= CJ> ?CM | es fehlen auch Briefe aus den übrigen Jahren, und unter den gegebenen sind nicht alle vom Verdachte frei, wobei ich nur auf die Einwendungen erinnere, welche schon Dupin, Natalis Alexander und Pagi gegen einige derselben (93, 94, 95) erhoben haben. Soll sich nun nicht dieses Verlangen befriedigen lassen? In meiner Lage, wo ich die Bearbeitung einer kritischen Geschichte des alten Passauer Bisthumes unter den Händen habe, wobei die Verhältnisse dieses Bisthumes zu dem mährischen Beiche und dem Slawenapostel Method zur Behandlung kommen müssen, welcher schwierige Gegenstand ein Vorgehen auf solidem Grunde nach allen erreiclibaren Behelfen erfordert, muss ich dem Ziele nach Aufklärungen über die nicht viel mehr als dem Namen nach bekannte Handschrift mit Sehnsucht entgegensehen, und da überhaupt Allen welche für ihre geschichtlichen Zwecke der Briefe Johann's VIII. bedürfen, das erreichte Ziel erwünscht sein muss, glaubte ich mir erlauben zu dürfen, die Aufmerksamkeit einer kaiserlichen Akademie auf das im vaticanischen Archive vorhandene Autogrftphmn Regestmn Uterartim apostoUcanim felicis recordationis Joannis papie VIII. als auf eine Handschrift die der Geschichte sehr förderlich werden könnte, zu lenken, und Dieselbe zu bitten , zum Besten der Geschichte Ihrerseits dasjenige veranlassen zu wollen, was Ihr thunlich und dienlich scheint, die näheren Auskünfte über diese Handschrift zu erwirken. Die Classe heschliesst: sich um nähere Auskunft über diese Handschrift an das vaticanische Archiv zu wenden. 1) Interessante und leider nur ungenügende Frag-mente von drei solchen Briefen hat Samuel Timon (Imago antiquae Ilungariae 1750, p. 164 seqq.) aus einem Codex der vaticanischen Bibliothek beigebracht, welcher Codex ( Collect iones Decretales Nr. 4886) aber gewiss nicht das autographum Regestum ist, und auch nur Brief- fragmente gelegenheitlich aufgenommen enthalten kann. I 0 Freih. H a m in e r - P ii r s s t a 1 1. SITZUNG VOM 13. JUNI 1855. Gelesen: Freiherr Hammer-Purgstall las eine Abhandlung für die Denkschriften über dieEncyklopädie der Araber, Perser und Türken. Nach Vollendung der „Geschichte der Ilchane Persien s" wollte er eine verbesserte und vermehrte Ausgabe seiner encyklopädischen Übersicht der Wissenschaften des Orients geben und begann eine Umarbeitung dieses Werkes, womit er zuerst im Anfange dieses Jahrhundorts unter den Orientalisten aufgetreten; da sich aber in der Folge der Arbeit bald herausstellte, dass eine vollständige Literaturgeschichte der Araber ein weit grösseres Bedürfniss für die orientalische Literatur in Europa, als eine umge- arbeitete vermehrte Ausgabe der Übersicht der Wissenschaften des Orients sei, so Hess er jene Arbeit liegen und begann die Literatur- geschichte der Araber, von der bis jetzt sechs Quartbände (die Hälfte des auf zwölf berechneten Ganzen) erschienen sind. Er legt nun der Classe die Einleitung jener aus zwei früher nicht gekannten und unbenutzten encyklopädischen Quellen, eine in der Hofbibliothek, die andere in der Leydner Bibliothek, vor , welche ein besonderes Ganzes bilden, wie die Einleitung zur Literaturgeschichte der Araber, womit der erste Band der Denkschriften der philosophisch- historischen Classe begonnen worden. Den Schluss macht eine Liste von hunderteinnndzwanzig encyklopädischen Werken der Araber, Perser und Türken, Movon bisher höchstens die über das Hundert zählenden bekannt, die übrige Centurie aber noch nirgends chrono- logisch zusammengestellt worden ist. „Eben so wenig sind irgendwo die Sprüche des Korans, der „Überlieferung und anderer weiser und . gelehrter Männer über „den Werth der Wissenschaften und der Studien zusammen- „gestellt. oder auch nur einzeln übersetzt erschienen. Es genügt „eines einzigen solchen Koran-Textes und eines einzigen solchen über die orientalisclien Encykloi)ädien. 1 1 „Spruches um die Unwissenheit derer zu brandmarken, welche den „Islam als den Wissenschaften feindlich verschreien ; wenn ihre „leidenschaftlichen Verleumdungen auch nicht durch die Geschichte „des Mittelalters Lügen gestraft würden, in welchem das Studium „der Philologie, der mathematischen, astronomischen und medici- „nischen Wissenschaften von den Arabern ausging, so würde der „Koransvers : Sind denn die Wissenden gleich denUnwis- „s enden? allein genügen, sie zu Recht zu weisen. Dichterund „Redner, Astronomen und Arzte, Rechtsgelehrte und Richter standen „an dem Hofe wissenschaftliebender Fürsten, so zu Ragdad als zu „Cordova, zu Damaskus wie zu Kairo in dem grössten Ansehen und „in den höchsten Ehren, sie waren Emire und Wesire und der „Weisheitsspruch dass, wenn Gott einem Volke wohlwolle, „er dem Herrscher desselben Weisheit und Wisse n- „sc haftsliebe eingebe, ward von den Arabern schon dem „gerechtesten persischen alten Könige, dem Chosroes Nuschirwan, „in den Mund gelegt." Der reich reimend arabische Spruch: Kemalol-ilm el-hilm heisst sowohl die Vollendung der Wissenschaft liegt in der Ges cheidtheit, als die Vol- lendung der Wissenschaft liegt in der Sanft muth, indem das Wort hilm die eine und die andere Redeutung hat. 1 2 • Dr. Pfizraai er. Die Zeiten des Fürsten Siuen von Lu. Von dem w. M., Hrn. Dr. August Pfizmaier. VORWORT. Die in dem achtzehnjährigen Zeiträume der Regierung des Für- sten Siuen von Lu erzählten Begebenheiten beziehen sich vorzugs- weise auf den Streit zwischen den Reichen Tsin und Tsu um die Oberherrschaft. In Tsu regierte Mährend dieses ganzen Zeitraumes König Tschuang, der letzte der in dem Tschün-tsieu erwähnten Gewaltherrscher; in Tsin folgten einander drei Landesherren: die Fürsten Ling, Tsching und King. Beide Staaten traten anfänglich nicht offen gegen einander auf, ihr Bestreben ging vorerst dahin, die durch ihre Lage wichtigen kleineren Staaten, namentlich Tschin, Tsching und Sung sowohl durch Politik als durch die Waffen zu einem Anschlüsse zu bewegen, ein Zweck der durch Tsin ziemlich vollk(»mmen erreicht wurde. König Tschuang der schon früher den llimmelssohn zu schrecken versucht hatte , entschied sich jetzt für rascheres Handeln, indem er (598 vor Chr. Geb.) das Reich Tschin eroberte, dasselbe jedoch seinem rechtmässigen Landesherrn zurück- gab. Das nächste Jahr (597 vor Chr. Geb.) belagerte er die Haupt- stadt von Tsching und zwang dieses Reich welches bisher treu an Tsin festgehalten, zur Unterwerfung. Dieselbe erfolgte noch vor der Ankunft des Entsatzes welchen Tsin geschickt hatte. Durch die Handlungsweise Tschhi-tse's, eines der Anführer, in Verlegenheit gebracht, setzte Tsin gleichwohl über den gelben Fluss , um den Kampf mit Tsu aufzunehmen. In der Schlacht von Pi auf dem Gebiete des Reiches Tsching erlitten die drei Kriegsheere von Tsin eine grosse Niederlage deren Folge war , dass Tsin für längere Zeit seine Ansprüche auf Oberherrschaft aufgeben musste, und jetzt König Tschuang den verschiedenen Staaten Redingungen vorschrieb. Nach drei Jahren (594 vor Chr. Geb.) wurde auch die Hauptstadt von Sung durch König Tschuang belagert und dieses Reich zur Unter- werfung gezwungen, ohne dass Tsin, um Hilfe angerufen, diese zu leisten gewagt hätte. Die Zeiten des Fürsten Siuen vun Lii. J «i Der Name des Fürsten g Siuen ist /(^ Wei , welches auch durch ^^ Wei ausgedrückt wird, nach Anderen war dessen Name --*- Tsie. Er war der Sohn des Fürsten Wen von dessen Nebengemah inn /^^r King-ying. Er gelangte zur Regierung, indem er den Thronfolger ^k Tschhi tödtete. Die Dauer seiner Regierung ist achtzehn Jahre. Nach den Vorschriften für die posthumen Namen heisst derjenige, der erfahren und überall bewandert war: B Siuen (vielwissend). 5 ^ 50, das Jahr des Cyklus (608 vor Chr. Geb.) Erstes Regierungsjahr des Fürsten Siuen von Lu. Dieses Jahr ist das fünfte Regierungsjahr des Himmelssohnes, des Königs E Kuang von Tscheu, ferner das sechste Regierungs- Jahr des Fürsten ^ Ling von Tschin , das neun und zwanzigste des Fürsten T>E3 Hoan von Khi, das dritte des Fürsten ^X^ Wen von Sung, das dreizehnte des Fürsten ^ Ling von Tsin, das erste der Fürsten ^ß. Hoei von Tsi und "rh Kung von Thsin, das sechste des Königs \aX- Tschuang von Tsu. g§' RR 51, das Jahr des Cyklus (607 vor Chr. Geb.). Zweites Regierungsjahr des Fürsten Siuen von Lu. In diesem Jahre starb der Himmelssohn, König ^ Kuang. Ihm folgte sein jüngerer Bruder ijnV Yü, genannt König ^ Ting. Hoa-yoen bewlrthet die Rrleger mit Schaffleisch. „Kuei-song, Prinz von Tsching, empfing den Befehl von Tsu und bekriegte Sung." Mo , Fürst von Tsching, hatte sich von Tsu Bedingungen vor- schreiben lassen, in Folge dessen entsandte er jetzt den Prinzen }^ 1^ Kuei - seng , damit er nach dem Befehle von Tsu das Reich Sung angreife. „Das Heer von Sung wurde vollständig geschlagen. Hoa-yuen kam in das Gefängniss. Lo-liü wurde gefangen." 1 4 IJ'"- Pfi z maier. Yanff-lsc TT 5BE Hoa-yuen , der Feldherr von Sung wurde gefangen und in ein Gefangniss gebracht, j^ ^ Lo-liü war der Urenkel des Fürsten Tai von Sung. Er wurde ebenfalls gefangen. „Als der Kampf bevorstand, schlachtete Hoa-yuen ein Schaf, und bewirthete die Krieger." Hoa-yuen ehrte hierdurch die ihm untergeordneten Befehls- haber des Heeres. „Sein Wagenführer Yang-tschin erhielt davon nichts." B>- ^ Yang-tschin war Hoa-yuen's Wagenführer. Dass lin keinen Antheil von dem Schafe erhielt , mochte wohl darin seinen Grund haben, dass Hoa-yuen ihn gering schätzte, die tiefer liegende Ursache ist aber unbekannt. „Nachdem der Kampf sich entsponnen, sprach er: Bei dem Schafe der früheren Tage warst du der Herr. Bei dem Werke des heutigen Tages bin ich der Herr." „Er drang mit ihm in das Heer von Tsching. Desswegen wurden sie geschlagen." Yang-tschin grollte über Hoa-yuen, weil dieser ihn nicht mit dem Schaflleisch belheill hatte. Während der Schlacht fuhr der Wagenführer mit dem Streitwagen des Feldherrn absichtlich unter die Feinde, was die Niederlage des Heeres von Sung zur Folge hatte. „Die Weisen hielten dafür, dass Yang-tschin kein Mensch. Wegen seines persönlichen Grolls richtete er zu Grunde das Reich und opferte das Volk. Was ist strafbarer als dieses?" „Was in einem Gedichte gesagt wird: Die Menschen ohne Werth, dieses lässt sich anwenden auf Yang - tschin. Er opferte das Volk, um durchzudrincren." Er gab das Heer von Sung dem Untergange preis , um seine Rache|iläne durchzusetzen. Der Versabschnitt, auf welchen hier hin- gewiesen wird, lautet vollständig : Die Menschen ohne Werth, Der Hass hestiindig sie verzehrt; Niclit nachzugehen haben sie geschworen, Bis sie am Ende sind verloren. Die Zeiten des Fürsten Siueii von Lii. ] O Tschao-tün tödtet seinen Landeslierrn J-kao. „Ling, Fürst von Tsin, war ein unwürdiger Landesherr. Er erpresste grossartig und durchbrach die Mauei-n." Fürst Ling war schon vor vierzehn Jahren als Kind auf den Thron von Tsin erhoben worden. Jetzt, da er die Grossjährigkeit erreicht, zeigte er sich als einen schlechten Laiidesherrn, der Erpres- sungen ausübte und die Mauern seiner ünterthanen durchbrechen liess, um in den Besitz ihrer Schätze zu gelangen. „Von der Höhe der Terrasse schoss er nach den Menschen mit der Armbrust und sah wie sie den Kugeln auswichen." Er schoss mit einer Armbrust nach den Vorübergehenden bleierne Kugeln und machte sich ein Vergnügen daraus, zu sehen, wie die Leute sich vor den Kugeln flüchteten. „Der Koch sott Bärentatzen welche nicht weich wurden." Bärentatzen lassen sich schwer oder gar nicht weich sieden. Wenn sie aber nicht weich gesotten sind, so sind sie ein tödtliches Gift. „Jener tödtete ihn. Er legte ihn in einen Korb und liess ihn durch ein Weib von dem Hofe wegtragen." Fürst Ling liess den Leichnam des getödteten Koches in einem Korbe wegtragen, damit die Minister an dem Hofe ihn nicht sehen. „Tschao-tün und Sse-ki sahen seine Hand. Sie erfuhren die Ursache und wurden darüber traurig." J^^ -J- Sse-ki ist Sse-hoei. Die beiden Minister sahen die Hand des Koches aus dem Korbe hervorragen. „Sie wollten ihren Tadel aussprechen. Sse-ki sprach: Wenn du tadelst und nicht durchdringst, so kann Niemand es fortsetzen. Ich bitte um den Vortritt. Wenn ich nicht durchdringe, dann mögest du es fortsetzen." Tschao-tün Avar der erste Reichsminister. Wenn er den Fürsten zuerst tadelt und dieser den Tadel nicht annimmt, so wird Sse-hoei nach ihm nichts mehr ausrichten. „Er ging dreimal hinauf. Als er zur Dachtraufe kam, dann erst sah er ihn."^ Sse-hoei ging dreimal die Stufen hinauf und zog sich wieder zurück, weil ihn der Fürst nicht bemerkte. Er schlug daher die j[ Q Or. Pfizmaifir. gerade Richtung ein, wo er endlich bei der Dachtraufe der Halle gesehen wurde. Fürst Ling wusste nämlich, dass Sse-hoei gekommen sei, um ihn zu tadeln und stellte sich, als ob er ihn nicht sähe, bis der Minister zuletzt ganz in seiner Nähe war. „Er sprach: Ich weiss worin ich gefehlt habe, ich werde mich bessern." Der Fürst konnte nicht leiden , dass man ihn tadelte , dess- wegen suchte er dem Minister durch diese Worte zuvorzukommen. „Jener neigte das Haupt und antwortete: Wer unter den Men- schen ist ohne Fehler? Fehlen und sich bessern können, ist die grösste der Tugenden. In einem Gedichte heisst es: Den Anfang wohl ein Jeder hat, Doch Wen'ge sind, die können enden." In dem Ta-ya des Schi-king stehen folgende Verse : Erhaben dieser hohe Kaiser, Der Herrseher über niedriges Geschlecht! Voll Grausamkeit der hohe Kaiser, In seinem Auftrag Manches das nicht recht. Der Himmel lässt entsteh'n das viele Volk, Der Auftrag nicht in treuen Händen. Den Anfang wohl ein Jeder hat. Doch Wen'ge sind, die können enden. Der Sinn ist: Der hohe Gott des Himmels ist der Beherrscher des Volkes. In dem Befehle dieses grausamen Gottes ist aber vieles Unrecht enthalten und man kann sich auf dessen Vollziehung nicht verlassen. Die Ursache davon ist: Im Anfange sind die Befehle des Himmels alle gut, so gross auch die Menge des Volkes ist, an welche sie ertheilt werden, aber nur wenige Menschen können das Gute bis an das Ende durchführen. „Wenn es so ist, so gibt es Wenige welche ihre Fehler ver- bessern können. Wenn du, o Herr, enden kannst, so sind die Götter des Landes sicher: wie sollten sich auf dich nur verlassen die Minister?" Wenn die Worte des Gediehtos wahr sind , so können auch Menige Menschen ihre Fehler verbessern. Sollte aber der Fürst Die Zeiten des Fürsteu Siuea von Lu. 1 / wirklich seine Fehler verbessern, so wird er auch ein gutes Ende nehmen und nicht hlos die Minister, sondern auch die Landesgötter des Reiches Tsin können sich wegen ihrer Sicherheit auf ihn ver- lassen. „Es heisst ferner: Wenn in des Fürsten Kleid ein Riss , So bessert Tsehung-sehan-fu es aus." „Dieses heisst: Die Fehler verbessern können. Wenn du, 0 Herr, die Fehler verbessern kannst, so geht das Kleid des Fürsten nicht zu Grunde." Tschung-schan-fu war Minister des Königs Siuen von Tscheu. Das Kleid des Fürsten ist das Oberkleid des Landesherrn und bedeutet die Würde desselben. „Jener besserte sich noch nicht. Siuen - tse tadelte ihn mehr- mals." Der Verabredung gemäss sollte Tschao-tün seinen Tadel aus- sprechen, wenn Sse-hoei nichts ausrichtete. Dieses geschah jetzt, da der Fürst trotz seines Versprechens sich nicht besserte. Hp 'g* Siuen-tse ist Tschao-tün. „Der Fürst gerieth darüber in Besorgniss. Er beauftragte Tschü-I, ihn zu morden." Tschao-tün war ein mächtiger Minister und der Vorsteher der Regierung. Als er denFürsten tadelte, fing dieser an sich zu fürchten. jW' ^^ Tschü-I, ein höherer Krieger von ungewöhnlicher Kör- perstärke, sollte sich in Tschao-tün's Wohnung begeben und diesen meuchlerisch tödten. „Am Morgen begab sich dieser auf den Weg. Das Thor vor dem Schlafzimmer war schon geöffnet." Als Tschü-I seinen Auftrag vollziehen wollte, war in Siuen-tse's Hause dasjenige Thor, durch welches man zu dessen Schlafgemach gelangte, schon geöffnet. „Er erschien in einem Staatskleide und wollte sich an den Hof begeben. Es war noch frühe. Er setzte sich nieder und schlief ange- kleidet." Da es noch nicht recht Tag war, so setzte sich Siuen-tse noch einmal nieder und schlief, ohne jedoch das Staatskleid früher abge- legt zu haben. Sitzh. d. phil.-hist. Cl. XVII. Bd. I. Hft, , 2 IS Dr. Pfizmaier. „Tschü-I zog sich zurück und sprach : Er vergisst nicht auf die Ehrfurclit: er ist der Vorsteher des Volices." Tschü-I unterliess es , den Minister zu tödten. Da dieser in seinem Staatsklcide schläft, so vergisst er zu keiner Zeit die dem Landesherrn schuldige Ehrfurcht und er geht dadurch dem Volke mit gutem Beispiele voran. „Den Vorsteher des Volkes morden ist keine Redlichkeit. Den Befehl des Landesherrn ausser Acht lassen ist keine Treue. Eines von diesen wird mein Theil. Es bleibt nichts übrig als der Tod." Wenn er den Minister für den Vorsteher des Volkes hält und ihn mordet, so betrügt er sich selbst und besitzt desswegen keine Redlichkeit. Wenn er von dem Landesherrn den Befehl erhalten hat, einen Menschen zu tödten, dieses aber nicht thut, so bricht er sein Wort und besitzt nicht die Tugend der Treue. „Er stiess mit dem Haupte gegen einen Pfeiler und starb." Dieser Pfeiler befand sich in der Vorhalle Siuen-tse's. Tschü-I nahm sich auf diese Weise selbst das Leben. „Der Fürst von Tsin bewirthete Tschao-tün mit Wein. Er ver- barg Gepanzerte, welche ihn überfallen sollten." Der Fürst Hess zuerst gepanzerte Krieger sich in seinem Palaste in den Hinterhalt legen, und lud dann Siuen-tse ein. „Sein Wagengenosse Ti-mi-ming wusste es." n ^Wi i^ Ti-mi-ming, der Wagengenosse Siuen-tse's, hatte den Anschlag des Fürsten Ling erfahren. „Er kam mit schnellen Schritten herauf und sprach: Wenn der Minister bei dem Feste des Landesherrn mehr als drei Becher trinkt, so ist dieses gegen die Gebräuche." „Hierauf erfasste er ihn und stieg mit ihm hinab." Mi-miug sah die Gefahr und führte Siuen-tse unter dem Vor- wande, die Verletzung der Gebräuche verhüten zu wollen, aus der Halle. „Der Fürst hetzte auf ihn einen Bullenbeisser. Ming packte ihn und tödtele ihn." Mi-ming tödtete den Hund , durch welchen der Fürst seinen Minister zerreissen lassen wollte. „Tun sj)racli: Du verstüssest die Menschen und verwendest Hunde. Sollten sie auch rasend sein, was können sie wohl thun?" Die Zeiten des Fürsten Siuen von Lu. 1 9 Fürst Ling sorgt nicht für die Staatsdieuer, verwendet aber Hunde, welche, selbst wenn sie von tollkühnem Muthe wären , ihm nichts nützen können. Tun ist Tschao-tün. Nach Kung-yang sagte dieser zu dem Fürsten : Dein Bullonheisser, o Herr, ist noch immer nicht gleich meinem Bullenbeisser. — Er meinte damit Mi-ming. „Er kämpfte und gelangte indessen hinaus. Ti-mi-ming starb für ihn." Die in dem Palaste verborgenen Krieger kamen jetzt hervor. Siuen-tse gelang es, sich durchzuschlagen und zu entfliehen, aber Mi-ming wurde von ihnen getödtet. „Vor diesem jagte Siuen-tse in dem Gebirge Scheu." Das Gebirge g Scheu liegt in dem Gebiete , welches der Osten des gelben Flusses genannt wird. „Er hielt in dem Schatten von Maulbeerbäumen und sah Ling- tschhe, welchen hungerte." ffljjl Wh Ling-tschhe war ein Eingeborner des Reiches Tsin. „Er fragte, M^as ihm fehle. Jener antwortete: Ich habe drei Tage nichts gegessen." „Er gab ihm Speise. Jener legte die Hälfte davon zurück." „Er fragte ihn desshalb. Jener antwortete: Ich war drei Jahre ein Zögling. Ich weiss nicht, ob meine Mutter noch lebt oder nicht. Ich bin ihr jetzt nahe: ich bitte, es ihr schicken zu dürfen." Ling-tschhe hatte drei Jahre auf die Erwerbung der für ein Amt nothwendigen Kenntnisse verwendet. Da er sich jetzt in der Nähe seiner Heimat befindet, so will er die Hälfte der ihm geschenkten Speisen für seine Mutter zurückbehalten. „Er hiess ihn Alles verzehren und füllte für ihn einen Bambus- korb mit Speise und mit Fleisch. Er legte es in einen Quersack und gab es ihm." Siuen-tse gab Ling-tschhe einen mit gekochtem Reis und Fleisch gefüllten Korb, damit er dieses seiner Mutter geben könne. „Nach diesem war er unter den Männern des Fürsten." Ling - tschhe war um diese Zeit einer von den gepanzerten Männern, welche in dem Palaste des Fürsten versteckt waren. „Er senkte die Partisane gegen die Krieger des Fürsten und Hess ihn entkommen." Ling-tschhe hielt den versteckten Kriegern die Partisane ent- gegen und verschaffte Siuen-tse Zeit, zu entkommen. ZO Dr. Pfizmaier. ,,Jener fragte um die Ursache. Er antwortete : Ich bin der Hungernde von den Schatten der Maulbeerbäume." Siuen-tse fragte Ling-tschhe, den er nicht mehr kannte, um die Ursache dieser Handlungsweise. „Er fragte um seinen Namen und seine Wohnung. Jener sagte es nicht und zog sich zurück." Ling-tschhe machte keinen Anspruch auf Belohnung und sagte Siuen-tse weder seinen Namen noch seine Wohnung. „Hieraufwaren sie verschwunden." Siuen-tse begab sich auf die Flucht, und Ling-tschhe war aus dem Lande verschwunden. „Tschao-tschhuen überfiel den Fürsten Ling in dem Pfirsich- garten." ^- /|W Tschao-tschhuen war der Sohn Tschao-tschnei's und der Halbbruder Siuen-tse's. Er überfiel den Fürsten Ling und tödtete ihn. „Siuen-tse war über die Berge noch nicht hinaus, als er zurück- kehrte." Siuen-tse befand sich auf der Flucht nach dem Auslande. Er hatte die Berge, welche die Grenze des Reiches Tsin bilden, noch nicht überschritten , als er den Tod des Fürsten Ling erfuhr und zurückkehrte. „Der Hofgeschichtschreiber schrieb nieder: „„Tschao-tün tödtet seineu Landesherrn"", und zeigte es an dem Hofe." ^Jli M Tung-ku, der Hofgeschichtschreiber von Tsin schrieb dasjenige, was er für Wahrheit hielt, in seine Tafeln und zeigte es den Minislern zum warnenden Beispiele. „Siuen-tse sprach: Es ist nicht wahr." „Jener antwortete: Du bist der erste Reichsminister. Als du forlzogest, überschrittest du nicht die Grenze. Als du zurückkehr- test, straftest du nicht den Mörder. Wenn du es nicht bist, wer ist es sonst?" „Siuen-tse sprach: Wehe mir! In meines Heizens Ziirtlielikeit Hiess ich entstehen dieses Leid." Dieses lässt sich von mir sagen." Die Zeiten des Fürsten Siiien von Lu. 4> 1 Die obigen zwei Verse fehlen in der Sammlung des Sehi-klng. Siuen-tse meint , aus Liebe zu dem Reiche Tsin habe er dieses Unglück heraufbeschworen. „Khung-tse sprach: Tung-ku ist ein guter Geschichtschreiber der alten Zeit. Er schrieb nach der Vorschrift , ohne etwas zu ver- heimlichen." Khung-tse (Confucius) besprach mit diesen Worten die hier erzählte Begebenheit der früheren Zeiten. „Tschao-siuen-tse ist ein guter Staatsmann der alten Zeit. Der Vorschrift willen nahm er auf sich das Schlechte," Weil Tung-ku nach der Vorschrift schrieb, so erhielt Siuen-tse den schlechten Namen eines Fürstenmörders. „Es ist traurig. Hätte er die Grenze überschritten, so wäre er diesem entgangen." Das Überschreiten der Grenze löst das Verhältniss zwischen Landesherrn und Minister , und nur in diesem Falle wäre Siuen-tse nicht verpflichtet gewesen, den Mörder zu strafen. Übrigens ver- zeichnet auch Khung-tse in dem Tschün-tsieu diese Begebenheit mit folgenden Worten: „Herbst, neunter Monat, Tag 2. Tschao - tun von Tsin tödtet seinen Landesherrn I-kao." Nach dem Tode des Fürsten Ling holte Tschao-tün den Prinzen ;@: ^ He-thün aus Tscheu. Dieser war Fürst Tsching. ^[i Xj ^^' ^^^ ^^^^ ^^^ ^y'^'"^ ^^^^ ^^^' ^^"'' ^^^'^' ^"**^^ Regierungsjahr des Fürsten Siuen von Lu. Dieses Jahr ist das erste Regierungsjahr des Königs ^ Ting von Tscheu und des Fürsten t4r Tsching von Tsin. Der Rönigsenkel Haan beantwortet die Frage des Fürsten von Tsu hinsichtlich der Dreifüsse. „Der Fürst von Tsu bekriegte die westlichen Barbaren von Mii-hoen." Der Fürst von Tsu ist König Tschuang, der spätere Gewalt- herrscher. Die westlichen Barbaren von »J^ (]^ Mu-hoen sind diejenigen, welche durch die Reiche Thsin und Tsin an die Ufer des Flusses Yi I versetzt wurden. 22 Dr. Pfizmaier. „Hierauf "•elnnt^te er bis zu dem Lo. Er hielt eine Heerschau an der Grenze von Tscheu. " /^^ Lo ist der Name des Flusses, an welchem die Hauptstadt der Tscheu gelegen war. Das Gebiet Mu-hocn lag an den Ufern des Flusses I, der sich in den Lo ergiesst. Der Fürst hielt eine Heer- schau, um Tscheu zu schrecken. „König Ting entsandte den Königsenkel Muan, damit er den Fürsten von Tsu bewillkommne." Um diese Zeit war das Reich Tsu stark, Tscheu aber schwach, desswegen entsandte der Himmelssohn einen Grossen seines Reiches, den Prinzen vj*»^ Muan, damit er das Heer von Tsu zum Willkommen bewirthe. „Der Fürst von Tsu fragte nach der Grösse und Schwere der Dreifüsse." Die von Yü gegossenen neun dreifüssigen Gefässe waren von drei Dynastien einander als Erbtheil hinterlassen worden und galten als ein Pfand der Herrschaft. Der Fürst von Tsu fragt nach ihrer Grösse und Schwere, weil er diese dem Hause Tscheu rauben und durch sie die Herrschaft über die Welt gewinnen will. „Jener antwortete: Es kommt an auf die Tugend, es kommt nicht an auf die Dreifüsse." Bei der Herrschaft über die Welt bandelt es sich um den Besitz der Tugend, nicht um den Besitz der Dreifüsse. „Einst waren die Hia in dem Besitze der Tugend. Die fernen Gegenden zeichneten die Geschöpfe." Die entfernten Reiche brachten Yü, dem Gründer der Dynastie Hia, eine Zeichnung der in ihren Gebirgen und Flüssen lebenden merkwürdigen Geschöpfe. „Die Metalle als Tribut reichten die neun Statthalterschaften. Man goss die Dreifüsse und bildete ab die Geschöpfe.'^ Die neun Provinzen der damaligen Zeit lieferten das Metall. Auf den dreifüssigen Gefiissen, welche Yü aus diesem giessen liess, wurden die Gestalten der in den entfernten Reichen lebenden merk- würdigen Geschöpfe abgebildet. „Für die hundert Geschöpfe traf man die Vorbereitungen. Man liess das Volk kennen die Verräther unter den Geistern." Die Zeiten des Fürsten Siueu von Lu. 23 Indem alle Arten von Geschöpfen abgebildet waren , konnte sie das Volk sehen lind sich vor ihnen hüten. Die Geister, welchen nicht zu trauen, lernte man auf diese Weise kennen. „Desswegen ging das Volk in die Flüsse und Sümpfe, in die Gebirge und in die Wälder, es traf auf nichts Widerwärtiges. Die Kobolde der Berge und die Wassergeister, sie konnten mit ihm nicht zusammentreffen. " Das Volk ging in die Flüsse und Sümpfe, um Fische und Schild- kröten zu fangen, in die Gebirge und Wälder, um Büffel und Hirsche zu jagen, ohne dass es von den üngethümen etwas Widerwärtiges erfahren hätte. Dem Volke war die Gestalt der trügerischen Geister schon früher bekannt , desswegen konnten diese ihm nicht bei- kommen. „Hierdurch konnte man zur Eintracht bringen die Höheren und die Niederen und theilhaftig werden der Ruhe des Himmels." Dieses in Übereinstimmung mit der Stelle des Tscheu-yf bei dem Diagramma des Dreifusses : „Die Gestalt bedeutet: Über dem Holze ist das Feuer. Durch den Dreifuss bestimmt der Weise den Rang und fesselt das Schicksal." Indem der Dreifuss ein schweres Geräthe ist, wird von ihm gesagt, dass er den Rang feststelle und dem Segen des Himmels Dauer verleihe. „Khie besass die verfinsterte Tugend. Die Dreifüsse gingen über an die Schang." Khie, der letzte König der Dynastie Hia, besass keine Tugend, Thang, der Stifter der Dynastie Schang vertrieb ihn und bemäch- tigte sich der neun Dreifüsse. „Es vergingen sechshundert Jahre. Tschheu von Schang war gewaltthätig und grausam. Die Dreifüsse gingen über an die Tscheu." Die Dynastie Schang dauerte sechshundert Jahre. König Wu, der Stifter der Dynastie Tscheu , tödtete den König Tschheu und führte die neun Dreifüsse nach Lö, der Hauptstadt von Tscheu. „Wenn die Tugend vortrefTlieh ist und glänzend, dann, wie klein sie auch seien, sind sie doch schMer." Als die Könige der drei Dynastien die Tugend besassen , waren die neun Dreifüsse zwar nicht grösser geworden, aber sie konnten nicht fortgeführt werden, gerade als ob sie an Schwere zugenommen hätten. 24 Dl*- Pfizinaier. „Wenn Verrath herrscht, Unrecht, Finsterniss und Unordnung, dann, wie gross sie auch seien, sind sie doch leicht." In den hösen Zeiten der Könige Khie und Tschheu sind die Dreifüsse zwar nicht leichter geworden, sie wurden aher von den Königen Thang und Wu weggeführt und schienen gleichsam leichter geworden zu sein. „Der Himmel schickt Segen über die glänzende Tugend. Er hat was er erreicht und wo er innehält." Der Himmel hat für den Segen , welchen er den tugendhaften Königen schickt, eine gewisse Zeit bestimmt und ändert seinen Ent- schluss nicht plötzlich. „König Tsching stellte die Dreifüsse nieder in Kiji-jo." ^n tMI Kia-jo war die Hauptstadt der östlichen Tscheu. Indem König Tsching die neun Dreifüsse daselbst aufstellte, erfüllte er den Willen seines Vaters, des Königs Wu. „Er brannte die Schildkrötenschale und erhielt Geschlechts- alter dreissig. Er brannte die Schildkrötenschale und erhielt Jahre siebenhundert. Dieses ward befohlen von dem Himmel." König Tsching erhielt durch das Brennen der Schildkröten- schale das Ergebniss, dass in der Dynastie Tscheu dreissig Könige durch siebenhundert Jahre regieren werden. Die Dauer der Dynastie Tscheu ist somit durch den Himmel festgesetzt worden. „Wenn die Tugend der Tscheu auch geschwunden, der Befehl des Himmels ist noch nicht verändert. Oh die Dreifüsse leicht seien oder schwer, nach diesem lässt sich noch nicht fragen." Die Zahl der Jahre und Geschlechter, welche König Tsching durch die Schildkrötenschale erhalten, ist noch nicht erreicht, dess- wegen könne von der FortschalTung der neun Dreifüsse keine Bede sein. Übrigens regierten in der Dynastie Tscheu bis zu ihrem Ende sechs und dreissig Könige durch achthundert sieben und sechzig Jahre , was noch mehr ist , als König Tsching durch Vorhersagung erfuhr. Dor Fürstensohn Sung und Tsc-kia tödten den Fürsten ling. „Die Menschen von Tsu schenkten Ling, Fürsten von Tsching eine grosse Schildkröte." Fürst ^ Ling ist der Thronfolger ^ J , der Sohn des Fürsten Mo von Tschirig. Die Zeiten des Fürsten Siuen von Lu. 25 „Der Fürstensolm Sung und Tse-kia wollten zur Aufwartung erscheinen." Der Fürstensohn yP Sung und ^ü -^ Tse-kia, dessen Name ^ ^ Kuei-seng, waren Grosse des Reiches Tsching. „Der Zeigeünger Tse-kung's bewegte sich." ^N ^ Tse-kung ist der Fürstensohn Sung. „Er zeigte es Tse-kia und sprach: In anderen Tagen, wenn dieses bei mir der Fall war, bekam ich Leckerbissen zu kosten." Tse-kung meint, wenn sich bei ihm der Zeigefinger bewegt, so erkennt er hieraus, dass er einen ungewöhnlichen Leckerbissen kosten werde. „Als sie eintraten, wollte der Koch die grosse Schildkröte zer- theilen. Sie sahen einander an und lachten." Die beiden Prinzen lachten, weil dasjenige, was die Bewegung des Fingers angezeigt hatte, wirklich eingetroffen war. „Der Fürst fragte um die Ursache. Tse-kia sagte es ihm. Als Jener die Grossen mit der Schildkröte bewirthete, rief er Tse-kung zu sich und gab ihm nichts." Indem der Fürst Tse-kung nichts gab, wollte er ihm beweisen, dass ihn sein Vorgefühl getäuscht habe. „Tse-kung zürnte. Er tunkte den Finger in den Kessel, kostete und ging hinaus. Der Fürst zürnte und wollte Tse-kung tödten." Den Fürsten ekelte, weil Tse-kung den Finger in den Kessel getunkt hatte, in welchem die Schildkröte zubereitet worden war. An- fänglich trieb er nur Scherz, jetzt aber wollte er den Prinzen tödten. „Tse-kung berieth mit Tse-kia, wie ihm zuvorzukommen." „Tse-kia sprach : Wenn die Hausthiere alt sind, so schämt man sich, sie zu tödten. Um wie viel mehr gilt dieses hinsichtlich des Landesherrn!" „Jener verleumdete dafür Tse-kia. Tse-kia fürchtete sich und folgte ihm." Als Tse-kung sah , dass Tse - kia auf seinen Vorschlag nicht einging, verleumdete er ihn. Tse-kia fürchtete, dass er eines V^er- brechens geziehen werde und tödtete jetzt wirklich den Fürsten Ling. „Die Weisen sprachen: Menschlichkeit ohne Muth ist nicht im Stande, etwas auszurichten." 26 Dr. Pfi zmaie r. Durch den Ausspruch, dass nicht einmal die alten Hausthiere getödtet werden sollen, zeigte Tse-kia seine menschliche Gesinnung. Indem er jedoch aus Furcht sich zum Werkzeuge Tse-kung's hergab, zeigte er keinen Muth. Tse-kia war übrigens einer der Reichsmi- nister, er führte mit Tse-kung die Regierung, er war früher der Anführer eines grossen Heeres , mit welchem er dem Reiche Sung eine Schlacht lieferte und den feindlichen Feldherrn gefangen nahm, es wäre somit recht gut in seiner Macht gestanden, sich von Tse-kung zu trennen und ihn zur Strafe zu ziehen. In Erwägung dieser Umstände stellt der Tschün-tsieu den Prinzen Tse-kia allein als den Mörder seines Fürsten hin, indem er sagt: „Sommer, sechster Monat, Tag 22. Kuei-seng, Prinz von Tsching, tödtet seinen Lan- desherrn .1." „Die Menschen von Tsching erhoben Tse-liang." f!i -^P Tse-liang war der Sohn des Fürsten Mo von einer Nebengemahlinn. „Jener weigerte sich und sprach : Ist es wegen der Weisheit, so ist Khiü-fsi nicht würdig. Ist es wegen dem Gehorsam , so ist Tse-kien der Ältere." ;Xfe :^ Khiü - tsf ist der Name Tse - liang's, bei welchem dieser sich selbst aus Bescheidenheit nennt. Er meint , wenn man ihn wegen seiner Weisheit zum Landesherrn erheben will , so ist er nicht weise genug. Schätzt man aber an ihm den Gehorsam, den er als Jüngerer dem Alteren schuldig ist, so weist er auf seinen Bruder ^ Hp Tse-kien, der älter als er ist. „Hierauf erhob man den Fürsten Siang." Fürst ^ Siang ist der eben genannte Prinz Kien. „Fürst Siang wollte die Familie Mo entfernen, er verschonte aber Tse-liang." Der Fürst wollte seine Brüder , die Söhne des verstorbenen Fürsten Mo verbannen, er verschonte jedoch den Prinzen Liang, weil dieser ihm Jen Thron abgetreten hatte. „Tse-liang verstand sich nicht hierzu und sprach: Wenn es gerecht ist, dass man die Familie Mö behalte, so wünsche ich dieses ernstlich. Will man sie aber verbannen, so möge man sie auch als ein Ganzes verbannen. Was hat Khiü-tsfhier zu thun?" „Hierauf verschonte man sie." Die Zeiten des Fürsten Siuen von Lu, ä 7 Da Tse-liang für den Fall, dass die Familie Mo verbannt würde, gleichfalls in die Verbannung gehen wollte, so blieben die Mitglieder dieser Familie von der beabsichtigten Massregel verschont. Tcu-klic-hoang setzt nicht hintan den Befehl des Landesherrn. „Ten - pe - pi hatte Umgang mit der Tochter des Fürsten von Yün." Teu-pe-pi, ein Grosser des Reiches Tsu, welcher das erste Mal in dem sechsten Jabre des Fürsten Hoan von Lii vorgekommen. ;^|{ Yün, sonst auch g^R Yün geschrieben , war der Name eines Reiches und Lehens vierter Classe. „Sie gebar Tse-wen. Die Fürstinn von Yün Hess ihn aussetzen in dem Mung." Der aus diesem Umgange hervorgegangene Sohn erhielt später den Namen iJT ^ Tse-wen. Die Fürstin von Yün liess dieses Kind ihrer Tochter in dem Sumpfe ^ Mung aussetzen. „Ein Tiger säugte ihn. Der Fürst von Yün war auf der Jagd und sah es. Er fürchtete sich und kehrte zurück. Die Fürstinn mel- dete es. Hierauf liess er ihn aufbeben." Der Fürst wurde von Schrecken ergriffen, als er ein Tigerweib- ehen ein Kind säugen sab. Zu Hause erklärte ihm seine Gemahlinn das Vorgefallene, worauf der Fürst das Kind zurückbringen liess. „Die Menschen von Tsu nennen die Milch Neu. Den Tiger nennen sie U-thu. Desswegen gab er ihm den Namen Teu-neu- U-thu." ^ In dem Dialekte des Reiches Tsu bediente man sich statt zj^l feu (Milch, auch säugen) des Wortes J^ neu, statt r^ hu (Ti- ger) des Wortes c^ \\f^ U-thu. WÄ Teu ist der Familienname Teu-pe-pi's. Daher Teu -neu -U-thu: der von dem Tiger Gesäugte aus der Familie Teu. „In Wirklichkeit war er der Regierungsvorsteher Tse-wen." Derjenige, dem der Fürst von Yün den Namen Tsu-neu-U-thu gegeben, bekleidete in Tsu das Amt eines "^"<^ Ling-yin (Vor- stehers der Regierung). „Sein Enkel, der Vorsteher der Verbesserungen, Khe-hoang, ging als Gesandter nach Tsi." 2 8 D'"' P f i 2 m a i e r. Der Sohn Tse-weii's war [^ ^ Tse-yang. Der Sohn des Letzteren ist #^ "^ Khe-hoang, der in Tsu die Stelle eines ji^- ^30" Tschen-yin (Vorstehers der Untersuchung und des Tadels, d, i. der Verbesserungen) hekleidete. Derselbe begab sich um die Zeit auf die Reise, als f^^ ^]^ Yue-tsiao sich empörte und den König von Tsu überfiel. „Auf der Rückreise gelangte er nach Siing und hörte von der Empörung." In dem Reiche Sung hörte er von der Empörung der Familie des Jo-ngao, zu welcher Khe-hoang selbst gehörte, da Teu-pe-pi der Sohn des J6-ngao gewesen, „Seine Leute sprachen: Wir können nicht einziehen." Die Begleiter Khe-hoang's meinten , dass er nicht mehr nach Tsu zurückkehren könne, weil ihn als Mitglied der Familie des Jo- ngao das Verderben treffen würde. „Der Vorsteher der Verbesserungen sprach: Wenn ich hintan- setze den Befehl des Landesherrn, wer würde mich Einzelnen dann aufnehmen?" Wenn Khe-hoang von seiner Gesandtschaft nicht in das Reich zurückkehrt, so lässt er den Befehl des Landesherrn unvoUzogen, und er glaubt, dass er aus diesem Grunde in einem fremden Reiche keine Aufnahme finden würde. „Der Landesherr ist der Himmel: kann man dem Himmel wohl entrinnen?" Der Minister hält den Landesherrn für seinen Himmel. So wie man dem Himmel nicht entrinnen kann, kann man auch dem Landes- herrh nicht entrinnen. „Hierauf kehrte er zurück , entledigte sich des Auftrags und stellte sich bei dem Strafrichter." „Der König erinnerte sich, dass Tse-wen regiert das Reich Tsu, und sprach: Wenn Tse-wen ohne Nachfolge, wie Hesse sich ermahnen zu dem Guten ?" Da Tse-wen so grosse Verdienste hatte, so würde man, wenn man seine Nachkommen ausrottete, die späteren Geschlechter nicht aufmuntern, das Gute zu üben. „Er hiess ihn wieder einnehmen seine Stelle " Die Zeiten des Fürsten Siueii von Lu. Zu Der König liess Khe-hoang wieder die Stelle eines Vorstehers der Verbesserungen einnehmen. „Er veränderte seinen Namen und nannte ihn Seng (lehendig)." Da Khe-hoang sterben sollte und dem Leben wieder geschenkt wurde , so gab ihm der König einen neuen Namen , nämlich A: Seng (lebendig). Diese und die frühere Begebenheit gehören in das vierte Regie- rungsjahr des Fürsten Siuen von Lu. ^ ^ 60, das Jahr des Cyklus (598 vor Chr. Geb.). Elftes Regierungsjahr des Fürsten Siuen von Lu. Dieses Jahr ist das erste Regierungsjahr der Fürsten tfe- Tsehing von Tschin und üj^ Khing vonTsi, das zweite des Fürsten S. King von Tsin. -^ Schin-scho-schi tadelt dieTerwandlong von Tschin in einen Distrid. „Der Fürst von Tsu bekriegte Tschin wegen der Empörung der Familie Hia von Tschin." König Tschuang griff das Reich Tschin an, weil ^- ^^h W Hia - tschhing-schü (d. i. Tschhing-schü von der Familie Hia) den Fürsten Ling von Tschin getödtet hatte. „Er hiess die Menschen von Tschin sich nicht beunruhigen, er wolle strafen die Familie Schao-si." pl^ /y\ Schao-si war der Ahnherr Hia-tsching-schü's. „Hierauf zog er nach Tschin und tödtete Hia-tsching-schü." Da die Bewohner von Tschin keinen Widerstand leisteten, so zog der König von Tsu ein und strafte den Fürstenmörder Hia- tsching-schü , indem er ihn durch Wagen zerreissen , d. i. vier- theilen liess. „Er machte Tschin zu einem Districte." Tscliing, der neue Fürst von Tschin befand sich in Tsin. Der König von Tsu vernichtete das Reich und machte es zu einem Districte des Reiches Tsu. „Schin-scho-schi war als Gesandter in Tsi. Als er zurückkehrte, bestellte er seinen Auftrag und entfernte sich." Als B^ '^ü m Schin-scho-schi, ein Grosser des Reiches Tsu, von seiner Gesandtschaftsreise zuriicksfekehrt war, erstattete 30 D''- P f i z m a i e r. er dem Könige Bericht über den Erfolg seiner Sendung nach dem Reiche Tsi, worauf er sich, ohne irgend etwas anderes vorgebracht zu haben, entfernte. „Der König Hess ihm einen Verweis geben und sagen : Hia- tschhing-schü war ein gesetzloser Mensch. Er hat getödtet seinen Landesherrn. Ich habe ihn mit Hilfe der Vasallenfürsten gestraft und hinrichten lassen. Die Vasallenfürsten , die Fürsten der Districte haben mich alle beglückwünscht, du allein beglückwünschest mich nicht." Die Vasallenfürsten heissen die Fürsten der von Tsu abhängigen Reiche. Da die Fürsten von Tsu sich den Königstitel anmassten, so massten sich die Grossen des Reiches, welche den Districten vor- standen, ihrerseits den F'ürstentitel an. „Jener antwortete: Darf ich noch ein Wort sprechen?" „Der König sprach: Du kannst es." „Jener sprach: Hia-tschhing-schü hat getödtet seinen Landes- herrn, dieses Verbrechen ist ein grosses. Dass du ihn gestraft hast und hinrichten liessest, hierin, o Herr, thatest du recht." „Die Menschen haben aber ein Sprichwort, welches sagt: Weil der Führer der Kuh betreten hat das Feld der Menschen, nimmt man ihm die Kuh weg." „Weil der Führer der Kuh betreten hat , ist er in der That schuldig. Aber wenn man ihm die Kuh wegnimmt, so ist die Strafe zu streng." „Als die Vasallenfürsten dir folgten, sprachen sie : Wir strafen einen Schuldigen." „Jetzt machst du Tschin zu einem Districte, du begehrst seinen Reichlhum. Wegen der Strafe beriefst du die Vasallenfürsten, aber wegen einer Begierde schickst du sie heim. Dieses darf durchaus nicht geschelien." Indem man das Reich Tschin vernichtet und zu einem Districte inaclil, nimmt man gleichsam die Kuh des Mannes weg, der das Feld betreten hat. Die Strafe des Verbrechens erscheint in diesem Falle nur als ein Vorwand, und wenn der Fürst von Tsu jetzt wieder die Vasallenfürsten nach Hause schickt, so zeigt er, dass er die Güter des Reiches Tschin allein besitzen will. „Der König sprach : Vortrefflich! Ich habe dieses noch nicht gehört. Darf ich es wieder zurückgeben?" Die Zeiten des Fürsten Siuen von Lii. 3 1 „Jener antwortete : Dieses wäre , wie wir kleinen Menschen sagen : Wir nehmen es ihnen aus dem Busen und geben es ihnen." Schin-scho-schi gibt aus Bescheidenheit keinen directen Rath, sondern meint: das Reich Tschin wieder herstellen wäre soviel, als Jemanden etwas aus dem Busen nehmen und es ihm wieder geben, was immer besser, als wenn man es ihm gar nicht mehr gäbe. „Hierauf belehnte man von Neuem Tschin." Tsching, Fürst von Tschin, wurde jetzt von Neuem mit seinem Reiche belehnt. Indem Scliin-scho-schi blos seinen Auftrag ausrich- tete und weiter nichts sprach, wollteer, dass der König ihn frage, worauf er Gelegenheit erhielt. Alles zu sagen. In den alten Zeiten war es nämlich Sitte, auf diese Weise seine Meinung vorzubringen. ^ ffl 1, das Jahr des Cyklus(597 vor Chr. Geb.). Zwölftes Regierungsjahr des Fürsten Siuen von Lu. Der Fürst von Tscbiug scliliesst einen Vergleich mit Tsu. „Der Fürst von Tsu belagerte Tsching. Er überwand es." Im vorigen Jahre hatte Tsching die ihm von dem Reiche Tsu vorgeschriebenen Bedingungen angenommen , dessen ungeachtet neigte es sich zu dem Reiche Tsin. Der Fürst von Tsu zürnte dess- halb und belagerte die Hauptstadt von Tsching, deren Mauern gebro- chen wurden. „Der Fürst von Tsching führte mit entblössten Schultern ein Schaf und zog entgegen." Indem der Fürst zu dem Fürsten von Tsu hinausging, ernie- drigte er sich so sehr, dass er dasjenige that, was die Gebräuche nur für einen gemeinen Diener vorschreiben. „Hierbei sprach er: Der Verwaiste hatte nicht den Himmel." Das Reich Tsching hatte von dem Himmel keine Hilfe erhalten. „Er war nicht im Stande, dir zu dienen, o Herr. Er Hess dich, 0 Herr, im Busen nähren den Zorn und gelangen zu der niedrigen Stadt. Dieses ist des Verwaisten Schuld." „Dürfen wir etwas anderes, als auf den Befehl nur hören? Wenn Avir Gefangene werden sollen in dem Süden des Stromes, damit wir erfüllen die Gestade des Meeres, auch dann mögest du nur befehlen." Wenn Tsu die Bewohner von Tsching zu Gefangenen machen und nach dem Süden des grossen Stromes (d. i. des Yang-tse-kiang) 32 D'"- Pfizmaier. versetzen, wenn es mit ihnen die menschenleeren Ufer des Meeres bevölkern wollte, so würde Tsching diesem Befehle nur gehorchen. „Wenn du uns zerstückelst und schenkst den Vasallenfürsten, wenn du uns Diener werden lassest, die Töchter Nehengemahlinnen, auch dann mögest du nur befehlen." Dem Befehle des Fürsten von Tsu würde man auch dann gehor- chen, wenn er das Gebiet des Beiches Tsching zerstückeln und unter die Vasallenfürsten vertheilen wollte, oder wenn dessen Söhne zu Dienern, die Töchter zu Nebengemahlinnen des Fürsten von Tsu gemacht werden sollten. „Wenn du in Güte zurückblickst auf die frühere Freundschaft, so begehrst du Segen von Li, Siuen, Hoan und Wu." Die Fürsten Hoan und Wu waren die ersten Landesherren des Reiches Tsching. Fürst Hoan war der Sohn des Königs Li und der jüngere Bruder des Königs Siuen von Tscheu. Wenn daher der Fürst von Tsu des zwischen den Reichen Tsu und Tsching früher bestandenen Bündnisses gedenken wollte, so würde er dafür von den Geistern der Könige Li und Siuen, so wie der Fürsten Hoan und Wu Segen erhalten. „Du vernichtest nicht unsere Landesgötter, du bewirkst, dass wir uns bessern und dir dienen, o Herr." „Wenn du uns geselltest zu den neun Districten, so wäre es von dir eine Gnade, o Herr. Es ist der Wunsch des Verwaisten, dessen Erfüllung er nicht wagt zu hoffen." Tsu hatte früher neun Reiche vernichtet und sie zu Districten gemacht. Der Fürst von Tsching wünscht jetzt, dass auch Tsching zu einem Districle des Reiches Tsu gemacht werde. „Ich wagte es, darzulegen den Bauch und das Herz, du, o Herr, wirst es gewiss erwägen." Der Fürst von Tsching hat hiermit sein Inneres vollkommen aufgedeckt. „Die Genossen sprachen: Wir dürfen es nicht gewähren. Wir gewinnen das Beich, ohne dass wir verschonen." „Der König sprach: Der Landesherr ist im Stande, sich zu demüthigen vor den Menschen, er ist gewiss im Stande, sein Volk zu verwenden durch die Treue. Lässt sich wohl für immer hoffen?" Der Fürst von Tsching wird seinem Volke so viel Zutrauen einllössfMi. dass er dieses Vwilk später 711 seinen Zwecken verwenden Die Zeiten des Fürsten Siiien von Lu. oo kann, Tsu habe daher keine Hoftnung , das Reich Tschiiig für die Dauer zu besitzen. „Er zog sich dreissig Meilen zurück und gewährte ihm den Frieden." Siüii-liii-fa erkenut die rnmöglichkcit und rückt aus. „Das Heer von Tsin kam Tsching zu Hilfe. Es gelangte an den Fluss. Man hörte, dass Tsching und Tsu sich bereits verglichen." Tsching lag im Süden des gelben Flusses. Ehe das Heer von Tsin noch übergesetzt, fand das oben erzählte Ereigniss statt, „Hoan-tse wollte zurückkehren." ^ tg Hoan-tse ist der Feldherr ^ yb^ ^ Siün- lin-fu, der um diese Zeit das mittlere Heer von Tsin befehligte. „Er sprach : Wir können nichts thun für Tsching , und richten zu Grunde das Volk. Warum sollten wir es verwenden ? Wenn Tsu heimkehrt, und wir dann aufbrechen, so ist es noch nicht zu spät." „Sui-wu-tse sprach: Vortrefflich." ~F 1F^ [^ Sui-wu-tse ist ^^ -l- Sse-hoei. „Hoei hat gehört: Wenn man das Heer benützt, so sieht man auf die Blosse und handelt darnach." Hoei nennt Sse-hoei sich selbst. Man sehe, ob der Feind eine Blosse hat, und nach diesem richte man sich. „Wenn Tugend, Strafe, Regierung, Angelegenheiten, Gesetze und Gebräuche sich nicht ändern, so darf man sich nicht messen." Ein Feind, bei welchem die sechs hier genannten Dinge keine Veränderung erleiden, gibt keine Blosse, und mit diesem darf man sieh nicht messen. „Nicht wegen diesem sind die Eroberungen." Die Eroberungen geschehen, weil man an dem Feinde ein Ver- brechen strafen will, nicht aber, weil bei ihm die sechs genannten Dinge unverändert bleiben. „Der Landesherr von Tsu strafte Tsching. Er zürnte über seine Doppelherzigkeit und fühlte Mitleid bei seiner Erniedrigung. Es empörte sich, und er bekriegte es. Es unterwarf sich, und er verzieh ihm. Die Tugend und die Strafe sind vollkommen." Dieses aus der vorhergehenden Begebenheit zu erklären. „Den Abgefallenen bekriegen, ist die Strafe. Den Unterwürfigen gut behandeln, ist die Tugend. Diese zwei Dinge sind begrihidet." Sitzlt. d. phil.-hist. Cl. XVU. Bd. I. Hfl. 3 34 Dr. Pfizmaier. Tsu hat durch sein Verhalten gegen Tsching gezeigt, dass zwei von den oben genannten sechs Dingen, nämlich die Tugend und die Strafe, bei ihm noch unverändert sind. „Im vorigen Jahre drang es in Tschin. In diesem Jahre drang es in Tsching." Dieses unter den in den vorhergehenden zwei Abschnitten erzählten Begebenheiten. „Das Volk hört nicht auf, ist nicht ermüdet. Gegen den Lan- desherrn ist kein Groll und kein Murren. Die Regierung ist begründet." Dieses zeigt, dass in Tsu von den sechs genannten Dingen die Regierung nicht verändert ist. „Der Körper der King ist im Aufschwung." Das Reich des Volkes der #|J King steht hier für Tsu. P King-schi (der ausgestreckte Körper der King) heisst eine Schlachtordnung, welche von Wu, König von Tsu, erfunden wurde. „Die Kaufleute, die Ackerleute, die Handwerker und die Krä- mer verlassen nicht ihre Beschäftigung, doch das Fussvolk und die Streitwagen sind in Übereinstimmung. Die Angelegenheiten sind nicht verdorben." Tsu bewirkt seine Eroberungen nur mit Hilfe seiner Krieger, während das übrige Volk seinen Beschäftigungen nachgeht. Das vierte von den sechs genannten Dingen, nämlich die Angelegen- heiten, haben somit in Tsu keine Veränderung erlitten. „Wei-ngao ist der Vorsteher der Regierung. Er wählt unter den Gesetzen des Reiches Tsu." ±A- /0^ Wei-ngao ist der Sohn ^ ^ Wei-ku's und bekleidete um diese Zeit die Stelle eines Ling-yin. Er brachte die besten unter den bestehenden Gesetzen bei dem Heere zur Anwen- dung. „Wenn das Heer auf dem Zuge, so fassen die zur Rechten die Gabeldeichsel, die zur Linken suchen nach Pflanzen für die Streu." Die zur rechten Seite eines Wagens befindlichen Krieger brin- gen den Wagen auf das Geleise, die Übrigen besorgen die Streu für das Nachtlager. „Die Vordersten halten das Riethgras und überlegen , ob es nichts gehe." Die Zeiten des Fürsten Siuen von Lii. ö5 In Tsii bediente man sich des Riethgrases statt der Wagen- fahnen, um Signale zu geben. Die in den vordersten Reiben befind- licben Krieger denken immer, ob nicbt dem Mitteltreflen Signale zu geben seien. Sie thun dieses, um nichts zu verlernen und um ihrer- seits vorbereitet zu sein. „Die Mittleren pflegen Rath. Die Letzten schliessen sich an einander." In dem MitteltrefTen wird der Rath gepflogen , bei den zuletzt stehenden Streitwagen befinden sieh auserlesene Krieger, welche die Nachhut bilden. „Die hundert Obrigkeiten geben Gestalt ihren Fahnen und handeln." Jede Classe von Obrigkeiten hat eine besondere Art von Fahnen. „Die Leitung des Heeres ist geschaffen im Voraus, ohne dass man braucht eine Verkiindnng. Es kann anwenden die Gesetze." Hieraus ist zu ersehen , dass das fünfte der oben genannten Dinge, nämlich die Gesetze in Tsu nicht verändert sind. „Wenn sein Landesherr zu Würden erhebt, so wählt er unter den inneren Familien die nächsten. Unter den äusseren Familien wählt er die älteren." Wenn der Fürst Personen zu Würden erhebt, so wählt er bei den Familien welche mit der seinigen gleichen Namen führen, die Weisesten aus der Mitte der mit ihm verwandten Geschlechter. Bei Familien welche einen anderen Namen führen, wählt er die Weisesten aus der Mitte der älteren Geschlechter. „Bei der Erhebung entgeht ilun nicht die Tugend. Bei der Belohnung entgeht ihm nicht das Verdienst," „Für die Greise hat er vermehrte Gnade. Für die Reisenden hat er Wohlthaten und Behausung." Die ankommenden Beisenden überhäuft der Fürst von Tsu mit Wohlthaten, den Erschöpften unter ihnen gibt er eine Behausung. „Die Weisen und die kleinen Menschen haben ihre Auszeich- nung durch die Kleider." Sowohl die Würdenträger wie die gewöhnlichen Menschen unter- scheiden sich durch ihre dem Range angemessene Kleidung. „Die Vornehmen haben beständige Ehren. Die Niedrigen haben Stufen für das Ansehen. Den Gebräuchen wird nicht zuwider gehandelt." 3 * 3ß l>r. Pfizinaier. Das Ansehen der Niedrigen li;it verschiedene Abstnfungen. Aus diesem lässt sich ersehen, dass auch die Gebräuche, das letzte unter den sechs angeführten Dingen, in Tsu keine Veränderung erleiden. „Die Tugend ist begründet, die Strafen sind im Gange. Die Regierung ist vollendet, die Angelegenheiten sind gemäss der Zeit. Die Gesetze werden befolgt, die Gebräuche werden beachtet. Wie könnte man sich mit ihm wohl messen?" Indem in Tsu diese sechs Dinge unverändert sind, gibt es keine Blosse, und man kann gegen dieses Reich nicht auftreten. „Man sieht die Möglichkeit, und rückt vor. Man erkennt die Unmöglichkeit, und zieht sich zurück." Dieses sind die Worte einer alten Vorschrift für die Befehls- haber der Heere. „Man erfasst das Schwache und überfällt das Verfinsterte. So lautet ein guter Grundsatz des Krieges." Was geschwunden und schwach ist, kann gleichsam wie ein Stengel ergriffen werden. Wer von Verstand verfinstert ist , kann leicht angefallen werden. „Mögest du einstweilen verbessern das Heer und ordnen das Kriegswesen. Es gibt noch andere, welche schwach sind und ver- finstert : warum muss es sein das Reich Tsu?" „Tschhi-tse sprach: Es darf nicht sein." ~? ^kv '^*^chhi-tse ist ^^ _tb Sien-ho, der Genosse für das mittlere Heer. Er meint , man dürfe das Heer nicht zurück- führen. „Dasjenige, wodurch Tsin die Gewaltherrschaft geübt, es ist der Kriegsmuth seines Heeres und die Kraft seiner Minister." „Jetzt verlieren wir die Vasallenfürsten: dieses lässt sich nicht nennen die Kraft. Der Feind ist da, und wir folgen ihm nicht: dieses lässt sich nicht nennen den Kriegsmuth. Durch unsere Schuld ver- lieren wir die Vasallenfürsten: wir können nichts als sterben." „Ferner: Das Heer aufbieten und ausrücken, hören, dass der Feind stark ist, und hierauf sich zurückziehen, dieses ist nicht männlich." „Den Befehl erhalten, um der Anführer zu sein des Heeres und enden mit der rnmännlichkeit: dieses möget ihr wohl im Stande sein, ich thue es nicht." „Er setzte iibor inil den Genossen des mittleren Heeres." Üif Zeiten des Fürsten Siiieii \uii Lu. Ol Sien-hö setzte mit den Truppen, welche ihm in seiner Eigen- schaft als Genosse des mittleren Heeres zugetheiit waren , über den gelben Fluss. „Tschi-tschuang-tse sprach : Dieses Heer ist Gefahr des Todes," -^ yi Tschuang-tse von der Familie ItU Tschi ist ^rj ^ Siiin-seheu, der jüngere Bruder Siün-lin-fu's. Er war um diese Zeit als ein Grosser des Reiches dem dritten Heere von Tsin zuge- theiit. Er meint, dass die Truppen Sien-hö's dem Verderben nahe seien. ^ „In den Verwandlungen der Tscheu ist es enthalten. Es steht bei dem Vordringen des Heeres, wo es heisst: Das Heer rückt aus in Folge des Befehles. Heisst es ihn nicht gut, so ist es unglücklich." Diese Stelle findet sich in dem Tscheu-yf bei dem Diagramma ^Ri Sse (Heer) , welches hier mit dem Diagramma E^ Lin (vor- dringen) verbunden wird. „Dieses lässt sich hier anwenden. Treffen sie zusammen, so werden sie gewiss geschlagen. Tschhi-tse liegt ausgestreckt unter ihnen." Da Sien-hü ohne Befehl den gelben Fluss übersetzt hat, so passt auf ihn diese Stelle des Tscheu-yi^. Er wird sein Heer verlieren und in den Reihen desselben fallen. „Sollte er auch entkommen und zurückkehren , so geräth er gewiss in grosses Unglück." Sien-ho ist zwar entkommen, wurde aber das nächste Jahr in Tsin hingerichtet. „Han-hien-tse sprach zu Hoan-tse: Wenn Tschhi-tse mit einem Theile des Heeres fällt, so ist deine Schuld eine grosse." s Han-hien-tse ist jEf is Han-kiue, der An- führer der Reiterei, „Du bist der erste Feldherr. Wenn in dem Heere nicht die Befehle gelten , wessen ist wohl die Schuld? Wir verlieren den Anhänger und richten zu Grunde das Heer: diese Schuld ist schon schwer genug. Wir können nicht anders als vorrücken." Wenn in dem Heere nicht die Befehle geachtet werden, so ist dieses nur die Schuld des ersten Feldherrn Siün-lin-fu. Der Verlust des Reiches Tsching und die Niederlage der von Sien-ho befehligten 38 ^r. Pfizinaier. Heeresabtheilung wären zu grosse Übel, nls dass man sie verschulden dürfte. „Wenn die Sache nicht gelingt, so lässt das Übel sich noch vertheilen. Ehe du die Schuld nimmst auf dich allein, mögen wir sechs Menschen mit einander sie tragen. Ist dieses nicht immer noch besser?" Die sechs Menschen heissen die sechs Reichsminister und Befehlshaber bei den drei Heeren von Tsin , nämlich der Anführer des mittleren Heeres Siün-lin-fu, dessen Genosse Sien -ho. der Anführer des ersten Heeres Sse-hoei, dessen Genosse Khie-khe, der Anführer des dritten Heeres, Tschao-sö , und dessen Genosse Luan-schu. „Die Heere setzten hierauf über." laan-scba verachtet nicht den Feind. „Anfänglich lagerte das Heer von Tsin zwischen dem Ngao und Khiao." ^& Ngao und aR Khiao sind die Namen zweier kleiner Flüsse im Nordwesten des heutigen Ynng-yang-hien, damals Gebiet des Reiches Tsin. „Ho;ing-siu von Tsehing reiste als Gesandter nach Tsin und sprach: Wenn Tsching sich angeschlossen hat an Tsu, so war es wegen seiner Landesgötter." t^j ^ Hoang-siu sagt, das Reich Tsching habe sich Tsu nur zur Eriialtung seiner Selbstständigkeit angeschlossen. „Wir haben noch kein doppeltes Herz. Das Heer von Tsu hat gesiegt durch Überraschung und ist übermüthig. Dieses Heer ist bereits untauglich und legt keinen Hinterhalt. Wenn ihr es angreifet, so konunt das Heer von Tsching euch zn Hilfe, das Heer von Tsu wird gewiss geschlagen." „Tschhi-tse sprach: Die Niederlage von Tsu und die Unter- werfung von Tsching, sie sind bei diesem Vorgehen. Möge man es gewähren." „Luan-wu-tse sprach : Seit Tsu überwunden hat Yung, ist kein Tag, wo nicht sein Landesherr zurechtweist die Mensehen des Reichs und sie belehrt: 0 das Leben des Volkes ist nicht leicht! Das Unglück kommt ohne einen bestimmten Tag. M;in hat sich zu hüten, sich zu fürchten, man darf hierbei nicht sorglos sein." Die Zeileu des Fürsten Siueu vuu Lu. So -p Tcl- ^^ Luan-wu-tse ist ;^ ^p Luan-schu, der um diese Zeit der Genosse für das dritte Heer. Im sechzehnten Jahre des Fürsten Wen von Lu hatte Tsu das Reich Yung vernichtet. Seit dieser Zeit pflegte der König von Tsu die Bewohner seines Reichs mit den hier angeführten Worten zu ermahnen. „Ist er hei dem Heere, so ist kein Tag, wo er nicht zurecht- weist hinsichtlich der Sachen des Heeres, und wiederholt ermahnt er es: 0 der Sieg lässt sich nicht bewahren! Tschheu siegte hun- dertmal, und er starb ohne Nachfolge." Tschheu wurde durch den König Wu getödtet und war der Letzte seiner Dynastie. „Er erklärt ihnen, wie Jo-ngao und Fen-kheng auf Wagen von Baumästen in zerrissenen Kleidern eröffneten die Berge und die Wälder." Der Fürst von Tsu erklärt dem Volke, wie die alten Landes- herren ^jr '^ Jo-ngao und ^^ myV Fen-khengsich bemühten, das Land urbar zu machen, „Er erinnert sie mit den Worten: Das Leben des Volkes besteht in dem Fleisse. Bei dem Fleisse entsteht kein Mangel." Der Fürst von Tsu verfertigte Erinnerungen für das Volk, in welchen diese Stelle vorkommt. „Dieses lässt sich nicht Übermuth nennen." Aus dem Obigen lässt sich ersehen, dass die Worte Hoang-siu's, denen zu Folge das Heer von Tsu durch Überraschung gesiegt hätte und übermüthig wäre, keinen Glauben verdienen. „Der frühere Grosse des Reichs, Tse-fan hatte gesagt: Ein Heer ist kräftig durch das Recht, es wird untauglich durch das Unrecht." Tse-fan hatte dieses früher in dem Kriege gegen Tsu gesagt, wie in dem acht und zwanzigsten Jahre des Fürsten Hi von Lu zu ersehen. „Wir sind jetzt ohne Tugend, und suchen von Tsu den Groll. Wir haben Unrecht, Tsu hat Recht. Es lässt sich nicht sagen, dass es untauglich." Da Tsin mit Tsu um die Herrschaft über das Reich Tsching streitet, so reizt es Tsu zum Zorne. Dieses Reich hat überdies Recht, daher verdient Hoang-slu keinen Glauben, wenn er sagt, dass das Heer von Tsu untauglich sei. 40 ^^- Pfizraaier. „Die Sclilaclitordnung seines Landesherrn sind Abtheilungen von zwei Breiten. Auf die Breiten kommt eine Schaar. Für die Schaar ist der Trupp der Seiten." Eine Breite heisst eine Beihe von fünfzehn Streitwagen. Die Fürsten von Tsu stellten in ihrer Schlachtordnung Abtheilungen von je zwei solchen Breiten neben einander auf. Eine Schaar heisst eine Schaar von hundert Mann , welche in Tsu jedem einzelnen Streit- wagen zugetheilt wurde. Nach den Anordnungen der Tscheu bilden fünfzehn Streitwagen eine grosse Seite, ferner bilden fünf und zwanzig Mann einen Trupp, der nebst anderen fünfzig Mann zu einem Streit- wagen gehört. In Tsu besteht aber ein Trupp aus fünfzig Mann, welche besonders noch der Schaar von hundert Mann zugetheilt werden. Die Zahl der Krieger , welche in Tsu einen Streitwagen umgeben, ist daher das doppelte derjenigen, welche von der Dynastie Tscheu vorgeschrieben wurde, in Tscheu sind es nämlich fünf und siebzig Mann, in Tsu einhundert fünfzig Mann. „Die rechte Breite fährt zuerst. Sie zählt bis zu der Mitte des Tages. Die linke Breite löst sie hierauf ab bis zu dem Abend." Täglich am frühen Morgen spannt die Mannschaft von den fünf- zehn Streitwagen der rechten Breite die Pferde' an die Streitwagen beider Breiten. Man zählt die Stunden bis zu dem Mittag, worauf die Mannschaft der linken Breite an die Beihe kommt und bis Sonnen- untergang die Pferde der Streitwagen lenkt. „Die inneren Obrigkeiten ordnen das Nothwendige für die Nacht und sind in Erwartung des Unvorhergesehenen. Es lässt sich nicht sagen, dass es keinen Hinterhalt legt." In der Nacht tre (Ten die Befehlshaber, welche die Umgebung des Landesherrn bilden , in eigener Person die nöthigen Vorkeh- rungen für die Sicherheit des Heeres. Aus dem Obigen lässt sich ersehen, dass auch hier der Aussage Hoang-siii's, nach Avelcher Tsu keine Truppen für unvorgesehene Fälle in Bereitschaft habe , kein Glauben beizumessen sei. „Sse-scho ist der Geehrteste in Tsu. Tse-liang ist der Vor- Irciriichste in Tsching." ;^j7 ^fji Sse-scho ist der Prinz 1T± ^ Fan-wangvonTsu. Ö ^ Tse-liang, ein Prinz von Tsching. Die Zeiten des Fiirsti'ii isiiii'ii \on Lii. 41 „Sse-scho zog ein und schloss den Vertrag. Tse-Iiang ist in Tsu." Tsu entsandte Sse-scho, um mit dem Fürsten von Tsehing den Vertrag zu schliessen. Prinz Tse-Iiang von Tsehing ging als Geissei nach Tsu. „Tsu und Tsching sind also befreundet. Jetzt kommt man, und ermahnt uns, dass wir kämpfen. Wenn wir siegen, so werden sie kommen. Wenn wir nicht siegen, so werden sie sich sogleich ent- fernen. Nach uns richtet sich ihr Gewähren. Dem Reiche Tsching darf man nicht folgen." Der Anschluss des Reiches Tsching hängt davon ab , ob Tsin siegt oder besiegt wird. Siegt Tsin, so kommt Tscliing und unter- wirft sich, wird Tsin geschlagen , so unterwirft sich Tsching dem Reiche Tsu. Tschoang, König von Tsa, errichtet keine grossen Wahrzeichen. „Das Heer von Tsu lagerte in Pu " Obgleich von Luan-schu und Anderen gewarnt, rückte der Feld- herr Siün-Iin-fu gegen das Heer von Tsu und lieferte eine Schlacht in V^ll Pf, einem Gebiete des Reiches Tsching. Das Heer von Tsin erlitt eine grosse Niederlage, die Sieger schlugen auf dem Gebiete Pr ihr Lager auf. „Puan-thang sprach: Warum, o Herr, baust du nicht ein krie- gerisches Lager und sammelst die Leichname von Tsin , damit sie seien ein grosses Wahrzeichen?" Ein grosses Wahrzeichen heisst ein Grabhügel der Feinde. Man sammelt nämlich die Leichname und häuft über ihnen die Erde zu einem Ilüg^el. ^ VZK Puan-thang fordert den Fürsten von Tsu auf, in dem Lager einen Rau zur Erinnerung an seinen Sieg auf- führen zu lassen, und über den Leichnamen der gefallenen Krieger von Tsin einen Erdhügel als Wahrzeichen für die Nachwelt zu errichten. „Ich habe gehört: Wenn man den Feind besiegt hat, so muss man es verkünden den Söhnen und den Enkeln , damit sie nicht ver- gessen die kriegerischen Verdienste.-' Puan-thang sagt, dass die Alten nach einem Siege solche Wahr- zeichen errichtet hätten. 42 Dl"- Pfiziii aie r. „Der Fürst von Tsu sprach: Dieses ist etwas, was du nicht verstehst. In dieser Schrift ist Einhalt gebieten den Lanzen der krie- gerische Mulh." In der Schrift werden die zwei Zeichen ij-- tschhi (Einhalt gebieten) und 'y kö (Lanze) mit einander verbunden, um das Zei- chen ^j^r- wu (kriegerischer Muth, das Kriegshandwerk) zu bilden. Kriegerischer Muth hat daher ursprünglich den Sinn: die Waffen ruhen lassen. „König Wu besiegte die Schang, und verfertigte die Lobprei- sungen, in welchen es heisst: Er birgt die Lanzen in den Kammern, Er birgt in dem Gehäus' die Bogen und die Pfeile. Ich suche die liebreiche Tugend, Fell will, dass dieses grosse Hia sie theile : Der König sicher es beschützt." Als König Wn nach dem Siege über die Dynastie Schang die Welt in Ordnung gebracht halte, Hess er die Waffen seiner Krieger in den Rüstkanunern aufbewahren , zum Zeichen , dass er dieser Waffen nicht mehr bedürfe. Die obigen Verse sind aus den Lobprei- sungen von Tscheu , deren Verfasser aber nach der allgemeinen Meinung nicht König Wu, sondern dessen Bruder, der Fürst von Tscheu. Das Reich der Hia heisst das mittlere Reich, welches König Wu zu schützen im Stande ist. „Er dichtete ferner: den kriegerischen König. Dessen letzter Vers lautet: Du führst zu der Bestinniiung dein Verdienst." Der Fürst von Tscheu verfertigte ferner ein Gedicht, welches mit dem Lobe des Königs Wu , d. i. des kriegerischen Königs beginnt. Dasselbe enthält die Stelle: Als Yin besiegt, thust Einhalt du dem Tödten, Du führst zu der Bestimmung dein Verdienst. Naeh der Überwindung derDynastie Yin (Schang) erfüllte König Wu den durch das kriegerische Verdienst zu erreichenden Zweck, indem er die Walfen ruhen liess. Die Zeiten des Fürsten Siucn von Lu. 43 „In dem dritten Abschnitte lieisst es: Rings waltet dieses strebende Verlangen, Wir wandeln tiin und suchen nur die Ruh'." Das Volk bewundert die Regierung des Königs Wen, es unter- wirft sich dessen Sohne, dem König Wu und wünscht nur die Ruhe nach den WatTenthaten. „In dem sechsten Abschnitte heisst es: Er hat beruhigt die zehntausend Länder. Er brachte das fruchtbare Jaiir." Früher war in Tscheu Misswachs. Nach dem Siege über die Dynastie Schang folgten fruchtbare Jahre. Die oben für die Ab- schnitte angegebenen Zahlen drei und sechs stimmen mit der Ordnung der Abschnitte in dem heutigen Texte der Lobpreisungen nicht überein. „Rei diesem kriegerischen Muth ist: wehren dem Rleichen der Gebeine , aufbewahren die Waffen , beschützen das Grosse , die Bestimmung geben den Verdiensten , beruhigen das Volk, in Ein- tracht leben mit Allen, reichliche Güter." Mit Zugrundelegung der angeführten Stellen aus den Lobprei- sungen der Tscheu heisst: „Er birgt die Lanzen in den Kammern, er birgt in dem Gehäus' die Bogen und die Pfeile" hier: wehren dem Bleichen der Gebeine, aufbewahren die Waffen. „Dieses grosse Hia" und „der König sicher es beschützt"' ist: beschützen das Grosse. „Du führst zu der Bestimmung dein Verdienst" ist: die Bestimmung geben den Verdiensten. „Wir wandeln hin und suchen nur die Ruh'" ist: beruhigen das Volk. „Er hat beruhigt die zehntausend Länder" ist: in Eintracht leben mit Allen. „Er brachte das fruchtbare Jahr" ist : reichliche Güter. „Desswegen Hess man die Söhne und Enkel nicht vergessen diese Strophen." König Wu verfertigte, wie angegeben wird, die Strophen der oben erwähnten Lobpreisungen. „Jetzt habe ich bewirkt , dass von zwei Reichen bleichen die Gebeine. Sie bleichen in der That." Die Krieger der Reiche Tsin und Tsu sind in der Schlacht gefallen und ihre Gebeine bleichen auf den Feldern. Der König zeigt hierdurch, dass er zu der einenTugend: „wehren dem Bleichen der Gebeine" nicht fähig war. 44 l"- l'li/. 11.;. ier. „Ich stelle zur Schau die Waffen und schrecke die Vasallen- fürsten. Die Waffen sind nicht aufbewahrt." Der König zeigt hierdurch, dass er zu der zweiten Tugend: „aufbewahren die Wuffen" nirht fähig ist. „Die Gebeine bleichen und die Waffen sind nicht aufbewahrt: wie könnte ich beschützen das Grosse?" Der König kann das grosse Reich der Mitte nicht beschützen. Da er die zwei ersten Tugenden nicht besitzt, so ist er auch zu der dritten: „beschützen das Grosse" nicht fähig. „Noch hat Tsin das Dasein. Wie könnte ich Bestimmung geben den Verdiensten?" An dem Reiche Tsin hat Tsu einen starken Feind. Der Zweck der kriegerischen Verdienste : die Ruhe der Waffen, ist daher nicht erreicht worden. Der König zeigt hierdurch , dass er auch zu der vierten Tugend : „Bestimmung geben den Verdiensten" nicht fähig ist. „Was zuwider ist den Wünschen des Volkes, ist vieles. Wie wäre wohl das Volk beruhigt?" Durch den Krieg wird das Volk in seinen Geschäften gestört, desswegen hat es viele Ursache zur Unzufriedenheit. „Ich besitze nicht die Tugend und streite aus allen Kräften mit den Vasallenfürsten: wie könnte ich in Eintracht leben mit Allen?" Da der König die Vasallenfürsten nicht durch die Tugend zur Unterwerfung bringen kann, so bekämpft er sie durch die Waffen. Er zeigt hierdurch, dass er die fünfte Tugend: „in Eintracht leben mit Allen" nicht besitzt. „Ich mache mir zu Nutzen die Gefahr der Menschen und freue mich über das Ungemach der Menschen, damit ich für mich selbst erwerbe die Ehre. Wie könnte ich reichlich gewähren die Güter?" Der König macht sich die Hilflosigkeit des Reiches Tsin zu Nutzen und freut sich über dessen ungeordneten Zustand , weil er nach der Ehre des Sieges trachtet. Durch die Kriege entsteht Unfruchtbarkeit der Jahre, woraus hervorgeht, dass der König auch zu der letzten Tugend : „reichliche Güter (d. i. Hervorbringung der- selben) nicht fähig ist. „Bei dorn kriegerischen Muth gibt es sieben Tugenden: ich besitze von ihnen nicht Eine. Was hätte ich zu verkünden den Söhnen und den Enkeln?" Die Zeiten des Fürsten Siiien von Lu. 4rÖ „Ich baue einen Tempel für die früheren Landesherren und melde, dass die Sache vollendet , sonst nichts. Der kriegerische Muth oehört nicht zu meinen Verdiensten." In den alten Zeiten war es Sitte, dass, wenn die Landesherren einen Feldzug unternahmen, sie in dem Ahnentempel den Vorfahren opferten und das Unternehmen meldeten. Der König will jetzt an der Stelle seines Sieges einen Ahnentempel für die früheren Landes- herren von Tsu erbauen lassen und das erfolgte Ende der Unterneh- mung melden. „In den alten Zeiten bekriegten die glänzenden Könige die nicht Ehrerbieticfen. Sie nahmen die Wallfische unter ihnen und häuften über ihnen die Erde. Sie hielten dieses für eine grosse Strafe." Die nicht Ehrerbietigen sind diejenigen, welche dem Befehle des Himmelssohnes sich widersetzten und Grausamkeiten begingen. Von dem Wallfische wird geglaubt, dass er die kleineren Fische ver- schlinge, daher werden mit iiim die Machthaber verglichen, welche die kleinen Staaten verschlangen. Die alten Könige tödteten diese Übelthäter und errichteten über ihren Leichnamen einen grossen Erdhügel, um ihre Namen der Schande preiszugeben nnd die spä- teren Geschlechter zu warnen. „In diesem bestanden die grossen Wahrzeichen, man schreckte die Ausschweifenden und die Schlechten." „Jetzt ist die Schuld ohne einen Träger, und das ganze Volk hat bis zum Äussersten bewahrt die Treue und ist gestorben auf den Befehl des Landesherrn. Was ist hier noch, wegen dem zu errichten wäre ein grosses Wahrzeichen?" Das Volk von Tsin beging keine Cbelthat und hat an Tsu nichts verschuldet , es fiel in dem Kampfe , weil es seinem Landesherrn Treue und Gehorsam bewahrte. Hier ist nichts zu finden , wegen dem die Nachwelt zu warnen wäre. „Er opferte dem Flusse, erbaute einen Tempel der früheren Landesherren, meldete, dass die Sache vollendet und kehrte zurück." Der gelbe Fluss ist im Norden des Gebietes Pf. Der Fürst von Tsu opferte dem Gotte dieses Flusses und kehrte nach Tsu zurück. Sse-yo-tho tadelt die Bestrafung Siün -lin-fo's. „Das Heer von Tsin kehrte zurück. Hoan-tse bat um den Tod. Der Fürst von Tsin wollte es gewähren." 4:ß Dl'- Pfizmaier. Das Heer von Tsiii kehrte nach seiner Niederlage in die Heimath. Der Oherfeldherr Hoan-tse, d. i. Siün-lin-fu, der an der Nieder- lage Schuld gewesen, bat selbst den Fürsten King von Tsin , ihn hinrichten zu lassen. „Sse-tsching-tse sprach tadelnd: Es darf nicht sein." ■^ ^ _J_ Sse-tsching-tse ist 'y^ V/^ -J- Sse - u- tschu. „Nach der Waffenthat von Tsehing-pö lebte das Heer von Tsin drei Tage von dem Getreide." In dem acht und zwanzigsten Jahre des Fürsten Hi von Lu schlug Tsin das Heer von Tsu in der Schlacht von Tsching-po, und lebte drei Tage von dem Getreide, welches es von dem Heere von Tsu erbeutet hatte. „Fürst Wen hatte noch immer das Aussehen des Kummers." „Seine Genossen sprachen : Ursache zur Freude haben und sich kümmern, ist so viel als Ursache zum Kummer haben und sich freuen." „Der Fürst sprach: Te-tschin ist noch am Leben. Mein Kummer hat noch kein Ende. Ein ermattetes Thier kämpft noch fort, um wie viel mehr der Minister eines Reiches !" Te-tschin ist Tse-yu, der Regierungsvorsteher des Reiches Tsu, von dem zu erwarten war, dass er die Niederlage rächen werde. „Tsu tödtete Tse-yu. Jetzt erst freute sich der Fürst, dass man es merkte." „Er sprach: Jetzt ist Niemand, der mir schadet." „Hierdurch siegte Tsin zum zweiten Male und Tsu wurde zum zweiten Male geschlagen. Desswegen begann Tsu bis zu dem zweiten Geschlechte keinen Streit. Tsc- tsching- tse sagt: der Tod Te-tschin"s war für Tsin so viel als ein zweiter Sieg, für Tsu aber eine zweite Niederlage. Das Reich Tsu ist daher unter den Königen Tsching und Mö nicht mehr gegen Tsin in die Schranken getreten. „Jetzt lässt der Hinnnel vielleicht eine grosse Warnung ergehen an Tsin, und wir tödten noch Lin-fu , um zu verdoppeln den Sieg von Tsu. Ist dieses nicht so viel, als lange nicht mehr den Streit beginnen ?" Die Niederlage von Pi ist eine Warnung für Tsin. Der Tod Siün-Iin-fu's hätte für Tsin dieselben Folgen , wie die Hinrichtung Die Zeiten des Fürsten Siiien von l.ii. 47 Te-tscliin\s für Tsu. Tsin -würde In diesem Falle durch lange Zeit nicht gegen Tsu auftreten können. „Lin-fu diente seinem Landesherrn. Als er vortrat, dachte er an die äusserste Treue. Als er sieh zurückzog, dachte er an die Ver- besserung der Fehler." Siün-lin-fu diente seinem Landesherrn den ganzen Tag, und selbst wenn er sich nicht um dessen Person befand, dachte er, wie er die von dem Landesherrn begangenen Fehlei- verbessern könne. „Er ist der Wächter der Landesgötter: wie dürfte man ihn wohl tödten?" „Diese seine Niederlage ist gleich den Finsternissen der Sonne und des Mondes: welchen Eintrag thun sie wohl dem Lichte?" „Der Fürst von Tsin Hess ihn wieder seine Stelle einnehmen." 'g' pR 3, das Jahr des Cyklus (590 vor Chr. Geb.). Vier- zehntes Regierungsjahr des Fürsten Siuen von Lu. Hien-tse ermahnt dea Fürsteo Sinen, sich in Tsn zn erkundigen. „Meng-hien-tse sprach zu dem Fürsten : Ich habe gehört : Ein kleines Reich, das entkommt einem grossen Reiche, lässt sich erkun- digen und reicht Geschenke." Ein kleines Reich welches von einem grossen nicht gestraft werden will, muss einen Reichsminister zu dem Fürsten des grossen Reiches schicken , um sich nach dessen Refinden zu erkundigen, wobei die für eine solche Erkundigung üblichen Geschenke verab- reicht werden. „Für dieses gibt es Gegenstände in der Halle und Ordnungen hundert." Für den Fall einer Erkundigung sind die als Geschenke zu rei- chenden Gegenstände in der Halle auf mannigfache Weise geordnet. „Man erscheint an dem Hofe und legt dar die Verdienste." Es mag auch geschehen, dass der Landesherr in eigener Person an dem Hofe eines grossen Reiches erscheint und den Verdiensten, welche er sich durch die Regierung erworben, Geltung verschafft. „Für dieses gibt es glänzenden Schmuck der äusseren Gestalt." Wenn der Landesherr selbst erscheint, so bringt er Gegen- stände des Schmuckes, wie Purpur. Perlen. Federn, Zähne und Leder. 48 Dr. Pfiziiiaier. „Bei Glückwünschungen fügt man hierzu auch Güter. Man sorgt für den Fall, dass man nicht entkomme." Wenn dem grossen Reiche hei irgend einem Anlass Glück zu wünschen ist , so fügt man den bei der Erkundigung ühlichen Geschenken auch Handelsgüter hinzu. Durch alles dieses trifft man Vorkehrungen für den Fall . dass man von dem grossen Reiche schuldig befunden werden sollte. „Wenn es straft, und wir dann die Güter reichen, so lässt sich nichts mehr ausrichten." Wenn der Fürst nicht an dem Hofe erscheint, sich auch nicht erkundigen lässt, sondern mit den Geschenken wartet, bis das grosse Reich irgend ein Vergehen strafen will, so ist es zu spät. „Jetzt ist Tsu in Sung. Mögest du, o Herr, dafür sorgen." Der Fürst von Tsu befand sich um diese Zeit in dem Reiche Sung, dessen Hauptstadt er belagerte. „Der Fürst billigte dieses." Fürst Siuen von Lu entsandte jetzt den Prinzen yJ^ l§äi Kuci-fu an den Fürsten von Tsu nach Sung. Die hier erwähnte, in Lu zum ersten Male befolgte Handlungsweise, vermöge welcher ein kleines Reich sich die Gunst eines grossen durch Geschenke zu erwerben sucht, wird dem Geiste des Tschün-tsieu gemäss für höchst verwerf- lich gehalten. Nach Anderen jedoch hätte Hien-tse, indem er solche Grundsätze geltend machte , dem Fürsten von Lu einen wohlge- meinten Rath ertheilt. ^|] ~r 4, das Jahr Ags Cyklus (Ö94 vor Chr. Geb.). Fünf- zehntes Regierungsjahr des Fürsten Siuen von Lu. HIai-png bringt keine Schande über den Befehl. „Die Menschen von Sung hegehrten Hilfe von Tsin. Der Fürst von Tsin wollte ihnen zu Hilfe kommen." Die ilaujitstadt des Reiches Sung wurde in diesem Jahre von dem Fürsten von Tsu belagert. „Pe-thsung sprach: Es darf nicht sein." 7^ 'iÖ P^'^'i*"'"?^' ßin Grosser des Reiches Tsin. „Die Alten hatten ein Sprichwort: Wenn die Peitsche auch lang, sie erreicht nicht des Pferdes Bauch." Die Zeiten des Fürsten Siuen von Lu. 49 „Der Himmel schenkt Tsii seine Gnade, man darf mit ihm noch nicht streiten. Ist Tsin auch stark , kann es sich wohl widersetzen dem Himmel?" Die gegenwärtige Macht des Reiches Tsu ist ein Geschenk des Himmels. Tsin kann sich dem Himmel nicht widersetzen und mit Tsu nicht streiten, so wenig wie die Peitsche den Bauch des Pferdes erreichen kann. „Ein Sprichwort sagt: Hoch und niedrig ist in dem Herzen." Der Unterschied zwischen Aufschwung und Verfall besteht nur in der Vorstellung des Menschen. „Die Flüsse und Sümpfe empfangen Schlamm. Die Wälder und Dickichte bergen Gift. Der weisse Edelstein enthält Flecken. Der Herr des Reiches ist bedeckt mit Schmutz. So ist das Gesetz des Himmels." In den Wäldern und Dickichten leben giftige Thiere. Auch für einen Landesherrn gibt es Zeiten , in welchen er mit Schande bedeckt wird. „Mögest du, 0 Herr, nur warten." Nach dem Gesetze des Himmels ist Tsu jetzt stark, nach dem- selben Gesetze wird seine Kraft auch schwinden. Bis dahin möge der Fürst von Tsin sich gedulden. „Hieraufhielt man inne." Tsin dachte nicht mehr daran, dem Reiche Sung Hilfe zu leisten. „Man hiess Hiai-yang sich begeben nach Sung. Man hiess ihn bewirken, dass Tsu sich nicht unterwerfe, und sagen: Das Heer von Tsin hat sich insgesammt erhoben, seine Ankunft steht bevor." Da sich Tsin wegen der Verweigerung seiner Hilfe schämte, so entsandte es j^ jjjj Hiai-yang mit einer Botschaft nach Sung. Dasjenige was er zu sagen hatte, war jedoch eine Lüge und hatte nur den Zweck, Tsu mit Furcht zu erfüllen und Sung zu trösten. „Die Menschen von Tsching fingen ihn und übergaben ihn an Tsu." Hiai-yang wurde in dem Reiche Tsching, durch welches ihn sein Weg führte, festgenommen und dem Fürsten von Tsu ausge- liefert. „Der Fürst von Tsu bot ihm reiche Geschenke, damit er seine Worte umkehre." Sitzb. d. phil.-hist. n. XVIf. Bd. I. Hft. 4 50 Dr. Pfizmaier. Der Fürst von Tsu wollte Hiai-yang bewegen, Sung das Gegen- theil von dem zu melden, was ihm aufgetragen worden, nämlich dass Tsin nicht zu Hilfe kommen werde. „Er willigte nicht ein. Das dritte Mal willigte er ein." Hiai-yang gab erst das dritte Mal dem Drängen des Fürsten von Tsu nach. „Er stieg auf einen Söllerwagen. Man hiess ihn zurufen den Menschen von Sung und es melden." Ein Söllerwagen ist ein mit einem Stockwerke versehener Wagen , von welchem man in die Ferne blicken kann. Von einem solchen Wagen sollte er den Belagerten zurufen, dass Tsin nicht zum Entsätze kommen werde. „Hierauf erfüllte er den Auftrag seines Landesherrn." Hiai-yang meldete den Belagerten, was ihm der Fürst von Tsin befohlen , nämlich dass das Heer von Tsin sich in Bewegung gesetzt habe. „Der Fürst von Tsu wollte ihn tödten. Er befahl, dass man ihm sage: Du hattest mir bereits zugesagt, und du handeltest wieder anders : warum geschah dieses ? Nicht ich bin ohne Treue , sondern du bist von ihr gewichen. Ich werde schnell bereiten deine Strafe." „Jener antwortete: Ich habe gehört: Wenn der Landesherr erlassen kann den Befehl, so ist dieses Gerechtigkeit. Wenn der Minister empfangen kann den Befehl, so ist dieses die Treue. Wenn die Treue trägt die Gerechtigkeit und nach ihr bandelt, so ist dieses der Nutzen." „Wer denkt , wie er nicht verliert den Nutzen, damit er be- wahre die Landesgötter, der ist der Vorsteher des Volkes." Ein Minister sorgt für das Reich und lässt den Nutzen der entsteht, wenn die Treue die Gerechtigkeit trägt , nicht aus den Augen. Hierdurch bewahrt er die Götter des Landes und leitet die Familien des Reiches. „Bei der Gerechtigkeit ist keine doppelte Treue. Bei der Treue ist kein doppelter Befehl." Wenn der Landesherr den Befehl erlässt und dieses Gerechtisr- keit heisst, so wird hierdurch keine doppelte Treue geschaffen. Der Fürst von Tsu, indem erden Menschen befiehlt, dem Befehle ihres Laridosherrn zuwider zu handeln und sie dann wegen ihrer Wort- bnicliigkoit zur Rede stellt, schafft somit einen doppelten Befehl. Die Zeiten des Fürsten Siuen von Lu. 5 1 Wenn ferner der Minister den Befehl empfängt und dieses die Treue heisst, so empfangt man in Folge dessen keinen doppelten Befehl. Hiai-yang hätte somit von dem Fürsten von Tsu keinen Befehl empfangen sollen. „Du, 0 Herr, suchtest mich zu bestechen: du kanntest nicht den Befehl." Der Fürst von Tsu weiss nicht, dass das Erlassen des Befehles die Gerechtigkeit ist. „Ich empfing den Befehl und zog aus: sollte ich auch sterben, ich lasse ihn nicht fallen. Darf man mich auch noch bestechen ?" „Wenn ich, o Herr, dir zugesagt, so geschah es, um den Befehl zu vollziehen." Hiai-yang willigte nur in das Begehren des Fürsten von Tsu, weil es ihm sonst nicht möglich gewesen wäre, sich seines Auftrages zu entledigen. „Wenn ich sterbe und vollzogen habe den Befehl, so ist es für mich ein Glück. Mein Landesherr hat einen treuen Diener, der nie- drige Diener gewinnt die Vollendung. Wenn ich sterbe , was kann ich sonst noch begehren?" Der Minister hat den Vortheil, dass er die Geschäfte welche ihm sein Landesherr übertragen, vollendet hat. „Der Fürst von Tsu entliess ihn in die Heimath." Der Fürst Hess Hiai-yang wieder nach Tsin zurückkehren. Hoa-yaen steigt nächtlich in Tse-fan's Bett. „Das Heer von Tsu wollte von Sung abziehen." Nachdem die Hauptstadt von Sung durch neun Monate fruchtlos belagert worden, wollte der Fürst von Tsu wieder abziehen. „Schin-si neigte das Haupt bis zur Erde vor den Pferden des Königs und sprach : Jener war ohne Furcht , als er erkannte den Tod, und er wagte es nicht, fallen zu lassen den Befehl des Königs. Der König aber wird untreu seinen Worten." ^p ffi Schin-si war der Sohn JiJ- ^ Schin-tschheu's. Dieser Schin-tschheu war Gesandter in Sung und bewog denFürsten von Tsu, dieses Reich anzugreifen, obgleich er vorhersah, dass ihn Sung desswegen tödten werde. „Der König konnte nicht antworten." 52 Dr. Pfizinaier. „Schin-sclio war um diese Zeit Wagenführer." A^^ ä -^^l"" " ^^^^^ ^^^'" ^^^^ Wagenführer des Königs von Tsii und anwesend , als Schin - si sich vor den Pferden des Königs niederwarf. „Er sprach: Wenn man Häuser haut und zurückkehrt, um zu ackern, wird Sung gewiss dem Befehle gehorchen." Schin-scho ertheilt den Rath, man möge in dem Reiche Sung Häuser erbauen und durch die Krieger die Äcker bestellen lassen, um Sung zu zeigen, dass man das Land für die Dauer besetzt halten wolle. „Man befolgte es. Die Menschen von Sung fürchteten sich." Die Bewohner von Sung glaubten jetzt, dass der Fürst von Tsu nicht mehr abziehen werde. „Man hiess Hoa-yuen nächtlich dringen in das Heer von Tsu. Er stieg in Tse-fan's Bett." T^ ^ Tse-fan ist der Prinz Yg|| TsfvonTsu. Hoa-yuen, der erste Feldherr des Reiches Sung, verliess in der Nacht die bela- gerte Stadt und war trotz der strengen Kriegszucht des Heeres von Tsu geschickt genug , bis in die Mitte des feindlichen Lagers zu dringen, woselbst er sich in dem Bette des Prinzen Tsf verbarg. „Er erhob sich vor ihm und sprach: Mein Landesherr entsendet Yuen zu melden seine Leiden." Als Tse-fan sich zu Bette legen wollte, stand Hoa-yuen vor ihm auf. TT, Yuen ist Hoa-yuen's Name, bei welchem er sich selbst nennt. „Er heisst mich sagen : In der niedrigen Stadt vertauscht man die Kinder und verzehrt sie. Man bricht die Gebeine der Todten und heizt mit ihnen die Kessel." In der Hauptstadt des Reiches Sung sind die Lebensmittel aus- gegangen, die Leute des Volkes geben sich wechselseitig die Kinder welche getüdtet und verzehrt werden. Ebenso ist das Brennholz aus- gegangen und das Volk kocht seine Speisen nur, indem es unter den Kesseln menschliche Gebeine zum Glühen bringt. „Obwohl es so ist, ein Vertrag unter den Stadtmauern, wenn auch das Reich zu Grunde gehen sollte, wir können ihm nicht folgen." Ein Landesherr wird durch nichts mehr beschämt , als durch einen Vertrag der unter den Mauern seiner Hauptstadt geschlossen wird. Zu einem solchen Vertrage würde sich das Reich Sung nie- mals verstehen. Die Zeiten des Fürsten Siuen von Lu. ö3 „Wenn ihr euch von uns entfernt dreissig Meilen , nur dann werden wir gehorchen dem Befehle." Sung würde den Vertrag nur dann annehmen , wenn das Heer von Tsu sich nm einen Standort, d. i. dreissig Li, von den Mauern der Hauptstadt zurüciizieht. „Tse-fan fürchtete sich. Er schloss mit ihm den Vertrag und meldete es dem Könige." Tse-fan befand sich in Hoa-yuen's Gewalt und schloss mit die- sem aus Furcht und unter eigener Verantwortung einen Vertrag. „Man zog sich zurück dreissig Meilen. Sung und Tsu schlössen Frieden." Nachdem sich das Heer von Tsu dreissig Li entfernt hatte, empfing Sung die Bedingungen von Tsu. „Der Vertrag lautete : Wir werden euch nicht betrügen. Ihr werdet euch vor uns nicht hüten." Tsu darf nach diesem Vertrage das Reich Sung nicht betrügen, Sung darf keine Vorkehrungen treffen , als ob es von dem Reiche Tsu Feindschaft zu erwarten hätte. Die vorstehende Begebenheit erzählt Kung-yang wie folgt: „König Tschuang belagerte Sung. Hoa - yuen und Tse-fan traten heraus und hatten eine Zusammenkunft. Tse-fan sprach: Wie steht es mit eurem Reiche? — Yuen meldete die Leiden und sprach: Ich habe gehört: Wenn die Weisen sehen die Gefahr der Menschen, so fühlen sie dabei Mitleid. Wenn die kleinen Menschen sehen die Gefahr der Menschen, so fühlen sie sich dabei glücklich. Ich sehe, dass du ein Weiser bist, desswegen sprach ich zu dir vom Herzen. — Tse-fan sprach : Ich werde thun mein Möglichstes. Unser Heer hat noch Vor- rath für sieben Tage. Wenn dieser zu Ende ist und ihr nicht besiegt seid, so werden wir abziehen und heimkehren. Er verbeugte sich und entfernte sich. Er meldete es dem König Tschuang und sprach : Dieses winzige Sung hat noch Minister welche nicht die Menschen betrügen: hätte Tsu ihrer wohl keine? — Hieraufzog man ab." Die Menschen von Tsio vernichten In. „Die Gemahlinn Ying-ni's, Fürsten von Lu, war die ältere Schwester des Fürsten King von Tsin." IW Lu war das Reich eines Stammes der rothen nördlichen Barbaren und befand sich in dem heutigen Lu-ngan, Provinz Schan-si. Kä Dr. Pfizinai er. Der damalige Landesherr, ein Vasallenfürst vierter Classe. hiess fB mn Yirig-ni. Die rothen Barbaren führten ihren Namen von der rothen Kleidung. „Fung-sehü führte die Regierung und tödtete sie. Auch ver- letzte er das Auge des Fürsten von Lu." &^ jgn Fung-sehü stand dem Fürsten von Lu in der Regie- rung zur Seite und tödtete dessen Gemahlinn. „Der Fürst von Tsin wollte ihn angreifen. Alle Grossen des Reiches sprachen : Es darf nicht sein. Fung-schü hat drei vorzüg- liche Gaben: wir müssen warten auf die nachfolgenden Menschen." Fürst King wollte Fung - schü strafen und das Reich Lu angreifen. Alle Grossen des Reiches widerriethen dieses, weil Fung- schü seltene Fähigkeiten besitze, und meinten, man könne Lu erst dann angreifen, wenn Fung-schü einmal einen talentlosen Nach- folger haben werde. Worin die oben genannten drei Gaben bestanden, wird übrigens nicht angegeben. „Pe-thsung sprach: Man muss iim angreifen. Der Barbar hat eine fünffache Schuld. Sind seine vorzüglichen Gaben auch viele, was könnten sie wohl wieder gut machen?" Der Barbar Fung-ni ist fünf verschiedener Dinge schuldig, welche durch seine Fähigkeiten nicht wieder gut gemacht werden können. „Er opfert nicht den Göttern. Dieses ist das Eine." „Er hat Freude an dem Weine. Dieses ist das Zweite." „Er verstiess Tschung-tschang und entriss das Land der Fa- milie Li. Dieses ist das Dritte." Er verachtete die Vorstellungen des Ministers ^4[I1 Tschung- tschang und raubte das Land des Fürsten von ^^ Li. „Er handelte grausam gegen unsere Pe-ki. Dieses ist das Vierte." 4l5 i(] Pe-ki ist die von Fung-ni getödtete Schwester des Fürsten von Tsin. „Er verletzte das Auge seines Landesberrn. Dieses ist das Fünfte." „Er verlässt sich auf seine vorzüglichen Gaben und nicht auf die rcichprangende Tugend. Dieses vermehrt noch seine Schuld." „Die nachfdlgeiidcn Menschen werden vielleicht in Ehrfurcht huldigen der Tugend und Gerechtigkeit , so dass sie dienen den Die Zeiten des Fürsten Siuen von Lu. Ö 5 Göttern und den Menschen , und wiederholen und befestigen ihren Befehl. Wie könnte man auf sie wohl warten?" Fung-sehü hat sich an den Göttern und an den Menschen ver- sündigt, seine Nachfolger könnten vielleicht das Gegentheil von die- sem thun. Bei der Wiederholung des Befehles ist doppelte Überle- gung und kein Wankelmuth. Bei der Befestigung des Befehles ist die Bestimmung des Zweifelhaften und keine Veränderung. Wenn man warten wollte, bis dieses erfolgt, würde Lu noch weniger angegriffen werden können. „Wir strafen nicht den Schuldigen , indem wir sagen : Wir warten auf die Nachfolgenden. Die Nachfolgenden werden eine Ent- schuldigung haben und wir strafen sie: dieses darf durchaus nicht geschehen." „Sich verlassen auf die Gaben und auf die Menge , dieses ist der Weg des Verderbens. Tschheu von Schang hat sich dessen bedient, desswegen wurde er vernichtet." König Tschheu von der Dynastie Schang verliess sich auf seine Körperstärke und auf die grosse Menge seiner Krieger. „Wenn der Himmel verkehrt die Zeiten, so bewirkt er Unglück." Wenn Hitze oder Kälte zur Unzeit eintreten, so entsteht hier- durch natürliches Unglück. „Wenn die Erde verkehrt die Dinge, so erzeugt sie Ungeheuer." Wenn die Erde bei dem Hervorbringen der Gegenstände von der Begel abAveicht, so entstehen Missgestalten und Ungeheuer. „ Wenn das Volk verkehrt die Tugend , so bewirkt es Unord- nung." „Ist Unordnung, so entstehen Ungeheuer und Unglück." Wenn das Volk die Tugend verlässt und dadurch Unordnung hervorbringt, so weichen auch der Himmel und die Erde von der Regel der Natur, und bringen dadurch Missgestalten und Unglück hervor. „Daher, wenn man in der Schrift verkehrt das Rechte, so schreibt man die Vernichtung." Die Alten schrieben das Zeichen Tp tsching (recht) verkehrt und bildeten auf diese Weise das Zeichen ^7 fa (Vernichtung), was in der neueren Schrift durch das Zeichen ^ fit ausgedrückt 56 Dr. Pfizmaier. wird. Sie zeigten dadurch, dass eine Abweichung von der Tugend natürliches Missgeschick und zuletzt die Vernichtung der Reiche zur Folge habe. „Dieses alles ist bei dem nördlichen Barbaren.** Alles was oben angegeben worden, das Verlassen auf die eige- nen Fähigkeiten und auf die Menge des Heeres , so wie das Abwei- chen von der Tugend, findet sich bei dem Barbaren Fung-schü ver- einigt. „Der Fürst von Tsin befolgte es. Man vernichtete Lu." Das Reich Lu wurde vernichtet und Ying-ni, der Beherrscher desselben, gefangen genommen. „Fung-schü floh nach Wei. Die Menschen von Tsin tödteten ihn." Die Bewohner des Reiches Wei fürchteten Tsin und lieferten Fung-schü an dieses Reich aus. Übrigens wird das Verfahren Tsin's gegen das Barbarenreich Lu allgemein gerügt, und namentlich wird Pe-thsung von einer Stimme folgendermassen getadelt: „Der Weise fürchtet die Unordnung der Menschen , ich habe noch nicht gehört, dass er fürchtet die Ordnung der Menschen. Pe-thsung fühlt sich glücklich bei der Unordnung der Menschen, er fürchtet blos, dass es vielleicht sich könne verändern. Seine Ausdauer und reifliche Überlegung kann man Hartherzigkeit nennen." Das Zusammenknüpfen der Pflanzen zum Lohne für die Befolgung des vernünftigen Befehles. „Hoan, Fürst von Thsin, grifl" Tsin an. Wei-kho schlug das Heer von Thsin in Fu-schi." Sl l>^ Wei-kho ist der Sohn ^ tt Wei-tschheu's, der auch ^ "TTT ^j^ Wei-wu-tse genannt wird. Das Heer von Thsin lagerte nach seinem Einfalle in ^ mg Fu-schi, einem Gebiete des Reiches Tsin. „Er fing Tu-hoei, den stärksten Mann von Thsin." Dieser durch seine Stärke berühmte Mann gehörte zu der Familie Tij- Tu und führte den Namen Ipj Hoei. „Früher hatte Wei-wu-tse eine begünstigte Nebengemahlinn. Sie blieb kinderlos." Die Zeiten des Fürsten Siueu von Lu. Ol „Als Wu-tse erkrankte, befahl er Kho : Du musst dich mit dieser vermählen." Kho ist Wei-kho. Wei-vvu-tse befahl seinem Sohne, sich nach seinem Tode mit dieser seiner Nebengemahlinn zu vermählen. „Als er schwer erkrankt war, sprach er: Du musst sie mit mir begraben lassen." Die Sitte, Lebende mit den Todten zu begraben, hatte eigent- lich nur in dem Reiche Thsin Eingang gefunden, wovon ein Beispiel in dem sechsten Regierungsjahre des Fürsten Wen von Lu, welches sich bei dem Tode des Fürsten Mo von Thsin ereignete, erzählt wird. Das hier Erzählte beweist, dass diese Sitte auch auf das Reich Tsin nicht ohne Einfluss geblieben. „Nachdem er gestorben, vermählte sich Kho mit ihr und sprach: Wenn man schwer erkrankt, ist man unvernünftig. Ich befolge das Vernünftige." Als der Vater Wei-kho's leicht erkrankt war, hatte er einen vernünftigen Befehl gegeben. Der Befehl den er in seiner schweren Krankheit gab, war unvernünftig. „Bei der Walfenthat von Fu-schi sah Kho einen alten Mann der Pflanzen zusammenknüpfte und sich Tu-hoei gegenüber stellte. Tu-hoei strauchelte und fiel. Desswegen wurde er gefangen." „In der Nacht träumte ihm , wie eine Stimme zu ihm sprach : Ich bin der Vater des Weibes, mit welchem du dich vermählt. Du hast dich gerichtet nach deines Vorfahrs vernünftigem Befehle: durch dieses habe ich dir vergolten." Die Erscheinung war der Mann der die Pflanzen zusammen- knüpfte und Ursache war, dass Wei-kho den stärksten Mann von Thsin gefangen nahm. 5 8 Freili. H a in m e r - P ii r g- s t a 1 1. SITZUNG VOM 20. JUNI 1855. Gelesen : Freiheri" Hammer -Purgstall liest den Sehluss der ersten Abtheilinig seines über die Encyklopädie der Araber, Perser und Türken für die Denksebriften der kais. Akademie der Wissenschaften gelieferten Aufsatzes mit Auszügen aus der Anthologie des Spaniers ihn Abd Rebbihi' welcher schon im Jahre 328 (939) gestorben. Dieser bandelt in zwölf Abschnitten: 1. von der Kenntniss (fenn), verwandt mit dem englischen f'onn, und der Wissenschaft (Um) ; 2. von der Vortrefflichkeit der Wissenschaft; 3. von der Besitznahme und der Befestigung darin; 4. von der Anmassung fremder Wissen- schaft; S. von den Bedingnissen der Wissenschaft; 6. von der Bew iihrung der Wissenschaft und ihrem Gebrauche ; 7. von der Aufliebung der Wissenschaft; 8. von der Art und Weise wie der Wissende den Unwissenden erträgt; 9. von der Beehrung der Gelehrten; 10. von den schwer zu verstehenden Lehrsätzen; 11. von dem fehlerhaften Lesen und Schreiben; 12. von dem Streben der Wissenschaft zu einem andern Ziele als Gott. Im zweiten Abschnitte der Aufmunterung zum Erwerbe der Wi ssens chaft heisst es: der Prophet hat gesagt: ein Mann ist kein Gelehrter, so lang er die Wissenschaft sucht, und glaubt er, er sei es, so ist dies ein Beweis seiner Unwissenheit. Er sagte: die Menschen sind nur Wissende oder Lernende, die Übrigen sind dumme; er sagte: die Engel werden ihre Fittige ausspreiten über den der die Wissenschaft sucht aus Wühlgefallen über seine Bemühungen, und die Tinte, den Federn der Gelehrton entflossen, ist verdienstvoller als es das Blut der Märtyrer auf Gottes Wegen vergossen. David sagte seinem Sohne Salomon : lege den Kiel auf deinen Nacken und schreib in die Tafeln deines Herzens. Er sagte auch: mache Wissenschaft und Bildung zu deinem Schmuck. Ali, der Sohn Ebi Thalib\s, sagte: der Werth jedes Men- schen besteht in dem was er Gutes thut. Ebi Amru Ebülola fragte: über die orientalischen Encyklopädien, o\j < ist's wohl gut für den Alten, dass er lerne? Ali antwortete: wenn es gut, dass er lebe, ist's auch gut, dass erlerne. Irwet Ihn Sobeir sagte: 0 Söhne! sucht die Wissenschaft so lang ihr klein und man euer nicht bedarf, denn wenn ihr gross, dürften Andere euerer bedürfen (und ihr keine Zeit znm Lernen haben). Ein König Indiens der vierzig Söhne hatte, sagte zu denselben: 0 meine Söhne! leset fleissig in den Büchern und mehrt dadurch täglich eueren Scharf- sinn. Drei finden sich nicht einsam in der Fremde: der Jurist der ein Gelehrter, der Kämpe der ein Tapferer und der Redner der ein Wohlberedterist. Mohellib sagte zu seinen Söhnen: Sitzt auf dem Markte bei den Papierhändlern und nicht bei den Waffenschmieden. Ein Dichter sagte: 0 welch' ein guter Freund das Buch, wenn du allein! Es bleibt dir treu, selbst wenn entflieh'n der Freunde Reibn, Verrathen wird es nicht, was du ihm anvertraut, Nur Weisheit beut es dir und was dich sonst erbaut, Es freuet Bittenden, wann ihm gewährt Gesuch, Am meisten aber freut den Wissenden das Buch. 60 VVi llieliii Glück. Vorgelegt : Die Bislhümer Noricums, besonders das lorchische, zur Zeit der römischen Herrschaft. Ein Beitrug; zur Urgeschichte des Christenthums in Österreich, Salzburg, Steiermark und Kärnten. Von Christian Wilhelm Glück. Die wenigen Naeiirichten die wir über die Bisthümer Noricums haben, wurden bisher weder alle benutzt, noch die benützten gehörig gewürdigt. Von diesen ßisthümern bildete überhaupt nur Lauriacum (Lorch) den Gegenstand einer besonderen Forschung; die übrigen Bisthümer wurden blos nebenher berührt. So verdienstvoll indess die Untersuchungen auch sind, welche neuere Gelehrte über Lauriacum anstellten, so enthalten sie doch noch manche Irrthümer die zum Theile sehr aulTallend sind. Damit nun der weiteren Verbreitung derselben vorgebeugt und durch Feststellung dessen was theils aus den Quellen, theils ans der Natur der Verhältnisse hervorgeht, ein möglichst haltbarer Grund zu einer Urgeschichte des Christenthums in Österreich, Salzburg, Steiermark und Kärnten gelegt werde, ist eine neue gründliche Untersuchung über die norischen Bisthümer, besonders das lorchische, nothwendig. Alles was uns über das vor dem vierten Jahrhundert im Noricum bestandene Christenthum berichtet wird, hat die neuere Forschung in das Reich der Dichtung und Sage verwiesen. Die Angaben, dass Marcus und Lucas, oder Hermagoras und Fortunatus als Schüler des Marcus oderSyrus und E ventius (oder Juventius) als Schüler des Hermagoras von Italien aus die christliche Lehre im Noricum verkündet und in Lauriacum eine christliche Gemeinde gegründet hätten, die Bischofswürde und das Märtererthum des heil. Maximilian's, alles ist vor dem prüfenden Auge des Forschers in Nebel zerfallen i). Nur die hohe Wahrscheinlichkeit ist übrig- ») S. Winter, Vorarbeiten zur Beleuchtung der österreichischen und baierischen Kirchont'es.hi.hle. München 180S. 1. Bd. 1. u. 3. Abh. ; Kurz, Merkwürdigere Scliickvile der Sladt Lorch , der Grenzfestung Ennsburg und des alten Klosters Sl. Florian, in dessen Beitrügen zur Geschichte des Landes Österreich ob der Euns. Die Bisthümer Noricums etc. Dl geblieben, dass das Christentbum aus Italien auf den gewöbnlicben Wegen des Verkebres, durcb Handel und Reisen, durcb Kriegszüge und Kriegsdienste, kurz durcb alle Künste und Mittel des Friedens und Krieges, sebon frübzeitig nacb Noricum gelangte und dass namentlicb Aquileja , dieser grosse Stapelort, von wo die Strassen- züge nacb allen Riebtungen das Land durcbkreazten , zu dieser Ver- mittelung diente. Die ersten zuverlässigen Spuren der Verbreitung des Cbristen- tbums im Noricum finden wir zur Zeit der diocletianiscben Cbristen- verfolgung. Als nämlicb die grausame Verordnung des Kaisers Dio- cietian vom Jabre 304, wonacb alle Cbristen ebne Ausnahme zum Götzendienste gezwungen werden sollten *), aucb in das Ufernoricum (Noricum ripense) gekommen war, Hess der dortige Statthalter Aquilin in Lauriacum strenge nach den Cbristen forschen. Nicht "weniger als vierzig derselben wurden ergriffen und nacb mancherlei Peinigungen eingekerkert. Von diesen Vorgängen hörte Florian, ein ehemaliger Krieger =). Sofort fasste er den Entscbluss ein gleiches Loos aufzusuchen , eilte nacb Lauriacum und bekannte sich offen zum Christenthume. Von dem Statthalter umsonst aufgefordert den Göttern Weihrauch zu streuen, ward er mehrfach gemartert und endlich in die Enns gestürzt s). 3. Th. Linz 1808. 28. — 38. S.; Mu char, Das römische Noricum. 2. Th. Gratz 1826. 61 — 93., 103—111. S.; derselbe, Geschichte des Herzog-thums Steiermark, 1. Th. Gratz 1844. 466. S. u. ff. ; Filz, Über den Ursprung der einstmaligen bischöflichen Kirche Lorch au der Enns und ihrer Metropolitanwürde, in den Jahr- büchern der Literatur. Wien 183Ö. 69. Bd. Anz. Bl. 52. S. u. f.; Rettberg, Kirchengeschichte Deutschlands. 1. Bd. Göttingen 1846. 130-106., 138—161. S. 1) Eusebius, De raartyribus Palaestinae. 3. K. Bereits im J. 303 hatte Dioele- t i a n nach einander drei scharfe Verordnungen wider die Christen erlassen. E u- sebius, HIstor. eccles. 8. B. 2., 6., 8., 10. K. ; Lactantius, De mortibus per- secutoruin. 13. K. Vgl. Valesius in der Ausgabe der eusebischen Kirchenge- schichte. Venedig 1730. 1. Bd. 2. Th. 73. S. Anm. b. und Neander, Allgemeine Geschichte der christlichen Religion und Kirche. 2. Aufl.,' 1. Bd. Hamburg 1842. 253. S. u. ff. 2) Wahrscheinlich hatte Florian eine höhere militärische Stelle bekleidet und die- selbe niedergelegt , als am Ende des dritten Jahrhunderts der kaiserliche Befehl ergangen war, dass alle Soldaten an den Opfern Theil nehmen sollten. Viele christ- liche Soldaten, hohe und niedere, verliessen damals den Kriegsdienst, um ihrem Glauben treu zu bleiben. Eusebius a. a. 0. 8. B., 4. K. VgL Neander a. a. 0. 251. S. 3) Nach der gewöhnlichen Meinung starb Florian am 4. des Maies 303. Allein sein Todesjahr ist auf 304 anzusetzen, da die kaiserliche Verordnung, wornaeh alle Christen ß2 Wilhelm Glück. So des heil. Florian's älteste Acten welche der um die Geschichte Österreichs hochverdiente Benedictiner Pez aus einer alten Hand- schrift des Klosters St. Emmeram i) herausgegeben hat 2). Mit Aus- nahme der Nachrichten über die Begebenheiten nach Florian's Tode (3. und 4. Nr.) welche schon Tillemont für spätere Zu- sätze erklärte s), ist die Echtheit der Acten allgemein anerkannt. Ihre Sprache und Darstellung zeugen für ein hohes Alter, wenn es auch nicht in das vierte Jahrhundert hinaufreicht. Mit den späteren Zu- sätzen waren die Acten den Märtyrologen des neunten Jahrhunderts (Hraban*), Huswart &), Ado, Notker) welche Züge daraus anführen«), bereits bekaimt. Von dem heil. Florian zeugen die ältesten Märtererbücher ') , so wie auch eine Schenkung welche zum Opfer gezwungen werden sollten, in dem genannten Jahre erschien. (S. 61. S., 1. Anm.) Diese Verordnung meint der Verfasser der sofort oben anzuführenden Acten des h. Florian's, wenn er sagt: Cum venisset ergo sacrilegorum principum praeceptio apnd Noricum ripense. Die Schriftsteller welche von Florian handeln, sind daher im Irrthume, wenn sie die diocietianischen Verordnungen vom Jahre 303 (s. 61. S., 1. Anm.) darunter verstehen. 1) Dieser Name lautet urs|>rünglich Haimhraban. (S. Roth, Die ältesten Urkun- den des fJisthumes Freising. München 1853. 2. S.). Daraus machte man Haim- ramnus, Heiinrammus, Emmeraniiiius. Die letztere Form erscheint neben Heim- rammus schon in einer Urkunde vom J. 772 im Freisinger Saalbuche von Kozroh 2o. Bl. a. 2) Scriptores rerum Austriacarum. Lips. 1721. 1. Bd. 36. Sp. Nicht jene alten Acten, wie Filz (a. a. 0. 53. S.) angibt, sondern die später durch Zusätze gefälschten haben die Bollandiste n (Acta SS. Maji. 1." Bd. 462. S.) bekannt gemacht. Diese veränderte Gestalt hatten die Acten bereits im zehnten Jahrhundert, wie wir aus dem Martyrologium Ottolionianiim (bei Rosweyd, Martyrolog. Adonis. Romae 174ö. 680. S.) sehen. Der dort dem h. Florian beigelegte Titel prin- ceps officii praesidis ist nämlich aus den interpolirten Acten genommen. Nach denselben wurden später noch andere Acten in gebundener und ungebun- dener Rede bearbeitet, die ebenfalls Pez (a. a. 0. 39. 53. S.) herausgegeben hat. Die ersteren stehen unvollständig bei den Rolland isten a. a. 0. 463. S. *) Mais ii la mort ce ne sont (|ue miracles , qu'on voudrait bien pouvoir dire estre iijoutez par un autre. Memoires pour servir ä Thistoire ecciesiastique. Bruxelles 1732. 3. Bd., 29. 8. *) Unrichtig R h a b a n. « *) Entstellt Usuardus. 6)8. Retlberg a. a. O. 138. S. 23. Anm. ') Wi-nn es dem gelehrten Rettberg (a. a. 0.) auffallt, dass Florian in den Märtererbücheru Anfangs ohne Angabe des Ortes vorkommt, so hat er übersehen, dass in dem von ihm angeführlen alten, der deutschen Kirche angehörenden Mär- tererbuclie (Martyrologium ecclesiae Germanicae pervetustum e bibliolheca Beckii. Aug. Vindel. 1687) welches aus der zweiten Hälfte des achten Jahrhunderts stammt, bei keinem Heiligen der Ort angemerkt ist, und in den verschiedenen Die Bisthiimer Norlcums etc. 63 der Priester Reginolf wahrscheinlich in den ersten Jahrzehen des achten Jahrhunderts an die Kirche des heil. Stephans zu Passau machte *). Welches Lebensende die vierzig Leidensgefährten des heil. Florian's^) nahmen, ist nicht bekannt. Wahrscheinlich starben auch sie den Märterertod. Und so mögen im Noricum noch manche Chri- sten von welchen keine Kunde auf uns gekommen ist, damals um ihres Glaubens willen Verfolgung und Tod erlitten haben. Die eben so blutige als langwierige Verfolgung der Christen im römischen Reiche ward durch ein kaiserliches Duldungsedict vom Jahre 311 s) beendet. Der Urheber der Verfolgung selbst, der Exemplaren des dem h. Hieronynius beigelegten Märtererbuehes , von welchen er drei anführt, auch viele andere Heilige ohne Ortsbezeichnung vorkommen. So sind z. B. in dem alten Exemplare, welches d'Achery aus einer dem Anfange des neunten Jahrhunderts angehörenden Handschrift des Klosters Gelion herausge- geben hat (Martyrologium Gellonensc bei Dacherius, Veterum aliquot scrip- torura spicilegium. 13. Bd. 401. S.), gerade unter dem 4. des Maies blos die Namen der Heiligen aufgeführt. In einigen Exemplaren aber ist allerdings der Ort, jedoch verunstaltet, angegeben, wie in dein alten Korveier Exemplare: Et alibi Loguor- gue für loco Lauriaco (Martyrologium vetustissimum S. Hieronymi presbyterl nomine insignitum bei d'Achery a. a. 0. 4. Bd. 617. S.) und in dem Lucaer Exem- plare: Et in Nuricopense Lo c o rum für Norico ripensi loco Lauriaco. (Vetus- tius oecidentalis ecclesiae martyrologium Hieronymo tributum ed. Floren tinius. Lucae 1668.497. S.) In einigen Märtererbüchern fehlt Florian ganz, wie in jenem von Beda mit den Zusätzen von Florus. (Acta SS. Mart. 2. Bd. Vorrede 18. S.) Filzls Behauptung (a. a. 0. 34. S.), dass alle Märtererverzeichnisse, von jenen des h. Hieronymus angefangen, von dem h. Florian zeugten, ist daher unrichtig. 1) In ea vero die maneutibus Otkario vocato episcopo una cum fidelibus suis in loco nuncupante ad Puoche, ubi preciocus martyr Florianus corpore requiescit. Die Urkunde steht in dem ältesten Passauer Saalbuche (38. Nr.) welches zuerst von Moritz (in Freiberg's Sammlung historischer Schriften und Urkunden 1. Bd. Stuttgart und Tübingen 1827. 379. S.) herausgegeben und dann in den Monumen- tis Boicis (28. Bd., 2. Th., 28. S.) abgedruckt worden ist. Die von Moritz der Schenkung vorgesetzte und von anderen Schriftstellern nachgeschriebene Zeitbe- stimmung (624 — c. 639) beruht auf einer willkürlichen Annahme. S. Dumm 1 er, Piligrim von Passau und das Erzbisthum Lorch. Leipz. 1834. 77. 148. S., 1. Anra., 187. S., 3. Anm. 2) Es ist reine Willkür, wenn mehrere Schriftsteller (z. B. Bu ebner, Geschichte von Baiern. 1. Bd. Regensburg 1820. 89. S. und Documente I. Bd. München 1832. 88. S.) jene vierzig Christen zu Soldaten und Florian zu ihrem Ober- sten machen. 3) Lactanz a. a. 0. 34. K. Eusebius a. a. 0. 17. K. Im Abendlande hatte die Verfolgung schon früher aufgehört. ß4 W ilhelm Glück. Kaiser Galerius, hatte es anerkennen müssen, dass durch gewalt- same Massregehi die Macht der Überzeugung sich nicht besiegen hisse. Als bald darauf Ko ns tan t in Alleinherrscher des Abendlandes geworden war (312), eriiess er in Gemeinschaft mit Licinius, dem Beherrscher des europäischen Morgenlandes, eine Verordnung welche allen im römischen Reiche damals bestehenden Religions- parteien freie Ausübung ihres Cultus zugestand. Im folgenden Jahre (313) erklärten sie in einem aus Mailand ergangenen Erlasse, dass überhaupt jeder die Religion die er selbst für die rechte halte , aus- üben und insbesondere jeder sich zum Christenthume bekennen dürfe*). Konstantin ertheilte der christlichen Kirche überdies mehrfache ansehnliche Begünstigungen und bekannte sich endlich selbst nach der Besiegung des den Christen wieder feind gewordenen Licinius im Jahre 324 offen zu ihrem Glauben. Dies Ereigniss entschied den Sieg der christlichen Religion im römischen Reiche. Bald ward das Heidenthum eben so hart verfolgt als früher das Christenthum und noch im Laufe des vierten Jahrhunderts erhob sich das letztere zur ausschliessenden Religion des Staates. Diese Vorgänge mussten begreiflich für die Befestigung und weitere Ausbreitung des Christenthums auch im Noricum von den erspriesslichsten Folgen sein. Es kann uns daher gar nicht auffallen, wenn auf der Synode von Sardika im Jahre 344 ") welche die 1) Lactan/, .1. a. 0. 48. K. Kiisehiiis a. a. O. 10. B. S. K^. Vgl. Neander a. a. 0. 3. Bd. 22. S. u. fl'. 2) Über das .lahr in welchem die Synode von Sardika gehalten ward, ist viel g-estrit- ten worden. Nach den griechischen Kirchengeschichlsschreibern Sokrates (Histor. eecles. 2. 15. 20. K.) und Sozonienus (Histor. eccies. 3. Bd. 12. C.) fand sie im .laiirc ;U7 Statt. Dagegen suchte im vorigen Jahrhunderte der bekannte Con- cilicnsammler .M a nsi (De epochis Sirdicensis et Sirmiensium concilioruni , in dessen Coli, eoncilior. 3. Bd. 87. Sp.), auf ein von M äff ei aufgefundenes Bruch- stück einer Art Chronik der alexandrinischen Kirche (Historia acephala ad Atha- nasium polissinuim ac res Alexandrinas pertinens, in Osservazioni lelterarie. Veron. 1738. 3. Itd. Gü. S.) gestützt, nachzuweisen, dass die Synode von Sardika im Jahre 344 stattgehabt hätte. Er fand indessen entschiedenen Widerspruch durch Ma- machi (zuerst im Diarium Bom. 1747) und es entspann sich zwischen beiden (ielflirti'n «-in hil/.iger Scliriftenwechsel. In Deutschland erklärten sich Wal ch und Dürr für .Mansi's neue Zeitrechnung, Hedderich und Molkenbuhr gegen dieselbe. In neuerer Zeit nahmen Wetzer (Bestitutio verae chronologiae rerum ex controversiis .\rianis inde ab anno 32.'5 usque ad annum 350 exortarum contra chronolDgiain hmlic receptam exbibita. Francof. ad .M. 1827) und He feie (Con- troversen in Betred' der Synode von Sardika, in der Tiibing. theolog. Quartalschr. Die Bisthüraer Noricums etc. ÖO Kaiser Konstantins und Konstans zur Beilegung der in Folge der arianischen Streitigkeiten entstandenen Spaltung zwischen der abendländischen und der morgenländischen Kirche zusammenberufen hatten, schon wenigstens ein norischer Bischof zugegen war. Wir sehen dies aus der Überschrift des von jener Synode an die alexan- drinische Kirche erlassenen Briefes, worin unter den vertretenen Provinzen ausdrücklich Noricum erwähnt wird ^). So wichtig dies Zeugniss für die Geschichte des Christenthums im Noricum ist, so haben doch nur einzelne Schriftsteller welche diesen Gegenstand behandelten, Kenntniss davon genommen 2). Ja, 1852. 3. H. 364. S.) diese Streitfrag-e wieder auf und entschieden sich für das J. 347. Allein Mansi"s Meinung bestätigten die vor mehreren Jahren von dem Eng- länder Cure ton entdeckten Osterhriefe des h. Athanaslus in syrischer Über- setzung welche im .1. 1848 zu London unter dem Titel: The Festal Letters of Athanasius discovered in ancient Syriac Version and edited by William Cure- ton erschienen und von Larsow ins Deutsche übersetzt wurden (Leipzig und Göttingen 1832). Athanasius wohnte nämlich, wie bekannt, der Synode von Sardika während seiner zweiten Verbannung bei. Aus dieser kehrte er, wie der chronologisch - geschichtliche Vorbericht zu den Festbriefen des Athanasius in der 18. Nr. zum J. 346 (bei Larsow 32. S.) erzählt, am 21. des Octobers 346 nach Alexandrien zurück. Damit stimmt auch das oben erwähnte von M äff ei entdeckte Bruchstück überein, indem es sagt: ingressus est Alexandriam Phaophi XXIV. (= Octob. XXI.) eonsulibus Constantio IV. et Constanti III. Der 18. Oster- brief für das J. 346 (bei Larsow 140. S.) ist noch in der Ferne geschrieben, während der 19. für das J. 347 (ebendas. 141. S.) bereits in Alexandrien abgefasst ist. Es ist folglich klar , dass die Synode von Sardika nicht im J. 347 statt- finden konnte. Da nun des Athanasius Rückkehr ungefähr zwei Jahre nach der Synode von Sardika erfolgte, so muss dieselbe gegen das Ende des Jahres 344 oder zu Anfange des Jahres 343 gehalten worden sein. Wenn dagegen der Vorbericht zu den Festbriefen in der 13. Nr. (a. a. 0. 31. S.) die Synode von Sardika in das Jahr 343 verlegt , so ist dies offenbar unrichtig, wie derselbe noch verschiedene andere Unrichtigkeiten enthält. (S. Hefele, Über die neu aufgefundenen Oster- briefe des h. Athanasius a. a. 0. 1853. 1. H. 162. S. u. ff.) Dieser Vor- bericht gehörte ursprünglich zu einer anderen nicht mehr vorhandenen Sammlung der Festbriefe des h. Athanas ius und ward von einem späteren Abschreiber mit der obigen verbunden. 1) Sancta synodus per dei gratiam Sardicae congregata ex urbe Roma, ex Hispaniis, Galliis, Italia, Campania, Calabria, Apulia, Africa, Sardinia, Pannoniis, Mysiis, Dacia, Norico, Siscia (1. Savia), Dardania, altera Dacia, Macedonia, Thessalia, Achaia, ex Epiris, Thracia, Rhodope, Palaestina, Arabia , Creta et Aegypto , presbyteris et diaconis et universae sanctae dei ecciesiae Alexandriae commoranti dilectis fratribus in domino salutem. Athanasius, Apologia contra Arianos , in dessen Opera omnia op. et stud. monachor. ord. S. Benedict! e congregat. S. Mauri. Paris 1698. 1. Bd. 1. Th. 135. S. 2)Hansiz, Metropolis Lauriacensis cum episcopatu Pataviensi ehronologice propo- sita, in Germania sacra. Augustae Vindelicor. 1727. 1. Bd., 44. S., Resch, Annales Sitzb. d. phil.-hist. Cl. XVII. Bd. l. Hft. 5 66 Wilhelm Glück. der gelehrte Benedictiner Filz i) hält es sogar für wahrscheinlich, dass Noricum nur durch einen Verstoss in jene Überschrift gekommen sei, weil in der Überschrift des unmittelbar darauf folgenden, von der nämlichen Synode an alle Kirchen gerichteten Briefes, worin noch fünfzehn Provinzen mehr genannt würden 2) , Noricum fehle. Allein diese Vermuthung ist ungegründet. Die erwähnte Über- schrift findet sich in Theodoret's Kirchengeschichte welche über hundert Jahre nach der Sardiker Versammlung verfasst ist s). Dort sind ausser Noricum auch noch andere Provinzen ausgelassen, welche in der Überschrift des an die alexandrinische Kirche gerichteten Synodalbriefes vorkommen *). Dass aber von diesen Provinzen wirklich Bischöfe auf dem Concile von Sardika zugegen waren &), beweisen die noch vorhandenen Unterschriften derselben«). Dagegen erscheinen in jener Überschrift viele Provinzen, deren Bischöfe der Sardiker Synode gar nicht beiwohnten, sondern sich gleich Anfangs von ihr trennten, in dem benachbarten Philipp opolis (in Thra- kien) versammelten und von dort ebenfalls unter dem Namen der Synode von Sardika ein Bundschreiben erliessen ''). Dies waren die ecclesiae Sabionensis. Aug. Vindel. 1760. 1. Bd. 131. S., Kleimayrn, Nachrich- ten vom Zustande der Gegenden und Stadt Juvavia. Salzburg 1784. 72. S., Wi nter, Älteste Kirchengeschichte von Altbaiern , Österreich und Tirol. Landshut 1813. I. Bd., 86. 233. S., Muchar a. a. 0. 138. 303 S., Rettberg a. a. 0. 224. S. ») A. a. 0. 38. S. ^) Sancta synodiis dei gratia Sardicae congregata ex urbe Roma , Hispania , Gallia, Italia, Campania, Calabria, Africa, Sardinia, Pannonia, Moesia, Dacia, Dardania, altera Dacia, Macedonia, Thessalia, Achaia, utraque Epiro, Thracia, Rhodope, Asia, Caria, Bithynia, Ilellesponto, Plirvgia, Pisidia, Cappadocia, Ponto, altera Phrygia, Cilicia, Pamphylia , Lydia, insuiis Cycladibus, Aegypto , Thebaide, Libya , Galatia , Palae- stina, Arabia , omnibus ubique episcopis et comministris catholicae et apostolicae ecclesiae dilcclis fratribus in domino salutem. Theodoretus, Histor. eccles. 2.B., 8. K. (Ausg. des Valesius. August. Taurinor. 1748.) 3) Nach du Pin (Nouvelle biblioth. des auteurs ecciesiastiques. Utrecht 1731. 4. Bd., 94. S.) verfasste Theodor et seine Kirchengeschichte um das J. 450. *) A|)»lia, Savia, Creta. *) Von Creta allein waren vier Bischöfe in Sardika. ") S. das von den Brüdern Ballerini verfasste Verzeichniss der Sardiker Väter in deren Tractat. de antiquis cullectionibus et collectoribus canonura, in Leonis M. opp. 3. Bd., 44. S. .Tenes Verzeichniss ist bei Mansi a. a. 0. 43. Sp. abgedruckt. ') In der Überschrift jenes Briefes (bei Hilarius, Fragm. 111. in dess. Opp. stud. monaobor. ord. S. Bened. e congregat. S. .Mauri. Paris 1603, 1307. Sp.) werden folgende Provinzen genannt: Thebais , Palaestina , Arabia, Phoenice, Syria, Meso- polaniia, Cilicia, Isauria, Cappadocia, Galatia, Pontus, Bithynia, Pamphylia, Paphla- Die ßisthiimer Noricums etc. 67 morgenländischen Bischöfe die unter dem Namen der Eusebianer bekannt sind. Die Überschrift bei Theo dor et ist daher falsch, wie dies die gelehrten Brüder Ballerini schon längst bemerkt haben i). Wir besitzen nun zwar noch eine Überschrift des an alle Kirchen gerichteten Synodalbriefes mit Angabe der Provinzen ~) in einer von den B aller ini herausgegebenen alten lateinischen Übersetzung der Sardiker Synodalacten 3) , worin Noricum ebenfalls fehlt. Allein auch in dieser echten Überschrift vermissen wir noch andere Pro- vinzen welche in jener des an die alexandrinische Kirche gerichteten Synodalbriefes stehen *). Da nun jene Provinzen auch wirklich in Sardika vertreten waren, wie aus den Unterschriften der dortigen Bischöfe erhellt s) , so ist ihre Auslassung wohl nur ein Versehen der Abschreiber. Dass dies auch bei Noricum angenommen werden müsse, unterliegt keinem Bedenken. Freilich können wir aus den Unterschriften der Väter von Sardika keinen norischen Bischof nach- weisen. Denn die eigentlichen Unterschriften derselben welche den Synodalschlüssen beigefügt waren, gingen durch die Art, wie man diese Kanone mit jenen von Nikäa verband"), verloren. Nur in einigen Briefen der Sardiker Väter finden sich Unterschriften die jedoch mangelhaft sind. Das an den römischen Bischof Julius erlassene Synodalschreiben ') ist nämlich von neun und fünfzig g^onia, Carla, Phryg'ia, Pisidia, insulae Cyclades, Lydia, Asia, Europa, Hellespontus, Thracia, Haemiraontus. Vgl. die Überschrift der Glaubensforrael der falschen Sardi- ker Synode bei Hilarius, De synodis a. a. 0. Ii72. Sp. , und in der Vetus interprelatio latina canonum Nicaenorura, Sardicensium et Chalcedonensium aliorum- que documentorum ad Nicsenam et Sardieensem synodum pertinentiura , in Leonis M. opp. a. a. 0. 615. Sp. 1) A. a. 0. 19. S. u. 598. Sp. 2. Anm. 2) Bei Athanasius (Apolog. contra Arianes a. a. 0. 162. S.) sind in der Über- schrift des an alle Kirchen gerichteten Synodalbriefes die Provinzen wegge- lassen und bei Hilarius (Fragra. II, a. a. 0. 1283. Sp.) hat dieser Brief gar keine Überschrift . 3) Leonis M. opp. a. a. 0. 598. Sp, Dort lautet die Überschrift also : Sancta synodus secundum dei gratiara apud Sardicam collecta ex Roma, Hispaniis, Galliis, Italia, Campania, Calabria, Africa, Sardinia, Pannonia, Moesia, Dacia, Dardania, altera Dacia, Macedonia, Thessalia , Achaia, Epiro , Thracia, Europa (1. Rhodope), Palaestina, Arabia universis ubique episcopis comministris catholicae et apostolicae ecclesiae dilectissimis fratribus. ^) Apulia, Savia, Creta, Aegyptus. ^) Si das ballerinlsche Verzeichniss der Sardiker Väter a. a. O. 6) Darüber s. die Bai ler ini a. a. 0. 57. S. u. f. ') Hilarius, Fragm. II, a. a. 0. 1290. Sp. a • 68 Wilhelm Glück. Bischöfen unterzeichnet. Diese Unterschriften wurden von späteren Abschreibern den Kanonen am Schlüsse beigefügt. Der Synode aber wohnten nahe an hundert Bischöfe bei. Ein anderer an die mareoti- schen Kirchen gerichteter Synodalbrief 9 ist blos von sechs und zwanzig oder sieben und zwanzig Bischöfen, jedoch ohne Beifügung ihrer Sitze, unterschrieben. Ein von Athanasius an dieselben Kirchen geschriebener Brief 2) endlich enthält die Unterschriften von ein und sechzig Bischöfen von welchen die ersten achtzehn ebenfalls ohne Bezeichnung ihrer Sitze aufgeführt sind. Ausserdem findet sich noch in des Athanasius Vertheidigung wider die Arianer ») nach dem an alle Kirchen gerichteten Synodalschreiben ein Verzeichniss der blossen Namen von zweihundert zwei und achtzig Bischöfen welche den Schlüssen der Synode von Sardika beistimmten. Von denselben aber waren blos die in der ersten Reihe verzeich- neten acht und siebenzig Bischöfe in der Versammlung anwesend; die übrigen gaben abwesend ihre Zustimmung *). Aus diesen Urkunden haben die Ballerini ein Verzeichniss der Väter von Sardika, deren Zahl sieben und neunzig beträgt, verfertigt. Dort vermissen wir bei achtzehn Bischöfen die Namen ihrer Sitze. Es darf uns daher nicht Wunder nehmen, wenn die Unterschriften der Väter von Sardika keinen Bischof von Noricum bieten. Eben so suchen wir daselbst die Bischöfe der Provinzen Calabrien, Sardinien und Epirus, welche in den Überschriften der beiden oben erwähnten Synodalbriefe genannt sind, vergebens. Dagegen zeugt eine in des Athanasius Vertheidigungsschrift wider die Arianer vorkommende Stelle die, so viel uns bekannt, nur zwei ältere Schriftsteller &) als Denkmal des damaligen kirchlichen Zustandes im Noricum und noch dazu unrichtig angeführt haben, für unsere Annahme, dass Noricum in jener Überschrift nur aus einem Versehen ausgelassen sei. Im Anfange der genannten Schrift nämlich erwähnt der berühmte alexan- drinische Bischof unter den Provinzen deren Bischöfe den von der ') r.fonis M. opp. a. a. 0. 607. Sp. '^) Kliendas. (iO'J. Sp. 3) A. n. (). 168. S. '») Ül)t;r die UntiMschriften der Sardiker Väter s. die F?allerini a. a. O. 42. S. 11. (T. ») Ui'.sth (a. a. ().) und K I e i ni a y r ii (a. a. U. Aiim. Ij.), der die Stelle aus dem ersteren gcnummcn lial. Die Bisthüraer Noricums etc. 69 Synode von Sardika zu seinen Gunsten gefassten Schlüssen bei- stimmten, ausdrücklich Noricum i)- Zwar finden sich unter jenen Provinzen auch solche deren Bischöfe dem Concile nicht selbst bei- wohnten, sondern abwesend seinen Schlüssen ihre Zustimmung gaben. Allein bedenken wir auf der andern Seite, dass Athanasius nicht blos selbst in Sardika war und also genau wusste, welche Provinzen dort vertreten waren, sondern uns auch den an die alexandrinische *■) Tertio in magno synodo Sardicae coaeta jussu relig'iosissiniorum imperatorum Con- stantii et Constantis: ubi adversarii nostri quasi syeophantae damnati depositique sunt. lis vero quae nostri gratia deereta fuerant, suffragati sunt plusquam tre- centi episcopi ex provineiis Aegypti, Lii)yae, Pentapolis, Palaestinae, Arabiae, Isau- riae, Cypri, PamphyUae, Lyciae, Galatiae, Daciae, Mysiae, Thraciae, Dardaniae, Maee- doniae, Epirorum, Thessaliae, Achaiae, Cretae, Dalmatiae, Sisciae (1. Saviae), Pannonia- rura, Noriei, Italiae, Piceni, Tusciae, Campaniae, Calabriae, Apuliae, ßruttiorum, Sieiliae, totius Afrieae, Sardiniae, Hispaniarum, Galliarum, Britanniarum. Athanasius, Apologia contra Arianes a. a. 0. 123. S. In der lateinischen Übersetzung bei Res eh (a. a. 0.) ist vor ex provineiis qui eingeschoben und am Ende se ad concilium contulerunt beigefügt, sodass über dreihundert Bischöfe in Sardika erschienen wären. Athanasius sagt jedoch blos . dass über dreihundert Bischöfe den Schlüssen der Synode beistimmten (xoi; TS xpi&slaiv ÜTtsp tjixöjv auvs'j'TjtptjavTCi jasv EitiJXOTioi tiXeioü; xpiaxosiojv sS Sirapxtöjv 'AiYÜiiTO'j u. 8. w.). Darunter sind sowohl die in Sardika anwesenden als die abwe- senden Bischöfe die ihre Zustimmung durch nachherige Unterschrift gaben und sich dadurch den anderen beigesellten, begriffen. Auffallender Weise sind die Angaben der alten Kirchengeschichtschreiber über die Zahl der in Sardika erschienenen Bischöfe sämmtlich falsch. Sokrates (Hist. eccl. 2. B., 20. K.) nämlich sagt : Ex Occidentis quidem partibus trecenti circi- ter convenerunt episcopi, ut scribit Athanasius. Ab Oriente vero septuaginta sex tantum adfuisse refert Sabinus ; ferner Sozomenus (Hist. eccl. 3. B., 12. K.) : Ex Occidentis quidem partibus trecenti circiter episcopi eo convenere : ex Oriente vero septuaginta sex; endlich Theodoret (Hist. eccies. 2. B., 7. K.): Sardicam vero ducenti et quinquaginta convenerunt episcopi , sicut antiqua monumenta testantur. Die Angaben des Sokrates und Sozomenus finden wir noch bei den neuesten und ausgezeichnetsten Kirchengeschichtschreibern (wie bei Neander a. a. 0., 4. Bd., 738. S.). Jene beiden Kirchengeschichtschreiber verstunden die obige Stelle des Athanasius falsch, wie aus dessen Geschichte der Arianer erhellt, wo er deutlich sagt: Conveniunt cum ex Oriente tum ex Oecidente in Sardica urbe episcopi plus minus cen- tum septuaginta. (Histor. Arianorum ad monachos a. a. 0., 332. S.) Bekanntlich entfernten sich die morgenländischen Bischöfe (die sog. Eusebianer) von Sardika und hielten zu Philippopolis eine Synode. In ihrem fälschlich von Sardika aus erlassenen Rundschreiben (a.a.O. 131S. Sp.) sagen sie: nos octo- ginta episcopi — ad Sardicam veneramus. Dieses Schreiben aber ist von drei und sieben zig Bischöfen unterzeichnet. Demnach bestund die Versammlung von Sardika aus sieben und neunzig Bischöfen. Diese Zahl enthält auch das balle- rinische Verzeichniss. 70 Wilhelm Gl üek. Kirche gerichteten Synocialbrief aus der Urschrift mittheilt, so muss wohl jeder Zweifel, ob Noriciim in der Überschrift jenes Briefes wirklich erwähnt sei, schwinden. Während nun Filz blos aus Unkenntniss dessen was wir oben mitgetheilt haben, die Richtigkeit der Erwähnung Noricums in der Aufschrift des an die alexandrinische Kirche gerichteten Synodal- briefes, ja das Dasein eines norischen Bischofes überhaupt zur Zeit des Sardiker Concils bezweifeln konnte, gehen die anderen Schrift- steller viel zu weit , wenn sie auf jene blosse Erwähnung die Behauptung gründen, in Sardika wären mehrere Bischöfe von Noricum zugegen gewesen. Ja sie sagen geradezu, in jenem Briefe selbst werde die Anwesenheit mehrerer norischer Bischöfe erwähnt, und Muchari) behauptet sogar, viele norische Bischöfe hätten die Sardiker Concil-Acten unterzeichnet. Bei der oben bemerkten Mangelhaftigkeit der Unterschriften der Väter von Sardika aber müssen wir uns mit der Thatsache begnügen, dass Noricum dort vertreten war. Doch wie dem auch sei: die Stelle die wir oben aus des Athanasius Vertheidigung wider die Arianer anführten, bezeugt (und das ist uns die Hauptsache), dass es zur Zeit der Versammlung von Sardika im Noricum schon Bisthümer oder doch wenigstens ein Bisthum gab. Diese Thatsache wird noch durch eine andere Stelle desselben Kirchenvaters, die von allen bisherigen Bearbeitern der Geschichte des Christenthums im Noricum ganz übersehen ward, bestätigt. In seiner Geschichte der Arianer nämlich führt Athana- sius unter den Provinzen deren Bischöfe mit ihm in Eintracht und Frieden lebten, ebenfalls Noricum an ~). Dass es aber in der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts im Noricum Bisthümer oder doch wenigstens ein Bisthum gab, ist in der 1) A. a. 0. 286. S. 2) Deinrie cum animadverterent (Grejyoriiis . Aeacius , Theodorus et Nareissus, qui i).sili In synotlo Sanlicensi fueraiilj cum Athanasio eoncordiam et paeem ser- varo cpiscopos plus quam quadringentos ex magna Roma, ex universa Italia, Cala- hria, Apulia, Campaiiia, Rruttiis, Sicilia, Sardinia, Corsica, ex tota Africa, ex Gal- liis, vx Uritaiiiiia, ex Uispaniis cum magno et cniifessore Hosio: episcopos etiam Pan- noniarum, Norici, Sisciac (I. SaviaeJ, Dalmatiae, Dardaniae , Daciae, Mysiae, Maccdoniae, Thessaliae totiusque Acliaiae, Cretae, Cypri et Lyciae, pluriraos item Palacstinae, Isauriae, Aegypti, Thel.aidis totiusque Lihyae et Pentapolis u. s. w. Athanasius. Ilistor. Arianorum ad mouachos a. a. 0., 360. S. Die Bisthiiraer Noricums etc. 7 1 Bekehrungsgeschiclite dieses Landes unstreitig ein sehr wieiitiger Umstand, Mochten im Norieum auch schon vorher viele Keime des Christenthums vorhanden sein; mochten sich in manchen Orten nicht wenige Christen finden: diese Keime blieben doch immer vereinzelt und entbehrten des kräftigen Gedeihens und der gesunden Entwicke- lung, so lange sie nicht in eigenen Bisthümern einen kirchlichen Anhalts- und Stützpunct erhielten. Einen solchen bekamen sie jetzt wenigstens in einem Bisthume welches die doppelte Aufgabe hatte: die schon vorhandenen christlichen Keime zu wahren und zu pflegen und neue zu pflanzen. Und dass sich dies auch wirklich so verhielt, dass jenes Bisthum bald zu einem mächtigen Stützpuncte des Christen- thums im Norieum und zur Mutter vieler dortiger Gemeinden ward, dafür bürgen uns die im Lande in der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts vorhandenen kirchlichen Zustände von welchen uns die von Eugippius im Anfange des sechsten Jahrhunderts i) abge- fasste Lebensbeschreibung des heil. Severins 2) die zuverlässigste Kunde gibt. Durch dies wichtige Denkmal welches nicht blos für die kirchliche, sondern auch für die staatliche Geschichte Noricums aus der letzten Zeit der römischen Herrschaft die einzige Quelle ist, erfahren wir zum ersten Male, dass die norischen Städte Lauriacum und Tiburnias) (auf dem Lurnfelde an der Drau) Bischofssitze 1) Die Angabe der Zeit nach dem Consulate des Importunus (o09) ist späterer Zusatz einiger Handschriften. 2) Surius (De probatis Sauctorura historiis. Colon. Ag'ripp. 1570. 1. Bd., 153. S.) veröffentlichte sie zuerst jedoch unvollständig', da er eine mangelhafte Handschrift hatte, ßaronius (Annales ecclesiastici ad 454, 473, 473, 476, 482, 488, 496. Antwerpner Ausg. 16Ö8. 206—208., 307—309., 322—323., 325., 376—377., 445., 327 — 328. S.) der eine vollständige Handschrift hatte, lieferte nur einige Capitel. Vollständig gab sie Wels er (Opera historica et philologica. Norimbergae 1682, 635. S.) nach einer St. Emmeraraer Handschrift jedoch unkritisch und verfälscht heraus, hierauf Bolland (Acta SS. Jan., 1. Bd., 483. S.), Pez (a. a. 0. 64. S.) nach einer Melker Handschrift, Falkenstein (Geschichten des Herzogthunis und ehemaligen Königreiches Baiern. München 1763. 1. Bd., 79. S.) mit einer fehler- haften deutschen Übersetzung, endlich Muchar (a. a. 0. 152. S.) mit vielen Feh- lern, aber manchen guten Erläuterungen. Hansiz (a. a. 0. 14. K.) theilt gute Lesearten aus einer Wiener Handschrift mit, die mit der Melker am meisten übereinstimmt. Über die Lebensbeschreibung des h. Severins s. Winter, Vorarbeiten, l. Bd. 7. .\bh. 3) Der alte keltische (gallische) Name dieser Stadt war bekanntlich Teurnia (bei Plinius 3. B., 24. K. Ptolemäus 2. B., 14. K. und auf Inschriften bei 72 Wilhelm Glück. waren. Auf dein Bischofsstuhle von Lauriaeum sass Konstantins, auf dem von Tiburnia Paulin. Paul in war noch Presbyter in Tiburnia, als Severin im Ufernoricum seine segensvolle Wirksamkeit bereits begonnen hatte. Als er den weitverbreiteten Ruf des frommen und menschenfreund- lichen Mannes vernahm, besuchte er ihn in seinem Kloster zu Favianis <). ^vo sein Hauptsitz und der Mittelpunct seiner Thätigkeit war. Bei seiner Rückreise mahnte ihn Severin zur Eile, da er in der Heimath Bischof werden sollte. Wirklich ward Paulin bald nach seiner Rückkunft von den Bürgern Tiburnia's zur Annahme der Bischofswürde genüthigt 2). Ob Kons tantius, als Severin kurz nach dem Tode des Hunes s) Attila (4S3 oder 4S4) in das Ufer- noricum kam *) , schon den ßischofsstuhl von Lauriaeum bestiegen hatte, ist nicht bekannt. Nach des Eugippius Berichte ward dem h. Severin selbst eine Bischofswürde angetragen, die er jedoch mit dem Berufe, die Drangsale der Landesbewohner bei den häufigen V. Ankershofen, Handbuch der Geschichte des Herzogthums Kärnten. 1. Abth. Kla-enfurt 1842. -JIO. S. Ann,, b. und v. Hefner, Das römische Baiern in seinen Schrift- und BiJdmalen. München 1832. CLXXXVII. CCXXXH. Dkm.) InSeverins Leben erscheint Tiburnia als Hauptstadt des mittleren Noricums (metropolis Norici sc. mediterranei. 22. K.) Über diese Stadt s. Muchar a. a. 0. 1. Th. 310. S. u. ff. u. V. Ankershofen a. a. 0. 309. S. u. ff. und Quellen- Stellen und Erläuterungen 199. S. u. f. ») Severin gründete dieses Kloster juxta mnros oppidi Favianis (4. 23. K.), nach- dem er vorher in dem entfernleren ad Vineas eine kleine Zelle errichtet hatte. (4. K.) Ausserdem gründete er noch an verschiedenen Orten kleinere Klöster oder Zellen für Mönche. (13., 20., 23., 32. K.) Das Kloster zu Favianis nennt sein Leb.-nsbeschreiber antiquum et oranibus majus monasterium. (23. K.) 2)l'aulinus <|uidam ad S. Severinum, fnma ejus excurrente, pervenerat. Hie in consortio beati viri diebus aliquot remonitus, cum redire veHet, audivit ab eo : Festina venerabilis presbyter, .juia cito dilectionem tuam populorum desideriis , ut crednnus, oblu,tan(.-m dignitas episcopalis ornabit. Mox remeante ad patriam serrao m eu pr;ed«centis impletns est. Nam cives Tihnrniae, quae est metropolis Norici coegerunt praedictum virura summi sacerdotii suscipere principatum 22 K •') Die gewöhnliche Schreibung der llunne, die Hunnen ist falsch. Denn ein Mal ist das un.cht geschärft, sondern gedehnt, und dann lautet die Eiuheit der Hun des Hunes, fol;clich die Mehrheit die Hüne. Z. I{. Ilüneö trnhtin (llunorum domi- nus) im llildebraudsliede. ") Tempore quo Attila rex llunorum defunctus est, utraque Pannonia caeteraque '■""'■'"" "='">'l"i rebus turbahanlur ambignis. Tunc ita.,ne sanctissimus dei famu- lus Sever.uus de p.nrtibns Orientis adveniens in vicino Norici ripensis et Pan- non.orum partibus, quod Asluris dicebatur, oppido morabatur. 1. K. Die Bisthümer Noricums etc. 1 o Einfällen der Barbaren zu mildern, unvereinbar fand und aussehlug 9- Muchar^) meint, die Gemeinde von Lauriacum hätte ihm jene Würde angeboten und, nachdem er sie ausgeschlagen, Konstantins zu ihrem Bischöfe gewählt s). Dasselbe vermuthet auch Pritz*), während es Filz ^^ geradezu als gewisse Thatsache ausspricht. Aus des Eugippi US Berichte erhellt unbestreitbar, dass das dem h. Severin angetragene Bisthum ein norisches war. Da nun die von Eugippius dem Heiligen in den Mund gelegten Worte : quod — ad illam divinitus venisset provinciam, ut tiirbis tribulantium mteresset freque)itibus , wie aus Severins Leben, besonders aber aus der folgenden Stelle des von Eugippius an Paschasius gerichteten Briefes: (Severinum) ad Norici ripensis opyida — quae barbarorum crebris premebantur incursibus, divina com- pulsiim revelatione venisse, deutlich hervorgeht, nur auf das Ufer- noricum bezogen werden können, dort aber ausser Lauriacum kein anderes Bisthum mehr bestund, so lässt sich wohl vermuthen, dass das Bisthum welches dem h. Severin angetragen ward, das lorchische war. Von dem Bischöfe Konstantins selbst meldet Eugippius weiter nichts, als dass Severin an ihn und an die Bewohner Lau- riacums einen Mönch, Namens Valens, sendete, um sie vor einem feindlichen Überfalle zu warnen 6). Zu jener Zeit befanden sich in Lauriacum die Bewohner der an der oberen Donau gelegenen rhätischen und norischen Städte welche 1^) Episcopatus quoque honorem ut suseiperet postulatus praefinita responsione eon- chisit , sufficere sibi dicens, quod solitiidine desiderata privatus ad illam divinitus venisset provinciam, ut turbis tribulantium interesset frequentibus. 10. K. 2) A. a. 0., 2. Th., 183 S. u. f. *) Derselbe Schriftsteller sagt an einem anderen Orte (306. S.), dass die mittel nori- schen Christen den h. Severin angegangen hätten ihr Bischof zu werden. *) Geschichte des Landes ob der Enns. 1. Bd. Linz 1846. 131. S. 5) A. a. 0. 39. S. ^)Valentem nomine monachum mittens ad sanctum Constantium ejusdem loci pontificem et ad caeteros commanentes: Hac, inquit, note, dispositis per muros ex more vigiliis, districtius excubate, supervenientis hostis caventes iusidias. (29. K.) Dass es Pritz (a. a. 0. 132. S.) auffällt, dass Eugippius den Bischof Konstan- tins nur pontifex loci nennt, als ob sein Sprengel (Diocese) blos auf die Stadt Lauriacum beschränkt gewesen wäre, können wir wirklich nicht begreifen. Es ist dort nicht von dem Bisthume, sondern von dem Orte Lauriacum die Rede. Es gehen nämlich die Worte cives oppidi Lauriaci voraus. Eugippius sagt daher ganz folgerichtig: ejusdem loci pontificem. 74 Wilhelm Glück. dem Schwerte der eingedrungenen Alamannen und Thüringe entronnen waren !)• Feletheus, der König der Rüge, wollte sie von dort mit Gewalt wegführen und in die benachbarten ihm unterworfenen unteren Donaustädte, zu welchen auch Favianis gehörte, verpflanzen. Allein Severin, der Schutzengel der Römer, brachte es zu Wege, dass Feletheus von seinem Vorhaben abstund und die Flüchtlinge der oberen Donaustädte freiwillig dorthin gingen s). Filz ^), Pritz*) und andere Schriftsteller behaupten, damals seien auch die Bewohner Lauriacums mitgezogen, der Bischof Konstantius habe mit einem Theile seiner Herde Favianis zu seinem Sitze bekom- men und sei daselbst gestorben. Zwar ist in Severins Leben zunächst nur von den Flüchtlingen der oberen Donaustädte die Rede. Bedenkt man jedoch, dass nach der bereits erfolgten Auflösung der Grenzbesatzungen ^) die Bürger Lauriacums den fortwährenden Ein- fällen der Barbaren nicht lange hätten widerstehen können und dass Severin schon bei dem Auszuge der Bewohner von Batavis (Passau) *) Vlta S. Severini. 26., 27., 29. K. ^) Feletheus, Rug'orum rex, qiii et Feva, aiidiens cuuctorum reliquias oppidorum, quae barbaricos evaserant gladios, Lauriacum per famulum dei (Severinum) se contulisse, assuinpto veiiiebat exercitu , eogitans repente detentos abducere et in oppidis sihi tributariis atque vicinis (ex quibus unum erat Favianis, quod a Rugis tar.tiimmodo dirimebatur Danubio) eollocare. Quamobrera graviter universi tur- bati S. S e V e r i n u ni adiere suppliciter, ut in oecursum regis eg-rediens, ejus ani- iniiui miligaret. Cui tota nocte festinans in vieesimo ab urbe milliario matutinus occurit. liex ergo adventum ejus protinus expaveseens testabatur , se illius fatig-a- tione plurimum prasgravatuna. Causas igitur repentinae oecursionis inquirit. Cui ser- vus dei: Pax, inquit, tibi rex oplime! Christi legatus advenio subditis inisericordiara precaturns. — Et rex: lliinc, inquit, popiilum, |)ro quo lienivoius preeator aceedis, non paliar Alamannorum aut Thuringonim iniquorum saeva depraedatione vastari, vel gladio trucidari, aut in servitio redigi, cum sint nobis vicina oppida ac tribu- taria, in i|iiibiis debeant ordinari. Cui servus Christi constanter ita respondit : Num- quid arcu tuo vel gladio bomines isti a praedonum vastatione erel)errima sunt erepti et non potius dei munere, ut tibi paulisper ad obse(|uia valeant reservari ? Nunc ergo, res optime, consilium meum ne respuas, fidei meae hos eommitte sub- jectos, ne tanti exercitiis pompulsione vastenhir potius quam migrentur. Confido ciiim in domino meo , quod ipse, qui nie fecit horum calamitatibus interesse , in perducendis eis idoneum faciet promissorem. His auditis, rex modestis allegatioui- bns miligatus, suo protinus remeavit exercitu. Igitur Romani . ((uos in suam S. Severinus lidem susceperat, de Lauriaco descendentes, pacilicis dispositioni- bus in oppidis ordinatis, benivola cum Rugis societate vixerunt. 30. K. 3) A. a. (). 59. S. 70. Bd. Anz. Bl. 32. S. *) A. a. (). 98. 132. 134. S. u. f. *) Vita S. Severini. 2(1. K. Die Bisthümer Norieums etc. i O nach Lauriacum vorausgesagt hatte, auch diese Stadt wäre wegen jener Einfälle bald zu räumen i) , erwägt man ferner , dass nach dem Auszuge jener Flüchtlinge in die benachbarten rugischen Städte in Se verins Leben Lauriacum nicht mehr erwähnt wird, so darf man allerdings annehmen, dass damals auch die Bewohner Lauriacums mit ihrem Bischöfe dorthin zogen. Was nun insbesondere den Bischof Konstantius betrifft, so berufen sich die erwähnten Schriftsteller auf das von dem Bischöfe Ennodius verfasste Leben des h. Antonius von Lirin. Dasselbe gedenkt wohl eines Bischofes Konstantius welcher der Lehrer und Oheim des Antonius war und in Pannonien zu jener Zeit, als Scharen von Franken, Hernien und Sachsen in dasselbe einfielen, sein Leben beschloss 2), Allein woher Aveiss man denn, dass dieser Konstantius mit dem Bischöfe von Lauriacum einer und derselbe 1) Jlecum itaque ad oppidum Lauriacum congre^ati descendite. Haec homo dei plenus pietate commonuit. Sed Batavinis genitale solum reiinquere dubitantibus sie adjeeit: Quaravis et illud oppidum, quo pergiraus, ingruentibus barbaris Sit quantocius relinquendura, hinc tarnen nunc pariter discedaraus. 26. K. 2) Qui (Antonius) ne saneti instituta propositi per parentum blandimenta frangeret, annorum ferme octo genitoris tuteia ntidatus est: mox tarnen ad illustrissimum virum Severinum ignara fuci aetas evolavit: qui dum eum mulceret oseulis, futura in puero bona quasi transaeta relegebat. — Sed postquam beatus vir humanis rebus exem- tus est (482), Constantii antistitis ea tempestate florentissimi, junctus obsequiis, gloriosis operibus vitae rudimenta dedicavit: qui eum inter ecclesiastieos exceptores caelestem militiam . jussit ordiri: erat enim venerabilis saeerdos Antonii nostri patruus. — Sed jam i)eccatorum consummatio Pannoniis minabatur excidiura. Nam suceisa radice substantiae regionis illlus status in proniim deflexerat. Per incursus enim variarum gentium cotidiana gladiorum seges messem nobilitatis absciderat, et fecundas humani generis terras ira populante desolebat. Jam Franci, Heruli, Saxones multiplices crudelitatum species belluarum more peragebant : quae natio- num diversitas supcrstitiosis mancipata culturis, deos suos humana credebant eaede mulceri: nee unquam propitia se habere numina, nisi cum ea aequalium cruore placassent: cessare confidebant iram caelicolum innocentis effusioue sangui- nis, qui ut in gratiam redirent cum superis suis, propinquorum consuerant mor- tes offerre : quoscumque tamen religiosi tilulus declarabat officii, hos quasi sere- niores hostias immolabant , aestimantes , quod piorum jugulis divinitatis cessaret indignatio, et fieret niateria gratiae locus ofTensae. Inter quas temporum proeellas Constantius pontifex, ne quid in mundo haberet subsidii, terra hostilibus depu- tata, humana lege liberatus est. Ennodii episc. Ticincnsis opera -ed. Sirmond, in Biblioth. veterum patrum cur. et stud. Gallandii. Venet. 1776. 11. Bd. 137. S. Da kein anderer Schriftsteller davon weiss, dass Pannonien durch fränkische, lierulische und sächsische Scharen verhört ward, so scheint des E nn o d i us Erzäh- lung wenigstens sehr übertrieben zu sein, was uns bei diesem schwülstigen Schrift- steller nicht auffallen darf. •yg Wilhelm Glück. war? Der gleiche Name und der Umstand, dass des Konstantins Neffe, der junge Antonius, gleichfalls in Severins Umgebung vorkommt, sind noch kein Beweis. Wenn jene Schriftsteller den Sitz des Bisehofes von Lauriacum nach Favianis verlegen , so mögen sie Recht haben. Aber sie irren, wenn sie Favianis für Vindobona (Wien) halten; denn Favianis lag nicht in Oberpannonien, wozu bekanntlich Vindobona gehörte, sondern im Ufernoricum i). Hieraus aber ergibt 1) Dies ist in neuester Zeit von Böcki n g (Annotatio ad Notitiam dignitatum in par- til.us Occidentis. Bonnae 1850. 2. Th., 747. S. u. ff.) und besonders von Blura- berger (Bedenken gegen die gewöhnliche Ansicht von Wiens Identität mit dem alten Faviana, im Archive für Kunde österreichischer Geschichtsquellen. Wien 1849. 2, Bd., 3S3. S. u. ff.) theils aus Severins Leben, theils und hauptsächlich aus der Notitia dignitatum in partibus Occidentis (33. K.) klar nachgewiesen. In dem angeführten Capitel wird nämlich unter Pannonia prima der Praefectus Legio- nis Decimae Vindomanae und unter Noricum ripense der Prfefectus Legio- nis Liburnariorum Noricorum Fafianae aufgeführt. Vindomana ist bekanntlich Vindobona und Fafiana nichts anderes als unser Favianis. Dass man sich nicht schon längst aus der Notitia dignitatum von der Verschiedenheit der beiden Orte überzeugte, hat seinen Grund in der unrichtigen Leseart Fasia- nae (Hormayr, Wiens Geschichte. 1. Bd., 2. H., 137. S. leitet diesen Namen von den einst auf den Donauinseln und Auen zahlreichen Fasanen her!), die sich in allen vor Böckin g erschienenen Ausgaben der Notitia dignitatum findet. Erst dieser gründliche Alterthumsforscher hat die in drei Handschriften vorkommende deuUiche Leseart Fafianae (für Favianae nach der nicht seltenen Verwechslung des f und v) in seine Ausgabe aufgenommen und in diesem ufernorischen Orte das Favianis, dessen Severins Leben gedenkt, richtig erkannt. Wir wollen den Gründen, welche Blumberger für seine Behauptung anführt, hier noch folgende beifügen: 1. Sevcrin sagte kurz vor seinem Tode voraus: Flaec quippe loca (die unteren Douaustädtc welche den Rügen unterlhänig waren nnd zu welchen auch Favianis gehörte. Vita S. Severini. 30. K.) nunc frequentata cultoribus in tam vastissimam solitudiuem redigcntur, ut hostes acstimantcs auri se quippiam reperturos etiam mortiKirum scpulturas effodiant , und Engii)pius fügt bei: Cujus vaticinii veri- talcm cvenlus reruni praescntium coiii|irobavit. (34. K.) Favianis war also zu der Zeit, als Eupippjus schrieb (im Anfange des 6. Jahrhunderts) verwüstet. Vin- dobiiiiii dagegen beslaiid damals noch als blühender Ort unter der Herrschaft der Ostgotlien, wie wir durch .lornandcs (De rebus Geticis. 30. K.) erfahren. Die- ser sagt nämlich von seinem Vaterlande Pannonien : Ornata patria civitatibus plu- riniis, quarum prima Sirmis, extrema Vindomina (für YTndomäna). Hieraus aber ergibt sich, dass Favianis und Vindobona zwei verschiedene Orte waren. 2. Inder llistoria miscella (!.'!. B. bei M ii rat o ri , Herum Itidicarum scrip- tnrns. Medio! I7'i3. 1. I!. 62. S.), die von Odo waker befohlene Auswanderung nenne Eugip- pius (34. K.) selbst eine allgemeine (ut dum generalis popuÜ transmigratio pro- venisset u. s. w.) und wenn diese Auswanderung auch nur alle italische Ansiedler und hauptsächlich die Städter betroffen halte , so wäre sie für das Ufernori- cum fühlbar und schrecklich genug gewesen; denn die italischen Ansiedler hätten mit den rilmischcn Truppen bei weitem den grössten Theil der Bewohner aller Städte und P'leckeu ausgemacht, da nach der römischen Politik die eingeborenen Noriker gewiss so viel als möglich von der Donaugrenze entfernt und versetzt worden wären. Nach dieser Behauptung wäre der Lorcher Bischof Kon sta n tiu s bei der nach Italien gehenden Auswanderung der Donaustädter nur mit wenigen eingeborenen Norikern oder wohl gar allein in Favianis übriggeblieben! ") A. a. O. 144. S- M. f. Die Bisthümer Nöricuras etc. 8 1 Römer die sich im Lande unter der Enns befanden, so wie die meisten Landesbewohner 1). Muchar^) die römischen Burgbe- wohner und die im östlichen Ufernoricum angesiedelten Römer und wohl auch noch einige norischeUrbewohner s), und Gaisberger*), was im Donaulande römischer Abkunft war, nach Italien ziehen. Allein diese und viele andere Schriftsteller verstehen den in Severins Leben öfter vorkommenden Ausdruck Romani ganz falsch. Derselbe bezeichnet dort nichts anderes als die Landesbewohner ohne Unter- schied der Abstammung 5) den Barbaren oder den deutschen Völkern *) Waren denn die Römer die sich im Lande unter der Enns befanden, keine Lan- desbewohner ? Au einem andern Orte (Geschichte der steierischen Ottokare und ihrer Vorfahren bis zum Aussterben dieses Stammes im J. 1192, in den Beiträgen zur Landeskunde für Österreich ob der Enns und Salzburg. Linz 1846. 123. S.) sagt Pritz, Odo waker hätte die eingeborenen Römer von der Donau und Enns nach Italien abführen lassen. 2) A. a. 0. 236. S. ^) In demselben Werke (1. Th., 41. S.) behauptet Muchar, Odowaker hätte alle geborene Römer und alle Bewohner Noricums überhaupt zur Auswan- derung nach Italien aufbieten lassen. Später sagt er (ebendas. 178. S.) , als Odowaker alle römischen P r o v i n z i a I e n aufgefordert hätte ihre Ansie- delungen zu verlassen und in das glücklichere Italien hinüber zu wandern, wären nur wenige und fast nur die näher am Donauufer sesshaften römischen Familien dem wohlmeinenden Rufe gefolgt. In der Geschichte des Herzogthums Steiermark (2. Bd., 19. S.) dagegen behauptet er, damals wären aus dem norischen Donau- lande sehr viele römische Familien nach Italien fortgewandert. *) Über die Ausgrabung römischer Alterthümer zu Schlögen und die Lage des alten ■Toviacum, im 4. Berichte über das Museum Francisco-Carolinum. Linz 1840. 34. S. ^) Muchar (Das röm. Noric. 1. Th. 47. S.) sagt, in Severins Leben würde dort, wo Odowaker alle Römer (Romani) aufforderte Noricum zu verlassen und nach Italien zu wandern, Romanus ganz im Gegensatze zu Pr o v in c iali s (Noricus, Noricensis) gebraucht, um die geborenen und im Noricum sich damals ^v■ie immer aufhaltenden Römer von den n or is c h en U r h e w o h n er n zu unterscheiden. In demselben Denkmale, sagt er (ebendas. 178. S.) ferner, würden die Abkömmlinge der römisch-italischen Ansiedler als römische Bewohner Noricums, als Romani, zur Unterscheidung von den landeseingebornen Norikern (Norici, Noricenses) ausgezeichnet. Allein Eu gi p pius gebraucht nirgends den Ausdruck Romanus im Gegensatze zu Provincialis; vielmehr nennt er die Romani die mit ihm und den übrigen Mönchen des favianischen Klosters nach Italien wanderten, pro- vineiales (cunctis nobiscum provincialibus [die Melker Handschrift hat compro- vincialibus] idem iter agentibus. 39. K.). E ugipp ius gebraucht also provincialis*) als gleichdeutig mit Romanus, während er mit dem Ausdrucke Norici stäts die Bewohner des mittleren Noricums bezeichnet (s. oben 76. S. Anm.), wie *) Provincialis est non is tantum , qiii ex provinciis oriiindas est, sed et qui in piovincia domiciiium habet. Brissonius, De verborum qufe ad jus civile pertinent significatione. Halip Magdeburg. 1743 u. d. W. Provincialis. Sitzb. d. phil.-hist. Cl. XVII. Bd. I. Hft. ß 82 Wilhelm Glück. gegenüber, welche damals in das zweite Rhätien (das alte Vindelieien) und ins Noricum eindrangen und in dem letzteren Lande, wie die Ru'^e im östlichen Ufernoricum, zum Theile auch schon festen Fuss fassten. In dieser Bedeutung kommt der Ausdruck Romani nicht nur in Severins Lehen, sondern auch in allen Denkmälern des früheren Mittelalters vor. Als nämlich die deutschen Völker im römischen Reiche ihre Herrschaft gründeten , ward es allgemeiner Sprach- gebrauch die Provinzialen Romani zu nennen i). Und wie hätte dies Muchar solbst an mehreren Orten seiner angeführten Schrift (1. Th., 8. S., 'l. Th., i'J8., 208., 214. S.) richtig bemerkt. Ehen so ist derselbe Schriftsteller im Irrlhuine, wenn er (ehendas. I. Th., 143. S., 2. Th., 160. S.) in der folgenden Stelle des von E ii g i p p ins an Pa sc h as i us gerichteten Briefes : Cum multi igitur sacerdotes et spiritales viri nee non et laici nobiles atque religiosi vel indigenae vel de longinquis ad eum (Severinum) regionibus confluentes u. s. \v. unter dem Aifsdrucke indigenae die landeseingebornen JVoriker versteht. Derselbe bezeichnet niimlieh dort die Inländer überhaupt, mochten sie von den Norikern oder von den römischen Ansiedlern abstammen. Wie hätte auch Eu gip- p i u s die .Voriker von den Abkömmlingen der römischen Ansiedler als Landes- eingeborene unterscheiden können ? Jene Abkömmlinge wurden ja gleichfalls im Noricum geboren, waren daher so gut Landeseingeborene als die Noriker. *) Dieser Sprachgebrauch findet sich namenUich in den Gesetzen der Deutschen. So sagt die Lex Salica, die unter Hludowig aufgezeichnet ward, 17. Tit. 2. §. (nach der heroldischen Ausgabe): Si vero Roma uns, Barbarus (d. h. ein nichtfränkischer Deutscher) Saleeum Francum expoliaverit u. s. w. Vgl. 3. §., 33. Tit. 3., 4. §.,44. Tit., 1., 6., 7., 13. §., 45. Tit. 3. §. — Die Lex ßurgundio- num welche gegen das Ende des 5. Jahrhunderts verfasst ward, Prolog. Omnes itaijue administi'antes judicia secundum leges nostras — inter Burgundionem et I{ o m a n u m — judicare debebunt. — Sciant — (am ß u rg u n d i o n e s quam Romani eivitnlum aut pagorum comites — . Inter Romanos — Romanis legi- bus pra-cipimus judicare — . Si quis sane judicum lam Barbarus quam R o m a- nus u. s. w. — 44. Tit., 1. §. Si qua Burgundionis ingenui filia — cuicun- que seu Barbaro seu Romano occulte adulterii sc fceditate conjunxerit u. s. w. Vgl. 4. TiL, 1., 3., 4. §., 6. Tit., 3., 9. §., 7., 9., 10. Tit., 1., 2. §., 12. Tit., 5. §. u. s. w. — Theodor ich, König der üstgothen, sagt: priesentia jussiinus edicta pendere : iil — (|uae B a r b a r i R o m a n i q u e sequi debeant u. s. w. (Edict vom J. ;jOO) — Universis Barbaris et Romanis per Pannoniam constitutis Theodoricus rex. (Cassiodor. Var. 2, 16) — Antiqui B a r b a r i *) qui Romanis mulieribu» elegerint nuptiali fredere sociari u. s. w. (Ebendas. S, 14.) — Si quod cliam inter G o t h u in et R o m a n u m natum fueril fortasse negotium, adhi- bito sibi |>rudente R o m a n o , certamon possit ae(|uahili rafioiie discingere. Inter duos autem It o n) a n o s Romani audiaut , quos per provincias dirigimus cognitores. •) tlier Hen Ausdruck aDti(|ui Barbari, worunter Muchar (Gcschiehle dps Hcrzog- thuni»Sl.-iprmark, 1. Bd., ÜT. S.) irrijjor Weise d i e A bk ü lu m 1 i n ge d e r noriseb- pinnonischco Urbewohner versteht, s. C b a b e r 1 , Bruchstück einer Staats- und Rechljgeschiehte der deutsch. Österreich. Länder, in den Denkschriften der k. Akademie der Wissenschaften, l'bil.-bist. Classe. Wien 1832. 3. Bd., 2. Abtb., 70. S., 12. Aum. Die Bisthüraer Noiicums etc. ÖO man sich damals auch anders ausdrücken sollen? Was insbesondere die Noriker betrifft, so waren sie schon seit Caracalla römische Bürger*) und zu Severins Zeit längst durch und durch verrömert — Vos autem Roman i mag-no studio Gothos diligere debetis u. s. w. (For- mula comitivaj Gothorum per sing-iiias provincias. Eheiidas. 7, 3.) — Ducatum tibi credimus Ua-liarum — ; ita tarnen, ut milites tibi commissi vivant cum P r o v i n- cialibus jure civili; — quia clypeus ille exercitus nostri quietem debet prae- stare Romanis. (Forraula ducatus Rietiarum. Ebendas. 4.) — Athaiarich, Theodor ichs Nachfolger, sagt in dem an die Provinzialen Galliens g-erichte- ten Erlasse (ebendas. 8, 7): Unde vos quoque prsedicta convenit imitari, ut Gothi R o m a u i s praebeant jusjurandum et Romani Gothis sacramento confir- ment u. s. w. Du Fresne gibt folgende Erklärung^ des Ausdruckes Romani: Romani vete- res proviuciarum incolae, qui Romanis olim paruerant, sie appellati respeetu Bar- barorum, qui has invaserant. Sein Herausgeber Henschel sagt: Quotquot non ex provinciis Romanorum imperio subditis erant oriundi Barbari vocabantur : Romani vero qui ex iisdem erant provinciis. Du Fresne, Glossarium media et infimae latinitatis ed. Henschel, u. d. W. Barbar us und Romanus. Mucbar (das röm. Noric, 2. Th., 182. S.) ist daher im Irrthume, wenn er sagt , dass jedesmal aus dem Zusammenhange der ganzen Rede entschieden wer- den müsse, in welchem Sinne Eugippius den Ausdruck Romani nähme, und dass du Fresne's Erklärung hier durchaus keine allgemeine Anwendung fände. Denn das Wort Romani hat in Severins Leben überall dieselbe Bedeutung und du Fresne's Erklärung ist hier allerdings anwendbar. Unter allen uns bekannten Schriftstellern hat blos Cbabert (a. a. 0. 70. S., 13. Anm.) den in Severins Leben vorkommenden Ausdruck Romani richtig verstanden. 1) Caracalla (211—217) ertheilte bekanntlich allen (freien) Bewohnern des römischen Reiches das römische Bürgerrecht. (Dio Cassius 77, 9., Ulpian 1. 17. D. de statu hominum. 1, 5.) Daher sagt der römische Rechtsgelehrte Mode- stin (I. 33. D. ad municipalem et de incolis. 30, 1): Roma communis nostra p a t r i .i est, d. h. Rom ist die Heimath aller römischen Bürger. Von jener Zeit an hatte also jeder freie Noriker ein doppeltes Bürgerrecht, nämlich das seiner eigenen Stadt und das der Stadt Rom. Aber schon lange vor Cara- calla waren mehrere norische Städte, wie Virunum , Celeja, Teurnia, Aguutum von Claudius*), Cetium von Hadrian (s. die 84. S., 6. Anm.), mit dem *) Bei Plinins (H. N. 3, 24) liest man gewöhnlich: Oppida eorum (Norieorum) Virunum, Celeia, Teurnia, Ag-untura, Vianiomina, Claudia, Flavium Solvense. Nach dieser Leseart machte man Claudia zu einer besonderen Stadt. Allein der Beistrich vor diesem Nameu ist zu tilgen. Claudia heissen nämlich alle jene Städte, weil sie vom Claudius das römische Bürgerrecht erhielten, so wie Solva von Flavius, d. h. von Vespasian aus demselben Grunde benannt ist. Z ump t (Commentationes epigraphica;. BeroMSöO. 390. S., 2. Anm., 441. S.) hat jenen Irrthum bereits berichtet, irrt jedoch selbst, wenn er meint, die olligen Städte hätten von den genannten Kaisern desshalb jene Namen erhalten , weil sie von ihnen gegründet worden wären. Denn sie wurden von den Norikern erbaut und nach jenen Kaisern desshalb benannt, weil sie von ihnen mit dem römischen Bürgerrechte beschenkt und dadurch zu Munieipen erhoben wurden. Was den Namen Vianiomina betrifft, so ist er verdorben. Die Leseart Viana,Aemona (s. v. .\nkershofena. a. 0. 48. S.) ist falsch. Aemona war bekanntlich eine Colonie welche von August gegründet 0» 84 Wilhelm r. I (ick. und mit den römischen Ansiedlern verschmolzen, so dass von einer Unterscheidung heider Völker damals keine Rede mehr sein konnte. Die Zahl der Römer oder Italier die sich im norischen Donaulande angesiedelt hatten i), war übrigens keinesweges so bedeutend, als man gewöhnlich annimmt. Der grösste Theil der dortigen Ansiedler bestand nämlich aus Veteranen. Dieselben aber stammten nicht aus Rom oder Italien, sondern aus anderen Theilen des Reiches ab; denn nach dem in der Kaiserzeit bei der Ausführung der Militärcolonien beobachteten Verfahren Avurden die Veteranen der in Italien ausge- hübenen prätorischen Cohorten 2) wieder in Italien, die ausgedienten Söldner der Legionen dagegen, die in den Provinzen ausgehoben wurden -j, in den Provinzen angesiedelt *). Solche Ansiedelungen fanden im Ufernoricum zu Lauriacum ^) und zu Ovilava *) (Wels) römischen Bürg:errechte beschenkt worden. Die Ertheilung' der Civität an die Städte der Provinz w.ird das Mittel, diese g'änzlich römisch zu machen. Mit dem römi- schen Bürgerrechte erhielt nämlich die römische Sprache zuerst amtliche GeUung, später allgemeine Verbreitung; mit demselben gelang'te das römische Recht zur Herrschaft; in der Stadtverfassung wurden römische Zustände nachgeahmt, im bür- gerlichen wie im Familienleben römische Sitte herrschend. So ward durch die Erthei- lung des römischen Bürgerrechtes auch im norischen Lande allmählich in allen Verhältnissen eine völlige Umwandelung hervorgebracht. Die Trümmer der Bauten, die Tempel, Theater, Wasserleitungen, Bäder, die vielen Inschril'ten die uns von dem Zustande des ötTentlichen und häuslichen Lebens Kunde geben, sind für die Verdrängung des norischen Volkthumes und für die gänzliche Verrömerung der spre- chendste Beweis. ') l)ie gewöhnliche Meinung, an allen jenen Orten, wo man Denkmäler die römische Namen enthalten, fand, wären Körner angesiedelt gewesen, ist nicht richtig; denn die Eingeborenen nahmen mit den römischen Sitten auch römische Namen an. Auf mehreren Inschriften finden wir auch bei eingeborenen Norikern die römische Namen führten, ausdrücklich ihre Herkunft angegeben. S. G ruter. Corpus inscrip- tionum ex rec. Gra;vii. .357. S. 4. Nr., 411. S. S. Nr., Mu char a. a. 0., 1. Th., 46. S. Anm. c. 180. S., Anm. a. 2) Taci tus, Annal. 4. B., li. K. ^) n y g i n u s , De casiramet. 2. K. Vgl. Lange, Historia mutationura rei militaris Romanorum. Gotting. 184C., 4ü. S. 4) Zum pt a. a. 0. 4S4. S. *) Über die Colonie Lauriacum wird weiter unten näher die Rede sein. «) Über die Colonie Ovilava s. Gaisberger, Ovilaba und die damit in nächster Verbindung stehenden Alterthümer, in den Denkschr. der k. Akademie der Wissensch. iinil lUluT Julia genannt ward. ("0 r e 1 1 i , Inscripliones lat. 71. Nr. Vgl. Z u m p t a. a. 0. ;174. S.) K» kann daher nicht in jener Stelle unter den oppidis Claudiis stehen, sowie ei auch von Plinius (2."). K.) ausdrücklich unter den Culonien Pannoniens aufgeführt wird: In oa (Pannonia) coloniie Aemon a, Siscia. Es ist wohl, wie schon von anderen Gelehrten rermulhet ward, Vindoinana oder Vindobona zu lesen , welches, eine Stadt der Noriker war, von den Itömern aber der Provini Pannonien zugetheilt ward. Die Bisthümer Noriciims etc. OD Statt. Eben so wenig waren die in den norisclien Donaustädten und Burgen stehenden Truppen geborne Römer oder Italier. Ein grosser Theil derselben, wie noch das zu Anfange des fünften Jahrhunderts verfasste Verzeiehniss der bürgerlichen und militärischen Ämter des Reiches ^ beweist, bestand aus Landeskindern. Von diesen Grenz- besatzungen aber, die sich zu Severins Zeit auflösten, war bei der nach Italien gehenden Auswanderung der Donaubevölkerung nur noch ein kleiner Rest vorhanden -). Es unterliegt daher keinem Zweifel, dass den weitaus giössten Theil der norischen Donaubewohner ein- geborene Noriker ausmachten sj. Die Donaubevölkerung aber, die a. a. 0. 12. S. u. ff. G ai sb erge r's Meinung, Ov il aba wäre spätere Umbildung' von Oviiia, wie der Ort auf der peuting-erschen Tafel heisst , ist irrig. Ovi- lava*) (Ovil-ava abgeleitet wie die gallischen Ortsnamen Genava, Ausava, Massava, Vellava u. s. w.) ist der wahre keltische Name; Oviiia dagegen blosse Ent- stellung , wie dies auf der peutingerschen Tafel nicht selten der Fall ist. Eben so irrt Gaisberger, wenn er meint, der Ort wäre von M a rc us Aurelius ange- legt worden. Dieser Kaiser ist blos der Gründer der Militärcolonie; der Ort selbst aber ist keltisches Ursprungs und bestand oiine Zweifei schon vor der römischen Herrschaft. Gewöhnlich hält man auch Juvavum für eine Colonie welche von dem Kaiser Hadrian angelegt worden wäre, und beruft sich auf eine Inschrift (bei Orelli, Inscriptiones lat. 496. Nr.), auf welcher Col. Hadr. Juvav. steht. Allein mit Recht ward an der Echtheit dieser Worte gezweifelt. (S. Orelli a. a. 0. und Zumpt a. a. 0. 417. S., 3. Anm.) Juvavum war vielmehr ein Municip. Eben so unrichtig führen mehrere Schriftsteller (z. B. Muchar a. a. 0. 1. Th., 163. S.) Cetium, das auf zwei Inschriften den Namen Aelium führt, als eine von dem Kaiser Hadrian gegründete Pflanzstadt an. Cetium führt jenen Namen vielmehr desshalb, weil es von Hadrian mit dem römischen Bürgerrechte beschenkt und dadurch zum Municipe erhoben ward. 1) Notitia dignitatum in partibus Oceidentis. 33. K. 2) S. unten 89. S. Anm. 3} Filz' s oben (81. S. 6. Anm.) angeführte Behauptung, die italischen Ansiedler hätten mit den römischen Truppen hei weitem den grössten Theil der Bewohner aller ufernori- schen Städte und Flecken ausgemacht, da nach der römischen Politik die eingeborenen Noriker gewiss so viel als möglich von der Donaugrenze entfernt und versetzt worden wären, ist ungegründet. Die ufernorischen Orte nämlich sind , wie ihre Namen beweisen, fast alle keltisches (gallisches) Ursprungs. Die meisten dersel- ben bestanden schon vor der römischen Herrschaft. Daliin dürfen wir unbedenk- lich alle die auf der peutingerschen Tafel, deren Urschrift aus Alexander Sever's Zeit (222 — 23S) stammt, verzeichnet sind, rechnen. So viele Orte lassen ') Die in den besten Haudschriften des antouiDischun Itineiares vorkommende Leseait üvilavis ward von den neuesten Herausgebern Pa r t b e y und Finder mitReebt der gewübniicben (aus der baufigen Vertausehung der Laute 6 und u erklärlieben) Leseart 0 v i 1 a b i s (^bei W e s s e- ling 235., 256., 258., 277. S.) vorgezogen und in den Text (HO., IIH.. 132. S.) auf- genommen. 36 Wilhelm Glück. nach Italien auswanderte, bestand nicht blos aus den Bewohnern der norischen, sondern auch aus den Bewohnern einiger rhätischerDonau- auch auf eine zahlreiche Bevölkerung des Landes schliessen. Dass aber die Römer die Donaubewohner aus ihren Sitzen entfernt und anderswohin verpflanzt hätten, davon weiss die Geschichte nichts. Eben so hat Muchar's Behauptung (a. a. 0. 1. Th., 42. S.) , gleich von den ersten Tagen der Unterjochung Noricums an wären über das ganze Land römische Truppen vertheilt und der grössere Theil der jungen norischen Mannschaft (auf der folgenden Seite sagt er alles Wehr- hafte) auf auswärtige Sciavenmärkfe, vorzüglich nach Italien geführt und ver- kauft worden, so wie Gaisberger"s Behauptung (Über die Ausgrabung römi- scher Alterthümer zu Schlügen a. a. 0. 22. S.) , die junge norische Mannschaft wäre nach den entlegensten Gegenden in die Legionen vertheilt , auch als Sclaven verkauft worden, während die norische Donaugrenze von Legionen ande- rer Völker bewacht worden wäre, keinen geschichtlichen Grund. Zu solchen Massregeln hatten die Römer keine Veranlassung, da sich nach der blutigen Unter- jochung derRätier und Vindelicier die Noriker mit Ausnahme der Ambisontier *) (der Anwohner der Salzach), die allein zu besiegen waren , ihrer Herrschaft freiwillig unterwarfen (vgl. v. Ankershofen a. a. 0. Quellen-Stellen und Erläuterungen, 49. S., 80. Anm.) und ihr fortan auch treu blieben. Wenn Muchar (a. a. 0. 43. S.) von einem Riesenkampfe der Unterjochung Noricums , wo sich selbst die Weiber ins Schlachtgewühl gestürzt hätten, von gänzlicher Vernichtung manches Keltenstammes und von Entvölkerung des Landes spricht, so überträgt er theils, wie oben, das was Dio Cassius (34. B., 22. K.) und Fiorus (4. ß., 12. K.) von Rhätiens Unterjochung erzählen, willkürlich auf Noricum , theils dichtet er geradezu. Der Filz' sehen Behauptung, dass die eingeborenen Noriker von der Donaugrenze entfernt worden wären, widerstreiten insbesondere die vielen kel- tischen Namen die auf den in der Donaugegend gefundenen Denkmälern vor- kommen, z. B. Cracuna, Biturix, Cibisus, Cottalus, Ganna, Argen- tonia (vgl. den armorischen Frauennamen Argantan, die armorischen Mannsnamen Argant, Argant-Ion, Argant-Iowen = altem Argento-Iaunus in Chartul. Rhedon. bei Courson, Mist, des |)euples läretons. Par. 1846. 1. Bd., 413. S., 41. Nr. j 411. S. 36., 37. Nr., die gallischen Ortsnamen Argento-magus, Argento-ratum), Ario, Pocca, Matucus (vgl. den kynirischen Mannsnamen Matauc, Matöc, Matuc. The Liber Landavensis by Rees. LIandovery. 1840, 73., 194., 136. S.), Orgetia (vgl. Orgeto-rix bei Ca)s., 0 r ge ti-rix auf einer Münze bei dela Saussaye, Mon- naies des Lduens, in den Annales de l'institut archeologique. Par. 184S, 17. Bd. 101. S.) S isia, Pcccia , S a pp I i u s , Sa |)p I i a. (S. G a i sber ger. Römische Inscliriflen im Lande ob der Enns, im 13. Berichte über das Museum Carolinum Liii/.. l,S.';:i.) Diese Namen beweisen, dass die keltischen Donaubewohner in ihren Sit/.en liiiehen, wie dies auch noch durch die keltischen Namen einiger Orte die in späteren (Juellen erscheinen (z. B. Joviacum) **) und daher wohl erst unter der *) Der Volksnamc A m l> i s o ii ti i ist aus der kellisclien Partikel ambi (ciieuni), altiriscli imme, imin (für imbe), kymrisch am (für amm) aus ambi (S. Zeuss, Gianiinatica eeltica. Lips. 1853. 75., IGT., 838., 84fi., 870. S.) und dem Flussnamen Iso,nta (im Indiculus Aruonis rerschrieben Ijjonla), dio Saliach, zusammengesetzt. Vgl. Zeuss, Die Deutschen und die Nacbbarstüinme. MiincliiMi 1837. 242 S. **) Ob Juriacum, wie (> ai«b or g u r (Über die Ausgrabung; römisch. Alterthümer zu Schlägen a. a. 0. 23. S.) und B ü c k i n g (Annotatio ad Notit. digjiital. in partib. Occid. 2. Th., 743. S.) Die Bisthiimer Norieums etc. ö7 Städte. Diese gemischte Bevölkerung konnte Eugippius nur mit dem gemeinsamen Namen Roman! bezeichnen. Die Romani nun, welche auf Odowaker's Befehl nach Italien wanderten, waren die gesammte Bevölkerung der im östlichen Ufer- noricum gelegenen Donaustädte welche den Rügen unterworfen waren. Diese Bevölkerung aher bestand einmal aus den Bewohnern der rhätischen und norischen oberen Donaustädte (oppida in snperiore parte Danuhii, superiora castella), welche sich vor dem Andränge der Alamannen und Thüringe nach Lauriacum geflüchtet und von dort in die rugischen unteren Donaustädte begeben hatten *); dann aus den Bewohnern Lauriacums, welche damals in jene Städte mit- gezogen Maren; endlich aus den alten Bewohnern derselben. Aus den Orten des westlichen Ufernoricums konnte keine AusAvanderung mehr stattfinden , da sie längst verlassen und verwüstet waren. Die Donaustädte und Burgen waren bereits zerstört, als sich die Bewoh- ner derselben nach Lauriacum flüchteten 2). Dasselbe Schicksal römischen Herrschaft entstanden sein werden, erhärtet wird. Was aber Mucliar's und Gaisberger's Behauptung- in Bezug auf die militärische Besetzung Norieums betrifl't, so findet sich bis auf die Zeit des Kaisers Marcus Aurelius an der Donaugrenze wie im Innern des Landes von einem stehenden Heere keine Spur. Dass wenigstens zur Zeit des Bürgerkrieges welchen der Thronstreit zwischen Otho und Vitellius (69) veranlasste, im Noricum noch keine Legion lag, geht daraus hervor, dass der damalige Procurator des Landes, Petronius, der sich für Otho erklärt hatte, Hilfstruppen (auxilia) sammeln musste. (T aci- tus, Histor. 1. B. 70. K.) Diese Truppen waren Landeskinder. Wir kennen aber bis zum Marcoraannenkriege kein Ereigniss das eine Besetzung Norieums durch Truppen nothwendig gemacht hätte. Ei-st jener Krieg zeigte die Noth- wendigkeit, umfassende Kriegsmassregeln zum Schutze des Landes zu treffen. Marcus Aurelius gründete zu dem Zwecke in Ovilava und höchst wahr- scheinlich auch in Lauriacum Militärcolonien und errichtete aus den Landesbe- wohnern die zweite italische Legion die ihr Standlager an der Donau hatte und ihrer Treue wegen den Beinamen Fidelis erhielt. Über diese Legion s. unten 113. S., ö. Anm. 1) S. oben 74. S. 1. u. 2. Anm. 2) Post excidium oppidorum in superiore parte Danuhii omnem populum Lauriacum oppidum transmigrantem. Vita S. Sever. 27. K. vermuthon, seinenNamen von dem Kaiser D i o c 1 e t i a n habe, ist zweifelhaft. Zwar bildeten die Kelten unter der römischen Herrschaft von römischen Personennamen mehrere Ortsnamen mit der Endung i a c u m. (S. unten 108. S. 7. Anm.) Allein der Name J o v i u s der auf Inschrif- ten öfters vorkommt, gehört auch dem Gallischen an. Von derselben Wurzel j o v sind die gallischen Mauusiiamen J o v i n u s (bei 0 ro s iu s 7, 42), wovon der Ortsname Joviniacum in Gallien, Jov en tius (bei Mu ra to r i, Thesaur. nov. veter. inscript. 1333. S., 5. Nr.), Jovincillns (JoT-inc-illus, ebendas. 1333. S., 6. Nr.), der Gauname J o v i s t a in Oberpanno- nieu (.Mar ini, Atti e monumenti de'fratelli arvali. Rom. 1793. 2, 477) u. s. w. abgeleitet. 88 Wilhelm Glück. wird ohne Zweifel auch diese Stadt bald nach dem Abzüge ihrer Bewohner in die unteren Donaustädte getroffen haben i)- Noch früher gingen wohl die im Innern des Landes gelegenen minder festen Orte zu Grunde. Juvavo •) (Salzburg), der bedeutendste jener Orte, ward, wie wir aus Severins Leben s) wissen, von den Hernien zerstört. Was im Innern des Landes nicht durch das Schwert der Barbaren umgekommen oder in Gefangenschaft gerathen war, mochte sich theils in die oberen Burgen , theils in die Gebirge geflüchtet haben. Von einer Auswanderung der Bewohner des mitt- leren Noricums aber kommt in Severins Leben kein Wort vor, so wie auch hiezu kein Grund vorlag. Die Bevölkerung der rugischen unteren Donaustüdte*) wanderte ij S. Pritz a. a. 0. 97. S. u. ff. Dumm 1er (a. a. 0. 3. S.) meint zwar, Lauria- cum könne nicht völlig- zerstört worden sein, da der h. Hruodberht auf sei- nen Missionsreisen dort wunderlhätig-e Handlung-eu vorg-enomiiien hätte. Allein da manche andere zerstörte Donaustadt später wieder herg-estellt ward, so kann jene in Hruodberht's ältestem Leben (vom J. 871) vorkommende Erzählung keines- weg-es für die Fortdauer des Ortes zeugen. Dass zu jener Zeit, als Eugippius Severins Lehen schrieb (zu Anfange des sechsten Jahrhunderts), Lauriacura nicht mehr bestand, erhellt aus dessen Worten: Dum adhuc Norici ripensis oppida superiora constarent. (12. K.) Ganz ungegründet aber ist Rettbergs Behaup- tung a. a. 0. 48. S.), Lauriacum wäre von den Rügen zerstört worden. ^) So lautet der Name richtig in der Melker Handschrift (bei Pez a. a. 0.) und in der Salzburger (bei Kleimayrn a. a. 0. Diplomat. Anh. 4. 6. S.) Die Richtigkeit des keltischen Namens erhärten die Inschriften. S. Hef ner, das röm. Baiern. 161. S. 3) 2Ö. K. ■*) In diesen Städten befand sich jedoch keinesweges die ganze ufernorische Bevöl- kerung. Vielmehr blieb im westlichen Ufernoricum ein Theil der Bewohner, der sich wahrscheinlich in die Gebirge geflüchtet halte, zurück und erhielt sich unter der Herrschaft der ßaioware, wie durch mehrere Schenkungen die an die Salzburger Kirche gemacht wurden, bezeugt wird. In dem Indiculus Arnonis (vom J. 788) nämlich heisst es: Dux tradidit romanos et eorum tributales mansos LXXX — commanentes in pago salzburgoense per di versa loca — in pago atragaoe (Attergau) — romanos et eorum mansps tributales V (bei Klei- mayrn a. a. (). 21. S.) — in pago Salzburcgaoe — romanos cum man- sos tributales XXX (ebendas. 23. S.) — in ipso pago (S alz b u r gaoe) — tribu- tarios romanos CXVI — per diversa loca (ebendas. 28. S.) — in ipso pago (Chimingaoc, Chieingau) — romanos et eorum mansos tributales LXXX — Nee non et in pago ad ra gaoe — romanos et eorum mansos tributales III. (ebendas. 29. S. vgl. die Breves notitiae ebendas. 31., 33., 34. S.) Der Ausdruck Roman i, worunter man gewöhnlich unrichtig die Abkömmlinge der römischen Ansiedler versteht (S. z. B. Muchar a. a. 0. 1. Th., 47. 178. S., Pritz a. a. 0. 6.>., 99. s.), hat auch dort die oben angegebene Bedeutung. Es sind die Überbleibsei der früheren Landesbowohner, muchlcn sie von norischen Urbewohnern oder von rumischeu Ansiedlern abstammen. Die Breves notitiae (a. a. 0. 37. S.) erwähnen Die Bisthiimer Norieiims etc. 89 also auf OdoNvaker's Befehl nach Italien aus i). Dies geht klar und deutlich aus des Eugippius Erzählung, hauptsächlich aber aus dem unter den Schenkern eines Santulus (vir Nobilis dedit — quiquid proprietatis habuit in vico roraanisco). Dieser Name ist nicht römisch, wie Chabert (a. a. 0. 83. S., 6. Anm.) meint, sondern liel tisch, abgeleitet (wie die gaUischen Namen Itu- lus bei Gruter 807, 7. 838, 14, Camulus ebendas. 40, 9 u. oft.) von sant (wovon der g-allische Mannsname Santo bei Steiner, Cod. inscription. romanar. Danubii et Rheni. 114. JS'r., der Volksname Santones oder Santoni), irisch sant, cupiditas, aviditas, avaritia. *)Odowaker's Auswanderung'sbefehl hatte wohl darin seinen Grund, dass 0 d o- waker der mit dem Besitze Italiens auch die Herrschaft über Noricum erhal- ten hatte, das Donauland vor den Einfällen der deutschen Völker nicht zu schützen vermochte. Nicht ohne Grund vermutiiet Muchar (a. a. 0. 2. Th., 227. S.), Severiu habe das Schicksal der Donaustädter und ihrer endlichen Befreiung von der rugischen Herrschaft, vielleicht gar die Überführung derselben nach Ita- lien dem mächtigen Odo waker noch vor seinem Tode anempfohlen. Wittmann (Die Bojovarier und ihr Volksrecht. München 1839. 62. S.), sagt: Als Odowaker von der Flucht Friderichs (des Üheimmörders) zum Ostgo- thenkönige Theodor ich (den er, um seine Herrschaft zu retten, beredet hätte den Angriff auf Italien zu beschleunigen) gehört, habe er seinem Bruder (0 n u 1 f), da er gesehen hätte, dass er seine Herrschaft über Noricum ferner nicht behaupten könnte, den Auftrag gegeben, die Eingeborenen, so wie die römischen Ansiedier und Truppen die sich bis dahin in jenem Lande gehalten hätten, nach Italien zu führen, um zur Verlheidigung gegen den heranziehenden Ostgothenkönig, so wie zur Bebauung der Ödungen in Italien Arme zu erhalten. Dürfte man auch nicht an eine Landesauskehr denken, fügt Wittmann in der Anmerkung bei, so sei doch so viel gewiss, dass bei weitem der grösste Theil der noch übrigen Landes- eingeborenen nach Italien gezogen wäre, wie unter anderni auch aus dem Um- stände hervorginge, dass sich die Weltpriester wie die Älönehe sämmtlich den Auswanderern angeschlossen hätten. Allein Wi t tmann irrt, wenn er meint, Odo- waker 's Befehl, universos ad Italiam migrare Romanos (Vita S. Sever. 39. K.), hätte sich auf das ganze Noricum erstreckt. Jener Befehl ging lediglich die Bewohner der rugischen Donaustädte an; denn E ugippius (a. a. 0.) sagt ausdrücklich, diese Städte wären verlassen worden (oppidis super ripam Danubii derelictis). Aus dem Mittelnoricura wanderte also Niemand aus. Die Zahl der ausgewanderten Ufernoriker aber konnte im Verhältnisse zu jener der zurückgebliebenen Landesbewohner nicht sehr bedeutend sein. Denn was die Bevölkerung des westlichen Ufernoricuras betrifft, so war ein grosser Theil der- selben von den eingedrungenen deutschen Völkern theils niedergemacht, theils in Gefangenschaft fortgeschleppt worden. Ehen so war das östliche Ufernoricum durch die Einfälle der Deutschen sehr entvölkert worden. Daher hatte Feletheus, der König der Rüge , beschlossen, die übrig gebliebene Bevölkerung der oberen Städte (cunctorum reliquias oppidorum , quae barbaricos evaserant gladios. Vita S. Sever. 30. K.), welche in dem einen Lauriacum untergebracht werden konnte, von dort wegzuführen und die wenigen unteren Städte, die übrig geblieben (paucis quae super ripam Danubii remanserant oppidis. Ebendas. 33. K.) und ihm unter- thänig waren , damit zu bevölkern. Während im westlichen Ufernoricum alle Städte und Burgen in Asche sanken , behaupteten sich im Mitteluoricum noch 90 Wilhelm Glück. Folgenden hervor. Nachdem sich nämlich die Bewohner der oberen Städte in den rugischen unteren Städten angesiedelt hatten, sagte viele Orte gegen die Einfalle der Gothen und Alamannen. Dahin gehörten nament- lich Til.urnia, die Hauptstadt der Provinz, und die Bui-geu die in dem Sprengel des dortigen Bischofes Paul in lagen. (Ebendas. 18., 23. K.) Das mittlere Nori- cum das von jeher viel volkreicher als das Ufernoricum war, hatte also, wie es scheint, damals noch eine zahlreiche Bevölkerung. Dafür spricht auch ein Schrei- hen des Ostgothenkönigs Theodorich (bei Cassiodorus, Var. 3, 30), worin er die P r o v i n c i a 1 e s N o r i c i auffordert, ihre kleinen, aber kräftigen mit den grösseren, aber durch die Länge des Weges erschöpften Ochsen der Alamannen zu vertauschen. H u s c h b e r g (Geschichte der Alamannen und Franken. Sulzbach 1840. 643. S.) meint, die Alamannen wären nach der Schlacht bei Zül- pich (496) aus ihren Gauen auf dem linken Donauufer durch Rhätien und Noricum die Donau hinab nach Pannonien gezogen. Von diesem Zuge aber melden uns die Quellen nichts; er ist eine Erfindung H u s c h b e r g's. In Theodor ichs Schreiben sind vielmehr jene Alamannen die sich nach der Schlacht bei Zü!- pich zu Theodorich flüchteten und von demselben in Pihätien und Italien Wohnsitze erhielten, gemeint. (S. Manso a. a. 0., 59. S. ; Zeuss, Die Deut- schen 322. S. u. f.; Chabert a. a. 0., 78. S. u. f.) Zwar behauptet Eichhorn (Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte a. a. (). 127. S. Anm. aa), es wären damals gar keine Alamannen auf ostgothischen Boden ausgewandert. Allein dieser Behauptung widerstreitet schon das erwähnte Schreiben Theodor ichs. (S. Cha- bert a. a. 0. 79. S., 13. Anm.) Die Provinciales Norici aber, an welche dasselbe gerichtet ist, sind die Bewohner des .Mittelnoricums. Über das Uferland erstreckte sich Theodorichs Herrschaft nicht. (Die No.jpixoi bei Procopius, De hello Goth. 1. B. 13. K. sind di(^ .MiKcInoriker.) Für eine zahlreiche Bevölkerung des mittleren Noricums spricht ausserdem, dass sich in dem Gefolge der Langobarden, als sie Italien eroberten, viele Mittelnoriker befanden. (Paul. Diac, De gestis Langobard. 2. B. 26. K. Vgl. Chabert a. a. 0. 83. S.) Bedenken wir nun, dass nicht blos im Mittelnoricum die Bevölkerung ihre Sitze behauptete , sondern auch im Innern des Ufernmicums ein Theil der Bewohner zurückblieb (s. die vorhergchonde Anm.), und erwägen wir, dass sich unter den Ausgewanderten viele Uhätier befanden (Eugippius führt ausdrücklich die Bewohner von Quin- tanis und Batavis an. 26. K.) , so dürfen wir unbedenklich annehmen, dass die zurückgebliebenen Landesbewohner zahlreicher als die ausgewanderten waren. Auch meldet Eugippius mit keinem Worte, dass sieh die Weltpriester des Lan- des den Auswanderern sämmtlich angeschlossen hätten. Er lässt blos die Mönche des favianischen Klosters mit den Provinzialen nach Italien ziehen. (39. K.) Dage- gen zweifeln wir nicht im mindesten, dass die Geistlichen der Donaustädte , die nicht durch das Schwert der Barbaren gefallen waren, mit den Bewohnern jener Städte nach Italien wanderten. Sehr unwahrscheinlich aber ist es, dass 0 de wa- ker die Bewohner der rugischen Donaustädte desshalb nach Italien führen Hess, um gegen den heranziehenden Oslgothonkönig Arme zu erhalten. Denn Odo wa- ker hatte eine so bedeutende Streitmacht (S. Ilistor. miscella a. a. O. 100. S. und Enuddius, l'anegyric. Theodorico regi dict. 8. K.), dass er jener Römer, unter welchen sich nach des Eugippius Erzählung ohnedies nur wenige Krieger befanden, scliworlich bedurfte. Ausser Favianis bietet keine einzige ufernorische Sladl eine Spur von Truppen. Dort lag ein Tribun, der mit seineu wenigen Die Bisthiimer Noricums etc. 9 1 Severiii in seinem alten Kloster zu Favianis voraus: Alle würden ohne die mindeste Einbusse ihrer Freiheit in ein römisches Land wandern *)• Diese Voraussagung wiederholte er noch sterhendan dem- selben Orte mit den Worten : Gleichwie die Kinder Israels aus dem Lande Ägypten befreit wurden, so sollen auch alle Völker dieses Landes (des östlichen Ufernoricums) von der ungerechten Herr- schaft der Barbaren (der Rüge) erlöst werden; denn alle werden mit Hab und Gut aus diesen Städten (an der Donau) ausziehen und frei in ein römisches Land gelangen ~). Sein Lebensbeschreiber sagt bei der Erzählung dieses Auszuges "), dass damals alle Ein- wohner (der Donaustädte) Severins Weissagung von ihrer Erlösung aus der rugischen Knechtschaft erkannt , dass der Comes Leuten kaum eine Räuberhorde zu verfolgen wagte. (4. K.) Dazu kommt die oben erwähnte nicht ungegründete Vermuthung Muchar's, dass Severin noch bei seinem Leiien das Schicksal der Bewohner der rugischen Donaustädte seinem Freunde Odowa ker anempfohlen habe. Es wäre daher dem Wunsche des edlen Menschenfreundes der fast drei Jahrzeheu seines Lebens das grosse Elend der Landesbewohner zu lindern trachtete, entgegen gewesen, wenn Odowaker das arme Volk welches in Italien ein besseres Loos zu finden hoffte , gegen die Scha- ren der wilden Gothen geführt hätte. Dass dies nicht geschah und das Volk der Donaugegend in seiner Hoffnung nicht getäuscht ward, dafür bürgt ein Mal die grosse Achtung die Odowaker gegen Severin hegte; dann aber beweisen es des Eugippius Worte: qui, oppidis super ripam Danuhii derelictis, p e r d i v er- sas Italiae regiones varios suae permigrationis sortiti sunt fundos. (39. K.) Dagegen mochte Odowaker das Volk wohl, wenn das auch nicht zunächst Zweck seiner Abführung war, zur neuen Anhauung der verödeten Gegenden Italiens benützen. Noch weniger können wir Eichhorn (a. a. 0. 124. S. Anm. r) beistimmen, wenn er sagt: Nach Eugippius hätte Odowaker befohlen, dass alle Römer die ihm unterworfenen Donauprovinzen verlassen sollten. Mögen darunter die Reste der Grenzbesatzungen oder auch die Romani possessores verstanden werden : die Verfügung liätte nur die Ansiedelung seiner „gentes" zum Zwecke haben können. Es ergibt sich nämlich, wie bereits bemerkt ward, aus des E u gip pi us Erzählung, dass Odowaker 's Befehl nur die Römer die sich in den rugischen Donaustädten befanden , anging und dass unter denselben nicht blos die wenigen Reste der Grenzbesatzungen und die Romani possessores (Über dieselben s. Eichhorn a. a. 0. 166. S.u. f.), sondern alle Bewohner jener Städte begriffen waren. Odowa- ker's Befehl aber konnte die Ansiedelung seiner Völker nicht zum Zwecke haben. Denn Odowaker bedurfte gegen die heranziehenden Gothen grosser Streit- kräfte und musste daher alle seine Völker an sich ziehen. Andere Gründe führt C h a b e r t (a. a. 0. 77. S. 20. Anm.) gegen Eichhorn au. 1) 30. K. 2) 34. K. 3J 39. K. 92 Wilhelm Glück. Pier ins alle zum Auszuge angetrieben, dass alleProvinzialen mit den Mönchen des favianisehen Klosters denselben Weg nach Italien genommen und die Donau st ädte verlassen hätten i). «) Zur Erhärtung unserer obigen Behauplung-en wollen wir die bezüglichen Stellen aus Severins Leben hier zusammenstellen: (Severinus) inde (ex oppido Astu- ris) ad proximum, quod Comagenis appellabatur, oppiduin declinavit. Hoc barba- rorum iiitrinsecus consistentium , qui cum Romanis foedus inierant, custodia servabnlur arlissima. (1. K.) —Die autem tertio — facto subito terrae motu, ita sunt barbari iiitrinsecus habitantes exteriti, ut portas sibi Romanos („habita- tores oppidi memorati,") cogerent aperire velociter. (2. K.) — (Feiet hei regis conjux, nomine Gisa) Romanos tarnen duris conditionibus aggravatos i]uos- dam etiani Üanubio jubebat abduci. (8. K.) — Rogavit doctor piissimus (Severi- nus) ut — (G iboldus, rex Alamannorum) gentem suam a Rom an a vastatione cohiberet u. s. w. (20. K.) — Huniraundus (Suevorum rex), paucis barbaris comitatus, oppidum, ut sauctus (S e v e ri n us) praedixerat, ßatavis invasit ac pene cunctis mansoribus in messe detentis, quadraginta vires oppidi, qui ad custodia m remanserant, interemit. (23. K.) — Eodem vero tempore m an- 80 res oppidi Quintanensis, creberrirais Alamannorum incursionibns jam defessi, sedes suas relinquentes in Batavis oppidum migrarunt. Sed non latuit eosdeiii biiibaros confugium praedictorum : qua causa plus inflammati sunt , cre- dentes quod duorum populos oppidorum uno impetu praedarentur. Sed bea- tiis Severinus, orationi fortius incubans, Romanos exemplis sahitaribus mul- tipliciter hortabatur — . Igitur Romani omnes sancti viri praedicatione firmati, spe (iroinissae victoriae adversus Alaraannos instruxerant aciem. — Qua congres- sionc victis ac fiigientibus Alamannis, vir dei ita victores alloquitur: Filii, ne vestris viribus [lalmam [iraesentis certaminis imputetis, scientes idcirco vos dei nunc prae- sidio liberatos, ut hinc parvo intervallo temporis, quasi quibusdam concessis indu- ciis, discedatis. Mecum itaque ad oppidum Lauriaeura congregati descendite. (26. K.) — Igitur post excidium oppidorum in superi- o r e parte I) a n u b i i omnem p o p u I u m L a u r i a c u m o p p i d u ni t r a n s ra i g r a n- tem u. s. w. (27. K.) — Feletheus, Rugorum rex, — audiens cunctorum reli(|uias oppidorum, (juae barbaricos evaserant gladios, Lauriacum per fainulum dei contulisse, assumpto veniebat exercitu, cogitans repente deten- tos abducere et in oppidis sibi tributariis at([ue vicinis (ex quibus II II II II] i-['id Fttviatiis, quod a Rugis tanturamodo dirimebatur Danubio) coli ocare. (Das Übrige s. 7ö. S. 2. Anm.) — Igitur Romani — de Lauriaco descendentes, |>aciiicis dispositionibus in oppidis ordinatis, benivola cum Rugis societate vixerunt. Ipse (Se V eri n u s) vero Favianis degens in iintiquo suo monasterio, nee admonere populos, nee praedicere futura cessabat, asserens universos in Romani soll provinciam absquc ullo libertatis migraturos ineommodo. (30. K.) — Tunc sanctus (Severinus) non desinebat de suae migrationis vicinia suos allo- qui — . Scitote, inquit, fratres , sicut lilios Israel constat ereptos esse de terra Aegypli : ita cuiiidis populos terrae hujus oportet ab injusta barbaro- rum d o miiia t i o ni- liberari: etenini omnes <'um suis facu 1 t a ti b u s de liis oppidis eniigrantes ad It n in a im in provinciam absiiuc ulla sui ca|>li vitii t e pervenient. — Ifaec ijuippe loca nunc frequentata culloribus in tum va.stissiinam solitudinom rcdigciitur, ut hostes aestimantes auri se quijipiam reperturos etiani niurtuorum sepiilluras ellodiant. Cujus vaticiuii veritatem eveutua Die Bistliiimer Noricuras etc. vo Demnncli kann es nicht dem mindesten Zweifel unterliegen, dass damals alle Bewohner Lauriacums, mochten sie in Favianis oder in einer andern rugischen Donaustadt angesiedelt sein, nach Italien zogen. Denn alle Donaustädte die den Rügen unterworfen waren, wurden damals verlassen. Da nun der in des Antonius Leben erwähnte Bischof Constantius, nachdem alle Bewohner der rugi- schen Donaustädte nach Italien ausgewandert waren, noch eine Zeit lang in Pannonien lebte, dagegen nicht behauptet werden kann, dass der Lorcher Bischof Consta ntius seine Herde je verlassen hätte, ohne ihn der schmählichsten Verletzung seiner oberhirtiichen Pflichten zu zeihen: so bleibt uns nichts anderes übrig, als einen norischen und einen pannonischen Bischof Constantius i) anzunehmen 2) und folglich des heiligen Antonius Leben aus der Reihe der Denk- mäler der norischen Kirchengeschichte zu streichen. renim praesentiiim comprobavit. Levari vero suum corpusculuin paler sanetissimus pii'tatis prnvidus argumentis praecepit, ut dum generalis popiili t ra ii sm igra- tio provenisset u. s. w. (34. K.) — Quo sepulto (Severino), credentes ouiniinodo seniores nostri quae de transmigratioiie praedixerat, — praeterire iioo posse, locellum ligneum paraverunt, ut euui praenuntiata populi t r a ns m i g ra ti o provenisset, praedicatoris imperata complerent. (37. K.) — Aonulfus vero prae- cepto fratris (Odovacri) admonitus universos jussit ad Italiani m ig rare Romanos. (Surius hat: Onulfus autem secuiidum quod ei praeceperat frater suus universos populos illie hai)itantes jussit ad Italiani migrare.) Tunc omnes i n c o I a e tanquam de domo servitutis Aegyptiae , ita de cotidiana barbarie fre- quentissimae depraedationis educti, S. Severini oraeula eognoverunt. Cujus prae- cepti non immemor venerabiiis noster presbyter tuiie Lucillus, dum universi per comitcui Pi erium c om p el I ere n tur exire, — sepulturae locum imperat aperiri. — Linteaminibus igitur iinuiutatis, in loculo — i'unus includitur, carpento impositum trahentibus equis mox evehitur, citnctis nobiscum provincialihus idem iter agentibus: qui oppidls supei' ripam Danubii derelictis, per diversas Italiae regiones varios suae permigrationis sortiti sunt fundos. (39. K.) Aus diesen Stellen geht unwidersprechlieh hervor: 1) dass das Wort Rom ani die Landesbewohner ohne Unterschied der Abstammung im Gegensätze zu den Bar- baren oder den deutschen Völkern bedeutet und 2) dass die Romani, welche auf Odowaker's Befehl nach Italien auswanderten, sämmtliche Bewohner der rugischen Donaustädte (im östlichen Ufernoricum) waren. 1) Wahrscheinlich v/ar der pannonische Constantius Bischof in der Provinz Valeria, seinem Geburtslande. Ennodius (a. a. 0. ISO. S.) bezeichnet Valeria als civitas (circa Danubii flurainis ripas in civitate Valeria). Eine Stadt dieses Namens aber gab es nicht. 2) Rettberg (a. a. 0. 222. S. 4. Anm.) ist unseres Wissens der einzige Schriftsteller, welcher den Bisehof C ons ta ntiu s von Lauriacum mit dem in des Antonius Leben erwähnten Bischöfe Constantius nicht für einen und den- selben Manu hält, ohne jedoch einen Grund anzugeben. 94 Wilhelm Glück. Es fragt sich nun, in welcher Zeit die Bisthümer Lauriacum und Tiburnia entstanden. Was das Bisthuni Lauriacum betrifft, so sind die Meinungen der Gelehrten über dessen Alter sehr verschieden. Die älteren Schrift- steller ij leiten den Ursprung desselben von den Aposteln oder ihren Scliülern her und berufen sich auf die Briefe einiger römischer Bischöfe: des Symmachus (498 — 514) an Theodor, Erzbischof von Lorch, Eugens II. (824 — 827) an die Bischöfe und Herzoge Huniens oder Avariens und Maraviens, Agapet's II. (946—955) an Gerhard, Erzbischof von Lorch, und Benedicts VII. (974 — 983) an die deutschen Erzbischöfe, den Kaiser Otto, den Herzog Heinrich von Baiern und an alle Bischöfe, Äbte, Herzoge und Gra- fen Frankreichs und Deutschlands. Diese Briefe 2) die sämmtlich ohne Zeitangabe sind, sagen nämlich aus, dass die Lorcher Kirche von den Aposteln oder in den ersten Zeiten des Christenthums gegründet und die Metropole von Pannonien gewesen wäre. Die neueren Geschichtsforscher Winter '^) und Muchar *) haben die Meinung jener unkritischen Schriftsteller von dem apostolischen Ursprünge der Lorcher Kirche zwar ausführlich widerlegt; beide aber erblicken in den Aussagen der päpstlichen Briefe wichtige Zeugnisse für das hohe Altcrthum der Lorcher Kirche und glauben mit Sicherheit daraus folgern zu dürfen , dass sie bereits im dritten Jahrhundert bestanden hätte. Da diese Briefe jedoch sowohl der Form als dem Inhalte nach falsch sind, so lässt sich nichts darauf bauen. Gegen die Echtheit des Briefes des Symmachus, der für das vorzüglichste Denkmal der Lorcher Kirche galt, erhob schon Kleimayrn^), dann besonders aber Kurz «) so ernste Zweifel, dass wir uns billig wundern, wie sich der sonst umsichtige Muchar, der das Gewicht der von jenem gelehrten und gründlichen Forscher geltend gemachten Gründe nur zu sehr fühlte, noch abmühen konnte. ') Z. |{. Hüiisiz a. a. O. 7. S. ii. IT. 2) Zuerst abgedruckt von G e w o I d als Anhang /.iini Chroiiicün monasterii Reichers- perfrensis. Monach. 1011. 3) Vnrarheileu. 1. Abh. *) A. a. O. 2. Tb., 61. S. u. IT. *) A. a. O. 7S. S. u. f. «) A. a. fl. 7ß. S. n. fl". Rettberg fa. a. 0. 131. S., 2. Anm.) zählt Kurz den Scbrirtstellern die des Symmachus ßriel' für echt halten, irrijrer Weise bei. Die Bisthümer Noricums etc. 95 seine Echtheit zu retten 9- In neueren Zeiten ward sie von Filz 2) und Rettberg 3) entschieden bestritten *). Beide aber irren darin, dass sie die Abfassung des Briefes in das neunte Jahrhundert setzen =^). Eben so ward die Echtheit des Briefes Eugens II. schon von Kleimayrn«) bezweifelt und hierauf von einem Ungenannten 9, von Palacky s) und Blum her g er 9) bestritten. Filz der diesen Brief Anfangs für echt, aber für erschlichen hielt i"), und 1) Später jedoch bezweifelte Mueliar (Geschichte des Herzogth. Steiermark 1. Bd., 181. S., 1. Anm.) die Echtheit des Briefes des Symniachus. 2) A. a. 0. 63. S. u. ff. und Historisch-kritische Abhandlung über das wahre Zeitalter der apostolischen Wirksamkeit des h. Ruperts in ßaieru, im 7. Berichte über das Museum Francisco-Carolinum. 66. S. u. ff. ») A. a. 0. 130. S. u. ff. ■*) Um den Brief des Symmachus seiner geschichtlichen Zuverlässigkeit zu ent- kleiden und als ein Machwerk einer späteren Zeit hinzustellen , bedarf es wahr- lich keiner grossen Anstrengung. Dass aber diese plumpe Erdichtung, worin einem Erzbischofe T h eo d o r von Lorch, der nie gelebt hat, das Pallium ertheilt wird, nach Kurz 's, ja selbst nach F i I z's Untersuchungen von den ausgezeichnetsten Kirchengeschichts- und Kirchenrechtslehrern unserer Tage als das älteste Zeug- niss für den Gebrauch des Palliums in der römischen Kirche angeführt wird, ver- dient gerügt zu werden. Jaffe hat in den Kegestis pontificum Romanorum (Berol. 1831) jene Palliumsbulle den literis spuriis (934. S.) bereits ein- gereiht. ^) S. Dümraler a. a. 0. 138. S. 1. Anm. und unten die 10. Anm. 6J A. a. 0. '') Archiv für Geschichte, Statistik, Literatur und Kunst. Wien 1828. 376. S. 8) Geschichte von Böhmen. Prag 1836. 1. B. 108. S. 63. Anm. ^) Archiv für Kunde Österreich. Geschichfsquellen. Wien 1849. 2. Bd. 363. S. 10) Filz (a. a. 0. 70. Bd. Anz. Bl. 27. S. u. ff.) behauptet nämlich, der Passauer Bisehof Urolf der im J. 806 von dem salzburgischen Erzbischofe Arno abge- setzt worden wäre und hierauf die Bekehrung im Lande der Avaren und Mähren mit solchem Erfolge betrieben hätte, dass ihm auf seinen hierüber im J. 824 erstat- teten Bericht und auf die Verwendung der dortigen Fürsten das Pallium und das Lorcher Metropolitanrecht über jenes Land verliehen worden wäre, hätte dem Papste Eugen falsche Urkunden (die Bulle des Symmachus, die aus der von dem Papste Eugen an den salzburgischen Erzbischof Adalrain im J. 824 gerichteten Bulle wo nicht ganz, doch wenigstens im Anfange von Wort zu Wort entnommen wäre, die Acten des h. Maximilians, die Notitia de antiquissimo statu ecclesiae Laureacensis und ein Verzeichniss der Lorcher Erzbischöfe) vorge- gelegt. Allein was Filz von Urolf sagt, ist nicht geschichtlich, sondern rein erfunden. (S. Du mm 1er a. a. 0. 20. S. u. f.) Dieser Passauer Bischof den Filz zum Erfinder der falschen Geschichte des Lorcher Erzbisthums macht, starb als ehrlicher Mann im J. 806. (S. Dum ml er a. a. 0. 142. S. u. f.) Mit Recht bemerkt der scharfsichtige Palacky (a. a. 0.), dass die von Filz aufgestellte Meinung, Urolf wäre ein Betrüger, der Papst aber der Betrogene gewesen, mehr verwirre als aufkläre und dass die Bulle Eugens II. aller Wahrscheinlichkeit 96 Wilhelm Glück. Rettberg *) und Schafarik 2) irre führte, sprach sich später im entgegengesetzten Sinne aus 3), wiewohl seine Beweisführung nicht ganz richtig ist *). Die Echtheit des Briefes A g a p e t ' s II. ward eben- falls schon von Kleimayrn') bezweifelt und in neueren Zeiten von Filz, jedoch auf nicht ganz überzeugende Weise angefochten ^j, nachdem er ihn früher ebenfalls für echt gehalten hatte '). Gegen den Brief Benedicts VII. oder vielmehr Benedicts ¥1.(972—974)8) endlich schöpften schon M e t z g e r ») und K 1 e i m a y r n i") Verdacht. In neueren Zeiten ward seineEchtheitvonFilz wiederholt angegriffen ^i)- nach erst im zehnten Jahrliiindert aiifg'esetzt sei. Dass aber Filz nicht bios des Symmachus Brief, sondern selbst die Acten des h. Maximilians, die, wie schon längst Winter und Muchar naehg-ewiesen haben und aus ihnen selbst «leuth'cli hervorg-eht (es wird darin nämlich ein Ereigniss des .Tahres 1263 ange- führt. 10. §. bei Pez a. a. 0. 31. Sp.) , ein Machwerk des dreizehnten Jahrhun- derts sind, in Urolfs Zeit setzen konnte, fällt auf. Aber auch nicht der erste Entwurf zu jenen Acten, wie Rettberg (a. a. 0. 2. Bd., 561. S.) meint, ward damals geschmiedet. Sie gehören vielmehr ganz und gar dem dreizehnten Jahr- hundert an. .Sehr wahrscheinlich wurden sie nach dem Jahre 1291 aus Veranlas- sung der damals erneuerten Verehrung der beiden Schutzpatrone Passaus Maxi- milian und Valentin verfasst. Den Stoff lieferten die etwas älteren Acten des h. I'elagius von Laibach oder Konstanz (bei Filz a. a. 0. 49. S.) und die nach der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts abgefasste Historia ecclesiae Laureacen- sis (hei Rauch, Rerum Austriacar. scriptores. Vindob. 1793. 2. Bd., 351. —335. S. Vgl. Dümmler a. a. 0. 133. S., 3. Nr.), welche zum Theile wörtlich abge- schrieben ist. (Vgl. Dümmler a. a. 0. 78. S. u. f., 134. S. u. f.) Eben so verhält es sich mit den beiden ührigen von Filz angeführten Schriftslücken. Die Notitia de anli(|ui.ssiriio statu ecclesiae Laureacensis (Mon. Boic. 28. Bd. 2. Th 444 — 448. S.) nämlich enthält die obige Historia ecclesiae Laureacensis und das gleich- zeitig ahgefasste Verzeichniss der Lorcher und Passauer Erzbischöfe und Bischöfe, das bis zum J. 1420 fortgesetzt ist. (Rauch a. a. O. 339—343. S. Vgl. Dümm- ler a. a. ()., 123. S., 2. Nr. 138. S., 8. Nr.) Das Verzeichniss der Lorcher Erzbischöfe aber ist das eben erwähnte. ») A. a. (). 2. I5.I. 251., 561. S. 2) Slii wische Altertliümer. Leipz. 1844. 2. Bd. 469. S. u. f. •■') Abhamllung über das Zeitalter des h. Ruperts. 74. S. u. IT. *) S. Dümmler a. a. 0. 158. S., 2. Anm. *) A. a. O. •"') Abhandlung über das Zeitaller des h. Ruperts. 80. S. u. IT. ') Wiener Jahrb. a. a. (). 3«. S. u. fl'. Dönniges (in Rankes Jahrbüchern des deutschen Reiches unter dem sächsischen Hause. 1. Bd., 3. Abth., 184. S.) hält Agapefs II. Brief ebenfalls für echt. *) S. D ü ni ni I e r a. a. 0. 53. S. u. ff. 9) Historia Salisburgensis. Salisb. 1692. 295. S. u. f. «") A. a. O. »«) A. a. (). 39. S. u. IT. und Abhandlung über das Zeilalter des h. Ruperts. 84. S. u. f. Wenn 0 iesebrech t (in Ran ke's Jahrb. 2. Bd., 1. Ablh., 42. S., 3. Anm.) die von Die ßisthümer Noricums etc. "7 P r i t z 1) der die Unechtheit der erwähnten Briefe ebenfalls zu beweisen suchte, wiederholt nur die von Filz angeführten Gründe. In jüngster Zeit ward die Falschheit sämmtlicher das Erzbisthum Lorch betreffender Bullen endlich durch Dümmler's kritische Unter- suchungen über allen Zweifel erhoben •). Dieser scharfsichtige und gründliche Forscher weist zuerst auf überzeugende Weise nach, dass der Verfasser jener falschen päpstlichen Briefe der Passauer Bischof Piligrim (971 — 991) ist s). Derselbe wollte nämlich Erzbischof von Ungern werden und erhub zu dem Zwecke die Lorcher Kirche die nach Passau übertragen worden wäre *) , zur Metropole von Filz gegen die Echtheit der Bulle vorgebrachten Gründe für unerheblich erklärt, so entgegnet Dum ml er (a. a. 0. 173. S., 4. Anm.) mit Recht, dass er die Lorcher Angelegenheit schwerlich vollständig und im Zusammenhange untersucht hätte, weil ihm sonst die innere UnWahrscheinlichkeit jenes Schriftstückes wohl nicht entgangen wäre. Filz ist übrigens im Irrthume, wenn er meint, noch nie hätte ein Papst, wie in Benedicts Briefe, seinen Amtsgenossen, den Erzbischöfen, den Titel Söhne gegeben. So wird z.B. von dem Papste Johann XV. im J. 993 der salzburgische Erzbischof Hartwig dilectus filius genannt (Kleimayrn a. a. 0. Dipl. Anh. 211. S.). Dergleichen Fälle sind freilich selten. 1) A. a. 0. 137. S. u. ff. 416. S. u. ff. 2) A. a. 0. 19—26. S. 51— SS. S. 3) A. a. 0. V— IX. Nr. ^) Bisher glaubte man, der ßischofsstuhl von Lauriacum wäre nach der Zerstörung der Stadt durch die Avaren im J. 737 oder 738 von dem Bischöfe Vivilonach Passau verlegt worden. Diese Meinung gründet sich auf eine Urkunde des Kaisers Arnulf vom 9. des Septembers 898 (.Monum. Boic. 28. Bd., 1. Th., 119. S.). Darin heisst es nämlich : Quapropter comperiat omnium fidelium nostrorum praesentium scilicet et futurorum industria, quod Vuichingus Pataviensis aecclesiae presul venerandus optulit nobis auctoritates iramunitatum piae recordationis Caroli atque Hludouuici serenissimorum videiieet imperatorum, in quibus continebatur insertum, qualiter ipsi predictam sedem, quam Vivulo quondam sanctae Lauriacensis aecclesiae archiepis- copus post excidium et miserabilem barbaricam devastationem eiusdem prcscripte Lauriacensis ecciesiae nuspiam alibi inventa suae tuicionis securitate primus episco- pavit, Otilone strenuo baiouuarum duce concedente, qui etiam canonicos et monachos, quos dei misericordia hostium subtraxerat predue, in aecclesia, quae est constructa in honore sancti Stephani protomartiris Christi, ubi etiam sanctus Valentinus corpore requiescit reverenler coUocavit, quam vero cum omnibus ad eam pertiuentibus vel aspicientibus sub iramunitatis suae defensione consistere fecerant u. s. w. Diese Aus- sage verwarf bereits Filz (Wiener Jahrb. 70. Bd., Anz. Bl. 34. S. und Abhandlung über das Zeltalter des h. Ruperts. 68. S. u. ff.J, weil Vivilo als Erzbisehof von Lorch, welches nie ein Erzbisthum gewesen und schon über vierzig Jahre zuvor von den Avaren zerstört worden wäre, bezeichnet würde, ausserdem E n g e 1 m a r in zwei Urkunden des Kaisers Arnulf vom 13. des Decembers 898 (.Mon. Boic. a. a. 0. 123. S. und Meichelbeck, Histor. Frisingens. 1. Bd., 1. Th., 147. S.) noch als Bischof von Passau vorkäme und erst nach dessen Tode (im J. 899 nach den Annales Fuldenses bei Per tz, Monum. Germ. bist. 1. Bd., 414. S.) Wich ing zum ßisthume von Passau Sitzb. d. phil.-hist. Cl. XVU. Bd. 1. Hft. 7 98 Wilhelm Glück. Pannonien. Das Erzbisthum Lorch, an dessen Wirklichkeit viele Jahr- hunderle hindurch Niemand zweifelte und noch jetzt viele Schrift- befördert worden und W i c h i n g folg-lieh im September des Jahres 898 noch gar nicht Bischof von Passau gewesen wäre. Filz zweifelt jedoch nicht, dass die Urkunde mit ilirem ganzen Einschiebsel von dem ehemaligen Lorcher Erzbischofe Vi vllo echt sei, weil sie noch unverletzt im Reichsarchive zu München vorliege ; er hält vielmehr die Urkunden Karls des Grossen und seines Sohnes H 1 u d owig , auf die sich Arnulf beruft, für falsch. Rudh a r t (Münchner gelehrte Anzeigen, Jahrg. 1837, S. Bd., ööö., S48. Sp.) meint zwar, die Äusserung von der erzbischöflichen Würde Vivilo's sei nur ein Verstoss gegen die Zeit, welcher der in der Urkunde so be- stimmt erzählten Thatsache keinen Eintrag thun könne. Jene Stelle zusamraenge- halteu mit der Urkuude vom 1. des Novembers 738 (Mon. ßoic. a. a.O. 2. Th.,34. S.), welche auf eine förmliche Verlegung einer bischöflichen Kirche hinweise , indem Reliquien von dem Bischöfe Vi v i I o in der neu eingeweihten Kirche zu Passau hinter- legt würden, böte uns die Gewissheit, dass unter Vivilo der bischöfliche Sitz von Lorch nach Passau verlegt worden wäre. Allein hier kann von einem Verstösse gegen die Zeit keine Rede sein, da die Bischöfe von Passau nie die erzbischöfliche Würde besassen. Und was jene Urkunde betrifft, so ist in ihr, wie schon Pr itz (a. a. 0. 22Ö. S. u. f.) gegen Rudhart richtig bemerkt, von der neu erbauten Frauenkirche der Benedictinerinnenzu Passau die Rede. Auch der gelehrte Kirchen- geschichtsschreiber Rettberg (a. a. 0. 247. S.) lässt Vivilo die bischöfliche Kirche zu Passau weihen. Wie aber konnte die dortige Stephanskirche die, wie aus den unter den Bischöfen Erehanfrid und Otger*) an jene Kirche gemachten Schenkungen (Mon. Boic. a. a. 0. 35., 39., 6S. S.) erhellt, schon lange vor Vivilo bestand, folglich auch geweiht war, bei ihrer Erhebung zur Kathedrale geweiht werden! Bios neu erbaute Kirchen, wie die oben erwähnte Frauenkirche der Benedictinerinncn zu Passau, werden bekanntlich geweiht, wobei Überreste eines Heiligen in die neue Kirche versetzt werden. (Can. 26. D. 1. de consecrat.) Pritz (a. a. O. 226. S. u. f.) hält ebenfalls die Verlegung des Lorcher Bischofssitzes nach Passau für unzweifelhaft und sucht Filz's Einwand in Bezug auf Wie h i ng durch eine grundlose Unterscheidung zwischen praesul und episcopus zu entkräften. Es ist aber nicht blos jene Erzählung falsch, sondern die Urkunde selbst, die bereits *) Diese Bischüfc hatten keinen ständigen Sitz, sondern zogen, wie ans den Passauer Schenkiingsurhunden hervorgeht, mit ihrem Gefolge (cum suis fidelihus) in der Donau- gegend umher. Itettherg (a a. 0. 240. S.) leugnet zwar mit vielen Schriftstellern, dass Brchanfrid und Olger negionarbischofe waren, da bei dem ersteren von seinen Vor- gängern (anteriorum episcoporuni temporibus. Mon. Boic. a. a. 0. 40. S.) die Rede wäre, was von einem wandernden üiscliufe ohne festen Sitz sinnlos wäre, weist ihnen als Sitz Lorch an nnd nimmt eine Bischofsreihe höher hinuuf bis zu jenem Konstantius im fünften Jahrhundert an, wenn auch die Namen der Inhaber , wie sie gcwühulieh angegeben würden, nicht weiter begründet wären. Allein aus dem Umsiaudc, dass Erehanfrid und Otger Vorgänger hatten, folgt noch kcinesweges, dass sie einen festen Sitz hatten, da sich wie bereits D ümm Icr (a. a. 0. läl. S., 31. Anm.) gegen Rettberg bemerkt, z. B. im 9. Jahrhundert in Kärnten auch eine Reihe wandernder Bischöfe in regelmässiger Folge nachweisen lässt. Wenn Filz (Wiener Jahrb. 69. Bd., Anz. Bl. 67. S. u. f.) behauptet, jene ncgiunarbiseböfe wären von Hruodberht bestellt worden, so ist dies weiter nichts als ein auf die angebliche apostolische Donaureise desselben (s. dessen älteste Lebensgeschichte beiKleimayrn a. a. 0., 8. S. Vgl. Rudhart a.a.O. r.7S. Sp. u. ff. und Rettberg a. a. (). :iOI. u. 557. S.) gebauter kühner Sebluss. Die Bistliüiner Noricums etc. «7" steller glauben, ist also eine Erfindung Piligrims *) , desselben Passauer Bischofes, der durch das Lied der Nibelunge verewigt ist. Filz hat nicht blüs das Dasein eines Lorcher Erzbisthums bestritten; er sucht auch zu beweisen, dass Lorch vor dem fünften Lang' (Regesta s. reruin ßoicar. autographa. 1. Bd. München 1822. 26. S.) und ßuchinger (Geschichte des Fürstenthums Passaii. 2. Bd. München 1824.491. S.) für höchst verdächtig hielten, ist, wie aus der Vergleichung der Urkunde des Kaisers Otto II. vom 22. des Juli 976, worin er die Immunität Passaus bestätigt (.Mon. Boic. a. a. 0. 1. Th., 216. S.), mit jener Arnulfs erhellt, gefälscht. Schon der Herausgeber Moritz (ebendas. 218. S., Anm. d) bemerkte, dass die ottische Urkunde mit der arnulfischen in den meisten Puncten übereinstimme, obgleich derselben dort nicht gedacht wäre. In einer Stelle aber weicht sie von ihr wesentlich ab. Qua- propter, heisst es nämlich in Ottos Urkunde, comperiat omnium iidelium nostrorura praesentium sciiicet et futurorum industria, quia vir venerabilis Piligrimus sanctae Pataviensis aecciesiae episcopus optulit nobis auctoritates immunitatum piae recor- dationis imperatorum Caroli atque Hludouuici nee non domni et genitoris nostri Ottonis piissimi imperatoris , in qnibus continebatur insertum , qualiter ipsi prae- dictam sedem, quae est constructa in honore sancti Stephani protomartyris Christi, ubi etiam beatissimus confessor Christi Valentinus corpore requiescit cum pertinen- tibus monasteriis — et rebus vel hominibus ad se pertinentibus vel aspicientibus sub immunitatis suae defensione consistere fecerunt u. s. w. Wir sehen also daraus, wie jene Erzählung von Vivilo in Arnulfs Urkunde willkürlich eingeschoben ward. Dura m 1er (a. a. 0. 61. S.) hält es daher mit Recht für wahrscheinlich, dass nach der echten ottischen die unechte arnuifische gemacht und mit jenem Zusätze versehen ward, um für das Erzbisthum Lorch zu zeugen. Wie nun die Mähre von der Ver- legung des Lorcher Bischofssitzes nach Passau entstand, wie es durch eine Schen- kungsurkunde Ottos II. vom ö. des Octobers 977 (Mon. Boic. a. a. 0. 223. S.) förmlich bekräftet ward und seitdem bald allgemeinen Glauben fand, darüber sehe man Dümmler a. a. 0. 28., 61., 70. S. u. ff. 1) Benedict VI. zielt in seinem an den salzhurgischen Erzbischof Fri deri ch gerich- teten Briefe vom J. 973 (bei Kleimay rn a. a. 0. 189. S.) auf Piligrims Umtriebe ab, wenn er sagt: Quicunque autera (episcopi) per amicos sive dam per aliquam fraudem aliquid ejusdem dignitatis (archiepiscopatus) pecierint, sive pecierint Privi- legium, illos suspendimus ab ea dignitate, quia illicitum esse judicamus, ut aliquis episcopus sine consensu locius sue provincie atque suffraganeorum suorum pailium sive aliquod Privilegium archiepiscopatus a Romano pontifice acqnirere praesumat. Ebenso klagte InnocenzIII. in einem an den salzburgischen Erzbischof Eber- hard gerichteten Briefe vom J. 1202 (bei Hansiz a. a. 0. 348. S.) über den Passauer Bischof W o I f g e r : Obtentu insuper literarum falsarura, quas nuUus sanae mentis credei'e debuerat a nobis aliquatenus emanasse, praedictus episcopus cum Frisingensi et Heistetensi episcopis venerabilem fratrem nostrum Maguntinum archi- episcopum in favorem adversariorum suorum ad suam praesentiam citare praesumpsit u. s. w. Das Passauer Archiv ist reich an falschen Urkunden. (S. das Wiener Archiv a. a. O. 236. S. u. Dümmler a. a. 0. 171. S.) 11 o rm ayr (Über die Monumenta Boica. München 1830. 49. S.) sagt: Die vorzüglichsten, die eigentlichen Urkundenfabriken möchte man Kempten und P a s s a u nennen ; — in P a s s a u wegen der Metropolitan- würde, der Exemption von dem weit jüngeren (?) Salzburg u. s. w. 7» 100 Willielm Glück. Jahrhundert noch kein bischöflicher Sitz gewesen sei. Diese Mei- nung- hat bereits den Beifall mehrerer Gelehrten erhalten. Besonders Pritz 9 folgt fast ganz den von Filz vorgebrachten Gründen. Du in ml er 2) endlich hält es für ganz unwahrscheinlich, dass der Lorcher Bischof Konstantins Vorgänger gehabt habe, setzt dem- nach die Gründung des Bisthums in die zweite Hälfte des fünften Jahrhunderts, ohne jedoch einen Grund anzugeben. Es ist nun unsere Aufgabe, die Gründe, auf die sich Filz's Mei- nung stützt, einer näheren Prüfung zu unterziehen. Es sind folgende: 1. Die bischöflichen Sitze, meint Filz, seien seit Konstantin in den Städten, die einen Magistrat hatten, errichtet worden s), Lau- riacum aber sei ein befestigtes Lager gewesen *) und erscheine noch am Ende des vierten Jahrhunderts in der Notitia dignitatum ntrhis- (jue imperii nur als Sitz eines Befehlshabers der zweiten Legion, eines Präfecten der Donauflotte und einer Schildfabrik s). Was die Behauptung, dass die bischöflichen Sitze seit Kon- stantin in den Städten welche einen Magistrat hatten, errichtet worden wären, betrifft, so ist dieselbe keineswegs richtig. Solche Sitze finden sich nämlich nicht blos in Städten die keinen Magistrat hatten e) , sondern auch auf dem Lande (in Burgen , Flecken, ij A. a. O. 130. s. u. f. 2) A. a. 0. 2. S. 3) Über den Ursprung der bischöflichen Kirche Lorch a. a. 0. 69. Bd., Anz. ßl. 57. S. 4) Kbendas. 34. S. *) Kbendas. Ö8. S. Vgl. R ud ha rt a. a. 0. 347. Sp. u. f. '') hl den Städten Italiens und in den Colonien und Municipen der Provinzen waren lickaimtHcli die Diiuinvire oder Quatuorvire die höclisten regelmässigen AlagisliMli'. Sie hatten den Vorsitz im Senate (ordo decurionum, curia), die oberste Aufsicht über alle Zweige der Verwaltung und die Rechtspflege. Die letztere war die vornehmste Seite ihres Amtes. Daher heissen sie auf Inschriften llviri juri diciindo oder llllviri juri dicundo, in den Rechtsquellen aber magistratus. Eine soIcIk! Obrigkeit aber, welche den I) uu mv i r e n entsprach (und nur eine solche ver- stehn wir unter dem Ausdrucke Mag i s t r a t und auch Filz kann nach römischen Be- grifren keine andere darunter verstanden haben), hatten die übrigen Provinzialstädte in der Regel nicht, während Decurionen in allen Orten ohne Ausnahme vorkommen. (S. G o- thof red US, l'aratit. adCod. Theodos. Xll, l.ed.Ritter 4. Bd., 334. S. u. f.) Zwar behauptet Walter (Geschichte des römischen Rechtes. 1. Bd. Bonn 1834. 388. S. u. f.), es hiiUe seit Kons ta nti n in allen Städten des römischen Reiches ordentliche Ma- gistrate oder Ituuiinire gegeben (mit Ausnahme jener gallischen Städte welche nicht Municipe oder Colonien gewesen wären) und beruft sich hauptsächlich auf mehrere Stellen des thcodosischen Gesetzbuches, welche von Magistraten oder Duumviren in verschiedenen Provinzen sprechen. Allein das ist lediglich auf die oben genannten Die Bistliiiraer Noricums etc. 101 Dörfern)*) in grosser Zahl, während umgekehrt in vielen Städten welche Magistrate hatten , keine Bisehofsstühle bestanden. In den bevorzugten Provinzialstiidte zu beziehen. Nur in Italien waren die Magistrate allg-e- mein. Ganz entscliieden aber widerspricht der Behauptung Walt er 's die Ge- schichte der städtischen Defen soren, weiche im vierten Jahrhundert eingeführt wurden. Ihr Hauptgeschäft war Schutz gegen Bedrückungen der Statthalter. Zugleich erhielten sie eine untergeordnete Civiljurisdiction. Allmählich bekamen sie noch andere Magistratsrechte. Jus t i n i a n endlich erhob sie zu wahren Magistraten. (Nov. XV. praef. u. c. 1.) Jene Rechte aber hatten sie nur in den Städten, in welchen es keine Magistrate gab. So heisst es ausdrücklich bei der Insinuation der Schenkungen in der L. 8. Cod. Theod. de donationibus (YIII, 12) : si civitas ea vel oppidum, in quo donatio celebratur, nonhabeatmagistratus, apud defensorem plebis u. s. w. Vgl. L. 30. Cod. Just. h. t. (VIII, 34). In diesen Städten sollten also die bis dahin fehlenden Magistrate oder Duuravire durch die Defensoren erst nur beschränkt und theilweise, seit J us tin i a n aber gänzlich ersetzt werden. Es wurden also erst durch den genannten Kaiser die Magistrate in dem Morgenlande, wo es deren weit weniger als in dem Abendlande gab, in der That allgemein gemacht. Walter muss sich indess später selbst von der Unrichtigkeit seiner Behauptung überzeugt haben, da sie in der neuen Auflage seiner römischen Rechtsgeschiehte (Bonn. 1843. 1. Bd., 466. S.) nicht mehr erscheint. Über die oben besprochenen Magistrate vgl. Savigny, Ge- schichte des römischen Rechtes im Mittelalter. 2. Aufl., 1. Bd., Berlin 1834. 38. S. u. ff. Wenn aber Savigny meint, es hätten blos die Provinzialstädte welchen das jus Italic um verliehen war, wirkliche Magistrate mit Rechtspflege gehabt, so ist er im Irrthume. Das italische Recht gewährte nicht italische Verfassung, sondern setzte sie vielmehr voraus. In jeder mit diesem Rechte beschenkten Provinzialstadt fanden sich daher schon die genannten Magistrate; allein nicht jede Provinzialstadt, in der solche waren, hatte das italische Recht, wie Savigny annimmt. Mit diesem Rechte finden wir nämlich blos eine Anzahl Colonien begabt. (S. Zumpt a. a. 0. 478. S. u. ff. u. Becker, Handbuch der römischen Alterthümer , fortgesetzt von Marquardt. 3. Th., 1. Abth., Leipzig 1831. 262. S. u. ff.) Dass aber alle Colonien und 3Iunicipe in den Provinzen Uviri oder llllviri juri dicundo hatten, beweisen zahlreiche Inschriften. S. Zumpt a. a. 0. 189. S. u. f. 1) Schon frühzeitig hatten Landgemeinden eigene Bischöfe (inijxozot tTj; ytüp«; oder T(I)v ywpüjv, •/üjps-bxo-'-jt, chorepiscopi) , die zugleich mit der Verbreitung des Christenthums auf dem Lande entstanden. Wir finden die Landbischöfe zuerst in einem von der antiochischen Synode (270) gegen Paul von Samosata gerich- teten Schreiben (bei Eusebius a. a. 0. 7. B., 30. K.) erwähnt. Darin werden i-izlaxo-KOi T(I)v öjAopcuv ötYpö)» T£ xai :t6),siüv xai itpsaßiiTEpot unterschieden. Besonders zahlreich waren die Landbischöfe in Afrika , wo sie von den Stadtbischöfen selbst durch keine eigenthümliche Benennung unterschieden waren. Morcelli (Africa christiana. Brixiae 1816. 1. Bd., 43. S.) sagt : Nemo interea, dum tot in Africa ecclesias fuisse legit, urbes quoque totidera fuisse putet. Vicis illic et pagis, quod frequentiores essent, episcopos praepositos esse sciat. In der Zusammenkunft, welche die katholischen und donatistischen Bischöfe im J. 411 zu Karthago hatten, sagte der katholische Bischof A I y p i u s, als die Namen mehrerer donatistischer Bischöfe verlesen wurden: Scriptum sit, istos omnes in villis vel in fundis esse episcopos ordinatos, non in aliquibus civitatibus. (Gesta collationis Car- thagine habitae. c. CLXXX bei Man si a. a. 0. 4. Bd., 136. Sp.) Morcelli führt \()2 Wilhelm Glück. ersten Jahrhunderten der christlichen Kirche konnte an jedem Orte, er mochte einen Magistrat haben oder nicht, eine Stadt sein oder nicht, gross oder klein, ein Bischofssitz errichtet Averden. Erst die Synoden von Sardika (344) und Laodikea (zwischen 344 und 381) verordneten, dass in Land- und kleinen Stadtgemeinden keine Bischöfe mehr angestellt werden sollten i). Fortan sollten sich also blos in den ansehnlicheren Städten Bischofsstühle erheben. Indess ward nicht ein Mal dieser neue Canon überall beobachtet 2). Was dann die Behauptung, Lauriacum wäre ein befestigtes Lager s) gewesen, anbelangt, so gründet sich dieselbe lediglich auf den Ausdruck castrum Lavoriacense '>') , womit in den oben viele bischöfliche Kirchen Afrikas, die in Burgen, Flecken und Dörfern bestanden, namentlich auf. Die Landbiscliöfe, welche Anfangs dieselben Rechte übten, die den Stadtbischüfen zustanden, wurden seit dem vierten Jahrhundert allmählich in ihren Rechten beschränkt, bis sie endlich ganz verschwanden. Über die Landbischöfe s. Jakobson bei Weiske, Rechtslexikon 2. Bd.. 664. S.u. IT. u. d. W. Chorbischof. 1) Conc. Sardic. can. 6. : Licentia vero danda non est ordinandi episcopura aut in vico aliquo aut in modica civitate , cui sufficit unus presbyter: quia non est necesse ibi fieri episcopum, ne vilescat nomen episcopi et auctoritas. — Conc. Laodic. can. 57. (Can. 3. Dist. LXXX.) : Non oportet in vicis et villis episcopos ordinari. 2j in Afrika, wo bis zum sechsten Jahrhundert ausser den Schlüssen der nikäischen Synode (323) blos die einheimische kirchliche Gesetzgebung Giltigkeit hatte, stellte man in kleinen Orten noch lange Zeit Bischöfe an. So errichtete auch der berühmte numidische Bischof Augustin in der Burg Fussala einen Bischofs- sitz. (S. .Morcelli a. a. 0. 163. S.) Der römische Bischof Leo 1.(440—461), der auf die Angelegenheiten der afrikanischen Kirche grösseren Einfluss als seine Vorgänger erhalten hatte (s. G lese 1er, Lehrbuch der Kirchengeschichte. l.Bd. 3. Aufl., Bonn 1831, 321. S. u. IT.), schrieb daher (um 446) an die Bischöfe von iMauretania Cäsariensis : lllud sane , quod ad sacerdotalem pertinet dignitatem, inter omnia volumus canonum statuta servari, ut non in quibuslibet locis neque in (|iiii)U.scum(pie castellis, et ubi antea non fiierunt, e|)isco|>i consecrentur : cum ubi niinorcs sunt plebes minores|iidorum. Wir können daher M o m m s e n (Die Libri Coloniarum, in den Schrif- ten der römischen Feldmesser, herausgegeben von Blume, Lachmann und Rudorff. 2. Bd. Berlin 1852. 183. S., SO. Anm.) nicht beistimmen, wenn er den auch im Liber coloniarum 1. (a. a. 0. 1. Bd., Berlin 1848. 232. S., 20. Z. 238, S., 19. Z.) vorkommenden Ausdruck oppidum deductum für incorrect erklärt. 2) Die Urschrift dieser nach ihrem ersten bekannten Besitzer , dem augsburgischen Hathsherrn K o n r a d P e u t i n g e r , genannten Strassenkarte selbst besitzen wir leider nicht mehr, sondern blos eine von einem Mönche des dreizehnten Jahr- hunderts nachgezeichnete Abschrift die jedoch, verschiedene Nachlässigkeiten und Versehen abgerechnet , im Ganzen gewiss für treu zu halten ist. Über dieselbe 8. E c k e r m a n n in der allgem. Encykloj)ädie von E r s c h und G r u b e r. 3. Sect., 20. Th. u. d. W. P e u l i n g e r i a n a Tabula. •'') Unter dem verdorbenen Namen B 1 a b o r i c i a c u m. M u c h a r (a. a. 0. 268. S.) vermiithet zwar, es stecke in diesem Namen ein eigener, vom alten Lorch ver- schiedener Ort (Ansfelden), weil auf der peutingerschen Tafel ßlaboriciacum ganz bestimmt und deullich verzeichnet sei und die Angabe der Entfernung von ßla- boriciacum bis Ovilaba auch einen besonderen von Lauriacum gegen Ovilaba hin näher gelegenen Ort fordere. Allein diese Vermuthung ist unhaltbar. Denn was zuerst den Namen betrifl't, so sind auf der peutingerschen Tafel auch andere ver- unstaltete Namen ganz bestiminl und deutlich verzeichnet. Blaboriciacum müsste von einem Mannsnainen Blaboricius abgeleitet sein. (Von den auf iacum ausgehenden keltischen Ortsnamen wird sogleich oben näher die Rede sein.) Einen solchen Namen aber hat es schwerlich gegeben. Blaboriciacum erscheint daher als grobe Verunstaltung des Namens Lauriacum. Was dann die auf der |)eutingerschen Tafel zu 14,000Schrit- ten angegebene Enlferauiig von Blaboriciacum bis Ovilia (entstellt für Ovilava, 8. oben die 84. S. 5. Anm.) anbelangt, so hat M u c h a r , da nach dem antoninischen lleisel.uche (bei Wesseling 23ä., 2;>6., 258., 277. S., bei Parthey und P Inder HO., ll'J., 132. S.) die Entfernung von Lauriacum bis Ovilava 26,000 Schritlt' beträgt, zwar richtig erkannt, dass jene Angabe einen besonderen von Lauriacum gegen Ovilava hin näher gelegenen Ort fordert, darin aber geirrt, dass er Blaboriciacum für jenen Ort hielt. Es ist vielmehr der von dem unachtsamen Abzeichner der peutingerschen Tafel ausgelassene zwischen Lauriacum und Ovilava gelegene Ort <> v i I ü t u s , der in achtzehn Handschriften des antoninischen Reise- buches (eine llandsehria bietet Ovilatis, eine andere Ululatus, s. Parthey und P i n d e r 115. S.J auf dem Strassenzuge per r i p a m P a n n o n i a e a Ta ur u no Die Bistluimer Noricums etc. 107 diese Colonie damals von Marcus Aurelius (161 — 180) als Schutzwehr gegen den barbarischen Norden gegründet ward 9- Wenn wir nun auch die Meinung mehrerer Schriftsteller, dass Lauriacum, ehe daselbst eine Colonie angelegt ward, schon längst als Stadt bestanden hätte 3), nicht für wahrscheinlich halten, so können wir doch den Gelehrten welche die Entstehung des Ortes in des Marcus Aurelius Zeit setzen 3), keinesweges beistimmen. Denn ein Mal pflegten die Römer ihre Colonien in schon bewohnten und bebauten Orten anzulegen *); sodann erhielten die Orte die von den Römern neu gegründet wurden, auch römische Namen. Lauria- cum aber ist kein römischer, sondern ein keltischer Name. Dies haben bereits mehrere neuere Schriftsteller an der in vielen kelti- schen Ortsnamen vorkommenden Endung iaciim erkannt, ohne jedoch den Namen Lauriacum aus dem Keltischen erklären zu können. Lam- bek 5) meint, Lauriacum habe seinen Namen von dem Flüsschen in G a li i a s erscheint , von den Herausgebern (W e s s e 1 i n g , 249. S., P a r- t h e y und P i n d e r a. a. 0.) aber mit Ovilabis, Ovilavis willkürlich vertauscht ward. Die auf der peutingerschen Tafel ang-egebene Zahl von 14,000 Schritten zeigt also die Entfernung Lauriacums von üvilatus an, welche das autoninische Reise- buch zu 16,000 Schritten ansetzt, eine Verschiedenheit, die ohne Bedeutung isl. Hieraus aber geht unwidersprechlich hervor , dass das Blaboriciacum der peutin- gerschen Tafel kein anderer Ort als Lauriacum ist. Über Ovilatus s. G a i s b e r- ger, Ovilaba a. a. 0. 3. S. u. f. Nach demselben lag Ovilatus an der Stelle des heutigen Schlosses Traun. *) Vgl. Muchar a. a. 0. 164. S. u. f., Gaisberger, Lauriacum a. a. 0. 4. S. u. ff., Zumpt a. a. 0. 428. S. Einige Schriftsteller (Lambecius, Commentar. de biblioth. Viadobon. ed. KoUar. Vindob. 1769. 2. ß., 303. Sp., Hansiza. a. 0. 3. S.) meinen, die Colonie Lauriacum würe von dem Kaiser August gegründet worden. Diese Meinung die sich auf die in der oben erwähnten Steinschrift vor- kommende Abkürzung Aug. stützt, ist jedoch ganz unwahrscheinlich, so wie die Behauptung anderer Schriftsteller (z. B. M u c li a r 's a. a. O.j, den Beisatz A u- g u s t a hätten nur die vornehmsten Colonial- oder die Hauptstädte von dem Kaiser August oder von einem seiner Nachfolger erhalten, ganz grundlos ist. 2J Hansiz a. a. 0. 4. S., Muchar a. a. 0. 164. S., 2. Th., 62. S. 3) Mannert, Geographie der Griechen und Römer, 3. Bd., 2. Aufl., Leipzig 1820. 638. S., Ga isb erge r a. a. 0. 7. S. Der letztere Gelehrte vermuthete früher (Über die Ausgrabung römischer Alterthümer zu Schlügen a. a. 0. 25. S.), Lauriacum wäre unter dem Kaiser August entstanden. ^) Colonia est coetus eorum hominum, qui universi deducti sunt in locum certis aedificiis munitum , quem certo jure obtinerent. Servius ad Vergil. Aen. 1, 12. Vgl. Zumpt a. a. 0. 4öl. S., Becker a. a. 0. 13., 339. S. '-) A. a. 0. 294., 296. Sp. |ng \V ilhelm Gl ück. Lauro 0 (Laurbach oder Lorbach) ^), welches einst mitten durch die Stadt geflossen sei und noch jetzt bei dem Dorfe Lorich oder Lorch in die Donau münde. Eben so leiten auch andere Schrift- steller Lauriacum von jenem Flüsschen ab s). Diese Ableitung ist jedoch unrichtig. Der Ortsname Lauriacum erscheint nämlich nicht blos im Noricum, sondern auch in Gallien, und zwar mehr als ein Mal *). Sicher ist auch der Ortsname Lorch in Wirtenberg s) und Nassau, wo bekanntlich einst Gallier wohnten, aus einem alten Lau- riacum hervorgegangen. Kein einziger dieser Orte aber hat seinen Namen von einem Wasser erhalten. Die Kelten bildeten von Fluss- namen überhaupt keine Ortsnamen mit der Endung iacum^). Die keltischen Ortsnamen, die auf iacum ausgehen, sind vielmehr von den Namen der Gründer oder Besitzer der Orte abgeleitet '). 1) Dieser Name findet sich in keinem Denkmale. Der älteste bekannte dem Mittelalter angehörende Name des Fliisschens ist Luraha, zusammengesetzt aus lur und aha. Lör ist aus dem keltischen laur hervorgegangen (wie ahd. lör aus dem lateini- schen laurus), aha aber, goth. ahva (lat. aqua) bedeutet Fluss. 2) Pritz (a. a. 0. äo. S.) nennt das Flüsschen Laurach oder Lorchbach. 3) Hansiz a. a. 0. 4. S. u. f., Call es, Annales Austriae, Viennae Austr. 1730. 1. Bd., 26. S., Kurz a. a. O. 8. S., Anm. *, Höfer, Etymolog. Wörterbuch der in Oberdeutschland, vorzüglich aber in Österreich üblichen Mundart. Linz 181S. 183. S. 4) Res sitas in Andecavo, villas Lauriaco et Catiaeo. Praecept. Caroli M. pro mona- sterio I'rumiensi vom J. 797. (Martene et Durand, Veterum scriptorum et monumentorum collectio. Paris 1724. 1. Bd., 51. Sp.) In jenem Lauriaco (Loire) ward im .1. 843 eine Synode abgehalten. (Mansi a. a. 0. 14. Bd., 797. Sp.) Die übrigen Orte s. bei Valesius, Notitia Galliar. 26ö. S. *) Die gewöhnliche Schreibung Würtemberg oder gar Württemberg ist falsch. Der älteste bekannte Name lautet Wirtinisberk (in einer Ulmer Urkunde vom J. 1092. Wirtembergisches Urkundenbuch. Stutg. 1849, 1. Bd., 297. S.), d. h. Berg des Wirtin. S. Roth, Kleine Beiträge zur deutschen Sprach-, Geschichts- und Ortsforschung. .München 1850. 2. H., 62. S. *) Dagegen findet man keltische Ortsbenennungen die von Flussnamen mit der Endung icum gebildet sind, wie Autricura von Autara (Eure), Avaricum von Avara (Evre) in Gallien. ') Z. B. der norische Ortsname Jovi acu m von Jovius (Steiner a. a. 0. 1662. Nr. u. oft.); die vindclikischen Ortsnamen Abudiacu m von Abudius (Tacitus, Aiinal. «, 30), .M a s e i a c u m von M a s c i u s (G r u t er a. a. 0. 880. S., 4. Nr. u. oft.); die gallischen Ortsnamen Catus iacum von C a t u so (0 r e 1 1 i a. a. 0. 273. Nr.), Kicciacum von Ricci us (Gruter 826. S., 4. Nr., Hefner a. a. 0. LXIII. Dkm.). Auch die atif acum ausgehenden Ortsnamen sind grösstentheils von per- sönlichen Namen abgeleitet, z. ß. die gallischen Ortsnamen Nemetacum von Nemet (Duchalais, Description des medailles Gauloises. Paris 1846, 397. S.), Nemeto (.Mitlheilungen des historischen Vereines für Steiermark. Gratz 1833. Die Bisthiimer Noricunis etc. 109 Lauriacum verdankt daher einem Gallier L a u r o (bekanntlich waren die keltischen Bewohner Noricums Gallier) i), der sich dort ansiedelte und sowohl dem Orte als dem Bache seinen Namen gab, seinen Ur- sprung. Der gallische Mannsname Lauro, der auf einem Rotten- burger Denkmale erscheint 2), bedeutet so viel als genügsam, altirisch lour, hör (contentus) ^) aus laur *). Von diesem Worte entspringen der gallische Mannsname Laurad us s), Lorados), der irische Mannsname Lour ad '), der kymrische Mannsname Lou- rone, Louronui^), der armorische Mannsname Lour an "). Die mit der Endung iacuni i") gebildeten Ortsnamen sind eigentlich 3. H., 99. S. Vg:l. die kymrischen Mannsnaraen Neuet = Neraet, Guor-nemet = Ver-nemet, den arinorischen Mannsnamen Cad-nemet = Catu-neraet. The Mabino- gion bj- G uest. Lond. 1849. 2. Bd., 243. S. Lives of the Cambro British Saints by Rees. Llandovery 18ö3. 87. S. Morice, Me'moires pour servir de preuves a rhistoire eccle'siastique et civile de Bretag-ne. Paris 1742. 1. Bd., 389. S.), T u r- nacura von Turnus (Sidonius, Epist. 4, 24), Brennacum (Greg'or. Turon. Histor. Francor. 5, 26. 40 u. oft.) von den bekannten galt. Namen Brennus, Avitacum, ein von dem Kaiser A vi tus benanntes Landg'ut (S i d 0- nius, Ep. 2, 2 u. Carm. 18); der britannische Ortsname Eburacuin von Eburo (Steiner 392. Nr. u. oft.). Diese Bildung- von Ortsnamen war in den kel- tischen Ländern allg^emein und dauerte nicht blos unter der römischen Herr- schaft fort, wie schon die von römischen Personennamen abgeleiteten Ortsbenen- nungen (z. B. die gall. Ortsnamem Juliacum, Tiberiacum, Geminiacum) bezeugen, sondern war in Gallien auch noch später unter der deutschen Herrschaft eine Zeit lang im Gebrauche , wie viele in dortigen Urkunden vorkommende Ortsnamen, die theils von gallischen, theils römischen, theils deutschen Personen- namen gebildet sind, beweisen. i)Strabo 7. B., 2. K., 2. §., 3. K., 2. §. 2) Steiner a. a. 0. 116. Nr. ^) In einer irischen Glosse einer Wirzburger Handschrift (bei Zeuss, Grammat. celt. 889. S.) In anderen irischen Glossen derselben und einer St. Galler Hand- schrift bedeutet lour, ioor, sufficiens, satis, Subst. loure, sufficientia (ebendas. 39., 988. S.). Über die erwähnten Handschriften s. ebendas. Vorrede 13. S. u. S. *) Über den aus au entstandenen Doppellaut ou, 00 s. Zeuss a. a. 0. 38. S. u. f. 5) In einer Urkunde von 636 bei Pardessus a. a. 0. 2. Bd., 43. S. fi) In einer Urkunde von 632 ebendas. 14. S. — Über o aus au s. Z e u s s a. a. 0. 39. S. ') In einer Urkunde des 12. Jahrhunderts bei O'Conor, Herum Hibernicaruni scriptores veteres. Buckingham 1814. 1. Bd., Proleg., 2. Th., 138. S. 8) The Liber Llandavensis, 169., 173. S. — Langes e wird im Kymrischen in der Regel in ui, jetzt wy, aufgelöst. S. Zeuss a. a. 0. 113. S. ') Chartul. Rhedon. aus dem Anfange des 10. Jahrhunderts bei Morice a. a. 0. 339. S. io) In den mittelalterliehen Urkunden enden die gallischen Ortsnamen bald auf iacum, bald auf iaeo, was die häufigste Endung ist, bald auf iacus, auch auf iaca und i a c a s. 110 Wilhelm Glück. Adjective, bei welchen ein Hauptwort, das einen Wohnsitz bedeutet, zu ergänzen ist. Eben so bildeten die Römer von Personennamen mit der Ableitung ianus viele Ortsnamen i). Die keltische Ablei- tung i«c3) aber entspricht ganz der lateinischen Ableitung ianus ») Z. B. Claudianum, Cassianum, Anneianum, Roscianum, Quintianum, Caesariana, Mar- celliana, Manliana, Papiriana in Italien. 2) Die Bedeutung der keltischen Ableitung- iflc erheilt unter anderin deutlich aus Fol- gendem : in vico cui antiquus ille et primus indigena (Virisius) Viriziaco*) (=Virisiano) nomen imposuit (Mabillon, Acta SS. saec. II. Venet. 1733. 66. S.), in loco qui a Corbone viro inclyto C o r b o n i a c u s (= Corbonianus) dicitur. (Ebendas. 4. Jahrb., 2. Th., 233. S.) In Gallien ward für i a c nicht selten die lateinische Ableitung- ianus gebraucht. So findet sich in einer Urkunde locellus qui appellatur L u c i a n u s und locellus qui appellatur L u c i a c u s. (Beide Orte lagen in demselben Gaue. Pardessus a. a. 0. 1, 210.) Zuweilen erscheint auch die lateinische Endung ensis, z. B. curtis Molinensis (ebendas. 2, 135), abgeleitet von Molinus (Hef- ner a. a. 0. LXXXIX. Dkm., Gesta abbatum Fontanellensium, 8. K. bei Pertz a. a. 0.2,281), verglichen mit Mol i niaeo (Pardessus a. a. 0. 1 , 103), ad vicum Berberensem, qui nunc L i p i d i a c o (nach dem neuen Besitzer L e p i d u s) dicitur. (Gregor, Turon, Vitae patrum, 13. K.) Nicht blos Ortsnamen, sondern auch Haus-, Berg- und andere Namen wurden auf dieselbe Weise gebildet, z. B. ex fundo Rofiaco domum nomine Juliaeo (Pardessus 1, 138), mons Compesciago (ebendas. 2, 132. In derselben Urkunde findet sich villa Compesciago. Aus der früheren Zeit kennen wir Mons Brisiacus. Itin. Ant. , Not. dignit. in partibus Occid.) , Cui- siaco Silva (Pardessus 2,27). In allen diesen Namen kommt die Ableitung iac mit dem lateinischen i an u s in der Bedeutung ganz überein und drückt hauptsächlich den Besitz aus. So leichtverständlich die keltische Ableitung iäc jedem aufmerksamen auch des Keltischen unkundigen Leser ist, so erfuhr sie gleichwohl durch solche Schriftsteller, welche die Sprache zu verstehen wähnen, mancherlei falsche Erklärun- gen, von welchen die Mo ne"sche gewiss die sonderbarste ist. Nachdem Mone seine Meinung, wie gewöhnlich , ein Paar Mal gewechselt, behauptet er (Die gaUische Sprache und ihre Brauchbarkeit für die Geschichte. Karlsruhe 1831. 31. S. u. ff.), iacu ♦*) sei eine gallische Ableitung und ein Nominativ der Mehrheit , das m eine lateinische Endung. Diese Ableitung bedeute Menschen , die jener Person , anderen Namen sie gehängt werde, gehörten, sei es als Colonen oder Sclaven , z. B. .lulia- cum bedeute die Colonen oder Bauern des Julius!! Zu diesem groben Irrthume verleiteten M o n e'n die deutschen Ortsnamen, die auf i n g , in gen ausgehen und ursprünglich Mehrheitsfurraen waren. Die Form ingen nämlich weist auf den alten Dativ der Mehrheit i n g u m hin, der schon frühzeitig zuingun, ingon, endlich zu ingen ward (also urs|)rünglich z. B. zi A 1 a m u n ti ng u m , zu den Alamuntingen, d. h. bei den Nachkommen, Angehörigen des Alamunts) ; die Form ing aber mag theils aus dem alten Nominativ oder Accusativ der Mehrheit ingäs, woneben schon frühzeitig ingA erscheint (also z. B. Frigisingas, Frigisinga, die Frigisinge, d. h. die Nachkommen , Angehörigen des Frigiso) , theils aus ingen abgekürzt sein. •j An einem antlern Orte (^Acla SS. Sept. 1. 280) licisst es Virisiaeo. ") Die Endung iacu für iaco erscheint naeli häufig vorkommendem Wechsel zwischen» und n hie und da in UrkandcD. Diese Ausnahmsfälle genügen M o n e'n sofort eine gallische Form i ac u anzunehmen ! Die Bisthümer Noricums etc. 111 (Vo-I. Schrae Her, Baierisches Wörterbuch 1,82.) Jener Irrthum kann indess bei Mone'n nicht auffallen. Dass aber ein üolzroann in seiner kürzlich erschienenen Schrift: Kelten und Germanen (Stuttgart 1833. 153. S.), worin er mit Gründen die wahrlich keinen ernsten Forscher der keltischen und deutschen Sprache täuschen werden, mühsam zu beweisen versucht, dass die Kelten oder Gallier und die Deutschen dasselbe Volk, die britischen V'ölker (die Kymren und Bretonen und die Iren und Hochschotten) dagegen ein von den Kelten ganz verschiedenes Volk seien , behaupten kann , die Gallier hätten für Patronymica dieselbe Bildung, wie die Deutschen, aber in dialektischer Verschiedenheit, iac für ing gehabt, und es gehe daraus hervor, dass die gallische Sprache von der deut- schen nicht wesentlich verschieden gewesen wäre, ist ein Beleg, dass auch die tüch- tigsten Forscher einmal von einer vorgefassten Meinung befangen in die ärgsten Irrthümer verfallen können. Die keltische Ableitung ac , iac bezeichnet nie, wie das deutsche ing, die Abstammung. Die Kelten bildeten damit nicht blos Orts-, sondern auch Personen- und Völkernamen. Beispiele sind die gallischen Mannsnaraen Dumnacus (Caes. Vgl. die kyinrischen Mannsnamen Dumn , Guor-dumn = altem Ver-dumnus. Lives ofthe Cambro British Saints by Re es. Llandovery 1833. 144.S.), D ivitiacus (Caes.), Valetiacus (ebendas.), M agi a cus ( Orel 1 i a. a. 0. 4900. Nr.), die Volksnamen Segontiaci (Caes.), Teutobodiaci (Plin.); die britan- nischen Mannsuamen Galgacus (Tacit.), Caratacus (ebendas.), der auch bei den Galliern erscheint. (Gruter a. a. 0. 902. S., 5. Nr.) Diese Namen sind so wenig Patronymica, als die mit anderen Ableitungen gebildeten keltischen Namen. Unter den Hunderten von keltischen Namen die sich auf Inschriften erhalten haben, findet sich nicht einer, der sich als patronymisch erwiese. Die Patronymica sind dem ganzen Keltenthume fremd. Einer der vielen Beweise aber , dass die britannische wie die irische Sprache mit der gallischen zu demselben Sprachstamme gehört, ist, dass die besprochene Ableitung in jenen Sprachen eine der allgemeinsten Endungen ist, womit besonders Beiwörter von Hauptwörtern abgeleitet werden. Im Britannischen welches mit dem Gallischen am meisten verwandt ist (s. Zeuss a. a. 0. Vorr. 3. S. u. ff.), lautet sie kymrisch auc, iauc (jetzt awg, iawg), wofür auch 6c, üc erscheint, 2. kornisch 6c und 3. armorisch (bretonisch) 6c, wofür zuweilen auch üc vorkommt (in der neueren Sprache ec) *). Im Irischen und Gälischen lautet sie a c h (aus ac) mit kurzem a. (Darüber s. Zeuss a.a.O. 776. S.) Wie im Gallischen , so bildete man auch im Britannischen mit jener Ableitung viele persönliche und örtliche Namen. Bei- spiele altbritannischer Namen haben wir schon oben angeführt. Beispiele späterer Namen sind die k y m r i s c h e n Maunsnamen D y f n a w g (Lives of the Cambro British Saints, 270. S. aus Dumnauc = obigem Dumnacus), Ca ra taue (Lib. Landav. 133., 248. S. u. oft. = obigem Caratacus. Vgl. die gallischen .MannsnamenCaratius, Caratullus, Caratinusauf Inschr.), Carantauc, Karant6c (Lives of the Cambro British Saints, 101. S. Vgl. die gallischen Mannsnamen Carantius, Carantillus, Carantinus auf Inschr.), Matauc, Matöc, Ma tue (Lib. Landav. 73., 194., 136. S. Vgl. die gallischen Manns- namen Matucus oben 85. S. 3. Anm., Teuto-matus bei Caes.), Tiitue (Lib. Landav. 120. S. von tut, populus, jetzt tÄd = t6t, irisch tuath = tot, gallisch tout in den Namen Touto, Toutus, Toulia , Toutillus, Toutio- rix auf Inschr.), Guassauc (ebendas. 264. S. = altem Vassäc. Vgl. den gallischen Mannsnaraen Vasso-rlx bei Orelli 4967. Nr.), Gwynnauc (Jolo Manuscripts by Williams. Llandovery 1848. 137. S. = altem Vindac von gwynn aus guind, irisch fionn aus find = altem vind, albus, candidus. Vgl. die gallischen Mannsnamen Vindo , Vindus, Vindius, Vindillius, Vindonius auf *) Über die verschiedenen Umgestaltungen des langen a im Britannischen s. Z e u s s a, a. 0. Hü. S. u. ff. \\2 Wilhelm Glück. Lauriacum i) heisst daher ursprünglich so viel als colonia Lauro- niana (colonia Laiironis). Lauriacum war also eine gallische Gründung und hestand ohne Zweifel schon vor der römischen Herrschaft. Sicher aber war es noch kein bedeutender Ort, als eine Militärcolonie dorthin ausgeführt Inschr.), Cim eil Haue (LH). Laiulav. 2ö3. S. u. oft. aus Comaltiauc); die örtlichen Namen Tref-redinauc („villa fiiicis." Lives of the Carabro British Saiuts, 30. S. aus ratinauc = ratinäc, filicetum , vom jetzigen rhedyn, filix, aus ratin, irisch raitb, rathausrati, ratis bei Marcellus Burdegal, 23. K.), „Brecheniauc (aus Braccaniauc) primum a Brachano nomen accepit" (ebendas. 272. S.), „aGunliu (Gundiiu für Guindliu, jetzt Gwynlliw, zusammengesetzt aus obigem guind = vind und liu, jetzt lliw, irisch li aus liv, Subst. und Adject. color, splendor, gloria, coloratus, splendidus, gloriosus = altem Vindolivo. Vgl. die gallischen .Mannsnamen Livo bei Orelli 4901. Nr., Livius, der auch als Beiname Apollos ebendas. 2021. Nr. erscheint: Apollini Livio, d. h. splendide) nominata est regio Gunliuuauc" (ebendas. 143. S. für Guindliuauc = altem Vindolivac), Pepitiaue (Lib. Landav. 122., 244. S.). Im Armorischen finden sich dieselben Naraenbildungen. Das Irische bietet zahllose Namen auf ach, z.B. B u a d h a c h (Annal. IV Magistror. bei 0 ' C o n o r a. a. 0. 3, 418 = altem bödiäc , victor, iu dem gallischen Volksnamen Teuto-b o dia e i , von buadh, buaidh , victoria = bod, kymrisch budd = bud aus altem boudi, bödi in dem britanni- schen Frauennamen Boudicea bei Tacit., in den gallischen Namen Boudius, Boudia auf Inschr., B o d i o -casses bei Plin.), Conru Cathbuadhach („dicebatur eo quod in bellis erat triumphator.« Acta SS. Jul. 3, 394. Dieser Beiname ist nämlich von cath, pugna = cat, kymrisch cad = cat aus altem catu in den gallischen Namen Catu- gnÄtus, Catu-rix auf Inscbr. und dem obigen buadhach = altem bödiäc gebildet, lautet also altkeltisch Catubodiacus. Vgl. den kymrischen und armorischen Manns- naraen Calbud = altem Catubodius. Lib. Landav. 191. S., Morice a. a. 0. 302. S.), Cathusach (Annal. IV. Magistror. a. a. 0.262., 690 S. = Catusac. Vgl. die gallischen Namen Catuso, Catusiacum ") oben 108. S. 7. Anm.), Ragallach mac (filius) U a t a c h (ebendas. 208. S.), Muiredach mac Ruadhrach (ebendas. 381. S.). Was wir über die britannische und irische Ableitung bemerkten, musste Holz mann aus Zeuss' keltischer Grammatik (773., 776., 777., 813., 816. S.) wissen; er aber verschwieg es, wie so vieles andere, weil es seine Behauptung in Nebel auflöst. *) Die richtige Form Lauriacum bieten, mit Ausnahme der peutingerschen Tafel, wo der Name in Blaboriciacum entstellt ist, alle römischen Denkmaler, die des Ortes erwäh- nen : Itinerarium Antonini (bei Parthey und Pinder 108., 110., 112., 113., 118., ll'J., 131. S.), L. 1. Cod.Theod. detabulariis (8, 2) vom J. 341 (=L.31. Cod. Theod, de decurionib. 12, 1. = L. 1. Cod. Just, de tabular. iO, 69), Ammianus Marcel- linus 31, 10, 20 (ed. Er für dt), Notilia dignitatum in partibus Oecidentis 3., 7., 8., 33. K. (bei Böcking 22., 27., 33., 43., 100. S.) In einer Inschrift (s. unten die 114. S. 1. Anm.) vom J. 370 lindet sich jedoch Laureacenses für Lauriacenses, wenn es richtig gelesen ist. Auch in der zu Anfange des sechsten .lahrhunderts ver- fassten Vita S. Severini (19., 26., 27., 29., 30. K.) erscheint Lauriacum. •) So lassen sich zahllose gallische Wörter und N'amenhiidungen im Britannischen und Irischen oachveisen und Holzmann hat die Kühnheit la behaupten, die Britannier und Iren seien keine Kellen I Die Bisthiimer Noricums etc. 1 1 O ward (colonia deducta) i). Mit der römischen Pflanzung ward jedoch eine ansehnliche Erweiterung des Ortes verbunden. Den Veteranen nämlich, die sich in Lauriacum ansiedelten, wurden nicht nur Län- dereien (agri), sondern auch neue Wohnungen angewiesen. Ihrer Bestimmung gemäss ward die Colonie durch Wall und Graben, Mauern und Thürme befestigt -). So erwuchs Lauriacum unter Marcus Äurelius zur Stadt und Festung des Reiches (propugtmculmn impcrii), und nahm fort- während an Wichtigkeit und Bedeutung zu. Dafür bürgt Anton ins Itinerar-), in welchem Lauriacum als Anfangs- und Ausgangs- pnnct wichtiger Strassenzüge*) und als Hauptstandort der zweiten Legion 5) aufgeführt wird. Dafür zeugt ferner ein Denkmal vom 1) Seit dem Jahre 100 v. Chr. wurden Militärcolonien ausgeführt. Vellejus Pater- culus (1, 13) sagt nämlich: In Bagiennis Eporedia colonia deducta est Mario sextum Valerioque Flacco consulibus (100 v.Chr.). Neque facile memoriae mandaverim, quae, nisi miiitaris, post hoc tempus deducta sit. (Vgl. Zumpt a. a. 0. 205. S.) Eine Aus- nahme machen die von August und N e r v a zur Versorgung der besitzlosen Bewohner Roms und die von Traj an zur Bevölkerung des von ihm eroberten Dakiens angeleg- ten Colonien. S. Zumpt a. a. 0. 362., 399., 404. S. 2) Ein wesentliches Merkmal des Begriffes Colonie ist das einer Staatsfestung , worauf die Mauern und Thürme in den Abbildungen der Colonien hindeuten. (S. die Schriften der römischen Feldmesser. 1. Bd. Anh. 19. S., 174. Bild u. f.J In Severins Leben (29. K.) wird ausdrücklich der Mauern Lauriacums gedacht. ^) Dieses Reisebuch welches von Antonin Caracalla seinen Namen hat, rührt, so wie es uns in den besseren Handschriften überliefert ist, aus Dioeletians Zeit hei-, 5. Parthey und Pin der in der Vorrede zu Antonius Itinerare. (Berlin 1844) 6. S. u. f. *) A Sirmi Lauriaco — A Tauruno Lauriaco. Inde Augusta Vindelicum — Item a Lau- riaco Veldidena — Item a Lauriaco per medium Augusta Vindelicum usque Brigantia — Item ab Aquileja Lauriaco. Bei Parthey und Pinder 108., 112., 118., 119., 131. S. ^) Ebendas. 115. S. Die Leseart leg. III. ist falsch, wie Bock ing (Annotatio ad Notit. dignifat. in partib. Occident. 744. S.) nachweist. Schon Lambek (a. a. 0. 297. Sp.) erkannte die richtige Leseart leg. II. Die zweite Legion mit dem Beinamen der italischen ward nach des Dio Cassius Berichte (55. B., 24. K.) von Marcus A u r e 1 i u s im TS'oricum errichtet, und hatte an der Donaugrenze, zu deren Schutze sie bestimmt war, noch zu Anfange des fünften Jahrhunderts ihr Standlager. Zwar ver- muthet V. A n k e r s h o f e n (a. a. 0. 83. S.) , das Standlager der zweiten italischen Legion wäre im Mittelnoricura, in der Colonie (?) Virunum , im heutigen Zollfelde gewesen, weil Soldaten derselben auf mehreren dort gefundenen Denkmälern erwähnt würden. Später jedoch (a. a. 0. 324. S.) meint er, da die Legion aus Norikern für Noricum geworben worden wäre, so könnte die öftere Erwähnung ihrer Soldaten auf mitfelnorischen Denkmälern auch dadurch erklärt werden, dass diese Soldaten Mittel- noriker gewesen wären. Das sicherste Zeugniss über den Standort einer Legion, fügt er richtig bei, gäben die Ziegel, in welche die Soldaten den Namen ihrer Legion ein- Sitzb. d. phil.-hist. Cl. XVII. Bd. 1. Ilft. 8 I J y^ Wilhelm Glück, Jahre 370, wek-hes einer von den Hilfstruppen Lauriacums errichteten Burg erwähnt i). Endlich erhärtet es die Notitia gedrückt hätten. Solche Ziegel aber hätten sich bisher in Kärnten noch nicht gefun- den. Dagegen fand man auf dem Boden des alten Lauriacum bis jetzt zehn mit legio II. italica bezeichnete Ziegel. Dieselben gehören , wie aus der verschiedenen Schreib- weise erhellt, sehr verschiedenen Zeiten an und zeugen also von dem langen Aufent- halte welchen die Legion an jenem Orte hatte. Ebenso wurden unter den Trümmern des alten Joviacum (Schlögen) , wo nach dem Zeugnisse der Notitia dignitatum eine Abtheilung der Legion stand , Ziegel mit jenem Zeichen gefunden. (Darüber, so wie über die zweite italische Legion überhaupt s. fi a i s b e r g e r , Lauriacum a. a. 0. 28. S. u. f. Über die Ausgrabung römischer Alterthümer zu Scblögen a.a. 0. 19. S. und Römi- sche Inschriften im Lande ob der Enns a. a. 0. 17. S. u. ff.) Die von Gais berger io der letzteren Schrift angeführte Meinung Vaillant's, die zweite Legion hätte desshalb den Beinamen der italischen erhalten, weil ihre Soldaten des jus itali- cum Iheillial'tig gewesen wären, ist jedoch falsch. Das jus italicum , wodurch einer Provinzialstadt mit der Civität und zwar, wie es scheint, ausschliesslich einer Colonie die Rechte welche die italischen Städte vor den Provinzen auszeichneten, verliehen wurden, war kein persönliches Vorrecht (diese irrige auf falsch gelesene Inschriften gegründete Meinung hat auch Walter a. a. 0. 2. Aufl., 1. Bd. 386. S.), sondern haf- tete an dem Gebiete der Stadt die es besass. Über das italische Recht s. Savigny's Abhandlungen in der Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft. S. Bd., 242. S. u. ff. u. 11. Bd., 2. S. u. ff. und Zumpt, Über die Erwähnung des jus italicum auf Inschriften, ebendas. iS.Bd., l.S. u. tf. VgL Mommsen, Römische Urkunden, 5.Nr. Jus italicum, ebendas. 364. S. u. tf. Wenn M an ne r t (a. a. 0. 663. S.) bei Aquincum welches auf Steinschriften eine Colonie genannt wird (s. Zumpt, Comnient. epigraph. 430. S.) und nach dem Zeug- nisse des antoninischen Itinerares (bei P a r t h e y und P i n d e r 1 14. S.) und der Notitia dignitatum in partibus Occidentls (32. K.) der Standort der legio II. adjutrix war, die Bemerkung macht, die Colonialeinricbtungen der Römer, nach welchen der Bürger alter Sitte gemäss zugleich die Besatzung gebildet hätte, schienen mit dem Festungs- wesen an der Donau und den stehenden Truppen nicht vereinbar zu sein , so ist er im Irrlbiiine. In mehreren Colonien lagen nämlich Legionen zur Besatzung, wie zu Carnuntum in Pannonien die legio XiV. gemina (Hin. Ant. 114. S., Not. dig. in partib. Occid. 33. K.), zu Oeskus in Mösien die leg. V. Macedonica (Itin. Ant. 104. S. , Not. dig. in partib. Orient. 39. K.) , zu Ratiaria ebendas. die leg. XIII. gemina (Itin. Ant. 103. S., Not. dig. in parlih. Orient. 39. K.), zuViminakium ebendas. die legio Claudia (Not. dig. in partib. Orient. 38. K.) u. s. w. ') Valenliani, Valentis et Gratiani — jussione hunc burgura a fundamentis — m ili tes auxiliares Laureacenses (Lauriacenses ?) — ad suinmam nianum perduxerunt perfectionis. (Gaisberger, Rom. ln.schriften a.a. 0. U.S.) Gaisberger (Lauriacum a. a. 0. 31. S.) vermuthet , dieses Festungswerk sei unweit der Einmün- dung der Enns in die Donau , wo noch im Jahre 1374 P i g h i u s (Hercules Prodicius. 210. S.) die Grundlagen und ungeheuren Quader einer Feste sah, aufgeführt worden. Burgus ist nach Vegetius (De re militari. 4. B., 10. K.) ein c a s tel lum p ar- vul um. (Vgl. ßöcking a. a. O. 704. S. u. f.) Dieses Wort erhielten die Römer von d(!n Dciitsclien (go(h. baurgs, alid. bürg) und nicht, wie Holz mann (a. a. 0. 98. S.) fälschlich behauptet, von den Galliern. Das von den Römern erst spät gebrauchte Wort ist dem Gallischen fremd. Die Gallier hatten dafür die in so vielen Ortsnamen vor- kommenden Wörter diknum und durum (castrum). S. Zeuss u. a. 0. 29. S. u. f. Die Bisthiimer Noricums etc. 115 dignitatum *), welche Lauriacum als Standort eines Präfecten der zweiten Legion 2), eines Präfecten der Donautlotte ^^ und einer Schildfabrik *) bezeichnet und überdies der Lanzenträger von Lau- riacum gedenkt ^). Stellt man mit diesen Angaben ß) des Eugippius Nach- richten über Lauriacum ■') , wonach es zu Severins Zeit der Zufluchtsort der übriggebliebenen Bevölkerung der rhätischen und norischen oberen Donaustädte war und von den Barbaren vergeblich belagert ward *), zusammen und nimmt man hinzu, dass in der Umgegend des heutigen Dörfchens Lorch weit herum eine Menge *■) Dieselbe ward zwischen den Jahren 400 und 404 verfasst. S. Böciiing', Über die Notitia dignilatuin ulriusque iniperii. Bonn 1834. 2) Praefectus Leg-ionis Seciindae Lauriaco. Not. äig. in partib. Occid. 33. K. •') Praefectus Classis Lauriacensis. Ebendas. Lambek (a. a. 0. 296. Sp.), der im Jahre lt)6j die Gegend des alten Lauriacum besuchte und durchforschte, sagt, er habe bei der Vereinigung der Donau und des Lorclibaches unverkennbare Spuren der Stelle, wo einst die Flotte von Lauriacum lag, beobachtet. Vgl. Gaisberger, Lauriacum a. a. 0. 12. S. *) Lauriacensis Scutaria. 8. K. °) Lanciarii Lauriacenses. 3., 7. K. Über die lanciarii s. Böcking, Ännotat. ad Notit. dignit. in partib. Orientis. 189. S. ^) Aus denselben erhellt, dass in und bei Lauriacum eine bedeutende Truppenmacht lag. S. Gaisberger a. a. 0. 10. S. u. f. ') Eugippius nennt Lauriacum o ppid um (19., 26., 27., 29. K.), ci vita s (29. K.) und urbs (29., 30. K.). Wie Kurz (a. a.O. 9. S.) dazu kam, oppidum mit Flecken zu übersetzen, ist uns unbegreiflich. Abgesehen davon, dass oppidiim bei den Römern in der Bedeutung Flecken nie vorkommt, hätte den gelehrten Chorherrn schon der Umstand, dass Eugippius, wie wir bereits bemerkten, Lauriacum auch civitas und urbs nennt, von diesem Irrthume bewahren sollen. Dazu kommt noch , dass Eugip- pius der Mauern Lauriacuras gedenkt (29. K.). Dadurch aber unterscheidet sich oppidum wesentlich von vicus. Isidor (Ürigines s. etyraologiae. 13. B., 2. K. 6., 12. §. bei Lindemann, Corpus grammaticor. latinor. veter. 3. Bd., 469. S.) sagt: Oppidum aufem magnitudine et moenibus discrepare (gewöhnlich discrepat) a vico. — Vicus autem dictus ab ipsis tantum habitationibus, velquodvias habeat lanluui sine muris. Est autem sine munitloue murorum. In dem ßegrilfe und der Anlage eines oppidum liegt die Befestigung. (S. Varro, De lingua lat. reo. Spengel. Berol. 1 826, 143. S., P o m p o n i u s , Lib. sing, enchiridii in L. 239, §. 7. D. de verhör, siguificat. öO, 16., Paulus Diaconus, Excerpta ex libris Pompeji Fest! de signif. verb. u. d. W. oppidum bei L i ndeuiann a. a. O. 2. Bd., llö. S., 1 si d 0 r us, Ori- gines. 13. B., 2. K., 3. §., ebendas. 3. Bd., 469. S., Coramentarii in Paulum et Festuni ebendas. 2. Bd., 348. S. und oben die 103. S. 3. Anm.) Wenn dagegen ein Schrift- steller wie Mnne (Urgeschichte des badischcu Landes. Karlsruhe 1843. 1. Bd., 73. S.) behauptet, bei den Römern hätten die Dörfer oppida gelieissen, so darf uns das nicht befremden. 8) Vita S. Sever. 29. K. 8* \\Q Wilhelm Glück. von Alterthiimern jeder Art gefunden ward i) , 'so unterliegt es keinem Zweifel, dass Lauriacum eine wichtige, umfangreiches) und stark befestigte Stadt war. Mit Recht wird es daher für die ansehnlichste Stadt des Ufernoricums gehalten 3). Als Colonie hatte Lauriacum auch einen Magistrat *). Höchst wahrscheinlich befand sich daselbst auch der Sitz des ufernorischen Statthalters (praeses) O- Wie dagegen Filz aus den Angaben der Noütia digiiitahim schliessen konnte, in Lauriacum wäre kein Magi- strat gewesen, fallt auf. Ganz abgesehen davon, dass in jenem Ver- zeichnisse der bürgerlichen und militärischen Ämter des Reiches von den Magistraten der Städte gar keine Rede sein kann , werden dort mit Ausnahme der bürgerlichen Beamteten welche dem Minister des Schatzes (comes sacrarum largitiomim) untergeben waren ß), blos die Standorte des Militärs angezeigt. Es ist daher sehr begreif- lich, dass Lauriacum in der Noütia digniiatum blos als militäri- scher Standort erscheint. Eben so erscheinen dort auch die meisten übrigen Städte nur als solche Orte ''). Noch Niemanden aber fiel es ein, hieraus zu folgern, dass sich in jenen Städten keine Magistrate befunden hätten. Andere Gelehrte schlössen aus den Angaben jener Notitia vielmehr mit vollem Rechte, dass Lauriacum eine wichtige und beträchtliche Stadt war s). So war denn Lauriacum zuverlässig im vierten Jahrhundert eine ansehnliche Stadt und für einen Bischofssitz vollkommen geeignet. *) Ül)er die Alterthümer Lauriacums s. Gaisberger a. a. 0. 23. S. u. ff., wo alles was sich an erhehliclien Altertliüniern aus den Trümmern Lauriacums erhalten hat, ang-e- führt ist. Diese Altei-tiiümer beziehen sich auf das Kriegswesen, das religiöse und hüusliche Leben. 2) Über den vermuthlichen Umfang Lauriacums s. Pr itz a. a. 0. 36. S. 3) S. M a n n e r t a. a. 0. 037. S. u. f. *) S. oben die 100. S., 6. Anm. *) S. Böcking, Annot. ad Notit. dignit. in part. Occid. 1194. S. 6) Not. dig. in part. Occid. 10. K. ') So erscheint, um nur ein Beis|)iel anzuführen, Sirmium, die bedeutendste Stadt Pannoniens, in der nicht blos der Statthalter (consularis) des zweiten Pannoniens, sondern auch der Vicarius der illyrischen Diöcese der Präfectur Italien seinen Sitz halte (vor der TheiUing Illyricums in das westliche und östliche hatte der Priitorial- präfect Illyricums zu Sirmium seinen Sit/.), in der Notitia dignitatum blos als Standort des praefectus militum Calcariensium (31. K.) , des praefectus classis primae Flaviae Augiislae (ebiMidas.), der ala Sirmiensis (ebendas.) und einer fabrica scutorum, scor- discorum et armorum (8. K.). Ausserdom wird Sirmium noch als Sitz eines procurator gynnecii Pannoniac secundae (10. K.) bezeichnet. 8J S. M a n u e r t a. a. ()., 15 ö c k i n g a. a. 0. 231. S. Die Bisthüraer Noricums etc. 1 1 < Davon hätte sich Filz seihst schon aus Severins Leben üher- zeugen können. War nämlich Lauriacum im fünften Jahrhundert würdig ein Bischofssitz zu sein, so war es dies auch schon im vierten. Denn Niemand wird bestreiten wollen, dass Lauriacum schon damals eine eben so beträchtliche Stadt war, als zu Severins Zeit. Im fünften Jahrhundert erhoben sich in den römischen Grenzländern, zumal im Ufernoricum, keine neuen Städte mehr. Die im Ufer- noricum zu Severins Zeit vorhandenen Städte stammten vielmehr aus einer früheren Zeit. Wir brauchen wohl kaum hinzuzufügen, dass viele Orte welche den Namen castrum oder castellum führen, Bischofssitze waren *). Bei Fragen, wie der vorliegenden, können überhaupt die den Orten beigelegten Namen allein nichts entscheiden. So ent- standen aus vielen ursprünglich zur Vertheidigung des Landes erbauten Burgen Städte, von welchen mehrere den Namen castrum oder castellum beibehielten 2). Andere Orte dagegen, welche früher die Namen colonia, municipium, oppidtim führten, wurden später castrum oder castellum genannt 3). Ebenso erwuchsen viele ehemalige Flecken zu Städten, mehrere behielten den Namen vicas oAev forum bei*). Hier wie dort aber fanden sich Bischofssitze 5). 2. sagt Filz 6), auf keiner der im vierten Jahrhunderte gehaltenen Synoden, der zu Nikäa 325, zu Sardika 344, zu Mailand 347, 355^), zu Sirmium 357«), zu Rimini 359, zu Rom 349, 1) S. Sclielstrate, Antiquitas ecclesiae. Romae 1697. 2. Bd. Regist. u. d. W. cas- trum, Valesius a. a. 0. Vorr. 18. S. , Wiltsch, Handbuch der kirchlichen Geographie und Statistik. Berlin 1846. Regist. u. d. W. castrum u. castellum, Morcelli a. a. 0. 126. S. u. ff. 2) S. oben die 103. S., 3. Anm. 3) Ebendas. *) Z. B. Vicus Juliensis urbs (Greg o r. Türen. Histor. Francor. 9, 7. Vgl. Val esi ii s a. a. O. 83. S.) ; Forum Flamini, Forum Semproni, Forum populi, Forum Livi, Forum Corneli. Alle diese Orte bezeichnet das hierosolymische Reisebuch (bei Parthey und Pinder 289. S.) als civitates. *) S. Wiltsch a. a. 0. u. d. W. er um u. vicus, Morcelli a. a. 0. 352. S. u. f. 6) A. a. 0. 58. S. u. 70. Bd., Anz.-Bl. 30. S. u. f. ^} Ausserdem wurden in Mailand in den .lahren 346, 380 und 390 Synoden gehalten. Mansi a. a. O. 2. Bd. 1369. Sp., 3. Bd., ÖI7., 689. Sp. 8) In Sirmium fanden drei Synoden Stntt: die erste 3äl , die zweite 357 und die dritte 338. Mansi a. a. 0., 3. Bd., 179., 257., 289. Sp. 118 W i 1 h e l m G 1 ü c k. 351 <), 358, 378 2) u. s. w. , selbst nicht auf der so nahen Synode von Aquileja 381, der es besonders um die Ruhe und Einig- keit der pannonischen Kirche zu thun gewesen wäre, fände sich eine Unterschrift oder eine Stimme oder eine Erwähnung eines lorcliischen oder norischen ßischofes überhaupt. Wenn auf jenen kirchlichen Versammlungen keines lorchischen oder norischen ßischofes überhaupt Erwähnung geschieht, so wird dies Niemand der sich die Mühe nimmt, dieselben etwas genauer durchzugehen , befremden. Was die Synode von Nikäa betrifft, so waren dort dreihundert und achtzehn Bischöfe welche aus allen Theilen des römischen Reiches berufen waren, versammelt. In dem Verzeich- nisse derselben finden wir über zweihundert morgenländische, ausser den Gesandten des römischen Bischofes aber blos neunzehn abend- ländische Bischöfe s) , so dass mehr als neunzig Bischöfe, und dies waren gerade abendländische*), fehlen. Es darf uns daher nicht Wunder nehmen , wenu wir dort keinen norischen Bischof finden. 1) Miiusi (a. .■), O. 229. Sp.) {riht das Jahr 3S2 au. 2) Ausserdem wurdeu zu Rom in den .laliien 313, 323, 337, 341, 342, 366, 372, 373 oder 374, 381, 386 und 390 Synoden ahgehaUeu. Mansi a. a. 0. 2. Bd., 433., 1081., 12C9., 1351., 1339. S|.., 3. Bd., 377., 447., 433., 477., 633., 639.' 677'! 687. S|). ») Unter den neunzehn abendländischen Bischöfen finden wir einen spanischen (an der S|)itze der nikäischen Väter), vierzehn illyrische (darunter einen pannonischen), einen kalal.rischen , einen afrikanischen, einen gallischen und einen g-othischen Bischof. S. das Verzeichniss der Väter von Nikäa im Codex canon.im ecciesiae Romanae, in Leonis M. opj.. ed. IJallerin. 3. Bd., 30. Sp. ■») Dies erhellt aus der folgenden hinter dem nikäiscJien Glaubensbekenntnisse (im Codex can. eccies. Rom. a. a. 0. 29. Sp. und in einigen alten lateinischen Übersetzungen der nikäischen Synodalschlüsse a. a. 0. 28. Sp., 6. Anm.) stehenden Bemerkung: Quam haeresin (Arianam) cum auctoribus suis damnaverunt apud Nicaenara civita- tera supradietam CCCVIII Episcopi in unum congregati, quorura nomina cum pro- vinciis suis et civitatibus subter anuexa sunt. Sed studiosi servi Üei raagis curave- runC orientalium nomina Episcoporum conscribere, propterea quod occidentales non siiniliter quaestionem de haeresibus habuis.sent. In der Üxforder Handschrift des Cod. can. eccles. Rom. (in Leonis M. opp. ed. Quesnellus. Lugd. 1700. 2. Bd., 7. S.) ist noch beigefngl: Hinc est quod numerus nominum CCCXVIII minime conslal. und am Ende .les Verzeichnisses der nikäischen Väter setzt eine spatere llnnd hin/.u : De numero trecentorum decem et octo, seu quia propter veluslateu. abolila sunt, seu quia, ut supra scriptum est, magis curaverunt servi De. Onentalium Episcoporum nomina ponere, cum quibus quaestio agebatur, quam Oce.denlalMun, qui nullam de consubstantialitate Patris et Filii controversiamhabe- bant, desnut nomina nonaginta duo (a. a. O., 12. S.) über das Verzeichniss der nikäischen Väter s. die Ballerini a. a. 0. 16. S. u. ff. Die Bisthüraer Noricums etc. 119 In Bezug auf die Synode von Sardika haben wir bereits oben den Zweifel den Filz gegen die Erwähnung Noricums in der Aufschrift ihres an die alexandrinische Kirche erlassenen Briefes erhebt, besei- tigt und nachgewiesen, dass wenigstens ein norischer Bischof dessen Namen und Sitz wir aber wegen der mangelhaften Unter- schriften nicht kennen, in Sardika zugegen war. Was dann die Con- cile von Mailand, Sirmlum, Rimini und Rom betritft, so ist von ihren Verhandlungen wenig oder nichts , von den Unterschriften aber gar nichts auf die Nachwelt gekommen i), so dass wir in der That nicht begreifen, wie Filz jene Concile anführen konnte, nicht davon zu reden , dass sich auf mehreren derselben kein norischer Bischof befinden konnte 2). In Rücksicht auf die Synode von Aquileja endlich ist zu bemerken, dass in den Unterschriften derselben neun Bischöfe ohne Bezeichnung ihrer Sitze vorkommen. Es konnte daher leicht einer derselben von Noricum sein. Wäre indess auch das Gegentheil gewiss, so könnte uns dies keinesweges befremden, weil blos die Bischöfe der Diöcese Italien auf der Synode zu erschei- nen hatten ^). Dass auf den Synoden des vierten Jahrhunderts kein ^) Dies g^ilt auch von den oben in der 207., 208. und 210. Anm. angeführten Synoden. 2) Wir meinen die römischen Synoden, wozu blos italische Bischöfe berufen waren. Eine Ausnahme machen die in den Jahren 323, 349 und 372 gehaltenen Synoden. Auf der ersten waren 275 Bischöfe aus Italien und den benachbarten Provinzen, auf der zweiten Bischöfe aus den meisten Provinzen und auf der letzten Synode 93 Bischöfe aus Italien und Gallien versammelt. S. Mansi a. a. 0. 2. Bd., 1081. Sp., 3. Bd., 163., 433. Sp. ■') In dem an den Vicarius der Diöcese Italien erlassenen kaiserlichen Rescripte, welches in den Synodalacten steht, heisst es nämlich: Ainbig-ua dogmatum reve- rentia ne dissideant sacerdotes , quam primum experiri cupientes , convenire in Aquiiejensium civitatem ex dioecesi, meritis excellentiae tuae creditam (1. creditae), episcopos jusseramus. — Neque sane nunc aliter jubemus ac jussimus, non inver- tentes praecepti tenorem , sed superfluam coiivenarum copiani recolentes. Nam quod Arabrosius et vitae merito et dei diguatione conspicuus episcopus 31edio- lanensium civitatis, ibi iniiltitudineni nou opus esse suggerit, ubi veritas non labo- raret in pluribus, si locata esset in paucis, seque eorum qui contra adstarent asser- tiünibiis, et sacerdotes vicinarum ex It.ilia ei vi tat um satis abunde- que suffieere posse suggerit, abstineudum venerabilium virorum fatigatione censui- mus, ne quis vel maturo aevo gravis vel corporali debilitate confectus vel lauda- bili paupertate mediocris insuetas repetat terras u. s. w. (Mansi a. a. 0. 3. Bd., 601. Sp. Vgl. de Rubels, Monuineuta ecclesiae Aquilejensis. Argentinae 1740, 80. Sp. u. f.). Ausser den italischen Bischöfen erschienen jedoch auch noch andere Bischöfe. In den Unterschriften finden sich nämlich drei illyrische , fünf gallische und zwei afrikanische Bischöfe. Diese Versammlung sollte den (ilaubcu zweier 120 Wilhelm Glück. lorchischer Bischof erwähnt wird, kann also gegen das Dasein des- selben in jener Zeit nichts beweisen i). Aber nicht blos von Lauriacum, sondern auch von anderen Kirchen die zuverlässig schon im vierten Jahrhundert bestanden, suchen wir auf den Synoden und in anderen Denkmälern jener Zeit vergebens Bischöfe. Zum Beispiele mögen die Kirchen von Mainz, Worms und Speier dienen. Zu Konstantins Zeit bekannte sich die Bevölkerung am Beine 3) bereits zum Christenthume s). Wir dürfen daher nicht zweifeln, dass Mainz, Worms und Speier, wie andere reinische Städte, schon zur Zeit der Synode von Sardika (344) bischöfliche Kirchen in ihrem Schosse zählten. Was besonders Mainz, die Hauptstadt des ersten Germaniens, betrifft, so erhellt aus zwei dem vierten und dem Anfange des fünften Jahrhunderts ange- hörenden Nachrichten *), dass sich das Christenthum in einem sehr blühenden Zustande dort befand. Wir dürfen daher mit allem Grunde daraus schliessen, dass schon zu K o n s t a n t i n s Zeit eine bischöfliche Kirche in Mainz bestand. Dennoch lässt sich kein Bischof der genannten Städte vor dem sechsten Jahrhundert aus einem echten Denkmale nachweisen 5). Jene Kirchen hatten mit der lorchischen dasselbe Schicksal: ihr Andenken ging in den Stürmen der Zeit arianiseher Bischöfe aus Dakien und Mösien untersuchen. Wenn Filz sagt, es wäre der Synode von Aquileja besonders um die Ruhe und Einigkeit der pannonischen Kirche zu thun gewesen, oder, wie er sich an einem andern Orte ausdrückt, dieselbe hätte das Interesse der norischen Kirche so sehr betroffen, so müssen wir sehr zweifeln, dass er die Synodalverliandlungeu selbst gelesen hat. ») Ebenso führt Pritz (a. a. 0. 131. S.) den Umstand, dass auf den Concilen die von 32S bis 4ol gehalten wurden, kein lorchischer Bischof erscheint , während 80 viele andere, selbst aus dem mitUeren Noricum genannt würden, als Grund gegen das frühere Dasein an. Pritz aber würde wohl in nicht geringe Verlegenheit kommen, wenn er uns die Concile des fünften Jahrhunderts, auf welchen ein lorchischer Bischof hätte erscheinen können , und die mittelnorischen Bischöfe, die auf jenen Concilen erschienen sein sollen, nennen sollte. 2) Die gewöhnliche Schreibung Rhein ist falsch. S. Ro th, Urkunden der Stadt Ober- moschel. München 1848. 114. S. 3)Sozomenu8 (a. a. 0., 2. B., 6. K.) sagt: ^^67) t^P xdt zz ä(xpl tov 'Ptjvov cpOXa E/ptatiaviCov. Schon Iren aus (Adversus haereses. 1. B., 10. K.), der im J. 177 Bischof von Lugdunum (Lyon) ward, bezeugt, dass in den beiden Germanien chrisUicbe Gemeinden bestanden. ^)Ammian. M a r c e 1 1 i „. 27 , 10. H i ero n y m u s , Ep. 123 ad Ageruchiam , in dessen opp. ed. Vallarsius. Venet., 1760. 1. Bd., 014. S. *) S. Rctlberg a. a. 0. 208 S. u. ff., 370. S., 213. S. u. f., 634. S. u. f., 639. S. u. f, Die Bisthiimer Noricums etc. 121 unter. Dies hat schon der gelehrte Jesuit Hansiz i) mit vollem Rechte von der letzteren Kirche bemerkt. Wenn sich Filz 2) dagegen auf die noch vorhandenen Namen mehrerer Bischöfe Dakiens, Thrakiens, Makedoniens und Achajas, wo die Völkerstürme noch schrecklicher als im Noricum gewüthet hätten, beruft, so widerlegen ihn die von uns angeführten Beispiele der Kirchen des Reinlandes, das von den Barbaren so oft und so furchtbar verwüstet ward. Übri- gens kann Noricum mit jenen Ländern gar nicht zusammengestellt werden. Dort bestanden nämlich schon in den ersten Jahrhunderten, zum Theile schon in dem apostolischen Zeitalter, viele Kirchen. Wir dürfen uns daher nicht wundern, wenn aus der grossen Zahl der Bischöfe welche die genannten Länder im vierten Jahrhundert zählten, auf damaligen Synoden die noch dazu in der Nähe abge- halten wurden, mehrere derselben erscheinen, während Noricum in der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts vielleicht nur einen Bischof hatte. In der Regel erhalten wir von den Bisthümern des römischen Reiches durch die Synoden die erste zuverlässige Kunde. Auf den- selben aber erschienen nicht immer alle Bischöfe die dazu berufen waren, zuweilen nur der kleinste Theil, wie die Versammlung von Sardika beweist. Dann sind die Unterschriften der Bischöfe, wie bereits bemerkt ward, theils unvollständig theils gar nicht auf uns gekommen. Gerade von den Concilen, auf welchen die abendländi- schen Bischöfe in grosser Zahl versammelt waren , wie von jenen zu Mailand (3S5), zu Sirmium (357) und zu Ariminum (Rimini 359) sind keine Unterschriften vorhanden s). Das meiste über die einzelnen Kirchen würden wir durch die Provinzialsynoden erfahren. Allein im Abeudlande entwickelte sich, mit Ausnahme Roms und Afrikas, die Metropolitanverfassung erst nach der Mitte des vierten Jahrhunderts und bald darauf brachen die Völkerstürme herein. Wenn Filz*) meint, dass seit Konstantin in den Städten, wo sich der höchste 1) A. a. 0. 9. s. 2) A. a. 0. 37. S. ^) Auf den beiden ersten Concilen waren über dreihundert und auf dem letzten über vierhundert abendländische Bischöfe versammelt. S. Mansi a. a. 0. 233., 2S6., 296. Sp. *) A. a. 0. 36. S. u. f. 122 Wilhelm Glück. Civilsenat (!) 0 mit dem Statthalter oder Präfecten befunden hätte, auch der bischöfliche Hauptsitz (Metropolitansitz), in den kleineren Städten aber, die einen untergeordneten Magistrat gehabt hätten, ein bischöflicher Sitz errichtet worden wäre, so ist er im Irrthume. Nur im Morgenlande bildete sich die Metropolitanverfassung schon vor Konstantin nach der bürgerlichen Provinzeintheilung und wenn es später zum Gesetze erhoben ward, dass sich die kirchliche Provinz- eintheilung stäts nach der bürgerlichen zu richten hätte 2), so ward dadurch blos ein schon längst herrschender Grundsatz bestätigt. Dem gemäss folgte man auch bei der Ausbildung grösserer hierarchi- scher Körper der bürgerlichen von Constantin getroffenen Ein- theilung des Reiches in Diöcesen. Im Abendlande dagegen entwickelte sich die Verfassung der Kirche auf einer anderen Grundlage und die Meinung der Morgenländer, dass der kirchliche Rang der Bischöfe von dem bürgerlichen Range ihrer Städte abhinge, ward von dem römischen Stuhle ausdrücklich bekämpft 3). Wenn sich auch im Abendlande die Metropolitansitze in Hauptstädten finden, so lag der Grund nicht in der politischen Bedeutung der Städte, wie im Morgenlande, sondern darin, dass das Christenthum von dort aus in die anderen Städte verbreitet worden war*). Eben so irrig *) Von einem solchen Senate weiss das römische Alterthuin nichts. Filz's Behauptung von ilcr Bildiiiiy der kirohlielion Verfassung', die sich auch hei M uchar ("Geschichte des Ilerzog^th. Steiermark. 1. Hd., ISIJ. S.) findet, ist dem ungenauen Binterim (Die Denkwürdigkeiten der christkatholischen Kirche, Mainz 1825, 1. Bd., 2. Th., 437. S.) entnommen. ^) Cone. Antioch. 341. can. 9: Uniuscujusiiue provinciae dehemus ag-noscere metro- polilanos et praeesse episcopis et sollicitudinem suscipere totius provinciae, pro eo i|ii(iil in tnetriipoliin undi(|ue coneurrunt omnes , qui causas habeant : unde placuit ut honore praeponantur et nihil agere plus ali(iuid liceat ceteris episco- pis sine ipso u. s. w. Vgl. Conc. Chalcedon. 431. can. 17. *) So sagt Innocenz I. in seinem an den Bischof Alexander von Antiochien um 413 erlassenen Briefe unter anderem: Quod sciscitaris , utrum divisis imperial! jiidieiii |irovinciis , ut duae metropoles fiant, sie duo metropolitani episcopi dehe- ant nominari ; non esse e re visiim est, ad niohilitatem necessitatum mundanarura dci ecelesiam commutari. Innoeentii I. epp. ed. Constant, in Biblioth. veter. palrum cur. et stud. Gallandii. 8. Bd. 384. S. •') In Afrika aher (in Mauretanien und Nuniidien nämlich) erscheinen die ältesten Bisch()fe als I'rovinzvorsteher (primales, priniaruni sedium episcopi), welche daher auch senes hiessen (S. Munter, Primordia eeclesiae Africanae. Hafniae 1829. 48. S. u. f.), so wie auch in Spanien Anfangs unter den Bischöfen der Provinz der älteste den Vorrang heliaupicle. S. Lemh k e , Geschichte von Spanien. Hamburg Die Bisthümer Non'cums etc. IäO ist Filz's weitere Behauptung, dass sich nur im Noricum und in den pannonischen Landestheilen längs dem oberen Donaulimes, obgleich das Christenthum schon allenthalben Eingang und Bestand gefun- den hätte, während des ganzen vierten Jahrhunderts von jener hierarchischen Einrichtung welcher der beständige Kriegszustand, die politische Geringfügigkeit der Colonialstädte und das militärische Übergewicht durchaus hinderlich hätten sein müssen, keine Spur fände. Denn nicht blüs im Noricum und im oberen Pannonien ^) 1831. 1. Bd., 130. S. Vgl. die ßallerini in den Observat. in Quesneili dissertat., in Leonis M. opp. 2. Bd., 1030., 1037. Sp. u. ff. ^) Das obere Pannonien , wo im vierten Jahrhundert schon mehrere bischöfliche Kir- chen bestanden, sclieint wenigstens einem Theile nach zum Metropolitansprengei des sirmischen Bischofes der sieh gegen das Ende des vierten Jahrhunderts zur erz- bischötlichen Würde erhoben hatte (S. de Rubeis a. a. 0. 183. Sp.), gehört zu haben. Filz's Behauptung, unter dem Kaiser Konstantin wäre Sirmium , wie nach der bürgerlichen Ordnung die Hauptstadt Westillyriens und der beständige Sitz des Statthalters, so auch nach der kirchlichen Ordnung der Sitz des Metro- polilaubischofes und des apostolischen Vicares geworden, enthält drei Unrichtig- keiten. Denn einmal ward Sirmium unter Konstantin nicht die Hauptstadt und der Sitz des Statthalters von Westillyrien, sondern vielmehr die Hauptstadt und der Sitz des P r ät o r i alp rä fe cte n (praefectus praetorio) von lllyrieum. Der sirmische Bischof Äuemius sagte noch im Jahre 381 auf der Versammlung von Aquileja : Caput 1 1 1 y r i c i u o n n i s 1 c i v i t a s est Si r m i e n s is. (M a n s i a. a. 0., 3. Bd., 604. Sp.). Erst als ülyricum in das abend- und raorgenländische getheilt, dieses als eine eigene Präfectur dem Ostreiche zugetheilt, jenes aber als i llyrische Diöcese der Präfectur Italien zugetheilt ward, was nach v. A nk e r s h o f e n's gründlicher Beweisführung (a. a. 0. Quellen-Stellen und Erläuterungen, 126 — 128., 165.— 167. S.Vgl.Böcking, Annot. ad Notit. dignit. in partib. Occid. l.Th., 141. S.) bei des Kaisers Th e o d o si u s P.eichstheilung im J. 393 geschah, ward Sirmium die Hauptstadt und der Sitz des Vicares der illyrischen Diöcese oder des westlichen lllyriens. Dann stieg der sirmische Bischof nicht unter Konstantin, sondern, wie bereits bemerkt ward, erst gegen das Ende des vierten Jahrhunderts zur erz- bischöflichen Würde empor. Sein Metroi)olitansprengel aber erstreckte sich , wie sogleich gezeigt werden soll, nicht über das ganze westliche illyrien. Endlich beklei- dete derselbe nie die Stelle eines Stellvertreters des römischen Bischofes. Filz ver- wechselt den Bischof von Sirmium mit jenem von Thessalonich, welcher seit dem Ende des vierten Jahrhunderts apostolischer Vicar im östlichen Illyrien ward (S. B a- luze zu de Marca, De concordia sacerdotii et imperii. 5. ß., 19. K., u. ff. Nea- politaner Ausg. 1771. 2. Bd., 401. S. u. ff. und Böhme r's Anhang 17. Bemerk, u. ff. ebeud. 762 S. u. ff.). Wie weit sich die Metropolitangewalt des sirmischen Bischofes erstreckte, lässt sich nicht mit Gewissheit bestiiiiraen. Zwar behauptet der Kaiser Justinian, Sirmium wäre nicht blos die bürgerliche, sondern auch die kirchliche Metropole Illyricums gewesen, hätte aber zu Attila's Zeit seinen Vorrang an Thessalonich abtreten müssen. (Cum enim in antiquis temporibus Sirnii praefectura l'uerit constituta ibitjue omne fuerit lllyrici fastigium tam in civilibus quam in episeopalihus causis, postea autem Attilianis temporibus, ejusdem locis 124 Wilhelm Glück. (wie Filz hätte sagen sollen), sondern auch in vielen anderen abend- ländischen Provinzen hatte sich trotz der Kirchen die dort bestan- den, während der Röinerzeit keine Metropolitanverfassung gebildet. devastatis, Apennius praefectus praetorio de Sirmitana civitate in Thessalonicam profiig-us venerat, tunc ipsam praefecturam et sacerdotalis honor secutus est et Thessalonicensis episcopus non sua auctoritate, sed siib iimbra praefecturae meruit alitiiiam praerogativam. Nov. XI.). Allein diese Behauptung-, durch welche mehrere Schriftsteiler irre geführt wurden (S. z. B. S ch ne eke nbu rge r bei Tafel, De Tliessalonica ejusque agro dissertat. geograph. Berol. 1839. 48. S.), ist ganz ungegründet. Sirmium, obgleich die Hauptstadt und der Sitz des Prätorialpräfecten von Illyricum, war noch bis gegen das Ende des vierten Jahrhunderts der Sitz eines blossen ßischofes. Als sich derselbe damals zum Erzbischofe erhoben hatte, dehnte sich seine Gewalt nicht einmal über das ganze westliche Illyrien, geschweige denn über das östliche aus. Dort war die Metropolitanverfassung zu jener Zeit längst ausgebildet. Alle ostillyrischen Provinzen hatten Metropoliten, unter wel- chen der schon zur Zeit der nikäischen Synode (323) in grossem Ansehen stehende Bischof von Thessalonich den Vorrang behauptete. (S, Bai uze a. a. 0. 20. K., 466. S. u. ff., Tafel a. a. 0. 43. S. u. f.) Ebenso ward Thessalonich nicht erst zur Zeit als Sirmium durch den König der Hüne erobert ward , sondern durch die oben erwähnte Theilung Illyriens in das westliche und östliche im J. 39S die Hauptstadt und der Sitz des Prätorialpräfecten vom östlichen Illyrien. Daher sagt Theodore t (a. a. 0. 3. B., 17. K.) : ösaaoXovixT) woXt; eart iasyijtt) xal TioX'jäv&pcüTro; eI; to MaxEOovtuv sDvo? TsXoOaa 7jyo'J|xsvt] 6e xal SsjaaXiai; xal 'Axaiac, xal |j.EvToi xai äXXwi 7toi|xnoXXüjv e&viJüv oja tüjv IXX'jpiöjv tov Ü7iap5(Civ tjy'jÜjj.evov exet. ■Tustinian ward durch den Grundsatz der Morgenländer, dass die kirchliche Verfassung der staatlichen stäts zu folgen hätte , zu jenem Irrthurae verleitet. Als in der von Konstantin errichteten Präfectur Illyriens Sirmium die bürger- liche Hauptstadt ward, meinte daher Justinian, es hätte sich damals auch zur kirchlichen erhoben. Jener raorgenländische Grundsatz aber hatte im Abendlande keine Geltung. Eben so irrig leitet der Kaiser den Vorrang des Bischofes von Thessalonieh von der politischen Bedeutung der Stadt ab. Derselbe war längst das kirchliche Haupt Ostillyriens, als Thessalonich die Hauptstadt der Präfectur ward. Wenn aber Dum mier (Piligrim von Passau. 149. S., 9. Anm.) behauptet, im östlichen Illyrien wäre bis auf die Gründung von Justiniana prima (Nov. XI. CXXXI. e. 3) Thessalonieh die einzige Metropole sowohl vor als nach Attila gewesen, so ist er in grossem Irrthume. Denn in allen Provinzen des östlichen Illyriens gab es Metropoliten, wie Dum ml er aus den von ihm selbst an einem andern Orte (Die pannonische Legende vom heiligen Methodius , im Archive für Kunde österreichischer Geschichts-Quellen. 13. Bd., 186. S.) augeführten Briefen, welche der römische Stuhl au den Bischof von Thessalonieh erliess, hätte ersehen können. So hcisst es z. B. in dem von Leo I. an Anastasius im J. 444 erlas- senen Schreiben (4. K. in Leonis M. opp. ed. Ballerin. 1. Bd., 621. Sp.) : Singulis aiilem .M et r op o 1 i t a n i s sicul potestas isla coramittitur, ut in suis provinciis JUS hahcaiit nrdinandi, ita eos Me t ro p o 1 i ta n o s a te volunius ordinari u. s. w. (Vgl. den von L e o an denselben Thessalonieher Bischof gerichteten Brief vom J. 446, 2., 6., 7., 10. K., ebendas. 687. Sp. u. ff. Leo erliess auch zwei Schreiben an die ostillyrischen Metropoliten in den Jahren 444 und 446 ebendas. 617., 677. Sp. Vgl. Will seh, Handbuch der kirchlichen Geographie und Statistik, i. Bd., Die Bisthümer Noricums etc. 125 In Bezug auf Noricum aber lag der Grund nicht in den von Filz angegebenen Verhältnissen, sondern vielmehr darin, dass Aqui- leja die bischöflichen Kirchen des Landes, wenigstens des mittleren Noricums, gegründet hatte, und daher als die Mutterkirche nach der Gewohnheit der Abendländer auch die Metropolitanrechte über sie erhielt '). 122. S. u. ff,) Der Thessalonieher Bischof wnr vielmehr ein höherer Metropolit (von dem römischen Bischöfe Innocenzl. wirderinterprimatesprimus genannt. Ep. 13. ad Rufum epise. Thessal. a. a. O. 372. S.), welcher in Ostillyrien eine der patriarchalischen ähnliche hierarchische Gewalt ausiihte. Daher übertrug ihm auch der römische Stuhl seine Stellvertretung. (S. Ba luze a. a. 0. und Böhm er a. a. 0. 762. S. u. f.). Eben so wenig können wir D ü m m 1 e r (Die pannonische Legende vom heiligen Methodius a. a. 0. 183. S.) beistimmen, wenn er aus dessirraischen ßiscliofes An emi US Worten „Caput llljrici nonnisi civitas est Sirmiensis : ego igitur episco- pus illius civitatis sum" folgert, der Bischof von Sirraium hätte auf die politische Bedeutung des Ortes gestützt nach der geistlichen Obei-herrschaft über alle illyri- schen Provinzen gestrebt. Wir sehen in jenen Worten weiter nichts als eine Prahlerei. Dumm 1er meint jedoch selbst, Sirmium könne in Wirklichkeit höcii- stens Metropole des westlichen Illyricums gewesen sein, welches durch Verfügung des Kaisers Gra ti an im J. 370 von dem östlichen getrennt, nur Noricum, Pan- nonien und Dahnatien umfasst hätte, und scheine überdies unter dem Erzbisthume Mailand gestanden zu haben. Allein Sirmium war keinesweges die kirchliche Metropole des ganzen westlichen Illyricums. Denn Noricum, wenigstens das mittlere, wie wir bald sehen werden , gehörte zum aquilejlschen Metropolitan- sprengel. Es ist nicht einmal gewiss, ob sich die Metropolitangewalt des sirmischen Bischofes über das ganze Pannonien erstreckte; denn es finden sich Spuren die es wahrscheinlich machen, dass ein Theil des oberen Pannoniens zum Metropolitan- gebiete Aquilejas gehörte. Eben so ungewiss ist es, ob der sirmische Metro- politansprengel Dalmatien in sich schloss. Irrig aber ist Dümmler's Behauptung, das westliche lllyrien wäre durch G rati a ns Verfügung im J. 370 von dem östli- chen getrennt worden; denn diese Trennung erfolgte, wie bereits oben bemerkt ward, erst im J. 393 durch den Kaiser Theodosius. Eben so ist er in grossem Irrthume, wenn er auf den Umstand , dass im J. 379 der mailändische Bischof Arabrosius zu Sirmium an die Stelle eines Arianers den Anemius zum Bischöfe setzte, die Vermuthung gründet, Sirmium hätte unter dem Erzbisthume Mailand gestanden. Denn nicht selten griffen angesehene Bischöfe in die Angelegenheiten anderer Kirchen die nicht unter ihrer Gewalt standen, ein. De Rubeis hat jenen schon von anderen Schriftstellern gehegten Irrthura längst widerlegt (a. a. 0. 83. Sp. u. f., 182. Sp. u. f.) und gezeigt, wie weit sich die Metropolitangewalt des mailändischen Bischofes zu jener Zeit erstreckte (a. a. 0. 177. Sp. u. ff.J. *) Dümmler (Piligrim von Passau, 2. S.) behauptet: Sollte der lorchische Bischof Consta ntius Vorgänger gehabt haben, wie es durchaus nicht wahrscheinlich sei, so würden dieselben unter dem Erzbischofe von Sirmium, der Hauptstadt Pannoniens, gestanden haben. Damals aber hätte die Verbindung mit dem von den Gothen be- setzten Pannonien sicher aufgehört und unter den norischen Bischofssitzen, von welchen ausserdem noch Pettau und Lailiach vorkämen, Tiburnia an der Drau den Vorrang behauptet, ohne dass indess von einer rechtlich begründeten Unterordnung 126 Wilhelm Glück. In den Werken der kirchlichen Schriftsteller dagegen werden nur einzelne Bischöfe die sich durch Gelehrsamkeit, durch Heiligkeit des Wandels, durch Glauhenstreue, durch Vertheidigung der katho- lischen Glaubenslehre oder durch Abfall von derselben besonders bemerkenswerth machten , erwähnt. Wenn sich nun in allen diesen Beziehungen kein lorchischer Bischof ausgezeichnet haben und dess- halb von keinem kirchlichen Schriftsteller erwähnt worden sein sollte, so können wir uns darüber keinesweges wundern, wie Filz *) und der übrigen die Hede liiiUe sein können. Diese Behauptung- enUiält mehrere Irr- thümer. Aus unserer späteren Beweisführung ergibt sich nämlich unwidersprechlich, (lass zu Lauriacum schon im vierten Jahrhundert eine hischöfliche Kirche bestand. Der Bischöfe onslan tius halte demnach Vorgänger. Dass dieselben seit dem Ende des vierten Jahrhunderts unter einem Erzhischofc standen, unterliegt wohl keinem Zweifel. Nach der im vierten Jahrhundert entwickelten Verfassung der Kirche sollte nämlich jeder Bischof einem Erzbischofe untergeordnet sein. (Conc. Antioch. 341. can. 9. Vgl. Conc. Nicaen. 32ä. can. 4, 6.) Gegen das Ende des vierten Jahrhunderts aber hatten sich die Bischöfe von Aquileja und Sirmium zur erzbischöllichen Würde erhoben. Von dieser Zeit an musste folglich der lorchische Bischof dem einen oder dem andern Erzbischofe untergeordnet sein. Nach der Gewohnheit der Abendländer erlangte die Mutterkirche die Metropolitangewalt über die Tochterkirchen. Dass aber die lorchische Kirche von dem entfernten Sirmium gegründet sein sollte, ist durchaus unwahrscheinlich. Wie bereits oben bemerkt ward, ist es nicht einmal gewiss, ob sich die Gewalt des sirmischen Erzbischofes über das ganze obere Pan- nonicn erstreckte, geschweige denn über das Ufernoricum. Wir glauben daher kaum zu irren, wenn wir in dem viel näheren mit Norlcum in enger Verbindung stehenden Aquileja, welches die bischöflichen Kirchen des mittleren Noricums gründete und seinen erzbischötlichen Sprengel selbst bis ins zweite Rhätien und wahrscheinlich auch über einen Theil des oberen Pannoniens ausdehnte (s. unten die 138. S. 5. Anm., 143. S. 4. Anm.), die Mutterkirche und folglich auch die Metropole von Lauriacum erblicken. Uer Weg den die Sage das Christenthum von Aquileja nach Lauriacum nehmen lässt, ist der natürliche und sicher auch der geschichtliche. Man streiche nur die Namen der Stifter der lorchischen Kirche, rücke die Gründung um ein Paar Jahrhunderte weiter herunter und der Sachverlauf wird so ziemlich derselbe gewesen sein, wie ihn die Sage erzählt. Nicht richtig drückt sich ferner l) ü m ml e r aus, wenn er Sirmium die Hauptstadt Pannoniens nennt. Es war vielmehr die Hauptstadt und der Sitz des Statthalters des unte ren oder späteren z weit en Pannoniens. Eben so unrichtig bezeichnet er Peltau (das alte Poetovio) und Laibach (das alle Aemona) als norische Bischofssitze. Denn jenes lag, wie von uns noch später gezeigt werden soll, im oberen Pannonien, und dieses gehörte Anfangs ebenfalls dazu, si)äter aber zu Italien. In einem grossen Irrlliume endlich ist D ü m m I e r , wenn er des E u g i p p i u s Worte : Tiburniae, ([uae est metropolis Norici von einem kirchlichen Vorrange Tiburnias versieht. Der Ausdruck metropolis Norici bedeutet lediglich die bürgerliche Haupt- stadt des mi ttleren Noricums. (S. unten die 144. S. 3. Anm.) Unter den norischen Bischofssitzen hätte Tiburnia am allerwenigsten auf einen Vorrang Anspruch machen können. >j A. a. O. «7. S. Die Bisthümer Noricums etc. l'iT Pritz i) thun. Dasselbe gilt auch von hundert anderen Bisehöfen. Überdies sind die griechischen Kirchengeschichtsschreiber in den abendländischen Dingen eben nicht sehr unterrichtet. Bei nicht- kirchlichen Schriftstellern haben wir ohnehin nichts zu suchen. Höchst sonderbar aber dünkt es uns, wenn Filz ^j und Pritz ^) auch noch den Umstand, dass in den Heiligenacten kein lorchischer Bischof erscheint, anführen, als ob alle Bischöfe Heilige oder Märte- rer gewesen wären und als ob es im Noricum seit Konstantin überhaupt noch Härterer hätte geben können. Endlich 3. sagt Filz*) in der Notitia Honorii Augusti, einem Verzeichnisse aller zur Zeit des Kaisers Hono- rius (395 — 423) bekannten Bisthümer der christlichen Welt, welches am Ende des Codexes den der Papst Hadrian dem Könige Karl dem Grossen geschenkt hätte, beigefügt gewesen, wäre Lauriacum so wenig als Juvavo genannt s). Er hält es daher für unbestreitbar, dass Lorch vor dem fünften Jahrhundert und noch in den ersten vier und zwanzig Jahren desselben kein bischöf- licher Sitz gewesen sei. Was die obige Notitia Honorii Augusti betrifft, so ist sie nichts als ein Luftgebilde das durch eine in Binterim's Denkwürdig- keiten der christkatholischen Kirche «) vorkommende Stelle erzeugt ward. Zum Beweise, dass Köln schon frühzeitig der Sitz eines Erz- bischofes gewesen w^äre, beruft sich B Interim nämlich auf die Notitia des Kaisers Honorius und die Notitia des Papstes Hadrian und macht hinsichtlich der letzteren die Bemerkung: das Verzeichniss wäre am Ende des Codexes welchen der Papst Hadrian dem Kaiser Karl dem Grossen zum Geschenke gemacht hätte, beigefügt. Es enthielte kein einziges im siebenten oder achten Jahrhundert errich- tetes Bisthum, nicht einmal Lorch und Salzburg. Es könnte also für das Alter der kölnischen Metropolitankirche Zeugniss geben , indem es , wie die Notitia des Kaisers Honorius, unter der Aufschrift : Provincia Germania secunda. Cioitates numoro IL hätte : Metropolis 1) A. a. 0. 131. S. 2) A. a. O. 3) A. a. O. 4) A. a. 0. 70. Bd., Anz.-Bl. 37. S. ^) Dieselbe Behauptung steht bei Pritz a. a. 0. 6) 1. Bd., 2. Th., 619. S. \ 28 Wilhelm Glück. civitas Agrippinensium , hoc est Colotiia, Civitas Tiüujrorum. Binterim erwähnt also hier zwei Verzeichnisse. Das erste welches er nach dem Kaiser Honorius benennt, ist die Notitia provinciarum et civitatum Galliae , welche nach der Meinung ihres Herausgebers Sirmond i) zu des Kaisers Honorius Zeit verfasst ward. Es ist ein Verzeichniss der gallischen Provinzen mit ihren Haupt- und Neben- städten. Ob es aus amtlicher Quelle stammt, lässt sich mit Bestimmt- heit nicht sagen; doch ist es wahrscheinlich. Ein grober Missgriff aber ist es, wenn Binterim annimmt, diese Notitia enthalte eine kirchliche Ylnih^Wung , metropolis bezeichne also einen erzbischöf- lichen Sitz. Schon Karl (Vialart) von St. Paul 2) den Binterim selbst benützte, sagt: praedieta notitia civilis taut um fuit et non ecclesiastica und führt von den Hauptstädten (darunter auch metropolis civitas Agrippinensium) die keine erzbischötliche s), so wie von den anderen Städten die keine bischöfliche Sitze waren, mehrere zum Beweise an. Das andere Verzeichniss welchem Bin- terim den Namen des Papstes Hadrian beilegt, ist bei Seh ei- straten *) aus einer vaticanischen Handschrift abgedruckt. Auf der ersten Seite stehen die Worte: Iste Codex est scriptus de illo authentico, quem Domnus Adrianus Apostolicus dedit gloriosissimo Carolo Regi Francorum et Longohardorum uc Patricio Romanorum, quando fuit Romae. Der hier gemeinte Codex ist die durch einzelne Zusätze vermehrte dionysische Sammlung der Concilschlüsse und der Decrete römischer Bischöfe 5), welche der Papst Hadrian dem Könisre Karl im Jahre 774 zum Geschenke machte und seitdem Codex Hadrianus oder schlechthin Codex c«wo?«). Die Aufschrift Nomina omnium provincia- rum ') ist daher nicht richtig; .es sollte mit Beziehung auf das vor- *) Z. B. c'ivitas Arg-entoracensium , hoc est Stratis-pur^o , civitas Nemetura , hoc est S|iira. 2) Wir hesitzen mehrere Verzeichnisse der Provinzen und Städte Galliens (S. Sim- 1er US, Aethici cosmographia. Basil. 1373. 348. S. u. ff., ß o u q u e t a. a. O. 'l. IM. 1. S. u. ff. und die unlen 131. Seite, I. Aiim. angeführten Werke), die alle von einander mehr oder weniger ahweiohen. Das älteste und beste ist das von Sirmond herausgegebene. Üie vier von Bouquet mitgetheilten sind neueres Ursprungs und sehr fehlerhaft. S. B o u q u e t a. a. 0. 1. S., Anm. a. 3) So ist z. B. unter den siebzehn illyrischen Provinzen blos bei Pannonia prima die Hauptstadt angezeigt, nämlich Sirmium, was aber nicht einmal richtig ist, da es bckaniitiich die Ilaupistadt von Pannonia secumla war. Eben so unrichtig wird bei der Provinz Asia llium angegeben, da Ephesus ihre Hauptstadt war. ■*) S. Bahr, Geschichte der römischen Literatur. 3. Ausg., Karlsruhe 1843. 2. Bd., wn. S. u. f. *) Ein Abdruck des blossen Libellus aus einer vaticanischen Handschrift steht bei Sc he Ist raten (a. a. 0. 649. S.). Dort lautet die Überschrift: Incipiunt Nomina XL Uegionum continentium intra se Provincias CXIII. Diese 11 Regionen sind : Italia, Gallia.'Africa, Mispania, llljricus (al. Illyricum) , Thracia , Asia, Oriens, Poiitus, Aogyptus, ßritannia. "J In unserer Notitia sind aus Nachlässigkeil des Abschreibers auch noch andere ProMiizeu ausgelassen, sowie die Namen mehrerer Provinzen sehr verunstaltet sind. ') Diese Aufschrift hat auch der Libellus in einer dem achten .lahrbuii.iert angehö- renden Freisinger Ilandschrifl die sich jetzt auf der königl. Hof- und Staats- Bibliothek zu München bcliudct. Das vurausg-eheude Verzeichniss der Provinzen Die BisUiiiiiier Noricuiiis ele. 1dl ausgehende Verzeiclmiss der gallischen Provinzen vielmehr Nomina caeterarum proüinciarum heissen. Wo das Verzeichniss der galli- sciien Provinzen nachfolgt, wird der Libellus vollständig gegeben i)- Das also ist die Notitia welcher Binterim, da sie zufällig in einer Handschrift der hadrianischen Sammlung angehängt ist, den Namen des Papstes Hadrian beilegt, und welche kein einziges im siebenten oder achten Jahrhundert errichtetes Bisthum , nicht einmal Lorch und Salzburg, enthalten soll. Das behauptet er von dem bekannten Libellus provinciarum Romanarum, von einem am Ende des vierten Jahrhunderts verfassten Verzeichnisse der römischen Länder und Provinzen, worin mit Ausnahme von zwölf Hauptstädten keine einzige Stadt, sage keine einzige Stadt angegeben ist! Diese Behauptung die nur ein so flüchtiger Schreiber wie Binterim auf- stellen kann 3), erzeugte nun bei Filz die Meinung, die in der erwähnten Handschrift der hadrianisciien Sammlung angehängte Notitia wäre ein Verzeichniss der Bisthümer. Diesen Irrthum aber vergrösserte er selbst noch dadurch, dass er in der oben angeführten Stelle Binterim's die angebliche Notitia Hadrians mit jener des Honorius verwechselte. Auf diese Weise kam die Notitia Honorii Augusti als ein Verzeichniss aller zur Zeit des Kaisers Honorius bekannten Bisthümer der christlichen Welt zum Vorschein! Diesen aulfallenden Irrthum der auch in Pritz's Geschichte des Landes ob der Enns -) überging, hätte Filz leicht vermeiden können, wenn er die Notitia bei Sehelstraten selbst nachgesehen hätte. Damit löst und Städte GSIIiens hat die barharisehe Aufschrift : Incipiunt capituia quantas civi- tates metropolis sunt vel subsequalis civitas hahent et castra. Die Namen der Pro- vinzen und Städte sind auf das Ärgste verunstaltet. In dem Verzeichnisse der gaUi- schen Provinzen ist die provincia Lugdunensis tertia ganz ausgelassen. Übrigens stehen hier die Provinzen in derselben Ordnung, wie in der Notitia bei Sirinond. *) Er ist abgedruckt bei Schonhovius, Dignitates omnes administrationesque tarn civiles quam militares , quas Romani in Provinciis Orientis et Occidentis habuere, ex antiquitatis relii|uiis. Additus est et ipsarum Provinciarum Romanarum libellus integritati restitutus. ßasil. l.'ij'i. 60. S. , hinter den Ausgaben des Eutropius und Sextus Rufus von Cellarius (Cizae 1678 u. .lenae 17äö) und Verheyk (Lug- duni Balav. 1762 u. 1793) und bei Gronovius, Varia geographica. Lugd. Bat. 1739. 2:;. s. u. ir. 2) Binterim's Übersicht des Kirchenbestandes in den ersten, mittleren und letzten Zeiten, worin die oben angeführte Stelle vorkommt, strotzt von Unrichtigkeiten, so dass sie fast unbrauchbar ist. 3) A. a. 0. 9» 132 ^V i Uli- Im Cliick. sich denn der letzte der Gründe, aufweiche Filz seine Behauptung, Lauriacum wäre vor dem fünften Jalirhundert noch kein bischöf- licher Sitz gewesen, baute, in Nebel auf. Filz's Behauptung selbst aber widersprechen die im Ufer- noricum zu Severins Zeit vorhandenen christlich-kirchlichen Zu- stände. Dieser Punct, der in Bezug auf die Bestimmung des Alters des lorchischen Bisthums um so wichtiger ist, als wir aller früheren Nachrichten über dasselbe beraubt sind, ward, so nahe er auch liegt, von allen bisherigen Schriftstellern ganz ausser Acht gelassen. Zu Severins Zeit nämlich war die Bevölkerung des Landes durchweg christlich. Nur in Cucullis i) (Kuchl) entdeckte Sever in Leute welche an heidnischen Opfern Tbeil nahmen, sich jedoch äusserlich zur Kirche hielten. In allen Orten, welche der Heilige besuchte, in Asturis "}, Comagenis 3), Boitro *), Juvavo^), Cucullis «), erscheinen Kirchen, Priester, Diakone und andere Kleriker. Wir dürfen daher mit vollem Grunde annehmen , dass damals in allen ufernorischen Städten christliche Gemeinden mit einem geordneten Klerus bestan- den '). Diese Gemeinden mussten nun nach der Verfassung der Kirche einem Bischöfe untergeordnet sein ; der Bischof aber konnte kein anderer als der von Lauriacum sein. Hieraus folgt, dass die *) Pars plebis (c.istelli , cui erat Cucullis vocabulum) in quodain loco nefandis sacrificiis inliaerel«at. Quo sacrilegio coinperto, vir dei (Severinus) inullis pleheni sennouihus allocutus, jejuniura triduanum per presbyterum loci peisuasit indici ac per siiigulas domos cereos afl'eri praeeepit, quos propria manu uuus- quisque parietibus alTixit ecciesiae. Tunc psalterio ex more deeurso , ad horam sacrificii presbyteros el diaconos vir dei hortatus est, tota cordis alacritale secura communem dominum deprecari , quatinus ad sacrilegos discernendos lumen suae cognilionis palam ostenderet. Ifaque cutn multa largissimis fletilius cumque fixis genilius precart'tur, pars maxima cerenruni, (juos tideles attulerant, subito est accensa diviiiitus; reliqua vero eorum, qui praedictis sacrilegiis infecti fuerant, volentes latere quod negaverant, inaccensa permansit. Tunc ergo qui eos posuerunt divino declarali examirie, prntinus exciamantes secreta pectoris satisfactionibus prodiderunt et suoruiii tcstiinonio cereoruin nianifesta confessione convicti propria sacrilegia testa- li;iiilur. \'l. K. •^) 1. K. •*) RbiMidas. *) 23. K. Die Handschriften bieten ausser Boitro noch Poitro , Boiotro , Poiotro für Ltoioiluro. die Iniistadt bei l'assau. *) 14., 2li. K. 6) 12. K. M. f. =■) In dem Castelle Cucullis (a. a. 0.) linden wir ausser dem Pfarrer (presbyter loci) noch Priester und I>i;ikone. Die Disfliümer Noricums etc. 1 O O ufernorischen Kirchengemeinden auch von dort aus gegründet wur- den. Dadurch traten sie als Tochtergemeinden (Filiale) in ein kirch- liches Abhängigkeitsverhältniss zur Muttergemeinde und bildeten mit ihr einen besonderen Sprengel (Diöcese), dessen Haupt und Mittel- punct der Bischof war. Wurden aber die ufernorischen Kirchenge- meinden von Lauriacum aus gestiftet, so ist damit auch das höhere Alter des Bischofssitzes entschieden. Die Gemeinden entstanden nämlich nicht auf ein Mal, sondern nach und nach. Anfänglich gab es in der Bischofsstadt nur eine Kirche, in welcher der Bischof alle got- tesdienstliche Handlungen selbst verrichtete. Sie war der gemeinsame Versammlungsort der Christen der Stadt. Die etwaigen christlichen Bewohner der Umgegend nahmen gleichfalls an dem Gottesdienste der in der bischöflichen Kirche gehalten ward, Theil. Die an derselben angestellten Presbyter waren die Gehilfen des Bischofes, ohne des- sen Erlaubniss sie keine kirchliche Handlung vornehmen durften i)- Als sich aber nach und nach die Zahl der Gläubigen in dem Masse vergrösserte, dass die bischöfliche Kirche sie nicht alle mehr fassen, der Bischof alle gottesdienstliche Handlungen allein nicht mehr ver- richten konnte, wurden von demselben neben der bischöflichen noch andere Kirchen errichtet und mit Priestern die in seinem Auftrage den Gottesdienst besorgten, versehen. So entstanden auch in Lau- riacum ausser der bischöflichen noch andere Kirchen 2), Als sich dann das Christenthum von der Bischofsstadt aus in den benachbarten Orten immer mehr verbreitete, wurden allmählich auch dort Kirchen errichtet, an welchen der Bischof für die Verwaltung der Seelsorge innerhalb eines bestimmten Bezirkes (Parochie) besondere Priester bestellte. Im vierten Jahrhundert erscheinen die Stadt- und Land- Pfarrkirchen bereits als eine allgemeine Einrichtung. Im Hinblicke auf die im Ufernoricum zu Severins Zeit vorhandenen ausgebil- deten kirchlichen Zustände dürfen wir daher unbedenklich annehmen, dass in mehreren Städten des Landes schon in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts Pfarrkirchen bestanden. 1) S. die Beweisstellen !)ei ;\Iam aelii, Origines et anliquitates christianae. Romae 1752. 4. Bd., 329. S. u. ff. 2) Dass in Lauriacum mehrere Kirchen bestanden, erhellt aus der folgenden in Seve- rins Lehen (27. K.) vorkommenden Stelle : Praeterea quadam die vir dei (Seve- rinus) cunctos pauperes in una basilica statuit congregari u. s. \v. 134 Wilhelm Glück. Bedenken wir nun, dass das Christentimm zu Anfange des vier- ten Jahrhunderts, als die diocletianisehe Verfolgung ausbrach, in Lauriacum bereits gegründet war, dass dort nicht weniger als vierzig Christen ergriifen und gemartert wurden, dass das während der Ver- folgung vergossene Blut der Märterer allenthalben der Same neuer Bekenner ward, dass bald darauf Konstantin die christliche Kirche anerkannte, auf alle W^eise begünstigte und ihre Ausbildung mit allem Eifer betrieb, dass unter seiner Regierung in den meisten Pro- vinzen des Reiches bischöfliche Kirchen bestanden und dass Noricum bereits unter den Provinzen deren Bischöfe der Versammlung von Sardika (344) beiwohnten, erscheint, — bedenken wir das alles, so können wir nicht zweifeln, dass Lauriacum, die ansehnlichste und wichtigste Stadt des Ufernoricums, schon zu Konstantins Zeit der Sitz eines Bischofes war. Noch mehr. Bedenkt man, dass sich zu Anfange des vierten Jahrhunderts in dem benachbarten Pannonien zu Poetovio i) (Pettau), das hart an der norischen Grenze lag, und zu Siskia (Sissek) Bischofsstühie befanden ^) ; erw ägt man ferner, dass die christliche Kirche vor der diocletianischen Verfolgung über 40 Jahre lang nicht beunruhigt ward sj und sich zu Anfange der Regierung Diocletians zu einem äusserlich blühenden Zustande erhob *), so wird man selbst die Vermuthung, dass das Alter des lorcher Bischofssitzes bis an den Anfang des vierten Jahrhunderts hinaufreiche, nicht für gewagt halten. Zwar behauptet Filz ^), es hätte zur Zeit der diocletianischen Verfolgung in Lauriacum der Zahl der Christen nach noch kein Bischof vorhanden sein können. Allein einmal lässt sich aus der Angabe der *) So lalltet der Name auf den Inschriften und in den besten Handschriften des Tacitus (Mist. 3, 1). M anner t (a. a. 0. 696. S.) ist daher im Irrthume, wenn er Poetovio für einen Schreibfehler und Petavio (auf der peutingerschen Tafel) für die richtige Heneniiung- der Stadt hält. 2) Auf dem Bischofsstuhle von Poetovio sass Victorin und auf jenem von Siskia Quirin. Beide erlitten in der diocletianischen Verfolg-ung- den Märterertod. Über dicsfllicn s. Winter, Vorarbeiten 1. Bd., 4. u. 3. Abb., Muchar, Das röm. Nori- cum. 2. Bd., 114. S. u. ff., Hettberj-- a. a. 0. I. Bd., 223. S. u. f., 241. S. u. f., 163. S. 3) Seit dem I)uldunp:sedicte des Kaisers Gallien (260— 2C8). Bei Eusebius (Bist, eccies. 7, 13) steht das Hescript, wodurch dasselbe nach Mak rians Besieg-ung auch auf Ägypten angewendet ward. Vgl. Neander a. a. O. i. Bd., 239. S. u. f. *) Eusebius a. a. 0. 8. B., 1. K. ») A. a. (). 69. Bd., Auz.-Bl., Ö4. S. u. 70. Bd., Anz.-Bl., 30. S. Die Bisthiimer Noricums etc. 135 Acten des h. Florians , es seien 40 Christen ergriffen und gemar- tert worden, noch keinesweges folgern i), dass es in Lauriacum damals noch wenige Christen gegeben hätte. Denn wie an anderen Orten, so konnte sich auch dort zur Zeit der Verfolgung ein Theil der christlichen Bewohner verborgen, ein anderer Theil sich geflüchtet haben. Es konnte daher die christliche Gemeinde in Lauriacum ausser jenen vierzig Märterern recht wohl noch viele Glieder nicht blos in der Stadt, sondern auch auf dem Lande zählen. Dann aber ist aus der Geschichte der christlichen Kirche bekannt, dass in den ersten Jahr- hunderten auch an Orten wo sich noch nicht viele Christen befanden, bischöfliche Sitze errichtet wurden, um der weiteren Verbreitung des Christenthums zu festen Anhaltspuncten zu dienen. Man denke nur an die christlichen Gemeinden die von den Aposteln oder ihren Schülern gegründet wurden. Dieselben waren Anfangs klein und bestanden oft nur aus wenigen Bewohnern oder Familien eines Ortes 2). Erst später, nachdem sich das Christenthum die Herrschaft errungen hatte, ward es Regel, bei grösseren Gemeinden Bischöfe, bei kleineren aber Presbyter einzusetzen. Ausserdem macht P ritz s) für die Behauptung, dass zur Zeit der diocletianischen Verfolgung zu Lauriacum kein Bisthum, ja kaum eine ordentliche Gemeinde bestan- den hätte, noch den Umstand geltend, dass in Florians Acten unter den vierzig Christen kein Bischof, kein Priester oder Diakon und keine 1) Dies thut auch P r it z a. a. 0. 126. S. 2) Von solchen Gemeinden gebrauchte man daher den Ausdruck itapoixi'a, der ursprüng'- lich eine von mehreren Bewohnern gebildete Gemeinde im Gegensätze zu [j.rjvoix(a bezeichnete. (S. Balsamon und Zouaras ad can. 17. Conc. Chaicedon. bei Beveregius, SuvoSixov s. Pandectae canonum SS. Apostolorum et concilior. ab ecciesia Graeca receptarum. Oxoniae 1672. l. Bd., 133. S. u. f.) Jener Ausdruck findet sich schon frühzeitig für kirchliche Gemeinde (S. Gie seier a. a. Ü. 189. S., Anm. g). Im Morgenlande behielt man ihn auch für den aus mehreren Gemeinden bestehenden bischöflichen Sprengel bei (S. can. 14. 15. Apostol., vgl. can. 9. Conc. Antioch. 341). Im Abendlande dagegen ward parochia von der einzelnen Kirchen- gemeinde gehraucht, der bischöfliche S])rengel aber dioecesis (schon in einem von der Synode von Arles im J. 314 an den römischen Bischof Sylvester erlassenen Schreiben bei Mansi a. a. 0. 2. Bd., 469. Sp.) genannt, wübrend man im Morgen- lande mit dem Ausdrucke oioixr^ai!; den von mehreren Metropolitans[(rengeln (i-Kapyia als Metropolitansprengel in can. 9. Conc. Antioch., can. 9. 17. Conc. Chaicedon. 431, im Abendlande provincia bei Cyprian. ep. 45, 68) gebildeten Patriarchen- sprengel bezeichnete. S. Balsamon ad can. 9. Conc. Chaicedon. bei ßeveridge a. a. 0. 122. S. 3) A. a. 0. Vgl. Filz a. a. O. 69. Bd., Anz.-Bl. 54. S. 136 Wilhelm Glück. lorchisclie Kirche genannt würde. Allein wie kann aus dem Umstände, dass in Florians Acten unter den vierzig Christen kein Bischof erwähnt wird, geschlossen werden, dass derselbe nicht vorhanden war? Wurden denn damals alle Bischöfe ergriffen und gemartert? So gewiss die Vorsteher der Kirchen der vorzüglichste Gegenstand der Verfolgung waren, so bekannt ist es auch, dass ihr viele ent- gingen. Wissen wir doch, dass auch Quirin, Bischof von Siskia, zur Zeit der diocletianischen Verfolgung entfloh, auf der Flucht aber ergriffen ward i)- Konnte sich also nicht auch der Bischof von Lau- riacum damals von seiner Gemeinde entfernen ? Mochte auch man- chen Bischof die Furcht vor dem ihm zuerst drohenden Tode zur Flucht treiben, so wurden doch gewiss die meisten durch höhere Rücksichten dazu bewogen, indem sie es für ihre Pflicht hielten, sich der Gemeinde und der Kirche für die Zukunft zu erhalten •). Noch viel weniger ist das Stillschweigen das die Acten über andere Geist- liche beobachten, von Bedeutung. Denn einmal folgt daraus noch nicht, dass solche nicht vorhanden waren. Dann kann nicht mit Gewissheit angenommen werden, dass jene vierzig Christen lauter Laien waren. Der Verfasser der Acten gebraucht den allgemeinen Ausdruck sancti, worunter doch wohl auch ein Geistlicher begriffen sein konnte. Wollte aber Jemand einwenden, der Berichterstatter hätte es, w^ofern unter den vierzig Christen ein Geistlicher gewesen wäre, nicht verschwiegen, so verriethe er geringe Kenntniss der Mär- tereracten. Denn der Verfasser wollte lediglich Florians Leiden erzählen und hätte schwerlich der vierzig Christen gedacht, wenn sie nicht die nächste Veranlassung zu der Leidensgeschichte seines christlichen Helden gewesen wären. Wie können aber endlich bei einer kleinen Gemeinde, wie die lorchische damals sicher war, schon 1) IntiM- multos ntitpin, (pii in Christi exercitii ti-iuinphnrent , B. Quirinus episcopus Sisciainis a M:i.\iino iiracsiile jiissiis est compreliendi. (Jiiem cum stiidiose ([uaererent et beatus id sensisset episcopus, egressus est a civitate et l'ug-ieiis com- prt'hensus est et dediictus. Passio S. Quiriiii episeopi et martyris hei Kuinart, Ada Martyruiii. Veron. 1731. 437. S. ^) In den Christenverfolgung'en entfernten sich nicht selten die Bischöfe von ihren Gemeinden. Dadurch setzten sie sich freilich manchen Beschuldigungen aus, welchen seihst der heriihmle karthagische Bischof Cyprian der sich während der in der Mitte des drillen .lalirliiindfrls wiithenden decischeii Verrolgiiiig- eine Zeit laug in die Verborffenheit zurückgezogen hatte, nicht entgehen konnte, wie er selbst (14. Br.) erzählt. Die Bislhiimer Norictims etc. 1 oT mehrere Geistliche gesucht werden? War doch auf der im Jahre 397 zu Karthago gehaltenen dritten Versammlung der Bischöfe die Frage behandelt, ob der Bischof der nur einen Presbyter hätte, seines Gehilfen beraubt werden könnte, wenn eine andere Kirche eines Bischofes bedürfte <)• Wir sehen daraus, dass es zu Ende des vierten Jahrhunderts bischöfliche Kirchen gab , in welchen der Bischof nur einen Priester zur Aushilfe hatte. Daher bedurfte der lorchische Bischof zu Anfange des vierten Jahrhunderts vielleicht noch keines Priesters, da er allein im Stande war, alle priesterlichen Handlungen selbst vorzunehmen. Ein Diakon den der Bischof auch in der kleinsten Gemeinde nicht entbehren konnte, war vielleicht der einzige Geistliche der bei der lorchischen Gemeinde zu jener Zeit neben dem Bischöfe angestellt war. Jener ganze Einwurf rührt von dpr irrigen Meinung her, jede bischöfliche Gemeinde wäre schon vom Anfange an zahlreich gewesen und hätte daher auch eine zahl- reiche Geistlichkeit aller Grade gehabt. Derselben Meinung müssen wir es zuschreiben, wenn Pritz gegen das Bestehen eines lorchi- schen Bisthums, ja einer ordentlichen Gemeinde einwendet, dass in Florians Acten keine lorchische Kirche genannt werde. Denn abgesehen davon, dass nicht einzusehen ist, zu welchem Zwecke der Verfasser der Acten, der ja nicht die damals in Lauriacum bestehen- den christlichen Zustände, sondern Florians Leiden an jenem Orte schildern wollte, einer Kirche hätte erwähnen sollen, ist aus der Kirchengeschichte hinlänglich bekannt, dass zu jener Zeit manche Gemeinden noch keine ausschliessend dem Gottesdienste gewidmete Gebäude oder Kirchen hatten. Solche gab es blos an Orten wo schon ansehnliche Gemeinden bestanden. Erst seit Konstantin erhoben sich allenthalben Kirchen, wie bekanntlich dieser Kaiser selbst mit grossem Eifer den Aufbau vieler Gotteshäuser betrieb 2). Untersuchen wir nun, zu welcher Zeit das Bisthum Tiburnia gegründet ward. ^) Postumianus episcopus dixit: Deinde qiii iiimin hahiierit, numquid debet illi ipse iinus presbyter auferri ? Aurelius episcopus dixit: Sed episcopus unus esse potest, per quem dig'natione divina presbyteri multi constituti possunt: unus autem episcopus ditficile invenitur constituendus. Quapropter si necessarium episcopatui quis habet presbyterum et unum (ut dixisti frater) habueril, etiam i|isum ad proinotionem dare debebit. Con. Carthag. Hl. can. XLV. AI a n s i a. a. 0. 3. Bd., Ö90. Sp. 2) Eiisebius, De vita Constaut. 2. B., 4.'). K. u. f. 138 Wilhelm Glück. Um die Mitte des sechsten Jahrhunderts erhob sich in der abendlandischen Kirche der bekannte Streit über die drei Capitel i). in Folf^e dessen der Erzbischof von Aquileja mit seinen SutTragan- Bischöfen die Kirchengemeinschaft die er mit dem römischen Stuhle bis dahin unterhalten hatte, aufhob. Die römischen Bischöfe gaben sich alle Mühe die Aquilejer zur Wiedervereinigung zu bewegen und forderten selbst die kaiserlichen Statthalter zum gewaltsamen Ein- schreiten auf. Der Erzbischof Sever ward in der That durch den Exarchen Smaragd u s gewaltsam nach Bavenna geholt und daselbst so lange misshandelt, bis er dem Schisma 2) entsagte. Nachdem er frei- gelassen war, widerrief er jedoch auf einer zu Marano (588) gehal- tenen Versammlung seiner Bischöfe das wozu er inRavenna gezwungen worden war s). Als hierauf der römische Bischof Gregor I. Sever aufforderte, einem kaiserlichen Befehle zufolge mit seinen Bischöfen zur Beilegung der Irrungen nach Rom zu kommen, richteten sie im Jahre 591 an den Kaiser Mauritius drei Bittschreiben, von welchen das der Bischöfe Venetiens und des zweiten Rhätiens auf uns gekommen ist *). Man möchte sie, so hiess es darin, nicht länger durch Soldaten drän- gen ; sie könnten den römischen Bischof, erklärten sie, da er ihr Gegner wäre, nicht als ihren Richter anerkennen, wären aber bereit, wenn es die politischen Verhältnisse Italiens gestatteten, zu ihrer Verantwortung nach Konstantinopel zu kommen. Wenn indess jene Bedrängniss nicht aufhörte, stellten sie endlich vor, würden ihre Gemeinden nicht zugeben, dass ihre Nachfolger in Aquileja die Weihung empfingen, sondern sich an die fränkischen Erzbischöfe wenden. Auf diese Weise aber würde sich die Metropolitankirche von Aquileja auflösen, wozu bereits der Anfang gemacht worden wäre, da die fränkischen Bischöfe in drei Kirchen ihres Spren- geis, in der poetovischen (Vj ^), der tiburnischen und der *) Dieser Streit ist ausführlich erzählt von W a I cli , Entwurf einer vollständigen Historie der Ketzereien, Spaltung-en und Iteligionsstreilig'keiten bis auf die Zeiten der Reforma- tion. 8. Th. Leiii/.it,M778. 4. S. u. If. 2j Darüber s. ausser Walch (a. a. (). :j;{l. S. u. II'.) de Hubeis, De chismate ecciesiae Aquilejunsis diss. hist. Venet. 17.'J*i, vermehrt wieder herausgegeben in dessen Monu- menta eccies. Aquilejensis. 197. Sp. u. 11". ^) I' a u I D i a c o n. , r)e gest. Langobard. 3. Bd., 26. K. 4) Abgedruckt bei de Rubels a.a.O. 273. Sp. u. ff. , Resch a.a.O. 407. S. u. ff. u. oft. ') Die nandsciiriflcn bieten D e c 0 nensis und ßrernensis. Die eine Leseart ist jedoch so schlecht als die andere. Unter den versuchten Verbesserungen (s. Resch a. a. 0. Die Bisthiiiner Noricums etc. i öo augiistischen *) Kirche, Priester eingesetzt und fränkische Priester, wenn nicht auf Justinians Befehl die Beunruhigung ihrer Partei eingestellt worden wäre, schon damals fast alle zur Kirchenprovinz Aquileja gehörende Kirchen eingenommen hätten -). 412. S., 188. Anin.) hat Po et o viensis die meiste Wahrscheinlichkeit für sich; denn das hart an der norisehen Grenze gelegene und von Aquileja nicht allzuweit entfernte Poetovio konnte leicht zum aquilejischen Metropolitansprengel gehören. Mit Unrecht aber dachte man an Sehen oder Kur. (S. Klein, Geschichte des Christenthums in Österreich und Steiermark. 1. Th. Wien 1840. 163. S.) Was Sehen betrifft, so unterzeichnete der dortige Bischof Ingenuin das an den Kaiser Mauritius gerich- tete Schreiben. In demselben nennt er sich Episcopus S. Ecclesiae Secundae Rhetiae; bei Paul. Diacon. , De gest. Langobard. 3, 27. 32 und Johannes, Chronic. Venetum (bei Pertz a. a. 0. 9. Bd. 8. S.) aber heisst er Ingenuinus de Sabione. Da er also damals mit Aquileja noch im Metropolitanverbande stand, so konnte sein Sitz Sehen nicht zu den bereits davon abgerissenen Kirchen deren jenes Schreiben gedenkt, gehören. Kur aber stand unter dem Erzbischofe von Mailand, wie das von der dort im Jahre 431 gehaltenen Proviuzialsynode au den römischen Bischof L e o I. gerichtete Schreiben welches der coraische Bischof Abundantius für seinen abwesenden Aratsbruder Asimo, Bischof von Kur *J , unterzeichnete, beweist. (Leonis M. opp. ed. Ballerin. 1, 1083.) Eben so falsch verstand man unter jener Kirche die ve ronische. Verona ward von der aquilejiscben Metropolitankirche nie getrennt, sowie auch obiges Schreiben von einem Junior Episcopus S. Ecclesiae Catholicae Veronensis, der auch der oben erwähnten Versammlung von Marano (588) beigewohnt hatte, unterzeichnet ist. Jenen bei Klein (a. a. 0.) vorkommenden Irrthum beging schon Hansiz (a. a. 0. Korollar. I.), während er früher Poetoviensis lesen zu müssen glaubte (a. a. 0. 94. S.). Auch Chabert (a. a. 0. 4. Bd., 2. Abth., 52. S., 6. Aum.) entschied sich für diese Leseart. 1) Darunter ist wohl die Kirche von Augsburg zu verstehen, da keine andere des Namens Augustana mit Aquileja in Verbindung gebracht werden kann. 2) Si conturbatio isla et compulsio — remota non fuerit, si quem de nobis, qui nunc esse videmur, defungi contigerit, nullus plebium nostrarum ad ordinationem Aquilejensis ecclesiae posthoc patietur accedere. Sed quia Galliarum archiepiscopi vicini sunt, ad ipsorum sine dubio ordinationem occurent et dissolvetur metropolitana Aquilejensis ecclesia — . Quod ante annos jam fieri coeperat, et in tribus ecciesiis nostri concilii, id est Beconensi, Tiburniensi etAuguslana, Galliarum episcopi constituerant sacer- dotes. Et nisi ejusdem tunc divae niemoriae Justiuiani principis jussione commotio partium nostrarum remota fuerit, pro nostris iniquitatibus pene omnes ecciesias ad Aquilejensem synodum pertinentes Galliarum sacerdotes pervaserant. Diese Vorstel- lungen hatten die Wirkung, dass der Kaiser Mauritius dem römischen Bischöfe und dem Exarchen den Befehl ertheilte, die Bischöfe der acjuilejischen Kirchenprovinz in Ruhe zu lassen. Das an Gregor I. gerichtete Schreiheu ist abgedruckt bei de Rubels a. a. 0., Resch a. a. 0. 415. S. u. oft. *) Mucliar (a. a. 0. 2. Th., 305. S.), Ji-r das ohen orwiilinU' Sohi-eihon dir mailiiiulischeu Proviniialsyngde nicht kannte, zählt mit Unrecht Asimo zu den kuiischen Bischöfea, die nicht auf eipiobfeu, sondern auf ^anz verwerflichen Geschichtsquellen beruhten. ■1 40 Wilhelm Gl ück. Aus jenem Schreiben ersehen wir also, dass Tibiirnia mit Aqui- leja im Metropolitanverbande stand. Dies Verhältniss aber erklärt sieh daraus, dass Aquileja die Mutterkirche von Tiburnia war. Aipiileja selbst aber war schon frühe der Sitz eines Bischofes. Hält auch die Nachricht, der Evangelist Marcus habe in Aquileja die christliche Lehre verkündet und seinen Schüler Hermagoras zum ersten Bischöfe eingesetzt i) , die Prüfung nicht aus 2) , so darf doch mit Zuverlässigkeit angenommen werden, dass jene Stadt schon zu Anfange des zweiten Jahrhunderts ein Bischofssitz war s). Der ganze Ausbreitungszug des Christenthums ging in allen Theilen des römi- schen Reiches nach dem Zuge der bedeutendsten Städte. Wir dürfen daher die Regel aufstellen: je bedeutender die Stadt war, desto früher besass sie eine Christengemeinde. Aquileja aber war eine der grössten und blühendsten Städte des römischen Reiches. Alle aus Istrien, Liburnien, Dalmatien, Pannonien,Noricum,Rhätien und Italien kommende Heerstrassen vereinigten sich dort und machten die Stadt zum Mittelpuncte des Verkehres *). Daher ward Aquileja eine der vorzüglichsten Pflanzschulen des Christenthums. Als sich der dortige Bischof gegen das Ende des vierten Jahrhunderts zum Metropoliten erhoben hatte s), dehnte sich sein Sprengel in die benachbarten Länder weit aus, was deutlich dafür spricht, dass das Christenthum von Aquileja aus dorthin verbreitet worden war e). Daher konnte von dieser alten Bischofsstadt das Christenthum auch bald auf das nicht 1) S. de Hub eis a. a. 0. 1. K. u. f., Mucliar a. a. 0. 2. Th., SO. S. u. ff., v. Ankers- liof en a. a. 0. 650. S. u. f. 2j S. li e 1 1 1) e r g a. a. 0. 1,">4. S. ti. f. *) i\Iit (lein Bischöfe Theodor der die Acten der Synode von Arles (314) unterzeich- nete ( .M :i II s i a. a. 0. 2. Bd., 476. Sp.), beginnt die Reihe der urkundlich beg-laubigten Kii-chen Vorsteher A(|uik'ja"s. 4)S. .Muchar a. a. 0. 1. Tb., 378. S. u. ff. , 2. Th. 49. S., v. Ankershofen a.a.O. G2Ö. S. u. f., 644. S. u. f. *) S. de It Uli eis a. a. 0. 20. K. «) In einer Urkunde des Kaisers Hludowigr II. vom .I.ihre 835, in welcher dem Patri- archen von Aquileja sein Metropolitanrecht über Istrien bestätigt wird, heisst es: Theutmarus Aquilejensis sive Forojnliensis ecclesiae |)atriarcha per Ebrardum ill. comitem — magnificentiae nostrae anliquas auctoritates ostendit , quibus manifestis- simecomprobatur: quod Aquiliya civitas ab initio fidei catholicae per Italiam, Ger- maniam, Veii.'tiam Islriamque re-ionem disscminatae prinei|)atum in omni Istria. palriarclialis übtinuerit dignitatis. i) e Uubeis a. a. 0. 438. Sp. Die ßislliümcr Noricuins de. 1 4 1 allzu weit entfernte ansehnliche Mnnieip Tibnrnia übertragen werden i). Zu Severins Zeit breitote sich der Sprengel des dortigen Bischofes in der Umgegend der Stadt weit umher aus ^). Solchen Umfang aber erhielt derselbe allmählich dadurch , dass von der Bischofsstadt aus das Christenthum in den umliegenden Orten gegründet ward. Daher musste in Tiburnia auch schon längere Zeit eine bischöfliche Kirche bestehen. Alles das aber berechtiget uns zu der Annahme, dass die Gründung des tiburnischen Bisthums ins vierte Jahrhundert hinaufreicht. Ausser Lauriacum und Tiburnia ist aus den römischen Zeiten weiter kein norisches Bisthum urkundlich bekannt. Zwar nennen mehrere Schriftsteller noch Poetovio und Aemona (Laibach) s). Allein Poetovio lag in Oberpannonien *) und Aemona gehörte Anfangs 1^) über die Strassenverbinduiig zwischen Tiburnia und Aquileja s. Muchar a. a. 0. 1. Th., 314. S., V. Ankershofen a. a. 0. 377. S. u f. 2) Dies erlielit aus des Eug-ippi us Worten (23. K.): Igitur memoratus antistes (Pau- linus) lilerarum teuore perstruetus uni versa dioeeesis suae casteila scriptis propriis vehementer admonuit u. s. w. *) Winter, Älteste Kirchengeschichte von Altbaiern. 279. S. , Rettberg a.a.O. 223., 224., 238., Dümmler a. a. 0. 2. S. *) T a c i t u s (Hist. 3, i) schreibt Poetovio Pannonien zu, wenn er es als das Winterlager der dreizehnten Legion (hiberna tertiae decimae legionis) welche in Pannonien lag, bezeich- net und P t o 1 e ra ä u s (2, 13) führt es ausdiücklich unter den Städten Oberpannoniens auf. Die Meinung, dass Poetovio zu Noricura gehört habe , stützt sich auf das hiero- solymische Reisebuch (bei Parthey und Pinder 266. S.) vom Jahre 333, welches bei dieser Stadt sagt: transis pontem , intras Pannoniam inferiorem, auf Ammian Marzellin (14, 11, 19) aus der zweiten Hälfte des vierten Jahihunderts und auf den Rlietor Priscus (Ex hist. Gothica exe. de legat. in Corp. scriptor. hist. Byzaut. Bonnae 1829. 1. Bd., 183. S.) aus dem fünften Jahrhundert, welche Poetovio eine norische Stadt nennen. Der erstere sagt nämlich : Petobionem oppidum Noricorum und der letztere «Tto OaTaf-liiuvfj; rf,? sv Niupixuj TioXito;. (Huschberg a. a.O. 382. S. hält nazoL^-Hwi irrthümlich für Passau.) Wären jene Angaben richtig, so müsste man annehmen, dass später eine Änderung' der Grenze stattgehabt halte und Poetovio zu Noricum gezogen worden wäre. Allein dass dies nicht der Fall war und Poetovio noch im vierten Jahrhundert zu Pannonien gehörte, beweist am besten eine noch erhaltene Unterschrift des Bischofes Aprian von Poetovio, die bis jetzt aufl'allender Weise ganz unbeachtet blieb. Aprian wohnte nämlich der kirchlichen Versammlung von Sardika (344) bei und unterzeichnete mit vielen anderen doi-t anwesenden Bischöfen das von Athauasius an die mureotischen Kirchen gerichtete Sehreiben (S. oben die 68. S. 2. Aam.) also : A p r i a n u s de Peta b i o n e P anno niae. Poetovio gehörte stäts zu Oberpannonien. Es lag aber an der norischen Grenze und breitete sich wahrscheinlich an den beiden Ufern der Drau aus, die dort Noricum von Oberpannonien schied. Hieraus erklärt sich die Angabe des hierosolymischen Reisebuches. Dasselbe aber verwech- selt das untere mit dem oberen Pannonien, da es nicht inferiorem, sondern superiorem 142 Wilhelm Glück. ebenfalls zu Oberpannonien i). später aber zu Italien ~). Sieher aber waren jene Bisthiimer nicht die einzigen, die zur Zeit der römischen Herrschaft im Noricum bestanden. Als nämlich der neue salzburgische Erzbischof Ar no seine kirchliche Gewalt über Karantanien oder das alte Mittelnoricum ausdehnen wollte, machte der aquilejische Patriarch Ursus (■{- 810 oder 811) das Recht seines Stuhles über Karantanien aus alter Zeit geltend und führte an, die bischöflichen Kirchen Karan- taniens wären, was er aus den Verhandlungen der Synoden die seine Vorgänger, ehe die Langobarden in Italien eingedrungen wären (568), gehalten hätten, erweisen könnte, der Metropole Aquileja unterworfen gewesen s). Hieraus aber erhellt, dass im Mittelnoricum mehr als ein ßisthum bestand. Wrrklich finden wir auch in den Unterschriften heissen raiiss. M uchar (a. a. 0. l.Th., 10., 244. S. und Gesch. des Herzogth. Steier- ninrk. 1. Th. 1.'!., 18. S.) versteht jene Ang-abe von der späteren Theilung Pannoniens durch die Drau, so dass man hei Poetovio über die Draubrücke von dem oberen in das untere Pannonien übergegangen wäre. Allein er übersah , dass das Reisebuch , wie selion Valesius (in der Ausg. des Ammian. Marcellin. Paris 1681. 133. S., Anm. e) bemerkte, beide Pannonien miteinander verwechselt. (Vgl. Wesseling zum Itin. Hierosolyra. 561. S. u. Mannert a a. 0. 337. S.) Bei Älaurianis (das Hin. Anton, hat Marinianis) sagt es: intras Pannoniam superiorem für inferiorem. Dort war die Grenze zwischen Ober- und Untcrpannonien. Mucliar's Behauiitung, dass Panno- nien später durch die Drau in das obere und untere getheilt worden wäre, ist unge- gründet. Die Angaben des Ammian Marcellin's und des Rhetors P r isc us aber sind falsch. Darüber vgl. M uchar, Das röm. Noric, 1. Th., S. S., Anm. c u. Mannert a. a. 0. 697. S. *) Plinius (3,23) zählt Aemona zu den Colonien Pannoniens und Pto lern aus (2, 13) führt es unter den Städten Oberpannoniens auf. ■•') Herodian (8, 1) nenntAemoua die erste (ostliche) Stadt Italiens. Vgl. v. Ankers- hof en a. a. (). (juellcn-Stcllen u. Erläuterungen 116. S., Anm. b. *) Ursus sanctae Aquilegiensis ecciesiae patriarcha et Arno Juvavensis ecciesiae archiepiscopus — uon miuiiuam inter se contentionem habuerunt de Carantana provincia, qnod ad utriusc]ue illorum dioecesim pertinere deberet. Nam Ursus patriiircha antiquam se auctoritatem habere asserebat et quod tem- |i (I r (• , ;i u t c r| u a m 1 1 a I i a a L o n g o b a r d i s f u i s s e t i n v a s a , p e r s y n o d a I i a gesta, (juae tunc temporis ab antecessoribus suis Aquilegiensis ecciesiae r c c t o r i b u s a g e b a n t u r , o s t e n d i p o s s e t , p r a e d i c t a e Carantanae provinciae civitates ad Aquilegiam esse sub.jeetas. Arno vero archiepiscopus asserebat se auctoritatem habere pontificum sanctae Ronianae ecciesiae Zachariae, Stephan! at(|ue Pauli, quorum praeceptis et confirma- li(inll)us praedicta provincia tempore anfccessorum suorum ad .luvavensis ecciesiae dioecesim fuisset ndjuncla. Karl d e r G r o s s e beendigte jenen Streit im .lahre 811, indem er die Drau als Grenze zwischen den beiden Sjirengeln festsetzte. S. die Urkunde bei KIcimajrn a. a, O. Anh. 61. S. Vgl. de Rubels a. a. 0. 400. S. u. f. Die Bisthüiner Noricums etc. 14:d einer unter dem Erzbischofe Elias von Aquileja im J. 579 zu Grado i) gehaltenen Provinzialsynode ausser einem Bischöfe Leonianus von Tiburnia noch einenmittelnorischen Bischof Johannes von Celeja^) (Zilli). Sollte jene Synode auch erdichtet sein 3), so haben wir doch keinen Grund, an der Bichtigkeit der -dort angeführten Namen der Bischöfe und ihrer Sitze zu zweifeln *). Was den erwähnten Bischof Johannes von Celeja betrifft, so ist er durch eine glaubwürdige Quelle erwiesen ^). Dass aber in Celeja erst in den unruhigen Zeiten des sechsten Jahrhunderts ein bischöflicher Stuhl erstanden wäre, das zu glauben, wird uns Niemand zumuthen. Wir sind vielmehr der Meinung, dass das was von Tiburnia gilt, unbedenklich auch auf Celeja übertragen werden dürfe. Dieses bedeutende Municip «), 1) Seit dem Einbrüche der Langobarden (368) hatte der Erzbischof von Aquileja auf der Insel Grado seinen Sitz. 2) De Rubels a. a. 0. 240., ZU. Sp. u. f. 3) D e R u b e i s (a. a. 0. 243. Sp. u. if.) meint, der erste Theil der Synodalverhandhingen, so wie auch das Schreiben des römisctien Bischofes Pelagius U. sei erdichtet, der andere aber gehöre der unter dem aquilejischen Erzbischofe Pauli n im Jahre 537 gehaltenen Synode an. *) Die meisten Bischöfe, so wie fast alle Bischofssitze, können aus echten Quellen nach- gewiesen werden. (S. R e s c h a. a. 0. 368. S. u. IF.) Bios von der ecclesia Avoriciensis (al. Aventiensis) und der ecclesia Scaravensis (al. Scaravasiensis) ist nichts bekannt. Beide Namen sind verdorben. Der letztere soll Scarabantiensis (von Scarabantia in Oberpannonien) heissen. Über den ersteren Namen s. d e Rubeis a. a. 0. 256. S. u. R e s c h a.a.O. 373. S., 109. Anm. *) Hans iz (a. a. 0. Corollar. IV.) behauptet, der Celejer Bischof Johannes hätte auch der oben erwähnten Synode von Marano (588) beigewohnt. Auf derselben waren zehn Bischöfe zugegen. Paul Diakon (a. a. 0. 3. Bd., 26. K.) führt ihre Namen und Sitze an, unter ihnen aber findet sich kein Johannes von Celeja. Dagegen erwähnt derselbe Schriftsteller gleich darauf noch einige Sutfraganbischöfe des aquilejischen Patriarchen, unter welchen zwei des Namens Johannes vorkommen. Der eine der- selben ist der Bischof von Parentium (Parenzo), der andere aber der von Celeja. (Vgl. Rasch a. a. 0. 390. S., 139. Anm.) Der in einem Schreiben des römischen Bischofes Gregor I. vom Jahre 399 (bei de Rubeis a. a. 0. 283. Sp.) erwähnte episcopus quidam Joannes nomine de P an no n i i s veniens wird von dem gelehrten C b a b e rt (a. a. 0. 4. Bd. , 2. Abth. , 32. S., 7. Anm.) wohl mit Unrecht für den Cillier Bischof Johannes gehalten. °) Celeja war keine Colonie , wie mehrere Schriftsteller (z.B. Muchar a. a. 0. 1. Th., 160. S. u. f.) behaupten , sondern ein Municij). (S. Sei dl, Epigrai)hlsche Excurse, in den Wiener Jahrbüchern der Literatur. 115. Bd., Anz.-Bl. 3. S. u. ff.) Plinius (3. Bd., 24. K.) und Ptolemäns führen Celeja unter den norischen Städten an, das antoniiiische und hierosolymisclie Reisebuch (bei Parthey und Pinder 61., 266. S.) fügen dem Namen ci vitas bei und die peiitingersche Tafel deutet seine Wichtigkeit durch die beigesetzten Thürmchen au. (Wenn Seidl a. a. 0. 3. S. darin das Zeichen eines Municipes erblickt, so ist er im Irrthume. S. die 145. S., 4. Aum.) Die vielen im 144 \V i i h e I III G I ii o k. welches, so lange Noricum noch eine Provinz bildete, der Sitz des Statthalters (procurator) war i) und später bei der Theilung Nori- ciims in das Ufer- und Mittelnoricum -} ohne Zweifel die Hauptstadt und der Sitz des Statthalters (praeses) von Mittelnoricum ward 3), lag an der von Aquileja nach dem Morgenlande führenden Heerstrasse zwischen Aemona und Poetovio. Aemona besass in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts eine bischöfliche Kirche*) die eben- falls unter Aquileja stand '•>), das nahe Poetovio aber war, wie bereits oben bemerkt ward, schon zu Anfange des vierten Jahrhunderts der Sitz eines Bischofes. Es wäre daher wahrlich sonderbar, wenn sich nicht auch in Celeja, der bedeutendsten Stadt Mittelnoricums, schon im vierten Jahrhundert ein ßischofsstuhl erhoben hätte «). heiiUgen Cilli aufgefundenen Alterlliiimer sprechen für die ehemalige Dedeulung- der Stadt. S. Sei dl a. a. 0. 102. Bd., .\nz.-\',\. Z. S. u. If., 104. Bd., Anz.-Bl. 25. S. u. ff., 108. Bd., Anz.-Bl. 46. S. u. ff., 111. Bd., Anz.-Bl. 1. S. u. ff., 113. Bd., Anz.-Bl. 1. S. u. ff., Beiträge zu einem Nainenverzeielinisse der römisclien Procuratoren im Noricum, in den Sitzungsberichten der k. Akademie der Wissensch. philos.-hist. Classe, 13. Bd. 62. u. ff. und Beitrüge zu einer Chronik der archäologischen Funde in der öster- reichischen Monarchie, im Archive für Kunde Österreich. Geschichts-Quellen. 13. Bd., !I3. S. u. ff 'J Üal'iir spricht eine Reihe von Deukiiiälern , die in neueren Zeiten in Cilli gefunden wurden und norischer Procuratoren erwähnen. S. Seidl, Beiträge zu einem Namen- verzeichnisse der römischen Procuratoren im Noricum a. a. 0. und Beiträge zu einer Chronik der archäologischen Funde in der Österreich. Monarchie a. a. 0. 93. S. u. ff. ■■'J Diese Theilung fand höchst wahrscheinlich unter Diocletians Regierung Statt. Mitteliioiicuiii wird zuerst auf Steinschriften aus K o ns t a n tin s Zeit genannt. S.v. A n k e r s h o f e n a. a. 0. 343., S. Anm. b. •*) Wenn in Celeja früher der Procurator Noricums seinen Sitz hatte, so darf wohl ange- nommen werden , dass dort auch später der Sitz des Statthalters von Mittelnoricum war. Diese Annahme wird auch durch ein zu Cilli aufgefundenes Denkmal (bei G r u- ter a. a. 0. 283. S., 5. -Nr.), welches einen Statthalter der Provinz Mittelnoricum nennt, bestätigt. Der Behauptung Mannert's (a. a. 0. 693. S. u. f.), Celeja wäre zu sehr aus dem Mittelpuncte der Provinz gerückt, als dass die Römer dem allgemeinen Civilvorsteher dort seine Stelle hätten anweisen sollen, so wie der Vermuthung v. Anker shofen 's (a. a. 0. 437. S.), der Statthalter Noricums dürfte Lauriacum oder Juvavum, der Statthalter Mittelnoricums aber Virunum zu seinem Amtssitze gehabt haben , widersprechen die oben erwähnten Cillier Denkmäler. Wahrscheinlich zu Altila's Zeit ward das sichere Tibiirnia der Sitz des niittelnorischen Statthalters. In Severins Leben (22. K.) nämlich erscheint es als Hauptstadt Mittelnoricums (metropolis Norici sc. mediterrane!). •*) Kin Bischof M axi m us von Aemona unterzeichnete die Acten der aquilejisehen Synode vom .lahre 381. .M a n s i a. a. 0. 3. Bd., GOO. Sp. *) S. de Rubels a. a. 0. 187. Sp. *J Seid l's Behauptung (Zur Geschichte der Stadt Cilli , in iler Steierraärkischen Zeit- schrift, .\eue Folge, 7. .lahrg. Grätz 1844. 16. S.), dass ein Bischof T e n ax von Die Bistluimer Norieums etc. 14.1 Wenn die im Mittelnoriciim gelegenen Städte Tiburnia und Celeja zur Römerzeit Bischofssitze waren, soll es das Municip Virunumi) (auf dem Zollfelde) nicht auch gewesen sein? Dort in der Mitte des Landes vereinigten sich die von Aquileja und Celeja nach Lauriacum und Juvavum führenden Heerstrassen. Durch diesen Strassenknoten der den Süden mit dem Norden, den Südosten mit dem Nordwesten verband, erwuchs Virunum zu einem ansehnlichen und blähenden Orte -). Es wäre nun wirklich Ausnahme von der allgemeinen Resel, Avenn sich dort zur Zeit der römischen Herrschaft kein Bischofsstuhl erhoben hätte, da wir einen solchen in dem minder bedeutenden, fern von den Hauptstrassen gelegenen Tiburnia finden. Nach dem Gange den die Verbreitung des Christenthums im römischen Reiche nahm, lässt sich vielmehr annehmen, dass sowohl in Celeja als in Virunum noch früher als in Tiburnia Bischofsstühle emporstiegen s). Das aber werden auch alle Bisthümer sein welche Noricum zur Zeit der römischen Herrschaft höchst wahrscheinlich besass. Das mittlere Noricum hatte auch ausser Celeja, Virunum und Tiburnia keine beträchtliche Stadt mehr, avo sich ein Bischofssitz hätte finden können. Was aber das Ufernoricum anbelangt, so bürgt uns Seve- rins Leben dafür, dass dort ausser Lauriacum kein Bisthum mehr bestand *). Celeja dem Concile von Aquileja (381) beigewohnt hätte , ist ein Irrthum. In den Unterschriften dieses Concils erscheint kein Bischof jenes Namens. 1) Gewöhnlich hält man Virunum für eine von dem Kaiser Claudius gegründete Colonie und beruft sich auf eine in Rom befindliche Steinschrift (bei Gruter a. a. 0. 369. S., 7. Nr., Orelli a. a. 0. 3S04. Nr. Vgl. v. Ankershofen a. a. 0. 497. S.) ; allein s. Zumpt a. a. 0. 390. S., 2. Anm. und oben die 83. S. 1. Anm. 2) P 1 i n i ü s (a. a. 0.) und P t o 1 e m ä u s (a. a. 0.) nennen Virunum unter den norischen Städten und die peutingersche Tafel malt dazu, wie bei Celeja, zwei Thürmchen. Die auf dem Zollfelde gefundenen Überreste Virunums zeugen von seiner ehemaligen Grösse und Herrlichkeit. S. v. Ankershofen a. a. 0. 301. S. u. ff., 633. S. u. ff. '*) Wenn aber v. Ankershofen (a. a. 0. 632. S.) aus dem Umstände, dass der Pa- triarch von Aquileja seine kirchliche Gewalt über Karantanien auf eine alte Übung gründete, folgert, dass christliche Gemeinden mit hierarchischer Verfassung in Kärnten wenigstens im dritten, vielleicht aber schon in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts bestanden hätten, so ist dies eine völlig halUose Meinung. Einzelne Bekenner des Christenthums mochten sich wohl schon damals unter der Bevölkerung Kärntens finden; aber wir haben kein Rocht schon an Christengemeinden zu denken. Erst im vierten Jahrhundert können wir solche dort suchen. *) Wäre im Ufernoricum ausser Lauriacum noch ein Bischofssitz vorhanden gewesen, so hätte Eugippius ihn sicher erwähnt. Das Dasein eines zweiten Bistlunns im Sitzb. d. phil.-hist. Cl. XVII. Bd. I. Hft. , 10 146 Wilhelm Gl ück. Nach allem dem was wir bisher über Lauriacum bemerkt haben, müssen wir dasselbe für das älteste ßisthum Noricums halten. Bestand Ufernoricum aber ist schou darum höchst unwahrscheinlich, weil im Abendlande (mit Ausnahme Afrikas) nur die beträchtlicheren Städte in der Regel Bischofssitze erhielten und sich seit der Synode vonSardika (344) auch nur in solchen Städten Bischofsstiihle erheben sollten (s. oben die 102. S. l.Anm.), im Ufernoricum aber ausser Lauriacum keine beträchtliche Stadt mehr vorhanden war. Zwar hält der gelehrte Gaisberger (Ovilaba a. a. 0. 12. S. u. ff.) Ovilava für eine solche Stadt, weil aufderpeu- tingcrschen Tafel das Sinnbild grösserer Colonien, wodurch wir Augusta Vindeli- coruui, Viadobona, Carnuntum ausgezeichnet sähen, im ganzen Ufernoricum Ovilia allein beigelegt, es also schon bald nach seiner Entstehung oder Erweiterung Städten deren Bedeutsamkeit, Grösse und Wichtigkeit im römischen Alterthume allgemein anerkannt gewesen, an die Seite gesetzt wäre, und weil (auf Inschriften) die Aedilität und das Duumvirat als getrennt aufgeführt würden, da doch in kleinen, weniger be- deutenden Colonien die Aedile meistens auch die höchste obrigkeitliche Würde gehabt hätten. Allein diese Gründe beweisen nichts. Was die beiden Thürmchen die auf der peutingersclien Tafel zu Ovilia gemalt sind, hetrifl't , so sind sie keinesweges das Sinnbild grösserer Colonien, für welche Gaisberger mit Unrecht Augusta Viudolicorum und Vindobona hält. Beide Städte waren vielmehr M u n i c ipe *). Das Zeichen bei Augusta Vindclicorum ist übrigens von jenem ganz verschieden. Auf der peutingerschen Tafel linden sich die beiden Thürmchen nicht blos bei Colonien, sondern auch bei vielen anderen Städten. Nicht alle Colonien aber, bei welchen jenes Zeiciicn angesetzt ist, waren bedeutend, z. B. Seua .lulia , Parcntinm , Privernum, Cosa, Luna in Hallen. Dasselbe gilt auch von vielen anderen Orten, z. ß. von Velinä, ßituriza (Biturgia bei l'tolemäus), Vata Volaterra (einem blossen Flecken) in Italien, Cornacum in Panuonien, Arbor Felix in Rhätien, Taruenna, Condate, Castellum IWenapiorum in Gallien. Dagegen fehlen die zwei Thürmchen hei mehreren beträcht- lichen ColiMiien, z. B. bei Üortona, Pai'iria in Italien, bei Aventicuin, der berühmten Hauptstadt der llolvetier, Augusta Rauracorum (zu den beiden letzteren Orten ist jeddcli ein anderes Zeichen gemalt), so wie auch bei mehreren anderen nicht unbe- deutenden Städten, z. B. bei Acumincum in Panuonien, Vindonissa in llelveticn. Aus jenem Zeichen lässt sich daher keinesweges mit Sicherheit auf die Beträchtlichkeit e4. Ilist. Classe, 5. Nr., 36. Sp. u. (f.) Khenso heisst Vin- doliona auf Inschriften munici piu m. S. Muchar, Das rom. Noric. 1. Th. lÜÜ. S. u. f. Die Bisthümer Noricuras etc. 14^ nun zur Zeit der kirchlichen Versammlung von Sardika (344) im Noricum nur ein Bisthum, so wird der dortige Bischof der jener zeigt (s die lOG. S. 3. Anm.), so dürfen wir die schon von Kurz (a. a. 0. 10. S.) und M anner t (a. a. 0. 3. Bd., 637. S.) ausgesprochene Vermuthung, die zu Ovilin gemalten Thürmchen gehörten zu Lauriacuin, für wohlgegründet hallen. Dass aher auch Ovilava kein heträchtliclier Ort sein konnle, geht schon daraus hervor, dass es nicht einmal im Lehen S e ve r in s, zu dessen Zeiten es nach Gai sbe rger's eigenem Nachweise noch bestand, erwähnt wird. Was dann dieses Gelehrten Behauptung, in kleinen, weniger bedeutenden Colonien hätten die Aedile meistens auch die höchste obrigkeitliche Würde gehabt, anbelangt , so sind uns blos einige italische Städte bekannt, in welchen die Aedilität als der höchste Magistrat erscheint (z. B. in Arpinum und zwar dort in der Dreizahl. Cicero ad famil. 10, 11, 3. Vgl. Ürell i a. a. 0. S7i. Nr.). In den anderen italischen Städten aber, so wie namentlich in den Colonien und Municipen der Provinzen, sie mochten bedeutend sein oder nicht, finden wir entweder llviri (mit vollständigem Titel llviri juri dicundo*)) und aediles oder lillviri juri dicundo und lillviri aediliciae potestatis (auch lillviri aediles**)). Wir verweisen z. B. auf die nicht beträchtlichen norischen Municipe C e t in m (G ai s b e rg er a.a. 0. 14. S., Muchar a. a. 0. 163. S.) und Aguntu m (M uchar a. a. 0. 162. S.). Die in Ovilava vorkommenden Duumvire und Aedile liefern also für die Bedeutsamkeit dieser Colonie nicht den geringsten Beweis. Klein (a. a. 0. 83. S.) meint, Fa vianis, welches er für Vindol)ona hält, wäre eine beträchtliche Stadt gewesen, weil es in Severins Leben ci vi tas genannt würde, und gründet darauf die Annahme, Favianis wäre ein Bisthum gewesen. Allein civitas ward von den Uömern für jede Stadt gebraucht, sie mochte beträchtlich sein oder nicht. So heisst z. B. in dem hierosolymischen Reisebuche jede Stadt ohne Unter- schied civitas, nur Itoni wird urbs genannt. Dass aber auch in Sev e ri n s Leben civitas nicht eine beträchtliche Stadt bezeichnet, sondern dem oppidum gleich gesetzt wird, erhellt daraus, dass eine und dieselbe Stadt bald civitas bald oppidum genannt wird. Dies ist gerade bei Fabianis der Fall, welches zweimal civitas und dreimal oppidum heisst (3., 4., 23. K.). E u g i p p i u s wollte durch das eine wie durch das andere Wort lediglich den BegrifT Stadt ausdrücken. Daher gibt er dem iie- trächtlicheu Tiburnia (IS. K.), der Hauptstadt llitlelnoricums, ebenso wie dem unbe- trächtlichen Asturis (1. K.) oder Purgum (nach süddeutscher Weise für Burgum, welches in der IS'ähe von Favianis lag, 4. K.) den Namen oppidum. Ebenso gebraucht er urbs für oppidum. Auch locus kommt öfters in dieser Bedeutung bei ihm vor: Namen, die Lauriacum in einem und demselben Abschnitte (29. K.) führt und die Eugippius der Abwechslung zu Liebe brauchte. Mehrere Schriftsteller machten sogar den in Favianis gelegenen Tribun M a m e r t i n zum dortigen Bischöfe, weil in Severins Lehen (4. K.) bemerkt wird, dass er hernach zum Bischöfe geweiht worden sei (qui post episcopus ordinatus est). Allein abgesehen davon, dass es höchst willkürlich ist, aus jener unbestimmten Bemerkung zu folgern, Mamertin wäre Bischof von Favianis geworden, war dies nicht einmal möglich. Denn durch Eugippius wissen wir, dass Favianis zu den rugischen Donaustädten gehörte, *) Zwischen den llviri jiui dieundo und llviri ohne weiteren Zusatz bestand kein Unterschied. *'J Unter den lillviri juri dicundo , so wie unter den lillviri {edilicise potestatis oder lUviri »diles sind immer nur zwei Personen zu verstehen. Über die lillviri s, die umfassenden Erörterungen bei Zurapt a. a. 0. lül. S. u. II'. 10» J4(S Wilhelm Glück. Versammlung beiwohnte, auch von Lauriacum gewesen sein. Da indess das benachbarte Pannonien zu jener Zeit schon fünf Bisthümer zählte 1) , so dürfen wir wohl annehmen , dass es auch im Noricum welche bei der allgemeinen Auswanderung der Römer nach Italien verlassen und nach- her verwüstet wurden. Maraertin müsste folglich in Italien die Bischofswürde erhalten haben. Da jedoch jene Bemerkung in der Handschrift des S u r i u s fehlt, so scheint sie aus einer späteren Randglosse in den Text gekommen zu sein, wozu, wie der gelehrte Wels er (a. a. 0. 667. S.) schon längst bemerkt hat, der Umstand, dass zu derselben Zeit ein Bischof Mamertus zu Vienne in Gallien lebte (Gregor. Turon., Hist. Francor. 2, 34), leicht Anlass geben konnte. 1) In den Unterschriften der Väter von Sardika erscheinen drei pannonische Bischöfe, nämlich Apri an von Poetovio, Marcus von Siskia und Euter ius (Hilarius nennt ihn Eutasius), dessen Sitz aber nicht angegeben ist. Muchar (a. a. 0. 2. Tb., 304. S.) ist daher im Irrthume, wenn er behauptet, von Siskia wäre kein anderer Bischof als der h. Quirin bekannt. Die Geschichte kennt vielmehr noch einen dritten Bischof von Siskia, nämlich Constantius, welcher der Synode von Aquileja (381) beiwohnte. (Mansi a. a. 0. 3. Bd., 600. Sp.) Ferner erwähnen die Acten der Sardiker Versammlung des Bischofes Val ens von Mursa (Esseck), welcher eines der Häupter der arianischen Partei war und von jener Versammlung abgesetzt ward. Er wohnte der schon früher erwähnten zu Philippopolis abgehaltenen Synode bei und unterzeichnete das Rundschreiben derselben. (S. oben 66. S. 7. Anra.) Zu jener Zeit sass auf dem Bischofsstuhle von Sirmiura gleichfalls ein Häretiker, der bekannte Pho ti nus. (Sokr at es a. a 0. 2. B., 18. K.) Seine Lehre ward von den zu Antiochien (34ä) und zu Mailand (347) gehaltenen Synoden verworfen, er selbst aber auf dem Concile zu Sirmium (3öl) seines Amtes entsetzt. (S okrat es a. a. 0. 19., 29.K., Sozomen us a. a. 0. 4. B., 6. K.) Demnach sind fünf pannonische Bischöfe, welche zur Zeit des Concils von Sardika vorhanden waren, erwiesen. Mehrere Schriftsteiler (z.B. Rettberg a.a.O. 1. Bd., 223. S.) führen auch Stridon, die Vaterstadt des berühmten Kirchenvaters Hieronymus, als einen schon zur Zeit der nikäischen Synode (323) bestandenen pannonischen Bischofssitz au , weil der in den Unterschriften derselben vorkommende Dom nus aus Pannonien (s. das Ver- zeichniss der Väter von Nikäa im Codex canonuni eccles. Romanae und in der Prisca translatio in Leonis M. opp. ed. Ballerin. 3. Bd., 45., 212. Sp. und jenes bei Mansi a. a. 0. 2. Bd., 702. Sp.) in einer Handschrift Stridonensis heisst. (Mansi a. a. 0. 696. Sp.) Allein dieser Beisatz ist falsch, da Stridon nicht zu Pannonien, sondern zu Dalmalien gehörte. In welcher pannonischen Stadt aber jener Bischof seinen Sitz hatte, ist unbekannt. Eben so wenig kennen wir die Namen und Sitze der panno- nischen Bischöfe , welche dem Concile von Tyrus (333) beiwohnten. (Eusebius, Vila Conslant. 4, 43). .Muchar (a. a. 0. 137. S.) iindet in der angeführten Stelle des Eusebius irrig die Worte , welche der Kaiser Konstantin an die Synode von Tyrus gericlilet hätte. Nicht unwahrscheinlich aber zählte Pannonien welches viele beträchtliche Städte hatte, zur Zeit der Synode von Sardika noch mehr Bischofs- stülile als die angegebenen. Jene von Poetovio und Siskia bestanden, wie bereits oben bemerkt ward, schon zu Anfange des vierten Jahrhunderts und ohne Zweifel erhob sich in Sirmium, dieser grossen und wichtigen Stadt (s. Muchara. a. 0. 29y. S. u. f.), nucii früher als in jenen Städten ein Bischofssitz, wenn auch die in einer dem salonischen Bischöfe Hesychius (403 — 438) zugeschriebenen Lebens- beschreibung des h. Clemens (s. Ka rl.ili, Illyricum sacruni. Venetiis 1731. i.Bd., Die Bisthümer Noricums etc. 149 damals noch ein zweites Bistlium gab. Vielleicht war es Celcja dessen Lage und Bedeutung es auf jeden Fall sehr wahrscheinlich machen, dass sich dort schon frühzeitig christliche Zustände bildeten i). Jeder norische Bischof hatte einen besonderen Sprengel (Diöcese) 2), innerhalb dessen er seine Gewalt ausschliessend aus- zuüben berechtigt war s). Die Grenzen dieser Sprengel aber können Avir aus Mangel an Nachrichten um so weniger bestimmen, als wir nicht einmal wissen, ob Noricum in lauter einheimische Bisthümer getheilt war. So konnte das hart an der norischen Grenze gelegene Poetovio seinen Sprengel leicht über einen Theil des mittleren Noricums ausdehnen, sowie sich umgekehrt die eine oder die andere norische Diöcese in benachbarte Länder erstrecken konnte. Denn nicht eingeschränkt durch die politischen und natürlichen Grenzen der Länder pflanzten die Bischöfe oft in weitem Umkreise um ihre Sitze her die Keime des Christenthums. Nur das glauben wir ohne Bedenken behaupten zu dürfen, dass sich das iorchische Bisthum über das ganze Ufernoricum erstreckte. Von den mittelnorischen Bisthümern wird sich wohl schwerlich eines dorthin ausgedehnt haben. Celeja und Virunum lagen zu weit entfernt und das näher gelegene Tiburnia scheint seinen Sprengel mehr der Drau entlang ausgedehnt zu haben *). Sehr unwahrscheinlich aber ist es , dass 248. S. u. f.) enth.iltene Nachricht, An dronikus , ein Jünger Christes, wäre der erste Bischof von Sirmiura gewesen (Andronicus antiquus Christi discipulus qui fuit primus Sirmii in Pannonia episeopus. Farlat i a. a.O. 2. Bd., 83. S.), keinen Glauben verdient. S. Dum ml er, Die pannouische Legende vom h. Methodiiis a. a. 0. 185.8. ^) Mu c ha r"s Behauptung (Gesch. des Herzogth. Steiermark. 1. Bd. 1S3), dass schon um die Mitte des dritten Jahrhunderts in Celeja eine Christengemeinde bestanden hätte, ist gänzlich grundlos. Er schliesst dies aus der uralten Überlieferung, dass der h. Maximilian dort den Märterertod erlitten hätte, sowie daraus, dass der- selbe schon im frühesten Mittelalter in den norisch-pannoniselien Landen verehrt worden wäre. Allein was jene Überlieferung betrifft, so sagt derselbe Schriftsteller später (470. S.) selbst, dieselbe dürfte sich aus der im 13. Jahrhundert verfassten ganz verwerflichen Legende des heil. Maximilians (s. oben 96. S., Anui.) gebildet haben. Wie aber aus der bis in H r u o d b e r h t s Zeit hinaufgehenden Ver- ehrung desselben folgen soll, dass schon um die Mitte des dritten Jahrhunderts in Celeja eine Christengemeinde bestanden hätte, können wir nicht begreifen. 2) Dies wird durch des Eugippius Aussage von der Diöcese des Bischofes von Tiburnia bestätigL (S. oben 141. S., 2. Anm.) 3) Can. 9. Conc. Antioch. 341. (in c. 2. C. IX. qu. 3.) ^) v. Ank ershofe n (a.a.O. 634. S.) behauptet, die tiburnische Diöcese hätte sich über das Gebiet von Tiburnia, welches sich noch im achten (vielmehr neunten) Jahr- hundert bis au den Ursprung der Drau im tirolischen Toblacherfelde erstreckt hätte, 150 Wilhelm Glück. Die Bisthiiiner Noricums etc. sich ein Bisthiim der angrenzenden Länder in das Ufernoricum erstreckte. Im oberen Pannonien lag kein Bisthum welchem wir eine solche Ausdehnung geben könnten, in der Nähe, und was das zweite Rhätien betrilTt, so wissen wir nicht einmal gewiss, ob es zur Zeit der römischen Herrschaft schon ein eigenes Bisthum hatte i). Viel eher lässt sich vermuthen, dass sich das lorchische Bisthum über einen Theil des zweiten Rhätiens längs der Donau ausdehnte 2). So war denn unstreitig das Bisthum von Lauriacum, welches die neuere Forschung aus nichtigen Gründen seines ehrwürdigen Alterthums entkleiden und zu einer vorübergehenden Schöpfung des fünften Jahrhunderts machen wollte, nicht blos eine Säule, sondern auch eine fruchtbare Pflanzsehule des Christen- thums im norischen Lande. auss-ndelint und verweist in der letzteren Beziehung- auf eine Urkunde des Kaisers llludowig^ des Froramen vom J. 816 (hei Meiciielbeck a. a. 0. 2ö2. S.), worin CS heisst: Atto fjucndam Frisingensis episcopus slruxit quandam celiulani, quae nuncupatur Inticha, et fratros ibidem ad dei omnipolcntis officium perageudum con- gregavit in confinio Tiburniensi, uhi Dravus fluvius oritur. Das Bisthum von Tii)urnia aber erstreckte sich g-ewiss über das Stadtgebiet (territoriura) hinaus. Zu welchem ßisthume hätte z. B. das in der Nähe gelegene Municip Aguntum (Innichen), das sicher um die Mitte des fünften Jahrhunderts schon eine Pfarrkirche hesass, sonst gehören sollen ? *) Es ist jedoch wahrscheinlich, dass sich in dem bedeutenden Municipe Augusta Vindeli- corum schon zur Zeit der röinisclien Herrschaft ein Bischofsstuhl erhob. 2) So werden wohl die Städte Quiutanis und Batavis, die zu S e v e ri n s Zeit Pfarrkirchen in ihren Mauern zälilten (Vita S. Sever. 16., 17., 23. K.), zum lorchischeu Bistliume gehört haben. Über den angeblichen Passauer Bischof Val en t i n s. P.ettberg a. a. O. 1. Bd., 220. S. u. f. und D ü m m I e r , Piligrim von Passau. 7. S. ii. f., 188. S., 12. Anui. Verzeicliniss der eing-effangeiieii Druckschriften. 151 YEIIZEICHMSS DER EINGEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN. (JUNI.) Akademie, k. preussische, der Wissenschaften. Monatsbericht April, Mai. Annalen der Chemie und Pharmacie. Herausgegeben von Wöhler, Liebig und Kopp. Bd. 94, Heft 1. Annales des mines. IV. Serie, Table des matieres. Annuaire de Tinstitut des provinces de France. 1855. (3 Exempl.) Stnjetgen, Q^ötttngifc^e, ^elefirte. 1854. Archiv für schweizerische Geschichte. Bd. 10. Berlin, Universitätsschriften aus dem Jahre 1854. Bonnevvyn, Henri, Notice sur la Spigelie anthelmintique. Liege, 1854; 80- — Memoire sur le Tartrate Antimonico-pofassique, Tartrate de Potasse et d'Antimoine ou emetique. Auvers 1851; S^- — Memoire sur Thistoire et les maladies du Solanum tuberosum. Tirlemont 1851; S»- ßotta, Sernf}., 5Deutfc()(anbä ©oben, fein geoloijifc^er ©au uub bcffen eiimlrhmgen auf baä Sekni ber 9}?enfd)cu. Zäp^io^ 1854; 8o- Flora. 1855. Nr. 1—12. i^örfter, (5f)rift., Qiagemeine Saujeitung. 3af)ri3au9 20, v^eft 4. ®ef(^t4)tö 6(ätter auä ber ~äI J^[\ J.C- Lilcw Bericht über die in Konstantinopel erschienenen oriental. Werke. 1 ÜO Die vorliegenden Randglossen bilden Siimmt dem eingeschal- teten Texte des „Mothawwel" einen Qnarlband von 594 Seiten, dui'chans arabisch, aufgelegt in der hiesigen Staatsdrnckerei Ende Moharreni 1270 (Ende October 18ö3). Der Verfasser derselben, Hasan Tsch elebi, ist kein anderer als der grosse Gesetzgelehrte i) Schemseddin Elfenari, der unter Sultan Bajefid Jildirim blüiite und in Brussa begraben liegt. Nro.303. Dürer Hase hiesi; Abdul ha lim 2j, d.h. Randglos- sen zum Werke Dürer, d. i. Perlen, von A bdu 1 ha lim. Octavband von 8S9Seiten, Ende Rebi-ulewwel (December 1853) in der Staats- druckerei veröfTentlieht. Durchaus arabisch. Indem des „Dürer" bereits in meinem vorhergehenden Bücherberichte 3) bei Gelegenheit der Beschreibung eines anderen Commentars desselben Werkes Erwähnung geschehen, glaube ich mich hier weiteren Eingehens enthalten zu dürfen. Über Abdulhalim's Lebensverhältnisse konnte ich mir keine näheren Aufschlüsse verschaffen. Nro. 304. Terdschümei' Nefahat ul-Ins*), d. h. Über- setzung der „Hauche der Menschheit". Eine Geschichte s) des Mysti- cismus der Ssufis, verfasst von dem berühmten persischen Dichter Dschami, mit Benützung des älteren einschlägigen Werkes Thabakäti Ssufie", d. h. Classen der Ssufis, von Seiemi N i s e h a b u r i , welches später vom Mufti Ismail el-Ansari ver- mehrt worden war. Dschami schrieb sie im Jahre m. Z. 881 (1476) auf Betrieb seines Gönners des grossen Mäcen Ali Schir. Übersetzt wurde sie von dem in der türkischen Literatur so bekann- ten Dichter Lamli, Commentator vieler anderer persischer Werke. Er widmete seine Übersetzung dem Sultan Suleiman , als Festgabe bei Gelegenheit der Eroberung Belgrads (lo21). Die nunmehrige Druck-Ausgabe, ein Octavband von 711 Seiten, rührt aus der hiesi- gen Staatsdruckerei her und wurde Anfang Rebi-Ulachir (Anfang ^) Siehe Hammer-PurgslalPs Geschichte des 0. R. und Schakaik. S. 20ö. '} ciNLsLi XvC ^^ i^ \s>~ jj J 3) S. Nr. 297. *) ^i\ cj[J^ i^ö^j» ^) Näheres sammt Proben in Hammer-Purgstairs Geschichte der schönen Redekünste Persiens. S. 340. lOß V. S p h I e c h t a - W s s e h r (I. Jänner 1854) beendigt. Auf eine längere Vorrede, in der das Wesen der Mystik im Allgemeinen entwickelt wird, folgen die Lebens- beschreibungen von 583 männlicben und 32 weiblichen Celebritäten der Ssuli-Secte. Nro. 305. Haschiet-lil Kafi li-Abdulbekim Elsil- kiutii)» tl. h. Randglossen zum Werke des Kafi (Kadhi), verfasst von Abdiilb ekim-Silkiuti. Ein Quartband von 662 Seiten, durchaus arabisch, Mitte Schewwal in obiger Anstalt veröfFentlicht. El Kafi {*F:I Kadhi) ist bekanntlich der Titel, welchen die Epithetik der Gesetzgelehrten im Vorzuge dem berühmten Verfasser des Com- mentars 2) zum Koran, Nassreddin, Ebu Said, Abdallah Ibn Omer aus ßeidha (Beisawi) beigelegt, welcher durch lange Zeit die Richterwürde in Schiraf und Tebrif bekleidete. Autor der vorliegenden Randglossen ist Abdul-Hekim el Silkiuti. Derselbe lebte in Indien und starb am 18. Rebi ul ewwel 1067 m. J. (4. Jänner 1657). Nr. 306. Hikmeti thabijes), d. h. Physik, ein Lehrbuch dieser Wissenschaft; I. Band, die Lehre von den wägbaren Körpern enthaltend; ein Heft von 153 Seiten in Duodez mit Beigabe von zwei Tafeln mit Zeichnungen physicalischer Instrumente. Der Verfasser, ein Zögling der hiesigen Medicinschule, gibt in der Vorrede mehrere französische Quellen an, aus welchen er den vorliegenden Auszug ins Türkische übersetzte. Dieser ist möglichst fasslich gegeben und der technologischen Ausdrücke halber die er enthält, auch philolo- gisch von Interesse. Hier eine Centurie *) derselben als Beispiel. *) j_5^-iaC organisch. ^^iaS-j^S' iinorg^anisch, ^'aj\ X*^*" Erdkörper, ^As" JT*" Hiiiimelskiirper, i^j\^ ;U1 llitz-Kfr.'fte, aJL^ jC\ Liclil-Effecte, xJl'jISIW jC\ Wirkungen der Elektrieiliit , i^^VS^ j[,\ Wirkungen des Magnetismus, Jj->. C>\j^^ «lie Dreliung, ö\j^-i d^'J\J<2\ j^^ die Axendrehung, J,'^ Ji«j, jlk« AäJ unbeschränkter Raum. J^JljL J^j . i J^ JlsS. AsL.« beschränkter Bericht über die in Konstaiitinopel erschienenen oriental. Werke. 167 Sieben davon verdienen abg^esondert Erwähnung, indem sie auf die ihrer localen Wichtigkeit und ihres Alterthums halber gleich merk- Raum, jjL»»» Flüssigkeit, la*-o ^Ulo) Ungreifbarkeit, ÖJ5 »I-XäJ| Unwägbarkeit, j_5y v^' 5 A-^^ jl«l~s».l Formation der Körper, ji^J^ f^""^ Natiirkörper, Aj jlo- c-dttS anziehende Kraft, AaSJj «-4^3 abstossende Kraft, dJi.jt.->~ e-A^9 schein- et *• H * *' bare, imaginäre Kraft, ATIJ c-i^9 fortdauernde Kraft, i,c]^ ^. absolute = A*31aö) sZ^j>- relative Bewegung, JUiJk^ Stillstand, Unbeweglichkeit, CAsu Schwere, Aj^» ^^äÖW Anziehungskraft des Centruius, ,J !=>» »^-«öJi e-^J Anziehungskraft der Erde, (_-*1.^3 J"^^ fester Zustand, «_jLo Jlo* flüssiger Zustand, jlp Ghaz, O^ Kraft, (JU-05U,« Widerstand, ^ a*C OL-0.J chemische Zusammensetzungen, ^i2i«>- Eigenschaften, A*.« ^yP allgemeine — A*<3a.^.^ besondere, specielle = ^IJtl^l Ausdehnung, ^*.olc>- i>l^iL>l (Jy3 Theilbarkeit , Oul»>-o Poren, OUl«.* ^J porös, »_l.**.ol*,..o Porosität, JUllLaP Trägheit, L.ia^j ui-<.J>»l9 Compressibilität, c]UjiA*LJ| Elasticitäl, ji__;l«ju| JUJliIs Dehn- barkeit, l>l,»ju| Dehnung, AO 9 i_5l .^-1 Molekülen, Jl^uS Dichte, ^jjLÄ« Massstab, os] j-»-^ Horizontallinie, ^CJ^^P iijs»* senkrechte Linie, c^«^^?^ Pendel, A>^<59j Ji^s- Pendelbewegung, c^'^Sj \\_jKit,] Pendelschwingung, «_-ojUi> Sprödigkeit, ^lJji> .S > Scliwerpunct , kJU«lÄI«»jl Richtung, JU^lftl^ A<\a1-.« gerade = A*.^^^ schiefe Richtung, ijjj^^ «J-o =>. Kreisbewegung, ÄJ5IJ Winkel, dj 'S [] \] s^it^S Centripetalkraft, Ajy Al ■,£■ fö^ Centri- fugalkraft, r^ d!hJiü J^jL.« , t^-JiWaAJ JLÜjI Stützpunct, aSjJU Hebel, i «^ j ßiS V. Schleciila-Wssehrd. würdigen hydraulischen Einrichtungen Konstantinopels Bezug neh- men. Bekanntlich ist nämlich fliessendes Wasser in dieser Stadt eine Waarc deren Genuss mit theuerem Gelde erkauft werden muss, und deren Besitz ausserdem, Avenn es sich um ein fortdauerndes Anrecht auf denselhen handelt, wie dies bei öffentlichen und Privatgebäuden der Fall, eine speclelle Ermächtigung des Sultans erfordert. Das Mass des Wassers welches auf diese Art dem Besitze des Einzelnen zuge- wendet wird, erhält, je nach dem Quantum in dem dasselbe in der Frist einer Minute aus einem Bohre von gewisser Weite ausströmt, verschiedene Bezeichnungen. So heisst es: hilali) (Neumond- sichel), wenn es in der Minute beiläufig S3 Drachmen, Dschüwal- dif 2) (Nadel zum Nähen von Säcken), wenn es das Doppelte; nissf massura^) ('/g Massura), (Massura heisst die dünnste Gattung Schilfrohres), wenn es das Doppelte der vorigen Quantität; Mas- sura*) (gewöhnliches dünnes Bohr), wenn es das Doppelte von dieser: ka misch») (dickes Schilfrohr), wenn es doppelt so viel; nissflüle«) (halbe Pipe, wenn es 2% — 4 Okka); und lüle^) (Pipe), wenn es zwischen 5 — 8 Okka beträgt. Noch grössere Quantitäten werden mit den Ausdrücken zwei lüle ^), drei lüle u. s. f. bezeichnet. Nro. 307. Dschildi fsalifsi Elf leile we leile »), d.h. dritter Band der „Tausend und einen Nacht". Dieser dritte Band der auf Befehl des regierenden Sultans von einem gewissen Ahmed Nafif E feudi verfassten türkischen Übersetzung des trefflichen arabischen Märchenbuches, beträgt 200 Octavseiten, beginnt mit der 501. und schliesst mit der 625. Nacht. Angabe des Druckortes und der Druckepoche fehlt. Fliischen/.iiy , a a^ J-wjU fester = i«^ ^jsi^^ beweglieher Flaschenzug-, J^"^ ^v^ schiefe Flüche, A^ls Keil, ^^ g liu äIovoI ^ Widerstand des Mittels, ^-J j_$l^A> Atmosphäre, ^^>^jx, >^J>- Wellenbeweg-ung, Ai».lJlS Nord- wesl, ^i,3 West-Nord-Wind, |^ öIa«» Barometer, ]^\ ÄJlii Luftpumpe, JyO >-*-o Slimmwelle , O yol* /^"^ tönender Körper, .«a^lcü. Säi: nure. liericlit iiher die in Koustantinopei erschienenen oriental. Werke. J 09 Nro. 308. Osmanische Geschichte von ChairiiUah Efendi*)- Zu den bereits im Berichte vom verflossenen Jahre beschriebenen drei ersten Heften dieser Geschichte erschienen seither vier weitere Bändchen. Das vierte, ein Heft von lOo Seiten, enthält die Geschichte des Zeitraumes unter Sultan Murad I. Chodawendikiar, Sohn Orchans, die Beschreibung der damaligen Weltverhältnisse, der Ereignisse im Innern des rasch wachsenden Beiches und jene der Zeitgenossen dieses dritten Herrschers der Osmanen-Dynastie. Es umfasst eine Epoche von 30 Jahren. Der fünfte Band, 88 Seiten stark, erzählt die Begierung Bajefid Jildirim's und der mit ihm gleichzeitigen christlichen und anderen Fürsten und schliesst mit einer Kritik der abgehandelten Epoche. Den sechsten Band füllt auf 108 Seiten die Beschreibung des Zwisehenreiches nach Bajefid's Ableben, die Schilderung der sonstigen in jenen Abschnitt fallenden Ereignisse, der Begierung Sultan Mohammed des I. und endlich eine Kritik der Weltverhältnisse seit Timur's Tod bis zu jener Epoche. Der siebente Band endlich, 104 Seiten umfassend, verbreitet sich über das Zeitalter Murad des Zweiten, seine wiederholten Thronentsagungen, die inneren Beformen des Reiches, Verhältnisse desselben zu den europäischen Staaten sowie die Lage dieser letzteren und ihre Geschichte. Lithographien des Jahres 1270. Kitabi Mohammedie fi Kiemalat el-Ahmedie, d. h. Lobgedicht auf Mohammed mit Beziehung auf die Vollkommenheiten Ahmed's. Ein Folioband, Prachtausgabe, 448 Seiten stark, litho- graphirt in der Anstalt des hiesigen Artillerie -Fortifications- Corps und vollendet Ende dschemasiulewwel (Ende Jänner 1854). Die Seite welche den Titel trägt, wie auch die nächstfolgende, sind mit goldener Zeichnung und Einrahmung geschmückt; der Titel selbst und die eingeschalteten Koran- Verse sind in schönem Sülüs, auf den ersten zwei Seiten in Gold, auf den folgenden bis zu Ende mit schwarzer Tusche geschrieben. Seite 17 gibt in einem nicht üblen Holzschnitte die Darstellung des Einganges zu den 8 Paradiesen 1) ^juäi d.\}i\^ -A^ 170 V. Schlechta-Wssehrd. des Islams. Eine oberhalb abgehackte, mit Blättern, Blüthen und Früchten bedeckte Pyramide stellt die Höhe der Himmel dar. Quer- striche in derselben bezeichnen die Grenzen der von unten nach aufwärts emporsteigenden 8 Wohnorte der Seligen, zu welchen 8 reich gezierte Thore führen. Die Namen der einzelnen Paradiese sind nicht angegeben. Zu oberst veranschaulicht ein Kreis den Thron Gottes; nahe unter ihm ist die Stelle des Himmelsbaumes Thuba; unter ihm weht die heilige Fahne (Liwa elhamd). Diese ist, wie ein anderer Holzschnitt, Seite 257, zeigt, gegen die Spitze zu in drei Arme getheilt, auf deren jedem Sprüche eingegraben. Die Länge der Fahne beträgt 1000, ihre Breite 500 Jahre. Unter- halb derselben reihen sich Kanzeln, Emporkirchen (Menabir) für die Propheten; unter diesen sind thronartige Stühle (Kerasi) auf- gerichtet für die Heiligen. Die Spitze des Paniers von Rubin und reinem Silber ragt bis ins siebente Paradies (dschenet el Aden); der Stiel wurzelt im Mittelpuncte der Erde. Gegen alle Gewohnheit geht dem Werke eine lebensbeschrei- bende Notiz über den Verfasser Jafidschi oglu Mehmed voraus i). Derselbe aus Kadhiköi, einem Dorfe bei Malgara (Sandschak Bigha) gebürtig, siedelte sich, nach längerem Reisen, im nahen Gallipoli an, wo er das gegenwärtige Lobgedicht verfasste, und auch vier Jahre nach dessen Vollendung, unter der Regierung Sultan Mohammed des Eroberers, sein Leben beschloss. Seine Liebe zu Gott und dem Propheten soll derart glüiiend gewesen sein , dass eines Tages, als er eben eine Kasside sum Lobe des letzteren dichtete, ein Flammenseufzer, aus tiefer Brust ausgestossen, ihm das Blatt in der Hand entzündete und in Kohle verwandelte. Dagegen scheint in dem Theile seines Körpers, Morin die poetische Begabung ihren Sitz hat, weniger heisse Temperatur vorgeherrscht zu haben; wenigstens ist in seiner vorliegenden Arbeit nichts davon wahrzunehmen. In 112 Absätzen erzählt er in türkischen Versen, worin die ihr Allerthum kennzeichnenden obso- leten Constructionsformen das einzig Interessante, die Geschichte der ErschalTuMg der Welt, einiger Propheten und Patriarchen, das Leben und die Wunder Mohammed's, die Zeichen des letzten Tages, Einzelheiten des jüngsten Gerichtes u. s. w. Häufige Koran- *) Näheres im „Schakaiki Nomaiiie" von Taschköprisade. Bericht über die in Konstantinopel erschienenen oriental. Werke. 1/1 stellen sind eingestreut; seltene oder zu veraltete Worte sind durch Randglossen erläutert. Zahlreiche fabelhafte Traditionen werden mit grosser Treuherzigkeit und Ausführlichkeit berichtet. Somit wäre wenigstens für die Kenntniss der Mythologie des Islams einiger Nutzen aus dem Producte zu schöpfen. Terdschümei Newadiri dschin Madschin ^) , d. h. Übersetzung der „Merkwürdigkeiten Chinas", ein Kleinoctavheft von 70 Seiten, Ende dschemafi ulachir 1270 (März 1854) in der lithographischen Anstalt des hiesigen Artillerie-Fortifications-Institutes in Tophana aufgelegt. Eine weitläufigere Besprechung dieser ethno- und geographisch- statistischen Beschreibung Nordchinas wäre hier überflüssig, da Professor Fleischer 2) bereits seinerzeit alles Wesentliche hier- über ebenso bündig als getreu zusammengestellt und sogar aus einem der Capitel auszugsweise Proben geliefert hat. Ich begnüge mich daher zu constatiren, dass sowohl die Eintheilung in Capitel als auch der Text des vierten Hauptstückes, wie sie vorliegende Lithographie liefert, mit der vom Professor Fleischer gegebenen Eintheilung und Übersetzung vollkommen übereinstimmen. Somit ist zugleich die Treue der von diesem Gelehrten benützten Handschriften der Dresdner und Berliner Bibliotheken in unzweifel- hafter Weise constatirt, denn die der gegenwärtigen Lithographie zu Grunde liegende Abschrift wurde, wie es auf der Kehrseite des vergoldeten Titelblattes heisst , nach dem Originalmanuscripte des Übersetzers angefertigt. Über die Lebensverhältnisse und selbst die Namen des Autors und Übersetzers war es mir unmöglich etwas Genaueres in Erfahrung zu bringen. Den Zweifel welchen Professor Fleischer hinsichtlich der Individualität des Ersteren aus einschlä- gigen Quellen darlegt, hatte ich Gelegenheit neuerlich dadurch bestätigt zu finden, dass ein Manuscript des persischen Originals, von dem ich hier Einsicht nahm "), den Astronomen Ali Kudsch- dschi angibt, hingegen ein anderes, im Privatbesitze eines hiesigen i) jJ^-U (J^«>-j^ljJ t^^r>-.j> 2) S. Berichte über die Verhandlungen der königl. sächsischen Gesellschaft der Wis- senschaften zu Leipzig, philos.-hist. Classe 1851. Sitzung vom 14. November. 3) In der hiesigen öffentlichen Bibliothek Aaschir Efendis. Sitzb. d. phil.-hist. Cl. XVII. Bd. U. Hft. 12 172 V. Schleclita-Wssehrd. französischen Beamten befindliches, einen Kaufmann als Verfasser nennen soll. Als Ciiriosum füge ich noch folgende Beschreibung der chine- sischen Telegraphen bei, wie sie im ersten Abschnitte des Büchleins geschildert werden. Nach AulFührung einiger Einzelheiten über das chinesische Befestigungssystem und die grosse Mauer, heisst es dort von den in gewissen Entfernungen erbauten Wachthürmen: „Auf denselben sitzen Wächter und lugen auf den Feind aus. Naht ein solcher heran , so sind sie im Stande durch , bei Tage mittelst Bauchsäulen und bei Nacht mittelst angezündeter Feuer, gegebene Signale die Ankunft desselben aus einer Entfernung von einem Monate binnen eines Tages nach der Hauptstadt zu berichten. Zugleich sind sie in der Lage darüber aufzuklären, welchem Stamme er angehört, denn die Einrichtung dieser Signale ist folgende: Kommt der Feind von Osten, so zünden sie eines, erscheint er von Norden her, zwei, naht er von Süden, drei, und nähert er sich von Westen aus, vier Feuer an". Ein türkischer Briefsteller, ohne Titel, Klein -Octav, 67 Seiten stark, in der Druckerei des „Dscheridei Hawadis" veröffentlicht. Die Angabe des Monats der Veröifentlichung fehlt. Die ersten 40 Seiten enthalten Muster von Bittschriften , anderen ämtlichen Eingaben, officiellen und freundschaftlichen Beglück- wünschungs- und Danksagungsschreiben u. s. w. ; der Rest bietet Gelegenheits-Kassideten, Chronogramme, Panegyriken auf türkische Würdenträger, Ghasele und Räthsel. Das Ganze, offenbar auf Veranlassung eines Buchhändlers angefertigt, macht und kann keinen Anspruch machen auf literarischen Werth. Salnamei)' d. i. der osmanische Staatsschematismus für das mohammedanische Jahr 1271. Hergebrachtes Format. Eine nützliche Vermehrung bildet das beigefügte Verzeichniss der gegen- wärtigen politischen Eintheilung des osmanischen Reiches in Provin- zen (Aialet). Liwa, und Districte (Kafa). Auch ist zum ersten Male eine Anleitung unter dem Titel „Faide" , d. h. Nützliche Bemerkung beigegeben, um die Namen der am Schlüsse verzeichneten Mitglieder der bei der hohen Pforte accreditirten fremden Missionen richtig lesen und aussprechen zu können. ') olitische Gründe und Verhältnisse ein. 2) Senkenberg, corpus juris Germ. tom. 11. 3) Auflösung der bisherigen Zweifel über den Ursprung der kurfürsUichen Würde. Bayreuth 1793. 4) Kirchenrecht IM, p. 106 ff. *) Kic b hör n, dculsciie Staats- und Rechtsgeschichte, 11, p. 270, §. 279. ®j Alexander V. Da ui e l's : De origine Saxonici speculi. Die siebente Kurstimme bei Rudolfs I. Königswaiil. W i) Scliwabenspiegel steht darnach nur im Verhältnisse einer abgeleiteten Quelle, und die Ursprüngliehkeit des Sachsenspiegels hat Homeyer auf das überzeugendste dargethan i)- r)aza kommen die gründliehen, handschriftlichen Forschungen welche den Text der bezüglichen Stelle des Schwabenspiegels keineswegs so unzweifelhaft festgestellt, dagegen aber nachgewiesen haben , dass die Arnbraser Handschrift kaum noch in das dreizehnte Jahrhundert gesetzt werden könne ~). Alle diese Umstände haben bcAvirkt, dass die Ansichtender Gelehrten mehr als je in Betreff unserer Streitfrage aus einander gehen, denn Lambacher's und Senkenberg's Gründe können nicht mehr überzeugen. Gerade diejenigen welche die eben erwähnten Gesichts- puncte am schärfsten bei der Beantwortung dieser Frage ins Auge gefasst haben , entscheiden dieselbe am liebsten nach dem Sachsen- spiegel 3j. Andere konnten bei aller Anstrengung nichts von einem Wahlrechte Baierns entdecken, so dass Lichnowski schon zu der Ansicht gelangt war, Budolf von Habsburg sei nur von sechs Kur- stimmen zum König erwählt worden*). Auch Palacky hat über diese Streitfrage ziemlich weitläufig gehandelt, und sich entschieden für das Wahlrecht Ottokar's von Böhmen bei der Wahl Rudolfs l. ausgesprochen 5). Seine Gründe sind aber insbesondere von Kopp wenig stichhältig befunden worden; und in der That, wenn Palacky die Analogie früherer Fälle in Erwägung zieht, um das Wahlrecht Ottokar's bei der Wahl Rudolfs zu beweisen, wobei er mehrere unbedeutende Ausdrücke aus einer Urkunde von 1290 hiiizuniinmt, so lässt sich freilich einwenden , dass von einer Analogie da nicht die Rede sein kann , wo es sich um ein ganz neues Institut handelt. Wenn ferner Palacky den Schwabenspiegel, ja selbst den Sachsen- spiegel und Albert von Stade kurz mit den Worten abfertigt, „sie 1) über das Verhäitniss des Sachsenspiegels zum Sehwabenspiegel, Berl. Akad. 18i)2. 2) Vgl. die Vorrede zuLassberg's Ausg. des Schwabenspiegels, und Pertz's Archiv X, p. 416. ^) Phillips a. a. O. und in der deutschen Reichs- und Rechtsgesehichte zum Gebrauche bei akad. Vorl. sagt derselbe : „Der König von Böhmen als Schenke, do(;h hatte der letztere diese Befugniss (des Wählens nämlich) nur, wenn er ein Deutscher war." Wozu Phillips mit vollem Rechte Landr. d. Sachssp. citirt, und das vollständige Hervortreten des Kur-CoUegiums in dem Briefe Urban's IV. vom Jahre 1263 sieht. S. p. 267 d. 2. Aufl. '') Gesch. d. Hauses Habsburg I, Buch 3. *J Gesch. Böhmens 11, p. 9 ff. u. 228 ff. 180 Ottokar Lorenz. sprechen eine irrige Privatansicht aus", so hatten eben die Gegner leichtes Spiel, von Neuem die Ansicht geltend zu machen, dass bei der Wahl Rudolfs von Habsburg der Herzog von Baiern den recht- lichen Besitz der siebenten Kurstimme gehabt habe. Dahin entscliied sich in neuester Zeit Kopp »). indem er, wie Lambacher, die Urkunde vom lö. Mai 12TS als Grundlage seiner Behauptung ansieht, die Stelle des Schwabenspiegels dagegen kaum als einen sicheren Beweis anführt. Vor ganz kurzer Zeit hat Baerwald^) unsere Streitfrage nach denselben Gründen wie Kopp entschieden, und so möchte es vielleicht gerechtfertigt sein , dass auch die ent- gegengesetzte Ansicht in dieser Streitfrage eine Vertheidigung findet. Indem ich dies versuche, habe ich insbesondere jene zwei allgemeinen Gesiclitspuncte festgehalten, welche über die Entstehung der kurfürstliclien Rechte überhaupt bisher die bedeutendsten Auf- klärungen gegeben haben: die Stellung der Kirche und des Papstes, und das Verhältniss der beiden Rechtsbücher des Mittelalters zu einander. Insbesondere der erstere Punct hat einzelnen Quellen welche bisher bei der Entscheidung der Frage fast unberücksichtigt geblieben sind, eine grössere Bedeutung und Gewicht gegeben. ») Gesch. der eidg'en. Bünde. 1, S. 20. 2) Wiilirend ich mit dieser Abhandlung' beschäftigt war , erschien in Berlin eine Inaug-ural-Dissertalion: De electione Rudolfi I. Reg-is aiictore Herrn. Baerwald. Auch Riedel, Abhandl. der ßerl. Akad. 1832, p. ö70, scheint zu der Ansicht Kopp ".s hin/.iMU'igon. Die siebente Kurstimme bei Rudolfs I. Königswahl. 181 I. Das C;ipitulare Venerabilem Innocenz III. bezeichnet einen entscheidenden Wendepunet in der Entwickehing des Wahlrechtes der deutschen Fürsten i). Die zwiespältige Wahl Otto's IV. und Phiilipp's von Schwaben gab dem Papste mehr als jemals Gelegenheit, in die Angelegenheiten des deutschen Reiches einzugreifen. Beide Parteien hatten sich an Innocenz III. gewendet und ihn zum Schieds- richter der zwiespältigen Wahl gemacht. In dem Schreiben der Fürsten welche Phillipp von Schwaben erkoren, finden wir die offene Erklärung, dass der Papst die Wahl der Fürsten bestätigen und genehmigen möge ^j. Auch ist aus einem zweiten Schreiben der- selben Fürsten zu ersehen , dass der päpstliche Legat , der Bischof von Präneste schon bei der Wahl einen gewissen Einfluss nahm, wo- gegen sich die Fürsten vorerst sträuben, denn eine solche Einmischung von Seite des römischen Stuhles sei ganz unerhört, und kein Papst habe seine Ansprüche über die Wahlen der deutschen Könige bisher ausgedehnt s). Auf diesen Brief der Fürsten erfloss das Capitulare 1) Pli illli.p's Kircheni-echt III. p. 196 ff. 2)Baluze epist. Innoc. III., tom. I, |(. 690. Quocirca dig-nitatis apostolicae clemen- tiara omni studio et alteutione rogamus , ut precum nostrarum iiiterventu , qui Rom. eeclesiae statura Optimum semper dileximus, ad iura imperii manum cum iniuria nullatenus extendatis, dilig-entius attendentes, quod non sustinemus ius eecle- siae ab aliquo diminui aut infringi. Igitur favorem vestrum et benevolentiara excellentissimo domino nostro fructuosius impendatis; etc. 3)ßaluze ep. Innoc. III., tom. I, p. 71S. Quis tarn duri etiam tamque perversi sen- sus exlimet, ut iiide emanet superstitio, ubi quiescere debet sanctitas? Divina eiiim ordinatione, non huniano iudicio, pie et salubriter est provisum, ut in urbe Romano, ubi olira erat caput superstitionis illic quiesceret caput sanctitatis; et suppliciter Omnibus est orandum, ut ad extremitatem non retrahatur principium, ne omega dieatur revolasse in alpha. Non ergo sacrosanctae Romanae sedis sanctitas et cuncta pie fovens paternitas hoc sentire ullo modo nos permittit , ea , quae iuri dissona et honestati contraria a D. Praenestino V. S. ut ipse asserit , legato in Romanorum regis electione sunt indecenter nimium perpetrata ut de vestrae mirae prudentiae prodierint conscientia, nee sanctissimam sancti coetus C^ardinaliuni credi- raus huc conniventium accessisse. Quis enim huic similem audivit audaciam? Quis verus accedere potest testis, fore hactenus sie praesumptum, quum nee hoc testetur fabula, nee affirmet res gesta, nee cuiusquam hoc codicis asseveret series. Ubinam legistis o sutnmi pontifices, ubi audistis, S. patres totius eeclesiae Cardinales antecessores vestros vel eorum missos Rom. regum se electionibus immiscuisse, sie ut vel elec- torum personara gererent, vel ut cognitores electionis trutinarent? 182 Ottokar Lorenz. Veiierabilein i). welches uns gründlich über zweierlei belehrt; erstlich über die Stellung des Papstes zu den deutschen Fürsten welche damals das Wahlrecht übten , und zweitens über die Tendenz des Papstes, das Wahlrecht der Fürsten auf eine geringere Zahl herabzusetzen. In Bezug auf den ersten Punct ist folgende Stelle ganz klar : „Verum nos, qui secundum apostolicae servitutis officium sumus sin- gulis in iustitia debitores sicut iustitiam nostram ab aliis volumus usurpari, sie ins Principum nobis volumus vendicare. Unde illis principibus ius et potestatem eligendi regem in imperatorem post- modum promovendum , recognoscimus ut debemus ad quos de iure ac antiqua consuetudine noscitur pertinere; praesertim cum ad eos ius et potestas huiusmodi ab apostolica sede pervenerit, quae Roma- num imperium in persona magnifici Caroli a Graecis transtulit in Germanos. Sed et Principes recognoscere debent, quod ius et auc- toritas examinandi personam electam in regem et promovendam in imperium ad nos spectat, qui eum inungimus consecramus et corona- mus. Est enim regulariter et generaliter observatum, ut ad eum examinatio personae pertineat ad quem impositio manus spectat. Numquid enim si Principes non solum in discordia sed etiam in con- cordia sacriiegium quencunque vel excommunicatum in regem tyran- num vel fatum haereticum eligerent aut paganum, nos inungere con- secrare et coronare deberemus? Absit omnio^).» In Bezug auf den zweiten vorhin erwähnten Punct finden sich einige Ausdrücke welche schon zu mannigfachen Deutungen Anlass gegeben haben: „principibus quibus electio competit: plures tamen 1) Baluze a. a. 0. Über den Zusaminenlian^ des Schreibens der Fürsten mit dem Capitulare, vg-1. die letzten Worte der früheren Note mit den Worten des Capital.: dicentes quod venerabilis frater noster Praenestinus Episcopus apostolicae sedis I.egatiis aut electoris gessit aut cog-nitoris personam. Phillips setzt das capitulare in das Jahr 1202. Kirchenrecht a. a. 0. 2) Noch deuUicher spricht sich übrigens der Papst in einem Schreiben an den Erz- bischof von Mainz aus. ßaluze I, p. 534 u. ö3ö. Noveris igitur imnio iam nostri quod post Ijenrici qiionJam Imperatoris decessum vota se principum diviserunt ita quod quidam eorum Othonem Henrici quondam ducis Saxoniae filium, quidam vero Phi- lippum quondam fratrem dicti Henrici Imperatoris nominarunt in regem Universis etiam Officialilnis tuis Canonicis, Praelatis, Coraitibus, Baronibus, et aliis tibi et ecciesiae .Maf^uiitinensi subiectis per literas tuas districte praecipias ut eum cuius nominatio per sedeni apostolicam fuerit approbata in Regem reci- piant. Der häufige Gebrauch des nominare für eligere ist ebenfalls in diesem Briefe bedeutsam genug. Sollte etwa der sonderbare und unklare .\usdruck im Sachsenspiegel: „bi naraen kiesen« mit jenem nominare in Zusammenhang stehen? Die siebente Kurstimme bei Rudolfs I. Königswahl. 183 ex iis, ad quos imperatoris spectat electio; a paiicioribiis electus est (Otto) verum cum tot vel plures ex iis ad quos principal it er spectat imperatoris electio in Ottonem consensisse noscuntur, quot in alteruni Pliilippum consenserunt. " Dass man in diesen Stellen noch keineswegs eine Hinweisung' auf die sieben Kurfürsten suchen könne, hat Gemeiner *) schon gründlich dargethan. Homeyer^) bemerkt ebenso richtig zu dieser Stelle: „Hiernach wären unter den Wählern überhaupt einige mit vorwiegendem Recht, aber der Papst schliesst sie nicht bestimmt ab, denn obwohl er die auf jeder Seite stimmen- den genau kannte, lässt er doch ungewiss, ob von ihnen eben so viele oder ob mehrere für Otto gestimmt hätten, als für Phillipp." Dass also der Papst unter den Wählern einige als Bevorzugte ansah, darüber kann kein Zweifel sein, aber liegt irgend etwas vor, dass man sonst einen solchen Unterschied schon wirklich gemacht habe? Da man zu einer solchen Annahme auch nicht den mindesten Grund hat, so bleibt wohl nur die Auffassung der Sache möglich, dass es im eigenen Willen und Interesse des Papstes gelegen habe, die Gesammtwahl der Fürsten zu hemmen, indem er einige Fürsten als Bevorzugte ansah; welche aber diejenigen waren, denen er ein so bevorzugtes Wahlrecht zudachte, darüber schweigen leider die Quellen. Thatsächlich bemerkt man noch lange nichts von einem bevorzugten Kurfürsten-Collegium 3). Darin könnte man jedoch eine Wirkung des genannten Capitulare sehen, dass im Laufe des 13. Jahr- hunderts mehr und mehr die kleinen Fürsten von den Wahlen weg- blieben. Soviel ist anderseits gewiss, dass sich die deutschen Fürsten noch lange gegen die Auffassung ihres Wahlrechts wie wir sie in dem Capitulare Innocenz III. kennen gelernt haben, sträubten. Aber keineswegs haben die Päpste das einmal Erlangte wieder fallen lassen, vielmehr warfen sie sich immer offener zu Gebietern über die Wahl und über die Wahlfürsten auf, so dass zuletzt, und dies geschah durch die Bulle Urban's IV„ das Princip Innocenz III. vollständig gesiegt hatte. Im Jahre 1240 befiehlt Gregor IX. den deutschen Fürsten, einen neuen König zu wählen *). Die Fürsten leugnen aber das Recht des 1) a. a. O. p. 84. *)Homeyer's Abb. a. a. O. ^) Otto S. Blasianus, Boehmer's Fontes HI. H30 spricht über die Wahlen Phillipp's und Otto's so, dass man keiaesweges daraus auf eine bevorzugte Stellung der sieben Fürsten bei dem Wahlacte schliessen kann. •*) Albertus Stadensis a. a. 1240. Vgl. Raynaldi his(. ecel. a. a. 1240, §. 2. lÖT Ottokar Lorenz. Papstes, die Wahlen anzuordnen und zu leiten. „Papa Gregorius," sind die Worte Albertus Stadensis, „insolentias imperatoris contra ecciesiam metuens principes super electione alterins sollicitavit, sed nihil profecit, quia quidam ei reseripserunt non sui esse iuris impera- toreni substituere sed tantum electuni a principibus coronare i)." In gleichem Geiste fuhr Innocenz IV. fort 2): Uli autem ad quos in eodem Imperio Imperatorio spectat electio eligant libere alium in eins iocum suceessorem. a. a. 124G: Abhorruit a creando novo rege Romanorum Bohemiae rex, Bavariae, Brabantiae, Brunsvici et Saxo- niae duces, Misniae et Brandenburgi Marchiones quos monuit pontifex. Alexander IV. schreibt im Jahre 1256 an den Erzbischof von Mainz: Intelleximus, quod instat tempus electionis celebrandae de rege in Imperatorem postmodum promovendo : super quo tanto pro- pensior adhibenda est diligentia et cautela quanto altius et difficilius est negotium, quod geritur. Darauf droht er mit dem Banne, im Falle Konradin von Hohenstaufen zum König erhoben würde s). Dass sich im Verlaufe des 13. Jahrhunderts die Ansicht voll- kommen festgesetzt hatte, das Wahlrecht der Fürsten gehe vorn Papste aus, und er sei die Grundlage der kurfürstlichen Rechte, dies beweist am schlagendsten die Fabel von der Errichtung des Kurfürstencollegiums durchGregorV.*) welche eben damals erfunden. ij Die Auffassung Gemeiners a. a. (). p. 94, Note 180 ist hier offenbar zu ver- werfen, denn das sui iuris kann unniö<;lich von quidam principes abhiingig sein. 2) Raynaldus a. a. i'liö, §.4ö. Damit stimmt ganz genau Matthiius P ar is tiberein a.a. i24S an einer Stelle, auf welche wir später noch weitläufiger zurückkommen müssen. ■■») Raynaldus a. a. 12ötj, §§. 2 und 3. 4j Thomas Aquinas de reg. princ. üb. III, cap. 19. Et tunc diversificatus est modus Imperii : quia usque ad tempora Caroli in Constantinopoli in eiigendo servabatur modus anfiquus: aliquando enim assumebantur de eodem genere, aliquando aliunde et aliquando per Principem fiebat electio : aliquando per exercitum. Sed instituto Carolo cessavit electio: et per suceessionem assumebantur de eodem genere; ut semper primogenitus esset Imperator, et hoc duravit usque ad septimam generationem. Qua ellam d.-firieule tempore Ludoviti a Carolo separat!: cum ecclesia vexaretur ab iniquis Uomanis, advocatus est ütho primus Dux Saxonum in ecclesia subsidium. Liberalaque ecclesia a vexatione Lougobardorum et impiorum Romanorum ac Re- rcngarii Tyranni, in Imperatorem coronatur a Leone VII. genere Alemanno, qui et Imperium tcnuit us,|ue ad tertium generationem, quorum quilibet vocatus est Otho. Et ex tunc ut historiae tradunt , per Gregorium V. genere similiter Teutonieum provisa est electio : ut videlicet per septem Principes Alemanniae fiat, quae usque ad ista tempora perseverat, quod est sjiatium duccntorum septuaginta annorum vel circa et laulum durabit, quantum Romana ecclesia, quae supremum gradum ' ■ ' " '• ' >'-'^" '<-'"•». Christi «delibus expedieas iudicaverit. Es ist also diese Die siebente Kurstimme bei RuJoirs I. Königswahl. 1 ÖO selbst bei ilei" ghibellinisch gesinnten Partei Eingang und Glauben gefunden zu haben scheint. Als man am 13. Januar 12o7 dem Befehle Alexander's IV. end- lich nachkam und zur Königswahl scliritt, so waren zwar allerdings diejenigen Fürsten welche bei der Wahl Rudolfs und später sich im alleinigen Besitze des Stimmrechtes behaupteten, auch versammelt, aber nebst ihnen noch eine grosse Menge anderer welche Matthäus Paris blos als Magnates anführt *). Dass jene sieben aber eine hervorragende oder ausschliessliche Stellung bei der Wahl eingenom- men hätten, davon ist noch immer nichts zu bemerken, wie bei allen früheren Königswahlen ein solches Hervortreten eines Kurfürsten- Cüllegiums gänzlich geleugnet werden muss 2). Jene Wahl vom Jahre 12^7 war eine zwiespaltige, die Zustände hatten viel Ähnlichkeit mit denen zu Zeiten Innocenz III., als er der Kirche eine so entscheidende Stellung bei der Königswahl verschaffte. Wie damals hatten auch jetzt beide Parteien sich an den Papst gewendet; er war Schiedsrichter, seinem Urtheile unterwarfen sich die Fürsten. Urban IV. wusste diesen entscheidenden Moment auch trefflich zu benützen, er führte dasjenige zu Ende was Innocenz III. stelle 1266—1269 geschrieben (vgl. H omeyer's Abb.), und gibt uns einen bedeu- tenden Aufschluss über die Art , wie man sich damals die Entstehung des Kur- fürsten-Collegiums dachte. Die Herleitung von Karl d. Grossen scheint mit Rück- sicht auf das cap. venerabilera gedeutet werden zu müssen, die Herleituug von Gregor V. dagegen kann man passend als eine äthiologische Mythe bezeichnen. Vgl. übrigens Martinus Polonus und Augustinus Triumphus, zusammengestellt bei G e wo 1 d a. a. O. p. 32. i) Böhmer, Reg. 2. Aufl., p. 37. Auf das Zeugniss Matthäus P.iris, welcher auch nicht die entfernteste Spur eines Hervortretens der sieben bei der Darstellung des Wahlactes selbst erkennen lässt, ist hier aus dem Grunde sehr viel zu geben, weil er sich nicht durch die spätere Einrichtung über frühere Vorgänge täuschen konnte, da er schon bald nach 1239 starb. (Vgl. Pauli, Gesch. v. Engl. III, S. 881 ff.) Die Stelle p. 807, wo der Hergang der Wahl erzählt ist, bekommt erst durch p. 808, wo die Primates Alemanniae nachgewiesen sind, ihre richtige Auslegung. Vgl. p. C30 über die Wahl Wilhelm's von Holland, ferner p. 631 editio Wats. 2) Phil 1 i pp's Kirchenr. III. 196: „Als Phil lip p von Schwaben und 0 t to zu Königen gekoren wurden, gewahrte man nichts von einem Kur-CoUegium, eben so wenig bei der Wahl Friedrich'» II. und seiner Söhne Heinrich und Kourad ; auch bei der Wahl Heinrich Raspe's und Richard's von C orn Wallis ist ein solches schwer zu entdecken. Dagegen lässt sich nicht verkennen, dass die Bestätigung, welche die Wahl Wilhelm's von Holland zu ISraunschweig durch Sachsen und Brandenburg erfuhr, doch schon einen Fingerzeig auf das Kur-Collegium enthält, welches als solches ganz deutlich in einem BriefeUr b a n's IV. an den erwählten König Richard im Jahre 1263 und alsdann bei der Wahl Rudolph's von Habsburg hervortritt." J 86 Ottokar Lorenz. angebahnt hatte, durch seinen Riehterspruch wurde die ausschliess- liche Wahl der sieben Kurfürsten begründet. Indem Papst Urban IV. in der Bulle vom 31. August 1263 i) nur die Wahlstimmen jener sieben welche im Besitze der Erzämter waren, als giltig zählte, sprach er zugleich diesen das ausschliess- liche Wahlrecht zu: ac universa et singula circa haec gererent a^erent fideliter ac procurarent, quae per vestros nuntios ac procura- tores ad hoc specialiter deputatos legitime possent agi, peti et etiam procurari, coram nobis et eisdem fratribus proponerecuraverunt quas- dam consuetudines circa electionem noviRegis Romanorum in Impera- torem postea promovendi apud Principes vocem huiusmodi in electione habentes, qui sunt septem numero, pro iure servari, et fuisse hactenus observatas a tempore cuius memoria non extitit^) etc. Die sieben Fürsten, welchen Urban IV. das ausschliessliche Wahlrecht zuschreibt, werden hierauf ausdrücklich angeführt: die *) Gleich im Eingange der Bulle ist die Stellung des Papstes scharf hervorgehoben: Qui caelum terramque regit is nimirum caeli novit ordinem in terra potest cae- lestis ponere ordinis rationem. Is exempla de Superioribus ad inferiora derivans, sicut in firmamento caeli duo lurainaria magna constituit, ut niundum vicibus suis illustrent, sie et in terris maxima dona sua, Sacerdotium videlicet et Imperium, ad plenum spiritualium iiiundanorumque regimen ad firmamentura Ecciesiae mili- tanlis instituens utriusque potestatis ita discrevit oflicia , ut eorum offieiosa diver- sitas uulla sibi adversitate dissentiat ; sed in commissi executione regiminis ex oflieii debito in voti unitate concordet; et ipsorum procul dubio profutura concordia alterutrius alternis fulta praesidiis ac utriusque mutuis fota favoribus, opus iustitiae liberius operetur, pacem mundo pariens, tranquillitatem inducens, et nutriens unitatem. 2) Gemeiner a. a. 0. p. 99, behauptet dass die Worte qui sunt Septem numero „ein offenbares Einschiebsel seien". Dann wäre aber der zweite Theil des Briefes überhaupt unecbl, denn da in dem folgenden gerade sieben Fürsten aufgezählt werden, welche als walilberechligt hiiigestelU sind, so hindert doch nichts anzunehmen, dass der Papst die wahlberechtigten auch gezählt habe, und dann ganz gut die Stelle, qui sunt Septem numero schreiben konnte, .andere Gründe finde ich übrigens weder von Gemeiner noch sonst einer Seite gegen die Echtheit der Stelle vorge- bracht. Den Ausdruck observatas a tempore cuius momoiria non exlitit, können wir als keinen Beweis gelten lassen für das höhere Alter des Septemvirats. Der- selbe scheint sich auf die Fabel von der Einführung des Kurfürsten - Collegiums (s. p. 184, Note 4J zu beziehen. Man sieht in allen püpstlichen Briefen welche über die Kurfürsten handeln, ebenso wie in jener Fabel deutlich die Bemühung, die Existenz des Kurfürsten- Collegiums in eine frühere Zeit hinaufzusetzen, um dadurch jeden Schein zu vermeiden , als wäre dasselbe gegen die „consuetudines circa electionem". Insbesondere Urban IV. musste bei seinem Schiedsrichter- spruche das in gewissem Sinne zu rechtfertigen suchen, dass er nicht alle Für- sten welche bei den Wahlen Ricbard's und Alfon's gegenwärtig waren, son- »iern nui- gerade sieben berücksichtigt. Die siebente Kurstinime bei Rudolfs I. Königswabl. 18/ Erzbischöfe von Köln, Mainz und Trier, der Pfalzgraf bei Rhein, der Herzog von Sachsen i); sodann der König von Böhmen») und der Markgraf von Brandenburg "). Trotzdem also, dass an der Wahl Richard's und Alfon's auch noch andere Fürsten, ausser den genannten Theil nahmen, zählte der Papst doch nur die Stimmen dieser; er sah also nur diese sieben als Kurfürsten an. Folgerichtig konnten bei der Wahl Rudolfs dieselben sich als ausschliesslich berechtigt ansehen, und desshalb ist thatsäqhlich die Wahl Rudolfs zum ersten Mal ausschliesslich von dem Kurfürsten-Collegium geschehen. Es bildet somit die Bulle Urban"s IV. die eigentliche Grundlage des kurfürstlichen Rechtes, und wenn Mir also die Frage um den Besitz der siebenten Kurstimme erörtern, so kann darüber kein Zweifel mehr obwalten, dass derPapst es war von welchem dieses Recht ausging; die Kirche allein wird als die Quelle desselben betrachtet werden müsse n*). ^) Porro iidem procuratores iis et aliis quibusdatn praelibatis consuetudinibus adie- cerunt, quod racante Imperio, die per omnes praedietos principes pro eelebranda Regis Romani in Imperatoren] postea promovendi electione statuto in octavis Epiphaniae Anno doniini MCCLVI apud niemoralum oppidum de Franchenford, quinque tantum de dictis principibus tum per se tum per alios , videlicet bonae memoriae Coloniensis Archiepis pro se et bonae memoriae Maguntinus Arcliiepisco- pus, qui ea vice in hoc commiserat vices suas, et dilectus fiiius nobilis vir Conies Paiatinus apud Francheserd: bonae memoriae vero Trevirensis Archiep. et dilectus nobiiis vir Dux Saxoniae intra dictum oppidum convenerunt. 2) S. p. 199, Note 2. ■'') Praesertiin cum non tantum niaior pars principum praedictorum , inimo omnes, excepto nobili viro marchione Bradenburgensi, qui etiam paratus est tibi obedire, ut iidem nuntii propouebant, eleetioni de te factae consentiant. *) In sehr schöner Weise schliesst Gemeiner die benützte Abhandlung mit den Worten : „Der Ursprung der Kurfürsten und ihrer hohen Würde kann aber nunmehr, wenn man das Gesagte zusammen nimmt, nicht länger ungewiss und dunliel sein. In den ältesten Zeiten begriff das Fürstenrecbt zugleich das Wahlrecht. Wer ein Fürstenamt gehabt, der hatte auch eine Stimme bei den Königswahlen. So blieb es unverändert bis bei der spaltigen Wahl der Könige Philipp und Otto, die päpstliche Curie sich mehr als jemals in die Wahl einmischte und um eine politische Absicht durchzusetzen, einigen Fürsten, die sie wohl zu brauelien wusste, vor den übrigen einen Vorzug einräumte, an den vorher kein Mensch gedacht. Dieses war d e erste Veranlassung, dass in der Folge einige Fürsten glaubten, sie hätten bei der Wahl ein Wort mehr als andere zu sagen, weil ohne sie die Krönung und Inthronisation nicht vor sich gehen könnte. Bis diese Fürsten im Ernst diesen Vorzug zu behaupten wagten , und bis sich zuletzt die übrigen Fürsten von den Wahlen wirklich ausschliessen Hessen , vergingen noch fast hundert Jahre. Die Wahl Rudolfs des Habsburgers wurde zuerst ausschliess- lich durch sie vollzogen. Achtzehn Jahre früher, da Alplionsus und Richard gewählt wurden , hatten noch alle Fürsten ein Votum bei der Wahl. Und dieses ist der kleine Zeitraum, in welchem der Kurfürsten ausschliessliches Wahlrecht seinen Anfang nahm." Sitzb. d. phil.-hist. Cl. XVII. Bd. II. Hft. 13 188 Ottokar Lorenz. IL Wenn wir im V'oi'hergehenden den Nachweis versucht haben, dass die Rechte der sieben Kurfürsten durchaus nur in der päpstlichen Gewalt wurzeln, so möchte damit von vornherein der Gedanke abgeschnitten sein, dass wir es hier mit Gewohnheitsrechten zu thun haben *). Wie verhalten sich aber die beiden Rechtsbücher des Mittelalters, der Sachsenspiegel und Schwabenspiegel, zu dieser Auf- fassung? Über das Verhältniss der beiden Rechtsbücher zu einander, sind in neuester Zeit neuerdings die erschöpfendsten Forschungen angestellt, und gegen die Ursprünglichkeit der auf das Wahl- recht der deutschen Fürsten bezüglichen Stelle im Sachsenspiegel lässt sich kein Zweifel mehr rechtfertigen 2^. Dagegen hat neulich noch Homeyer einen letzten Versuch gemacht, die Stelle aus dem Gewohnheitsrechte zu erklären und herzuleiten. Mit vielem Scharfsinn vertritt er die Ansicht, dass das Kurfürsten-Collegium auf zwei Stufen sich in alleinigen Resitz der Wahl gesetzt habe. „Zu- nächst erscheint eine Anzahl von Fürsten, um es kurz zu bezeichnen als Vorwähler unter ihren Genossen , dann als alleinige Wähler mit Resoitigiing jeder Theilnahme." Auf der ersten Stufe stellt der Sachsenspiegel nach Homeyer 's Ansicht den Vorgang der Wahl dar, auf dei- zweiten Stufe der Schwabenspiegel. Homeyer stützt sich hierbei besonders auf die Stelle im Sachsenspiegel, welche im Schwa- benspiegel bereits fehlt : Sint kisen des rikes vorsten alle papen unde leien. Die to me ersten an'me köre genannt sin die ne solen kiesen na Iren mutwillen, wenne sven die vorsten alle to koninge irwelt den •) Wenn man das Wahlrecht Böhmens aus der Analogie früherer Fälle beweisen wollte, so liririichle man nur allenfalls die Stelle liei Wipo zu citiren, P e rtz M. G. Xlll. p. 237, aber wie wenig damit gewonnen wäre, habe ich früher schon dargethan. Dass sich die siehcn Kurfürsten gleich anfiinglieh auf die alte Gewohnheit beriefen, versteht sich von selbst, denn in ihrem Interesse lag es, ihr neues Hecht als Reiclisherkommen zu bezeichnen; desshalb linden wir Phrasen wie die: „jirincipes electorcs qnihus ins coinpetit ab anliijno etc." nie hiiuliger als am Ende des 13. .lalirhunderts. 2) Eich Im rn II, p. 270 ff., §. 279. Insbesondere aber Homeyer in der angeführten Slrcilschrift gegen v. 1) a n i e l's. Gerade in Bezug anf unsere fragliche Stelle sind da die fril'ligslen Beweise für die Echtbcit und l'rsprünglichkeit durch gleichzeitige Parallelstellen nachgewiesen; vgl. Gewold. de sept., so dass jeder Gedanke an s])ätere Eiiischiebung schwinden muss. Die siebente Rurstiaime bei Rudolfs I. Rönigswahl. 1 oU solln sie aller erst bi namen kiesen *)• Wenn Mir aber nun fragen, sind die Wabien der deutseben Könige jemals in dieser Weise vorgenom- men worden, so muss Homeyer selbst gesteben: „nocb scbwan- kender erscheint nacb den Angaben über die einzelnen in dieser Zeit vorgekommenen Wabien die Praxis selber. Sie lassen die vor- wiegenden Fürsten weder den Personen noch der Zahl nach mit Bestimmtheit erkennen". Und in der That, man braucht nur die Wahlvorgänge in B ö b m e r' s R e g e s t e n zu lesen, um sich schon zu überzeugen, dass im ganzen 13. Jahrhundert von einer Vorwahl, geschweige einer Vorwahl gerade jener sieben Fürsten nirgends die Rede ist. Unter diesen Umständen ist einzig der Schluss möglich , dass der Sachsenspiegel an der angeführten Stelle eine rein theoretische Überzeugung ausspricht, wie die Wahlen zu geschehen haben. Es ist anzunehmen, dass diese Ansicht die in Deutschland damals hier- über herrschende Überzeugung war 2). Man kann also die Angabe des Sachsenspiegels am natürlichsten als einen Entwurf betrachten, wie die Wabien der Könige vorzunehmen seien. In dieser Ansicht werden wir insbesondere durch einen Umstand bestärkt welcher bisher nicht genug berücksichtigt wurde. Man findet nämlich, dass der Ent- wurf des Sachsenspiegels gar nicht der einzige ist welcher damals über die Wahlen der deutschen Könige gemacht worden ist. Nicht blos in Deutschland hatte sich eine Ansicht hierüber gebildet, auch die Päpste im Sinne Innocenz III. fortfahrend, suchten den deutschen Fürsten einen Wahlmodus aufzudringen. Im Jahre 1245 geschah nämlich von der päpstlichen Curie ein solcher Vorschlag, wie die Wahlen der Könige vorzunehmen seien. Dieses tbeilt ausdrücklich Matthäus Paris mit ^), und so viel man auch im vorigen Jahrhundert 1) Hoaaeyer, Sachsensp. Landr. III, ö3, §. 2. 2) Vgl. Raum er, Hohenst. V, p. 39, Note 3. *) Wiewohl uns dieser Gegenstand hier ferner liegt, so dient er doch zur Beleuchtung des Verhältnisses der bezüglichen Stelle des Sachsenspiegels zum pä[)stliehen Hofe. Matthäus Paris a. a. 0. 1243 theilt ganz offenbar eine päpstliche Bulle mit, wenn er sagt: Cum actus legitimi dies et conditiones abhorreant sanctione legali, et inter legitimus actus electio Pontificum celeberrimus habeatur, cum per eam inter eligentes et electum. spiritualis quadam matriraonii foedera copulentur atque concilientur in electionibus , seu postulationibus, vel scrutiniis, ex quibus ins oritur eligendi vota conditionalia , alternativa et incerta reprobamus et prohibemus. Statuentes, ut huius- modi votis pro non adiectis habitis ex puris consensibus surgat electio : Nun folgt ein Wahlmodus welcher dem des Sachsenspiegels in einigen Puncten nachgemacht, 13* j f)0 f^ ( li>l4iir Lorenz. au dieser Stelle Unwahrscheinliches gefunden haben mag, so wird sich doch keinesweges leugnen lassen, dass sich ein qiiellenmässiger Ausspruch gegen dieselbe nicht vorbringen lässt*); vielmehr stimmt die ganze Stelle mit dem was Raynaldus über dieselben Vorfälle berichtet, ganz trefflich zusammen 2). Nach dem Gesagten stellt sich nun der Verlauf und die Entstehung des fraglichen Rechtes einfach dar. Seit Innocenz III. bildete sich die Ansicht aus, dass die Wahl des Königs von einem beschräidcten Kur- Collegium geschehen müsse. Der Sachsenspiegel zeigt uns die Meinung welche in Deutschland darüber herrschte, während von anderer Seite die wir, Matthäus Paris treu, als die päpstliche bezeichnen wollen, ein anderer Entwurf für den Wahlvorgang gemacht wurde. Eine gewisse Ähnlichkeit findet sich indessen zwischen beiden. Hier und dort finden wir einen Unterschied zwischen electores im engeren Sinne und den übrigen theilnehmenden Fürsten; hier und dort besteht die Anzahl der electores aus drei geistlichen und vier weltlichen aber in den Personen welche als Wähler bezeichnet sind, verschieden ist. Dann aber fügt Matthäus Paris ausdrücklich hinzu: His a doniino papa directa est admonitio cum supplicatioue ut sibi alium imperatorera eligerent; promisitque eis sui et totius ecc'lesiae consilium et auxiiiuin : et in principio, sab spe potioris successus , quin- decim inillia libraruiii argenli. E'raevenit autem et invaliiit Friderici dissuasio; qui eis et Miaxime duci Austrie vinculo affinilatis est confoederatus: unde monitls et precibus pa|)alil)us ininiiiie paruerunt. ^) ü lens c li lag- e r beweist die Unecbtbeit dieser Stelleblos daraus, dass er meint, gerade diejenigen welche Matthäus Paris als Wähler nennt, würden dem Papste die unbeijuernsten gewesen sein, keinesweges würde Innocenz IV. demnach diese Männer zu Wählern geriiacbt haben! Mit unserer Ansicht stimmen gegen Olenscblager die älteren Hechtslebrer und Kirchenschriftstelier, wie 15 a r o n i u s undVitodu- ranus, vgl. Olenscblager Erl. d. gold. Bulle p. 126 ff. So viel ist gewiss: so lange man keine entgegengesetzte Stelle aus irgend einem gleicl;zeitigen Schrirtsteller vor- bringen kann, so lange ist man aueh nicht berechtigt, die llichtigkeit jener zu leugnen. Und darauf kommt es uns eigentlich hier nur an nachzuweisen, dass es im Verlaufe des 13. .labrhunderts mehrere Entwürfe für die Einrichtung eines abgeschlossenen Kurfürsten-Collegiums gegeben bat. Üessbalb ist auch Roger von II o v e d en welcher noch von einem dritten solchen Entwürfe über die Wahl spricht, niebl zu übersehen. IJeiSa\ile annal. pars. post. p. 770. Gemeiner a. a. 0. p. 98 geht freilich zu weit in der ßebaupüiug, dass die von Matthäus Pari s genannten Wahlfürsten wirk- lich als solche gegolten haben. 2) Bei Ray naidi bist. eccl. a. a. 1243, §. 4ö kommt unabhängig von der Stelle a. a. 1245, S. i>4, wo Matthäus Pa r i s ausgeschrieben ist, vor: illi autem ad (|uos in eodem Imperio, Im pcra toris spectat electi o eligant übere alium in eius locum suc- cessoreni; die man unschwer mit der vorliegenden Stelle verbinden kann, so dass auch Hay n a Id us selbst die angezogene Stelle des Matthäus Paris für vollkommen glaubhaft hält. Die siebente Kurstirnine bei Rudolfs I. Könfg'swalil. 191 Fürsten. Da aber von Seite der Deutschen nach der Versicherung des Matthäus Paris der Entwurf welcher vom Papste ausging, zurückgewiesen wurde, so fand der Sachsenspiegel allmählich in Rom Eingang i). Durch die Bulle Urban's IV. sehen wir den Sachsenspiegel legitimirt und zum Rechtsgrundsatze erhoben. Dass in der Hülle Urban's IV. der Zusatz des Sachsenspiegels: Sint kisen alle vorsten etc., keine Bestätigung fand, darin gerade sehen wir eine weise päpstliche Politik welche beschränkt, indem sie bestätigt, nach ihren Absichten deutet, wenn sie etwas zugibt. Darüber kann sich demnach kein Streit entspinnen, dass die Bulle Irban's IV. wirklieh mit der Ansicht und Darstellung des Sachsen- spiegels in unmittelbarstem Zusammenhange stehe. Wenn da sieben Fürsten genannt sind und dort dieselben sieben als wahlberechtigt aufgezählt werden, so kann dies kein Zufall sein. Um aus den gewonnenen Ansichten die Lösung unserer Streit- frage herbeizuführen, müssen wir nun das Prineip untersuchen auf welchem die Ansicht des Sachsenspiegels, welche durch die Bulle Urban's IV. Rechtskraft erhielt, beruht. Welche Umstände bedingen nach der Ansicht des Sachsenspiegels das Wahlrecht? Der Sachsen- spiegel selbst lässt nur schliessen 2) , dass die Reichsämter hierzu berufen seien, aber die mit dem Sachsenspiegel eng verwandte Stelle 3) des Albertus Stadensis, die über denselben Gegen- stand handelt, lässt keinen Zweifel übrig: Palatinus eligit quia dapifer est, Dux Saxoniae, quia Marscalcus, et Margravius de Bran- denburg, quia Camerarius*). Die Berufung zum Wahlrechte beruht demnach auf den Reichsämtern, was Martinus Polonus auch noch bestätigt, wenn er sagt: fuit institutum ut per officiales imperii Imperator eligeretur *). i) Zu Alexander's IV. Zeit findet sieh die erste Spur, dass der Sachsenspiegel seiner Idee nach in Rom Eingang fand in den Worten des Cardinalis Hostiensis: „illis scilicet Mogun- lino Coloniensi Trevirensi Archic|iisPO|)Is; comiti Rheni, Diici, Saxoniae, Marchione ßrandenhurgico et septimus est dux lioheniiae, qui modo est Hex." S. S. 194, Anm. 1. '^) Landrecht d. Sachsensp. 111, 57, §. 2. Under den leien is de erste an deme köre de palenzgreve uon deme rine de droste u. s. \v. , erst durch Alberfs „quia dapifer" erhalten wir Aufschluss. •*) Vgl. Homeyer"s Ahh. gegen Ende. 4) Albert. Stad. ed Ranzovius 1387, p. 213. Bei Schilter, Script, p. 313; über das Weitere wird nachher gehandelt. ^) Über die Wichtigkeit des Martinus Polo n u s überhaupt s. B ö h ui e r, Fontes II. Vor- rede, über diese Stelle besonders. Grupen, T. Alterthumskuade, p. 472. J92 Ottokar Lorenz. Das Princip welches Eike von Repkow über die Königswahl aufgestellt und Urban IV. bestätigt und rechtskräftig gemacht hat, beruht somit unzweifelhaft auf den Reichserzämtern. Unsere Frage über die siebente Kurstimme richtet sich nun dahin festzustellen, wer der Schenk des Reiches im 13. Jahrhundert war. Ob Böhmen seit Friedrich I. zu dieser Würde erhoben war, wage ich nicht mit Sicherheit zu behaupten ^). Für das dreizehnte Jahrhundert dagegen liegt uns zunächst das Zeugniss des Sachsenspiegels und des mit diesem verwandten Albert's von Stade vor. Doch diese Stellen müssen wir ja eben erst zu untersuchen und zu unterstützen trachten. Auch die Angabe des Cardinalis Hostiensis 2) welcher den König von Böhmen pincerna nennt, kann uns nicht befriedigen, da diese Stelle offenbar aus dem Sachsenspiegel selbst entnommen ist. Von dem angeblichen Abbas Fornalensis Joannes Bromton aber sind uns einige Verse aufbewahrt, welche schon im dreizehnten Jahrhundert entstanden sind, schon in der Hälfte desselben volksthümlich gewesen sein müssen und auf welche ich daher das giösste Gewicht lege. Bromton sagt s) : *) Die besten Beweise für diese Ansicht bringt indessen die Sclirift de archipincernatu etc.. aus der ich desshaib einige Steilen entlehne : Sect. II, §. IX. Scilicet insigne extat hac de re Rudolplii I. Imp. testimonium in Diplomate circa ius Pincernatus et electo- ratus, ßoheniiac IJegibus in imperio competens an. 1290 ad instantiam generi Wen- ceslai Bohemiae Regis edito, dicentis: „Haec vero iura Pincernatus et Electoratus nedum dicto Regi et suis haeredibus didicimus competere, sed etiam suis progeni- toribus Abavis, Atavis, Proavis, Avis iure plenissimo competebant" simulque provo- cantis: „ad Prineipum Baronum Nobiliura et Procerum Imperii nee non veteranorum, communem assertionem et Concors testimonium". Ex quo facile patet, Imperatorem, cum de Mai()rlt)us Wenceslai , quibus Pincernatus ius competierit, loqiiens, ultra Abavum, qui Vladislaus modo dictus fuit, non ascendat, eo ipso innuere, hunc esse illatae in Familiam dignitatis autorem, qui a nullo alio quam Friderico I. Pincernatus oiTicium accepisse potuit, quod iam pluribus deducetur. Et quam maxime huc facit egregius Arnoldi Lubecensis locus, qui de Comiliis Moguntinensibus an. 1184 a Friderico I. hal)itis loquens : „Officium, ait, Dapiferi seu Pincernae, Camerarii seu Marschalci non nisi Reges vel Duces et Marchiones administrabanl." (Juis enim dubitel, hie de Bohemiae Rege Pincernae officium administrante sermouem esse?. . . , Nee erat alius praeter Bohemum Rex, qui ofllcium hoc gerere potuisset, nee officium quod ab eo administrari potuisset praeter Pincernatum. (Arnold. Lubec. Chron. Slavor. lib. III, cap. IX.) 2) Vgl. S. 191, Anm. 1. •*) Twissden p. 878. Nach Pa u 1 i s neuesten Forschungen schrieb B rom ton nicht vor dem Ende des 14. Jahrhunderts, vgl. Pauli Gesch. Engl. III, p.891, und so würden diese Verse freilieh ganz werthlos sein, wenn ihre Existenz nicht in der Mitte des 13. Jahr- hunderts nachgewiesen werden könnte. Schon die Anführung des Königs von Böhmen Die siebente Kiirstimme bei Kudolfj* I. Königswahl. lao Et quamquain iste Otlio et alii diio Otliones praecessores sui, ex genere ad imperium succedebant, postea tarnen fuit institutum, iit per Septem ofticiales imperii Imperator eligeretur. De quibus sie metrice notatur: Magutunensis, Trcverensis, Coloniensis, Quilibet imperii dt eancellarius Iioruni Et palatinus dapifer, Dux portitor ensis Marcliio praepositus camerae, pincerna Boemus Hü stataunt dominum cunctis per secuta summum. Vergleicben wir diese Stelle mit dem Ausspruch des Martinus Polonusi) so finden wir, dass die Verse Bromton's schon im 13. Jahrhundert bekannt waren, was sich noch sicherer aus einer Randglosse zu Otto Sanblasianus darthun lässt, welche in der Mitte des 13. Jahrhunderts geschrieben ist 2). Aus der Verschiedenheit der Stellen in welchen wir Spuren der angeführten Verse entdeckt haben, geht hervor, dass dieselben als 7, Kurfürsten weist auf die Entstehung' der Verse vor der goldenen Bulle, die Fabel von der Einführung der Kurfürsten durch Otto III. weist auf das 13. Jahrhundert zurück. *J Et licet tres isti Ottones per successionem generis regnaverint , tarnen postea fuit institutum, ut per officiales imperii, imperator eligeretur, qui sunt Septem, videlicet primo caneellarii isti, .Moguntinensis Germaniae, Trevirensis Galliae Coloniensis Italiae Marchio Brandenburgensis Camerarius est. Palatinus dapifer Dux Saxoniae ensem portat. Rex Bohemus pincernam agit (Sehilter p. 368). Die Verwandtschaft beider Stellen liegt offen da, was aber die Verse des Bromton anbelangt, so sind sie ohne Zweifel bei Martinus Po 1 o n u s nur aufgelöst, vielleicht dass auch nur die Hand der Abschreiber, welche ohnehin den .Marchio vor den Palatinus gesetzt hat, diese Auflösung vorgenommen ; im zweiten Falle hat Brom ton unmittelbar aus Martinus geschöpft, im ersten aus einer beiden gemeinschaftlichen Quelle, in welcher die Verse vollständig erhalten waren. -) Böhmer zu Otto Sanbl. Fontes III, p. 631 : „In der vonUssermann benützten Hs. steht hier noch am Rand , i n d e r W i e n e r H s. i m T e x t : „Electores arehie- piscopi Moguntinus Treverensis Coloniensis, inde Palatinus dapifer, dux Saxoniae portitor ensis, marchio de Brandeburg prepositus camere, pincerna rex Boemus, Romanum statuunt regem concorditer isti", ein Zusatz, der vor der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts nicht gemacht sein kann , und aus .Martinus P o 1 o n u s geschöpft sein dürfte." Indem letzten Puncte irrt Böhmer vielleicht, denn die Verse welche Brom ton wörtlicher aufbewahrt hat, sind gar nicht zu verkennen; man braucht nur die eingeschobeneu Worte, als: Saxoniae, de Brandeburg und rex wegzu- lassen, so ist der dritte und vierte Vers vollständig erhalten, die übrigen aber sind noch zu erkennen au der adjectivischen Aufeinanderfolge des Mogun | tinus, Treve | rensis, Coloni | ensis, und der letzte Vers verräth sich an dem isti statuunt; ja er gibt sogar selbst einen Vers, der sich nur in wenigem von demjenigen Brom ton's unter- scheidet: Roma I num statu 1 unt re | gern con | corditer isti. Klarer ist demnach nichts als dass die Verse welche Brom ton nur vollständiger als die früheren aufschrieb, schon in der Mitte des 13. Jahrhunderts allgemein bekannt, und wie so viele latei- nische Verse im Munde des Volkes, insbesondere der fahrenden Schüler, gelebt haben. 194 Ottokar Lorenz. schon im dreizehnten Jalirhundert allgemein bekannt waren , dass es somit als eine ausgemachte Sache galt: „pincerna Boemus". Das Chronicon belgicum magnum erzählt gewiss ohne alle Rück- sicht auf den Streit, ob Böhmen Kurrecht gehabt, oder nicht, also um so glaubwürdiger, von der Krönung Wilhelm's von Holland i): „Tandem Rex Bohemiae Regis Pincerna de assensu Coloniensis Archi- Episcopi coronam argenteam capiti suo (^^'ilhe]mo) impressit ita dicens : accipe diadema splendidum ut in virtuosis aetibus adeo corusces in terris, ut coronam aeternae felicitatis habere merearis in coelis." Urkundlich kommt meines Wissens freilich nirgends vor dem Jahre 1290 vor, dass Böhmen das Erzschenkenamt hatte •), aber es ist nicht ohne Bedeutung, dass bei dem Bisthume Bamberg Böhmen das Erzschenkenamt hatte s), im Jahre 1263 erhält es auch vom Patriarchen von Aquileja diese Würde *). Nach dem allgemeinen Grundsatze welcher sich im Verlaufe des 13. Jahrhunderts in Deutschland über das Wahlrecht geltend gemacht hat, wornach die Erzämter zugleich das Wahlrecht in sich schliessen, möchte demnach die Frage rücksichtlich des Besitzes der siebenten Kurstimme schon für Böhmen entschieden sein, aber nach dem Wortlaute des Sachsenspiegels und der mit diesem verwandten Stelle Albert's von Stade stellt sich die Sache doch anders. Im Sachsenspiegel heisst es ^^ : Die schenke des rikes, die koning von behemen, die ne hevet neuen köre, umme dat he nicht düdesch n is. 1) Bei Pi stör i US, Script. VI. rerura jerm. p. 24ö. Wiewohl das Chronicon belg. mag-n. ei-st aus dem lö. Jahrliiindert stammt, so schöpft es doch aus älteren Lüttieher Quellen. Vg^l. Chme 1, Ilabsb. Excurse II, p. 6 des besondern Abdrucks. Was hier also an Gleichzeitigkeit der Nachricht fehlt, ersetzt die ürtlichkeit einigermassen. 2) Vgl. S. 192, Anm. 2. 3) Vgl. Schlosser II, 2, 313: „Da sich vielleicht nicht jeder gleich auf den Umstand wegen der Erzämter in Bamberg besinnt, so erinnere ich, dass man in Bamberg auf die Stiftungszeilcn zurückführte, dass Böhmen, Baiern, Sachsen und Brandenburg den Namen Erzmuiidschenk, Erztrucbsess, Erzmarschalk, Erzkämmerer von Bamberg trugen." Ein Umstand der mir von grosser Wichtigkeit scheint, den ich aber vor- läufig noch nicht genugsam verfolgen konnte; überhaupt würde die Untersuchung über die officialen der Bisthüraer zu sehr wichtigen Resultaten über die Reichserz- ämter führen. Ob Crollius „die weltl. Reichserzämter" hierauf Rücksicht nahm, ist mir nicht bewusst, da mir diese Schrift leider nicht zugänglich war. *) Palacky, Gesch. II, 1, p. 204. Ital. Reise p. 41. Rubels mou. eccl. Aquil. p. 7Ö3: Eodem anno 12(53. Dominus Tatriarcba Gregorius iuvestivit venerabilem patrem D. Brunum . . . recipientem nomine et vice ipsius Domini Ütockeri Regis Bohemiae de Feudo etiam quod in latino dicitur officium Pinceruatus. 5) Ilomeyer's Ausg. III, ä7, 2 des Landrechts. Die siebente Kurstimme l)ei Rudolfs I. Königswahl. 1J5 Dieser Satz ist, wie schon Homeyer bemerkt i)» nwr eine strengere Auffassung des früheren: III. 52. ■§. 1. De düdeschen scolen den koning kesen dor recht. Man sieht hier zugleich, wie rein theoretisch die ganze Stelle abgefasst ist. Es kommt desshalb umsomehr auf eine richtige Interpretation an. Fasst man den Beisatz umme dat he nicht düdesch n'is, als im Verhältnisse der Causalität zum Hauptsatz ste- hend, auf, so entsteht eine doppelte Verlegenheit. Das Kurfürsten- Collegium bestünde dann überhaupt nicht aus sieben, sondern aus sechs Fürsten, da dem König von Böhmen ein für allemal das Wahl- recht abgesprochen wäre. Dann aber widerspräche auch dieser Satz einem anderen des Sachsenspiegels: III. 73. 1. Sint des biscopes wichmannes tiden heft auer dat recht gestan. dat sone unde dochtere bore na der düdeschen moder deme den se bestat. de uader si düdesch oder undüdesch -). Demnacii konnte ja der König von Böhmen mög- licherweise ein Deutscher sein, und der Grund den der Sachsen- spiegel für die Unzurechnungsfähigkeit der böhmischen Kur anführt, wäre ein ganz nichtiger; sollte Eike von Repkow wirklich in diesen Widerspruch verfallen sein? Dazu kommt nun noch, dass ein Glossator zu dieser Stelle s) die Bemerkung beifügt, der König von Böhmen sei der middelmann, der bei gleichen Stimmen den Ausschlag gibt *). Der Glossator verstand also die Stelle Eike's von Repkow keinesweges so , als wäre dem König von Böhmen ein für allemal das Wahlrecht abgesprochen, sonst wäre er ja auch nicht einmal der middelmann. Diese Gründe überzeugen mich hinreichend, dass der fragliche Bei- satz nur als Conditionalsatz zu betrachten ist, wobei das nur voraus- gesetzt wird, was zu bedingen ist: „vorausgesetzt, dass der König von Böhmen, der Schenk des Reiches, kein Deutscher ist. so hat er keine Kurstimme-', oder was dasselbe ist: „der König von Böhmen hat keine Kur, wenn er kein Deutscher ist." Mit dem letzteren sehen 1) Hoiney er"s Abhaiiill. über das Verh. d. Saehsensp. zum Schwabensp. -) Nur die Wenden machen hiervon eine Ausnahme, vgl.Sachsze. Sachsenspiegel p. 291. 3) Vgl. Homeyer 's Landreeht a. a. 0. 4) Sachlich betrachtet hat die Stelle des Glossators gar keinen Werth für unsere Frage : sie stimmt mit dem überein, was Card. Host, von dem Könige von Böhmen sagt : „cum seeundum quosdam non esse necessariura, nisi (juamlo all! discordaut.-' Es ist dies eine blosse Reflexion die im Schwabenspiegel spiiter noch weiter ausgeführt und in den Text aufgenommen wurde: Dar umbe ist der fursten ungerade gesetzet ob dri an einen gevallen und vier an den andern, daz die dri den vieren folgen suln ; und also sol ie diu miuner volge der merren volgen, daz ist an aller kur recht. i 9ß Ottokar Lo reiiz, wir nun wirklich auch viele Handschriften ühereinstimnien : De scenke des rikes de koning von behem de en heft neuen köre, w e n he nicht düdesch en is i), und ich sehe keinen Grund, warum diese Leseart nicht als die richtigere betrachtet werden sollte. Dagegen hat Albert von Stade bei der verwandten Stelle freilich geschrieben: „Rex Boemiae, qui Pincerna est, non eligit, quia non est Teutonicus." Dies beirrt uns aber nicht nur nicht, sondern es bestärkt unsere Ansicht, denn es beweiset, wie genau Albert von Stade mit dem Sachsenspiegel vertraut war, da er einen so richtigen Schluss aus dem allgemeinen Satze des Sachsenspiegels auf den besonderen Fall von welchem er hier redet, zu ziehen wusste. Man darf nämlich nicht vergessen, dass Albert v. Stade beim Jahre 1240 diese ganze Stelle bringt ^j ^ ^yg er davon redet, dass eine neue Wahl vorgenommen werden sollte; König Wenzel von Böhmen aber hätte nach den vorhin entwickelten Grundsätzen des Sachsen- spiegels freilich nicht wählen dürfen, da er ja kein Deutscher war 3), aber nach demselben Grundsatze durfte sich sein Sohn Ottokar, seiner Nationalität nach, für einen Deutschen halten. So viel ist gewiss, als sich die Ansicht ausbildete — und so lange dieselbe eben noch nicht rechtskräftig geworden war — dass die Erzämter zugleich das Wahlrecht in sich fassen, war die öffent- liche Meinung jedesmal gegen den König von Böhmen, wenn derselbe kein Deutscher war. War er aber nach deutschen Begriffen deutsch, so hatte er unbestritten das Wahlrecht. Gegen diese Auffassung lässt sich nichts einwenden, als der Schwabenspiegel; und dessen Stellung zu dem Sachsenspiegel ist nun in Beireff unseres speciellen Falles näher zu erörtern. Unbedingt daran zu glauben, dass der ursprüngliche Text des Schwabenspiegels an dieser Stelle gelautet habe: „Der herzöge von Baiern hat die vier- den stimme an der kür unde ist des riches schenke", können wir uns selbst auf Wackernagefs Autorität hin nicht entschliessen *), da die Handschriften doch allzusehr differiren, und gerade Gegen- ^) Sachsze. Sachsenspieg-el, lässt sich olfeiiliar durch die Vfn-iante limine dat verleiten, das in seinen Text aiifg-enommene „wen" mit dieweil zu ühersetzeii. Es würde schwer sein, eine einzig-e Farallelstelle aufzufinden, wo „wen" eausal gebraucht wäre. 2) Alhert. Stad. a. a. 1240. ') Ehen nach dem Grniidsatze des sächs. Landr. III, 73, 1. Ottokar slamrate von Kuni- gunde von llohcnstaufen. *) Wackerna gel, Landr. d. Schwahensp. p. 103, cap. HO. S en k enb e rg-, cap. 109. Die siebente Kurstimnie bei Rudolfs l. Königswahl. 1 t) i theiliges bringen. Insbesondere ist der erste Druck ein arger Stein des Anstosses ; er beruht auf einer Handschrift welche wir entweder nicht mehr besitzen, oder die doch noch nicht verglichen worden ist 1). Denn nicht blos die fragliche Stelle: „der viert ist der künig von behem" weicht von den verglichenen Handschriften ab, sondern die ganze Fassung ist eine verschiedene. Dieselbe stimmt weder mit der Handschrift A, noch mit ß, noch mit Ba, Bb, Bc, noch auch mit Z überein 2). Man wird also nicht einwenden können, der erste Druck habe nur willkürlicher Weise „baiern" in „behem" umge- wandelt, denn sonst würden doch die übrigen Stellen mit einer der bekannten Handschriften übereinstimmen. Auch die Lassbe rg'sche Handschrift von 1287 scheint nicht den Herzog von Baiern genannt zu haben, denn wiewol der bezügliche Paragraph in dieser Hand- schrift leider fehlt, so ist doch der Zürcher Pergament-Codex hier gewissermassen ein Ersatz s). Dieser aber nennt nur ganz allgemein den Schenk des Beiches als den siebenten Kurfürsten *). Als den Schenk haben Avir aber schon früher unzweifelhaft den König von Böhmen nachgewiesen, und zugleich dargethan, dass dies die allge- 1) Die g^anze Stelle lautet nach dem ersten Druck foig-endermassen: Welche den künig Süllen erwelen. drei priesler fürsten und vier leien fiirsten. Der bischoff von Mentz ist cantzler in teutschen landen der hat die ersten sfim an der wal. Der bischof von Trier die ander. Der bischof von Köln die dritte. L'nd der leyen Fiirsten ist der erste zwen an der stim zwen welen. Der pfaltzgraff von dem reine des richsz truchsesz. der soll dem künig die ersten Schüssel fürtragen der ander an der stimm ist der Hertzog von sachsseu des reiches marschalk der sol den künig sein schwert tragen. Der von frier ist cantzler zu den künigreich ze Arie, dasz seind drei ambt die gehören zu der kure. der dritt ist der markgraff von brandenburg des reiches kamerer der sol dem künig wasser geben. Der vierde ist der künig von behem des reiches schenk, und sol dem künig den ersten Becher bieten. Doch ist ze wissen dasz der künig von behem kein kure liat, «an er nit ein teutscher man ist. aber die vier suUen teutsche man sein von vatter und mutter oder von eintwedern. Die Worte, die hier zwischen „schwert tragen" und „der dritt ist der markgraff stehen, mögen vielleicht zufallig verschoben worden sein, aber gerade die wichtigste Stelle weicht durch den Zusatz „doch ist ze wissen u. s. w. ganz ab, vgl. W a c k e r n a g e 1 a. a. 0. 2) Wa ck er n ag el a. a. 0. 3) Über die Verwandtschaft des Zürcher Pergament-Codex mit der La s s b e r g'sehen Handschrift, vgl. die Vorrede zur Lassb. Ausg. d. Schwabsp. *) Lassb. 133 a. Der vierde daz ist des rfches schenke, der sol dem kunge sinen becher tragen. Dise vier suln tusche man sin von vater und von muter, oder von ir eintwederm. Dass sich von einer Hand aus dem 16. oder 17. .Jahrhundert der Zusatz findet: Der herzog von Payeren hat die vierde stimme an der chur, und ist des reiches Schenke, kann uns natürlich nicht beirren; denn dass in vielen Handschriften, aus deren einer dieser Zusatz abgeschrieben ist, sich diese Behauptung lindet, ist ja gewiss. I 98 Oltokar Lorenz. meine Volksüberzeugung war. Noch zweifelhafter wird es endlich, wie der ursprüngliche Text des Schwabenspiegels beschaffen sein mochte, wenn man den altfranzösischen Berner Pergament-Codex ver- gleicht, welcher an das Ende des dreizehnten Jahrhimderts zu grenzen scheint, und den König von Böhmen als siebenten Kurfürsten nennt*). Um so wichtiger ist dieser Ausspruch, weil wir dieser Handschrift nicht etwa Parteilichkeit zuschreiben können, wie jenen die in Baiern geschrieben sein dürften. Wenn wir endlich auf innere Gründe sehen, so spricht der Zusatz welcher sich in allen Handschriften Gndet: „Dise vier suln tusche man sin von vater und von muter oder von ir eintwederm," gegen den Herzog von Baiern; denn bei jenen vier in WackernageTs Text genannten Kurfürsten konnte doch gar keine Frage entstehen über ihre deutsche Abkunft; nur unter der Voraussetzung, dass der König von Böhmen sich unter den Kurfürsten findet, bekommt dieser Zusatz einen Sinn. Es erübrigt nur noch zu erklären, auf welche Weise in einige Handschriften des Schwabenspiegels der Herzog von Baiern als Sclienk des Reiches und siebenter Kurfürst gekommen sein dürfte. Seit 1236 waren Streitigkeiten zwischen Baiern und Böhmen, und eine offene Rivalität insbesonders wegen des Erzbisthums Salzburg ausgebrochen; wozu noch Erbschaftsaiigelegenheiten wegen der Grafen von Bogen und der Herzoge von 3Ieran kamen -). Der erbit- tertste Feind König Ottokar's war später der Erzbischof von Salzburg selbst 3), und er hatte am wenigsten Ursache, das Wahlrecht des Königs Ottokar anzuerkennen *). Es mochte ferner vielleicht in Baiern bekannt sein, dass die Herzoge von ßaiern in früheren Zeiten regel- mässig zwei Stimmen geltend machen durften '=). Sollte jetzt, wo das ^) §. 128. Qui doit elire lo roi. Lo mi doiuent eure Irois princes elers et IUI princes laiz, . . . Le quars est li roi de baliaig-nic, ijui est holeliers lo roi. Lassberg' 's Ausg. d. Schwahsp. Natürlich ist kaum zu enträthseln, niif welcher Handschrift diese Über- setziinfT beruht. Ist sie aber c. 1300 gemacht, so reicht ihr Original jedenfalls an das Alter der ältesten, die uns bekannt sind. Vgl. Pertz, Archiv X, p. 416, 417 und 418. 2) Palacky II, 1, p. 170 ff. ■*) Dies geht aus den Briefen desselben an Itudolf von llabsburg wohl genugsam hervor. Gerberl. codex e]>ist. ■*J Der Neid Salzburgs gegen IJohmen möchte sich wohl iiuch daher erklären , dass Salzburg von der Wahl ausgeschlossen war, während IJöhmen das Wahlrecht behaup- tete. So war in dem Kntwurfe welcher von .Matthäus Paris dem Papste I n n o e e n z I V. zugeschrieben wird, liöhmen nicht unter den eicctores, aber wohl Salzburg. *) Aventini e.\cerpta ex Alberti IJohemi actis: Oefele script. rerum boic. p. 788. dux lenilcr et [iure mihi respondit : o utiuain dominus noster papa hoc ijisum iam ' Die siebente Kurstiiiinie bei Uuiiolfs I. Könisswabl. 1 .1 J Pfalzgi'itreiiiiint von dem Herzogthunie sogar getrennt war, nnd zwei Linien regierten, die eine ganz ausgeschlossen sein, wie es nach dem Wortlaute des Sachsenspiegels erscheinen nuisste? Diese Um- stände dürften wohl die Abweichung des schwäbischen Landrechtes vom sächsischen erklären. Allerdings konnte sich, so lange das säch- sische Landrecht nicht ganz durchgedrungen war, insbesondere als es noch aller reclitskräftigen Sanction entbehrte, über einen oder den andern Panct desselben ein Streit erheben 9 ; aber alles kommt bei der Rechtsfrage nur darauf an, wie verstand der Papst den Sachsenspiegel, und wie lautet seine Bestätigung? Dies führt uns nochmals zur Bulle Urban's IV. zurück, welche nun freilich dem Könige von Böhmen das Wahlrecht zuerkennt, von dem Herzoge von Baiern aber nicht ein Wort spricht •). Nur in Betreff des einen Punctes, ob der böhmische König unter allen Umständen oder nur, wie der Sachsenspiegel will, wenn er deutscher Nationa- lität war, das Wahlrecht habe, spricht sich die päpstliche Bulle des Näheren nicht aus, und so blieb diese Frage unentschieden, bis sie im J. 1290, wie wir später sehen werden, ihre rechtliche Lösung erhielt. fecissef, propter hoc eiiim vellein utrique voei renunciare, videlicet Palatii et Ducatiis et dare super hoc ecclesiae pro me et haeredibus publicum instrumen- tum. So richtig- diese Stelle sein mag-, so wenig' ist es doch erlaubt, daraus eine Analogie auf die späteren Rechte der Kurfürsten zu ziehen ; als diese Worte gesprochen wurden, waren noch alle Fürsten an der Wahl betheiligt, mithin konnte der der zwei Ämter hatte, gleichsam auch zwei Stimmen behaupten. 1) Die Stellen im sächsischen und schwäbischen Lehnrecht , nach welchen Böhmen nicht den Römerzug mitmacht, vgl. Homeyer, Sachssp. III, p. 149 ; Lehnreeht, Art. IV, §. 1, u. Lassbp:. Lehnrecht §. 8, können für unsere Frage gar nichts entscheiden, denn hier spricht sich der Sachsenspiegel und der Schwabenspiegel ursi)riinglich weder für den König- von Böhmen noch für den Herzog von Baiern aus ; beide Rechtsbücher haben nur sechs Fürsten welche zur Romfahrt gezwungen sind, die Zusätze späterer Zeit — für eine oder die andere Partei — entscheiden hier nichts. Ursprünglich mag der Sachsenspiegel hier wohl den gewöhnlichen Gebrauch geschildert haben. 2J Die Stellen in der Bulle Urban's IV., auf welche hier alles Gewicht fällt, lauten: Cui electioui per charissimum in Christo filium nostrum Regem Bohemiae illustrem post paucos dies cousensu prsestito etc. Weiter heisst es: nee non et procuratores memorati Regis Bohemiae ad praedictura oppidum tamquam viri pacifici accesserunt. Von der Wahl Alp hon's wird gesagt: dictus Trevirensis Archiepiscopus a Reg e Bohemiae , duce et marchione sibi super hoc potestate commissa, dictum Regem Castellae .... in Ronianorum Regem et Imperatoren! elegit. Deutlich genug ist es somit anerkannt, dass der Papst den König von Böh- men als princeps elector betrachtet wissen wollte. (Schluss folgt.) 200 Ottokar Lorenz. SITZUNG VOM 18. JULI 1835. Geleseu : Die siebente Kurstimme hei Rudolfs I. König swahl. Von Ottokar Lorenz. (Schluss.) III. „Jussi enim a Gregorio fuerant electores, ut in uno eligendo consentirent darentque ecciesiae defensorem, ut tradunt Ricordanus Malespinus et Joannes Villaniis , quibiis addit Nauclerus denuntiasse Gregorium, ni Regem crearent se apostoliea auctoritate illum renun- tiaturum" i). Welche Fürsten der Papst unter den electores verstehe, darüber konnte in Deutschland kein Zweifel sein, zumal die ganze Fassung der Bulle Gregor's gezeigt haben dürfte, dass er sich auf die Verordnungen und Anschauungen seiner Vorgänger stütze. Demnach schickte Ottokar von Böhmen, dessen Wahlrecht wir selbst nunmehr keinem Zweifel unterziehen können, seine Boten nach Frankfurt zur Königswahl ~^, wo König Rudolf I. erwählt wurde. Diese Wahl ist uns in ausserordentlich vielen Berichten kurz ange- zeigt, meistens mit dem Beisatze „concorditer electus" s). Auch in der Urkunde vom 15. Mai 1275, in welcher Rudolf dem Herzog Heinrich von Baiern Theilnahme an dem Wahlacte des Königs zusichert, sagt ') Worte H a y n a I d i, a. a. 1273, §. 8. Mit dem ersteren Theile, dass die Wahl R ii d o I f "s wirklicli auf Gelieiss des Papstes stattfand, stimmen auch die deutschen Quellen ii herein. G o 1 1 fr i d us de Ensmingen und Joannes V i et o ri ensi s, endlieh Ma r- tini I' o 1 o n i continualio und andere. 2) Vg-1. B ö h ni er"s Iteye.slon liudolph's : . . . . Durch Bevollmächtigte erschienen Ot to- kar, König von Röhnien, vertreten durch Ber toi d, Bisehof von Bamberg (Rud olf 's Urkunde vom 15. Mai 127.'); dagegen nennt die Reinchrouik 118 den Bischof W er n hart von Seckau und andere. . . .). ') Die Stellen, wo die einfache Anzeige der Wahl häufig mit concorditer vorkömmt, linden sich hei [>erlz XI im Index unter „Rudolfus". Vgl. S. 203, Anm. 3. Die siebeute Kurstimme bei Rudolfs 1. Königswahl. »iU I Rudolf von seiner eigenen Wahl „concorditer celebrata" i). Dieser Ausdruck hat zu der Meinung Anlass gegeben, dass alle, „quibus in Romani electione Regis ius conipetit", müssen bei der Wahl Rudolfs übereingestimmt haben , ^voraus man dann zu beweisen suchte , dass der König von Böhmen kein Wahlrecht gehabt, da es factisch ist, dass er nicht eingestimmt habe ~). Unseren Gegnern fiel es dabei nicht auf, dass der König Ottokar sonderbarer Weise selbst den Ausdruck concorditer von der ^^'ahl Rudolfs gebraucht s), und sich somit selbst seines Wahlrechts begeben hätte, während doch der ganze Brief in welchem dieser Ausdruck vorkommt, gerade beurkun- den soll, dass Ottokar seine Stimme verweigert habe. Das Wort concorditer muss demnach eine ganz andere BegrilTsauffassung haben, und in der That, es ist falsch concorditer mit „einstimmig" zu über- setzen. Gerade in der Urkunde welche wir als eigentliche Grundlage der kurfürstlichen Rechte kennen gelernt , in der Bulle Urban s IV. finden wir eine ganz klare Auseinandersetzung dessen was man unter concorditer electus zu verstehen habe '*). „Intelligitur autem is electus esse concorditer, in quem vota omnium electorum principum vel saltem duorum tantumraodo, in electione praesentium diriguntiir." Hier ist also der beste und der schlechteste Fall zusammengestellt. Auch dann ist die Wahl concor- diter, wenn sich nur zwei geeinigt haben, und die anderen zu keiner Einigung gekommen sind ^). Der Ausdruck concorditer begreift also 1) S. S. 2il und 212. 2) Seit Lara bacher wird dieser Beweis immer wieder vorgebracht, insbesondere von Kopp und B a e r w a 1 d. •*) Dollin er cod. epist. Ottoc. in dem allbekannten Briefe an den Papst ep. VII. ^) Zu bemerken ist auch noch, dass sonst der Ausdruck unaniraiter für Einstimmig- keit vorkommt, so bei Wipo vita Cuonradi (Pertz Xlll, p. 237: omnes unani- niiter in regis electione principibus consentiebant. Ebenso sagen die Fürsten, welche den Phillipp von Schwaben gewählt, unaniraiter hätten sie ihn gewählt. I) :i 1 u z e a. a. 0. Ducange gibt zwar über das Wort concorditer keine beson- dere Erklärung, aber der Begriff von concordare liegt dem concorditer offenbar zu Grunde; concordare heisst nichts anderes als statuere , dann aber conferre comparare, es erscheint in concordia demnach ganz logisch richtig der Begriff foedus und pactum. Hierin sehen wir eine vollkommene ZusammenstimmuDg mit unserem oben aufgestellten Begrifl'e von concorditer: dasselbe bezeiclinet über- haupt eine Festsetzung, eine Vereinigung schlechtweg ohne Rücksiciit auf die Einmiithigkeit ; es hat nichts mit unanimare gemein, welches Ducange im Gegen- satze hierzu als „unius esse animi" definirt. '') Dieser Fall konnte sehr leicht eintreten ; man muss sich nur der irrigen Vorstel- lung gänzlich begehen , als hätte die Abstimmung bei den Königswahlen irgend ^ l) ,4 O f t o k a r L o r e n z. blos das was wir heutzutage schlechtweg- die Majorität nennen. Es bildet den Gegensatz zu: in discordia electus. Wenn sich zwei Kurfürsten für einen geeinigt, und zwei andere für einen andern, so ist die Wahl zwiespaltig, daher der Ausdruck: Richardus et Alfonsus in discordia electi i). Ebenso in der Bulle: Et si votis principum. . . . divisis duos in discordia eligantur. Wennsich aber zwei geeinigt haben, und die anderen Kurfürsten gar nicht, so ist die Wahl concorditer. Es ist also zu ersehen, dass das concorditer eben nur ein Concordat von mindestens zwei Stimmen bezeiclinet, welches die Wahl eines Königs zur Folge hat 2). Keinesweges kommt es in dem Sinne vor, dass dadurch eine Übereinstimmung aller anwe- senden Kurfürsten bezeichnet worden wäre. Erst dadurch bekommt es einen vernünftigen Sinn, wenn wir in der Chronik des Fürsten- felder Mönchs lesen: nunciant eum (int. Rudolfum) electum in Regem Romanorum pari voto et concorditer niillo penitus discrepante excepto rege ßohemie, qui electione sua in eum non consensit s). Hier sehen wir also das concorditer mit der ausdrücklichen Versi- cherung verbunden, dass der König von Böhmen der doch nach dem etwas unsern heutig-en Wahlen Ähnliches. Die drei Kanzler, wie dies ja auch hei Rudolfs König-swahl der Fall war, hatten Vorschläg-e zu machen; ereignet sich nun, dass jeder derselhen einen andern Candidaten vorhringt, so kommt es lediglich darauf an, mit welchem die übrigen Fürsten ein Concordat eingehen. Hier sind nur folgende Fülle möglich. Es vereinigen sich zwei mit dem einen und zwei mit dem andern Kanzler; dann wäre die Wahl in discordia, wenn der dritte Kanzler seinen Vorschlag nicht fallen lässt, und sich einer der beiden Parteien zugeselll. Wenn dagegen drei von den Laienfürslen keinem der Candidaten bei- stimmen und nur der vierte mit einem der Kanzler ein Concordat eingeht, so ist schon die relative Majorität entscheidend. Mit einem Worte: bei den heu- tigen Wahlen wird das Resultat durch die mechanische Zählung der Stimmen überhaupt erzielt; damals beruhten die Wahlen auf dem Vertrage (foedus, pactum) der einzelnen Wahlberechtigten unter einander; daher die langen Verhandlungen! Erst nach und nach scheint man zu einer Vereinfachung dieses Processes gekom- men zu sein. Vgl. Schvvb. Ldr. *) Bulle ürban's IV. und an vielen anderen Stellen. ^) Der sprechendste Beweis hiefür ist auch in dem foedus civitatum super electione regis zu finden, wenn es dort heisst: Si domini princii)es regum Roitianorum eleclores concorditer unum presentaverinl nobis regem in eundem etc. Legum tom. II, Mon. C. IV, p. 382. Darum handelte es sich keinesweges, dass die Fürsten eine einstimmige Wahl vornehmen, also dass auch nicht das concor- diter auf die Einstimmigkeit der Fürsten bezogen weiden kann, sondern auf das unum regem presentaverint. Vgl. überdies §. 6 der goldenen Bulle Karfs IV. ■'') ß oehmer, Fontes I, Nro. 1. Über die übrigen hier zu vergleichenden Stellen handle ich im Folgenden. Die siebente Kurstimme Lei Rudolfs 1. König^swahl. 203 Chronicon mitwählte, in dem concorditer nicht inbegriiTen ist. Diese Umstände scheinen deutlich zu beweisen, dass die Wahl Rudolfs concorditer genannt werden konnte, ohne dass er sieben Wahlstimmen hatte; der SchUiss aber welcher aus dem concorditer erst die sieben Wahlstimmen deducirt, ist ein philologischer Irrthum. Wir können nun daran gehen, die Quellen welche über die W^ahl Rudolf s berichten, näher zu untersuchen. Johann v. Victring der sein Werk jedenfalls erst in seinen letzten Lebensjahren, also ungefähr ein halbes Jahrhundert nach den Ereignissen die hier zu betrachten sind, verfasst hat *), schreibt über Rudolfs Wahl fol- gendes ~) : Et sicut domino placuit unanimes efFecti consensum omnes in Rudolfum sine obsistentia aliqua transfuderunt .... Euere , qui dicere videbantur: Num salvare nos poterit iste? sue glorie invidentes sicut fuit rex Ottocarus Bohemie Hainricus dux Bavarie, Eberhardus de Wirtenberg gentis Sueviae .... Wir müssen gleich bemerken, dass Johann von Victring hier einen Widerspruch begeht. Wer waren die unanimes? Da weder Heinrich von Baiern, noch der König von Böhmen einstimmten? Ganz etwas ähnliches finden wir in der Continuatio Vindobonensis s). Item eodem anno mense Octobri Rudol- phus Comes de Habechspurch in regem Romanorum apud Franchen- vurte auxilio Ludovici comitis palatini Reni, licet malis gratibus regis Boemie et Henrici ducis Bawarie et aliquorum aliorum principum est electus. Vergleichen wir weiter Martini Poloni continuatio, so finden wir, dass Johann von Victring diese beiden Berichte nur erweitert hat: Hie electus apud Aquisgranum se transferens anno 1273 fuit cum ingenti honore maximoque omnium gaudio solemniter coronatus, quamvis Ottocarus Bohemie Rex, Henricus Dux Bavarie et Gerardus gentis Sueviae istius Rudolphi glorie invidentes de hac promotione multum doluerunt *). Da nicht blos diese Stelle in vieler Beziehung wörtlich, sondern auch andere Stellen der continuatio Martini Poloni von Johann von Victring ausgeschrieben sind &), so ist das Zeugniss ^) Boehmer , Fontes I, Vorrede Nr. 11. 2)Boehmer, FontesI, p. 301. 3) M. G. XI, p. 703. 4)Eccard I, col. 1419 ff. B oehm er, Fontes II, p. 462 , hat die Stelle nicht ganz angeführt. ^) Ganz gleichlautend ist der Eingang , dass die Wahl auf Geheiss des Papstes geschah, ferner die Erzählung von dem Reichstage zu Augsburg. Vgl. Boehmer, Fontes I, p. 304, Note 2. Sitzb. d. phil.-hist. Cl. XVII. Bd. II. Hft. 14 204 Ottokar Lorenz. desselben auf jenes zurückzuführen. Da aber der Bericht des Johann von Victring in einigen Dingen von Martini Poloni continuatio abweicht , ohne dass diese Abweichung irgendwie anders , denn als Erllndung und Ausschmückung bezeichnet werden kann , so reducirt sich dies Zeugniss auf wenig Glaubwürdiges, insbesondere jenes „unanimes", das uns an sich schon verdächtig vorkam, zeigt sich als eine Entstellung des ursprünglichen Berichtes. Wir haben hier eine ganze Familie zusammenhängender Nach- richten gefunden, und kommen nun zu anderen Quellen welche ihre Nachrichten aus dem Kloster Altaich geschöpft zu haben scheinen. Eberhardus Altahensis a. a. 1273 sagt *): Mortuo Bichardo Bomanorum rege, principes imperii circa octavam sancti Michahelis ad eligendum alium regem in Franchenfurt convenerunt. Et dum omnes, qui vocandi erant Interessent preter Heinricum ducem Bawa- rie, qui et solempnes miserat nuncios, et per ratihabitionem suum electioni eidem prebuit consensum, electus est Budolphus comes de Habespurch in Bomanum regem, postea in imperatorem consecrandus. Mit dieser Darstellung haben Verwandtes die Annales Salisbur- genses ~), und Chronicon Joannis Vitodurani s). Alle diese Berichte zeigen deutlich die baierische Färbung. Nun ist nicht zu vergessen, dass das Kloster Altaich wirklich vorherrschend einen parteiischen Standpunct für den Herzog Heinrich von Baiern einnahm; jener Hein- richus prepositus Oettingensis, der mit dem böhmischen Könige auch später auf dem Beichstage von Augsburg 1275 im Streite war, ist niemand anderer, als der Altaicher Heinrich Stero *), dem ja sonst die Chronik des Eberhardus selbst zugeschrieben wird. Es kann uns also nicht wundern, dass bei der Darstellung der Wahl Budolfs 1) Boehmer, Fontes II, p. 326 bei Fr eher, Script. I, p. SS7 als Hainriei Ste- ronis Altahensis annales, vg-l. Boehmer's Vorrede. H, Nr. 23 und 24. 2) Annales Salishurg-enses. M. G. XI, p. 800 verschweigen den Antheil Ottokar's an der Wahl, und erzählen ganz wie Eberhard. AU. sub anno 1274. Benierkenswerth ist, dass Annal. Claustroneob. cont. VI. M. G. XI. 744 weder den Ausdruck coneor- ditcr noch uuiiniiniter, sondern racionahiliter von der Wahl Rudolfs gebrauchen; ein oHenbarer Irrlhum ist es, wenn die Annales ßlandinienses, M. G. VII, p. 32 a. a. 1273 sagen: Rudolfus absque contradictione qualibet in regem eligitur. ') Joannis Vitodurani chronicon bei Eccard. col. 1744 weicht nur darin von Eber- hard Alt. ab, dass es bereits die Sage welche durch Schiller unsterblich gemacht ist, von Rud o If und dem Erzbischof W e rne r erzählt ; bemerkenswerth ist die Berufung auf das cap. Venerab. ■*) B o e h m e r , Fontes 11, Vorr. Nr. 23. Die siebente Kurstimme bei Rudolfs I. Königswahl. 20ö die Erzählung des Klosters Altaicli auf den König von Böhmen gar keine Rücksicht nimmt, ebenso, als hätte er nicht zur Wahl gehört; mit sichtbarer Absichtlichkeit ist auch verschwiegen, dass Ottokar der freilich so wenig, wie Heinrich von Baiern bei der Wahl selbst erschien, doch eben so gut, wie dieser, seine Machtboten sandte. Wir haben es demnach hier mit parteiischen Quellen zu thun gehabt; wir kommen nun zu einer dritten Gruppe i), insbesondere rheinischer Berichte welche durch Ort und Zeit von Bedeutung sind. Zwei Strassburger Chronisten sind hier zu betrachten. Gottfridus de Ensmingen und Albertus Argentinensis. Quem (int. Rudol- phum) omnes principes, sagt Gottfrid s), mox cum nomen eins audis- sent, qui inibi presentes aderant consensum suam benevolum adhi- bentes, elegerunt ipsum dominum Rudolphum in regem Romanorum. E X c e p 1 0 solo r e g e B 0 h e m i e, qui in eum tamquam in regem noluit consentire, Othocaro videlicet quinto, qui tamen post modum ab ipso domino Riidolfo vitam finivit extremam. Und Albertus Argentine n- sis nennt ausdrücklich diejenigen Fürsten welche der Wahl Rudolfs beigestimmt haben, er nennt aber weder den Herzog von Baiern, noch den König von Böhmen, sondern nur sechs Kurfürsten welche Rudolf erwählt haben. Etwas früher gebraucht er den Ausdruck rege Bohemie dempto , was sich nach dem Zusammenhange nur auf den Anspruch den Ottokar auf die Kaiserkrone machte, keines- wegs aber auf sein Wahlrecht beziehen kann ^). Die beiden zuletzt 1) Chronica Thomae Wikes. Boehmer, Fontes II, p. 449 und Andreae Ratisbonen- sis,bei Eccard. eol. 2089 können füglich ganz übergangen werden, da sie Unbe- deutendes für unsere Streitfrage enthalten. Der Erstere hat gar keinen richtigen Begriff vom Kurfürsten-Collegiuin , vgl. Boehmer, Fontes II, p. 450. Theilweise die Benützung des Matthäus Paris führte ihn irre. Andreas zeigt die Wahl R u do 1 f 's kurz an. 2) B oehm er, Fontes II, p. 111. ^) Urstissius I. Albert a. a. 127.3 : Congregatis autem Principibus electoribus in Frank- furt , rege ßohemiae dempto, et inter se de periculo diutinae vacationis Imperii, et de perditione juris principum invicem conquerentibus, ac de persona eligenda, quae Imperio expediret tractantibus : Maguntinus Rudolph! comitis de Habspurch magnanimitatem ac sapientiam eommendavit: muUisque aliis potentibus nominatis. Maguntinus asserens sapientiam et strenuitatera divitiis etpotentiae esse praeferendas, pro Rudolphe instituit : Coloniensem quoque et Treverensera ad id ipsum inducens. Dux autem Bavariae (sc. Ludovicus) annuit Maguntino. Quod audientes, Dux Saxoniae, et Marehio Brandenburgensis , qui et ipsi non habebant uxores, reeeptis cautiouibus de dandis sibi Rudoipbi filiabus similiter consenserunl sicque concorditer est electus Anno Oomini 1273. 12. pridie Calendas octobris, 14* 206 Ottokar Lorenz. besprochenen Berichte stimmen im Wesentlichen mit einander über- ein; was sie aber besonders hochstellt das ist der Umstand, dass dieselben auch mit einer baierischen Quelle übereinstimmen , und desshalb um so glaubwürdiger sind. Wir haben schon oben die Worte der Chronica MonachiFürstenfeldensis angeführt i), so dass wir jetzt zu dem Schlüsse berechtiget sind, Gottfridus de Ensmingen, Monachus Fürstenfeldensis, und Albertus Argentinensis sind die einzigen Quellen welche in unserer Streitfrage zu Rathe gezogen werden können. Aber gerade diese drei sind darin einstimmig, dass Ottokar ein Wahlrecht gehabt habe, denn was hätte sonst jenes excepto zu bedeuten, welches wir bei Gottfried und dem Fürsten- felder gefunden haben. Schon aus den Chronisten geht es somit mit Gewissheit hervor, dass Ottokar bei der Wahl Rudolfs auf dem Tage zu Frankfurt die siebente Kurstimme führte. Nähere Details über die Betheiligung Ottokar's an der Wahl Rudolfs von Habsburg erfahren wir aus den bezüglichen Acten- stücken. Ottokar selbst schreibt an Gregor X. hierüber Folgendes 2): unde cum principes alemannie, quibus potestas est Cesares eligendi, qui, — livoris veneno nolumus plura dicere, nee more Regio detrac- tio locum habet, — concorditer in quendam Comitem minus ydoneum, solemnibus nostris nunciis, quos wrauenwrt, ubi celebrari debebat eleccio, nostros procuratores miseramus, contradicentibus et reclamantibus, evidenter vota sua' direxerunt, et eundem in gravamen Imperii nostrumque preiudicium, postquam solemniter appellavimus ad sedem apostolicam, sacri dyadematis insigniverunt maiestate , ad vos velut inexhaustum scaturientis iusticie fontem et interminal)ile pietatis asilum una cum Imperio recurrimus irraciona- biliter peregravati, etc. Es ist aus dieser entscheidenden Stelle deut- lich zu ersehen, dass Ottokar's Gesandte gegen die Wahl Rudolfs Auf diese Stelle hin hat Lichnowski richtig geurlheilt, Rudolf von Hahsburg sei nur von sechs Stimmen erwählt worden; s. p. 161. Ebenso beruft sich Eich- horn MI, |i. 6 auf diese SteUe als die zuverlässigste. Die Annales Colmarienses und das Chrouicoii Coimariense enthalten leider nichts für unsere Frage Ent- scheidendes. Das letztere verwischt den Fragepunct durch die eingeschobene Fabel vom Herrn von Clingen. ßoehmer, Fontes II, p. 49. Urstis. Annales Do- minic. Colm. pars altera a. a. 1275. *) Siehe p. 2ü2. 2) D olliner a. a. 0. Über das in dem Rriefe vorkommende concorditer wurde schon oben gesprochen. Vgl. p. 183 ff. Die siebente Kurstimme bei Rudolfs I. Köni^swahl. 207 Einsprache erhoben *), indem sie sieh auf die Entscheidung des Papstes beriefen. Für die Rechtsfrage ist hier das von Wichtigkeit, welcher Art die Zurücksetzung war, welche die Gesandten Ottokar's erfahren mussten. Die Frage stellt sieh demnach so: Wurden die Gesandten Ottokar's überhaupt nicht zugelassen, und geschah ihre Einsprache in Folge dieser Ausschliessung (contradicentibus et reclamantibus), mit anderen Worten : wurde dem König von Böhmen die Kurstimme bestritten, oder protestirten die Gesandten nur gegen die Wahl Rudolfs 2)? Nach dem Briefe Ottokar's muss die Entscheidung freilich dahin ausfallen, dass die Gesandten erst dann protestirten, als der Pfalzgraf den compromiss der übrigen Kurfürsten verkün- digte 3), Dazu war aber doch not h ig, dass die Ge sandten bei dem Wahlacte selbst gegenwärtig waren, mithin die Kurstimme Böhmens keineswegs von vornherein als ungiltig erklärt sein konnte*). 1) Die Einsprache welche die Gesandten Ottokar's gegen die V^^ahl Rudolfs machten, darf nicht verwechselt werden mit jener welche g-egen die Theilnalime des Herzogs von Baiern an dem Wahlacte von denselben erhoben wurde, und von welcher die Urkunde vom 13. Mai 1273 spricht. 2) Diese Ansicht hat insbesondere Pala ck y durchgeführt ; merkwürdiger Weise will er aber nicht einmal bemerken, dass Ottokar irgendwie gekränkt worden sei, s. II. 1, S.232. 3) Vgl. die Urk. vom 13. Mai 1275. *) Hiermit stimmt die Darstellung der Reimchronik des Ottokar von Horneck. Pez, Script. 111. 118. Die böhmischen Machtboten nehmen hier ganz entschieden an den Verhandlungen in Frankfurt Theil : Der von Mainz ward Ze Rat mit Pischof Wernhart Daz er den Maister zehannt Von Mawrperig haim sannt. Bischof Wernhart von Sekau ist auch zugegen als Pfalzgraf Ludwig die Wahl verkündigt : Der Pfalzgraf wolt Die Rede furchern Er sprach: Ihr Churherrn Seit ir dez uberain chomen Wez hie wirt von mir vernomen Daz daz ewr will sey Wem ich hie schrey Und ze Herren gib dem Reich ? Da sprachenz alle geleich Ez wer ir Rede und ir will Er sprach: so svveigt still. Und vernempt mich. 208 Ottokar Loreuz. Dagegen sprechen nur scheinbar einige andere Actenstücke. Das Schreiben Rudolfs von Habsburg an den Papst Gregor X., und das des Köhier Erzbischofs an denselben *) stammen entweder aus einer Kanzlei, oder wurden beide im genauesten Einverständnisse gearbeitet. Es ist kein Zufall, dass sie sich bis auf die Worte ähnlich sind : Romano iam pridem vacante imperio, principes electores, quibus in Romani electione regis ius competit ab antiquo, die locoque prae- fixis ab Omnibus, convenientes in unum, post multos et varios de futuri regis electione tractatus, tandem sub deliberationis prolixe consilio, quam negotii qualitas exigebat .... nos ad tam honorabilis oneris et onerosi honoris fastigium .... ad imperii regimen erexe- runt 2) , und in dem anderen heisst es s) : Vacante siquidem iam pridem imperio ne sie diutius aberramus acephali, apud talem locum, die ad hoc ab omnibus indieta et acceptata concorditer, ad providen- dum eidem imperio convenientes in unum, tandem post aliquantulum de futuri Regis substitutione tractatum, in inclytum Virum Dominum Rudolphum, de loco tali oriundum, invocata primitus Spiritus Sancti gratia, cum solennitatibus debitis, et consuetis, servato in omnibus modo, et ordine congruo, tanquam in magis utilem ad id, et magis idoneum, quem cognovimus, habito ad Deum precipue, et ad Reipu- blicae causam respectu potissime de communi consensu, omnes et singuli oculos nostros iniecimus, eum in regem Romanorum, Impera- torem futurum, una voce votoque unanimi autore altissimo eligentes. Schon aus der Art und Weise, wie treffend bis auf die Ausdrücke die beiden Berichte über die Wahl Rudolfs zusammenstimmen, ersieht man, wie vorsichtig und diplomatisch hier zu Werke gegangen ist. Er sprach. So chund Ich, In dem Nam der Drivaltigkeit Sei beruefft und gesait Aller der Welt hinfur Daz mit rechter Wal und Chur Der Layn und der Pischof Von Habsburg Graf Rudolf Ze romischen kunig ist erkorn. Pey dem II ar ob den Orn Nam sich Pischof Wernhart Och daz ich i e g; e p o r n wart! iJGerbert, cod. epist. 1 und 3. Pertz, legum t. II, p. 383. 2) R u d o I p h u s G r e g o r i o X. ^) Archiep. Col. Gregorio X. Die siebente Kurstimme bei Rudolfs I. König-swahl. 209 In dem Briefe Rudolfs an den Papst kann man gleichwohl nicht bemerken, dass irgendwie die Kurstimme welche ihre Zustimmung verweigerte, angetastet wäre. Sorgsam vermeidet es Rudolf, durch den Ausdruck den auch der Kölner Erzbischof gebraucht, „conve- nientes in unum" die Stimmen näher zu detailliren, von denen er gewählt wurde. Durch die glückliche Stellung des „ab omnibus" M^elches absichtlich an das convenientes in unum gesetzt ist, könnte der flüchtige Leser verführt sein, zu glauben, dass alle Wähler für einen gestimmt haben, während doch das omnibus zu praefixis gehört. Bei dieser genaueren Prüfung sehen wir also, dass der Brief Rudolfs nichts enthält, was das Wahlrecht Ottokar's als bezweifelt hinstellen würde. Dagegen bedient sich der Kölner Erzbischof schon stärkerer Ausdrücke, und es kann nicht geleugnet werden, dass er durch die Fassung seiner Worte dem Papste einreden wollte, dass alles bei der Wahl im allgemeinsten Einvernehmen (communi con- sensu) und einmüthig herging. Nun haben wir aber gesehen, dass jenes in dem Briefe Ottokar's vorkommende „contradicentibus et reclamantibus" sehr wohl begründet ist, und durch die Reimchronik unterstützt wird, also, dass in jedem Falle der Brief des Erzbischofes gewisse Thatsachen verschweigt. Dieses gänzliche Schweigen über das Verhältniss des Königs Ottokar zur Wahl Rudolfs ist der sicherste Beweis, dass sowohl Rudolf, als der Kanzler von Köln denselben im Besitze eines guten Rechtes gewusst haben, von welchem sie lieber schweigen, als dasselbe erörtern wollten, eines Rechtes welches doch in irgend einer Weise gekränkt worden sein muss. Auch der Papst war davon vollständig überzeugt ^), und was das Wahlrecht Ottokar's betrifft, so sind wir im Besitze einer Urkunde welche beweiset, dass Gregor X. dasselbe gerade rücksichtlich der Wahl Rudolfs nach dem Vorgange Urban's IV. vollständig anerkannte, wenn er sagt: „cum favore omnium vocem in electione habentium, uno dumtaxat excepto" sei Rudolf erwählt worden 2), 1) Dass es politische Gründe waren, welche den Papst zur Bestätigung Rudolfs trieben, haben Chmel und Baerwald in den angeführten Schriften trefflich und nach verschiedenen Gesiehtspuncten nachgewieseu; für die Rechtsfrage ist also aus dieser Bestätigung gar nichts zu ersehen. 2) Brief Gregorys X. an Alfons von Castilien, siehe Kopp I, p. 83, not. 3. Dass Kopp diese Stelle für seine S. 20, Note l ausgesprochene Ansicht nicht im mindesten bedenklich vorkommt, nimmt uns billig Wunder. 210 Ottokar Lorenz. Ebenso lassen die Ausdrücke welche Gregor in dem Briefe an Ottokar gebraucht ^): „causas dicte discordie" und im Gegensatze hiezu die Ermahnung zu „unanimitate laudabili" kaum die Anspielung auf das Rechtsverhältniss Ottokar's zur Wahl Rudolfs verkennen 2). Die angeführten Ausdrücke welche sich nur auf den Wahlmodus deuten lassen, beweisen, dass der Papst den König von Böhmen eben dazu ermahnt, seine Kurstimme dem Rudolf zu geben, womit die Unanimität der Wahl hergestellt wäre. Es steht somit unzweifelhaft fest, dass Ottokar's Wahlrecht in irgend einem Puncte gekränkt worden ist. Jene causas dicte discordie aber sind nun noch näher zu untersuchen. Wir haben schon vorhin gesehen, dass eine Zurückweisung der Gesandten Ottokar's zu Frank- furt und eine Ausschliessung derselben von der Hauptverhandlung der Wahl in keiner Weise angenommen werden kann. Nun wissen wir aber, dass die eigentlichen Verhandlungen über die Wahl gar nicht in Frankfurt, sondern schon vorher stattgefunden haben 3), Darin sah nun Ottokar die eigentliche Rechtsverletzung der siebenten Kurstimme, dass er von diesen Verhandlungen ausgeschlossen blieb. Man konnte formell das Wahlrecht Ottokar's nicht verleugnen, und wie unsere Untersuchung gezeigt hat, wurde es auch in keiner Weise und von Niemandem bezweifelt, aber factisch konnte man Ottokar von der Wahl dadurch ausschliessen, dass man ihn von den Vorverhandlungen nicht in Kenntniss setzte. Seine Gesandten wurden in Frankfurt zugelassen, um nach dem Zeugnisse der Reimchronik eben nur die Verkündigung Rudolfs von Habsburg zum römischen Könige anzu- hören, und darauf erfolgte die Protestation, und jener Rechtsstreit welcher sich noch immer, wenn auch dunkel, neben dem politischen erkennen lässt. 1) Boczek, cod. dipl. IV, Nr. XCVI. 2) I\lelir als dies darf man über die Rechtsfrag-e in den diplomatischen Actenstücken ohnehin nicht suchen. Es kann uns nicht auffallend sein, wenn der Papst in dem Bestätigungsschreiben der Wahl an Künig Rudolf (M. G. a. a. 0.) über diesen Punet ganz schweigt; es ist Beweis genug, dass er die Wahlverhandlung nicht so genau bespricht, als Urban IV. im ähnlichen Falle. Auch aus den übrigen Schreiben an Oltokar, Boczek a. a. 0., IVr. 97 und 98 ist die Veranlassung des Streites als etwas so bekanntes vorausgesetzt, dass ein näheres Eingehen auf dieselbe nicht erwartet werden kann. 3) Vgl. Palacky, Gesch. II, 1, Note 290, Kopp, p. 12 fT.Baerwald, p. 13. Die siebente Kurstimme bei Piudolfs I. Künigswahl. All IV. Im Jahre 1275, am lo. Mai, hält Rudolf Hoftag in Augsburg, und stellt dem Herzog Heinrieh von Baiern eine Urkunde aus, welche das Recht der Betheilung desselben an der Königswahl bestätigt. Eine ganz willkürliche Interpretation dieser Urkunde hat vor Allem Veran- lassung zu dem Glauben gegeben, dass die siebente Kurstimme bei der Wahl Rudolfs in dem Besitze von Baiern gewesen sei. „Super quasi possessione iuris eligendi Romanum Regem" heisst es in der Urkunde, sei ein Streit zwischen den Gesandten des Königs von Böhmen und denen des Herzogs von Baiern entstanden. Welcher Art der Streit war, ist zwar nicht angegeben, aber es lässt sich aus dem Zusammenhange ersehen, dass die böhmischen Gesandten dem baieri- schen Herzoge das Recht der Betheiligung an der Königswahl ab- sprechen wollten. Welcher Art ist aber die Betheiligung des Herzogs? Bei der Wahl Richard's heisst es, war derselbe „una cum ceteris Principibus Coelectoribus" gegenwärtig. Von der Wahl Rudolfs aber wird folgendes gesagt: Deinde vero electionis tempore apud Francken- furt de nobis ab omnibus Principibus ius in electione habentibus con- corditer celebrate, per Nuncios et Procuratores eiusdem Ducis Henrici videlicet Henricum praepositum Oettingensem et Fridericum Rectorem Ecclesie de Landshut, ipsius absentiam propter impedimenta legitima legitime excusantes, praesente venerabili Berchtoldo Babenbergensi Episcopo procuratore predicti Regis Rohemie, et contradicente quidem ipsis Procuratoribus, sed ipsius contradictione a Principibus Electo- ribus Omnibus tam ecclesiasticis, quam secularibus non admissa 9, in dictum Ludovicum Comitem Palatinum Rheni nostrum filium, una cum aliis Principibus omnibus qui in nos direxerunt sua vota, prout 1) Es braucht kaum näher erörtert zu werden, dass die Einsprache der böhmischen Gesandten gegen die Theilnahme der herzoglich baierischen, von welcher hier die Rede ist, nicht im Zusammenhang stehe mit der Protestation des Königs Ottokar gegen die Wahl Rudolfs. Das „non admissa" bezieht sich nur auf jene „contra- dictio" der böhmischen gegen die baierischen Gesandten. Es zeigt aber diese That- sache zugleich wieder recht deutlich, wie doch die böhmischen Gesandten zu Frankfurt bei dem Wahltage zugelassen worden sein müssen, da sie sich sonst unmöglich dort mit den übrigen hätten über die Zulassung der baierischen Gesandten streiten können. 212 OttokarLorenz. iam dicti Procuratores in mandatis receperant, concorditer extitit compromissum, qui commissum huiusmodi in se recipientes, suo et dicti Henrici Dueis fratris sni, ac omnium aliurum Principum ins in electione habeiitium auctoritate et nomine, in Romanum Regem solem- niter nos elegit vocibus eorundem fratrum Du cum Hava- rie Comitum Palatini Rheni ratione Ducatus pro uno in Septem Principum ins in electione Regis Romani habentium numero computatis^. Die ganze Fassung dieser Urkunde spriclit vollständig für die Dar- stellung, die wir oben von der Wahl Rudolfs gegeben haben. Insbe- sondere ist gleich obenan die Bemerkung Rudolfs „qui in nos direxe- runt Vota sua" nur dadurch verständlich, dass eben die Voraussetzung gemacht ist, eine Stimme habe nicht beigestimmt, sonst wäre es ja vollkommen hinreichend gewesen, zu sagen : „una cum aliis principibus Omnibus". Was das „concorditer extitit compromissum" betrifft, so kann es uns nach den oben gegebenen Erklärungen über den Begriff concorditer wohl nicht irre machen, und eben so wenig wird es uns auffallen, wenn es heisst : der Pfalzgraf Ludwig habe im Namen und *)Roehmer sagt: „Von dieser höchst wichtig-en Urkunde wäre ein zuverlässiger Abdruck sehr zu wünschen." Jedem der sieh mit dieser Urkunde abgemüht hat, wird dieser Wunsch aus dem Herzen gesprochen sein. Die Unklarheit des ganzen Satzes, eine unzuverlässige in verschiedenen Abdrücken verschiedene Interpunction erschweren das Verständniss. In neuester Zeit hat Baerwald aus dieser Urkunde z. B. ohne alle Rücksicht auf die richtige Interpunction folgendermassen citirt : ratione ducatus pro una in septcm principum ius in electione regis Romani ha- bentium, numero computatis. Offenbar ein falsches Citat, denn das computatls gibt an und für sich noch gar keinen Sinn, wenn nicht vocibus eoruradem etc. voran- geht. Auf diese Weise konnte freilich Baerwald in seiner im Übrigen so schönen Abhandlung zu dem Irrthume gelangen, welchen Kopp I, S. 20 beging. Insbe- sondere diesem gegenüber erlaube ich mir noch auf eine Ungereimtheit aufmerk- sam zu machen, welche durch die Annahme entsteht, dass Böhmen durch das Herzogthum Baiern aus dem Kurfürsten-Collegium ganz verdrängt wurde. Zugegeben, dass Kopp's Interpretation unserer Urkunde richtig sei, dann ist doch sicher, dass die eine Kurstimme auf Grundlage des Ilerzogthums von beiden Brüdern zugleich geführt wurde (s- L am b ach er); Kopp meint aber doch, dass der Streit um die Kurslimme nur zwischen Böhmen und dem Herzog (Heinrich) \(»n Baicrn stattgefunden; hat Böhmen etwa in späterer Zeit auch nur eine Theilstimiiie bei der siebenten Kur gehabt? In solche Ungereimtheiten verfallt man blos in Folge der Lieblingsidee, dass concorditer einmüthig und einstimmig bedeute. Wie aber Riedel (Abh. d. ßerl. Akad. IS-jS, p. 570) zu der Behauptung kommt, dass Oltokar auf dem Hoftage zu Augsburg, von welchem eben hier die Rede ist , d i e W a h 1 Rudolfs bestreiten Hess , vermag ich nicht zu erklären. In der angeführten Urkunde möchte es doch schwer sein, dies zu entdecken. Die siebente Kurstimme bei Rudolfs I. Künigswahl. 213 auf das Ansehen aller Kurfürsten die Wahl Rudolfs prociamirt, was sich aus der Darstellung des Ottokar von Horneck eben so gut, wie durch sich selbst rechtfertigt; denn es war wohl zu keiner Zeit üblich die näheren Details anzugeben, wenn man den Beschluss einer Ver- sammlung im Allgemeinen kund gemacht. Dazu kommt nun, dass die Wahlverhandlung nicht in der Weise geschah, dass der Tag von Frankfurt es erst entschieden hätte, wer König würde, und so konnte Pfalzgraf Ludwig mit vollem Rechte die Wahl im Namen des ganzen Kurfürsten-Collegiums verkündigen. Grössere Schwierigkeiten macht der letzte oben angeführte Satz vocibus .... computatis. Eben diese beiden Begriffe gehören aber offenbar zusammen, und es ist somit alles für eine Kurstimme zu rechnen, was von jenem vocibus abhängig ist. Darnach wurden die Stimmen der beiden herzoglichen Brüder für eine Kurstimme gezählt, und es steht in der ganzen Urkunde nichts davon, dass der Pfalzgraf Ludwig noch ausserdem eine Stimme gehabt habe. Man beruft sich, um das letztere zu behaupten, auf die beiden Wörtchen „ratione ducatus", aber zugegeben, dass das kein Irrthum ist, — da es doch heissen sollte auf Grundlage eines Erzamtes (ratione dapiferatus) — woraus folgt dann, dass die Pfalz eine besondere Kurstimme habe, da die Pfalz wirklich staatsrechtlich zu Baiern gehörte und nur durch Familienverhältnisse getrennt war? Nicht umsonst ist in der Urkunde gerade der Plural an dieser Stelle ange- wendet: Ducum Bavarie Comitum Palatini Rheni, und auch das et, welches man erwarten könnte, ist weggeblieben, um anzuzeigen, dass diese beiden Reichswürden eins sind, und nur in den Personen getrennt. Desshalb konnte Rudolf ohne alle Gefahr des Missverständnisses sagen: ratione ducatus, und er ist auch nicht bis zu den Zeiten Lambacher's hierin missverstanden worden i). 1) Vgl. die treffliche Schrift de origine Sect II, §. XL, Ego enirn longe aliter sentio, et neque de eligendi neque de Pinceruatus iure Regi ßohemiae litem a Havaro motam fuisse, sed illum potius huic vocem in electione negasse persuasissimuin mihi habeo. Scilicet viderat Ottocarus Bavariae Ducem in Electione Richardi vocem sibi arrogasse, viderat, eundem in electione Rudolplii item tontasse. Putabat, acre- que ferebat Rex aeque ac status Imperii potentissimus , numerura Electorum, qu: modo ad septenarium redactus erat, hae ratione augeri, forte et perspiciebat idem Rex prudentissimus facili negotio sihi inde praejndicium oriri posse, si aliquando Bavarus memor Archiofficii , quod ejus quondam in Diicatu Praedecessores gesserant, in ipsius forsan jura iiivolare , illudque cum eligendi jure excluso Bohemo sihi vindi- care in animura indueeret. Daraus erklärt sich, warum Ottokar die Theilnahuie des 214 Ottokar Lorenz. Wir sehen also, dass die Urkunde vom IS. Mai 12TS durchaus nicht gegen unsere Ansichten spricht, sondern dieselben vielfach unterstützt. Durch die richtige Interpretation dieser Urkunde fällt nun auch wie von selbst jene Schwierigkeit hinweg, welche die Urkunden von 1289 und 1290 den Gegnern dieser Auslegung verursachen. Diese bestätigen nämlich dem König von Böhmen das Wahlrecht, da es schon seine Urväter gehabt hätten, Dass die Lamb acher' sehe Auslegung der Urkunde von 127ö in einem grellen Widerspruche zu den spätem von 1289 und 1290 stehe, ist weder diesem noch seinen Anhängern bedenklich erschienen. Es wäre doch in der That nichts leichtes gewesen, die Kurstimme die man vor einigen Jahren den beiden Brüdern von Baiern zugesprochen, sofort wieder auf Böhmen zu übertragen, ohne nur ßaierns dabei zu gedenken oder irgend eine Entschädigung zu leisten ; und endlich haben schon frühere *) mit Recht darauf aufmerksam gemacht, dass Rudolf der Öffentlichkeit gegen- über eine so grobe Lüge nicht beurkundet baben würde, wenn er selbst vor 15 Jahren Böhmen das Wahlrecht abgesprochen hätte: Haec vero iura Pincernatus etElectoratus ne dum dicto Regi et suis haere- dibus didicimus competere, sed etiam suis Progenitoribus etc. plenissime competebant. Die beiden Urkunden mit denen wir es hier zu thun haben, enthalten nun Folgendes 3): „Am 4. März 1289 beurkundet Rudolf nach vorgängig angestellter Untersuchung, dass dem König Wenzel und dessen Erben im römischen Reiche das Schenkenamt und eine Stimme bei der Königswahl als Recht zustehe. "^ „Am 26. Sept. 1290 zu Erfurt beurkundet derselbe genehm.igend, dass auf Nachforschung, welche Rechte im Reiche und bei der römischen Königswahl dem König von Böhmen und dessen Erben Herzogs an den Wahlen als widerrechtlich bestreiten Hess. Rudolf aber entschied nach dem Herkommen ; sehr richtig- bemerkt weilers diese Abhandlung : Inde novum argumentum , quod Bavarus Bohemum ab electione excludere non voluerit oritur ex introdutto iam tum septenario Electorum numero. Etenim Rudolphus ipse Septem taiitum in electione jus habentes Principes memorat. Si itaijue Bavarus, qui conjune- tum modo cum Palatino votum quaerebat, Bohemo jus elegendi negasset, sex tantum eleetores futuri erant, quod ut esset, non est probabile eum animo intendisse. *) S. bes. de origine Archip. u. Palacky, Gesch. a. a. 0.: doch kann anderseits nicht so grosses Gewicht auf die Worte selbst fallen, wie Palacky ihnen beimisst. *) Um die oft gedruckten Urkunden nicht nochmals abzuschreiben, gebe ich wörtlich den Inhalt nach B o e h m e r's Regesten. Die siebente Kurstirame bei Rudolfs I. Königswahl. 2 1 O zustehen, von den Fürsten Baronen und Edlen einmüthig erkannt worden sei, dass der König von Böhmen und dessen Erben das Schenkenamt besitzen und bei der Wahl eines römischen Königs gleich anderen Wählern Wahlrecht und Stimme haben sollen, wie solche Rechte schon im Besitze der Vorfahren des Königs waren. Über den Wortlaut der beiden Urkunden welche ganz klar und verständlich sind, kann sich kein Streit erheben, und ebenso klar ist es , dass Avenn Rudolf jemals dem Könige Ottokar das Wahlrecht abgesprochen hätte, er es jetzt dem Herzoge von Baiern in derselben Weise hätte absprechen müssen, da es sonst von nun an acht und nicht sieben Kurstimmen gegeben hätte. Dagegen lässt sich die Frage aufwerfen, wozu Rudolf überhaupt die Anstrengung machen musste, um dem König von Böhmen das Wahlrecht noch besonders zu bestätigen? Und diese Frage lässt sich sehr schön entscheiden. Wir haben schon oben gezeigt, dass zur Zeit Urban's IV. die böhmische Wahlstimme unter den sieben Wählern keineswegs ganz unbedingt galt, sondern, dass ihre Berechtigung durch die Abkunft des Königs bedingt war. Als das Kurfürsten-Collegium zum ersten Mal sich versammelte, war in Böhmen glücklicher Weise ein deutscher Regent, so dass sich von dieser Seite kein Zweifel geltend machen konnte; nun war aber Wenzel weder mütterlichen noch väterlichen Stammbaumes deutsch, und so war wohl nöthig, was Rudolf gleich im Eingange seiner Urkunde sagt: Quanto iura personarum prodierunt in lucem notitia clariora, tanto liquidius posteritati successurae materia tollitur alterandi i). Durch diese Urkunde ist nun nicht blos dem undeutschen Wenzel, sondern allen seinen Erben unbedingt das Wahlrecht zugesichert. Diese unbedi ngte Rechtsgiltigkeit der böhmischen Kurstimme geht genugsam aus Folgendem hervor: „ipsum Regem Boemie Imperii debere Pincernam existere et ins ac officium Pincernatus apud eum nee non eins heredes iure hereditario resi- dere. Extitit etiam dilucide declaratum, predictum Regem Boemie et suos heredes in electione Regis Romanorum futuri Imperatoris, cum ceteris Electoribus habere debere ad sim ilitudinem alio- eum electorum eligendi plenitudinem ae vocem." Es ist somit die Erblichkeit des böhmischen Wahlrechtes ein für allemal, und ohne 1) Eingang der Urk. von 1290, womit zusammenstimmt in der Tikunde von 1289: ut dicti Regis iura lucidius patefierent. 216 Boller. Clausel eingesetzt, und kann daher diese Urkunde als eine Berichti- gung und Ergänzung der Ansicht angesehen werden, welche sieh zuerst über das ausschliessliche Wahlrecht der sieben Erzämter im Sachsenspiegel kund gemacht hat, und vom Papst Urban IV. bestätigt worden ist. Das Wahlrecht Böhmens hatte hierin eine bestimmte Entwiekelung erfahren, indem es von einem bedingten Bechte durch die Urkunden von 1289 und 1290 zu einem unbedingten überging. SITZUNG VOM 18. JULI 1835. Vorgelegt : Zur magyarischen Etymologie. Von dem c. M., Hrn. Prof. Boller. Eine Wortbildungslehre, wie sie nach den Fortschritten welche die Sprachwissenschaft auf dem indogermanischen und semitischen Gebiete in den letzten Decennien gemacht hat, verlangt werden muss, kann zur Zeit keine der ural-altaischen Sprachen aufweisen, wohl aber spricht sich das Bedurfniss einer solchen in den neueren Gram- matiken dadurch aus, dass die Capitel welche „der Bildung der Redetlieile" gewidmet werden, allmählich an Umfang zunehmen. Eine Znrückführung des gesammten Wortvorrathes aber auf nicht weiter zerlegbare Lauteinheiten — gleichlaufend mit der Zurückführung der Begriffe auf die zu Grunde liegenden Anschauungen — ist, wenn man von Böhtlingk's Arbeit über das Jakutische, welche auch hier der neuen Kichlung in der Sprachforschung Bahn bricht, absieht, so gut wie gar nicht vorhanden, ja man scheint den organischen Zusammen- hang zwischen der Entwiekelung der Begriffe aus der Anschauung einer- und der Ausprägung des nicht weiter analysirbaren Sprach- stoffes andererseits nicht einmal geahnt zu haben, wenigstens nicht in dem Sinne welcher den gesammten Wortschatz der indoger- manischen Sprachen auf eine gegebene Anzahl von bedeutungskräf- tigen Lauteinheiten zurückzuführen möglich machte. Das Streben für die neue Forschung eine Grundlage zu gewinnen, wird aber vor Zur magyarischen Etymologie. ä 1 7 Allem auf die Feststellung dieser Lautelemente, der Wurzeln, gerichtet sein müssen, wenn man die innere Gesetzmässigkeit der Bildungen erkennen, den lebendigen Zusammenhang zwischen Begriff und Wort, das Wesen der Wortbildungslehre, begreifen will. Wie aber in den indogermanischen Sprachen die Wurzel aus der Ver- gleichung aller innerhalb des Sprachstammes vorhandenen Wort- formen durch Abstraction gewonnen werden musste, obgleich einzelne Sprachen wie das Sanskrit, vermöge ihres noch ursprünglicheren Zustandes und in Folge dessen vorhandener grösserer Durchsichtigkeit die Aufsuchung mehr als andere begünstigen : so wäre es auch ein vergebliches Unternehmen , für eine der zahlreichen ural-altaischen Sprachen, namentlich wenn dieselbe, wie die magyarische, einen grossen Theil ihrer Begriffe durch fremdstämmige Lehnwörter bezeichnet und daher häuGg statt der den Begriffen parallel laufenden Wortreihen nur einzelne, aus der Verbindung gerissene Bruchstücke besitzt, die entsprechende Analyse nur innerhalb der engeren Grenzen ihres erweislich eigenen Sprachstoffes vornehmen zu wollen. Ich habe in Folgendem, um die Nothwendigkeit einer vergleichenden Behandlung der Etymologie welche zur Auffindung der Wurzeln führen soll, speeiell für das Magyarische zu erweisen, eine Anzahl Wörter zusammengestellt , deren Zergliederung an sich nur unter der Herbeiziehung der verwandten Sprachen möglich ist. Andere wurden aufgenommen, weil sie zur Begründung bestimmter Lautgesetze, ohne deren Vorhandensein jede Vergleichung überhaupt ihre bewei- sende Kraft nicht zu äussern vermag, den Anhalt gaben. Es war mir dabei nicht so sehr um die Urgestalt der primitiven Wurzel selbst, als um den Zusammenhang der in den einzelnen Sprachen vorhandenen Wortformen unter sich und mit jener Wurzel zu thun. Die Vergleichung der in den einzelnen Sprachen wirksamen Laut- gesetze erledigt jene Frage in den meisten Fällen von selbst. 1. Ajto „Thür". Vergleicht man die verschiedenen Formen*) welche zur Bezeichnung des Begriffes „ Thür " in den einzelnen finnischen Sprachen gebraucht werden, Suomi uvi, Esthnisch uks, Lappisch-Finnmärkisch ufsa, Schwedisch-Lappisch uks, Syrjänisch öbäs, Wotjakisch Ös ~), Ostjakisch au, so ergibt sich bei ihrem inneren 1) Sitzungsberichte der phil.-hist. Cl. X. Bd. p. 281. 2} Wiedemaun, p. 321, b. 218 Boller. unleugbaren Zusammenhange, dass 1. der Guttural allen Formen angehört haben müsse, und dass 2. die Verschiedenheit der Vocale sich von a aus erklären lasse. Um alle Varianten zu vereinigen, müssen in der Grundform die Elemente a-f-k (q, ch, gh, n)-|-t ent- halten gewesen sein, weil nur von da aus die Einheit in der Mannig- faltigkeit begreifbar ist. Sieht man von t als einem w^ahrscheinlichen ßildiingselemente ab, so bietet sich für den Rest ungezwungen das ostjakisehe oi^ (ong), „Mündung, Öffnung" i) dar, das mit allge- meinerer Bedeutung auch in dem jakutischen a^a^) „offen" Suomi aukia, id., ferner in dem mongolischen Denominativ ^ (angghaicho) 3) t „sich öffnen, klaffen" J (angtucho) *) „sich spalten" enthalten ist, ana bedingt eine einfachere Gestalt ohne vocalischen Auslaut, die zwar als ak nicht mehr nachweisbar ist, wohl aber in einer daraus entwickelten Form, jakutisch ac, türkisch-tatarisch •^\ (ac), syrjänisch vosja s) „aperior", deren s durch j vermittelt wird (aj-to) fortlebt, S c bot t ß) schliesst auch das türkische Ic^j (aghyz) „ M und (ÖlTnung)" an unsere Wurzel, und die jakutische Form ajax zeigt dabei ein ähnliches Lautverhältniss wie das magyarische ajto. Der Wechsel zwischen dem gutturalen Nasal und seinen entsprechenden Stummiauten ist in den türkisch -tatarischen Sprachen wie im Mon- golischen nicht selten, wie dies von Böhtlingk ^) nachgewiesen wurde; noch allgemeiner aber ist der Übergang der starren Laute J (g) jJ (k) in die Halbvocale v und j s). Fasst man t = s als Denominativsuffix, so bezeichnet aj-tö „die offene" oder „Öffnung *) Castren, p. 91, a. 2) Böhtlingk, Lex. p. 2, b. 3) Schmidt, Lex. p. 2, b. ") Ehentl. p. 3, c. *) Castre'n, p. 164, b. ®) Über das Altaische etc. p. 69. ") Böhtlingk, Oiammalik, §. i69. 8) Bolitlin{rk, Grammatik, §. 176. — Schott, Über das Altaische etc. p. 100-103. Zur mag'yarischeu Etymologie. 219 gebende". Auf einen weichen Stamm weist das mongolische -^ (egüden) i) , wenn diese Form nicht überhaupt ein (e) im Anlaute verloren hat (vgl. 'i [negekii] „öffnen") ~). 2. Akar, Akar „wollen". Der Auslaut und mehr noch die Zwei- sylbigkeit deuten auf eine secundäre Wurzel welche mittelst -r aus einer einfacheren Form abgeleitet wurde. Die Vergleichung mit dem mongolischen ? (bacharacho), jakutisch öagap s) „mögen, wollen. wünschen, verlangen, beabsichtigen", welche sich bestimmt als Denominativ aus mongolisch ? (bacha), jakutisch öaga „Verlangen, Lust*)" zu erkennen gibt, führt auf die Stamm- wurzel ak (= mongolisch £ (bak), jakutisch öa^, wozu sich die erwähnten Nomina bereits als Ableitungen verhalten. Die Schreibung akar scheint sonach die allein richtige. Die Identität der Formen selbst, der magj^arischen ohne s der mongolisch-finnischen mit anlautendem Labial, darf keinem begründeten Zweifel unterliegen. Der Abfall eines vorhandenen oder die Entwickelung eines mangelnden Labials im Anlaute (ersteres gern im Mongolischen, Magyarischen, letzteres in den übrigen finnischen Sprachen, besonders wenn ein dunkler Vocal oder a folgt) ist eine häufig vorkommende Erscheinung. Man vergleiche das mongolische i (orocho) „hineingehen" mit syrjänisch pyr, magyarisch fer „hineinkommen, Raum haben" oder das mongolische j (ordu), türkisch - tatarisch j^j^^l, 2,^jj\ (urdu), Cjjy (jurt), jakutisch op^y^) „Lagerplatz, Aufent- haltsort, Zufluchtsort" mit syrjänisch gort, tscheremissisch pört (domus) 6) und berücksichtige, namentlich was den Wegfall 1) Schmidt, Lex. p. 26. c. 2) Ebendas. p. 83, a. 3) Böhtlingk, Lex. p. 126, b. 4) Ebeudas. p. 126, a. 5) Ebendas. p. 24, a. 6j Castre'n, p. 69, b. Sitzb. d. phii.-hist. Cl. XVIL Bd. IL Hft. 220 Boller. des Anlautes betrilTt, die ganz gleiche Erscheinung bei den übrigen Consonanten 9- Das Suffix -r, im Magyarischen zwar nicht selten aber nicht mehr lebenskräftig, bildet in den türkisch-tatarischen Sprachen Denominative mit inchoativer, oft auch blos einfach neutraler Bedeutung ~). Im Mongolischen erscheint das genannte Suffix als ^ (ra, re), welches wieder mit dem Exponenten des Futurums im Mandzu s) ra, re, ro zusammenfällt. Da auch das Dativsuffix mittelst -r erweitert erscheint (jlT - f -'i ), so wird der Begriff der Richtung in ihm liegen (vgl. den Gebrauch des indogermanischen i „gehen"). 3. AI „falsch, verstellt, after, unrecht". AI ist Rest einer Wurzel welche in den übrigen Sprachen des Stammes allgemein fortlebt. Mongolisch ^ (altacho) *}, türkisch - tatarisch irjJl, IrljJI (aldatmaq) „betrügen", tseheremissisch s) altal(e) „lügen, betrügen", wotjakisch ») aldal ,,b e t r ü g e n , wahrscheinlich auch Suomi valhe „Lüge". Das jakutische a.i5ac') „Irrthum, Versehen" dem das Suomi valhe am nächsten steht, zeigt, dass obige Formen abgeleitet sind. Das magyarische al kommt daher der Stammwurzel am nächsten, doch dürfte die Länge, wenn sie nicht etwa den verschwun- denen Guttural vertritt, auf einen im Anlaute fortgefallenen Conso- nanten deuten. Das mongolische ^ (dzali) „Arglist, Betrug", türkisch o^Ij (jalan) „Lüge", magyarisch csal „Betrug" 8), welche schwerlich von unserer Wurzel zu trennen sind, weisen auf ein anlautendes j, das selbst für einen Guttural stehen mag. Wegen der Doppelform äl und csal vergleiche all und szäll, gyanakodik und szän. 4. Aid „segnen, benedeien, loben, preisen". Die anlautende Länge lässt einen fortgefallenen Consonanten — j, v, die selbst wieder für s, k, t stehen können — vermuthen. Seinen nächsten 1) S uli o t t, über das Altaisclie etc. p. 52. '^) Ki.htlingk, Grammatik §. 492. »J V. der Gabelentz, §. 64—67. *) Böhtlingk, Lex. p. 10, b, s. V. ajlgac. ^) Castre'n, p. 61, a. 8) W i e d e m a n 11 , p. 297, b. ') Böhtlingk, Lex. p. 10, b. 8) Seh Ott, Über das Allaische etc., p. 139. Zur magyarischen Etymologie. 4iC\ Vergloicliungspunct findet ald in dem Türkisch -Tatarischen, wo uns das jakutische Denominativ a.ii;ä „segnen, verherrlichen", aagbic = ^T(alqysj, ^J^\ (alghys) 0 „Segen« begegnet. Das mongolische J (sülde) 2) „Segen, Schutz der Götter" bietet einen Zischlaut. 5. All „stehen". Länge und Verdoppelung weisen auf Zusammenziehung und Assimilation. Die anlautende Länge auf ein J, die Verdoppelung auf die Gruppe g(h)l zurückgeführt, wie die Ana- logie anderer magyarischer Wortformen im Verhältnisse zu ihren türkisch-tatarisch-mongolischen Verwandten wenigstens anzunehmen erlaubt, erhalten wir als vorauszusetzende Ausgangsform jag-l=sag-l (für zag-1). Nun liegt aber sogleich die Identität mit dem tscheremissischen sagal (wofür mit Umstellung auch salg, wenigstens n der Evangelienübersetzung, z.B. Matth. 13, 2 3) vorkommt) zu Tage, da ein anlautendes tscheremissisches s im Magyarischen sehr gewöhnlich verschwindet, wie magyarisch ak-ad, tscheremiss. säk „hängen", magyar. arany =tscherem. sörtnje, syrjänisch zarny „Gold", magyarisch fr „sehreiben" „Salbe", tscheremiss. sir „schreiben", syr „Salbe" etc. beweisen. Auch stände wenigstens von lautlicher Seite selbst einer Zusammenstellung mit dem mongolischen | (toktacho) *) „stehen, stehen bleiben", jaku- tisch TOXTyo „anhalten, stehen bleiben, nachlassen", tatarisch I^lkLU (toqtamaq) ^), kein Hinderniss entgegen, da im Mongolischen in der That eine mit J anlautende Form ^3 (dzoksocho) «) „stehen, stehen bleiben" 1 (dzokijacho) ') „einrichten l i) Böhtlingk, Lex. p. 10, 1». 2) Schmidt, Lex. p. 374, a. 3) Wiedemann, §. 18. *) Schmidt, Lex. p. 231, a. 5) Böhtlingk, Lex. p. 9Ö, b. 6) Schmidt, Lex. 309, a. '') Ebendas. 308, a. IS 222 Boller. stiften, ordnen, überein kommmen " vorhanden ist. Der Wechsel zwischen l und t könnte darauf hindeuten, dass letzteres nicht dem Wurzelstamme selbst angehöre, sondern derivativ sei (im Jakutischen wird a hinter harten Consonanten zu ti). Es schält sich sonach ein Thema toch -= sagh heraus , dessen Bedeutung „Still- stand, Ruhe, Einhalt" gewesen wäre, und das man wahr- scheinlich auch in dem mongolischen | (tochocho)^) „Raum oder X Platz finden, | (tochoracho) „aufhören, inne halten, zur Ruhe kommen" selbst in dem Suomi-Nomen sia wieder erkennen darf. Aus toch, togh entstand das ostjakische tjödjes), das lappische cuozio und das Suomi seiso, in denen, wie in dem syrjänischen sula-lo, dem wotjakischen sulo der Kehllautgh zunächst in den Halbvocal über- ging, der sich seinerseits wieder, namentlich in den linnischen Sprachen, vocalisirte und mit dem Stammvocale verschmolz. Der tscheremissi- schen Form sagal entspricht aber auch die Bedeutung „aufstehen ", ja Castren führt nur diese allein (adsurgo) an. In dieser Bedeutung nun steht ihm aber im Magyarischen szäll „steigen, fliegen; sich setzen; fallen; sich begeben" gegenüber. An und für sich liegt zwischen dieser Doppelbedeutung kein grösserer Widerspruch, als er sich z. B. in der Construction des neugriechischen dg mit dem Dativ herausstellt, wobei der Casus der Ruhe mit dem der Bewegung zusammenfällt, oder in der Vertretung des Dativs durch den Genitiv, wie solche im Sanskrit gewöhnlich und im Prakrit sogar ausschliess- lich ist. Auch ist die Entwickelung beider Begriffe aus einander eine sehr natürliche „an einem Orte weilen" und „sich an einen Ort begeben", Sanskrit ^FETT (stha) und ^TF^T (pi'asthä). Griechisch earr/v und tarrj/it, Latein stoundsisto. Für den vorliegenden Fall ist die Vermittelung in der Denominativ form gegeben. An das vorausgesetzte toch, sag „Stillstand, Ort, Stätte" ist zunächst das Suffix d, t (/, s) das die Vereinigung bezeichnet *) , 1) Ebendas. Grammatik §. 173. 2) Schmidt, Lex. p. 248, c. 3) Castren, p. 100, b. •«) I!olitlin{fk, Grammatik §. 490. Zur magyarischen Etymologie. 223 getreten: toch-t, sag-al „mit einer Stätte versehen, des Stillstandes theilha ftig sein ". Diese Form ist aber sowohl ohjeetiv als objectlos. Durch den Antritt der Suffixe (w, uo, 6) wird die Beziehung auf ein ausserhalb des Subjectes stehendes unmittel- bares Objeet aufgehoben „ich versehe mich etc. mit einer Stätte". Umgekehrt lässt sich erwarten, dass , wenn diese Bildungen wirklich als Denominative gefasst und begriffen wurden, jene Sprachen Avelche für den Begriff der Bichtung nach dem bezeich- neten Objeete eine besondere Denominativform ausgeprägt haben, wie das Mongolische und Türkisch-Tatarische, statt obiger Form eine auf -r auslautende dann substituiren werden , wenn die Bildung die Bedeutung des magyarischen szäll vertreten soll. Und so ist es in der That. Es ist mir nämlich nicht zweifelhaft, dass die Wurzel tur, dur, welche im Mongolischen ^ (turcho) i) „aufhalten, zurück- rl % halten. Auf enthalt machen, an etwas hangen bleib en ", im Türkisch-Tatarischen ^uL>, ^y>w (tur-maq) und in dem jaku- tischen Typs) „stehen, sich befinden; verweilen; auf- stehen, auferstehen; sich erheben; sieh begeben, antreten; zu stehen kommen" erscheint aus demselben Stamme, aus welchem focht, sägl wurden, hervorgegangen und zwar gleich- zeitig mit diesem gebildet worden sei. Die ursprüngliche Bedeutung von tur musste nach den Elementen „nach ein erStätte streben, eine Stätte suchen, sie h aufmachen " sein. Eine Weiter- entwickelung der Bedeutung ist es, wenn „ das Streben nach einer Stätte", zu einem Streben „an der Stätte zu beharren" wird, welches in tur im Gegensatze zu tochtuo etc. die blos das einfache, momentane Befangensein in dem Zustande des Stehens bezeichnen, als charak- teristische Begriffsschattirung ausgedrückt erscheint. Aus dem Ganzen folgt: dass 1. das magyarische all =tscheremissisch sagl dem mongo- lischen a (toktu) , dem jakutischen toxtjo Suomi seiso , lappisch c'uozzo entspreche, sich aber von demselben durch die Abwesenheit der Beflexivcharakteristik unterscheide und folglich die neutrale 1) Schmidt, Lex. p. 2S3, c. 2) Böhtlingk, Lex. p. 108, a. 224 Boller. Bedeutung blos in dem Sprachgebrauche liege, und dass 2. das magyarische szäll dem mongolisch -türkisch -tatarischen tur gegen- übergestellt werden müsse, jedoch von diesem durch die Abwesenheit der Richtungscharakteristik geschieden wird, folglich auch der Begriff der währenden Handlung ausgeschlossen bleibt. Aus der Darstellung ergibt sich als weitere Folgerung, dass die mongolischen Casusexponenten ^ (tur) -^ (tu) ^ (ta) ^ (dur) i (du) i^(da), welche zur Bezeichnung des Dativs und Locativs ^ gebraucht werden, wenigstens dem Stamme nach mit dem türkisch- tatarischen Locativsuffixe b (da) ^J» (de) wirklich zusammenfallen, wie dies bereits von Schott-) vermuthet wurde, obgleich B ö h t- lingk^ sich von einem solchen Zusammenhange noch nicht hat überzeugen können, und dass ferner das vollere | ,'^ vorzugsweise zur Bezeichnung des Dativs,"^, ^, ^, 5L, aber des Locativs sich eignete. So lange indess die, wenn auch sehr wahrscheinliche Identität von tochtu und sagal nicht direct erwiesen worden ist, was nach den mir zu Gebote stehenden Hilfsmitteln nicht gelingt, wird man die Formen mit / (besonders szäll), denen man auch die von Klapp roth in den Tafeln zur Asia polyglotta unter „steh" aufgeführten ost ja- kischen loleT (Beresow) jahvul (am Wasjugan) beifügen darf, von denen auf 6, s, z zu trennen haben. Sollte sich herausstellen, dass die Vereinigung überhaupt aufzugeben ist, so liegt zwar für all mongolisch f (saghatacho) *) „aufhalten, verzögern, ver- hindern", magyarisch akadäly „Hinderniss", ebenso Suomi asu „wohnen" = t (saghucho) 5) „sitzen, sich setzen, < seinen Sitz nehmen; wohnen" fern; aber szäll etc. an türkisch J^ls (qälqmaq) „aufstehen" zu knüpfen, hindert die 1) Schmidt, Grammatik §.40. 2) Schott, Über die tatarischen Sprachen, p. 56. 3) Böhtling;k, Grammatik §. 39ö. ■») Schmidt, Lex. p. 340, b. *) Ebendas. p. 340, c. Zur magyarischen Etymologie. liZo tsclieremissische Causalform sagal-t nicht, wohl aber macht gyalog den Ziisanimenliang' von all mit dem tungiisischen chalgan „Fuss" (der Stehende?) unwahrscheinlich. 6. Asszony „Frau, Weib", Hunfalvy*) hat dieses Wort mit dem Suomi akka „Weib, altes Weib, Grossmutter" zusammengestellt, wie mir scheint ohne hinreichende Berechtigung weder von Seite der Bedeutung noch des Lautes. Erstere verlangt eine Ableitung welche den BegrilF des lateinischen „donüna" oder des deutschen „Frau" =Herrinn, der in asszony liegt, rechtfertigt. Hierzu bietet sich viel näher das gleichbedeutende mongolische t (chatun) 3) „Königin n, Gemahlin ii (Gegensatz der ersten Gemahlinn zu den übrigen), vornehme Frau", türkisch -tatarisch (jJlc^ (chatun), jakutisch xartiH, xotjh „Hausfrau, Her rinn" dar, welches sich ungezwungen auf die Wurzel jakutisch xot ') „bewältigen, mit etwas zu Stande kommen", magyarisch hat „können" (vgl. hat-alom „Macht, Gewalt, Her rschaft) beziehen lässt. Die lautlichen Schwierigkeiten betreffen den Abfall des anlautenden Gutturals und den Übergang des t in sz. In Bezug auf den verschwundenen Anlaut vergleiche man magyarisch as „graben" mit dem türkisch-tatarischen Jlä (qaz), jakutisch xac *) ; magyarisch aszik „verdorren", mit mongolisch 4* (chatacho ^j 1 "t (ghac'acho) «) „vertrocknen, hart werden", tscheremissisch kos-k „vertrocknen", syrjänisch kos „trocken", Suomi kuiva, lappisch goikked „trocken, dürr"; magyarisch iri'gy (s. unten); magyarisch ol-talom „Schutz" mit mongolisch :f* (chal-cha) '') ^ „Schirm, Schutz"; magyarisch ör-iz „hüten, bewahren". 1) Hunfalvy, Finn es Magyar szok egybehasonlitasa, p. 3. ~) Schmidt, Lex. p. 144, a. 3) Böhtlingk, Lex. p, 83, b. *) Ebendas. p. 84, a. S) Schmidt, Lex. p. 142, e. *J Ebendas. p. 193, b. 7) Ebendas. p. 136, c. 226 Boller. mit mongolisch f (chorgha), jakutisch xopgo i) „Schutz, Ver- steck", tscheremissisch or-ol „hüten, bewahren ", und man wird um so weniger Anstand nehmen, als sich die Beispiele leicht vermehren liessen (s. unten fr „schreiben"). Der Abfall geschieht gewöhnlich nicht unmittelbar , sondern wird durch einen Halbvocal (v, j) vorbereitet, der zunächst an die Stelle des Gutturals tritt, weiterhin sich vocalisirt und so den folgenden Vocal durch Ver- schmelzung längt. Doch beweisen aus den angeführten Beispielen aszik und irigy, dass der Abfall auch direct stattfinden kann, so dass er durch keine Länge angedeutet erscheint. Noch weniger Bedenken darf der Zischlaut an der Stelle der dentalen Muta erregen, da gerade das Magyarische mehr als alle anderen Sprachen des Stammes letztere zur Spirante verschleift (^ = s«[s], d=^z}. Da ich diesen Laut- übergang schon an einem andern Orte 2) besprochen habe, füge ich den dort beigebrachten Beispielen blos einige weitere Belege hinzu, 1. Das oben besprochene aszik neben mongolisch t (chatacho); tatarisch cXc\ (etmek) „Speise" neben jJlc (jemek) „essen", ostjakisch tev*), Suomi syö; magyarisch gyüszü „Fingerhut", jakutisch cvtjk ; magyarisch kasza (s. unten) ; magyarisch szal „Faden, Faser, Halm etc. ", ostjakisch tet^), samojedisch tT, Suomi syli. syrjänisch syy, tscheremissisch sei; magyarisch szäll (s. oben unter all); szärmaz (s. unten); magyarisch ször „streuen, worfeln", mongolisch | (tarchacho) «) „sich zerstreuen u jakutisch Tapi;a, tatarisch loUjL" (tarqamaq) ') ; magyarisch ször 1) Böhtlingk, Lex. p. 87, b. 2) Sitzungsberichte der pliil.-hist. Cl. X. 284 ff. 3) Schmidt, Lex. p. 41, a. *) Schott, Über das Altaische etc., p. 81. *) Castre'n, p. 99, a. 6) Schmidt, Lex. p. 23Ö, a. 7j Ebendaselbst, p. 233, c. Zur magyarischen Etymologie. ä 2 7 „Haar" (das menschliche Haupthaar ausgenommen), mongolisch f (tar) 1) „die langen über die kurzen hervorstehenden Haare" (beim Pelzwerk), türkisch-tatarisch .iLj" (tük), osmanisch ^JJ (tüi), jakutisch xy „Haar eines Thieres"; magyarisch sürgetös „dringend, eilig", mongolisch J (türgen), jakutisch 1 xypraH 2) „eilig, geschwind", ostjakisch ternied „eilen", syrjänisch termäd „zur Eile antreiben" — magyarisch hazug (s. unten); magyarisch köz „Zwischenraum", ostjakisch kut (vor Vocalen kud) 3); magyarisch nemez „Filz", ostjakisch nämat, afghanisch namd*). Hierher gehören ferner das magyarische Perso- nalsuffix sz, das Denomiaati\ suffix d etc. Wegen des Umstandes endlich, dass die im Magyarischen fortlebende Wurzel den Guttural und die dentale Muta behauptet, während das Derivat jenen aufgab und diese abschwächte, vergleiche man die Dissimilation zwischen szän und gyanakodik etc. 7. Bar „obgleich, obschon; es sei; wenn nur; wollte Gott"! Die Form fällt mit dem jakutischen 6äp ') „daseiend, vorhanden; seiend, Dasein, Vorhandensein, Sein zusammen". Vermöge seiner nominalen Natur bildet es einen absoluten Ausdruck ovrog mp, Hr?TKr (sati-api). In dieser Bedeutung scheint bar := 6äp das Nomen praesentis einer Wurzel bai , welclie mit der Bedeutung „sein, bleiben" im Mongolischen ^ (baicho)«) I wirklich vorliegt, darzustellen, und ist folglich auch gleich dem türkisch-tatarischen jl^ (var). In den übrigen Bedeutungen liegt bar eher einer jakutischen Potentialform ') parallel. 8. Bär in bär-melly „welcher, e, es immer" etc. In Form und Bedeutung schliesst sich diese Bildung an ostjakisch per, perda »), 1) ßöhtlingk, Lex. p. 92, b. 2) Böhtlingk, p. 113, a. 3) Castren, p. 86, b. 4) Ebendas. p. 89, a. *) Böhtlingk, Lex. p. 128, b. ^) Schmidt, Lex. p. 96, c. ^ Böhtlingk, Grammat. §.319. 8) Castren, p. 92, b. 228 Boiler. türkiscb-tatariseli jijo (bari), jakutisch öapbi i) „jeglich, alle, das Ganze, die Gesamm theit, insgesammt". Mongolisch 5) (büri) 2) „alles, ganz". Bär kommt also rücksicbtlich der Bedeutung mit den Sanskritforraen H^ (sarva) und T^f^ (vicva) überein und theilt mit diesen auch die Dunkelheit seiner Etymologie. Die Länge des magyarischen Wortes deutet auf eine Zusammenziehung. Auf eine solche führt auch die Vergleichung der mongolischen Formen 5) (bü-ri) 5) (bükü) 5) (bükün) s) — diese liegt auch in dem lappischen buok „all, gesammt" — und 5) (bütün) „ganz, unversehrt*)". Alle Formen vereinigen sich nämlich unter der Voraussetzung, dass der Stamm buk gelautet habe, dessen k dann — wie sonst zwischen Vocalen sehr gewöhnlich — ausfiel. Dieser voraus- gesetzte Stamm findet sich aber ausser dem mongolischen bükü und lappischen buok in der tscheremissischen Verbalwurzel pog 5) ^b ist kein tscheremissischer Anlaut und wird durch p vertreten) wirklich mit den Bedeutungen „sammeln, vereinigen". Bar und seine Nebenformen bedeuten somit „Vereinigung (aller Theile), Ganz- heit, Vollständigkeit", wobei die Bedeutung des suffixiven r nicht zu übersehen ist. Dass die Schwächung des Stammes durch Verdrängung des Gutturals früh und allgemein stattgefunden habe, beweist der Umstand, dass die Form ^ welche das mongolische Denominativ f (bütekü) liefert, auch in den übrigen verwandten t Sprachen wiederkehrt. So in dem türkisch-tatarischen jir* (betmek), in dem jakutischen 6yT «) „fertig werden", dem syrjänischen byd 7) und dem wotjakischen bydes ») „ganz", bydesmo „voll- ständig werden". 1) Böhtlingk, Lex. p. 130. a. 2) Schmidt, Lex. p. 122, b. •■») Schmidt, Lex. p. 120, c. *) Ebendas. p. 124, a. ^) C astre n , p. 69, a. «) Böhtlingk, Lex. p. 14d, a. ') Castre'n, p. 138, a. 8) Wiedeman n , p. 300, a. Zur magyarischen Etymologie. -^29 Auf dieser Analogie fussend liesse sich Sanskrit "^^^ als ^T + 'fl^ (sa-}-rva) „conventiis" und (c^jy als fg"-f jq" -j-^ (vi + ?« + J») „überall hin sich ausdehnend" erklären, von pg" „anschAvellen, wachsen". 9. Bölcs „der Weise, weise". Trennt man den Schlusscon- sonanten der an und für sich nicht im Auslaute einer magyarischen Wurzel stehen kann ab, so ist in dem Reste die türkisch-tatarische Wurzel ji\j (bilmek), jakutisch öi.i „erfahren, erkennen, kennen lernen, ausfindig machen; wissen, kennen, nicht zu erkennen"*). In den türkisch-tatarischen Sprachen wird das Nomen agentis regelmässig aus dem Nomen actionis auf _j(m), ^ (i) oder richtiger auf y (qn),^ (ghn),^(kü) gebildet 2), indem man diesem ->> (dzi) anfügt. Im Jakutischen ist das zusammen- gezogene Suffix aH4i, ä4Hi, omi, önm mit verschliffenem Guttural und angepasstem Vocal; im Mongolischen s) erscheinen 1 (kci), ^ (kci) und '3 (ghaci), ^ (geci) als Exponenten des Nomen agentis oder activen Participiums. Wir haben also der Wurzel und dem Suffixe nach offenbar ein Lehnwort vor uns, das sich etwa einem türkisch-tatarischen (ben) etc. Wegen der Bedeu- tung endlich vergleiche man Sanskrit f%|;iT (vidvams) „weise" von f^ (vid) „wissen" und speciell das gleichfalls von seiner Wurzel losgerissene mongolische -^ (bilik) 2) „Weisheit, vi Vernunft". 10. Csinäl „machen, thun", Zweisylbigkeit und Endung weisen auf eine secundäre Bildung und insbesondere auf ein Denomi- nativ. Die Wurzel liegt in dem jakutischen KWH 3) „thun, machen". Das Magyarische behandelt die Form noch als hart, obgleich es den Vocal in i herabgesetzt und in Folge dessen den ursprünglichen Guttural k zu C8 erweicht hat. Aus ersterem Umstände darf man vielleicht den Schluss ziehen, dass das harte magyarische i durch ein bi vermittelt werde. Wegen des Wechsels zwischen k und es vergleiche man den gleichen Fall im magyarischen csend „Buhe", gegenüber dem tscheremissischen kän*) „ruhen", sich erholen." Mit Bücksicht auf das mongolische^ (kikü)^) Hesse sich vielleicht die Wurzel noch weiter verfolgen, und möglicher Weise auch ein Zusammenliang mit den in den tatarischen Sprachen (auch im Syrjä- nisch-Wotjäkischen) gebräuchlichen Formen j^(kür), jlT (kar), jlä (qar) „machen", nachweisen. 11. Diadal „Triumph, Sieg". Die Bedeutung muss ursprüng- lich Schlachtgesang = Siegesgesang, vielleicht letzteres von Haus aus, gewesen sein. Der zweite Bestandtheil ist an sich klar. Hingegen ») Schmidt, Lex. p. 122, a. 2) Eben.las. p. 107, b. 3) Böhtlingk, Lex. p. 62, b. ■») Caslren, p. 63, b. 5) Schmidt, Lex. p. Ho, c. Zur magyarischen Etymologie. Zö\ ist der erste Theil, diu, nicht bios im Magyarischen, sondern in den finnischen Sprachen überhaupt ohne Anhaitspunct. Dieser findet sich erst im Mongolischen, wo i (dain) i) „Krieg" bedeutet. Nocli näher lüge es, das gleichfalls nur im Mongolischen nachweis- bare i (deilekü) 2) „siegen, überwinden, die Oberhand gewinnen", das sichtlich denominativ ist und folglich ein Nomen ^ (dei) „Sieg" oder „siegreich" voraussetzt, zum Vergleiche herbeizuziehen, wenn nicht der Gegensatz der Vocale einiges Bedenken machen könnte. 12. Domb „Hügel, Anhöhe". Auch dieses Wort findet, wenigstens in seiner harten Form, zunächst im Mongolischen (und durch dieses ?J im Jakutischen seine nächsten Verwandten. Im Mongo- lischen ist i (dobo) 3) „ein kleiner runder Berg oder Hügel"; sein Denominativ £ (doboicho) bedeutet „sich erheben, auf der Oberfläc he hervorragen ". Diesem gegenüber bietet das jaku- tische TOMToi *) „ s i c h e r h e b e n , a u f s c h w e 1 1 e n ", das offenbar mit dem mongolischen Denominativ in naher Berührung steht, und folglich auf ein Nomen tom (= tomo?) = dobo = domb weist. Wenn das jakutische m Verflüssigung von 6 ^) ist, so lautete die Grundform ursprünglich tob, welches man daher als Wurzel ansehen darf Aus jakutisch xoMToi stammt TOMXO^op „erhaben, geschwollen" und durch Zusammenziehung TOMTop „Erhabenheit, Erhöhung". Sollte demnach auch magyarisch dombor aus domb(o)(gh)or zu erklären sein? Mit weichen Vocalen besteht im Suomi typälet und typpyrä, im Türkischen i^ tepe), Aj J (depe) und äv J (tübe) Hügel ß). 13. Erdö „ Wald". Im ganzen Sprachstamme findet sich kein Wort an das sich das magyarische erdo anknüpfen liesse. Hingegen 1) Ebendas. p. 263, b. 2) Ebeadas. p. 272, c. •^) Ebendas. p. 278, c. 4) Böhtlingk, Lex. p. 97, a. 5) ßöhtlingk, Gramraat. §. 172. ^) Schott, Über das Altaische etc., p. 128. 232 Boiler. ist der Zusammenhang sogleich erkennbar, wenn man erdo in zwei Wörter er-f-do zerlegt, von denen zwar keines mehr selbstständig im Magyarischen fortlebt, die aber beide sich auf entsprechende türkisch -tatarisch -mongolische Elemente zurückführen lassen. Er nämlich lässt sich mit dem jakutischen ojyp i) „dichter Wald, Gehölz, Dickicht"', dem syrjänischen vor, dem permischen vyr, dem wogulischen war (an der Tschiussowaja), wor (am Tscherdym), dem mordvinischen wir (auch an der Mokscha) welchen insgesammt von Kiapproth^) die Bedeutung „Wald" gegeben wird, verei- nigen. Neben diesen insgesammt mit v anlautenden Formen hat das türkische ^jß (qorou) ^^ (qo»'0 «parc, bosquet" ^) , mit anlau- tendem Guttural, welches sich jenen gegenüber als ursprünglicher erweist, indem ; (q) wie auch sonst häufig und zwar nicht blos in diesem Sprachstamme in v abgeschlilfen wurde*). Ausserdem besitzt das Mongolische und mit ihm das Jakutische eine einfache Form t (oi) „Wald, Gehölz", welches wenigstens dem jakutischen ojyp den Ursprung gegeben haben kann, vielleicht auch die des Anlautes verlustig gewordene einfachere Form von .jJ selbst ist. Das Jaku- tische hat ferner Twa „Wald", welches ohne Zweifel nichts anderes als das mongolisch-türkisch-tatarische f (tak), clL?, cU (tagh) ist. Vgl. jakutisch öwa „Strick" = tatarisch ,1 (bau) = osman. cL (bagli) = mongolisch ? (hak) s). Im Mongolischen heisst ferner 3 (oi taigha, aus tagh-|-gba?) „dichter Wald", in dessen 1 letzterem Gliede man eine Ableitung aus tak, tagh um so weniger wird verkennen wollen, als auch das einfache osmanische clL> bei Meninski mit der Bedeutung „mons, in confiniis sylva" aufge- führt wird (vgl. Böhtlingk, Lexicon s. v. Tbia). Erdö ist somit 1) liölillingk. Lex. p. 23, a. 2) Asia polyglolta. Atl. Tab. XXIII. ^) Kiefer et Diane hi, II, p. 521, b. *) Sehmidt, Lex. p. 42, c. 5) Böhtlingk, Grammatik §. 120. Zur magyarischen Etymologie. /iöo „Gehölz — Berg", Die Schwächung des t in d findet in der Stellung zwischen Halhvocal und Vocal ihre Erklärung. Durch den Antritt des Suffixes ly=:lik, das im Müngolisehen wie im Tatarischen Adjectiva relativa bildet und dem türkischen lü gleichkommt, entstand Erdely (romanisch Ardealu) „Siebenbürgen". Vergleiche mon- golisch I (tenggelik), türkisch-tatarisch \^^ (dingil) „Wagen- achse", magyarisch tengely und in Bezug auf den adjectivischen Gebrauch kevely. 14. Ert „vernehmen, verstehen, meinen". Dieanlautende Länge lässt nach der Analogie zahlreicher Fälle auf den Abfall eines vorausgehenden J( = s etc.) schliessen, und so stände wenigstens von lautlicher Seite nichts im Wege, unsere Wurzel an die von Schott *) zusammengestellten Formen M^ndzu sere „wissen", das offenbar das übergangene mongolische i* (serekü) ^) „im Voraus wissen ^ -o) oder verstehen, eine gründliche K e n n t n i s s h a b e n ; rathen; einsehen" ist, türkisch^^ (sez) für^^ (ser) „denken" und weiterhin mongolisch f (sedkikü)^) „denken" wovon (sedkil) „das Gemüth, der innere Gedanke, das Gewissen, das Denkvermögen " anzuknüpfen. Hiernach trägt ert bereits, wie von vornherein zu vermuthen war, die Causalcharakteristik, und der eigentliche Stamm er ist intransitiv. Berücksichtigt man ferner die Gewohnheit des Sprachstammes an den Wechsel zwischen harten und weichen Voealen nicht minder als zwischen hellen und dumpfen eine TModification der Bedeutung zu knüpfen, so dürfte auch eine Zusammenstellung mit dem mongolischen 3* (surtacho) *) nicht allzugewagt erscheinen. " Dieses ist selbst eine Passivbildung von f ^) über das Altaische etc., p. 134, Aura. 2) Schmidt, Lex. p. 349, c. ^) Ebendas. p. 331, a. 4) Schmidt, Lex. p. 370, c. 234 Boiler. (surcho) 1) „lernen, in Erfahrung bringen, fragen", wovon f (surak) „Erkundigung, Nachfrage, Nachricht", das mit der Bedeutung „Nachricht, Gerücht" auch ins Jakutische s) übergegangen. Mit der Bedeutung „fragen" = Nachricht ein- ziehen, erscheint die Wurzel in dem türkisch-tatarischen ^^w^ (surmaq) , ^\jj'^ (suramaq). Dass die starke Form dieser Wurzel im Mongolisch -Tül-kisch-Tatarischen in den finnischen Sprachen wirklich in die weiche übertrete, erhellt aus der Vergleichung des (abgeleiteten) mongolischen f (suricho) s) „versuchen, l probiren " (ein Reflexiv) mit dem Suomi yrttä „versuchen", das gleichfalls den Abfall des Anlautes bietet, und dem magyarischen ki-ser-el, ki-ser-t. Die magyarische Bildung zeigt zugleich, wie die Sprache beflissen ist, das im Bewusstsein Getrennte auch formal aus einander zu halten. Bedenkengegen die Verbindung erregt sejdit. 15. Fer „Platz, Raum haben, hingelangen, hinkom- men". Die Form entspricht zunächst dem syrjänischen pyra, dem tscheremissischen por und dem mongolischen t (orocho) *) „hinein- i gehen, angreifen, handgemein werden". Das mongo- lische f (baktacho)^) „hineingehen, einen Raum einnehmen, 1 passen, Platz finden" scheint aber noch eine weitere Analyse zuzulassen, da diese Bildung selbst als ein Denominativ gefasst werden kann. Als Thema bliebe sodann ein Rest bak(-bai), das wie das Mandzu ba „Ort, Stätte" bezeichnet haben muss, zu welchem sich fer als Denominativ verhielte. Was zunächst die mongolischen Doppcl- formen orocho und baktacho selbst botrilTt, so darf man erstere um so sicherer auf denselben Stamm bak = bai (vgl. toch =si = a unter all, taigha aus tak unter erdö) zurückführen, als ein unverstümmelter 1) Ebendas. p. G. 2) Böhtlingk, Lex. p. 171, .t. •■») Schmidt, Lex. p. 339, c. *) Ebendas. p. «6, :i. *) Ebendas. p. 99, b. Zur magyarischen Etymologie. 235 I* (baira) i) „Aufenthaltsort, Wahlplatz, Schlachtfeld" vorhanden ist, zu welchem orocho das Denominativ bildet. Ein fernerer Beleg für die Denominativbildung von fer liegt in dem jaku- tischen öaT^), welches zunächst aus dem mongolischen baktacho übertragen und gleichfalls die Stammform ohne k zeigt (vgl. kerke- dik, terit). Fer ist demnach = ba-k-ar = bajar „ an eine Stätte gelangen". 16. Fejsze „Axt", erscheint in dem permischen Dialekte an der Tschiussowaja als basin, bjäsin s). Ich sehe in dem ersten Theile desselben das aufgelöste fej=fö „Kopf, Haupt, Kolbe" und in dem zweiten eine in ihren Elementen verkürzte Nominalform, ent- sprechend dem mongolischen f (szüge *), jakutisch cyrä Mandzu soukhe „Beil 5), zu welchen das ostjakische seure^), Unt. Surg. sagre, Ob. Surg. sogri „hauen, hacken" sich als Denominativ verhält. 17. Gyöz „siegen". Steht scheinbar ganz vereinzelt, ist aber = Suomi voi-pi „können, vermögen", wovon voi-pa „prae- valens", voi-tta, „siegen, überwinden". Um den Zusammen- hang zu begreifen, muss man auf das jakutische Kwai ') „die Ober- hand gewinnen, überwinden, siegen" zurückgehen. In den harten Formen entwickelt sich aus q (auch ch gesprochen) gewöhnlich V, wie in den weichen k zu j wird (s. unter ajto). J selbst, avo es nicht mit dem folgenden Vocal verschmilzt, entwickelt sich weiter zu gy, namentlich wenn es seihst aus einem Guttural hervorgegangen «). Kbiai, gyöz, voitta sind übrigens Denominativa, deren Nominalthemata Kbia, gyö, vuo nicht mehr vorhanden sind. 18. Gyana-kodik „argwöhnen, misstrauen, Verdacht haben". Der Palatal gy deutet auf ein vorausgegangenes j, sei i) Ebendas. p. 97, a. 2) Böhtlingk, Lex. p. 127, a. 3) Klapproth, Asia polyglotta. Atl. Taf. XII. 4) Schmidt, Lex. p. 373, a. 5) Böhtlingk, Lex. p. 172, a. «) Castren, p. 95, b. '■) Böhtlingk, Lex. p. 60, b. 8) Sitzungsberichte der phil.-hist. Cl. Bd. X. Sitzb. d. phil.-hist. Cl. XVII. Bd. II, Hft. , ^ß 236 Boiler. dieses nun primitiv oder — was wohl meist, wenn nicht immer der Fall — aus einem andern Consonanten hervorgegangen. Substituiren wir statt j ein primitives s, wie dies in türkischen Dialekten und nament- lich in den finnischen Sprachen regelmässig entweder vorausgeht oder sich daraus entwickelt <) , so erhalten wir das mongolische q (sanacho) 3) „denken, gedenken, sich erinnern", türkisch- tatarisch ^\o (sanmaq), tscheremissisch san „denken, meinen". Das jakutische Nomen caHä^) (= mongolisch f sanagha, sprich Lsa sanä) bedeutet „Gedanke, Absicht; Meinung, Gesinnung, Sinnesart; Gefühl; Sorgen; Verstand". Das Denominativ hat die Bedeutungen „denken, meinen; nachdenken; begreifen; etwas denken, für etwas halten". Hiernach entspricht derselben Wurzel mit gy (j) im Anlaut sowohl das magyarische gyana-kodik als (mit unverändertem Anlaut) szän, dessen Ableitung szandek „Absicht, Vorhaben, Vorsatz", ganz dem jakutischen caHa „Absicht" parallel liegt. Vom jaku- tischen caHä „ Gedanke, Sorgen", stammt ferner das Denomi- nativ caHapi^ä „trauern", welches wieder in dem magyarischen szan „bedauern, bemitleiden", seinen Gegensatz findet. AufTallend ist Spaltung derselben Stammform in zwei nach den Bedeu- tungen aus einander gehende Entwickelungen durch Difterenzirung des Anlautes (vgl. all), oder wäre eine der beiden Bildungen (wahr- scheinlich die mit sz) eine entlehnte ? 19. Haszon „Nutzen, Vor th eil, Gewinn". Das Wort ist im Magyarischen keiner weiteren Zerlegung fähig, hat auch keine anderen Verwandten als seine eigene Nachkommenschaft. Deutet dieser Umstand auf Entlehnung, so gibt der Auslaut zugleich näheren Auf- schluss über die Heimat des Fremdlings; die Endung -7i ist nämlich vorzugsweise den türkisch -tatarischen Sprachen eigen, in denen sie das Reflexiv bildet. Wir gelangen hiernach zu dem türkisch- tatarischen ~'c\ß (qazanmaq), das „lucrari, quaestum facere, acquirere" *) Böhtlingk, Grammatik §.182. 2) Schmidt, Lex. p. 337, b. 3) Böhtlingk, Lex. p. 134, a. Zur raagyari§chen Etymologie. ä O 7 bedeutet *)• Die Stammwurzel lä (qaz) ist nicht weiter belegbar, lässt sich aber aus der vorliegenden Bildung in Verbindung mit dem jakutischen Kacäc „Vorrath" entnehmen. Hiernach muss ^c\ß „sich einen Vorrath machen, für sich ansammeln" bedeuten. Übrigens ist haszon zunächst = dem türkischen ^[^ (qazandz) „Gewinn, Nutzen". 20. Hazud „lügen". Stellt man im Anlaute den harten Guttural u für z den weichen Dental her, aus denen sich beide entwickelt haben (vgl. asszony), so liegt die Form qad, chad dem mongolischen ^ (chudal) -} so nahe, dass man die Identität nicht verkennen kann. Letzteres ist bereits ein abgeleitetes Nomen abstractum, das Simplex chud aber, auf das letzteres zurückgeht, ist nicht mehr im Gebrauche. Lügen heisst ferner im Mongolischen ^ (chaghorcho) ^), das sich recht wohl als Inchoativ aus einem vorauszusetzenden chagh (falsch? Falschheit?) fassen lässt. Sind hazud und chudal auf dieses zu beziehen? Illik „ziemen, sich schicken, sich gebühren, passen, anstehen". Gegen die Ursprünglichkeit der Wurzel zeugt schon der Doppelconsonant. Unter der Voraussetzung, dass eine Assimi- lation an l selbst stattgefunden habe, bleibt für den einfachen Stamm il zurück. Dieses fällt aber mit der türkisch-tatarischen Wurzel j\\j1 (ilmek), jül (elmek), jakutisch t1 *) „anknüpfen, einhängen" zusammen. Hiervon lautet das Reflexiv jijl (elinmek), jakutisch Tüh „sie hanknüpfen, sie hanhängen". Die Bedeutungen berühren sich sehr nahe (vgl. „füglich"), und ihre thatsächliche Entwicke- lung scheint durch das Nomen mongolisch -1 (il) -^ (el) 5), türkisch- tatarisch JjI (il) „gutes Einverständniss, Eintracht" 1) Böhtlingk, Lex. p. 84, b. 2) Schmidt, Lex. p. 173, b. 3) Ebendas. p. 132, c. 4) Böhtlingk, Lex. p. 37, a. 5) Schmidt, p. 28, c. 16 238 Boller. gesichert. Die lautliche Schwierigkeit ist nicht bedeutend, da Assi- milationen, wie sie innerhalb der türkisch -tatarischen Sprachen gebräuchlich sind, sich auch sonst im Magyarischen nachweisen lassen (vgl. honnan für hondan, varr für tscheremissisch vurg, villa aus vilka etc.). Im Jakutischen geht h nach 1 in I über; man sagt also illäöiH, illä^iH, illäp für tatarisch ^yX\\ (elnämen), ^yJc\] (einäsen), ß\ (elnär) *). 22. Imad „ anbeten ". Die Form deutet auf ein Denominativ dessen Stamm, nach der anlautenden Länge zu schliessen, eine Zusam- menziehung erlitten haben muss. Beiden Forderungen genügt die Anknüpfung an das tscheremissische kumal 2) me inclino, incurvor, das die Evangelienübersetzung mit den Bedeutungen „niederfallen, verehren, anbeten " gebraucht. Kuma-1 selbst geht zurück auf kuma, eine Nominalform die aus einer Wurzel ku entstand. Diese ist im Türkisch-Tatarischen loJ (qomaq)") placer, mettre, poser, wirklich vorhanden, und muss auch aus dem tscheremissischen ki, cubo, jaceo und dem syrjänischen kui-la „liegen" erschlossen werden. Auf kuma führt auch das Suomi kumarta „sich bücken, neigen, ver- ehren, Ehrerbietung bezeugen". Die Entwickelung der Form ist demnach kuma-d = jumäd = i'mäd. Beleg für die Richtig- keit scheint das türkische IrL (jatmaq) *) „sich legen, liegen", wenn es auf LaJ bezogen werden darf 23. Ir „schreiben". Der lange Vocal erregt wenigstens den Verdacht, dass die Wurzel nicht mehr in ihrer primitiven Gestalt vorliege. Stellen wir ein j vor i her und führen dieses auf seine sonst gewöimlichen Quellen zurück, so gelangen wir zu den Formen kir und sir. In beiden Formen begegnen uns nun Bildungen deren Zusammenhang mit i'r deutlich ist. Mit anlautendem k erscheint im Mongolischen ^ (kürük) s) „Gemälde, Bild, Porträt", im ') Böhtlingk, Grammatik §. 192. 2) Castr^n, p. 63, a. ^) Kiefer et B i a n c h i , I. p. 530, a. *) ßüiitl ingk. Lex. p. 162, a. ^) Ebendas. p. 18S, c. Zur magyarischen Etymologie. Coa Siionii kirja, schwedisch-lappisch kirje, finnmärkisch girje, „Buch, Schrift" neben kirjoitta „schreiben, zeichnen" und kirjawa „bunt", im Syrjänischen gü *) „schreiben" (z = r). Mit s statt j beginnen das syrjäuische ser „etwas Buntes", sera „bunt", seredla „bunt machen, malen", das mordvinische syrma „Schrift", das tscheremissische s'ir „schreiben" und das jakutische cypyu 2) „Schrift, Brief, Buch" und cypyi „zeich- nen, malen, schreiben". Dass beide Bildungen aber zusammen- gehören, zeigt der Umstand, dass ihr Mittelglied mit anlautendem j sich nicht blos in dem Türkisch-Tatarischen jL „schreiben" nachweisen lässt, sondern wird noch insbesondere durch die dem angeführten kürük parallele Nebenform ^ (diiruk, mit der gewöhn- liehen Entwickelung der Aussprache) ^) „ Gemälde, Zeichnung", mit dem Verbum ^ (dzirucho) „zeichnen, malen" erwiesen. Hieraus folgt zugleich, dass die mit k anlautende Form die primitive ist, weil wohl s aus j und zwar in vielen der hierher gehörigen Sprachen regelmässig hervorgeht, aber nicht umgekehrt k aus j. Diese Vertretung von k und s, auf die uns bereits ak „öffnen" neben ana „offen" (s. ajto) geführt, findet sich ferner in dem jakutischen äc „weiss", neben dem sonst gebräuchlichen türkischen ji (aq). worauf Böhtlingk, obgleich zweifelnd*), aufmerksam macht, ist aber überhaupt viel allgemeiner. Man vergleiche z. B. die jakutischen Properativa auf - xxä 5) mit den in den westfinnischen Sprachen gebräuchlichen auf -st, -st, den türkischen Infinitiv auf La (maq), jU (mek), mit dem tscheremissischen auf mas etc. und man wird dem Umfang dieser besonders für die Wortbildungslehre höchst wichtigen Vertretung einen viel grösseren Spielraum einräumen müssen. 24. ir „Salbe ". Mit dem bereits mehrfach in Anspruch genom- menen Abfall eines Consonanten zur Erklärung einer Länge identificirt 1) Castre'n, p. 140, a. 2) Böhtlingk, Lex. p. 171, a. 3) Schmidt, Lex. 30Ö, b. 4) Böhtlingk, Grammatik §. 187. 5) Ebendas. §. 183. 240 BoUev. sich die magyarische Bildung als getreues Ebenbild mit dem tschere- missischen syr der Evangelienübersetzung, wovon ser (Castren), sre (Evangelienübersetzung) „salben". Das mongolische f (sürcikü) I „bestreichen, überstreichen" ist Derivat. Den Stamm bietet das türkische ji^j^^ (surmek) „tirer, etendre en long; frotter, oindre. " 25. Irigy, irigy „neidisch, schelsüchtig". Die Form mit dem langen Anlaute als ursprünglich angenommen , lässt sich gegen die Zusammenstellung mit dem mongolischen t (characho) *) „schauen, sehen", wovon das jakutische xapax „Auge" stammt, um so weniger etwas einwenden, als dieselbe BegrifFsent- wickelung bereits in dem Mongolisch -Türkisch -Tatarischen einge- treten ist. Auf xapax nämlich und seiner vorauszusetzenden türki- schen Parallelform ruht das Denominativ jakutisch xapai "') „Sorge trage n", das mit dem türkisch-tatarischen ^\J> (qaramaq) „regarder, observer" zusammenfällt. Das mongolische Adjectiv t (charatu) (charatai) 3) hat bereits die Bedeutung „neidisch" und auch im Jakutischen ist xapax öäcTäx *) „einer der ein böses Auge besitzt, neidisch". 26. Kasza „Sense". Zunächst das slawische kocb. Dieses ist aber selbst wie vieles andere, Entlehnung aus ural-altaischem Sprach- gut. Die Wurzel liegt in dem mongolischen f (chaducho) s) < „Getreide schneiden, mähen, ernten", wovon J (cha- dughar) „Sichel". Mit fortgeschrittener Entwickelung erscheint *) Schmidt, Lex. p. 139, a. ^) f{ ö h 1 1 i n g- k , Lex. p. 81, a. 3) Schmi dt , Lex. p. 140, a ■*) Itöli tlingk , Lex. p. 81, a. 5) Schmidt, F^ox. p. 144, a. Zur mag-yarisclien Etymologie. 24 1 dieselbe in t (chadzighur), mit dz stalte?, unter Vermittelung eines -^ (j), welche unserer Form noch näher steht. Zugleich ergibt sich, dass kasza und kes (Messer) auf dieselbe Stammwurzel zurückgehen die nur durch die auch sonst häufig vorkommende Vocalspaltimg, um Schattirungen des Begriffes zu bezeichnen, in zwei Reihen auseinanderging *). 27. Keny „Willkür". Im Jakutischen ist KÖHya „frei, unabhängig; befugt; Freiheit; Befugniss; Wille; nach freiem Willen, von selbst. Dieselbe Bedeutung zeigt das türkisch -tatarische J^C^T (köngül) s). Da im Mongolischen und Türkisch-Tatarischen (s. oben unter ajto) öfter der gutturale Nasal an die Stelle der Muta tritt, so fällt der vorauszusetzende Stamm köij, j\'jf mit der mongolischen Wurzel ^ (kügikü) s) „angereizt sein, geweckt oder aufgemuntert sein", zusammen. Die Vertretung des gutturalen Nasals durch den palatalen im Magya- rischen endlich findet sich auch sonst häufig; vgl. ostjakisch ana mit magyarisch anya, jakutisch biHwp, magyarisch nyereg etc. 28. Kerkedik „ sich prahlen, sich brüsten." Vorliegende abgeleitete Wurzelbildung zeigt, wie schwer die Identificirung von Wörtern verschiedener Sprachen desselben Stammes oft werden könne, wenn die Zwischenglieder nicht hinreichend vorhanden sind. Im Jakutischen besteht 1. KiäpKä *) „prunken, den Stutzer machen". Dieses bildet den Übergang zu dem mongolischen 5 (kekerekü)^) „geputzt sein". Kekerekü ist offenbar das Denomi- nativ aus^ (keke) 6) „hübsch, zierlich". Der Stufengang der Entwickelung ist dabei folgender : keke (hübsch) ; kekerekü (hübsch werden) = jakutisch niäp mit Ausstossung des Gutturals. Aus hiäp 1) Schott: Über das Altaische etc., p. 108. 2) Böhtlingk, Lex. p. 37, b. 3) Schmidt, Lex, p. 182, a. 4) Böhtlingk, Lex. p. 66, b. 5) Schmidt, Lex. p. 148, c. ^) Ebendas. p. 148, c. 242 Boller. stammt mittelst des Suffixes Ka (nä) gebildet das jakutische Kiäphä i). Kiäprä „Putz". Hieran schliessen sich die neuen Denominative jakutisch mäpräi (mittelst ^ abgeleitet) und magyarisch kerked (mittelst d gebildet). Die Grundform keke selbst ist eine Redupli- cation aus^ C^O 0 »hübseh, geputzt". Die Länge des Vocals, welche dem jakutischen iä entspricht, ist gegen die unmittelbare Verbindung von ke und kiär, ker. 2. Kieipriä „prahlen", mon- golisch ^ kügürgekü) ») „prahlen, sich über andere erheben. Windbeuteln", das auf eine Grundform kügür „hoch" (vergl. tscheremissisch yk-se „altus") führt. 3. Kiäpräi, mit derselben Bedeutung. Hiermit vergleicht Böhtlingk *) das mongolische ^ kergeikü 5) „stolz sein, auf Rang und Titel Anspruch machen, damit gross thun ". Da auch das lappisch - finnmär- kische goargotet «) „sich prahlen" besitzt, so wird man aus den beiden letzten hochasiatischen Formen, an welche die magyarische schon wegen der Übereinstimmung der Bedeutungen angeschlossen werden muss, die mit dem dunklen Vocale im Mongolischen wählen müssen, zu der sich die zweite mit dem hellen Vocale ungefähr so verhalten mag wie die magyarische zur lappischen ''). 29. Kültöz „ziehen, wandern". Die der Bedeutung nach ent- sprechende Wurzel lautet im Türkisch-Tatarischen ji^^(kücmek), jakutisch KÖc 8) „seinen Wohnort verändern, umherziehen", das wieder dem mongolischen ? (kesükü) ») „sich umher- treiben etc. " gegenübersteht. Die Schwierigkeit der Form betrifft den Zischlaut. Költöz nämlich scheint wie väl-toz gebildet, so dass 1) BöhUing'k, Lex. p. ß6, 1.. 2J Schmidt, Lex. 146, c. 3) Ebendas. p. 182, e. *) Böhtlingk, Lex. Nachtrüge, p. 180, b. ^) Ebendas. Iö2, c. ") Slockfleth, Lex. p. S16, b. '■) Hunfalvy, Finn^s Magyar sziSk egjhehasonlitasa, p. 10. *) Böhtlingk, Lex. p. 60, a. ^) Schmidt, Lex. p. 134, c. Zur magyarischen Etymologie. '•4rO l = s ist. Nun ist zwar der Wechsel zwischen z und /, in wie ferne beide aus d hervorgehen, ein organischer, niclit aher der zwischen l und hartem s. Da im Mongolischen auch eine harte Form f (cholki- tftov., für 9?ieberfa(f)fen, %vä)i^. Sat)rg. 1852, |)eft 1. — Urfunbentntc^. 2lbt^. 2, .öeft. 1. — Sa^tei^berid^t 15. SSerein, ^tftor., »on unb für Cberba^ern, 5trc^tö. 35b. XV, Stef. 1. Weiten web er, Wilh., Über des Marsilius Ficinus Werk: De vita studiosorum etc. Prag 1855; 4"- Wikström, Job., Ars-ßerättelser om Botaniska Arbeten ect. 1850. Stockholm 1854; 8«- « AS 142 A53 Bd. 17 Akademie der Wissenschaften, Vienna. Philosophisch-Histo- rische Klasse Sitziingsberichte CIRCUL/TE AS MONOGRAPH PLEASE DO NOT REMOVE CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY PIRCUL/.TE AS MONOGRAPH ♦ .^ ,jfcii^?'r W^"^ ■\. ^^ »H^'; ^irti.; -^4.