des relativen Lichtgenusses von Hordetini Jubatuin m i t der Seehöhe steigt und von einer bestimmten Höhe an einen stationären Wert erlangt, d. h. die Pflanze nimmt von einer bestimmten Seehöhe einen kon- stanten Bruchteil des gesamten Tageslichtes für sich in Anspruch. Dieses Konstantwerden des relativen Lichtgenußminimums habe ich vorher nicht zu beobachten Gelegenheit gefunden, weder bei alpinen (mitteleuropäischen) Pflanzen noch an der arktischen Vegetationsgrenze. Vielmehr beobachtete ich dort ein kontinuierliches Wachsen des Lichtgenußminimums, also sowohl mit der Zunahme der Seehöhe als mit der Zunahme der geographischen Breite. Es ist nun die Frage, wie sich das Minimum des abso- luten Lichtgenusses dieser Pflanze mit Zunahme der Seehöhe verhält. Es ist dabei zu beachten, daß mit der Zunahme der Seehöhe die Lichtintensität wächst. Es läßt sich deshalb aus den für den relativen Lichtgenuß ermittelten Verhältniszahlen (Minimum am Standort im Vergleich zur Intensität des gesamten Tageslichtes) bezüglich des absoluten Minimums nichts ableiten. Es ist vielmehr erforderlich, die für das Minimum beobachtete Lichtstärke, im Bunsen'schen Maße ausgedrückt, für verschiedene Seehöhen in Vergleich zu ziehen. Nun entspricht der konstante Wert des relativen Licht- genusses (r= — ) auf Mittagsintensitäten und auf gleiche o Himmelsbedeckung bezogen in Bunsen'schem Maße aus- gedrückt in Livingstone 0' 106 » Mammoth Hot Springs 0" 110 » Caiion 0"116 (für Colorado Springs und Palmer Lake fehlen die erforder- lichen Lichtmessungen), woraus sich ergibt, daß das Mini- mum des absoluten Lichtgenusses bei Hordeiun jnhatnm bis hinauf zu den höchsten beobachteten Standorten fortwährend steigt. Lichtgenuß der Pflanzen. 91 2. Lepidium virginicum L. Diese Kruzifere ist, abgesehen von der pacifischen Küste in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, allgemein ver- breitet. ^ Als Ruderalptlanze ist sie vielfach eingeschleppt, so in ganz Britisch-Nordamerika, in Zentralamerika und Süd- amerika,^ und wurde als Schuttpflanze auch in England, Deutschland und Österreich beobachtet.^ Ich habe diese Pflanze zuerst in Chicago, dann in St. Paul beobachtet und konnte sie über Bismarck, Billings, Livingstone in den Yellovvstone National Park bis auf eine Höhe von 2491 w (Cafion, Nähe des Hotels) \'erfolgen, wo sie, der Sonne völlig preisgegeben, einen eigentümlichen, weiter unten zu besprechenden Habitus annahm. Die Regel ist ein maximaler Lichtgenuß =: 1 ; aber sie kommt auch an teilweise beschatteten Orten, selbst am Wald- rande vor. Letzteres beobachtete ich in Livingstone, wo sie und einige andere Ruderalpflanzen (z. B. Iva xanthifoUa Hutt.; nach Bestimmung des Herrn Professors Trelease, ^s^^r sp. etc.) am äußersten Waldrande mit typischen Waldbodengewächsen um Licht und Boden kämpft. Das von mir in Chicago beobachtete Lichtgenußminimum dieser Pflanze betrug — -, in St. Paul , in Bismarck -^, in Billings ---^, im Yellowstonepark von Mammoth Hot Springs bis hinauf zum Canon—-. 6 Am Waldrande bei Livingstone, wo diese gewöhnlich auf trockenem unbewaldeten Boden oder als Ruderalpflanze auf- tretende Pflanze unter anderen Lebensbedingungen als sonst erschemt, war ihr Lichtgenußminimum merkwürdigerweise höher als auf den genannten tieferen und höheren Stand- 1 Mc. Millan, 1. c. IL, p 257. Biitton and Brown, L c. IL, p. 112. 2 Schon Linne war bekannt, daß die Pflanze in Jamaika vorkommt; V. Wettstein hat sie auf seiner brasilianischen Expedition (1901) bei Rio Janeiro und bei Santos gefunden. 3 Fritsch, in den Verhandlungen der k. k. zool. bot. Ges., Wien, 1888. 92 J. Wiesner, orten. Meine Aufzeichnungen ergaben als Minimum ^ , doch o' 2 wurden viel häufiger daselbst Werte gefunden, \\'elche zwischen -— bis —- variierten. Es sind also hier am Waldrande die o 4 höchsten Minima beobachtet worden, was, wie ich glaube, darin seinen Grund hat, daß diese Pflanze hier wohl die für sie erforderlichen Lebensbedingungen findet, aber in der Konkurrenz mit anderen dem Boden besser angepaßten Gewächsen nur bei einer relativ starken Tagesbeleachtung bis zur Fruchtreife sich entwickeln kann. Auf großer Seehöhe, im vollen Sonnenschein wachsend, nimmt Lepiditim virginictun einen Habitus an, den ich in tiefen Lagen bei dieser Pflanze nirgends beobachtet habe. Die sonst aufgerichteten Stengel wachsen horizontal weiter, ähnlich so wie sich bei uns die Stengel anderer Gewächse (z. B. Hor- detmt murinufn L.) auf freien sonnigen Standorten orientieren. Diese höchst auffallende Erscheinung ist bisher auf ihre Ursache nicht zurückgeführt worden, scheint aber stets als eine Folge sehr starker direkter Besonnung. Meine in der Höhe des Cafion Hotels angestellten Beob- achtungen wurden am 31. August ausgeführt. Ein paar Tage früher beobachtete ich die Pflanzen auf tiefen Standorten von Chicago an. Wie gesagt, ich habe an den betreffenden Orten diese eigentümliche Wuchsform nicht beobachtet. Ich meine, daß, wenn sie zur Zeit meiner Beobachtungen aufgetreten wäre, sie mir kaum entgangen wäre. Indes mag es sein, daß bei hohem Sonnenstande, also etwa von Mitte Juni bis Mitte Juli, diese eigentümliche Wuchsform sich auch in tiefen Lagen aus- bildet. Lepidium virginicum verhält sich rücksichtlich seines Lichtgenusses, abgesehen von dem Vorkommen am Waldrande, genau so wie Hordetmt jubatiim. Das Minimum des relativen Lichtgenusses nimmt mit der Seehöhe bis zu einer bestimmten Grenze zu und wird dann stationär. Der absolute Lichtgenuß nimmt aber mit der Seehöhe kontinuierlich zu. Lichtgenuß der Pflanzen. 93 3. Grindelia squarrosa Dunal. Diese Komposite, von Pursh als Donia squarrosa beschrieben, ist in Nordamerika, namentlich im Westen, ver- breitet. Südlich reicht sie bis Colorado, Texas und Mexiko, östlich bis Minnesota und Nebrasca.^ Ich fand diese Pflanze allenthalben von Bismarck an bis Mammoth Hot Springs. Diese Komposite ist sehr auffallend und mit einer anderen nicht zu verwechseln; schon durch den stark klebrigen, aus stark epinastischen Blättchen zusammen- gesetzten Hüllkelch unterscheidet sie sich von allen auf gleichem Standort vorkommenden Kopfblütlern, zudem tritt sie massenhaft auf, wächst an den Häusern, auf allen unbe- bauten, nicht zu schattigen Plätzen, so daß man sich nicht wundern darf, in ihr eine der Bevölkerung wohlbekannte Pflanze zu finden. In Billings sowohl als in Livingstone wurde auf mehrfaches Befragen diese Pflanze stets »Rose weed«^ genannt. In floristischen Werken wird sie gewöhnlich »Broad leaved Gum-plant« genannt. Ich habe den Lichtverhältnissen dieser Pflanze eine beson- dere Aufmerksamkeit gewidmet. Sehr häufig tritt sie in völlig freier Exposition auf, also dem maximalen Lichtgenuß des Standortes (L = 1) ausgesetzt. Die Minima des Lichtgenusses fand ich in verschiedenen Höhenregionen verschieden. Die Bestimmung wurde mit größter Aufmerksamkeit durchgeführt und aus zahlreichen Beob- achtungen das Minimum abgeleitet. In Bismarck ging die Pflanze in dem Schatten bis auf 77^^, in Billings bis auf 10-0' "^ 8-2' in Livingstone bis auf , in Mammoth Hot Springs ^ . Es zeigt sich also im allgemeinen eine Zunahme des relativen Lichtgenußminimums mit der Zunahme der 1 Nähere Angaben über das Vorkommen, Britton and Brown, 1. c. III., p. 321. 2 ßritton and Brown (1. c.) führen die englischen Namen fast aller von ihnen beschriebenen und abgebildeten Pflanzen an. Der Name »Rose weed< ist in ihren Verzeichnissen nicht zu finden, wohl aber der Name »Rosin weed«, welchen Namen im Volksmunde andere Kompositen {Silphium-. \xien) führen. 94 J. Wiesner, Seehöhe. Doch scheint es mir keine ZufäUigkeit zu sein, daß in größeren Höhen die Zunahme eine geringere ist als auf tiefer gelegenen S tandorten. Ein Konstantvverden des relativen Lichtgenusses konnte bei dieser Pflanze nicht festgestellt werden. Die zuletzt angeführte Tatsache läßt sich zahlenmäßig noch besser veranschaulichen, wenn man die Differenzen der Minima von einem zum nächsten Standort berechnet. Von Bismarck bis Billings beträgt diese Differenz 0 • 020 >•> Billings bis Livingstone O'OIO » Livingstone bis Mammoth Hot Springs . . .0*005 Aus diesen Differenzen ergibt sich auch, daß eine direkte Proportionalität zwischen der Zunahme der Seehöhe und dem Minimum des Lichtgenusses nicht zu bestehen scheint. Mit mathematischer Genauigkeit wird sich die Änderung des minimalen Lichtgenusses wohl nicht ermitteln lassen, wenigstens nicht aus den von mir gemachten Beobachtungen. Wohl darf man aber nach den vorliegenden Beobachtungen annehmen, daß die Abnahme der Minimumwerte ihren Grund hat in der mit der Höhe zunehmenden Intensität des direkten Sonnenlichtes und mit der abnehmenden Intensität des diffusen Tageslichtes. Damit stimmen ja auch die früher an Hordeuni. jubatum und Lepidium virgniiciim gewonnenen Beob- achtungen überein, welche lehrten, daß diese genannten Differenzen (bei der ersteren) geradezu auf den Wert Null sinken. Alle die mitgeteilten Daten beziehen sich auf relativen Lichtgenuß. Berechnet man den absoluten Lichtgenuß aus den an den vier Orten beobachteten Mittagsintensitäten, so ergibt sich dieselbe Regel, welche für den absoluten Lichtgenuß der beiden früher besprochenen Pflanzen abgeleitet wurde. Sehr bemerkenswert erscheint es mir, daß in keinem Falle die freie Exposition, also der maximale Lichtgenuß sich als günstigste Beleuchtung erwies, vielmehr bei etwas einge- schränkterem Lichtgenuß die Pflanze am üppigsten gedeiht, was nicht nur in der volleren Entwicklung der Vegetations- organe, sondern auch in der Größe und Üppigkeit der Blüten- köpfe zum Ausdrucke kam. In Bismarck betrug der optimale LichtorenLiß der Pflanzen. 95 Lichtgenuß — und er erhöht sich mit zunehmender Seehöhe sichthch um eine Spur; allein mir scheint die Methode nicht scharf genug, um die sich ergebenden Differenzen mit Genauig- keit bestimmen zu können. Die Werte in den höheren Regionen betrugen nach meinen Messungen -- — — bis 1-8 1-9 • Weiters habe ich bei derselben Pflanze beobachtet, daß eine sichtliche Verkümmerung je nach der Seehöhe bei ver- schiedenen Werten des Lichtgenusses sich einzustellen scheint, doch ist mit Bezug auf die Höhenorte, an welchen die Beob- achtungen erfolgten, die Methode gleichfalls nicht fein genug, als daß sich die betreffenden Werte mit Genauigkeit hätten feststellen lassen. Es wurden zahlreiche Beobachtungen ange- stellt, welche ergaben, daß in Bismarck die Verkümmerung schon bei etwa L = — - sich einstellte, während an den anderen 4 Beobachtungspunkten die korrespondierenden Werte zwischen etu'a L =: -— bis -- schwankten. 4 3 4. Ambrosia artemisiaefolia L. Diese Pflanze konnte ich nur von Chicago bis Bismarck verfolgen. Schon in BiUings suchte ich nach ihr vergebens. Ich fand sie an allen drei Standorten, d. i. in Chicago, St. Paul und Bismarck bei völlig freier Exposition (L =r 1). Die Minima waren verschieden: Das relative Lichtgenußminimum betrug in Chicago — , in St. Paul -^, welchen V/ert ich auch in Bismarck fand. Auf unbedecktem Himmel und Mittagssonne bezogen, betrug das absolute Minimum in Chicago 0-047, in St. Paul 0-055, in Bismarck 0-058. Das Minimum des relativen Lichtgenusses wird bei dieser Pflanze schon auf verhältnismäßig geringer Seehöhe (500 ni) konstant und die Minima des absoluten Licht- genusses näherten sich schon auf verhältnismäßig geringer See- 96 J. Wiesner, höhe einem konstanten Werte. Über diese Höhe hinaus scheint die Pflanze nicht mehr fähig, im Kampfe mit anderen Pflanzen ihre Existenz zu sichern- 5. Artemisia tridentata Nutt. Es ist dies ein im vvestUchen Teile Nordamerikas in riesiger Menge auftretender Strauch, welcher in Amerika wie einige andere verwandte Arten unter dem Namen »Sage brush« oder »Sage wood« allgemein bekannt ist. In Montana bedeckt die Pflanze ungeheuere Landesstrecken oft ausschließlich. Sie dominiert nach Coulter^ von Montana bis Colorado und weiter westwärts. Auch auf den Prärien im Staate Oregon und im Gebiete des Lewis River ^ kommt dieser charakte- ristische Strauch vor. Ich habe auf meiner Reise durch Montana und später auf der Rückfahrt in Colorado diese Pflanze reichlich zu beob- achten Gelegenheit gehabt. Ich fand sie fast überall in voll- kommen freier Exposition {L ^z 1). Nur in den Höhen von Mammoth Hot Springs fand ich dieselbe bei einer kleinen Lichteinschränkung, welche den Werten bis ent- 1-3 1-4 sprach. In der Höhe von Caiion (zirka 8000 engl. Fuß) beob- achtete ich die Pflanze bei L := schon mit verkümmerten 3-4 Blättern und bei L = — im lichten Schatten von Pinus Murra- 2 yana völlig blütenlos. Diese und die nächstfolgende Spezies gehören zu den lichtbedürftigsten Gewächsen. 6. Artemisia gnaphalodes Nutt. Im weiteren Umkreise von Billings und Livingston beob- achtete ich eine massenhaft auftretende, strauchartige, im Habitus der früher genannten ähnliche, aber von ihr gänzlich verschiedene Artemisia, welche in Billings mit dem Namen Sage-brush odei SaltSage-brush bezeichnet wird. Auf der Rück- ' Coulter, Man. Rocky Mountains, New York 1885. 2 Torrey and Gray, Flora von Nordamerika. Lichtgenuß der Pflanzen. 9/ reise, in St. Louis, legte ich die Pflanze in blühendem und gut konserviertem Zustande, Herbarexemplaren, Herrn Prof. Trelease mit der Bitte um Bestimmung der Spezies vor. Er bezeichnete sie als Artemisia gnaphalodes Nutt. Auch diese Spezies ist in Amerikti, insbesondere im west- lichen Nordamerika sehr verbreitet. Vom Westen des Kon- tinents geht sie bis Michigan und Illinois. ^ Auch in Kalifornien, in Minnesota, Texas und Mexiko kommt sie vor. "^ Ich habe die Pflanze insbesondere in der Umgebung von Billings aufmerksam beobachtet; aber ich habe sie dort immer nur bei völlig freier Exposition angetroffen. Hingegen gelang es mir in Livingston sie doch auch bei eingeschränkterer Beleuchtung zu finden. Im lichten Schatten von Popiilns accii- minata (L = — ) fand ich sie, freilich in gänzlich blütenlosem Zustande in Gesellschaft fruchtender Rosen (Rosa acicnlaris Lindl.^ und nicht blühender Exemplare von Solidago sp. und Aster sp. 7. Achillea Millefolium. Die Schafgarbe gehört, ohne gerade Kosmopolit zu sein, zu den verbreitetsten Pflanzen der Erde. Sie findet sich bekanntlich in ganz Europa, im gemäßigten Asien und in Nordamerika. Engler zählt sie unter den der Vegetation der südlichen Rocky Mountains angehörigen Pflanzen auf, ^ welchem Vegetationsgebiete auch der Yellowstone Park zuzu- zählen ist. Da ich diese Pflanze auf meiner amerikanischen Reise mehrmals auffand, so schien es mir des Vergleiches halber passend, sie auf den betreffenden Standorten auf ihren Licht- genuß zu prüfen. 1 C oulter, 1. c. 2 Näheres über das Vorkommen von Art. gnaph. s. nochTorrey and Gray, Flore North Am. und Britton and Brown 1. c. p. 467 und Mac Millan 1. c. p. 551. 3 Engler, Vegetation der südlichen Rocky Mountains. Notizblatt des kön. bot. Gartens in Berlin. 1902. Sitzb. d. mathem.-naturw. Kl.; CXIV. Bd., Abt. I. 7 98 J. Wiesner, Nach meinen, auf Wiener Beobachtungen bezugneh- menden, bisher noch nicht veröffentlichten Aufzeichnungen kommt die Pflanze frei exponiert (L = 1) und in Schattenlagen vor. Das Minimum des Lichtgenusses beträgt (im Spätsommer in Wien beobachtet) = . 13-5 In Livingston fand ich das Minimum zr . Im Schatten 8-6 eines Pappelwaldes (Poptüiis accuminata) , woselbst am 27. August eine Lichtstärke = (bezogen auf iMittagsinten- 9 ■ 1 sität bei unbedecktem Himmel = 0*054) gemessen wurde, kam Achillea Millefoliuni wohl auch noch vor, gelangte aber nicht zur Blüte. Im sehr hellen Schatten von Pimis Murrayana beobach- tete ich unweit des Caiion-Hotels am 2. September in einer Seehöhe von 8000 a. F. bei blühenden Exemplaren von Achillea Millefolitmi ein Lichtgenußminimum =: (bezogen auf 7-5 Mittagsintensität bei klarem Himmel =: 0'060). Man sieht aus diesen Zahlen, daß bei Achillea Millefolimn mit der Zunahme der Seehöhe der relative Lichtgenuß zunimmt. Ein Gleiches gilt auch für den absoluten Licht- genuß. Ich führe hier noch eine am 19. August angestellte Beobachtung an, welche ich in der Nähe der Niagarafälle gemacht habe. Ich sah hier eine Achillea, welche ich für A. Millefoliimi hielt, die sich aber durch Zartheit des Auf- baues und namentlich durch zarte Fiederung der relativ großen Blätter von den mir bekannten Formen der gemeinen Schafgarbe unterschied. ^ Es fiel mir auf, daß diese Pflanze viel tiefer in den Schatten ging als unsere gewöhnliche Schafgarbe. Es war mir damals leider mein zu genauen Licht- messungen bestimmter Apparat nicht zur Hand, ich konnte 1 David F. Day führt in seiner Flora von Buffalo (The plants of Buffalo and its Vicinity, Bulletin of the Buffalo Society of Natural Sciences. Buffalo (1882, p. 1 10) nur eine A^hille.i, nainlich A. Mlllzfolium L. an. Lichtgenuß der Pflanzen. 99 also nur eine Schätzung vornehmen, welche ergab, daß das Lichtgenußminimum unter lag, also beträchtlich tiefer als das relative Lichtgenußminimum, welches ich in Wien an unserer Achillea Millefoliiim beobachtete. Die alte Linne'sche Art Achillea MillefoUtini ist in neuerer Zeit in mehrere Formen zerlegt worden, von denen einzelne als Spezies gelten. Es wäre gewiß interessant, diese verschie- denen Formen auf ihren Lichtgenuß zu prüfen, woraus sich ableiten ließe, ob und inwieweit dieselben an die Lichtstärke sich angepaßt haben, vielleicht auch, ob die einzelnen Formen nicht unter dem Einflüsse verschiedener Lichtintensität zu- stande gekommen sind. 8. bis 13. Aster sp. Der Reichtum Nordamerikas an Asterarten ist allgemein bekannt. Viele nordamerikanische Arten haben Eingang in unserer Gartenkultur gefunden. Manche weit verbreitete Spezies treten so massenhaft auf, daß sie für den Land- schaftscharakter maßgebend werden. Einige besonders charakteristische Arten habe ich in Bezug auf den Lichtgenuß eingehend studiert. Im allgemeinen ist der Lichtgenuß der amerikanischen Arten, zumal der kleinblättrigen, ein hoher; man findet sie am häufigsten bei völlig freier Exposition, doch gehen sie, wenn sie nicht gerade im Wettbewerbe mit Ruderalpflanzen stehen, noch bis — bis — oder auch noch tiefer in den Schatten. 5 8 Als Beispiel führe ich Aster adscendens Li ndl. an, welche ich in der Nähe des Cailon beobachtete (bei 8000 a. F.), deren Lichtgenuß =: 1 bis — gefunden wurde. 6 Unter allen Asterarten, welche ich im Yellowstonegebiete zu beobachten hatte, besaß keine einen höheren Lichtgenuß als die auf salzhaltigem Boden vorkommende A. lencatithe- mifolia Green. Ich beobachtete sie in der zweiten Hälfte des August in Mammoth Hot Springs. Sie ist beinahe immer voU- 7* 100 J. Wiesner, kommen frei exponiert und ich habe ihr Lichtgenußminimum nie unter — gefunden. Nach meinen Beobachtungen ist also 2 der relative Lichtgenuß dieser Aster 1 bis — . Ich füge hier gleich eine großblättrige, gleichfalls in Mammoth Hot Springs beobachtete Asterart an, welche das niedrigste Lichtgenußminimum aufwies, welches ich bei nord- amerikanischen Astern überhaupt beobachtet habe. Der Licht- genuß dieser Aster (A. conspicniis Lindl.^ =: 1 bis _ . Es ist auch die einzige von mir beobachtete Asterart, welche euphoto- metrische Blätter besaß. Einige Tage später sah ich eine groß- blättrige Asterart (A. meriUis Aven Nelson^ am Yellowstone- lake, deren Lichtgenuß 1 bis — -^ betrug. Euphotometrische ib Blätter besitzt sie aber nicht, wenn auch die älteren Blätter eine gewisse Tendenz zu euphotometrischer Ausbildung zeigten. Eine von mir in der Umgebung des Caiion am 2. Sep- tember beobachtete Asterart wies einen Lichtgenuß = 1 bis — auf. Die Seehöhe des Standortes betrug zirka 8000 a. F. 6 Bei Livingstone beobachtete ich eine blaublühende Aster (Aster incanus Green), welche frei exponiert auftritt, aber auch am Waldrande bei etwa L =: — gut gedieh. Sie ging nicht tiefer als bis auf -— in den Waldesschatten. o Eine von mir in Nordamerika oft angetroffene, weiß- blühende Asterart, deren Lichtgenuß 1 bis — - betrug, habe ich o bei Bismarck als Ruderalpflanze häufig gesehen. Nach den am 24. August vorgenommenen Beobachtungen sinkt der Licht- genuß dieser Pflanze dort nicht unter — . Auf lichtärmeren o Standorten wird sie von anderen Ruderalpflanzen, namentlich von Ambrosia artemisiaefolia T. und Lepidium virginicmn verdrängt. Lichtgenuß der Pflanzen. 101 Herr Prof. Trelease, dem ich die zuletztgenannte Aster später in St. Louis vorlegte, hatte die Güte, diese Art zu bestimmen. Es ist die Aster miiltiflorus Ait. Die vier oben genannten Spezies: A. adscendens Lindl., A. leucarthemifolnts G r e e n e, coiispicntis Lindl. und incanns Gray wurden von Herrn Prof. V. Wettstein bestimmt. Die Bestimmung von A. merittts Aven Nelson ergab sich durch den Vergleich mit dem Nelson'schen Herbar (s. oben p. 80). 14. Matricaria discoidea D. C. Diese nunmehr fast kosmopolitisch gewordene Komposite fand ich Ende August im blühenden Zustande bei Mammoth Hot Springs, wo sie stellenweise reichlich an Waldrändern auftritt. Sie kommt aber auch bei völlig freier Exposition vor. Das iVIinimum des relativen Lichtgenusses fand ich niemals unter — , so daß auf dem genannten Standorte der Lichtgenuß dieser Pflanze ■=. 1 bis — ist. 2 15. Dysodia chrysanthemoides Lag. Diese von Herrn Prof. v. Wettstein bestimmte Kompo- site habe ich am 12. September sehr häufig in der Umgebung von Colorado Springs, insbesondere auf unbebauten Stellen gefunden, wo sie frei exponiert auftrat. Sie geht aber bis zu einer bestimmten Grenze auch in den Schatten; so fand ich sie auch häufig im lichten Schatten von Pappeln (Populus accu- niinata und deltoides). Nach mehreren von mir vorgenommenen Messungen ist der relative Lichtgenuß dieser Pflanze auf den beobachteten Standorten (1860bis 1900 w)= 1 bis . 3-5 • 16. Eryophyllum integrifolium (Hook.) Green. Diese Komposite fand ich am 2. September im blühenden Zustande häufig in der Umgebung des Caiion auf einer See- höhe von beiläufig 8000 a. F. Der Lichtgenuß derselben war = Ibis-^. 5 102 J. Wiesner, 17. Madia glomerata Hook. Zu derselben Zeit beobachtete ich auf dem gleichen Stand- orte diese Komposite. Sie stand in der Regel frei exponiert, ging aber in den Schatten bis — . Nur bis — fand ich sie ^ "" 4 3 normal. Bei — erschien sie schon etwas verkümmert. Einige 4 Tage später fand ich diese Pflanze auch am Yellowstone Lake, etwa 1000 a. F. tiefer. Sie trat hier in stattlicheren Exemplaren als am Cahon auf. Der relative Lichtgenuß wurde aber trotz der beträchtlich tiefen Lage genau so wie auf dem hohen Standort gefunden. Die Lichtgenußverhältnisse sind also ähn- liche, wie bei Hordeiim jiibatiim (p. 89) und einigen anderen oben genannten Pflanzen, bei welchen trotz bedeutender Höhen- differenz von einer bestimmten Höhe angefangen der relative Lichtgenuß konstant bleibt. Da aber mit der Seehöhe die Licht- intensität zunimnit, so ist zu ersehen, daß in all diesen Fällen der absolute Lichtgenuß mit der Seehöhe zugenommen hatte. 18. Phacelia leucophylla Torr. An dieser schönen Hydrophyllacee, welche ich Ende August im Yelowstone Park noch reichlich im blühenden Zustande gefunden habe, und welche später Herr Prof. Trelease in St. Louis zu bestimmen die Güte hatte, konnte ich einige interessante Wahrnehmungen über die Lage der grundständigen Blätter (sogenannte Wurzelblätter) bei ver- schiedener Beleuchtung anstellen. ^ Die Pflanze kommt zumeist bei angenähert freier Expo- sition (L =r bis ) vor, indes auch im vollen Tages- 1-2 1-4 lichte (L r=i 1). Nach meinen Aufzeichnungen läge das Minimum des Lichtgenusses bei L zz: — ; doch habe ich die Lage des 5 Minimums bei dieser Pflanze nicht mit der nötigen Aufmerk- 1 Über Verbreitung dieser Pflanze, s. Britton and Brown 1. c. III. (1898), p. 76. Lichtgenuß der Pflanzen. 103 samkeit zu verfolgen Gelegenheit gefunden. Hingegen konnte icli feststellen, daß sie bei freier oder angenähert freier Exposition ihre grundständigen Blätter mehr oder weniger stark aufrichtet. Unter diesen Beleuchtungsverhältnissen ist das Blatt dieser Pflanze panpho tometrisch; es empfängt viel diffuses Licht, wehrt sich aber schon gegen zu starke direkte Insolation. Wenn aber die Pflanze so gegen das Tages- licht orientiert ist, daß sie einen ansehnlichen Teil des gesamten diffusen Tageslichtes als Oberlicht erhält, hingegen der direkten Wirkung des Sonnenlichtes nicht oder nur wenig ausgesetzt ist, dann werden die Wurzelblätter eupho tometrisch, sie stellen sich senkrecht auf das stärkste diffuse Licht, und wenn dies von oben kommt, genau horizontal. Die Einwirkung eines scharf abgeschnittenen Oberlichtes auf die fixe Lichtlage der Blätter von Phacelia Jeucophylla habe ich nirgends schöner ausgeprägt gefunden als auf einem bestimmten Standort in der Nähe von Mammoth Hot Springs. Es ist ein Vorkommen, welches den Eindruck macht, wie ein zu Gunsten des Beobachters von der Natur angestelltes Expe- riment, ich meine das Auftreten an bestimmten Stellen jener trichterförmig nach oben geöffneten Höhle, welche zu den Sehenswürdigkeiten von Mammoth Hot Springs gehört und als Mc. Cartney's Cave allen Besuchern des Yellowstone National Park bekannt ist. ^ Die obere Öffnung der Höhle hat einen Durchmesser von beiläufig 4 bis 5 ni. Sie setzt sich etwa zylindrisch nach unten fort und bildet hier eine stark be- schattete Ringfläche von 1 bis 2 in Breite, von wo aus sie dann vertikal in die Tiefe hinabragt. Auf der genannten Fläche finden verschiedene kraut- und staudenartige Gewächse ihr Fortkommen. Unter anderen wächst und blüht hier Phacelia leiicophylla, fast ausschließlich dem diffusen Tageslichte aus- gesetzt, und hier ist es, wo ihre Wurzelblätter euphotometrisch werden und auf der genannten Fläche sich horizontal aus- breiten. 1 Über diese und andere Höhlen in der Nähe von Mammoth Hot Springs, s. Captain H. M. Chitt enden, The Yellowstone National Park. Cincinnati 1904, p. 280. 104 J. Wiesner, Horizontal ausgebreitete Wurzelblätter genießen selbst- verständlich das stärkste diffuse Licht (Zenitlicht). Diese Beleuchtung gereicht der Pflanze, falls sie bloß auf diffuses Licht, wie in unserem Falle, angewiesen ist, zu großem Vorteil. Es ist aber leicht einzusehen, daß horizontal liegende Wurzel- blätter bei völlig freier Exposition der betreffenden Pflanze auch sehr starker Sonnenbeleuchtung ausgesetzt sind, so daß die fixe Lichtlage von Wurzelblättern fast keine stärkere Beleuchtung gestattet, als die durch die horizontale Lage gebotene. Diese Beleuchtung ist aber häufig eine zu starke, d. i. für die betreffende Lage abträgliche. In diesem Falle, wie er ja auch bei Phacelia leucopkylla vorliegt, hilft sich die Pflanze, indem ihre grundständigen Blätter den panphotome- trischen Charakter annehmen und auf diese Weise zu starke direkte Sonnenstrahlung abwehren. Die Aufrichtung der Blätter, wie eine solche bei Annahme des panphotometrischen Cha- rakters sich einstellt, hat für die Pflanze auch den Vorteil, die Wärmeausstrahlung zu vermindern nach dem bekannten Leslie-Fourier'schen Gesetze, demzufolge die Ausstrahlung mit dem Cosinus des Neigungswinkels wächst. 19. Orthocarpus luteus Nutt. In der Umgebung von Mammoth Hot Springs habe ich diese Scrophulariacee Ende August im blühenden Zustande häufig gesehen.^ Sie tritt teils auf trockenen, teils auf feuchten Standorten (feuchte Wiesen, Bachufer) auf. Licht- genuß 1 bis -r. Sowohl auf trockenem als auf feuchtem Stand- 5 orte schien sie mir bei — - bereits etwas verkümmert, woraus 5 hervorzugehen scheint, daß das Optimum des Lichtgenusses über — gelegen sei. o 20. Diodia virginiana L. Es ist dies eine schön blühende, auffällige Rubiacee, welche ich am 19. Auoust bei den Niagarafällen beobachtete. 1 Über das Vorkommen dieser Pflanze in Nordamerika, s. Britton and Irown, I. c. III., p. 181. Lichtgenuß der Pflanzen. 105 Die Pflanze stand am teilweise bewaldeten Rande eines breiten, in den Niagara sich ergießenden Baches, sichtlich einer großen Bodenfeuchtigkeit angepaßt. Da ich, wie schon bemerkt, während meines kurzen, bloß eintägigen Aufenthaltes bei den Niagarafällen meinen zu genauen Lichtmessungen dienenden Apparat nicht zur Hand hatte, konnte der Lichtgenuß nur schätzungsweise bestimmt werden. Dieser Schätzung zufolge schwankt der relative Licht- genuß dieser Pflanze zwischen — und — -, und geht das Mini- mum gewiß nicht viel unter den angegebenen kleinen Wert hinab. Aber gerade an dieser Pflanze wird ersichtlich, daß das Minimum des Lichtgenusses hier mitbestimmt wird durch den Grad der Bodenfeuchtigkeit, d. h. die Pflanze geht hier sichtlich nicht tiefer in den Waldesschatten, weil die zu ihrer Existenz erforderliche Bodenfeuchtigkeit in den tiefer beschatteten Partien des Terrains nicht mehr vorhanden war. Zur Ermitt- lung ihres wahren Lichtminimums wäre ein anderes Terrain erforderlich gewesen, auf welchem bei für die Pflanze aus- reichender Bodenfeuchtigkeit eine größere Lichteinschränkung geherrscht haben müßte. Es ist ja ganz selbstverständlich, daß der w^ahre Lichtbedarf einer Pflanze nur unter sonst gleichen Vegetationsbedingungen ermittelt werden kann, wozu noch zu bemerken ist, daß hierbei auch die Konkurrenz mit anderen Pflanzen zu beachten ist, was ich bei früherer Gelegenheit schon ausführlich besprochen habe. ^ 2L Sphaeralcea acerifolia Nutt. In den letzten Tagen des August fand ich in Mammoth Hot Springs eine schön blühende Malvacee, welche mir wegen ihrer sichtlich relativ starken Lichteinschränkung wert schien, auf den Lichtgenuß geprüft zu werden. Nach der später in St. Louis von Herrn Prof. Trelease vorgenommenen Bestimmung ist diese Malvacee Sphaeralcea acerifolia Nutt. 1 Photometr. Unters., IL, p. 607 ff. 106 J. Wiesner, Die vorgenommenen photometrischen Prüfungen ergaben, daß das Maximum des Lichtgenusses dieser Pflanze =: 1 ist, daß aber das Minimum des Lichtgenusses der Blätter bis auf sinken kann. 30 Die oberen Blätter, welche stets eine relativ größere Licht- menge erhalten, sind panphotometrisch, aber die tiefer situierten Blätter habe ich ausgesprochen euphotometrisch gefunden und gerade diese Eigentümlichkeit schien mir darauf hinzudeuten, daß diese Pflanze sich auch auf einen sehr geringen Licht- genuß einrichten kann, was die Beobachtimg auch bestä- tigt hat. Ich habe auf so großer Seehöhe kein kraut- oder stauden- artiges Gewächs gefunden, welches ein so tiefes Lichtminimum aufwies als diese Malvacee. Ihr zunächst kommt die oben genannte Aster mit einem Lichtminimum = . 25 22. Lupinus parviflorus Nutt. Diese Papilionacee sah ich im blühenden Zustande häufig zwischen Cafion und dem Yellowstone Lake. Sie tritt in freier Exposition auf, geht aber mit Jiiniperus nana und Achillea MillefoUn7n auch in lichten Waldesschatten, wo ich als Minimum des Lichtgenusses den Wert konstatierte. 6-5 Demnach ist auf den genannten Standorten (zwischen 6000 bis 8000 a. F.; die Messungen wurden in den ersten Tagen des September vorgenommen) L :=z l bis . 6" 5 Die Bestimmung der Pflanze danke ich Herrn Prot. Trelease. 23. Petalostemon violaceus Michx. Die dichten, lebhaft rotvioletten Blütenähren dieser Pflanze verleihen ihr etwas ungemein Anziehendes, und ich muß gestehen, daß diese wohltuende Wirkung auf das Auge die Lichtgenuß der Pflanzen. 107 nächste Veranlassung gewesen ist, mich mit ihr eingehender zu beschäftigen. Ich fand diese Pflanze in der Umgebung von Colorado Springs auf dem Wege zu dem -Garden of the Gods«, wo sie auf trockenen Hügeln, von Gräsern imd Kompositen über- wachsen, reichlich zu finden war. Ich untersuchte die Pflanze auf ihren Lichtgenuß, ohne zu wissen, welcher Gattung sie angehöre. Ich erriet auch die Familie nicht, welcher sie zugehört, und ich möchte zu meiner Entschuldigung anführen, daß ich später in St. Louis einem berühmten europäischen Kollegen ein sehr gut konserviertes Exemplar dieser Pflanze mit der Bitte vorlegte, mir wenigstens die Familie anzugeben, in welche diese Pflanze zu stellen ist. Auch er konnte aus dem Eindrucke, den dieses sonderbare Gewächs auf ihn machte, dessen systematische Stellung nicht angeben. Es wäre ihm und wohl auch mir bei genauer Unter- suchung mit der Lupe wohl gelungen zu erkennen, daß in dieser Pflanze ein Repräsentant einer auch bei uns sehr verbreiteten und selbst dem Anfänger bekannten Familie vor- liegt, eine Papilionacee. Die in der Infloreszenz dicht gedrängt stehenden, sehr kleinen Korollen geben den Blütenständen das rätselhafte Aussehen. Ich führe dies als ein sehr instruktives Beispiel dafür an, daß manche Pflanzen in ihrem Habitus ihre Angehörigkeit zu nahe verwandten Pflanzen so sehr ver- leugnen, daß erst eine genaue Untersuchung über ihre Stellung im Systeme aufklärt. Herr Prof. Trelease in St. Louis hatte die Güte, diese Pflanze zu bestimmen. Petalostemoii violacetis Michx. (rr Ktthnistera pitrptirea [Vent.] Mc. M.), kommt in Indiana, Texas und Colorado als Prairiepflanze vor.^ Ihr populärer Name ist Violet Prairie-clower. Die Vergesellschaftung dieser Pflanze mit anderen etwa gleich hohen Pflanzen regte mich an, die eigentümlichen natürlichen Beleuchtungsverhältnisse derselben festzustellen und mit anderen analogen Fällen zu vergleichen. 3 Britton and Brown, 1. c, II., p. 250. 108 J. Wiesner, Mit Rücksicht auf das Terrain, auf welchem Petalostemon violacetis von mir beobachtet wurde , wäre man geneigt gewesen, anzunehmen, daß diese Pflanze des vollen Tages- lichtes teilhaftig sei, also ihr Lichtgenuß =r 1 zu setzen ist. Allein man muß beachten, daß diese Pflanze nicht frei steht, sondern neben ihr gleich große oder auch etwas größere Gräser und andere krautartige Gewächse vorkommen, welche ihr einen Teil des Gesamtlichtes entziehen. Wären alle Pflanzen des Standorts gleich groß und alle ihre Blüten gipfelständig, so könnte man wenigstens mit Rücksicht auf die Blüten sagen, daß der Lichtgenuß der letzteren gleich eins sei. Allein nicht nur die Blüten sondern alle oberirdischen Organe unserer Pflanze befanden sich gewissermaßen hinter einem Schleier zarter Gräser und anderer Pflanzen, welcher lichtdämpfend auf sie wirkte. Es kann also trotz der freien Exposition des Terrains von einem Lichtgenuß = 1 weder bei Petalostemon violaceiis noch bei den Begleitpflanzen die Rede sein. Derartige Beleuchtungsverhältnisse habe ich allerdings in meinen früheren Schriften unter Hinweis auf Schutz gegen zu starke Bestrahlung^ oder um die Beleuchtungsverhältnisse des Getreides zu veranschaulichen, 2 gelegentlich kurz berührt. Aber gerade die in Rede stehende Pflanze hat mich angelockt, diesen Gegenstand im Vergleiche zu anderen Beleuchtungsverhält- nissen der Pflanze näher ins Auge zu fassen. Nur in besonderen Fällen wird der Lichtgenuß einer dem vollen Tageslichte ausgesetzten Pflanze ein so vollkommener sein, daß nicht nur die ganze Pflanze, sondern jedes seiner dem Lichte ausgesetzten Organe das gesamte Tageslicht genießt. Man denke z. B. an Lemna, deren grüne Organe auf der Wasserfläche horizontal liegen oder an die so häufig vor- kommenden vollkommen horizontal ausgebreiteten Wurzel- blätter. Bei freier Exposition ist der Lichtgenuß jedes Exem- plares der Wasserlinse r^ 1, desgleichen der Lichtgenuß des ganzen Blattwerkes grundständiger Rosetten. 1 Photom. Unters. II. (1895). 2 Photom. Unters. III. (1905) p. 412. Lichtgenuß der Pflanzen. 109 Die Regel ist aber wohl, dai3 selbst auf vollkommen frei exponiertem Standorte ein Gewächs mit einem Teile seines Laubes einen anderen Teil desselben beschattet. Bei frei exponierten Bäumen und Sträuchern drücken wir deshalb den Lichtgenuß in der Form aus, daß wir die Grenzen der Beleuchtung in die bestimmte Formel L=lbis — 11 bringen. Der Wert 1 gibt die Beleuchtung jener in der Peripherie des Laubes gelegenen Blätter an, welche des gesamten Tageslichtes teilhaftig sind; hingegen bezeichnet — n den Anteil des Tageslichtes, welches den am schwächsten beleuchteten Blättern der betreffenden Holzgewächse eben noch zu gute kommt. Eigentlich hätte bei allen Gewächsen, deren Lichtgenuß =: 1 ist, die also der vollen Tagesbeleuchtung unterworfen sind und deren Blätter sich teilweise beschatten, das an der- selben sich einstellende Minimum ermittelt werden sollen, z. B. bei den beiden oben besprochenen Artemisia-Arten, welche nach den mitgeteilten Beobachtungen fast nur bei völlig freier Exposition gedeihen (A. gnapholodes und triden- tata). Auf diese Feinheit ist aber nicht eingegangen worden und es wird Sache späterer Untersuchungen sein, nicht nur die relativen, sondern auch die absoluten Minima des Licht- genusses der Organe dieser Pflanze zu ermitteln. Indes werde ich weiter unten auch für einige staudenartige Gewächse derartige Minima, welche ich auf meiner Reise feststellte, anführen. Die Einschränkung des Lichtgenusses einer Pflanze wird entweder bedingt durch die Konfiguration des Terrains, oder durch einen Teil des eigenen Laubes oder endlich durch andere Gewächse. Der erste Fall stellt sich beispielsweise ein, wenn eine Pflanze an einer verükalen Wand, z. B. an einer Felswand steht, wo ihr bei sonst freier Exposition etwa das halbe Tages- licht entzogen wird, oder wenn eine Pflanze in einer Schlucht 110 J. Wiesner, wächst, WO sie auf einen kleinen Teil des Oberlichtes ange- wiesen ist. Man wird hierher auch jene Fälle rechnen dürfen, in welchen Mauern, Häuser, andere Baulichkeiten, Dämme etc. einen Teil des allgemeinen Tageslichtes abschneiden. Der zweite Fall wurde schon erörtert, derselbe spielt namentlich bezüglich des Lichtgenusses der Bäume und Sträucher eine große Rolle. Der dritte Fall erfordert eine nähere Betrachtung, da er in zahlreichen Typen auftritt. Man achtet aber gewöhnlich nur auf den am meisten in die Augen springenden Fall, wenn nämlich große, reichlich Schatten spendende Gewächse, Bäume und große Sträucher kleineren Gewächsen Schutz bieten. Hier spricht man von Schattenpflanzen der Au, des Waldes etc. Aber es gibt noch andere hierher gehörige Fälle, vor allem den, welchen wir im Auftreten der uns hier beschäf- tigenden Pflanze Petalostemon violaceiis vor uns haben. Es sind Pflanzen von gleichen oder nur wenig verschiedenen Dimensionen, die sich, gesellig auftretend, gegenseitig im Licht- genusse einschränken. Dieser Fall ist von mir, wie schon oben bemerkt, angedeutet, aber von keiner Seite noch eingehender erörtert worden. Auf Saatfeldern und Wiesen bildet er die Regel. Auf den ersteren entziehen nicht nur die Individuen der Saat sich gegenseitig einen Teil des Lichtes, sondern die zwischen den Getreidepflanzen auftretenden Unkräuter nehmen den kultivierten Gewächsen einen Teil des Lichtes und vice versa. Die »Dichtigkeit der Saat«, bekanntlich ein wichtiger landwirtschaftlicher Gegenstand, ist ein Problem, welches auch vom Standpunkte des Lichtbedürfnisses in die Hand zu nehmen sein wird, während man bisher' bloß die Raumfrage und die Menge der bei mehr oder minder dichter Saat den einzelnen Pflanzen zugute kommenden Bodennahrung und etwa noch die bei verschiedener Saatdichte sich ergebenden Unter- schiede der Transpiration in Rechnung gezogen hat. Hier liegt ein interessantes Problem vor, welches aus theoretischen und praktischen Gründen zu eingehender Bearbeitung einladet. Ich möchte den hier beschriebenen Fall als »Verschlei erung« der ausgesprochenen »Beschattung« gegenüberstellen. Lichtgenuß der Pflanzen. 111 Auf meine PctaJostemon violaceiis betreffenden dieß- bezüglichen Wahrnehmungen komme ich weiter unten noch zurück. Vorerst möchte ich noch auf einen vierten Typus des Lichtentzuges aufmerksam machen, der durch das Zusammen- leben verschiedener Pflanzen bedingt wird; d. i. nämlich der Lichtentzug, welcher von Epiphyten auf die dieselben tragenden Gewächse ausgeübt wird. Ich werde diesbezüglich später ein klassisches Beispiel vorzuführen in der Lage sein. Bei der Untersuchung des Lichtgenusses von Petalostemoii violaceiis habe ich auf drei Hauptpunkte geachtet: 1. auf die Beleuchtung des Standortes durch das Tageslicht, 2. auf den Lichtgenuß, welchem die Blüten, und 3. auf den Lichtgenuß, welchem die Blätter der Pflanze ausgesetzt waren. Was zunächst die Beleuchtung des Standortes anbelangt, auf welchem ich die genannte Pflanze beobachtete, so war dieselbe so gut wie dem gesamten Tageslichte ausgesetzt. Das Terrain war allerdings gewellt und in der Ferne erhoben sich Gebirge, darunter auch der 4310 m hohe Pike's Peak. Aber was hier an Licht abgeschnitten wird, ist mit Rücksicht auf die geringe Intensität der in der Nähe des Horizonts reflektierten Lichtstrahlen so wenig, daß es vernachlässigt werden kann. Die Lichtstärke des Standortes darf = 1 gesetzt werden. Die nachfolgenden Beobachtungen wurden am 12. Sep- tember angestellt. Die Blütenstände unserer Pflanze habe ich nur selten sich über die umgebenden Gräsern erheben sehen. Die Verschleie- rung der Infloreszenzen durch die begleitenden Gräser hatte einen Lichtentzug zur Folge, welcher einem relativen Licht- genußminimum =: entsprach. Stärker war das Laub durch die umgebenden Gräser und Kompositen verschleiert. Nirgends sah ich die Blätter unter Beleuchtungsverhältnissen, welche einem Lichtgenusse =: 1 entsprochen hätte. Als Minimum des Lichtgenusses fand ich . Unter erscheinen die Blätter vergilbt oder ver- 12 12 kümmert. 112 J. Wiesner, 24. Mentzelia nuda (Pursh) F. et G. Diese prachtvoll blühende Onagrariacee habe ich auf demselben Standorte wie die frühere, aber sonst noch oft in Colorado gesehen. Gewöhnlich ist die Pflanze vollkommen frei exponiert. Es gelang mir nicht, sie auf Standorten zu beob- achten, auf welchen die Terrainverhältnisse den Lichtgenuß eingeschränkt haben würden. Wo sie wie Petalostemon viola- ceiis zwischen hohen Gräsern auftritt, sah ich den Licht- genuß der Blüten nur bis auf sinken. Der Lichtgenuß des 1-8 Laubes sinkt gewiß nicht so tief wie bei Pentalostemon viola- ceus. Da die Pflanze aber nur sehr vereinzelt auftrat, so ist es mir nicht gelungen, eine genauere Messung auszuführen. Die Bestimmung dieser Pflanze wurde von Herrn Prof. Trelease kontrolliert. IL Beobachtungen über den Liehtgenuß von Holz- gewäehsen. 1. Pinus Murrayana »Oreg. Com.« Diese Föhrenart, in Nordamerika Lodgepole Pine genannt,^ kommt, Wälder bildend, im Yellowstonepark in ungeheuren Massen vor. Um Mammoth Hot Springs habe ich sie noch nicht gesehen, aber gegen den Cafion zu und weiter bildet sie in den Höhen die vorherrschende, häufig aus- schließlich den Wald zusammensetzende Holzart. Aven Nelson^ bezeichnet sie als die häufigste Föhrenart Wyomings, welche in einer Seehöhe von 6000 bis 9000 a. F. am besten gedeiht. Ich habe diese Baumart unter allen von mir untersuchten Koniferen des Gebietes am eingehendsten in Bezug auf ihren Lichtgenuß und was damit zusammenhängt, studiert. 1 In anderen Staaten Nordamerikas führt sie andere Namen, so in Mon- tana White Pine, in Colorado Spruce Pine etc. Aven Nelson, Wyoming Expe- riment Station. Bulletin No. 40. The Trees of Wyoming p. 68. 2 Nelson, 1. c. p. 79. Lichtgenuß der Pflanzen. 113 Die Verzweigung des Baumes ist eine höchst einfache. 2 bis 3 m hohe Bäumchen weisen meist nur eine Zweig- ordnungszahl =: 1 auf, ^ d. h. außer dem Hauptaste sind nur einfache Seitenzweige, also nur Nebenachsen der ersten Ordnung vorhanden. Bäume von 50 a. F. Höhe und darüber weisen höchstens eine Verzweigungszahl =: 4 auf. In der Regel beträgt aber die Verzweigungszahl der Bäume 2 bis 3. Bei dieser geringen Verzweigung kann es nicht wunder- nehmen, daß dieser Baum in verschiedenen Seehöhen (beob- achtet zwischen 6400 bis 10.000 a. F.) in der Verzweigungs- weise nichts Auffallendes darbietet. Während reicher verzweigte Bäume mit dem Vorrücken gegen den Pol oft auch mit steigender Seehöhe ihre Verzweigung stark vereinfachen,^ ist eine solche Vereinfachung bei Pimis Murrayana auf zunehmender See- höhe kaum bemerkbar. Der H abitus der Bäume ist ein höchst auffälliger: diese Föhrenart hat einen pyramidenartigen Bau und nimmt be- sonders auf großer Seehöhe eine zypressenartige Form an, was, wie wir sehen werden, mit dem Lichtgenuß dieses Nadel- baumes im innigsten Zusammenhange steht. Die Wuchsverhältnisse der Triebe sind stets derartig, daß eine schmale Pyramidenform des Baumes eingehalten wird. Die Seitensprosse streben nach aufwärts und, da sie häufig lang und dünn sind, so wird es begreiflich, daß sie nicht selten sich nach abwärts neigen. Es geschieht dies aber wieder in der Weise, daß der Kronenumfang dadurch nicht oder nur wenig vergrößert wird. Das so ungemein ausgesprochene Aufvvärtsstreben der Seitenäste beruht entweder auf negativem Geotropismus oder auf Hyponastie. Diese Alternative könnte nur durch das Experiment entschieden werden. Tatsächlich habe ich folgendes beobachtet. An den infolge »toter Last- krümmungen« ^ nach abwärts geneigten Seitenzweigen richten sich die wachsenden Zweigenden auf. Diese Aufrichtung erfolgt durch das Konx-exw erden der morphologischen 1 Über Zweigordnungszahlen, s. Wiesner, Photom. Unters., II. p. 677ff. 2 Phot. Unters., III. p. 417 bis 425. 3 Wiesner, Studien über den Einfluß der Schwerkraft auf die Richtung der Pflanzenorgane. Diese Berichte, Bd. 111 (1902), p. 734 ff. Sitzb. d. mathem.-naturw. Kl.; CXIV. Rd., Abt. I. 8 1 14 J. Wiesner, Unterseiten der nach abwärts gekrümmten Sprosse, was sowohl auf negativen Geotropismus als auf Hyponastie dieser Sprosse schließen läßt. Da indes die Zweige aufstreben, ohne jemals die vertikale Lage zu überschreiten, was ja bei starker Hyponastie mehr oder minder häufig eintreten müßte, so ist es wahrscheinlich, daß bei der Aufrichtung Geotropismus im Spiele ist. Diese Auffassung ist um so berechtigter, als an Seitenzweigen von Koniferen bisher wohl epinastisches nie- mals aber noch hyponastisches Längenwachstum beobachtet wurde. ^ Wie dem auch sei, sowohl das Abwärtshängen der Zweige als ihre Fähigkeit, sich vertikal aufzurichten, ver- hindert eine stärkere horizontale Ausbreitung der Krone und kommt der Einhaltung der Zypressenform zu gute. Diese Form ist oft ungemein ausgesprochen und man wäre häufig beim Anblick von der Ferne geneigt, Pimis Mnrrayana eher für eine Zypresse als für eine Föhre zu halten. Selbst auf beträchtlichen Höhen behält Pintis Murrayana ihren Habitus und geht nicht in die Krummholzform über. Herr V. Portheim hat auf dem in der Nähe des Canon sich erhebendem Mt. Washburne in einer Höhe von etwa 9000 a. F. diesen Baum in pyramidenförmiger Gestalt und nie in der Krummholzform gesehen. Dennoch ist eine gewisse krummholzartige Ausbildung hin und wieder an dieser Konifere zu beobachten, nämlich gerade an den höchsten Exemplaren, wenn dieselben frei exponiert sind. Die Verzweigung geht dann bis auf den Grund und die tiefsten Zweige streben nicht wie die höher situierten empor, liegen vielmehr horizontal am Boden und nehmen einen krummholzartigen Habitus an. An solchen freistehenden hohen Bäumen kann man häufig auch die Beobachtung machen, daß die Krone in zwei bis drei Etagen sich gliedert, wodurch die Einstrahlung schrägen Seitenlichtes in die Krone befördert wird. Es ist dies aber doch nur eine bei hohen Baumindividuen vorkommende und auch bei diesen nicht allgemeine Erscheinung; die Regel ist eine gewisse Gleichmäßigkeit im ganzen Bereiche der Krone. 1 1. c. p. 771 ff. Lichtgenuß der Pflanzen. 115 Ich betone ausdrücklich: im ganzen Bereiche ihrer Krone. Ich betone dies, weil der Baum nur bei völHg freier Exposition seine Krone gleichmäßig entwickelt, bei einseitiger Be- leuchtung aber nur an den Lichtseiten, was man am Wald- rande stets sehen kann. Im Walde sehen wir die Krone klein, indem der Hauptstamm sich hoch hinauf »reinigt«, d. h. von den Seitenästen befreit.^ AU' dies hängt mit den Licht- verhältnissen dieser Baumart auf das innigste zusammen, wie ich gleich erörtern werde. Der Anblick des pyramidenförmigen Aufbaues der Pivitis Murrayana lehrt deutlich, daß sie gleich der echten Zypresse ^ sich hauptsächlich an das Vorderlicht angepaßt hat und nur relativ wenig vom Zenithlicht genießt. Die Zunahme der Lichtstärke mit der See höhe und insbesondere die Zunahme der Intensität der direkten Strahlung nötigen diesen Baum, sich auf den beträchtlichen Höhen, auf welchen er vorkommt, vor jenem besonders intensiven Lichte, welches von hoch- stehender Sonne kommt, zu schützen. Wir haben also hier dieselbe Anpassung an die Lichtstärke vor uns wie bei der Zypresse. Beide wehren die intensiven Strahlen der hochstehenden Sonne ab; aber während die Zypresse sich gegen die südliche Sonne wehrt, muß sich Piniis Älurrayana gegen die infolge der großen Seehöhe gesteigerte Strahlung zur Wehr setzen. Ich habe zahlreiche Lichtgenußbestimmungen an diesem Baume vorgenommen. Vor allem ist leicht ersichtlich, daß das Lichtgenußmaximum =: 1 ist. Es scheint dies auch das Lichtgenußoptimum zu sein, denn die schönsten üppigsten Bäume habe ich nur auf völlig freiem Standort gesehen. Wie ungemein lichtbedürftig der Baum ist, sieht man an der Änderung seines Habitus bei ungleichseitiger Beleuchtung. • Eine gute Abbildung des Innern eines aus der »Lodgepole pin« ge- bildeten Waldes mit seinen weit hinauf kahlen Schäften findet sich bei Nelson, 1. c. Fig. VIII. 2 Phot. Unters. III. 428 ff. 8* 116 J. Wiesner, Ich habe dies schon früher berührt. Bei starkem Vorder- und schwachem Hinterlichte, selbst häufig schon am Waldrande, bildet der Baum nur etwa die halbe Krone aus, entwickelt nämlich die Zweige fast nur an der Lichtseite. Im geschlossenen Walde ist an hohen Bäumen die Krone nur deshalb so klein, weil das dort so starke Zenithlicht gegen die Tiefe der Krone zur Erhaltung des Lebens der Blätter unzureichend wird und das seitliche Licht daselbst gleichfalls nicht ausreicht, den Zweigen die zum Lebensunterhalte erforderliche Lichtmenge zuzu- führen. All dies deutet schon auf ein sehr hohes Minimum hin. Das Minimum ist in der Tat sehr hoch gelegen. Ich fand dasselbe immer in der Nähe von PinnsMnrrayana gehört 6 somit zu den lichtbedürftigsten Bäumen, die man kennt, und wird nach den bisher vorliegenden Unter- suchungen in dieser Beziehung unter den Koniferen nur von der Lärche {Larix decidiia Mill.) übertroffen. ^ Der angeführte Näherungswert des Minimums bezieht sich auf relativen Lichtgenuß, d. h. zum Gedeihen dieses Baumes ist beiläufig der sechste Teil des gesamten Himmels- lichtes erforderlich. Sinkt die dem Baume sich darbietende Lichtstärke unter — des Tageslichtes, so kann er nicht mehr 6 gedeihen; wo im Bereiche des Waldes die Lichtstärke unter diesen Wert sinkt, muß die Krone absterben oder kann sich nicht weiter entwickeln. Es ist mir an diesem Baume aufgefallen, daß an großen freistehenden Bäumen die Minima niedriger gelegen sind als an kleinen im Waldschlusse auftretenden Individuen. Es sinken da die Minima bis auf — , ja selbst bis auf — Ich habe 8 10 die gleiche Erfahrung früher schon auch an anderen Baum- arten gemacht, z. B. an der Buche, welche als üppig ge- deihender, freistehender Gartenbaum mit einer kleineren Licht- menge auskommt als ein im Waldesschluß stehender Baum.^ 1 Phot. Unters. II. p. 657. Lichtgenuß der Pflanzen. 117 Ziehe ich aber die kleinsten Werte in Betracht, welche ich für das Lichtminimum erhalten habe, so finde ich, daß die relativen Minima auf größeren Seehöhen nicht mehr zunehmen, vielmehr entweder konstant bleiben oder sogar abnehmen. Was zunächst das Konstantvverden des Minimums bei steigender Seehöhe anlangt, so lehrt eben diese Beobachtung, daß der absolute Lichtgenuß mit der Seehöhe dennoch zu- nehmen muß, da ja die Lichtstärke mit der Seehöhe zunimmt. Aber gerade auf den größten Höhen beobachtete ich, daß die relativen Minima etwas gesunken waren (von -v- bei 6400 Fuß auf ja sogar auf bei 8500 Fuß). Als ich den 6-4 6-9 Lichtgenuß im absoluten Maße ausdrückte, ergab sich, daß die Lichtintensitätswerte (auf mittägliche Lichtstärke um S^ und ^0^ bezogen) trotz sinkender relativer Lichtintensität nahezu konstant geblieben waren, nämlich dem Werte 0-255 sich näherten. Aus dieser Beobachtung folgt, daß das relative Licht- genußminimum, von Pititis Mtirrayana mit der S e e h ö h e — innerhalb der Regionen des normalen Gedeihens dieses Baumes — nicht steigt, vielmehr entweder konstant bleibt oder sogar etwas sinkt, daß aber das absolute Lichtgenußminimum mit zunehmender See- höhe einem konstanten Werte sich nähert. Dieses Resultat scheint mir sehr bemerkenswert, weil es zeigt, daß bei dem Aufstieg eines Gewächses in höhere Regionen doch nicht genau dieselben Änderungen des Licht- genusses sich einstellen, wie bei dem Vorrücken eines Ge- wächses gegen die Pole zu. Nach den früher von mir veröffent- lichten Beobachtungen nimmt sowohl der relative als auch der absolute Lichtgenuß eines Gewächses mit der Zunahme der geographischen Breite des Standortes zu, während bei Piniis Murrayanä der absolute Lichtgenuß in größeren Höhen immer mehr und mehr einem konstanten Werte sich nähert. Die Wahr- nehmung, daß auf großer Seehöhe die relativen Minima des 1 Photom. Unters. II. p. 657. 118 J. Wiesner, Lichtgenusses kleiner werden, lehren deutlich, daß Pinus Miirrayana einen Teil des dargebotenen Lichtes, der von dem Baume sonst ausgewertet wird, sich nicht mehr zu nutze macht. Es steht dies, wie ich glaube, im Zusammenhange mit dem Habitus der Pflanze, welcher ja danach angetan ist, das stärkste Licht abzuwehren. Gerade die Studien über den Lichtgenuß von Pinus Murrayatia geben gleich den oben für kraut- und Stauden- artige Gewächse mitgeteilten Daten einen Fingerzeig, wodurch die arktische Pflanze von der Höhenpflanze in Bezug auf die Ausnützung des Lichtes sich unterscheidet. Die erstere sucht mit dem Vorrücken gegen den Pol immer mehr und mehr von dem Gesamtlichte zu gewinnen. Dies tut die über die Meeresfläche sich erhebende Pflanze nur bis zu einer be- stimmten Grenze; von hier an wird ihr relativer Lichtgenuß konstant, ja sogar kleiner, ihr absoluter aber nähert sich einem konstanten Werte oder erreicht denselben sogar. 2. Pinus flexilis James. Dieser Föhre begegnete ich sehr häufig in der Umgebung von Mammoth Hot Springs. Auf beträchtlich größerer Seehöhe wurde sie von Herrn v.Portheim auf Mt.Washburne beobachtet. Sie ist ebenso gut charakterisiert durch ihre verhältnismäßig großen Zapfen wie durch die Biegsamkeit der jüngeren Zweige, daher auch ihr Speziesname und der Trivialname »Limber Pine«.^) Auch durch ihre langen in Büscheln zu fünf ange- ordneten Nadeln unterscheidet sie sich auffälligst von Pinus Mtirrayana, welche nur kurze Nadeln besitzt, welche an den Kurztrieben zu zweien sich vorfinden. Die Verzweigungszahl beträgt bei kleinen Bäumen 3, bei mitteren 3 bis 4, aber bei völlig ausgewachsenen Bäumen 4 bis 5. Sie ist also im Vergleiche zu Pinus Murrayana reicher verzweigt. Was den Habitus des Baumes anlangt, so ist seine Tendenz zu pyramidenförmigem Aufbaue schon auf der Höhe 1 N clson, 1. c. p. 77. Lichtgenuß der Pflanzen. 119 von Mammoth Hot Springs deutlich ausgesprochen. Aber erst auf großen Höhen tritt die zypressenförmige Gestalt mit größerer Deutlichkeit hervor. Herr v. Portheim hat auf dem Mt. Wash- burne in einer Höhe von zirka 9000 a.F. eingesprengte Individuen von Pinus flexilis gesehen. Wenn auch der Baumkörper- dort nicht jene Schlankheit erreichtwieP«/M5M«rrßyßwa,so gemahnt nach V. Port heim 's Beobachtungen die Gestalt der ersteren doch an die Zypressenform. P/«zf5_/?fA.77/5 besitzt auch dieselben Mittel, um die Krone schmal zu erhalten wie die letztere, indem auch ihre Astenden vertikal aufstreben, auch wenn die Seitenäste nach abwärts hängen. Die biologische Be- deutung der Zypressenform ist bei Piiius flexilis selbst- verständlich dieselbe wie die schon früher erörterte, auf Pinus Murrayana bezughabende. Lichtgenuß. Stets ist das Maximum des Lichtgenusses = 1. In der Umgebung von Mammoth Hot Springs habe ich an jüngeren Bäumen ein relatives Lichtgenußminimum =: — bis — gefunden. Bei sehr jungen nur wenige Meter 8 9 hohen Bäumchen ist das Minimum noch niederer. An hohen Bäumen sinkt hier das Minimum nach meinen Beobachtungen auf — bis — . 9 11 Herr v. Portheim hat auf dem Mt. Washburne in der schon angegebenen Seehöhe eigentlich dieselben Werte des relativen Lichtgenußminimums beobachtet, an heran- gewachsenen Bäumen sogar — bis — , d. h. ein etwas kleineres 11 13 relatives Minimum, als ich in viel geringerer Seehöhe fest- stellte. Es ist dieselbe Erscheinung wie die, welche ich auf verschiedenen Höhen bei Pinus Murrayana wahrgenommen habe. Das relative Minimum des Lichtgenusses bleibt mit zunehmender Seehöhe konstant oder sinkt sogar. Leider haben die am Mt. Washburne nur durch kurze Zeit durchgeführten Lichtmessunngen es nicht erlaubt, einen genauen Vergleich mit dem in Mammoth Hot Springs gemachten anzu- stellen; aber die größere Lichtstärke (bei gleicher Sonnenhöhe 120 J. Wiesner, und unbedecktem Himmel) auf Mt. Washburne wurde zweifel- los festgestellt. Es ist deshalb in hohem Grade wahrscheinlich, daß auch Piniis ßexilis mit steigender Seehöhe einem konstanten absoluten Lichtgenuß zustrebt. 3. Picea pungens Enge Im. Diese charakteristische Konifere, welche man so häufig in unseren Gärten und Anlagen findet, wo sie durch die blau- graue Benadelung auffällt, ist in den Rocky Mountains weit verbreitet, aber sie bildet niemals geschlossene Wälder, sondern erscheint nur im Walde eingesprengt oder zu kleinen Gruppen vereinigt. Auch in den Wäldern des Yellowstonegebietes ist sie nicht selten zu finden, aber auch hier erscheint sie zumeist ver- einzelt, sticht aber dort durch die blaugraue Färbung ihrer Krone stark ab gegen die sie begleitenden Bäume. Sie wird in Nordamerika, wo sie sehr häufig wie bei uns in Gärten gezogen wird, allgemein »Blue Spruce« genannt. Im Gesamtgebiete der Rocky Mountains erscheint sie zumeist in mittleren Höhen, steigt aber doch bis auf 9000 a. F., wo sie indes nur mehr selten gefunden wird. Sie bevorzugt feuchten Boden. * Das Maximum des Lichtgenusses dieses Baumes ist =: L Das Minimum sinkt aber bei diesem Baume so tief wie bei keiner anderen Konifere des besuchten Gebietes. Wegen des sehr zerstreuten Vorkommens hatte ich nicht Gelegenheit, das Minimum des Lichtgenusses genau zu ermitteln. Es liegt aber sichtlich viel tiefer als bei allen von mir untersuchten Koniferen des Yellowstoneparks. In der Nähe der Canons und auf dem Wege nach Old Faithful, jedesmal in der Höhe von beiläufig 8000 a. F., fand ich an großen Bäumen das relative Minimum des Lichtgenusses — bis — . Auf solchen Höhen hatte der 60 62 Baum einen zypressenartigen Habitus, während er bei mittlerer Elevation mir im Aufbaue unseren Tannen am meisten zu ähneln schien. 1 Nelson, 1. c. p. 83. Lichtgenuß der Pflanzen. 121 In den Gärten von Salt Lake City (auf einer Seehöhe unter 4000 a. F.) habe ich diesen Baum oft gesehen und auch dort das Minimum bestimmt. Die erhaltenen Werte (ermittelt am 8. und 9. September, während die Beobachtungen imYellowstone- gebiete 8 bis 10 Tage früher angestellt wurden) schwanken zwischen — bis — . Jedenfalls liegt bei 8000 a. F. das 64 70 relative Minimum höher als bei 4000 a. F. Aber der Unter- schied ist, wie man sieht, kein großer. Auf Mittagsintensität und klaren Himmel bezogen, betrug das Minimum in Salt Lake City 0-018 bis 0-020, bei Old Faithful 0-021 bis 0 023. Aus diesen Zahlen ist zu entnehmen, daß auch das absolute Lichtgenußminimum bei Picea pungens von 4000 auf 8000 a. F. steigt, aber in sehr geringem Grade, und sich einem konstanten Werte zu nähern scheint. In unseren Gärten ist das relative und absolute Minimum so tief unter — , daß ^ 90 / es nach meiner Methode nicht mehr mit Sicherheit bestimmt werden kann. Jedenfalls lehren die Beobachtungen, daß Picea pungens ein Baum ist, welcher sich auf einen sehr geringen Lichtgenuß einzurichten vermag. Die spärlichen Beobachtungen über die Änderung des Lichtgenusses mit der Seehöhe widersprechen nicht jenen Wahrnehmungen, welche ich in dieser Beziehung bei den beiden oben vorgeführten Koniferen gemacht habe, und scheinen eher mit denselben im Einklang zu stehen. 4. Pseudotsuga Douglasii Enge Im. Dieser Baum, die Douglasfichte, ist in Nordamerika sehr verbreitet, insbesondere im westlichen Nordamerika, wo er zwischen dem 34. und 52.° n. Br. teils reine Wälder bildet, teils mit anderen Holzarten gemengt vorkommt, so besonders häufig mit Larix occidentalis Nutt., und mit Pintis ponderosa Dougl. In der weiteren Umgebung von Mammoth Hot Springs, wo ich diesen Baum zu beobachten Gelegenheit hatte, fand ich 1 22 J. Wiesner, ihn zumeist neben Pimis flcxilis. In Wyoming reicht dieser Baum bis auf eine Höhe von 10.000 a. F. ^ Im Habitus ähnelt er unserer Fichte, mit der er manches andere gemein hat, unter anderem die große Variabilität. Man unterscheidet zahlreiche Formen, welche auf zwei Typen zurückgeführt werden, nämlich auf Pseudotsuga Doiiglasii var. glauca und macrocavpa, erstere mit stark bereiften Nadeln, letztere wenig oder unbereift, mit relativ sehr großen Zapfen, Letztere scheint auf das südliche Kahfornien beschränkt. Im übrigen Verbreitungsbezirk finden sich nur Unterformen der Varietät glauca. Im Yellowstonegebiete kommt nur die Varietät glauca vor, welche Nelson als Pseudotsuga taxifolia (Lem.) Britt. be- schreibt. - Die Douglasfichte erreicht in der Umgebung von Mammoth Hot Springs eine ziemliche Höhe, bis 50 und 60 a. F.; innerhalb des Staates Wyoming geht aber die Höhe des Baumes bis auf 100 a. F. Der Habitus der im Yellowstonegebiete beobachteten Douglasfichte ist fichtenartig, doch, wie ich glaube, im ganzen gestreckter. An herangewachsenen Bäumen geht die Zweig- ordnungszahl bis 5, beträgt aber zumeist 3 bis 4. An jüngeren Bäumen beobachtete man aber doch in der Regel nur den Wert 2 bis 3. Das Maximum des Lichtgenusses ist — . 1. Da der Schaft ziemlich hoch hinauf sich reinigt, so ist bei älteren Bäumen die Bestimmung des Lichtgenußminimums häufig nicht ausführbar. An 16 bis 20 ni hohen Bäumen war es mir nur ein einziges Mal möglich, eine genaue Bestimmung auszuführen. Ich erhielt den Wert . Hingegen konnte ich 20 häufig die Intensität des Schattenlichtes mit der gesamten Lichtstärke des Himmels vergleichen. Ich erhielt, in der Mitte der Kronenbasis gemessen, 1 ui unterhalb derselben, den Wert — bis — , Werte, die begreiflicherweise viel höher als das 5 6 1 Nelson, 1. c. p. 85. 2 1. c. p. 85. Lichtgenuß der Pflanzen. 123 Lichtgeniißminimum gelegen sind. Wo ich den Grund der Krone an solchen Bäumen erreichen konnte, betrug das Schattenlicht — bis — , Werte, welche dem Minimum schon 11 13 mehr genähert sind. An jüngeren Bäumen sind die Minima bedeutend höher. So fand ich bei Bäumen von 7 bis 8 in Höhe die Minima =: — bis — . 5 7 Leider war ich nicht in der Lage, die Lichtminima in weit auseinanderliegenden Seehöhen zu ermitteln, da ich zu den Bestimmungen geeignete Bäume nur in der weiten Umgebung von Mammoth Hot Springs auffinden konnte. Zumeist waren die gereinigten Schaftteile großer Bäume, und um diese hat es sich ja hauptsächlich gehandelt, wenn das wahre Minimum ermittelt werden sollte, zu hoch, als daß ich bei der mir zu Gebote gestandenen Ausrüstung eine Bestimmung hätte machen können. Meine in den letzten Tagen des August in einer Seehöhe von 5500 bis 6000 a. F. ausgeführten Messungen ergaben für den Lichtgenuß der ausgewachsenen Douglasfichte 1 bis — . 5. Juniperus virginiana L. In der näheren und weiteren Umgebung von Mammoth Hot Springs habe ich zahlreiche Bäume dieser Wachholderart gesehen. Diese Bäume erreichten oft eine Höhe von iOm und einen Stammdurchmesser von 0*5w. Durch ihre breite Krone unterschieden sie sich von den in die Höhe strebenden Kronen von Pinus ßexilis, P. Mtirrayana, Picea pungens und Pseudo- tsuga taxifolia. All die letztgenannten Koniferen sind Vorder- lichtbäume, während sich unsere Wachholderbäume als Ober- lichtbäume schon durch ihre Gestalt off'enbarten. Selbst an völlig freistehenden Bäumen reinigt der Stamm sich hoch hinauf, was bei freistehenden Vorderlichtbäumen nicht vor- kommt. Die Zweigordnungszahl reichte bis auf 6, betrug aber an ausgewachsenen Bäumen arewöhnlich 4 bis 5. 124 j. Wiesner, Was den Lichtgenuß anbelangt, so ist dieser Baum als sehr lichtbedürftig zu bezeichnen; er kommt dementsprechend zumeist auch frei exponiert vor, einem Lichtgenuß m 1 aus- gesetzt. Im Innern der Krone fand ich ein Sinken des Licht- genusses bis auf -^, sogar bis —-. Es fiel mir auf, daß einzelne mit stark grau bereiftem Laube versehene Bäume ein niedrigeres Minimum aufwiesen, welches bis zu — reichte. 6. Juniperus nana Will d. Diese strauchartige Wachholderart ist bekanntlich weit verbreitet, kommt in Europa, im nördlichen Afrika, in Asien und Nordamerika vor. Ich habe sie im Yellowstonegebiete in Höhen von 6000 bis 8000 a. F. häufig gesehen. Auf sonnigen Standorten sowohl als im lichten Schatten der Wälder (ins- besondere unter Pmns Murrayana) bildet sie einen kleinen am Boden liegenden Strauch, ist also, gleich dem früher genannten baumartigen Wachholder, auf Oberlicht angewiesen. Sie geht in dem beobachteten Gebiete in den Schatten des Waldes mit Liipiiins parvißoriLS, aber auch noch tiefer mit (blühender) Achillea Millefolhun, indes ist sie auch noch an schattigen Standorten zu finden, wo man Lupitms parvißorus nicht mehr begegnet und wo Achillea Millefolinm nicht mehr blüht. Tat- sächlich wurde ihr Lichtgenuß noch kleiner gefunden, näm- lich -—bis———-. Innerhalb der Regionen, welche in dem durch- 9 9" 6 reisten Gebiete ihren Standort bilden (6000 bis 8000 a. F.), habe ich das relative Minimum des Lichtgenusses nahezu konstant gefunden, woraus sich ergibt, daß das absolute Minimum mit der Seehöhe eine Steigerung erfährt. Leider reichten meine Beobachtungen nicht aus, um zu konstatieren, ob der absolute Lichtgenuß der Sträucher in großer Seehöhe einen konstanten Wert erreicht oder einem solchen sich nähert. 7. Acer glabrum Torr. In der Nähe von Mammoth Hot Springs beobachtet. Der Lichtgenuß betrug 1 bis-—. Die tiefer in der Laubmasse befind- ^ ^30 Lichtgenuß der Pflanzen. 125 liehen Blätter hatten einen entschieden euphotometrischen Charakter angenommen. 8. Acer dasycarpum Elirh. Ich habe diesen Baum in der Nähe der Niagarafälle beob- achtet. Aus oben angeführten Gründen konnte ich eine genaue Minimumbestimmung nicht vornehmen. Die damals vorgenom- mene Schätzung ergab —bis — . Da der Baum auch auf freiem 35 40 j j Standorte vorkommt, so ist der Lichtgenuß =: 1 bis — bis — . ^ 35 40 Ich habe später diesen Baum bei Pocatello im Staate Idaho beobachtet. Es war dies auf der Rückfahrt aus dem Yellovv- stonegebiete zwischen Monida und Salt Lake City. Pocatello liegt in einer Seehöhe von mehr als 4000 a. F. Ich fand den relativen Lichtgenuß des Baumes hier (am 7. September) — 1 bis — . 25 Aus beiden Daten ergibt sich, daß der relative Licht- genuß dieses Baumes mit der Seehöhe, und zwar in sehr auf- fälligem Maße steigt. Ich bemerke hiezu noch, daß der Breiten- unterschied zwischen Niagarafalls und Pocatello nur ein geringer ist; erstere liegen etwa noch um einen Grad nördlicher als letzterer Ort. Leider hatte ich nicht Gelegenheit, diesen Baum in noch größeren Höhen zu beobachten. Es ist aber der Lichtintensitäts- unterschied zwischen Niagarafalls und Pocatello (mit Bezug auf gleiche Sonnenhöhe und unbedeckten Himmel) doch derart, daß sich aus den beobachteten Minimis wenigstens das eine mit Sicherheit ableiten läßt, daß auch der abs olute Licht- genuß des Baumes bis zu einer Seehöhe von 4000 a. F. zu- nimmt. 9. — 12. Populus sp. Nordamerika ist bekanntlich reich an Pappeln. In Weyo- ming kommen nach Nelson^ folgende Pappelarten vor: Popii- lus angustifolia ] am es (Narrowleaf Cottonwood), P. accnminata 1 L. c, p. 91 bis 95. 126 J. Wiesner, Rydb. (Lanceleaf Cottonvvood), P. deltoides Marsh. (Cotton- wood), (= carolitienis Moench = moiiilifera Ait. r=: angulala Ait.), P. halsamifera L. (Balm of Gilead) und P. tremtüoides Michx. (Aspen) (=: tremuliform.is Em.). Ich habe alle diese Arten im Yellowstonegebiete ange- troffen und außerdem die ursprünglich nur in Europa und Asien einheimische P. alba L. und P. pyramidalis Roz., welche letztere bekanntlich vielfach nur als Varietät unserer Schwarzpappel (P. nigra L.) betrachtet wird. Ich konnte der floristischen, auf Nordamerika Bezug nehmenden Literatur nicht entnehmen, ob all die so häufig vorkommenden pyramiden- förmig aufgebauten Pappeln auf P. pyramidalis (= P. dilatata Ait.) zurückzuführen sind. Meine die Gattung Populns betreffenden Lichtmessungen sind sehr unbefriedigend ausgefallen, da ich häufig wegen der Höhe der Kronenbasis keine genauen Minimumbestimmungen vornehmen konnte. Ich habe zudem den Eindruck bekommen, daß die Arten sehr variieren, was sich unter anderem in den oft sehr ungleichen Werten der Minima aussprach. Unsere Poptihis alba habe ich im Yellowstonegebiete und sonst auch oft in Nordamerika gesehen. Im ersteren fiel es mir auf, daß die Silberpappel hier in einer kleinblättrigen Form vorkommt. Aber auch weiter südwestlich an der Grenze von Idaho und Utah, z. B. zwischen Pocatello und Ogden (also auch noch in beträchtlicher Seehöhe [von zirka 4000 a. F.]) sah ich diese kleinblättrige Form der Silberpappel. Ich habe an ver- schiedenen Punkten auf einer Höhe von 3000 bis 4000 a. F. den Lichtgenuß dieser Form bestimmt und fand als Maximum 1, als Minimum — bis — . Indes habe ich in anderen Gebieten, z.B. 8 10 in Ilinois, auch unsere Form der P. alba angetroffen, wo sie in einer Seehöhe von 500 bis 800 a. F. reichlich auftritt. In Wien beobachtete ich ein Lichtgenußminimum von — . Die 15 von mir angestellten Beobachtungen stimmen mit der sonst von mir beobachteten Regel überein, daß wenigstens bis zu einer bestimmten Seehöhe das Lichtgenußminimum steigt. Lichtgenuß der Pflanzen. 127 Sehr häufig sah ich Populits trenmloides, aber in sehr ver- schiedener Ausbildung, so z. B. in Dvelle (am westHchen Aus- gang des Yellovvstoneparkes) und Monida relativ dicht beblättert, weniger reichlich in Billings oder noch höher am Yellovvstone River hinauf, z. B. in Mammoth Hot Springs. An den dichter beblätterten Bäumen sank das Minimum bis auf— -bis— ;-, wäh- rend ich auf den Höhen von Mammoth Hot Springs ein Minimum von —— —bis —- beobachtete. Auch diese Beobachtungen ent- 4-2 6 sprechen der von mir festgestellten Relation, nämlich der Steigerung des relativen Lichtgenußminimums mit der Seehöhe (bis zu einer bestimmten Grenze). Die eben genannten Aiinima und —;- beziehen sich auf Bäume, welche bei etwa gleicher 4-2 6 Seehöhe auf ungleichartigem Boden standen. Das höhere Mini- mum f-r-TT 1 bezieht sich auf trockenen, das niedere auf feuchten Standort. Die starke Erhöhung des iMinimums in Mammoth Hot Springs dürfte indes unter Mitwirkung des Hitze- laubfalls (siehe unten) zu stände gekommen sein, den ich ja dort auch faktisch an P. trenmloides festgestellt habe. Popiilus accumhiata. Am Waldrande bei Livingstone und zwar am Yellowstone River fand ich als relatives Minimum an vollkommen herangewachsenen Bäumen— -bis 8 9-1 • Popiilus deltoides. In Colorado Springs fand ich den rela- tiven Lichtgenuß dieses Baumes = 1 bis — , in Billings hin- gegen 1 bis—. Ich muß hier hinzufügen, daß ich in Wien eine als Populiis ntoiiilifera bestimmte Pappel auf ihren Lichtgenuß geprüft habe und denselben =: 1 bis — - fand. Nun wird P. moni- 6 lifera mit P. deltoides identifiziert. Nach allen meinen sonstigen Lichtgenußbestimmungen müßte der für Wien gefundene Wert im Vergleiche zu den eben genannten Werten der nordameri- kanischen Bäume kleiner sein. Ich kann die Vermutung 128 J. Wiesner, nicht unterdrücken, daß unter den Formen der P. deltoides Bäume von verschiedenem Lichtgenuß auftreten. Es könnte indes auch sein, daß der Standort (siehe oben S. 116 bezüglich der Buche) hier mehr als sonst auf den Lichtgenuß einwirkt. Popalus halsamea. In Colorado Springs. L zzz 1 bis — r. Popnhis pyramidalis. Herr v. Porthe im hat den Licht- genuß dieses Baumes in der Umgebung von Salt Lake City bestimmt und die Werte 1 bis — beobachtet. Ob alle nord- 21 amerikanischen Bäume, welche den zypressenartigen Habitus unserer P. pyramidalis besitzen, mit unserer europäischen Art identisch sind, welche, wie schon bemerkt, nur eine Form der P. 7//^ra repräsentieren soll, muß ich unentschieden lassen; aus der floristischen, auf Nordamerika bezugnehmenden Literatur konnte ich diesbezüglich nichts entnehmen. Ich habe aber auf meiner Reise durch Nordamerika die Beobachtung gemacht, daß viele von mir gesehene Pappeln — ich glaube, daß sie zu- meist dem Formenkreis der Deltoides angehörten — mehr oder minder die Tendenz zu zypressenartigem Habitus zeigten, namentlich in erheblichen Höhen (so z.B. in der Umgebung von Denwer in einer Seehöhe von zirka 4500 bis 5000 a. F.). Indes sind mir auch auf geringen Seehöhen in Virginien zahllose Pappeln aufgefallen, welche einen Übergang von der abgerun- deten Kronenform zur Zypressenform darboten. Das Laub allervon mir beobachteten amerikanischen Pappeln habe ich panphotometrisch gefunden. 13. Betula occidentalis Hook. Ich habe diese Birkenart (Western Birch) in der Umgebung von Mammoth Hot Springs genauer untersucht. Ich bestimmte dort ihre Zweigordnungszahl, welche bis 4 reichte. An normal aussehenden Büschen oder Bäumen konstatierte ich einen 1 relativen Lichtgenuß = 1 bis — . In einzelnen Fällen, auf feuch- 14 tem Untergrund sinkt das Lichtgenußminimum auch auf kleinere Werte. In einem Falle konstatierte ich sogar L^ia = 77^- Lichte;enuß der Pflanzen. 129 Doch kamen an trockenen Standorten auch Minima zur Beobachtung, welche über — lagen. Dieselben wurden aber nur 14 an stark besonnten Stellen beobachtet, wo infolge Hitzelaub- falles (siehe unten) eine Reduktion des Laubes sich einstellte, welche das relativ höhere Minimum zur Folge hatte. 14. Symphoricarpus oreophilus Gray.^ Ich habe diesen Strauch bei Mammoth Hot Springs oft gesehen. Der Lichtgenuß betrug 1 bis — . Ich fand dort klein- 20 blättrige und großblättrige Formen. Der Lichtgenuß der ersteren ist ein sehr hoher, nämlich 1 bis — ; bei der letzten reicht das 3 Minimum bis — . Ich habe auch an ein und demselben Strauche 20 in der Peripherie kleine, in der Tiefe des Laubes große Blätter angetroffen. Es hängt aber die Blattgröße von dem Lichtgenusse ab und es ist kaum zu bezweifeln, daß beim Überschreiten eines bestimmten Optimums die Blattgröße abnimmt. Ich habe ähnliche Verhältnisse früher schon auf experimentellem Wege bei anderen Pflanzen beobachtet.^ Die kleinen Blätter (man könnte sie nach der geläufigen Terminologie als Sonnenblätter bezeichnen) waren panphotometrisch, die großen hingegen euphotometrisch. 15. Shepherdia argentea Nutt. Diese Elaeagnusart [E. argentea Pursh. =: Leptargyreia argentea Green.) fand ich in den Auen am Yellowstone River beiLivingstonein zahlreichen Individuen. Bäume und Sträucher, welche mit Früchten besetzt waren, hatten einen Lichtgenuß = 1 bis — . Unfruchtbare, aber gut belaubte Sträucher sah ich 14 1 Nach Bestimmung des Herrn Prof. Trelease. 2 Phot. Unters. I, 230. Sitzb. d. mathem.-nafiirw. K!.; CXIV. Bd., Abt. I. 130 J. Wiesner, im Schatten von Popnlus accuminata bei einem tiefer gelegenen Minimum. Das Schattenlicht hatte im Vergleich zur Intensität 1 des gesamten Tageslichtes eine Stärke, welche bis auf ~ abgeschwächt war. In diesem Schatten fand ich, aber gleichfalls ■in nicht blühendem Zustande, jene Aster (und zwar die oben genannte Art, welche blühend bloß bis zu L m — - vorkommt), Achillea Millefoliimi, eine Solidagoart, endlich noch SU'eptopns amplexifoUiis DC. in Früchten, welche Pflanze also zur Zeit, als die Pappeln schon belaubt waren, in Blüte stand. Auch eine Rosenart, welche ich mit Früchten besetzt bei einem Licht- genuß = 1 bis —-beobachtete, fand ich im Schatten der Pappeln, 6 aber ohne Frucht. 16. Vaccinium myrtillus var. microphylla. Oft und in zahlreichen Exemplaren fand ich diesen kleinen Strauch im Yellowstonegebiete. Meine auf denselben Bezug nehmenden Lichtgenußbestimmungen sind aber sehr unvoll- kommen. Ich kann aus meinen Aufzeichnungen nur anführen, daß ich diesen kleinen Strauch am 3. September in der Höhe von Thumb bay im Schatten des Waldes so weit verfolgte, bis er zu verkümmern begann, also das Minimum des Lichtgenusses aufsuchte, welches ich r= -——gefunden habe. 17. Vitis cordifolia als Liane auf Acer dasycarpum. In der Umgebung der Niagarafälle, im Walde und an den Waldrändern hatte ich Gelegenheit, verschiedene auf Ahornen kletternde F/Y/5-Arten zu beobachten. Die Ahorne waren mit- hin die Stützbäume, aufweichen die wilden Weinstockarten emporkletterten, also, in der nun herrschend gewordenen Ter- minologie ausgedrückt, als Lianen lebten. Ich habe die sich mir darbietende Gelegenheit benützt, um, so gut dies bei dem kurzen nur eintägigen Aufenthalte an den Niagarafällen und bei den unvollkommenen Mitteln, welche mir Lichtgenuß der Pflanzen. 131 auf der Durchreise zu Gebote standen, möglich war, die Licht- verhältnisse der Stützbäume und der mit denselben verbundenen Lianen zu ermitteln. Die Bedeutung des Lichtes für die Lianen ist von allen neueren, mit dem Studium dieser merkwürdigen Gewächse beschäftigt gewesenen Forschern stets besonders betont worden, so von Ch. Darwin, welcher in seinem Werke über Kletter- pflanzen in den Schlußbemerkungen sagt: »Pflanzen werden Kletterer, damit sie, wie vermutet werden kann, das Licht erreichen und eine große Fläche der Einwirkung des Lichtes und der freien Luft aussetzen können. Dies wird von der Kletterpflanze mit wunderbar geringem Aufwände an organischer Substanz bewerkstelligt, wenn man sie mit Bäumen vergleicht, welche eine Last schwerer Äste auf einem massiven Stamme zu tragen haben. »^ Ähnlich hebt auch Schenck in seinem bekannten den Kletterpflanzen gewidmeten Werke die Bezie- hungen der Lianen zum Lichte hervor, indem er sagt: »Der Vorteil, den die kletternde Lebensweise für eine Pflanze mit sich bringt, besteht darin, mit möglichst wenig Aufwand an Materiale rasch zum Lichte im Kampfe mit den übrigen Gewächsen einer dichten Vegetation emporzugelangen, und alle besonderen Eigentümlichkeiten in der Lebensgeschichte der Lianen lassen sich auf diesen Hauptzweck zurückführen.«^ Etwas genauer beobachtete ich einige Exemplare von Acer dasycarpnm Ehrh.,^ auf welcher Vitis cordifolia Lam.'^ kletterte. Diese Bäume hatten einen Kronendurchmesser von 3 bis 4 w. Die Krone dieser Bäume war von der Liane zum 1 Ch.Darwin's gesammelte Werke. Aus dem Englischen. Carus, Bd. IX, Kletternde Pflanzen, p. 144. 2 H. Schenk, Beiträge zur Biologie und Anatomie der Lianen. L Teil. Jena 1892, p. 11. 3 Kommt wild wachsend in Buffalo (und weiterer Umgebung) vor. David F. Day, The Plants of Buffalo and its Vicinity. Bull, of the Buffalo Soc. of nat. sc. 1882, No. 3, p. 91. Daselbst werden von dort vorkommenden Ahornen außer der genannten Art noch folgende Spezies angegeben: A. PensylvanicuniL, spica- tum Lam., saccharinum Wang. und rubrum L. '1 D. F, Day, 1. c. p. 90, nennt außer Vitis cordifolia noch folgende in Buffalo und Umgebung vorkommende Arten von Vitis: lahrusca L. und aesti- valis Michx. 9* 132 J. Wiesner, geringen Teile durchwachsen, zum großen Teile bedeckt. Hier trat jene Erscheinung klar zu Tage, welche ich schon oben (S. 111) bei Besprechung der Einschränkung des Lichtgenusses der Pflanzen berührt habe und welche darin besteht, daß ein Epiphyt oder eine Liane dem Stützbaum Licht entzieht. Die Wirkung ist zwar eine gegenseitige, d. h. es entzieht der Epiphyt, beziehungsweise die Liane dem Stützbaume Licht und vice versa. In unserem Falle aber lehrte die Beobachtung höchst auffällig, daß die Liane im Kampfe um Licht im Vorteile gegenüber dem Stützbaume war. Ich bestimmte zunächst den Lichtgenuß von Acer dasy- carpum. Um möglichst verläßliche Werte zu erlangen, wählte ich Bäume, welche frei von Lianen waren. Da ich Acer dasy- carpiim auch völlig frei exponiert antraf, so ergibt sich und zwar ohne jedwede Lichtmessung, daß das Maximum des relativen Lichtgenusses des Baumes r= 1 ist. Die Ermittlung des Minimums konnte aus schon angeführten Gründen unter den gegebenen Verhältnissen nur annäherungsweise bestimmt werden. Das Minimum kann, meinen Bestimmungen zufolge nicht unter — gelegen sein; es ist aber nicht ausgeschlossen, 1 . 1 daß es höher gelegen ist, etwa zwischen -— bis —r. Das Maximum des Lichtgenusses von Vitis cordifolia fand ich gleichfalls = 1. Das Minimum reicht entschieden viel tiefer als bei Acer dasycarpimi und liegt, so gut ich dasselbe zu schätzen vermochte, bei —r bis -— , jedenfalls unter — r . 70 80 70 Unter dem Einflüsse der Lianen hatten die Stützbäume einen großen Teil ihres Laubes eingebüßt und nur innerhalb dünngebliebener Strecken des Weinlaubes hatte sich das Ahorn- laub verhältnismäßig reichlicher erhalten. Da sich der Ahorn früher belaubt als der Wein, so ist an- zunehmen, daß die Sprosse des letzteren, indem sie in die Krone einzudringen versuchten, schon in sehr geschwächtem Lichte ihr Geschäft verrichten mußten. Doch suchte die Liane Licht zu gewinnen, was sich in der Tatsache ausspricht, daß die Sprosse von Vitis mehr in der Nähe der Peripherie als im Lichtgenuß der Pflanzen. 133 Innern der Krone des Ahorns sich entwickelten. Zum größten Teile breitet Vitis, wie schon bemerkt, über der Krone des .Ahorns ihr Laub aus. Würde Vitis das Laub früher entfalten edsAcer, so müßte letzterer in seiner Laubentwicklung zurück- geblieben sein oder hätte sich überhaupt nicht belauben können. Unter den tatsächlichen Verhältnissen kam es aber doch zu einer, später durch die Entwicklung der Liane stark reduzierten Belaubung. Der Kampf des Stützbaumes mit der Liane um das Licht prägt sich in dem Zusammenleben der beiden genannten Holz- gewächse klar aus. Da, wie wir gesehen haben, Vitis cordi- folia ein niedrigeres Lichtgenußminimum besitzt als Acer dasycarpum, so ist erstere dem Ahorn bei dem Kampf ums Licht überlegen. Indes scheint der Ahorn doch Mittel zu be- sitzen, um der Unterdrückung durch den Weinstock entgegen zu wirken. Ich sah, daß durch die dicke Laubdecke, mit welcher Vitis den Ahorn überzog, Triebe des letzteren empor- drangen, welche ganz normal belaubt waren. Es waren dies offenbar Triebe, die sich aus Zweigen entwickelten, welche infolge der Lichtschwächung, durch die Liane ihre Blätter ver- loren hatten. Die Belaubung dieser Zweige mußte später er- folgt sein als der normalen Belaubungszeit des Ahorns ent- spricht. Die eben angeführten, wie ich gerne gestehe, sehr mangel- haften Beobachtungen sind in Bezug auf den Lichtgenuß der Lianen doch nicht ohne Wert. Nach den oben mitgeteilten Thesen über die Beziehung der Lianen und der Stützbäume zum Lichte möchte man erwarten, daß das Maximum des Licht- genusses der ersteren stets größer sein müßte als das der letzteren. In dem von mir vorgeführten Falle trifft dies aber nicht zu. Wir haben vielmehr gesehen, daß in unserem speziellen Falle die Maxima des (relativen) Lichtgenusses für Liane und Stützbaum gleich hoch gelegen sind, hingegen zeigt sich in Bezug auf die Minima ein großer Unterschied: das Lichtgepußminimum liegt bei der Liane bedeutend niederer als bei dem Stützbaunie und dies ist der Grund, weshalb die Liane befähigt ist, den Stützbaum durch Lichtentzug zu entlauben oder doch seine 134 J. Wiesner, Laubmasse zu verringern. Die Liane ist also im Kampfe ums Licht dem Stützbaume überlegen. Um es verständlich zu machen, daß bei gleichem Licht- genußmaximum ein niedrigeres Lichtgenußminimum der Liane zum Vorteil gegenüber einem Stützbaume gereicht, der ein höheres Lichtgenußminimum besitzt, stelle ich folgende Be- trachtung an. Ein Laubbaum, welcher im vollem Lichte gedeiht, trägt in der Peripherie seiner Krone Blätter, deren Lichtgenuß = 1 ist. Li tieferen Zonen der Laubmasse sinkt der Lichtgenuß immer mehr, beispielsweise auf — , -- etc., bis das Minimum er- reicht ist, welches ich beispielsweise =: -— annehme. Es ist nun vor allem leicht einzusehen, daß ein solcher Laubbaum von einer Liane durchsetzt werden kann, deren Lichtgenuß kleiner als — ^ ist. Indem sich nun das Laub der Liane innerhalb der 10 Krone des Stützbaumes entwickelt, entzieht sie dem Laube des letzteren so viel Licht, daß es zu einer teilweisen Entlaubung des Stützbaumes kommen muß, falls derselbe schon das Minimum seines Lichtgenusses erreicht hat. Noch stärker wird die Entlaubung des Stützbaumes aber ausfallen, wenn die Liane sich infolge ihres niedrigen Minimums des Lichtgenusses durch die ganze Krone des Stützbaumes hindurch geearbeitet hat und nunmehr ihr Lichtgenußmaximum ausnützend, über der Krone des Siützbaumes sich entwickelt und ausbreitet. Warum die Liane dem Stützbaume gegenüber aber selbst dann noch im Vorteil ist, wenn ihr Laub gleich jenem des letzteren im vollen Lichte sich befindet, ist bisher noch nicht festgestellt; es ist aber anzunehmen, daß das Optimum des Lichtgenusses der Liane mit dem Maximum zusammenfällt oder diesem sehr nahe kommt, während dieses Optimum beim Stützbaume tiefer gelegen sein dürfte. Die Optima des Lichtgenusses sind aber überhaupt bis jetzt noch nicht experimentell ermittelt worden. Schon nach den bis jetzt bekannt gewordenen Eigen- tümlichkeiten der Lianen kann es wohl keinem Zweifel unter- liegen, daß die Lichtverhältnisse derselben im Vergleiche zu denen der Stützbäume höchst verschieden sind. Vorherrschen Lichtgenuß der Pflanzen. 135 dürfte aber der eben angeführte Fall, vielleicht mit der Ab- änderung, das auch das Optimum des Lichtgenusses der Liane höher liegt als das des Stützbaumes. Daß der Lichtgenuß der Lianen je nach der durch die An- passung beherrschten Ausbildung der oberirdischen Organe ein höchst verschiedener ist, läßt sich schon aus manchen in der Literatur vermerkten Daten ableiten. Wir lesen beispiels- weise bei Schenck: »Verhältnismäßig wenige Vertreter (der Lianen des brasilianischen Waldes) bleiben krautartig, so die im Waldschatten sich aufhaltende Dioscoreen und Cucurbitaceen. « ^ Es geht aus dieser Angabe zweifellos hervor, daß die Maxima des Lichtgenusses dieser Pflanzen sehr niedrig gelegen sein müssen und es ist wahrscheinlich, daß die Unterschiede zwischen Maximum und Minimum überhaupt nicht groß sind. Andrerseits können die Unterschiede im Lichtgenusse auch sehr beträchtlich sein, wofür ja schon Vitis cordifolia ein gutes Beispiel bildet. Ein anderes uns näher liegendes Beispiel bietet der Epheu dar, dessen Lichtgenußmaximum zweifellos = 1 ist und dessen Minimum gewiß sehr tief gelegen ist: man erinnere sich nur daran, in welch tiefem Waldesschatten der Epheu noch gedeiht. Dieses Minimum ist aber bisher noch nicht ermittelt worden. Ein anderes gutes Beispiel für einen weiteren Spielraum der Lichtgenußvverte (Maximum, Minimum) bieten vielleicht die zweigklimmenden Sträucher von Securidacca (Poly- gonacee), welche nach Schenck^ in den Kronen der Stütz- bäume ihr Laub ausbreiten und zwischen niederem Ge- sträuch ein förmliches Dickicht bilden. Zwischen niederem Strauchwerk kommt ihnen aber gewiß ein hoher Lichtgenuß zu und wenn diese Seciiridacca-Sixä.nchev ein Dickicht zu bilden vermögen, so ist dies ein Anzeichen, daß ihr Laub sich auch auf einen sehr niederen Lichtgenuß einrichten kann. Die tiefsten Maxima des Lichtgenusses sind bei jenen zahlreichen Lianen zu erwarten, welche durch langgestreckte 1 1. c. Bd. I., p. 9. 2 1. c. I., p. 203. 136 J. Wies n er, Internodien ihrer blattlosen oder bloß mit reduzierten Blättern ver- sehenen Sprosse ausgezeichnet sind, deren Lichtgenußminimum möglicherweise = 0 ist, die nämlich im tieferen Waldesdunkel zur normalen Entwicklung kommen können. Daß diese lang- gestreckten blattlosen oder nur mit reduzierten Blättern ver- sehenen Internodien vieler Lianen nicht als bloße Folge eines Etiolements zu betrachten sind, sondern ererbte Eigentümlich- keit repräsentieren, ist schon von Schenck ausgesprochen worden, doch fehlt es auch hier noch an eingehenden Beob- achtungen, vor allem an experimentellen Prüfungen. Schon die paar oben angeführten gelegentlich gemachten Beobachtungen und die daran geknüpften Bemerkungen ge- nügen, um anzudeuten, wie lohnend es wäre, den Lichtgenuß der Lianen namentlich im Vergleiche zu jenen der Stützbäume eingehend zu studieren. Es könnte durch derartige Studien das Verhältnis der Lianen zu ihren Schutzbäumen in mancherlei Be- ziehung geklärt werden. III. Über den in großen Seehöhen sich einstellenden Hitze- laubfall. Ich unterwarf im vorigen, bekanntlich durch eine außer- ordentliche Hitzeperiode ausgezeichneten Sommer (1904) die in derselben stattgefundene Entlaubung einem eingehenden Studium. An anderer Stelle ^ habe ich über diese auffällige Er- scheinung, welche ich als »Hitzelaubfall« bezeichnete, meine Erfahrungen und Anschauungen bekannt gegeben ^ Ich zeigte, daß Roßkastanien, Linden und Ulmen dem Hitzelaubfall unter unseren Holzgewächsen am stärksten unter- worfen sind, Weiß- und Rotbuchen u. a. weniger, Lorbeer in kaum erkennbarem Grade. Am Liguster habe ich (in Baden bei Wien) selbst an den sonnigsten Stellen keinen Hitzelaubfall wahrgenommen. Der Hitzelaubfall ergreift die verschiedenartigsten Holz- gewächse (sowohl Laub- als Nadelbäume'') aber in ver- schiedenem Grade. Es scheinen auch manche Baum- und 1 Berichte der Deutschen Botan. Gesellschaft, Bd. XXII (1904), p. 501 ff. 2 1. c. p. 503 und 505. Lichtgenuß der Pflanzen. 137 Strauchgruppen zu existieren, welche dieser Form der Ent- laubung nicht unterliegen. Der Hitzelaubfall tritt nur bei großer Bodentrockenheit und starker (paralleler) Bestrahlung durch die Sonne auf und ist nicht zu verwechseln mit dem »Sommerlaubfall« ^, welcher innerhalb des Sommers fällt, in jedem Sommer auf- tritt, die Folge der mit Sommerbeginn sich einstellenden abnehmenden Lichtintensität ist und nicht durch direktes paralleles Sonnenlicht, sondern durch ein Mindermaß von diffusem Tageslichte reguliert wird. Der Hitzelaubfall kommt bei starker Erhitzung des chloro- phyllhaltigen Gewebes der Blätter dadurch zu stände, daß in- folge übermäßiger Transpiration, bei ungenügender Zufuhr des Wassers das Blattgewebe zerstört wird (»verbrennt«, wie es im Volk'smunde heißt). Die Ablösung der Blätter ist eine Folge ihres Absterbens; insoferne verhalten sich die beim Hitze- laubfall sich loslösenden Blätter nicht anders als Blätter, die auf eine andere Weise getötet, stark verwundet worden oder abgestorben sind. In der Regel erfolgt das Verbrennen der Blätter nicht, wie man vermuten sollte, in der Peripherie der Blattkrone, sondern tiefer im Innern, aber doch immer nur dort, wo das Laub noch direkt bestrahlt ist, also an Stellen, welche, auf die Flächeneinheit bezogen, nicht minder stark als die Peripherie der Baumkrone bestrahlt sind, aber begreiflicherweise einer geringeren Ausstrahlung unterliegen. Ich habe mir, nachdem ich in Wien und seiner weiten Um- gebung diese Beobachtung machte, vorgenommen, den Hitze- laubfall, so weit es Zeit und Umstände zulassen würden, auch in Nordamerika zu verfolgen und hoffte, da man damals bei uns mehrfach glaubte, daß die Hitzeperiode in allgemeiner Ver- breitung die Vegetationsgebiete beherrsche (man brachte die vorjährige Hitzeperiode mit der einjährigen Sonnenflecken- periode in Zusammenhang) und wegen der bekannten klimati- schen Verhältnisse der von mir durchreisten Länder, dort einen besonders stark ausgeprägten Hitzelaubfall konstatieren zu 1 Wiesner, 1. c. p. 64, ff. 138 J. Wiesner, können. So weit ich auf meiner Reise in geringer Seehöhe mich bewegte (New York, Chicago, St. Paul, Min.), war aber merk- würdigerweise von Hitzelaubfall weniger zu bemerken als in Wien. Nordamerika hatte eben im vorigen Jahre einen relativ kühlen Sommer.^ Doch habe ich in der Umgebung der drei genannten Städte, beziehungsweise in deren Parkanlagen an Ulmen ziemlich stark ausgeprägten Hitzelaubfall beobachtet. Weniger ausgeprägt aber doch erkennbar und vom Sommerlaub- fall unterschieden, auch an Linden, Ahornen und Hainbuchen. Ich bemerke aus bestimmten Gründen ausdrücklich, daß ich an den genannten Lokalitäten an Pappeln {Popiihis carolmensis, P. alba etc.) keine Spur von Hitzelaubfall wahrgenommen habe. Es hat mich anfänglich überrascht, überall auf größeren Seehöhen in Nordamerika dem Hitzelaubfall zu begegnen und zwar auch an Holzgewächsen, welche in der Tiefe diese Er- scheinung nicht gezeigt hatten. Es fiel mir zuerst in Billings auf, daß die dort von mir beobachteten Pappeln, wenn auch im geringen Grade, aber doch wahrnehmbar die Erscheinung des Hitzelaubfalles darboten. Es waren dies Populns carolinensis, P. tremiiJoides und P. alba (kleinblätterige Form). Die erst- genannte Art hatte ich, wie schon bemerkt, in der Umgebung der drei früher genannten Städte in Bezug auf Hitzlaubfall ins Auge gefaßt, ohne daß ich auch nur eine deutliche Spur dieser Erscheinung wahrnehmen konnte. Aber auch in dem viel höher gelegenen Bismarck, wo ich außer P. caroli- nensis auch P. alba und P. treimiloides sah, bemerkte ich an diesen Bäumen nichts von Hitzelaubfall. Viel deutlicher als in Billings trat die Erscheinung schon in Livingstone und in ziemlich starker Ausprägung in der Umgebung von Mammoth Hot Springs auf. Es war unverkennbar, daß mit der Seehöhe der Hitze- laubfall zunahm. Es erklärt sich dieses Verhalten nicht nur aus der mit der Höhe wachsenden Lichtintensität, sondern aus der mit der Höhe zunehmenden Intensität der direkten Strahlung im Vergleiche zur Stärke des diffusen Lichtes. Um so mehr muß dieser Erklärung zugestimmt werden, als, wie schon 1 Siehe oben p. 85. Lichtgenuß der Pflanzen. 139 oben dargelegt wurde, der Hitzelaubfall eine Folge direkter paralleler Strahlung ist. Von Laubhölzern habe ich auf hochgelegenem Standorte Hitzelaubfall noch an Betula occidentaJis und an nicht näher bestimmten Weidenarten festgestellt. Es wurde schon oben darauf hingewiesen, daß an einzelnen Exemplaren von Behila occidentalis, welche ich in der Um- gebung von Mammoth Hot Springs beobachtete, der Licht- genuß auffallend tief unter dem normalen Werte stand. Bei genauerer Untersuchung ergab sich, daß diese Exemplare der Sonne sehr stark exponiert waren und durch Hitzelaubfall einen Teil ihres Laubes eingebüßt hatten. Was die Weiden {Salix sp.) anlangt, welche die Er- scheinung des Hitzelaubfalles darboten, so habe ich dieselben an Bachufern zwischen Tumb bay und Old Faithful in einer See- höhe von 8300 a. F. beobachtet. Die Erscheinung war sehr augenfällig. Bei diesen Weiden (die Specis war nicht zu be- stimmen) war auch das periphere Laub »verbrannt«; da das- selbe trotz der starken Ausstrahlung >^ verbrannte«, so ist an- zunehmen, daß es der Sonnenstrahlung gegenüber besonders empfindlich ist. Es ist schon oben bemerkt worden, daß ich in Europa Hitzelaubfall auch an Koniferen gesehen habe. In höchst auf- fälliger Weise trat mir diese Erscheinung an Piniis Mnrrayana, die ich überhaupt nur auf großen Seehöhen gesehen habe, entgegen und ich kann wohl sagen, daß ich an Tausenden von Exemplaren dieser Baumart Hitzelaubfall in scharf aus- geprägter Form gesehen habe. Die »verbrannten« Nadeln dieses Baumes haben eine auffällige gelbbraune Farbe. Die Nadel- büscheln, welche »verbrannten«, lagen fast nie in der Peripherie der Baumkrone, sondern zumeist tiefer im Innern derselben, aber doch immer so, daß sie der direkten Sonnenwirkung aus- gesetzt waren. An anderen Pinus-Avien des Yellowstonegebietes tritt die Erscheinung des Hitzelaubfalls in viel schwächerem Grade auf. Ich habe namentlich auf P. ßexilis geachtet, insbesondere in der Umgebung von Mammuth Hot Springs, ohne einen einzigen Baum gesehen zu haben, an welchem stark ausgesprochener 140 J. Wiesner, Hitzelaubfall zu konstatieren gewesen wäre. Die tannen- und fichtenartigen Nadelbäume, welche der Yellowstonpark be- herbergt, scheinen dem Hitzelaubfall nicht oder nur wenig unterworfen zu sein. Ich habe leider bei der großen Zahl ander- weitiger Beobachtungen nicht Zeit gehabt, diese Arten näher zu prüfen; aber ein auffälliger Hitzelaubfall dieser Bäume wäre mir oder meinen Begleitern, glaube ich, kaum entgangen. W. Die biologische Bedeutung" der Zypressenform von Holzgewäehsen. Ich habe schon einmal Gelegenheit gehabt, diesen Gegen- stand zu behandeln, nämlich in meinen »Untersuchungen über den Lichtgenuß der Pflanzen im arktischen Gebiete«. ^ Ich habe nämlich im hohen Norden die mich sehr fesselnde Beobachtung gemacht, daß daselbst nicht wenige Holzgewächse, welche in mittleren Breiten abgerundete Kronen ausbilden, in hohen Breiten eine pyramidenförmige Gestalt annehmen und Bäume, welche bei uns schon pyramidenförmig sind, im hohen Norden einen zypressenartigen Wuchs annehmen. Ich habe schon damals meine Gedanken darüber aus- gesprochen, wie es kommen könne, daß die Zypresse und andere ins subtropische Gebiet reichende Gewächse dieselbe Form der Krone ausbilden, wie Bäume des hohen Nordens. Ich werde meine damals geführte Diskussion hier nicht wiederholen; ich verweise auf dieselbe und gebe hier nur das damals gewonnene Resultat wieder. Ich sagte: »Die Vorteile, welche der Pyramidenbaum durch seine Gestalt und durch die Art seiner Laubausbildung rücksichtlich der Beleuchtung erfährt, liegen somit klar vor: das Sonnenlicht der niedrig stehenden Sonne kommt ihnen zugute und die durch hohen Sonnenstand bedingte (intensive) Strahlung wird ihm nicht gefährlich; mit dem Höhenwuchs emanzipiert er sich von dem immer mehr und mehr geschwächt in seine Krone dringenden Zenithlicht und macht sich fortwährend das ihm trotz Höhenwuchs in 1 Photometr. Untersuchungen auf pflanzenphysiol. Gebiete. III. Diese Berichte, Bd. CIX (1900), p. 428 bis 431. Lichtgenuß der Pflanzen. 141 annähernd gleichem Maße förderliche Vorderlicht zu nutze. Der Pyramidenbaum erscheint somit den Beleuchtungsverhältnissen des nördlichen und südlichen Klimas angepaßt«. Ich habe oben mehrfach darauf hingewiesen, daß auf großer Seehöhe vorkommende Bäume ihre in der Tiefe runden Kronen verlängern oder beim Aufstieg eine Form annehmen, welche an Schlankheit sich der Zypresse nähert, ja sogar manchmal übertrifft. Ich verweise auf die an Pinus ßexilis, P. Murrayana und Picea pnngens oben mitgeteilten dies- bezüglichen Beobachtungen. Was ich damals in Bezug auf die biologische Bedeutung der Pyramiden(Zypressen)form der Bäume vorbrachte, läßt sich auch auf meine Beobachtungen über die auf großer See- höhe sich häufig ausbildende Kronenform der Bäume an- wenden, ja diese Beobachtungen liefern, von einer neuen vSeite betrachtet, einen Beweis der Richtigkeit meiner schon früher ausgesprochenen Anschauung. Indem nämlich der Baum sich zypressenartig ausbildet, wird das von hohem Sonnenstande auf ihn niederstrahlende Licht in seiner Wirkung abgeschwächt, während ihm das von tiefem Sonnenstande kommende direkte Licht nur zum Vorteil gereichen wird. Da aber, wie schon in der Einleitung genügend hervorgehoben wurde, mit der Zunahme der Seehöhe die Licht- stärke überhaupt zunimmt und, was besonders ins Gewicht fällt, die Intensität der direkten Strahlung im Vergleiche zur diffusen mit der Seehöhe zunimmt, so begreift man, daß die hochstehende Sonne auf großer Seehöhe Licht von einer Intensität niederstrahlt, welches der Pflanze gefährlich werden kann. Dies zeigt sich ja bei dem an Pinus Mnrrayana nament- lich auf großen Seehöhen sich einstellenden starken Hitze- laubfall. Da nun der Baum in die Höhe strebt und hiebei der Querschnitt seiner Krone nur in geringem Grade wächst, so ist einzusehen, daß die Strahlen der hochstehenden Sonne die Krone nur unter kleinen Winkeln treffen und in sehr ab- geschwächtem Zustande in die Blattkrone eindringen. Genau das Gegenteil würde eintreten, wenn die Baumkrone sich über- mäßig stark in die Breite entwickeln würde. Da würden die auf großer Seehöhe bei hohem Sonnenstande auf die Bäume fallenden 142 J. Wiesner, außerordentlich intensiven Strahlen in ungeschwächtem Zu- stande die Hauptmasse der Blätter treffen. Anpassungen an so hohe Lichtstärken kommen in südlichen Breiten vor, sind an baumartigen Wachholderarten auf beträchtlichen Höhen (siehe oben p. 123) erkennbar, aber auf größerer Seehöhe von mir nicht beobachtet worden. ; V. über die Änderung des Lichtgenusses mit der Zu- nahme der geographischen Breite und mit der Seehöhe. In früheren Untersuchungen über den Lichtgenuß der Pflanzen bin ich zu dem Resultate gelangt, daß der relative und der absolute Lichtgenuß sowohl mit der Zunahme der geo- graphischen Breite als auch mit der Seehöhe zunehmen. ' Meine Studien über den Lichtgenuß der arktischen Pflanzen konnte ich bis an die nordischen Vegetationsgrenzen ausdehnen. Aber meine, die Höhenregion der Vegetation be- treffenden Untersuchungen gingen über das mitteleuropäische Gebiet nicht hinaus, wo die Vegetation ja schon in geringer Seehöhe erlischt. Ich habe sehr wohl gefühlt, daß hier in meinen Untersuchungen über den Lichtgenuß eine große Lücke klaffe und dies war ja der Hauptgrund meiner Studienreise in das Yellowstonegebiet, wo ich eine bis 10.000 a. F. reichende sogar noch baumartige Vegetation der Prüfung unterziehen konnte. Meine die Höhenregion der Vegetation betreffenden Untersuchungen über den Lichtgenuß der Pflanzen waren, soweit sie sich auf Grund meiner früheren Beobachtungen auf- bauten, insoferne unvollkommen, als sie nicht erkennen ließen, ob nicht auf größerer als der bis dahin von mir zu dem ge- nannten Zwecke betretenen Höhe die Verhältnisse des Licht- genusses eine Änderung erfahren. In der Tat haben meine oben angeführten Beobachtungen gezeigt, daß nur bis zu einer bestimmten Höhengrenze die aus tieferen Regionen aufsteigende Pflanze in Betreff ihres Licht- genusses sich so verhält wie eine aus mittlerer Breite gegen 1 Photom. Untersuchungen im arktischen Gebiete. 1. c. p. 66, ff. Lichtgenuß der Pflanzen. 143 die Pole fortschreitende Pflanze, nämlich daß sowohl ihr relativer als auch ihr absolutiver Lichtgenuß mit der Seehöhe zunimmt. Über diese Grenze hinaus wird zunächst der relative Lichtgenuß konstant, d. h. es wird nicht mehr ein mit der Höhe steigender Anteil des Gesamtlichtes sondern ein konstant gewordener Anteil des gesamten Tageslichtes als Licht- minimum verwendet. Eine einfache Überlegung lehrt aber, daß dieses konstant gewordene relative Lichtgenußminimum noch auf ein steigendes absolutes Lichtgenußminimum hinweist und mit demselben konstant einhergeht. Denn es steigt, wie ja meine lichtklimatischen Untersuchungen gelehrt haben, mit der Seehöhe die Lichtstärke, desgleichen die Intensität der direkten Strahlung im Vergleiche zur Stärke des zerstreuten Lichtes. Wenn also mit steigender Seehöhe — von einer be- stimmten Seehöhe angefangen — auch der relative Lichtgenuß konstant wird, so folgt daraus, daß der absolute Lichtgenuß noch eine weitere Steigerung erfährt. Aber je höher eine Pflanze aufsteigt, desto mehr nähert sich ihr absoluter Lichtgenuß einem konstanten Werte, der in Wirklichkeit auch erreicht wird, wenn der relative Licht- genuß in einem gewissen Maße sinkt. ^ Einige meiner oben mitgeteilten Beobachtungen lassen darauf schließen, daß dieser konstante Wert auch wirklich erreicht wird. Ob nicht auf sehr großen Seehöhen selbst der absolute Lichtgenuß sich verringert, was ja mit Rücksicht auf die zu- nehmende Strahlungsintensität sich nicht als unwahrscheinlich darstellt, hatte ich selbst nicht Gelegenheit zu priafen und wird wohl nur auf sehr großen Seehöhen in sehr niederen Breiten zu entscheiden sein. Doch möchte ich hier eine Beobachtung nicht unerwähnt lassen, welche Herr v. Port he im auf dem Picke's Peak (Colorado) in einer Seehöhe von zirka 4000 m machte. Er sah, daß bestimmte Gräser, welche sich aber leider nicht mehr bestimmen ließen und die in tieferen Lagen frei 1 Es läßt sich durch Rechnung und durch graphische Darstellung leicht zeigen, daß auch mit einem Sinken des relativen Lichtgenusses noch ein Steigen des absoluten verbunden sein kann. 144 F. Wiesner, exponiert aufzutreten scheinen, in so großen Seehöhen sich nur an Stellen finden, an welchen sie nur auf einen sehr reduzierten Lichtgenuß angewiesen sind, nämlich an Felswänden oder in weit offenen Felsspalten auftreten, so zwar daß ihr maximaler Lichtgenuß tief unter 1 gelegen ist und diese Gräser bei faktisch völlig freier Exposition, auf welcher der Lichtgenuß = 1 sein würde, nicht vorkommen. Es ist freilich nicht ausgeschlossen, daß das Vorkommen dieser Gräser auf großen Höhen an licht- armen Stellen auf Windschutz beruhe. Was das Konstantwerden des relativen Lichtgenusses und Hand in Hand damit ein abgeschwächtes Ansteigen des absoluten Lichtgenusses bedingt, ließ sich leider nicht sicher- stellen; allein ich halte nach allen von mir angestellten Beob- achtungen dafür, daß hiebei das direkte Sonnenlicht im Spiele ist, welches die Pflanze durch Aufsuchung eines gedeckten Stand- ortes abzuwehren sucht. Ich habe ja schon so viele Tatsachen bekanntgegeben, welche beweisen, daß die Pflanze in der Regel das direkte Licht abwehrt und daß nur verhätnismäßig selten das direkte Sonnenlicht geradezu förderlich in die Entwicklung der Pflanze eingreift, aber doch immer nur bei verhältnismäßig schwacher Strahlung, so z. B. in unseren Gegenden bei der Entwicklung der Laubkronen im Frühlinge. ^ Nun ist aber gerade auf großen Höhen die direkte Strahlung außerordentlich intensiv und wir haben ja gesehen, daß hoch hinauf steigende Koniferen durch die Zypressenform gerade das starke direkte Sonnenlicht abwehren und bei hoch aufsteigenden Bäumen in- folge der Einwirkung des direkten Sonnenlichtes sich Hitze- laubfall einstellt, während dieselben Bäume einem solchen in der Tiefe nicht oder nur in geringem Grade unterworfen sind. Inwieweit die direkte Sonnenstrahlung im Zusammen- hange mit dem Lichtgenuß steht, konnte ich allerdings auf meiner Reise nicht konstatieren und es wird dies wohl nur auf dem Wege des Experimentes festgestellt werden können. Daß aber die in große Seehöhen aufsteigende Pflanze ganz entgegen der nach dem Pol fortschreitenden sich im Lichtgenusse ein- schränkt, das geht aus meinen obigen Beobachtungen hervor 1 Photom. Untersuchungen XII auf pflanzenphysiol. Gebiete IV. (1904.) Lichtgenuß der Pflanzen. 145 und die Annahme der Zypressenform von Koniferen in großen Seehöhen spricht direkt dafür, daß die Gewächse das direkte Sonnenlicht von großer Intensität (nämhch bei hohem Sonnen- stande) geradezu abwehren. So zeigt sich also von einer neuen Seite- der Unterschied im Verhalten der arktischen und der Höhen Vegetation gegenüber den ihnen dargebotenen Licht mengen: Die Pflanzen der erster en suchen desto mehr von dem vorhandenen Lichte sich anzueignen, je weiter sie gegen den Pol vordringen, die Pflanzen der letzteren tun dies nur bis zu einer bestimmten Grenze; von da an schi-änken sie zunächst die Steigerung des Lichtgenusses mit dem Fortschreiten in im mer größere See höhenein und sicher lichistesdieBaumv&getation, welche auf großer Seehöhe das starke Licht abwehrt. Die arktische Grenze für das Fortkommen einer Pfianze ist dort gegeben, wo das Maximum des Lichtgenusses mit dem. Minimum zusammenfällt, z. B. bei Betnla nana auf Spitzbergen, wo die Pflanze nach meinen Beobachtungen nur bei dem konstanten Lichtgenuß = 1 existenzfähig ist. Wo die analoge Grenze für die in den Hochregionen wärmerer Gebiete aufsteigende Pflanze sich einstellt, läßt sich wegen ungenügender Beobachtungen noch nicht sagen. Die Verhältnisse sind hier viel komplizierter als bei der arktischen Vegetation. Denn bei der letzteren hält sich die Vegetation nahe dem Meeresniveau, während mit abnehmender geographischer Breite die Vegetation immer mehr in die Höhe dringt und so einer steigenden Lichtintensität (namentlich des direkten Sonnenlichtes) ausgesetzt ist. Da, wie wir gesehen haben, manche Pflanzen, welche in tieferen Regionen das Gesamtlicht ertragen, auf großen Höhen nicht mehr in freier Exposition vorkommen, vielmehr auf großer Höhe ihren Lichtgenuß einzuschränken scheinen, so wird der Gedanke nicht wohl abzuweisen sein, daß die in große Seehöhen aufsteigende Pflanze ihr Lichtgenußmaximum verringert und Maximum und Minimum mit der Höhe sich zu nähern streben. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß auf großer Höhe Maximum und Minimum ebenso zusammenfallen, wie Sitzb. d. mathem.-naturw. KL; CXIV. Bd., Abt. I. 10 146 J. Wiesner, im hohen Norden. Aber sollte dies der Fall sein, so müßte der Punkt des Zusammenfallens nicht die Höhengrenze bezeichnen. Schematische Darstellung der Änderung des Lichtgenusses mit der Seehöhe: AB Lichtintensität. Die Intensität wurde photochemisch bestimmt. BC See- höhe, xy Gang der Lichtintensität, zugleich Maximum des Lichtgenusses für ein Gewächs, dessen relatives Maximum = 1 ist. a b. . . .h^ Minimum des Licht- genusses desselben Gewächses. Relativer Lichtgenuß bei c, d, e, f und g konstant; darunter und darüber größer. Der absolute Lichtgenuß steigt von a nach b etc. bis h und ist zwischen h und h' konstant. auf welcher die Pflanze aufhört, existenzfähig zu sein. Denn da mit weiterer Höhenzunahme die Lichtintensität steigt, so könnte die Pflanze mit ihrem nunmehr konstant gewordenen Lichtgenuß der Pflanzen. 147 Lichtgenuß noch in größere Seehöhen aufsteigen, soferne es die sonstigen Vegetationsverhältnisse, inbesonders die Tem- peratur der Medien zulassen. i^V ■^0. Geographische Brciu Fig. 2. Schematische Darstellung der Änderung des Lichtgenusses mit der geo- graphischen Breite. AB Lichtintensität (chemisch). BC geographische Breite, ax Gang der Licht- intensität, zugleich Maximum des Lichtgenusses für ein Gewächs, dessen relatives Maximum = 1 ist. bx Minimum des Lichtgenusses desselben Ge- wächses, X der Punkt, an welchem das Maximum des Lichtgenusses mit dem Minimum des Lichtgenusses zusammenfällt. Bei x arktische Grenze des Vor- kommens der betreffenden Pflanze. Doch dies sind bloße Vermutungen, welche durch einige der mitgeteilten Beobachtungen rege gemacht wurden. Ob sich die Sache tatsächlich so verhält, wie ich vermute, könnte, wie gesagt, nur auf großer Höhe in sehr geringer Breite festgestellt werden. 10* 148 J. Wiesner, Um die einerseits beim Vordringen einer Pflanze ins arktische Gebiet, andrerseits beim Aufsteigen in große See- höhen sich ergebenden Verhältnisse des relativ^en und des ab- soluten Lichtgenusses möglichst zu veranschaulichen, bediene ich mich der beistehenden graphischen Darstellung. Die bei- gegebene Figurenerklärung wird die Verhältnisse, welche ich in möglichst faßlicher Übersicht auszudrücken versuche, verständlich machen. Ich kann diese Abhandlung nicht abschließen, ohne es auszusprechen, daß einzelne Partien dieser Arbeit mich selbst nicht befriedigen, soferne dieselben zu skizzenhaft ausgefallen sind. Ich habe allerdings die Zeit meiner Anwesenheit im Yellowstonegebiete benutzt, um mit dem ganzen Aufwände meiner Kraft zur Lösung der gestellten Frage so viel als möglich beizutragen; allein der Zeitraum meiner dortigen Anwesenheit war an sich ein kurzer, umschloß nur die zweite Hälfte des August und die erste Hälfte des September, aber zudem erfaßte mich kurz vor Abschluß der Arbeit, wohl infolge von Überanstrengung, ein schweres Unwohlsein, welches meine letzte Tätigkeit dort- selbst beinträchtigte. Nichtsdestoweniger v/urde die Haupt- frage, nämlich die Änderung des Lichtgenusses der Pflanzen mit der Seehöhe, wie ich wohl sagen darf, gefördert, indem nunmehr ein Einblick in diese Verhältnisse eröffnet wurde, der uns bisher verschlossen geblieben war und auch die alte Frage über die Unterschiede der Lichtverhältnisse, unter welchen die in vielfacher Beziehung sich nahestehende, ja zum Teile über- einstimmende Vegetation der arktischen und der Höhenpflanzen stehen, konnte um einen nicht unbedeutenden Schritt vorwärts gebracht werden. Zusammenfassung der Hauptresultate. Die lichtklimatischen Untersuchungen, welche im Yellow- stonegebiete unternommen wurden, haben zu dem Resultate geführt, daß mit der Höhenzunahme nicht nur die Intensität des gesamten Tageslichtes, sondern auch die Intensität der direkten (parallelen) Sonnenstrahlung im Vergleiche zur Stärke des diffusen Lichtes steiert. Lichtgenuß der Pflanzen. 149 Die Untersuchungen haben weiter gelehrt, daß nur bis zu einer bestimmten Höhengrenze die aus tieferen Regionen auf- steigenden Pflanzen sich in Betreff ihres Lichtgenusses so ver- halten wie die aus niederen Breiten in höhere vordringende Gewächse, daß nämlich sowohl ihr relativer als ihr absoluter Lichtgenuß steigt. Über diese Grenze hinaus wird zunächst beim weiteren Aufstieg der relative Lichtgenuß konstant, d. h. es wird nicht mehr ein mit der Höhe steigender sondern ein konstant gewordener Anteil des gesamten Tageslichtes als Lichtminimum in Anspruch genommen. Mit diesem Konstantwerden des relativen Minimums hört aber das absolute nicht auf, sich zu erheben, wenn auch nur im geringen Grade. Endlich nähert sich auch das absolute Minimum einem konstanten Werte und kann denselben auch erreichen. Die Untersuchungen haben von einer neuen Seite den Unterschied im Verhalten der arktischen und der Höhen- vegetation bezüglich des Lichtgenusses kennen gelehrt: Die Pflanzen der arktischen Gebiete suchen desto mehr von dem Gesamtlicht zu gewinnen, je weiter sie gegen den Pol vordringen. Die in die Höhe steigende Pflanze verhält sich bis zu einer gewissen Grenze ebenso. Von da an weiter aufsteigend nützt sie in immer geringerer Menge das dar- gebotene Licht aus. Es ward also in großen Seehohen ein Teil des Gesamt- lichtes abgewehrt, was u. a. in der zypressenförmigen Gestalt der dortigen Föhren (besonders der Pimis Mtirrayaua, dem häufigsten Baume des Yellowstoneparkes) und anderen Koni- feren zum Ausdruck kommt. Die Zypressenform bringt es mit sich, daß die von hohem Sonnenstande kommenden Strahlen nur sehr abgeschwächt im Baume zur Wirkung gelangen. So kommt die Zypressenform der Zypresse ebenso zu gute wie den auf großen Seehöhen stehenden Föhren: erstere wehrt die intensivsten Strahlen der Sonne des Südens, letztere die intensivsten Strahlen, welche auf hohen Standorten zur Geltung kommen, zum Vorteil des Baumes ab. Die schädigende Wirkung der hohen Intensität des direkten Sonnenlichtes in großen Seehöhen spricht sich in der Tatsache 150 J. Wiesner, Lichtgenuß der Pflanzen. Sache aus, daß daselbst Hitzelaubfall bei Gewächsen eintritt, welche in tieferen Lagen demselben nicht unterworfen sind. Die arktische Grenze des Fortkommens einer Pflanze wird, sich dort einstellen, wo Maximum und Minimum des Licht- genusses zusammenfallen, so z. B. bei Behila nana auf Spitz- bergen, wo nach des Verfassers Beobachtungen dieser Strauch nur bei einem konstanten Lichtgenuß i=: 1 existenzfähig ist. Die durch das Licht bestimmte Höhengrenze für das Fort- kommen der Pflanze konnte leider nicht festgestellt werden und wird sich überhaupt schwer feststellen lassen, da die Ver- hältnisse viel komplizierter sind als bei den arktischen Ge- wächsen. Denn die letzteren gehören einer Vegetation an, welche nahe dem Meeresniveau gelegen ist, während mit abnehmender geographischer Breite die Vegetation immer mehr in die Höhe dringt und so steigender Lichtintensität, inbesonders starker direkter (paralleler) Strahlung, ausgesetzt ist. Einige auf großen Höhen am Pike's Peak (über 4100 m) angestellte Beobachtungen legen nach der Ansicht des Verfassers den Gedanken nahe, ob nicht die in große Seehöhen aufsteigende Pflanze ihr Lichtgenußmaximum verringert und Maximum und Minimum sich zu nähern streben, möglicherweise auch ver- einigen, was auf eine weitere Abwehr starken Lichtes schließen ließe. Die Entscheidung hierüber könnte nur auf großer See- höhe in sehr niederen Breiten herbeigeführt werden. Die Sitzungsberichte der mathem.-naturw. Klasse erscheinen vom Jahre 1888 (Band XCVII) an in folgenden vier gesonderten Abteilungen, welche auch einzeln bezogen werden können: Abteilung I. Enthält die Abhandlungen aus dem Gebiete der Mineralogie, Kristallographie, Botanik, Physio- logie der Pflanzen, Zoologie, Paläontologie, Geo- logie, Physischen Geographie und Reisen, Abteilung II a. Die Abhandlungen aus dem Gebiete der Mathematik, Astronomie, Physik, Meteorologie und Mechanik. Abteilung II b. Die Abhandlungen aus dem Gebiete der Chemie. Abteilung III. Die Abhandlungen aus dem Gebiete der Anatomie und Physiologie des Menschen und der Tiere, sowie aus jenem der theoretischen Medizin. Von jenen in den Sitzungsberichten enthaltenen Abhand- lungen, zu deren Titel im Inhaltsverzeichnisse ein Preis bei- gesetzt ist, kommen Separatabdrücke in den Buchhandel und können durch die akademische Buchhandlung Karl Gerold's Sohn (Wien, I., Barbaragasse 2) zu dem angegebenen Preise bezogen werden. Die dem Gebiete der Chemie und verwandter Teile anderer Wissenschaften angehörigen Abhandlungen werden auch in besonderen Heften unter dem Titel :»MonatsheftefürChemie und verwandte Teile anderer Wissenschaften« heraus- gegeben. Der Pränumerationspreis für einen Jahrgang dieser Monatshefte beträgt 10 K oder 10 Mark. Der akademische Anzeiger, welcher nur Originalauszüge oder, wo diese fehlen, die Titel der vorgelegten Abhandlungen enthält, wird, wie bisher, acht Tage nach jeder Sitzung aus- gegeben. Der Preis des Jahrganges ist 3 K oder 3 Mark. u SITZUNGSBERICHTE DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. MATHEMATISCH-NATURWISSENS CHAFTLICHE KLASSE. CXIV. BAND. III. UND IV. HEFT. JAHRGANG 1905. — MÄRZ und APRIL. ABTEILUNG I. ENTHÄLT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER MINERALOGIE, KRISTALLOGRAPHIE, BOTANIK, PHYSIOLOGIE DER PFLANZEN, ZOOLOGIE, PALÄONTOLOGIE, GEOLOGIE, PHYSISCHEN GEOGRAPHIE UND REISEN. (MIT 6 TAFELN UND 17 TEXTFIGUREN.) " WIEN, 1905. AUSDERKAISERLICH-KÖNIGLICHEN HOF- UND STAATSDRUCKEREI. IN KOMMISSION BEI KARL GEROLD'S SOHN, BUCHHÄNDLKR DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. INHALT des 3. und 4. Heftes, März und April 1905 des CXIV. Bandes, Abteilung I der Sitzungsberichte der mathem.-naturw. Klasse. Seile Waagen L., Die systematische Stellung und Reduktion des Schlosses von Aetheria nebst Bemerkungen über Clessinella Stttranyi nov. subgen., nov. spec. (Mit 1 Tafel und 2 Textfiguren.) [Preis: 80 h = 80 Pfg.] 153 Gräfe V., Studien über Atmung und tote Oxydation. (Mit 1 Tafel und * 1 Textfigur.) [Preis: 1 K 10 h = 1 Mk. 10 Pfg.] 183 Kraskovits G., Ein Beitrag zur Kenntnis der Zellteilungsvorgänge bei Oedogoniiim. (Mit 3 Tafeln und 11 Textfiguren.) [Preis: 1 K 40 h = 1 Mk. 40 Pfg. I 237 Friedberg W. S., v., Eine sarmatische Fauna aus der Umgegend von Tarnobrzeg in Westgalizien. (Mit 1 Tafel und 3 Textfiguren.) [Preis: 1 K 20 h = 1 Mk. 20 Pfg.] 275 Preis des ganzen Heftes: 4 K 40 h = 4 Mk. 40 Pfg. SITZUNGSBERICHTE DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. MATHEMATISCH - NATURWISSENSCHAFTLICHE KLASSE. CXIV. BAND. III. HEFT. ABTEILUNG I. ENTHÄLT DIE ABHANDLUXGEX AUS DEM GEBIETE DER MINERALOGIE, KRISTALLOGRAPHIE, BOTANIK, PHYSIOLOGIE DER PFLANZEN, ZOOLOGIE, PALÄONTOLOGIE, GEOLOGIE, PHYSISCHEN GEOGRAPHIE UND REISEN. U 153 Die systematische Stellung und Reduktion des Schlosses von Aetheria nebst Bemerkungen über Clessinella Sturanyi nov. subgen., nov. spec. von Dr. Lukas Waagen. (.Mit 1 Tafel und 2 Textfiguren.) (Vorgelegt in der Sitzung am 9. März 1905.) Literaturübersicht. 1807. Lamarck, Sur l'Etherie, nouveau genre de coquille bivalve cle famille des Camaces. Ann. du Musee d'hist. nat. X, p. 398 bis 408, 4. Taf. 1819. Lamarck, Histoire naturelle des animaux sans vertebres. VI, Bd., p. 98 bis 100. 1823. Ferussac, Notice sur les Etheries trouvees dans le Nil par M. Cailliaud. Memoire de la Sog. d'hist. nat. de Paris, I, p. 353 ff. 1824. Sowerby G. B., Some account of a fourth species of Aetheria. The zoological Journal, I, p. 522 bis 523, 1 Taf. 1834. Rang et Cailliaud, Memoire sur le genre Etherie et description de son animal. Nouvelles annales du museum d'hist. nat. de Paris, III, p. 128 bis 144, 1 Taf. 1853. Philipp! R. A., Handbuch der Conchyliologie und Ma- . lacozoologie, p. 361, Halle 1853. 1857. Wo od ward S. P., Manual of the moUusca etc., p. 435. 1858. Adams H. und A., The genera of recent mollusca, p. 509 bis 51 1. 1885. Zittel, Handbuch der Paläontologie II. Bd., p. 58. 11* 154 L. Waagen, 1887. Fischer P., Alariuel de Conchyliologie, p. 1006. 1890. Simroth H., Dr. Über einige Ätherien aus den Kongo- fällen. Zoolog. Anzeig. XIII, p. 662 ff. 1894. Simroth H., Dr. Über einige Ätherien aus den Kongo- fällen. Abhandl. Senckenberg. naturf. Ges., XVIII. Bd., III. Heft, p. 273 bis 288, mit 1 Taf. Frankfurt. 1899. Vest W. v., Über die Bildung und Entwicklung des Bivalvenschlosses. \'erhandl. u. Mitteil. d. siebenbürg. Ver. f. Naturwiss. zu Hermannstadt, XLVIII. Bd., Jahrg. 1898, p. 25 bis 135. 1901. Vest W. V., Bivalvenstudien. Ibid. L. Bd., Jahrg. 1900, p. 89 bis 160. 1902. Reis Otto M. Das Ligament der Bivalven. Jahreshefte d. Ver. f. vaterl. Naturkunde in Württemberg, Jahrg. 1902, Bd. LVIII, p. 179 bis 291. In der Sammlung des geologischen Institutes der Uni- N'ersität in Wien fand sich unter den Aufsammlungen Oskar Baumann's eine Aetheria \ov\ den Kongofällen, welche mir von Herrn Prof. Uhlig, da ich mich für die Reduktion des Schlosses dieser Gattung interessierte, in dankenswertester Weise zur Bearbeitung überlassen wurde. Zunächst seien hier einige Bemerkungen über die ein- schlägige Literatur gestattet. Die Kenntnis dieser Muschel- gattung reicht nämlich ziemlich weit zurück, da Lamarck bereits im Jahre 1807 einige Formen dieser Gruppe bekannt machte und sie mit dem Namen einer Ozeanide, Etheria, ^ belegte. Den Namen begründete er folgendermaßen: »J'ai donne ä ce genre le nom d'etherie, nom de l'une des oceanides, parce que les coquilles de ce genre habitant dans la mer.'< Er glaubte, daß diese Muscheln mit den Seeperlmuscheln zusammen vorkämen, und vermutet als deren Fundort teils »la mer des grandes Indes«, teils »les roches maritimes de 1' ile de Mada- gascar« und erst im Jahre 1823 wurde durch Ferussac bekannt, daß es sich hier gar nicht um Seetiere handle, sondern 1 Erst später wurde der Name von einigen Nachfolgern richtiger in Aetheria umgewandelt. Schloü von Äetlieria. 155 daß diese Muscheln dem oberen Nil entstammten, wo sie von Cailliaud gesammelt wurden. Die Originaldiagnose, 1 welche Lamarck für die Ätherien gab, lautet folgendermaßen: »Testa irregularis, in- aequivalvis, adhaerens; natibus brevibus, basi testae subim- mersis. Cardo edentulus, undatus, subsinuosus, inaequalis. Impressiones musculares duae, distantes, laterales, oblongae. Ligamentum externum, contortum, intus partim penetrans.« Die große Variabilität der Schale jedoch, die aus den Beschreibungen zur Genüge hervorgeht, brachte es mit sich, daß bereits Lamarck vier verschiedene Arten von stark diffe- rierender Größe unterschied, und zwar: Etheria elliptica. »E. testa elliptica, complanata, versus apicem dilatata; natibus vix remotis.« Länge '^ 147 ;//;//. Höhe 21Smm. Etheria trigonula. «E. testa subtrigona, gibbosula, superne basique attenuata; nate inferiore productiore, remotissima.« Länge 133 mm, Höhe 21 4mm. Etheria semilunata. »E. testa oblique ovata, semi rotundata, gibbosula; latere postico recto; natibus secundis, subaequalibus.« Länge GSmm, Höhe 95 itim. Etheria transversa. »E. testa ovato-transversa, perobliqua, subgibbosa; natibus inaequalibus.« Länge 95 mm, Höhe QQmm. 1823 erst, als Ferussac seine zitierte Arbeit über die Ätherien veröffentlichte, wies dieser daraufhin, daß es bei der 1 Die Diagnosen wurden aus Lamarck, Hist. nat. des anim. sans vert. 1. c. entnommen. - Die Bezeichnungen wurden in konventioneller Weise gewählt: Dem Schloßrande parallel die »Länge-t, vom Schloßrande senkrecht darauf die >Höhe« oder »Breite«. 156 L. Waagen, großen Variabilität der einzelnen Formen nicht angezeigt sei, so viele Arten zu unterscheiden, weshalb er Lamarck's Ae. elliptica und Ae. trigoimla unter einem Namen zusammenfaßte und diese Spezies Aetlieria Lamarckii benannte. Daß diese Neubenennung zu Unrecht stattfand und der Name Ae. elliptica hiefür beizubehalten ist, darauf wurde schon von Simroth (o. c.) hingewiesen. In ähnlicher Weise verfuhr Ferussac auch mit den beiden anderen Lamarck' sehen Arten. So wurde die Ae. semiluiiata in Ae. plnmbea umgetauft und, da weitere Stücke die Verbindung mit Ae. transversa herzustellen schienen, diese unter dem neuen Namen mit inbegriffen, so daß hier Formen der verschiedensten Gestalt vereinigt erscheinen. Endlich beschrieb Ferussac auch noch eine Ae. Cailliatidi, welche er auf Grund geringer Formenunterschiede und beson- ders gestützt auf die weiße Farbe der Perlmutterauskleidung von den übrigen abtrennte. Im darauffolgenden Jahre (1824) wurde der bekannte Formenkreis der Ätheriiden um eine neue auffallende Spezies erweitert, die von Sowerb}'' (o. c.) als Ae. tiihifera be- schrieben erscheint, bei welcher die freie Klappe in eine ziemlich bedeutende Anzahl von Rührenstacheln ausgeht, die erst in neuerer Zeit durch Simroth (o. c.) einer genaueren Untersuchung und Beschreibung unterzogen wurden. Erst im Jahre 1834 veröffentlichen Rang und Cailliaud (o. c.) Untersuchungen über die Weichteile des Tieres und diese Resultate müssen auch heute noch zum großen Teile als zutreffend bezeichnet werden, denn bereits diese wiesen auf die morphologische Ähnlichkeit zwischen Ätherien und Najaden hin. Als besonders charakteristisch wird hervorge- hoben, daß die Mantelhälften rückwärts durch ein Septum verwachsen und dadurch ein besonderer Analraum für die Kloake abgeschlossen erscheint. Der Enddarm liegt auf eine größere Strecke frei und der Vorderkörper ragt ähnlich dem Najadenfuße in die Mantelhöhle hinein. Die beiden Autoren sprachen auch dies Gebilde direkt als Fuß an, jedoch bereits Dr. Gray hat (nach Adams o. c.) nachgewiesen, daß es sich hier nicht um einen eigentlichen Fuß. sondern um den vorge- wölbten Eingeweidesack handle. Schloß von Aetheria. 157 Schon in der Diagnose Lamarck's wird das Vorlian- densein von zwei Schließmuskeln hervorgehoben, dennoch werden von den Brüdern Adams, früher schon von Gray^ und in neuerer Zeit von Zittel und P. Fischer auch die Müllerien, welche nur einen Schließmuskel besitzen, hierher gestellt. Diese Vereinigung scheint aber umsoweniger glücklich, als diese beiden Gruppen, Ätherien und Müllerien, nicht nur durch den Unterschied in den Adduktoren voneinander geschieden werden, sondern auch geographisch weit getrennten Gebieten angehören, nachdem die zweimuskeligen Ätherien die Gewässer Afrikas die einmuskeligen Müllerien dagegen die Ströme Amerikas besiedelt haben. Obwohl, wie erwähnt, Rang und Cailliaud auf Grund morphologischer Studien auf die Verwandtschaft mit den Najaden aufmerksam machten und die Ähnlichkeit des Liga- ments von Süwerby und Ferussac hervorgehoben wurde, so herrschte doch durch lange Zeit eine Unsicherheit bezüglich der systematischen Stellung. Lamarck selbst schloß die Ätherien an die Chamieden an. Die gleiche Auffassung teilt auch Gray, und Bronn nennt diese Familie in seinem Werke »Klassen und Ordnungen des Tierreichs« (I. Aufl.) Mnelleriana, erhebt sie zugleich zu einer eigenen Gruppe höheren Ranges und schließt sie als Muelleviacea an die Ostracea und Avicn- lacea an. Diese Auffassung wurde dadurch begründet, daß man auf die Befestigung am Boden ein besonderes Gewicht legte. Philippi dagegen dürfte meines Wissens der erste sein, welcher in dem Handbuche der Conchyliologie und Malaco- zoologie die Ätheriaceen als eigene Familie unmittelbar an die Familie der Unionaceen anfügte und sie als »gewisser- maßen zwischen den Unionaceen und Austern in der Mitte« stehend bezeichnete. Woodward ging noch einen Schritt weiter und fügte Aetheria als Gattung der Familie der Unio- niden ein. Zittel und P. Fischer vereinigten wieder die Müllerien hiermit und stellten ihre Familie der Ätheriiden in die Nähe der Najaden. Wir wollen nun die Diagnosen nach dem letzteren Autor hier wiedergeben. 1 Zoologie. Proceed. 1847, p. 183 ff. lo8 L. Waagen. Familie: Aetherüdae. »Coquille irreguliere, libre ou fixee, epidermee, nacree ou subnacree ä l'interieur; charniere sans dents, ligament lineaire, subinterne, deux impressions des adducteiirs des valves, ou une seule (la posterieure); ligne palleale entiere. .... On les considere oujourd'hui comme des Unionidae irregulieres, fixes, et dont le pied s'est atrophie. . . .« Aetheria Lamarck. »Coquille irreguliere, inequivalve, ostreiforme, fixee indif- ferement et dans chaque espece par la valve droite ou la valve gauche; valve fixee plus aplatie que la valve libre; crochets anterieurs, tournes en avant ou en arriere; surface epidermee; face interne subnacree; avec des boursouflures du test; char- nier sans dents, ligament externe, avec une area ligamentaire et un sillon profond dans le talon de la valve fixee; deux im- pressions d'adducteurs des valves; l'anterieure semi-lunaire, arquee, etroite et fasciculee; la posterieure subovale; une tres petite Impression de 1' adducteur du pied, au-dessus de celle de r adducteur posterieur des valves, ligne palleale entiere. Distribution. Afrique, dans les fieuves (Nil, Senegal etc.) et les grands lacs (Tanganyika) . . . .« Diese Definition galt ohne Änderung bis zum Erscheinen der Abhandlung Simroth's im Jahre 1894 (o. c). Darin wird nämlich eine neue Art beschrieben, die in den Stromschnellen des Kongo gesammelt wurde, und dort in zweierlei Mutationen auftritt: Aetheria hetevomopha Simr., mut. tuhtiUfera Simr. und mut. nidus hirtindinis Simr.^ Die erste Mutation entspricht auch noch vollständig der Gattungsdiagnose, dagegen wurde bei Ae. nidus hirundinis festgestellt, daß die festgewachsene Klappe die gewölbtere und die Deckelklappe die flachere ist, weshalb nunmehr in der Diagnose P. Fischer's der Satz »valve fixee plus aplatie que 1 Nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch wäre es hier besser, von Varietäten zu sprechen, weil das Moment der Zeitdifferenz wegfällt. Vergl. R. Hertwig, Lehrbuch d. Zoologie, p. 21. und .M. Neumayr, Stämme des Tierreichs, p. 70. Schloß von Aetheria. 159 la valve libre« weggelassen oder entsprechend geändert werden muß. Interessant ist dagegen die Auffassung, welche Simroth von der systematischen Stellung der Aetherien gewinnt; er schreibt: »Hat man wirklich die Aetherien den Najaden anzu- reihen? Fast möcht' ichs bezweifeln. Schon die Abweichungen in der äußeren Morphologie, der Abschluß des Kloakenraumes, die Länge des freiliegenden Enddarmes erheben Einwürfe, mehr aber noch die Beziehungen des Schlosses zur Schale. Die Eigentümlichkeit jener gekielten Vorsprünge auf der freien Klappe der Schwalbennester, mag es die rechte oder linke sein, genau in der Linie des Ligam.ents deuten wohl auf eine andere Richtung. Ohne damit eine nähere Verwandtschaft zu Mytilaceen begründen zu wollen, also die Dimyarier zu Heteromyariern in Beziehung zu setzen, glaube ich doch, daß die ursprüngliche Form der Schale ähnlich gekielt war wie bei Mytihis oder Dreysseiisia. Möchte die Entwicklungsgeschichte Aufschluß geben? Daß die Schalenkanten bei den alten verwischt sind, kann bei der Schmiegsamkeit der Gestalt nicht wunder nehmen.« — Leider ist aber bisher die Ontogenie immer noch nicht bekannt geworden und daher ein Aufschluß von dieser Seite nicht vorhanden. In den Jahren 1899 und 1901 erschienen sodann zwei Arbeiten von Vest, in welchen auch über die systematische Stellung der Aetherien einiges gesagt wird. So lesen wir in der ersten Publikation auf p. 89: »Was endlich die Gattung Aetheria anbelangt, so dürfte dieselbe — nach ihrem breiten Schloßplatfenteile und der in der Mitte befindlichen Schloß- knorpelgrube zu schließen — entweder als eine Rückbildung von Aviatla, und zwar von den mehr rundlichen und dick- schaligen Formen, d. i. von Meleagrhia niargarüifera, oder als eine Weiterentwicklung von einer Ostrea-Axi, als »Fluß- auster« anzusehen sein und mit demselben Recht, mit welchem man seinerzeit Trigonia trotz ihrer zwei Schließmuskeln, der Perlmutterschale und des eigentümlichen Schlosses, einzig und allein nur wegen des rings offenen Mantels bei den Pectinaceen unterbracht hat, stelle ich, vielleicht mit größerem Recht, Aetheria wegen der fünf nebeneinander liegenden Schloßteil- felder, der angewachsenen Schale, des Mangels eines Fußes 160 L. Waagen, und der ganz freien Mantelränder in die Nähe von Ostrea zu denSyndesmen.« Schon früher aber bei der Ableitung der Gattung Meleagrina von Avictda lesen wir (p. 67): »Als eine weitere Rückentwicklung könnte wohl auch die Schloßform von Äetheria angesehen werden, welche sich mit ihren fünf neben- einander liegenden Schloßteilfedern ebenfalls der Ostrea-Fovm nähert, zumal Äetheria auch die Anwachsung der Schale und die Ermanglung des Fußes mit Ostrea gemein hat, so daß die Bezeichnung »Flußauster« für Äetheria nicht ganz unpassend ist.« In dem Nachtrage des Jahres 1901 präzisiert Vest seine Auffassung noch des weiteren: »Man hat die Gattung Äetheria früher in die Nähe der Ostreiden gestellt, besonders weil bei der verwandten Gattung Muelleria die Muskeleindrücke zusam- menrücken und zu einem verschmelzen. Die neueren Konch}'- liologen hingegen betrachten die Ätheriiden als unregelmäßige Unioniden mit angewachsener Schale und verkümmertem Fuß. Ich hinwieder neige mich aus den a. a. 0., p. 67 und 89, ent- wickelten Gründen der älteren Anschauung als der richtigeren zu und finde mich daher bestimmt, die Ätheriden als entweder von Ävicula oder von Ostrea abstammende und in Flußaustern umgewandelte Muscheln wieder in die Nähe der Ostreiden zurückzuversetzen und sie mit diesen zusammen in der Gruppe I, Syndesmxen, unterzubringen. Wohl dürften Äetheria und Unio die Gattung Ävicula als Stammform miteinander gemein haben, aber die Entwicklung ihrer Schloßteile ist in ganz entgegengesetzter Richtung erfolgt, indem einerseits (d. i. in der Richtung gegen Äetheria) der schmale, randständige Schloßteil der Ävicula mit seiner randständigen Knorpelgrube und den beiden Ligamentfurchen nach unten herabstiegen und sich verbreitert hat, so daß die Knorpelgrube gegen den Ven- tralrand gerichtet ist und die Ligamentfurchen zu Ligament- feldern sich verbreitern, somit also der Schloßteil jenem einer Ostrea ähnlich gebildet wird; während andererseits (d. i. in der Richtung gegen Unio) eine Weiterentwicklung des randstän- digen Schloßteiles der Ävicula durch weitere Verlängerung, Verschmälerung und Umschlagung, d. i. Auswärtswenden des Schloßteiles zur Schloßplatte stattfand. Schloß von Aetheria. 161 Auch stehen bei Aetheria wie bei Ostrea und anderen Syndesmen die auf dem Grunde der Knorpelgrube befindHchen Ränder der Schloßteillamellen den entsprechenden Lamellen- rändern in der Knorpelgrube der Gegenklappe gerade gegen- über, so daß die Schloßteillamellen mittelst der Knorpellamellen direkt in jene der Gegenklappe sich fortsetzen, während bei Unio wie bei den meisten anderen Bivalven mit äußerlichem Ligament, der Übertritt der Knorpellamellen von den Nymphen- lamellen in die der Gegenklappe nur in einem Bogen geschehen kann. Das Verhältnis obiger drei Gattungen zueinander ist demnach folgendes: Aetheria -^ Avictila -* Unio. Außer diesen wichtigen Unterschieden in der Schloßent- wicklung sowie den a. a. O., p. 89, 90, angeführten, wodurch sich die Ätheriiden von den Unioniden entfernen und sich den Ostreiden nähern, kommt noch hinzu, daß die Schale von Aetheria gleich der \-on Ostrea ein blätteriges Aussehen hat und daß auf der Innenseite der Schale von Aetheria ganz ebenso wie bei Ostrea blasige Hohlräume sich befinden, die bei den LTnioniden nicht vorkommen. Was mich aber vollends bestimmt, die Ätheriiden von den Unioniden zu entfernen und sie der Gruppe I (Syndesmen) einzuverleiben, ist das Vor- handensein eines einzigen großen Schließmuskels bei der ver- wandten Gattung Muelleria, welche durch die Annäherung und schließliches Verwachsen beider Schließmuskeln zu einem deutlich den Rückschlag zu ihrer nächsten Stammform Ostrea, und zwar zu einer Auster mit langen Wirbeln (Schnabelauster) zeigt und durch diesen Vorgang dartut, daß sie eigentlich eine zur Flußauster umgewandelte Auster ist, die sich all- mählich an das Süßwasser gewöhnt und sich demselben an- gepaßt hat«. Es würde zu weit führen, hier auf die Systematik von Vest (Syndesmen etc.) einzugehen. Ich will an dieser Stelle nur auf den Widerspruch in Vest's Ausführungen hin- weisen, der darin besteht, daß er zuerst auch die Abstammung der Ätheriiden von den Ostreiden für möglich hält, später aber nur einen Beweis für den Zusammenhang mit Aviciila 162 L. Waagen, ZU erbringen sucht und die erste Annahme ganz fallen läßt. Die Zurückführung auf Avictila aber soll noch weiter unten des näheren beleuchtet werden. Schließlich muß hier noch der eingehendenUntersuchungen Reis', betreffend »Das Ligament der Bivalven«, gedacht werden, da diese einen Beweis für die nahe Verwandtschaft zwischen Unioniden und Ätheriiden erbringen. Das mir vorliegende Exemplar aus dem Kongo ist Aetheria heteromorpha Simr., für welche Simroth folgende Gattungsdiagnose ver- öffentlichte: Aetheria mediocri statura. Epidermis crassa, la- mina interna iridescens. Aut dextra aut sinistra valvula lapi- dibus affixa. Formae valde differentes. Simroth unterscheidet jedoch, wie oben bereits erwähnt, bei seiner Aetheria heteromorpha zweierlei Mutationen und das vorliegende große Exemplar gehört zu Aetheria heteromorpha Simr. mut. nidus hirundinis Simr. Tubulis egens. Valvula inferior excavata, angulata, su- perior plana. Diese Mutation ist es, welche eine Revision der Gattungs- diagnose Fischer's notwendig machte, denn bei dieser ist die festgewachsene Unterklappe tief schüsseiförmig, in der Gestalt eines Schwalbennestes, wovon sie ihren Namen bekam, gebaut. Der äußere Umriß entspricht aber nicht dem inneren, denn legt man einen Querschnitt durch die Unterklappe, so ergibt die Innenseite ein ungleichförmiges Bügenstück, die Außenseite dagegen einen Winkel mit verschieden langen Schenkeln, und zwar derart, daß der kürzere Schenkel dem steileren Bogenabschnitte entspricht: dieser kürzere Schenkel entspricht auch der Seite, mit welcher das Tier, wahrscheinlich an senkrechten Wänden, festgewachsen ist. Die festsitzende Schale ist in unserem Falle die linke Klappe und an deren Außenseite sieht man eine stark verzerrte rechte Klappe eines kleineren Exemplares aufgewachsen. Ebenso sind auf der Deckelklappe des großen Stückes eine linke und eine rechte Valve befestigt. Jedenfalls ergibt sich daraus, daß die Vermutung Schloß von Aetheria. 1 63 Simroth's, daß »der Wechsel der Klappe, mit denen sich die Muschel befestigt, willkürlich nach der Strömung eingerichtet wird, so daß an dem einen Ufer alle mit der rechten, am anderen Ufer alle mit der linken Klappe angeheftet wären«, nicht den Tatsachen entspricht. Die Außenseite der gewölbten Unterklappe zeigt deutlich den von Simroth beschriebenen »Radius-, eine Falte, die etwa der Medianlinie entspricht. Zwischen dieser und dem Schlosse stellt sich eine gleiche, nur etwas schwächere Falte ein, so daß die Schale, von unten gesehen, zwei deutliche, nur durch eine flache Mulde getrennte Faltenrücken aufweist, die am Hinterende der Schale auch in zwei Vorsprüngen den übrigen Schalenrand überragen. Die Epidermis ist dick, der Farbe nach braun mit einem Stich ins Oliv und, wo von den jüngeren Teilen der Schale die Epidermalschicht abgesprungen ist, sieht man darunter die glänzende irisierende Perlmutter- schicht mit den Zuwachsstreifen der Epidermis. Sonach besteht die Schale randlich nur aus zwei Schichten: Ober- haut und Perlmutter, worauf auch bereits von Simroth hingewiesen wurde. In den älteren Teilen aber, besonders in der Wirbel- und Schloßregion, sehen wir eine kalkige Schicht als Zwischenlage, die wohl der Prismenschicht entsprechen dürfte. Simroth erklärt dies Vorkommen dadurch, daß ältere lamellöse Teile der Perlmutter absterben und- calciniert werden. Die Außenseite unserer Aetheria ist somit höchst unregelmäßig gestaltet und besonders von der Unterlage, auf der sie auf- gewachsen erscheint, abhängig. Dadurch erklärt es sich auch, daß nur bei dem großen Exemplare die Schwalbennestform zur Ausbildung kam, während die wieder darauf aufsitzenden Schalen vollkommen unregelmäßig gebildet sind. Der Anheftung an senkrechten Wänden sowie dem Vorkommen in stark strömendem Wasser entsprechend, wurde keine Spur einer Schlammbedeckung gefunden, dagegen machte mich Kollege Schubert freundlichst auf eine Art Filz aufmerksam, der sich aus einzelnen monaxonen Nadeln zusammensetzte und bei weiterer Untersuchung als Spongienrest erwies. Dessen ein- fache Hornnadeln deuten wohl auf die Zugehörigkeit zur 164 L.Waagen, Gattung Spongilla. Die Außenseite, besonders der Oberschale, ist sehr stark blasig entwickelt. In einzelnen dieser Blasen fanden sich kleine Muscheln, die ich anfänglich für junge Ätheriiden anzusehen geneigt war, indem ich mir diese Symbiose als eine Art Brut- pflege vorstellte. Eine gründliche Untersuchung ergab jedoch die Haltlosigkeit dieser Annahme, da schon der eine Um- stand widersprach, daß nämlich mitunter der Eingang zu dem Blasenhohlraum erst erweitert werden mußte, um die Schälchen unversehrt herausnehmen zu können. Es mußte sich daher um kleine Muschelformen handeln, welche Zeit ihres Lebens in einer solchen Blase hinreichend Raum fanden. Im ganzen waren es fünf solcher kleiner Bivalven mit einer Schalenlänge von 1^,2 bis 5 imn, welche dieserart gefunden wurden. Eine genaue Untersuchung ergab nun, daß es sich hier zweifellos um Angehörige der Familie Cyrenidae Adams handle. Ob das Vorkommen von Cyreniden im Kongo bereits bekannt ist, konnte ich nicht eruieren, doch wäre das- selbe kaum auffallend, da ja im Nil Angehörige dieser Familie, aber auch Ätherien bereits gefunden wurden. Ich habe die fraglichen Stücke Herrn S. Clessin, der durch seine Pisidien- studien bekannt ist, nach Regensburg geschickt und dieser war so freundlich, mir hierüber folgende Auskunft zu geben: »Die kleinen, äußerst zerbrechlichen Schälchen nähern sich bezüglich des Schalenverschlusses und der Umrißform am meisten dem Genus Spkaermni Scopoli, doch fehlt dem Verschluß das mittlere hackenförmige Paar der Kardinalzähne, welche unter dem Wirbel auf einer Leiste sitzen, welche eben- falls fehlt. Nur die beiden längeren Seitenzähne sind vorhanden. Es würde sich daher auf die Schälchen ein novum genus der Cyreniden gründen lassen. Allerdings scheinen die Schälchen von sehr jungen Tieren zu stammen. Der Wirbel tritt auffallend wenig hervor und das Ligament unter dem Wirbel scheint sehr schwach zu sein.« Daran knüpft Clessin noch die Vermutung, daß diese Muscheln, da ihre äußerst zarten und zerbrechlichen Schälchen sehr des Schutzes bedürfen, vielleicht nur in den Jugendstadien die blasenförmigen Gebilde der Ätherien bewohnen und daß sie ihre volle Entwicklung erst erfahren, Schloß von Aetheria. 165 wenn sie diese Schlupfwinkel verlassen haben. Ich bin Herrn S. Clessin für diese wertvollen Mitteilungen überaus dankbar; seiner \ermutungsweise ausgesprochenen Ansicht, daß es sich hier durchwegs um Jugendformen handle, kann ich jedoch nicht vollkommen beistimmen, da, wie oben erwähnt, die größeren Exemplare erst nach Aufbrechen der Blase heraus- genommen werden konnten. Clessin wendet mir dagegen ein, daß ja auch die Jugendformen der Unioniden in der Zeit, da sie an Fischen schmarotzten, in Cysten eingeschlossen sind, diese aber später selbsttätig öffnen. Daß hierin eine gewisse Analogie zu sehen ist, will ich nicht leugnen; wenn ich mir auch nicht recht denken kann, daß diese äußerst zarten Schälchen die anscheinend widerstandsfähigere Schale der Umhüllung sprengen sollten, so will ich doch wenigstens darüber, ob auch das größte mir vorliegende Exemplar noch nicht ausgewachsen ist, keine endgültige Entscheidung treffen Es liegt mir eine ganze Anzahl solcher Cyreniden vor, und zwar von 1"5 mtn Längendurchmesser bis omni. Die kleineren Formen sind fast vollständig kreisrund, ein Wirbel ist kaum sichtbar und das Schloß noch vollkommen unfertig. Dennoch sind diese Schälchen äußerst interessant, und zwar dadurch, daß sie die Entwicklung des Schlosses erkennen lassen. Es ist dabei überraschend, daß das Stadium bei 1-5 mm Länge an jenes von Sphaerium. ganz auffallend erinnert, das von Bernard^ von einem ebenso großen Exemplar gegeben wurde. Ich habe darin mit großer Freude eine Bestätigung der Diagnose Clessin's erkannt. Eine vollkommene Übereinstimmung zwischen der Abbildung bei Bernard und unserer Beob- achtung herrscht allerdings nicht und ich weiß nicht, ob dies auf die Zugehörigkeit zu einer anderen Gattung hinweist — denn Sphaerium, und Pisidium zeigen nach Bernard ganz gleiche Entwicklung • — oder ob Bernard's bezügliche Beob- achtungen vielleicht doch einer Revision und Ergänzung bedürfen. Leider ist das vorliegende Material zu gering, um hierin Licht zu schaffen. 1 F. Bernard, Premiere note sur le developpement et la morphologie de la coquille chez les Lamellibranches. Bulletin de la societe geologique de France, 1895, p. 124. 168 L. Waagen. In der linken Klappe sieht man zunächst vorne am hinen- rande einer Art von Schloßplatte eine Leiste L a 11,^ die außen von einer Zahngrube begrenzt wird, und darauf folgt der zahn- artig verdickte Schalenrand, der sich als Kardinalzahn vom Rande loslöst und nach rückwärts geneigt (opisthoklin) über die Schloßplatte verläuft; danach müssen wir ihn mit Bernard als C 4: p bezeichnen. L a II und C 4 p stoßen an ihrem Ende beinahe aneinander. Bernard zeichnet das hintere Ende von L a II verdickt und daraus entsteht nach ihm der vordere Kardinal C 2 a. In unserem Falle scheint jedoch die Ent- wicklung nicht in dieser Weise vor sich gegangen zu sein, denn man sieht absolut keine Verdickung an dem hinteren Ende von La II, dagegen glaube ich, daß Lall später mit dem verdickten Außenrande, den man wohl mit Recht als L <^ IV bezeichnen könnte, verwächst, dazwischen der vorderen Zahn- grube und den Kardinalen bei erwachseneren Exemplaren die Schloßplatte abnorm verdickt erscheint. Wenn aber der vordere Kardinal nicht aus der Primärlamelle La II entsteht, muß derselbe als durch Ap gebildet betrachtet werden, was um so auffälliger wird, als ja der vordere Kardinal bei Sphaermm meist etwas prosoklin ist und daher eine vollständige Drehung des hinteren Endes der Primärlamelle 4 angenommen werden müßte. Ich sehe nur in dem einen Umstand eine Bestätigung dieser An- nahme, daß sich nämlich bei dem untersuchten Exemplare noch eine schmale Lamelle fand, die sehr nahe an C 4 p heran- gerückt war und parallel damit verlief; hier hätten wir somit den hinteren Kardinal als CQ p zu bezeichnen. Es ist nun aller- dings sehr auffallend, daß man sonach in der linken Klappe keinen eigentlichen vorderen Kardinalzahn anzunehmen hätte, denn der tatsächlich vorne gelegene Kardinal müßte ontologisch ebenfalls als hinterer bezeichnet werden. Ich glaube, daß man dafür nur insoferne eine Erklärung geben kann, als auch der 1 Ich gebrauche nicht die Bezeichnungsweise Bernard's, sondern benutze die Indices nach der von Nötling angegebenen vereinfachten Art. (Siehe Nötling, Beiträge zur Morphologie des Pelecypodenschlosses. Neues Jahrb. Beilage-Bd. XIII, p. 140 bis 184. Stuttgart 1900.) Linke Klappe: gerade Zahlen, rechte Klappe: ungerade Zahlen; vorne = rt', hinten = p; Lateralzähne = L mit römischen Ziffern; Kardinal ::= C mit arabischen Ziffern; Zahngrube = ;. Schloß von Aeiheria. 167 eine Kardinal der Gegenklappe nicht in gewohnter Weise gebildet erscheint. Die Untersuchungen Bernard's ergaben, daß der unpaare Zahn der rechten Klappe stets aus der Primär- lamelle Lal hervorgehe. Hier ist dies jedoch nicht der Fall, ebensowenig wie bei Sphaerium, was auch aus der Abbil-dung Bernard's hervorgeht, der aber daran keine Bemerkungen knüpft. Ich sehe jedoch hierin eine gewisse Symmetrie, daß die beiden innersten Primärlameilen La I und La II nicht zur Ent- wicklung von Kardinalzähnen gelangen. Der Kardinal der o-p ip LpW i.pn- Lain Lv IV Lp III Lt.I Lal Fig. 1. rechten Klappe ist somit aus der Primärlamelle 3 hervor- gegangen. Bernard pflegt den unpaaren Zahn dieser Schale stets ohne Index zu belassen, d. h. ihn weder den vorderen noch den hinteren Kardinälen zuzuzählen. Bei der Entstehung aus der Lamelle 1 geht dies auch ganz gut an, da dieselbe stets nur einen Zahn entwickelt; anders ist es aber bei den übrigen Lamellen, da aus diesen mitunter auch zwei Kardinal- zähne entstehen können. Somit muß hier der unpaare Zahn, da er der Lamelle 3 angehört, einen Index bekommen, und zwar ist er als opisthoklin mit Cdp zu bezeichnen. Wir haben somit den merkwürdigen Fall, daß die Kardinal zahne dieses Schlosses sämtlich als hintere aufzufassen sind. Auch bezüglich der hinteren Lateralzähne habe ich nun eine Be- merkung zu machen. In der rechten Klappe konnte ich ebenso Sitzb. d. mathem.-naturw. Kl.; CXIV. Bd.. Abt. I. 12 168 L.Waagen, wie Bernard zwei Leistenzähne beobachten. Lp l verläuft am inneren Rande der Schloßplatte; Lp II ist mehr nach außen gerückt, aber immerhin verbleibt zwischen dieser Zahnlamelle und dem Schalenrande ein ziemlicher Raum, der die Vermutung nahelegt, daß dies eine Grube für einen korrespondierenden Zahn der Gegenklappe bedeute. Bernard kennt aber in der linken Klappe nur eine hintere Zahnlamelle, die nach meinen Beobachtungen so ziemlich in der Mitte der Schloßplatte längs verläuft und nur mit dem vorderen Ende etwas nach unten herabgebogen erscheint. Dort nun, wo diese Beugung nach unten beginnt, konnte man an dem von mir untersuchten Exemplare ganz deutlich am Schalenrande einen Zahn beginnen sehen, der allerdings nur wie eine Verdickung dieses Randes erschien und in der Zahnplattenaufstülpung, welche das Ligament begrenzt, sich verlor. Wenn man aber noch zweifeln sollte, ob es sich in diesem Falle wirklich um einen Zahn handle, so scheint mir der Befund in der rechten Klappe ein Beweis dafür zu sein. Die Begrenzung des Ligamentes gegen unten bildet, wie schon gesagt, eine Schloßplattenaufstülpung, die in beiden Klappen nach vorne etwas ausgeprägter, d. h. zahnartiger wird. Die Schlußformel lautet nach Bernard 1. c. folgender- maßen: Rechte Klappe: La lilll : 3 : Linke Klappe: La : II : \ 2 : 4b Lig. Lp I:III Lig. ! Lp AI: Nach meinen Auseinandersetzungen aber müßte diese Formel, wobei ich eine Bezeichnung für das Ligament nicht einsetze, folgendermaßen lauten: Rechte Klappe: La l : lU : \ : 3p : \L p \ : III : Linke Klappe: La : II : iv\4p : 6p\Lp : II : IV. Hiezu noch eine Bemerkung. Munier - Chalmas und ganz besonders Bernard hoben wiederholt hervor, daß die Primärlamellen durch das Ligament in zwei Gruppen geteilt würden, wovon die vordere Gruppe die vorderen Lateral- und die vorderen und hinteren Kardinalzähne entwickle und ventral vom Ligament gelegen sei. Die hintere Gruppe dagegen liege Schloß von Aetheria. 169 dorsal v'om Ligament und entwickle ausschlie(31ich hintere Lateralzähne. Gibt man dieser Annahme Folge, so ergibt sich zunächst daraus, daß nur bei Lamellibranchiaten mit innerlichem oder halbinnerlichem Ligament hintere Lateralzähne existieren können, denn nur bei einer solchen Schloßanlage tritt das Ligament als Scheidewand zwischen den Schloßzähnen auf. Auch Nötling hat bereits das Unzulängliche in der Theorie von Munier-Chalmas und Bernard herausgefühlt, aber er ist doch nicht zu dem oben angeführten allgemeinen Satze gelangt, sondern zu folgender Schlußfolgerung (o. c. p. 147): » . . . .denn es ist ganz klar, daß, sowie ein Zahn sich auf der ventralen Seite des Ligaments befindet, er unmöglich einen hinteren Lateralzahn repräsentieren kann, sondern er muß notwendigerweise den Kardinalzähnen zugehören, wie auch immer seine Gestalt und Größe sein mag.« Nötling beruft sich hiezu auf die Befunde bei Uiiio und behauptet, daß deren lange hintere Leistenzähne, da sie sich auf der ventralen Seite des Ligaments befinden, als Kardinal- zähne aufzufassen seien. Ich kann diese Auffassung Nötling's nun nicht teilen. Dieser Irrtum ging nämlich daraus hervor, daß Nötling keine ontogenetischen Studien betrieb, sondern aus dem Befunde an erwachsenen Exemplaren Rückschlüsse auf deren Entwicklung zog. Nur so ist es möglich, daß er schreiben konnte, diese hinteren Lateralzähne von Unio müßten, als ventral vom Ligament gelegen, »sich logischer- weise aus der vorderen (ventralen) Gruppe von Primärlamellen entwickelt haben«. Daß dem nicht so ist, kann ich wohl durch die Ontogenie von Sphaerinm als erwiesen betrachten, denn hier entstehen unzweifelhaft die hinteren Lateralzähne aus jener Gruppe von Primärlamellen, welche von rückwärts gegen den Wirbel hin sich fortsetzen. Wenn diese Gruppe auch nicht als dorsal vom Ligament liegend bezeichnet werden kann, so muß doch zugegeben werden, daß es sich hier schon genetisch um hintere Zähne handelt, weshalb ich glaube, daß man die Trennung in vordere und hintere Lateralzähne auch weiters nach den bisherigen Prinzipien durchführen soll, was ja auch Bernard faktisch und seiner Theorie widersprechend getan hat. Will man jedoch die Gruppe II Bernard's im Gegensatze 12* 170 L.Waagen, ZU diesen hinteren Lateralzähnen schärfer hervorheben, so kann man sie als postligamentär bezeichnen. Das größte mir vorliegende Exemplar der sphaerium- ähnlichen Bivalve aus dem Kongo mißt 5 min in der Länge bei 4 mm Höhe; die Dicke mag etwa l^g mm betragen. Der Wirbel tritt auffallend wenig hervor; von diesem verläuft die Schale nach rückwärts vollständig geradlinig (2 mm), um dann sehr scharf, fast in einer Knickung (128°), zum breit gerundeten Hinterrande umzubiegen. Diese durch die Knickung entstehende Ecke ist so in die Augen springend, daß man sie bei geschlossenen Schalen leicht für den Wirbel zu halten ver- sucht ist. Vorne verläuft die Umrißlinie schief nach unten und so entsteht am Wirbel ein Winkel von 137°. Das Vorderende ist spitz gerundet, der Unterrand an der Stelle des Fußaustrittes etwas emporgezogen. Die braune Epidermalschicht zeigt regel- mäßige feine Zuwachsstreifen; das Innere der Schale ist perl- mutterglänzend. Das Schloß ist äußerst zart und läßt sich erst bei sehr starker Vergrößerung in seinen Elementen erkennen. Vom Wirbel nach rückwärts verläuft in beiden Klappen ein äußerst schmaler Ligamentstreif, in der linken Klappe etwas breiter, schmäler in der rechten und wird gegen innen von der bekannten Schloßplattenaufstülpung begrenzt. Die Schloßplatte ist aber in unserem Falle so schmal und zart, daß sie gar nicht mehr als solche bezeichnet werden kann. Sie wird auch nicht mehr als solche erkannt, sondern man glaubt einen scharfen bogenförmigen Zahn unter dem Mikroskop zu sehen. Die Kardinalzähne sind in der linken Klappe als zwei winzige Höckerchen vorhanden, welchen in der rechten ein unpaares Höckerchen gegenüber steht. Vor den Kardinälen zeigt sich in der linken Valve eine Leiste längs des Schloßrandes, die noch am ehesten die Bezeichnung Schloßplatte verdienen würde. In deren distales Ende ist eine Zahngrube eingesenkt, während hier der Außen- und Innenrand ein wenig zahnartig emporragen. Die Gegenklappe zeigt entsprechend zwei von von außen nach innen hintereinander liegende Leistenzähnchen, von welchen der äußere in die Zahngrube der Gegenklappe einspielt, der stärkere innere dagegen keine deutliche ent- sprechende Grube aufweist. Nach rückwärts verläuft das Schloß von Aetheria. 171 Ligament bis zu der besprochenen Umbiegung. Hier aber finden sich die Rudimente der hinteren Leistenzähne. In der linken Schale eine Zahngrube, beiderseits flankiert von einem Zahn- höckerchen, wovon das innere wieder deutlicher; in der Gegen- klappe ein deutliches Leistenzähnchen, das der Zahngrube entspricht, wogegen ein innerer Leistenzahn, welcher der Primär- lamelle Lp I entsprechen würde, nicht aufgefunden werden konnte. Dennoch läßt sich die oben angegebene Formel auch auf das erwachsene Exemplar unverändert anwenden, höchstens müßte Lp I in Klammern erscheinen. Ich glaube, die starke Reduktion der Schloßplatte wie auch der Kardinalzähne, ver- bunden mit dem abweichenden Umriß, sind hinreichend charakteristisch, um mit Clessin diese Formen von Sphaeriunt abzutrennen und eine neue Untergattung darauf zu begründen. Ich schlage daher für diese kleinen sphaeriumähnlichen Zwei- schaler aus dem Kongo den Namen Clessinella Sturanyi nov. subgen., nov. sp. vor. Nach dieser Abschweifung wollen wir uns aber wieder der Untersuchung unserer Ätherien aus dem Kongo zu- wenden. Die Innenseite der Schale ist durchaus perlmutterglänzend, teilweise blasig und in der Wirbelgegend sieht man deutlich eine Anlage zur Perlbildung. Die Mantellinie verläuft ohne Ein- buchtung von einem Muskelmal zum andern und der Mantel- saum scheint pigmentiert gewesen zu sein. Der hintere Muskeleindruck ist länglich oval, nach unten meist verbreitert, der vordere schmal, lang und bogenförmig, und wie das Herein- treten glänzender Perlmutter anzeigt, in mehrere Stücke zerteilt. Diese Zerteilung wird aber z. B. von Philippi direkt als Charakteristikum der Unioniden angeführt, während mir diese Erscheinung von keiner anderen Familie bekannt ist. Ich glaube auch darin einen Hinweis auf die nahe Verwandtschaft zwischen Unioniden und Aetheriiden sehen zu sollen. An einer Stelle ist die Unterklappe am Rande in einen Röhrenstachel ausgezogen und bei weiterer Nachschau ge- wahren wir auch auf der Außenseite dieser Schale einzelne 172 L. Waagen, Rudimente solcher Stacheln verteilt. Die Entstehung, Bildung und Funktion dieser Röhrenstacheln wurde von Simroth in seiner zweiten Arbeit so eingehend erörtert, daß ich einfach darauf verweisen zu dürfen glaube. Das Vorkommen solcher Stacheln ist jedoch für die mut. nidus kirimdinis neu und wird von Simroth nur von der mut. tuhulifera erwähnt, bildet aber einen neuen Beweis dafür, daß diese beiden Extreme mit Recht zu einer Art Ae. heteroniorpha vereinigt wurden. Über das Ligament der Ätherien wurden ebenfalls von Simroth einige Untersuchungen mitgeteilt. Wir ersehen Fig. 2. daraus, daß das elastische Ligamentband von Kalklamellen durchsetzt wird, daß die älteren Teile desselben absterben und daß es beiderseits von Streifen epidermalen Ligaments eingefaßt wird. Genauere Angaben finden wir aber in der Publikation O. M. Reis', betreffend »das Ligament der Bivalven«. Die Ligamentstudien Reis' sind wohl überhaupt als grundlegend zu betrachten, umsomehr Gewicht muß infolgedessen auch auf dessen Resultate gelegt werden. Die Untersuchung bezüglich der Ätherien ergab nun deren nahe Beziehungen zu den Unioniden. Reis schreibt: »Das Ligament stellt sich weniger längs des Schloßrandes als senkrecht zu demselben und so Schloß von Aetheria. 173 entsteht eine ostrei denartige Stellung des Ligament- komplexes und seiner h i e r w i e bei den U n i o n i d e n v^ o r - handenen 3 Ligamentfelder.« Die Ähnlichkeit des Ätherien- ligaments mit jeneni der Unioniden wird noch des weiteren folgendermaßen gezeigt: »Während das vordere ^Ligament eine gewisse selbständige Ausbreitung hat, bleibt das hintere durch das Wachstum der Nymphealleiste in eine ganz schmale Furche gedrängt und zeigt noch die Neigung, eine äußere Hülle um das elastische Ligament zu bilden.« Die Lage des elastischen Ligaments ist sehr leicht zu erkennen; es ist jenes ziemlich breite mit ventro-anal konvexen Streifen gezierte Band, welches das Umbokardinalfeld quert. Die schmale, aber ansehn- lich tiefe Furche, welche das Band an deren oberen und hinteren Rande begleitet, beherbergt das hintere unelastische Ligament, das mitunter ganz auf diese Furche beschränkt ist, mitunter auch sich noch etwas nach rückwärts verbreitert. Vor dem elastischen Ligament dehnt sich das breite, quergestreifte »Pseudoligamentfeld«, das von Reis mit diesem Namen belegt wurde, weil es nur zum kleinsten Teile von dem vorderen unelastischen Ligament eingenommen wird, sondern der Hauptsache nach, die aufeinanderfolgenden Auflagerungs- flächen des Vorderrandes aufweist. Dadurch erklärt es sich auch, daß dieses Pseudoligamentfeld in der aufgewachsenen Unterschale besonders ausgedehnt entwickelt ist, weniger aber in der Deckelklappe, da diese bei fortschreitendem Wachstum nach unten und hinten verschoben wird. Soweit stimme ich mit den Angaben und Untersuchungen von Reis vollkommen überein, nur die eine Bemerkung, daß sich das Ligament senk- recht zum Schloßrande stellt, möchte ich etwas modifizieren. Gerade bei dem mir vorliegenden großen Exemplare trifft dies nicht zu, ebensowenig bei der abgebildeten rechten Klappe aus dem Quartär von Suez.^ Es ist richtig, der Ligamentkomplex verläuft nicht mehr parallel zum oberen hinteren Schloßrande, aber er braucht sich auch nicht senkrecht dazu zu stellen. 1 Bei dieser Gelegenheit sei gleich die iiTtümliche Angabe in Zittel's Handbuch der Paläontologie, II. Bd., p. 58, daß fossile Ätheriiden niciit bekannt seien, liciitiggestcUt. 174 L.Waagen, sondern es genügt mitunter auch ein ganz geringer spitzer Neigungswinkel. Es ist bekannt, daß das Festwachsen einer Muschelform stets mehr oder minder tiefgreifende Veränderungen im Gefolge hat. Reis hat sich in seiner zitierten Arbeit auch mit dieser Frage eingehender beschäftigt und gibt verschiedene solche Folgewirkungen an, so den Verlust der Wirbelkrümmung, das leichtere Zerreißen der älteren Ligamentschichten, die Verlagerung des Ligaments von außen nach innen und den Verlust der Schioßzähne. Alle diese Angaben lassen sich bei Aetheria sehr gut nachprüfen. Über die beiden ersten Ver- änderungen möge man sich in Reis' vorzüglicher Arbeit des näheren orientieren. Hier sollen aber die beiden letzteren Punkte einer Besprechung unterzogen werden, denn es ist einleuchtend, daß die Verlagerung des Ligaments nach innen mit dem Verluste oder, sagen wir besser, der Reduktion des Schlosses in einiger Beziehung stehen muß. Über die Umlagerung des Ligaments finden wir bei Reis folgende Angaben. Zunächst wird gezeigt, daß das Ligament nur an seiner ventralen Grenze wächst, und, daran anknüpfend, p. 238 fortgefahren: » ... so ist es verständlich, wie aus einem phylogenetisch ursprünglich randlich gelegenen Ligament ein völlig inneres werden muß, wenn nur die Schloßplatten- entfaltung vor und hinter dem Ligament eine wesentlich gleichwertige und gleichseitige ist; das Ligament wird dann durch Umwachsung ein innerliches«. An anderer Stelle aber (p. 213), wo über »sekundäre Leisten und Furchen im Bereiche der Felder des unelastischen Ligaments« die Rede ist, lesen wir: ». . . . Ebensowenig sehen wir aber auch in diesem Falle das elastische Ligament so wie das unelastische über Gruben- und Zahnrelikte des Umbokardinalfeldes hinüberrücken undsich daselbst befestigen. Die durch eine wellige Ansatzfläche notwendig kompliziert beeinflußte Gewölbebildung würde einfache Wir- kungen der Biegungselastizität unmöglich machen und durch verschiedene Spannungen zur Zerreißung des Ligament- bogens Anlaß geben«. Sodann auf p. 254: »Diesen wechseln- den Bildungen (den Schloßzähnen) steht das Ligament wie Sch\oQ \Qn Aeiheria. 175 eine Mauer gegenüber; es verdrängt keine Zähne, behauptet bloß seine Ausdehnung gegen den Wechsel der Zahnformen, von denen die dem Ligament zunächst stehenden häufig von der wachsenden Ausdehnung der mehr seitlichen so ins Gedränge kommen, daß sie verschwinden müssen«. Ich kann nun dieser Auffassung, daß das Ligament niemals Zähne und Zahngruben überwuchere, nicht beipflichten, denn meine Untersuchungen an Cardinien und ebenso an Ätherien haben mich eher vom Gegenteile überzeugt. Um dies aber klarzulegen, wollen wir zunächst einmal das Schloß von Aetheria analysieren und zu diesem Zwecke werden wir, nach- dem die Ontogenie dieser Formen nicht bekannt ist, wenigstens von einer weniger aberranten Form, der rechten Klappe einer Ae. semilunata Lam, aus dem Quartär bei Suez aus- gehen. Man sieht da zunächst, daß der vordere Muskeleindruck in seinem oberen Teile durch einen derben Schalenwulst gegen das Schaleninnere abgegrenzt wird, wie dies von Unio und deren Vorgänger Trigonodiis bekannt ist. Vom oberen Ende dieses Muskelmales verläuft ebenfalls ein Wulst an den oberen Schalenrand bis zu einer leichten Einkerbung; dann ein Vor- treten der Schloßplatte in breitem, flachem Bogen als Träger des elastischen Ligaments, dahinter dann die stark in die Schale eingerissene Furche, in die das hintere Ligament ge- klemmt erscheint, und schließlich folgt nochmals ein kantiger Wulst, der in die Schale hinein sich fortsetzt, dort aber von dem Oberrande noch durch eine Fläche getrennt wird. Halten wir nun eine gewöhnliche Unionenschale zum Vergleiche da- neben, so ergibt sich die Beziehung der einzelnen Schloß- elemente gleichsam von selbst. Der Wulst über dem vorderen Muskelmale entspricht dem vorderen Schloßzahne der Unionen, von dem ebenfalls ein Wulst zur Innenbegrenzung des vor- deren Muskeleindruckes sich ablöst. Das Schloßplattenstück, auf welchem das Ligament aufruht, muß wohl auf die breite Zahngrube für den Hauptzahn der Gegenklappe bezogen werden, während wir in dem folgenden kantigen Wulst, der in die Schale hinein fortsetzt, den hinteren Leistenzahn er- kennen können und die angrenzende Fläche bis zum Ober- rande wohl die Nymphenleiste vorstellt. Ja sogar die Furche 176 L. Waagen, für das hintere Ligament kann man sich insofern präformiert denken, als sowohl bei Unio als bei Trigonodus die Schloß- platte vor dem Beginn des hinteren Leistenzahnes häufig eine Unterbrechung zeigt. In mehr oder minder starkem Grade lassen sich diese Schloßelemente bei allen hier abgebildeten rechten Klappen wieder erkennen. Wollen wir nun auch die Gegenklappe in Bezug auf die Bildung des Schloßapparates untersuchen, so soll uns hiezu die festgewachsene Unterschale des großen Exemplars aus dem Kongo dienen. Da sehen wir vorne zunächst wieder einen Schalenwulst als obere Innenbegrenzung des vorderen Muskel- males und von diesem ausgehend eine Verdickung des Vorder- randes in der Gegend des vorderen unelastischen Ligaments. Das elastische Ligament liegt ebenfalls wieder auf einem breit gerundeten Vorsprung der Schloßplatte, doch ist derselbe viel massiger entwickelt als jener der Gegenklappe. Es folgt nun die bekannte schmale und tiefe Furche für das hintere unelastische Ligament und an diese schließt sich eine deutliche, wenn auch flache Längseinsenkung zwischen zwei Kanten an, die sich als feine erhabene Linien auch in das Schalen- innere fortsetzen, während zwischen ihnen auch hier eine ganz schwache Depression wahrnehmbar ist und die äußere Kante noch durch eine schmale Fläche von dem Oberrande getrennt erscheint. Auch hier läßt sich die Deutung nach Klärung der Schloßverhältnisse in der rechten Klappe leicht finden. Der vordere Wulst entspricht wieder dem Vorderzahne; die Ver- dickung ist hier geringer als in der Gegenklappe, entsprechend der schwächeren Entwicklung des Vorderzahnes in der linken Klappe der Unionen, andrerseits ist aber die Einbuchtung zwischen dem vorderen Wulst und dem Orte des elastischen Ligaments viel breiter, so daß die beiden genannten Elemente weiter von einanderabstehen, und dies erklärt sich schönstens durch die hier eingeschaltete Zahngrube der Najaden. Die vor- gezogene Schloßplatte, als Trägerin des elastischen Ligaments, ist jedoch hier in der linken Valve nicht mit der Zahngrube, sondern mit dem Hauptzahne selbst zu vergleichen, worauf die Verdickung hinweist. Die beiden Kanten endlich mit der zvvischenliegenden Längsdepression scheinen mir auf die beiden Sch]oß von Aethen'a. 177 hinteren Schloßzähne hinzuweisen, wobei die gegen den Ober- rand Hegende Fläche wieder der Nymphealleiste entspricht, während man bei der tiefen Furche des hinteren Ligaments an die Ablösung des Hauptzahnes von dem inneren Leistenzahne denken könnte, wie dies bei manchen Trigonodtis-Arten be- kannt ist. So weit meine Deutung des reduzierten Schlosses bei Aetheria, die ja mit den entsprechenden Befunden bei den Najaden aufs beste in Übereinstimmung gebracht werden kann. Manche dieser Deutungen zwingen mich aber dazu, zunächst auf einige Darstellungen in Reis' Arbeit zurückzukommen. Wir sehen also bei Aetheria ein stark reduziertes, teilweise ebenso obliteriertes Najadenschloß, dessen auffällige Bildung wohl auf das Festwachsen und die Verlagerung des Ligament- komplexes nach innen (was ja eigentlich schon eine Folge des ersten ist) zurückgeführt werden muß. Welchen Einfluß die Befestigung auf solche Schalen ausübt, darüber hat Reis ausführlich geschrieben und ich habe dessen Ausführungen nichts hinzuzufügen. Anders ist es mit dem Ligament; Reis stellt den Satz auf: Das Ligament verdränge keine Zähne. In dieser Form mag der Satz genau genommen ja seine Richtig- keit haben. Immerhin sehen wir bei Aetheria das elastische Ligament der rechten Klappe in der Hauptzahngrube liegen, wobei auf dem Wege von dem gewöhnlichen Ligamentsorte dahin erst der hintere Leistenzahn überwunden werden mußte, während in der linken Schale sogar zwei solcher Leistenzähne zu überwinden waren und überdies der Hauptzahn gegen das Schaleninnere gedrückt und stark obliteriert erscheint. Nach diesem Befunde mag es somit richtig sein, zu sagen: Das Liga- ment verdrängt keine Zähne. Statt dessen müßte es aber dann heißen : es überwuchert Zähne bei dem Umwachsen in das Schaleninnere. Gegen diese Annahme verwahrt sich jedoch Reis, wie schon oben angeführt, auf das nachdrück- lichste mit den Worten: »Ebensowenig sehen wir aber auch .... das elastische Ligament so wie das unelastische über Gruben und Zahnrelikte des Umbokardinalfeldes hinüber- rücken und sich daselbst befestigen« und gleichsam als Begründung fügt er hinzu: »Die durch eine wellige Ansatz- 178 L. Waagen, fläche notwendig kompliziert beeinflußte Gewölbebildung würde einfache Wirkungen der Biegungselastizität unmöglich machen und durch verschiedene Spannung zu Zerreißungen des Ligamentbogens Anlaß geben«. Bei den Ätherien ist nun ein Vorrücken des elastischen Ligaments über Gruben und Zähne evident, denn daß die Reste der hinteren Leistenzähne nun hinter dem hinteren unelastischen Ligament gelegen sind und daher dessen Bereich zuzuzählen wären, fällt nicht in die Wagschale, da ja doch auch das elastische Ligament über dieselben hinweg erst in das Innere gelangen konnte. Auch bei Cardinia, deren Abstammung von den Najaden in einer anderen Arbeit nachgewiesen werden soll,^ kann man nach- weisen, daß ein solches Überwältigen von Zähnen durch das elastische Ligament vorgekommen sein muß, und auch an der Anheftungsstelle desselben sieht man noch mannigfache Grübchen. Ja, bei Lamellibranchiern mit hinterem Ligament und Leistenzähnen ist nach meiner Vorstellung ein Umwachsen dieses Ligaments von außen nach innen unmöglich ohne Über- wucherung der Zähne. Allerdings werden hiebei stets Zähne und Gruben bis auf ein Minimum ausgeglichen und dies ist gerade nach der Darstellung der Entstehung des Ligament- komplexes, wie sie Reis gibt, leicht verständlich; dennoch aber ist die Tendenz zur Zahnbildung so kräftig, daß diese Gebilde nicht vollständig verschwinden. Nach Reis wird das Ligament von der oberen Kommissur der Mantellappen aus- geschieden, während die eigentliche Schale von den Rändern des Mantels gebaut wird. Diese Mantelränder aber haben wie überhaupt die ganze Außenseite des Mantels die Neigung, stets an der Abrundung und Ausgleichung ihrer Umgebung zu arbeiten; das beweist die Perlenbildung um Fremdkörper, das beweist die Blasenbildung bei den Ätherien, besonders in der gewölbteren Klappe, »von der sich der Mantel häufiger los- lösen muß, um beim Weiterwachsen einigermaßen die Sym- metrieform der Muschel zu wahren« (Simroth o. c), und das beweisen endlich auch die Leistenzähne bei Aetheria, welche beim Eintritt in das Schaleninnere sofort gerundet und aus- 1 Bittner und Waagen, Abhandi. geol. R. A. Bd. XVIII. Schloß von Aeiheria. 1 /9 geglichen werden. Die geringen Grübchen, welche noch vor- handen bleiben, können dann leicht durch lokal vermehrte Ausscheidung von Ligament ausgeglichen werden, um die Spannungsdifferenzen zu beheben. Die lange Rinne hinter dem Ligament wurde auch bereits von Reis beobachtet. Er schrieb darüber: es ». . . . erinnert ein anderes Verhalten hinter dem Ligament wieder an Ostrea; der innere Schalenrand zeigt dort an einer Stelle, den man als außerhalb der Mantelkommissur liegend bezeichnen muß, eine Längsfurche, deren Längsachse unmittelbar hinter dem hinteren epidermoidalen Ligament ausläuft; diese der »extra- kommissuralen« Furche bei Ostrea völlig vergleichbare Bildung zeigt sich auch hinter den Ligamenten in einer mit der Spitze zum Wirbel gerichteten Zackung der ausstreichenden Schalen- schichten, deren achsialer Verlauf ganz so wie bei Ostrea von einer »sekundären« Furche durchzogen wird«. Reis scheint aber dabei übersehen zu haben, daß diese »Längsfurche« stets nur in der linken Schale auftritt, gleichgültig ob diese nun die festgewachsene oder die freie Klappe war, was sowohl aus dem von mir untersuchten Materiale als auch aus den Abbildungen bei Reis hervorgeht. An der rechten Valve sehen wir dagegen stellvertretend immer nur eine Kante hinter der Ligamentfurche und diese konstant verschiedene Entwick- lung der beiden Schalen wird durch den Vergleich mit dem Unionidenschlosse vollständig natürlich erklärt, besonders wenn man die Fortsetzung dieser Zähne, respektive der Zahn- furche in das Schaleninnere mit in Betracht zieht. So sehen wir denn bei den Ätherien ein ungemein redu- ziertes Schloß, das in dieser Form dem Tiere wohl nicht den geringsten Nutzen bieten kann, sondern die Funktion der Schalenverbindung wird hier vollständig von dem kräftigen Ligament ausgeführt, welches hierin nur vielleicht durch den unregelmäßig gelappten und gewellten Ventralrand der Schale — auch eine Art extrakommissuralen Schlosses — unterstützt wird. Dennoch liegt es dem Tiere — um mit Simroth zu sprechen — gleichsam im Blute, wenigstens diese Ansätze zu einer Zahnverbindung zu bilden. Diese aber weisen, wie ich zu zeigen versucht habe, auf die Schloßbildung der Najaden 180 L.Waagen, hin. Nimmt man nun noch dazu, daß der Schalenvvulst, der das vordere Muskelmal vom Schaleninnern trennt, sich ebenso bei den Najaden findet, daß die Zerteilung des vorderen Muskeleindruckes für die Unioniden geradezu charakteristisch ist, daß auch die Ligamentverhältnisse an die Entwicklung bei Utiio erinnern und daß endlich auch bei den nahe verwandten Müllerien Jugendformen mit Unionentypus bekannt sind, so glaube ich, daß damit auch für Aetheria der Beweis für die nahe Verwandtschaft mit den Najaden als erbracht angesehen werden kann. Dennoch möchte ich hier auf die in neuerer Zeit von anderen Forschern ausgesprochenen Vermutungen noch mit ein paar Worten zurückkommen. So weist Simroth o. c. darauf hin, daß eine Verwandtschaft mit Mytilus oder Dreys- sensia bestehen könnte. Er wurde dazu gedrängt durch ein- zelne Eigentümlichkeiten in der Morphologie des Tieres, auf die hier nicht eingegangen werden kann, dann durch die gekielte Form bei den Unterklappen der var. nidtts hiriiiiäinis, durch die vermeintlich stets terminale Lage des Schlosses sowie endlich durch das vermeintliche Fehlen einer Prismen- schicht, Die beiden letzten Punkte wurden bereits oben etwas besprochen. Daß übrigens der Wirbel durchaus nicht immer terminal liegt, zeigen unsere Abbildungen, besonders jene einer rechten Klappe von Ae. semümiata aus Suez. Ebensowenig ist das Fehlen der Prismenschicht als erwiesen zu betrachten, denn wenigstens in den älteren Schalenteilen glaube ich eine solche deutlich erkennen zu können. Das große zerschlitzte vordere Muskelmal sowie das Auftreten von Schloßrelikten, besonders von Leistenzähnen ließe sich aber durch Zurück- führung auf Mytilus oder Dreyssensia gar nicht erklären. Auf die Schwierigkeit, auf diese Weise die Dimyarier zu Hetero- myariern in Beziehung zu setzen, hat Simroth bereits selbst hingewiesen. Nun wollen wir uns noch den Ausführungen Vest's 1. c. zuwenden. Daß derselbe während seiner Untersuchung die Möglichkeit der Abstammung der Ätherien von Ostreiden fallengelassen zu haben scheint, darauf wurde bereits hin- gewiesen. Es bleibt somit nur noch die theoretische Abstammung Sch\oß von Atiltcria. 181 der Ätherien von Avicnla zu untersuchen, denn die Abstam- mungsannahme der Unioniden bei Vest ist in diesem Falle für uns irrelevant. Ich muß aber gestehen, daß für den Zusammen- hang zwischen Avicttla und Aetheria nur ein paar Annahmen, aber nicht der geringste Beweis von Vest erbracht wird. Außerdem liegt zwischen diesen beiden Formen ein solcher Entwicklungssprung, daß man hier unbedingt mehrere Zwischenglieder annehmen müßte; daß übrigens Uiiio über Trigonodtis auf eine Aviculidenform zurückgeführt werden kann, wäre ja nicht unmöglich, doch müßte dazu in dieser Richtung noch vieles aufgeklärt werden. Die übrigen Umstände: blätterige Schale und blasige Hohlräume im Innern derselben, die Vest als einen Beweis für die Verwandt- schaft mit den Ostreiden anführt, haben meines Erachtens in phylogenetischer Beziehung gar keine Bedeutung, sondern sind einfach Parallelerscheinungen. Das Vorkommen eines einzigen großen Schließmuskels bei erwachsenen Exemplaren der verwandten Gattung MiiUcria hätte gerade Vest schon gar nicht als Beweis seiner Theorie anführen sollen, da er ja doch o. c. 1899, p. 124, so eingehende Untersuchungen über das »Verhältnis der Okklusoren zum Ligament« veröffentlichte. Bei Jugendexemplaren, welche noch annähernd Unionenform zeigen, existieren ja bekanntlich noch zwei Adduktoren; erst später, wenn die Schale sich festsetzt und umgestaltet, das Schloß mehr terminal gestellt wird, da rücken die beiden Muskeln zusammen und verschmelzen schließlich, an der Stelle angelangt, welche nach dem Kräfteparallelogramm den besten Angriffspunkt bietet, um dem Ligament entgegen- zuwirken. Zum Schlüsse habe ich noch eine angenehme Pflicht zu erfüllen, indem ich allen jenen Herren, welche durch Über- lassung von Material oder durch Mitteilungen das Zustande- kommen dieser Arbeit förderten, so besonders den Herren Prof. V. Uhlig, Kustos E. Kittl, S. Clessin und Dr. Sturany, meinen besten und wärmsten Dank ausspreche. 182 L, Waagen, Schloli von Aethefia. Tafelerklärung. Fig. 1. Linke Klappe von Aetheria heteromorpha Simr. var. nidits hirundinis Simr. von den Kongofällen. Fig. 2. Dazugehörige rechte Klappe. Fig. 3. Eine kleine rechte Klappe von Ac. heteromorpha, befestigt an die Schale Fig. 1. Fig. 4. Größere rechte Klappe von Ae. heteromorpha, angeheftet an die Schale Fig. 2. Fig. 5. Desgleichen eine linke Klappe. Fig. 6. Rechte Klappe von Ae. setnütmata aus den Quartärablagerungen von Suez. Zeichenerklärung: C = Hauptzahn; H. L. Z. = hinterer Leistenzahn (respektive Zähne); Lig. = hinteres unelastisches Ligament in der Ligament- furche; V. L. Z. = vorderer Leistenzahn; A. = vorderer Adduktor. Die Originale von Fig. I bis 5 sind im Besitze des geologischen Institutes der Universität Wien, das Original zu Fig. 6 gehört der geologischen Abtei- lung des naturhistorischen Hofmuseums. Waagen, L.: Schloß von Ätheria, HLZ Ug C.Z VL.Z. V.LZ. ^W C /. 1. VL.Z. C.Z Lig. J '^.'M HLZ ■.m fIL Z *ai N. d. Nat. lith. v. J. Fleischmann. Druck V. Alb. Berger, Wien, VIII. Sitzungsberichte d. kais. Akad. d. Wiss., math.-naturw. Klasse, Bd. CXIV, Abt. I. 1905. 183 Studien über Atmung und tote Oxydation von Dr. Viktor Gräfe. Aus dem pflanzenphysiologischcn Institut der k. k. Universität in Wien. (Mit 1 Tafel und 1 Textfigur.) (Vorgelegt in der Sitzung am 30. März 1905.) Seit Buchner's Entdeckung der zellfreien Gärung, seit der Isolierung der Zymase, läßt sich ein neuer Einschlag in der Richtung konstatieren, welche die biochemischen Erklä- rungsversuche für die Lebensvorgänge der Pflanze nehmen. Zahlreiche Prozesse, für welche die Lebenstätigkeit des Protoplasmas schlechtweg die einzige Erklärung bildete, werden seitdem als Resultate von Enzymwirkungen dar- gestellt, die mit der eigentlichen plasmatischen Tätigkeit nur insoferne zusaminenhängen, als natürlich erst durch diese die Produktion der Enzyme erfolgt. Zunächst waren es die Vorgänge der intramolekularen und normalen Atmung, welche man auf Enzymwirkungen zurückzuführen suchte, worauf ich später noch zurückkommen werde. Auch bezüglich der Kohlensäureassimilation wurden vor einiger Zeit der artige Anschauungen ausgesprochen. Wenigstens gaben Frieden und Regnard- an, es sei ihnen gelungen, außer- halb der pflanzlichen Zelle und unabhängig vom lebenden 1 Comptes rend., 132, 1138 (1901), Jean Friedel; L'assimilation cliloro- phylienne realisee an dehors de Torganisme vivant. 2 Ebendas., 101, 1293. Sitzb. d. mathem.-naturw. Kl.; CXIV. Bd., Abt. I. 13 184 V. Gräfe, Plasma mit toten Extraktivstoffen der betreffenden Pflanzen »Photosynthese« zu bewirken. Während Kny, ^ Harroy,""^ Jodin 3 und Herzog ^ diese Behauptung nicht bestä- tigen konnten, stimmte Macchiati^ derselben auf Grund eigener Versuche zu, führt das Mißlingen der ebendahin abzielenden späteren Versuche Friedel's^ auf äußere Um- stände zurück und nimmt wie schon früher Baranetzky ' an, daß der wesentliche Faktor der Assimilation ein Enzym sei, das sich aus dem Glyzerinextrakte der Blätter, voraus- gesetzt, daß diese zur richtigen Zeit verwendet werden, durch Benzol fällen lasse. Molisch ^ wiederholte Friedel's Ver- suche unter Anwendung der außerordentlich feinen Leucht- bakterienmethode zur Konstatierung des abgegebenen Sauer- stoffs; er fand Friedel's Angaben ebenfalls nicht bestätigt, sprach sich aber trotzdem dahin aus, daß der Anschauung, die Kohlensäureassimilation sei an die lebende Substanz geknüpft, keine allgemeine Bedeutung zukomme und dies auf Grund der Tatsache, daß Blätter von Lanütim albnm, die bei 35° C. getrocknet, rauschdürr und sicherlich nicht mehr lebensfähig waren, noch immer Kohlensäure aufnahmen und Sauerstoff abgaben. Nun ist es aber vielleicht nicht ganz statthaft, von einer postmortalen Assimilation zu sprechen, da man nicht ohneweiters sagen kann, der Organismus sei tot, wenn er nicht mehr lebensfähig ist. Gewiß waren die bei 35° C. getrock- neten LammmhVätter nicht mehr lebensfähig; nun hat aber Wiesner 9 einige Fälle angeführt, wo durch Frost und Regen nach vorhergegangener Trockenperiode Blätter in vollkommen intaktem, lebendem Zustand abgefallen waren. Diese sind dann allerdings nicht mehr entwicklungsfähig, ohne daß sie deshalb 1 Bericht der D. bot. Ges., 15, 388. 2 Comptes r., 133, 890. 3 Ebendas., 102, 767. 4 Hoppe-Seyler's Zeitschrift für physiol. Chemie, 35, 459. 5 Comptes r., 135, 1128. 6 Ebendas., 133, 840. Sur l'assimilation chloroph. en automue. ■? E. V. Lippmann, Chemie der Zuckerarten, II, 1756. 8 Bot. Zeitg., 62. Jahrg. (1904). Heft 1. 9 Wiesner, Über Frostlaubfall. Ber. der D. bot. Ges. H. 23, p. 49 (1905). Atmung und tote Oxydation. 185 tot ZU nennen wären. Sie zeigen z. B. noch längere Zeit hindurch eine ganz regeh-echte Atmung, sie nehmen Sauerstoff auf und geben Kohlendioxyd ab. Um nicht mißverstanden zu werden, möchte ich hier ein- schalten, daß, wie bekannt, Samen, Sporen in ihrem Entwick- lungsvermögen nichts verlieren, wenn sie auch lufttrocken geworden waren. Wiesner^ hat gezeigt, daß man Hefe absolut wasserfrei machen kann, ohne daß sie, wenn die spätere Wasserzufuhr nur allmählich geschieht, die Fähigkeit zur Weiterentwicklung verlieren würde. Aber Blätter und wohl alle Vegetationsorgane verlieren durch Austrocknen das Ver- mögen der Weiterentwicklung; ob sie im eingetrockneten Zustande als tot zu bezeichnen sind, ist eine andere Frage. Es sollte nachgewiesen werden, wie sich nun trocken gewor- dene Hefe oder die Blätter verhalten, wenn man sie rücksicht- lich ihrer Oxydation mit normal atmender Hefe, beziehungs- weise Blättern vergleicht. Von diesen Betrachtungen ausgehend, gelangte ich auf Veranlassung des Herrn Hofrates Professor Dr. Julius Wiesner dazu, das Phänomen der Atmung bei pflanzlichen Organismen unter verschiedenen Verhältnissen, sowohl bei solchen, die durch gewöhnliche Temperatur trocken geworden waren, als auch namentlich bei Einfluß hoher Temperaturen, zu studieren. Das erste Moment, welches ich konstatieren konnte, war eine verhältnismäßig hohe Resistenz des lebenden Plasmas gegen die Einwirkung hoher Temperaturen bei Hefe. Aber selbst nach dem Einwirken von Temperaturen, bei denen eine Erhal- tung des Lebens unmöglich mehr angenommen v/erden konnte, zeigte sich ein, wenn auch erheblich schwächerer, so doch immerhin völlig bestimmbarer Gaswechsel im .Sinne der Atmung bei den betreffenden Organismen. Diese Erscheinung ist es, welche Wi esner mit dem Worte »tote Oxydation« bezeichnet. Nachdem im hiesigen Institut unter Wiesners Leitung durchgeführte qualitative Versuche von H. Hruby (noch nicht veröffentlicht) ergeben hatten, daß sowohl durch ein- 1 J. Wiesner, Mikroskop. Untersuchungen, Stuttgart 1872. 13* 186 V. Gräfe, faches Trocknen an der Luft veränderte, als auch durch ver- schieden hoch getriebene Temperaturen getrocknete Blätter noch evident CO2 abgaben, wenn sie auf den früheren Wasser- gehalt gebracht wurden, ging ich daran, die bezüglichen quantitativen Verhältnisse unter allen Vorsichtsmaßregeln der Asepsis zu ermitteln. Methode: Zur Analyse des aufgenommenen, respektive der abgegebenen Gase bediente ich mich der Absorptionsmethode mit nachfolgender Wägung ;i denn diese Methode eignet sich nach HempeP sehr gut zur Bestimmung ganz kleiner Gas- quantitäten in einem großen Volumen anderer Gase. Zur Aufnahme des zu untersuchenden Objektes diente der Rund- kolben A (Fig. 1), dessen weiter Hals durch einen gut schließenden Kautschukstöpsel geschlossen war. In den kreis- runden Ausschnitt dieses Stöpsels war die Hülse h eng ein- gepaßt, deren unterer Rand matt geschliffen ist. Das obere Ende der Hülse trägt wieder einen Kautschukstöpsel, durch dessen Bohrung eine Meßbürette mit Glyzerin sorgfältig ein- gepaßt ist, deren oberes Ende ein kubiziertes Gefäß zur Auf- nahme einer Flüssigkeit, deren unteres Ende ein Glaskörbchen k für das Untersuchungsobjekt trägt, derart, daß die Spitze der Bürette ins Körbchen etwas hineinragt. Durch Auf- und Ab- wärtsbewegen der Bürette kann man das Körbchen, welches in die Hülse eingerieben ist, so in dieselbe hineindrehen, daß der Inhalt des Körbchens gasdicht gegen den Kolbenraum abgeschlossen ist, respektive das Körbchen samt Inhalt in Kontakt mit dem Kolben bringen (Fig. 2). Man hat es nun in der Hand, beliebige Bedingungen im Kolben herzustellen, Luftleere oder Füllung mit einem Gas, das Objekt aber erst dann unter diese Bedingungen zu bringen, wenn man es wünscht. War das Einhalten dieser Maßregeln nicht notwendig, 1 Fresenius, Quantit. Analyse II, 754. Pfeffer, Pflunzenphysiologie I, 528. Chudiakow, Landw. Jahrb., Bd. 23, 400. Tafel II (1894); Kreusler, I. c. 14, 910. 2 Hempel, Gasanalytische Methoden, III. Aufl. (1900), p. 93, 94. Atmung und tote Oxydation. 1 87 SO bediente ich mich eines ganz ähnlichen Kolbens, nur ohne Hülse, aber mit einem Glaskörbchen, welches mittels Platin- drahtes an zwei Glashäkchen der Bürette zu befestigen war und den Vorteil bot, für sich gewogen werden zu können. In den Bauch, respektive Hals des Kolbens waren die mit Glas- hähnen versehenen Röhren p und r eingelassen, welche ein Durchspülen des Kolbens mittels eines Gases ermöglichten. Die entwickelte COg wurde durch Absorption mittels Natron- kalkröhren und nachfolgende Wägung quantitativ ermittelt. Zur Bestimmung des aufgenommenen Sauerstoffes ging ich folgendermaßen vor: Die gewogene Menge des betreffenden Organismus wurde in das Körbchen gebracht, der Kolben geschlossen und hierauf mittels der Wasserstrahlpumpe ein Vakuum von 10 mm erzeugt. Hierauf wurde das Körbchen eingedreht und durch Rohr p aus der Sauerstoffbombe unter Geschlossenhalten aller übrigen Hähne vorsichtig ein Sauer- stoffstrom in den Kolben geschickt, wobei natüilich darauf zu achten war, daß die Waschflasche, welche das Gas, bevor es in den Kolben gelangte, zu passieren hatte, mit Sauerstoff gefüllt war. Als das Aufhören des Aufsteigens von Gasblasen in der Waschflasche das völlige Erfülltsein des Kolbens mit Sauerstoff anzeigte, was jederzeit geUngt, wenn die Gaszufuhr sorgfältig reguliert ist, wurde der Glashahn p und die Bombe geschlossen und das Körbchen samt Inhalt durch Hinunterdrehen unter Sauerstoffatmosphäre gesetzt. Durch wiederholte Ver- suche war der Inhalt des Kolbens genau ermittelt worden, indem unter völlig gleichen Bedingungen, wie eben dargelegt (Auspumpen auf 10 min und mit eingedrehtem Körbchen), eine Füllung mit Sauerstoff bewerkstelligt, der Sauerstoff dann herausgesogen, in gleich zu beschreibenden Absorptions- apparaten aufgefangen und seine Menge durch die Gewichts- zunahme derselben bestimmt wurde. Die Füllung geschah jedesmal bei der thermostatisch festgehaltenen Temperatur von 25° und bei der Rechnung wurde naturgemäß der herr- schende Barometerstand berücksichtigt. Auf diese Weise war jedesmal die Sauerstoffmenge genau gegeben, welche dem Organismus zur Verfügung stand; die Differenz zwischen dieser und der nach der Operation zurückgebliebenen, durch 188 V. Gräfe, Absorption und Gewichtszunahme ermittelten Sauerstoff- quantität gab dann die Sauerstoffmenge an, welche der Organismus verbraucht hatte. Soweit die Versuche mit grünen Blättern ausgeführt wurden, war dafür Sorge getragen, daß zur Verhütung etwaiger Assimilationsvorgänge der Kolben mit einem schwarzen Tuch umhüllt war. Die Temperatur des Raumes schwankte zwischen 15 — 19° C. Die Absorption des Sauerstoffes wurde nach dem Lindemann'schen Verfahren durch gelben Phosphor vorgenommen. Die Phosphorstangen wurden hiezu bei 48° unter Wasser in einem engen, hohen Becherglas geschmolzen und in die geschmolzene Masse ein konisches Glasröhrchen von etwa 2 — 3 mm Weite getaucht; schließt man die eine Seite des Röhrchens mit dem Finger und hebt dasselbe aus dem Phosphor in eine bereitstehende Schale mit kaltem Wasser, so erstarrt das in die Röhre ein- gedrungene Phosphorquantum zu einer dünnen Stange, die beim Erkalten ihr Volumen so vermindert, daß sie von selbst in das Wasser fällt. Derartige Phosphorstängelchen wurden in ein von mir konstruiertes Absorptionsgefäß so gefüllt, daß sie dasselbe zu drei Vierteilen ausfüllten und die Zwischenräume mit destilliertem Wasser gefüllt. Die einfache Handhabung des Gefäßes ist aus Fig. III ersichtlich. Der Glasstöpsel g ist derart eingerieben, daß durch eine einfache Drehung des Stöpsel- griffes die Kommunikation des Gefäßes mit dem ein- geschmolzenen Röhrchen a, welches die Verbindung mit dem Entwicklungskolben vermittelt, hergestellt, beziehungsweise unterbrochen werden kann (Fig. IV). Ist eine derartige Kom- munikation hergestellt (Stellung 1 in Fig. III), so ist durch die Bohrung k des Glasstöpsels auch die Verbindung mit dem Gasableiterröhrchen h bewirkt. An das Phosphorgefäß ist ein U-förmiges Chlorcalciumrohr angeschmolzen, welches even- tuell entweichende Feuchtigkeit zurückhält. Die in den Stöpsel eingelassene Röhre r, welche eben zur Einleitung des Gases in den Apparat dient, reicht bis auf den Boden, so daß das Gas durch die ganze Phosphorschichte hindurchstreichen muß und trägt zur Vergrößerung der Absorptionsfläche eine Sieb- platte. Die Kugel in der Mitte dient dazu, eventuelles Zurück- steifen von Wasser zu vermeiden. Alle in Verwendung Atmung und tote Oxydation. 1 89 gelangenden Hähne sind wie überhaupt bei dem ganzen Apparat eingeriebene Glashähne. Das Absorptionsgefäß wiegt vollkommen montiert und gefüllt samt der gefüllten Chlor- calciumröhre 120^";^ zur Absorption des Sauerstoffes waren zwei derartige Gefäße hintereinandergeschaltet. Der gelbe Phosphor absorbiert bekanntlich sehr begierig und vollständig den Sauerstoff unter Leuchten und man konnte das Ende der Absorption im Dunkeln jedesmal sehr schön am Aufnören dieses Leuchtens erkennen. Die Oxydationsprodukte des Phosphors lösen sich in Wasser, so daß sich die frische Absorptionsoberfläche des Phosphors von selbst erneuert, wenn das Wasser zeitweilig durch frisches ersetzt wird, was nach je fünf Analysen geschah. Der Phosphor hingegen ist unbegrenzt lange gebrauchsfähig, vorausgesetzt, daß er vor der Einwirkung des Lichtes geschützt wird. Die Absorptions- gefäße wurden daher nach jeder Operation sorgfältig mit einem lichtdichten schwarzen Kasten bedeckt. Zur Absorption der CO2 dienten mit körnigeni Natronkalk^ gefüllte U-Röhren und nicht Kaliapparate, da, wie Hasiwetz^ gezeigt hat, die Kalilauge nicht nur COg, sondern auch 0.^ absorbiert. An den Entwicklungskolben links angeschlossen ward eine U-Röhre mit CaCIa, an diese noch eine zweite ebensolche und schließ- lich eine gerade, mit Phosphorsäureanhydrid gefüllte Kugel- röhre, alle drei zum Trocknen der entwichenen Gase, hierauf eine U-Röhre mit Natronkalk und eine zweite, zur Hälfte mit CaCl^, zur Hälfte mit Natronkalk gefüllt, ersteres, um aus dem Natronkalk entwickeltes Wasser zurückzuhalten. Dann folgten die beiden Phosphorgefäße mit ihren CaClg-Röhren, schließlich noch eine letzte CaCla-Röhre und ein Blasenzähler, der mit konzentrierter Schwefelsäure gefüllt, aber nicht gewogen wui'de, sondern nur dazu diente, von außen keine Feuchtigkeit in den Apparat dringen zu lassen. Die Verbindung mit der Saugpumpe wurde durch eine Leiser'sche Druckflasche her- 1 Sämtliche Apparate wurden nach meinen Angaben vom hiesigen Glas- bläser Herrn C. Woytacek, IX. Frankgasse, verfertigt. - Fresenius, Quantitative Analyse IT, 755. 3 Chem. Zentralblatt 185(5, p. 517. 190 V. Gräfe, gestellt und so für eine beliebige Regulierung des Gasstromes vSorge getragen. Es ist noch zu erwähnen, daß die hisch- gefüUten CaCla-Rohre vorher mit reiner COg gesättigt und sodann zwei Stunden Luft durchgeleitet wurde, da bekanntlich frisches CaCIg etwas COg absorbiert. Die Natronkalkröhren wurden nach je drei Operationen frisch gefüllt. Die Schlauch- verbindungen wurden durchwegs mit kurzen Vakuum- schläuchen hergestellt und dafür gesorgt, daß die Röhren der aneinander geschalteten Gefäße sich unmittelbar in denselben berührten. Die Phosphorgefäße werden während der Operation zweckmäßig von Zeit zu Zeit geschüttelt. Rechts an den Entwicklungskolben ist ein Röhrensystem angeschlossen, abwechselnd mit CaClg und kaustischem Kali gefüllt; daran reihen sich zwei mit Phosphor gefüllte Sauerstoffabsorptions- gefäße und an diese wieder ein Röhrensystem mit CaCIg und Natronkalk abwechselnd gefüllt. Diese Vorrichtung diente dazu, um zum Zwecke des Nachspülens Luft durch die Apparatur zu leiten und diese Luft vorher völlig von COg, Feuchtigkeit und Sauerstoff zu befreien. I. Versuchsreihe: Die ersten Versuche führte ich mit der Hefe, als einem einfachen Organismus aus. Verschieden hoch erhitzte, vorher getrocknete Hefe wurde in eine Sauerstoffatmosphäre ge- bracht und der Gaswechsel gemessen. Hiebei schien es mir nicht uninteressant, zu untersuchen, wie lange und in welchem Grade die Gärkraft der Hefe unter diesen Umständen erhalten blieb. Diese Frage hat bekanntlich unter den ersten Wiesner^ zu entscheiden gesucht. Unter seiner Leitung voll- endete auch Marie Manassein^ eine Arbeit, welche der Buchner'schen Entdeckung präludierte und nur, weil sie in die Glanzepoche der Pasteur'schen Theorie fiel, wenig beachtet und erst in neuerer Zeit wieder ans Licht gezogen wurde. 1 Wiesner, Mikroskopische Untersuchungen, Stuttgart 1872, p. 98. 2 L. c. p. 116. Atmung und lote Oxydation. 191 Wiesner zeigte, daß durch Operationen, welche geeignet sind, den Hefezellen Wasser zu entziehen, durch Evakuieren, Anwendung wasserentziehender Flüssigkeiten, Erhitzen auf höhere Temperatur durch Ausdehnung der Vakuolen schließ- lich das Plasma eingerissen wird, so daß sich die Vakuolen- flüssigkeit in dasselbe ergießt. Solche Zellen nennt er abnorm vakuolisiert. Hefezellen, welche in einer Flüssigkeit erhitzt wurden, zeigten bei zirka 70° abnorme Vakuolisierung, in fein verteiltem Zustand trocken erhitzt, waren schon bei 45° sämt- liche Zellen abnorm vakuolisiert. Doch konnte Wiesner zeigen, daß selbst auf 100° durch mehrere Stunden erhitzte Hefe nicht völlig tot war, sondern in Zuckerlösung noch sproßte und Gärung hervorzurufen vermochte, da die jungen, noch nicht vakuolisiert gewesenen Zellen bei dieserTemperatur noch nicht zu Grunde gegangen waren. Auch die Versuche Hoffmann's^ wurden wiederholt, welcher bei auf 215° er- hitzter trockener Hefe in Zuckerlösung noch hatte Gärung kon- statieren können. Marie ManasseYn führte Gärversuche mit verschieden hoch erhitzter Hefe (Temperatur bis zu 245°) aus und konnte jedesmal das Auftreten von COg und Alkohol dabei nach kürzerer oder längerer Zeit feststellen. Sie sprach auf Grund dieser Versuche den Satz aus,^ daß lebende Hefezellen zur alkoholischen Gährung nicht notwendig seien, sondern daß das spezifische Ferment der Gärung in der lebenden Hefezelle selbst gebildet werde, ein" Satz, der bekannüich 25 Jahre später durch Bu ebner vollinhaltlich bestätigt wurde. Meine Versuche mit verschieden hoch erhitzter Hefe wur- den unter Zuhilfenahme folgender Kulturflüssigkeiten angestellt: 1. lOprozentige Zuckerlösung. 2. destilliertes Wasser. 3. eine Lösung enthaltend 5Yo Asparagin -h 5% Chinasäure. 1. Hefe in Zuckerlösung. Es wurde St. Marxer Preßhefe verwendet, welche ein ver- hältnismäßig reines Produkt darstellt. Die Hefe wurde nach 1 Naturgeschichte der Hefe: Karstens bot. Unters. I, 341. 2 Wiesner, Mikroskop. Unters., p. 128. 192 V. Gräfe, Buchner's^ Vorschrift mehrmals mit destilliertem Wasser gewaschen, auf dem Büchnertrichter mittels der Pumpe abge- preßt, von anhaftendem Wasser zwischen Preßtüchern sorg- fältig befreit, hierauf in ganz dünner Lage auf bei 150° im Trockenschrank sterilisierten Filtrierpapierbogen unter eine gut abgeflammte und mit Sublimatlösung 1 : 1000 gewaschene Glasglocke gebracht, in deren Tubus ein doppelt durchbohrter Kautschukstöpsel eingepaßt war; vermittels Glasröhren war nun einerseits die Verbindung mit einer mit Pyroxylin gefüllten Röhre, die ihrerseits an einen Rundkolben angeschlossen war, hergestellt, andrerseits durch eine ebensolche Röhre mit der Luftpumpe. In den Rundkolben, welcher durch eine Bunsen- flamme geheizt war, gelangte die Luft durch eine Waschflasche mit konzentrierter Schwefelsäure, wurde im Kolben sterilisiert, passierte dann noch die Schießbaumwolle, strich keimfrei über die Hefe in der Glocke und wurde durch die Pumpe fortwährend hindurchgesogen; das zweite Rohr mit Schießbaumwolle sowie eine zweite Schwefelsäurewaschflasche verhinderten den Zu- tritt von Feuchtigkeit und Bakterienkeimen zur Glocke von der andern Seite. Diese Prozedur wurde fünf Tage hindurch fort- gesetzt; der Hefeteig war zu einer spröden, gelblichweißen Masse geworden, die sich mit Leichtigkeit pulvern ließ. Hefe, welche in dieser Weise behandelt wurde, verlor beinahe das gesamte ihr mechanisch anhaftende Wasser, wenn man sie nachher einige Tage im Exsikkator über Schwefelsäure stehen ließ. Die vorgenommenen Trockenbestimmungen ergaben folgende Werte: Frisclie Hefe: 28* 2185^ ergaben nach vierstündigem Evakuieren an der Luftpumpe, hierauf Trocknen bei 100° durch 1'', dann 24'' bei 120° bis zur Gewichtskonstanz eine Menge von 6-035 ^ Hefe, sie hatte also 21-5835^ H^O = 76 -4870 HäO besessen. Lufttrockene Hefe, nach dem oben beschriebenen Ver- fahren hergestellt, enthält noch 13-78V0 HgO. Durch mehr- tägiges Stehen über Schwefelsäure bis zur Gewichtskonstanz verliert sie noch zirka lO^o HoO, so daß sie hernach unter sehr geringer Gewichtsabnahme bei 120° erhitzt werden kann. 1 Ber. d. D. ehem. Ges., Bd. 30, 1112. Atmung und tote Oxydation. 193 Das Erhitzen wurde zwischen bei 150° sterilisiertem Filtrierpapier im regulierten Trockenschrank vorgenommen, in welchem die zerriebene Hefe in sehr dünner Schichte aufge- breitet lag. Aus dem Trockenschrank wurde sie in einer ge- wogenen sterilisierten Petrischale zur Wage gebracht und von da auf sterilisiertem Glanzpapier möglichst rasch in das bis dahin im Trockenschrank sterilisierte Körbchen gefüllt, das hierauf augenblicklich in den Kolben getan wurde, der im Thermostaten mit Wasserdampf bei 100° steiilisiert worden war. Dann wurden die Operationen des Auspumpens und Füllens mit Sauerstoff vorgenommen und schließlich das Ganze bei möglichst konstanter Temperatur sich selbst durch 48'^ überlassen, nachdem aus dem Meßgefäß der Pipette eine derartige Menge einer lOprozentigen Traubenzuckerlösung in das Körbchen gebracht worden war, daß hiedurch das Frisch- gewicht der Hefe um ö'Yo überschritten wurde. Da der Kolben mit Gas vollständig gefüllt war, mußte die Flüssigkeit hinein- gepreßt werden. Das geschah in der Weise, daß die Meßpipette mit der Zuckerlösung beschickt wurde, so daß sie bis oben gefüllt war. Dann wurde an den oberen Pipettenhahn der Vakuumschlauch der Druckpumpe angesetzt, der untere Hahn geöffnet und nun die gewünschte Menge hineingepreßt, jedoch stets nur wenige Kubikzentimeter, so daß der Druck der Flüssigkeitsschichte stets den Gasdruck überwog und kein Gas entweichen konnte. War dann noch nicht die entsprechende Menge Flüssigkeit hineingelangt, so wurde wieder bis zum Rande gefüllt und in der beschriebenen Weise weiter vorge- gangen. Die Zuckerlösung war aus reiner Dextrose hergestellt und im Kolben steril bis zur Verwendung aufbewahrt; nach Füllung der Meßpipette blieb der obere Hahn derselben bis zum Anschalten des Druckschlauches geschlossen. Im Rohre der Pipette blieb dabei eine Flüssigkeitssäule stehen, die beim Hinzufügen der Flüssigkeitsmenge in Betracht gezogen wurde. Rauminhalt des Kolbens: Gefunden 0-3064^ O^ bei 25° und 744 mm. 194 V. Gräfe, II. Gefunden 0-3021 ^ Og 25° und 734 jnm. entsprechend cm' O2 L 280 75 11.280-71 I. Hefe lufttrocken. . . .8* 16^ erhielten 15 cm' einer 10 pro- zentigen Zuckerlösung, die also 1'5^ Dextrose enthielt. Nach 48^ wurde die Absorption vorgenommen, welche folgende Werte ergab: COa-Abgabe . . 0 • 9035 g Og- Aufnahme 0 • 1 996 ^ Alkohol gebildet . . . 0 • 6665 g Zucker gefunden . . . 0 • 0000 g, daher Zucker zerlegt ... 1 -5000^ =: 100% des Gesamtzuckers. War die Gärung ^ nach der Gleichung CßH^oO^ = 2 C2H5OH + 2 CO2 vor sich gegangen, so war der gebildete Alkohol aus 1-3040 g Zucker, also 87 -7870 ^^^ zersetzten Zuckers entstanden. Die durch Gärung gebildete CO.^ wäre 0-6375 g. Daher der Rest der gefundenen COg 0-2660^ auf Rechnung der Atmung zu setzen. Diese Menge entspräche wieder nach der Gleichung CßH^gOe+ß Og = 6 CO2 + 6 HgO einer veratmeten Zuckermenge von 0-1814^= 12 -2270 des zerlegten Zuckers. Zur Oxydation dieser Zuckermenge wäre eine Quantität von 0' 1935^ Sauerstoff nötig gewesen, während die gefundene Sauerstoffmenge, ebenso wie auch die gefundene Zuckerquantität gegen die Theorie etwas zu hoch ist, letzteres offenbar wegen Bildung von kleinen Mengen der bekannten Gärungsnebenprodukte, die nicht weiter bestimmt wurden. Diese Erscheinung läuft übrigens durch die ganze Versuchs- reihe. Kontrollversuch: Hefe lufttrocken 7*58^ erhielten 14 ciff einer lOprozentigen Zuckerlösung, die also 1*4^ Traubenzucker enthielt. Absorption nach 48'\ Zucker gefunden O'OOOO^, daher Zucker zerlegt 1 -4000^ == lOO"'/« CO2 gefunden 0 • 7847 g 1 Giltay und Aberson, Pringsh. Jahrb. für w. Bot. XXVI. (1894) 543. Atmung und tote Oxydation. 195 Durch Gärung Durch Atmung 1-2772^= 92- 127o Zucker zerlegt 0- 1093^ = 7-88Vo 0 • 6244 g CO2 gebildet 0 • 1 603 ^ 0 • 6528 g Alkohol gebildet Og aufgenommen 0-1281^ (ber. 0-1166^) Der Alkohol wurde in der Weise bestimmt, daß der Inhalt des Körbchens, respektive des Kolbens, da bei der Gärung ein Teil der Substanz über den Rand des Körbchens in den Kolben gelangt war, mit einer bestimmten Menge Wassers in einen Fraktionskolben gespritzt und unter Verwendung einer Kahlbaumkolonne zweimal destilliert wurde. ^ Das spezifische Gewicht des Destillats ergab sodann nach den H ebner' sehen Tabellen die enthaltene Alkoholmenge, der restliche Inhalt des Kolbens wurde abfiltriert, mit Wasser gut nachgewaschen und nach der Hag er' sehen Methode im Filtrat der übrige Zucker bestimmt. Als Reagens diente eine Flüssigkeit, die durch Zer- reiben von 30^ HgO+30^CH3COONa und Übergießen mit 25^ konzentrierter Essigsäure, Hinzufügen von 50^ NaCl und Ver- dünnen mit warmem Wasser auf 1 / hergestellt war. Mit 200 cm'' dieses Reagens wurde das Filtrat über freiem Feuer zirka 4^ erwärmt, indem der betreffende Kolben mit einem Steigrohr versehen ward. Dabei scheidet sich HgClg aus, welches auf getrocknetem, gewogenen Filter gesammelt, mit öprozentiger HCl, dann mit Wasser, schließlich mit SOprozentigem Alkohol gewaschen, auf dem Wasserbade getrocknet und gewogen wird. Nach Hager entsprechen dann 1 g Dextrose 5 '886^ HgCl,. II. Lufttrockene Hefe 8*59^ wurden langsam durch 4'' auf 50° erwärmt und 1'' bei dieser Temperatur belassen. Gewichtsabnahme 0*51 g = 5-947o- Diese 8*08 ^ Hefe wurden mit 19 cm^ Dextroselösung versetzt, welche also 1"9^ Zucker enthielt. Absorption nach 48''. ' Fresenius, Quant. Analyse II, 617. 196 V. Gräfe, Zucker gefunden 0' 1638,^, daher Zucker zerlegt 1-7362^ = 91 '3770 CO^ gefunden 1 • 0242 g Durch Gärung Durch Atmung 1-5461 ^ = 89-427, Zucker zerlegt 0- 1829^ = 10-587o 0-7559^ gebildete CO2 0-2683^ 0 • 7902 g gebildeter Alkohol Og aufgenommen 0-2092^ (ber. 0- 1951 ^). Kontrollversuch: 8-04^ wurden ebenso behandelt wie zuvor. Gewichtsabnahme 0-4269 ^ = 5-31 7o- Diese 7-61^ Hefe wurden mit 18 cm' Dextroselösung versetzt, welche also 1*8^ Zucker enthielt. Absorption nach 48'\ Zucker gefunden 0* 1620^, daher Zucker zerlegt 1 -6380^ = 91 -0070 CO2 gefunden 0-9686^ Durch Gärung Durch Atmung 1-4527^ = 89 -1870 zerlegter Zucker 0- 1762^= 10-82% 0-7102^ gebildete CO2 0-2584^ 0 • 7425 g gebildeter Alkohol O2 aufgenommen 0-1909^ (ber. 0-1879,^). III. Lufttrockene Hefe: 9-57^ wurden wie früher, jedoch auf 70° erhitzt. Gewichtsabnahme: 0-715^= 7 -4770. Diesen 8*86 ^ Hefe wurden 22 ciii^ lOprozentiger Dextroselösung hinzugefügt, so daß ihr cilso 2-2^ Zucker geboten waren. Absorption nach 48^^. Zucker gefunden 0*8218^, daher Zucker zerlegt 1-3782^= 62-657o CO2 gefunden 0-8120^ Atmung und tote Oxydation. 19/ Durch Gärung Durch Atmung 1-2222^ = 89-31 7o Zucker zerlegt 0- 1463^ = 10-697o 0-5975^ COg gebildet 0-2145^ 0-6247^ Alkohol gebildet Og aufgenommen 0- 1627^ (ber. 0- 1561 <^).- K o n t r o 1 1 v e r s u c h: 9-08^ Hefe wurden wie früher behandelt. Gewichtsabnahme 0-565^ = 6* 22'7o. Diesen 8-52^ Hefe wurden 21 cm' lOprozentiger Dextroselösung mit 2*1^ Zucker geboten. Absorption nach 48'\ Zucker gefunden 0-8368^, daher Zucker zerlegt 1 • 2632^ = 60- 157o COg gefunden 0-7350^ Durch Gärung Durch Atmung 1- 1049^=- 89-27 7o Zucker zerlegt 0-1328^-=: 10-73Vo 0-5402^- COa gebildet 0-1948^ 0-5647^ Alkohol gebildet O2 aufgenommen 0* 1499^'' (ber. 0- 1416^). IV. Luftrockene Hefe wurde wie früher: 10-11^ auf 90° erhitzt. Gewichtsabnahme l-01g= 107o- Diesen 9- 10 ^ Hefe wurden Sdcph^ lOprozentiger Dextroselösung mit 3- 5^'' Zucker zugesetzt. Absorption nach 48''. Zucker gefunden 2-4915^, daher Zucke zerlegt 1 -0085^- =28-81 7o. CO2 gefunden 0-5980^ Durch Gärung Durch Atmung 0-9011^= 89-35 7o Zucker zerlegt 0" 1 074^' m 10-65 7„ 0-4405^ CO2 gebildet 0-1575^ 0-4606^ Alkohol gebildet O2 aufgenommen 0-1304^ (ber. 0- 1 146^^). K o n t r o 11 V e r s u c h : 9 - 96 ^^ Hefe wurden wie früher behandelt. Gewichtsabnahme 0-98^ = 9-87o. Diesen 8-98^" Hefe wurden 35 c#«* lOprozentiger Dextroselösung mit 3-5^ Zucker zugesetzt. Absorption nach 48''. 198 V. Gräfe, Zucker gefunden 2-4715^, daher Zucker zerlegt 1 -0285^ = 29-397o. COg gefunden 0-5986^ Durch Gärung Durch Atmung 0-91 31^== 87-79 7o zerlegter Zucker 0-1038^= 10-21 % 0-4464^ gebildete CO2 0-1522^ - 0-4667 ö- gebildeter Alkohol O2 aufgenommen 0-1341^(ber. 0-1107^). V. Lufttrockene Hefe: 10-00^' wurden auf 110° erhitzt. Gewichtsabnahme 1 • 1 1 1 ^ =: 1 1 • 1 1 o/o- Diesen 8 - 89 ^ Hefe wurden 35cm^ lOprozentiger Dextroselösung mit 3-5^ Zucker zugesetzt. Absorption nach 48*". Zucker gefunden 2-3400^, daher Zucker zerlegt 1 '01965^= 29-13 7o. CO2 gefunden 0-6039^ Durch Gärung Durch Atmung 0-9047^ = 89- 1 4 7o Zucker zerlegt 0- 1 1 02^ = 1 0-86 % 0-4423^ CO2 gebildet 0-1616^ 0-4624^ Alkohol gebildet O2 aufgenommen 0-1201^(ber. 0-1176^). Kontrollversuch: 10-56^ Hefe wurden wie zuvor behandelt. Gewichtsabnahme 1-16^= 1 l7o- Diese 9-398^ Hefe wurden mit 36 cm^ lOprozentiger Dextroselösung mit 3-6^ Zucker versetzt. Absorption nach 48''. Zucker gefunden 2-5718^, daher Zucker zerlegt 1 -0282^ = 28 -5670. CO2 gefunden 0-5912^ Durch Gärung Durch Atmung 0 9192^= 90-48 7o Zucker zerlegt 0-0967^ 1= 9-52 7o 0-4494^ CO2 gebildet 0-1418^ 0-4698^ Alkohol gebildet Og aufgenommen 0-1145^ (ber. 0- 1032^). VI. Lufttrockene Hefe: 10-85^ wurden auf 130° erhitzt. Gewichtsabnahme 1 -4333^ = 13-21 7o. Diese 9-417^ Hefe Atmung und tote Oxydation. 199 wurden mit 42 c/;/^ Dextroselösung mit 4-2^,^ Zucker versetzt. Absorption nach 48'\ Zucker gefunden 3-8569^', daher Zucker zerlegt 0-3431 g = 8- 17 7o- COg gefunden 0-3825,§- Durch Gärung Durch Atmung 0-1 229^= 35-86 7o Zucker zerlegt 0-2198^=z64-147o 0-0601^ COg gebildet 0-3224^ 0-0628^ Alkohol gebildet Og aufgenommen 0-2396,^ (her. 0-2345^). K o n t r o 1 1 V e r s u c h : 9"- 98^ lufttrockener Hefe wurden wie zuvor behandelt. Gewichtsabnahme 1-3473^= 13-5'7(|. Diese 8 -6327, §■ Hefe wurden mit 41 an" Dextroselösung mit 4- 1 ,^ Zucker versetzt. Absorption nach 48''. Zucker gefunden 3-7306^, d-aher Zucker zersetzt 0-3694,§- r= 9-01 7n. CO2 gefunden 0-4063,^ Durch Gärung Durch Atmung 0-1261^= 34-92 7o Zucker zerlegt 0-2350,^= 65-08 7o 0-0616^ CO2 gebildet 0-3447,_^ 0-0644,§- Alkohol gebildet O2 aufgenommen 0-251 !,§■ (ber. 0-2507,^). VII. Hefe lufttrocken: 11-70,^ wurden auf 150° erhitzt. Gewichtsabnahme l-6088,§-= 13-757o. Diese 10-0912,^ Hefe wurden mit 44ci}f einer lOprozentigen Dextroselösung mit 4- 4g Zucker versetzt. Absorption nach 48^'. Zucker gefunden 4-3025^; daher Zucker zersetzt 0-0975,§^= 2-227o. CO2 gefunden 0-0999,§- Durch Atmung Durch Gärung nicht bestimmbar Alkohol quantitativ nicht bestimmbar nicht nachweisbar O., aufgenommen 0- 1916, 0-. Sitzb. l1. mathem.-naturw. Kl.; CXIV. Bd., Abt. 1. 1 -t 200 V. Gräfe, Bei diesem Versuch wurde der Alkohol qualitativ mit der äußerst empfindlichen Lieben'schen Jodoformprobe nach- gewiesen. Fällung nach etwa einer halben Stunde. Ein quanti- tativer Nachweis ließ sich wegen der geringen Menge gebil- deten Alkohols nicht mehr erbringen, daher ist wohl fast die ganze Menge der gefundenen COg, welche allerdings im Ver- gleich zu der zerlegten Zuckerquantität zu gering erscheint, auf Rechnung der nicht physiologischen Oxydation zu setzen. Kontroll versuch: 10 "53^ lufttrockener Hefe wie zuvor behandelt. Gewichtsabnahme 1*451^ =: IS-yS^o- Diese 9-079^ Hefe wurden mit 40 cm^ Dextroselösung mit 4*00^ Zucker beschickt. Absorption nach 48^'. Zucker gefunden 3*9000^, daher Zucker zersetzt 0- 1000^ — 2-57o CO2 gefunden ... 0-0992,^ Sauerstoff 0-1341^ Alkohol Jodoformkrystalle nach 2'\ VIII. Hefe lufttrocken: 10-36^ auf 170° erhitzt. Gewichts- abnahme 1-4276^= 13-787o. Diese 8-9324^ Hefe wurden mit 40cm^ Dextroselösung mit 4-00^^ Zucker beschickt. Ab- sorption nach 48^\ Zucker gefunden ... 3 • 9079^, daher Zucker zersetzt 0-0921^ = 2 -3070 CO2 gefunden 0-0442,^ Sauerstoff 0-1419^ Alkohol Jodoformkrystalle nach einigen Stunden. Kon trollversuch: 10-95^ lufttrockene Hefe wie zuvor behandelt. Gewichtsabnahme 1- 5089^- =13-78 7o. Diese 9 -44 11^ Hefe mit 40 cm^ Dextroselösung versetzt. Absorption nach 48''. Zucker gefunden .... 3*8984^, daher Zucker zersetzt 0- 1016^ = 2 -5470 CO2 gefunden 0-0695^ Sauerstoff O-löOO.^ Alkohol spärliche Jodoformkrystalle. Atmung und tote Oxydation. 201 IX. Hefe lufttrocken: 11 -32^ Hefe auf 190° gebracht. Ge- wichtsabnahme 1-6006^ = 14- 14%. Diese 9-7194^- Hefe wurden mit 44cm^ lOprozentiger Dextroselösung versetzt. Ab- sorption nach 48^. Zucker gefunden 4-3792^, daher Zucker zersetzt 0-0208^ =: 0-487^ COg gefunden 0-0093^ Sauerstoff 0-0403^ Alkohol Jodoformkrystalle nach 24''. Kontrollversuch: 12 -02^ lufttrockene Hefe auf 195°ge- bracht. Gewichtsabnahme 1 -7044^= 14- 18%. Diese 10-3156^ mit 44rcm^ Dextroselösung versetzt. Absorption nach 48''. Zucker gefunden 4-3808^, daher Zucker zerlegt 0*0192^ = 0-447o CO2 gefunden 0-0091^ Sauerstoff 0-0460^ Alkohol einzelne Jodoformkrystalle nach 24". X. Hefe lufttrocken: 1244^ auf 200° erhitzt. Gewichts- verlust 1-8723^ = 15-41 7o. Diese 10-2677^^- Hefe mit 45cm' Dextroselösung versetzt. Absorption nach 48^'. Zucker gefunden 4-4852^, daher Zucker zerlegt 0-0148.^ = 0-34 7„ CO2 gefunden 0-0066^ Sauerstoff 0-0412^ Alkohol nicht mehr nachzuweisen. Kontrollversuch: 11-74^ wie zuvor behandelt. Ge- wichtsverlust 1-7469^= 14-887o. Diese 9 -9931 ^^ mit 44cm' Dextroselösung versetzt. Absorption nach 48''. Zucker gefunden 4*3828^, daher Zucker zerlegt 0-0172^ = 0-397„ COo gefunden 0-0074^ Sauerstoff 0-0429^ Alkohol nicht mehr nachzuweisen, 14* 202 V. Gräfe, Ein Versuch, mit Hefe angestellt, welche auf 205° gebracht worden war, ergab wohl noch eine geringe COg -Ausscheidung, doch lagen die Zahlen schon innerhalb der Fehlergrenzen, so daß sie nicht unzweifelhaft als Versuchsergebnisse gelten konnten. Dasselbe gilt von der Menge des aufgenommenen Sauerstoffs, wiewohl hier die betreffende Quantität noch meh- rere Milligramme betrug. Denn als der Versuch mit Hefe nach einer Erhitzung auf 210° wiederholt wurde, ergab sich keine Spur einer COg-Ausscheidung mehr, wohl aber eine geringe Og-Aufnahme. Das Erlöschen einer COg-Abgabe liegt jedenfalls zwischen 200° — 205°, während die Zymase schon bei 130° größtenteilszer- stört erscheint. Im Nachfolgenden sind die gefundenen Werte in einer Tabelle zusammengestellt, wobei jede Ziffer das Mittel aus zwei parallel laufenden Versuchen darstellt. Da stets dieselben Konzentrationen der Zuckerlösung im.d annähernd dieselben Hefemengen angewendet wurden, sind die erhaltenen Prozent- zahlen direkt vergleichbar. (Siehe nebenstehende Tabelle.) Aus diesen Zahlen ergibt sich der Verlauf der Gährung und Atmung, respektive Verbrennung der verwendeten Hefe nach Erhitzung derselben bis 205° in regelmäßiger Progression. Die Gärung geht — das ist aus den Ziffern des vergorenen Zuckers ersichtlich — bis 1 10° fast gleichmäßig vor sich, wobei aber die Prozentzahl des verarbeiteten Zuckers bis auf 28*84 sinkt. Die Atmung wird bei 50° eine gesteigerte und sinkt von da ab bis 1 10°. Bei 130° ändern sich die Verhältnisse prötzlich. Die Ziffer des verarbeiteten Zuckers sinkt von 28 '84 o/o auf 8 "590/0. Doch von dem zerlegten Zucker fallen nur 35*35 »/q (gegen 89'8lo/o von früher) der Wirkung der Z^'mase zur Last, während die restlichen 64 '660/0 auf Rechnung der Verbrennung kommen. Offenbar tritt die Oxydation in den Voi^dergrund, wenn die Wirkung der Zymase bedeutend geschwächt ist. Von da ab ist die Gärungsarbeit ein Minimum, so daß der gebildete Alkohol nur qualitativ nachgewiesen werden kann und die entwickelte CO2 der Oxydation zugeschrieben werden muß. Von einem Leben des Organismus nach einer derartig hohen Erhitzung kann wohl keine Rede mehr sein; die exhalierte CO2 beweist Atmung und tote Oxydation. 203 UIIUBJQ U] JJOJSJSnES .I3U3UllUOU9SjnV 050COCOCOCOCO a>i:DO — CO coocDwt^iow loocDwr^ CDOlOCO — -tCD ■^-rf^'f^CO — '^^'-''-'N'-' — 'OOOO ooooooo ooooo "oi ^ ?^^^ c5 »- CD r~5 «racDOiCDCDCD^a)- • • cDt^io^^o-;«t«222 I I oooooo Sy-aTj-a ^^c IMTfCDCOt^CDlO COCO'-'O coco-^'4<--'eoc5 cDOiOit^. — ' CD O lO lO CO Oi vr> O O O I CC5oai loooo i oocir-»LOiocoo OOOO | ooooooo OOOO ~TÖ O O CO Ö CD O ÖÖ O 03 iö Ot^t^^-^CD-* OlO(MllV JsppnqaO aiuiBJQ UI ^00 suspaiqDssSsnü 5unuu3jq.i9A .lap u] UIUILMO UI ^00 ouapsiiiossSsnu Sun.i-ß9 .lap ui U1UIB.I{) UI ^03 usuapgiqossSsn'B .I9p 9SU3UI;UIBS3{) s.i9>|on2 u9;S9i.i9Z S9p U9;U9Z0Jcl UJ uiuiBJQ UI J9Jion2 9;S9I.i9z §unuu9.iq -J9j\ .I9p UI .I9Q -f CD in CD in lo a> o in CO ^ ^ ^ ^ ^ oa 00 CO 0-1 o 00 CD CD lO s.iajjon^ U9}S9iJ9Z S9p U91U9Z0Jd UJ CO CO w in 00 CO 03 Gl oi Oi Ol in 00 CO 00 C30 CO CO UJlU'BaQ UI .I9JI0n2 3}29l.I9Z Sun.IB{) .I9p UI .I9Q CD -^ CD '-' 05 in O CT) CO t^ --^ "* 03 03 CD O -^ C<1 C{onz;uiBS9{) S9p U9;U9ZOJJ U{ • r- ^ ^ X .ti c S ü ä 5,^ c^l 00 ■* CD O '-' '^ -H — I 03 00 00 C>1 Ci ro CO CO UIUITJJQ UI iSgjjaz .i9>|on2 in 00 c-1 in 03 jon2 in in in •* 00 — < in -"• CO Tt* 03 03 oa CO CO UIUIBJQ UI 9J9H 00 CO CD o -^ o in -< o CO —' c^ t^ t>. 00 a> 03 05 03 c:3 o o o 03 B>l.i!z U9>po.injn[ 'jn;Bj9dui9X o o o o o in o CO in t— Ü3 03 o ^— t i—t "-^ ^H -— Ol 204 V. Gräfe, aber, daß noch immer Oxydationsprozesse vor sich gehen; diese sind es, welche Wiesner mit dem Worte »tote Oxy- dation« bezeichnet. Die tote Oxydation, welche also für die verwendete Hefe bei 130° beginnt, zeigt jedoch bei 190°, bis zu welchem Punkte sie stetig abnimmt, eine jähe Verminderung, um endlich zwischen 200° bis 205° gänzlich zum Stillstande zu gelangen. Die geschilderten Erscheinungen kommen an den unten- stehenden Kurvenskizzen für Gärung und Oxydation zur Dar- stellung. Die Wirkung der Zymase ist von 195° ab auch qualitativ nicht mehr nachzuweisen. ^— — — ^ N I 1 \ 1 1 1 \ \ \ 1 1 r 1 r 1 1 i V K k^ 1 j 1 / / 1 1 V so 70 90 HO lao uo no iso 2iu Kurve der Gärung. Kurve der Oxydation. Den Verlauf der Prozesse, welche sich in einer progressiv erhitzten Hefe abspielen, wenn man sie hernach in eine Zucker- lösung bringt, vergegenwärtigt man sich am besten, wenn man in der obenstehenden Tabelle die Ziffern der abgegebenen Atmung und tote Oxydation. 205 Gesamtkohlensäure betrachtet. Die Zahlen nehmen stetig bis 130° ab, wo die Wirkung der Zymase fast erloschen ist. Aber auch die Ziffer der Verbrennungskohlensäure sinkt hier plötzlich, da von hier ab nur mehr die tote Oxydation wirksam ist und erleidet bei 190° ein nochmaliges rapides Fallen. Das führt zu der Vermutung, daß auch in der toten Oxydation noch zwei Prozesse enthalten sind. Wiesner^ hat darauf aufmerksam gemacht, daß die Oxydation der zur Veratmung in der lebenden Pflanze gelangenden Körper kein einfacher Vorgang ist, sondern daß noch andere Prozesse in den Atmungsvorgang verflochten sind. Entweder es werden durch den Chemismus des lebenden Protoplasmas fortwährend Substanzen erzeugt, welche den Sauerstoff begierig an sich ziehen ^ oder es werden die zu veratmenden Substanzen durch Fermente in einen Zustand versetzt, in welchem sie leichter oxydierbar sind. Solche Oxydationsfermente sind bekanntlich die Oxydasen,^ welche in zahlreichen Pflanzensäften aufgefunden wurden, welche sie braun färben, so bei Viciafaba und Kartoffel. Auch in der Hefe kommt eine Oxydase vor, deren Wirkung schon Büchner'^ in der Verfärbung des Hefepreßsaftes erkannte. L. Telesnin"' stellte mit Zymin auf verschiedenen Substraten Versuche an und konstatierte auch bei diesem, also der toten Dauerhefe, eine konstante Sauerstoffaufnahme, welche der Wirksamkeit der Bertrand'schen Oxydase zugeschrieben werden muß. Ähnliche Verhältnisse beobachtete J. Warschawsky,^ der mit 1 Wiesner, Anatomie und Physiologie der Pflanzen, Wien 1898, p.247. 2 Loewu. Bokorny, Ber. d. D. ehem. Gqs.U, 2508,2589,^5, 383,695, 2753. Reinke, ebendas. 14, 2150, 15, 107. Baumann, 16, 248. 3 Bertrand, Compterend. 1895, Bd. 120, p. 266; 1896, Bd. 122, p. 1215; 1897, Bd. 124, p 1032 (Lakkase); Grüß, Landw. Jahrb., 1896, Bd. 25, p. 388 (Kartoffel). Vines: Annales of botany 15, 181 ; Racibo rski, Ber. d. bot. Ges. 16, 52 u. 119, Flora 55, 362; Molisch, Studie über Milchsaft etc., p. 63; Hunger, Ber. d. bot. Ges. 19, 374(1901); Behrens, Centralbl., Bakter. II, 7, 1 (1901). 4 Buchner-Hahn, Die Zymasegärung, 1903; J. Grüß, Wochenschr. f. Brauerei, 18, Nr. 24—26 (1901); J. Grüß, Wochenschr. f. Brauerei, I, II, III p. 310, 318, 335. (Über Oxydationserscheinungen in der Hefe.) 5 Zentralbl. Bakt., XII, 212 ff. (1904). 6 Ebendas., XII, 400 (1904). 206 V. Gräfe, Saccharom. Membranaefaciens arbeitete, welcher bekanntlich keine Zymase enthält und keine Gärkraft besitzt. Die Oxydase nimmt entweder den freien Sauerstoff der Luft auf und über- trägt ihn auf oxydable Substanzen (direkte Oxydase) ^ oder sie zerlegt Peroxyde (H^Og), deren Sauerstoff dann übertragen wird (indirekte Oxydase). Nach der Annahme von 0. Loew^ so'U die Zerlegung von HgOg einem spezifischen, sehr verbreiteten Enzym zukommen, der sogenannten Katalase. Über Hefenkatalase berichtet W. Issajew.^ Das Vorkommen einer derartigen Peroxydase^ im tierischen und ptlanzlichen Organismus, welche Peroxyd und bei der Luftoxydation von organischer Materie entstandene Peroxyde in ähnlicher Weise, wie dies Ferrosalze tun, aktiviert, wurde schon von Schönbein^ festgestellt. Nach Bach und Chodat^ beträgt die für die Oxydase tötliche Temperatur 70°, bei welcher die Peroxydase noch weiter- besteht. Durch Kochen der wässerigen Lösung wird allerdings auch die letztere zerstört, doch beobachtete Woods,^ daß dann dieselbe nach einigen Stunden regeneriert werde und schließt daraus, daß es für Oxydase und Peroxydase Zymogene gibt, welche gegen Hitze weit beständiger sind als die aktiven Fermente. Daß Enzyme in trockenem Zustande Hitzegrade von viel mehr als 100° vertragen, bestätigen auch Hüfner^ und Hueppe.^ Auch nach meinen Erfahrungen wird Kartoffel- preßsaft, auch wenn er auf 160—170° erhitzt wurde, nach einiger Zeit noch bräunlich. Die Oxydasen bilden also zwecks 1 Oppenheim er, Die Fermente, p. 49. 2 Catalase, A new Enzyme of general occinence. U. S. Dep. of agri- culture, Rep. Nr. 68 (1901); ders., Ber. d. Deutschen ehem. Ges. 35, p. 2487 (1902); ders., Die chemische Energie der lebenden Zeilen, AUinchen 1899. 3 Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 42, 102 (1904). ^ Lignossier, Compte rend. Soc. biol. 5, 373. 5 Verh. naturf. Ges. Basel I, 467, II, 9; Abh. Münchner Akad. S, 38 (1856), 106. 6 A. Bach u. R. Chodat, Unters, über d. Rolle d. Pero.xyde in d. Chemie d. lebenden Zelle; Ber. d. D. ehem. Ges. 35, 2466, 3943 (1902). ■? U. S. Dep. of agriculture Rep. Nr. 8, 17; Observations on the mosaic disease of tobacco U. S. D. of agric, Bullet. Nr. 18. 8 Journ. prakt. Chemie, ßd. XVII. 9 Chem. Zentralbl. 1881, p. 745. Atmung und tote Oxydation. 20/ Verbrennung widerstandsfähiger Produkte, unter Aufnahme von molekularem Sauerstoff Peroxyde, während die Peroxydasen die- selben aktivieren, pie große Widerstandskraft der oxydierenden Fermente gegen Einwirkung hoher Temperaturen machen ßs wahrscheinlich, daß es Oxydasen sind, welche in den ge- schilderten Versuchen die Oxydation des gebotenen Zuckers und die damit verbundene Abgabe von CO2 bewirkten und die mit Erhöhung der Temperatur in ihrer Wirksamkeit allmählich geschwächt wurden. Nun zeigt aber, wie bereits dargelegt, auch der der toten Oxydation angehörende Teil der Verbrennungs- kurve von 17Ö^° an einen rapiden Fall und es macht den Ein- druck, als ob an dieser Stelle das Oxydationsferment einem anderen oxydierenden Faktor gewichen wäre. Eine Möglichkeit, die mir manches Wahrscheinliche für sich zu haben scheint, ist, daß hier die Wirkung anderer katalytischer Substanzen eingesetzt habe, oder vielmehr nach dem Untergange des oxydierenden Ferments noch übrig geblieben sei. Tatsächlich sind nicht wenige Fälle beschrieben worden,^ in welchen die charakteristischen Oxydasereaktionen bei völliger Abwesenheit von Oxydasen erzeugt wurden.^ Namentlich aber sind es gewisse Metalle oder Metallsalze, welche eine wichtige Rolle bei der Funktion^ der Oxydasen und Peroxydasen spielen, so nach Sacharoff,* Lepinois,^ Sarthou,^ Loew, Aso und Sawa,' Aso und Pozzi-Escot^ das Eisen, nach Villiers,^ Vitali^*^ besonders auch das Mangan, welche in fein verteiltem Zustand als aktivierende Elemente der Oxydasen und Peroxydasen 1- T. Porodko, Zur Kenntnis der pflanzlichen Oxydasen. Beiheft z. bot. Zentralbl. XVI, H. 1, p. 1. 2 Pohl, Arch. f. exp. Pathol. XXXVIII, 65— 70; Bertrand, Compte rend. T. 124, p. 1355; Bourquelot, Compte rend. de la societe de Biol. t. 49, 97, 402. 3 Lippmann, Chemie d. Zuckerarten II, 1805. 4 Chem. Ztg. 22, Ref. 321. 5 Journ. de pharmacie VI, 9, 49. 6 Ebendas., VI. 11, 583. 7 Compte rend. 1902 b., 1057. 8 Ebendas., 1903, 343. 9 Ebendas., 124, 1349. 10 Chem. Ztg. 25, Ref. 212. 208 V. Gräfe, gelten können und von Trillat^ sogar direkt als »metallische Enzyme« angesprochen werden. In der Peroxydaseasche,^ die Bach und Chodat aus der Meerrettigwurzel isolierten, war 0-6% Mn enthalten. Die oben ausgesprochene Vermutung wird auch durch die Resultate der übrigen Versuchsreihen gestützt, welche ich zunächst anführen möchte, bevor ich auf die Frage eingehe, ob solche rein oxydative Vorgänge schon im Prozeß der Atmung enthalten seien. IL Hefe mit destilliertem Wasser. I. Hefe lufttrocken: 9-31 ^ wurden mit 30 cw^ destilliertem Wasser versetzt. Absorption nach 48''. Es trat etwas Selbst- gärung ein, denn durch die Lieben'sche Probe ließ sich nach dem Prozeß Alkohol nachweisen, doch war seine Menge für die quantitative Feststellung zu gering, so daß wohl der größte Teil der gebildeten COg auf Rechnung der physiologischen Verbrennung zu setzen ist. CO2 gefunden 0* 1685^, Alkohol qualitativ, O2 aufgenommen .... 0- 1868^. Kontrollversuch: 10-84^ Hefe mit 34 cm^ Wasser. Absorption nach 48*^. CO2 gefunden 0- 1913^ Og aufgenommen 0-2095^ Alkohol qualitativ (ziemlich reichliche Fällung). II. Hefe lufttrocken: 10-22^ auf 50° erwärmt. Gewichts- abnahme 0-646^= 6-327o. Wasser 35 cm\ Absorption nach 48^ CO2 gebildet 0-1592^ O2 aufgenommen 0* 1635^ Alkohol qualitativ. 1 Compte rend. 137, 922; 13S, 94. 3 Bach u. Chodat 1. c Atmung und tote Oxydation. 209 Kontrollversuch: 9-97 g Hefe wie zuvor behandelt. Gewichtsverlust 0"616 ^ r= 6* 18%. Wasser 34cm\ Absorp- tion 48'\ CO2 gebildet 0-1559^ O2 aufgenommen 0- 1601^ Alkohol qualitativ. III. Hefe lufttrocken: 10-76^ auf 70° erwärmt. Gewichts- abnahme 0-862^=: 8-01 7ü- Wasser 'Sß cm\ Absorption nach 48'\ CO2 abgegeben 0- 1071^ O2 aufgenommen 0" 1598^ Alkohol qualitativ. Kon trollversuch: 10-29^ Hefe wie zuvor behandelt. Gewichtsverlust 0 • 747^ = 7 • 26 7o. Wasser 36 cm''. Absorption nach 48". CO2 gebildet 0- 1080^ O2 aufgenommen 0* 1554^ Alkohol qualitativ. IV. Hefe lufttrocken: 11-06^ auf 90° erhitzt. Gewichts- abnahme 1-23^=: ll-147o- Wasser 37 cm\ Absorption nach 48'^. CO2 abgegeben 0-0918^ Og aufgenommen 0* 1015^ Alkohol qualitativ. Kontrollversuch: Hefe 10-87^ wie zuvor behandelt. Gewichtsabnahme 1 • 141^ =: 10*5%. Wasser 36cm\ Absorp- tion nach 48". CO2 abgegeben 0-0902^ 0„ aufgenommen 0*0999^ V. Hefe lufttrocken: 11-53^ auf 110° erhitzt. Gewichts- abnahme 1-346^ = ll-677o- Wasser 39 cm\ Absorption nach 48". 210 V. Gräfe, COg abgegeben 0-0901 g Og aufgenommen 0" 1102^ Alkohol nicht nachzuweisen. Kontroll versuch: Hefe 10-25^ ebenso behandelt. Ge- wichtsverlust 1 -311 ^'r= 12-87o- Wasser 3ocm'. Absorp- tion 48^ CO2 abgegeben 0-0893^ O2 aufgenommen 0* 1065^ Alkohol nicht nachzuweisen. VI. Hefe lufttrocken: 10-79^ auf 130° erhitzt. Gewichts- abnahme 1 -46^ = 13*56 7o- Wasser 36 cm\ Absorption nach 48'\ CO2 abgegeben 0-1 101^' O2 aufgenommen 0* 1349^ Alkohol nicht nachzuweisen. Kontrollversuch: 11-34^ wie zuvor behandelt. Ge- wichtsverlust 1 • 622^ =13-33 7o. Wasser 39 cm\ Absorp- tion 48". CO2 abgegeben 0- 1043^ O2 aufgenommen 0' 1299,^ Kein Alkohol. VII. Hefe lufttrocken. 10-35^- auf 150° erhitzt. Gewichts- abnahme 1-46^ = 14-12 7o- Wasser 36 cm^. Absorption nach 48". COg abgegeben 0-0431^ O2 aufgenommen 0-0722^ Kein Alkohol. Kontrollversuch: 11 -67^ ebenso behandelt. Gewichts- verlust 1-365^= 13-96 7o. Wasser 39 6'*w^ Absorption nach 48". COg abgegeben 0-0666^ Og aufgenommen 0 • 0794^ Kein Alkohol Atmung und tote Oxydation. 21 1 VIII. Hefe lufttrocken: 12-01^ auf 170° erhitzt. Gewichts- abnahme 1-727^ ^ 14-38'Vo- Wasser: 4lcm\ Absorption nach 48". COg abgegeben 0-0023^ Og aufgenommen 0-0028,^' Kein Alkohol. Kontrollversuch: 1 1 '32^ ebenso behandelt. Gewichts- verlust 1-72^ =r 15-167o. Wasser: 39 cm\ Absorption nach 48'\ CO^ abgegeben 0-0049^ O2 aufgenommen 0-OÖ46'^ Kein Alkohol. Bei weiterer Erhitzung fand keine nachweisbare CO^- Ausscheidung mehr statt, wiewohl eine weitere Aufnahme von O2 bis gegen 2'00° zu konstatieren war. Überdies kann die absolute Richtigkeit des letzten Versuches nicht mehr mit aller Gewißheit behauptet werden, zumal in der Kontrollprobe die Menge des aufgenommenen Sauerstoffs im Verhältnis zur exhalierten CO.^ von den Resultaten der übrigen Versuche abweicht. Daß die Abgabe der COg in dieser Versuchsreihe früher zum Stillstand kam als in der vorherbeschriebenen, glaube ich damit erklären zu können, daß kein veratembares Material mehr vorhanden war, sondern sich bei dieser Temperatur, so z. B. das Glykogen ^ der Hefe bereits in einer Weise verändert hatte, die eine Weiteroxydation seitens der Oxydase nicht mehr gestattete. Es wurde daher eine Versuchsreihe angestellt, in welcher der Hefe ein nicht vergärbares Substrat geboten wurde, nämlich Asparagin und Chinasäure. ^ 1 E. Laurent Annal. cl. L. Soc. Beige de Microsc'opie, 1S90. - Jo.st, Vorlesungen über Fflanzenphysiologie, 251. 212 V. Gräfe, III. Hefe in einer Asparagin-Chinasäurenährlösung. I. Hefe lufttrocken: 10-04^ wurden mit 30cm" einer Lösung versetzt, die 57o Chinasäure und 57o Asparagin (beides Kahlbaumpräparate) enthielt. Absorption nach 48''. CO2 entwickelt 0-1811^ O2 aufgenommen 0* 1829^ Kontroll versuch: 9-79^ mit 30cm^ Nährlösung ver- setzt. Absorption nach 48'\ CO2 entwickelt 0- 1818^ Og aufgenommen 0- 1902^ II. Hefe lufttrocken: 10- 11g auf 50° erwärmt. Gewichts- abnahme 4-21 7o — 0-4256^. Nährlösung 35cm^ Ab- sorption 48'\ CO2 entwickelt .0-1199^ O2 aufgenommen .0-1234^ Kontrollversuch: 10* 17^" wie früher. Gewichtsab- nahme 0 • 541^ rz 5*32 7o- Nährlösung Sbcm^ Absorption nach 48'\ CO3 entwickelt .0- 1576^ O2 aufgenommen 0* 1668,^ III. Hefe kiftrocken: 10-08^ auf 70° erhitzt. Gewichts- verlust 0-975^ — 9-677ü- Nährlösung 3Gcin\ Absorption nach 48". CO2 entwickelt 0-0999^ O2 aufgenommen .0* 1004^ Kontroliversuch: 10*37^ wie zuvor, Gewichtsabnahme 0-926^ r= 8 -9370. Nährlösung 36<:«r. Absorption nach 48". CO2 abgegeben 0-0986^ O2 aufgenommen 0- 1000^ Atmung und tote Oxydation. 213 IV. Hefe lufttrocken: 10-89^ auf 90° erhitzt. Gewichts- verlust l-lg z=z ]0-187o- Nährlösung 'S7cin\ Absorption nach 48'\ CO2 abgegeben 0-0916<§- Og aufgenommen 0-0992^ Kontrollversuch: 1 1 '56^ ebenso behandelt. Gewichts- verlust 1*16^ z= 107o- Nährlösung 37 cm\ Absorption nach 48'\ CO2 entwickelt 0-0909^ Og aufgenommen 0- 1020^ V. Hefe lufttrocken: 10-56^ auf 110° erhitzt. Gewichts- verlust 1 -28^ =: 12- 147o- Nährlösung 39cm\ Absorption nach 48". CO2 entwickelt 0-0903^ O2 absorbiert 0-0995^ Kontrollversuch: 1 1 • 17^ ebenso behandelt. Gewichts- verlust 1-45^ = 13-01 7o- Nährlösung 40rw^ Absorption nach 48". CO2 entwickelt 0-0903^ O2 aufgenommen 0* 1009^ VI. Hefe lufttrocken: 10'83^ auf 130° erhitzt. Gewichts- abnahme 1 -478.^ 1= 13-657o- Nährlösung 40<:;«'. Absorption nach -18". CO2 abgegeben 0-0988^ O2 aufgenommen 0* 1 1 12g Kontrollversuch: 10*99^ ebenso behandelt. Gewichts- abnahme 1 -51^ = 13-737o- Nährlösung 40riw\ Absorption nach 48". CO2 abgegeben 0-0959^ Og aufgenommen 0-1 144^ 214 .i:-::.;:. V. Grafe,^ V.i-;^^:-A " VII. Hefe lufttrocken: 10- 35,^ auf 150° erhitzt. Gewichts- abnahme l-43^= 13-787n- Nährlösung 39r;/r. Absorption nach 48". CO2 abgegeben .0-0455^ O2 aufgenommen .0'0566^' „; "Kontt-ollversuch: 11 • 13^ ebenso behandelt. Gewichts- verlust 1'6^^ = 14-57o- Nährlösung 40cm\ Absorption nach 48". CO2 abgegeben 0-0467^ Og aufgenommen ..., — . .0-0491^ VIII. Hefe lüfttrocken: II- 19;§- auf 170° erhitzt. Gewichts- abnahme 1 -67^ =± 14-96 7o- Nährlösung 4Ör/-.r--. .-.0-0066/. IX. Hefe lufttrocken: 1 1 -88,° auf 190° erhitzt. Gewichts- verlust: l-87/r= lö-757(i- Nährlösung: 40rw''. Absorption nach 48". CO2 abgegeben ..,.,... ,-.,.,-,..0-0021^ O2 aufgenommen . .... .. ..< ..:..-..'i.:.;'xQ ' 0034/ Kohtrollversüch: 12- 18/ ebenso behandelt. Gewichts- verlust 1-9/=: 15-68 "/(>■ Nährlösung 41 rw^. Absorption nach 48". CO2 abgegeben 0 • 0025 / O2 aufgenommen 0-0038/ Atmung und tote Oxydation. 215 X. Hefe lufttrocken: 12- 11 ^ auf 195° erhitzt. Gewichts- abnahme 1-9^= 15-837o- Nährlösung: 41 cm^. Absorption nach 48\ CO2 abgegeben 0'0023^ O2 aufgenommen 0*0036^ Auch nachdem die Erhitzung bis 200° und 205° getrieben war, ergab sich noch eine minime COg-Ausscheidung, doch waren die erhaltenen Zahlen nicht mit hinlänglicher Sicherheit festzustellen. Über 205° hinaus war gar keine COg-Abgabe mehr zu beobachten, wiewohl analog den früheren Versuchsreihen Sauerstoff auch noch weiterhin absorbiert wurde. Auch in den parallel laufenden Versuchsanstellungen ist die Differenz zwi- schen den beobachteten Gasmengen öfters eine verhältnismäßig beträchtliche. Das hängt offenbar damit zusammen, daß doch nicht überall genau dieselben Hefemengen angewendet werden konnten, und mit den individuellen Verschiedenheiten der ein- zelnen Hefezellen überhaupt, die als solche und deren Zymase bei der Erhitzung mehr oder weniger gelitten hatten. Der Zweck der Versuche, annähernd das Verhalten der verwen- deten Hefe bei progressiver Erhitzung zu zeigen, ist immerhin durch die gefundenen Zahlen erreicht. Die nachfolgenden Tabellen geben wieder die Durchschnittszahlen je zweier paralleler Versuche. Schon Schönbein ^ hatte gefunden, daß die Hefe eine Ausnahme von der Regel mache, nach welcher Substanzen, die wie das Platin H^Oa zerlegen, auch die HgOg haltige Guajac- tinktur bläuen. Grüß^ beobachtete dann, daß die Hefenoxydase Sauerstoff auf Di- und Tetraamine übertrage und verwendete daher zur Untersuchung der Hefenoxydase ein Reagenspapier, welches mit einer Lösung von Tetramethyl-p-Phenylendiamin- chlorid ^ getränkt war in Verbindung mit einem ebensolchen, 1 Katalyt. Wirksamkeit organ. Materien etc. Münchner Akad. 2, 100 (1863). 2 Über Oxydase-Erscheinungen der Hefe, Wochenschr. f. Brauerei, I, II, III, p, 310, 318, 335. 3 Wurster, Bcr. d. Deutschen ehem. Ges. XIX, 3195 (1886). Sitzb. d. mathem. natunv. KL; CXIV. Bd., Abt. I. 15 216 V. Gräfe, > > c "^ — > C/1 oq m CD ■D D cn z o O p 5 3- o 1 S' er '0 4^ 3 3 00 CO ro 3- o n t« o 9 o O to CO CO O (35 1— ' O' >^ E o o CJi 4^ CO CO o o 3_ •" CO cn O o __o o CD CD o o o o o CD to CO 3* 3 P C/) o O o Ö CD CD O o p: o t— » •-1 a> CO CD O + o o ■-1 ^ cn _ ö P ^- o o CD O o~ o o CO 3 o > 3 cn 13 o o _. ^ P M-' o 3 Oi P «— & CD o cn ^^ ^a o CO ^ 4^ ? o o o o O'l Ol 4^ o M C5 o CO o O o o ^) o o O Ci 4^ o CO CO o c^ ö o CD o o O CO to o a> CO o o ö ö CD o o CJl CO lO 0 a> CO > > ^ Si CK? CfQ ■n 3 O 3 3" p o 3 fo CD 4^ 3 OO o ra o 1-5 o o to CD CO -1 CD o to CD o O Ci cn O c» a> n: •-^ o o Q Ol o O o 3 --J -j «-^ 05 o p cn o o o cn o o o CD P CD O o 1 — ' ^ o 3 3 o o - 1— A o 3 >— * o OC o 00 CD 4^ CO o CO ^ - o o ,__i ,_^ CO CO o o to ^ 0 4- CO o o o o Ol ^ cn o Ol 4- 0 00 CO o O o o ^-1 o o O CO CO o ^ Ci Atmung und lote Oxydation. 2W das aber noch mit einer bei 15° gesättigten Sodalösung behan- delt war. Auf solchen Papieren ruft dann Hefe sofort oder nach einiger Zeit Erscheinungen hervor, die zur Beurteilung der Oxydase dienen können. Um nun die tote Oxydation unab- hängig von der Anwendung hoher Temperaturen studieren zu können, ging ich folgendermaßen vor. IV. Versuche mit Dauerhefe. I. Schroder'sches Zymin, zirka 10^, wurde mit der doppelten Menge feinstgepulverten Quarzsandes, welcher vor- her mit Königswasser gewaschen worden war, vermengt und zunächst trocken, dann unter Zugabe von 25 cm^ Wasser ganz nach Buchner's Angabe^ mehrere Stunden in einer großen Reibschalc innig verrieben, sodann in Preßtücher ein- geschlagen und hydraulisch abgepreßt. Diese Operation diente zur Entfernung der Zymase, die als Endoenzym ^ ohne Zer- störung der Zellwände und des Plasmaschlauches nicht aus den Zellen herauszubringen ist. Die mikroskopische Unter- suchung ergab denn auch, daß die meisten Zellhäute geplatzt oder zerrissen waren. Der Preßkuchen wurde mit wässerigem Glyzerin wiederholt extrahiert ^, wodurch die Zymase entfernt wurde. Der Brei ward hierauf mit Alkohol, dann mit Äther gewaschen und schließlich bei 36° getrocknet. Der so behan- delte Preßkuchen zeigte weder mit Tetrapapier noch mit Tetra- sodapapier die geringste Reaktion, ein Beweis, daß durch das beschriebene Verfahren auch die Oxydase entfernt worden war. Die Hälfte des Gemenges mit zirka 5^ Zymin wurde mit 15 cm^ der vorherbeschriebenen Nährlösung versetzt. Absorp- tion nach 48*^. CO.^ abgegeben 0-0019^ Og aufgenommen 0 0042^ 1 Buchner-Hahn, Die Zymasegärung, p. 248. 2 Hahn, Ber. d. Deutschen ehem. Ges. XXVIII, p. 3038 (1805). 3 Gunning, Just's bot. Jahresbcr. 1873, p. 136. 15* 218 V. Gräfe, Die andere Hälfte, zum Kontrollversuche in derselben Weise verwendet, ergab CO2 0-0022^ O2 ...0-0046^ II. 5 g Schroder'sches Zymin wurde mit 15 cm^ der Nährlösung versetzt. Das Zymin gab auf Tetrapapier demselben eine leichtviolette Färbung, während es selbst sowie eine Rund- zone um dasselbe farblos blieb. Farblos blieb auch das Tetra- sodapapier. Absorption nach 48'\ COg-Abgabe 0-0415^ 02-Aufnahme 0-0409^ Die Oxydase wirkt nach Grüß ^ auf Asparagin ein. Mit Wasser statt der Nährlösung resultierten gemäß den Angaben von Gromow und Grigoriew^ fast genau gleiche Zahlen, doch zeigt schon die beträchtliche Sauerstoffaufnahme, sowie das Resultat der späteren Versuche, in welchen die Wirksam- keit der Zymase gänzlich ausgeschaltet worden war, daß diese Zahlen nicht nur auf Rechnung der Selbstgärung, sondern auch der Oxydasenwirkung zuzuschreiben sind. III. Um die umständliche Prozedur des Zerreibens, welche zudem nicht die Sicherheit der Vollständigkeit bot, zu ersparen, wendete ich zur Zerstörung der Zymase die Behandlung mit Methylalkohol an. Buchner =^ sagt, daß durch Anwendung desselben die Zymase völlig vernichtet werde. 5 g Zymin wurden dreimal mit frischem Methylalkohol digeriert, auf der Nutsche abgesogen, mit Alkohol-Äther gewaschen und bei 35° getrocknet. Die Dauerhefe entwickelte nach dieser Behandlung mit Rohrzuckerlösung keine Spur Alkohol. Die Oxydasereaktion trat jedoch nach wie vor ein, wenn auch etwas schwächer und nach längerer Dauer. Es IL. c. 2 Die Arbeit der Zj'mase und der Endotryptase in den abgetöteten Hefe- zellen etc., Zeitschr. f. physiol. Chemie, XLIl, Heft 4, p. 313. 3 1. c. p. 232. Atmung und tote Oxydation. 219 wurden wieder 15 cw«^ Nährlösung hinzugefügt. Absorption nach 48 '\ CO2 abgegeben 0-0163 <§• O2 aufgenommen 0'0241 g Kontrollversuch: bg wie zuvor behandeltes Zymin verwendet. CO2 0-0099^ O2 0-0187^ IV. 5 g wie zuvor behandeltes Zymin wurden wiederholt mit wässeriger Glyzerinlösung ausgezogen. Das getrocknete Produkt gab keine Oxydasereaktion, Nährlösung 15 cm\ Absorption nach 48'\ CO2 abgegeben 0-0035 g O2 aufgenommen 0 * 0058 g Kontrollversuch: Versuchsanordnung wie zuvor. CO2 abgegeben 0-0039 g O2 aufgenommen .......... .0'0055 ^ V. Frische Preßhefe wurde ganz nach Albert s^ Vorschrift in Aceton-Äther eingetragen und die Dauerhefe hierauf solange mit Methylalkohol behandelt, bis das anfangs rötliche Filtrat farblos ablief. Das Produkt zeigte keine Gärungserscheinungen, wohl aber die Oxydasereaktion. Nährlösung 15 cm\ Absorption nach 48''. Menge des Produktes 6*48^. CO2 abgegeben , 0-0171 g O2 aufgenommen .... '.T', ... 0 - 0206 g Kontrollversuch: Zirka 8 ^ selbstbereiteter Dauerhefe wiederholt mit Methylalkohol gewaschen, hierauf getrocknet. Versuchsanordnung wie zuvor. CO2 abgegeben 0-0210 g O2 aufgenommen 0-0339 g 1 B uchner-Hahn, Zymasegärung, p. 260. 220 V. Gi-afe, VI. Selbsberettete, mit Methylalkohol gewaschene Dauer- hefe wurde wiederholt mit wässerigem Glyzerin extrahiert. Keine Gärungs- und Oxydaseerscheinungen. Nährlösung 15 cw*. Absorption nach 48^. Menge zirka 7 g. COg -Abgabe 0-0027 g 02-Aufnahme 0-0029 g Kon troll versuch: Anordnung wie zuvor. Menge 6-59^, COa-Abgabe 0-0025 g Oä-Aufnahme 0-0030 g Die frische Hefe zeigte die Grüß'schen Reaktionen sehr intensiv. Auf Tetrapapier sowie Tetrasodapapier färbte sie sich nach und nach dunkelviolett, während das Papier im Umkreis farblos blieb. Die Versuche wurden auch mit zerriebener Hefe, welche mit Methylalkohol behandelt worden war, angestellt, die Resultate ergaben kein neues Moment. Dauerhefe mit Asparagin -+- Chinasäure nach 48li S c h r o d e r's Zymin O :0 N rj i-C in ü ü :0 1^ ^ 'S fcl IS) Q ö X" I .H ^ 'S £ O c o) x: O .Q CO Abgegeb. Aufgen. 00415 0-0021 0-0131 0-0037 0-0191 0 0409 0-0044 0-0214 0-0057 0-0273 0-0026 0-00295 Hier seien die Ergebnisse der Versuche angeschlossen, welche bezweckten, das Verhalten verschieden hoch erhitzter Hefe im luftleeren Räume zu studieren. Die Versuchsanordnung Atmung und tote Oxydation. 22 1 war dieselbe wie früher, nur daß die Vorkehrungen, welche der Sauerstoffmessung dienten, wegfielen. V. Hefe mit lOprozentiger Dextroselösung. I. 10-99^1ufttrockeneHefe wurden in den Kolben gebracht und mittels der Quecksilberluftpumpe die Luft völlig entfernt. Hierauf 20cm'' lOprozentiger Dextroselösung allmählich zu- fließen gelassen. Absorption nach 48"^. CO2 entwickelt: 0-9759 g Alkohol gebildet 0-9988 g Der gebotene Zucker war vollkommen zerlegt worden und der gebildete Alkohol sowie die entstandene CO^ ent- stammen vollständig der Zymasearbeit. II. 11-25 g lufttrockener Hefe wurden auf 70° erhitzt. 25 cm^ Zuckerlösung. Absorption nach 48^ . Zucker gefunden 0-6698 g, daher Zucker zerlegt 1 • 8302 g — 73-2 1 "/(, COg entwickelt 0-8901^ Alkohol entwickelt 0-9192 ^ III. 10-47^ lufttrockene Hefe wurden auf 110° erhitzt. 28 rw' Zuckerlösung. Absorption nach 48''. Zucker gefunden 2-061 1 ^, daher 0/ Zucker zerlegt 0 - 7389 g = 2639 CO. entwickelt 0-3594 g Alkohol entwickelt 0-3701 ^■ IV. 10-70 ^ lufttrockene Hefe wurden auf 130° erhitzt. 29 ctn^ Zuckerlösung. Absorption nach 48'\ Gefundener Zucker 2-6097 g, daher Zerlegter « 0'2903 g = 10-01 7„ COo gefunden 0 • 1394 ,§' Alkohol 0-1466;? 222 V. Gräfe, V. 11*35^ lufttrockene Hefe wurden auf 150° erhitzt. 30 cnf Zuckerlösung. Absorption nach 48''. Der zerlegte Zucker war nicht mehr bestimmbar. CO2 -Ausscheidung 0-0020^. Alkohol qualitativ. Wurde die Temperatur noch höher getrieben, so fand eine COg-Abgabe nicht mehr statt. ; Wurde der Hefe statt Zuckers Wasser oder Asparagin -+- Chinasäure verabreicht, so fand eine geringe C02-Abgabe nur bis etwa 70° statt, offenbar nur solange, als eine nennens- werte intramolekulare Verarbeitung des Hefeglykogens vor sich gehen konnte. Warum dieselbe nicht auch noch nach stärkerer Erhitzung im luftleeren Raum stattfindet wie in den Versuchsreihen III und IV, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Vermutlich war eben früher die Wirkung der Oxydase im Spiel. Die erhaltenen Zahlen sind aber so schwankend, daß sie nicht mitgeteilt werden können. Hefe im luftleeren Raum mit lOprozentiger Dextroselösung nach 48'^. In der Gärung zerlegter Zucker Durch Gärung entwickelte COo in Durch Gämng gebildeter Alkohol in g 20° 70° 110° 130° 150° 2g= 1000/0 1-8302^= 73-21o/o 0-7389^= 26-390/0 0-2903^= 10-01% nicht bestimmbar 0-9759 0-8901 0-3594 0-1394 0-0020 0-9988 0-9192 0-3701 0-146G qualitativ VI. Versuche mit einer Hefereinkultur. Um die F?esultate der vorbeschriebenen Versuche nach allen Richtungen zu sichern, wurden die wesentlichsten Pro- zesse mit einer Reinkultur von obergäriger Preßhefe B wieder- holt, welche ich der Freundlichkeit des Herrn Dr. H. Zikes, Dozenten an der hiesigen Brauereiakademie, verdanke. Atmung und tote Oxydation. 223 Die reinkultivierte Hefe wurde in der üblichen Weise in drei Pasteurkolben zu je 2 / auf Bierwürze überimpft und acht Tage bei einer konstanten Temperatur von 25° sich entwickeln gelassen. Hierauf in derHansen'schen Kammer auf der Nutsche abgesogen, mit sterilisiertem Wasser gewaschen und im- steri- lisierten Filtrierpapier unter einer Glasglocke aufbewahrt, bis sie nach der oben beschriebenen Methode lufttrocken gemacht werden konnte. I. Hefe lufttrocken: 3-83^ erhielten \0 cm^ einer Lösung, die 5% Asparagin und 57o Chinasäure enthielt. Absorption nach 48'\ COg entwickelt 0-0758^ Og aufgenommen 0- 1002^ Alkohol war keiner gebildet worden. II. Hefe lufttrocken: 5-17 g wurden langsam auf 110° erwärmt. Gewichtsverlust 0*689 g = 13 -3370- Nährlösung 13 cm\ Absorption nach 48^. COg entwickelt 0-0391 g Oy aufgenommen 0 0831 g III. Hefe lufttrocken: 4-36^ wurden auf 120° erhitzt. Gewichtsabnahme 0'61,§'= 147^,. Nährlösung 13 cw^. Absorp- tion nach 48'\ COg entwickelt 0-0402^ O2 aufgenommen 0-0998^ IV. Hefe lufttrocken: 4-97^ wurden auf 150° erhitzt. Gewichtsabnahme 0*7 ^ z= 14-367o- Nährlösung 14 cm\ Absorption nach 48''. CO2 entwickelt 0-0253^ O2 aufgenommen 0'051 1 ^ 224 V. Gräfe, V. Hefe, lufttrocken: b-2Dg auf 170° erhitzt. Gewichts- abnahme: 0*8^ r= 15-24''/o- Nährlösung Ib cm\ Absorption nach 48''. CO2 entwickelt 0-0041 g O2 aufgenommen 0-0102^ VI. Hefe, lufttrocken: 4-14^ auf 190° erhitzt. Gewichts- abnahme: 0-83 g = 207o- Nährlösung 18 cm". Absorption nach 48^. COg-Ausscheidung nicht mehr nachweisbar Og-Aufnahme 0-0038^ Auch bei 205° konnte ich noch eine geringe Sauerstoff- aufnahme konstatieren. Vn. Lufttrockene Hefe, welche, auf Tetrapapier gebracht, lebhafte Oxydasereaktion nach Grüss aufwies, wurde wie in Versuch V der Versuchsreihe mit Dauerhefe in Aceton-Äther eingetragen und hierauf mit Methylalkohol behandelt. Das Produkt zeigte noch immer Oxydasereaktion, wenn auch in geschwächtem Maße. Es wurden der getrockneten Dauerhefe: A:'2\ g an Asparagin-Chinasäurelösung 10 cm^ geboten Absorption nach 48^. CO2 abgegeben 0 • 0097 g O2 aufgenommen 0"0186^ VIII. Dauerhefe aus der Reinkultur der Preßhefe B wurde nach der Behandlung mit Methylalkohol noch mit wässeriger Glyzerinlösung wiederholt extrahiert. Die Oxydasereaktion trat innerhalb 24'' nicht mehr ein. Das getrocknete Produkt: 5'34^ wurde mit 10 cm^ der Asparagin-Chinasäurelösung ver- setzt. Absorption nach 48'\ CO2 abgegeben 0'0019^ O2 aufgenommen 0 0033^ Es traten also hier im großen und ganzen dieselben Erscheinungen zu Tage, wie sie auch bei der früher x-erwen- deten Preßhefe sich gezeigt hatten. Atmung und tote Oxydation. 225 Gaswechsel nach 48'\ Reinkultur der Preßhefe B mit Asparagin + Chinasäure. Die Menge der verwendeten lufttrockenen Hefe war durch- schnittlich halb so groß als in den früheren Versuchen. 110= 120'= 150= 170° 190° Dauer- hefe mit CH3OH behand. Dauer- hefe mit CH3OH und Glyzerin behand. Abgegeb. Gramm CO.2 Aufgen. Gramm Oo 0-0758 0-1002 0-0391 0-0831 0-0402 0-0998 0-0253 0-0511 0-0041 0-0102 nicht nach- weis- bar 0-0038 0-0097 0-0186 0-0019 0-0033 VII. Versuche mit Eupatorium adenophorum. I. Junge, durchwegs gesunde Blätter wurden hart an der lamina abgeschnitten, zwischen sterilisiertem Filtrierpapier sorgfältig getrocknet und gewogen; es wurde darauf Rücksicht genommen, daß möglichst gleich gut entwickelte Blätter zur Verwendung gelangten. Die Bestimmung des Gaswechsels ward genau in derselben Weise vorgenommen wie bei der Hefe. Die Blätter erhielten 10 cm^ destillierten Wassers. Absorp- tion nach 48''. Der Kolben war mit einem schwarzen Tuch bedeckt. Abgegebene COg . . Aufgenommener Oä ,0-1064^ .0-0811^^ Gewicht der verwendeten Blätter: 7 •4635^. Kontrollversuch: Abgegebene CO2 0- 1219^ Aufgenommener Oo 0-0899^ Gewicht der verwendeten Blätter: 7 9811 g. Wasser: 10 nn\ 226 V. Gräfe, II. Frische Eupatoriumblätter wurden zwei Tage im Exsikkator über H2SO4 aufgestellt und dann durch 48*" bei 35° getrocknet. Frischgewicht: 10-9888^. Gewichtsabnahme: 3-9936^. Absorption nach 4&\ Wasser: 14 cm\ Abgegebene CO2 0-0876^ Aufgenommener O2 0'0838^ Kontrollversuch: Frischgewicht: 11-3422^. Gewichts- abnahme: 4-1918^. Wasser \4 cm\ Abgegebene COg 0 • 0898 g Aufgenommener O2 0-0800^ III. Frische Eupatoriumblätter bei 35° getrocknet, dann allmählich auf 50° gebracht und dort 5^ gehalten. Frisch- gewicht: 15-2136^. Abnahme: 8-7308^. Wasser: 19 cw'. Absorption nach 48^. Abgegebene COg 0-0183^ Aufgenommener Og 0-0192^ Kontrollversuch: Frischgewicht: 16-7009^. Abnahme: 9- 1244 g. Wasser: 19 cm\ Absorption nach 48'\ Abgegebene CO2 0-0199^ Aufgenommener O2 0*0199^ IV. Blätter wie vorher auf 110° erhitzt. Frischgewicht: 16-5512^. Abnahme: 9-7653^. Wasser: 20 cm\ Absorption nach 48'\ Abgegebene CO2 0*0088^ COg Aufgenommener O2 0*0097^ Kontrollversuch: Frischgevvicht; 17-0572,^. Abnahme: 10-1234 Ö-. Wasser: 20 cm\ Absorption nach 48". Abgegebene COg • . , , . .., 0-0091 g Aufgenommener O2 0-0109^ Atmung und tote Oxydation. 227 V. Blätter wie vorher auf 160° erhitzt. Frischgewicht: 17-2132^. Abnahme: 10-5344^. Wasser: 21 cm\ Absorption nach 48^. Abgegebene COg 0-0069^ Aufgenommener Og 0*0083^ Kontrollversuch: Frischgewicht: 17*9031 g. Abnahme: 10-4993^. Wasser: 21 cm\ Absorption nach 48^. Abgegebene CO2 0-0051 g Aufgenommener O2 0*0067^ Höheres Erhitzen lieferte keine nachweisbare CO2 mehr, wohl aber Og-Aufnahme. VI. Die heftigen Fröste der ersten Jännertage des heurigen Jahres benützte ich auch dazu, Eupatoriumblätter unter längere Einwirkung einer sehr niedrigen Temperatur zu bringen und den Gaswechsel so behandelter Blätter zu studieren. Bei 35° wie vorher getrocknete Blätter wurden in sterili- siertes Filtrierpapier eingeschlagen, drei Tage bei einer Tem- peratur von — 16° C. frieren gelassen. Frischgewicht: 7-4811 ^. Gewichtsabnahme: 2 '0554 g. Wasser 12 cm^. Absorption nach 48'^. COg-Abgabe 0-0213^ Og-Aufnahme 0-0380^ VII. Frische Blätter wurden nach Buchn er's Vorschrift für Hefe mit Aceton-Äther behandelt, wodurch das Plasma abgetötet wird. Hierauf bei 35° getrocknet. Frisch- gewicht: 10'9315^. Gewichtsverlust: 3-8762^. Wasser 14cm^. Absorption nach 48'\ Abgegebene CO2 0-0113^ Aufgenommene O^ 0-0197^. Kontrollversuch: Frischgewicht: 11-5388^. Gewichts- abnahme: 4-4949^. Wasser: \5cm^. Absorption nach 48''. Abgegebene CO^ 0-0142^ Aufgenommener Og 0 0301^. 228 V. Gvciiü, . (D -O ^ c c 1 1 ■S c O -b O rt ^j X <(' -ö •= ~trJ iri "O ^* OJ •* lO 09 cr> physiologischen Oxy- dation«, welche sie an der Lebensgrenze ablöst, oder ob sie nur ein Teil eines Prozesses ist, der auch im lebenden Organismus mechanisch, d.h. ohne direkte Mitarbeit der lebenden Substanz, etwa durch bloße Enzymwirkung verläuft, ist nach wie vor eine offene Frage. Die beiden extremen Standpunkte sind von Pfeffer und Reinke vertreten. Allerdings gibt auch Pfeffer^ zu, daß die Oxydationsfermente vielleicht teilweise schon in der lebenden Zelle als Sauerstoff übertragende Katalysatoren fungieren, im allgemeinen aber nimmt er deren Wirkung als »postmortal«^ an und die lebende Zelle darf nach ihm nicht nach den Reaktionen beurteilt werden, die »mit dem Tode und in den ausgepreßten Säften eintreten«. Dagegen stellt sich Reinke^ vor, daß in jeder lebens- tätigen Zelle Autoxydatoren gebildet werden, welche sich unter 1 Pflanzenphysiologie. I., 503, Pfeffer: Oxydationsvorgänge in lebenden Zellen. K. sächs. Akad. d. Wiss. XV., 491. 2 L. c. p. 553. 3 Bot. Zeitg., XL!., 0, 98 (1883). 230 V. Gräfe, Aufnahme von molekularem Sauerstoff unter Wasserzersetzung oxydieren; das entstehende Wasserstoffsuperoxyd vermag dann unter Einwirkung -von Fermenten Oxydationen mit ähn- licher Energie auszuführen wie der atomistische Sauerstoff. Später teilte dann Reinke^ die Versuche Brenstein's^ mit, welcher bei Pflanzenteilen, die durch Erhitzung auf 100° getötet waren, noch beträchtliche Kohlensäureabgabe und Zer- setzung von Glykose konstatieren konnte. Wiewohl nun die durch tote Oxydation gebildete COg menge in gar keinem Ver- hältnis zu der im Lebensvorgange durch die physiologische Verbrennung extrahierten steht, ist doch die Vermutung, welche Moritz Traube^ zuerst im Jahre 1858 ausgesprochen hat, daß auch die physiologische Verbrennung im Prinzip ein katalytischer Prozeß sei, nicht von der Hand zu weisen. In neuerer Zeit hat A. Bach'^ die Entstehung von Peroxyden im Organismus bei den Oxydationsvorgängen der physiologischen Verbrennung nachgewiesen. Nach Bach und Chodat^ enthält die lebende Zelle zu diesem Zwecke Oxydasen^ und Per- oxydasen, von welchen die Peroxydase die weitaus beständigere ist. Nach Bertrand'' wird die spezifische Wirkung der Oxydase durch Zusatz von Manganosulfat stark beschleunigt. Das Wesentliche an den Untersuchungen von Bach und Chodat für unsere Frage ist der experimentelle Nachweis, daß Peroxyd- bildung auch während des Lebens der Zelle stattfindet, während ja von Pfeffer die Anschauung ausgesprochen wurde, daß die im Pflanzensaft beobachteten Oxydationsvorgänge eine post- mortale Erscheinung seien. Kolkwitz'' hat die Beobachtung gemacht, daß die »Atmung« nicht ausblieb, auch wenn Samen 1 Ber. d. Deutschen bot. Ges. 1887, Bd. V, p. 216. 2 Über die Produktion von Kohlensäure durch getötete Pflanzentcile. Brenstein, Rostockcr Dissertation 1887, zitiert bei Pfeffer, O.xydations- vorgänge, p. 509. 3 Neumeister, Betrachtungen über das Wesen der Lebenserscheinungen Jena 1903, p. 90. 4 Compt. rend. Tome CXXIV, p. 951 (1897). 5 Ber. d. Deutschen ehem. Ges. XXXV. (1902), 2466. 6 Kastle u. Leonhart, Am. ehem. Journ. 26, 539 (1901). ■ Compt. rend. 124, 1335 (1887). 8 Ber. d. Deutschen bot. Ges. 1901, Bd. XIX., 285. Atmung und tote Oxydation. 231 mehrere Stunden auf 100° erhitzt worden waren. Beyerinck^ äußert sich folgendermaßen: Hefe, die durch mehrere Stunden auf über 100° erhitzt worden ist und infolgedessen keine Ent- wicklungsfähigkeit besitzt, kann nicht als tot bezeichnet werden. Der Gesamtorganismus als solcher ist jedenfalls tot, denn er assimiliert nicht mehr und ist nicht mehr entwicklungsfähig. Zerlegen wir ihn aber in seine Konstituenten, so sind diejenigen, welche als Sitz der Assimilationstätigkeit und des Wachstums zu bezeichnen sind, jedenfalls tot, nicht aber die übrigen Kon- stituenten der Zelle, welche mit Assimilation nnd Wachstum direkt nichts zu tun haben, denn es ist fraglich, ob diese je- mals als lebend zu betrachten waren. Maximow^ konstatierte an dem Preßsaft aus dem Mycel von Aspergillus niger einen der Atmung analogen Gaswechsel, welcher das Resultat der Tätig- keit zweier verschiedener Enzyme ist, einer höchst widerstands- fähigen Oxydase, welche die Sauerstoffaufnahme besorgt und eines labilaren COg abspaltenden Enzians, welches auch in Wasserstoffatmosphäre gleich energisch arbeitet, während Brenstein in seinen Versuchen ein Aufhören der COgabgabe im Wasserstoffstrome beobachtete. So wie ich, fand auch Maximow, daß die Sauerstoffaufnahme noch vor sich geht, wenn die COg abgäbe längst aufgehört hat. Schon Pfeffer^ hat daraufhingewiesen, daß beide Prozesse nicht unmittelbar zu- sammenhängen müssen, sondern genetisch verkettet, durch Zwischenprozesse getrennt sein können. Auch Kostytsche w ^ spricht die Vermutung aus, daß COgausscheidung und Sauer- stoffabsorption zwei gesonderte Vorgänge sind. Daß die Oxy- dasen imstande sind, Glykose zu oxydieren, hat schon Hahn^ beobachtet. Was die Ergebnisse meiner eigenen Versuche an- langt, möchte ich sie folgendermaßen zusammenfassen: 1 Zentralbl. f. Bakt., II. Abt., 3, 454 (1897). 2 Ben d. Deutschen bot. Ges., XXII., 4, (1904), 225. 3 L. 0. 492. ■i Frings heims, Jahrb. d. wiss. Bot. XL, 4, 588. Über die normale und die anaerobe Atmung bei Abwesenheit von Zucker. Bgr. d. Deutschen bot. Ges. Bd. XXII., pag 207 (19Ö4). Über Atmungsenzyme der Schimmelpilze. ä Chem. Vorgänge im zellfreien Gewebesaft von Arum m. Ber. d. Deutschen ehem. Ges. XXXIII., 3555 (1900), ferner: Scheel, Ber. d. Deutschen bot. Ges. XX., 98 (1902). Sitzb. a. mathem.-naturw. Kl-; CXJV. Bd., Abt. I. 16 232 V. Gräfe, 1. Die verwendete Preßhefe zeigte auf lOprozentiger Rohr- zuckerlösung nach vorhergegangener progressiver Erhitzung im lufttrockenen Zustande eine vorübergehende Erhöhung so- wohl derAtmungs- als auch der Gärtätigkeit bis 50°, worauf mit Steigerung der Temperatur eine allmähliche regelmäßige Inten- sitätsabnahme beider Prozesse bis 110° stattfand. Das prpzen- tische Verhältnis der in den beiden korrespondierenden Vor- gängen ausgeschiedenen CO^mengen erhielt sich bis zu diesem Punkte fast konstant. 2. Bei 130° erscheint der größte Teil der Zymase unwirk- sam gemacht, die ausgeschiedene CO^ fällt zum größten Teil auf Rechnung der toten Oxydation, welche an diesem Punkte eine viel stärkere Exhalation von COg und Aufnahme von Sauerstoff zeitigt, als dies während der mit der Gärung kor- respondierenden physiologischen Verbrennung der Fall war. CO2 abgäbe und Sauerstoffaufnahme sind offenbar das Werk von Fermenten, denn dieselben Erscheinungen kehrten wieder, wenn der Organismus durch rein chemische Mittel getötet, die Wirkung der toten Oxydation geprüft und dann noch auf die Entfernung der Fermente hingewirkt worden war. Bei 190° erfuhr die tote Oxydation eine rapide Verminderung, ohne jedoch gänzlich aufzuhören, vermutlich durch Ausschaltung der Fermentwirkung, die im bedeutend geschwächten Maße — vielleicht durch einen anorganischen Katalysator — fortgesetzt wurde, um zv/ischen 200 bis 205° völlig eingestellt zu werden. 3. Die mit COg exhalation verbundene Oxydation der brad- oxydablen Substanzen tindet nach erfolgter Erhitzung des Organismus auf 205° nicht mehr statt, wohl aber noch eine weitere geringe Aufnahme von Sauerstoff, so daß die Ver- mutung eines getrennten, wenn auch korrelativen Ablaufes beider Prozesse, etwa durch das Wirken zweier verschiedener entsprechender Enzyme, nahe liegt. 4. Ganz analoge Verhältnisse wurden bei getöteten Blättern von Eupatorium adenoplionim beobachtet. 5. Ob die tote Oxydation ganz allgemein so zur Geltung kommt wie in den untersuchten Fällen und ob sie sich erst postmortal einstellt oder vielleicht schon in der physiologischen Atmung und tote Oxydation. 233 Verbrennungstätigkeit des lebenden Plasmas enthalten ist, kann auf Grund der angestellten Versuche noch nicht ent- schieden werden. Es ist mir eine angenehme Pflicht, meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Hofrat Prof. Dr. Julius Wiesner, der meine Untersuchungen jederzeit mit Rat und Tat förderte, auch an dieser Stelle meinen ergebensten Dank auszusprechen. 16* V. Gräfe: Atmung und tote Oxydation. Figur IV. Figur I. Sitzungsberichte d. kais. Akad. d. Wissensch., math.-naturw. Klasse, Bd. CXIV, Abt. I, 1905. SITZUNGSBERICHTE DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAITEN. MATHEMATISCH - NATURWISSENSCHAFTLICHE KLASSE. CXIV. BAND. IV. HEFT. ABTEILUNG I. ENTHÄLT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER MINERALOGIE, KRYSTALLOGRAPHIE, BOTANIK, PHYSIOLOGIE DER PFLANZEN, ZOOLOGIE, PALÄONTOLOGIE, GEOLOGIE, PHYSISCHEN GEOGRAPHIE UND REISEN. 237 Ein Beitrag zur Kenntnis der Zellteilungs- vorgänge bei Oedogonium von Guido Kraskovits in Wien. Aus dem k. k. botanischen Institut der Universität in Wien. (Mit 3 Tafeln und 11 Textfiguren.) (Vorgelegt in der Sitzung am 11. Mai 1905.) Allgemeines. Die Familie der Oedogoniaceen mit ihren Gattungen Oedogonium, Bulbochaete und Oedocladütm zeichnet sich unter den grünen Algen durch Eigentümliclil^eiten aus, welche viel- fach Gegenstand eingehender Behandlung von Seite der botani- schen Forschung waren. Nicht so sehr die Zahl der Arten und die fast kosmopolitische Verbreitung waren es, die seit fast fünf Dezennien das Interesse der Botaniker wachriefen, viel- mehr die merkwürdigen Vorgänge bei der Zellteilung waren die Ursache. Wohl wenige, wenn man so sagen darf, näher- stehende Gattungen, z. B. Mikrospora, haben sich nach den neuesten Forschungen mit einem ähnlichen Wachstum den Oedogoniaceen zur Seite stellen lassen. Die Familie ist durch intercalares Zellenwachstum aus- gezeichnet, dessen Eigentümlichkeit ich im nächsten Teile meines Themas kurz darlegen will. Die Wachstumsprozesse sind bei der Gattung Oedogonium am genauesten studiert worden, einerseits weil, wie früher erwähnt, diese Gattung ver- breitet ist, andrerseits, da hier jene interessanten Vorgänge am deutlichsten zu Tage treten. N. Pringsheim war einer der ersten, die das Wesen des Wachstums genauer erforschten; seine diesbezüglichen 238 G. Kraskovits, Publikationen 1 fallen in die Jahre 1854 und 1858. Fast gleich- zeitig beschäftigten sich A. de Bary, H.v. Mohl und Th. Hartig mit demselben Stoffe. Resultat dieser Periode war die Anerkennung von Prings- heim's Lehre; die andern Arbeiten konnten gegenüber der Autorität der ersteren keine dauernde Geltung erlangen. W. Hof- meister behandelte in seiner »Lehre von der Pflanzenzelle« (1867) die Frage aufs neue und schloß sich hauptsächlich Pringsheim an, dessen Ansicht er auch andern Botanikern gegenüber verteidigt. Im Jahre 1854 hatte L. Dippel einiges über das Wachstum von Oedogonium publiziert, doch kam diese Arbeit vor Pringsheim nicht in Betracht; erst 14 Jahre später (1868) hat er in seinem Werke »Das Mikroskop« neue erweiterte Gesichtspunkte darüber klar dargelegt. N. Wille veröffentlichte im Jahre 1880 Resultate seiner Untersuchungen bei Oedogonium. (Eine Übersetzung dieser norwegisch geschriebenen Arbeit erschien später in größerer Ausführung in Band XVIII von Pringsheim's Jahrbüchern, 1887.) Zur selben Zeit hat auch E. Strasburger Beobach- tungen über den gleichen Stoff in »Zellbildung und Zellteilung« publiziert. Schließlich hat in jüngster Zeit K. E. Hirn in seiner großen Monographie der Oedogoniaceen (1901) der Frage eine neue bemerkenswerte Deutung gegeben. Wenn man die Literatur der letzten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts überblickt, ersieht man daraus, daß wohl am längsten Pringsheim's Lehre allgemeine Geltung hatte; erst die neuesten botanischen Werke von Warming, West und Oltmans schließen sich Hirn's Ausführungen an. Auf Anregung meines verehrten Lehrers Prof. v. Wett- stein trat ich diesem Thema näher, zuerst in der Absicht, es auf Grund der vorhandenen Literatur vom systematischen Standpunkte zu behandeln; bei der Untersuchung traten aber bald Resultate zu Tage, die von den bisher bekannten Ergeb- nissen abwichen, weshalb ich mich bewogen fühlte, das Wachs- tum von Oedogonimu zuvor genauer aus eigener Anschauung 1 Näheres siehe Literaturverzeichnis. Zellteilung bei Oedogonium. 239 kennen zu lernen, bevor ich an die Beantwortung einer andern Frage schreiten konnte. Die hiebei gewonnenen Resultate bilden den ersten Teil meines Themas in vorliegender Arbeit. An dieser Stelle möchte ich nicht verabsäumen, denjenigen Herren, welche mir bei der Ausführung der Untersuchungen Hilfe und Unterweisungen angedeihen ließen, meinen beson- deren Dank auszusprechen. Es sind dies die Herren Dr. K. E. Hirn, Jyväskylä (Finnland); Dr. O. Forsch, Assistent am k. k. botanischen Institut, Wien; Prof. Dr. R. v. Wettstein, Direktor des k.k. botanischen Institutes, Wien; Prof. Dr. N.Wille, Direktor des botanischen Gartens, Christiania. Spezieller Teil. Das Wachstum von Oedogonium. Unter intercalarem Wachstum versteht man in vorliegendem Fall ein auf eine bestimmte Zellwandregion lokalisiertes Längenwachstum, wodurch die Zelle gleichsam ruckweise schnell an Länge gewinnt. Pringsheim hat die dabei mit- wirkenden und ausgebildeten Teile der Zelle mit besonderen Namen belegt, die ich im folgenden beibehalten habe. Betrachtet man einen Zellfaden von Oedogonium, der deut- liche Polarität aufweist — »oben« und »unten« sind stets auf die Lage zur Befestigungsstelle (Rhizoid) bezogen — , so sieht man in einzelnen Zellen symmetrisch zu beiden Seiten in der oberen Region einen stark lichtbrechenden Körper, »Tropfen«, der Zelhvand anliegen. Es ist dies der optische Durchschnitt eines an der Innenfläche der Membran ringförmig verlaufenden Wulstes. Pringsheim nannte diese Bildung »Ring« oder »Zell- stoffring«. Nebenbei finden sich in der Literatur noch die Be- zeichnungen »Zellhautring« und »Zellulosering«, Namen, welche auf Grund der chemischen Reaktion dieses Gebildes derart gewählt wurden. Dieser Ring bezeichnet die Stelle, an der das intercalare Wachstum vor sich geht. Nach einiger Zeit nach dem Auftreten des Ringes reißt die umgebende Membran in der zur Zellen- längsachse normalen Symmetrieebene des Ringes auf, es treten die Rißslücke der Zellwand auseinander und dazwischen schiebt 240 G. Kraskovits, sich ein neuer, durch Ausdehnung des Ringes entstandener Membranzylinder ein. Dadurch hat die Zelle in kurzer Zeit eine bedeutende Zunahme an Länge erfahren. Das Auftreten einer Querwand läßt die Zweiteilung vollendet erscheinen. Da der Ring im oberen Teile der Zelle angelegt wird, zer- fällt die umhüllende Membran beim Aufreißen in zwei ungleiche Teile, einen kürzeren oberen, die »Kappe«, und einen längeren unteren, die »Scheide«. Scheide und Kappe sind stets scharf gekennzeichnet, indem die Außenfläche der neuen, dem Ring entstammenden Membran um die Breite der Rißfläche der Kappe oder Scheide von deren Außenfläche nach innen verschoben erscheint. Im optischen Durchschnitt erscheint dort eine stufen- artig verlaufende Begrenzungslinie, welche dadurch zu stände kommt, daß bei jeder weiteren Ringbildung dieser etwas unter- halb der letzten Kappe oder Scheide angelegt wird. Die Quer- wand wird immer etwas über der Mündung der Scheide ange- legt; es resultieren sonach zwei Zellen, eine » Kap penz eile« und eine »Scheidenzelle«. Die Deutungen, welche die eingangs genannten Botaniker über den Wachstumsprozeß, Auftreten und Entwicklung des Ringes gegeben hatten, sind verschieden; es lassen sich zwei Gruppen unterscheiden. Die einen, Pringsheim, Hofmeister, Wille, Strasburger und H im, faßten den Ring als eine lokale, nur auf jene Stelle beschränkte Bildung auf; die andern. De Bary, teilweise auch v. Mohl, besonders aberDippel, gaben ihrer Meinung dahin Ausdruck, daß die Ringbildung mehr oder minder mit der Ausbildung einer neuen Membranschichte im Inneren der Zelle zusammenhinge. Nach ersterer Auffassung wäre stets nur der Ring und sein Produkt, der intercalare Membranzylinder, s a m t Q u e r w a n d e i n e n e u e B i 1 d u n g . w ä h r e n d d e r ü b r i g e Teil der entstandenen Tochterzellen von den Resten der primären Membran umkleidet wäre. Auch bei fort- gesetzter Teilung müßte dieses Verhältnis weiterbestehen. Es würde stets bei einer Teilung die »obere« Zelle zum Teile mit der von der letzten Teilung herrührenden älteren Membran (Kappe) und dem gestreckten Ringe mit Scheidewand als neuen Bildungen beorenzt sein. Die untere bliebe gleichfalls immer Zellteilung bei Oedogonium. 24 1 von einer alten Membran (Scheide) jimd von der neuen, nach oben abschUeßenden Quermembran eingeschlossen. Nach der zweiten Darstellung bildete sich an der Innenfläche der Membran eine neue Schichte aus, von der eine Einfaltung den Ring darstellte. In diesem Falle würden beide Zellen stets von einer neuen Hülle umgrenzt sein. Die einzelnen Details vorstehender Ansichten werden an den ent- sprechenden Stellen im Text zitiert werden. Bei meinen Untersuchungen habe ich ein großes Mikro- skopstativ von Leitz (Nr. A) verwendet, welches sich durch die Einrichtung des federnden Tubus als besonders zweckmäßig erwies. Diese Einrichtung konnte mit Erfolg bei nötiger Vor- sicht zur Erzielung von Quetschpräparaten unter Objektiv und Deckglas benützt werden. Von Objektiven standen mir zur Verfügung: Trockensysteme 3, 8 (Leitz) und 6-"^ (Apochrom. Reichert). Wasserimmersion X (Reichert); homog. Immersion 1/16 (Leitz). Mit entsprechenden Okularen konnten Vergröße- rungen bis 1800X erzielt werden. Es schien mir unbedingt nötig, eine gute Ausrüstung zu verwenden, um nach Möglichkeit Beob- achtungsfehler optischen Ursprunges auszuschließen; zudem wurden die meisten Präparate noch von andern Herren freund- lichst kontrolliert, um Subjektivität tunlichst einzuschränken. Anbei sollen kurz die verwendeten Farbstoffe und Reagentien angeführt werden. Die Farbstoffe waren Fabrikate von Dr. Grübler in Leipzig; zur Verwendung kamen: Benzoazurin, Kongorot, Eosin, Fuchsin, Jodgrün, Methylenblau, Safranin, Thionin und Vesuvin. An Reagentien wurden benützt: Chlorzinkjod, Kupfer- oxydammoniak konz., Eau de Javelle konz., Eisen- chlorid, Ferrocyankalium, Jodjodkali, essigsaures Kali, Kalilauge, Millon's Reagens, Milchsäure konz., Phosphorsäure konz., Rohrzucker in 25 bis 707o wässe- riger Lösung, Schwefelsäure 2 bis 25 7o; alle Lösungen wurden nach Tunlichkeit zu jedem Versuche frisch bereitet. Das Material von Oedogonmm, welches mir lebend zur Ver- fügung stand, stammte teils aus den k. k. Wiener botanischen 242 G. Kraskovits, Instituten, teils aus der Wiener biologischen Versuchsanstalt; und zwar aus vier Kulturen. Kultur I (k. k. pflanzenphysiologisches Institut) enthielt eine freischwimmende Form. Kultur II (ebendas.). Formen auf Vallisneria befestigt. Kultur III (biologische Versuchsanstalt). Formen frei- schwimmend. Kultur IV (k. k. botanischer Garten). Gleichfalls frei- schwimmende Formen. Da der größte Teil des Materials steril war — nur wenige Oogonien waren vorhanden — war ich außer Stande, selbst eine genaue Bestimmung vorzunehmen. Ich sandte deshalb konservierte Proben an Herrn Dr. Hirn, welcher dieselben freundlichst bestimmte, wofür ihm noch speziell gedankt sei. Es waren vielfach Kulturformen vorhanden, außerdem ließ sich wegen der Sterilität nicht immer etwas Genaues aussagen. Nach Dr. Hirn enthielten die Kulturen: I. Sterile Fäden, wahrscheinlich von Oedogonütm crispnm (Hass.) Wittr.,1 nebenbei Oedog. Vaucherii (Le Gl.) AI. Br.^ II. Gleichfalls durch die Kultur stark beeinflußte Formen (dürften wohl den obgenannten Arten angehören). Vielleicht statt Oedog. crispum eine andere nicht näher bestimmte Art (nach meinen Beobachtungen). in. Überwiegend Oedog. crispum fruktifizierend. IV. Oedog. Vaucherii fruktifizierend (wenig). Mit Sicherheit habe ich also als Basis meiner Unter- suchung zwei Arten mit Kulturformen gehabt. Die Beob- achtungen habe ich stets an allen Proben angestellt. Um im folgenden Teile die Zitation zu erleichtern, werde ich auf die Kulturen unter Oedog. I, Oedog. II u. s. w. Bezug nehmen. Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß alle Untersuchungen an lebendem Material vorgenommen wurden; dieser Umstand sowie die Art der benützten Reagentien gestatteten nicht, von den beweisenden Stellen Dauerpräparate herzustellen. Ausnahmsweise versuchte ich zum Vergleich auch an Exsikkaten, da mir die Zahl der lebenden Arten zu gering 1 Cf. Hirn, Monogr., p. 159. 2 » » » » 97, Zellteilung bei Oedogoninm. 243 erschien, Beobachtungen anzustellen. Verwendet wurden Oedo- gonium capillare var. natans Ktz. (ex herb. Rabenhorst.) und Oedogoninm aeruginosnin Rbh. (ex herb. Rbh. 1854). Die Vorpräparation erfolgte mit Milchsäure nach Lagerheim's Methode. Zur Beobachtung der Teilungsvorgänge von Oedogonmm eignen sich Zellfäden, die nicht allzusehr mit Reservestoffen angefüllt sind, da diese die Untersuchung erschweren. Wählt man eine günstige Zelle, in der der Prozeß eben erst beginnt, sieht man im apikalen Ende den früher erwähnten hell leuch- tenden Körper, der anfangs sehr klein ist, beiderseits den Inhalt zusammenschnüren. Es ist dies die erste Anlage des Ringes; eine Spur einer Schichtung ist sichtbar, der Körper selbst dürfte gleichartige Substanz besitzen. Vielfach wurde dieser primäre Ring als Ausscheidungsprodukt des Plasmas angesehen; seine Konsistenz ist nicht dieselbe wie die der umgebenden Membran. Man hielt ihn für eine schleimige zähflüssige Masse. Nach Hofmeister ist der Ring im Jugendzustand zähflüssig, bestehend aus einer im Wasser nicht zu verteilenden Substanz. Hirn nennt ihn «Ringschi eim« und faßt ihn als Ausscheidungsprodukt des Plasmakörpers auf. Er erwähnt in seiner Monographie einen interessanten Ver- such (p. 8). Stellte er von Oedog. Landshoroughii, das sich in einer 8% Rohrzuckerlösung befand, je eine Kultur im Dunkeln und bei Licht auf, trat in den Zellen Plasmolyse ein, die ver- schieden stark war. Wo eine junge Ringanlage war, zog sich der erwähnte helle Körper (Ringschleim) mit dem Plasma von der Membran zurück, jenes immer noch sanduhrförmig einschnürend. Er war also jetzt von der Membran, der er früher ange- legen, isoliert, welche Beobachtung dem genannten Forscher als Basis diente, anzunehmen, der Körper wäre ein Ausschei- dungsprodukt des Plasmas. Wille (II) faßte dieses Stadium des Ringes als eine durch Intususzeption entstandene wasser- reiche Schicht (wasserhaltige Zellulose) der Membran auf. Nach Strasburger (I) beginnt die Ringanlage als eine schmale Verdickungsleiste an der Innenseite der Zellwand. Er vergleicht die junge Anlage mit einer jungen Querwand von Spirogyra 244 G. Kra.skovits, und meint, das Phänomen der Ringbildung sei einer derartigen Scheidewandbildung ganz ähnlich. Bei Anwendung von Chlorzinkjod tritt eine Violettfärbung ein, die in Stärke des Tones von der der Membran abweicht; gewöhnlich ist letztere schwächer gefärbt. Blaufärbung zeigt der Ring bei Einwirkung von Jod und Schwefelsäure (cf. Stras- burger, bot. Prakticum, 1902, p. 144). Interessant war das Verhalten dieser Ringmasse bei Behandlung mit einer wässerigen Thioninlösung. Diese muß sehr verdünnt sein und nur eine schwache saphir- blaue Farbe besitzen, im Tropfen fast farblos sein. Läßt man ein oder mehrere Tropfen unter dem Deckglase zum Objekt hinzutreten, kann man nach einiger Zeit — es kann mitunter eine halbe Stunde dauern — beobachten, wie genau von der Befestigungsstelle des Ringes an der Membran eine anfänglich schwache rotviolette Färbung beginnt, welche ex- zentrische Schichten, ähnlich denen eines Kartoffelstärkekornes, im optischen Durchschnitte des Ringes erkennen läßt. Hat die Färbung ihr Maximum erreicht, dann erscheint das der Be- festigungsstelle zugewendete Zentrum der Schichten tief ame- thyst-violett gefärbt, während die übrigen Partien des Ringes, die zwischen den Schichtkonturen liegen, nur eine schwache Färbung aufweisen. Die Zellmembran ist gleichfalls nur wenig fingiert. [Diese differente Färbung kann man nur bei Anwendung einer schwachen Lösung erzielen, andernfalls sich alle Teile sofort ohne Unterschied dunkel färben.] (Fig. 1, Tab. II.) Bei starker Vergrößerung sieht man die gefärbte Fläche an der Befestigungsstelle gleich einem spitzen Dreieck in die äußere Hüllmembran hineinragen. Man kann daraus folgern, daß der Ring der inneren Membranfläche nicht bloß anliegt, sondern noch etwas in sie hineinragt. Günstig wirkt auch Plasmo- lyse. Dazu erwies sich eine Rohrzuckerlösung in Wasser (von 25 7o konzentr.) als sehr geeignet. Vom besten Erfolge war die Anwendung einer 25% Zuckerlösung, der 10 bis 20 Tropfen Thioninlösung zugesetzt waren, begleitet. (Bei 50% Lösung geht der Versuch schneller vor sich, jedoch bleibt das Bild nicht so instruktiv.) ' Zulltcilung bei Oedogoniitin. 245 FiL^ 1. In einem mit vorstehender Lösung behandelten Zellfaden tritt rasch Plasmolyse ein; das Plasma zieht sich kräftig zu- sammen; der helle Körper (Ring) löst sich aber nicht von der Zellwand los, sondern bleibt an seiner Basis mit ihr in Verbindung; an der entgegengesetzten, dem Plasma zugewendeten Seite schwillt er an und folgt dem zurück- weichenden Protoplasten (Fig. 1). Der früher kreisförmige Durchschnitt des Ringes wird ellipsoidisch. Daß der Ring wirklich noch mit der Mem- bran in Verbindung ist, kann man deutlich sehen, wenn das zugesetzte Thionin zu wirken beginnt. Es nimmt die Fär- bung wieder von der Basis des Ringes ihren Anfang und verbreitet sich langsam und schwächer als im nicht plasmo- lysierten Zustand über die Querschnittsfläche des Ringes im Gesichtsfelde. Dies ist ein deutlicher Beweis, daß selbst bei so starker Plasmolyse die Ringsubstanz von der xMem- bran nicht losgelöst wird. Die ausgedehnte Ringmasse zieht sich bei Aufhebung der Plasmolyse durch Wasserzusatz nur unbedeutend zurück, das Plasma hingegen schließt sich eng an dieselbe in ihrer gegenwärtigen Ausdehnung an. Ich kann auf Grund dieser oft wiederholten und stets vom gleichen Resultat begleiteten Beobachtungen mich an Hirn's Darstellung der Wirkung seiner Zuckerkultur nicht anschließen und ein Lostrennen der Ringmasse nicht bestätigen. Man kann bei obigem Versuch auch in vielen andern Zellen dilatierte Ringe sehen, wo man früher nichts oder nur wenig davon bem.erkt hatte. Durch die Plasmolyse schwillt der Ring, selbst wenn er sehr jung ist, an und wird als solcher durch die nachfolgende Thioninfärbung leicht er- kannt. Wird die Plasmolyse eventuell mit stärkerer Lösung weiter fortgesetzt, dehnt sich der Ring noch weiter nach dem Zellinneren aus, bis sich schließlich die Teile von rechts und links (im Gesichtsfeld) in der Mitte fast 246 (1. Krasküvits, berühren. In Wirklichkeit bildet der Ring jetzt eine durch- löcherte Platte, die das Plasma einengt. Das Plasma kann bis auf einen dünnen Faden zusammengeschnürt werden (Fig. 4, Tab. II). Es kann nun die Membran an den Stellen, wo später die Öffnung erfolgen sollte, durch Druck — oft auch von selbst durchreißen; in diesem Augenblicke treten Kappen und Scheidestücke rasch auseinander und die ausgedehnte Ring- masse, die noch eine zarte Färbung nach Thionin zeigt, füllt den Raum zwischen dem stark kontrahierten Plasma und der geometrischen Verbindungsfläche von Kappe und Scheide voll- ständig aus (Fig. 2, 4, 5, Tab. II). Schließlich kann der ganz dünne Plasmafaden, welcher an der eingeschnürten Stelle durch wenige Chlorophyllkörner gekennzeichnet ist, voll- ständig reißen. Es ist dann der Zellinhalt in zwei getrennte Teile gesondert, der eine liegt in der Höhlung der Kappe, der andere in der Scheide (Fig. 5, Tab. II). Zwischen den beiden Inhaltsportionen breitet sich die Ringmasse aus, welche gegen- wärtig eine schleimige, halbflüssige Beschaffenheit zeigt; sie ist unter Wasseraufnahme jedenfalls stark quellbar. Später ver- schwindet die schwach gefärbte Masse langsam, wahrschein- lich durch vollständige Verteilung im Wasser. Obiges Verhalten des jungen Ringes, seine bleibende Ver- bindung mit der Membran und der Umstand, daß die Färbung an einer bestimmten Stelle in die Membran hineinreicht, be- wogen mich zur Annahme, daß die jüngste Ringanlage — dem »Ringschleim« Hirn's entsprechend — ein Produkt der Membran sei, welches durch einen Verquellungsprozeß der letzteren entstünde. Möglich ist, daß dieser »Ringschleim« dem Befestigungsschleim an Rhizoiden von Oedogoniiim ähn- lich ist; dafür könnte das tinktorielle Verhalten mit Vesuvin und Methylenblau sprechen; Genaues läßt sich vorläufig absolut nicht aussagen. Betrachtet man nach Färbung mit Thionin die Basis des Ringes genauer, so sieht man die Ringmasse in die Membran hineinragen, sie gleichsam aushöhlen; ein dunkel gefärbter Zahn ist sichtbar, der gleich einer Wurzel die Fortsetzung des Ringes in die Membran bildet (Fig. 2 im Text). Manchmal hat der Beobachter bei nicht gefärbtem Präparat den Eindruck, Zellteilung bei Oeäogoniinn. 247 als ob ein dunkler Spalt sich dort in der Zellwand befände; es ist aber jedenfalls keine Höhlung im Sinn eines Spaltes vor- handen. Die Erscheinung ist wohl auf ein optisches Phänomen zurückzuführen. Strasburger und Wille geben davon verschiedene Dar- stellungen; diesbezüglich verweise ich auf die Originalarbeiten. Dieser Spalt ist nach meiner Überzeugung mit der vor- hin beschriebenen Fortsetzung der Ringbasis in die Membran identisch, welche Fortsetzung infolge anderer* Dichte, als die Zellwand sie besitzt, bei bestimmter Durchleuchtung dunkel er- scheint. Da nach den Angaben der Beob- achter das Aufreißen der Membran in nächster Nähe des Spaltes erfolgt, scheint mir dieser die spätere Rißstelle im voraus zu bezeichnen. Ruft man bei einer sehr jungen Ringanlage, wo noch gar keine Erhabenheit im Inneren der Zelle den Ring deutlich markiert, Plasmolyse hervor (mit zirka 30 7o Zuckerlösung), Schema. Fi«. 2. H Fiü-. 3. A Längsschnitt durch die Zellmembran. Der schraffierte Teil R zeigt die ver- quellende Zone an. Diese dehnt sich auf den punktierten Umfang aus. B Längsschnitt, zeigt die Masse ver- quollen. Von Substanz ist dieselbe Menge wie vor, doch hat sie größeres Volumen und eine geringere Dichte. V bezeichnet die verdünnte Stelle der festen Membran. tritt an der entsprechenden Stelle, gleichsam aus der Mem- bran hervorbrechend, der Ring hervor; es läßt sich an- nehmen, daß eine Zone der Hüllmembran ringförmig verquillt, durch Wasseraufnahme größeres Volumen annimmt und die primäre Ringmasse (Ringschleim) liefert (Textfigur 3, A, B). Die dadurch bewirkte Verringerung der Membran- dicke (F) ist zweckmäßig; sie erleichtert das Auf- treten des späteren Risses. Sitzb. d. mathein. -nnturw. Kl.; CXIV. Bd., Abt. I. 17 248 G. Kraskovits, Daß an dieser Stelle die Membran tatsächlich dünner ist als im übrigen Teile, beweist auch das Auftreten der Thionin- färbung; denn nur von dort und keiner andern Stelle beginnt die Farbe in den Ring einzudringen. Vielleicht übt die Ring- substanz eine Filterwirkung aus, wodurch das Zentrum des Ringquerschnittes so intensiv tingiert wird. Das verschiedene osmotische Vermögen der Versuchslösungen und der durch jene verdünnte Membranschicht getrennten Stoffe im Inneren der Zelle bewirkt, daß an dieser den geringsten Widerstand leistenden Stelle die Zucker- und Färbelösung am leichtesten in die Zelle tritt. Hirn meint, daß der Ringschleim beim Zerreißen der Membran über dem Ring eine Rolle spielte (1. c, p. 7). Dieser Ansicht kann ich mich auf Grund meiner Beobachtungen, die ich später genauer mitteile, vollkommen anschließen; es funk- tioniert dieser Ringschleim infolge seiner Quellbarkeit als Schwellkörper und treibt bei völlig »reifem Ringe« in be- stimmter Weise die Membran auseinander, ähnlich dem Schwell- gevvebe bei Cticurbita, welches die Samenhülle sprengt. Die Wirkung des Ringschleimes ist vielleicht noch am besten mit derjenigen der »stipites Laminariae« zu vergleichen. Bei Anwendung von Methylenblau in Wasser färbt sich der junge Ring außerordentlich stark im Vergleiche zur Membran; Vesuvin tingiert ihn ebenfalls stärker als seine Umgebung; Kongorot gibt deutliche Rotfärbung, die man nur gut nach Entfernung der Cuticula sieht. Benzoazurin färbt nach vorausgehendem alkalischen Bade blauviolett. Eine Blau- färbung durch Turnbullblau, die sonst mit Vorteil zum Nachweise von Gallerte- oder vSchleimbildungen bei Algen ^ verwendet wird, konnte im Ringschleim nicht erzielt werden. Mit Hämatoxylin erhielt ich keine nennenswerten Resultate, wogegen nach Klebahn der Ring sich abweichend von der übrigen Zellwand kräftig färben soll. Alle bisher angeführten Versuche habe ich an allen Kulturproben mit Erfolg durch- geführt; am besten gelangen sie bei Oedogonitim Vaitchen'i und Oedogonmm crispiim t3^pischer Form. i Cf. Strasbuiger, Bot. Praktikum, p. 365. Zellteilung bei Oedogonium. 249 Wird ein weit vorgeschrittenes Entvvicklungs- stadium der Ringanlage als Versuchsobjekt gewählt, sieht man bei mikroskopischer Betrachtung auch ohne Verwendung von Tinktionsmitteln, daß der Ring, der nun ziemlich groß ist und die doppelte Dicke der zunächst liegenden einfachen Membran erreichen kann, deuthch aus zwei verschiedenen Schichten besteht; diese zeigen ein verschiedenes optisches Verhalten. Hirn gibt eine genaue Beschreibung derselben in seiner Monographie wieder. Der Ring besteht im aus- gebildeten Zustand aus einem zentralen Teile, dem früher erwähnten Ringschleim, und einer äußeren Schichte, welche sich gegen das Plasma scharf abgrenzt. Letztere neu auf- getretene periphere Schicht stellt die Anlage derjenigen Mem- bran dar, welche nach dem Aufreißen der Zellmembran die getrennten Teile derselben (Kappe und Scheide) verbindet. Die Basis, mit welcher der Ring der Zellwand anliegt, ist verschieden dargestellt worden, so daß ich einiges darüber erwähnen möchte. Sachs bildet einen Querschnitt des Ringes ab; nach diesem Bild ist der Ring durch eine verschmälerte trägerartige Leiste mit der Membran in Verbindung. Ohne auf die Erklärung von Sachs näher einzugehen, kann ich mir auf Grund der Ergebnisse der letzten °' bedeutenden Forschungen von Hirn das ^ Ringbildung nach Sachs Entstehen eines derartigen Ringes und (schematisiert). die folgende Entwicklung von Kappe und Scheide nicht vollständig erklären (Textfig. 4). Es ist vielfach eine Basis vorhanden, die schmäler als der Querschnittsdurch- messer ist; auch Wille weist auf diesen Umstand hin. Eine derartige Leiste, wie Sachs sie zeichnet, konnte ich nie finden, obgleich ich verschiedenes Material schon vor Ausfülirung dieser Arbeit gesehen hatte. Im Jugendstadium des Ringes ist es gewöhnlich der Fall, daß die Basis schmal ist; später kann sie verschiedene Breite erlangen. Bei den Formen, die mir vorlagen, hatte der ausgebildete Ring ziemlich breite Basis. Die Größe des Ringes und die Ausdehnung der Basis variieren nach den verschiedenen Spezies. 17* <£)«' 250 G. Kraskovits, Die periphere Ringschicht scheint ober- und unterhalb der Basis des Ringschleimes mit der Membran vereinigt zu sein; dies geht auch deutlich aus den Darstellungen von Prings- heim, Hofmeister und Hirn hervor, welch letzterer schreibt (p. 7): »...Die den Schleim umgebende peripherische Ringschicht ist nicht etwa eine Falte der ursprüng- lichen Mutterzellwand, sondern wird, nachdem der Pro toplast zuerst den Ringschleim ausgeschieden hat, als eine innere Membranschicht angelegt, die ober- und unterhalb des Ringes mit der alten Membran dicht verwachsen ist.* Als ich gelegentlich einen mit Vesuvin lebend gefärbten Faden von Oedogonium Vaucherii (Kultur II), der eine unver- letzte Scheitelzelle mit mehreren Kappen trug, untersuchte, sah ich nach einiger Zeit, während welcher ein Druck auf das Deck- glas ausgeübt worden war, die Kappen losgetrennt darüber- liegen (Fig. 10, 12, Tab. II). Die Scheitelzelle hatte keine Kappe mehr aufgesetzt und besaß eine deutliche Membran, die sie gegen die Stelle, wo die Kappen früher aufsaßen, abgrenzte. Im gleichen Material fand ich eine Scheitelzelle von merkwürdiger Form vor, welche offenbar eine Wachstums- hemmung durch Kultur vorstellte; sie zeigte mehrere Ring- anlagen übereinander (Fig. 15, Tab. II), Diese Beobachtung stimmte mit den Deutungen Pringsheim's, Hofmeister's und Hirn's nicht überein und ließ vermuten, daß die Anlage der peripheren Ringschicht nicht nur auf die viel- besprochene Stelle lokalisiert und mit der Zellmem- bran verwachsen sei, sondern daß jeder Ringbildung eine selbständige innere Schicht entspräche, von der ein Teil die periphere Umkleidung des Ringschleimes darstellte. Demzufolge müßte der Vorgang der Teilung ein anderer sein, als ihn die zitierten Autoren darstellten. Wird eine Zelle mit ausgebildetem Ring genau wie beim ersten Versuch mit Thioninzuckerlösung behandelt und ist die Zellmembran schließlich zum Aufspringen gebracht worden, haben sich also Kappe und Scheide mit ihren Plasma- anteilen voneinander entfernt, sieht man folgendes Bild: Der aufgequollene, gefärbte Ringschleim, der im ersten Versuche Zellteilung bei Oedogoninin. 251 dicht an das Plasma grenzte, ist jetzt davon etwas entfernt; dazwischen erstreckt sich eine fast farblose Schichte, die bereits vorhandene Innenmembran. Sie entspricht der peri- pheren Ringschicht Hirn's und verhindert ein völliges Reißen der Plasmabrücke zwischen Kappe und Scheide. Der- Ring- schleim kann das Plasma auch nicht mehr so stark ein- schnüren wie im ersten Versuche (Fig. 7, Tab. III). Dies zeigt, daß die innere Ringmembran erst nach vollständiger Aus- bildung des Zentralteiles (Ringschleim) angelegt wird, wie auch Hirn bestimmt erklärt. Bei der Bildung dieser Schicht ist zweifellos das Plasma tätig. Ein ähnliches Resultat kann auch gewonnen werden, wenn man eine günstige Zelle zuerst mit Methylenblau in Wasser stark färbt und hierauf kon- zentriertes Kupferoxydammoniak hinzufügt. Springt die durch das Reagens aufgequollene Membran auf, dann dehnt sich der Ring rasch aus, die periphere Ringschicht (Innen- membran) verliert ihre blaue Farbe; der schleimige Zentralteil behält bis 5 Minuten nach Berührung mit den umgebenden Flüssigkeiten seine Farbe. Man sieht ihn an der Berührungs- stelle deutlich gegen die angrenzenden Flüssigkeiten abge- grenzt. Es ergibt sich ungefähr das Bild des Durchschnittes durch die Linse des menschlichen Auges (vergl. Fig. 17, Tab. II). Untersucht man die Kappen einer mehrfachen Kappen- zelle, die mit Methylenblau gefärbt ist, wird man finden, daß von jedem Stufenwinkel des Kappenlängsschnittes eine mehr oder minder scharf markierte Linie ziemlich parallel mit der äußeren Begrenzung gegen den Scheitel des Kappensystems verläuft (Fig. 6, Tab. II). Bei Einwirkung von Kupferoxyd- ammoniak quillt die das Reagens berührende Kappenmembran und löst sich langsam auf; die eben genannten Linien treten scharf hervor, so daß man den Eindruck einer Schichtung im Kappensystem gewinnt. Bei längerer Einwirkung von verdünntem Kupferoxyd- ammoniak und Ausübung eines vorsichtigen Druckes auf das Deckglas, besser aber mit einer starken Lösung von essig- saurem Kali oder Phosphorsäure, gelingt es tatsäch- lich, die Kappen zu isolieren; leicht ist dies nicht immer 252 G. Kraskovits, ZU erzielen und es muß der Versuch öfter wiederholt werden, bis man zum gewünschten Resultat gelangt. Jede Kappen- schichte setzt sich nach oben fort und der Beobachter gewinnt das Bild mehrerer ineinander steckender Bechergläser. De Bary konnte mehrfache Kappen durch Anwendung von Schwefelsäure zuerst zum Quellen bringen und hierauf so viel Schichten erhalten, als Querstreifen vorhanden waren. Er vergleicht die Kappenschichten mit übereinanderliegenden Schälchen oder Hütchen; eine völlig selbständige Fortsetzung der Schichten nach oben hin beweist sein Versuch nicht. Hof- meister wollte in diesen Schichten und deren Fortsetzung nach oben nur einen Lichtbeugungssaum erblicken. Bei Anwendung von Kupferoxydammoniak erhielt er im Ring und der daraus entstandenen jungen Membran stets drei Schichten; auf Grund meiner Untersuchungen kann ich diese drei Schichten nicht erklären; die dritte äußere Schicht könnte vielleicht Cuti- cula sein, doch fehlt dafür jede sichere Annahme. Gegen die Untersuchungsergebnisse von De Bary hatte sich besonders Pringsheim gewendet, da eine derartige Auf- fassung mit seiner Untersuchung im Widerspruche stand. Es ist merkwürdig, daß er als Gegenbeweis eine Beobachtung anführt, die kein anderer der bedeutenden Beobachter gemacht haben dürfte. Pringsheim (II) behauptet nämlich, daß in einigen Fällen nach dem Aufreißen des Ringes die junge Ver- bindungsmembran anfänglich keinen x'Xn Schluß an die zugehörige Kappe habe, daß also die Zelle einige Zeit dort offen sei. Wieso eine weitere Ausdehnung der Ringmembran, ferner ein Zusammenhalten der getrennten Teile bei bewegtem Wasser und endlich ein Zusammenwachsen wieder möglich sei, darüber gibt er keinen Aufschluß. Diese Anschauung Pringsheim's rührt möglicherweise von einem Beobachtungs- irrtum her, welchen er zur Entkräftung der Angaben von De Bary verwendet hatte. An jener Stelle ist ein Übersehen des Zusammenhanges von Kappe und Ringmembran infolge verschiedener optischer Eigenschaften wohl möglich, doch kann man sich leicht durch Färbung vom Gegenteil überzeugen. Wille (I) weist darauf hin, daß an der Stelle, wo Kappe und »Verlängerungsschicht« zusammenstoßen, ein dunkler Raum Zellteilung bei Oedogoniiun. 253 (der früher besprochene schwarze Spalt) zu sehen ist, der den Ehidruck einer Öffnung in der Membran macht. Ein Kappensystem besteht also nach meinen obigen Ausführungen in Übereinstimmung mit De Bary aus so vielen Schichten, als Kappen markiert sind; für ein Scheidensystem gilt dies natürlich gleichfalls. Hat Kupferoxydammoniak auf einen aufgesprungenen Ring eingewirkt, kann man leicht sehen, daß die periphere Ringschicht, die der auszudehnenden Membran entspricht, nicht ober- und unterhalb des Ringschleimes mit der Zell- membran fest verbunden ist, sondern von der jüngsten soeben gebildeten Kappe und Scheide durch eine dunkle Linie getrennt wird. Diese Linie läßt sich nach oben und unten weiter verfolgen; sie grenzt nach außen eine Schichte ab, die nach innen von Plasma begrenzt wird. Daß dies eine Schichte der Membran und kein Lumen ist, wird bei Plasmolyse deutlich, wo sie sich von dem entstandenen Lumen optisch und tinktoriell deutlich unterscheidet (Fig. 7, 8, 19, Tab. II). Fügt man nach längerer Einwirkung von Kupferoxyd- ammoniak und darauf erfolgter gründlicher Auswaschung mit Wasser dem Präparat 10% Schwefelsäure zu und quetscht leicht das Deckglas, so kann man ohneweiters die Fortsetzung der inneren Schicht leicht verfolgen. Daraus läßt sich mit Sicherheit folgern, daß keine Verwachsung mit der äußeren Zeilmembran an der fraglichen Stelle besteht, sondern daß diese jüngste Schicht die Membran an der ganzen Innenfläche überzieht. Eine Beobachtung bei Verwendung einer Öl-Immer- sion beseitigt jeden Zweifel. Der folgende Versuch kann auf andere Weise die Richtig- keit obiger Beobachtungen experimentell am besten beweisen. Nach Färbung mit Methylenblau und Quellung mit Kupfer- oxydammoniak lassen sich die Kappen deutlich voneinander trennen; es bedarf hiezu nur eines kräftigen Druckes auf das Deckglas und einer gleichzeitigen Verschiebung desselben. Wird dies mit Vorsicht ausgeführt, können alle Kappen mit der daranstoßenden Nachbarzelle entfernt werden. War ein Ring vorhanden, sieht man die blau gefärbten Reste des Ring- 254 G. Krasküvits, Schleimes; an der Stelle aber, wo die Kappen das apikale Ende ihrer Zelle umgeben, ist die Zelle jetzt nicht offen, wie dies aus der Darstellung Pringsheims (II) unbedingt folgen müßte. Der Beobachter sieht dort deutlich eine Lamelle, die in ihrer Form dem Durchschnitte der Kappenhöhlung genau entspricht und von der eben entstandenen Scheide aus von der rechten zur linken Seite im Gesichtsfelde ver- läuft (Fig. 11, Tab. II). Diese Lamelle ist wirklich eine dünne Membranschichte, die sich auch als solche durch die Färbung mit Methylenblau und Chlorzinkjod nachweisen läßt. Außerdem zeigt es sich am klarsten, daß hier eine Membran- schicht vorliegt, wenn nahe derselben Plasma mit Chromato- phorresten gelagert ist; drückt man in diesem Fall auf das Objekt, müßte wohl, wenn der Zellzylinder offen wäre und diese Lamelle ein Produkt optischer Täuschung darstellte, der Zellinhalt sogleich heraustreten. Dies geschieht nicht; die Lamelle wölbt sich stark nach außen, während Zellinhalt sich dicht an sie anlegt. Bei sehr starkem Drucke tritt er aus, dann sieht man aber sofort die Lamelle zerrissen. Eine mehrfache Scheide gibt bei gleicher Behandlung ein dem vorigen ähnliches Resultat. Zweimal gelang es mir auch nach ziemlicher Mühe, ein Bild zu erhalten, wie es auf Fig. 18, Tab. II dargestellt ist; die Schichten (Zylinder), deren obere offene Enden den Scheiden- konturen entsprachen, ließen sich ähnlich den Gliedern eines P'ernrohres auseinanderziehen. Dort, wo die Schichten die Grundflächen der Zylinder bildeten und über die Scheidewand verliefen, waren sie sehr dünn. Anfänglich hatte es den An- schein, als ob auch hier die Zylinder offen wären, doch ein Druck überzeugt bald, daß eine Schicht vorhanden ist, deren markierende Linie sich nach unten krümmt, um nach Auf- hören des Druckes die frühere Lage wieder einzunehmen (Fig. 19, Tab. II). Dippel (II) meinte, wie schon früher erwähnt wurde, daß der Ring eine Falte der jüngsten Membranschicht sei (Textfig. 5, F). Die Annahme einer Innenschichte deckt sich somit mit meinen Resultaten; Dippel gibt aber, so viel aus seiner Darstellung zu entnehmen ist, an, daß der Falten- Zellteilung bei Oedogonimn. 255 räum F leer sei; dagegen sprechen allerdings die Beobach- tungen Hirn's und meine Ergebnisse. Nach Strasburger (I) läßt sich die Ringanlage nicht als Faltenbildung (im Sinne Dippel's) auffassen, sondern ist vielmehr eine lokale Ver- dickung der Innen sohl cht der Mutterzellwand (cf. 1. c. und frühere Stellen im Text). Nach meinen bisher mitgeteilten Ergebnissen kann der Vor- gang der Kingbildung und Weiterentwicklung kurz folgender- maßen dargestellt werden (siehe auch Überblick am Schlüsse). F = Falte der jüngsten Zeilmembranschicht. liappf Scheidt Fig. 5. Nach Original kopiert. Faltenbildung nach L. Dippel, »Das Mikroskop«, II, 18G9. Zuerst wird der zentrale Ringteil (Ringschleim) ausgebildet, dann der periphere, der einen Teil der die ganze Innenfläche der Zellwand auskleidenden jüngsten Schicht vorstellt. Kappen und Scheiden sind sonach Reste von Membranschichten, die bei früher erfolgten Teilungen ausgebildet wurden. Ist die Ringanlage sehr jung, sind so viel Schichten als Kappen oder Scheiden vorhanden; bei völlig ausgebildetem Ring aber ist schon um eine Schichte mehr zu zählen. Es könnte vor allem dagegen folgendes eingewendet werden. Wenn sich der Teilungsprozeß von Oedogoninm so, wie ich ihn geschildert habe, abspielt, müßte die Kappenzone dicker erscheinen als die durch Streckung des Ringes ent- standene Membran. Hofmeister wendet sich gegen De Bary's Annahme einer Schichtung mit den Worten (p. 155); »Hätte eine wenn 256 G. Kraskovits, auch geringe Zellhautausscheidung rings im ganzen Umfange der Primordialzelle stattgefunden, so müßte die oberste und älteste dieser Kappen, ganz besonders die Scheidewand, in welche sie ausläuft, merklich dicker sein als die jüngste unterste dieser Kappen.« (Die älteste der Kappen ist in Wirklichkeit nicht dicker, sondern liegt als äußerste und durch alle darunter folgenden Schichten vom Lumen getrennt.) Der Einwand Hofmeister's besagt, daß mit einer größeren Dicke des Kappensystems auch eine größere Dicke der zunächstliegenden Querwand bedingt sein müßte, falls die Annahme einer Schichtung berechtigt wäre. Schließlich könnte man auch darauf hinweisen, daß, wenn bei jeder Teilung eine neue Membranschichte angelegt werden würde, das Lumen der Zelle besonders im Scheidenteile stets enger werden müßte. Es trifft in der Regel zu, daß die Dicke mehrerer Kappen größer ist als diejenige der neu eingefügten Membran. Die Dicke variiert nach der Zahl der stattgefundenen Teilungen, die sich eben in der Zahl der Kappen ausdrückt, und nach den Spezies der Alge. Eine mehrfache Scheide ist wegen ihres selteneren Vorkommens nicht so gut zum Vergleiche geeignet; im übrigen zeigt sie vollständige Analogie. Man wird immer bei Beobachtung eines größeren Materials Dickenunterschiede finden. Die jüngste Innenschicht ist nicht überall gleich dick. Solange der Ring noch nicht geöffnet ist, erscheint sie an der Stelle, wo sie die periphere Ringschicht bildet, am dicksten, denn hier wird sie beim Aufreißen des Ringes auf eine bedeutende Länge ausgedehnt; sie verliert an Dicke, je nachdem sie an Länge gewinnt. Nach vollendeter Teilung ist sie in ihrem Verlauf innerhalb der Kappen und Scheiden dünner als an der Stelle, wo die Ringstreckung stattfand. In der Verbindung zwischen Kappe und Scheide bildet sie allein die einfache Hülle der Zelle; dort wird eine etwas größere Dicke vorteilhaft bleiben. Unter den Kappen und Scheiden wird sie schon früher dünn angelegt und ist später, wenn sie einmal zum Bestandteil eines Kappen- oder Scheidensystems wird, außerdem zusammengepreßt. Zellteilung bei Oedogonium. 257 Die geringste Dicke besitzt sie dort, wo sie entweder als Scheitelfläche einer Kappe oder als Grundfläche einer Scheide über eine Qiierscheidewand verläuft. Man kann auch mit verdünntem essigsauren Kali die Schicht an letztgenannter Stelle gut isolieren, allerdings er- scheint sie dann dicker als in Wirklichkeit, weil eine Quel- lung nicht auszuschließen ist. Aus diesem Grunde habe ich es unterlassen, eine Messung der Dickenunterschiede anzuführen, weil die Schichten in dem Zustande, wo man sie messen kann, ihre wirkliche Dicke bestimmt nicht mehr besitzen. Vielleicht sind die Schichten an den Scheidewänden dünner, damit ein Stoffaustausch zwischen benachbarten Zellen — wenn ein solcher vorhanden ist — ermöglicht wird. Da nun alle älteren Schichten auf gleiche Art gebildet werden, müssen deren Reste, die Kappen und Scheiden, di^ erwähnte Eigenschaft der jüngsten Innenschichte auch be- sitzen; dadurch gleicht sich der Dickenunterschied etwas aus und ist niemals so groß, als wenn die Schichten überall gleich dick wären (vergl. auch die Schemata am Schlüsse). Demzufolge wird auch verständlich, daß bei einer größeren Anzahl Kappen oder Scheiden die anstoßende Querwand, die immer nur einschichtig angelegt wird, dann um ein geringes dicker sein wird, als wenn ihrer wenig vorhanden sind. Es ist bekannt, daß in einem vegetativen Zellfaden von Oedogonium die Zellen in Breite und Länge ziemlich ver- schieden sein können; es kommt vor, daß Größenunterschiede bis 20 [J. in der Breite und 15 [x in der Länge zu konstatieren sind. Bei geschlechtlichen Fäden i^ ist dieser Unterschied in noch höherem Maß aus- '^ geprägt. Nach Frings heim wäre ein Dickenunterschied zwischen verschiedenen Teilen der Zellmembran nicht möglich, denn nach seiner Deutung müßten pj^ ^^ sich mehrfache Kappen oder Scheiden so zusammen- setzen, wie es auf Textfig. 6 ersichtlich ist. Da nun ein Dicken- unterschied wirklich vorliegt, bietet Pringsheim's Anschauung für diesen Fall keinen Einwand. b ,r Kappt 258 G. Kraskovits, Als Ursache des Aufreißens des Ringes wurde von Frings he im (II) ein stärkeres Wachstum der oberen Zell- partie (spätere Kappenzelle) angenommen. Hofmeister sieht die Ursache in der endosmotischen Spannung gelegen (p, 104). Hirn hat als erster darauf hingewiesen, daß die innere Ringmasse, der Ringschleim, beim Zerreißen der Zellwand über dem Ringe mitwirken dürfte. Diese Masse fungiert, wie ich schon kurz erwähnt habe, als Schwellkörper. Zur bestimmten 4u'..... Fig. 7. Schema. M z=. Zellmembran, I ^ Innenschicht, A = Kraft von außen, a = Gegendruck von innen. b, b' sind die öffnenden Kräfte, die Reste von A sind. Der Schwcll- körper ist schraffiert dargestellt. Zeit, da das umgebende Wasser durch die verdünnte Membran- stelle (vergl. Fig. 3, Tab. II) in den Ring leicht eindringen kann, nimmt der Ringschleim Wasser auf; seinem Bestreben, sich auszudehnen, wird jedoch anfangs Widerstand entgegengesetzt- Nach dem Zellinneren gegen das Plasma zu kann es sich nicht ausdehnen, denn das Plasma übt einen Gegendruck aus und die in dieser Richtung wirkende Kraft wird teilweise oder ganz aufgehoben. Es bleiben somit nur gegen die Pole der Zelle und parallel mit der Membran wirkende Kräfte übrig, welche das Aufreißen der Zellwand wenigstens unterstützen (Textfig. 7). Der Ringschleim zieht sich bei Anwendung von wasserentziehenden Mitteln wieder etwas zusammen. Zellteilung bei Oedogonitim. 259 Die gegebene physikalische Erklärung soll nur ein Versuch einer besseren Analyse des Vorganges beim Aufreißen sein, ohne daß sie jedoch den wirklichen Vorgang genau darstellt. Auch bei der Ausbildung der Cuticula ist dieser Schwellkörper beteiligt. Ich verweise vor allem auf die schon früher zitierten diesbezüglichen Worte Hirn's. Strasburger(l) sagt unter anderem: ». . .Aus der Innen schiebt (des Ringes) scheint die Cuticula hervorzugehen, aus der äußeren die eingeschaltete Membran.« Bei Zusatz von schwacher Kongo rotlösung färbt sich die Cuticula schön rot. Besser ist es, wenn man eine Färbe- kultur von 0-2 bis 0-57o Kongorotlösung verwendet. Es färbt sich dann der Schwellkörper des aufgesprungenen Ringes rot; die Farbe verschwindet bald, weil sich die schleimige Sub- stanz im Wasser stark verteilt (siehe Methylenblaufärbung). Nur eine ganz dünne Schichte bleibt über der neuen Membran und zeigt nach einiger Zeit den typischen Charakter der Cuti- cula. Oft sieht man die gefärbte Cuticula in Fetzen die Zell- membran umgeben, an den Stellen, wo sie bereits verloren ging, erscheinen Membran und Plasma ungefärbt. Wirkt auf eine mit Kongorot gefärbte Cuticula verdünnte Schwefelsäure ein, tritt sofort eine schmutzigblaue Farbe auf (cf. Behrens, p. 36). Löst man dann die Kappen einer so gefärbten Zelle unter Aus- schluß von alkalisch wirkenden Rea- gentien voneinander, sieht man an jeder Kappe die Färbung nur bis zur Grenze, wo die nächst ältere Kappe aufsaß, reichen (Textfig. 8). Die Ausbreitung dieser Färbungszone ist dadurch bedingt, daß die Cuticula eben nur den Teil der Kappe überdeckt, welcher mit dem Wasser in Berührung steht. Die übrige Fläche der Kappe kann nicht mehr gefärbt sein, was deutlich aus der Entstehungsweise der Cuticula hervorgeht. Fig. 8. a =z einzelne Kappe. Fäibungszone [iraii schraffiert. 260 G. Kraskovits, Bei Profileinstellung sieht man mittels starker Ver- größerung jede Kappe an deren Mündung zweischichtig; die äußere kurze Schicht ist die Cuticula, welche jL sich im Kappenlängsschnitt als kleiner Zahn mar- lif kiert (Textfig. 9). Die Cuticularschichte setzt sich nur ^7/ bis zur nächst älteren Kappe fort und hat mit den \\ früher erwähnten Membranschichten nichts zu tun. I! Pi„ 9 Was die chemische Zusammensetzung der einzelnen Teile des Ringes anbelangt, so kann ich auf Grund der vorgenommenen Reaktionen nichts Genaues aussagen. Gerade bei diesem Teile der Untersuchung läßt die Zuverlässigkeit der mikrochemischen Reaktionen zu wünschen übrig. Ich habe schon in einem der vorausgehenden Kapitel hingewiesen, daß die gebräuchlichen Namen auf eine Zusammensetzung gleich oder ähnlich wie Zellulose deuten. Die Reaktionen mit Chlorzinkjod, Jodschwefelsäure, Kupferoxydammoniak, die Tinktionen mit Methylenblau und Benzoazurin nach alkalischem Bade wiesen alle mehr oder minder auf eine zelluloseartige Beschaffenheit hin. Ringzentrum und Peripherie zeigen ein abweichendes Ver- halten. Bei der peripheren Ringschicht, die später zur Hüll- membran wird, ist eine Zellulosereaktion verständlich, denn der Membrancharakter tritt dort gut hervor. Der Schwellkörper des Ringes, dessen Entstehen besprochen wurde, gibt die Reaktionen nicht in charakteristischer Weise, was auch Hirn erwähnt. Man kann, auch wenn man annimmt, daß der Körper von der Membran gebildet wurde, nur schließen, daß Zellulose seinen Aufbau bildet. Wie weit sich seine Zusammensetzung im Laufe der Entwicklung ändern kann, entzieht sich der Beobachtung. Ihn als einen schleimigen Körper anzu- sprechen, ist wohl nur dann berechtigt, wenn man seine physikalische Natur berücksichtigt. Farbstoffe, die gallertig- schleimige Substanzen färben, fingieren auch ihn (vergl. Be- merkung p.246); doch kann dadurch seine chemische Zusammen- setzung im phytochemischen Sinne nicht bewiesen werden. . Krasser erwähnt, daß er bei Oedogonhun, speziell im »Zellulosering«, eine Eiweißreaktion erhalten habe. Obgleich Zellteilung bei Oedogoninm. 261 ich mir besondere Mühe gab, die Reaktion mit allen üblichen Reagentien auf Eiweiß zu erhalten, waren die Versuche stets erfolglos. Es soll jedoch damit die Möglichkeit der Resultate Krasser's keineswegs geleugnet sein. Über die Ausbildung der Quermembran, die den Teilungsvorgang abschließt, kann ich derzeit eigene Beob- achtungen nicht mitteilen, da sie noch nicht abgeschlossen sind; doch sollen die Grundzüge der bisherigen Beobachtungen der Vollständigkeit wegen angeführt werden. Die Ausbildung der Quermembran hängt jedenfalls von der Kernteilung ab. Letztere ist von Strasburger (I) erschöpfend und genau dar- gestellt worden, daß ich von einer ausführlichen Besprechung auch hier absehen kann. Die Kernteilung erfolgt auf dem Wege der Karyokinese. Die Querwand wird nach Pringsheim und Strasburger simultan gebildet und ist anfangs mit dem Membranzylinder nicht verbunden, also frei beweglich. Vor dem Aufreißen des Ringes wandert einer der neu gebildeten Kerne in die obere Hälfte der Zelle, die später zur Kappenzelle wird. Möglicherweise kann ein Verweilen dieses Kernes in der Teilungsregion auch im Sinne des von Haberlandt (I) vertretenen Standpunktes, nämlich eines Zusammenhanges zwischen Funktion und Lage des Zellkernes, gedeutet werden. Die lose Querwand rückt sodann gegen die Mündungs- stelle der Scheide hinauf, um sich nach dem Aufreißen des Ringes und vollendeter Streckung desselben mit dem Membran- zylinder dortselbst zu verbinden. Diese Verbindung erfolgt stets etwas über der Scheidenmündung, womit Raum für die nächste Ringanlage in der Scheidenzelle gegeben ist (vergl. Prings- heim, I. c). Es wurde auch schon erwähnt, daß die Quer- scheidewand im Momente der vollständigen Verbindung mit der übrigen Membran einschichtig ist und es so lange bleibt, bis in einer benachbarten Zelle eine neue Teilung stattfindet. Wille (II) ist über die Entstehung der Quermembran einer andern Meinung; er meint, daß die junge Querwand in mittlerer Höhe der Scheide angelegt wird und mit der Mutterzellwand als Ganzes fest verbunden ist, worauf sie sich nach oben ausdehnt, 262 G. Kraskovits, bis sie die Scheidenmündung erreicht. Dort vereinigt sie sich endgültig mit der Hüllmembran. Der Vorgang ist schematisch so gedacht, wie ihn Textfig. 10 zeigt. Ich sah selbst einige Male (IM Fig. 10. Frei nach Wille. S = Scheide, Q. M. = Quermembran. Querwandbildungen, die eine der von Spirogyra ähnliche Ent- stehung vermuten ließen. In manchen nicht so seltenen Fällen kann die Bildung einer Querwand unterbleiben, obwohl eine normale Ringbildung und Streckung vorausging (Fig. 7, Tab. II). Die erste Teilung bei Keimpflanzen tritt verschieden- artig ein und ist geeignet, selbständig genauer behandelt zu werden. Nach Wille (II) tritt Teilung nur in solchen Keim- lingen auf, die ein deutliches ha ft fähiges Rhizoid be- sitzen; in Keimlingen, welche ein verkümmertes, nicht ver- zweigtes Rhizoid aufweisen, welche sich also nicht an einer festen Unterlage fixieren können, tritt alsbald die Ausbildung von Schwärmsporen auf. Der Schwärmer tritt aus, nachdem die Membran des Keimlings sich am apikalen Ende der Zelle mit einem Deckel geöffnet hat. Der Deckel wird durch einen Kreisriß ähnlich dem beim Öffnen des Ringes losgetrennt. Bei günstigem Material kann man oft mehrere solche Keimlinge mit abgeworfenem Deckel nebeneinander finden; der Zellinhalt fehlt, er ist als Schwärmer ausgetreten. Die erste Teilung kann durch Ringbildung erfolgen, es kann aber auch eine solche unterbleiben. Den ersten Fall habe ich bei vorliegender Untersuchung nie beobachtet, er scheint den benützten Arten aus den vier Kulturen zu fehlen. Hirn Zellteilung bei Oedogoniiim. 263 erwähnt Ringbildung bei Keimlingen, 1. c, p. 16, des- gleichen auch Hart ig. Ich konnte nie, auch bei mehrstündiger Beobachtung, die Andeutung einer Ringbildung finden; doch hatte in der Zwischenzeit eine vollständige Teilung stattgefunden. Der Teil der Membran (Deckel), welcher bei Ringbildung eine Kappe liefern würde, liegt entweder gewöhnlich seitwärts von der Membranöffnung (Scheidenrand) oder er sitzt seltener der zweiten Zelle oben lose auf. Man kann ihn auch hier wohl als Kappe bezeichnen (vergl. hierüber Hirn, Wille, besonders Seh er ff el). Behandelt man einen Keimling gleich nach der Teilung mit Zuckerlösung, so stülpt sich die zweite Zelle sofort wie ein Handschuhfinger in die Basalzelle hinein (Fig. 21, Tab. II, A und B). Das Plasma ist dann im Basalteile gesammelt. In diesem Falle wurde also eine Querwand noch nicht fest ange- legt; ich hege Zweifel, ob überhaupt eine solche vorhanden war, da sie sich in keiner Weise andeutete und nachweisen ließ. Bei allen Keimlingen kann der Deckel verloren gehen, wie auch die Scheitelzelle des Zellfadens ihre Kappen abwerfen kann (siehe hierüber meine frühere Be- merkung und Fig. 12, Tab. II). Die Membran, welche die zweite Zelle umgibt, muß in jedem Fall als selbständige Schichte unter dem Deckel ange- legt werden, sonst könnte sich derselbe nicht lostrennen. Das Verhalten des Deckels spricht auch im Fall einer voraus- gehenden Ringbildung deutlich für die Annahme der Aus- bildung selbständiger Schichten. Der Nachweis der Scheide der Basalzelle gestaltet sich oft sehr schwierig und gelingt nur bei Einwirkung sehr starker Reagentien. Bei mikro- skopischer Betrachtung eines nicht mit Reagentien behandelten zweizeiligen jungen Pflänzchens glaubt man sicher eine direkte Fortsetzung der Basalzellenmembran in die der zweiten Zelle zu sehen. Ob die Anlage der neuen Membran für die zu bildende obere Zelle auch bei Keimlingen als Schichte an der ganzen Innenfläche der Basalzellenmembran erfolgt, kann ich nicht aussprechen; es gelang mir niemals, eine derartige Innen- schichte in der ersten Zelle nachzuweisen. Es scheint demnach Sitzb. d. mathem.-naturw. Kl.; CXIV. Bd., Abt. I. 18 264 G. Kraskovits, die Anlage der neuen Membran, ob nun ein Ring ausgebildet wird oder nicht, nur im apikalen Teile der Basalzelle zu erfolgen. Dadurch würde sich die erste Teilung von allen späteren, die stets durch Ringbildung eingeleitet werden, bedeutend unterscheiden. Die Frage, weshalb der Ring stets im oberen Teile der Zelle angelegt wird, kann nicht zufriedenstellend beantwortet werden. Dippel (II) versucht eine Erklärung dahin abzugeben, daß er diese Erscheinung mit Spitzen Wachstum in Zusammenhang bringt und aus mechanischen Gründen für notwendig erklärt. Daß möglicherweise mechanische Momente ausschlaggebend sind, kann von vornherein nicht in Abrede gestellt werden. Es ist auffallend, daß sich eine Scheitel- oder Basalzelle im Verhältnis zu den übrigen im Faden so selten teilt; es kann dadurch eine Verletzung des Zusammenhanges oder einer exponierten Stelle, wie der Scheitel, ausgeschlossen werden. Wenn man die Zahl der Glieder in mehrfachen Kappen berücksichtigt, wird man finden, daß selten mehr als 15 bis 20 Kappen vorhanden sind. Sobald eine gewisse Zahl von Kappen erreicht ist, wird die Ringbildung nicht mehr in ge- wöhnlicher Art vor sich gehen. Da der Ring stets ein Stück unterhalb der jüngsten Kappe angelegt wird, muß das Kappensystem durch jedes neu hinzu- kommende Glied an Länge gewinnen. Bei unbeschränkter Fort- setzung dieser Bildung müßten schließlich Bildungen von monströsen Kappenzellen die Folge sein. Weil aber die Kappen bei großer Zahl sich auch im lebenden Faden trennen können, würde durch derartige Kappenzellen der Zusammenhang im Zellfaden gefährdet sein, wodurch ein losgetrenntes Faden- stück im fließenden V/asser zu Grunde gehen müßte. Eine zu starke Verlängerung des Kappensystems kann zum Teile vermieden werden, daß der Ring bei aufeinander- folgenden Teilungen nicht um eine Stufe weiter unten angelegt wird, sondern mehrmals genau an derselben Stelle entsteht; die entstandenen Kappen liegen nun mit ihren Mündungen in gleicher Höhe nebeneinander (Textfig. 1 1). Häufiger als Zellteilung bei Oedogonium. 265 dieser seltene Ausnahmsfall kann es zu einer Ringbildung in mittlerer Höhe des Kappensystems kommen. Der Ring wird zwischen der Mündung der letzten Kappe und der oberen Scheidewand angelegt (Fig. 2, 4, Tab. III). Damit hängt wohl die Ausbildung eines getrennten zweiten Kappensystems unter dem ersten zu- sammen (Plg. 6, Tab. III). Wenn auch alle diese Annahmen eines Zweckes, Fig. 1 1 . der im Orte der Ringbildung ausgedrückt ist, durch ^7 = letzte andere Tatsachen möglicherweise widerlegt werden Kappen können, so bleibt noch der Hinweis darauf, daß ^ll'^^^lv beim Keimling der Ort der Teilung stets im oberen Teile, also dem Rhizoid gegenüber gelegen ist; bei jeder späteren Ringbildung drückt sich diese im ersten Falle nicht so auffallende Eigentümlichkeit in allen andern Zellen aus. Erklärung" der Schemata. Die beifolgenden Schemata yl und B sollen den Teilungs- vorgang, wie er sich nach meiner Auffassung ergibt, dar- stellen. Zum Zwecke der besseren Übersichtlichkeit sind die ein- zelnen Membranschichten verschiedenfarbig gezeichnet. Gleiche Farbe der Schichtenteile soll andeuten, daß sie von ein und derselben Teilung herrühren. Die bei jeder Teilung neu aus- gebildete Querscheidewand zwischen Kappen- und Scheiden- zelle hat mit der zuletzt gebildeten Schichte ebenfalls gleiche Farbe. Obwohl sie eigentlich eine von der Innenschicht zeit- lich und ursächlich verschiedene Bildung ist, so soll durch gleiche Farbe ihre notwendige Zugehörigkeit zu den übrigen derselben Teilung entstammenden Membran- bildungen hervorgehoben werden. Die Farben selbst sind willkürlich gewählt und haben mit Reaktions- oder Tinktionsfärbungen nichts zu tun. Jedes Schema enthält drei Figuren. Es soll, um ein Mißverständnis zu vermeiden, herv^orgehoben werden, daß der nach voll- zogener Teilung bis zur nächsten Ringbildung andauernde 18* 266 G. Kraskovits, Zustand nicht abgebildet ist. Ich hielt es für überflüssig, diesen Zustand selbständig abzubilden. Es ist nach erfolgter Streckung eines Ringes sofort die Anlage des nächsten ein- gezeichnet. Andernfalls müssen noch zwei Figuren zwischen I und II, II und III dazugezeichnet gedacht werden. Schema A stellt eine Kappenzelle dar, welche zwei Teilungen ausführt; die gelb gezeichnete Kappe rührt von einer bereits früher erfolgten Teilung her, die nicht einbezogen ist. Der Vollständigkeit wegen wurde auch die entsprechende Scheide (gelb) eingezeichnet. Während des Teilungsvorganges ist die Kappenzelle als aktive Mutterzelle ruhend gedacht, während die Teilungsprodukte, Zellen B, C, mehr minder weit fortgeschoben werden; ihr früherer Zusammenhang mit der Mutterzelle wird durch die gleiche Farbe ihrer Membranhüllen mit den entsprechenden Kappen der letzteren markiert. Schema B ist ohne weiteres aus dem für .4 Gesagten verständlich. Man kann auch aus den Figuren ersehen, wie eine ein- fache Kappenzelle immer nur bei Teilung einer Scheiden- zelle, eine einfache Scheide immer nur bei Teilung einer Kap penz eile hervorgehen kann. Die Querwand (0) bleibt bis zur Teilung einer Nachbarzelle einschichtig. Zusammenfassung. Die Teilung einer Zelle von Oedogonüim wird durch die bekannte Ringbildung eingeleitet; die hiebei bemerkenswerten Vorgänge unterscheiden sich nach vorliegenden Untersuchungen von den bisherigen Ansichten in manchen Punkten. 1. Der Ring ist im ausgebildeten Zustand zweischichtig; die zentrale Ringschichte wird von der Zellmembran durch einen Verquellungsprozeß ausgebildet. Eine Zone der Hüllmembran verquillt und liefert die primäre Ring- substanz (Hirn's Ringschleim). Die damit verbundene Ver- dünnung dieser Membran an jener Stelle erleichtert das spätere Aufreißen daselbst. Wenn die primäre Ringsubstanz Zellteilung bei Oedogonitiin. 267 vollständig ausgebildet ist, wird im Gegensatz zur Annahme einer bloß lokalen Bildung (Pringsheim u. a.) an der ganzen Innenfläche derZellhülle eine neue Membran- schicht angelegt, welche dort, wo sie den Ringschleim um- gibt, dicker als an anderen Stellen ist. Diese verdickte Stelle der Schichte wird nach dem Aufreißen des Ringes daselbst zur alleinigen neuen Zellhülle. Dieser Vorgang wiederholt sich bei jeder Teilung im Zellfaden. Die durch das Aufreißen der Membran, welche über dem Ringe liegt, gebildeten Kappen und Scheiden stellen somit Reste der nächst älteren Membranschichten gleicher Ausbildungsweise dar. Kappen und Scheiden gehören eigentlich nicht mehr zu den notwendigen Bestandteilen des Zellganzen und können auch unter Umständen im lebenden Faden verloren gehen, ohne daß hiedurch ein Nachteil erwächst. Es zeigt die Zahl der Kappen oder Scheiden die Zahl der bei den Teilungen ausgebildeten Schichten an. Jede einer Teilung entsprechende Schichte kann selbst wieder mehr oder minder deutliche Schichtung aufweisen, welche auf ihre Bildungsweise während einer Teilung zurückzuführen ist. Letztere Schichtung hat auf die Auffassung der ganzen Vor- gänge keinen Einfluß. Vorliegende Resultate unterscheiden sich von den Versuchen De Bary's und Dippel's dadurch, daß ein experimenteller Nachweis einer vollständigen Schichtung erbracht ist. 2. Das Aufreißen der über dem Ringe liegenden Zellmembran wird durch die Wirkung des Ringschleimes als eines Schwellkörpers befördert. Dieser ist im stände, durch Wasseraufnahme sein Volumen (ähnlich wie stipites Laminariae) erheblich zu vergrößern; das hiezu notwendige Wasser tritt zur entsprechenden Zeit durch die verdünnte Stelle in der Membran (siehe oben) ein. 3. Auch zur Ausbildung derCuticula über der zwischen Kappe und Scheide eingeschalteten hiterkalarmembran wird ein Teil des Ringschleimes verwendet; die schon früher gemachten Beobachtungen anderer Beobachter erscheinen be- stätigt. 268 G. Kraskovits, 4. Bei Keimpflanzen kann die erste Teilung durch Ringbildung oder ohne solche erfolgen, was von den Speziesunterschieden abhängt. In beiden Fällen scheint sich die erste Teilung des einzelligen Keimlings von allen folgenden in Anlage und Ausbildung der Innen- schichte zu unterscheiden. Wenn auch diese Resultate vorläufig nur bei einer geringen Anzahl Arten gefunden wurden, so glaube ich, ihnen doch allgemeine Geltung beimessen zu können, weil gerade dieser Wachstumsprozeß gewiß zu den Merkmalen gehört, welche innerhalb der Gattung selbst bei starker Veränderung der anderen Charaktere konstant bleiben. Dafür spricht auch das Vorkommen dieses Prozesses in drei Gattungen (einer Familie), welche sich zwar im Laufe ihrer phylogenetischen Entwicklung in allen übrigen Merkmalen verschieden weit voneinander entfernten, das interkalare Wachstum aber mit geringer Veränderung als gemeinsames Haupt- merkmal erhielten. Verzeichnis der benützten Literatur. Behrens W. Tabellen zum Gebrauch bei mikroskopischen Arbeiten. (Leipzig 1898.) Bohlin K. Studier öfver nagra slägten af alggruppen Confer- vales Borzi. 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Schemata der Ringbildung. Erklärung im Text. Tafel IL Fig. 1. Oedogonium crispmn. Kappenzelle mit junger Ringanlage, behandelt mit Thioninzuckerlösung. A Anlagestelle des Ringes; PI Protoplast. Fig. 2. Dieselbe Zelle nach Aufreißen der Membran; R der ausgedehnte Ringschleim, K Kappe, 5 Scheide. Fig. 3. Gleiche Art wie vor; ältere Ringanlage bei gleicher Behandlung, /ist die bereits ausgebildete Innenschicht; bei 0 ist die verdünnte Stelle der Zellmembran deutlich sichtbar; R gefärbter Ringschleim. Fig. 4. Oedogoninm Vaucherii. Eine sehr junge Ringanlage nach starker Plasmolyse; schwache Thioninfärbung. Das Plasma ist durch den aufgequollenen Ringschleim R bis auf einen dünnen Faden in der Mitte zusammengedrängt. Der Ringschleim grenzt sich an der auf- gesprungenen Stelle der Hüllmembran scharf gegen das flüssige umgebende Medium ab. OM Anlage der Querscheidewand. Fig. 5. Dieselbe Zelle einige Zeit später. Das Plasma ist bereits völHg in zwei Partien zerrissen; Innenmembran noch nicht vorhanden. Fig. 6. Kappenzelle von Oedogoninm Vaucherii mit neun Kappen; Cuprox. nach Methylenblaufärbung. Die Kappen zeigen deutlich die Schichtung; R Ringschleim, welchen die noch zarte Innenmembran umgibt, a Kappenschichte, b Cuticula. Fig. 7. Oedogoninm Vaucherii. Vergr. 700. Kappenzelle nach langer Ein- wirkung von Cuprox. Die Kappenschichten K sind stark gequollen, bei 0 ist die verdünnte Membranstelle über dem Ringe bereits gerissen, bei Sj fehlt die normale Querwand der früheren Teilung. Fig. 8. Oedogoninm Vaucherii. Kappenzelle mit Methylenblau und Cuprox. behandelt. Im Innern stark gequollen, zeigt sie bei M die Innenschicht nach innen gewölbt, welch letztere auch den Kern N aus seiner normalen Lage verdrängt hat, A' jüngste Kappe. Zellteilung bei Oedogonium. 2/1 2> Pig. 9. Oedogonium Vaucherii. Scheidenzelle mit nieht völlig ausgebildeten Ring nach Plasmolyse; bei 0 ist die Zellmembran gerissen, aber noch keine Ausdehnung des Ringes R erfolgt. Fig. 10. Oedogonium Vaucherii (Kulturform). Scheitelzelle mit zehn Kappen, die durch Druck losgetrennt sind; ab Scheide, jvv die Innenmembran (vergl. Fig. 12). Fig. 11. Oedogonium Vaucherii. Scheidenzelle nach Methylenblaufärbung plasmolysiert und mit Cuprox. behandelt. Es war eine Ringanlage vorhanden; die Kappe mit der oberen Nachbarzelle ist künstlich entfernt und die Innenschicht M bildet nach oben die alleinige Zell- grenze. R Ringschleira, 5 Scheide. P'ig. 12. Oedogonium Vaucherii. Scheitelzelle mit gelösten aber noch darüber- liegenden Kappen (vergl. Fig. 10). Natürlicher Zustand. Fig. 13. Oedogonium Vaucherii. Vergr. 700. Kappenzelle nach Behandlung mit Cuprox. zerquetscht. Die Kappen sind alle abgehoben. JVf bei der vorletzten Teilung gebildete Membranschichte, der die stark ge- quollene vollständig entwickelte Innenschichte / anliegt. Die Schichte M ist über dem Ringe R bereits geöffnet (künstlicher Zustand). Man sieht auch hier deutlich den Schichtenverlauf. Fig. 14. Normale Scheitelzelle von Oedogonium Vaucherii mit einem Ring. Fig. 15. Oedogonium Fai/cÄßm. Mißbildung (Hemmungserscheinung) an einer Scheitelzelle. Vesuvinfärbung. Es wurden drei Ringe angelegt, von denen zwei nicht zur Entwicklung kamen, dessenungeachtet aber die Fortsetzung der Schichten nach oben zeigen. Fig. 16. Oedogonium crispum. Jüngste Ringanlage bei Beginn des Sichtbar- werdens. Fig. 17. Oedogonium Vaucherii. Kappenzelle mit Methylenblau gefärbt und sehr verdünntem Cuprox. entfärbt. Der Ringschleim R hat noch seine Farbe behalten und erscheint scharf gegen das umgebende flüssige Medium abgegrenzt. Fig. 18. Oedogonium Vaucherii. a Teil einer dreifachen Scheide im Längs- schnitt, b dreifache Scheide nach Behandlung mit Cuprox. und starker Quetschung, die einzelnen Schichten sind auseinander gezogen. Fig. 19. Oedogonium Vaucherii. Scheidenzelle nach Quellung mit Cuprox. / Innenschichte. Fig. 20. Oedogonium crispum. Normale Ringbildung, Methylenblaufärbung. Die Fgur zeigt das häufige knieförmige Aufbrechen des Ringes. R Ringschleim. Fig. 21. Oedogonium Vaucherii. Keimlinge. A nach Ausbildung der zweiten Zelle. B derselbe nach Plasmolyse mit eingestülpter zweiter Zelle. Tafel III. Fig. 1. Oedogonium Vaucherii. Alte Kappenzelle mit normalem Ring; die Innenschicht ist bei m zerrissen und losgetrennt. Fig. 2. Oedogonium Vaucherii. Abnormale Ringbildung im Kappensystem. Methylenblaufärbung. 274 (',. Kraskovits, Zellteilung bei Oedogonium. Fig. 3. Oedogoniiimcrispum.K?iY>-penze\\e; nachMethylcnblaufärbungCuprox.- Behandlung. Quetschpräparat. Die äußere Membranhülle ist ge- sprungen; die Innenschicht / (in der Nachbarzelle mit M bezeichnet) ist durch die Quetschung isoliert; die nächst ältere Schicht ist dunkelblau gezeichnet; R Ringanlage stark deformiert. Fig. 4. Oedogonium Vaucherii. Vergr. 900. (Ölimmersion '/ig-) Kappenzelle mit abnormaler Ringbildung im Kappensystem. Behandlung mit Cuprox. 0 ist die verdünnte Stelle in der Membran über dem Ring. I Innen- schicht. Fig. 5. Oedogonium crispum. Abnormale doppelte Ringbildung in einer Scheidezelle. Der ältere Ring R^ ist bereits ausgedehnt (der Ring- schleim hellgrau); der jüngste Ring ist noch geschlossen, der Ring- schleim ist schwarz gezeichnet; der Verlauf der Schichten ist nach dem Schema verständlich. Fig. 6. Oedogonium Firn/rÄer«. Ein zweifaches Kappensystem A und 5; nach Methylenblaufärbung und Plasmolyse. Fig. 7. Oedogonium crispum. Letztes Stadium einer Ringstreckung, Methylen- blaufärbung (sehr schwach), der geringe Rest des Ringschlcimes ist noch sichtbar, R. Fig. 8. Oedogonium Vaucherii. Bei 1 ein gestreckter Ring, bei 2 ein sich öffnender nach Plasmolyse, bei 0 ist die Hüllmembran bereits offen. ^ 3 -e « •OO r;:! tS5 7t M e 'S -^ •| I -1 I II CA ho i,.J\i'fisk(t'\its: Zeüteiliuig bei Oedoooiiiiun / Taf.H. HiKi-a.sIurtnt.s i\f\ Sitzungsberichte d.kais. Akad. d. Wiss., mathriiatui-w. Klasse, Bd.CXIN^.Abt.LWOG Liyv.jtai.'.l.v.TlLBajiirtvarmWi«!!. R w c/i 275 Eine sarmatisehe Fauna aus der Umgegend von Tarnobrzeg in Westgalizien von Dr. Wilhelm Salomon von Friedberg. (Mit 1 Tafel und 3 Textfiguren.) (Vorgelegt in der Sitzung am 16. März 1905.) Bei der Bearbeitung der miocänen Fauna der Gegend von Rzeszöw^ war es für mich von großem Interesse, die nächst- gelegenen Vorkommnisse des Miocäns genau kennen zu lernen, um dann ihren Zusammenhang zu entziffern. Nördlich von Rzeszövv waren schon seit dem Jahre 1869 versteinerungs- reiche Sande aus dem Orte Miechocin bei Tarnobrzeg bekannt, über welche Jachno in einem kurzen Aufsatze berichtet.^ Zwar war die dortige Gegend noch mehrmals in geologischer Hinsicht durchforscht,^ aber die früher vorhandenen Auf- schlüsse waren nicht mehr so gut sichtbar und es fehlte des- halb an neuen, eingehenden faunistischen Berichten über die dortigen Miocänfossilien. 1 W. Friedberg: Zagl'gbie mioceriskie Rzeszowa. Rozprawy Akad. Um. w Krakowie wydz. mat. przyr. r. 1903 poln. (Das miocäne Becken von Rzeszow. Bulletin de l'academie des sciences de Cracovie, 1903). 2 J. Jachno: Skamieliny miechocinskie. Sprawozd. Komisyi fizyogr. Akad. Umiej. w Krakowie r. 1869 poln. (In den Berichten der physiogr. Kommission der Krakauer Akad. der Wissensch.). 3 Dr. V. Hilber: »Die Geologie der Gegend zwischen Krzyzanowice Wielkie bei Bochnia, Ropczyce und Tarnobrzeg.« Verh. der geol. Reichsanst. J. 1884. — Dr. A. Rehman: »Deine dorzecze Sanu badane pod wzgl^dem postaci...« Spraw. Kern, fizyogr. Ak. Um. w. Krakowie r. 1890 poln. (Das Gebiet des unteren San... Berichte der physiogr. Kommission...). 276 W. S. V. Friedberg, In den Sammlungen der physiographischen Kommission der Krakauer Akademie der Wissenschaften befand sich aber eine größere Suite der uns beschäftigenden Versteinerungen, welche beim Baue der Eisenbahn von Debica nach Nadbrzezie aufgefunden wurden. Der dabei tätige Landesingenieur Stefan Stobiecki sammelte sie an zwei Lokalitäten: Miechocin und Soböw. Bereitwillig stellte mir die Physiographische Kommis- sion diese Sammlung zur paläontologischen Ausnützung und dieses Material ist der Gegenstand meiner jetzigen Arbeit. Um über noch größeres Material zu verfügen, begab ich mich zwei- mal nach Tarnobrzeg, wo es mir tatsächlich gelang, einige neue Formen zu finden. Die Bearbeitung war für mich um so leichter, als ich in den Sammlungen des gräflich Dzieduszycki'schen Museums ein ziemlich reiches Vergleichsmaterial fand, welches ich dank der gütigen Erlaubnis des Herrn Kustos dieser Sammlung oft benutzen konnte. In zahlreichen Fällen stand mir bei der Be- stimmung schwieriger Formen Herr Schulrat M. Lomnicki bereitwillig mit seiner Erfahrung zu Hilfe und einige meiner Bestimmungen hat Herr Prof. V. Hilber gütigst überprüft. Beiden Herren erlaube ich mir hier meinen besten Dank aus- zusprechen. I. Geologischer Teil. Die Stadt Tarnobrzeg ist am rechten Weichselufer im nördlichen Teile der großen westgalizischen Ebene (die Krakau— Cieszanower Ebene) gelegen; eigentlich ist das Land hier nur in der Nähe größerer Flüsse eine Ebene, sonst aber ein niedriges Hügelland. Den Boden bildet ein glaciales Material, welches in Form von Glaciallehm, Schotter und Sand sich ausbreitet. Die Unterlage dieser Diluvialbildungen ist ein blauer, etwas schiefriger Tegel, welcher von M. Lomnicki Krakowiecer Tegel genannt wurde und an manchem Orte zum Vorscheine kommt. Dieser Tegel war aber auch früher als tiefstes Glied der zweiten Mediterranstufe des Tieflandes bekannt, es erwähnt ihn z. B. Hilber, Reh man, Tietze und andere, aber erst später (J. 1897) wurde er von M. Lomnicki Sarmatische Fauna von Tarnobrzeg. 277 bei dem Orte Krakovviec (nördlich von Mosciska) näher unter- sticht und »Krakowiecer Tegel« genannt. Da jedoch dieser Tegel, wie schon gesagt wurde, auf dem ganzen Gebiete des Tieflandes wohlbekannt ist,^ wäre ein allgemeiner Name ent- sprechender und deshalb schlage ich den Namen »obermiocäner Grundton« vor, welcher Name uns auch bezeichnet, daß diese Bildung keine ufernahe ist. An den Rändern des ehemaligen obermiocänen Meeres wurde ein ganz anderes Material abgelagert, nämlich fossilien- reiche Sande, Tone, Schiefertone und Lithothamnienkalksteine, welche sowohl am Südufer des früheren Meeres (Bogucice bei Wieliczka, Grabowice bei Bochnia, Zglobice bei Tarnöw, Rzeszöw) als auch am Nordufer (Stupnica, Korytnica, Pinczöw, SzydMw, Chmielnik in Polen) wohlbekannt sind. Das Alter dieser Schichten ist als dem Tortonien angehörig festgestellt. Am nordöstlichen Rande der Krakau — Cieszanower Niede- rung finden sich Versteinerungen führende Sande und Tone in der Gegend von Tarnobrzeg, welche, wie gesagt wurde, zuerst von Jachno untersucht waren. Ihr Alter galt als der zweiten Mediterranstufe entsprechend, Hilber wies auf Grund der Ervilia podolica + pusilla und des Cerithrnm hicindum darauf hin, daß sie relativ sehr hoch in dieser Stufe stehen; S. Stobiecki hat auf den seiner Sammlung beigegebenen Etiketten das Alter als sarmatisch erklärt, welche Ansicht meine Bestimmungen bestätigt haben. Die Feststellung einer sarmatischen Fauna in Westgalizien ist jeden- falls eine neue Tatsache; bevor ich sie schildern werde, muß ich noch kurz die Geologie von Tarnobrzeg skizzieren. Die geologischen Verhältnisse der nächsten Umgebung von Tarnobrzeg stellt uns die beigegebene Kartenskize, (Fig. 1) dar; ich schildere sie nach den Arbeiten von Hilber, Rehman, M. Lomnicki und nach eigenen Beobachtungen. 1 S. Kontkiewicz beschreibt aus der Gegend von Chmielnik und Szydi'öw in Polen einen Schieferton, welcher dieselben Eigenschaften wie der Krakowiecer Tegel besitzt. Er fehlt dem Rande der dortigen Miocänbucht, befindet sich aber in größerer Entfernung vom Ufer (Sprawozdanie z badari geologicznych dokon. w r. 1880 w pohidn. cz^sci gubemii Kieleckiej. Pamigtnik fizyograficznj^ warszawski, tom II poln.). 278 W. S. V. Friedberg, Auf der flachen Ebene bei Baranöw und Tarnobrzeg, welche im Durchschnitte 160 ni über dem Meeresniveau liegt, erstreckt sich ein schmaler Hügelzug, der sogenannte Hügel- zug von Tarnobrzeg, welcher fast parallel mit der Weichsel verlauft. Seine Länge von Skopanie (bei Baranöw) bis Soböw^ beträgt 21 km, seine größte Breite bei Tarnobrzeg S'bkm; die größte Höhe erreicht er in SW bei Skopanie (190 m), gegen NE wird der ganze Hügelzug niedriger, bis er sich bei Soböw in dem Hügel (167 w), welcher von der Eisenbahn durchschnitten ist, verliert. Die beiden seitlichen Abhänge des Hügelzuges sind nicht gleich, denn gegen SE, also gegen die Ebene, fällt er langsam ab, gegen die Weichsel zu ziemlich steil, was wir am besten zwischen Tarnobrzeg und Miechocin (Skai'a) beob- achten können. Der miocäne Grundton kommt hier an manchen Orten zum Vorscheine. Hilber und Lomnicki^ fanden ihn bei Skopanie, nach Hilber erstreckt er sich hier von NW nach SE und enthält keine, weder makroskopische noch mikroskopische Fossilien. Ich fand ihn bei Tarnobrzeg an den steilen Abhängen des »Skaia« genannten Vorsprunges. Hier ist nach meinen^ Untersuchungen ein blauer Ton, welcher mit etwas gelblichem Tone wechsellagert. Der Schlämmrückstand gab keine Fora- miniferen, nur kleine Gipskristalle; hier habe ich ein nord-süd- liches Streichen und ein leichtes Einfallen gegen E gesehen. Wahrscheinlich sind die Schichten hier etwas gestört und ihr Streichen wird, wie überall beim Grundton, ein NW — SE sein. Dieser Ton ist nicht identisch mit den jüngeren Tonen, welche etwas nördlich von hier, auch bei Skai'a von Hilber und Reh- man aufgefunden wurden. Da der Grundton gegen E geneigt ist, liegen die von den genannten Autoren erwähnten, horizontal liegenden Tone auf ihm. In nordöstlicher Verlängerung des Hügelzuges fand ich noch den Grundton bei Nadbrzezie, am 1 Orographisch erstreckt sich der Hügelzug bis Sobow, streng geo- logisch genommen bis nach Wielowies. 2 M. Lomnicki; Atlas geologiczny Gaücyi, zesz\'t XV. ICraköw 1903 poln. (Geologischer Atlas von Galizien. Heft XV). 3 Leider war ich an diesem Orte bei regnerischer Witterung, wodurch gründliche Nachgrabungen unmöglich wurden. Sarmatische Fauna von TarnobrzeQ-. 279 (rvun dioiv (Jirahominer - Tegel ) ^ (L za-slürlc .i-armatisdie - SdiidUeii Fig. 1. Sitzb. d. niathem.-naluiw. Kl.; CXIV. Dd., Abi. I. SarnuUisdw Scitixklai/ 28Ö W. S. V. Friedberg, Feldwege westlich vom Bahnhof, in einem Graben. Es ist schließlich ganz sicher, daß der Grundton die Unterlage des ganzen Hügelzuges bildet, auf was man aus der Tatsache schließen kann, daß alle tieferen Brunnengrabungen auf einen wasserundurchlässigen Ton stoßen. Über dem Grundtone liegen fossilienreiche Sande und Tone, welche aus Machöw, Tarnobrzeg, Miechocin, Soböw und Wielowies bekannt sind. Bei Tarnobrzeg bildet nach Hilber »die untere Hälfte des Weichselsteilrandes ein Blatt- reste, Foraminiferen und Muschelembryonen führender Schiefer- ton, über ihm liegt bei der nördlichen Ziegelei ein mit Geröll- schotter und dünnen Tonlagen wechsellagernder Sand, welcher Fossilien enthält. Die Schichtflächen der Tone sind fast hori- zontal, während der untere Ton gegen N unter die darüber- liegenden Sande fällt.« Aus dieser Beobachtung müßte man schließen, daß die Sande nicht konkordant auf dem Blattreste enthaltenden Schiefertone liegen. Wie ich früher erwähnt habe, fällt der Grundton im SW von Skala gegen E, über ihm würde also der Schieferton mit Blattresten liegen und erst über dem- selben die Fossilien enthaltenden Sande, welche diluvial sind. Aus den Sanden bei der Ziegelei gibt Hilber folgende Fossilien: Ceritkium deforme E i c h w. » cf. ruhiginosum E i c h vv. » hicmctnm Eichw. Buccinum sp. » Vinclohofiense Mayr. Vetitis cf. mnUilameUa Lam. Cardmm sp. Isocard ia sp. Ervilia piisilla + podolica Eich w. Pecten sp. Ostrea cochJear Poli. Serpttla sp. Außer Cerithium deforme und Ervilia pusilla + podolica sind alle Schalen stark abserollt. Sarmatische Fauna von Tarnobrzeg. 281 In kleiner Entfernung von hier liegt die Stelle, von welcher Jachno's Material stammt. Es war dies ein Hügel zwischen Tarnobrzeg und Miechocin, welcher im Jahre 1868 bei der Anlage der neuen Landstraße von Nadbrzezie nach Mielec eingeschnitten wurde. Hier waren Muschellagen .teils schichtweise einem Diluvialschotter, welcher aus Quarzstücken und karpathischem Material bestand, eingelagert, teils ordnungs- los mit ihm vermengt. Die von Jachno gesammelten Fossilien waren also nicht auf ursprünglichem Lager, sondern wurden vom Wasser von anderswo hertransportiert und hier abgesetzt. In seinem Material, welches zusammen mit T. Fuchs bestimmt wurde, fanden sich folgende Arten. Wirbeltiere: Delphinns sp. (einige Wirbel). Trionyx sp. Zähne einiger Selachier. Krustazeen: Scherenpaar eines riesigen Krebses, Würmer: Serptila sp. Gastropoda: Helix ttironcnsis Desh. (?) Troclms pattihts B r o c c h i. TiirrUella marginalis B r. Cerithmm picttim Brg. » rtihiginosnm Eichw. » lignitarum Eichw. » plicahun Brg. » Dnboisi M. Hörn. Plenroioiiia Doderlemi M. Hörn. Vollita sp. Mitra scrohiailata Brocc. 19* 282 W. S. V. Friedberg, Conchifera: Ostrea navicularis Brocc. (:= cochlear Pol.) Pecten elegans A n d r. Pectunculus oMusaUis Part seh. » pilosus L. Isocardia cor L. _- ^ Chama sp. Häufig. Cardium edule L. Cardita rudista L. Venus plicata Gm eh. » praecursor May. Häufig. » cincta Eichw. Crassatella concetitrica Duj. Lucina incrassata Dub. Mesodesma sp. Ervilia pusilla Phil. Dosinia Adansoni Phil. Bryozoa: Cellepora sp. Pflanzen: Nullipora sp. Nicht weit von hier liegt die Stelle, wo das von Stobiecki gesammelte Material gefunden wurde. Gegen E von Miechocin durchschneidet die Eisenbahnlinie einen kleinen Hügel, welcher 1 72 ^^^ vom Orte Ocice entfernt ist und gegenüber einem kleinen Walde liegt; die kleine Entblößung ist westlich von der Eisenbahnlinie sichtbar. Der Hügel besteht aus einem Sande, welcher sarmatischen Alters ist und sehr viele Schalen enthält. Das von Stobiecki gesammelte Material ist ziemlich reich und wurde größtenteils den Sammlungen derphysiographischen Kommission in Krakau übergeben, ein kleiner Teil dem geo- logischen Institute der polytechnischen Hochschule in Lemberg. Bei meiner Arbeit konnte ich über beide Materialien verfügen, außerdem habe ich an demselben Orte weitere Nachgrabungen gemacht. Zwar ist jetzt die Stelle teilweise bewachsen, aber Sarmatische Fauna von Tarnobrzcg. 283 der lose Sand erlaubt den Gräsern nicht, etwas fester zu wurzeln und der westliche Rand des Einschnittes zeigt ihn noch heute an einigen Stellen. Die Schichtung ist hier nicht sichtbar, der Sand enthält aber so viele Foraminiferen und manche zarte Molluskenschalen sind so gut erhalten, daß ich den Sand als auf ursprünglicher Lagerstätte liegend bezeichnen muß. Manche von den hier gefundenen Arten entsprechen dem Tortonien, also älteren als sarmatischen Ablagerungen. Die- jenigen von diesen Tortonienarten, welche auffallend stark ab- gerieben sind, wurden wahrscheinlich eingeschwemmt, andere aber lebten während der Ablagerung der sarmatischen Sande bei Tarnobrzeg in der älteren sarmatischen Zeit, als das medi- terrane Meer seine frühere Verbindung mit anderen Meeren verlor und zu einem großen Binnenmeere wurde. In dieser Zeit begann die Bildung einer besonderen sarmatischen Fauna und die Entstehung der Schichten bei Tarnobrzeg in dieser Phase bezeugt uns die Existenz einiger Übergangsformen von medi- terranen zu sarmatischen Arten (z.B. Cerithmm picUim und Über- gänge zum C. iiympha, Ervilia piisilla, E. pusilla + podolica und E. podolica). Im SW von Tarnobrzeg treten Fossilien enthaltende Bil- dungen nach M. Lomnicki^ bei Machow zum Vorschein. Er erwähnt, daß westlich von diesem Dorfe, bei der Spiritusfabrik, knapp am Rande des Hügellandes gegen die Weichsel, deutlich geschichtete Schiefertone entblößt sind, welche mit Schichten eines sandigen Tones wechseln. In diesem Tone sind Cerithien und Ervilien {Ervilia cf. pusilla Eichw.) nicht selten. Leider ist die Lagerung der Schichten nicht beschrieben, weshalb ich nicht angeben kann, ob sie den sarmatischen Bildungen bei Miechocin oder, was auch möglich wäre, dem unter denselben liegenden Grundton entsprechen. Auf seiner Karte hat M. L om- ni cki sie, wie auch alle Vorkommen des Miocäns, als »Krako- wiecer Tegel« ausgeschieden. Nordwestlich von Tarnobrzeg sind sarmatische Schichten bei Sobow vorhanden. Auf der Eisenbahnstrecke Soböw — Nad- brzezie fand S. Stobiecki in einem beim Baue dieser Strecke 1 M. ■Lomnicki, 1. c. p. 35. 284 W. S. V. Friedberg, gemachten, 2 m tiefen Einschnitte (Entfernung von der Station Soböw 2 bis 2*3 km) eine Tegelschicht, auf welcher eine 5 bis 20 cm dicke Sandschicht, darüber ein mürbes und leicht zer- fallendes Cerithienkonglomerat lag. Der Ton, wie auch der Sand sind reich an Schalen. Der Ton ist nach Eintrocknen hellblau, enthält zahlreich (sehr gut erhalten) Cerithmm nympha Eichw., geschlemmt gab er keine Foraminiferen, nur zahl- reiche, nicht bestimmbare Kalkröhren. In der Sammlung der physiographischen Kommission in Krakau waren einige Tau- sende von Cerithien aus dem Konglomerat. Es waren fast ausnahmslos Individuen von Cerithmm nympha Eichw., zwischen welchen zahlreiche Hydrobien, Foraminiferen und Ostrakoden lagen; außerdem noch einige winzige Land- schnecken (Vallonia pnlchella, Ptipa), was beweist, daß diese Tiere an demselben Orte, wo sie aufgefunden waren, gelebt haben und daß in der Nähe Land (Meeresufer) war, von welchem die Landschnecken in das Meer gelangten. Jetzt ist an dieser Stelle außer Spuren von blauem Tone gar nichts zu sehen, da die Ränder des Einschnittes bewachsen sind. Nach Reh man (1. c. p. 218) enthält der sandige Boden bei Sobovv nicht selten Muschelschalen {Cerith. pictum, Mtirex sp., Isocardia), unter welchem blaue Tone (Ziegelei bei Soböw) hervortreten. Nach demselben Autor enthält der Sand zwischen Soböw und Zakrzöw (P. 164 w) Spuren einer zerstörten Kalk- schicht, kleine LithothamnienknoUen und Muscheln. Ich fand 1 Va ^'''''^ südlich von diesem Punkt, auf dem Orte, wo der von der Eisenbahnstation Soböw kommende Feldweg den Wald »Zwierzyniec« erreicht, in wenig sandigem Ackerboden zahl- reiche Cerithien (C.pictum, C. mediterraneum), Lithothamnien- knoUen und Stücke eines weißen, erbsenförmigen Kalkkon- glomerates. Die Vorkommnisse bei Soböw (außer dem von Stobiecki mitgeteilten Durchschnitte) sowie auch die von Jachno bei Miechocin, von Hilber und M. Lomnicki bei Skal'a beschrie- benen, stellen uns ehemalige sarmatische Schichten dar, welche jedoch während der Eiszeit sehr stark zerstört wurden. Jetzt erscheinen sie uns als eine unregelmäßige Vermengung von erratischem Material, sarmatischen und mediterranen Fossilien; Sarmatischc Fauna von Tarnobrzcg. 285 die letzten wurden aus der Gegend bei Sandomir hielier- gebracht. Die Schichten aus dem Durchschnitte des Stobiecki sind unzerstörte, sarmatischc Schichten, während die bei Miechocin als etwas durchgewaschene, ebensolche Bildungen zu deuten sind. Endlich fand auch Reh man bei VVielowies Sande, welche zahlreiche Bryozoenzweige, dann C. pictum, Murex sp., Iso- cardia cor, jugendHche Formen eines Cerithinm, Bncciniim und Ervilia podoUca enthalten. Diese Sande konnte ich leider nicht wiederfinden, aber sie entsprechen sarmatischen Sanden, welche mit denen bei Miechocin analog sind, was Ervilia podolica beweist. Damit wäre alles, was wir über Miocänschichten bei Tarnobrzeg wissen, erschöpft. Daraus kann man ersehen, daß dort oben Fossilien enthaltende Sande liegen (Miechocin, Soböw), unter ihnen aber (Soböw und Hilber's Profil bei Skal'a) Tone, welche auch eine Muschelfauna beherbergen. Die Tone sind dem Grundtone (Krakowiecer Tegel des M. -Lom- nicki) sehr ähnlich, auf welchem sie diskordant ruhen. In dieser Arbeit werde ich mich nur auf die Sande von Miechocin und Soböw und die Tone von Soböw beschränken und nur ihr Alter festsetzen. Die ziemlich umfangreiche Fauna des Jachno ist deshalb von geringer Wichtigkeit, weil sie aus einer diluvialen Schotterlage stammt und keine Angaben be- sitzt, welche Arten gut, welche aber schlechter erhalten sind. Von mir wurden folgende makroskopische Fossilien be- stimmt: ^ Monödonta angnlata Eichw. (Miechocin). » Araonis Bast. (Miechocin). * » niamilla Eichw. (Miechocin). Neritiiia pictci Fer. (Soböw). Hydrobia Partschi Fr au n f. (Soböw). » ventrosa Mont. (Soböw). » stagnalis Bast. var. (Soböw). 1 Ein Stern bezeichnet stark abgerollte, wahrscheinlich eingeschwemmte Fossilien, der fettere Druck die für die sarmatischc Stufe charakteristischen. Unsicher bestimmte Arten wurden in diesem Verzeichnisse nicht berücksichtigt. 286 W. S. V. iM-iedberg, Rissoa Lachesis Bast. (Soböw und Miechocin). » n{/7a/a And r. (Miechocin). *Turritella marginalis Brocc. (Miecliocin). Vermeius intortiis Lam. (Miechocin). *Cerithinm pidnm Bast. (Miechocin und Soböw). * » cLßorianum Hilb. (Miecliocin). " J » bicostatum Eichw. (Soböw und Miechocin). » nympha Eichw. (Soböw und Miechocin). * » Rollei Hilb. (Miechocin). » submitrale Eichw. (Miechocin). » nodoso-pUcatnm M. Hörn, (Miechocin). » mediterraneum Desh. (Miechocin u. Soböw). » bidentatnm De fr. (Miechocin). » Duboisi M. Hörn. (Miechocin). » deforme Eichw. (Miechocin und Soböw). » Schwärzt M. Hörn. (Miechocin). » hüineatuwi M. Hörn. (Miechocin). » pyginaetim Phill. (Miechocin). Buccinum duplicatum Sov. (Miechocin). » podolictim R. Hörn. u. Aning. Pleurotoma Doderleini M. Hörn. (.Miechocin). * » Mariae R. Hörn. u. Auing. (Miechocin). Btilla Lajonkajreana Bast. (Miechocin). Helix (Vallonia) ptüchella Müll. (Soböw). Pnpa (Vertigo) didymodus vav.ßssideus S a n d b. (Sobtnv). » fPttpilla) M. LomnickU n. sp. (Soböw). DeniaUti,m iiictirvurn Ren. (Soböw, Miechocin). Pecten elegans An dr. (Miechocin). ^> * » cf. Lilli Pusch. (Miechocin). Ostrea coclilear Poli (Miechocin). * » digitalina Dub. (Miechocin). Nnciila nticleus L. (Miechocin). Area lactea L. (Miechocin). "^Pectunciihis pilostis L. (Miechocin). * » glycyineris L. (Miechocin). Cardita rudista Lam. (Miechocin). » Partschi Gold f. (Miechocin). » scalaris Sov, (Miechocin). Sarmutisclic Faunii von Tarnobrzcg. 287 Cardium plicatum Eichvv. (Miechocin). Lucma borealis L. (Miechocin). '■•'Isocardia cor L. (Miechocin). Venus muJtilaniella Lam. (Miechocin). '^'Tapes gregaria Pai'tsch. (Miechocin). Ervilia pusilla Phill. (Miechocin). » trigontila Sokol. (Miechocin). » podolica Eichw. var. infrasarmatica Sokol. (Miechocin). >> podolica Eichw. var. dissita (Miechocin). *Mactra podolica Eichw. (Miechocin). CorhiUa gibha Olivi (Miechocin). "^'Serpula tiibiiliis Eichw. (Miechocin). Megerlea truncata L. (Miechocin). Aus dieser Versteinerungsliste muß man zu dem Schlüsse gelangen, daß wir es hier mit sarmatischen Bildungen zu tun haben, welche der Cerithienfacies dieser Stufe entsprechen. Die Cerithien geben ihr ein charakteristisches Gepräge, nicht nur durch ihre Artenzahl (16), sondern auch durch die Zahl der Individuen, denn erst auf je 50 Cerithien kommt ein Exemplar anderer Fossilien. ^ Wir müssen deshalb die hiesigen sarmatischen Sande den Cerithiensanden bei Wien gleich- stellen. Die im Verzeichnisse mit fetterem Druck ersichtlich gemachten Arten sind wohl ein genügender Beweis für das sarmatische Alter. Das Zusammenvorkommen mediterraner Formen mit sar- matischen können wir auf zweierlei Art erklären. Die hiesigen sarmatischen Schichten könnten vielleicht einem älteren sarmatischen Horizont entsprechen, in welchem noch manche Tortonienformen fortlebten. Diese Möglichkeit ist von mancher ^ L. Teisseyre sagt bei Besprechung untersarmatischer Sande aus Ostgalizien (Podolien): -»Cer. picttttn und ähnliche Formen erscheinen in der erforschten Gegend in Tausenden von Exemplaren nur in sarmatischen Schichten. Manche dieser Arten kommen in mediterranen Ablagerungen, aber nur sporadisch vor.« Atlas geologiczny Galicyi, zeszyt. VIII. (Geolog. Atlas von Galizien, Heft VIII, p. 61, Anmerkung). 288 W. S. V. Friedherg, Seite betont worden (Bittner, Sueß), in neuerer Zeit auch von Teisseyre für galizische Vorkommnisse.^ Zweitens könnten aber auch viele dieser älteren Formen, wie früher erörtert wurde, eingeschwemmt sein. Diese Vermischung der Arten konnte zweimal geschehen: während der sarmatischen Periode, in welcher Zeit das sarmatische Binnenmeer seine Ufer, welche bei Tarnobrzeg aus mediterranen Schichten bestanden, um- spülte und unterwusch, und weit später während der Eiszeit. Damals brachten die Moränen des mächtigen Gletschers und die aus ihm entstehenden Gewässer gar manches Material aus dem Norden, um so leichter also aus der nahen Gegend von Sandomir (Lithothamnienkalke, Pecten latissimtis, welchen Rehman erwähnt). Beim Vergleichen mit anderen Faunen müssen wir selbst- verständlich zuerst an die nächsten Vorkommnisse denken. Kontkiewicz^ beschrieb sarmatische Schichten aus der Gegend von Chmielnik und Szydl'öw in Polen, nordwestlich von Tarnobrzeg, wo hauptsächlich Sande, Sandsteine und Konglomerate diesen Horizont bilden. Die Versteinerungen in den Sauden sind teils gut erhalten, teils (mediterrane) abge- rieben. Von hier gibt Kontkiewicz 29 Arten, von welchen 17 mit denen bei Tarnobrzeg übereinstimmen, darunter z. B. Biicciniim duplicatum, Pletirotoma Doderlemi, Cerith. pictnm, Ervilia podoUca. J. Siemiradzki^ behauptet zwar, daß diese Schichten keineswegs der sarmatischen Stufe, sondern nur dem mediterranen Ervilienhorizont entsprechen, aberwirhaben keinen Grund dazu, um die faunistischen Angaben Kontkiewicz' als unsicher und unglaubwürdig zu bezeichnen, besonders 1 L. Teisseyre (1. c. p. 07) betont, daß manche mediterrane F'ormen in sarmatischen Schichten nicht auf sekundärer Lagerstätte sind, sondern daß sie einen eigentlichen Bestandteil dieser Faunen bilden und daß abgerollte Schalen auch bei primären Faunen möglich sind. 2 St. Kontkiewicz: Sprawozdanie z badan geol. dok. w r. 1880 w poludn. czgsci gub. Kieleckiej. Pamigtnik fizyogr. warszawski, tom II poln. (Bericht über geolog. Arbeiten im Jahre 1880 im südlichen Teile des Gouv. Kielec). 1882. 3 Siemiradzki und Dunikowski: Szkic geologiczny Krolestwa Polskiego (Geologische Skizze von Polen) poln. Warszawa 1891, p. 60 bis 61. Saimatische Fauna von Tarnobrzcg. 280 da die Unterschiede zwischen Ervilia pusilla und podoUca, Modiola Hörnest und volhynica bei genauer Betrachtung ohne Schwierigkeit zu finden sind. Aus der Gegend von LubHn kennen wir sarmatische Schichten durch die Arbeit J. Trejdosiewicz'.^ Es sind das sarmatische Sande, Sandsteine, am öftesten aber Kall'CSteine (gewöhnhche, Bryozoen-, Serpulen-Kalksteine), welche sich durch reiche Bryozoenfauna auszeichnen. Die sarmatische Stufe erscheint hier als riffbildend, die Facies ist also ver- schieden, die Molluskenfauna zeigt jedoch gar manche Ähn- lichkeit mit jener von Tarnobrzeg, denn von 20 Arten bei Lublin sind 12 auch bei Tarnobrzeg vertreten. Das Vergleichen mit sarmatischen Ablagerungen Podoliens ist infolge größerer Entfernung etwas schwieriger, bietet uns aber doch wichtige Analogien. Nach L. Teisseyre (1. c. p. 60 bis 68) beheibergen die dortigen Sande, Sandsteine und Kon- glomerate oft eine Mischfauna, welche neben sarmatischen noch viele mediterrane Formen enthält. Die in dieser Arbeit angegebene Fauna des Quarzkonglomerates bei Proniatyn be- steht aus 26 Arten, von welchen 16 auch bei Tarnobrzeg vor- kommen. Bemerkenswert ist es, daß nach demselben Autor das Quarzkonglomerat in Proniatyn vom mediterranen Kalk- steine durch eine Schicht mit ausschließlich sarmatischen Fossilien getrennt ist. Nach L. Teisseyre könnte vielleicht die Existenz einer Mischfauna auf eine ufernahe Bildung hin- weisen und teilweise durch Unterwaschung und Umlagerung erklärt werden. Auf diese Weise könnten manche Vorkommnisse sarmatischer Mischfauna uns die Ufer des sarmatischen Meeres markieren. Die Fauna der Bugiöwkaschichten Laskarew's hat manche Beziehungen zu derjenigen von Tarnobrzeg, zugleich aber doch einen anderen Gesamthabitus. Die Buglowska- schichten sind wahrscheinlich etwas älter, stellen uns jeden- falls keine ufernahe Bildung vor und infolge größerer Ent- fernung gegen Osten hat ihre Fauna einen anderen Charakter. 1 Joh. Trejdosiewicz: Utwory trzcciorzgdowe gubernü lubelskiej (Die Tertiärbildungen des Gouvern. von Lublin. poln.). Pami^tnik Fizyograf. warszawski, Band III, 1883, 290 W. s.v. Friedberg, Die nächsten Vorkommnisse der sarmatischen Schichten liegen jedoch gleich bei Tarnobrzeg, jenseits der Weichsel, in der Gegend von Sandomierz, es sind aber leider bis jetzt keine neuen Arbeiten über das Miocän dieser Gegend vor- handen, weshalb wir auf die alten Angaben von Pusch an- gewiesen sind. Er nennt sie in seiner »Geognostischen Be- schreibung von Polen« (Tübingen, 1836): »Formation des tertiären Muschelsandsteines« (Gres marin superieur) und beschreibt sie aus der Gegend von Staszöw, Klimontövv und Sandomierz. Die Grenze der ersten Partie (Staszöw, Klimontöw) verlauft durch die Ortschaften Bigoryja, Klimontöw, Koprzy- wiankabach, Koprzywnica, Loniew, Osiek, Polaniec, Staszöw; die Partie bei Sandomierz ist am besten im Opatöwkatale, vom Dorfe Malice und Mi^dzygörze bis nach Sandomierz, auf- geschlossen, sonst aber starker Lehmbedeckung wegen wenig sichtbar; weitere Entblößungen sollen auf den Pfefferbergen bei Sandomierz, bei Garbövv, Debiany und Nasfewice sein. Cerithien enthaltende Sande erwähnt Pusch aus Sandomierz, D§biany und Nas^awice. Überall liegen diese Schichten hori- zontal und diskordant auf älteren. Zur genaueren Feststellung sind zwar neue, den modernen Anforderungen entsprechende Beschreibungen notwendig, die Angaben von Pusch können aber auch ausreichen, um das Vorhandensein sarmatischer Schichten in dieser Gegend anzu- nehmen. Wenn wir erwägen, daß das sarmatische Alter gegen Westen liegender ebensolcher Bildungen von Kontkiewicz bestätigt wurde, daß Pusch Cerithiensandsteine und Cerithien- sande angibt, so wird uns diese Annahme als ganz begründet erscheinen.^ Die Versteinerungenliste von Pusch ist zwar mangelhaft und bedarf neuerer Überprüfung, aber sie spricht auch für das sarmatische Alter. Es werden erwähnt: Pectimcu- hts angusticostatiis Lam. (Zagrody), Venericardia rhomhoidea =r Cardita rudista (zwischen Opatöw und Sandomierz), Ery- cina apellina -— Ervilia podolica, sehr häufig (Sandomierz), 1 Es behauptet zwar J. Siemiradzki (1. c. p. 63), daß die Sande, Sandsteine und Konglomerate aus der hiesigen Gegend dem oberen Litho- thamnienkalk aus der Gegend von Lemberg entsprechen, aber ohne irgendeinen Beweis dafür zu liefern. Sarmatische Fauna von Tarnobrzeg. 29 1 Cerithium lima =r C. deforme Eichw. (zwischen Opatöw und Sandomierz), C. calculosum =: C. ruhiginosum (Sandomierz), C. picttim, sehr oft (Nasl'awice, D§biany), Trochus inrgiditlus := Tr. Celinae Andrej (zwischen Opatöw und Sandomierz). Aus allen diesen Erwägungen können wir folgenden Schluß ziehen, welcher mit den bisherigen Anschauungen im Einklänge steht. Das große sarmatische Binnenmeer erstreckte sich gegen Westen in Form einer Bucht, deren Grenzen über Bilgoraj, Tarnobrzeg, Staszöw, Szaniec, östlich von Pihczöw, dann über Chmielnik, Szydföw, Opatöw, von hier südlich von Krasnik verliefen. Die südliche Grenze ist heute wenig sicht- bar infolge diluvialer Abrasion und Überdeckung durch das Material der großen nordischen Moräne. Die angegebenen Grenzen entsprechen jedoch der größten Ausbreitung des sar- matischen Meeres (Laskarew's^ Horizont der Ervilia podo- lica); mit der Zeit wurde das Meer immer kleiner, verließ hiesige Gegenden und verlegte seine Westgrenze immer mehr gegen Osten. Aus dem, was jetzt gesagt wurde, geht ferner hervor, daß das untersarmatische Meer in keinem Zusammen- hange mit anderen gegen Westen liegenden Binnenmeeren war. IL Paläontologiseher Teil. Gastropoda. Monodonta. 1. Monodonta angulata Eichw. M. Hörn es: 2 Die fossilen Mollusken der Tertiär- becken von Wien. Abhandl. der geol. Reichsanst. Bd. III, p. 439, Taf. 44, Fig. 9 bis 10. 1 W. Laskarew: Über sarmatische Schichten einiger Orte des wol- hjniischen Gouvernem. Russisch. Zapiski noworos. obczestwa. Bd. XXI, 1. 1897. 2 Die jeder Art beigegebenen Literaturangaben beziehen sich auf diese Arbeiten, nach welchen die Bestimmung vorgenommen wurde. 292 W. s.v. Friedberg, Mehrere Exemplare, welche vorwiegend 8 iitm lang und 6 mm breit sind; auf jeder Windung sind ungefähr 4 Trans- versallinien sichtbar. Nabel undeutlich, der Zahn auf der linken Lippe kaum sichtbar. Meine Schalen entsprechen dem Trochns angtilaUis von Eichwald, welche Form M. Börnes zur Moiiodonta stellte, sie gleichen auch dem Trochns äff. angulattis, welchen Las- karew aus seinen Bug^wkaschichten beschreibt (W. Laska- re w: Die Fauna der Bugiöwkaschichten. Memoires du Com. geologique, Petersbourg 1903. Taf. V, Fig. 16 bis 17). Fundort: Miechocin (Sammlung der physiogr. Kommission und des Verfassers). 2. Monodonta Araonis Bast. M. Hörnes, 1. c. p. 436 bis 437, Taf 44, Fig. 7. Ein gut erhaltenes Exemplar, 8 mm hoch, 12 mm breit. Fundort: Miechocin (Sammlung der physiogr. Kommis- sion). 3. Monodonta mamilla Eichw. (?) M. Hörnes, 1. c. p. 438, Taf. 44, Fig. 8. Vier beschädigte Exemplare gehören wahrscheinlich zu dieser Art. Die Schale hat 10 mm im Durchmesser, ist niedrig, abgeplattet und hat schwach gewölbte Umgänge, die Nähte sind schmal, aber deutlich. Man kann auch die von M. Hörnes als charakteristisch angegebene Eigenschaft bemerken, daß auf dem letzten Umgange zu oberst eine kielartige Erhöhung ist, unterhalb derer der Umgang eine deutliche Einsenkung besitzt. Fundort: Miechocin, Sand (Sammlung der physiogr. Kom- mission in Krakau). Neritina Lam. 4. Neritina picta Fer. M. Hörnes, 1. c. p. 535 bis 536. Ein kleines Exemplar (Durchmesser bei der Mündung 3 und 2 mm) fand sich zwischen den Cerithien aus Sobow. Es Sarmatische Fauna von Tarnobrzeg. 293 stammt von einem jungen Individuum, dessen Schale runde, nicht gekielte Umgänge besitzt. Fundort: Soböw (Sammlung der physiogr. Kommission in Krakau). Hydrobia Hartm. 5. Hydrobia Partschi Fraunf. M. Hörn es, 1. c. p. 588 bis 589, Taf. 47, Fig. 24. Die Schale ist sehr klein, größtenteils 0'5mm lang, bei der Mündung O'Smm breit, die größten erreichen 1 mm. Das Ge- winde ist wenig erhaben, besteht aus 3 bis 4 schnell sich vergrößernden Umgängen, welche rund sind, nur der letzte ist unten etwas abgeplattet. Der Nabel ist klein, aber deut- lich, die Mündung rund, nicht frei, weil beide Lippen sich oberhalb nicht berühren. Die ganze Schale ist aschgrau, zeigt längliche Zuwachsstreifen, welche erst unter Lupe erscheinen. Paliidina Partschi, welche M. Hörn es aus dem Badener Tegel beschreibt, ist mit unserer Form identisch. Ein Unter- schied besteht nur in der Form der Mündung, welche bei den Exemplaren von Baden frei ist, weil beide Lippen sich oben berühren, während hiesige, wie bemerkt wurde, beide Lippen getrennt haben. P\mdort: Soböw, sehr häufig (Sammlung der physiogr. Kommission in Krakau). 6. Hydrobia ventrosa Mont. R. Hörn es: Sarmatische Konchylien aus dem Öden- burger Komitat. Jahrb. der geol. Reichsanstalt, J. 1897, p. 68 bis 69, Taf. II, Fig. 1 1. Die Schale besteht aus 5, selten nur aus 4 Umgängen, ist 3 bis 3 • 5 mm hoch, bei der Mündung 1 • 5 mm breit. Die Um- gänge sind kugelförmig, durch deutliche Nähte getrennt; die Mündung frei, da beide Lippen oberhalb verwachsen sind. Die linke Lippe ist etwas angewachsen und verdeckt deshalb den Nabel, welcher aber trotzdem deutlich sichtbar ist. 294 W. S. V. Friedberg, Es ist eine interessante Tatsache, daß bei manchen Exemplaren der letzte Umgang etwas evolut ist, dann ist die Mündung ganz frei und der Nabel offen, die Schale gewinnt zugleich selbstverständlich an Breite. R. Hörn es betont dieselbe Erscheinung und es scheint, daß sie durch eine Neigung zur Variation verursacht sein könnte, welche durch Austrocknen des Meeres geweckt wurde. Hydrohia acuta, welche M. Hörn es beschreibt, ist mit der H. vejitrosa identisch, aber seine Zeichnung (Taf. 47, Fig. 20) stellt eine schlankere Form als die meinige und die von R. Hörnes vor. LitorineJla acuta Drap, und inßata Fauj., mit H. veutrosa identisch, welche F. Sandberger beschreibt (»Die Konchylien des Mainzer Tertiärbeckens«, p. 32 bis 85, Taf. 6, Fig. 9), zeigen eine noch größere Veränderlichkeit als die unserigen, denn kein Exemplar ist bei mir so stark evolut, wie es die Fig. 9jf Sandberger's zeigt. Außer erwachsenen Formen sind in meiner Sammlung auch zahh'eiche Jugendformen, welche kaum 1 •^inni hoch sind. Fundort: Soböw, zirka 50 Exemplare (Sammlung der physiogr. Kommission in Krakau). Einige Exemplare haben etwas abgeplattete Umgänge, wodurch eine Art von Kiel auf dem letzten Umgang entsteht (auf einer Schale deutlich, auf zwei anderen nur angedeutet), die Umgänge werden dadurch winkelig. Zwar beschreiben Neumayr und Paul (Paludinen- und Kongerienschichten von Slavonien, Abhandl. der geol. Reichsanstalt, Bd. VII, Heft 3, p. 77, Taf. IX, Fig. 16) eine Hydrohia als H. acute carinata, aber meine Exemplare entsprechen ihr nicht, sie sind nämlich breiter und niedriger als diese, welche außerdem 6 bis 7 Um- gänge besitzt. Typische Exemplare von H. veutrosa besitzen manchmal schwach abgeplattete Umgänge, infolge dessen ich die erwähnten drei Exemplare bloß als Mißbildungen betrachten muß. 7. Hydrobia stagnalis Bast. var. Vier Exemplare, welche dickschalig sind und schwach gewölbte Umgänge besitzen, sind weder mit der jetzt lebenden Saimatische Fauna von Tarnobrzeg. 29o Form identisch, noch mit denen, welche Neumayr und Paul (1. c. p. 76, Taf. IX, Fig. 14) unter dem früheren Namen H. sepulcralis Part seh beschrieben haben. Zwei von ihnen (Höhe 2'5 und 3" 1 mm, Breite 1 •2mnt) haben den letzten Umgang größer als die Hälfte der Schale, die Umgänge sind stärker abgeplattet als bei der typischen Form, die Mündung ist länglich-oval, die linke Lippe angewachsen. Etwas ähnlich würde H. lotigaeua Neum. sein (1. c. Taf. IX, Fig. 13, p. 76), aber meine Form besitzt mehr gewölbte Um- gänge, eine elliptische, nicht runde Mündung. Zwei andere Exemplare haben dieselben Dimensionen, sind aber schmäler, bestehen aus 6 wenig erhabenen Umgängen, die Mündung ist bei ihnen klein und der letzte Umgang nimmt mehr ein als die Hälfte der Schale. Etwas ähnlich, obwohl nicht identisch, ist die H. syrmica (Neumayr und Paul, 1. c). Fundort: Soböw (Sammlung der physiogr. Kommission in Krakau). Rissoa. 8. Rissoa Lachesis Bast. M. Hörnes, 1. c. p. 572, Taf. 48, Fig. 16 bis 17. Ein etwas abgeiiebenes Exemplar stammt aus Sobow, acht aus den Sauden von Miechocin. Das Exemplar von Sobow ist klein (2-5 mm hoch, 1 -8 mm breit), diejenigen von Miecho- cin haben dieselben Ausmaße, nur eines von ihnen aus- genommen, welches b mm hoch und an der Basis 2- omni breit, also bedeutend schmäler ist. Dieses würde an R. Clotho M. Hörnes erinnern, aber die Windungen sind bei ihm rund- lich und nicht winkelig, außerdem zeigt die Mündung keine Anlage zur rinnenartigen Verlängerung, welch letztere Eigen- schaft für die R. Clotho charakteristisch ist. Fundort: Soböw und Miechocin (Sammlung der physiogr. Kommission und des Verfassers). 8. Rissoa inflata An dz. M. Hörnes, 1. c. p. 576 bis 577, Taf. 48, Fig. 22. Sitzb. d. mathein. natiirw. Kl.; CXIV. Bd., Aht. I. 20 296 W. S. V. Friedberg, Zwei Schalen (ohne zwei erste Windungen) sind 2 mm hoch und bei der Mündung 1 -2 ww breit; sie gehören zu den schlanlceren Formen dieser Art. Zwar sind die Umgänge deut- Hch gekielt, doch ist die Mündung unten nicht vorgezogen, weshalb ich diese Schalen nicht zur R. angulata Eichwald's stelle, welcher Art sie sehr ähnlich sind. Fundort: Miechocin (Sammlung des Verfassers), 9. Rissoa an rotulata Dod. Alvania rotulata F. Sacco: I molluschi d. terr. ter- ziarii del Piemonte e della Liguria. Parte 18, p. 24, Fig. 54. Zwei kleine Exemplare gleichen keiner Art, welche von M. Hörnes beschrieben wurden, am meisten noch der er- wähnten Art von Sacco. Das Gehäuse ist niedrig {2' \ mm) und breit {\'%mm), besteht aus vier schnell wachsenden Um- gängen, welche vertikal gefurcht sind. Diese Form ist der R. tnrricoJa Eichw. etwas ähnlich. Fundort: Miechocin (Sammlung des Verfassers). Turritella Lam. 10. Turritella marginalis Brocchi. Haiistator marginalts Br. F. Sacco, I.e.; Parte 19, p. 16, Taf. I, Fig. 55. Es sind nur Bruchstücke vorhanden, deren größtes (3 Um- gänge) IG mm lang ist. Zwar ist die Oberfläche stark be- schädigt, dennoch kann man erkennen, daß die Schale ganz glatt ist; die Umgänge sind wenig gewölbt, nicht flach und durch deutliche, aber schwache Nähte getrennt. Meine Exem- plare sind also mit der Wiener Form, welche M. Hörnes als T. marginalis Br. var. beschreibt, nicht ganz identisch. Fundort: Miechocin (Sammlung der physiogr. Kommission in Krakau). Sarmatische Fauna von Tarnobrzeg. 297 Vermetus Ad. 1 1 . Vermetus intortus Lam. M. Hörnes, 1. c. p. 484 bis 485, Taf. 46, Fig. 18, Ein Exemplar (I5mm lang, 2-5mm im Durchmesser) war der Schale des Pecten c. f. LilH angewachsen, einige, welche stark verwickelte Röhren bilden, den Schalen der Ostrea cochlear, endlich einige kleine Bruchstücke hafteten an Bryo- zoenstöcken. Fundort: Miechocin (Sammlung der physiogr. Kommission und des Verfassers). Cerithium Brug. 12. Cerithium pictum Bast. M. Hörnes, 1. c. p. 394 bis 395, Taf. 41, Fig. 15, 17. Über 100 Exemplare, welche jedoch größtenteils stark ab- gerieben sind, besonders diejenigen von Soböw, was für ihre sekundäre Lagerung sprechen würde. Die Schale ist verlängert, womit sich diese Art (nebst anderen, später zu erörternden Merkmalen) vom sehr ähnlichen, aber etwas kleineren und wenig schlankem Cer. hicostatuni Eichw. unterscheidet. Jeder Umgang hat oben eine stark entwickelte, quergestellte Knoten- reihe, unter ihr eine zweite, wenig deutliche, welche gewöhn- lich einen knotigen Reif bildet; ausnahmsweise ist noch eine dritte Reihe vorhanden, welche nur ringförmig hervorkommt. Wie es M. Hörnes getan hat, vereine ich Cer. picimn mit Cer. mitrale Eichw. (Eichwald: Lethea rossica, Taf, VII, Fig. 10). Auf dieser Figur sehen wir die erste obere Knoten- reihe schwach hervortreten, was auf manchen meiner Exem- plare auch sichtbar ist. Cerithium pictufn ist eine Form, aus welcher eine ganze Reihe anderer Arten sich ausgebildet hat. Die diesbezüglichen Änderungen gehen bei den bei Tarnobrzeg vorhandenen Arten in zwei Richtungen. Entweder werden die unteren Reihen der Knoten immer kleiner und auf solche Art entsteht Cerithium 20* 298 W. S. V. Friedberg, bicostatum und aus ihm Cer. nympha, oder es nehmen die Umgänge an Breite zu, wobei die Höhe der Schalen nicht in demselben Tempo wächst, wodurch breite, treppenartige Scha- len — Cerithnim floriammi Hilb. — entstehen. Die letzte Art kam früher zu stände, während die vorher genannten erst in der sarmatischen Stufe sich entwickelt haben. Fundort: Miechocin und Soböw (Sammlung der physiogr. Kommission und des Verfassers). 13. Cerithium florianum Hilb. (?) Taf. I, Fig. 1. V. Hilb er: Neue Konchylien aus den mittelsteieri- schen Mediterransch, Sitzungsber. der Wiener Akad. Bd. 79, p. 435 bis 437, Taf. III, Fig. 8 bis 10. Über 20 Exemplare, von denen die größten 25 mm hoch und an der Basis 8 mm breit sind. Der Gestalt nach (schnell wachsendes und deshalb treppenförmiges Gehäuse) sind sie mit den von Hilb er dargestellten Formen identisch, obwohl einige Eigenschaften der Oberfläche, welche übrigens bei den hiesigen Exemplaren stark beschädigt ist, manchen Unterschied bilden. Ein jeder Umgang besitzt eine starke, obere Knochenreihe, unterhalb derer zwei Querreife verlaufen. In den Einsenkungen oberhalb und unterhalb des mittleren Querreifes fehlen feine Transversallinien, welche Hilb er bei den typischen Formen schildert. Bei stark beschädigten Umgängen erscheint die obere Knotenreihe als ein starker Reif, welcher um viel kräftiger ist als die zwei unteren. Das Fehlen der zwischen den Reifen quer verlaufenden Linien nähert meine Exemplare mehr an das Cer. pictum als die Formen Hilber's. Hilb er beschreibt diese Art aus dem Tone von St. Flo- rian in Steiermark, er betont aber, daß sie auch in Ostgalizien, in Podhorce bei Olesko, vorkommt. Er erwähnt außerdem (ibidem, p. 436), daß in den sarmatischen Ablagerungen bei Wiesen ähnliche Individuen vorkommen, welche jedoch durch eine höhere Form, durch die Gestalt der ersten Windungen und Mangel an Skulptur zwischen den Reifen von der typischen Sarmatischc Fiiuna von Tamobrzeg. 290 Form sich unterscheiden. Solche Schalen fand er auch im Materiale des Hofmuseums, welches aus Zalisce in Wolhynien stammen sollte. Da meine Exemplare so stark beschädigte Oberflächenskulptur haben, daß ich die Merkmale der Anfangs- windungen nicht beobachten konnte, kann ich leider -nicht angeben, ob sie in dieser Beziehung der sarmatischen Form oder dem eigentlichen Cer.florianum entsprechen. Jedenfalls spricht der Mangel an Transversalskulptur zwischen den Reifen für den Zusammenhang mit sarmatischen Individuen, die stark abgerollte Oberfläche für ein tieferes Alter. Fundort: Miechocin (Sammlung der physiogr. Kommission und des Verfassers). Außer dieser Form fand ich auch zwei Exemplare, welche einen Übergang von Cer. pictiim zu Cer. floriammt bilden; ihre Oberfläche ist wohlerhalten, das eine stammt aus Sobow (Museum der technischen Hochschule in Lemberg), das zweite aus Miechocin (eigene Sammlung). Das letzte (Taf, I, Fig. 2) ist 18 mw hoch, höher und schmäler als Cer.ßoriamim, obwohl das treppenartige Wachsen der Schale dennoch sichtbar ist; hat schwächere obere Knotenreihe und deutliche Linien zwi- schen den Reifen. Es wird eine Varietas des Cer. pictmn dar- stellen. 14. Cerithium bicostatum Eichvvald. Taf. I, Fig. ?>a,b,c. Eichwald; Lethea rossica, p. 158, Taf. VII, Fig. 12 bis 13. Ungefähr 1000 Exemplare, die größten von ihnen messen 15 mm, die kleineren erreichen kaum 2 ww. Die kleinen sind Jugendformen und haben eine wenig schlanke Gestalt, weil sie an der Basis verhältnismäßig breiter sind als die erwachsenen Formen. Die Nähte sind schwach, wodurch das ganze Gehäuse flach kegelförmig wird; es kommen aber auch Formen vor, bei denen die Umgänge kugelförmig sind, eine solche stellt Eich- wald in Figur 12 vor. Ein jeder Umgang hat drei horizontale Reife, von denen der obere aus kurzen, aber etwas dornähn- lichen Knoten besteht. Zwischen den Reifen sind noch feine Transversallinien sichtbar. Manchmal sind auch vertikale 300 W. S. V. Fiiedberg, Zuvvachslinien ausgebildet, welche deutlich auf den Schalen mit kugelförmigen Umgängen hervortreten. Die Knoten werden manchmal kleiner, treten sehr schwach und nur auf dem letzten Umgang auf und diese Formen stehen dem C.nympha Eichw. sehr nahe, allmähliche Übergänge zwischen beiden Arten sehen wir auf den Fig. 6 bis 13 (Taf. I). Die Anfangswindungen haben keine Knoten, was auch Eichvvald (Fig. 13 a) beobachtet hatte. C. mitrale Eichw. unterscheidet sich vom C. hicostatum deutlich dadurch, daß bei der ersten Form die zwei unteren Reife etwas knotig sind, was auf meinen Exemplaren nicht vor- kommt. Der letzte Umgang hat bei C. mitrale außer den oberen, vier quer verlaufende, undeutliche Knotenreihen, während beim C. bicostatum vier Reife sind. Wie wir früher gesagt haben, sind C. pictum und C. mitrale identisch, es bilden deshalb die erwähnten Merkmale den Unterschied zwischen C. bicostattim und C. pictum. Eich wald beschreibt seine Form aus Zalisce in Wolhynien, außerdem wurde sie, soviel ich weiß, nicht beschrieben; da das C. bicostatum leicht mit C. pictum verwechselt werden konnte, kann ich sein öfteres Vorkommen nicht bezweifeln. Vorkommen: Soböw, sehr häufig (Sammlung der physiogr. Kommission in Krakau und des geol. Museums der polytechn. Hochschule in Lemberg). 14. Cerithium nympha Eichw. (Taf. 1, Fig. 4a, b, c,d). Eich wald: Lethea rossica, p. 159, Taf. VII, Fig. 18. Aus Soböw stammen mehrere hunderte von Exemplaren, aus Miechocin nur einige. Die Schalen wechseln an Länge, die größten sind 21 mm lang, durchschnittlich 10 mm und nur ganz kleine Jugendformen erreichen kaum 1 mm. Der Gestalt nach ist diese Art der vorher beschriebenen sehr nahe, einen Unter- schied bildet nur der Mangel der oberen Knotenreihe auf einem jeden Umgange. Die unten etwas breite Schale verschmälert sich ziemlich rasch, nur die Schalen älterer Individuen sind verhältnismäßig schmäler. Es gibt ungefähr neun Umgänge (nach Eich wald 13) Sarmatischc Fauna von Tarnobrzeg. 30 1 und ein jeder von ihnen ist mit drei Querreifen versehen, von denen der mittlere entweder durch die Mitte des Umganges oder etwas höher verläuft. Zwischen den Reifen entstehen ver- tiefte Rinnen, welche bei älteren Individuen deutlicher sind. Die Farbe dieser Rinnen ist nicht gelb, es entstehen also keine gelben Bänder, von denen Eichwald bei seinen Exemplaren erwähnt, man kann sogar erkennen, daß die ganze Schale eine gleichmäßige gelbrötliche Farbe hat, nur bei zwei Exemplaren waren doch jene Bänder schwach sichtbar. Zwischen den Ouerreifen sind schwache horizontale Linien sichtbar, deutlicher zwischen den zwei unteren Reifen. Unter- halb des letzten Reifes verschmälert sich ein jeder Umgang, weshalb auch die Umgänge deutlich getrennt sind, deutlicher als es Eichwald zeichnet. Die Mündung ist erweitert, die rechte Lippe scharf, die linke, stark gebogen, verdeckt die Nabelöffnung vollkommen; der Kanal ist kurz, breit, nach hinten gebogen. Die ganze Schale zeigt schwache, vertikale Zuwachs- streifen, welche erst unter Lupe sichtbar sind. Manchmal kom- men auf dem oberen Reife kleine Knötchen zum Vorschein, es gibt also Übergänge zu Cerithiiim hicostattim (Taf. I, Fig. 10 und 1 1). Fundort: Sobow, sehr häufig; Miechocin, sehr selten (Sammlung der physiogr. Kommission in Krakau und des geol. Museums an der polytechn. Hochschule in Lemberg). Häufiger als die typische, eben beschriebene Form sind Exemplare, welche sehr deutliche Zuwachsstreifen aufweisen; diese Streifen gehen sogar in kielartige Anschwellungen über. Um diese Abweichung zu kennzeichnen, könnte man sie als var. striata ausscheiden, jedoch nicht, um damit eine selb- ständige Varietät zu definieren. Die Schalen, welche eine solche Abweichung besitzen, haben gewöhnlich gewölbte, nicht flache Umgänge. Sie kommen sehr häufig in Soböw, aus- nahmsweise in Miechocin vor (vergl. Taf. I, Fig. 5 a, b). 15. Cerithium Rollei Hilb. V. Hilber: Neue Konchylien aus den mittelsteieri- schen Mediterranschichten; p. 439, Taf. IV, Fig. 4. 302 W. S. V. Friedberg, Ein Exemplar fast ganz erhalten (Höhe 1 1 mm, Breite 5 w/w) besteht aus acht deutlich getrennten Umgängen; jeder Umgang besitzt drei horizontale Knotenreihen, von denen die mittlere die schwächste ist. Auf den zwei letzten Umgängen ist sie undeutlich, statt ihr aber sieht man eine rinnenartige Ein- senkung. Die Knoten stehen in vertikaler Richtung gleichmäßig in einer Linie, weshalb die Schale als mit vertikalen Knoten- reihen versehen erscheint. Mein Exemplar hat gütigst Herr Prof. Dr. Hilber als dieser Art angehörig bestimmt, es entspricht der verlängerten, nicht der typischen Form. Aus Galizien war sie bisher unbekannt. In Steiermark kommt sie in Gamlitz und Windischgratz vor. Fundort: Miechocin. Ein Exemplar (Sammlung der physio- graphischen Kommission in Krakau). 16. Cerithium submitrale Eichvv. Eichwald: Lethea rossica, p. 156 bis 157, Taf. V'Il. Fig. 16. Vier Exemplare, 24 bis 14 mm lang, das größte ist an der Basis 9 mm breit. Die Umgänge nehmen langsam an Breite zu, ein jeder von ihnen hat zwei Knotenreihen, welche überein- ander stehen, die Knoten der oberen Reihe sind etwas größer. Obwohl die Oberfläche etwas abgerieben ist, kann man doch erkennen, daß der letzte Umgang 2 bis 3 Knotenreihen, an der Basis noch 4 bis 5 Querstreifen besitzt. Fundort: Miechocin (Sammlung der physiogr. Kommission in Krakau). 17. Cerithium convexum Eich w. (?) Eichwald: Lethea rossica, p. 157 bis 158, Taf. VIl, Fig. 17. Ein Exemplar (16 mm lang), stark abgerieben und abge- rollt, ist dem C. submitrale ähnlich, aber auf dem vorletzten Umgang ist noch eine schwache, obere Knotenreihe sichtbar, was andere Umgänge nicht aufweisen. Die Knötchen dieser Sarmatische Fauna von Tarnobrzeg. 303 Reihe stehen nicht über denen der zwei unteren Reihen, son- dern etwas schief. Da diese, tur C. convexum Eichwald's cliaralvteristische Eigenschaft, andere, stärker beschädigte Um- gänge nicht erkennen lassen, läßt sich die Bestimmung dieses Exemplares nicht sicher vornehmen. M..Hörnes hat (1. c. p. 406 bis 407) C. convexum Eichw. mit C disjtmcttim Sov. verbunden, obwohl die C. disjtmctiini drei gleiche, übereinander stehende Knotenreihen besitzt. Fundort: Miechocin. Ein Exemplar (Sammlung der physio- graphischen Kommission in Krakau). 18. Cerithium nodoso-plicatum M. Hörn. M. Hörnes, 1. c. p. 397, Taf. 41, Fig. 19 bis 20. Meine Exemplare entsprechen vollkommen der typischen Form insbesonders, da die Längsfalten, welche durch Zu- sammenfließen übereinander stehender Knoten entstehen, starJ<; hervortreten. Von den zwei horizontalen Knotenreihen jedes Umganges besitzt die obere stärkere Knoten. Bei meinen Exem- plaren verlaufen die Längsfalten etwas schief, nicht ganz verti- kal: einen weiteren geringen Unterschied könnte das bilden, daß meine Exemplare an der Basis etwas weniger breit sind. Der Unterschied von C. bicincium Eichw. und C. sub- mitrale Eichw. ist deutlich, da bei diesen Arten die Knoten der unteren Reihe größer sind, außerdem ist die Skulptur des letzten Umganges verschieden. Fundort: Miechocin, nicht selten (Sammlung der physiogr. Kommission in Krakau und des Verfassers). 19. Cerithium mediterran eum Desh. M. Hörnes, 1. c. p. 393 bis 394, Taf. 41, Fig. 14. Zahlreiche Exemplare, von denen diejenigen, welche aus Miechocin stammen, besser erhalten sind als aus Soböw, die letzten sammelte ich im bewachsenen Ackerboden, westlich von diesem Orte. Im allgemeinen sind sie identisch mit der Form, welche M. Hörnes abgebildet hatte, obwohl die. Schale mehr aufgeblasen ist. Auf den ersten Umgängen sind drei 304 W. S. V. Friedberg, horizontale Knotenreihen vorhanden, auf dem vorletzten vier und zwischen den Reihen sind noch zahlreiche horizontale Linien; auf der Fig. 14 c stellt Ai. Hörnes sehr deutlich die Oberfläche des vorletzten Umganges dar. Die Knoten der ein- zelnen Reihen liegen fast alle übereinander, weshalb es scheinen könnte, daß die Schale mit vertikalen Kielen versehen ist, welche querverlaufende Rinnen durchsetzen. Die Mündung, selten wohlerhalten, hat einen großen und scharfen rechten iMundsaum, während der linke schwach umgeschlagen ist; der Kanal ist kurz, schwach nach hinten gebogen. Da die Knoten der zweiten Reihe am stärksten sind, ähnelt diese Art dem C. rubi- ghiosmn Eichwald's, jedoch sind diese Knoten nicht so stark wie bei jener Form, was ich beim Vergleichen mit typischen Exemplaren des C. riibiginosum feststellen konnte. AI Hörnes gibt nicht die Skulptur des letzten Umganges an, bei meinen Exemplaren sind dort fünf transversal verlaufende Knoten- reihen, unter denselben noch fünf transversale Linien, von welchen die drei untersten (an der Basis) nicht immer scharf hervortreten. C. doliohmi Brocc. ist sehr ähnlich, aber die Unterschiede sind auch deutlich. Bei meinen Exemplaren fehlen die dünnen Bänder zwischen den Knotenreihen, außerdem sind die Knöt- chen der oberen Reihe nicht rechteckig und nicht dicht- gedrängt, was für C. doliolnm charakteristisch ist. Fundort: Miechocin, häufig; Soböw, selten (Sammlung der physiogr. Kommission in Krakau und des Verfassers). 20. Cerithium bidentatum De fr, R. Hörnes: Neue Cerithien aus der Formengruppc der Clava bidentata D Qh\ Sitzungsber. der Wiener Akad., Bd. 1 10, Abt. I, p. 315 bis 344. Ein schönes, 50 mm langes Exemplar, besitzt starke Wülste und in der Mundöffnung an der Stelle, wo außen der Wulst auftritt, zwei Zähne, von denen der obere stärker und parallel mit der Längsachse verlängert ist. Es entspricht ganz dem C lignitarmn M. Hörnes', ist aber nach R. Hörnes zürn C, bidentatum (Clava bidentata) zu stellen. Sarmatische Fauna von Tarnobrzeg. 305 Fundort: Miechocin. Ein Exemplar (Sammlung der physio- graphischen Kommission in Krakau). 21. Cerithium Duboisi M. Hörn. M. Hörn es, 1. c. p. 399 bis 400, Taf. 42, Fig. 4 bis 5. Einige Bruchstücke von voriger Art durch schneller wachsendes, seitlich flaches, nicht gewölbtes Gehäuse leicht zu unterscheiden. Die Spindel ist kurz, nur ein Exemplar zeigt einen Wulst. Fundort: Miechocin, häufig (Sammlung der physiogr. Kommission in Krakau). 22. Cerithium Bronni Parts eh. (?) M. Hörn es, 1. c. p. 407 bis 408, Taf. 42, Fig. 12. Vier stark abgeriebene, nicht genau bestimmbare Exem- plare, habe ich nur ungefähr dieser Art beigezählt. Sie unter- scheiden sich von der typischen Form durch wenig deutliche Längsrippen, obwohl diese vernichtet sein konnten, dann da- durch, daß die Querleisten sehr regelmäßig verlaufen und^ indem sie die Längsrippen schneiden, vier regelmäßige Knoten- reihen auf jedem Umgange hervorrufen. Der letzte Umgang ist nicht erhalten. Fundort: Miechocin (Sammlung der physiogr. Kommission in Krakau). 23. Cerithium deforme Eichwald. V. Hilber: Neue und wenig bekannte Konchylien aus dem ostgalizischen Miocän. Abhandl. der k. k. geol. Reichsanstalt, Bd. 7, Heft 6, p. 8 bis 9, Taf. I, Fig. 18. Zahlreiche, jedoch kleinere Formen, die größten erreichen 8 iiiiii. Bei einigen kann man ausnahmsweise auf einem jeden Umgang außer den drei Reihen von Knoten unten noch einen schwachen Ring unterscheiden. Fundort: Miechocin und Soböw, zahlreich (Sammlung der physiogr. Kommission und des Verfassers). 306 W. S. V. Friedberg, 24. Cerithium Schwarzi M. Hörn. M. Hörnes, 1. c. p. 412 bis 413, Taf. 42, Fig. 18. Ein ganz kleines Exemplar (\'8mm lang) besteht aus acht Umgängen; mit der typischen Form identisch. Fundort: Miechocin. Ein Exemplar (Sammlung der physio- graphischen Kommission in Krakau). 25. Cerithium bilineatum M. Hörn. M. Hörnes, 1. c. p. 416, Taf. 42, Fig. 22. Ein Bruchstück, aus fünf letzten Umgängen bestehend, ist 'ö'bmni lang und vollkommen identisch mit der von M. Hörnes beschriebenen Form. Fundort: Miechocin (Sammlung der physiogr. Kommission in Krakau). 26. Cerithium pygmaeum Phill. M. Hörnes, 1. c. p. 413 bis 414, Taf. 42, Fig. 21. Ein Bruchstück, welches 7 mm lang ist und aus vier Um- gängen besteht, habe ich, als dieser Art angehörend, bestimmt, obwohl das Exemplar nicht ganz ist. Zwar ist es im allgemeinen dem C. deforme sehr ähnlich, jedoch die walzenförmige Gestalt der Schale, das stärkere Hervortreten der einzelnen Umgänge und der Umstand, daß die Knoten gleich sind und in der- selben vertikalen und horizontalen Entfernung von einander stehen, wodurch die Schale gegittert erscheint, wird wahr- scheinlich vollkommen ausreichen, um diese Art nicht dem C. deforme, sondern dem C. pygmaenin beizuzählen. Diese äußerst seltene Art lebt jetzt an der Küste Siziliens, nach M. Hörnes ist sie aus Steinabrunn, Modena, Lapugy und der Insel Rhodus bekannt. Fundort: Miechocin (Sammlung der physiogr. Kommission in Krakau). Außer den beschriebenen Arten fanden sich in der Samm- lung der physiographischen Kommission in Krakau noch Sarmatische Fauna von Tarnobrzeg. 307 manche stark abgenützte und deshalb nicht bestimmbare Schalen. Von ihnen sollen zwei Formen erwähnt werden: a) Ein Exemplar aus Miechocin, die Mündung und die Oberfläche beschädigt, ist 7 mm lang und an der Basis 3 mm breit, es besteht aus drei Umgängen. Auf dem ersten sind drei transversale Reihen von Knoten sichtbar, von denen die mittlere die kleinste ist; die letzten Umgänge haben nur zwei Reihen deutlicher Knoten. Obwohl diese Form etwas an das C. hi- cinctum Eichw. erinnert, so sind doch die Knoten eines jeden Umganges in vertikaler und horizontaler Richtung gleich ent- fernt, also anders wie bei C. bicinctnm. b) Drei Exemplare aus Miechocin, niedrig und breit, mit stark beschädigter Oberfläche, entsprechen keiner Form, welche ich aus der mir zugänglichen Literatur kenne. Sie könnten, was den allgemeinen Habitus anbelangt, höchstens an die Exem- plare von Gamlitz in Steiermark erinnern, welche von Hilber als Cerükiiim sp. nova indet. abgebildet und beschrieben wurden (V. Hilber: NeueKonchylien aus dem mittelsteierischen Mediterran; 1. c. p. 444, Taf. IV, Fig. 11). Buccinum L. 27. Buccinum duplicatum Sov. Zahlreiche Exemplare sind mit der Beschreibung und Ab- bildung des C. baccahim Bast, bei M. Hörnes vollkommen identisch (M. Hörnes, 1. c. p. 156 bis 158, Taf. 13, Fig. 6 bis 9), weil dieser Autor das C. baccatum und dttplicatum zusammen- gefaßt hatte. Fundort: Miechocin, zahlreich (Sammlung der physiogr. Kommission in Krakau und des Verfassers). 28. Buccinum podolicum R. Hörnes und Auinger. R. Hörnes und Auinger: Die Gastropoden der Meeresablagerungen der ersten und zweiten Medi- terranstufe; p. 122, Taf. 13, Fig. 30 bis 31. Mehrere Exemplare von Miechocin sind mit dieser Art identisch. Obwohl Buccinum Schani ähnlich ist, so bildet doch 308 W. S. V. Friedberg, bei unseren Exemplaren einen genügenden Unterschied eine stärkere Längsstreifung, das mehr vorgezogene Gewinde, der nicht stark nach oben reichende Mundsaum und die Art, wie die linke Lippe angewachsen ist. Fundort: Miechocin, nicht selten (Sammlung der physiogr. Kommission in Krakau). Murex L. Aus Miechocin stammt ein Fragment, nicht näher be- stimmbar. Pleurotoma Lam. 29. Pleurotoma Doderleini M. Hörn. M. Hörne s, 1. c. p. 339, Taf. 36, Fig. 17. Fünf typische Exemplare, ihre Oberfläche ist etwas be- schädigt, das größte Exemplar hat 21 mm Länge und 9 mm Breite an der Basis, der letzte Umgang hat unterhalb der rinnen- artigen Vertiefung 3 bis 4 transversale Reihen von Knoten. Laskarew gibt eine Abbildung dieser Art aus Buglöwka (»Die Fauna der Buglöwkaschichten in Wolhynien«, Memoires du Comite geologique, 1903, Taf IV, Fig. 32 bis 34), auf welcher S-förmig gebogene Zuwachsstreifen sichtbar sind. M. Hörnes erwähnt ihrer nicht, bei meinen Exemplaren sind sie in einem Falle gut ausgebildet. Fundort: Miechocin. Fünf Exemplare (Sammlung der physiogr. Kommission in Krakau und des Verfassers). 30. Pleurotoma (Clavatula) Mariae R. Hörn, und Auinger. R. Hörnes und Auinger, 1. c. p. 341 bis 342. — M. Hörnes (Pleur. concatenata Grat), 1. c. p. 344 bis 345, Taf. 37, Fig. 18 bis 19. Ein Exemplar von beschädigter Oberfläche. Der Gestalt und der Skulptur der Oberfläche nach entspricht es ganz der PJ. concatenata, welche M. Hörnes beschrieben und abgebildet hatte, und solche Formen haben R. Hörnes und Auinger von der typischen PI. concatenata abgetrennt und PL Mariae Sarmatische Fauna von Tarnobrzeg. o09 genannt. Auf einem jeden Umgang ist die untere Reihe von Knoten deutlich ausgebildet und auf dem oberen Rand ist eine ringförmige Anschwellung, die Einsenkung gegen die Mitte der Umgänge ist bei meinen Exemplaren sehr undeutlich, sie sind eigentlich fast flach. M. Hörn es gibt keine Beschreibung des letzten Umganges, mein Exemplar hat starke S-förmige Zuwachsstreifen und fünf transversale Reihen von Knoten. Eine Reihe verläuft unterhalb der oberen Naht, die zweite dort, wo der letzte Umgang am breitesten ist, die dritte in geringer Entfernung von der zweiten Reihe und die zwei letzten Reihen in größerer Entfernung von der dritten. Diese Art beschreibt M. Hörn es aus dem mittleren Miocän (Schichten von Molt), ebenso Bellardi (aus Italien) und die beiden Autoren halten sie für selten. Fundort: Miechocin. Ein Exemplar (Sammlung der physio- graphischen Kommission in Krakau). 31. Pleurotoma (Oligotoma) an pannus Bast. R. Hörnes und Auinger, 1. c. p. 381 bis 382. Ein Exemplar, welches dieser Art im allgemeinen ent- spricht, was die Gestalt der Schale, ihre Skulptur und die Form der Mündung anbelangt. Da jedoch das Gehäuse beschädigt ist, kann ich diese Bestimmung nicht für sicher halten. Fundort: Soböw. Ein Exemplar (Sammlung der physiogr. Kommission in Krakau). Aus Miechocin enthält noch die Sammlung zwei Pleuro- tomen, welche ich jedoch mangelhaften Erhaltungszustandes wegen gar nicht bestimmen konnte. Bulla Klein. 32. Bulla Lajonkajreana Bast. M. Hörnes, 1. c. p. 624 bis 626, Taf. 50, Fig. 9. Ein Exemplar, vollkommen identisch mit dieser Art, mißt 2 mm Länge. Fundort: Miechocin (Sammlung des Verfassers). 31Ö VV. S. V. Friedberg, Helix L. 33. Helix (Vallonia) pulchella Müll. Sandberger: Die Konchylien des Mainzer Tertiär- beckens; p. 31, Taf. HI, Fig. 6. — Clessin: Deutsche Exkursions-MoUuskenfauna; p. 131. Fünf kleine Exemplare (1 -5 //zw Durchmesser) stimmen in allen wesentlichen Merkmalen mii der von Glessin beschrie- benen F'orm. Der Unterschied besteht nur darin, daß der letzte Umgang bei der Mündung schwach nach unten gebogen und die Oberfläche mit zahlreichen feinen Rippen versehen ist, welche je näher der Mündung, desto mehr entfernt stehen; bei stärkerer Vergrößerung kann man zwischen den Rippen schwache Zuwachsstreifen sehen. Vallonia costata Müller ist zwar, der deutlichen Rippen wegen, meinen Exemplaren ähnlich, sie unterscheidet sich jedoch von V. piilcheJla dadurch, daß der letzte Umgang wenig breiter ist als die anderen (bei V. ptilchella um mehr breiter), daß er stärker nach unten gebogen ist und schließlich noch, daß sie größer ist. Sandberger (I. c.) betont ausdrücklich, daß die tertiären Individuen der V. pulchella von den diluvialen und jetzt leben- den sich durch stärkere Rippen, größeres Körperausmaß und schwache Abwärtsneigung des letzten Umganges unter- scheiden. Alle diese Merkmale unterscheiden auch meine Formen von jetzt lebenden. Unter den fünf Exemplaren haben zwei schwächer entwickelte Rippen, diese sind also der jetzigen Form mehr ähnlich. Fundort: Soböw. Fünf Exemplare (Sammlung der physiogr. Kommission in Krakau)., 34. Helix (Acanthinula) an lamellata Je ffr. Clessin: Deutsche Exkursions-MoUuskenfauna, p. 128 bis 129, Fig. 62. - B^kowski: Mi^czaki (Muzeum Dzieduszyckich) poln. Lemberg 1 89 1 , p. 48, l'af. III, Fisf. 4. Sarmatische Fauna von Tarnobrzeg. 3 1 1 Zwischen den Cerithienschalen aus Soböw fand ich eine leider beschädigte Schale, welche wahrscheinlich dieser Art angehört. Das Gehäuse mißt 1*8 ww im Durchmesser, besteht aus fünf langsam wachsenden Umgängen, der letzte Umgang ist von unten beschädigt, man kann also weder die Gestalt- der Mündung noch die Existenz eines Nabels konstatieren. Es scheint aber, daß die Schale von unten schwach abgeplattet und der Nabel eng war. Die Oberfläche ist mit feinen Zuwachs- streifen bedeckt. Obwohl der mangelhafte Erhaltungszustand keine genauere Bestimmung erlaubt, so kam ich doch auf Grund genauer Ver- gleichung mit ähnlichen jetzt lebenden Arten, welche ich im Gräflich Dzieduszycki'schen Museum anstellen konnte, zu dem Resultate, daß unser Exemplar entweder diese Art selbst oder eine Varietät davon ist. Unter den Arten, welche aus dem Miocän bekannt sind, fand ich keine, welche meinem Exemplar entspricht. Bemerkenswert ist es, daß Acanthimila Jamellata eine boreale Form ist. Ein einziges Exemplar, welches in Galizien gefunden wurde (Tekucza bei Jabtonöw, Ostgalizien), befindet sich im Dzieduszycki'schen Museum. Fundort: Soböw (Sammlung der physiogr. Kommission in Krakau). Ich fand in der Sammlung der Kommission noch einige unbestimmbare Schalenfragmente von Helix. Aus Soböw stammt die obere Hälfte eines Gehäuses, welches 6 mm im Durch- messer und 3Y2 schnell wachsende Umgänge besitzt. Die er- haltene, schwach gewölbte Hälfte gehört einer ganz flachen Helix-Avt an. Aus Miechocin sind zwei auch leider nur obere Schalenfragmente vorhanden; das kleinere (9mni Durchmesser) besteht aus vier Umgängen, das größere {\5mm Durchmesser) aus fünf. Pupa. 35. Pupa (Vertigo) didymodus A. Br. var. fissidens Sand. Sandb erger: Die Land- und Süßwasserkonchylien der Vorwelt. Wiesbaden 1870—1875, p. 399, Tafel XXIII, Fig. 15— 15^. Sitzb. d. mathem.naturw. KL; CXIV. Bd., Abt. I. 21 312 W. S. V. Friedberg, Zwei Exemplare fand ich in der Mundöffnung von Cerithien, sie sind 1 • Srnw lang und besitzen 4^/^ Umgänge, von denen der erste glatt und die anderen fein quergestreift sind. Die Zähne befinden sich in dieser Zahl und Form, wie bei den typischen Exemplaren, auf der oberen Mündungswand ein Zahn, welcher aus zwei, eigentlich aus drei Teilen besteht, auf der inneren zwei, von welchen einer schwächer ist, auf der äußeren drei, von welchen der unterste am größten ist. Fundort: Soböw (Sammlung der physiogr. Kommission in Krakau). 36. Pupa (Pupilla) M. Lomnickii n. sp. Fig. 2 und Taf. l, Fig. 1 5. Ich fand nur ein Exemplar dieser neuen Art. Das Gehäuse ist tonnenförmig, 2*8 ww lang, die größte Breite mißt l-8mm. Fig. 2. Piifii AI. Lomnicliii n. sp. (15 mal vergrößert). Von den sechs Umgängen wachsen die ersten drei schnell und sind am niedrigsten, die zwei folgenden sind fast gleich breit (der vorletzte jedoch etwas breiter) und dabei höher als die früheren, der letzte Umgang verschmälert sich schnell. Das Gehäuse ist mit schiefen Zuwachsstreifen versehen, der Nabel deutlich, die Mündung etwas nach außen verlegt und umge- schlagen. In der Mündung befinden sich zwei Zähne, ein oberer und ein unterer, von denen der letztere ziemlich tief gelegen ist. Beide Zähne sind stark. Unser Exemplar ist der Ptipa muscornm L. ähnlich, unter- .scheidet sich aber von dieser Art dadurch, daß es breiter ist, stark eingeschnürte Windungen und starke Zähne besitzt. Auf Sannatischc Fauna von Tarnobrzcg. olo diese Unterschiede hat mich Herr Schiürat M. Lomnicki auf- merksam gemacht und deshalb muß ich dieses Exemplar als eine neue Art der Untergattung Piipilla betrachten. Ich erlaube mir, ihr den Namen des eigentlichen Entdeckers zu geben. Fundort: Sobow (Sammlung der physiogr. Kommission in Krakau). Scaphopoda. Dentalium L. 37. Dentalium incurvum Ren. M. Hörn es, 1. c. p. 659 bis 660, Taf. 50, Fig. 39. Mehrere kleine Bruchstücke, das größte ist ijmm lang und {•omin breit; die zwei Schichten, aus welchen die Schale be- steht, sind sichtbar, die äußere von ihnen faserig. Die Schale ist leicht gebogen, zeigt eine schwache Krümmung, zahlreiche transversale Zuwachsstreifen und ringförmige Einschnürungen. Fundort: Soböw, ein Exemplar; Miechocin, nicht selten (Sammlung der physiogr. Kommission in Krakau und des Ver- fassers). Lamellibranchiata. Pecten Klein. 38. Pecten elegans Andrz. M. Hörnes: Die fossilen Mollusken des Tertiärbeckens von Wien. Abhandl. der geol. Reichsanst., Bd. IV, p. 416 bis 417, Taf. 64, Fig. 6. Mehrere Exemplare von wechselnder Größe, die größten sind 28 imn lang, die kleinsten kaum 9 mm. Sie sind sehr gut erhalten, obwohl außer zahlreichen ganzen Exemplaren auch Bruchstücke vorkommen. Fundort: Miechocin, häulig (Sammlung der physiogr. Kom- mission in Krakau und des Verfassers). 21* 314 ■ W. S. V. Flicdbcrg, 39. Pecten cf. Lilli Pusch. V. Hilber: Neue und wenig bekannte Konchylien aus dem ostgalizischen Miocän; 1. c. p. 23bis24, Taf. II, Fig. 31. Eine Klappe (22 mm lang, 24 mm hoch), welche nicht gut erhalten ist, ohne Ohren und mit beschädigten Seitenrändern. Sie besitzt 17 gegabelte Hauptrippen, die Gabelung fängt erst im unteren Teile der Schale, ausnahmsweise höher an, außer den Hauptrippen befinden sich noch einfache Rippen ganz am Rande der Schale. Das Fehlen der beiden Ohren und die im allgemeinen mangelhafte Erhaltung der Schale erlauben mir nicht, ganz genau festzustellen, ob unser Exemplar dem typischen Pecien Lilli entspricht; trotzdem ist die allgemeine Ähnlichkeit und der Anschluß an diese Art ohne Zweifel. Fundort: Miechocin. Ein Exemplar (Sammlung der physio- graphischen Kommission in Krakau). Ostrea L. 40. Ostrea cochlear Poli. M. Hörn es, I. c. p. 435 bis 438, Tat". 68, Fig. 1 bis 3. Mehrere stark aufgeblasene untere Klappen, welche, ob- wohl stark abgerieben, doch keine Spuren von Falten zeigen. Fundort: Miechocin, häufig (Sammlung der physiogr. Kommission und des Verfassers). 41. Ostrea digitalina Dub. M. Hörnes, 1. c, p. 447 bis 450, Taf. 73, Fig. 1 bis 9. Mehrere untere und obere Klappen, auf den unteren deut- liche Radialrippen. Fundort und Sammlung wie O. cochlear. Sarmatische Faunn von Tarnobrzeg. Slo Nucula Lam. 42. Nucula nucleus L. M. Hörnes, 1. c. p. 297 bis 299, Taf. 38, Fig. 2. Eine Klappe und zwei Fragmente, entsprechen vollkommen dieser Art. Fundort: Miechocin (Sammlung des Verfassers). Area Lam. 43. Area lactea L. M. Hörnes, 1. c. p. 336 bis 338, Taf. 44, Fig. 6. Nur eine linke Schale habe ich in der Sammlung; sie ist Q'bfnm lang, 4 mm hoch. Der vordere Rand ist gerundet, der hintere scharf abgestutzt und mit einem Kiele versehen. Die Schale ist mit zahlreichen Radialrippen versehen und besitzt außerdem feine konzentrische Rippen und Zuwachsstreifen. Der Rand der Schale ist von innen glatt, nicht gekerbt. Fundort: Miechocin. Ein Exemplar (Sammlung des Ver- fassers). In der Sammlung der physiographischen Kommission in Krakau sind zahlreiche Schalenfragmente einer Area vorhanden, welche entweder der Area dihivii Lam. oder der Area tnroniea Duj. angehören. Peetuneulus Lam. 44. Peetuneulus pilosus L. V. Hilber: Neue und wenig bekannte Konchylien aus dem ostgalizischen Miocän, 1. c. p. 17 bis 18. Drei kleinere Exemplare sind ganz gut erhalten, außerdem sind mehrere Bruchstücke größerer Schalen. Sie sind rund, gleichseitig, gehören also dieser Art an und unterscheiden sich von der folgenden. Fundort: Miechocin, nicht selten (Sammlung der physio- graphischen Kommission in Krakau). 316 W. S. V. Friedberg. 45. Pectunculus glycimeris L. V. Hilber, 1. c. p. 17 bis 18, Taf. II, Fig. 1. Auf zwei beschädigten Schalen ist die Ungleichseitigkeit beider Ränder deutlich erkennbar, auf das weisen auch die beiden Muskelabdrücke hin, welche nicht in derselben Höhe liegen, sondern einer höher, der zweite niedriger. Fundort: Miechocin. Zwei Exemplare (Sammlung der physiogr. Kommission in Krakau). Cardita Brug. 46. Cardita rudista Lam. M. Hörnes, I. c. p. 268 bis 270, Taf. 36, Fig. 2. — C. actüeata Eichwald: Lethea rossica, p. 88, Taf. V, Fig. 10. Ich besitze nur eine, aber sehr gut erhaltene Schale, welche \3 mm lang und 12 mm hoch ist. Sie besitzt 20 radiale Rippen, welche stark hervortreten, von oben gerundet, an den Seiten abgeplattet sind. Die Vertiefungen zwischen den Rippen sind breiter als diese und fein, aber dicht transversal gestreift. Transversale Zuwachsstreifen durchsetzen auch die Rippen, welche deshalb wie gekerbt oder blattförmig erscheinen; an den Rippen kommen auch kleine Knötchen zum Vorschein. Mein Exemplar stammt von einem jugendlichen Individuum und unterscheidet sich von typischen, ausgewachenen Formen nur dadurch, daß es keine deutlichen Dorne besitzt, sondern nur kleine knotenartige Erhöhungen, welche später sich in Dornen ausbilden würden. Es ist z. B. einem Exemplar aus Hol'ubica (geologisches Museum der Polytechnischen Hoch- schule) ganz ähnlich. Fundort: Miechocin. Ein Exemplar (Sammlung der physio- graphischen Kommission in Krakau). 47. Cardita Partschi Gold f. M. Hörnes, 1. c. p. 270 bis 271, Taf. 36, Fig. 3. Drei beschädigte Exemplare sind wahrscheinlich auf sekundärer Lagerstätte. Sannatische Fauna von Tarnobrzeg. 317 Fundort: Miechocin (Sammlung der physiogr. Kommission in ixrakau). 48. Cardita scalaris Sov. M. Börnes, 1. c. p. 279 bis 280, Taf. 36, Fig. 12.' Mehrere ganz typische Exemplare, welche im Durch- messer 7 bis 1 1 nun messen. Fundort: Miechocin, nicht selten (Sammlung der physio- graphischen Kommission und des Verfassers). Cardium L. 49. Cardium plicatum Eichw. Eichwald: Lethea rossica, p. 96, Taf. IV', Fig. 20. — M. Hörnes, 1. c. p. 202 bis 204, Taf. 30, Fig. 1. Eine etwas beschädigte linke Schale, ist 10 mm lang und 8 mm hoch. In der Schloßgegend ist sie stark gewölbt; sie be- sitzt 14 Rippen, von welchen die äußeren weniger deutlich sind. Auf dem vorderen Rande behnden sich 10 Rippen und auf dem hinteren, unterhalb des Kieles 4. Die Rippen sind gegen den Rand immer breiter, oben und von den Seiten ab- gerundet, ihre Seitenränder sind deshalb nicht steil. Die ganze Schale besitzt zahlreiche kleine transversale Zuwachsstreifen, welche, je weiter vom Schloßrande, desto besser auftreten. Auf den Rippen (ihre Oberfläche ist abgerieben) sieht man keine Erhabenheiten, die Vertiefungen zwischen den Rippen sind breiter als die Rippen selbst. Auf der inneren Fläche der Schale sieht man weder Muskelabdrücke noch Zähne. Obwohl ich nur eine Schale be- sitze, so ist doch ihre Angehörigkeit zu C. plicatum ohne jeden Zweifel, schon in Anbetracht des allgemeinen Aussehens und der Anzahl von Rippen. Fundort: Miechocin. Ein Exemplar (Sammlung eicr physio- graphischen Kommission in Krakau). 318 W. S. V. Friedberg, 50. Cardium praeplicatum Hilb. (?). V. Hilber: Neue und wenig bekannte Konchylien aus dem ostgalizischen Miocän, 1. c. p. 14 bis 15,Taf. I, Fig. 40 bis 41. Zwei ganz kleine Exemplare, von denen das eine noch vor der Beschreibung verloren gegangen, das zweite stark beschädigt und abgebrochen ist. Die Länge dieses letzteren beträgt 8 mm, man sieht zirka 20 Rippen, von denen 6 auf den hinteren Rand der Schale und 14 bis 17 auf den vorderen entfallen. Die Rippen sind klein, die Vertiefungen zwischen den Rippen nicht breiter als die Rippen und die ganze Schale fein quergestreift. Da ich jetzt nur das mangelhafte Exemplar besitze, habe ich diese Art in der Sammlung als unsicher bezeichnet. Es stammt aus Adiechocin (Sand), das verlorene aus Sobövv. 51. Cardium lithopodolicum Dub. (?). W. Laskarew: Die Fauna der Bug^:owkaschichten in Wolhynien. Memoires du Comite Geologique, St. Petersbourg, 1903, p. 139 bis 142, Taf. III, Fig. 21 bis 22. — Du Bois de Montpereux: Conchiologie fossile, Berlin 1831, p. 62, Taf. VII, Fig. 29. Ich besitze nur eine 8 mm lange, 6- 5 mm breite Schale, welche nicht ganz erhalten ist. Die Zahl der vorhandenen Rippen beträgt 20, wovon 5 hinter dem wenig starken Kiele liegen, in der Nähe des Kieles sind sie breiter. Alle Rippen sind breiter als die zwischen ihnen liegenden Vertiefungen und gegen den Rand der Schale am breitesten. Auf den Rippen sieht man spärliche Grübchen, welche von Dornen oder Knöt- chen stammen könnten. Die Bestimmung ist nicht ganz sicher, weil, wie ich er- wähnt habe, mir nur ein einziges, niclit ganzes Exemplar x'orliegt. Fundort: Miechocin (Sammlung des Verfassers). Sarmatische Fauna von Tarnobrzeg. 319 52. Cardium vindobonense Part seh (?). W. Laskarew, 1. c. p. 141 bis 142. Eine etwas beschädigte rechte Schale (\0 mm Länge) ist vorne mehr gewölbt als am hinteren Rande, wo sie etwas ver- längert und flacher ist. Die Rippen, 16 an der Zahl, sind schmäler als die Vertiefungen zwischen ihnen (am Rande der Schale gemessen). Die Rippen sind oben abgerundet und be- sitzen wenige Grübchen, welche Überreste von Knötchen sein könnten. Die ganze Schale ist dicht quergestreift, die Rippen ebenso, obwohl diese Querlinien nur in den Vertiefungen deut- licher sind. Der mangelhafte Zustand der Schale macht auch diese Bestimmung unsicher. Jedenfalls gehört diese Schale zum C obsoletum Eichwald's. Fundort: Miechocin (Sammlung der physiogr. Kommission in Krakau). Lucina Brug. 53. Lucina borealis L. M. Hörn es, 1. c. p. 229 bis 230, Taf. 33, Fig. 4. Zwei Exemplare, sie entsprechen vollkommen dieser Art. Fundort: Miechocin (Sammlung der physiogr. Kommission in Krakau). Isocardia Lam. 54. Isocardia cor L. M. Hörnes, 1. c. p. 163 bis 166, Taf. 20, Fig. 2. Zwei unvollständige, stark abgeriebene Fragmente. Fundort und Sammlung wie bei der vorigen Art. Venus L. 55. Venus multilamella Lam. M. Hörnes, 1. c. p. 130 bis 132, Taf. 15, Fig. 2 bis 3. Ich habe nur eine unvollständige linke Schale; trotzdem erscheinen die Hauptmerkmale z. B. der vierte Sublunularzahn 320 W. S. V. Friedber-, SO deutlich, daß die Angehörigkeit zu dieser Art ohne Zweifel ist. Fundort: Miechocin. Ein Exemplar (Sammlung der physio- graphischen Kommission in Krakau). 56. Venus an praecursor Mayer. M. Hörnes, 1. c. p. 126, Taf. 14, Fig. 5 bis 9. Zahlreiche Fragmente, von welchen manche deutlich die Oberfläche und das Schloß zeigen; die Bestimmung muß ich jedoch als unsicher bezeichnen, da keine Schale ganz geblieben ist. Die Schale scheint dicht gestreift zu sein; die Streifen gehen auch auf den Sublunularteil der Schale über. Die Oberfläche der Schale ist stark abgenutzt, man sieht deshalb den faserigen Bau der Schale. Ahnlich abgenutzte und auch deutlich die faserige Struktur zeigende Schalen zeichnet Laskarew ^ bei Venus an timhonaria. Die stark beschädigten Schalen sind ohne Zweifel einge- schwemmt und nicht sarmatischen Alters. Diese jetzt bei den Azoren lebende Art ist im Wiener Becken sehr selten. Für die Richtigkeit meiner Bestimmung spricht der Umstand, daß Jachno, welcher höchstwahrscheinlich besser erhaltene Scha- len besaß, aus Miechocin V. praecursor beschreibt. Fundort: Miechocin, nicht selten (Sammlung der physio- graphischen Kommission in Krakau). Cytherea Lam. 57. Cytherea Pedemontana Ag. (?). M. Hörnes, 1. c. p. 151 bis 152, Taf. 17, Fig. 1 und Taf. 18, Fig. 1 bis 4. — Du Bois de Mont- pereux, 1. c. p. 59 bis 60, Taf. V, Fig. 13 bis 14 (C. Ckione). Vier stark abgeriebene unvollständige, acht linke Schalen. Sie sind dickwandig; die Länge der ganzen Schale dürfte 4 bis 1 L. c, Tat". IV, Fig. 19 bis 22. Sarmatische Faima von Tarnnbrzeg. 321 5 cm betragen haben; Fig. 4 auf der 18. Tafel des Mollusken- vverkes von M. Hörn es würde am meisten meinen Exemplaren entsprechen. Das starke Schloß besitzt vier Zähne, von welchen der vordere Sublunularzahn am stärksten ist, dann sind zwei Hauptzähne, der vordere von ihnen schwächer und endlich ein langer und dem Schalenrande parallel verlaufender Kardinal- zahn. Die Oberfläche der Schale ist nicht dicht gestreift; manch- mal sieht man starke, entfernt stehende Rippen, diese entstanden aber nur durch Abnützung der Schale. Fundort: Miechocin. Vier Exemplare (Sammlung der physio- graphischen Kommission in Krakau). Tapes Meg. 58. Tapes gregaria Part seh. • M. Hörnes, 1. c. p. 115 bis 116, Taf. XI, Fig. 2. Mehrere, stark abgeriebene Schalen, von welchen zwei besser erhalten sind. Diese haben einen oval-kreisförmigen Um- riß, die Spaltung der Zähne ist des mangelhaften Erhaltungs- zustandes wegen nur bei einem Zahne sichtbar. Die Muskel- eindrücke und die Mantellinie sind deutlich. F\indort: Miechocin, nicht selten (Sammlung der physio- graphischen Kommission in Krakau und des Verfassers). Ervilia Turton. 59. Ervilia pusilla Phill. M. Hörnes, 1. c. p. 75, Taf. III, Fig. 13. Fünf Schalen, welche 10 mm lang und 7 mm breit sind. Für die vollkommene Identität mit dieser Art sprechen folgende Merkmale: Das Schloß ist regelmäßig, nicht S-förmig gekrümmt, der vordere und hintere Schalenrand gekrümmt, es fehlt ein Kiel und die Zuwachsslreifen sind fein und regelmäßig. Fundort: Miechocin. Fünf Exemplare (Sammlung des Ver- fassers).' 322 W. S. V. Friedberg, 60. Ervilia podolica Eichw. var. infrasarmatica Sokolovv, Sokolow: Die Schichten mit Venus konkensis. Memoires du Comite Geologique, St. Petersbourg, 1899, Bd. IX, p. 71. Mehrere Exemplare, bei welchen die Länge 6 bis 12 mm beträgt; sie zeigen weder die für E. podolica noch für E.ptisilla charakteristischen Merkmale in deutlicher Weise. Die S-förmige Krümmung des Schloßrandes ist z. B. nur angedeutet, ebenso der Kiel. Manchmal wird die Schale mehr rundlich, aber auch dann ist sie von der E. trigonula verschieden. E. podolica var. infrasarmatica ist mit dieser Varietät identisch, welche ge- wöhnlich als E. piisilla + podolica beschrieben wird. Fundort: Miechocin, nicht selten (Sammlung der physio- graphischen Kommission in Krakau und des Verfassers). 61. Ervilia trigonula Sokoio w, Taf. I, Fig. \Q a^h. Sokolow, 1. c. p. 71 bis 72, Taf. II, Fig. 36 bis 41. — Laskarew, 1. c. p. 138 bis 139, Taf. II, Fig. 1 bis 8. Mehrere Exemplare aus Miechocin, welche fast alle stark abgerieben und undeutlich sind. Vorkommen und Sammlung wie vorige Art. 62. Ervilia podolica var. dissita Eichw. Crassatella dissita E i c h w al d : Lethea rossica, p. 92 bis 93, Taf. V, Fig. 24. — Ervilia podolica M. H ö r n e s, 1. c. p. 73 bis 74, Taf. III, Fig. 12. — Laskarew, 1. c. p. 139, Taf. II, Fig. 17 bis 20. Mehrere Exemplare, welche in allen wesentlichen Merk- malen (der S-förmige Schloßrand, die Ungleichmäßigkeit der Seitenränder, das Vorhandensein eines Kieles) vollständig der sarmatischen ?2. podolica Eichwald's entsprechen. Die fast immer undeutlichen Zähne und die schwach hervortretende Sarmatischc Fauna von Tarnobrzcg. 323 Mantelbucht erlauben zwar nicht, die Richtigkeit auch in dieser Hinsicht zu prüfen, aber sie unterliegt keinem Zweifel. Um darauf hinzuweisen, da(3 meine Exemplare kleiner sind (6 bis \2 mm Durchmesser), habe ich sie, wie es bei manchen Autoren üblich ist, E. podolica var. dissita genannt. Fundort wie vorige Art. Mactra L. 63. Mactra podolica Eichw. M. Hörn es, 1. c. p. 62 bis 64, Taf. VII, Fig. 1 bis 8. Ein Fragment der linken Schale stammt aus Miechocin (Sammlung der physiogr. Kommission). Da bei ihm fast der ganze Schloßrand und der vordere Rand der Schale fehlt, konnte ich die Art nicht feststellen. Mit Hilfe des Materials im Dzieduszycki'schen Museum hat es Herr M. i^omnicki gütigst bestimmt. Die Schale gehört zur dünnschaligen Varietät, also zur typischen M. podolica Eichwald's (Eichwald, 1. c. p. 128 bis 129, Taf. VI, Fig. 9). Corbula Brug. 64. Corbula gibba Olivi. M. Börnes, 1. c. p. 34 bis 36, Taf. III, Fig. 7. Ein Exemplar stammt aus dem Sande von Miechocin. Ein anderes fand ich auf dem Bruchstücke eines Konglomerats, welches in den Sammlungen der physiographischen Kommission sich befand und auch von H. Stobiecki gesammelt war. Dieses Konglomerat besaß noch zahlreiche Lithothamnienknollen (2 mm im Durchmesser), Bruchstücke von unbestimmbaren Bivalven- schalen (Cardium) und einige kleine Gastropoden, von welchen ich folgende erkannte: Bulla Lajonkajreana Bast., Hydrobia PartscJii F'raunf, Cerithium deforme Eichw., C. nympha Eichw., Trochus quadristr latus Dub., Pahuiina stagiialis Bast., Dentalium iiicurutun Ken., Turr Hella sp., Rissoa sp, Planorbis (?). S24 W, S V. Fricdhcrg. Da nun auf der Etikette, welche dem Stücke beigegeben war, nur »Gegend von Sandomir« stand, konnte ich nicht fest- stellen, ob dieses Exemplar aus Polen oder aus Galizien stammt, jedenfalls ist aber sicher, daß es sarmatischen vSchichten ent- spricht, welche denen aus Miechocin und Soböw analog sind. Vermes. Spirorbis Lam. 65. Spirorbis serpuliformis Eichw. (?), Fig. 3 und Taf. I, Fig. 14. Eichwald: Lethea rossica, p. 52, Taf. III, Fig. 10. Ein kleines Fragment der Röhre eines Wurmes gehört wahrscheinlich zu dieser Art, Es ist 3-5 mm lang, gebogen. Fig. 3. Spirorbis serpuliformis Y.\chw. (?) 3 mal vergrößert. O'S mm breit; die Röhre ist im Durchschnitte kreisförmig und besitzt auf der Oberfläche ringförmige Wülste, welche auf der Abbildung Eichwald's nicht hervortreten; es sind dort nui- feine, ringförmige Ouerstreifen, welche bei meinem Exemplar auch sichtbar sind. Nach Eichwald kommt diese Art bei Mi^dzybör vor, zusammen mit den Schalen von Landkonchylien, sie lebt auch am östlichen Ufer des Kaspischen Meeres. Fundort: Miechocin (Sand). Ein Exemplar (Sammlung des Verfassers). Sarniatisclic l'"aiiii,-i \'iin Tarrmltraog. 0_0 Serpula Lam. 66. Serpula tubulus Eichw. Eichwald: Lethea rossica, p. 50, Taf. III, Fig. 6.- Aus Miechocin (Sammlung der physiogr. Kommission) stammt ein Bruchstück der Schale {\Amin lang, A mm im Durchmesser), welches rund ist, eine abgeriebene Oberfläche hat und deshalb nicht deutlich die für diese Art charakteristischen Merkmale (blattartige Verdickungen und Höcker) zeigt. Trotz- dem daß die Röhre schlecht erhalten ist, sieht man doch zahl- reiche ringförmige Reife, welche Überreste dieser Verdickungen sind. Brachiopoda. 67. Megerlea truncata L. Mühlfeldia truncata. Sacco: I brachiopodi dei terreni terziarii del Piemonte e della Liguria. Torino 1902, p. 27 bis 28, Taf. V, Fig. 38 bis 43. ■ Eine Dorsalschale, 8 mm lang, 7 mm breit, zeigt deutliche Rippen auf der Außenseite. Fundort: Miechocin (Sammlung des Verfassers). In den Sammlungen der physiographischen Kommission war noch ein Bruchstück der Schere eines Krebses und ein Knochen von einer Gliedmasse eines Wirbeltieies; beide Gegen- stände konnte ich nicht näher bestimmen. Aus 'Miechocin stammen auch Knollen von Lithothamnien-Kalkstcin, welche eingewachsene Austern- und andere Mollusken schalen be- sitzen, wie z. B. Ervilia piisi/la, Trochiis, Vcrmctns. Die Mikrofauna der sarmatischen .Sande ist ziemlich umfangreich, von ihr habe ich aber nur Forami niferen be- arbeitet. Sie stammt aus den Sanden bei Miechocin und aus 32B W. S. V. Kricdbcrg, Soböw, WO ich sie zwischen den hier zu Tausenden vor- kommenden Cerithien (Cerithienkonglomerat, Material des Ing. Stobiecki) gefunden und ausgeschieden habe. Ihr Gesamt- charakter verweist auf Htorale Bildung; fast alle dort gefundenen Arten leben noch heute und sind auch aus dem Tortonien bekannt (Gegend von Rzeszöw), was mit der bekannten Lang- lebigkeit der Foraminiferen im Einklänge steht. Hier werde ich mich mit der Angabe des Artenverzeichnisses begnügen. ^ Miechocin, Eisenbahneinschnitt, sarmatischer Sand. MilioUna gibha d'Orb. » Ahieriana d'Orb. » sp. an labiosa d'Orb. BtiUmina elegans d'Orb. VirgtUma Schreib er siana Cziz. (J) '■^Discorbhia orbiadaris Terqu. » disca Hantk. (?) » sp. nova äff. tabernacularis Brady. » äff. eximia Hantken. '^'Truncalulina lobahüa Walk, und Jac. * » praecinda Karr er. » Haidmgeri d'Orb, » Ungeriana d'Orb. » Q.n tenella ^Qxxss. » DutempJei d'Orb. Pnluinulina megastoma Rzeh. » Mlcheliatia d'Orb. Q) Rotalia Beccari L. Nonionina umbilicatiila M o n t. *Polyslomella striato-pmidata Ficht, und Moll. » siibnodosa Münst. (?) * » macella Ficht, und Moll. » crispa L. » craticulata Ficht, und Moll. 1 Etwas häufiger vorkommende Arten sind mit einem Sternchen bezeichnet. Sarmatische Fauna von Tarnobrzeg. 327 Sobow, Sand aus dem Cerithienkonglomerate. Miliolma sp. Uuigernia canarieiisis d'Orb. Nodosaria sp. Polymorphina angusta Egger (?) PleurostomeJla sti-hiodosa Reuss. Vernetällina c. f. abbreviata Rzeh. *Globigerma bulloides d'Orb. » » var. triloba Reuss. >^ siibcretacea J. i.om. Sphaeroidina bulloides d'Orb. *Discorbina orbicidaris Terqu. » eximia H antk. » rtigosa d'Orb. (?) '^Tnt/icatulina lobatula Walk, und Jac. » communis Reuss. » praecincta Karr er. » Ungeriaiia d'Orb. » Haidingeri d'Orb. » Akneriana d'Orb. '^ Anomalina grossertigosa Gümb. '^Rotalia Beccari L. Nonionina timhilicatula Mont. » Boueana d'Orb. » scapka Ficht, und Moll. ^Polysiomella macella Ficht, und Moll. » crispa L. * » striato-pnndata Ficht, und Moll. » aciileata d'Orb. Dactylopora c. f. miocenica Karr er. Ostracoda (zahlreich). Bryozoa (zahlreich). Echinidenstachel. Sitzb. d. mathem.-naturw. KL; CXIV. Bd., Abt. I. 22 Dr. Friedberg*: Sarmatische Fauna der Umgebung Tarnobrzegs. a. b. 4. a. 5. h. Fig. 1 Cerühitim floriantnn Hilb. (?) Fig. 2 Ctv. /'/c/////; Bast. var. Fig. 3 Cer. bicostattim Eichw. Fig. 4 Ccr. nyuiplia Eichw. Fig. 5 Ccr. iiymplia E ich\v./or;«a striata. Fig. 6 bis 13 Übergangsformen vom Cer. hico- statiim zum Ccr. nympha. Fig. 14 Spirorbis serpiiliformis Eichw. (?) Fig. 15 Piipa M. Lomnickii n. sp. Fig. 16 Ervilia trigomila Sokoi'. Alle Figuren sind dreimal vergrößert. Sitzungsberichte der kais. Akad. der Wiss., mathem.-naturw. Klasse, Bd. CXIV, Abt. I, 1905. Die'Sitzungsberichte der mathem.-naturw. Klasse erscheinen vom Jahre 1888 (Band XCVII) an in folgenden vier gesonderten Abteilungen, welche auch einzeln bezogen werden können: Abteilung I. Enthält die Abhandlungen aus dem Gebiete der Mineralogie, Kristallographie, Botanik, Physio- logie der Pflanzen, Zoologie, Paläontologie, Geo- logie, Physischen Geographie und Reisen. Abteilung IIa. Die Abhandlungen aus dem Gebiete der Mathematik, Astronomie, Physik, Meteorologie und Mechanik. Abteilung IIb. Die Abhandlungen aus dem Gebiete der Chemie. Abteilung III. Die Abhandlungen aus dem Gebiete der Anatomie und Physiologie des Menschen und der Tiere, sowie aus jenem der theoretischen Medizin. Von jenen in den Sitzungsberichten enthaltenen Abhand- lungen, zu deren Titel im Inhaltsverzeichnisse ein Preis bei- gesetzt ist, kommen Separatabdrücke in den Buchhandel und können durch die akademische Buchhandlung Karl Gerold's Sohn (Wien, I., Barbaragasse 2) zu dem angegebenen Preise bezogen werden. Die dem Gebiete der Chemie und verwandter Teile anderer Wissenschaften angehörigen Abhandlungen werden auch in besonderen Heften unter dem Titel: »Monatshefte für Chemie und verwandte Teile anderer Wissenschaften« heraus- gegeben. Der Pränumerationspreis für einen Jahrgang dieser Monatshefte beträgt 10 K oder 10 Mark. Der akademische Anzeiger, welcher nur Originalauszüge oder, wo diese fehlen, die Titel der vorgelegten Abhandlungen enthält, wird, wie bisher, acht Tage nach jeder Sitzung aus- gegeben. Der Preis des Jahrganges ist 3 K oder 3 Mark. SITZUNGSBERICHTE DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. MATHEMATISCH-NATURWISSENSCHAFTLICHE KLASSE. CXIV. BAND. V. HEFT. JAHRGANG 1905. — MAI. ABTEILUNG L ENTHÄLT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER MINERALOGIE, KRISTALLOGRAPHIE, BOTANIK, PHYSIOLOGIE DER PFLANZEN, ZOOLOGIE, PALÄONTOLOGIE, GEOLOGIE, PHYSISCHEN GEOGRAPHIE UND REISEN. (MIT 4 TAFELN UND 6 TEXTFIGUREN.) 4 "^ WIEN, 1905. AU SD ER KAISERLICH-KÖNIGLICHEN HOF- UND STAATSDR UCKEREI. IN KOMMISSION BEI KARL GEROLD'S SOHN, BUCHHÄNDLER DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. INHALT des 5. Heftes, Mai 1905, des CXIV. Bandes, Abteilung I der Sitzungs- berichte der mathem.-naturw. Klasse. Seite Diener C, Die triadische Fauna desTropitenkalkes von Byans (Himalaya). [Preis: 30 h = 30 Pfg.] 331 Berwerth F., Künstlicher Metabolit. (Mit 1 Tafel.) [Preis : 50 h = 50 Pfg.] 343 Werner F., Ergebnisse einer zoologischen Forschungsreise nach Ägypten und dem ägyptischen Sudan. I. Die Orthopterenfauna Ägyptens mit besonderer Berücksichtigung der Eremiaphifen. (Mit 1 Tafel.) [Preis : 1 K 60 h = 1 Mk. 60 Pfg.] 357 Pöch R., Erster Bericht von meiner Reise nach Neu-Guinea über die Zeit vom 6. Juni 1904 bis zum 25. März 1905. (Mit 4 Textfiguren.) [Preis: 50 h = 50 Pfg.] •.-.... 437 Tschermak G., Darstellung der Orthokieselsäure durch Zersetzung natür- licher Silikate. (Mit 2 Textfiguren.) [Preis: 30 h = 30 Pfg.] ... 455 Hoernes R., Untersuchungen der jüngeren Tertiärgebilde des westHchen Mittelmeergebietes. (Erster Reisebericht.) [Preis: 30 h = 30 Pfg.] 467 Wiesner J., Über korrelative Transpiration mit Hauptrücksicht auf Anisophyllie und Phototrophie. (Mit 2 Tafeln.) [Preis: 70 h = 70 Pfg.] 477 Preis des ganzen Heftes: 3 K 70 h - 3 Mk. 70 Pfg. SEP 5 iSOü SITZUNGSBERICHTE DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. MATHEMATISCH - NATURWISSENSCHAFTLICHE KLASSE. CXIV. BAND. V. HEFT. ABTEILUNG I. ENTHÄLT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER MINERALOGIE, KRYSTALLOGRAPHIE, BOTANIK, PHYSIOLOGIE DER PFLANZEN, ZOOLOGIE, PALÄONTOLOGIE, GEOLOGIE, PHYSISCHEN GEOGRAPHIE UND REISEN. 23 331 Die triadisehe Fauna des Tropitenkalkes von Byans (Himalaya) von Prof. C. Diener. (Vorgelegt in der Sitzung am 11. Mai 1905.) Cephalopoden obertriadischen Alters wurden in Byans von C. L. Griesbach gesammelt, aber ii'rtümlichervveise als Hasisch gedeutet. E. v. Mojsisovics gebührt das Verdienst, ihre strati- graphische Stellung richtig erkannt zu haben. In einem Kalk- steine von Kalapani, am Oberlaufe des Flusses Kali, nahe der dreifachen Grenze von Kumaon, Tibet und Nepal, konnten mehrere Arten der karnischen Stihlnillatus-Zone der oberen alpinen Trias nachgewiesen werden. ^ Griesbach selbst hat die Ergebnisse der Untersuchung von E. v. Mojsisovics in einem im »Akademischer Anzeiger« (1892, p. 174) veröffentlichten Briefe ausdrücklich akzeptiert und daraufhingewiesen, daß der Kalkstein von Kalapani in einer von sehr intensiven Gebirgs- störungen betroffenen Region liege, deren Lagerungsverhält- nisse einer Entwirrung erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Eine Beschreibung der ärmlichen und leider schlecht erhaltenen Faunula des Kalksteins von Kalapani hat E. V: Mojsisovics später in seinen »Beiträge zur Kenntnis der ober- triadischen Cephalopodenfaunen des Himalaya« (Denkschn kais. Akad. d. Wiss. LXIII, mathem.-naturw. Kl. 1896) publiziert. Obschon die mangelhafteErhaltung des Materials sichere spezi- fische Bestimmungen ausschloß, trat doch der oberkarnische 1 E. V. Mojsisovics, Vorläufige Bemerkungen über die Cephalopoden- faunen der Himalaya-Trias. Diese Sitzungsberichte, CI, I. Abt., Mai 1892, 23* 332 C. Diener, Charakter der Fauna in der Vergesellschaftung der Gattungen so deutlich hervor, daß E. v. Mojsisovics kein Bedenken trug, die Fauna als eine solche der tuvalischen Unterstufe, beziehungsweise als ein Äquivalent der alpinen SubbtiUatus- Fauna zu bezeichnen. Da Tropites sich als die häufigste Ammonitengattung dieser Fauna darstellte, wurde dem fossil- führenden Horizont von Kalapani der Name »Tropitenkalk« beigelegt. Da dieser Name sich seither in der geologischen Literatur Ostindiens eingebürgert hat, so soll er auch hier Anwendung finden. Nachdem C. L. Griesbach an die Spitze der Geological Survey of India in Calcutta getreten war, wurden geologische Arbeiten im Himalaya mit großer Energie wieder aufgenommen. Im Sommer 1899 wurde F. H. Smilh und im Sommer 1900 A. V. K rafft mit geologischen Untersuchungen in Byans be- traut. Beide Beobachter haben den fossilführenden Tropiten- kalk an fünf Lokalitäten: Lilinthi, Tera- Gadh und Kalapani im Tale des Kali River, Nihal und Kuti am Kuti Yangti River, an- stehend getroffen und zahlreiche Aufsammlungen von zumeist vorzüglich erhaltenen Fossilien nach Calcutta gebracht. Nach dem Tode A. v. K rafft's wurde mir die Bearbeitung des ge- sammten, seit 1892 im Himalaya gesammelten Materials von Triasversteinerungen von der Direktion der geologischen Landesanstalt in Calcutta anvertraut. Die Beschreibung der Fauna des Tropitenkalkes ist in den beiden letzten Jahren von mir zu Ende geführt worden und wird in einem besonderen Hefte des fünften Bandes der XV. Serie der »Palaeontologia Indica« (Himälayan Fossils) zur Publikation gelangen. Bis da- hin dürfte immerhin noch geraume Zeit verstreichen. Bei dem großen Interesse jedoch, das die obertriadische Fauna des Tropitenkalkes durch ihre Beziehungen zu alpinen Triasfaunen bietet, erscheint es mir wünschenswert, die wichtigsten Er- gebnisse meiner Untersuchungen noch vor der Drucklegung der Monographie in der »Palaeontologia Indica« zur Kenntnis der europäischen Fachgenossen zu bringen. Über die Lagerungsverhältnisse gaben mir die Tagebücher von Smith und A. v. K rafft, in die ich Einblick nehmen durfte, Auskunft. Veröffentlichungen darüber liegen nicht vor. Voll- Fauna des Tropitenkalkes von Byans. 333 Ständige, normale Profile durch die Trias sind in Byans nirgends beobachtet worden. Der fossilreiche Horizont des Tropitenkalkes findet sich stets an der oberen Grenze eines 200 bis 250 englische Fuß mächtigen Kalkkomplexes gegen schwarze Schiefer von unbestimmtem Alter. Der Kalkkomplex selbst liegt auf einem dunklen Kalk von mutmaßlich unter- triadischem Alter. Er besteht aus massigen, hellgrauen bis dunkelgrauen Kalken. Ungefähr 40 englische Fuß über der Grenze gegen den untertriadischen, dunklen Kalkstein wurde ein Brachiopodenlager des Muschelkalkhorizonts der Spiri- ferina Stracheyi Salt, gefunden und wenige Fuß darüber das Cephalopodenniveau des oberen Muschelkalkes mit Gymnites Jollyanus 0^pe\. Ganz nahe an der oberen Grenze des Kalkkomplexes, dessen untere Abteilung sonach dem Muschelkalk entspricht, gegen die hangenden schwarzen Schiefer, liegen die Bänke mit der Fauna des Tropitenkalkes. Die fossilführende Schicht ist nur drei Fuß mächtig und in allen Profilen durch ihren Reichtum an Ammoniten und ihre Lage unmittelbar an der Grenze der Kalke und der schwarzen Schiefer leicht kenntUch. Die Bearbeitung der Fauna des Tropitenkalkes hat eine Fossilliste von 168 Arten, darunter 155 Ammoniten, ergeben. Es liegt also hier eine der reichsten, bisher bekannten Trias- faunen eines Niveaus vor, die an Formenfülle selbst mit manchen Einzelfaunen der Hallstätter Kalke einen Vergleich aushält. Unter 155 Ammonitenspezies sind 104 dem Tropitenkalk von Byans eigentümlich, 51 dagegen mit Formen aus den Hall- stätter Kalken der Alpen oder dem Haloritenkalk des Himalaya identisch. Weist schon die überraschend große Zahl identischer oder — soweit der Erhaltungszustand eine Entscheidung ge- stattet — ■ mutmaßlich identischer Arten auf sehr nahe Be- ziehungen zur alpinen Trias hin, so erscheinen diese Be- ziehungen noch erheblich enger, wenn man den sehr hohen Prozentsatz von Arten in Betracht zieht, die mit solchen des Hallstätter Kalkes unzweifelhafte Verwandtschaft zeigen. Ele- mente, die der alpinen Region fremd sind und als dem indischen Faunengebiete eigentümlich bezeichnet werden müssen, treten 334 C. Diener, in dem Tropitenkalk von Byans gegenüber den beiden zoo- geographischen Regionen gemeinsamen T3^pen erheblich zurück. Solche dem alpinen Triasgebiete fremde Elemente sind — von den bereits aus dem Haloritenkalk des Himalaya be- kannten Gattungen Tibetites, Paratibetites, Parajnvavites und Baiiibanagites abgesehen — die folgenden Genei'a, beziehungs- weise Formengruppen: Trachypleuraspidites, eine Untergattung von Dittmarites mit der Lateralskulptur von Tracliyceras, Hiniavatites aus der Verwandtschaft der Gattung Acanthinües, aber mit einzelnen Merkmalen von Sageiiites und Trachyceras, Jellinekites mit drei, durch transitorische Einschnürungen unterbrochenen Externkielen, die Gruppe des Sirenites Vreden- burgi mit sehr zarter Skulptur, dünnen, fadenförmigen Lateral- rippen und quer verlängerten Knoten, die Gruppe des Dre- panites Schiicherti, die von allen Drepanites-Arten der medi- terranen Triasprovinz sehr erheblich abweicht, des Clionites gracilis, der einzigen engnabeligen Art dieser Gattung, des Distichites ectolcitiformis, die einen vollständigen Übergangs- typus von Ectolcites zu Distichites darstellt, endlich jene des Tropiceltites arietitoides, die in ihrer äußeren Erscheinung mit einem Vertreter der Arietidae auf das genaueste übereinstimmt und sich nur durch die abweichende Lobenlinie unterscheidet. Viel größer ist die Zahl jener Formen, die nahe Be- ziehungen zu solchen der oberen alpinen Trias aufweisen. Aber die Vergesellschaftung dieser Formen im Tropitenkalk von Byans ist sehr eigentümlich und widerspricht durchaus der Zusammensetzung der Einzelfaunen in den verschiedenen Zonen der Hallstätter Kalke. Die kleine Faunula, die durch Griesbach's Aufsammlun- gen bei Kalapani aus dem Tropitenkalk bekannt geworden war, enthielt ausschließlich Ammoniten (im ganzen 10 Arten), die auf die oberkarnische Zone des Tropites subbullatjis hinwiesen. Die Untersuchung dieser Fauna konnte zu keinem anderen Er- gebnis als zu einer Parallelisierung mit der tuvalischen Fauna des Salzkammergutes führen. Auch in der unvergleichlich reicheren, von mir bearbeiteten Fauna des Tropitenkalkes springt der typisch kam is che Habitus einer großen Zahl von Elementen sofort in die Augen. Fauna des Tropitenkalkes von Byans. 335 Im ganzen sind 27 Arten mit solchen aus der karnischen Stufe der alpinen Trias identisch oder nahe verwandt. Die Vergesellschaftung der Gattungen Thishites, Arpadites, Trachy- ceras, Protrachyceras, Jovites, Gonionotites, Etitowioceras, Ana- tropites, Carnites, Proarcestes, Pararcestes und Lobites spricht fi^ir ein karnisches Alter des Tropitenkalkes. Unter den karnischen Elementen der Fauna des Tropiten- kalkes sind ebensowohl Beziehungen zu der tuvalischen (ober- karnischen) als zu der julischen (mittelkarnischen) Unterstufe erkennbar. Von 27 Ammonitenarten, die mit europäischen teils direkt identifiziert, teils als »cf.« bezeichnet werden konnten, gehören 16 der tuvalischen, 8 der julischen Unterstufe an, während 3 beiden Unterstufen gemeinsam sind. Es überwiegen ganz entschieden die tuvalischen Faunenelemente. Gerade die bezeichnendsten und häufigsten Typen, die der karnischen Ab- teilung der Tropitenkalkfciuna ihr besonderes Gepräge geben, wie Tropites, Margarites, Anatoiuites, charakterisieren die tuvalische SnbbnUatjts-Zone der nordalpinen Hallstätter Kalke. Als charakteristische Tj^'pen dieser Zone seien hier die folgenden genannt: Tropites siibbiillatus v. Hauer. » cf. ßisobullatiis v. Mojs. » cf. discobtiUaUis v. Mojs. » cf. Estellae v. Mojs. » cf. Paracelstis v. Mojs. Margarites Georgii v. M o j s. » cf. aiicttis V. Dittm. Polycychis Henseli Oppel. Sandlingites cf. Oribasus v. Dittm. Sirenites Pamphagiis v. Dittm. » Agriodiis v. Dittm. Anasirenites cf. Menelans v. Mojs. Anatomites cf. Edgari v. Mojs. » cf. Theodorii V.Mo ]S. » cf. crasseplicatiis v. Mojs. Arcestes bicornis v. Hauer. 336 C. Diener, Den Stempel julischen Alters tragen die folgenden Formen, die in Europa der Zone des Trachyceras Aonoides angehören: Arpadites Tassilo v. Mojs. Isculites Heimi v. Mojs. Anatomites cf. Fischeri v. Mojs. Tropites Wodani v. Mojs. Carnites ci.ßoridus Wulf. Proarcestes cf. Gaytani Klipst. Pararcestes cf. Stnri v. M o j s. Lobites cf. elliptictis v. Hauer. Protrackyceras ist durch zwei Arten, Trachyceras durch eine leider nur sehr mangelhaft erhaltene Form vertreten. Beide Gattungen gehen in der alpinen Triasprovinz nicht mehr in die tuvalische Unterstufe hinauf, finden sich jedoch nach den Angaben von J. Perrin Smith in den tuvalischen Tropiten- schichten Californiens. Der Aonoides- und SiibbtillaUis-Zone gemeinsam sind: Pinacoceras cf. rex v. Mojs., Eutomoceras sandlingeiise v. Hauer und Margarites cf. circumspinatus v. Mojs. Während ein Teil der Fauna des Tropitenkalkes von Byans spezifische Anklänge an alpine Arten der karnischen Stufe, insbesondere der SnbitllatitsSchichten, erkennen läßt, zeigt ein anderer Teil kaum weniger innige Beziehungen zu Faunen der juvavischen Stufe der Hallstätter Kalke. Als solche Typen des Tropitenkalkes wären anzuführen: Helictites cf. genictilatus v. Mojs. » cf. siibgenictilahis v. Mojs. Phormedites fasciahis v. M o j s. Paratkisbites cf. Hyrtli v. M o j s. » cf. scaphitifonnis v. Hauer. Distichites cf. Harpalos v. Dittm. Sirenites Evae v. Mojs. » cf. Argonatitae v, Mojs. » cf. Dianae v, Mojs. Didymites tectiis v. M o j s. Pinacoceras parma v. Mojs. » Meüernichii var. v. Hauer. Fauna des Tropitenkalkes von Byans. 33 / Arcestes dicerits v. Mojs. Cladiscües cf. neorhis v. Mojs. Zu dieser Liste kommen ferner 6 Arten der DisHchites fnegacanthi, 3 Arten von Drepanües und Didymites, 4 Arten von Ectoicites, 2 Arten von Sten arcestes, je 1 Art von Dionites, Daphnites, Acanthinites, sämtlich Gattungen, beziehungsweise Formengruppen, die bisher nur aus juvavischen Schichten der Hallstätter Entwicklung der Trias bekannt geworden sind. Durch besondere Häufigkeit ist die Gattung Didymites aus- gezeichnet, die in der alpinen Trias auf die alaunische Unterstufe beschränkt ist. Vertreter dieser Gattung zählen in den Aufsammlungen von Smith und A. v. Kr äfft an allen Lokalitäten in Byans zu den wichtigsten Leitfossilien des Tropitenkalkes und übertreffen Tropites selbst sehr erheblich an Häufigkeit. Die engen Beziehungen eines Teiles der Ammoniten- fauna des Tropitenkalkes zu juvavischen Faunen sind nicht minder deutlich aus der Tatsache ersichtlich, daß eine erheb- liche Zahl von Arten des Tropitenkalkes mit solchen der lacischen Haloritenkalke des Himalaya teits identisch, teils nahe ver- wandt ist. Gemeinsam sind dem indischen Haloritenkalk und den Tropitenkalken von Byans die folgenden Formen: Steinmannites Lubbocki v. M o j s. Tibetites Ryalli v. Mojs. Anatibetites Kelvini v. Mojs. Paratibetites Adolphi v. Mojs. » Bertrandi v. M oj s. » Geikiei v. Mojs. Parajuvavites Jaqtmii v. Mojs. Pinacoceras parma v. Mojs. Nahe verwandtschaftliche Beziehungen zur Fauna der Haloritenkalke lassen erkennen: Paratibetites sp. äff. Tonigtnsti v. Mojs. Halorites sp. äff. procyon v. Mojs. Clionites sp. äff. Hugkesii v. Mojs. 338 C. Diener, Clionites sp. äff. aherrans v. Mojs. Sandlingites sp. äff. Archibaldi v. Mojs. Bamhanagites Kraffti nov. sp. Dabei ist zu bemerken, daß die Gattung Tibetites mit ihren beiden Subgenera an Individuenzahl kaum eine geringere Rolle spielt als die karnische Gattung Tropites, von der der Name der in Rede stehenden Ablagerung sich herleitet. Alles in allem kann die Zahl juvavischer Elemente in den Tropitenkalken auf 49 veranschlagt werden, d. i. beinahe ein volles Drittel des Gesamtbestandes der Ammonitenfauna. Wir sehen also in der Fauna des Tropitenk alkes von Byans eine Vergesellschaftung kam is eher und juvavischer, Elemente, wie man sie noch niemals in einem Horizont der alpinen Trias angetroffen hat, wo karnische und juvavische Faunen stets strenge getrennt liegen. Diese merkwürdige Assoziation von Faunenelementen, die sonst auf der ganzen Erde in getrennten Schichten liegen, inner- halb einer einzigen drei englische Fuß mächtigen Schichtgruppe in Bj^ans bietet ein Problem, dessen Erklärung von verschiede- nen Gesichtspunkten aus in Angriff genommen werden kann. Die einfachste Erklärung wäre durch die Annahme ge- geben, daß eine zufällige Vermischung von zwei Faunen in den Aufsammlungen selbst stattgefunden hat. Die Verwechslung von zwei lithologisch gleichartigen Horizonten, die gleichwohl eine verschiedene Fauna führen und altersverschieden sind, durch einen Beobachter im Terrain liegt gewiß nicht außer- halb des Bereiches der Möglichkeit. Der Nachweis einer solchen Verwechslung würde als erbracht gelten können, wenn es ge- lungen wäre zu zeigen, daß in den Aufsammlungen an einer bestimmten einzelnen Lokalität des Tropitenkalkes nur je eine Fauna vertreten erscheint. Dieser Nachweis war keineswegs zu. erbringen. Die juva- vischen und karnischen Faunenelemente erscheinen nicht an verschiedenen Fundstellen von Fossillien des Tropitenkalkes konzentriert. Wir begegnen vielmehr in der Faunenliste jeder einzelnen Lokalität der gL-ichen auffallenden Mischung juva- vischer und kai-nischer Typen. Fauna des Tropitenkalkes von Byans. 339 Eine Vermengung des Fossilmaterials aus zwei ge- trennten Horizonten bei der Aufsammlung selbst erscheint aber durch die Tatsache nahezu ausgeschlossen, daß schon A. V. Krafft selbst bei seinen Aufsammlungen im Terrain sich der Bedeutung jener auffallenden Assoziation von juvavischen und karnischen Typen in einem einzigen geringmächtigen Niveau klar bewußt geworden ist. A. v. Kr äfft 's nicht veröffentlichte Tagebücher sind mir zur Einsichtnahme vorgelegt worden und an einer Slelle findet sich der folgende, sehr bezeichnende Passus: »Paläontologisch ist diese Fauna sehr merkwürdig. Da die Gattung Tropites häufig ist und ich neben anderen Arten auch T. siibbullatiis gefunden habe, muß die Fauna mit jener der SiibhnllatiisSchxchiQn des Salzkammergutes ^vohl nahe verwandt sein. Aber mit diesen oberkarnischen Formen kommen auch T3^pen zusammen vor, die solchen aus den Hallstätter Kalken des Sommeraukogels sehr ähnlich sind, also auf juvavisches Alter hinweisen. Eine Erklärung dieser Tat- sache wage ich noch nicht zu versuchen.« Die Annahme einer zufälligen Vermischung von Faunen aus zwei Horizonten bei der Aufsammlung selbst dürfte unter diesen Umständen kaum aufrecht zu erhalten sein. Es gibt bekanntlich in der alpinen Trias keine schärfere Faunengrenze als jene zwischen der karnischen und juvavischen Stufe. Die Erkenntnis einer solchen faunistischen Differenz — zunächst innerhalb der Hallstätter Kalke — ■ war ja für E. v. Mojsisovics im Jahre 1869 die Veranlassung für die Auf- stellung jener beiden Hauptstufen der oberen alpinen Trias. Durchaus in Übereinstimmung mit dieser Auffassung heißt es noch im Jahre 1893 im zweiten Bande der »Cephalopoden der Hallstätter Kalke« (Abhandlung der k. k. geolog. Reichsanstalt, VI/2, p. 822): »Zwischen der karnischen und juvavischen Stufe muß eine größere Lücke in der faunistischen Reihenfolge an- genommen werden. Nicht bloß, daß keine einzige Art aus der karnischen in die juvavische Stufe übertritt, bestehen auch zwischen den Gattungen und Formengruppen, welche den beiden Stufen gemeinsam sind, weitere, durch verbindende Glieder nicht überbrückte Sprünge.« Die Vereinigung karnischer und juvavischer Typen in der Fauna des Tropitenkalkes von 340 C. Diener, Byans könnte zu der Annahme veranlassen, daß hier eine Übergangsfauna vorliege, welche die in der alpinen Region zwischen beiden Faunen klaffende Lücke ausfüllt. Auch diese Annahme findet in den Tatsachen keine Be- stätigung. Übergangsformen zwischen beiden Faunen sind sehr spärlich vorhanden. Als solche können nur Placites polydactyhis var. Oldhanii v. Mojs., eine Gruppe von Dittmarites mit Merkmalen des juvavischen D. Lilli Guembel und des karni- schen D. Dorcetts v. Mojs. und eine neue Art von Buchites gelten, die Merkmale dieser karnischen Untergattung mit solchen des juvavischen Subgenus Phormedites vereinigt. Im übrigen stehen juvavische und karnische Faunenelemente in den Tropitenkalken einander nicht weniger schroff und un- vermittelt gegenüber als innerhalb der Hallstätter Entwicklung der alpinen Trias. Es ist bereits erwähnt worden, daß in der karnischen Abteilung der Tropitenkalkfauna zwei Gruppen unterschieden werden können: die eine mit Beziehungen zur julischen, die andere mit solchen zur tuvalischen Unterstufe. In ähnlicher Weise kann man innerhalb der juvavischen Abteilung zwei Gruppen unterscheiden: die eine mit Beziehungen zur unter- juvavischen (lacischen), die andre mit solchen zur mittel- juvavischen (alaunischen) Unterstufe. Zwar überwiegt die erstere Gruppe ebensosehr wie die tuvalischen Elemente inner- halb der karnischen Abteilung, immerhin sind die Anklänge an alaunische Faunen auffallend genug. Sie finden insbesondere in dem häufigen Vorkommen der in der alpinen Region aus- schließlich alaunischen Gattungen Didymites und Ectolcites ihren Ausdruck. Eine Fauna, in der julische, tuvalische, lacische und alaunische Typen in so eigentümlicher Vergesellschaftung und ohne vermittelnde Zwischenglieder auftreten, trägt wohl den Charakter einer Mischfauna, aber nicht jenen einer Übergangs- fauna. Am nächsten liegt ein Vergleich mit jurassischen Misch- faunen, z. B. mit der Fauna der Oolithe von Baiin in Galizien, wo in einer geringmächtigen Schichtgruppe Ammoniten des Kelloway und Oxford nebeneinander liegen. Wie Neumayr gezeigt hat, umfaßt die Fauna von Baiin Vertreter der Jura- Fauna des Tropitenkalkes von Byans. o41 bildungen von der Zone der Oppelia aspidoides bis zu jener des Onenstedtoceras Lamberti. Es spricht die größte Wahr- scheinlichkeit für die Annahme, daß auch in den Tropiten- kali Mohres« wählt er zu- nächst das Eisen von Cocke County (Cosby's Creek) und sagt, man findet den »Mohr« überall dort, wo das Eisen in Körner abgesondert erscheint und da jedes Körnchen eine Schraffie- rung mit eigener Richtung zeigt, so entsteht ein verschiedener Glanz, je nachdem man das Licht darauf einfallen läßt. Dies Wechselleuchten gibt das »moiree metallique«. Hier anschließend beschreibt er den »Mohr« anderer Eisen folgendermaßen: »Man sieht den Eisenmohr ganz im kleinen beginnen, so äußerst klein, daß das Auge die einzelnen leuchtenden und malten Flimmer nicht zu unterscheiden vermag.« 3o'2 F. Beiweith, Die Beschreibung läßt keinen Zweifel übrig, daß Reichen- bach zwei wesentlich verschiedene Erscheinungen unter den- selben Begriff stellt. Im Eisen von Cocke County läßt er den »Mohr« durch »eigen gerichtete Schraffierung« in Kamacit- körnern entstehen und in allen anderen Fällen spricht er nicht mehr von Körnern, sondern nur vom Auftreten »leuchtender und matter Flitter«. Reichenbach's »Mohr« in Cocke County ist nichts anderes als das Wechselleuchten von zufällig körnig geformten Kamacitbalken, die alle Eigenschaften des normalen primär entstandenen Kamacites besitzen. Ganz verschieden von dieser Erscheinung ist der »Mohr«, wenn er sich aus leuchtenden und matten Flimmern zusammensetzt. In diesem Falle beruht die Erscheinung auf der Transformation des Kamacites a in den körnig kristallinen Zustand des Kamacites ß, wie es die künstliche Erhitzung des Tolucaeisens erwiesen hat. Den Ausdruck »Mohr« will ich in Ermanglung eines besseren Wortes als Bezeichnung für jenes körnige Struktur- bild beibehalten, wie es in den ersten Stadien der Erhitzung im Kamacit mit Beibehaltung der Balkenform erscheint. Je nachdem der Umwandlungsprozeß des Kamacites bald nach seinem Beginne oder erst in einem späten Stadium unter- brochen wurde, wird auch der entstehende »Mohr« ein ver- schiedenes Aussehen haben. Die allerersten Spuren des Mohres erscheinen auf den sonst glänzenden Kamacitflächen in Gestalt trüber, je nach dem Einfalle des Lichtes etwas hell und matt leuchtender Flecken. Viel deutlicher wird die Erscheinung, wenn beim Ätzen vertiefte Punkthaufen zum Vorschein kommen, die durch Auslösen feinster Eisenkörnchen ent- standen sind und in ihrer dichten Ansammlung rauhe glanzlose, wie von Schimmel angefressene Partien im Kamacit erzeugen. Von diesem gröbsten Falle an gibt es Abstufungen bis zu den Flecken mit sammetartiger Trübe. Den Beginn der Metaboli- sierung mit mehr oder weniger deutlicher Mohrbildung zeigen folgende Meteoreisen, und zwar mit oder ohne gleichzeitige Körnung des Kamacites. Mohrbildung mit gleichzeitiger Körnung der Balken kann man beobachten an: Alt-Biela, Arva, Ashville, Bairds Farm, Barranca blanca, Beaconsfield, Bendegö, Billings, Künstlicher Metabolit. 353 Bischtübe, Black Mountain, Bohumilitz, Brazos, Canon diablo, Casas grandes, Chulafinnee, Coahuila, Cocke County, Copiapo, Costilla Peak, Cranbourne, Dellys, Duel Hill, El Capitan Range, Emmetsburg, Franceville, Frankfort, Glorietta Mountain, Guil- ford County, Haiden Creek, Independence County, Ivanpah, Kenton County, Kokstad, Laurens County, Lexington Co., Lockport, Lonaconing, Madoc, Merceditas, Mooranoppin, Mount Ricks, Mount Joy, Mount Stirling, Mungindi, Nagy-Vazsony, Narraburra Creek, Nejed, Oroville, Oscuro Mountain, Fan de Azucar, Petropauiowsk, Putnam, Quesa, Red River, Reed City, Rhine Villa, Roebourne, Rosario, Saint Genevieve County, San Angelo, Säo Juliäo, Schwetz, Smithville, Ssyromolotow, Staun- ton, Surprise Springs, Thunda, Toluca, Tonganoxie, Trenton, Victoria West, Weiland, Whitfield County, Youndegin, Zaca- tecas. M 0 h r b i 1 d u n g ohne K ö i' n u n g der Balken zeigen: Bear Creek, Bella Roca, Caney Kork, Casey Co., Central Mis- souri, Crow Creek, Goldbach-Eisen, Grand Rapids, Hex River Mountain, h'on Creek, Jamestown, Jevvell Hill, Lagrange, Le- narto, Lion River, Luis Lopez, Mart, Matatiela, Murphi, Noco- leche, Obernkirchen, Plymouth, Puquios, Scottsville, Seeläsgen, Smiths Mountain, Südöstliches Missouri, Thurlow. Hat die Umwandlung schließlich den Kamacitbalken voll- ständig ergriffen, so sind alle seine bekannten Struktureigen- tümlichkeiten verschwunden und an seine Stelle ist jetzt ein Verband von fetzigen Körnern getreten, die auf der Ätzfläche ein lebhaftes Flimmern erzeugen. Zu diesen Eisen, in denen der Kamacit a mit Erhaltung der Balkenform in flimmerigen Kamacit ß umgewandelt ist, gehören folgende Fälle: Apoala, Burlington, Canon diablo, Charcas, Chupaderos, Concepcion, Descubridora, Durango, Elbogen, Grienbrier Co., Jackson Co., La Caille, Losttown, Marshall County, Misteca (Oaxaca), Ne- braska, Roda, Tajgha, Teposcolula, Toluca, Toubil, Tula. ^ ^ Die hier aufgeführten Eisen mit flittriger Struktur sind mit Ausnahme von Nedagolla sämtlich Fundeisen aus alter Zeit. Fast die Hälfte der Eisen stammt aus Mexico und ist durchschnittlich seit mehr als 100 Jahren bekannt. Die übrigen Eisen stammen vorwiegend aus den Vereinigten Staaten und tragen entsprechend der jüngeren Kultur des Landes mehr jüngere Funddaten, was S54 F. Berwerth, Die stufigen Übergänge von Kamacit a in Kamacit ß sind aber hiemit noch nicht geschlossen. Es folgt dann eine kleine Gruppe von Eisen, in denen der Kamacit unter Beibehaltung der Balkenform in größere Körner umgewandelt wurde (Ruff's Mountain, Seneca), die das Übergangsglied zu der großen Gruppe der körnigen und dichten Eisen bildet, unter denen wieder eine Reihe von Eisen zu unterscheiden ist, an denen die oktaedrische Struktur in mehr oder weniger gut erhaltenen Resten noch zu beobachten ist. Das letzte Glied der Umwand- lungsreihe bilden jene körnigen und dichten Eisen, in denen auch der Taenit in den Umwandlungsprozeß einbezogen wurde und nicht mehr nachweislich ist, wobei die oktaedrische Struktur durch die Körnung vollständig verdrängt und auf- aber nicht ausschließt, daß viele von ihnen sich schon seit frühen Zeiten in Menschenhänden befanden. Ich halte es nicht für einen Zufall, daß gerade diese alten Eisenfälle verhältnismäßig häufig eine flittrige Ausbildung der Balken zeigen. Da für die Alten das Feuer das einzige Mittel war, dem zähen Meteor- eisenblock beizukommen, so wage ich es zuversichtlich auszusprechen, daß mindestens die große Mehrzahl, wenn nicht alle Eisen mit flittrig struierten Balken durch künstliche Erhitzung in diesen Zustand gebracht worden sind. Mehrere der Eisenproben wie Misteca, Teposcolula, La Caille, sehen dem von mir dargestellten Toluca-Metaboliten bis zur Verwechslung ähnlich. Einer Behandlung im Feuer sind diese Meteoreisen zweifellos ausgesetzt gewesen. Der Mcteoreisenblock von Prambanan, aufbewahrt im Kraton (Palast) des Susuhunan von Solo (Surakarta) in Mittel-Java, wird nach mündlichen Mit- teilungen von Heger noch heutigen Tages, so oft Material zur Herstellung von sogenannten Kris (Dolchen) benötigt wird, angeheizt und weich gemacht. Zu ähnlichen Zwecken dürften besonders die alten mexicanischen Eisen im Feuer behandelt worden sein. Noch viel sicherer weist die Erscheinung auf die Feuerbehandlung eines Meteoriten hin, wo Stücke desselben Eisenfalls eine verschiedene Struktur besitzen. Eine Platte von Toluca (A. 57 des Kataloges Hofmuseum), Canon diablo (G. 5237) und eine Probe von Charcas zeigen Flitterstruktur, \\-ährend die übrigen Stücke desselben Falles normalen Kamacit führen. In solchen Fällen muß eine künstliche Erhitzung der betreffenden Stücke unbedingt vorausgesetzt werden. Auch das Meteoreisen von Mukerop, von dessen flittriger Verschleierung der Balken ich überhaupt auf die Umwandlungs- erscheinungen in den Meteoreisen hingeführt worden bin, halte ich jetzt für ein Produkt künstlicher Erhitzung. Andere Proben von Mukeropblöcken, deren es über ein halbes Dutzend gibt, sind nicht schleierig getrübt und auch Bethanien und Löwenfluß, die zu Mukerop gezählt werden, zeigen davon keine Spur. Es scheint also nur der in das Hofmuseum gelangte Block im Feuer gewesen zu sein. Dadurch erklärt sich auch das einseitige Auftreten der Künstlicher Metabolit. 355 gezehrt wurde. Die abgestufte äußerliche Verschiedenheit in der Umwandlung des Kamacites in den kristallinisch körnigen Kannacit ß ist ein Wiederspiel zwischen der bei der Erhitzung erreichten Temperaturhöhe und der Dauer der Abkühlungszeit. Hiemit soll aber zugegeben werden, daß insbesondere nickel- reichere Eisen schon bei ihrer Erstbildung eine mäßige Struktur erhalten können. Folgende Sätze, die ich der Siderologie v. Jüptner's entnehme und von Sauveur für die Strukturänderungen bei thermischer Behandlung von Kohlenstoffstahl aufgestellt wurden, werden die tatsächlichen Verhältnisse in den meteorischen Nickelstahlen einsichtiger machen, für die ebenso wie für den künstlichen Nickelstahl bisher ähnliche Feststellungen fehlen. Struktui-verändeiung, indem der Block nur auf einer Seite erhitzt worden ist. Daß flittrige Struktur auch aus dem Weltraum mitgebracht wird, beweist uns das beim Niederfall geborgene Eisen von Nedagolla. Von einer nachträglich künstlichen Erhitzung des Eisens wird in keinem Berichte etwas erwähnt und wir müssen seine flittrige Struktur als eine Folge kosmischer Erhitzung betrachten. Ein Unterschied zwischen Nedagolla und sämtlichen anderen flittrigen Eisen besteht jedoch darin, daß in Nedagolla die Kamacitbalken bis auf wenige Balkenkonturen aufgezehrt sind und durchwegs massige Struktur vorhanden ist, während in sämtlichen übrigen Eisen der oktaedrische Bau unberührt erhalten und nur der Kamacit umgewandelt ist. Nach Aufdeckung dieser Tatsachen wird es schwierig zu entscheiden, welche der flittrigen Eisen allenfalls durch künstliche oder kosmische Erhitzung metabolisiert wurden. Ich möchte die Ansicht vertreten, daß die Flittrigkeit der Balken, wenn sie ähnlich jenem im künstlichen Toluca-Metabolit ist, ihre Entstehung einer Erhitzung zwischen 600 bis 1000° C. und rascher Abkühlung verdankt. Höhere Tempe- ratur sollte zu einer stabileren höheren Kristallisationsphase führen. Diesen Bedingungen scheint die kosmische Erhitzung zu entsprechen, die nach den Schmelzerscheinungen bei den Meteorsteinen zwischen 1100 bis 1400° C. anzunehmen ist. Beim Verschwinden der Balkenstruktur und der Taenitbänder wird man flittrige Eisen mit massiger Struktur als kosmisch veränderte Eisen ansehen müssen. Den Eisen mit gellitterten Balken bei Erhaltung der oktaedri- schen Struktur und des Taenits wird man ein gerechtfertigtes Mißtrauen entgegenbringen müssen. Solange uns die diagnostischen Zeichen für eine absolute Entscheidung fehlen, ob flittrige Balken durch künstliche oder kos- mische Erhitzung zu stände kamen, empfiehlt es sich, alle diese Eisen, bei denen die oktaedrische Struktur erhalten und nur der Kamacit in Kamacit ß mit flittriger Form umgewandelt ist, in eine Gruppe zu vereinigen und sie auf Grund aller vorhandenen Umstände als künstliche Metabolite zu betrachten. 356 F. Reiwerth, Künstlicher Metabolit. Saveur hat nun bei verschiedener thermischer Behandlung am Kohlenstoffstahl folgende Strukturveränderungen gefunden: Wird ein Stück Stahl auf die Temperatur ac^ (kritischer Punkt beim Erwärmen) erhitzt, so verschwindet die ursprünglich vorhandene Kristallisation und verwandelt sich in die fein- körnigste, die das Metall seiner chemischen Zusammenstellung nach anzunehmen im stände ist. Läßt man einen auf ac^ erhitzten Stahl langsam abkühlen, so bleibt die bei dieser Temperatur gewonnene feinkörnige, scheinbar amorphe Struktur bestehen. Wird Stahl über die Temperatur ac\ erhitzt und dann langsam und ungestört erkalten gelassen, so wird er wieder deutlich kristallinisch und die Größe der Metallkörner wächst so lange, bis die Temperatur ai\ (kritischer Punkt bei der Ab- kühlung) erreicht ist. Je höher die Temperatur, von welcher der Stahl ungestört abkühlen kann, oberhalb ac^ liegt, desto gröber wird das Korn. Je langsamer die Abkühlung von einer oberhalb ar^ liegenden Temperatur erfolgt, desto gröber wird das Korn. Die vorstehenden Darlegungen enthalten eine Gutheißung meines Vorschlages, die umkristallisierten Meteoreisen als »Gruppe der Metabolite« zu bezeichnen und geben uns weiter die Richtung an, in der sich das künftige Studium der Meteor- eisen zu bewegen hat. Mit der fortschreitenden Kenntnis der physikalischen Zustände der künstlichen Eisennickellegierungen werden sich auch unsere Einblicke in die verschiedenen Zu- stände und Ausbildungsformen der Eisenmetabolite schärfen und mehren. Tafelerklärung. 1. Geätzte normale Tolucaeisenplatte, die körnige Zerklüftung der Kamacitbalken zeigend. Deutlich im hellen Korne inmitten des Bildes. Vergi-. 4X- 2. Dieselbe geätzte Tolucaeisenplatte in natürlicher Größe, vor der Erhitzung. 3. Geätzte Fläche einer aus dem vorstehenden Tolucastücke parallel geschnittenen Platte, nach der Erhitzung auf 950° C. Das Eisen ist in -»künst- Hchen Metabolit« umgewandelt. Der normale Kamacit ist unter Erhaltung der Balkenkonturen in körnig-flimmerigen Kamacit ß umkristallisiert (metabolisiert). Berwerth F.: Künstlicher Metabolit. \ mj >v^V ¥ ■•^ ' y .m^k to: tty t Negative von Dr. ls.oechliii u. M:ix [alle Liohidruck v. Max Jaffe, Wien. Siunngsbcrichte d. kais. Akad, d. Wis?., math.-natiirw. Klasse, Bd. CXIV. Abt. I., 1905, 357 Ergebnisse einer zoologischen Forschungsreise nach Ägypten und dem ägyptischen Sudan. I. Die Orthoplerenfauna Ägyptens mit besonderer Berücksichtigung der Eremiaphilen von Dr. Franz Werner, Privatdozent und Assistent am I. zoologischen Institute der k. k. Universität in Wien. (Mit 1 Tafel.) (Vorgelegt in der Sitzung am 19. Jänner 1905.) Einleitung". In seiner wichtigen Arbeit: »Erlvlärung der Orthopteren- tafeln J. C. Savigny's in der Description de l'Egypte« bemerkt Krauss, daß eine faiinistische Arbeit über die Orthopteren Ägyptens noch fehle und dies ist auch bis jetzt so geblieben. Es ist eine merkwürdige Erscheinung, daß nach den groß- artigen, die Fauna Ägyptens und der benachbarten Teile West- asiens behandelnden Tafelwerken von Savigny, Hemprich und Ehrenberg eine Art Stagnation in der Erforschung der Tierwelt, namentlich der niederen Tiere Ägyptens, eintrat und sich das Interesse mehr Nordwestafrika zuwandte, über dessen Fauna eine viel ausführlichere und eingehendere Literatur vor- liegt als über diejenige des Pharaonenlandes. In der letzten Zeit ist übrigens hier namentlich von englischen Forschern viel nachgeholt worden und die Prachtwerke der »Fauna of Egypt« von John Anderson (Reptilien und Batrachier sowie Säuge- tiere, letztere nach dem Tode des Verfassers von E. de Win ton herausgegeben) reihen sich würdig den erstzitierten an. Es kann in nachstehender Bearbeitung nicht die Rede davon sein, etwa einen Vergleich mit den Arbeiten Anderson's herauszufordern. Dazu hätte die Zeit, welche dem Verfasser 358 F. Werner, zum Sammeln des Materials zur Verfügung stand, eine weit längere sein und sich wenigstens auf ein ganzes Jahr erstrecken müssen, da ja die verschiedenen Gruppen der Orthopteren zu verschiedenen Jahreszeiten ihr Imaginalstadium erreichen, auch müßte das Gebiet namentlich in Bezug auf gewisse flügellose, auf ganz kleine Distrikte beschränkte Arten eingehender abge- sucht werden und würde eine solche Suche immerhin noch recht gute Resultate liefern. Wenn ich es trotz dieser mir wohl bewußten Mängel unternehme, meine Arbeit in dem Zustand, in dem sie sich jetzt befindet, zu publizieren, so geschieht dies aus dem Grunde, daß sie erstens immerhin auch jetzt schon ein, wie ich wohl sagen darf, sehr vollständiges Bild der Ortho- pterenfauna Ägyptens nach dem gegenwärtigen Stand unseres Wissens gibt und daß ich ferner kaum selbst in der Lage sein werde, später wesentliche Ergänzungen dazu zu liefern. Ich glaube auch nicht, daß noch allzuviel hinzukommen wird, da Ägypten ein der Bodenbeschaffenheit und Pflanzendecke nach äußerst einförmiges Land ist, welches sich z.B. mit Ostalgerien, welches ich aus zwei Reisen im Jahre 1892 und 1893 aus eigener Anschauung kennen gelernt habe, nicht vergleichen läßt. Die Scheidung in Wüste und Kulturland ist die einzige, die auch eine Trennung der Orthopteren Ägyptens vom biologischen Standpunkt aus ermöglicht, während die Wüste auf beiden Seiten des Nilstromes oder die verschiedenartigen pflanzen- bedeckten Flächen nur wenige charakteristische Formen auf- weisen. Wir werden später noch darauf zurückkommen. — Es hat sich übrigens auch nach Publikation meiner »Orthopteren- fauna Kleinasiens«,^ obwohl ich seither durch verschiedene Sammler Material von dort erhielt, keine merkbare Alteration unserer Anschauungen über die Zusammensetzung der Fauna des Landes ergeben, indem die entweder ganz neuen oder wenigstens aus Kleinasien noch nicht bekannten Arten, die ich seither erhielt, ausnahmslos den bereits von dort bekannten und artenreicheren Gattungen angehörten. Meine Reise (Juli — August 1904)^ führte mich durch das ganze Land vom Delta bis zur Grenze des Sudan und konnte 1 Diese Sitzungsberichte, 1902. 2 Auch im Jahre 1899 und 1905 sammelte ich Orthopteren in Ägypten. Orthopterenfauna Äg3'ptens. 359 ich wegen der für das Sammeln der Orthopteren besonders gün- stigen Zeit 60 Arten, also mehr als die Hälfte der bisher bekannten, selbst im Freileben beobachten. Eine große Zahl von Arten, welche in meinen Aufsammlungen fehlen, findet sich in der großartigen, jetzt in den Besitz des k. k. naturhistorischen Hofmuseums in Wien übergegangenen Sammlung von Herrn Hofrat Brunner v. Wattenwyl, so daß ich relativ nur wenige nicht in ägyptischen Exemplaren gesehen habe. Von den ägyptischen Eremiaphilen, die ich in dieser Arbeit eingehender behandelt habe, habe ich auch noch Material aus dem Wiener k. k. naturhistorischen Hofmuseum, aus dem zoologischen Museum in St. Petersburg und aus dem Museum für Naturkunde in Berlin untersuchen können. Für die mir gewährte Unterstützung bin ich in erster Linie der kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien, welche mir aus der Treitl-Stiftung eine Reisesubvention gewährte, zu großem Danke verpflichtet; fernerhin auch speziell in Bezug auf vorliegende Arbeit Herrn Kustos Ganglbauer und Herrn Hofrat C. Brunner v. Wattenwyl für die Erlaubnis zur Benützung der Sammlungen des k. k. naturhistorischen Hof- museums in Wien, Herrn Geheimrat K. Möbius in Berlin und Herrn Kustos Dr. Nikolaus v. Adelung in St. Petersburg für die Übersendung des unter ihrer Obhut befindlichen Eremiaphilen- materials; Herrn Ingenieur F. Hafferl und Herrn E. Reimoser für Überlassung der von ihnen mit großem Eifer und Ver- ständnis in Ägypten gesammelten Orthopteren, schließlich auch noch Herrn Capt. S. S. Flow er, Direktor des Zoologischen Gartens in Gizeh bei Kairo, für die werktätige Förderung meiner wissenschaftlichen Tätigkeit in Ägypten überhaupt. Verbreitung und Vorkommen der Orthopteren in Ägypten. Von einer ziemlich großen Anzahl von ägyptischen Arten wissen wir nicht mehr, als daß sie wirklich in Ägypten vor- kommen, von einer andern Zahl können wir auf die Art und Weise ihres Vorkommens höchstens nach ihrer Färbung, nach der Lebensweise ihrer Verwandten oder nach ihrer Lebens- weise in andern Ländern schließen. Der Rest, welcher alle von 360 F. Werner, mir selbst gesammelten Arten einschließt, bietet die eigentliche Basis nachstehender Bemerkungen. Wir können im allgemeinen Arten der Küste (nicht des Deltas, denn die von der Küste entfernt, im Delta lebenden, finden sich auch vielfach in Oberägypten), solche des Kulturbodens ^ an beiden Nilufern und solche der Wüste unterscheiden. Von letzteren sind einige wenige bloß auf die eine oder die andere Seite beschränkt, doch gilt dies nicht einmal für alle flug- unfähigen. Küstenbewohner (durchwegs asiatischer Provenienz sowie unter den Reptilien Chamaeleon vulgaris, Agama stellio) sind: Sphingonotiis aznrescens, Thisoicetrtis adspersus, Oedipoda gratiosa, Platycleis. Dem Kulturlande gehören an folgende, meist weit ver- breitete Arten: Lapidiira riparia, Labia minor, Phyllodromia, Polyphaga aegyptiaca, PeripJaneta, alle Mantiden (mit Ausschluß der Ere- miaphilen), Paratettix, Tryxalis, Oxycoryphus, Dnronia, Ochri- lidia, Epacromia, AcrotyJus, Pachytylus, Pyrgomorpha, Opso- mala, Acridium, Caloptenus, Thisoicetrtis littoralis, Eupre- pocnemis, Xiphidium und alle Gryllodeen. Nur in der Wüste leben: Polyphaga africana und ttrsina, alle Eremiaphilen, fast alle Sphingonotiis- Arten sowie Leptopternis, die Eremobien, Poecilocertis, Dericorys, Schistocerca. Von den im Kulturlande lebenden Arten, welche den Oasenbewohnern entsprechen, aber mit weitverbreiteten medi- terranen Arten stark untermischt sind, wären noch nach dem Vorkommen zu unterscheiden: Am Wasser lebende Arten: Labidnra, Paratettix, Tri- dactyliis. Im Stachelgras (Aristida pnngensj: Ochrilidia tihialis, Opsomala cylindrica, Xiphiditmt aethiopicum; aber auch Mantis religiosa, Euprepocnernis plorans, Thisoicetriis litto- ralis, Pachytylus cinerascens, Tryxalis. 1 Mit Einschluß der mit noch wildwachsenden Pflanzen — Uferschilf, Stachelgras, Tfl«»«>'z;i:-Stauden — bewachsenen Enklaven oder gewisser steppen- artiger Gebiete. Orthopterenfauna Ägyptens. 361 Auf kurzgrasigen Wiesen (in xAgypten südlich vom Delta selten und gewöhnlich von geringem Umfange): Miomantis^ Tryxalis, OxycorypJms, Duroiiia, Epacromia thalassina, Pachy- tyhis, Pyvgomorplia, Etiprepocnemis, Thisoicetriis; auch Chroto- gomis. Auf Feldern und dürren Weideplätzen: Fischeria, Tryxalis, Epacromia strepens, Acrotyhis patruelis, Pachytylns, Acriditim, Calopteiins, Enprepocnemis, Thisoicetriis littoralis. Auf Taniarix (seltener auf Acacia iiilotica, Opuntien oder dergl.): Mauiis religiosa, HieroduJa hioculata, Empiisa egena^ Blepharis meudica, Acridiiim, Enprepocnemis, Tliisoicetrus littoralis. Unter Steinen, umgestürzten Baumstämmen (Dattelpalmen), Brettern u. dergl. oder in Erdlöchern: Alle Gryllodeen mit Aus- nahme von Oecanthiis, die Phyllodromien. In Wohnungen oder deren Nähe: Periplaneta (jedenfalls auch Stylopyga, anscheinend auch Polyphaga aegyptiaca). Von den Wüstenbewohnern fand ich: Polyphaga nrsina^ Eremiaphila libyca und Khamsin, Centromantis pyramidtmt, Heteroiiychotarsus, Sphiugonotus Savignyi, niloticiis, Grobbeni, coeridans (dieser auch vielfach im Kulturlande neben Acro- tyhis patruelis), Leptopternis Rlianises, Scliistoccrca in der libyschen, Eremiaphila Typlion und Khamsin, Centromantis helnanensis, Savignyi und pyramidiim , die drei vorhin erwähnten Sphingonotus-Arten sowie 5. octofasciatns und Dericorys ciirvipes in der arabischen Wüste. Es unterliegt aber keinem Zweifel, daß Polyphaga, Eremiaphila Typhon, Schistocerca sowie Sphiugonotus octofasciatns auf beiden Nil- ufern vorkommen. Überall in der Wüste und im Kulturlande lebt Chrotogonns lugtibris, in die Wüste verfliegt sich gelegent- lich Epacromia strepens, häufig Tryxalis nnguicnlata. Auffallend gering ist die Zahl der flugunfähigen Arten, namentlich, wenn man Algerien oder Kleinasien in Vergleich zieht. Maßgebend ist hier das völlige Fehlen der Pamphagiden unter den Acridiern, der Callimeniden, Sagiden, Stenopelma- tiden, Ephippigeriden, Odonturen und die geringe Zahl der Thamnotrizon- Arten und Hetrodiden (je eine Art), Gruppen, die in den obigen beiden Ländern teilweise außerordentlich reich Sit7.b. d. mathein. naturw. KL; CXIV. Bd., Abt. I. 25 362 F. Werner, entwickelt sind. Flugunfähig sind im weiblichen Geschlecht: die Polyphagen, Stylopyga, Fischeria, Chrotogonus (bei den zwei letzteren 9 geflügelt, aber kaum flugfähig); in beiden Geschlech- tern: Eremiaphila und Verwandte, von Acridiern keine einzige Art, von Locustodeen nur Thamnotrizou und Pornotrips. Von diesen wenigen Arten nehmen die Eremiaphilen allein neun Zehntel ein, so daß für den Rest eine geradezu minimale Zahl übrig bleibt. .'Xuch von diesen ganz flugunfähigen Arten sind mehrere noch bis zu einem gewissen Grad Ägypten und den angrenzenden Gebieten (Syrien, Arabien, Sinai-Halbinsel, nörd- licher Sudan) gemeinsam. Unter den nur im 9 flugunfähigen sind die meisten wenigstens im südlichen Teile des Mittelmeer- beckens weit verbreitet. Verbreitungsmittel. Die besten Flieger unter den Orthopteren Ägyptens sind zweifelsohne die großen Acrididen (Acridimn, Schistocerca, DericorysJ sowie Pachytyltis cinerasceiis und die Sphingonotus- Arten, besonders 5. Savignyi und alle diese Arten haben ein ausgedehntes Verbreitungsgebiet. Die kleineren Acrididen (Caloptenus, Etiprepocnemis, Thisoicetrtis), die Stachelgras- bewohner fOpsomala, Ochrilidia) fliegen weit weniger aus- dauernd und der schlechteste Flieger ist wohl Chrotogonus, von dem auch das cT wenig weit fliegt und sich beim Nieder- lassen nicht allzu selten überschlägt. Diese Art ist auch eine der wenigen, die sich fast ausschließlich in Nordostafrika, also in einem zusammenhängenden Festlandgebiete finden. Großenteils springend, trotz vollkommener Flugfähigkeit, bewegen sich die Gryllodeen fort, doch ist bei Nacht der Flug ein nicht unwichtiges Verbreitungsmittel; ausschließlich laufend und in der eigentümlich stoßweisen Art der Fortbewegung (Lauf in kurzen Absätzen) sehr an die Eidechsen desselben Gebietes erinnernd, bewegen sich die Eremiaphilen, sie machen nicht einmal den Versuch, ihre Flugorgane zu entfalten, wenn die- selben auch entwickelt sind; freilich konnte ich von den relativ großflügeligen Arten keine im Imaginalzustande beobachten. Im allgemeinen kann man sagen, daß diejenigen geflügelten Ortho- Orthopterenfauna Ägyptens. 363 pteren, die relativ ungeschützte Gebiete bewohnen (Wüsten- oder Steppenformen) die besten und ausdauerndsten Flieger sind, dagegen alle diejenigen, welche in Gebüsch oder Stachel- gras leben, wenig weit und ziemlich ungern fliegen und mehr ihren natürlichen Schutzmitteln vertrauen. Diese sollen nach- stehend im Zusammenhange besprochen werden. Schutzeinrichtungen. I. Anpassung an den Aufenthaltsort. Die vollkommenste Anpassung an den Aufenthalt findet man bei den Wüstenformen, vor allem bei den Eremiaphilen sowie den Sphingonotus- Arten und Verwandten. Ein ruhig sitzendes Individuum ist vom Boden auch dann nicht zu unter- scheiden, wenn man genau die Stelle weiß, wo es sich nieder- gelassen hat, und erst durch angestrengtes Schauen kann man es schließlich entdecken, meist aber erst dann, wenn es weg- geflogen oder weggelaufen ist. Da die Färbung der Wüste in Ägypten nicht allzusehr variiert und im allgemeinen nur die libysche Wüste durch mehr gelbe, die arabische durch mehr graue Färbung ausgezeichnet ist, ohne daß dieser Unterschied ein durchgreifender wäre, so kann ein bestimmtes Individuum einer Orthopterenart durchaus nicht mit Sicherheit als aus einem oder dem andern Teile der Wüste herstammend erkannt werden. Dagegen tritt eine ausgeprägte Detailanpassung an ganz bestimmte kleine Gebiete nicht nur bei den Sphingonohis- Arten, sondern auch bei Acrotylus patruelis, Chrotogonns higu- hris, aber auch bei den mehr weniger Grasboden bewohnenden Arten Oxycoryphtis compressicornis, Tryxalis, Epacromia und Pachytylus, ebenso auch bei Acridium und Paratettix auf und so scheint oft von einem Dutzend auf einem kleinen, aber auch nur etwas mannigfaltig bewachsenen Areale gefangener Exem- plare einer solchen Art keines mit dem andern in der Färbung übereinzustimmen. Noch enger sind die Färbungsanpassungen der nicht wüstenbewohnenden Mantiden, welche meist mit der Färbung einer bestimmten, ihnen als Aufenthaltsort dienenden Pflanzenart (Gebüsche, seltener krautige Gewächse) überein- stimmen, obwohl einem nur einigermaßen geübten Blicke die 364 F. Werner, Entdeckung dieser Tiere in ihren Verstecken auch dann gelingt, wenn sie sich vollständig ruhig verhalten. IL Verteidigungswaifen. Die iMantiden, namentlich die große Sphodromantis biocn- lüta, besitzen in den Dornen ihrer Vordertibien ganz ansehn- liche Waffen, die sie geschickt zu gebrauchen wissen und welche ganz schmerzhafte Wunden verursachen, namentlich wenn sie, wie dies beim Fange der Fall ist, dem Fänger den großen Enddorn der Tibia in das Nagelbett des Daumens ein- treiben, hl ähnlicher Weise benützen die größeren Acridier die Sporne der Hintertibien zur Verteidigung. Durch Beißen ver- teidigen sich nur wenige der ägyptischen Orthopteren, nämlich die Locustiden und Grylliden (auch im Notfalle die Mantiden und Blattiden), doch ganz ohne Wirkung, da das Gebiß aller in Betracht kommenden Arten schwach ist und größere Locustiden, wie Sagiden, Callimeniden, Locnsta-, Decticns- oder Ephippi- gera-\vien, welche starke Mandibeln besitzen, in Ägypten fehlen. Der \'on vielen Arten aus dem Mund abgesonderte Saft von brauner Farbe und bitterem Geschmacke nützt den natürlichen Feinden (Eidechsen,Vögeln)gegenüber gar nichts {oh Pornotrips ähnliche Schutzeinrichtungen besitzt, wie die nordwestafri- kanischen Hetrodiden, ist mir nicht bekannt) und ebenso- wenig dürften die Zangen der Forficuliden in diesem Fall in Betracht kommen. III. Verhalten bei Annäherung einer Störung. Alle ägyptischen Orthopteren, welche fluggewandt sind, d. h. leicht auffliegen und weit fliegen können, tun dies schon, wenn irgend ein störender Gegenstand in Sehweite gelangt, auch dann, wenn sie durch ihre Färbung vollkommen geschützt sind, und zwar auch gegen den V/ind sehr geschickt, was übrigens auch schlechteren Fliegern der ägyptischen Insektenwelt, wie Palpares, gut gelingt. Sie scheinen demnach unzweckmäßig zu handeln, doch ist diese Annahme nicht richtig, da ihnen ihre Flugfähigkeit weit nützlicher ist als ihre Anpassungs- färbung, welche solchen Feinden gegenüber, welche ihre Beute durch den Geruch erspähen, gar nicht, denen, welche ihren Orthopterenfauna Ägyptens. ,3-65 Gesichtssinn zur Aufspürung benützen, zum mindesten für die Dauer nicht standhält. Solche Arten, die nicht bei Störung momentan zum Weg- fliegen bereit sind (z. B. die Mantiden), verhalten sich bei Annähe- rung \'on Gefahr ruhig und vertrauen auf ihre Anpassungsfärbung oder ihre Waffen (Mantiden) oder auf den Schutz der pflanz- lichen Umgebung: Stachelgras (Aristida pimgensj, Opuntien, Akazien. Von letzteren Arten sind z. B. die konstant im Stachel- grase lebenden {Opsomala, Ochrilidia, Xiphidiiim) durchaus nicht genau an die Färbung des Grases angepaßt, sondern deutlich heller gefärbt, da ihnen der Schutz des Stachelgrases allein völlig genügt. In Erdlöcher, Risse und Spalten des Bodens, unter Steine, Baumstämme flüchten die Gryllodeen, Labidiira, Pltyllodromia, Polyphaga, in das Wasser Paratettix. Relative Häufigkeit. Massenhaftes, verheerendes Auftreten konnte icli in der Zeit meines Aufenthaltes bei keiner Art beobachten. Doch .unterliegt es keinem Zweifel, daß Pachytyhis datiicns und Euprepocnemis plorans wenigstens im Fayum wirklich erheb- lichen Schaden anzurichten im stände wären, da besonders letztere Art dort in solcher Menge auftritt, daß sie bei jedem Schritt und Tritt in ganzen Scharen auffliegt. Da sie sich aber aufwiesen und Steppen viel häufiger finden als auf Äckern, so wird der Schaden dennoch nicht groß sein. ScJiistocerca peregrina scheint in Ägypten nicht so häufig zu sein als in Algerien, jedoch war gerade im Jahre 1904 (sowie auch 1891) eine große Invasion zu verzeichnen,^ auch Caloptenus ist lokal und gar nicht sehr gemein. Die verbreitetsten Arten sind Steppen- 1 Während der Korrektur erhielt ich durch freundliche Vermittlung von Dr. Walter Innes Bey in Kairo eine diesen Gegenstand behandelnde Arbeit von Maurice Boniteau Be}- : »Rapport sur l'Invasion du Criquet Pelerin (Acridinmperegriniim) enEgypte(19Ö4), (LeCaire, Imprimerie Nationale, 1904)«, welche auch farbige Abbildungen anderer ägyptischer Orthopteren enthält, welche aber leider eben ausreichen, um zu erkennen, daß sie teilweise falsch bestimmt sind. 366 F. Werner, tiere (Acrotyhis, SphiiigonoUts coerulans, Chortogonus higubris) und können naturgemäß keinen Schaden anrichten. Andrerseits sind die Eremiaphilen, alle Locustiden, die Forficuliden (bis auf Labidtira) recht selten und daher erklärt sich auch z. B., daß von den Eremiaphilen die meisten Arten nur auf ein oder wenige Exemplare gegründet sind. Dies gilt nicht nur für die ägyptischen Arten und nur einige syrische und algerische Arten sind stellenweise häufig. Zeit der Geschlechtsreife. In Ägypten scheinen nur wenige Arten eine bestimmte Zeit im Jahre zu haben, in denen Imagines ohne Larven vor- kommen. Von den meisten fand ich z. B. im Juli und August verschiedenalterige Larven neben den Imagines und nur von wenigen zwar Larven, aber keine Imagines oder umgekehrt. Am auffallendsten ist die Gleichzeitigkeit bei: Labidtira riparia (gleichzeitig Eier, Larven verschiedener Stadien, Imagines), SpJiodromantis (gleichzeitig frisch aus- gekrochene sowie ältere Larven bis zur letzten Häutung, Ima- gines). Larven im letzten Stadium neben Imagines wurden beob- achtet bei: Mantis, Miomantis, Blepharis, Paratettix, Tryxalis, Ochri- lidia, Sphingotiotus coertdatis, Acrotylus, Pachytylus, Pyrgo- morpka, Chrotogomts, Acridnim, Euprepocnemis, Thisoicetrtis, Xiphidhim, Liogryllus bimaculatus, Gryllus domesticus. Nur erwachsene Exemplare fanden sich dagegen von Labia, den meisten Blattiden, Fischeria, den meisten Sphiitgonotus- Arten, Leptopternis, Dericorys, Opsomala, Gryllotalpa, Tri- dactyliis. Nur Larven bei Eremiaphila Typhon, Heteronychotarstis. Geographische Verbreitung. Wenn wir von den neun Arten absehen, welche nach- stehend zum ersten Male beschrieben erscheinen, so finden wir eine überraschend geringe Zahl von Arten, welche auf Ägypten beschränkt sind, und dies hängt wieder mit der geringen Zahl Orthopterenfauna Ägyptens. 367 der flugunfähigen Arten zusammen. Von den Dermapteren ist keine einzige Art, von den Blattiden (von den drei neuen abge- sehen) nur die Savigny'sche Periplaneta Savignyi (wenn sie wirklich aus Ägypten stammt) charakteristisch für Ägypten, von den Mantiden dagegen 10 Eremiaphtla- Arten (davon zwei nur aus der Abbildung Savigny's bekannt), 4 Centromantis (eine gleichfalls nur aus der Description de l'Egypte bekannt und nur wahrscheinlich ägyptisch), 1 Heteronychotarsns (zugleich die einzige spezifisch ägyptische Gattung), von den Acridiern Heteropternis Savignyi (nur aus Savigny bekannt), Sphingonotus niloticus und Grobbeni, Leptopteritis catiescens und Rhamses, Leptoscirtus avicuhis und? linearis, 1 (?3) Chroto- gonus- Arten (2 ex Savigny), Ochrophlebia Savignyi (nur aus Savigny bekannt), von den Locustiden Phaneroptera minima, Xiphidium lugiibrc, schließlich von den Grillen Gryllodes apri- cus und mareotiais, Nemobitis Hafferli. Im ganzen also 35 Arten, fast ein Drittel aller aus Ägypten bekannten, an- scheinend eine ganz ansehnliche Zahl. Ziehen wir davon die 9 neuen Arten ab sowie 9 nur aus Savigny bekannte, die ja immerhin noch außerhalb Ägyptens gefunden werden könnten, so bleiben nur 17 Arten übrig (größtenteils Wüstentiere), dieÄgypten eigentümlich sind, also der öYgteTeil der restierenden Totalzahl (93 Arten), wovon ein so großer Prozentsatz (die Hälfte) gut fliegende Arten umfassend, daß wir mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen dürfen, daß sie auch außerhalb Ägyptens noch gefunden werden. Die Beziehungen zur syrischen Fauna sind trotz der etwas geringeren Zahl der gemeinsamen Arten entschieden größer als zur algerisch-tunesischen. Diese äußern sich nicht nur in negativen Charakteren (Fehlen der Ephippigeriden, Seltenheit von Hetrodiden; Pamphagiden und Phasmodeen, in Syrien relativ selten, in Ägypten fehlend, sind in Algerien und Tunesien gut vertreten), sondern auch in vielen positiven, namentlich in der Identität vieler ägyptischer und syrischer, in Nordwestafrika fehlender Arten. Ebenso ist auch die Überein- stimmung mit dem nördlichen ägyptischen Sudan, welcher sich ja geographisch absolut nicht scharf von Ägypten scheiden läßt, eine sehr große und, wenigstens in Bezug auf die Wüsten- 368 F. Werner, Ol CS e <^ ■ ^ in r^ ^ O J= .'B 1^ <" ,- ü (/) 3 u :- <^<< rt 3 5- a •a ^ ^ = LT. <- CO , ^ 1) Cl, c S 3 , , , XI a> (t-l J5 ■- c c - -" C r: t" !:: c • « cd (U «0 'o s r- •S^ ii e •- P b -?: S ^ 'S ^ k^ H ßs ■5- II 10 < •^ F^ ^ "^ ^ ^ ^ f^ <: v: s? 'S 2^ äo o o 1^ t^ ^ Orthopterenfauna Ägyptens. 369 te^ O C3 .2 rC ^ .^ 'O to ;v s >5fl 1-0 ^ c^ o ^ 5? <>> ■^ a ^ o ,^' ^ 'S '^i '<< ' mecheriae » azttrescens .... > balteatus » octofasciatus . . , > Savignyi Acrnivius nntruelis J 1 .8 rS C > cisli » continuata Pachvtvlus danicus CO o 0 Orthopterenfauna Ägj'ptens. 371 1 1 1 ■^ ' ' ' ' ' ' ' ' ' 1 1 ■ 1 -^ ^_, 1 1 1 1 1 1 1 1 [ ^_^ ^_^ 1 1 1 1 - ,^^ ^ '"' —4 1 1 1 - 1 1 i ■*"* 1 ,^_^ 1 ■ 2 - i 1 i 1 1 - ■ - - - - - 1 -^ 1 - 1 - ~ ' - - 1 - 1 i - 1 - 1 ^ - 1 - - - - 1 1 1 1 1 - - 1 i - 1 - 1 1 1 1 1 1 - w 1 n l CO co~ s 2 5 1 ' ^ 1 i 1 1 1 ^ 1 —' 1 "" - " - _ 1 1 I _ 1 ^ 1 1 1 1 1 - - - 1 1 1 - - - - - - 1 - 1 1 '^ 1 - - rtä 1^ ■ 2 'o ^ 'ö 5 ^ "^ ^ 1^ 'S W) ;t w ;^ ^ CO o t2 s 'S 8 ■^ S 5 (i; Q t^ ^ ^ s V -2 372 V. Werner, E.-S rt cl JJ ^ -a n= -5 Po = ;5 i ! 1 t ! cH ~ "~ c 55 "Ü lü CO . CO CO , CO 3 cn !^ •- S a .^ 3 o .^^^ i2 CD ?c< I V3 ij *. ^ g •}- ■> '^ 1s Ä O X ä ' * J^' t r5 13 ^' ^ b^ ►-1 ■o o a o !:q o Orthopterent'auna Ägyptens. 373 fauna, scheint dies auch für Arabien zu gelten, obwohl dariLiber nur recht wenig bekannt ist. Mit dem algerisch-tunesischen Gebiete stimmt Ägypten in dem Reichtum an SphmgoJiotus- Arten überein, übertrifft es dagegen (ebenso wie Syrien) bei weitem in der Zahl der Eremiaphilen (18 gegen je 4), während die übrigen Mantiden in Ägypten (9, darunter Miommitis nicht in N. W.-Afrika) weniger Arten und Gattungen als N. W. -Afrika (11 Gattungen mit 12 Arten, davon Severinia, Oxythespis, Disco- tkera, Idolomorpha und Ämcles nicht in Ägypten, wohl aber Discotltera und Anieles in Syrien) zählen. Von den 111 Arten echter Orthopteren sind 15 Blattiden, 27 Mantiden, 45 Acridier, 8 Locustiden und 16 Grillen. Die auffallende Artenarmut im Vergleich zu N. W.-Afrika (welches mehr als doppelt so reich an Orthopterenarten ist) und sogar noch zu Westasien ist auf die Einförmigkeit des landschaftlichen Charakters Ägyptens und auf die ausgedehnte Zurückdrängung der ursprünglichen Vegetation durch den Anbau von Kuhur- pflanzen zurückzuführen. Verzeichnis der wichtigsten Literatur. 1. Bolivar J., Monografia de los Pirgomorfinos. Con 4 lämi- nas. Madrid 1884. 2. — Essai sur les Acridiens de la tribu des Tettigidae (in: Ann. Soc. Ent. Belg. XXXI, 1887, p. 175,313. Avec 2 Planches). 3. — in: An. Soc. Esp. Hist. nat. XV, 1886, p. 513 (Apuntes de un Viaje per el Sahara occidental). 4. BormansA.de, in: Das Tierreich, 1 1. Lieferung, Berlin 1900. 5. Brunner v. Wattenwyl K., Nouveau Systeme des Blattaires. Avec 13 PI. Vienne 1865. 6. — Monographie der Phaneropteriden. Mit 8 Tafeln. Wien 1878. 7. — Prodromus der europäischen Orthopteren. Mit 1 1 Ta- feln und 1 Karte. Leipzig 1882. 8. Burmeister H., Handbuch der Entomologie, Bd. II. Berlin 1838. 374 F.Werner, 9. Burr M., A Monograph of the Genus Acrida. Transact. Ent. Soc. London 1902, p. 149—187. 10. Finot, Faune de l'Algerie et de la Tunisie. Insectes Orthopteres. Ann. Soc. Ent. Fr. 1897. 11. Karsch, Orthopterologische Beiträge; II. Über die Hetro- diden (Berl. Ent. Zeitschr., V, 1888). 12. Klug F., in: Hemprich et Ehrenberg, Symbolae Physi- cae. Berolini 1828 — 1845. Orthoptera. Cum Tab. VI. 13. Krauss H., Erklärung der Orthopterentafeln J. C. Sa- vigny's in der Description de l'Egypte. Verb. Zool. bot. Ges. Wien 1890, Bd. 40, p. 227—272. 14. — Beitrag zur Orthopterenfauna der Sahara (Verb. Zool. bot. Ges. Wien 1902). 15. — und Vosseier J., Beitrag zur Orthopterenfauna Orans (Westalgerien). Zool. Jahrb. Syst. IX. 1897, p. 515 bis 556, Taf. VII. 16. Lefebvre A., Nouveau Groupe d'Orthopteres de la famille des Mantides. In: Ann. Soc. Ent. France, IV, 1835, p. 449—508, PI. XI-XIII. 17. Lucas, in: Bull. Soc. Ent. France, 1880, p. LXXV. 18. Redtenbacher J., Monographie der Conocephaliden; in: Verh. Zool. bot. Ges. Wien 1891, Taf. III und IV. 19. — Verzeichnis der von den Herren Dr. G. Rad de und Dr. A. Walter im Jahre 1886 in Transcaspien ge- sammelten Orthopteren, nebst kurzen Diagnosen der neuen Arten (Wiener Ent. Zeitschr., VIII, 1889). 20. Saussure H. de, Melanges orthopterologiques. Tome I, Fase. II: Blattides et Phasmides, avec 2 P!., Geneve et Bäle, 1869; Fase. III avec Supplement: Mantides, avec 4 PL, Geneve et Bäle, 1870—1871. Tome II, Fase. IV ä VI: Mantides, Blattides, Gryllides, avec 12 PI., Geneve et Bäle, 1872—1878. 21. — Prodromus Oedipodiorum. Avec 1 PI. Geneve 1884. 22. — Additamenta ad Prodromum Oedipodiorum. Avec 1 PI. Geneve 1888. 23. — Note sur quelques Oedipodiens en particulier sur les genres appartenant au type Sphingonotus; in: Mitt. Schweiz. Ent. Ges. VIII, 1889, p. 87—97. Orthopterenfauna Ägyptens. 37 O 24. Saussure H. de, Revision de la Tribu des Heterogamiens (Rev. Suisse Zool. I, 1894). 25. — Revision du Genre Tridactyle (Rev. Suisse Zool. IV, 1897). 26. — Analecta Entomologica I. (Rev. Suisse Zool. V, 1898). 27. Savigny J. C, in: Description de l'Egypte. Histoire naturelle, Zoologie. Paris 1809—1813, PI. I— VII. 28. Vosseier, Beiträge zur Faunistik und Biologie der Ortho- pteren Algeriens und Tunesiens. Zool. Jahrb. Syst. XVI, p. 337, T. 17—18, 8 Textfig.; IL Teil, XVII, p. 1, Taf. 1—3, 5 Textfig. 29. West wo od, Recensio Insectorum Familiae Mantidarum. London 1889. 30. Rehn, in: Proc. Ac. Philadelphia. Bd. 53, 1901, p. 276. 31. Coquerel, Reiche et Fairmaire, in: Ferret et Gali- ni er, Voyage en Abyssinie. III, 421, Taf. 27, Fig. 5. 32. Brunner v. Wattenwyl, Revision du Systeme des Orthopteres et description des especes rapportees par Fea. Ann. Mus. Genova 1893. Dermaptera. Gattung: Labidura Leach. 1. L. riparia (Pall.) (1773). Brunner, Prodromus, p. 5, Fig. 1. Bormans, Tierreich, XI, p. 33 (1900). Savigny, Taf. I, Fig. 1 — 3, 7. — Krauss, p. 234, 235. Die häufigste der ägyptischen Forficuliden: Alexandrien (Maryut-See bei Meks, 26. IV. 1905), Gizeh, Zool. Garten (20. VII.); Medinet-Fayum (11. VIII.), Elephantina (5. VIII.), Philae (31. VII.), Shellal (3. VIII. 1904 und 23. I. 1905), Luxor (28. VII.). Wadi Haifa (25. I. 1905). — Die Art rechtfertigt ihren Namen auch in Ägypten, da sie fast ausschließlich in Erd- löchern am Wasser, sowohl am Nil als auch an kleinen Wasser- gräben vorkommt. Über die ganze Erde verbreitet. 376 F.Werner, Gattung: Labia Leach. *2. L. minor (L.) (1767). Brunn er, Prodromus, p. 10, Fig. 3. Bormans, Tierreich, XI, p. 66 (1900). Medinet-Fayum, abends zum Licht geflogen (1 1. VIII.), ganz verschieden von dem Verhalten in Europa, wo die Art die einzige Forficulide ist, welche bei Tage fliegt. — Neu für Ägypten. Europa, Asien, Afrika, Nordamerika. Gattung: Forficula L. 3. F. lucasi H. Dohrn (1865). Bormans, Tierreich, XI, p. 121 (1900). Ägypten, Beni Mzab-Gebiet in der algerischen Sahara, Syrien, Indien, Birma. Die in der »Description de l'Egypte« noch abgebildeten Arten: Anisolabis aniuilipes Lucas (Fig. 6) und Forficula atiri- cnlaria L. (Fig. 4, 5) könnten immerhin in Ägypten vorkommen, doch habe ich weder Belegexemplare gesehen, noch in der Literatur bestimmte Angaben darüber gefunden, weshalb ich sie hier nicht aufnehmen kann. Orthoptera genuina. Familie: Blattodea. Unterfamilie: PhyllodromÜdae. Gattung: Phyllodromia Serv. 1. (1.) Ph. germanica (L.) (1766). Brunn er, Prodromus, p. 46, Fig. 9. — Syst. Blatt., p. 90. Savigny, Taf. II, Fig. 20, 21. — Krauss, p. 243. Auf den Nildampfern bis Wadi Haifa nicht eben selten. Über den sproßten Teil der Erde verbreitet. Orthopterenfauna Ägyptens. 377 2. (2.) Ph. supellectilium Serv. B runn er, Syst. Blatt, p. 98. Savigny, Taf. II, Fig. 19. — Krauss, p. 243. Diese Art war erst aus Chartum, Brasilien und Isle de France, Ostindien und Cuba mit Sicherheit bekannt, obwohl vorauszusetzen war, daß sie sich in Ägypten auch findet. Das ist nun tatsächlich der Fall, denn ich traf sie beim Mörissee (Birket-el-Kurun, 12. VIII.), bei Theben (28. VII.) und auf Elephan- tine (Assuan, 5. VIII.), sowie bei Heluan (25. VII.) und auf dem Nildampfer »Toski« zwischen Shellal und Wadi Haifa (24. I. 1905). 3. (3.) Ph. Treitliana n. sp. Pallida, flavescens. Antennae fuscae, corpore breviores. Caput fascia interoculari nigra. Pronotum semicirculare, lateri- bus late hyalinis. Elytra fere hyalina, flavescentia, alae per- fecte hyalinae. Abdomen subtus nigromarginatum, medio sparse nigro conspersum. Pedes pallidi, spinis femoralibus basi nigris. cf9. Long, corporis 9 min, pronoti 3 mm, elytrorum 9-5 mm. Diese Art, welche zu dem Formenkreis mit mehrfach ver- ästelter Vena ulnaris des Hinterflügels gehört, findet sich am Ufer des Nils nahe dem Barrage von Kalioub, und zwar im Schilf, besonders unter dem zu Flechtarbeiten abgeschnittenen und in Bündeln auf dem Boden liegenden trockenen Schilf in Gesellschaft zweier anderer Arten, sowie von Grillen, Skor- pionen {Buthus quinquestriatits) und Galeodes (arabs). 4. (4.) Ph. arundinicola n. sp. Testaceo-ferruginea. Antennae fuscae. Caput ferrugineum, unicolor. Pronotum trapezoideum, angulis omnibus rotundatis, lateribus late hyalinis, disco ferrugineo, obscuriore maculato. Elytra testacea, latiora, apice rotundata; alae hyalinae. Pedes et abdomen unicolores. Siizb. d. mathem.-naturw. KL; CXIV. Bd., Abt. I. 26 378 F.Werner, Long, corporis 9 mm; pronoti 2-5 mm; elytrorum S mm. Mit voriger zusammen vorkommend. 5. (5.) Ph. angustefasciata n. sp. Pallide flavescens. Antennae fuscescentes, corpore bre- viores. Caput lineis nigrescentibus duabus interocularibus orna- tum. Pronotum semicirculare, fasciis longitudinalibus duabus angustis nigris distinctissimis in margine anteriore pronoti con- fluentibus, postice supra elytra et alas (lobiformes) decurrenti- bus. Abdomen supra nigro-conspersum. Pedes spinis femorali- bus basi nigris, femoribus subtus serie longitudinali punctorum nigrorum decoratis. Cerci basi et apice nigri. Long, corporis Q-bmm; Long, pronoti 2mm. Es liegen mir nur zwei Larven von dem Fundorte der beiden vorhergehenden Arten vor, die aber so auffallend und charakteristisch gezeichnet sind, daß sie kaum mit irgend einer anderen Art mit längsgestreiftem Pronotum verwechselt werden können. Von der einzigen näher stehenden Art in Ägypten, Ph. germanica, insbesondere unterscheidet sie sich leicht durch die sehr schmalen, weit getrennten Pronotumstreifen, das helle, punktierte Abdomen und die zweifarbigen Cerci. Unterfamilie: Periplanetidae. Gattung: Periplaneta Burm. 6. (6.) P. americana (L.) (1766). Brunner, Prodromus, p. 50, Fig. 11. - Syst. Blatt, p. 232. Savigny, Taf. II, Fig. 16, 17, 18. — Krauss, p. 242. Äußerst häufig bei Luxor (18. IV. 1899). Kairo (Mus. Kairo). ^ — Kosmopolit. 7. (7.) P. savignyi Krauss (1890). Savigny, Taf. II, Fig. 13. — Krauss, p. 242. Nur aus Savigny's Abbildung bekannt. 1 In der Sammlung der medizinischen Schule, unter der Verwaltung von Dr. Innes Bey, der mir bei meinem Aufenthalte April 1905 das Material in liebenswürdigster Weise zur Untersuchung anvertraute, wofür ihm hier bestens gedankt sei. Orthopterenfauna Ägyptens. 379 *8. (8.) P. tartara Sauss. (1874). Saussure, in: Fedtschenko, Voyage au Turkestan, p. 9. Ein Exemplar (cf) bei Assuan von Herrn Ing. Hafferl gefunden (4. Vlll.). Diese aus Zentralasien beschriebene Art ist neu für Ägypten. Gattung: Stylopyga Fisch, de W. 9. (9.) S. Orientalis (L.) Brunn er, Prodromus, p. 49. {Periplaneta.) Savigny, Taf. II, Fig. 14, 15. — Krauss, p. 242. Ägypten (Coli. Br. Nr. 14525). — Kosmopolit. UnterfamiHe: Panchloridae. Gattung: Nauphoeta Burm. 10. (10.) N. cinerea (Oliv.) (1789). Olivier, Encyclopedie Methodique, Tome IV, p. 314. Saussure, in: Hist. Madagascar (Grandidier) I, Paris 1895, p. 81, T. III, Fig. 31; und in: Wiss. Erg. Reise Mad. (Voeltzkow) I, 4, 1899, p. 583. Ägypten (Coli. Br. Nr. 6120, 6162—6163). — Außerdem: Brasilien, Antillen, Mexiko (Saussure); Reunion (Isle de France) (Olivier). — Gemein am weißen Nil bis Mongalla (leg. Werner). Unterfamilie: Corydidae. Gattung: Holocompsa Burm. 11. (11.) H. fulva Burm. 1859. Bur meist er, Handb. Entom. II, p. 492. Brunn er, Syst. Blatt., p. 348. Ägypten (Burmeister), Chartum (Coli. Br.). 26* 380 F. Werner, Gattung: Heterogamia Burm. (Polyphaga Brülle.) 12. (12.) H. aegyptiaca L. (1764). Brunner, Prodromus, p. 52. — Syst. Blatt., p. 353. Savigny, Taf. II, Fig. 9, 12. — Krauss, p. 241, 242. Cairo (im Garten des »Hotel du Nil*, 23. VII. 1904). Aus Ägypten mehrfach in der Literatur erwähnt. Außerdem in Calabrien, Sicilien, Dalmatien, Griechenland, Kleinasien, Syrien, Algerien, Südrußland, Kaukasus, Persien, Sibirien. 13. (13.) H. africana L. (1764). Saussure, Rev. Tribu Heterogam., p. 312 (daselbst auch die ganze Synonymie dieser und der folgenden Art). Savigny, Taf. II, Fig. 7, 11. Ägypten, Syrien (Burmeister, Mus. Wien, Coli. Br.). Somaliland (Schulthess). 14. (14.) H. ursina Burm. (1838). Saussure, Rev. Tribu Heterogam. p. 313. Savigny, Taf. II, Fig. 8, 10. Ägypten, Syrien (Mus. Wien). Mir liegt eine Larve vor, die ich in der Wüste bei Gizeh (16. VIII.) sammelte und welche mit dieser Art am besten übereinstimmt. Ein zweites Exemplar wurde halb verzehrt zwischen den Maxillartastern eines Buthus leptochelys gefunden. Unterfamilie: Perisphaeridae. Gattung: Perisphaeria Serv. 15. (15.) P. unicolor Burm. (1839). Brunn er, Syst. Blatt., p. 306. Orthopterenfauna Ägyptens. 38 1 Ägypten (Coli. Br. Nr. 1474). — Capensische Art, die jedenfalls durch den Schiffsverkehr, wie so viele andere Blat- tiden, ihr Wohngebiet ausgebreitet hat. Familie: Mantodea. Erste Unterfamilie: Orthoderidae. Gattung: Eremiaphila Lefebvre. Eine der Hauptaufgaben, welche ich mir für meine Reise gestellt hatte, war die Beschaffung von Material aus dieser äußerst schwierigen und artenreichen Gattung, wodurch ich manche Zweifel über gewisse ungenügend beschriebene Arten zu beheben und die relativ große Anzahl derselben auf eine geringere Zahl wohlcharakterisierter Formen zu reduzieren gedachte. Doch das Ergebnis meiner Sammeltätigkeit war ein gänzlich unerwartetes. Es stellte sich heraus, daß nicht nur die bisher bekannten Arten, von welchen an manchen Orten zwei oder drei nebeneinander vorkommen, mit geringen Ausnahmen ganz wohl unterscheidbar und in gewissen Merkmalen sehr konstant sind, sondern daß es schon in Ägypten noch um einige mehr gibt, als bisher beschrieben wurden. Bei Unter- suchung des Materials, welches mir aus dem Berliner und St. Petersburger Museum zu diesem Behufe eingesandt wurde, stellten sich einige weitere, teilweise sehr charakteristische Arten als noch unbeschrieben heraus, was die Revision der ausgezeichneten Bearbeitung der Gattung Eremiaphila durch H. de Saussure und die Umarbeitung seiner Bestimmungs- tabelle, um sie zur Unterbringung der neuen Arten tauglich zu machen, erforderte. Hiezu habe ich in erster Linie die Färbung der Coxen des ersten Beinpaares sowie die der Elytren und Flügel, Merkmale, welche niemals versagen, herangezogen, dagegen den bisher über Gebühr berücksichtigten Größenver- hältnissen, die bei derselben Art sehr schwanken, keinen wesentlichen Rang in der neuen Tabelle eingeräumt. Bei einigen Arten, von denen zwei von mir gefunden wurden, hat sich in der Bedornung der vorderen Femora am distalen Ende ein auffallender Sexualdimorphismus ergeben; 382 F. Werner, ich habe diese Arten zu einer besonderen Gattung zusammen- gefaßt. Da aber die 9 9 sich von denen der Gattung Ercmia- phila nicht unterscheiden (ähnHch wie bei den Laubfröschen der Gattung Nototrema zwar die 9 9, nicht aber die cTcT sich von denen der Gattung Hyla unterscheiden lassen), so habe ich bei Zusammenstellung der Tabelle auf den Charakter der Gattung keine Rücksicht genommen und die Arten derselben in die echten Eremiaphilen eingereiht. Wenn man einmal von allen Arten der neuen Gattung die 9 9 kennt, so mag es immer- hin möglich sein, ein Merkmal zu finden, wodurch sich auch diese von denen der Gattung EremiapJiila unterscheiden. Obwohl die meisten Arten ein überaus beschränktes Ver- breitungsgebiet besitzen, so wissen wir in der Regel nur wenig darüber, weil in älteren Sammlungen genauere Fundorts- angaben recht selten sind und man gewöhnlich als Fundort nur »Ägypten« oder »Syrien« angegeben findet. Immerhin kann man sagen, daß nur sehr wenige Arten, von der man einen genaueren Fundort kennt, beide Nilufer bewohnen und daß keine einzige sowohl in Ober- als in Unterägypten bisher gefunden wurde. Dagegen scheinen die außerafrikanischen Arten ein weit größeres Areale zu bewohnen, wie z. B. Erevnia- phila Genei, welche in ganz Syrien und dem südlichsten Klein- asien vorkommt, oder die in Arabien und Nordwestindien lebende E. arabica. Das Verbreitungsgebiet der Gattung erstreckt sich über ganz Nordafrika von Westalgerien {E. inoreti B o 1. vom Rio de Oro ist eine Centromantis) im Westen bis zum SomaJiland im Osten {E. somalica Rehn) und außerdem über Syrien bis Adana in Kleinasien und über Arabien, Persien und Nordwestindien. Es sind derzeit 23 gut unterscheidbare Arten bekannt, von welchen mir 12 in 128 Exemplaren vorlagen. Zwei Arten sind ungenügend beschrieben und können vorläufig kaum wieder- erkannt werden, wenn sie auch wieder gefunden würden, um so mehr als die Eremiaphilen sehr zart sind und daher in vielen Fällen in recht defekten Exemplaren in den Sammlungen ver- treten sind. Die meisten Arten sind selten, bloß gewisse syrische, wie E. Genei und Hauenstemi, scheinen häufiger aufzutreten. Daher ist es auch weit leichter, in einem Gebiet eine neue Art Orthopterenfauna Ägyptens. 383 2U entdecken, als eine von den Lefebvre'schen Arten wieder zu finden, da es oft auf reinem Zufall beruht, wenn man gerade das enebee-renzte Verbreitunoss^ebiet einer Art auffindet. Beschreibung" der von mir untersuchten Arten. Eremiaphila Typhon Lef Lefebvre, Ann. Soc. Ent. France, IV, 1835, p. 499, tab. 12, fig. 5. Saussure, Melangesorthopterologiques,IIl.,Suppl., 1871,p.371, tab. 7, fig. 55. Westwood, Revisio Insectorum Familiae Mantidarum, p. 28, tab. 17, fig. 11. Bur meist er, Handb. d. Entomologie, II, p. 525 (E. Ehrenbergi). Von dieser Art lagen mir vor: 1 o. Libysche Wüste (Mus. St. Petersburg). 1 o. Kufra (Mus. Berlin), leg. Rohlfs, 10, 1879. 1 9. Ägypten (Mus. Berlin), leg. Ehrenberg. Icf (?). Kufra (Mus. Berlin), leg. Rohlfs. 1 cT (?). Ägypten (Coli. Brunner). 1 cf (Larve). Arabien (Mus. Wien). 1 9 (Larve). Kafr-Gamus zwischen Marg und Ain-es- Schems, Unterägypten (leg. Werner, 22. VII. 1904). 1 cf (Larve) von ebendaher (leg. Reimoser). Diese Art ist wohl die gewaltigste aller Eremiaphilen, denn das 9 aus Kufra hat eine Totallänge von 46- 5 mm. Die tief- schwarze Färbung auf der Unterseite der Coxen, der schwarze Streifen auf der Innenseite der Femora des vorderen Beinpaares^ schließlich die (allerdings oft kaum merklich) ungleichen, bei sehr großen Exemplaren sehr dunkel gefärbten, den Hufen einer Gazelle ähnlichen Krallen der Mittel- und Hinterbeine machen diese Art so kenntlich, daß über sie nicht die geringste Meinungsverschiedenheit bestehen kann. Nur bei dem 9 des Petersburger Museums finden sich zwei parallele dunkle Quer- binden auf der Unterseite der Elytren, wie sie Westwood beschreibt und welche etwas an die Flügeldeckenzeichnung 384 F. Werner, der weiblichen Fischeria baetica erinnern. Da an den Femora der Vorderbeine beim cT auf der Innenseite die beiden distalen Dornen etwas vergrößert und verlängert sind, so bildet diese Art eine Übergangsform zu Centromantis, ebenso wie sie in der Tarsenzahl nach Saussure einen Übergang zu Heteronycho- tarstis erkennen läßt. Möglicherweise ist demnach E. Typhon die Stammform der ganzen Gruppe. Eremiaphila Brunneri n. sp. Pronotum latius quam longius, lateribus distincte denti- culatis, trapezoidum, postice inerme. Elytra longitudinem cor- poris cum pronoto aequantia, rugosa, crista humerali valde distincta, subtus macula semilunari violaceo-aenea ornata; alae macula apicali fusca. Pedum anticorum coxae intus nigrae, femora extus quadrispinosa, tibiae extus sexspinosae. Longitudo corporis 32*5 mm. » pronoti 5-5 >> Latitudo » 6 Longitudo elytrorum 8-5 » Latitudo » 7 » abdominis 9-5 » Longitudo capitis cum pronoto 8*5 » Jerusalem (9 in Coli. Brunn er, Nr. 13900). Eremiaphila spinulosa Krauss. Zool. Jahrb. Syst. IX, 1897, p. 525, Taf. 7, Fig. I, \A-D. 9- und 9 -Larve in der Sammlung des Mus. St. Petersburg (Saussure det.). Das 9 ist schlecht erhalten. Ich bin außer Stande, irgend einen wesentlichen Unterschied von E. nmnida Sauss. (siehe p. 398) zu finden, während Finot sie mit denticollis identisch hält, was schon wegen der dunklen Vorder- coxen der spimUosa unmöglich ist. Die vom Originalfundorte stammenden Exemplare der Coli. Brunn er v. Wattenwyl stimmen in Größe, in der Gleichheit der Krallen, der Be- schaffenheit der Flügeldecken und Abdominalsegmente sehr gut mit numiäa überein. Orthopterenfauna Ägyptens. 385 Eremiaphila Cerisyi Lef. Lefebvre, Ann. Soc. Ent. France, 1836, p. 484, Taf. XIII, Fig. 1. Saussure, Mel. Orth., III, p. 373. Liegt mir in drei erwachsenen Exemplaren (2 cT'cT, I9) von sehr verschiedener Größe aus Arabien (Mus. Wien) vor; das große cT mißt 27, das kleine Iß mm. Im übrigen kann ich aber keinen Unterschied finden. Ein Exemplar von der Sinai- Halbinsel (9, Coli. Brunner) zeigt eine schwache Spur eines dunklen Fleckes auf der Unterseite der Hinterflügel. Eremiaphila Braueri Krauss. Anz. Akad. Wien, VII, 6. März 1902. Ich konnte ein cf von Keshin, Arabien (leg. Hein 1902) untersuchen, welches sich in der Wiener Sammlung befindet. Es unterscheidet sich durch die von Krauss angegebenen Merkmale leicht von allen bekannten Arten. Das glatte, ganz- randige, ungefähr quadratische Pronotum und die glatten Elytren erinnern sehr an E. Typhon, die einfarbig braunen Hinterflügel an E. Cerisyi, doch ist die Art durch die einfarbig weißlichen Coxen und Femora der Vorderbeine ebenso von ersterer, wie durch die glatten Elytren und das quadratische Pronotum von letzterer zu unterscheiden. Dimensionen: Long, tot. 26, long, pronoti 5, elytrorum 10-5, lat. elytrorum 8, lat. abdom. 7-5, lat. pron. 5-5, long. cap. cum pronoto 7*5 mm. Eremiaphila Dawydowi n. sp. (Fig. 1.) 9 Wadi-el-Begga, SW des Toten Meeres (leg. Dawydow, 24. IV, 1897); 9 Sinai (Coli. Brunner); 9 Scherm Scheich, Arabien, 27. IV. 1896 (Coli. Mus. Vindobon.). Species major, E. Audouini persimilis, sed pronoto multo minus gibberoso, sparse tuberculato, postice minus angustato; alae subtus macula fusca apicali; pedes supra fasciati; abdomen latissimum. Long, tot 35 28-5 27-5 » pronoti 5 6 5*5 Lat. » 7 6-5 6 386 F. Werner, Long, elytrorum 11 11-5 10 Lat. >> 10 7-5 7 .'»■.. abdominis . .'. r;^: /.-; .v. . . 16 13 11-5 Long. » (cum meta- et mesonoto) . . 26 20 18 Das Pronotum ist ebenso breit wie der Kopf mit geraden oder schwach konvexen ganzrandigen Seitenrändern und einem mehr weniger deutlich ausgesprochenen Paar von Wülsten vor dem Hinterrande. Elytren ähnlich wie bei E. Audotilni, ober- seits sandgelb, unterseits mit prächtig blauviolett metallisch schillerndem halbmondförmigen Fleck; Hinterflügel braun mit einem großen dunklen Apicalfleck. Mittel- und Hinterbeine kürzer und robuster als bei E. Typhon. Vordere Femora und Tibien außen mit 4 Dornen. Obwohl ich vollkommen überzeugt bin, daß diese Art ebenso wie E. Audotiini Lef und E. Cerisyi Lef. nur als Unter- art einer einzigen Art, welche nach den Prioritätsgesetzen E. Aiidouini heißen muß, sich herausstellen wird, so ist es gegenwärtig nicht schwer, die drei Formen nach der Flügel- färbung zu unterscheiden. Das Pronotum ist dagegen in der Form durchaus nicht ganz konstant, wie z. B. aus der Serie der drei E. Dawydowi deutlich zu ersehen ist. Bei dem ersten Exemplar ist es schwach gewölbt mit geraden, nach hinten wenig konvergierenden Seitenrändern und sehr schwach vor- tretenden Wülsten vor dem Hinterrande; bei dem zweiten sind die Seitenränder mehr gebogen, konvergieren nach hinten deut- licher, die Wülste sind sehr deutlich ausgesprochen und durch eine mediane kurze Längsleiste voneinander getrennt. Bei dem dritten Exemplar ist die Wölbung am stärksten, die Konvergenz der sehr deutlich konvexen Seitenränder am auffallendsten und das Pronotum hinten seitlich deutlich eingezogen; eine Leiste zwischen den beiden Wülsten, die gut entwickelt sind, fehlt. Im übrigen ist aber kein Unterschied zu bemerken; ich habe es daher vorgezogen, die drei Exemplare einer Art zuzurechnen, statt nach dem Pronotum für jedes eine Art aufzustellen. Eremiaphila Hauensteini Brunner (in Coli.). E. Genei pronoto spinosogranulato peraffinis, sed tuberis duabus magnis ante marginem posticum pronoti necnon alis immaculatis distincta. Orthopterenfauna Ägyptens. 387 Diese Art liegt mir in 20 Exemplaren aus Aleppo (Coli. Brunn er) vor, welche der E. Geiiei sehr ähnlich sind, aber sich durch die oben aufgeführten Merkmale von ihrer syri- schen Verwandten und vermutlichen Stammform unterscheiden. Mehrere Exemplare sind mehr weniger dicht schwärzlich be- stäubt, wie dies auch bei Centvomantis Umetana zu beob- achten ist. Eremiaphila Genei Lefebvre. Lefebvre, Ann. Soc. Ent. France, 1838, p. 486, Taf. XII, Fig. 2. Saussure, Mel. Orth., III, p. 374. Von dieser weitverbreiteten syrischen Art liegen mir zahl- reiche Exemplare vor, und zwar von Adana, Kleinasien (zwei Larven, die ersten Eremiaphilen aus Kleinasien), von Gebellie^ (13 Exemplare, 2 cf, 3^, 8 Larven), von Akbes (1 9), von Egin, Armenien (Icf), von Aleppo (4cf, 29, 6 Larven), von Damaskus (29); alle mit Ausnahme der beiden ersteren in der Coli. Brunner; außer den beiden kleinasiatischen Exemplaren noch 29 (Totes Meer und Syrien ohne genauere Fundortsangabe) in meiner Sammlung; 2 (Syrien ohne genaueren Fundort), Mus. Berlin; 3 (Libanon), Mus. Wien. Im allgemeinen gleichen sich die Exemplare sehr, doch vermag ich zwei recht konstante Unterarten zu unterscheiden, von welchen die eine, die typische, stark reticulierte, rauhe Flügeldecken besitzt, während bei der andern, die ich als var. laevipennis bezeichnen will, die Elytren viel weniger stark vor- tretende Aderung aufweisen und daher entschieden glatter aus- sehen. Zu dieser Form gehören die beiden Exemplare aus dem Berliner Museum und die aus Gebellie in der Coli. Brunn er. E. Biirmeisteri Sauss. {Zetterstedti Burm. non Lef.) ist höchstwahrscheinlich nichts anderes als unsere Genei. Eremiaphila libyca n. sp. (Fig. 9.) Ein 9 aus der libyschen Wüste bei Gizeh (leg. Werner, 19. VII. 1904). 1 Zwischen Latakia und Antakia. 388 F. Werner, Pronotum longius quam latius, laeve, modice gibberosum, angulis anticis et posticis acute truncatis, lateribus undulatis, postice convergentibus; elytra longitudinem capitis cum pro- noto aequantia, venis haud prominentibus, postice rotundata, subtus immaculata; alae minores, apice macula obscura. Ab- domen supra segmentis medio tuberculatis. Femora antica extus quinquespinosa; tibiae anticae margine externe spinis sex armatae. Long, corporis 21-5. » pronoti 4-5. Lat. » 4. Long. elytrorum 5. Lat. » 4. Long. abd. 14-5. Lat. » 7. Hieher dürften auch Larven aus derselben Gegend und vom Mokattamgebirge gehören. Unter den ein ähnUches Pro- notum besitzenden Arten, die ich gefangen habe, unterscheidet sich E. (Centromantis) heluanensis durch stark reticulierte Elytren und den starken Zahn am hinteren Pronotumwinkel, E. (C.) pyramidum durch die rudimentären Elytren und die geringere Zahl der äußeren Tibialdornen von unserer Art. Eremiaphila persica n. sp. (Fig. 8). Persien, Provinz Chorassan (leg. Dawydovv, 27. VI. 1904), cT, 9 (in Coli. Mus. Acad. Imp. Scient. Petropol). Pronotum latius quam longius, lateribus postice conver- gentibus, integris, marginibus antico et postico leviter concavis angulis anticis rotundato-truncatis, posticis obtusis; elytra longi- tudinem capitis cum pronoto vix superantia, venis parum pro- minentibus, subtus macula semilunari violacea-aenea magna, etiam a supra distincte visibili ornata, alae minores, unicolores. Tibiae extus quadrispinosa. cT ? Long, corporis 15 nitn 19 mm » pronoti 3 4 Lat. » 4 5 Orthopterenfauna Ägyptens. 389 ^ 9 Long, elytrorum . . 5 mm 7 m^m Lat. . 4 5 Lat. ahdominis . . . . 5 8 Diese anscheinend erste aus Persien bekannte Eremiaphile ist durch den schon von oben deutlichen halbmondförmigen Fleck der Elytren sehr leicht kenntlich. Sie steht der E. Luxori Lef. nahe. Eremiaphila dentata Sauss. (Fig. 5.) Burmeister, Handb. Ent., II, p. 525 {Bovei, nee Lef.). Saussure, Mel. Orth., III, p. 388. Totallänge 19 -5 mm, Pronotum 4, Elytren 4 mm lang, Abdomen 7 mm breit. Saussure vergleicht diese Art der E. Luxori, doch hat sie einfarbig helle Coxen der Vorderbeine, bei Luxori dagegen sind sie auf der Innenseite schwarz. Der Unterschied von Bovei Lef. ist übrigens nicht so groß, wie es scheint, denn die Angabe »Tibiis anticis extus bispinosis bituberculatisque^< bezieht sich möglicherweise auf die nicht seltene Erscheinung, daß die Dornen teilweise am Grunde abgebrochen sind und bloße Höcker zurücklassen (vergl. auch E. Hralili Lef.: »femo- ribus anticis extus tuberis instructus«). Je stärker diese Dornen sind, desto leichter brechen sie im Kampfe mit größeren und kräftigeren Beutetieren ab. Es können also ganz gut vier äußere Tibialdornen vorhanden gewesen sein. Bei der überaus mageren Beschreibung, welche Burmeister seinen Eremiaphilen mit- gibt, ist die Identität nur durch Autopsie festzustellen, aber nach Studium eines mir vom königl. Museum für Naturkunde in Berlin freundlichst eingesandten Exemplares kann ich nicht umhin, sie statt in die Nähe der Luxori in die der Bovei zu stellen. Am Kopf ist jederseits ein kleiner, sehr deutlicher Höcker am Innenrande des Auges zu bemerken. Pronotum und Abdomen grubig punktiert, ersteres mit einer sehr deutlichen medianen, vorn in eine kleine Spitze auslaufenden Längsleiste. Seitenränder vorn grob gezähnt, nach hinten mehr wellig. Abdomen mit medianem, dreieckigem Lappen am Hinterrande 390 F. Werner, des dritten bis siebenten Tergites. Elytren grob gerunzelt, bis zum Hinterrande des zweiten Tergites reichend. Hinterflügel mit dunklem Fleck an der Spitze, klein, frei, von den Elytren bedeckt. Vordere Femora mit vier, vordere Tibien mit sechs Dornen. Mittel- und Hinterbeine auf der rötlich sandfarbenen Grundfärbung des ganzen Tieres mit dunklen Querbinden und Punkten. Eremiaphila Rohlfsi n. sp. (Fig. 3, 13.) Differt ab omnibus speciebus generis elytris margine ex- terno fortiter dentatis femoribusque pedum intermedium et posticorum quadrangularibus. — Habitat: Oase Kufra. Kopf breiter als das Pronotum. Dieses von ungefähr qua- dratischem Umriß, mit aufgebogenem, nach beiden Seiten S-förmig geschweiftem Vorderrande, scharfen rechtwinkligen Vorderecken, etwas konvexen und schwach gekerbten Seiten- rändern, sehr spitzem Zahn der Hinterecken und grob ge- zähntem Hinterrand. Oberfläche stark höckerig, spärlich auf den Höckern mit kleinen Körnern besetzt. Elytren klein, frei, vollkommen lateral, grob geädert, mit starken Zähnen am Außenrande; Hinterflügel mit dem Meta- notum verwachsen, von den Elytren nicht ganz bedeckt, ein- farbig hell. Abdomen sehr breit (getrocknet), stark gerunzelt, doch mindestens eine Mittelreihe von Höckern am Hinterrande der Tergite nicht auf Schrumpfung zurückzuführen, sondern normal. Vorderbeine kräftig, Hüften deutlich gezähnelt, Femur und Tibia außen mit vier Dornen. Mittel- und Hinterbeine mit abwechselnd breiteren und schmäleren, ziemlich dicht ge- drängten Querbinden und deutlich vierkantigen Oberschenkeln. Totallänge 16 mm, Pronotum 4 mm (Breite 4^/^ mm), Elytren 2-ömm. Breite des Abdomens 8 mm. — Nur ein Exemplar (9) lag mir vor, welches sich im Museum für Natur- kunde in Berlin befindet und von Gerhard Rohlfs gesammelt worden ist. Eremiaphila Khamsin Lef. Lefeb vre, Ann. Soc. Ent. France, 1835, p. 496, Taf. XIII, Fig. 3. Saussure, Mel. Orth., III, p. 384. Orthopterenfauna Ägyptens. 391 (? E. HraliJi Lef.; nilotica Sauss., sahulosa Sauss., Ari- stidis Luc.) > Eine der häufigsten ägj^'ptischen Eremiaphilen, die mir in einer großen Anzahl von Exemplaren vorliegt. Mit ihr möchte ich ohnevveiters vereinigen: 1. E. Hralili Lef., welche schon von Saussure, gewiß mit vollem Rechte, für das cT der E. Khamsin gehalten wurde, aber freilich durch die verschie- dene Bewehrung des äußeren Femoralrandes der Vorderbeine spezifisch verschieden erscheint; 2. E. nilotica Sauss,, welche sich von E. Khamsin nur durch die bedeutendere Größe unter- scheidet. Da aber E. Khamsin sehr in der Größe variiert und jnir Exemplare vorUegen, die nahezu die Größe der nilotica in der Abbildung Savigny's besitzen (obwohl allerdings auf die Tatsache hingewiesen werden muß, daß manche Figuren in der »Description de l'Egypte« etwas unterlebensgroß dar- gestellt sind), so kann ich die nilotica als Art durchaus nicht anerkennen. Die Variabilität der E. Khamsin- in den Dimen- sionen ist nicht geringer als bei E. Typhon oder Cerisyi. 3. E. sabulosa Sauss., welche sich im wesentlichen nur durch die ungleichen Krallen an den Mittel- und Hinterbeinen aus- zeichnet, ein überaus subtiles und vielfach völlig versagendes Merkmal, nicht nur bei dieser Art, von welchen ein Exemplar drei Beine mit gleichen, eines mit ungleichen Krallen besitzen kann, sondern auch bei E. num,ida und sogar bei E. Typhon. Vo sseler legt auch bei E. numida der Ungleichheit der Krallen keinen Wert bei. {E. Kheych Lef. ist ganz ungenügend charak- terisiert, aber wohl von E. Khamsin verschieden.) 4. E. Ari- stidis Luc. läßt trotz der ausführlichen Beschreibung beider Geschlechter keinen wesentlichen Unterschied von E. Khamsin erkennen. E. Annbis ist meiner Ansicht nach eine E. Khamsin Lef., bei welcher die Hinterfiügel nicht mehr in Verbindung mit dem Metanotum stehen, also eigentlich die Imago dazu, während E. Khamsin eine Art konstanten Larvenstadiums vor- stellt. Denn wenn es auch vollkommen richtig ist, daß Eremia- philen mit lateralen, rudimentären Flugorganen trotzdem Ima- gines sein können, so gilt dies doch nur für freie, artikulierte Flügel, und ich persönlich bin der Ansicht, daß, wenn man eine Eremiaphila findet, deren Elytren zwar frei, deren Hinter- 392 F. Werner, flügel dagegen angewachsen sind, eine längere Beobachtung des lebenden Tieres ergeben würde, daß mit der Zeit auch die Hinterflügel frei werden, wie mir dies die Auffindung einer E. Savignyi, welche sich gerade im Übergangsstadium befindet, bis zur Gewißheit wahrscheinlich macht. Es ist auch nicht richtig, wenn Saussure bei verschiedenen Arten angibt: »Ailes nulles« (z. B. in der Bestimmungstabelle p. 370), da alle von mir untersuchten EremJaphilen Hinterfiügel besaßen und daß auch Saussure nur meint, die Hinterfiügel seien dem Meta- notum verwachsen, aber doch vorhanden, geht aus der Nach- bemerkung »non Separees« hervor, da ja bei dem völligen Fehlen von Flügeln die Bemerkung, daß etwas gar nicht Vor- handenes nicht getrennt vorhanden ist, ganz überflüssig wäre. Wenn ich E. Amtbis unter diesen Umständen trotzdem als besondere Art belasse, so ist es nur deshalb, weil mir unter den zahlreichen E. Khamsin niemals eine mit ganz freien Hinterflügeln untergekommen ist und ich daher annehme, daß die E. Anuhis eine lokale Form vorstellt, welche konstant in der Flügelentwicklung weiter vorgeschritten ist als E. Kham- sin} Übrigens muß man bei derartigen Untersuchungen an trockenen Exemplaren sehr vorsichtig zu Werke gehen, da schließlich auch angewachsene Flügel an der Stelle, an welcher sie mit dem Metanotum zusammenhängen, sich glatt ablösen, wenn man öfters den Flügel hebt. Da übrigens noch niemand seit Savigny die Amtbis gesehen hat, ist auch eine andere Möglichkeit vorhanden, daß sie überhaupt nicht existiert und daß der anscheinend freie Flügelrand nichts anderes ist als die oft sehr deutliche Naht zwischen Flügel und Metanotum. Nur die Untersuchung lebenden Materials — dem freilich die Auf- findung des Fundortes, der für viele Arten äußerst beschränkt ist, vorhergehen muß — kann hier völlige Klarheit schaffen! 1 Savigny bildet E. Anubis mit acht äußeren Tibialdornen der Vorder- beine ab, was allerdings ein wesentlicher Unterschied von Khamsin und Ver- wandten wäre. Mir scheint aber gerade diese Zeichnung, bei welcher auch auf der Tibialkralle noch Dornen sitzen, insofern nicht richtig zu sein, als hier auch innere Tibialdornen auf der Außenseite sichtbar erscheinen und die Zahl ver- mehren. Orthopterenfauna Ägyptens. 393 Mir liegen von dieser Art vor: 5 Exemplare aus dem Wiener Hofmuseum (als »Anubis« bestimmt, aber Hinterflügel nicht frei), 3 Exemplare aus dem Museum St. Petersburg, 2 aus dem Museum Berlin, ferner 21 Exemplare aus der Coli. Brunner (1 »Ägypten«, 259, 15 Larven »Heluan«, 3 cf, 3^ »Cairo«), zusammen also 31 Exemplare ohne die sabnlosa, von welcher mir I9, 2 cfcf (1 Museum St. Petersburg, 2 Coli. Brunn er) vorlagen. Das größte erwachsene Exemplar maß 22 mm, das kleinste erwachsene 12 mm. Die Punktierung ist mehr weniger deutlich, manche Exemplare sind ganz glatt, manche wieder stark punktiert, was namentlich dann auffällt, wenn die vertieften Punkte auch dunkel sind. Ebenso stark variiert die Form der Flügeldecken, die bald elliptisch, fast doppelt so lang wie breit, bald wieder nahezu kreisrund er- scheinen. Als Varietät zu E. Khamsin könnte man E. Aristidis wohl aufrecht erhalten. E. Lefebvrei Burm. ist vielleicht die Larve von E. sabulosa Sauss.. E. Petiti Lef. könnte der Liixori nahe- stehen. E. turcica Westw. ist recht ungenügend beschrieben und auch die gute Abbildung nützt hier nicht viel, immerhin konnte ich sie wenigstens in der Bestimmungstabelle unter- bringen, dagegen gelang mir dies nicht bei E. somalica Rehn trotz der langen Beschreibung, welche die Unterschiede von arabica Sauss. durchaus nicht klar werden läßt und dasselbe ist auch bei der E. Aristidis Lucas der Fall, in deren Be- schreibung kein einziges Merkmal erwähnt ist, welches zur Unterscheidung von E. Khamsin ausreicht. Eine größere Verbreitung besitzen: Eremiaphila Typkon (Ägypten, Syrien, Arabien), » Cerisyi (Ägypten, Sinaihalbinsel, Arabien), » Dawydoiui (Sinaihalbinsel, Syrien, Arabien), » arabica (Arabien, Afghanistan, Nordwestindien), » Genei (Ägypten, Syrien, Kleinasien). Merkwürdigerweise ist keine Art über ganz Nordafrika verbreitet, während drei Arten in Ägypten und Westasien vor- kommen; rein afrikanische Arten gibt es 20, rein asiatische sechs, europäische (E. turcica) nur eine; den Fundort »Türkei«, Sitzb. d. mathem.-naturw. KL; CXIV. Bd., Abt. I. 27 394 F. Werner, 1 t— ; x; \- b£ -n t/1 —' c c Q ■^j. o 'S "•5 -n ►^ c X 0) t > 0) •n C) H CD r" fV, r; f>^ (U J2 (U r n> XJ (1) n, V- r J-ti C r o, > o cö c Pm :cÖ (U P c cö S-. bD o o CD X! c c x; o 'S . r/1 bß bJD ■■< 3 -i-> fo CD ^ X Cl) c TD > C rr- ä 5j »CS .^ t- ^ _ cn 5 g O 'S- tL- <3 35 ' 08 1 ^C> 0) "a jC V •§ 0 d 1 t^ Co 1 1 1 1 1 1 1 ) 1 ) 1 1 * e "c p c ü s s 0) o o oj 'ü5 c •G > 5 .2 C x c '5 0 ci o > ■> -^ f f "a, c cö T CT aj "or 0 's >> v c U3 (U X d o . . . . 4 5 Longitudo elytrorum . . . 6 7 Latitudo » . 4 5-5 » abdominis. . 4-5 6-5 402 F. Werner, 5. C. heluanensis Werner, 1904. (Fig. 10—11.) Anzeiger Akad. Wiss. Wien, XXIII, p. 3. Heluan, Ägypten (d" leg. Werner, 24. VII. 1904); Heluan (9, Coli. Brunner, Nr. 12726). Differt ab omnibus speciebus huius generis femoribus anticis spina magna apicali non solum interna, sed etiam externa armata. 6. C. Savignyi (Lef., 1836). Lefebvre, 1. c, p. 494. Saus SU re, Mel. Orth., III, p. 383. Savigny, Taf. II, Fig. 3. — Krauss, p. 239. Die von Savigny als Fig. 3 ab gebildete Er emiaphila muß ein cf sein, nach der Bewehrung der vorderen Femora zu schließen. Trotzdem wird sie von Lefebvre, Saussure und Krauss als 9 angesprochen. Ich habe das 9 dieser sehr leicht kenntHchen Art aber von Herrn Ingenieur Hafferl, der es in der Mokattamwüste gesammelt hatte, erhalten und finde, daß ihm die verlängerten Femoraldornen fehlen. 7. C. hebraica (Lef., 1836). Lefebvre, 1. c, p. 501. Saussure, Mel. Orth., III, p. 382. Savigny, Taf. II, Fig. 4. — Krauss, p. 239. Diese Art kenne ich leider nicht aus eigener Anschauung. Daß sie aber zu Centromantis gehört, geht sowohl aus dem Besitze von zwei deutlichen großen Femoraldornen (der proxi- male länger als der distale) und der stark gebogenen Tibia der Vorderbeine mit Sicherheit hervor. Nach der Abbildung Sayigny's hat die Art 8 bis 10 Tibial-, 5 Femoraldornen an der Außenseite der Vorderbeine. 8. C. pyramidum Werner, 1904. (Fig. 4, 15.) Anzeiger Akad. Wiss. Wien, XXIII, p. 3. Orthopterenfauna Ägyptens. 403 Der vorhergehenden Art sehr ähnlich und nahestehend, jedoch mit verkümmerten, völlig lateralen Elytren und Hinter- flügeln, welche letztere von den Elytren nicht verdeckt werden. Kommt sowohl in der lybischen Wüste bei Gizeh als auch im Mokattamgebirge (leg. Reimoser) vor. Nach der Beschreibung, welche Bolivar von seiner Eremiaphila Moretii gibt, gehört sie ebenfalls zu obiger Gattung. 9. C. Moretii (Bol.) 1886. An. Soc. Esp. Hist. Nat. XV^ p. 513. »spinis apicalibus femor. ant. cf validis«. Zur Gattung Centromantis gehören folgende ägyptische Arten: 14. (29.) C. heluanensis Werner. (Siehe p. 400.) Heluan (arabische Wüste). 15. (30.) C. Savignyi (Lef.). (Siehe p. 401.) Mokattamgebirge (arabische Wüste). 16. (31.) C. hebraica (Lef.). Lefebvre, 1. c, p. 501; Savigny, Taf. II, Eig. 4. Seit Lefebvre nicht mehr gefunden, doch nach der Abbildung sicher zu dieser rein afrikanischen Gattung gehörig und daher, obwohl ohne Eundortsangabe, wohl mit Bestimmt- heit der ägyptischen Fauna zuzurechnen. 17. (23.) C. pyramidum Wem. (Siehe oben.) Libysche Wüste bei Gizeh; auch im Mokattamgebirge. 404 F.Werner, Dispositio Speeierum Generis Eremiaphila (inkl. Centro- mantis). 1. Coxae anticae subtus atrae. 2. Femora antica latere interno fascia nigra (Ungues pedum posticorum in- aequales. Species inaxima, usque ad 46 • 5 mm) E. Typhon Lef. 2'. Femora antica concoloria aut latere interno fusco. 3. Femora antica intus fusca, in cT apice margine interno spinis tri- bus validis armata; elytra subtus nigro reticulata E. (C.) Hedenhorgi Stal. 3'. Femora antica concoloria. 4. Elytra subtus macula semi- lunari obscura ornata; pro- notum latei'ibus distincte den- ticulatis E. Brunneri Wern. 4'. Elytra subtus unicoloria; pro- notum marginibus lateralibus haud denticulatis. 5. Abdomen latum, segmen- tis postice integris E. Luxori Lef. 5'. Abdomen angustum, seg- mentis postice undulatis aut tuberculatis E. (C.) numida Sau SS. 1^ Coxae anticae unicolores. 2. Elytra magna, 1 Y^ — 1 Vg longitudinis capitis cum pronoto aequantia. 3. Alae fuscae, unicolores. 4. Elytra rugosa E. Cerisyi Lef. 4'. Elytra laeviuscula E.Bratteri Krauss. 3'. Alae subtus macula fusca ornata. 4. Alae subtus macula apicali . .E. Dawydowi Wern. Orthopterenfauna Ägyptens. 405 4'. Alae subtus macula intraapi- cali E. Andouini Lef. 2'. Elytra longitudinem capitis cum pro- noto aequantia aut minores. 3. Elytra perfecte explicata. 4. Pronotum grosse spinoseque granulatum. 5. Pronotum postice tuberis magnis duabus instruc- tum, alae immaculatae . . .E. Haiiensteini Br. 5'. Pronotum postice parum tuberatum, alae subtus macula atra E. Geiiei Lef. 4'. Pronotum sparse granulatum aut laeve, plus minusvegibbe- rosum. 5. Pronotum margine postico medio dente instructo (la- teribus denticulatis) . . . .E.{C.)denticollisLuc. 5'. Pronotum postice inerme. 6. Alae bimaculatae E. (C.) Moretii Bol. 6'. Alae unimaculatae aut unicolores. 7. Alae fascia oblique decurrente ....... E. Marchali Reiche & Fair m. T. Alae fascia aut ma- cula apicali aut in- traapicali. 8. Pronotum qua- dratum E. turcica Westvv. 8'. Pronotum posti- ce plus minusve angustatum. 9. Elytra valde rugosa. 10. Alae maiores; 406 F. Werner, elytra subtus ma- cula atra ornata. 11. Elytra carina humerali di- stincta; alae fascia subapi- cali fusca-oli- vacea ornatae E. Zetter stedti Lef. 1 1'. Elytra carina humerali nul- la; alae macula apicali fusca ornatae E. arabica Sauss. 10'. Alae minores, ely- tra subtus macula atra nulla. 1 1. Tibiae anticae extus 6—7 spi- nosae E. (C.) heluanensis Wern. 1 1'. Tibiae anticae extus spinis 5 aut minus ar- matae. 12. Tibiae an- ticae bispi- nosae bi- tubercula- taeque . . .E. Bovei Lef. 12'. Tibiae an- ticae qua- dri - aut quinque- spinosae. 13. Pronotum angulis po- sticis acutis E. (C.) tunetana Wern. Orthopterenfauna Ägyptens. 407 13'. Pronotum an- gulis posticis rotundatis E. dentata Sauss. 9'. Elytra venis parum promi- nentibus. 10. Pronotum longius quam latius; macula elytro- rum, a supra visa, in- distincta E. lihyca Wem. 10'. Pronotum latius quam longius; macula elytro- rum etiam a supra valde distincta ■ -E. persica Wem. Elytra rudimentaria, perfecte late- ralia. 4. Elytra margine spinosissima; fe- mora intermedia et postica qua- drangularia -E. Rohlfsi Wem. 4'. Elytra margine integro; femora intermedio et postica plus minus- ve teretia. 5. Tibiae anticae extus 5—7 spi- nosae. 6. Segmenta abdominis mar- ginibus undulatis E.(C.)Savignyi\.e'i. 6'. Segmenta abdominis mar- ginibus integris. 7. Alae liberae; femorum anticorum Spinae extus 5, tibiarum 8 (?) E. Anubis Lef. 7'. Alae a metanoto haud separatae; femorum anticorum spinosae ex- tus 4, tibiarum 6 E. hrevipennis Sauss. 5^ Tibiae anticae extus 2—4 spi- nosae. 408 F.Werner, 6. Pronotum rugosum, gra- nulatum E. barhara Bris. 6'. Pronotum laeve, saepe im- pressopunctatum. 7. Femora antica extus 3 — 4-spinosa E. Khantsin Lef. T. Femora antica extus tuberis instructa E. Hralili Lef. Gattung: Heteronytarsus Lef. 18. (33.) H. aegyptiacus Lef. (1835). Lefebvre, 1. c, p. 504, Tab. XIII, Fig. 13, 1 — 9 (ex Savigny, Orth., Tab. II, Fig. 5). Saussure, 1. c, p. 367. Mein Reisegefährte Herr Franz Hafferl fand diese seltene, seit Lefebvre nicht mehr gefundene Art in zwei 9 Larven am 16. VIII. 1904 auf dem Wege von den Pyramiden von Gizeh in die Lybische Wüste. Lefebvre fand die Art auf dem Wege von der Oase Bahrieh zum Fayum Ende März. Zweite Unterfamilie: Mantidae. Gattung: Sphodromantis Stäl. 19. (34.) S. bioculata (Burm., 1838). Brunn er, Prodromus, p. 58, Fig. 13. — Savigny, Taf. I, Fig. 10 — 13. — Krauss, p. 236. — Saussure, Mel. Orth., III, p. 219, Fig. 20, 21. - Fi not, Faune de l'Algerie, p. 99. Diese größte Mantide Ägyptens fing ich an folgenden Orten: Nilufer bei Heluan, auf Tamarisken (25. VII.); Ain-es- Schems, auf Opuntia (22. VII.), Ufer des Mörissees (Birket-el- Kurun), auf Tamarix (12. VIII.), sehr häufig, sowohl in der grünen als in der braunen Form, letztere und cf cf aber seltener als grüne Exemplare und 9 9. Auch im Garten des Nilhotels in Kairo kommt die Art, und zwar in allen Altersstadien, gleich- zeitig vor. Auf den Tamarisken bevorzugt sie die Stämme Orthopterenfauna Ägyptens. 409 und stärkeren Äste, während Empusa die dünneren Zweige. Blepharis das Laub bewohnt. Spk. bioculata ist über ganz Nordafrika, vom Senegal über Nordafrika bis Abessynien und SomaUland sowie über Syrien verbreitet und kommt auch in Südspanien und angeblich auch in Kleinasien vor. Die Annahme, daß die braunen Exemplare von Hierodula oder irgend einer andern in grüner und brauner Form auf- tretenden Mantide auf trockenen, verdorrten, die grünen dagegen auf frischen, grünen Pflanzen vorkommen sollen, habe ich nach langjähriger Beobachtung vollständig unberechtigt gefunden. Beide Formen kommen bei allen Mantiden der paläarktischen Region, die ich freilebend beobachten konnte, unter genau denselben Lebensverhältnissen nebeneinander vor. — In der Coli. Brunner ist die Art aus Kairo, Assuan, Nagada, Port Said^ von der Oase Bahrieh, von Khartoum, Massaua, Aden, vom Kongo, Senegal, ja sogar von Guyana vertreten. Gattung: Mantis Stal. 20. (35.) M. religiosa L. (1767). Brunn er, Prodromus, p. 59, Fig. 14. Saussure, Mel. Orth., III, p. 239. Finot, Faune de l'Algerie, p. 100. Auf Tamarix beim Mörissee (12. VIII), in Stachelgras bei Marg (22. VII.) und beim Barrage nächst Kalioub (17. VIII.). Weit verbreitete Art, in ganz Südeuropa und vielen Teilen Mitteleuropas, in Asien bis Hindostan und Java und in Afrika mit Ausnahme des Südens. Gattung: Miomantis Sauss. {Calidomantis Rehn). 21. (36.) M. Savignyi Sauss. (1872). Savignyi, Taf. I, Fig. 15 (cf); Krauss, p. 237. Saussure, Mel. Orth., IV, p. 69, Taf. VIII, Fig. 15 (9), Analecta, I, p. 190. Westwood, p. 37, T. X, Fig. 1 (9). Sitzb. d. mathem.-naturw. KL; CXIV. Bd., Abt. I. 28 410 .:-■ F. Werner, Seltene Art, aus Nubien und Sennaar bekannt, von West- wood schon aus Kairo erwähnt, was bei dem Umstände, daß Savigny, der nur in Unterägypten sammelte, die Art abbildet, von vornherein nicht unwahrscheinlich erschien. Ich erbeutete diese schöne kleine Mantide im Zoologischen Garten Gizeh im Grase (21. VII.), Herr Ingenieur Hafferl bei Marg in Stachel- gras (cf , 22. VII.). Das cT dieser Art, seit Savigny zum ersten Male wieder gefunden, hat einfarbig grüne vordere Femora und Coxen. 2g. (37.) M. pharaonica Sauss: (1898). ^-''' Saussure, Analecta entomologica, I (Rev. Suisse Zool., V, 1898, p. 193). Ägypten. Außerdem in Sennaar. Von mir nicht gefunden, wenn nicht eine im Fayum gefundene sehr junge Larve mit zwei schwarzen Flecken an der Innenseite der vorderen Femora hiehergehört. Ich besitze auch noch eine andere, anscheinend frisch ausgeschlüpfte Mantidenlarve, deren Antennen im basalen Drittel verdickt und dunkel gefärbt sind und deren Identifikation mir bisher nicht gelang; dieselbe stammt von.Assiut und wurde von Herrn E. Reimoser gesammelt. Gattung: Iris Sauss. 23. (38.) I. oratoria (L.). Brunn er, Prodromus, p. 60, Fig. 15. Saussure, Mel. Orth., III, p. 254. Finot, Faune de l'Algerie, p. 106. Nach Brunn er in Ägypten (Coli. Br. Nr. 562: Cairo; auch in Coli. Mus. Cairo ein Exemplar ebendaher), sonst noch im ganzen Mittelmeerbecken von Spanien bis Syrien, außerdem an der Wolga, aber nicht in Dalmatien. Gattung: Fischeria Sauss. 24. (39.) F. baetica (Ramb., 1838). Brunn er, Prodromus, p. 63, Fig. 17. Finot, Faune de l'Algerie, p. 108. Orthopterenfauiia Ägyptens. 411 Savigny, Taf. I, Fig. 14. — Krauss, p. 237. Saussure, Mel. Orth., III, p. 256. Auf Wüstensträuchern und auf dem Boden einer Kamel- weide nächst Wasta (Pyramide von Meidun), 10. VIII.; nur 9 9 gefangen. Es ist mir nicht gelungen, die 9 9 zu Flugversuchen zu bewegen. Sie suchen ebenso wie die geflügelten Eremia- philen stets ihr Heil im Laufen. — Auch bei Cairo (Coli. Mus. Cairo) und Alexandrien (ganz junge Larven häufig, 25. IV. 1905, gesammelt). Sonst noch in Si^idspanien, Algerien, Syrien, Turkestan, Samarkand (Brunner), außerdem aber auch noch in Griechen- land, Kreta, Türkei, Kleinasien. Unterfamilie: Empusidae. Gattung: Empusa Illig. 25. (40.) E. Stolli Sau SS. Saussure, Melanges orthopterologiques, III, p. 336. Ägypten (Saussure); Nubien, Arabien, Südrußland (?). 26. (41.) E. egena Charp. (1841). Brunner, Prodr., p. 70. Savigny, Taf. I, Fig. 8. — Krauss, p. 235. Fi not, Faune de l'Algerie, p. 111. Kairo (Coli. Brunner); Ufer des Mörissees, aufTamarix, 12. VIII. von mir gefangen; noch schwieriger als die andern Mantiden zu sehen. Obwohl sich E. fasciata BvuUe von egena nur graduell unterscheidet, so daß manche Exemplare nur mit Bedenken der einen oder der anderen Art zugerechnet werden können, so ist doch die ägyptische Art sicher die oben angegebene; auch in Syrien scheint nur egena vorzukommen, ebenso wie in Algerien. 28* 412 F. Werner, Gattung: Blepharis Serv. 27. (42.) B. mendica (Fabr., 1793). Saussure, Mel. Orth., III, p. 329. Savigny, Taf. I, Fig. 9. — Krauss, p. 236. Fi not, Faune de l'Algerie, p. 109. Diese Art wurde schon von Fabricius aus Ägypten (Alexandrien) erwähnt. Ich fand sie daselbst ebenfalls (Ufer des Maryutsees bei Meks, auf niedrigem Tamariskengebüsch, 19. VIII.), ferner bei Ain-Musa (Mokattamgebirge) auf Salz- pflanzen, 14. VIII., bei Wasta, 10. VIII., besonders häufig aber nächst dem Birket-el-Kurun (Mörissee) im Fayum, 12. VIII., auf Tamarisken. Auch bei dieser Art waren cTcf viel seltener als 9 " - - ^ oV^\- rSonst noch in Griechenland, auf Kreta und in Spanien, Syrien und Transcaspien. Gattung: Stauronotus Fisch. 7. (49.) S. genei Ocsk. (1832). Brunn er, Prodromus, p. 137. Savigny, Taf. VI, Fig. 17—18. — Krauss, p. 262. Nach Brunn er (Coli. Nr. 8217) in Ägypten. Von mir nicht gefunden. In Spanien, Südfrankreich, Südschweiz, Venetien, Herzego- wina, Algerien, Syrien; hier ebenso wie in Ägypten besonders groß werdend. Stauronotus maroccanus Thunbg. und Stenobothrns ptil- vinatus, von Savigny abgebildet, habe ich weder selbst in Ägypten gefunden noch in der Literatur oder in einer mir zu- gänglichen Sammlung von einem ägyptischen Fundort erwähnt gesehen. Ich lasse diese beiden Arten daher unberücksichtigt, da dieses Verzeichnis ja nicht alle Arten, die in Ägypten vor- kommen könnten, enthalten soll. Gattung: Epacromia Fisch. 8. (50.) E. thalassina (Fab., 1793). Brunn er, Prodromus, p. 146. Savigny, Taf. VI, Fig. 15. — Krauss, p. 261. Kairo (Coli. Br.), Alexandrien (19. VIII.), Barrage bei Kalioub (17. VIII.), Gizeh, Zoologischer Garten (21. VII.), Marg (22. VII.), Medinet-Fayum (11. VIII.), Wasta (10. VIII.), Assiut (9. VIII.), Shellal (3. VIII.). Diese Art ist von der folgenden nur durch die schlankere Gestalt und das Fehlen der großen hellen Flecken auf den Elytren mit Sicherheit zu unterscheiden. Die grüne Färbung macht in den meisten Fällen einer braunen Platz und der schwarze Basalfleck auf der Innenseite der Hinterschenke] ist 416 F.Werner, bei strepens nicht immer so deutlich, indem sich seine Unter- hälfte aufhellen kann. Der Erzglanz der Elytren fehlt freilich der strepens immer, welche ebensosehr an einen Sphmgonohis erinnert, als thalassina an einen Siauronoius. Beide Arten kommen stellenweise zusammen vor, im allgemeinen bevorzugt thalassina aber ausgesprochene Wiesenflächen mit wenigstens etwas Feuchtigkeit, während strepens auch an ziemlich dürren Stellen, ja sogar ausnahmsweise in der Wüste gefunden wird. Vorkommen: Im selben Gebiete wie die folgende Art, aber weiter nördlich gehend. Auch bei Chartum (leg. Kamm er er). 9. (51.) E. strepens (Latr., 1804). Brunn er, Prodromus, p. 145. Alexandrien (19. VIII.), Gizeh (Wüste) (16. VIII.), Heluan (25. VII.), Medinet-Fayum (11. VIII.), Assiut (9. VIII.), Kitchener- Insel bei Assuan (4. VIII.). Sonst noch in Südfrankreich, Spanien, Italien, Istrien, Dalmatien, Herzegowina, Griechenland, Algerien, Kleinasien. Unterfamilie: Oedipodidae. Gattung: Heteropternis Sauss. 10. (52.) H. Savignyi Krauss (1890). Savigny, Taf. VI, Fig. 16. Krauss, p. 262. Diese Art ist nur aus der oben zitierten Abbildung bekannt. Da sie von Brunner (teste Krauss) als möglicherweise mit der afrikanischen Art H. hyalina Sauss. (1888) identisch betrachtet wird, so will ich sie trotz des Fehlens einer Fund- ortsangabe in die ägyptische Fauna aufnehmen. Gattung: Sphingonotus Fieb. 11. (53.) S. coerulans (L., 1766). Brunn er, Prodromus, p. 150. Saussure, Prodr. Oedipod., p, 200. Additamenta, p. 79 Savigny, Taf. VII, Fig. 11. — Krauss, p. 265. Orthopterenfauna Ägyptens. 417 Gizeh (16. VII.), Matarieh (13. IV. 1899), iMarg (22. VII.), Wasta (lO.VIIL), Birket-el-Kurun (12. VIII.), Heluan (25. VII.), Mokattamgebirge (14. VIIL), Shellal (3. VIII.). In der Coli. Br. aus Kairo und Assuan. Variiert nach den Fundorten außerordentlich in der Färbung und in der Intensität der Zeichnung der Vorderflügel. Weiteres Vorkommen: Mittel- und Südeuropa, Syrien, Klein- asien, Turkestan, Persien, Madeira, Himalaya, Sibirien, Cuba. IIa. (53a.) S. mecheriae Krauss (1896). Savigny, Taf. VII, Fig. 10. — Vosseier, Zool. Jahrb. Syst. XVI, 1902, p. 370. Krauss, Jahresh. Ver. Vaterl. Naturk. Württemberg, 1893, p. XCV; Zool. Jahrb. Syst. IX, p. 534, Fig. 4 (5. coerulans var.). Obwohl erst aus Algerien und Tunesien bekannt, dürfte diese Art, welche von Vosseier in der oben zitierten Abbildung Savigny's wiedererkannt wurde, sehr wahrscheinlich auch in Ägypten vorkommen. 12. (54.) S. azurescens (Ramb., 1838). Brunner, Prodromus, p. 152, Fig. 33. Saussure, Prodr. Oedipod., p. 203; Additamenta, p. 82. Savigny, Taf. VII, Fig. 12. — Krauss, p. 265. Nur bei Alexandrien (S. Stefano, 19. VIII.) gefunden. Sonst noch in Südspanien, Algerien, Kleinasien, Brasilien; in Ostafrika bis Massaua. 13. (55.) S. balteatus Serv. Saussure, Prodr. Oedipod., p. 203; Additamenta, p. 86. Savigny, Taf. VII, Fig. 9. — Krauss, p. 265. Nach Saussure in Ägypten. Außerdem in Syrien, Arme- nien, Vorderindien, Aden, Hereroland. 418 .. . F. Werneiv 14.(56.) S. octofasciatus Serv. Saus SU re, Prodr. Oedipod., p. 207 (Kittaryi); Addita- menta, p. 79. .n£JJä? In der Wüste bei Heluan (leg. Haffeii 25. VII.). Sonst noch in Turkestan, der Kirgisensteppe, in Ostalgerien (wo ich bei Biskra diese Art selbst erbeutete) und in Tunesien. 15. (57.) S. Savignyi Sauss. (1884). Saussure, Prodromus Oedipod., p. 208; Additamenta, p. 84. Savigny, Taf. VII, Fig. 13. — Krau ss, p. 266. Häufig bei Gizeh, aber auch auf dem östlichen Nilufer (Kafr Gamus, 22. VII.); auch bei Wasta (10. VIII.). Sonst noch in Nubien, Chartum, Turkestan, Persien, Kaschmir, Canaren. 16.(58.) S. niloticus Sauss. (1888). Saussure, Additamenta ad Prodr. Oedipod., p. 80. Savigny, Taf. VII, Fig. 8. — Krauss, p. 265. Im Mokattamgebirge (14. VIII.) bei Heluan (25. VII.) und Gizeh (16. VIII.). Die kleinste Sphingonotns- Avi Ägyptens. — Daß die Abbildung Savigny's sich auf diese Art bezieht, ent- nehme ich Krauss. Ich kann nur eine sehr bescheidene Ähn- lichkeit finden! — Unter den Mokattam-Exemplaren gibt es solche mit vollkommen hyalinen Hinterflügeln (forma typica) und solchen mit dunklem Flecke auf dem Vorderrande derselben (Rest der dunklen Binde von S. Savignyi). Ich will diese auch mit schärferer Flügeldeckenbänderung versehene Form var. picta n. nennen. 17. (59.) S. Grobbeni n. sp. Minor, gracilis, ochraceus. Lobi deflexi pronoti fasciis longitudinalibus fuscis duabus, superiore in fasciam postocularem producta. Elytra haud fasciata, in campo discoidali (interdum etiam in c. anali) maculis fuscis longitudinalibus ornata. Orthopterenfauna Ägyptens. 419 abdomen valde superantia. Alae hyalinae. Long. tot. o" 14'.o, ? 22- 5 mm; elytrorum cf 17-5, 9 23-5. In desevto prope pyramidos Gizehenses, mense Augusto. Hac species magistro meo professore C. Grobben, viro optimo, amico studiorum systematicorum dedicata est. Gattung: Leptopternis Sauss. 18. (60.) L. Rhamses Sauss. (1889). Saussure in: Mitteil. Schweiz. Ent. Ges., VIII, p. 94. Savigny, Taf. VII, Fig. 15. — Krauss, p. 266. Färbung lehmgelb oder hellgelbbraun, Elytren meist mit zahlreichen kleinen dunkleren Flecken. Meso- und Metapleuren intensiv zitronengelb, welche Färbung auch im Tode nicht verbleicht, wenn man die Tiere vorsichtig trocknet. Auch Abdomen und Gliedmaßen öfters rein gelb. Totallänge 14(cr) bis 24 (9) mm. Elytren 14, beziehungsweise 25 mm. Nur bei Gizeh gefunden, anscheinend seit hundert Jahren zum ersten Mal seit Savigny, obwohl die Art nichts weniger als selten ist. 19. (61.) L. canescens Sauss. (1888). Saussure, Additam. Prodr. Oedipod., p. 89 (exkl. syno- nym.). Ägypten (Saussure). Gattung: Leptoscirtus Sauss. 20. (62.) L. aviculus Sauss. (1888). Saussure, Additamenta ad Prodr. Oedipod., p. 73. — Mitteil. Schweiz. Ent. Ges., Bd. VIII, 1889, Heft 3, p. 91. Ägypten. 420 F. Werner, L. linearis Burm. (1888). Saussure, Mitteil. Schweiz. Ent. Ges., VIII, 1889, p. 89 (Savignyi). Savigny, Taf. VI, Fig. 1. — Kraus s, p. 253. ? Ägypten. Seit Savigny nicht mehr gefunden, vielleicht überhaupt keine ägyptische Art. Gattung: Acrotylus Fi eh. 21. (63.) A. patruelis (Sturm, 1840). Brunn er, Prodr., p. 156. vSaussure, Prodr. Oedipod., p. 190. Savigny, Taf. VII, Fig. 14. — Krauss, p. 266 {insnhri- cns Scop.). Diese im ganzen Niltal äußerst häufige Art habe ich in Ägypten ausschließlich gefunden. Auch in der Coli. Br. findet sich nur sie, nicht aber insuhricus aus Ägypten. A. patruelis liegt mir vor aus: Alexandrien (19. VIII.), Barrage bei Kalioub (17.VIII.), Gizeh, Zoologischer Garten (21.VII.), Wasta (10. VIII.), Medinet-Fayum (1 1. VIII.), Matarieh (13. IV. 1899), Marg (22.VII.), Nagh Hamadi (8. VIII.), Assiut (9. VIIL), Theben (28. VII.), Kitchenerinsel bei Assuan (4. VIII.), namentlich an trockenen, dürren Stellen. Sonst noch in Spanien, Südtirol, Süddalmatien, Herzego- wina, Mazedonien, Griechenland, Cykladen, Türkei, Kleinasien, Algerien, Somaliland, Zanzibar. Gattung: Oedipoda Latr. 22. (64.) O. gratiosa Serv., (1839). Brunn er, Prodromus, p. 164. Savigny, Taf. VII, Fig. 7. Abukir (Coli. Mus. Cairo). Sonst noch in Sicilien, Griechenland, Sarepta, Kleinasien, Turkestan, Amur. Orthopterenfauna Ägyptens. 421 Gattung: Pachytylus Fieb. 23. (65.) P. cinerascens (Fabr., 1793) = danicus (L.), 1767. Saussure, Prodrom, cl. Oedipod., p. 119. Brunn er, Prodromus, p. 172. Savigny, Taf. VI, Fig. 11 — 12. — Krauss, p. 260. In vielen Farbennuancen im ganzen Niltaie: Barrage bei Kalioub (17. VIII.), Matarieh und Ain-es-Schems (22. VII.), Medinet-Fayum (1 1. VIIL), Mörissee (12. VIII.), Assiut (9. VIII.), Heluan (25. VII.), Kitchenerinsel bei Assuan (4. VIII.). Im Fayum sehr häufig auf Feldern und im Schilf des Jussuf- kanals. Weitverbreitete Art, in Südeuropa, auf den Canaren, in ganz Nordafrika, Kleinasien, Syrien, Mauritius, Java, Manila, Japan, Neuseeland. Gattung: Eremobia Serv. 24. (66.) E. carinata Fabr. Saussure, Prodr. Oedipod., p. 227. Ägypten (Coli. Brunner Nr. 14530). — Sonst noch in Arabien und am Sinai. 25. (67.) E. cisti Fabr. — pulchripennis Serv. (1839). Saussure, Prodr. Oedipod., p. 228 (pulchripennis). Savigny, Taf. VII, Fig. 16. — Krauss, p. 267 (ptüchri- pennis). Vo sseler, Zool. Jahrb. Syst. XVI, 1902, p. 384. Ägypten (Coli. Br. Nr. 696). Alexandrien (Coli. Mus. Cairo; leg. W. Innes, April). — Sonst noch in Syrien und ganz Nord- afrika. 26. (68.) E. continuata Serv. (1839). Saussure, Prodr. Oedipod., p. 231; Additamenta, p. 133. Bolivar in: Rev. Biol. N. France, V, 1893, p. 9. Kairo (Mus. Paris), Syrien (Totes Meer). 422 / . F. Werner, Unterfamilie: Pyrgomorphidae. Gattung: Pyrgomorpha Serv. 27. (69.) P, grylloides Latr. (1804). Brunn er, Prodromus, p. 185. ii-'l ' Bolivar, Pirgomorfinos, p. 82. Vereinzelt im ganzen Lande: Alexandrien (25. IV. 1905), Barrage bei Kalioub (23.VII.), Gizeh (16. VIIL), Matarieh (13. IV. 1899), Nagh Hamadi (8! VIIL), Luxor (28. VII.), Marg (22. VII.), Medinet-Fayum (ll.VIIL). Sonst noch in Spanien und Portugal, Südfrankreich, Mittel- italien, Griechenland, Kleinasien, Syrien, Massaua, Aden. 27a. (69a.) F. cognata Krauss. Savigny, Taf. VI, Fig. 5. V OS seier, Zool. Jahrb. XVI, p. 387, Fig. Vosseier bezieht die Savigny'sche Figur auf diese Art, welche von Krauss vom Senegal erwähnt und von Vosseier in Algerien und Tunesien gefunden wurde. Ich kann nach Vergleich mit Exemplaren der grylloides aus Griechenland und Kleinasien keinen Grund finden, die ägj'ptischen Exemplare, trotz des an cognata erinnernden Pronotums, von der süd- europäischen Art zu trennen. Gattung: Chrotogonus. 28. (70.) Ch. lugubris Blanch. (1836). Blanchard, Monogr. Ommexecha, p.617 (Ommexecha). Bolivar, Monogr. Pirgomorfinos, p. 47. Savigny, Taf. VI, Fig. 6. — Krauss, p. 257. Im ganzen Lande, stellenweise, wie z. B. bei Marg, äußerst häufig, in Färbung und Bewegungsweise sehr kleinen Kröten (Biifo regiilaris) ähnlich. In der Wüste ebenso wie auf Äckern, trockenen und feuchten Wiesen, in Gärten etc. vorkommend. Orthopterenfauna Ägyptens. 4^0 in der Fäfbung innerhalb der durch die Bodenanpassung ge- zogenen Grenzen sehr variabel. Fundorte: Barrage bei Kalioub (23. VIL), Gizeh, Zoologischer Garten (21. VII.), Gizehwüste (16. VIII.), xMatarieh (13. IV. 1899), Marg (22. VIL), Wasta ■(10. VIII.), Medinet-Fayum (11. VIII.j, Nagh Hamadi (8. VIII.), Theben (28. VIL), Elefantine (29. VIL), Wadi Haifa (2.VIII.). Sonst hoch: Chartum, Massaua, Schoa, Somaliland, Aden; am weißen Nil bis Gondokoro (leg. Werner).- Ch. Savignyi Burm. (1838). Savigny, Taf. VI, Fig. 2, i~3. — Krauss, p. 256. Bolivar, Pirgomorfinos, p. 43. Burmeister, Handb., p. 657 (Ommex'echaJ. Nur aus der Abbildung Savigny's bekannt, wobei nach Krauss Fig. 2, i das Q, Fig. 2, 2-3 das cf vorstellt. Ch. Blanchardi Krauss. (1890.) Savigny, Taf. VI, Fig. 2, 4. — Krauss, p. 257. Ebenfalls nur nach der oben zitierten Abbildung bekannt. Da die Gattung Chrotogonus durchaus keine rein afrikanische, sondern auch weit über Südasien verbreitet ist, so erwähne ich die beiden vorstehenden Arten nur mit Bedenken. 29. (71.) Ch. Scudderi Bol. Bolivar, Monogr. Pirgomorfinos, p. 43. »Nilo« (Bolivar). — Ob nicht aus dem Sudan? Gattung: Ochrophlebia Stal. 30. (72.) O. Savignyi Krauss (1890). Savigny, Taf. VI, Fig. 15. — Krauss, p. 261. Nur aus Savigny's Abbildung bekannt. Da Ochrophlebia eine rein afrikanische Gattung ist, so dürfte die Art wohl mit ■Sicherheit der ägyptischen, nicht der syrischen Fauna zuzu- zählen sein. 424 F. Werner, Gattung: Poecilocerus Serv. 31. (73.) P. bufonius (Klug, 1829). Savigny, Taf. VI, Fig. 4. — Krauss, p. 258. Klug, Taf. XXV, Fig. 3— 5. — Bolivar, Pirgomorfinos, p. 108. Alexandrien, Wüste bei Kairo (Juni), Täler des Sinai (Klug), Tor (Coli. Br.), Totes Meer (Coli. Werner). — P. vtU- canus Serv. ist wohl nur eine dunkle Varietät dieser Art. 32. (74.) F. hieroglyphicus (Klug, 1829). Klug, Taf. XXV, Fig. 1—2. Bolivar, Pirgomorfinos, p. 107. Kairo; Gedaref, Nubien; Chartum; Massaua (Coli. Br.), Ambukohl, Dongola (Klug). Gebel Araschkol und Edeloud, Kordofan (leg. Werner). Unterfamilie: Acrididae. Gattung: Dericorys Serv. 33. (75.) D. albidula Serv. (1839). Savigny, Taf. VI, Fig. 20. — Krauss, p. 263. Ägypten, Libanon (Serville),Trapezunt (Coli. Br. Nr. 1363). *34. (76.) D. curvipes Redt. (1889). Wiener Ent. Ztg., 1889, p. 29. Wurde von Herrn Ingenieur Hafferl in der Mokattam- wüste bei Kairo am 14. VIII. gefangen. Die ägyptische Form unterscheidet sich in keiner Weise vom T3^pus aus Zentral- asien. — Neu für Ägypten. Gattung: Opsomala Serv. 35. (77.) O. cylindrica Marsch. (1836). Brunn er, Prodromus, p. 232, Fig. 55. Savigny, Taf. VI, Fig. 6. — Krauss, p. 258. Häufig im Stachelgras am Barrage bei Kalioub und un- schwer mit dem Netz, sogar mit der Hand zu fangen, ganz Orthopterenfauna Ägyptens. 425 unähnlich dem Verhalten, wie es Vo sseler (Zool. Jahrb. Syst. IX. 1897, p.543) auch bei Ochrilidia (p. 329) aus Oran schildert. .Auch bei Alexandrien (S. Stefano. 19. VIII.). Sonst noch im südlichsten Europa, Kleinasien. Syrien, Algerien. Gattung: Acridium Serv. 36. (78.) A. aegyptium L. (1764). Brunner, Prodromus, p. 213, Fig. 49. Savigny, Taf. VII, Fig. 3. — Krauss, p. 263. In Ägypten weit verbreitet. Ich fand die schön grünen Larven auf Nilakazien am Barrage bei Kalioub (23. VII.), Ima- gines bei Marg (22. VII.), Matarieh (13. IV. 1899) und am Mörissee (12. VIII.), immer aber seltener als den mit dieser Art zusammen vorkommenden Pachytyliis. Sonstiges Vorkommen: Mittelmeerländer, Kirgisensteppe. 37. (79.) A. ruficorne Burm. (1838). Handb. d. Entomologie, p. 630. Ägypten (Coli. Br. Nr. 9284&). Sonst noch in ganz Afrika (Chartum, Algerien, Senegal, Sierra Leone, Kamerun, Gabun, Kongo, Kapkolonie, Natal; Coli. Br.). 38. (80). A. aeruginosum Burm. (1838). Ebenda, p. 630. Ägypten (Coli. Br. Nr. 9284). Sonst noch in ganz Ostafrika und dem indischen Fest- lande (Coli. Br. : Chartum, Zanzibar, Deutschostafrika, Madagaskar, Comoren, Bengalen, Kaschmir, Silhet, Ceylon, Cambodja). Gattung: Schistocerca Stal. 39. (81.) S. peregrina (Oliv., 1807). Brunn er, Prodromus, p. 215, Fig. 50. Savigny, Taf. \^II, Fig. 1. — Krauss, p. 263. Silzb. d. mathem.-naturw. Kl.; CXIV. Bd., Abt. 1. 29 426 F. Werner, Im Zoologischen Garten bei Kairo (leg. Flower). Ich fand ein einziges Exemplar in der Wüste bei Gizeh (19. VII.); auch bei Bedraschen (Reimoser, VII. 1904). In der Coli. Br. aus Kairo und Assuan vertreten. Sonst noch in ganz Nordafrika bis zum Senegal und Roten Meer, außerdem in Syrien, Korfu, Balearen, Portugal, Somali- land, Vorderindien. Gattung: Caloptenus Serv. 40. (82.) C. italicus (L., 1766). Brunn er, Prodromus, p. 217. Savigny, Taf. VII, Fig. 4. — Krauss, p. 264. In großen Exemplaren auf Feldern bei Medinet-Fayum (11. VIII.). Sonst noch in ganz Mittel- und Südeuropa, Kleinasien, Syrien, Nordafrika bis Chartum. Gattung: Thisoicetrus Br. 41. (83.) T. littoralis (Ramb., 1838). Brunner, Prodromus, p. 221, Fig. 52. Savigny, Taf. VII, Fig. 5. — Krauss, p. 264. Überaus häufig im ganzen Lande: Alexandrien (S. Stefano, 19. VIII.), Barrage bei Kalioub (17. VIII.), Heluan (25. VII.), Marg (22. VII.), Medinet-Fayum (ll.VlII.), Kitchenerinsel bei Assuan (4. Vlll.). Sonst noch in Südspanien, auf Rhodos und Samos, Syrien, Kordofan, Somaliland, Algerien. 42. (84.) T. adspersus (Redt., 1889). Redtenbacher, Wiener Ent. Ztg., VIII, p. 30. Savigny, Taf. VII, Fig. 6. — Krauss, p. 264. Krauss vermutete, daß diese von Redtenbacher aus dem Kaukasus und Turkestan beschriebene Art, welche in der »Description de l'Egypte« abgebildet ist, zu denjenigen gehöre. Orthopterenfauna Ägyptens. 427 welche von Savigny in Syrien gefunden worden waren. Ich konnte sie aber in Ägypten in der unmittelbaren Nähe von Alexandrien (S. Stefano, 19. VIII.) nachweisen, Vv'O sie in Gesell- schaft ihrer beiden Verwandten häufig auf höheren krautartigen Pflanzen vorkommt. Gattung: Euprepocnemis Fieb. 43. (85.) E. plorans Charp. (1825). Brunn er, Prodromus, p. 220. Savigny, Taf. VII, Fig. 3. — Kraus s, p. 263. Noch häufiger als littoralis: Alexandrien (S. Stefano, 19. VIII.; Mex, 21. IV. 1899), Marg (22. VII.), Matarieh (13. IV. 1899), Medinet-Fayum (11. VIII.), Mörissee (12. VIIL; hierin der ausgedehnten Steppe zwischen Abuxah und dem See geradezu massenhaft auftretend) u. a. O. Sonst noch in Südspanien, Sizilien, Syrien, Algerien, Zanzibar, Gabun, Japan. Familie: Locustodea. Unterfamilie: Phaneropteridae. Gattung: Phaneroptera Serv. 1. (86.) Ph. minima Br. (1878). Brunn er, Monogr. d. Phaneropter., p. 214. Ägypten (Mus. Berlin). Gattung: Diogena Br. 2. (87.) D. fausta (Burm., 1838). Brunner, Monogr. d. Phaneropter., p, 225, Fig. 68. Savigny, Taf. IV, Fig. V. — Krauss, p. 248. Ägypten (Coli. Br. Nr. 12043), Nubien. 29* 428 F. Werner, Unterfamilie: Conocephaüdae. Gattung: Xiphidium Serv. 3. (88.) X. aethiopicum Thunbg. (1789) = concolor Burm. Brunn er, Prodr., p. 303 u. Anm. Redtenbacher, Monogr. d. Conocephal., p. 510, 517. Savigny, Taf. IV, Fig. 2—3. — Krauss, p. 248. Von mir am Barrage bei Kalioub im hohen Stachelgras in Gesellschaft von Opsontala und Ochrüidia am 17. VIII. ge- fangen. Sonst noch bei Messina, in Südspanien und in Westafrika. 4. (89.) X. lugubre Redt. Redtenbacher, Monogr. d. Conocephal., p. 518. Ägypten (Mus. Genf). Gattung: Conocephalus Thunbg. C. mandibularis (Charp., 1825). Brunn er, Prodr., p. 304, Fig. 71. Redtenbacher, Monogr. d. Conocephal., p. 427. Savigny, Taf, IV^, Fig. 4. — Krauss, p. 248. Wird von Redtenbacher für Ägypten zitiert. Da ich nicht weiß, ob dies lediglich deshalb der Fall ist, weil sie bei Savigny abgebildet ist oder ob dem Verfasser ein exakter Fundort bekannt ist (in der Coli. Br. findet sie sich nicht aus Ägypten und ich selbst habe sie dort nirgends gesehen), so führe ich sie nur mit Bedenken hier auf. Unterfamilie: Decticidae. Gattung: Thamnotrizon Fisch. 5. (90.) Th. punctifrons (Burm.), 1839. Brunn er, Prodr., p. 338. Ägypten (Coli. Br. Nr. 9669) und Syrien. Ungenügend bekannte Art. Orthopterenfauna Ägyptens. 429 Gattung: Platycleis Fieb. 6. (91.) P. intermedia Serv. (1839). Brunner, Prodr., p. 349. Savigny, Taf. III, Fig. 10. — Krauss, p. 247. Larven dieser Art (oder von affinis Fieb.?) fand ich bei Alexandrien 25. IV. 1905 neben denen einer kleineren Art, (7.) 92, die wohl P. tesseUata Charp. oder P. Seniae Finot sein könnte. Alle hier nicht erwähnten, von Savigny abgebildeten Locustiden niöchte ich von vornherein als Syrier bezeichnen und so lange nicht in die ägyptische Fauna aufnehmen, als mir nicht Belegexemplare aus Ägypten vorliegen. Sicher ist, daß Acrometopa syriaca, Isopkya Savignyi und Saga ornata der ägyptischen Fauna nicht angehören, bei den übrigen, im Mittelmeergebiete weit verbreiteten, ist dies aber immerhin möglich, namentlich gilt dies für die in Algerien vorkommenden Arten Decticus albifrons und Locusta vaiicheriatia Bietet, die ja wohl bei Savigny abgebildet und mit L. Savignyi Luc. identisch ist. Unterfamilie: Hetrodidae. Gattung: Pornotrips Karsch. 8. (93.) P. horridus (Burm., 1838). Karsch, Berl. Ent. Zeitschr., V, 1888, p. 63. Charpentier, in Germar's Zeitschr. Ent., III, 1841. Schulthess, Zool. Jahrb. Syst. VIII. 1895, p. 80. Ägypten (Charpentier) von hier bis Somaliland (Schult- hess), außerdem Syrien und Arabien. Die geringe Zahl von Orthopterenarten Ägyptens ^ ist großen- teils auf die auffallende Armut an Locustiden zurückzuführen. 1 Dabei bin ich gar nicht sicher, ob nicht eine oder die andere Art wie Diogena, Pornolrips etc. überhaupt gar nicht aus Ägypten, sondern aus dem Sudan stammt, da man früher unter dem Namen »Ober-Ägypten« auch den ganzen nördUchen Sudan einbezog. Daher wird auch die spezifisch sudanesische Blepharis cornnta Sc\\\x\ih.. aus Oberägypten zitiert. Ich rechne Ägypten nur bis zum Wendekreis, also etwa bis zum zweiten Katarakt (Wadi Haifa), wobei auch ein Stück »Nubien« inbegriffen ist. 430 F. Werner, Während Kleinasien etwa ebensoviele Locustiden als Acridier zählt, sind in Ägypten kaum ein Fünftel der Zahl der Acridier durch Locustiden vertreten. Die in Kleinasien so überaus reich entwickelten Phaneropteriden sind nur durch zwei, die dort ebenfalls eine reiche Artentfaltung aufweisenden Decticiden durch drei Arten repräsentiert. Ganz fehlen die Sagiden, denn es unterliegt wohl keinem Zweifel mehr, daß die von Savigny abgebildete S. ornata Burm. eine rein syrische Art ist, die Callimeniden, Stenopelmatiden. Die Ursache liegt wohl in dem total verschiedenen Vegeta- tionshabitus der beiden Länder. Ägypten ist entweder Wüste oder Kulturland. Die für die Entwicklung der Phaneropteriden und Decticiden so günstigen ausgedehnten Macchien und mit höheren krautartigen Pflanzen durchsetzten Wiesen und Steppen fehlen fast völlig und so sind die wenigen Arten auf Bäume, auf das Gebüsch von Gärten u. dergl. angewiesen. Familie: Gryllodea. Unterfamilie: Gryllotalpidae. Gattung: Gryllotalpa Latr. L (94.) G. vulgaris Latr. (1807) = gryllotalpa (L., 1764.) Brunn er, Prodromus, p. 451, Fig. 107. Saussure, Mel. Orth., V, p. 195. Savigny, Taf. III, Fig. 3. — Kr aus s, p. 244. Kommt sowohl in der kurzgeflügelten Form (var. cophtha de Haan) als in der normalen vor. Letztere habe ich aus- schließlich gefunden, und zwar bei Matarieh (22. VII.) und Gizeh. Europa, Nordafrika, Westasien (Mascarenen, Java). *2. (95.) G. africana Pal. Beauv. Saussure, Mel. Orth., V, p. 199. Krauss, Beitr. z. Orth. Fauna d. Sahara, p. 253. Bei Kairo an verschiedenen Stellen. Sonst über ganz Afrika, Syrien, das tropische Asien und Australien verbreitet. Orthopterenfauna Ägyptens. 43 1 Neu für Ägypten, für die algerische Sahara erst 1902 von Krauss nachgewiesen. Gattung: Tridactylus Ol. 3. (96.) T. Savignyi Guer. (1844). Savigny, Taf. III, Fig. 1, i und 2, i— 2 (var. fasdatus Guer.). Krauss, p. 243, 244. Saussure, Mel. Orth., V, p. 221; Rev. Genre Trid., p. 419. Diese Art ist von Assuan bis Wadi Haifa am Nilufer nicht selten, stellenweise, wie z. B. auf der Insel Elephantine (30. VII.), sogar massenhaft. Sie springt lebhaft auf dem Sand umher und ist ihrer Kleinheit und ihrer Färbung halber schwer vom Boden zu unterscheiden. Nach Saussure auch in Dongola, Südruß- land, Turkestan, Birma. 5. (97.) T. variegatus Latr. (1804). Savigny, Taf. III, Fig. 1,2. — Krauss, p. 244. Brunn er, Prodr., p. 454, Fig. 108. — Saussure, Mel. Orth., V, p. 215. Assiut, Kitchenerinsel bei Assuan, dagegen nicht auf Ele- phantine. Sonstige Verbreitung: Südeuropa, Nordafrika, Turkestan. Unterfamilie: Gryllidae. Gattung: Liogryllus Sauss. 6. (98.) L. campestris (L., 1764). Brunn er, Prodromus, p. 428. Saussure, Mel. Orth., V, p. 305, Fig. IX, 1 — 3, 5 — 8. Ägypten (Saussure). Außerdem in ganz Europa mit Ausnahme Skandinaviens sowie in Algerien, S^'rien und Kleinasien. 432 F. Werner, 6. (99.) L. bimaculatus (De Geer, 1773). Brunn er, Prodromus, p. 429. Saussure, Mel. Orth., p. 307. Savngny, Taf. III, Fig. 4. — Krauss, p. 245. Wurde von mir sowohl in der normalen Form (Flügel- decken an der Basis gelb) gefunden (Alexandrien, 21, IV. 1899) als auch in der var. hnmactilata Sauss. (Savigny, Fig. 4,2): Shellal, 3. VIII. 1904. Diese letztere kennt Saussure außer von Ägypten und Nubien von Teneriffa und Mozambique. Die Art findet sich außerdem in Südeuropa sowie in ganz Afrika und Asien. Gattung; Gryllus L. 7. (100.) G. domesticus L. (1758). Brunn er, Prodromus, p. 432, Fig. 99. Saussure, Mel. Orth., V, p. 341. Häufig im Freien an vielen Orten Ägyptens: Gizeh, 16.VIII., Medinet-Fayum, 1 l.VIIL, Shellal, 3. VIII. — Es besteht für mich kein Zweifel, daß Gryllus aegyptiactts de Haan, ebenso wie die Abbildung Savigny's, zu dieser Art gehören. Sonst noch in ganz Europa mit Ausnahme Skandinaviens. Soll auf Madeira ebenso wie in Ägypten im Freien leben. 8. (101.) G. burdigalensis Latr. (1804). Brunn er, Prodromus, p. 433. Saussure, Mel. Orth., V, p. 353, Fig. IX, 3. Savigny, Taf III, Fig. 6. — Krauss, p. 246. In Ägypten weit verbreitet: Medinet-Fayum (11. VIIL), Elephantine (29. VII.), Wadi Haifa (2. VllL), aber meist in der var. Cerisyi Serv. Ein 9 aus dem Zoologischen Garten von Gizeh (21. VII.) läßt dagegen keine Spur von Hinterflügeln erkennen {arvensis Ramb.?). Mittelmeergebiet, Südungarn,Siebenbürgen, Kirgisensteppe, Turkestan. Orthopterenfauna Ägyptens. 433 9. (98.) G. algirius Sauss., (1877). Brunner, Prodromus, p. 435. Saussure, Mel. Orth., V, p. 359, Fig. XI, 5. Savigny, Taf. III, Fig. 7. — Krauss, p. 246. Saussure deutete die Abbildung bei Savigny als fron- talis Fieb., Krauss als algirius Sauss. Ich habe eine sichere (f Larve von G. algirius am 17. 1. 1905 am Barrage bei Kalioub gefunden, dagegen niemals frontalis und bin daher eher geneigt, die Ansicht von Krauss zu teilen. 10. (103.) G. desertus Fall., (1771). Brunn er, Prodromus, p. 430. Saussure, Mel. Orth., V, p. 330. Nach Saussure in Ägypten. Außerdem in Südeuropa, Sibirien, Turkestan, Syrien, Kleinasien, Algerien. Gattung: Nemobius Serv. 11. (104.) N. Hafferli n. sp. Minutus, fusco-testaceus, atrosetosus, subtus testaceus. Caput pronoto pauUo angustius, nigrum, palpis albidis, vertice testaceo, obscure trilineatum, linea media contiguis latiore et distinctiore. Pronotum antrorsum angustatum, lobis deflexis nigrescentibus, disco testaceo, lineis duabis atris in medio, Serie e punctis minimis composita in utroque parte longitudi- naliter decurrentibus ornato. Elytra abdominis longitudine, fusca, nitida, venis longitudinalibus fortibus, transversalibus indistinctissimis, fasciolis pallidis inter venas longitudinalibus, macula fusca in parte basali ornata. Alae nuUae. Ovipositor femoribus posticis multo, cercis paullo brevior. Pedes omnes pallidi, obscure fusco-fasciati. Tibiae posticae biseriatim longe trispinosae. 3. Eremiaphila Rohlfsi n. sp. (9) (Mus. Berlin). » 4. Centromantis pyramidum n. sp. (^f). » 5. Eremiaphila dentata Sauss. (9) (Mus. Berlin). > 6. Centromantis deniicollis Lucas (9) (Mus. St. Petersburg). » 7. Centromantis Hedenborgi Stäl (,^) (Mus. St. Petersburg). » 8. Eremiaphila persica n. sp. ((;^) (Mus. St. Petersburg). » 9. Eremiaphila libyca n. sp. (9)- » 10. Centromantis heluanensis n. sp. ((Z'). » 11. Rechter Vorderfuß von Centromantis heluanensis. » 12. Rechter Vorderfuß von Centromantis Hedenborgi. » 13. Linke Elytra von Eremiaphila Rohlfsi. > 14. Rechter Vorderfuß von Centromantis tunetana. ■» 15. Rechter Vorderfuß von Centromantis pyramidum. Alle Figuren sind von Herrn Josef Fleischmann nach der Natur gezeichnet. Werner: Orthopterenfauna Ägyptens. K.k M-ii Slaslsdi-jckero, Sitzungsberichte d. kais. Akad. d. Wiss., math.-naturw. Klasse, Bd. CXIV, Abt. I. 1905. 437 Erster Berieht' von meiner Reise nach Neu- Guinea über die Zeit vom 6. Juni 1904 bis zum 25. März 1905 von Dr. Rudolf Pöch. (Mit 4 Textfiguren.) (Vorgelegt in der Sitzung am 23. Juni 1905.) Ende Juli 1904 nach direkter Fahrt in Friedrich-Wilhelms- hafen (Deutsch-Neu-Guinea) angekommen, benützte ich die nächste Gelegenheit, um mit dem Küstendampfer nach Pots- damhafen zu gelangen. Dort blieb ich von Anfang August bis Ende November 1904, also fast vier Monate. Ich fand in Potsdamhafen (Monümbo) ein reiches Arbeitsfeld auf anthropo- logischem, ethnologischem und zoologischem Gebiete. Nach Beendigung der Arbeiten in meinem Standquartier unternahm ich zwei Inlandstouren in das Gebiet der Alepäpun und in die Iküberge, besuchte die noch ganz unbekannte Vulkaninsel (Manam) und fuhr mit einem Kutter bis zur Mündung des Augustaflusses (Watam) und mit dem Küstendampfer bis Tum- leo und Seleo (Berlinhafen). Mein zweites Standquartier schlug ich auf dem Sattel- berge (900 *w hoch) im Hinterlande von Finschhafen auf und beschäftigte mich dort zunächst mit der anthropologischen Untersuchung der Bergstämme, dann auch mit ethnologischen und zoologischen Studien. Auch von dort unternahm ich 1 Dieser Beiicht bezieht sicii in seinen einzelnen Punkten auf meinen Reise- und Arbeitsplan, den ich am 26. März 1904 zwecks Erlangung von Empfehlungen der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien vor- gelegt habe. 438 R. Pöch, mehrere Touren, zum Schluß einen größeren Zug ins westlich gelegene Bergland. Nach einem kurzen Aufenthalt an der Küste von Finsch- hafen bereiste ich im Februar 1905 den Hüongolf bis zur englischen Grenze. Daran schloß sich ein einmonatlicher Aufenthalt in Fried- rich-Wilhelmshafen, wo mir Gelegenheit geboten war, in dem dortigen Hospital Beobachtungen über tropische Krank- heiten bei Europäern und Eingeborenen zu machen und patho- logisch-anatomisches Material zu sammeln. Mitte März reiste ich nach Herbertshöhe im Bismarck- Archipel und bekam dort sogleich Gelegenheit, mich einer Inspektionsreise des Gouverneurs in die Bainingberge anzuschließen. Darauf fuhr ich um die Nordspitze von Neu-Mecklenburg herum nach dem an der Ostküste dieser Insel gelegenen Nama- tanai. Meinen Arbeitsplan habe ich bisher in folgender Weise durchgeführt: I. Anthropologie und Ethnologie. Es gelang bisher immer, das Vertrauen der Eingeborenen soweit zu gewinnen, daß weder der anthropologischen Messung noch der photographischen Aufnahme Widerstand geleistet wurde. Es wurden bis heute an 150 Eingeborenen Körper- und Schädelmessungen vorgenommen. In den meisten Fällen wurden durchschnittlich ein bis zwei Stunden für die Untersuchung eines Individuums verwendet, um möglichst viele zur Charak- teristik der Rasse geeignete Merkmale festzuhalten. Die äußere Erscheinung wurde auch genau beschrieben, der Gesundheits- zustand wurde mit besonderer Rücksicht auf hereditäre und spezifisch -tropische Krankheiten geprüft. Von den meisten Leuten wurden photo^'aphische Typenaufnahmen gemacht, und zwar en face, en profil und ganze Figur. Abdrücke von Händen und Füßen wurden auch gesammelt, ebenso Haar- proben. Bericht über eine Reise nach Neu-Guinea. 439 Die Messungen betreffen hauptsächlich folgende Stämme: Monümbo (Potsdamhafen), Manam (Vulkaninsel), Watäm (Augustafluß), Kai (Hinterland von Finschhafen) und Baining (wahrscheinlich die Urbevölkerung von Neu-Pommern). Außer- dem wurden gelegentlich einzelne Leute von andern Stämmen der Nordküste und vom Hüongolf gemessen. Die Zahl der bisher erworbenen Schädel beträgt 75, davon sind 30 mit Unterkiefer. Sie rühren meist von den oben ge- nannten Stämmen her, von denen auch viele genaue Messungen am Lebenden vorliegen. Es wurden neun Skelette ausgegraben, so vollständig, als es ging. Außerdem wurden 160 einzelne Knochen, meist lange Röhren- und Beckenknochen, gesammelt. Von Weichteilen wurden eingelegt: vier Gehirne, ein ganzer Kopf, Füße, Hautstücke, namentlich Kopfhaut, Augen und verschiedene innere Organe. Die in meinem Arbeitsplane gestellten Hauptfragen können nun soweit, wie aus dem Folgenden erhellt, beantwortet werden: 1. Ein Urteil über die Stellung der Papuas zu den andern schwarzen Rassen kann wohl erst nach der vollständigen Bearbeitung des großen vorliegenden Materiales gefällt werden. 2. Die Untersuchungen ergeben eine Reihe deutlich faß- barer Unterschiede zwischen dem Papua und Melanesen, so daß diese Scheidung, welche einige Anthropologen schon auf- geben wollten, doch wieder angenommen werden sollte. Die Grenzen der beiden Sprachgruppen, der melanesischen und der papuanischen, fallen aber mit der Rassengrenze durchaus nicht immer zusammen. 3. Die an der Nordküste untersuchten Stämme sind ge- mischt; die Monümbo sind noch vorwiegend mesocephal, gegen Westen gewinnt Dolichocephalie mehr das Übergewicht. Die Bewohner der Vulkaninsel (Manäm) haben oft Andeutung von Epicanthus (Mongolenfalte), von den Kai zeigen viele Zwerg- wuchs — es ist also keiner der untersuchten Stämme »rein«, sondern alle zeigen mehr oder weniger starke Mischung ver- schiedener Elemente. Am einheitlichsten erscheinen unter allen noch die Baining (Neu-Pommern), jedoch sind die bezüglichen Untersuchungen noch nicht abgeschlossen. 440 R. Pöch, 4. Das auffallendste Zeichen niedriger Bildung ist die häufig fliehende und »schlecht gefüllte« Stirne. Weitere Merk- male wird die Vergleichung der Messungen am Lebenden, die Bearbeitung des osteologischen Materiales und der Gehirne ergeben. Die Haut neugeborener Papuakinder ist etwas röter als die europäischer, aber durchaus nicht braun, bloß Hodensack oder Schamlippen sind stärker pigmentiert. 5. Die sprachlichen Verschiedenheiten sind viel häufiger und größer als die anthropologischen. Der Monümbostamm (Potsdamhafen) ist ungefähr 500 Köpfe stark und bewohnt einen zwei Stunden langen Küstenstrich; zwischen den öst- lichen und westlichen Dörfern gibt es schon dialektische Ver- schiedenheiten. In dem von mir durchstreiften Gebiete der Kai wohnen ungefähr 1000 Seelen, in den Randbezirken weicht der Dialekt bedeutend ab. Die bisher verbreitete Annahme, daß die einzelnen Papua- stämme vollständig abgeschlossen voneinander wohnen, ist nicht richtig. Es gibt vielmehr überall einen ausgedehnten Handelsverkehr, daneben oft allerdings vollständige Feind- schaft unmittelbar benachbarter Stämme. Die Monümbo (Potsdamhafen) beziehen z. B. ihre Tanz- trommeln und Tanzschurze von den Ikü (Bergland hinter der Hansabucht), die Schweine und die Canari-Nüsse von den Manäm (gegenüberliegende Vulkaninsel), die rote Erde zum Bemalen des Körpers von den Burroi (Mündung des Ramü), die Sagobrote von den Kawea (etvi^as östlich davon), die Tanz- masken und Holztrommeln von den Watäm (Mündung des Augustaflusses). Dagegen leben die Monümbo mit ihren un- mittelbaren Nachbarn im Hinterlande, den Alepäpun, in Feind- schaft, und dorthin geht kein Verkehr. Die Holzschwerter der Kai und der Yabim (Finschhafen und Hinterland) kommen weit aus dem inneren Berglande, gehen durch das Land der Kai und Yäbim nach den Tämi- inseln, um dort verziert zu werden, und kehren dann wieder zurück. Trotzdem bestand unter den Kai untereinander, zwi- schen einzelnen Bezirken, Feindschaft und Verkehrslosigkeit. Bericht über eine Reise nach Neu-Guinea. 441 Degeneration als Folge von Inzucht konnte ich bis jetzt noch bei keinem Volke sehen. Entweder waren die Stämme doch zu groß oder waren vielleicht noch nicht lange genug ein abgeschlossener Stamm oder es wurden die Folgen der hizucht durch Wechselheirat oder Kindertausch verhindert. Am ehesten wären Folgen von Inzucht zu erwarten bei den Monümbo. Ein abgegrenzter Stamm wie heute sind sie gewiß schon durch viele Generationen, sie sind 500 Köpfe stark, heiraten nie nach außen, meist sogar innerhalb der Dorf- schaft; im ganzen Stamme wurde mir nur ein adoptiertes Kind bekannt (Ikü) — trotzdem fielen mir noch keine üblen Folgen der Inzucht auf. Unter den Kai sind Heiraten mit den Yabim häufig, jedoch immer nur in der Weise, daß Kaifrauen von Yabimmännern geheiratet werden. Die Bewohner der Inseln Siar und Beiiao (bei Friedrich- Wilhelmshafen) adoptieren Kinder von der Raiküste (zwischen Stefansort und Cap Rigny). 6. Unter den Kai fand ich unter ungefähr 300 erwachsenen Männern 9, d. i. S^o» i-inter 140 cm hoch (bis \33cm herab). Ich fasse diese Leute als Vertreter eines echten Zwergwuchses^ auf und bin geneigt, in ihnen den Rest einer jetzt in dem Kai- volk aufgegangenen Zwergbevölkerung zu erblicken. 7. Spuren eines paläolithischen Zeitalters auf Neu-Guinea habe ich bisher nicht gefunden. 8. Zu genauen Arbeiten auf dem Gebiete der Sinnesphysio- logie war bisher keine Gelegenheit. Beim Jagen mit Hilfe von Eingeborenen gewann ich den Eindruck, daß das raschere Entdecken des Wildes, das er anfangs vor dem Europäer voraus hat, nur auf einer besseren Kenntnis des Aussehens und der Bewegungen der Tiere und auf der größeren Übung beruht. 9. Die Ernährung der Papuas ist immer eine vorwiegend vegetarische, aber nie eine rein vegetarische. Sie besteht der Hauptsache nach aus kartoffelartigen Knollenfrüchten: i »Fälle von Zwergwuchs unter den Kai.« Am 3. Februar 1905 abgesandt zur Publikation an Hofrat Prof. E. Zuckerkand I. Sitzb. d. mathem.-naturw. Kl.; CXIV. Bd., Abt. I. 30 442 R. Pöch, Yams, Taro und Süßkartoffeln; in vielen Gegenden ist Sago ein Hauptnahrungsmittel. Daneben werden auch viel Bananen, Brotfrucht, mitunter auch der von Malayen importierte Mais gegessen. Das Fleisch liefert vor allem das überall gezüchtete und auch sekundär wieder verwilderte Schwein, der Hund und die Hühner. Beuteltiere spielen wegen ihrer Kleinheit und ihrer schweren Erreichbarkeit keine wichtige Rolle als Nahrungs- mittel, die Vogel weit wird von den Waffen der Papuas wenig belästigt. Dagegen werden an der Küste immer Fische und viel Muscheln verspeist, auch die Flüsse liefern Fische (namentlich Aale) und Krebse. Wo die Fleischnahrung knapp ist, kann man mitunter bedeutenden Fleischhunger beobachten. Bei den Kai kommt es vor, daß eine gebratene Feldmaus unter vier und mehr Menschen verteilt wird; dort wurden bei meinen Mahlzeiten die nicht völlig abgenagten Knochen von Tauben, die Haut von Würsten von meinen Begleitern etwas am Feuer geschmort und gegessen, ja, es wurden sogar zerkaute Fleisch- und Faser- reste, die ich ausspie, wieder aufgelesen und verzehrt! Es ist mir zweifellos, daß die Freude am Menschenmahl in Neu-Guinea — zum Teile wenigstens — in Fleischhunger wurzelt, zum Teile liegen der Anthropophagie allerdings auch komplizierte, übersinnliche Vorstellungen zu Grunde. Die aus- gesprochensten Anthropophagen, denen ich begegnete, sind die Bewohner der Inseln im sogenannten Herzog-»See« (das sind die Lagunen des Markhamflusses im Hüongolf). Die Leute zeigten ganz naiv die Schädel der Erschlagenen und erzählten mit Behagen, wie sie sich daran satt gegessen hatten. Keinen einzigen der von mir besuchten Papuastämme fand ich frei von Anthropophagie. Das wichtigste Genußmittel der Papuas sind die Betel- nüsse, die mit gebranntem Muschelkalk und andern Zutaten, welche nach der Gegend wechseln, gekaut werden. Eine be- rauschende Wirkung übt das Betelkauen sicher nicht aus. Tabak wird fast überall von den Papuas selbst gekaut und ist (als amerikanischer Tradetabak) ein sehr begehrter Tauschartikel. > - . Bericht über eine Reise nach Neu-Guinea. 443 Der Genuß alkoholischer Getränke ist vielen Stämmen ganz unbekannt; ich konnte nichts davon, weder bei den Monümbo noch bei den Kai finden. Die Bewohner der Insel Beliäo (Friedrich-Wilhelmshafen) und wahrscheinlich auch die Angehörigen desselben Stammes, welche die benachbarten Inseln Siar und Ragetta bewohnen, bereiten dagegen durch Kauen einer Wurzel ein berauschendes Getränk.^ Etwas Ähn- liches soll auch den Yäbim (Finschhafen) bekannt sein. Die Verabfolgung alkoholischer Getränke an die Ein- geborenen ist in Deutsch-Neu-Guinea verboten. Ethnologisches Sammeln. Es wurden bisher eilfhundert Ethnologica gesammelt. Nach Möglichkeit wurde zu den Dingen der einheimische Name ermittelt, es wurde nach dem Orte der Herstellung gefragt, um die Handelsbeziehungen zu erfahren, nach dem Rohmateriale, um die heimischen Industrien kennen zu lernen, nach dem Erzeuger, ob Männer- oder Weiberarbeit, nach der Arbeitsteilung überhaupt, nach Besitz und Eigentumsrecht. Ein Teil des Eigentums gehört der ganzen Dorfschaft, andere Dinge dürfen nur mit Erlaubnis der Verwandten ver- äußert werden, wieder anderes ist persönliches Eigentum. Der Besitz des Einzelnen gleicht sich aber immer wieder so aus, daß alle gleich reich sind. Die umfangreichste Sammlung wurde angelegt über den Stamm der Monümbo (Potsdamhafen), dann folgen die Samm- lungen aus Watäm (Augustafluß), Manäm (Vulkaninsel) und Kai (Hinterland von Finschhafen). Vereinzelte Objekte stammen von der Nordküste bei Berlinhafen, von den Ikü (Bergvolk, landeinwärts von Potsdamhafen), aus Bilibili und Beiiao (Fried- rich-Wilhelmshafen), von den Tepe (Bergvolk der Finisterre- Halbinsel), vom Hüongolf und aus den Bainingbergen (Neu- Pommern). 1 Proben der Wurzel und des Getränkes wurden an das pathologisch- anatomische Institut geschickt. Die dazugehörigen Bemerkungen über »ein berauschendes Getränk der Papua in der Umgebung von Friedrich-Wilhelms- hafen« stehen in dem begleitenden Brief an Hofrat Prof. Weichselbaum. 30* 444 R. Pöch, Zusammenstellungen unter einem einheitlichen Gesichts- punkte wurden gemacht: Über Pflanzenfasern und daraus ver- arbeitete Gewebe (Kai), Töpfe in verschiedenen Stadien der Herstellung und Werkzeug dazu (Bilibili), Tanzmasken der Monümbo und Watam/ alte Steinwerkzeuge und Steinkeulen aus verschiedenen Gegenden, Geräte zur Flußfischerei (Berg- stämme — Ikü, Kai, Baining). Ornamentik. Bei dem Studium der Ornamentik der Monümbo ergab sich folgendes: 1. Die Bedeutung der Verzierungen ist der großen Masse des Volkes ganz unbekannt, nur einige einflußreiche alte Männer wissen sie zu deuten, diejenigen, in denen die Tradi- tionen des Volkes fortleben, dieselben, welche die Sagen, Gesänge und Zeremonien ihres Volkes kennen; selbst der, welcher die Ornamente nach vorliegendem Muster oder aus der Erinnerung schnitzt, ist sich über ihre Bedeutung völlig im Unklaren. 2. Es gibt eine Anzahl Verzierungen, die eine in der Tradition des Volkes genau festgelegte Bedeutung haben und stark stilisiert sind, so daß aus ihrer Gestalt durchaus nicht eindeutig hervorgeht, was sie bedeuten sollen. Ein mäanderartiges Ornament heißt »Kakadu-Eingeweide« (keak iningar), zwei sj'-mmetrisch gestellte Spiralen (oder Irr- ^^ keak iningar (Kakadu-Eingeweide) 1 In Potsdamhafen hatte ich Gelegenheit, besonderen Tanzfeierlichkeiten der Monümbo beizuwohnen. Bericht über eine Reise nach Neu-Guinea. 445 wege) »Schmetterling« (mamatambur), die gerade Linie »Weg« (kuri), die winkelig gebogene »Papageienvveg« (kalaläng kuri). mamatambur (Schmetterling) Mich über die Genesis dieser Ornamente zu äußern, muß ich mir vorbehalten bis zum Abschlüsse meiner vergleichenden Studien über die Ornamentik verschiedener Stämme. kuri (Weg) Auf dem Gebiete der Ornamentik schöpferisch tätig zu sein, ist keineswegs allen Stämmen gegeben. Es scheinen nur einzelne Stämme im stände zu sein, Ornamente zu erfinden, kalaläng kuri (Papageienweg) und auch nur die schnitzen wirklich gut. So beziehen die Monümbo ihre guten Holztrommeln und Masken von der Mündung des Augustaflusses. Die Kai sind im Schnitzen ganz 446 R. Pöch, unbegabt, im Finschhafner Gebiet sind die Tamileute die ein- zigen wirklichen Künstler, deren Stil und Kunst tur das ganze Gebiet maßgebend ist. Tänze und Gesänge, Sprache, In Potsdamhafen hatte ich Gelegenheit, großen Tanzfesten der Monümbo beizuwohnen, wie sie in dieser Art nur in Zwischenräumen von mehreren Jahren wiederkehren.^ Die Tänze wurden immer von Gesang begleitet und nähere Nachforschungen über deren Ursprung und Bedeutung ergaben folgende bemerkenswerte Resultate: 1. Alle Tänze, Gesänge und Masken stammen von den Völkern an der Mündung des Augustaflusses; wir dürfen wohl, auch mit Rücksicht auf das früher über die Ornamente Ge- sagte, dort ein größeres Kulturzentrum vermuten. 2. Die Monümbo verstehen, ebenso wie die Leute am Augustaflusse, ihre eigenen Gesänge nicht — es sind also Worte einer alten, heute schon vergessenen und nicht mehr verstandenen Sprache. Anläßlich dieser Tänze und Gesänge wurden phono- graphische Aufnahmen der Texte gemacht. Daran schlössen sich Aufnahmen der Sprache (und zwar einzelner Worte zur Illustrierung der Grammatik und zusammenhängende Erzäh- lungen). Außer der Monümbosprache wurden auch Proben an- derer Sprachen festgehalten, dann Trommelsignale (»Trommel- sprache«) und Melodien auf Musikinstrumenten.^ Als die Platten aufgebraucht waren, wurde der Archiv- phonograph, den mir das Phonogrammarchiv der kaiserl. Aka- 1 Über diese Tänze und die begleitenden Gesänge wurde eine Arbeit am 3. Februar 1905 zur Publikation an Hofrat Prof. A. Penck: »Beobachtungen über Sprache, Gesänge und Tänze anläßlich phonographischer Aufnahmen in Monümbo (Potsdamhafen), Deutsch-Neu-Guinea«, abgesendet. 2 »Bericht über Aufnahmen mit einem Archivphonographen der kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien unter den Monümbo vom 28. Juli bis zum 24. November 1904«, eingeschickt an Hofrat Prof. S. Exner am 3. Fe- bruar 1905. Bericht über eine Reise nach Neu-Giiinea. 447 demie der Wissenschaften in Wien mitgegeben hatte, am 23. Dezember 1904 nach Wien zurückgeschickt.^ _ Von Sprachen, die bis jetzt noch von niemand studiert waren, wurden Aufzeichnungen gemacht, so von den Sprachen von Manäm und Watäm. Es wurde dabei weniger auf die Zusammenstellung eines möglichst großen Vokabulars, als auf die Ermittlung wichtiger grammatikalischer Regeln geachtet, namentlich solcher, die für die große Scheidung in papuanische und melanesische Sprachen maßgebend sind (Voranstellung des Genetivs, Possesivsuffix, Zahl des Genus, Flexion der Haupt- und Zeitwörter). Es wurde nie nach Dingen gefragt, die nicht der unmittelbaren Anschauung zugänglich sind. Meist wurde mit der Bezeichnung der Körperteile begonnen und dabei immer darauf geachtet, ob die eigenen oder ob ein fremder Körper berührt wurde (Possesivsuffix). Dann wurde nach den Dingen gefragt, die der Betreffende mit sich hatte (Eßwaren, Betel, Tabak, Ethnologica), nach dem Hausgerät u. s. vv. Dann folgten die Zahlwörter, die meist nur Begriffe von 1 bis 5, dann 10, eventuell noch 20 enthalten. In allen melanesischen Sprachen fand ich bis jetzt fast gleichlautende Zahlwörter. Die Ermittlung der Grußformel (meist »ich gehe, du bleibst« oder dergl.) führt auf das Verbum. Es ist immer sehr darauf zu achten, daß die Leute nicht anfangs jede Flexion der Wörter unterdrücken, da sie gewöhnt sind, im Verkehre mit fremden Stämmen, die ihre Sprache nicht kennen, auf diese Weise die Verständigung zu erleichtern. II. Tropenhygiene und andere medizinische Unter- suchungen. Die Küstenstriche von Neu-Guinea gehören zu den schweren Malarialändern der Erde. Die häufigste Form der Krankheit ist die Malaria tropica, daneben gibt es auch Quar- tan- und Tertianfieber. Schwarzwasserfieber ist nicht selten. 1 Für weitere Aufnahmen habe ich mich dem Phonogrammarchiv zur Verfügung gestellt. 448 R. Pöch, In manchen Fällen scheint für Schwarzwasserfieber von vorn- herein eine Prädisposition da zu sein, oft wird durch eine unrichtige Chininprophylaxe — Einnehmen im Fieberanstieg und Gebrauch zu kleiner Dosen — erst eine Disposition ge- schaffen. Das Bergland von Neu-Guinea ist malariafrei, die Ein- geborenen, die als Arbeiter in die Plantagen an die Küste kommen, erkranken an Malaria. Die Malaria wird in Deutsch-Neu-Guinea gegenwärtig durch eine systematisch durchgeführte individuelle Chinin- prophylaxe bekämpft. Die Vorurteile gegen das Chinin sind geringer geworden. Gewöhnlich wird ein Gramm alle fünf Tage genommen. Eine allgemeine Chininprophylaxe, die sich auch auf die Eingeborenen erstreckt (Stefansort), wird nicht mehr geübt. Im Kampfe gegen die Stechmücken durch Assanierung — Zuschütten von Regenlöchern und Vernichtung aller Brut- stätten — bleibt noch manches zu tun übrig. Viele Nieder- lassungen sind von vornherein ungünstig mitten in den Kokos- nußpflanzungen gelegen. Von tropischen Krankheiten, welche die Eingeborenen betreffen, wurden folgende beobachtet: 1. Der sogenannte »Ringwurm«, eine schuppende Haut- krankheit (Hautstücke wurden konserviert); 2. Elephantiasis, kommt bisweilen vor; 3. venerisches Granulom, eine Geschlechtskrankheit in der Südsee sui generis, welche hauptsächlich bei den Mela- nesen (Neu-Mecklenburg) vorkommt; unter die Papuas scheint sie immer eingeschleppt zu sein (exzidierte Stücke wurden konserviert).^ 4. Syphilis und Gonnorhöe scheinen unter den Papuas früher nicht vorgekommen zu sein. 5. Die häufigsten Erkrankungen bei Eingeborenen sind Rheumatismen (meist chronisch, mit Gelenkschwellungen) und Pneumonien (Pleuropneumonien), die viel öfter als in Europa einen letalen Ausgang bedingen. 1 Bemerkungen in dem oben erwähnten Schreiben an Hofrat Prof. Weichselbaiim. Bericht über eine Reise nach Neu-Guinea. 449 6. Tuberkulose scheint bei den Papuas früher nicht vor- gekommen zu sein. Jetzt werden unter den Arbeitern Spitzen- katarrhe beobachtet, ich sah einen rapid zum Ende führenden Fall bei einer Monümbofrau, die früher Arbeiterin in Friedrich- Wilhelmshafen gewesen war. 7. In den Monaten September und Oktober (1904) gab es unter den Kindern der Monümbo epidemieartig auftretenden Ikterus. Die Kinder litten durch 8 bis 14 Tage an Fieber, Ikterus, Milz- und Leberschwellung. Es blieb wohl kein Kind verschont, ein Mädchen starb, 8. Im Jahre 18.95 wurde Neu-Guinea von einer Pocken- epidemie heimgesucht; die Verheerungen waren furchtbar, heute sieht man noch viele Leute mit ausgedehnten Ver- narbungen im Gesicht, die man beim ersten Anblick eher für Brandwunden oder Lupus halten würde. In manchen Dörfern ist fast keiner der Erwachsenen frei von Pockennarben im Gesichte. Der Nutzen der Impfung war den Leuten sofort klar und auch heute, da die Erinnerung an die Seuche noch lebhaft ist, setzen sie der Impfung nicht den geringsten Widerstand entgegen. 9. Rhachitis ist unter den Eingeborenen von Neu-Guinea und dem Bismarck-Archipel nicht selten; ich sah einen Fall mit hochgradiger, säbelscheidenartiger Verkrümmung der Tibien unter den Monümbo, einen ebensolchen unter den Baining (Neu-Pommern); rhachitisch gekrümmte Tubera frontalia und X-Beine sind unter den Monümbo häufig. Einen Fall von rhachitischem Zwergwuchs aus Süd-Neu-Mecklenburg lernte ich kennen. Die Entbindungen sollen fast immer sehr leicht erfolgen, eine eigentliche Wochenbettpflege kennt man nicht. In Monümbo beziehen die Frauen einige Zeit vor und nach der Entbindung eine eigene, am Rande des Dorfes gelegene Hütte. Bisher gelang es, drei vollständige weibliche Becken zu erwerben. Die Therapie der Eingeborenen besteht teils aus mehr oder weniger rationellen Versuchen, die Symptome der Krank- heit zu beseitigen, teils in »Zauberei«, um durch einen Gegen- zauber den Erkrankten (Verzauberten) von seinem Übel zu befreien. 450 R. Pöch, Es sind meist bestimmte Leute, die sich eine Kenntnis der Krankheiten und Heihnittel erworben haben und zu schweren Erkrankungen gerufen werden. III. Biologische Beobachtungen, naturwissenschaftliches Sammeln und Photographieren. Außer den Begleitern des Menschen, dem Schwein, Hund und der Maus und Ratte und fliegenden Säugetieren, fliegender Hund und Fledermaus, gibt es nur Beuteltiere. Es wurden im ganzen 30 Säugetierbälge gesammelt. Da die Beuteltiere außer dem Wallaby (Känguru) durchwegs scheue, nächtliche Tiere sind, konnten sie nur durch Fallen oder mit Hilfe der Ein- geborenen gefangen werden. Dies gab Gelegenheit, diese Tiere vorher mehr oder weniger lang in der Gefangenschaft zu beob- achten. Die Echidna scheint in diesem Teile von Neu-Guinea voll- ständig zu fehlen. Es wurden 150 Vogelbälge konserviert. Besondere Be- achtung fand die Entwicklung des Schmuckes und der langen hornartigen Schwanzfedern bei Paradisea minor. Bei der Varie- tät mit dem orangefarbenen Schmuck (Finschhafner Gegend) fiel auf, daß zur Brunstzeit die inneren Teile, besonders das Fett, intensiv orangegelb gefärbt waren. Diebetreffenden Organe wurden eingelegt. Im ganzen wurden sieben verschiedene Arten von Paradiesvögeln erbeutet, immer Männchen, Weibchen und womöglich auch junge Männchen. Alle Felle und Bälge waren früher am lebenden Tiere gemessen, die Farbe der Iris, nackter Hautstellen, des Schnabels und der Läufe notiert und die biologischen Beobachtungen hinzugefügt. Reptilien, Amphibien und Fische wurden in 300 Exem- plaren gesammelt und in Formalin konserviert.^ Der Fang dieser Tiere wurde fast ausschließlich mit Hilfe der Eingeborenen betrieben. Besonderes Gewicht wurde auf die Erlangung von 1 Vom k. k. naturhistorischen Hofmuseum wurden mir für diese Samm- lungen besondere Kisten mitgegeben, deren eine bereits gefüllt an Hofrat Steindachner abgegangen ist. Bericht über eine Reise nach Neu-Guinea. 451 Flußfischen gelegt, die bisher in Neu-Guinea fast unbeachtet blieben, von Schildkröten im Süßwasser, die auch nur in wenigen Arten bekannt sind, und von Giftschlangen. Auf allen diesen Gebieten ist die Nachforschung bereits erfolgreich ge- wesen. Von Insekten sind 1200 Stück gesammelt. Besonders be- achtet wurden Schmetterlinge mit starker Abweichung der beiden Geschlechter. Gute Beispiele für Mimikry geben die in vielen verschiedenen Arten vertretenen Stabheuschrecken. Auf dem Gebiete der Botanik wurden biologisch inter- essante Dinge in Spiritus konserviert.^ Im Herbarium sind zunächst Pflanzen, die als Heilmittel dienen, vertreten, dann solche, die von den Eingeborenen technisch verwendet werden (Hölzer und Faserstoffe). Photographie. Es wurden 560 photographische Aufnahmen gemacht. Die ersten 270 wurden sofort an Ort und Stelle entwickelt, um nicht über den Apparat und die Beleuchtung im Unklaren zu sein. Nun werden die Platten zur Entwicklung nach Wien geschickt, und zwar immer womöglich mit der nächsten Post. Der größte Teil der Platten wurde für die eingangs er- wähnten anthropologischen Aufnahmen verwendet. Eine zweite Gruppe bezieht sich auf das Leben der Eingeborenen, das Aussehen der Dörfer und Häuser. Von geographisch interessanten Aufnahmen seien er- wähnt: Landschaft bei Potsdamhafen (gehobene Korallenriffe) — • Landschaft bei Finschhafen (Korallenküste) — Flußtal des Mape (Bubui), in Koralle und Kreide tief eingeschnitten — Butaueng -Wasserfälle (über Koralle) — Ausbruch des Vulkans auf der Vulkaninsel gegenüber von Potsdamhafen am 26. Ok- tober 1904 — Finisterre-Gebirge von Friedrich-Wilhelmshafen aus — Rowlinson-Gebirge vom Sattelberg aus. 1 Von den beiden vom botanischen Museum (Hofrat Wettstein) mir zu diesem Zwecke mitgegebenen Kisten ist eine bereits gefüllt. 452 R. Pöch, Typische Vegetationsbilder: Kasuarinen — Mangrove (Rand und Inneres) — Pan- danus — Lianen — Epiphyten — Würger — Kokospalmen im Sturme (enorme Biegung des Stammes) — Graslandschaft (Alangfelder). Geographische und geologische Beobachtungen. Bei den Wanderungen durch Gebiete, von denen noch keine kartographischen Aufnahmen vorhanden sind, wurde ein Itinerar hergestellt mit Hilfe von Kompaß und Schrittzählen. ^ Die Höhenmessungen wurden mit Hilfe eines Aneroids gemacht. Das Hinterland von Potsdamhafen ist gehobener Meeres- boden mit Korallenriffen. Die Höhen erheben sich bis zu 300 w, sie sind fast nur mit Gras bewachsen und das Charakteristische der Bildung, die schmalen Grate und steilen Hänge, kommen dort besonders gut zum Ausdrucke. Das Land ist von Fluß- läufen durchzogen, in der Regenzeit ist die schmale Talsohle ganz von Wasser ausgefüllt. Die meisten dieser Täler haben dieselbe Breite, ungefähr dieselbe Meereshöhe, da das Gefälle gering ist; nur die Verfolgung der einzelnen vielgewundenen Täler im Flußbett gibt Aufschluß über dieses Gewirre. Das Hinterland von Finschhafen besteht aus Koralle, darüber liegt Kreide. Tropfsteinhöhlen kommen vor und Bil- dung von Sinterbecken in den Flußläufen. Außer den beiden oben genannten Gesteinsarten fand ich Keuper, einen Sand- stein, einen roten Lehm und ein Konglomerat. Im Flußbette des Bubui fand ich Quarz — das Hochgebirge an der Quelle (Cromwell) enthält also Urgestein. Gesteinsproben wurden überall mitgenommen. Mein weiterer Reiseplan ist folgender: Da die Linie »Burns, Philp u. Co.'s. ss. Moresby« inzwischen ihre Fahrten nach Deutsch-Neu-Guinea eingestellt hat, bin ich 1 Dies ist auch die von den Landmessern des Gouvernements in diesem schwer zugänglichen Gebiete meist allein geübte Methode. Bericht über eine Reise nach Neu-Guinea. 453 gezwungen, auf dem Umweg über Australien nach dem briti- schen Teile von Neu-Guinea zu gelangen. Ich werde diese Gelegenheit benützen, um, vielleicht in der Umgebung von Brisbane, auch an dem australischen Ureinwohner anthropo- logische Untersuchungen zu machen. Nach dem Besuche von Britisch-Neu-Guinea gedenke ich von Moresby über Thursday-Island nach Meraukee in Hol- ländisch-Neu-Guinea zu gelangen, Fakfak und die Aru-Inseln zu besuchen und über ßatavia, Singapore und Ceylon zurück- zukehren. Namatanai (Neu-Mecklenburg), am 25. März 1905. 455 Darstellung der Orthokieselsäure durch Zersetzung natürlicher Silikate G. Tschermak, w. M. k. Akad. (Mit 2 Textfiguren.) (Vorgelegt in der Sitzung am 6. Juli 1905.) In einer früheren Mitteilung^ wurde angegeben, daß es gelingt, durch Zersetzung mittels Salzsäure aus mehreren Silikaten die Kieselsäure im unveränderten Zustande abzu- scheiden und deren Zusammensetzung zu bestimmen, demnach zu ermitteln, von welcher Säure das untersuchte Silikat ab- zuleiten sei. Damals wurde die Methode nur angedeutet und auf eine künftige Beschreibung derselben hingewiesen. Gegen- wärtig sind die Versuche so weit gediehen, daß die Ergebnisse nicht mehr in der zufälligen, sondern in einer systematischen Folge ausgeführt werden können, die mit den niedriger zu- sammengesetzten Säuren beginnt. Wenn es gelingt, die Kieselsäure aus einem Silikat unter solchen Umständen darzustellen, welche eine Veränderung derselben während ihrer Abscheidung ausschheßen, und wenn die Zusammensetzung derselben ermittelt werden kann, so ist damit die Ableitung jenes Silikates von einer bestimmten Kieselsäure gegeben. In manchen Fällen ist sodann auch die Konstitution des untersuchten Silikates ohneweiters erkennbar, so daß der Bau der Verbindung durch den Versuch klargestellt erscheint. 1 Diese Sitzungsberichte, Bd. 112, Abt. I, p. 355 (1903). 456 G. Tschermak, Die einfachste der hieher gehörigen Verbindungen ist das Hydroxyd SiO^^H^, als Orthokieselsäure bezeichnet, für welche sich SiOg = 62-637o und HgO =: 37-377o berechnen. Dieselbe wird nach der Zersetzung der entsprechenden Minerale als eine gallertartige Masse gewonnen, die sich in einer größeren Menge verdünnter Salzsäure auflöst. Um die Gallerte von der Salzsäure zu befreien, genügt es nicht, dieselbe auf dem Filter auszuwaschen, denn, auch wenn das ablaufende Wasser keine Spur von Chlor mehr erkennen läßt, ist die Kieselgallerte noch nicht rein. Wird dieselbe, mit Wasser bedeckt, im Becherglas stehen gelassen, so gibt das Wasser nach einem Tage wiederum eine deutliche Reaktion auf Chlor. Das Waschen muß daher durch Dekantieren geschehen und längere Zeit fortgesetzt werden, um der Salzsäure die zur Diffusion erforderliche Zeit zu gönnen. Schließlich wird eine vollkommen reine Gallerte gewonnen. Auch nach dem Trocknen und Glühen mit Natriumcarbonat ist keine Spur von Chlor mehr nachweisbar. Nach dem Reinigen enthält die Gallerte eine große Menge mechanisch beigemengten Wassers. Versucht man dieses zu entfernen, so macht man die bekannte Erfahrung, daß die Gallerte allmählich eintrocknet und Tag für Tag an Gewicht verliert, ohne daß ein Stillstand zu bemerken wäre, bis endlich ein glasiges bis pulveriges Produkt entstanden ist, das beim Glühen bloß eine geringe Menge Wasser abgibt. Die Ortho- kieselsäure ist eben sehr unbeständig, indem sie an trockene Luft beständig Wasser abgibt und sich in ein Gemisch von wasserstoffärmeren Säuren verwandelt. Im lufttrockenen Zu- stand ist das Produkt längst keine Orthokieselsäure mehr, sondern besteht aus einem Gemenge anderer Hydroxyde. Die Zusammensetzung der Säure im Entstehungszustande läßt sich demnach nur so ermitteln, daß der Wasserstoffgehalt für jenen Moment bestimmt wird, da die Orthokieselsäure das mechanisch beigemengte Wasser verloren hat und eben beginnt, den chemisch gebundenen Wasserstoff in Form von Wasser- dampf abzugeben. Dies kann so erreicht werden, daß die gereinigte Kiesel- säure samt etwas Wasser in eine Glasschale getan und an Darstellung der Orthokieselsäure. 457 einem Orte von ziemlich gleichbleibender Temperatur ein- trocknen gelassen wird, wobei von dem Zeitpunkt an, da der Wasserspiegel verschwunden ist, in gleichen Zeitintervallen Wägungen vorgenommen werden. Bei meinen Versuchen wurde täglich einmal zu genau derselben Zeit gewogen. Werden die durch Längen ausgedrückten Zeiten als Abszissen, die Gewichte als Ordinaten aufgetragen, so geben diese in ihren Endpunkten die Trocknungskurve an. Der Verlauf dieser Kurve ist ein stetiger, solange die Abgabe des mechanisch beigemengten Wassers dauert. Nach Beendigung dieses Vorganges tritt ein Gefällsbruch, ein Knick- punkt der Kurve ein, indem von jetzt an der Austritt von Wasser aus der chemischen Verbindung stattfindet, welcher für die gleichen Zeiträume in einem geringeren Betrage erfolgt. Der erste Teil der Kurve, die Entwässerungskurve, hat bei den weiter anzuführenden Versuchen einen steilen, der zweite Teil, die Umwandlungskurve, einen flachen Abfall (Fig. 1). Der Knickpunkt könnte durch Anwendung einer registrie- renden Wage fixiert werden. Wenn, wie bei meinen Versuchen, eine solche nicht zu Gebote steht, so läßt sich das Gewicht beim Knickpunkt annähernd genau durch Rechnung ermitteln. Den Eintritt des Gefällbruches erkennt man sowohl nach Konstruktion der Trocknungskurve als auch durch Verfolgung der Differenzen der täglichen Gewichte. Ein Beispiel geben die Zahlen, welche die aus Kieselzinkerz erhaltene Säure durch acht aufeinanderfolgende Tage lieferte. Die Gewichte sind in Milligrammen angegeben, die Differenzen in zweiter Zeile zugesetzt: 4703 3407 2227 1381 1171 1136 1116 1296 1180 846 210 35 20. Hier zeigt der plötzliche Abfall der Differenzen von 846 auf 210, daß der Gefällsbruch zwischen den Gewichten 1381 und 1171 stattfindet. Die Konstruktion (Fig. 1) zeigt, daß der hier eintretende Knickpunkt der Durchschnitt zweier flach gekrümmter Kurven ist, von denen die eine durch die Beob- achtungspunkte vor dem Knickpunkt gelegt werden kann, während die zweite durch die Punkte nach demselben läuft. Sitzb. d. mathem.-naturw. Kl.; CXIV. Bd., Abt. I. 31 458 G. Tschermak, Man kann für die erste und die zweite Kurve je eine Gleichung zweiten Grades aufstellen, in welcher die Gewichte als Funktionen der Zeit erscheinen, und durch Gleichstellung der Zeit in diesen beiden einen Ausdruck für das Gewicht beim Knickpunkt gewinnen. Die entsprechende Rechnung ist jedoch etwas langwierig, ohne die Mühe zu lohnen, weil die iJOO . 2000 1500 iJ)O0 Fig. 1. Versuche nicht so genau sind, als bei dieser Art der Rechnung vorausgesetzt wird. Das trocknende Produkt behält immer eine wenngleich nicht beträchtliche Menge hygroskopischen Wassers und die Schwankungen im atmosphärischen Dampf- druck wirken störend auf das Resultat der Wägung, ebenso der Umstand, daß beim Trocknen sich die Oberfläche des Präparates durch Zerspringen desselben ändert, endlich dadurch, Darstellung der Orthokieselsäure. 459 daß das Trocknen keineswegs mit der vorausgesetzten Gleich- förmigkeit sich vollzieht. Angesichts dieser zahh-eichen Fehler- quellen ist eine große Genauigkeit des Resultates nicht zu Fisr. 2. erwarten, daher eine annähernde Berechnung des Durch- schnittspunktes beider Kurven genügt. Diese folgt daraus, daß nur die zwei Beobachtungen vor und die zwei nach dem Knickpunkt benützt werden, welche je eine Gerade liefern, die sich nahe dem wahren Knickpunkt schneiden (Fig. 2). Werden die genannten vier Gewichte mit ixy <^2' ^3' ^4 bezeichnet, die Differenzen ^1—^2 = ^' ^i—S%— ^ ^3 — g^ = c gesetzt, so ist die Gleichung der ersten Geraden: g-i% — Reconocimiento de la presencia del primer piso mediterraneo en el Panades« hervorgehoben, da in den folgenden Ausführungen vielfach auf dieselbe Bezug genommen werden muß. 468 R. Hoernes, Ich hatte diesen Entschluß in keiner Weise zu bereuen. Von Seite des um die Untersuchung der geologischen Verhält- nisse Kataloniens so hochverdienten Herrn Kanonikus Dr. Jaime Almera wurde ich in freundlichster und entgegen- kommendster Weise aufgenommen und besichtigte vor allem unter seiner liebenswürdigen Führung die reichen Sammlungen, welche er im Seminario, an dem er als Professor wirkt, zu Stande gebracht hat. Neben ausgedehnten Suiten der älteren, paläozoischen und mesozoischen Ablagerungen Kataloniens finden sich im Museum des Seminario solche der eozänen, oligo- zänen, miozänen, pliozänen und pleistozänen Gebilde, welche durch ihren Reichtum wie durch ihre gute Anordnung über- raschen. Das Museo Martorell im Parque de la Cindadela ent- hält wohl eine sehr ausgedehnte und schöne stratigraphische Sammlung auswärtiger Suiten, welche nur durch wenige, besonders schöne Vorkommnisse katatonischer Provenienz ergänzt wird; die letzteren sind zumeist Geschenke des Herrn Arturo Bofill, welcher neben Almera an der paleontologischen Untersuchung der Tertiärablagerungen der Umgebung von Barcelona in hervorragender Weise sich beteiligte. Das Museo Martorell und die Sammlungen Almera's im Seminario er- gänzen sich daher gewissermassen, und bei Besichtigung der letzteren unter freundlicher Erklärung Almera's konnte ich mich am besten über die Dinge orientieren, die ich dann im Terrain aufzusuchen hatte. Auch für die zweckentsprechende Ausführung meiner Exkursionen sorgte Almera in der liebens- würdigsten Weise, indem er mich teils selbst geleitete, teils durch seinen Assistenten, Herrn Laura, und seine Schüler führen ließ, endlich auch durch Mitgabe seines Dieners, welcher ihn gewöhnlich bei den eigenen geologischen Untersuchungen begleitete, die Fundorte gut kannte und mir daher beim Besuche derselben wie beim Aufsammeln von Versteinerungen ganz vorzügliche Dienste leistete. Von meinen Exkursionen möchte ich zunächst diejenige anführen, welche ich in Gesellschaft Almera's in das Eozän- gebiet von Vieh nördlich von Barcelona unternahm, um auch die marine Vertretung des katatonischen Eozän kennen zu lernen. Die dortigen Eozänablagerungen sind zwar sehr reich Tertiärgebilde des westlichen Mittelmeergebietes. 469 an Versteinerungen, doch läßt der Erhaltungszustand derselben manches zu wünschen. Bemerkenswert erscheint mir, daß ich im marinen Mitteleozän der Lokalität Cänova's bei San Julian de Vilatorta eine ziemliche Anzahl von Wirbeltier- resten fand. Auf den mit großen Exemplaren der Neritina (Velates) Schmideliana bedeckten Schichtflächen lagen zerstreut große Rippen, welche durch ihre Krümmung, ihren ovalen Querschnitt und ihre dichte Struktur die Zugehörigkeit zu Seesäugetieren vom Typus des HalUherintn bekundeten. Ich begnügte mich, die lose herumliegenden Stücke aufzusammeln und ließ drei der größten Rippen unangetastet, da ihre Ge- winnung in unversehrtem Zustande nur durch Anwendung von größeren Brecheisen möglich gewesen wäre. Die größte dieser Rippen erreichte, in der Sehne des Bogens gemessen, eine Länge von 33 cm. Ich machte ferner einen Ausflug auf den Montserrat, welcher mich über die gewaltige Mächtigkeit der oligozänen Konglomerate orientierte, die ungeheure Steilwände bilden und auf den Zinnen des Berges in isolierten Felstürmen emporragen, den bis 100;^ hohen Pefiascos, die mit mannigfachen Namen bezeichnet werden (Caball bernat, Rocas de San Antonio, Dedos oder Procession de Monjes u. s. w.). Eine weitere Exkursion führte mich nach Papiol und gab mir Gelegenheit, bei Castell Bisbai die diskordant auf älteren Binnenablagerungen ruhenden pliozänen Süßwasserschichten mit zahlreichen kleinen Dreisseiisien, Cardien, Melanopsis, Melania und Neritina kennen zu lernen, welche keineswegs als Vertretung der pontischen Stufe, sondern als Äquivalent der jüngeren, pliozänen Süß- wasserablagerungen des südlichen Frankreichs, von Theziers u. s. w. zu betrachten sind, während die pontische Stufe in Katalonien sowie in der Gegend von Cucuron durch terrestre Bildungen mit Helix, Cyclostoma und Hippavion gracile ver- treten ist. Bei Papiol selbst fand ich Gelegenheit zu Aufsamm- lungen in den ungemein versteinerungsreichen marinen Pliozän- ablagerungen, welche durch die Schilderungen Almera's^ 1 Descripciön de los terrenos pliocenicos del bujo Llobregat y contornos de Barcelona, p. 33. 470 R. Hoernes, und Deperet's^ hinlänglich bekannt sind. Die Fauna dieser pliozänen Meeresbildungen stimmt sehr genau mit jener der südfranzösischen, gleichzeitigen Ablagerungen des Rhonetales überein. Die wichtigste der von Barcelona aus unternommenen Exkursionen war für mich jedenfalls jene nach Panades, welche mehrere Tage in Anspruch nahm und jenes durch Almera's Untersuchungen klassisch gewordene Gebiet zum Gegenstande hatte, in welchem derselbe in unzweifelhafter Weise die Übereinanderfolge der beiden miozänen Mediterran- stufen nachgewiesen hat. Die Gegner der Unterscheidung der beiden miozänen Mediterranstufen sind bei uns in Österreich schon sehr zusammengeschmolzen und, wie es scheint, hält dermalen nur mehr F. Toula in seinem Lehrbuch der Geologie an der seinerzeit durch A. Bittner und E. Tietze mit so großem Eifer und so scharfsinnigen Deutungen vertretenen Ansicht fest, daß die Unterschiede der beiden Stufen nicht so- wohl auf Altersverschiedenheit, als auf mannigfache Fazies- verhältnisse zurückzuführen seien. Sollte es noch weiterer Aus- emandersetzungen über diese, wie mir scheint, endgültig zu Gunsten der Sueß'schen Gliederung entschiedene Frage be- dürfen, so wäre mit Nachdruck darauf hinzuweisen, daß die von Almera auf das sorgfältigste studierten Profile des Gebietes von Panades die Überlagerung des Burdigalien durch das Vindobonien mit derselben Sicherheit erkennen lassen, wie das so oft als Beweis hiefür angeführte Profil von St. Paul-Trois- Chäteaux im Rhonetal. Sie liefern eine vollgültige Bestätigung der Ausführungen Deperet's über die Gliederung der euro- päischen Miozänabjagerungen,- welche Almera mit Recht zur 1 Im >Boletin de la Comision del Mapa geologico de Espana« T. XXVII, Madrid 1903 findet sich ein ausführlicher Bericht i.iber die >Excursiones de la sociedad geolögica de Francia 1894« (Wiedergabe der im Bulletin der Societe geologique de France über diese Ii.\kursion veröffentlichten Darstellung), in welchem unter anderem auch der Ausflug nach Castell bisbay und Papial ein- gehend geschildert wird; p. 306 u. ff. findet sich eine zusammenfassende Dar- stellung >Los terrenos neogenos de Barcelona« von Ch. Deperet. 2 Charles Deperet: La Classification et le parallelisme du Systeme miocene de l'Europe. Bulletin de la Societe geologique de France, 3e Ser., T. XXI. Tertiärgebilde des westliclien Mittelmeergebietes. 47 1 Basis seiner Vergleichung der katalonischen Neogenbildungen mit den auswärtigen Vorkommnissen — vor allem des Wiener Beckens — gemacht hat. Ich habe in der Gegend von Panades zunächst das Profil von San Pau de Ordal begangen, welches Almera so ein- gehend geschildert hat.^ Ich freue mich, feststellen zu können, daß ich die tatsächlich zu beobachtenden Verhältnisse dieses wichtigen Profiles, ebenso wie jene des später besuchten Durch- schnittes des Torrente Monjos"' vollkommen überein- stimmend mit den Darstellungen Almera's fand. Ich vermag nur in einer Hinsicht mit den von ihm seinerzeit gegebenen Deutungen nicht übereinzustimmen, nämlich hinsichtlich der im obersten Teile des Profiles von San Pau de Ordal bei Casa Vendrell auftretenden Schichten, in welchen Almera ein Äquivalent unserer sarmatischen Stufe mit bezeichnenden Conchylien derselben erkennen wollte.^ Ich habe mich weder bei Besichtigung der Sammlungen des Seminario, noch später an der kritischen Stelle im Terrain davon überzeugen können, daß hier tatsächlich sarmatische Schichten vorhanden sind. Die als Mactra podolica und Ervilia podolica angeführten Reste sind zweifelhafter Natur; es handelt sich um kleine, sehr un- vollkommen, in einem schiefrigen Tegel erhaltene Zweischaler, an welchen außer dem allgemeinen Umriß des Gehäuses kaum etwas zu sehen ist. Zumal die Details des Schloßbaues entziehen sich der Untersuchung. Ich getraue mich unter diesen Um- ständen nicht, die fraglichen Reste auf bestimmte Arten, zumal nicht auf die genannten, für die sarmatische Stufe bezeich- nenden Formen zurückzuführen, von welchen sie mir im Gegenteil verschieden zu sein scheinen. Ich befinde mich in 1 Vergl.: »Corte de San Sadurnie de Noya d San Pau de OrdaU bei Almera, a. o. c. 0., p. 26 bis 37. 2 Vergl.: »Corte de la Vall ä Sarmontä de San Marti Sarroca'< a. a. O., p. 19 bis 23. 3 Almera, a. a. 0., p. 42. Desgl. Ch. Deperet: »Los terrenos neögenos de Barcelona« im Boletin de la comision del Mapa geologico de Espana, T. XXVII, Madrid 1903 und die auf die »sarmatischen Ablagerungen« Bezug nehmende Stelle in dem Berichte »Los excursiones de la sociedad geolögica de Francia«. a. a. 0., p. 220 und 221. 472 R. Hoernes, dieser Hinsicht in Übereinstimmung mit Herrn Arturo Bofill, welcher, wie er mir mündlich mitteilte, sich auch nicht von der Zugehörigkeit der fraglichen Reste zu den sarmatischen Arten überzeugen konnte. Auf das Auftreten von Cerithien, wie sie in einiger Entfernung von der Casa Vendrell, in der Vigna del Guilera, in Menge vorkommen, kann kein besonderes Gewicht gelegt werden. Die vielgestaltigen Potamides aus der Gruppe des Cerithhmi pictum Bast, gehen vom Aquitanien bis in die sarmatische Stufe hinauf. Diese negativen, doch nur einen Zweifel an der sarmatischen Natur der fraglichen Schichten begründenden Tatsachen werden aber auch durch positive Umstände ergänzt, welche mit Bestimmtheit dartun, daß bei Casa Vendrell lediglich Schichten der zweiten Mediterranstufe vorliegen. Ich beobachtete in Übereinstimmung mit den dies- bezüglich schon von Almera und Deperet gemachten An- gaben das Vorkommen zahlreicher echt mariner Versteine- rungen in den fraglichen Schichten. Almera selbst äußerte sich über den Gegenstand mir gegenüber dahin, er sei selbst nicht mehr der Ansicht, daß die fraglichen Schichten, wie er früher meinte, der sarmatischen Stufe des Wiener Beckens ent- sprächen, es handle sich wohl nur um brackische Einlagerungen in den oberen Schichten des Tortonien. Es schien mir jedoch notwendig, dieses Fehlen echt sarmatischer Schichten bei San Pau deOrdal zu betonen, da dieses Vorkommens häufiger in der Literatur gedacht wird als desjenigen, welches im Gebiete des westlichen Mittelmeeres mit größerer Sicherheit das Auf- treten sarmatischer Schichten festzustellen gestattet, als dies auf den Balearen und in Andalusien der Fall sei. Es mag dies- bezüglich an die Bemerkungen A. de Lapparent's über das Vorkommen der sarmaüschen Stufe in Spanien erinnert werden. Er sagt:^ »Peut-etre faut-il rapporter au sarmatien pres de Barcelone un depöt marno-arenace k Cerithium pictum et Mactra podolica, qui d'ailleurs est plus franchement marin que le sarmatien oriental«. — »Le sarmatien est represente en Andalousie par de cailloutis, avec lits de calcaire ä Cerithium vulgatum et C mitrale«. — »Des couches ä petites cerithes, 1 A. de Lapparent: Traite de geologie, lle ed., t. IIT (1900), p. 1545. Tertiärgebilde des westlichen Mittelmeergebietes. 473 peut-etre sarmatiennes recouvrent aux Baleares les marnes ä Ostrea crassissima«. — Auf die Frage nach dem \'orkommen sarmatischer Schichten auf den Balearen und in Andalusien werde ich selbstverständlich erst nach Besuch dieser Gebiete zurückzukommen haben. Hinsichtlich der Neogenablagerungen von Panades habe ich den ungemeinen Reichtum an Versteinerungen her- vorzuheben, den sie darbieten und von dem ich mich bei meinen Exkursionen überzeugen konnte. Das Burdigalien der Ge- gend vonMonjös enthält vor allem m Menge Pecten praes- cabrntsctüus Font, und zahlreiche andere Pectines — vor allem, die ausgezeichnete Varietät catalaunica des P. praes- cahrmscithis — welche J. Almera und A. Bofill geschildert haben. ^ Einen ungemeinen Reichtum an mannigfachen Ver- steinerungen bieten sodann die Schichten mit Schizaster Scillae (Desm.) Desor derselben Gegend dar. Die an der oberen Grenze des Burdigalien liegenden Sandsteine mit der großen Sciitella lusitanica Loriol bergen zumal in der tief ein- gerissenen steilwandigen Schlucht des Torrente Laverncj bei San Sadurni de Noya eine große Menge von Austern und Anomien neben den tellergroßen Scutellen, welche so häufig vorkommen, daß man geradezu von einem Scutellensandstein sprechen kann. Hervorzuheben ist auch die innige Verknüpfung und der allmähliche petrographische und paläontologische Über- gang in die nun folgende, hauptsächlich dui'ch mergelige Ge- steine vertretene Stufe des Vindobonien. Das bezeichnendste Fossil ist hier Pereivaia Gevvaisi Vez. und die begleitende Fauna ist im wesentlichen dieselbe, wie in den PereiraiaScmcYiien Unterkrains, welche Vinzenz Hilber geschildert hat. Der Reichtum an mannigfachen Versteinerungen, zumal an Pleur- otomen ist jedoch bei San Pau de Ordal ein ungleich größerer wie ein Vergleich der von Almera veröffentlichten Liste- mit der von Hilber gegebenen Aufzählung zeigt. Sehr viele und 1 Jaime Almera y Arturo Bofil 1 : Monografia de las especies del Genero Pecten del Burdigalense superior etc. Memorias de !a Real Academia de Ciencias y Artes de Barcelona 1896. 2 Almera, 1. c. p. 32 bis 35. Sitzb. d. mathem.-naturw. Kl. ; CXIV. Bd. ; Abt. I. 32 474 R. Hoernes, gerade die häufigsten Arten sind beiden Ablagerungen gemein- sam. Für die PereirataSchichten Cataloniens sind auch zwei recht häufig vorkommende große Conchylien bezeichnend: Lucina wiiocenica Micheti var. Catalaumca und Rostellaria Dordariensis Almera et Bofill. Leider haben die blauen Mergel der catalonischen Pereira'iaSchxchien ziemliche Härte und Schieferstruktur, während die eingeschlossenen Conchylien häufig mehr oder minder zerdrückt und zerbrochen sind, so daß die Aufsammlung vollständiger Exemplare der großen, bezeichnenden Formen der Gattungen Pereiraia, Rostellaria und Lticina schwer möglich ist. Almera gliedert die P^mr^üz-Schichten von Panades in drei Unterabteilungen, welche allerdings durch den Wechsel des Gesteincharakters und manche palaeontologische Ver- hältnisse Unterschiede aufweisen. Die unterste und oberste Ab- teilung sind vorherrschend durch Mergel vertreten, die mittlere ist mehr kalkig und sandig, sie enthält mehrfache Einschaltungen von Lithothamnienbänken, welche unserem Leithakalk in hohem Grade ähneln. Die dritte Abteilung ist nach den von Almera mitgeteilten Listen weitaus die reichste an mannig- fachen Versteinerungen; ich hatte auch auf dem Grunde des Tales von San Pau deOrdal in den betreffenden Aufschlüssen Gelegenheit, mich durch den Augenschein von diesem Reich- tum zu überzeugen. Almera weist die untere Abteilung dem Helvetien S. stricto, die obere hingegen dem Tortonien zu; hierüber wie über die von ihm mit den österreichischen Gliedern der zweiten Mediterranstufe gezogenenen Parallelen wäre manches zu sagen, doch kann ein Eingehen auf diese Einzel- heiten ohne Wiedergabe des Almera'schen Profiles von San Pau de Ordal und ohne Dikussion der Fossillisten nicht wohl erfolgen und muß dies daher einer späteren Erörterung vor- behalten bleiben. Dem isoliert aus der Ebene des Llobregat bis zu einer Seehöhe von 230 in aufsteigenden, Barcelona beherrschenden und von einem Fort gekrönten Montjuich wurde besondere Aufmerksamkeit zugewendet, da seine Flanken durch große Steinbrüche aufgeschlossen sind, welche den größten Teil des Steinmateriales für die Bauten Barcelonas geliefert haben. Das Teitiärgebilde des westlichen Mittelmeergebietes. 475 Gestein ist ein harter, quarziger, stellenweise in ein grobes Konglomerat übergehender Sandstein. Beim Betrachten ein- zelner Handsti^icke würde man sicher geneigt sein, diesen festen, buntgefärbten, meist aber braunroten Sandstein einer viel älteren Formation zuzuweisen; in der Tat gehören die Ablagerungen aber der zweiten Mediterranstufe an. In den Steinbrüchen in der Nähe des Cementerio del Oeste, zu welchen mich Herr Assistent Laura geleitete, hatte ich Ge- legenheit, mich von dem Vorkommen zahlreicher Versteinerun- gen zu überzeugen, welche zum größeren Teile mit jenen der Pereira'ia-Schichten von Panades übereinstimmen. Am häufig- sten ist unter ihnen wohl Tiirritella rotifera Desh., ferner kommen Austern (zumal Ostrea crassissima) und Pectines, ferner zahlreiche andere Muscheln und Schnecken (diese jedoch meist nur in Hohldrücken und Steinkernen), endlich auch Balanen in Menge vor. Manche der bezeichnendsten Formen der reichen Fauna des Montj uich wie Cardita Jonanneti var. leviplana und den in besonders großen Exemplaren sich finden- den Pechutcuhis pilosus u. a. m. konnte ich allerdings nur in der Sammlung des Seminario in zahlreichen schönen Stücken betrachten. An einem schönen Sonntagnachmittag — es war der 28. Mai — nahm ich an einer Exkursion teil, welche Dr. Jaime Almera mit seinen Hörern und Freunden nach Moncada nördlich von Barcelona ausführte. Wir besuchten dabei zuerst die aus cambrischen und silurischen Schichten bestehende Höhe, welche die Burgruine Moncada trägt und hatten dabei Gelegenheit, mehrere Niveaus von Graptolithenschiefern zu sehen. Dann wandten wir uns den letzten Aufschlüssen der marinen Ablagerungen des Vindobonien zu, welche die Um- gebung von Barcelona in nordöstlicher Richtung darbietet. Sie liegen in kleinen Einschnitten der Bahn nächst der Station Moncada-Ripollet. In einem hellen, an die zerreiblichen Gesteine des heimischen Leithakalkniveaus erinnernden kalkig- sandigen Mergel fanden sich hier Steinkerne und Abdrücke verschiedener Turrit eil a- Arten, dann solche von Venus, Cy- therea, Cardmm. Cerithiimi u. s. w. Nächst dem Bahnhofe 32* 476 R. Hoernes, Tertiärgebilde des westlichen Mittelmeeres. Moncada-Ripollet treten in diesem Niveau auch Einschaltun- gen von Mergeln mit Pflanzenresten auf. Es mag von Interesse sein, festzustellen, daß an diesem Ausfluge 46 Personen teilnahmen, teils gegenwärtige, teils frühere Eleven des Seminario, dann mehrere ältere Freunde der Geologie. Almera hat in diesem Jahre, wie er mir mitteilte, einen Kursus über Geologie gehalten, an welchem an hundert Hörer teilnahmen. So darf wohl der zuversichtlichen Hoffnung Ausdruck gegeben werden, daß die ausgezeichnete geologische Schule Barcelonas nicht aussterben wird; die Universität Barcelona aber ist allerdings an diesen erfreulichen Verhält- nissen gänzlich unbeteiligt, denn sie besitzt heute noch eine einzige Lehrkanzel für das Gesamtgebiet der Natur- geschichte, ein Zustand, der lebhaft an denjenigen der vor- märzlichen Hochschulen Österreichs erinnert. 477 Über korrelative Transpiration mit Haupt- rüeksieht auf Anisophyllie und Phototrophie (Vorläufige Mitteilung) von J. Wiesner, w. M. k. Akad. (iMit 2 Tafeln.) (Vorgelegt in der Sitzung am 6. Juli 1905.) Vorbemerkung. Der Zweck der vorliegenden kleinen Abhandlung besteht darin, an der Hand einiger Versuchsreihen und unter Rück- sichtnahme auf einige ältere, von mir schon früher veröffent- lichten Beobachtungen, ferner auf Grund der Angaben einiger anderer Forscher zu zeigen, daß die in der Pflanze durch Transpiration hervorgerufene VVasserbsvvegung nicht immer, wie derzeit wohl fast allgemein angenommen wird, den Charakter des >>aufsteigenden Wasserstroms -< (»Transpirationsstrom«) an sich trägt, sondern daß bei ungleicher Transpiration auch anderweitige Verschiebungen des Wassers in der Pflanze statt- haben. Da diese durch ungleiche Transpiration hervorgerufenen Wasserverschiebungen bestimmte Gestaltänderungen und be- stimmte Funktionen im Gefolge haben, so fasse ich diesen ganzen Erscheinungskomplex als korrelative Transpira- tion zusammen. Es wird hiedurch, wie ich meine, ein neues weites Arbeits- feld im Gebiete der Transpiration und der Anpassungslehre eröffnet, auf welches ich hier, allerdings unter Zugrundelegung bestimmter Tatsachen, bloß hindeuten will, weshalb ich diese 478 J. Wiesner, kleine Schrift im Gewände einer vorläufigen Mitteilung der Öffentlichkeit übergebe. I. Ich beginne meine Darstellung mit der Beschreibung eines sehr einfachen Versuches, dessen Resultat den meisten Pflanzen- physiologen geradezu paradox erscheinen dürfte. Junge, in Entwicklung begriffene, vertikal aufgewachsene Sprosse der Roßkastanie wurden in nassen Sand gesetzt oder mit den Schnittenden der Zweige in Wasser gehalten und an einem Südfenster so aufgestellt, daß die Hälfte der Blätter genau im Meridian zu stehen kam: ein Viertel der Blätter war der stärksten Sonnenbeleuchtung ausgesetzt, ein anderes Viertel lag mehr oder minder im Schatten der besonnten Blätter. Die andere Hälfte des Laubes war so gelegen, daß die Blätter paarweise der gleichen Beleuchtung ausgesetzt waren. Es standen also die aufeinander folgenden Blattpaare in der Weise, daß die Blätter des einen Paares einer ungleichen, die des anderen einer gleichen Beleuchtung ausgesetzt waren. Alle Blätter der in Verwendung gestandenen Sprosse waren noch unvollständig entwickelt. Die am meisten aus- gebildeten Blätter hatten erst eine Länge von 8 bis 10 cm erreicht. Der Sand, in welchem die Sprosse standen, wurde stets stark nass erhalten. Die Sprosse entwickelten sich unter diesen Verhältnissen in 8 bis 14 Tagen ziemlich gut weiter. Während der Mittagszeit, aber auch vorher und nachher starker Sonnenwirkung ausgesetzt — die Versuche wurden von Ende April bis Ende Juni fortgeführt — zeigte das Laub nun ein merkwürdiges Verhalten, indem gerade diejenigen Blätter, welche der stärksten Sonnenwirkung ausgesetzt waren (die nach Süden gerichteten), sich am kräftigsten entwickelten, während die am schwächsten beleuchteten am meisten zurück- blieben, alsbald zu welken begannen und später sogar ver- trockneten. Von vornherein wäre zu vermuten gewesen, daß die so stark besonnten Südblätter zuerst verwelken und daß die im Schatten stehenden am längsten frisch bleiben müßten. Allein, wie oft auch der Versuch wiederholt wurde, es zeigte sich stets dasselbe: Die am stärksten besonnten Blätter über korrelative Transpiration. 479 (ich nenne sie im nachfolgenden kurz »Sonnenblätter«) ent- wickelten sich am kräftigsten, während die gleich alten, relativ \'iel schwächer beleuchteten (ich nenne sie im nachfolgenden »Schattenblätter«) in der Entwicklung zurückblieben, verwelkten und endlich vertrock- neten. Doch auch jene Blattpaare, deren Blätter, rechts oder links stehend, gleichen Beleuchtungsverhältnissen ausgesetzt waren, boten ein Verhalten dar, welches nicht minder paradox erscheinen dürfte als das der ungleich beleuchteten, gleich- alterigen Blätter. Es zeigte sich nämlich an den gleichalterigen und in gleichem Maße beleuchteten Blättern, daß die vorderen, stark besonnten Blättchen frisch blieben, kräftiger wuchsen als die rückwärtigen, schwach beleuchteten Blättchen; die letzteren blieben im Wachstum zurück, verwelkten, begannen zu ver- trocknen und lösten sich von den gemeinschaftlichen Blatt- stielen organisch los, während die vorderen Blätter noch ganz frisch erschienen. Diese Versuche wurden in verschiedener Weise abgeändert. Zunächst wurde der Unterschied in der Beleuchtung zwischen den nach Süd und Nord gewendeten Blättern gleichen Alters in dem Sinne geändert, daß die letzteren durch Schirme stark abgeblendet wurden. Sie erhielten gar kein Sonnenlicht und standen infolge der Beschirmung in einem sehr schwachen diffusen Lichte. Es zeigte sich nun, daß die so künstlich beschatteten Blätter noch früher welkten, vertrockneten und abfielen als die unabgeblendeten. Ich bemerke noch, daß nach dem Abfallen der Schatten- blätter die Sonnenblätter alsbald zu welken und abzutrocknen begannen und später gleichfalls abfielen. Ich werde weiter unten eine ausreichende Erklärung dieser Erscheinung geben. Eine andere Abänderung der Versuchsanstellung bestand darin, daß ich Seiten sprosse in Verwendung nahm, welche schon in dem frühen Entwicklungsstadium, in welchem ich sie benützte, den anisophyllen Charakter an sich trugen. Ein Teil dieser Sprosse wurde, gleichfalls mit dem unteren Sproßende in feuchtem Sande oder im Wasser, so aufgestellt, daß die größeren Blätter der anisophyllen Paare nach Süden gekehrt waren. Es 480 J. Wiesner, trat dieselbe Erscheinung wie in der oben mitgeteilten Ver- suchsreihe ein, nur mit dem Unterschiede, daß die (kleinen) Schattenblätter noch rascher verwelkten, vertrockneten und abfielen als in der früheren Versuchsreihe. In anderen Fällen wurden die Sprosse so orientiert, daß die kleinen Blätter der anisophyllen Paare nach Süd gerichtet wurden. Es trat eine Umkehrung der ursprünglichen Anisophyllie ein und Hand in Hand damit stellte sich, aber relativ spät, ein Ver- welken der Schattenblätter ein. Später vertrockneten die an- fänglich größeren Blätter der Blattpaare, worauf wie immer ein Vertrocknen und endlich eine Ablösung der Schatten- blätter folgte. Es wurde also in meinen Versuchen Anisophyllie onto- genetisch, nämlich unter den äußeren Bedingungen der Ent- wicklung, hervorgerufen: bei den isophyllen, vertikal auf- gewachsenen Sprossen trat später Anisophyllie ein, bei den anisophyllen konnte durch passende Aufstellung, nämlich durch Änderung der Beleuchtung, wie wir gesehen haben, eine Um- kehrung der Anisophyllie zu stände gebracht werden. Inwieweit die hier vorgeführten Erscheinungen zur Er- klärung der Anisophyllie herangezogen werden können, will ich, soweit dies in dieser kurzen vorliegenden vorläufigen Mit- teilung möglich ist, weiter unten zu prüfen versuchen. In den vorstehenden Zeilen wollte ich nur die Erscheinung selbst und, mit bestimmter Absicht, ihren scheinbar paradoxen Charakter in den Vordergrund stellen. In derselben Absicht führe ich noch eine verwandte Er- scheinung vor, welche gleichfalls, mit den Augen vieler Pfianzen- physiologen gesehen, paradox erscheint. Ich meine die von mir vor Jahren konstatierte Erscheinung des Welkens von Sproßgipfeln unter Wasser.^ Gelegentlich meiner Ausführungen über den absteigenden Wasserstrom- habe ich die genannte Erscheinung genau beschrieben und an der Weinrebe erläutert. Ich zeigte nämlich folgendes: Wenn man einen Sproßgipfel des Weinstockes, von den übrigen Teilen 1 Diese Sitzungsberichte, Bd. 86 (1882). 2 Botan. Zeitung, 1889, p. 1 ff. über korrelative Transpiration. 481 getrennt, unter Wasser liegen läßt, so wird er alsbald turgeszent, und zwar in hohem Grade. Taucht man nun einen reich- beblätterten Sproß der Weinrebe mit dem Gipfel unter Wasser, während die Blätter transpirieren, so wird der Sproßgipfel mehr oder weniger rasch und mehr oder weniger stark welk. Das Welkwerden tritt am raschesten und am stärksten ein, wenn das transpirierende Laub der Sonne ausgesetzt wird. In kürzester Zeit wird der Sproßgipfel unter Wasser welk, nämlich völlig schlaff. IL Warum tritt uns diese Erscheinung und auch die oben geschilderte als ein förmliches Paradoxon ent- gegen? Offenbar, weil unser Wissen über die innerhalb der Pflanze vor sich gehende Wasserbewegung bei der Transpira- tion ein noch sehr lückenhaftes ist und wir die genannten Erscheinungen in das landläufige Schema der in der Pflanze stattfindenden Wasserbewegung nicht einreihen können. Wir kennen nur den gewöhnlichsten Fall, daß nämlich das Blatt aus dem Holzkörper das Wasser bei der Transpiration aus der Tiefe emporhebt, wohin es aus dem Boden gekommen ist. Diesen gewöhnlichen Fall nimmt man als den allein existie- renden an und darum erscheint es uns paradox, daß der Sproßgipfel eines stark transpirierenden Sprosses unter Wasser welkt, hier, wo das durch Verdunstung die Pflanze verlassende Wasser tatsächlich vom Gipfel nach unten geleitet und dem Gipfel durch die tiefer stehenden transpirierenden Organe ent- rissen wird. Und es erscheint uns paradox, daß von zwei gleichalterigen Blättern das im Schatten stehende früher welkt als das der glühenden Sonnenhitze ausgesetzte, weil wir nicht daran denken, daß das stärker transpirierende sein Wasser auch von einem schwächer transpirierenden beziehen kann und dieses welkt nicht infolge stärkerer Wasserabgabe nach außen, sondern weil ihm das Wasser durch ein stärker ver- dunstendes Organ entrissen wird, ähnlich so, wie dem Sproß- gipfel durch tiefer situierte Blätter Wasser entzogen werden kann. 482 J. Wiesner, Es ist hier schon ausgedrückt, wie die oben mitgeteilten Versuche zu deuten sind: daß nämUch ersthch von den beiden gleich alten Blättern eines Paares, von welchen das eine starker Sonnenbestrahlung ausgesetzt ist, das andere in einem viel schwächeren Lichte sich befindet, das erstere dem letzteren das Wasser entzieht. Daß das Sonnenblatt dem Schattenblatt Wasser entzieht, geht nicht nur aus dem schon mitgeteilten Resultat des Versuches hervor, sondern ergibt sich auch aus der Tatsache, daß das der Sonnenwirkung ausgesetzte Blatt alsbald durch Vertrocknung zu Grunde geht, wenn das Schatten- blatt vertrocknet oder gar schon abgefallen ist. Ja, bei auf- merksamer Beobachtung kann es nicht entgehen, daß das Sonnenblatt sein Wachstum einstellt, wenn das Schattenblatt ins Stadium des starken Welkens getreten ist. Hingegen läßt sich das Sonnenblatt noch lange im Wachstum unterhalten, wenn man das Schattenblatt unter Wasser hält. Wenn man das Sonnenblatt bei hohem Sonnenstande zwingt, seine Fläche in senkrechter Lage den Sonnenstrahlen darzubieten, kann es sogar vorkommen, daß das unter Wasser gehaltene Schatten- blatt Anzeichen des Welkens darbietet. Die enorm starke Transpiration von grünen Organen, welche intensivem Sonnenhchte ausgesetzt sind, wird verständ- lich, wenn man sich der von mir zuerst ausgeführten Versuche über die Beschleunigung der Transpiration durch das Chloro- phyll erinnert.^ Diese später von so vielen Forschern bestätigte Erscheinung- ist in neuerer Zeit von Horace Brown und Escombe^ weiter verfolgt worden, wobei es sich herausstellte, in welchem enormen Maße die Energie des Sonnenlichtes gerade bei der Transpiration grüner Organe ausgenützt wird, welch hoher xA.nteil dieser Energie bei der Verdunstung grüner Organe im Vergleich zur Energie des diffusen Tageslichtes zur 1 Untersuchungen über den Einfluß des Lichtes und der strahlenden Wärme auf die Transpiration der Pflanze. Diese Sitzungsberichte, Bd. 74 (1877). 2 Siehe hierüber Burgerstein, Die Transpiration der Pflanze. Jena, 1904, p. 100 ff. 3 H. Brown, Adress to the chemical section of the British Association for the Advancement of Science. Dower, 1899. Siehe auch H. Hesselmann, Zur Kenntnis des Pflanzenlebens schwedischer Laubwiesen. Jena, 1904. über korrelative Transpiration. 483 Verwertung kommt, aber auch wie groß dieser Anteil ist im Vergleich zu jenem, welcher die Assimilation bewirkt. Wenn man, bei übrigens gleicher Aufstellung, die Schatten- blätter abschneidet, so erkennt man, daß die Sonnenblätter im Wachstum zurückbleiben und bald zu welken beginnen. Es kann also wohl keinem Zweifel unterliegen, daß bei der von mir gewählten Versuchsanstellung die normale Wasser- versorgung vom Holzkörper her nicht ausreicht, um die wach- senden und stark transpirierenden Blätter mit der erforderlichen Wassermenge zu versorgen, vielmehr diese Blätter anderen, schwächer transpirierenden das Wasser entziehen, und es wird weiter unten zu untersuchen sein, ob dieses an ab- geschnittenen Zweigen gewonnene Resultat auch auf die normal bewurzelte Pflanze übertragen werden darf. Ich greife meiner Darstellung vor, indem ich die Frage bejahe. Ich will nämlich schon an dieser Stelle betonen, daß wir es hier nicht etwa mit einem Ausnahmsfall zu tun haben, sondern mit einer weitverbreiteten Erscheinung, welche sich darin ausspricht, daß stark transpirierende Organe anderen, weniger oder nicht transpirierenden Organen Wasser entziehen. Ich fasse, wie ich schon in der Vorbemerkung sagte, diesen Erscheinungskomplex als korrelative Transpiration zu- sammen. Ich will mit diesem Worte ausdrücken, daß es sich hier nicht bloß um eine durch Transpiration hervorgerufene, von dem aufsteigenden Wasserstrom verschiedene Verschie- bung des Wassers innerhalb der Organe der Pflanze handelt, sondern daß diese Verschiebung im Dienste des Lebens steht und zur Ursache sehr verschiedener Lebensäußerungen wird. Wie schon bemerkt, habe ich zuerst auf den »absteigenden Wasserstrom« der Pflanze die Aufmerksamkeit gelenkt und auf Grund dieser Erscheinung den Beweis geliefert, daß durch denselben das Öffnen der Blüten vieler Pflanzen bewirkt oder doch begünstigt wird.^ Später zeigte ich, daß unter dem Einfluß des absteigenden Wasserstromes die Kronenblätter länger an der Blüte haften 1 Studien über das Welken von Blüten und Laubsprossen. Diese Sitzungs- berichte, Bd. 86 (1882j. 484 J. Wiesner, als bei Ausschluß desselben oder gar bei Ausschluß der Transpiration im absolut feuchten Räume. ^ Aber nicht nur das Leben der Blüten, sondern auch das der oberirdischen Vegetationsorgane steht unter dem Einfluß des absteigenden Wasserstromes. So habe ich darauf hin- gewiesen, welche Änderungen im Habitus der Pflanze sich bei Ausschluß des absteigenden Wasserstromes einstellen und wie die Bildung von Axiflar- und Terminalknospen unter dem Ein- fluß des absteigenden Wasserstromes hervorgerufen, begünstigt oder eingeleitet wird.- Es soll weiter unten gezeigt werden, daß die korrelative Transpiration auch bei dem Zustande- kommen der Anisophyllie und Phototrophie beteiligt ist. Außer diesen von mir zuerst konstatierten Fällen von korrelativer Transpiration ist mir durch die Literatur nur bekannt geworden, was Burgerstein in seiner verdienstvollen, oben bereits genannten Monographie der Transpiration in dem Kapitel Deplacement des Wassers anführt.^ Hier heißt es: »Zu den Einrichtungen, die es den Sukkulenten und Halb- sukkulenten ermöglichen, längere Trockenperioden schadlos zu überdauern, gehört die Erscheinung, daß bei längerem Wasser- mangel wegen Bodentrockenheit die jüngeren Blätter und Terminalteile Wasser den älteren Blättern entziehen. Infolge dieses ökologisch bedeutungsvollen, Deplacements des Wassers", auf welches, wie ich glaube, zuerst Meschajeff ■^ aufmerksam gemacht hat, welken und vertrocknen bei wochenlang sistierter Wurzeltätigkeit die älteren, unteren Blätter teils infolge eigener Transpiration, teils wegen Wasserabgabe an die jüngeren Blätter, während sich gleichzeitig der Terminalteil nicht nur lebend erhält, sondern sich sogar langsam weiter entwickeln kann.« Burgerstein führt im Anschluß an diese Angabe Meschajeff's die Beobachtungen von Schimper und Haber- landt an, daß bei epiphytischen Peperomien und Gesneraceen beziehungsweise bei Rhizopliora niticronata die alternden 1, 2 Botan. Zeitung, 1889, p. 1 ff. 3 L. c, p. 228. 4 V. Meschajeff, Über die Anpassungen zum Aufrechthalten der Pflanzen und die Wasserversorgung bei der Transpiration. Bull, de la soc. imp. des Naturalistes de Moscou. Moscou, 1883. über korrelative Transpiration. 485 Blätter, bevor sie zu Wasserreservoirs für die jüngeren werden, durch starke Wasseraufnahme ihr Volumen beträchtlich ver- größern. Dieses »Deplacement des Wassers«, wie Meschajeff und nach ihm Burgerstein die angeführte Erscheinung nennt, geht in der Richtung des aufsteigenden Wasserstromes, also in einer dem »absteigenden Wasserstrom« entgegengesetzten Richtung. Aber alle diese Erscheinungen, desgleichen die oben beschriebene, auf das Laub der Roßkastanien Bezug nehmende" Erscheinung, bei welcher die Wasserverschiebung in trans- versaler Richtung fortschreitet, sind nur spezielle Fälle der oben genannten »korrelativen Transpiration«. III. Es kann nach den mitgeteilen Versuchsergebnissen wohl keinem Zweifel unterliegen, daß an abgeschnittenen Laub- sprossen der Roßkastanie die Sonnenblätter den Schattenblättern Wasser entziehen und daß im Gefolge dieser Erscheinung sich eine Ungleichblätterigkeit einstellt, welche sich als eine künstlich hervorgerufene Anisophyllie darstellt. Nunmehr soll untersucht werden, ob die hier an ab- geschnittenen Zweigen beobachteten Tatsachen eine Über- tragung auf die normale Pflanze zulassen. Ich muß gleich bemerken, daß an normalen, in Topf- kulturen genügend feucht gestellten Pnanzen (kleinen Roß- kastanienbäumchen), welche sich mit den abgeschnittenen Sprossen unter gleichen Beleuchtungsverhältnissen und sonsti- gen gleichen äußeren Vegetationsbedingungen befanden, ein auffälliges Welken, Eintrocknen und frühzeitiger Abfall der Schattenblätter nicht beobachtet wurde. Wohl aber konnte mit Zuhilfenahme der Stahl'schen Kobaltpapierprobe eine außer- ordentlich verstärkte Transpiration der Sonnenblätter im Ver- gleich mit den Schattenblättern und Hand in Hand damit eine mehr oder minder scharf ausgesprochene Anisophyllie der un- gleich beleuchteten Blattpaare konstatiert werden, wobei die Sonnenblätter größer waren als die gleich alten Schatten- blätter. 486 J. Wiesner, Am schärfsten trat die Anisophyllie an verkümmerten Seitensprossen auf und wieder waren es die stärker beleuch- teten Blätter der anisophyllen Blattpaare, welche die gleich- altrigen Schattenblätter an Größe überragten. An eingetopften Roßkastanien, welche sehr trocken ge- halten wurden und infolgedessen nicht gut gediehen, trat die Anisophyllie viel schärfer hervor als an gut kultivierten Exem- plaren. An solchen trocken gehaltenen Bäumchen war hin 'und wieder ein deutliches Welken der noch in Entwicklung befindlichen Schattenblätter zn beobachten, auch manchmal eine frühzeitige Ablösung der letzteren im Vergleich zu den Sonnenblättern. An solchen trocken gezogenen Bäumchen befanden sich viele Seitensprosse in einem Zustande starker Verkümmerung und gerade an diesen Seitensprossen war die Anisophyllie eine höchst auffallende. Einzelne dieser Seiten- sprosse brachten nur ein Laubblatt hervor; es befand sich an der Außenseite des Sprosses, während das gegenüberliegende, an der Innenseite gelegene, nur als Tegment ausgebildet war. Auch die besser zur Entwicklung gekommenen Sprosse zeigten eine viel stärker ausgeprägte Anisophyllie als die nor- maler Bäume. Immer waren es die stärker beleuchteten Blätter der ein- zelnen Blattpaare, welche sich stärker ausbildeten. In höchst auffallender Weise stellte sich die Anisophyllie an Roßkastanienbäumchen ein, welche Jahre hindurch in Wasserkultur gehalten, an einem Südfenster stehend, einer auf- merksamen Beobachtung unterzogen wurden. Seit Jahren machte ich an diesen Bäumchen die Beobachtung, daß ihre Seiten- sprosse in hohem Grade anisophyll sind. Die Anisophyllie dieser Sprosse geht oft so weit, daß, wie an den früher ge- nannten Versuchsbäumchen, an den verkümmerten Seiten- sprossen nur ein Blatt, und zwar das äußere, stärker be- leuchtete als Laubblatt ausgebildet war, während das innere Blatt einen schuppenförmigen Charakter angenommen hatte. Auch die Blattform gemahnte vielfach an die der eingangs beschriebenen, einseitig besonnten Sprosse; die vorderen, am stärksten besonnt gewesenen Blättchen waren stark ausgebildet, die rückwärtigen verkümmert oder vollständig unterdrückt. über koiTelative Transpiration. 487 Man wird wohl aus allen diesen Beobachtungen ableiten dürfen, daß unter gleichen Beleuchtungsverhältnissen die Zweige der bewurzelten Pflanzen sich im wesentlichen ebenso verhielten wie die abgeschnittenen Zweige, mit dem Unter- schiede, daß an den letzteren die Sonnenblätter den Schatten- blättern das Wasser stärker entzogen haben, als dies bei den be- wurzelten Pflanzen der Fall war. Und dies ist wohl auch leicht erklärlich, da die Wasserversorgung bei den bewurzelten Pflanzen vom Substrat her eine stärkere war als bei den abgeschnittenen, in feuchtem Sande oder im Wasser gehaltenen Sprossen. Es scheint mir bemerkenswert, daß die Fähigkeit der an abgeschnittenen Zweigen befindlichen Sonnenblätter, den gegen- überstehenden Schattenblättern Wasser zu entziehen, nur so lange anhält, als sie sich noch im Zustande der Entwicklung befinden. Im völlig ausgebildeten Zustand ist diese Fähigkeit entweder nicht mehr nachweisbar oder nur in sehr geringem Grade ausgeprägt. Ich habe mit zahlreichen abgeschnittenen Sprossen von Aescuhis hippocastmium , deren Blätter vollkommen aus- gebildet waren und keine Spur von Wachstum mehr erkennen ließen, die entsprechenden Versuche vorgenommen. Die Zweige wurden in feuchten Sand gestellt oder in Wassergefäßen gehalten, die abwechselnden Blattpaare nach Süd — Nord orientiert, an einem Südfenster aufgestellt und die nach Nord gerichteten Blätter nach Bedürfnis beschattet. Es trockneten in der Regel die Sonnenblätter früher aus als die Schattenblätter. In einzelnen Fällen, namentlich an stark anisophyllen Sprossen, war ein stärkeres Welken oder ein beginnendes Eintrocknen zuerst an den (kleinen) Schattenblättern zu bemerken. Daraus scheint zu folgen, daß eine, wenngleich nur schwache Ab- saugung der Schattenblätter durch die stark besonnten Blätter auch im vollkommen ausgebildeten Zustande des Laubes sich einstellt. Oft war aber ein solches Absaugen nicht wahr- zunehmen; niemals aber war die Absaugung so stark, wie an Sprossen, deren Blätter noch in Entwicklung begriffen waren. Auf eine — aber jedenfalls nur schwache — Absaugung der Schattenblätter durch die Sonnenblätter läßt der Umstand schließen, daß die ersteren sich im austrocknenden Zustande 488 J. Wiesner, früher ablösten als die letzteren, was, wie wir gesehen haben, bei jungen, abgeschnittenen, einseitig beleuchteten Sprossen mit großer Schärfe hervortritt. Die korrelative Transpiration stellt sich also gerade in jenen Entwicklungsstadien der Sprosse am vollkommensten ein, in welchen die Entstehung der Anisophyllie noch möglich ist. Aber auch an eingetopften Roßkastanien habe ich eine ähnliche Beobachtung gemacht. Hält man den Boden derselben aufs äußerste trocken und sorgt man durch Abschattung, daß die Schattenblätter nicht von der Sonne getroffen werden, während die Sonnenblätter der stärksten Sonnenstrahlung aus- gesetzt sind, so trocknen die Schattenblätter früher ein als die Sonnenblätter und lösen sich auch früher als diese vom Stamme los. Wenn die Blätter solcher Bäumchen sich noch im letzten Stadium des Wachstums befinden, so lassen die Schattenblätter nicht selten noch ein deutliches Welken er- kennen. Man wird nach alldem also wohl auch für die normale Pflanze annehmen dürfen, daß bei starker Transpiration infolge direkter Insolation eines Teils des Laubes, die stärker oder die ausschließlich besonnten Laub- blätter den weniger stark beleuchteten einen Teil des Wassers entziehen. Durch diese ungleiche Wasser- verteilung kann aber die Anisophyllie befördert .werden. Bei dieser Gelegenheit möchte ich auf eine interessante Form der Anisophyllie die Aufmerksamkeit lenken. Ich habe schon früher einmal auf eine sogenannte »herbsüiche Aniso- phyllie«^ hingewiesen. Ich zeigte, daß an Sprossen, welche bis in den Herbst hinein sich entwickeln, also zuletzt unter relativ sehr ungünstigen äußeren Bedingungen, nicht selten eine sehr auffällige Anisophyllie sich in der Ausbildung der jüngsten Blätter (Blattpaare) einstellt, z.B. (bei Cornus sanguinea),mdem das äußere (untere, besser beleuchtete) Endblatt als Laubblatt^ das innere schuppenförmig sich gestaltet. An Symphoricarpns 1 Diese Sitzungsberichte, Bd. 103 (1894), p. 657. über korrelative Transpiration. 489 racemosa, welches gewöhnlich keine Anisophyllie darbietet, werden im Herbste anisophylle Paare gebildet etc. Nun habe ich an zahlreichen Gewächsen die Beobachtung gemacht, daß an verkümmernden Sprossen häufig selbst im Frühling eine sehr stark ausgesprochene Anisophyllie zu stände kommt, z. B. an Viburimm Lantaua, wo die äußeren Blätter fünf- bis zehnmal größer werden als die gleichalterigen inneren, oder an Syringa vulgaris und S. persica, welche gewöhnlich keine Spur von Anisophyllie erkennen lassen. Es wird wohl angenommen werden dürfen, daß hier der- selbe Fall vorliegt, den ich oben bezüglich trocken gezogener oder in Wasserkultur gehaltener Roßkastanien vorgeführt habe, daß die Neigung zur Anisophyllie an verkümmernden Sprossen besonders vorherrscht und hier die ungleiche Beleuchtung zueinerBevorzugungderstärkerbeleuchtetenBlätter führt. Es ist wohl nicht mehr zu bezweifeln, daß auch hier die stärker beleuchteten Blätter den schwächer beleuchteten Wasser entziehen und dadurch das Wachstum der letzteren herabgesetzt wird. IV. Wenn ich im vorhergehenden den Einfluß der korrelativen Transpiration auf das Zustandekommen der Anisophyllie nach- gewiesen habe, so will ich selbstverständlich damit nicht behauptet haben, daß Anisophyllie ausschließlich auf der ge- nannten Erscheinung beruht. Es geht ja aus meinen zahlreichen Untersuchungen, welche ich im Laufe von fast 30 Jahren der Anisophyllie gewidmet habe, deutlich genug hervor, daß wir es hier mit einer ver- wickelten, verschiedenartig ontogenetisch und phylogenetisch verursachten Erscheinung zu tun haben. ^ Im Laufe der Jahre bin ich nach und nach zur Kenntnis mehrerer Ursachen der Anisophyllie gelangt. Es zeigte sich, 1 Ich befinde mich diesbezüglich in völliger Übereinstimmung mit Göbel (Organographie, 189S, p. 219), welcher im Gegensatz zu anderen Forschern die Anisophyllie »als eine verwickelte, mit verschiedenen Faktoren im Zusammen- hange stehende Erscheinung auffaßt, die aber ursprünglich überall eine von bestimmten, meist äußeren Faktoren veranlaßte sein dürfte«. Sitzb. d. mathem.-naturw. KL; CXIV. Bd., Abt. I. 33 490 J. Wiesner, daß in extremen Fällen die Anisophyllie entweder ganz und gar auf ererbten Eigentümlichkeiten beruhe (z. B. bei den terni- foliaten Gardenien^) oder ganz und gar auf die Wirkung äußerer Einflüsse zurückzuführen sei, so daß man sogar im Experiment im Stande ist, isophylle Sprosse in anisophylle umzuwandeln."^ Was ich Vorjahren als habituelle Anisophyllie bezeichnete (bei Goldfussia anisopkylla etc.) ist vorwiegend oder aus- schließlich auf ererbte Eigenschaften (Exotrophie) zurück- zuführen, wobei aber zu beachten ist, daß höchstwahr- scheinlich dieselben Ursachen, welche in der Onto- genese zur Anisophyllie führen, auch den Anlaß zu den uns erblich festgehalten entgegentretenden Formen der Anisophyllie geben.^ Die an unseren Holzgewächsen so häufig auftretende Anisophyllie (Roßkastanie, Ahorn etc.) ist hingegen in der Regel vorwiegend oder ausschließlich in der Individualentwick- lung entstanden. Ich will hier nur die uns bekannten Ursachen der onto- genetisch erfolgenden Anisophyllie insoweit in Betracht ziehen, als es erforderlich scheint, die obigen Beobachtungen über korrelative Transpiration in unser Wissen über das Zustande- kommen der Anisophyllie richtig einzufügen. In erster Linie ist die ungleichseitige Beleuchtung der später anisophyll werdenden Blätter die Ursache der genannten Erscheinung. Ich habe auf diese Punkte mehrmals den ge- bührenden Nachdruck gelegt,^ war aber der Ansicht, daß die günstiger beleuchteten Blätter deshalb die größeren werden, weil sie infolge intensiveren Lichtes stärker wachsen und kräftiger assimilieren. Daß die größeren Blätter der anisophyllen Blattpaare tatsächlich stärker assimilieren, nämlich pro Flächen- einheit eine größere Menge organischer Substanz hervorbringen als die kleineren, ist von Dr. J. Schiller in einer Arbeit nach- 1 Wiesner, Diese Sitzungsberichte, Bd. 103 (1894), p. 627. 2 Wiesner, Berichte der Deutschen botan. Gesellschaft, Bd. XIII (1895), p. 492. Siehe hierüber ferner Figdor, ebenda, Bd. XXII (1904), p. 286 ff. 3 Wiesner, Über ontogenetisch-phylogenetische Parallelerscheinungen. Verh. der k. k. zoolog. botan. Gesellschaft, 1903, p. 426 ff. ■i Diese Sitzungsberichte, Bd. 103 (1894), p. 655. über korrelative Transpiration. 49 1 gewiesen worden, welche er in meinem Laboratorium aus- führte. ^ Aber die oben mitgeteilten Tatsachen zeigen, daß das Licht noch in ganz anderer Weise eingreift, um die Aniso- phyllie zu befördern. Die starke direkte Bestrahlung steigert die Transpiration der Sonnenblätter in so hohem Maße, daß bei nicht ausreichender VVasserzufuhr vom Boden her den gegenüberliegenden Schattenblättern Wasser entzogen wird, wodurch sie im Wachstum zurückbleiben. Je feuchter der Boden ist und je kräftiger die Sprosse sich entwickeln, desto mehr wird unter sonst gleichen Vegetationsbedingungen die Pflanze der Anisophyllie entgegenarbeiten. Bei Bodentrockenheit und bei schlechter Ernährung der Sprosse tritt hingegen die Anisophyllie in gesteigertem Maße auf, wobei die korrelative Transpiration, wie es nach den bisherigen Beobachtungen den Anschein hat, stets in besonders hohem Maße das Zustande- kommen der Anisophyllie begünstigt. Ich will hier noch auf eine weitere Form, in welcher das Licht in den Prozeß der Anisophyllie eingreift, die Aufmerk- samkeit lenken. Wieder ist es die Roßkastanie, an welcher ich die betreffenden Beobachtungen anstellte. Es wurde von mir geprüft, inwieweit die Anisophyllie der Roßkastanie schon im Knospenzustande ausgebildet ist. Es wurden fünfundzwanzig horizontal am Stamme zur Entwicklung gekommene Winterk'nospen ausgewählt, deren Tegmente zur Hälfte eine genau horizontale, zur Hälfte eine genau vertikale Symmetrieebene besaßen. Die ersteren — ich bezeichne sie als laterale — wurden ebenso gemessen wie die letzteren, die ich als mediane bezeichne, und zwar wurde die Länge der Blätter von je zwei gleichalterigen Blättern bestimmt. Hierauf ermittelte ich die Länge der lateralen und medianen in der Knospe befindlichen Laubblätter. Die Länge der lateralen Tegmente und Laubblätter schwankten im Verhältnis von 100 : 105, wobei sich keinerlei Gesetzmäßigkeit in dem Verhältnis der rechts- zu den links- 1 Über Assimilationserschcinungen der Blätter anisophyller Sprosse. Österr. botan. Zeitung, 1903. 33* 492 J. Wiesner, liegenden ergab. Die Länge der medianen Tegmente schwankte im Verhältnis von 100:108, wobei die unteren Blätter im Durchschnitt die größeren waren. Man kann an diesen Zahlen ersehen, daß, wenn die Anisophyllie im Knospenzustand als vorhanden angenommen wird, der Unterschied zwischen den gleichalterigen großen und kleinen Blättern nur ein ganz minimaler sein kann. Diese Knospen haben bei der Entfaltung das Bestreben, sich (negativ geotropisch) aufzurichten und manche dieser Knospen erreichen tatsächlich am schiefen Sprosse die vertikale Lage, so daß sie einer sehr ungleichen Beleuchtung und an sonnigen Tagen auch einer sehr ungleichen Bestrahlung durch die direkte Sonnenwirkung ausgesetzt sind. Nun tritt eine merkwürdige Erscheinung ein, welche ich früher nie noch beobachtet habe: Die aufgerichteten Knospen krümmen sich nach der Achse des Baumes zu; sie krümmen sich vom Lichte weg, so daß man den Eindruck bekommt, als wären sie negativ heliotropisch. Es ist dies aber — der von mir gewählten Terminologie zufolge kann ich mich nicht anders ausdrücken — eine phototrophi- sche Krümmung (phototrophische Nutati on), d.h. diese Krünimung erfolgt, weil die äußeren, stärker be- strahlten Blätter sich stärker entwickeln als die inneren und alle Blättchen noch zu einer Knospe vereinigt sind, die allerdings im Stadium beginnender Öffnung sich befindet. Die äußeren Blätter liegen, da sie sich stärker entwickeln als die inneren, an der Konvexseite der sich öffnenden Knospe. Ich habe besonders auffallend diese phototrophische Krüm- mung an in Topf- oder Wasserkultur gehaltenen Bäumchen gesehen, welche von Süden her beleuchtet waren und von rückwärts her nur sehr schwaches Licht empfingen. Im Freien sind die Beleuchtungsunterschiede nicht so groß, als sie im Experiment hergestellt werden können, aber nichtsdestoweniger kann man diese Erscheinung auch im Freien sehr deutlich wahrnehmen.^ 1 Als ich meine Versuche über die »phototrophe Nutation« aufbrechender Laubknospen der Roßkastanie an in Wasserkultur gezogenen Bäumchen Herrn über korrelative Transpiration. 493 Diese Erscheinung der phototrophischen Krümmung der sich öffnenden Laubknospen der Roßkastanie lehrt, daß das Licht im Beginne der Knospenöffnung die Aniso- phyllie der in der Knospe enthaltenenBlätter in hohem Maße begünstigt. Hier greift das Licht in ganz anderer Weise in den Prozeß des Zustandekommens der Anisophyllie ein als in dem oben beschriebenen Falle, wo die durch das Licht enorm gesteigerte Transpiration des Sonnenblattes durch Absaugung die Ent- wicklung des Schattenblattes beeinträchtigt oder in dem oben gleichfalls schon erwähnten Falle, in welchem die Assimilations- energie des Sonnenblattes im Vergleiche zum Schattenblatt gesteigert erscheint. So schafft sich also die Pflanze durch das Licht selbst, und zwar in sehr verschiedener Weise, die Mittel, um die Sprosse durch das Zustandekommen der Anisophyllie in möglichst günstige Beleuch- tungsverhältnisse zu versetzen. V. Noch möchte ich hier einige Bemerkungen vorbringen, welche auf den Zusammenhang der »Phototrophie« mit der korrelativen Transpiration hinweisen. Prof. V. Höhnel gelegentlich eines Besuches des pflanzenphysiologischen Institutes demonstrierte, erinnerte er mich an Versuche, welche Vöchting vor Jahren »über den Einfluß der strahlenden Wärme auf die Blütenentfaltung der Magnolia« (Ber. der Deutschen Botan. Gesellschaft, Bd. VI, 1888, p. 167 ff.) angestellt hatte. Die vor dem Aufblühen eintretende geotropische Aufrichtung der Knospen erfolgt in derselben Weise, wie ich es für die Laubknospen der Roßkastanie oben beschrieben habe. Dadurch kommen die Blütenknospen der Magnolie in die gleichen Strahlungsverhältnisse wie die Knospen der Roß- kastanie ; es sind nämlich die Knospen an der Vorderseite am stärksten, an der Hinterseite am schwächsten (oder gar nicht) bestrahlt. Ich vermute, daß auch beim Aufblühen der Magnolie eine phototrophische Nutation vorliegt, •doch ließ sich dies aus Vöchting's Beschreibung nicht ableiten. Indeß läßt sich wohl das Zustandekommen der Krümmung kaum anders als durch Förderung der am meisten bestrahlten Blattgebilde erklären. 494 J. Wiesner, Ich habe das Wort »Phototrophie« schon mehrmals ver- wendet.^ Ich verstehe darunter die einseitig gesteigerte Ent- wicklung einseitig beleuchteter oder einseitig stärker be- leuchteter Pflanzen, Organe oder Gewebe. Ein einseitig beleuchteter, z. B. an einer Wand oder am Waldrande stehender Baum bildet an der Seite stärkster Be- leuchtung die größte Laubmasse aus. Die Anisophyllie, soweit sie durch direkte Wirkung des Lichtes zu stände kommt, bildet einen Spezialfall der Phototrophie. Die Epitrophie der Laub- sprosse, soweit sie in der Ontogenese zu stände kommt {Salix, Elaeagnus etc.), desgleichen u. s. w. Die Phototrophie kann in sehr verschiedenen Formen auf- treten, nicht bloß in Form einer äußerlich erkennbaren Massen- zunahme der Pflanze, der Organe oder des Gewebes an der Seite stärkster Beleuchtung. Ich habe schon oben auf eine neue Form der Phototrophie die Aufmerksamkeit gelenkt, welche als Krümmung (phototrophische Nutation) sich darstellt u. s. w. Ich habe bisher die Ansicht vertreten, daß die Phototrophie sich als ein Prozeß einseitig verstärkter Assimilation und ein- seitig durch stärkeres Licht geförderten Blattwachstums ^ dar- stellt. Aber die oben vorgeführten, mit Aescuhis ausgeführten Versuche haben gezeigt, daß das Licht noch in ganz anderer Weise bei dem Zustandekommen der Photo- trophie beteiligt sein kann: Durch Steigerung der Transpiration (grüner Organe) im Sonnenlicht, wobei insbesondere bei ungenügender Wasserversorgung die Sonnenblätter den Schattenblättern das Wasser entziehen und eine Steigerung des Wachstums an der Sonnenseite und eine Retardation des Wachs- tums an der Schattenseite der einseitig beleuchteten Sprosse sich einstellt, welche von der Assimilations- energie gänzlich unabhängig ist. 1 Diese Sitzungsberichte, Bd. 104(1895), p.687 und Berichte der Deutschen Botan. Gesellschaft, XIII (1895). - Wiesner, Photom. Untersuchungen, I. Diese Sitzungsberichte, Bd. 102 (1893). über korrelative Transpiration. 495 Zusammenfassung. Es wurde zunächst an abgeschnittenen Zweigen der Roß- kastanie gezeigt, daß während der Entwicklung des Laubes die der Sonne exponierten Blätter so stark transpirieren, daß sie den gegenüberliegenden beschatteten Blättern das Wasser ent- ziehen. Diese letzteren Blätter bleiben im Wachstum zurück, welken alsbald, um schließlich zu vertrocknen und abzufallen. Dieses Verhalten ermöglicht es, an abgeschnittenen, sich entwickelnden Sprossen Anisophyllie hervorzurufen, ja sogar schon vorhandene Anisophyllie umzukehren. Die enorm gesteigerte Transpiration der Sonnenblätter der Roßkastanie hat ihren Grund in der von dem Verfasser vor Jahren entdeckten Beschleunigung der Verdunstung infolge Anwesenheit von Chlorophyll, welches das einstrahlende Licht in Wärme umsetzt. Auch an normal eingev^'urzelten Roßkastanien sind Er- scheinungen wahrzunehmen, welche schließen lassen, daß die ungleiche Transpiration ungleich beleuchteter Blätter, zumal bei ungenügender Wasserzufuhr vom Boden her, im gleichen Sinne wie an abgeschnittenen Sprossen bei dem Zustande- kommen der Anisophyllie mitwirkt. Die durch ungleiche Transpiration bedingte W^asserver- schiebung in den wachsenden Sprossen beeinflußt auch die Erscheinung der Phototrophie. Eine neue Form der Phototrophie wurde vom Verfasser beobachtet und als phototrophe Nutation beschrieben. Das, was ich als korrelative Transpiration bezeichne, stellt sich als ein Erscheinungskomplex dar, welcher durch ungleich stark an ein und derselben Pflanze auftretende Ver- dunstung hervorgerufen wird, wobei eine V/asserverschiebung in der Pflanze stattfindet, die vom »aufsteigenden Wasser- strom« verschieden ist und in sehr verschiedener Art sowohl in den Gestaltungsprozeß als in die Funktionen der Organe ein- greift. 496 J. Wiesner, Über korrelative Transpiration. Figurenerklärung. Tafel I. Fig. 1. Verkümmernde Sprosse, an einem trocken gehaltenen Roßkastanien- bäumchen zur Entwicklung gekommen. Die äußeren Blätter der aniso- phyllen Blattpaare sind die größeren. Fig. 2. Abgeschnittene Sprosse der Roßkastanie, in feuchtem Sande an einem Südfenster stehend, ab anisophyll gewordene Blattpaare, a Sonnenblatt (nach Süd gewendet, insoliert), b Schattenblatt (nach Nord gewendet, beschattet), bereits stark welkend. Fig. 3. Abgeschnittene Sprosse der Roßkastanie, unteres Sproßende in Wasser tauchend, an einem^ Südfenster stehend, ab anisophyll gewordenes Blattpaar, a Sonnenblatt (nach Süd gewendet, insoliert), b Schatten- blatt (beschattet), welkend. Tafel II. Fig. 4. Sproß eines seit Jahren in Wasserkultur gezogenen Roßkastanien- bäumchens, ab anisophylles Blattpaar. Das am stärksten besonnt ge- wesene Blättchen I im Vergleich zu den anderen stark entwickelt. Fig. 5. Wie in Fig. 4, nur sind die am stärksten besonnt gewesenen Blättchen I, II stärker als die anderen vier Blättchen des Blattes a entwickelt. Sämtliche Figuren nach photographischen, im pflanzenphysiologischen Institute von dem Assistenten Dr. A. Jencic ausgeführten Aufnahmen. Wiesner, J. : Ueber korrelative Transpirationen. Fig. 2. Taf. I. Kunstanstalt Max Jaffe, Wien. Sitzungsberichte d. kais. Akad. d. Wiss., math.-naturw. Klasse, Bd. CXIV. Abt, I, 1905. a ;i o I 4^ Diener C, Die triadische Fauna des Tropitenkalkes von Byans (Himalaya). Sitz. Ber. der Wiener Akad., I. Abt.. Bd. 114 (1905), p. 331 — 342. Tropitenkalk von Byans, die triadische Fauna des — . Diener C, Sitz. Ber. der Wiener Aknd., 1. Abt., Bd. 114(1905), p. 331—342. Byans, die triadische Fauna des Tropitenkalkes. Diener C, Sitz. Ber. der Wiener Akad., I. Abt., Bd. 114(1905), p. 331—342. Berwerth F., Künstlicher Metabolit. Sitz. Ber. der Wiener Akad., I. Abt., Bd. 114 (1905), p. 343-356. Metabolit, künstlicher. Berwerth F., Sitz. Ber. der Wiener Akad., I. Abt., Bd. 1 14 (1905), p. 343—356. Werner F., Ergebnisse einer zoologischen Forschungsreise nach Ägypten und dem ägyptischen Sudan. L Die Orthopterenfauna Ägyptens mit besonderer Berücksichtigung der Eremiaphilen. Sitz. Ber. der Wiener Akad., I. Abt., Bd. 114 (1905), p. 357—436. Orthopterenfauna Ägyptens, mit besonderer Berücksichtigung der Eremia- philen. (Ergebnisse einer zoologischen Forschungsreise nach Ägypten und dem ägyptischen Sudan. I.) Werner F., Sitz. Ber. der Wiener Akad., I.Abt., Bd. 114 (1905), p. 357—436. Ägyptens Orthopterenfauna, mit besonderer Berücksichtigung der Eremia- philen. (Ergebnisse einer zoologischen Forschungsreise nach Ägypten und dem ägyptischen Sudan. I.) Werner F., Sitz. Ber. der Wiener Akad., I. Abt., Bd. 114 (1905), p. 357—436. Abt. I, .Mai. .2^£—ie.e .q .(fiOGf) l'H .LO ,.1dA .1 ,.bß>IA lanaiV/ lab .tsS .sit2 . — c;jjj i.iiLiß'I arloarfaßhJ gib ,8nB'(a nov MlBjlnaJiqo iT ,(.";0GI) ^^r f .ba ,.JdA .1 ,.bf,)iA lanaiV/ nsb .isS .sJiS ,.0 lariaia .2*8— rKE - .a9>tFBjln3JiqoTT esb ßnuß'? arioaibjsiiJ aib ,8nß.rM .ün ..ny. i ,.bB}IA lansiW isb .•'" ~' '' '' "ansiG -^e — 18S .q ,Pi&P.-UF. .q ,(60ei) tri .bF ,.)dA .1 ,.b£jIA laneiW lab .198 .sftS ^pnfiil jtHodRl'j)'/ ■i9i3bnoE3d itm enalq^gÄ ßnußlnaisJqoriJiO siQ .1 .riBbu8 nariogrtqYgjB mab .naliriqßimaia lafa gnugiJrioiajIoüisa -ßimaiS lab gnuaiJdoia^loüisa laisbnoaad iim .anaiqv.sÄ unuElittoioiqodiiO ni.i':;-/'j'f. (hp.r, 3ti5i?-riijri::e-io1 njrbfiiijofoos lariia aaaindag-iS) .naliria :i3bu2 nsrioaiJqvgß mab br ■ ,Mi(jy j ( : .D« .:iai\ .i ..DR>i/-. r^nsi/v od .lafl .sJi8 j."? Tsm^W .68^^—708 .q Ml jßnuß'insiaJqoriiiO znaiqxi^J loos •i3nJ3 S2aind3§-i3) .naliriq (.1 .nßbjj2 nsdoeiJqYSB msb bnu ,('30ej) l^n .ba ..MA .I „Ui^AP. lanaiW 13b .laS .sJi2 ,.T lamaW .68^—708 .c- .ijsK ,1 .tdA Eremiaphilen, Die Orthopterenfauna Ägyptens mit besonderer Berücksichtigung der — . (Ergebnisse einer zoologischen Forschungsreise nach Ägypten und dem ägyptischen Sudan. I.) Werner F.. Sitz. Ber. der Wiener Akad., 1. Abt., Bd. 114(1905), p. 357-436. Pöch R., Erster Bericht von meiner Reise nach Neu-Guinea über die Zeit vom 6. Juni 1904 bis zum 25. März 1905. Sitz. Ber. der Wiener Akad., I. Abt., Bd. 1 14 (19Ü5), p. 437—453. Neu-Guinea, I. Reisebericht. Pöch R., Sitz. Ber. der Wiener Akad., 1. Abt., Bd. 114 (1905), p. 437—453. Tschermak G., Darstellung der Orthokieselsäure durch Zersetzung natürlicher Silikate. Sitz. Ber. der Wiener Akad., I. Abt., Bd. 114 (1905), p. 455—466. Orthokieselsäure, dargestellt aus natürlichen Silikaten. Tschermak G., Sitz. Ber. der Wiener Akad., I.Abt., Bd. 114 (1905), p. 455-466. Orthosilikate, durch Darstellung der Kieselsäure bestimmt. Tschermak G., Sitz. Ber. der Wiener Akad., 1. Abt., Bd. 114 (1905). p. 455—466. Hoernes R., Untersuchungen der jüngeren Tertiärgebilde des westlichen Mittel- meergebietes. Sitz. Ber. der Wiener Akad., I.Abt., Bd. 1 14 (1905), p. 467 — 476. Tertiärgebilde, jüngere, des westlichen Mittelmeergebietes. Hoernes R., Sitz. Ber. der Wiener .\kad., I. Abt., Bd 114 (1905). p. 467—476. Mittelmeergebiet, westliches. Über jüngere Tertiärgebilde desselben. Hoernes R., Sitz. Ber. der Wiener Akad., I.Abt,, Bd. 114 (1905), p. 467-476. §nijg]Jiioic.>bjjiaä i^iabnoaüd Um gnsJq^sA ßriußlnsisJqoriJiO aiQ «asIiriqBimsiH nslq'^gÄ ci-jßn aaiaiprri'riopio'l narioeigoloos lariia aeaindagia). . — isb (.1 .nßbu2 narioaiJqYgß msb bnu .('eoeijl'll .ba ,Jd.. . ,...„.iA lonaiV/ -f ^ "-'i .sJi8 ,.T lamaV/ .asi'-vöe .q mov JiaS aib ladii ßarihjO-uoK rioßn seiafl lanism nov Jriohaa ■l^i^^3 ,.H riaöS .öOei sißM .öS mus 2rd J^OÖI inul .6 .8äi>— TS^ q ,(GÖG1) i^I I .bfl ,.JdA .1 ,.bß))A lanaiW isb .laS .sJi2 .JriohsdaaisJl .1 ,fi9niu3-u3^ ,(öOei) iil .ba ,.JdA .! ,.bß>lA langi"// lab .-138 .sti2 ,.H rioöS .80^— Y8^ .q larioiliiJlßn gnusJsaisS rioiub siußp.IaaaijJorinO nsb §null3iJ8iß(l ,.0 slßmisrioaT .3lß}JiIi8 ri;ii.- rriv q ,(000 f) 1^ 11 .bO ,.idA .1 ,.bß;!lA vuidiV/ ,3h .i'^a .sfiR i»!! .ba ,.}dA .1 ..bß^lA isnaiW lab .laS .sJici ,.0 iIßrmarioaT aa^-ödi' .q ,(öoei) .Jmmiiaad aiuäataasiS isb gnuIIaJaißa rioiub ,aJß}IHi8oriliO Mr .ba ..JdA .1 ,.bßiiA isüsiW lab .138 ,sJi8 ,.0 jIßrmarioeT .Öö*"— Göl' .q .(öOÖij ?3j3rd6gi90i!, .97^_Y0i'.q .(öuyi) i-ll .ba ,.JdA ! ,.bß>l/ isnsivv isD ,138 .sJi8 .aaiaidsgiaamlaiMiM narioiiJaaw a3b ,3i3§nü[ ,3bnd3gißiii3T ,(eOGl)#'Il ba ,.JdA .1 ,.bß>IA i3n3iW 13b .isa .s}i8 ,.9i a3m3oH .d'\i—'\d^ .q .nadiicrDij ^,.j..,-j^,,„i. .-ji ^,^e...wL li'dÜ .33rioiIla3w ,;t3ier3glssml3WiM .CeOGi), f'It .ba ,.JdA .1 ,.b£;lA isnaiW i3b .138 .siiZ ,.H a3m3oH 9'»i"-T8i-.q Wiesner J., Über korrelative Transpiration mit Haiiptrücksicht auf Aniso- phyllie und Phototrophie. (Vorläufige Mitteilung.) Sitz. Ber. der Wiener Akad., I. Abt., Bd. 114 (1905), p. 477—496. Tran.spiration, Über korrelative Transpiration mit Hauptrücksicht auf Aniso- phyllie und Phototrophie. Wiesner J., Sitz. Ber. der Wiener Akad., I. Abt., Bd. 114 (1905). p. 477—496. Anisophyllie, Über korrelative Transpiration mit Hauptrücksicht auf Aniso- phyllie und Phototrophie. Wiesner J., Sitz. Ber. der Wiener Akad., I. Abt., Bd. 114 (1905), p. 477—496. Phototrophie, Über korrelative Transpiration mit Hauptrücksicht auf Aniso- phyllie und Phototrophie. Wiesner J., Sitz. Ber. der Wiener Akad., I. Abt., Bd. 114 (1905), p. 477—496. II Jim rio 'i'J ,.L lanaaiW .öei"— T^l- .q ,(öOei) ^il .ba ,.JdA .1 ,.faß}IA lonatW isb .198 .sii8 -naiaA tiJÄ Jrloip./biJiiqußH Jim rioiJßtiqertßtT svrJßbriojl ladÜ ,noiJßitq?.ni;iT -sif' ' bniJ sillvriq ,(a0fil) J^II .bfl . biäjIA lanaiV/ lab .-198 .s; ;^9iV/ ..JGi'— V^i^ .q -op.inA luß Jriot?.}lotJiJqu/!H Jirr iß-iT avijßlario/l tsdÜ ,3UlxriqoRJnA , .3ilIqo'iJolod^ bfiu sill-^riq ,(^.001) ^Jl .bS ,.JdA .1 ..bfi^IA lanaiV/ isb .isS .sJi8 ..lianaeiW .6G4^— '?TI> .q ,(50ei) -t^n .ba ,.JdA .I ..bJsjlA lanstW lab .isH .SJife ..LianaaiW Die Sitzungsberichte der mathem.-naturw. Klasse erscheinen vom Jahre 1888 (Band XCVII) an in folgenden vier gesonderten Abteilungen, welche auch einzeln bezogen werden können: Abteilung I. Enthält die Abhandlungen aus dem Gebiete der Mineralogie, Kristallographie, Botanik, Physio- logie der Pflanzen, Zoologie, Paläontologie, Geo- logie, Physischen Geographie und Reisen. Abteilung II a. Die Abhandlungen aus dem Gebiete der Mathematik, Astronomie, Physik, Meteorologie und Mechanik. Abteilung II b. Die Abhandlungen aus dem Gebiete der Chemie. Abteilung III. Die Abhandlungen aus dem Gebiete der Anatomie und Physiologie des Menschen und der Tiere sowie aus jenem der theoretischen Medizin. Von jenen in den Sitzungsberichten enthaltenen Abhand- lungen, zu deren Titel im Inhaltsverzeichnisse ein Preis bei- gesetzt ist, kommen Separatabdrücke in den Buchhandel und können durch die akademische Buchhandlung Karl Gerold's Sohn (Wien, I., Barbaragasse 2) zu dem angegebenen Preise bezogen werden. Die dem Gebiete der Chemie und verwandter Teile anderer Wissenschaften angehörigen Abhandlungen werden auch in besonderen Heften unter dem Titel : »Monatshefte fürChemie und verwandte Teile anderer Wissenschaften« heraus- gegeben. Der Pränumerationspreis für einen Jahrgang dieser Monatshefte beträgt 10 K oder 10 Mark. Der akademische Anzeiger, welcher nur Originalauszüge oder, wo diese fehlen, die Titel der vorgelegten Abhandlungen enthält, wird, wie bisher, acht Tage nach jeder Sitzung aus- gegeben. Der Preis des Jahrganges ist 3 K oder 3 Mark. U3l SITZUNGSBERICHTE DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. MATHEMATISCH-NATURWISSENSCHAFTLICHE KLASSE. CXIV. BAND. VI. UND VII. HEFT. JAHRGANG 1905. — JUNI UND JULI. ABTEILUNG L ENTHÄLT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER MINERALOGIE, KRISTALLOGRAPHIE, BOTANIK, PHYSIOLOGIE DER PFLANZEN, ZOOLOGIE, PALÄONTOLOGIE, GEOLOGIE, PHYSISCHEN GEOGRAPHIE UND REISEN. (MIT 3 TAFELN UND 24 TEXTFIGUREN.) ''^WIEN, 1905. ALS DER KAISERLICH-KÖNIGLICHEN HOF- UND STAATSDRUCKEREI. IN KOMMISSION BEI ALFRED HOLDER, K. U. K. HOF- UND UNIVERSITÄTSBUCHHÄNDLER, BUCHHÄNDLER DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. INHALT des 6. und 7. Heftes, Juni und Juli 1905, des CXIV. Bandes, Abteilung I der Sitzung-sberiehte der mathem.-naturw. Klasse. Seite Kubart B., Die weibliche Blüte von Juniperns communis L. Eine onto- genetisch-morphologische Studie. (Mit 2 Tafeln und 8 Textfiguren.) [Preis: 1 K — h = 1 Mk. — Pfg.J 499 Doelter C, Die Silikatschmelzen. (III. Mitteilung.) (Mit 1 Tafel und 14 Textfiguren.) [Preis: 1 K 50 h = 1 Mk. 50 Pfg.] 529 Uhlig V., Einige Bemerkungen über die Ammonitengattung Hoplites Neumayr. [Preis : 90 h = 90 Pfg.] 591 Hoernes R., Untersuchung der jüngeren Tertiärablagerungen des west- lichen Mittelmeergebietes. (IL Reisebericht.) (Mit 2 Textfiguren.) [Preis: 50 h = 50 Pfg.] . 637 Preis des ganzen Heftes: 3 K 70 h = 3 Mk. 70 Pfg. SITZUNGSBERICHTE DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE KLASSE. CXIV. BAND. VI. HE;FT. ABTEILUNG I. ENTHÄLT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER MINERALOGIE, KRISTALLOGRAPHIE, BOTANIK, PHYSIOLOGIE DER PFLANZEN, ZOOLOGIE, PALÄONTOLOGIE, GEOLOGIE, PHYSISCHEN GEOGRAPHIE UND REISEN. 34 499 Die weibliche Blüte von Juniperus communis L. Eine ontogenetisch-morphologische Studie von stud. phil. Bruno Kubart. Aus dem botanischen Institut der k. k. Universität in Wien. (Mit 2 Tafeln und 8 Textfiguren.) (Vorgelegt in der Sitzung am 6. Juni 1905.) Seit Targioni Tozzetti im Jahre 1810 die Lehre von der Gymnospermie der Koniferensamenanlagen und 15 Jahre später Robert Brown ganz unabhängig vom ersteren die Lehre von der Gymnospermie der Samenanlagen der Gymnospermen be- gründet haben, sind fast hundert volle Jahre verstrichen. Un- gezählt sind aber beinahe auch die Arbeiten, welche seither den Gymnospermen gewidmet wurden. Obwohl die Frage der Gymnospermie heute glücklicherweise bereits aus der Menge der Gymnospermenstreitfragen ausgeschaltet ist, so ist der Kampf und Streit um die Deutung der einzelnen Blütenteile bei den Gymnospermen heute noch ein heftiger und dies ganz besonders bei der großen Sammelklasse der Koniferen. Ich beabsichtige nicht im geringsten, an dieser Stelle eine zu- sammenfassende Darstellung der Geschichte dieses Streites zu geben, ich verweise vielmehr auf das bahnbrechende Werk Ed. Strasburger's: »Die Koniferen und die Gnetaceen«, 1872, welches eine Zusammenfassung in mustergültiger Weise enthält. Im Vordergrunde dieses Wettstreites stehen jedoch wohl sicher die Ansichten A. Braun's und A.W. Eichler-Delpino's. A. Braun erklärt die Blütenzapfen der Koniferen für Inflores- zenzen, Eichler-Delpino für Einzelblüten, natürlich jeder 34* 500 B. Kubart, von ihnen in seiner Weise. R. v. Wettstein^ vertritt in neuerer Zeit den Standpunkt, daß man nicht alle Familien der Koni- feren nach einem Schema beurteilen darf, und kommt auf Grund von vergleichenden Studien zu folgendem Resultat: Bei den Taxaceae und Pinaceae stehen die männlichen und weib- lichen Blüten in Infloreszenzen, bei den Cupressaceae haben wir es jedoch bei den männlichen wie weiblichen Blüten mit endständigen Einzelblüten zu tun. Bei einer Durchsicht der Koniferenliteratur findet man, daß sich die meisten Streitfragen an die Deutung der weiblichen Blütenzapfen der Pinaceae knüpfen, während ganz besonders die Cupressaceae vernachlässigt wurden. Der Ansicht, welche man über die Pinaceae gewonnen, wurden sie angepaßt. Zu den Cnpressaceae gehört auch Jtmiperus; in unseren Gegenden sehr leicht zu beschaffen ist die Art Juniperus com- munis L. der Oxycedms-Seküon. Allgemein bekannt ist die schöne blaue Wacholderbeere. An der Spitze kleiner, mit braunen Hochblättern — welche ich wegen ihrer schuppenartigen Gestalt einfach Schuppenblätter nennen will — besetzter Sprößchen befindet sich je eine, bei Juniperus communis blaue, bereifte, beerenartige Frucht. Ihre Gestalt ist rundlich, mehr eiförmig. Diese fertilen Sprößchen stehen in der Achsel einer gewöhn- lichen Wacholdernadel; die Schuppenblätter stehen in drei- zähligen Wirtein wie die grünen Laubnadeln, die Wirtelzahl ist jedoch nicht konstant. Ich konnte fünf bis sieben Wirtel zählen, die Samenanlagen nicht gerechnet. Der unterste Wirtel wird scheinbar von dem grünen Nadelblatt, in dessen Achsel das Sprößchen steht, und zwei Schuppenblättern gebildet. Der Bau der Blüte selbst ist folgender: Auf den letzten Schuppen- quirl folgen, mit diesem alternierend, drei Samenanlagen.^ Später- hin schwellen die drei Schuppenblätter dieses letzten Wirteis auf der morphologischen Oberseite^an und, die Samenanlagen einschließend, werden sie zu der sogenannten Wacholderbeere. J V. Wettstein, Handbuch der System. Botanik, II. Bd., LT. 2 Zum Vergleiche dienen die Abbildungen, wie sie z. B. bieten : Wa r m i n g, Handbuch der systematischen Botanik, p. 187; Strasburger, Lehrbuch der Botanik für Hochschulen, p. 387, wiedergegeben nach Berg und Schmidt. Weibliche Blüte von Junipents communis L. 501 Strasburger^ bezeichnet das Schuppenblatt, welches später- hin eine Anschwellung trägt, als »Deckblatt«, die Anschwellung selbst als »Fruchtschuppe«, beide zusammen als Schuppe. Dieser Terminologie will ich nun anfangs auch folgen, wenn auch, wie ich später zeigen werde, ich mich derselben nicht anschließen kann. Die Oxycedrtis-SQk.\.\on von Juniperus steht infolge der Stellung der Samenanlagen in ihren Blüten ganz einzig unter den Koniferen da, und der Fall heischt entschieden nach einer Erklärung. Herr Prof. v. Wettstein betraute mich mit der Unter- suchung dieser Erscheinung, stellte mir sein Institut zur Ver- fügung, und ich spreche an dieser Stelle hiefür als auch für die unausgesetzte Unterstützung meinen Dank aus. Seine mir vor- gelegten Fragen waren folgende: »Sind etwa in der Ontogenese Spuren einer Anlage von je zwei Samenanlagen rechts und links auf jedem Deckblatte zu sehen, von welchen sechs Samen- anlagen jedoch immer drei, und zwar entweder die rechts oder links auf den drei Deckblättern stehenden später abortieren, oder wird in der Ontogenese sofort nur je eine Samenanlage angelegt, und zwar vor der Mitte jedes Deckblattes, welche späterhin der Raumverhältnisse wegen eine seitliche Verschie- bung erfährt, wodurch uns infolge der dreimaligen Wieder- holung das schöne Bild der Alternation des Samenanlagen- wirtels mit dem Deckblattwirtel vorgetäuscht wird, was natür- lich auch im ersten Fall eintreten würde?« Eine Sichtung der einschlägigen Literatur ergab die Tat- sache, daß man von dem Gros der Gattungen der Cupressineae einfach Schlüsse auf die einzelnen Gattungen zog. Dieser Vor- gang ist ja sonst selbstverständlich richtig, doch glaube ich, daß wir dies bei den Koniferen nicht tun dürfen, und zwar schon allein mit Rücksicht auf ihr geologisches Alter. Denn es ist ja sichere Tatsache, daß wir unsere heutigen Koniferen eigentlich nur als Reste der großen Koniferenflora des Meso- lithicums auffassen müssen. Viele Koniferentypen dürften sich weiter entwickelt haben, viele sind ausgestorben, und unsere 1 Strasburger Ed., Die Koniferen und die Gnetaceen, 1872. 502 B. Kubart, heutigen Koniferenfamilien dürften, wenn auch nicht in ihrer Gesamtheit, so doch zu einem großen Teil aus heterogenen Elementen bestehen. Spezielle Angaben über Jtmiperns sind sehr spärlich und unter diesen lassen sich ganz genau zwei Ansichten scheiden. Bereits Hugo v. MohP äußerte sich über Juniperus com- mimis dahin, daß die Samenanlagen metamorphosierte Blätter wären. Genauer für diese Anschauung hat sich Sachs in seinem Lehrbuche der Botanik, ganz besonders III. Auflage, 1873, entschieden. Klar und deutlich schreibt er unter anderem p. 440: »Sind die vegetativen Blätter in alternierenden Quirlen vorhanden, wie bei den Cupressineen, so stehen auch die Staub- und Fruchtblätter, bei Juntperus communis selbst die Samenanlagen (als Vertreter ganzer Blätter), in alternierenden Quirlen«; und p. 444: »Die Samenanlagen alternieren anschei- nend mit dem oberen dreigliederigen Blattquirl und würden so ihrer Stellung nach selbst als metamorphosierte Blätter ^ Mohl, Hugo V., Verm. Schriften bot. Inhalts, 1845: »Über die männ- lichen Blüten der Koniferen«. Mohl schreibt in dieser Arbeit: »Betrachten wir das weibliche Blüten- kätzchen von Juniperus, Thuja, Cupressus, so werden wir seine Achse unmittel- bar mit Karpellarblättern besetzt und dieselben nicht, wie bei Pintis, in den Achseln von Brakteen stehen finden. Man kann nun entweder annehmen, daß diese Karpellarblätter von Juniperus die metamorphosierten Blätter der Haupt- achse des Kätzchens sind, oder man kann annehmen, daß sie, wie bei Pinus, sekundären Achsen angehören, und daß die ihnen zugehörigen Brakteen fehl- geschlagen sind, oder daß die Brakteen, wie dies Don bei Arthrotaxis ver- mutet, mit dem Karpellarblatt aufs innigste verwachsen sind.« In den nach- folgenden Zeilen beleuchtet nun Hugo v. Mohl alle drei Ansichten und schließt sich der ersten an, wenigstens erscheint sie ihm wahrscheinlicher als die zweite und dritte zu sein. Wie interessant auch diese Notiz des großen Morphologen ist, so enthält sie leider eine kleine Unrichtigkeit. Mohl spricht ausdrücklich von Jnniperus, Thuja und Cupressus und sagt, die Karpellarblätter stehen nicht in den Achseln von Deckblättern, sondern direkt an der Achse. Eine rein makroskopische Betrachtung der weiblichen Blüten dieser drei Gattungen zeigt jedoch, daß man wenigstens zwei Typen vor sich hat. — Bei Juniperus Sektion Oxycedrus sind keine Deckblätter zu sehen. Mohl befindet sich da in vollem Recht. Doch bei Juniperus Sektion Sabina, Thuja und Cupressus sind die Verhältnisse — wenigstens im ausgebildeten Zustand — entschieden anders. Weibliche Blüte von Juniperus communis L. 503 ZU betrachten sein; die Blätter des oberen, mit ihnen alter- nierenden Quirls schwellen nach der Befruchtung an, werden, unter sich verwachsend, fleischig und bilden die Pulpa der blauen Wacholderbeere, in welcher die reifen Samen gänzlich eingeschlossen sind, sie können daher als Karpelle bezeichnet werden«. Sachs anerkennt also, daß die Samenanlagen bei Junipertis communis umgebildete Blätter sind, kann aber nicht umhin, den Deckblattquirl als Fruchtblattquirl zu bezeichnen. Die zweite Ansicht geht dahin, daß die Samenanlagen für ein Produkt der Schuppe angesehen werden; die Schuppe selbst wird wieder gedeutet, je nachdem der einzelne Forscher die weiblichen Koniferenblüten deutet. So z. B. Payer,^ Eichler,^ Oerstedt.^ Derselben Ansicht schloß sich Strasburger-* an und suchte für die Alternation der Samenanlagen mit den obersten Deckblättern eine Erklärung, indem er annahm, die Schuppe hätte ursprünglich je zwei Samenanlagen getragen, doch sei aus Raummangel immer je eine Samenanlage — selbstverständlich in jeder Blüte immer nur auf der einen Deck- blattseite — zu Grunde gegangen, schließlich wurde nur je eine immer entwickelt, und dies hätte sich dann konstant ver- erbt. Seit Strasburger 1872 und Sachs 1873 ihre einander widersprechenden Ansichten über die Blüte von Juniperus communis niedergelegt, ist über diese Frage, die also noch immer kontrovers ist, keine Entscheidung gefallen. Der einzige Weg, diese Frage zu lösen, liegt meiner Ansicht nach in dem Studium der Ontogenese der weiblichen Blüte von Juniperus communis. Die kleinen Sprößchen, welche an ihrer Spitze die Samen- anlagen tragen, werden schon im Herbst und Winter des vorangehenden Jahres angelegt. Lange Zeit verstreicht jedoch, bis man die fertilen jungen Sprößchen von den vegetativen, die zu gleicher Zeit frisch gebildet werden, unterscheiden kann. In 1 Rapport fait ä Tacademie des sciences sur un memoire de M. Baillon intitule Recherches organogeniques sur la fleur des Coniferes le 9 Juillet 1860. 2 Martius, Flora brasiliensis, XXXIV, H., Die Gymnospermen. 3 Videnskabelige Meddeleser fra den naturhistoriske Forening i Kjöben- havn, No. 1—2 for Aaret 1864. 4 Strasburger, 1. c. 504 B. Kubart, diesen jungen Stadien gleichen sie sich vollständig.^ Bei der späteren Entwicklung sind die vegetativen schon an der Aus- bildung der Nadelblätter zu erkennen, während die fertilen immer mit den braunen Schuppenblättern besetzt sind. Im Frühjahr sieht man dann an der Spitze des Zweigleins drei ausgebildete birnenförmige Samenanlagen stehen, welche von den drei Schuppen an ihrer Basis umgeben sind (siehe Taf. I, Fig. II). Die Mikropyle der Samenanlagen ist so groß, daß man die Öffnung derselben mit freiem Auge sehen kann. Sie mißt im Durchmesser zirka 135 ja. Zur Zeit der Bestäubung scheidet sie einen Guttationstropfen aus. Gleich bei den ersten Längsschnitten durch Samenanlagen, die ich von älterem Material — solches und ganz junges stand mir anfänglich nur zur Verfügung — anfertigte, bot sich mir folgendes Bild dar. Siehe Taf. I, Fig. I, und Taf. II, Fig. I. Der Nucellus ist fast bis zu seiner Basis mit dem Integument nicht verwachsen. Das Integument läuft in einen flaschenförmigen Hals aus und bildet die Mikropyle. Dieser Hals besteht meist aus vier Zellschichten. Die zwei bis drei äußeren sind in die Länge gestreckt, die Zellen der innersten Zellschichte sind anfangs fast isodia- metrisch, quadratisch im Flächenschnitte; nach der Bestäubung tritt jedoch ein schnelles Wachsen eines Teiles dieser Zellen ein und die Mikropyle wird durch diese Zellen verschlossen. Genau senkrecht auf die Richtung der drei andern Zellschichten der Mikropyle wachsen diese Zellen der innersten Schichte — vergl. die Abbildung Taf. I, Fig. IV — in die Länge, und sie übertreffen in ihrer endgültigen Gestalt die ursprünglichen Zellen um das Dreifache an Größe. Die Länge dieser »Ver- schlußzellen« beträgt 50 bis 55 [).. Diese Verschlußzellen schließen jedoch in der Mitte nicht fest aneinander, sondern es bleibt ein Kanal übrig, der zwischen die einzelnen Ver- schlußzellen viele Abzweigungskanäle entsendet (Taf. I, Fig. III). 1 Es ist ja vielleicht auch möglich, daß ursprünglich nur vegetative Sprosse angelegt werden, und daß späterhin ein Teil derselben durch das Ein- wirken gewisser Kräfte — die weiter nicht bekannt sind — Blüten ausbildet, wodurch das Wachstum der Sprosse abschließt. Dies bezieht sich nicht allein auf Juniperns communis, sondern auch auf das übrige Pflanzenreich. Weibliche Blüte von Junipertis couiinnnis L. 50o Dieser eigentümliche Bau der Mikropyle samt Verschluß er- innert unwillkürlich an das Bild, welches uns M. B. Renault^ von der Samenanlage der Kordaiten bietet. Doch ein Vergleich zwischen Jan iperus und CordaiantJms Grand'Euryi B. R. be- lehrt uns, daß wir es hier nicht mit zwei homologen Gebilden zu tun haben. Der heutigen Deutung der CordaiaHthusS&men- anlage mich anschließend, sitzen bei dieser die stark ver- längerten Zellen dem Nucellus direkt auf. Sie bilden wohl zweifelsohne auch einen Verschluß. Denn man kann sich nicht vorstellen, falls die zwei Gebilde, welche bereits in der Pollen- kammer sind, wirklich Pollenkörner sind, daß dieselben durch den engen Kanal, welcher zwischen den Verschlußzellen läuft, hindurchgekommen sind. Hiefür spricht ja auch die Abbildung i 5 von Renault, welche wohl deutlich genug zeigt, daß die zwei andern, ebenfalls für Pollenkörner erklärten Gebilde, welche noch oberhalb des Verschlusses liegen, unmöglich durch den engen Gang hindurchkommen können. Ich möchte die Deutung dieser vier Gebilde als Pollenkorner nicht anzweifeln und glaube, für dieses Bild folgende Erklärung geben zu dürfen. Bei Cordaianthtts hat die Pollenkammer des Nucellus jenen eigentümlichen röhrenförmigen Aufsatz, welcher die Ausbildung dieses eigenartigen Verschlusses ermöglicht. An der Spitze dieses Trichters sieht man, daß die Zellen desselben auch iso- diametrisch sind und sich weiter nach unten, der Pollen- kammer zu, verlängern, wodurch der Verschluß erzielt wird. Es dürfte dieses Wachstum der Zellen auch erst eingetreten sein nach der Bestäubung. Durch einen präsumtiven Gutta- tionstropfen wurde ein Pollenkorn, das durch den Wind auf diesen getragen wurde, auf den Nucellus herabbefördert, und sofort fingen die Zellen an zu wachsen, um den Verschluß zu bilden. Daß ein zweites Pollenkorn sich auch noch in der Pollenkammer befindet, darüber darf man sich nicht wundern, dieses kann ja zu gleicher Zeit mit dem andern Pollenkorn in den Guttationstropfen gekommen sein, oder es wurde etwas später hinabgefördert, natürlich zu einer Zeit, wo der Weg noch 1 Nouvelles Archives du Museum d'Histoire naturelle, Tome deuxieme, Paris, 1879: Flore Carbonifere, von M. B. Renault. 506 B. Kubait, passierbar war. Es können natürlich auch jetzt noch immer Pollenkörner auf die Mikropyle geweht werden, ja, falls der Guttationstropfen noch nicht vertrocknet, kann dieser auch immer noch mitwirken beim Auffangen derselben, doch können diese Pollenkörner unmöglich als solche weiter hinabgelangen als bis zu der Stelle, wo der Verschluß einsetzt, wie es die Abbildung von Cordaianthus zeigt.^ Wir haben also hier entschieden zwei analoge Bildungen, welche nach erfolgter Bestäubung auftreten und wohl den Zweck haben, einen Schutz für die weiteren wichtigen Vor- gänge zu bilden. Bei der weiteren Untersuchung des mir zur Verfügung stehenden Materials sah ich bald ein, daß die Samenanlagen in dem einen Falle schon zu weit entwickelt waren, es bildete sich schon die Beere aus, in dem andern wieder konnte ich noch keine Spur von Samenanlagen konstatieren. Ich entschloß mich daher, in regelmäßigen Zeitabschnitten Material einzu- sammeln, und zwar vom Herbste bis Frühjahr, um so die auf- einanderfolgenden Entwicklungsstufen zu bekommen. Eben- falls mußte ich zur langwierigeren Mikrotomtechnik Zuflucht nehmen, um lückenlose Ouerschnittserien herstellen zu können. Auf Querschnitte mußte ich mich zum größten Teile beschränken, denn nur diese konnten mir über die Stellung der Samenanlagen während ihrer Entwicklung Aufklärung geben; selbstverständ- lich untersuchte ich auch Längsschnittserien. Nachdem ich das Material gesammelt, schritt ich zur weiteren Untersuchung, und zwar ging ich vom fertigen Objekt aus, um so leichter und sicherer in jüngeren Objekten beur- teilen zu können, welche Teile derselben den Samenanlagen entsprechen. Ein weites Zurückgehen von Stadien mit aus- gebildeten Samenanlagen war nicht nötig, denn diese bilden sich im Frühjahre binnen kurzer Zeit aus. Zur Kontrolle unter- 1 Ich hatte diese Zeilen niedergeschrieben, bevor ich das ausgezeichnete Buch: Solms-Laubach, »Einleitung in die Paläophytologie< nachgelesen. Zu meiner größten Freude fand ich nachher, daß derselbe bereits in ähnlicher Weise eine Erklärung des Verschlusses der Cordaianthus-VoWtTik&mmeT gegeben. Er hält sogar diese Zellen für einen Teil eines Integumentes, was ja eine um so größere Übereinstimmung mit Jitnipents communis geben würde. Weibliche Blüte von Jttnipenis communis L. 507 suchte ich jedoch auch noch die folgenden jüngeren Stadien, doch bheb das erzielte Resultat immer dasselbe. An Material, welches ich am 28. Mai 1904 am Bisamberg bei Wien — von dort stammt zum größten Teile das benützte Material — • eingesammelt, fingen schon an, der Zeit ent- sprechend, kleine Beeren sich auszubilden. Die einen sind schon sehr herangewachsen, die Schuppen bereits sehr groß. Die andern sind noch sehr klein, die Schuppen noch wenig ent- wickelt. Diese beiden Extreme sind natürlich durch Zwischen- glieder verbunden. Die verschiedene Entwicklung hängt selbst- verständlich von der früher oder später eingetretenen Bestäu- bung ab. An den obersten Schnitten von Querschnittserien sieht man ganz besonders schön, daß die Samenanlagen mit den Schuppen alternieren. Bei weiterer Durchmusterung der Schnitte kommt man endlich zu denjenigen, welche das Ver- wachsen der Samenanlagen mit den Schuppen zeigen. Es ist hier aber nicht an eine postgenitale Verwachsung zu denken, denn hievon ist keine Spur, sondern dieselbe ist kongenital. Wählt man nun Schnitte, die möglichst genau quer geführt sind und wo die Samenanlagen ziemlich gleich entwickelt sind, so bekommt man anfangs bei der Sichtung vieler Serien den Eindruck, daß die Samenanlagen zuerst immer die Verwach- sung mit einer Schuppe zeigen und später auch mit der andern Schuppe verwachsen. Man sieht, daß so gewöhnlich zwei Samenanlagen auf einer Schuppe zu stehen kommen, die dritte Samenanlage steht auf der zweiten Schuppe, die dritte Schuppe trägt keine Samenanlage, wie Taf. I, Fig. V und VI zeigt. Dies verleitet zu einer ähnlichen Ansicht, wie sie Ed. Stras- burger vertrat. Man könnte sagen, die Samenanlagen werden von den Schuppen ausgebildet, und zwar bald beiderseitig oder nur einseitig und der Raummangel dürfte hier bestimmend mit- wirken, respektive mitgewirkt haben. Es wäre demnach die heutige Wacholderblüte von einer Form abzuleiten, die sechs Samenanlagen in einem Wirtel trug. Diese Deutung unter- schiede sich nur von der Strasburger'schen dadurch, daß dieser angibt, die Samenanlagen werden nun konstant immer nur an einer Seite der Schuppe angelegt. 508 B. Kubait, Das oben geschilderte Bild ist aber nicht immer zu sehen, sehr oft findet man, daß zwei Samenanlagen mit einer Schuppe verwachsen sind, während die dritte weder der zweiten noch dritten Schuppe ganz angehört; sie scheint jedoch in der Mitte zwischen den zwei Schuppen zu stehen und mit diesen zu gleicher Zeit zu verwachsen (Taf. I, Fig. VII bis X). Ja in etlichen Fällen konnte ich sehen, daß die Samenanlagen immer zwischen den Schuppen stehen und zu gleicher Zeit mit den zwei Nachbarschuppen verwachsen (Taf. II, Fig. II bis IV). Diese Erscheinungen ließen mich an der oben gegebenen Deutung der weiblichen Wacholderblüte zweifeln. Denn in diesem Falle müßte ich ja annehmen, daß die Samenanlagen zwischen je zwei Schuppen ausgebildet werden, also keine Produkte derselben sind, was die erste Deutung in sich invol- viert. Ich konnte also unmöglich hier stehen bleiben, sondern mußte weiter untersuchen. Entscheidend für meine weiteren Ausführungen waren Schnitte durch Objekte, an denen die Fruchtschuppen sehr wenig oder noch gar nicht entwickelt waren, während die Samenanlagen ausgebildet sind. Diese selbst sind im Querschnitte schon an der Gliederung des Gewebes in Integument und Nucellus zu erkennen, und sollte dieses Kennzeichen nicht hinreichend sein, so ist die stark differente Safraninfärbung des Integumentes und des Nucellus ein untrügliches Kennzeichen der Samenanlage. Eine Ver- wechslung mit einer Blattanlage ist hier also vollends aus- geschlossen, und dies ist höchst wichtig, da man zu einer Zeit, wo der fertile Sproß noch nicht alle Schuppenblätter aus- gebildet hat, sonst sehr leicht die obersten Blattanlagen, welche am Längsschnitt als einfache Höcker unterhalb der Vegeta- tionsspitze erscheinen, für die meristematischen Anlagen der Samenanlagen halten könnte. Die Untersuchung von Querschnittserien solcher junger weiblicher Sprößchen zeigt, daß an denselben die Blätter in Wirtein entspringen. Gegen den Vegetationspunkt zu sind an diesen die Blätter noch meristematisch. Ich gebe einige schema- tisierte Zeichnungen dieser Schnitte (Taf. II, Fig. V, VI, VIII). Des Raumes wegen sind natürlich die inneren Schuppenblätter- anlagen schön regelmäßig abgeplattet. Endlich habe ich bei der Weibliche Blüte von Jitnipents communis L. 509 Schnittdurchmusterung auch Schnitte durch den letzten Wirtel am Sprößchen erreicht und mit diesem Wirtel ist der Sproß abgeschlossen. Die Blätter dieses letzten Wirteis sind die Samenanlagen. Daß sie es sind, darüber ist kein Zweifel möglich, wie schon aus den Zeichnungen Taf. II, Fig. VII bis XI, genug klar erhellt. Der nächst tiefere Wirtel ist gebildet von den sogenannten »Deckblättern«. Von den »Fruchtblättern« ist derzeit noch keine Spur. Nur in seltenen Fällen sah ich, daß die Achse des fertilen Sprößchens sich noch über den Samenanlagenwirtel hinaus ein Stückchen fortsetzt (Taf. II, Fig. V, VI, VIII, IX), und in einem einzigen Falle fand ich, daß sich diese oberhalb des Samenanlagenwirtels in drei Teile geteilt, offenbar drei Blatt- anlagen (Taf. II, Fig. X und XI), in der überwiegenden Zahl ist jedoch mit dem Samenanlagenwirtel die Achse abgeschlossen. Vergl. hiezu Taf. II, Fig. VII. Was sind nun die Samenanlagen? Die Samenanlagen sind hei Juniperus communis einfach umgebildete Blätter; sie können unmöglich anders gedeutet werden. Auch ihre Stellung zur .Achse des Sprößchens spricht unbedingt für ihre Blattnatur, Sie stehen ebenso schief vom Sproß ab wie alle andern Schuppenblätter des fertilen Sprößchens. Die Folge dieser ihrer Stellung ist nun auch, daß man nie einen in voll- kommen gleicher Höhe durch alle drei Samenanlagen auf ein- mal vollkommen quer geführten Schnitt bekommen kann, was sich dann ganz besonders deutlich an den obersten Schnitten durch Samenanlagen zeigt, wie Taf. II, Fig. IX bis XI, illu- strieren. Selbstverständlich kann nun in unserem Falle die Jiiiiiperus commimis-Blüte nur als einfache endständige Blüte angesprochen werden und nicht als Infloreszenz.^ Ganz von selbst bot sich mir das erzielte Resultat dar. Es ist nun wohl selbstverständlich, daß ich jetzt einen Vergleich der weiblichen Jniiipevns compmmis-B\n\.e mit der männlichen versuchen muß. Ist doch zu erwarten, daß weibliche und i An die von Wettstein 1. c. gegebene Definition einer Blüte mich anschließend, könnte ich die Schuppenblätter des Sprosses als Blütenhülle bezeichnen. 510 B. Kubart, männliche Blüten derselben Pflanze gleichartig gebaut sein werden oder wenigstens auf denselben Grundtypus zurück- führbar sind. Die männliche Blüte zeigt auf den ersten Blick keine Übereinstimmung mit der weiblichen. Doch wir wollen weiter untersuchen. Die männliche Blüte besteht aus einer Anzahl von dreizähligen, Pollensäcke tragenden Staubblätter- (Sporophyll) wirtein. Jedes Sporophyll trägt drei bis vier Staub- beutel. Der vorletzte Wirtel besteht nur noch aus sechs Staub- beuteln, und zwar entsprechen je zwei Staubbeutel einem Sporophyll, von diesem selbst ist in diesem Wirtel fast nichts mehr zu sehen. Der oberste Wirtel endlich besteht nur aus drei Staubbeuteln. Selbstverständlich ist jeder Staubbeutel gleich- wertig einem Sporophyll der vorhergehenden Wirtel. Und ganz dasselbe ist bei der weiblichen Blüte zu sehen. Bei dieser sind eben auch die drei Blätter des obersten Wirteis zu Geschlechts- organen total umgebildet. Die andern Blätter sind jedoch steril geblieben. Doch kommen weibliche Blüten manchmal vor, wo ein bis drei Wirtel die Frucht bilden. Es sollen dann auch in den Achseln der Schuppen des tiefer stehenden Wirteis je zwei Samenanlagen stehen, während die Schuppen des oberen Wirteis — diese Ausdrucksweise ist nach meinen obigen Aus- führungen natürlich unhaltbar — nur je eine Samenanlage tragen. So schreibt z. B. Otto Renner^ und bezieht sich auch auf eine Stelle von Pariatore.- Dieser schreibt, daß zwar sechs Schuppen vorkommen, jedoch in der ganzen Blüte nur 3 — 2 — 1 vSamenanlagen. Die Stelle sei selbst zitiert: »Galbulis squamis 3, raro 6, arcte connatis, infra apicem apiculatis, api- culo brevi, acuto, retiusculo, nuculis 3 vel raro 2 aut 1«. Luerssen^ schreibt: »Jiuiiperus (im engeren Sinne Oxycedrns Spach) . . . Zapfenschuppen in ein- bis dreigliederigen Wirtein, von denen nur der obere (respektive einzige) allein fruchtbar ist« und an anderer Stelle: »Jimiperus commimis unterscheidet sich, daß nur der oberste dreigliederige Wirtel fertil ist«. Mehr Angaben habe ich nicht gefunden, und selbst habe ich diesen Fall nicht beobachtet. Die Angaben von Pariatore und 1 Otto Renner, Flora, 1904, '^ Pariatore, Flora Italiana, IV. 3 Luerssen, Handbuch der System. Botanik, 11. Weibliche Blüte von Junipertts comtnunis L. Ol I Luerssen sind aber schon hinreichend, um mit einer ziem- lichen Gewißheit annehmen zu lassen, der hie und da auf- tretende zweite und dritte Wirtel der Frucht von Jimiperiis communis war einstens auch fertii. Die Angabe von Renner bestätigt dies. Ich glaube daher, keinen Fehlschluß zu tun, wenn ich sage, die weibliche und männliche Juniperus com- munis-W^üie haben denselben Bau, die weibliche Blüte reprä- sentiert jedoch in ihrer heutigen Gestalt eine bereits stark abgeleitete Form. Sobald ich aber diese Tatsachen erkannt, drängt sich von selbst jetzt folgende Frage auf: »Was sind nun die Gebilde, welche man als »Fruchtschuppen« bezeichnet?« Sie sind zur Zeit, da die Samenanlagen bereits entwickelt sind, noch nicht zu sehen, sie bilden sich erst später aus; sie stehen, wie aus dem Vorhergehenden hervorgeht, mit den Samen- anlagen in keinem morphologischen Zusammenhange. Viel- leicht kommen wir einem Verständnisse für diese Bildungen näher, wenn wir nur zunächst ihre Funktion klarstellen. Wir wissen, daß der Natur viele Wege offen stehen zur Erreichung desselben Zieles. Es sei mir nun gestattet, zur Illustrierung dessen einige Beispiele anzuführen. Die nacklen Samenanlagen der Koniferen müssen doch irgend einen Schutz erhalten, wenn sie zum Samen werden, ebenso bedürfen die Samen der Verbreitungsmittel. Bei Ginkgo werden die äußeren Zellschichten des Integumentes fleischig, die inneren steinhart; Cephalotaxus bekommt ein fleischiges Integument, das den Samen schützt. Taxus umgibt den Samen mit einem Arillus, der becherartig die Samen einhüllt und vielleicht weniger zum Schutze da ist, als vielmehr die Verbreitung befördern soll. Torreya bildet ebenfalls einen Arillus aus, doch umhüllt dieser die Samenanlage vollständig, was bei Taxns nicht der Fall ist. Araticaria läßt die Deckschuppen stark wachsen, um die reifenden Samenanlagen zu schützen, Pimis hingegen die Fruchtschuppen. Ich glaube nun, daß durch die Beerenbildung bei Juniperus derselbe Zweck erreicht und zu gleicher Zeit auch ein gutes Mittel für die Verbreitung der Samen gewonnen wird. 512 B. Kubart, Die Wacholderbeere besteht aus dreierlei Bestandteilen: den »Deckblättern«, »Fruchtschuppen« und Samen. Betrachtet man die Entstehungsweise der Beere, so findet man, daß die Bildung der »Fruchtschuppen« rings um die ganze Achse sich vollzieht; nicht allein superponiert der Oberseite der »Deck- blätter« tritt die Bildung der »Fruchtschuppe« auf, sondern der ganze Sproß fängt an, in dieser Zone intensiv zu wachsen. Sehen wir eine weibliche Blüte schon bald nach Eintritt dieses Wachstums an, so sieht man, wie es die beigegebene Abbildung Taf. I, Fig. II, zeigt, daß die drei Samenanlagen bereits in einem schüsselartigen Behälter sitzen, der an den drei Lücken, welche zwischen den Samenanlagen sich befinden, von je einem Höcker gekrönt ist, der sogenannten Fruchtschuppe, welche selbst auf den Deckschuppen sitzen. Das Wachstum schreitet rasch fort, und im Juli sind die Beeren bereits geschlossen, die Samen- anlagen von der Außenwelt abgesperrt. Berücksichtigt man die räumlichen Verhältnisse, wie sie in der Blüte sind, so kann man sich nicht wundern, warum gerade oberhalb der Deck- schuppen die größte Wucherung der Fruchtschuppen auftritt; es ist ja dort in den Lücken zwischen den Samenanlagen der größte freie Raum, während diejenigen Partien, welche, je eine Samenanlage von außen her umhüllend, die eigentlichen Fruchtschuppen verbinden, unmöglich so stark ausgebildet sein können. Sie haben auch einen größeren Weg zurückzulegen, bevor sie die Spitze der Beere erreichen, und so kommt es, daß diese Teile der Umhüllung — wenn auch die gleiche Wachs- tumsintensität ihnen zukommt wie den sogenannten Frucht- schuppen — zurückbleiben und der schließliche Verschluß der Beere von den sogenannten Fruchtschuppen hergestellt wird, und zwar durch ein postgenitales Verwachsen, ein Gegen- einanderwachsen der Epidermiszellen. Dieselben werden zu einem Folgemeristem, es treten Zellteilungen ein meist in peri- kliner Richtung, die äußeren Zellen wachsen dann zwischen einander und vergrößern sich an ihren äußeren Enden, so daß eine feste Verkeilung erzielt wird. Der ganze Vorgang kann verglichen werden mit dem Verwachsen zweier Schädel- knochen. Weibliche Blüte von Juniperits coiiimiiiiis L. ol3 Bevor ich meine Ansicht über die Natur der »Friicht- schuppe« ausspreche, ist es nötig, noch die Beziehung der- selben zur Deckschuppe zu besprechen. Ich kann Strasburger nicht beistimmen, da er 1. c. sagt: »Bei Juniperus communis ist die Entwicklung der Frucht- schuppe eine verhältnismäßig sehr schwache; sie erreicht gar nicht die Spitze des Deckblattes, wie man das aus dem Auf- hören der Bündel schon in halber Höhe der Schuppe schließen kann.« Die Fruchtschuppe ist bei Juniperus communis viel- mehr sehr stark entwickelt. Fast die ganze Schuppe besteht aus der Fruchtschuppe, dem Deckblatte gehört nur ein sehr kleiner Teil der Schuppe an. Dafür spricht auch der Gefäß- bündelverlauf in der Schuppe. Strasburger^ beschreibt den- selben in folgender Weise: » . . . es treten drei Gefäßbündel in die Schuppe ein. Eines ist das äußere, die zwei andern sind die inneren Gefäßbündel. Auf Querschnitten sehen wir, daß das äußere Bündel sich in mehrere, fünf bis sieben Zweige geteilt hat und daß diese peripherisch in der Schuppe laufen mit nach innen gekehrten Tracheen. Ihnen gegenüber sehen wir die oberen Bündel, deren Zahl ebenfalls auf vier oder mehr in jeder Schuppe gestiegen ist und die sich an der Innenfläche der Schuppe halten mit nach außen gekehrten Tracheen.« Nach diesen Angaben müßte man aber gerade erwarten, daß das Deckblatt stärker entwickelt ist, wie ja auch Strasburger will. Doch habe ich den Gefäßbündelverlauf genau an lücken- losen Querschnittserien verfolgt, und zwar an Material vom Ende Mai 1904, konnte aber die Ansicht Strasburger's nicht bestätigen. Vielmehr muß ich meine Ergebnisse dahin zu- sammenfassen, daß sich sogar in den einzelnen Schuppen der- selben Wacholderbeere die Verhältnisse nicht gleich gestalten. Hervorzuheben ist jedoch, daß das Deckblattbündel meist un- geteilt bleibt, sich aber auch teilen kann, und zwar in zwei bis drei Äste. Das letztere ist das seltenste. Die zwei Frucht- schuppenbündel hingegen teilen sich bis in 12 Zweige. Sie versorgen die Fruchtschuppe, welche das Deckblatt fast ein- schließt, was auch die Lagerung der Fruchtschuppenbündel 1 L. c. S;tzb. d. mathem.-naturw. Kl.; CXIV. Bd., Abt. I. 35 514 B. Kubart, beweist. Das, respektive die Deckblattbündel werden rechts und links von den Zweigen der Fruchtschuppenbündel flan- kiert, dasselbe Verhältnis, wie es z. B. bei Chamaecyparis und Cupresstis fimehris auch vorkommt. Es hat nun gar nichts Besonderes zu bedeuten, wenn die Bündel, welche in einer Ellipse angeordnet sind, nicht alle gleich orientiert sind, daß bei den einen das Xylem nach innen, auf der Seite der Sproß- achse, bei den andern das Xylem nach außen, der Deckschuppe zugekehrt ist. Dies bringt ja ihre Lage mit sich und ist sonst ohne jede Bedeutung. Ich möchte vielmehr sagen, daß die Bündel ganz normal gelagert sind. Sie liegen in der Peripherie des Organes und ihr Xylem liegt wie in einem Stamm dem Zentrum zu, das Phloem nach außen. Die Hauptmasse der Schuppe gehört also unbedingt der Fruchtschuppe an. Es scheint mir aber auch nicht recht verständlich, warum man dieselbe als ein Achselprodukt ansehen muß. Um nun die Sproßwertigkeit der Fruchtschuppe nachzuweisen, zieht Stras- burger einen Vergleich von vegetativen Sprossen mit fertilen herbei, sicher ein ganz richtiger Vorgang. In einem vegetativen Sproß ist der Bündelverlauf bei Juni- pertis communis, den man auf Querschnittserien genau ver- folgen kann, folgender: Der Querschnitt — meine Schilderung des Bündelverlaufes setzt bei dem einfachsten Verhältnis ein — zeigt drei einfache Bündel (Fig. 1); einige Schnitte höher sehen wir, daß jedes der drei Bündel I, II, III sich in je drei Bündel auflöst. Wir erhalten neun Bündel im Querschnitte (Fig. 2). I ist in a, b, c; II in d, e, f; III in g, h, i aufgelöst. Die mittleren Bündel dieser Gruppen, also b, c, h versehen die drei Nadeln eines Wirteis mit den Leitungsbahnen und verschwinden dem- nach aus den nun folgenden Schnitten. Die sechs restlichen Bündel vereinigen sich nun wieder zu drei Strängen, und zwar tun dies je c+d, f+g und i-ha, so daß wir diese neu ent- standenen Bündel oberhalb der gefäßbündelfreien Stellen, welche zwischen I-}-II, II + III und III-l-I waren, verlaufen sehen, wie Fig. 3 zeigt. A r= c+d, B z^ f+g, C =: i+a. Es ist also eine Drehung um 60° eingetreten. A, B und C teilen sich nun abermals in je drei Teile, die mittleren Bündel versehen die drei Nadeln des entsprechenden Wirteis, die seitlichen Bündel Weibliche Blüte von Jitniperiis communis L. 515 verschmelzen, kurz, im vegetativen Sproß wiederholt sich dieser Vorgang zwischen je zwei Wirtein. Steht nun in der Achsel einer Nadel ein Sproß, so bekommt diese Nadel das mittlere Bündel einer Gefäßbündelgruppe, wie sie in Fig. 2 dargestellt sind. Der Sproß selbst erhält zwei Bündelzweige, welche sich noch vor der abermaligen Teilung des Gefäß- bündelstranges loslösen. Ich kopiere hiezu die Abbildung Fig. 1. Fig. 2. Fig. 3. Fiff. 4. (Fig. 4), wie sie A. De Bary in Hofmeister's physiolo- gischer Botanik nach Geyler (Pringsheim's Jahrbuch, Bd. IV) für Juniperns nana wiedergibt. In gleicher Weise schildert Strasburg er den Gefäß- bündelverlauf und schreibt dann p. 32: »An der Basis des Zapfens zeigt ein Querschnitt durch die Achse neun im Kreis angeordnete Bündel (Fig. 5), weiter hinauf sieht man drei Bündel aus diesem Kreis, um 120° divergierend, hinaustreten (Fig. 6), die Bündel zwischen denselben verschmelzen zu je einer Bündelgruppe (Fig. 7). Dann teilt sich jede dieser Gruppen wieder in drei Bündel, von welchen die beiden seitlichen je 35* 516 B. Kubart, einen Zweig nach außen abgeben (Fig. 8), der dem ersten auf dem Wege folgt. Wir sehen jetzt auf dem, Querschnitte drei austretende Bündelgruppen, jede aus je drei Bündeln bestehend, einem mittleren, tiefer stehenden und zwei seitlichen, höher gestellten. Ein Vergleich mit vegetativen Sprossen zeigt, daß dort der Verlauf der Bündel der nämliche ist, und daß in den gleichen Fällen das untere Bündel das Blatt, die beiden oberen die Achselknospe versorgen. Hier treten alle drei gemeinschaft- lich in die Schuppe ein.«^ Dieser Schlußsatz scheint mir gerade wichtig zu sein. Würde nämlich eine Gleichwertigkeit der Fruchtschuppe und eines Sprosses da sein, so müßte eine volle Übereinstimmung des Gefäßbündelverlaufes da sein; dies ist jedoch nicht der Fall. Hier treten alle drei Bündel gemeinsam in die Schuppe ein, jedoch noch nicht in drei gespalten, sondern als ein ganzes i Ich füge einige Skizzen diesen Ausführungen Strasburger's bei, welche ich mir nach dem Wortlaute seiner Ausführungen selbst gezeichnet habe. Sie entsprechen nicht ganz den Zeichnungen Strasburger's, doch konnten sie, wenn ich dem Wortlaute folgen wollte, nicht anders ausfallen. Fig. 5. Fig. 6. Fig. 7. Fig. 8. Weibliche Blüte von Jitnipents communis L. O 1 7 Bündel, wie ich mit Sicherheit konstatieren konnte, das sich später in drei Bündel teilt, wovon eines — das mittlere — in die Nadel — unser Deckblatt — marschiert, die zwei andern die Fruchtschuppe versorgen. Ich konnte auch nichts von den Bündeln a, b, c, d, e, f, g, h, i (Fig. 8) in der Beere sehen, von denen doch unbedingt Reste vorhanden sein mußten. Ich kann vielmehr ganz ruhig sagen: Mit der Ausbildung der Geschlechtsorgane ist der eigentliche Lebenszweck des Sprosses erreicht, sein Längen- wachstum abgeschlossen und damit auch der Gefäßbündel- verlauf. Die sechs restlichen Gefäßbündelzweige nach der letzten 9 -Teilung, welche bei dem Vorgänger des Deckblatt- wirtels stattgefunden, finden ihre rein natürliche Verwendung, geben mir aber nicht die geringsten Handhaben an die Hand, über die Wertigkeit der Fruchtschuppe urteilen zu können. Daß nun weiterhin die Samenanlage selbst nicht Gefäßbündel erhält, die Fruchtschuppe aber, wenn sie auch nicht das Fruchtblatt repräsentiert, solche bekommt, scheint mir ein rein physiologisches Moment zu sein. Zur Zeit, da sich die Fruchtschuppen anfangen auszubilden, sind in jenen Regionen noch keine Spuren von Gefäßbündeln. Die Samenanlagen sind aber ausgebildet; das Zellgewebe jener Partien ist jedoch noch mehr oder weniger meristematisch. Nun tritt das rasche Wachstum der Fruchtschuppen auf und da ist doch entschieden eine rasche Nahrungszufuhr nach jenen Wachstumszonen hin notwendig. Es dürfte nun einleuchtend sein, daß die Samenanlagen, welche bisher durch Transfusion ernährt wurden, auch weiterhin auf dieselbe Weise ihre Ver- sorgung finden werden, während die Gefäßbündel sich in der Richtung des größeren Nahrungsbedarfes ausbilden werden. Ist doch das Gefäßbündel ein höchst anpassungsfähiges Glied der Pflanze, wie ja Strasburger ^ selbst Van Tieghem gegenüber behauptet. Sollte vielleicht jemand einwenden, die Samenanlagen sollen umgebildete Blattgebilde sein, doch fehlen ihnen die Gefäßbündel, so verweise ich auf die bereits oben geschilderten 1 L. c. 518 B. Kubart, Vegetationsverhältnisse in der Blütenregion zur Zeit des An- fanges der Fruchtschuppenausbildung. Was sollen nun die Fruchtschuppen für Gebilde sein? Mit einer gewissen Vorsicht möchte ich einer Ansicht Ausdruck verleihen, die natürlich noch weiterer Stütze bedarf durch denselben Befund bei andern Arten und Gattungen, aber derzeit vielleicht doch eine neue Anregung geben dürfte. Meiner Ansicht nach haben wir es nämlich bei Jimipenis communis mit einem ganz eigenartigen Gebilde zu tun. Das, für was man die Fruchtschuppe bei Junipertis communis bis jetzt gehalten, dürfte nicht eine solche sein. Bei der Untersuchung fällt einem unwillkürlich eine gewisse Ähnlichkeit in der Entstehung der Fruchtschuppen bei Jnuiperns communis mit einer Arillus- ausbildung, z.B. bei Taxus, auf. Unterhalb der Samenanlage beginnt die Wucherung desselben, und zwar rings um die ganze Achse, und in ganz ähnlicher Weise tritt auch die Bildung der Fruchtschuppen bei Juniperns communis ein. Immer größer und größer werdend, heben sie, möchte ich sagen — dem Resultat nach müssen sie es eigentlich so tun — die obersten Zell- schichten der Deckblätter und Samenanlagen ab und bekleiden sich quasi selbst ein Stück damit. Nur auf diese Weise kann ich mir das Bild, welches mir eine ziemlich weit vorgeschrittene Blüte und eine reife Beere bieten, erklären. Bei ersterer sind die Samenanlagen und die Fruchtschuppen ein beträchtliches Stück miteinander verwachsen. Diese Verwachsung ist aber nur so zu Stande gekommen, daß die Fruchtschuppe bei ihrem Wachs- tum immer mehr und mehr die Falte, welche sich zwischen ihr und der Samenanlage befindet, auszugleichen sucht und so die Basis derselben immer mehr und mehr hebt. Auf der reifen Beere sehe ich wieder rings um den Terminalteil drei Spitzchen aus der kompakten Masse der Beere hervorsehen. Diese sind die Deckblattspitzen. Zwischen ihnen die Fläche, welche etwa einem Dreieck entspricht, ist stark mit Spaltöffnungen besetzt, wie Strasburger bereits erwähnt. Diese Fläche ist nun un- streitig die ursprüngliche morphologische Oberseite der drei Deckblätter, was Strasburger ebenfalls behauptet, welche durch das Wachstum der Fruchtschuppe hiehergebracht wurde. Das Wachstum der Fruchtschuppen erstreckt sich auf den Weibliche Blüte von Jnniperiis coimniinis L. 519 ganzen Umfang der Blütenbasis, es wird ein »krugförmiger Behälter«, wie ihn Strasburger nennt, gebildet, aus welchem die Samenanlagen heraussehen. Oft bleiben die Wacholderfrüchte auf diesem Stadium stehen; die Fruchtschuppen schließen nicht zusammen, und die Wacholderbeere erscheint uns dann als »krugförmiger Becher«, aus dem drei Samenanlagen heraus- lugen, wie bereits D. F. L. v. Schlechtendal^ angibt. Nehme ich nun Rücksicht auf diese Entstehungsweise der Frucht- schuppen und ziehe einen Vergleich mit der Entstehung eines Arillus, z. B. bei Taxus, so findet sich eine große Ähnlichkeit. Unterhalb der Samenanlage und oberhalb der ersten sterilen Blätter bildet sich der Wall aus, der später zum Arillus wird. Dieser Wall bildet sich schon sehr bald im Frühjahr. Und auch die ersten Anlagen der Fruchtschuppen bilden sich sehr bald im Frühjahr aus, und zwar schon vor der Bestäubung. Sobald diese eingetreten ist, erfolgt gerade wie bei Taxus die weitere Ausbildung derselben. Bleibt diese aus, so wachsen die Frucht- schuppen zwar noch ein Stückchen weiter, doch zu einer Beerenbildung kommt es nicht. Man findet also da ein sehr ähnliches Verhalten. Könnte man also nicht sagen, das Gebilde, welches wir in den drei Fruchtschuppen von Jtmiperiis com- mtmis vor uns haben, ist ein Arillargebilde? Ich will hiemit nicht behaupten, daß es ganz identisch mit einem Arillus z. B. von Taxus ist, vielmehr die Ansicht vertreten, daß wir es hier mit einem analogen Gebilde zu tun haben. Es dürfte die Bezeichnung Arillargebilde nicht die beste sein; das eine hat sie jedoch für sich, daß sie uns gleich an ein bekanntes Gebilde gemahnt, so die Vorstellung erleichtert, und weiterhin sind wir des Bannes befreit, der uns zwang, eine gekünstelte Erklärung für den Bau der Blüte von Jimiperus cofufminis zu geben, wenn wir uns der Ansicht anschlössen, die Samen- anlagen seien Produkte der sogenannten Fruchtschuppe, gleich- gültig ob wir diese für einen Bestandteil der Schuppe ansahen, oder ob wir die Schuppe selbst für einfach hielten, wie z. B. Eichler. Bei einer möglichst objektiven Betrachtung des Blütenbaues von Jimiperus commmiis mußte ich jedoch zu meinem obigen Resultat kommen. 3 Schlechtendal, D. F. L. v., Bot. Ztg., 1862. 520 B. Kubart, Kann ich aber in diesem Falle die Bezeichnung Wacholder- beere, die an und für sich schlecht ist, gelten lassen? Die Wacholderfrucht ist ja eigentlich eine Sammelfrucht. Bei Durch- sicht der üblichen Termini sieht man, daß uns eine Bezeich- nung für solcherart gebaute Früchte vollkommen fehlt. Am frühesten würde man noch an die Bezeichnung Zapfen denken. Für einen solchen kann man aber die Wacholderfrucht wohl schwer halten. Sie ist eine Scheinfrucht, und ich möchte für solcherlei Früchte, wie uns einen Repräsentanten die Wacholder- beere vorstellt, den Ausdruck Phyllokarp vorschlagen. Es ist nun selbstverständlich, daß ich auch die andern Juniperus- Arten berücksichtigen muß. So sei als Vertreter der Sabina-Seküon Juniperus sabitia selbst erwähnt. Leider stand mir nicht das nötige Material zur Verfügung, und die Unter- suchung mußte so unterbleiben. Nur blühende Exemplare bekam ich; nach diesen, welche bereits entwickelte Samen- anlagen zeigten, konnte man natürlich keinen sicheren Schluß auf die Ontogenese der Blüte schließen. Der Bau der weib- lichen Blüte dieser Sektion ist jedoch folgender: Die Blüte besteht aus zwei gekreuzt stehenden Blattpaaren, welche beide an der Fruchtbildung teilnehmen. Jedoch nur das obere ist fertil. Es stehen rechts und links eines jeden Blattes je eine Samenanlage, so daß ich deren vier zähle. Meist fehlt jedoch eine oder auf jedem Blatt eine, so daß wir dann drei oder nur zwei Samenanlagen in der Blüte sehen. Es dürfte wohl auch der Fall realisiert sein, daß überhaupt nur eine Samenanlage in einer Blüte zur Entwicklung kommt. Man bekommt bei der Betrachtung den Eindruck, als ob in diesem Falle die Samen- anlagen wirklich Produkte der Blätter wären, an deren Grund sie stehen. Sei dem wie immer, ich kann heute keine positive Antwort geben, doch muß ja die 5flZ^//m-Gruppe nicht unbedingt denselben Blütenbau zeigen wie die Oxycedrus-Gvu^'pe. Es ist ja möglich, daß diese Sektionen wirklich nicht zu einer und derselben Gattung gehören, doch kann ich eben beim heutigen Stande meiner Untersuchungen noch kein Urteil abgeben. In ähnlicher Weise muß ich mich betreffs der Anweisung eines Platzes für Juniperus communis im Stammbaume der Ctipressineae und weiterhin der Koniferen rückhaltend äußern. Weibliche Blüte von Jiinipenis communis L. 521 Bereits einmal betonte ich meine Ansicht über den Stamm- baum der Koniferen, und zwar dies ganz besonders im Hin- blick auf ihr geologisches Alter. Weiters zwingt mich jetzt der Mangel an ontogenetischen Untersuchungen, respektive der Mangel einer genügenden einschlägigen Literatur besonders bei den Cupressineae zu einer sehr vorsichtigen Behandlung dieser Frage. In großen Zügen möchte ich es dennoch versuchen, das Bild eines Stammbaumes der Gymnospermen mit Ausschluß der Gnetaceae zu entwerfen, wie es bei dem derzeitigen Stande der Forschung möglich ist. Ich ging bei den Betrachtungen, welche ich anstellte, von dem Gedanken aus, daß bei Organen und Vorgängen, die am wenigsten umwälzenden Einflüssen aus- gesetzt sind, wir meistens ein längeres Festhalten ererbter Eigenschaften erhoffen und wirklich konstatieren können. Solche Organe und \''orgänge sind die Fortpflanzungsorgane und deren Funktionen, und beschränke ich diese meine Ausführungen auf die männlichen Sexualorgane der Gymnospermen. Ob man Anhänger eines mono- oder polyphyletischen Pflanzenstammbaumes ist, eines ist sicher, die Gymnospermen sind die Fortentwicklung der Pteridophyten. Von welchen Pteridophyten dieselben abzuleiten sind, ist derzeit noch nicht entschieden. Jedenfalls reicht ihr Anfang in die ersten geo- logischen Zeitalter hinein. Die Befruchtung der Archegonien erfolgte bei den Vorfahren der Gj^mnospermen gewiß durch Spermatozoiden. Diese wurden in Massen erzeugt. Mit der Weiterentwicklung des Pteridophytenstammes geht nun be- kanntlich der Spermatozoidencharakter verloren und auch die Zahl der Spermatozoiden oder, wie ich sie nennen will, der »Befruchtungszellen«, welche in dem Homologon der Antheri- dien ausgebildet werden, nimmt beständig ab. Spielen sich nun beide erwähnten Vorgänge auf einmal ab? Oder ist nicht noch eine andere Möglichkeit vorhanden? Sogar auf zweierlei Weise konnte sich dieser Prozeß noch abspielen. Einmal konnte die Zahl der Spermatozoiden zuerst verringert werden, während sie noch den Charakter derselben beibehalten; ein andermal konnte ihre Zahl beibehalten werden, während ihr Spermato- zoidencharakter verloren ging; wir haben dann vor uns viele 522 B. Kubart, unbewegliche Befruchtungszellen, die wir generative Zellen nennen. Diese zwei Möglichkeiten sind also noch gegeben und es sollte wundern, dieselben nicht in der Natur realisiert zu finden. Durchmustern wir nun die ganzen Gymnospermen- familien, so sehen wir bald, daß diese zwei letzteren Typen — der direkte, zuerst bezeichnete Weg ist nicht vorhanden — sehr schön ausgebildet sind. Bei den Cycadeae und Gingkoaceae finden wir zwei Sper- matozoiden. Die Zahl ist also reduziert, die Selbstbeweglichkeit noch vorhanden. Nun schließen wir in zwei Reihen die Koni- ferenfamilien Araiicarieae, Taxodieae, Abietineae und die Taxa- ceae an. Soweit genaue Angaben^ über dieselben da sind, teilt sich bei den ersteren die Mutterzelle der generativen Zellen nicht in zwei freie Zellen, sondern nur der Kern derselben teilt sich in zwei, und nur einer von ihnen soll die Fähigkeit haben, zu befruchten. Der Spermatozoidencharakter ist nicht mehr da und hiezu eine noch weitere Reduktion in der Ausbildung der Befruchtungszellen eingetreten. Die Taxaceae hingegen zeigen ein etwas anderes Verhalten. Wir finden bei diesen zwei genera- tive Zellen, doch ist die eine so klein, daß schon zu erwarten ist, sie spiele bei der Befruchtung keine Rolle — was auch zutrifft — welche ihre Schwesterzelle, welche normal ist, be- sorgt. Wir finden also hier auch das Anstreben einer Reduktion, nur hat sie anders ihre Tätigkeit geoffenbart. Wir müssen nun annehmen, daß diese Familie — die wohl weiter vor- geschritten ist — eine parallele Entwicklungsreihe der ersteren, nämlich der Araiicarieae, Taxodieae und Abietineae vorstellt. Sie dürfte sich schon frühzeitig vom gemeinsamen Stamme getrennt haben und ist ihre eigenen Wege gegangen. Der zweite Typus wird von den Cordaitaceae eingeführt. Ich schließe mich der allgemeinen Deutung des Gewebes im Inneren der Pollenkörner der Cordaitaceae an. Man kann nun vermuten, dieses Gewebe sei das Muttergewebe der Befruch- tungszellen, und weiter annehmen, deren Produkte sind bereits unbeweglich gewesen. Wir würden also in diesem Falle eine größere Zahl von generativen Zellen hier finden; ihre Beweg- 1 Ich verweise auf die Zusammenfassung der einschlägigen Literatur bei Juel, H. O., Flora 1904. Weibliche Blüte von Juniperus coiniitiim's L. 523 lichkeit ist längst verschwunden. Nun hat in neuerer Zeit Juel^ bei Untersuchung des Pollenschlauches von Cupressus gorueniana 4 bis 20 generative Zellen gefunden. Leider sind sichere Angaben in dieser Hinsicht über die Familie der Ctipressineae sehr wenige. Nach Strasburger^ sind bei Jtmi- perns virgmiana zwei, nach Noren^ bei Juniperus comnutnis ebenfalls zwei generative Zellen.'* Hofmeister^ jedoch spricht von 8 bis 16 Zellen in den Pollenschlauchenden von Juniperus communis, sabina, virginiana und Thuja orietitalis. Natürlich sind diese Angaben Hofmeister's, von welchen ja bereits zwei widerlegt sind, mit der größten Vorsicht aufzunehmen, da sie aus einer Zeit stammen, wo man noch mit den Ansichten über die Befruchtungsvorgänge in einem sehr elementaren Stadium war. Doch fordern die Cupressaceae eine der Moderne entsprechende Untersuchung der Befruchtungsvorgänge, und unsere moderne Technik dürfte uns noch so manches Resultat zu erreichen gestatten, welche dann willkommene Bausteine für den Stammbaum der Cupressaceae liefern werden. Leider mußte ich derzeit auf ein so spärliches Material meine Ver- mutungen stützen. Infolge der größeren Anzahl von genera- tiven Zellen kann ich mit irgend einer Berechtigung derzeit wohl sagen, daß die Cupressaceae mit den Cordaitaceae die zweite Entwicklungsreihe repräsentieren. Möglicherweise ge- hören die Bennettitaceae auch zu dieser Gruppe, doch ist dies noch sehr fraglich. Eine Stütze für diese meine Ausführungen könnte mir die Phytopaläontologie bieten, wenn die Reihenfolge des Auf- 1 Juel, H. 0., Flora, 1904. Hoffentlich ist diese Angabe Juel's zutreffend. Es müßte denn sein, daß in dem von Juel untersuchten Falle die Massen- ausbildung von generativen Zellen eine Abnormität wäre, nachdem die Samen- anlagen zu Grunde gingen. 2 Strasburger, Hist. B. IV^. 3 Noren, Über die Befruchtung bei Juniperus communis. Arkiv för Botanik, Bd. III, No. 11. 4 Zu demselben Resultat gelangte N. Sludsky; vergl. dessen nach Fertigstellung dieser Abhandlung publizierte Arbeit in Ber. der deutschen bot. Ges., 1905, p. 212. s Hofmeister W., Übersicht neuerer Beobachtungen der Befruchtung und Embryobildung der Phanerogamen. 524 B. Kubart, tretens der einzelnen Familien mit meinem aufgestellten Stamm- baum im Einklänge stehen würde. Das geologische Alter der einzelnen Familien ist aus der beigegebenen Skizze zu ersehen. Quartär 1 1 1 1 Taxaceae Abietitieae 1 1 1 1 Taxodieae Araticarieae Güigkoaceae typ. Cycadeae ■^ 1 « Tertiär Ciipressinei Kreide Jura adophyta Cycadales Cordaüaceae Bennett Trias Perm Karbon Devon Ö Silur Pteridophyta Die Daten hiezu entnahm ichPotonie^ und Herrn Prof. Krasser's mündlichen Angaben, wofür ich ihm bestens danke. Vergleiche ich meine obigen Ausführungen mit den phytopalä- ontologischen Ergebnissen, so findet man, ohne etwas hinein- interpretieren zu müssen, eine auffallende Übereinstimmung. Ich brauche nicht viele erklärende Bemerkungen hinzuzufügen. Nur zu bemerken habe ich, daß bei den Taxaceae nur Rück- sicht genommen wurde auf völlig sichergestellte Reste, es aber wahrscheinlich, ja sogar sehr wahrscheinlich ist, daß gewisse Gattungen dieser Familie bedeutend älter sind. Im übrigen mangelt es ja an Befruchtungsuntersuchungen bei den Arati- carieae und Taxodieae, so daß ich meine diesbezüglichen Angaben von den Ahietineae verallgemeinern mußte und so nicht ausgeschlossen ist, daß sich bei diesen Verhältnisse vor- finden, die ihre Verwandtschaftsverhältnisse, wie sie die Phyto- paläontologie uns zeigt, noch weiter klären helfen. Bei der zweiten Entwicklungsreihe findet man, daß gerade die Bettnettitaceae das Bindeglied zwischen Cordaüaceae und Ctipressineae herstellen. Natürlich kann dies allein nicht maß- 1 Potonie H., Lehrbuch der Pnanzcnpaläontologie. Weibliche Blüte von Jnnipents communis L. 525 gebend sein, doch können wir dieselben heute schwer irgendwo besser postieren und müssen von der Zukunft eine weitere Auf- klärung erhoffen. Mit kurzen Worten glaube ich folgendes Resume geben zu dürfen: Die weibliche Blüte bei Jiutiperns commmits ist eine endständige Einzelnblüte, keine Infloreszenz. Die Samenanlagen sind einfach umgebildete Blätter. Die weibliche Blüte zeigt einen der männlichen Blüte vollkommen analogen Bau. Die »Fruchtschuppen« sind demnach nicht als solche zu bezeichnen, sondern sie entsprechen vielmehr einem Arillargebilde. Die Phyllogenie der Gymnospermen betreffend glaube ich nach dem derzeitigen Stande der Untersuchungen sagen zu können, daß wir bei diesen zwei große Entvvicklungsreihen vorfinden, deren eine durch die Cycadophyta etc., Gingkoaceae, Araiicarieae, Toxodieae, Abietineae, Taxaceae gebildet wird, die andere von den Cordaitaceae, Bennettitaceae, Cnpressineae. Benützte Literatur. Eichler, »Die Gymnospermen«, in Martins, Flora brasiliensis. Goebel, Organographie der Pflanzen. Hofmeister W., Handbuch der physiol. Botanik, III. Bd. — Übersicht neuerer Beobachtungen der Befruchtung und Embryobildung der Phanerogamen, 1856. Juel, H. O., »Über den Pollenschlauch von Cupressus«. Flora, 1904. Luerssen, Handbuch der System. Botanik, II. Mohl, H. V., »Über die männlichen Blüten der Koniferen«, in Verm. Schriften bot. Inh., 1845. Noren, »Über die Befruchtung bei Jimiperus commmiis«. Arkiv f. Botanik, Bd. III. Oerstedt, Videnskabelige Meddeleser fra den naturhist. Fore- ning i Kjöbenhavn, 1864, Pariatore, Flora Italiana, IV. Payer, Rapport fait ä l'academie des sciences sur un memoire de M. Baillon intitule Recherches organogeniques sur la fleur des Coniferes, 1860. 526 B. Kubart, Pen zig, O., Pflanzen -Teratologie, II. Potonie, H., Lehrbuch der Pflanzenpaläontologie. Renault, M. B., Flore Carbonifere, Nouvelles Archives du Museum d'Histoire Naturelle, Paris, 1879. Renner O., »Über Zwitterblüten bei Jttniperiis communis«, Flora, 1904. Sachs, Lehrbuch der Botanik, 1873. Schlechtendal, D. F. L. v., Botanische Zeitung 1862. Solms-Laubach, Einleitung in die Paläophytologie. Strasburger Ed., Die Koniferen und die Gnetaceen. — Lehrbuch der Botanik. — Hist. Beitr., IV. Warming, Handbuch der syst. Botanik, 1902. Wettstein R. v., Handbuch der syst. Botanik, II, 1. Weibliche Blüte von Junipents communis L. Erklärung der Zeichnungen. Tafel I. Fig. I. Längsschnitt durch eine "J-Blüte Anfang Mai. Der Nucellus ist verschrumpft. Fig. II. Draufsicht einer weiblichen Blüte von demselben Stadium wie Fig. I. Das Objekt war bereits welk, als es gezeichnet wurde. Im frischen Zustande ist es natürlich frei von Runzeln. Fig. III. Querschnitt durch einen Integumenthals, dessen Mikropyle von den Verschlußzellen (v) versperrt ist. Fig. IV. Querschnitt durch einen Integumenthals, in dessen Mikropyle sich eben die Verschlußzellen (v) ausbilden. Skizzen von Querschnitten zweier Blüten, welche zwei ver- schiedene Arten der Samenanlagenverteilung in der Blüten- region darstellen. Tafel II. Fig. V und VI. Fig. VIII bisX. Fig. I. Derselbe Schnitt wie Taf. I, Fig. I, jedoch stärker vergrößert; zeigt deutlich die »Verschlußzellen« (v), Fig. II bis IV. Drei aufeinanderfolgende Schnitte einer Blüte zur Darstellung einer weiteren Möglichkeit der Samenanlagenverteilung in der Blüte. Fig. V und VI, VIII und IX. Schnitte aus einer Serie. Sie zeigen die direkte Entstehung der Samenanlagen an der Sproßachse in ganz ana- loger Weise wie die Schuppenblätter. Der Sproß ist in diesem Objekt nach Ausbildung der Samenanlagen noch nicht abge- schlossen, sondern setzt sich noch weiter fort, wie Fig. VIII und IX zeigen. Fig. VII. Mit Ausbildung der Samenanlagen ist der Sproß meist abge- schlossen. Fig. X und XI. Fortsetzung des Sprosses nach der Samenanlagenausbildung und seine weitere Teilung; in drei Blattanlagen. Kubart, B.Jrte weibliche Blüte v. Jimiperus. Taf.T. 6r^ LiUi.Ansty Tli.B.uimvarlh.Wien. Sitzungsberichte d.kais. Akad. d.AViss., math-naturw. Klasse, Bd. (1X17. AbtLI905. I(iibart,B.: Die weibliche Blüte v: JmiipcriLs. Taf.IL (^/^ LithJVnstT.TlLEaium'artti.Wieu. Sitzuno-sberichte d.kais. Akad. d. Wss., luaüi.-iuiturw. Klasse, Bd.CXIV.Abt.L190ä. 529 Die Silikatsehmelzen (Dritte Mitteilung) von C. Doelter, k. M. k. Akad. (Mit 1 Tafel und 14 Textfiguren.) (Vorgelegt in der Sitzung am 6. Juli 1905.) Ich lege heute das Resultat meiner im verflossenen Jahre fortgesetzten experimentellen Studien über Silikatschmelzen, bei welchen ich mich der Unterstützung der kaiserlichen Akademie zu erfreuen hatte, vor und füge einige theoretische Betrachtungen, welche sich auf die experimentell gewonnenen Resultate beziehen, hinzu. Seit der Vorlage meiner letzten Mit- teilung am 7. Juli 1904 erschien ein bedeutungsvolles Werk von J. H. L.Vogt, welches viel Anregung bietet, das aber leider allzu sehr auf theoretischer Basis steht; meiner Ansicht kann aber theoretisch ohne ausgedehnte experimentelle Untersuchungen nicht weiter gearbeitet werden, denn ein einfaches Übertragen der Theorien der physikalischen Chemie ist bei den vielfach gearteten speziellen Verhältnissen der Silikatschmelzen nicht immer möglich; den Hauptvorteil der Anwendung der physika- lischen Chemie sehe ich darin, daß sie uns die Richtung, nach welcher experimentell weiter gearbeitet werden soll, anzugeben hat. In dieser Hinsicht ist das Werk von H. W. Bakhuis- Roozeboom, Heterogene Gleichgewichte, 11,^ von großem Werte. Vor allem müssen also die experimentellen Daten vermehrt werden. Eine derwichtigsten Aufgaben ist füruns die Bestimmung der Schmelzpunkte, dann der Schmelz- oder Kr istall isations- 1 Braunschweig, F. Vieweg, 1904. Sitzb. d. mathem.-natunv. KL; CXIV. Bd., Abt. I. 36 530 C. Do elter, wärmen, des Dissoziationsgrades der Silikatsclimelzen ; leider bieten sich der Bestimmung der beiden letzteren Daten noch die größten Schwierigkeiten, so daß wir zuverlässiger Daten über die Dissoziation ganz entbehren und auch bezüglich der Schmelzwärmen der gesteinsbildenden Mineralien nur sehr approximative Werte besitzen. Auch bezüglich der Schmelz- punkte sind die Bestimmungen mit experimentellen Schwierig- keiten verbunden, so daß verschiedene Beobachter zum Teil recht abweichende Daten erhielten. In dieser Mitteilung werden behandelt: Schmelzpunkt und Viskosität, Kristallisationsvermögen der gesteins- bildenden Mineralien, die Ausscheidungsfolge und die eutekti sehen Mischungen sowie die Kristallisations- gesch windigkeit isomorpher Silikate. I, Schmelzpunkt und Viskosität. Die Schmelzpunkte, welche ich erhielt, sind etwas höher als die von Ralph Cusack ^ und Joly ^ mit dem Meldometer bestimmten Werte, aber meist viel niedriger als die von Brun^ gefundenen, insbesondere ergeben sich für Leucit, Anorthit, Olivin, Orthoklas, Albit ganz bedeutende Unterschiede. Auf einige Fehlerquellen Brun's, insbesondere darauf, daß im Sauerstoffgebläse, welches sich viel schwerer regulieren läßt, eine konstante Temperatur sich nicht gut erhalten läßt, dann, daß er Kristalle von verschiedenen Größen nimmt statt Pulver, wodurch wegen der großen Schmelzwärme und geringen Wärmeleitungsfähigkeit^ leicht zu hohe Werte sich ergeben müssen, habe ich schon früher ^ aufmerksam gemacht und brauche hier nicht darauf zurückzukommen. Inzwischen hat Brun'^ an einigen Mineralien seine Bestimmungen wiederholt, bei denen aber ähnliche Fehler unterlaufen, daneben haben aber Brun's Arbeiten interessante Resultate bezüglich der 1 On the melting points of minerals, 1886. 2 Congres geolog. intern., Paris 1901, 697. 3 Arch. des sciences physiques et naturelles, Geneve 1901. 4 Daraufhat auch J. H. L. Vogt aufmerksam gemacht. ^ Tschermak's Mineralog.-petrogr. Mitteilungen, 1903, Bd. 22. 6 Arch. des sciences physiques et naturelles, 1904. Die Silikatschmelzen. 53 J Schmelzpunkte der Mineralgiäser, dann der Umwandlungspunkte (points de destruction du reseau cristallin) und Erstarrungs- punkte gebracht. Es war nun mein Bestreben, den Grund der Unterschiede zwischen meinen und Brun's Daten ausfindig zu machen, die ja nicht allein auf Beobachtungsfehlern beruhen können; denn auch zwischen den Angaben mehrerer Forscher treten Differenzen auf. Während die Angaben von J. H.L.Vogt, Joly, Cusack von den bei meinen Untersuchungen gefundenen nur wenig differieren, ergaben sich zwischen diesen Messungen und jenen von Brun, neuerdings auch von A. Day und Allen für die Plagioklase ganz beträchtliche Unterschiede, die doch einen gewissen prinzipiellen Gegensatz bedeuten. Die Differenzen dürften sich aber zum Teil erklären durch die verschiedene Auffassung dessen, was man Schmelzpunkt nennt, d. h. durch die vielleicht unrichtige Auslegung dessen, was man darunter zu verstehen hat. Ich definiere den Schmelz- punkt als den Schnittpunkt der Tensionskurven der festen und der flüssigen Phase. Im Schmelzpunkt sind flüssige Phase und feste Phase gleichzeitig vorhanden. Die Schwierigkeit der Schmelzpunktsbestimmung besteht nun darin, daß es bei vielen Silikaten ein Intervall gibt, bei welchem beide Phasen gleichzeitig vorhanden sind, und dies ist namentlich für die Alumosilikate Nephelin, Anorthit, Plagioklas, Leucit, Albit der Fall, wo dieses Intervall 30 bis 90° ausmacht, während bei Augiten, Hornblenden dieses Intervall sehr klein ist. Daher haben diejenigen Forscher, welche, wie Brun, nur den Flüssig- keitspunkt bestimmen, bei den erstgenannten Mineralien viel höhere Werte erhalten, denn diese Körper werden ihre Viskosität nur bei Temperaturen verlieren, welche manchmal 80 bis 150° über dem soeben definierten Schmelzpunkt liegen. Bei der anderen Kategorie, zu welcher mehr die basischen Mineralien gehören, sind dagegen diese Unterschiede nur gering und für diese haben sich auch nur geringe Schmelz- punktsdifferenzen ergeben. In theoretischer Hinsicht sind aber für uns, namentlich für die Berechnungen die Erstarrungs- punkte wichtig und diese fallen nun ungefähr mit dem Umwandlungspunkt der festen Phase in die amorphe Phase zusammen, wie jetzt auch aus den Arbeiten von Brun hervor- 36* 532 C. Doelter, geht; sie werden oft noch tiefer liegen, aber hier wegen der unvermeidlichen Unterkühlung geschmolzener Silikate. Zu beachten ist also, daß der Übergang in die flüssige isotrope Phase bei noch sehr großer Viskosität vor sich gehen kann. Übrigens hat schon Brun den Schmelzpunkt von dem point de destruction du reseau unterschieden und letzterer Punkt scheint zum Teil mit demjenigen zusammenzufallen, welchen ich als Schmelzpunkt (siehe oben) definiere; allerdings kommt bei Brun in einzelnen Fällen noch die polymorphe Umwandlung in Betracht. Außerdem herrscht in Bezug auf manche Mineralien zwischen ihm und mir eine Meinungs- verschiedenheit, indem er in manchen Fällen, so bei Orthoklas, Albit, Labrador und anderen, den Punkt des Flüssigwerdens mit seinem »point de destruction du reseau cristallin« identi- fiziert. In einer zweiten Mitteilung hat Brun^ nach einer indirekten Methode die Schmelzpunkte bestimmt, indem er von der spezifischen Wärme des Platins ausgeht. Wenn man in den Kalorimeter einen Komplex aus Platin und einem Mineral, welches zu einem Schmelzpunkt Tf erhitzt ist, einlegt, so werden die Kalorien durch die Gleichungen Q, = M,c'(Tj—%,) + Pt,ciTj-^S,) gegeben, worin M^ M.^. . . die Gewichtsmengen des Minerals, c' seine spezifische Wärme bei der betreffenden Temperatur, Pt^, Pf., . . . die Gewichtsmengen des Platins und c dessen spezifische Wärme bei der Temperatur Tß 0^ S^, ©g die End- temperaturen im Kalorimeter sind, wenn M^ziz M^, so kann man durch Subtraktion den Überschuß der Kalorien, welche das Platin allein verursacht, erhalten und daraus Tf berechnen. Die experimentelle Bestimmung geschah dadurch, daß auf dem Kristall ein Platinstab vertikal aufgestellt wird, welcher beim Schmelzen in diesen eindringt; auf diese Weise erhält man Q^; beim zweiten Versuch wird Og auf ähnliche Weise bestimmt, wenn eine Platinmasse von 105^ in den Kristall eindringt, und dann wurde das Ganze in den Kalorimeter geworfen. 1 .-^rch. des sciences ph\-siques et naturelles. Geneve 1904. Die Silikatschmelzen. 533 Bei dieser Methode wird aber wieder ganz wie bei der ersten nur der Verflüssigungspunkt und nicht der Um- wandlungspunkt der kristallisierten Phase in die amorphe be- stimmt, doch hat Brun auch andere Punkte, den Erstarrungs- punkt, den Schmelzpunkt des Glases, bestimmt. Wie wir sehen werden, stimmen seine Schmelzpunkte zumeist auch mit meinen Punkten des Flüssigwerdens überein und somit würde, abgesehen von Differenzen, die sich aus der Verschiedenheit der Methoden erklären, keine sehr bedeutende Meinungsver- schiedenheit zwischen ihm und mir herrschen. Für Leucit, der nach ihm zwischen 1410 und 1560° sich umwandelt, respektive flüssig wird, fand ich den Umwandlungspunkt zwischen 1320 und 1350°, weil ich eben Pulver und nicht größere Kristalle anwende.^ Der Flüssigkeitspunkt liegt über 1400°. Für Anorthit findet er 1490°, welche Zahl mir allerdings zu hoch erscheint, obgleich A. Day und Allen für künstlichen Anorthit ähnliches erhielten; ich kann nur sagen, daß ich natür- lichen Anorthit im Fourquignon-Ofen, dessen Temperatur nicht über 1400° betrug, in einem Porzellantiegel wiederholt schmolz, ebenso Olivin und Leucit im Platintiegel zum Schmelzen brachte; ich wende aber nicht Kristalle an und darin dürfte die Differenz vielleicht liegen, abgesehen davon, daß bei so hohen Tempe- raturen namentlich die kalorimetrische Methode und die Be- stimmung der spezifischen Wärme doch keine genaue sein dürfte. Aber im ganzen und großen widersprechen sich unsere Resultate nicht unbedingt, wenn man den oben erwähnten Vorbehalt macht. Hier wäre noch eine Bemerkung zu machen bezüglich der Reinheit des angewandten Minerals. Die meisten Beobachter wenden mit Recht Mineralien an, welche aber bekanntlich niemals ganz rein sind. Nur Diopsid, Albit, Adular sind etwa 1 Zum Vergleiche habe ich auch Versuche mit kleineren und größeren Kristallen gemacht, wobei sich größere Unterschiede bezüglich des Ver- flüssigungspunktes ergaben. Bei Orthoklas ergab sich der Flüssigkeits- punkt zwischen 1280—1370°, bei Anorthit 1360—1440°, bei einem Augit 1180 — 1225°, und zwar bei Kristallen derselben Stufe. Ich wiederhole, daß Schmelzpunktsbestimmungen mit Kristallen keinen Wert haben, man muß Pulver anwenden. 534 C. Doelter, ganz rein zu erhalten, die anderen enthalten Beimengungen, insbesondere sind Leucit, Labradorit, Anorthit nie ganz rein zu erhalten. Nun wissen wir (siehe Silikatschmelzen, I, 31), daß die Beimengungen den Schmelzpunkt erniedrigen oder aber, wenn ein sehr schwer schmelzbares Mineral beigegeben wird, auch erhöhen können, wenn es sich wie hier um kristallisierte Gemenge handelt. Im vorliegenden Falle handelt es sich aber meist um eisenhaltige Beimengungen, welche den Schmelzpunkt erniedrigen. Bei Leucit und Anorthit kann wegen der Schmelz- punktsdifferenz mit eisenhaltigen Silikaten, die 200° betragen kann, auch eine kleine Beimengung beider Fehler von 20 bis 80° oder mehr möglich machen und dies ist zu berücksichtigen; da wir aber in der Natur in Gesteinen niemals reine Mineralien haben, so ist es für uns viel wichtiger, die wirklichen Schmelz- punkte zu erfahren als die theoretischen. Die Viskositätskurven. Es ist von Wichtigkeit, die Viskosität der wichtigeren Silikate genauer zu bestimmen, weil dies mit den Schmelz- punkten zusammenhängt. Manche Silikate wandeln sich, wie wir sehen werden, in die amorphe Phase um, ohne stärker flüssig zu werden. Die Umwandlung der kristallinischen Phase in die amorphe geht wegen der großen Schmelzwärme bei Silikaten im viskosen Zustande vor sich und erst bei weiterer Wärmezufuhr geht das viskose Silikat in ein wirklich flüssiges über. Hiebei ergeben sich nun sehr große Differenzen zwischen den einfacheren Silikaten Diopsid, Olivin, Augit und den komplexeren Alumosilikaten Orthoklas, Albit, Anorthit, Leucit. Ich habe die Viskosität durch die Tiefe, in welche ein 165^ schwerer Platinstift in die Schmelze eindringt, verglichen, es wäre also ein ähnliches Verfahren wie das von Brun an- gewandte. Bei verschiedenen Temperaturen dringt nun der Stift verschieden tief ein je nach der Viskosität und durch Messung des Eindringens läßt sich, allerdings nur ganz an- genähert, die Viskositätskurve bestimmen. Die Möglichkeit, einen Stoff in dünne Fäden auszuziehen, hängt aber, wie Tammann^ bemerkt, nicht nur von der Viskositätskurve, 1 Zeitschr. für Elektrochemie, 1904, Nr. 36. Die Silikatschmelzen. 535 sondern auch von der Zahl der Kristallisationszentren in der Zeiteinheit ab. Manche Stoffe lassen sich trotz großer Viskosität nicht zu dünnen Fäden ausziehen, weil sich sofort Kriställchen bilden, z. B. magnetithaltige Silikate. Bei der graphischen Darstellung der Viskositäts- änderung bezeichnen die Abszissen die Temperaturgrade, dieOrdinaten die Tiefe, in welche der erwähnte Platin - im 119(1 i3:,o 1310 mo 1230 1250 IS'O 1290 1310 1330 Fig. 1. Viskositätskurve des Orthoklas. Stab in die Schmelze eindringt, wobei die erhaltenen Längen der Deutlichkeit halber in der Zeichnung um das Zwanzig fache vergrößert wurden. Aus den Ordinaten ergibt sich der mit der Temperatur zunehmende Flüssigkeitsgrad. In den ersten Teilen der Kurven sind die Ordinaten nicht bestimmbar und durch Extrapolation erhalten. 1. Orthoklas. Orthoklas ist ein gutes Beispiel für den oben aus- gesprochenen Satz, daß Schmelzpunkt im Sinne des Punktes, 536 C. Doelter, bei welchem die Icristallisierte Phase in die amorphe übergeht, nicht mit dem Punkte der Verflüssigung zusammenfällt. Die Zahlen für den Beginn des Schmelzens schwanken zwischen 1180 und 1195° für Tj, sind für den Übergangs-, respektive Umwandlungspunkt zwischen 1205 und 1225°, also im Durch- schnitt 1215°. Diese Zahlen kann ich neuerdings für Orthoklas von Norwegen bestätigen. Schon bei zirka 1175° ist das Pulver zu einer festen Masse zusammengebacken, was zeigt, daß bereits die Splitterchen einen kleinen Anfang von Anschmelzen zeigen, bei 1195° ist etwas der Substanz schon glasig, bei 1225° ist alles glasig und daher liegt der Umwandlungspunkt also unter diesem Werte und dürfte mit 1210 bis 1220° an- zunehmen sein.^ Bei 1220° ist jedoch die Orthoklasschmelze noch völlig hart, der Platinstab zeigt noch keinen Eindruck; erst bei 1255° wird ein merkliches Eindringen von ^j^nim bemerkt. Bei 1300° ist schon Weichheit vorhanden, bei 1320° dringt der Stab übei Hwm tief ein, bei 1360° 3"5w;w tief und bei weitererTemperatur- erhöhung ist der Orthoklas ganz flüssig. Die Verflüssigung geht aber ganz allmählich vor sich und zeigt keinen aus- gezeichneten Punkt, die Kurve hat keinen Knickpunkt. Brun hatte für Orthoklas von Viesch 1300°, für solchen vom Col du Geant 1270° als Flüssigkeitspunkt erhalten. 2. Albit. Es wurde sowohl Albit von Pfitsch als auch eine künst- liche Mischung verwendet. Bei den Schmelzpunktsbestimmungen hatte ich 2 für 7, 1120 bis 1140°, für Z^ 1150 bis 1170° ge- funden. Als Mittel hatte ich 1160° erhalten und die neuen Messungen ergaben für T^ wiederum 1160 bis 1165°. Die Viskositätskurve geht von 1140° zirka aus, denn es tritt Zu- sammenbacken schon bei diesen Temperaturen ein, so daß man schon bei diesem Temperaturpunkt annehmen muß, daß die Mineralsplitter eine Spur von Schmelzung zeigen, doch ist bei der Temperatur von 1150° fast noch der ganze Albit 1 Silikatschmelzen, I., 208. 2 Tschermak's Mineralog.-pctrogr. Mitteilungen, 1903, Bd. 22. Die Silikatschmelzea. 537 kristallisiert, bei 1170° ist jedoch schon alles in die amorphe Phase übergeführt. Bei 1 160° sinkt der Platinstab nur in Spuren ein, bei 1180° sinkt der Stab ^/^mm ein, bei 1210° \'^/^mm, bei 1215° 2^l^mm, bei 1225° ist alles flüssig. Albit wird also bei zirka 1220 bis 1225° flüssig. Es erklärt sich also der höhere Schmelzpunkt, den andere Beobachter erhielten, dadurch, daß der Albit schon bei 1165° amorph wird, aber erst bei der höheren Temperatur von 1200 bis 1220° nso 1160 1170 1180 1190 1200 1"10 1220 Fig. 2. Viskositätskurve des Albits. 1230 /l'W 12MI einigermaßen flüssig wird. Flüssigkeitspunkt und Umwandlungs- punkt stimmen nicht überein, ebensowenig wie bei Orthoklas. Die Viskositätskurve ist kontinuierlich ohne Knick. 3. Labradorit. Für den nicht ganz reinen Labradorit von Kiew erhielt ich ^ Tj 1160 bis 1170°, T^ 1190 bis 1210°. Als genaue Zahl habe 1 Tschermak's Mineralog.-petrogr. Mitteilungen, 1. c, p. 315. Bei Labra- dorit von Szuligata stehen dort durch Druckfehler die Werte von 1040°, 1070°, 1090° statt: 1140°, 1170°, 1190°, was hiemit berichtigt wird. 538 C. Doelter, ich in »Silikatschmelzen, I. Mitteilung« den Wert von 1210° angegeben, den ich auch hier wieder bestätigen kann. Natürlich handelt es sich theoretisch bei einem isomorphen Mischkristall nur um ein Schmelzpunktsintervall, das aber hier recht klein zu sein scheint, vielleicht bei 1205 bis 1225° und schwer bestimmbar ist. Die Viskositätskurve. Schon bei 1 180° tritt eine kleine Veränderung ein; es wäre dies der von mir hervorgehobene Punkt Jj, bei 1190° ist aber immer noch alles fest, wie auch noo 1^00 mo 1220 mo isw n'öo i%o i:io Fig. 3. Viskositätskurve des Labradorits. IZSO 1290 bei 1200°, erst bei 1220° sinkt der Stab ^/^mm ein, bei 1240° V2 mm und bei 1260° 2 mm, bei 1280° SVg mm. Bei 1320° war alles flüssig. Demnach vollzieht sich der Prozeß des Flüssigwerdens allmählich zwischen 1220 und 1300°, während die Umwand- lung sich noch im nahezu festen vollzieht, Brun hatte 1370° erhalten, was also auch für den Verflüssigungspunkt zu hoch ist (um ungefähr 50°). A. Day und Allen fanden für Labrador, den sie künstlich hergestellt hatten, also für einen Plagioklas von der Mischung Die SiliUatschmelzen. Oo9 Ab^Ang, den Schmelzpunkt von 1463°. Brun, welcher den Punkt des Flüssigvverdens bestimmt, fand 1370°, Joly 1225°, Cusack 1225°. Meine Bestimmungen nähern sich letzteren,^ indem- ich 1210° für den Schmelzpunkt fand, 1205 bis 1220° Intervall (frühere Bestimmungen waren etwas zu nieder ausgefallen, 1190 bis 1210°). Der Punkt des Flüssigwerdens von 1463° ist mir daher ganz unbegreiflich, da ich Labradorit sehr oft und leicht im Porzellantiegel zum Schmelzen im Fourquignonofen brachte. Allerdings ist der natürliche Labradorit etwas eisen- haltig, aber die dadurch verursachte Erhöhung kann unmög- lich ein so bedeutender sein, obgleich ich zugebe, daß sie um 30 bis 60° höher sein könnte bei ganz reiner Substanz aus einer künstlich erzeugten Masse. Zu beachten ist, daß ich zwischen Anorthit und Albit einen Unterschied von 100 bis 130° finde, Brun dagegen zirka 300°. Zwischen Labradorit und Albit findet letzterer zirka 120°, ich nur 60°, nach Allen und Day wäre der Unterschied gar über 200°. Es ist meine Absicht, hier noch die Erstarrungspunkte unter gleichen Be- dingungen zu messen. 4. Eläolith. Versuche mit Eläolith von Miasc ergaben, daß bei 1180° das Mineralpulver zu einer harten Masse zusammengebacken ist und daß bei 1220°, ohne daß die Masse merklich weich geworden war, das Kristallpulver zu einem Glas zusammen- geschmolzen war. Wir haben also hier einen ähnlichen Fall wie bei Albit, wo auch die Umwandlung in die amorphe Phase vor sich geht, ohne daß das Mineral weich wird; erst bei 1230° dringt der Stift zirka ^/^imn in die Schmelze und bei 1270° l-25mm weit, bei 1280 bis 1300° ist die Viskosität schon sehr gering und der Stift dringt über 2 mm ein, bei 1330° ist Flüssigkeit zu beobachten. Während also der Schmelzpunkt zirka 1180—1200° ist, tritt Weichwerden erst bei 1370° ein. ^ Silikatschmelzen, I., p. 215. 540 C. Doelter, UIO im 1210 1230 1250 1270 J290 1310 1330 Fig. 4. Viskositätskurve des Eläoliths. 5. Anorthit, Brun fand neuerdings, daß japanischer Anorthit bei 1490° schmilzt, während synthetisch hergestellter sogar erst bei 1544° flüssig wird. Der erstgenannte Anorthit enthält aber Olivin, welcher den Schmelzpunkt erhöht. A. Day und Allen fanden für synthetisch dargestellten noch viel höhere Werte. Ich konnte Anorthitpulver, das allerdings nicht ganz rein war, bei 1350 bis 1390° im Porzellantiegel, weit unter dem Nickelschmelz- punkt, verflüssigen und bei Bestimmung des Umwandlungs- punktes erhielt ich 1230 bis 1290°, also viel weniger als jener Forscher, der allerdings nicht diesen, sondern den Punkt der Verflüssigung bestimmte; aber ich erachte auch diesen Punkt als zu hoch, denn bei 1400° war natürlicher Anorthit schon stark viskos. Für die Berechnungen als Erstarrungspunkt, d. h. alsUmwandlungspunkt,dürften die früheren Werte 1250 bis 1290° die richtigen sein. Da ich meine Versuche bezüglich Viskosität nicht über 1400° ausdehnen kann, so ist die hier gegebene Viskositätskurve unter Beiziehung der Daten von Brun und Die Silikatschmelzen. 541 i2?o 12W i2tio mn mm i3°o i3w mo nso Fiff. 5. Viskositätskurve des Anorthits. I'KH) l'ü'O Kombination mit den meinen gezeichnet worden, sie ist also ganz approximativ von 1350° an.^ 6. Leucit. Der Leucit ist jedenfalls eines von denjenigen Silikaten, die erst lange nach der Umwandlung in die amorphe Phase flüssig werden. Den Umwandlungspunkt bestimmte ich bei Leucit vom Vesuv seinerzeit mit 1320 bis 1330°.^ Bei 1270° ist das Pulver schon zusammengebacken und bei 1285 bis 1295° dürfte Beginn des Schmelzens T^ eintreten, hier ist aber nur wenig von der amorphen Phase vorhanden. Bei 1330 bis 1345° ist aber das Ganze amorph geworden, so daß der Um- wandlungspunkt wohl zwischen 1320 und 1350° gelegen sein wird. Meine frühere Zahl von 1310 bis 1330° dürfte als 1 Welche Werte allerdings für chemisch reinen Anorthit um 30 bis 80° zu erhöhen wären. '■^ Tschermak's Mineralog.-petrogr. Mitteilungen, 1903, Bd. 22. Ganz reiner Leucit dürfte bis 60° höheren Schmelzpunkt haben. 542 C. Doelter, der Schmelzpunkt (in meinem Sinne) gedeutet werden und daran, abgesehen davon, daß man bei jedem Versuche Differenzen von 20° erhalten kann, nicht viel zu ändern sein, nämlich als Umvvandlungspunkt der kristallisierten Phase in die amorphe. Aber bei dieser Temperatur ist Leucit nicht flüssig. Wenn also Brun die Kristalle untersucht und zirka 1500° für den in meinem Sinne »technischen Schmelzpunkt« findet, so ist dies begreiflich und der Unterschied jm Kl^O nw mO 1380 JWO l^tZO l¥iO TtöO IhüO 1500 Fig. 6. Viskositätskurve des Leucits. liegt offenbar nur in der verschiedenen Auslegung dessen, was Schmelzpunkt zu nennen ist. Denn sogar bei 1380° konstatierte ich, daß der Leucit zwar vollkommen glasig, aber noch nicht ganz flüssig war und der Flüssigkeitspunkt träte nach Brun erst bei 1500° ein. Mir war es leider nicht möglich, die Viskosität über 1400° zu verfolgen. Ich habe daher die Kurve auf der beiliegenden Zeichnung nur bis zirka 1400° gezeichnet, die übrige unter Benützung der Daten von A. Brun. Diese Kurve kann daher keinen Anspruch auf Genauigkeit machen. Was aber den Umwandlungspunkt anbelangt, so dürfte er bei natürlichem Die Silikatschmelzen. 543 Leucit bei 1320 bis 1330° liegen; dieser ist aber, wie bekannt, nicht rein und chemisch reines Leucitsilikat kann daher leicht um 30 bis 60° höher schmelzen. 7. Diopsid. Verwendet wurde ein hellgrüner Diopsid von Ala mit 2-91 FeO, welcher nach meiner Analyse aus 90 7o Diopsid- rJ3(l ISW fiSO 1°60 mo 1°8() 1^90 1300 Fig. 7. Viskositätskurve des Diopsids. Silikat und 10 ''/^ Eisenkalksilikat CaFeSiaOg besteht. In Übereinstimmung mit früheren Bestimmungen fand ich den Umvvandlungspunkt zwischen 1255 und 1265° gelegen, während bereits bei 1240° der Anfang des Schmelzens eintrat. Bei 1250° ist die Schmelze ganz hart, bei 1270° dringt die Spitze über \ mm ein, bei 1280° bereits 3 mm. Wir sehen, daß bei dem Umwandlungspunkt auch schon die Kurve einen scharfen Knickpunkt hat. 544 C. Doelter, 8. Hedenbergit. Zur Anwendung gelangte ein faseriger grüner Hedenbergit von Elba mit nur 25*32 FeO, dessen Zusammensetzung Herr Ted es Chi bestimmte. Die Farbe des in langen faserigen Stengeln vorkommenden Minerals ist dunkelgrün, außen ist es oft etwas zersetzt und schmutzigbraun; diese Teile waren jedoch entfernt worden. Die chemische Zusammensetzung ist: Si02 FeO. CaO MgO 49 25 23 9 101 53 32 67 75 27 lo.'io w'jo 1100 luo ii':o u:io Wto nso mo Fig. 8. Viskositätskurve des Hedenbergits. Der Schmelzpunkt ist 11 10 bis 1120°. Verflüssigung tritt ziemlich plötzlich bei 1130° ein, doch war es schon vorher Die Silikatschmelzen. 545 etwas weich. Umwandlungspunkt und Verflüssigungspunkt fallen also hier zusammen. 9. Grüner Augit von Arendal. Für diesen hatte ich gefunden für T^ 1170°. Eine neuere Bestimmung ergab für T^ 1180 bis 1190°, also nur wenig ver- schieden. 1 1150 1160 wo im mo i°oo isio j^°o i^3o n'tO Fig. 9. Viskositätskurve des Augits von Arendal. Der Punkt der Verflüssigung fällt hier wieder nahezu mit dem Schmelzpunkt zusammen und oberhalb desselben zeigt die Viskositätskurve einen scharfen Knick, wie Fig. 7 zeigt. Bei 1220° dringt der Stab 2 mm ein, bei 1230° 2> mm. 10. Augit von den Monti Rossi (Ätna). Für diesen hatte ich früher den Umwandlungspunkt bei 1185 bis 1200° befunden. 1 Die Analyse siehe in meiner Arbeit in Tschermak's Mineralog.- petrogr. Mitteilungen, 1903, Bd. 22. ' ■- ;' Sitzb. d. mathem.-naturw KL; CXIV. Bd., Abt. I. 37 546 C. Do elter, Der Punkt T^ dürfte bei 1160° liegen. Bei 1200° ist alles amorph und hier ist schon merkliche Viskositätsverminderung eingetreten; der Stift beginnt einzusinken. 20° höher sinkt er ganz ein. Wir haben also hier zwischen dem Punkte der Verflüssigung 1160 tun iimi im ii'oo t-ii> ii'::o l'.w iftO izso Fig. 10. Viskositätskurve des Augites von Arendal. und dem Umvvandlungspunkt nur eine Differenz von 10 bis 15°. Daher ist auch der Schmelzpunkt, den Brun erhielt, von dem meinigen nur wenig verschieden. Beim Umwandlungspunkt macht die Viskositätskurve einen scharfen Knick. 11. Akmit von Eger (Norwegen). Bei 930° findet Frittung statt, bei 940 bis 945° kann man den Beginn des Schmelzens beobachten, zwischen 960 und 970° liegt der Umwandlungspunkt in die amorphe Phase; der Platinstab sinkt 1 mm zirka ein, bei weiterer Temperatur- steigerung wird alles flüssig. Ungefähr um 980° herum und bis Die Silikatschmelzen. 54; 990° sinkt der Stab bis zum Boden ein, die Kurve wird dort vertikal. Wir sehen also, daß der Umwandlungspunkt und der 'J30 m 350 %0 370 9S0 Fig. 11. Viskositätskurve des Akmits. 990 1000 Verflüssigungspunkt hier fast zusammenfallen und daß beim Umwandlungspunkt von zirka 965° die Kurve einen scharfen Knick zeigt. Schlüsse aus den Viskositätskurven. Aus den Kurven geht hervor, daß Schmelzpunkt, in dem Sinne des Umwandlungspunktes der kristallisierten in die iso- trope Phase definiert, nicht unbedingt mit dem Verflüssigungs- punkt zusammenfällt, was ich bereits im Jahre 1901 behauptet hatte. Letzterer kann um 100° oder mehr über dem Um- wandlungspunkt liegen. Der Verflüssigungspunkt ist aber kein für ein Gleichgewichtsverhältnis ausgezeichneter Punkt und ist überhaupt in vielen Fällen nicht ein plötzliches Flüssigwerden 37* 548 C. Doelter, ZU beobachten, sondern eine allmähliche Abnahme der inneren Reibung. Die Unterschiede zwischen den Schmelzpunkten, welche ich bestimmte, und jenen von Brun und anderen erklären sich also dadurch, daß ich die Umwandlung der kristallisierten Phase in die amorphe bestimme, während andere den Flüssigkeitspunkt, den »technischen Schmelzpunkt« bestimmen. Die Umwandlung der kristallisierten Phase in die amorphe kann aber vor sich gehen, ohne daß die innere Reibung sehr klein wird, d. h. also, sie kann bei großer Viskosität vor sich gehen; Dünnflüssigkeit ist dazu nicht notwendig. Der Vorgang beim Schmelzen von Silikaten ist ein der- artiger, daß man in vielen Fällen, namentlich bei den kom- plexeren Alumosilikaten, keine plötzliche Änderung der inneren Reibung hat, daher keinen Punkt, in dem sich die Vis- kosität plötzlich ändert, sondern ein mehr geradliniges Kurven stück; ebenso erfolgte auch die Umwandlung der festen Phase in die amorphe nicht plötzlich. Die Umwandlung in die amorphe Phase kann aber bei sehr großer Viskosität erfolgen, ohne daß man sagen könnte, der Körper wäre flüssig. Vergleicht man die Kurven der Viskosität für die unter- suchten Körper: Magnetit, Olivin, Augit, Hedenbergit, Akmit, Diopsid einerseits, Labradorit, Anorthit, Albit, Leucit, Eläolith, Orthoklas andrerseits, so findet man, daß bei den ersten die Kurve der Viskosität einen Knickpunkt hat in der Nähe des Umwandlungs- punktes der festen Phase in die kristallisierte, und zwar wenig über diesem, daher stimmen verschiedene Schmelz- punktsbestimmungen auch ziemlich gut überein, wie die von Joly, Cusack, Brun und mir (bei Olivin wechselt der Schmelzpunkt seht stark mit dem Eisengehalt). Bei dieser ersten Klasse von Körpern fallen Umwandlungs- punkt und Verflüssigungspunkt nahezu zusammen. Diese haben auch für das Umwandlungs- oder Schmelzpunktsintervall nur eine kleine Ausdehnung 20 bis 30°. Die Silikatschmelzen. 549 Die zweite Klasse von Körpern hat wohl ein größeres Intervall 30 bis 70°, da die Umwandlung der festen in die isotrope Phase sich langsam vollzieht, wahrscheinlich infolge der großen inneren Reibung. W. Meyerhoffer hat die An- sicht ausgesprochen, daß bei Verbindungen mit großem Inter- vall möglicherweise Doppelsalze vorliegen, und tatsächlich zeigen auch die komplexeren Alumosilikate sonst größere Schmelzintervalle, aber auch der Quarz zeigt sehr großes Schmelzintervall und Diopsid, der doch als Doppelsalz zu be- achten wäre, ein kleines. Von Wichtigkeit wäre aber auch die Viskosität bei sinkender Temperatur zu beobachten; es fragt sich nun, ob die Viskosität beim Schmelzpunkt schon sehr groß ist, denn in diesem Falle werden sich keine Kristalle bilden, da dann, selbst wenn sich noch Kristallisationszentren bilden, die Kristallisationsgeschwindigkeit sehr klein ist, bei Albit, Ortho- klas, Leucit ist dies der Fall und deshalb werden diese Stoffe glasig verbleiben.^ Vergleicht man die Viskositätskurve mit der Kristallisationsgeschwindigkeit, so findet man in manchen Fällen, daß die Stoffe, deren Viskositätskurven beim Schmelz- punkt einen Knickpunkt haben, große Kristallisationsgeschwin- digkeit haben. Leider ist die Bestimmung der Viskosität der erstarrenden Schmelze wegen kleinerer Differenzen noch schwieriger aus- zuführen, nämlich gerade in der Nähe des Schmelzpunktes, wo sie am wichtigsten ist. Bei Plagioklasen ist der Unterschied zwischen dem Um- wandlungspunkt und dem Flüssigkeitspunkt, welch letzterer aber kein eigentlicher Punkt, sondern ein Kurvenstück ist, da ein langsames Abnehmen der Viskosität zu beobachten ist, ein bedeutenderer, bei Albit 50°, bei Labradorit über 70°; sehr groß ist diese Differenz bei Orthoklas, über 100°. Bei Leucit müßte er noch größer sein, ebenso bei Anorthit. Bei Spinell dürfte er ebenfalls ziemlich groß sein. 1 Vergl. G. Tarn mann, Über Glasbildung und Entglasung, Zeitschr. für Elektrochemie, 1904, Nr. 36, p. 536. 550 C. Doelter, Maximale KristallisationvSgeschwindigkeit. Kristallisationsvermögen und maximale Kristallisations- geschwindigkeit fallen bei verschiedenen Substanzen nicht zusammen, denn es gibt Stoffe, wie Olivin, bei welchen das Kristallisationsvermögen so groß ist, daß sie ohne jeglichen Glasrest auch bei rascherer Abkühlung kristallisieren, die aber nur kleine Kristalle bilden; große Olivinkristalle habe ich oft auch bei langsamer Abkühlung nicht erhalten; eine Ausnahme macht der Fayalit (vergl. 560), welcher große Kristallisations- geschwindigkeit besitzt. Es darf auch nicht vergessen werden, daß die Kristallisationsgeschwindigkeit eine vektorielle Eigen- schaft ist. Die Unterschiede in verschiedenen Richtungen sind oft sehr verschieden, wie bei Feldspaten, Augiten; dagegen ist die Kristallisationsgeschwindigkeit weniger verschieden bei Olivin oder bei Nephelin, Magnetit, Leucit. II. Kristallisationsvermögen. Neben der Kristallisationsgeschwindigkeit ist auch das Kristallisationsvermögen von Wichtigkeit, die Zahl der spontan entstehenden Kristallisationszentren in der Gewichtseinheit der unterkühlten Flüssigkeit pro Zeiteinheit bei gegebener Temperatur. Es gibt Körper, die sehr viele Kristaliisations- zentren zeigen, wie Spinell, Olivin, bei denen die Kristalli- sationsgeschwindigkeit keine sehr große ist; hier bilden sich auch kleine Kristalle. Bei Augit, Fayalit bilden sich große, lang- gestreckte Kristalle, aber in geringerer Zahl. Allerdings zeigen Substanzen von großem Kristallisationsvermögen auch größere Kristallisationsgeschwindigkeit. Um zu erfahren, welche Menge von der Gewichtseinheit einer Substanz in der Zeiteinheit kristallisiert, ist es aber nicht nur nötig, die Zahl der Kristallisationszentren zu messen, da jene auch von der Kristallisationsgeschwindigkeit abhängt; ist diese groß, so können trotz geringerer Anzahl von Zentren größere Mengen in die kristallisierte Phase umgewandelt werden als bei größerem Kristallisationsvermögen und kleinerer Kri- stallisationsgeschwindigkeit. Ich habe, um die Menge der kristallisierten Phase gegenüber der amorphen zu bestimmen. Die Silikatschmelzen. 551 sowohl die Zahl der Kerne bei rascher Abkühlung (zirka 5 Minuten) als auch bei langsamer zu eruieren gesucht, weiter bei plötzlicher Abkühlung. Es ergab sich dabei, daß die Kernzahl bei einem' und demselben Körper ziemlich gleich war, ob während 4 oder auch 5 Minuten abgekühlt wird. Anders stellt sich die Sache, wenn man langsam durch einige Stunden abkühlt; hier lassen sich die meisten in Betracht kommenden Verbindungen kri- stallisiert erhalten. Bei rascher Abkühlung kann man fast alle Verbindungen, welche ich untersuchte, glasig oder fast glasig erhalten. Beim Vergleich der Menge von Glas kann man aber leicht Irrtümer begehen und ich hielt Olivin anfangs für einen Stoff von geringerem Kristallisationsvermögen als Augit, was aber nicht richtig ist. Es ist notwendig, immer unter gleichen Bedingungen abzukühlen; nun ist aber im Ofen die Abkühlung um so rascher, als die Temperatur höher ist, da man aber, um Olivin zu schmelzen, um 150° zirka höher erhitzen muß, kühlt sich Olivin dann rascher ab als Augit und man erhält bei Olivin noch Glasreste. Unter gleichen Bedingungen abgekühlt, hat Augit viel mehr Glas als Olivin. Erste Versuchsreihe. Die Mineralpulver werden 100 bis 200° über den Schmelzpunkt erhitzt und der Tiegel sofort aus dem Ofen genommen, so daß nach zirka einer Minute die Masse bereits nur noch dunkle Rotglut zeigt. Wir haben also hier die rascheste Abkühlung. Hiebei erstarren mit einigen Ausnahmen alle untersuchten Mineralien glasig. Zum größten Teile kristallin erstarren Spinell und Magnetit. Olivin zeigt ebenfalls noch viele Kristallisations- zentren und ebenso Bronzit; beide erstarren also nicht glasig, sondern halbkristallin, der größere Teil ist sogar kristallinisch bei Olivin. Bei Augit ergab sich nur in einem Falle Bildung einiger Mikrolithe. Hypersthen erstarrte glasig, ebenso alle übrigen in der Tabelle angeführten Ver- bindungen. Es gibt also einzelne gesteinsbildende Minera- lien, die auch bei raschester Abkühlung nicht glasig erstarren und bei denen also die Stabilität der amorphen 552 C. Doelter, Phase sehr gering ist, und das sind eben die erwähnten, ins- besondere Spinell und Magnetit, die das größte Kristallisation- vermögen besitzen. Zu diesen dürfte auch der Korund gehören, da technische Versuche ergeben haben sollen, daß geschmol- zener Korund nicht glasig zu erhalten ist. Bekanntlich bilden sich auch bei dem Goldschmidt'schen Thermitverfahren kri- stallisierte Korunde. Ein weiteres hieher gehöriges Mineral ist der Eisenglanz, der ein großes Kristallisationsvermögen hat. Zweite Versuchsreihe. Die Mineralien wurden zu Glas geschmolzen, längere Zeit über ihren Schmelzpunkt erhitzt, bis alles flüssig und keine Spur von Kristallen mehr vorhanden war, dann durch zirka 5 Minuten auf 800° abgekühlt. Hiebei ergaben sich drei Gruppen. 1. Ganz kristallin erstarren: Spinell, Magnetit, Olivin. 2. Teilweise kristallin erstarren: Bronzit zirka 75 bis 80 7o kristallin. Hypersthen Hedenbergit Augit von Monti Rossi Augit von Arendal . . . . Anorthit Labradorit Nephelin Leucit 70 » 80% 60 » 70 7o 60 » 65 Vo 60 7o 40 bis 45 7o 40 >^ 45 7o 30 « 35 7o 30 » 35 «/o Einzelne Stellen des Leucits waren jedoch fast ganz kristallin. 3. Ganz glasig erstarren reiner Diopsid, Akmit, Albit, Orthoklas, Quarz. Bei Diopsid waren jedoch einzelne Mikrolithe an wenigen Stellen entstanden. Aus Akmitschmelze schied sich viel Magnet- eisen ab, auch einzelne Mikrolithe. Sehr interessant war das bei Olivin erhaltene Produkt. Die Abscheidung zeigt hier keine Kristalle, sondern eine körnige Masse, welche ganz an die Olivinbomben erinnert; an manchen Stellen war sie kleinkörnig, an anderen im Inneren mehr grob- körnig, je nach der Abkühlung. Die Silikatschmelzen. 553 Dritte Versuchsreihe. Die Mineralien werden durch mehrere Stunden langsam abgekühlt, um zu ersehen, ob über- haupt Glasreste noch vorhanden sind. Hiebei ergab sich, daß alle Mineralien in der Reihenfolge (Fig. 12) von Magnetit bis Diopsid ganz kristallin waren; auch bei Leucit war alles kristallin. Akmit hatte sich zum größten Teil im Schmelzfluß zersetzt. Die Mineralien Orthoklas, Albit, Quarz sind, wie die Ver- suche dargetan haben, nur glasig zu erhalten. Der Grund, waiiim Orthoklas und Albit aus ihren Schmelzen nicht zu erhalten sind, liegt offenbar in ihrer Viskosität bei dem Erstarrungspunkte. Um Kristalle zu erhalten, genügt es, eine Substanz hinzuzusetzen, welche die Viskosität verringert. Die Mineralisatoren oder Kristallisationsagenzien sind also hier mehr Vikositätsverminderer.^ So erhielt Lenarcic einzelne Albitkristalle bei Zusatz von Magnetit, ebenso kann man bei Zusatz von Magnesiasilikat (Olivin, Bronzit) Albit- kristalle erhalten; es genügt ein Zusatz von 20 bis 25^0- Dagegen ist bei dem Albitmolekül die Tendenz vorhanden, kleine Mengen von Kalk aufzunehmen und Oligoklas zu bilden. Bei dieser Versuchsreihe sind also nur wenige Silikate glasig geblieben; es sind dies nur die letztgenannten. Von Diopsid bis Magnetit kann man alle Verbindungen bei lang- samer Abkühlung glasfrei erhalten, wie mir frühere Versuche ergaben. Doch hatte ich bei dreistündiger Abkühlung von Diopsid etwas Glas erhalten, bei Nephelin nur eine Spur, bei Leucit ebenfalls sehr wenig. Was nun die Zahl der Kristallisationszentren bei dieser Versuchsreihe anbelangt, so war sie bis zum Anorthit nahezu gleich, bei Labradorit und Anorthit vielleicht etwas geringer in der Nähe der Tiegelwände, wo möglicherweise Glasspuren vorhanden waren. Man kann demnach, wie aus den Versuchs- reihen hervorgeht alle hier in Betracht kommenden Mineralien mit Ausnahme von Spinell, Magnetit (wahrscheinlich auch Korund, Eisenglanz), Olivin wenigstens zum Teil glasig erhalten, 1 G. Doelter, Physik. -ehem. Mineralogie, 1905, 118. 554 C. Doelter, andrerseits mit Ausnahme der früher erwähnten auch bei genügend langsamer Abkühlung kristallin erhalten. Bei der Untersuchung der Erstarrung unter dem Kristalli- sationsmikroskop bei Abkühlung durch zirka eine halbe Stunde ergaben sich Resultate, die mit der Reihenfolge der zweiten Versuchsreihe ungefähr übereinstimmten; es konnte für Augit, Labradorit und Fayalit die Kristallisationsgeschwindigkeit ge- messen werden. Auf Grund dieser Beobachtungen stelle ich nun folgende Reihenfolge für das Kristallisationsvermögen auf: Übersicht des Kristallisationsvermögens. Abkühlung Abkühlung während während einer Minute 5 Minuten Abkühlung während 3 Stunden Spinell (künstlich) . Magnetit (Mulatto). Olivin (Söndmöre) . Bronzit (Kraubath) Hedenbergit (Elba) Augit (Monti Rossij Augit (Arendal) . . . Anorthit Labradorit (Kiew) . Leucit (Vesuv) .... Nephelin (Miasc) . . Diopsid (Ala) .... Akmit (Eger) Albit (Pfitsch) Orthoklas (Arendal) QU"'Z fast ganz kristallin halb kristallin glasig ganz kristallin 70 bis 800/q kristallin 70% kristallin 65 bis 70 o/q kristallin 65 o/„ kristallin 40 bis 45 0/y kristallin 40 bis 450/0 kristallin 30 bis 350/0 kristallin 30 bis35 0/Q kristallin ganz kristallin kristallin mit Glasspuren meistens zersetzt glasig Die Silikatschmelzen. OOO Die in der Tabelle angegebene Reihenfolge ist das Resultat aller Versuche. Sie zeigt, daß die kieselsäurereichen Verbin- dungen diejenigen sind, welche das geringste Kristallisations- vermögen besitzen, daß aber auch kieselsäureärmere Verbin- dungen (Leucit, Diopsid) kein sehr großes Kristallisations- vermögen besitzen. Der Eisengehalt erhöht oft das Kristalli- sationsvermögen; in anderen Fällen aber, wie bei Bronzit, Hypersthen, tritt das Gegenteil ein, daher läßt sich eine direkte Verbindung des Kristallisationsvermögens mit der chemischen Zusammensetzung nicht geben. Natürlich kann diese Tabelle wegen der Schwierigkeit, die Versuche immer unter denselben Bedingungen der Abkühlung durchzuführen, nicht absolut genau sein und Unklarheiten ergeben sich bezüglich Anorthit und Labradorit, dann bezüglich der Stellung des Leucits, da hier die Resultate verschiedener Versuche nicht ganz übereinstimmten. Möglicherweise steht daher der Leucit bezüglich seines Kristallisationsvermögens dem Labrador näher, als in der Tabelle angegeben. In Tafel I sind abgebildet Olivin, Bronzit, Augit und Labradorit, während zirka 4 bis 5 Minuten abgekühlt. Bei der Bronzitschmelze, etwas weniger als 4 Minuten abgekühlt, welche in einem Magnesittiegel durchgeführt worden war, war die Schmelze löcherig, aber sie zeigt die große Kristallisations- geschwindigkeit des Bronzits. In Fig. 12 habe ich die Resultate graphisch darzustellen versucht, wobei aber eine Proportionalität für die Länge der Geraden, die das Kristallisationsvermögen darstellen, nicht unbedingt existiert; aber man kann sagen, bei Labradorit ist es halb so groß wie beim Spinell, beim Nephelin halb so groß wie bei Augit. Von Wichtigkeit ist aber die Beobachtung, daß in ge- mischten Schmelzen das Kristallisationsvermögen sich ändert, und zwar hängt dies in allererster Linie von der Viskosität der Schmelze ab. Wenn durch eine Beimengung die Viskosität dieser vermehrt wird, so wird das Kristallisationsvermögen wie auch die Kristallisationsgeschwindigkeit verringert; wenn jedoch Zusatz die Viskosität verringert, so tritt das Gegenteil ein und der Einfluß der Kristallisatoren beruht zum Teil darauf. So 556 C. Do elter, erhält man Albit und Orthoklaskristalle durch Zusatz einer weniger viskosen Verbindung, welche auch den Schmelzpunkt erniedrigt. U- ■^ 1-1' Fig. 12. Kristallisationsvermögen der gesteinsbildenden Minerale. Der Grund, warum sich Orthoklas, Albit und Quarz aus ihren Schmelzen nicht abscheiden, ist also ein zweifacher; das Stabilitätsfeld dieser Stoffe ist in Bezug auf die Temperatur so nieder gelegen, daß sie bei dieser Temperatur nicht mehr flüssig sein können, daher Ausscheidung nicht möglich ist. Andrerseits ist bei jener Temperatur, in welcher die Schmelzen flüssig sind, eine Kristallisation unmöglich und die unterkühlte Schmelze ist derart viskos, daß Kristallisation unmöglich wäre. Die Silikatschmelzen. 557 Der Zusatz des Wassers oder der Mineralisatoren bewirkt Viskositätsänderung der unterkühlten Schmelze im Sinne der Verminderung der inneren Reibung, außerdem wird durch den Zusatz die Schmelz-, respektive Erstarrungstemperatur so weit erniedrigt, daß man in das Temperaturgebiet gelangen kann, in welcher der Stoff stabil ist. Was die Kristallisatiosgeschwindigkeit als maxi- male vektorielle Eigenschaft anbelangt, so zeigen Magnetit und Pleonast eine bedeutende Kristallisationsgeschwindigkeit, welche aber die des Bronzits und Hypersthens nicht erreicht; die des Olivins ist geringer, dagegen die des Fayalits sehr groß. Am größten scheint die Kristallisationsgeschwindigkeit dieses und des Bronzits zu sein, dann kommt die des Hedenbergits und des Tonerde-Augits. Die Kristallisationsgeschwindigkeit der Plagioklase ist geringer, so daß im großen und ganzen dieselbe Reihenfolge existiert; nur die drei ersten Minerale würden den Nummern 5 und 6 gleichzustellen sein. Bei Spinell scheint aber der Eisengehalt von. Einfluß zu sein, die Mischung i8Mo-Al. O ) •, '^ ^ *; zeigte sehr große Kristallisationsgeschwindigkeit. Jedenfalls haben Mineralien von großem Kristallisationsver- mögen auch beträchtliche Kristallisationsgeschwindigkeit. Zusammenhang des Kristallisationsvermögens mit der Aus- scheidungsfolge. Bereits in einer früheren Mitteilung ^ machte ich darauf aufmerksam, daß zwischen Kristallisationsvermögen und Aus- scheidungsfolge ein gewisser Zusammenhang existiert. Die Ausscheidungsfolge ist abhängig von einer Reihe von Faktoren, von denen gerade derjenige, von welchem theoretisch der größte Einfluß stattfinden sollte, am wenigsten von Belang ist. J. H. L. Vogt glaubte, auf Grundlage der eutektischen Theorie nur die Löslichkeit in Betracht ziehen zu dürfen, d. h. nach dieser ist das Mengenverhältnis der Komponenten maß- gebend und nur die eutektische Mischung ist maßgebend für 1 Anzeiger der kaiserl. Akademie, 15. Dezember 1904. 558 C. Doelter, die Ausscheidungsfolge. Dann müßte letztere fortwährend wechseln, je nach dem Mengenverhältnis der Komponenten A und B, was bekanntlich in den meisten Fällen nicht zutrifft, weder bei künstlichen Schmelzen noch bei Gesteinen und was mit der im allgemeinen (allerdings auch mit Ausnahmen) bewähr- ten Erfahrungsregel, die Rosen busch aufstellte, nicht über- einstimmt. Man darf aber diese Regel, weil sie anscheinend mit der Theorie nicht stimmt, nicht verwerfen, sondern man muß die Faktoren suchen, welche verursachen, daß Abweichungen von der Theorie vorkommen, und diese sind neben den chemischen Reaktionen, den Bildungen von isomorphen Mischungen, besonders die Unterkühlung und das Kristalli- sationsvermögen, respektive die Kristallisationsgeschwindigkeit. J. H. L. Vogt ^ hat diese beiden Faktoren nicht beachtet und deswegen gelangt er zu falschen Schlüssen; denn gerade diese beiden Eigenschaften sind von größtem Einfluß auf die Reihenfolge der Ausscheidungen. Darüber soll die theoretische Erörterung unten folgen; vor allem müssen wir uns darüber klar werden, daß das Kristallisationsvermögen und die Kristalli- sationsgeschwindigkeit, wie immer gemessen, Einfluß haben, namentlich dort, wo sie sehr klein sind. Eine Substanz, welche wegen ihrer relativen Löslichkeit nach dem eutektischen Schema zur Kristallisation gelangen sollte, wenn das Kristallisationsvermögen von keinem Einfluß wäre, wird eben infolge des kleinen Kristallisationsvermögens und der kleinen Kristallisationsgeschwindigkeit in der Lösung verbleiben und nicht zur Abscheidung gelangen; es verbleibt die Verbindung in unterkühlter Lösung. Dies wird in viskosen Schmelzen immer der Fall sein; bei den wenig viskosen Legie- rungen, bei denen das Kristallisationsvermögen der Metalle keine großen Unterschiede aufweist, wird dieser Faktor keine Rolle spielen und dort verläuft alles nach dem eutektischen Schema. Man vergleiche nun Rosenbusch's Ausscheidungs- regel mit dem Kristallisationsvermögen und man 1 Vogt hat zumeist mit Verbindungen wie Fayalit, Melilith, Olivin, Augit experimentiert, bei denen das Kristallisationsvermögen verhältnismäßig groß ist. Die Silikatschmelzcn. 559 wird eine auffallende Ähnlichkeit der Reihenfolge finden. Bei Diopsid ist zu beachten, daß allerdings der hie und da in Gesteinen auftretende diopsidähnliche Pyroxen viellei-cht oft vor den Feldspaten sich ausscheidet, aber dieser Diopsid ist nicht mit unserem reinen Diopsid ident und das Kristalli- sationsvermögen der Diopside wächst mit dem Eisengehalt wie auch mit dem Tonerdegehalt. Ein Beweis, daß das Kristallisationsvermögen die Aus- scheidungsfolge bedinge, ist dadurch natürlich nicht ge- liefert, aber es dürfte doch kein Zufall sein, daß die Aus- scheidungsfolge mit dem Kristallisationsvermögen so gut über- einstimmt, und es ist ja auch eine notwendige Folge, daß dasselbe die Ausscheidung beeinflussen muß. Andrerseits sind diejenigen Körper, deren Kristallisationsvermögen Null ist, solche, welche bei hoher Temperatur nicht stabil sind. Die Ausscheidungsmöglichkeit hängt auch ab von der Temperatur und so kann Quarz, wie dies auch wieder die interessanten Beobachtungen von A. Lacroix an der Montagne Pelee auf Martinique bestätigen, sich über 950° nicht ausscheiden; er muß also daß letzte Produkt sein, auch dort, wo durch bei- gemengte inaktive Stoffe die Kristallisationsgeschwindigkeit vergrößert wird. Die Mineralisatoren (richtiger Kristallisatoren) wirken jeden- falls hier auch katalytisch/ wobei ich diese als Reaktions- geschwindigkeitsbeschleuniger betrachte. Es handelt sich zu- meist nicht etwa um Eingehen von Zwischenreaktionen mit Stoffen, die dann wieder ausscheiden, sondern, wie bei Wolfram- säure, Molybdänsäure, um Beschleunigung der Reaktions-, respektive der Kristallisationsgeschwindigkeit. Aller- dings wirken ganz kleine Mengen nur wenig, aber die Reak- tionsgeschwindigkeit nimmt mit der Menge des Zusatzes zu. Bei Wasser könnte man sich auch denken, daß die Schmelze durch Zusatz von Wasser stärker dissoziiert wird und daß die Wasserstoffionen katalj^tisch wirken. ' Vürgl. C. Doelter, Physik. -ehem. Mineralogie, p. 115. 560 C. Doelter, Selbstverständlich ist bei der Ausscheidungsfolge das Kri- stallisationsvermögen nicht der alleinige Faktor und dort, wo es sich um Mischungen von Komponenten handelt, die nahezu gleiches Kristallisationsvermögen haben, wird die eutekti- sche Regel die Ausscheidungsfolge bestimmen, wobei aber die Unterkühlung eine wesentliche Rolle spielt. So haben Magnetit und Olivin nahezu gleiches Kristalli- sationsvermögen und wird hier das Eutektikum mehr maß- gebend sein; wenn trotzdem in den meisten Fällen sich Magnetit zuerst ausscheidet, auch in Mischungen, die mehr als 20% Magnetit haben, so hängt dies wohl mit der Unterkühlung zusammen, vielleicht auch mit der Dissoziation des Magnetits und Olivins, welche Verhältnisse aber bisher noch nicht ge- nügend geklärt sind, da die Leitfähigkeiten nicht bekannt sind. Kristallisationsgeschwindigkeit und Kristallisationsvermögen bei isomorphen Verbindungen. Sowohl die Kristallisationsgeschwindigkeit als auch das Kristallisationsvermögen können bei isomorphen Verbindungen recht verschieden sein. Bei Albit neigen beide Werte zum Null- punkt, bei Anorthit sind sie recht beträchtlich. Diopsid hat ein verhältnismäßig kleines Kristallisationsvermögen, Hedenbergit ein bedeutendes. Die Kristallisationsgeschwindigkeit der ersteren nach der Vertikalachse ist gering, die der letzteren Verbindung sehr groß. Ebenso sind diese Werte bei Natrium-Eisenaugiten minimal, bei Aluminium-Magnesiumaugiten aber beträchtlich größer. Bei Fayalit ist die Kristallisationsgeschwindigkeit be- trächtlich größer als bei eisenfreiem Olivin, bei Forsterit dürfte sie klein sein. Demnach kann die Kristallisationsgeschwindigkeit bei isomorphen Verbindungen beträchtlich wechseln, wogegen sie in anderen Fällen, wie bei Spinell und Magnetit, nur geringe Unterschiede zeigt; auch bei Korund und Eisenglanz scheint dies der Fall zu sein. Einfluß von isomorphen Beimengungen auf die Kristalli- sationsgeschwindigkeit. Kleine Mengen von isomorphen Verbindungen haben im all- gemeinen keinen Einfluß auf die Kristallisationsgeschwindigkeit, Die Silikatschmelzen. 561 wie M. Padoa' bei organischen Substanzen gezeigt hat. Diese Regel ist aber keine allgemeine; sie trifft hauptsächlich dort zu, wo die Kristallisationsgeschwindigkeiten überhaupt groß und nicht sehr verschieden sind. Kleine Mengen von Heden- bergitsilikat CaFeSiaOg zu Diopsidsilikat zugesetzt, verändern die Kristallisationsgeschwindigkeit wenig und sogar Zusatz von 20 Mol. Hedenbergit vergrößert die Kristalhsationsgeschwindig- keit des Diopsids doch nicht viel; ähnliches scheint bei Fayalitzusatz FegSiO^ zu dem Silikat Mg^SiO^ der Fall zu sein. Anders scheint sich die Sache aber bei solchen isomorphen Verbindungen zu verhalten, deren Kristallisationsgeschwindig- keit sehr verschieden ist, wie bei den Plagioklasen. Die Kristal- lisationsgeschwindigkeit des Anorthits nach der Vertikalachse ist sehr groß, die des Albits ist nahezu Null, durch Viskositäts- änderung, durch Zusätze von Viskositätsverminderern (Kristal- lisatoren) wird sie bei Albit stark vergrößert, bei Anorthit aber nur wenig geändert. Kleine Mengen von Albitsilikat beeinflussen daher die Kristallisationsgeschwindigkeit des Anorthits wenig, dagegen wird der Zusatz von kleinen Mengen von Anorthit- silikat zu Albit die Kristallisationsgeschwindigkeit des letzteren stark erhöhen und hat daher Oligoklas bereits eine merkliche Kristallisationsgeschwindigkeit. Ähnliches findet bei Zusatz von Diopsidsilikat zu Akmitsilikat statt, während ein kleiner Zusatz von Akmitsilikat zu den anderen P3n'oxensilikaten keinen merk- baren Einfluß hat. Es wäre von Interesse, die Kurve für die Kristallisationsgeschwindigkeit verschiedener Mischkristalle bei wachsender Konzentration festzustellen und zu erforschen, ob etwa hier auch Minima oder Maxima der Kristallisations- geschwindigkeit nach derselben Kristallachse vorkommen. Ins- besondere wäre diese Untersuchung gerade für die F'rage nach der D o p p e l s a 1 z b i l d u n g isomorpher Verbindungen wichtig. Es ist möglich, daß gewisse in der Mischungsreihe sowohl in der Natur als auch bei künstlich dargestellten Misch- kristallen konstant wiederkehrende Mischungen von bestimmter Zusammensetzung sich durch ein Maximum der Kristallisations- geschwindigkeitskurve auszeichnen und dann deshalb für 1 Atti Acctidemia clei Lincei. Roma 1904. Sitzb. d. mathem.-naturw. Kl.; CXIV. Bd., Abt. I. 38 562 C. Do elter, Doppelsalze gehalten werden; vielleicht ist der Labradorit ein solches Maximum, ebenso in der Reihe der Mischungen Ca2Si04, MgaSiO^, der Monticellit CaMgSiO^, der für ein Doppelsalz gehalten wird. F'ür Diopsid CaMgSigOg wäre dies aber nicht der Fall, denn sowohl CaSiOg als auch MgSiOg haben größere Kristal- lisationsgeschwindigkeit als der Diopsid. Hier wäre eher ein Minimum zu vermuten und dürfte gerade hier ein Doppel- salz vorliegen. Die Untersuchungen sind nicht leicht mit Genauigkeit durchzuführen, da bekanntlich die Unterkühlung auf die Kristallisationsgeschwindigkeit von Einfluß ist und es schwer ist, die Bedingungen genau einzuhalten. Am besten eignet sich dazu das Kristallisationsmikroskop. Bezüglich der linearen Kristallisationsgeschwindigkeit, gemessen in der Richtung der maximalen Kristallisationsgeschwindigkeit, werden sich also isomorphe Substanzen verschieden verhalten können. 1. Sind die Unterschiede der Grundverbindungen klein, so wird die Beimengung einer Substanz zur anderen von geringem Einfluß sein. 2. Sind die Unterschiede zwischen beiden sehr bedeutend, wie bei Albit und Anorthit, Akmit und Augit, so wird geringer Zusatz derjenigen Substanz, die sehr große Kristallisations- geschwindigkeit besitzt, zu derjenigen, deren Kristallisations- geschwindigkeit fast Null ist, von bedeutendem Einfluß sein. Aber die Kristallisationsgeschwindigkeit wächst nicht pro- portional mit der Konzentration. Soweit die allerdings noch spärlichen Versuche, die auch schwer mit Genauigkeit durchführbar sind, einen Schluß gestatten, so wäre es der, daß die Kristallisations- geschwindigkeit keine additive Eigenschaft ist wie etwa das spezifische Gewicht oder die Brechungsquotienten, sondern wie die Schmelzpunkte, Lösungswärmen, Bildungs- wärmen eine konstitutive Eigenschaft. Es dürften Minima und Maxima in der Kurve der Kristal- lisationsgeschwindigkeit vorkommen. Bei isomorphen Mischkristallen kann also die Kurve (X, K) Konzentration — Kristallisationsgeschwindigkeit, wenn wir z. B. Die Sililcatschmelzcn. .)63 als Abszissen die molekularen Mengen, als Ordinaten die Kristallisationsgeschvvindigkeiten auftragen: 1. entweder an- steigend verlaufen oder 2. sie zeigt ein Minimum oder 3. ein Maximum. Bei den Plagioklasen steigt die Kurve von Albit, wo die Ordinate den NulKvert hat, bei geringer Beimengung ziemlich steil, sie erreicht ihren Höhepunkt bei der Mischung AUgAbj bei Labradorit, um dann ziemlich flach zur Anorthitordinate zu verlaufen. Es ist mir noch nicht gelungen, endgültig durch Messungen zu bestimmen, ob Labradorit einen merklich größeren Wert hat als Anorthit. Ich glaube aber, aus einigen Versuchen schließen zu können, daß das wirklich der Fall ist; Oligoklas hat jedenfalls geringere Kristallisations- geschwindigkeit. Ich habe bisher keine Versuche bezüglich der Kristallisationsgeschwindigkeit der intermediären Plagioklase zwischen Oligoklas und Labradorit ausgeführt. Nach den Ver- suchen von Fouque und Michel-Levy müßte man annehmen, daß die Kristallisationsgeschwindigkeit für beide erwähnten Mischungen Maxima hätte und daß die Kristallisations- geschwindigkeit der intermediären Mischungen sehr klein ist. Allerdings kann das schwierige Kristallisieren der inter- mediären Mischungen vielleicht auch der Abkühlungs- geschwindigkeit und Überschreitungen der Gleichgewichts- zustände \ wie Barch et meint, zugeschrieben werden. Ähnliches scheint bei Diopsid-Hedenbergit-Mischkristallen der Fall zu sein. Es dürfte ein Maximum existieren bei zirka 25 bis 357o Hedenbergit. Die Kristallisationsgeschwindigkeit dieser Mischungen ist ganz beträchtlich größer als die des Diopsids und wohl, wenn auch nicht so viel, größer als die des reinen CaFeSi^Oß. Es ist aber auch der umgekehrte Fall, dereines Minimums häufig und er würde die bekannte Tatsache erklären, daß isomorphe Mischkristalle oft kleinere, schlechtere Kristalle geben als die sie zusammensetzenden Komponenten; solche Fälle sind ja gerade bei natürlichen isomorphen Ver- bindungen vielfach bekannt. 1 Vergl. die Literatur bei C. Do elter, Physik. -ehem. Mineralogie, p. 47. 38* 564 C. Doelter, Ks ist Übrigens dabei die Entstehung aus mehr oder weniger viskosen Schmelzen und die aus verdünnten wässerigen Lösungen, bei welchen die Viskosität keine Rolle spielt, aus- einanderzuhalten. Alle diese nicht unwichtigen Verhältnisse müssen aber erst experimentell erprobt werden. III. Zonenstruktur bei isomorphen Mischkristallen. Die Ausscheidung von Mischkristallen aus Schmelzfluß wurde von Bakhuis-Roozeboom ^ theoretisch erörtert und er unterschied fünf Fälle. Im Gegensatz zu Vogt^ suchte ich nachzuweisen, daß in den meisten Fällen bei Mineralien, und zwar bei Silikaten wie bei Spinelliden, soweit die jetzigen Untersuchungen reichen, nicht alle Fälle Roozeboom's, sondern hauptsächlich nur ein einziger vorkommt, und zwar sowohl bei Augiten, Hornblenden, Olivinen, Spinelliden, Feldspaten u. a. In der Tat, soweit bisher bekannt, steigen die Schmelz- punkte der isomorphen Mischungen allmählich an und zeigen keine Kurven mit Maximum oder Minimum.^ Es ist bisher keine Silikatgruppe bekannt oder keine Gruppe in Gesteinen auftretender Mineralien, in deren Schmelzkur\'en ein Maximum oder Minimum auftreten würde. Eine solche wäre dort wahrscheinlich, wo die Schmelzpunkte nur wenig differieren, und bei isodimorphen Mischungen wird sie wohl auftreten, aber solche haben wir bei Mineralien noch nicht kennen gelernt, obgleich sie ja vorkommen können. Bezüglich der Zonenstruktur ist es bemerkenswert, daß diese bei künstlichen Mineralien selten eintritt, während sie doch bei den Effusivgesteinen gar nicht selten ist. Es dürfte dies doch zum Teil mit der Viskosität zusammenhängen, haupt- sächlich aber mit der bei künstlichem Schmelzen rascheren Abkühlungsgeschwindigkeit. Wenn nämlich diese sehr groß ist, so haben die zuerst abgesetzten, schwerer schmelzbaren Teile nicht Zeit, durch Ansatz von leichter schmelzbaren Teilen zu wachsen, wenn die Kristallisationsgeschw'indigkeit 1 Zeitschr. f. physik. Chemie, Bd. 30. 2 Phy.sik.-chem. .Mineralogie, p. 67. " Sie brauchen aber keineswegs proportional anzusteigen und ist die Schmelzbarkeit keine additive Eigenschaft. Die Silikatschmelzen. ;)65 sehr \erschieden ist, wie bei den Plagioklasen. Es kommt also auch auf die Abkühlungsgeschvvindigkeit an. Zur Bildung von Zonenkristallen müssen die einzelnen Verbindungen, welche sich mischen: 1. verschiedenen Schmelz- punkt besitzen, 2. verschiedene Kristallisationsgeschvvindigkeit, u. kleine Diffusionsgeschwindigkeit. Die Bildung von Zonenkristallen hängt zum Teil aucli mit der Diffusionsgeschwindigkeit zusammen; wo diese sehr groß ist bei isomorphen Kristallen, wird die Zonenstruktur nicht zu Stande kommen, weil dann die zwei getrennten Schichten sich wieder mischen würden. An der Grenzfläche zwischen Kristall und Lösung herrscht die Konzentration der Sättigung und die Lösungsgeschwindigkeit vv'ird durch die Diffusionsgeschwindig- keit des in der Grenzschicht in gesättigter Lösung befindlichen Stoffes in das Innere der Lösung hinein bedingt. Der Ausgleich durch Diffusion erfolgt sehr langsam;^ bei sehr langsamer Abkühlung wird die Diffusion befördert. Zonenstruktur wird im allgemeinen besonders dort auftreten, wo die Reihenfolge der Schmelzpunkte und der Kristallisationsgeschwindigkcit die- selbe ist, wie z. B. bei den Feldspaten. Wo die Unterschiede sehr gering sind bezüglich der Kristallisationsgeschwindig- keit, wird sie ebenfalls zu stände kommen. Bei \'erschiedenen Tonerdeeisenaugiten ist das der Fall. Bei Hedenbergit und Diopsid dagegen ist die Reihenfolge entgegengesetzt und diese werden selten Zonenstruktur zeigen. Bei Spinell und Mtfgnetit dürfte in der Kristallisationsgeschwindigkeit kein wesentlicher Unterschied vorliegen, die Schmelzpunktsdifferenz ist iiber bedeutend. Zonalen Bau hat J. H.L.Vogt in einer Schlacke bei Magnetit und Spinell beobachtet. Der Spinell bildet den Kern, der Magnetit die Hülle. Hier würde also wieder ein ähnlicher Fall wie bei den Plagioklasen vorliegen, indem die schwerei" schmelzbare Komponente, nämlich Spinell als Kern, der leichter schmelzbare Magnetit als Hülle auftritt; der Schmelz- 1 W. .\ ernst, Theoret. Chemie, 4. Aufl., p. 572; A. Noyes und W. Whitney, Zeitschr. f. physik. Chemie, 23, 686. Siehe die Literatur in meiner physik. -ehem. Mineralogie, p. 198. 566 C. Doelter, punkt des letzteren ist 1240 bis 1260°, der des Spinells wechselt mit dem Eisengehalte, reiner Magnesiumspinell ist, wie auch Brun fand, eines der am schwersten schmelzbaren Mineralien, aber auch Pleonast mit einem Eisengehalt von über lO^/\y FeO hat einen um mindestens 80° höheren Schmelzpunkt als der Magnetit. Bezüglich der Kristallisationsgeschwindigkeit dürfte eher die des Magnetits größer sein, aber der Unterschied ist gering. Hier treffen also bei isomorphen Verbindungen höherer Schmelzpunkt und höhere Kristallisationsgeschwindigkeit zu- sammen. Bei Bronziten ist Zonenstruktur nicht bekannt. Bei natron- reichen Augiten reichert sich nach Becke die Ägirinsubstanz in der äußerenHüUe an. Hier treffen Schmelzpunktsdifferenz und Kristallisationsgeschwindigkeit in ihrer Wirkung zusammen, d. h. die schwerer schmelzbare Komponente hat auch größere Kristallisationsgeschwindigkeit. Bei jenen Zonenkristallen, wie bei denen der Olivine, ist die Schmelzpunktsdifferenz sehr groß und die leicht schmelzbare Hülle kann sich erst spät ab- setzen.^ H. H. Reiter beobachtete bei neuerdings durchgeführten Versuchen in meinem Laboratorium auch Zonenkristalle von eisenfreiem Olivin, umgeben von eisenreichen; hiebei war aber die Schicht des ersteren oft sehr klein und stark korrodiert. Hier hat offenbar an der Grenzfläche Diffusion stattgefunden; wegen der größeren Kristallisationsgeschwindigkeit ist die eisenreiche Schicht bedeutend größer. Isodimorphe Mischungen. Die Anorthite sind oft etwas kalihaltig und auch anorthithaltige Gesteine, die frei sind von kalihaltigen Silikaten, zeigen kleine Mengen von Kali. Es tritt die Frage auf, ob isodimorphe Mischungen von Kali- feldspat KAlSigOg mit Kalkfeldspat CaAlSi-^Og oder mit Natron- feldspat NaAlSi.^Oj, möglich sind. Für letzteren ist wohl die Frage durch die Existenz des Anorthoklases schon gelöst. Künstlich sind solche Mischungen wegen der kleinen Kristalli- sationsgeschwindigkeit der beiden Silikate NaAlSijO.^ und KAlSi-^Og nicht gut herstellbar. i Tschermak's Min.-petr. Mitt,, IF, I (189S), 100. Die SiliUatschmelzen. o<)7 Bezüglich des Anorthits und des Kalifeldspates sind ki^ifzlich in meinem Laboratorium Versuche gemacht worden, die noch nicht abgeschlossen sind, welche aber den Schluß gestatten, daß Anorthit sich mit kleineren Mengen Orthoklas, 10 bis 15^0 des letzteren, zu isodimorphen Mischkristallen ver- einigen kann. Die x\uslöschungsschiefen dieser Mischkristalle sind nicht viel niedriger als die des Anorthits. Zu versuchen wäre noch die Herstellung von isodimorphen Mischungen von rhombischem und monoklinem Pyroxen und die Schmelzpunktskurve solcher isodimorphen Mischkristalle. Theoretisch sollten diese dem Typus IV oder V von Bakhuis- Roozeboom entsprechen, daher ein Minimum oder einen eutektischen Punkt haben. ^ Bezüglich der Mischkristalle aus Orthoklas und Anorthit wissen wir aus den Analysen, daß jede dieser Verbindungen nur eine geringe Menge von der anderen aufnehmen kann, und das steht in Übereinstimmung mit den theoretischen Betrachtungen von H. W. Roozeboom.- Von Interesse war es, zu konstatieren, daß bei den Mischungen beider, wenn ein gewisses Verhältnis überschritten wird, beide sich gesondert abscheiden. Dadurch, daß durch Zusatz zur Orthoklasschmelze durch größere Mengen von Anorthit die Viskosität der gesamten Schmelze verringert wird, kommt auch der Orthoklas, der sonst glasig bleibt, zur Abscheidung. Bei Anorthit und Orthoklas tritt nun der bei isodimorphen Mischkristallen so häufige Fall ein, daß die Mischungsreihe eine sehr große Lücke aufweist. Orthoklas dürfte nur geringe Mengen von Anorthit aufnehmen können. Anorthit kann höchstens bis zirka 20 VoO^'thoklas aufnehmen. Bei anderen Mischungen scheidet sich jede Verbindung gesondert aus, und zwar der Anorthit zuerst; sein Schmelzpunkt und seine Kristallisationsgeschwindigkeit sind bedeutend höher. IV. Eutektische Mischungen und Eutektstruktur. Die Gleichgewichtsverhältnisse zweier fester Komponenten mit oder ohne Flüssigkeit sind von W. Gibbs, Guthrie, 1 Vergl. auch Vogt, Silikatschmelzlösungen, II. 2 Zeitschr. f. physik. Chemie, 30. Vergl. J. H. L. Vogt, 1. c, I, p. 155. 568 C. Doelter, Ostvvald LI. a., in letzter Zeit namentlich von Bakhuis- Roozeboom^ näher geschildert worden. Für Silikate haben namentlich Vogt und Meyerhoffer die eutektische Lehre anzuwenden versucht (siehe darüber meine erste Mitteilung, Bd. 113, 1904, Februarheft, p. 69). In neuerer Zeit hat nament- lich G. Tammann- an Legierungen seine Studien fortgesetzt. Wenn wir zwei Komponenten A und B nehmen und es sei E die gemeinsame Lösung bei der Temperatur, die durch .7 X II Fig. 13. ! 1 1 1 1 1 1 c ^ / / ! r / •'; ■^, E/ \ \ 1 \ \ ' 1 1 \ \ \ i 1 1 1 \ 1 diesen Punkt angegeben wird, so ist E der eutektische Punkt und seine Abszisse x gibt die Zusammensetzung der eutektischen Mischung, seine Ordinate ist der niedrigste Schmelz- oder Erstarrungspunkt, die Substanzen A und B können mit der Lösung E koexistieren. Die Gleichgewichte aus A und B mit Lösung sind monovariante und bei ^ Heterogene Gleichgewichte, II, p. 159, Braunschweig bei Fr. Vieweg, 1904. - Metallographische Mitteilungen aus dem Institut für anorgan. Chemie der Universität Göttingen. Sep.-Abdr. aus Zeitschr. f. anorgan. Chemie, Bd. 45, 1905. Die Silikatschmelzen. 5(39 konstanter Temperatur ist das Gleichgewicht nonvariant. In der der Abhandlung von Roozeboom entlehnten Figur 13 sind C, D die Schmelzpunkte von A und B bei 1 Atmo- sphäre Druck, CE gibt die Temperaturen und Konzentrationen jener Lösungen, welche neben A koexistieren können, mit zunehmendem Gehalt an B, während DE, ebenso die Tempe- raturen und Konzentrationen der mit B koexistierenden Lösungen, deren Gehalt an A zunimmt, gibt. Die Linien CE und CD werden zumeist als Gei'ade eingetragen, was aber nicht strenge zutrit^'t. Legt man durch E eine Horizontallinie, so besteht (Roozeboom, p. 158) bei E der Komplex aus: £_Ti'i Mol. .4 + '"^'^ Mol. B. X X Irgend ein Punkt über 5, kann aber, wenn die Ausscheidung dann erfolgt, wenn die darstellende Linie der Lösung t^x^, Ux.^ die Kurven CE und ED schneidet, festes darstellen; wenn aber die Ausscheidung nicht erfolgt ist, so würde A eine unterkühlte ungesättigte Lösung darstellen. CEF ist daher das Gebiet der übersättigten Lösungen in Bezug auf A, DEG 570 C. Dociter, in Bezug auf B und beide Gebiete können sich weiter aus- dehnen, das erste über AHC, das zweite über BID. Ich habe nun in meiner ersten Mitteilung sowie auch in meiner physi- kaHsch-chemischen Mineralogie ausgeführt, daß diese letzteren Gebiete für die Silikatschmelzen die wichtigeren sind. Theoretisch hat man nun Erstarrungsintervalle z. B. zwischen f^ und s^ für die Lösung x\ und für eine andere x:^, von t^ bis s^, vorausgesetzt, daß keine Unterkühlung entsteht. Im Punkt E ist das Erstarrungsintervall Null. Im eutektischen Punkt E soll die Flüssigkeit zu einem Konglomerat von x Mol. ß und (1 — a:)Mo1..4 erstarren. Das Eutektikum bildet eine innige Mischung, die bei schwacher Vergrößerung wie eine einheitliche Masse aussieht. Jede beliebige Mischung von A-i-B soll bestehen aus der eutektischen Mischung + einer der Komponenten A oder B, je nachdem die eine oder die andere im Überschüsse ist; ist kein Überschuß vorhanden, so erstarrt nur das Eutektikum. dessen Erstarrung bei konstanter Temperatur stattfindet; die dabei freiwerdende Wärme wird seiner Menge proportional sein. Bei der Erhitzung wird ein Gemisch der beiden festen Komponenten sich wie ein einheitlicher Körper v^erflüssigen, dazu ist aber sehr innige Mischung notwendig, was man durch mehrfaches Schmelzen und Wiedererstarren erreichen kann. Hierin finden wir, wie sich namentlich bei der Erstarrung- unter dem Mikroskop zeigt, einen gewaltigen Unterschied zwischen der Theorie und der Praxis bei Silikatschmelzen. Auch bei der eutektischen Mischung existiert immer noch ein Erstarrungs-, respektive Schmelzintervall, wenn letzteres auch klein ist, und die gleichzeitige Abscheidung fehlt in den meisten Fällen, wie auch infolgedessen die charakteristische Struktur fehlt. Zeit -Temperatur kurve. Um die Erstarrungskur\en zu erhalten, hat man bekanntlich als Abszisse die Zeit, als Ordinate die Temperatur zu wählen und die Temperatur bei der Abkühlung einer Schmelze von 10 zu 10 Sekunden abzu- lesen. Man darf keine zu kleine Menge nehmen, was bei viskosen Substanzen aber, um zonenartige Erstarrung zu \erhindern, Rühren erfordert, und dies ist ein Grund, warum die Alethode bei Silikaten Fehlerquellen bedingt. Man muß die beiden Grenz- Die Silikatschmelzeii. Di 1 temperaturen des Erstarrungsinter\'alles eines Gemenges bestimmen, wobei, wie Bakhuis-Ro ozebo om^ bemerkt, die obere Temperatur leicht zu niedrig gefunden wird. Infolge der großen Übersättigung sollte die allgemeine Form der Kurve (Fig. 14) eher, wie es die punktierte Linie zeigt, ausfallen: AB ist die Erstarrungskurve, das mehr horizontale Stück BC ist die Erstarrungskurve des Eutektikums, CE die Abkühlungskurve der erstarrten Mischung. Wichtig ist nun der Knick A beim Übergang der Flüssigkeitskurve in die Erstarrungskurv^e; dieser ist die obere Grenze des Erstarrungsintervalles. Dieser Punkt ist nun bei Silikaten außerordentlich schwer be- stimmbar und wiederholte Versuche haben mir leider kein sicheres Resultat gegeben; diese sollen fortgesetzt werden. Wenn der Wert der Geschwindigkeitskonstante C bei der Kristallisation sehr klein ist, was bei Silikaten zutrifft, so wird der Knick A in der Kurve sehr undeutlich^ und dies ist wieder eine Schwierigkeit, diesen Punkt zu bestimmen. Der untere Punkt B als letzter Punkt des völligen Festwerdens ist leichter zu bestimmen. Die thermische Methode durch Abkühlung. Zur Ermittlung der Erstarrungsintervalle bei Mischungen von verschiedenen Konzentrationen ist diese bei Legierungen mit großem Erfolg angewandt worden. Bei Silikatschmelzen haben wir es wegen der hohen Temperatur mit technischen Schwierig- keiten zu tun, insbesondere auch wegen der Viskosität der Schmelzen, welche ein Rühren nur schwer gestatten (ohne Rühren erhält man aber schichtenweises Erkalten). Die Er- starrungskurven werden aber durch die Kristallisations- geschwindigkeit beeinflußt. Bezüglich dieser sagt Bak- huis-Roozeboom ^, daß die erstarrende Lösung, welche zur Temperatur t abgekühlt ist, immer mehr der erstarrenden Substanz enthält als dieser Temperatur entspricht; wenn t^ die höher liegende Temperatur ist, für welche der bei t herrschende ' Mit einer kleinen Änderung entnommen der Abhandlung Charpys. Sur las alliages blancs, Paris 1901, Bakhui s-Rooze bo om, 1. c., p. 169. - Ba khuis- Ro ozeboom, 1. c., p. 174. •" L. c, p. 171. r)72 C. Doelter, Sättigungsgrad gilt, so ist die Lösung um (/„—/)" unterkühlt. Nach Moore und Bo goj a vvlensky ^ wird die Kristallisations- geschvvindigkeit durch Hinzufügen einer zweiten erniedrigt und PickardthatdieseErniedrigungdurcheineFormelausgedrückt.^ Aus vielen Versuchen bei Silikatschmelzen schließe ich, daß die Viskosität von größtem Einflüsse auf die Kristalhsations- geschwindigkeit ist (siehe oben), und durch Zugabe einer die Vis- kosität vermindernden Substanz wird auch die Kristallisations- geschwindigkeit vergrößert werden können. Der Effekt der MineraÜsatoren beruht zum Teil darauf, ist daher teilweise katalytisch. Bezüglich der Erstarrung zeigen, wie in den früheren Mitteilungen über- Silikatschmelzen bereits hervorgehoben wurde, im allgemeinen Silikatmischungen ein mehrfach ab- weichendes Verhalten. Gemenge von Silikaten, auch sehr innige, und solche, welche bereits einmal geschmolzen wurden und wieder erstarrt waren, zeigen nicht die theoretisch verlangte Schmelzpunktserniedrigung, wovon nur wenige Silikate eine Ausnahme machen (namentlich Gemenge, in denen die eine Komponente Eläolith oder Albit ist). Dieses abweichende \'erhalten, welches a priori nicht zu erwarten war, sondern erst durch meine X'ersuche festgestellt wurde, dürfte zum Teil vielleicht auf den geringen Flüssigkeitsgrad der Silikat- schmelzen, also auf die große innere Reibung derselben zurückzuführen sein (vergl. unter Viskosität der Silikate), aber besonders auf die geringe Lösungsgeschwindigkeit bei Silikat- lösungen. H. W.Ro ozeboom hatdie Verhältnisse bei derErstarrung zweier Komponenten geschildert, wie sie theoretisch eintreten würde und auch in Wirklichkeit bei vielen Stoffen vorkommt; ^\"enn nicht Unterkühlung eintritt und wenn die Kristallisations- geschwindigkeit eine unendlich große ist, dann wird in jedem Augenblicke die a u s k r i s t a 1 1 i s i e r t e Menge mit der 1 Zeitschr. f. ph3'sik. Chemie. 27 (_1898), 585. - Ksjx, wobei K ein von der Substanz ribhängiger Koeffizient, .t die Molekularkonzentration i.st. Der Eintluß von x ist sehr groß. Zeitschr. f. physik. Chemie. 42 (1902), 17. Die Silikatschmelzen. o7o Temperatur der teilweise erstarrten Mischung genau stimmen. Wenn aber die Kristallisationsgeschwindigkeit sehr klein ist, so wird eine erstarrende Lösung, welche bis zur Temperatur t abgekühlt ist, immer mehr von der erstarrenden Substanz enthalten, als deren Temperatur entspricht. Sehr verschiedene K r i s t a 1 1 i s a t i o n s g e s c h w i n d i g k e i t kann die Abscheidung verschieden gestalten.^ Man begreift leicht, daß bei Silikaten dies immer ein- treten wird, denn diese Körper zeigen alle eine kleine Kri- stallisationsgeschwindigkeit und manche sogar eine äußerst geringe, wobei die Differenzen der Kristallisationsgeschwindig- keit der verschiedenen im Silikatmagma vorhandenen Verbin- dungen ganz erhebliche sind. Man begreift daher, daß die Ab- scheidungsverhältnisse bei Silikaten \vesentlich von den theoretischen di f f e r i e r e n m ü s s e n. Dann ist noch der Einfluß der sich ändernden Unterkühlung zu berücksichtigen, wodurch ebenfalls Unterschiede ent- stehen. Nur bei Silikaten von sehr gi-oßer Kristallisations- geschwindigkeit würden die theoretischen Verhältnisse wenigstens annähernd den wirklichen nal-.e kommen können. Bestimmung durch Erwärmen. Bisher bediente ich mich mehr der Erwärmungsmethode, da die Abkühlungsmethode so große Schwierigkeiten macht. Die Anfangstemperatur läßt sich manchmal durch den Siillstand des eingesteckten Thermo- meters konstatieren; schwieriger ist der Punkt bestimmbar, bei dem die letzten Kristalle verschwinden. Hier ist im Gegensatze zur Kristallisationsgeschwindigkeit die Lösungsgeschwindig- keii zu berücksichtigen. Diese Lösungsgeschwindigkeit ist oft sehr klein, wodurch wieder Komplikationen eintreten. Die Methode eignet sich besser als die erste; aber der Anfangsschmelzpunkt ist oft auch schwer bestimmbar.- Durch zahlreiche neuerdings unternommene Versuche zeigte sich bei vielen Mischungen verschiedener Silikate ein 1 L. c, p. 171. - Siehe die Literatur in meiner physik.-chem. .Mineralogie, Leipzig 190.3 bei J. A. ISarth. 574 C. Doelter, konstanter Unterschied zwischen den .Schmelzpunkten und den Erstarrungspunkten, respektive den Intervallen. Die Er- starrungspunkte liegen um 50 bis 80° tiefer als der untere Punkt des Schmelzintervalls, bis zu 120° tiefer als der obere. Diese Differenz ist der Unterkühlung zuzuschreiben und die be- obachtete Schmelzpunktserniedrigung, respektive Erstarrungs- erniedrigung, welche in die van 't Hoff'sche Formel (siehe unten) einzusetzen ist, muß um diesen Betrag gekürzt werden. Hätte Vogt dies berücksichtigt, so hätte er statt Schmelzpunkts- erniedrigungen von 200 bis 250° nur solche von 100 bis 130° in seine Rechnung einbezogen und dann auch andere Werte für die Molekulargewichte erhalten. Berechnung der eutektischen Mischung und der Schmelz- punktserniedrigung. Nach J. H. L. Vogt läßt sich aus der Formel m 0-02 T^ t = -v^ X M q in welcher q die Schmelzwärme, T den Schmelzpunkt, m die Konzentration, M das Molekulargewicht der gelösten Kom- ponente ist, die eutektische Mischung berechnen; hiebei ist aber die Ungenauigkeit der für 7 und q einzusetzenden Werte zu berücksichtigen. Vogt berechnet mit Hilfe dieser van 't Hoff sehen Formel auch die Schmelzpunktserniedrigung, die Ordinate des Punktest". Die in Wirklichkeit sich experimentell ergebenden Gefrier- punktserniedrigungen sind zwar mit den berechneten fast nie übereinstimmend, vorzugsweise, wie ich früher gesagt habe, ^ aus praktischen Rücksichten und weil die Gefrierpunktsernied- 1 Silikatschmelzen, I.Vogt hat mich mißverstanden, wenn er (Silikat- schmelzlösungen, II, 19.5) meint, ich kämpfe gegen die Lösungstheorie. Aus meinen Ausführungen, p. 243, mußte doch hervorgehen, daß ich die praktische Anwendung wegen der Unsicherheit der Bestimmung von T, der Schmelztem- peratur und der Schmelzwärme q und des Dissoziationsgrades bekämpfe, nicht aber die theoretische Ableitung. Als theoretischer Einwand wäre nur der zu machen, daß Silikatschmelzlösungen konzentrierte Lösungen sind, nicht verdünnte. Die Silikatschmelzen. 57o rigung nicht immer proportional dem Werte von x ist, aber trotzdem kann die Abszisse von E berechnet werden. So stimmen manche von mir experimentell gefundene eutektische Mischungen mit den Berechnungen J. H. L. Vogt's, z. B. bei Augit-Olivin, dann bei Magnetit-Olivin (also bei großer Kristalli- sationsgeschvvindigkeit), in anderen Fällen aber ist keine Über- einstimmung, was begreiflich erscheint, da ja viele schwer mit Genauigkeit bestimmbare Faktoren in der Formel sich befinden. Eine der großen Schwierigkeiten für die theoretischen Erörterungen bezüglich der eutektischen Mischung und des Kri- stallisationsendpunktes liegt in der Unsicherheit bezüglich der Schmelzwärmen der Silikate; dadurch wird auch neben anderen Ursachen die Anwendung der van 't Hoffschen Formel vorerst oft ganz unmöglich gemacht. Direkte Bestimmun- gen der Schmelzwärme reiner Silikate fehlen eben fast gänzlich. Die Bestimmungen Akerman's an Schlacken sind sehr unsicher und ebenso unsicher die Berechnungen J. H. L. Vogt's. Die Fehler dürften mindestens 25% betragen, wenn nicht mehr. Vorläufig sind daher aus einer Reihe von Gründen solche Bestimmungen ungemein schwierig. Tammann^ erhielt zumTeile auch andere Kristallisations- wärmen als Akerman. Als Fehlerquellen ergibt sich auch das verschiedene Kristallisationsvermögen; wenn nur ein Teil zur Kristallisation gelangt, so wird die Schmelzwärme zu klein ausfallen. Bei Schlacken ist auch zu berücksichtigen , daß die Substanzen auch nicht rein sind, so daß dann auch bei Gegenwart mehrerer Komponenten doppelte Umsetzungen vor- kommen könnten. Fehlen der Eutektstruktur. Die natürlichen Silikatgemenge sollten Kristallkonglo- merate im Sinne der physikalischen Chemiker darstellen, in welchen jedenfalls die vonviegende Komponente plus Eutekti- kum vorhanden sein sollte; demnach müßten alle Gesteine 1 Kristallisieren und Schmelzen, p. 67. 576 C. Doclter. PürphjTstruktur zeigen, z. B. bei Gemengen von Augit und Labradorit, porphyrartige Gemenge von zuerst gebildetem Augit mit einer Grundmasse aus Eutektikum oder porpliyr- artige Gemenge aus zuerst gebildetem Labradorit mit eutek- tischer Grundmasse, Je nachdem eben Labradorit oder Augit vorherrscht. Solche Bildungen sind natürlich nicht unmöglich und dürften sie in Wirklichkeit auch nicht fehlen. Aber im allgemeinen trifft dies nicht zu. Bei künstlichen Schmelzen trifft dies noch weniger zu, die eutektische Struktur ist bei diesen eine Seltenheit. Nur wenige Gesteine zeigen Eutektstruktur; darunter sind bekannt die Pegm.atite, Schriftgranit, welche die sogenannte Implikationstextur zeigen, doch können solche Gesteine, wie auch die Quarzporphyrgrundmasse nicht auf trockenem Wege dargestellt werden und kommen also hier, wo wir es nur mit trockenen Schmelzen zu tun haben, nicht in Betracht. Bei künstlichen Schmelzen sind eutektische Mischungen, d. h. solche mit Eutektstruktur, auch sehr selten, während der Theorie nach immer einzelne Teile diese Eutektstruktur zeigen müßten. Auch bei Schlacken tritt nach v. Jüptner die Eutektstruktur nicht auf, auch die Zeichnungen Vogt's lassen diese vermissen. Dagegen erhielt ich in manchen Fällen beim Zusammenschmelzen von zwei Silikaten Differentiations- sonderung, namentlich wenn die angewandten Mengen nahezu gleich waren, und sogar bei einzelnen eutektischen Mischungen kommt Trennung nach dem spezifischen Gewicht vor. Der Grund, warum eutektische Struktur bei Silikaten nicht zu Stande kommt, liegt einerseits in der verschiedenen Kristalli- sationsgeschwindigkeit, respektive dem so verschiedenen Kristallisationsvermögen und ist es wohl begreiflich, daß, wenn diese Faktoren stark differieren, die Eutektstruktur nicht zu Stande kommt und nur, wo sie nahezu gleich sind, wie bei Ohvin und Magnetit, wird sie zu erwarten sein. Allerdings könnte man bei Olivin und Augit auch eine solche erwarten, da das Kristallisationsvermögen nicht sehr verschieden ist. Andererseits dürfte besondars auch die Unterkühlung von Einfluß sein, in manchen Fällen kann auch die Bildung neuer Verbindungen störend einwirken. Die Silikatschmelzen. 577 Bei natürlichen Gesteinen kommt die Eutektstruktiir vor- wiegend zwischen den Komponenten Quarz-Orthoklas, bei Quarz- porphyren, Mikropegmatiten vor, also bei Gesteinen, bei denen jedenfalls das Wasser oder die Mineralisatoren von großem Einfluß waren. Aus trockenen Schmelzen entsteht kein Quarz. Was daher die Kombination Quarz-Orthoklas anbelangt, so stimme ich wohl mit Vogt überein, daß hier eine eutekt- ähnliche Struktur vorliegt, nur kann ich mir nicht denken, daß solche aus trockenem Schmelzfluß entstehen kann ohne Wasser und Mineralisatoren, jedenfalls haben sich beide Kom- ponenten gleichzeitig ausgeschieden. Quarz und Orthoklas sind Verbindungen, deren Kristalli- sationsgeschwindigkeit nicht sehr verschieden ist. Man müßte also zu dem Schlüsse kommen, daß in den genannten Fällen auch für einen wasserhaltigen Schmelzfluß die Gesetze des Eutektikums gelten, was auch möglich ist, da hier H2O wahrscheinlich keinen chemischen Einfluß hat, sondern nur auf die Viskosität und somit auf die Kristallisations- geschwindigkeit wirkt. Um die berechneten Zahlen bei anderen eutektischen Mischungen J. H. L. Vogt's zu kontrollieren, habe ich die langsame Erstarrung solcher Gemenge sowohl unter dem Mikroskop als auch bei langsamer Abkühlung in Tiegeln beobachtet und dabei selten, wie bei der Mischung Olivin- Magnetit an einigen Stellen Eutektstruktur beobachtet. Man kann aber auch die eutektische Mischung, wie ich es bereits früher getan, durch die Schmelzpunktsbestimmungen als diejenige Konzentration zweier Komponenten bestimmen, die den niedrigsten Schmelzpunkt hat, und diese Methode ist jedenfalls unter den obwaltenden Verhältnissen die genaueste. Hiebei ergab sich bei den Mischungen Olivin-Augit die Mischung 30 Olivin und 70 Augit als diejenige, welche den geringsten Schmelzpunkt hat. Eine Berechnung läßt sich wegen der komplizierten Zusammensetzung des Augits und auch des Olivins nicht durchführen, ich bemerke aber, daß auch J. H. L. Vogt für Diopsid-Olivin dieses Verhältnis erhält, was auch vielleicht nur eine zufällige Übereinstimmung sein kann; jedenfalls zeigt diese Mischung (vergl. p. 584) keine Sitzb. d. mathem.-naturw. Kl. ; CXIV. Bd., Abt. I. 39 578 C. Doelter, EiitektstruktLir. Ebensowenig zeigt die ^4lschung Olivin- Anorthit, nach J. H. L. Vogt's Methode berechnet, Eutekt- struktur. Es findet eben fast überall ilie Erstarrung derKomponentcn nacheinander statt oder auch abwechselnd. ^ Aus den Beobachtungen unter dem Mikroskop geht auch hervor, daß die Abscheidung der Verbindungen nacheinander vor sich geht, daß aber auch Alternieren stattfinden kann und stellenweise auch gleichzeitige Ausscheidung, wobei aber eutektische Struktur nur sehr selten auftritt. Vogt beschreibt übrigens selbst Fälle, in welchen ab- wechselnde Ausscheidung zweier Komponenten, z. B. Melilith, Magnetit, stattgefunden hat, und er begründet das mit Recht mit der Unterkühlung; solche Fälle hatte ich öfters Gelegenheit, zu beobachten, 2 und ich erklärte sie in ähnlicher Weise wie Vogt durch mehrfalls sich wiederholende Übersättigung.^ Die Wiederholung der Ausscheidung scheint also bei Schlacken recht häufig, auch bei den künstlichen Schmelzen öfters vor- zukommen. Vielfaches Befremden erregt das frühe Aus- scheiden der Akzessorien: Erze, Apatit, Korund, Magne- tit etc. Die Tatsache, daß sich gewisse, in kleinen Mengen in dem vulkanischen Silikatmagma vorhandene Verbindungen, wie Spinell, Eisenglanz, Magnetit, Olivin, Bronzit, Korund, zuerst aus- scheiden, kann mit deren großem Kristallisationsvermögen in Zusammenhang gebracht werden, es können aber auch andere Faktoren mitwirken und habe ich schon in meiner ersten Mit- teilung auf die Dissoziation verwiesen. J. H. L. Vogt-^ hat in seiner letzten Mitteilung, Ende 1904, darauf hingewiesen, daß die zuerst sich ausscheidenden Ver- bindungen stärker dissoziiert sind, wodurch die Löslichkeit des Aluminats z. B. bei der Spinell-Feldspat-Mischung etwas ver- ringert wird. Dann würde die Löslichkeitserniedrigung des ' Silikatschmelzen, II. 2 Silikatschmelzen, I, p. 237. 3 Vogt weist auch darauf hin, daß auch der corsicanischc Kugeldiorit auf diese Art entstehen kann. •i L. c, II, p. 154. Die Silikatschmelzen. 579 Aluminats sehr bedeutend sein und dann müßte dieses zuerst zu i-cristallisieren anfangen, auch wenn das Aluminat in geringen Mengen vorhanden ist. An anderer Stelle'^ bekämpft aber Vogt meine Ansicht, daß die Moleküle der im Magma vor- handenen Verbindungen dissoziiert seien, obgleich ich den Schluß zog, daß Spinell, Magnetit zum Teil dissoziiert sein müsse, was doch mit den von demselben Autor p. 154 aus- gesprochenen Ansichten übereinstimmt. Vogt sucht trotzdem die Tatsache, daß Olivin, Magnetit, Spinell, Apatit sich früher ausscheiden, mit dem Nernst'schen Löslichkeitsgesetz, d. h. mit der Löslichkeitserniedrigung bei gemeinschaftlichem Ion, zu erklären, aber hier bewegen wir uns wegen der Kompliziertheit des Gesteinsmagma auf hypo- thetischem Boden. Ich habe in dieser Hinsicht einige Versuche ausführen lassen, die aber noch nicht entscheidend sind; da aber im Magma zumeist Verbindungen vorkommen, die mit einer anderen ein gemeinschaftliches Ion haben, so könnte dies die Löslichkeitserniedrigung im allgemeinen erklären und dürfte das Nernst'sche Gesetz anwendbar sein, wie groß aber die Löslichkeitserniedrigung ist, muß erst festgestellt werden. Vogt erklärt also einerseits die erste Abscheidung von Zirkon, Apatit etc. durch große Dissoziation, während er am Schlüsse seines Werkes überhaupt die Dissoziation der Silikat- schmelzen bestreitet. Es ist nicht recht einzusehen, warum nur jene Mineralien stark dissoziiert sein sollen, während andere, Augit, Feldspate nicht dissoziiert sein sollen. Daß Dissoziation vorhanden ist, halte ich im allgemeinen für sicher und das zeigen auch die chemischen Reaktionen, aber die näheren Details kennen wir nicht, der Dissoziationsgrad ist uns un- bekaimt. Auch die auffallend frühzeitige Kristallisation des Apatits soll nach Vogt darauf beruhen, daß in den Eruptivmagmen immer mehr oder weniger Ca-Ion, von den Silikatverbindungen herrührend, vorhanden ist, und zwar wird das Ca-Ion aus den Silikaten meist das 10- bis lOOfache der Menge des Ca-Ions des Phosphats ausmachen. Die Löslichkeitserniedrigung des 1 L. c, II, p. 204. 39* 580 C. Doelter, Apatits muß nach ihm folglich sehr bedeutend sein; die Versuche bestätigen dies nicht. Die bekannte Tatsache, daß die akzessorischen Bestand- teile sich, wenn auch nur in kleinen Mengen vorhanden, zuerst ausscheiden, hängt meiner Ansichtnach teilweise allerdings damit zusammen, daß bei Mischungen dieser mit Augit, Plagioklas der eutektische Punkt in der Nähe des Schmelzpunktes liegt, und vielleicht ist auch teilweise die elektrolytische Dissoziation Ursache, wie Vogt meint; endlich ist wichtig ihr großes Kristallisationsvermögen. Die Frage nach der Dissoziation der Schmelzen ist ohne Versuche nicht lösbar, wir können daher mit Sicherheit nicht sagen, ob saure Silikate mehr dissoziiert sind als basische, wie die Barus-Idding'schen Versuche andeuten. Es müßte eben der Dissoziationsgrad der einzelnen Silikate bestimmt werden. Die Tatsache, daß geschmolzener Olivin, Bronzit, sich zumeist wieder als solche ausscheiden, während bei anderen Silikaten bei Umschmelzung sich oft andere Silikate bilden, würde eher darauf hinweisen, daß bei jenen Silikaten der Disso- ziationsgrad geringer ist und daß sie fast nur aus Silikat- molekülen bestehen. Ich vermute, daß Alumosilikate im allgemeinen etwas stärker dissoziiert sind. Für dieAkzessorien dürfte, wie oben bemerkt, auch die große Kristallisationsgeschwindigkeit, respektive das große Kristalli- sationsvermögen in Betracht kommen. Bezüglich der Mischung Apatit - Labradorit liegt der eutektische Punkt bei der Mischung 83 : 17 ungefähr, der Apatit scheidet sich immer zuerst aus. Ob hier das Kristallisationsvermögen von Wichtig- keit ist, läßt sich allerdings nicht sicher sagen. Die Schmelz- punktserniedrigung ist aber auch keine sehr bedeutende. Bei Korund-Augit-Mischungen ist der eutektische Punkt sehr nahe dem Schmelzpunkte des Augits. Korund hat auch sehr großes Kristallisationsvermögen, wie die Untersuchung auch rascher abgekühlter Tonerde zeigt. Auch Eisenglanz hat großes Kristallisationsvermögen, wie wir früher sahen. Die Silikatschmelzen. 581 Die Bestimmung der Schmelz- und Erstarrungsintervalle mit dem Kristallisationsmikroskop. Sowohl die Methoden, die Zeittemperaturkurven beim Erstarren als auch beim Schmelzen zu bestimmen, führen zu weniger genauen Resultaten. Insbesondere sind bei den Er- starrungskurven größere Fehlerquellen, weil es nicht möglich ist, zu rühren. Aber auch durch Erwärmen lassen sich die Schmelzintervalle nicht immer gut bestimmen; für den unteren Punkt des Intervalls geht dies noch eher. Bei den thermischen Methoden läßt sich also der Zeit- punkt, bei welchem die Erstarrung anfängt oder aufhört, schwer beobachten, ebenso läßt sich der Endpunkt des Schmelzens schwer beobachten und verläuft hier der Vorgang bei kristallisierten Silikaten auch anders, als die Theorie es verlangt. Am besten läßt sich daher die Beobachtung unter dem Mikroskop verwenden, weil dann sowohl die Erstarrungs- punkte als auch die Schmelzpunkte sich beobachten lassen. Wie früher berichtet, verhalten sich kristalline Gemenge von Silikaten wegen der geringen Löslichkeit nicht so wie Legierungen, sie geben zumeist keine Schmelzpunkts- erniedrigungen und dabei ist auch die Erwärmungsmethode bei diesen nicht anwendbar, denn als ersten Punkt erhält man immer den Schmelzpunkt der niedrigst schmelzbaren Komponente. Um die Methoden, die wir oben betrachtet haben, anzu- wenden, muß man die Gläser der Verbindungen zusammen- schmelzen. Manche Verbindungen, aufweiche es hier ankommt, z. B. Magnetit, haben aber so großes Kristallisationsvermögen, daß sie nicht ganz glasig zu erhalten sind, und man wird daher bei solchen große Schwierigkeiten haben, d. h. die Methode wird hier ganz ungenau, wie sich mir dies in manchen Fällen zeigte (vergl. Silikatschmelzen I, p. 212), der Schmelzpunkts- vergleich hat dann weniger Wert. Bei einfachen reinen Silikaten, aus chemischen Mischungen dargestellt, ist wegen der Unterkühlung der Erstarrungspunkt unter dem Schmelzpunkt gelegen, worauf auch A. Brun hinge- wiesen hat. Die Unterschiede zwisch en den Schmelz- 582 C.Do elter, punktsintervallen und den analogen Erstarrungs- punktsintervallen betragen oft über 100°, daher ist auch die Erstarrungsmethode zur Berechnung der Molekulargewichte nicht geeignet, infolge der großen Unterkühlung. Als zweites wichtiges Hindernis für die Erstarrungs- kurve ist aber der wirkliche Verlauf gegenüber dem theore- tischen. Als unterster Erstarrungspunkt bei der Zeittemperatur- kurve (Fig. 14) soll der Punkt angenommen werden, bei welchem sich die eutektische Mischung ausscheidet, und während deren Ausscheidung erhält man bei Legierungen eine horizon- tale Strecke, die Temperatur bleibt konstant oder aber die Temperatur erhöht sich etwas (Fig. 14). Dies tritt aber wenig- stens in den meisten Fällen, soweit ich es beobachten konnte, nicht ein, es scheidet sich eben zumeist keine eutektische Mischung ab und daher ist der letzte Erstarrungspunkt nicht der theoretische Kristallisationsendpunkt. In dieser Hinsicht ist die Untersuchung eutektischer Mischungen wertvoll. Adan kann also den letzten Punkt der Erstarrung nicht als Kristallisationsendpunkt in dem Sinne, wie er bei Legierungen zutrifft, betrachten, denn die Verhältnisse der Silikatgemenge sind nicht dieselben wie bei Legierungen, die eutektische Mischung scheidet sich nicht beim Kristallisationsendpunkt ab, wie die Theorie dies verlangt. Daher ist es auch nicht gestattet, wie dies Vogt tut, aus der Temperatur der letzten Ausschei- dung die Schmelzpunktserniedrigung und daraus das Molekular- gewicht der gelösten Komponente zu berechnen. Bei Silikaten werden, wie eben zahlreiche Versuche zeigen, die Erstarrungs- punktserniedrigungen zumTeile durch dieUnterkühlung herbei- geführt. Die Bestimm.ung der Erstarrungspunkte ist daher nicht identisch mit der Bestimmung der Schmelzpunktsdepression. Unter dem Mikroskop läßt sich am besten beobachten, wie die Kristallisation verläuft. Aus den früher (Silikat- schmelzen, I und II) mitgeteilten Versuchen und den neuer- dings ausgeführten läßt sich behaupten, daß eine allmähliche Abscheidung in einem Intervall von oft 150° und darüber statt- findet. Auch bei Erstarrung einer Komponente ist eine Unterkühlung bis 50° zu beobachten. Es zeigt sich, daß die Die Silikatschmelzeri. 5S3 Kristallisation nicht mit der Ausscheidung der eutektischen Mischung schließt. Wie wir gerade bei der mikroskopischen Methode, die allein gestattet, dem Ausscheidungsvorgange unter steter Temperaturbeobachtung zu folgen, beobachten, findet die Ausscheidung meist nacheinander oder auch abwechselnd statt. J. H. L. Vogt hat übrigens selbst Fälle, in denen Magnetit und 01i\in beispielsweise abwechselnd sich abscheiden, an- geftihrt.^ Eine Ausscheidung bloß nach der eutektischen Regel ist zwar nicht ausgeschlossen, aber doch seltener, sie könnte bei Magnetit und Eisen-Olivin, deren Kristallisationsgeschwindig- keit und Kristallisationsvermögen nicht sehr \'erschieden ist, am ehesten erfolgen und dort scheint sie auch manchmal wirklich einzutreten, vielleicht auch bei Melilith-Olivin. Die Erstarrungsvorgänge unter dem Mikroskop. Bei zvv'ei Komponenten wird man den Punkt der ersten Erstarrung und den der letzten beobachten können, aber es spielt hier die Unterkühlung, die ja wieder von verschiedenen P'aktoren abhängig ist, eine Rolle. Die Versuche ergaben, daß die Intervalle enorm groß sind und daß die Differenz zwischen Schmelzpunkt der Komponente und dem Endpunkte der Er- starrung eine sehr große ist. Vergleicht man diese Intervalle mit den Schmelzintervallen, so findet man sehr große Differen- zen; letztere sind bedeutend geringer und ich habe daher lieber diese Punkte gewählt zum Vergleich von Mischungen von fortschreitender Konzentration. Untersuchung einiger eutektischer Mischungen im Kristalli- sationsmikroskop. Um zu sehen, wie berechnete eutektische Mischungen oder wirkliche, als solche beobachtete, bei der Erstarrung sich verhalten, wurden sie unter dem Mikroskop untersucht, insbe- sondere um gleichzeitige Abscheidung und Eutektstruktur zu 1 Silikatschmelzlösiiiigen, II, p. fdl. 584 C. Doellcr, konstatieren. Gewählt wurden Augit-Olivin, Fayalit-Magnetit, Olivin-Magnetit, Anorthit-Olivin. Die Berechnung nach der Methode Vogt's unter Anwendung der van 't Hoffschen Formel ergibt für Olivin-Magnetit das Verhältnis 80:20, für Fayalit-Magnetit 75 : 25; diese von J. H. L. Vogt gefundenen Mischungen wurden auch angewandt. Bei Augit-Olivin erhielt B. Vukits das eutektische Verhältnis 70: 30; dieses hat den niedrigsten Erstarrungspunkt. Mischung von 66 Magnetit, 12 Olivin, 22 Albit. Diese Mischung war gewählt worden, weil Herr H.H.Reiter bei derselben an einigen Stellen Anklänge an Eutektstruktur erhalten hatte, wobei sich der Albit, der nur als Lösungsmittel der beiden übrigen erscheint, nicht abgeschieden hatte. Das Verhältnis des Magnetits zum Olivin war zwar nicht das eutektische, sondern mit Überschuß von Magnetit. Die zu Glas geschmolzene Mischung war bis 1315° erhitzt worden. Die erste Abscheidung erfolgte bei 1205°; es sind lange Nadeln, die aber nicht aus Olivin bestehen, sondern, wie die spätere Untersuchung ergab, aus Magnetit, welche aneinandergereiht sind. Bei 1180° erfolgt die Haupt- ausscheidung des Magnetits, und zwar erfolgt sie plötzlich 20° tiefer bilden sich lange Olivine, daneben weitere Magnetit- bildung und die dauert bis 1140° an. In Hohlräumen bildeten sich bei 1200° vereinzelte Kriställ- chen, die nach Erstarrung als Eisenglanz erkannt wurden. Bei 1110° scheiden sich noch Olivine aus, während von 1100° seltene winzige Albitnädelchen bilden. Bei 1080° ist alles starr. Die Ausscheidungsfolge ist: Magnetit, Magnetit-Olivin (Eisenglanz), Olivin, Albit. Eutektische Mischung von Augit-Olivin. Nach den Schmelzpunktbestimmungen von B. Vukits mit Augit von den Monti rossi und Olivin von Ceylon ^ besitzt die dem Verhältnisse 70 Augit 30 Olivin entsprechende Mischung den tiefsten Schmelzpunkt. Der Schmelzpunkt der glasigen 1 Siehe dessen Analyse, Sitzungsber. 1904, Julihel't, p. oOl. Die Silikatschmelzen. 585 Mischung ist 1 160 bis 1 175°. Beidem Versuche war die Mischung bis 1300° erhitzt worden. Bis 1 150° war keine Ausscheidung be- merkbar, bei dieser Temperatur scheiden sich einzelne Magnetit- körnchen ab, die offenbar aus den beiden Mineralien durch doppelte Umsetzung sich gebildet hatten. Erst bei 1 150° bilden sich olivinähnliche Skelette, die namentlich bei 1120° sich häufen. Bei 1095° erscheinen in großer Menge winzige Augit- kriställchen und -nädelchen. Es läßt sich aber hiebei nicht mehr konstatieren, ob nicht daneben sich Olivine gleichzeitig ausscheiden, so daß wenigstens einzelne Olivine gleichzeitig mit Augit sich abscheiden. Bis 1060° hält die Bildung von Augit an, insbesondere bei 1080° tritt massenhafte Ausschei- dung von Augitnadeln ein. Demnach würde das Erstarrungsintervall zirka 80° be- tragen und die Reihenfolge wäre: Magnetit, Olivin, viel Augit mit wenig Olivin, Augit. Eine eutektische Struktur konnte nicht beobachtet werden. Mischung von 75 Fayalit und 25 Magnetit. Nach Vogt wäre dies die eutektische Mischung und es hat diese nach Beobachtungen des Herrn H. H. Reiter auch ungefähr den niedrigsten Schmelzpunkt, es dürfte also diese Mischung der eutektischen sehr nahe stehen. Das Schmelz- intervall ist 1140 bis 1170°. Die erste Abscheidung, und zwar von Magnetit, erfolgt bei 1140°; bei 1120° erfolgt massenhafte Abscheidung von Magnetit mit etwas Fayalit. Bei 1100° scheidet sich letzterer aus, bei 1080° beobachtet man neben diesem noch Ausscheidung von Magnetit, bei 1070° scheiden sich noch ein- zelne größere Fayalite aus. Die Reihenfolge wäre demnach: Magnetit, Magnetit mit etwas Fayalit, Fayalit, Fayalit mit Magnetit, Fayalit. Das Er- starrungsintervall dauert von 1140 bis 1070°. Eutektstruktur fehlt. Das Erstarrungsintervall beträgt 80°. E u t e k t i s c h e M i s c h u n g v o n 0 1 i v i n und Magnetit, 80 : 20. Nach Vogt ist die xVlischung SO Olivin 20 Magnetit die mit dem niedrigsten Schmelzpunkte, nach einer Berechnung. 586 C. Doch er, Dies ist auch, wie Versuche von H. H. Reiter zeigen, diejenige Mischung, welche den tiefsten Schmelzpunlvt hat, wir können sie also als die eutektische Mischung betrachten. Zur i\nwen- dung gelangte edler Olivin angeblich von Ceylon, anal^'siert von M. Vucnik.i Als Schmelzpunkt des zu einem Glas zusammengeschmol- zenen Mineralgemenges, respektive der chemischen Mischung entsprechend dem obigen Verhältnis ergab sich zirka 1190°, Maximaltemperatur 1320°. Bis 1180° hatte sich nichts gebildet. Bei dieser bilden sich Magnetitpünktchen. Bei 1170° scheidet sich sehr viel Magnetit aus, an einigen Stellen der Schmelze aber auch Olivin in kurzen Säulen. Bei 1165° scheidet sich massenhaft Olivin aus. Trotzdem die Temperaturunterschiede so gering sind, waren die Perioden der Magnetit- und die der Olivinausscheidung sehr deutlich voneinander verschieden. Bei 1160° waren deutlich neben der Ausscheidung aus Olivin auch solche aus Magnetit wahrzunehmen und 10° tiefer sah man an Stellen, wo früher kleine Olivine gefunden und gezeichnet worden waren, größere, es hat also Wachstum stattgefunden. Bei 1140° beobachtet man auch einzelne Olivin- neubildungen, dann aber bis 1120° ungefähr wiederholte Magnetitpünktchenausscheidung zwischen den nun fast das ganze Gesichtsfeld ausfüllenden Olivinen; ein kleiner Teil zwi- schen den Kriställchen ist wohl noch als glasig zu betrachten. Bei 1110° tritt jedenfalls vollkommene Verfestigung ein. Die Kristallisationsvorgänge spielen sich hier in verhältnis- mäßig kleinem Intervall von zirka 50°, das sich aber eigent- lich auf 40° reduziert; keinesfalls hat man aber bei dieser eutektischen Mischung einen einheitlichen Schmelz-, respektive Erstarrungspunkt und die Abscheidung ergibt zwei deutlich getrennte Perioden der massenhaften Kristallabscheidung: 1. viel Magnetit mit wenig Olivin, 2. viel Olivin mit wenig Magnetit. ' Silikatschmelzcn, II, p. 501. Die Silikatsclimelzen. Oo^ Vor- und nachher erfolgt noch Ausscheidung von Magnetit und Olivin, die Reihenfolge wäre demnach: Magnetit allein, Magnetit mit wenig Olivin, Olivin mit wenig Magnetit, Olivin, Magnetit. Der Verlauf der Erstarrung ist also der, daß das Intervall, in welchem sich die beiden Mineralien absetzen, ein kleines ist und insofern eine Annäherung an eutektische Mischung statt- tindet, doch ist deutlich trotz der geringen Verschiedenheit nicht gleichzeitiges, sondern abwechselndes Absetzen der beiden Komponenten zu beobachten. Es tritt also nun teilweise das ein, was bei eutektischer Mischung vorausgesetzt wird, wobei gar keine Eutektstruktur sich bildet. Mischung von 2 Anorthit und 1 Olivin. Hier wurde eine chemische Mischung von der Zusammen- setzung 2(CaAl2Si2 08) + Mg2Si04^ angewendet, welche nach einer Berechnung von M. Vucnik bei Anwendung der Be- rechnungsmethode von Vogt die eutektische wäre, und in der Tat schmilzt sie leicht bei zirka 1250° und wird schnell dünn- flüssig. Bei der Abkühlung bildete sich bis 1230° nichts. Hier erschienen vereinzelte Olivinnadeln mit einer domatischen Be- grenzung, oft sind es Skelette, welche an den Enden das Doma oder eine Andeutung desselben zeigen. Bei 1200° starke Bildung von Olivinnadeln und rechtwinkligen Skeletten. Erst bei 1180° erscheinen die Plagioklasnadeln, gleichzeitig kommt noch Olivin, die Abscheidung bei 1175° von Plagioklas ist reichlich. Bei 1165 bis 1150° scheiden sich massenhaft Plagioklas ab und vielleicht vereinzelte Olivine, was aber nicht sicher konstatiert werden konnte. Bei 1135° ist alles fest. Das Abscheidungsintervall beträgt also zirka 90° trotz der eutektischen Mischung. Hiebei ist zu bemerken, daß die Abkühlung sehr langsam vor sich ging und von 1230 bis 1 140° 1 Stunde 20 Minuten betrug, davon zwischen 1200 bis 1150° 1 Stunde. 588 C. Do elter, Die Silikatschmelzen. Die Reihenfolge der Abscheidungen war: Olivin, Plagio- klas mit Olivin, Plagioklas, Plagioklas mit Olivin. Bei den eutektischen Mischungen wurde auch der Ver- such gemacht, die Erstarrungsvorgänge photographisch zu reproduzieren; bisher sind es aber technische, wie ich hoffe, leicht überwindbare Hindernisse gewesen, welche es ver- hinderten, reine Bilder zu erhalten. Die Versuche sollen aber demnächst fortgesetzt werden. Tafelerklärung. 1. Olivinschmelze nach 5 Minuten langer Erstarrung. 2. Bronzitschmelze nach 4 Minuten langer Erstarrung. 3. Augit von den Monti rossi, geschmolzen und während 5 Minuten abgekühlt. 4. Labradorit von Kiew, geschmolzen und während 5 Minuten abgekühlt. Doelter, C: Die Silikatschmclzeii. Lichtdiuck V. Max Jade, Wien Sitzungsberichte d. kais. Akad. d. Wiss., math.-naturw. Klasse, Bd. CXIV. Abt. 1. 1905. SITZUNGSBERICHTE DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE KLASSE. CXIV. BAND. VII. HEFT. ABTEILUNG I. ENTHÄLT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER MINERALOGIE, KRISTALLOGRAPHIE, BOTANIK, PHYSIOLOGIE DER PFLANZEN, ZOOLOGIE, PALÄONTOLOGIE, GEOLOGIE, PHYSISCHEN GEOGRAPHIE UND REISEN. 591 Einige Bemerkungen über die Ammoniten- gattung Hoplites Neumayr V. Uhlig, w. M.k.A. (Vorgelegt in der Sitzung am 6. Juli 1905.) Seitdem E. Suess den Anstoß zur Zerlegung der Ammo- niten in natürliche Gattungen gegeben hat, bestanden über den Umfang dieser Gattungen kontroverse Anschauungen. Zittel, Waagen, Neumayr u. a. schufen Genera von ziemlich weitem Umfange, indem sie aus der Fülle der Formen die größeren Stämme mit allen ihren kleineren Verzweigungen isolierten und als Galtungen kennzeichneten. A. Hyatt dagegen faßte den Gattungsbegriff weit enger und stellte schon jene kleinen und kleinsten Zweige als besondere Gattungen hin. Neumayr, Zittel und Waagen waren mehr auf die Zu- sammenfassung, Hyatt auf die Zersplitterung bedacht. Die Hyatt'sche Arbeitsrichtung hat sich bekanntlich bei allen Verdiensten dieses Cephalopodenforschers in ihren letzten Ergebnissen schlecht bewährt. Um dies zu erweisen, braucht man nur an die Hyatt'sche Bearbeitung der Cephalopoden in der englischen Ausgabe der Zittel' sehen Grundzüge der Paläontologie und an die Ammonitengattungen von S. Buck- man zu erinnern. Die Hyatt'sche Bearbeitung der Gephalo- poden zerreißt den natürlichen Zusammenhang fast aller Ammonitenstämme' und die Buckman'schen Gattungen 1 Vergl. E. Haug, La Classification des Ainmonites de M. A. Hyatt, ReN-ue crit. de Paleozoologie, IV. Paris 1900, p. 78 bis 86. 592 V. Uhlig, kennzeichnete kürzlich E.W. Ben eck e^ mit den Worten: »Es ist nicht übertrieben, wenn man sagt, daß manche von ßuckman zu generischer Trennung benutzte Merkmale kaum als ausrei- chend für eine spezitische Trennung angesehen werden können.« Im Gegensatze zu diesen Mißerfolgen der Hyatt'schen Richtung haben die alten Ammonitengattungen Zittel's, VVaagen's und Neumayr's ihren praktischen und theoreti- schen Wert in vieljährigem Gebrauche erwiesen und sie bilden ohne Zweifel die beste Grundlage für die weitere Arbeit. Ist der Umfang einzelner dieser Gattungen als zu groß erkannt worden oder wurden Zweige zusammengefaßt, die sich durch längere Perioden hindurch gesondert entwickelten und daher auch eine Sonderstellung im System erfordern, so konnte dieser Erkennt- nis durch passende Zerlegung der alten und Abtrennung neuer Gattungen entsprechend Rechnung getragen werden, ohne den alten und bewährten Rahmen zu sprengen. In diesem Sinne hat denn auch die ursprüngliche Ammonitensj^'stematik von Neu- mayr und Zittel mancherlei Ergänzungen und Abänderungen erfahren, wobei vielfach von N e u m a y r und anderen H y a 1 1 'sehe Gattungsnamen verwendet wurden. Zu denjenigen Neumayr'schen Gattungen, die von diesem Prozesse bisher verhältnismäßig wenig betröffen wurden, obwohl sie eine kaum übersehbare Fülle von Formen umschließen, gehört unter anderen auch die Gattung Hoplites. Zwar wurden im Laufe der Jahre einzelne Gruppen als be- sondere Gattungen abgetrennt, wie Sonneratia ßayle, Pnl- chellia Uhlig, Aulacostephaniis Sutner und Pompeckj, Para- hopUtes Anthula; dafür kamen aber neue Typen in beträcht- licher Zahl hinzu und so blieb der Umfang dieser Gattung nach wie vor ein sehr großer. Einzelne Autoren erblicken in dieser umfangreichen Gattung eine Vereinigung von heterogenen Elementen, wie Steuer^ und Cossman.^ Auch Gh. Sarasin 1 Versteinerungen der Eisenerzformation von Deutsch-Lothringen und Luxemburg. Abhandlung für geolog. Spezialkarte von Elsaß-Lothringen. Neue Folge, Heft VI, Straßburg i. E. 1905, p. 57. 2 Argentinische Juraablagerungen, PaUiontol. Abhaiidiung von Dames und Kayser, Neue Folge, Bd. III, 1897, p. 79 bis 94. 3 Revue critique de Paleozoologie 1899, p. 115. Ammonitengattung Hoplites Neu m a y r. 593 vertrat ursprünglich diese Anschauung, verUeß sie aber später zu Gunsten der Annahme der EinheitHchkeit der Hophten. Wie jetzt Sarasin,^ so betrachtet auch A. von Koenen- die Hopliten als eine einheitUche natürHche Gruppe. Es braucht hier nicht betont zu werden, mit welchen Schwierigkeiten die Entscheidung über derartige Fragen ver- knüpft ist. Jedenfalls führt die Untersuchung möglichst zahl- reicher Stücke aus verschiedenen Gruppen am sichersten zum Ziele und deshalb glaubte ich, mit der Untersuchung der an Hopliten so reichen Fauna der asiatischen Spiti shales be- schäftigt, die günstige Gelegenheit, die dieses Material darbot, nicht ungenützt lassen zu sollen, um einen Beitrag zur Auf- klärung der Hoplitensystematik zu liefern. Die Ergebnisse der einschlägigen Untersuchungen werden einen Teil meiner im Zuge befindlichen Publikation über die Fauna der Spiti shales bilden und hier durch entsprechende Abbildungen erläutert sein. Da jedoch bis zum völligen Abschlüsse dieser Arbeit noch längere Zeit verfließen wird, erscheint es vielleicht an- gemessen, eine kurze Darstellung der systematischen Ergeb- nisse der Untersuchung der Hopliten der ausführlichen Publi- kation vorangehen zu lassen. Das Auftreten der Gattung Hoplites wurde von Neu- mayr bekanntlich in dieKimmeridgestufe versetzt und hier an die kleine Formengruppe des Am., endoxus und pseudomuta- bilis geknüpft. An diese Formen und speziell an Am. progenitor Opp. von Stramberg sollten sich die sogenannten »Dentaten« des Neokom und Gault anschließen.^ Als Vorfahren der Endo- .v//5-Gruppe wurden von Neumayr m\t Perisphinctes involutns verwandte Formen ins Auge gefaßt und so die Hopliten als Seitenzweig des Perisphinctenstammes erklärt. Später stellte Neumayr den Am. involutns an den Beginn der Holcostepha- ?n/s-Reihe und verlegte daher den Ursprung der Hopliten in die Grenzformen von Perisphinctes und Holcostephamis.^ 1 Quelq. considerat. sur les genrjs Hoplites etc. Bull. Soc. geol. France, 3. ser., t. XXV, p. 776. 2 Ammonitiden des norddeutsch. Neokom, p. 171. 3 Zeitschrift der deutsch, geol. Gesellschaft 1875, p. 927. ^ Hilsammonitiden, p. 34. Sitzb. d. mathem.-naturw. KL; CXIV. Bd., Abt. I. 40 594 V. Uhlig, Die Eitdoxus-Gruppe hat mit ihren an der Externseite unterbrochenen und im unteren Flankenteile knotig verdickten Rippen in der Tat eine nicht geringe habituelle Ähnlichkeit mit den Hopliten. Bei näherer Betrachtung erkennt man aber, daß das Wesen der Skulptur der Endoxns-Gruppe in den tief gespaltenen, aus Nabelwandknoten hervorgehenden und wenig geschwungenen Rippen besteht. Ganz anders geartet ist dagegen die Skulptur der großen Hauptmasse der neokomen Hopliten: hier herrschen stärker geschwungene und im oberen Teile der Flanken gespaltene Rippen. Auf den Spaltungsstellen entstehen häufig Knoten und Dornen, die bei dem ersteren Typus durchaus fehlen. Diese beiden Skulpturtypen stehen einander unvermittelt gegenüber, kein Übergang führt von dem einen zu dem andern Typus und es besteht daher auch keine Kontinuität zwischen ihnen. Die Beachtung dieser Skulpturtypen setzt uns in die Lage, an Stelle eines einheitlichen Hoplitenstammes, wie ihn Neumayr verstand, zwei Stämme zu unterscheiden, die sich als Träger jener Skulpturtypen in Oberjura und Unterkreide entwickeln. Der eine kann als Stamm der neokomen Hopliten, der andere als Aitlacostephantts-Sta.mm. bezeichnet werden. Wir können die Verschiedenheit dieser Stämme schon an ihrer Wurzel erfassen und ihre Entwicklung namentlich in der ersten Periode sehr gut verfolgen. Im Neokom und Gault dagegen bleibt die Stellung einzelner Formen unbestimmt. Leider befinden sich darunter die reich verzierten Hopliten des Gault, also ge- rade jene Typen, aufweiche die Bezeichnung Hoplites Neum. nach dem Vorschlage Steuer's zu beschränken, bei mehreren Autoren die Neigung besteht. Könnte man es verantworten, die Gaulthopliten mit Bestimmtheit an den ÄMlacostephamis- Stamm anzuschließen, so müßte die größere Hauptmasse der neokomen Formen, die man als Hopliten zu bezeichnen sich gewöhnt hat, den Anspruch auf diesen Gattungsnamen auf- geben. Die Unmöglichkeit, heute schon eine bestimmte Ansicht in dieser Beziehung auszusprechen, beeinträchtigt nicht nur das Bild des Entwicklungsganges unserer Formen, sondern schafft auch formale Schwierigkeiten für die Systematik. Wir müssen uns daher mit dem Gedanken abfinden, daß die weiter Ammonitengattung Hoplites Neumayr. 595 unten folgenden Bezeichnungen teilweise einen provisorischen Charakter tragen. I. Der Aulacostephanus-Stamm. Der selbständigen Stellung der Etidoxns-Gvu^^e haben zuerst J. Pompeckj und L. v. Sutner Rechnung getragen, in- dem sie für diese Gruppe die Gattung AnJacosteplianus begründeten^. Der Umfang dieser Gattung kann durch folgende Arten ungefähr umgrenzt werden: ÄtUacostepJiaiius endoxtis d'Orb., iHutabili's Sow., pseiidomntahilis Lor., phorus Dum. et Font, atitissiodoreiisis Gott., Undorae Pavl., suhundorae Pavl., Syrti Pavl., jasonoides Pavl., Kirghisensis d'Orb., Stnckenhergi Pavl., progenitor Opp. Die Anschauung Neumayr's über die Herkunft der Eit- Jo,r«s-Gruppe, der jetzigen Gattung Aulacostephaiins, wurde zuerst von L. Würtenberger einerseits vertieft, andrerseits berichtigt; in sehr fesselnden Ausführungen zeigt Würten- berger 2, daß neben Am. invohitus auch Am. biplex hifurcattis Am. {Witteanus Opp.), stephanoides Opp., Stranchianns Opp. Ausgangspunkte der Mutahilis-Avamomien bildeten, daß aber diese Formen nicht mit Perisphincfes, sondern mit der Auceps- Gruppe des Kellow'ay, der jetzigen Gattung Rehieckia, zusam- menhängen. Die genannten Ursprungsformen, an die noch Am. trimertis Opp., triftircattts Qu., anceps albus Qu. anzu- schließen sind^, zeigen sämtlich tiefgespaltene Rippen, deren Ausgangsstellen an der Naht zu Knoten verdickt sind; auf den inneren Windungen herrschen häufig drei- und mehr- spaltige, auf den äußeren zweispaltige Rippen. Diese Skulptur ist so charakteristisch und stimmt so gut mit Reineckia überein, daß an dem Zusammenhange dieser Typen mit Reineckia kein Zweifel bestehen kann. Eine nähere spezielle Untersuchung dieser Formen wäre um so wünschenswerter i Zittel, Grundzüge der Paläontologie 1903, p. 460. 2 Studien über die Stammesgeschichte der Ammoniten, Leipzig 1880, p. 81 bis 87 und Stammtafeln. 3 Vielleicht auch Amnionites desmonotus Opp., striolaris Qu., lepi- ditlits Opp. 40* 596 V. Uhlig, und interessanter, als wir in ihnen die Ausgangspunkte nicht nur der Aulacostephanen, sondern auch der Himalayiten erblicken müssen. Die Ansicht Würtenberger's über den Zusammenhang von Aiilacostephanus und Reitieckia wurde in der Folgezeit von Zittel/ Steinmann, Nikitin^ und anderen geteilt und dürfte gegenwärtig vielseitig angenommen sein. Weit schwieriger als die Herkunft der Aulacostephanen ist die Frage ihrer Fortentwicklung zur Zeit der Unterkreide zu beantworten. Im Neokom beschränken sich die Arten, die man auf den Aulacostephanen-Stamm beziehen könnte, auf die kleine Gruppe des Hoplites amhiguiis Uhl.,"^ H. himalaya- mis Uhl. n. sp., H. hystrix Neum., Uhl. Bei H. amhigtms und seinen Verwandten erscheinen tiefgespaltene Rippenbündel erst am Vorderende des Gehäuses. Da ihnen im frühesten und im mittleren Stadium die typische Skulptur der Neokomhopliten vorausgeht, so kann es nicht zweifelhaft sein, daß die an Aulacostephaims erinnernde Bündelskulptur dieser Formen eine selbständige Erwerbung im Altersstadium bildet und daher diese Formen phylogenetisch mit Aulacostephatins nichts zu tun haben. Weniger sicher ist dies aber, wie wir weiter unten bemerken werden, bei H. CaiUleyi Opp. sp. H. himalayamis Uhl. n. sp. und H. hystrix. Im Gault wiederholt sich der Skulpturtypus des Aiila- costephaTUis-Stammes bei der großen Gruppe der grobknotigen Gaulthopliten. Bei der Schwierigkeit der Entscheidung über die Stammeszugehörigkeit dieser Formen lassen wir diese Frage vorläufig offen, neigen uns aber zu der Annahme hin, daß auch die Gaulthopliten nicht an den Atilacostephanus-Stamm, 1 Grundzüge der Paläontologie, 1. Aufl. 1S95, p. 423. In der 2. Auflage der »Grundzüge« ist Aulacostephanns nicht an Reineckia angeschlossen, sondern wird mit Hoplites in die Familie der Cosmoceratiden eingereiht. Die Cephalopoden sind in der 2. Auflage der »Grundzüge« vonPompeckj be- arbeitet. '- Vestiges de la per. cret. dans. la Russie meridionale. Mem. Com. geol. V. St. Petersburg 1S88, p. 172. 3 V. U h 1 i g, Cephalopodenfauna der Teschener und Grodischter Schichten. Denkschr. kais. Akademie, 72. V>d., 1901, p. 45. Ammonitengattung Hoplites Neumayr. 597 sondern an den Stamm der Neokomhopliten anzuschließen sind. Ist diese letztere Auffassung richtig, so wäre der Anla- costephanus-Stamm nach einer kurzen, nicht besonders reichen Akme schon im Tithon ausgestorben. Gehörten aber die er- wähnten Neokomformen und die Gaulthopliten doch zum Aulacostephanen-Stamme, so hätte dieser Stamm nach einer ersten Blütenperiode im Kimmeridge und einer kärglichen Fortbildung im Tithon und Neokom eine zweite Blütenperiode im Gault erlebt. Die Gattung Aiilacostephamis ist nach den bisherigen Funden namentlich im außeralpinen und russischen Kim- meridge entwickelt. Die S^///-Fauna hat bisher keinen Ver- treter dieser Gattung geliefert. Dagegen scheinen in Argentinien verwandte Formen vorzukommen, die von Steuer unter dem Gattungsnamen Odontoceras {Steneroceras Cossmann) be- schrieben und an eine Art aus dem Kimmeridge von Weymouth {Steneroceras anglicnm Steuer) angeschlossen wurden^. Die Rippen dieser Arten sind zwar stärker geschwungen und bei St. anglicum und transgrediens auch viel dichter gestellt, als bei Aulacostephamis die Regel ist, aber sie ent- springen zu Bündeln vereinigt aus kleinen Nahtknoten, schließen sich also in einem sehr wichtigen Merkmale der Gattung Aulacostephamis an. Steuer knüpft diese Arten nicht an Aiilacostephanus, sondern an Cosmoceras an und man muß auch zugeben, daß eine gewisse äußere Ähnlichkeit mit gewissen Cosmoceras, besonders Cosmoc. Jason, besteht. Auf Grund der Unter- 1 Der Name Odontoceras wurde, weil bereits vergeben, von Cossmann durch Steneroceras ersetzt. Steuer reiht in diese Gattung eine große Zahl von ihm beschriebener argentinischer Arten ein, die der großen Mehrzahl nach er- sichtlich nichts mit Sleueroc. anglicum und transgrediens zu tun haben, sondern verschiedenen anderen Gattungen angehören. Er gibt zwar nicht ausdrücklich an, welche Art er als Typus seiner Gattung betrachtet, da er aber seine ganze Be- schreibung und auch den Namen Odontoceras an Am. angliciis und transgrediens anknüpft, so ist der Name Odontoceras, beziehentlich Steneroceras zunächst diesen Arten vorzubehalten. Diese Auffassung hat auch schon M. Cossmann ausgesprochen, vgl. Revue crit. de Paleozoologie, 1898, p. II.t. 598 V. Uhlig, suchung des Originalexemplares von Steiieroc. transgrediens, die mir dank der Freundlichkeit des Herrn A. v. Koenen ermöglicht war, muß ich aber die Verwandtschaft mit Aiilacostephaims für viel wahrscheinlicher halten. Ob die Gattung Steueroceras aufrecht zu erhalten oder mit Aulacostephamis zu vereinigen ist, möchte ich vorläufig unentschieden lassen. Das müßte die Untersuchung umfassender Materialien ergeben. Sollte es sich zeigen, daß die Aulacostephanen, ähnlich wie dies bei Steueroc. transgrediens der Fall ist, auf der Wohnkammer einzeln ent- stehende und ungespaltene Rippen tragen, so wäre dies ein starkes Argument zu Gunsten der Zusammengehörigkeit dieser Gattungen. ^ II. Der Stamm der Neokomhopliten. Die Skulptur ermöglicht in der Flut von Formen, die diesem Stamme entsprießen, die erste allgemeine Orientierung: Wir können hier Formen mit ziemlich geraden und hoch- gespaltenen Einzelrippen, dann solche mit dornentragenden Rippen und endlich solche mit geschwungenen Rippen bei schwacher Knotenbildung unterscheiden. Der Einfachheit halber wollen wir die ersten als perisphinctoide, die zweiten als trituberculate, die letzten als costate Formen bezeich- nen. Bei den trituberculaten Formen besteht die Skulptur aus starken Hauptrippen mit je einem Innen-, Mittel- und Außen- dorn und schwächeren, nur an der Externseite mit Knoten ver- sehenen Spaltrippen. Bei den costaten Formen sind alle Rippen ungefähr gleich stark und nur an der Nabelwand und der Ex- ternseite knotig verdickt. 1 Das Exemplar aus dem Kimmeridge von Weymouth, das S teuer als O. anglicnm beschrieben hat, ist dem Autor von Prof. A. Pavlow mit der Be- zeichnung Am. psendoinntabilis zugekommen. Daher hat auch Pavlow, oder wer sonst das betreffende Stück bestimmt hat, die Verwandtschaft mit Aula- costephamis angenommen. Es ist nicht ohne Interesse, hier zu bemerken, daß sich bei dem Originalexemplar von Steiteroc. transgrediens zwischen den Externzähnchen der Luftkammern eine feine Kalklamelle ausbreitet, welche die einzelnen Zähnchen miteinander verbindet, eine Erscheinung, die meines Wissens bei Ammoniten bisher nicht bekannt ist. Ammonitengattung Hoplitcs Neumayr. 599 Der Querschnitt zeigt bei den perisphinctoiden Formen eine hoch elhptische, an der Externseite etwas abgeplattete Form. Die costaten Typen haben einen gerundet trapezförmigen, seltener elHptischen, die trituberculaten häufig einen acht- eckigen Querschnitt. Stets ist der Externlobus nur wenig kürzer als der erste Lateral, stets ist auch der Externsattel sehr breit und durch einen Sekundärlobus geteilt. Auch der zweite Lateral und die Hilfsloben variieren wenig. Der erste Lateral dagegen kann eine wechselvolle Gestaltung annehmen. Bei der Mehrzahl der Arten hat er einen langen und kräftigen Stamm mit subsymme- trischen Seitenästen und einen längeren Endast. Der Stamm des ersten Lateral kann aber eine Verkürzung erfahren {Neocomites) oder selbst trichterförmig gestaltet sein. In letzterem Falle sind die Seitenäste bei starker Verzweigung unsymmetrisch ausgebildet (Gruppe des Neoc. ainhlygonins). Bei manchen Acanthodiscus ist der Stamm des ersten Lateral stark verschmälert. Bei der Gruppe des H. Leopoldi sind die Loben reduziert, der erste Lateral ist plump und unsymmetrisch gespalten. a) Perisphinctoide Formen. Die primitivsten Formen des Stammes der Neokom- Hopliten sind offenbar die perisphinctoiden. So innig sind diese Formen an ihrer Wurzel mit gewissen Perisphincten ver- knüpft, daß es nicht leicht ist, hier eine Grenze zu ziehen. Zittel und Pictet^ waren wohl die ersten, die unter diesen scheinbar einförmigen Ammoniten schärfere Unterscheidungen vollzogen und namentlich drei Typen hervorgehoben haben: Am. transitorins Opp., Am. CalUsto d'Orb., Am. privasensis Pict. Von diesen Typen steht Am. transitorms offenbar noch in sehr engem Verbände mit dem Perisphinctenstamme. Die Ex- ternfurche ist noch schmal, die Rippen vollständig perisphincten- artig, die Lobenlinie mit ihrem schmalen ersten Lateral, dem 3 Melanges paleontol., p. 245. 600 V. Uhlig, schiefgestellten zweiten Lateral, dem stark herabhängenden Nahtlobus und dem langen Externlobus zeigt im wesentlichen noch den Charakter der Perisphincten. Wir werden daher Am. transitorius und seine Verwandten an Perisphinctes im weiteren Sinne anschließen. Bei Ain. privasensis sind die Rippen zwar auch ziem- lich gerade und oberhalb der Flankenmitte gespalten, allein die Externfurche ist breiter und tiefer als bei Am. transitorius und die Rippenenden zu beiden Seiten der Furche zeigen eine aus- gesprochene Neigung zur Verdickung und somit die erste An- deutung einer Mutationsrichtung, die für die Hopliten bezeich- nend, den Perisphincten dagegen fremd ist. Auch die Rippen- spaltungsstelle läßt leichte Spuren von Verdickung im Sinne der Hoplitenskulptur erkennen. Unter den Ausläufern der Perisphincten zeigt daher zu- erst Am. privasensis die neue Mutationsrichtung der Hopli- ten in zwar schwacher, aber klarer Ausbildung; wir werden daher, so nahe auch Am. privasensis und transitorius sonst einander stehen, zwischen diesen Formen einen systematischen Schnitt hindurchziehen und Am. privasensis an Hoplites an- gliedern müssen. Am. Callisto d'Orb. rückt schon um einen kleinen Schritt näher an die Hauptmasse der Hopliten heran, denn bei dieser Form sind die Rippen schon etwas stärker ge- schwungen und tiefer gespalten und die Rippenenden zu beiden Seiten der Externfurche sind etwas deutlicher verdickt. Auch im Lobenbau dieser Formen spricht sich deutlich der Hoplitencharakter aus. Ähnlich wie Am. privasensis und Callisto verhalten sich einige andere Formen des Obertithon und der Berriasstufe. Bei einigen von ihnen kommen weitere Hoplitenmerkmale zu erster schwacher Ausprägung: bei Am. abscissus Opp. die knoten- förmige Verdickung der Rippen an der Nabelwand, bei Am. obtusenodosus Ret. die Verdickung der Rippenspaltungstell-en, bei Am. n. sp. a.ff. privasensis Pict. aus dem Spiti shales ver- einzelte Rippenbündelung. Hiedurch erscheinen die perisphinctoiden Hopliten eng an die Hauptmasse der übrigen, weiter vorgeschrittenen Formen ge- knüpft. Manche von diesen letzteren durchlaufen ein Jugend- Ammonitengattung Hoplites Neumaj-r. 601 Stadium, das vollständig der Skulptur der perisphinctoiden Typen entspricht, wie z. B. Hopl. Michaelis Uhl, HopL hystri- coides Uhl, Hopl. Rtiprechti Opp. sp.^ Bei aller Verwandtschaft der perisphinctoiden Typen, mit den vorgeschrittenen Neokomhopliten läßt sich aber doch auf der anderen Seite nicht verkennen, daß zwischen diesen Gruppen ein großer Abstand besteht. Die Systematik sollte dieser Tatsache Rechnung tragen und in diesem Sinne schlage ich für die perisphinctoiden Formen die neue generische Be- zeichnung Berriasella vor. Zu Berriasella können folgende Arten eingereiht werden: Berriasella privasensis Pictet sp. Callisto d'Orbigny sp. cf. privasensis B o g o s 1 o w s k y. Oppeli Kiliatt {H. Callisto Zittel, non d'Orb.) carpathica Oppel sp. ahscissa Oppel sp. delphiiiensis Kilian sp. snbcallisto Toucas sp. Callisto, var. Berthei Touc. consangtiinea Retowski sp. obttisenoäosa Retowski sp. Janus Retowski. pontica Retovvsky sp. (Simionescu). Kokeni Behrendsen sp. mendozana Behrendsen sp. rjasanensis Lahusen sp. (Ni kitin). siihrjasaiierisis Nikitin. 1 Zittel bemerkt in den Grundzügen der Paläontologie, 1. Aufl. p. 459, es ließe sich nicht mit Sicherheit entscheiden, »ob Hoplites als Nachkomme von Cosmoceras oder, wie Neumayr annimmt, von Perisphinctes zu betrachten ist«. Da er aber Hoplites in die Familie der Cosmoceratiden stellt, so neigt er sich offenbar zu der ersteren Eventualität hin. Mit ihm Steuer. Verfolgt man aber die Beziehungen der perisphinctoiden Hopliten zu den Neokomhopliten im einzelnen, so wird man nicht umhin können, den Stamm der Neokomhopliten von Perisphinctes abzuleiten. Für den Anschluß an Cosmoceras ist nichts ent- scheidendes vorgebracht worden und man ließ sich wohl hauptsächlich von einer gewissen äußeren Ähnlichkeit leiten. 602 V. Uhiig, Berriasella sivistowiana Ni kitin. sp. » vetusta Steuer sp. (?). » peregina Burckhardt sp. » rt«5/ra//s Burckhardt sp. » mo/m^W5/5 Burckhardt sp. » cf. Theodor ii Burckhardt (non Oppel). Vielleicht gehören auch H. Tenochi Felix^ und H. Xipei Felix hieher. Die Berriasellen treten sowohl in der alten wie in der neuen Welt auf und zeichnen sich durch weite Ver- breitung aus. Ihr Hauptlager bilden die Horizonte von Stram- berg, Berrias, Rjazan, kurz die Grenzschichten zwischen Jura und Kreide. Oberhalb dieser Grenzschichten, im Unterneokom, machen die Berriasellen vorgeschrittenen Typen Platz, unter- halb herrschen Perisphincten. Dessen ungeachtet erscheinen in den Grenzschichten zugleich mit Berriasellen auch schon die ersten vorgeschrittenen Formen, eine Tatsache, auf die wir noch zurückkommen werden. In der Fauna der Spiti shales ist die Gattung Berriasella nur durch zwei, leider nur mangelhaft erhaltene Arten: Berria- sella priuasensis Pict. sp. und Berriasella n. sp. ind. äff. pri- vasensis Pict. vertreten. Die Unvollständigkeit dieser Reste ist um so mehr zu bedauern, als in den Spiti shales eine reich ent- wickelte, geschlossene Formengruppe vorkommt, die sich augenscheinlich nahe an Berriasella Callisto d'Orb. anschließt. Am. Wallichi Gray ist die altbekannte Leitform dieser Gruppe, für welche wir die neue Gattungsbezeichnung Blanfordia in Vorschlag bringen. Alle Formen der Gattung Blanfordia durchlaufen in ihrer Ontogenese ein gemeinsames Jugendstadium mit einer Skulp- tur, die im wesentlichen der Berriasella Callisto d'Orb. sp. entspricht. Die Schale ist in diesem Stadium mit leicht ge- schwungenen Rippen bedeckt, die an der Naht einzeln ent- springen, sich etwas über der Mitte der Flanken in zwei Sekundärrippen gabeln und auf der Externseite durch eine 1 Mexikan. Kreide, Taf. 38, Fig. 3, Taf. 39. Ammonitengattung Hoplitcs N e u m a y r. 603 Furche oder ein glattes Band unterbrochen und zu beiden Seiten dieses Bandes knotig verdickt sind. Bei einzelnen Formen, wie B. Wallichi, B. stibqtiadrata, B. applanata hält dieses primitive Stadium bis in das Alter an; erst bei bedeutender Größe tritt vor Beginn der Wohnkammer eine leichte Ver- änderung ein, indem sich hier der enge Zusammenhang der Sekundärrippen mit den Hauptrippen ein wenig lockert und einzelne Schaltrippen auftreten. Bei anderen Formen vermehren sich die Sekundärrippen, so daß bei B. ciivuatiis, B. Bölmii je drei, bei B. Middlemissi und B. Celebrant je vier und fünf, ja selbst sechs Sekundärrippen auf eine Hauptrippe entfallen. Dabei bleibt der Zusammenhang mit der Hauptrippe bald so deutlich erhalten, daß Rippenbündel entstehen, bald schieben sich Spaltrippen ein. Mit dieser Veränderung läuft eine knoten- förmige Verdickung der Rippenspaltungstelle parallel, die im extremsten Falle bei B. Celebrant zur Ausbildung wuchtiger kegelförmig vorspringender Knoten führt. Bei B. Celebrant treten diese Knoten schon in sehr frühem Stadium auf, bei B. Böhnti etwas später. Von dieser Knotenbildung ist wohl zu unterscheiden das Vorkommen von feinen Knötchen auf den Jugendwindungen, die sich bei einem Exemplare von B. votiuidi- doma schon bei 7 mm Durchmesser einstellen und bei 23 mm Durchmesser allmählich bis auf geringe Spuren verschwinden. Die Externfurche bleibt bei den sich unmittelbar an B. Wallichi anschließenden Arten bis nahe an die Wohn- kammer deutlich erhalten, erst in diesem Stadium wird die Furche flach und undeuüich und die Rippen ziehen ununter- brochen, wenn auch mehr oder minder stark abgeschwächt, über den Externteil. Bei anderen Formen verliert sich die Furche etwas früher, bleibt aber selbst bei den größten Exem- plaren durch die Abschwächung der Rippen auf der Extern- seite kenntlich. Die Knoten der Externseite sind nur bei wenigen Formen (B. acuticosta) deutlich entwickelt, markieren sich indessen als leichte Verdickungen einzelner Rippen selbst bei großen Exemplaren. Nahtknoten sind bei keiner Form dieser Gruppe entwickelt, ebenso ist niemals eine deutliche Vereinigung zweier Haupt- rippen an der Naht zu erkennen. 604 V. Uhlig, Bei allen Blanfordien ändert sich im Laufe der Ontogenese das V'erhältnis der Dicke zur Höhe der Umgänge in dem Sinne, daß mit zunehmender Größe die Dicke stärker wächst als die Höhe. Dieses Verhältnis herrscht nicht nur bei den Formen der Spiti shales, sondern wurde von G.Böhm auch bei den Formen von Niederländisch-Indien angetroffen. Die stärkere Zunahme der Dicke ist allerdings meistens nicht bedeutend, z. B. nicht so bedeutend wie bei der Gattung Hinialayites; bei einzelnen Arten ist sie sogar nur ganz gering, aber doch immerhin erkennbar. Der Querschnitt ist bei vielen Formen min- destens in der Jugend elliptisch und kann von dieser Grund- form aus bald einen trapezförmigen, bald einen subquadrati- schen, bald einen gerundet - niedergedrückten Umriß an- nehmen. Die am stärksten aufgeblähten Formen, wie B. Cele- brant und Middleniissi, haben schon in der Jugend ziemlich dicke Windungen. Von diesen Veränderungen wird verhältnis- mäßig am wenigsten die Nabelwand betroffen, die bei allen Formen leicht gerundet und von den Flanken niemals deutlich abgegrenzt ist und fast stets mehr oder minder schräg, selten steil zum weiten, oft trichterförmigen Nabel abfällt. Die Lobenlinie zeigt nur geringfügige Abänderungen. Der Extern- und der erste Laterallobus sind ungefähr gleich lang, der erste Laterallobus hat einen kräftigen Stamm, von dem ein schlanker Endast, zwei Haupt- und mehrere sekundäre Seiten- äste subsymmetrisch abgehen. Der zweite Seitenlobus ist viel kürzer als der erste, er ist bei den schlanken Formen der Gattung etwas mehr schief gestellt und etwas mehr unsymme- trisch als bei den dick aufgeblähten. Bei den dicken Formen B. Celebrant und Hoplites sp. ind. G. Böhm zeigt er einen kurzen, breiten Stamm und einen auffallend langen schmalen Endast. Der Externsattel ist fast bei allen Formen durch einen langen Sekundärlobus in zwei Partien geteilt. Die beiden Partien des Externsattels sind bei einzelnen Formen, wie B. Celebrant, B. Cricki, B. cnrvata, ungefähr gleich groß, bei anderen, wie besonders bei B. Wallichi, ist die innere Partie kleiner als die äußere. Der erste Seitensattel ist im allgemeinen etwas schlanker als der Externsattel. Bei der Mehrzahl der Formen srreift ein Sekundärlobus schief in den Sattel ein und Ammonitengattung Hoplites Neumayr. 605 teilt ihn in eine kleinere und tieferstehende äußere und eine größere und höhere innere Partie. Bei B. applanata sind im ersten Seitensattel, bei B. Asseni Böhm im Externsattel zwei Sekun- därloben entwickelt. Bei B. Roosehoomi Böhm ist der erste Seitensattel ungemein breit. Eine bestimmte, die Abänderungen der Loben beherrschende Gesetzmäßigkeit läßt sich kaum er- kennen, nur die größere Dicke der Windungen scheint mit ziemlicher Regelmäßigkeit eine größere Sattelbreite und eine bessere Ausbildung des zweiten Seitenlobus nach sich zu ziehen. Die Gattung Blaufordia ist in der Fauna der Spiti shales durch folgende Arten vertreten : Blaiifordia Wallichi Gray sp. '> rotiiiididoma n. sp. » sp. ind. Sifi.Wallichi Gray sp. » n. sp. ind. » Cricki n. sp. » snbqttadrata n. sp. » applanata n. sp. » latidoma n. sp. » Böhmi n. sp. » Middlemissi n. sp. » ctirvata n. sp. » Celebrant n. sp. » acuticosta n. sp. » 2 n. sp. äff. acuticosta n. sp. An diese Arten schließen sich auf das engste die von G. Böhm aus Niederländisch-Indien beschriebenen Formen: Hoplites Wallichi, Hoplites Roosehoomi G. Böhm, Hoplites Asseni G. Böhm und Hoplites n. sp. an. Vom morphologischen Gesichtspunkte ziehen besonders gewisse Formen unsere Aufmerksamkeit auf sich, deren auf- geblähte Gehäuse mit schwerknotigen, verdickten und reich- lich gespaltenen Rippen versehen sind, wie Bl. latidoma, Cricki, Middlemissi, Celebrant. Bei einigen dieser Arten erfährt diese Mutationsrichtung eine derartig extreme Steigerung, daß diese Arten ein durchaus fremdartiges, nicht an Hoplites, sondern eher (306 V. Uhlig, an gewisse Holcostephanen, Perisphincten (besonders Peri- sphindes ^^otfingeri W aag. und Futterer), an die Himalayiten oder gewisse Reineckien erinnerndes Gepräge angenommen haben. Es bedarf in der Tat einer gewissen Sorgfalt, um den Zusammenliang dieser extremen Typen mit den primitiv^eren Formen nicht zu übersehen. Unter den Holcostephanen ge- winnen verschiedene Zweige eine annähernde Ähnlichkeit mit unseren Formen, so unter den Spiticeren besonders Spitic. Sta7ileyi Opp. sp., unter den Poiyptj^chiten P. KeyserJingi Neum. und Uhl., marginatus Roem., polyptychns Keys., unter den Simbirskiten 5. coronula Koen. Die Himala3'iten unterscheiden sich zwar durch die Existenz von langen Zwischenrippen, welche die Naht erreichen, aber dennoch kann auch hier, wie bei Reineckia (besonders R. latior Steu.), die Ähnlichkeit mit diesen extremen Blanfordien sehr groß werden. Wir haben es da mit einem sehr lehrreichen Beispiel von Konvergenz mehrerer Ammonitenzweige zu tun, deren Wurzeln gewiß recht weit voneinander entfernt sind. Weit schwieriger als diese Konvergenzerscheinungen ist das Verhältnis der asiatischen Blanfordien zu der Gattung Berriasella in dem oben angedeuteten Umfange zu beurteilen. Die Berriasellen bilden Formen von kleinerem Wüchse und mit feineren und zahlreicheren Rippen und mit steilerer Nabel- wand und weniger verästelten Loben als die Blanfordien. Die Rippen der Berriasellen sind ferner etwas weniger geschwun- gen und zeigen zuweilen eine Neigung zur Verdickung der Ursprungstelle, während die Rippen der Blanfordien an der Naht unmerklich einsetzen und bis zur Mitte der Flanken all- mählich an Stärke zunehmen. Diese Unterschiede würden aber kaum Beachtung ver- dienen, wenn nicht die Tatsache bestände, daß die Blanfordien eine überaus einheitliche Gruppe bilden, die einen Entwicklungs- weg einschlägt, der bei den Berriasellen gänzlich unbekannt ist. Jene stark divergierenden Formen mit aufgeblähten Umgängen, verdickten, knotigen Hauptrippen und zahlreichen Sekundär- rippen, welche den asiatischen Blanfordien ein so bezeichnendes Gepräge verleihen, fehlen bei den Berriasellen gänzlich. Es be- darf immerhin eines gewissen Studiums, um die Verwandt- Ammonitengattung Hoplites Neumayr. 607 Schaft der Blanfordien mit den Berriasellen festzustellen. Da- gegen erkennt man auf den ersten Blick die Identität der ost- indischen mit den niederländisch-indischen Blanfordien. Diese Tatsache scheint mir für die Geschlossenheit und für " die besondere Entwicklungsrichtung der Blanfordien ungemein bezeichnend und für die Auffassung des Verhältnisses zu den Berriasellen entscheidend zu sein. Wir haben mit der Tatsache zu rechnen, daß die Blanfordien einen besonderen Entwick- lungsweg einschlagen, den sie als eine ungemein geschlossene Einheit verfolgen. Bei ihrer Verwandtschaft mit den Berriasellen könnte man sie als einen gesonderten, eigentümlich abgeänder- ten Zweig der Berriasellen betrachten. Es scheint mir die Auf- gabe eines natürlichen Systems zu sein, derartige Entwick- lungserscheinungen zum Ausdruck zu bringen und darum halte ich es für notwendig, die Blanfordien als besondere Untergattung auszuscheiden. Es wäre von hohem Interesse, die geographische Verbreitung der Blanfordien genauer zu kennen. Vorläufig erscheinen sie als eine für die indische Provinz charakteristische Gruppe, deren vertikale Verbreitung wahrscheinlich den Grenzschichten von Jura und Kreide ent- spricht. b) Trituberculate Formen. Acarifhodiscns nov. genus. Der allgemeine Skulpturtypus dieser im Neokom eine große Rolle spielenden Formen, die wir hier unter dem neuen Namen Acatithodiscns vereinigen, ist so oft geschildert worden, daß wir uns die Mühe ersparen können, diese Schilderung hier zu wiederholen. Acatithodiscns macht ein costates Jugendstadium durch, das bei einigen Formen fast bis in das mittlere Wachstum- stadium anhält, bei anderen dagegen schon frühzeitig von der trituberculaten Skulptur verdrängt wird. Bei einigen wenigen extrem gestalteten Formen, wie Acanthodisctis stibradiattis und hexagoiitts scheint es sogar fast gänzlich aus der Onto- genese herausgedrängt zu sein, denn die genannten Formen zeigen nach Exemplaren aus den Spiti shales schon bei 6 mm 608 V. Uhlig, Durchmesser die trituberculate Entwicklung. Ob das costate Jugendstadium bei allen Äcanthodiscus denselben Typus zeigt, ist bei der Unvollständgkeit unseres Materiales schwer fest- zustellen und noch nicht genügend genau untersucht. Das costate Stadium von Äcanthodiscus Riiprechti Opp. sp., A. spitiensis n. sp., A. asiaticus n. sp., A. Michaelis Uhl., A. hystri- coides Uhl. hat gänzlich den Charakter von Berriasella. Da alle Äcanthodiscus, gleichgültig wie sich ihre Jugendentwicklung vollzieht, im erwachsenen Stadium in inniger Weise mit ein- ander verknüpft sind, hat es den Anschein, als wäre den Ab- weichungen des Jugendstadiums in phylogenetischer Be- ziehung nicht allzuviel Gewicht beizulegen. Die abweichenden Jugendstadien finden sich bei solchen Formen, bei denen die Ontogenese stark abgekürzt ist und die eine extrem trituber- culate Skulptur aufweisen. Es liegt nahe, daß gerade von diesen Formen schon im frühesten Jugendstadium caenogenetische Merkmale erworben wurden, welche die Entwicklungsge- schichte, um mich dieses viel verwendeten Ausdruckes zu be- dienen, »fälschten«. Das starke Vorspringen der Knoten bedingt bei den meisten Äcanthodiscus die mehr oder minder kantige, oft acht- seitige Form des Windungsquerschnittes. Es hat ferner eine gewisse Verzerrung des Binnenraumes des Gehäuses zur Folge, die vielleicht wiederum auf die eigentümlichen Schwankungen der Loben bei Äcanthodiscus von Einfluß ist. Bei allen Formen, deren Loben bekannt sind, sind die Zahl und so ziemlich auch die Stellung der Loben und die Zahl ihrer Hauptzweige konstant, aber der Grad der Verästelung, die Länge der Äste und die Breite der Stämme variieren nicht unbeträchtlich. A. Hoockeri und A. acanthoptychus n. sp. haben ziemlich breite, A. subradiatus n. sp., Sömnieringi Opp., octa- gonus Str. sp., asiaticus n. sp. ziemlich schmale Lobenstämme. Der europäische Acanthod. radiatus'^ und der indische A. sub- radiatus stehen einander in jeder Beziehung ungemein nahe; dennoch zeigt dieser sehr schmale, jener auffallend breite Lobenstämme. 3 Vgl. Neumayr und Uhlig. Hilsammonitiden, Taf. 34, Fig. 2b. Ammonitengattung Hoplites Neumayr. 609 Unter den indischen Acanthodisciis zeigt die extremste Gestaltung die Gruppe des Acanih. octagoims, zu der wir außer dieser Art noch A. odagonoides n. sp. und polyacantlins n. sp. rechnen. Die Schaltrippen obliterieren hier vollständig oder fast vollständig und die Skulptur besteht nur aus starken Hauptrippen, die im mittleren Stadium in zwei nach vorn ge- neigte Gabelrippen zerfallen. Die extremste Form, A. octagoims, unterdrückt auch noch eine dieser Gabelrippen, so daß auf der VVohnkammer nur wenige einfache Hauptrippen mit je einem Innen-, einem Mittel- und einem Außenknoten entwickelt sind. Das costate Jugendstadium wird ungemein rasch überwunden. An die Knoten schließen sich mächtige lange Dornen an, die auf dem gekammerten Teile des Gehäuses durch Lamellen gegen das Innere abgeschieden sind. Lobenkörper schmal, bei A. odagontis zum Teil verzerrt. Bei dem größten Exemplar beginnt am Vorderende eine leichte Ablösung der Wohnkammer vom Gewinde. Im Zusammenhang mit dieser Erscheinung ist es von Interesse, daß die der Skulptur nach der Octagoiins- Gruppe nächststehenden Formen Crioceren sind, und zwar Crioceras Römeri Neum. et Uhl, Cr. varicosum v. Koen., Cf\ Stromhecki v. Koen. Von ammonitisch eingerollten Formen könnten außer den schon genannten indischen Arten nur noch Hopl. Sayiii S'xmxon. und Hopl.perdarns Coq.-Math. aus dem Berriasian und Valanginian von Südfrankreich hieher gestellt werden. Eine zweite Gruppe bilden folgende indische Arten: Acanthodisciis siihradiatiis n. sp. » acanthiniLS n. sp. » hnndesiamis n. sp. » Sömmerringi Oppel sp. » n. sp. ind. äff. stibradiatus n. sp. » (?) wß^ea (Strach.) Blanford sp. Auch bei dieser Gruppe besteht wie bei der Octagonus- Gruppe die Tendenz nach rascher Überwindung des costaten Stadiums. Auf jede Hauptrippe entfallen mindestens zwei, häufig mehr als zwei Spalt- oder Schaltrippen. Das Extern- band ist ungemein breit und die Externknoten verwandeln sich Stzb. d. mathem.-naturw. Kl.; CXIV. Bd., .Abt. I. 41 610 V. Uhlig, in verstärkte, das Externband übersetzende Rippen. Nur bei dem merkwürdigen Acanthodisais liundesicuiiis entstehen an den Externrippen am Vorderrande des Gehäuses neuerdings Externknoten. Die Loben haben schmale Stämme. Die Gruppe des A. siihradiatiis ist von der Gruppe des H. octagonus nicht streng geschieden. H. Sötnmerringl Opp. bildet das Übergangsglied, denn diese Art steht hinsichtlich der Flankenskulptur der Octagoiius-Gvuppe noch sehr nahe, zeigt aber zugleich das breite, von Rippen verquerte Extern- band wie bei der Stibradiatus-Gvuppe. Die große Ähnlichkeit des indischen A. stihvadiatiis mit dem A. radiaUis des europäischen Neokom ist nicht zu über- sehen. Man könnte selbst an spezifische Identität denken, wäre diese nicht durch den schon erwähnten recht verschiedenen Lobenbau ausgeschlossen. Mit H. radiatns können wir auch noch andere europäische und amerikanische Hopliten in diese Gruppe einreihen, wie H. Vaceki Neum. etUhl., H. Ottmeri Neum. et Uhl., cureleiisis Kil, H. asineiisis Canav., inalbosi- fonnis Steu., H. hospes Bogosl., H. micheiciis Bogosl, H. traiisfigurabilis Bogosl., H. inexpJoratns Bogosl., H. Bona- rellii Canav., H. Malbosi Pict., H. Euthymi Pict., H. Chaperi Pict. Wir haben hier Formen der Berriasstufe, desUnterneokoms und des tiefsten Mittelneokoms zusammen genannt, müssen aber noch bemerken, daß das W'rhältnis der geologisch älteren dieser Formen zu den geologisch jüngeren noch einer nähei'en Aufklärung bedarf und daher diese Zusammenstellung einen ganz provisorischen Charakter hat. Zu einer dritten Gruppe vereinigen wir folgende indische Arten: Acanthodisais Hoockeri (St räch.) Blanf. sp. » La Touchei n. sp. » acanthoptychiis n. sp. » Smith i n. sp. » äff. hystricoides Uhl. sp. Bei diesen Formen sind zwischen zwei Hauptrippen stets eine, zwei, selbst drei schwächere Zwischenrippen entwickelt, von denen eine aus dem Innenknoten der Hauptrippe hervorgeht. Ammonitengattung HoplUes NeumajM-. 611 Die Externknoten sind klein und neigen zu allmählicher Ab- schwächung, nur mit den Mittelknoten sind lange Dornen ver- bunden. Das Externband ist ziemlich schmal. Die Loben haben breite Stämme bei mäßiger Entwicklung und schwacher Ver- ästelung der Zweige. Man könnte zwischen dieser und den vorhergehenden Gruppen eine schärfere Grenze ziehen, wären nicht im Be- reiche dieser Gruppen Formen, wie A. odagonoides und A. Söm- merringi, vorhanden, bei denen die Zwischenrippen noch nicht völlig obliteriert, sondern teilweise noch in schwachen An- deutungen vorhanden sind. Eine strenge Grenze ist daher auch hier zu ziehen nicht möglich. Von europäischen Formen scheinen sich A. perornatus Retowski, A. RüUmeyeri Sarasin et Schöndelm. (non Ooster), A. sitb-Chaperi Sar. et Schön- delm. und A. hystricoides Uhl. hier anzuschließen. Noch weniger scharf ist die vierte Gruppe gesondert. Wir stellen hieher folgende Arten: Acanthodiscns Michaelis Uhl. sp. » Hoheneggeri Uhl. sp. » Paqtiieri Simionescu sp. » stib-Chaperi Retowski (non Sar. u. Schö.). '» Rotivillei Math. » pseiido-Malbosi Sar. et Schöndelm. sp. » iiiconipositns Retowski sp. » » discrepans Retowski sp. » Riitinieyeri Oost. p. p. » spiUensis n. sp. (Spiti shales). » äff. Michaelis Uhl. sp. (Spiti shales). » tibetantis n. sp. (Spiti shales). » asiaticiis n. sp. (Spiti shales). » äff. asiaticns n. sp. (Spiti shales). » n. sp. ind. äff. spHiensis n. sp. (Spiti shales). » Rtiprechti Oppel sp. (Spiti shales). Bei diesen Formen macht sich ein noch stärkeres Vor- wiegen der Rippen bei gleichzeitigem Zurücktreten der Knoten geltend. Die Zahl der Zwischenrippen beträgt drei bis vier. Die Umgänge sind höher und schlanker, die Lobenstämme 41* 612 V. Uhlig, sind reichlicher verzweigt. Bei mehreren dieser Arten wird das äußere Gesamtbild ziemlich entschieden von den Rippen und nicht von den Dornen beherrscht und daher scheinen sich diese Arten von der vorhergehenden Gruppe ziemlich weit zu ent- fernen. Aber auch hier bestehen Zwischenglieder, die eine enge Verkettung vermitteln. Eine Art, wie der bei der vorher- gehenden Gruppe genannte A. äff. liystricoides, könnte fast ebensogut zu dieser wie zu der vierten Gruppe gestellt werden. Bei aller Mannigfaltigkeit bilden die eben besprochenen vier Gruppen dennoch eine in sich geschlossene Einheit. Ihnen steht eine vereinzelte Form, A. himalayaiiiis n. sp., gegenüber, die man mit den übrigen Typen nicht vereinigen kann. Das Vorderende zeigt trituberculate Skulptur, das innere Gewinde ist aber bis zum Durchmesser von 60 mm mit ungespaltenen, aus Nahtknoten hervorgehenden Bündelrippen vom Typus der Aulacostephmitis-Sk.u\Y)iViV bedeckt. Unter den europäischen Neokomhopliten zeigen ein ähnliches Verhalten nur H. hystvix (Bean) Neum. Uhl. und H. spiniger v. Koen. aus dem nord- deutschen Hils. Diese merkwürdigen Formen stellen uns vor zwei Even- tualitäten: Entweder sehen wir die AulacostephmmsS\^w\'^i\iv des inneren Gewindes im Sinne des phylogenetischen Grund- gesetzes für maßgebend an oder wir lassen uns von der tri- tuberculaten Skulptur des mittleren und erwachsenen Stadiums leiten. In jenem Falle wäre die trituberculate Skulptur eine Neuerwerbung des mittleren Stadiums, die zu einer sehr auf- fallenden Konvergenz des Aulacostephanti,s-Sta.mmes mit dem Stamme der neokomen Hopliten führte. In diesem wären die Bündelrippen als caenogenetische Erwerbung im Jugend- stadium anzusehen und die fraglichen Formen an den Stamm der Neokomhopliten anzuschließen. Eine definitive Entscheidung dieser Frage ist bei der Mangelhaftigkeit unseres Materiales zur Zeit nicht möglich. Wenn man aber bedenkt, daß die fraglichen Formen mit den Neokomhopliten in vielen Merkmalen übereinstimmen und auch die übrigen Acanthodiscus trotz ihrer augenscheinlichen Ein- heit verschiedene Jugendzustände aufweisen, wird man sich zu dem Anschlüsse dieser Formen an den Stamm derNeokom- Ammonilengattung Hopliles Neumayr. 613 hopliten hinneigen. In diesem Sinne ist H. hinialayanns hier als Acanthodisciis bezeichnet. Ob die Gruppe des A. himalaya- nns und hystrix innerhalb der Gattung Acanthodisciis eine so selbständige Stellung einnimmt, daß für sie eine besondere Gattungsbezeichnung erforderlich wäre, bleibt künftigen Unter- suchungen vorbehalten.^ c) Costate Formen, Die costaten Hopliten Europas zerfallen in eine Anzahl von engeren Gruppen, die ziemlich unvermittelt nebeneinander stehen. Man konnte erwarten, daß sich unter den zahlreichen indischen Arten solche finden würden, die zwischen diesen Gruppen vermitteln und Übergänge schaffen. Das ist aber nicht der Fall; die indischen Arten lassen sich teils ungezwungen mit europäischen spezifisch identifizieren, teils zeigen sie die- selben Gruppenmerkmale, teils bilden sie besondere mit euro- päischen verwandte Gruppen. Die relative Selbständigkeit der verschiedenen Gruppen der costaten Hopliten hat demnach durch die zahlreichen indischen Formen keine Einbuße, sondern vielmehr eine weitere Bestätigung erfahren. Es ist ja kaum zu bezweifeln, daß spätere Funde noch manche Übergänge zu unserer Kenntnis bringen werden, dennoch aber ist trotz aller Verwandtschaft die relative Selbständigkeit der verschiedenen Gruppen der costaten Hopliten eine auffallende Tatsache, welche auch in der Systematik zum Ausdrucke kommen sollte. Dies kann in passender Weise durch Aufstellung einer Anzahl von Untergattungen geschehen. Verglichen mit den Gattungen der Triasammoniten oder den von S. Buckman aufgestell- ten Gattungen des Oberlias und des Unterooliths erscheint der Umfang unserer Untergattungen sehr weit. Wir unterscheiden unter den costaten Hopliten des Neo- koms folgende Gruppen und Untergattungen. 1 Ein besonderer Gattungsname für H. hystrix existiert bereits. Er wurde von Hyatt aufgestellt, der sonderbarerweise im stände war, den invo- luten, mit entschiedenen Hoplitenloben versehenen H. hystrix mit der evoluten und Lytoceras-Lohen. zeigenden Pictetia Uhl. in eine Familie zu vereinigen. 614 V. Uhlig, 1. Gruppe des HopUtes pexiptychiis, Kiliaiiella nov. subgenus. Kleine Formen mit verhältnismäßig einfacher Lobenlinie. Fast stets treten ziemlich deutliche, nicht selten selbst tiefe Einschnürungen auf. Die Rippen zeigen bald eine nur leicht angedeutete, bald ausgesprochene Sichelform; sie verlaufen von der Nabelwand bis ungefähr zu der Mitte der Umgänge in gerader radialer Richtung und biegen hier plötzlich stark nach hinten um, um sich erst nahe der Externseite wieder nach vorn zu neigen. Einzelne Rippen spalten sich auf halber Umgangs- höhe, andere verlaufen ungespalten von der Naht zur Extern- seite. Die Zahl der ungespaltenen Rippen ist bei einzelnen Formen größer als die der Spaltrippen. Die große Mehrzahl der Rippen entspringt einzeln an der Nabelwand, nur wenige Rippen vereinigen sich hier zu Rippenpaaren. Bei manchen Formen treten an der Rippenspaltungsstelle leichte Knötchen oder Verdickungen auf. Externteil glatt, beiderseits von ver- dickten, häufig auch stark verbreiterten und mit einem Knötchen versehenen Rippenenden begleitet. Der Querschnitt der Umgänge ist verhältnismäßig niedrig, elliptisch oder gerundet achteckig, Gehäuse ziemlich flach und weitnabelig. Zur Untei'gattung Kilianella gehören folgende Arten : KilianeUa pexiptycka Uhl. (= A. Roubandi d'Orb., teste Kilian). » asperrima d'Orb. sp. » cf. asperrima d'Orb. (Uhl.). » sinuosa d'Orb. sp. " epimeloides (Mgh.) Parona. » Isaris Pomel sp. >> Roiibatidi Pavlow. » constricta n. sp. » n. sp. äff. pexiptycha Uhl. » n. sp. ind. » leptosonia n. sp. Französische Forscher stellen KU. pexiptycha in den Formenkreis des H. neocomiensis. Nach Kilian ist die Unter- scheidung eines H. neocomiensis mit entfernt stehenden Rippen Ammonitcngattung HoplUcs Ncumayr. 615 von einem H. pexiptychiis mit feineren Rippen nicht immer ganz leicht.^ Aucii Ch. Sarasin betrachtet diese Formen als zu einer und derselben Gruppe gehörig und P. Lory, der diesen Formen eine spezielle Arbeit gewidmet hat, spricht sogar von direkten Übergängen von H. pexiptychiis zu H. neo- comiensis. Ich selbst habe diese Auffassung niemals im vollen Um- fange geteilt, sondern bei aller zugegebenen Verwandtschaft dieser Formen dennoch eine etwas schärfere Grenze zwischen H. pexiptychiis und H. neoconiiensis- vermutet. Die neuen indischen T^-pen bestärken mich in diesem Zweifel. Sie zeigen die bezeichnenden Merkmale der Pexipty- r//»5-Gruppe in vorzüglicher Ausprägung ohne Hinneigung zu H. ueocomieusis oder einer anderen Gruppe der costaten Hopliten. Das spricht deutlich für die relative Selbständigkeit der Pexiptychtis-Gx'wppe in dem hier angegebenen Umfange. Wohl sind nicht bei allen Formen die Einschnürungen gleich stark ausgebildet, auch ist die Sichelform der Rippen nicht immer so deutlich, wie etwa bei Kilianella äff. pexiptvcha und bei Kilianella n. sp., endlich variiert auch die Zahl der un- gespaltenen und der Einzehippen, dennoch aber ist die Be- deutung dieser Merkmale in ihrer Gesamtheit nicht zu ver- kennen. Keiner anderen costaten Hoplitengruppe kommen Ein- schnürungen zu.^ bei keiner anderen Gruppe sind die Rippen so deutlich sichelförmig gestaltet und spielen Einzelrippen und ungespaltene Rippen eine große Rolle, keine andere Gruppe enthält so kleine Gehäuse. Diese eigentümlichen Merkmale berechtigen wohl zur Aufstellung einer besonderen Gattung, deren Bestand trotz ihres geringen Umfanges selbst in dem Falle gesichert wäre, wenn künftige Funde engere Beziehungen dieser Gruppe zu anderen ergeben sollten, als man bisher 1 Fossiles du cret. inf. de la Provence, Bull. Soc. geol. France, 3. ser., t. 16, p. 660. '- Cephalopodenfauna der Teschener und Grodischter Schichten, p. 32. 3 Abgesehen von dem merkwürdigen H. n. sp. ind. afT. perisphinctoides Uhl. aus dem Valanginian der Schlesischen Karpalhen (Cephalopodenfauna der Teschener und Grodischter Schichten, Taf. VI, Fig. 1, p. 52). 616 V. Uhiig, annehmen kann. Die große Zahl der Einzelrippen erinnert an die Gattung BerriaseUa; jene tithonische Form, die von Roman als H. pexiptychiis (non H. pexiptyclms Uhl.) abgebildet wurde und die wir schon bei Besprechung der Gattung BerriaseUa erwähnt haben, bildet ein Bindeglied zwischen KiliaiieJla und und der primitiven Gattung BerriaseUa. 2. Gruppe des HopUtes Thurmanni, Untergattung Thur- mamtia Hyatt.^ Auch diese Gruppe umfaßt nur wenig Arten. Wir stellen von indischen Arten nur Tlmrmannia Boissieri Bietet sp., Tlinr- niannia Kingi n. sp. und Thurmannia cf. rareßircata Biet, hieher und können auch von europäischen Hopliten vorläufig nur Thurmannia Thnrmanni Biet, et Camp., Th. Boissieri Bietet und Campiche, Th. Alhini Kil., Th. Paqiiieri Simio- nescu und Th. rareßircata Bietet hier einreihen. Auf die besonderen Eigentümlichkeiten des i^. Thurmanni hat zuerst Kil ian"^ eindringlich aufmerksam gemacht. Er hat gezeigt, daß bei H. Thurmanni ebenso wie bei H. neocomiensis und H. amblygonins Bündelrippen auftreten, die auf den Flan- ken gespalten sind; während aber die Spaltung bei H. anihly- gonitis und 7ieocomiensis auf verschiedener Höhe, bald oberhalb, bald unterhalb der Flankenmitte erfolgt, tritt sie bei Tl. Thur- manni stets auf gleicher Höhe oberhalb der Flankenmitte auf. Diese Gabelung der Rippen auf gleicher Umgangshöhe oberhalb der Flankenmitte ist nun nicht bloß für H. Thurmanni, sondern auch für die übrigen hieher gestellten Arten sehr be- zeichnend und verleiht dieser Gruppe im Vereine mit andern Merkmalen eine gewisse Selbständigkeit. Die Rippen sind auf den Flanken wenig geschwungen, fast perisphinctenartig, und zeigen erst in der Nähe der Externseite eine deutliche Krüm- mung nach vorn. Auf der Externseite sind die Rippen im jugendlichen und mittleren Wachstumstadium unterbrochen, die Rippenenden sind aber nur wenig verdickt und deutlich 1 Zittel-Eastman Textbook of Palaeontology, p. 585. 2 Sur quelques Cephal. nouv. un peu connus, Grenoble 1892, p. 10. Animonitengattung Hoplites Neumayr. 617 quergestellt. Im ausgewachsenen Stadium rundet sich die Externseite, über welche die Rippen ununterbrochen und nur leicht abgeschwächt hinwegsetzen. Die Zahl der Einzelrippen ist bei manchen Formen größer als die Zahl der Bündelrippen. Besonders auf den inneren Umgängen scheint die Zahl der Einzelrippen sehr groß zu sein, die Skulptur zeigt da eine nicht geringe Ähnlichkeit mit Berriasella und mit dem knotenlosen Jugendstadium gewisser Acaiithodiscus, wie A. Michaelis Uhl. Diese Ähnlichkeit wird durch die Neigung zur Verdickung der Ursprungsstelle der Bündelt ippen an der Nabelwand und der oberen Gabelungsstelle noch vermehrt. Die Lobenlinie ist nicht bei allen Formen bekannt, bei H. Thurmanni nähert sie sich nach Kilian der von H. pexipty- chiis und neocomiensis. Die Untergattung Thtirmannia ist unzweifelhaft weniger gut charakterisiert und weniger scharf gesondert als die Unter- gattung KiJianella. Nichtsdestoweniger dürfte auch ihr eine gewisse Selbständigkeit nicht abzusprechen sein. Die Be- rippung zeigt einen primitiveren Charakter als z. B. bei H. neocorniensis und amblygonins und kann trotz einer gewissen allgemeinen Ähnlichkeit nicht auf die gleiche Stufe wie die der genannten Arten gestellt werden. Größer ist die Ähnlichkeit der Berippung mit H. Tlieodorii Opp., soferne auch bei dieser Art häufig Einzeli'ippen auftreten und die Rippen auf den Flanken nur wenig geschwungen und perisphinctenartig ausgebildet sind. Aber bei H. Jheodorii und den nächsten Verwandten dieser Art sind die Rippen tief gespalten, so daß sich auch hier ein etwas verschiedener Typus der Berippung ergibt. Bei dem Umstände, daß die Sonderung dieser Gruppe nicht besonders scharf, ihr Umfang aber sehr klein ist, würden wir die Aufstellung einer Untergattung vielleicht unterlassen haben, wenn nicht schon A. Hyatt die bekannteste Form dieser Gruppe, H. Thiirmanni, zum Typus einer besonderen Gattung erhoben hätte. Wir können hoffen, daß spätere Funde und eine genauere Untersuchung des europäischen Materiales zu einer schärferen Charakterisierung dieser Gattung führen werden, als wir sie heute zu geben in der Lage sind. <3I8 V. Uhlig, 3. Gruppe des Hoplites varians n. sp. und Hoplif es ambigiius Uhl., Sarasinella n. subgenus. Die Formen dieser kleinen Gruppe sind auf den inneren Umgängen mit bald mehr, bald minder stark ausgeprägter trituberculater Skulptur versehen, die am letzten Umgange ver- schwindet und hier von ungespaltenen, leicht geschwungenen Bündelrippen abgelöst wird. Das trituberculate Stadium er- innert an gewisse Acauthodisciis; während aber diese auf den inneren Umgängen einfache Rippen tragen und erst im mittleren und erwachsenen Stadium die trituberculate Skulptur annehmen, tritt hier der entgegengesetzte Entwicklungsgang ein: die tri- tuberculate Skulptur zeichnet das Jugendstadium aus und wird im erwachsenen Stadium von costater Skulptur verdrängt. Die äußere Form des Gehäuses zeigt keine besonderen Merkmale, sie ist ungefähr dieselbe wie bei Thnrmannia und der folgenden Untergattung. Auch die Lobenlinie folgt im allge- meinen demselben Grundtypus \\'\e Tlinrmannia und Neo- comites, doch verdient hervorgehoben zu werden, daß der End- ast des ersten Lateral bei mehreren Arten nicht streng in der Fortsetzung der Mittellinie des Stammes gelegen, sondern ein wenig nach innen gerückt ist. Leichte Andeutungen von Knoten findet man, wie wir bemerkt haben, auch bei manchen Thurmannien. Man könnte daher geneigt sein, der meistens schwachen Knotenskulptur der Gruppe des H. varians keine besondere Bedeutung zu- zuschreiben und diese Gruppe an die vorhergehende oder die folgende anzuschließen. Gegen eine derartige Auffassung spricht aber der Umstand, daß sich aus der Knotenskulptur ungespaltene oder nur selten gespaltene Rippenbündel ent- wickeln und so im Altersstadium ein Skulpturtypus entsteht, der, wie wir schon erwähnt haben, an Anlacostephamis erinnert. In Europa zählen zu unserer Gruppe nur H. (Sarasinella) ambigiius Uhl., H. (Sarasinella) äff. ambignns Uhl. und wahr- scheinlich auch H. carnpylotoxns Uhl. aus dem Unterneokom der schlesischenKarpathen. Diesen spärlichen Vertretern können wir im Himalay^ eine etwas größere Anzahl von Arten zu- gesellen, und zwar: Ammonitengattung Hoplites Neumayr. 619 Sarasiiiella varians n. sp. » suhspinosa n. sp. » n. sp. ind. äff. siihspinosa n. sp. » n. sp. äff. amhigna Uhl. Die asiatischen Formen schließen sich eng an die europäi- schen an und wir müssen daraus den Schluß ziehen, daß wir es hier mit einem wohl individualisierten Hoplitenzweige zu tun haben, dessen Entwicklungsrichtung von den übrigen Hopliten beträchtlich abweicht. Dieses Verhältnis erfordert die Aufstellung einer besonderen Untergattung für diese Gruppe, die wir als Sarasiiiella bezeichnen wollen. An diese Untergattung schließen wir provisorisch drei Formen an, bei denen die Skulptur ausschließlich aus ge- spaltenen, zu Bündeln vereinigten Rippen besteht und ein tri- tuberculates Stadium bisher nicht bekannt ist. Diese Formen sind H. Cautleyi Oppel sp. (non Spiticcras Cautleyi Oppel sp.) aus den Spiti shales H. teschenensis Uhl. aus dem V'alanginian der schlesischenKarpathen, H. fascictilaris d'Orbigny sp. und H. Desori Pict. et. Camp. Diese Arten sind bisher leider nur unvollständig bekannt und wir können uns daher kein ab- schließendes Urteil über sie bilden. Vielleicht haben wir in ihnen Typen zu erblicken, die das trituberculate Stadium sehr früh- zeitig überwunden oder selbst völlig aus der ontogenetischen Entwicklung ausgestoßen haben. H. campylotoxns Uhl. könnte als Übergangsform aufgefaßt werden, da bei dieser Art noch Spuren von Mittelknoten vorhanden sind, die hier schon voll- ständig fehlen. Wir könnten uns aber auch vorstellen, daß diese Arten von Atilacostephaniis etwa unter Vermittlung von i/.jcro- genitor Zitt. abstammen. Die Ähnlichkeit mit dem erwachsenen Stadium von Sarasiiiella würde in diesem Falle als Konver- genzerscheinung aufzufassen sein. Bei der geringen Anzahl der vorliegenden Funde ist zur Zeit eine endgültige Auf- klärung dieser Frage nicht möglich. Bis dahin wollen wir diese interessanten Formen provisorisch bei Sarasiiiella unter- bringen. Mit dieser Untergattung hat ferner noch eine merkwürdige, große Art aus dem schlesischen Unterneokom, H. austro- 620 V. Uhiis, silesiacns Uhl., gewisse Beziehungen. Auch bei dieser Art geht eine trituberculate Jugendskulptur auf dem letzten Um- gänge in costate Skulptur über. Die Rippen dieser letzteren vereinigen sich aber nicht zu Bündeln, sondern entspringen einzeln und spalten sich im oberen Teile der Flanken. Ver- mutlich repräsentiert auch diese Form einen selbständigen kleinen Seitenzweig, über dessen Entwicklung und Bedeutung man gegenwärtig noch kein Urteil abgeben kann. 4. Neocomiies nov. subgenus. Unter dieser Bezeichnung fasse ich die Hauptmasse der costaten Hopliten des Neokoms zusammen. Zwar kann man hier bei näherer Betrachtung eine Anzahl kleinerer, durch gewisse Eigentümlichkeiten ausgezeichneter Gruppen unter- scheiden, allein die Beziehungen dieser Gruppen sind so innig, daß eine generische Sonderung derselben nicht zweckmäßig erscheint. a) Die erste Gruppe benennen wir nach einer altbekannten und weitverbreiteten Form als Gruppe des Neocotnites neo- comiensis. Die Skulptur besteht hier bekanntlich aus einem W'^echsel von Einzelrippen und Rippenpaaren. Die Einzelrippen sind bald einfach, bald gegabelt; bei den Rippenpaaren ist in der Regel eine Rippe einfach, die andere gegabelt. Die Gabelung erfolgt zumeist in Flankenmitte, häufig etwas darüber, seltener etwas darunter. Verdickungen und Knoten treten nur am Ursprung der Rippen an der Nabelwand und an der Extern- kante auf. Mittelknoten fehlen. Die Externseite, die Form des Gehäuses und die Loben sind so oft geschildert worden, daß es überflüssig ist, hierauf näher einzugehen. Zu dieser Gruppe gehören: Neocomites neocomieiisis d'Orb. sp. » castellanensis d'Orb. sp. » heliacus d'Orb. sp. » vicarüis Va c e k. » scioptychiis Uhl. » sp. (Uhl ig, Ceph. Teschener Seh. Taf. VI, Fig. 7.) » perisphinctoides Uhl. Ammonitengattung Hopliles Neu m a y r. 621 Neocomites nivalis n. sp. (Spiti shales). » moutaims n. sp. (Spiti shales). » indomoiitanns n. sp. (Spiti shales). Von amerikanischen Arten dürften Neocomites Tcnochi Felix und wohl auch A^. Hyatti Stanton hieher gehören. h) Gruppe des Neocomites aitihlygonins. Neocomites ainblygoiiitis Neum. Uhl. (= noricns Schloth. Rom.) und die Varietäten planicosta und euryoin- phalns V. K o e n e n . » oxygon ins Neum. Uhl. » regalis (Bean.) Pavl. » paucinodtis Neum. Uhl. » longinodus Neum. Uhl. » cnruinodns Phill. Das bezeichnende Merkmal dieser Gruppe besteht in der eigenartigen Entwicklung des ersten Seitenlobus; an den kurzen, trichterförmigen Stamm schließen sich ein übermäßig entwickelter äußerer Seitenast, ein sehr schwacher innerer Seitenast und ein sehr langer, nach innen gerückter Endast an. Man hat diese Gruppe wegen ihres Vorkommens im nord- deutschen, englischen und russischen Neokom als bezeichnend für die nordeuropäische Neokomfauna angeschen. Später schien es eine Zeitlang, als hätte man die provinziell faunistische Be- deutung dieser Gruppe ein wenig überschätzt, daW. Kilian mit vollem Recht auf die enge Verwandtschaft der Amhlygonins- Gruppe mit H. neocomieusis hinweisen konnte. In der Tat besteht hinsichtlich der Skulptur und der Form des Gehäuses kein nennenswerter Unterschied zwischen H. neocomiensis und H. amblygonins. Erst die Lobenlinie enthüllt die Differenz: der erste Lateral des H. neocomiensis ist sub- symmetrisch ausgebildet, mit gleichmäßig breitem Stamm, fast gleich starken Seitenästen und einem aus der Mitte des Stam- mes hervorgehenden Endaste; der erste Lateral des H. ambly- gonins dagegen zeigt die oben beschriebene unsymmetrische Bescliaffenheit. 622 V. uhiig, Trotz der engen Verwandtschaft zwischen H. neocomien- sis und H. amblygonius hat man bisher meines Wissens bei alpinen Neokomiten noch niemals den norddeutschen Loben- typus nachgewiesen und umgekehrt. Diese Erfahrung hat sich auch neuerdings sowohl in Norddeutschland wie im karpathi- schen Teile Schlesiens bewährt. Sämtliche im Jahre 1901 beschriebenen Neokomiten der zur alpinen Provinz gehörigen oberen Teschener Schiefer Schlesiens zeigen ausnahmslos den alpinen Lobentypus, während die Hopliten Norddeutschlands, die V. Koenen 1902 bekannt gemacht hat, ebenfalls ausnahmslos den nordeuropäischen Typus erkennen lassen.^ Wir haben also einerseits mit der wahren Verwandtschaft der Amhlygoniiis- Gruppe mit H. neocomiensis, andrerseits aber auch mit der differenten Entwicklung der Loben im alpinen und außer- alpinen Gebiete Europas zu rechnen. Die Amhlygoniiis-Gvu^'pQ bleibt nach wie vor dem nordeuropäischen Gebiete vorbehalten und hat ihre Bedeutung in paläogeographischer Hinsicht durch den Nachweis der engen Verwandtschaft mit Neocomites neo- comiensis keineswegs eingebüßt. Unmöglich kann man die differente Lobenbildung dieser Gruppen unter den Begriff einer Variation im gewöhnlichen Sinne des W^ortes bringen, denn die Abweichung der Loben tritt nicht bei verschiedenen, von derselben Lokalität herstam- menden Individuen auf, sondern betrifft große, sich provinziell ausschließende Gruppen. Auch eine provinziell vikariierende Variation liegt nicht vor, da ein zwar kleiner, aber doch nicht zu übersehender Unterschied des geologischen Alters besteht, indem die Gruppe des Neocomites neocomiensis dem Valanginian, die des H. amhlygonius dem tiefsten Haut- erivian angehört. Es würde also den tatsächlichen Verhältnissen nicht entsprechen, wollte man etwa den H. amhlygonius als eine Vai-ietät des Neocomites neocomiensis hinstellen. Wir 1 Selbst diejenige norddeutsche Form, die A. v. Koenen als H. neocomien- sis d'Orb. (?) bezeichnete, hat einen unsymmetrischen ersten Lateral; sie stimmt mit H. neocomiettsis in einem wichtigen Merkmale nicht überein und kann daher mit dieser Art nicht identifiziert werden. Das dürfte auch schon dem aus- gezeichneten Kenner des deutschen Neokoms, A. v. Koenen, vorgeschwebt haben, da er diese Bestimmung mit einem Fragezeichen versah. Ammonitengattung Hoplilcs Ncumayr. G23 müssen daher an dem spezifischen Unterschied zwischen Neocomites neocomiensis und A^. amhlygoniiis entschieden festhalten; fraglich kann nur bleiben, ob wir beide mit dem- selben Gattungsnamen bezeichnen oder gar für die Ambly- ^o///«s-Gruppe eine besondere Untergattung schaffen sollen. Die erstere Eventualität scheint dem gegenwärtigen Stande unseres Wissens am besten zu entsprechen und ich stelle daher die ganze Gruppe des H. amhlygonitis zur Untergattung Neocomites. c) Gruppe des Neocouiites caUiptychtis n. sp. mit Neocomites caUiptychtis n. sp. (Spiti shales). » pycnoptychns n. sp. (Spiti shales). » Walkcri n. sp. (Spiti shales). » Nildtini n. sp. (Spiti shales). » äff. Walkeri n. sp. (Spiti shales). » äff. Niliitini n. sp. (Spiti shales). Diese Gruppe enthält vorwiegend kleinere Formen mit ge- rundeten Flanken, schräger Nabehvand und ziemlich stark ge- schwungenen, auf N'erschiedener Höhe gespaltenen Rippen. Trotz ihrer engen Verwandtschaft mit der Neocomiensis- Gruppe, besonders mit .V. vicarins Vac, kann man keine euro- päische oder amerikanische Art dieser indischen Gruppe zu- gesellen. d) Gruppe des Neocomites Iheodorii 0 p p e 1 sp. mit Neocomites Iheodorii Opp. sp., A^. indicns n. sp., A". volgensis n. nom. (= amblygonins Pavlow), A^. faltax Steuer sp. (?), N. aiigulatiforuiis Behrends (?). Die hieher gehörigen Formen haben scharfe, tiefgespaltene, fast fadenförmige Rippen und zeigen ein keilförmig zugeschärftes Gehäuse mit schmaler Externfurche, die bei größeren Exemplaren von den Rippen quer übersetzt wird. e) Gruppe des Neocomites odontodiscns n. sp. mit Neocomites odoiitodiscns n. sp. (Spiti shales). » n. sp. äff. odontodiscns n. sp. (Spiti shales). » n. sp. ind. (Spiti shales). » Bnrckhardti (Mayer Eymar) Burckhardt (Argen- tinien). 624 V. Uhiig, Lobenlinie und Skulptur weisen auch dieser Gruppe ihren Platz nahe neben Neocomites neoconiiensis an. Was aber dieser kleinen Gruppe einen besonderen Charakter aufprägt, sind die ungemein breiten, flach gewölbten und wenig zahlreichen Wohn- kammerrippen. Auf den ersten Blick hat Stetieroc. transgrediens eine große Ähnlichkeit mit A^. odontodiscus, bei näherer Be- trachtung ist aber zu erkennen, daß Skulpturtypus und Loben- linie verschieden sind. 5. Solgeria nov. gen. Gruppe des Hoplites LeopoJdimis. Solger ia Leopoldma d'Orb. sp. » gibhosa v. Koen. (= pronecostatiis Felix p. p.) » Leenhardti Kilian (=: neocomiensis Bietet, non d'Orbigy). » laeviusaila v. Koen. » Brandest v. Koen. » cf. cryptoceras (d'Orb.) v. Koen. » Bodei V. Koen. » äff. Arnold i (Biet.) v. Koen. » paraplesia Uhl. » Zitteli Uhl. » hiassalenis Karakasch. » Inostranzerui Karakasch. » Kurmyschensis Stschirowski. » nienensis Stschirowski (?) » cryptoceras d'Orb. (?) » Jieteroptycha Bavlow. » KaraTiaschi Uhl. (= cf. Desori Karak.). » Nemnayri B e h r e n d s sp . (?). Der allgemeine Skulpturtypus und die Form des Gehäuses sind ähnlich wie bei Neocomites. Einzelne Arten haben sogar eine Skulptur, die von Neocomites neocomiensis kaum zu unter- scheiden ist, so besonders 5. paraplesia. Andere Arten zeigen eine leichte Neigung zur Knotenbildung, wie Solgeria äff. Arnoldi v. Koen., 5. Zitteli Uhl., S. Karakaschi Uhl, 5. lietero- ptycha Bavl., bei wieder anderen verschwinden allmählich die Rippen auf den Flanken und lassen nur nahe der Extern- und Ammonitengattung Hoplifes Neumayr. 625 Innenseite leichte Spuren zurück. Bei 5. Leopoldina ist diese Rückbildung der Rippen im erwachsenen Stadium bekanntlich am weitesten vorgeschritten. Zahlreiche geschwungene Rippen am oberen Teile der Flanken kennzeichnen H. cryptoceras, der nach A. v. Koenen vermutlich auch zur Leopoldimts- Gruppe gehört. 1 Der Gesamtheit dieser Arten prägt die Lobenlinie einen gemeinsamen Stempel auf. Nach der herrschenden und wohl auch begründeten Anschauung wären diese Loben mit ihrer geringen plumpen Verzweigung und ihren niedrigen breiten Stämmen als reduktiv anzusehen. Der erste Lateral erhält in- folge stärkerer Entwicklung und höherer Stellung des äußeren Seitenastes eine auffallend unsymmetrische Gestalt. Schon d'Oi^igny hat diese Lobenform bei H. Leopoldmiis gut dar- gestellt, später Sarasin und in neuerer Zeit bei vielen Arten namentlich A. v. Koenen, der den ersten Laterallobus dieser Gruppe als unsymmetrisch gespalten bezeichnet. Die unsym- metrische Ausbildung der SoIgeria-LobQn kann mit den Loben der Amblygonms-Gruppe nicht auf eine Linie gestellt werden. Zwar ist auch bei der Amblygonms-Gruppe der äußere Seiten- ast des ersten Laterals länger und reicher verzweigt als der innere, aber er ist sehr schmal und die ganze Lobenlinie ist reich verzweigt. Bei Solgeria dagegen ist der Seiten- und End- ast breit, plump und kurz gestaltet und die Verzweigung gänz- lich reduziert. Diese Differenz der Lobenbildung ist so groß, daß eine Vereinigung mit Neocomites ausgeschlossen ist, soferne man die Notwendigkeit zugibt, im Bereiche der allzuweiten GsiUving Hoplites engere Unterscheidungen durchzuführen. Daß die Vereinigung der Leopold i-Gvnppe, mit der obercretacischen 1 H. cryptoceras bildete für A. Hyatt die Type der Gattung Lylicoccras. Wir können den Namen Lyiicoceras, der zum Ersätze von Neocomites un- tauglicli ist, aucli für die Leopoldimis-Gmppe nicht verwenden, da Hyatt auch den H. amblygonins zu Lyiicoceras stellte und daher eine andere Begrenzung dieser Gattung im Sinne hatte wie wir. Ferner steht auch nicht fest, ob die leider noch immer mangelhaft bekannte Art H. cryptoceras wirklich hieher gehört. Sitzb. d. mathem.-naturw. Kl.; CXIV. Bd., Abt. I. 42 626 V. Uhiig, Gattung Hoplitides A. v. Koenen auch nicht befriedigt, hat Solger^ hervorgehoben. Hoplitides hat einen weiteren Nabel, ferner auf den inneren Windungen eine vertiefte, von zwei glatten Kanten begleitete Externseite und eine Berippung, deren stärkste Stelle am oberen Teile der Flanken gelegen ist und nicht wie bei H. Leopoldi an der Externseite und an der Nabelwand. Dies beweist, daß wir es in Hoplitides mit einer mit H. Leopoldiims nicht näher verwandten Gruppe zu tun haben. Die Berufung Solger's auf den angebhchen fast völligen Mangel von Hilfioben bei H. Leopoldi trifft zwar nicht zu, da bei dieser Art, wie Ch Sarasin gezeigt hat, zwei deutliche, von breiten Sätteln getrennte Hilfsloben entwickelt sind; den- noch aber kann es nicht zweifelhaft sein, daß eine Vereinigung von Hoplitides mit der Leo/'o/c//-Gruppe den natürlichen Ver- hältnissen nicht entspricht. Die Hauptentwicklung dei- Gattung Solgeria ist nach unseren jetzigen Kenntnissen in das Mittelneokom zu ver- setzen; einzelne Arten, wie Solgeria paraplesia Uhl., Zitteli Uhl., knrmischeasis und meiieiisis Stschir., erscheinen schon im Unterneokom. Kein Übergang führt von Neocomites oder einer anderen Hoplitengattung zu Solgeria. Unvermittelt steht Solgeria neben Neocomites und merkwürdigerweise kann man in einzelnen Fällen sogar von Parallelformen von Solgeria und Neocomites sprechen, die einander in Form und Skulptur, nicht aber in den Loben gleichen. Ein gutes Beispiel für diese Erscheinung bilden 5. paraplesia mit unsymmetrischem und iV. neocomiensis mit subsymmetrischem ersten Lateral. ^ Andre Beispiele führt A. v. Koenen^ an. Eine recht befriedigende Erklärung dieser Erscheinung scheint sich auf den ersten Blick auf Grund der von Solger aufgestellten und nicht schlecht gestützten Hypothese zu ergeben, daß die Reduktion der Loben mit dem Übergange von der schwimmenden zur kriechenden Lebensweise in Be- ziehung stehe. 1 Ammonitenfauna der Mungokalke und das geologische Alter der letzteren, p. 128. 2 Cephalopodenfauna der Teschener Schichten etc., p. 60, 35. 3 Ammonitiden des norddeutschen Neokoms, p. 169. Ammonitengattung Hoplites Neumayr. 627 Die Solgerien müßten nach dieser Annahme mit ver- schiedenen Arten von Neocomites zusammenhängen, die von der schwimmenden zur kriechenden Lebensweise übergegangen sind, und müßten daher einer unnatürlichen Zusammenfassung von Typen entsprechen, die hauptsächlich durch ähnliche Lebensweise einander genähert sind. Die Mehrzahl der Formen, wie besonders 5. gihbosa, gibbosula, Leenhardii, Brandest, Leopoldi, heteroptycka erwecken aber den Eindruck einer durchaus geschlossenen natürlichen Gruppe. Allerdings ist unsere Kenntnis der Neokomfauna im allgemeinen noch sehr lückenhaft und gestattet kein endgültiges Urteil; es scheint aber, daß die größere Wahrscheinlichkeit für die natürliche Zusammengehörigkeit der Solgerien spricht. Noch ein weiterer Umstand ist für die Erklärung der Pa- rallelformen mit Hilfe der So lg er'schen Hypothese nicht günstig. Die Erscheinung der Parallelformen kommt auch im Bereiche der Oppelien der Spiti shales vor; hier zeigen Oppelia acuciucta und Oppelia (Strehlites) Grieshachi bei sehr ähnlicher, dem Typus nach sehr übereinstimmender Form und Skulptur des Gehäuses grundverschiedene Loben. Da aber die Loben beider Parallelspezies stark zerschlitzt sind und keine von beiden eine Reduktion der Loben, die auf kriechende Lebensweise zurückzuführen wäre, erkennen läßt, so ergibt sich, daß diese Erscheinung der Parallelspezies auch ganz unabhängig von schwimmender oder kriechender Lebensweise auftreten kann. Bei der Mangelhaftigkeit unseres Materiales kann man über diese merkwürdigen Verhältnisse noch nicht endgültig aburteilen, der Name Solgeria hat daher auch nur eine provi- sorische Bedeutung. Aber schon der technische Ordnungswert, der sich aus der Zusammenfassung dieser Formen ergibt, ist so groß, daß er die Schaffung eines Gattungsnamens recht- fertigt. Wenn wir 5. Leopoldina an 5. gibhosa und 5. Leenhardii (nr neocomiensis Bietet et Camp.) anreihen, so stehen wir im Gegensatze zu der Auffassung Pictet's,^ der den H.Leopoldinus 1 Ste. Croix, p. 243. 42* 628 V. Uhiig, mit H. radiatiis in Beziehung setzte, ja sogar die spezifische Vereinigung beider Arten für möglich hielt. Nach Pictet und Campiche sind die Jugendstadien dieser Arten kaum von- einander zu unterscheiden. Diese Behauptung stimmt aber mit anderen Erfahrungen nicht überein. A. radiatns aus Nord- deutschland und A. siihradiatus aus den Spiti shales sowie die nächst verwandten Arten zeigen nun nicht die geringsten Beziehungen zu 5. Leopoldina. Die Lobenlinien sind gänzlich verschieden und die Jugendformen lassen, wie bei A. siih- radiatns und auch bei A. radiatns beobachtet ist, schon im frühesten Stadium die typische Acaiithodiscns-Sku\ptu.v er- kennen. Wir können daher diese Formen unmöglich an 5. Leopoldina anschließen. Vielleicht beziehen sich die Beob- achtungen von Pictet und C am piche auf eine wirklich mit iS. Leopoldina verwandte Art, die zur Knotenbildung neigt und eine gewisse äußere Ähnlichkeit mit H. radiatus besitzt. Eine andere Lösung fände dieser Widerspruch, wenn A. v. Koenen's Vermutung zuträfe, daß der Pictet'sche^mw. Leopoldi in Wirklichkeit nicht dem d'Orbigny'schen ent- spricht, sondern eine mit normalen Loben versehene, von A. V. Koenen^ H. Kiliani genannte Art bildet. Eine auf das Studium der Pictet'schen Originalstücke begründete Aufklärung dieses Wiederspruches wäre sehr zu wünschen. III. Die Hopliten des Aptian und Gault. Die Armut des Oberneokoms an Hopliten erschwert in hohem Grade die Beurteilung des Zusammenhanges der Hopli- ten des Aptian und Gault mit denen des Neokoms. Die ver- einzelten Formen des Barremians, wie H. Feraudi d'Orb., H. Soulieri Math., H. crnasensis Torcapel,^ schließen sich ver- mutlich an den Stamm der Neokomhopliten an. Eine Anzahl 1 Ammonitiden des norddeutschen Neokoms, p.l68. 2 Während des Druckes entnehme ich einer Arbeit von G. Sayn und F. Roman (Bull. Sog. geol. France, 4 ser., t. IV, 1904, p. 630), daß H. crnasensis nicht, wie Torcapel angegeben hat, dem Barremian, sondern dem unteren Hauterivian angehört. Ammonitengattung Hopliles N e u m ay r. 629 andrer, ursprünglich als HopUtes, auch als Acanthoceras be- schriebener Arten sind von D. Anthula^ mit knotentragenden Formen vereinigt und zur Gattung ParahopJites erhoben vi'Orden. Auch diese Gattung dürfte aus dem Stamm der JMeo- komhopliten hervorgegangen sein und dasselbe gilt wohl auch für die kleine, geologisch wichtige Gruppe des H. Deshayesi und H. Weissi, für welche ebenfalls eine besondere generische Bezeichnung geschaffen werden sollte. Im Gault treten uns nebst den Parahopüten und der Deshayesi-Gv\.\TpY>^ einige Formen, wie H. furcatus Sow. (Dn- frenoyi d'Orb.) und H. hirensis Kilian entgegen, die man auf Grund ihrer Skulptur mit Ch. Sarasin als Nachkommen des Stammes der Neokomhopliten ansehen kann. An diese Formen, besonders an H.lnrensis, scheinen sich die noch etwas extremei' gestalteten Arten H. regiilaris Brug., H. tardefnrcatiis Leym. und vielleicht auch H. Michelini d'Orb. anzuschließen. Auch H. spien dens Sov. könnte vielleicht zu dieser Gruppe gehören. - Diese Formen bilden nur eine schwache Minorität gegen- über den reichverzierten Typen, die Neumayr bei der Be- gründung der Gattung HopUtes besonders im Auge gehabt haben dürfte und auf die man daher nach dem Vorgange Steuer's und Hyatt's die Gattung HopUtes beziehen muß, wenn man sie im engeren Sinne verwenden will als Neumayr. Unter diesen echten Hopliten sind einige durch sehr tiefe Externfurchen ausgezeichnet (H. falcatus Man t, H. ctirvatns Mant., H. laiitus Parkins., H. tnJjercnlatiis Sow., H. anrittis Sow.), während bei der Hauptmasse die Externseite normal ausgebildet ist (H. denariiis Sow., Archiaci d'Orh., intermptus Brug., RanUni d'Orb., DeUici Brongn., dentatiis Sow., Benet- Uae Sow., Brongniarti, vraconnensis Pict. et Camp., Renatixi d'O r b., chahretiantis Pict., Senehieriamis Pict., Engersi R o u i 1 1., Canavarii Par. et Bon., talitziamis Rouill.). ^ Kreidefossilien des Kaukasus, Beiträge zur Paläontologie Österreich- Ungarns, XII., p. 109. " Für H. splendens errichtete Hyatt die neue Ga.it\xng Anahoplites (Text- book of Palaeontology by Zittel-Eastman, p. 584). Es ist nicht bekannt, wodurch sich Hyatt zu dieser Aufstellung veranlaßt fand und wie er diese Gattung umgrenzt haben wollte. 630 V. Uhiig, Der wesentliche Unterschied dieser HopHten s. str. gegen- über dem Stamme der Neokomhopliten besteht, wenn wir von kleinen Differenzen der Lobenlinie absehen, in dem Mangel von Mittelknoten und dem Mangel von Rippenspaltung auf dem oberen Teile der Flanken bei den ersteren. Bei den Gault- hopliten sind nur Intern- und Externknoten vorhanden. Aus den Internknoten entspringen Bi^indel von zwei bis drei unge- spaltenen Rippen, so daß ein Skulpturtypus entsteht, der im wesentlichen mit dem von Aiilacostephajius übereinstiinmt. Wie sich unter den obev\vira.ss\sc\\Qn Aiilacostephanus {em- und grob- rippige Typen finden, so differenzieren sich auch die Gault- hopliten in fein- und grobrippige Formen. Hiedurch ist die Möglichkeit gegeben, die Gaulthopüten als Ausläufer von Aula- costephaniis zu betrachten. Andrerseits läßt sich nicht verkennen, daß die große Lücke zwischen den Aulacostephauiis des Kimmeridge und Tithon und den echten Gaulthopliten dieser Annahme nicht günstig ist. In diese Lücke fallen zwar die Gruppen des H. Caiitlcyi, des H. himalayanus und kystrix, die, wie wir gesehen haben, möglicherweise eine Fortsetzung des Aulacostephanus- Stammes bilden. Allein diese teilweise trituberculaten Gruppen zeigen keine deutlichen Beziehungen zu den Gaulthopliten und sind also nicht geeignet, die Lücke auszufüllen. Ferner ist nicht zu übersehen, daß gewisse Formen, wie H. fiircatiis, splcndens, regiilaris, tardefiircatiis, eine Ait Mittelstellung zwischen den Neokom- und den Gaulthopliten einnehmen. Sie schließen sich nach ihrer Skulptur enger an die Neokomhopliten an, scheinen aber doch auch zu den Gaulthopliten gewisse Beziehungen zu haben. ^ In Würdigung dieser Verhältnisse haben sich bedeutende Kenner, wie A. von Koenen''^ und Ch. Sarasin,-"* für den Zu- 1 Für die Beurteilung dieser Verwandtschaftsverhältnisse ist vielleicht der Umstand von Belang, daß die Innenknoten von H. re^ularis nach der Darstellung Pictet's (Gres verts, pl. 7., Fig. 3, p. 331) aus den Mittelknoten der Jugendwindungen hervorgehen. 2 Ammonitiden des norddeutsch. Neokoms, p. 171. 3 Quelq. consid. sur les gen. Hoplitcs etc., Bull. Soc. geol. France, 3. ser., t. 25, p. 776. Ammonitengattung Hoplites N e u m a y r. 63 1 sammenhang der Gaulthopliten (Gruppe des H. interrtiptus bei Sarasin) mit dem Stamme der Neokomhopliten ausgesprochen, während Hyatt die Gattung Hoplites s. Str., also die tuber- culaten Gaulthopliten, an Reineckia anschließt. Wir können hoffen, daß künftige genaue Studien an umfa'^sendem Material diese Frage der Lösung näher bringen werden. Bis dahin halten wir an der Annahme eines Zusammenhanges der Hopliten des Gault mit denen des Neokoms fest, weil sie als die wahrschein- lichere erscheint. Die wenig zahlreichen Hopliten der Oberkreide sind im allgemeinen noch wenig bekannt und wenig gewürdigt, ihre näheren Verwandtschaftsverhältnisse sind noch nicht spruchreif. In den voranstehenden Zeilen ist der Versuch gemacht, die übergroße Formenfülle der alten Gattung Hoplites zu zer- gliedern und eine S3^stematische Übersicht zu gewinnen. \'iel- leicht ist es dabei auch gelungen, einige natürliche Gruppen herauszufassen. Weit größeren Schwierigkeiten als dieses Unternehmen begegnet der Versuch, die Entwicklungsreihen oder den »Stammbaum« der Hopliten festzustellen. Nicht nur die ünvollständigkeit unseres Materials, sondern auch die in der Sache selbst gelegenen Schwierigkeiten gewähren nur wenig Aussicht, daß sich ein derartiger Versuch über das Niveau einer rein hypothetischen Zusammenstellung erhebt. Das Beispiel der echten Gaulthopliten, die uns fast ebensoviel Anlaß zum Anschluß an den Att.lacostephanus-Sta.mm wie an den Stamm der Neokomhopliten geben, mahnt hier zur größten Vorsicht. Aber auch wenn wir über die Frage der Abstammung der Gaulthopliten hinweggehen, bleibt noch manche Unsicherheit zurück. Vielleicht das sicherste Ergebnis ist die vermittelnde Stellung der Gattung Berriasella zwischen Perisphinctes und dem Stamme der Neokomhopliten. Im Kimmeridge und Unter- tithon herrschen Perisphincten, im Obertithon und der Berrias- stufe Perisphincten, Berriasellen und Hopliten, im Neokom Hopliten. Dieses geologische Auftreten und die engen morpho- 632 V. Uhiig, logischen Beziehungen zwischen PcrispJiinctes und Bevriasella einerseits und zwischen Berriasella und den Neokomhopliten andrerseits drängen uns, wie wir gesehen haben, zu der Annahme, daß die NeokomhopHten über Berriasella aus dem Perisphinctenstamme hervorgegangen sind. Aus der Gattung Berriasella, an die sich in der indischen Provinz die Gattung Blavifordia anschließt, scheinen sich einer- seits trituberculate Formen, die wir unter dem Namen Äcantho- discus zusammengefaßt haben, andrerseits costate Typen her- ausgebildet zu haben. Mehrere Acanthodiscus zeigen, wie wir be- merkt haben, Jugendstadien, die völlig der Gattung Berriasella entsprechen. Da aber diese Acantkodisciis mit allen übrigen, auch mit den am stärksten abgeänderten Formen (wie A. octagomis, stihradiattis, radiatus, Sayni), auf das innigste zusammenhängen, so sehen wir uns genötigt, die gesamten Formen der Gattung Acanthodiscus auf einen gemeinsamen Ursprung aus Berriasella zurückzuführen, obwohl die Jugend- stadien dieser am stärksten abgeänderten Formen für sich betrachtet keinen Anlaß dazu geben. Unter den costaten Formen, die ebenfalls in Berriasella ihie Wurzel haben, bilden Kilianella und Tlmrmatinia etwas primitivere, die Neokomiten etwas vorgeschrittenere T3'pen. Die primitiven und kleinen Gruppen Kilianella und Tlnir- mannia sind mit der umfangreichen Gattung Neoconiites so nahe verwandt, daß man sie recht wohl auch als Untergattungen an Neoconiites als Gattung anreihen kann. Im Barremian und Aptian entwickeln sich aus diesem Stamme die Gruppe des H. Deshayesi und vielleicht auch die ferner stehende Gattung Parahoplites Anthnla. Die kleine Gattung Sarasinella nimmt zwischen tuber- culaten und costaten Formen eine Mittelstellung ein. Das innere Gewinde zeigt leichte Knotenskulptur, die auf der Wohnkammer in Bündelrippen übergeht. Man kann daher diese Gruppe als einen kleinen, von Acanthodiscus abgehenden und eine neue Mutationsrichtung einschlagenden Zweig ansehen. Weit größeres Interesse gewänne dieser Zweig, wenn man nachweisen könnte, daß auch H. Cautleyi Opp. sp. und H.teschenensis Uhl, Arten, bei denen die Bündelrippenskulptur Ammonitengattung Hoplites Neuma}'!'. 633 das ganze Gewinde bedeckt, damit zusammenhängen. Dieser Beweis ist aber, wie wir bemerkt haben, vorläufig nicht zu er- bringen. Noch unsicherer als die Stellung der Gattung Sarasinella ist das Wesen der eigentümlichen Gattung Solgeria. Müssen wir uns sonach mit der Erkenntnis abfinden, daß wir von den mächtigen Stämmen der Neokomhopliten und der Aulacostephanen gegenwärtig nur wenige Verzweigungen mit einiger Sicherheit verfolgen können, so ergeben sich vielleicht aus dem Auftreten und der Folge der Formen irgendwelche Vorstellungen über die Art und Weise der Entwicklung. Würtenberger und Neumayr haben für die knoten- tragende Gattung Aspidoceras folgenden Entwicklungsgang erkannt: Zuerst entsteht die äußere, dann die innere Knoten- reihe, worauf im Laufe der Entwicklung bei den geologisch jüngeren Formen zuerst die äußere und dann die innere Knotenreihe rückgebildet wird. Für Würtenberger war das ein Beispiel dafür, daß sich die Veränderungen der Schalen- merkmale der Ammoniten zuerst auf dem äußeren Umgange, der Wohnkammer bemerkbar machen und daß dann eine solche Veränderung bei den nachfolgenden Generationen sich nach und nach immer weiter gegen den Anfang der Gehäuse- spirale fortschiebt. Er legte niit diesem und anderen Beispielen bekanntlich den Grund für die Anwendung des biogenetischen Grundgesetzes auf die Ammoniten und leitete das »Gesetz der Anpassung im reiferen Lebensalter« und das »Gesetz der früh- zeitigen Vererbung« ab.^ Viele Jahre später bildete S. Buckman^ eine ähnliche Vorstellung über den Entwicklungsgang von Ammoniten - Stämmen [Zürcheria, Deroceras, Paltopleuroceras) aus, allein erließ für diese Entwicklung eine wesentlich andere Deutung zu, indem er sie in einen aufsteigenden, progressiven, und in einen absteigenden, degenerativen Ast gliederte und so der Vorstellung einer zyklischen Entwicklung der Ammoniten Raum gab. Der 1 L. c. p. 94 bis 99. »Ausland« 1873, p. 26. 2 Quarterly Journal Geol. Soc. London vol. 95, p. 461, vol. 45. Palaentogr. Soc, Monograph Infer. Oolite Ammonites VI, p. 289. 634 V. UhÜR, aufsteigende Ast soll jeweils von glatten zu gestreiften und gerippten und im Akmestadium zu tuberculaten Formen führen; im parakmastischen Stadium soll umgekehrt die Rückbildung von tuberculaten zu berippten und glatten Typen vor sich gehen. Mit Recht bemerkte F. A. Bather/ daß diese Art der Entwicklung sowohl mit dem De Vries'schen wie mit dem Darwin'schen Schema in Widerspruch stehe. Bei dem Stamme der Neokomhopliten, der mit seinen aus- gezeichneten tuberculaten Formen zur Prüfung dieser Vor- stellung sehr geeignet ist, besteht eine derartige zyklische Ent- wicklung augenscheinlich nicht. Eine große Gruppe von Formen nimmt zwar die tuberculate Skulptur an, andre große Gruppen zeigen eine kräftige Rippen- und eine Knotenskulptur, nber die absteigenden Entwicklungsäste vermissen wir gänz- lich. Wohl haben wir in Sarasinella Formen vor uns, bei denen die Mittelknotenreihe am Vorderende des Gehäuses verschwindet, aber die Innen- und Außenknoten persistieren und mit dem Verschv\.inden der Mittelknoten ist nicht ein Rückgang zum früheren, sondern ein Fortschreiten zu einem neuen Skulpturtypus (Bündelrippen) verbunden. Wir vermögen also bei keiner Gruppe der Hopliten jene zyklische Entwicklung zu erkennen, die sich aus der Buckman'schen Auffassung ergibt. Die Darwin'sche Entwicklungsvorstellung gipfelt in der Annahme allmählicher Übergänge. Solche Übergänge kennen wir beim Stamme der Neokomhopliten im Rahmen gewisser Arten und auch von einer Art zur nächststehenden, wie z. B. bei Blaiifordia Wallichi und ihren nächsten Verwandten. Andere Arten dagegen und besonders die Gattungen zeigen, wie wir im vorhergehenden wiederholt bemerkt haben, im all- gemeinen Anzeichen einer relativen Selbständigkeit. Einzig die Gattung Berriasella entspricht so ziemlich den Anforderungen, die wir an den Übei-gang von Gattung zu Gattung im Sinne der allmählichen schrittweisen Entwicklung stellen müssen. Gewiß ist es durchaus nicht zu bezweifeln, daß sich bei reich- licherem Material die Zahl und Bedeutung der Übergänge 1 Quart. Journal Geol. Soc. vol. 59, p. 473. Ammonitenguttung Hopliles N e u m ay r. 635 wesentlich steigern wird, allein durch diese Erwägung wird der Eindruck doch nicht ganz beiseitigt, daß nicht ge- nügende Tatsachen vorliegen, um die Entstehung der Arten auf dem Wege der allmählichen Entwicklung der Formen als einzig und ausschließlich herrschend hinzustellen. Min- destens liegen die Verhältnisse nicht so, um uns das Gewicht \'on Tatsachen übersehen zu lassen, die für eine teilweise abweichende Auffassung des Entwicklungsganges der Ammoni- ten sprechen. In denselben Schichten, in denen in Europa die primitive Berriasella auftritt, finden wir neben dieser vom älteren Peri- sphinctes-Typus nur wenig abweichenden Gattung auch schon costate Hopliten und dornentragende Acanihodisciis. Von diesen Acantliodiscas treten aber nicht etwa nur die primi- tiveren Typen, sondern auch schon stark abgeänderte, ja selbst schon die am stärksten differenzierten F'ormen auf, die wir im Bereiche dieser Gattung überhaupt kennen. Die Differenzierung der costaten Neokomhopliten und der Acanihodisciis erfolgt somit ungemein rasch; wie mit einem Schlage sehen wir die verschiedensten Typen auftauchen, ohne allmähliche Übergänge und eine schrittweise Verkettung nach- weisen zu können. Ebenso sprunghaft treten die Hopliten des ßarremian und des Gault in die Erscheinung und auch hier erfolgt eine ungemein rasche Differenzierung. Diese Art des Auftretens der Hopliten erweckt die Vorstellung, daß bei diesen Ammoniten zeitweilig eine sprunghafte Entwicklung, eins rasche Dispersion der Arten oder, wenn man will, eine explosive Entwicklung eingetreten sei. Ähnlich wie die hier behandelten verhalten sich aber auch manche andere Ammonitenstämme. Besonders diejenigen Ce- phalopodentypen, dieNeumayr^ als »unvermittelt auftretende« bezeichnet hat, weisen eine ähnliche plötzliche Dispersion der Arten auf. Mit diesem Verhalten kontrastiert lebhaft die lang- same, träge Entwicklung, die man z. B. bei der alpinen Gattung Phylloceras nachweisen kann. Nur sehr langsam und wirklich schrittweise vollzieht sich hier im Verlaufe der Jura- und 1 Jahrbuch geol. Reichsanst. 28. Bd., 1878, p. 37. 636 V. Uhlig, Ammoiiitengattung //o/^W« N eu m a y r. Kreideformation die Abänderung von Art zu Art. Ähnlich wie Phylloccras verhält sich in der Juraformation die Gattung Lytoceras; aber im tieferen Teile der Kreideformation kommt gleichsam neues Leben in diese bis dahin sich träge ent- wickelnde Gattung; unvermittelt zweigen sich hier neue Untergattungen oder Gattungen vom alten Stamme ab und es entstehen zahlreiche evolute, aus der Spirale tretende Formen. Neumayr konnte noch das »plötzliche Erscheinen neuer Cephalopodengruppen in einer großen Anzahl gleichzeitig auf- tretender Gattungen und Arten« auf Migration zurückführen (1. c. p. 78). Wir sehen aber, daß diese merkwürdige Er- scheinung der plötzlichen Artenbildung sich auch bei Stämmen einstellt, die in dem betreffenden Entwicklungsgebiete als autochthon bezeichnet werden müssen, wie bei dem Stamme der Neokomhopliten in Europa und Indien oder bei den cretacischen Lytoceren im alpin-mediterranen Gebiete. So bieten uns die fossilen Cephalopoden neben Beispielen für allmähliche und schrittweise, auch solche für unvermittelte und sprunghafte Artenbildung. 637 Untersuchung der jüngeren Tertiärablage- rungen des westliehen Mittelmeergebietes (II. Reisebericht) Dr. Rudolf Hoernes, k. M. k. Akad. (.Mit 2 Textfiguren.) (Vorgelegt in der Sitzung am 13. Juli 1905.) Palma auf Mallorca, 3. Juli 1905. Als ich am 7. Juni mit dem Dampfer »Bellver« die Über- fahrt von Barcelona nach Palma machte, führte mich ein glücklicher Zufall in derselben Kajüte mit Herr Geheimen Regierungsrat Dr. Adalbert Bezzenberger, Professor der Universität Königsberg, zusammen, welcher die Balearen be- suchte, um die prähistorischen Steindenkmäler derselben näher kennen zu lernen, insbesondere die turmartigen zyklopischen Bauten, die Talayots der Balearen mit den Nurhagen Sardiniens, die er kurz vorher an Ort und Stelle untersucht hatte, zu ver- gleichen. Da die von Prof. Bezzenberger in Aussicht genommenen Exkursionen auf Mall orca sich der Hauptsache nach auf mein engeres Arbeitsgebiet erstreckten — die auf Mall orca nur zum geringeren Teile erhaltenen megalithischen Bauten liegen fast ausschließlich in dem niedrigeren, flachen Teil der Insel, welcher von Tertiärablagerungen gebildet wird — so beschloß ich, von der sich darbietenden Gelegenheit Gebrauch zu machen und, der freundlichen Aufforderung Prof. Bezzenberger's folgend, zur vorläufigen Orientierung etliche 633 R. Ho er n es, Touren gemeinsam auszuführen, was für mich in vieler Hinsicht von großem Vorteil war. Wir führten so vom 8. bis 14 Juni eine Anzahl gemeinsamer Exkursionen nach Felanitx, Lluchmayor, Manacor, beziehungsweise den in der Nähe oder in der weiteren Umgebung der genannten Orte gelegenen megalithischen Denkmälern von San Herued, S'Aguila bei Capcorpvell und Canova dell Morell aus, fuhren auch nach Puebla und Pollenza, dem einstigen römischen Pollentia, an welchem Orte wir die zahlreiche prähistorische und römische F\mdgegenstände vereinigende Sammlung des Pfarrers Miguel Costa Llobera besichtigten, die uns von ihrem Besitzer in freundlichster Weise gezeigt wurde. Am 15. Juni schifften wir uns auf dem Dampfer »Isla de Menorca« nachMahon ein, besuchten zunächst in der Umgebung von Mahön zahlreiche prähistorische megalithische Bauten bei Trepuco, Carnia, Turo und Delati de Dalt, ferner die künstlichen, als Begräbnisstätten verwendeten Höhlen von Calas Covas und durchquerten dann auf der prächtigen Straße nach Ciudadela die Insel Menorca in ihrer ganzen Ausdehnung, um auch in der Umgebung von Ciudadela mega- lithische Denkmäler, zumal das die Gestalt eines umgestürzten Schiffes nachahmende »Nau« de Tudons kennen zu lernen. Am 18. Juni mußte ich mich zu meinem lebhaften Be- dauern von Herrn Prof. Bezzenb erger, in dem ich einen ebenso kenntnisreichen wie liebenswürdigen Reisegefährten zu finden so glücklich war, verabschieden, da er sich in Ciudadela nach Barcelona einschiffte. Ich hatte bei unseren gemeinsamen Exkursionen, abgesehen davon, daß sie mir ein gutes Bild von den beiden großen Balearen: Mallorca und Menorca in ihren wesentlichsten Verhältnissen gewährten (die kleineren Inseln Ibiza und Formentera zu besuchen war von vornherein nicht meine Absicht), auch die prähistorischen Denkmäler, an welchen die Balearen so reich sind, unter trefflicher sachkundiger Führung kennen gelernt. Es würde jedenfalls dem Zwecke dieses Reiseberichtes nicht entsprechen, wollte ich hier ausführlicher über diese höchst interessanten, durch E. Cartailhac zuerst dem Urteil der wissenschaftlichen Welt zugänglich gemachten Dinge, die Steinkreise, die Talayots, Tertiärablagerungen des westlichen Mittelmeergebietes. 639 die Naus oder Navetas und die künstlichen Höhlen berichten, ich kann auch um so eher davon absehen, als Herr Prof. Bezzenb erger die Ergebnisse seiner genauen, mit zahlreichen Messungen und photographischen Aufnahmen verbundenen Untersuchungen darzulegen beabsichtigt, wodurch er gewiß eine um so schätzenswertere Ergänzung der 1892 durch Cartailhac veröffentlichten Monographie^ bieten wird, als er, wie bereits bemerkt, die sardinischen Nurhagen, welche zumeist mit den balearischen Talayots in unmittelbare Beziehung gebracht werden, gleichfalls an Ort und Stelle untersucht hat. Nach Bez zenberger's Abreise beschäftigte ich mich etwas eingehender mit den versteinerungsreichen Tertiär- ablagerungen der unmittelbaren Umgebung von Ciudadela und kehrte dann nach Mahön zurück, um auch die eigen- artigen Verhältnisse des dortigen großen Hafens näher kennen zu lernen. Kurz vor meiner Abreise besichtigte ich in Mahön, von Herrn Juan Pons y Soler auf das freundlichste auf- genommen, dessen ungemein reichhaltige Samm.lungen balea- rischer Antiquitäten, welche neben neueren, mittelalterlichen und römischen auch zahlreiche phönizische und prähistorische Objekte enthalten. Mehrere der letzteren waren bereits Cartailhac bekannt und wurden von ihni zur Abbildung gebracht. Aber auch mit H. Hermite, ^ dem Erforscher der geologischen Verhältnisse der Balearen, war Herr Pons y Soler befreundet und er sprach sein lebhaftes Bedauern darüber aus, daß das reiche Material, welches Hermite zu einem zweiten Bande über die Geologie der Balearen gesammelt hatte (der erste erschien 1879), durch den vorzeitigen Tod seines Freundes verloren gegangen sei. Herr Pons y Soler machte mir unter anderem auch die Mitteilung, daß auf Menorca jungtertiäre Süßwasserbildungen mit Pisidlnm aufgefunden worden seien. Hermite habe bereits Kenntnis davon erhalten, doch dürfte das von ihm gesammelte Material leider nicht auf- bewahrt worden sein. Zu meinem Bedauern war ich nicht mehr 1 Emile Cartailhac: Monuments primiiifs des iles Baleares. Toulouse 1892. 2 Henri Hermite: Etudes geologiques sur les lies Baleares. Paris 1879. (Übersetzt im Boletin del Alapa geologico de Espana, XV, 1888.) 640 R. Hoeines, im Stande, diese Süßwasserbildungen Menorcas aufzusuchen, da die Dampferverbindung mit Palma eine ziemlich beschränkte ist (nur einmal die Woche verkehrt der Dampfer Isla de Menorca zwischen Mahön und Palma). So kehrte ich am 20. Juni nach Palma zurück, um auf Mallorca eine Anzahl der von Hermite namhaft gemachten Fundstellen von Tertiär- versteinerungen zu besuchen und mich vor allem eingehend mit der unmittelbaren Umgebung von Palma und dem von Hermite geschilderten Profil von Bellver zu beschäftigen. Einige Ausflüge hatten die Tertiärgebilde des östlichen Teiles von Mallorca, die Umgebung von Muro und Llubi zum Ziele, die landschaftlich schönsten Teile der Insel, namentlich den alpinen Nordwesten derselben, welcher in der Silla de Torellas 1570 tn Seehöhe erreicht, lernte ich nur flüchtig kennen, da mich meine engere Aufgabe im flachen Tertiär- gebiete Mallorcas festhielt. Doch unternahm ich schon des eigenartigen Tertiärvorkommens von Deya wegen einen Ausflug über Valldemosa nach Miramar, der herrlichen Besitzung Seiner kaiserlichen Hoheit des Herrn Erzherzogs Ludwig Salvator, von der ich über Söller nach Palma zurückkehrte. Der Wunsch, die jungtertiären Süßwasser- bildungen von SonCrespi kennen zu lernen, führte mich dann noch einmal nach Manacor und von dort zu dessen Hafenort Puerto Christo, bei welcher Gelegenheit ich auch die Cueva de Drach besuchen konnte, welche an Mannig- faltigkeit und Schönheit der Tropfsteingebilde der Adelsberger Grotte gleichkommt, sie aber durch den eigenartigen Reiz der unterirdischen kristallklaren Seen übertrifft. Nachstehend möchte ich nur die wesentlichsten Ergeb- nisse meiner Begehungen skizzieren. Weiteres wird sich vielleicht nach genauerer Bestimmung des reichlich auf- gesammelten Materiales an Versteinerungen ergeben. Vor allem habe ich zu bemerken, daß ich Herrn ite's Beobachtungen und Angaben der Hauptsache nach allenthalben bestätigt fand und mich verpflichtet fühle, die große Arbeit, welche er durch seine geologische Erforschung der Balearen geleistet hat, als eine grundlegende und vortreffliche anzuerkennen. Die abweichende Deutung einzelner tertiärer Straten, welche dieses Urteil Tertiarablagerungeu des westlichen Mittelmeergebietes. b41 keineswegs beirren darf, soll in den nachstehenden Aus- führungen motiviert werden. Herrn ite unterschied, abgesehen von älteren tertiären Ablagerungen (dem auf Mallorca kohlenführend entwickelten Eozän), im Tertiär der Balearen drei miozäne Glieder: 1. Clypeasterkalk oder unteres Miozän. 2. Schichten der Ostrea crassissinia oder Mittelmiozän. 3. Oberes Miozän, durch das Fehlen der Ostrea crassissinia und das Auftreten kleiner Cerithien ausgezeichnet. Hermite war geneigt, diese Schichten für ein Äquivalent der sarma- tischen Stufe anzusprechen. Die beiden Stufen 2 und 3 sollen nach Hermite nur in sehr beschränkter Ausdehnung auf Mallorca auftreten, hin- gegen auf Menorca gänzlich fehlen, wo die Tertiärformation lediglich durch die Etage der Clypeasterkalke vertreten sei. Eine vielleicht den Congerienschichten entsprechende, räumlich äußerst beschränkte Süßwasserablagerung wird von Hermite mit folgenden Worten erwähnt:^ Avant de terminer l'etude du miocene superieur, je dois encore signaler un petit depöt isole, renfermant des empreintes de Cardiiini et de Melanopsis, qui rapellent les especes des couches ä congeries, malheureusement je n'ai pu voir leurs rapports avec les differentes assises du miocene superieur. Cette petite formation saumätre se trouve pres de Son Crespi, eile est composee de bancs calcaires assez tendres avec Melanopsis nov. sp. Cardinm äff. C. carinatiun Desh. C. äff. C. protenne May ev. Ausdrücklich hebt Hermite hervor, daß er nirgends auf den Balearen marine Pliozänablagerungen angetroffen habe: »Le pliocene est represente aux lies Baleares par une formation lacustre peu etendue, je n'ai vu aucun depot, qui puisse etre rapporte au pliocene marin.«- Hingegen rechnet er dem Pliozän Süßvvasserbildungen zu, kieselige Kalke, welche 1 Hermite, p. 268. -' Hermite, p. 272. Sitzb. d. mathem.-naturw. Kl.; CXIV. Bd., Abt. 1. 43 642 R. Hoernes, im Osten von Palma auf dem Wege gegen Lluchmajor auf- treten, dort aber nur schwer aus dem harten Gestein Versteinerungen gewinnen lassen, während dies aus weicherem, mergeligem Kalk bei den Steinbrüchen von Coli d'en Rebasa möglich sei. Von letzterem Fundorte führt Hermite an; Melania ttihercnlata Müller. M. Heherti Herm. Lymnaea Vidali Herm. Physa Ja im ei Her m. Palndestrina Toiimoneri Herm. P. Fi schert Herm. Quartär sind nach Hermite auf Mallorca in großer Aus- dehnung vorkommende grobe Konglomerate und Schotter sowie feinere Sande und Sandsteine, von welch letzteren der Mar es genannte als Hauptbaustein für Palma hervorgehoben zu werden verdient. Er wird in großen Steinbrüchen bei Coli d'en Rebasa gewonnen und enthält dort Landconchylien, nämlich: Bulimiis sp. Helix Companyoii i A 1 e r o n. Helix Caroli Dohrn var. Cyclostoma ferrtigiti etim L a m k. Im Osten von Palma, an der Meeresküste, lagert dieser Sandstein auf quartären Meeresbildungen mit Slrombus medi- terraneus Duclos. Da Hermite bei den einzelnen Kapiteln eine eingehende Erörterung der älteren Literatur bietet, kann ich über diese hier füglich hinweggehen und mich lediglich auf die Bemerkung beschränken, daß die (auch von einer geologischen Karte begleitete) Schilderung der geologischen Verhältnisse Mallorcas in dem großen Balearenwerke des Erzherzogs Ludwig Salvator sich auf eine ältere von P. Bouvy herrührende Darstellung^ 1 Pablo Bouvy: Ensayo de una descripcion geologica de la isla de Mallorca. Palma 1867. Tertiärablagerungen des westlichen Mittelmeergebietes. 643 gründet. Diese Bouvy'sche Darstellung ist aber nicht bloß in dem älteren, vielbändigen großen Balearenwerke des Erzherzogs (der betreffende zweite Band erschien 1871), sondern auch in der späteren auszugsvveisen Wiedergabe, in dem 1897 ver- öffentlichten zweibändigen, auf einen größeren Leserkreis berechneten Werke des Erzherzogs ausschließlich berück- sichtigt worden. 1 Hermite's Forschungen sind leider dem Erzherzog, dessen Balearenwerke sich sonst durch ebenso große Vielseitigkeit wie Gründlichkeit auszeichnen, unbekannt geblieben. Ich muß das hervorheben, weil Bouvy und ihm folgend der Erzherzog den größten Teil der tertiären Ebene Mallorcas dem marinen Pliozän zuschreiben, während das Miozän nur inselartig in der Umgebung von Muro auftreten sollte. Nun ist es aber gerade einer der hervorstechendsten Züge in der geologischen Geschichte der Balearen, daß ihnen, wie schon Hermite hervorhob, marines Pliozän gänzlich fehlt, eine Tatsache, welche ich, soweit es eben meine nur auf einen Teil des Gebietes sich erstreckenden Begehungen erlauben, bestätigen muß. Die Balearen teilen diese Eigentümlichkeit mit dem andalusischen Tertiärgebiet zwischen der iberischen Meseta und der betischen Cordillera, in welchem auch marine Pliozängebilde gänzlich fehlen, während sie südlich von der Cordillera bei Malaga wohl entwickelt sind, ebenso wie ein den Balearen benachbartes Tertiärgebiet, jenes von Barcelona, marines Pliozän aufweist. Was die Miozänablagerungen Mallorcas anlangt, so läge es gewiß nahe, dieselben, beziehungsweise die drei von Hermite unterschiedenen, oben namhaft gemachten Haupt- glieder der Reihe nach mit der ersten und zweiten Mediterran- stufe sowie mit der sarmatischen Stufe zu parallelisieren. Wenn man jedoch die Lagerungsverhältnisse wie die bezeich- nenden Versteinerungen genauer prüft, erkennt man bald, daß schon ein guter Teil des »Clypeasterkalkes« der zweiten Mediterranstufe zugerechnet werden muß, wie Arturo Bofill schon 1899 gerade hinsichtlich des versteinerungsreichsten Fundortes Muro behauptete, worauf ich unten eingehend 1 »Die Balearen in Wort und Bild.« 2 Bde., Leipzig 1897. 43=5 644 R. Hoernes, zurückzukommen habe. Auf Menorca soll nachHermite die Tertiärformation lediglich durch den Clypeasterkalk vertreten sein. Er sagt (p. 246 seines Werkes) von Menorca: »Ici le terrain tertiaire ne presente pas les memes difficultes qu'ä Majorque. L'eocene fait completement defaut et les terrains tertiaires ne sont representes que par les calcaires ä clypeastres.« Ich habe Menorca nur flüchtig durchstreift und nur die nähere Um- gebung der beiden Hafenstädte Mahön und Ciudadela etwas genauer besichtigt. An diesen beiden Stellen liegt zweifellos erste Mediterranstufe oder Burdigalien vor. Bei Mahön sind es hauptsächlich grobe Strandbildungen, Schotter und daraus entstandene Konglomerate mit untergeordneten feineren Sand- und Sandsteinschichten, in denen gelegentlich ein oder das andere Fragment eines Conchyls, zumeist Pectenscherben, vor- kommen. Die Ablagerungen von Ciudadela zeigen eine günstigere Fazies. Es sind versteinerungsreiche kalkige Bil- dungen, oft reine Foraminiferen und Lithothamnienkalke, welche in Menge wohlerhaltene Versteinerungen bergen, wie schon die von Hermite veröffentlichten Listen zeigen. Auch ich konnte in der unmittelbaren Umgebung von Ciudadela eine größere Menge von Versteinerungen, zumal Pectines sowie einige Clypeaster sammeln. Für die Altersbestimmung ist insbesondere das Vorkommen von Pecten praescabriusaihis Font, von Wichtigkeit. Aber abgesehen von den bereits er- wähnten jungtertiären Süßwasserbildungen, die ich leider nicht aufsuchen konnte, treten auf Menorca gewiß auch jüngere miozäne Bildungen auf, oder vielmehr, es gehört auch auf Menorca ein Teil des Clypeasterkalkes der zweiten Mediterran- stufe oder dem Vindobonien an. In der Nähe von Calas Covas, auf dem Wege von San Domingo zu der Bucht, deren Steilwände die künstlichen Grotten bergen, sammelte ich Pecten latissimits, und zwar, wie ich hervorheben will, jene Form, die unter diesem Namen bei uns aus dem echten Leithakalk in den Sammlungen liegt und von dem pliozänen Pecten latissimits Brocc. wie von einer im Burdigalien auftretenden, nahe verwandten Form bestimmt verschieden ist. Es dürfte sehr eingehende Untersuchungen erheischen, wollte man auf der Karte Menorcas den Anteil Teitiäiablagerungen des westlichen Mittelmeergebietes. 64o der beiden Mediterranstufen genau ausscheiden. Das südliche Flachland dieser Insel stellt eine wenig wellige plateauartige steinige Hochfläche dar, die ihre heutige Gestalt offenbar der weitgehenden Abtragung durch eine lange dauernde Erosion dankt, wie Gleiches auch von ausgedehnten Tertiärgebieten Mallorcas gilt. Nun sind allerdings auf Mallorca die tertiären Ablagerungen in ziemlich hohem Grade gestört, aufgerichtet und gefaltet, was auf Menorca in viel geringerem Maße der P^all zu sein scheint. Hier herrscht flache Lagerung vor, dafür scheinen an einzelnen Stellen Verwerfungen eine größere Rolle zu spielen. Auf der flachen Plateauoberfläche sind diese Störungen schon deshalb schwer zu verfolgen, weil die karst- artige Oberfläche des Kalkes vielfach mit losen Blöcken und terra rossaähnlichem rotgelben Lehm bedeckt ist, auch er- schweren die zahllosen Steinmauern, welche die einzelnen Grundstücke umgeben, gerade die Untersuchung solcher Störungen sehr. Dort, wo die Calas genannten, steilwandigen Buchten in das Land eingreifen, erkennt man ihr Auftreten viel leichter und zumal ist dies bei Calas Covas der Fall, wo die prähistorischen Bewohner Menorcas zur Anlage ihrer künst- lichen Begräbnishöhlen die weicheren, leicht angreifbaren Sandsteinschichten aufsuchten, während die härteren kalk- reichen Bänke Boden und Dach der künstlich hergestellten Hohh'äume bilden. Man sieht hier, wie benachbarte Höhlen in verschiedenen Niveaus liegen, weil eben die weicheren, merge- ligen und sandigen Schichten, die oft bis 2 ni Mächtigkeit erreichen, durch die Verwerfungen disloziert werden. Die Ver- werfungsflächen bilden dabei häufig die seitlichen Abgren- zungen der Hohlräume. Ist auch die Sprunghöhe der einzelnen Verwerfungen keine sehr beträchtliche — in mehreren Fällen erreichte sie noch nicht einen Meter — so mögen doch schließlich durch Summierung vieler einzelner derartiger Dislokationen, welche in gleichem Sinne erfolgten, recht alters- verschiedene Gebilde in ein und dasselbe Niveau gebracht worden sein, so wie dies auf Mallorca durch Aufrichtung und Faltung der tertiären Schichten geschehen ist. Es ist demnach nicht ausgeschlossen, daß ein relativ großer Teil der Tertiär- ablagerungen Menorcas dem Vindobonien angehört, jedenfalls 646 R. Hoernes, nimmt dieses an der Zusammensetzung des flacheren Teiles der Insel in noch näher zu bestimmendem Grade Anteil. Neben der allgemeinen Abflachung des tertiären Landes weisen noch andere, besonders auffallende Erscheinungen auf die lange Erosionsperiode hin, welche am Schlüsse der Tertiär- zeit vorausgesetzt werden muß: die zahlreichen, mehr oder minder tief in das Land eingreifenden schmalen Buchten, welche den Charakter von Flußtälern haben, die heute von dem Meere okkupiert sind. Der kleine, nur für Barken zugäng- liche Hafen von Ciudadela trägt ebenso diesen Charakter wie der für ganze Flotten der größten Kriegsschiffe Raum gewährende, über 7 km lange und bis 1 • 7 km breite Hafen von Mahön: es sind Teile von Flußtälern, welche ausgewaschen wurden zu einer Zeit als der Spiegel des Meeres tiefer lag als heute und in welche später das Meer eindrang, als sein Spiegel wieder ein höheres Niveau behauptete. Ich werde unten bei Erörterung der betreffenden Verhältnisse Mallorcas darauf zurückzukommen haben, daß wir hier mit größter Wahr- scheinlichkeit die Resultate einer jungtertiären Erosion zu sehen haben, welche damals ihre größte Entfaltung erreicht haben mag, als der Spiegel des Mittelmeeres seinen tiefsten Stand einnahm, d. h. zur Zeit, als im Osten die Ablagerungen der sarmatischen Stufe stattfanden. In Beziehung auf Mallorca habe ich vor allem des schon oben erwähnten Umstandes zu gedenken, daß A. Bofill in den versteinerungsreichen Kalken von Muro die zweite Mediterranstufe erkennen will. Sowohl Hermite als Bofill geben Listen von den im oberen Teil des in zahlreichen Stein- brüchen bei Muro ausgebeuteten Kalkes auftretenden mannig- fachen Versteinerungen. Da sie sich nicht unwesentlich unter- scheiden, seien sie nachstehend wiedergegeben. Hermite führt (p. 236 seines Werkes) folgende Versteinerungen von Muro an: Lamna coiitortidens Agass. Oxyrrkina kastalis Agass. Balamis. Pyrula condita Brongn. Pyriila rusticula Bast. Tertiärablagerungen des westlichen Mittelmeergebietes. 647 Proto laevigattis Desh, Proto cathedralis? Brongn. Tnrritella 3 spec. Trochiis 3 spec. Ancillaria glandifornüs Lamk. Mtirex hrandaris Linn. var. Venus 3 spec. Tapes vetula Bast. Teilina laainosa Chemn. Lucina leonina Bast. Luciua cohinibella Lamk. Cardiuin turonicum Mayer. Panopaea Menardi Desh. Anatina. Teilina 3 spec. Spondyliis spec. Ostrea spec. A. Bofiin gibt unter ausführlicher Erörterung der ein- zelnen Versteinerungen folgende Liste, welche, wie man sieht, einzelne der von Hermite angeführten Arten vermissen läßt, dafür aber zahlreiche andere namhaft macht: Oxyrrhina. Lamna. Carcharodon megalodon Agass. Prionodon ? Stromhns Bonellii Brongn. Triton nodiferus Lamk. Cassis maminillaris Grat. Cassis sahuron L a m k. Cassidaria echinophora Lamk. Pyrula cornuta Ag. Ficula condita Brongn. Ancilla glandiformis Lamk. 1 Arturo Bofill y Poch: Indicaciones sobre algunes fösiles de la Caliza basta blanca de Muro, isla de Mallorca (Boletin y Mcmorias de la real Academia de Ciencias y artes de Barcelona 1899). 648 R. Hoernes, Conus Mercati Brocc. » AJdrouandi? Brocc. » Ta rbelliaims Grat. » ventricosiis Bronn. » niaculosiis Grat. Natica Josephinia Risso. Ttirritella cathedralis Bronn. » gradata Menke. Xenophora Peronii? Locard. Trochtis patnins B r o c c h i. Captilus suJcosiis Brocchi. Dentalinm Bonei Desh. Haminea navicttia Da Costa. Ostrea gingensis S c h 1 o t h. Pecten sp. cf. biirdigalensis Lamk. Pectuncultis pilosus L i n n e. Lithodomus lithophagus L i n n e. Cardmm discrepans Bast. » Daunbiüimni Mayer. » edulc Linne. sp. Lticina mioceuica Michtti. » colnmhella Lamk. Crassatella sp. Cardita cfr. Partschi Goldf. Venus umbonaria Lamk. var. balearica Bofili. Cytherea pedemontana Ag. » » » var. niaxima Bofili Tellina laamosa Chemn. » ventricosa Marc, de Serr. » platiata Linne. Psammobia uniradiata Brocchi. Clav a gell a cristata Lamk. Clypeaster sp. Ich habe bei meinem Besuch der Aufschlüsse bei Muro zahlreiche dieser von Bofili aufgezählten Arten wieder beob- achtet — auch Panopaea Menardi, die nicht von ihm, wohl Tertiärablagerungen des westlichen Mitteimeergebietes. 649 aber von Hermite angeführt wird und von der ich ein unge- wöhnlich großes Exemplar sammelte — freilich nur als Stein- kern, wie denn fast alle Reste von Muro lediglich in Hohl- drücken und Steinkernen erhalten sind. Ich muß mich der An- sicht anschließen, welche Bofill am Schlüsse seiner Arbeit mit den Worten ausspricht: »Com todo, dentro del Mioceno la fauna paleontolögica de Muro puede incluirse en el segundo piso mediterraneo par la facies que presente el cojunto de sus formas, comparada con la de las que se encuertran en nuestra regiön.« Es sind aber bei Muro zweifellos auch die Schichten der ersten Mediterranstufe vertreten. Dahin rechne ich vor allem die in SE von der genannten Ortschaft auftretenden groben Konglomerate, welche nach aufwärts allmählich in Sande und steinige Mergel und schließUch in Kalke über- gehen. Dann folgt der zuckerkörnige weiße Kalk, der südlich und südwestlich von Muro in zahlreichen Stein- brüchen abgebaut wird und bereits etliche Hohldrücke und Steinkerne der von Bofill aufgezählten Arten aufweist, während die Hauptmasse derselben im Hangenden, in gelb- grauen, von zahlreichen Hohlräumen, die oft mit rotgelbem Lehm erfüllt sind, durchsetzten Kalksteinen sich findet. Hier treten auch ganze Bänke von Cardiiim ednie auf, dem einzigen Conch}'!, welches neben den Austern und Pectinen zuweilen noch mit der Schale erhalten ist. Die Schichten der zweiten iMediterranstufe erstrecken sich aber, soweit es die Aufschlüsse zu beurteilen gestatten, von Muro mehrere Kilometer weit nach Westen. In den Einschnitten der Schmalspurbahn bei der Nachbarstation Llubi sind stark gestörte, gefaltete Tertiärschichten aufgeschlossen, welche aus feinen gelben Sanden, mit häufigen, lagenweise auftretenden festen Konkre- tionen bestehen. Versteinerungen sind selten, doch kommt Ostrea crassissima vor und zuweilen kann man in den härteren, kalkigen Einlagerungen Hohldrücke und Steinkerne wie bei Muro bemerken. Die Einschnitte bei Llubi sind nur 2 bis 3 ni tief, sie scheinen trotz der recht energischen Störungen und Faltungen auf längere Strecken immer dieselben Schichten aufzuschließen, zum mindesten war kein Gesteinswechsel zu bemerken. Von 650 R. Hoeines, Llubi bis zu der abermals 4kpn weiter westlich gelegenen Station Empalme ist das Terrain nur streckenweise durch kleinere Einschnitte aufgeschlossen, die ähnliche Verhältnisse zeigen, nur daß ab und zu kleine Pectines und Austern etwas häufiger sind. Bei Empalme selbst sind in den bis 5 w und darüber tiefen Einschnitten zunächst dieselben Sande mit kon- kretionären Lagen, dann darüber kurzklüftige Kalke und im Hangenden derselben Bänke von festem Kalkstein zu sehen, in welchen Ostrea crassissima ziemlich häufig vorkommt. Es scheint also schon aus diesem einen Beispiel hervorzugehen, daß die Schichten der zweiten Mediterranstufe auf Mallorca eine ungleich größere Verbreitung haben, als man nach der Fig. I. Aus dem Einschnitt bei der Station Llubi. a: gelber Sand mit lagenweise verteilten härteren, aus dem leichter zerstörbaren Material auswitternden Konkretionen. b: 20 bis 30 cm starke Lage von rotgelbem, terra rossaartigem Lehm. Darstellung durch Hermite vermuten sollte, denn es gehören eben, wie gleich zu erörtern sein wird, außer seinem Mittel- miozän mit Ostrea crassissima und seinem Obermiozän, in welchem er eine Vertretung der sarmatischen Stufe vermutete, auch ein Teil des Clypeasterkalkes zur zweiten Stufe. Die räumliche Trennung und Ausscheidung beider Mediterranstufen auf der Karte würde aber bei einer eventuellen Detailunter- suchung sehr große Schwierigkeiten bereiten, weil beide Serien konkordant gelagert sind, später starken Störungen durch Auf- richtung und Faltung unterlagen und endlich eine weitgehende Abtragung und Einebnung erlitten haben. Manche Teile Mallorcas machen vollkommen den Eindruck einer Ebene, doch zeigen die Steigungen der schmalspurigen Bahn, welche Tertiärablagerungen des westlichen Mittelmecrgebietes. 6ol in mehreren Verzweigungen die Insel durchzieht, daß man es keineswegs mit vollkommen ebenem Terrain zu tun hat und dann orientieren die Feinschnitte, welche durch die flachen Terrainwellen bedingt werden, über die steile Schichtstellung und Faltung der tertiären Schichten, welche man ohne diese Aufschlüsse kaum vermuten würde. Von besonderemi Interesse war die Untersuchung des von Herrn ite genau geschilderten Durchschnittes von Bellver bei Palma, weil dieselbe entscheidend für die Stellung des Miocene superieur Hermite's sein mußte. Es handelt sich dabei insbesondere um die Frage, ob, wie Hermite meint, die Schichten mit den kleinen Cerithien: Cerithütm picfttni, C. rtibiginosum etc., welche an der Mündung des Torrent Mal Pas zwischen Corp Mari und El Terreno anstehen, der sarmatischen Stufe zugerechnet werden dürfen. Nach Hermite's Schilderung, welche ich der Bedeutung der Frage wegen hier reproduziere, trifft man, von Corp Mari ausgehend, über den letzten Schichten mit Ostrea crassissima: A. 1. Marnes blanches avec Ostrea crassissima et beaucoup de petits cerites, 15 m: Cerithium riihiginosiim Eichw.? Cerithiunt äff. C. picttim ^ asi. B. 2. Marnes blanches, friables, avec quelques bancs calcaires, ä la partie superieure on observe beaucoup de cerites, 15 7?^. Les principales fossiles sont: Ringicula huccinea Brocc, Cerithiimi pictuni Bast., C. äff. C. rtibiginosum Eichw., Area hironica Duj., Janira suhhettedicta Font., Ostrea lamellosa Brocc. 3. Calcaire renfermant des gros galets, 4 in. 4. Calcaire gris, 12 ni. 5. Calcaire jaune renfermant de petits galets calcaires, 15 m. 652 R. Hoernes, 6. Calcaire assez dur avec cavites et presentant ä la partie SLiperieure quelques galets, 10 m. On y rencontre beaucoup d'empreintes de fossiles parmi lesquelles on reconnait les especes suivantes; Conus ventn'cosus Bronn., Mitra sp., Murex brandaris Linn., Amiilaria glandiformis Lamk., Lticina cohnnbella Lamk., Area dihivii Lamk,, Cardium äff. C. ednle Linn., Tellina lactmosa Chemn. Ce banc se trouve sur le bord du flanc gauche du torrent; il plonge de neuf degres au Sud-Est. 7. Calcaire jaune compacte assez dur, 3 in. 8. Calcaire dur avec galets calcaires, 5 in. 9. Marnes calcaires assez friables, 3 in. 10. Calcaire tres dur avec quelques empreintes fossiliferes, surtout ä la partie superieure (Tellina laeimosa, Lneina coltim- bella), 4 m. 1 L Calcaire jaunätre dur, 0'65 w. Contre ces assises viennent s'appuyer en stratification discordante des poudingues appartenant ä la formation quater- "naire. Ils acquierent une assez grande puissance ä la base de la colline de Bellver.<^ Die Gruppe A wird nun von Herrn ite noch den »Couch es ä Ostrea erassissima« zugewiesen, die Gruppe B als »Couch es ä Cerithitim«, die Gruppe C aber als »Calcaire de Bellver ä Tellina laetinosa, Lneina eolnmbella et Cardium edtde (var.)^< bezeichnet. Es ist also schon aus der Schilderung Hermite's selbst zur Genüge klar, daß die Schicht B nur eine Einlagerung in den Schichten der zweiten Mediterranstufe darstellt, in welcher ja auch sonst vielfach Cerithien aus den Gruppen des Cerithitim pietnm und des Cerithium rnbiginosum vorkommen. In der fraglichen Schicht B selbst nennt Hermite mehrere bezeich- nende marine Formen, wie Area ttironica, Janira stibbenedicta und Ostrea lamellosa. Endlich werden die fraglichen Cerithien- schichten von dem Schichtsystem des Bellverkalkes mit einer reichen, für die zweite Mediterranstufe bezeichnenden Fauna überlagert. Zu den schon von Hermite namhaft gemachten Formen kann ich auf Grund meiner Aufsammlungen noch ein weiteres sehr charakteristisches Fossil anführen, welches ich Tertiärablagerungen des westlichen Mittclmeergebietes. 653 sowohl fast unmittelbar beim Castel Bellver (200 Schritte nördlich von diesem), wie in etwas größerer Entfernung, nahe dem Nordende des Parkes von Bellver in Menge traf: Titrritella rotifera Lamk., an der zweiten Stelle noch mit Turritella gradata Menke vergesellschaftet. Beide fanden sich allerdings nur als Steinkerne und Hohldrücke im Kalkstein, aber so scharf ausgeprägt, daß an der Richtigkeit der Bestimmung nicht wohl gezweifelt werden kann. Nun ist Turritella rotifera Lamk., (= T-iirritella carniolica Stäche) eine derverbreitetsten und bezeichnendsten V^ersteinerungen des Vindobonien und kann schon nach dem Vorkommen dieser Art, die bei Castel Bellver ebenso zahlreich auftritt, wie im Sandstein des Montjuich, an der Zugehörigkeit des Bellverkalkes zur zweiten Mediterranstufe nicht gezweifelt werden. Damit fällt auch die Möglichkeit, in den tieferen Schichten mit den kleinen Cerithien ein Äquivalent der sarmatischen Stufe zu erkennen. So wie im Rhönetal ist zweifellos die sarmatische Stufe auch auf den Balearen durch eine Lücke in der Sedimentierung vertreten. Der damalige Tiefstand des Meeres bedingte eine weitgehende Erosionstätigkeit, die sich in der Abtragung des Reliefs der vorher gestörten und aufgerichteten Ablagerungen der ersten und zweiten Mediterranstufe sowie in dem Ein- schneiden von Erosionsrinnen bis unter das heutige Meeres- niveau ausspricht. Die Calas der Balearen liefern für die letztere Annahme sehr schöne Belege. Auf Mallorca bildet der kleine Hafenort von Manacor, Puerto Christo, ein Gegenstück zu den oben erörterten Verhältnissen der Häfen von Ciudadela und Mahön auf Menorca. Man sieht hier aber noch deutlicher, daß es sich um einen in die Kalkplatte eingeschnittenen, alten, serpentinisierenden Elußlauf handelt, in dessen letzte unter die Meeresfläche hinabreichenden Krümmungen das seither angestiegene Mittelmeer eingetreten ist. Die Eintiefung dieser Erosionstäler aber muß vor Schluß der Tertiärzeit erfolgt sein, denn das Meer der Quartärzeit stand, wie die Beobachtungen an zahlreichen Küsten des Mittelmeeres lehren und auch an den Ufern Mallorcas zu ersehen ist, höher als heutige Mittelmeer. 654 R. Hoernes, Zu den von Hermite gegebenen Ausführungen über jungtertiäre Binnenbildungen auf Mallorca vermag ich leider nichts hinzuzufügen. Eine Exkursion nach San Crespi (die beiden benachbarten Besitzungen dieses Namens liegen nahe der Straße, welche Manacor mit Puerto Christo verbindet) blieb insoferne resultatlos, als ich dort wohl weiche, mergelige Kalke und Tone fand, in denen ich aber vergeblich nach den von Hermite angegebenen Resten von Melanopsis und Cardium suchte. Sonst beobachtete ich nur ungefähr halben Weges zwischen den Stationen Llubi und Empalme einen kieseligen Süßwasserkalk mit undeutlichen Versteinerungen, der mög- licherweise dem durch Hermite von der Route Lluchmayor geschilderten gleichzustellen wäre. Auch hier handelt es sich nur um ein räumlich beschränktes, unvollkommen aufgeschlos- senes Vorkommen. Es mag dafür gestattet sein, ein paar Worte über die quartären Bildungen Mallorcas einzufügen. Hermite führt an, daß östlich von Palma, am Meeresstrand, und zwar teil- weise unter dem Spiegel des Meeres, teils in geringer Höhe über demselben, grobe Konglomerate anstehen, welche eine reiche marine Quartärfauna enthalten. Er gibt (p. 281 und 282 seines Werkes) eine ausführliche Liste, welche, mit Ausschluß des erloschenen Strombus mediterraneus Duclos, lauter noch heute im Mittelmeere lebende Formen aufzählt. Über diesen quartären Meeresbildungen tritt ein Sandstein mit Helices auf, der für die Bauten von Palma vielfach verwendete Mares, der auch hier bis zur Meeresfläche herab in Steinbrüchen abgebaut wurde. Hermite bemerkt, daß nur hier am Strande derMares- Sandstein über dem Konglomerat mit Strombus mediterraneus liege, sonst sei er in der Regel den Schichten mit Cardium edule (d. h. den Bellver Schichten) aufgelagert. Ich habe die quartären marinen Konglomerate mit ihrer bezeichnenden Fauna im Osten von Palma auf ziemlich weite Strecken verfolgt. Die Ablagerung zeichnet sich vor allem durch die Größe und Dickschaligkeit der Conchylien, zumal des Strouibus medi- terraneus, aus. Ich habe Exemplare derselben gesammelt, welche an Größe, Dickschaligkeit und kräftiger Skulptur voll- kommen dem im Atlantischen Ozean lebenden Strombus bubonins Tertiärablagerungen des westlichen Mittelmeergebietes. 655 gleichen. Auch die Schalen anderer Formen, wie Cardinin rnsii'cnm, Pectnnailns vioJascens, Purpura haeuiastoma, zeich- nen sich durch ihre ungewöhnhche Größe und Dickschaligkeit aus. Die ganze Ablagerung trägt eine Art subtropischen, dem heutigen Miltelmeere fremden Charakter. Ich möchte das be- tonen, weil sich die Notwendigkeit ergeben wird, die quartären Meeresbildungen des Mittelmeeres schärfer zu gliedern als dies bisher der Fall war. E. Suess stellt in seinem großen Werke »Das Antlitz der Erde« in dem die Geschichte des Mittelmeeres behandelnden Abschnitt eine dritte und eine vierte iMediter ranstufe auf. Die dritte entspricht der pliozänen Meeresfauna, die vierte wird durch das Eindringen »nordischer Gäste« gekennzeichnet. Es liegt nahe, dieses Eindringen nordischer Formen in Parallele zu bringen mit dem Eintreten der Eiszeit; doch läßt sich leicht zeigen, daß der Zeitpunkt dieses Eindringens von einem lokalen Ereignis, der Eröffnung der Straße von Gibraltar, abhängig war, also nicht genau mit dem Beginn oder dem Höhepunkte der Vereisung zusammenzufallen braucht. Immerhin ist es wahr- scheinlich, daß das Erscheinen der nordischen Gäste im Mittel- meere mit einer Kälteperiode zusammenfällt. Wir wissen aber jetzt, daß es mehrere, zum mindesten vier große Vereisungen während der Diluvialzeit gegeben hat und Zwischenzeiten, in welchen das Klima Mitteleuropas sogar ein besseres war als heute, wie das Vorkommen von Rhododendroji poniiciim und Bnxns sempervirens bei Innsbruck beweist. Es liegt gewiß nahe, die quartären Meeresbildungen mit Strombns inediter- raneus, der füglich als ein subtropischer Gast im Mittelmeere betrachtet werden darf, gleichfalls einer wärmeren Zvvischen- eiszeit zuzuweisen. Aus dieser Erwägung ergibt sich aber die fernere Möglichkeit, vielleicht durch genauere Verfolgung der in verschiedenen Niveaus über dem heutigen Meeresspiegel auftretenden quartären Meeresablagerungen des Mittelmeeres und sorgfältige vergleichende Untersuchung ihrer Fauna zu einer schärferen Gliederung, ja sogar zu Parallelen mit den auf dem Festlande durch die wiederholten Vereisungen fest- gestellten Zeitabschnitten zu gelangen. ö56 R. Hoernes, Hinsichtlich der Beziehungen des Mares-Sandsteines zu den quartären Meeresbildungen beobachtete ich an einer Stelle unweit der östlich von Palma gelegenen Küstenbatterie, daß hier das marine Konglomerat mit Stromhtis mediterraneiis eine wenige Dezimeter mächtige, sich anscheinend auskeilende Ein- lagerung im Mares bildet, beide Ablagerungen sonach als innig zusammenhängende Bildungen bezeichnet werden dürfen. Da- mit stimmt es gut überein, daß L. VidaP in den tiefsten Schichten des Mares von Coli d'en Rebassa Turritellen beob- achtete und daß Hermite bei Andraitx im Niveau des Meeres eine Mischung von Meeres- und Landconchylien im Mares beobachtet hat. Hermite führt (p. 286 seines Werkes) von dort folgende Reste aus dem Mares an: Cerithium scabrtim Olivi. Rissoina Bruguierei Payr. Turhonilla pusilla Phil. Helix Companyoiü Aleron. CycJostoma ferrtiginemn L a m k. Ich habe die Mares-Ablagerungen bei Coli d'en Rebassa, wo sie durch ausgedehnte Steinbrüche aufgeschlossen sind, näher untersucht. Der Betrieb der Steinbrüche hat hier etwas nachgelassen, weil der Mares von Rebassa von gröberem, un- gleichen Korn, löcherig und leichter zerstörbar ist; die Schmal- spurbahn aber, welche die ganzen niedrigen Tertiärgebiete Mallorcas durchzieht, Gelegenheit bietet, von verschiedenen Stellen feinkörnigeres, besseres Material zu erhalten. Allerdings ist dann auch die Färbung oft recht verschieden und die rosen- roten Ergänzungen einiger Strebepfeiler der alten Kathedrale kontrastieren mit dem gelbbraunen Tone der alten Mares- Quadern des Bauwerkes. Der Mares von Coli d'en Rebassa zeigt deutlich eine schräge Schichtung, welche ungefähr 40° nach SSE geneigt ist. Ich beobachtete etwa 4*50 bis b ni unter der heutigen Oberfläche das Durchsetzen einer horizontalen, rotgelben, 1 L. Vi dal, Excursion geolögica par la isla de Mallorca. Boletin de la comision del Mapa geolögico de Espana. VI. 1879. Tertiärablagerungcn des westlichen Mittelmeergebietes. 657 tonigen Lage, welche etwa 20 bis 60 cm stark, unregelmäßig in kleine Vertiefungen der unteren Mares-JNIasse eingriff, auch einzelne Fragmente von Marcs enthielt und nach oben ohne scharfe Grenze in die hangende Mares-Partie überging, welche die gleiche schräge Schichtung erkennen ließ wie die untere Abteilung, die an der Stelle, an welcher die unten wieder- gegebene Südwand eines Teiles der Steinbrüche skizziert wurde, 5 bis 6 in hoch über dem Schutte, der ihren unteren Teil verhüllt, sichtbar ist. An anderen Stellen reichen die Gruben, aus denen die Steine geholt werden, noch tiefer hinab. Fit Südwand eines Steinbruches von Coli d'en Rebassa. a Untere Partie des Mares-Sandsteines, 5 bis 6 in. b Rotgelbe, tonige Sandschicht mit ifg/Zce^, 0-20 bis 0'60 ;«. c Obere Partie des Mares-Sandsteines, 4' 50 bis 5 in. Sowohl die untere als die obere Partie des Marcs enthalten Schneckenschalen, aber selten vollständige Gehäuse, meist nur Fragmente und einzelne Lagen sind geradezu von selir kleinen Bruchstücken erfüllt. Die horizontal eingeschaltete rotgelbe, tonige Schicht aber enthält die schon von Hermite angeführte Fauna in zahlreichen, wohlerhaltenen Exemplaren. Die Ablage- rung dieser Schicht, welche einer Unterbrechung der Mares- Bildung entspricht, muß daher relativ ruhig vor sich gegangen sein. Unter der mir noch am ehesten den Verhältnissen ent- sprechend scheinenden Annahme, daß in der Mares-Bildung Sitzb. d. mathem.-naturw. Kl.; CXIV. Bd., />bt. I. 44 658 R. Hoernes, eine Deltaablagerung vorläge, würde die rotgelbe Zwischen- schicht, welche einigei'inaßen an die Terra rossa erinnert, einer Oszillation entsprechen, welche für einige Zeit Trockenlegung verursachte, später wäre dann wieder entgegengesetzte Bewe- gung und abermalige Aufschüttung erfolgt. Der Annahme einer Deltabildung scheint das Mangeln aller Meeresconchylien (mit Ausnahme der untersten Mares- Schichten) zu widersprechen, während Landconchylien in großer Menge auftreten. Bei der sehr gleichförmigen schrägen Schichtung scheint mir aber eine andere Annahme kaum zu- lässig. Eine Dünenbildung z. B. würde gewiß eine viel unregel- mäßigere und ungleiche schräge Schichtung verursacht haben, auch wäre bei einer solchen die Bildung einer horizontal diu'ch- laufenden Zwischenschicht nicht gut verständlich. Ich halte es für die Mares-Bildungen von Coli d'en Rebassa für möglich, daß sie als Deltaabsätze im quartären Meere gebildet worden sind, möchte aber keineswegs eine solche Entstehung für alle als »Marcs« bezeichneten Bildungen Mallorcas in Anspruch nehmen. So wie ein großer Teil der quartären Schotter werden auch die gleich alten Sande und Sandsteine als Landbildungen zu betrachten sein. Man müßte sonst entweder annehmen, daß das quartäre Meer bis 300 m über das Niveau des heutigen Mittelmeeres gereicht hätte, wogegen das Fehlen der Meeres- conchylien in den höheren Lagen und auch die bathymetrische Stellung der tatsächlich ungefähr im Niveau des heutigen Strandes auftretenden quartären Meeresbildungen mit Stromhiis inediterranciis spricht — oder daß seit dem Absätze der Mares- Schichten ungleichförmige Bewegungen stattfanden, welche dieselben in verschiedene Niveaus rückten. Die letztere An- nahme ist tatsächlich gemacht worden. R. Lozano erörterte in einer 1884 in Palma veröffentlichten Abhandlung, welche hauptsächlich die physikalische Geographie und die nutzbaren Gesteine und Minerale der hisel zum Gegen- stande hat, auch die geologischen Verhältnisse der Insel und spricht sich über die Entstehung des Mares folgendermaßen aus: »Dificil es esplicarse la presencia de esto lechos estratifi- cados marinos ä 300 metros sobre el nivel actual del mar y Tertiärablagerungen des westlichen Mittelmeergebietes. 659 adosados ä las rocas que hoy forman el suelo ä cuyas inflexi- ones se encuentran adaptados. Hay que convenir en que aquellas rocas se hallaban sumergidos durante la formacion del mar es y que se elevaron despues al nivel actual al par que en otros puntos enrasan hoy con el nivel del mar ö se elevan sobre el 2, 4, 10, 20, 50, 80 y hasta 300 metros segun la energia del movimiento que produjera este cambio de nivel. «^ Es scheint mir diese Hypothese allzu unwahrscheinlich, als daß ich mich mit ihrer Widerlegung eingehend beschäftigen möchte. Man könnte sich zur Stütze für derartige Ansichten viel- leicht (aber wohl mit Unrecht) auf die häufigen Erdbeben berufen, von welchen Mallorca heimgesucht wird. Erzherzog Ludwig Salvator berichtet,'- daß im Jahre 1660 die Dom- kirche von Palma durch ein Erdbeben stark beschädigt worden sei, auch in der Stadt und an anderen Orten der Insel habe das Beben Schaden verursacht. Im Jahre 1755 habe das große Beben von Lissabon die Kathedrale Palmas neuerdings be- schädigt. Im Jahre 1827 habe ein Erdbeben auf Mallorca statt- gefunden, bei welchem insbesondere die Pfarrkirche von Sineu gelitten hätte. Am 15. Mai des Jahres 1851 ereignete sich in Palma ein heftiges Erdbeben, das beträchtlichen Schaden ver- ursachte und eine Bebenperiode inaugurierte, welche bis zum 31. August 1852 dauerte. Die Stöße vom 15. Mai, 1. und 29. Juni, 30. August und 23. Dezember 1851 sowie jener vom 31. August 1852 werden als die bedeutendsten bezeichnet. An älteren Gebäuden Palmas, zumal an der Kathedrale sieht man denn auch heute noch unverkennbare Spuren heftiger Erderschütterungen. Die südliche Langseite des gewaltigen Domes läßt gerade in der Wölbung des durch seinen Skulpturen- schmuck ausgezeichneten spätgotischen Portales (Puerta del Mirador) gewaltige Sprünge erkennen. Die westliche Fassade des riesigen Gebäudes (die Gewölbespannung des Mittelschiffes ist die größte, welche gotische Kirchen aufweisen, sie beträgt von Pfeilerachse zu Pfeilerachse 19'5w) wurde im vorigen Jahrhundert neu aufgeführt. Ebenso hat die alte, große Kirclie 1 R. Lozano, Anotaciones fisicas }' geolögicas de la isla de Mailorca. Palma 1884, p. 63. 2 Die Balearen, II. Bd., 1871, p. 33 und 34. 44* 660 R. Hoernes, Tertiärablag, des westl. Alittelmeergebietes. St. Eulalia, die sich gegenwärtig im Zustande der Rel-con- striiktion befindet, eine neue Fassade erhalten. Abgesehen von der geringen Festigkeit und Widerstandskraft des Mares-Sand- steines mögen wohl die häufigen Beben an dieser auffallenden Baufälligkeit der großen Kirchen Palmas schuld tragen. Die häufigen Erderschütterungen der Balearen sind wohl ebenso wie die andalusischen Beben verursacht durch den Ein- bruch eines großen Kettengebirges, das in der jüngeren Tertiär- zeit aufgestaut wurde und seither stückweise zur Tiefe geht. Die Balearen erweisen sich auch durch diese noch heute an- dauernden Beben als ein Bruchstück der betischen Cordillera, mit der sie im Bau und in der geologischen Geschichte so große Übereinstimmung zeigen. Die Sitzungsberichte der mathem.-naturw. Klasse erscheinen vom Jahre 1888 (Band XCVII) an in folgenden vier gesonderten Abteilungen, welche auch einzeln bezogen werden können: Abteilung I. Enthält die Abhandlungen aus dem Gebiete der Mineralogie, Kristallographie, Botanik, Physio- logie der Pflanzen, Zoologie, Paläontologie, Geo- logie, Physischen Geographie und Reisen. Abteilung II a. Die Abhandlungen aus dem Gebiete der Mathematik, Astronomie, Physik, Meteorologie und Mechanik. Abteilung II b. Die Abhandlungen aus dem Gebiete der Chemie. Abteilung III. Die Abhandlungen aus dem Gebiete der Anatomie und Physiologie des Menschen und der Tiere sowie aus jenem der theoretischen Medizin. Von jenen in den Sitzungsberichten enthaltenen Abhand- lungen, zu deren Titel im Inhaltsverzeichnisse ein Preis bei- gesetzt ist, kommen Separatabdrücke in den Buchhandel und können durch die akademische Buchhandlung Alfred Holder, k. u. k. Hof- und Universitätsbuchhändler, zu dem angegebenen Preise bezogen werden. Die dem Gebiete der Chemie und verwandter Teile anderer Wissenschaften angehörigen Abhandlungen werden auch in besonderen Heften unter dem Titel: »Monatshefte für Chemie und verwandte Teile anderer Wissenschaften« heraus- gegeben. Der Pränumerationspreis für einen Jahrgang dieser Monatshefte beträgt 10 K oder 10 Mark. Der akademische Anzeiger, welcher nur Originalauszüge oder, wo diese fehlen, die Titel der vorgelegten Abhandlungen enthält, wird, wie bisher, acht Tage nach jeder Sitzung aus- gegeben. Der Preis des Jahrganges ist 3 K oder 3 Mark. SITZUNGSBERICHTE DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. MATHEMATISCH-NATURWISSENS CHAFTLICHE KLASSE. CXIV. BAND. VIII. HEFT. JAHRGANG 1905. — OKTOBER. ABTEILUNG I. ENTHÄLT DIE ABHANDLUNGEN AUS -DEM GEBIETE DER MINERALOGIE, KRISTALLOGRAPHIE, BOTANIK, PHYSIOLOGIE DER PFLANZEN, ZOOLOGIE, PALÄONTOLOGIE, GEOLOGIE, PHYSISCHEN GEOGRAPHIE UND REISEN. (MIT 4 TEXTFIGUREN.) ^' WIEN, 1905. AUS DER KAISERLICH-KÖNIGLICHEN HOF- UND STAATSDRUCKEREI. IN KOMMISSION BEI ALFRED HOLDER, K. U. K. HOF- UND UNIVERSITATSEUCHHANDLER, " BÜCHHÄNDLER DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. INHALT des 8. Heftes, Oktober 1905, des CXIV. Bandes, Abteilung" I, der Sitzungsberichte der matliem.-naturw. Klasse. Seite Diener C, Über einige Konvergenzerscheinungen bei triadischen Ammo- neen. [Preis : 50 h = 50 Pfg.l 663 Pöch R., Zweiter Bericht über meine Reise nach Neu-Guinea über die Zeit vom 26. März 1905 bis zum 21. Juni (Bismarck-Archipel, 20. März bis 14. Juni) 1905. [Preis: 30 h = 30 Pfg.J 689 Suess E., Über das Inntal bei Nauders. [Preis : 80 h = 80 Pfg.] .... 699 Hoernes R., Untersuchung der jüngeren Tertiärgebilde des westlichen Mittelmeergebietes. (III. Reisebericht.) (Mit 4 Textfiguren.) [Preis: 60 h = 60 Pfg.] 737 Diener C, Entwurf einer Systematik der Ceratitiden des Muschelkalkes. [Preis: 80 h = 80 Pfg.] 765 Preis des ganzen Heftes: 2 K 70 h = 2 Mk. 70 Pfg. SITZUNGSBERICHTE DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. MATHEMATISCH - NATURWISSENSCHAFTLICHE KLASSE. CXIV. BAND. VIII. HEFT. ABTEILUNG I. ENTHÄLT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER MINERALOGIE, KRISTALLOGRAPHIE, BOTANIK, PHYSIOLOGIE DER PFLANZEN, ZOOLOGIE, PALÄONTOLOGIE, GEOLOGIE, PHYSISCHEN GEOGRAPHIE UND REISEN. 45 663 Ober einige Konvergenzerseheinungen bei triadisehen Ammoneen von Prof. C. Diener, (Vorgelegt in der Sitzung am 12. Oktober 1905.) Es ist eine seit langer Zeit bekannte Tatsaclie, daß in den Ammonitenfaunen verschiedener geologischer Epochen gelegentlich Formen auftreten, die durch eine überraschende Ähnlichkeit in ihrer äußeren Gestalt auffallen, ohne daß ein genetisch engerer Zusammenhang zwischen denselben an- genommen werden könnte. E. V. Mojsisovics sieht speziell bei den triadischen Ammonitiden geradezu »eine Fehlerquelle für phylogenetische Zusammenstellungen darin, daß verschiedene Stämme zu ver- schiedenen Zeiten in ganz ähnlicher Weise abändern«.^ Es braucht hier nur darauf hingewiesen zu werden, daß bei den Ammoniten mit annähernd glatter Schale der einfach röhren- förmige und der globose, enggenabelte Typus mit ganz gleichen Merkmalen zu sehr verschiedenen Zeiten und bei keineswegs phylogenetisch verbundenen Stämmen wiederkehren. Ein de- vonisches Tornoceras, ein carbonisches oder permisches Popanoceras, ein triadischer Arcestes oder Didymites sind nach der Beschaffenheit ihres Gehäuses ohne Kenntnis der allerdings sehr erheblich abweichenden Suturlinien nicht zu unterscheiden. Wie nahe Lytoceras in seinen äußeren Merkmalen gewissen devonischen Clymenien und Goniatiten (Mimoceras, Gephy- rocerasj steht, ist bereits von E. v. Mojsisovics ^ betont 1 E. V. Moj si.sovics, Vorläufige, kurze Übersicht der Ammoniten- gattungen der mediterranen und juvavischen Trias. Abhandl. der k. k. Geol. Reichsanstalt, 1879, p. 137. 2 E. V. Mojsisovics, Die Cephaiopoden der Hallstätter Kalke. Ab- handl der k. k. Geol. Reichsanstalt, VI/1, p. 31. 45* 664 C. Diener, worden. In allen diesen Fällen handelt es sich lediglich um Konvergenzerscheinungen, da ein phylogenetischer Zusammen- hang zwischen den genannten Typen nicht nachweisbar, sogar im höchsten Grade unwahrscheinlich ist, wobei allerdings die Frage außer Betracht bleiben muß, ob jene weitgehende Über- einstimmung in den äußeren Merkmalen auf Anpassung an bestimmte, die Form und Oberflächenbeschaffenheit der Schale beeinflussende Verhältnisse zurückgeführt werden darf. Viel auffallender als derartige Übereinstimmungen in der Schalenform skulpturloser Ammoniten sind gewisse Kon- vergenzen, die zwischen einigen Ammonitengattungen mit zum Teil sehr hoch entwickelter Ornamentierung bestehen. Ich habe in den letzten zwölf Jahren auf Grund der Bearbeitung eines sehr umfangreichen Cephalopodenmaterials aus der Trias des Himalaya eine nicht geringe Anzahl solcher Konvergenzen von sehr mannigfaltiger Art und Bedeutung kennen gelernt. Das faunistische Material, auf das sich die hier mitgeteilten Beobachtungen stützen, ist in den Bänden II und V der XV. Serie der Palaeontologia Indica (Memoirs of the Geological Survey of India, Himalayan Fossils) beschrieben und zur Abbildung gebracht. Auf die in diesen beiden Bänden enthaltenen Mono- graphien der Faunen der unteren Trias, des Muschelkalkes und der Tropitenkalke von Byans muß bezüglich aller Details und auch der Ab^bildungen der hier zitierten Formen verwiesen werden. In eine erste Reihe von Konvergenzerscheinungen gehört die überraschende Ähnlichkeit des Gehäuses einiger triadischen Ammonitenformen mit solchen des Lias und Jura. Das auffallendste Beispiel für diese Art von Konvergenz bietet eine Ammonitenform aus den Tropitenkalken von Kala- pani, die ich in dem ersten Teile des fünften Bandes der Himalayan Fossils unter dem Namen Tropiceltites arietitoides beschrieben und (PI. III, Fig. 12) abgebildet habe. Von den alpinen Vertretern der Gattung Tropiceltites unterscheidet sich die indische Art allerdings nicht unerheblich durch ihre be- deutende Größe. Während alle Hallstätter Repräsentanten von Tropiceltites, wie T. arietitiformis v. Mojsisovics (Cephalo- poden der Hallstätter Kalke, Abhandlung der k. k. Geol. Reichs- Konvergenzerscheinungen bei tiiadischen Ammoneen. 665 anstalt, VI/2, p. 385, Taf. CXXI, Fig. 39, 40) oder T. minimiis E. V. Mojsisovics (ibidem, p. 385, Taf. CXXI, Fig. 42), die man speziell zu einem Vergleiche heranziehen könnte, Zwerg- formen sind, deren Durchmesser eine Länge von 25 mm nicht überschreitet, erreichtdas Originalexemplar des T.arietitoidesvov Kalapani einen Durchmesser von 69 mm bei einer Windungs- höhe von 16*5 mm. Wäre dieses Stück in Schichten von liasi- schem Alter gefunden worden, so würde wohl niemand Be- denken tragen, dasselbe mit einer Spezies der Gattung Arietites Waagen (im weiteren Sinne) zu identifizieren. Amuionites longidormis Quenstedt (Die Ammoniten des schwäbischen Jura, I., p. 50, Taf. VI, Fig. 1, 2) aus dem unteren Lias von Württemberg gleicht der indischen Art durchaus, sowohl in Bezug auf die Involutionsverhältnisse des Gehäuses als im Besitze eines hohen, von tiefen Externfurchen begleiteten Mittelkiels, der schon bei einem Schalendurchmesser von 13 mm deutlich entwickelt ist, und einer aus scharfen, einfachen, in derUmbilikalregion kräftig hervortretenden Rippen bestehenden Lateralskulptur. Erst die Untersuchung der der Beobachtung nur sehr schwer zugänglichen Suturlinie überzeugte mich davon, daß von einer Verwandtschaft dieses Ammoniten mit den liasischen Arietidae trotz der überraschenden äußeren Ähnlichkeit keine Rede sein könne. Die Loben, soweit sie überhaupt sichtbar gemacht werden konnten, erwiesen sich als ceratitisch, somit sehr weit abweichend von dem reich zer- schlitzten Lobentypus von Arietites. Kaum weniger auffallend ist die äußere Ähnlichkeit eines anderen Ammoniten mit ceratitischen Loben aus den Tropiten- kalken von Kalapani mit jurassischen Harpoceraten. Es handelt sich hier um jene Art, die von E. v. Mojsisovics als Thishitcs Meleagri (Upper triassic Cephalopoda, Himälayan Foss., Vol. III, Pt. 1, p. 56, PI. XIV, Fig. 10) beschrieben wurde. E. v. Mojsi- sovics hatte nur innere Kerne von sehr kleinen Dimensionen zur Verfügung. Erwachsene, mit Wohnkammern versehene Exem- plare, wie ich sie in der Monographie der Fauna des Tropiten- kalkes, PI. XI, Fig. 17, abgebildet habe, erreichen eine viel erheblichere Größe und entfernen sich dadurch einigermaßen von den alpinen Vertretern der Untergattung Thisbites, die aus- 666 C. Diener, nahmslos Zvvergformen sind. Die einfach ceratitischen Loben mit den ganzrandigen Sätteln und die I<:urze Wohnkammer gestatten unschwer eine Unterscheidung von Eutomoceras Hyatt, mit dem ebenfalls eine gewisse äußere Ähnlichkeit be- steht. Die Flanken tragen zahlreiche, bald gröbere, bald zarteie Sichelrippen. Der scharfe, deutlich abgesetzte Mediankiel ent- springt, wie bei Lioceras oder Hypolioceras, aus einer ver- hältnismäßig breiten Externseite. Auf die Involutionsverhältnisse und aut die Flanken- skulptur beschränkt sich die in dieser Richtung allerdings sehr auffallende morphologische Ähnlichkeit der Untergattung TracJtypleuraspidites mit Vertretern des jurassischen Genus ReinecMa. Trachyplearaspidites Grifßthi aus dem Tropitenkalk von Byans (vergl. die Abbildungen PI. VI, Fig. 3, PI. XI, Fig. 26) zeigt im Jugendstadium einfache Flankenrippen, die weiter außen in kräftigen Lateralknoten sich gabeln und auf der Externseite durch eine Furche unterbrochen sind. Allerdings ist diese Furche bei Trachypleiiraspidites nicht einfach wie bei Rehieckia, sondern durch zwei Längskiele geteilt Alle bisher aufgezählten Konvergenzerscheinungen be- schränken sich auf Übereinstimmungen in der äußeren Gestalt und den Skulpturverhältnissen des Gehäuses, während tief- greifende Unterschiede im Bau der Suturlinien sofort die genetische Verschiedenheit der morphologisch ähnlichen Formen erkennen lassen. In diese Gruppe von Konvergenzen gehören auch die Ähnlichkeiten von Celtites mit Psiloceras, von Sihirites mit Peltoceras, von Tropites mit Psetidotropites.^ Einen einigermaßen abweichenden Charakter trägt die seit langem bekannte Konvergenz zwischen den Ägoceratiden des Lias und der triadischen Ammonitengattung Gymnites Mojs. Waagen ^ hatte ursprünglich bei der Aufstellung der Gattung Aegoceras außer den Capricorniern, Psilonoten und Angulaten Quenstedt's zu diesem Genus auch einige triadische Ammo- 1 F. Waehner, Beiträge zur Kenntnis der tieferen Zonen des unteren Lias in den nordöstlichen Alpen, VII. Teil, Beiträge zur Paläontologie und Geologie Österreich-Ungarns etc. IX. Bd., 1895, p. 24. 2 W. Waagen, Die Formenreihe des Ammonites snbradiatus. Geognost. pal. Beiträge von Be necke etc., II., p. 247. Konvergenzerscheinungen bei triadischen Ammoneen. 667 niten wie A. incnltns gerechnet, für die E. v. Mojsisovics im Jahre 1882 den neuen Gattungsnamen Gymnites in Vor- schlag brachte.^ Hyatt'^ ist so weit gegangen, den Waagen- schen Gattungsnamen Aegoceras auf die Formenreihe des Ammonites iiiciilhis Beyrich beschränken zu wollen, obu'ohl Waagen bei der Aufstellung seines neuen Genus in erster Linie die Capricornier im Auge hatte. Ich glaube nicht, daß irgend ein Paläontologe, der sich mit dem Studium mesozoischer Ammoniten beschäftigt, Hyatt in dieser Fassung des Genus Aegoceras und der FamiHe dev Aegoceratidae zu folgen geneigt sein dürfte. Über die systematische Stellung von Gymnites, der ur- sprünglich mit den Psilonoten in Zusammenhang gebracht worden war, sind die Meinungen heute wohl nicht mehr geteilt. E. V. Mojsisovics stellt jede phylogenetische Beziehung zwischen Gymnites und den Aegoceratidae Neumayr's ent- schieden in Abrede. Er weist auf die Tendenz der geologisch jüngeren Gymniten zu einer starken Einrollung der flachen, hochmündigen, äußerlich viel eher an Pinacocevas erinnernden Gehäuse, auf die Ungleichwertigkeit des Suspensivlobus von Gymnites und Psiloceras, endlich auf den verschiedenen Charakter der Sattelzacken in der Suturlinie beider Gattungen hin. Allerdings beziehen sich seine Einwendungen gegen einen genetischen Zusammenhang der Gymniten mit der Familie der Aegoceratidae mehr auf Psiloceras und ScMotheintia als auf Aegoceras s. s. K. v. Zittel, der zuerst (Handbuch der Palä- ontologie, II. Bd., 1885) der Ansicht von E. v. Mojsisovics beipflichtete, hat vorübergehend im Jahre 1895 ^ die entgegen- gesetzte Auffassung akzeptiert, der zufolge Gymnites in der Tat als Stammform der liasischen Agoceratiden anzusehen wäre, ist aber seither zu der ersten Auffassung zurückgekehrt,'^ indem er sich E. v. Mojsisovics in der Meinung anschloß, 1 E. V. Mojsisovics, Die Cephalopoden der mediterranen Triaspro\dnz, Abhandl der k. k. Geol. Reichsanstalt, X., p. 230. - A. Hyatt, »Cephalopoda« in Zittel's Text-book of Palaeontology, English edition, London 1900, L, p. 557. 3 Grundzüge der Paläontologie, 1. Aufl., p. 415. 4 Grundzüge der Paläontologie, 2. Aufl., p. 445. 668 C. Diener, daß die Ägoceratiden von Phylloceratiden abzuleiten seien. Der vollständige Übergang der Lobenlinie von Mojsvarites Clio zu PsiJoceras planorboiäe und zu Psiloceras calliphylhmi. läßt in der Tat kaum eine andere Schlußfolgerung zu. Einen Beitrag zu der Frage der Konvergenzerscheinungen zwischen Gymiiites und den Ägoceratiden scheint mir eine neue Art von Gynmites aus dem indischen Muschelkalk zu liefern. Diese Art, die ich als G. Mmidiua im fünften Bande der »Himalayan Fossils« (Part 2, PI. XV, Fig. 1) beschrieben und abgebildet habe, stimmt in der Gestalt der gekammerten Teile des Gehäuses mit G. incuJUis Beyrich nahe überein. Auf der Wohnkammer dagegen erleiden Querschnittsverhält- nisse und Skulptur eine sehr auffallende Abänderung. Der Querschnitt nimmt erheblich an Breite zu, wird viereckig, von flachen, nur gegen die Nabelregion mäßig gewölbten Seiten und einer breiten, abgeflachten Externseite begrenzt. Zugleich stellen sich auf den Flanken sehr kräftige, gerade verlaufende Querrippen ein, die am Marginalrande ihre größte Stärke er- reichen und sich auf der Externseite ein wenig verbreitern, ohne dieselbe indessen zu überschreiten. Durch diese Querschnittsverhältnisse und Skulptur im Wohnkammerbezirk der Röhre von Gymnites Mandiva entsteht eine ziemlich bedeutende äußere Ähnlichkeit mit Aegoceras. Aber auch die Zackung der Suiurlinie erreicht nicht jenen Charakter reicher Zerschlitzung wie bei den hochentwickelten Vertretern der Gattung, z. B. bei G. hicuJtns und G. Palmai, die vielfach verästelte Sättel mit zackigen, eckigen Endigungen besitzen. Bei G. Mandiva erhält nur der Externsattel durch die Entwicklung eines äußeren Seitenzweiges das Gepräge einer reicheren Zerschlitzung, sonst sind die breiten Sattelstämme lediglich durch tief einspringende Kerben mit elliptischen Blättern gegliedert, so daß auch der Gesamthabitus der Loben- linie hier mehr als bei einem anderen Vertreter der Gattung Gymnites an Psiloceras erinnert. Der Suspensivlobus freilich trägt alle Merkmale des gleichen Suturelements bei Gymnites und nicht bei Psiloceras. Der zweite Laterallobus ist sehr deutlich individualisiert und erst der zweite Lateralsattel mit den Auxiliarloben zu einem schräge gegen die Naht abfallenden Konvergenzerscheinungen bei tritidischen Ammoneen. 669 Lobus verschmolzen. Überhaupt habe ich bei allen von mir bisher untersuchten Arten von Gynmites den zweiten Lateral- lobus stets wohl entwickelt und niemals mit den nachfolgenden Suturelementen zu einem einheitlichen Nahtlobus \'erschmolzen gefunden. Ich kann also der Ansicht von E. v. Mojsisovics. der in diesem Merkmal einen durchgreifenden Unterschied zwischen den Loben von Gymnites und Psiloceras erblickt, nur durchaus beipflichten, möchte jedoch an der Bezeichnung »Suspensivlobus« für den Nahtlobus von Gynmites gleichwohl festhalten, da auch der schräge herabhängende Nahtlobus der Gymniten das wesentliche Merkmal eines Suspensivlobus — Verschmelzung mehrerer ungleichwertiger Suturelemente, in diesem Falle des zweiten Lateralsattels mit den Auxiliaren — an sich trägt. Eine auffallendere Konvergenz als zwischen Gymnites \ix\c\ gewissen Ägoceratiden (Psiloceras, Aegoceras) scheint auch zwischen Entomoceras denudatnni Mojs. und der Gattung Oxynoticeras zu bestehen. E. V. Mojsisovics ^ hat mit Recht auf die Ähnlichkeit der triadischen Art aus den oberkarnischen SubbuUatus-Schichten des Salzkammergutes mit Oxynoticeras oxyuottini Quenstedt hingewiesen. Das Gehäuse ist nahezu glattschalig, nur mit sehr schwachen Sichelrippen bedeckt und schärft sich allmählich zu einem schneidigen Externteil zu. In der Suturlinie erweist sich der Externlobus als sehr breit und tief, der Externsattel als doppelgipfelig, der zweite Lateralsattel als undeutlich in- dividualisiert und mit der Reihe der Auxiliarloben ver- schmolzen. »Das nahezu glattschalige Gehäuse« — sagt E. v. Mojsi- sovics — »und in noch weit höherem Grade die Loben er- innern so sehr an liasische Formen der Gattung Oxynoticeras, daß man sich versucht fühlt, diesen Gattungsnamen in An- wendung zu bringen.« 1 E. V. Mojsisovics, Die Cephalopoden der Hallstädter Kalke. Ab- handl. der k. k. Geol. Reichsanstalt, VI/2, p. 291. Man vergleiche auch die Lobenlinie von Platytes negUctiis Mojsisovics, ibidem VI/1, Taf. XXVII, Fig. 2, und die Bemerkungen, Supplementband, p. 333. 670 C. Diener, Die Übereinstimmung des Etitomoceras denndatnm mit typischen Repräsentanten des Genus Oxymoticeras in Gestalt des Gehäuses, Skulptur und Lobenlinie ist in der Tat eine so weitgehende, daß die Frage, ob hier bloße Konvergenz oder eine engere phylogenetische Beziehung vorliegt, nicht von der Hand gewiesen werden kann. Man könnte allerdings als unter- scheidendes Merkmal gegeniiber Oxynoticeras den Besitz einer langen Wohnkammer bei Etitomoceras geltend machen, aber abgesehen davon, daß bei dem einzigen bekannten Exemplar von E. demidatiim die Länge der Wohnkammer sich nicht mit Sicherheit ermitteln läßt, sind bei Ammonitengattungen des jüngeren Mesozoikums Unterschiede in der Wohnkammerlänge wohl kaum mehr als Unterscheidungsmerkmale erster Ordnung zu verwerten, die nähere verwandtschaftliche Beziehungen zwischen den betreffenden Gattungen ausschließen würden. Es sei in dieser Beziehung nur an das brevidome Lytoceras und den longidomen Costidiscns erinnert, zwei Gattungen, deren enge verwandtschaftliche Beziehungen wohl kaum in Frage gestellt werden dürften. Die Zugehörigkeit von Entomoceras denudaUim, das übrigens von allen anderen Repräsentanten des Genus Eiitouio- ceras, insbesondere im Bau der Suturlinie erheblich abweicht, zu Oxynoticeras könnte um so eher in Erwägung gezogen werden, als die Gattung Oxynoticeras zu den langlebigsten Ammonitengattungen des Mesozoikums gehört, die vom Lias bis in die untere Kreide hinaufreicht.^ Während bei Entomoceras denndatnm die Frage vorläufig offen bleiben mag, ob ein genetisch engerer Zusammenhang zwischen dieser Spezies und der Gattung Oxynoticeras oder lediglich eine Konvergenz sehr weitgehender Art besteht, scheint mir in einigen anderen Fällen eine Entscheidung im Sinne der ersteren Alternative gegeben werden zu sollen. 1 Ich halte eine Abtrennung unterkretazischer Formen, z. B. des Oxy- noticeras calemilatnm von Oxynoticeras für nicht genügend begründet. Sie unter- scheiden sich von den typischen Arten des Lias und Dogger nur durch un- erhebliche Speziesmerkmale. Konvergenzerscheiiiungen bei triadischen Ammoneen. 671 Der erste der hier zu besprechenden Fälle betrifft die Beziehungen der arktischen Gruppe der Ceratites genimati {Gymnotoceras Hyatt) zu den obertriadischen Subgenera Thisbites und Parathishites Mojs. Schon E. V. Mojsisovics (I.e., p. 399) hat die Ähnlichkeit von Gymnotoceras und Thishites betont. In dem von mir be- arbeiteten Triasmaterial aus den Tropitenkalken von Byans findet sich eine Art, die ich als Parathishites nodiger nov. sp. (PI. XI, Fig. 21) beschrieben und abgebildet habe, die einer Spezies von Gymnotoceras, nämlich dem zuerst von Lind- stroem^ aus dem Daonellenkalk von Spitzbergen beschriebenen Ceratites laqueatus sehr nahe steht. Die Abbildung, die E. V. Mojsisovics- von dem Originalstück Lindstroem's gegeben hat, zeigt einen Ammoniten mit ceratitischen Loben, der ein Abbild des zwerghaften Parathishites nodiger in ge- waltig vergrößerten Dimensionen darstellt. In beiden sind sichelförmige Rippen und Marginalknoten das vorherrschende Skulpturelement. Dazu kommen auf der Wohnkammer einige plumpe Umbilikalknoten. Die Rippen überschreiten die flach gewölbte Externseite und den niedrigen Mediankiel in der Gestalt vorwärts gerichteter, scharf umrissener Externlappen. Diese Externlappen sind bei Ceratites taqueatus eine direkte Fortsetzung der Lateralrippe, genau wie bei Parathishites und entsprechen keineswegs transitorischen Mundrändern oder Paulostomen, die von der Flankenskulptur unabhängig ver- laufen, wie z. B. bei dem echten Ceratites (Gymnotoceras) geminatiis Mojs. oder bei C. Nathorsti Mojs. Ich bin der Meinung, daß die große Übereinstimmung des Ceratites laqueatus mit Parathishites nodiger nicht als eine Konvergenzerscheinung aufzufassen sei, sondern möchte in Ceratites laqueatus, aus Bildungen vom Alter des Muschel- kalkes, den unmittelbaren Vorläufer der obertriadischen Para- thisbiten erblicken. 1 Abhandl. der königl. schwedischen Akad. d. Wissensch., Stockhohn, Bd. VI, Nr. 6, p. 5, Taf. II, Fig. 3, 4. 2 E. V. Mojsisovics, Arktische Triasfaunen. Mem. de l'Acad. Imper. des Sciences de St. Petersbourg, 7ieme ser., 1886, T. XXXIII, No. 6, p. 51, Taf. IX, Fig. 2. 672 C. Diener, Kaum weniger auffallend und wohl in dem gleichen Sinne zu deuten sind die Beziehungen zwischen Bnddhaites Rama Diener und einer neuen Art von Pinacoceras aus dem Muschelkalk von B3^ans, die als P. Loomisii im zweiten Teile des fünften Bandes der »Himalaj/an Fossils« (PI. XVII, Fig. 1—3) zur Abbildung gebracht wird. In der älteren Literatur über die indische Trias ist wieder- holt von Ammoniten die Rede, die mit dem bekannten Carnites floridiis Wulf, der Ostalpen identifiziert werden. Ed. Suess, Salter und Stoliczka sind in den durch die weite Fassung des damals herrschenden Artbegriffes bei Cephalopoden wohl erklärlichen Irrtum einer solchen Identifizierung verfallen. E. V. Mojsisovics und ich haben gezeigt, daß der Name Carnites floridtis vorwiegend zwei untereinander wesentlich verschiedenen Arten der Himalayatrias beigelegt worden ist, von denen die eine dem Muschelkalk angehört und der Gattung Gymnites nahe steht, während die andere aus karnischen Bildungen stammt. Ich habe im Jahre 1895 die ersiere als Bnddhaites Rama ^ beschrieben und von einer ziemlich be- trächtlichen Zahl von Lokalitäten als ein wichtiges Leitfossil des indischen Muschelkalkes namhaft gemacht. Bnddhaites Rama, von dem mir ein reiches, zum Teil vorzüglich erhaltenes Material zur Untersuchung vorlag, schließt sich enge an Gymnites an. Er ist in seinen Jugend- stadien ein echter Gymnit, mit langsam anwachsenden Windungen, einem mäßig weiten Nabel und gerundeter Externseite. Erst bei einer Windungshöhe von 8 mm treten sehr erhebliche Veränderungen ein. Die Höhe der Windung und die Involution nehmen rasch zu, der Nabel verengt sich und die Externseite wird schneidig zugeschärft. So entsteht im Alter eine auffallende Ähnlichkeit mit Carnites und noch mehr mit Pinacoceras. Die Annäherung an Pinacoceras macht sich auch in der Ausbildung der Lobenlinie geltend. Wie viele Gymniten, be- sitzt auch Bnddhaites Rama schon im Jugendstadium einen i Himalayan Fossils, Vol. II, Pt. 2, Cephalopoda of the Muschelkalk, p. 59, PI. XII, Fig. 2, PI. XIII, Fig. 1, 2. Konvergenzerscheinungen bei triadischen Ammoneen. 673 kräftig entwickelten äußeren Seitenast des Externsattels. Bei ausgewachsenen Exemplaren (PI. XIV, Fig. 1) kann dieser Seitenast des Externsattels sich so weit individualisieren, daß er den Charakter eines Adventivelementes annimmt. Im Muschelkalk von Byans hat sich nun ein sehr reiches Material von flachen, hochmündigen Ammoniten mit engem Nabel und messerscharfer Externseite gefunden, bei welchen die Individualisierung des Außenastes am Externsattel schon sehr frühe zur Bildung eines Adventivsattels fortschreitet. Diese Ammoniten, die in allen äußeren Merkmalen mit Biidd- liaites Ramci übereinstimmen, müssen auf Grund des Besitzes eines echten Adventivelementes zu der Gattung Pinacoceras gestellt werden. Erwachsene Exemplare von Pinacoceras Loomisii, wie ich diese Art genannt habe, sind von Bndd- haites Rama nur sehr schwer zu trennen. Die Ontogcnie liefert allerdings Anhaltspunkte für eine solche Trennung, da auch die Zuschärfung der Externseite bei Pinacoceras Looniisii, ebenso wie das Auftreten des Adventivsattels sich schon in sehr frühen Wachstumsstadien einstellt. Ich glaube, daß die Übereinstimmung von Btiddliaites Rama und Pinacoceras Loomisii in allen wesentlichen Merk- malen — von den ersten Windungen abgesehen — nicht als Konvergenz betrachtet werden darf, sondern daß beide Formen in einem sehr engen genetischen Zusammenhange stehen. Schon E. V. Mojsisovics hat mit Recht daraufhingewiesen, daß auch eine andere Gattung der Pinacoceratidae, Placites (Gruppe des Pinacoceras platyphyllum) nahe Beziehungen zu Gynnnites snhclansiis v. Hauer aufweist. Unter den echten Pinacoceraten ist es insbesondere die Gruppe des Pinacoceras trochoides Mojs. und in dieser selbst wieder Pinacoceras aspidoides Diener (Beiträge zur Geologie und Paläontologie Österreichs-Ungarns etc., Bd. XIII, p. 19, Taf. I, Fig. 5, 6), das in seiner Sutur — nur zwei Adventivloben, schräger Abfall der Suturlinie zur Naht — und in seiner Skulptur — Entwicklung einer Spiralleiste auf den Flanken — nahe Beziehungen zu Gymnites verrät. Wenn wir in Gyninites in der Tat den Vor- läufer gewisser Pinacoceraten und in Biiddhaites ein Über- gangsglied zwischen Gymnites und Pinacoceras erblicken 674 C.Diener, dürfen, dann würde sich die Ensteliung der Adventivelemente bei diesen Formen allerdings in ganz anderer Weise voll- ziehen als in der von Noetling^ bei dem untertriadischen Sageccras mnltilobatiini geschilderten Art. Während bei vS. niultilobatitm die Adventivelemente aus dem Externlobus, beziehungsweise aus dem im Externlobus sekundär ent- standenen IVIediansattel hervorgehen, entwickeln sie sich bei Pinacoceras aus dem Externsattel durch Abspaltung von Außenästen, die sich später individualisieren. Schwieriger erscheint mir dagegen die Entscheidung der Frage, ob äußere Ähnlichkeit auf Konvergenz oder auf gene- tischen Beziehungen beruht, in einem anderen Falle, der in der paläontologischen Literatur bereits wiederholt zu Dis- kussionen Anlaß geboten hat. Dieser Fall betrifft die Be- ziehungen der Gattung BeyricJiites Waagen zu der Gruppe der Ptychites ßextiosi. Die typische Art der Gattung Beyrichites, B. reiittensis Beyr. aus dem alpinen Muschelkalk, bietet in Gestalt und Skulptur die größte Analogie mit Ptychites ßexnosus Mojs, F. V. Hauer- erzählt, wie er ganz zufällig in einem umfang- reichen Material von Ptychiten aus dem bosnischen Muschel- kalk von Han Bulog ein Exemplar fand, das auf Grund der Untersuchung der Lobenlinie sich als zu Beyrichites reiittensis gehörig erwies, in seiner Form und Ornamentierung jedoch von den Ptychiten, mit denen es zusammengeworfen worden war, nicht zu untei scheiden war. Auch ich habe mich auf Grund dieser Erfahrung F. v. Hauer's veranlaßt gesehen, bei der Untersuchung der Cephalopodenfauna der Schiechling- höhe bei Hallstatt alle Exemplare von Ptychites ßexnosus auf die Beschaffenheit ihrer Sutur zu prüfen, ehe ich die Abwesen- heit von Beyrichites in jener Fauna zu konstatieren wagte. Die Beschaffenheit der Suturlinie ist in der Tat das einzige Merkmal, das eine Unterscheidung beider äußerlich so 1 F. Noetling, Untersuchungen über den Bau der Lobenlinie von Sagcceras multilobaUiin. Palaeontographica, 51. Bd., Lief. 5, 6. 2 F. V. Hauer, Beiträge zur Kenntnis der Cephalopoden aus der Trias von Bosnien. L Neue Funde aus dem Muschelkall^ von Han Bulog bei Sarajevo. Denkschr. d. kais. Akad. d. Wiss. LIX, p. 281. Konvergenzerscheinungen bei triadischen Ammoneen. 675 ähnlicher Arten gestattet. Die Lobenlinie von Beyrichites renitensis unterscheidet sich von jener der Ceratiten nur durch die brachyphylle Zerschlitzung der Sättel, die bis zu den Sattelköpfen hinauf gekerbt sind. Ferner mißt Philippi^ dem Umstände, daß der Externsattel dem ersten Lateralsattel an Größe nachsteht, eine gewisse Bedeutung bei. Die Ähnlichkeit im Habitus zwischen Beyrichites und Ptycliites hat die Mehrzahl der Systematiker veranlaßt, nahe verwandtschaftliche Beziehungen zwischen beiden Gattungen anzunehmen. E. v. Mojsisovics hat beide ursprünglich in die Abteilung der Ammonea leiostraca gestellt und dadurch Beyrichites (Meekoceras Mojs. non Hyatt) an einen von Ceratites sehr weit abstehenden Platz im Systeme verwiesen. K. V. Zittel ist ihm hierin gefolgt, aber später noch weiter gegangen, indem er Ammonites reiittensis Beyr. direkt mit der Gattung Ptychites vereinigte." Erst Philippi hat den ent- gegengesetzten Standpunkt geltend gemacht und die Exi- stenz näherer verwandtschaftlicher Beziehungen zwischen Beyrichites und Ceratites ausführlich zu begründen versucht. E. V. Mojsisovics^ hat sich im Jahre 1902 der Meinung Philippi's angeschlossen, die Meekoceratidae aus der Sektion der Ammonea leiostraca ausgeschieden und an die Ceratitoidea angegliedert. Während Hyatt"* der Ansicht v. Philippi's beitrat, hat sich v. Zittel ihr gegenüber ablehnend verhalten. Auch in der zweiten Auflage der Grundzüge der Paläontologie (p. 436) findet man Beyrichites bei der Familie der Ptychitidae, allerdings als ein selbständiges Genus, untergebracht. Auch F. Frech^ faßt Beyrichites nur als eine ohne scharfe Grenze in Ptychites übergehende Untergattung auf. 1 E. Philippi, Die Ceratiten des oberen deutschen Muschelkalkes. Paläont. Abhandl. von Dam es und Koken, VIII, Heft 4, p. 111. 2 K. A. V. Zittel, Grundzüge der Paläontologie, 1. Aufl., p. 406. 3 E. V. Mojsisovics, Die Cephalopoden der Hallstätter Kalke. Abhandl. der k. k. Geol. Reichsanst. VI/1, .Supplementbd. p. 322. ^ A. H3'att, Cephalopoda, in Zittel's Text-book of Palaeontology, English edition, p. 556. ä F. Frech in F. Noetling, Die asiatische Trias, Lethaea geognostica, II. Teil, Bd. I, Stuttgart 1905, Erläuterungen zu Taf. 16. 676 C.Diener, Es zeigt sich somit, daß Beyrichites in wesentlichen Merkmalen Übereinstimmung mit zwei weit abstehenden Gattungen Ceratites und Ptychites erkennen läßt. Inwiefern diese Ähnlichkeiten auf Verwandtschaft, beziehungsweise auf Konvergenz beruhen, soll an einer anderen Stelle näher aus- einandergesetzt werden. Auch die Frage, ob die überraschende Ähnlichkeit von Anagymmites acutus v. Hauer (Beiträge zur Kenntnis der Cephalopoden aus der Trias von Bosnien. Neue Funde aus dem Muschelkalk von Han Bulog bei Sarajevo. Denkschr. d. kais. Akad. d. Wiss., mathem.-naturw. KL, Bd. LIX, p. 282, Taf. X, Fig. 6, XI, Fig. 2) aus dem bosnischen Muschelkalk und einiger verwandter Formen aus dem Muschelkalk des Himalaya mit Japonites Mo is. auf wirklicher Verwandtschaft beruht oder bloß als Konvergenz aufzufassen ist, wage ich nicht, mit Bestimmtheit zu beantworten. Auch über die Be- ziehungen von Japonites und Attagymtütes Hyatt, ferner von Halihicites Diener (Gruppe des Ceratites rnsticus v. Hauer) zu Hnngarites soll an anderer Stelle ausführlicher berichtet werden. Eine ganz andere Gruppe von Konvergenzerscheinungen als die bisher besprochene habe ich bei dem Studium der Ceratiten des indischen Muschelkalkes kennen gelernt. Da sie bisher gänzlich unbekannt geblieben ist, verdient sie eine aus- führliche Erörterung. Wie ich in meiner Arbeit über die Cephalopoden des indischen Muschelkalkes gezeigt habe, spielen unter den Ceratiten der indischen Faunenprovinz Formen der Gruppe der Ceratites circttmplicati die wichtigste Rolle. Sie übertreffen an Arten- und Induviduenzahl ganz erheblich die typischen Ceratiten der Gruppe der nodosi (im Sinne von Beyrich), von denen sie sich übrigens in mancher Hinsicht so weit entfernen, daß Philipp i ihre Zugehörigkeit zu Ceratites als keineswegs sichergestellt betrachtet. Obwohl ich an der Vereinigung der nodosi und der indischen circumplicati in einer Gattung fest- halte, habe ich doch in meiner letzten Arbeit über die Fauna des indischen Muschelkalkes den Unterscheidungsmerkmalen zwischen beiden Gruppen insofern Rechnung tragen zu sollen Konvergenzerscheinungen bei triadischen Ammoneen. 677 geglaubt, als ich den indischen Ceratites circuniplicati den Rang einer besonderen Untergattung zuerkenne, für die der Name Hollandites in Vorschlag gebracht wird. Bei den ausgewachsenen Exemplaren verschiedener xAften von Hollandites, als dessen Typus der bekannte Ceratites Voiti Oppel zu betrachten wäre, und Ceratites s. s. kommt es zu einer merkwürdigen Konvergenzerscheinung, indem bei denselben die Tendenz besteht, die Skulptur der letzten Um- gänge zu vereinfachen und auf einfache, aber sehr kräftige Flankenrippen zu reduzieren. Die Knoten, das vorherrschende Element in der Skulptur der inneren Windungen der Ceratites iiodosi, gehen bei solchen Arten auf der Schlußwindung ver- loren. Die Skulptur der letzteren besteht dann aus einfachen, entfernt stehenden, nur an der Marginalkante zuweilen noch aufgetriebenen, niemals gegabelten Rippen und erinnert lebhaft an jene auf der Wohnkammer eines typischen Ceratites nodosus aus dem deutschen Muschelkalk. Aber auch bei einzelnen Vertretern der indischen Ceratites circtiniplicati er- leidet die Skulptur des letzten Umganges Veränderungen in dem gleichen Sinne, so daß bei gänzlich abweichenden inneren Kernen sehr ähnlich gestaltete Wohnkammern zu stände kommen. Das auffallendste Beispiel einer solchen Konvergenz ist das folgende. In meiner Monographie der Cephalopoden des Muschel- kalkes aus dem Himalaya (Himälayan Fossils, Vol. II, Pt. 2) findet man auf Taf. VI unter der Bezeichnung Ceratites Vyasa Diener zwei Ammoniten abgebildet, die durch langsam an- wachsende Windungen und durch eine aus einfachen, gerade verlaufenden, sehr kräftigen, knotenfreien Rippen bestehende Skulptur des letzten Umganges charakterisiert sind. Nur an dem einen Stück sind die inneren Umgänge hinreichend frei- gelegt worden, um ein genaues Studium derselben zu er- möglichen. A. V. K rafft, der im Muschelkalk von Spiti ein großes Material solcher Ceratiten gesammelt hat, ist auf Grund einer Untersuchung desselben zu der Meinung geführt worden, daß hier zwei verschiedene Arten vorliegen, deren innere Um- Silzb. d. mathem.-natiirw. Kl.; CXIV. Bd., Abt. I. 46 678 C. Diener, gänge differieren, während die Schlußwindung Überein- stimmung zeigt.^ Die Bearbeitung des von der Direktion der Geological Survey of India nach dem Tode A. v. Krafft's mir zur Untersuchung überlassenen Fossilmaterials hat die Richtig- keit der Ansicht dieses verstorbenen jugendlichen Forschers durchaus bestätigt. Es sind indessen nicht nur zwei, sondern drei verschiedene Arten, die bei abweichendem Bau ihrer inneren Umgänge sich durch eine vollkommen gleichartig gestaltete Schlußwindung auszeichnen. Von diesen drei Arten gehören zwei der Formengruppe der Ceratites nodosi, eine der Gruppe der Ceratites circumplicati {Hollatidites) an. Nur für die letztere kann der Name Ceratites Vyasa aufrecht erhalten bleiben. Die inneren Windungen derselben sind vollständig knotenfrei. Ihre Skulptur wird vcn zahlreichen gerade ver- laufenden oder schwach sichelförmig gekrümmten Rippen von sehr ungleicher Stärke gebildet. Die meisten Rippen bleiben ungespalten, doch findet gelegentlich eine Bifurkation in der Umbilikalregion statt. Die Rippen sind breit und oben gerundet, niemals zugeschärft. Bis zu einem Schalendurchmesser von 40 mm findet keine Unterbrechung der Flankenskulptur auf dem Externteil statt, sondern die Rippen überschreiten den letzteren, ohne eine Abschwächung zu erfahren. Die zweite Art mit vollkommen übereinstimmender Schlußwindung ist Ceratites Devasena (Himalayan Fossils, Vol. V, Pt. 2, PI. IV, Fig. 4). Die inneren Umgänge derselben erinnern an Ceratites Thiiilleri Oppel, doch ist der Quer- schnitt stärker komprimiert und die Externseite schmäler und dachartig gestaltet. Drei Knotenreihen sind deutlich ent- wickelt, doch verschmelzen manchmal die Umbilikal- und Lateralknoten zu einem einzigen größeren Knoten, insbe- sondere in den innersten Teilen des Kernes. Die Rippen sind breit und plump. Häufig, doch nicht regelmäßig tritt Spaltung der Rippen in den Lateralknoten ein. Die Zahl der Marginal- knoten ist jedoch niemals doppelt so groß als jene der Lateral- knoten. 1 A. V. K rafft, in General Report Geol. Survey oi India for 1898/99, p. 20. Konvergenzerscheinungen bei triudisclien Ammuneen. 679 Die dritte Art endlich, die im Alter vollkommen die Gestalt und Skulptur der beiden vorhergehenden annimmt, ist Ceratites trtmcus Oppel (C horridus autea)} Oppel kannte von dieser Art nur ein sehr dürftiges, aus vier Luftkammern bestehendes Bruchstück. Aus den Auf- sammlungen Hayden's im Muschelkalk von Spiti ist mir eine größere Zahl vollständig erhaltener Exemplare bekannt ge- worden. Ihr Studium lehrt, daß die von Oppel beschriebene Skulptur — einfache, kräftige, ziemlich weit voneinander ab- stehende Radialrippen mit schwachen Lateralknoten und sehr starken Marginaldornen — auf den der Wohnkammer voran- gehenden Teil des letzten Umganges beschränkt ist. Die inneren Kerne dagegen tragen die typische Ornamentierung der Ceratites nodosi. Eine erste Knotenreihe steht auf dem Umbilikalrande. Von diesen Knoten strahlen Radialrippen aus, die sich in der Regel in sehr starken Lateralknoten gabeln. Da außerdem auch Schaltrippen vorkommen, die nur am Rande geknotet sind, so ist die Zahl der Marginalknoten auf den innersten Windungen stets mindestens doppelt so groß als jene der Lateralknoten. Diese Normalskulptur eines Ceratiten aus der Formen- gruppe des C. hinodosus hält nur bis zu einem Schalendurch- messer von 4:0 mm an. In späteren Wachstumsstadien nimmt allmählich die Dichotomie der Rippen ab, die Urnbilikalknoten verschwinden ganz, die Lateralknoten werden schwächer, während die Marginalknoten sich zu echten, spitzen Dornen umgestalten, bis endlich jene Phase der Skulptur erreicht ist, die das von Oppel abgebildete Bruchstück aufweist. Auf der Wohnkammer altersreifer Exemplare endlich findet eine weitere Abschwächung der Knoten statt, so daß die Skulptur jener der Wohnkammer von Ceratites Devasena und C Vyasa sich außerordentlich nähert. Die Unterschiede in der Skulptur der inneren Kerne und der erwachsenen Individuen von Ceratites trtmcus sind so auf- fallend, daß ohne die Kenntnis der vollständigen Gehäuse 1 A. Oppel, Paläontologische Mitteilungen aus dem Museum des kgl bayi-. Staates, Stuttgart 1865, p. 292, Taf. 86, Fig. 3. 46* 680 C. Diener, niemand eine Identifizierung beider vorzunehmen wagen könnte. In der Tat ist erst auf Grund des heute vorliegenden Materials ein Urteil über die systematische Stellung dieses Ammoniten möglich. E. v. Mojsisovics^ hatte denselben der Formengruppe der arktischen Ceratites stihrobtisti zugeteilt. Der Charakter der inneren Windungen, die dem Typus der Ceratites binodosi entsprechen, zeigt, daß Ceratites truncus unter den Vertretern der Gattung Ceratites s. s. seinen Platz finden muß. Diese Erfahrungen lehren, daß bei Ceratiten, die wesent- lich abweichenden Formengruppen angehören, doch im alters- reifen Zustand eine überraschende Ähnlichkeit in der Gestalt und Skulptur des Gehäuses sich herausbilden kann, die wohl nur als eine Konvergenzerscheinung zu deuten ist. Für den Paläontologen ergibt sich aus dieser Tatsache die un- angenehme Konsequenz, daß Wohnkammerfragmente indischer Muschelkalk-Ceratiten ohne die dazu gehörigen Kerne zumeist unbestimmt bleiben müssen. Es ist beispielsweise unmöglich, über die systematische Stellung von Fragmenten, wie Ceratites onustus Oppel oder Ceratites Blanfordi Salt er, Klarheit zu gewinnen. Diese Namen werden stets ein Ballast in der Nomenklatur indischer Triascephalopoden bleiben. Ein zweites bemerkenswertes Beispiel einer ähnlichen Art von Konvergenz bieten Ceratites Ravana Diener (Himalayan Fossils, Vol. II, Pt. 2, PI. II, Fig. 5, Vol. V, Pt. 2, PI. IV, Fig. 7) und Ceratites Padma Diener (ibid. Vol. V, Pt. 2, PI. V, Fig. 4). Der erstere gehört der Formengruppe der Ceratites ciraim- plicaii (Hollandites), der letztere jener der Ceratites nodosi an. Die äußere Windung von Ceratites Padma trägt alle typischen Merkmale der Ornamentierung von Hollandites — enge stehende, schwach sichelförmige Rippen, die in zarten Umbi- likalknoten entspringen — und stimmt auf das genaueste mit jener von H. Ravana überein. Der innere Kern dagegen ist durchaus abweichend gestaltet. Er erinnert an jenen von C. truncus Oppel und von C. brembanus Mojs. Wie bei dem letzteren stehen Lateral- und Umbilikalknoten sehr nahe 1 E. V. M ojsisovics, Arktische Triasfaunen, 1. c, p. 21. Konvergenzerscheinungen bei triadisclien Ammoneen. 681 aneinander. Die Lateralknoten sind sehr groß und geben häufig zu Rippenspaltungen Veranlassung. Umbilikal- und Marginal- knoten sind nur schwach entwickelt. Der interessanteste mir bekannt gewordene Fall hieher -ge- höriger Konvergenzerscheinungen betrifft die sibirische und indi- sche Formenrei he der Ceratites subrobusH(Keyserlingites H y a 1 1). Im Jahre 1897 habe ich ein großes Exemplar eines Ceratiten, das, wie sich später herausgestellt hat, aus dem unteren Muschelkalk des Shalshal Cliff stammte, mit der be- zeichnenden Art der Olenekstufe Sibiriens Ceratites subrohnstus V. Mojsisovics identifiziert.^ Von diesem Stück lagen bei einem Durchmesser von 178 mm der größte Teil der Wohnkammer und der gekammerte Teil der Schlußwindung nebst einer kurzen Partie des vorletzten Umganges in vor- züglicher Erhaltung vor, während die übrigen Teile des inneren Kernes innerhalb des verhältnismäßig engen Nabels (Nabelweite 52 mm) der Beobachtung entzogen waren. Alle Merkmale des einzigen mir vorliegenden Stückes stimmten in vorzüglicher Weise mit den wesentlichen Merkmalen von Ceratites siihrobiistns überein, ja die Unterschiede zwischen den einzelnen Individuen aus den Olenekschichten, die von E. V. Mojsisovics in jener Art vereinigt worden waren, erwiesen sich als entschieden erheblicher als die Differenzen gegenüber der Form vom Shalshal Cliff, die ungefähr eine Mittelstellung zwischen den beiden von E. v. Mojsisovics auf PI. V und PI. IV, Fig. 2, abgebildeten sibirischen Exemplaren einzunehmen schien. E. V. Mojsisovics, der im Jahre 1897 kein Bedenken getragen hatte, auf Grund persönlicher Inaugenscheinnahme des Stückes vom Shalshal Cliff meine Identifizierung zu bestätigen, glaubte, dasselbe später als eine geologisch jüngere Art von Ceratites stthrohnstus abtrennen und mit einem besonderen Namen — Ceratites Dienert — belegen zu sollen. »Bei dieser bereits differenzierten Art« — sagt er^ — »sind die Dornen, welche bei der geologisch älteren Form, dem 1 Himalayan Fossils, Vol. II, Pt. 1, p. 20, PI. XVI, PI. XIX, Fig. 2. 2 E. V. Mojsisovics, Die Cephalopoden der Hallstätter Kalke. Abhandl. der k. k. Geol. Reichsanst., VI/1, Supplement, p. 328. 682 C.Diener, Ceratites sttbrobtistus, noch auf dem Nabelrande standen, w ie bei Ceratites Bmigei, auf die Flanken hinaufgerückt, so daß sie als Lateraldornen angesehen werden müssen. Von diesen Lateraldornen ziehen, wie bei Ceratites Bimgei, Rippen in gerader Richtung bis zur Naht abwärts. Es bieten daher die erwähnten Ceratiten bereits ganz und gar das Bild des Bi- nodosentypus dar und haben wir daher unter den Ceratiten aus der Gruppe des C. stibrohtistus zweierlei Variationsrichtungen zu unterscheiden, nämlich: a) die Formen mit ausgesprochenen Umbili kaidornen, wie Ceratites Middendorjfi Keys erl, C. Sehreuki Mo js., C. Vega Oeberg, C Nikitini Mojs. und h) die Formen mit Lateraldornen und Rippenfortsätzen bis zur Naht, zu welchen Ceratites Bnngei Mo]s., C. Diener i und zwei unbenannte Formen aus dem Himalaya gehören. Der Typus mit den Umbilikaldornen ist offenbar der ältere, aus welchem der Typus mit Lateraldornen hervor- gegangen ist. Ceratites suhrohusttis ist eine Zwischenform, bei welcher der erste Lateralsattel, so wie bei C. Bnngei und C Dienert, mit den Umbilical-, respektive Lateraldornen zusammenfällt.« In dem von A. v. K rafft im unteren Muschelkalk von Kumaon und Spiti gesammelten Cephalopodenmaterial spielen Formen aus der Gruppe der Ceratites subrobnsti eine wichtige Rolle. Von Ceratites Dienert stand mir eine genügend große Zahl von Exemplaren zur Verfügung, um die Ontogenie dieser Art bis zu einem Schalendurchmesser von lömni in allen Entwicklungsphasen zu studieren. Ich stehe nicht an zu erklären, daß ich aus dem Studium der erwachsenen Exemplare kaum hinreichende Anhaltspunkte für eine spezifische Tren- nung des C Dienert von dem echten C snbrobustus ge- wonnen hätte. Ein wirklicher Unterschied in der Lage der Hauptdornen bei beiden Arten, wie ihn E. v. Mojsisovics voraussetzt, ist mir nicht ersichtlich geworden. In dem großen Wohnkammerexemplar aus den sibirischen Olcnekschichten, das E. V. Mojsisovics auf Taf. V seiner Monographie der arktischen Triascephalopoden abgebildet hat, ist die Lage der Hauptdornen genau dieselbe wie bei meinem Originalstück Konvergenzerscheinungen bei triadischen Ammoneen. 683 aus dem Muschelkalk des Shalshal Cliff. Kurze Rippen strahlen von diesen Dornen gegen die Naht hin aus. Da jede Andeutung eines Nabelrandes in der Peripherie der röhrenförmig abge- rundeten Schlußvvindung fehlt, so ist es lediglich Sache des Übereinkommens, ob man diese Dornen als umbilikale oder laterale bezeichnen will. Zwischen den ausgewachsenen Exem- plaren sibirischer und indischer Repräsentanten der Ceratites suhrobnstl fehlen meiner Überzeugung nach unterscheidende Merkmale, die eine spezifische Trennung begründen könnten. Wohl aber sind solche, und zwar von sehr bedeutungsvoller Art an den inneren Kernen zu konstatieren. Die Ontogenie der sibirischen Ceratites stihrobtisti ist durch E. V. Mojsisovics insbesondere an C. Middendorffi Keys. (Taf. II, Fig. 13) klargestellt worden. Die Übereinstimmung der Jugendformen dieses Ammoniten mit erwachsenen Exemplaren der Gruppe der Dmarites spiniplicati {Olenekites Hyatt) läßt die Annahme berechtigt erscheinen, daß die direkten Vorfahren von Keyserlmgites Hyatt — dieser Name als subgenerische Bezeichnung für die arktischen Ceratites stihrobusti besitzt vor Robustites Philip pi die Priorität — spiniplikate Dinariten waren. Auf alle Fälle besteht zwischen Olenekites und Keyser- lingites ein sehr enger phylogenetischer Zusammenhang, der sich schon in der Tatsache ausspricht, daß eine scharfe Grenze zwischen beiden Formengruppen überhaupt nicht existiei't, gewisse Typen sogar fast mit gleichem Rechte der einen oder der anderen zugewiesen werden dürfen. Der Gang der Entwicklung bei Ceratites Dieneri aus dem unteren Muschelkalk des Himalaya, wie ich ihn an zwei Exemplaren aus den Aufsammlungen A. v. Kr äfft 's feststellen konnte, ist ein durchaus verschiedener. Die letzte mit der Wohnkammer versehene Windung und die vordere Hälfte des vorletzten Umganges zeigen die typische Skulptur der Keyserlingiten, große Umbilikal- oder Lateraldornen, von denen kurze Rippen gegen die Naht und breite dichotome Rippen gegen den Externteil ausstrahlen. Diese Rippen überschreiten den Externteil, ohne eine Unterbrechung zu erfahren. Das letztere Merkmal findet sich in der gleichen Ausbildung auch bei sibirischen Kej^serlingiten, z. B. bei K. Middendorjfi 684 C. Diener, Keyserl. und bei K. snhrohustns v. Mojsisovics (1. c. Taf. VI, Fig. 1). Der Querschnitt der Röhre ist auf dem gekammerten Teile der Schlußvvindung und in der vorderen Hälfte des vor- letzten Umganges fast kreisrund. Die Hauptdornen entsprechen in ihrer Stellung dem Durchmesser des Querschnittes. Zugleich bilden sich auf der Schlußwindung Marginalknoten heraus und in der Wohnkammer individualisiert sich der Externteil durch allmähliche Abflachung und Herausbildung eines stumpf gerun- deten Marginalrandes Eine bemerkenswerte Änderung in der Gestalt und Skulptur des Gehäuses läßt sich am Beginne der vorletzten Windung beobachten. Die von der letzten Kammerscheidewand bis dahin im Querschnitt kreisrund gestaltete Röhre erhält allmählich einen trapezförmigen Querschnitt, wobei die Seiten des Trapezes allerdings zunächst noch stark gerundet bleiben. Ein breit gerundeter Externteil beginnt sich von den Flanken loszulösen, die noch stark konvex sind und in einer ununterbrochenen Kurve von der Naht her ansteigen. Die Demarkationslinie zwischen Flanken und Externteil fällt mit dem größten Durch- messer der Windung zusammen. Entlang dieser Linie sind die primären Dornen angeordnet, die den Hauptdornen des Gehäuses am erwachsenen Individuum entsprechen. Von ihnen gehen noch immer kräftige, dichotome Rippen aus, die den Externteil überschreiten. Gelegentlich treten auch Schaltrippen hinzu. Die stark gewölbten Flanken sind fast glatt, nur durch kurze faltenförmige Anschwellungen gegliedert, die von den Dornen ausstrahlen, aber erlöschen, noch ehe sie die Naht erreicht haben. Auf der drittletzten Windung, beziehungsweise dem inneren Kern, der einem Schalendurchmesser von 22 mm, gegenüber einem erwachsenen Exemplar von loSmm entspricht, ist der Kontrast zwischen Externteil und Flanken noch sehr erheblich verschärft. Die Externseite ist beinahe flach geworden und von den mäßig gewölbten Flanken durch eine stumpfe Marginal- kante geschieden. Der Querschnitt ist nun streng trapezförmig. Sein größter Durchmesser fällt mit dem Abstand der Marginal- kanten zusammen. In der Skulptur macht sich der Unterschied der schwach berippten Seitenteile und des reich verzierten Konvergenzerscheinuiigen bei triadischen Ammoneen. 685 Externteiles in auffallender Weise geltend. Noch immer zieren Dornen den Marginalrand. Sie haben allmählich eine spiral ver- längerte Gestalt angenommen. Von ihnen gehen kräftige Rippen aus, die halbmondförmig geschwungen, mit vorwärts gerichteter Konvexität den Externteil übersetzen. Es tritt dadurch eine nicht geringe äußere Ähnlichkeit dieser Kerne mit erwachsenen Exemplaren von Sibirites Prahlada Diener hervor. In der Tat hat die irrige Bestimmung solcher Kerne als Sibirites Prahlada A. V. Krafft und Hayden zu der falschen Ansicht geführt, daß das Lager des Sibirites Prahlada nicht in dem Brach ioden- horizont der Rhynchonella Griesbaclii, sondern in einem höheren Niveau des unteren Muschelkalkes zu suchen sei. Wenn wir von der Berippung des Externteiles absehen, so zeigt der innere Kern von Ceratites Dienert am ehesten zu Vertretern der Gattung Tirolites Beziehungen in seiner Gestalt und Skulptur, etwa zu Tirolites Hatieri Mojs. oder zu Tirolites turgidtis Kittl.^ Alle hier erörterten Entwicklungsphasen von Ceratites Dieneri, die ich bis zu einem Schalendurchmesser der inneren Kerne von lö mm feststellen konnte, sind auf Taf. XI meiner Arbeit über die Fauna des indischen Muschelkalkes (Himalayan Fossils, Vol. V, Pt. 2) zur Abbildung gebracht worden, so daß sich auf diese Weise die ganze Ontogenie dieser interessanten Art Schritt für Schritt verfolgen läßt. Wir sehen, daß die Entwicklung des Ceratites Dienert ein Tirolites ähnliches Stadium durchläuft. Der Querschnitt der inneren Kerne ist viereckig und von Flanken und einer Externseite begrenzt, die scharf gegeneinander abgesetzt sind. Die primären Dornen und der größte Durchmesser des Um- ganges fallen in die Externkante. Deutliche Rippen sind auf den Externteil beschränkt. In der vorletzten Windung nimmt die Individualisierung der Flanken und des Externteiles allmählich ab, das Gehäuse wird röhrenförmig, der Querschnitt beginnt sich zu runden. Noch immer aber entspricht die Stellung der 1 E. Kittl, Die Cephalopoden der oberen Werfener Schichten von Muc. Abhandl. der k. k. Geol. Reichsanst., XX, p. 56, 59, Taf. IX, Fig. 8—13, Taf. X, Fig. 7, 8. 686 C. Diener, primären Dornenreihe der Lage des größten Durchmessers der Windung. Die Veränderung in der Gestalt des Windungs- querschnittes kommt dadurch zu stände, daß der Externteil, der im innersten Kern flach ist, eine stetig zunehmende Auf- treibung erfährt, so daß er an dem distalen Ende der vorletzten Windung schon die größere Hälfte der Röhre einnimmt. Aus dieser ursprünglichen Externseite des inneren Kernes bilden sich nun auf der Schlußvvindung zwei gesonderte Elemente heraus. Beide werden getrennt durch eine stumpf gerundete Kante, die der Lage der sekundären Dornen entspricht, die auf den Spaltrippen außerhalb der primären Spirale der Haupt- dornen sich einstellen. Durch diese Kante werden auf der Wohnkammer altersreifer Individuen ein flach gerundeter Externteil und mäßig gewölbte Flanken geschieden, auf denen die primären Hauptdornen sich befinden. Es geht aus dieser Untersuchung hervor, daß die Flanken der Wohnkammer und die Flanken des inneren Kernes keines- wegs die gleiche morphologische Bedeutung besitzen, vielmehr sehr ungleichwertige Elemente der Röhre des Gehäuses dar- stellen. Die Flanken der Wohnkammer haben sich aus dem Externteil des Kernes gebildet. Die Flanken des inneren Kernes sind daher gleichwertig der Nabelwand des altersreifen Exemplars, Flanken und Externteil des letzteren zusammen dagegen gleichwertig dern Externteil des inneren Kernes im Bereiche der drittletzten Windung. Es ist daher kaum gerechtfertigt, die primären Hauptdornen auf den inneren Umgängen als Marginaldornen zu bezeichnen und als ein den Randdornen von Tirolites homologes Skulptur- element zu betrachten. Direkt falsch wäre es zu sagen, diese Dornen hätten allmählich im Laufe des Wachstums der Schale ihre Stellung verändert und wären aus Marginaldornen zu Lateral- oder Umbilikaldornen geworden. Gerade die Stellung der primären Dornen ist vielmehr durch alle Wachstumsstadien hindurch die gleiche geblieben. Vollständig verändert haben sich dagegen die morphologischen Elemente der Röhre. Die Flanken der innersten Umgänge sind auf der Schlußwindung zu einer niedrigen Nabelwand reduziert worden, aus dem breiten, flachen Externteil des inneren Kerns aber haben sich Konvergenzerscheinungen bei triadischen Ammoneen. b87 Externteil und Flanken der jüngeren Teile des Gehäuses herausgebildet. So ist auch die Externskulptur der Jugend- windungen allmählich zur Lateralskulptur des altersreifen Indi- viduums geworden. Mit den weitgehenden Veränderungen in den Ouerschnitts- verhältnissen und der Skulptur fällt auch eine erhebliche Veränderung in der Involution der Schale zusammen. Auf der Schlußwindung erwachsener Exemplare beträgt die Involution fast die halbe Höhe des vorletzten Umganges. Je flacher die Externseite sich gestaltet, desto weniger weit umfassen die Umgänge einander. An dem inneren Kern treten sie miteinander nur eben noch in Berührung, ohne sich zu umfassen. Diese Änderung in den Involutionsverhältnissen beruht ausschließlich auf der Veränderung, die die Externseile des Kerns in den nachfolgenden Wachstumsstadien durch Auftreibung und Her- ausbildung neuer Seitenteile erfährt. Die Involutionsspirale selbst bleibt ganz unverändert. Sie fällt während aller Wachs- tumsstadien genau mit der Spirale der primären Hauptdornen zusammen. Es braucht kaum betont zu werden, wie weit diese Ent- wicklung des Ceratites Dieneri von jener der arktischen Keyserlingiten abweicht und wie grundverschieden die inneren Kerne des erstefen von spiniplikaten Dinariten sind. An phylogenetische Beziehungen zwischen Ceratites Dieneri und Olenekites ist nicht einen Augenblick zu denken. Will man an der Vereinigung der sibirischen und indischen Formen in der Untergattung Keyserlingites festhalten, so darf man sich über die polyphyletische Natur dieser Untergattung keiner Täuschung hingeben. Wir hätten dann in Keyserlingites zwei Stämme mit sehr verschiedenen Wurzeln vertreten, deren außerordentliche Ähnlichkeit in der äußeren Erscheinung nur auf einer in ihrer Art unter den Ammoniten bisher einzig dastehenden Kon- vergenz beruht. 689 Zweiter Berieht über meine Reise nach Neu- Guinea über die Zeit vom 26. März 1905 bis zum 21. Juni (Bismarek-Areliipel, 20. März bis 14. Juni) 1905 von Dr. Rudolf Pöch. (Vorgelegt in der Sitzung am 12. Oktober 1905.) Während der Zeit vom 26. März bis zum 30. Mai hatte ich Namatanäi aufNeu-Mecklenburg(Neu-Irland) zu meinem Stand- quartier gemacht. Von da aus habe ich in drei größeren und mehreren kleineren Touren den mittleren Teil der Insel durch- streift; sowohl an der Nordost- als auch an der Süd Westküste habe ich eine Strecke von je etwa 80 km begangen und habe die Insel an vier verschiedenen Stellen durchquert. Dann kehrte ich auf dem Regierungsdampfer »Seestern« auf dem Wege um Süd-Neu-Mecklenburg herum und durch den Georgskanal nach Herbertshöhe (Neu-Pommern, früher Neu-Britannien) zurück. Die Zeit vom 31. Mai bis zum 13. Juni in Herbertshöhe verwendete ich dazu, um unter den eingeborenen Polizei- soldaten und in den Eingeborenenspitälern photographische Aufnahmen an Leuten aus verschiedenen Teilen des Bismarck- Archipels zu machen und sie zu messen. Dann erhielt ich vom Gouvernement die Erlaubnis, die Skelette der drei Bainingleute zu exhumieren, welche am 21. November 1904 erschossen worden sind wegen ihrer Beteiligung an der Ermordung der Missionäre im Baininggebirge. Am 3. und 4. Juni begleitete ich den Regierungsarzt auf einer Inspektionsreise nach Simpson- 690 R. Pöch, hafen und machte dort, in einem Malariagebiete, das assaniert werden soll, Beobachtungen über Malaria. Am 14. Juni verließ ich Herbertshöhe und damit das Schutzgebiet von Deutsch-Neu-Guinea mit dem Postdampfer des Norddeutschen Lloyd und kam am 21. Juni, ohne einen anderen Hafen angelaufen zu haben, in Sydney an. Anthropologie. Die Bewohner des von mir durchstreiften Gebietes von Neu-Mecklenburg variieren in den einzelnen Landschaften nicht nur im Aussehen, sondern auch in Größe und Körperbau. Es ist aber doch viel Gemeinsames da, so daß man einen Typus herausfinden kann. Dieser Typus ist auch von dem von Neu-Mecklenburg-Nord nicht wesentlich abweichend, aber wohl verschieden von dem typischen Papua auf Neu-Guinea und auch verschieden von dem Bainingmann. Ich möchte daher in den Neu -Mecklenburgern (Neu- Irländern) die typischen Vertreter der melanesischen Inselvölker sehen, im Gegensatze zu den Papuas der Hauptinsel Neu- Guinea. Über die Stellung der Bainingleute kann ich mich noch nicht äußern. Ich kann heute nur nach dem äußeren Eindruck und einigen Zahlen bei der Messung am Lebenden urteilen; die Verhältnisse, unter denen ich in Neu-Guinea und im Bis- marck-Archipel zu leben hatte, waren meist so primitive, daß an eine Verarbeitung des ganzen beobachteten und gesammelten Materials, namentlich der osteologischen Objekte, an Ort und Stelle nicht zu denken war. Gerade in Bezug auf die Bainingleute ist mein Material ein ziemlich reiches und vielseitiges. Zu den im letzten Bericht erwähnten Messungen am Lebenden und Photographien an den gefangenen Baining in Friedrich VVilhelmshafen kommen noch Weichteile eines im Spitale Verstorbenen und die oben erwähnten drei Skelette. Die Eingeborenen des von mir besuchten Teiles von Neu- Mecklenburg bestatten ihre Toten häufig in Höhlen (näheres siehe unter »Ethnologie«). Ich war daher darauf aus, in den Höhlen, die im Korallenkalke recht häufig sind, nach Skeletten Bericht über eine Reise nach Neu-Guinea. 691 ZU suchen. Meine Bemühungen hatten Erfolg bei einer Durch- suchung einer größeren Höhle in den Bergen südlich von Kuduküdu (Nordostküste von Neu-Mecklenburg). Die Höhle heißt »Tahaköma<^<, sie ist über 40 in lang und an manchen Stellen Sin hoch; ein kleiner Bach verschwindet in ihr. Die Höhle wurde von den Eingeborenen bis vor kui'zem als Be- gräbnisstätte benützt, in der Weise, daß sie die Leichen etwa 10 Schritte weit in die Höhle trugen und ins Wasser legten; nach Regengüssen schwillt der Bach an und schwemmte die Leichen weiter ins Innere der Höhle. Ich brachte während einer zweitägigen Untersuchung der Höhle, am 24. und am 25. Mai, zehn noch gut erhaltene Schädel heraus, ferner ein vollständiges Rumpfskelett und zahlreiche einzelne Knochen von Kindern und Erwachsenen. Es geht das Gerücht, daß im Gebirge des südlichsten Teiles von Neu-Mecklenburg Zwergstämme wohnen. Die An- gaben der Eingeborenen verlieren dadurch an Wert, daß sie unter »Zwergen« auch kleine, unsichtbare Geister verstehen, die in den Bergen hausen und den »Höhenrauch« (ßergnebel) erzeugen. In Herbertshöhe sah ich einen »Zwerg«, den ein Kapitän aus dem Gebirge südlich von Kap Sa. Maria (Ostküste von Neu-Mecklenburg) mitgebracht hatte. Es ist ein typisclier Fall von rhachitischem Zwergwuchs. Die Zwergfrage kann aber heute noch nicht entschieden werden, da das Gebirge im südlichsten Teile der Insel noch ganz unbekannt ist. (Eine Durchquerung der Insel an dieser Stelle würde mindestens 6 Tage dauern und einen Aufwand von vielen Polizeisoldaten und Trägern erfordern und die Charterung eines Fahrzeuges für die Dauer der Expedition.) Bei meinen anthropologischen Untersuchungen in Herberts- höhe begegneten mir, wie erwähnt, Vertreter verschiedener Stämme, welche die umliegenden Inseln bewohnen: Leute von der Gazelle-Halbinsel (Umgebung von Herberts- höhe); es ist wahrscheinlich, daß dieser Tj^pus mit den Typen der Neu-xMecklenburger und der Bainingleute zusammenhängt oder sich mit ihnen vermischt hat. Salomonsinsulaner (die Bewohner der Insel Buka und Bougainville sind die besten Soldaten der deutschen Polizei- 692 R. Pöch, truppe). Häufig begegnet man einem Typus mit flachwelligem Haare, höherem Nasenrücken und schwarzer Hautfarbe, der in allen diesen Merkmalen stark vom melanesischen Grundtypus abweicht und eine rätselhafte Sonderstellung einnimmt. Manusleute (Admiralitätsinsulaner). Ich sah sowohl Leute von der Küste, eigentliche Manus, als auch Inlandleute, Usiai. Merkwürdigerweise schließt sich der Typus der Admiralitäts- insulaner mehr an den papuanischen als an den melanesischen Typus an. St. Mathiasinsulaner. Durch eine Hungersnot gezwungen, ließ sich eine größere Anzahl dieser sonst ganz unzugänglichen und kriegerischen Leute zur Arbeit in den Plantagen auf der Gazelle-Halbinsel anwerben. Sie sehen ebenfalls ganz anders aus als die Bewohner der ihnen so nahe gelegenen Inseln Neu-Hannover und Neu-Mecklenburg. Künstliche Verunstaltungen des Schädels. Im Gebirge landeinwärts vom Vorgebirge Matana-Täberan^ herrscht die Sitte, die Stirne des Kindes beiderlei Geschlechtes in sehr früher Jugend von oben nach unten mehrmals tief einzu- schneiden. Die Schnitte werden mindestens bis in das Periost des Os frontale geführt, manchmal ist der Knochen ganz durchgeschnitten. Es bleiben tief eingezogene Narben zurück. An der Südküste von Neu-Pommern besteht der Gebrauch, den kindlichen Schädel mit Tüchern einzuschnüren und so einen künstlichen Spitzkopf zu erzeugen. Ethnologie. Totemismus. Neu-Mecklenburg^ ist das einzige Gebiet in Deutsch-Neu-Guinea, wo ich ausgebildete Totemvorstellungen und Totemeinteilung vorfand. Ob die Spuren von Totem- vorstellungen in den anderen Teilen des Schutzgebietes von Neu-Mecklenburg übernommen wurden oder ob sie Reste eines überwundenen Totemismus sind, wird schwer zu entscheiden sein. In dem ganzen von mir durchwanderten Gebiet von 1 »Augen der Geister«, nach einer Höhle mit zwei Öffnungen, auf allen Karten irrtümlich Matante beren genannt. 2 Vielleicht auch der auf der anderen Seite der Georgsstraße gelegene Teil von Neu-Pommern, der darauf nicht untersucht ist. Bericht über eine Reise nach Neu-Guinea. 693 Neu-Mecklenburg teilt sich die Bevölkerung in zwei Gruppen nach den beiden herrschenden Totemtieren. Es sind zwei Raubvögel, Mälaba, ein Seeadler, und Taragau, ein Habicht. Die Zugehörigkeit zu der einen oder der anderen Gruppe, zu dem einen oder dem anderen Totemvogel wird durch die Mutter vererbt, so wie auch sonst Mutterrecht herrscht. Die Männer der einen Gruppe müssen ihre Weiber immer aus der anderen Gruppe nehmen und umgekehrt; ein Mann des Aiälaba kann nur ein Weib des Täragau heiraten imd umgekehrt. Heirat (oder Verführung) innerhalb desselben Totemvogels gilt als schweres Verbrechen und wird immer mit dem Tode bestraft; es ist ein viel schwereres Vergehen als Ehebruch. Bis hieher sind die Totemvorstellungen gewöhnlich und typisch. Bemerkenswert ist nun, da(3 nicht beide Totemtiere gleich- wertig sind: Mälaba ist der gröl3ere und stärkere Vogel, man hat oft gesehen, wie er dem kleineren und schwächeren Täragau die Beute abjagt; man traut ihm daher auch mehr Macht über die Menschen zu. Er kann den Tod eines Menschen herbeiführen, er findet auch den Zauberer heraus, der einen anderen Menschen durch Zauberei getötet hat; nur der Mälaba kann das. Man wendet sich an den Vogel Mälaba, besingt ihn bei Nacht und bittet ihn, den Tod des verzauberten Verwandten zu rächen. Aber nur ein Angehöriger des Mälaba darf den Mälaba besingen, gewissermaßen »zu ihm beten«. Braucht ein Angehöriger des Täragau die Hilfe des Mälaba, so muß er sich an einen Mann aus der Gruppe des Mälaba wenden, der das für ihn tut. Daraus resultiert ein gewisses Übergewicht der Mälabaleute. Man glaubt jedem Menschen seine Zugehörigkeit zu dem Mälaba oder zu dem Täragau an gewissen Merkmalen anzusehen: an den Falten der Hand, am Gange, an der Bildung der Augenbrauenbogen. All das beruht natürlich auf bloßer Einbildung. Zauberei. Als Todesursache wird, ebenso wie in Neu- Guinea, fast immer Zauberei gehalten, sowohl bei Krankheit als bei Unglücksfällen. Es ist eine völkerps3/'chologisch höchst wächtige und interessante Tatsache, daß es dem primitiven Menschen ganz unmöglich ist, in der Krankheit oder einem Unglücksfall natürliche Vorgänge zu erblicken. Sitzb. d. mathem.-naturw. KL; CXIV. Bd., Abt. I. 47 • 694 R. Poch, Geld. Während in Neu-Guinea selbst nur bei wenigen Stämmen Geld oder wie Geld einzutauschende Schmuck- sachen in Gebrauch sind, ist die Verwendung von Geld auf den Inseln des Bismarck-Archipels verbreitet; es ist überall Muschelgeld, die Herstellung und Form variiert. Als Einheit gilt ein Faden, d. h. so viel, als ein Mann klaftern kann. Es besteht die Tendenz, das Muschelgeld zu thesaurieren; Besitz von viel Geld sichert größeren Einfluß. Damit hängt es auch zusammen, daß man im Bismarck-Archipel mit mehr Recht von Häuptlingen reden kann als in Neu-Guinea. Die Pflanzungen werden (in der Gegend von Namatanäi) von der Dorfschaft gemeinsam angelegt, jedem einzelnen aber ein besonderer Platz eingeräumt. Die fruchttragenden Bäume sind Eigentum des einzelnen. Mit Zahlung von Geld kann fast jedes Unrecht oder Verbrechen gesühnt werden; nur Verführung innerhalb der Gruppe desselben Totemtieres nicht (siehe oben). Kannibalismus, Die Sitte, die erschlagenen Feinde zu essen, war früher über den ganzen Bismarck-Archipel ver- breitet und besteht heute noch dort, wo der Einfluß der Kolonisation nicht hinreicht. Begräbnisstätten. Die Art und Weise, Leichen zu begraben, ist in dem Gebiet von Neu-Mecklenburg-Süd (soweit es heute bekannt ist) verschieden: entweder werden die Leichen, nachdem sie verwest sind, wieder exhumiert und die Knochen in die See oder in die Flüsse geworfen, oder man bringt sie in Höhlen, wo sie von den Gewässern nach Regengüssen ins Innere der Höhle gespült werden. Die Scheu vor diesen Begräbnisstätten ist groß, da man sich vorstellt, daß die Geister der Abgeschiedenen (Taberau) in diesen Höhlen fortleben und den Menschen Schaden bringen können. Verbreitung des Kanu. Es gibt an der Nordostküste Neu-Mecklenburgs, nördlich und südlich von Namatanäi lange Strecken, wo es kein Kanu gibt. Man kann stundenweit gehen und viele Ortschaften passieren, ehe man wieder in eine Gegend kommt, wo die Leute Kanus besitzen. Eine besondere Nötigung zur Schiffahrt liegt in den kanulosen Strecken nicht vor. Die Leute sind Ackerbauer, ihre Pflanzungen liegen land- einwärts an den Berghängen. Der Fischfang wird mit gutem Bericht über eine Reise nach Neu-Guinea. 69o Erfolg zur Zeit der Ebbe auf den weit ins Meer hinauslaufenden Riffen ohne Fahrzeug betrieben. Zur Befriedigung der Handels- bedürfnisse genügen die Pfade und der Weg am Strande. Diese Erfahrung scheint mir gegen den öfters verfochtenen Satz- zu sprechen: »Ein bootbauendes Küstenvolk kann, solange es an der Küste wohnt, den Gebrauch der Boote nie verlernen«. Sprache. In dem ganzen Gebiete von Neu-Mecklenburg-Süd, an der Nordostküste von Namatanai bis Kuduküdu, an der Südwest- küste von Kökola bis Na-kuduküdu, wird eine Sprache ge- sprochen. Die Bezeichnung der Landschaft *Laur« stimmt so ziemlich mit dieser Sprachgrenze überein. (Bei der Adoptierung von Eingeborenennamen für größere Gebiete sind Ungenauig- keiten unvermeidlich, da den Leuten das Bewußtsein der Einheit, auch wo die Sprache die gleiche ist und die Über- sicht über ein größeres Gebiet abgeht.) Nachträglich stieß ich auf eine Sprachinsel an der Südvvestküste, weiß aber nicht, ob es sich um eine andere Sprache oder einen abweichenden Dialekt handelt. Die Kökopo-Sprache (um Herbertshöhe) ist der Sprache dieses Teiles von Neu-Mecklenburg-Süd im Baue sehr ähnlich; ein großer Teil des Wortschatzes ist, nur durch bestimmte Lautverschiebungen unterschieden, den beiden Sprachen gemeinsam. Ethnologisches Sammeln. Die Zahl der gesammelten ethnologischen Objekte erhöhte sich auf 1235. Tropenhygiene und andere medizinische Beobachtungen. In Bezug auf die Malaria liegen die Verhältnisse im Bismarck-Archipel viel günstiger als auf dem Festlande von Neu-Guinea. Das Gebiet von Neu-Mecklenburg-Süd, welches ich Gelegenheit hatte, kennen zu lernern, scheint wenig Ge- legenheit zur Malariainfektion zu bieten. Alle Malariaanfälle, die ich dort bei Europäern sah, ließen sich auf anderswo aqui- rierte und nicht geheilte Infektionen zurückführen. Obzwar ich in der Übergangszeit zwischen Südwest- und Südostmonsum 47* 696 R. Pöch, dort war, bemerkte ich selten Moskitos. Bei allen meinen Wanderungen nahm ich nie ein Moskitonetz mit und hatte nie unter Moskitos zu leiden. Unter den Eingebornen kommen bisweilen Epidemieen von Dysenterie vor. Die Häufigkeit des venerischen Granuloms auf Neu- Mecklenburg wurde schon im letzten Berichte erwähnt. Der Frage nach »wohlgelungenen Trepanationen des Schädels durch Eingeborene«^ bin ich im Bismarck-Archipel nachgegangen und fand durch eigene Erfahrung, Befragen der Eingebornen und erfahrener Kolonisten^ folgendes: Diese »Trepanationsöffnungen« im Schädel finden sich immer nur an Schädeln aus solchen Gegenden, wo die Schleuder im Gebrauch ist, und es wurde auch überein- stimmend mitgeteilt, daß die Löcher durch die geschleuderten Steine erzeugt werden. Es gibt in solchen Gegenden Männer, die eine besondere Geschicklichkeit in der Behandlung solcher Wunden, der Herausnahme der Knochensplitter, dem Verbände u. s. w. haben. Ein Teil des guten Heilerfolges liegt in der Anwendung von Kokosnußwasser zum Auswaschen dieser Wunden. Aus dem Gesagten erhellt, daß es ein Mißbrauch ist, hier von »wohlgelungenen Trepanationen« zu reden, da es sich viel- mehr nur um eine Heilung der Löcher handelt, welche durch geschleuderte Steine in die Schädel geschlagen werden. Ferner wäre es voreilig, diese Heilungen gleich als einen Beweis der größeren Resistenz der Eingeborenen gegen die eitererregenden Bakterien anzuführen, da die Behandlung der Wunden, wie oben erwähnt, eine ganz zweckmäßige — in- stinktiv sterile ist. Von verschiedenen Seiten wurden mir übereinstimmende Angaben gemacht, daß Fälle momentaner Erregung, die ganz an das Amoklaufen der Malayen erinnern, auch unter den Melanesen vorkommen, und zwar auch, wenn sie sich in ihrem gewohnten Milieu, in ihrem Heimatsorte, befinden. 1 Vergl. mein im März 1904 vorgelegtes Arbeitsprogramm. 2 Darunter des bekannten Herrn Parkinson in Ralum. Bericht über eine Reise nach Neu-Guinea. 697 Entgegen der immer wiederkehrenden Behauptung, daß das Betelkauen berausche, konnte ich keine Anhaltspunkte dafür finden. Ich versuchte es schließlich selbst, ich verspürte dieselbe anregende Wirkung wie beim Tabakrauchen. -Ich glaube darnach sagen zu dürfen, daß das Betelkauen, wie es in Neu-Guinea und im Bismarck-Archipel geübt wird — Kauen von ßetelnuß und der Wurzel oder der Frucht einer Liane mit Zusatz von Kalk — keine berauschende Wirkung ausübt. Die Frage, ob nicht mitunter andere Zusätze gemacht werden, die dann doch eine berauschende Wirkung ausüben können, bleibt offen. In dem besuchten Gebiet von Neu-Mecklenburg-Süd habe ich weder Landblutegel noch Buschmucker bemerkt. Zoologie. Es war sehr interessant, die Fauna von Neu-Irland mit der von Neu-Guinea zu vergleichen; eine große Anzahl von Formen fehlen, andere waren stark variiert, außerdem begegnete ich einer Reihe von Spezies, die dem Festlande von Neu-Guinea nicht eigen sind. Jedenfalls merkwürdig ist es, daß eine Anzahl von Tieren, die sowohl in Neu-Guinea als auch in Neu-Pommern (Neu-Britannien) vorkommen, in Neu-Mecklenburg (Neu-Irland) fehlen. Die Scheidung zwischen Neu-Mecklenburg und Neu- Pommern ist in dieser Beziehung eine schärfere, als man von vornherein erwarten sollte. Ich lasse als Beispiel die Namen einiger in Neu-Guinea und Neu-Pommern sehr häufigen Formen folgen, die in Neu- Mecklenburg fehlen, soweit mein Sammeln und meine Nach- forschungen reichen: Helmkasuar, weißer Kakadu, Lederkopf (Philemon) und fliegendes Eichhörnchen (Petaurus). Die Zahl der gesammelten Säugetierhäute und Vogelbälge übersteigt jetzt 250, auch die Kaltblütlersammlung wurde um etwa 30 Exemplare, die Insektensammlung um zirka 200 Stück bereichert. Photographieren. Die Zahl der exponierten Negative betrug beim Verlassen des deutschen Schutzgebietes 720. Da bisher alles entwickelt 698 R. Pöch, Bericht über eine Reise nach Neu-Guinea. ist, läßt sich die Ausbeute übersehen und beurteilen. Der größte Teil sind anthropologische Aufnahmen, und zwar sowohl Ge- sichtstypen, als auch Photographien des ganzen entblößten Körpers, en face und en profil, von Männern und von Weibern. Den Rest bilden einige typische Landschafts- und Vege- tationsbilder. Beobachtungen während der Touren in Neu-Mecklenburg-Süd über die Beschaffenheit des Landes u. s. w. Das Vorwärtskommen ist in diesem Gebiete ganz ungleich viel leichter als in Neu-Guinea selbst. Das Terrain ist durchaus nicht so wild zerrissen, die Eingeborenenpfade sind gut; viel- fach haben die Leute auf Veranlassung der Regierung zu beiden Seiten des Pfades einen breiten Aushau im Busche angelegt, der Anfang eines Wegebaues. Es ließen sich leicht bis zu 40 km an einem Tage zurücklegen. Von der Südwestküste steigt ein Gebirge steil an, das Vorland an der Küste ist schmal. Die Übergänge liegen in Höhen von 300 bis 500 w, die Bergrücken selbst sind nur wenig höher. Dieser Bergzug im nördlichen Teile von Neu- Mecklenburg-Süd stellt die Verbindung zwischen dem nörd- lichen, Schleinitz-, und dem südlichen, Rosselgebirge, her. Nach der Nordostküste zu fällt das Gebirge allmählich ab, meist in weiten, sanft geneigten Plateaus. Einige Flüsse haben tiefe Schluchten eingegraben. Das Gestein ist überall vorwiegend Korallenkalk und Sandstein. An der Nordostküste treten an zwei Stellen Kohlenlager offen zu Tage, die schon vor mehreren Jahren die Aufmerksamkeit erregt haben. Der nördlichste Übergang, den ich machte, an der Nord- grenze des jetzigen Regierungsbezirkes Neu-Mecklenburg-Süd, zwischen Kökola (Südwestküste) und Belik (Nordostküste), war bisher noch von keinem Europäer gemacht worden; ich war überrascht, als ich in 4 Stunden von der einen Küste zur anderen gelangt war. Die Insel ist also dort viel schmäler, als es die Karten bisher angaben. Sydney, am 7. August 1905- 699 Ober das Inntal bei Nauders Eduard Suess, w. M. k. Akad. (Vorgelegt in der Sitzung am 19. Oktober 1905.) Im Jahre 1873 wurden der kais. Akademie einige Er- gebnisse von Studien über den Bau der mitteleuropäischen Hochgebirge vorgelegt. Es wurde gesagt, die Ansicht von der symmetrischen Struktur dieser Hochgebirge sei unhaltbar, sie seien einseitig gefaltet, die Falten seien in Mitteleuropa an der polaren Seite gesammelt; die Alpen selbst seien anzusehen als aus mehreren aneinandergeschobenen Ketten gebildet.^ Diese Meinungen haben in den Ostalpen unter den Fachmännern nur geringe Zustimmung gefunden. Von jenen, die sich über diese allgemeinen Fragen äußerten, hielten die einen fest an der alten Buch'schen Meinung von dem symmetrischen, mehr oder minder fächerförmigen Baue; andere kehrten zu der Beaumont'schen Hypothese von dem zweiseitigen Druck im Schraubstock zurück. Ein Hauptgrund lag in dem Hinzutreten der Dinariden, die, von Südost herantretend, den Ostalpen den äußeren Anschein eines symmetrischen Baues geben. Nur wenige schlössen sich der Voraussetzung einer einseitigen tangentialen Bewegung an. 1 Anzeiger k. Akad. Wiss., Sitzung vom 13. Juli 1873, S. 130. Die damals vorgelegte Abhandlung ist ihres Umfanges halber im Jahre 1875 unter dem Titel: x'Die Entstehung der Alpen« selbständig erschienen. 700 E. Suess, In den westlichen Alpen hat die Forschung den entgegen- gesetzten Weg geführt. Schrittweise und nach mancherlei Wandlungen haben sich die Erfahrungen dahin gefestigt, daß ganz außerordentliche, mehr oder minder gegen Nord gerichtete horizontale Überschiebungen eingetreten sind, welche noch sehr weit über alles hinausgehen, was im Jahre 1873 vermutet werden konnte. Es reicht hin, die Namen der Bahnbrecher Schardt und Lugeon und die Deckschollen des Chablais und der Freiburger Alpen zu nennen. Der Gegensatz der Meinungen trat auf dem Geologen- kongreß in Wien im Jahre 1903 zu Tage, aber zur gleichen Zeit erfolgte ein Ereignis, welches in vieler Beziehung die Frage klärte. Alb. Heim gelangte auf Grund seiner tiefen Kenntnis des Baues der sogenannten Glarner Schlinge zu dem Schlüsse, daß in der Tat Süd- und Nordflügel eins seien und daß eine einheitliche Überfaltung gegen Nord beiläufig im Ausmaß von 35 km vorliege. Etwa zur selben Zeit unternahm Termier den gar kühnen Versuch, die Erfahrungen des Westens auf die Tauern, Brenner und den größten Teil der Ostalpen zu übertragen. Die Entscheidung mußte an der Grenze des Westens und des Ostens gesucht werden und insbesondere schien die Natur selbst hiezu die Gelegenheit darzubieten in dem Oberinntal zwischen Ardetz und der Pillerhöhe, N. von Prutz. Auf dieser 54 km langen, gegen NO gerichteten Strecke neigen sich im Osten wie im Westen sedimentäre Schichten einerseits unter den Gneis der Selvretta und andrerseits unter den Ötzgneis. Der Raum, den diese Sedimente einnehmen, ist verlängert eiförmig. Die kürzere Achse erreicht, über Finstermünz ge- messen, vom Bürkelkopf in NW bis zum Geisbleisenkopf in SO M^l^km. Weiter aufwärts gibt es an der Westseite noch örtliche Erweiterung. Der größere Teil dieser unter die Gneise geneigten Sedimente gilt für identisch mit dem Bündner Schiefer des Prättigau. Gerade über diese entscheidende Stelle lagen nur wider- sprechende Berichte vor. Theobald, dessen Karte des Schweizer Anteiles (Geolog. Karte der Schweiz, Bl. X und XV) als die Grundlage der Das Inntal bei Nauders. 701 Kenntnis dieser Gegenden anerkannt werden muß, bezeichnete diesen Bündner Schiefer als Algäuschiefer und stellte ihn zum Lias nach Funden von Liasfossilien, die Escher von Alp bella, in einem Seitentale des Samnaun, und von der nahen Greitspitze aus der Nähe des westlichen Randes bekannt gemacht hatte. Ebenso zeigt F. v. Iriauer's Karte von Österreich- Ungarn Lias für den ganzen Raum an. Stäche hielt diese Ablagerungen für paläozoisch. Blaas wählte auf seiner Über- sichtskarte von Tirol die neutrale Bezeichnung; Bündner Schiefer. Ohne an dieser Stelle in die schwierige Frage der Alters- bestimmung dieser Serie einzutreten, will ich bemerken, daß sie ohne Zweifel auch Trias umfaßt, vertreten durch bunte Schiefer, Quarzite und Gips und völlig verschieden von der reich gegliederten ostalpinen Trias, die an mehreren Punkten der Umrandung auftritt. Steinmann, der sich außerordentliche Verdienste um die Kenntnis dieser Teile der Alpen erworben hat, wurde zu der Ansicht geführt, daß den Faciesgrenzen entsprechende Dislocationen stattgefunden hätten, gefolgt von Überschiebungen aus Ost und West. So sei der von einer Facies erfüllte Raum entstanden, umgeben von Sedimenten einer anderen Facies.^ Unterdessen waren durch M. Bertrand und andere Forscher an anderen Orten beträchtliche horizontale Überschie- bungen bekannt geworden. Im Gegensatz zu dem eben Er- wähnten setzte Rothpletz auch hier große horizontale Ver- schiebungen voraus. Seine Studien bezogen sich nicht auf das Inntal, sondern auf den Rhätikon, die Glarner Faltungen und die nördliche Kalkzone, aber die Ergebnisse mußten mittelbar auch das Inntal beeinflussen. Rhätikon und Selvretta (die rhätische Schubmasse) sollten um mindestens 30 km von Ost gegen West bewegt sein; dazu werden AOkm für die Glarner Schubmasse gerechnet und so gelangt Rothpletz zu einer äquatorialen Verkürzung des Alpengebietes um 70km. Zugleich, 1 G. Steinmann, Geol. Beob. in den Alpen; I. Das Alter der Bündner Schiefer; Ber. naturf. Ges. Freiburg i. B., 1898, IX, p. 245 bis 263, und 1899, X, p. 215 bis 292. 702 E. Suess, SO wird gesagt, müsse sich bei dieser Bewegung der Nordrand der Ostalpen »verlagert« haben. ^ Gegen die Annahme einer Bewegung von Ost gegen West, insbesondere gegen die Hinzufügung von 40 Tzni an äquatorialer Verkürzung in Glarus und Anderes läßt sich manches begrün- dete Bedenken aussprechen, aber, wie dem auch sei, dieser Versuch einer größeren Auffassung ist nicht vereinzelt ge- blieben. Im Jahre 1902 erklärte Lugeon, Rhätikon mit Selvretta und Piz Err seien eine Deckscholle; die Wurzel des Rhätikon müsse ungefähr 70 km nach rückwärts gesucht werden.- Haug schloß sich dieser Meinung an. Blaas suchte die Einwirkung auf das Ober-Inntal. Man müsse sich nun, schrieb Blaas nach Rothpletz' Veröffentlichung, die Frage vorlegen, »ob nicht auch der ganze aus dem Engadin ins tirolische Ober- Inntal bis Prutz herübergreifende Zug von Bündner Schiefer unter die kristallinen Gesteine der Selvretta- und Ötztaler- masse zu versetzen sei«.^ Nicht lange darauf erklärte Termier: »Das Unter-Engadin ist ein Fenster«.*^ Die Bedeutung dieser Frage für den Bau eines großen Teiles der Ostalpen und das Gewicht von Steinmann's ent- gegenstehendem Urteil haben mich im Laufe dieses Sommers veranlaßt, bei Nauders die wenig besprochene Stelle des .Anschlusses der Schweizer an die l'iroler Vorkommnisse auf- zusuchen. Bevor jedoch dieser Bericht abgeschlossen war, ist 1 A. Rothpletz, Geol. Alpenforschungen. I. Das Grenzgebiet zwischen den Ost- und Westalpen und die Rhätische Überschiebung; 80, München 1900; p. 162, 168. 2 M. Lugeon, Les grandes Nappes de recouvrement des Alpes du Chablais et de la Suisse; Bull. soc. geol. (17. Fevr. 1902, p. 29); 1901, 4. ser., I, p. 723 bis 825; insb. p. 799 f. Auf der begleitenden Karte ist die ganze überschobene Zone vom Falkniss bis Parpan mit demselben Zeichen zur Anschauung gebracht wie das Chablais. 3 J. Blaas, Geol. Führer durch die Tiroler und Vorarlb. Alpen; 8^, Innsbruck, 1902; Karte. Anmerkung zu p. 140. 4 P. Termier, Les Nappes des Alpes orient. et la Synthese des Alpes; Bull. soc. geol., Sitzung vom 21. Dez. 1903; 4. ser., III, p. 748, und dess. Sur la fenetre de la Basse Engadine; Comptes rend., 24. Oct. 1904. Das Inntal bei Nauders. 703 eine neueste Schrift Steinmann's erschienen, in welcher dieser bewährte Forscher auf die abweichende Erklärungs- weise verzichtet und den im Westen herangereiften An- sichten über den Bestand großer Überschiebungen sich .an- schließt.i Auf diese Art ist Übereinstimmung in den Hauptfragen erzielt, lediglich durch wiederholte und eindringliche Be- trachtung der Natur. Freilich, nicht ein Abschluß ist dieses Ergebnis, wohl aber die dem heutigen Stande der Erfahrungen am besten entsprechende Auffassung der Sachlage. Ihr zu- folge darf Lugeon sagen, daß Selvretta schwimmt; Blaas' Frage ist mit Ja zu beantworten; diese Strecke des Inntales ist, wie Termier sagt, ein Fenster. Daß eine Reihe trefflicher Mitarbeiter Steinmann's nur Überschiebungen im Ausmaße bis zu 5 km gesehen hat, wie Lorenz im Rhätikon,^ Hoek im Plessurgebirge,^ Paulcke-^ an der Westseite des Fensters (für Stammerspitz werden 12 km angegeben) und Schiller an der Südostseite,^ scheint mir hieran nichts zu ändern. Diese 5 oder 12 km sind die Breite des sichtbaren natürlichen Aufschlusses an dem durch Rück- witterung erzeugten Rande. n. Übersicht. In der nachfolgenden Zusammenfassung der Erfahrungen über den Grundplan habe ich es vermieden, die Folgerungen zu berühren, die sich im Westen bis in den Appennin hinein sowie im Osten für andere Teile der Ostalpen ergeben. Ebensowenig sind andere schwierige Fragen, die 1 Steinmann, Geolog. Beob. ; II. Die Schardt'sche Überfaltungstheorie u. s. w. Ber. naturf. Ges. Freiburg i. B., 1905, XVI, p. 18 bis 67. 2 Th. Lorenz, Geol. Stud. im Grenzgebiete zwischen helvet. und ost- alpin, p-acies; II. Teil, Südi. Rhätikon; ebendas. 1901, XII, p. 34 bis 95; Karte; insb. p. 69. 3 H. Hoek, Geol. Untersuch, im Plessurgebiete um Arosa; ebendas. 1903, XIII, p. 215 bis 270; Karte. 4 W. Paulcke, Geol. Beob. im Antirhätikon; ebendas. 1904, XIV, p. 257 bis 298; Karte. 5 W. Schiller, Geol. Untersuch, im Ob. Engadin; I. Lischannagruppe; ebendas. 1904, XIV, p. 107 bis 180; Karte. 704 E. Suess, nicht ganz unmittelbar mit dem Baue dieser Strecke in Ver- bindung stehen, berührt, wie z. B. jene nach den vermuteten Beziehungen der grünen Intrusivgesteine zu Radiolarien- gesteinen. Da ferner große Übereinstimmung mit den Ergeb- nissen von Lugeon und Termier herrscht, wird der Fach- mann in dieser Übersicht des Neuen nicht viel finden. Trotzdem schien sie mir notwendig, um den Vergleich mit weiter gegen Osten liegenden Gebirgsteilen zu erleichtern und um den hier nachfolgenden Einzelheiten ihren Platz anzuweisen. Die Grenzen dieser Übersicht werden beiläufig durch die Reuß und die Ötz gezogen sein. In diesem Teile der Alpen ist der tangentiale Einfluß so weit gegangen, daß die Gesteine in Decken zerlegt und diese Decken übereinander geschoben worden sind. In einzelnen Fällen ist es geschehen, daß durch diesen Vorgang gleich- zeitige Meeresablagerungen von wesentlich verschiedener ße schaffenheit (Facies) auf weite Strecken übereinander gelagert worden sind. Ihre abweichende Beschaffenheit lehrt, daß sie in voneinander entfernten, vielleicht getrennten Meeresteilen gebildet worden sind. Man kann sie als Bewegungen und Decken erster Ordnung ansehen. Andere Überschiebungen mögen auch ein sehr bedeutendes Ausmaß der Bewegung anzeigen, ohne doch aus den Grenzen der Facies hinauszutreten. Das sind die Bewegungen und Decken zweiter Ordnung und von diesen gibt es alle Ab- stufungen bis zu den geringsten örtlichen Überfallungen. In dem hier betrachteten Gebiete lassen sich drei Decken erster Ordnung deutlich unterscheiden. Jede derselben hat durch eine Reihe von Formationen ihre selbständige Facies; bei jeder derselben ist die ursprüngliche Auflagerung der sedimentären Serie auf eine bestimmte kristallinische Unter- lage kennbar. Diese Unterlage teilt in verschiedenem Maße die Bewegung der aufgelagerten Serie, bald indem sie nur Ver- faltung mit ihr verrät, bald indem sie als ein Stück der Decke mit ihr abgelöst und durch eine weite Strecke schwimmend über eine andere Decke getragen worden ist, bald indem mächtige Stücke von ihr abgeschürft und auf den Bewegungs- flächen fortgeschleppt wurden. Das Inntal bei Nauders. 705 /. Die hei vetische Decke. Dieser Deck'e gehört als die natürliche Unterlage die Montblanczone an, eine Reihe von Gliedern des variscischen Bogens, hier vertreten durch die Masse des Aarhorns und des Gotthard. Der siidliche Rand des Gotthard ist ihre südliche und der äußere Flyschrand ihre nördliche Grenze. Die Glarner Überschiebung vollzieht sich innerhalb dieser Decke; ich halte die Verschiedenheiten, die hier mnerhalb der Kreideformation auftreten, kaum für hin- reichend, um ihnen Bewegungen erster Ordnung zu Grunde zu legen. Es bleibt die Frage offen, ob die Glarner Überschiebimg veranlaßt sei durch das Darübergleiten einer zweiten, nun bis auf sehr geringe Spuren (Berglittenstein) entfernten Decke. Daß die höheren Glieder der helvetischen Serie schräge über den Rhein in die Kreide und Flyschzüge von Vorarlberg fortsetzen, wußte Mojsisovics bereits vor langer Zeit; Vacek hat die Sachlage auf österreichischem Boden beschrieben; Blum er hat das Überschreiten des Rheins durch die gesenkten Falten des Säntis zum Gegenstande einer besonderen Studie gemacht.^ Hiebei ist zu beachten, daß nicht etwa die gesamte Serie der helvetischen Decke über den Rhein tritt, sondern lediglich die durch den Faltungsvorgang abgelösten höheren Glieder. Deshalb konnte Blum er mit Recht sagen, auch die Kreide Vorarlbergs sei wie jene des Säntis wurzellos. Wie der Säntis selbst ist daher die Kreide- und Flyschzone, welche von diesem Faltenbündel nach Vorarlberg übersetzt, nicht als die Fortsetzung der gesamten helvetischen Decke, sondern nur als ein Rand derselben anzusehen. //. Die lepontinische Decke. Mit diesem von Stein- mann zwischenweilig gebrauchten Namen wird hier eine große Decke bezeichnet, für die oder deren Teile bereits anderweitig verbrauchte Namen (vindelicische , rhätische Decke) in Verwendung gekommen sind. Sie besteht, wie Lugeon im Chablais ausführlich gezeigt hat, aus mehreren 1 E. V. Mojsisovics, Veih. geol. Reichsanst., 1877, p. 266; AI. Vacek, ÜberVorarlb. Kreide; Jahrb. geol. Reichsanst, 1879, XXIX, p. 724; E. Blumer, Geol. Monogr. vom Ostende der Säntisgruppe (in A.Heim, Das Säntisgeb.) ; Beitr. geol. Karte der Schweiz; 1905, neue Folge, p. 518 bis 638 insb. p. 603. 706 E. Suess, Teilen; so unterscheidet Steinmann eine Freiburger Decke, eine Klippen-, eine Breccien- und eine rhätische Decke, übereinstimmend zum großen Teile mit den Teilungen von Lugeon im Westen, und von denen Lorenz im Falkniß die vierte, unter dieser die dritte, dann die zweite getroffen hat.^ Es wird auch später auf ähnliche Teilungen innerhalb des Fensters zurückzukommen sein. Hier aber, wo es sich zuvörderst um die Ermittelung der großen tektonischen Ele- mente handelt, empfiehlt es sich, vorläufig über diese Einzel- heiten hinauszugehen, und zwar um so mehr, als diese Gruppe innerhalb des Gebirgsbaues eine sehr deutlich kennbare Einheit bildet. Sie ist nicht nur gekennzeichnet durch ihr mächtigstes, in der Landschaft durch besondere Formen sich auszeichnendes Glied, den Bündner Schiefer, sondern auch durch basische Eruptivgesteine, die sie fast allenthalben begleiten und weder in der tieferen, helvetischen, noch in der folgenden, höheren Decke sichtbar sind. Diese Gesteine, Diabas, Diabasporphyrit, Gabbro, Serpentin, Variolit, Grünschiefer und andere, hier als die »grünen Felsarten« zusammengefaßt, sind, wie die Pietre verdi des Apennin, keine Effusiv-, sondern Intrusivgesteine und treten in diesem Gebiete vorherrschend, vielleicht ausschließlich, nahe der Obergrenze der lepontinischen Decke auf. Das Kärtchen ihrer Verbreitung, das Steinmann entworfen hat, ist zugleich die Darstellung dieser Obergrenze. ^ Dort, wo der lepontinischen Decke die folgende Decke auflastet, zeigt sich nicht selten eine von zahlreichen unter- geordneten Scherflächen durchschnittene Zone, in der auch sehr große abgeschürfte und durch die Bewegung der folgenden Decke fortgeschleppte Scherben von Gneis, Hornblendschiefer und andere auftreten. Die natürliche Unterlage dieser Serie sind das Adulagebirge, die Tessiner Alpen und ein guter Teil der Disgraziamasse. Ihre Sedimente ziehen von den Westalpen über Val Bedretto, dann zwischen Gotthard und Adula herbei, füllen das Rheintal, tauchen vom Falkniß bis Oberhalbstein unter den Rhätikon und 1 Steinmann, II, p. 33 und Anmerkung zu p. 37. 2 Steinmann, Ib, p. 215. Das Inntal bei Nauders. 707 die Westseite der Selvretta, auch unter das im Süden der Selv- retta vorliegende Kalkgebirge und dann unter die Granitberge bis zum Septimerpaß und bis Gravesalvas. In dem großen Fenster am Inn werden sie wieder sichtbar, herauftauchend unter den Gneismassen im Osten und Westen. Sie liegen auf der helvetischen Decke als die Klippen des Mythen und von Iberg, sowie am Berglittenstein. Sie tauchen in den bayerischen Alpen im Gebiet der Hier bei Oberstdorf und an anderen Punkten, stets an der Nordgrenze der Kalkalpen, unter diesen als ein unterbrochener Saum hervor. ///. Die ostalpine Decke. Diese Decke ist die höchste, keine andere liegt auf ihr. Sie unterscheidet sich von den an- deren Decken dadurch, daß innerhalb des hier betrachteten Gebietes ein beträchtlicher Teil ihrer normalen kristallinischen Unterlage von seinem ursprünglichen Standorte abgelöst und samt der sedimentären Auflagerung auf weite Strecken fort- bewegt ist. Die Fortbewegung hat über derlepontinischen Decke stattgefunden. Zu den fortbewegten Massen gehören: die ganze Selvretta, die Juliergranite in Ober-Engadin, von der Bernina- masse ein nördlicher Teil und von der Ötzmasse wenigstens ein beträchtliches westliches Stück. Mit diesen kristallinischen Massen wurden die ihnen aufgelagerten Sedimente fortbewegt. Sie bestehen aus der bekannten reichgegliederten mesozoischen Serie der nördlichen Kalkzone der Ostalpen. Solche bewegte Teile sind: das ganze vom Ortler herziehende Umbrailgebirge oder doch der größte Teil; die dem Juliergranit und der süd- lichen Selvretta aufgelagerten Kalkgebirge der ostalpinen Serie, wie das Ducangebirge, Plessurgebirge und andere, endlich der Rhätikon samt einem westlichen Stücke der nördlichen Kalk- alpen. So wie aber in Vorarlberg nicht die Gesamtheit der hel- vetischen Decke an dem Außenrande der Alpen anlangt und z. B. von den alten Felsarten der Aarmasse am Außenrande nichts sichtbar wird, so sieht man auch am Nordrande der Kalkalpen nichts von der milbewegten Unterlage von Gneis, sondern nur die mesozoischen Sedimente. Auch hier langt nur der höhere Teil der Decke an dem Außenrande an. Die Anordnung ist diese: In den Klippen der Schu'eiz (Mythen u. s. w.) liegt //auf /; am Rande d es Prättigau, 708 E. Suess, bei G r a V e s a 1 V a s und im Fenster am I n n liegt III auf //; am Nord ran de der Kalkalpen, an der Hier, liegen /// a II f // a u f /. Die Unterscheidung dieser drei tektonischen Einheiten bietet den Schlüssel zum Verständnisse dieses Teiles der Alpen. Noch im Jahre 1883 habe ich selbst auf Grund der damaligen Erfahrungen zur Erklärung der Überschiebung des Rhätikon einen Einsturz des Prättigau und Rückfaltung am Südrande des Rhätikon vorausgesetzt, während jetzt Rück- faltung wegfällt und der ganze Rhätikon sich als ein Stück der schwimmenden Decke darstellt.^ Man mag die damalige Auffassung vergleichen mit Lugeon's im Jahre 1902 ver- öffentlichten tektonischen Karte, auf welcher die angeführten Decken kennbar gemacht sind, um den erzielten Fortschritt zu ermessen. Das Fenster erscheint auf Termier's Karte von 1904.'^ Nun werden die größten Überfaltungen und Ein- klemmungen erklärbar. Das Gargellental ist in den Gneis der Selvretta einge- schnitten. Schon im Jahre 1843 bemerkte A. R. Schmidt, daß bei dem Orte Gargellen mitten im Gneis Kalkstein auftrete; westlich davon, gegen den Prättigau sehe man jenseits des Antonijoches auf mehr als eine Stunde weit, wie der Gneis mit scharfer Grenze auf dem Kalkstein liege. Man hielt den Kalk- stein für Caprotinenkalk, bis G. A. Koch fand, daß er von tithonischem Alter sei. Rothpletz hat hieraufgezeigt, daß an dieser Stelle der Tithonkalk in der Tat beinahe b km weit vom Gebirgsrande her unter den Gneis eingreift, bis ihn der Gargellenbach bloßlegt. Der Kalkstein gehört zur lepontinischen Serie; das Beispiel ist aus der Grenzregion von /// und // genommen.^ 1 Das Antlitz der Erde, I, 1. Heft, 1883, p. 182. 2 M. Lugeon, a.a.O., pl. XVII: P. Termier, Bull. soc. geol., 1904, 4. ser., III, pl. XXIII. 3 A. R. Schmidt, Vorarlberg nach den von dem geogr. mont. Verein für Tirol und Vorerlb. veranlaßtcn Begehungen, 8^, Innsbruck, 1843, p. 34; G. A. Koch, Verh. geol. Reichsanst., 1876, p. 371—375; Rothpletz, a. a. 0., p. 98, Fig. 34; hier werden auch Reste von Sernifit und Flysch als Begleiter des ein- geklemmten Tithonkalkes erwähnt. Das Inntal bei Nauders. 709 Als ein weiteres Beispiel mag Hoek's Schilderung des Plessurgebirges bei Arosa dienen. Der Gebirgsrand gliedert sich hier in vier Stufen. Die erste ist die hohe Strela-Amselfluh- kette, bestehend aus ostalpiner Trias in Falten, die gegen WNW überlegt sind. Die zweite ist das Parpaner Zwischenstück, eine kleinere Schuppe, die unter der ersten hervortritt; sie gehört noch zu III. Die dritte, noch weiter gegen NW gelegen und unter den beiden anderen hervortretend, ist ein wirrer Wechsel übereinander geschobener Scherben; hier allein treten die grünen Felsarten auf. Das ist die obere Grenzregion der Decke IL Die vierte und tiefste Gruppe ist Flysch.^ Wir wenden uns zum Inn. III. Umrahmung des Fensters. Die beiden kristallinischen Massen, die den Inn begleiten, Selvretta und Ötzmasse, sind sich sehr ähnlich. In beiden treten dieselben Gneise und gneis- artigen Phyllite und dieselben langen Züge von Hornblend- schiefer auf. In beiden nimmt die Ähnlichkeit gegen Norden mit der räumlichen Annäherung zu und man trifft dieselbe Seltenheit oder gänzliche Abwesenheit echter Granite, dasselbe weithin herrschende Streichen um O, mit geringer Abweichung bis SO oder ONO. Weiter im Norden endlich, wo nördlich von Prutz das Fenster endet, gibt es keine kennbare Grenze zwischen Selvretta und Ötzmasse und streichen die alten Felsarten, längs des Inn in langem Profil bis Landeck aufge- schlossen, quer über den Fluß. Der östlich vom Inn und nördlich vom Fenster gelegene Venetberg wird allgemein als die Fort- setzung der nördlichen ph3dlitischen Teile der Selvretta an- gesehen. Die vereinigten Gesteinszonen der Selvretta und der Ötz- masse enden gegen Norden an einer gemeinsamen, gegen O, weiterhin O in N streichenden Dislokation, welche die Grenze gegen die nördlichen Kalkalpen ist. Sie erscheint bei Zams nordöstlich von Landeck, dann gegenüber von Imst und noch bei Roppen, zwischen den Mündungen der Pitz und der Ötz, 1 Hoe k, a. a. 0. Sitzb. d. mathem.-naturw. KL; CXIV. Bd., Abt. I. 48 710 E. Suess, als eine von Süd gegen Nord gerichtete Überfaltung der älteren Felsarten über die Trias, bald aber sieht man nur steile Schicht- stellung, bald verschwindet wie bei Pettneu die Grenze unter dem Schwemmlande des Inn. Bei dem vorherrschenden Süd- fallen der älteren Felsarten ist es wahrscheinlich, daß die Über- faltung eine allgemeine war und daß ihre Spuren durch Ab- tragung auf lange Strecken hin entfernt sind. Diese Umstände begründen den Ausspruch G. A. Koch's, daß das Inntal im Osten der Selvretta nur eine orographische Scheidelinie, aber keineswegs eine geologische Demarkation gegen die Ötzmasse darstellt und vom Engadin bis über Prutz »als ein Quertal figuriert«.^ Seiner unmittelbaren Unterlage, dem Bündner Schiefer im Fenster gegenüber, ist der Inn ohne Zweifel ein Längental; würde man annehmen, daß die Gneise sich von Ost nach West verbinden, so wäre der Fluß diesen gegenüber ein Quertal. Vereinigt man die älteren Arbeiten von A. Es eher, Studer und Theobald," für den Süden mit jenen von G. A. Koch für den Norden, so ergibt sich beiläufig folgendes Bild der Selv- retta: Diese hohe und ausgedehnte Gebirgsmasse wird fast aus- schließlich von Gneis und von langen Zügen von Hornblend- gesteinen gebildet, die manchen Teilen des Hochgebirges ein gestreiftes Aussehen geben und dann von ferne das Gefüge anzeigen. Die Gesteine sind in lange Sättel und Mulden gelegt, deren Streichen mit geringen Abweichungen im Süden um SO und im Norden um O schwankt. Dabei ist namentlich im Süden die F'altung so eng gepreßt und doch jedes einzelne Glied so breit, daß breite Fächer entstehen, die in den Synklinalen nach oben sich öffnen, und daß sowohl in den Synklinalen als in den Antiklinalen die Schichten in den Achsen senkrecht stehen. Schon der senkrecht stehende Gneis des Piz Ketsch. N vom Albulapasse, zeigt diese Anordnung. Er gehört einer Anti- klinale an, die von Piz Griatschuls oberhalb Scanfs in der Nähe 1 G. A. Koch, Die Abgrenzung und Gliederung der Selvrettagruppe; 42 Seiten, 8«, Wien, 1884, p. 3. " ß. Studer, Geol. der Schweiz, 1851, I; G. Theobald, Geol. Beschr. der NO-Gebirge von Graubünden (Beitr. zur Geol. der Schweiz, II), 40, Bern, 1864. Das Inntal bei Nauders. 7 1 1 des Inn bekannt ist und, allerdings unter mehrfachen Ab- weichungen im Schichtenfall, quer über Val Tuors in der Richtung auf den Schmelzboden am Landvvasser, d. i. gegen NW streichen dürfte.^ Weit ausgeprägter ist derselbe Bau im Scalettagebirge, am Fluelapasse bis zum Pischagebirge und bis Davos auf der einen Seite dann auf der anderen bis zum Piz Nuna im Zernetzer Gebirge, das östlich vom Inn liegt. In den Tälern, die S. von Davos gegen das Landwasser sich öffnen, tritt ausnahmsweise die Richtung WSW bis SW in Geltung; die Hornblendschiefer wenden sich von hier aus im Pischagebirge gegen Ost und diese Richtung hält quer über die Selvretta an. Zugleich schalten sich zwischen diesen gegen Ost gerichteten Zug und die Scaletta andere Streichrichtungen ein, die den Übergang zur SO-Richtung des Südens bilden. Das Zernetzer Gebirge am rechten Ufer ist ein synklinaler Fächer, dessen Schichten im Süden gegen NO fallen, in der Mitte senkrecht stehen und auf der Nordseite gegen S und SW geneigt sind. Dieser Fächer setzt auf der W^estseite des Inn fort. Obwohl nun Theobald angibt, daß bei Guarda mehrere staike Hornblendbänke SW — NO streichen, ergibt sich doch ohne jeden Zweifel, daß das allgemeine Streichen der südlichen Selvretta von der Richtung des Innflusses quer durchschnitten wird.'' Mit dem Pischagebirge beginnt die Herrschaft des Streichens OW. Ein mächtiges Gewölbe nimmt nun mit dieser Richtung wohl die ganze Breite der Selvretta ein. Studer hat es gekannt, Theobald und Koch haben es beschrieben. ^ Seine Achse tritt nach Koch zwischen den Tälern Sardasca und Vernela hervor und streicht gegen Ost zum Südabhange des Piz Buin (3327 w); dabei stehen die Schichten in der Achse senkrecht und fallen im Süden gegen Süd und im Norden gegen Nord. Theobald wie Koch bemerken aber, daß auf den höchsten Gipfeln fast horizontale Schollen auftreten. Dieses Gewölbe 1 Theobald, a. a. O., p. 198. 2 Theobald, a. a. 0., p. 119, 187, 191, 240. 3 L.V.Buch, a. a. O., p. 264, 272 f.; Theobald, p. 108 und 187; Koch, Verh. geol. Reichsanst, 1877, p. 137. 48* 712 E. Suess, setzt noch weiter gegen Ost fort und umfaßt das Gebiet des Jamtaler Ferners. Die obersten Schichten des Piz Buin be- stehen nach Theobai d aus fast horizontalem Hornblend- schiefer. Südlich davon, gegen Val Tuoi, herrscht südliches Fallen; in Val Tasna, im Jamtal und bis zum Fluchthorn ist die Neigung gegen Nord auf kurze Strecken durch südliche Neigung unterbrochen. Im ganzen Montafon traf Koch WO als die Hauptrich- tung des Streichens mit geringeren Abweichungen gegen NO oder SO; die bedeutendste dieser Abweichungen liegt im Garneratale, wo nordsüdliches Streichen mit flachem Fallen in W eintritt.^ Die Ablenkungen im äußersten Nordwesten der Selvretta, im oberen Rhätikon, beeinflussen nicht den Bau der Masse. Dieser setzt in der Fervall-Gruppe, welche die ganze Mitte der nördlichen Selvretta einnimmt, in westöstlich streichenden Falten der kristallinischen Felsarten fort, doch tritt hier eine Ablenkung gegen OSO etwas mehr hervor. Vom Paznaun bis zum Arlberg unterscheidet Koch vier fast parallele Antiklinalen. Überhaupt ist die Verbindung mit dem Osten jenseits Paz- naun eine sehr innige.^ Vom Moostale, das nahe dem östlichen Eingang in den Arlbergtunnel in das Stanzer Tal mündet, streichen Gneis, Gneisphyllit und Glimmerschiefer ostwärts bis zum Furgler und Schönbüchl am Rande des Fensters, westlich von Prutz.^ Der Arlbergtunnel durchschneidet das Streichen in einem sehr spitzen Winkel. Nach Foullon liegt er in dem nördlichen Flügel einer mächtigen, gegen Nord überfalteten Antiklinale, 1 Koch, Verh. geol. Reichsanst., 1876, p. 320 und 343. Es wäre lehr- reich zu wissen, ob Beziehungen dieser Abweichung zu Vorkommnissen bestehen, die Studer von Val Sagliains bis über Vareina hinaus erwähnt (Geol. der Schweiz, I, p. 273). 2 Hier liegt das Gebiet, welches Koch als Antirhätikon bezeichnet; wie so oft fallen die orographischen Grenzen nicht mit den geologischen zusammen ; der Antirhätikon Koch's umfaßt zugleich das lepontinische Muttiergebirge, bei Prutz die westliche Hälfte des lepontinischen Gebietes und das kristallinische Gienzgebirge gegen Paznaun. 3 Koch, ebendas., 1875, p. 226, und 1876, p. 84 und 187; ders. Jahrb. geol. Reichsanst, 1875, p. 256. Das Inntal bei Nauders. 713 fast ausschließlich von Gneis, deren Streichen nicht wesentlich von OW abweicht. Das Fallen ist durchschnittlich 60° bis 65° S.^ Quarzphyllite und Tonglimmerschiefer treten in diesen nördlichen Teilen der Selvretta mehr und mehr hervor. Endlich ist die Grenze gegen die Kalkalpen und im Osten die Verbin- dung gegen den Venetberg erreicht. So stellt sich die Selvretta im großen als ein OW streichendes Faltensystem dar, in dessen nördlichen Teilen die Bewegung gegen Nord deutlich hervortritt. An einigen wenigen Punkten, wie bei Gaschurns in Montafon, wird Graphit erwähnt. Das Streichen der Ötzmasse vollzieht im Südosten einen Bogen, der im großen der Beugung der Judicarienlinie bei Meran entspricht. Teller hat den Bau auf das lehrreichste beschrieben."^ Eine erste breite Zone von Gneis und Gneis- phyilit streicht S vom Jaufen über die Hohe Warte, kreuzt das Passeiertal, wendet sich mehr und mehr gegen SW und bildet bis über Schlanders das nördliche Gehänge des Etschtales. Ihr folgt eine mannigfaltige Zone von Schiefer und Kalkstein (Kalkphyllitzone), die alle Berge bis Ridnaun, Schönau im oberen Passeier und einen großen Teil des Gurgler Kammes samt der Hochwildspitz umfaßt. Lichter Glimmerschiefer, Biotit- gneis und zwei Kalkzonen, getrennt durch Granatglimmer- schiefer, bilden diese Zone. Sie verschwindet gegen Südwest auffallend rasch in der Texelgruppe und gelangt nicht an die Etsch. Nicht ganz sichere Spuren erscheinen wieder im Schlandrauner Tale ob Schlanders. Die ganze Zone fällt gegen N und NNW unter die zweite Gneiszone. Diese streicht von Stubai her; Gurgl, Vent, der Weißkamm fallen ihr zu; sie er- reicht das obere Pitztal. 1 Heinr. Baron v. Foulion, Über die Gesteine und Minerale des Arlberg- tunnels; Jahrb. geol. Reichsanst., 1885, XXXV, p. 49 und 100. 2 F. Teller, Verh. geol. Reichsanst., 1877, p. 231; 1878, p. 64 und 392. Die von Frech vorausgesetzte Scharung mit einem NW streichenden Gebirgs- teil liegt außerhalb des hier erörterten Gebietes; ders. Über den Gebirgsbau der Tiroler Zentralalpen; Wiss. Ergänzungshefte zur Zeitschr. des d. u. ö. Alpenver., II, 1. Heft, 1905, p. 57. Daß der Kalk am Jaufen Trias sei, vermutete schon Pichler; Jahrb. geol. Reichsanst., 1864, XIV, p. 438. 714 E. Suess, Der Bogen flacht allmählich zu einem allgemeinen OW- Streichen aus. Nachdem der Gneis eine große Ausdehnung in der Richtung auf Glurns genommen, streicht ein Zug von Horn- blendschiefer von Graun am Ausgange des Langtauferer Tales gegen ONO bis zur Gepatschalpe im obersten Kaunser TaU und in den drei parallelen Tälern von Ötz, Pitz und Kauns zeigt sich die Änderung. Im mittleren Ötztale trifft man sogar auf WNW, bevor WO erreicht wird; es sind deutliche Syn- klinalen und Antiklinalen vorhanden und nach wiederholten Abweichungen gegen SW erscheint im Inntale Fallen 80° NO, als wäre hier ein leicht gegen S überlegtes Gewölbe vorhanden,^ während das benachbarte Hochedergebirge OW streicht, mit steilem Südfallen und mit nach N überkippten Schichten den Inn bei Pfaffenhofen, gegenüber Telfs, erreicht.^ Daß im Inntal an mehreren Punkten die alten Gesteine über die Trias über- faltet sind, wurde bereits gesagt. Im obersten Pitztale schwankt die Richtung des Streichens von O etwas in S oder N, bis von Ritzenried an 0 allgemein herrscht. Das Kaunser Tal greift tief gegen Süden und in seinem südlichsten Teile, am Weißseejoch (West Gepatsch) sieht man noch das Streichen N etwas in O; dann stellt sich die Richtung O ein und diese wird im ganzen Tale beobachtet bis zum Fenster.* Über das nördlichste Ende des Fensters habe ich bei der Pontlatzer Brücke keine volle Gewißheit erlangt. Die Tiroler Geologen nennen als das Ende in der Regel die Häuser- gruppe Piller; Koch erwähnt den Kalkphyllit von Puschlin, NO von der Pontlatzer Brücke. Nördlich von diesem Ende streichen die gneisartigen Phyllite von der Selvretta gegen den Venet- berg herüber. Diese lange Aufzählung von Einzelheiten zeigt, daß im Osten wie im Westen des Fensters die alten Felsarten der Hochgebirge beherrscht sind von einem gemeinsamen ost- westlichen Streichen und einer gemeinsamen Beu^egung gegen 1 Blaas, a. a. 0., p. 493. 2 Grubenmann, Anz. Ak. Wiss. Wien, 1898, p. 16. 3 Ohnesorg, Verh. geol. Reichsanst., 1905, p. 175. 4 Koch, Jahrb. geol. Reichsanst, 1875, XXV, p. 247. Das Inntal bei Nauders. 715 Nord, die sich auch ausdrückt in der Überfaltung des südlichen Randes der Kalkalpen. Diese Bewegung setzt sich in die Kalk- alpen und bis in die Flyschzone fort. Sie steht nicht im Ein- klänge mit dem bald zu erwähnenden nordöstlichen Streichen der lepontinischen Sedimente innerhalb des Fensters. Das Umbrailgebirge ist eine Fortsetzung der Trias des Ortler und schiebt sich als ein breites Dreieck zwischen die Ötzmasse und Selvretta. Die nördlichste Spitze, Piz Lat, erreicht die Nähe von Nauders. Im großen ist es eine Tafel von ost- alpinen Sedimenten, von Verrucano bis in den oberen Jura reichend und aufruhend auf Gneis, öfters unter Dazwischen- treten von Casannaschiefer. Die normale Auflagerung wird bestätigt durch die vereinzelten Vorlagen, z. B. den dem Berninagebirge aufgelagerten Piz Alv, welchen Diener be- schrieben hat.^ Die Tafel ist von untergeordneten Bewegungen durch- zogen, die ausnahmsweise die Unterlage hervortreten lassen. Im Süden muß als die bedeutendste nach Böse's Schilderung die Überschiebung gelten, deren Rand in der Richtung WSW bis SW durch Val Varusch (unter Scanfs am Inn) bis Val Tre- palle (unter Livigno am Spöl) hinläuft und die in derselben Richtung wahrscheinlich noch viel weiter gegen die Stilfser- straße zieht.^ Im nördlichsten Teile dieses Kalkgebirges treten heftigere Störungen ein, die besonders zu besprechen sein werden. Westlich vom Inn können die großen Schollen von ostalpiner Trias, die dem Gneis der südlichen Selvrettamasse auflagern, als Vorlagen und Fortsetzungen der Tafel von Umbrail angesehen werden. Bemerkenswert ist hier das Auf- treten von Porphyr in demselben Horizonte wie in Bozen und Val Trompia, d. i. wie in den Dinariden. Er erscheint mit dem Verrucano am Piz Alv, dann jenseits des Inn an der Albula- straße unter Bergün und an anderen Orten. Wir begeben uns nach dem Süden, westlich vom Inn. Ob- wohl hier die Natur der Forschung große Hindernisse ent- 1 C. Diener, Die Kalkfalte des Piz Alv in Graubünden; Jahrb. geol. Reichsanst., 1884, XXXV, p. 313. 2 C. Böse, Zur Kenntnis der Schichtenfolge im Engadin; Zeitschr. der geol. Ges., 1896, p. 584. 716 E. Suess, gegensetzt und obwohl viel Arbeit hier noch zu leisten ist, können doch heute zwei Tatsachen als gesichert angesehen werden, nämlich daß die größte Zahl der Talfurchen nicht durch Bruch sondern durch Erosion erzeugt ist und daß die ostalpine Serie von Umbrail her in Sti.icken einer Decke über dem Gneis der südlichen Selvretta sich ausbreitet, während von Oberhalbstein her die lepon- t i n i s c h e Serie samt den grünen Gesteinen unter diese selben Gneise und auch unter die Granite hinabsinkt, die zwischen der Albula und dem Silser See aufragen. Ein Beispiel ist Diener's Profil des Piz Err.^ Besonders klar wird das Hinabsinken der sedimentären unter die kristal- linischen Gesteine auf der Strecke vom Septimer Paß über Gravesalvas zum Silser See. ^>Auch der letzte Zweifel an der Richtigkeit dieser Tatsache«, schrieben A. Escher und Studer im Jahre 1839, »verschwindet, wenn man, auf dem Rücken über Gravesalvas, mitten zwischen Felsen von Granit und Syenit steht und zu beiden Seiten, an den Abhängen des Gebirges, die Flysch- und Kalkschichten unter sich durchstreichen sieht«. ^ Diener hat aber anschaulich geschildert, wie auf der anderen Seite des Silser Sees dieses Verhältnis sich fortsetzt, wie dem aus Gneis und Glimmerschiefer bestehenden Höhenzuge zwi- schen Val Fedoz und V'al Fex zuerst einzelne sedimentäre Schollen auflagern, wie dann auf der Ostseite von Val Fex die Kalkphyllite (lepontinischen Bündner Schiefer) samt den grünen Gesteinen auftreten, in langem Zuge fortstreichen gegen SSO bis zum Piz Tremoggia und Sasso d'Entova und wie sie ihrer ganzen Länge nach überlagert werden von einer großen Masse von Talkschiefer und Gneis, welche Piz Corvats, den Ca- putschin und die nördlich folgenden Höhen bildet.^ 1 C. Diener, Geol. Studien im SW-Graubünden; diese Sitzungsber., 1888, XCVII, p. 630. 2 A. Escher und B. Studer, Geol. Beschreib, von Mittel-Bündten; 4", 1839, p. 57. 3 C. Diener, Südwest-Graubünden, p. 617 u. f.; über die weitere Fort- set;iung innerhalb der Disgraziagruppe Theobald, II, p. 213 u. f. Das Inntal bei Nauders. 717 Diese Tatsachen sind von Bedeutung. Dieses Ausstreichen der KalkphylHte zwischen zwei Gneismassen lehrt, daß die südHche, nämlich der nördliche Teil der Disgrazia- gruppe die Unterlage der lepontinischen Sedimente ausmacht und folglich in dieser Beziehung zum Adula- gebirge zu reihen ist, während die nördliche, d. i. der west- liche Teil der Berninagruppe das Dach ist, wie Selv- retta. Dieses Dach trägt die ostalpinen Schollen. So gliedert sich im großen der Bau; wie gewaltig die Bewegungen gewesen sind und wie schwer es ist, von ihren Einzelheiten Kenntnis zu erhalten, beweist der Umstand, daß der Albulatunnel mitten in der Granitmasse des Piz Giumels, 700 111 unter Tags, eine 65;« breite, mechanisch abgerissene und mechanisch eingeknetete Scholle von Mergel und Kalk- stein angetroffen hat; auf der einen Seite hatte man 1Q2S in, auf der anderen 838 ;;/ Granit durchfahren. ^ IV. Der nördliche Teil des Fensters. Wer von einer erhöhten Stelle zwischen Prutz und Nauders das Inntal über- blickt, dem fällt der Gegensatz in die Augen zwischen den gerundeten, aber von sehr tiefen Wasserrissen durchschnittenen Höhen längs des Flusses und den steilen Felskämmen über ihnen. Die ersteren gehören den lepontinischen Sedimenten an, und zwar zur Hauptsache dem leicht zerstörbaren Bündner Schiefer; die letzteren sind Gneis imd Hornblendschiefer, und zwar sind es im Osten die Vorberge der Ötzmasse, vom Aifen- spitz (2566 w, NO von Prutz) über den Mathankopf (2471 m) bis zum Riffler Glockturm (3351 w, O von Nauders). Unter dieser zackigen Mauer verläuft die Grenze gegen den Schiefer quer über das Kaunser Tal und gelangt über das Saderer Joch zum Vallerigraben ob Nauders. Im Westen ist ein ähnlicher hoher Gneiszug vorhanden; er zieht vom Schönjöchl (2493 w, über Ladis) zum Furgler (3007 in) und Hexenkopf (3038 in) 1 Tarnuzzer, Geol. Verhältn. des Albulatunnels; 4G. Jahresber. naturf. Ges. Graubünden, 1904. 718 E. Suess, und. hier rückt nach den vorliegenden Angaben die Schiefer- grenze höher an den Gneisbergen hinauf. Südlich von hier steigen innerhalb des Grabens die lepon- tinischen Gesteine, auch hier vorherrschend Bündner Schiefer, zu immer größeren Höhen an, so in dem gegen das Samnaun abfallenden Kreuzjoch (2696 zw). Endlich umschließen in einem Bogen Samnaun, Val Sinestra und der tiefe Canon von Finster- münz die hohe Muttiergruppe (Piz Mondin, 3163 w; Muttier, 3299 m; Stammer Spitz, 3256 m). Über den Vesilspitz (3093 m) und das Zeblesjoch erlangt diese Gruppe Verbindung mit dem Gneisgebirge, das Paznaun vom Inntale trennt. Die Muttier- gruppe besteht mit Ausnahme des höchsten Teiles des Stammer Spitz ganz aus lepontinischem Gestein und allerdings mag der flüchtige Beschauer zweifelnd fragen, ob diese mächtigen Berge denn wirklich unter die Gneise hinabtauchen, mit denen sie völlig an Höhe wetteifern. Daß das jedoch der Fall sei, wußten die Tiroler Beobachter, wie Sanders, bereits vor vielen Jahren und man kann sich davon bei der deutlichen Schichtung der Schiefer in jedem Seitengraben überzeugen, der die Grenze erreicht. Allerdings hat aber auch schon vor vielen Jahren Supan aufmerksam gemacht, daß der Druck der großen Gneis- berge auf den nachgiebigen Schiefer Zertrümmerung ver- anlassen und die Erosion befördern müsse. ^ Erstaunlich ist in der Tat die Eintiefung des Inn im Ver- gleiche zu der nahen Etsch. Die Wasserscheide bei Reschen- scheideck liegt in 1510 w auf Gneis; zahlreiche Rundhöcker ragen aus den queUreichen Wiesen auf. Westlich davon, jen- seits des schmalen Gebirgszuges des Piz Lat, nur 6800 m von der Wasserscheide entfernt, befindet sich der Spiegel des Inn um 480 m tiefer. Der Stille Bach, der von der Wasserscheide nach Nord fließt, stürzt schäumend in den Cafion von Finster- münz hinab. Nachdem er in 1434 m die Quellwiesen der Wasserscheide verlassen, verzehrt er innerhalb 6700 m ein Gefälle von 429 m. 1 A. G. Supan, Studien über die Talbildung des Ostens Graubündens und der Tiroler Zentralalpen; Mitt. geogr. Ges. Wien, 1877, XX, p. 293 bis 399; insb. p. 314. Einzelheiten über die Wasserscheide gibt J. Müllner, Die Seen am Reschenscheideck; Penck, Geogr. Abh., 1900, VII, Heft 1; 44 Seiten. Das Inntal bei Nauders. 719 Der Canon greift im Schiefer tief unter die alten Gletscher- betten hinab. Die Zerstörung während der Eiszeit vollzog sich in höherem Niveau und die Vereisung war eine so vollständige, daß im Zuge des Piz Lat nach Penck die Scharte in 2547 w vom Eise überstiegen worden ist. ^ Unterhalb Prutz, bei der Pontlatzer Brücke, biegt, wie erwähnt, derinn aus dem Eenster ab; die lepontinischen Sedimente (Kalkphyllite) sollen aber, ihre NO-Richtung fortsetzend, noch auf der Pillerhöhe auf- treten. Der Pillerbach nie(3t gegen NO über Werms hinab und erreicht, mit dem Pitzbache vereinigt, gegenüber von Imst den Inn. Durch die Mulde des Pillerbaches ist ein Arm des oberen Inngletschers (oder der ganze?) in das Längental gelangt, auf einem Bette, das wohl mindestens um 500 in höher war als der heutige Inn. So hat sich schrittweise die Aushöhlung des großen Tales vollzogen und sein am leichtesten kennbares Gestein, der Juliergranit, wurde dabei bis über Kufstein, mehr als 200 km weit, hinausgetragen. Umgebung von Prutz. Von Landeck her begleitet den Inn grauer Gneisphyllit, sehr zerknittert, mit vorherrschender Neigung gegen Süd. Oberhalb des Neuen Zolls, nicht sehr weit unterhalb der Pontlatzer Brücke, liegt in diesem Gneisphyllit eine vereinzelte und zerdrückte Masse von Serpentin. Bei dieser Brücke, die nicht selten als die Grenze des Fensters ge- nannt wird, habe ich nur Gneisphyllit in sehr steiler Stellung gesehen. Steinmann hat auf der linken Talseite, »an den Fels- partien, die sich etwa 150 w über dem Tale herausheben«, zwischen dem kristallinen Schiefer und dem Kalkphyllit ein Kalkband von etwa 4 m Mächtigkeit getroffen, bestehend aus einem mäßig stark cipolinisierten Kalk »als Vertreter der nach Art des Lochseitenkalkes ausgewalzten Trias«. ^ Eine kurze Strecke oberhalb der Brücke, bei dem Gehöft des Untergufer, tritt Kalkstein hart an das rechte Ufer des Inn^ und bei dem allgemein herrschenden Streichen gegen NO 1 A. Penck, Die Alpen im Eiszeitalter; 8«, 1902, p. 276, 294, 317. 2 Steinmann, a. a. O., 1899, X, p. 265. 3 G. A. Koch, Jahrb. geol. Reichsanst., 1875, XV, p. 257, nennt als Grenze des Kalktonphjilites das ganz nahe bei dem Untergufer liegende Falpans. 720 E. Suess, oder NNO ist er möglicherweise die Fortsetzung eines weiteren ähnlichen Vorkommens von Kalkstein auf der linken Talseite, oberhalb der ersten Häuser von Entbruck. Seine hier gut auf- geschlossenen Bänke stehen fast senkrecht; sie sind von blau- schwarzer Farbe, wenig verändert und wurden in größeren Stücken gebrochen. Die letzte Bank, scharf abgegrenzt gegen schwarzen Schiefer, ist mehr marmorisiert als die anderen Bänke. Der Schiefer ist ebenflächig, dachschieferähnlich, gelb beschlagen und führt Kupferkies. Nur wenige Meter an Mächtig- keit sind sichtbar; dann erscheint, durch ein schmales Gärtchen getrennt, dunkelroter Schiefer, etwas erinnernd an Werfner Schiefer und eng verbunden mit geschichtetem, weißem Quarzit, der, hoch aufragend, die Burgruine Landegg (Prutz) trägt. Dieses Riff von weißem Quarzit, von der Talsohle auf- wärts durch 350 in aus dem grünen Gehänge steil hervor- tretend, ist der auffallendste Zug der Landschaft. Seine Schichten fallen mit etwa 30° W bis NW. An seiner SO-Seite ist es gleichfalls von rotem Schiefer begleitet. Diese Schichtfolge ist von Termier beschrieben worden als eine Decke (Nappe) von Trias von der Facies des Tri- bulaun, eingeschaltet zwischen die Schistes lustres und die Phyllite.^ In der Tat habe ich auf der linken Talseite oberhalb dieser gegenüber von Prutz gelegenen Stelle nichts gesehen, was dem Bündner Schiefer gleichen würde, doch waren meine Begehungen nicht zu einer vollen Entscheidung ausreichend; sein Gebiet beginnt, wie es scheint, erst jenseits des Quarzits. Die flachen Gehänge oberhalb Ladis und bis gegen Fiß bestehen aus einem wiederholten Wechsel von nicht mächtigen Bänken von Kalkstein und Schiefer. Auf den Rundhöckern, die aus dem Gelände hervortreten, erkennt man die steile Neigung gegen NW und das Streichen gegen NO, schräge über den Inn gegen den Ausgang des Kaunser Tales, wo an den steilen Abhängen von ferne ihre Fortsetzung sich verrät. Viel Grünschiefer, auch Serpentin ist lose vorhanden; an- stehend sah ich sie nicht. Am Schönjöchl oberhalb Fiß soll 1 Termier, Comptes rend., 24. Oct. 1904. Das Inntal bei Nauders. 721 die Grenze gegen den Gneis durcliziehen; die Höhen sind dicht bewaldet. Jenseits des Inn, im Kaunser Tale, sind, wie gesagt, die kalkreichen Bündner Schiefer in hohen Wänden entblößt. Ihre Neigung ist noch immer steil gegen NW; dann wird sie ge- ringer; bevor die Ruine Berneck erreicht ist, bilden die Schichten einen Sattel und fallen von hier an gegen O und SO, gegen den östlichen Gneisrand, unter wechselnder Neigung zwischen 30 und 60°. Bei der Wirtschaft zur »Alpenrose« unter Kalten- brunn zieht eine leichte, mit Moränenschutt erfüllte Mulde quer über das Tal; jenseits befindet man sich im Gneis. Weder von Trias noch von grünem Intrusivgestein ist eine Spur sichtbar. Der Bündner Schiefer bildet daher bei Prutz eine NO streichende Antiklinale, deren Achse jedoch nicht in der Mitte liegt; Qkm dürften dem westlichen und 2- 5 km dem östlichen Flügel zufallen. Sein Verhältnis zur Trias ist nicht klar; jeden- falls kehrt diese dem Bündner Schiefer bei gleicher Neigung die tieferen Glieder zu. Sie scheint auf dem Schiefer zu liegen und einen Teil des westlichen Flügels der Antiklinale zu bilden. Sowohl in den härteren Lagen des Bündner Schiefers im Kaunser Tal als im Quarzit gewahrt man große, wind- schiefe und mit Striemen bedeckte Flächen, die starke Bewe- gungen innerhalb der einzelnen Glieder der Antiklinale ver- raten. In allen Fällen, die ich sah, entspricht die Richtung der Striemen der Neigung der Schichten und ist daher im Quarzit gegen NW und im entfernteren Teile des Kaunser Tales gegen SO stets unter den Gneis hinab gerichtet. Schon dieses erste Profil bringt die Frage zurück, ob die lepontinische Serie eine einheitliche sei. Tektonische Einheit ist hier im Fenster wahrscheinlich nicht vorhanden. Wenn irgend welche organische Reste im Bündner Schiefer gefunden wären, welche die oft ausgesprochene Vermutung bekräftigen würden, daß er zum Flysch gehört, würde man ersehen, daß im Fenster Trias über Flysch geschoben sei. Aber solche Reste fehlen. Weiter im Süden, westlich von der hohen Muttier Gruppe und längs des südwestlichen Randes hat durch Paulcke's 722 E. Suess, Bemühungen die Gliederung der lepontinischen Serie große Fortschritte gemaxht. Verrucano erscheint nicht in t3'pischer Form. Trias ist vertreten durch bunte Schiefer, Rauchwacke, Quarzit und Gips. Lias, früher nur an zwei Stellen bekannt, bildet im Westen ein langes Band von Crinoidenkalkstein, das auch einen Arieten geliefert hat. Er greift in den Oberlauf von Tälern über, die gegen das Paznaun abdachen. Jura wurde nicht getroffen; eine Zone von Unterkreide mit Diplop. Mühl- hergi und Orhittil. lenticularis begleitet den Lias. Von dem übrigen Teile des Bündner Schiefers vermutet Paulcke, daß er dem tertiären Flysch angehöre.^ Die Gipse, die am leichtesten kennbaren Vertreter der Trias, sind auch in einer Reihe vereinzelter Vorkommnisse von Westen her am Südrande, dann im Osten bis über Sins hinab bekannt. Da im Südosten auch Spuren von Crinoidenkalkstein erwähnt werden, gewinnt es den Anschein, als würde um den Westen, Süden und Südosten des Fensters eine mesozoische Zone als Rand des lepontinischen Gebietes auftreten, der Bündner Schiefer im engeren Sinn aber mehr der Mitte und dem Nordosten angehören. Eine stratigraphische Trennung der Serie, nämlich das Auftreten gleichzeitiger Sedimente in verschiedener Facies, ist nicht bekannt. Der Südosten des Engadin ist durch einen besonderen Reichtum an Heilquellen ausgezeichnet; auch unter dem Quarzitriff von Prutz tritt ein Säuerling hervor. Nauders. Der Canon von Finstermünz ist das groß- artigste Bild der Vertiefung des Inn in den Bündner Schiefer. Die Schichten sind gegen O und S unter den Gneis geneigt. Auf abgewitterten Flächen sieht man nahe oberhalb des Sperr- forts deutliche Bilder der Erscheinung, welche »galoppierende Fältelung« genannt werden mag. Alle Falten oder Fältchen 1 Paulcke, a. a. O. Das Inntal bei Nauders. 723 sind nach überlegt gegen die Neigung der Schichtfläche, d. h. sie steigen auf der geneigten Schichtfläche an. Sie stehen so dicht, daß eine auf der anderen zu reiten scheint. Sie waren begleitet von Ablösungsflächen und Hohlräumen, denn sie si«d durch Züge von weißem Kalkspat an der Felswand gezeichnet; dieser schwillt an in den Antiklinalen. Herausgeschlagene Falten zeigen auf der Oberfläche des Kalkspates den Abguß von Striemen in der Richtung der Neigung der Schichten. Solche galoppierende Fältelung dürfte entstehen, wenn die hangende Schicht aufwärts gleitet oder die liegende sinkt. Sie ist ihrer Entstehung nach vergleichbar den gestriemten Flächen bei Prutz. Hier, bei dem Sperrfort, ist der Bündner Schiefer reich an blauschwarzem Kalkstein; weiter gegen Nauders stellt sich da und dort grüner Schiefer ein, wenn auch wohl nicht so häufig als Theobald vermuten läßt. Es steht auch keineswegs fest, daß dieser zvvischengelagerte grüne Schiefer immer wahrer Grünschiefer (Prasinit, ausgewalzter Diabas) sei. In einem der auffallendsten Beispiele scheint die ganze F'elsmasse von den höher liegenden Wänden herabgeglitten zu sein. Nauders liegt abschüssig zwischen 1360 und 1400 m. Die jedem Besucher dieser Gegend wohlbekannte Kunststraße, die hinabführt nach Martinsbruck (1019 m) ist ein neuerlicher Ausdruck der Tiefe des Inntales. Die Schlucht des Valleri- baches oberhalb Nauders zeigt im Anstieg eine Gneismoräne und unter dieser den Bündner Schiefer, geneigt gegen 0 und SO. Dann, wie mir schien nahe unter 1600 w, werden die grünen Gesteine, Variolit, Serpentin u. a., erreicht. Einige Blöcke, die ohne Zweifel der ostalpinen Trias angehören, liegen in der Schlucht. Ich habe aber nicht die Obergrenze der grünen Gesteine erreicht und kann daher nicht sagen, ob diese Trias höher oben ansteht. Lehrreich ist der Ausblick oberhalb Nauders. Der Caiion bleibt verdeckt, aber jenseits erheben sich die breiten und ein- förmigen Gehänge des Mondin und des Muttier bis zu aus- gedehnten Halden, über welchen ein felsiger Kamm die höchsten Teile des Gebirges bildet. Die Gehänge fallen dem Bündner Schiefer zu, der felsige Kamm den grünen Felsarten. Stein- 724 E. Suess, mann sagt, daß diese Felsarten wurzellos über dem Schiefer liegen und alle bisher bekannten Umstände bestätigen dies> Wer aber sieht, wie oberhalb Nauders unter seinen Füßen die Schichtflächen des Bündner Schiefers gerade in der Rich- tung des Mondin sich erheben und weiß, daß ihn hier dieselben grünen Felsarten überlagern wie dort, wer weiters in Betracht zieht, daß das ganze zwischenliegende Prisma des Talprofils samt dem untersten fast vertikal umgrenzten Caflon lediglich durch Auswaschung des Bündner Schiefers erzeugt ist, ganz wie Samnaun und die anderen benachbarten Täler, dem muß die Vermutung sich bieten, daß, so wie die Bündner Schiefer des Mondin die Fortsetzung jener von Nauders, so auch die grünen Felsarten seiner Gipfel die Fortsetzung jener von Nauders seien, emporgetragen, wie die Neigung der Schiefer anzeigt, durch irgend eine Emporwölbung. Diese Emporwölbung ist wirklich im Unterbaue des Mon- din in der Gestalt einer weiten Antiklinale des Bündner Schiefers bekannt. Aus den Arbeiten des unermüdeten Theobald ergibt sich nämlich, daß die bei Nauders und in Finstermünz herr- schende Neigung des Schiefers anhält bis an den tief ein- geschnittenen Ferner Tobel, der an der NNO-Seite des Mondin von den Gletschern herabzieht zum Schergen (oder Schalkl)- bach. Jenseits dieses Tobeis beginnt die Neigung gegen NW und diese setzt sich fort in Val Sampuoir und im Samnaun.^ Unser Standpunkt an der Basis der grünen Gesteine ob Nauders ist von dem Grat des Mondin in der Luftlinie 7 km entfernt. Auf dem Passe zwischen Mondin (Albulagipfel) und Muttier stand Theobald in 2500 7/? noch im Schiefer. Wollte man diese Höhe als die obere Grenze des Schiefers ansehen, so würden von dem uns zugekehrten Abfalle des Mondin bis zum Inn hinab 663 w auf die grünen Felsarten und 1500;» auf den Schiefer entfallen. Die Grenze zwischen beiden würde 1 Steinmann, a. a. 0., 1899, X, p. 267. 2 G. Theobald, Geol. Beschr. von Graubünden, I (Beitr. zur Geol. der Schweiz, II), 40, Bern, 1864; p. 272. Das Inntal bei Nauders. 72o etwa 900 m höher als bei Nauders liegen; das ergibt ein An- steigen der Wölbung von annähernd 1 : 8 und erklärt die Neigung der Schiefer bei Nauders. Es ist aber zu vermuten, daß die Grenze noch höher liegt. Weiter gegen Westen, über dem 2540 m hohen Kamm von Zebles, der Samnaun abgrenzt und die Muttiergruppe mit dem gegen Paznaun abfallenden Gebirge verbindet, streicht nach Theobald gipsreiche Trias und unter dem Bürkelkopf (3030 I«) treten wieder die grünen Felsarten auf. Hiernach muß man vermuten, daß die ganze lepontinische Serie des Fensters von den grünen Gesteinen überwölbt war (Vallerigraben bei Nauders im Osten, Grat des Mondin in der Mitte, Bürkelkopf im Westen). Sie neigen sich im Osten unter den Ötzgneis und im Westen unter den Selvrettagneis. Diese grünen Gesteine sind aber nicht effusiven Ur- sprunges. Sie sind intrusive Lagergänge, vielleicht auch zum Teile durch die Bewegung auflastender Massen verschleppte Stücke. In jedem dieser beiden Fälle ist noch über dem Grat des Mondin eine weitere Gebirgslast vorauszusetzen. Diese Ansicht wird bestätigt durch Paulcke's Entdeckung, daß die dritte Hochspitze der Muttiergruppe, Stammer Spitz (3256 m), über den grünen Gesteinen noch eine ansehnliche Scholle von ostalpiner Trias trägt und daß auch nördlich von Samnaun ähnliche Spuren von ostalpiner Trias über den grünen Ge- steinen einzelne Gipfel bilden. Die unter dem Mondin durchstreichende Antiklinale des Bündner Schiefers erinnert an jene im Kaunser Tale. Theo- bald sagt, daß weiter im Süden zwei oder drei ähnliche Anti- klinalen nebeneinander vorhanden seien. Ihr Streichen ist, wenigstens in der nördlichen Hälfte des Fensters, parallel seiner großen Achse, d. i. NO bis NNO und nicht übereinstimmend mit dem mehr gegen 0 gerichteten Streichen der Gneise. Man könnte vermuten, daß diese Faltung überhaupt ganz jung, vielleicht gar erst durch die Entlastung bei der Erosion des Tales hervorgerufen sei. Es wäre auch denkbar, daß eine späte allgemeine Bewegung der Alpen gerade nur in dem plastischen Schiefer innerhalb des mächtigen Rahmens zum Ausdruck gelangen konnte, etwa wie die kleine, schräge Flyschfalte Sitzb. d. niaihem.-naturw. Kl. ; CXIV. Bd., Abt. I. 49 726 E. Suess, zwischen den Deckschollen von Sulens und den Annes. ^ Der Bau des westlichen, höher liegenden Randes und der Antiklinalen in der südlichen Hälfte des Fensters sind mir aber zu wenig bekannt, um hier irgend ein Urteil zu gestatten. Im allgemeinen kann nur gesagt werden, daß die immerhin ziemlich steile Neigung der Schiefer unter den Gneis bei Prutz, Finstermünz und Nauders und ihre starke Striemung auf irgend eine spätere, der Bildung des Fensters nachfolgende Bewegung hinweisen. VI. Das nördliche Ende des Umbrailgebirges. Südlich von S. Maria im Münstertal erhebt sich Piz Lat (2883 m), ein nördlicher Vorberg des Piz Umbrail und nicht zu verwechseln mit Piz Lat bei Nauders. Nach Theobald sieht man auf drei Seiten, gegen Ost, Nord und West, in den benachbarten Tälern Gneis als die Unterlage des Piz Lat. Der Berg selbst besteht aus ostalpiner Trias, aber auf seinem Gipfel liegen über Haupt- dolomit wieder Gneis und Casannaschiefer. Der Gneis zieht ostwärts hinab, erscheint aber auch auf der Nordseite mitten zwischen Trias und sendet ferner einen Keil südwärts gegen Piz Umbrail; er bildet die Gipfel des Piz Ett. Es findet daher Verfaltung von Ötzgneis mit Umbrailtrias statt.'^ Ähnliches wiederholt sich auf der Nordseite des Münster- tales, wo oberhalb Valpachun Gneis und Casannaschiefer über Verrucano liegen. Vielleicht ist hier der Beginn der merk- würdigen Überfaltung von Gneis über Trias, die mindestens im Scarltale beginnt und nordwärts, vom Schliniger Tal an stets nahe der Schweizer Grenze bis in die Nähe von Nauders, nämlich bis zum Verschwinden der ostalpinen Trias, bekannt ist. Um ein deutlicheres Bild der Beziehungen der Ötzgneise zur Trias zu erlangen, wenden wir uns zuerst in das oberste Vintschgau. Das Langtauferer Tal ist, wie bereits gesagt wurde, von langen Zügen von Hornblendschiefer begleitet, die etwa 1 M. Lugeon, Les Dislocations des Beauges; Bull. soc. geol., 1900, XI, No 77, pl. VI. 2 Theobald, Graubündten, I, p. 329; auch Tarnuzzer, Geol. Gutacht, für die Anlage einer normalspur. Bahn Chur— IMijnster; 8°, Zürich, 1869, p. 67. Das Inntal bei Nauders. 727 ONO Streichen. Mit derselben Richtung zieht im Norden des Tales vom Glockturm (3351 ni) her ein hoher Kamm gegen Reschenscheideck und endet im Klopaier Spitz (2913 w), der nach Stäche aus tonalitischem Gneis besteht. Ein paralleler Kamm begleitet die Südseite des Tales; er kommt von der Weißkugel (3741 ni) und überragt an seinem Ende im Mitter- eck (2904 m) und Habicher Kopf (2894 rn) den Oberlauf der Etsch. Zwischen diesen Kämmen liegt links vom Ausgang des Langtauferer Tales ein vereinzeltes Stück ostalpiner Trias, der Endkopf (Jackl, 2648 m). Er hebt sich durch seine lichte Farbe und deutliche Schichtung von den höheren, dunkeln Gneisbergen scharf ab. Seine Gestalt ist die eines seitlich etwas abgerundeten, kofferförmigen Tafelberges und seine Lagerung ist, von Westen gesehen, eine leicht muldenförmige. Gümbel traf bis etwa 1575w Gneis, so daß 1073 w für die Trias bleiben. Rauchwacke und Gips, Gyroporellen des Muschelkalkes und mutmaßlicher Hauptdolomit werden erwähnt. Die Rauchwacke sinkt gegen SW, biegt sich gegen 0 unter dem Berge bogen- förmig um und >- zieht gegen NO unter den schroffen Fels- wänden empor«. ^ Das würde auf Synklinale Einfaltung in Gneis deuten und schon vor vielen Jahren war es Pichler aufgefallen, daß die Kalksteine des Endkopfes mehr kristal- linisch seien als gewöhnlich und daß einzelne Teile fast marmor- artig seien, »mit Glimmerblättchen wie Cipollin«.^ Mag dem wie immer sein, sicher zeigt der vereinzelte Endkopf eine außerordentliche Abtragung der Trias und des ganzen Ge- birges an. Westlich von dem breiten Etschtale und vom Endkopf^ zwischen diesem und der oben erwähnten Überfaltung an der Schweizer Grenze, liegt die Gruppe des Zwölferspitz (2920 m), von der Stäche eine monographische Schilderung geliefert hat.^ Es ergibt sich, daß das Streichen der alten Felsarten, 1 Gümbel, Verh. geol. Reichsanst., 1877, p. 291. 2 Pichler, Jahrb. geol. Reichsanst., 1864, XIV, p. 436. Ein Profil an der Basis des Berges gibt Stäche, ebendas. 1877, XXVII, Taf. II, Fig. 6. p. 164 werden einige zweifelhafte Versteinerungen erwähnt. y G. Stäche und C. John, Geol. und petr. Beiträge zur Kenntnis der alt. Eruptiv- und Massengest, der Mittel- und Ostalpen; 1. Die Gesteine der 49* 728 E. Suess, namentlich im Zerzer Tale, verschiedenen Ablenkungen unter- worfen ist, daß aber in dem Hauptstocke des Zwölferspitz und seinen nördlichen Vorlagen die Hornblendschiefer im Gneis das ONO-Streichen des Langtauferer Tales fortsetzen und daß diese Richtung auch bis auf den Griankopf, d. i. bis an den Rand der Überfaltung reicht, die zur Überschiebung wird. Dieser Rand ist in seinem Verlaufe völlig unabhängig vom Streichen des Gneises und ohne Zweifel durch Rückwitterung erzeugt. Der größte Teil des Sesvennastockes (3207 m), der Rasaßberg (2938 m), Griankopf (2900 m), Jochbodenkopf (Piz Russena, 2810 w) gehören dem Gneis und dem begleitenden Granit an, während westlich von hier die mesozoischen Gipfel, wie Piz Madlein (3001 m), Piz Pisoc (3178 m), Piz Lischanna (3109 m), Piz S'chalambert (3034 «?) u. a. bis Piz Lat (2804 w) ihnen an mittlerer Höhe nicht nachstehen und den Rand des Fensters bilden. Diese hohen mesozoischen Gipfel sind Fort- setzungen des Umbrailgebirges, die unter dem Ötzgneis und zwischen seinen Faltungen hervortreten. Sie dachen gegen West zum Inn ab, verraten aber dabei nirgends die Anzeichen eines Bruches, sondern, wie der Rand des Gneises, nur die Folgen der Rückwitterung. Studer, Gümbel und Böse haben Teile dieser west- lichen Abdachung beschrieben; die beiden ersteren vergleichen die heftige Faltung mit jener des Berner Oberlandes. Für den Süden, insbesondere für die ganze Lischannagruppe und Piz S'chalambert werde ich Schiller's überaus klare und lehrreiche Beschreibung, von da bis Piz Lat die Angaben Tarnuzzer's und für das nördliche Ende einige eigene Beobachtungen be- nutzen.^ Dabei werden, da es sich darum handelt, die wesent- lichen tektonischen Züge zu gewinnen, alle Gesteine, die älter sind als Verrucano mit Gw, alle ostalpinen Sedimente, hier Zwölferspitzgruppe; ebendas. 1877, XXV'II, insbes. p. 199 u. f. Stäche gibt ein kleines Vorkommen von Kalkstein im unteren Rojentale an; eine nähere Untersuchung wäre sehr erwünscht. 1 W. Schiller, Geol. Untersuchungen im Ost-Engadin; I. Lischanna- gruppe; Ber. naturf. Ges. Freiburg i. B., 1904, XIV, p. 107 bis 180; Karte: Chr. Tarnuzzer, Stratigr. und Tektonik zwischen Val d'Assa und Piz Lad; Eclog. geol. Helv., 1905, VIII, p. 546 bis 552. Das Inntal bei Nauders. /29 noch Tithon umfassend, mit Oa, alle lepontinischen Sedimente mit L und alle grünen Gesteine mit 5 (Serpentin) bezeichnet werden. Wir beginnen mit dem Schwierigsten und folgen den Berichten Schiller's, von Schuls gegen NO ansteigend gegen das Hochgebirge. Zuerst wird Lj getroffen, ein grauer Bündner Schiefer, und am Inn (1115w) S^, ein erstes Band von Serpentin. Hierauf Gn^, dann S.^ und L^. Diese Zonen sind Teile der in Scherben geteilten Scherfläche auf der Überschiebung von Gneis über die lepontinische Serie, entsprechend z. B. der dritten Stufe in dem oben mitgeteilten Profile des Plessur- gebirges bei Arosa. Von hier an aufwärts gibt es weder Bündner Schiefer noch Serpentin. Die nun folgende Hauptüberschiebung vollzieht sich an der Basis von Gn^, der normalen Unterlage der ostalpinen Serie, und dieser folgt Oa^, in Val d'Uina zu einer engen Synklinale zusammengedrückt, über welcher als Antiklinale Gii^ hervor- tritt. Diese erlangt aber keine besondere Erstreckung; das auf- lagernde 0(^2 trennt sich unter der Lischanna kaum von Oa^, trägt aber einige secundäre Überdeckungen. Eine solche legt sich auch am Piz S'chalambert auf die Antiklinale des Val d'Uina selbst. Gn^ ist nur ein schmales Eintreten des Sesvenna- granites zwischen Rimswand und Rasaß, welches unter der obersten Überschiebung noch einen schmalen Saum, Oa^, ab- trennt. Hierauf wird Gn^, die oberste Gneisdecke, erreicht. Sie ist einst viel größer gewesen und ihre Reste liegen als schwim- mende Deckschollen vor ihr auf Oa^, so auf Piz Rims (2756 m), Piz Cornet (3033 m) und noch auf Piz S. Jon (3096 ni), öfters unmittelbar unterlagert von tieferen Gliedern der Serie Oa.^^ die beweisen, daß diese Deckschollen die Reste des zerstörten Hangendflügels einer Synklinale sind. Zugleich sind sie be- gleitet von Porphyr, Porphyrit und Diabas (z. B. auf Piz Cornet), die in der Hauptdecke Gur^ auf dem Rasasser Berge wieder erscheinen und offenbar die Fortsetzungen der von Stäche am Zwölferspitz beschriebenen Vorkommnisse sind. Endlich liegen auf Gn.^ noch kleine Schollen Oa^, z. B. am Rasasser Berge und am Follerkopf, gering an Ausdehnung, 730 E. Suess, aber wichtig als der Beweis, daß die Oberfläche von G«^ vvirkUch die Oberfläche einer Antiklinale ist, deren Unterseite die Basis der Deckschollen ist; Gti-^ ist daher eine Zunge oder ein Keil. Bei Sent bildet Granit die Zone Gn^; Gn^ gelangt an den Inn und nimmt sehr an Breite zu. Nördlich von hier wird Tar- nuzzer unser Führer. Val d'Assa wiederholt das Profil von Val d'Uina. Über G«o folgt die Synklinale Oa^\ dann, oberhalb 1696 7W, tritt die Anti- klinale Gn^ wieder hervor, welche durch den vorgeschobenen Lappen des S'chalambert verdeckt war. Über Gwg lagert die Synklinale Oa.^; die untergeordnete Trennung Gn^ und Oa.^ setzt nicht hieher fort und über viel Schutt wird Gwg am Spi di Russena (zum Kaarlesgrat gehörig) erreicht. Im Val da Scherina, welches von rechts in die Val d'Assa mündet, vereinfacht sich das Profil durch das endgültige \'er- schwinden der Antiklinale Gn.y Vom Inn herauf unterscheidet man nur Git^ , Oa^ und Git-^. An der oberen Russenahütte (2318 in) steht noch der Muschelkalk von Oa^ an und über Schutt folgt in 2460 m G//5, zu dem hier der Nockenkopf (2787 m) gehört. Nun treten die unteren Glieder, die lepontinische Serie und die Scherzone, breit über den Inn und steigen am Abhang aufwärts. Zugleich rücken alle höheren Glieder nach aufwärts. Bei Raschvella liegt Granit, der die Fortsetzung von Gw^ ist. Oberhalb Prümaran (1717 in) folgt S^, dann ein Gneis, der bis- her nicht erwähnt wurde, endlich L.^ und Gn^. Durch Val Torta streicht nun Oa^^^ bis auf den Piz Ajüz (2754 in) und G«,- erscheint erst auf seiner Südseite in 2671 m gegen den Klamper Grat. Bei diesem allgemeinen Ansteigen aller Gesteinszonen er- reicht die Überschiebungszone der Basis von Gwg nicht mehr den Kamm des Gebirges. Die untere Trias des Piz Ajüz über- ragt ihn und zieht zum Piz Lat (2804 m) hinüber, der als eine vereinzelte Pyramide auf G«., aufgesetzt und das Ende des Umbrailgebirges darstellt. Er vertritt, wie Piz Ajüz, den unteren Teil von Oa^ und an seinem Nordabhange verbindet sich von Vv^esten her Gu<^ mit dem von Osten kommenden Gn, d. i. mit der vereinigten Hauptmasse. Das Inntal bei Nauders. ' 31 Faßt man nun Tarnuzzer's und Schil ler's Ergebnisse zusammen, so ergibt sich: A. eine untere lepontinische und Scherzone, bestehend aus Lp S^, Giiy, S2, L.^ und verschiedenen ungeordneten Scher- ben von Gn; ferner B. eine große Synl^hnale von Oa zwischen Git^ und Gn-^ mit untergeordneten Teilungen (G/Zg und GnJ; endlich C. kleine Schollen von Oa über G^g. Der ganze Bau hebt sich nach Norden aus, indem der untere Teil von Oj^ in 2804 in zum Gipfel wird und der ganze höhere Aufbau von Trias und Jura des Piz Pisoc, Piz Lischanna u. a. der Zerstörung anheimfällt. Der Nordabhang des Piz Lat bietet eine unerwartete Er- gänzung. Von Martinsbruck (1019 w) aufwärts reicht der Bündner Schiefer bis in die unmittelbare Nähe des Tiefhofes (1577 m).'^ Hier beginnen die grünen Gesteine, hauptsächlich Serpentin, und durch diese steigt man beinahe 300 ni auf. Sie umfassen den Schwarzen See und reichen bis fast auf die Höhe des Rückens, der die Südseite des Grünen Sees überragt. Auf dieser Höhe wird ein kaum 30 m mächtiger Keil von Kalkstein sichtbar. Er ist plattig, gestriemt, zum Teile marmorisiert, jedoch in unzweifelhafter Weise als ostalpine Trias kennbar. Er zieht als eine Mauer durch den Wald und fällt, flacher als es im Bündner Schiefer hier die Regel ist, mit 20 bis 25° S. Das nahe Ufer des Grünen Sees (1842 w) ist Gneis, mit viel weißem Glimmer, auch Quarzgängen, und bald folgt der rost- gelb anwitternde Gneis, der bis weit zum Piz Lat hinaufreicht und die Schale bildet, auf der die Trias des Gipfels ruht. Diese Schale, wie früher gesagt wurde, die Vereinigung von Gn^ und Gn, ist das Ende der großen Synklinale und nach den vor- liegenden Berichten ist der östliche Abhang steiler aufgerichtet. An dem tieferen Gehänge im Osten stehen echte Casanna- schiefer an, stellenweise auffallend wenig verändert und flacher geneigt als der Abhang. Grauer Gneis folgt und gegen Reschen- scheideck granitischer Gneis. Die Gneiswände jenseits des 1 Ich verdanke einige genauere Ziffern Herrn k.u.k. Oberst v. Stern eck. ' 32 E. Suess, Tales (Kompatsch und Bergkasteialpe) zeigen durchwegs Nei- gung gegen NNO. Pa u 1 c k e hat, wie gesagt, auf der Höhe des Stammer Spitz 1 1 kniNW vom Grünen See, ostalpine Trias völlig vereinzelt, un- mittelbar über den grünen Gesteinen getroffen und bezeichnete dieses Vorkommen als die untere oder Stammerüberschiebung im Gegensatze zu den Faltungen des Inntales, bei denen ost- alpine Trias auf kristallinischem Gestein ruht. Aus diesem Grunde war keine Verbindung des Stammer Spitz mit dem eben beschriebenen Verfaltungen am Inn zu finden. Diese Verbindung ist nun gegeben, denn der Keil vom Grünen See entspricht dem Horizont der Scholle am Stammer unmittelbar über den grünen Gesteinen sowie den weiteren ähnlichen Spuren, die Paulcke auf einzelnen Gipfeln des Samnaun anführt. Man kann diesen Keil mit Oa^ und die Hauptüberschiebung unter Gn^ oder Ouq durch einen Strich | bezeichnen. Das Er- gebnis ist, unter gleichzeitiger Trennung des Lischannaprofils in zwei benachbarte Profile, das folgende: 1. Val Minger unter Piz Pisoc: L^ — 5j^(lnnfluß) — G/z^ — ^2 — -^2 I ^% — ^^1+2 — ^^h- 2. Lischanna und Val d'Uina: L^—Gn^ (Inn) | G«2 — Oa^ — G^i^ — 0^2 — Gn^ — 0^3 — G«5 — Oa^. 3. Val d'Assa: (Inn) Gn^ — Oa^ — Gti^ — Oa^ — Gn^. 4. Val da Scharina: (aus Val d'Assa) Gn^ — Oa^^^—Gih. 5. Piz Lat, Nordseite: (Inn) L — S j Oa^ — Gn — Oa^. 6. Stamm er Spitz: L — S | Oa^. 7. Piz Mond in: (Inn) LS. 8. Bach Valleri: (Inn) L—S \ Oall—Gn. 9. Kaunsertal bei Prutz: (Inn) L \ Gn. Diese kleine Liste zeigt in Profil 2 noch einige geringe Reste Oa^ über Gn^; in Profil 3 und 4 ist Gn^ das höchste; in Profil 5 ist die ganze Oa-Synklinale bis auf einen Rest von Oa^ verschwunden; Gw hat sich rnit G«2 vereinigt; Oa^ ist unter Gn erschienen. In 6 ist Oa^ der Gipfel und alle höheren Glieder fehlen, während in 8 und 9, nämlich im Osten, die ganze mächtige Masse des Gneises vorhanden ist. Das Inntal bei Nauders. 733 Richtung der Bewegungen. Wie bereits gesagt wurde, ist der sichtbare Rand einer Überschiebung oft das Ergebnis von Rückwitterung. So ist es auch mit dem Rande von Gwg; das zeigen die ihm vorliegenden Deckschollen und die Art'des Verlaufes sowie die endliche Aushebung unter Piz Lat. Dieser Rand kann daher nicht zur Feststellung der Bewegung dienen. Es ist daher auch nicht erwiesen, daß innerhalb der Synklinale der Lischanna Oa^^2 ^^^ anderes Streichen verfolge als die Decke G%, so einladend diese Annahme scheinen mag. Schiller gibt in dem Hauptdolomit von Piz Pisoc bis P. Cristannes, dem Haupt- vertreter von Oa^, das Streichen der Falten in ONO an. Angaben bei Gümbel und Tarnuzzer von anderen Stellen schwanken. Mir scheint ONO darum entscheidend, weil es auf einer Gebirgs- masse durch von oben einwirkende Schleppung hervorgebracht wurde. Diese Richtung ONO bezeichnet aber zugleich das Streichen im Rasasser Grat am Rande von G%, dann der vertikalen Hornblendschiefer des Zwölferkogels und ist jenseits von Reschenscheideck die Richtung der Faltungen des Ötz- gneises durch das Langtauferertal bis zum Gepatschferner. Es ist auch von vornherein höchst wahrscheinlich, daß die Über- schiebung von G«5 in der gleichen Richtung erfolgt ist, in welcher die Hauptmasse des Ötzgneises gefaltet wurde.^ Das Streichen von eingeklemmten Scherben wie Gn^ mag zweifelhaft sein und selbst je nach der Richtung des Auf- schlusses sich anders darstellen. Aber die Richtung NO, ab- weichend von ONO, ist jene der großen Achse des ganzen Fensters und des Bündner Schiefers. Insoferne kann man da- her allerdings von zweifacher Faltung sprechen und es wurde erwähnt, daß jene im Fenster die jüngere ist. VII. Schluß. Von den drei großen Decken, welche die Alpen zwischen Reuß und Ötz bilden, erscheinen am Fenster des Inn nur die zweite und die dritte. 1 Schiller, a. a. 0. Tektonische Skizze auf p. 148. 734 E. Suess, In dem österreichischen Anteile treten die grünen Gesteine nur im Süden auf und die lepontinischen Sedimente bestehen hier anscheinend aus einem oberen, überschobenen meso- zoischen Gliede (Trias von Prutz) und aus einem tieferen, dem Bündner Schiefer. Der letztere, wegen seiner petrographischen Ähnlichkeit oft dem Flysch gleichgestellt, hat noch keine orga- nischen Reste geliefert. In den Steinbrüchen an der Straße von Nauders nach Martinsbruck ist diese Ähnlichkeit besonders groß; die Klüfte des blaugrauen Gesteins bedecken sich auch mit demselben rostgelben Belage, den man so häufig im Flysch sieht. Die schiefrigen Zvvischenlagen, in denen man nach Fu- coiden suchen möchte, sind aber so sehr verwandelt, daß sie stellenweise für sehr alte, halbkristallinische Schiefer gehalten werden könnten. Es ist, als hätten sie die größte dynamische Einwirkung auf sich genommen, unter Schonung der härteren Bänke. Geradeso kann man in den Reibungskonglomeraten im südlichenTeile der GlarnerFaltung und an derWeißeneckscharte im Westen der Radstätter Tauern Phakoiden (Quetschlinge) von Kalkstein finden, die durch ihre Einbettung in Schiefer geschont wurden und weniger marmorisiert sind als die Hauptmasse des Kalksteins. Im ersten Falle hat der Flysch den Jurakalk und im zweiten ein Phyllit den Triaskalk geschont und hier wie dort und wie in den Zwischenlagen an der Straße nach Martinsbruck kommt es zu einer reichlichen Entwicklung von Sericit. Die ostalpine Decke scheidet sich sehr scharf ab. In ihr sind bedeutende Massen von Gneis samt den auflagernden Sedi- menten in Bewegung gesetzt und beide sind miteinander ver- faltet worden, so daß die Trias sogar an der Basis der Decke unter dem Ötzgneis sichtbar werden kann. Im Südosten, vom Brenner her, vollzieht die Ötzmasse im Streichen eine Beugung aus GW gegen SW. Gegen Nord wird die Beugung flacher. Im Langtauferertal, auch in der entfernten südlichen Selvretta herrscht WSW, dann weiter im Norden zu beiden Seiten des Fensters GW und mit dieser Richtung ver- einigen sich Selvretta und Ötzmasse nördlich vom Fenster und treten sie in eine gemeinsame leichte Überfaltung des südlichen Randes der Kalkzone ein. Selvretta und Ötzmasse stellen sich auf diese Art als eine tektonische Einheit dar. Dieser selben Das Inntal bei Nauders. i 35 Einheit geliören auch die aufliegenden ostalpinen Sedimente und der Westen der nördlichen Kalkzone an. Das Fenster ist durch Erosion entstanden. Einzelne Reste seiner Überwölbung sind sichtbar, so die sich entsprechenden grünen Gesteine von Nauders und Piz Mondin und die Trias- kalksteine vom Grünen See und vom Stammer Spitz. Innerhalb des Fensters tritt eine selbständige, gegen NO streichende Faltung auf, die jünger zu sein scheint als das Fenster. 737 Untersuchung der jüngeren Tertiärgebilde des westliehen Mittelmeergebietes (III. Reisebericht) von Dr. Rudolf Hoernes, k. iM. k. Akad. (Mit 4 Textfiguren.) (Vorgelegt in der Sitzung am 12. Oktober 1905.) Malaga, 8. August 1905. Während marine Ablagerungen miozänen und phozänen Alters am Rande der Pyrenäenhalbinsel große Verbreitung besitzen, fehlen sie bekanntlich dem Inneren Spaniens gänzlich. In weiter Verbreitung treten dafür Binnenablagerungen auf, von welchen bis vor kurzem geglaubt wurde, daß sie insgesamt sehr jugendlichen Alters wären, da in den Schichten von Concud die Reste der Pikermifauna mit Mastodon, Rhinoceros und Hipparion sich finden. Erst in letzter Zeit hat man erkannt, daß ein Teil dieser Binnenbildungen der iberischen Meseta älteren Zeiträumen der Tertiärperiode angehört. Luis Vi dal hat bei Lerida Säugerreste aus der Familie der Anthracotheridae entdeckt. Es handelt sich um eine Bracliy- odtts -Art, welche kleiner ist als Brachyodns onoidetis aus den Banden von Orleans und als Vorfahre dieser Art zu betrachten ist. Ich habe die betreffenden Reste in Lyon bei Prof. Charles Deperet, welcher eben die photographischen Abbildungen derselben herstellen ließ, gesehen und teile vollkommen die Ansichten Deperet's bezüglich der Verwandtschaftsverhältnisse der neuen Art und des geologischen Alters derselben. Es handelt 738 R. Hoernes, sich bei der Entdeckung von Luis Vidal um den Nachweis einer oligozänen Säugerfauna in den zentralen Binnen- bildungen Spaniens, welche sonach wahrscheinlich einen sehr großen Teil der Tertiärformation umfassen. Vermutlich wird es in dem weiten Gebiet, das von diesen Binnenbildungen ein- genommen wird, eingehenden Untersuchungen gelingen, den alttertiären Anteil auch kartographisch von den jüngeren Stufen zu sondern. Ich habe keine Exkursion in das große tertiäre Binnengebiet der spanischen Meseta unternommen, da nur höchst eingehende oder durch gelegentliche glückliche Funde von Säugerresten geförderte Untersuchungen günstige Resultate erzielen könnten, überdies die Erforschung der Binnenablage- rungen außer meinem Reiseprogramm lag. Mein Aufenthalt in Madrid vom 8. bis 18. Juli war haupt- sächlich dem Besuch der Sammlungen gewidmet; mit dem Aufsuchen der F'achgenossen hatte ich wenig Glück, da die meisten bei der vorgerückten Jahreszeit Madrid bereits ver- lassen hatten. Zumal die Bekanntschaft mitCalderon y Arana, der früher in Sevilla Professor war, wäre mir von Wert ge- wesen, da sich derselbe eingehend mit den Tertiärbildungen Andalusiens beschäftigt hatte. In den Räumen der Comision del Mapa geologico traf ich nur den Sekretär des Institutes, den Mineningenieur Rafael Sanchez Lozano, welcher mir in zuvorkommendster Weise die Sammlungen zugänglich machte (von tertiären Versteinerungen ist nur eine kleine, aber aus ausgewählt schönen und bezeichnenden Stücken bestehende Sammlung aufgestellt) und auch sonst alle gewünschten Aus- künfte erteilte. Ich versorgte mich mit den nötigen Karten- blättern für Südspanien und war dabei freudig überrascht von der Billigkeit derselben, die als nachzuahmendes Beispiel hervorgehoben zu werden verdient. Die einzelnen Blätter des Mapa geologico de Espaiia im Maßstabe von 1 : 400.000 kosten nur eine Peseta das Stück, die ganze geologische Karte von Spanien 50 Pesetas, wobei in Rechnung zu ziehen ist, daß die Peseta nicht einen Franc, sondern infolge des Disagio nur 70 bis 75 Centimes gilt. In Bezug auf die naturhistorischen Sammlungen Madrids sei noch bemerkt, daß das große Museo de Ciencias Naturales im Erdgeschoß des Palacio de laBiblioteca Tertiärgebilde des westliclien Mittelmeergebietes. 739 y iMuseos Nacionales seit 1899 vollkommen neu aufgestellt wurde. An geologischen und paläontologischen Objekten finden sich aber nur wenige ausgezeichnete Exemplare auswärtiger Herkunft, so die berühmten, jetzt in zwei Schaukästen ver- wahrten, von zwei Individuen herrührenden Skeletteile von Megathermm. Über die geologischen Verhältnisse Spaniens aber könnte man sich im Madrider Nationalmuseum kaum orientieren. Hingegen ist die mineralogische Sammlung, deren Aufstellung noch nicht vollkommen fertiggestellt ist, gerade an Mineralschätzen Spaniens besonders reich und gewährt durch die Art ihrer Anordnung einen guten Überblick der in Spanien vorkommenden Minerale, welcher die UnvoUkommenheit des geologischen Teiles des Nationalmuseums um so lebhafter empfinden läßt. Durch die Vermittlung des Sekretärs der k. u. k. öster- reichisch-ungarischen Botschaft Dr. Karl Kovacevic machte ich die Bekanntschaft des Prof. Francisco Vi dal y Careta, welcher an der Madrider Universität die Lehrkanzel für physi- kalische Geographie bekleidet. Unter Führung desselben lernte ich am 11. Juli eine klassische Lokalität der spanischen Diluvialbildungen kennen: die Ziegeleien (»Los Tejares«) von San Isidro, welche durch Mortillet's Schilderung als einer jener Orte, an denen menschliche Artefakte unter vSchichten mit diluvialen Tierresten lagern, bekannt geworden sind. Nach Mortillet's Profil liegt unter der Ackererde zunächst Sand in unregelmäßiger Schichtung (bei Mortillet sowie in der unten folgenden Skizze mit c bezeichnet), dann Ton (b), der in eine obere dunklere und in eine untere hellere Lage zerfällt in welch letzterer Elefantenreste vorkamen; zu unterst liegt dann abermals Sand und Schotter (a), in welchem Feuerstein- keile vom Chellestypus auftreten. Bei unserer Exkursion, an der auch Se. Exzellenz der österreichisch-ungarische Botschafter Graf Welsersheimb sowie Dr. Kovacevic teilnahmen, konnten wir wohl im allgemeinen Übereinstimmung der tat- sächlichen Verhältnisse mit der Schilderung durch Mortillet wahrnehmen, doch ist die mittlere Tonlage, auf welcher die Existenz der Ziegeleien beruht('ö^, sehr ungleichmäßig entwickelt. 740 R. Hoernes, sie wird oft ziemlich mächtig, keilt aber auch stellenweise fast vollkommen aus. Der obere Sand (c) bildet häufig Taschen in der Tonlage, seine Schichtung ist ziemlich unregelmäßig; an einzelnen Stellen sind fluviatile Taschen unverkennbar, an anderen deutet schräge Schichtung auf Deltabildung hin. Sowohl in den oberen wie in den tieferen Schichten {c und a) treten ebenfalls einzelne unregelmäßige und wenig mächtige Lehmlagen auf. In den ziemlich ausgedehnten Aufschlüssen spielt der obere Sand, der bis 8 m Mächtigkeit erkennen läßt, die Haupt- rolle. Der Ton ist nur auf geringere Ausdehnung bloßgelegt und die unteren Sand- und Schotterlagen nur durch einzelne tiefere Grabungen aufgeschlossen. An einer Stelle machte ich folgende Skizze: (V Fis. 1. a Unterer Sand und Schotter, b Tonlage von wechselnder Mächtigkeit, c untere Partie des oberen Sandes, teils Taschenbildung, teils schräge Schichtung zeigend. Das Ganze machte den Eindruck einer durch fluviatile Einschwemmungen gestörten Seebildung. Von den Arbeitern erhielten w^ir etliche Chelleskeile, allerdings nicht ganz typische Stücke; auch behaupteten die Leute, daß sie nicht aus der Schicht unter dem Ton stammten, sondern unmittelbar über dem Lehm in der oberen Sandschicht gefunden worden wären. Mit Dr. Kovacevic, der in Madrid in liebenswürdigster Weise meinen Führer machte, besichtigte ich auch die Depösitos del Canal de Lozoya, beziehungsweise das Tertiärgebilde des westlichen Alittelmeergebietes. ( 41 dritte Wasserreservoir, welches durch die wiederholten Einstürze während des Baues zu einer traurigen Berühmtheit gelangte. Die allzu gering bemessenen Dimensionen der Granitpfeiler sowie die insgesamt nach einer Richtung angeordneten flachen Wölbungen, welche einen gewaltigen Schub senkrecht zu ihrer Längsrichtung erzeugten, mögen wohl in erster Linie an der Katastrophe Ursache sein. Prof. F. Vi dal hat in einem Artikel, der im »Heraldo de Madrid« vom 5. Mai d. J. erschien, der Ver- mutung Ausdruck gegeben, daß das kurze Zeit vorher ein- getretene gewaltige indische Beben durch seine Fernwirkungen den Einsturz des Reservoirs veranlaßt haben könnte. Ohne auf eine Prüfung der Frage näher einzugehen, möchte ich mir die Bemerkung erlauben, daß ein solches Auslösen einer Bewegung in großer Ferne durch ein Beben wohl möglich scheint, wie denn auch Prof. A. Belar geneigt ist, die Baufälligkeit und schließlichen Einsturz des Markusturmes den häufigen Beben des Adriagebietes zuzuschreiben. Von Madrid aus unternahm ich die gewöhnlichen Exkur- sionen nach Aranjuez, Toledo und Escorial, welche wohl kein Reisender unterläßt, der Spanien zum ersten Male besucht. Zu geologischen Beobachtungen boten dieselben nur insoferne Anlaß, als der eigenartige Durchbruch desTajo bei Toledo wohl als einer der schönsten Fälle der Bildung eines Durch- bruchstales durch Superposition bezeichnet werden kann; während sich bei der Exkursion nach Escorial Gelegenheit bietet, die gewaltigen diluvialen Schuttbildungen am Fuße des Guadarramagebirges kennen zu lernen, welche in den tiefen Einschnitten bei Las Matas sehr schön aufgeschlossen sind. Bei flüchtiger Betrachtung wird man leicht durch das Vor- herrschen riesiger gerundeter Granitblöcke in anscheinend regelloser Lagerung zu der Annahme veranlaßt, Moränen \'or sich zu haben; doch erkennt man immer noch Sonderung des Materials und Schichtung. Die großen Blöcke sind meist in einzelnen Lagen vereinigt und zumal das feinere, lagenweise eingeschaltete Material läßt deutlich die Schichtung erkennen. Immerhin setzt die Mächtigkeit der Ablagerung und die Größe der einzelnen Blöcke in Staunen. Man kann sich schwer vor- stellen, daß solche Massen bloß durch fließendes Wasser Sitzb. d. mathem.-naturw. Kl.; CXIV. Bd., .A.bt. I. 50 742 R. Hoernes, bewegt worden seien und möchte die Bildung wenigstens als eine »fluvioglaziale« ansprechen. Doch hat Penck bekanntlich nur für die höchsten Teile des Guadarramagebirges Ver- gletscherung in sehr bescheidenem Maße nachgewiesen. Gestützt auf die unten zu erörternden Wahrnehmungen an der miozänen Blockformation Andalusiens möchte ich der Vermutung Aus- druck geben, daß die Brandung des gewaltigen tertiären Binnensees diese Blockanhäufungen am Fuße des Guadarrama- gebirges erzeugte und zur Diluvialzeit nur eine teilweise Um- lagerung des vorgebildeten Materials durch fließendes Wassers stattfand. Diese Hypothese würde wenigstens die außerordent- liche Verbreitung des Schuttes am Fuße des Gebirges und das so häufige Vorkommen von vollkommen gerundeten riesigen Granitblöcken am besten erklären. Von Madrid begab ich mich über Cördoba nach Sevilla. Durch Prof. F. Vi dal hatte ich eine Empfehlung an den Nach- folger Calderon's, Prof. Serafin Sanz y Agud, erhalten, von der ich leider keinen Gebrauch machen konnte, da Prof. Sanz zur Zeit in Huelva weilte. Von Exkursionen konnte übrigens in Unterandalusien der exzessiven Hitze wegen keine Rede sein. Es waren die heißesten Tage der ganzen Reise, die ich in Cördoba und Sevilla erlebte, 47° C. im Schatten und 58° in der Sonne. Ich mußte deshalb auf den geplanten Besuch der Fundorte Gere na und Villa nueva am Fuße der Sierra Morena verzichten, an welchen bezeichnende Versteinerungen der ersten Mediterranstufe vorkommen.^ Am 25. Juli traf ich in Gran ad a ein. Die ersten Tage meines dortigen Aufenthaltes verwendete ich zur Orientierung über die in der Stadt selbst und in der nächsten Umgebung derselben auftretenden Schichten der »Alhambraformation«. Ich verfolgte ihr Auftreten auf der Alhambrahöhe selbst sowie auf dem durch die Assabicaschlucht getrennten Monte Mauror, dann auf dem Albaicin und in dem tief eingerissenen Tale des Darro. Man kann sich füglich in Granada selbst davon über- 1 »Mission d'Andalousie. Etudes relatives au tremblement de terra du 25 Decembre 1884 et ä la Constitution geologique du sol ebranle par las secousses«, p. 509, Tertiärgebilde des westlichen Mittelmeergebietes. 743 zeugen, daß die durch Richard v. Dräsche^ vorgenommene Scheidung der Alhambraschichten von der »miozänen Block- formation« (zweite Mediterranstufe) nicht aufrecht zu erhalten ist. Nur auf einen Teil des Terrains, der Alhambrahöhe selbst und zumal den steilen, ihre Schichten vortrefflich auf- schließenden Absturz von der Alcazäba gegen Nord sowie auf die Hauptmasse der jenseits des Darro sich erhebenden, in ihren letzten Ausläufern die ärmlichen Siedlungen des Alb ai ein tragenden Höhen von San Aliguel el Alto und den Cerro gordo, ferner auf die höheren Teile der südöstlich von Granada aufragenden Hügel, wie man an derSilla del Moro und an den Aufschlüssen bei dem Friedhof südöstlich von der Alhambra erkennen mag, paßt die Schilderung, welche Dräsche von der Alhambraformation gibt, vollkommen. Man sieht jedoch im Anstieg von der Darroschlucht zu San Miguel el Alto über den Zigeunerwohnungen mehrfach Einlagerungen von mergeliger und selbst kalkiger Natur sowie einzelne Bänke gröberer Gerolle. Bänke von grobem Geröll, mit feineren sandigen Schichten wechsellagernd, kann man auch an der steilen Cuesta del Rey Chico, welche zwischen den Höhen der Generalife und der Alhambra zur letzteren hinaufführt, beobachten. Manche der GeröUe erreichen etliche Dezimeter Durchmesser. Auf dem Wege von Granada gegen Genes im Geniltal hat man dann unmittelbar bei der Stadt Gelegenheit, das Auftreten noch größerer Gerolle und Blöcke in den Schichten der Alhambraformation zu beobachten; ich werde unten darauf zurückzukommen haben, daß die von Dräsche behauptete diskordante Überlagerung der miozänen Blockformation durch selbständige Alhambraschichten, welche angeblich bei Genes zu konstatieren wäre, gerade hier nicht zu beobachten ist, sondern beide einer und derselben Schichtreihe angehören. Ich unternahm dann eine Reihe von Exkursionen nach La Mala und Escüzar, um das Verhältnis der miozänen Blockformation und der von der Mission d'Andalousie als 1 Dr. Richard v. Dräsche, Geologische Skizze des Hochgebirgsteiles der Sierra Nevada in Spanien. Jahrb. der k. k. geologischen Reichsanstalt, 29. Bd., 1879. 50* 744 R. Hoernes, pliozän bezeichneten Gipsformation kennen zu lernen, dann ins obereGeniltal über Cenes und imTale der Aguas blancas aufwärts nach Quentar, welcher Ausflug hauptsächlich die nähere Untersuchung der miozänen Blockformation und ihrer Beziehungen zu den bei Quentar auftretenden versteinerungs- reichen tonigen und mergeligen Sedimenten der zweiten Medi- terranstufe zum Gegenstande hatte, endlich nach Mon tefrio, wo die gestörten Ablagerungen der ersten Mediterranstufe unmittelbar auf mesozoischen Ablagerungen ruhen. Die Exkursion nach La Mala lehrte mich die außerordent- liche Mächtigkeit der gips- und salzführenden jungtertiären Binnenablagerungen kennen, welche westlich von Gran ad a bis Alhama eine wellige, von tiefen Flußeinrissen durch- schnittene Hochfläche bilden. Zweifellos nahmen solche Ab- lagerungen, die noch jetzt in Andalusien sehr verbreitet sind, früher noch ungleich größere Flächenräume ein. Die salz- haltigen Flüsse und die größeren und kleineren Ansammlungen von salzigem Wasser danken offenbar ihren Salzgehalt der Auslaugung dieser Gipsformation. Es ist bezeichnend, daß ein Ort auf der Strecke La Roda — Sevilla den Namen »Agua dulce« führt, weil sonst in der Umgebung nur brackisches Wasser zu finden ist. Die salzigen Seen besitzen teilweise so hohen Salzgehalt, daß zur trockenen Jahreszeit Salzabsatz stattfindet. So sah ich die große Laguna Salada bei Fuente de Piedra an der Bahn zwischen La Roda und Bobadilla von Salz wie von einer Eisdecke überzogen. Auf der Fahrt von Granada nach La Mala kommt man bei Gäbia la Grande (südwestlich von Granada) in das Gebiet der Gipsformation. Wie schon Dräsche bemerkt hat, nehmen die Gips- und xAlabasterlagen im Hangenden an Mächtigkeit zu und werden hinter Gäbia ausgebeutet. Die Straße steigt stark an und in den Einschnitten in das wahren Steppencharakter tragende Terrain sieht man zahllose Wechsellagerung von sandig mergeligen Schichten und Gipslagen, die oft nur wenige Zentimeter stark sind. In den Mergellagern ist nirgends die Spur einer Versteinerung zu entdecken. Die Stärke der Gips- lagen nimmt zu, je mehr man sich La Mala nähert. La Mala selbst liegt auf dem Grunde eines tief eingerissenen, schlucht- Tertiärgebilde des westliclien Mittelmeergebietes. 745 artigen Tales, zu welchem die Straße in vielen Windungen hinabsteigt. Die hier zu Tage tretenden Salzquellen werden zur Salzgewinnung verwendet, indem man das Wasser in flachen, künstlich hergestellten Teichen der Verdampfung über- läßt. Die Straße wendet sich von La Mala nach WSW gegen Alhama, ich verfolgte sie aber nur eine kurze Strecke, um mich dann südwärts gegen Escüzar zu wenden, da über die gegenseitigen Lagerungsverhältnisse der dort auftretenden mio- zänen Meeresbildungen und der Gipsformation durch Dräsche Beobachtungen mitgeteilt wurden, welche mit der von der Mission d'Andalousie vertretenen Ansicht über die strati- graphische Stellung der Gipsformation nicht wohl vereinbar scheinen. Nach Dräsche^ fänden sich südlich von Escüzar miozäne Lithothamnienkalke im Hangenden der Gipsforma- tion. Dräsche beobachtete in den betreffenden Schichten Kalkalgen, Bryozoen, Muschelfragmente, darunter Pecten Zitteli Fuchs und Pecten cf. acuticostatiis. Würde die Beobachtung der Lagerungsverhältnisse richtig sein, so wäre damit die Unhaltbarkeit der von der Mission d'Andalousie vertretenen Ansicht von dem pliozänen Alter der Gipsformation erwiesen und es läge die Vermutung nahe, daß dieselbe dem »Schlier«, der an der Grenze der ersten und zweiten Mediterranstufe eine so weite selbständige Verbreitung besitzt und in so großen Flächenräumen durch salz- und gipsführende Schichten ver- treten ist, zuzuweisen wäre. Ich glaubte deshalb, die Verhält- nisse südlich von Escüzar einer neuerlichen Prüfung unter- ziehen zu müssen. Wie das unten mitgeteilte Profil, welches in N- — S-Richtung eine Strecke von etwa 5 km umfaßt, zeigt, konnte ich unmittel- bar bei Escüzar, nächst den südlichen Häusern des Ortes, Lithothamnien führende sandige Mergel in geringer Ausdehnung wahrnehmen. Der Aufschluß ist aber unvollkommen und ge- stattet kaum ein sicheres Urteil über die Verhältnisse zwischen Gipsformation und marinen Miozänschichten. Etwa 2 ^m weiter südlich ist hingegen unter der durch das Vorkommen sehr starker, blendend weißer Gipslagen (von meist 10 bis 20 c//^ 1 A. o. a. 0. p. 115. 746 R. Hoernes, Mächtigkeit) ausgezeiciineten Gipsformation ein weiteres Vor- kommen von Lithothamnien führenden, sandigen Mergeln in größerer Ausdehnung aufgeschlossen. Ich beobachtete und sammelte hier auch einige leider recht schlecht erhaltene Peciines, dann Anomien- und Ostreenfragmente. An der Über- lagerung dieser marinen Bildungen durch die Gipsformation konnte hier kein Zweifel sein, ebenso noch weiter südlich, wo unter der Gipsformation zuerst sandige Mergel mit Peciines und Ostreenbruchstücken auftreten, welche ähnlichen Gesteins- charakter zeigen wie die nördlich beobachteten marinen Bil- dungen, dann aber höher hinauf typische miozäne Block- formation mit riesigen Kalkgeröllen bis zu 1, ja selbst 2 m Durchmesser. Diese Kalkgerölle sind zum sehr großen Teile B.sci/zar g Gipsformation; / sandig mergelige Kalke mit Lithothamnien und Bryozocn, Pccten, Anomia, Ostrea; b miozäne Blockformation mit großen, von Bohr- muscheln angebohrten Kalkgeröllen; 5 sandig mergelige, versteinerungslose Zwischenlagen der Blockformation. von Vioen und Bohrmuscheln angebohrt. In den großen, gerundeten, aus halbkristallinem, dunkel blaugrauem Kalke bestehenden Gerollen fand ich über daumendicke Bohrlöcher, welche ganz das Aussehen von Pholadenlöchern hatten; doch gelang es mir, obwohl ich viele der Blöcke zerschlug, nie, eine Schale oder den Abdruck einer solchen in der mergeligen Ausfüllung des Bohrloches anzutreffen. Zwischen den groben Geröllbänken schalteten sich vielfach feinere sandige Schichten und Mergellager ein, in welchen ich vergebens nach Versteine- rungen suchte. In Escüzar erfuhr ich dann bei der Rückkehr, daß kaum eine halbe Stunde östlich von der Linie meines Profils in einem Steinbruch zahlreiche Peciines vorkämen, hatte aber nicht mehr Zeit, diese Nachricht auf ihre Stichhältigkeit zu prüfen. Tertiärgebilde des westlichen Mittelmeergebietes. 747 Hinsichtlich der Lagerungsv^erhältnisse der Gipsformation sei noch bemerkt, daß südlich von Escüzar im allgemeinen die wechselnden Mergel- und Gipslagen ziemlich flache Lagerung zeigen und deutlich diskordant zu den steiler aufgerichteten miozänen Meeresbildungen liegen. Zwischen Gabia la Grande und La Mala herrscht wohl auch im allgemeinen flache Lagerung der Gipsformation, doch kommen häufig Verwerfungen und streckenweise auch steile Schichtstellung und Faltung vor; es hat aber den Anschein, als ob die letzteren Störungen nicht der Gebirgsbildung, sondern inneren Vorgängen durch Auslaugung einerseits, durch Volumvermehrung infolge der Umwandlung von Anhydrit in Gips andrerseits zuzuschreiben wäre. Manche Gipslagen zeigen ähnliche Windungen wie der bekannte Wieliczkaer »Gekrösestein«. Das pliozäne Alter der andalusischen Gipsformation scheint mir keineswegs erwiesen. Aus der diskordanten Stellung der Gipslager bei Escüzar, welche wahrscheinlich den hangenden Partien der Ablagerung angehören, folgt noch nicht das Vor- handensein eines Hiatus zwischen den Bildungen der zweiten Mediterranstufe und der Gipsformation. Das Vorhandensein der sarmatischen Stufe in Andalusien ist auf Grund ganz unzureichenden Beobachtungsmaterials behauptet worden. Die Daten, welche die Mission d'Andalousie über dieses Vorkommen mitteilt, verdienen um so mehr nähere Beleuchtung, als sie ziemlich widerspruchsvoll sind. Die fraglichen, nur an einem einzigen Punkte, zu Jayena, südwestlich von Granada beob- achteten Dinge werden einmal dem oberen Teile der Block- formation zugeschrieben. Das Miocene superieur wird in die eigentliche Blockformation (Tortonien) und die »Cailloutis superieurs (sarmatiques)« geschieden. An Versteinerungen werden daraus angeführt Cerithium initrale Eichw. und Cer. viilgatum Brug. von Jayena und dann werden Polypiers mit der Bemerkung genannt: »formant un banc ä Jayena et ä lUora un lit intercale dans les cailloutis«. In der Aufzählung der für die einzelnen Stufen bezeichnenden Versteinerungen werden die pseudosarmatischen Bildungen von Jayena sonach mit den unzweifelhaft der zweiten Mediterranstufe angehörigen Korallenschichten von Illora den oberen Teilen der Block- / 48 K. Hoerncs, formalion zugerechnet. An anderer Stelle^ aber heißt es: »A Jayena, des calcaires appartenant au meme Systeme que le gypse sont remplis d'empreintes des cerithes appartenant aux especes suivantes: Cerithimn vulgattim Brug., Cer. mitrale Eichw.« Die logische Konsequenz wäre dann doch die Zu- teilung der Gipsformation zur sarmatischen Stufe? Die Wider- sprüche der einzelnen Stellen des großen Werkes der Mission d'Andalousie erklären sich wohl durch verschiedene Auffassung seitens der einzelnen Mitarbeiter und bedürfen weiter keiner Erörterung. Daß auf Grund des Vorkommens einer Art, nämlich des Ceriihium mitrale Eichw. {Cer. viilgattun Brug. ist bisher in sarmatischen Bildungen nicht nachgewiesen), kaum von dem Auftreten der sarmatischen Stufe in Südspanien gesprochen werden kann, ist nach dem, was ich in früheren Berichten über das angebliche Vorkommen sarmatischer Ablagerungen in Katalonien und auf den Balearen dargelegt habe, gleichfalls klar. Die Bestimmung der fraglichen Reste als Cerithimn mitrale Eichw. ist zudem zweifelhaft. Nach der Gestalt der Anfangswindungen soll nach V. Hilber die Eichwald'sche Art, die für die sarmatische Stufe bezeichnend wäre, von dem in tieferen miozänen Schichten auftretenden Formenkreis des Cerithittm picttmi Bast, verschieden sein. Nun handelt es sich aber bei Jayena lediglich um Abdrücke, an welchen derartige Details kaum ersichtlich sein dürften, ganz abgesehen davon, daß die Hilber'schen Ausführungen über die Unterscheidung des Cerithium mitrale von den verwandten älteren Potamides- Formen von anderer Seite in Zweifel gezogen wurden, eine Frage, auf welche selbstverständlich an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden kann. Das angebliche Vorkommen sarmatischer Schichten bei Jayena ist also wohl in derselben Weise aufzufassen wie jenes der pseudosarmatischen Ein- lagerungen in dem von Hermite geschilderten Profil von Bellver auf Mallorca und an der von Almera beschriebenen Lokalität Casa Vendrell bei San Paul de Ordal. Nicht unmöglich, ja sogar sehr wahrscheinlich aber scheint es mir, daß die Ablagerung der gips- und salzführenden 1 Mission d'Andalousie, p. 722. Tertiärgebilde des westlichen Mittelmeergebietes. 749 Schichten Andalusiens schon zur sarmatischen Zeit begonnen habe, d. h. unmittelbar nachdem durch die gebirgsbildenden Vorgänge am Ende der zweiten Mediterranstufe die Verbindung mit dem Ozean unterbrochen und weite, vorher vom Meere bedectcte Gebiete isohert und teilweise trocken gelegt wurden. Wie weit die Salz- und Gipsablagerungen noch in die späteren Abschnitte der Tertiärformation hinaufreichen, bedarf noch der näheren Untersuchung. Die Mission d'Andalousie hat an mehreren Stellen das Vorkommen von Süßwasserkonchylien jungtertiären Charakters festgestellt; allerdings reichen die bisher bekannten Reste nicht hin, schärfere Parallelen mit den Binnenbildungen Italiens und Osteuropas zu ziehen. Bei der Exkursion nach Genes hatte ich zunächst das Verhältnis der Alhambraschichten z*u der miozänen Block- formation zu prüfen. Dräsche sagt über die von ihm unter- schiedene Blockformation, daß sie am schönsten im Geniltal ent- wickelt sei.^ Auf dem Wege nach dem Dorfe Genes, kurz bevor man dieses erreicht, tauchen nach Dräsche unter dem hori- zontal lagernden jungen Alhambrakonglomerat sandige, NNO fallende Bänke hervor, welche in sandig glimmerigem, bald mergeligem, bald schlierartigem Bindemittel zahlreiche Blöcke im Volumen bis zu \'ielen Kubikmetern enthalten. Meist seien sie etwas abgerundet, doch nie so, daß sie als eigentliche Gerolle bezeichnet werden können. »Die Blöcke bestehen aus solchen Gesteinen der Sierra, welche sich in der Umgebung der Genil- quellen finden, also Tonglimmerschiefer, Quarzite, Granat- glimmerschiefer, Serpentine und etwas Kalk. Durch Überhand- nehmen des Bindemittels oder der Blöcke entstehen zahlreiche Ausbildungsweisen. Bei Genes tritt stellenweise das lose Bindemittel so weit zurück, daß man einen wild durcheinander geworfenen Schuttkegel oder eine Moräne vor sich zu haben glaubt; doch dünne Mergellager dazwischen zeigen immer wieder das Fallen der Schichten an.^< Bei voi'herrschendem Bindemittel gingen dann Mergellager hervor, in welchen Dräsche auch marine Fossilien beobachtete. Er führt von der Venta unterhalb Huejar einen drei Zoll breiten Pecten vom 1 Jalirb. der k. k. geologischen Reichsanstalt, a. a. 0. p. 112 u. f. 750 R. Hoernes, Typus der Pecten aus den Schioschichten, eine feingestreifte Teilina, Cardium-Bvxxchsiücke, Echinidenstacheln und Bryo- zoen an. Die Schilderung, welche Dräsche von der miozänen Blockformation gibt, ist vollkommen zutreffend; unrichtig ist nur der von ihm behauptete Gegensatz, in welchem sie zu den Alhambraschichten stehen soll, denn das Alhambrakonglomerat stellt bloß den oberen, durch flachere, gleichmäßigere Lagerung und geringere Größe der Gerolle (bis Faustgröße, meist aber geringer) gekennzeichneten Teil der Blockformation dar, welcher gegen W größere Mächtigkeit gewinnt. Dräsche schätzt die- selbe auf mindestens \00in. Während er für die Blockformation miozänes Alter nachwies, ist er geneigt, für die Alhambra- konglomerate diluviale Entstehung anzunehmen und ebenso wie für seine Guadixformation den Zusammenhang mit Glazial- bildungen zu vermuten: »Sowohl die Guadixformation als die Alhambrakonglomerate sind jedenfalls nur Reste von Bildungen, die früher eine große Ausdehnung hatten und zum größten Teile durch die Erosion weggeschwemmt wurden. Wenn irgendwie in der Nev^ada Spuren einer ehemaligen Eiszeit vor- handen wären, so könnte man vielleicht die Entstehung jener losen Massen mit dem Zeitpunkt des endlichen Schmelzens der Gletscher in Verbindung bringen; die großartigen Erosions- erscheinungen in den Tälern der Nevada finden so auch eine befriedigende Erklärung.«^ Dräsche gibt dann an, daß er, abgesehen von einem eigentümlichen gekratzten und gehobelten Kalkfelsen an dem Camino de los Neveros nirgends Be- weise für die ehemalige Existenz von Gletschern fand, obwohl er eifrig nach Spuren derselben suchte. Er erwähnt dann die in Schimper's »Voyage botanique au Sud d'Espagne, 1849«, enthaltenen Angaben über das Vorkommen großer Moränen am Ausgange des Geniltales, welche darauf zurückzuführen sind, daß Schimper sowohl die Blockformation wie die Alhambra- schichten für Moränenbildungen hielt und meint: »Von diesen irrigen Beobachtungen sind, wie es scheint, alle Angaben über das Vorkommen einer ehemaligen Vergletscherung der vSierra Nevada hergenommen.« Zweifellos war die Sierra Nevada 1 A. o. a. 0., p. 121. Tertiärgebilde des westlichen Mittelmeergebietes. 751 zur Eiszeit in ihren höheren Teilen vergletschert. Dies lehrt insbesondere das Vorhandensein von echten Karseen in der Sierra, wie der Laguna de las Yeguas in 2970 m Seehöhe. Allzu ausgedehnt dürfte die Vergletscherung der Sierra aber kaum gewesen sein, und die von Dräsche hypothetisch mit ihr in Verbindung gebrachten Ablagerungen gehören zweifellos der miozänen Blockformation an. Daß Schimper diese für Moränenablagerungen hielt, ist wohl begreiflich. Beschränkt man sich auf die Betrachtung einiger Stellen bei Cenes, in welchen riesige Felstrümmer in chaotischer Verwirrung über- einander gehäuft sind, meist unvollkommen gerundet und mit regellos dazwischen gestreutem, feinerem Material, so erhält man gewiß nicht den Eindruck einer marinen Ablagerung. Und doch erkennt man die Natur derselben, wenn man wenige Schritte weiter mergelige Zwischenlager die Schichtung andeuten sieht, Bänke von deutlichen Gerollen unterscheidet, auch wohl in vereinzelten Kalkblöcken Bohrungen von Vioa und Bohr- muscheln entdeckt. Wendet man sich in dem Seitental des Genil gegen Ouentar, so sieht man die weichen, mergelig-sandigen Zwischenlagen größere Ausdehnung erreichen, bis bei Quentar selbst unter der Hauptmasse der Blockformation Ton in großer Mächtigkeit auftritt. Beide Bildungen sind auf das innigste miteinander verknüpft. In den Tonlagen treten einzelne Gerolle oft von ziemlich bedeutenden Dimensionen auf und in der Blockformation im engeren Sinne finden sich, wie schon Dräsche hervorhebt, zahlreiche sandig-mergelige Zwischen- lagen. In solchen sammelte ich in ziemlicher Höhe nördlich von Quentar Fragmente von Ostrea, Pecten und Anomia, während ich in der Blockformation selbst, welche hier ziemlich häufig KalkgeröUe führt, südlich von Quentar nicht bloß zahllose, von Bohrmuscheln angebohrte beobachten konnte, sondern auch solche, an welchen Ostreen angeheftet waren. In den in der Tiefe des Tales aufgeschlossenen Tonschichten, welche an dem Ostgehänge desselben in großer Ausdehnung die Lehnen .bilden, sammelte ich unmittelbar südlich bei dem Dorfe Quentar an der Mündung eines von Westen herabkommenden kleinen Seitentälchens ziemlich zahlreiche 752 R. Hoernes, Versteinerungen. Von Interesse scheint mir das Vorkommen zahlreicher Pteropodenschälchen, dann von Fragmenten eines glatten dünnschaligen Pecten sowie das Auftreten von Denta- liiim, lauter Formen, welche auf ziemlich tiefes Wasser hin- deuten. Die Mission d'Andalousie führt aus der von ihr dem Tortonien zugerechneten Blockformation folgende Arten an: Odontaspis contortidens Ag. Chenopiis pes gracnli B r o n n. Natica inillepnnctata Lamk. Terehra ßiscata Brocc. Ancillaria neglecta Br. sp. Conus cf. demissns Ph. Dentalmm Boiiei Desh. » sexaiigiilare Larnk. » cf. inaeqnale Bronn. Area diliivil Lamk. Nuciila placeiitina L a m k. Pecten (Pleuroneetia) eristatiis Brocc hi. bollenensis Mayer. Ostrea lamellosa Br. Ceratotrochus miiUispinosus Edw. et H. Ohne in eine Kritik der einzelnen Formen einzugehen, welche ja ohne Literatur und Vergleichsmaterial kaum möglich wäre, möchte ich bemerken, daß die Gesamtheit der Fauna (mit Ausnahme der vermutlich aus den sandig-mergeligen Zwischenschichten der eigentlichen Blockformation stammenden Ostrea lamellosa) entschieden auf die Bildung in ziemlich tiefem Wasser hinweist. Über die Zugehörigkeit zur zweiten Mediterranstufe (Vindobonien Deperet's) kann gleichfalls kein Zweifel herrschen. Sehr auffallend scheint nur die innige Ver- bindung einer solchen Tiefwasserablagerung mit dem Hauf- werk der gewaltigen GeröUe und Felstrümmer der Block- formation. Es erklärt sich dieselbe wohl am besten durch die Annahme, daß infolge der gebirgsbildenden Bewegungen, deren Schauplatz Andalusien während der Miozänzeit war, eine tiefe Senke unmittelbar neben steil aufragendem Küstengebirge Tertiäraebilde des westlichen Mittelmeerüebietcs. 753 entstand. Während in der Tiefe tonige Ablagerungen mit der angeführten, für tieferes Wasser bezeichnenden Fauna zu Stande kamen, wurden durch die Brandung gewaltige Fels- trümmer abgelöst, welche dank dem Steilabfall der Küste bis zu größerer Tiefe hinabsinken konnten, als dies sonst bei Brandungsgeröll erfolgen mag. Diese Annahme erklärt noch am ehesten die Lagerungsverhältnisse der miozänen Block- formation. Als durch die Sedimentation allmähliche Auffüllung eintrat, entstand ein immer schwächer geneigter Talus und schließlich kamen die fast horizontalen Geröllablagerungen zu Stande, welche dem Alhambrakonglomerat entsprechen. W Orcuuidiv Cems Oiumtar Kiiertn Fig. 3. GB Grundgebirge (Triasformation) ; T tonige Ablagerungen der zweiten Medi- terranstufe; B Blockformation im engeren Sinne mit einzelnen mergeligen Einlagerungen; C oberer Teil der Blockformation mit flacherer Lagerung und kleineren Gerollen (Alhambrakonglomerat); A .■\lluvionen der Huerta von Gran ad a. Die pseudoglazialen Bildungen der Blockformation bei Genes lassen deutlich erkennen, wie leicht auf andere Art entstandene Trümmeranhäufungen für Moränenwälle gehalten werden können. Dies gilt nicht bloß von Bergstürzen, wie ich denn selbst die von einem solchen herrührenden Schutt- massen der Rovine di Vedana bei Belluno, welchen aller- dings teilweise Moränenschutt beigemengt war, für glazial hielt, sondern auch für unter besonderen Umständen abgela- gerten Brandungsschutt des Meeres. Ich habe oben darauf aufmerksam gemacht, daß möglicherweise die durch das Vor- kommen zahlloser riesiger, gerundeter Granitblöcke ausgezeich- neten pseudoglazialen Bildungen am Fuße des Guadarrama- gebirges auf ähnliche Weise entstanden sein mögen. Hier fehlt allerdings das Meer, aber der durch lange Zeit während der 754 R. Hoernes, Tertiärperiode vorhandene große Binnensee konnte recht wohl an seinen Steilufern Brandungswirkungen erzielen, welche hinter jenen des Meeres nicht zurückstanden. Am 1. August unternahm ich einen Ausflug nach Monte- frio, um die dort unmittelbar auf mesozoischen Ablagerungen ruhenden, versteinerungsreichen Ablagerungen der ersten Medi- terranstufe zu untersuchen. Ich fuhr in Begleitung des Führers des Hotels »Viktoria« J. Flores, die sich mir sehr nützlich erwies, zunächst mit der Bahn nach Tocön und von dort mit der Diligencia nach Montefrio. Nächst Tocön stehen in hori- zontaler Lagerung Gesteine der zweiten Mediterranstufe vom Typus der Alhambrakonglomerate an. Sie lehnen sich an stark gestörte, mesozoische Ablagerungen. Oberer Jura und untere Kreide bilden den hoch aufsteigenden Rücken, der das Tal von Montefrio von der durch die Bahn verquerten Niederung trennt. Die Straße steigt langsam in zahlreichen Windungen zur Höhe, die wohl an 1000 w Seehöhe erreichen mag, und senkt sich dann jenseits nach Montefrio hinab. Schon bald nach Über- schreitung der höchsten Stelle fesselt der Burgfels von Monte- frio, der noch einen Teil seiner Befestigungen und eine ver- lassene Kirche trägt, den Blick. Er besteht aus etwa 35° nach SW geneigten Schichten der ersten Mediterranstufe. Die Straße kommt, ehe sie nach Montefrio gelangt, an mehreren Auf- schlüssen in denselben Schichten vorüber, welche entgegen- gesetztes Fallen, zugleich aber auch vielfach schräge Schichtung erkennen lassen. Sandige Gesteine von mittelgroßem Korne mit kalkig-mergeligem Bindemittel herrschen vor. Durch die Vermittlung des Herrn J. Flores machte ich in Montefrio die Bekanntschaft des Prof. Guillermo Valdecasas Paez aus Granada, der sich zur Sommerfrische in Montefrio aufhielt, und zahlreicher Herren, welche mich sofort zu den Versteinerungsfundpunkten an dem Burgfels von Montefrio geleiteten und selbst tätigen Anteil an der Aufsammlung von Versteinerungen nahmen. Einzelne Schichten sind überreich an solchen, zumal an Terebrateln und Pectiues. Die Fazies erinnert durchaus an die bekannten Terebratelsande von Eisenstadt im Leithagebirge, nur daß die Arten durchwegs verschieden sind. Die häufigsten Formen scheinen Pecten Tertiärgebilde des westlichen Mittelmeergebietes. i 55 praescabrinscitlus Font, sowie die Varietät talarensis K'i\ia.n dieser Art zu sein. Aber auch andere Pecleii- Arten kamen in zahlreichen Exemplaren vor. Die Mission d'Andalousie führt in ihrem großen Wei'ke in der »Liste des especes de l'Helvetien«^ folgende 13 Pecten- Formen an: Pecten scabriiiscuhis Lamk. var. iherica Kilian. » praescabriusciiliis Font. » » var. talarensis Kilian. » Celestini Font. » Zitteli Fuchs. » Toiirnali Serres. » Fiichsi Font. » Holger i Gein. » opercidaris Linn. » cf. n im ins Font. » siibbenedidns Font. » snbstriatus d'Orb. >" (Plenronectia) cristatus Brocc. Inwieweit sich dieselben unter dem von mir und den mir freundliche Beihilfe leistenden Herren gesammelten Material finden, kann erst nach Durchbestimmung desselben festgestellt werden. Vielleicht wird sich dann auch Gelegenheit zur kriti- schen Beleuchtung der einen oder der anderen der angeführten Arten ergeben. Daß die Mehrzahl derselben für die erste Medi- terranstufe bezeichnend ist, braucht wohl nicht besonders hervorgehoben zu werden. Neben den Pectines finden sich nach der Mission d'Anda- lousie im »Helvetien« zahlreiche Austern. Es werden genannt: Ostrea crassissima Lamk. » giengensis Schloth. » Virleti Desh. » digitalina Dub. » Offret i Kilian. 1 Mission d'Andalousie, p. 507. 756 R. Hoernes, Östren Boblayei Desh. » Maresi M u n. C h a 1 m. » Velami Mun. Chalm. » Chicaensis Mun. Chalm. Die drei letztgenannten Arten sind für die erste Mediterran- stufe charakteristisch und finden sich auch im Burdigalien Nordafrikas wieder; sie werden auch von Gentil in seiner schönen Arbeit über das Bassin der Tafna von dort angeführt. Ich hatte gerade am Burgfels von Montefrio keine Gelegenheit, Austern zu sammeln, da dort keine Austernbänke auftreten. Sie müssen in der Nähe von Montefrio vorhanden sein, da, wenn ich mich recht erinnere, in dem Werke der Mission d'Andalousie mehrfach große Austern mit der Fundortsangabe Montefrio abgebildet sind. Ich erkundigte mich aber vergeblich nach ihrem Vorkommen. Von den übrigen Versteinerungen wären Fischzähne, Balanen und vor allem Terebrateln als häufige Vorkommnisse hervorzuheben. Die Mission d'Andalousie nennt von letzteren: Terehrattila granäis Blumb. (= Ter. Sovverbyana Nyst.) » sinuosa Dav. Brocchi. » » var. pedemontana Dav. Die erstgenannte Art wird sonst immer aus dem Pliozän angeführt. Zahlreiche Exemplare einer ziemlich großen Tere- bratel, welche ich aufsammelte, schienen mir ziemlich gut mit Terebratula Hoernesi Suess aus den Sanden von Maissau bei Hörn zu stimmen; doch wage ich selbstverständlich ohne Vergleichsmaterial die Identität nicht zu behaupten. Über das Auftreten der ersten und zweiten Mediterran- stufe bei Montefrio, beziehungsweise Tocon mag das nach- stehende Profil orientieren. Die Bildungen der ersten Stufe ■oder des »Burdigalien« Deperet's finden sich in bedeutenderer Höhe und gestörter Lagerung, jene der zweiten Stufe oder des »Vindobonien« in der Niederung, in horizontaler ungestörter Schichtstellung. Beide Ablagerungen ruhen diskordant auf mesozoischen Bildungen. Tertiärgebilde des westlichen Mittelmeergebietes. 757 Am Südgehänge des aus Jurakalk gebildeten Monte Parapanda, der sich südöstlich von Montefrio zu einer See- höhe von \ 602 in erhebt, treten bei Illora Korallen in den Ablagerungen der zweiten Mediterranstufe auf. Durch die Freundlichkeit eines der Herren aus Montefrio erhielt ich ein schönes Exemplar einer Koralle von Illora, in welcher ich eine der häufigsten Korallen unserer zweiten Mediterranstufe zu erkennen glaube. Das Vorkommen von Korallen bei Illora wird schon von der Mission d'Andalousie erwähnt und an- gegeben, daß zu Illora »un lit intercale dans les cailloutis superieurs (sarmatiques)« auftrete. Aus den oben mitgeteilten Profilen erhellt wohl zur Genüge, daß die Mission d'Andalousie mit Recht drei große, durch Tocoiv ^Wonteffio Fig. 4. a Oberjurassische und h unterkretazische Bildungen, vielfach gestört und gefaltet; c erste und d zweite Mediterranstufe. Die Distanz Tocön — Montefrio beträgt in Luftlinie etwa 1 1 km. tektonische Vorgänge bedingte Diskordanzen im Miozän Anda- lusiens unterscheidet: »Trois grandes discordances se fönt remarquer: la premiere ayant precede la formation de la molasse (celle-ci repose indifferement sur les terrains secon- daires, primaires ou sur les assises du nummulitique^), la seconde apres le depöt de la molasse separe ce terrain du tortonien; la troisieme corresponde au debut de l'epoque pliocene«.^ Es ist nur nötig, hinzuzufügen, daß die Molasse dem Burdigalien und das Tortonien dem Vindobonien ent- spricht sowie daß höchstwahrscheinlich auch die dritte Dis- kordanz noch ins Miozän fällt, da die Ablagerung der Gips- 1 Cette discordance a ete signalee par de Verneuil. - Mission d'Andalousie, p. 478. Sitzb. d. mathem.-naturw. KL; CXIV. Bd., Abt. I. 51 758 R. Hoernes, formation höchst vvahrscheinHch noch zur Miozänzeit begonnen hat. Es sind sonach drei gewaltige Bewegungsvorgänge voraus- zusetzen: der erste veranlaßt mit dem Beginn der ersten Medi- terranstufe die Inundation einer durch geraume Zeit trocken gelegenen, ausgedehnten Region im Süden der iberischen Meseta. Die südliche Grenze dieses Meeres der ersten Medi- terranstufe läßt sich schwer feststellen, denn einzelne Lappen der zerstückelten und auf weite Strecken entfernten Ablage- rungen treten hoch oben im gestörten Gebirge auf. Ein Beispiel haben wir in Montefrio kennen gelernt, ein anderes bildet das Vorkommen von Ronda. Nach Ablagerung dieser Bildungen erfolgen abermals ausgedehnte Bewegungen, welche teils Ge- biete, in welchen Bildungen der ersten Mediterranstufe auf- treten, dem Bereiche des Meeres entrücken, teils dasselbe in neugeschaffene Senkungen eintreten lassen. Noch vor dem Ende der Miozänzeit aber wird durch weitere Bewegungen die ganze Verbindung zwischen der iberischen Meseta und der betischen Cordillere unterbrochen und es erfolgen in diesem Räume fortan lediglich Binnenablagerungen, während im Süden von der Cordillere marine Pliozänablagerungen auftreten. Alle diese Dinge sind eigentlich durch die Mission d'Anda- lousie bereits zur Genüge dargelegt worden und doch hat ihre eingehende Darstellung der Tertiärablagerungen Andalusiens zu recht argen Mißverständnissen Anlaß gegeben, welche vor allem wohl dadurch veranlaßt wurden, daß die Ablagerungen der ersten Mediterranstufe als Molasse de l'Helvetien bezeichnet wurden. An einer Stelle^ wird freilich gesagt: »Nous nous bornerons ä dire que probablement notre molasse helvetienne est l'equivalent des couches de Hörn et de Grund (l^"" etage mediterraneen). Peut etre une etade minutieuse de l'helvetien de Grenade permettra-t-elle un jour de le subdiviser et de trouver les equivalents des divers horizons viennois lorsque Tentente sera faite ä leur sujet.« Unter so widerspruchsvollen Äußerungen ist es allerdings für den nicht näher Eingeweihten nicht leicht, das Richtige herauszuholen und man begreift, wie A. de Lapparent zu der Meinung gelangen konnte, daß das 1 Mission d'Andalousie, p. 516. Teitiärgebilde des westlichen Mittelineergebietes. 7o9 Burdigalien oder die erste Mediterranstufe in Andalusien gar nicht vertreten sei und dieser Ansicht mit folgenden Worten Ausdruck gibt: »La transgression helvetienne est d'autant mieux accusee en Andalousie, que tout l'oligocene et meme le burdigalien paraissent y faire defaut«.^ Es ist dies wohl eines der besten Beispiele für die Verwirrungen, welche die schlecht begründeten und vielfach mißverstandenen Mayer- schen Etagen angerichtet haben. Von Granada begab ich mich nach Malaga, um hier die im Süden der betischen Cordillere entwickelten Pliozänablage- rungen kennen zu lernen. Im Weichbilde von Malaga selbst ist Pliozän in den Ziegeleien (»Los Tejares«) vortrefflich auf- geschlossen. Die Mission d'Andalousie hat auch diese Lokalität ausgebeutet und die reiche Eauna der blaugrauen Tone von Los Tejares geschildert. Die Verhältnisse liegen jetzt insoferne minder günstig, als das Ayuntamiento von Malaga die gesund- heitsschädlichen Einflüsse der Teiche von Los Tejares erkannte und die weitere Arbeit der großen Ziegeleien einstellte. Bei meiner Anwesenheit waren nur wenige Arbeiter mehr tätig, um den schon früher ausgehobenen Ton zu Ziegeln zu verarbeiten. Ich konnte demgemäß nur eine relativ geringe Ausbeute machen und will dieselbe dadurch ersichtlich machen, daß ich bei den in dem Werke der Mission d'Andalousie aufgezählten, von mir gleichfalls aufgesammelten Arten ein Sternchen beisetze. Die Mission d'Andalousie nennt von Los Tejares aus den blauen Ton: Conus Broccliii Bronn. * » antedihwianiis Brug. Plenrotoma rotata Brocc. * -> tnrriciila Brocc. * » dimidiata Brocc. * » Alliojtii Bell. * » cataphracta Brocc. » intovta Brocc. * Mitra scrobiculata Broc. * Ftisns longiroster Brocc. A. de Lapparent, Traite de geologie, III, p. 1536 (2e Edit.). 51* 760 R. Hoernes, * Fusiis Piischi M. Hoern. * Triton nodiferum Lamk. Ranella margmata Martini. * Cassidaria echmophora Linne. * Chenoptis Uttlngerlanus Risso. * Turr Hella subangulata Brocc. * Xenophora crispa König. * Natica helicina Brocc. * » Company oni Font. * Turbo fiwibriaUis Bors. * Area diluvii Lamk. * Pletirottectia cristata Bronn. Pecten scabrelliis Lamk. Rhabdocidaris nov. sp. * Flabellum malagense nov. sp. Unter dem von mir aufgesammelten Material befanden sich auch mehrere von der Mission d'Andalousie nicht namhaft gemachte Formen. Von diesen möchte ich vor allem hervor- heben Pecten (Plenronectia) comitattis Font., schon deshalb, weil diese Form ungleich häufiger ist als Pecten (Pleuronectla) cristatus Bronn, ja neben einem großen Dentalmm das häufigste Konchyl darstellt, welches ich in den blaugrauen Tonen von Los Tejares antraf. Neben dem großen Flabellum malagense fand ich ferner eine kleinere Einzelkoralle {Ceratotrochus? sp.). Über dem blaugrauen Ton von Los Tejares liegen gelb- braune Letten und gelbe Sande, in welchen, wie bereits die Mission d'Andalousie angibt, eine andere Fauna auftritt, die sich durch das Vorkommen zahlreicher Pecttnes auszeichnet. In den oberen gelbbraunen Tonen von Los Tejares scheint Pecten comitattis viel seltener zu sein, während Pecten cristatus häufiger vorkommt. In den Sauden treten dann andere Pectines massenhaft auf, vor allem Formen, welche der Untergattung Vota der Autoren oder, wie Deperet zeigte, der Gattung Pecten im engeren Sinne angehören. Es finden sich aber auch einige andere Pecten -Axien und unter diesen, wenngleich selten. Tertiärgebilde des westlichen Mittelmeergebietes. 761 der echte pliozäne Pecten latissimus Brocc. Außerdem sind Ostreen, Anomien und Balanen häufig. Von Pecten latissimus sah ich auch ein riesiges Exemplar, welches auf dem PViedhof von San Miguel, unweit von Los Tejares, in 8w Tiefe gefunden wurde. Es befindet sich im Besitze des Herrn Konsuls Federico Groß, dem, wie auch seinen Söhnen, ich für Förde- rung meiner Untersuchungen zu bestem Danke verpflichtet bin. Ich möchte nicht glauben, daß man im Pliozän von Malaga zwei verschiedene Stufen zu unterscheiden hätte. Die Mission d'Andalousie betrachtet die blaugrauen Tone von Los Tejares als Unterpliozän, die gelben Sande aber als Mittelpliozän. Ich vermute, daß beide Ablagerungen einer und derselben Stufe angehören und nur abweichende Fazies darstellen. Verglichen mit den Faziesgebilden der zweiten miozänen Mediterranstufe bei Wien, entspricht der blaugraue Tegel auf das genaueste dem Tegel von Baden und Vöslau, der gelbe Sand aber dem Sande des Leithakalkes. Bei einem Ausflüge, den ich nach Torremolinos, südwestlich von Malaga, unternahm, hatte ich auch Gelegenheit, noch andere Fazies des Pliozän kennen zu lernen. Der Streifen von Pliozän, welcher von Churriana im Norden zur Küste bei Am ade na herabzieht, besteht der Haupt- sache nach aus Konglomeraten und Sauden. In den ersteren walten recht grobe GeröUe vor, in den Sanden suchte ich an den Stellen, die ich betrat, vergebens nach Versteinerungen. Diese sind auch in den stellenweise entwickelten Lithothamnien- kalken selten. Das herrliche, dem Konsul F. Groß gehörige Landgut San Tecla nächst Torremolinos liegt zum größten Teile auf Kalkboden, der dem Gedeihen der Weinrebe be- sonders günstig ist. Es sind also auch Strandkonglomerate und Lithothamnienkalk unter den Faziesgebilden des Pliozän von Malaga vertreten. Nach marinen Diluvialgebilden suchte ich in der Umgegend von Malaga vergebens. Weder in südwestlicher Richtung bei Torremolinos noch in östlicher, in welche ich einen Ausflug nach El Palo unternahm, gelang es mir, derartige Absätze zu entdecken. Hingegen möchte ich dem Diluvium eine mächtige Kalkablagerung zuschreiben, welche bei Torremolinos in zahlreichen kleinen Steinbrüchen abgebaut wird. Es ist hier im 762 1^. Ho ein es, Steilabfall zum Meere ein wohl an 20 m mächtiger Kalktuff auf- geschlossen, der zahlreiche Pflanzenreste, Schilfstengel und Blätter sowie auch Konchylien (Melanopsis und Helix) enthält. Die Konchylien, welche noch die Farbenzeichnung aufweisen, scheinen noch heute in Südspanien lebenden Arten anzugehören. Diluviales Alter der Ablagerung läßt ihre Mächtigkeit und Aus- dehnung sowie der Umstand vermuten, daß in dem Tuffe zahl- reiche größere und kleinere Hohlräume und Grotten vorhanden sind, in welchen sich Tropfsteingebilde in großer Menge be- finden. Manche Hohlräume sind ganz mit Sinter ausgekleidet, die Stalaktiten und Stalagmiten allerdings zum größten Teile abgeschlagen, doch konnte ich eine Tropfsteinsäule von gut Mannesdicke beobachten. Weiter nach Westen treten marine Diluvialgebiete auf. Sie finden sich in der Gegend von Estepona, denn die von der Mission d'Andalousie mitgeteilte Fossilliste ^ von San Pedro de Alcantara läßt wohl kaum einen Zweifel übrig, daß die dortigen Schichten, welche ein Gemenge von pliozänen und rezenten Arten enthalten, diluvialen Alters sind. Die Mission d'Andalousie erklärt diese Schichten für Oberpliozän, und zwar deshalb, weil in ihnen mehrere Konchylien gefunden worden seien, die für Pliozän bezeichnend wären, da sie bis nun noch nie in jüngeren Schichten angetroffen worden seien. Es sind dies folgende zwölf Arten: Marginella auris leporis Brocc. Trochus patulus var. ß Brocc. Rimnla capiiliformis Pecchioli. DcntaJitun delphiiiense Font. Ostrca lamellosa var. Cortesiana Cocc. Limea strigillata Brocc. Lcda coiisatiguhiea Bell. Yoldia genei Bell. Crassatella temiistria Nyst. Pecchiolia argeittea Mariti. Verticordia cordiiformis Wood. Venus plicata G m e 1 i n . 1 Mission d'Andalousie, p. 241, 242. Tertiärgebilde des westlichen Mittelmeergebietes. 763 Ich halte diesen Beweis nicht für stichhältig, denn die Abgrenzung der wirklich pliozänen und der diluvialen Meeres- bildungen oder, um die von Suess aufgestellten Termini zu gebrauchen, der dritten und der vierten Mediterranstufe- ist bisher noch nicht klargestellt. Die Ablagerungen von San Pedro de Alcantara enthalten unter 59 Arten ein ent- schiedenes Übergewicht von heute noch lebenden Formen, dann einige von der Mission d'Andalousie als neu beschriebene Arten und die oben aufgezählten. Es fördert unsere Kenntnis der Sachlage wenig, wenn diese Bildungen mit jenen von Palermo, Tarent. Kos, Cypern und Rhodus verglichen werden,^ in welchen allen vorherrschend rezente Formen mit einem wechselnden Prozentsatz an erloschenen oder aus- gewanderten auftreten. Die Chronologie aller dieser bis nun als Jungpliozän bezeichneten Ablagerungen muß erst genau fest- gestellt werden. 1 Mission d'Andalousie, p. 246. 765 Entwurf einer Systematik der Ceratitiden des Muselielkalkes von Prof. C. Diener. (Vorgelegt in der Sitzung am 12. Oktober 1905.) Fassung, Umfang und Begrenzung der Ceratitoidea im Sinne von E. v. Mojsisovics haben im Laufe der letzten fünf Jahre erhebUche Umwandlungen erfahren. Nachdem durch mich und Philippi gewichtige Gründe für die Annahme geltend gemacht worden waren, daß Ceratites von Meekoceras ähnlichen Formen abzuleiten sei, hat E. v. Moj sisovics selbst im Jahre 1902, den nahen Beziehungen zwischen beiden Gattungen Rechnung tragend, die umfangreiche Familie der Meekoceratidae aus der Sektion der Ammonea Jeiostraca aus- geschieden und sie an die Ceratitoidea angeschlossen.^ Die Gattung Ceratites, der hervorstechendste Typus der Trachy- ostraca brevidoma, hat durch E. Philippi im Jahre 1901 eine vorzügliche monographische Bearbeitung gefunden. ^ Das außer- ordentlich reiche Material an Cephalopoden des Muschelkalkes aus dem Himalaya, das innerhalb des letzten Jahrzehnts Hayden und A. v. Krafft in Spiti und Kumaon, La Touche in Johar, Smith in Byans gesammelt haben und dessen Be- schreibung von mir in dem zweiten Teile des fünften Bandes der »Himälayan Fossils« (Palaeontologia Indica, ser. XV) soeben veröffentlicht wird, vermehrt unsere Kenntnis des Genus Cera- tites in unerwartetem Maße, lehrt uns mehrere gesonderte 1 E. V. Mojsisovics, Die Cephalopoden der Hallstätter Kalke. Ab- handl. k. k. geol. Reichsanst., VI/j, Supplement p. 322. - E. Philippi, Die Ceratiten des oberen deutschen Muschelkalkes. Paläont. Abhandl. von Dam es und Koken, VIII, Heft 4. 766 C. Diener, Linien inneiiialb dieser polyphyletischen Gattung erkennen und wirft vielfach neues Licht auf die Beziehungen zu ander-en Vertretern der Ceratüoidea. Es erschien mir daher wünschens- wert, einige Ergebnisse meiner Studien an den Aluschelkalk- cephalopoden des Himalaya, soweit sie sich auf die Systematik der Cevatitoidea beziehen, an diesem Orte in zusammen- fassender Weise zur Darstellung zu bringen und einige Ge- sichtspunkte darzulegen, nach denen eine Neugruppierung des Materials auf phylogenetischer Grundlage versucht werden könnte. Daß ich eine solche Neugruppierung nicht selbst durch- geführt habe, ist in der Lückenhaftigkeit unserer Kenntnis der untertriadischen Ammonitenfaunen Ostindiens begründet. Die einförmige Ammonitenfauna der unteren Trias der Ostalpen, die kürzlich von E. KittP eine monographische Bearbeitung erfahren hat, steht an Reichhaltigkeit hinter den gleichalterigen Faunen der indischen Triasprovinz so außerordentlich zurück, daß sie bei der Erörterung stammesgeschichtlicher Furagen fast außer Betracht bleiben kann. Gegen Waagen's Arbeit über die Ammoniten der Ceratitenschichten der Salt Range hat sich von verschiedenen Seiten ein so entschiedener Widerspruch erhoben, daß eine Berufung auf diese Arbeit kaum als ein- wandfrei betrachtet werden könnte. Von den untertriadischen Cephalopodenfaunen des Himalaya ist nur jene der tiefsten Zone des Otoceras Woodwardi genauer bekannt. Das reiche Material aus den jüngeren Zonen (JPrionolobnsSchichien, Hedenstroemia-Schichien, SlephatiilesSchichten nach Noet- ling^) ist zwar von A. v. Krafft untersucht worden, der jedoch leider an der Fertigstellung des Manuskriptes durch seinen frühzeitigen Tod verhindert wurde. Da das hinterlassene Manuskript A. v. Krafft's wohl kaum in absehbarer Zeit und keinesfalls in der ursprünglichen Form publiziert werden dürfte, so bleibt nichts übrig, als ein Urteil über die Beziehungen der Ceratitiden des Muschelkalkes zu solchen der unteren Trias in 1 E. Kittl, Die Cephalopoden der oberen Werfener Schichten von Muc in Dalmatien. Abhandl. k. k. geol. Reichsanst., XX, Heft 1. - F. Noetling, Die asiatische Trias, in F. Frech, Lethaea mesozoica, 1. Bd., 2. Lfg., p. 157. Systematik der Ceratitiden des Muschelkalkes. 767 den meisten Fällen bis zu der Neubearbeitung der Faunen der Ceratitenschichten und des Himalaya zu reservieren. Diese empfindliche Lücke in unserer Kenntnis der unter- triadischen Ammonitenfauna ist es auch, die mich veranlaßt, von einer Einteilung der Ceratiioidea in die drei von E. v. Mojsisovics vorgeschlagenen Familien der Meekoccratidae, Dmaritidae und Tirolitidae abzusehen.^ Die wichtigste und formenreichste Ammonitengattung des Muschelkalkes - ist unstreitig Ct'rc7/z7f 5. Von Haan ursprüng- lich für alle Ammoniten mit ceratitischer Sutur (septis aiigttlatis vel ligiilatis) aufgestellt, später auf Bey rieh's Gruppe der Nodosi beschränkt, ist sie bis zum Jahre 1895 von verschie- denen Autoren durch die Aufnahme neuer Gruppen so erheblich erweitert und umgestaltet worden, daß ihr Umfang über die sonst bei mesozoischen Gattungen übliche Fassung erheblich hinausgeht. E. Philippi hat in seiner wertvollen Monographie der Ceratiten des oberen deutschen Muschelkalkes zuerst den Versuch gemacht, das Genus Ceratites in der ursprünglichen Fassung der Nodosi durch Bey rieh wiederherzustellen. In der Fassung, die E. v. Mojsisovics, Waagen und ich allmählich dem Genus Ceratites durch Hinzufügung exotischer Formen- gruppen gegeben haben, ist dasselbe polyphyletisch geworden. Um den Anforderungen einer strengen Systematik, die nur monophyletische Genera zuläßt, gerecht zu werden, müssen nach der Meinung Philippi's aus dem Genus Ceratites die folgenden Gruppen ausgeschieden werden: Ceratites nttdi E. v. Mojsisovics {Apleiiroceras Hyatt), C. otsoleti {Daniibites Mojs.), C. Silbrobust i Mojs. (Keyserlingif es Hyatt, Robustites Phil.), die Gruppe des C. polaris (Arctoceras Hyatt), alle 1 Es ist lediglich von formaler Bedeutung, ob man mit E. v. Mojsi- sovics diesen Abteilungen den Rang von Familien und den Ceratitoidea eine übergeordnete Stellung zuerkennen oder die Meekoceratinae, Dinaritinae und Tirolitinae nur als Unterfamilien, die Ceratitidae als Familie auffassen will. Die letztere Auffassung, der ich mich anschließe, stimmt mit der für die Ammoniten des Jura- und Kreidesystems üblichen Gruppierung besser überein. ^ Die Bezeichnung »Muschelkalk« ist in dieser Arbeit stets im engeren Sinne gebraucht, also mit .\usschluß der ladinischen Stufe. 768 C. Diener, Ceratiten der Salt Range und wahrscheinlich auch die indische Gruppe der Ceratites circtimplicati. Fast zu gleicher Zeit hat auch A. Hyatt in seiner Re- vision des Abschnittes »Cephalopoda« für die englische Aus- gabe von Zittel's »Grundzüge der Paläontologie« (London 1900) den sehr weiten Umfang der Gattung Ceratites durch die Ausscheidung einer Anzahl von Formengruppen als be- sondere Gattungen oder Untergattungen zu restringieren ver- sucht. So werden von ihm die neuen Genera, beziehungsweise Subgenera: Apletiroceras, Keyserlingites, Paraceratites, Arcto- ceras u. s. w. in Vorschlag gebracht. Leider beschränkt sich Hyatt's Klassifikationsversuch ausschließlich auf die Ein- führung derartiger neuer Namen, ohne daß eine Diagnose der vorgeschlagenen Genera gegeben oder deren verwandtschaft- liche Beziehung zu anderen Gattungen erörtert würde. Die Brauchbarkeit der nur den Schein einer Gründlichkeit vor- spiegelnden Arbeit Hyatt's erscheint dadurch in sehr erheb- licher Weise eingeschränkt. Bevor ich in die Diskussion des Gegenstandes selbst ein- trete, möchte ich mir einige einleitende Bemerkungen über das bei der Fassung des Gattungsbegriffes Ceratites in Anwendung zu bringende Prinzip gestatten. Ich weiß sehr wohl, daß es als eine grundsätzliche Forderung der Systematik in der Paläonto- logie betrachtet wird, daß die einzelnen Gattungen streng monophyletisch seien und nur aus einer Wurzel entspringen. Philippi glaubt ohne Zweifel sich im vollen Einklänge mit dieser Forderung zu befinden, wenn er aus dem Genus Ceratites alle jene Formengruppen ausschließt, deren Abstammung ihm von jener der Nodosi Beyrich's verschieden zu sein scheint. Die Vorfahren der Nodosi sucht er in Übereinstimmung mit mir unter den Meekoceraten, in denen trachyostrake und leiostrake Zweige der triadischen Ammonitenstämme zu- sammenlaufen. Da durch die Untersuchungen von E. v. Mojsi- sovics an eineni sehr reichen und einwandfreien Material arktischer Ceratiten die engen phylogenetischen Beziehungen der Ceratites siibrobusti (Keyserlingites) mit spiniplikaten Dinariten (Oleneliites) sicher erwiesen sind, so liegen hier zwei aus verschiedenen Wurzeln entspringende Stämme Systematik der Ceratitiden des Muschelkalkes. 769 vor, die demzufolge auch nicht in derselben Gattung vereinigt bleiben dürfen. So bestechend dieses Prinzip auf den ersten Blick, er- scheint und so sehr es das theoretische Bedürfnis der Evolu- tionisten befriedigt, so große, ja fast unüberwindliche Schwierig- keiten stehen seiner praktischen Anwendung entgegen. Bei der Bearbeitung der Fauna des indischen Muschelkalkes glaube ich, ein reicheres Material an Ceratiten der mannigfaltigsten Formengruppen in den Händen gehabt zu haben als irgend ein anderer Paläontologe. Die Untersuchung dieses Materials aber hat zu der Entdeckung überraschender, bisher unbekannter Konvergenzerscheinungen bei triadischen Ceratiten geführt, die einer Aufteilung der Gattung Ceratites in monophyletische Elemente sehr ernste Hindernisse bereiten. Aus der Tatsache, daß zwei Formen mit ganz übereinstimmenden äußeren Win- dungen, wie Ceratites Vyasa und C. Devaseiia, eine ganz ver- schiedene Ontogenie besitzen, daß die typischen Merkmale von Keyserlingites bei indischen Ceratiten wiederkehren, dereii innerste Umgänge von Oletiekites gänzlich verschieden sind, ergibt sich zunächst die praktische Konsequenz, daß zu der Aufstellung wirklich monophyletischer P'ormengruppen die volle Kenntnis der Ontogenie, mithin gerade der innersten, der Beobachtung so schwer zugänglichen Windungen erforderlich ist. Nun beliebe man einmal nachzusehen, in welcher ver- schwindend geringen Anzahl von Fällen dieser Forderung wirklich Genüge geleistet werden kann! Wie selten ist man in der Lage, von einem wertvollen Material eine hinreichende Zahl von Stücken zu opfern, um die Ontogenie mit Sicherheit festzustellen! Wie viele Gattungen gibt es, von deren inneren Umgängen gerade nur jene Teile bekannt sind, die innerhalb des Nabels sichtbar bleiben! Von allen Gattungen aus den Ceratitenschichten der Salt Range z. B. ist die ontogenetische Entwicklung überhaupt vollständig unbekannt, weil ihre inneren Umgänge sich niemals präparieren lassen. So sind es unüber- windliche Hindernisse, die in der Natur des fossilen Materials selbst liegen, an denen der Versuch, zu rein monophyletischen Elementen der Ceratitensystematik zu gelangen, vorläufig scheitert. 7/0 C. Diener, Ohne die theoretische Richtigkeit der Forderung nach monophyletischen Gattungen verkennen zu wollen, kann ich eine auf solche Gattungen basierte Systematik von Ccratites gegenwärtig nur als ein pium desiderium betrachten. Ich habe es daher vorgezogen, die Gattung Ceratites in der alten Fassung als ein polyphyletisches Genus beizubehalten, in dem mehrere aus verschiedenen Wurzeln entspringende Stämme sich vereinigen, dessen Angehörige aber bei aller Mannig- faltigkeit in der Variationsrichtung doch durch gemeinsame Merkmale des Grundtypus einander morphologisch nahestehen. Wäre ich anders vorgegangen, so hätte ich theoretische Vor- aussetzungen an Stelle von Beobachtungstatsachen treten lassen müssen. Um innerhalb der großen Formenfülle eine bessere Übersicht zu ermöglichen, habe ich die durch gewisse gemeinsame Merkmale ausgezeichneten Formengruppen zu Untergattungen vereinigt, ohne jedoch den Schleier, der die phylogenetischen Beziehungen zwischen den einzelnen Unter- gattungen deckt, durch die Konstruktion von Stammbäumen lüften zu wollen. So weit das Material an Beobachtungen phylogenetische Schlußfolgerungen zuläßt, werden dieselben selbstverständlich die gebührende Erwähnung finden. Bei der Fassung der Subgenera und bei der Vereinigung von Formen zu solchen habe ich auf die Gesamtheit der in die Augen fallenden Merkmale und nicht auf die Entwicklung eines einzelnen Merkmals Rücksicht genommen. Meine Klassi- fikation der Ceratiten unterscheidet sich daher sehr erheblich von jener der Meekoccratidae aus der Trias der Salt Range durch Waagen, die auf ein einziges, ziemlich untergeordnetes Merkmal, die Entwicklung der Auxiliarserie in der Suturlinie sich stützt. Die wichtigste Abteilung innerhalb der Gattung CerafUcs ist die Gruppe der Nodosi. Sie enthält Ceratites nodosus, das bekannte Leitfossil des oberen deutschen Muschelkalkes, und hat als eigentlicher Typus der Gattung zu gelten. Beyrich, der die Gruppe der Nodosi zuerst aufgestellt hat, vereinigte in derselben sowohl germanische als alpine Vertreter des Genus Ceratites. »Den Namen der Nodosen -< — Systematik der Ceratitideii des Muschelkalkes / / i heißt es in seiner Diagnose ^ — »wähle ich für eine Gruppe, in welcher die Formenreihe des Ammoiiites hinodostts mit jener des Ammonites nodosiis zu verbinden ist. Es sind dies Ammo- niien von scheibenförmiger Gestalt mit einem ungekielten Rücken, der sich bei entwickelter Skulptur stets von den Seiten auszeichnet und an dessen Rändern sich die Falten der Seiten zu Zähnen oder aufgerichteten Spitzen erheben. Die Falten sind in der Jugend und im mittleren Alter geteilt; eine Reihe von Knoten oder Spitzen auf der Mitte der Seite bezeichnet die Gegend, in welcher die Teilung oder die Vermehrung der P\ilten vor sich geht; eine dritte Reihe von Spitzen oder knotigen Anschwellungen kann am Rande des Nabels hinzu- treten Die Teilung der Lobenlinie beschränkt sich als Regel auf die einfache Ausbildung einfacher Zähne im Grunde der Loben; jedoch können sich die Zähne an den Seiten der Sättel in die Höhe ziehen und noch in die Sättel einschneiden Aber nie erweitern sich die Zähne durch Ausbildung sekun- därer Zähne zu gezähnten Fingern oder Ästen.« Aus dieser Diagnose geht klar hervor, daß Beyrich die alpine Formengruppe des Ceratites binodosus von der germa- nischen des C. nodosiis nicht trennen zu sollen glaubte, sondern beide in seiner Abteilung der Nodosi vereinigt hat. Ich selbst (1895), Waagen (1896) und Philippi, der überzeugende Be- weise für die enge Zusammengehörigkeit beider Gruppen (bino- dose Jugendskulptur bei C. nodosiis, übereinstimmende Loben- linie) erbracht hat, haben die Ansicht Beyrich's akzeptiert. Die Einführung einer besonderen subgenerischen Bezeichnung für die Formenreihe des C. binodosus durch Y{y a.ii (Paraceratitcs) erscheint daher nicht gerechtfertigt. Der Gruppe der C. nodosi gehören alle Ceratiten des oberen deutschen Muschelkalkes und die weitaus überwiegende Mehr- zahl der alpinen Ceratiten an. In der Salt Range scheint die Gruppe nur durch eine einzige Art, Ceratites disciilnsW aa. gen,'' 1 E. Beyrich, Über einige Cephalopoden aus dem Muschelkalk der Alpen und über verwandte Arten. Abhandt. kgl. Akad. der Wiss. Berlin, 1866, Nr. 2, p. 121. 2 W. Waagen, Ceratite Formation. Palaeontoloyia Indica, ser. XIH, Salt Range Foss., Vol. II, p. 42, PI. Xl, Fig. 7. 772 C. Diener, aus den obersten Bänken des oberen Ceratitenkalkes von Chi- droo vertreten zu sein. Das einzige bisher bekannte Fragment dieser Art ist leider zu dürftig erhalten, um die Zugehörigkeit zur Formenreihe des Ceratites bmodosus mit Sicherheit aus- sprechen zu lassen. Alle übrigen von Waagenhierhergestellten Arten aus der Trias der Salt Range sind, wie Philippi wohl mit Recht betont hat, ihrer systematischen Stellung nach über- aus zweifelhafte Ammonitenreste. Dagegen ist Ceratites s. s., beziehungsweise die Gruppe der Nodosi im Muschelkalk des Himalaya sehr gut repäsentiert, und zwar keineswegs nur, wie Philippi meint, durch Ceratites hiinalayaims Blanf., sondern durch mindestens elf Arten, unter denen C. trinodosus der mediterranen und indischen Trias- provinz gemeinsam ist. Die bezeichnendste indische Form der Nodosi ist Ceratites Thttilleri Oppel, der durchÜbergangsformen mit C. trinodosit^s enge verbunden erscheint. Eine Art, C. Kraffti, besitzt eine auffallende äußere Ähnlichkeit mit C. ataviis Phil, aus der Gruppe germanischer Nodosen des oberen Muschel- kalkes. Da aber die inneren Windungen des indischen Ceratiten der Beobachtung nicht zugänglich sind, so muß die Frage, ob hier verwandtschaftliche Beziehung oder lediglich eine Kon- vergenzerscheinung vorliegt, unentschieden bleiben. Als eine Konvergenzerscheinung ist es jedenfalls zu bezeichnen, daß bei einigen indischen Ammoniten dieser Gruppe, wie Ceratites truncus Oppel oder C. Devasena Diener, auf der Wohnkammer wie bei C. nodosus die dichotomen Rippen in einfache, plumpe Rippen umgebildet werden und alle Knoten verschwinden. Daß die gleiche Skulpturänderung auch auf der Wohnkammer er- wachsener Exemplare mancher Formen der Ceratites circimi- plicati sich einstellt, ist von mir an anderer Stelle ausführlicher auseinandergesetzt worden. Eine kleine Gruppe von Ceratiten, die sich als eine wohl um- schriebene Untergattung darstellen, wird von Ceratites Erasmi Mojsisovics^ C aster v. Hauer- und C tiiherosus v. Art- 1 E. V. Moj siso vics, Die Cephalopoden der mediterranen Triasprovinz. Abhandl. k. k. Geol. Reichsanst., X, p. 43, Taf. XL, Fig. 13. - F. V. Hauer, Denkschr. kais. Akad. der Wiss., LIX, p. 262, Tat". III, Fig. 3. Systematik der Ceratitiden des Muschelkalkes. 773 haber^ aus dem alpinen Muschelkalk gebildet. Die Skulptur dieser drei durch brachyphylle Zerschlitzung der Suturen aus- gezeichneten Arten besteht ausschließlich aus kurzen spini- plikaten Rippen, die von kräftigen Nabelknoten ausstrahlen und gegen die Externseite allmählich erlöschen. Philippi (1. c. p. 87) hat wohl mit Rücksicht auf die brachyph5Mle Zerschlitzung der Sättel diese kleine Gruppe an Beyrichites angeschlossen. Die Skulptur von Beyrichites ist jedoch wesentlich verschieden. Das charakteristische Skulpturelement bei Beyrichites und den damit nahe verwandten, von Toula aus dem Muschelkalk von Ismid beschriebenen Untergattungen sind Sichelrippen, die auf der oberen Seitenhälfte stets stärker als auf der unteren aus- gebildet sind. Wenn Knoten oder Dornen auftreten, so er- scheinen sie stets auf der Seitenmitte, niemals in der Nähe des Nabelrandes. Die vollständige Abwesenheit einer Umbilikal- skulptur ist ein so charakteristisches Merkmal von Beyrichites, daß die erwähnte kleine Gruppe von Ceratiten mit dieser Gattung unm.öglich vereinigt werden kann. Ich habe demgemäß für die Gruppe des Ceratites Erasmi eine neue subgenerische Be- zeichnung, Philippites, in Vorschlag gebracht. Von Philippites ist meiner Ansicht nach trotz weit- gehender Übereinstimmung in der Skulptur eine untertria- dische Art getrennt zu halten, die E. v. Mojsisovics" als Dinarites connectens beschrieben hat, die aber bereits zwei deutliche Lateralloben besitzt, daher, strenge genommen, von Dinarites zu trennen wäre. Die Loben stehen auf einer sehr tiefen Stufe der Entwicklung, sind ganzrandig, schmal und durch breite Sättel, wie bei den typischen Dinariten getrennt. Es möchte mir am zweckmäßigsten erscheinen, diese Form mit Apleuroceras Hyatt — Typus Ceratites Sturi Mojs. — zu vereinigen. Im Muschelkalk des Himalaya ist die Untergattung Philip- pites durch Ceratites JoUnkanus (Himälayan Foss., Vol. V, Pt. 2, Fl. IV, Fig. 6; Fl. V, Fig. 2) vertreten. Zwar haben die Suturen 1 G. V. Arthaber, Beiträge zur Geol. u. Paläont. Österreich-Ungarns etc. X. Bd., p. 58, Taf. V, Fig. 6 2 E. V. Mojsisovics, Die Cephalepoden der mediterranen Triasprovinz. L. c. p. 9, Tafel III, Fig. 10. Sitzb. d. mathem.-naturw. KL; CXIV. Bd., Abt. I. 52 774 C. Diener, dieser Form das brachyphylle Entvvicklungsstadium noch nicht erreicht, doch sind die Sättel ebenso wie bei Ceratites aster und C tuberosiis durch hohe, schlanl-\:'-\ ^ .M A, \- 'L^^':^'^^^ fl'^W.r-,^vi'. ^.^ y \-^^^ AX /