.- Pen Lars ä ee. - un RRONREICH N RKLINSISC ER h. g: r , s " 4 5 a DER WIRSENSUHAN a a | Y \ In ‚ NR. Br j rl I ba x N EMAHRSANG. Ip. ANSDA RR f 2 | | E a iR, % ee ie RL. NARREEND ER Kies SITZUNGSBERICHTE DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN —_ AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. JAHRGANG 1907. ERSTER HALBBAND. JANUAR BIS JUNI. STÜCK I—XXXIL MIT ACHT TAFELN UND DEM VERZEICHNISS DER MITGLIEDER AM 1. JANUAR 1907. BERLIN 1907. VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. | ES an |, £ | Da Ya) MEN AU j u d wi « | RAD, > WE »alf MIRSARRNEEES SU WATER zZ ü A Rs. X A id ’ nk EN e& rl iu y Um A Da 6 es As Er a Ra a Ya B» a % 2 Ey R 5 2, S 3 I rt. | "ro Sn I. ee Nu rennen EN, Be Ha ENEEN IT. Verzeichniss der Mitglieder am 1. Januar 1907 B von Wıramowıtz- MoELLENDorRFF: Zum Lexikon des Photios . Munk: Über die Functionen des Kleinhirns. Zweite Mittheilung . Fıscuer: Die Chemie der Proteine und ihre Beziehungen zur Biologie Verleihung der Heımnorrz - Medaille Jahresbericht Jahresbericht Jahresbericht Jahresbericht Jahresbericht Jahresbericht Jahresbericht Jahresbericht Jahresbericht Jahresbericht Jahresbericht Jahresbericht Jahresbericht Jahresbericht Jahresbericht Jahresbericht Jahresbericht Jahresbericht Jahresbericht Jahresbericht Jahresbericht über die Sammlung der reale chen Tnschrifien über die Sammlung der lateinischen Inschriften über die Prosopographie der römischen Kaiserzeit (1.—3. Jahrhundert) über den Index rei militaris imperii Romani über die Aristoteles- Commentare : nn über die Politische Correspondenz Trapaiers ae Grosnen über die Griechischen Münzwerke über die Acta Borussica über die Kant- Ausgabe £ über die Ausgabe des Ibn Saad . über das Wörterbuch der aegyptischen Sorache über das » Thierreich« über das »Pflanzenreich « 3 ü über die Geschichte des Fiestesshruimele. 2 über die Ausgabe der Werke Wırkerm von Humsorpr’s der Deutschen Commission . über die Forschungen zur Geschichte der Werhochdentschen SC iReprache x der Humeorpr -Stiftung . der Savısny - Stiftung der Bopr-Stiftung der Hermann und Erıse en ans a Stiftung Jahresbericht der Kirchenväter- Commission Jahresbericht der Commission für das Wörterbuch An entschen ne Jahresbericht der Akademischen Jubiläumsstiftung der Stadt Berlin Übersicht der Personalveränderungen . M. Perreaca und J. Luruer: Ein neuer Bericht über Thkliers Mer mune der Bannbulle K.Kocn: Das Wolfenbüttler Palimpsest von Galens Schrift rep: tov Ev rals rpobais Övvanewv WArpEyer: Über Gehirne menschlicher Zwillings- und Drillingsfrüchte verschiedenen Ge- schlechtes . W. Vorz: Vorläufiger Bericht über eine ame zur een de Ge baues und der Vulcane von Sumatra in den Jahren 1904 —1906 . A. H. Garpiser: Eine neue Handschrift des Sinuhegedichtes . K. Scumipr: Der 1. Clemensbrief in altkoptischer Übersetzung . Hieschrerp: Die römischen Meilensteine. 0. Karıscner: Zur Function des Schläfenlappens das Eroahirnn Eine neue page methode bei Hunden; zugleich ein Beitrag zur Dressur als physiologischer Unter- suchungsmethode Inhalt. A. Bıeker: Über den Einfluss des Morphiums und auf die we und Pankreas- saftseeretion Wargure und G. Terrehuen: ih die Deydaten! es Stickstoffs bei is Wirkung Ber stillen Entladung auf atmosphärische Luft . - ZimMERMANN: Der gerade Stab auf elastischen Ainzelsintsen mit ren An Mae gerichtete Kräfte 5 > . 5 e G. Kremm: Bericht über Onkeesuchengen an des ae an and Ren morphen Schiefern der Tessiner Alpen. IV Mürrer: Neutestamentliche Bruchstücke in soghdischer ae (hacza Taf. I Er m von Wıramowırz- MoEtLLENDoRFF: Die Hymnen des Proklos und Synesios . vAan’T Horr: Untersuchungen über die Bildung der oceanischen Salzablagerungen. L. ran landit und eine neue, dem Boronatrocaleit verwandte Verbindung . A. Schumipr: Über die Bestimmung des allgemeinen Potentials beliebiger Magnete am Re darauf begründete Berechnung ihrer gegenseitigen Einwirkung . 5 ZIMMERMANN: Da Stabeck auf elastischen Einzelstützen mit Sn durch längsgerichieie Kräfte P. Gurasick: nah enge ibn een von 1 Auli 1903 En April 1906 (hierzu Taf. II) . R. Nicoraıpes und S. Dontas: Honnende Fasern in den Muskelnerren (hiecat Taf. iv und V) . e Harnack: Die Feen in en Appsteleakehtrhke En Eins Erman: Zur aegyptischen Wortforschung : H. Lupenporrr: Die Bahn des speetroskopischen Dee ß rein Frosenıus: Über einen Fundamentalsatz der Gruppentheorie. I Fischer: Über Spinnenseide . 0. Neugere: Die Entstehung des Erdöls® Mütter: Die »persischen« Kalenderausdrücke im a. Tripitaka en Taf. vn. E. Sıes: Bruchstück einer Sanskrit-Grammatik aus Sängim Agiz, Chinesisch - Turkistan (hierzu Taf. VII und VIII) ae: Koszr: Jahresbericht über die Herausgabe der en an De - Adresse zur Zweihundertjahrfeier des Geburtstages von Karı von Lmx£ am 23.—25. Mai 1907 Meyer: Über die Anfänge des Staats und sein Verhältniss zu den Geschlechtsverbänden und zum Volksthum Prancr: Zur Dynamik bewegter Sam 0 Adresse zur Feier des dreihundertjährigen Todes von ee Bien in Be 12. und 13. Juni 1907 . Fischer und E. ABDERHALDEN: Bde von GPolrpeniiden hei Br ne ar Profma A. Torxauist: Vorläufige Mittheilung über die Algäu-Vorarlberger Flyschzone H. Scuärer und K. Scumipr: Die altnubischen christlichen Handschriften der Königlichen Bibliothek zu Berlin SITZUNGSBERICHTE DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. Gesammtsitzung anı 10. Januar. (S. 1) von Wıramowırz-MoerLesporrr: Zum Lexikon des Photios. (S. 2) MIT DEM VERZEICHNISS DER MITGLIEDER DER AKADEMIE AM 1. JANUAR 1907. BERLIN 1907. VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. Aus dem Reglement für die Redaetion der akademischen Druckschriften. Aus $. Die Akademie gibt gemäss $ 41,1 der Statuten zwei fortlaufende Veröffentlichungen heraus: » Sitzungsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften « und » Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften«. Aus $ 2. Jede zur Aufnahme in die »Sitzungsberichte« oder die »Abhandlungen« bestimmte Mittheilung muss in einer aka- demischen Sitzung vorgelegt werden, wobei in der Regel das druckfertige Manuseript zugleich einzuliefernist. Nicht- mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen. 83. Der Umfang einer aufzunehmenden Mittheilung soll in der Regel in den Sitzungsberichten bei Mitgliedern 32, bei Nichtmitgliedern 16 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Sitzungsberichte, in den Abhandlungen 12 Druckbogen von je 8 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Abhand- lungen nicht übersteigen. Überschreitung dieser Grenzen ist nur mit Zustimmung der Gesammt-Akademie oder der betreffenden Classe statt- haft, und ist bei Vorlage der Mittheilung ausdrücklich zu beantragen. Lässt der Umfang eines Manuscripts ver- muthen, dass diese Zustimmung erforderlich sein werde, so hat das vorlegende Mitglied es vor dem Einreichen von sachkundiger Seite auf seinen muthmasslichen Umfang im Druck abschätzen zu lassen. Sa. Sollen einer Mittheilung Abbildungen im Text oder auf besonderen Tafeln beigegeben werden, so sind die Vorlagen dafür (Zeichnungen, photographische Original- aufnahmen u. s. w.) gleichzeitig mit dem Manuscript, jedoch auf getrennten Blättern, einzureichen. Die Kosten der Herstellung der Vorlagen haben in der Regel die Verfasser zu tragen. Sind diese Kosten aber auf einen erheblichen Betrag zu veranschlagen, so kann die Akademie dazu eine Bewilligung beschliessen. Ein darauf gerichteter Antrag ist vor der Herstellung der be- treffenden Vorlagen mit dem schriftlichen Kostenanschlage eines Sachverständigen an den vorsitzenden Secretar zu richten, dann zunächst im Seeretariat vorzuberathen und weiter in der Gesammt-Akademie zu verhandeln. Die Kosten der Vervielfältigung übernimmt die Aka- demie. Über die voraussichtliche Höhe dieser Kosten ist — wenn es sich nicht um wenige einfache Textfiguren handelt — der Kostenanschlag eines Sachverständigen beizufügen. Überschreitet dieser Anschlag für die er- forderliche Auflage bei den Sitzungsberichten 150 Mark, bei den Abhandlungen 300 Mark, so ist Vorberathung durch das Secretariat geboten. Aus $5. Nach der Vorlegung und Einreichung des vollständigen druckfertigen Manuseripts an den zuständigen Secretar oder an den Archivar wird über Aufnahme der Mittheilung in die akademischen Schriften, und zwar, wenn eines der anwesenden Mit- glieder es verlangt, verdeckt abgestimmt. Mittheilungen von Verfassern, welche nicht Mitglieder der Akademie sind, sollen der Regel nach nur in die Sitzungsberichte aufgenommen werden. Beschliesst eine Classe die Aufnahme der Mittheilung eines Nichtmitgliedes in die dazu bestimmte Abtheilung der »Abhandlungen«, so bedarf dieser Beschluss der Bestätigung durch die Gesammt-Akademie. Aus $6. Die an die Druckerei abzuliefernden Manuseripte müssen, wenn es sich nicht bloss um glatten Text handelt, aus- reichende Anweisungen für die Anordnung des Satzes und die Wahl der Schriften enthalten. Bei Einsendungen Fremder sind diese Anweisungen von dem vorlegenden Mitgliede vor Einreichung des Manuscripts vorzunehmen. Dasselbe hat sich zu vergewissern, dass der Verfasser seine Mittheilung als vollkommen druckreif ansieht. Die erste Correetur ihrer Mittheilungen besorgen die Verfasser. Fremde haben diese erste Correetur an das vorlegende Mitglied einzusenden. Die Correetur soll nach Möglichkeit nicht über die Berichtigung von Druckfehlern und leichten Schreibversehen hinausgehen. Umfängliche Correcturen Fremder bedürfen der Genehmigung des redi- girenden Secretars vor der Einsendung an die Druckerei, und die Verfasser sind zur Tragung der entstehenden Mehr- kosten verpflichtet. Aus $8. Von allen in die Sitzungsberichte oder Abhandlungen aufgenommenen wissenschaftlichen Mittheilungen, Reden, Adressen oder Berichten werden für die Verfasser, von wissenschaftlichen Mittheilungen, wenn deren Umfang im Druck 4 Seiten übersteigt, auch für den Buchhandel Sonder- abdrucke hergestellt, die alsbald nach Erscheinen des be- treffenden Stücks der Sitzungsberiehte ausgegeben werden. Von Gedächtnissreden werden ebenfallsSonderabdrucke für den Buchhandel hergestellt, indess nur dann, wenn die Verfasser sich ausdrücklich damit einverstanden erklären. $9. ; Von den Sonderabdrucken aus den Sitzungsberiehten erhält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 50 Frei- exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke auf Kosten der Akademie weitere Exernplare bis zur Zahl von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis zur Zahl von 200 (im ganzen also 350) abziehen zu lassen, sofern er diess rechtzeitig dem redigierenden Seeretar an- gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazu der Genehmigung der Gesammt- Akademie oder der be- treffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 50 Frei- exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem redigirenden Secretar weitere 200 Exemplare auf ihre Kosten abziehen lassen. i Von den Sonderabdrucken aus den Abhandlungen er- hält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 30 Frei- exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis zur Zahl von 100 (im ganzen also 230) abziehen zu lassen, sofern er diess rechtzeitig dem redigirenden Secretar an- gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazu der Genehmigung der Gesammt-Akademie oder der be- treffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 30 Frei- exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem redigirenden Secretar weitere 100 Exemplare auf ihre Kosten abziehen lassen. ' i 817. $ Eine für die akademischen Schriften be- stimmte wissenschaftliche Mittheilung darf in keinem Falle vor ihrer Ausgabe an jener Stelle anderweitig, sei es auch nur auszugs- (Fortsetzung auf S. 3 des Umschlags.) 3 I! SITZUNGSBERICHTE 1907. 1. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 10. Januar. Gesammtsitzung. Vorsitzender Secretar: Hr. VAHtEn. “1. Hr. Sruner trug vor: Beobachtungen über Öombinations- töne. Beobachtungsreihen, bei denen durch Interferenzvorrichtungen der Einfluss von Obertönen ausgeschlossen wurde, ergaben für zwei gleichzeitige Töne, 2 und A, mit Sicherheit folgende Combinationstöne: ı) A—t, h+t, 2) ah—t, zt—h, 3h — at, 3t— 2h. Sie lassen sich mit den Primärtönen zusammen in zwei von einander unab- hängigen arithmetischen Reihen ordnen. Alle diese Töne sind unmittelbar aus der Einwirkung der primären Schwingungen abzuleiten, da sich zeigen lässt, dass Com- binationstöne weder unter sich noch mit Primärtönen neue Combinationstöne bilden. Erhebliche Stärke besitzen aber nur A— tt, und zwar dieser nur für A:2<2:1, und 2t— h, der seiner Definition gemäss mit 2:1 verschwindet. 2. Hr. von Wıramowırz- MoELLENDoRFF legte vor: Zum Lexikon des Photios. Verbesserungen von Dichterstellen in dem Berliner Stücke des Buchstabens A. Zum ordentlichen Mitglied der philosophisch-historischen Olasse der Akademie ist der Abtheilungs-Direetor am Museum für Völker- kunde hierselbst Professor Dr. Frieprıcn MüLter gewählt worden. Diese Wahl hat durch Erlass vom 24. December 1906 die Allerhöchste Be- stätigung erhalten. Die Akademie hat die eorrespondirenden Mitglieder der philo- sophisch--historischen Classe Hrn. Freperre Wiruıan MartLann in Cam- bridge (England) am 21. December 1906, Hın. Winuenn DirTENBERGER in Halle a. S. am 29. December 1906 und Hın. Orro BENNDoRF in Wien am 2. Januar 1907 durch den Tod verloren. Sitzungsberichte 1907. 1 189) Gesammtsitzung vom 10. Januar 1907. Zum Lexikon des Photios. Verbesserungen von Dichterstellen in dem Berliner Stücke des Buchstabens A. Von ULrıcHh von WILAMOWITZ- MOELLENDORFF. oe einer Berliner Handschrift hat soeben R. Rermzensteın den An- fang des Photioslexikons bis Ararnoc herausgegeben und damit, ganz abgesehen von der Bereicherung unseres Wissens auf dem Gebiete der antiken und byzantinischen Lexikographie, eine so große Zahl neuer tragischer und komischer Fragmente ans Licht gebracht, wie wir aus dieser Überlieferung kaum noch zu erhoffen wagten. Die Berliner Hand- schrift enthält sonst nur kirchliche Schriften, und das Lexikon dankt . seine Aufnahme vermutlich der kirchlichen Würde seines Verfassers. Daher kann man hoffen, daß sich der noch fehlende Teil (Amapnoc bis eronymoı) auch noch finden läßt, zumal ja feststeht, daß außer dem Codex Galeanus noch eine Handschrift des Lexikons bis in späte Zeit existiert hat, die Michael Apostolios benutzt hat. Und die Glossen Asraminloc bis Aaractela hatte Ü. Freprıicn 1896 aus einer ganz jungen athenischen Miszellanhandschrift herausgegeben. Wie ich damals bei der Verbesserung der Dichterfragmente geholfen habe, will ich dies- mal eine Anzahl Bemerkungen gleicher Art beisteuern, die sich mir bei der ersten Durchsicht des neuen Fundes ergeben haben. 37.7. Alelitan Ton Eralpon. APictapxoc A& TON Erwmenon. An der Stelle des Aristarch nennen das sechste Bekkersche Lexikon und Suidas den Aristophanes, und Reıtzenstein bemerkt, daß dieses Fragment unter denen des Aristophanes zu streichen wäre. Da hätte es freilich nie- mals Platz finden sollen, denn das Wort ist ja gar nicht attisch; aber darum ist doch der Name Aristophanes hier vorzuziehen. Das ver- schollene Wort bezeichnet 'Theokrit selber schon als Glosse (14,14); er wird es einem gelehrten Sammler wie Simias oder Philetas danken. ör wendet es richtig im Sinne von erwmenoc an; dagegen Lykophron 461 im Sinne von €ralpoc (das Verhältnis des Telamon zu Herakles, von dem er es braucht. ist nicht &rwc): das entspricht den vielfachen Miß- griffen im Wortgebrauche, die Lykophron auch in der Erklärung der von Wıramowrrz-MoELLENnDoRFF: Zum Lexikon des Photios. 3 Komiker begangen hat. Es ist bekannt, daß er da die Kritik des Euphronios, Eratosthenes und namentlich des Aristophanes von By- zanz gefunden hat, der ihm ja auch einen Vulgarismus wie &cxArocan aufsticht. So gehört denn dieses Zitat unter die Reste des Byzantiers, die eine Neubearbeitung nach Nauck nötig haben. Aristarch hat in dieser Glossographie keinen Platz. 38, 28. Die Glosse AHaönlelioc behandle ich nur, weil Rerrzex- stein sich durch den Itazismus hat verwirren lassen. Wie bei Aischy- los Fg. 2g9ı ist bei Nikomachos (NAauck Tr. Fg. S. 782) längst richtig ein anapaestischer Dimeter meatovcın AHaönlejıon Kaarran gegeben, und wenn Photios m. TAn A. kan. liefert, so kommt dabei nur die Wahr- scheinlichkeit heraus, daß es menmoyci T A hieß. Auch das Bruchstück des Nikochares steht bei Meere dem Sinne nach treffend hergestellt und erläutert, wenn ich auch folgende Fassung vorziehe ei mEYcoMmAl (ce KAN) TON AHAÖNION YTINON TÄC NYKTOC AÄTIOAAPOÖNTA, CAYTON AITI®. 39, 7 ÄHCIN — ANTI TO? xeımöna. EyYPpimmianc AnKmewn| \ DZ a m y WC ÄTIETNON ® AYCTHNE COM Exeic CEBEN. —- En TOICA ÄHCIN KAl BEPOC AIEPXOMAI. Arterraon habe ich aus Ämrrenon hergestellt; Amenec Schwartz; abgesehen von der Gewaltsamkeit nicht passend, da das auf Haartraceht oder Reinlichkeit, nicht auf die Bekleidung gehen würde. Euripides gerade hat Amernoc, Phoen. 328. Wir besaßen bereits ein Distichon aus dieser stichomythischen Szene, die den landflüchtigen Alkmeon in Psophis einführte, Fm. 68. 42, 20 wird für Aetp »die Spitze« angeführt Evrimianc Ceenenoiaı' TAIw XIMAIPAC Elc CoAräc TIYPöc A ABHP BÄnneI Me Kal TOYA AlBAnH TIYKNÖN mterpöon. Das ergibt die schönen Verse TTAlw XIMAIPAN EIC CoATÄC, TIYPÖC A” AaHp BÄNNEI ME KAI TOPA AlBAROl TIYKNÖN TITEPÖN. Bellerophon selbst erzählt (in Tiryns, vermutlich dem Proitos), wie er das Ungeheuer tödlich getroffen hat entöc TAc @MmoraAtHc, Hi H ceark (wie sich der Verfasser des xenophontischen Kynegetikos 10,16 über das Abfangen des Ebers ausdrückt, vgl. Pollux 2, 133), aber die Zunge der Flamme erreichte ihn und versengte das Gefieder des Pegasos. Die Verbesserungen bedürfen keiner Empfehlung; aber daß der Pegasos auf die Bühne kam, wie Reıtzenstem selbst bemerkt hat, ist eine Überraschung. Im Bellerophontes war zwar der Held vor den Augen der Zuschauer zum Himmel aufgeflogen: da war das Pferd eine Maschine gewesen, hatte denn auch die Parodie des Mist- 1* 4 Gesammtsitzung vom 10. Januar 1907. käfers in Aristophanes angeregt. Es war eine kühne Verwendung der Flugmaschine, wie sie Euripides nieht häufig gewagt hat, aber bei dem Stoffe ganz unvermeidlich. In der Stheneboia erfolgte die Katastrophe der Heldin auch durch den Sturz vom Pegasos, auf dem Bellerophontes die immer noch liebende Verräterim entführte; aber daß das Wunderroß so auf‘ die Bühne kam, wie es die bildende Kunst häufig einführt, konnte man nicht annehmen, da kein Zwang der Handlung dazu vorlag. Nun müssen wir glauben, daß der Cho- rege, der ja bespannte Wagen oft genug zu stellen hatte, ein Reit- pferd zur Verfügung stellte, dem die himmlischen Flügel sich leicht geben ließen. Der Dichter, der den Bellerophontes wahrscheinlich früher gegeben hatte, bediente sich des Pegasos auch nur so, daß sein Anblick den Zuschauern das Wunder vertrauter machte, von dem dann der Botenbericht des Fischers berichtete. Auf ein Pferd, das nur eine Statistenrolle zu spielen hatte, konnte er rechnen. Wie es freilich auf die Stiege hinaufgebracht worden wäre, mit der die Ver- ehrer der römischen Bühne die athenische ausstatten, das mögen sie sich überlegen.' 47,12 ÄIANON TO Ä@ANICTIKÖN" oYrwc Aicxyaoc. Die Glosse war in mehreren Breehungen bekannt, und ich hatte mit ihrer Hilfe in Ai-- schylos’ Hiketiden 781 atanöc wc aus aıc aöcwc gemacht (Comment. metr. I 19): ich darf den Zutritt des Verfassernamens wohl als eine Be- stätigung begrüßen. 48,7 Äıaeın ÖMOION’ KAINOTÄTH H CYNTAEIC Kai ÄTTIKÖC EI Kal TIC ÄANH EIPHMENH. CHMAINEI AC TO MÄTHN ACTEIN, WC Ei Kal Annwc (Annoc Cod.) Kıacın Eeenoı TIC EN TIPATMATI OYACN ANYciMWI (OYAeni TIP. An. Cod.). EY- monıc En ÄcTPATeYToic ÖMOION AlAEIN’ OY TÄP ECT’ AnnWC ExwnN. ETBERN © 4 "APICTOSANHC A EN [ewProic EEHFOYMEeNoc TO ÄIAEIC. OTIEP Ei TOY MÄTHN NEFEIC TIBEETAI, TIAPOIMIDAEC AYTO TIOIEI" JHCI TÄP ! Ich ergreife die Gelegenheit, da mein Freund J. Grarven durch den Tod ver- hindert worden ist, seinen Fund selbst zu verwerten, und teile mit, daß die Hand- schriften des Hermogeneskommentars, aus denen er bei Dırrs das Fragment B 16 des Kritias — Euripides Peirithoos 591 erweitert hat, zu dem Bruchstück 672 der Sthene- boia, das der Rhetor aus Aischines ı, ı5ı kennt (VII 1321 Warz), zufügen Exeı A& H AKonoyelA oYTwC AITIAOl TÄP EPWTEC ENCTPESONTAI XEONl‘ Ö MEN rFEr@c ExeIcToc EIC ÄIAHN »ERPEI, Ö A elc TO c@»PoN Kal TA EEAc. Aber diese Ergänzung mit der bösen Liebe, die in die Hölle führt, lohnt es sich kaum in Schick zu bringen, denn sie stammt offenbar nicht von Euripides, sondern aus der Feder eines christlichen Hermogenesscholiasten. von Wıramowırz- MoELLENDORFF: Zum Lexikon des Photios. 5 KAl TÄC AIKAC OYN ENEFON AIAONTEC TÖTE' nk Ala’ oPpAcw A’ Erw mera coı [Kal| TEKMAPION ETI TÄP AErOYC’ Oi TIPECBYTEPOI KAOHMENOI, OTAN KAKÖc (TIC) ÄTIOAOTÄTAI THN AIKHN, » AIAEIC«. Die Worte des Grammatikers erforderten Nachhilfe, und da Phry- nichos redet, von dem ein beträchtlicher Teil der neuen Glossen stammt, erheben sie Anspruch auf Korrektheit und Eleganz. Die aristophanische Stelle war von Rrrıtzexsteis hergestellt (außer den be- zeichneten Zusätzen und Abstrichen war V.ı noch T& te am Ende überliefert), nur daß er mit Unrecht den Artikel vor mrecsyreroı strich: ohne den ist es überhaupt nicht erträglich. Nun bleibt der Eupolis- vers, aus dem Phrynichos sich die Phrase »singen ist ebensogut« als eine Redeblume ausnotiert. Schwerlich kann darauf das Masku- linum &xwn folgen, sicher nicht der Infinitiv &xeın, den REITZENSTEIN einsetzt; vielmehr ist &xon zu verstehen »anders ist's eben nicht«; Ännwc &xon und ömoıon korrespondieren. Aus den AcrrAteyroı ist noch ein Wort erhalten, wieder durch Phrynichos, wie der gezierte Stil zeigt, 127, 1O Anarorynon (-non cod.) Aeypma, EYrionic En AcTpateYToic. TOYC ÄNAPAC MEN TO CO@MA ®YNTAC, EIC TYNAIKAC AL CoAC AYTOYC ÄWENTAC KAl TÄC TOYTWN EITITHAEYCEIC EITITHAEYONTAC OYTwc &reron. Die Quanti- tät des o richtigzustellen, bedarf man keiner Hilfe; wenn aber die Glosse ANAPOTYNWN' ACBEN@N, TYNAIKÖN KAPAIAC EXÖNToN davor steht, so hat man sie. Wichtig ist der Vers, weil er den Nebentitel der Ko- mödie Anarörvnoı erklärt. 48, 18 AıaA TeKein TERNA’ Eyrimianc TTonviawı (8) AYCTHNOI Kal TIOAYMOXeEDOI MATEPEC ÄIAHI TEKNA TIKTOYCAI. Die Anapäste sind nur leicht entstellt; Tikt. rekna hat die Handschrift und die falsche Prosodie, die ich im Lemma stehen gelassen habe. Hier hat sich Phrynichos eine schöne Phrase für eine Trostrede oder eine Kondolenzvisite ausnotiert. 73, 13 steht hier wie in BA VI und bei Hesych Änecoyrıon, oA- nAccıon Alaolon. Ich weiß nicht, wie man das ertragen kann. Es ist doch nur ein alter Schreibfehler im Diogenian, der AÄnöc oYrıon ge- setzt hatte. 79,25 wird der attische Lokalname Anmypiaec mit einem Verse aus dem Geras des Aristophanes belegt, der hier lautet &Acı AE TE ce BAHBEIcAan Eic AnmYPiaAc MH TH 8YrÄTPI AEI TIAPEXEIN CE TIPÄTMATA. 6 Gesammtsitzung vom 10. Januar 1907. In BA VI steht THaı mu rar. Also TAı evyrarpi stand in einem Vor- fahren von beiden Rezensionen am Rande: Photios aber oder der Schreiber seines Exemplares der cynarurh nezewn XPHcimon hat es falsch eingesetzt, weil er mit dreisilbigen Füßen nichts anzufangen wußte. TAI evyratpi THIAl MH m. ist das Wahre, dem Brrex (der auch V.ı ae r’ €eken. richtig verbessert hat) mit “rynaıkl) THIal so nahe gekommen war, wie man verlangen kann. Übrigens haben die Grammatiker Anmypiaec nur durch Raten lokalisiert. Es liegt gar nicht reri TÄc ecxatıiÄc TÄc AtrtıkÄäc, sondern ist Flurname im Demos Peiraieus, wie Berex schon richtig aus UIG I 103, jetzt Il 1059 — DITTENBERGER, Syll. 534 abgenommen hat. Dirrexßer6er hat nur eine Hesychglosse, die das Aristophanesscholion in anderer Brechung gibt, herangezogen, was ihm dann Schwierigkeiten machte. Wertvoll ist in dieser der Zusatz 0Y ToYc nekpoyYc &zesannon, der freilich auch nur aus dem erBaHeeican des Aristophanes geschlossen ist (dessen Herstellung so gesichert wird), aber richtig. In der Komödie »das Alter« wird der Mutter (vielleicht vom Geras selbst) gesagt »du solltest längst auf dem Kirchhof liegen und der Tochter nicht mehr zur Last fallen«. Armenkirchhof sind die Anmypiacc damals gewesen. Hundert Jahre später, als der Demos Peiraieus die Flur verpachtete, hatte das Leben die Toten verdrängt. Jetzt ist dort die höchste Eleganz Athens, TO NEO @AnHPO. 86, 7 ArıctosAnHuc: H Men TMÖnıc EcTin Amaneelac KEPAC, (Ann) EYzAl CY MÖNON, KAl TIÄNTA TIAPECTAI. Man findet die Ergänzung von men aus; eYzaı war auch ausge- gelassen, denn es steht jetzt hinter mönon. 89, 16 steht eine Glosse mit lauter neuen Zitaten Amsaurröc Eypı- mianc Anapom&Aal »ÄMBAWTÖC ÖYic« Kal EN OHcel »KAn TWla (KAYTO A Cod.) ETIEICI NYKTÖC AÄMBAWTION CENAC«. KAI AÄMBAUTIAC Ö AYTOC OYEcTHI »AM- BAÖTTAC AYTÄC ÖMMÄTWN Exeic cEsen Kal Ion Kal CosokaAc Kal TInAtun. Es bestätigt sich die Vermutung von Nauck (zu Fragm. 1096), daß Pollux 2, 52 dem Euripides Amsavorröc mit Unrecht beilegt; nur ist bei ihm nichts zu ändern, er irrt sieh eben. Erwünscht ist ein Zitat aus dem Thyestes, weil es das erste in der grammatischen Literatur ist und die Existenz dieses Dramas vollends sichert. 89.20 CosoknAc TYnAaArew! » AMBAYBAcC A OÖMM YTIÖ THPWC« aus einem ionischen oder choriambischen Liede. Lemma und Text hat AmeayY- orcl; aber die Übereinstimmung besagt nichts. Vom Tyndareos kennen wir ein Zitat. und das sind so flaue, geschwätzige Verse, daß BErN- HARDY nicht ohne Grund die Autorschaft des Sophokles bezweifelt nz ” . led von WırLamowırz-MOoELLENDoRFF: Zum Lexikon des Photios. Ä hat. Daran kann das neue Zitat nichts ändern; aber der Titel ist nun gesichert. 89, 24. "lon’ nen a’ errvc Awc (HoFc cod.), HniK’ oYaenw »Aoc oYa AÄMBAYC ÖPePOc. 89, 26 (155, 25) kommt heraus, wo das grammatisch merkwürdige ÄTTAMBPAKOY — ATTANAPAKOY stand, das übrigens auch in &zamapakoyTaı exayetaı bei Hesych belegt ist. TTaATun Ariwı »ÄTIAMBPAKOY Kal MH TIPO- ADIC CAYTHN« ANTI TO? KAPTEPEI, ANAPIIOY' TIKTOYCHI AE TIAPAKEAEYETAI. In Wehen lag offenbar Iokaste. Es liegt nahe, ceayt#n zu schreiben, was einen wohlklingenden Ausgang eines Tetrameters gibt; aber Fgm. 2 (Schol. Ar. Plut. 179) sind Trimeter offenbar aus derselben Szene. »Du siehst, den Philonides hat seine Mutter auch geboren, ohne daß ihr etwas zugestoßen ist, und das ist_ein’ Esel« (merac TI cWmarTı er- klärt der Scholiast). Versende war also hinter Arramerako? oder hinter TTIPOAÖIC. 91, 18. Eyrımianc »Asıane, ralac Yie TAC ÄMATOPOC«. Leider fehlt der Name des Dramas; aber wir übersehen den Nach- laß dieses Dichters hinreichend, um die Frage aufwerfen zu dürfen, wo konnte der Eponymos der alten Burg Person sein, von dem wir hier die Genealogie erst erfahren: ein Urriese ist er wie Titakos, der nicht weit von ihm zu Hause ist. Nur in der Geschichte vom Raub Helenas und dem Zuge der Dioskuren gegen Aphidna kommt er vor, Plutareh Thes. 31, 33. Ihm übergibt Theseus die Helena, als er mit Peirithoos in den Hades zieht. Dieses Abenteuer war der Inhalt des Peirithoos. Wie Kritias dieses Drama angelegt hat, ist schwer vorstell- bar, obwohl wir mancherlei wissen. Ein Teil spielte im Hades: ein Stück von dem Gespräche des Herakles mit Aiakos, dem ianitor Orci (wozu ihn eben Kritias degradiert hat) ist ja erhalten, und da He- rakles erst ankommt, mußte er die Frevler selbst dort noch antreflen und erlösen. Aber ein Teil spielte auch auf Erden, denn die Ana- päste des Chores, die ein Totenopfer begleiten, daneben aber den Äther anrufen, können nieht unten gesprochen sein. Damit ist für Aphidnos Platz geschafft, mochte nun die Anordnung der Teile sein, wie sie wollte. Ob es auch zwei Chöre gab, fragt man vergebens. Daß Aristophanes in den Fröschen von dieser Erfindung stark beein- flußt ist, sieht man wohl; aber auch das entscheidet nicht. Inter- essant ist die Erfindung von Platons Onkel in hohem Grade, obwohl die iambische Partie ziemlich flau stilisiert ist; uneuripideisch ist alles. 92. ÄMIANON THN AMIANAN Awpöseoc EIPHKEN ÄPCENIKÜC Kal ÄMIANOPÖPOC ArıcrosAnnc. Das letzte gibt die Lösung: darin steckt nicht Amınna, sondern das ist Amannosöroc, ein verständliches und belegtes Wort. Und Amannoc neben Amanna hat an der freilich nicht ganz verständ- 8 Gesammtsitzung vom 10. Januar 1907. lichen Hesychglosse Amannoı' @YTA cıKYwn A TON dmoiwn einen Anhalt. Wer freilich der Dorotheos ist, wird dadurch nicht klarer, daß er im Et. M. für Amsırnomonein zitiert wird (in einer vollständigeren Fas- sung der Glosse Ameırnoein 99,18). Da konnte man ihn allenfalls für einen Grammatiker halten; aber hier geht das nicht, wenn man nicht Verwirrung annimmt, so daß das Lexikon Auwroe£oyv TIePi TÜÖN ZENWC EIPHMENWN Aezeon, Photios Cod. 156, auch nichts hilft. 95,13. AMTIPEYTÄC' XPÄCIMOC H #WNH" CosoKAAc »ÜcCTEeP ÄMTIPEYTHC Önoc« AEI MAcTiroYmenoc (dies gehört nicht zum Zitat, sondern ist Er- klärung, wenn auch stumpfe). Amrpevonti‘ Eyrpimianc TIpwrecınAwı »Erroy A& MOPNON ÄMTIPEYONTI MOI« ÄNT| TOY TIPOHFOYMENWI KAl ÖAHTOFNTI CE KAl OION Eanronti. Mir gelingt es nicht, moYnon zu verbessern, das REITZENSTEIN mit Recht beanstandet; Euripides enthält sich der ionischen Form im Dialoge. Der Protesilaos, dessen Erfindung in der Alkestis 348 ff. be- nutzt ist, fällt freilich in so frühe Zeit, daß man dem jungen Dichter diesen Anschluß an die Weise des Sophokles zutrauen darf. Aber wenn da auch etwas unsicher bleibt, so beeinträchtigt das den Ein- druck nicht, daß Hermes zu dem Schatten des Protesilaos spricht; die Darstellung z. B. auf dem vatikanischen Sarkophag stimmt genau, und das Amrmpeyeın kommt einem solchen danHrein besonders gut zu. 97.6. Co»ornfc Tlomecın »ÄmYPpovYc TömovYc«. Das werden die Ställe sein, aus denen der Hirtenchor kam, denn dessen Tätigkeit ward nicht ohne Detail geschildert, was durch die Einhaltung des tragischen Stiles besonderen Reiz erhält (Fm. 461. 464. 468): nur ein TIOIMENIKÖN Ertiseerma yö mischte sich ein (478). Als Kontrast ward das Fischerleben herangezogen (462. 463). Sehr bemerkenswert diese tragische Parallele zu dem Mimos ünıeYc Ton Arpoıwran. Dazu liefern die »OÖrte, wo es nicht nach Parfüm riecht« einen kleinen, aber wert- vollen Zug. 100, IQ. AÄMB®IETHPIC" H KAT ETOC TINOMENH EOPTH KA @YCia. KPartinoc APxınöxoic -uu EIT ÄMB®IETHPIZOMENAIC BPAIC TE Kal MAKPÖI BIWI. Ich habe die Choriamben bezeichnet, auf die lamben folgen, d.h. derselbe Fuß in wechselnder Erscheinung. Das ist seit Anakreons TIPIN MEN ÜXxWN BEPBEPION KANYMMAT” ECHKWMEnA und Aristophanes’ Anri- MAXON TON YAKAAOC TON CYFTPA®Ä TON MEAEON TIOIHTHN geläufig. REITZEN- stein durfte darauf wirklich nicht eine große metrisch-literarische Kombination bauen, und Schwartz durfte ihr nicht dadurch ein Fun- dament geben, daß er AmsıerHpizein, das Wort, für das Kratinos zitiert wird, aus dem Verse vertrieb. Auch 9,5 mußte das Überlieferte bleiben, dessen trochäische Rhythmen untadelhaft sind Menanaroc »TINOc | von WILAMowWITZ- MOoELLENDORFF: Zum Lexikon des Photios. 9 TÄFABON TOFT Ecrin«; das wird erklärt mit Tinoc Eneka, » wozu ist das gut?« TI TIEPITINETAI EK TOYTOY, WCTE ÄTABON AYTO KAnEICEAI. 100, 21. APrıctosAnhc Tlenaproic »0% TÄP CY TIAPEXEIC AMBIECACEAI TWIN matpic. Das bestätigt, daß die Störche der athenischen Jugend die Gesetze der rrenaprön KYpeeıc (Vögel 1354) einprägten. 101, 21. CosokaAc PinoKTAthi KAl PABAOC WC KHPYKoC "EPMAlA AITInOY APÄKONTOC AMB®IKPANOC. Die Schilderung des Schlangenstabes wird den Archäologen erwünscht kommen. 105,7 wird der Dual auf « belegt unter andern mit TTaATwon MerToikoic »@®A” ANAICXYNTOTTE TWMHATHneeA«. Von dem, was REITZENSTEIN hieraus gemacht hat, darf man schweigen und das Wahre T& miatHunieh nur hinsetzen. »So unanständig sich betragend die beiden Mennig- beschmierten.« Ergänzung des Verses wäre Spielerei. Auf denselben Vers bezieht sich Schol. Arist. Ach. 22 eiweacın AYo YITIHPETAI MEMIATW- MENON CXOINION EKTEINONTEC AIA TÄC ATOPAC AIWKEIN TÖN OXAON EIC THN EK- KaHcian, Be #Hcı TInATon 6 Kwmıköc. Über die seltsame Prozedur handelt am besten Vareron in der Mnemosyne 15 (1887), 25. Er spricht dort die Erwartung aus, daß ich, seiner Belehrung gegenüber, meine eigene frühere Erklärung fallen lassen würde; das habe ich sehr gern getan. 107,5 soll Euripides Anasesioka gesagt haben; das glaubt man schwer, sowohl wegen des Verbums wie wegen des Perfekts. Wenn es wahr ist, kann es nur in einem Drama vom Stile der aulischen Iphigenie geschehen sein. 107,12. ÄNABOAH, TIPOOIMION AIBYPAMBIKOF ÄıcMmAToc. EYrionic BATTAIC »AYAHCON AYTHN KYKAION ÄNABOAHN TINA.« REITZENSTEIN gibt ayrÄı. Dann sang ein Weib auf der Bühne, und der Flötenspieler gab ihr durch eine dithyrambische Anason# den Ton an, wie Pindar zu der himm- lischen Leier sagt, meieonTaı A’ AoIAol CAMACIN, ÄTHCIXÖPWN ÖTIÖTAN TIPOOIMIWN AmsonAc TeYxHıc. Möglich ist das; aber weibliche Soli pflegt es in der Komödie nicht leicht zu geben. Dagegen fehlt die Flötenspielerin bei keinem Symposion, und in den Bapten bei den Orgien der Kotytto paßt es sich, daß eine Anason# der neuen Musik, die Eupolis immer verfolgt, an die Stelle der alten feierlichen Olymposweisen tritt. Daher ziehe ich AYAHcoNn AYTH VOr. 107, I4. ÄNABAYCTONÄCAI TO ANABAYcAI, EYrionic AHmoIc. TIÄNTA TOIAYTA oi KwMIKol TIOI0%Cı TTAPÖNTEC. So steht auch bei Suidas, ist aber schon von PıErson in maizontec richtig verbessert. Die Vermutung TAPwIıao?NTec ist auch an sich unangemessen, denn wo steckte Parodie? Das Etymo- logikum 200, 52 führt eben dies Wort des Eupolis an, indem es das Sitzungsberichte 1907. 2 10 Gesammtsitzung vom 10. Januar 1907. homerische oinon ArtoßıYıwn für Onomarorroıla erklärt. Die Weiterbildung ÄNABAYCTONEIN Oder AnaBaYceonein ist übrigens auch als komisches mairnıon grammatisch sehr auffällig. 108, 5. AÄNAFKAIOI.... Ol TIPOCHKONTEC KATÄ rEnoc, MENnAnAPoc Oypwröl OYK AAENGÖC, OYK ÄAAENGH TIAPENOXAHCEI, THEOIAA OYA EWPAKEN TÖ CYNOAON, BEION OYA AÄKHKOEN. EYTYXHMA A’ ECTIN ÖNnIFOYC TOYC ÄNATKAIOYC EXEIN. Das ist heil erhalten bis auf‘ den leiehten Fehler rıreiaa; es be- durfte allerdings der richtigen Interpunktion. Ich freue mich aber, daß mein Gedächtnis mir gleich eine Stelle aus derselben Szene lieferte, die in der Epitome des Athenaeus Il 72° steht und von Meıneke glänzend hergestellt ist. EPFON ECTIN EIC TPIKAINON CYTTENEIAC EICTIECENN. OY AABWN THN KYAIKA TIPÖTOC APXETAI AOTOY TIATHP KAl TIAPAINECAC TIETIWKEN, EITA MÄTHP AEYTEPA, EITA THEIC TIAPANANEN TIC, EITA BAPYOWNOC TEPWN THEIAOC TIATHP, ETTIEITA TPAFYC KANOTCA ®INTATON. i\ Ö A’ ETTINEYEI TTÄCI TOYTOIC Wird hier mit belustigender Anschaulichkeit geschildert, wie ein junger Mann an einem zahlreich besetzten Familientische sich all der guten Lehren nicht erwehren kann, die er artig hinnehmen muß, so hatte der Held des Thyroros den Vorzug, allein zu stehen. Gesagt ward das vermutlich, um ihn einer Dame als gute Partie zu empfehlen oder auch einem präsumptiven Schwiegervater. 108, 5. "ArıcTosAnHc "ÄnArYPw@I XAIPEIN MEN "Anon TON PeIWTHN XAIPEIN A ATEXNWC "ÄNATYPACIOYC. Damit lernen wir die Quantität des Namens, was auch der Zweck des Zitates ist, und ich glaube, das berichtigt unsere Praxis, meine wenigstens, und auch die Doktrin Dinporrs im Thesaurus. Die Verse, in denen der Name vorkommt, entscheiden über das vY nichts (Ar. Lysistr. 67. 68. Platon Cvrsakı Athen. 344°: mehr finde ich nicht). Der Sumpf Anärvpoc hieß also nach dem Strudel der Quelle in ihm, die zu dem mA xineı TON AnAryYpon geführt hatte. Die gleichnamige Pflanze, die Nikander önörypoc nennt, wird man also davon sondern müssen, also auch die Ableitung des Demos "Anarvpofc von ihr ver- werfen trotz der Analogie “Pamno?c "Anımo?c; der Unterschied kommt ja auch in “AnarvpAcioc wc eneiAcıoc gegen "Pamnoyvcıoc zutage. Dann bringen die Anagyrasier also den Gestank nicht von der Pflanze, von Wıramowrrz-MoELLENDoORFF: Zum Lexikon des Photios. Jul sondern von dem soPpsopwaHc Kal AYcwaHc Töroc mit. Eine weitere Folge ist, daß die echte Dorfsage die sein muß, welche von dem Sumpfe ausgeht, und in der Tat, sie ist etwas in Griechenland Un- gewöhnliches, während ihr bei uns die Analogien nicht fehlen. Ana- gyros ist eigentlich der Nix, der in dem Sumpfe wohnt, böse wird, wenn man ihn reizt. zunächst seinem Zorne nur in Gestank Luft macht, am Ende aber die Häuser der Umwohner in seine Tiefen zieht. "AnArypoc HPpwc ÖCTIC TOYC OIKOYC TÜN FEITONOYNTWN AYTWI EK BÄBPWN ANE- CTPEYEN, Erteiah TO HP@Ion AYTOY YBPpicaı Eriexeirkcan. Doch ist darin bereits der Sumpf, der kınteelc übertritt, durch einen #rwc und seinen Altar ersetzt. Das verdichtet sich dann zu der Geschichte, wie ein Bauer gestraft wird, weil er gegen den benachbarten Altar des Hrwc gefrevelt hat (ihn aus Landgier beseitigt, wie man denken wird). Erst stirbt ihm die Frau; er nimmt eine Kebse, die verleumdet seinen Sohn, er blendet ihn und setzt ihn auf eine wüste Insel aus (deren liegen mehrere vor der Küste des Dorfes); das bringt ihn in solche Schande, daß er sich samt seinem Hause verbrennt: die Kebse stürzt sich in die Zisterne. (So anschaulicher bei dem Parömiographen, I, 46. 220 der Göttinger Ausgabe, als in der Glosse, die nun auch bei Photios 108 wie bei Suidas steht.) Demgegenüber sind die Aitia, die von der Pflanze ausgehen, sekundär. Es ist die echte Geschichte, welche der Rhodier Hieronymos mit dem Phoinix des Euripides verglichen hat, wo dann der Schluß nahe lag, daß Euripides die Dorfsage für die Bearbeitung der homerischen Geschichte von Phoinix benutzt hätte. Nun lehrt das Aristophanesfragment, daß eine Verbindung zwischen Anagyrus und Alos in Phthia in der Komödie vorkam. Phoinix ist zwar nach unserer sehr geringen Kenntnis nicht in Alos angesessen, aber doch in Phthia, und so wenig die Data zureichen, um das Genaue zu erschließen: die Phoinixgeschichte war schon mit der Dorfsage verbunden, als die attischen Dichter sie bearbeiteten. Der Tragiker tat hier nur, was er in Alope, Herakleiden, Melanippe, Iphigeneia u. a. auch getan hat. Daß Aristophanes eine solche Ge- schichte dramatisiert, und zwar noch im 5. Jahrhundert, da Reste einer Parabase in Eupolideen erhalten sind, ist viel merkwürdiger. Der Titel Anagyros kehrt bei Diphilos wieder: ihm die Geschichte von einer Hekatepriesterin zuzuschreiben, die bei den Parömiographen steht, ist verführerisch; aber wenn wir wirklich einmal etwas Neues zulernen, verlieren solche vagen Möglichkeiten ihren Reiz. 110, 6.- Seleukos verlangt die Schreibung AnaaenarAıc und belegt sie, wie er muß, mit einem Verse, der die Länge zeigt &snacto[v|n ANAAENAPAlAecc. Wenn er diese attische Form einschärfen mußte, so folgt daraus, daß man zu seiner Zeit Anaaenaric sagte; spätere Verse 12 Gesammtsitzung vom 10. Januar 1907. kommen also nicht in Betracht. Bei Ps. Pherekrates in den MertannÄc (Athen. XV 685°) ist es möglich zu lesen > YTT" ANAAENAPAIAWN ÄTIANÄC ÄCTTANABOYC TIATOYNTEC. 116, 17 lernen wir eine Konjektur Aristarchs zu. Im Inachos des Sophokles stand ein befremdendes Adjektiv Ananta, das man auf Ainein zurückführte. APrictapxoc A’ Entafea rPpÄAseı ENIKÜÖC ÄNATA ÄNTI TOF Änev erAskc. Sachlich können wir das nicht beurteilen. Was aber steckt in dem sinnlosen enıköc? Ich denke, das war en) n, und das n ward zu «, der Strich zum Kompendium von wc verlesen. 126, 25 6 PHTWP' TIPÖC MEN THN T@N TIPATMÄTWN KINHCIN AEINÖC (AEINÖC cod.) TYrxAneic, TIPÖC A& THN AwPOAOKIAN ANAPEIoc. Die Glosse ist von Rertzesstein mit Recht dem Phrynichos beigelegt; allein wenn man ihm sehon nicht leieht zutrauen kann, sich aus der Antithese eine Phrase genommen zu haben, die in der Halbierung schief ward, so ist die Antithese für jeden von denen zu schlecht, die er mit 6 PATwP bezeichnen konnte. Viel wahrscheinlicher, daß er hier wie sooft einem Zeitgenossen etwas am Zeuge flickte. Dasselbe gilt von 156, 11 TToriwn EIPHKEN »ÄTTANEIZEIN Errexeipeı ToYc Ppyrac Axınneyc«. Auch da hatte Phry- nichos einem Zeitgenossen (welcher der vielen Polliones es auch war) eine diesmal wirklich sehr geschmacklose Stilblüte aufgemutzt. Durch das Exzerpieren ist beide Male das Verworfene zum Empfohlenen ge- worden. 127, 2 Eyrımianc AYTonYkwi’ MHAEN T@I TIATPI MEMBECE AWPON ATIOKANOYNTEC ANAPION. Da ist hübsch, wie der Stil des Satyrdramas im Versbau und in der Wortwahl sich zeigt: das Hypokoristikon hätte sich der Gram- matiker nur mit dieser Einschränkung als euripideisch notieren dürfen. So steht Kykl. 185 Anerorrıon. In demVater wird man zunächst Autolykos sehen: dann kam seine Tochter Antikleia vor, und damit ist als In- halt die saubere Geschichte gegeben, die am hübschesten auf der Ber- liner Kanne des Dionysios (Rogerr, Homer. Becher 93) dargestellt ist. 141, 3 aus demselben Grammatiker EYmonıc »oYK Elc KÖPAKAC ÄN- OPWTTÄPION ÄTIO®BEPEI« ÄTIOBBEIPHI Cod. 141, 20 ®PYnixoc KWMACTAIC HMIN A” ANIEI AEYPO cY TArAO Inewc TOIC THNA ExoYci THN TIÖNIN. In der Handschrift steht Tnewce am Ende, war also ausgelassen und nachgetragen. cy möchte man um des Verses willen tilgen; aber von Wıramowrrz-MoELLEnDorFr: Zum Lexikon des Photios. 13 bloße Wohllautsregeln darf man einem Dichter, dessen Praxis man nicht kennt, nicht aufzwingen. 143, 26 “Iun »Arpocaokhtwc [rAp| Kai Anormnoı tTopeoymeea. Die Par- tikel hat Reıtzensteım getilgt. Es ist aber auch das Adverbium in das Adjektiv AmpocaökHtoı zu bessern. Diese Verderbnis habe ich auf Grund des Papyrus von Oxyrhynehos in der 'Thukydidesüber- lieferung verfolgt (Gött. Gel. Anz. 1904, 675) und registriere das Bei- spiel gern. 147, 25 Avciac En T®I TIePl AlorenovYc KAHPOY TIPÖC [ AAYKWNA »ÄNTI- AIKOTMmen Ooyrenia® AIKACTAIC TI WrABE ANTIAIKOTMEN AnAHnoYc Eric. Daß es zwei Zitate sind, hat Reızensteım bemerkt und kai vor TI einge- setzt; im übrigen ist seine Behandlung nicht glücklich. In dem zweiten Satze ist nichts erforderlich als die Herstellung des Dativs Annnnoıc; über den ersten ist Sicherheit schwerlich zu gewinnen: ich deute die verschriebenen Zeichen »AnTtiaıkofmen OoyreniaHı (das war Ooyreniaeı geschrieben) aeka ErH« Kal: gerade diese Partikel gewinnt man am leichtesten aus dem überflüssigen ıc =«. Im Titel hat Rrızensteis bereits den Namen AıorenHce in AıkaorenHc geändert, den die Bruch- stücke 64. 65 Saurre liefern. Daneben führen wir eine Rede teri To? Aıor&novc kanpov 78.80. Ob nicht überall Dikaiogenes zugrunde liegt, so daß die Reden reri To? Aıkaiorenovc Kanpov und m. T. A. kn. mp. Paaykwna waren? Auch dies Distinktiv deutet hierauf. 151, 5 tepi AıBYHc AEreI Ö TPATIKÖC ÄnYAPA A VIKHKüc (olk. God.) Änaz KPIWTIOC "AMMWN AATIEAA BECTIZEI TÄAE. Der Tragiker ist sicher Euripides. Nur er braucht aArreaon (Aischylos sagt rArreaon) und ganz ähnlich steht Alk. 115 eit’ &o’ Eapac AnYaroYc AmmwnıAaac. Hier ist das Ammonorakel nur als ein besonders ent- legenes beispielsweise genannt; in der andern Tragödie griff es wirk- lich ein. Da wird man den Schauplatz bei Libyern, Ägyptern (Bu- siris), Äthiopiern (Andromeda, Phaethon) suchen; die Verse klingen nach der Exodos, vgl. Hek. ı261, Kykl. 696; aber auch im Prologe konnten sie stehen. 151, 25 Eyrımianc »Anw Kal KATW TÄ TIÄNTA CYrxeovcın«. Das steht Bakch. 349, Änw KATW TA TIANTA cYrx&oyc’ ÖMo%. 156, 17 ÄTANTÄN’ TO TIAPATINECBAI EIC TINA TÖTION, CosokAÄc' ÄTIÄNTH- cıc, WC EN TAI CYNHEElAl SAMEN »Eer& A’ EIC ÄTTÄNTHCIN TINOC CTIEYAuI|N|« ö aytöc. Das ist eine Glosse aus Phrynichos, in der nur der Name des Sophokles hinter samen verrückt war. Der Gedanke an ein pro- saisches Zitat wird nun beseitigt sein. Das Absetzen der einzelnen Glossen scheint mir öfter vom Herausgeber zu weit getrieben zu sein; Sitzungsberichte 1907. 3 14 Gesammtsitzung vom 10. Januar 1907. allein das hat nur dann größere Bedeutung, wenn man auf die Vor- lagen oder vielmehr auf die vom Ursprung her zusammengehörigen Stücke aus ist, ein Weg, der gute Beute verspricht, den ich aber diesmal nicht gegangen bin. [Während dies gesetzt wird, erscheint das Hermesheft, in dem Fr. Leo die Verse S. 39,7 und 48,18 ebenso verbessert.] Ausgegeben am 17. Januar. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei. 1907. D. I. SITZUNGSBERICHTE DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe am 17. Januar. (S. 15) Musk: Über die Functionen des Kleinhirns. (S. 16) Sitzung der philosophisch -historischen Classe am 17. Januar. (S. 33) BERLIN 1907. VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. Aus dem Reglement für die Redaction der akademischen Druckschriften. Aus $l. Die Akademie gibt gemäss $ 41,1 der Statuten zwei fortlaufende Veröffentlichungen heraus: »Sitzungsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften « und »Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften«, Aus $ 2. Jede zur Aufnahme in die »Sitzungsberichte« oder die »Abhandlungen« bestimmte Mittheilung muss in einer aka- demischen Sitzung vorgelegt werden, wobei in der Regel das druckfertige Manuseript zugleich einzuliefernist. Nicht- mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen. 83. Der Umfang einer aufzunehmenden Mittheilung soll in der Regel in den Sitzungsberichten bei Mitgliedern 32, bei Nichtmitgliedern 16 Seiten in der gewöhnlielien Schrift der Sitzungsberichte, in den Abhandlungen 12 Druckbogen von je 8 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Abhand- lungen nicht übersteigen. Überschreitung dieser Grenzen ist nur mit Zustimmung der Gesammt-Akademie oder der betreffenden Classe statt- haft, und/ist bei Vorlage der Mittheilung ausdrücklich zu beantragen. Lässt der Umfang eines Manuscripts ver- muthen, dass diese Zustimmung erforderlich sein werde, so hat das vorlegende Mitglied es vor dem Einreichen von sachkundiger Seite auf seinen muthmasslichen Umfang im Druck abschätzen zu lassen. SA. Sollen einer Mittheilung Abbildungen im Text oder auf besonderen Tafeln beigegeben werden, so sind die Vorlagen dafür (Zeiehnungen, photographische Original- aufnahmen u. s. w.) gleichzeitig mit dem Manuseript, jedoch auf getrennten Blättern, einzureichen. Die Kosten der Herstellung der Vorlagen haben in der Regel die Verfasser zu tragen. aber auf einen erheblichen Betrag zu veranschlagen, so kann die Akademie dazu eine Bewilligung beschliessen: Ein darauf gerichteter Antrag ist vor der Herstellung der be- treffenden Vorlagen mit dem schriftlichen Kostenanschlage eines Sachverständigen an den vorsitzenden Secretar zu richten, dann zunächst im Seeretariat vorzuberathen und weiter in der Gesammt-Akademie zu verhandeln. Die Kosten der Vervielfältigung übernimmt die Aka- demie. Über die voraussichtliche Höhe dieser Kosten ist — wenn es sich nicht um wenige einfache Textfiguren handelt — der Kostenanschlag eines Sachverständigen beizufügen. Überschreitet dieser Anschlag für die er- forderliche Auflage bei den Sitzungsherichten 150 Mark, bei den Abhandlungen 300 Mark, so ist Vorberathung durch das Secretariat geboten. Aus $5. Nach der Vorlegung und Einreichung des vollständigen druckfertigen Manuseripts an den sen Secretar oder an den Archivar wird über Aufnahme der Mittheilung in die akademischen Sehriften, und zwar, wenn eines der anwesenden Mit- glieder es verlangt, verdeckt abgestimmt. Mittheilungen von Verfassern, welche ‚nicht Mitglieder der Akademie sind, sollen der Regel nach nur in die Sitzungsberichte aufgenommen werden. Beschliesst eine Classe die Aufnahme der Mittheilung eines Nichtmitgliedes |. in die dazu bestimmte Abtheilung der » Abhandlungen«, so bedarf dieser Beschluss der Bestätigung durch die (esammt-Akademie. (Fortsetzung‘ auf S 3 des Umschlags.) Ma En een « Sind diese Kosten - sofern er diess Fechizeilie ‚dem redigierenden. Secretar an- der Genehmigung der Gesammt-Akademie oder der be- treffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 30 Frei- . exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem - redigivenden ‚Seeretar a 100 ‚Exemplare anf, ihre, Be Aus $6. Die an die Druckerei abzuliefernden Manuseripte müssen, wenn es sich nicht bloss um glatten Text handelt, aus- reichende Anweisungen für die Anordnung des Satzes und die Wahl der Schriften enthalten. Bei Einsendungen Fremder sind diese Anweisungen von dem vorlegenden Mitgliede vor Einreichung des Manuscripts vorzunehmen. Dasselbe hat sich zu vergewissern, dass der Verfasser. seine Mittheilung als vollkommen druckreif ansieht. Die erste Correctur ihrer Mittheilungen besorgen die Verfasser. Fremde habgn diese erste Correetur an das vorlegende Mitglied einzusenden. Die Correetur soll nach Mösglielkeit nicht über die Berichtigung von Druckfehlern und leichten Schreibversehen hinausgehen. Umfängliche Correeturen Fremder bedürfen der Genehmignng des redi- girenden Secretars vor der Einsendung an die Druckerei, und die Verfasser sind zur Tragung der entstehenden Mehr- kosten verpflichtet. Aus $8. Von allen in die Sitzungsberichte oder Kuhandlungek aufgenommenen SrissenschaßlicHen.D Mittheilungen, Reden, Adressen oder Berichten werden für die Verfasser, von wissenschaftlichen‘Mittheilungen, wenn deren Umfang im Druck 4 Seiten übersteigt, auch für den Buchhandel 'Sonder- abdrucke hergestellt, die alsbald nach Erscheinen des be- treffenden Stücks der Sitzungsberichte ausgegeben werden. Von Gedächtnissreden werden ebenfalls Sonderabdrucke für den Buchhandel hergestellt, indess nur dann, wenn die Verfasser sich ausdrücklich damit einverstanden erklären. $9. Von den Sonderabdrucken aus den Sitzungsheriehiie erhält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 50 Frei- exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis zur Zahl von 200 (im ganzen also 350) abziehen zu ‚lassen, . EN FM gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazu der Genehmigung der Gesammt- Akademie oder der be- treffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 50 Frei- exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige, bei dem redigirenden Seeretar weitere 200 Exemplare auf ihre Kosten abziehen lassen. Von den Sonderabdrucken aus den Abhandlungen. er ‚ hält ein Verfasser, welcher Mitglied der Aladerase ist, zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 30 Frei- exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis zur Zahl von 100 (im g ganzen also : 230) abziehen zu lassen, sofern er. diess Techtzeitig dem redigirenden Seeretar an gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch. mehr Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf er dazu Kosten abziehen lassen. $ 2 > RR a 7 FT TR Der» Eine für die ANDERS, Schriften Eh £ ib stimmte wissenschaftliche Mittheilung darf in keinem Falle vor ihrer Ausgabe an jener Stelle unse weis, sei es auch Rnbn AREanE x 15 SITZUNGSBERICHTE 1907. DER 1. KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 17. Januar. Sitzung der physikalisch-mathematischen (lasse. Vorsitzender Secretar: Hr. WALDEYER. Hr. Mun& las: Über die Functionen des Kleinhirns. Zweite Mittheilung. Die speeifische Function des Kleinhirns ist die feinere Gleichgewichtserhaltung oder Gleichgewichtsregulirung beim Sitzen, Liegen, Stehen, Gehen u.s.w. Dafür kommt das Kleinhirn nach Bedarf in Thätigkeit. Im sogenannten Ruhezustande be- einflusst es — wie die anderen centralen Organe des Bewegungsapparates, das Gross- hirn, das Rückenmark, die Prineipalcentren, die Markcentren, und zwar ein jedes Organ die ihm für seine speeifische Function untergeordneten Centren — Mark- und Muskelcentren für den Bereich von Wirbelsäule und Extremitäten, indem es diese Centren mehr oder weniger, aber immer nur schwach erregt. Sitzungsberichte 1907. 4 16 Sitzung der physikalisch -mathematischen Classe v. 17. Januar 1907. Über die Functionen des Kleinhirns. Von Hermann Monk. Zweite Mittheilung.! 1. ser dem Fallen und dem Schwanken. denen wir soweit nach- gegangen sind, hat uns das geschilderte Verhalten der Thiere auclı das erschwerte und ungeschickte Gehen als Folge des Kleinhirnverlustes erkennen lassen’, und wir müssen deshalb das Gehen noch näher betrachten. Sobald die Thiere nach der Totalexstirpation des Kleinhirns wieder ein paar Schritte nach einander machen können, ohne zu fallen, und weiter zeitlebens zeigen sie alle einen eigenartigen Gang, den ich oben kurz als hüpfend oder sprungartig bezeichnet habe. Hat ihn das Taumeln gestört, das Fallen unterbrochen, so wird er in derselben Weise wieder aufgenommen. Stellung und Haltung der Körpertheile in Beziehung zur Gangrichtung sind die normalen, nur dass die Ex- tremitäten abdueirt sind. manchmal besonders die Hinterextremitäten. anderemal mehr die Vorderextremitäten; und der Kopf wird unverrückt, wie wenn der Hals steif wäre, so getragen, dass der Scheitel in die Verlängerung der Rückenlinie fällt. Mit einem Ruck geht bei gesenktem Hinterrumpfe der Vorderrumpf mit Kopf und Vorderextremitäten in die Höhe und dann mit stark gestreckter Wirbelsäule und weit nach vorn gestreckten Vorderextremitäten wieder abwärts, bis die Vorder- füsse gleichzeitig oder rasch nach einander — bei hartem Boden laut schallend aufschlagen; darauf senkt sich der Vorderrumpf mit dem Kopfe und geht bei kräftiger Streckung der Hinterextremitäten der Hinterrumpf in die Höhe, und sogleich machen beide Hinterextre- ımitäten einen Satz nach vorn, so dass sie gleichzeitig oder rasch nach einander zu Boden kommen: wieder geht der Vorderrumpf in die Höhe u. s. w. Wie weit Vorder- und Hinterrumpf sich heben ! Die erste Mittheilung s. diese Berichte 1906. 443 ff. ® Ebenda 468. Musk: Über die Funetionen des Kleinhirns. 17, und senken, unterliegt bei den verschiedenen Thieren, aber auch bei demselben 'Thiere zu verschiedenen Zeiten und manchmal schon in den auf einander folgenden Schritten sehr dem Wechsel: im allgemeinen sind Heben und Senken desto grösser und energischer, je rascher das Thier geht: und was beim langsamen Gehen selten, kommt beim raschen Gehen oder Laufen öfter vor, dass Steiss und Mund den Boden fast oder wirklich berühren, andererseits Vorder- und Hinterrumpf, insbesondere der erstere, so hoch gehoben werden, dass das Thier nach hinten oder vorn umzuschlagen droht, ja sogar gelegentlich ein- mal wirklich. rücklings oder kopfüber umfällt.‘ Beim langsamen Gehen werden die Hinterfüsse in einigem Abstande hinter den Vorderfüssen aufgesetzt und hebt sich der Vorderrumpf erst nach einer längeren oder kürzeren Pause, beim raschen Gehen oder Laufen kommen die Hinterfüsse dicht hinter oder neben oder etwas vor den Vorderfüssen zu Boden und erfolgt schon zugleich das Heben des Vorderrumpfes; zwischen Aufsetzen der Vorderfüsse und Heben des Hinterrumpfes schiebt sich regelmässig eine Pause ein. die beim Laufen allerdings nur ganz kurz, aber immer doch auffällig ist. Das Gehen der kleinhirnlosen Thiere weicht darnach durchaus ab von dem normalen Gehen der Hunde und Affen, bei dem die Hinter- extremitäten gerade so, wie die Beine des Menschen, im Stützen und Schweben regelmässig abwechseln und jede Vorderextremität das Ver- halten der gleichseitigen Hinterextremität um die halbe Zeitdauer des Stützens bezw. Schwebens verspätet wiederholt. Und doch erweist sich das Principalcentrum, das die normalen Gehbewegungen der Extremitäten — das abwechselnde Beugen und Strecken der Extre- mitäten in der normalen Reihenfolge — anregt, bei den kleinhirn- losen Thieren unversehrt erhalten. Denn wir sehen den Hund in der zweiten Woche nach der Operation, sowohl wenn er auf der Seite liegt, wie wenn er an der Rückenhaut emporgehalten ist, manchmal von selber oder auf Reizung (Druck des Schwanzes oder der Zehen) die normalen Gehbewegungen der Extremitäten in der Luft machen; wir sehen auch, wenn um die Zeit der liegende Hund. mit den Beinen strampelnd, sich rückwärts im Kreise um eine Beckenseite am Boden verschiebt. das Strampeln in der Form der normalen Gehbewegungen erfolgen: wir sehen den Affen bald nach der Operation mit den nor- malen Gehbewegungen der Extremitäten an den Gitterstäben klettern; wir sehen, wenn, wie es hin und wieder geschieht, Hund und Affe, bevor sie sich zum Gehen aufstellen, die ersten Vorwärtsbewegungen derart machen, dass sie mit dem Bauche auf dem Boden oder mit ! Ebenda 460. 4* 18 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe v. 17. Januar 1907. nur wenig vom Boden abgehobenem Rumpfe kriechen, die Bewegung mittels normaler Gehbewegungen der Extremitäten sich vollziehen. Dass trotzdem unsere Thiere nicht normal zu gehen vermögen, kann daher nur darin begründet sein, dass ihnen mit dem Kleinhirn das abhanden gekommen ist, was ausser den normalen Gehbewegungen der Extremitäten noch das normale Gehen erfordert: die Fähigkeit, mittels Wirbelsäule- und Extremitätenmuskeln das Gleichgewicht zu erhalten. Und da die Thiere bei ihrem eigenartigen Gehen das Gleich- gewicht wohl zu erhalten vermögen, ist der Verlust schärfer dahin zu fassen, dass er die Art der Gleichgewichtserhaltung betrifft, die beim normalen Gehen mit den normalen Gehbewegungen der Extre- mitäten verknüpft ist. Was vorher aus dem Fallen und dem Schwanken der‘ kleinhirn- losen Thiere im allgemeinen sich ergab, lehrt so ihr eigenartiges Gehen nochmals im besonderen und lässt unmittelbar die Leistung des Klein- hirns für das normale Gehen erkennen. Noch mehr vor die Augen tritt diese Leistung, wenn man das Gehen unserer Thiere von Anfang an verfolgt. Zu allererst, wenn die Thiere sich erheben und zu gehen versuchen, machen sie — Hund wie Affe — mit den Extremitäten die normalen Gehbewegungen, und sogleich fallen sie zur Seite um: Dann ändern sie eine Zeitlang die Reihen- und die Zeitfolge der Be- wegungen der Extremitäten ab, vielfach verschieden, so dass sich keine Regel erkennen lässt, und gelangen früher oder später alle dahin, dass sie die Vorderextremitäten gleichzeitig oder fast gleichzeitig vor- bewegen. Die Hinterextremitäten folgen einzeln den Vorderextremitäten nach, zunächst die eine Hinterextremität und nach einer längeren Pause die andere, die inzwischen auf das Dorsum des Fusses oder auch die Vorderseite des Unterschenkels umgeschlagen zurückgeblieben ist; und jetzt fallen die Thiere nicht mehr sogleich, aber doch noch fast nach jedem Schritte um. Endlich werden einmal beim weiteren Gehen auch die Hinterextremitäten in einem Satze vorgebracht, und von da an geschieht dasselbe rasch immer häufiger, bis das sprungartige Gehen zur Regel wird und die Thiere erst nach einer ganzen Reihe von Schritten fallen oder bloss taumeln. Hier sieht man das normale Gehen, das die Thiere nach der Operation beibehalten wollen, an der Un- fähigkeit der Thiere, das Gleichgewicht dabei zu erhalten, scheitern und an seiner Stelle das sprungartige Gehen allmählich sich entwickeln als die beste funetionelle Compensation, welche die unversehrt er- haltenen Theile des Centralnervensystems herstellen können. Nicht imstande, die feine Art der Gleichgewichtserhaltung, die bei den normalen Gehbewegungen der Extremitäten das Kleinhirn mit seitlicher Verschiebung des Schwerpunktes durchführte, seinerseits zu leisten, Muxsk: Über die Functionen des Kleinhirns. 19 ermöglicht das Üentralnervensystem ohne Kleinhirn das Vorwärts- kommen des Thieres bei abwechselnder Bewegung des vorderen und des hinteren Extremitätenpaares mit grober Verlegung des Schwer- punktes nach hinten und nach vorn. Aber recht unvollkommen ist und bleibt der Ersatz. Denn während das normale Gehen spielend sich vollzog, erfolgt das sprungartige Gehen mit auffallend heftigen Bewegungen und bald zu Ermüdung und sogar Erschöpfung führendem Kraftaufwande, und dabei ist die Erhaltung des Gleichgewichtes nicht einmal durchaus gesichert, sondern immer noch gefährdet. Deutlich geben denn auch die kleinhirnlosen Thiere, selbst wenn sie schon durch Wochen und Monate das sprungartige Gehen geübt haben, zu erkennen, wie ihnen das abwechselnde Bewegen von vor- derem und hinterem Extremitätenpaare immer ein lästiger Nothbehelf bleibt, zu dem sie nur ihre Zuflucht nehmen, wenn sie nicht anders vorwärtskommen können. Nicht selten beim Affen und noch öfter beim Hunde kommt es vor, dass das Thier inmitten des Gehens nach einer Anzahl sprungartiger Schritte unter Heben des Kopfes in die normalen Gehbewegungen verfällt und erst, nachdem es gefallen oder getaumelt, wieder zum sprungartigen Gehen zurückkehrt. Will der in der Brustbeekenlage ruhende Hund ein Fleischstück fassen, das ihm in etwa ı" Abstand vorgeworfen ist, so unterlässt er es in der Regel, sich aufzustellen, und bringt sich mit nur etwas vom Boden abgehobenem Rumpfe mittels der normalen Gehbewegungen der Ex- tremitäten an das Fleischstück heran. Und wenn der Hund oder der Affe an die Wand gerathen ist und an diese angelehnt ein Stück geht, so macht er dabei mit hoch getragenem Kopfe die normalen Gehbe- wegungen der Extremitäten und nimmt das sprungartige Gehen erst von neuem auf, wenn er sich von der Wand entfernt hat. Es lässt sich damit gut zusammenreihen, dass der kleinhirnlose Affe mit den normalen Gehbewegungen der Extremitäten an den Gitterstäben klettert, soviel dabei auch sein Rumpf schwankt und der Kopf an das Gitter schlägt‘, und der kleinhirnlose Hund, worauf ich später (Cap. 9) noch eingehender zurückkomme, mit den normalen Gehbewegungen der Ex- tremitäten schwimmt. Ro) Die feinere Art der Gleichgewichtserhaltung beim Sitzen, Stehen, Gehen u.s.w. ist aber nicht die einzige Function, die dem Klein- hirn zukommt. Denn nach dem Verluste des Kleinhirns bieten sich an den Thieren auch für lange Zeit Abnormitäten dar, die sich nicht ! Diese Berichte 1906. 455; oben 17. 20 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe v. 17. Januar 1907. vom Fehlen jener Gleichgewichtserhaltung ableiten lassen: das un- geschiekte Greifen des Affen, auf das schon oben! die Rede kam, und zweierlei Abnormitäten, die einen von Hın. Lucıası”’, die anderen von Hrn. Lewanpowsky” aufgefunden, von denen hier noch zu sprechen ist. Am emporgehaltenen Hunde hängen von Anfang an die Hinter- beine und später, wenn sie nicht mehr steif vorgestreekt bleiben, auch die Vorderbeine schlaffer als normal herab, weniger in den Ge- lenken gebeugt, und setzen sie der passiven Beugung und Streckung einen geringeren Widerstand entgegen als in der Norm. Letzteres zeigt sich ebenso am liegenden Hunde und ist oft sogar schon früh nach der Operation, wenn der Hund noch dauernd auf der Seite liegt, sobald man nur rasch zufasst, auch an den Vorderbeinen für die Beugung zu constatiren. Die genauere Verfolgung dieser Abnor- mitäten stösst auf grosse Schwierigkeiten; auch wenn man die halb- seitige Kleinhirnexstirpation, nach der die Abnormitäten bloss auf der Exstirpationsseite auftreten, zu Hülfe nimmt, um die beiderseitigen Extremitäten vergleichen zu können, lässt sich nur ausmachen, dass die Abnormitäten in den ersten Wochen eine Abnahme erfahren und dann in der geringeren Grösse lange bestehen bleiben. Zieht man an dem auf den Tisch gestellten und an der Rücken- haut festgehaltenen Hunde ein Bein über den Tischrand hinaus, so lässt der Hund bis in den zweiten Monat nach der Operation hinein das Bein frei herabhängen; und manchmal nimmt er es auch noch in den nächsten Wochen nicht alsbald auf den Tisch zurück. sondern erst wenn ihm Fallen droht. Verschiebt man den auf dem Tische liegenden Hund mit dem Hinterkörper über den Tischrand hinaus, so lässt der Hund den Hinterkörper herunterhängen; frühestens wenn S Wochen seit der Operation vergangen sind, und in der Folge noch nicht jedesmal, setzt er Wirbelsäule und Hinterbeine in Bewegung, um den Hinterkörper wieder auf den Tisch zu bringen. Auch führt, worauf Hr. Lewanpowskv Gewicht gelegt hat, der Affe selbst durch seine Bewegungen abnorme Lagen seiner Körpertheile herbei, indem er den Gitterstab ungeschickt umfasst, so dass z.B. der Stab nicht zwischen Daumen und zweitem Finger, sondern zwischen anderen Fingern liegt; jedoch ist dies nicht, wie Hr. Lewannowsky will, »ganz regelmässig« der Fall, sondern bildet eine seltene Ausnahme, die nur wenn der Affe stürmisch den Stab erfasst, und auch dann nur zuweilen eintritt. Unzutreffend ist, was Hr. LewAnpowsky sagt, dass ’ Diese Berichte 1906. 474- 2 Cerv. 192. — Kilh. 296, 331. ® A.a. O. 161—3, 173. Munk: Über die Functionen des Kleinhirns. il der kleinhirnlose Hund, auch wenn er ruhig liegt, wochen- und mo- natelang nach der Operation eine falsche Lage der Extremität nicht eorrigire. Im Gegentheil ist es eine das Interesse des Beobachters immer wieder fesselnde Erscheinung, wie das in seiner Haltung beim Gehen und Stehen so schwer geschädigte kleinhirnlose Thier, Hund wie Affe, in der Ruhestellung von früh an, sobald es sich nur in der Stellung zu behaupten vermag, die Körpertheile in der normalen Lage hält und nachdem es sie bewegt hat, in die normale Lage wieder zurückführt. Der Angabe von Hrn. Lrwannowsky liegt nichts weiter zugrunde, als dass er die Vorderpfote nicht mit der Sohle dem Boden aufgesetzt fand an liegenden kleinhirnverletzten Hunden, die vor der Operation, wie er meinte, die falsche Lage jedesmal corrigirt hatten. Weder aber ist jene Haltung der Vorderpfote eine »falsche Lage«, noch wird sie beim kleinhirnlosen Hunde anders » corri- girt« als beim normalen. Soviel ich auch beobachtete, so habe ich bei beiderlei Hunden in der Brustbauch- oder Brustbeekenlage doch immer nur dasselbe gesehen: der Fuss war an den nach vorn gelegenen Vorderbeinen entweder nach vorn gestreckt oder so nach hinten ge- beugt, dass er an der Seite des Vorderarmes mit seinem äusseren Rande oder etwas mehr mit dem Dorsum dem Boden auflag, und wurde vom Hunde von Zeit zu Zeit unter Heben des Vorderbeines aus der ersten in die zweite Lage und umgekehrt übergeführt. Dem äusseren Anscheine nach würden der letzten Gruppe noch ein paar Erscheinungen beizufügen sein. Stellt man in den ersten vier bis sechs Wochen nach der Kleinhirnexstirpation den aus dem Liegen emporgehobenen Hund an die Wand gelehnt auf seine Beine, und ist dabei ein Bein mit dem Rücken der Zehen oder des Fusses auf den Boden zu stehen gekommen, so belässt der Hund das Bein in der fehlerhaften Stellung, besonders wenn es sich um ein Vorder- bein handelt. Man sieht ferner regelmässig den Hund in den Tagen, da er wieder zu gehen anfängt, bei den Gehversuchen bald mit den Rücken der Vorderfüsse oder mit den Vorderarmen auf den Boden kommen und in dieser Stellung die Vorderbeine vorbewegen, bald hinten auf die Kniee kommen und auf den Knieen den Rumpf nach vorn verschieben, bald auch nur das eine oder das andere Bein in eine verkehrte Lage bringen und in dieser Lage bewegen. Und unter den nämlichen Umständen macht man die letzteren Beobachtungen auch beim Affen. Doch ist in diesen Fällen, in denen das Thier in Angst ist und Noth, aufrecht zu bleiben, schon damit der ausreichende Grund gegeben, dass das Thier nicht auf die richtige Lage seiner Extremitäten hält. Es liefert sogar den Beweis, dass das Thier jede vermeidliche Bewegung scheut, was zuerst die HH. Duccezsent und Z Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe v. 17. Januar 1907. [89] Sersr' bemerkt haben, dass der Hund nach halbseitiger Kleinhirn- exstirpation, wenn man ihn zu der Zeit, da er sich noch nieht auf den Beinen zu erhalten vermag, angelehnt oder unterstützt auf die Beine stellt, öfters auch an den Beinen der unverletzten Seite fehlerhafte Stellungen nicht verbessert. Ungeschicktes Greifen, Schlaffheit der Extremitäten und Belassen von Wirbelsäule und Extremitäten in einigen unnatürlichen Lagen sind also die Abnormitäten, die noch eine besondere Betrachtung verlangen. Sie stellen sich etwa in der dritten Woche nach der Operation am reinsten als Folgen des Kleinhirnverlustes dar und lehren, dass das Kleinhirn, ausser dass es die feinere Art der Gleich- gewichtserhaltung vollführt, auch noch im Bereiche von Wirbelsäule und Extremitäten einen Einfluss auf die Motilität ausübt. Diesen Einfluss gilt es tiefer zu erfassen; und wir haben da zuvörderst den Knoten zu lösen, den wir von Hrn. Lucrant und Hrn. LEwAnDowsky, für deren Theorien der Kleinhirnfunetion die Abnormitäten wesentliche Grundlagen abgaben, in heftigem Streite geschürzt finden. Nach Hrn. Lucıanı bringen die Abnormitäten eine neuro-muscu- läre Atonie und Asthenie infolge des Kleinhirnverlustes zum Aus- druck, d. h. eine herabgesetzte Spannung der neuro-musculären Ap-. parate in der Ruhe und eine verminderte Energie bei der Thätigkeit der Apparate. Dagegen zeigen sie nach Hrn. LewAannpowsky Störungen des Muskelsinnes infolge des Kleinhirnverlustes an. sind sie durch Störungen des Muskelsinnes bedingte Bewegungsstörungen oder der Ausdruck sensorischer Ataxie. Hr. Lewannowsky” versteht dabei »unter Muskelsinn ganz allgemein das Vermögen, die Lage und die Bewegungen der Körpertheile wahrzunehmen, sei es durch die Sen- sibilität der Muskeln selbst, sei es durch die der Haut und der Ge- lenke«, und will doch es unentschieden lassen. ob es sich um bewusste Sinnesempfindungen handelt oder nicht. ja schliesst am Ende seiner Betrachtungen die »Grosshirnstufe des Bewusstseins« aus. Unter diesen Umständen hat es aber einerseits gar keinen Nutzen und unter- liegt es andererseits schweren Bedenken, den Muskelsinn und den »Lagesinn« ins Spiel zu bringen. und spricht man deshalb klarer und richtiger von Störungen bloss der Sensibilität der Haut, der Muskeln, der Gelenke oder, wenn man doch so, wie Hr. LEwANnDowsKY, alles zusammen meint, kurz der Sensibilität. Für den Nachweis der neuro-museulären Atonie und Asthenie zieht Hr. Lucıanı” noch heran die grosse Muskelschwäche der Extre- ! Arch. di Fisiologia, I. 1904. 236, 237. ANA OETEOTO2: 3 Cerv. ı86ff. — Klh. 290. 295—6, 299. . ee 8 Erle 39 Munk: Über die Functionen des Kleinhirns. 23 mitäten, die sich in der anfänglichen Unfähigkeit der Thiere, die aufrechte Stellung anzunehmen und zu erhalten, wie in ihrem häu- figen Fallen beim Gehen und im Einknieken der Extremitäten kund- gebe, ferner die im Falle halbseitiger Kleinhirnexstirpation dynamo- metrisch feststellbare geringere Kraft, mit der sich der Affe auf der Exstirpationsseite an den Objeeten festhalte, und den geringeren Ge- brauch, den Hund und Affe nach halbseitiger Exstirpation von den Extremitäten der Exstirpationsseite für isolirte willkürliche Bewe- gungen machen. Dem entgegen macht Hr. LewAanpowsky' geltend, dass die motorische Schwäche lediglich von einem nicht richtigen Zusammenwirken der Muskeln bei den eomplieirten Bewegungen her- rühren könne, dass mit einer Asthenie unvereinbar seien die sehr ausgiebigen und sogar masslosen Bewegungen. die sich im ungewöhn- _ liehen Hochheben und starken Aufsehlagen der Extremitäten beim Gehen der Thiere zeigen, dass das ungeschickte Umfassen des Gitter- stabes seitens des Affen gar nichts mit einer motorischen Schwäche zu thun habe, und dass nach halbseitiger Exstirpation die Extre- mitäten der Exstirpationsseite nicht wegen ihrer Schwäche, sondern wegen ihrer Ungeschicktheiten weniger benutzt werden. Indess sind diese Einwürfe nur ausreichend, um eine rein museuläre, nicht aber um eine neuro-musculäre, d. h.“ durch nervöse Asthenie bedingte museuläre Asthenie auszuschliessen; denn es könnte sieh auch bei den Erscheinungen, die Hr. LewAaxwpowsky entgegenhält, lediglich um ein nicht richtiges Zusammenwirken der Muskeln bei den eompli- eirten Bewegungen handeln, und nichts stände dann im Wege, dass man überall das mangelhafte Zusammenwirken der Muskeln oder die Störung der normalen Coordination von nervösen Störungen, die sich der Lucıanrschen nervösen Asthenie unterordnen, ableitete. Andererseits bekämpft Hr. Lucranı” an der Lewannowsky’schen Auffassung mit Erfolg wohl die »sensorische Ataxie« und die Störungen des »Muskelsinnes«, an die er sich heftet, nicht aber die Störungen der Sensibilität. Allerdings lässt sich nicht auf eine Schädigung der Sensibilität durch den Kleinhirnverlust daraus schliessen, dass der Hund in der Zeit nach der Operation, in der er sich nicht auf den Beinen zu erhalten vermag, nicht auf abnorme Stellungen der Beine reagirt. Aber es ist auch nicht das Gegentheil, dass die Sensibilität unversehrt bleibt, bewiesen, wenn nach einer Reihe von Monaten die Reactionen regelmässig wie in der Norm erfolgen. Immer bleibt, dass in der ganzen Zwischenzeit der Hund fehlerhafte Stellungen von - A. a. 0.158 —9, 163, 169—71. Lvcıanı, Klh. 296. Klh. 330— 2, 300 — 2. u» 24 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe v. 17. Januar 1907. Körpertheilen zuerst überhaupt nicht- und später nicht so regelmässig wie in der Norm verbessert, ein Hinweis auf Störungen der Sensi- bilität, der mit der Bemerkung. dass »manchmal« die Reactionen aus- bleiben und »ein einziger, sicher beobachteter positiver Beweis eine grössere Beweiskraft besitzt als viele negative«. nicht sich abfertigen lässt. Kommen dann noch die Schlaffheit der Extremitäten und, was Hr. Lucrant gar nicht berücksichtigt hat, das ungeschickte Greifen des Affen hinzu, so dass eine Reihe von Erscheinungen den Folgen der Durchschneidung hinterer Rückenmarksnerven - Wurzeln entspricht, so ist der Schädigung der Sensibilität die Wahrscheinlichkeit, zum mindesten die Möglichkeit nicht abzusprechen. Und daran ändert nichts. dass, wie Hr. Lucıanı hervorhebt, der kleinhirnlose Hund in der Ruhelage, von Insekten belästigt, die Haut des Bauches oder der Brust zweckentsprechend mit den Hinterbeinen kratzt, da hier- durch immer nur dargethan ist. dass die Sensibilität nicht überall und schwer, nicht aber, dass sie überhaupt nicht geschädigt ist. So kann keiner der beiden Gegner den anderen widerlegen und sieht man Recht und Unrecht auf beiden Seiten. Erinnert man sich, dass Hr. Lucranı doch schliesslich den verstärkenden Einfluss oder die motorische Leistung des Kleinhirns durch die von den Organen. des Hautmuskelsinnes centripetalwärts zum Kleinhirn führenden Bahnen angeregt oder unterstützt sein lässt'!, so ist es schwer zu verstehen, wie er sich gegen die Möglichkeit sträubt, dass der Verlust des Kleinhirns Störungen der Sensibilität mit sich bringt. Ich glaube, dass Hr. Lucraxı zunächst im »I Cervelletto« ganz unter dem Ein- drucke seiner Versuchsergebnisse stand, die ihn jede Sensibilitäts- störung in Abrede stellen liessen, und von dem Eindrucke auch später, als er auf Störungen der Sensibilität aufmerksam gemacht war, sich deshalb nicht zu befreien vermochte, weil das Hineinziehen des Muskelsinnes Unklarheit in die Frage gebracht hatte. War nun Hr. Lewanpowsky damit im Rechte, dass er die zur Sprache gebrachten Abnormitäten nicht als reine oder ausschliessliche Störungen der Motilität anerkannte und für Störungen der Sensibilität eintrat, so ist er hinwiederum darin im Unrechte, dass er (abgesehen von den Zwangsbewegungen) alle Bewegungsstörungen, die der Kleinhirnverlust herbeiführt, durch die Störungen der Sensibilität (»durch eine schwere Störung des Muskelsinnes«) bedingt sein lässt. Er hat dabei über- sehen, dass, was man bezüglich der Bewegungsstörungen nach dem Verluste sensibler Bahnen schliessen darf, nicht auch zu schliessen gestattet ist nach dem Verluste eines centralen Organes, das die En- ı S. diese Berichte 1906. 445—6. Munk: Über die Functionen des Kleinhirns. 25 digungen der sensiblen Bahnen und die Ursprünge der motorischen Bahnen beisammen enthält. Im letzteren Falle treten zu den im ersteren Falle vorhandenen Bewegungsstörungen infolge der Mit- vernichtung der motorischen Theile noch weitere, und zwar rein motorische Störungen hinzu, weil in der Norm motorische Leistungen des ceentralen Organes nicht bloss durch Anregung seitens seiner sen- siblen Theile, sondern auch anderweitig, automatisch oder durch anderswoher stammende (intercentrale) Anregung, zustande kommen konnten. Und auch darin ist Hr. Lewanpowskv nicht im Rechte. dass er sich der Lucıant' schen Aufstellung der neuro-musculären Atonie und Asthenie widersetzt. Gleichviel ob die Abnormitäten rein mo- torischer Natur nach Hrn. Lucranı oder primär sensibler und erst secundär motorischer Natur nach Hrn. Lewanpowsky waren, immer lagen Motilitätsstörungen vor, deren Wesen aufzuklären war: und den Versuch einer physiologischen Analyse hatte Hr. Lucranı gemacht. Dem gegenüber ist es ein Rückschritt, dass Hr. Lewanpowskv, den alten klinischen, wie er selbst sagt, Sammelnamen »Ataxie« auf- nehmend, die »Identität von Ataxie und Unzweckmässigkeit« vertritt und zum Schlusse als Folge der Muskelsinnstörung nichts anderes hinstellt als »den Verlust der Fähigkeit, die Bewegungen abzustufen, die verhältnissmässige Stärke und Schnelligkeit und die Reihenfolge der einzelnen oder synergisch verbundener Muskelcontraetionen zu regeln, daher die Bewegungen den ausgesprochenen Charakter der Unzweckmässigkeit erhalten«. Zudem liessen sich die neuro-mus- euläre Atonie und Asthenie auch gar nicht widerlegen; es liess sich bloss bezweifeln, ob sie, wie sie Hr. Lucrası aufgestellt und vertreten hatte, zur Erklärung der Erscheinungen ausreichten. Das sachliche Ergebniss, das aus dem Streite zu entnehmen ist, geht demnach dahin, dass die in den Abnormitäten gegebenen Mo- tilitätsstörungen auf neuro-musculärer Atonie und Asthenie beruhen und mehr oder weniger die Folgen von Sensibilitätsstörungen sein können. Ein besseres Ergebniss war auch zur Zeit des Streites kaum zu gewinnen; aber mittels der Einsicht, die unsere Untersuchung über die Folgen des Sensibilitätsverlustes der Extremität für deren Mo- tilität verschafft hat', vermögen wir darüber hinaus zu kommen. Das schlaffe Herabhängen der Extremitäten am emporgehobenen kleinhirnlosen Thiere zeigt den Fortfall einer schwachen Erregung oder erhöhten Erregbarkeit an, die am unversehrten Thiere für Mark- und Muskelcentren der Extremitäten durch die schwach erregten mo- torischen centralen Elemente des Kleinhirns herbeigeführt ist; und ! Diese Berichte 1903. 1063 ff. 26 Sitzung der physikalisch - mathematischen Classe v. 17. Januar 1907. die Erregung dieser centralen Elemente versteht sich durch die Er- regungen, die, in der Norm stetig von den Extremitäten her auf den sensiblen Bahnen dem Üentralnervensystem zufliessend, auf den zum Kleinhirn führenden Bahnen zu diesem gelangen, — abgesehen von den intereentralen Erregungen, die, wie wir vorhin sahen, noch hin- zukommen können. Auf die Herabsetzung der Erregbarkeit jener Mark- und Muskelcentren lassen sich dann das ungeschickte Greifen und, um dies sogleich hinzuzunehmen, nach halbseitiger Kleinhirn- exstirpation die geringere Kraft der Extremitäten der Exstirpations- seite und ihre geringere Verwendung für isolirte willkürliche Bewe- gungen zurückführen, wie in meiner früheren Mittheilung ausführlich dargelegt ist und nicht der Wiederholung bedarf. Auch ist dort das Gleiche dargethan, worauf ich besonders aufmerksam machen will, für die sehr ausgiebigen oder masslosen Bewegungen, die sich im ungewöhnlichen Hochheben und starken Aufschlagen der Extremitäten, besonders der Vorderextremität, beim Gehen zeigen, und die der »Dys- metrie der Bewegungen« eine grosse Rolle im Lucıası- LEwANnDOWSKY- schen Streite zugewiesen haben, ohne dass es zu einer irgendwie be- gründeten Aufklärung kam.' Die Dysmetrie ist die nothwendige Folge der Herabsetzung der Erregbarkeit der Mark- und Muskelcentren bei coordinirten Bewegungen, für deren Zustandekommen die Thätigkeit mehrerer Muskel- oder Markeentren in Abhängigkeit von einander und in bestimmter Zeitfolge nach einander erforderlich ist. Wo das Heben der Extremität in Senken, das Beugen in Strecken, das Abdueiren in Addueiren unmittelbar überzugehen hat, ist durch jene Herab- setzung der Erregbarkeit die zweite Bewegung verzögert oder gar ge- hemmt und geht infolge dessen die erste Bewegung über das nor- male Maass hinaus. Ich verweise auf das Verhalten des anästhetischen Armes, wenn der Affe in Angst sich hinter der Stange aufstellt oder auf die Stange springt, wenn er das Fehlgreifen mit Hin- und Her- gehen des Armes verbessert, wenn er sehr rasch auf drei Extremi- täten läuft oder klettert.” Dass beim Gehen die zu hoch gehobene Extremität dann stark auf den Boden schlägt, kommt dadurch zu- stande, dass infolge der Verzögerung der Unterstützung der Rumpf nach dieser Extremität hin über die Norm hinaus fällt und die Ex- tremität, dem Sturze begegnend, rasch mit kräftiger Streckung gegen den Boden stösst. Es bleibt übrig die Abnormität, dass der unterstützte, vor dem Fallen gesicherte kleinhirnlose Hund die Extremität, wenn sie über " Lucıanı, Cerv. 193, 201—3; Klh. 297, 305 —7, 331—3, 336. — LEWANDOWSRY, a.a. 0. 158—9, 167—8. 2 Diese Berichte 1903. 1048, 1053 —4, 1066. Muxk: Über die Functionen des Kleinhirns. Dim den Tischrand hinaus gezogen ist, dort belässt. Ich hatte die Ab- normität in der früheren Mittheilung bei der Extremität, deren hin- tere Rückenmarksnerven-Wurzeln alle durehtrennt waren, nicht zu behandeln, weil das Verbleiben der Extremität in allen abnormen Lagen, in die sie gerathen oder übergeführt war, sich von selbst verstand, wo von der Extremität gar keine sensiblen Erregungen mehr zu den Üentralorganen gelangen konnten. Ein solcher Verlust der Sensibilität kann aber unserer Abnormität beim kleinhirnlosen Hunde nicht zugrunde liegen, und ebensowenig lässt sich die Ab- normität der Herabsetzung der Erregbarkeit von Mark- und Muskel- eentren zuschreiben, weil wir daneben den Hund andere fehlerhafte Lagen der Extremität, so wenn wir sie auf den Rücken der Zehen oder des Fusses gestellt haben, nicht beibehalten, sondern wie in der Norm, höchstens mit einiger Verzögerung verbessern sehen. Die Er- klärung findet sich, wenn wir nachholen, was wir soweit aufgeschoben haben, und das Verhalten der Sensibilität näher ins Auge fassen. Am kleinhirnlosen Affen bietet sich bei der Prüfung der Haut- sensibilität nichts Abnormes dar. Der Affe reagirt am Tage nach der Operation prompt mit Bewegungen, wenn er, ohne dass er es sieht, irgendwo an seinem Körper mit dem Finger oder dem Pinsel berührt wird. Manchmal grunzt er unwillig und verändert er rasch seine Lage, hin und wieder stellt oder setzt er sich hastig auf oder springt er sogar in die Höhe. Treten solche Bewegungen nicht ein, so sieht er nach der berührten Stelle hin; auf‘ Berührung der Finger oder des Handrückens zieht er die Hand oder den Arm zurück, und zuweilen geht er dann noch schleunigst mit dem Arme vor, um das berührende Objeet zu fassen; auf Berührung der Hohlhand schliesst er fest die Hand: auf Berührung des Fusses hebt er den Fuss oder zieht er das Bein beiseite. Auf stärkeren Druck der Haut stellen sich stärkere und weiter ausgedehnte Bewegungen ein. Ebenso ist in der Folge alles nieht merklich anders als in der Norm. Und auch nach der halbseitigen Kleinhirnexstirpation stellt sich in den Re- actionen kein Unterschied zwischen den beiden Seiten des Affen heraus. Auch der kleinhirnlose Hund reagirt, sobald er nach der Ope- ration munter ist und ruhig liegt, auf Berührungen, die er nicht sieht, manchmal stürmisch, indem er schreit, sieh erhebt, sich über- schlägt, rollt, manchmal mit Bewegung der Augen, Streckung der Vorderbeine, Gehbewegung der Hinterbeine; und später sind Drehung des Kopfes, Bewegung der Augen, Beugung des berührten Beines, weiter ausgedehnte Bewegungen gewöhnlich die Folgen wie in der Norm. Doch, wie man es schon bei normalen Hunden sieht, wieder- holen sich die Reactionen nicht in gleicher Weise und bleiben sie 28 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe v. 17. Januar 1907. hin und wieder sogar aus; so dass, ob auch die Grösse der Reaction der Norm entspricht oder etwas hinter ihr zurückbleibt, schwer zu entscheiden ist, selbst nach der halbseitigen Exstirpation, wenn man die beiden Seiten des Hundes vergleicht. Was hier Hr. Russeır! bei der Prüfung mit schmerzhaften Reizungen trotz den, wie er selber sagt, verworrenen Ergebnissen und trotz widersprechenden Erfahrungen zu erkennen gemeint hat, dass die Reaction vom Vorderbeine der Ex- stirpationsseite und von beiden Hinterbeinen aus in der ersten Woche ausbleibe oder herabgesetzt sei und in S—ı0, selten mehr Tagen nach der Operation zur Norm zurückkehre, kann ich nicht bestätigen: ebensowenig, was nach Hrn. Lewannowsky” sogar auffallen soll, dass die Schmerzempfindlichkeit der Haut nicht unerhebliehe Zeit nach der halbseitigen Exstirpation sich abgesehwächt erweise. Ich habe aus meinen vielen Prüfungen der Folgen starken Drückens der Zehenhaut nur entnehmen können, dass manchmal die Extremitäten der Exstir- pationsseite in Stärke und Umfang der Reactionsbewegungen etwas hinter den gleichnamigen Extremitäten der anderen Seite zurückbleiben, und dass hierin und ebenso in den Schmerzäusserungen am Kopfe, im Verziehen von Mund und Nase, im Schreien, im Beissenwollen kein Unterschied besteht, ob der gleiche Angriff an den Zehen der Exstirpationsseite oder an den Zehen der anderen Seite erfolgt. Da- gegen habe ich neben Unzutreffendem Richtiges gefunden in Hrn. Lewannowskv’s Angabe:” dass der Berührungsreilex‘ regelmässig nach halbseitiger Exstirpation auf der verletzten Seite zunächst aufgehoben sei, sich zwar allmählich wieder herstelle, aber noch lange Zeit schwä- cher als auf der gesunden Seite bleibe; und dass er nach Totalex- stirpation noch länger fehle und, wenn er auch schliesslich wieder zurückkehre, doch immer recht schwach bleibe. Ich habe am klein- hirnlosen Hunde den Berührungsreflex von den Hinterbeinen regel- mässig und anscheinend nicht schwächer als in der Norm erhalten, sobald nur die Verfassung des Thieres die Prüfung gestattete, oft schon 2 Tage nach der Operation, sonst an einem der nächstfolgenden Tage; und an den Vorderbeinen, an denen durch längere Zeit nach der Operation die Prüfung dadurch verhindert war, dass sie am em- porgehaltenen Hunde immer steif vorgestreckt waren, trat manchmal sogleich, wenn die Beine zu Zeiten gebeugt gefunden wurden, der Berührungsreilex auf, frühestens am 9. Tage nach der Operation, manch- mal erst später. Ebenso verhielt es sich nach halbseitiger Exstirpa- ı A. a. 0.835—8. A.a. 0. 132. Ebenda 183. Siehe diese Berichte 1892. 691—.2. m» ww vo IND 9 Musk: Über die Functionen des Kleinhirns. tion mit dem Berührungsreflexe auf der Exstirpationsseite. Aber hier ergab sich dann unter oftmaliger vergleichender Prüfung zu allen Zeiten, dass auf der Exstirpationsseite der Berührungsretlex vom Hinterfusse aus ein wenig schwächer war und vom Vorderfusse aus ein wenig schwerer sich erzielen liess als auf der anderen Seite. Nun hat zwar Hr. Lewaypowsky in dem vermeintlichen Ausbleiben oder der Störung des Berührungsreilexes ein objeetives Zeichen einer Störung der Hautsensibilität gesehen und daraufhin sogar schon dem Berührungsretlexe eine corticale und eine subeorticale Componente zu- geschrieben. Aber seiner Auffassung fehlte die Berechtigung; denn er hat dabei. wie er überall bloss die Sensibilität im Auge hatte, ausser Acht gelassen, dass es ja im Wesen eines Reflexes liegt, dass seine Störung durch die Schädigung ebensowohl der efferenten wie der afferenten nervösen Theile verursacht sein kann. Die Gesammt- heit der vorgeführten Erfahrungen lässt keinen Zweifel, dass die kleine Schwächung oder Erschwerung. die der Berührungsreflex beim Hunde zeigt, in der Herabsetzung der Erregbarkeit auf der motorischen Seite des Reflexbogens ihre natürliche Erklärung findet und die Hautsen- sibilität am kleinhirnlosen Thiere nicht verändert ist. Die Bahnen, die in der Norm sensible Erregungen zum Kleinhirn führen, müssen deshalb solehe sein. die der Sensibilität der Muskeln, Sehnen, Ge- lenke, Knochen oder, wie man sie im Gegensatze zur Hautsensibili- tät kurz nennt, der Tiefensensibilität dienen. Und mit der Schädigung der Tiefensensibilität der Extremität infolge des Kleinhirnverlustes ist das Verständniss für unsere in Rede stehende Abnormität gegeben. Am kleimhirnlosen Hunde wird die Extremität aus abnormen Lagen, die mit abnormen sensiblen Erregungen ebensowohl von der Haut wie von den Muskeln, Gelenken u. s. w. her verbunden sind, so aus dem abnormen Stehen auf dem Zehen- oder Fussrücken, in die nor- male Lage zurückgeführt, weil die Hautsensibilität unversehrt erhalten ist; höchstens ist durch die Schädigung der Tiefensensibilität und die Herabsetzung der Erregbarkeit der Mark- und Muskelcentren eine Ver- zögerung bewirkt. Dagegen werden wegen jener Schädigung und dieser Herabsetzung abnorme Lagen der Extremität beibehalten, die mit abnormen sensiblen Erregungen hauptsächlich von den Muskeln, Gelenken u. s. w. und nur wenig von der Haut her verbunden sind, wie das freie Herabhängen der Extremität jenseits ‘des Tischrandes an dem auf‘ dem Tische stehenden Hunde. Die Schädigung der Tiefensensibilität ist noch genauer zu be- stimmen. Da nach der Totalexstirpation der Extremitätenregion der Grosshirnhemisphäre, wenn nach den ersten Wochen die Folgen des operativen Angriffs sich verloren haben — es ist das, wie ich er- 30 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 17. Januar 1907. innere, die Zeit, an die wir uns hier immer halten —, die zugehörige Extremität in allen abnormen Lagen verbleibt, so reichen in der Norm die niedereren Theile des Centralnervensystems für sich allein nicht aus, um die normale Lage wiederherzustellen. sondern bedarf es dazu der Extremitätenregion. Wenn nun nach dem Kleinhirnverluste am sonst unversehrten Hunde abnorme Lagen der Extremität verbessert werden, die mit abnormen Erregungen ebensowohl der Haut- wie der Tiefensensibilität, nicht aber solche, die hauptsächlich mit Er- regungen der Tiefensensibilität verbunden sind, so müssen in der Norm Erregungen der Tiefensensibilität der Extremität durch das Kleinhirn der Extremitätenregion zufliessen. Hinwiederum müssen andere solche Erregungen in der Norm ohne Vermittelung des Kleinhirns die Ex- tremitätenregion erreichen, weil nach dem Kleinhirnverluste das Ver- bleiben der Extremität in den abnormen Lagen eine verhältnissmässig rasch vorübergehende Erscheinung ist, schon 5—6 Wochen nach der Operation wieder eine Verbesserung jener Lagen erfolgt. Dabei giebt nichts zu vermuthen Anlass, dass von irgendwelchen Theilen der Ex- tremität mehr Erregungen der Tiefensensibilität zum Kleinhirn und dureh dieses zur Extremitätenregion fliessen, als ohne Vermittelung des Kleinhirns zur Extremitätenregion gelangen. Wohl aber muss es auffallen, wie nach dem Kleinhirnverluste die isolirten willkürlichen Bewegungen der Extremität zur Ausführung kommen', ohne dass eine Abnormität bemerklich wird, selbst beim Greifen des Affen nur der vorgestreckte Arm ein paarmal hin und her geht und Hand und Finger die normalen Bewegungen machen. Es ist ferner geradezu überraschend, wie nach dem Kleinhirnverluste trotz dem taumelnden Gange und trotz den unregelmässigen und ungeschiekten Bewegungen der ganzen Extremitäten Hand und Fuss normal bewegt und aufgesetzt werden, kein Scharren und Schleifen mit den Zehenrücken beim Gehen, kein Umgeknicktsein der Zehen oder des Fusses beim Stehen, kein Verfehlen und schlechtes Fassen beim Klettern sich zeigen. Abnorme Bewegungen und Stellungen der unteren Glieder der Extremität kommen gar nicht anders zur Beobachtung, als wo sie einfach durch die augen- blickliche Noth der Thiere, denen Fallen droht, verständlich sind: so, wenn Hund und Affe bei ihren ersten Gehversuchen auf den Knieen oder Fussrücken rutschen, und wenn der Affe beim Klettern unter dem starken Hin- und Herschwanken des Rumpfes oder beim Sitzen unter dem plötzlichen Verluste des Gleichgewichtes und dem Haschen nach einem Halt gelegentlich einmal schlecht den Stab erfasst. Dar- nach hat es die Wahrscheinlichkeit für sich, dass von der Extremität ! Diese Berichte 1906. 473ff. Munk: Über die Functionen des Kleinhirns. 31 und besonders den ihren unteren Gliedern zugehörigen Muskeln, Ge- lenken u. s. w. weniger Erregungen der Tiefensensibilität mittelbar dureh das Kleinhirn als unmittelbar zur Extremitätenregion gelangen. Aber beweisen lässt es sich zur Zeit nicht, und wir wollen deshalb dabei stehen bleiben, dass von den sensiblen Erregungen, die von den Muskeln, Gelenken, Knochen u. s. w. der Extremitäten ausgehen, der eine Theil, der in der Norm den Weg über das Kleinhirn zum Grosshirn nimmt, mit dem Kleinhirn verloren geht. Die Beeinflussung der Motilität im Bereiche von Wirbelsäule und Extremitäten, die als weitere Function des Kleinhirns unsere Abnor- mitäten aufdeckten, ist damit aufgehellt. Zwar haben sich unsere Ausführungen lediglich an die Extremitäten gehalten, weil entsprechen- des Beobachtungsmaterial für die Wirbelsäule fehlt und schwer zu beschaffen sein würde: aber bei dem Zusammenhange zwischen Wirbel- säule und Extremitäten, den hier das abnorme Herabhängen auch des Hinterkörpers des Hundes jenseits des Tischrandes kundthut, gehen wir gewiss nicht fehl, wenn wir das Ermittelte auch auf die Wirbel- säule übertragen. Es ist also die weitere Funetion des Kleinhirns, dass seine motorischen centralen Elemente, schwach erregt infolge der Erregungen, die beständig aus dem Bereiche von Wirbelsäule und Extremitäten auf Bahnen der Tiefensensibilität dem Kleinhirn zufliessen, und intercentraler Erregungen, die noch hinzutreten können, eine schwache Erregung oder erhöhte Erregbarkeit von Mark- und Muskeleentren für den Bereich von Wirbelsäule und Extremitäten herbeiführen. Wo es auf Kürze und nicht auf Genauigkeit des Aus- drucks ankommt, kann man demgemäss, wie von einem Rückenmarks- tonus und einem Grosshirn- oder Rindentonus, auch von einem Klein- hirntonus sprechen, wenn man nur festhält, dass der Kleinhirntonus sich auf den Bereich von Wirbelsäule und Extremitäten beschränkt und nicht in der Haut- und der Tiefensensibiliät, sondern ausschliess- lich in der letzteren seine Quelle hat. Doch ist diese weitere Function des Kleinhirns eben nur eine Function. die das Kleinhirn, wie wir nach unseren früheren Unter- suchungen voraussehen konnten‘. mit dem Grosshirn, dem Rücken- mark, den Principalcentren, den Markcentren gemein hat. Seine spe- eifische Funetion ist, wie wir zuvor fanden’, die feinere Gleichge- wiehtserhaltung oder Gleiehgewichtsregulirung beim Sitzen, Liegen, Gehen, Stehen usw. Dafür ist das Kleinhirn im Bewegungsapparate des 'Thieres das besonders hergerichtete Organ und kommt es nach ! Diese Berichte 1903. 1077; I906. 444. 447- 2 Ebenda 1906. 472, 474- Sitzungsberichte 1907. > 32 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 17. Januar 1907. Bedarf in Thätigkeit. Ist es nicht derart thätig, ist es im soge- nannten Ruhezustande, so beeinflusst es — wie die anderen zum Bewegungsapparate gehörigen centralen Organe, und zwar ein jedes die ihm für seine speeifische Function untergeordneten Üentren —- Mark- und Muskelcentren für den Bereich von Wirbelsäule und Ex- tremitäten, indem es diese Öentren mehr oder weniger, aber immer nur schwach erregt oder in ihrer Erregbarkeit erhöht. Das ist also die Einsicht, die uns die Betrachtung der Thiere zur Zeit, da sich die Folgen des Kleinhirnverlustes am reinsten an ihnen darbieten, gewinnen lässt. Und sie findet Bestätigung und Verfeinerung, wenn wir nunmehr noch die Erscheinungen in der ersten Zeit nach der Operation, ferner das Verhalten der Thiere nach halb- seitiger Exstirpation und was sich daran anschliesst, ins Auge fassen. Ausgegeben am 24. Januar. 33 SITZUNGSBERICHTE 1907. DER IH. KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 17. Januar. Sitzung der philosophisch-historischen Classe. Vorsitzender Secretar: Hr. VAHLen. Hr. Scammpr las: »Deutsche Reimstudien.« II. (Ersch. später.) Mit Ausblicken auf Mundartliches und anderen Excursen werden besonders der »reiche« Reim, der in Ableitungs- und Flexionssilben liegende, die Assonanz erörtert. Ausgegeben am 24. Januar. R ”e £ a 4 TEE ysperk un ur a „2 9% ArzR Ri Tan 23 sm ' I Li j" ’ an ” . Kerr 48 ur ER, a. RAN ER eb Far Ir u Vryı y- ir r r ” . Ph mau ei AN | Kan Es IM 3 Ale FAT LER IREN 7 ir: Y f 5 k . “ - [} s a ee EI LEN TI SEE ee ri al Aa Ba TER Eue IE aA = Br A H IH TI 98 5 \ r - Ä ® h [} > - Ps u z a E v E se Na ee 3 Gruner . en. ee ne er r - u I =; 1907. IV. SITZUNGSBERICHTE DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. Öffentliche Sitzung am 24. Januar. Fischer: Chemie der Proteine und ihre Beziehung zur Biologie. (S. 35) Verleihung der Hernnorrz - Medaille. (S. 56) Jahresberichte über die akademischen Unternehmungen, Stiftungen und Institute. (S. 56) Übersicht über die Personalveränderungen. (S. 91) IN COMMISSION BEI GEORG REIMER, BERLIN 1907. VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 1 Aus dem Reglement für die Redaction der akademischen Druckschriften. Aus $1l. Die Akademie gibt gemäss $ 41,1 der Statuten zwei fortlaufende Veröffentlichungen heraus: » Sitzungsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften « und »Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften. Aus $ 2. Jede zur Aufnahme in die »Sitzungsberichte« oder die »Abhandlungen« bestimmte Mittheilung muss in einer aka- demischen Sitzung vorgelegt werden, wobei in der Regel das druckfertige Manuseript zugleich einzuliefernist. Nicht- mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen. $ 3. Der Umfang einer aufzunehmenden Mittheilung soll in der Regel in den Sitzungsberiehten bei Mitgliedern 32, bei Nichtmitgliedern 16 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Sitzungsberichte, in den Abhandlungen 12 Druckbogen von je 8 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Abhand- lungen nicht übersteigen. Überschreitung dieser Grenzen ist nur mit Zustimmung der Gesammt-Akademie oder der betreffenden Classe statt- haft, und ist bei Vorlage der Mittheilung ausdrücklich zu beantragen. Lässt der Umfang eines Manuscripts ver- muthen, dass diese Zustimmung erforderlich sein werde, so hat das vorlegende Mitglied es vor dem Einreichen von sachkundiger Seite auf seinen muthmasslichen Umfang im Druck abschätzen zu lassen. Sa. Sollen einer Mittheilung Abbildungen im Text oder auf besonderen Tafeln beigegeben werden, so sind die Vorlagen dafür (Zeiehnungen, photographische Original- aufnahmen n.s. w.) gleichzeitig mit dem Manuseript, jedoch auf getrennten Blättern, einzureichen. Die Kosten der Herstellung der Vorlagen haben in der Regel die Verfasser zu tragen. Sind diese Kosten aber auf einen erheblichen Betrag zu veranschlagen, so kann die Akademie dazu eine Bewilligung beschliessen. Ein darauf gerichteter Antrag ist vor der Herstellung der be- treffenden Vorlagen mit dem schriftlichen Kostenanschlage eines Sachverständigen an den vorsitzenden Secretar zu richten, dann zunächst im Seeretariat vorzuberathen und weiter in der Gesammt-Akademie zu verhandeln. Die Kosten der Vervielfältigung übernimmt die Aka- demie. Über die voraussichtliche Höhe dieser Kosten ist — wenn es sich nicht um wenige einfache Textfiguren handelt — der Kostenanschlag eines Sachverständigen beizufügen. Überschreitet dieser Anschlag für die er- forderliche Auflage bei den Sitzungsberichten 150 Mark, bei den Abhandlungen 300 Mark, so ist Vorberathung dureh das Seeretariat geboten. Aus $5. Nach der Vorlegung und Einreichung des vollständigen druckfertigen Manuseripts an den zuständigen Secretar oder an den Archivar wird über Aufnahme der Mittheilung in die akademischen Sehriften, und zwar, wenn eines der anwesenden Mit- glieder es verlangt, verdeckt abgestimmt. Mittheilungen von Verfassern, welche nicht Mitglieder der Akademie sind, sollen der Regel nach nur in die Sitzungsberichte aufgenommen werden. Beschliesst eine Classe die Aufnahme der Mittheilung eines Nichtmitgliedes in die dazu bestimmte Abtheilung der » Abhandlungen«, so bedarf dieser Beschluss der Bestätigung durch die Gesammt-Akademie. (rose auf S. 3 des an | Aus $6, Die an die Druckereiabzuliefernden Manuseriptemüssen, wenn es sich nicht bloss um glatten Text handelt, aus- reichende Anweisungen für die Anordnung des Satzes ; und die Wahl der Schriften enthalten. Bei Einsendungen Fremder sind diese Anweisungen von dem vorlegenden Mitgliede vor Einreichung des Manuseripts vorzunehmen. Dasselbe hat sich zu vergewissern, dass der Verfasser seine Mittheilung als vollkommen druckreif ansieht. Die erste Correetur ihrer Mittheilungen besorgen die Verfasser. Fremde haben diese erste Correetur an das vorlegende Mitglied einzusenden. Die Correetur soll nach Möglichkeit nicht über die Berichtigung von Druckfehlern und leichten Schreibversehen hinausgehen. Umfängliche Correeturen Fremder bedürfen der Genehmigung des redi- girenden Seeretars vor der Einsendung an die Druckerei, und die Verfasser sind zur Tragung der entstehenden Mehr- kosten verpflichtet. atanths Aus $ 8. Be 2 Von allen in die Sitzungsberichte oder Abhandlungen aufgenommenen wisgenschafiliälen Mittheilungen , Reden, Adressen oder Berichten werden für die Verfasser, von 4 wissenschaftlichen Mittheilungen, wenn deren Umfang im Druck 4 Seiten übersteigt, auch für den Buchhandel Sonder- Er abdrucke hergestellt, die alsbald nach Erscheinen des be- y treffenden Stücks der Sitzungsberichte ausgegeben werden. Von Gedächtnissreden werden ebenfallsSonderabdrucke für den Buchhandel hergestellt, indess nur dann, wenn die Verfasser sich ausdrücklich damit einverstanden erklären, Br 89. Von den Sonderabdrucken aus den Sitzungsberichlenl > erhält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 50 Frei- E exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis zur Zahl von 200 (im ganzen also 350) abziehen zu lassen, ö sofern er diess rechtzeitige dem redigierenden Seeretar an- E gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noeh ‚mehr Er Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazu E ü en T der Genehmigung der an Akademie oder der be- treffenden Ge — Nichtmitglieder erhalten 50 Frei- exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem redigirenden Secretar weitere 200 Exemplare” auf ihre Kosten abziehen lassen. £ Von den Sonderabdrucken aus den Abhandlungen ‚ere..) Be £ hält ein Verfasser, weleher Mitglied der Akademie ist, N zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 30 Frei- exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke v auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis. zur Zahl von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis zur Zahl von 100 (im ganzen also 230) abziehen zu lassen, 14 sofern er diess rechtzeitig. dem redigirenden Seeretar au gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es daz der Genehmigung der Gesammt-Akademie oder der b treflenden Clässes _ Nichtmitglieder erhalten. 30. ‚Frei- exemplare und dürfen nach rechtzeitiger. Anzeige bei ‚dem ” E redigirenden Seeretar weitere. 100 Exemplare auf ihre n Kosten puzschen lassen. A ar er ESS T EN. MR Eine für die ke Schri ften be- stimmte ‚wissenschaftliche N ittheilung & art \ in keinem Falle vor ihrer Ausgabe an jener 7 Stelle anderweitig, sei es auch Ur auszugs- 35 SITZUNGSBERICHTE 1907. IV. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 24. Januar. Öffentliche Sitzung zur Feier des Geburtsfestes Sr. Majestät des Kaisers und Königs und des Jahrestages König Frreorıca's II. Vorsitzender Secretar: Hr. VAuLEn. Der Vorsitzende eröffnete die Sitzung, welcher Se. Excellenz der Hr. Kultusminister beiwohnte, mit einer kurzen auf die doppelte Fest- feier bezüglichen Ansprache. Darauf hielt Hr. Fıscner folgenden Fest- vortrag: Die Chemie der Proteine und ihre Beziehungen zur Biologie. D: die Unterhaltung des Lebens einen fortdauernden Stoffwechsel er- fordert, so ist der Trieb der Selbsterhaltung bei allen mit Bewußt- sein begabten Wesen in erster Linie auf eine ausreichende Zufuhr von Nahrung gerichtet. Ihre Beschaffung, Aufbewahrung und Zubereitung gehören deshalb zu den ältesten Sorgen der Menschheit und haben noch mehr als die Herstellung von Wohnung und Kleidung oder der Zwang der Selbstverteidigung ihren erfinderischen Sinn geweckt. Die Methoden der Jagd und des Fischfangs, der Ackerbau und die Viehzucht, die mannigfaltigen Künste von Küche und Keller sind alle dem gleichen Bedürfnis entsprungen. Und wie sehr Nahrungsfragen den Handel und Verkehr oder die sozialen und politischen Einrichtun- gen der Völker beeinflußt haben, ist von der Geschichtsforschung viel- leicht noch nicht genügend berücksichtigt worden. Selbst bei der verfeinerten Lebensführung unserer Zeit mit den gesteigerten Ansprüchen an Wohnung, Kleidung und immaterielle Genüsse müssen die breiten Massen des Volkes noch immer mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Nahrungsmittel verausgaben. Sitzungsberichte 1907. 6 36 Öffentliche Sitzung vom 24. Januar 1907. Daß Stoffe von so eminent praktischer Wichtigkeit längst Gegen- stand eingehender wissenschaftlicher Forschung geworden sind, kann nicht Wunder nehmen. Physiologie, Chemie, Botanik und Medizin wetteifern darin, ihren Nährwert, ihre Zusammensetzung, ihre Ent- stehung in der Pflanzenwelt und ihr Schicksal im Tierleibe zu er- mitteln. Ein Heer von Chemikern und Hiygienikern ist damit be- schäftigt. die Güte der Handelswaren zu prüfen, und besondere Ge- setze bedrohen ihre Verfälschung mit schweren Strafen. So sehr die verschiedenen Nahrungsmittel in der äußeren Form, in Farbe, Geschmack und Geruch voneinander abweichen, so zeigen sie doch in der chemischen Zusammensetzung große Ähnlichkeit. Der Hauptmenge nach bestehen sie alle aus komplizierten Verbindungen des Kohlenstoffs, sogenannten organischen Substanzen, die in wech- selndem Verhältnis gemischt sind. Als ihre Quelle haben wir in letzter Linie das Pflanzenreich an- zusehen; denn auch die animalische Kost, wie Fleisch, Milch. Eier, ist nur umgewandelte vegetabilische Materie, die dem Zuchtvieh als Nahrung gedient hat. Durch die Pflanzen werden diese organischen Stoffe aus sehr ein- fachen Bestandteilen der leblosen Welt, d.h. aus Wasser, Kohlensäure, Nitraten und einigen anderen Salzen des Bodens, durch wunderbare synthetische Prozesse bereitet. Sie erfahren im Tierkörper nach mannig- fachen Verwandlungen und zeitweiser Verwendung zum Aufbau der Organe eine radikale Zertrümmerung und kehren schließlich in die Form der Ausgangsmaterialien, Kohlensäure, Wasser usw., zurück. Die Erkenntnis dieses merkwürdigen chemischen Wechselverhält- nisses zwischen Pflanze und Tier ist gewiß eine der glänzendsten Er- rungenschaften der neueren Naturforschung. Aber der große Kreis- lauf der organogenen Elemente: Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff vollzieht sich in zahlreichen Phasen, die uns großen- teils noch unbekannt sind und deren Aufklärung noch für lange Zeit das vornehnmste Ziel der biologischen Chemie bilden wird. Eine Voraussetzung für den Erfolg solcher Studien ist die ge- naue Kenntnis der chemischen Natur aller Einzelstoffe, die in dem Zyklus auftreten; und das ist eine Aufgabe, der sich die organische Chemie seit 100 Jahren mit immer steigendem Erfolge gewidmet hat. Aus der großen Zahl der Kohlenstoffverbindungen, die. hierfür in Betracht kommen, ragen drei scharf abgegrenzte Klassen, die Fette, Kohlenhydrate und Proteine, durch Masse und Wichtigkeit für den Stoffwechsel hervor. Abgesehen vom Wasser bilden sie auch den Hauptbestandteil unserer Nahrung. Ihre elementare Zusammensetzung ist qualitativ schon im ı8. Jahrhundert von Lavoisıer und quanti- Fıscnuer: Die Chemie der Proteine und ihre Beziehungen zur Biologie. 31 tativ im Anfang des 19. Jahrhunderts mit ziemlich großer Genauigkeit festgestellt worden. Aber das hat für die Erforschung solcher komplizierten Kohlen- stoffverbindungen noch keine große Bedeutung. Viel wichtiger, aber auch weit schwieriger ist die Aufklärung ihrer chemischen Konsti- tution oder, wie man jetzt gewöhnlich sagt, der Struktur ihres Mole- küls. Was in dieser Beziehung für die drei Klassen bisher geleistet wurde, ist ziemlich ungleich. Die Natur der Fette wurde schon in den ersten Dezennien des ı9. Jahrhunderts durch die berühmten Untersuchungen ÜHEVREULS über den Prozeß der Seifenbereitung im wesentlichen bekannt und bereits 1854, d.h. nur 26 Jahre nach dem Beginn der organischen Synthese, gelang es BERTHELOT. sie aus Glyzerin und Fettsäuren künst- lich aufzubauen. Viel länger hat es gedauert, bis die gleiche Aufgabe bei den Kohlenhydraten gelöst werden konnte, obschon die meisten eine ein- fachere Zusammensetzung als die Fette haben: denn erst im Jahre ı890 wurden die wichtigsten Glieder der Gruppe, der Traubenzucker und seine Verwandten, künstlich dargestellt, und noch immer sind komplizierte Derivate desselben, wie Stärke und Zellulose, nicht allein der Synthese unzugänglich. sondern auch in bezug auf die Struktur des Moleküls rätselhaft geblieben. So wünschenswert es auch sein mag, daß diese Lücke bald ausgefüllt wird, so ist doch die Biologie mit den bisherigen Kenntnissen schon in der Lage, das Schicksal der Kohlenhydrate im Tier- und Pflanzenleibe erfolgreich zu studieren. Schlimmer steht es mit der dritten und größten Klasse, den Proteinen, von denen die wiehtigsten auch unter dem bekannteren Namen »Eiweißstoffe« zusammengefaßt werden. Sie unterscheiden sich von den Fetten und Kohlenhydraten durch den Gehalt an Stickstoff und sind mit ihren zahlreichen Derivaten die kompliziertesten chemi- schen Gebilde, welche die Natur hervorbringt. Während im Pflanzenreich die Kohlenhydrate an Masse über- wiegen, besteht der Tierleib, soweit organische Materie in Betracht kommt, zum größten Teil aus Proteinen, und nur bei überreich er- nährten Individuen oder Rassen wird ihre Menge annähernd von der des Fettes erreicht. Infolge des massenhaften Auftretens im Tierreich haben sich die Proteine ebenso früh wie die Kohlenhydrate und Fette der Beoach- tung aufgedrängt, und einige von ihnen waren in annähernd reinem Zustande lange vor der Geburt der organischen Chemie bekannt. Aus dem älteren Klassennamen »Eiweißstoffe« oder » Albumine«, der in der Wissenschaft erst neuerdings mehr und mehr durch das 6* 38 Öffentliche Sitzung vom 24. Januar 1907. Wort »Proteine« verdrängt wird, darf man schließen, daß von allen diesen Stoffen der weiße Teil des Vogeleies die Aufmerksamkeit der Menschen am meisten gefesselt hat, wahrscheinlich weil er so leicht zu isolieren ist und so mannigfaltige Verwendung in der Küche und den Gewerben findet. Seine Eigenschaft, in der Hitze zu gerinnen und trotz des reichen Wassergehaltes eine ziemlich feste Masse zu bilden, ist typisch für eine größere Anzahl von Proteinen, und auch manche andere charak- teristische chemische Veränderungen der ganzen Klasse sind zuerst an dem Eiereiweiß gefunden worden. Es verdient übrigens hier schon bemerkt zu werden, daß dieses Eiereiweiß, entgegen der ge- wöhnlichen Annahme, kein einheitlicher Stoff ist, sondern mindestens zwei, vielleicht aber noch mehr Proteine enthält, die einander aller- dings sehr ähnlich sind. Noch mannigfaltiger zusammengesetzt ist der Dotter des Eies, der außer einem Protein reichliche Mengen von Fett, Leeithin, Chole- sterin und andere Stoffe enthält. Ein zweites, ebenfalls sehr leicht zugängliches Protein ist das Kasein der Milch. Wie sein Name anzeigt, bildet es den Haupt- bestandteil des Käses. Seine Abscheidung aus der Milch, die soge- nannte Gerinnung, kann auf recht verschiedene Weise erfolgen. Spontan und bei gewöhnlicher Temperatur tritt sie ein beim Sauer- werden oder, wissenschaftlich gesprochen, durch die Milchsäure- gärung. Dasselbe erreicht man in der Wärme durch das sogenannte »Lab«, ein Stoff, der von der Schleimhaut des tierischen Magens. abgesondert wird, und den man meistens zur Käsebereitung ver- wendet. Das Kasein ist wiederum nicht das einzige Protein der Milch. denn sie enthält, allerdings in viel geringerer Menge, einen zweiten Stoff, der dem Eieralbumin ähnelt und deshalb »Milchalbumin« ge- nannt wird. Der Gehalt an diesen beiden Proteinen, ferner an Fett und Milehzucker, ist übrigens bei den verschiedenen Rassen und selbst bei den einzelnen Individuen erheblichen Schwankungen unterworfen, und es scheint mir auch recht zweifelhaft, daß das Kasein in allen Fällen, z. B. in der Kuh- und in der Frauenmilch, gleich ist; denn die letztere gerinnt außerordentlich viel feiner und wird deshalb von dem Säugling so sehr viel leichter vertragen als die Kuhmilch, die im Magen des kleinen Konsumenten dicke Klumpen ausscheidet und dadurch schon in mechanischer Beziehung dem Verdauungsapparat Schwierigkeiten bereitet. Reicher an Proteinen als andere Sekrete des Tierkörpers ist das Blut. Sicher nachgewiesen sind darin vier verschiedene Arten, zu Fischer: Die Chemie der Proteine und ihre Beziehungen zur Biologie. 39 denen das bei der Gerinnung ausfallende Fibrin und ferner das Globin der roten Blutkörperchen gehören. Das Dichterwort »Blut ist ein ganz besonderer Saft« verdient also auch in chemischer Beziehung volle Anerkennung. Von sonstigen Proteinen ist wohl die Gelatine oder der Leim am bekanntesten. Er wird aus Bindegewebe, Knorpel oder Knochen durch Auslaugen mit überhitztem Wasser dargestellt und findet ebenso im ge- wöhnlichen Haushalt wie in den Gewerben die verschiedenartigste Verwendung. Dazu kommen wieder andere Proteine des Muskels, der Haut, Haare, Nägel und nicht minder zahlreiche Stoffe des Pflanzenreichs. Von letzteren ist am bekanntesten das Edestin des Baumwollensamens, das neuerdings im Großen daraus gewonnen und für die Darstellung eines Nährpräparats verwandt wird. Besondere Erwähnung verdienen noch zwei Produkte des Tier- leibes, weil sie sich durch einfache chemische Zusammensetzung aus- zeichnen und deshalb bei späteren Betrachtungen nicht fehlen dürfen. Es sind das einerseits die Protamine, deren erster Repräsentant von Miescnher 1874 in dem Samen des Rheinlachses entdeckt und die in neuerer Zeit mit großem Erfolge von A. KosseL studiert wurden, und andererseits der Hauptbestandteil der Seide, das sogenannte »Fibroin«, welches nach meinen Erfahrungen von allen Proteinen am leichtesten zu studieren und deshalb für die Lösung mancher prinzipieller Fragen am besten geeignet ist. Diese flüchtige Aufzählung wird genügen, um den Reichtum an Formen in der Gruppe der natürlichen Proteine anzudeuten. Ein voll- ständiges Bild davon vermag leider die heutige Wissenschaft noch nicht zu geben. Denn trotz der vielen Mühe, die eine stattliche Schar von Chemikern und Physiologen seit 100 Jahren auf ihre Isolierung, Rei- nigung und sogar Kristallisation verwendet haben, sind die Methoden der Charakteristik nicht scharf genug, um feinere individuelle Unter- schiede festzustellen. Dal3 solche aber vorhanden sein müssen, be- weisen die neueren Beobachtungen über die Entstehung von Präzi- pitinen im Blute bei Einführung von fremden Proteinen und die Er- fahrung, daß diese Präzipitine ganz spezifische Fällungsmittel für den Fremdkörper sind. Wie in anderen Kapiteln der organischen Chemie wird höchst- wahrscheinlich auch bei den Proteinen erst dann eine rationelle Syste- matik möglich sein, wenn es gelungen ist, für eine große Anzahl die Struktur des Moleküls festzustellen. Für diesen Zweck stehen uns im allgemeinen zwei Wege often: Abbau und Aufbau des Moleküls. Der erste gleicht einer Zergliede- 40 Öffentliche Sitzung vom 24. Januar 1907. rung und wird so lange fortgesetzt, bis Stücke von bekannter Struktur zum Vorschein kommen. Von ihnen läßt sich dann ein Rückschluß auf den Bau des ursprünglichen Systems ziehen. Noch entscheidender ist in der Regel der synthetische Versuch, aus den Stücken den ganzen Bau zu rekonstruieren. Mit welchem Erfolge beide Methoden auf die Proteine angewandt werden konnten, will ich versuchen in gedrängter Kürze darzulegen. Obschon die Proteine von sehr verschiedenen Agenzien ange- griffen werden, so hat sich doch bisher nur ein einziger Zergliederungs- vorgang für das Studium ihrer Struktur als geeignet erwiesen. Es ist die Aufspaltung durch Anlagerung von Wasser, die man Hydro- lyse nennt und die u. a. bei der tierischen Verdauung erfolgt. Legt man z. B. ein Stückchen hart gekochtes Eiweiß vom Hühner- ei in den Saft eines tierischen Magens und erwärmt auf die Tempe- ratur des Blutes, so verschwindet die feste Masse je nach der Größe mehr oder weniger rasch, weil das Eiweiß sich in leicht lösliche Produkte verwandelt, die man Albumosen und Peptone nennt. In weiterem Kreise ist der zweite Name bekannt von einem Handels- produkt, das zur Ernährung von Kranken mit geschwächter Magen- verdauung benutzt wird. Mit der Bildung der Peptone ist der Prozeß aber nicht beendet: denn sie verfallen im Darm einer weiteren Hydrolyse, als deren letzte Produkte wir ziemlich einfache organische Substanzen beobachten, die den Namen » Aminosäuren« führen. Rascher als durch die Verdauungssäfte kann die totale Hydrolyse durch heiße starke Säuren, z. B. Salzsäure, bewirkt werden, und auch hier entstehen außer Ammoniak fast ausschließlich Aminosäuren, die wir demnach als die Bausteine des Proteinmoleküls betrachten. Wie mannigfaltig in der Zusammensetzung sie sein können, zeigt ein Blick auf die folgende Tabelle, in der alle bisher auf diesem Wege erhaltenen Aminosäuren nebst kurzer Angabe über ihre Ent- deckung in der Natur und besonders in den Proteinen zusammen- gestellt sind. Als erstes Glied der Reihe ist das Glykokoll oder Leimsüß an- geführt. Es verdankt seinen Namen einerseits dem süßen Geschmack und anderseits der Entstehung aus Leim, woraus es im Jahre 1820 durch den französischen Chemiker Bracoxsor in der oben geschilderten Weise gewonnen wurde. Schon zwei Jahre früher war das Leuein von Prousr in altem Käse gefunden worden. Die nächstälteste Aminosäure dürfte die Asparaginsäure sein, welche zuerst von Prissov 1827 aus dem schon seit 1805 bekannten Asparagin erhalten und viel später auch in den Proteinen entdeckt wurde. Fiscner: Die Chemie der Proteine und ihre Beziehungen zur Biologie. 41 Glykokoll (Braconnor 1820) Prolin (E. Fıscner 1901) Alanin (SCHÜTZENBERGER, WEYL Oxyprolin (E. Fıscuer 1902) 1888) Valin (v. Gorur-Besanez 1856) Leuein (Prousr 1818, BRrAcoNNoT 1820) Isoleuein (F. EnkticH 1903) Ornithin (M. Jarre 1877) Lysin (E. Drecuser 1880) Arginin (E. Scuu1ze und E. STEIGER 1886) Histidin (A. KosseL 1896) Phenylalanin (E. Scuuzze und BAr- Tryptophan (Horxıss und Corx BIERI 1881) | 1901) Serin (ÜRAMER 1865) Diaminotrioxydodekansäure Tyrosin (Liesıe 1846) (E. Fischer und E. ABDERHALDEN, SKRAUP 1904) Asparaginsäure (Prisson 1827) ! Gystin (Worraston 1810, K. A.H. Glutaminsäure (Rırtmausen 1866) MÖRNER 1899). Wie diese Bemerkung zeigt, ist die Anordnung in der Tafel nicht chronologisch, sondern systematisch. Auf das Glykokoll folgen zuerst seine nächsten Verwandten, Alanin, Valin, Leuein und Isoleuein. Diese fünf einfachsten Amino- säuren sind die «-Aminoderivate der Essigsäure und ihrer Homologen mit 3, 5 und 6 Kohlenstoffatomen (Propionsäure, Isovaleriansäure und Isocapronsäure). Ihnen schließt sich das Phenylalanin an, das, wie schon der Name sagt, dem Alanin nahe verwandt ist, aber die aromatische Gruppe Phenyl enthält. Das von CrAnmer im Seidenleim entdeckte Serin und das von Liegıs schon 1846 aus Käse dargestellte Tyrosin sind die einfachen Oxy- derivate des Alanins und Phenylalanins, dann folgen die stark sauer reagierende Asparagin- und Glutaminsäure, von denen besonders die letzte ein Hauptbestandteil mancher pflanzlichen Proteine ist. Prolin und Oxyprolin sind ausgezeichnet als Derivate des hetero- zyklischen Pyrrolidins und bilden bis zum gewissen Grade eine Brücke zwischen den Proteinen und den im Pflanzenreich weit verbreiteten Alkaloiden, zu denen unsere wichtigsten Heilmittel, Chinin, Morphin, Kokain usw., gehören. Die drei folgenden Substanzen, Ornithin, Lysin und Arginin, nennt man Diaminosäuren, weil sie zwei Aminogruppen enthalten und deshalb starke Basen sind. Histidin ist sehr wahrscheinlich ein Derivat des Imidazols und würde demnach einige Verwandtschaft mit den Purinkörpern haben. 42 Öffentliche Sitzung vom 24. Januar 1907. Trytophan gehört zur Gruppe des Indols und bildet den Teil des Eiweißes, aus dem wahrscheinlich der eharakteristische Geruch der menschlichen Fäces oder auch der zuweilen im menschlichen Urin auftretende blaue Indigofarbstoff entstehen. Die folgende Verbindung mit dem langen Namen » Diaminotri- oxydodekansäure« ist die kohlenstoffreichste der ganzen Reihe und kann als Abkömmling einer Fettsäure mit ı2 Kohlenstoffatomen ein gewisses Sonderinteresse beanspruchen. Das schon 1810 von Worrasron entdeckte Cystin zeichnet sich durch den hohen Gehalt an Schwefel aus und bildet die einzige uns bekannte schwefelhaltige Gruppe der Proteine. Wenn diese 19 verschiedenen Aminosäuren durch Hydrolyse der Proteine erhalten wurden, so folgt daraus noch nicht, daß sie in jedem Protein vorhanden sein müssen. Im Gegenteil, es läßt sich durch sichere Proben feststellen, daß Tyrosin oder Trytophan oder Glykokoll in manchen Proteinen gänzlich fehlen. Auch die Mengen, in denen die einzelnen Aminosäuren auftreten, sind außerordentlich verschieden. So bildet das Glykokoll, das im Kasein oder Oxyhämo- globin gänzlich fehlt, fast $+ vom Gewicht des Seidenfibroins. Um- gekehrt ist die Glutaminsäure, die in der Seidenfaser gar nicht ge- funden wurde, in dem Gliadin des Weizens zu ungefähr 36 Prozent enthalten, und für Arginin schwanken die Werte zwischen 2 Prozent im Zein und 84 Prozent im Salmin. Andererseits muß aber doch betont werden, daß in der über- wiegenden Mehrzahl der Proteine die meisten jener Aminosäuren sich vorfinden. Wenn sie wirklich alle Bestandteile desselben Moleküls wären, so müßte dieses ein erschreckend großer Komplex sein, und in der Tat lauten die älteren Schätzungen des Molekulargewichts für manche Proteine auf einen Wert von 12—15000, der denjenigen der Fette um das 15— 20fache übertreffen würde. Ich bin nun allerdings der Ansicht, daß diese Berechnungen auf sehr unsicherer Basis beruhen. vornehmlich deshalb, weil wir nicht die geringste Garantie für die chemische Einheitlichkeit der natürlichen Pro- teine haben: ich glaube vielmehr, daß sie Gemische von Substanzen sind, deren Zusammensetzung in Wirklichkeit viel einfacher ist, als man bisher nach den Resultaten der Elementaranalyse und der Hydrolyse annahm. Als Bausteine des Proteinmoleküls sind die Aminosäuren seit länger als 50 Jahren Lieblingskinder der chemischen Forschung ge- wesen, und es ist deshalb kein Wunder, daß für die Mehrzahl nicht allein die Struktur ermittelt, sondern auch die totale Synthese aus den Elementen verwirklicht wurde. Fischer: Die Chemie der Proteine und ihre Beziehungen zur Biologie. 43 Nur für Oxyprolin, Histidin, Trytophan und Diaminotrioxydo- dekansäure bleibt die Aufgabe noch zu lösen. Mit Ausnahme des Glykokolls sind alle diese Produkte, soweit sie in der Natur vorkommen, optisch-aktiv, d.h. sie drehen in Lö- sung die Ebene des polarisierten Lichtes. Im Gegensatz dazu liefert bekanntlich die organische Synthese zunächst optisch-inaktive Sub- stanzen, aber diese lassen sich nach den von L. Pasterur entdeckten Methoden nachträglich in optisch-aktive Formen verwandeln. Auch bei den Aminosäuren ist das durch Benutzung ihrer Acyl- derivate gelungen, denn diese bilden mit den natürlichen Alkaloiden beständige, durch Kristallisation in die optischen Komponenten zer- fallende Salze, aus denen durch einfache Operationen die optisch- aktiven Aminosäuren entstehen. Das Verfahren ist bei der Mehrzahl der Aminosäuren mit Erfolg angewandt worden, und seine weitere Ausdehnung auf die noch übrigen Fälle, Prolin, Lysin und Cystin, wird kaum auf Schwierigkeiten stoßen. Man darf deshalb erwarten, daß in nächster Zukunft die totale Synthese aller dieser Körper auch in der optisch-aktiven Form mög- lich sein wird. Dagegen ist es leider nicht wahrscheinlich, daß die Tabelle bereits sämtliche Spaltprodukte der Proteine enthält. Im Gegenteil deuten manche Beobachtungen darauf hin, daß in dem rohen Gemisch von Aminosäuren, welches beim Kochen der Proteine mit Salzsäure entsteht, noch unbekannte Substanzen enthalten sind, deren Isolierung vielleicht erst durch bessere Trennungsmethoden ge- lingen wird. Soviel darf man aber wohl jetzt schon behaupten, daß die wichtigsten Bausteine des Proteinmoleküls uns bekannt sind, und daß für manche einfachere Glieder der Proteingruppe kaum noch ein Stück fehlt. So erfreulich dieses Resultat auch sein mag, so ist damit doch nur der kleinste Teil der Aufgabe gelöst, welche die Erforschung der chemischen Konstitution der Eiweißstoffe uns stellt; denn viel schwieriger gestaltet sich die Frage: in welcher Art und Reihenfolge sind diese Stücke in dem Molekül der natürlichen Proteine miteinander verbunden? Für ihre Lösung könnte man ebenfalls den Weg des Abbaues durch gemäßigte Hydrolyse beschreiten. Der Versuch ist längst ge- macht, denn wie oben schon bemerkt, erhält man bei gemäßigter Einwirkung der Verdauungssäfte aus den Proteinen zunächst die Albu- mosen und Peptone, die erst bei weiterer Hydrolyse in Aminosäuren zerfallen. Aber nach den neueren Erfahrungen sind Albumosen und Pep- tone, trotz aller darauf verwandten Trennungsversuche, immer noch 44 Öffentliche Sitzung vom 24. Januar 1907. Gemische sehr ähnlicher Stoffe, für deren Isolierung uns bis jetzt die Methoden fehlen. Es war darum auch nicht möglich, sie als chemische Individuen zu kennzeichnen und ihre Struktur zu ermitteln. Die Forschung war hier geradezu auf einen toten Punkt gekommen, wo- durch bei manchen Sachverständigen Zweifel an der Lösbarkeit des Problems entstanden. Ich habe deshalb den umgekehrten Weg der Synthese einge- schlagen und zunächst ohne Rücksicht auf die einzelnen Proteine der Natur versucht, ähnliche Gebilde durch künstliche Aneinanderfügung der Aminosäuren herzustellen. Der Erfolg hat die Berechtigung des Wagnisses bestätigt, denn es gelingt in der Tat, durch Verkupplung der Aminosäuren Substanzen zu gewinnen, die zuerst den Peptonen und bei fortgesetzter Synthese den Proteinen sehr ähnlich sind. Um diese Methoden des Aufbaues zu verstehen, muß man mit der chemischen Natur und den Verwandlungen der Aminosäuren ver- traut sein, und ihre Schilderung ist nur möglich mit Hilfe der soge- nannten Strukturformeln. Ich wähle dafür das einfachste Beispiel, das Glykokoll, dessen Struktur man durch die Formel NH,.CH,.COOH ausdrückt. Wie daraus ersichtlich ist, enthält es die sehr veränderliche Aminogruppe (NH,) und das nicht minder veränderungslustige Carb- oxyl (COOH). Ganz ähnlich sind alle übrigen Aminosäuren gebaut, und es ist gewiß kein Zufall, daß die Natur diese Stücke zur Be- reitung der Proteine gewählt, um chemische Gebilde von höchster Verwandlungsfähigkeit zu bekommen, wie sie der Organismus für seine subtilen Zwecke notwendig hat. Es war deshalb zu erwarten, daß man durch geeignete Benutzung der in jenen Gruppen vorhandenen Verwandtschaftskräfte eine größere Anzahl solcher Aminosäuren aneinanderkuppeln könne. Denkt man sich 2 Moleküle Glykokoll nebeneinandergestellt und derart in Wechselwirkung gebracht, daß zwischen dem Karboxyl des einen und der Aminogruppe des anderen eine Vereinigung unter Ab- spaltung von Wasser eintritt, wie es in dem Schema NH, .CH,. COOH HHN.CH,.COOH dargestellt ist, so resultiert ein neues System von folgender. Art: NH, . CH, .C0.NH.CIESCOOE: Wiederholt man an der NH,-Gruppe des letzteren die Ankupplung eines dritten Glykokolls, so erhält man folgende Form: NH,CH,CO. NHCH,CO . NHCH,COOH. Fıscner: Die Chemie der Proteine und ihre Beziehungen zur Biologie. 45 Derartige Produkte haben sich nun sowohl aus dem Glykokoll wie aus den übrigen Aminosäuren in bunter Mannigfaltigkeit und großer Zahl darstellen lassen, und ich habe dafür den Sammelnamen »Poly- peptide« gewählt, der einerseits dem bei den Kohlenhydraten längst üblichen Worte »Polysaecharide« entsprieht und anderseits die Ähn- lichkeit dieser Stoffe mit den Peptonen zum Ausdruck bringt. Nach der Anzahl der Aminosäuren, die auf diese Weise verkuppelt sind, unterscheidet man Dipeptide, Tripeptide, Tetrapeptide usw. Das ein- fachste Dipeptid ist das oben erwähnte Derivat des Glykokolls, welches den Namen »Glyeyl-glyein« führt. Das entsprechende Produkt aus Alanin und Glykokoll hat die Formel: NH,CH(CH,)CO.. NHCH,COOH und den Namen Alanyl-glyein. Für den Aufbau der Polypeptide sind bisher 5 Methoden benutzt worden, von denen ich nur die beiden wichtigsten besprechen will. Bei der einen kombiniert man die Aminosäure mit einer Halogen- fettsäure und ersetzt hinterher das Halogen durch die Amidgruppe. Als Beispiel mag die Synthese des oben erwähnten Glyeyl-glyeins dienen. Man bringt zuerst Glykokoll in wäßriger alkalischer Lösung mit dem Chlorid der Chloressigsäure zusammen. wobei sich folgender Vorgang abspielt: CICH,COCI+ NH,CH,COOH = CGICH,CO. NHCH,COOH + HCl. Das Produkt ist Chloracetyl-glyen. Wird es mit wäßrigem Ammoniak behandelt, so tritt an die Stelle des Chloratoms die NH,- Gruppe und es resultiert Glyeyl-glyein NH,CH,CO.NHCH,COOH. Durch die gleiche Behandlung mit Chloracetylchlorid und nach- trägliche Einwirkung von Ammoniak kann dieses in das Tripeptid NH,CH,CO.NHCH,CO.NHCH,COOH Diglyeyl-glyein verwandelt werden. Der abermaligen Wiederholung der Reaktion steht nichts im Wege, und es sind durch sie eine größere Anzahl von Di-, Tri-, Tetra- und Pentapeptide erhalten worden. Leider wird diese fruchtbare Methode beim Aufbau komplizierterer Systeme durch die häufige Wiederholung der gleichen Operation un- bequem. Man spart deshalb viel Zeit und Mühe durch das zweite Verfahren, welches die Verkupplung von größeren Stücken gestattet. 46 Öffentliche Sitzung vom 24. Januar 1907. Um es zu erläutern, will ich die Synthese eines Dekapeptids schildern, das aus 9 Glykokoll und ı optisch-aktivem Leuein besteht. Als Komponenten wurden benutzt das aus 6 Glykokoll zusammen- gesetzte Pentaglyeyl-glyein mit der abgekürzten Formel NH,CH,CO.(NHCH,CO),.. NHCH,COOH und das optisch-aktive Brom-isocapronyl-diglyeyl-glyein BrCH(C,H,)CO.(NHCH,CO),. NHCH, COOH. In letzterem läßt sich durch Chlorphosphor das endständige Carb- oxyl in die Gruppe COC] umwandeln. Wird dann dieser Chlorkörper mit dem Pentaglyeyl-glyein in kalter alkalischer Lösung zusammengebracht, so findet die Vereinigung nach folgendem Schema statt: BrCH (6, H,)CO(NHCH,CO), NHCH,CO Cl COOHCH,NH(COCH,NH),COCH,NH H Zum Schluß genügt wieder die Behandlung mit kaltem flüssigem Ammoniak, um das eine Bromatom durch die NH,-Gruppe zu ersetzen, und das Produkt ist dann ein Dekapeptid. NH,CH(C,H,)CO.(NH CH, CO),NHCH, COOH l. Leueyl-oktaglyeyl-glyein. Durch abermalige Anwendung desselben Prozesses wurde daraus ein Tetradekapeptid mit 14 Aminosäuren und dem stattlichen Namen l. Leueyl-triglyeyl-1. Leucyl-oktaglyeyl-glyein dargestellt. Ohne Zweifel kann aber die Synthese noch fortgesetzt und auch zur Gewinnung von Peptiden mit sehr verschiedenen Aminosäuren be- nutzt werden. Allerdings sind diese hochmolekularen künstlichen Produkte nicht mehr kristallisiert, aber die Art der Synthese gibt hinreichenden Auf- schluß über ihre Zusammensetzung und Struktur, und die Zweifel an der Einheitlichkeit der Substanzen, die bisher für das Studium der natürlichen Proteine das Haupthindernis waren, fallen hier fort. Es scheint mir deshalb berechtigt, aus dem Vergleich der künst- lichen Stoffe mit den natürlichen Proteinen einen Rückschluß auf die Zusammensetzung und das Molekulargewicht der letzteren zu ziehen. Bisher sind ungefähr 100 künstliche Polypeptide untersucht wor- den. Die Mehrzahl gehört zu den niederen Stufen, den Di-, Tri- und Tetrapeptiden, aber sie umfassen dafür auch fast alle früher erwähn- ten Aminosäuren. Die Synthese der höheren Glieder blieb aus prakti- schen, insbesondere finanziellen Gründen vorläufig auf Derivate des Fischer: Die Chemie der Proteine und ihre Beziehungen zur Biologie. 47T Glykokolls, Alanins und Leueins beschränkt. Aber sobald man die Mühe und Kosten nicht scheut, wird es möglich sein, auch die übri- gen Aminosäuren in diese komplizierteren Systeme hineinzufügen. Die Zahl der Kombinationen steigt hier theoretisch ins Unbegrenzte, und auch die praktischen Möglichkeiten sind nach meinen Erfahrungen so zahlreich, daß sicherlich der künstliche Aufbau dem, was die Natur geleistet hat, unendlich überlegen sein wird. Der Forschung erwächst daraus die Pflicht, sich selbst zweckmäßige Grenzen zu ziehen, um das Endziel, die Aufklärung und Reproduktion der natür- lichen Proteine, nicht aus dem Auge zu verlieren. Wie weit man sich demselben bereits hat nähern können, mag folgende Bemerkung über die Eigenschaften der künstlichen Produkte zeigen. Von den Tetrapeptiden an bis ungefähr zu den Oktapeptiden zeigen sie die größte Ähnlichkeit mit den natürlichen Peptonen, so daß ich kaum Bedenken trage, letztere als Gemische von Polypeptiden dieser Ordnung zu betrachten. Dieser Schluß wird wesentlich da- durch gestützt, daß sich aus den natürlichen Peptonen einzelne Pro- dukte abscheiden ließen, die mit den synthetischen Körpern identisch sind. Das ist bisher für drei Dipeptide, und zwar für Kombinationen von Glykokoll mit Alanin, Leuein und Tyrosin, gelungen, die bei partieller Hydrolyse mittels Salzsäure aus Seide oder Elastin neben vielen anderen Produkten entstehen. Ferner wurde als viertes Beispiel eine Kombination von Glyko- koll mit Prolin von Levexe und Brarry bei der Verdauung der Gela- tine entdeckt. Ich zweifle nicht daran, daß die nächste Zukunft das gleiche Resultat für manche Tri- und Tetrapeptide bringen wird. Noch wichtiger scheint mir die Erfahrung, daß die komplizierten künstlichen Produkte in ihren Eigenschaften den natürlichen Proteinen schon sehr nahe stehen. So ist das eben erwähnte Tetradekapeptid wie diese geneigt, unvollkommene Lösungen zu bilden. Seine Auflösung in Alkalien schäumt wie Seifenwasser, und mit Mineralsäure bildet es so schwer lösliche Salze, daß man bei oberflächlicher Beobachtung seine basi- schen Eigenschaften hätte übersehen können; ferner liefert es in aus- gezeichneter Weise die Biuretfärbung, und wenn ihm auch andere Farbenreaktionen, die manchen natürlichen Eiweißstoffen eigentümlich sind, wie die Probe von Mırrov und Apankıewicz fehlen, so erklärt sich das sehr einfach durch die Abwesenheit von Tyrosin und Tryto- phan. Kurzum, man kann sich dem Eindruck nicht entziehen, daß in diesem Tetradekapeptid schon ein den Proteinen recht nahe ver- 48 Öffentliche Sitzung vom 24. Januar 1907. wandtes Produkt vorliegt, und ich glaube, daß man mit der Fort- setzung der Synthese bis zum Eikosapeptid schon mitten in die Gruppe der Proteine hineingelangen wird. Wenn somit die heutigen Methoden ausreichend erscheinen, der- artige Stoffe in größerer Zahl künstlich zu bereiten, so darf man doch nicht vergessen, daß die synthetischen Produkte zunächst keines- wegs mit den natürlichen Proteinen identisch zu sein brauchen, denn wenn auch die Struktur des Moleküls für beide Arten im wesent- lichen die gleiche sein mag, so kann doch die Art, Anzahl und Reihenfolge der einzelnen Aminosäuren sehr verschiedenartig sein. Schon bei den natürlichen Proteinen selbst treten solche Unter- schiede sehr deutlich hervor. Wir haben einige Stoffe, die fast aus- schließlich aus den einfachen Monoaminosäuren zusammengesetzt sind. Dahin gehört vor allem die gereinigte Seidenfaser, die im wesentlichen Glykokoll, Alanin, Tyrosin und Serin enthält. Im Gegensatz dazu sind die Protamine nach den wichtigen Untersuchungen von KossEL vorzugsweise aus Diaminosäuren gebildet. So enthält das im Sperma des Lachses vorhandene Salmin mehr als So Prozent seines Gewichtes an Arginin. Aber zwischen diesen Extremen, der Seide und dem Salmin, finden wir in der Natur alle möglichen Übergänge, so daß. die Zahl der Proteine, mit denen die Biologie es zu tun hat, sich schon jetzt nach Dutzenden beziffert und sicherlich im Laufe der Zeit sehr erheblich steigen wird. Ja, ich halte es für kaum zweifelhaft, daß die Lebewelt, die in morphologischer Beziehung eine überwältigende Mannigfaltigkeit entfaltet hat, auch in chemischer Beziehung, und speziell in dem Aufbau der Proteine, bei weitem nieht die Beschrän- kung sich auferlegt, die unsere beschränkte Erkenntnis ihr zumuütet. Von einer Synthese der natürlichen Proteine wird man also erst reden können, wenn es gelungen ist. die einzelnen Individuen mit voller Schärfe zu kennzeichnen und mit einem künstlichen Produkt zu identifizieren. Es liegt auf der Hand, daß dieses Problem immer nur von Fall zu Fall, also nur für ein ganz bestimmtes Protein ge- löst werden kann. Vorläufig ist es am wahrscheinliehsten, daß die ersten reinen Proteine auf künstlichem Wege gewonnen werden, und daß man erst an ihnen die Merkmale feststellen wird, die für die Erkennung der Homo- genität bestimmend sind. Aus dieser Sachlage ergibt sich der Weg, der der Forschung für die nächste Zeit am meisten Aussicht darzubieten scheint. Man wird mit der Scheidung der Peptone und Albumosen, die gleichfalls Gemische sind, in ihre Bestandteile fortfahren und diese mit den künstlichen Produkten identifizieren. Fischer: Die Chemie der Proteine und ihre Beziehungen zur Biologie. 49 Aus solchen größeren Stücken muß man dann versuchen, höhere Polypeptide aufzubauen, um sie mit den natürlichen Proteinen zu vergleichen. Die Verwirklichung dieser Pläne wird noch viel mühevolle Ein- zelarbeit erfordern, aber daß der Erfolg im Bereich der Möglichkeit liegt, scheint mir nach den bisherigen Resultaten außer Zweifel zu sein; nur kann man die Frage aufwerfen, ob er schließlich die auf- gewandte Mühe lohnen wird. In diesem Punkte gehen die Ansichten auseinander. Während einzelne skeptische Naturforscher von der chemischen Synthese nieht einmal einen unmittelbaren Nutzen für die Biologie erwarten, sind im großen Publikum übertriebene Vorstellungen be- sonders über die wirtschaftlichen Folgen einer solchen Entdeckung verbreitet. Durch die glänzenden Leistungen der chemischen Industrie in der Verwertung der organischen Synthese auf dem Gebiete der Farben, Heilmittel, Riechstoffe, Sprengstoffe, Süßstoffe usw. ist die Welt in den letzten 50 Jahren so verwöhnt worden, daß sie alles für mög- lich hält und deshalb in dem künstlichen Eiweiß die billige und gute Volksnahrung der Zukunft erblickt. Diese Hoffnung kam in der Öffentliehkeit zum lebhaften Ausdruck, als ich vor Jahresfrist eine Zusammenfassung meiner synthetischen Versuche gab, und steigerte sich so weit, daß eine ausländische Zeitung unter dem Stichwort »Nahrung aus Kohle« ein prächtiges Bild brachte, auf dem ein vor- nehmes Speisehaus mit einem Kohlenbergwerk durch ein chemisches Laboratorium in Verbindung gebracht war, und wo man die Trans- formation von Steinkohlen in schöne Speisen aller Art sehen konnte. Solch kühne Erwartungen kann der nüchtern abwägende Che- miker leider nicht teilen. Wäre es bereits gelungen, alle in den natürlichen Nahrungs- mitteln enthaltenen Proteine künstlich zu erzeugen, so würde man doch an eine wirtschaftliche Ausnutzung der Prozesse nicht denken können, aus dem einfachen Grunde, weil sie viel zu kostspielig sind. Solange es sich nur um die Lösung wissenschaftlicher Probleme handelt, ist die Preisfrage von untergeordneter Bedeutung, da die Versuche in kleinem Maßstabe ausgeführt werden, und wenn auch der einzelne Forscher manchmal über die Ansprüche seufzen mag. die das Experiment an seine Kasse stellt, so darf er doch in der Regel den Fortschritt der wissenschaftlichen Erkenntnis höher als seine Opfer bewerten. Handelt es sich aber um die industrielle Ausbeutung einer wissen- schaftlichen Entdeckung, so steht die Sache ganz anders, und wo ein 50 Öffentliche Sitzung vom 24. Januar 1907. künstliches Produkt mit natürlichen Materialien in Wettbewerb treten muß, da ist der Preis ein ausschlaggebender Faktor. Wer sich heute von den schon bekannten Polypeptiden und später von den echten synthetischen Proteinen nur kurze Zeit er- nähren wollte, der müßte ein sehr wohlhabender Mann sein. Selbst wenn es möglich wäre, die synthetischen Prozesse ganz außerordentlich zu vereinfachen, so würden sie doch kaum jemals mit der billig arbeitenden Pflanze konkurrieren können. Dasselbe gilt von der künstlichen Bereitung der Kohlenhydrate, die mir im Jahre 1890 glückte, die aber auch noch keinen technischen Chemiker auf den Gedanken einer praktischen Verwertung gebracht hat. Wenn somit die Grundsynthese organischer Materie für absehbare Zeit ein Vorrecht der assimilierenden Pflanze bleiben wird, so ist doch andererseits die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß von dem un- geheuren Vorrat vegetabilischer Materie durch chemische Umformung ein viel größerer Anteil für die Ernährung von Tier und Mensch nutz- bar gemacht werden kann. Auf diesen Punkt werde ich später zu- rückkommen. Vorläufig haben die Bemühungen um die Synthese und die chemi- schen Verwandlungen der Proteine den rein wissenschaftlichen Zweck, der Biologie die Mittel zu einem besseren Einblick in die chemischen Prozesse des Tier- und Pflanzenleibes zu verschaffen. Denn die Proteine bilden nicht allein einen ganz erheblichen Teil des lebenden Protoplasmas, sondern sie sind auch das Material, aus dem der Organismus seine kräftigsten Agenzien bereitet. Als solche darf man ohne Übertreibung die Fermente oder Enzyme bezeichnen, die zweifelsohne bei allen wesentlichen Vorgängen des organischen Stoffwechsels beteiligt sind. Wir verstehen darunter eigenartig wir- kende Stoffe, von denen kleinste Mengen genügen, um große Massen anderer Materien zur chemischen Verwandlung zu veranlassen. Klassische Beispiele für derartige Vorgänge sind die Verdauung der Speisen im Magen und Darm oder die Bereitung alkoholischer Getränke aus zuckerhaltigen Säften durch Hefe, deren wirksamer Be- standteil die von Epuvarp Buchner entdeckte Zymase ist. Die verschiedenartigsten Veränderungen, Oxydation, Reduktion, Hydrolyse, Kondensation, Verschiebung von Sauerstoff, Abspaltung von Kohlensäure, sehen wir unter dem Einfluß von Fermenten eintreten. Zahlreiche Arten derselben lassen sich schon jetzt unter- scheiden, und aus guten Gründen muß man annehmen, daß die lebende Welt über ein großes Heer solcher Stoffe verfügt, die als chemische Spezialdiener die subtilsten und wunderbarsten Transfor- mationen besorgen. Fischer: Die Chemie der Proteine und ihre Beziehungen zur Biologie. 51 Zwar kennen wir in der anorganischen Chemie ähnliche Erschei- nungen, die unter dem Namen Katalyse zusammengefaßt werden. Aber die Fermente verhalten sich zu den Katalysatoren der Mineralchemie wie eine moderne Spezialmaschine feinster Konstruktion zu dem ein- fachen Handwerkszeug früherer Zeiten. Die chemische Erforschung der Fermente befindet sich noch in den ersten Anfängen. Alle Versuche, ihre Zusammensetzung und Struk- tur festzustellen, sind bisher vergeblich gewesen. Soviel aber wissen wir, daß sie mit den Proteinen manche Ähnlichkeit haben und sehr wahrscheinlich daraus entstehen. Man darf deshalb erwarten, daß die Erfolge der Eiweißforschung auch neues Lieht auf die Natur der Fermente werfen werden, und ich halte es schon heute für kein zu gewagtes Unternehmen, ihre künstliche Bereitung aus den natürlichen oder synthetischen Proteinen zu versuchen. Wem der große Wurf gelingt, das erste künstliche Ferment auf solchem Wege zu erzeugen, der wird der organischen und biologischen Chemie eine neue Ära eröffnen. Denn mit Hilfe dieser Agenzien darf man hoffen, die Vorgänge nachzuahmen, welche im Organismus den chemischen Umsatz be- herrschen. Um das an einem Beispiel zu erläutern, wähle ich die tierische Verdauung, die wegen ihres großen Interesses für die Physiologie und praktische Heilkunde besonders gründlich studiert worden ist. Schon bei der mechanischen Verarbeitung der festen Speisen im Munde beginnt die Tätigkeit der Fermente, denn der Speichel, der sich den zerkauten Speisen beimengt, enthält einen solchen Stoff, der auf den Hauptbestandteil aller vegetabilischen Nahrung, die Stärke, einwirkt und sie in lösliche Kohlenhydrate verwandelt. Ein ähnliches Schicksal erfahren die Eiweißstoffe im Magen. Durch das Zusammenwirken von Pepsin und Salzsäure, die beide in dem Sekret der Magenschleimhaut enthalten sind, werden die Proteine der Nahrung, einerlei ob sie in fester oder gelöster Form dem Magen zugeführt sind, zum erheblichen Teil in leicht lösliche Peptone ver- wandelt. Dieser hydrolytische Spaltprozeß setzt sich im Darm noch fort, wobei die starkwirkenden Fermente der Pankreasdrüse und der Darmschleimhaut in Tätigkeit treten. Die Proteine werden hier völ- lig gelöst, soweit sie nicht aus unverdaulichen, sehnigen oder häu- tigen Massen bestehen. Die Zertrümmerung geht auch zum Teil über die Peptone hinaus bis zu den Aminosäuren. Ähnliehes gilt für die Stärke, deren Verzuckerung zwar schon im Munde begonnen und im Magen langsam fortgeschritten ist, aber r Sitzungsberichte 1907. i 52 Öffentliche Sitzung vom 24. Januar 1907. erst im Darm zu Ende geführt wird. Voraussetzung für die Ver- daulichkeit der Stärke ist allerdings beim Menschen ihre Vorberei- tung durch feuchte Hitze, mit anderen Worten durch Kochen oder Backen. Das natürliche Stärkekorn quillt dabei sehr stark und ver- wandelt sich in Kleister, wodurch erst den Fermenten der Zutritt eröffnet wird. Glücklicher sind die Pflanzenfresser daran, welche die rohe. un- gekochte vegetabilische Nahrung ebensogut vertragen, weil in ihren Verdauungssäften Fermente vorhanden sind, die auch das unverletzte Stärkekorn angreifen und auflösen. Bei den Proteinen ist eine solche Vorbereitung durch die Küche für den Menschen nicht erforderlich, denn wir können bekanntlich rohes Fleisch, ungekochte Milch, Eier u. dgl. ohne Anstand genießen. Wenn trotzdem, wie die Erfahrung lehrt, auch die animalischen Nahrungsmittel durch Kochen und Braten vielfach zuträglicher werden, so erklärt sich das durch die abtötende Wirkung der Hitze auf schäd- liche Parasiten, Finnen, Trichinen, und ganz besonders auf Bakterien verschiedenster Art, die nicht allem als Fäulniserreger das Verderben der Nahrung herbeiführen, sondern auch als Krankheitserreger ge- fährlich werden können. Dazu kommt aber noch ein anderes Moment, das bei der Zubereitung der Speisen niemals vernachlässigt werden darf, die Rücksichtnahme auf den Geschmack, welcher instinktiv die Menschen geleitet hat, die Methoden der Küche zu erfinden und zu verfeinern. Daß man dabei, abgesehen von einigen Mißbräuehen und Über- treibungen, im wesentlichen das Richtige getroffen hat, zeigen die neueren Erfahrungen der Physiologie über die Tätigkeit der Speichel-, Magen- und Darmdrüsen; denn wie Prof. Pawrow in St. Petersburg dureh rationelle Anlage von Fisteln an den verschiedenen Organen beweisen konnte, werden diese Drüsen durch Gesichts-, Geruchs- oder Geschmackseindrücke in hohem Maße beeinflußt und in sehr verschie- dener Weise zur Sekretion angeregt. Die alte Volksmeinung, daß eine ansehnlich hergerichtete und wohlschmeckende Speise besonders gut vertragen werde, erhält dadurch ihre experimentelle Bestätigung. Etwas anders als Kohlenhydrate und Eiweißstoffe verhalten sich die Fette. Ihre Verdaulichkeit wird durch Kochen und Braten nicht merkbar beeinflußt. Mund und Magen passieren sie größtenteils un- verändert und können hier die Verdauung von Kohlenhydraten und Proteinen durch mechanische Umhüllung erschweren. So ist ein in Fett gebratenes Stück Brot für die Fermente des Speichels fast un- zugänglich, und ein stark in Fett gebratenes Stück Fleisch kann dem Magensaft ähnliche Schwierigkeiten bereiten. Fisener: Die Chemie der Proteine und ihre Beziehungen zur Biologie. 53 Anders werden die Verhältnisse im Darm, wo die Fermente des Pankreas zusammen mit der Galle auf die Fette einwirken und außer einer partiellen Verseifung eine Zerteilung in feinste Tröpfehen herbei- führen. In diesem emulgierten Zustand kann dann das Fett, ebenso’ wie die löslichen Kohlenhydrate und die Peptone, durch die Darm- wand hindurchgehen und dem Blute zugeführt werden. Hier treten abermals neue Fermente in Wirkung; z. B. die Maltose, die im inter- mediären Stoffwechsel aus Glycogen entsteht, erfährt im Blute eine nachträgliche Spaltung in Traubenzucker. Auch in der Leber, in den Nieren und in den verschiedensten anderen Körperteilen sind Fermente gefunden worden. Aber eine viel größere Anzahl ist uns sicherlich bisher unbekannt geblieben, denn auch der Aufbau der komplizierten Proteine, die den Hauptbestand- teil der Gewebe ausmachen, wird aller Wahrscheinlichkeit nach durch synthetisch wirkende Fermente besorgt, und dasselbe gilt noch in erhöhtem Maße von den zahlreichen Synthesen in der Pflanze, die mit der Verwandlung der Kohlensäure in Zucker beginnen und sich über fast alle wichtigen Gruppen der organischen Chemie erstrecken. Bei der künstlichen Synthese der Kohlenstoffverbindungen haben sie allerdings bisher nur eine ganz bescheidene Rolle gespielt. Dagegen sind sie vielfach zum Abbau komplizierter Kohlenhydrate, Glukoside oder Eiweißstoffe benutzt worden, und mit gleichem Erfolge konnte ich sie für die Unterscheidung der stereomeren Zucker und Glukoside verwerten. Auch bei den Polypeptiden kamen sie rasch zu Ehren, denn mit Hilfe des Pankreassaftes gelang es, aus der großen Zahl der künstlichen Produkte die biologisch interessanteren Formen auszuwählen, und ich zweifle nicht daran, daß sie bei weiteren Fortschritten auf diesem Gebiete immer mehr an die Stelle der ge- wöhnliehen chemischen Agenzien treten werden, weil sie viel feinere Unterschiede der Struktur und der Konfiguration des Moleküls anzeigen. Die Erforschung und Vervollkommnung der fermentativen Prozesse ist aber nicht allein vom wissenschaftlichen Standpunkt aus dringend erwünseht, sondern berührt auch wichtige Seiten des praktischen Lebens, z. B. manche Aufgaben der Medizin. Wie sehr unser körperliches und seelisches Wohlbefinden von einer geregelten Tätigkeit der Verdauungsorgane abhängt, weiß jeder- mann aus eigener Erfahrung. Daß die Erhaltung der Kräfte durch zweckmäßige Ernährung auch bei der Krankenbehandlung eine große Rolle spielt, ist ebenfalls jedem Arzt geläufig, und die praktische Heilkunde bekennt sich heute mehr denn je zu dem Grundsatz: Qui bene nutrit bene curat. 78 54 Öffentliche Sitzung vom 24. Januar 1907. Wo passende Auswahl der Speisen und Getränke in Qualität, (Juantität und Reihenfolge nicht mehr ausreicht, die geschwächten Verdauungsorgane zu ersprießlicher Arbeit anzuregen, da sucht sich der Arzt vielfach mit chemischen Nährpräparaten zu helfen. Die meisten von ihnen sind entweder einzelne Bestandteile oder auch Gemische bekannter Nahrungsmittel, wie Milch, Eier, Zwieback, und haltbar gemacht durch möglichst vollständige Entfernung des Wassers. Andere bestehen aus Eiweißstoffen, die eine partielle Ver- dauung durchgemacht haben, wie die zahlreichen Peptone des Handels oder die neuerdings viel benutzte Somatose. Ihr Vorläufer war die berühmte Kindersuppe von Justus v. Liegıs, die noch jetzt von erfahrenen Kinderärzten geschätzt, aber leider wenig mehr in Gebrauch ist, weil ihre Bereitung der geringen Kochkunst der modernen Hausfrauen zu schwierig und dem bildungsfeindlichen Eigensinn der Köchinnen zu gelehrt erscheint. Voraussichtlich wird man auf diesem Wege noch viel weiter kommen; ja, ich halte es nicht für unmöglich, daß man durch zweck- mäßige Behandlung mit den Verdauungssäften und durch richtige mechanische Mischung von Protein, Kohlenhydrat und Fett eine voll- wertige Kost bereiten kann, die statt durch den Mund per anum genommen wird und die eine ausreichende Ernährung von Kranken gestattet, bei denen ein großer Teil des Verdauungstraktus den Dienst versagt. Besonders reich an stark wirkenden Fermenten ist die Mehrzahl der Mikroorganismen, die im Haushalt der Natur teils als Zerstörer organischer Materie, teils als Assimilatoren des atmosphärischen Stick- stoffs und als Salpeterbilder eine so große Rolle spielen. Während manche von ihnen als Träger der Infektionskrankheiten für uns fürchter- liche Feinde sind, finden wir in anderen nützliche Mitarbeiter. Ist doch das großartige Gärungsgewerbe mit seinen immer weiter aus- greifenden Verzweigungen auf ihre geschickte Ausnutzung basiert. Die chemischen Umwandlungen, die wir durch sie erreichen, werden durch die von ihnen bereiteten Fermente bewirkt, wie es zuvor von der alkoholischen Gärung erwähnt ist. Sollte es gelingen, die gleichen oder ähnlich wirkende Fermente künstlich durch Verwandlung der Proteine zu erzeugen, so würde man unabhängig werden von den Mikroorganismen und sicherlich in manchen Zweigen des Gärungsgewerbes bessere Resultate erzielen. Auf diesem Wege wird man vielleicht auch einmal ein wirt- schaftliches Problem allergrößter Bedeutung, die Nutzbarmachung der Zellulose und ähnlicher Stoffe für die Ernährung der Tierwelt, lösen können. Fischer: Die Chemie der Proteine und ihre Beziehungen zur Biologie. 55 Daß zarte Zellulose im Verdauungstraktus der Pflanzenfresser, wahrscheinlich unter Mitwirkung der im Darm vorhandenen Bakterien, in erheblicher Menge gelöst und resorbiert wird, ist den Physiologen wohlbekannt, und ebensogut wissen die Botaniker, daß in der Pflanze manche zelluloseartigen Wände durch fermentative Prozesse wieder zerstört und als lösliche Produkte weggeschafft werden. Aber die ungeheure Masse von Zellulose, die in verholztem Zu- stand die starken Gerüste des Pflanzenleibes bildet, ist für die tie- rische Ernährung verloren. Zwar weiß man längst, daß sie durch Behandlung mit starker Schwefelsäure in Traubenzucker übergeführt werden kann, aber die technische Verwertung des Verfahrens ist durch die hohen Kosten ausgeschlossen. Darf man nicht hoffen, diese Verwandlung durch Fermentwirkung, sei es mit natürlichen, sei es mit künstlichen Stoffen, in ökonomischer Weise durchzuführen und damit der Tierwelt eine neue, fast uner- schöpfliche Quelle organischer Nahrung zu erschließen? Fermente und Proteine sind durch die Rolle, die sie bei den chemischen Vorgängen im lebenden Organismus spielen, so eng mit- einander verbunden und zeigen auch in ihren Eigenschaften so mannig- fache Ähnlichkeit, daß ihre Erforschung sicherlich immer mehr Hand in Hand gehen wird; und ich glaube mich zu der Annahme berechtigt, daß die Errungenschaften der Synthese dabei von großem Nutzen sein können. Leider darf man nicht hoffen, daß auf diesem harten Boden die Früchte in rascher Folge reifen oder daß durch eine geniale Entdeckung die Schwierigkeiten mit einem Schlage hinweggeräumt werden können, denn es handelt sich hier nieht um einzelne be- sonders wichtige chemische Individuen, sondern um eine große An- zahl zwar ähnlicher, aber doch auch wieder in mancher Beziehung verschiedener Stoffe. Diese chemisch alle aufzuklären und künstlich zu reproduzieren. wird selbst dann, wenn die prinzipiellen Methoden dafür gefunden sind, sehr viel Einzelarbeit erfordern. Aber unsere Zeit schreckt vor derartigen Riesenunternehmungen nicht mehr zurück. Was auf wirtschaftlichem Gebiete die fortgeschrittene Technik und die großen Kapitalien ermöglichen, das wird in der Wissenschaft durch das Zu- sammenwirken zahlreicher freiwilliger Arbeitskräfte mit den Hilfs- mitteln der modernen Institute verhältnismäßig rasch erreicht. Die organische Synthese ist noch keine So Jahre alt, denn sie hat 1828 in unserer Stadt mit der künstlichen Bereitung des Harn- stoffs durch Frieprıcn Wönter begonnen. Wird sie bei ihrem hundert- Jährigen Jubiläum auch das Gebiet der natürlichen Proteine und Fer- 56 Öffentliche Sitzung vom 24. Januar 1907. mente ganz beherrschen? Eine bestimmte Antwort darauf läßt sich nicht geben, aber daß das Problem nieht mehr von der Tagesordnung der organischen Uhemie verschwinden wird, ist sicher, und daß seine Lösung ein gewaltiger Fortschritt für die allgemeine Biologie, für die Medizin und für manche Zweige des wirtschaftlichen Lebens sein würde, hoffe ich durch meine Darlegung gezeigt zu haben. Sodann verkündete der Vorsitzende, dass die HrrLmmortz - Medaille dem Physiker Hexkı BEQuUErREL, Mitglied des Instituts, in Paris ver- liehen worden sei. Alsdann wurden die Jahresberichte über die von der Akademie ge- leiteten wissenschaftlichen Unternehmungen sowie über die ihr ange- gliederten Stiftungen und Institute erstattet. Sammlung der griechischen Inschriften. Bericht des Hrn. von WILAMOWITZ-MOELLENDORFF. Das abgelaufene Jahr hat wenig gebracht, was dem vorigen Be- richte hinzuzufügen wäre, auf den daher verwiesen sei. Der Druck des thessalischen Bandes ist wieder aufgenommen und schreitet lang- sam fort. Ein anderer Teil ist nicht druckfertig geworden. Die Inschriften von Chios und Samos hat Hr. Prof. A. Remy in München übernommen und zunächst das Material des Archivs übersandt er- halten. Hr. DeramarrE hat die Inschriften von Amorgos infolge seiner Krankheit, über die wir schon das vorige Mal unser Bedauern aus- sprachen, nicht selbst ganz fertigstellen können und sieh daher ent- schlossen, damit kein weiterer Zeitverlust entstünde, das Manuskript unserem wissenschaftlichen Beamten, Freiherrn HırLer VON GAERTRINGEN, zu überantworten. Dieser kann nach Vollendung der Inschriften von Priene wieder seine ganze Arbeitskraft unserer Sammlung widmen und denkt den Druck der Inschriften von Amorgos schon im nächsten Monat zu beginnen. Denn bei der Durchsicht hat sich erfreulicher- weise herausgestellt, daß der Arbeit des Hrn. DELAMARRE zur Voll- endung nur eben die letzte Hand fehlte. Das hingebende Vertrauen unseres französischen Herrn Mitarbeiters, für das wir nicht dankbar Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 57 genug sein können, wird dadurch noch wertvoller gemacht, daß ihm die Hilfe seiner ausgezeichnetsten heimischen Fachgenossen, der HH. P. Fovcarr und B. HavssourLier, in Aussicht gestellt war. Wenn die Vollendung nun in unsere Hand gelegt ist, so werden wir bemüht sein, das Vertrauen zu rechtfertigen, und das Gefühl des Dankes wird für die angebotene Hilfe nicht geringer sein. Sammlung der lateinischen Inschriften. Berieht des Hrn. HırscHrer». Die Arbeiten für den VI. Band (Rom) waren in diesem Jahr hauptsächlich dem Namenindex zugewandt. Die für diesen bereits früher exzerpierten (über 100000) Zettel sind revidiert, zerschnitten und geordnet; in der Ausarbeitung ist der Index eognominum bis zum Buchstaben D einschließlich fertiggestellt. Hr. Hürsen wurde bei diesen Arbeiten von den HH. Bane und Avrısemma in Rom unterstützt. Mit dem Druck der letzten Nachträge zu den Inschriften, die nach vorläufiger Schätzung gegen 2000 Nummern umfassen werden, soll bald nach Abschluß des Namenindex begonnen werden. Zur Vervollständigung der Nachträge und des Index auetorum zum XI. Band (Mittelitalien) hat Hr. Borvanv mehrere Reisen nach Italien gemacht. Der bereits vor längerer Zeit begonnene Druck der Indices ist auch in diesem Jahr leider nur wenig gefördert worden. Die Drucklegung der Inschriften von Untergermanien (XII, 2, 2) hat Hr. vov Domaszewskı zu Ende geführt. Die Meilensteine von Gal- lien und Germanien sind von demselben und Hrn. HırschrerLn, die der Schweiz noch von TuEopor Mommsen, in einem druckfertig hinter- lassenen Manuskript, bearbeitet und im Satz fast beendet, so daß die Ausgabe dieses Faszikels in den nächsten Monaten erfolgen wird. — Die zweite Abteilung des gallisch-germanischen Instrumentum (XII, 3,2) hat Hr. Bons in diesem Jahre zur Veröffentlichung gebracht; seither ist er für die Sammlung der zahlreichen Nachträge tätig. — Die Be- arbeitung der gallisch-germanischen Ziegel ist, gemeinsam für unser Corpus und für eine von der Römisch-Germanischen Kommission des Archäologischen Instituts in Aussicht genommene größere Publikation, Hrn. Stemer in Xanten übertragen worden. Die Fortführung des vor mehreren Jahren begonnenen Drucks der dritten Abteilung des XV. Bandes (Instrumentum der Stadt Rom) stellt Hr. Dresser für den Sommer 1907 in sichere Aussicht. Die Übernahme einer neuen Tätigkeit hat Hın. Lomuarzsen ge- zwungen, die Drucklegung der Neubearbeitung der republikanischen 58 Öffentliche Sitzung vom 24. Januar 1907. Inschriften (I, 2) zu unterbrechen. Derselbe hat nunmehr den Druck wieder aufgenommen und hofft ihn ohne Störung zu Ende zu führen. Hr. Mau hat die Nachträge und die Indices zum IV. Supplement- band (Pompejanische Inschriften) so weit fertiggestellt, daß die Wieder- aufnahme des Drucks in den nächsten Monaten wird erfolgen können. Die Drucklegung des sehr umfangreichen Auetariums zu Supple- mentband VII (Afrika) hat begonnen. Bei der Vervollständigung des Materials haben sich die Herausgeber, die HH. Gassar und Dessau, auch in diesem Jahre der energischen Unterstützung französischer Ge- lehrter, insbesondere des Hrn. Merrın, Direeteur du Service des An- tiquites et Arts in Tunis zu erfreuen gehabt. Das unter Leitung des Hın. Dessau stehende epigraphische Archiv auf der Kgl. Bibliothek wird wie bisher am Dienstag, 12—2 Uhr; der Benutzung offenstehen. Prosopographie der römischen Kaiserzeit. Bericht des Hrn. HırscHareE». Durch die Berufung des Hrn. Kress nach Marburg hat die für dieses Jahr in Aussicht genommene Drucklegung der Konsularfasten eine Verzögerung erlitten. An der Vervollständigung der Nachträge zu den erschienenen Bänden wie auch an der Fertigstellung der Be- amtenlisten ist weitergearbeitet worden. Index rei militaris imperii Romani. Bericht des Hrn. HırscHre». Auch in diesem Jahr ist Hr. Rırrrrume durch Krankheit und Arbeiten für die Reichs- Limes-Kommission an einer energischen För- derung der Arbeit leider verhindert worden. Aristoteles - Kommentare. Bericht des Hrn. Dies. Von Band VII Simplieius in Categorias konnte der Index, der noch ausstand, von Prof. Kausrreiıscn nunmehr fertiggestellt und dem Drucke übergeben werden. Dieser Band wird demnächst erscheinen, ebenso XXI ı Eustratius in Posteriora,. der von Geh. Rat Haypucx in dankenswert rascher Weise fertiggestellt und im Drucke fast vollendet worden ist. So bleibt nur noch Heft 3 des XIII. Bandes (Philoponus in Analytica Posteriora cum Anonymo) übrig. Der Bearbeiter Prof. Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 59 Warxıes hat durch Vermittelung des vorgeordneten Ministeriums und durch dankenswertes Entgegenkommen der städtischen Schulbehörde einen halbjährigen Urlaub erhalten, um diese allerschwierigste Auf- gabe, die auch Reisen nach Paris, Florenz und Rom nötig machen wird, vollenden zu können. Voraussichtlich wird das Manuskript dieses letzten Heftes zu Ostern in den Druck gehen und Ende dieses Jahres ausgegeben werden können. Politische Correspondenz Frırvrıcu's des Grossen. Bericht der HH. Scnwmorter und Koser. Der 31. Band der Sammlung, der im Zeitpunkt des vorjährigen Berichtes bis auf die Register fertiggestellt war und über dessen Inhalt bereits damals Angaben gemacht wurden, ist im vorigen Sommer zur Ausgabe gelangt. Im Umfange von 55 Bogen mit 972 Nummern ist er der stärkste aller bisher erschienenen Bände, bietet nun aber dem Leser die Bequemlichkeit, dass hier das gesammte auf die Geschichte des preussisch-russischen Vertrages wegen der Theilung Polens bezügliche Material bis Anfang März 1772 sich übersichtlich vereinigt findet. Mit dem Druck des 32. Bandes, den Hr. Dr. Vorz im Manuseript nahezu abgeschlossen hat, ist begonnen worden; das Erscheinen ist gegen Ende dieses Jahres zu erwarten. Griechische Münzwerke. Berieht des Hrn. Dresse1. Im November des vertlossenen Jahres erschien die I. Abtheilung des III. Bandes der antiken Münzen Nord-Griechenlands, bear- beitet von Hın. Hueo GAEBLER. Sie umfasst, unter 902 Nummern, die macedonischen Landesmünzen (mit Einschluss von Amphaxitis und Bottiaia), das Provinzialgeld (mebst Beroia) und münzähnliche Gepräge macedonischen Ursprungs. Für die U. Abtheilung von Band I des nordgriechischen Münzwerkes (Dacien und Moesien) hat Hr. ReerLınse die Münzen von Tomis aus der Zeit des Lysimachus sowie die unter Severus und Domna geprägten Münzen derselben Stadt bearbeitet, ausserdem die Einleitung zu Tomis der Vollendung nahe gebracht, sodass voraus- sichtlich gegen Ende des Jahres mit dem Drucke begonnen werden kann. 60 Öffentliche Sitzung vom 24. Januar 1907. Für den II. Band (Thracien) ist leider kein erheblicher Fort- schritt zu verzeichnen. Die Arbeit des Hrn. Strack beschränkte sich im Wesentlichen auf die Revision des alten Bestandes und die Auf- nahme der neuen Erwerbungen des Berliner Münzeabinets (Samm- lung Imhoof und Löbbeeke), während Hr. Müszer, durch ander- weitige Verpflichtungen in Anspruch genommen, die Bearbeitung des bisher gesammelten Materials nur in geringem Maasse fördern konnte. Über die Arbeiten für das kleinasiatische Münzwerk ist Fol- gendes zu berichten: Hr. vow Frırzz hat die Vorarbeiten für seinen Mysien und Troas umfassenden Band regelmässig fortgeführt, die auf den früheren Reisen gesammelten Abdrücke geordnet und die Beschreibung der neu hinzugekommenen Münzen für Mysien zum grössten Theile zu Ende geführt, nebenbei auch eine grössere Privatsammlung thraeischer Münzen für den II. Band der nordgriechischen Münzen aufgenommen. Hr. Kusırscnek konnte infolge amtlicher Obliegenheiten der Re- daetion der karischen Münzen nur einen kleinen Theil seiner Zeit widmen. Gegen Ende des Jahres erfolgte jedoch die Aufnahme der noch fehlenden Münzen aus der Berliner Sammlung, sodass im Sommer dieses Jahres mit der Drucklegung des karischen Bandes wird be- gonnen werden können. Acta Borussica. Berieht der HH. Scuwmotrer und Koser. Die Thätigkeit unserer sämmtlichen Mitarbeiter, der HH. Prof. Dr. Hıyızr, Dr. Srorze (jetzt Privatdocent in Königsberg), Dr. Frei- herr von Scuhrörrer, Dr. Hass und Dr. SkaLweıt ging im Jahre 1906 in gewohnter Weise rüstig fort; ausgegeben konnte nur der Band VIII der Behördenorganisation (21. Mai 1748 bis 1. August 1750) von Hıyrzz werden, über dessen Inhalt schon im Vorjahr berichtet wurde. Der Band IX, ebenfalls von Hıyrzr, kann demnächst ausgegeben werden. Der Band IVa der Behördenorganisation vom 8. Januar 1723 bis 23. De- cember 1825, von Srorze bearbeitet, ist ebenfalls fertig gedruckt, kann bald erscheinen. Vom Band IVb sind 16 Bogen gedruckt. Der Druck der Fortsetzung der Münzgeschichte von Dr. Freiherr von Schrörrer wird demnächst beginnen. Die Fortsetzung der Ge- treidehandelspolitik und der Magazinverwaltung, welche Dr. SkaLweır als Nachfolger Naup#’s übernahm, kann erfreulicherweise früher er- folgen. als wir gefürchtet hatten. Ein Entwurf der Darstellung für die Zeit von 1740 bis 1758, die wir zuerst lange vergeblich in dem Nach- lasse Naupe’s gesucht, fand sich zuletzt doch. Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 61 Kuant- Ausgabe. Bericht des Hrn. Dırrurv. In der Abteilung der Werke erscheint Bd. VII (Streit der Fakul- täten und Anthropologie) soeben. Ihm wird Bd. V (Kritik der prak- tischen Vernunft und Kritik der Urteilskraft) in einigen Wochen folgen. Bd. VI (Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft und Metaphysik der Sitten) ist bis auf die Anmerkungen fertiggestellt, Bd. IX (Vorlesungen) befindet sich im Druck. Ibn Saad- Ausgabe. Bericht des Hrn. Sacnav. Die Bearbeitung des arabischen Geschichtswerkes von Isy Saan über den Ursprung und die älteste Geschichte des Islams ist im Jahre 1906 ohne Unterbrechung weitergefördert worden. Die noch aus- stehenden Bände I, m von Hrn. Dr. Mırrwocn, I, ım von Hrn. Dr. Horovızz, I, ıv von Hrn. Prof. Dr. ScuwArıy, IV, ı von Hrn. Prof. Dr. Lierert, VI von Hın. Prof. Dr. ZETTERSTEEN und VII von Hrn. Prof. Dr. Meıssser sind sämtlich im Druck. Während des verflossenen Jahres ist erschienen Bd. IV, Teil I: Biographien der Muhäßirün und Ansär, die nicht bei Bedr mit- gefochten, sich aber früh bekehrt haben, alle nach Abessinien aus- gewandert sind und dann an der Schlacht bei Ohod teilgenommen haben. Herausgegeben von Junius Lirrert, Leiden 1906. Dem Herrn Herausgeber gebührt der Dank der Akademie für seine selbstlose viel- Jährige Mitarbeit an diesem Unternehmen. Wörterbuch der ägypüschen Sprache. Bericht des Hrn. Erman. Im Berichtsjahre galt es, die Vorarbeiten, die uns seit Herbst 1897 beschäftigt haben, so weit zu fördern, daß mit der Ausarbeitung des Manuskriptes begonnen werden konnte. In der Tat gelang es, 7602 Stellen zu verzetteln und 207335 Zettel zu alphabetisieren, während die bisherigen Höchstergebnisse eines Jahres 6875 Stellen und 127310 Zettel waren. Im ganzen sind somit bisher verzettelt 41351 Stellen, alphabetisiert 793092 Zettel; eingelegt und der Benutzung zugäng- lich gemacht sind zur Zeit etwa 730000 Zettel, während rund 175000 Zettel schon gedruckt aber noch in Arbeit befindlich sind. Fortan wird die Verzettelung nur noch ergänzend und in be- schränktem Maße fortgeführt werden, und nur auf dem Sondergebiete 62 Öffentliche Sitzung vom 24. Januar 1907. der Tempelinschriften griechisch-römischer Zeit, das wir ja erst Herbst 1903 in Angriff nehmen konnten, wird auch weiter noch mit aller Kraft gearbeitet werden müssen. Mit der Ausarbeitung des Manuskripts wurde am ı. Oktober be- gonnen; es bedurfte zunächst noch verschiedener Versuche, bei denen uns die HH. Serme und STEmDoRFF eifrig unterstützten, bis Formen gefunden wurden, die trotz der nötigen Kürze und Knappheit doch auch ein Eingehen auf alles Wesentliche gestatten. Die Ausarbeitung ist den HH. Ermav, GARDINER, ROEDER und SErHE übertragen worden, von denen der letztere das jeweilig fertiggestellte Manuskript an der Hand der Zettel nachprüft. Die Leitung der Arbeit liegt Hrn. Erman ob. Im einzelnen ist aus dem Berichtjahre noch folgendes zu be- merken. Hr. Junker verglich in dreimonatlicher Arbeit die auf der Biblio- theque Nationale zu Paris aufbewahrten Abklatsche der Inschriften von Edfu; er hatte sich dabei des freundlichen Entgegenkommens der dortigen Verwaltung zu erfreuen, wofür wir auch an dieser Stelle unsern Dank aussprechen. Hr. GoLENISCHEFF erfreute uns durch weitere Mitteilung von unpublizierten Papyrus seiner Sammlung und von Photographien der Geschichte des Schiffbrüchigen. Hr. GArDmER revidierte wichtige Papyrus der Leidener Sammlung und Hr. Lange teilte uns einen solchen aus London mit. Auch die HH. BorcHArpT und Dvrorr unterstützten uns durch Mitteilungen. Verzettelt wurden im einzelnen: Religiöse Texte: Das große und kleine Amduat beendet (Hr. Erman). — Das Totenbuch des neuen Reichs und das der Spät- zeit beendet, das des mittleren Reichs begonnen (Hr. Rorper). — Die Hymnen Amenophis’ IV (Hr. Ranke). — Religiöse und magische Texte des neuen Reichs nach Papyrus in Leiden und Turin (Hr. Garviner). — Kalender des Pap. Sallier IV (Hr. Wreszisskr). — Ritual der Sammlung GorENISCHEFF (Hr. RAnkE). Ältere Literatur: Die Berliner Hirtengeschiehte, die Lehren des Amenemhet und des Duauf sowie der alte Nilhymnus (Hr. Voczrsans). — Die Leidener Prophezeiungen (Hr. GARDINER). — Die Geschichte des Schiff’brüchigen (Hr. Raxke). — Der medizinische Papyrus Hearst (Hr. Wreszisskr). Neuägyptische Literatur: Papyrus von Turin fast beendet (Hr. Garpiser). — Papyrus aus Leiden und Bologna (derselbe). — Reise des Wenamon (derselbe). — Die Liebeslieder und das Harfner- lied (Hr. Erman). — Geschichte von Dhuti (Hr. Wreszinski). Lexikalische Texte: Das Wörterverzeichnis der Sammlung GOLENISCHEFF (Hr. Erman). — Der Sign Papyrus von Tanis (derselbe). Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 6: Tempelinscehriften: Luksor beendet (Hr. Rorper). — Karnak bis zum Ende der 19. Dynastie (HH. Rorper und Srrur). — Dekret des Haremheb (HH. Burcmarpr und GARrDINER). — Stele Sesostris’ II. aus Derelbahri (Hr. Erman). Grabinschriften: Thebanische Gräber fast beendet (Hr. Rorper). — Die Gräber und Grenzstelen von Tell Amarna (Hr. Erman). — Listen von Grabbeigaben (Hr. BurenArpr). Tempel der griechisch-römischen Zeit: Hr. Junker lieferte Nachträge zu Dendera und begann den Tempel von Edfu. Einzelne Denkmäler: Denkmäler des neuen Reichs und der Spätzeit im Museum von Kairo (Hr. Sernue). — Inschriften aus ver- schiedenen Museen (HH. BurcmAarpr, ErmAn. GARDINER, Rorper, Weeszisski). — Das in Serues Urkunden IV veröffentlichte Material (Hr. Roever). — Denkmäler aus Hawara, Kahun, Gurob, Ilahun (Hr. Erman). Mit dem Anwachsen des gesammelten Materials und mit der steigenden Zahl der Mitarbeiter war auch die Raumnot bei unserm Unternehmen in den letzten Jahren auf das äußerste gestiegen. Diesem bedenklichen Zustand, der bald das Weiterarbeiten unmög- lich gemacht hätte, wurde jetzt abgeholfen, da uns die Generalver- waltung der Königlichen Museen drei geeignete Zimmer in den Dach- räumen des neuen Museums gütigst zur Verfügung stellte. An der Verzettelung arbeiteten mit die HH. BurcuArpr, Erman, (GFARDINER, JUNKER, RANKE, ROEDER, SETHE, VOGELSANnG und W rESZINSKI; die Nebenarbeiten wurden von den HH. BurcnArvr, von LicHTENBERG, Ruscn und Sror« und den Damen Kerrer und MorGENsSTErRN erledigt. Das Tierreich. Bericht von Hrn. F.E. Schulze. Im September des verflossenen Jahres wurde der erste Teil der Bearbeitung der Amphipoda, verfaßt von Hın. Rev. T. R. R. Stegsıne in Tunbridge Wells, herausgegeben. Er behandelt die formenreiche Abteilung der Gammaridea, der auch im Süßwasser heimischen Floh- krebse. Durch den großen Umfang der Gruppe sowie durch nach- trägliche Ergänzungen der Bearbeitung hatte sich die Drucklegung dieser Lieferung so verzögert, daß die Herausgabe einer weiteren Lieferung in dem Berichtsjahr nieht mehr ermöglicht werden konnte; doch gelang es noch, mit der Drucklegung der von den HH. Prof. Darza Torre und Kırrrer verfaßten Bearbeitung der Gallwespen (Oyni- pidae) zu beginnen. 64 Öffentliche Sitzung vom 24. Januar 1907. In meinem vorjährigen Bericht legte ich die Gründe dar, welche die Anlage eines vollständigen Kataloges der Gattungs- und Unter- gattungsnamen als ein dringliches Erfordernis für die erfolgreiche Durehführung der Aufgaben des »Tierreichs« erheischen. Die Aus- führung dieses Unternehmens, das neben der Herausgabe der Gruppen- bearbeitungen als eine zweite Arbeitsleistung der Leitung des » Tier- reichs« anzusehen und als eine wichtige Vorarbeit für die künftige Ent- wieklung des » Tierreichs« zu bewerten sein dürfte, hat im Laufe des Berichtsjahres gute Fortschritte gemacht. Einen besonderen Aufwand an Zeit und Mühe beansprucht die Bearbeitung der älteren Literatur, von der 10. Ausgabe des Systema naturae Lisnes (1758) bis zum Er- scheinen fortlaufender, als zuverlässige Quellen zu benutzender Referier- werke, wie es der von der Zoologischen Gesellschaft in London her- ausgegebene Zoologiecal Reeord und der von J. V. Carus begründete Zoologische Anzeiger sind. Es ist geplant, mit der Literatur des Jahres 1907 den Katalog für die Drucklegung abzuschließen, so daß dieser den Zeitraum von ein und einem halben Jahrhundert seit Begründung der zoologischen Nomenklatur (1758—1907) zu umfassen hätte. Das Pflanzenreich. Bericht des Hrn. En6ter. Die Herausgabe des Werkes »Das Pflanzenreich« schreitet wie bisher rüstig vorwärts; es erschienen im Laufe des Jahres 1906: Heft 25, Fr. Bucnenau: Juncaceae (18 Bogen); Heft 26, L. Diers: Droseraceae (84 Bogen); Heft 27, A. Braun: Polemoniaceae (13 Bogen). Prof. Dr. Bucnenau hat leider das Erscheinen seiner Monographie, deren Correetur er noch bis zum Schluss lesen konnte, nicht mehr erlebt, doch war es ihm eine grosse Freude, die Resultate Jahrzehnte langer Studien in dem »Pflanzenreich« niederlegen zu können. Für die Bearbeitung der Droseraceae durch Prof. Dr. Diers war es von Vor- theil, dass derselbe auf seinen Reisen in Australien eine sehr grosse Zahl von Vertretern dieser Familie lebend und in ihrer Entwicklung beobachten konnte. Für die Durcharbeitung der Polemoniaceae von Seiten des Hrn. Dr. Brasp war es sehr förderlich, dass demselben von Seiten einiger Herbariumsvorstände und mehrerer Botaniker in Nordamerika Material zum Studium dieser, namentlich im westlichen Nordamerika reich entwickelten Familie gewährt wurde. In Druck befinden sich gegenwärtig Prof. Dr. Kränzuım’s Be- arbeitung der Scrophulariaceae- Calceolarieae; ferner die von Hrn. O.E. Schu1z bearbeiteten Erythroxylaceae. Auch die von Hrn. Arwın BERGER Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 65 verfasste Monographie der Liliaceae-Aloineae liegt druckfertig vor. So- dann werden in diesem Jahr noch abgeschlossen werden die Sarra- ceniaceae und Nepenthaceae von Prof. Macrarrane in Philadelphia, die Potamogetonaceae von Dr. GRAEBNER, die Stylidiaceae von Dr. MınpBrArn. Einen recht empfindlichen Verlust hat das Pflanzenreich durch das plötzlich erfolgte Dahinscheiden des correspondirenden Mitgliedes unserer Akademie Prof. Dr. Prırzer in Heidelberg erlitten, der einen Theil der Orchidaceae bereits bearbeitet hatte und einen weiteren Theil dieser grossen Familie demnächst herausgeben wollte. Geschichte des Fi.xsternhimmels. Bericht des Hrn. Auwers. Im Jahre 1906 wurden aus einigen zwanzig grösseren Catalogen und einer grossen Anzahl zerstreuter Quellen etwa 73000 Sternörter, für Aequinoctien zwischen 1875 und 1900, ausgeschrieben. Die Ge- sammtzahl der auf‘ den Zetteln eingetragenen Örter beträgt demnach gegenwärtig 920000. Von dem Fehlerverzeichniss wurden die Bogen 21— 37 gedruckt, zu Catalogen mit Epochen von 1825 bis 1856. Der Druck konnte unbeschadet der Fortführung der Eintragungen rascher als in den Vorjahren gefördert werden, indem zur Bestreitung der Druckkosten Hr. A. F. Lmpemann wiederum einen Beitrag von Zweitausend Mark zur Verfügung stellte. Für diese neue werthvolle Unterstützung hat ihm die Commission ihren aufrichtigsten Dank auszusprechen. Commission für die Herausgabe der „Gesammelten Schriften Wırneın von Hvmsoror's“. Bericht des Hrn. Schmipr. Im letzten Jahr ist der stattliche fünfte Band der » Werke« er- schienen, der mit Ausnahme zweier Kunstvereinsberichte sprachwissen- schaftliche Studien aus der Zeit von 1823 bis 1826 enthält: Ameri- kanisches, Ägyptisches, Chinesisches und Japanisches, Allgemeines. Auch nach den Vorarbeiten Haym’s, Porr’s und Steiıwtnuar’s fand Hr. Prof. Dr. Leırzmanv viel zu thun, zumal da Buscnmanw die Manuscripte mit grosser Willkür behandelt hat. Die beiden folgenden Bände müssen wegen der neuen handschriftlichen Massen zerlegt werden. Des sechsten erste Abtheilung ist bald ausgedruckt. Des siebenten zweite wird ein Register bringen, das auch die von dem verstorbenen Prof. Dr. GEBHARDT 66 Öffentliche Sitzung vom 24. Januar 1907. besorgten Politischen Schriften umfassen soll. Das Briefeorpus leidet schwer darunter, dass GreHArpT allen Abmachungen zuwider die Be- stände des Geheimen Staatsarchivs sehr lückenhaft verzeichnet hat, diese Arbeit also nachgeholt werden muss. Deutsche Kommission. Bericht der HH. Burvacn, Rorrnuz und Scnminr. Die Inventarisation der literarischen deutschen Hand- sehriften nahm ihren stetigen Fortgang. In der Schweiz hat Hr. Prof. Dr. Ferro. Verrer in Bern seine Aufnahmearbeiten durch die Beschreibung einiger Handschriften aus St. Gallen zum vorläufigen Abschluß gebracht. Mit besonderem Dank ist zu berichten, daß der gelehrte Vorstand der Stiftsbibliothek in Einsiedeln, Hr. P. GABrıen Mrıer, sich durch persönliche Mitar- beit an unseren Bemühungen beteiligt und daß Hr. Oberbibliothekar Dr. Cart Unrıstorun Bervovirı eine Aufnahme der öffentlichen und Universitätsbibliothek zu Basel nach unseren Grundsätzen in Angriff genommen hat; die ersten von Hın. Prof. Bısz in Basel sorgfältig ge- arbeiteten Proben sind bereits eingelaufen. Aus Österreich sind Beschreibungen gesandt worden von Hrn. Dr. V. Junk für einige Handschriften der Wiener Hofbibliothek sowie für mittelhochdeutsche Fragmente aus Stams (Weltchronik Rudolfs von Ems), von Hrn. Dr. Fern. EıcuLer für drei Handschriften der Uni- versitätsbibliothek zu Graz. Unser treuer Mitarbeiter Hr. WALTHER Doren hat wieder 70 Handschriften der Universitätsbibliothek zu Prag und 27 Handschriften des Museums und der Dekanatsbibliothek zu Aussig beschrieben. Die Königlich Bayerische Hof- und Staatsbibliothek in München, deren Beteiligung an unserem Werk unser vorjähriger Bericht an- kündigen und in den Anfängen begrüßen durfte, hat uns ihre wert- volle Hilfe seitdem in reichem Maße gewährt. Die Ernte des Jahres umfaßt nicht weniger als 140 Beschreibungen, die ihre sachkundigen Verfasser, die Herren Bibliothekare Dr. LeipineEer und Dr. PrrzEr, reich mit gelehrten, unser Wissen erweiternden literarischen Nachweisen aus- gestattet haben. Hingewiesen sei besonders auf die Vermehrung unserer Kenntnis der mittelalterliehen Hymnologie, die die diesjährige Aus- beute brachte. Aus eingehender Kenntnis der ihrer Pflege anver- trauten handschriftlichen Schätze haben die beiden Herren außerdem auch die von gelegentlichen Mitarbeitern in Berlin hergestellten Be- schreibungen einzelner Münchener Manuskripte ergänzt, die nach Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 67 früherer Vereinbarung der Münchener Bibliotheksleitung für ihre neue Katalogarbeit zur Verfügung gestellt wurden. So besteht ein wechsel- seitig förderndes Verhältnis zwischen unserem Handschriftenarchiv und der Münchener Staatsbibliothek, bei dem die bibliothekarischen wie die gelehrten Interessen in gleicher Weise gedeihen. Es wäre dringend zu wünschen, daß sich dem Vorgange von München und Basel auch andere deutsche Bibliotheksverwaltungen anschlössen. — Ein bestimm- tes Gebiet der Münchener Handschriften, die mystische Prosa, insbe- sondere die Predigten Meister Eckharts, hat Hr. Privatdozent Dr. von DER LeyEn in München für uns in Arbeit genommen. Schon der letzte Bericht hob hervor, daß wir beabsichtigten, die Handschriftenbestände Bayerns außer München durch einen von uns beauftragten Gelehrten planmäßig bereisen zu lassen. Diese Ab- sicht konnte inzwischen verwirklicht werden. Auf unsern Antrag hat der Herr Kultusminister den Gymnasialprofessor Hrn. Dr. Karı Euume in Königsberg i. Pr. für das Sommersemester 1906 von seiner Amts- tätigkeit entbunden und zu jener Reise beurlaubt. Hr. Eure, dessen regelmäßige Berichte dem Nachstehenden zugrunde liegen, zog zu- nächst vorbereitende Erkundigungen ein und erfreute sich dabei tat- kräftiger Unterstützung durch die Münchener Kenner der bayrischen Handsehriftenbestände, insbesondere die Herren Reichsarchivdirektor Baumann, Reichsarchivrat GLASSCHRÖTER, sowie durch die Zentralstellen der Franziskaner zu St. Anna (Pater Hrrıgerr) und der Benediktiner zu St. Bonifaz (Pater Onı.o Rorrmanner). Seine Reise begann Prof. Euvume dann Ende April in Lindau, wo das Stadtarchiv, das Museum, die Stadtbibliothek ihm 8 Handschriften ergaben. Im Pfarrarchiv von St. Mang zu Kempten fanden sich in Einbänden außer lateinischen Va- gantenversen verschiedene Pergamentblätter mittelhochdeutscher Dich- tungen, die durch die Liberalität des Vorstandes, Hrn. Pfarrers Enr- HARDT, nach und nach abgelöst und an Hrn. Eure zu eingehender Un- tersuchung nach Königsberg übersandt worden sind. Die Ausbeute im städtischen Stiftungsarchiv zuMemmingen umfaßte 9 Beschreibungen. Beachtenswert ist das Material für den Meistergesang, der sich hier unter den Leichensängern bis in die achtziger Jahre des vorigen Jahr- hunderts erhalten hat; ferner ein ausgezeichnetes Erbauungsbuch (Inhalt aus dem 14. Jahrhundert), historische Lieder und Gedichte, Fragmente eines Rechtsbuchs des 14. Jahrhunderts, zwei reichhaltige Arzneibücher. Dank dem Entgegenkommen der geistlichen und weltlichen Behörden gelang eine rasche Übersicht über die umfangreichen und zerstreuten Manuskriptmassen Augsburgs: Ertrag brachte nur die Musterung der ungenügend katalogisierten Handschriften der Kreis- und Stadt- bibliothek (35 Beschreibungen, überwiegend bisher unbekannter Stücke). Sitzungsberichte 1907. Bo) 68 Öffentliche Sitzung vom 24. Januar 1907. Auch unter den Handschriftenbeständen von Donauwörth fand sich nichts Einschlägiges. In Neuburg lieferte das Kreisarchiv eine Notiz über einen Melanchthonbrief, die Königliche Provinzialbibliothek, in der ohne jedes Verzeichnis 260 ungeordnete Handschriften an Ort und Stelle zu prüfen waren, 5 Stücke. In Nördlingen wurden das Stadt- archiv, das Städtische Museum, die Stadtbibliothek und die Kirchen- bibliothek der Hauptkirche besucht; doch ergaben sich für unsere Aufnahme nur zwei Nummern (ein Stadtrecht und ein meistersinge- risches Dedikationsgedicht an den Rat). Eine besonders notwendige und gewinnreiche Arbeit war für die Fürstlich Öttingische Bibliothek zu Maihingen im Ries zu leisten. Beschränkten sich die bisherigen Nachrichten darüber von BarrscH (Germania 8, 48) und Scnhumwr (Alemannia 24, 51) auf zufällige Be- merkungen, verzeichnete der Fürstliche Bibliothekar Dr. Grurpr 1899 in seinem deutschen Katalog 25 deutsche Handschriften, so weist unser Ertrag über 180 Nummern auf. Namentlich in die geistige Atmosphäre der schwäbischen Frauenklöster während des ausgehenden Mittelalters und der folgenden Jahrhunderte und in das wenig be- achtete Nachleben der Mystik gewährt die umfassende Erbauungs- literatur Maihingens einen charakteristischen Einblick. Beim Einbinden dieser jüngeren literarischen Erzeugnisse wurden zwar die Handschriften der älteren Zeit meist vernichtet, immerhin blieben die bekannten Notkerbruchstücke, eine Spur einer Jakobuslegende des ı2. Jahr- hunderts, manches aus dem 13. Jahrhundert und reiches Material des ı4. Jahrhunderts übrig. Neben der weit vorherrschenden geistlichen Prosa des ı5. Jahrhunderts geht auch die weltliche und geistliche Poesie nicht leer aus: unbenutzte Handschriften bekannter Werke, Lieder, Sprüche und Fragmente waren in ziemlicher Anzahl nachzu- weisen. Hervorgehoben sei noch ein umfangreiches Meistergesang- buch von 1625 und das »Gesangbuch des Aurelii Prudentii Clementis, itz gründlich gedeutscht«. Die Akademie schuldet Seiner Durchlaucht dem Fürsten vox Örrınsen-WaArverstern und seinem Bibliothekar Hrn. Dr. Grurp lebhaften Dank für die Förderung, die sie den Arbeiten Prof. Euumes gewährten. — Nach einer Mitteilung von Hın. Prof. Speent aus Medingen haben sich zwar die verlorenen Schriften der Margaretha Ebner nicht wiedergefunden, wohl aber sind ein deutscher Psalter und ein umfängliches Leben der Christine Ebner von Engel- thal vorhanden. Sehr dürftigen Ertrag brachte die Oberpfalz. Das erklärt sich daher, daß nicht nur die älteren dortigen Handschriftenbestände nach München gebracht worden sind, sondern auch neuerdings Gefundenes bei den systematischen Zentralisierungsbestrebungen der Landesbehörden Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 69 den Bibliotheken und Archiven der Oberpfalz zu Gunsten Münchens ent- zogen wurde. Die Königliche Kreis- und Provinzialbibliothek in Am- berg beherbergt die jüngst so splendid herausgegebenen Parzivalfrag- mente wohl nur darum noch, weil sie erst vor ganz kurzer Zeit entdeckt worden sind. Das Königliche Kreisarchiv und die städtischen Samm- lungen Ambergs gaben Gelegenheit zu sieben Beschreibungen. Da aus Neumarkt, Sulzbach, Weiden, Weltenburg durchweg negative Auskunft eingegangen war, setzte Prof. Eunme seine Nachforschungen in Regensburg fort und besuchte die Fürstlich Thurn und Taxissche Hofbibliothek (vier Handschriften) sowie die Königliche Kreis- und Provinzialbibliothek. Die Bibliothek des Historischen Vereins ergab einige Fragmente, ein Exemplar des Buches Belial u.a. Mit dem ver- reisten Grafen WALDERDORF ward ein Briefwechsel angeknüpft. Er- kundigungen bei Hrn. Generalvikar Dr. Leitser und eigene Nachfor- schungen in der Bibliothek des Ordinariats, des Klerikalseminars, des Kapitels zur alten Kapelle, des Archivs im Katharinenspital brachten ein negatives Resultat; ebenso die Auskünfte, die Hr. Dr. Lerrser und der Stiftsdechant Hr. Dr. F. X. Schmpr über die noch unverarbeitete Troskesche Musikbibliothek erteilten. Das Archiv der Fürsten von Thurn und Taxis hat keine Handschriften, auch kein von uns zu be- rücksichtigendes Briefmaterial. In der Stadtbibliothek fanden sich zwei Fragmente einer Weltehronik, im Archiv außer einigen Theologen- briefen historische Reimereien des 15. und 16. Jahrhunderts. Ebenso mager war das Ergebnis für Niederbayern. Besucht wurden, nachdem über alle übrigen Orte glaubhafte negative Auskunft eingelaufen war, die folgenden Städte. Zunächst die Bibliothek des Historischen Vereins in Landshut mit angeblich 200 Handschriften: fast durchgängig Elaborate von Mitgliedern, wenig Urkunden und Ak- ten. Im Kloster Seligenthal bei Landshut fand sich eine einzige zur Aufnahme geeignete Handschrift. In Passau wurden nur aus der Kreis- und Studienbibliothek nebst Lyzealbibliothek wenige brauch- bare Stücke aufgespürt. Die Straubinger Sammlungen trugen ledig- lich ein paar Rezepte ein. Die bedeutendste niederbayerische Biblio- thek, die der Benediktinerabtei Metten, fast 100000 Bände umfassend, lieferte ein kleines Dutzend von Beschreibungen und Nachweisen. In Freising wurde aus der Bibliothek des Lyzeums, des Domstiftes und des Klerikalseminars als Ertrag nur eine Beschreibung und ein Nach- weis eingebracht: die Benediktinerabtei Scheyern bot neun Hand- schriften und Nachweise; Andechs eine Beschreibung, zwei Nach- weise. In Tegernsee ist vom Klostereigentum direkt nichts gerettet: ein lateinisches Totenbuch der Benediktinerabtei (15. Jahrhundert) war vor zehn Jahren von einem Berliner Antiquar für das Tegernseeer 8* 70 Öffentliche Sitzung vom 24. Januar 1907. Museum erworben. In dem Benediktinerpriorat Schäftlarn wurde die einzige vorhandene Handschrift aufgenommen. Der weitere Weg führte nach Rosenheim, wo zwei sehr wertvolle Stücke des Stadtmuseums verzeichnet werden konnten. Bei wiederholtem Besuch des Stadtarchivs luden zahlreiche Pergamentbände zur Nachforschung ein; war ja doch auch das Nibelungenfragment von einem solehen Rechnungsbuch ab- gelöst, wie sie das Archiv zu Tausenden beherbergt. Aber deutsche Texte kamen unter dem Vorhandenen nicht zum Vorschein. Aller- dings konnten in diesem wie in manchem ähnlichen Falle noch keine abschließenden Ergebnisse erzielt werden: das Rosenheimer Archiv ist kaum zur Hälfte geordnet, ein Teil des archivalischen Materials ständig auf Reisen, um von dem in Eichstädt ansässigen Stadtarchivar dort ge- sichtet zu werden. Aus Wasserburg (Stadtarchiv, Museum, Städtische Bibliothek) wurden drei Beschreibungen eingebracht; die Sammlungen der Stadt sind aber erst in der Entwicklung begriffen, das Archiv ist seit 1832 ohne Verwaltung, nicht geordnet, nichts signiert. In Burghausen fand sich eine wunderliche Handschrift mit Segen und Zauberformeln, sonst enthielten das gute Städtische Archiv, das Museum des Altertumsvereins und eine noch ungeordnete Privatsamm- lung im Schloß nichts für unsere Zwecke Brauchbares. Von allen übrigen oberbayerischen Sammlungen war negativer Bescheid einge- gangen. Dieser Bericht verzeichnet vollständig nur die Stellen, die Prof. Eve mit Erfolg besuchte; die Zahl der von ihm fruchtlos dureh- musterten Sammlungen wird das Doppelte und Dreifache betragen. Bei dieser Fülle von Aufgaben und bei der Kürze der zu Gebot stehenden Zeit war es Prof. Evuıse nur teilweise möglich, vollständige Beschrei- bungen der aufgespürten und verzeichneten Handschriften aufzunehmen; kam es doch diesmal in erster Linie darauf an, eine volle Übersicht über die Bestände der besuchten Landesteile zu gewinnen. So orien- tieren nicht wenige der von ihm eingelieferten Beschreibungen mehr summarisch und werden künftiger erschöpfender Dureharbeitung be- dürfen. Für eine Reihe von Handschriften hat sich Prof. Eurıse diese eingehende Aufnahme selbst vorbehalten; daneben sollen namentlich für die besonders reichhaltige Maihinger Erbauungsliteratur andere jüngere Kräfte herangezogen werden. Auch in anderer Hinsicht konnte Prof. Eures Reise nicht ab- schließend sein. Die Kataloge und die Ordnung der besuchten Samm- lungen lagen vielfach sehr im argen; besondere örtliche Verhältnisse hinderten mehrfach die volle Sicherheit erschöpfender Nachforschung, trotz der weitgehenden Unterstützung, die Prof. Eurme bei den geist- lichen und weltlichen Behörden und Verwaltungen fast überall in Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 71 reichem Maße gefunden hat. Es muß darauf gerechnet werden, daß noch nachträglich fördernde Hinweise und Ergänzungen eintreffen werden, wie das für Passau und Regensburg bereits geschehen ist. Das Unternehmen der Akademie hat wesentlich dazu beigetragen, in den von Prof. Euume bereisten Gegenden Verständnis für den Wert der handschriftlichen Schätze zu wecken, und wir können hoffen, daß die ausgestreute Saat auch noch weitere Frucht tragen wird, als bis- her geerntet werden konnte. Die Handschriften der Königlichen Bibliothek zu Dresden be- gann Hr. Dr. Manırıvs aufzunehmen. Als gelegentlichen Ertrag eines Aufenthaltes in Leipzig sandte Hr. Dorcn neun Beschreibungen von Manuskripten der Universitätsbibliothek. Rüstig fortgeschritten ist die Inventarisation der Königlichen und Universitätsbibliothek in Breslau durch Hrn. Gymnasialoberlehrer Dr. Josern Kraprer. Im ganzen hat er für uns bisher 99 Beschreibun- gen hergestellt. Im Vordergrund steht die geistliche und gelehrte, überwiegend lateinische oder vom Lateinischen abhängige Literatur aus der Zeit des Übergangs vom Mittelalter zur Reformation: da in Breslau der ansehnliche Vorrat der schlesischen Klosterbibliotheken zusammengeflossen ist und sich noch heute meistens nach seinen Quellen sondern läßt, so erhält man ein deutliches Bild der sprach- lichen und literarischen Bewegung jener regsamen Landschaft, die als Brücke zwischen der Kultur des Luxemburgisch-Böhmischen und des Wettinisch-Meißnischen Kreises in der Werdezeit der modernen deut- schen Bildung eine bedeutungsvolle Rolle gespielt hat. Hervorgehoben seien vor allem Hymnenhandsehriften (aus dem Jungfrauenstift in Liegnitz, aus Kloster Leubus), ferner die vorhumanistische Produktion (deutseh-lateinische Glossare, deutsch-lateinische Epistolographien, die Anfänge ausgeprägter humanistischer Schreib- und Übersetzertätigkeit); außerdem mannigfaltige ältere und jüngere nationale und romanisierte Rechtsliteratur. Über Handschriften der noch nicht katalogisierten Stadtbibliothek in Königsberg hat Hr. Evıme einen aufklärenden Bericht nebst einer kleinen Anzahl von Beschreibungen geliefert. Die Handschriften der Königlichen Bibliothek in Berlin zu be- arbeiten, ist Hr. Prof. Emm Hexrıcr fortgefahren; er hat sich nament- lich mit den umfangreichen und wenig benutzten Folianten Daniel Sudermanns beschäftigt. Doch ist der Fortschritt diesmal nicht so groß gewesen wie im vorigen Berichtsjahre, da Prof. Hrxrıcı den größeren Teil seiner Arbeitszeit auf die Wolfenbüttler Codices ver- wendet hat. Seine Berliner Beschreibungen sind im Auftrage der Generaldirektion kopiert worden, um als Grundlage für einen künf- 12 Öffentliche Sitzung vom 24. Januar 1907. tigen großen Katalog der deutschen Handschriften Berlins zu dienen. — Die im Magistratsarchiv zu Schwiebus aufbewahrte Handschrift eines deutschen Facetus und Cato hat Hr. Prof. Borenuiss in Posen für das Handschriftenarchiv aufgenommen. Eine Nachlese in den Magdeburger Bibliotheken, der städti- schen Hauptbücherei, dem Staatsarchiv, den Sammlungen des Dom- gymnasiums und des Pädagogiums des Klosters Unserer Lieben Frauen, die Dr. Prönsecke vornahm, förderte u. a. noch einige medizinische Handschriften zutage. — Die Beschreibungen von Manuskripten der Universitätsbibliothek zu Halle, die unter Leitung von Hrn. Prof. Strauch durch die Mitglieder des Germanischen Seminars HH. Dr. JÄupe, RörErR, SCHAUERHANMER, WARNECKE angefertigt wurden, er- strecken sich namentlich auf geistliche Literatur, berichten aber z.B. auch über eine interessante Mandevillehandschrift. — Naumburg brachte den Nachforschungen Hın. Dr. Hampers wenig Ertrag: nur über drei Handschriften der Stadtbibliothek und des Städtischen Archivs hatte er bisher zu berichten. — Unter den Handschriften des Städtischen Archivs zu Mühlhausen, die Hr. Prof. Dr. Em KErrner aufgearbeitet hat, sei eine thüringische Predigtsammlung her- vorgehoben. — Veranlaßt durch den Auftrag der Akademie hat Hr. Prof. Dünıse die Handschriften der Königlichen Stifts- und Gymnasial- bibliothek in Quedlinburg behandelt, zunächst in der Form eines Gymnasialprogramms; im Anschluß daran wird er Beschreibungen, die unseren Grundsätzen genauer entsprechen, demnächst in das Hand- schriftenarchiv liefern. Von den Bearbeitern der Handschriften Hessen-Nassaus haben Hr. Dr. Leesanp in Cassel (Gedichte Dietrichs von dem Werder) und Hr. Dr. Wüsr in Wiesbaden (Niederdeutsches Legendarium) nur je eine Beschreibung einsenden können. Dagegen hat Hr. Dr. Wıscanp in Rawitsch während seiner Ferien die Fuldaer Handschriften rüstig gefördert: es handelte sich diesmal besonders um Stücke des 16. und 17. Jahrhunderts (Jesuitenkomödien mit deutschen Einlagen; die Über- setzung eines Senekatraktates; Alchimistisches und Medizinisches). — Die Bearbeitung der Handschriften Frankfurts a. M. leitet Hr. Prof. Panzer: aus den Beschreibungen, die er und in seinem Auftrage Hr. Berraror bisher angefertigt haben, sind etwa eine Übersetzung von Albertus Magnus’ Compendium Theologicae veritatis und nament- lich einige interessante und bunte lateinische Miszellanhandschriften hervorzuheben, die für die weltliche und geistliche lateinische Klein- poesie des 14. und 15. Jahrhunderts in Betracht kommen. — Eine im Besitze des Völkerschen Antiquariats zu Frankfurt befindliche Handschrift hat Prof. Borcuume beschrieben; ihm danken wir auch un eh Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 73 Mitteilungen über Handschriften des Großherzogtums Hessen und der Rheinprovinz, so über ein Rennerbruchstück zu Hungen, über Handschriften im Besitz des Pfarrers Allmenröder in Oberbiel und im Gräflichen Archiv zu Erbach; seine Bemühungen um die Hand- schriften des Gräflich Solmsschen Archives zu Braunfels müssen später neu aufgenommen werden. — Hr. Hofbibliothekar Dr. Scnumr hat seine Beschreibung der Darmstädter Handschriften fortgesetzt. Dagegen war es Hrn. Dr. Scnaarrs im vergangenen Jahre leider nicht möglich, seine ergiebige Inventarisation der hessischen Archive weiter- zuführen. Besonders Erfreuliches ist auch diesmal über die Handschriften Westfalens zu melden, denen die HH. Bibliothekare Dr. Böner und Dr. Deserme wiederum ihren erfolgreichen Eifer gewidmet haben. Der Löwenanteil fiel abermals auf die niederdeutsche Erbauungsliteratur der Münsterschen Bibliotheken (Universitätsbibliothek, Bibliothek des Provinzialvereins); fruchtbar erwies sich insbesondere die Durch- forschung der aus Einbänden gewonnenen Fragmente der Universi- tätsbibliothek: sie ergab unter anderem Bruchstücke einer gereimten niederrheinischen Übersetzung der Consolatio philosophiae des Boethius aus dem 14. oder 15. Jahrhundert, neue Winsbekenfragmente, den bisher verlorenen Anfang des Speghels der zonden; Dr. Böner wird über diese Funde eingehend berichten. — Aus den Handschriften der Gräflich Fürstenbergschen Bibliothek zu Herdringen interessierte na- mentlich eine reichhaltige lateinische Miszellanhandschrift des 15. Jahr- hunderts, die neue Goliardenlieder, studentische Scherz- und Rechen- fragen und anderes enthält; auch aus dieser Handschrift wird Dr. Böner die bemerkenswerten Stücke demnächst veröffentlichen. — Wenig er- gab die Bibliothek des Provinzialverbandes zu Minden, gar nichts das Folkwangmuseum zu Hagen, das märkische Museum zu Witten und die Gräflich Landsbergsche Bibliothek zu Wocklum bei Balve. — Aus Bochumer Privatbesitz beschrieb Hr. Prof. Strecker das Scharf- riehterbuch von Dreißigacker. Hr. Bibliothekar Dr. Orro hat die Beschreibung der Kieler Hand- schriften begonnen, ebenso Hr. Oberlehrer Dr. Loxxe die Aufnahme der Manuskripte Bremens. Leider ist Dr. Loxke von der weiteren Inventarisierung der bremischen Codices zurückgetreten. Mit glück- lichem Erfolg hat Hr. Oberlehrer Dr. Hasen die bisher wenig beach- teten und nur provisorisch geordneten Handschriften der Stadtbiblio- thek zu Lübeck in Angriff genommen: schon seine bisherigen Be- schreibungen, die sich lediglich auf das Gebiet der niederdeutschen geistlichen Prosa erstrecken, konnten auf manches bisher Unbekannte hinweisen; er hebt rühmend die Unterstützung hervor, die er bei den 74 Öffentliche Sitzung vom 24. Januar 1907. HH. Stadtbibliothekar Prof. Dr. Currıus und Hilfsbibliothekaren Dr. Hacn und Wonterr gefunden hat. Auch die Handschriften des Stadt- archivs sind von Dr. Hasen beschrieben worden. Mit Befriedigung berichten wir, daß die größte Schatzkammer Norddeutschlands, die Herzogliche Bibliothek in Wolfenbüttel, an Hrn. Prof. Dr. Enz Hexrıcı einen Bearbeiter gefunden hat, dessen hin- gebende Arbeitsfreudigkeit die Akademie hoffen läßt, daß es gelingen werde, der gewaltigen handschriftlichen Massen dieser imposanten Sammlung in absehbarer Zeit Herr zu werden. Prof. Hrxrıcı hat etwa das erste halbe Tausend der Helmstädter Handschriften für unsere Zwecke geprüft und, soweit nötig, beschrieben. Diese nach den aka- demischen Grundsätzen angelegte Aufnahme brachte, wie zu erwarten, im einzelnen erheblichen Ertrag über den aus anderen Gesichtspunkten angelegten verdienstlichen Katalog von Heinemanns hinaus. Insbe- sondere hat sich Prof. Hrsrıcı mit dem Nachlaß des Joh. Caselius be- schäftigt. Hr. Oberbibliothekar Dr. Mircnsack hat die Arbeiten Hexkıcıs durchweg sehr dankenswert erleichtert und unterstützt. — Im Her- zoglichen Landeshauptarchiv zu Wolfenbüttel stieß Prof. Hrxkıcı auf manche niederdeutsche Sprüche und Fragmente, die auch Borchlings Spürsinn entgangen waren. — Auch eine Göttinger Handschrift mit Gedichten des Johannes de Garlandia ist von Hexrıcı untersucht worden. Den Ertrag der Ferienreise, die Hr. Dr. Wüsr im vergangenen Jahre nach Paris gemacht, hat er jetzt vollständig vorgelegt. Die Bibliotheque Nationale zeigt einen auffallenden Reichtum an geist- licher und weltlicher Übersetzungsliteratur des 15. Jahrhunderts, da- neben ist die Mystik (Seuse, Eckhart) besonders reich vertreten; auch über manche unbeachtete mittelhochdeutsche Fragmente war zu be- richten. Dr. Wüsr konnte in der kurzen Zeit, die ihm zur Verfügung stand, nicht entfernt erschöpfen, was Paris für die Zwecke der Aka- demie bietet; um so erwünschter traf es sich, daß Hr. Dorcn einen gelegentlichen Aufenthalt in Paris benutzte, um eine größere Anzahl von Beschreibungen herzustellen, die Dr. Wüsts Arbeiten zum Teil glücklich ergänzten. Ebenso dankt das Handschriftenarchiv Hrn. Dorcns bewährtem Eifer 24 zum Teil sehr umfängliche Beschreibungen von Handschriften des Britischen Museums in London, die in Priebschs verdienstlichem Werk gar nieht oder nicht in vollem Umfang verwertet werden konnten. Es handelt sich da meist um medizinische und astronomische Stücke des späten Mittelalters (Segen, Rezepte) und um zahlreiche Stammbücher des 16. und 17. Jahrhunderts, die Einblicke in die poetische Klein- kunst und die Bräuche des Studenten-, Handwerker-, Bergmannslebens Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 19 der Zeit gewähren. — Hr. Prof. Prırgscn hat die Sammlungen Edin- burghs und das Hunterian Museum zu Glasgow besucht. Die Biblio- thek des Royal Observatory in Edinburgh ergab namentlich astrono- mische Literatur. Ein Brevier der Edinburgher Universitätsbibliothek hat Hr. Dr. Beurenn sorgsam aufgenommen. Hr. Prof. Hs. Psı.anper fuhr mit seinen interessanten Beschreibungen von Fragmenten der Königlichen Bibliothek zu Stockholm und der Universitätsbibliothek zu Upsala fort. Die Bruchstücke pseudoneid- hartischer Gedichte und eines merkwürdigen poetischen Dialogs zwi- schen Mönchen und Nonnen sollen demnächst an anderem Orte ver- öffentlicht werden. — Über eine Rechtshandschrift der Groninger Universitätsbibliothek hat Prof. Borcnume berichtet. — Gelegentliche Beschreibungen von Berliner, Münchener, Stuttgarter, Wiener Hand- schriften reichten die HH. Morpnorst, KArL ScHröper, Voısr in Ber- lin ein. Gegenwärtig besitzt das Handschriftenarchiv ungefähr 1600 Handschriftenbeschreibungen, von denen etwa 150 noch der Ergän- zung bedürfen. Davon sind etwa ı100 Handschriften in dem Zettel- katalog verarbeitet, der bereits 70000 Zettel umfaßt. Diese Zettel sind auf die sechs Hauptkategorien: Namen, Anfänge, Stoffe und Titel, Zeitangaben, Wasserzeichen, formale Erscheinungen verteilt und in jeder dieser Abteilungen alphabetisch geordnet. Besondere Sorgfalt wurde den Bruchstücken zugewendet, deren Zettel in besonderen Kasten aufbewahrt werden. Die Wasserzeichen liegen zum großen Teil in Pausen vor; schon jetzt bietet das Archiv sehr beträchtliche Ergän- zungen zu der Keinzschen Sammlung der Münchener Wasserzeichen. An den Verzettelungsarbeiten haben unter Leitung des Assistenten Dr. Benrenp die HH. stud. GEnser, Dr. KOTzENBERG, Dr. ArTHUR MÜLLER, stud. RAnkE, Dr. Reısk£, stud. Voısr mitgewirkt. — Sehr zu wünschen läßt die Handbibliothek des Handschriftenarchivs, die erst 246 Nummern umfaßt. Viele der unentbehrlichen gedruckten Spezialkataloge von größeren und kleineren Handschriftensammlungen der deutschen (na- mentlich der schweizerischen) Bibliotheken sind im Buchhandel ver- griffen und selbst mit hohen Kosten nur schwer erreichbar. Um so willkommener war es, daß die Kaiserliche Akademie der Wissen- schaften in Wien uns die Tabulae codieum manuseriptorum in Biblio- theca Palatina Vindobonensi asservatorum, daß die Direktion der Königlich Bayerischen Hof- und Staatsbibliothek uns den Münchener Handschriftenkatalog als Geschenk überwies. Wir richten an Behörden und Bibliotheksverwaltungen die Bitte, uns nach Möglichkeit durch Überlassung der seltenen Handschriftenkataloge und seltenen Literatur über Handschriften zu unterstützen. 76 Öffentliche Sitzung vom 24. Januar 1907. Der Auskunftsdienst unseres Handschriftenarchivs beginnt sich erfreulich zu entfalten. Schon mehrfach konnten hiesige und aus- wärtige Gelehrte aus dem Archiv von uns Aufschluß erhalten. Un- erledigte Fragen werden gesammelt, von Monat zu Monat durchge- sehen und, falls möglich, beantwortet. Von den »Deutschen Texten des Mittelalters« wurde im vergangenen Jahr ausgegeben nur der umfängliche Bd.VII (Heinrichs von Neustadt Apollonius von Tyrland, nach der Gothaer Handschrift, Gottes Zukunft und Visio Philiberti, nach der Heidelberger Hand- schrift herausgegeben von SamuEL Sıseer); doch sind der ungewöhn- lieh schwierige Bd. VII (Heinrichs von Hesler Apokalypse, aus der Danziger Handschrift herausgegeben von Karı Hrım) und Bd. IX (Thilos von Kulm Liber de septem sigillis, aus der Königsberger Hand- schrift herausgegeben von KArtL KocHENDÖRFFER) im Satz nahezu voll- endet. Außerdem befinden sich im Druck Bd. X (Der Prediger von Sankt Georgen, aus der Freiburger und Karlsruher Handschrift her- ausgegeben von Karı River), Bd. XI (Die Predigten Taulers, aus der Engelberger Handschrift und aus Schmidts Abschriften der ver- lorenen Straßburger Handschriften herausgegeben von FERDINAND VETTER) und Bd. XII (Die Meisterlieder des Hans Folz, aus der Münchner Öriginalhandschrift herausgegeben von Auscust Mayer). Neu in das Programm der Texte aufgenommen wurden die Wolfenbüttler Priamel- handschrift, die Secereta Seeretorum der Nonne von Kaisheim, das Buch Belial, Einsiedler Erbauungsbücher, der Engelberger Prediger, der Seelentrost von Heinrich von Burgeis, das Väterbuch. Mannig- fache Beratung und Unterstützung fanden die Deutschen Texte durch die HH. Prof. vov Kraus in Prag, Marrıy in Straßburg, Panzer in Frankfurt a. M., Scnöngach in Graz, SEEMÜLLER in Wien, StrAucCH in Halle, Zwierzına in Innsbruck. Der steten Hilfsbereitschaft des Hrn. Bibliothekars Dr. Prrzer in München ist auch in diesem Zusammen- hange zu gedenken. Für die Wieland-Ausgabe hat Hr. Dr. Frırz Homever während eines längeren Aufenthaltes in Zürich alle kleineren Handschriften und seltenen Drucke der Jugendwerke erledigt und kollationiert nun, dank freundlichem Entgegenkommen des Hrn. Stadtbibliothekars Dr. EscHer, den Rest hier. Auch in Bern und Karlsruhe hat er nachgeforscht. Untersuchungen zweifelhafter Wielandischer und Bodmerischer Schriften sind im Gange. Das auswärtige Kommissionsmitglied Hr, SEUFFERT in Graz hofft einen unerläßlichen dritten und letzten Teil der »Pro- legomena«, der die Chronologie aller von 1760 bis 1813 verfaßten Werke, Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 07 einer ungeheuren Masse, bringen und ihre Verteilung auf Bände ent- werfen soll, bis zum Frühjahr zu vollenden. Zum Briefkorpus wird fortgesammelt. Handschriftliche Bruchstücke der Cieero-Übersetzung hat Hr. Dr. Kurr Löwenrern beigesteuert. Über den Stand des Rheinischen Wörterbuchs berichtet das auswärtige Mitglied der Kommission Hr. Frasck in Bonn das Folgende: Die drei Leiter des Wörterbuchs, Prof. Franck, Dr. Jos. MÜLLER und Dr. Trexse, waren vom 7. bis 9. April zu mündlicher Verhand- lung in Bonn vereinigt. Zu den Ergebnissen dieser Beratung gehört die inzwischen erfolgte Ausgabe einer ersten Nummer von » Anfragen und Mitteilungen zum Rheinischen Wörterbuch«, deren wissenschaft- licher Inhalt von Dr. Jos. MürLer herrührt. In dieser Nummer ist auch ausführlicher über die Organisation und über den eingegangenen Stoff berichtet. Auf das Gesuch der Akademie hin hat das Königlich Preußische Kultusministerium im Oktober vorigen Jahres einen Erlaß an die rhei- nischen Schulbehörden gerichtet, der sie auf das Rheinische Wörter- buch aufmerksam machte und zu seiner Unterstützung aufforderte. Dieser Erlaß hat die erfreuliche Wirkung gehabt, daß sich schon jetzt eine größere Anzahl von Lehrern und Lehrerinnen zur Mitarbeit neu angemeldet haben. Der Herr Regierungspräsident von Düsseldorf, verschiedene Schulinspektoren und Seminardirektoren zeigten dabei ein besonders dankenswertes Entgegenkommen, und an einigen Semi- naren ist die Bildung von Organisationen zu gemeinsamer Arbeit mit den Schülern im Gange. Die Bemühungen Dr. Trexses, am Nieder- rhein die Mitarbeiter des Wörterbuchs enger und einheitlicher zu or- ganisieren, haben Erfolg gehabt: so hat sich eine Gruppe für Heins- berg gebildet; in München-Gladbach ist ein Zusammenschluß erfolgt. Eine wertvolle Bereicherung erfuhren die Materialien des Wörter- buchs dadurch, daß uns verschiedene Sammlungen verstorbener Ver- fasser überlassen wurden, so die des Hrn. Hauptlehrers J. H. Kremers- Karken (Kreis Heinsberg), des Hrn. Karı Aucusr Lürrsen (Solingen Stadt), des Hrn. Schulrats Fernınann Münch (Erft- und Eifelmundarten), des Hrn. Franz W. ÖntisschtLÄGer (Untere Wupper). Hr. Rektor Jusek in Saarbrücken hat uns die Wortsammlungen des Historischen Ver- eins für Saarbrücken und die Saargegend verschafft und Hr. Prof. Barpes in Birkenfeld die etwa 6000 Zettel zur Verfügung gestellt, die er bereits in der Vorbereitung eines Birkenfelder Wörterbuchs zu- sammengebracht hatte. In Auftrag gegeben ist eine Zusammenstellung der für unsere Zwecke zu benutzenden gedruckten und handschriftlichen Quellen. 78 Öffentliche Sitzung vom 24. Januar 1907. Von Rektor und Senat der Bonner Universität ist uns im Februar vorigen Jahres ein hübscher geeigneter Arbeits- und Sammelraum zur Verfügung gestellt worden. Leider ist es bisher nicht gelungen, einen geeigneten Assistenten zu finden, was um so bedauerlicher ist, als schon ein überaus umfangreicher Stoff der Ordnung und vorläufigen Bearbeitung harrt. Mit der erfreulichst wachsenden Zahl der Mitarbeiter und Bei- träge wird es immer fühlbarer, welch ungeheurer Reichtum von Sprach- stoff zu bewältigen ist. Ihm einigermaßen gerecht zu werden, wird nur möglich sein, wenn sich das Rheinische Wörterbuch seine Auf- gabe möglichst weit steckt, auch über das hinaus, was in den besten Werken dieser Art bisher geleistet ist. Die Vielgestaltigkeit der Mund- art kommt besonders deutlich zur Anschauung, wenn auf die bunte sprachliche Wiedergabe von Einzelbegriffen eingegangen wird; einige instruktive Proben (Pfuhl, Haar, kleiner Mensch, Messer, Geiz u. a.) enthalten bereits die » Anfragen und Mitteilungen«. Ein schneller und ergiebiger Fortschritt des Rheinischen Wörter- buchs wird nur möglich sein, wenn es gelingt, die ständigen und gelegentlichen Arbeitskräfte erheblich zu vermehren. Dazu bedarf es insbesondere auch einer beträchtlichen Erhöhung der disponiblen Geldmittel. Wir müssen hoffen, daß in der Rheinprovinz selbst die Freude an unserem Werke sich immer steigere und damit auch das Verständnis dafür, welche Kräftigung des Heimatsgefühls, der hei- mischen Art sie ihm einst verdanken werde. Die Rheinprovinz vor allem wäre berufen, das aussichtsreiche große Unternehmen der Aka- demie in jeder Weise zu fördern: leider aber hat ihr Provinzialaus- schuß ein Gesuch um finanzielle Unterstützung des Rheinischen Wörter- buchs abschlägig beschieden. Forschungen zur Geschichte der neuhochdeutschen Schrifisprache. Bericht des Hrn. Burvacn. Die Gesamtausgabe der Korrespondenz des Cola di Rienzo, deren Bedeutung für die syntaktische und stilistische Ausbildung der neu- hochdeutsehen Kanzleisprache und deren Notwendigkeit für die Be- dürfnisse der allgemein historischen Wissenschaft im vorjährigen Bericht (Sitzungsber. 1906, S. 101) dargelegt wurde, kann demnächst in den Druck gehen (‘Quellen und Forschungen zur Vorgeschichte des deutschen Humanismus’, Teil 2). Um die handschriftlichen Grundlagen dafür bis an die Grenze des irgend Erreichbaren zu sichern, hat, nachdem des Berichterstatters frühere Umfrage bei mehr als 300 Bibliotheken und Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. us Archiven des In- und Auslandes nichts von Belang ergeben hatte, auch einzelne Stücke von Hrn. Dr. Scrmeiprer im Archiv zu Lucca abgeschrieben oder kollationiert waren, Hr. Dr. Paur Pıur von Ende April bis nach Mitte Juni eine Forschungsreise nach Italien und Frank- reich ausgeführt. Zunächst galt es, bekannte Briefe und Aktenstücke neu zu kollationieren, zugleich nach bisher nicht benutztem Material zu suchen oder solches auszubeuten. Daneben aber sollte für den nächsten Band der Publikationen des Berichterstatters, der den Brief- wechsel Petrarcas mit dem Prager Kreise Karls IV. und Johanns von Neumarkt enthalten wird und dessen Vorbereitung gleichfalls bereits weit fortgeschritten ist (Quellen und Forschungen zur Vorgeschichte des deutschen Humanismus’, Teil 3) durch Ausschöpfung der wert- vollsten Handschriften der Briefe Petrarcas ein kritischer Text der mitzuteilenden Schreiben gewonnen werden, wie er in FrAcASSETTIS und in der alten Baseler Ausgabe nicht einmal angestrebt worden ist. Hr. Dr. Pıur hat nach diesen Gesichtspunkten mit großer Energie in kurz bemessener Zeit eine Reihe von Bibliotheken durchforscht, und wenn er auch, wie vorauszusehen war, keine einschneidenden Ent- deekungen machen konnte, sehr nützliche Ergebnisse heimgebracht. In der Münchener Hof- und Staatsbibliothek wurde ein Rienzobrief kollationiert. Auf der Mareiana zu Venedig wurden die Handschriften der Briefsammlung ‘Sine Titulo’ mit den alten Venediger und Baseler Drucken verglichen, aus den “Epistolae Seniles’ ein Brief, aus den “Epistolae de rebus familiaribus’ ı2 Briefe kollationiert. Die Durch- suchung des Albornozarchivs in Bologna ergab außer einigen Kolla- tionen wider Erwarten keine weitere Ausbeute. Ebensowenig die Nachforschungen in der Ambrosiana und Brera zu Mailand. Nur eine bemerkenswerte Handschrift der Vita des Cola di Rienzo konnte hier eingesehen werden, doch ist sie jüngeren Datums. In Turin harrte die wichtige Rienzohandschrift der Biblioteea nazionale (Pas. lat. 784), leider durch den bekannten Brand schwer beschädigt, ge- nauerer Untersuchung. Es glückte, einen unveröffentlichten Brief mit Sicherheit für Rienzo in Anspruch zu nehmen, der zudem als der früheste aller bekannten sich herausstellte. Auch konnte ein anderer verloren geglaubter Brief Rienzos wiedergefunden werden. Da diese Handschrift zugleich den größten Teil der Korrespondenz Petrarcas mit Rienzo enthält, so konnte, und zwar besonders für die Briefe aus den “Variae’, die bisher nur nach einem alten Venediger Druck von Fracasserti ediert sind, die notwendige handschriftliche Grundlage er- mittelt werden. Dabei ergab sich, daß der Text dieses Rienzo und Petrarca betreffenden Teiles der Handschrift auf die gleiche (Avigno- nische?) Quelle zurückgeht wie der im Kod. 3121 der Wiener Hofbiblio- 80 Öffentliche Sitzung vom 24. Januar 1907. thek. Während die Nachforschungen in dem Departementsarchiv und der Bibliothek zu Avignon keinerlei neues Material zutage förderten, konnten zu Paris in der Bibliotheque Nationale die drei wichtigen Handschriften der 'Epistolae de rebus familiaribus’ genau durchgesehen und ausgeschöpft werden. Auch ward ebenda noch eine Anzahl weiterer Handschriften für Petrarea und Rienzo benutzt. Diese Durchsuchung hatte natürlich nur einzelne bestimmte Handhaben, war sonst aber, mochte sie auch diesen und jenen Spuren folgen, mehr oder minder vom Zufall abhängig und weit entfernt, eine abschließende zu sein. Völlig neues Material durfte man nicht erwarten. Eine bisher unbekannte Handschrift, in der Rienzobriefe stehen sollen, wurde vor einigen Jahren von Hrn. Antiquar Jacques Rosenthal in München der Pariser Nationalbibliothek zum Ankauf angeboten; es gelang leider bisher nicht, diese Handschrift wiederzufinden. — Bei seinen Arbeiten hatte sich Hr. Dr. Pıur seitens der Herren Bibliotheksvorstände überall eines außerordentlichen Entgegenkommens zu erfreuen, wofür hier mit leb- hafter Genugtuung gedankt sei. Für den historischen Kommentar der neuen Rienzoausgabe und einen beizugebenden Anhang der den Tribunen betreffenden päpstlichen Briefe und Erlasse war im Verein mit Hrn. Dr. Pıur fort- gesetzt Hr. Dr. Frırz Küny tätig. Nachdem ein Teil des vatikanischen Materials durch die dankenswerte Vermittlung des Leiters des Preußi- schen Historischen Instituts in Rom, Hrn. Geheimrats Prof. Dr. Kenr, mitgeteilt worden war, schien es im Interesse einer erschöpfenden Behandlung der rein geschichtlichen Seite des Gegenstandes unerläß- lich, das Register der Päpste Klemens’ VI. und Innozenz’ VI. noch einmal planmäßig nach weiterem urkundlichen Stoff zur Geschichte Rienzos durchzusehen und die von Theiner schon abgedruckten Briefe von neuem mit den Handschriften zu kollationieren, um so ihre vorbereitete zweite Publikation zu einer authentischen zu machen. Dies ging indessen über den Rahmen der deutschen Kommission hin- aus und war demgemäß aus ihren Fonds nicht zu bestreiten. So bewilligte denn die Akademie auf einen von Hrn. DiETRICH SCHÄFER und dem Berichterstatter gestellten Antrag die für eine Romreise er- forderlichen Mittel. Dadurch wurde es möglich, daß Hr. Dr. Künnx vom ı. Oktober bis zum 15. Dezember in Rom für die neue Ausgabe gearbeitet hat. Seine Untersuchung erstreckte sich auf die Sekret- register (Reg. Vat. 137—145 und 235—237), die Abteilungen ‘De curia’, “Litterae communes’, “Litterae diversarum formarum’ und die Vollmachten der nach Italien gesandten Legaten der Pergamentaus- fertigungen der Kommunregister (Reg. Vat. 146—213 und 219 — 231), die sogenannten Archetypen Innozenz’ VI. (Reg. Vat. 244 A—N) und Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akadeiie. sl die “Instrumenta miscellanea’ für die Jahre 1342—1355. Außerdem wurden die in den Pergamentausfertigungen der Kommunregister gefundenen Stücke noch mit den entsprechenden Ausfertigungen der Papierregister kollationiert. In den Supplikregistern wurde ver- geblich nach den zu Reg. Vat. 166 Bl. 142" ‘Diversarum formarum’ Nr. 97, Reg. Vat. 184 Bl. 297° ‘De absolutione’ Nr. 127 und Reg. Vat. 231 Bl. 251" ‘Diversarum formarum’ Nr. 266 gehörigen Suppliken gesucht. Als noch nicht bekannt wurden 12 Briefe und einige Aus- fertigungen schon bekannter Briefe an andere Adressaten ermittelt. Hinzu traten noch weitere 9 unedierte Briefe, auf die schon WERUNskY in seinen Excerpta ex registris Clementis VI et Innocentii VI und Fıripeist in seinen Arbeiten zur Geschichte Rienzos und des Kardinals Albornoz hingewiesen hatten. _ Es sei bei dieser Gelegenheit die für die Diplomatik interessante Tatsache hervorgehoben, daß sich zu ı0 Briefen der Sekretregister in den Archetypen noch die Original- minuten fanden, nämlich: Reg. Vat.ı4ı Nr. 1395 = Reg. Vat. 244K Nr. 169 [a] Reg. Vat. ı41 Nr. 1396 — Reg. Vat. 244K Nr. 169 [b] Reg. Vat. 141 Nr. 1399 = Reg. Vat. 244K Nr. 172 Reg. Vat.235 Bl.1ı86" = Reg. Vat. 244A Nr.451 Reg. Vat. 235 Bl. 187" = Reg. Vat. 244 A Nr. 350 Reg. Vat.235 Bl.1ı87° = Reg. Vat. 244A Nr. 443 Reg. Vat. 235 Bl. 192" = Reg. Vat. 244A Nr.472 Reg. Vat.236 Bl. 174” = Reg. Vat. 2440 Nr. 295 Reg. Vat.237 Bl.43° = Reg. Vat. 244B Nr. 264 [a] Reg. Vat.237 Bl.44° = Reg. Vat. 244B Nr. 264 [b] In Rom hat Hr. Dr. Küny auch für den vorbereiteten späteren Band der Publikation des Berichterstatters mehrere Briefe Petrarcas mit Handschriften der Vatikanischen Bibliothek und der Biblioteca Angelica kollationiert. Die Arbeit an der von dem Berichterstatter im Verein mit Hrn. Dr. Aroıs Bervt (Leitmeritz) vorbereiteten kritischen kommentierten Neuausgabe des “Ackermanns aus Böhmen’ ist rüstig gefördert worden. Von diesem hervorragendsten deutschen Sprach- und Literaturdenkmal der drei Reformations-Jahrhunderte waren den Herausgebern bei Be- ginn des verflossenen Jahres ı2 Handschriften und 17 Drucke bekannt, die eine lebendige, umformende und darum sprachgeschichtlich sehr lehrreiche Überlieferung und wirkungsvolle Beliebtheit von 1420 bis 1547, d.h. von den Tagen der hussitischen und frühhumanistischen 82 Öffentliche Sitzung vom 24. Januar 1907. Bewegung bis nach dem Abschluß der Lutherschen Vollendung des Reformationswerkes, zur Anschauung bringen. Durch Umfrage bei 357 Bibliotheken und Archiven des In- und Auslandes kamen noch 2 Handschriften sowie ıı Drucke zum Vorschein, letztere allerdings fast durchweg Duplikate. Immerhin wird die neue Bearbeitung ihr Ziel, den ursprünglichen Text und das volle Nachleben dieser außer- ordentlichen Diehtung deutlich vor Augen zu stellen, an der Hand von mehr als 30 urkundlichen Zeugen erstreben können. Durch das dankenswerte Entgegenkommen der Bibliotheksvorstände war Hr. Dr. Bernt in der Lage, ı3 Handschriften und 14 Drucke in der Biblio- thek des k. k. Staatsgymnasiums zu Leitmeritz durchzuarbeiten. Die zwei Erstdrucke und die Handschrift D auf der Herzoglichen Biblio- thek zu Wolfenbüttel hat derselbe an Ort und Stelle, die 6 in Berlin aufbewahrten Fassungen (Drucke und Handschriften) sowie die beiden Inkunabeln der Bonner Universitätsbibliothek und der Großherzoglichen Bibliothek zu Oldenburg im Königlichen Kupferstichkabinett zu Berlin benutzt. Weitere Druckexemplare in London, Paris, Leipzig, Rostock, Wien wurden durch beauftragte Gelehrte an den Aufbe- wahrungsorten eingesehen, beschrieben und kollationiert. Auf Grund wiederholter mündlicher und brieflicher Verständigung mit dem Be- richterstatter hat Hr. Dr. Bervr die Konstituierung des Textes zum ersten Abschluß gebracht. Die Herstellung des umfassenden kritischen Lesartenapparats, in dem die mannigfachen sprachlichen Wandlungen erschöpfend berücksichtigt werden, die Darstellung der Überlieferung, die von beiden Herausgebern gemeinsam zu liefernden textkritischen, exegetischen und sprachlichen Anmerkungen, die vom Berichterstatter beizusteuernde literarische und sprachgeschichtliche Einleitung soll im Laufe des Jahres vollendet werden. Für die "Texte und Untersuchungen zur Geschichte der ost- mitteldeutschen Schriftsprache von 1300 bis 1450’, Teil ı ("Texte aus den Anfängen der schlesischen Kanzleisprache‘) hat Hr. Gymnasial- oberlehrer Dr. Wırry Scnerr seine Auswahl, Herrichtung und Be- arbeitung des vom Berichterstatter vor Jahren gesammelten Breslauer Urkundenmaterials sowie eines vom Referenten im Oktober 1898 zuerst benutzten und größtenteils abgeschriebenen wichtigen deutsch- lateinischen Formelbuchs schlesisch-böhmischer Herkunft (Cod. 194 des Klosters Schlägl in Oberösterreich) beendigt. Die Drucklegung soll demnächst erfolgen. Die Vorbereitung der Darstellung der Sprache Goethes hat Hr. Gymnasialoberlehrer Dr. H. Anz im letzten. Jahre nicht wesentlich fördern können, da er durch sein neues Amt noch völlig in Anspruch genommen wurde. Jahresberichte der Stiftungen und Institute. Ss3 Humsoror- Stiftung. Bericht des Hrn. WALDEYER. Als Ergebnisse von wissenschaftliehen Unternehmungen, die durch Mittel der HumgoLor-Stiftung für Naturforschung und Reisen unter- stützt wurden, liegen vor: I. Weitere Veröffentlichungen der Plankton-Expedition, und zwar: Bd. 2 Fb: Paurus Schmemenz, Die Pteropoden. Bd. 2. Gg: V. Vivra, Die Ostracoden. Bd. 3 La: Karı Branpr, Die Tintinnodeen, Atlas mit Tafelerklärung; der Text erscheint später. Bd. 3 Lh 2: A. Borsert, Die tripyleen Radiolarien: Tuscaroridae und Bd. 3 Lh 3: Die tripyleen Radiolarien: Atlanticellidae. Kiel und Leipzig, 1905 bis 1906, Lipsius und Tischer. I. Veröffentliehungen von der botanischen Expedition des Hrn. L. Dırıs nach dem Kaplande und Westaustralien: a) L. Diers und E. Prırzen, Fragmenta phytographiae Australiae oecidentalis. Beiträge zur Kenntnis der Pflanzen Westaustraliens, ihrer Verbreitung und ihrer Lebensverhältnisse. Leipzig 1905. b) L. Dies, Die Pflanzenwelt von Westaustralien südlich des Wendekreises. Ergebnisse einer im Auf- trag der Hunsorpr-Stiftung «der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften 1900— 1902 unternommenen Reise. Leipzig 1906. III. Mehrere kurze Reiseberichte aus Australien und dem ost- indischen Archipel an den Unterzeichneten von Prof. Dr. H. Kraarsen, aus denen hervorgeht, daß die Ergebnisse dieses Forschers auf dem Gebiete der Anthropologie und Ethnologie recht bemerkenswerte und erfreuliche sind. Ein Teil dieser Berichte ist in der »Zeitschrift für Ethnologie, Anthropologie und Urgeschichte« zum Abdruck gebracht worden. Es soll hier bemerkt werden, daß eine mißverständliche Notiz australischer Zeitungen, die auch die Runde durch mehrere europäische Blätter gemacht hat, als habe Dr. Kraarsen in Australien Menschen mit handförmigen Füßen entdeckt und diesem Funde als einer Zwischenform zwischen Menschen und Anthropoiden die größte Bedeutung beigelegt, von Hrn. Kraarsen, sowohl in einem in Australien gehaltenen Vortrage, wie in einem jüngst an die hiesige Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte gerichteten Schreiben zurückgewiesen und richtiggestellt wird. Hr. Prof. Kraarsen hat an das hiesige anatomische Institut sowie an die genannte Gesellschaft eine Anzahl wertvoller Funde eingesendet. Er tritt nach mehr als zwei- jähriger Abwesenheit in diesem Monate seine Rückreise über Amerika an und darf im März hier zurückerwartet werden. Die für das Jahr 1906 verfügbar gewesenen Mittel sind in der Höhe von 7000 Mark Hrn. Dr. Warruer von Kneser zu einer haupt- Sitzungsberichte 1907. 9 84 Öffentliche Sitzung vom 24. Januar 1907. sächlich im Interesse der Vulkanologie unternommenen Forschungs- reise auf Island bewilligt worden; Hr. Dr. vox Kxesgkr ist dort bereits seit längerer Zeit tätig. Die für 1907 verfügbaren Mittel betragen rund 9000 Mark. Surıenr- Stiflung. Bericht des Hrn. Brunner. Vom Vocabularium lurisprudentiae Romanae ist im Jahre 1906 das erste Heft des zweiten Bandes (daetyliotheca-doceo), bearbeitet von Hrn. Grupz in Metz, veröffentlicht worden. Der Druck der ersten Hefte des dritten und fünften Bandes hat begonnen. Die Bearbeiter der neuen Ausgabe von Honzvyers » Deutschen Rechtsbüchern des Mittelalters«, die HH. Borennine und JuLius GIERKE, haben im verflossenen Jahre kleinere Ergänzungen und Feststellungen vorgenommen, die sich im Rahmen des vorjährigen Berichtes halten. Die geplante Reise nach Prag und Wien mußte wegen der Berufung des Hrn. Borenzine nach Posen auf den nächsten Sommer verschoben werden. Trotzdem glauben die Bearbeiter die Erledigung ihrer Auf- gabe für Ende 1907 in bestimmte Aussicht stellen zu können. Für den zweiten Band der Magdeburger Schöffensprüche hat Hr. Liesesang die Vorarbeiten, welche die Einleitungen zu den Schöffen- sprüchen erheischen, weitergefördert. Hr. Vıcror Fries berichtet, daß er wegen gesteigerter amtlicher Beschäftigung für die Schöffen- sprüche nur in geringem Maße tätig sein konnte. Der Quellenstoff liege im wesentlichen vollständig vor. Ein Teil der Regesten, die Nachweise der Parallelstellen und die Register seien noch zu erledigen, ebenso was sich etwa nachträglich in den Archiven finden sollte. Boprr- Stiftung. Bericht der vorberatenden Kommission. Die Königliche Akademie der Wissenschaften hat am 16. Mai 1906 den Jahresertrag der Borr-Stiftung in Höhe von 1350 Mark dem Direktor am Königlichen Museum für Völkerkunde in Berlin, Prof. Dr. F.W.K. Mürver, verliehen, in Anerkennung seiner scharfsinnigen und folgenreichen Entzifferung der in CUhmesisch- Turkestan gefundenen manichäischen Schriftwerke. Im Vermögensbestande der Stiftung ist gegenüber dem Vorjahre keine Änderung eingetreten. oa Jahresberichte der Stiftungen und Institute. 8 Hermann und Erise geb. Hrckmann WENTZEL- Stiftung. Bericht des Guratoriums. Über den Fortgang der älteren Unternehmungen der Stiftung im Jahre 1906 haben die Leiter die hier als Anl. I und II folgenden Be- richte eingereicht. Ein neues Unternehmen besteht in der Herausgabe eines auf 5 starke Bände mit 375 Tafeln veranschlagten Werkes, in welchem die wissenschaftlichen Ergebnisse der von Prof. VoELTzkow mit Stif- tungsmitteln 1903 — 1905 ausgeführten Forschungsreise niedergelegt werden sollen. Hiervon sind 1906 zwei llefte erschienen: Band II (Systematische Arbeiten aus dem Bereiche der Zoo- logie und Botanik) Heft ı. Stmsexrock, Schildkröten von Ostafrika und Madagaskar. Band IV (Anatomie und Entwickelungsgeschichte) Heft 1. HochasteErter, Beiträge zur Anatomie und Entwickelungs- geschichte des Blutgefässsystems der Krokodile. — Derselbe, über die Entwickelung der Scheidewandbildungen in der Leibeshöhle der Krokodile. Frau Baurath Wentzer hat die Wissenschaft aufs neue zu Dank verpflichtet, indem sie der Stiftung zur Herausgabe dieses Werkes ausserordentlich Zehntausend Mark als ein Drittel der von dem Ver- leger beanspruchten Subvention zur Verfügung gestellt hat. Aus den im Jahre 1906 zur Verwendung bereiten Mitteln hat das Curatorium bewilligt: 6000 Mark für das Wörterbuch der deutschen Rechtssprache, 3000 Mark für die Ausgabe der griechischen Kirchen- väter, 4000 Mark für die Prosopographie der römischen Kaiserzeit, 4000 Mark für die E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung in Stuttgart als erste Rate der Subvention für das VorLrzkow sche Reisewerk. Anl. 1. Bericht der Kirchenväter - Commission für 1906. Von Hrn. Harnack. ı. Ausgabe der griechischen Kirchenväter. In dem Jahre 1906 sind der 14., 15. und 16. Band der Kirchen- väter-Ausgabe erschienen, nämlich: Eusebius. Werke Bd. 4 (hrsgeg. von KLosTErmAnN), Clemens Alexandrinus, Werke Bd. 2 (hrsgeg. von StÄnuı), Acta Archelai (hrsgeg. von BEEsoN). g9* 86 Öffentliche Sitzung vom 24. Januar 1907. Im Druck befinden sieh zwei Bände, nämlich: Eusebius” Kirchengeschiehte, 2. Theil. nebst der Übersetzung Rufin’s (hrsgeg. von Scnuwarrz und Monmnsen 7), Die Apokalypse des Esra (hrsgeg. von VioLfr). Grössere Unterstützungen, theils zu Reisen, theils zur Herstellung von Handsehriften-Photogrammen u. s.w. erhielten BonwETSscH, PREUSCHEN, Karı Scmmmr. Viıorer und Karst. Der Letztere bearbeitet die ar- menische Version der Chronik Euseb’s. Der wissenschaftliche Beamte bei der Commission, Prof. Karı Scnnipt, hat in Aegypten die ersten alt- nubisehen ehristlichen Handschriften entdeckt und nach Berlin gebracht (s. über diese hochwichtige Entdeckung Sitzungsber. 1906, 8. Nov.). Von dem » Archiv für die Ausgabe der älteren christlichen Schrift- steller« wurden fünf Hefte ausgegeben, nämlich: Bd. XV (XXX) Heft ı. 2: Srreck, Die Briefe des Libanius, zeitlich geordnet, Bd. XV (XXX) Heft 3. 4: Rescn, Agrapha, Ausserkanonische Schriftfragmente, Bd. XVI (XXXI) Heft 1: MeEx&ErrtscHhıuan und Mmassıantz, Des heiligen Irenäus Schrift zum Erweise der apostolischen Ver- kündigung, mit einem Nachwort und Anmerkungen von ADOLF HARNACK. Durch den Tod verlor die Commission ihr Mitglied, den Direetor der Universitätsbibliothek zu Leipzig, Hrn. Dr. von GesHuArRpT. Er hat seit dem Bestehen der Commission ihr angehört und sich besonders durch Redaction des »Archivs« um sie verdient gemacht. Sein An- denken wird ihr unvergessen bleiben. Die Commission beklagt ferner den Tod des Hrn. Prof. Dr. Grrzer. Er hatte seit Jahren die Aus- gabe der Chronik des Africanus vorbereitet, und die Drucklegung durfte in Kürze erwartet werden. 2. Prosopographia imperii Romani saec. IV— VI. Hr. Sreex, der Leiter der profangeschichtlichen Abtheilung, hat seine grundlegende Arbeit für die Prosopographie des 4. Jahrhunderts, die Untersuchung der Briefe des Libanius, beendigt und herausge- geben (s. 0... Hr. JüLıcher, der Leiter der kirchengeschichtlichen Ab- theilung, arbeitet an der Ordnung und Gestaltung des nunmehr fast vollständig aus der Sammlung der Coneilsacten und MienE’s excer- pirten Materials. Die HH. Enrmarp und Preischirter, welche die Excerpirung der Acta Sanctorum leiten, haben dieses grosse Unter- nehmen in dankenswerther Weise im Laufe des verflossenen Jahres gefördert. ©.) =] Jahresberichte der Stiftungen und Institute. Anl. II. Bericht der Kommission für das Wörterbuch der deutschen Rechtssprache. ‚für das Jahr 1906. Von Hrn. Brunner. Eine Zusammenkunft der Kommissionsmit glieder ist im vertlossenen Jahre nicht veranstaltet worden. Die nächste Tagung der Kommission soll Ostern 1907 in Heidelberg stattfinden. Die Arbeiten für das Rechts- wörterbuch sind nach Maßgabe der verfügbaren Mittel fortgesetzt worden. Über das Ergebnis hat der wissenschaftliche Leiter des Unter- nehmens den hier folgenden Jahresberieht erstattet. Bericht des Hrn. SCcHrOEDER. Die Sammlungen für das Wörterverzeichnis wurden im Jahre 1906 mehrfach dureh wertvolle Beiträge aus ungedruckten Quellen gefördert. Solche Beiträge sind insbesondere eingegangen von den HH. Dr. GüngEr in Nürnberg, Oberst a. D. Freiherrn von GUTTENBERG in Würzburg, Oberst a. D. Freiherrn von Hasper-Mazzerri in Linz, Dr. HEERWAGEN in Nürnberg, Dr. Könıser in München, Dr. Voer und Dr. VıiGExer in Gießen und Archivdirektor Hofrat @. Winter in Wien. Die Benutzung für die Zwecke des Wörterbuches wurde eestattet von dem steiermärkischen Landesarchiv, das sein reichhaltiges Urkunden-Sachregister zur Ver- fügung stellte, von dem oberösterreichischen Landesarchiv, das eben- falls die Durchsicht seiner Register erlaubte, und von der Hofbibliothek zu Wien (ungedrucktes Vokabular aus dem ıS. Jahrhundert). Durch die Vermittlung des Hrn. Hofrats Prof. Dr. Luscniv von EBENGREUTH wurde eine größere Anzahl von Exzerpten aus dem steiermärkischen Landesarchiv durch Hrn. Dr. Hrapır aus den Originalurkunden ergänzt. Von den althochdeutschen Glossen (STEINMEYER und SırvErs) wurden die beiden ersten Bände in Angriff genommen. Besonders wertvoll ist, daß nunmehr auch die von Hrn. Dr. Kraumer hergestellten Ex- zerpte aus der Lex Salica und die von Hrn. Wirry Ersst übernommenen Auszüge aus dem Schwabenspiegel (nach dem von Hrn. Geh. Hofrat von RockInGEr freundlichst zur Benutzung überlassenen Grundtext seiner in Arbeit befindlichen Ausgabe) vorliegen. Die noch ausstehenden Exzerpte aus dem schwäbischen Lehnrecht werden in kurzem ebenfalls eingeliefert werden. Von der Lex Salica sind die Wörter der mal- bereischen Glosse nur da aufgenommen, wo sie nach Form und Be- deutung erkennbar erscheinen; dagegen wurden die nur dureh Konjektur zu erschließenden Wörter (Kern, van Herren, J. Grin) unberücksichtigt gelassen. Unter den unten verzeichneten Quellen befindet sich wieder 38 Öffentliche Sitzung vom 24. Januar 1907. eine große Zahl, deren Exzerpierung der österreichischen Kommission zu verdanken ist. Die Beiträge der schweizerischen Kommission haben eine dankenswerte Bereicherung durch die Exzerpierung des schweizeri- schen Idiotikons erfahren. Verzeichnis der im Jahre 1906 ausgezogenen Quellen. (Die Beiträge der schweizerischen Kommission sind mit *, die der österreichischen mit ** bezeichnet.) Althochdeutsche Glossen, gesammelt und bearbeitet von E. Steinmeyer und E. Sievers (begonnen): Dr. v. Künszpere. Analectes pour servir ä l’histoire ecelesiastique de la Belgique, IX—XXIX: Prof. es Marzz, Brüssel. Baden-Baden, Erbrecht, ı5. Jh., ZGOR. 42, ı38ff.: Dr. Want und Referendär R. Kouter, Heidelberg. Baden, Erklärung der Badener zur Vereinbarung der Städte Pforzheim, Ettlingen, Durlach v. J. 1482, ZGÖR. 42, 144: Dr. Want und Referendär R. Konrer. Baden, Markgrafschaft, Erbrechtsreform 1464— 82, ZGOR. 42, 140ff.: Want und R. Konrer. *Beiträge zur Kunde steirischer Geschichtsquellen, hrsg. v. hist. Ver. f. Steierm., ı2. und 13. Jahrgg.: stud. jur. Bayer (Seminar von Schwind). Beschreibung des Amts Gotha, 17. Jh.: Prof. Hıs, Königsberg. Böhmer, Acta Imperii (Schluß): Rechtskandidat Josern, Darmstadt. Breda, Oude rechtsbronnen der stad, uitg. door Bezemer ’s Gravenhage 1892 (Oude vaderlandsche Rechtsbronnen, I. Reeks, Nr. 14): Prof. van VLEuUTEn, Lausanne. Bruchsal, Rechtsquellen von (Oberrhein. Stadtrechte 1, 843 ff.): SCHRoEDER, Dr. Becker, Mannhein. Burg, Landrecht von (um 1300), Neue Mitteil. a. d. Geb. hist. antiqu. Forschungen ı1, 159fl.: Assessor Dr. E. Benre, Berlin. Burghausen, Geschichte d. Stadt B., von J.G. B. Huber 1862: Rechtskandidat Josrrn. Cartulaire d’Afflighem, publie par E. de Marneffe (fase. ı—5 der Analeetes pour servir A l’histoire eeelesiastique, Ile section), 1894— 1901: Prof. Des Marz, Brüssel. Cartularium der abdy van St. Michiels te Antwerpen (Bijdragen tot de geschiedenis van het hertochdom Brabant 1906): Prof. pes Marez, Brüssel. Cartulaire de l’abbaye de Saint-Trond, publ. par Ch. Piot, > vols. Bruxelles ı1870— 74: Prof. pes Marez, Brüssel. Chroniken der deutschen Städte I— III: Dr. Scumeiprer, Berlin. ”*Codex Austriacus (Fortsetzung) I—V: Dr. Franz Leırer und stud. jur. Ruporr ZankıL (Seminar von Schwind). Codex diplomaticus Saxoniae regiae II. ı. 2. (Meissen). ı4. (Freiberg): Dr. G. Lennert, Gießen. Codex Dunensis sive diplomatum et chartarum medii aevi amplissima eollectio, ed. baro Kervijn de Lettenhove. Bruxelles 1875: Prof. pres Marrz, Brüssel. Coutumes des pays et comte de Flandre. Quartier de Gand. X. Cout. de la seigneurie de Saint-Pierre-les-Gand par D. Kerken. Bruxelles 1905: Prof. nes Marzz, Brüssel. Coutume de Scheldewindeke (Bulletin de la comm. roy. des anc. lois de Belgique, VII, 1906): Prof. pes MArez, Brüssel. Danziger Willkür I (1385— 1455). O. Günther, Zwei unbek. altpreuß. Willküren. Zeitschr. d. westpreuß. Gesch. Ver. 48: Privatdozent Dr. Koense, Berlin. Danziger Willkür II (Mitte ı5. Jhs.). P. Simson, Gesch. der Danziger Willkür, Quellen und Darstellungen zur Gesch. Westpreußens, hrsg. v. Westpreuß. Ver. III. Danzig 1904: Privatdozent Dr. Koruxe, Berlin. Durlach, Schreiben des Schultheißen v. 1482, ZGOR. 42, 142: Dr. Want und Refe- rendär R. Kourer. Durlacher Erbrecht, 15. Jh., ZGOR. 42, 133: Dr. Wanu und Referendär R. Konrer. Erbbuch des Amts Tenneberg (1505): Prof. Hıs, Königsberg. Ettlinger Erbrecht, 15. Jh., ZGOR. 42, ı35ff.: Scuröper und R. Konrer. Eyb, Des Ritters Ludwig v. Eyb des Älteren Aufzeichnungen über das kaiserl. Land- gericht des Burggraftuns Nürnberg. Von Wilh. Vogel, Erlangen 1867: Referendar Wırry Ernst, Berlin. Jahresberichte der Stiftungen und Institute. sy Frauenstädt, Drei Malefizbücher. Z. f.d. ges. Strafrechtswissenschaft 23, 269 ff.: Rechtskandidat Joser#. Freising, Die Traditionen des Hochstifts Freising I (744 — 926), hrsg. v. Th. Bitterauf, München 1905: SCHROEDER. Fruin, De oudste rechten der stad Dordrecht en van het baljuwschap van Zuidholland, uitg. door J. A. Fruin. ’s Gravenhage 1382: Amtsrichter Dr. Bonzn, Hamburg, und Prof. pzs MArez, Brüssel. Goor, Stadtregt (Ende 14. Jhs.), Overijsselsche Stad-, Dijk- en Markeregten I, 3: Prof. pes Marz, Brüssel. Hannoversche Stadtkundigung 1544. Pufendorf, Observationes IV. app. 220ff.: Dr. Becker, Mannheim. Hasselt (Utrecht), Stadregt. Overijsselsche Stad-, Dijk- en Markeregten I, 4: Prof. nes Marz, Brüssel. Heilbronn, Urkundenbuch der Stadt, I, bearb. v. Knupfer. Württembergische Ge- schiehtsquellen V. Stuttgart 1904: Privatdozent Dr. Lxor. Prrers und stud. theol. FACKLER. *Meier Helmbrecht von Wernher dem Gartenaere. Panzer, Altdeutsche Text- bibliothek Nr. ır. Halle a. S. 1902: Hr. Anton Kraus, Prag. Hennebergisches Urkundenbuch. Meiningen 1842—77. IV und V: Prof. Hıs, Königsberg. *Herrgott, M., Monumenta augustae domus Austriacae. Wien 1750—73: stud. Vırror v. Renner (Seminar von Schwind). “*Hohenberg, Der Habsburgische Öttobert. Erfurt 1664: stud. phil. Horsung, Wien. *Hormayr, J.v., Wien, seine Geschichte und seine Denkwürdigkeiten. Wien 1823 ff.: stud. Errer (Seminar von Schwind). Jena, Urkundenbuch der Stadt. II. Bd. (Thüring. Gesch. Qu. VI, 2): stud. jur. Srraus, Heidelberg. Ingolstädter Refetbuch (17. Jh.): Dr. Hravır, Graz. Jordan, Rich., Eigentümlichkeiten des anglischen Wortschatzes. 1905: Dr. Want. *=Kaltenbaek, J. P., Die Pan- und Bergteidingbücher in Österr. unter d. Enns. Wien 1846f.: Dr. Franz Leırer, Wien. Kampen, Boek van Rechten der Stad K. (Overijsselsche Stad-, Dijk- en Markeregten I, ı. 2): Prof. nes MArez, Brüssel. *Kärntner Landhandfeste ı610: Prof. P. Puntscharr, Graz. Pfaffe Konrad, Rolandslied, hrsg. v. Bartsch. Leipzig 1874: Dr. Korzengers, Berlin. *Kurz, Franz, Österreich unter Friedr. d. Sch., Albr. II., Albr. d. Lahm., Rudolf IV., Ottokar u. Albr.: stud. jur. A. Konur, Wien. Pfaffe Lamprecht, Alexanderlied, hrsg. v. Kinzel. Halle 1884: Dr. Korzensers, Berlin. H.v. Langenstein, Martina (1293), hrsg. v. Keller (Literar. Ver. Stuttg. Nr. 38, 1), ı856: Dr. Arruur Mürrer, Berlin. Lehnbuch Friedrichs des Strengen 1349/50, hrsg. v. Lippert und Beschorner. Leipzig 1903: Prof. Hıs, Königsberg. Lex Salica, ed. Hessels und Kern. London ı883: Dr. Marıo Kramner, Berlin. Limburger Chronik, hrsg. v. Wyss, MG. Seript. qui vern. lingua usi sunt IV ı, 25ff.: Privatdozent Dr. Leor. Perers. Lübeck, Urkundenbuch der Stadt, IV. VII: Referendar Rusex, Berlin. Matthijssen, Rechtsboek v. d. Briel (Oude vaderlandsche rechtsbronnen, I. Reeks Nr. ı). ’s Gravenhage 1880: Prof. van Vreuren, Lausanne. Michelsen, Rechtsdenkmale aus Thüringen. Jena 1863 (Schluß): Reichsarchivsekretär ÖBERSEIDER, München. Mitteilungen der grh. badischen historischen Kommission Nr. 7—9, 24— 26: Dr. Horr, Freiburg i. B. Monumenta Boica, Bd.45 (episcop. Wirziburg.). Reichsarchivsekretär OBERSEIDER, München. Monumenta Germaniae historica, Constitutiones II: Dr. Erssr Prrers, Berlin. MG. Constitutiones III: Dr. Stexeer, Berlin, und Prof. Hıs, Königsberg. *Nekrologium des ehemaligen Augustiner -Chorherrenstifts St. Pölten (Fontes rer. Austr. Diplom. et acta 21, 2): stud. jur. Kerscuraumer, Wien. Nikolaus v. Jeroschin, Deutschordenschronik, hrsg. Strehlke 1861 (Seript. rer. Prussie. ı): Dr. W. Zıesemer, Berlin. Obergrombach, Rechtsquellen von. Oberrhein. Stadtrechte 1, 983ff.: ScHRoEDER. 90 Öffentliche Sitzung vom 24. Januar 1907. “*Ofner Stadtrecht, hrsg. v. Michnay u. Lichner. Preßburg 1845: Dr. v. Künszeere. Ördonnances des Pays-Bas (Recueil des ord.), IIe serie, ı.u. 2.: Prof. pes MArxz, Brüssel. *Österreichische Urbare I, ı: Die landesfürstl. Urbare Nieder- und Oberöster- reichs (13. und 14. Jh.), hrsg. W. Levec u. Dopsch. Wien 1904: Dr. F. Lerırer (Seminar von Schwind). Pardessus, J. M., Diplomata, chartae, epistolae..... ad res Gallo - Franeicas spec- tantia ..... I. I. Paris 1843: Dr. v. Künszsere. Philippsburg (Udenheim), Rechtsquellen von (Oberrhein. Stadtrechte I, 951 ff.): SCHROEDER. Pforzheimer Erbrecht, ı5.Jh., ZGOR. 42, 134: Schrorper und Referendär R. Konzkr. Pforzheim, Ettlingen, Durlach, Vereinbarung v. 1482, ZGOR. 42, 143: Dr. Wanu und Referendär R. Konrer. “*Pleier, Tandareis u. Flordibel, hrsg. Khull. Graz 1885: stud. phil. Freup, Wien. Popovich, Vocabula Austriaca et Styriaca. Handschr. d. Wiener Hofbibl.: Dr. v. Künsz- BERG. Popovich, Variae. Handschr. d. Wiener Hofbibl.: Dr. v. Künszeere. Ratzeburg, Reformation 1582 (Pufendorf Obs. IV. app. 232 ff.: Dr. Becker. *Rauch, Rerum Austriac. Sceriptores. Wien 1793f{.: W. Hanauser, Wien. Rothenberg, Rechtsquellen von (Oberrhein. Stadtrechte ı, 945 ff.): ScHRoEDer. Reichstagsakten, Ältere Reihe. 6. und 9. Bd.: Privatdozent Dr. E. Vosr und Dr. ViGEnER, Gießen. Salbücher (ungedruckte) der Staatsarchive von Weimar u. Marburg: Prof. Hıs, Königsberg. *Scheyb, Theresiade. Wien 1746: stud. phil. Hornung, Wien. *Schrötter, Abhandl. z. österr. Staatsrechte. 3 Bde.: stud. jur. Konur (Seminar von Schwind). **v. Schwind u. Dopsch, Ausgewählte Urkunden zur Verfassungsgeschichte der deutsch-österr. Erblande im Mittelalter. Innsbruck 1895: stud. Vıcror v. Renner (Seminar von Schwind). Schwabenspiegel nach dem für Rockinger gedruckten Handexemplar sowie der Artikelfolge und Vergleichung mit Lassberg bei L. v. Rockinger, Zu HSS. der Jüngeren Gestalt des kaiserlichen Land- u. Lehenrechts, Abh. d. Münchener Akademie der Wissensch. IH. Kl. 22. Bd. 3. Abt. München 1902: Referendar Wırıy Ernst, Berlin. Siegener Erbrecht u. Schöffenurteile: Dr. E. Beure, Berlin. Sint-Truyen, Gewoonten, vryheden en privilegien der stad (14. eeuw.). Gent o. J. Maatschappy der Vlaamsche Bibliophilen. 2. Serie, Nr. 3: Prof. nes Marzz, Brüssel. *Staub-Tobler, Schweizerisches Idiotikon. I. II.: Dr. F. Barsıcer. Steinbach, Rechtsquellen von (Oberrhein. Stadtrechte 1, 988 ff.): SCHROEDER. Steirisches Landesarchiv. Urkunden-Sachregister (13. und 14. Jh.): Dr. v. Künsz- BERG und Dr. Hravır, Graz. “Stricker, Daniel von dem blühenden Tal (German. Abhandl. v. K. Weinhold, hrsg. v. F. Vogt, Heft 9): stud. phil. Mrzxır, Wien. Sumerlaten. Mittelhochdeutsche Glossen aus den Hss. der k. k. Hofbibliothek zu Wien, hrsg. von Hoffmann v. Fallersleben, 1834: Dr. Wanr. *Teuerdank, ed. Goedeke (Deutsche Dichter des ı6. Jhs. Bd. 10): stud. phil. Mxznık, Wien. *Urkundenbuch des Landes ob der Enns, hrsg. v. Museum Francisco -Carolinum in Linz. Bd. I—III: Dr. Bırser, Wien. Utrecht, De middeleeuwschen rechtsbronnen der stad, uitg. door S. Muller. I. II. ’s Gravenhage 1883 (Oude vaderlandsche rechtsbronnen ı. Reeks Nr. 3): Prof. nes Marrz, Brüssel. Waldkirch, Stadtrecht v. J. 1587, hrsg. v. H. Maurer: stud. jur. StrAur. Buch Weinsberg, Kölner Denkwürdigkeiten, bearb. v. Höhlbaum. II. (vollendet): Dr. Wanr. *Wiener Haupt- und Staatsaktionen, von Karl Weiss. Wien 1854: stud. phil. Zeur- WEKER, Wien. * Worms St. Schwazer Bergbau im ı5. Jh. Wien 1904: Dr. F. Leırer, Wien (Seminar von Schwind). Zeitschrift f. Geschichte des Oberrheins. N.F. ı9: Dr. Horr, Freiburg i. B. Jahresberichte der Stiftungen und Institute. 91 Akademische Jubiläums-Süftung der Stadt Berlin. Bericht des Hrn. WALDEYER. Nachdem die in den vorigen Berichten erwähnten Vorverhand- lungen und lHemmnisse erledigt und beseitigt worden sind, konnte nunmehr im Laufe des Jahres 1906 die seit 1904 verfügbare Summe von 14300 Mark, wie in Aussicht genommen worden war, der Frau Prof. MARGARETE SELENKA in München zur Ausführung weiterer Gra- bungen an der Fundstätte der von Hrn. Eugen Duvoıs auf Java ent- deckten Reste des Pithecanthropus erectus zugebilligt werden. Die Vor- arbeiten in Trinil (Java) haben bereits begonnen, und Frau SELENKA, der die HH. DDr. Erserr (Münster i. W.) und Moszkowskı (Charlotten- burg) als wissenschaftliche Mitarbeiter zur Seite stehen, wird in der nächsten Zeit die Ausreise antreten. Die hiesigen zuständigen Be- hörden haben das Unternehmen durch Empfehlungen an die betreffen- den Konsulate sowie an den Norddeutschen Lloyd, welcher bereit- willigst Ermäßigungen zugestanden hat, unterstützt. In gleicher Weise hat auch die Königlich Niederländische Regierung und deren ost- indisches Gouvernement der Ausführung des Planes alle Wege bereit- willigst geebnet. Das Kuratorium der Stiftung hat in Aussicht genommen, falls erforderlich, noch die Ende 1908 fälligen Mittel im Betrage von aber- mals 14000 Mark dem Unternehmen, dem Frau Srrenka auch be- trächtliche private Mittel opfert, zuzuwenden. Die Jahresberichte über die Monumenta Germaniae historiea, das Kaiserliche Archaeologische Institut und den Thesaurus linguae latinae werden in den Sitzungsberichten veröffentlicht werden, nachdem die betreffenden Jahressitzungen stattgefunden haben. Schliesslich wurde über die seit dem Frirprıcns- Tage 1906 (25. Januar) bis heute unter den Mitgliedern der Akademie einge- tretenen Personalveränderungen Folgendes berichtet: Die Akademie verlor durch den Tod das ordentliche Mitglied der physikalisch-mathematischen Classe PauL Drupr; das Ehrenmitglied Lupwıs Borrzmass in Wien; die correspondirenden Mitglieder der physi- Sitzungsberichte 1907. 10 92 Öffentliche Sitzung vom 24. Januar 1907, kalisch-mathematischen Ulasse Frıieprıen Beirsteın in St. Petersburg und Ersst Prırzer in Heidelberg; die correspondirenden Mitglieder der philosophisch -historischen Ülasse Oskar von GEBHARDT in Leipzig, Aıgert Soren in Paris, Freverice Wırrıam MaArtLanp in Cambridge, WiLHEerLM DiTtENBERGER in Halle a. S., Orro BensporF in Wien, Wiır- HELM VON HARTEL in Wien und Grazıanıo Ascorı in Mailand. Neu gewählt wurden zu ordentlichen Mitgliedern der physika- lisch-mathematischen Olasse Max RuBNErR, JOHANNES ORTH und ALBRECHT Penck; zum ordentlichen Mitglied der philosophisch historischen Classe Friepvrich MÜrter; zu correspondirenden Mitgliedern der philosophisch- historischen Classe Anton E. Scuöngach in Graz, WırueLm WILMANNS in Bonn, Aporr JüLıcner in Marburg und Frirpricn Leo in Göttingen. Ausgegeben am 31. Januar. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei. 1907. V. | SITZUNGSBERICHTE DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. Gesammtsitzung am 31. Januar. (S. 93) M. Perısach und J. Luruer: Ein neuer Bericht über Luther’s Verbrennung der Bannbulle. (S. 95) K.Koca: Das Wolfenbüttler Palimpsest von Galens Schrift rreri Tän En TPosAlc aynAmeun. (S. 103) BERLIN 1907. VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. Aus dem Reglement für die Redaction der akademischen Druckschriften. Aus $1. Die Akademie gibt gemäss $ 41,1 der Statuten zwei fortlaufende Veröffentlichungen heraus: »Sitzungsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften« und «Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften«, Aus $ 2. Jede zur Aufnahme in die »Sitzungsberichte« oder die »Abhandlungen« bestimmte Mittheilung muss in einer aka- demischen Sitzung vorgelegt werden, wobei in der Regel das druckfertige Manuseript zugleich einzuliefernist. Nieht- mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen. 83. Der Umfang einer aufzunehmenden Mittheilung soll in der Regel in den Sitzungsberichten bei Mitgliedern 32, bei Nichtmitgliedern 16 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Sitzungsberichte, in den Abhandlungen 12 Druckbogen von je 8 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Abhand- lungen nicht übersteigen. Überschreitung dieser Grenzen ist nur mit Zustimmung der Gesammt-Akademie oder der betreffenden Classe statt- haft, und ist bei Vorlage der Mittheilung ausdrücklich zu. beantragen. Lässt der Umfang muthen, dass diese Zustimmung erforderlich sein werde, so hat das vorlegende Mitglied es vor dem Einreichen von sachkundiger Seite auf seinen muthmasslichen Umfang im Druck abschätzen zu lassen. Sa. Sollen einer Mittheilung Abbildungen im Text oder auf besonderen Tafeln beigegeben werden, so sind die Vorlagen dafür (Zeichnungen, photographische Original- aufnahmen u.s. w.) gleichzeitig mit dem Manuseript, jedoch auf getrennten Blättern, einzureichen. Die Kosten der Herstellung der Vorlagen haben in der Regel die Verfasser zu tragen. Sind diese Kosten aber auf einen erheblichen Betrag zu veranschlagen, so kann die Akademie dazueine Bewilligung beschliessen. Ein darauf gerichteter Antrag ist vor der Herstellung der be- treffenden Vorlagen mit dem schriftlichen Kostenanschlage eines Sachverständigen an den vorsitzenden Seeretar zu richten, dann zunächst im Seeretariat vorzuberathen uni weiter in der Gesammt-Akademie zu verhandeln. Die Kosten der Vervielfältigung übernimmt die Aka- demie. Über die voraussichtliche Höhe dieser Kosten ist — wenn es sich nicht um wenige einfache Textfiguren handelt — der Kostenanschlag eines Sachverständigen beizufügen. Überschreitet dieser Anschlag für die er- forderliche Auflage bei den Sitzungsberiehten 150 Mark, bei den Abhahälangen 300 Mark, so ist Vorberathung durch das Seeretariat geboten. Aus $5. Nach der Vorlegung und Einreichung des vollständigen druckfertigen Manuseripts an den zuständigen Secretar oder an den Archivar eines Manuscripts ver- wird über Aufnahme der Mittheilung in die akademischen Schriften, und zwar, wenn eines der anwesenden Mit- glieder es verlangt, verdeckt abgestimmt. Mittheilungen von Verfassern, welche nicht Mitglieder der Akademie sind, sollen der Regel nach nur in die Sitzungsberichte aufgenommen werden. Beschliesst eine Classe die Aufnahme der Mittheilung eines Nichtmitgliedes in die dazu bestimmte Abtheilung der » Abhandlungen«, so bedarf dieser Beschluss der Bestätigung durch die Gesammt-Akademie. (Fortsetzung auf S. 3 des Treu) Aus $ 6. Die an die Druckerei abzuliefernden Manuseripte müssen, wenn es sich nieht bloss um glatten Text handelt, aus- reichende Anweisungen für die Anordnung des Satzes und die Wahl der Schriften enthalten. Bei Einsendungen Fremder sind diese Anweisungen von dem vorlegenden Mitgliede vor Einreichung des Manuseripts vorzunehmen. Dasselbe Bat sich zu vergewissern, dass der Verfasser seine Mittheilung als vollkommen druckreif ansieht. Die erste Correetur ihrer Mittheilungen besorgen die Verfasser. Fremde haben diese erste Correetur an das vorlegende Mitglied einzusenden. Die Correetur soll nach Möglichkeit nicht über die Berichtigung von Drucktehlern und leichten Schreibversehen hinausgehen. Umfängliche Correeturen Fremder bedürfen der Genehmigung des redi- girenden Seeretars vor der Einsendung an die Druckerei, und die Verfasser sind zur Tragung der entstehenden Mehr- kosten verpflichtet, Aus $8. Von allen in die Sitzungsberichte oder Abhandlungen aufgenommenen wissenschaftlichen Mittheilungen, Reden, Adressen oder Berichten werden für die Verfasser, von wissenschaftlichen Mittheilungen, wenn deren Umfang im Druck 4 Seiten übersteigt, auch für den Buchhandel Sonder- abdrucke hergestellt, die alsbald nach Erscheinen des be- treffenden Stücks der Sitzungsberiehte ausgegeben werden. Von Gedächtnissreden werden ebenfallsSonderabdrucke für den Buchhandel hergestellt, indess nur dann, wenn die Verfasser sich ausdrücklich damit einverstanden erklären. Y 89. Von den Sonderabdrucken aus den Sitzungsberiehten® erhält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 50 Frei- exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere. bis zur Zahl von 200 (im ganzen also 350) abziehen zu lassen, sofern er diess rechtzeitig dem redigierenden Seeretar. an-. gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch meh a Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf dazu der Genehmigung der Gesammt- Akademie oder de treffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten [ exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem. redigirenden Secretar weitere 200 Exemplare auf ihre Kosten abziehen lassen. Von den Sonderabdrucken aus den Abenden er- hält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie. ist, % zu unentgeltlicher \ ertheilung ohne weiteres 30 ‚Frei- exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl von noch 100 und auf’ seine Kosten noch weitere bis zur Zahl von 100 (im ganzen also 330) abziehen zul lassen, sofern er a rechtzeitig ‚dem redigirenden. Secretar. an ir ’ Abdrucke zur ea zu a so bedarf es ‚dazu 2 ‚der Genehmigung der Gesammi- Akademie oder der be- age Classe. u Nichtmitglieder erhalten 30 Freie ekeirendeh Beer weitere 100 d Exemplare a f Kosten abziehen lassen. ; 5 $ 17. Eine für die BREUER, Sehrifte une Stelle este sei es auch Bee DET 93 SITZUNGSBERICHTE 197. V. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. Vorsitzender Secretar: Hr. VAuten. 1. Hr. Lanvorr las über Gewichtsänderungen bei der Elek- trolyse einer CGadmiumjodidlösung mit Wechselströmen. (Ersch. später.) Der hier auftretende Vorgang besteht in rasch wiederholter Umwandlung von Jod aus dem Ionenzustand in den metalloiden und umgekehrt. Bei sechs Versuchen mit verschiedener Stromdauer liessen die Präcisionswägungen der Gefässe jedesmal eine kleine Gewichtsabnahme erkennen, welche nahe den Beobachtungsfehlern lag. 2. Hr. Harnack legte die Abhandlung der HH. Prof. Dr. Prrrsacn und Dr. Lurner vor: »Ein neuer Bericht über Luther’s Ver- brennung der Bannbulle.« Auf dem hinteren Vorsatzblatt der Ausgabe von Cicero’s Briefen (Venedig 1508), welche die Kgl. Bibliothek besitzt, fand sich die Abschrift eines Berichts über die Verbrennung der Bannbulle, welchen Agricola am Tage der Verbrennung in einer Art von urkundlichen Form niedergeschrieben hat. Neben anderem Interessanten giebt dieser Bericht die von Luther dabei gesprochenen Worte also wieder: »Quoniam tu con- turbasti veritatem dei, conturbat et te hodie in ignem istum. Amen.« Diese Fassung hat Vorzüge vor der bisher allein bekannten, die lediglich durch einen (anonymen) Ohrenzeugen überliefert ist, aber allerdings die Analogie einer Bibelstelle für sich hat. 3. Hr. Ders legte eine Mittheilung des Gymnasialoberlehrers Dr. K. Kocn in Eisenach vor: Das Wolfenbüttler Palimpsest von Galen’s Schrift mer! TON En TAIC TPO®AIC AYNAME@N. Der durch seinen sonstigen wertvollen Inhalt (Isidor, Ulfilas) berühmte Weissen- burgensis 64 der Wolfenbüttler Bibliothek enthält auch die älteste Galenhandschrift Es ist die im Palimpsest des 5.—6. Jahrhunderts erhaltene Schrift de alimentorum facultatibus I. II., die Dr. Kocn zum ersten Male vollständig, soweit die Schrift noch lesbar ist, entziffert und zum Zweck des von der Akademie beabsichtigten Corpus medicorum in sorgfältiger Facsimileabschrift aufgenommen hat. 4. Vorgelegt wurden die mit Unterstützung der Akademie er- schienenen Werke C. Horrermann, Der Einfluss des Klimas auf den Bau der Pflanzengewebe. Leipzig 1907 und M. Fabi Quintiliani In- stitutionis oratoriae libri XII ed. L. Rapermacner. Pars ı. Lipsiae 1907. Sitzungsberichte 1907. 11 94 Gesammtsitzung vom 31. Januar 1907. 5. Zu wissenschaftlichen Unternehmungen hat die Akademie durch die physikalisch-mathematische Classe bewilligt: Hrn. von Bezorn zu Zwecken der magnetischen Detailvermessung des Preussischen Staats- gebiets 4000 Mark und Hrn. Prof. Dr. Örro Diers in Berlin zur Fort- setzung seiner Untersuchungen über Cholesterin und Kohlensuboxyd 800 Mark. Die Akademie hat die correspondirenden Mitglieder der philo- sophisch-historischen Classe Hrn. Wırnerm von Harrer in Wien am 14. Januar und Hrn. Grazıanıo Isara Ascorı in Mailand am 21. Januar durch den Tod verloren. 95 Ein neuer Bericht über Luthers Verbrennung der Bannbulle. Von Prof. Dr. M. PertsAacH und D:. J. LurtHErR in Berlin. (Vorgelegt von Hrn. Harnack.) 2 Br die Darstellung der Verbrennung der Bannbulle durch Martin Luther am 10. Dezember 1520 besitzen wir folgende gleichzeitige Quellen’: ı. den Aufruf an die Studentenschaft Wittenbergs® vom gleichen Tage, in welchem sie eingeladen wurde, sich um neun Uhr zu ver- sammeln und der Verbrennung der Schriften über die päpstlichen Kon- stitutionen und die scholastische Theologie beizuwohnen, ein Schritt, der mit der bereits erfolgten Verbrennung von Schriften Luthers be- gründet wurde; ! Von J. LurHkr. 2 Zur Literatur s. Kösruın, Martin Luther, 5. Aufl. von Kawerau, Bd.r, S. 768. Lediglich die Tatsache der Verbrennung berichtet ein Capellanus Johannes in einem Briefe aus Wittenberg (Dezember 1520) an den ihm befreundeten Thomas Münzer in Zwickau: »Martinus nempe omnes juridieos codices cum papistica bulla et multis aliis romanistarum libris eomburi feeit« (Seıvemann, Thomas Münzer, 1842, S.ı2r). Die Notiz von Jonannes Keszter, Sabbata (Ausg. St. Gallen 1902) S.72, beruht auf Luthers Schrift »Warum des Papsts und seiner Jünger Bücher verbrannt sind«. 3 Zuerst abgedruckt bei Korper, Analeeta Lutherana (1883) S.26 aus Peter Schumanns (um 1549 angefertigten) handschriftlichen Annalen in der Ratsschulbiblio- thek zu Zwickau, dann nach Korper bei Enpers, Luthers Briefwechsel, Bd. 3 (1889), S. 18, als Luthers Aufruf. KnaaAre weist den Aufruf Melanchthon zu und druckt ihn in Luthers Werke, Weim. Ausg., Bd.7 (1897), S.183 nach einer in seinem Besitz befind- lichen, textlich von Schumanns Aufzeichnung abweichenden Nachschrift ab. Noch bevor dieser Band erschien, veröffentlichte Baven eine auf der Münchener Hof- und Staatsbibliothek befindliche, im wesentlichen mit Knaaxes Text übereinstimmende Ab- schrift, die Melanchthon ausdrücklich als Verfasser des Aufrufes bezeichnet (Zs. f. Kirchengesch., Bd.ı8, H.ı, 1897, S. 76f.). ul= 96 Gesammtsitzung vom 31. Januar 1907. 2. den Brief Luthers an Spalatin', gleichfalls vom 10. Dezember 1520, in welchem er unter anderem kurz berichtet: » Anno MDXX, deeima Decembris, hora nona, exusti sunt Wittembergae ad orien- talem portam, juxta S. Crucem, omnes libri Papae?’: Deeretum, De- eretales, Sext., Clement., Extravagant. et Bulla novissima Leonis X; item Summa Angelica, Chrysopassus Eceii, et alia ejusdem autoris, ümseri, et quaedam alia, quae adjeeta per alios sunt, ut videant in- cendiarii Papistae non esse magnarum virium libros exurere, quos confutare non possunt. Haee sunt nova«; 3. die Schrift » Acta exustionis antichristianorum deeretalium’«, in welcher ein Augenzeuge den Verlauf der Verbrennung folgender- maßen schildert: » Anno dominiei natalis vicesimo ultra sesquimille- simum 10. die Decemb. Convoecata est affıxis schedulis omnis scho- lastica iuventus Vuittemberge, fore ut deeretales Antichristiani con- cremarentur, in horam nonam. Id horae agminatim est itum ad exustorium, quod post ptochodocheum erat parandum. Atque ibi Magister quispiam haud incelebris rogum extruxit ae succendit. Im- positis Antichristianis decretalibus per eximium D.M. Lutherum, addita est et bulla papistica nuper exhibita, quam Idem Martinus in ignem conieeit Hisce verbis prolatis: “Quia,’ inquit, “tu conturbasti sanetum domini, Ideoque te eonturbet ignis aeternus’. Quo facto rediit in urbem E. D. M. maxima tum doetorum tum Magistrorum aliorumque litterarum eandidatorum eaterva comitatus«. An diese Darstellung knüpft der Verfasser die eingehende Schilderung des Treibens der durch den Vorgang am Morgen aufgeregten Studentenschaft im weiteren Verlaufe des Tages, das in einem die Gegner höhnenden öffentlichen Auf- zug und einem nochmaligen Verbrennen gegnerischer Schriften an der gleichen Brandstätte gipfelte, sowie die ernste Mahnung Luthers an die Studentenschaft zu Beginn seiner Psalmenvorlesung am näch- sten Tage; ! Abgedruckt bei Envers, a.a. 0. S.ı8f. nach ve Werte, Luthers Briefe, T.ı (1825), S.531f. Die handschriftliche Vorlage für pe Werre gab Cod. Bos. q 25b, Fol. 320 der Universitätsbibliothek zu Jena [so richtiger statt der auch bei Enpers erscheinenden Angabe Cod. Jen. a. f. 320 oder Cod. Jen. a. B. (Bos.) in pE Werres Quellenverzeichnis]), wo der Brief in einer Abschrift aus dem Ende des 16. oder spätestens Anfange des 17. Jahrhunderts erhalten ist. Vorher war er schon gedruckt bei AurırABER, Epistolarum Martini Lutheri Tomus primus (1556), S. 294f. ®2 Die von Luther nur angedeuteten Schriften sind die einzelnen Teile des Corpus juris eanoniei. Über die Summa Angelica s. Envers, a.a.0. $.19, und neuerdings Dierverte in Zs. f. Kirchengesch. 27 (1906), S. 296— 310; über den Chrysopassus Eeeii s. Enpers, a.a. 0. S.19f. ® Neuerdings abgedruckt in Luthers Werke, Weim. Ausg., Bd. 7, S.184f.; wir geben den Text nach dieser in Rechtschreibung und Interpunktion leicht geänderten und von Druckfehlern gereinigten Form. M. Pertsaca und J. Luruer: Verbrennung der Bannbulle. 97 4. einen Bericht des Bischofs von Brandenburg Hieronymus Schulz! von Mitte Dezember, in dem er erzählt: »Sed unum superest, quod celare non possum: nempe quod heri sub erepuseulum ab Havel- burgio domum reversus acceperim, quemadmodum frater Martinus Wittenbergae coneiderit multos libros deeretalium et Clementinarum, Scotum et Thomam et id genus autorum, idque stipatus multis com- plieibus suis; praeterea magnos saceos refertos libris, omnes litteras indulgentiarum, confessionalia et alia e eivitate Wittenberga porta- verit, comitatus maxima turba, omniaque simul injecerit in horreum quoddam ruinosum et subjeeto igni una cum horreo illo eombusserit. Ad haee quendam ad similitudinem Sanetissimi Domini Nostri vestie- rint, quem, ut fertur, simul ad ignem adduxerint, qui arreptam co- ronam tradiderit flammae et ‚sie se subduxerit aufugeritque ocyter. ceterum fama est, cujus tamen certum autorem nullum audierim, quod princeps elector post peraetum faeinus euraverit monachum honestissime in urbem Wittenbergensem reducendum per equitatum et peditatum egregium cum maxima pompa«. Der Hergang der Verbrennung ist hiernach kurz folgender: Nach- dem die Studentenschaft durch den Anschlag Melanchthons zur Teil- nahme an der Verbrennung papistischer Schriften eingeladen war (Quelle ı), zogen sie vor das Tor, wo von einem Magister ein Scheiter- haufen errichtet war und nach dem Darauflegen der zur Verbrennung bestimmten Schriften angezündet wurde. Dann trat Luther hinzu und warf mit den Worten: »Quia tu conturbasti sanetum domini, ideoque te conturbet ignis aeternus« die gegen ihn ergangene Bulle gleichfalls in das Feuer. Darauf ging Luther unter zahlreicher Begleitung der Doktoren, Magister und anderer zur Stadt zurück (Quelle 3). Daß ein als Papst verkleideter Mann auch die päpstliche Krone ins Feuer ge- worfen habe und daß der Kurfürst Luther durch Reiterei und Fußvolk habe feierlich zurückgeleiten lassen, fügt Quelle 4 hinzu. Das Ver- zeichnis der außer der Bulle verbrannten Bücher gibt Luthers Brief an Spalatin (Quelle 2); einige Zusätze bringt Quelle 4. Für die späteren und allgemeinen Darstellungen des Verbrennungsaktes kamen bisher nur die drei erstgenannten Quellen in Betracht. An Wert stehen die beiden ersten Quellen, Melanchthons Aufruf an die Studenten und Luthers Brief an Spalatin, obenan. Obwohl sie nicht im Original erhalten sind,” ist ein Zweifel an ihrer Echtheit nicht gerechtfertigt. Sie sind als urkundliche Belege zu betrachten. ! Der Bericht ist zum erstenmal veröffentlicht von FrıEDENSBURG in den Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven, Bd.r (1898), S. 320f. 2 Über Melanchthons Aufruf s. S.95 Anm. 3; über Luthers Brief s. S.96 Anm. ı. 98 Gesammtsitzung vom 31. Januar 1907. Die Acta exustionis antichristianorum decretalium sind uns in zwei gleichzeitigen Drucken erhalten, die von KnaAre! beschrieben sind. Der Urdruck beider Ausgaben ist seitdem als ein Druck aus der Offizin von Valentin Schumann in Leipzig festgestellt;” den Nachdruck hatte schon Knaake richtig als einen Druck von Johann Knoblauch in Straß- burg erkannt. Merkwürdigerweise ist der Wert dieser Quelle für den Verbren- nungsakt selbst noch nicht kritisch gewürdigt, sondern die Mitteilungen des Verfassers werden in den bisherigen Darstellungen einfach als zu- verlässig übernommen. Daß der unbekannte Verfasser der Acta nicht nur ein Augenzeuge der Verbrennung, sondern auch ein Schüler und Anhänger Luthers gewesen ist, geht aus der ganzen lebhaften Dar- stellung, mit der er die Ereignisse am Vor- und Nachmittag schildert, hervor. Bemerkenswert ist sein Urteil über Luthers Ansprache im Kolleg am Tage nach der Verbrennung: »Haee aliaque in eam sen- tentiam multa Luttherus inibi eum multa verborum luce et foeliei patrii sermonis elegantia recensuit, quae ego utpote indoctus et elinguis imitari non possim« sowie seine fernere Äußerung über Luther selbst: »atque palam est omnibus in Christo parvulis, quorum palatum so- phistiea labe nondum est infeetum nee magnifiecis hujus seculi opinio- nibus delibutum, eunetisque innocentibus, Luttherum esse viventis dei angelum, qui palabundas Christi oves pascat solo veritatis verbo, dormientibus illis, qui pastoris nomen indigne sibi arrogant.« Am eingehendsten sind seine Ausführungen über das Treiben der Studenten nach der Verbrennung und über Luthers Ansprache am zweiten Tage. Dagegen sind seine Mitteilungen über den Verbrennungsakt selbst dürftig. Er erwähnt kurz den Anschlag mit der Aufforderung an die Studentenschaft, sich an der Verbrennung papistischer Schriften zu beteiligen; er sagt aber nicht, von wem diese Aufforderung ausging. Dann berichtet er weiter, daß die Studenten im Zuge (agminatim) zur Brandstätte gezogen seien. Den Namen des magister quispiam haud incelebris, der den Scheiterhaufen errichtete und anzündete, nennt er wieder nicht. Die verbrannten Bücher, die nach Luthers Schreiben an Spalatin nicht nur ziemlich zahlreich sondern auch von großer Bedeutung für die Sache selbst waren, tut er mit der kurzen Be- merkung »impositis antichristianis deeretalibus« ab, während er von den Verfassern der bei dem Studentenumzuge am Nachmittag ver- höhnten und verbrannten Bücher wenigstens den Ochsenfart und Eek mit dem Zusatz »et alios nonnullos« erwähnt. Das alles läßt darauf ! Luthers Werke, Weim. Ausg. Bd. 7, S. 184. ® Procror, An index to the early printed books in the British Museum. P. II, Sect. I (1903), S. 137 Nr. 11557. M. Pertsach und J. Lurner: Verbrennung der Bannbulle. 93 schließen, daß er zwar den Vorgängen beider Tage durchweg bei- gewohnt, sie aber doch nur aus der Reihe der Studenten heraus, nicht aus der unmittelbaren Nähe der Hauptpersonen, beobachtet und be- schrieben hat. Diese Umstände müssen auch darauf führen, die Worte, die er Luther bei dem Hineinwerfen der Bulle in das Feuer sprechen läßt: »Quia tu conturbasti sanetum domini, ideoque te conturbet ignis aeternus« mit Vorsicht aufzunehmen. Die Worte sind bisher nach dieser Quelle stets wiederholt, obwohl man sich der Schwierigkeit ihrer Deutung wohl bewußt war. Sie weisen freilich in dem Sancetum Domini auf Mare. ı, 24 sowie Apostelgesch. 2, 27 und Psalm 16, 10 hin, aber das sanetum in Luthers Worten auf Christus zu beziehen, ist eine gezwungene Auslegung, die dadurch noch erhöht wird, daß das Wort conturbare in beiden Zusammenstellungen eingestandenermaßen unüber- setzbar ist.‘ Andererseits das sanetum auf Luther selbst zu beziehen, ihn selbst sich als den sanetus hinstellen zu lassen, wäre dureh und durch unlutherisch. Daß es trotzdem von der konfessionellen Gegner- schaft so ausgedeutet und ausgebeutet werden würde,” lag auf der Hand. Für dieses wichtige Stück in den Verbrennungsakten bietet der Bericht also eine nicht zu umgehende Schwierigkeit.’ Die vierte Quelle endlich, der Bericht des Bischofs Hieronymus Schulz, darf sich an Zuverlässigkeit mit den anderen Quellen nicht messen, da er nicht von einem Augenzeugen herrührt, sondern nur Gehörtes weitergibt. Tatsächlich passen sowohl die vielen mit Büchern gefüllten Säcke wie seine Erzählung von dem als Papst verkleideten Manne, der die päpstliche Krone ins Feuer warf, mehr in das stu- dentische Treiben des Nachmittags hinein, und die von ihm selbst schon unter Vorbehalt berichtete Begleitung Luthers durch Reiter und Fußvolk des Kurfürsten will zu der vorsichtigen Art Friedrichs, die er auch in diesem Falle zeigte‘, ganz und gar nicht stimmen. I. Zu diesen vier gleichzeitigen Quellen ist von mir im Herbst 1906 eine fünfte, eine Aufzeichnung des Johannes Agricola vom Tage der Verbrennung, ermittelt worden. Sie steht handschriftlich auf dem hinteren Vorsatzblatt eines Foliobandes der Königlichen Bibliothek zu Berlin (Wq 4015 fol.), welcher die Briefe Ciceros (epistole familiares, ! Kösııım, a. a. 0. S. 768. ® Vgl. Evers, Martin Luther, Bd.4 (Mainz 1886), S. 198f.; ebenda S.ı99 zur Übersetzung von conturbare. ® Verringert wurde die Schwierigkeit der Stelle, wenn man von den genannten Parallelstellen aus der Bibel absähe und sanctum als Neutrum auffaßte (vgl. S. 101 Anm. 3). * Kösırın, a.a.0. S. 367; Koroe, Martin Luther, Bd.ı, S. 2gı. ° Von M. PerLsAcH. 100 Gesammtsitzung vom 31. Januar 1907. Venetiis 1493, Bernardinus Benalius) und Mirabelli, Polyanthea (Venetiis 1508, Georgius de Rusconibus) zusammengebunden enthält. Das Buch stammt aus der Bibliothek des Berliner Predigers Friedrich Jakob Roloff, die König Friedrich Wilhelm II. 1789 für die Königliche Bibliothek ankaufte', und wird in dem gedruckten, von Friedrich Sigismund Augustin 1789 herausgegebenen Katalog dieser reichen Büchersamm- lung (Bibliotheca Roloffiana P. ı. 2. Berolini 1789, Unger) 173 n. 442 aufgeführt. Da der Band in dem gedruckten Verzeichnis, das Roloff 1744 als junger Mann von der Bibliothek seines Vaters herausgab, noch nieht vorkommt, ist der Schluß gerechtfertigt, daß der jüngere Roloff zwischen 1744 und 1789 denselben erworben hat. Ein früherer Besitzer ist bis jetzt noch nicht ermittelt worden. Wir lassen zunächst die Aufzeichnung selbst mit genauer Bei- behaltung der Zeileneinteilung und der Rechtschreibung folgen. Auff hewt Montag nach CGoncepeionis Marie Im zwantziegsten Ihar, vmb die Newhende stunde vor mittag, seyn alhir zu Wittenberg verbrent worden alle die bucher, die vom Babst zu Rhome, vnnd die Ime anhengigk geschrieben vnnd publieirt als Nemlich Deeretum Deeretales Sextus Ölemeneiarum eum extrauagantibus diabolieis, Thomam habere non potuimus, dan nymandtt hatt In wellen lassen fahren, alioqgue combustus, Scotum nemo dedit. alias Idem passus esset ludieium Crysopassus Eceij et quitquid ab eo seriptum est Emserij libelli digni autore tali, Bulla omnium impijssima que caput fuit huie incendio propter quam et hee omnia facta sunt, quam ceteris libris iam ardentibus igni Doctor Martinus ipse et proprijs manibus inieeit: ijs Verbis in sentenciae diffinitiuae formam prolatis Quoniam tu ceonturbasti veritatem dei Conturbat et te hodie in ignem istum Amen Ad que Verba ab omnibus amen sucelamatum est Ioannes Agricola Eiszleben sstt ! Wirken, Geschichte der Kgl. Bibl. zu Berlin (1828), S. 114. M. Pertrach und J. Lur#er: Verbrennung der Bannbulle. 101 Die Niederschrift ist kein Original von 1520, die Handschrift weist in die Mitte des 16. Jahrhunderts (der nach einer freundlichen Mitteilung des Hrn. Geheimrats Scuwenke auch der Einband angehört); eine Vergleichung mit einem in Dresden erhaltenen Originalbriefe Agri- colas vom 2. November 1520' zeigt unwiderleglich die Verschieden- heit beider Hände. Es liegt in dieser Aufzeichnung also nur eine um etwa ein Menschenalter jüngere Abschrift vor uns. Da sieh die äußere Beglaubigung dieser fünften Quelle daher nicht feststellen läßt, müssen wir um so eingehender ihre inneren Merkmale betrachten. Tag und Stunde stimmen mit I, 2, 3 überein, denn Montag nach Mariä Empfängnis fällt 1520 auf den 10. Dezember. Die Aufzählung der verbrannten Bücher nennt ohne die Bulle neun Schriften’, von denen sieben auch in 2 vorkommen, die beiden von Luther nicht ge- nannten Thomas und Scotus wurden ja auch nach unserer Quelle nicht verbrannt; daß von ihnen die Rede war, hatte auch 4 gehört. Zu- letzt wirft Luther selbst die Bulle in die Flammen mit einem Urteils- spruch (verbis in sententiae diffinitivae formam prolatis): »Quoniam tu conturbasti veritatem dei Conturbat et te hodie in ignem istum amen.« Nur das doppelte eonturbare erinnert an 3, an Stelle des hölli- schen Feuers (ignis aeternus) ist der vor aller Augen flammende Seheiter- haufen getreten, und nicht den » Heiligen des Herrn «*, sondern die » Wahr- heit Gottes« hat die Bulle verwirrt. In dieser Fassung bietet Luthers Verdammungsurteil Gelegenheit biblische Parallelen heranzuziehen. Die Form des Satzes erinnert an Josua 7, 25: »Quia turbasti nos, exturbet te Dominus in die hac.« »Veritas Dei« findet sich zu wiederholten Malen im Römerbrief (1, 18. 25; 3,7; 15, 8). Nicht glücklich stili- siert scheint der zweite Teil des Satzes: wer ist Subjekt zu conturbat? Und ungewöhnlich zum mindesten ist die Wendung eonturbare in ignem. Formell ist der von 3 überlieferte Wortlaut geschickter, aber sachlich bietet der neue, indem veritas an Stelle von sanetum tritt, der Er- klärung weniger Schwierigkeiten. Als Verfasser des Berichts unterschreibt in unserer Abschrift Agricola, damals zu Luther im engsten Verhältnis. Seine Anwesen- heit bei der Verbrennung der Bulle hat Kawerau in seiner Biographie ! Dresden, Hauptstaatsarchiv Loc. 10327 Bl.40; der Brief ist abgedruckt bei SEIDEMAnn, Thomas Münzer, S. 117. 2 Sextus Clemeneiarum ist wohl Versehen des Abschreibers: »liber sextus de- eretalium cum Clementinis et extravagantibus« müßte es heißen. ® Oder das Heiligtum des Herrn, wenn man Sancetum als Neutrum auffassen darf (s. oben S.99 Anm. 3). 102 Gesammtsitzung vom 31. Januar 1907. Agricolas I, 23 daraus geschlossen, daß ein in aedibus Ysleuen (d. i. Agricola) damals wohnender Kaplan über den Vorgang an Thomas Münzer berichtete." Er war Notar und hat als solcher Luthers Ap- pellation an das Konzil vom 17. November 1520 aufgenommen.” An ein notarielles Protokoll erinnert auch das fftt (subseripsit) unserer Abschrift, doch möchte bei der formlosen Art, dem Wechsel von Deutsch und Lateinisch, der Angabe von Umständen, die geschehen sollten, aber nicht geschahen (Verbrennung von Thomas und Scotus — gerade diese Stellen verraten den Augenzeugen und Mithandeln- den), eher an eine private Aufzeichnung zu denken sein, wie sie je- mand kurz nach einer wichtigen Unterredung, einem bedeutenden Ereignis macht, um das Erlebte für sein Gedächtnis festzuhalten. Aus inneren Gründen spricht nichts gegen die Autorschaft Agricolas; die äußere Beglaubigung würde erheblich gewinnen, wenn sich fest- stellen ließe, wer Agricolas Aufzeichnung in sein Exemplar von (i- ceros Briefen eintrug. Vielleicht führt die weitere Durchforschung der älteren Bestände der Königlichen Bibliothek, besonders der Roloffschen Bücher, die zwar nicht mehr wie ursprünglich zusammen aufgestellt sind, aber ein Exlibris ihres Sammlers tragen, auch zur Ermittelung dieses früheren Besitzers. ! Vgl. oben S.95 Anm. 2. 2 Luthers Werke, Weim. Ausg., Bd.7 S.74 u. 82. 103 Das Wolfenbüttler Palimpsest von Galens Schrift TIEPI TWV EV TOIC TPOPOAIC OVVALEWV. Von Dr. K. KocH in Eisenach. (Vorgelegt von Hrn. Diers.) D- Stolz der Wolfenbüttler Bibliothek ist der Cod. Weissenburgen- sis 64; seine 328 Pergamentblätter enthalten außer einer wertvollen Handschrift von Isidors Origines, s. VIII., zum großen Teil Palim- pseste,' darunter 4 Blätter einen Teil von Ulfilas’ Bibelübersetzung, ferner 2 Evangeliarien und Stücke aus dem Alten Testament. 108 Blät- ter bergen 2 Bücher von Galens Schrift reri TOn En TAIc TPO@AlC AYNA- mewun. Mit allen diesen Fragmenten beschäftigte sich zuerst F. A. Knır- rer, der Entdecker der Ulfilasfragmente; er entzifferte auch Stücke von Galen und druckte eine Seite ab. Nach ihm handelte Ar. ©. F. TıscHex- DORF über die ganze Handschrift und gab auch eine Probe des Galen- textes, der nach ihm verhältnismäßig lesbar sei. Tatsächlich ist indessen ein großer Teil sehr schlecht, einiges überhaupt nicht zu lesen, womit sich auch Tiscuennorr kaum auf- gehalten hat; er hat aber den Text an einigen Stellen auf chemischem Wege deutlich gemacht. G. Hernkeic# urteilt über die Handschrift: »Die griechische Schrift ist so vollständig verblaßt, daß fast nichts mehr zu lesen ist.« Er hat darum in seiner Ausgabe” von der Be- nutzung der Handschrift bisher abgesehen, aber auf ihre Bedeutung als der »ältesten Galenhandschrift, die wir überhaupt kennen« hinge- ı Vel. O. von Hemenmann, Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel II, 5. Abt., S. 295f. — F. A. Knrrrer, Ulphilae versio Gothica non- nullorum capitum epistulae Pauli ad Romanos, Braunschweig 1762, S. 250f. — Ar. F. C. TıschEnporF, Anecdota sacra et profana, Leipzig 1861, ed. II, S. 153f. — H. Dıers, Die Handschriften der antiken Ärzte, I. T., Berlin 1905, S. 176. ®2 Programm des Gymnasiums in Ansbach von 1905 u. 1906. — Hr. Hernreıch hat mir das Manuskript zu seinem 3. Programm liebenswürdigerweise zur Verfügung gestelli, das mir von großem Nutzen war. — In der Künsschen Ausgabe steht die Schrift Band VI, S. 453 — 748. 104 Gesammtsitzung vom 31. Januar 1907. wiesen. Ich habe nun seit 2 Jahren meine Schulferien zum großen Teil daran gewandt, in Wolfenbüttel den Text abzuschreiben, und es ist mir, dank dem Entgegenkommen der Bibliotheksverwaltung, wider Erwarten weit gelungen. Wie völlig die Schrift zum Teil verblaßt ist, geht schon daraus hervor, daß dem gründlichen Knırrer ein Blatt ganz entgangen ist, fol. 58, das darum in den Katalogen nachzutragen ist. Ein weiteres Blatt habe ich nicht gefunden; wo sonst ein Palimpsest in der Hand- schrift steckt, hat Tiscuennorr eine Probe lesbar gemacht. Ein zweites Hindernis beim Lesen bot die Anordnung bzw. Un- ordnung der Blätter: sie sind in ıı Lagen sehr verschiedenen Um- fangs an verschiedenen Stellen der Isidorhandschrift von fol. 43 bis 310 eingeheftet und, wie KsırteL meint, vom zweiten Benutzer durch- einandergemischt ad tegendum velandumque furtum, nimirum ne code, quem compilaverit, internosceretur. Als Beispiel mögen die ersten 8 Blatt dienen, deren Inhalt ich nach der Seitenzahl der Künsschen Ausgabe, 6. Band, bezeichne: fol. 43 — 8. 608,1 — 609,14 fol.47 = 8.619,44 — 620,17 » 44 20539 15 SATA A DAS 55 » 45= » 599,5 — 600,16 » 49 » 538,1 —539,15 » 46 = » 627,17—629,14 » 50= » 609, 14—6II,IO So gibt fol. 50 die Fortsetzung zu fol. 43: 44 schließt an 49 an; 48 gehört zu 45 und 47 zu 46, nur liegen 2 Blatt handschriftlichen Textes jedesmal zwischen beiden. Es handelt sich also um Doppel- blätter, deren ursprünglich erste Hälfte vielfach durch Umbiegen zur zweiten geworden ist. Einmal steht ein Doppelblatt in der jetzigen Umgebung auf dem Kopfe, fol. 84 u. 87. Es ergibt sich, daß der ursprüngliche Kodex in Lagen zu je 4 Doppelblättern geheftet war. Und zwar enthielt er auf‘ 16 soleher Quaternionen Buch I und II der Schrift rer) TOn En TAlc TPosAlc AynAmeon — denn dieser Titel ist jetzt endgültig festgestellt.‘ Von Buch III sind nur die Überschriften zu Kapitel 2—13 erhalten; die Überschriften waren nämlich jedem Buch . nochmal vorangeschickt. Eine andere Schrift scheint unserer im Ur- kodex vorausgegangen zu sein, da auf die erste Quaternio nur 3 Seiten Text und ı Seite Überschriften entfallen. Diese erste Quaternio ist leider nicht im Weissenburgensis; ebenso fehlt ein Doppelblatt aus der 2. und schließlich das äußere Doppel- blatt der 8. Quaternio. Nach dem Künsschen Texte fehlen also außer ı Vgl. G. Hermreıcn im Programm von 1905, S.4f. Er wird bestätigt durch die beiden Subscriptiones des Weissenburgensis. K. Kocn: Das Wolfenbüttler Galenpalimpsest. 105 B. III: der Anfang bis S. 461, ı, dann S. 464, 10— 466,7; S. 469,18 bis 471,13; S. 546, 16— 548, 11; 8.557, 1I— 559,4, im ganzen etwa 16 Seiten. Von dem letztgenannten Doppelblatt ist anscheinend nur die Hälfte im Cod. Vatieanus Latinus 5763 erhalten und von H. Scuöne heraus- gegeben.' Leider war es mir nicht möglich, die 108 Blatt vollständig zu lesen; die Buchstaben erscheinen meist nur als gelbliche Schatten oder haben auf ihren früheren Stellen als Spur einen gewissen Glanz hinterlassen. Die saubere schwarze Isidorschrift stört freilich fast gar nieht, dagegen ist unter ihren zahlreichen roten Initialen nichts zu erkennen. Einmal, fol. 1ı24a, sind 6 Zeilen anscheinend durch Auf- streichen eines chemischen Mittels ganz verschmiert. Das Pergament ist teilweise so dünn, daß die Buchstaben auf der Rückseite durch- scheinen. Speziell die letzten Buchstaben der Zeilen sind oft nicht zu sehen oder nieht zu unterscheiden. So sind, von einzelnen fehlen- den Buchstaben abgesehen, vier Fünftel der 432 Spalten vollkommen gelesen, bei 24 Spalten fehlt etwa ı Zeile, bei 30 Spalten 2—4, bei 21 Spalten 5—8 Zeilen und bei 14 etwa die Hälfte, auf 3 Spalten ist fast gar nichts erkannt. Das Pergament ist übrigens recht verschieden an Weiße und Dicke; verschiedentlich hatte es schon bei der ersten Benutzung Löcher, an- scheinend auch Knicke. Geschrieben war die Handschrift sehr sorgfältig in Unziale, ohne Wortabteilung, Akzente und Spiritus und fast ohne Interpunktion, auf jeder Seite 2 Spalten von 2ı Zeilen, die in Buchstaben- und Silben- zahl sehr schwanken. Nur stehen die Kapitelüberschriften, wenn gerade eine neue Spalte anfängt, gewöhnlich auf dem oberen Rand. Die vorgezeichneten Linien waren nicht sehr deutlich, denn es ist keine Spur davon zu sehen, und in der Spalte rechts gehen die Zeilen oft in die Höhe. Die Schrift wird von Hrımeeıcn in das 5., von von HEmEMANnN in das 6. Jahrhundert gesetzt. Ich kann mir kein Urteil darüber erlauben, meine nur, der Schreiber ist im übrigen so wenig sorg- fältig, daß er eine bequemere Schrift gewiß benutzt hätte, wenn er sie gekannt hätte. Vielleicht ergeben sich für einen Kundigeren An- haltepunkte aus meinem Bericht oder aus der beigefügten Schrift- probe. Mir selbst machen diese durch Reagentien hervorgerufenen’ ! Vgl. H.Scnöne, Ein Palimpsest des Galen aus Bobbio. Sitzungsber. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1902, XXI. ®2 Die blaue Färbung zeigt, daß Gioserrische Tinktur (blausaures Eisenkali) verwandt wurde, deren sich Tıschenporr zu bedienen pflegte. 106 Gesammtsitzung vom 31. Januar 1907. Buchstaben freilich einen anderen Eindruck als die vertrauten gelb- lichen, bei denen Einzelheiten schlecht zu sehen sind. Aber das = wird offenbar verschieden geschrieben: auf der Probe und sonst mehr- fach erscheint es als Z; meist erscheint es in der Form =, zweimal deutlich aber =. Das m erscheint in der Probe in Miniaturgröße, meist aber ist es größer und leieht mit Aı oder A! zu verwechseln, wie K leicht mit x und A’. T erscheint, blau gefärbt, einmal an einer an- deren Stelle . Als Kuriosum sei erwähnt, daß einmal rn vorkommt Palimpsest der Wolfenbüttler Hds. 64 Weiss. Blatt 115. (Galen de alim. fac. VI 579, 2—4K.) statt Mm, einmal T und € verlängert sind (PePONOTA und TH() und einmal ein Schluß-s erscheint statt c. Abkürzungen finden sich nur dreierlei, und zwar am Zeilenende oder auf der untersten Zeile: er- stens sehr häufig ein Strich auf dem vorhergehenden Vokal für ein n (er ist oft nicht zu sehen, oft offenbar vergessen); ferner steht statt aı die übliche alte Abkürzung S, also z. B. K, C&, M, CTO = ka, ceAl, MAI, CAITO (kal ist fast nie an solcher Stelle ausgeschrieben); schließlich ist das sonst breite T oft mit einem folgenden Buchstaben verbunden, so Te oder das PwC und ToY auf der Abbildung, oder es vereinigt sich mit vorhergehendem n, z.B.NA, Noc. Sonst kommt nur dreimal eine Ligatur vor: ME = men, KYAÄMC — xyämovc und KA, K. Kocn: Das Wolfenbüttler Galenpalimpsest. 107 das wohl xartA heißen soll, obwohl das -Ta auf der anderen Zeile noch einmal steht. Um Raum zu gewinnen, verkleinert der Schreiber oft die 2—-4 letzten Buchstaben einer Zeile und setzt sie dabei ein- mal hoch, ein andermal tief, z. B. MOANoı, CKIAAHC und auf der Probe metpwc und riPoc. Von Interpunktion bietet die Handschrift Anführungshäkchen, Punkt und Apostroph. Ein > steht neben jeder Zeile eines längeren Zitates auf dem linken Rande; nur in einigen Fällen scheinen sie ver- gessen zu sein. Zweimal bezeichnet ein Häkchen einen Hinweis auf Vorhergehendes oder Folgendes. Auch den Kapitelschluß hebt, wo keine Überschrift angegeben wird, außer Absatz oder Lücke ein < her- vor. Ebenso wird Anfang und Ende eines längeren Zitates durch Frei- lassen von etwa einer drittel Zeile bezeichnet und durch einen Punkt, ge- legentlich einen Doppelpunkt. Doch findet sich mehrfach ein Punkt am Satzende, vereinzelt auch scheinbar willkürlich zwischen Haupt- und Nebensatz. Irreführenderweise zeigen sich Punkte zwischen oder über Buchstaben eines Wortes oder auf dem Rand, die ich mir nicht anders erklären kann denn als Farbüberbleibsel vom Abwaschen her. Der Apostroph ist gewöhnlich gesetzt, oft aber nicht zu sehen, wenn auch sonst alle Buchstaben deutlich sind. Übrigens ist der erste Buch- stabe jeder Seite etwas größer als die andern, und in den beiden Buchunterschriften sind die einzelnen Wörter voneinander getrennt. Auf verschiedene Hände können wir aus Ungleichheiten in den Buchstaben nicht schließen, obwohl Punkte am Satzende sich nur im ersten Teil der Handschrift finden. Auch die wenigen Korrekturen sind von der gleichen Hand: einmal ist unter ein falsches A einfach das richtige Y druntergeschrieben: TOAMINAN, einmal findet sich, in y Zeilenmitte, N für nn, aus N ist einmal durch einfachen Querstrich H gemacht (n) und schließlich zweimal ein fehlendes e übergeschrie- ben: en IAH. Die wenigen erwähnten Ligaturen machen auch ganz den Eindruck von Korrekturen. Schließlich war wohl fol. 6a eine aus etwa 6 Buchstaben bestehende Glosse Korrektur; sie ist leider nicht zu lesen und auf Seite 5 nicht undeutlicher als auf a. Auch Schwankungen in der Orthographie geben keinen Anhalt, verschiedene Schreiber anzunehmen. eı und ı werden sehr häufig ver- wechselt, oft steht e für aı, selten umgekehrt, Schreibungen wie KaıHTte — xeHtaı bilden Ausnahmen. Mit bewußter Konsequenz sind geschrie- ben AıaecmA, AIcelEIN, OIONTAI (= OIöN TE) AKPEIBHC, Tremipoc. Fast nie finden sich Verwechslungen von H mit ı oder e, oder von e mit eı. Nur zweimal könnte oı mit ı verwechselt scheinen, indem die Hand- schrift rı gibt, wo der Künssche Text Troı liest, tatsächlich ist aber 108 Gesammtsitzung vom 31. Januar 1907. tı richtig. So geben auch S. 507, 10K. die Ausgaben fälschlich ı statt r: XP@NTAI A& AAGITOIC EN TICI TÜN EBNÜN EN APTOY XPEIA, KABATIEP EIAON EN KYTIPW, KAITOI TIAEICTON FewPro?cı citon, während mit unsrer Handschrift rewproych zu lesen ist. a wird mehrfach mit o verwechselt, und w steht häufig statt o.. Grundsätzlich wird un geschrieben, wo wir r oder m schreiben, in Wörtern wie ANANKAIOC, CYNTPAMMA, CYN®YTON, TIANTIOAY, ein p statt zwei z. B. in ckKipoymenoc, ATIoPPIYyAı und m in den Formen des Aorists eaumeenn. Der Hiat wird, und das ist ein gutes Zeichen, weit häufiger gemieden als in der Vulgata, aber nicht immer. N Evenkyctikön und Schlußsigma bei oYrwc finden sich sehr oft auch vor Konsonanten, jenes fast immer bei Ecrin. Eigenarten in der Schreibung des Weissenburgensis sind wohl in der Regel als echt anzunehmen, wie er z. B. den Namen ®ynörtimoc im Gegensatz zur sonstigen Überlieferung, bis auf einmal, richtig mit y schreibt. So bietet er ständig rmeymon statt rınevmon, platonischem Brauch folgend und also wohl galenisch. Ebenso steht es mit dem attischen KPısanon und KPIBAnıTtHc, das der Weissenburgensis allein hat, statt der Formen mit a. Mit ihm werden wir auch schreiben AcTAeıc statt cTAeic, poA statt PoıA, TATHNoNn (wie auch Oribasius schreibt) statt TÄrANON, TIcoc statt TIIccöc, maraeon Ohne p, ckysenıtikaı, wieder in Über- einstimmung mit Oribasius, statt des sonst überlieferten Ckvsenitiaec. Statt arvoreteic, z. B. S. 608,17 K., bietet Weissenburg. APYHtaıTıc; die Form arvyrıerräc ist uns auch sonst bekannt und als vom ältesten Kodex bezeugt zu bevorzugen. Wir sind somit schon auf den Wert des Weissenburgensis als Quelle für die Überlieferung gekommen." Ihr Zustand ist trotz des Alters nicht tadellos. Es haften ihr vielmehr schon alle Fehler unserer Galenüberlieferung an, die I. von Mürter mit Erstaunen am Arche- typus der Schrift de plaeitis Hippocratis et Platonis, s. X., konstatiert.” Mehrfach fehlen Silben oder sind Buchstaben ausgelassen oder doppelt geschrieben. Einzelne Wörter wie der Artikel, Kai, TE, ae, re, oY, sind häufig ausgelassen oder zugesetzt. S. 567, 17 K. werden die Wörter ! Im folgenden bezeichnet W = (od. Weissenburgensis 64 zu Wolfenbüttel. P = Cod. Parisinus suppl. graec. 634. Orib — Oribasius’ Excerpte, ed. DArenzers, Bd.I, Paris 1851. S Seth = Simon Seths Excerpte ed. LanskAaveL, Lips. 1868. M —= Übersetzung WıLnELm v. MoErRBEcKES. Vgl. Hernreıch I, Progr. S. of. v = Vulgata. P und M sind mir nur aus Hrrnreicas Ausgabe bekannt. — Ich zitiere nach Seiten der Künnschen Ausgabe. ?2 Vgl. Claudii Galeni de plaeitis Hippocratis et Platonis. rec. J. Mürrer |], Lips. 1874, S. 79f. der Vorrede. K. Koc#: Das Wolfenbüttler Galenpalimpsest. 109 KATA THN IAIOTHTA THC oYcıac doppelt gelesen. Offenbare Lücken von mehreren Wörtern habe ich 8, zweifelhafte 2 notiert, z. B. S. 506, ıı K. TOYTWN A’ ÄTIOPOFNTEC ENIOTE KÄK TÜN ÄANWN AYTÄ CKEYÄZOMEN. EYWAUN A’ ÖNTWN ÄTIANTON, Oca Kanoc EckeyAceH fehlen in W die Worte ayTk — öntwn. Bei den zahllosen Umstellungen von Wörtern werden wir auch nicht immer W den Vorzug geben. Andererseits gewinnt dieser Kodex unser Vertrauen schon durch seine Orthographie und steigert es durch die Genauigkeit des Zitie- rens: in Hippokrates-Zitaten wahrt er das ionische u z. B. S. 503, 16 Kkoınıh statt Koinla von Pv, S.604, II poınc, während er sonst poac schrieb. S. 503, 14 bietet er mit Cod. Hippoer. M evermayton statt des sonst überlieferten evexkrıron, 8.473, 7 mit den Codd. Hipp. ae und ekactun statt re und &xActoy Pv. Ferner stimmt W meistens vortrefflieh zu P, dem Codex Parisi- nus 634, s. XIV und der indirekten Überlieferung, wie sie die Ex- zerpte von Oribasius und Simeon Seth und die Übersetzung von Wir- HELM VON MOERBECKE darstellen. Mit diesem Hilfsmittel hat @. HELnreıcn dem Text schon ein wesentlich anderes Aussehen als dem Künsschen gegeben. Ich kann mich hier darauf beschränken, kurz zu kenn- zeichnen, wie W sich zu dieser Überlieferungsgruppe stellt. 'W stimmt fast immer mit P überein an den vielen Stellen, wo Wörter in ihrer Stellung vertauscht sind, ferner gewöhnlich an sol- chen, wo einzelne oder mehrere Wörter zugesetzt oder ausgelassen scheinen. Die wichtigste Stelle, die in Übereinstimmung mit PM eine Lücke der Vulgata ausfüllt (S.559, 4), befindet sich gerade im vatikanischen Teil unserer Handschrift. Eine weniger wesentliche größere Lücke klafft S.607, 16, wo Künnw schreibt: Enıoı ae Kal AAzewc TINOC AICEHCIN EMmmoloFcı TO CWMATI TÄC Kolniac, Ö CTÖMAXON ÖNOMÄZOYCIN OI TATPOI, denn WP fahren nach koıniac fort 01 AH Kal MAnAON EICI KEPANAATEIC EIPHTAI AE TIOAAAKIC OTI TO CTOMA THC KOINIAC CTOMAXON ONOM. Ol IATPOI: qui utique et magis sunt dolorativi capitis. dietum est autem saepe quod os ventris usw. gibt M. Im folgenden ergeben sich auch sonst noch genug Übereinstimmungen von W und P. Wir werden darum G. Heımkeicn recht geben, wo er P gefolgt ist, und auch an Stellen, wo der verdiente Herausgeber schwankt, uns gegen die Vulgata entscheiden; so werden wir S. 583, 2 die Worte Mecwn TO Mereeoc mit WPM weglassen, die jener nur in Klammern gesetzt hat, ebenso steht es S. 488, 15 mit xymöc, S. 490, 14 mit MÖNON. i Nun ist aber der Parisinus auch »durch zahlreiche Fehler aller Art entstellt« und der Herausgeber daher vielfach von ihm abge- wichen. In vielen Punkten wird er dabei glänzend durch W bestä- Sitzungsberichte 1907. 12 110 Gesammtsitzung vom 31. Januar 1907. tigt. So hat er schon im Philologus LXIUI, S. 310 die Eigennamen auf S.515 verbessert und statt des auch in P überlieferten “HaıoY- monıc eingesetzt lovyaıöronıc und fand das später in M bestätigt. Ebenso schreibt nun W; übrigens las so auch eine Handschrift, die bei der Baseler Übersetzung von 1549 mitbenutzt ist. — S.487, 6 schreibt H. nach M roic monnA TAnaımwPpoFcın statt monnoic Pv; S.579, 4 bieten Pv «pemaceeiıcön, H. schreibt mit Oribasius und M dafür Yrran, beide- mal gibt W ihm Recht. S.484, 3 scheinen ihm die Worte ö Kal AaYTo- nyeitnc Pv verdächtig, W hat sie nicht. S.478, 7 vermutet H. statt alappola xponia den Plural, der steht in W. S.480, 7 wo v liest mony- XPHCIMWTATON KAl TIOAYXPHCTÖTATON und P nur TIOnYXPHCIMWTATON, nimmt H. nur monyxpHetöTtaton in den Text, so steht es in W, u.a. m. Wir können darum auch kein Bedenken tragen, W auch in anderen Fällen zu folgen, wo seine Abweichung von P durch M unterstützt wird; z. B. behält Hrrmeeıcn mit v S. 488, 6 TA ayrA TpoeA, während P rocayt# hat, W das richtige ToıaytH, denn M hat tali. S. 559, 10 liest Künn öca A’ YrPA TAIC CYCTACECIN ECTIN, AIA®BEIPETAI TE KAl TPO@HN ÖniTHN ... &xeı. An Stelle des te bietet P, dem Hermkeıcn folgt, Ati toYro, aber ganz unversehrt W aı ayTto ToYyto, wie M mit propter hoc ipsum bestätigt. Aber auch M ist nicht unfehlbar, wir können uns mit W auf Oribasius gegen PM stützen, wie folgender Fall zeigt: S. 520, 15 schreibt Heımkeıcn mit Pv: E&nıa A’ ErryTAto TÄC BYcewWc EcTi, .... TIPOC- HFOPIAC EXONTA, TINA MEN ÄTINAC, ÜCTEePr En "ITania EE 0% TON XÖNAPON TIOIOFCIN, ENIA AC CYNEETOYC, ÜCTEP ... TYMNH Krieh. Offenbar fehlt nach “Irania aber gerade das nichtzusammengesetzte Substantiv; W hat es, nämlich Tö cırAnıon. Orib. hat es auch, nur läßt er nach seiner Art den Relativsatz fort. Das seltene Wort Tö cıränıon, das auch bei Stephanus belegt ist, war von den Abschreibern bald ausgelassen und fand sich offenbar in Morkgeckes Handschrift nicht mehr vor. — S. 633, 1O YAATWAECTEPA AAXÄNWN ECTI TAFTA Kal, WC An Eimoı TIc, Arıoıa gibt v erstens falsch an, denn unsere sonstige Überlieferung ist für Yarrw- A&ctara, dann aber fehlt bei Pv — und wie ich aus G. HrrLnreicns Manuskript zu ersehen glaube — in M die Pointe, die W und Orib. bewahrt haben; üc An eimoı TIc, Amoıötara. — Den Komparativ Amoı- örteron geben W POrib. S.638, 6, während ihn v unterschlägt. Auch die lange Kapitelüberschrift zu II 22, die Hrınreıcn mit P v wegläßt, KATÄ AH TINA AörTON ENloIc H TÜÖN CTY$ÖNT@N MHAWN H ÄTIWN EAWAH AATIAT- Teı TAN rActera, die sich aber in anderen Ausgaben und in W im Text und Index findet, bestätigt der sonst so knappe Oribasius. (Von Kapitel 2, 6—9 von Bd. I werden wir die Überschriften von W auch in den Text nehmen.) IK. Kocn: Das Wolfenbüttler Galenpalimpsest. as Schließlich dürfte sich W soviel Vertrauen gewonnen haben, daß er auch allein oder mit geringerer Unterstützung Geltung haben darf. S. 546,13 schreibt Künn: oi Böec Eceiovcı ToYc ÖPröBoYc TIAP” HmÄc TE KAl ÄnnA TIOANÄA TÜN EONWN YAATI TIPOTAYKANBENTEC, aber Hmin gibt WP, KATÄ TronnA schreibt H. mit P, besser wohl KAT’ Anna TronnA W, schließ- lich mpoAmoravkaneentece W. " Galen liebt solche Zusammensetzungen mit mehreren Präpositionen, Z. B. TIPOTIAPACKEYAZW, TIPOCETTEMBAANW, TIPO- AlABPEXW, ENATIOBATTTO U. A. Darum halte ich die Lesart von W für richtig, wie S. 542,17 das sonst fehlende KaTA vor MAPATIHFNYNAI, das 27.15 bestätigt. Auch in Arokaealpeı S. 530, 10 hat W allein die bei- den Präpositionen, aAipeı v, Kaealpeı P, aber S Seth unterstützt W. — S. 545,15 Erryc ae TÄC TNWMHC AYTÖN KAl 6 EN T® TePi AlAiTHc "Immo- KPATHC TPAYac Hkeı, aber ayto? lesen WPM, statt en T® geben sie Tö; aber ‘ImmokrArhkce kann noch nicht stimmen, Hermreıcn schreibt daher den Genitiv, aber das Richtige hat offenbar W: oc “ImmokrATtovc heißt es. Wo der unwichtige Cod. Urbinas 70 gegen Pv das Richtige hat, so S. 529, 8 CKeYAZoMENOY, S. 529, I2 CAPKOFNTI, Stimmt er mit W überein. Wir werden also getrost mit W allein S. 539, 10 Anayeın schreiben für Anärıteın; Stephanus bemerkt zu dem mir sonst unbekannten Kom- positum, AnaYo: accendo, sine auctore. S. 567,7 hat W allein gut MAnAoON Statt MAnıcra. Wir schreiben mit ihm monHpöc S. 562,15 statt moxeHröc. In so manchen Fragen über Zusätze oder Auslassungen werden wir ihm folgen. S. 601,10, wo die Rede von TÄ cTYsoNTaA ist, heißt es in Pv E£ctı TE rAp moı TOIofTocC Ö CTÖMAXOC, ANATPETIETAI Te PaAlwc Em Toic TYxoFcın, W schreibt ctysoycı, offenbar mit Recht. So freue ich mich, zum Schluß, daß während meiner Arbeit am Weissenburgensis G. Hrrmreıchn den Parisinus bekanntgemacht hat. Ohne diesen hielt ich jenen für sensationell; so aber ist die Über- lieferungsgeschichte wesentlich gefördert: der Quell der Aldina und der Vulgata ist trübe, ziemlich rein aber fließt er in der indirekten Überlieferung und ist so vom Weissenburgensis bis zum Parisinus geblieben. Ausgegeben am 7. Februar. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei. Ir Ar = IKT SITZUNGSBERICHTE DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN . AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. Sitzung der physikalisch -mathematischen Classe am 7. Februar. (S. 113) Waıperer: Über Gehirne menschlicher Zwillings- und Drillingsfrüchte verschiedenen Geschlechtes. A (S. 114) W. Vorz: Vorläufiger Bericht über eine Forschungsreise zur Untersuchung des Gebirgsbaues und der Vulcane von Sumatra in den Jahren 1904 —1906. (S. 127) Sitzung der philosophisch -historischen Classe am 7. Februar. (S. 141) Aran H. Garpiner: Eine neue Handschrift des Sinuhegedichtes. (S. 142) BERLIN 1907. . VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. Aus dem Reglement für die Redaetion der akademischen Druckschriften. Aus $ 1. Die Akademie gibt gemäss $ 41,1 der Statuten zwei fortlaufende Veröffentlichungen heraus: »Sitzungsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften « und » Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften«. Aus $2. Jede zur Aufnahme in die »Sitzungsberichte« oder die »Abhandlungen« bestimmte Mittheilung muss in einer aka- demischen Sitzung vorgelegt werden, wobei in der Regel das Iruekfertige Manuseript zugleich einzuliefernist. Nicht- mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen. $ 3. Der Umfang einer aufzunehmenden Mittheilung soll in der Regel in den Sitzungsberichten bei Mitgliedern 32, bei Nichtmitgliedern 16 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Sitzungsberichte, in den Abhandlungen 12 Druckbogen von je 8 Seiten in der gewöhnlichen ‚Sehrift der Abend: lungen nicht, übersteigen. "Überschreitung dies Grenzen ist nur mit Zustimmung der Gesammt-Akademie oder der betreffenden Classe statt- haft, und ist bei Vorlage der Mittheilung ausdrücklich zu beantragen. Lässt der Umfang eines Manuseripts ver- muthen, dass diese Zustimmung erforderlich sein werde, so hat das vorlegende Mitglied es vor dem Einreichen von sachkundiger Seite auf seinen muthmasslichen Umfang im Druck abschätzen zu lassen. - S4. Sollen einer Mittheilung Abbildungen im Text oder auf besonderen Tafeln beigegeben werden, so sind die Vorlagen Sakun (Zeiehnungen, photographische Original- aufnahmen u.s. w.) gleichzeitig mit dem Manuseript, jedoch auf getrennten Blättern, einzureichen. Die Kosten der Herstellung der Vorlagen haben in der Regel die Verfasser zu tragen. Sind diese Kosten aber auf einen erheblichen Betrag zu veranschlagen, so kann die Akademie dazueine Bewilligung beschliessen. Ein darauf gerichteter Antrag ist vor der Hersteliung der be- treffenden Vorlagen mit dem schriftlichen Kostenanschlage eines Sachverständigen an den vorsitzenden Secretar zu riehten, dann zunächst im Seeretariat vorzuberathen und weiter in der Gesanmt-Akademie zu verhandeln. Die Kosten der Vervielfältigung übernimmt die Aka- demie. Über die voraussichtliche Höhe dieser Kosten ist — wenn es sich nicht um wenige einfache Textfiguren handelt — der Kostenanschlag eines Sachverständigen beizufügen. Übeıschreitet dieser Anschlag für die er- forderliche Auflage bei den Sitzungsberiehten 150 Mark, bri den Abhandlungen 300 Mark, so ist Vorberathung durch das Secretariat geboten. Aus $5. Nach der Vorlegung und Einreichung des vollständigen druckfertigen Manuseripts an den zuständigen Secretar oder an den Archivar wird über Aufnahme (der Mittleilung in die akademischen _ Schriften, und zwar, wenn eines der anwesenden Nit- glieder es verlangt, verdeckt abgestimmt, Mittheilungen von Verfassern, welche nicht Mitglieder der Akademie sind, sollen der Regel nach nur in die Sitzungsberichte aufgenommen werden. Beschliesst eine Classe die Aufnahme der Mitteilung eines Niehtmitgliedes in die dazu bestimmte Abtheilung der »Abhandlungen:, so bedarf dieser Beschluss der Bestätigung dureh die Gesammt-Akademie. D ! (Fortsetzung auf S. 3 des Umschlags.) Aus $ 6. Die an die Druckerei abzuliefernden Manuseriptemüssen, wenn es sich nicht bloss um glatten Text handelt, aus- reichende Anweisungen für die Anordnung des Satzes und die Wahl der Schriften enthalten. Bei Einsendungen Fremder sind diese Anweisungen von dem vorlegenden Mitgliede vor Einreichung des Manuseripts vorzunehmen, Dasselbe hat sich zu vergewissern, dass der Verfasser seine Mittheilung als vollkommen druckreif ansieht. Die erste Correetur ihrer Mittheilungen besorgen die Verfasser. Fremde haben diese erste Correetur an das vorlegende Mitglied einzusenden. Die Correetur soll nach Möglichkeit nicht über die Berichtigung von Druckfehlern und leichten Schreibversehen hinausgehen. Umfängliche Correeturen Fremder bedürfen der Genehmigung des redi- girenden Secretars vor der Einsendung an die Druckerei, 5 und die Verfasser sind zur Tragung der entstehenden Mehr- kosten verpflichtet. ?: vr Aus $8. Von allen in die Sitzungsberichte oder Abhandlungen aufgenommenen wissenschaßtlichen Mittheilungen, Reden, Adressen oder Berichten werden für die Verfasser, von wissenschaftlichen Mittheilungen, wenn deren. Umfang i im Druck 4 Seiten übersteigt, auch fürden Buchhandel Sonder- \ abdrucke hergestellt, die alsbald nach Erscheinen des be- treffenden Stücks der Sitzungsberichte ausgegeben werden. Von Gedächtnissreden werden ebenfalls Sonderabdrucke für den Buchhandel hergestellt, indess nur dann, wenn die Verfasser sich ausdrücklich damit einverstanden erklären. 89. j Von den Sonderabdrueken aus den Sitzungsberichten erhält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, zu unentgeltlicher Vertheilung She weiteres 50 Frei: exemplare; er ist indess berechtiek, zu gleichem Zwecke auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zın Zahl von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis , zur Zahl von 200 (im ganzen also 350) abziehen z sofern er diess rechtzeitig dem redigierenden Sceretar an- gezeigt hat; wünselit er auf seine Kosten no h nichr Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so beda der Genehmigung der Gesammt- Akademie oder € der be- treffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 50 Frei- exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem redigirenden Seeretar weitere 200 Exemplare au Kosten abziehen lassen. 5 Von den Sonderabdrucken aus s den Abhandlungen er hält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 30 Frei- exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem „Zwecke. auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl von noch 100 und auf seine Kosten noch "weitere bis zur Zahl von 100 (im ganzen also 230) abziehen zu lassen, sofern er diess rechtzeitig dem ‚redigirenden gezeigt hat; wünscht er auf seine Koster ch m hr Abdrucke zur Vertheilung. zu erhalten, so edarf‘ es der Genehmigung der Gesammt- Akademie oder der trefienden Glases _ Nichtmitglieder erhalten 30 rn exemplare und dürfen nach reehtzeitiger ‚Anzeige bei dem redigirenden Secretar weitere 100 Brnplneeg auf Kosten abziehen lassen. Ras NE = Ss 17. ER? er | ee ner Stelle een sei es auch“ nur aus zu A = 113 SITZUNGSBERICHTE 1907. vi. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 7. Februar. Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe. Vorsitzender Secretar: Hr. WALDEYER. 1. Hr. Wıroever las: Über Gehirne menschlicher Zwillings- und Drillingsfrüchte verschiedenen Geschlechts. Bei 3 Zwillingsgehirnen zeigte sich die von Rübınger, MınGazzını und An- deren beobachtete weiter vorgeschrittene Ausbildung des Gehirns der männlichen Feten. Auch bei dem einen Drillingsgehirn wurde derselbe Befund erhoben; bei den beiden anderen liess sich das nicht erkennen. 2. Hr. Branca legte einen Bericht des Hrn. Prof. Dr. Wırneım Vorz in Breslau vor über dessen zur Erforschung des Gebirgs- baues und der Vulcane von Sumatra gemachte geologische Reise. ös ergiebt sich, dass der Norden der Insel von dem mittleren und südlichen Theile in wesentlichen Punkten abweicht und dass die jungen Vulcane zwar in Zer- trümmerungsgebieten liegen, aber unabhängig von präexistirenden Spalten sich ihre Auswege selbst gebahnt haben. Sitzungsberichte 1907. 13 114 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 7. Februar 1907. Über Gehirne menschlicher Zwillings-und Drillings- früchte verschiedenen Geschlechtes. Von W. WALDEYER. Seit den Angaben GArıs' und Huschkes” sind zahlreiche Untersuchun- gen über die Frage angestellt worden, ob das Gehirn der Tiere und insbesondere das des Menschen bestimmte und beständige sekundäre Geschlechtscharaktere aufweise und welche diese seien. Ein Unter- schied ist jetzt für den europäischen Menschen allgemein anerkannt: das Gehirn des Mannes mittleren Lebensalters und mittlerer Statur hat im Durchschnitt ein größeres Gewicht als das des Weibes gleicher Kondition. Zmenen”, dessen Verfahren als das zuverlässigste angesehen werden darf, berechnet nach einer großen Zahl der bisher bekannt- gegebenen Wägungen das Mehr für den europäischen Mann auf rund 130 (genauer 127) g. Schon bei Neugeborenen findet sich eine Diffe- renz zugunsten des männlichen Geschlechts, welche indessen weit ge- ringer ist — nach Mies! rund ı0o g —, aber, größer werdend, sich durch das ganze kindliche und Jugendalter hindurchzieht, bis sie das endgültige Maß erreicht. Nach den meisten Untersuchern besteht dieser Unterschied aber nur für das absolute Hirngewicht. das relative, d.h. das Verhältnis vom Hirngewicht zum Körpergewicht, sei günstiger für das Weib. Nach Junkers’ Ermittlungen, die ich mit Zıenen (a. a. O. S. 356) für die- ı F.J. Gars, Recherches sur le Systeme nerveux en general et sur celui du cerveau en partieulier, memoire presente a l’Institut de France le 14 mars 1808, suivi d’observations sur le rapport qui en a ete fait a cette compagnie par ses commissaires, avec planches. Paris 1809. (Mit Spurzreım.) ®2 E. Huscnge, Schädel, Hirn und Seele des Menschen und der Tiere nach Alter, Geschlecht und Rasse. Jena 1854, Folio. Siehe insbesondere S. 152 ff. ® Tu. Zıenen, Zentralnervensystem. 7. Lieferung des »Handbuchs der Anatomie des Menschen«, herausgegeben von K. von BArRDELEBENn, Jena 1899, S. 355/356. — Siehe auch »Neurologisches Zentralblatt« 1896, Nr. 7. * Mırs, Korrespondenzblatt der Deutschen Anthropologischen Gesellschaft, 1894. 5 Junker, Beitrag zur Lehre von den Gewichten der menschlichen Organe. Münchener Medizinische Wochenschrift Nr.43 und 44, 1895. Warpever: Zwillings- und Drillingsgehirne. 115 jenigen ansehen möchte, welche dem großen Mittelwerte am nächsten stehen, kommt beim Manne ı Teil Hirngewicht auf 42 Teile Körper- gewicht, beim Weibe auf 40 Teile; zu denselben Zahlen gelangen auch einige andere Autoren. Dieses Ergebnis scheint jedoch nicht völlig allgemeine Gültigkeit zu haben, denn Wırnerm Mürrer' fand bei der seinen Untersuehungen zugängigen thüringischen Bevölkerung auch das relative Hirngewicht beim Weibe geringer als beim Manne, selbst- verständlich nur um ein Geringes. Für die oberhessische Bevölkerung haben die sehr sorgfältigen Untersuchungen Marcnanps” ergeben, daß die Differenz des absoluten Hirngewichts fast genau dem von Zmnen berechneten Mittelwerte = 127g entspricht, sie beträgt nämlich im Durchschnitt 125 g. Diese Untersuchungen ergeben ferner, daß das geringere Gewicht des Weiber- gehirns nicht abhängig ist von der geringeren Körperlänge, denn das mittlere Hirngewicht der Weiber ergab sich ohne Ausnahme geringer als das der Männer von gleicher Größe. Andere sekundäre Geschlechtscharaktere könnten in den Form- verhältnissen der Gehirne gelegen sein, wieder andere in den feineren Strukturverhältnissen. Die Untersuchung der letzteren in Hinsicht auf etwaige Geschlechtscharaktere ist meines Wissens noch gar nicht in Angriff genommen worden, und die Angaben über Verschiedenheiten in den Formen sind keineswegs allseitig anerkannt. Während Rüpmeer, Passer und MmeAzzuı,. ebenso wie ihrer- zeit Garn und Huscahkze, eine Anzahl Verschiedenheiten im Aufbau des (Gehirns anführen, die als positive und bedeutendere anerkannt werden müssen, kommt einer der gründlichsten Kenner des menschlichen Ge- hirns. G. Rerrıus”, zu dem Schlusse, daß zwar das Weiberhirn sich im großen und ganzen, was die Ausbildung der Furchen und Win- dungen betrifft, als das mehr dem Haupttypus entsprechende, ein- facher und regelmäßiger gebaute erweise, daß aber alle Abweichungen und weiteren Formgestaltungen, die man beim Männergehirn antreffe, auch beim Weibergehirn gefunden würden, wenn auch seltener. Ein typischer, für das eine oder das andere Geschlecht charakteristischer Unterschied sei bei den Furchen und Windungen des Menschenhirns nicht nachzuweisen. ' Wırsersm Mürtrer, Männergehirn und Frauengehirn in Thüringen. Jena 1898. ? F. Marcuanp, Über das Hirngewicht des Menschen. Abhandlungen der physikalisch- mathematischen Klasse der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissen- schaften, Bd. XXVII, 1902. ® G. Reızıus, Das Menschenhirn. Studien in der makroskopischen Morpho- logie. Text. Stockholm 1896. Folio. (S. 166.) 13* 116 Sitzung der physikalisch-matliematischen Classe v. 7. Februar 1907. Auf die Angaben Rünmeers und Passers komme ich später zu- rück; zunächst möchte ich aus Mixsazzınıs neuestem Werk! die von ihm nach eigenen und nach Rünmsers Untersuchungen zusammen- gestellten Formenunterschiede, die sich sämtlich auf die Oberflächen- architektonik der Großhirnhemisphären beziehen, kurz anführen: 1. die größere Länge der Zentralfurche beim Manne; 2. die schiefere Stellung dieser Furche links als rechts beim Weibe:; 3. die massigeren und furchenreicheren Stirnlappen beim Manne:; 4. die größere Tiefe der Fissura parietooceipitalis beim Manne:; 5. die mehr nach vorn ge- rückte Lage der Fissura ealcarina und deren mehr unregelmäßige Form beim Manne: 6. die größere Länge der »Insula« in der Richtung von vorn nach hinten (nach Cusnsıneuans Angaben bemessen) beim Manne; 7. die größere relative Höhe des Bogens des Suleus parieto- oceipitalis und die größere relative Länge des Suleus interparietalis beim Weibe. Minsazzını” hat diese nach ihm für das Gehirn der Er- wachsenen geltenden Punkte auch in Bestätigung der meisten RünıneEr- schen Angaben an fötalen Gehirnen vom 8. und 9. Monate nachweisen können. Nicht bestätigen konnte er die Angaben Rünıssers (s. weiter unten) von der früheren besseren Ausbildung des Gyrus einguli (forni- catus) und des Cuneus beim männlichen Geschlechte. Über die stär- kere Ausbildung des Stirnhirns beim Manne vergleiche man noch die Angaben Cmrusıs® und über Geschlechtsunterschiede am Suleus cen- tralis die von Conti’. Sind nun auch mehrere dieser » Verschiedenheiten« nur kompa- rative, aus denen sich bei Betrachtung eines einzelnen Gehirnes keine sicheren Schlüsse auf das Geschlecht ziehen lassen, so würde es doch unter der Voraussetzung, daß diese Angaben zutreffend sind, wenn man mit bekannten Mittelwerten vergleicht, möglich sein festzustellen, ob irgendein Gehirn einem Manne oder einem Weibe angehört habe. Immerhin aber steht es in dieser Beziehung mit dem Gehirn noch ebenso wie mit den Geschleehtscharakteren seines Gehäuses, des Schädels. Selten wird ein in dieser Beziehung erfahrener Anatom in Zweifel bleiben, ob ein ihm zur Untersuchung vorliegender Schädel der eines Mannes oder der eines Weibes sei; ein typisches positives ! G. MıinGazzını, Lezioni di Anatomia clinica dei centri nervosi, Dispensa 52, Torino 1905. 2 J. Mınsazzını, Über die Entwicklung der Furchen und Windungen des menschlichen Gehirns. Morescuorrs Untersuchungen zur Naturlehre. Band XII, Gießen 1888. 3 G. Cuıarugı, La forma del cervello umano e le variazioni correlative del Cranio. Siena 1886. * A. Convı, Alcuni dati sullo sviluppo della seissura di Rolando nella vita extrauterina. Gazzetta delle Cliniche. Torino 1886. WALDEYER: Zwillings- und Drillingsgehirne. BIT Charakteristikum, auf welches die Entscheidung rundweg aufgebaut werden kann, vermag er aber nicht anzugeben. Rüpıseer war der erste, der nach Huscnxes Untersuchungen die Frage nach der Bestimmung der Geschlechtscharaktere des Gehirns in eingehender Bearbeitung wieder aufnahm; er ging dabei von den fetalen Entwicklungszuständen aus. In seiner ersten und Hauptmit- teilung hierüber! gibt er zunächst an, daß man die sekundären Ge- schlechtseharaktere am Gehirn erst deutlich mit dem Anfange des siebenten Fetalmonats auftreten sehe. Dieselben zeigten sich ı. in einer größeren Ausbildung der Stirnlappen beim d'; diese Lappen wären massiger, höher und breiter als beim &. Freilich gibt Rünmeer mit Recht zu, daß diese Behauptung erst durch sorgfältige Messungen von Schädelausgüssen aus dieser Lebensperiode sichergestellt werden könne. 2. Blieben während des siebenten und achten Fetalmonats die Windungen des @ Gehirns bedeutend einfacher. 3. Besonders ver- schieden sei in bezug auf die Ausbildung der Windungen der g' vom @ Scheitellappen. Während Stirn- und Hinterlappen noch mehr glatt erschienen, sei der g' Scheitellappen bereits stark gefurcht, die die Interparietalfurche begrenzenden Furchen zeigten stärkere Schlänge- lungen, die Furche selbst Überbrückungen; die Fissura parietooeeipi- talis dringe tiefer ein als beim 9. Rünmser stimmt in dieser Be- obachtung über den Scheitellappen Huscuke bei. 4. Früherer Schluß der Sylvischen Spalte, so daß die Insel gedeckt wird, beim d'. 5. Frühere Ausbildung der an der medialen Mantelfläche wahrnehm- baren Teile zur definitiven Gestaltung. Im großen und ganzen kommt, wie vorhin bereits bemerkt wurde, Mmeazzısı a.a.0. zu denselben Ergebnissen wie Rüpınser. Fassen wir das von Rünısser Gesagte zusammen, so kommt alles darauf hinaus, daß beim ©" Geschlecht eine raschere Ausbildung der Hirnoberflächengestaltung schon während des fetalen Lebens einsetze und daß diese insbesondere mit dem Beginn des siebenten Monats erkennbar werde. Auf den Schlußsatz Rünmeers, es ergebe sich die Tatsache, daß »ganz verschiedene Bildungsgesetze für die Großhirn- ! N. Rüpısser, Vorläufige Mitteilungen über die Unterschiede der Großhirn- winduugen nach dem Geschlecht beim Fötus und Neugeborenen mit Berücksichtigung der angeborenen Brachycephalie und Dolichocephalie. Beiträge zur Anthropologie und Urgeschichte Bayerns. Bd. J. München 1877. 4. Siehe ferner: Derselbe, Über die Hirne von Zwillingen. Verhandlungen der Anatomischen Gesellschaft auf der 8. Ver- sammlung in Straßburg i. E. 13.—ı6. Mai 1894. Jena 1894. S.177. — Eine ausführ- lichere Publikation Rünınsers, etwa als Ergänzung der »\Vorläufigen Mitteilungen«, existiert meines Wissens nicht, wie ich mit Bezug auf Min6azzınıs Äußerung a. a. O., MorescHorrs Untersuchungen Bd. XIII, S. 545 bemerken möchte. Irrtum meiner- seits indessen vorbehalten! 118 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 7. Februar 1907. windungen bei beiden Geschlechtern bestehen und schon im fetalen Leben sich geltend machen«, komme ich zurück. Rüpısser macht bereits auf die Wichtigkeit aufmerksam, welche die Untersuchung von Gehirnen gleichgeschlechtlicher oder verschie- dengeschlechtlicher Zwillinge für das in Rede stehende Problem haben müsse; dem kann man nur vollauf zustimmen. Passer', Schüler Rünınsers, hat dessen Untersuchungen fortgesetzt, und Ronox hat sie auf die übrigen Primaten ausgedehnt.” Beide machten insbesondere die Zentralfurche und deren benachbarte Win- dungen zum Gegenstande ihrer Arbeiten, Romox auch die Interparietal- furche und deren Bereich, die auch bereits von Rüpınger” in bezug auf Geschlechtsverschiedenheiten untersucht worden war. Was die Zentralfurche anlangt, so konnten weder EBERSTALLER! noch Cunnine- Ham’, deren Ergebnissen ich nach eigenen Erfahrungen beiptlichten muß, den Schlüssen, welche Passer und Ronox aus ihren Befunden gezogen haben, insbesondere, daß beim Manne mehr Hirnmasse vor der Zen- tralfurche gelegen sei als beim Weibe und daß diese Furche beim co" relativ wie absolut länger sei, zustimmen. Mincazzımı und Conti a.a.O. dagegen stellen sich auf Seite Passers. Des weiteren möchte ich hierzu noch bemerken, daß es mir sehr mißlich erscheint. Schlüsse aus Untersuchungen zu ziehen, die auf wenige beobachtete Fälle sich erstrecken. So hatte Ronox nur, soviel ich sehe, zwei Schimpansen- gehirne zur Verfügung. Ich behaupte sogar, daß das Material, was alle Beobachter zusammengenommen bis jetzt von Anthropoidengehirnen untersuchen konnten, noch nicht ausreicht. Es wird die höchste Zeit, dies so überaus wichtige Material mit der größten Sorgfalt zu sammeln und zu konservieren, denn die Tage der Anthropoiden sind leider gezählt, ebenso wie die der niederen, weniger widerstandsfähigen Menschenrassen! Ich hoffe noch Gelegenheit zu finden, die von mir gesammelten Anthropoidengehirne nach dieser Riehtung hin zu untersuchen und zu verwerten; in dieser Mitteilung beschränke ich mich auf die Be- ! Pısser, Über einige Unterschiede des Großhirns nach dem Geschlecht. Aus dem anatomisehen Institute in München unter Leitung von Prof. Dr. Rünınser bear- beitet. Archiv für Anthropologie 1883, Bd. XIV, S. 89—ı41. ® J. V. Rosnon, Zur Anatomie der Hirnwindungen bei den Primaten. München. 1884, E. Sranr. ® N. Rüpınger, Ein Beitrag zur Anatomie der Affenspalte und der Interparietal- furche beim Menschen nach Rasse, Geschlecht und Individualität. Beiträge zur Ana- tomie und Embryologie als Festgabe für Jarog Heste. Bonn 1882, Quart, Fr. Cohen. * 0. Eserstarter, Das Stirnhirn. Ein Beitrag zur Anatomie der Oberfläche des Großhirns. Wien und Leipzig, Urban und Schwarzenburg 1890, Oktav. ° D.J. Cunnıns#au, The fissure of Rolando. Journal of Anatomy and Physio- logie. Vol. XXV (N.S. Vol. V), p. ı. London 1891. WAarpEYErR: Zwillings- und Drillingsgehirne. 119 funde an menschlichen Zwillings- und Drillingsgehirnen. Die Frage nach dem Einflusse der Erblichkeit auf die Gestaltung der Hirn- oberfläche' lasse ich hierbei jedoch außer acht, da ich glaube, daß zu deren Entscheidung die Gehirne in ihrer vollen Ausbildung mit herangezogen werden müssen. Kıarrıvs, a.a. O., spricht sich übrigens zu der in dieser meiner Mitteilung zu behandelnden Frage — und ich kann ihm durchaus beipflichten — mit aller Reserve aus. Es heißt bei ihm a.a. 0. (b) S. 32, (a) S. 56: »Ein besonders wertvolles Material sind meines Er- achtens die Befunde an mehreren Mitgliedern einer Familie auch für die Frage nach den Geschlechtsunterschieden der Gehirne. Diese vielumstrittene Frage ist von ihrer Lösung noch weit entfernt. So einfach, als man es sich früher vorstellte, liegen die Verhältnisse nieht, die Unterschiede sind keine so groben und auffallenden, wie etwa RünmmGEer meinte. « Bei den von Karprus untersuchten Fällen war bei den ungleich- geschlechtlichen Zwillingen kein Vorauseilen des männlichen Fetus gegenüber dem weiblichen zu konstatieren. In dem Falle von un- gleichgeschlechtlichen Drillingen war aber der an Gewicht zwischen den beiden weiblichen Feten stehende männliche Fetus ersteren in der Furchenentwicklung voraus. »Zahlreiche weitere Beobachtungen « — fügt Karrıus mit vollem Recht hinzu — »müssen abgewartet werden, ehe eine Verallgemeinerung zulässig erscheint.« Als Bei- steuer an solchen weiteren Beobachtungen wolle man das Nachfol- gende bewerten. Zu eigener Untersuchung standen mir zu Gebote die Gehirne dreier Zwillingsfeten von verschiedenem Alter und ebenso vieler Drillings- feten, gleichfalls von verschiedener Entwicklungsstufe. Ich verdanke diese Präparate der Freundlichkeit der HH. Kollegen WEIcHsEeLBAUM in Wien und Turms in Hamburg, Hrn. Dr. Hammerscntae in Königs- berg und den HH. DDr. Bruno Worrr, Koxkap Runemann und Lier- mann in Berlin, denen allen ich für ihre freundliche Unterstützung besten Dank ausspreche. Die betreffenden Gehirne sind zumeist gut erhalten, so daß die Windungen und Furchen klar hervortreten und mit Sicherheit be- stimmt werden können. Einige Präparate waren freilich nicht so lienähnlichkeiten an den Großhirnfurchen des Menschen. Arbeiten aus dem neurolo- gischen Institut der Wiener Universität, XII. Bd., 1905; 5) Zur Kenntnis der Variabi- lität und Vererbung am Zentralnervensystem des Menschen und einiger Säugetiere. Leipzig und Wien, Franz Deuricke, 1907. Ferner Epw. Anır. Spirzka, Hereditary resemblances in the brains of three brothers. American Anthropologist, Vol. 6, April to June 1904. 120 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 7. Fehruar 1907. vollkommen konserviert, konnten aber für die Untersuchung doch noch verwertet werden. Die Gehirne sind in der Sammlung der Anatomischen Anstalt zu Berlin aufbewahrt. Einige derselben habe ich bereits auf den Versammlungen der Deutschen Anthropologischen Gesellschaft und in der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urge- schiehte vorgezeigt und habe kurz darüber berichtet', jedoch ist nichts Weiteres darüber im Druck veröffentlicht. Ich lasse nun die einzelnen Fälle in kurzer Beschreibung folgen: I Zwillingsgehirne vom Jahre 1898 (s. Katalog der Berliner Ana- tomischen Sammlung Nr. 109a und ıogb vom Jahre 1898). Diese beiden Gehirne gehören den jüngsten Früchten an. Das Maß der männlichen Frucht betrug vom Scheitel bis zur Sohle 264 mm, sein Körpergewicht 362 g, das Gehirngewicht frisch 32 g. Die Körperlänge des weiblichen Fetus betrug 256 mm, sein Gewicht 330 8, das Hirngewicht 30 g. Bei der Vergleichung beider Gehirne zeigt sich, daß ausgebildet sind der Gyrus einguli und der Suleus einguli, jedoch fehlt an diesem noch die Pars marginalis. Deutlich ist entwickelt die Fissura parietooceipitalis und die Fissura calcarina, letztere jedoch nur in geringer Ausdehnung. Sowohl am männlichen wie am weiblichen Gehirn zeigen diese Teile fast völlig gleiche Ausbildung. Anders verhält es sich mit der Furchung und Windung auf der konvexen Seite der Hemisphäre. Die Fissura Sylvii ist beim Knabengehirn erheblich länger und besser ausgebildet als beim weiblichen Gehirn. Die Zentralfurche zeigt bei beiden noch sehr unvollständige Entwick- lung. Dagegen zeigt das Gehirn der männlichen Frucht schon eme deutliche Trennung der 3. von der 2. Stirnwindung, auch sind An- deutungen der ı. Stirnfurche bereits vorhanden sowie einige kleine Furechen am Stirnpol. Die Ausbildung des Schläfenlappens ist bei beiden Gehirnen noch sehr zurück und zeigt keine besonderen Diffe- renzen. Das.Gehirn des Knaben erscheint mit größerem Stirnlappen. Ich mag aber hierauf keinen Wert legen, da ich nicht ganz sicher bin, inwieweit hier Einflüsse vor dem Härten und beim Härten mit- gewirkt haben, sonst müßte man das Gehirn des Knaben als ein längeres dolichocephales und das des Mädchens als ein kürzeres brachycephales bezeichnen. Aber, wie gesagt, es ist hierbei ein Einfluß der genannten Faktoren nieht völlig auszuschließen. ! Siehe Korrespondenzblatt der Deutschen Anthropologischen Gesellschaft, Jahr- gang 33, 1902, S. 128, ferner: Zeitschrift für Ethnologie, Jahrgang 1898, S. 280. Warvever: Zwillings- und Drillingsgehirne. 121 IE Gehirne der Zwillingskinder Rößler. Der Knabe hatte eine Körperlänge von 42 em vom Scheitel bis zur Sohle und wog 1350 g, das Mädehen hatte eine Körperlänge von 40 cm und wog 12238. Die Länge beider Gehirne, vom Frontal- zum Oceipitalpole mit dem Zirkel gemessen, beläuft sich auf etwas über zem. Wir finden bei dem weiblichen Gehirn sehr schön ausgebildet die Fissura ealcarina und parietooceipitalis und den Sulcus einguli. Vorn unter dem Balken sind bereits einige feine Furchen angedeutet (Sulei supraorbitales): auch Gyri orbitales sind bereits er- kennbar. — Alle drei Stirnwindungen sind mit ihren Wurzeln in der vorderen Zentralwindung klar zu unterscheiden. Die zweite Windung zeigt in ihrer Mitte bereits einen seichten, aus zwei Stücken bestehen- den Suleus medius (EBErSTALLER). Die 2. Stirnfurche erscheint hinten sehr stark vertieft. Die Sylvische Furche ist völlig mit allen ihren Teilen ausgebildet: man erkennt deutlich alle drei Stücke der 3. Stirn- windung. Die Insel liegt jedoch noch weit in dreieckiger Form zu- tage und zeigt keine Spur einer Gliederung. Die Zentralfurche ist sehr klar ausgebildet und verläuft fast senkrecht zur Mantelkante, die sie etwas medianwärts überschreitet; sie verläuft fast völlig gestreckt ohne Ausbildung von Nebenfurchen oder Einkerbungen. Auch die Inter- parietalfurche ist deutlich, wenn auch noch kurz. Die Fissurae calearina und parietooeeipitalis sind gut ausgebildet, jedoch mit linearem Verlaufe, ohne jeden Nebenzweig. Im Praecuneus finden sich zwei kurze, der Pars marginalis des Suleus einguli parallel verlaufende seichte Furehen, während die vorliegenden Flächen des Guneus und des Lobulus lingualis noch ganz glatt erscheinen. Der Lobulus paracentralis ist deutlich abgegrenzt. Die 1. Schläfenwindung und die obere Schläfen- furehe sind deutlich, von der mittleren Schläfenfurche sind nur drei winzige Vertiefungen angedeutet. Die untere Schläfenfurche fehlt voll- kommen. Deutlich tritt dagegen der Sulcus collateralis hervor. Beide Hemisphären des Mädchengehirns sind in allen diesen Dingen fast völlig gleich. Die Hemisphären des dazugehörigen Zwillingsknaben- gehirns lassen klar folgende Unterschiede gegenüber dem der Zwil- lingsschwester erkennen: ı. die mittlere Stirnwindung zeigt eine deutliche reichere Glie- derung; 2. es ist bereits ein Suleus temporalis inferior deutlich vorhanden ; 3. ist der Suleus interparietalis weiter in der Ausbildung fort- geschritten ; i 122 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 7. Februar 1907. 4. liegt zwar die Insel gleichfalls noch frei in derselben Aus- dehnung wie bei dem weiblichen Gehirn, aber es zeigt sich bei ihr bereits eine Andeutung von Furchung. Beide Hemisphären des Knaben- gehirns sind in diesem Punkte gleich, die linke zeigt außerdem noch eine weit bessere Gliederung der 3. Stirnwindung. Zwillingsgehirne von etwa siebenmonatigen Kindern. Der Knabe hatte eine Körperlänge von 42 em bei 1460 g Gewicht, das Mädchen eine Körperlänge von 40 cm bei 1327 g Gewicht. Das Gehirn des Knaben wiegt nach der Härtung in Alkohol und Formol 75 g, das des Mädchens 73 g. Die Ausbildung der Furchen und Windungen ist etwa so weit vorgeschritten wie an den eben beschriebenen Gehirnen; ich gebe daher keine eingehendere Be- schreibung des Verhaltens der einzelnen Windungen und Furchen, sondern hebe nur die Unterschiede zwischen dem Knaben- und Mädchengehirn hervor. Es zeigt sich beim Knabengehirn vor allem eine größere Aus- bildung der sylvischen Furche und der sie umrahmenden Windungs- stücke; dadurch ist es wohl bedingt, daß die Insel viel weniger weit zutage liegt als bei dem Mädehengehirn. Auch ist eine etwas reichere Gliederung der Windungen des Stirnlappens nicht zu verkennen. Die Zentralfurche verläuft beim Knaben mehr geschlängelt. Die Interparietal- und erste Schläfenfurche sind auch besser ausgebildet. Endlich zeigen sich deutlichere Furchen im Hinterhauptslappen, während auf der medianen Seite keine Verschiedenheiten sich bemerkbar machen. IV. Gehirne von Drillingen verschiedenen Geschlechts, 2 Knaben von ungleicher Größe und ein Mädchen (s. Katalog der Berliner Ana- tomischen Sammlung Nr. 22 vom Jahre 1902). Das Gehirn des größeren Knaben A wog nach Alkohol-Formol- Härtung ııo g, das des kleineren Knaben 94 g, das des Mädchens 100 g. In der Ausbildung der Furchen und Windungen am Großhirn des größeren Knaben und des Mädchens zeigen sich keine nennens- werten Unterschiede. Auch das Gehirn des kleineren Knaben zeigt kaum einen Unterschied, abgesehen von einer etwas reicheren Gliede- rung der mittleren Stirnfurche. WALDEYEr: Zwillings- und Drillingsgehirne. 123 IV Gehirne von Drillingen verschiedenen Geschlechts — zwei Mädchen von ungleicher Größe und ein Knabe (s. Katalog der Berliner Anatomischen Sammlung Nr. 23 vom Jahre 1902). Der Ausbildung der Gehirne nach würden dieselben in den 8. Fetalmonat zu versetzen sein. Die Hirngewichte betragen nach Alkoholformolhärtung 140 g für das größere Mädchen, 130g für den Knaben und 130g für das kleinere Mädchen. Ich lege das Gehirn des Knaben der genaueren Beschreibung zu- grunde. Die Fissura Sylvii ist an beiden Hemisphären gut aus- gebildet, fast vollkommen geschlossen. Rechts ist sie bedeutend länger als links und hat einen wehlausgebildeten hinteren aufsteigenden Ast, der links fehlt. Mehrere Nebenfurchen dringen aber von beiden Seiten in die benachbarten Windungen ein. Die Insel ist kaum mehr sichtbar und zeigt bereits vollständige Gliederung. Die Rorannposche Furche ist beiderseits gleichmäßig gut ausgebildet, verläuft noch ziemlich gestreckt mit wenig Einkerbungen. Eine gleich gute Aus- bildung zeigt auch die Interparietalfurche und besonders gut ge- gliedert ist das Relief des auffallend groß entwickelten Schläfenlappens. Alle drei Stirnwindungen sind gut ausgebildet. An der dritten sind die bekannten drei Teile deutlich zu erkennen. Sehr regelmäßig er- scheint die Fissura parietooceipitalis. Rechts dringt in ihr auf der konvexen Seite der Hemisphäre eine Tiefenwindung zutage. Be- merkenswert ist die noch geringe Ausbildung des Hinterlappens; links namentlich ist der Cuneus zu einem großen Teil noch ganz glatt, wenn auch auf der Außenfläche eine tiefe Querfurche (Suleus oceipitalis transversus) in sein Gebiet einschneidet. Rechts zeigt er sich etwas größer als links und mit mehreren kleinen Furchen ver- sehen. Der Suleus einguli, der Lobus paracentralis und der Praecuneus sind gut ausgebildet. Im Gyrus einguli findet sich vorn eine mittlere lange Parallelfurche. Das Gehirn des größeren Mädchens, welches um ıog noch nach der Härtung schwerer blieb als das des Knaben, ist auch etwas voluminöser, zeigt aber in allen Stücken sich vollkommen gleich aus- gebildet, so daß man, abgesehen von individuellen Schwankungen, kaum einen Unterschied statuieren kann, nur ist die erste Stirn- windung links noch ziemlich glatt und frei von Nebenfurchen. Die sylvische Furche zeigt sich rechts kürzer als links. Der Gyrus einguli ist vorn schmaler als beim Knaben, dagegen ist die Ausbildung des Cuneus und des Gyrus lingualis weiter vorgeschritten als beim Knaben. Erwähnt mag auch werden, daß in dem auf der konvexen Ober- 124 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 7. Februar 1907. fläche sichtbaren Teile der Fissura parietooceipitalis rechtsseits auch eine Tiefenwindung sichtbar wird, genau so wie beim Knaben. Auch ist links der Suleus oceipitalis transversus tief einschneidend und groß im Gegensatz zu rechts, wie das auch beim Knabengehirn der Fall ist. Das zweite weibliche Gehirn ist, entsprechend seinem geringeren Gewichte, auch an Volumen kleiner. Hervorzuheben ist bezüglich des Windungsverhaltens, daß die Fissura Sylvii beiderseits gleich lang erscheint. Der Gyrus einguli ist weniger entwickelt als in den beiden anderen Gehirnen, namentlich links. Der Praecuneus ist links größer als rechts, dafür sind aber rechts Cuneus und Lobus lingualis größer. Auch die Furchung des Schläfen- lappens erscheint weniger ausgebildet. Sehr regelmäßig erscheinen beiderseits die Stirnwindungen in guter Ausbildung und die Sulei praecentralis und retrocentralis. letztere an beiden Seiten sehr deut- lich. Cuneus und Lobus lingualis zeigen schon Spuren einer Gliede- rung. Die Insel liegt in geringer Ausdehnung noch mehr frei als bei den beiden zugehörigen Gehirnen. Fasse ich alles zusammen, so ist aber zuzugeben. daß auch dieses Gehirn in seiner Ausbildung, wenn man der geringeren Entwicklungsstufe Rechnung trägt, welche durch sein Gewicht und sein Volumen hinreichend klargestellt ist. keine wesentlichen Unterschiede von den beiden anderen zugehörigen Grehirnen aufweist. VI. Gehirne von Drillingsfeten verschiedenen Geschlechts, zwei männliche und ein weibliches. Die Gehirne sind fast von völlig gleicher Größe und gleichem Gewicht; die beiden 9' wiegen nach der Härtung 58 und 62 g, das © 60 g. Sie entsprechen dem Entwicklungsstadium des siebenten Mo- nats des fetalen Lebens, was auch mit den anamnestischen Daten stimmt. Wenn sie kleiner erscheinen, als es diesem Monate bei einer Einzel- frucht oder selbst bei Zwillingen zukommt. so liegt das daran, daß Drillinge meist im Wachstum zurückbleiben. Da sie in fast allen Stücken eine gleiche und gute Ausbildung der Furchen und Win- dungen zeigen, so verzichte ich auf eine eingehendere Beschreibung, hebe jedoch hervor, daß in diesem Falle, abweichend von den Ver- hältnissen bei den beiden vorigen Drillingsgehirnen, das Gehirn des weiblichen Fetus in zwei Stücken eine geringere Ausbildung zeigt als das Gehirn seiner Drillingsbrüder. Zunächst sind die drei Stirn- windungen mehr glatt und zeigen nur geringe Nebenfurchen und Win- Warpever: Zwillings- und Drillingsgehirne. 125 dungen. Dann ist die Insel beiderseits noch mehr frei bei dem weib- lichen Fetus als bei beiden männlichen, doch ist der Unterschied hier nur gering. Man könnte versucht sein, auch dem Scheitellappen eine etwas reichere Gliederung bei dem Gehirn der männlichen Feten zu- zuschreiben, doch erscheint mir dies so unbedeutend. daß ich davon lieber absehen möchte. Ich habe derzeit, als ich einige der Gehirne auf den Versamm- lungen der Anthropologischen Gesellschaft demonstrierte, von einer Veröffentlichung Abstand genommen, weil ich damals nur über we- nige Gehirne verfügte. Ich glaube, daß die Zahl von nunmehr 3 Zwil- lings- und 3 Drillingsgehirnen verschiedenen Geschlechts jetzt wohl eine Veröffentlichung rechtfertigen mag. In dieser schwierig zu ent- scheidenden Frage — man vergleiche das vorhin aus der Abhandlung von Karrrus Angeführte — dürfte eben jedweder Beitrag willkommen sein. Von der Wiedergabe von Abbildungen glaube ich absehen zu dürfen, da die Gehirne im Berliner Anatomischen Museum aufbewahrt werden und dort jedem Interessenten zur Verfügung stehen. Aus dem Mitgeteilten dürfte sich auch schon ohne weiteres der Schluß ergeben, daß die hier vorliegenden männlichen Gehirne zwar für die Mehrzahl der Fälle eine etwas weiter vorgeschrittene Gliederung bei den Furchen und Windungen der Großhirn- hemisphären erkennen lassen, daß aber auch in einzelnen Fällen dieses nicht der Fall war, so daß wir noch keines- wegsin derLage sind, von einem »gesetzmäßigen Verhalten«, wie es RüÜpınGer tut, sprechen zu können. Ich muß vielmehr in dieser Beziehung noch den Ansichten von Karprus und Rerzıus' zustimmen, welche zunächst noch viel weiter ausgedehnte Untersu- chungen an möglichst verschiedenem Material — auch Rassen wären hier sehr zu berücksichtigen — verlangen und meinen, daß man bei den großen individuellen Schwankungen, denen die Ausbildung der Hirnwindungen und Furchen unterliegt, sich hüten müsse, selbst bei Zwillingen und Drillingen, von diesen individuellen Schwankungen ganz abzusehen und Verschiedenheiten, die sich zeigen, als lediglich im verschiedenen Geschlecht begründet aufzufassen. Sollte es sich nach vielen übereinstimmenden Ergebnissen in der Tat als richtig erweisen, daß das Gehirn der Männer in der Entwick- lung dem der Weiber voraneilt, so erhebt sich die Frage, ob dies nicht vorzugsweise damit zusammenhängt, daß die Entwicklungskräfte es bei den J' Feten mit einer größeren Masse zu tun haben; denn es kann doch nicht geleugnet werden, daß für die Gliederung einer 126 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 7. Februar 1907. größeren Masse in derselben Hauptzeit andere Formen in die Erschei- nung treten können und andere Unterzeiten maßgebend werden können als für die Bewältigung einer kleineren Masse demselben Ziele zu. So- viel ist aber sicher, und ich möchte dies ausdrücklich betonen mit Rücksicht auf die von den Akademien der Wissenschaften unterstützte Bewegung zugunsten der Errichtung besonderer Hirnforschungsinsti- tute, daß alle derartigen Forschungen, wie die Fragen nach Rassen- Geschlechts- und etwaigen Intelligenzdifferenzen, am besten durch das Zusammenwirken solcher Institute gelöst werden können. Denn es leuchtet ein, daß vor allem nach einem einheitlichen Plane gearbeitet werden muß, wenn wir zu vergleichbaren Ergebnissen kommen sollen. Vorläufiger Bericht über eine Forschungsreise zur Untersuchung des Gebirgsbaues und der Vulkane von Sumatra in den Jahren 1904-1906. Von Prof. Dr. WırueLm Vorz in Breslau. (Vorgelegt von Hrn. Branca.) Bi in den Jahren 1897/98 bzw. 1900/01 hatte ich Gelegenheit, größere Stücke des Ostindischen Archipels, speziell Sumatras, kennen zu lernen; die Resultate meiner Untersuchungen ließen deutlich er- kennen, welch große Wichtigkeit gerade Sumatra für die Auffassung des ganzen Archipels hat. Bei der großen Unvollständigkeit unserer Kenntnis von Sumatra, das zu einem recht erheblichen Teil noch völlig unerforscht ist, war es mein Wunsch, diese Lücke nach Mög- lichkeit auszufüllen. Durch die mir gütigst gewährte Unterstützung der Hunsorpr-Stiftung der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin war es mir möglich, diesen Plan zur Ausführung zu bringen. Im Frühjahr 1904 verließ ich Deutschland und kam im Mai in Pangkalan Brandan auf der Ostküste Sumatras, das ich mir als erstes Standquartier gewählt hatte, an. Zunächst begab ich mich nach Batavia und Kotta Radja, dem Sitz des Gouverneurs von Atjeh, um die Unterstützung der holländischen Kolonialregierung zu erlangen, die mir von dem damaligen Generalgouverneur RooszBoon und dem damaligen Gouverneur von Atjeh, jetzigen Generalgouverneur van Heurtsz, in der entgegenkommendsten Weise gewährt wurde. So war es mir möglich, meine Untersuchungen über das bislang unbekannte, erst neuerdings dem holländischen Gouvernement einverleibte Nord- sumatra auszudehnen. Meine Reisen erstreckten sich im wesentlichen auf das Gebiet im Westen des 100. Grades östlicher Länge von Green- wich, und ich habe während derselben etwa 6000 km, stets zu Fuß, zurückgelegt. 128 Sitzung der physikalisch -ınathematischen Classe v. 7. Februar 1907. Gemäß dem Fortgang der Untersuchungen verlegte ich im Ja- nuar 1905 mein Standquartier nach Medan, im September nach Kotta Radja und im März 1906 nach Fort de Kock auf der Westküste Sumatras: von hier aus begab ich mich im Juni nach Java, welches ich noch einige Wochen bereiste — im wesentlichen auch zur Unter- suchung der Lagerstätte des Pithecanthropus bei Trinil — und kehrte dann nach Deutschland zurück, wo ich Mitte August 1906 wieder anlangte. Sieben größere Expeditionen von durchschnittlich zwei- monatiger Dauer machten mich mit dem Binnenland bekannt, während ich außerdem noch eine Reihe kürzerer Touren von den Stand- quartieren aus unternahm. Da mich mein Marsch größtenteils durch feindseliges Gebiet führte, so mußte ich auf fünf meiner Expeditionen eine militärische Eskorte haben, welche mir die Regierung in größtem Entgegenkommen zur freien Verfügung stellte: umgekehrt ergaben sich aber aus der Größe der Kolonne, deren Stärke oft auf mehr als 100 Mann stieg, gelegentlich gewisse Schwierigkeiten, besonders auch mit der Verproviantierung. Der Übersichtlichkeit halber sei in dem folgenden kurzen Bericht von der durch äußere Umstände bedingten chronologischen Reihenfolge der Expeditionen abgesehen und Zu- sammengehöriges zusammenbehandelt. Nachdem ich mich schon im Februar 1905 längere Zeit am Fuße der Karo-Battak-Hochfläche aufgehalten und kleine Touren in das Grenzgebirge, wie auch auf die Hochfläche unternommen hatte, brach ich Mitte März zu einer größeren Expedition durch das Gebiet der Karo- und Pakpak-Battaker auf. Über den steilen Sumboikan-Paß erstieg ich die Hochfläche und wandte mich zunächst dem noch tätigen Vulkan Si Nabun zu. Es gelang mir, diesen bislang jung- fräulichen, 2400m hohen Berg zu erklimmen: er hat einen Doppel- krater, doch weist nur noch der südliche, etwa km Durchmesser haltende Triehter eine bemerkenswerte Solfatarentätigkeit auf. Darauf querte ich, die Vulkanruine des Si Ossar (1650 m) überschreitend, die Hochtläche, folgte dann in weitem Bogen dem südwestlichen und westlichen Grenzgebirge und umschlug den Si Nabun im N. Darauf die Hochfläche nochmals auf anderem Wege kreuzend, wandte ich mich, nunmehr südlich, dem Lande der Pakpak-Battaker zu. Von Kwala aus überschritt ich das Grenzgebirge im Paß von Simpang Pajong und betrat bei Batu Arden das Pakpakgebiet. Der Kanni- balismus, der im übrigen Battakland bereits seit längerer Zeit ver- schwunden ist, wird hier noch getrieben; aber auch hier ist er im Abnehmen, doch noch reichlich genug sieht man in den Versamm- lungshäusern die Reste der schaurigen Mahlzeiten hängen. Ich folgte zunächst dem Tal des Lau Hrnun aufwärts, bog dann südlich ab W. Vorz: Forschungsreise in Sumatra 1904 —6. 129 und kam durch das Kepasgebiet über das sehr breite, bis etwa 1200m ansteigende Grenzgebirge zum Simsimtal. Die schwere Ver- wundung zweier Soldaten durch einen Überfall zwang mich. den nächsten Posten aufzusuchen, Muara Batubatu, wenige Stunden von Singkel an der Westküste Sumatras gelegen. Nach sechstägigem Marsch voll Strapazen und Hunger konnten wir die Verwundeten dort abliefern und dann uns auf neuen Wegen wieder dem Simsim- tal zuwenden. Wir verfolgten es nun weit nach OÖ hinauf, über- sehritten unweit des Tobasees das Grenzgebirge und stiegen von Kota Usan nach einem mißglückten Versuch, das etwa 2250m hohe Massiv des Deleng Si Buatan zu erklimmen, zum Tobasee ab. Da meine Hilfsmittel vollständig erschöpft waren, kehrte ich (Ende Mai) über den Paß von Bandar Bahru nach Medan zurück. Mitte Juli 1905 brach ich von neuem auf; über den etwa 1700 m hohen Palpalan erreichte ich die Hochfläche. Mein Forschungsziel war diesmal das noch völlig unbekannte westliche Karoland bis zur Alasgrenze. Zunächst untersuchte ich den Durchbruch des Lau Biang durch das nördliche Grenzgebirge:; auf unbetretenen Pfaden durchzog ich nunmehr das im D. Salit über 1600 m ansteigende Mittelgebirge des westlichen Karolandes, folgte der Alasgrenze nach S und ließ mir dann die Erforschung der Grenzgebirge zwischen Karo und Pakpak angelegen sein; ein erneuerter Versuch, den Si Buatan zu ersteigen, schlug fehl: nach mehrtägigem foreierten Marsch im Hochgebirge mußte ich umkehren, da mein Führer, der einzige Mensch weit und breit, der den Weg kannte, einen akuten Irrsinnsanfall bekam. Ich folgte weiterhin auf der Höhe dem Nordufer des Tobasees, wandte mich zum Gebiet der Timorbattaker und stieg Anfang September durch den Buaia-Paß zur Ostküste ab. Meine dritte Battakexpedition hatte den Zweck, die südlichen und östlichen Battakgebiete zu erforschen. Anfang April 1906 mar- schierte ich von Siboga an der Westküste Sumatras über Silindung zum Tobasee nach Balige. Von hier war es mir möglich, den süd- lichen Teil des Sees bis nahe an den noch tätigen Vulkan Pusuk Bukit (d.h. der Nabelberg) zu befahren. Ich wandte mich nun nach O, besuchte den Ausfluß des Asahanflusses und erstieg dann die den See etwa 500 m überragende Hochtläche. Südlich des alten Vulkans Surungan querte ich das unabhängige Battakland, Habinsaran, und kam so in das zur Ostküste Sumatras gehörende Gebiet von Kwalu, welches mir durch die daselbst von mir 1898 entdeckten Triassedi- mente wichtig war. Ich konnte wohl eine größere horizontale Ver- breitung derselben feststellen, doch scheinen weitere fossilführende Stufen nicht vorhanden zu sein. Dem Abbruch des Gebirges folgend, Sitzungsberichte 1907. 14 130 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe v. 7. Februar 1907. kehrte ich über Padang Bolak und Padang Lawas zur Westküste zu- rück und langte Mitte Mai wieder in Fort de Kock an. Im Anschluß hieran machte ich eine Reihe von Touren im Padanger Hochland. erstieg den Merapi und Singgalang. beides Vulkane von fast 3000 m Höhe. und besuchte auf‘ dem vom Gouverneur Hecker mir bereit- willigst zur Verfügung gestellten Regierungsdampfer in der ersten Junihälfte in neuntägiger Tour die Mentawei- und Pagehinseln. Drei weitere Züge erschlossen mir das Binnenland des eigent- lichen Nordsumatra. die Gajo- und Alasländer. welche im NW der Battakgebiete gelegen sind. Mitte Oktober 1904 brach ich von Lho Sömawe auf. um, be- gleitet von 60 Marechaussees (vergleichbar den Alpenjägern), über Töpin Blan Mane die nördlichen Gajolande, das sogenannte Seegebiet zu bereisen. Über den Sockel des mächtigen Altvulkans Görödöng. vorbei am tätigen Telong, erreichten wir nach sechstägigem Marsch den Tawarsee. wo wir an seinem Westufer — im Dorf Bubasan Standquartier bezogen. Von hier aus untersuchte ich in längeren und kürzeren Zügen die Umgebung des etwa 55 qkm großen. in etwa 1250 m Meereshöhe gelegenen Sees. Zunächst lotete ich den See in drei Querprofilen aus und konnte feststellen, daß er eine steil- abfallende Wanne mit sehr breitem ebenen Boden ist: die gefundene Maximaltiefe betrug 76 m. Sodann bestieg ich den erloschenen Vul- kan Popandji (etwa 2000 m hoch) sowie den noch tätigen Telong (etwa 2400 m): leider kamen wir oben dermaßen in Nebel und Regen, daß wir keine zehn Schritt weit sehen konnten, und nachdem wir. solange es die Zeit irgend zuließ, gewartet hatten, mußten wir zu- rück. ohne den Krater zu Gesicht bekommen zu haben. Eine Wieder- holung am nächsten Tage verbot der Zustand unseres Schuhzeugs, das durch das Klettern auf dem nackten Fels fast unbrauchbar ge- worden war. Auf verschiedenen Pfaden überschritt ich das im N den See begleitende, bis etwa 2000 m ansteigende alte Gebirge und untersuchte näher besonders auch die großen. von S her in den See einmündenden Täler. Auf teilweise neuen Wegen kehrten wir zur Küste zurück und Ende November 1904 langte ich in meinem Stand- quartier wieder an. Meine zweite Gajoexpedition von zweieinhalbmonatiger Dauer führte mich durch den größten Teil des Gajogebietes. Mitte Oktober 1905 verließ ich die Küste, zunächst den alten Weg benutzend. wandte mich dann aber mehr südlich und erreichte den Tawarsee von W her kommend. Nach einigen kleineren ergänzenden Touren zog ich nach N. den Telong links liegen lassend, und erstieg das Massiv des Görödong. wo wir am Bur ni Messigit in etwa 1900 m Höhe W. Vorz: Forschungsreise in Sumatra 1904—6. 131 zwei kleine Kraterseen von 300 bzw. 50 m Durchmesser fanden, nach der Bimssteinumwallung zu urteilen augenscheinlich Explosionskrater. Es ging nun östlich weiter in das Gebiet von Rusep: das Gelände senkt sich scharf nach O. so daß wir bald nur noch etwa 500 m Meereshöhe hatten. Über den reichlich 2000 m hohen Bur ni Tangea Kambing (d.h. Ziegenstiege) klommen wir wieder zum Ostende des Tawarsees hinan und zogen dann südlich in das Gebiet von Lingea. das, ehemals stark bevölkert. durch den langen Krieg völlig verödet ist: tagelang bekamen wir keinen Menschen zu Gesicht. Nur zwei Tagemärsche vom See entfernt, befinden wir uns hier doch nur in etwa 350 m Meereshöhe. Wir folgten im Süden dem den See süd- lich begleitenden. bis über 2500 m aufragenden Kalkhochgebirge des Bur Kliötön bis hin zum Lojangtal. Dann wandten wir uns südlich, um nach Groß-Gajo zu marschieren. Ein altvulkanischer langgestreckter llochgebirgsrücken bildet die Grenze: mit & 2750 m ist er auf der Karte angegeben. meine Höhenmessung ergab etwa 2050 m. Wie meist, geht auch hier der Weg nicht durch einen Paß. sondern über den Gipfel. den Bur Intem Intem. Wir stiegen in das Tal des mittleren Tripö, das Gebiet von Reket Goip, ab und folgten nach einigen kurzen Touren daselbst dem Lauf des Tripö aufwärts in das eigentliche Gajo Luos: vom Biwak Buket aus unternahm ich zunächst einige kleinere Züge durch das breite. etwa 850 m hoch gelegene Hochtal und die umgebenden Berge, um dann in achttägiger Tour auch die anderen Teile des Groß-Gajolandes kennen zu lernen: über das Grenzgebirge ins Rambongtal. dann über die Höhe ins mittlere Tripötal. dessen Schlucht bis nach Reket Goip aufwärts verfolgt wurde, und schließ- lich über den Bur Api zurück. Das nächste Ziel meiner Unter- suchungen bildeten die südöstlich gelegenen Alasländer: in sechs- tägigem Marsch über das Agusöngebirge erreichten wir das breite, kaum 200 m über dem Meeresspiegel gelegene Tal des Lawe Alas. das in paläozoische Schichtsysteme eingeschnitten ist. Durch einen viertägigen Zug stellte ich den Zusammenhang mit meinen Unter- suchungen im Battaklande her. Den altvulkanischen Hochgebirgszug des Serbölangit, die Grenze gegen Langkat, übersteigend, kam ich zur Ostküste und langte in den letzten Dezembertagen wieder in Kotta Radja an. Meine dritte Gajoexpedition hatte eine Durchquerung der Gajo- länder und somit Sumatras von N nach S zum Plan. Mitte Januar 1906 brachte ein Regierungsdampfer unsere Kolonne nach Bajöen. Wir marschierten zunächst östlich durch das sumpfige, tertiäre Niederland dem Pöröla’tluß zu und wandten uns dann mehr südlich dem erst seit wenigen Generationen vom Gajolande her besiedelten 14* 132 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 7. Februar 1907. Serbödjadi zu. Über tertiäres Mittelgebirge ansteigend, kamen wir nach Bonen und Lokop, den Hauptplätzen von Serbödjadi. Von hier ging es südlich durch breite alte Gneis- und Quarzitgebirge nach Pendeng und dann über den etwa 1800 m hoch ansteigenden Tertiär- zug des Bur Mugadja nach Gajo Luos. Es gelang mir, den 1900 m hohen Bur Sinobong zu ersteigen; dagegen konnte mein Plan, über den Loser zur Westküste zu gelangen, leider nicht zur Ausführung kommen, weil es uns trotz aller Mühe nicht gelang, einen Führer zu bekommen, und führerlos in das völlige unbevölkerte, urwaldbedecekte Hochgebirge einzudringen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. So be- schloß ich, den bisher noch unbetretenen Weg über Djambur Terles nach Susu zu begehen. Acht Marschtage brachten uns über das aus zahlreichen Parallelketten bestehende Barisangebirge nach dem kleinen Hafenplatz; hier erwartete uns ein Regierungsdampfer. der uns am 27. Februar 1906 in Kotta Radja landete. Aus Mangel an Zeit konnte leider eine projektierte Expedition durch Atjeh, von Mörödu an der Nordküste über den Pu& Sagu, durch Pamö zum Gebiet des Woilaflusses nach Mölabuh an der West- küste nicht zur Ausführung kommen. Ich hätte dadurch gern den Verband hergestellt mit dem von mir zu Anfang der Reise unter- suchten Groß-Atjeh, welches die Nordspitze von Sumatra einnimmt. Anfang Juli 1904 reiste ich dorthin. Nach einem Besuch der Insel Sabang oder Pulo Weh ging ich nach Kotta Radja, dann nach Söli- möm. Von hier aus bestieg ich den ziemlich jungen Vulkan Sölawah Agam oder Goldberg (1700 m), durchzog in einer Reihe kürzerer Touren das Tal des Atjehflusses und begab mich dann, den Goldberg an anderer Stelle nochmals zum Teil ersteigend zur Untersuchung mächtiger Solfataren seines Südhanges (in etwa 1100 m Höhe), westlich um den Berg herum nach Lam Töbah, das in einem großen runden Kessel gelegen ist. Den Grenzbergen des Kessels sowie dem Nordhang des Goldberges galten die nächsten Züge, während ich dann die weitere Zeit der Durchforschung des nördlichen Küstenlandes bis Segli hin widmete. Ende August 1904 kehrte ich nach Pangkalan Brandan zurück. Von den Ergebnissen der Reise sei im folgenden in kurzen Worten geschildert, was sich ohne genauere Durcharbeitung des ge- samten Beobachtungsmaterials, der Gesteinssuiten sowie Ausarbeitung des kartographischen Materials ableiten läßt. Nordsumatra unterscheidet sich von Mittel- und Südsumatra in sehr erheblichen Punkten: durch die große Bedeutung, welche die malaiische Formation und speziell das Urgebirge für den geologischen Aufbau hat, durch die beträchtlichen Meereshöhen, die das Sediment- gebirge erreicht (bis über 2500 m), sowie durch die Armut an jungen W. Vorz: Forschungsreise in Sumatra 1904—6b. 135 Vulkanen. Man kann von Nordsumatra über Mittel- und Süd- sumatra nach Java. ja auch den kleinen Sundainseln. eine gleichmäßige Verschiebung dieser Momente beobachten: je mehr die Bedeutung des alten Gebirges abnimmt. desto geringer wird die Maximalmeereshöhe des Sedimentgebirges überhaupt, desto mehr nimmt die Bedeutung des jungen Vulkanismus zu: man dürfte nicht fehl gehen. wenn man auch einen inneren Zusammenhang vermutet. Der 100. Längengrad bildet für Sumatra eine auffallende und bedeutsame Scheide: ihm etwa folgt. quer durch Sumatra von N nach S, der Abbruch des nordsumatranischen Gebirges: an ihm schneidet die etwa 175— 225 km breite mittel- und südsumatranische Küsten- niederung scharf ab, und weiter westlich liegt dem Gebirge nur ein schmaler Flachlandsstreifen vor. Hier also liegt die natürliche Ost- grenze von Nordsumatra. Das Bild von Nordsumatra folgt ganz den Zügen. welche von VERBEEK, FEnwemAa und Verf. für Westsumatra festgestellt sind: ausge- dehnte Ketten alter Schiefer, unter denen aber in Nordsumatra Gneise und Glimmerschiefer eine hervorragende Rolle spielen, mit kernartigen Granitmassiven: aufgesetzte Karbonkalkgrate: intrudierte Diabase, Diabasporphyrite und Porphyrite verschiedenen Alters: zwischen den Schieferketten. seltener darauf, mehr oder weniger mächtige Tertiär- sedimente: langgestreckte, oft über Dutzende von Kilometern sich hin- ziehende Grate von Augitandesit und Porphyrit tertiären Alters; auf- lagernde Gebilde quartärer Andesite und Trachyte: das ganze Bild verschoben durch Dislokationen verschiedenen Alters. Verfolgen wir dieses Bild ein wenig näher. Zwei gegen SW gerichtete Bogen ließen sich im alten Hoch- gebirge von Sumatras Westküste verfolgen: der Padanger Bogen und der Tapanulibogen: letzterer setzt sich zwischen dem 99. und 100. Längengrad durch das unabhängige Battakland nach N hin fort als Unterlage der jüngeren Bildungen; mächtige Quarzite und Grauwacken- schiefer mit nordsüdlichem Streichen fand ich im nördlichen Habinsaran über 1000 m sich erhebend, begleitet von Graniten und Syenitgraniten. Das südliche Habinsaran. Padang Bolak und Padang Lawas wird im wesentlichen von Tertiärsedimenten eingenommen, durchbrochen von mächtigen Zügen tertiärer Porphyrite. Das anstoßende mittelsumatra- nische Flachland gehört bereits dem Quartär zu. An der Grenze von Habinsaran und Asahan liegt ein mächtiger Altvulkan von etwa 2100 m llöhe, der Dolok Surungan. weleher wahrscheinlich dem „jüngsten Tertiär zuzurechnen ist, mit dem Ende seiner Tätigkeit aber wohl noch in das Diluvium hineinreichte. Alle diese Gebiete werden 134 Sitzung der physikalisch-matliematischen Classe v. 7. Februar 1907. von diluvialen Quarztrachyttuffen eingedeckt, so daß nur die höheren jergzüge frei bleiben. Dem besprochenen alten Gebirgsrumpf ist die Trias von Kwalu im NO angelagert. aber durch den Gebirgsabbruch tektonisch von ihm getrennt. Eine große Bedeutung gewinnen die jungtertiären und zum Teil wohl noch diluvialen Andesite und Porphyrite im Gebiet des Tobasees; sie bilden. sich etwa 500m über seinen Spiegel erhebend, seine östliche Umrandung, ebenso wie sie das sich südlich anschließende dreieckige Tal von Silindung umfassen und bilden. Im W des Tobasees treten die Ketten des alten Hochgebirges wieder in Erscheinung: von 300 — 500 m mächtigen Quarztrachyttuffen bedeckt, bilden Quarzitschiefer und harte Tonschiefer das westliche See- ufer. Langgestreckte, parallele Schieferketten mit SO-NW-Streichen durchziehen das westlich des 'Tobasees gelegene Land der Pakpaks und zeigen im W, an ihrem Abbruch gegen die breite. sich über 8o km ins Land hineinziehende Niederung von Singkel deutlich die Tendenz, in ihrem Streichen nach N umzubiegen. Ausgesprochen ist dies Verhalten an der nördlichsten dieser Ketten zu beobachten, der Si Buatan-Kette. welche die Grenze zwischen dem Pakpak- und Karo- lande bildet und im Si Buatan eine Höhe von etwa 2250 m erreicht. Gneise. Glimmerschiefer und Quarzite im Verband mit Graniten setzen diesen Gebirgszug im wesentlichen zusammen, der, an der NW-Ecke des Tobasees beginnend, in WNW-Richtung sich reichlich 60 km bis an das Alasland erstreckt: im W biegt sein Streichen nach N, ja sogar bis NNO um. Wir haben also hier einen neuen Bogen des alten Hochgebirges vor uns, den ich als Battakbogen bezeichnen möchte. Nördlich wird dieser Bogen durch einen Bruch abgeschnitten, dessen Richtung NW-SO ist: er läßt sich vom Südende des Toba- sees bis an das Alasland verfolgen und nimmt von S nach N an Sprunghöhe ständig ab. Tertiärsedimente nehmen das ganze nördlich der besprochenen (Gebiete liegende Stück der Insel ein und bilden auch den Untergrund der Karohochfläche. Als breiter Streifen, oft von jüngeren Bildungen verdeckt. ziehen sie sich der Küste folgend bis zur Nordspitze der Insel. Mächtige, langgestreckte Ketten von Porphyriten und Ande- siten. die dem jungen Tertiär, zum Teil aber auch schon dem ältesten Diluvium angehören, durchschneiden den Streifen: durch em mehr oder weniger beträchtliches Absinken des nördlichen Stückes steht nun- mehr ein tertiärer Tieflandstreifen der Küste den tertiären Hochtlächen des Binnenlandes gegenüber. Ebenso charakteristisch ist das Auf- treten rückwärtiger Einbrüche, d.h. von Einbrüchen in den Hoch- flächen selbst. W. Vorz: Forschungsreise in Sumatra 1904—6. 135 Wenden wir uns den speziellen Verhältnissen im Karolande, also im N des Tobasees, zu. Weither von OÖ kommt der Porphyrit- zug, Berge von 1500 bis 2000 m Höhe bildend, und erstreekt sich bis zum Palpalan am Durchbruch des Lau Biang oder Wampu. Nördlich liegt das niedere Küstenland. südlich die Hochfläche. Ein Horst alten Gebirges — Schiefer mit auflagernden Kalken des Oberkarbons — ist zwischen dem Si Nabun und dem Wampudurchbruch stehengeblieben. Das ganze Stück im N des Tobasees, also die eigentliche Karohoch- tläche, ist als gewaltiges Grabenende eingebrochen, als Ende des Battakgrabens. Das westliche Stück bis hin zum Alasland ist in höherer Lage geblieben, aber durch eine große Anzahl paralleler WNW-OSO streichender Brüche zerschnitten und gestaffelt; meilenweit lassen sich die Schollenränder als Eskarpements verfolgen. Das Stück zwischen dem Wampudurchbruch und dem Alasland ist in Staffeln zum Küsten- lande abgebrochen. Am Nordrande des Battakgrabens, auf der Ecke des Horstes bzw. am Porphyritzug sitzen die beiden einzigen noch tätigen Vulkane dieses Gebietes, der Si Nabun und der Sibajak; der dritte noch tätige Vulkan des Battaklandes, der Pusuk Bukit, sitzt im Tobagraben. Das gesamte bislang besprochene Gebiet, also die ganzen Battak- länder, wird eingedeckt durch Quarztrachyttuffe, deren Mächtigkeit in der Nähe des Tobasees auf 400— 500 m und darüber steigt. Es ist dies ein Gebiet von etwa 35000 qkm Größe, etwa so groß wie Baden und Württemberg zusammen. Die Bedeckung ist, wie bereits erwähnt, derart, daß in den mehr randlichen Gebieten, wo die Mächtig- keit der Tuffe nicht gar so groß ist, nur die Täler von den Tuffen erfüllt werden, während die Bergzüge durchragen; in den zentralen Teilen hingegen sind bisweilen große Strecken völlig verhüllt. Das Alter dieser Tuffe läßt sich aus den großartigen Terrassensystemen, die man allerorts beobachten kann, gut festlegen: sie sind etwa mittel- diluvial. Es bleibt die Frage nach der Herkunft. Daß der Tobasee selbst als Vulkanruine nicht angesprochen werden kann, erhellt aus den bisher gegebenen Tatsachen schon von selbst. Noch deutlicher aber wird es, wenn wir sehen, wie die Mächtiekeit der Tuffdecke selbst in der Nähe des Sees wechselt: sie ist im S und vor allem dem SO sehr beträchtlich geringer als im N und NW. Wir haben eine ganze Reihe von Ausbruchstellen anzunehmen, die teils im und am Tobagraben liegen, teils aber auch in der weiteren Nachbarschaft: es sind zum Teil Kegelberge, wie der Tandok Benua oder Del. Piso Piso, zum Teil aber auch Eruptionsstellen, an denen es zur Kegel- bildung nicht gekommen ist; solche Stellen haben wir z. B. bei Taru- tung im S. im Wampudurchbruch, am Fuß des Si Nabun, im Tal 136 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 7. Februar 1907. des Lai Luhun im Pakpakland usw. Dadurch erklärt sich auch die nähere, lappige Form des tuffbedeckten Gebietes von selbst. So stellt sich uns die Quarztrachytproduktion als eine im wesentlichen rasch vorübergegangene Periode intensivster Tätigkeit dar. — Der Tobasee ist ein jüngerer Einbruch im Tuff, gewissermaßen eine Reaktion; er ist etwa 3000 qkm groß und hat eine Sprunghöhe von 800 bis 1000 m. Ursprünglich stand sein Wasserspiegel um 160 m höher, was sich aus wundervollen Terrassen, besonders an seinen südlichen Ufern fest- stellen läßt. Samosir,. Si Gaol und Pusuk Bukit sind jünger. Südlich des Tobasees haben wir ein großes Granitmassiv, während in der Niederung von Singkel Tertiärsedimente zur Ablagerung ge- kommen sind. Diese Niederung wird durchflossen vom Simpang kanan und kiri, dessen rechter Quellfluß das Alasland entwässert, während der linke dem Pakpakgebiet entströmt. Hier geht ein merkwürdiger Schnitt quer durch Sumatra von S nach N: folgt man dem Strom- system des mächtigen Simpang kiri oder Lawe Alas aufwärts, so kommt man in gerader N-S-Richtung auf ebenem Boden, der all- mählich bis gegen 200 m Höhe ansteigt, bis an den Fuß der nörd- lichen jungen Porphyritkette des Serbölangit und würde ohne diese die Meeresküste ohne weitere Steigung erreichen, d.h. mit anderen Worten: ein auffallender Tieflandstreifen durchschneidet hier Sumatra quer, nur unterbrochen durch eine recht junge Kette massigen Gesteins. Westlich dieses Streifens tritt eine beträchtliche Verschmälerung des Gebirgslandes ein: Langkat und Tamiang, die Landschaften an der Ostküste, sind im wesentlichen niederes Tertiärland, nur das süd- liche Stück, das Alasland, gehört dem alten Gebirge an. Das mächtige langgestreckte junge Porphyritgebirgssystem des Serbölangit-Peperkisön, das Höhen von 2500 m erreicht, scheidet die beiden Stücke. Das Alasland wird von Glimmerschiefern, Quarzitschiefern und harten Ton- schiefern aufgebaut, welche mit wesentlich nordsüdlichem Streichen wohl noch zum Battakbogen gehören. Breit setzt das alte Hochgebirgsland des eigentlichen Nordsumatra, das Gajoland, an den schmalen Hals des Alaslandes an. Drei mächtige Kettensysteme des alten Hochgebirges durchziehen das Land in O-W- licher Richtung; mit großer Wahrscheinlichkeit biegen sie im W --—— nachweisen konnte ich es nur für die südlichste Kette — in NW- Riehtung um. Wir haben hier einen weiteren Bogen des alten Hoch- gebirges vor uns, den ich als @ajobogen bezeichnen möchte. Die südliche und mittlere Kette, die Sinobong- und Intem Intem- Kette, bilden die direkte Fortsetzung der Alasketten. An einem großen Granitmassiv, welches zum Teil noch durch Glimmerschiefer überlagert ist, stoßen sie ab. In eine Reihe von Parallelketten aufgelöst. streicht W, Vorz: Forschungsreise in Sumatra 1904—b. 137 das Sinobongsystem in W-O-Richtung zwischen dem Gajo Luos- Gebiet und der W-Küste. in seinen zentralen Teilen zu Höhen über 2500 m anschwellend: es wird aufgebaut aus Glimmersehiefern. Quar- ziten und Tonschiefern. mehrfach auch treten Granitkerne zutage. Wie den Alasketten, so fehlen auch hier aufgesetzte Kalkgrate nicht, denen wohl zumeist oberkarbones Alter zugeschrieben werden muß, obwohl auch tertiäre, fossilführende Kalke zu beobachten sind. Ein mächtiger. wohl oberkarboner Kalkzug begleitet die Küste, östlich von Tapa Tuan beginnend bis hinter Susu. Aufgesetzt ist dieser Kette ein mächtiger Andesitkegel, der Gunung Loser, der aller Wahrscheinlichkeit nach dem jüngsten Tertiär angehört. Im W biegt dieses Kettengebirge in nordwest-südöstliches Streichen um. Weiterhin schneidet dies System an der Niederung von Sönagan ab. Durch die breite Hochtalfläche von Gajo Luos oder Groß-Gajo von ihm getrennt, durchzieht das Intem Intem-System in einer Reihe von durehschnittlich ostwestlich streichenden Parallelketten das zentrale Gajoland. Es unterscheidet sich dadurch von den vorgenannten Ketten. daß bei ihm die Gesteine der malaiischen Formation. durch jüngere und junge Bildungen verdeckt, nur den Untergrund bilden, immerhin aber Höhen von mehr als 1000 m erreichen. Die südlichste Kette, gekrönt von den tertiären Sedimenten des Bur Api, besteht aus glimmerarmen Gmeisen. Ihr laufen nördlich andere, zum "Teil unter- brochene Ketten parallel: die Singga mata-Kette, aus Quarziten mit ein- gelagerten Kalkbänken bestehend, gekrönt vom Bur Singga mata: die Intem Intem-Kette, aus Glimmerschiefern und Quarzitschiefern aufge- baut. die von karbonen Konglomeraten und Kalken überlagert werden: ihr aufgesetzt ist der porphyritische Altvulkan Bur Intem Intem (2050 m): gleicher Entstehung dürfte auch der Bur Singga mata sein, der um ein weniges höher ist: weiterhin sind noch die Utjap mulu- und Mugadjah- Kette zu erwähnen, die, aus Ähnlichen Gesteinen bestehend. von Tertiär überdeckt sind. Hier findet nach N zu über ein niederes Gneisberg- land die Verbindung mit dem nördlichen Serbödjadi-Laut Tawar- System statt. Es setzt im westlichen Serbödjadi mit Graniten und Gneisen ein und erfährt dann im Gebiet von Samarkilang eine Unter- brechung:; weiter westlich findet das System im Horst des Laut Tawar (d.h. des Tawarsees) seine Fortsetzung. Granite, Granitgneise und Ton- schiefer mit westöstlichem Streichen bilden die Grundlage des Horstes, der im W abgeschnitten wird durch den großen Einbruchskessel der Vulkangruppe des Görödöng mit dem noch tätigen Telong (beide etwa 2500 m) sowie den erloschenen Bur ni Biös und Popandji (beide etwa 2000 m), der erstgenannte aus Andesiten aufgebaut, die anderen Jüngere Trachytvulkane. Durch sie ist auch der Tawarsee abgestaut. Überlagert 138 Sitzung der physikalisch-matliematischen Classe v. 7. Februar 1907. werden die alten Gesteine des Horstes durch Kalkschiefer und mächtige, zum Teil marmorisierte Kalke, die vermutlich dem Oberkarbon ange- hören: besonders im S sind diese Kalke außerordentlich mächtig und erreichen z. B. im Bur Kliötön Meereshöhen von über 2500 m. Das Gajo Luos-Gebiet zwischen der Sinobong- und Intem Intem- Kette (in einer Höhenlage von etwa 850 m). das Dörötgebiet zwischen dieser und der Tawarseekette (in einer Höhenlage von etwa 300 bis 700 m) sowie das nördliche Küstengebiet von Pase und Lho Sömawe (bis etwa 500 m ansteigend) sind abgesunkene Schollen, die von Neogenbildungen eingenommen werden; das jugendliche Alter der Dislozierung wird dadurch erwiesen, daß sich dieselben Sedimente hunderte von Metern höher auf den Ketten auch finden. Das Tertiär ist in diesen Gebieten in WNW-OSO streichende Falten gelegt, und ungemein bezeichnend für die geologische Geschichte hier ist es, daß besonders in den Binnenlandsgebieten die modernen Flußtäler als Regel in die Antiklinalen eingeschnitten sind. Jungtertiäre Por- phyrite begleiten, besonders randlich, reiehlich diese Bildungen und treten selbst decekenartig in ihnen auf. (Sie gleichen petrographisch vielfach so stark den sogenannten Diabasen und Diabasschiefern des Padanger Hochlandes, daß für diese eine Revision der Altersbestim- mung nötig erscheint.) Für das westlich sich anschließende Stück der Insel ist es charakteristisch, daß der Westküste eine breite Niederung, von Sönagan und Mölabuh, folgt, dahinter Mittelgebirge und daß das Hochgebirge mit Höhen von nahezu 3000 m sich längs der Nord- küste hinzieht. Junge Vulkane fehlen ganz. «dagegen treten die älteren Porphyrite reichlich auf. Die Tektonik der Nordspitze der Insel schließt sich dem Gesamtbilde leicht verständlich an. Vom Pedro-Pünt bis zum Wees- berg konnte ich den Porphyritzug durchgehend verfolgen, und es ist höchst wahrscheinlich (schon nach den Flußgeröllen), daß das Hoch- gebirge von Mörödu und Samalanga aus den gleichen Gesteinen be- steht. Diesem Zuge ist bei Sölimöm der Goldberg angelagert, der gleichfalls die charakteristische Magmenfolge Andesit-Traehyt zeigt. Daß die vulkanische Tätigkeit hier noch keineswegs erloschen ist, zeigt, abgesehen von verschiedenen, zum Teil recht erheblichen Solfataren, der Umstand, daß ich ein wenig nördlich, im Tal von le Sö’öm, einen rezenten Miniaturlavastrom beobachten konnte. Das Tal von Groß-Atjeh ist ein tektonischer Graben und wird im W von hohem Kalkgebirge begrenzt, dessen Alter Fossilfunde als im wesent- lichen oberkarbonisch erwiesen. Junge Einbrüche trennen die im NW vorlagernden Kalkinseln vom Stamm. Die Insel Pulo Weh ist W. Vorz: Forschungsreise in Sumatra 1904—6. 139 endlich den Jungvulkanen zuzurechnen. Das nordöstliche Stück von Groß-Atjeh wird von Jungtertiär eingenommen, und es erscheint mir wahrscheinlich, daß die obersten Schichten bis ins Diluvium herein- reichen. Gehobene Korallenriffe und eine Jungkorallenzone in etwa 75 m Meereshöhe sprechen für junge Hebung dieses Gebietes, die jetzt noch anhält. Das ist in großen Zügen, unter Vernachlässigung allen Details, das Bild von Nordsumatra. Es bestätigt im wesentlichen das, was ich nach meiner zweiten Reise über den Bau von Westsumatra ab- leiten konnte (vgl. »Zur Geologie von Sumatra«. &eol. u. paläont. Abh. Hrsg. von Koxen. Jena 1906), aber es erweitert unsere Kenntnis auch sehr erheblich und eröffnet Gesichtspunkte. an die bisher nicht zu denken war. Das alte Hochgebirge verdankt sein heutiges Antlitz zwei Pe- rioden tektonischer Tätigkeit: in alter Zeit wurde es gefaltet, aber vor Beginn des Oberkarbons wieder bis auf die Granitkerne denudiert; es bildeten sich auf dem flachen Schilde die Kalkgrate. Es herrschte (im wesentlichen) Ruhe bis nach Ablagerung der Trias. Dann fand im jüngern Mesozoikum eine neue großartige Gebirgsbildung statt, die sich als horizontaler Schub auf den alten Rumpf äußerte: der Rumpf wurde in einer Reihe von Schleppbogen nach S weiter und weiter vorgeschoben. Daß die Bogenbildung erst im Me- sozoikum stattfand, zeigen die Lagerungsverhältnisse von Karbon und Trias. So haben wir den Gajobogen, Battakbogen, Tapanuli- bogen und Padanger Bogen, weiterhin ist ein Korintjibogen leicht zu erkennen und ein großer südsumatranischer Bogen wahr- scheinlich. Jeder dieser Bogen ist weiter nach S vorgeschoben. Die heutige Westküste markiert diese Bogen, wenn auch nicht genau. Je weiter nach SO, desto schmaler wird der erhaltene Teil des alten Rumpfes, desto mehr versinkt er aber auch. Der Altvulkanismus durchbrach den ganzen Rumpf, der Jung- vulkanismus beschränkt sich auf das innerste (nördliche) Ketten- system. Man hat zu unterscheiden: ältere Andesite, Porphyrite und diabasartige Gesteine des Tertiärs, jüngere Andesite, welche auf der Grenze von Tertiär und Diluvium etwa stehen (z. B. Surungan, Singa- lang, Intem Intem, etwas jünger ist der Görödong), Trachyte, die aus dem Diluvium (z. B. Toba-Quarztrachyte) bis ins Alluvium reichen (Pusuk Bukit, Telong, Goldberg) und jüngste Andesite (Si Nabun, Sibajak). Die jungen Vulkane queren im Battakland die Insel (Pusuk Bukit, Sibajak, Si Nabun) und folgen dann nach Art eines neuen Vulkan- bogens der Nordküste (Telong, Goldberg, Pulo Weh). Ich muß es mir versagen, hier auf die vulkanologischen Fragen näher einzugehen, 140 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 7. Februar 1907. und nur kurz möchte ich auf die zahlreichen großen und kleinen, zu- meist jüngeren und jüngsten Einbrüche hinweisen, welche allenthalben in der Nachbarschaft der Vulkane auftreten, ein Zusammentreffen, das einen inneren Zusammenhang unabweisbar erscheinen läßt: Die Einbrüche sind Ursache und Folge der Ausbrüche. Die Jung- vulkane stehen, wie bereits früher ausgeführt, zwar in Zertrümme- rungsgebieten, sie sind aber nach meinen Beobachtungen unabhängig von präexistierenden Spalten oder Brüchen: der Vul- kanismus ist dagegen imstande, selbst längere oder kürzere Spalten sich zu schaffen, man denke nur an die langen, oben- erwähnten Porphyritzüge. Das Känozoikum war tektonisch im wesentlichen eine Zeit der vertikalen Zertrümmerung der Insel und speziell des alten Rumpfes; die Faltungserscheinungen spielen eine minder be- deutende Rolle. Welche Beträge die vertikale Dislokation annehmen konnte, zeigt unter anderm das Beispiel des Alaslandes: hier haben wir (in einer Meereshöhe von 200— 300 m) keine Tertiärsedimente, während in der nächsten Nachbarschaft, z. B. auf dem Berge Agusön sich neogene Kalke in etwa 1700— 1800 m Meereshöhe finden. Die Sprunghöhe der Dislokation ist also über ı$ km. — ös hätte wenig Wert, hier in kurzen Worten all das Beobach- tungsmaterial zu erwähnen, welches mir meine Reise sonst noch auf geologischem sowie auf morphologischem, kartographischem usw. Ge- biet gebracht hat; das sei für den ausführlichen Reisebericht aufge- spart, den ich in nicht zu ferner Zeit veröffentlichen zu können hoffe. Ausgegeben am 14. Februar. 141 SITZUNGSBERICHTE 1907. vn. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 7. Februar. Sitzung der philosophisch-historischen Classe. Vorsitzender Secretar: Hr. VAuLen. 1. Hr. Ermay las über Methode und Resultate der ägyp- tischen Wortforschung. (Ersch. später.) Die Arbeiten am »Wörterbuche der ägyptischen Sprache« ergeben klarer, als man bisher annehmen durfte, wie sich der Wortschatz des Aegyptischen zeitlich scheidet. Auch die Orthographie erweist sich für die älteren Perioden der Hieroglyphenschrift als recht fest. Auf der anderen Seite zeigt sich freilich, dass schon seit der Mitte des zweiten Jahrtausends v. Chr. einander ähnliche Worte sehr häufig von den Schrei- bern mit einander verwechselt werden. 2. Derselbe legte einen Aufsatz des Hrn. Aran H. GARDmER: »Eine neue Handschrift des Sinuhe-Gedichtes« vor. Ein Papyrus aus dem Beginn des zweiten Jahrtausends v. Chr. enthält die An- fänge der »Klagen des Bauern« und der Sinuhegeschichte, die den entsprechenden Papyrus des Berliner Museums fehlen. Besonders für das letztere Gedicht ergiebt sich sehr Wesentliches; es zeigt sich u. A., dass die Gegend, in der Sinulie in der Verbannung lebte und deren Leben im Gedichte geschildert wird, das nördliche Pa- lästina war. 142 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 7. Februar 1907. Eine neue Handschrift des Sinuhegedichtes. Von Aran H. GARDINER. (Vorgelegt von Hrn. Erman.) im Winter 1895/96 wurde an der Rückseite des Ramesseums zu Theben von Mr. Quigenr, der dort Ausgrabungen im Auftrag des Egyptian Re- search Account leitete, eine Reihe von Grabkammern aus dem mitt- leren Reiehe entdeckt. In einer derselben fand sich ein Holzkistehen, das unter anderem eine größere Anzahl von hieratischen Papyrusrollen enthielt.‘ Es waren äußerst zerbrechliche Blätter, die unter dem leise- sten Fingerdruck zu Staub zerfielen. Nichtsdestoweniger gelang es, sie sorgfältig verpackt nach London zu bringen. wo sie einige Jahre hindurch im University College unberührt liegen blieben, bevor sich jemand an die mühsame Arbeit des Aufrollens heranwagte. Endlich, im Herbst 1903. durfte der Verfasser, mit der gütigen Erlaubnis Pro- fessor PETRIES, eine Anzahl dieser Papyri nach Berlin bringen, um sie den geschiekten Händen des Papyruskonservators der ägyptischen Sammlungen, des Hrn. Isscner, anzuvertrauen. Die ersten Resultate waren ziemlich mäßig und entsprachen kaum dem Aufwand von Ge- schieklichkeit und Geduld. die das Aufrollen erfordert hatte. Es er- gaben sich Fragmente stark verwitterter Zaubertexte, Teile eines medi- zinischen Traktats sowie Abschriften von Briefen, alles in der Schrift des mittleren Reiches, jedoch so durchsetzt von Lücken. daß es kaum möglich sein wird, einen zusammenhängenden Sinn daraus zu erzielen. Erst die Arbeit der letzten Monate hat uns eine Entdeckung von er- heblicher Wichtigkeit gebracht. Eine nur 82 mm hohe, nicht gerade vielversprechend aussehende Rolle entpuppte sich beim Aufrollen als ein 24m langes, auf beiden Seiten beschriebenes und verhältnismäßig lückenfreies Dokument. Wie beim ersten Blick zu sehen war. ent- hielt die Vorderseite ein Duplikat der bekannten Erzählung vom be- redten Bauern. während auf der Rückseite die ebenso bekannte @e- schichte des Sinuhe sich erkennen ließ. Es ist ein sehr merkwürdiger ! Der Fund ist in QuiserL, The Ramesseum S.3 beschrieben. H. Garviner: Eine neue Handschrift des Sinuhegedichtes. 143 Zufall. der uns gerade dieselben Literaturwerke, die vor mehr als sechzig Jahren zusammen gefunden wurden und heute den Stolz des Berliner Museums bilden. jetzt wieder einmal vereint. schenkt: er läßt sich nur durch die Annahme erklären, dal3 diese Erzählungen sich vor allen anderen einer großen Beliebtheit in Theben erfreuten. Als besonderes Glück muß man es ansehen, daß der Anfang der beiden Geschichten. welcher den Berliner Handschriften fehlt. uns fast intakt in dem neuen Papyrus erhalten ist. Bei Sinuhe hatten wir allerdings den Anfang in verderbter Gestalt auf einem Kairiner Ostrakon und auf einigen Papyrusfragmenten der Sammlung GorExı- SCHEFF, jedoch beim Bauer war kein solches Hilfsmittel vorhanden. Der Ramesseumpapyrus. den wir der Kürze halber mit R be- zeichnen wollen, enthält bei seiner Länge nicht nur die erwähnten Anfänge, sondern auch umfangreiche Duplikate zur Fortsetzung der beiden Erzählungen, wie aus der folgenden Tabelle hervorgeht: R Vorderseite 1—7 — Bauer, Anfang : gegen d önde sehr R „ 8—138 — » Pap. Berlin 3023, 1-87 Sa een lückenhalft, \ ein weiteres Fragment, R » xtI-x+24—= » » ” 3023, 230149) am Anfang und am Ende sehr zerstört, R Rückseite 1—24 — Sinulie, Anfang die letzten Zeilen sehr F » 24— — » ap. Berli „I- ) a & r 4-104 Pap. Berlin 3022, 1-77 ) an \ das obenerwähnte Frag- R » x LIx-116 .— » a » 3022,131-145| ment, am Ende sehr } zerstört. Im folgenden lasse ich die Geschichte des Bauern ganz außer Betracht und gebe auch von Sinuhe nur das Wichtigste von dem, was R zur Herstellung des Textes bringt. Der vollständige Text von R wird anderswo veröffentlicht und im einzelnen behandelt werden. Eine oberflächliche Durchsicht von R zeigt schon. daß die Hand- schrift das Werk eines sehr sorgfältigen Schreibers ist, der auch eine vorzügliche Vorlage vor sich gehabt haben muß. Über das Alter von R läßt sich beim heutigen Stand der ägyptischen Paläographie nur wenig Bestimmtes sagen: es kann aber darüber kein Zweifel sein, daß der Papyrus älter ist als das Mathematische Handbuch des Bri- tischen Museums, er gehört also in eine Zeit. die, wenn überhaupt, nieht erheblich jünger als die der Berliner Handschrift (B) sein kann. Die Orthographie ist durchaus korrekt und wegen der konsequenten, vollen Schreibung des Pronomens Suffixum der ı. Person Singularis für uns zuweilen leichter verständlich als B: R zeigt z.B., daß in 144 Sitzung der philosophiseh-historischen Classe vom 7. Februar 1907. a5 Teen. in B6 Ran und m Bıı TARA D&D . D . ü 5 2 W zu lesen sind. Hier und da, wo abweichende Schreibungen von B und R sicher auf dieselbe Lesung des Urtextes zurückgehen, hat R die A = behalten. die m B ist: Beispiele dafür sind R 27 ar wo B 3 ee, WISS“, hat; R 34 ‘@ . wo Bıo sinnlos IA schreibt; in R 47 steht 234 [ol lo\A38 schrei BEIN DES ISIN |\e N. das man gut »Es fiel Durst und ereilte mieh', ich dür- stete und mein Hals war glühend« übersetzen kann, während B 22 unverständlich ist: und schließlich in R70 steht wirklich die seltene, “ 2 2 : Nm N) schon von SPIEGELBERG" an der Stelle vermutete Partikel IN r QO um . . m n SG ANY . . statt deren B46 die irreführende Lesung e N ey bietet. Wich- MED tiger als diese Abweichungen sind die, welche R in dem Gespräch zwischen Sinuhe und dem Fürsten Amianshi zeigt: R hat folgendes: Ra als Hr Lehe,.|| BR ZeF IE [elle Zee DDGBDG? N u Gr DRDTD, G72937° NEBEN Pers] R 61) Bohn > ch N ART G EINSTEIN Sr SUSE SEN Ace ( (R 62) URS »Da sagte er zu mir: Weshalb° bist du hierhergekommen? Ist etwas am Hofe vorgefallen? Da sagte ich zu ihm: Amenemmes I. ist zum Horizont gegangen (d.h. er ist gestorben), und man weiß nicht, was daraus geworden ist. Er sagte zu mir: Das ist unmöglich. (Aber ich antwortete:) Ich war auf einem Feldzug® zum Lande der Temhi (gegangen), und es wurde mir erzählt, und mein Herz war bange (und ich floh usw.)«. Hier bringt R einen recht guten Sinn in die Stelle, während B durch Auslassung ! Zum transitiven Gebrauch von >s (vgl. Sinuhe 169). 2 Rec. de Trav. 24, 35. ® Die Lesung Ar ös isst ist entschieden besser als die von B Ar m£ isst pw. Die Leute von Punt empfangen die Boten der Hatshepsut mit genau denselben Worten (Urkunden IV, 324); ob das ein Zitat aus der bekannten Erzählung ist? * Mse als Feldzug ist gut belegt (vgl. Ägypt. Zeitschr. 39, 120). H. GArDiser: Eine neue Handschrift des Sinuhegedichtes. 145 von Ar Den B36 (= R 59) und die Korruptel IN statt A,® B 37 (R 61) ganz unverständlich geworden ist: auf ganz ähnliche Weise läßt B43 die in R67 noch erhaltenen Worte hl Na wm —=\&ı 2 A AUS. Aus den angeführten Varianten gewinnt man die Überzeugung, daß R in textkritischer Hinsicht B weit überlegen ist. Nur eine Stelle wüßte ich zu nennen, wo B sicher die bessere Lesart zeigt, nämlich 324 = R4S, wo R $%%-j ausgelassen hat. Nun gibt es in R Sätze, die vollständig von B abweichen, z. B. B40—42 (hier schiebt R 65 -- 66 unter anderem den Vergleich von B 225 — 226 ein), B 60 und in der Erzählung des Zweikampfes. Nach dem oben Gesagten darf man in solchen Fällen B nicht ohne weiteres als den Urtext enthaltend an- sehen. Auf einen eingehenden Vergleich von R mit dem Kairiner Ostra- kon, das den Anfang des Sinuhe enthält, muß ich hier verzichten. Nur sei erwähnt, daß in einigen Stellen, wo das Kairiner Ostrakon (6) von B abweicht, R mit dem ersteren übereinstimmt; R hat z. B. den in Bı7 fehlenden Zusatz r ptpt nmiw-8° gemeinsam mit Ü, ebenso . statt —> in 2 21, und endlich das schon oben erwähnte he ar‘ statt vs EN Ss in Bıo. Im allgemeinen stimmt R ziemlich genau mit Ö überein, ausgenommen solche Stellen, die in © gewiß verderbt sind; nur vor den Worten le AAN L in C hat R einen längeren Zusatz, welcher lautet: Merci Ban SH De Auch inhaltlich lehrt uns R manches, was ein ganz neues Licht auf die Erzählung wirft. Ich zitiere die ersten Zeilen in extenso; sie mögen auch als Textprobe dienen. ! Bei dieser Auffassung muß man allerdings annehmen, daß auch in R 62 die Worte »Aber ich antwortete« übergangen worden sind. ®2 Das Vorkommen von Zsw, das bisher nicht vor Dyn.ı8 zu belegen war, ist sehr beachtenswert. Da ist-w® R 24 = Bı vorkommt, wird meine Vermutung Rec. de Trav..28, 186, tisw sei aus 2s/-sw entstanden, sehr zweifelhaft. ® Man darf diesen Satz nicht ohne weiteres als Glosse verwerfen, obwohl er einige Worte enthält, die auch im folgenden Satz vorkommen. Im bisher bekannten Text ist ja die Erzählung des Feldzugs selır knapp gewesen. Für die Ursprünglichkeit dieser Worte spricht wohl auch die Partikel Am. Sitzungsberichte 1907. 15 146 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 7. Februar 1907. re ee NT le AsenlE-Fe NE 812902 2 IHRER 1 a elle »Der Erbfürst und Fürst, Verwalter der Domänen des Königs in den Ländern der Asiaten, der wirkliche Bekannte des Königs, den er liebt, der Diener Sinuhe. Er sagt: Ich war ein Diener, der seinen Herrn begleitete, ein Sklave des Harims(?) des Königs (bei?) der Prin- zessin, der an Gunst großen, der Gemahlin des Königs Senwosret in Khnem-esut, der Tochter des Königs Amenemhet in Ka-nofru, Nofru der Geehrten. « Bisher hat man immer angenommen, Sinuhe sei ein Glied einer adligen Familie gewesen. Im Gegensatz zu dieser Ansicht möchte ich vermuten, daß er von ganz niedriger Herkunft war. Wenn das richtig ist, so gäben die beiden ersten Zeilen, der Gewohnheit der biographischen Inschriften entsprechend, die volle Titulatur des Sinuhe zur Zeit seines Todes an, während die auf »Er sagt« folgenden Worte die Stellung zum Ausdruck brächten, die er damals einnahm, als das Schicksal ihn zur Flucht trieb. Wie Masrero sehr schön bemerkt hat ,* ist Sinuhe im Fremdland zu einem mächtigen Häuptling geworden, und noch nach seiner Rückkehr in die Heimat behält er durch seinen Titel » Verwalter der Domänen des Königs in den Ländern der Asiaten « etwas von seiner ausländischen Würde bei: freilich mußte das so aus- gedrückt werden, daß gleichzeitig seine Untertänigkeit zum König zum Vorschein kam. Zur Zeit der Flucht scheint Sinuhe ein einfacher Diener des Königs gewesen zu sein, der in einem besonders nahen Verhältnis zu der Prinzessin Nofru stand. Je geringer sein eigenes Amt war, um so ausführlicher werden die Titel seiner Herrin ange- ! Die Spuren passen. Ein kleines, undeutliches Zeichen, das kaum xs? sein kann. Ein ungewöhnliches Zeichen, etwa wie das in den Papyrus des alten Reichs für die Göttin benutzte (vgl. Hieratische Papyrus aus den Kgl. Museen zu Berlin, Heft 9. 10, zweites Zeichen unter B). * Les Contes populaires3, S.60, Bem. 2. 2 3 H. GArviner: Eine neue Handschrift des Sinuhegedichtes. 147 geben. Wie SrrueE mir gezeigt hat, liegt bei dieser Titulatur die höchst seltsame Zufügung des Pyramidennamens hinter dem Königs- namen vor, die sich in einigen Inschriften des alten Reiches findet.' Ka-nofru ist längst als Name der Pyramide Amenemmes’ des Isten be- kannt gewesen, "und trotz des fehlenden Determinativs &® hinter EN | il; | können wir dies kaum anders als wie den Namen der Py- ramide Senwosrets des Isten auffassen. Die Gründe, die Sinuhe zu seiner Flucht bewegen, bleiben in R noch immer sehr dunkel. Das Unglück ist ja. wie der Schreiber der Erzählung mehrfach (B 43. 225) betont, wie ein Traum oder eine Schiekung Gottes über ihn gekommen, ohne daß er sich selbst ganz Rechenschaft darüber geben konnte. Die Nachricht vom Tode des alten Königs erreicht den Mitregenten gerade im Augenblick, wo er mit reicher Beute von dem Feldzug gegen die Libyer zurückkehrt. In Eilmärschen® zieht er naeh Ägypten, um so schleunig wie mög- lich das Unglück seiner Abwesenheit im kritischen Augenblick gut- zumachen: vorsichtigerweise vermeidet er, das lleer die Beweggründe seiner Eile wissen zu lassen. Nun fährt Sinuhe fort: (R 22) In gu N faN N ns N zz ls = RL ee Se »Man hatte den Königskindern, welche in seinem Gefolge in diesem Heer waren, (Botschaft) geschiekt: man rief zu einem derselben, und ich stand dabei und hörte die Stimme, die sprach.« Aus diesen wohl sicher absichtlich dunkel gehaltenen Worten erfährt man nur, daß Sinuhe durch einen Zufall etwas gehört hat, was nicht für seine Ohren bestimmt war. Es war der im Orient in dieser Lage sehr begreifliche Schreck, sich im Besitz eines Staats- echeimnisses zu wissen, der ihn bewegte, zu fliehen.’ U Urkunden I, 80. ı13. — Sielıe auch Serue, Beiträge zur älteren Geschichte Ägyptens S. 84. 2 LDouvre C 2. 3 Ich glaube nicht, daß man aus den poetischen Plırasen des Textes heraus- lesen kann, daß der König die Armee mit einem paar Dienern verlassen hat. Das wäre ja sehr unpolitisch gewesen, besonders da es Königskinder im Heer gab, die die ihnen überlassenen Truppen zu ihrem eigenen Nutzen hätten verwenden können. * € liest hier ein „A ves wurde keinem von ihnen erzällt«; das muß falsch sein. 5 Aus einer späteren Stelle (B 7) geht hervor, daß Sinuhe einen Bürgerkrieg fürchtete: er muß also etwas gehört haben, was Anlaß zu dieser Befürchtung gab. 148 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 7. Februar 1907. Nachdem Sinuhe über die Grenze gekommen ist, führt ihn sein Weg zunächst zum See Kem-wer, wo er vor Durst und Müdigkeit zur Erde fällt. Plötzlich erblickt er einige Beduinen, unter «denen er einen erkennt, den er in Ägypten kennen gelernt hat. Von diesem wird er freundlich aufgenommen und verweilt kurze Zeit bei seinem Stamm. Seine weitere Reise wird nun in R mit folgenden Worten ge- schildert: (R 52) mme|R m (R53) 5 5 >> vv \ a ee | NOTE zei She KL »Ein Land gab mich weiter an das andere, ich gelangte(?) nach Byblos, ich traf in Kedmi ein(?)' und verbrachte anderthalb Jahre dort. Es nahm mich Amianschi, der Fürst des oberen Retenu(?).«e In diesen Zeilen bringt uns R sein wichtigstes Ergebnis. Bisher hatte man den Endpunkt der Reise des Sinuhe entweder in der sinaitischen Halb- insel oder höchstens im Südosten von Palästina gesucht. Seitdem Max Mürrer die ansprechende Vermutung ausgesprochen hatte, daß <—> mim Wr; >} F > Kam statt des 5) Xu der Berliner Handschrift zu lesen sei, neigte man zur Ansicht, daß Amianschi ein Beduinen- =—Öe häuptling im Süden von Palästina gewesen sei, da das obere Retenu bekanntlich in den Inschriften der 18. Dynastie ein umfassender Aus- druck für das Bergland von Palästina ist. In den letzten Jahren aber, wo ein Fürst von Retenu in mehreren Inschriften vom Sinai erwähnt gefunden wurde,” kehrte man immer mehr zu der Meinung zurück, daß die Gegend, in welcher die Abenteuer des Sinuhe spielten, die Wüste der Sinaihalbinsel gewesen sei.” Nun stürzt R sowohl die eine wie die andere Theorie mit einem Schlag um, indem es zeigt, daß Sinuhe viel weiter nördlich, und zwar auf die Höhe von Byblos ge- kommen ist. Der Name von Byblos, der in R so deutlich wie nur möglich geschrieben ist, wird in B 29 durch ein Zeichen vertreten, mit dem man bisher nichts Rechtes anzufangen wußte: zunächst ließ man es ungelesen, später versuchte man, aber ohne triftigen Grund, on swn zu lesen. Auf dem Original erkennt man sofort, daß das ! Der genaue Sinn von fh r und As r ist noch nicht ermittelt. ? Siehe die Aufsätze von R. Weırr, Sphinz 8, 179— 215; 9, 1—17; 63—69. ® Siehe besonders I. Levy, Lotanu-Lotan in Sphinx 9, 71— 86, dessen Schlüsse Maspero, Les contes populairess 559 annimmt. H. Garpiner: Eine neue Handschrift des Sinuhegedichtes. 149 Zeichen wohl das „> von >|") >> kpny Byblos ist, nur daß der Schreiber es mißverstanden und in umgekehrter Richtung -geschrieben hat.' Leider läßt R in der viel umstrittenen Frage, ob ZN vu "Idm oder EIN Kdm zu lesen ist, keine sichere Entscheidung zu.” Ebensowenig Sn man nn Sicherheit erkennen, ob R oe MAN \Qm wie B, oder _, 3 50) Km gelesen hat: für letztere An- nahme spricht die ling des Zeichens ww über Öe; wenn R Truw >) gelesen hätte, so hätte wohl 50) X, nicht —, en num dagestanden. Die neugewonnene Tatsache, daß Sinuhe so weit im Norden ge- lebt hat wie Byblos, hat eine historische Bedeutung, die man nicht geringschätzen darf. Wie verschieden sind die Bilder von Palästina, die sich einerseits aus der Erzählung von Sinuhe und andererseits aus den mindestens vierhundert Jahre späteren Inschriften der achtzehnten Dynastie und den Tontafeln von El Amarna ergeben! Von Städten in Palästina, das doch Sinuhe von Süden bis Norden durchzogen hat, ist in der Erzählung nirgends die Rede,’ man gewinnt vielmehr den Eindruck, daß er überall unter Nomaden und nicht unter auch nur halbwegs zivilisierten Leuten verweilt hat. Sie wohnen im Zelt, und ihr wertvollster Besitz sind ihre Herden. Der Hergang des Zweikampfes zwischen Sinuhe und dem Helden von (Re)tenu deutet auf ganz primitive Verhältnisse. Man wird vielleicht einwenden, daß eine Dichtung von dieser Art nicht als zuverlässige Geschichts- quelle gelten dürfe. Aber auch dieser Einwand verliert an Bedeu- tung, wenn man bedenkt, daß, wie ausdrücklich erzählt wird, Sinuhe keineswegs der einzige Ägypter gewesen ist, der in das Land des Fürsten Amianschi gekommen war: schon vor seiner Ankunft dort hatten Ägypter, die bei Amianschi waren, von seinen Tugenden er- zählt; und es wird von Amianschi als besonderer Vorzug für Sinuhe hervorgehoben, daß er bei ihm die Sprache Ägyptens hören könne (B 31 —- 33). Das alles kann nicht vollständig erdiehtet sein, be- sonders da wir jetzt auch aus anderen Quellen wissen, daß Byblos ! In hieroglyphischen Inschriften schwankt die Riehtung des Zeichens zuweilen. — Die Silbe -2j von Kpnj hat der Schreiber fortgelassen, aber das Determinativ O4) behalten. 2 InBzg ist | = Neo mit 5, ganz deutlich geschrieben. Bei der Ver- derbtheit von B könnte man freilich vermuten, daß das ein Fehler sei, wenn (was nicht der Fall ist) irgendein Argument für die Lesung ’/dm spräche. ® Auch Byblos ist mit dem Zeichen NY determiniert. Sitzungsberichte 1907. 16 150 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 7. Februar 1907. den Ägyptern des mittleren Reiches gut bekannt war:' wenn wir die Kunde, die uns der Papyrus Anastasi I. und die Erzählung von Wenamon über Palästina geben, für kulturgeschichtliche Zwecke ver- werten, so dürfen wir auch nicht anders mit dem Sinuhe verfahren. Man darf daher wohl getrost diese unsere neue Kunde für die antike Kulturgeschichte benutzen. ! Siehe die Ausführungen von Erman, Ägypt. Zeitschr. 42, 209. Ausgegeben am 14. Februar. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei, 1907. vm RX. X. SITZUNGSBERICHTE DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 'Gesanmtsitzung am 14. Februar. (S. 151) \ ‚Sitzung der philosophisch -historischen Classe am 21. Februar. (S. 153) ‚K. Scamipr: Der I. Clemensbrief in altkoptischer Übersetzung. (S. 154) Hırscarenp: Die römischen Meilensteine. (S. 165) Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe am 21. Februar. (S. 203) O. Karıscaer: Zur Function des Schläfenlappens des Grosshirns. Eine neue Hörprüfungsmethode bei Hunden; zugleich ein Beitrag zur Dressur als physiologischer Untersuchungsmethode. (S. 204) A. Bıcxer: Über den Einfluss des Morphiums und Opiums auf die Magen- und Pankreassaft- secretion. (S. 217) BERLIN 1907. VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. Aus dem Reglement für die Redaetion der akademischen Druckschriften. Aus $1l. Die Akademie gibt gemäss $ 41,1 der Statuten zwei fortlaufende Veröffentlichungen heraus: » Sitzungsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften « und »Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften «. Aus $2. Jede zur Aufnahme in die »Sitzungsberiehte« oder die »Abhandlungen« bestimmte Mittheilung muss in einer aka- demischen Sitzung vorgelegt werden, wobei in der Regel das druckfertige Manuseript zugleich einzuliefernist. Nicht- mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen. 83. Der Umfang einer aufzunehmenden Mittheilung soll in der Regel in den Sitzungsberiehten bei Mitgliedern 32, bei Nichtmitgliedern 16 Seiten in der gewöhnlichen Sehrift der Sitzungsberichte, in den Abhandlungen 12 Druckbogen von je 8 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Abhand- lungen nicht übersteigen. Überschreitung dieser Grenzen ist nur mit Zustimmung der Gesammt-Akademie oder der betreffenden Classe statt- haft, und ist bei Vorlage der Mittheilung ausdrücklich zu beantragen. Lässt der Umfang eines Manuseripts ver- muthen, dass diese Zustimmung erforderlich sein werde, so hat das vorlegende Mitglied es vor dem Einreichen von sachkundiger Seite auf seinen muthmasslichen Umfang im Druck abschätzen zu lassen. SA. Sollen einer Mittheilung Abbildungen im Text oder auf besonderen Tafeln beigegeben werden, so sind die Vorlagen dafür (Zeichnungen, photographische Original- aufnahmen u.s. w.) gleichzeitig mit dem Manuseript, jedoch auf getrennten Blättern, einzureichen. _ Die Kosten der Herstellung der Vorlagen haben in der Regel die Verfasser zu tragen. Sind diese Kosten aber auf einen erheblichen Betrag zu veranschlagen, so kann die Akademie dazu eine Bewilligung beschliessen. Ein darauf gerichteter Antrag ist vor der Herstellung der be- treffenden Vorlagen mit dem schriftlichen Kostenanschlage eines Sachverständigen an den vorsitzenden Seeretar zu riehten, dann zunächst im Secretariat vorzuberathen und weiter in der Gesammt-Akademie zu verhandeln. Die Kosten der Vervielfältigung übernimmt die Aka- demie. Über die voraussichtliche Höhe dieser Kosten ist — wenn es sich nicht um wenige einfache Textfiguren handelt — der Kostenanschlag eines Sachvarstänligen beizufügen. Überschreitet dieser Anschlag für die er- forderliche Auflage bei den Sitzungsberichten 150 Mark, bei den Abhandlungen 300 Mark, so ist Vorberathung durch das Seeretariat geboten. Aus $5, Nach der Vorlegung und Einreichung des vollständigen druckfertigen Manuseripts an den zuständigen Secretar oder an den Archivar wird über Aufnahme der Mittheilung in die akademischen Schriften, und zwar, wenn eines der anwesenden Mit- glieder es verlangt, verdeckt abgestimmt. Mittheilungen von Verkassern, welche nicht Mitglieder der Akademie: sind, Sitzungsberichte en werden. Beschliesst eine Classe die Aufnahme der Mittheilung eines Niehtmitgliedes in die dazu bestimmte Abtheilung der » Abhandlungene, so bedarf dieser Beschluss der Bestätigung durch die Gesammt-Akademie. E auf S. 3 des ‚Umschlags.) w sollen der Regel nach nur in die Aus $ 6, Die an die Druckereiabzuliefernden Manuseriptemüssen, wenn es sich nieht bloss um glatten Text handelt, aus- reichende Anweisungen für die Anordnung des Satzes und die Wahl der Schriften enthalten. Bei Einsendungen Fremder sind diese Anweisungen von dem vorlegenden Mitgliede vor Sinreichung des "Mantscripts vorzunehmen. Dasselbe hat sich zu vergewissern, dass der Verfasser seine Mittheilung als vollkommen druckreif ansieht. Die erste Correetur ihrer Mittheilungen besorgen die 4 i Verfasser. Fremde haben diese erste Correetur an das vorlegende Mitglied einzusenden. Die Correetur soll nach Möglichkeit nicht über die Berichtigung von Druckfehlern und leichten Schreibversehen hinausgehen. Umfängliche 1 Correeturen Fremder bedürfen der Genehmigung des redi- girenden Secretars vor der Einsendung an die Druckerei, E und die Verfasser sind zur Tragung der entstehenden Mehr- kosten verpflichtet. r E Aus $8. a. Von allen in die Sitzungsberichte oder Abhandlungen aufgenommenen wissenschaftlichen Mittheilungen, Reden, Adressen oder Berichten werden für die Verfasser, von 4 wissenschaftlichen Mittheilungen, wenn deren Umfang‘ im 3 Druck 4 Seiten übersteigt, auch fürden Buchhandel Sonder- i abdrucke hergestellt, die alsbald nach Erscheinen des be- treffenden Stücks der Sitzungsberichte ausgegeben werden. VonGedächtnissreden werden ebenfalls Sonderabdrucke 3 } für den Buchhandel hergestellt, indess nur dann, wenn die Verfasser sich ausdrücklich damit einverstanden erklären. 1 89. ER $ Von den Sonderabdrueken nus den Sitzungsberiehten erhält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, 5. zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 50 Frei-. exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl von noch 100 und auf‘ seine Kosten noch weiter zur Zahl von 200 (im ganzen also 350) abziehen zu Iassen, sofern er diess rechtzeitig dem redigierenden Seeretar an- gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch ‚mehr ji Abdrucke zur Neieadung zu Brmaleie so bedazf es. dazu Teistzonlden Soberae Kosten abziehen lassen. Von den Sonderabdrucken aus. den Abhandlungen er hält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 30 Fr Bi exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis ur Zahl { von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis > zur Zahl von 100 (im ganzen also 230) abziehen zu lass: sofern er diess rechtzeitig dem vedigivenden Seeretar au 277 gezeigt hat; wünscht er auf‘ seine Kosten "noch mehr Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten , so bedarf“ es dazu der Genehmigung der Gesammt-Akademie ‚oder der I be- treffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 30 Frei- exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anze bei dem Er redigirenden Seeretar weitere 100 Exemplare au IN Kosten abziehen lassen. $ 17 7. weitere 200 © Bxempir uf A in keinem Falle vor res Bikes an Stelle anderweitig, sei es auch nur aus 151 SITZUNGSBERICHTE 1907. vin. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 14. Februar. Gesammtsitzung. Vorsitzender Secretar: Hr. VAHLEn. *]. Hr. Koser las: »Zur Charakteristik des preussischen Vereinigten Landtags von 1847.« Eine Meinungsverschiedenheit zwischen H.v. Syset. (Begründung des Deutschen Reichs ı, 119) und H.v. Trerıschke (Deutsche Geschichte 5, 618) über die Ziele der Landtagsopposition von 1847 giebt Veranlassung, Taktik und Tendenzen der einzelnen provinziellen Gruppen der liberalen Minorität zu erörtern und mit den Sätzen der eonstitutionellen Docetrin, wie sie in Deutschland durch Rorreck zusammengefasst und durch WELcKER ausgebaut worden war, in Vergleich zu stellen. 2. Hr. Hırscurerp überreichte den Bericht über die Fortschritte der römisch-germanischen Forschung im Jahre 1905. Frankfurt a. M. 1906, erstattet von der Römisch-Germanischen Commission des Kaiser- lichen Archäologischen Instituts. 3. Weiter wurden vorgelegt Band 7 der von der Akademie unter- nommenen Ausgabe von Kanr's gesammelten Schriften, Berlin 1907, und das mit akademischer Unterstützung bearbeitete Werk A. A.W. Husreent und F. Krıger, Normentafeln zur Entwicklungsgeschichte des Koboldmaki (Tarsius speetrum) und des Plumplori (Nyeticebus tardigradus). Jena 1907: ferner J. Vantex, Opuscula academica. Pars ı. Lipsiae 1907; G.V. Scnuararerrı, Venusbeobachtungen und Berechnungen der Baby- lonier. Berlin 1906 und H. Rosexguscn, Mikroskopische Physiographie der Mineralien und Gesteine. 4. Auflage. Band 2. Hälfte 1. Stuttgart 1907. Die Akademie hat das eorrespondirende Mitglied der physikalisch- mathematischen Classe Hrn. Dumrrrıs MENDELEJEW in St. Petersburg am 2. Februar durch den Tod verloren. Ausgegeben am 28. Februar. Sitzungsberichte 1907. 17 2 AT Fa \ « ZERNER ENTE N? Pen 2 et er ra Kon Free f E74 4 Eau Ta wer Er er, Fi war - a ER 2 ı Pe ‚= TERALTE 2 - FEUER, u) E21 TEN ’ e NR JA IE re Es un di at it ae ee Zp0..% a Sage on mim) N SE PAR EIRTDR TANETSPRR Nash] CHE Be 5 . 2 u PT Te CE 5 \ 1. nr w 72 In f g rn # R mp Bf ia ar ne ae Pate Fr Te Re e IDRYıN a i a en ru UT ae En er AA De NE ERBEN x N rn, BE ER RE f ware Ina male ar "8 Eu u ST B r En j . e an: Jr Imre ei Pe 2 1.2077 Aa Pia ee B N PR aNar- an er ee Ne a SER Sea A I RZ 22 ers z © ra Bi; 16 Br mir? > Arte t AT RI = 1 Sl De: rs j Men ee ‘ A Er FE u B ee En a ee wa 2 en RE re Tee Pa us d Ai R Ti NL TE: art Pr TE ut Po Ip % 2 ke . De Auer # Er N ll ur Pre Fr 153 SITZUNGSBERICHTE 1907. IX. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 21. Februar. Sitzung der philosophisch-historischen ÜUlasse. Vorsitzender Secretar: Hr. VAHLEn. *]. Hr. Lenz las über die Anfänge der Universität Berlin. Nach einer Charakteristik der Staatsordnung und des öffentlichen Geistes in Preussen vor 1806 wurden die ersten Pläne zu einer Universität in Berlin be- sprochen und ihr Zusammenhang mit den Reformbestrebungen jener Friedensjahre dargethan. Der Hauptträger dieser Reformen, Ü©. Frıepr. Beyxr, war auch der Urheber der Idee einer Berliner Hoclischule. Ein Irrthum war es, 2 Entwürfe von der Hand J. J. Enger’s anzunehmen und den einen bis in das Jahr 1799/1800 hinaufzurücken; es kann nur von einem die Rede sein, dem von Körke gedruckten, aus dem März 1802. 2. Hr. Mürrer las über: Neutestamentliche Bruchstücke in soghdischer Sprache. (Ersch. später.) Er theilt mit, dass es ihm gelungen sei, unter dem neuen, von Hrn. A. von LEcoq aus Chinesisch -Turkistan mitgebrachten Handschriftenmaterial soghdische Bruchstücke in syrischer Schrift aufzufinden, die sich als wörtliche Übersetzungen neutestament- licher Abschnitte erwiesen. Dadurch ist der Schlüssel zu der untergegangenen Sprache der Soglıdier gefunden, und es besteht die begründete Hoflnung auf die Entziflerung der bisher noch räthselvollen Manuscripte in soghdischer Sprache und manichäischer Schrift. 3. Hr. Harnack legte eine Mittheilung des Hrn. Prof. Dr. C. Scnupr in Berlin “Der erste Ölemensbrief in altkoptischer Übersetzung’ vor. Der Verfasser erörtert den sprachlichen und textkritischen Werth dieser neuent- deckten Übersetzung des Clemensbriefes. Die Handschrift, welche die Königl. Biblio- thek zu Berlin im vorigen Jahr erworben hat, bildet ein Papyrusbuch und gehört Jem 4. Jahrhundert an. 154 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 21. Februar 1907. Der 1. Clemensbrief in altkoptischer Übersetzung. Von Prof. Dr. Karı Scunaipr. (Vorgelegt von Hrn. Harnack.) in Jahre 1594 legte Hr. Harvack der Akademie zwei Berichte' über die von Hrn. Morıy auf der Seminarbibliothek in Namur entdeckte altlateinische Übersetzung des 1. Ölemensbriefes vor und wies auf die große Bedeutung des Fundes für die Geschichte der Textüberlieferung sowie des neutestamentlichen Kanons hin. Die Entdeckung war über- raschend, da man bei der spärlichen Bekanntschaft der abendländischen Schriftsteller mit dem ı. Glemensbriefe an die Existenz einer altlatei- nischen Übersetzung kaum gedacht hatte. Umgekehrt mußte es auf- fallen, daß sich bisher keine Übersetzung in der koptischen Sprache hatte nachweisen lassen, zumal nachdem eine solche in der syrischen hervorgetreten war. Denn in Ägypten hat der ı. Clemensbrief sieh eines besonderen Ansehens lange Zeit hindurch erfreut: Clemens Alex. hat ihm quasi kanonische Geltung beigelegt und ihn wie kaum eine andere Schrift sowohl stillschweigend wie ausdrücklich benutzt, und auch Origenes hat ihn, wenn auch nicht mit gleich hoher Schätzung, an mehreren Stellen seiner Werke zitiert. Wir gehen ferner nicht fehl, wenn wir bei den Worten des Eusebius (h. e. 3, 16): TAYTHN [seil. den Clemensbrief] ae Kai En rraelcTAıc ERKAHCIAIC EM TOY KOINOYF Ac- AHMOCIEYMENHN TTÄNMAI TE KAl KAB HMAC AYTOYC ErNWMen, in erster Linie an den öffentlichen Gebrauch in der ägyptischen Kirche denken. An dieser Tatsache darf uns das Schweigen des Athanasius nicht irre machen, der in seinem berühmten Osterfestbriefe vom Jahre 367 nur: die Didache und den Hirten des Hermas als » Vorleseschriften« (neben den kanonischen) erwähnt; denn Athanasius kann nieht wie Eusebius die Autorität eines Literarhistorikers für sich in Anspruch nehmen, und andererseits läßt die Überlieferung der beiden Clemensbriefe in- nerhalb des Codex Alexandrinus das ungeschmälerte Ansehen unseres Briefes im 5. Jahrhundert erkennen. Wenn also noch um diese Zeit ! Sitzungsber. d. Berl. Akad. d. Wiss., philos.-hist. Klasse 1894, S. 261 ff. und. ebenda 6oıft. 1! a bit K. Scuuupr: Der 1. Clemensbrief in altkoptischer Übersetzung. die griechisch redenden Ägypter den Brief in ihrem NT. besaßen, so war von vornherein anzunehmen, daß auch die eingeborenen Ägypter das hochgeschätzte Literaturdenkmal in ihrer Volkssprache gelesen haben werden. Diese Vermutung hat uns nicht getäuscht. Während meines Aufenthalts (Sommer 1905) in Ägypten erhielt ich die Kunde, daß drei Papyrushandschriften von Fellachen auf dem Gräberfelde von Achmim unterhalb eines Klosters gefunden und in (den Besitz eines dortigen Antikenhändlers übergegangen seien. Meine vielfachen Bemühungen, die Stücke selbst an Ort und Stelle in Augen- schein zu nehmen, hatten leider keinen Erfolg: Hr. Prof. Morırz über- nahm die Aufgabe, die zwei koptischen Handschriften, nachdem ich auf Grund der eingesandten Photographien ihren Inhalt und Wert be- stimmt hatte, für die Königliche Bibliothek zu erwerben, während Hr. Dr. Rugensonx das dritte Stück. eine griechische Rolle mit einem Österfestbrief aus dem Anfang des S. Jahrhunderts, für das Ägyptische Museum erstanden hat. Beiden Herren möchte ich auch an dieser Stelle meinen Dank aussprechen. Im folgenden berichte ich über die eine der beiden koptischen Handschriften: sie enthält den ersten Clemensbrief. Das Manuskript ist eine Papyrushandschrift. Sie war noch von einem alten. etwas beschädigten Ledereinbande umgeben, so daß wir die seltene Gelegenheit haben, ein fast vollständiges antikes Pa- pyrusbuch betrachten zu können." Der Lederdeckel ist außen verziert und wird innen durch mehrere eingelegte lose Papyrusblätter ver- stärkt. Das Buch selbst bestand aus 2ı Lagen zu je 4 Seiten und 2 halben Blättern, also im ganzen aus 88 Seiten. Von diesen sind aus der Mitte 5 Blätter, nämlich die Seiten ma— nu, verloren ge- gangen, die vielleicht später einmal im Handel bzw. in irgendeiner Bibliothek auftauchen werden: andererseits sind die zu den ersten 3 Lagen gehörenden zweiten Blätter nicht erhalten, bzw. sie sind, da sie unbeschrieben waren, für den Deckel verwendet worden. Das Buch ist nämlich nieht in einzelne Quaternionen zerlegt, sondern die Lagen sind ineinander gelegt. d. h. der Schreiber hat das erste Blatt jeder Lage beschrieben, um von der Mitte an in umgekehrter Reihenfolge die zweiten Blätter zu benutzen; infolgedessen konnte der Schreiber den Umfang des Buches nicht genau bestimmen, daher die 3 letzten Blätter unbeschrieben geblieben sind. Diese Art des Buchformats scheint in älterer Zeit bei christlichen Papyrusbüchern häufiger in Anwendung gekommen zu sein, da sie nicht nur bei dem Manuskript der Acta Pauli und einem alten Johannesevangelium, sondern auch ! Das zweite Manuskript, welches die Sprüche Salomos bietet, ist in tadelloser Erhaltung, und zwar nech mit dem ganzen Ledereinbande, auf uns gekommen. 156 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 21. Februar 1907. in der zweiten erworbenen Handschrift der Sprüche Salomos vor- kommt. Die einzelnen Blätter haben durchschnittlich eine Höhe von 25em und eine Breite von ızcm bei einer Schriftfläche von 18cm und Sem. Sie waren ursprünglich nicht paginiert — ebenfalls ein altertümlicher Zug; erst ein späterer Benutzer hat mit flüchtiger Hand (dieses Geschäft besorgt. dabei aber die Zahl A vergessen, so daß das Manuskript trotz der letzten Paginierung nu nur 82 beschriebene Seiten umfaßt. Auch darin stimmt unsere Handschrift mit den älte- sten Büchern überein, daß sie den Titel des Werkes nicht am An- fang, sondern am Schlusse bietet — sicherlich in Anlehnung an die antike Buchrolle. Die Handschrift selbst ist durchweg von einer Hand hergestellt. Die Schrift weist auf ein hohes Alter hin und zeichnet sich durch eine schöne regelmäßige Unziale aus. Der Schreiber hat seine Vor- lage sehr sorgsam abgeschrieben; nur an wenigen Stellen hat er Wörter bzw. größere Wortkomplexe ausgelassen; kleinere Schreib- fehler hat er größtenteils selbst bemerkt, d. h. die Buchstaben teils oberhalb der Zeile hinzugefügt, bzw. ausgestrichen. Als Trennungs- zeichen kommt im Satzgefüge der Doppelpunkt oder der einfache Punkt oberhalb der Linie vor. Jede einzelne Seite enthält durch- - scehnittlich 30 Zeilen (Schwankungen zwischen 28 und 32 Zeilen). Die Buchstaben jeder Zeile machen durchschnittlich die Hälfte eines Sti- chos aus. Ich möchte auf Grund dieser und anderer Beobachtungen die Handschrift auf die zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts datieren. Die Datierung wird unterstützt durch den altertümlichen Cha- rakter der Sprache. Die Handschrift bietet nämlich nicht den sahi- dischen, sondern den altachmimischen Dialekt, der uns bis jetzt die ältesten koptischen Literaturdenkmäler geliefert hat. Sie entstammt der Glanzzeit des oberägyptischen Mönchtums, das in der Übersetzung der altehristlichen Literatur seine besondere Kulturaufgabe erblickte. Bei der Spärlichkeit dieser Literaturüberreste begrüßen wir das vor- liegende neue Material mit doppelter Freude. Da auch die zweite Handschrift (die Sprüche Salomos) in demselben Dialekte geschrieben ist, so besitzt die Königliche Bibliothek nun die umfangreichsten Texte in dieser Mundart. Mit einigen Beispielen will ich im folgen- den die sprachliche Bedeutung des Fundes, der auch für die Ägyp- tologen von Interesse ist, belegen: a. Zuwachs von unbekannten Wörtern. ı. Neben der sonst üblichen Partizipialform cam (sah. com) kommt an sechs Stellen das Substantiv enter » Ausgewählter« vor, z. B. @. I, I: Alicnei MIINOYHTE = TOIC EKrEeKToIc ToY eeoF; C. 6.1: oymas K. Scawipr: Der 1. Clemensbrief in altkoptischer Übersetzung. 157 MAIENYE HicHer = TIOAY TIAÄEOC EKnEeKTon: C. 46, 8: Hioye finacner — Ena TON EKneKktön moy. Dadurch wird auch eine Stelle in einem noch unpublizierten, im Institut francais zu Kairo aufbewahrten Text erklärt: ufazı Mmay alopki aunmye ma era nacol|Tr ebrorz] tncrer —= »Ich werde sie zum Himmel hinaufführen,. zu dem Orte, den mein Vater den Auserwählten bereitet hat.« 2. An zwei Stellen des Kairener Textes liest man das unbekannte Wort ayse: Atjoyowbe nen erfxoy Mmac ze mii-PeiwT AYTE oyae mi-Peag ayse und amar g[oy]r as Tıracec oloram]e ayse nerp- sııcteye. Die Bedeutung von ayse ist »alle«, wie folgende Stellen unseres Textes ergeben: a SIC. e. 2,1: NTWTH Ge Aayse Ternoßbeimy — TMÄNTEC TE ETATIEINO- SPONEITE — C. 16. 6: Altcwpme AYSE TIE HHEHECAY — TÄNTEC üc TIPÖBATA ETIMANHEHMEN — C. 46,9 AtfT-AYTIH ten ayse — ToYc a MÄNTAC HMAC EIC AYTIHN. 3. Ein neues Wort ist TAxo, nämlich e. 11,1: eayraze-TXw@pa THPC 9ıTH OYRWIT — TÄC TIEPIXWPOY TIÄCHC KPIBEICHC AlA TIYPöc — e.17,4: AAAa HTacg c[Taxo Muacf = Ann AYTOC EAYTO? KATHTOPEN — €. 51, 2 H90Yo AE HAPoYTAXZAY MAMI MMAY = EAYTOYC BEnOYcIN MAnNON AIKIAIC TIePImimteın. Das Wort geht auf das altägypt. — A caus. a]? As zurück. 4. Zu den von Pryrox etymologisch nicht geschiedenen Wörtern gehören TWR »stärken« und re »werfen, wegwerfen«. «e.18, 11: MÄTERT — MA ÄTIOPIYHC Me — €. 24,5: acıtre ATIRAO — EBANEN EC TAN FAN — €. 44. 4: egWNie Ge aıyartre AbaA — EAN... . ÄTTOBÄRWMEN. Die konstrukte Form lautet Tr-, vgl. e. 44, 3 atr-nei aba — Tor- TOYC ..... ÄTIOBÄNnECeAI — C. 45,4: Aaytk- one APAY = ENIBÄCEHCAN. sie 5. ermg —= »Asche«, vgl. e.17, 2: ANarR oYeartnıg — erw ae EIMI.... . CMOAÖC — €. 25,3 ROY gpermg... AbaA gU Iermig ETiLMo g9Ape oyejiir owrie (der Kopte hat hier eine andere griechische Vor- lage Er 6. ohegır, fem. — »Tenne«, vgl. c. 29, 3: egapessı HTATIAPXH ÜregBegir — = AAMBÄNEI ÄNGPWTIOC TÄN ÄTIAPXHN AYTOP TÄC Anw — C. 56, 15: TgE Hoygebegit — — üicrrer (BHM@NIA) ÄAWNOC. 7. Merkwürdig ist ein angehängtes Te bei den Verben oyxei, aley, awei; vgl. c. 11.1: AAWT oyYzeitTe — nauT ecwen — c. 33, 6: SleyTe TETHAWWEITE TETHMAI TIRAQ — AYZÄNECBE KAl TIAHEYNECBE KAl TTAH- Pwcate TAN rAn. Dieselbe Erscheinung treffen wir auch sonst im ach- mimischen Dialekte, z. B. in dem Kairener Texte: nxzaere ayaweite 158 Sitzung der philosophisch -historischen Classe voın 21. Februar 1907. iisı wer[fron] = 0 Herr. zahlreich sind die Widersacher — nzaerc MH OYISaM neragboA aba‘ ealcjrjero c[oyzeite = 0 Herr, kann denn das Aufgelöste und Zugrundegegangene heil werden? b) Altertümliche Pluralbildungen. 1. Der Plural von gooye » Tag« (sah. 900Y') lautet opey. es tritt also das im Singular verlorene r des altägyptischen Wortes p »o ——— im Plural wieder hervor: vgl. e. 4.1: Acgwre Miltice HOPEeyY = ErEneTo MEO’ HMEPAC ——- C. 22,2: ETMEIE HNO AUIPEY ETHANMOY — ÄTATTON HMEPAC taEIn ÄrasAc — €. 25,2: Acjiyacı ae aligpey eregnaboA aba fionroy — wenn er aber kommt zu den Tagen, an denen er sich auflöst. — Bemerkenswert ist das Wort gımaye = nroia (sah. grooye, boh. rooyı). vgl. €. 43,5: Tape gımaye Ge gwrie. Ob die vorgeschlagene Ableitung von dem altägyptischen 2] ) richtig ist. bleibt zweifelhaft. 2. Der Plural von ont »Herz« lautet (in Analogie von 9AAHT » Vogel«): gere; vgl. €. 2.1: enerjygeze cHg gi eTiigeTe — ToYc nöroyc AYTOF . . ENECTEPNICMENOI HTE TOIC CTTAÄTXNOIC. 3. Der Erklärung bedarf noch die Pluralform MHMectToy — ol cTY- rHToi (e. 45.7): das Wort hängt mit mocte »hassen« zusammen. 4. Erwähnung verdienen noch gımn, plur. gımeye »Fluten«:; enag »Blut«, plur. enoog: pw »Mund«, plur. pooy: Mrag » Trauer«, plur. MROO9. Diese Züge bestätigen entschieden das hohe Alter unserer Hds. Ich wende mieh nun zu der Hauptfrage nach dem Wert der vorliegenden Übersetzung für den Originaltext. Zunächst ist hier zu bemerken, daß ein glücklicher Zufall noch eine zweite Hds. mit dem ı. Clemensbrief,. und zwar ebenfalls im achmimischen Dialekt, ans Tageslicht gefördert hat. Hr. Prof. Sriesergere in Straßburg erwarb nämlich vor einigen Jahren in Ägypten ein Konvolut von Papyrus- fetzen, die er Hrn. stud. Röscn zur Bearbeitung übergab. Hr. Rösen hatte bereits festgestellt. daß in einigen Stücken eine Übersetzung aus dem Evangelium des Johannes vorläge, als er mir andere Stücke in Abschrift zeigte. die er bei der schlechten Erhaltung nieht zu iden- tifizieren vermochte. Ich konnte feststellen, daß es Teile des ı. Ole- mensbriefes waren. Meine Vermutung aber, daß wir hier eine spätere Abschrift unseres alten Textes vor uns hätten, bestätigte sich bei näherer Prüfung nieht: vielmehr ist die Übersetzung selbständig aus ı Über eooy vgl. die Bemerkungen von Lacau, Recueil de Travaux, Bd. 2 o ko] > (1892), S. zorf. K. Scnmior: Der 1. Clemensbrief in altkoptischer Übersetzung. 159 einem andern, freilich ganz nahe verwandten. griechischen Original geflossen. Die Straßburger Hds. ist viel jüngeren Datums, wie schon das Äußere des Papyrus und die sorglose Schrift beweist. und zwar ‚etwa aus dem VII— VII. Jahrh. Wie gesagt, ist die Erhaltung des Papyrus ganz schlecht: aus den Kapiteln nach 26 ist überhaupt nichts überliefert. Immerhin ist aber das Vorhandene neben unserem Texte von einigem Interesse, da es Zeugnis ablegt für das Ansehen, ja für die kanonische Wertschätzung des Briefes unter den Kopten in späterer Zeit, denn der Schreiber hat in demselben Kodex neben Stücken aus dem Joh.-Ev. noch den Judasbrief überliefert. Das läßt darauf schließen. daß in dieser Zeit der ı. Clemensbrief wie bei den Syrern in nahen Beziehungen zu den katholischen Briefen stand. Hr. Röscn hat sieh der mühevollen Arbeit der Zusammensetzung der Fetzen unterzogen und bereitet eine Ausgabe vor. Wenn nun auch eine koptische Übersetzung stets nur ein Text- zeuge zweiter Ordnung sein kann, da die Eigentümlichkeit des Idioms eine getreue Wiedergabe des Originals nicht gestattet. so kann man doch im Hinblick auf das Ganze behaupten, daß der Übersetzer sich die denkbar größte Mühe um die wortgetreue Wiedergabe gegeben hat. Die griechische Vorlage blickt ohne Zweifel auf eine sehr alte Zeit zurück. wenn schon unsere Übersetzung, die wiederum Abschrift einer älteren Vorlage ist. aus der zweiten Hälfte des IV. Jahrh. stammt. Deshalb kann auch die koptische Version im Laufe der Überlieferung nicht so große Trübungen erlitten haben. wie es bei dem syrischen und lateinischen Texte der Fall ist. Besondere Beachtung verdient die Subseriptio, die in griechischer Rückübersetzung lautet: emicrtoak TÖn "Pwmalon TIpöc ToYc Korıineioyc In der gesamten bisherigen Überlieferung! wird stets der Name des Ülemens als des Verfassers hinzugefügt. Daß dies nicht die ursprüng- liche Adresse gewesen ist, liegt ja auf der Hand, wenn auch schon früh der Name mit dem Schreiben in Verbindung getreten sein muß. Irenäus adv. haer. III. 3. 3 erwähnt nur, daß während der Zeit des Bischofs Clemens H en "PomH EKKAHcia IKANWTÄTHN FPA®HN ToIc Korineloic geschickt hätte, aber schon bei Clemens Alex. tritt an verschiedenen Stellen Clemens an die Stelle der römischen Gemeinde; doch Strom. V,ı2,8o gibt noch das Ursprüngliche: Anna Kän TA mPöc Korineiovc "PoMmAiwN EITICTOAA. ! Ich gebrauche die üblichen Siglen: A = Cod. Alexandı., C — Cod. Constanti- nopolitanus, S —= syr. Version, L = latein. Version, und führe für die koptische Ver- sion das Sigel K ein. Dem Text lege ich die Ausgabe von Knorr (T. u. U., N. F. V. Bd., Heft ı) zugrunde. 160 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 21. Februar 1907. Dazu kommt ein zweites wichtiges Moment: in K steht der 1. Clemensbrief noch nicht wie m A, C und S in Verbindung mit dem unechten sogenannten 2. Briefe zusammen, sondern wie in L als einzelne selbständige Schrift. Dies entspricht dem Tatbestande bei Ulemens Alex. und Origenes, von denen der erstere mit Sicherheit, der zweite meines Erachtens mit höchster Wahrscheinlichkeit nur den echten Brief in seiner Sammlung gehabt hat. Und auch zu Eusebius’ Zeit scheint ihre Verkuppelung noch nicht die Regel gewesen zu sein, denn seine Worte h. e. III, 38, 4: *Icreon A’ üc Kal AevYTepa TIc eEINAI neretaı To? Kuanmentoc EmictonH' 0% MAN €e’ Ömolwc TH TIPOTEPA KAl TAYTHN FNWPIMON ETTICTAMEBA, OTI MHAE TOYC APXAIOYC AYTH KEXPHMENOYC IcCMeN Wären in diesem Falle unverständlich: nur dies kann man seinen Worten entnehmen, daß in dieser oder jener Kirchenprovinz der 2. Brief zu dem Ansehen des ı. emporgehoben war. und man kann weiter daraus schließen, daß im Laufe des IV. Jahrh. die gemeinsame Überlieferung den Sieg auch in den anderen Provinzen davongetragen hat. Wahr- scheinlich bildet Korinth den Ausgangspunkt, wo ja die beiden Briefe von Anfang an zu den Vorleseschriften gerechnet wurden. Jeden- = falls repräsentieren L und K gegen A, GC und S den alten Zustand. Zu den Kopten scheint der sogenannte 2. Clemensbrief überhaupt nicht gedrungen zu sein: denn auch in der Straßburger Hds. finden wir ihn nicht, obwohl der Abschreiber noch Raum genug für ihn eehabt hätte. Vergleichen wir nun zunächst K mit A, der nach allgemeinem Urteil als der wichtigste Zeuge gilt, so bietet K die offenbaren Fehler von A nicht. tritt vielmehr in allen diesen Fällen auf Seite von CSL: 2, I Tolc &sonloıc TO? xPıcro? ( A T. €e. TO? ec0% — 3,4 TÄC Karalac (A om. — 8,4 xyrioc ( Aom. — 12,8 örı (A om. — 29,1 HmAc ( A om. — 33,7 Äraeoic ( A om. — 34,4 micrteyontac ( A om. — 51, I Kal Emoihcamen ( A om. — 51,5 en rA (A Een rA Airymto. Auch für die Harmonismen der Zitate gilt dasselbe: 4. 3 TO mröcuron ( A TO mrocanw — 12,5 KYPıoc 6 eeöc ( A K. de. vmon — 13,1 Ann d Kayxümenoc ( A Ann’ A 6 Kayx. — 22,3 xelan cov ( A xelan. Diese Übereinstimmung mit OSL setzt sich an den Stellen fort, die nach den Herausgebern sich bei A in ursprünglicher Gestalt er- halten haben sollen, nämlich ı2,ı “"PAas H tIöpnH H EmineromenH ( A "P. Am. — 4, 1IO Tic ce KATECTHCEN ÄPXONTA N T.C. K. KPITHN — 56,5 Ennion A& Ämaptwno? ( A En. ac Ämaptwnan: die beiden Stellen in c. 34, 8 sind in K nicht erhalten. Daraus ist zu entnehmen, daß K mit CSL auf einen gemein- samen Archetypus zurückgeht und daß die Fehler bei A auf das Konto der späteren Überlieferung bzw. des Abschreibers zu setzen sind.. K. Scauipr: Der 1. Clemensbrief in altkoptischer Übersetzung. 161 Daß auch A aus demselben Archetypus geflossen ist, bestätigt ein Vergleich von K mit C:; denn in den zahlreichen Fällen, wo G Trü- bungen der Überlieferung zeigt, unterstützt K die Zeugnisse von ALS. I. I TÄC... renomenac HMin cvmeopac ASLK (TAc... ren. Kae’ HMmOn cYme. Ü: 4. 7 KATEIPFÄCATO ( KATEIPTACANTO Ü; 7, I En räp ( Kal rAp En Ü: 13, 2 En ayıo ( oYtwc Ü: 25, 5 TIETIAHPWMmEnoY ( TIAHPOYMmEnoY Ü usw. Vgl. auch die Auslassungen: 4. 1 oftwc ASLK (Com. — 4,13 Ba- cınewe "Icrann (Ö om. — 10,4 An(C om. — 18,1 d eeöc (U om. — 24,1 *IncoPn Xrpictön ( Ö om. XPictön — 25,4 Emimtäc ( Ü om. — 30, 7 TAc Araehc mPAzewc ( U om. Araeic usw. Vgl. ferner die Ver- derbnisse e. 1, 3 mar’ vmin ASLK ( Ü map’ kmin — 2, 3 dciac ( Ö eeiac — 2,4 mer’ Eneovc (Ü merk aeoyc — 32, 2 aözH (Ö TAzeı usw. In fast allen diesen Fällen scheinen die Fehler dem Abschreiber zur Last gelegt werden zu müssen. Der Archetypus muß einen sehr reinen Text geboten haben, und wir besitzen in unseren Textzeugen ein vorzügliches Material zur sicheren Konstituierung des Originals. Und wie eng diese fünf Zeugen zusammenhängen, lehrt deutlich die Stelle e. 15. 5: A TÄ xeiaH TÄ AÖnlA, TAWCCAN METAAOPHMONA TOYC EITTÖNTAC, Ü TA x. TÄ AÖNIA, TAÖCCA MErANOPHM@N’ Kal TIÄNIN’ TOYc EiönTac, L labia dolosa et lingua magniloquia, qui dixerunt, K genau so wie L. Dazu kommt noch Clem. Al. TANTA TA xelaH Kal TAWCCAN METAAOPHMONA, TOYC eimöntac. Nur S allein bietet TÄ xeinH TÄ AönIa' TÄ AAAOYNTA KATÄ TOY AIKAIOY ANOMIAN. KAl TIANIN” EEONEOPEFCAI KYPIOC TIÄNTA TÄ XEIAH TÄ AÖNlA, TADCCAN MEFAAOPHMONA, TOYC EITTÖNTAC. Meines Erachtens hat S in seiner Vorlage keinen anderen Text als die übrigen Zeugen vor sich ge- habt, sondern den Fehler auf Grund seiner Bibelkenntnis verbessert, während bei © das «al mAnın an falscher Stelle vom Rande aus ein- gedrungen ist. Den gleichen Vorgang sehen wir in ec. 22, 8. wo im ursprünglichen Text ohne Unterbrechung Ps. 31, ıo an Ps. 33. 18 angefügt ist, während S ein Kal mAnın vorsetzt und © eita. Überhaupt hat der syrische Übersetzer an zahlreichen Stellen willkürlich nach der LXX bzw. Peshitto harmonisiert. Die von Knorr S. 39 aufge- zählten zwölf Beispiele werden von K nicht unterstützt. Das führt uns zu dem jüngst entdeckten Textzeugen, zu L, dessen lateinische Übersetzung nach fast übereinstimmendem Urteil aus dem 2. Jahrhundert stammt. Kxorr hat auf S. 58f. zwölf Stellen angeführt, an denen L allein den ursprünglichen Text aufbewahrt haben soll. Von diesen können zehn in K verglichen werden, und zwar fällt diese Vergleichung zuungunsten von L aus. K überliefert hier meines Er- achtens mit ACGS den Archetypus. Somit ersteht uns in K ein Textzeuge ersten Ranges, der eine vorzügliche griechische Vorlage übersetzte. Freilich darf nicht ge- 162 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 21. Februar 1907. leugnet werden, daß K an einer Reihe Stellen. abgesehen von den handgreiflichen Auslassungen, seine Vorlage verändert bzw. mißver- standen hat. Z. B. verstand er e. 6,2 den Ausdruck Aanaiaec Kal Alpkaı nicht und übersetzte deshalb: AıA zAnoc Alwxeeicaı TYNAIKEC EIC XWPAC TÜN Arnalaon Kal Aıpkön. Ganz singulär ist der Eingriff in ce. 25 bei der Phönixgeschichte. Hier hat schon die griechische Vorlage von K einen ganz abweichenden Text gehabt, da auch die Straßburger Handschrift fast den gleichen Wortlaut bietet. Die Legende ist augenscheinlich nach der in Ägypten geläufigen Form — dahin abgeändert. daß der Phönix in Heliopolis sich auf dem Altare selbst verbrennt und ver- jüngt aus der Asche hervorgeht. Ist hier ein schwerer Eingriff fest- gestellt. so kann man auch nicht mehr mit Sicherheit entscheiden, ob die griechische Vorlage oder erst der Übersetzer in einer Reihe von Fällen die Zitate nach der LXX abgeändert hat. Besonders lehr- reich ist e. 18. 7. wo im Brief‘ PanTieic me Yccorıo steht, während wir in K noch den Zusatz Aro To? Aimartoc To? zynoy finden. Diese christiani- sierte Interpolation von Ps. 50. 9 liest man in der aus dem 5. Jahr- hundert stammenden Papyrusrolle der Psalmen', im der sahidisch- griechischen Handschrift des Brit. Museum Or. 5465 und in dem sa- hidischen Psalter bei Budge, gehört also zum eisernen Bestande des oberägyptischen Psalters. Aus der gleichen Quelle ist in demselben Verse der sonst unbezeugte Zusatz &z AaYTo? zu tmavneic me geflossen. Sekundär ist in e. 26. 2 Kal ezerepetcomai statt EzHrereHnn. der Zusatz Kal TIAHPÜCATE TAN TAN in €. 33, 6, ferner e. 52. 3 TW eeW coy statt TO oeß, e. 10, I ö einoc To? veoY (nach ce. 17, 2 konformiert) statt 6 einoc USW. Aber diese und andere Mängel können den hohen Wert von K in keiner Weise beeinträchtigen. Wiederum bewährt sich K bei einer Gegenüberstellung mit den Zeugnissen des Clemens Alex. Unter den von Knorr S. 84f. zusammengestellten 19 Stellen bestätigt K, abge- sehen von einigen dubiösen Fällen, direkt achtmal die Lesart von Cle- mens Alex., nämlich: e. 15, 2 Arrecrın ALClem.K ( © Anexeı, dub. S — 17,3 kaxo? ACClem.K ( LS monHPoY MPATMATOC — 21,8 TA TEKNA HMÖN LSClem.K (T. r. vmön AU — 28, 3 &xei # aezıa cov ASClem.K (CL — 46, 8 TON ErneKton mov alactpeyaı LSClem.K ( AC TOn MmıkPön mMoY CKANAANICA — 50, I TAc TeneiötHtoc AaYTAc AUlem.K ( © TAc TeAeIöTHToC ayToY, dub. L, TAc AYTAc TeneısTHToc S — 50, 3 TÄC BaAcIAElAC TOY Xrıcro? LClem.K ( TAc Bacınelac To? eeo? GS, A dub. — 51, ı Ulem. AIA TÄC TIAPEMTITWCEIC TO? ÄNTIKEIMENOY, L, propter quasdam incursiones contrari, K »wegen der Nachstellungen einiger von seiten unseres ! Vgl. die Ausgabe von Heimnricı: Die Leipziger Papyrusfragmente der Psalmen. Leipzig 1903. K. Scuuupr: Der 1. Clemensbrief in altkoptischer Übersetzung. 163: Widersachers« ( AUS aıA TInoc TON To? ANTIKeImenov. K scheint also einen Text wie AIA TÄC TIAPEMTITWCEIC TINÖN TOY AMTIKEIMENoY (der Zusatz »unser« ist koptische Manier) vor sich gehabt zu haben: daraus werden auch die Genitive in ACS Tınoc Ton erklärlich. — In zwei Fällen hat K scheinbar harmonisiert. nämlich 17, 5 &mi tAc 8Aroy mit CS (A dub.) ( LClem. ex TAc sAtoy (die Straßburger Handschrift bietet Ex) und €. 22, S TÖn Aa& Enmizonta mit OS ( ALUlem. TOYC A& EATIIZONTAC. Auffallend ist die nahe Berührung mit dem Texte von L. die auch sonst zutage tritt. Zur Illustration dienen folgende Beispiele: 2,4 evneiahcewc Araehc KL( AUS cyneiancewc (hier kann aber unabhängige Beeinflussung von e. 41.ı vorliegen) — 3.1 ETTAXYNeH Kai ermatYnen KL( AUS em. «. Errax. (auch hier wäre unabhängige Harmonisierung bei KL möglich) — das gleiche könnte auch 12,3 gelten für den Zusatz To? oikov aytic KL(AUS und 14,4 xal ÄAkakoı KL(ACS Akacoı ae. Dagegen 20, 3 chorus ( ACS xöroı — 26, 1 AoYnevönton ( aovnercAnton AUS — 27,2 5 rap rararreinac KL ( ACS om. rip — 28,2 nov om. KL (ebenso 42,5, aber 21,2 K mov) ( ACS — 28,3 abysso KL( ACS — 32, 3 Aevitaı Kal TIÄNTEC oi neıT. KL(ACS om. kai — 50, 3 @sanerwercan KL ( AUS sAnepwenconta — 51.1 propter quasdam exeursiones L (s. oben) — 54. 4 om. ToY seoY KL(ACS (die Stellung schwankt: ronıteian TOY eeo? A, T. e. mon. () — 55.6 L gentem Israel (ähnlich S). K hat noch den griechischen Ausdruck &enoc beibehalten ( AU TO Awaeräoynon To? “lcpann. (Einen ähnlichen Fall haben wir 5,7, wo LS efc Tön Arıon TÖTIoN ErifpeH (oder AnenfmseH) und K. noch den griechischen Ausdruck AnanamsäAneın be- wahrt hat ( AU efc rön Arıon Tömon EriopeveH) — 58,2 KL kai d Kyrıoc (CS (A fehlt) «. 29 8 Kyp. — 58, 2 KL rün cwzomenun eenön (L gentium, K. eenön) ( CS (A fehlt) om. eenan. Der Ausdruck e&enön konnte leicht hinter cwzomenun ausfallen. Diese letzten zwei Beispiele führen uns zu der großen Lücke €. 57.7—-63. 20, die in A durch Ausfall eines Blattes entstanden ist. Die Überlieferung von K ist für diese Partie von besonders hohem Werte, denn in K fehlen in Übereinstimmung mit LS die sekundären Lesarten von U, also 59,4 Azıofmen ce (Ü om. ce — 59,4 Aceeneic (© Aceseice — 60, 1 xpHctöc (U micröc — 60, 2 KaeArıcon ( Ü Kasareic — 60, 4 dciwce ( Ü om. — 62,2 erarectein ( Ü erxarıcrein. Diese Überein- stimmung mit LS bewährt K auch an einigen Stellen, an denen die allein richtige Lesart haben soll, nämlich 59, 2 “Inc. xp. TOY KyPioy Hman ( Ü om. T. Kyp. Hm. — 59, 4 TOYc TATIEINOYC EnEHcon om. ( U, dagegen 59, 3 ÖnomA coy mit Ü ( LS önoma ayto? und 61,.ı zieht K mit © Toic ÄPXOYCIN KAl HFOYMENoIC HM@Nn Em TAc rAc zu dem Anfang cY, A&cııoTa, EAWKAC. 164 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 21. Februar 1907. Das gleiche können wir bei den von Kxorr S.78f. für S auf- gezählten paraphrastischen Übersetzungen. Glossen und Zusätzen kon- statieren. Nur an einer Stelle bestätigt K eine singuläre Lesart von S, nämlich 62, 3 mAnta rörron TAc rpaeAc (RK bietet noch den griechischen Ausdruck rrae#) ( CL om. TAc rraoAc. Die von Lienrroor auf Grund von S vorgenommenen Emendationen werden von K in Übereinstim- mung mit L abgelehnt. Und dasselbe Schicksal erleiden eine Reihe Sonderlesarten von L (vgl. auch die früheren von Knorr S. 58f. an- geführten Stellen), nämlich 59, ı diffident ( Ameiekcucn CSK — ib. se tradent ( OSK enancovcın &ayroyc. Kxorr hat die Lesart enaw- covcın &ayrovc auf Grund von L in den Text aufgenommen, meines Erachtens mit Unrecht. Deshalb wird es sich auch nicht empfehlen, 62,ı das schwierige eic EnAPETON BION TOIC BEROYCIN ... AIEYEYNEIN MIt Hilfe von L(S) zu emendieren im Toic eenoycıN ENAP. B. .... AIEYEYNEIN, denn auch K hat in seiner Vorlage eic gelesen. Diese und andere Beobachtungen werden dazu führen, das von Knorr S. 73 aufgestellte genealogische Schema der Textzeugen in etwas zu verändern. Volle Klarheit wird aber erst die in Vorbereitung be- findliche Publikation der koptischen Version bringen können. 165 Die römischen Meilensteine. Von Orro HırscHrELv. (Vorgetragen am 8. November 1906 [s. Jahrg. 1906 S.773).) Pie Bearbeitung der Meilensteine Galliens im 13. Band des Corpus inscriptionum Latinarum hat mir Veranlassung gegeben, die Meilen- steine überhaupt zu durchmustern, um festzustellen, was den galli- schen eigentümlich oder was ihnen mit den Meilensteinen in Italien und den anderen Provinzen des Römerreichs gemeinsam ist. Ihre Zahl ist überraschend groß: sie beträgt bereits nahe an 4000, die jetzt fast vollständig im Corpus inseriptionum Latmarum und den Nachträgen zu demselben gesammelt vorliegen. Etwa ein Drittel da- von kommt allein auf Afrika, dagegen sind in ganz Italien nur rund 600 gefunden, von denen zwei Drittel auf Süditalien, ungefähr 100 auf Sardinien entfallen, während in Sieilien und Corsica bisher kein Meilenstein zutage getreten ist. Die nächste Stelle im Westen nimmt Spanien mit über 400 Meilensteinen ein: es folgt die Narbonensis mit rund 250. die drei Gallien mit rund 200. Germanien mit der Schweiz mit über 100, Britannien mit etwa 70. Die gesamten Donau- provinzen (mit Einschluß von Moesia inferior) haben bisher kaum 400 ergeben, von denen die meisten auf Pannonia inferior entfallen, wäh- rend das spät gewonnene und früh aufgegebene Dacien nur ganz ver- einzelte Meilensteine aufzuweisen hat. Etwas größer ist die Zahl der lateinischen oder lateinisch-griechischen Meilensteine im Orient, die zum nicht geringen Teil erst in den letzten Dezennien aufge- taucht sind. Schon aus diesen Ziffern kann man die Bedeutung dieser Doku- mente für unsere Kenntnis der allmählichen Erschließung des römi- schen Weltreichs ermessen. Jedoch hat man erst in neuester Zeit begonnen, ihnen einigermaßen Beachtung zu schenken. Nach der im Jahre 1622 erschienenen Histoire des grands chemins de l’empire Romain von Nicolas Bergier, der die Inschriften wesentlich aus Smetius und Gruter schöpfen mußte, sind nur wenige Untersuchungen diesen 166 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 21. Febr. 1907. — Mitth. v. 8. Nov. 1906. Denkmälern zugewandt worden." Auf die wesentlich für die Verwer- tung der Meilensteine in Betracht kommenden Gesichtspunkte hat zu- erst Mommsen in den Einleitungen zu den betreffenden Kapiteln des 5. und 8. Bandes des Corpus inseriptionum Latinarum hingewiesen. is sei mir gestattet, einige Bemerkungen historischer, nicht geogra- phischer Art über die römischen Meilensteine in ihrer Gesamtheit, wie insbesondere über die gallischen Meilensteine, hier vorzulegen. Die Sitte. mit Ziffern zur Bezeichnung der Distanzen versehene Meilensteine an den Staatsstraßen zu errichten, ist allem Anschein nach auf römischem Boden entstanden. Daß die von Hipparchos, dem Sohne des Peisistratos, auf der Mitte der von Athen nach den Demen führenden Landstraßen aufgestellten Hermen” dazu eine Anregung ge- geben haben sollten, ist nicht anzunehmen, da in dem gesamten grie- chischen Kulturgebiet dieser Brauch keine Nachfolge gefunden hat.’ In Ägypten sind aus alter Zeit keine Meilensteine bezeugt; jedoch hat Flinders Petrie zahlreiche Meilensäulen auf Steinsockeln, aber ohne jede Aufschrift, anscheinend aus Ptolemäischer Zeit auf der Straße von Sakkara nach dem Fayum, im Entfernung von je einem Schoinos (= 4 röm. Meilen) und kleinere Steine in Distanzen von !/ı2 Schoinos gefunden.” Dagegen im Perserreich, wo die Wege nach Parasangen vermessen und mit Stationen und Herbergen in bestimmten Entfernungen ausgestattet waren’, sind Meilensteine vor der Römerzeit ı F. Berger, Über die Heerstraßen des römischen Reiches; zwei Programme der Berliner Luisenstädtischen Gewerbeschule, 1882 und 1883; das zweite behandelt die Meilensteine, besonders mit Rücksieht auf ihre Form. Neuerdings hat W. Kubit- schek in einer eindringenden Untersuchung über die Stationsverzeichnisse der Kaiser- zeit auch einige die Meilensteine betreffenden Fragen erörtert in den Jahresheften des Österreichischen Archäologischen Instituts 5, 1902, S. 20— 96; vgl. seine Ausführungen in den Mitteilungen der k. k. Zentralkommission 1906, S.43 ff. Ein kurzes Resümee gibt G. Lafaye bei Daremberg-Saglio III, 2 (1904) S. 1897 ft. 2 (Plato) Hipparchos S.228C; CIG.In.ız mit Boeekhs Anmerkung; Inser. Atticae 1] n. 522 und dazu Kirchhoff. 3 Bemerkenswert ist, daß man noch zu Diocletians Zeit auf der Eleusinischen Feststraße an der alten Hermenforn festgehalten hat, vgl. Milchhoefer, Athen. Mitteil. des Instituts 12 S. 326 n. 49. * Nach Mitteilung von Hrn. Erman; vgl. Flinders Petrie ten years dieging in Egypt, 2 ed. (1893) S.80: ‘the road from Sakkara to the Fayum was marked out by milestones all along, there being a larger tablet at each schenus (12000 cubits), or 4 miles, while at each 1000 cubits, or third of a mile, was a lesser pillar on a stone socket; vgl. desselben Buch ‘a season in Egypt 1887’ (London 1888) S. 36: “this Fayum road ... with its way-marks probably may be assigned to the Ptolemaic period .... The road to the Oasis being over 300 miles long, could not be furnished with, distance-marks om such a system, and spaces there were probably reckoned by day's journeys'. 5 Vel. die bekannte Schilderung Herodots V e. 52-54 der “königlichen Straße” von Ephesus bis Susa: cTAeMol Te TIANTAXA Elcı BACIAHIOI Kai KATANYCIEC KÄANICTAI, AIA olkeomenHc Te H dAdc Ärraca Kal Acsaneoc und dazu Kiepert, Monatsber. d. Berl. Akad.. IlırschreLp: Die römischen Meilensteine. 167 nicht nachweisbar." Strabo (XV, ı, 50) berichtet, daß in Indien die Beamten öAoTl010FCı KAl KATÄ AEKA CTÄAIA CTHAHN TIBEACI, TÄC EKTPOTTÄC Kal TÄ AIACTHMATA AHnOFCcAN; wenn aber auch diese ohne Zweifel auf Me- gasthenes zurückgehende Angabe glaubwürdig sein mag”, so ist doch ein Zusammenhang zwischen Indien und Rom in der Zeit der Republik ausgeschlossen. Nach Angabe Plutarchs hat ©. Gracchus bei seinen Wegebauten die Meilen durch steinerne Säulen bezeichnet.” Diese wohl einer rö- mischen Quelle entlehnte Nachricht ist gewiß so zu verstehen, daß durch ihn die Ausstattung der großen italischen Straßen mit Meilen- steinen allgemein Sitte geworden ist, die dann auch kurz nach seinem Tode bei der Via Domitia in der Narbonensis in Anwendung ge- bracht wurde.” Jedoch finden sich vereinzelte Meilensteine bereits 1857 S.124 ff. So gibt Xenophon in der Anabasis (vgl. I c.2 und sonst) die Ent- fernungen nach craemoi und TIAPACATrAI an; vgl. auch Ktesias, Pers. Fragm. 64 p. 58 Müller: Arıd "Esecoy mexPı BAKTP@N Kal "INAIKÄC APIBMöC CTABEMÖN, HMEPÜÖN, TIAPACATTÖN. ! Darüber teilt wir Hr. Geldner folgendes mit: “Meilensteine werden in der älteren persischen Literatur nicht erwähnt. Das beweist aber bei deren Einseitigkeit gar nichts gegen ihr wirkliches Vorhandensein. Jedenfalls ist der Begriff den Iraniern bekannt. Im Neupersischen heißt der Meilenstein /arsangsar (farsang = TIAPACÄTTHC). Dies ist ein gutes altes Wort; ob es sich aber bis ins Mittelpersische, bis in die Sasanidenzeit zurückverfolgen läßt, bin ich im Augenblick außerstande zu sagen.’ — Über das Niehtvorkommen von Meilensteinen im alten China schreibt mir Hr. Grube: “Meilensteine sind mir aus der älteren chinesischen Litteratur nielit be- kannt. Es scheint, daß die Distanzen nur nach Poststationen gerechnet wurden. Solehe werden bereits zu Beginn der Han-Dynastie (206 v. Chr. bis 220 n. Chr.) er- wähnt. Sie heißen ing 5% und standen in regelmäßigen Abständen von ro Li (ı Li = etwa 60oom). Erwähnt werden die ting zuerst im Shi-ki, den historischen Denkwürdiekeiten des Sz&-ma Tsien (verfaßt zu Beginn des 1. ‚Jahrhunderts v. Chr.).’ 2 Dazu schreibt mir Hr. Pischel: “Schwanbeck, Megasthenis Indica (Bonn 1846) S. 125, wie auch Müller, Frasın. hist. Graee. Il S. 430 setzen die Stelle des Strabo unter die Fragınente des Megasthenes. Auch Lassen, Indische Altertumskunde II? S. 533 ist dieser Ansicht und führt zum Beleg dafür, daß die Wege gemessen wurden, eine Inschrift des Asoka (263— 226, nach anderen 272— 232 v.C'hr.) an, nach der Asoka auf den Landstraßen in der Entfernung von je £ krosa Brunnen graben ließ; vgl. Senart, Les inseriptions de Piyadasi II S.79 ff. und Bühler, Epigraphia Indiea 11 S. 26gff., der den sogenannten Sultänd krosa — 3 engl. Meilen, nicht den gewöhnlichen krosa — 14 oder 1% engl. Meilen hier versteht. Richtig setzt wohl Vincent A. Smith, The Early History of India (Oxford 1904) S. 127, ohne auf die Asoka-Inschrift zu verweisen, ro Stadien einem halben Arosa gleich; er fügt hinzu: the provision of these useful marks was made more liberally than it was afterwards by the Moghal emperors, who were content with one pilar to each kos. — Ein Wort für Meilensteine kann ich in indischen Quellen nieht nachweisen.’ 3 Plutarch €. Graechus c. 7: AIAMETPÄCAC KATÄ MINION ÖAÖN TIÄCAN (TO AE MIAION ÖKTO CTAAION ÖNITON ÄTIOAEI) KIONAC AIBINOYC CHMEIA TOY METPOY KATECTHCEN. * Polybius 3, 39.8 (daß Polybius’ Angabe sich auch auf Spanien erstreckt, glaube ich nicht): TAYTA TAP NYN BEBHMÄTICTAI Kai CECHMEIWTAI KATÄ CTAAIOYC ÖKTÖ AIA "PwMAioN erımenäc. Daß dieser Nachtrag von Polybius herrühre (vgl. unten S. 169 Anın. 3), habe auch ich, wie ©. Cuntz, Polybius und sein Werk S. 21{., für wahrscheinlich gehalten, Sitzungsberichte 1907. 1 [oo] 168 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 21. Febr. 1907. — Mittl. v. 8. Nov. 1906. mehr als 100 Jahre früher: der älteste bisher bekanntgewordene ist von curulischen Ädilen auf der Station der Appischen Straße ad Medias (heute Mesa) in der ersten Hälfte des ersten Punischen Krieges gesetzt und gibt die Entfernung von Rom und von Forum Appii bzw. von Tarraeina auf den Seitenflächen oben und unten durch Zahlen an!: es ist also nicht ein Denkstein, sondern eine wenn auch in der Anordnung von den späteren etwas abweichende Meilensäule, die in der Mitte der durch die Pontinischen Sümpfe führenden Straße errichtet ist.” Im nicht viel späterer Zeit scheinen drei Meilensteine von plebejischen Ädilen? gesetzt zu sein, auf denen die Distanzziffern von Rom I/II, XI und XAX bereits auf‘ der Vorderseite, auf zweien oberhalb, auf einer, entsprechend dem späteren Brauch, unterhalb der Inschrift eingetragen sind.‘ Der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts der Stadt gehören drei Meilensäulen der von dem Consul des Jahres 567 = 187 v. Chr. erbauten Ämilischen Straße zwischen Ariminum und Placentia an, die gleichfalls am Schluß die Meilenzahlen von Rom aus tragen, daneben, schwerlich von späterer Hand zugefügt, die Distanzziffern von Bononia und Mutina aus.’ Schließlich fällt noch auffallend ist jedoch, daß hier nieht wie 34, 11,8 und 34, 12, 2a Minia, sondern dafür 8 Stadien gesetzt werden, was nicht einmal der Rechnung des Polybius: 84 Stadien — ı röm. Meile entspricht und nicht wohl als 'verkürzter Ausdruck’ entschuldigt werden kann. ı CIL. X 6838 und Add. S.1019; jedoch hat die richtige Lesung erst Hülsen, Röm. Mitteil. d. Inst. 4, 1889 S.84 vollkommen festgestellt (danach Dessau n. 5801, der n. 5799 ff. die republikanischen Wegeinschriften größtenteils zusammengestellt hat; CIL. I: S. 383 n. 21, noch nicht erschienen). Über die Datierung vgl. Hülsen a. a. O. ® Daher der Name der Station ad Medias; wahrscheinlich ist dies der einzige in jener Zeit in den Pontinischen Sümpfen gesetzte Meilenstein gewesen. ® Über die Mitwirkung der eurulischen und plebejischen Ädilen am italischen Wegebau vgl. Mommsen, CIL. X S. 1019 zu n.6838. Dagegen ist CIL. I 1265 — IX 438 — Dessau 5880 Q. Ovius Ov. f. tr. pl. viam stravit auf einen Venusinischen Volks- tribunen und dementsprechend auf eine Munizipalstraße zu beziehen. * Der eine (mit der Zahl XI) bei Hülsen a.a.O. 10, 1895 S. 298 ff. mit Faksi- mile; danach CIL. VI, 31585; I?2 S. 333 n. 22; daß der Umstand, daß bei dem Fundort eine Nebenstraße von der Via Ostiensis abzweigte, die Setzung des Meilensteins veran- laßt habe, wie Hülsen a. a. 0. S. 301 anzunehmen geneigt ist, ist nicht unwahrscheinlich (vgl. auch die oben S. 167 angeführte Strabo-Stelle betreffs der exTPporAl, d.h. der Nebenwege). Für den Stein von Mesa dagegen glaube ich, daß seine Stellung auf der Mitte der Straße für seine Errichtung entscheidend gewesen ist. Den zweiten mit der Zahl XXX: CIL. 1. 633 — XI 6616 will Bormann nicht auf die Via Flaminia, sondern auf die Via Tiberina beziehen. Erst kürzlich ist der dritte in der Nähe von Rom gefunden: Ashby, Papers of the British School at Rome 1, 1902 S.198: III|M. Podilli(us) (wohl Popilli) M. f.\ N. Sa[r?leili(us) Q. f. [aid. p]l. eur. ® CIL. XI 6641. 6642. 6645; Bormann S. 1001 Anm. teilt sie nach dem Schrift- charakter dem Erbauer der Straße zu, während Mommsen, CIL.I n. 535— 537 sie einer späteren Zeit zuweisen wollte. Auf n. 6641 ist die (wohl auf der Seite gestanden habende) Zahl weggebrochen; die XV auf n. 6642 ist nach Bormann 'alia manu et alio tempore incisus’,; zu n. 6645 wird über die Ziffern nichts bemerkt, doch schreibt mir HırscarerLp: Die römischen Meilensteine. 169 vor die Graechenzeit ein Meilenstein des Consuls des Jahres 606 —= 148 v. Chr. Sp. Postumius Albinus, des Erbauers der Postumischen Straße von Cremona bis Genua, mit Angabe der Gesamtlänge der- selben und mit zwei von nicht bezeichneten Stationen aus gezählten Distanzziffern versehen.' Bereits in die Gracchenzeit führt ein bei Atria (Atri) gefundener Meilenstein des Consuls des Jahres 622 = 132 v. Chr. P. Popillius”, (des Erbauers der nach ihm benannten Straße von Ariminum nach Atria,’ dem schon vor Auffindung dieses Steins eine längst bekannte Inschrift aus Lucanien von Ritschl und Mommsen zugewiesen worden war‘, in der er von sich rühmt: viam fecei ab Regio ad Capuam et in ea via ponteis ommeis, miliarios tabelariosque poseivei, woran sich ge- naue Angaben über die Distanzen von Capua und anderen Orten an- reihen und zum Schluß die sum(m)a af Capua Regium meilia CCOXXT. Hier wird also die Errichtung von Steinen, die teils als miliarü, teils als Zabelll)arü bezeichnet sind, ausdrücklich hervorgehoben. Die von Mommsen (zu CIL. I n. 550) gegebene Erklärung, daß Steine in Form einer Zabula darunter zu verstehen seien, wie sie damals noch üblich gewesen seien und der bei Atria gefundene Meilen- stein des Popilius sie zeige, kann ich nicht für zutreffend halten, schon weil tabella füglich nicht mit einer großen tabula gleichgesetzt Borınann, daß die Annahme verschiedener Schrift in beiden Inschriften auf Zange- meister zurückgehe: “daß das sicher ist, ınöchte ich nicht sagen; vielleicht ist der Grund, daß er es annahm und ich es übernahm, daß, während die Inschriften sehr verwittert und vielfach retouchiert sind, diese Zahlen, ohne retouchiert zu sein, doch deutlich sind’. ı CIL.I 5490 = V 8045: 8. Postumius Sex. f. S. n.|(Albinus cos | C[X]XII Genua -Or[e]mo[nam] XXVII, welche Zahl Moınmsen auf die Straße von Cremona nach Ve- rona bezieht; in späterer Schrift steht oberhalb des Namens Postumius noch eine IX, was jedoch für die Entfernung von Mantua nicht ausreicht. Aber ich glaube, daß die Zahl XXVII nicht auf die Fortsetzung der Postumischen Straße von Cremona nach Verona (vgl. über diese CIL. V S.827), sondern nach der Fassung der Inschrift ‚auf diese selbst, also auf einen zwischen Genua und Cremona liegenden Punkt be- zogen werden muß. Da nun zwischen Genua und Libarnum (oder Libarna — Serra- valle) sowohl das Itinerarium Antonini wie die Peutingersche Tafel 36 Millien ver- zeichnen (vgl. CIL. V S. 827), so möchte ich glauben, daB der Stein zwischen diesen Stationen stand und die Ziffern 27 und 9 die Entfernungen von Genua und Libarna bedeuten. ® CIL.1550 = V 8007; Dessau 5807. ® Auf diese Straße bezieht sich die wohl auch erst nachträglich eingefügte (s. ‚oben S. 167 Anm. 4) Angabe des Polybius 34, ııI, 8 (bei Strabo 6, 3, ıo S. 285): TToaYBıoc A’ Arıö TÄC "lATIYrIAC MEMIAIÄCSAI ©HCI, KAl EINAI MIAIA TIENTAKÖCIA EEHKONTA AYO eic CIAAN TIÖNIN, ENTEFBEN A’ Elc AKYAHIAN EKATÖN EBAOMHKONTA ÖKTÖ; vgl. dazu Cuntz, a.a. 0. S. 28ff. Auch die Vermessung der südlichen Strecke bis Kap Leuca ist viel- leicht erst damals durchgeführt worden. * Ritschl, de miliario Popilliano, Bonner Univ.- Progr. 1852 = Opuseula 4, S. 15 ft. mit einem Briefe Mommsens; CIL. 1551 = X 6950 — Dessau 23. 15* 170 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 21. Febr. 1907. — Mitth. v. 8. Nov. 1906. werden kann; auch hat der Stein von Mesa und die anderen oben erwähnten Meilensteine erwiesen, daß die Säulenform keineswegs, wie Mommsen glaubte, erst später für Meilensteine üblich geworden sei. Die meines Erachtens richtige Erklärung hatte Mommsen selbst früher! gegeben, daß nämlich unter den miliarü die bloß mit einer Ziffer versehenen Meilensteine zu verstehen seien, wie wir solche von der appischen Straße besitzen,” unter tabellarü die mit einer Aufschrift versehenen, die, wie ich hinzufügen möchte, auch in der Kaiserzeit sehr häufig auf einer tafelförmigen Einfassung angebracht wurde.” Wenn nun auch solche Aufsehriften auf Meilensteinen nicht. wie Mommsen vor Auffindung jener viel älteren annahm, eine “res nova et recens reperta war, so wird doch Popillius wohl einer der ersten gewesen sein, der die Errichtung solcher Meilensteine in größerem Umfang zur Anwendung gebracht hat. Eine Anregung dazu wird die damals gerade auf Grund des im Jahre vorher er- lassenen Ackergesetzes des Tiberius Gracchus zur Durchführung ge- langte Setzung von mit Inschriften versehenen Grenzsteinen zwischen öffentlichem und privatem Acker gegeben haben;* daß Popillius bei der Ausführung des Ackergesetzes als Consul stark beteiligt war, sagt er selbst: eidemque primus fecei, ut de agro poplico aratoribus ce- derent paastores. Ebenfalls der Graechenzeit gehören die Meilensteine der Consuln L. Cornelius Cinna im Jahre 627 = 127 v. Chr.’ und T. Quinetius Fla- mininus im Jahre 631 = 123 v. Chr. an;® nicht sicher zu datieren sind die Meilensteine der Consuln L. Cäeilius Metellus’ und Cn. Domitius.“ Daß seit ©. Graechus die großen italischen Straßen allgemein mit Meilen- steinen versehen worden sind, darf man, wie schon bemerkt ist, der Angabe Plutarchs (oben S. 167) entnehmen. Eine Bestätigung bietet eine ! Rheinisches Museum n. F. ı0, 1856, S. 145. R ® CIL.X 6848. 6857. 6860; vgl. auch Mommsen, Hermes 12, 1877. S.490. Über die ganz aufschriftlosen Meilensteine s. unten S. 172 Anm. 4. 3 Vgl. z.B. die Meilensteine der Via Domitia bei A. Aures, Monographie des: bornes milliaires du departement du Gard (Nimes 1877, aus den Memoires de l’_Academie du Gard 1876) Taf. 2—9. * Vgl. über sie Mommsen CIL.I S. 156 und über die Bedeutung und An- ordnung der Aufschriften Hermes 27, S. goff. ‘die Bezeichnung der Grenzsteine’; diese Abhandlung wird im 5. Band von Mommsens Schriften S. 95 ff. zum Abdruck gelangen.. 5 CIL.I 5538 = X 6905 — Dessau 5809. 6° CIL.I 559 = XI 6671 = Dessau 5808. ? CIL. 1561 = IX 5953 —= Dessau 5810. Ob der Consul des Jahres 612 oder" 637 zu verstehen ist, ist nicht sicher; der Zuweisung an den letzteren neigt sich Mommsen wegen des zugefügten Cognomens zu CIL. In. 561, jedoch ist das nicht entscheidend, vgl. z. B. den oben S. 169 angeführten Meilenstein des Consuls des: Jahres 606 Sp. Postumius Albinus. ° CIL. 1629 (ungenügende Kopie) = X 6872 = Dessau 5811. . - ” ” . er HirscHrerp: Die römischen Meilensteine. iz etwa der sullanischen Zeit angehörige Inschrift. in der Arbeiten für die Via Caeeilia nach Streeken verdungen werden, deren Anfang und Ende durch die Ziffern der Meilensteine bezeichnet werden.' In den Provinzen beginnen die Meilensteine erst in der Graechen- zeit. Mehrere von dem Consul des Jahres 625 = 129 v. Chr. M’. Aqui- lius in Kleinasien gesetzte Meilensteine, der die Übernahme des Per- gamenischen Reichs und die Festsetzung seiner Grenzen als Consul und noch zwei Jahre darüber hinaus als Proconsul zu vollziehen hatte, haben sich in den letzten Jahren mit bilinguen Inschriften gefunden, die verschiedenen von Ephesos auslaufenden Straßen angehören, teils über Smyrna und Elaia nach Pergamon, teils nach Tralles und Sardes führend:” ein Meilenstein, der bei Tacina, auf der Grenze von Phry- gien und Pisidien zutage getreten ist.” bietet eine Bestätigung der Angaben des Polybius über die große Ausdehnung, die das Perga- menische Reich nach dem Frieden der Römer mit Antiochos erhielt.‘ Ohne Zweifel geht die Anlage dieser Straßen großenteils auf viel ältere Zeiten zurück;’ aber doch bieten diese Meilensteine einen inter- essanten Beleg für die stets von den Römern geübte Politik, das neugewonnene Land sofort durch große Heerstraßen zu erschließen und zu sichern. Auf den Meilensäulen ist zwar der lateinischen Sprache die erste Stelle eingeräumt, doch hat Aquilius mit Rück- sicht auf die durchaus griechische Bevölkerung es für nötig be- funden, eine vollständige griechische Übersetzung, mit Einschluß der Meilenzahl, beizufügen. — Erst der eäsarischen Zeit gehört ein Meilen- stein des Proconsuls von Asien im Jahre 708 = 46 v. Chr. P. Servilius Isaurieus an.” Wohl noch etwas früher als die Via Aquilia, aber jedenfalls nach 146 ist die Via Egnatia in Macedonien angelegt worden. Zwar haben sich Meilensteine derselben aus republikanischer Zeit nieht gefunden, daß sie aber nach Meilen vermessen und mit Meilensäulen versehen ı CIL.VI 3824 und besser n. 31603 — Dessau 5799; vgl. Hülsen, Notizie degli scavi 1896 S. 87 ff. mit photographischer Abbildung und eingehendem Kommentar (S. 90: ‘U aspetto totale dell’ epigrafe converrebbe bene all’ epoca Sillana’) und dazu Persichetti, Röm. Mitteil. d. Instit. 13, 1898, S. 195. 2 CIL. II 479, vgl. 142011; 7183 — 6093; 7184; 7205; 142024 — Dessau 5814 ınit dem lateinisch -griechischen Zusatz (mit den sicheren Ergänzungen): L. Aquillius M’. f. M’. n. Florus q(uaestor) restituit, NXIIII. ® CIL. 111 7177 mit der Ziffer COXXTII. * Vgl. Cardinali, I! regno di Pergamo (Rom 1906) S.75fl. > Vgl. V. Chapot, La province d’Asie S. 358ff. Um die Feststellung der Straßen in Kleinasien vor und in der Römerzeit hat sich besonders Ramsay verdient gemacht. % CIL. II 462 =1622 —= Dessau 40. Etwa derselben Zeit gehört die am Auf- stieg zum Ossa befindliche Felsinschrift des von Cäsar nach Thessalien gesandten Legaten L. Cassius Longinus an: procos. Tempe munivit: CIL. III 588 — Dessau 39. 172 Sitzung der phil.- hist. Classe v. 21. Febr. 1907. — Mitth. v. 8. Nov. 1906. worden war, bezeugt bereits Polybius, vielleicht freilich in einem erst nach Abschluß seines Werkes gemachten Zusatz.' Aus dem Westen des Römerreichs sind nur drei Meilensteine der republikanischen Zeit, sämtlich aus dem tarraeonensischen Spanien, zu verzeichnen; die auf ihnen genannten Statthalter sind nicht sicher zu datieren.” Meilensteine der Via Domitia aus der Zeit der Republik, die man nach den oben (S. 167 Anm. 4) mitgeteilten Worten bei Polybius gerade hier anzutreffen erwarten müßte,” fehlen durchaus, so reich auch diese Straße an Meilensäulen der Kaiserzeit ist. Vielleicht sind aber, wie vermutet worden ist, einige nicht mit Inschriften versehene und in ihrer äußeren Gestalt von den anderen abweichende Meilensteine* dieser Zeit zuzuschreiben. Mit der Kaiserzeit hebt auch für den Wegebau eine ganz neue tpoche an. Bereits im ersten Jahre seiner Regierung hatte Augustus die Flaminische Straße hergestellt’ und andere Triumphatoren zur Verwendung der Beutegelder für gleiche Zwecke veranlaßt.” Aber erst im Jahre 20 v. Chr., nachdem die Fortdauer der Censur sich als untunlich erwiesen hatte, hat sich der Kaiser die Aufsicht über die italischen Straßen durch Volks- und Senatsbeschluß übertragen lassen:" ı Polybius 34, ı2, 2a (bei Strabo 7, 7,4 P- 322): €k a& TAc Atonnwnlac eic MAKEAONIAN H ’ETNATIA ECTIN ÖAÖC TIPÖC EwW, BEBHMATICMENH KATÄ MINION KAl KATECTHAWMENH mexPı KyYYenwn Kal "EBPoY TIOTAMOY" MINI@N A’ ECTI TIENTAKOCION TPIAKONTA TIENTE. 2 CIL. I 1486 — II 4956 — Dessau 5812; der Proconsul heißt M’. Sergius; zwei: Meilensteine: CIL. I 1484-85 —= 11 4924-25 sind von dem Proconsul Q. Fabius Q. f. Labeo gesetzt. 3 Über die von Fonteius veranlaßten Arbeiten zur Instandhaltung der Via Do- mitia vgl. Cicero pro Fonteio 8. * CIL. XII 5614-15. 5618; vgl. Aures, a. a. O. S. 6. Inschriftlose Meilensteine in der Kaiserzeit auf der Straße von Emona nach Neviodunum: CIL. III S. 23282, vgl. Mitteilungen der k. k. Zentralkommission 1899 S. 95; eine anscheinend inschrift- lose Meilensäule in Afrika auf der Straße Capsa-Tacapae erwähnt Toutain, Mem. des Antig. de Fr. 1903 (ed. 1905) S. 167 n. 14. Vgl. auch CIL. XIIl2 S. 677 zu c. XXI. Über die nur mit einer Ziffer versehenen Meilensteine s. oben S. 170 Anm. 2. ° Die Zeugnisse bei Mommsen, r. g. d. A.2 S..87; vgl. besonders die Widmung des senatus populusque Romanus auf dem Bogen von Ariminum: CIL. XI 365 (mit Bor- manns Restitution) — Dessau 84 im Jahre 27 v. Chr.: vfia Flamin]ia [et reliquei]s cele- berrimeis Italiae vieis consilio [et sumptib]us |[eius mu]niteis. ° Suetonius Aug. 30. Ein Beispiel bieten die Meilensteine des €. Calvisius Sabinus, der im Jahre 28 v. Chr. über Spanien triumphierte, auf der latinischen Straße: CIL. X 6895. 6897. 6899— 6901. Die Herstellung der Straßen nach Tusculum: und Alba durch den Triumphator Valerius Messalla preist Tibull I, 7, 57 ff. ” Dies ist für die ihm später übertragene cura aguarum bezeugt und wird da- her gewiß mit Recht auch für die cura viarum von Mommsen, Staatsrecht 2, S.1034 Hırsc#areLp: Die römischen Meilensteine. 173 der erste große Schritt auf dem Wege zur definitiven Überleitung der Verwaltung Italiens von dem Senat und den alten Beamten auf den Kaiser und die von ihm für die Ausübung dieser Verwaltung neu- geschaffenen Wegekuratoren.' Allerdings wurden die Kosten für die Instandhaltung der italischen Wege in der ersten Zeit formell von der Senatskasse getragen, aber wesentlich durch Überweisung kaiser- licher Gelder an dieselbe für diesen Zweck.” Der Vermerk s. ec. oder e% 8. c., der sich auf Meilensteinen des Augustus auf der Via Appia’, Latina’, Salaria® in den Jahren 17— 12/11 v. Chr. findet, kennzeichnet die Rücksiehtnahme des ersten Kaisers auf den Senat, dem verfassungs- gemäß dieser Wirkungskreis zukam, während dieser Zusatz auf den später, sicher seit dem Jahre 2 v. Chr., gesetzten Meilensteinen fehlt und auch unter keinem der späteren Kaiser sich findet.” Die Kosten für den Wegebau bilden bereits im ı. Jahrhundert n. Chr. einen festen Posten in dem kaiserlichen Etat” und in Traians gewaltiger Bautätig- keit nimmt die Herstellung und der Neubau italischer Straßen eine bedeutsame Stelle ein.” Von einer Ingerenz des Senats auf diesen Verwaltungszweig fehlt es in der Kaiserzeit an jeder Spur. angenommen; darauf weist auch der Ausdruck Dios 54,8 zum Jahre 20 v. Chr. hin: TÖTE AE AYTÖC TIPOCTATHC TON TIEPI THN "POMHN ÖAGN AIPEBEIC, Kal TÖ XPYcofn MINION KEKAHMENON ECTHcE (vgl. Plutarch Galba 24: xPyYcoYc Klon, EIc ÖN Al TETMHMENAI TÄC “ITanlac ÖAol TTAcAI TENEYTäCIN und Jordan, Topographie I, 2, S. 244ff.). 2 Momnisen, a.a.O. S.1032ff. und meine Verwaltungsbeamten?, S. 205 ff. ® Mommsen, a.a.O. S.1079 und meine Verwaltungsbeamten®, S. 209; vgl. be- sonders die im Jahre 16 v. Chr. geschlagenen Münzen: s. p. g. R. imp(eratori) Cae(sari) quod v(iae) m(unitae) s(unt) ex ea p(ecumia) g(uam) is ad a(erarium) de(tulit). ® CIL. IX 5986; X 6914. 6917. AZ OIE-R 6903: ° CIL. IX 5943. 5950. 5954- ° CIL. IX 5977—78; X 6904; dies hat bereits Wilmanns exempla n. 8ı5 A. 2 bemerkt (vgl. auch Gardthausen, Augustus Il, 2, S. 603). ” Auf drei campanischen Meilensteinen: CIL. X 6942. 6946—47 (vgl. 6948) erscheint der senatus populusque Romanus; da der eine (6946) anscheinend einem sonst unbekannten Kaiser des 4. Jahrhunderts: Cl(a)udius Silvanus, dediziert ist (vgl. den von demselben gesetzten Meilenstein n. 6945 und dazu Mommsen), so werden wohl auch die anderen derselben Zeit angehören. Natürlich ist daraus nicht eine Mitwirkung des Senats am italischen Wegebau zu folgern. — Über den Zusatz s. c. auf einigen sar- dinischen Meilensteinen im 3. Jahrhundert s. unten S. 175 Anm. 7. ® Statius sölvae Ill, 3, 102: longa series porrecta viarum. Wenn der Biograph des Pertinax c.9 sagt: aerarium in suum statum restituit; ad opera publica sumptum constituit ; reformandis viis pecuniam contulit, so braucht daraus nicht mit Mommsen, Staatsrecht 2, S.1079 Anm. 3 geschlossen zu werden, daß er nach Art des Augustus dieses Geld in die Senatskasse gezahlt habe. ° Daß Traian die nach ihm benannte Fortsetzung der appischen Straße bis Brundisium auf eigene Kosten gebaut hat, bezeugen die Meilensteine CIL. IX 6003 und zahlreiche gleiehlautende: wam a Benevento Brundisium pecun(ia) sua fecit; über den ihm vom senatus populusque Romanus im Jahre ıı5 in Benevent, am Ausgangs- punkt der Straße errichteten Bogen vgl. von Domaszewski, Österr. Jahresh. 2, 1899, 174 Sitzung der phil.- hist. Classe v. 21. Febr. 1907. — Mitth. v. 8. Nov. 1906. Wie in Italien, so tritt Augustus im ganzen Reich sofort als oberster Wegeherr auf, nicht nur, wie selbstverständlich, in den von ihm übernommenen Provinzen, sondern nicht minder in den dem Senat überlassenen, wie zahlreiche Meilensteine der Via Domitia in der seit dem Jahre 22 v. Chr. vom Senat verwalteten Narbonensis dartun,' auf denen von einer Mitwirkung des Statthalters nirgend die Rede ist. Dieses Wegerecht der Kaiser ist als charakteristischer Beleg für das maius imperium in den Senatsprovinzen den für dasselbe von Mommsen im Staatsrecht II, 860 (vgl. III, 1216) zusammengestellten Zeugnissen zuzufügen. Nur in Afrika erscheint auf zahlreichen, unmittelbar nach Augustus’ Tod gesetzten Meilensteinen der Straße von Theveste nach Tacapae der Proconsul L. Asprenas an zweiter Stelle als Kom- mandant der dritten Legion,’ die, wie in der Regel die in den Pro- vinzen stationierten Truppen’, den Wegebau zu besorgen hatte. Nach- S.173ff. — Über die durch denselben Kaiser erfolgte Pflasterung des sogenannten decennovium von Forum Appii bis Tarraeina dureli die Pontinischen Sümpfe val. CIL. X 6833 — 6835 und 6839: XVIILII (— decennovium) silice sua pecunia stravit und darüber Mommsen, CIL. X, S. 684. Zusammen mit Nerva erscheint er auf Meilensteinen der appischen Straße: CIL. X 6820. 6824. 6826. Die Verdienste Traians um den Wegebau rühmen Dio 68, 7 und in beredten Worten für Italien Galen IX, 8 vol. 10 p.633 Kühn; vgl. über seine Wegebauten C. de la Berge, Essai sur le regne de Trajan (Paris 1877) S.106 ff.— Hadrian stellte die Via Julia Augusta von dem Trebiatluß an auf seine Kosten her: CIL. V 8Sro2-3. 8106. Die Herstellung der Via Traiana auf Kosten von Severus und Cara- calla rühmt CIL. IX 6orr, die Herstellung der Lirisbrücke durch Alexander CIL. X 6893. ! Dagegen ist die Via Augusta in der Baetiea schon im Jahre 2 v. Chr. vor Über- weisung der Provinz an den Senat (vgl. Dessau, Bormannheft der Wiener Studien S. 12 Anm. 3) von Augustus angelegt worden: CIL. II 4701. 4703. 2 Zu den bisher bekannten: CIL. VIII 10018 und 10023 (dazu das schlecht über- lieferte Fragment n. 5205, das derselben Straße angehört zu haben scheint — vgl. Poinssot, M&moires des Antiquaires de France 1903, ed. 1905, S. 23ff. mit Naclıtrag S. 275 — und gewiß auch dieselbe Fassung gehabt hat) ist neuerdings eine große Zahl getreten (Toutain, Les nowweaux milliaires de la route de Capsa a Tacape in Mewmoires des Antiquaires de France 1903, S.157ff.), die alle dieselbe Fassung (vgl. über dieselbe Momimsen zu n. 10018) haben: Imp. Oaes. Augusti f. Augustus tri(bunicia) pot(estate) XVI; L. Asprenas cos., pr(o)cos., VIIvir epulomum viam ex castris hibernis Tacapes muniendam curavil; leg(io) III Aug(usta); zum Schluß die Meilenzahl. Über die Datierung vgl. Mommsen zu n. 10018; die Nebeneinanderstellung des Kaisers und des den Wegebau ausführenden Proconsuls entspricht der Stellung, die in der Augusteischen Verfassung den beiden höchsten Senatsstatthaltern eingeräumt war; vergieichen möchte ich den Erlaß des Proconsuls von Asien €. Norbanus Flaceus bei Josephus antiqg. 16, 6, 6: KAICAP KAT& OYTWC BENOMEN TINEcBAI (etwas anders ist die Fassung bei Philo leg. ad Gaium $ 40), den vor das Jahr 27 v. Chr. wegen des Fehlens von ceBAcTöc zu setzen mir nicht geboten erscheint. Eine gewisse Analogie bieten die ebenfalls unter Tiberius gesetzten Meilensteine des Dolabella in Spalato: CIL. III 3198-99 —= 10156—-57; jedoch ist hier der Kaiser als der Erbauer der Straße bezeichnet und der an den Schluß gestellte Name: P. Dolabella leg. pro pr. gewiß als Ablativ anzusehen, wie in den 8.175 Anm. 2 angeführten afrikanischen Steinen. 3 Die Beispiele sind außerordentlich zahlreich auf den Meilensteinen; meist sind es Soldaten der in der betreffenden Provinz stationierten Legionen (z.B. unter Tiberius N VER . . . . . Tori Hırsc#reLp: Die römischen Meilensteine. 175 dem unter Caligula das Legionskommando den Proconsuln entzogen war, tritt auf den afrikanischen Meilensteinen an seine Stelle der Legionslegat.'. Aus der hohen Senatsprovinz Asien haben wir keine der Augustisch-Tiberischen Zeit angehörigen Meilensteine’; ob diese Kaiser die Mitwirkung des Proconsuls beim Wegebau in Anspruch genommen haben, ist daher fraglich; auf den Meilensteinen der späteren Zeit erscheint er nicht, oder doch nur mit em zur Datierung.” In Kypros jedoch vollzieht Kaiser Titus einen Straßenbau vielleicht durch den Proconsul', sicher durch diesen Beamten die Setzung von Meilen- steinen die Stadt Paphos unter Septimius Severus’; in Kreta stellt der Quästor im Auftrag des Kaisers Claudius die Wege her.“ In den größeren kaiserlichen Provinzen ist stets der Statthalter, nicht die Pro- kuratoren, der Ausführer des Wegebaues; dagegen in den prokurato- rischen Provinzen, wie in Mauretanien, in den Alpenprovinzen und zeit- weise in Sardinien’, Thracien‘, Pamphylien® leiten diese natürlich auch den Wegebau. in Moesia superior die IV Seythica und die V Macedonica: CIL. III 1698 und 13813), die auch wohl ausdrücklich als vexil/atio (VIII 10230) oder vexillarii (III 3200 in Spalato: Tiberius . .. munit per vexillarios leg. VII et XI, item viam Gabinianam ... aperuit et munit per leg. VIT) bezeichnet werden. Jedoch werden auch in mit Legionen besetzten Provinzen, z. B. in Pannonien, Cohorten und Alen beim Wegebau verwendet. ! CIL. VIII 10116 (a. 76). 10014 — 22173 und 10048 (Hadrian). ® Die von Augustus in Pisidien und Lykaonien gesetzten Meilensteine gehören nach Galatien. ® CIL. 111 471. 12272 (vgl. 12271). 13689; CIG. 3180; Bull. de corresp. Hellen. ı2, S.66, sämtlich aus dem Proconsulat des Lollianus Gentianus unter Severus. Unter Elagabal: III 7195; unter den Philippi: III 12270. * CIL. 111 6732: Titus [oxa]s novas fecit per L. Plotium P....; jedoch kann Plotius auch Prokurator gewesen sein. ° CIL. 11I 2ı8 — Lebas — Waddington 2806. © CIG. 2570 — Cagnat, inser. gr. ad r. R. p. In. 980; vgl. n. 1013: TAMmIoY TO 8’. Nicht um einen Wegebau, sondern um Wiederherstellung eines competum (so) cum ‚statuis principum durch den kaiserlichen Prokurator des Marcus und Verus handelt es sich in einer Inschrift von Gortyn: CIL. III 14120. Wenn Nero die Straße von Nicäa nach Apamea durch seinen Prokurator C. Julius Aquila herstellen läßt (CIL. 111 346, vgl. 6983), so ist walırscheinlich damals Bithynien vorübergehend prokuratorisch ver- waltet worden (vgl. meine Verwaltungsbeamten, S. 374). ? Ganz rätselhaft ist, wie bereits Kubitschek a. a. ©. S.24 Anm. 2 hervorhebt, der Zusatz s. c. auf einigen Meilensteinen der Straße von Caralis nach Olbia aus der Zeit der Philippi bis auf Diocletian: Ephem. epigr. VIII n. 772. 776—778. 780. 795. 796, während er auf anderen Meilensteinen derselben Straße und in derselben Zeit fehlt. Selbst wenn Sardinien damals Senatsprovinz gewesen wäre, was für jene Zeit aber ausgeschlossen ist, wäre die Formel s(enatus) c(onsulto) auf Meilensteinen dieser Zeit nicht erklärlich, so daß kaum eine andere Annahme übrig bleibt, als daß diese Siglen hier eine andere Bedeutung haben. ® CIL. III 6123 (= Dessau n. 231 mit Anm.). (Nero) tabernas et praetoria per vias militares fieri iussit per ... proc(uratorem) provinciae Thrac(iae). ° CIL. 111 6737 = Dessau 215 unter Claudius. 176 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 21. Febr. 1907. — Mitth. v. 8. Nov. 1906. Die Meilensteine gedenken oft neben den von den Kaisern her- gestellten Wegen des Brückenbaus oder anderer von den Kaisern bei dem Wegebau überwundener Schwierigkeiten.‘ Ferner wird die Pflasterung der Straßen hervorgehoben ‚’ wie auch das Wort strata, das in die modernen Sprachen übergegangen ist, auf den Meilensteinen be- reits in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts begegnet,’ etwa 100 Jahre bevor es bei Schriftstellern bezeugt ist.‘ Häufig wird auch seit dem Ende des 2. Jahrhunderts, besonders in Afrika, der Herstellung der- Meilensteine selbst gedacht,’ die ruhmredig bei Kaisern aus dem Ende ı Vgl. z.B. CIL. III 8267: Traianus; VIII 22210 und ein besseres Exemplar c. r. de P Acad. 1904, 379: Pius; IX 5994: Caracalla; V 7992 (vgl. 7992°: Maximinus?); X 6811: Maximinus und Maximus u.a. ın. Interessant ist auch die Inschrift des Theo- derich, die letzte aus dem Altertum erhaltene Wegeinschrift (CIL. X 6850-52: Terra- eina), in der er, wahrscheinlich mit Cassiodors Feder, seine Instandsetzung des ver- sumpften Decennoviums der appischen Straße im Stile dieses Schriftstellers preist. 2 CIL. Ill 3r2-318. 141844, vgl. 12218: Titus und Domitian per A. Caesennium Gallum leg. pr. pr. vias provinciarum Galatiae Cappadociae Ponti Pisidiae Paphlagoniae, Lycaoniae, Armeniae minoris straverunt. V11l 10322 (Hadrian): via nova a Cirta Rusicadem: strata per possessores territori Cirtensium. 3 CIL. II ı1341-42: Maximinus und Maximus pontes et stratas vetustale con- lapsas restituerunt. Eine strata Diocletiana bei Palmyra: CIL. 111 6719, vgl. 6726 und Prokop, Bell. Pers. II, 1: AYTH a& H xdPpa ... CTPÄTA MEN KEKAHTAI, TTAAMYPAC AE TIÖNEWC TIPÖC NÖTON ÄNEMON TETPATITAI" CTPÄTA H ECTPWMENH ÖAÖC TA AATINWN KAAEITAI S@NA. Auch von einer Munizipalstraße heißt es (CIL. X 1885 —= Dessau 5832, wohl spätestens. 3. Jahrhundert; sie gehört, wie mir Dessau beinerkt, nach Ausculum, da sie mit CIL. IX 664 identisch ist): ad stratam reficiendam (vgl. den curator viarum sternendarum in Allifae: CIL. IX 2345 = Dessau 5881). Den Übergang von via zu strata zeigt ein Meilen- stein des Macrinus und Diadumenianus CIL. VIII 10056: viam stratam nov(am) instituerunt. * Zuerst bei Schriftstellern findet sich das Wort öfters bei Juveneus (ed. Huemer ind. s. v.), vgl. z. B. 1314: amplas instruite stratas, omnis sit recta viarum semita. Ziemlich gleichzeitig in dem im Jahre 333 verfaßten Itinerarium Hierosolymitanum S. 598, 6: super strata in parte dextra; von späteren Zeugnissen sei hier noch erwähnt der Bericht. des Eutropius (IX, 15, 2) über den Tod Aurelians: in itinere medio, quod inter Constan- tinopolim et Heracleam est stratae veteris, und ein Erlaß aus dem Jahre 423 (Cod. Theod. 15, 3, 6): absit ut nos instructionem viae publicae et pontium stratarumque operam titulis- magnorum principum dedicatam inter sordida munera numeremus. Die strata (saxea) viarum schon bei Lucretius I 315. IV 413 und bei Vergilius Aen. 1 422 bewundert Aeneas in Karthago die strata viarum, wozu Servius bemerkt: primi enim Poeni vias lapidibus stravisse dieuntur. — Eine eigentümliche Kritik übt Caracalla an der Pflasterung der Via Appia durch seine Vorgänger (Traian?) CIL. X 6854: viam antehac lapide albo inutiliter stratam et corruptam silice novo quo firmior commeantibus esset per milia passuum XXI sua pecunia feecit. 5 Die Formeln variieren zwischen miliaria constituit, restituit, vetustate conlapsa’ (auch dilapsa) restituit, commeantibus innovavit, nova poswit, ausnahmsweise C. VIII 22602 und 22611 novae praetenturae poni iusserunt. Dieselben Formeln sind häufig in Norieum; dagegen im Orient miliaria renovaverunt (Ill 202. 205), milia (gemäß der von den Griechen rezipierten Form) restituta (Il 6903. 6912. 6918. 6930. 6931), milia erexit (ll 218). Auch zum Schluß einer Wegeinschrift wird in späterer Zeit bisweilen miliarium hin- zugefügt: VIII roo21. 10330; X 6881. Auf einem rein griechischen Meilenstein in Böotien unter Hadrian: meinion Arıö "Ankomenaloy ÄNECTHCEN H KÖMH: Bull. de Corresp. Hell. 29, 1905, S. 99. Hırsc#hreLp: Die römischen Meilensteine. 17270 des 3. Jahrhunderts auf den ganzen Erdkreis erstreckt wird.' Meisten- teils kehren dieselben Formeln mit kleinen Differenzen in den einzel- nen Provinzen” unter verschiedenen Kaisern wieder, ja sie haben sich Jahrhundertelang auf den Meilensteinen selbst in der Orthographie® fast unverändert erhalten. Die Kosten für die Erbauung und Erhaltung der Straßen haben ohne Zweifel in den Provinzen, wie bereits in alter Zeit in Italien,‘ großenteils die angrenzenden Besitzer’ und die Gemeinden getragen. Wenn jedoch in Italien die Liberalität der Kaiser sich besonders zu- gunsten der Via Appia stark betätigt hat,” so werden in den Provinzen kaiserliche Zuschüsse zu den Wegebauten auffallend selten erwähnt.” Auch die Meilensteine deuten dies an. auf denen der Kaisername im ! Eigentümlicherweise rührt die älteste derartige, auf der numidischen Straße von Zarai nach Lamasba gesetzte Inschrift von dem maurischen Usurpator M. Aemilius Aemilianus her, der nur eine selır bedingte Anerkennung in eineın Teil des Reiches gefunden hat: VIII 22473 milliaria) orbis restit{uit),; daraus kann man entnehmen, auch wenn die Formel älter sein sollte, was von dieser Übertreibung zu halten ist. Dieselbe Formel kehrt auf dieser Straße, und zwar auf ihr allein, wieder bei Aurelianus (tT0374), Taeitus (22474), Diocletianus (22475), Maximianus Caesar (22477); getilgt ist der Name des Kaisers in n. 22482 und 22486, wo wohl nicht Elagabal, sondern einer der zahl- reichen Kaiser aus der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts gestanden haben wird, deren Name mit M.A.... begann. Auf allen diesen Steinen steht orbis sui, was übrigens, nach der Stellung der Buchstaben zu schließen , auch auf n.22473 herzustellen sein dürfte. ® Über die lokale Begrenzung dieser Formeln nach den Provinzen handelt Kubitschek a. a. O. S. 27ft. ® Die nicht assimilierten Formen conruptus, conlabsus erscheinen auf den Meilen- steinen noch im 4. Jahrhundert. * Über die Verpflichtung zur Instandhaltung der Straße seitens der viasüi vicarü in dem Ackergesetz vom Jahre ııır v. Chr. vgl. Mommsen, CIL. I S. 90 — Ges. Schr. r, S. 106f. ° Meilensteine der Via Appia CIL. IX 6072. 6075 — Dessau 5875 mit Anm. (a. 123): Hadrianus ... viam Appiam per millia passus NVBCCL longa vetustate amissam adiectis HS XI|XLVII (= 1:147:000) ad HS BLXIXC (= 569'100) quae possessores agrorum contulerunt fecit; X 6954: Gordianus ... viam quae a Nuceriam (sic) Saler[num] usque porrigitur ... reddito ordinario vectigali tute[lae] eius restitwit und dazu Mommsen a.a.O.; vgl. CIL. VIII 10327—28: via a Milevitanis munita ex indulgentia (Pii) de vectigali rotari. In Afrika wird ex auctoritate ... Hadriani Aug. via nova a Cirta Rusi- cadem strata per possessores territori Cirtensium V1II 10322. Ein Meilenstein in Parma ist dem Kaiser Julian gesetzt von dem ordo possessoresque Brixellanorum: XI 6658. ° Siehe Anm. 5 und oben S.173 Anm.9; für die späteste Zeit vgl. den Straßen- bau auf der Höhe der Karnischen Alpen auf kaiserliche Kosten: CIL. V 1862 — Dessau 5885. ° CIL. 1I 4918 (Domitian in der Tarraconensis), wo die Zahl] X|CCLXXXIX (wohl = 1'289:000, der Strich ist fortgelassen) gewiß mit Hübner auf den vom Kaiser gewährten Zuschuß zu beziehen ist. Einen Brückenbau macht Traian auf der Straße von Karthago nach Hippo: [oplera militum suorum et pecunia sua [pJrovinciae Africae, CIL. VIII 10117, wo gewiß nicht e£ vor provinciae einzusetzen ist. Die Behauptung Kubitscheks a.a. 0. S. 26 Anm. 5: ‘daß in den kaiserlichen Provinzen die Reichsstraßen aus den Mitteln des Fiskus hergestellt werden, versteht sich von selbst’, bedarf selbst. für die frühe Kaiserzeit starker Einschränkung. 178 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 21. Febr. 1907. — Mitth. v. 8. Nov. 1906. Dativ oder, als Datierung, im Ablativ steht oder ew auctoritate dem Namen vorausgeht: in allen diesen sehr zahlreichen Fällen kann kein Zweifel sein, daß die Kosten nieht von den Kaisern getragen worden sind. Aber auch wenn der Kaisername im Nominativ steht, ist daraus, wie Mommsen mit Recht bemerkt,' keineswegs zu schließen, daß die Straße auf kaiserliche Kosten gebaut worden sei, vielmehr wird man in der späteren Zeit wohl überall, wo nicht ausdrücklich das Gegenteil angegeben ist. anzunehmen haben, daß die Kosten den Gemeinden zugefallen sind.” Etwas anders steht es jedoch in der frühen Kaiser- zeit: wenn hier der Kaiser als Erbauer des Weges im Nominativ ge- nannt wird, so ist wohl anzunehmen, daß er die Kosten getragen oder doch an ihnen beteiligt gewesen ist,’ und vielleicht ist die relativ seltene Erwähnung der ersten Kaiser auf den Meilensteinen dadurch zu erklären, daß sie nur da genannt sein wollten, wo sie zu den Kosten der Straße mitgewirkt hatten. Vor Caligula ist der Dativ des Kaisernamens überhaupt nieht nachweisbar* und er bleibt im ganzen ersten Jahrhundert selten.” Später nehmen dann die Meilensteine mehr 20T SM1IES.28605,1- ® Man vgl. z. B. CIL. Ill 199 (Syrien): Marcus und Verus (im Nominativ) viam ‚Jluminis vi abruptam interciso monte restituerunt per ... leg(atum) ..... inpendüs Abilenorum oder III 3202 (Dalmatien): Commodus ... pontem Hippi fluminis vetustate corruptum restituit sumptum et operas subministrantibus Novensibus, Delminensibus, Riditis curante et dedicante (folgt der Name des Legaten). In der Senatsprovinz Kreta bauen Hadrian und wahrscheinlich Commodus Straßen pecunia sacra deae Dictynnae: De Sanctis, Mo- numenti dei Lincei XI, 1901, S. 497, wo die Meilenzahl zugefügt ist; vgl. CIL. II 13566; über n. 14I2o s. oben S. 175 Annı. 6. 3 Dies gilt z. B. gewiß von dem Wegebau des Tiberius in Dalmatien von der Küste in das Innere des Landes: CIL. IIl 3198— 3201, vgl. 10156. 10159, wie über- haupt von allen durch Soldaten ausgeführten Heerstraßen (vgl. oben S. 174 Anm. 3 und die S. 175 Anm. 8 erwälnten viae militares). So wird olıne Zweifel Hadrian die Kosten der von ihın erbauten Straße von Karthago nach Theveste getragen haben, vgl. CIL. VII S. 865 ff. und dazu n. 10114 = 22173. * Caligula im Dativ: CIL. 1I 4639, dagegen im Nominativ 4640. Allerdings stelıt bereits auf einer “columnae miliariae pars superior Augustus im Dativ: CIL. II 6344 (13 n. Chr.), doch zweifle ich, ob dies wirklich ein Meilenstein ist. CIL. II 6215 stelıt der Name des Augustus offenbar im Nominativ; in Zeile 2 ist natürlich für maximo einzusetzen max. im|p.]-. Der Ablativ findet sich bereits unter Tiberius: CIL. III 1698. 13813b (Moesia sup.: Felsinschrift vom Jahre 33/34 n. Chr.); auch von Claudius, Vespasian, Titus und Domitian sind Beispiele nicht selten und in späterer Zeit häufig in Afrika (vgl. CIL. VIII S. 859, 11). 5 Claudius: CIL. II 4916 (verstümmelt). 6217 (dubito de dativo setzt Hübner hinzu); falsch auf Claudius ergänzt sind ll 6242 und 6324a, wie der keinem Kaiser des ı. Jahrhunderts gegebene Titel proconsul zeigt. Dann findet sich erst wieder Nerva im Dativ und seitdem, besonders in Gallien und Germanien, häufiger, während in Afrika _der Dativ nicht vor Severus auftritt. Bisweilen wird trotz des Dativs das Verbum von ihm abhängig gemacht (CIL. II 4836-87; Ill 4630. 143339; VIII 22379. 22619. 22624) oder es folgt der Legat mit per (Il 202. 313) u.ä. m. — Selbst für den Genetiv fehlt es in späterer Zeit nicht ganz an Beispielen: CIL. VIII 22304-5. HırscareLo: Die römischen Meilensteine. 179 und mehr die Form der Dedikation an: es werden dem Kaisernamen ehrende Epitheta hinzugefügt,' seit Severus erscheinen auch die Kaiser- frauen auf den Meilensteinen,” an der Spitze der Inschrift stehen, im Osten des Reiches, Formeln wie äraef TYx# oder auch bona fortuna am Schluß bisweilen evtvxöc, felieiter' oder es werden Akklamationen” an die Kaiser auf den Meilensteinen eingetragen; auch bezeichnet sich die Gemeinde, die als Dedikantin den Meilenstein errichtet, nicht selten, wie in sonstigen Dedikationsinschriften, als devota oder in ähn- lieher Weise.“ 22309-10. 22322—24; IX 6068. 6071; X 6875 und bereits unter Pius steht er auf ınehreren Meilensteinen von Pannonia superior: 111 4616 — 11322. 4618. 4641. 4649. 11325; mit vorausgeschicktem fortitudini: 111 5740. — In griechischen Inschriften tritt auch der Akkusativ auf; Nominativ (lat.), Genetiv und Akkusativ (griech.) anf dem- selben Stein aus Constantins Zeit: IH 7170. ! Bereits Commodus heißt auf einem afrikanischen Meilenstein nobilissimus om- nium ei felicissimus principum (VII 10307, vgl. 111 11984); später werden die Kaiser als invieti, fortissimi, indulgentissimi, perpetui auf Meilensteinen oft bezeichnet. Ein Meilenstein Aurelians (VIII 10217) beginnt mit den Epitheta: perpetuo victoriosissimo indulgentissimo imp(eratori) restitutori orbis (letzteren Titel führt er bekanntlich auf In- schriften und Münzen häufig). Seit Constantin wird dann die Formel bono rei publicae (bisweilen auch generis humani) natus üblich. ? Zuerst Julia Domna, die erste mater castrorum (vielleicht auch Fulvia Plautilla: VIII 12271—-72); dann, besonders in Pannonia superior und Afrika, Otacilia Severa und Herennia Etruseilla. > CIL. II Supp). ind. S. 2578, Il und 2678,1; Ymer TYxHc oder cwTHPIAc in Thra- eien: Arch.-epigr. Mitteil. aus Österreich ro, S. 86 und 241; 14, S. 156 ffl.; 15, S. 92. 108-9. Vgl. CIL. III 1420737 (Thracien): Araeh TYxH Yrıep Yfriellac Kali] c[oTHP]lac K(Al) Alonioy [Aa]monAlc]; Bull. de Corresp. Hellen. 29, 1905, S. 99. * CIL. 111 14408; VIII 10301 —= 22366; Arch.-epigr. Mitteil. a. a. O. ° Caracalla CIL. III 207 (Felsinschrift bei Berytos): ‚nvicte imp(erator) Antonine pie felix Aug(uste), multis annis imperes; Gallus und Sohn CIL. VIII 10422: inv(ieti) in p(erpetuum), wobis et vestris. Auf afrikanischen Meilensteinen des 4. Jahrhunderts (VIII 22481. 22484 — 10370. 22488—-89. 22491—92): multis vicennalibus; unter Valen- tinian: votis X, multis NX (IX 5946). Anderer Art sind die in Arabien auf älteren Meilensteinen eingetragenen Akklamationen an Kaiser Julian: CIL. III 14149 384°: NIKÄN ErENNHEHC BAcINEY ÄBANATE (vol. 141722); 141752: [eic] Tön AlÖnA; Brünnow und v. Domaszewski: die Provinz Arabia II, S. 337: "loyalanöc ENiKHCEN EYTYXÖC TO Köcmw; gegen das Christentum sind offenbar gerichtet die Aufschriften III 14175:: eic seöc “loYAlANöc BACINEYC; 14176: Eic eeödc, eic "lovniandc 6 AYroyctoc (zuerst richtig von Domaszewski gelesen, vgl. Mommsen zu der Inschrift und Brünnow - Domaszewski, a.a.0. 11, S.233). Auch die Inschrift auf einem pannonischen Meilenstein .‚Julians (III 10648): ob deleta vitia temporum pr(a)eteritorum ist woll mit dem Herausgeber als Anspielung auf das Christentum zu fassen. ° Die ältesten unter Elagabal: c(iv.) U(lpia) S(ueborum) N(ieretum) devotissima: Bonn. Jahrb. 61, 1877, S. 16, vgl. dicatissima numini eius metropolis Ancyranorum: CIL. III 6058-59; afrikanische Meilensteine mit Devotionsformel: VIII 10401 (Alexander); 10058 (Constantius und Maximianus); 22193 (Magnentius); an Maximinus, cui dicatissimi vivimus: VIII 22242 (= 10152). 22267; an Julianus XI 6658: ordo possessoresque Bri.xel- lanorum optata devotique dedicarunt; an Valentinian und Valens: devota Venetia V 7993- 8029. 8031-32. 8044, an dieselben nebst Gratianus VIII 22304: cum veneratione nomi- nibu|s eorum_ debita ?]. 180 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 21. Febr. 1907. — Mittlı. v. 8. Nov. 1906. Wenn also auch die Straßen im Römischen Reich wesentlich auf private und Gemeindekosten gebaut und instand gehalten worden sind. so ist ihnen doch durch den Namen des Kaisers. zu dem viel- fach auch der Name des in seinem Auftrag den Wegebau leitenden Statt- halters tritt.' der Charakter als Reiehsstraße gewahrt geblieben. Aber während in Italien in der Regel Rom den Ausgangspunkt der Zählung bildet, zu dem lokale Distanzziffern nur accessorisch hinzutreten, war das in den Provinzen, besonders in den überseeischen, nieht durch- führbar. Dementsprechend findet sich auch nur auf zwei Meilensteinen des Augustus an der äußersten Westgrenze der Narbonensis die Ent- fernung von Rom neben der lokalen Zählung verzeichnet,” während sonst die Städte, in deren Gebiet und auf deren Kosten die Wege instand gesetzt waren, den Ausgangspunkt für die Zählung bildeten.” Bisweilen werden auch Distanzen von verschiedenen Städten der Pro- vinz verzeichnet oder es wird neben der Ausgangsstation auch die Endstation der Straße angegeben.‘ In Gallien tritt dann später als Dedikantin der Gau neben den Hauptort. von dem die Zählung anhebt. beide meist mit einem Buchstaben abgekürzt, was in anderen Ländern eine ziemlich seltene Ausnahme bildet:° ein deutliches Zeichen, daß die Meilensteine wesentlich auf das Verständnis der Bewohner der Ci- _ vitas berechnet waren. Wie die Civitas und der Vorort derselben all- mählich sich verschmolzen haben. ein Prozeß. der durch die Neben- ! Siehe oben S. 175; der Name meist mit per oder curante, curam agente. Selbst zur Ausbesserung von Straßen dureh Private scheint es der Erlaubnis des Kaisers bedurft zu haben, vgl. CIL. IX 1414 — Dessau 5377: hie permissu imp. Caes. Traiani Hadriani Aug. viam per passuum duum milium euntibus in Apuliam [stravit?]; hier handelt es sich wohl um eine öffentliche Straße; anders wohl bei Gemeindestraßen, wo das decretum decurionem ausreicht: Dessau 5878. 5879. 5882. ?2 CIL. XH 5668. 5671 und dazu S. 667 1. 3 Vgl. Mommsen, Zum römischen Straßenwesen, Hermes 12, S. 490 — Ges. Schriften 5, S. 67: “es würde sich wohl der Mühe verlohnen, zusammenfassend zu untersuchen, welche Prinzipien in betreff der provinzialen capita viarum in Jen ver- schiedenen Epochen der römischen Herrschaft befolgt worden sind.‘ Auf diese Frage konnte im Rahmen dieser Untersuchung nicht eingegangen werden. * Einige Beispiele gibt Kubitschek, Mitteil. d. Zentralkoınm. 1906, S.44f. (be- sonders CIL. VIII 10118. 22247 — Dessau 5836 mit Distanzen von 5 Städten); vgl. auch CIL. XIll 8922 — Bull. des Antiq. de Fr. 1878, S. 236: Avar(ico) l(eugae) XIILL, Med(iolano) I. XII, Ner(iomago) I. XXV. Meilensteine, auf denen neben der Entfernung vom Ausgangsort auch die bis zum Endpunkt der Straße angegeben war, z.B. CIL. Ill 5996— 97: ab Aug(usta) m. p. XXXX bzw. XLV, a (e)g(ione) m. p-. LVI bzw. LI; III 14148°: AO xAIPEoy M. IB, MEXPI "ErmoYTiöne(wc) m. I[B], hat wohl Quintilian IV, 5, 22 bei seinen Worten im Auge: acientibus iter multum detrahunt fatigationis notata inscriptis lapidibus spatia. Nam et exhausti laboris nosse mensuram voluptati est, et hortatur ad reliqua fortius exsequenda scire, quantum supersit. ° Ephem. VII 1097 (Britannia): @ L(indo) S(egelocum); CIL. VII roo21: T(acapis); häufiger sind solche Abkürzungen in den mit Kelten besiedelten Donauländern. Hırsc#reLo: Die römischen Meilensteine. 181 einanderstellung auf den Meilensteinen wesentlich gefördert sein mag, wird am Schlusse dieser Untersuchung einer gesonderten Prüfung unter- zogen werden. Nach diesen allgemeinen Bemerkungen wende ich mich der Be- trachtung der Meilensteine in den einzelnen Provinzen zu und fasse zunächst Gallien und Germanien ins Auge. In seiner Verwaltung Galliens mußte sich dem Agrippa die Über- zeugung von der Notwendigkeit aufdrängen, die neugewonnenen Pro- vinzen durch große Verkehrswege zu erschließen und der römischen Herrschaft zu sichern. So ist es dieser große Praktiker gewesen, der in dem von Cäsar eroberten Gallien ein umfassendes, von Lugudunum aus nach allen Richtungen ausstrahlendes und die Rhone mit den Py- renäen, dem Rhein und dem Atlantischen Ozean verbindendes Straßen- netz geschaffen hat,' das, wie aus den Meilensteinen und den Itine- rarien erhellt, dauernd die Hauptverkehrswege in Gallien gebildet hat, an die sich dann im Laufe der Zeit Nebenstraßen und Fort- setzungen angeschlossen haben. Um so auffallender ist es, daß nicht ein einziger Meilenstein mit Augustus’ Namen in Gallien zutage ge- treten ist, während es in den Nachbarprovinzen: der Narbonensis und Spanien an Meilensteinen des Augustus keineswegs mangelt. Man wird nicht umhin können, nach einem Grund für diese merkwürdige Er- scheinung zu suchen. Ich möchte glauben, daß die von Agrippa, ohne Zweifel mit Augustus Namen, gesetzten Meilensteine später be- seitigt und durch andere ersetzt worden sind, und zwar wohl deshalb. weil sie, im Anschluß an das in Gallien gebräuchliche Wegemaß, nach Leugen® gesetzt und entweder allein nach ihnen oder wahr- ! Strabo IV, 6, ır, S. 208: ‘Arpinmiac Entefeen (von Lugudunum) TÄc öAoYc ETEME, THN AlÄA TÖN KemMmEn@N ÖPÜÖN MEXPI CANTÖN@N KAl TÄC "AKYITANIAC, KAl THN Ertl TON "PANON, KAl TPITHN THN Ertl TÖN @KEANÖN, THN TIPOC BennoAkoic Kal "AMBIANOIC, TE- TAPTH A’ECTIN Emmi TAN NAPB@NITIN KA THN MACcANIWTIKÄN TIAPANIAN. Die Zeit der Aus- führung ist nicht überliefert; Gardthausen (Augustus 1, 2, S. 671) setzt den Beginn in das Jahr 20/19 v. Chr., Ritterling (Bonner Jahrbücher 114, S.164) bereits in die Jalıre 39/38. Ich schließe mich Gardthausen an, da es kaum denkbar ist, daß in dieser für Octavian so schwierigen und unsicheren Zeit so umfassende \Vegebauten in Gallien in Angriff genommen sein sollten. — An die gallischen Straßen schließen sich dann die großen, von Augustus erbauten Alpenstraßen an (Gardthausen, a. a.0. S.715fl. und ll, 2, S.397ff.; auch die Straße von Altinum nach der Donau ist bereits im Jahre 15 v.Chr. von Drusus begonnen oder geplant, jedoch erst von seinem Sohne Claudius vollendet worden. CIL. V 8002-3. ® Die Zeugnisse bei Holder, Alteeltischer Sprachschatz s. v.; über den Übergang des gallischen Wortes Zeugz in alle romanischen Sprachen, vgl. Mahn in Herrigs Ar- chiv 23, 1858, S.173. Hesychius: AeYrH mETpon TI TanalKkyTiKön; nach Mahn bedeutet 182 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 21. Febr. 1907. — Mitth. v. 8. Nov. 1906. scheinlicher nach milia passuum und Leugen, die 13 römischen Meilen entsprechen, bezeichnet waren, wie ja auch Drusus bei der Kata- strierung des gallisch-germanischen Landes den einheimischen Fuß zur Anwendung gebracht hat.' das Wort einen “platten Stein’, doch ist es, wie mir Hr. Zimmer mitteilt, wahrschein- lich nicht keltischen Ursprungs, da es sich in keinem modernen keltischen Dialekt wiederfindet. Sicher keltisch sind die gallischen Flächenmaße: das candetum und der arepennis oder arapennis (vgl. Thurneysen, Keltoromanisches, Halle 1834, S. 32: “arepennis nennt Columella das gallische Feldmaß, aber frz. arpent und altspan. arapende zeigen. daß andere Dialekte die ursprünglichere Form arependis bewahrt hatten’. Letzteres Flächen- maß ist inschriftlich bezeugt im V'ocontierland (CIL. XII 1657). in der Lugdunensis (CIL. XIII 2465), in Oberitalien (CIL. V 6587 mit Schultens Ergänzung Philologus 53. S. 643) in dem mit keltischen Elementen stark durchsetzten Donaugebiet (CIL. III S. 10275; und: vgl. auch Ducange und Holder s. v.). Als gallisches Maß bezeichnet Columella V, ı, 6 sowohl das candetum als den arepennis, und daß an dem gallischen Ursprung des letzteren Wortes nicht zu zweifeln sei, bestätigt mir auch Hr. Zimmer mit Hinweis auf die irische Form des Wortes airchinn. Dagegen sagt Isidorus etymolog. 15,15 (= Hultsch, Metrolog. seript. 2, S. 108): hunc Baetici arapennem dicunt, und dement- sprechend wird das Maß z. B. von Hultsch, Metrologie S.718 und anderen als ein “bätisches und gallisches Feldimaß’ bezeichnet. Vergleicht man aber Isidorus mit Co- lumella, so springt in die Augen, daß jener diesen fast wörtlich hier ausgeschrieben hat. Wie das Mißverständnis des flüchtigen Excerptors entstanden ist, lehrt ohne weiteres eine Nebeneinanderstellung beider ‘Texte, wenn man die bei Isidorus etwas veränderte Reihenfolge der des Columella anpaßt: Columella: actus quadratus undique finitur pedibus OXX .... hunc actum provinciae Baeticae rustici agnuam vocant; ütemque XXX pedum latitudinem et CLXXX longitudinem porcam dicunt; at Galli candetum appellant in areis ur- banis spatium centum pedum, in ayrestibus autem pedum CL; semüugerum quoque arepennem vocant (d.h. die Galli) Isidorus: $ 12 (vgl.$9): actum provinciae Baeticae rustici agnos (agnus, agnum v.].) vocant; $ 13: porcam idem Baetici XXX pe- dum latitudine et longitudine LXXX (statt CLXNXNX) dicunt; $ 14: canditum appellant Galli in areis urbanis spatium centum pedum .. in agrestibus- autem pedes CL quadratum iustum canditum vocant ; $ 9: actus quadratus undique finitur pedi- bus OXX .. hune Baetici arapennem dicunt. Isidorus hat also an die Worte des Columella acius — CXX den von jenem an den Schluß gestellten arapennis angeschlossen und fälschlich auch dieses Maß den Bae- tikern zugeschrieben, was bei flüchtigem Lesen der Vorlage sehr nahe lag. Demnach wird man nicht etwa deshalb, weil Isidorus aus Baetica stammte, sich zu der An- nahme verleiten lassen dürfen, daß er aus eigenem Wissen diese Angabe gemaclıt lıabe, denn dann hätte er unbedingt Galli et Baetici sagen müssen; vielmehr ist sein Zeugnis für den Ursprung des arepennis aus der Baetica einfach zu streichen und sicherlich nichts anderes als eine der zahllosen Flüchtigkeiten des Kompilators. ! Ob der pes Drusianus — ı!/s röm. Fuß, der nach Hyginus de condie. agror. S.123 in Germania in Tungris im Gebrauch war und sicher von dem älteren Drusus seinen Namen führte (vgl. Mommsen, Staatsrecht 3, S. 758 Anm. 2), ein germanisches Maß gewesen ist, wie Hultsch, Metrologie S. 693ff. annimmt, oder nicht vielmehr ein gallisches, lasse ich dahingestellt. HırscHrerLn: Die römischen Meilensteine. 183 In einer vortrefflichen, erst nach seinem Tode herausgegebenen Untersuchung: “Geschichte der Leuga’' hat K. L. Roth den Nachweis geführt, daß seit Septimius Severus, und zwar wahrscheinlich seit dem Jahre 202, jedenfalls nicht später,” in Gallien (mit Ausschluß der Nar- bonensis) und Germanien®” die Leugenzählung auf den Meilensteinen allgemein an Stelle der römischen Meilen getreten ist.‘ Diese Leugen- rechnung ist auch in den Itinerarien, der Peutingerschen Tafel’ und dem Itinerarium Antonini durchgeführt, auch wo, wie es in letzterem in der Regel geschieht, mpm (= milia passuum) aus seiner einer älteren Zeit angehörigen Vorlage” den Zahlen vorangesetzt ist: auf zwei Straßen, von Lyon nach Boulogne-sur-Mer und von Winterthur nach Straßburg, finden sich die Distanzziffern nebeneinander sowohl nach römischen ! Bonner Jahrbücher 29/30 (1860) S.ı—20; Zangemeister, Westdeutsche Zeit- schrift 3, 1884, S. 237ff., der darauf aufmerksam macht, daß CIL. XIII n. 9137 — Brambach 1934 leugae ausgeschrieben ist, was wohl ein Zeichen der kurz vorher er- folgten Einführung sei. Jedoch findet sich wenigstens Zeug. auch auf anderen In- schriften; unter Severus: CIL. XIII n. 9067 — Inser. Helvet. n. 333; CIL. XIII go13 (= Brambach 1960) und 9129; Caracalla CIL. X1II 9grı6 — Brambach 1962; Elagabal: CIL. XIII gıı5. grı7 — Brambach 9158. 9156; Alexander: CIL. XIII gıı2 = Bram- bach 1960; Vietorinus: CIL. XIII go12. 2 Roth, a.a. 0. S. gff. stellt die Beispiele zusammen; das älteste ist wohl CIL. XII 9137 — Brambach 1934; Z. 3 scheint IMP V verhauen für TRPV, da Caracalla überhaupt nur dreimal den Imperatortitel geführt hat; dann fällt also die Inschrift genau in das Jahr 202. — CIL. XIIl 9067 —= Inser. Helv. n. 333 muß in den Jahren 202—204 gesetzt sein, da Caracalla im Jahre 205 zum zweiten Male Consul wurde. Ein Meilenstein von Soissons (CIL. XIll n. 9o3r) fällt zwischen 202—209, da in diesem Jahr Geta Augustus wurde. Auch auf zwei Meilensteinen des Severus in Bayeux (CIL. XIII 8979. 8980) wird nach Leugen gezählt; er wird imp. XII genannt, seine höchste Imperatorenziffer, die aber, da sie auf Inschriften öfters schon mit seinem zweiten Konsulat (205—207) verbunden wird, keine sichere Datierung verstattet. Noch vor die Erhebung des Caracalla zum Augustus (a. 198) müßte man den Leugenstein von Ma&l-Carhaix (CIL. XIII 9013) setzen, wenn er, wie man nach einer unzuver- lässigen Kopie annehmen sollte, von Severus allein gesetzt wäre; doch ist sein Name allem Anschein nach interpoliert und der Stein ihm überhaupt nicht zugehörig. 3 Auf Britannien ist die Leugenzählung nicht erstreckt worden; über einen an der Wallstraße gefundenen Meilenstein mit LI vgl. Haverfield, Eph. epigr. 7 n. ıı14. * Übrigens hat bereits De Caumont in seinem Cours d’antiquites monumentales, professe ü Caen en 1830 t.2 (Paris 1831) S. gofl.. also 30 Jahre vor Roth, diese Be- obachtung gemacht und mit Beispielen belegt (vgl. S. 105): ‘ai reconnu que toutes les colonnes itineraires qui ont te erigees anterieurement au III* siecle portent Vindication des distances en milles, et que celles qui sont d’une date plus recente, & partir de Septime Se- vere, marquent au contraire des lieues gauloises: leugae.’ ® Bei Lugdunum stelıt auf ihr der Vermerk: caput Galliarum; usque hec legas; ebenso sagt Ammianus (XV, ı1, 17; vgl. XVI, 12, 8): qui locus exordium est Galliarum exindeque non millenis passibus sed leugis itinera metiuntur; vgl. auch die Angabe am Schluß des Veronenser Provinzenverzeichnisses vom Jahre 297 (ed. Seeck, Not. dign. S. 253): irans castellum Mogontiacense LXXX leugas trans Renum Romani possederunt; istae civitates sub Gallieno imperatore a barbaris occupatae sunt; leuga una habet mille quin- ‚gentos passus. 6 Vgl. über diese Wegekarten Kubitschek, a. a. O. S. zıfl. Sitzungsberichte 1907. 19 184 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 21. Febr. 1907. — Mitth. v. 8. Nov. 1906. Meilen als auch Leugen verzeichnet." Zwar fehlt es auch im dritten Jahrhundert nicht ganz an Beispielen der Rechnung nach »nilia passuum auf gallischen Meilensteinen; aber, wie bereits Roth erkannt hat, handelt es sich dabei um Meilensteine in der Nähe der Grenze der Narbo- nensischen Provinz, wie solche im Norden des Genfer Sees, ferner bei den Gabali und Vellavi wie auch in den Pyrenäen vereinzelt auf- getreten sind,” da man die mit römischen Meilen in der Narbonensis begonnene Zählung bei der Fortführung der Straße in das keltische Gebiet nicht durch Einsetzung des Leugenmaßes verwirren wollte. Dagegen ist in der Narbonensis und überhaupt außerhalb Galliens sicher nie nach Leugen gezählt und der einzige innerhalb der Nar- bonensis in Sion gefundene Leugenstein, der von Aventicum aus zählt, wohl aus dem Helvetierlande verschleppt worden.” Jedoch bedarf die von Roth aufgestellte Regel nach zwei Seiten hin einer Einschränkung. Einerseits ist ein Meilenstein aus der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts in Pregilbert, südlich von Auxerre, also im Herzen von Gallien. auf der Straße von Autun nach Troyes gefunden, auf dem die Distanz von Autun durch »n(ilia) plassuum) LXXII angegeben ist, was um so bemerkenswerter ist, als der Stein den Namen des gallischen Gegenkaisers Postumus trägt." Zwar waren bereits zwei gallische Meilensteine des Postumus mit Millienzählung bekannt: da diese jedoch bei den Vellavi an der Grenze der Narbonensis gestanden haben,’ so boten sie keinen sicheren Beweis, daß unter Postumus, dessen Regiment übrigens einen durchaus römischen Cha- rakter trägt. die Millienzählung teilweise wenigstens wieder zum Durch- bruch gekommen sei. Leugensteine sind aus der Zeit dieses Kaisers bisher nicht bekannt geworden: doch wäre es voreilig. bei der geringen Zahl der Zeugnisse daraus einen allgemeineren Schluß zu ziehen. Andererseits finden sich bereits vor Severus Steine. auf denen die Distanz in Leugen angegeben ist. In Biozat, auf dem Wege von Clermont nach Vichy, ist ein Meilenstein aus Hadrians Zeit mit der Distanzangabe Auy(ustonemeto) Arvern(orum) LXVII gefunden Da Biozat von Clermont in der Luftlinie 35 km entfernt ist, was etwa 16 Leugen entspricht, so ist nicht zu zweifeln, daß am Schluß Aeugae) ! Über die Leugenzählung im Itinerarium Antonini vgl. Roth a. a. O. S. 7. ® Die Beispiele sind in der Einleitung zu den gallisechien Meilensteinen CIL. XIIL S. 646 zusammengestellt. ® CIL. XII 55r8 — X1lll 9071 mit Mommsens Anmerkung. * CIL. XT1l 9023. > CIL. XIII 8879: M.P-VIII und 8882: M-P-V (der Stein ist schlecht über- liefert, aber nicht mit Roth S. ız Anm. 27 /(eugae) einzusetzen). 6° CIL. XIlI 8906; zwar steht nach L kein Punkt, aber das ist sehr häufig, z. B. auch auf den Meilensteinen derselben Straße n. 8904—5. HırscHreLp: Die römischen Meilensteine. 185 XVII zu lesen ist: denn wollte man 67 Millien, was etwa 100 km ent- sprechen würde, verstehen, so müßte der Stein aus weiter Ferne hier- her verschleppt sein. Ferner wird die Leugenreehnung für einen bei St-Ciers-la-Lande (Gironde) gefundenen Stein auf der Straße von Bordeaux nach Saintes aus Traians Zeit mit der Ziffer XXVII' anzu- nehmen sein: der Ort ist von Bordeaux, wie von Saintes, in der Luftlinie etwa 50 km entfernt, so daß 27 Leugen = etwa 60 km der Entfernung nach beiden Orten, besonders der nach Bordeaux, wo die Straße größere Krümmungen macht, vortrefflieh entspricht, während 27 Millien nur 40km ausmachen: an einen anderen Aus- gangspunkt für die Zählung ist aber gewiß nicht zu denken. Will man also nieht zu der Annahme einer weiten Verschleppung sich verstehen.” so wird man auch hier die Leugenzählung annehmen müssen.” Auch auf mehreren Meilensteinen der Straße von Poitiers nach Bourges mit dem Namen des Antoninus Pius wird man nicht umhin können, die Leugenzählung zu statuieren, da die Distanz in dem einen ganz erhaltenen! angegeben wird: Fin(ibus) VII, Lim(ono) XIV, die Entfernung aber zwischen Limonum (Poitiers) und den Fines nach Angabe des Itinerarium Antonini 21 Leugen beträgt, was durch einen Meilenstein dieser Straße unter Alexander bestätigt wird, der Lim(ono) Keugae) XI. Fin(ibus) X trägt.‘ Danach wird man auch auf einem an- deren Meilenstein des Pius auf dieser Straße,® wo die eine Distanzziffer verloren ist, Leugen verstehen müssen. Dasselbe gilt wohl auch von vier Meilensteinen des Pius auf der Straße von Poitiers nach Tours’ doeh ist das nicht sicher zu erweisen. Fragt man nun nach den Zeugnissen für die Millienzählung, so ergibt sich die überraschende Tatsache, daß Milliensteine im eigent- ı CIL. X11I 8898 — Jullian, Bordeaux ll, S. 230 n. 971. ®2 Allerdings kommt ja eine solche Verschleppung bisweilen vor, so z. B. CIL. XIII 8995, vgl. XIII, ı S. 490. 3 Anders Jullian, a. a.0. S. 231: ‘j’avoue que la distance conviendrait a Bordeaux ou a Saintes..., si, au lieu de milles nous avions des lieues ; c’est ce qu’admet Leon Renier et ce que j’acceptai d’abord d’apres lu. Mais il ne semble pas que l’on ait compte en lieues avant Septime-Severe. On pourrait croire que le chiffre a ete corrige... mais la pierre n’indique pas la moindre trace de correction. Reste @ supposer qu’il s’agit d’une route venant de Novioregum (Royan), ou encore que la borne milliaire a ete deplacee: de fait, elle a servi de sarcophage et nous ne savons pas exactement le point ou elle a eie trouvee”. * CIL. XII 8938. SEC ZRTINE8H37. %° CIL. XIII 8931; ebenso wohl auf dem verstümmelten Meilenstein n. 8932, der vielleicht dem Kaiser Marcus angehört. ” CIL. XIII 8942— 8945. 186 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 21. Febr. 1907. — Mitth. v. 8. Nov. 1906. lichen Gallien nach dem Anfang der Regierung Traians! nicht vor- handen sind und für Hadrian, Pius und Marcus Belege für die Millien- zählung nur aus Germanien und dem benachbarten Trevererlande er- halten sind.” Danach ist die im keltischen Gallien auf Nebenstraßen wohl nie ganz abgekommene Leugenzählung” vielleicht bereits durch Traian, wie man nach dem Meilenstein von St-Ciers annehmen möchte. auch auf den Reichsstraßen zugelassen und ist dann wahrscheinlich durch Septimius Severus,' mit Rücksicht auf den engen Zusammenhang des gallisch-germanischen Straßennetzes, auf Germanien und die an- grenzenden Gebiete der Belgiea erstreckt worden. ı CIL. XIII 8990 (a. 98); verstümmelt ist n. 9042. Die deniselben Jahre 98 an- gehörigen Meilensteine n. 9078. 9079. 9081, die von Vesontio aus zählen, werden, ebenso wie der von Andemantunnum (Langres) zählende Stein n. 9045 und die Schweizer Meilensteine des Hadrian und Pius (CIL. XIII 9065. 9062 — Inser. Helv. 331. 332) zu Germanien zu rechnen sein. 2 Vgl. Roth, a.a. OÖ. S.9 Anm. ı3; aus Hadrians Zeit: CIL. XIII 9084. 9124. 9133 — Brambach 1936; aus Pius’ Zeit: CIL. XlII gızı. 9134. 9152 — Brambach 1965. 1937. 1930; unter Marcus und Verus aus dem J. 162: CIL. XII gı53 — Bram- bach r9zı und CIL. XIII 9165 — Brambach spur. 90, letztere eine moderne Nach- bildung einer mit der ersten fast übereinstimmenden Inschrift, deren Eelıtheit, wie Domaszewski bemerkt, durch jene erwiesen wird; auch Roth (S. 9) hat sie bereits als- echtes Zeugnis angeführt. Später fallende Inschriften sind seit Rotlı nicht gefunden worden. 3 Dies hat, ohne die obigen Meilensteine zu kennen, bereits Mommsen, Röın.. Gesch. 5, S. 94 als sicher angenommen: “Unmöglich kann Severus damit den Kelten eine nationale Concession haben machen wollen, ihn müssen Zweckmäßigkeitsrücksichten. bestimmt haben. Diese können nur darauf beruhen, daß das nationale Wegemaß, die Leuga oder auch die Doppelleuga, die germanische Rasta, welche letztere der französi- schen Zeue entspricht, in diesen Provinzen nach der Einführung des einheitlichen Wege- maßes in ausgedehnterem Umfang fortbestanden haben, als dies in den übrigen Reichs- ländern der Fall war. Augustus wird die römische Meile formell auf Gallien erstreckt und die Postbücher und die Reichsstraßen daranf gestellt, aber der Sache nach dem Lande das alte Wegemaß gelassen haben; und so mag es gekommen sein, daß die- spätere Verwaltung es weniger unbequem fand, die zwiefache Einheit im Postverkehr sich gefallen zu lassen,- als noch länger sich eines praktisch im Lande unbekannten Wegemaßes zu bedienen. Ähnlich Zangemeister, Westdeutsche Zeitschrift 20. 190T, S. 119 in seiner Erklärung der Meilensäule auf dem Mont Donon CIL. XUl 4549 — Dessau 5882a: D(eo) Mer(curio); L. Vatini(us) Fel(ix) miliaria a vico Saravo L(eugis) XII c(onstitwi) i(ussit); v. s. l.m., die nach der Schrift vielleicht noch vor Severus anzusetzen sei: “Der Umstand, daß hier nicht nach m. p., sondern nach leugae gerechnet wird, nötigt meines Erachtens nicht zu der Annahme, daß die Inschrift jünger als zor ist, da eine private Leistung vorliegt, und in den tres Galliae ohne Zweifel schon vor- 202 bei Privatpersonen, vielleicht auch bei Gemeinden, die einheimische Meile im Gebrauche gewesen sein muß. Nur unter dieser Voraussetzung erklärt sich die zu Anfang des 3. Jahrhunderts erfolgte staatliche Einführung der Leuga für Reichsstraßen.” * An und für sich stände nichts im Wege bereits Marcus oder Commodus diese Neuerung zuzuschreiben; doch macht Roth (S. 15) mit Recht dagegen geltend, daß aus den letzten 15 (richtiger 17) Jahren des Marcus und der zwölfjährigen Regierung des Commodus nicht ein einziger Meilenstein in Gallien oder Germanien nachzuweisen ist,. während sie mit Severus sehr zahlreich werden. ö IlırschreLn: Die römischen Meilensteine. 187 In später Zeit scheint man. wenigstens in einigen Teilen Galliens, insbesondere in der Bretagne,' nach Doppelleugen gemessen zu haben, da die französische Zeue diesem Maße entspricht, ebenso die germa- nische rasta, die wohl nicht ein ursprünglich germanisches Maß ge- wesen, sondern erst aus der Doppelleuga entstanden ist, da nach Cäsars Versicherung die Germanen zu seiner Zeit keine Wegemaße kannten’ und in der Kaiserzeit bis ins 4. Jahrhundert hinab nach Leugen, wenigstens auf den Meilensteinen — die letzte sichere Leugen- inschrift. die aus Germanien bekannt ist, fällt 317/323° — gemessen haben: jedoch schreibt bereits Hieronymus die rasta als Wegemaß dem “ganzen Germanien’ zu.' Die Meilensteine in dem gallisch-germanischen Gebiet beginnen mit Claudius, der seinem Geburtsland auch hinsichtlich des Wegebaues sein besonderes Interesse zugewandt und sogar im äußersten Nord- westen eine Straße durch die Bretagne im Jahre 45,’ veranlaßt ohne Zweifel durch die Eroberung Britanniens, hat bauen lassen, während in Britannien selbst die Meilensteine erst mit Hadrian beginnen. Auch ‚die gallischen Usurpatoren in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts: Postumus. Vietorinus und Tetrieus haben sich um den Wegebau in Gallien sehr verdient gemacht: die Meilensteine des Postumus be- schränken sieh nicht auf Gallien und Germanien, sondern sind auch in Britannien und Spanien vertreten und zeugen von dem Umfang seiner Machtsphäre.” während von dem jüngeren Tetrieus auch in der ' Dies ist aus einer Angabe des Chrestien de Troyes zu schließen, durch deren Mitteilung Hr. Tobler mich zu Dank verpflichtet hat; er schreibt mir: “Chrestien de Troyes (2. Hälfte des ı2. Jahrhunderts) braucht, wenn er von Entfernung im Reiche des Artus spricht, als Bezeichnung des Wegemaßes Ziue, was dem neufranzösischen .dieue gleich ist. Iım Yvain 192 setzt er dazu galesche, d.h. wälisch (*gallisca). Im selben Gedichte 2958 sagt er: “es war nicht einen Schritt mehr als eine halbe Meile, nach den Meilen, die in dem Lande (Bretagne) sind; denn nach dem Maße der unseren machen je 2 eine, je 4 zwei. Anderwärts findet man Ziue frangoise, was offenbar ‘von Z. galesche verschieden ist. — Brunetto Latini (Dantes Lehrer), der lange in Frank- reich gelebt und sein größtes Werk französisch geschrieben hat, sagt in diesem, seinem Tresor S. 126: La liue frangoise est bien deus ou trois tans que le mille n’est. Den Ducange will ieh nicht ausschreiben. * Caesar b. G. 6,28: Hercyniae silvae .... latitudo novem dierum iter expedito patet: nom enim aliter finiri potest, neque mensuras itinerum noverunt. CIL. XIII 9096 — Brambach 1952. Hieronymus comm. in Joel (im Jahre 406 abgefaßt) ec. 3 v.ı8 (ed. Veronens. 1736, t. 6, S. 215): nec mirum si unaquaeque gens certa viarum spatia suis appellet nomini- ‚bus, cum et Latini mille passus vocent, et Galli leucas, et Persae parasangas, et rastas universa Germania, atque in singulis nominibus diversa mensura sit. Vgl. die späteren Zeugnisse bei Ducange s.v. Das Wort rasta ist wohl eine Wiedergabe des lateini- schen mansio. ° CIL. XIII 9016, gefunden in Kerscao im Westen der Bretagne. Die galli- schen Meilensteine des Claudius fallen mit wenigen Ausnahmen in das Jahr 25 Jan. 45/46. ° Vel. Schiller, Geschichte der römischen Kaiserzeit I, S.830 Anm. ro. 1 158 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 21. Febr. 1907. — Mitth. v. 8. Nov. 1906. Narbonensis, bei Carcassonne und Beziers, Meilensteine zum Vorschein gekommen sind." In dieser Provinz haben Augustus und die Mit- elieder des Julisch-Claudischen Geschlechts, besonders auf der Via Domitia, eine eifrige Bautätigkeit entwickelt, im 2. Jahrhundert der durch verwandtschaftliche Beziehungen mit der Narbonensis verbun- dene Antoninus Pius, während die Flavier, Hadrian, Marcus. Commodus und Septimius Severus hier ganz unvertreten sind.’ Für Spanien beginnt mit Augustus, dem Schöpfer der Via Augusta, die den Nordosten des Landes mit dem Atlantischen Ozean verband, eine neue Epoche: unter den Kaisern des 2. Jahrhunderts sind es natürlich die aus Spanien gebürtigen: Traian und Hadrian, im 3. Caracalla, die am häufigsten auf den Meilensteinen vertreten sind.’ In Afrika gehören zwar die ältesten Meilensteine dem Regierungs- antritt des Tiberius an, jedoch kann kein Zweifel darüber sein, daß der Bau der Straße von Theveste, dem Winterlager der dritten Le- gion, nach Tacapae bereits von Augustus angeordnet und begonnen ist.“ Ein Jahrhundert lang hat dann der Wegebau in Afrika an- scheinend nur geringe Fortschritte gemacht;’ erst Hadrian hat hier- Wandel geschafft und das Land wahrhaft dem Verkehr erschlossen. Die große Straße von Karthago nach Theveste, bis zur Grenze Nu- midiens, hat er bereits im Jahre 123 in einer Länge von fast 200 rö- mischen Meilen durch die dritte Legion ptlastern lassen:® in Numidien wird eine ‘neue Straße’ auf seinen Befehl von der Gemeinde Cirta und ihren Grundbesitzern gebaut;' auch Mauretanien erhält im Jahre 124 von ihm wahrscheinlich die erste Staatsstraße.” Wohl ! Allmer, Revue £pigr. II n. 716 und ]1I n. 817; dagegen war in Grenoble der Kaiser Claudius anerkannt: CIL. XII 2228 mit Anmerkung. — Noch im Jahre 435 heißt es von einem Praefectus praetorio Galliarum: de Arelate Ma|ssil(tam)] miliaria ‚poni 2 CIL. XII 5494. ®2 Vgl. meine “Beiträge z. Gesch. d. Narbonens. Provinz’ in der Westd. Zeitschr. 8,. 1889, S. 6fl. 3 Über Augustus’ Wegebauten in Spanien vgl. Mommsen, Röm. Gesch. 5, S. 67, dessen Bemerkung, seit Tiberius habe ‘die Regierung für die Straßen Spaniens nicht viel getan’, mir nicht berechtigt scheint, besonders auch mit Rücksicht auf die noch sehr ungenügende Erforschung der Straßen in Spanien. * Über die Zurückhaltung des Augustus gegenüber Afrika vgl. Gardthausen, a.a. ©. I, 2, S. 701; allerdings mochte er sich scheuen, in die Verwaltung dieser Senatsprovinz energisch einzugreifen. 5 Afrikanische Meilensteine aus Tiberius’ späterer Zeit, wie auch von .Caligula, Claudius, Nero fehlen ganz; nur der Meilenstein des Legaten C. Velleius Patereulus: CIL. VIll 10311 wird dieser Zeit angehören. Sie beginnen erst wieder mit Vespasian und seinen Söhnen. 6 CIL. VIII 22173 = 10114; existiert hat diese Straße, wenigstens zum großen. Teil, schon früher: CIL. VIII, Suppl. S. 2092. ” CIL. VIII 10296. 10322. 22370. s CIL. VIII 10355. 10363. 22404. 22406. llırschrrLp: Die römischen Meilensteine. 189 durch seinen Aufenthalt im Jahre 128 in Afrika ist dann der im Jahre 129 ausgeführte Bau der Straße von Simitthus nach Thabraca veranlaßt worden." Nach Hadrian tritt ein Stillstand ein, bis wieder- um die afrikanischen Kaiser Severus und weit mehr noch Caracalla auf massenhaften Meilensteinen erscheinen. Aber auch die späteren Kaiser haben solche Dokumente ihrer Tätigkeit in einer von keinem anderen Lande auch nur annähernd erreichten und noch immer wach- senden Fülle hinterlassen, und nicht zum mindesten sind es die Meilen- steine, die einen Begriff von der Bedeutung des Landes in der spä- teren Kaiserzeit geben.” In Dalmatien, wo die Anlage der Küstenstraße von Jader nach Salona und weiter nach Narona wohl auf die Zeit der Republik zurück- geht, hat Tiberius, der die Schwierigkeit der Kriegführung im In- nern des unwegsamen Landes aus eigener Erfahrung kennen gelernt hatte, in den ersten Jahren seiner Regierung mindestens fünf Straßen von Salona aus in den gebirgigen Osten durch seinen Legaten P. Cor- nelius Dolabella bauen lassen, die eine Länge von 150 römischen Meilen und mehr hatten.” Fortgesetzt hat die Erschließung des Innern, wie neuere Funde gelehrt haben", Claudius durch Anlage einer Straße von Burnum bis zum Sanafluß. Später ist anscheinend die Bautätig- keit in Dalmatien erlahmt, wenn auch Meilensteine noch aus dem Ende des 4. Jahrhunderts erhalten sind. In Moesia superior beginnt der Wegebau mit der unter Tiberius im Jahre 33/4 von den beiden dort stationierten Legionen ausgeführten, von Viminacium südöstlich laufenden Donaustraße.” Weiter östlich hat dann im Jahre 100 Traian als Vorbereitung zu seinem Daeischen Feldzug eine kühne Felsenstraße bei dem eisernen Torpaß gebaut.“ Auch in Dacien hat derselbe Kaiser sofort nach der Eroberung mit ı CIL. VIII 10960 — 22199. 22201—3. 2 Mommsen CIL. VIII, S. 860: ‘a Severo deinde ita abundant, ut continuo ordine perveniant ad Gratianum, in quo deficiunt'. Als Mommsen vor 25 Jahren diese Worte schrieb, betrug die Zahl der uns bekannten afrikanischen Meilensteine etwa 450; seither hat sie sich weit mehr als verdoppelt. Doch gehen auch die neugefundenen (22086. 22324) nicht über Theodosius 1. hinab. ® CIL. 11 3198— 3201 mit Mommsens Ausführungen und den Nachträgen n. 10156 bis 10159. * CIL. III Suppl. S. 2178; vgl. dazu die vortreffliche Untersuchung von Ballif und Patselı, Römische Straßen in Bosnien und der Hercegovina. Wien 1893. 5 Vel. die Felsinschrift CIL. III 1698 —= 13813»; neben der Inschrift des Tiberius stehen drei Restitutionsinschriften Vespasians und seiner Söhne. ° Vgl. über die zum Teil in den Felsen gehauene, zum Teil auf Holzbalken (ancones), die in den Felsen eingefügt waren, geführte Straße Benndorf in den Sitz.- Ber. der Wiener Akademie 1874 S. 417ff., der zuerst die Lesung der Inschrift CIL. Ill 8267 — 1699: montibus excisi[s], anco[ni]bus sublat[i]s via[m] f[ecit] richtiggestellt hat. 190 Sitzung der phil.- hist. Classe v. 21. Febr. 1907. — Mitth. v. 8. Nov. 1906. dem Straßenbau begonnen'; die Meilensteine aus späterer Zeit sind aber in Dacien. wie in Moesia superior, äußerst spärlich.” Auffallender ist, daß sie in Moesia inferior erst mit Hadrian, über 100 Jahre nach der Eroberung des Landes beginnen, in Pannonia superior sogar erst unter Antoninus Pius, obgleich hier sicherlich nicht nur die Straße von Aquileia nach Emona und weiter ins Land hinein, sondern auch die Donaustraßen wesentlich älteren Ursprungs sein müssen: daß in dem äußersten Südosten der damals noch ungeteilten Provinz bereits Nerva die Donaustraße von Malata nach Cusum gebaut hat, ist bezeugt.” Häufiger werden die Meilensteine in beiden Pannonien erst seit Se- verus, entsprechend der wachsenden Bedeutung der Donauprovinzen, aus denen am Ende des 3. Jahrhunderts das Römische Reich seine Kaiser empfing. Auch in Noricum werden die Meilensteine erst seit Severus zahlreicher, wenn auch bereits Claudius und Traian, jener an- scheinend auf der alten Straße von Aquileia nach Virunum', dieser auf der Straße von Cilli nach Pettau tätig gewesen ist.” Dagegen fällt in Rätien kein Meilenstein vor Severus, unter dem sie freilich sofort in Masse auftreten, um später fast ganz zu versiegen“, während in Noricum die Kaiser des 4. Jahrhunderts noch auf zahlreichen Meilen- steinen erscheinen. In den Provinzen des Orients ist der griechischen Sprache auf den Meilensteinen, wenn auch erst nach der lateinischen. eine Stelle eingeräumt, entsprechend der von Rom schon in der Republik und dann besonders seit Hadrian den griechisch-orientalischen Provinzen gegenüber verfolgten Politik und mit Rücksicht auf die Notwendigkeit, diese Wegweiser der mit der römischen Sprache fast unbekannten Be- völkerung verständlich zu machen. Die oben (S. 171) erwähnten Meilen- steine des M’. Aquilius aus dem Jahre 129 v. Chr. bringen die Doppel- sprachigkeit der Meilensteine des Orients deutlich zur Anschauung. Jedoch hat Augustus wahrscheinlich. gemäß seiner, im Gegensatz zu Cäsar, auf die Romanisierung des Reiches gerichteten Tendenz, die Absicht gehabt, ausschließlich die lateinische Sprache auf den Meilen- ' CIL. Ill 1627 (a. 109/110): a Potaissa Napocae. > CIL. 1II 13802 (Severus); 8060. 142169 (Maximinus); 8061 (Gallus und Volusianus). 3 CIL. III 3700. — Auf dem angeblichen Meilenstein Traians an der Straße von Tergeste nach Emona (CIL. Ill 4614) ist wenig Verlaß. * CIL. III 5709. 5 CIL. III 5732. 5738; vgl. Mommsen S. 698: “via Celeia Poetovionem_ celeberrima Noricarum cum facta sit nisi ante, certe ab imperatore Traiano'. ° Erhalten sind aus späterer Zeit ein Meilenstein des Maximinus (CIL. III 5985), zwei des Decius (5988 —89), zwei des Julianus (5983—84); unsicherer Datierung ist n. 5986. HırscHhreLp: Die römischen Meilensteine. 191 steinen auch im Orient zu verwenden: wenigstens zeigen die von ihm in Asien gefundenen Meilensteine eine rein lateinische Fassung ohne jeden griechischen Zusatz.‘ Auch in späterer Zeit sind im ganzen Orient, mit Einschluß von Griechenland und Thessalien, die römischen Meilensteine die Regel, nur daß man die Ziffern. vielfach mit Zusatz von M = nı[aıa)”, lateinisch und griechisch oder auch nur griechisch zu setzen pflegte®, bisweilen auch den Ausgangsort ebenfalls griechisch hinzufügte.‘ Dagegen ist es keineswegs häufig, daß die ganze In- schrift in beiden Sprachen gegeben wird, und meist geschieht das auch nicht auf eigentlichen Meilensäulen, sondern auf Denksteinen zu Ehren des Erbauers oder Wiederherstellers der Straße.” Rein grie- chische Meilensteine sind im ganzen Ausnahmen, allerdings in Thra- eien sehr zahlreich vertreten.° Mit Moesia inferior beginnen dann die ı CIL. III 6974 (vgl.12217). 14185. 14401%b-°; sie gehören sämtlich dem Jahre 6 v. Chr. und ein und derselben Straße (vi« Sebaste) an. ® Das griechische Wort für Meilensteine ist chHmelon: Plutarch €. Gracchus c. 7; Herodian II, 13, 9: ENTöc EKATOCTOY cHMeloy als Übersetzung von intra centesimum Japidem, vgl. VIII, 4. 1: ÄmexonTi TÄC TIönewc CHMEIA ErkAlaeka; Suidas Ss. v.: CHMEIA — milia, ebenso gebraucht das Wort Eusebius, vgl. Kubitschek, Österr. Jahreshefte 8 S. 123; aber bereits Polybius gebraucht das Wort minion und leitet davon miniAzein al) (34. 11,8 und 34. 12, 3; vgl. dagegen oben S.167 Anm. 4). Nach Julianus von Askalon, Metrol. ser. I, 201.9 wäre das Wort Mminıon sogar bereits Eratosthenes bekannt ge- wesen. Auf griechischen Meilensteinen wird stets meinion gebraucht; vgl. auch CIL. III 218 (a.198), wo milia erexit wiedergegeben wird durch TA meinı(Aa) Anectkcen; Bull. de Corresp. Hellen. 29, 1905 S. 99 (Achaia: Hadrian): meinion Arıöd AnKoMmenAloY ÄNECTHCEN H KOMH und zahlreiche Beispiele auf Munieipalstraßen in Thrakien: Cagnat i.gr.adr.R. p.I n.669fl. — Vel. L. Hahn, Rom und Romanismus im griechisch-römischen Osten (Leipzig 1906) S. 30 Anm. 3: ‘das Wort minıon hat sich durch die ganze griechische Literatur (Strabo, Plutarch. Dio Cass., Evang. Matth. usw.) bis heute erhalten, vgl. 'G. Meyer, Neugriech. Stud. III S. 44 und O. Schrader, Linguist.-hist. Forschungen (Jena 1886) S.149: “von Italien aus hat das Wort im Verein mit römischen Kaufleuten und Legionen allmählich Europa erobert’. ® Beispiele im CIL. III Suppl. Index S. 2607; daß die griechische Ziffer der lateinischen vorausgeht, ist eine seltene Ausnahme; so CIL. III 464. 14169. * Auf mehreren Meilensteinen in der Nähe von Jerusalem (vgl. CIL. III Suppl. -S. 2050) steht am Schluß: Ad Kon(onlac) Ain(lac) KATIITWA(EINHC) MExXPI Öae MiNIA... oder etwas verkürzt: ArIö "Erevseroriöneuc MiNIA . ..; 111 1415576. 17: Amo CKYeoriönewc MExPI Öae Mina... .; 111 1415522; Bull. des Antig. de Fr. 1902 S.ı25: Amö ®n. Neactönewc MEXPI ÖAE M.K; And ’Eoecor M (die Zahl fehlt): CIL. III ı2270, vgl. Bull. de Corresp. Hellen. 12 S. 374; Amö Ayxniaov: III 711. 712. ° CIL. 111 218. 346. 470. 482. 6983. 7192. 7203; die Originalfassung ist aber offen- bar lateinisch. ° Kubitschek, Österr. Jahreshefte 5 S.26 Anm. 5 und Cagnat i. gr. adr. R. p.I S. 225fl. Vgl. auch aus anderen Provinzen CIL. III 472. 483. 6949. 7169. 7201. 14199!°. 142063° (die lateinischen Überreste auf diesen Steinen gehören nicht zu der griechi- schen Inschrift); Bull. de Corresp. Hellen. 12 S. 66. 374 fg.; 14 S. 615; 29 S. 99; 'Cagnat, Inser. gr. ad r. R. pert. Ill n. 1028-29; Chapot, Revue de philol. 1904 S. 70. 72 (Klazomenae) u. a. m. 192 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 21. Febr. 1907. — Mitth. v. 8. Nov. 1906. rein lateinischen Meilensteine, obschon diese Provinz bekanntlich, wie die sonstigen Inschriften zeigen, wesentlich dem griechischen Sprach- gebiet angehört hat. Im allgemeinen hat man auf den Meilensteinen in den ersten drei Jahrhunderten an der lateinischen Sprache als Reichssprache fest- gehalten; seit Diocletian gewinnt auch hier die griechische Sprache mehr Raum, ohne jedoch die lateinische ganz zu verdrängen.' Die Kaiser des r. Jahrhunderts erscheinen auf den Meilensteinen im Orient auffallend selten; häufiger werden sie seit Traian” und be- sonders seit Hadrian, dessen Reisen sicherlich zahlreiche Wegebauten veranlaßt haben.” Die Partherfeldzüge des L. Verus, sodann des Se- verus und Caracalla, wie auch der späteren Kaiser, haben die An- lage und Ausbesserung der Heerstraßen, vorzüglich in Syrien und Arabien, notwendig gemacht, wovon die Meilensteine deutliches Zeug- nis ablegen.” Auch die Kaiser des 4. Jahrhunderts sind mit wenigen Ausnahmen auf den Meilensteinen des Orients vertreten, jedoch sind es meist schon früher zu demselben Zweck verwendete Steine, auf die man teils nach Zerstörung der ursprünglichen Inschrift, häufiger neben dieselbe die neue Inschrift gesetzt hat, so daß oft drei, vier, ja fünf Inschriften, griechische neben lateinischen oder mit ihnen ver-. mengt auf demselben Stein sich finden.” Mit Arcadius und Honorius ! Über “den Rückgang des Lateinischen im Orient” handelt Kubitschek im. Bormann-Heft (24, 2) der Wiener Studien S. 340ff., vgl. S. 349: “die complieierten Verhältnisse der Inschriften auf Meilensteinen, die in republikanischer Zeit doppel- sprachig, in der Kaiserzeit zunächst lateinisch ausgefertigt werden, später zur lateini- schen Angabe der Millien auch die griechischen Ziffern aufnehmen oder, sonst lateinisch, die Wegerichtungen und Distanzen in beiden Sprachen bringen, dann unter gewissen Verhältnissen und endlich insgesamt der griechischen Sprache anheimfallen, werde ich demnächst eingehender zu behandeln Gelegenheit finden’. ?2 Auf zahlreichen Meilensteinen Traians an der Straße von Petra nach Phila- delphia heißt es: redacta in formam provinciae Arabia viam novam a finibus Syriae usque ad mare rubrum aperuit et stravit per ©. Olaudium Severum leg. Aug. pr. pr. ® Vel. z.B. drei Meilensteine vom Jahre 125 in Thessalien CIL. III 7359 (Hypata). 7362 (mit Mommsens Anmerkung) und 142063? (Tempetal). Die Vollendung der öaöc KAINN AAPIANH, die er Arıö BerenikHc Eic ANTIN6oY AIA TÖTMWN ÄCBAABN KAl ÖMAAGN TIAPÄ THN "EPYEPÄN BANACCAN YAPEYMACIN ÄABBÖNDOIC KAl CTABMOIC KAI POYPIOIC AlEIAHMMENHN [? Änjetemen (Miller, Revue arch£ol. 21, 1870 S. 313), ist auf den 25. Februar 137, also: ı$ Jahre vor seinem Tod, datiert. * Die Meilensteine des Marcus und Verus sind großenteils aus dem Jahre 162, in dem Verus gegen die Parther zog. — Von späteren Meilensteinen verdienen be- sonders Erwähnung die unter Zenobia (Cagnat, Inser. gr. ad r. R. p.1lI n. 1028— 29). und ihrem Sohne Vaballathus (C.-r. de l’Acad. des inser. 1903 S. 598 mit vollem. Namen und Kaisertiteln, vgl. CIL. III z09a = 6728) errichteten, ferner der grie- chische Meilenstein des Usurpators Antiochos in Palmyra unter Aurelian: CIL. IIL 6049 = 6727. > Vel. z.B. CIL. III 471— 475 (mit S. 982). 7308. HırscureLn: Die römischen Meilensteine. 193 hören hier und wenig später im Römischen Reiche überhaupt die eigentlichen Meilensäulen auf. £s würde nieht schwer sein, am Schluß dieser auf die historisch in Betracht kommenden Gesichtspunkte gerichteten Untersuchung die Namen der Kaiser und der Provinzen, in denen sie nach Ausweis der Meilensteine Wege gebaut oder hergestellt haben, in einer Tabelle zu- sammenzustellen, um ihre größere oder geringere Beteiligung am Bau der Reichsstraßen, wie auch ihr Interesse für bestimmte Provinzen über- sichtlich zur Anschauung zu bringen. Jedoch würde eine solche Statistik trügerisch sein, mit Rücksicht nicht nur auf den Zufall in der Er- haltung und Wiederauffindung der Denkmäler”, sondern aueh auf die planmäßige Vernichtung, von der die Monumente der Kaiser, deren Andenken verflucht war, im Altertum heimgesucht worden sind.” Aber allerdings wäre bei dem jetzigen Stande unserer Kenntnis des Orbis Romanus und nach fast erfolgtem Abschluß der lateinischen Inschriften- sammlung eine zusammenfassende Untersuchung und kartographische Darstellung der Wege des Römerreichs eine dringende und ohne große Schwierigkeit zu erfüllende Forderung der Wissenschaft. Erst dann wird man ganz ermessen können, eine wie großartige Kulturarbeit das Kaiserreich noch in den wirren und verzweifelten Zeiten des Niedergangs und der Auflösung der alten Welt für den Orient und den Oceident durch Schaffung der Reichsstraßen geleistet hat, die im ganzen Mittelalter und vielfach noch heute die großen Adern des Ver- kehrs geblieben sind. Anhang. Die gallischen Städtenamen auf den Meilensteinen. Die gallischen Meilensteine ermöglichen, wenn ich recht sehe, die Beantwortung der für die spätere Geschichte Galliens nicht un- wichtigen Frage, wann sich die Umwandlung der alten Städtenamen zu Gaunamen vollzogen hat. ! Die jüngste mir bekannte ist aus dem Jahre 435 CIL. XII 5494: salvis dd. nn. Theodosio et Valentiniano ... Auziliaris pr(ae)f. praeto(rio) Gallia|frum] de Arelate Mafssil(iam)] miliaria poni s[tatuit]. M. P. I. Auf einer oder vielmehr zwei Basen, die also nicht als Meilensäule, sondern als Denkstein zu fassen sind, ist die oben S. 176 Anm. ı erwähnte Wegeinschrift des Theoderich eingehauen. 2 Das zeigt besonders für den Orient und Afrika ein Vergleich der Meilensteine in den Supplementbänden des CIL. mit den Stammbänden. 3 Die kassierten Meilensteine sind nicht selten nach dem Hauptort der Straße gebracht worden, um eventuell wieder verwandt zu werden; so hat sich z. B. in Rennes ein großes Depot von Meilensteinen verschiedener Kaiser gefunden, andere in Bayeux, Feurs, Heidelberg mit den Leugenziffern III und III, ein Meilenstein mit der Ziffer VIII und ausgemeißeltem Namen Domitians in Ancyra u.a. m. 194 Sitzung der phil.- hist. Classe v. 21. Febr. 1907. — Mitth. v. 8. Nov. 1906. Bekanntlich sind in den drei Gallien, in denen, im Gegensatz zu der Narbonensis. nicht die Stadt. sondern der Gau, die civilas, in keltischer wie in römischer Zeit für die Gliederung des Landes be- stimmend war, die alten Namen der Hauptstädte der Civitates in späterer Zeit verschwunden und die der ganzen Civitas eigenen Namen an ihre Stelle getreten. was um so natürlicher war, als bereits in früher Zeit, wie der Sprachgebrauch Cäsars zeigt, der Name des Volks- stammes vielfach dem Stadtnamen beigefügt worden ist. wie z. B. bei Duroeortorum Remorum und Lutecia Parisiorum." Aus diesen Gau- namen sind dann die modernen Namen. wie Paris, Rheims, Saintes aus den Parisii, Remi, Santones usw. gebildet worden,” wie aus civitas in dem Sinne von 'Stadt’ das französische eit hervorgegangen ist.” Nur wenige Ausnahmen sind von dieser Regel nachweisbar und zwar durch- weg solche, bei denen der Grund für die Erhaltung des alten Namens sich unschwer erkennen läßt. Zunächst natürlich Lugdunum, das als Vollbürgerkolonie und Hauptstadt von ganz Gallien seinen alten Namen behalten mußte, schon weil es gar nicht zu der Civitas der Segusiavi gehörte, sondern als Kolonie römischer Bürger vielmehr aus derselben eximiert war. Analog liegt der Fall bei den Kolonien im Schweizer- gebiet, der Colonia Julia Equestris = Noviodunum (Nyon) und bei Au- gusta Raurieorum (Basel- Augst)* wie auch bei der Colonia Agrippinen- sium (Köln) im germanischen UÜbiergebiet. Anderer Art sind die im Laufe des ı. Jahrhunderts in Gallien geschaffenen Kolonien, die ein Kompromiß zwischen der Gau- und Kolonialverfassung darstellen, indem der Titel colonia wie auch die ı Caesar b. ce. VI, 3: consilium Luteciam Parisiorum transfert, V1. 44: erxercitum Durocortorum Remorum redueit. Vgl. CIL. 111 4466: dom(o) Durocor(toro) Rem(orum); Itiner. Anton. S. 380, 7: a Bagaco Nerviorum Durocortoro Remorum usque. 2 Deutlich tritt die Benennung der Städte nach den Civitates entgegen bei Ammianus XV, ır und bei Hieronymus epist. 123 ad Ageruchiam (geschrieben im Jahre 409): Remorum urbs praepotens, Ambiani, Atrebatae "extremique hominum’ Morini, Tornacus, Nemetae, Argentoratus translatae in Germaniam. 3 Unzureichend ist die einzige aus älterer Zeit mir bekannte Untersuchung von Belley: sur Fordre politigue des Gaules, qui a occasionne le changement de nom de plu- sieurs Villes in M&m. de l’Acad. des Inser. et Belles Lettres 19, 1753 S. 495—5I1I; am Schluß gibt er ein Verzeichnis der so umgenannten Städte. Neuerdings haben sich mit dieser Frage beschäftigt C. Jullian, Inscriptions rom. de Bordeaux Il, S. ı2rfl. und E. Kornemann, Zur Stadtentstehung in den ehemals keltischen und germanischen Gebieten des Römerreichs (Gießen 1898), S. 69ff.; vgl. auch A. Longnon, Geographie de la Gaule au Vl® siecle (Paris 1878), S. ı ff. * Mommsen im CL. XII 2, S. ı und S. 51; daß auch die letztere als römische Bürgerkolonie gegründet worden ist, muß man nach der Inschrift ihres Gründers L. Munatius Plancus (CIL. X 6087: in Gallia colonias deduxit Lugudunum et Rauricam) und Plinius’ Zeugnis (n. h. 4, 106): coloniae Equestris et Raurica für die Augusteische Zeit sicher annehmen; doch ist mir zweifelhaft, ob sie dieses volle Bürgerrecht dauernd be- halten hat. HırscnreLo: Die römischen Meilensteine. 195 Beamten und Priester teils auf die ganze Civitas, teils auf ihren Vorort bezogen werden." Jedoch haben auch diese zum Teil den Stadtnamen sich erhalten, wie Elusa (Eauze) Forum Segusiavorum (Feurs), Vesontio (Besancon). Eine Ausnahme macht die Colonia Augusta Treverorum, die in späterer Zeit Treviri heißt; doch ist dabei zu erwägen, daß Augusta regelmäßig nicht allein, sondern fast immer” mit dem Zusatz Treverorum versehen erscheint, schon deshalb, weil noch zwei andere Städte in der Belgica: Augusta Suessionum und Augusta Viroman- duorum diesen Namen tragen.‘ Allerdings wird der Titel colonia auch den Vellavi, den Lingones, den Morini und in Germanien den Ne- metes erteilt, jedoch wird derselbe hier nie auf die Stadt, sondern stets auf die Civitas bezogen,’ und außerdem ist es sehr fraglich, ob diese Gaue wie auch die Segusiavi den Titel noch in späterer Zeit besessen haben. Daher ist es nicht auffällig, daß hier der Stadtname in den Volksnamen übergegangen ist. Eine zweite Kategorie der auch später im Gebrauch gebliebenen Städtenamen bilden diejenigen, die erst gegen Ende des dritten oder ! Vel. darüber Kornemann, a. a. O. S. 37 ff. und S. 71. > Allerdings führt hier auch der Gau denselben Namen; Ammianus XV, ıı, 14 zählt Elusa mit Narbo und Tolosa zu den ersten Städten der Narbonensis; ob aber, wie ich (CIL. XIII ı, S. 72) mit Desjardins angenommen habe, dafür Nema(u)sa einzu- setzen sei, ist mir zweifelhaft geworden; wahrscheinlich ist e£ Zlusa mit den vorher- sehenden Worten: novem populos Ausci commendant et Vasatae zu verbinden, da Elusa damals und noch bis zum Ende des 6. Jahrhunderts die Metropolis der Novempopuli war (vgl. Mommsen, Clronica I, S. 554). 3 Col(onia) Aug(usta) allein heißt sie auf einem Meilenstein aus Hadrians Zeit: CIL. XIII 9133 — Brambach 1936; dagegen auf Meilensteinen des Pius col. Aug. Tr.: CIL. XIII gız3r. 9134 —= Brambach n. 1965. 1937; August. Trev. auf einem Meilenstein des Severus: CIL. XIII 9129; vgl. auch Domaszewski, CIL. XIlI r, S. 583. * Zu beachten ist, daß die einzige Stadt in der Narbonensis, die noch in später Zeit den Gaunamen geführt hat, Augusta Tricastinorum, ihren modernen Namen St- Paul-Trois-Chäteaux nach demselben erhalten hat. 5 Die Zeugnisse sind im CIL. XIII in den Einleitungen zusammengestellt. % So ist der Meilenstein CIL. XIII 8917 dem Traian von der col. Fl(avia) F[or(um) Segus(iavorum)] gesetzt, dagegen die Meilensteine im 3. Jahrhundert von der civit. Seg. libera: n. 8861-62. 8864-65; vgl. 8863 (a. 237): a F(oro) Seg(usiavorum). — Auch die Lingones werden wohl nach ihrem Abfall und der Einnahme ihrer Stadt durch Sex. ‚Julius Frontinus im Jahre 70 den Kolonialtitel (CIL. XIII 5685. 5693 und vielleicht 5694, die sehr wohl dem ı. Jahrhundert angehören können; ob die Überlieferung bei Tacitus hist. I, 77: Otho... Lingonibus universis civitatem romanam dedit richtig ist, ist zweifelhaft: CIL. XIII 2, S. 84 I) verloren haben; wenigstens lautet der Name auf zwei Inschriften aus der Zeit des Septimius Severus (XIII 5681-82): [eivitas Lingonum] ‚Joede|rata] und ci|vitas] Dingonum. Betreffs der Vellavi vgl. CIL. XIII ı S. 212, betreffs der Morini CIL. XIII r S. 560. Die Nemetes führen den Titel colonia nur auf einem Meilenstein des Postumus (CIL. XIII 9092 — Brambach 1948), während später ce. N. auf den Meilensteinen steht, was wohl civitas (nicht colonia) Nemetum zu ergäuzen ist, daher vermutet Mommsen, CIL. XIII 2 S. 161, daß der Titel ihnen von Postumus verliehen und von den späteren Kaisern nicht anerkannt worden sei. 196 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 21. Febr. 1907. — Mitth. v. 8. Nov. 1906. Anfang des vierten Jahrhunderts an Stelle des ursprünglichen Namens einen anderen erhalten haben, wie Cenabum in Aureliani (Orleans) wahrscheinlich von Aurelianus umgewandelt ist." Cosedia(?), der Haupt- ort der Unelli, anscheinend von Constantius in Constantia (Coutances);?” dazu könnte man noch Gesoriacum, das später Bononia (Boulogne - sur- Mer)? heißt, fügen, doch ist nicht diese Hafenstadt, sondern Tarvenna als Vorort der Morini angesehen worden.‘ Drittens sind einige Städte, die eine besondere Bedeutung im Gegensatz zu der Unbedeutenheit ihres Volksstammes besaßen, im Besitz des alten Namens geblieben: Burdigala (Bordeaux). der Haupt- ort der Bituriges Vivisci’. bei dem noch in Betracht zu ziehen ist, daß der Name der Bituriges auf die Hauptstadt der an Umfang viel be- deutenderen Bituriges Cubi (Bourges) übergegangen war: Aquae (Dax, früher Acqs oder Ax) bei den Tarbelli. ein Badeort, dessen Heilkraft bereits in der frühen Kaiserzeit berühmt war;* Rotomagus (Rouen) bei den unbedeutenden Veliocasses, das Ammian’ unter den splendidae urbes nennt. Auch Aginnum (Agen) bei den Nitiobroges wird. ob- gleich es keine hervorragende Stellung eingenommen zu haben scheint,“ zu dieser Kategorie zu zählen sein. Andererseits hat Augustonemetum, die niemals zu Bedeutung ge- ‚angte Hauptstadt des großen Arvernerstammes, seinen Namen mit dem Gaunamen vertauschen müssen, an dessen Stelle erst im Mittel- alter das Castrum Clarimunte (Ölermont) getreten ist.” Dagegen hat sich der Name des berühmten und stark befestigten Augustodunum noch im 4. Jahrhundert erhalten,” doch ist auch hier in der um die Wende des 4. und 5. Jahrhunderts redigierten Notitia Galliarum der Name ceivitas Aeduorum, allerdings mit dem Zusatz in mehreren Hand- schriften: hoc est Augustodunum, getreten; daß dieser Name aber dann den Gaunamen wieder verdrängt hat, zeigen die mittelalterlichen IZOHZXIISFTES: 472- 2 CIL. XIII, ı S. 494. 2 CIL. XII, r S. 561. * Siehe unten S.197 Anm. 3. Vgl. Jullian a.a.O. S. 122: “Bordeaux etait moins le centre des Vivisques que le territoire des Vivisques n’etait sa banlieue. CIE XI ES 153: ” Ammianus XV, ı1, 12. 2 EIERN IE ST ° CIL. XIII, ı S.194; der Name Castrum Clarimunte (heute Clermont) ist erst im 8. Jahrhundert nachweisbar. 1° Ammianus 15, II, IL: moenium Augustoduni magnitudo vetusta, auch 16, 2, LI. 2 und in der Notitia Dignitatum findet sich der Name mehrfach (vgl. CIL. XUI, ı S.403 f.; über den Namen bei den Panegyrikern s. unten S. 200). ıı Vgl. Holder, Altcelt. Sprachsch. s. v. Augustodunum. Hırsc#rreLp: Die römischen Meilensteine. 197 Ähnlich steht es mit Tullum, dem Hauptort der Leuei. Die Stadt heißt in der Notitia Galliarum eivitas Leucorum,' doch steht in allen Handschriften: id est Tullo; später ist dieser Name der herr- schende geworden, wenn sich auch bisweilen daneben urbs Leucorum findet:” aus Tullum ist dann der moderne Name Toul entstanden. Dasselbe gilt von Tarvenna (Therouanne), der Hauptstadt der Morini,’ und in Germanien von Borbetomagus (Worms), der Hauptstadt der Vangiones.' Es bleiben nur noch übrig Juliobona (Lillebonne), der Haupt- ort der Caleti. Bagacum (Bavai) bei den Nervi, Castellum (Cassel) bei den Menapii. Aber weder die Namen der Städte, noch die der Volksstämme sind in die Notitia Galliarum übergegangen, ein sicheres Zeichen, daß diese damals und ohne Zweifel bereits viel früher auf- gehört hatten, selbständige Civitates zu sein. Allem Anschein nach sind die Caleti. die zuletzt von Ptolemäus erwähnt werden, mit den Veliocasses vereinigt worden, also in der Notitia unter den Rotho- magenses einbegriffen:° an Stelle der Nervii und Menapii sind in der Notitia Galliarum die Camaracenses und Turnacenses getreten.“ so daß offenbar bereits früher Bagacum und Castellum ihre Stellung als Vor- orte jener Volksstämme eingebüßt hatten. Im ganzen treten die Gründe, die für die Erhaltung oder Be- seitigung der alten Städtenamen bestimmend gewesen sind, deutlich zutage: doch mögen manche Erwägungen, die wir heute nicht mehr erraten können, dabei mitgewirkt haben. Gewiß muß man aber an- nehmen, daß es nicht der Willkür der einzelnen Städte überlassen geblieben ist, ob sie ihren Namen behalten oder gegen den Namen des Gaues eintauschen wollten, sondern daß eine allgemeine, die ! In den Tironischen Noten (ed. Zangemeister, N. Heidelb. Jahrb. 2, 1892, S. 8 n.39) heißt die Stadt Zeucia, was Zangemeister für einen mittelalterlichen Zusatz hält. ®2 CIL. XIll,ı S.702; Holder a.a. O. II, S. 194; vgl. den etwa 460 geschriebenen Brief des Auspicius, episcopi ecelesiae Tullensis, worin es heißt: Tullensi in urbe (Monum. ‘German. epp.lIl, S.ı35 Z.2o). ‚ ® In der Notitia Galliarum VI, ır ist zu civitas Morinum (so die besten Hand- schriften, andere Morinorum) in einigen Handschriften zugefügt: quae nunc Tarvanensis dieitur. Bei Gregor von Tours stelıt Tarabennenses oder Darabennenses, nieht Morini; Tarvanna oder Tarvenna auf merowingischen und karolingischen Münzen: CIL. XI, ı S. 560. * Civitas Vangionum in der Notitia Gall. VII, 4, wo zahlreiche Handschriften zu- fügen: id est Warmatia, Hieronymus epist. 123 ad Ageruchiam (a. 409) $ 16: Vangiones longa obsidione deleti, wo die Stadt zu verstehen ist. Im Mittelalter kommen beide Formen nebeneinander vor: CIL. XIII, 2 S. 187. » So schon Belley, a. a.0. S. 506 und 646; vgl. Longnon, a.a.O. S.ıf.; Mommsen, Chronica I, S. 556. ° Vgl. CIL. XII, ı S.567 und 569; so nennt Hieronymus epist. 123 $ 16 (a. 409): Tornacus zwischen Morini und Nemetae. 198 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 21. Febr. 1907. — Mitth. v. 8. Nov. 1906. Verhältnisse der einzelnen Gemeinden regelnde kaiserliche Verfügung über die Durchführung dieser tief eingreifenden Maßregel ergangen ist,' wenn auch seit längerer Zeit der Übergang zur Identifizierung der Stadt mit dem Territorium des Gaues sich vorbereitet haben wird. Wann eine solche Verfügung aber erlassen worden ist, darüber schweigt unsere Überlieferung, und bisher sind nur Vermutungen über die Zeit derselben geäußert worden. Jullian möchte sie an die allgemeine Ver- leihung des Bürgerreehts durch Caracalla anknüpfen ,* während Zange- meister, mit Rücksicht auf‘ den bei den Panegyrikern noch schwan- kenden Sprachgebrauch, “die Übergangszeit, während welcher sich allmählich der Bedeutungswechsel vollzog‘, fast 100 Jahre später an- zusetzen geneigt ist.” Ihm schließt sich Kornemann an, der zwischen Aurelian, Dioeletian und Constantin schwankt.‘ Die ausschlaggeben- den Zeugnisse, die freilich zum Teil erst in neuerer Zeit zutage ge- treten sind und die meines Erachtens gestatten, fast auf das Jahr die Neuordnung zu datieren, sind bisher zur Entscheidung dieser Frage nicht herangezogen worden. Das erste sichere Beispiel’ der Bezeichnung einer Stadt als Ci- vitas mit dem Gaunamen findet sich auf einem Meilenstein in Rennes vom Jahre 237. wo es am Schluß heißt: a c(ivitate) R(edonum) Keugae) (die Zahl fehlt); auf’ einem Meilenstein des Jahres 243 wird die Ent- fernung angegeben: Pr(aetorio) XNX, L(emovicibus) NXXIII” Unter Tetrieus findet sich: cf{ivitate) P(ictonum) Keugae) XVI, Fin(ibus) Keugae). XX;° dagegen wiederum der alte Name noch unter Kaiser Taeitus: e(iwitas) P(ietonum),, L(imono) Keugae) X VI, Flinibus) Keugae) XX. Auch ! Das ist auch Jullians Ansicht a. a.0. S. 123: ‘je suis persuade que ce n’est pas un simple usage, un pur hasard qui a valı a chaque ville tel ou tel nom, mais qu’une. loi,. um reglement officiel ... a determine lappellation que toute cite devait recevoir. An eine sich allmählich seit dem Ende des 3. Jahrhunderts vollziehende Umnennung glaubt Belley, a. a. 0. S. 507. ® Jullian, a. a. O. S. 121. 3 Westdeutsches Korr.-Blatt 1888, S. 52; die civitas (nicht colonia) Treverorum: in obsidione ... defensa in einer Mainzer Inschrift aus Severus’ Zeit (CIL. XIII 6800) bezieht er mit Recht auf den Gau, nicht nur auf die Stadt; daß aber die Belagerung wesentlich der Stadt gegolten habe, ist nicht zu bezweifeln (vgl. Histor. Zeitschrift 43, S. 472 Anm. 3). * Kornemann, a.a. 0. S.7o0. 5 Auf einem Prätorianerverzeichnis etwa aus der Zeit des Severus wird, wie Mommsen im Hermes 19, S. 24 Anm. 3 bemerkt, Tung. statt Atuatuca als Heimat angegeben (CIL.VI 32623 Z.28); doch ist dieses Zeugnis nicht so beweiskräftig als- das der Meilensteine. %° CIL. XIII 8953, ebenso, aber etwas verhauen, n. 8954. ” CIL. XII 3911. 8 CIL. XIII 8927. ° CIL. XIII 8928; die von mir CIL. XIII, ı S. 149 Anm. versuchte Auflösung: e(iwitate) Plictonum) l(ibera) ist verfehlt. Auch in n. 8946 und 8947 ist c. P. nicht als: HırschreLp: Die römischen Meilensteine. 199 der Name der Hauptstadt der Lingones, Andemantunnum, ist noch unter Tetrieus bezeugt,' unter Aurelian Darioritum, die Hauptstadt der Veneti,’ ja, noch zur Zeit des Maximinus Cäsar, also 305 — 307, Samarobriva (mit dem Anfangsbuchstaben abgekürzt), die Hauptstadt der Ambiani.” Andrerseits lautet der Name von Paris auf einem dort gefundenen Meilenstein mit dem Namen desselben Cäsar: a civ(itate) Par(isiorum).* Daraus wird man den Schluß zu ziehen haben, daß bei Setzung des Steins von Amiens ein kaiserlicher Erlaß über die Um- wandlung der Städtenamen in Völkernamen noch nicht ergangen sein kann. Dies wird durch ein wenig älteres offizielles Zeugnis bestätigt, nämlich durch ein Reskript Dioeletians vom Jahre 291, das von Duro- eortorum, der Hauptstadt der Remi, datiert ist.” Dagegen sind die Erlasse Constantins im Codex Theodosianus bereits aus den Jahren 313— 316 Treviris, nicht Augustae Trevirorum unterschrieben,‘ was freilich gerade bei diesem Namen nicht vollen Beweis macht. Aber damit zusammenzuhalten ist eine Inschrift von Reims, in der ÜCon- stantin I. thermas eivitati suae Remorum largitus est,‘ was doch wohl ausschließlich auf die Stadt bezogen werden muß. Jedenfalls ist der Meilenstein von Amiens das letzte Dokument, in dem der alte Name der Stadt noch nicht dem Gaunamen gewichen ist. Denn wenn auch bei den Eingeborenen sich die alten Namen, wie wir das von Luteeia wissen.“ noch lange neben den Gaunamen erhalten haben, so sind sie doch aus dem offiziellen Gebrauch verschwunden.’ Daher ist die An- nahme kaum abzuweisen, daß erst Constantin die bereits im 3. Jahr- hundert begonnene Benennung der Städte nach den Gauen durch einen Generalerlaß geregelt hat. Ablativ, sondern als Nominativ zu fassen, wie in n. 8904—5 aus der Zeit der Philippi und des Aurelianus die civitas Arvernorum als Errichterin der Meilensteine genannt ist; daß bereits Plinius 34, 45 mit den Worten: in civitate Galliae Arvernis die Stadt Augustonemetum gemeint habe, wie ich CIL. XIII, r S. 194 als möglich annahm, halte ich jetzt für ausgeschlossen. ! CIL. XII 9041. ®2 CIE. XIII 8997. CIL. XIII 9032: c(ivitas) Amb(ianorum); a S(amarobriva) Keuga) 1. CIL. XIII 8974- 5 Fragm. Vatie. $ 315: Dorocortoro. — Erwähnung verdient auch, daß auf einem Meilenstein Dioeletians und Maximians die c(ivitas) N(itiobrogum) genannt ist (CIL. XII 8886), die also damals noch nicht, wie in der Notitia Galliarum, den Namen civitas Aginnensium geführt hat. ° Vel. Mommsen, Prolegomena zum Theodosianus I, S. CCIX ff. 7 CIL. XIII 3255. ® Julianus, Misopogon $. 340: ETYrXANON Er& XEIMAZUN TIEPI THN #lAHN ADOYkKeTIAN® ONOMAZOYCI A’ oYrwc ol KenTtoi TON TTAPICION THN TIOAIXNHN (vgl. CIL. XI, r S. 465). ° Allerdings ist zu bemerken, daß Ortsnamen auf Meilensteinen in Gallien und Germanien nach Constantin I. sich nicht melır finden. Sitzungsberichte 1907. 20 3 4 200 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 21. Febr. 1907. — Mitth. v. 8. Nov. 1906. Auch die literarischen Quellen jener Zeit! bestätigen diese’ An- nahme. In seiner im Jahre 297 gehaltenen Rede für die Wieder- herstellung der Schulen sprieht Eumenius (14. ı) von dem Augustodu- nensium oppidum, während die Stadt in der im Jahre 311 gehaltenen Dankrede an Constantin mit dem ihr von dem Kaiser verliehenen Namen Flavia Arduorum am Anfang und Ende offenbar mit offizieller Bezeichnung genannt wird,” wenn auch, wie wir gesehen haben (S. 196), der alte Name Augustodunum durch dieselbe nieht verdrängt worden ist. Man wird kaum mit der Annahme fehlgehen, daß gerade in diesem Jahr oder frühestens in dem vorhergehenden, in dem Con- stantin in Gallien weilte, die Verfügung über die Umnennung der Städte ergangen sein wird. Dazu stimmt vortrefflich die Bezeich- nung der zu dem im Jahre 314 in Arelate abgehaltenen Konzil’ deputierten Geistlichen, als de civitate Remorum. Rotomagensium, Au- guslodunensium, Lugdunensium, Gabalum, Burdegalensium. Treverorum, Elosatium. wo gewiß unter der civitas ebenso wie bei den dort genannten geistlichen Würdenträgern aus der Narbonensis und den anderen Provinzen die Stadt, nicht der Gau zu verstehen ist. In den für Gallien erhaltenen Itinerarien tritt durchgängig die alte Nomenklatur auf: so selbstverständlich in dem gewiß noch dem 2. Jahrhundert angehörigen Itinerar von Autun.‘ ebenso in dem wahr- scheinlich am Anfang des 3. Jahrhunderts abgefaßten Itinerar von Tongern.” Aber auch in der Peutingerschen Tafel ist durchweg die alte Benennung festgehalten .' und dasselbe gilt im ganzen auch von dem Itinerarium Antonini. das anscheinend auf dieselbe. vielleicht Caracallas Zeit angehörige Quelle zurückgeht.” Jedoch ist hier bereits ! Ganz außer Betracht bleibt natürlich der gefälschte Brief in der Biographie des Kaisers Tacitus 18, 5: senatus amplissimus curiae Trevirorum. Auch die Angabe des Trebellius Pollio (trig. tyr. 31, 3): eusi sunt eius (Vietoriae) numi ... quorum hodieque ‚forma extat apud Treviros beweist ebensowenig als die Aufschrift TR auf den seit Diocletian in Trier geprägten Münzen, daß der Name Augusta Treverorum damals bereits verschwunden war. Vgl. besonders ce. 14: Flavia est civitas Aeduorum. 3 Mansi Il, S.463 1. * CIL. XII 2681. ° CIL. XIII 9158; vgl. Schuermans, äge de la colonne itineraire de Tongres in Congres de la feder. arch. ... & Tongres 1901; ein Faksimile beider Itinerarien gibt Desjardins, Geographie de la Gaule 4, S.22 und 26. % Die Bemerkung zu Gesogiaco (so): quod nunc est Bononia ist vielleicht mit Desjardins für einen späteren Zusatz zu halten. ” Kubitschek, Österr. Jahresh. 5, 1902, S. 77 und goff. Im Ravennas, der auf dieselbe Quelle zurückgeht, sind die alten Städtenamen verschwunden; dagegen er- scheinen noch einige, wenn auch in barbarischer Form, in der sogenannten Kosmo- graphie des Aethieus (S. 80 Z. 6g9fl. ed. Riese), wie Dorocordoros (= Durocortorum), Amambria (= Saınarobriva). [5 Hırschrern: Die römischen Meilensteine. 201 Augusta Suessonum neben Suessonas, Samarabriva neben Ambianis und immer Treveri (S. 366 mit dem Zusatz civitas), niemals Augusta Tre- verorum. Daher ist die uns überkommene Redaktion dieses Itinerars vor das Jahr 311, wahrscheinlich, worauf auch andere Anzeichen hinweisen,' in die Diocletianische Zeit zu setzen. Dagegen in dem im Jahre 333 abgefaßten Itinerarium Hierosolymitanum tritt bereits die spätere Nomenklatur in der civdas Vasatas und der civitas Auscius deutlich zutage. Diese von Constantin vollzogene Einsetzung des Namens der Civitas für den Vorort war keineswegs rein formaler Natur. Sie steht ohne Zweifel im Zusammenhang mit der erhöhten Bedeutung der Städte, die gegen Ende des 3. Jahrhunderts mit festen Mauern als Sehutzwehr gegen die Germanen versehen werden,” und gerade Con- stantin ist es gewesen, der die Truppen von der germanischen Grenze zurückgezogen und ihnen die Städte Galliens als Garnison angewiesen hat.” Die in den neuen Namen zutage tretende Gleichsetzung der Stadt mit der ganzen Civitas bedeutet tatsächlich die Aufhebung der altkeltischen Gauverfassung. An ihre Stelle hatte bereits Julius Cäsar in der Narbonensis das italische Kolonialsystem gesetzt. in dem das Land nur das zu der Stadt gehörige Gebiet bedeutete, während Augustus nicht mehr den Mut oder das Vertrauen zu der Kraft des römischen Reichs gehabt hat. die nationale Form des von Cäsar eroberten Barbarenlandes zu durchbrechen und es nach römi- scher Weise zu kolonisieren. ! Vgl. Mommsen im Hermes 24, S. 203 Anm.r: “das Antoninische Itinerar, wel- ches sonst nur vordiocletianische Legionen aufführt, nennt die beiden seythischen: leg. I Iovia und leg. IT Herculea; es mag dies daher rühren, daß das Postbuch in den ersten Jahren Diocletians redigiert ist und diese Legionen zu seinen frühesten gehören.’ Daß, wie Kubitschek a.a.O. S. 84 für möglielı hält, ‘sie sowie mehrere der dieser Zeit angehörenden Umwandlungen von Stadtnamen nachträglich dem vollendeten Itine- rarium Antonini von irgend einem Copisten angeschlossen worden sind’, möchte ich nicht glauben. ® Vgl. Schuermans, Remparts d’Arlon et de Tongres im Bull. des Commissions d’art ‚et d’archeologie 16 (Brüssel 1877), S. 451: fin du III® siecle und besonders Jullian a. a.O. S. 295ff. und S. 588ff.; bis in die Zeit der gallischen Kaiser will den Beginn der Be- festigungen verlegen A. Blanchet in seinem soeben erschienenen Buche: les enceintes Romaines de la Gaule S.336 ff. ® Sehr verkehrt ist der Tadel des Zosimus II, 34: 6 KwCcTAnTinoc TON CTPA- TIOTÖN TO TIOAY MEPOC TÄN ECXATIÖN ÄMIOCTÄCAC TAIC 0Y AEOMENAIC BOHBEIAC TIÖNECIN Er- KATECTHCE KAl TOYC ENOXNOYMENOYC YTIÖ BAPBÄPUN ErYMNnwce BoHeelac. Ein Beispiel der Truppenverlegung in die gallischen Städte bietet die starke Besatzung von Amiens in dieser Zeit, vgl. CIL. XIII, ı S. 549. Ausgegeben am 28. Februar. 20* 203 SITZUNGSBERICHTE 1907. X. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 22. Februar. Sitzung der x physikalisch-n -mathematischen Classe. Vorsitzender Secretar: Hr. WALDEYER. *1. Hr. F.E. Scuusze las: »Über die Lungen der Cetaceen.« Die Untersuchung erstreckte sich auf die Lunge des Tümmlers und zweier Bar- tenwale. An der Tümmlerlunge fällt die reiche Entwickelung des Knorpelgerüstes auf, welches sich bis in das respiratorische Parenchym erstreckt. An jeder der beiden Seitenflächen der verhältnissmässig dieken Alveolensepten breitet sich ein besonderes respiratorisches Capillarnetz aus. Weniger weit dringen die Knorpel gegen das respi- rirende Parenchym vor bei den Bartenwalen‘ welche sich durch die Weite ihrer Al- veolen auszeichnen. Atrien im Sinne Mitrer’s wurden in keiner dieser Cetaceen- lungen gefunden. 2. Hr. WArorver legte eine Mittheilung des Hrn. Dr. Orro Ka- LISCHER in Berlin vor: Zur Function des Schläfenlappens des Grosshirns. Eine neue Hörprüfungsmethode bei Hunden; zugleich ein Beitrag zur Dressur als physiologischer Unter- suchungsmethode. Durch Dressur lässt sich bei Hunden erreichen, dass sie nur auf Anschlagen eines bestimmten Tones vorgelegte Fleischstückchen nehmen, selbst dann, wenn dieser Ton nicht allein angeschlagen wird, sondern in einem mehrgliedrigen Accorde ent- halten ist, dies aber nicht thun, wenn der angeschlagene Accord den bestimmten Ton nicht enthält. Diese Dressur lässt sich für eine Anzahl weiterer physiologischer Ver- suche verwenden. 3. Hr. Orrı legte eine Mittheilung des Hrn. Prof. Dr. Anorr Bicker vor nach gemeinschaftlich mit Hrn. Dr. L. Pıwceussons angestellten Ver- suchen: Über den Einfluss des Morphiums und Opiums auf die Magen- und Pankreassaftsecretion. Während das Morphium nach den Beobachtungen von Rırser die Magensaft- bildung zunächst lähmt und erst nachträglich eine Steigerung in derselben hervorruft, bewirkt das Opium, in dem neben verschiedenen anderen Substanzen auch Morphium enthalten ist, sofort eine Vermehrung in der Magensaftseeretion. Auf die Saftbildung in der Bauchspeicheldrüse wirkt Morphium in gleichsinniger Weise wie auf die Magen- schleimhaut. Opium dagegen führt eine Lähmung der Pankreasdrüse herbei, und zwar ist der Stillstand der Secretion, der nach der Opiumgabe auftritt, ein definitiver. 204 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe v. 21. Februar 1907. Zur Funktion des Schläfenlappens des Großhirns. Eine neue Hörprüfungsmethode bei Hunden; zu- gleich ein Beitrag zur Dressur als physiologischer Untersuchungsmethode. Von Dr. Orro KALıscHEr in Berlin. (Vorgelegt von Hrn. WALDEYER.) Di vorliegende Arbeit wurde mit Unterstützung der Königlich Preu- Bischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin in der Absicht be- gonnen, die Beziehungen des Schläfenteiles des Großhirns zum Hör- akt festzustellen; insbesondere sollte die Angabe H. Muxks, daß bei Hunden die Wahrnehmung hoher Töne in der vorderen Partie der Hörsphäre, die Wahrnehmung tiefer Töne in der hinteren Partie der Hörsphäre stattfinde, einer Nachprüfung unterzogen werden. Die gewöhnliche Methode der Hörprüfung hatte bisher darin bestanden, die Aufmerksamkeit der zu prüfenden Hunde nach anderer Richtung hin abzulenken und zu beobachten, ob die Tiere auf be- stimmte Töne und Geräusche in irgendeiner Weise reagierten. Als Reaktionen hatten besonders das Spitzen der Ohren, Kopfbewegungen und die Bewegungen des Tieres nach der Schallquelle hin gedient. Aus dem Ausbleiben dieser Reaktionen hatte man auf Taubheit ge- schlossen. Da diese Methode der Hörprüfung mir unzulänglich schien, so begann ich Hunde in der Weise zu dressieren, daß dieselben nur bei einem ganz bestimmten Ton nach vor ihnen liegenden Fleisch- stücken schnappen durften, bei anderen Tönen aber die Fleischstücke liegen lassen mußten. Bei diesen Versuchen bediente ich mich anfangs einer Orgel, wel- che neun Pfeifen enthielt, deren Töne voneinander fast alle um je eine Oktave differierten. Der einzelne Versuch gestaltete sich etwa folgender- maßen: Ich schlug auf der Orgel einen bestimmten Ton an und gab. O. Karıscner: Function des Schläfenlappens. 205 dem Tiere, solange der Ton erklang, Fleischstücke mit der Hand zu fressen. Bei den ersten beiden Prüfungen beschränkte ich mich dar- auf, nur diesen einen Ton anzuschlagen, um das Tier an diesen Klang zu gewöhnen. Etwa vom dritten Tage an schlug ich zwischen- durch einen anderen Ton an und hielt währenddessen das Fleisch- stück mit der Hand umschlossen, so daß das Tier dasselbe nicht er- reichen konnte und sieh darauf beschränken mußte, meine Hand zu besehnuppern. Darauf ließ ich wieder den Freßton, wie ich den Ton, bei welehem das Tier das Fleisch nehmen durfte, im Gegen- satz zu den anderen, den »Gegentönen«, kurz bezeichnen will, er- klingen und gab währenddessen dem Tiere wieder mehrmals hinter- einander Fleischstücke zu fressen. Immer öfter schlug ich bei den folgenden Versuchen neben dem Freßton die anderen »Gegentöne « an und hinderte bei den letzteren das Tier, zuzugreifen. Manche Tiere fingen schon vom 5. oder 6. Versuche an, auch wenn ich das Fleischstück nieht mehr mit der Hand umschloß, sondern frei hielt, nicht mehr bei den Gegentönen danach zu greifen. Immer häufiger erfolgten in dieser Weise richtige Reaktionen. Von jetzt an bekamen die Tiere auch einen leichten Schlag auf das Maul, falls sie fälsch- lich zuschnappen wollten. Jede einzelne Prüfung dauerte nicht länger als etwa 4—5 Minuten. Die Prüfungen fanden in der ersten Zeit der Dressur täglich einmal statt. In der ersten Zeit wurden die Ver- suchstiere außerhalb der Versuche nicht mehr gefüttert; sie bekamen das für den Tag ausreichende Futter ausschließlich während der Prü- fungen. Später gab ich den Tieren nur einen Teil des Futters wäh- rend der Versuche, den Rest außerhalb derselben, ohne daß dies auf die Dressur eine Schädigung ausübte. Auch machte es, als die Tiere an die Dressur schon gewöhnt waren, nichts aus, wenn man mehrere Tage mit der Dressur aussetzte; nur zu Anfang, als die Tiere noch zulernten, waren solche Pausen nicht zweckmäßig. Hatte ich, als ich die ersten Dressurversuche machte, den Tieren die Fleischstücke mit der Hand hingehalten, so fand ich es alsbald vorteilhafter und bequemer, die Fleischstücke auf einen Stuhl zu legen, auf welchen die Tiere, wenn sie zuschnappen wollten, mit den Vorderfüßen heraufsprangen. Bei den Gegentönen legte ich die Hand auf‘ die Fleischstücke und hinderte so die Tiere, zuzuschnappen. Es hatte sich als zweckmäßig erwiesen, bei den ersten Dressur- versuchen als Gegentöne möglichst weitab vom Freßton liegende Töne zu benutzen und erst bei den weiteren Prüfungen allmählich die dem Freßton mehr benachbarten Gegentöne zu verwenden. Je größer die Differenz zwischen den Tönen anfänglich war, um so schneller ge- wöhnten sich die Tiere an die Dressur. Bei den weitab vom Freßton 206 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 21. Februar 1907. liegenden Tönen pflegte später der gut dressierte Hund, scheinbar er- schreckt, schnell zurückzuspringen, während er bei den näher liegenden Gegentönen öfter Neigung zeigte, zuzuschnappen, was sich deutlich an den Kopfbewegungen beobachten ließ. Die Hunde konnten auf ver- schieden hohe Töne dressiert werden: ich hatte Tiere. die das Fleisch bei hohen (c'), andere, die es bei tiefen (e,) Tönen abnahmen. Außer der Orgel verwandte ich bei meinen Dressurversuchen das Klavier und das Harmonium. Die Dressur am Klavier war schwieriger als an der Orgel, da man hier die Töne nur kurz anschlagen konnte: und es bedurfte längerer Zeit, um die Tiere an die Dressur zu gewöhnen. Besser eignete sich für die Dressurversuche das Harmonium, da man hier die Töne beliebig lange erklingen lassen kann. Hier konnte man die Tiere ohne große Mühe so weit bringen, daß sie den Freßton selbst von den benachbarten halben Tönen mit Sicherheit unter- schieden. In der ersten Zeit der Dressur sah man nicht selten, daß die Tiere beim Erklingen des Freßtons nicht sogleich reagierten; aber hatten sie mehrere Stücke Fleisch beim Freßton erhalten, so sprangen sie so- fort weg, wenn ein anderer Ton — mochte es selbst der benachbarte halbe Ton sein — angeschlagen wurde. Die dressierten Hunde reagierten nun auch auf den Freßton selbst dann, wenn derselbe zugleich mit beliebigen anderen Tönen auf der Orgel oder dem Harmonium angeschlagen wurde. Die Dis- harmonie konnte dabei derartig sein, daß die meisten, selbst musi- kalischen Menschen nicht erkannten, ob der Freßton dabei war oder nicht. Weiter gelang es ohne große Schwierigkeit, die bereits auf einen bestimmten Ton dressierten Tiere in der Weise umzudressieren, daß sie ausschließlich bei einem anderen bestimmten Ton (sei es einem höheren, sei es einem tieferen) nach den Fleischstücken schnappten. Ließ man den Freßton oft hintereinander ertönen,. so machten sich bei den Tieren, die zunächst prompt nach den Fleischstücken gegriffen hatten, Ermüdungserscheinungen geltend. Die Tiere hörten auf. nach den Fleischstücken zu greifen: und erst wenn man zwischendurch wieder einen der Gegentöne angeschlagen hatte. griffen die Tiere von neuem beim Freßton wieder in gewohnter Weise zu. Dasselbe Phänomen zeigte sich, wenn man in einem Akkorde längere Zeit hindurch den Freßton erklingen ließ. Auch hier war es von Zeit zu Zeit nötig, zwischendurch einen der Gegentöne erklingen zu lassen. Was die erforderliche Zeitdauer der Dressur betrifft, so spielt hier weniger die differente Tonbegabung der Hunde als der Charakter derselben eine maßgebende Rolle. Allerdings schienen die Hunde auch in bezug auf die Güte des Gehörs etwas zu differieren. Systematische O. KaAuıscHer: Function des Schläfenlappens. 207 Untersuchungen von Rassehunden stehen noch aus. Mehrere Jagd- hunde, die ich verwendete, auch Terriers und Pudel, eigneten sich gut zur Dressur; die weiblichen Tiere schienen mir geeigneter als die männlichen. Ich legte Wert darauf, solche Tiere zur Dressur zu er- halten, die nieht zaghaft im Zugreifen waren und sich durch leichte Schläge nicht abhalten ließen, immer wieder von neuem zuzugreifen. Die Tiere dagegen, die sich scheu und furchtsam in einen Winkel zu verkriechen pflegen, waren nur schwer und mit Aufwand großer Ge- duld zu verwenden. Im allgemeinen habe ich von stärkeren Züchti- gungen keinen Gebrauch gemacht, wenn dieselben sich auch nicht ganz vermeiden ließen. Dagegen war es für den günstigen Verlauf der Dressur mitunter vorteilhaft, Prüfung und Fütterung einen Tag auszusetzen. Es hat sich bei dieser Untersuchung mithin herausgestellt, daß die Hunde ein überaus feines Tonunterscheidungsvermögen besitzen; und was besonders hervorzuheben ist, diese Fähigkeit fand sich nieht etwa nur bei einzelnen Hunden, sondern man konnte die- selbe, wenn auch die Zeitdauer der Dressur wechselte, bei allen Hunden in ähnlicher Weise konstatieren. Den Hunden mußte ferner ein »absolutes Tongehör« zugesprochen werden, da dieselben gleich bei Beginn der jedesmaligen Prüfung, auch wenn Tage dazwischen lagen, den Freßton sofort von den Gegentönen unterschieden. Es sei hier noch erwähnt, daß ein gut dressierter Hund, den ich zwei Mo- nate lang nieht geprüft hatte, schon nach zwei Versuchen wieder in gleicher Weise wie früher auf den Freßton reagierte und bei den Gegentönen die Fleischstücke unbeachtet ließ. Daß es sich bei meinem Dressurverfahren ausschließlich um akustische Wahrnehmungen handelte, ließ sich schon unmittel- bar aus der wiederholten Beobachtung der Tiere entnehmen; die Tiere wandten einzig und allein den Fleischstücken ihre Aufmerksamkeit zu. Um aber ganz sicher zu gehen und jedem Zweifel zu begegnen, machte ich mehrere Tiere zeitweilig blind, indem ich ihre Augenlider ver- nähte. Diese vorher dressierten Tiere verhielten sich nun, als sie blind waren, in ganz gleicher Weise wie früher. Sie sprangen, so- wie sie den Freßton vernahmen. am Stuhle, wo sie die Fleischstücke erwarteten, in die Höhe, wie sie das früher getan hatten, und suchten, bis sie die Fleischstücke gefunden hatten; bei den Gegentönen ließen sie schnell davon ab. In gleicher Weise verhielten sich diese blinden Tiere, wenn ein anderer als ich die verschiedenen Töne anschlug. Ein blinder Hund, welchen ich in eine Kiste gesetzt hatte, fraß aus dem daselbst befindlichen Napfe mit Fleischstücken immer nur dann, wenn der Freßton angeschlagen wurde. 208 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe v. 21. Februar 1907. Noch in einer anderen Richtung suchte ich jeden Zweifel aus- zuschließen. Bei mehreren gut dressierten Hunden zerstörte ich beide Schnecken. Während nach der Zerstörung einer Schnecke die Tiere in gleicher Weise wie früher reagierten. war, nachdem noch die Zerstörung der zweiten Schnecke hinzugefügt war, von der ge- wohnten Dressur nichts mehr vorhanden. Die Tiere schnappten jetzt nach dem Fleisch, gleichviel welche Töne ich anschlug. Niemals ließ sich dabei ein Unterschied wie früher bemerken. Erwähnt sei schließ- lich noch, daß vorher nicht dressierte Hunde, denen ich beide Schnecken zerstörte. in keiner Weise mehr der Dressur zugänglich waren. Die Gesamtheit aller dieser Versuche läßt keinen anderen Schluß zu, als daß es sich bei meinem Dressurverfahren um akustische Wahr- nehmungen der Tiere handelt. Wenden wir uns jetzt den operativen Eingriffen zu, die wir am Großhirn vornahmen, um über die Bedeutung des Schläfenlappens für den Hörakt Aufschluß zu erlangen. Zu der einseitigen Zerstörung der Schnecke, die, wie ich schon erwähnte, gleichviel auf welcher Seite sie vorgenommen wurde, keinen störenden Einfluß auf die dressierten Tiere ausübte. fügte ich die Exstirpation des gleichseitigen Schläfenlappens, da nach H. Muxk die Hunde alsdann wegen der vollständigen Kreuzung der Nn. acustiei dauernd vollständig taub werden sollten. Man hätte, wenn das der Fall war, ein bequemes Mittel gehabt, um durch partielle Exstirpa- tionen im Bereiche eines Schläfenlappens zu prüfen, ob die einzelnen Abschnitte desselben funktionell ungleichwertig wären: und hätte auf diese Weise die doppelseitigen, ungleich eingreifenderen Operationen am Schläfenlappen vermeiden können. Es zeigte sich nun aber bei meinen Versuchen, daß die operierten Tiere auch jetzt in gleicher Weise wie früher auf die Töne reagierten und von ihrer Dressur nichts eingebüßt hatten. Auch sonst boten die so operierten Tiere nach einiger Zeit Hörreaktionen dar, welche bewiesen, daß die Tiere nicht taub geworden waren, wenn sie auch, worauf ich noch zu sprechen komme, auf das Kommando weniger prompt als früher reagierten und dabei noch mehr oder minder aus- gesprochene Orientierungsstörungen darboten. Indem ich mich jetzt den doppelseitigen Schläfenlappenexstir- pationen zuwandte, ließ ich die zweite Operation der ersten ungefähr vier bis fünf Wochen später nachfolgen. In dieser Zeit war die voll- kommene Heilung der ersten Operationswunde eingetreten. Nach der ersten Schläfenlappenexstirpation hatte sich kein Unterschied in dem Verhalten der Tiere bei den Dressurversuchen gezeigt. Die Tonunter- schiedsempfindlichkeit und die Reaktionen der Tiere waren die gleichen OÖ. Karıscner: Function des Schläfenlappens. 209 geblieben, gleichgültig, auf welcher Seite die erste Operation ausge- führt worden war. Die Exstirpation des Schläfenlappens erfolgte im allgemeinen nach den Angaben H. Mvsxs' in der von ihm für seine Hörsphäre angegebenen Ausdehnung. Öfter wurde jedoch die Exstirpation in noch größerer Ausdehnung vorgenommen: besonders was den Tiefen- durchmesser betrifft, indem ich die Rinde nicht nur oberflächlich. wie es Muxx beschreibt. sondern in einer Tiefenausdehnung von etwa > cm entfernte. Bei mehreren Hunden wurde dabei, wie die ana- tomische Untersuchung ergab, der Ventrikel beiderseits eröffnet. Am dritten oder vierten Tage nach der zweiten Operation, als ich die Tiere wieder zu untersuchen begann, griffen dieselben nicht immer sogleich zu, wenn der Freßton ertönte: aber wenn sie mehr- mals hintereinander beim Freßton Fleischstücke erhalten hatten, ließen sie sofort davon ab, wenn ein entfernter Gegenton angeschlagen wurde, während sie gegen die dem Freßton mehr benachbarten Gegentöne in den ersten Tagen nach der zweiten Operation noch unempfindlich schienen. Daß aber die Tiere überhaupt einen Unterschied zwischen dem Freßton und den übrigen Tönen machten, war schon in dieser ersten Zeit, als die Tiere noch hinfällig waren, deutlich ersichtlich. Die Prüfung am Versuchsinstrument war in den ersten Tagen mit eroßer Vorsicht anzustellen, wenn man verwertbare Resultate so früh erhalten wollte. Es empfahl sich, die in den ersten Tagen leicht erschöpfbaren Tiere vor der Prüfung nicht herumlaufen zu lassen, auch keine andere Untersuchung vorher an ihnen vorzunehmen. Ferner waren bei diesen ersten Prüfungen nur die allerersten Resultate zu verwerten, da die Tiere in ihrer Aufmerksamkeit schnell nachließen. Bald jedoch änderte sich das Bild. Schon von der zweiten Woche an begannen die Tiere das alte Verhalten zu zeigen: sie griffen in gewohnter Weise beim Freßton zu und wichen bei den Gegentönen, auch den mehr benachbarten. sofort zurück. Ja. fast schien es, als ob sie noch präziser, man könnte sagen, noch »automatischer« als vor der zweiten Operation, zugriffen, indem sie weniger als früher auf die Umgebung achtgaben und ausschließlich auf das Fressen be- dacht schienen. Ihre Tonunterschiedsempfindlichkeit hatte gegen früher dureh die Exstirpationen, mochten dieselben noch so umfangreich aus- geführt sein, nicht gelitten. Auch wenn man mehrere Töne zu- gleieh anschlug, so schnappten die Tiere, selbst bei den stärksten Disharmonien, falls der Freßton dabei war, nach den Fleischstücken. um sofort damit aufzuhören, wenn man den Freßton wegließ. Auch ı H. Muxk, Über die Funktionen der Großhirnrinde. Berlin 1890. S. ı13f. 210 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe v. 21. Februar 1907. hier war somit gegen das, was ich früher von den normalen Tieren beschrieb, keine Änderung eingetreten. Aber nicht nur vermochten die Tiere nach Entfernung der Schläfenlappen die vorher erlangte Dressur zu bewahren, sondern es gelang auch, selbst die schwerst geschädigten Tiere in gleicher Weise wie die normalen Tiere so um- zudressieren, daß sie bei einem anderen Freßton, wie vorher, nach den Fleischstücken griffen und sich bei dem früheren Freßton passiv verhielten. Wohl griffen die Tiere noch ab und zu bei dem alten Freßton zu: aber nach einiger Zeit hatten sie sich vollständig an den neuen Freßton gewöhnt. Diesem Ergebnis entspricht es, daß die Dressur auf den Freßton auch dann noch gelang, wenn dieselbe erst nach der Exstirpation beider Schläfenlappen vorgenommen wurde: doch war zu dieser nach- träglichen! Dressur längere Zeit notwendig, da die Handhabung der operierten Tiere und ihre Gewöhnung an die bestimmten Bewegungen mit manchen Schwierigkeiten verbunden war. Hatten mithin die Hunde nach der doppelseitigen Schläfenlappen- exstirpation nichts von der Dressur eingebüßt, so waren gleichwohl deutliche Hörstörungen bei ihnen zu konstatieren, wenn man die gewöhnlichen Hörprüfungen vornahm. Schon bei den Tieren, bei welchen auf einer Seite die Schnecke und auf der gleichen Seite der Schläfenlappen exstirpiert worden waren, fiel es auf, daß sie auf den Kommandoruf, dem sie vor der Operation prompt gefolgt waren, jetzt nicht mehr in gleicher Weise wie früher reagierten. Viel auffälliger gestaltete sich dieses Verhalten bei den doppelseitig am Schläfenlappen operierten Tieren: besonders bei denen, bei welchen die Operation beiderseits so umfangreich ausgeführt worden war, daß sich infolge gleichzeitiger Läsion der Sehsphären deutliche Sehstörungen nachweisen ließen, indem ein mehr oder minder großer Teil vornehmlich des äußeren Gesichtsfeldes den Tieren auf beiden Augen fehlte. Diese Tiere reagierten in der ersten Zeit nach der zweiten Operation gar nicht auf den Kommandoruf. Weder an den Ohren konnte man das Spitzen derselben noch Kopfbewegungen. selbst bei stärkstem Zuruf, bemerken. Einige Zeit später trat eine gewisse Änderung in dem Verhalten auch der schwerst geschädigten Tiere insofern ein, als bei starken Geräuschen oder sehr laut gegebenen Kommandos Ohrenspitzen. ab und zu geringe Kopfbewegungen oder eine leichte Unruhe bei den Tieren sich bemerkbar machten. Das Öhrenspitzen erfolgte dabei häufig, ohne daß sich die Tiere in ihrer jeweiligen Beschäftigung ! Die nachträgliche Dressur gelang auch, wie hier noch erwähnt sein mag, bei Hunden, die einer Schnecke und des gleichseitigen Schläfenlappens beraubt waren; bei Tieren, welche nach H. Musxs Annahme gänzlich taub sein sollten. O. Karıscher: Function des Schläfenlappens. all stören ließen. Weiter aber ging die Restitution nicht; niemals mehr kamen die Hunde wie zuvor auf das Kommando herangesprungen — mochte dasselbe noch so stark gegeben werden —. während früher der leiseste Zuruf oder Pfiff dazu genügt hatte. Was das sonstige Verhalten dieser Tiere betrifit, so liefen die- selben rastlos umher und erinnerten darin an den großhirnlosen Hund von Gorız. Es gelang häufig nicht, sie dazu zu bringen, sich ruhig hinzulegen. Seltener sprangen sie an mir empor: seltener leckten sie mir die Hand, wenn ich ihnen am Gitter des Stalles ihr Futter dar- reichen wollte. Sie liefen den Wege vom Stalle zu dem entfernt lie- genden Untersuchungszimmer und umgekehrt, ohne auf die Umgebung zu achten. Selten, daß sie sich verirrten. Gerieten sie jedoch auf einen fremden Weg, so fanden sie sich meist gar nieht zurecht. Band man die Tiere in dem Zimmer, in welehem sie dressiert wurden, etwas entfernt von dem Versuchsinstrument fest und schlug dann die Töne an, so suchten sich die Tiere loszumachen und begannen, als sie das nieht vermochten, zu heulen und zu bellen. Das Bellen, das gegen früher wenig verändert schien, konnte ich unter diesen Umständen, wie hier ausdrücklich bemerkt sein mag, in der ganzen Zeit, in der ich die Tiere am Leben hielt (bis zu zwei Monaten) beobachten, wäh- rend H. Muxk' seine doppelseitig am Schläfenlappen operierten Hunde schon 14 Tage nach der zweiten Operation nieht mehr bellen hörte. In gleicher Weise blieb bei den doppelseitig operierten Hunden der auffallende Gegensatz bestehen zwischen der geringen Emp- findlichkeit gegenüber den gewöhnlichen Hörprüfungen, insbesondere gegenüber dem Kommandoruf und dem präzisen, in nichts verän- derten Verhalten bei dem Dressurverfahren, wobei die feine Unter- schiedsempfindlichkeit für Töne sich erhalten zeigte. Dort war ein deutlicher Ausfall, hier keine Änderung der Hörfähigkeit gegen früher zu bemerken. Dieser Gegensatz konnte nur darauf be- ruhen, daß beide Arten von Hörreaktionen von verschiedenen Bedin- gungen abhängig waren: es mußte sich um zwei verschiedene Hörakte handeln. Als notwendig zum Zustandekommen der gewöhnlichen Hörreak- tionen hatte sich der Schläfenlappen erwiesen, weleher nach den ana- tomischen Befunden (von Moxakow) die Eintrittsstelle der Hörbahn in die Großhirnrinde darstellt. Weiter stand fest, daß von allen Groß- hirnteilen allein die Schläfenlappenrinde und eventuell ihre nächste Umgebung zum Hören in Beziehung stand. Bei keiner anderen Ope- ! A.a.0.— Es sei hier gleichzeitig erwähnt, daß ich im Gegensatze zu Munk einen durch Zerstörung beider Schnecken taub gemachten Hund noch Monate nach. den Operationen zwar selten, aber in gewohnter Weise bellen hörte. 212 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 21. Februar 1907. ration im Bereiche der Großhirnrinde waren irgendwelche sichere Hör- störungen beobachtet worden. Bei Berücksichtigung dieser Ergebnisse bleibt nur die Annahme übrig, daß manche Hörreaktionen schon unterhalb der Großhirn- rinde zustande kommen. Zu denselben müssen wir die Hörreaktionen bei unserem Dressurverfahren rechnen, da dieselben auch nach den umfangreichsten Schläfenlappenoperationen in gleicher Weise wie vor- her erhalten blieben. Es konnten für dieses Erhaltenbleiben der Ton- unterschiedsempfindlichkeit nicht etwa stehengebliebene Reste des Schläfenlappens verantwortlich gemacht werden: dafür war das Ver- halten aller operierten Tiere, bei denen vielleicht mal dieses, mal jenes Stückchen stehen geblieben war, ein viel zu gleichmäßiges: es handelte sich nicht etwa in dem einen Fall um den Ausfall tiefer, in dem anderen um den Ausfall hoher Töne, wie man nach den Munxk- schen Ergebnissen erwarten mußte. Auch die einfachen Hörreaktionen des Ohrenspitzens und einer ge- ringen Kopfbewegung fanden wir bei unseren Versuchen von infrakor- tikalen Zentren abhängig. Nur war nach den Schläfenlappenextirpa- tionen ein stärkerer Reiz zur Auslösung dieser Reaktionen notwendig. Daß diese Reaktionen zunächst für einige Zeit im Anschluß an die - Operationen ausfielen, ist wohl darauf zurückzuführen, daß die niederen Zentren, die mit den höheren im engen Konnex stehen, häufig nach Schädigungen dieser höheren Zentren für einige Zeit außer Funktion treten. Man hat für dieses Verhalten verschiedene Theorien aufgestellt: für mich hat. wie ich das an anderer! Stelle ausführte. die Theorie der »Diaschisis« von von Moxakow” die größte Wahrscheinlichkeit für sich: nach dieser Theorie würde durch den Fortfall des höheren Neu- rons eine zeitweilige Lockerung und Schädigung des tieferen Neuron- komplexes eintreten. Das Zentrum für das Ohrenspitzen ist vielleicht in den hinteren Vierhügeln gelegen; nach doppelseitiger Zerstörung derselben war selbst bei stärksten Geräuschen Ohrenspitzen nicht mehr zu erhalten. Blieben aber auch die genannten Hörreaktionen erhalten, so war doch die wichtigste Hörreaktion — diejenige, auf welcher unsere Auffassung vom guten Hören der Hunde für gewöhnlich basiert —, nämlich das prompte Reagieren auf das leiseste Kommando, dauernd nach der Ausschaltung der Schläfenrinde weggefallen, weil die Tiere dadurch die Möglichkeit verloren hatten, die Gehörseindrücke in der umfassenden Weise, wie vorher, zu verwerten und zu verarbeiten und ı ©. Karıscnher, Das Großhirn der Papageien in anatomischer und physiologischer Beziehung. Abhandl. der Berl. Akad. d. Wiss. 1905, S. 33 f. ?® von Monarow, Gehirnpathologie. 2. Aufl. Wien 1905. O. Karıscher: Function des Schläfenlappens. 213 in die gewohnten, zweckentsprechenden Bewegungen umzusetzen, da dazu der Weg über das Großhirn mittels der Schläfenlappen stets in Anspruch genommen wurde. Aus diesem Verluste resultierten die »Orientierungsstörungen«, die sich bei der gewöhnlichen Hör- prüfung sofort geltend machten und die Tiere fast taub erscheinen ließen. da sie dem Kommando nicht folgten. Die Tiere hatten wohl Gehörseindrücke, aber sie wußten nicht, aus welcher Richtung der Ruf. der ihnen galt. herkam, noch von wem derselbe ausging. noch was derselbe bedeutete. Da diese Orientierungsstörungen am ausgesprochensten bei den Tieren ‚hervortraten, bei welchen gleiehzeitig Sehstörungen sich nach- weisen ließen. so muß vorderhand dahingestellt bleiben. ob die Hör- sphäre des Großhirns genau mit dem Sehläfenlappen, der beim Hunde aus drei, öfter unregelmäßig verlaufenden Windungen besteht, über- einstimmt oder nieht noch ein etwas größeres Gebiet einnimmt und vielleicht zum Teil auf die Sehsphäre übergreift. wie das von einigen Autoren angenommen wird. Unsere Auffassung über das Hören der Hunde gewinnt an Sicher- heit, wenn wir noch von einem anderen Gesichtspunkte aus folgendes berücksichtigen: Auf das Kommando des Herrn zu achten, seinen noch so leisen Zuruf zu erkennen, verschiedenartige Geräusche von- einander zu unterscheiden. sich im Raume rasch und sicher naclı den Schalleindrücken zu orientieren und dieselben in Beziehung zur Umgebung zu bringen — das ist seit Jahrtausenden eine der wichtig- sten Eigenschaften der Hunde, die sie befähigt, dem Menschen als treue Wächter und stete Begleiter von Nutzen zu sein. Für die Hunde war es deswegen von besonderer Wichtigkeit, daß jeder sie treffende Hörreiz, der ihre Aufmerksamkeit erregte, in der Hörbahn bis zur Großhirnrinde gelangte, um hier in Beziehung zu den anderen Sinnen, speziell den Geruchs- und Seherinnerungen, zu treten. Da- durch. daß die Reaktion auf den Gehörseindruck demnach bei dem Hunde als das Resultat einer Reihe von assoziativen Vorgängen im Großhirn sich darstellt, kam es zur höchsten Verwertung der Hörreize. Ganz anders liegen die Verhältnisse bei den Hörreizen unseres Dressurverfahrens. Hier brauchte die Aufmerksamkeit der Tiere nicht erst geweckt zu werden. Dieselbe war bereits in höchstem Maße gespannt durch den Freßreiz, der schon beim Beginn des Dressur- versuchs. sobald die Hunde in das Versuchszimmer kamen. durch Sehen und Riechen der Fleischstücke gewohnheitsgemäß ausgelöst ward. Hier brauchte mithin kein Bewegungsvorgang erst angeregt und eingeleitet zu werden wie beim Kommandoruf:; sondern der Hör- 214 Sitzung der physikalisch - mathematischen Classe v. 21. Februar 1907. reiz diente hier nur dazu, den schon bestehenden Bewegungsvorgang des Fressens zu hemmen oder zu fördern. Hier war demnach keine assoziative Tätigkeit der Großhirnrinde erforderlich in dem Sinne wie bei dem Kommando, wo sie für die genannten Assoziationen un- entbehrlich war. Von Bedeutung ist ferner der Umstand, daß der Freßakt selbst, wie wir von dem großhirnlosen Hunde von GoLrz wissen, ganz oder doch im wesentlichen von infrakortikalen Zentren abhängig ist, so daß es nicht ausgeschlossen erscheint, daß der Gorrzsche Hund bei geeigneter Dressur noch durch Töne beim Fressen zu beeinflussen war. Da es mir darauf ankam, die Stelle in der Hörbahn zu ermitteln, in weleher die Reaktionen bei dem Dressurverfahren erfolgen, so wandte ich mieh den hinteren Vierhügeln zu, die operativen Ein- griffen verhältnismäßig leicht zugänglich sind. Die Zerstörung derselben wurde gleichzeitig auf beiden Seiten in einer Operation mittels einer Nadel so gründlich ausgeführt, daß, wenn auch nicht vollständig, so doch für längere Zeit diese Hirnteile funktionsunfähig werden mußten, so daß jedenfalls mit Sicherheit zu entscheiden war, ob die hinteren Vierhügel für die Reaktionen der Tonunterschiedsempfindlichkeit eine Bedeutung besitzen. Hunde, die vorher in der gewöhnlichen Weise dressiert worden waren, boten nach dieser Operation in bezug auf das Hören ein ganz ähnliches Bild dar wie die Tiere nach den doppelseitigen Schläfenlappenexstirpationen. Bei den Tieren, die vor der Operation auf den leisesten Zuruf oder Pfiff herangesprungen kamen. konnte man nach derselben auch durch stärkste Geräusche keinerlei deutliche Reaktionen, auch, wie ich schon oben erwähnte, kein Spitzen der Ohren erhalten. Aber mochte man auch im Zweifel sein, ob sich eine geringfügige Reaktion zeigte oder nicht, so war doch der Gegensatz ganz erstaunlich, wenn man jetzt bei der Prüfung am Harmonium sich davon überzeugte, daß die bei der gewöhnlichen Hörprüfung taub erscheinenden Tiere von der vorher erlangten Dressur nichts eingebüßt hatten und nach wie vor die gleiche Tonunterschiedsempfindlichkeit zeigten. Nur ganz vorüber- gehend waren hier im Anschluß an die Operation geringe Störungen aufgetreten, derart wie ich sie auch bei den doppelseitig am Schläfen- lappen operierten Tieren beschrieben habe. Auch diese Tiere ließen sich so umdressieren, daß sie bei einem anderen Freßton, wie vorher, nach den Fleischstücken griffen, in gleicher Weise, wie ich es oben von den normalen und von den doppelseitig am Schläfenlappen ope- rierten Tieren hervorgehoben habe. Dieser Versuch lehrt, daß das die Hörreize bei der Dressur auf- nehmende und verarbeitende Hörzentrum noch unterhalb der Vierhügel O. Karıscner: Funetion des Schläfenlappens. 215 gelegen sein muß, falls, wie man annimmt und auch durch diesen Versuch wahrscheinlich gemacht wird, die hinteren Vierhügel die einzige Verbindung der tieferen Hörzentren mit den höheren Hör- zentren (Corp. genieul. int. — Schläfenrinde) darstellen. Jedenfalls geht aus der Gesamtheit meiner Versuche hervor, daß nieht nur von der G@roßhirnrinde aus, sondern unter bestimm- ten Umständen auch von infrakortikalen Zentren aus Hör- reaktionen erfolgen können; und zwar auch solehe Reaktionen, die man, wie die Tonunterschiedsempfindlichkeit bei der Dressur, bisher unbedingt als eine Funktion der Großhirnrinde angesehen hatte. Ob und wie weit bei den unterhalb der Großhirnrinde zustande kom- menden Hörreaktionen das »Bewußtsein« eine Rolle spielt, muß da- hingestellt bleiben. Anhang. Die von mir hier beschriebene Dressurmethode ist bei ihrer Ein- fachheit und leichten Handhabung einer allgemeinen Anwendung für physiologische und psychologische Untersuchungszwecke fähig. Überall da, wo es gilt, über Empfinden oder Niehtempfinden von den Tieren Auskunft zu erlangen, weist uns diese Methode einen Weg, der noch da Resultate verspricht, wo man bisher vergeblich sich be- mühte, vorwärts zu kommen. So war die Prüfung einer Reihe von Qualitäten bisher am Tier gänzlich unmöglich. Um einige Beispiele zu nennen, so wußte man bisher nicht, ob ein Hund warm und kalt empfindet; man konnte nur sehen, wann diese oder jene Tem- peratur anfing, dem Tiere Schmerz zu bereiten. Mittelst meiner Dressurmethode gelang es mir ohne Schwierigkeiten, einen Hund so abzurichten, daß derselbe, während ich die eine seiner Vorder- pfoten in heißes Wasser hielt, nach vor ihm liegenden Fleischstücken schnappte, während er die Fleischstücke liegen ließ, wenn die gleiche Pfote in kaltes Wasser gesteckt wurde. Auch hier fanden die Dressurversuche einmal täglich statt; jeder Versuch dauerte etwa 5 Minuten. Schon vom 6. Versuche an konnte man bemerken, daß der Hund einen Unterschied zwischen dem ver- schieden temperierten Wasser machte. Er zögerte ab und zu zuzu- schnappen, wenn die Pfote in kaltes Wasser getaucht wurde. Immer regelmäßiger wurde dieses Verhalten, bis nach etwa 12— 14 Versuchen der Hund fast immer richtig nach den Fleischstücken schnappte. Weiter zog ich die Lage- und Bewegungsempfindung, da man auch hier bisher einer Reaktion beim Tiere entbehrte, in den Bereich der Untersuchung. Es gelang mir, mehrere Hunde in der Sitzungsberichte 1907. 21 216 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 21. Februar 1907. Weise zu dressieren, daß sie, solange ich ihre eine Vorderpfote ge- beugt hielt, nach vor ihnen liegenden Fleischstücken schnappten, während sie bei gestreckter Vorderpfote die Fleischstücke liegen ließen. Auch diese Dressur bereitete keine Schwierigkeiten; die Tiere begannen vom 6. oder schon vom 5. Versuche an, ab und zu unserer Absicht gemäß richtig zuzugreifen, und nach 12—14 Versuchen waren dieselben fast vollkommen in der genannten Weise dressiert. Die Art und Weise dieser Dressur, ebenso wie die auf »Heiß und Kalt« war die gleiche, wie ich sie ausführlich beim Hören beschrieben habe. So legte ich z. B. auch hier im Anfang, wenn die Tiere nicht zuschnappen sollten, meine Hand auf die Fleischstücke, so daß die Tiere dieselben nicht erreichen konnten. Auch wenn man mehrere Tage mit den Versuchen pausierte, verlernten die Tiere die erlangte Dressur nicht, oder sie hatten sich doch in ganz kurzer Zeit wieder an dieselbe gewöhnt. Selbstverständlieh wurde zur Kontrolle der Gesichtssinn aus- geschaltet. Die betreffende Vorderpfote des Tieres, das mit seinen Vorderbeinen auf dem Stuhl, wo es die Fleischstücke erhielt, ruhte, wurde mit einem Tuche bedeckt, und unterhalb des Tuches, so daß das Tier es nicht sehen konnte, nahm ich mit meiner einen Hand. die Beugung und Streckung der Pfote vor, während ich mit der anderen Hand die Fleischstücke hinreichte. Die Ausschaltung des Gesichtssinnes erwies sich als ohne jeden Einfluß auf das Zustandekommen der Dressur. Ebensowenig übte die Zerstörung beider Schnecken — bei einem in dieser Weise peripher taub gemachten Hunde machte ich zufällig einen dieser Dressurversuche — irgendeinen störenden Ein- fluß auf die Dressur aus. Es war von Interesse, zu sehen, wie die dressierten Tiere, wenn ich sie in ihrem Käfig fütterte, die Vorderpfote, die ich bei der Dressur benutzt hatte, häufig von selbst beugten, während sie fraßen. Durch diese Dressuren ist uns ein Weg gegeben, die Leitung für die genannten Empfindungsarten im Rückenmark und Gehirn mittels Exstirpationen und Durehscehneidungen beim Hunde festzustellen und damit Fragen über den Verlauf der Bahnen zu beantworten, die zur Zeit bei Mensch und Tier noch nicht entschieden sind. 217 Über den Einfluß des Morphiums und Opiums auf die Magen- und Pankreassaftsekretion. Nach gemeinschaftlich mit Dr. L. Pıncussonn angestellten Ver- suchen von Prof. Dr. Aporr Bicker. Vorgelegt von Hrn. Orrn. Durch die Untersuchungen von F. RırsrL' an Pawrowschen Magen- blindsackhunden ist festgestellt worden, daß das Morphium nach sub- kutaner Injektion die Magensaftbildung steigert, daß diese Wirkung aber nieht unmittelbar, sondern erst in späteren Stunden nach der Injektion dieses Mittels auftritt. Dadurch wird zugleich eine Verlän- gerung der Sekretionsdauer erzielt. Nach subkutaner Injektion von Dionin (salzsaurem Äthylmorphin), also einem Morphiumderivat, tritt die Steigerung in der Magensaft- bildung sofort auf, wie Pzwsser” an Magenblindsackhunden beobachtete. Ebenso wie das Dionin verhält sich, wie wir fanden, das trockene offizinelle Opiumextrakt (Extractum opii aquosum), das etwa 10 Prozent Morphium enthält. Diese Vermehrung in der Saftbildung tritt sowohl bei normaler Schleimhaut auf wie auch bei einer Schleimhaut, die sich im Zustande der kontinuierlichen Supersekretion befindet. Wir teilen folgende Versuche mit, die wir an zwei nach der Pıwrowschen Methode operierten Magenblindsackhunden anstellten. Hund H war das normale Tier, Hund M dasjenige mit der Super- sekretion. 1. Versuch. Hund H. Das nüchterne Tier erhält um ıo Uhr vormittags 200 cem Milch durch die Schlundsonde in den großen Magen gegossen. Die danach auftretende Sekretion von seiten der Schleimhaut des kleinen Magens hat folgenden Verlauf (die Saftmengen werden in bestimmten Intervallen gesammelt): ıo—ıI Uhr 3.7 cem ’ II-I2 » 0.6 » )}4.3 ccm 12—1I » 00 » ! Fr. Rıecer, Über den Einfluß des Morphiums auf die Magensaftsekretion. Zeitschr. für klin. Medizin 1900. 2 M. Pewsner, Der Einfluß des Physostigmins, Dionins und Euphthalmins auf die Magensaftbildung. Biochemische Zeitschrift 1907, Bd. 11. 21* 218 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 21. Februar 1907. Um ı Uhr erhält das Tier 0.1 g einer wässerigen Lösung des Opiumextraktes subkutan und abermals 200 cem Milch durch die Schlundsonde. 1-2 Uhr 5.4 cem 2-3 » 33 344 » 26 » 4—5 7 »720.075 11.3 ccm 2. Versuch. Hund M. Die Versuchsanordnung ist dieselbe wie bei Versuch Nr. 1. Auf die Gabe von 200 cem Milch werden sezerniert: 10—ıI Uhr 6.6 cem II-I2 » 1.9 » )89 ccm T2 To Um ı Uhr erhält das Tier abermals 200 cem Milch und o.ı g der wässerigen Lösung des Opiumextraktes subkutan. ı—2 Uhr 7.0 ccın 2-3 » 16.3 34» 14 » 45» 003 >» 3. Versuch. Hund M. Versuchsanordnung wie bei Versuch Nr. ı. Auf die Gabe von 150 cem Milch werden sezerniert: 103°—113° Uhr 2.2 cem 1130-1239 » 1.8 » 123 130 25220.055 \ 25.0 ccm 4.0 ccm Um ı®° Uhr bekommt der Hund 150 cem Milch per os und 0.18 Opiumextrakt subkutan. 13°—23° Uhr 6.5 ccm 2303390 » 9.4 » 19.4 ccm 304° » 35 >» Eine unmittelbare Steigerung in der Magensaftbildung findet man auch, wenn man das Opiumextrakt per os gibt. Das lehren folgende Versuche. 4. Versuch. Hund H. Das nüchterne Tier erhält um ıı Uhr 150 cem Wasser durch die Schlundsonde in den großen Magen ge- gossen. Die Saftsekretion am kleinen Magen gestaltet sich wie folgt: ı1—ı13° Uhr o.ı u 113°—12 » I.o » \ I.2 ccm I2—123° » 01 » Um ı2” Uhr erhält der Hund ı50 cem Wasser, in dem 0.18 ÖOpiumextrakt gelöst ist, durch die Sonde. 123°—1° Uhr o.5 ccm I©—-13° » 2.0 » 2.7 ccm 130—20°0 » 02.» 200-230 » 0.0 » A. Bıexer: Magen- und Pankreassaftsecretion. 219 5. Versuch. Hund M. Versuchsanordnung wie bei Versuch Nr. 4. Auf 150 cem Wasser werden sezerniert: 103°—11%° Uhr o.1 cem 110-1130 » 08 » 113° —12% » 01 » I,o ccm Auf 150 cem Wasser + 0.1 g Extr. opii werden sezerniert: 12° -123° Uhr 4.0 ccm 12°%—-I0% » 14 » 10-19 » 0.6 130 2% » 0I » Aus allen diesen Beobachtungen geht mit Deutlichkeit hervor, daß das Opium sowohl bei seiner subkutanen Anwendung wie auch bei direkter Einführung in den Magen die Saftbildung ziemlich un- mittelbar anregt. Das gilt sowohl für die gesunde Magenschleimhaut wie auch ganz besonders für diejenige, welche sich im Zustande der Supersekretion befindet. Wir haben weiterhin den Einfluß des Morphiums und des Opiums auf die Pankreassaftbildung an zwei Hunden mit permanenter Fistel des Pankreasausführungsganges untersucht. Die Fistel war nach der Pıwrowschen Methode angelegt worden. Unsere Versuche lehrten, daß das Morphium nach subkutaner Injektion die Saftbildung im Pankreas herabsetzt, daß aber diese De- pression oft nur eine vorübergehende ist, indem ihr dann nach etwa ı5 Stunden eine Steigerung in der Sekretion nachfolgt. Wir teilen folgende Versuche mit. 6. Versuch. Hund S. Das Tier, das zu Beginn des Versuches nicht ganz nüchtern war, hatte etwa 8 Stunden vorher eine reichliche Mahlzeit aus gemischtem Futter erhalten. Der aus der Fistel ab- fließende Pankreassaft wurde in Zehnminutenportionen aufgefangen und gemessen. Die folgenden Zahlen geben die Kubikzentimeter Saft der einzelnen Portionen an, wie sie nacheinander aufgefangen wurden. 3-8 0.8 4.0 0.7 2.4 0.3 | 3-5 0.5 2.0 0.2 | 1.5 0.2 2.1 0.1 4-3 0.0 3.0 0.0 | 3-5 0.0 1.3 0.0 | 7.0 0.02 g Morph. hydrochl. subeutan | 0.0 | 1.5 220 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe v. 21. Februar 1907. 7. Versuch. Hund S. Versuchsanordnung wie bei Versuch Nr.6. 0.8 1.4 2.0 2.0 2.4 DES 2.0 27 1.6 1.5 1.4 1.0 1.4 I.o | 1.0 0.04 g Morph. hydrochl. subeutan 0.8 0.4 0.3 0.4 0.2 ©.I 0.05 0.1 0.05 1.0 10.0 7-9 8.2 6.0 5.0 4-5 2.5 1.5 125 1.0 0.8 0.8 1.4 2.5 3.0 1.5 BR) 9.0 5.0 2.0 27 Ta 1.0 0.7 0.5 0.3 0.2 0.1 0.1 0.0 Bei Versuchen an einem anderen Hunde W, der allerdings nieht so gut sezernierte wie der Hund S, blieb die nachträgliche Steigerung in der Sekretion aus, und es kam nur die Hemmung zur Anschauung. Der Einfluß des Opiumextraktes auf die Pankreassaftsekretion gipfelt in einer Hemmung der Sekretion, die eine definitive ist. Wir führen folgende Versuche als Beleg an. $S. Versuch. Hund W. Versuchsanordnung wie bei Versuch Nr.6. 9. Versuch. 19: 0.4 0.6 0.5 0.5 0.9 1.4 a7 1.9 1.8 2.0 2.0 1.9 1.2 0.8 0.5 0.5 0.9 0.18 Extr. Opii subeutan 0.7 1.8 2.7 2.3 2.2 o.1g Extr. Opii subeutan I.o I.Oo 0.5 0.3 0.1 0.1 ©.1 0.0 0.5 0.5 0.4 0.2 0.5 ©. 0.3 | 0.05 0.0 0.0 0.0 0.0 Hund S. Versuchsanordnung wie bei Versuch Nr. 6. 0.05 o.1 o.1 0.0 Versuch. Hund S. Versuchsanordnung wie bei Versuch Nr.6. 2.5 0.8 I.o 1.5 1.8 2.0 2.0 2.I 2.0 o.1g Extr. Opii subeutan 2.0 I.o 0.5 0.1 0.0 0.3 0.05 0.1 0.05 0.05 0.0 0.0 0.05 0.05 0.0 0.0 0.0 0.0 0.0 A. Bıcker: Magen- und Pankreassaftsecretion. 221 ı1. Versuch. Hund S. Versuchsanordnung wie bei Versuch Nr. 6. 0.4 0.3 | ©.1 0.05 0.4 0.4 | 0.4 | 0.05 0.6 0.9 | 0.5 0.0 1.2 0.18 Extr. opii subeutan | 0.1 0.0 0.8 0.9 0.05 0.0 0.6 1.2 0.2 0.0 0.3 0.9 | 0.05 0.0 0.2 0.9 | 0.05 0.3 0.8 | 0.05 Gibt man das Opium per os, so stellt sieh, genau wie bei der subkutanen Gabe, eine Hemmung in der Pankreassaftsekretion ein. Das lehrt der folgende Versuch. ı2. Versuch. Hund W. Das Tier ist völlig nüchtern und erhält 200 cem Wasser durch die Schlundsonde. Nachdem die danach sich einstellende Sekretion längere Zeit hindurch beobachtet worden ist, bekommt der Hund 200 cem Wasser, in denen 0.1 g Extraetum opii gelöst sind, durch die Schlundsonde. In der folgenden Tabelle sind die Zehnminutenportionen verzeichnet. 0.0 0.5 0.3 0.0 0.0 0.3 0.2 0.0 200 ccm Wasser per os 0.3 0.05 0.0 0.0 0.1 0.05 0.0 0.0 0.4 0.0 0.0 ©.1 0.6 0.05 0.0 0.1 200 cem Wasser + 0.18 Extr. opii per os | 0.0 0.0 0.1 0.7 0.05 0.0 1.3 0.9 0.05 Es ist selbstverständlich, daß nur diejenigen Versuche beweisend sind, bei denen die Tiere unter der Morphium- bzw. Opiumwirkung nicht erbrechen. Tritt Erbrechen ein, so kann durch die Verände- rung in der Füllung des Magendarmkanals allein schon eine Alteration in der Sekretion der Verdauungsdrüsen hervorgerufen werden. In diesem Falle sind die Resultate nicht einwandfrei. Bei den von uns angewandten Opiumgaben verfallen die Tiere — wir arbeiteten mit mittelgroßen Hunden — sehr bald dem Opiumrausch. Auch nach den Morphiuminjektionen tritt rasch Schläfrigkeit ein. Es kann also der Unterschied in dem Effekt der Morphium- bzw. Opiuminjektion auf die Sekretionsvorgänge nicht auf Verschiedenheiten in dem psychi- schen Zustande der Tiere zur Zeit der Versuche bezogen werden. Wenn man nicht das reine Opiumpräparat in der Form des Fx- traktes, sondern die Tinetura opii simplex bei denjenigen Versuchen 222 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 21. Februar 1907. anwendet, bei denen man das Mittel per os gibt, so erhält man auf die Drüsen nicht immer die Opiumwirkung allein. Das ist besonders bei den Versuchen betreffend die Pankreassaftsekretion der Fall. Der Alkoholgehalt der Opiumtinktur ruft manchmal eine vorübergehende Steigerung in der Saftsekretion hervor. Erst später tritt dann, wenn die Alkoholwirkung abgeklungen ist, der lähmende Einfluß des Opiums zutage. Folgende Versuche mögen das illustrieren. ı3. Versuch. Hund S. Das Tier ist nicht ganz nüchtern; der Sekretionsverlauf geht aus den Kubikzentimeterzahlen für die Zehn- minutenportionen hervor. In dem Versuch wird die Wirkung der Opiumtinktur mit derjenigen einer gleichen Menge von Alkohol ver- glichen. Beide Substanzen sind mit gleichen Mengen Wassers ver- dünnt und werden dem Tiere durch die Schlundsonde gegeben. 0.3 48 ccm Wasser + 2 cem Tinct. op. simpl. 1.2 1.5 arcr! 0.9 2.0 0.4 2.0 1152 2.6 0.9 1.8 48 ccm Wasser + 2 ccm 95 prozent. 0.7 1.5 Alkohol per os 0.4 1.I 0.3 0.6 0.3 1.3 2.0 3-5 0:5 1.0 0.1 1.8 0.0 1.1 0.0 0.4 0.0 0.7 0.0 0.8 14. Versuch. HundW. Versuchsanordnung wie bei Versuch Nr. 13. 0.8 "48 cem Wasser + 2 cem 95 prozent. Alkohol per os | 0.2 0.7 0.5 0.4 0.8 0.8 0.3 0.8 I.2 0.3 "50 cem Wasser per os 1.0 0.2 0.4 0.8 0.4 1.2 0.6 0.6 0.6 0.8 0.4 0.6 06 0.2 0.3 "48 ccm Wasser + 2 cem Tinet. op. simpl. per os ©. A. Bıcken: Magen- und Pankreassaftseeretion. 223 Das Resultat aller vorstehend mitgeteilter Versuche ist folgendes: Der von Rırsen entdeekte Einfluß des Morphiums auf die Magen- saftsekretion ist gleichsinnig mit dem von uns gefundenen Einfluß dieses Körpers auf die Pankreassaftbildung; zuerst findet eine Hem- mung, dann eine Steigerung der Sekretion statt. Bekanntlich wird die Pankreassaftbildung unter anderem von der in das Duodenum ein- tretenden Salzsäure des Mageninhaltes bestimmt, und infolgedessen steht die Pankreassaftbildung in einer gewissen Abhängigkeit von der Magensaftsekretion. Im allgemeinen wird die erstere um so lebhafter, je größer die letztere ist. Bei der Erklärung dieser Erscheinung lasse ich es dahingestellt, ob diese Beeinflussung der Pankreassaftsekretion durch den salzsauren Magensaft allein auf dem Weg über die » Sekre- tinbildung und -resorption« geht, oder ob zugleich auch ein »Säure- reflex« im Sinne von Pawrow mit im Spiel ist. Jedenfalls kann man es so erklären, daß das Morphium gleichsinnig auf Magen- und Pan- kreassaftsekretion wirkt. Der Einfluß des Opiums auf Magen- und Pankreassaftsekretion ist jedoch nicht gleichsinnig: die Magensaftbildung wird angeregt, die Pankreassaftsekretion wird durch diesen Körper definitiv gelähmt. Wenn somit der Schwall salzsauren Magensaftes, der unter dem Ein- druck der Opiumwirkung sich bildet und in das Duodenum übertritt, die Pankreassaftabseheidung nicht zu fördern vermag, so muß eben gleichzeitig eine starke Lähmung der Drüse von anderer Seite aus unterhalten werden, so daß die Säure- bzw. Sekretinwirkung nicht mehr zur Geltung kommen kann. Das Opium ist also imstande, die sekretorische Pankreasfunktion unmittelbar, d. h. nicht durch das Zwischenglied der Salzsäuresekretion im Magen, zu beeinflussen. Ausgegeben am 25. Februar. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei. Sitzungsberichte 1907. 22 ee . £ = a Te N ze Kr 2 Hg Ylaelıfn Row WA Im ed nee a REN a RR, 2 ö rlR Pan. ar ar De BT ) TEL Mi ae, a? ' © ss 7 A En, TEN . [} - ie: u ! i D MH Pf Ti Afı ! » fe NT br v z un“ ' de iv a 2 Wr \ N i 1 fr ‚ f i 7 MW .i j = h 1 7 ort U an: ” - rd j ve ee £ Aal I Na 1 a a ER 6 wre 448 ä w B u = (4 1907. XI. XH. X. SITZUNGSBERICHTE DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN | AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. Gesanmtsitzung am 28. Februar. (S. 225) Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe am 7. März. (S. 227) WaRrBurG und G. LeıtwÄuser: Über die Oxydation des Stickstoffs bei der Wirkung der stillen Entladung auf atmosphärische Luft. (S. 229) ZisstERNMANN: Der gerade Stab auf elastischen Einzelstützen mit Belastung durch längsgerichtete Kräfte. (S. 235) G. Kıemu: Bericht über Untersuchungen an den sogenannten »Gneissen« und den metamorphen Schiefern der Tessiner Alpen. IV. (S. 245) Sitzung der philosophisch -historischen Classe am 7. März. (S. 259) F.W.K. Mürrer: Neutestamentliche Bruchstücke in soghdischer Sprache (hierzu Taf. I und I). (S. 260) MIT TAFEL I uno Il. BERLIN 1907. . VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. Aus dem Reglement für die Redastion der akademischen Druckschriften. Aus $1. Die Akademie gibt gemäss $ 41,1 der Statuten zwei fortlaufende Veröffentlichungen heraus: » Sitzungsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften « und » Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften «. Aus $ 2. Jede zur Aufnahme in die »Sitzungsberichte« oder die » Abhandlungen« bestimmte Mittheilung muss in einer aka- demischen Sitzung vorgelegt werden, wobei in der Regel das druckfertige Manuseript zugleich einzuliefernist. Nieht- mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen. 83. Der Umfang einer aufzunehmenden Mittheilung soll in der Regel in den Sitzungsberichten bei Mitgliedern 32, bei Nichtmitgliedern 16 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Sitzungsberichte, in den Abhandlungen 12 Druckbogen von je 8 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Abhand- lungen nicht übersteigen. Überschreitung dieser Grenzen ist nur mit Zustimmung der Gesammt-Akademie oder der betreffenden Classe statt- haft, und ist bei Vorlage der Mittheilung ausdrücklich zu beantragen. Lässt der Umfang eines Manuseripts ver- muthen, dass diese Zustimmung erforderlich sein werde, so hat das vorlegende Mitglied es vor dem Einreichen von sachkundiger Seite auf seinen muthmasslichen Umfang im Druck abschätzen zu lassen. ; SA. Sollen einer Mittheilung Abbildungen im Text oder auf besonderen Tafeln beigegeben werden, so sind die Vorlagen gap (Zeichnungen, photographische Original- aufnahmen u.s. w.) gleichzeitig mit dem Manuseript, jedoch auf getrennten Blättern, einzureichen. Die Kosten der Herstellung der Vorlagen haben in der Regel die Verfasser zu tragen. Sind diese Kosten aber auf einen erheblichen Betrag zu veranschlagen, so kann die Akademie dazueine Bewilligung beschliessen. Ein darauf geriehteter Antrag ist vor der Herstellung der be- | \ I : treffenden Vorlagen mit dem schriftlichen Kesnhiers fr eines Sacher anigen an den vorsitzenden Secretar zu richten, dann zunächst im Seeretariat vorzuberathen und weiter in der Gesammt-Akademie zu verhandeln. Die Kosten der Vervielfältigung übernimmt die Aka- demie. Über die voraussichtliche Höhe dieser Kosten ist — wenn es sich nieht um wenige einfache Textfiguren handelte — der Kostenanschlag eines Sachverständigen EN beizufügen. Übeıschreitet dieser Anschlag für die er- ‚forderliche Auflage bei den Sitzungsberiehten 150 Mark, bei den Abhandlungen 300 Mark, so ist Vorbereitung dureh das Secretariat geboten. Aus $5. Nach der Vorlegung und Einr eichung des vollständigen druekferti igen Manuscripts an den zuständigen et oder an wird über Aufnahme der Mittheilung i in die akademischen Schriften, und zwar, wenn eines der anwesenden Mit- glieder es verlangt, verdeckt abgestimmt. h Mittheilungen von Verfassen, welehe nicht Mitglieder der Akademie sind, sollen der Regel nach nur in die Sitzungsberichte aufgenommen werden. Beschliesst eine Classe de Aufnahme‘ der Mittheilung eines: Niechtmitgliedes in die dazu bestimmte Abtheilung der »Abhandlungen«, so bedarf dieser Beschluss der Bestätigung. durch die Br Gesammt- Akademie. u den Archivar 5 | Hi SIE: "a Aus $6. Die an die Druckerei abzuliefernden Manuseripte müssen, wenn es sich nicht bloss um glatten Text handelt, aus- reichende Anweisungen für die Anordnung des Satzes und die Wahl der Schriften enthalten. Bei Einsendunge! Freinder sind diese Anweisungen von dem vorlegen Mitgliede vor Einreichung des "Manuscripts vorzunehmen, E Dasselbe "hat sich zu vergewissern, dass der Verfasser seine Mittheilung als vollkommen druckreif ansieht. Die erste Correetur ihrer Mittheilungen besorgen ( Verfasser. Fremde haben diese erste Correetur an das vorlegende Mitglied einzusenden. Die Correetur soll na P Möglichkeit nieht über die Berichtigung von Diuckfehlern und leichten Schreibversehen Binnusgeben. Umfängliche Correeturen Fremder bedürfen der Genehmigung des ı edi-. givenden Secretars vor der Einsendung an die: Dr 2 s und die Verfasser sind zur Tragung 3 “entstehenden Mehes? kosten verpflichtet, Died E ) i Aus $ 8. Von allen in die Sitzungsberichte oder Abhandlungen aufgenommenen riesensahseihellen Mittheilungen, Reden r KERSERN oder Berichten werden für die Verfasser, von { wissenschaftlichen Mittheilungen, wenn deren Y Druck 4 Seiten übersteigt, alieh für den Buchhandel Son | abdrucke hergestellt, die ‚alsbald nach Erscheiner de s a Stücks der Sitzungsberichte ausgegeben ; Von Gedächtnissreden werden ebenfalls Sonde " Verfasser Sich ausdrücklich damit einverstanden za ; = 9." E A auf Kosien der Akademie weitere ee is zur } 2; von noch 100 und auf seine Kosten ı eitere, Abärnnke, zur Vaihaling zu EN der Genehmigung der Gesammt- EABarı BE | zu ungen Vnheling ine wein 2 u gleiche u. sten. C weitere his is zur Zahlyont 100 (im \ ganzen a 230) ab: hen Be sofern er diess rechtzeitig dem. redigiven« en Se gezeigt hat; wünscht er auf seine Ko en noch Abdrueke zur Menge zu Be u der Genehmigung ( e treffenden Classe. exemplare und dürfen | _ redigirenden Seeretar weitere 100 E Kosten ne 14 aM BR Bi IV IN or SITZUNGSBERICHTE ur. XI. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 28. Februar. Gesammtsitzung. Vorsitzender Secretar: Hr. VAuren. *]. Hr. Scuwarz las über verschiedene Beweise eines Hülfs- satzes, mittelst dessen der Hauptsatz der synthetischen Geometrie reingeometrisch bewiesen werden kann. Wenn irgend drei Gerade a, b, c gegeben sind, von denen keine zwei in der- selben Ebene liegen, und es werden irgend vier Gerade r,f, 9, A construirt, von denen jede die Gerade a, die Gerade 5 und die Gerade c schneidet, so giebt es ın- endlich viele Gerade d, welehe mit den Geraden a, b, « die Eigenschaft gemeinsam haben, von den drei Geraden e, f und g geschnitten zu werden. Für jede solche Gerade d giebt es eine Ebene, welche diese Gerade und die Gerade A enthält. so dass also, allgemein zu reden, jede der vier Geraden a, b, c, d von jeder der vier Geraden e, f, 9, h geschnitten wird. Es wird gezeigt, wie dieser bekannte Satz auf mehrfache Art reingeometrisch so bewiesen werden kann, dass es möglich ist, mit Benutzung desselben den Beweis des Hauptsatzes der synthetischen Geometrie rein- geometrisch zu führen. 2. Folgende Druckschriften wurden vorgelegt: Band 6, Hälfte ı 5 oo der von der Akademie unternommenen Ausgabe der Gesammelten Schriften Wırnern von Hunsornpr's. Berlin 1907: Ergebnisse der Plank- ton-Expedition der Huusorpr-Stiftung. Bd. 3. Lfß: A. Pororskv, Acantharia. Teil 2: Acanthophracta. Kiel und Leipzig 1906: von unter- stützten Werken: E. Sacnau, Syrische Rechtsbücher. Band ı. Berlin 1907; J. Kromaver, Antike Schlachtfelder in Griechenland. Band ı.2. Berlin 1903. 07; Cr. Harrraug, Craspedote Medusen. Teil ı. Lief. ı. Codoniden und Uladonemiden. Sep.-Abdr. aus: Nordisches Plankton. Hrsg. von K. Branpr und C. Arsteım. Kiel und Leipzig 1907. 3. Die Akademie hat in der Sitzung am 14. Februar zu cor- respondirenden Mitgliedern der philosophisch-historischen Classe ge- wählt den ordentlichen Professor der Geschichte an der Universität Bonn Geheimen Regierungsrath Dr. Frieprıcn vox Brzorn, den Professor am College de France zu Paris Arrnur Cnvgurr, Mitglied des Institut de France, in Villemomble (Seine), das Mitglied des Institut de France Sitzungsberichte 1907. 25 226 Gesammtsitzung vom 28. Februar 1907. GAgrıeL Mononp in Versailles und den ordentlichen Professor der Ge- schichte an der Universität Bonn Geheimen Regierungsrath Dr. Morız Rırrer. Die Akademie hat das ordentliche Mitglied der physikalisch- mathematischen Classe Hrn. Wirnerm von BezoLnp und das correspon- dirende Mitglied der philosophisch-historischen Classe Hrn. Ferpıyaxn Justı in Marburg, beide am 17. Februar, das eorrespondirende Mit- glied der physikalisch-mathematischen Ulasse Hrn. Hesrı Mosssan in Paris am 20. Februar durch den Tod verloren. Ausgegeben am 14. März. SITZUNGSBERICHTE 1907. KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 7. März. Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe. Vorsitzender Secretar: Hr. WALDEYER. 1. Hr. Warsure las: Über die Oxydation des Stickstoffs bei der Wirkung der stillen Entladung auf atmosphärische Luft, nach gemeinsam mit Hrn. Dr. &. LeiruÄuser gemachten Ver- suchen. Das nitrose Gas, welches bei der Wirkung der stillen Entladung auf trockene atınosphärische Luft als Nebenproduet des Ozons entsteht, ist der Hauptsache nach Salpetersäureanhydrit. Durch Reaction zwischen diesem und dem Ozon entsteht eine kleine Menge einer neuen Stickstoff-Sauerstoffverbindung. welche dureh ihre Licht- absorption besonders im Roth scharf charakterisirt ist und zuerst von Havrerevi.ce und Caarevis durch elektrische Entladung erhalten wurde. 2. Hr. Zimmermann überreichte eine Mittheilung: Der gerade Stab auf elastischen Einzelstützen mit Belastung durch längsgerichtete Kräfte. Es handelt sich um einen Theil der Untersuchungen über die Biegung eines geraden Stabes, der in einzelnen Punkten in der Querrichtung elastisch gestützt und in der Längsrichtung durch Kräfte belastet ist. Dieser erste Theil betrifft den Fall, dass die Längskräfte nicht in der Achse des Stabes angreifen. Der zweite Theil, der sich auf die Wirkung von Kräften bezieht, die in die Stabachse fallen, soll später vorgelegt werden. Das gefundene Reclınungsverfahren ermöglicht die genaue Ermitte- lung des Verhaltens der Druckgurte oben offener Brücken. 3. Hr. Kram legte eine Mittheilung von Prof. Dr. Gustav Kreum in Darmstadt vor: Bericht über Untersuchungen an den soge- nannten »Gneissen« und den metamorphen Schiefern der Tes- Siner Alpen. IV. Der Verfasser behandelt den selır complieirten, aber nicht in Kürze wiederzu- gebenden Aufbau des von ihm untersuchten Gebietes. 4. Vorgelegt wurden Heft 27 des akademischen Unternehmens »Das Pilanzenreich«, enthaltend die Polemoniaceae von A. Brasp. 2% 228 Sitzung der physikalisch -mathematischen Classe v. 7. März 1907. Leipzig 1907, und Fortsetzungen der von der Akademie unterstützten Werke: P. Ascuerson und P. Grarsner, Synopsis der mitteleuropäi- schen Flora. Lief. 44—46. Leipzig 1906, und O. SCHMIEDEKNECHT, Opus- cula Ichneumonologiea. Fase. 15. Blankenburg i. Thür. 1907. Über die Oxydation des Stickstoffs bei der Wirkung der stillen Entladung auf atmosphärische Luft. Von E. Warsgure und Dr. G. LeritHÄUSER. Mitteilung aus der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt. Sul. Di. teilweise Ozonisierung des Luftsauerstoffs durch die stille Entladung ist von einer teilweisen Oxydation des Luftstickstoffs begleitet. In einer früheren Mitteilung haben wir die ganze Menge der entstandenen nitrosen Gase bestimmt." Es handelt sich jetzt weiter um die Art des gebildeten Stickoxyds. HAUTEFEUILLE und Unarpuss” haben entdeckt, daß durch die stille öntladung in trocknen Stiekstoff- Sauerstoffgemischen neben dem Ozon ein gasförmiger Körper entsteht, welcher durch sein Absorptions- spektrum im siehtbaren Gebiet scharf charakterisiert ist. Sie gelangen zu der Ansicht, daß dieser Körper, für welchen sie die Formel N,0, finden und welchen sie Übersalpetersäure (aeide pernitrique) nennen, das primäre, durch die elektrische Entladung gebildete Stickoxyd sei. Doch liegt die Möglichkeit vor, daß außerdem andere Stickoxyde, welche im sichtbaren Gebiet kein Absorptionsspektrum zeigen, gleich- zeitig entstehen. Wir haben zunächst die Eigenschaften und die Bil- dungsweise jenes neuen Körpers, welchen wir den Körper Y nennen wollen, näher in Betracht gezogen. $2. Es zeigte sich bald, daß es zur Darstellung von Y der stillen Entladung nicht bedarf, dal dieser Körper vielmehr durch Ein- wirkung von troeknem Ozon irgendwelcher Herkunft auf N,O, ent- steht. N,O, erhält man nach Hersıs® bequem durch Einwirkung von OÖ, auf N,O,, das wir aus Bleinitrat entwickelten. Wir kondensierten das N,O, zuerst bei —79°, brachten es alsdann auf 0°— 18° und leiteten einen Ozonstrom darüber hinweg in ein durch Glasplatten verschlossenes Rohr von 30 cm Länge; dieses zeigte dann das Absorptionsspektrum 1 2 E. Warzure und G. Lerrnuäuser, Annal. d. Phys. 20, 743, 1906. P. Haurerevirte und J. Cuarpuss, ©.R. 92, 80, 1881. ® Dew. Hereic, Atti Lincei (5), Vol. XII, 211, 1903. 230 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 7. März 1907. von F. um so stärker, je größer die Konzentrationen des N,O, und des O, gewählt wurden, wie es nach dem Massenwirkungsgesetz zu erwarten war, wenn — was allerdings nicht bewiesen werden konnte -— Y mit N,O,, O, und OÖ, im Dissoziationsgleichgewicht ist. Wir haben in diesem Spektrum 15 Absorptionsstreifen gemessen und außerdem eine größere Anzahl im Grün gesehen, während Cnarpus, welcher ein Rohr von 2m Länge benutzte. nur die ersten S Streifen angibt. Daraus ist zu schließen, daß wir den Körper Y in einer viel höheren Konzentration als Onarpvss unter Händen hatten. $ 3. Das Spektrum von Y verschwindet, wie schon Havrrrevmee und Urmarpviss fanden. mit der Zeit. Solange Y stark zum Vorschein kam. konnten wir in dem Versuchsrohre durch AJ reichlich Ozon nachweisen, sobald F verschwunden war. nieht mehr. Mit F ist also auch das O, verschwunden, und es ist uns nicht gelungen, F von O0, zu trennen. Der Zerfall des O, wird durch die Gegenwart von N,O, sehr beschleunigt. Dies erklärt sich durch die bekannte Tatsache, daß N,O, spontan unter Bildung von N,O, zerfällt, welches durch O, wieder zu N,O, aufoxydiert wird. so daß das Endergebnis dieses Vorganges der Zerfall von O, ist. Nachdem dieses verschwun- den ist, tritt das bekannte Absorptionsspektrum des N,O, auf. Dem- entsprechend verschwindet Y um so schneller, je größer die Konzen- tration des N,O, gewählt wird. $ 4. Temperaturerhöhung beschleunigt nach Havrerzvmre und CUnarppuss den Zerfall von Y. Wir haben aber außerdem gefunden, daß durch Erwärmung auf 60°. wenn die Konzentration des N,O, nicht zu groß ist, die Intensität des Absorptionsspektrums von F zeitweise erheblich gesteigert wird. Dies erinnert an das bekannte Verhalten des N,O,, bei welchem Erwärmung Zerfall in das färbende NO, hervorbringt.' Beim Abkühlen des Y enthaltenden Gasgemisches verblaßt das Absorptionsspektrum von Y und ist bei —79° jedenfalls verschwunden, wobei ein weißer Schnee an den Wänden des Rohres erscheint. Treibt man durch einen Sauerstoffstrom das übriggebliebene Gasgemisch in ein zweites Rohr von Zimmertemperatur. so kommt in diesem das Spek- trum von Y nicht wieder zum Vorschein. Y existiert also bei —79° ! Nach Roscor und Tuorrez (Phil. Trans. 167, 209, 1877) sowie nachı HassELBERG (Kong. Sv. Ak. Handl., Bd. 24. Nr. 3, S. 50, 1890) wächst die Absorption des Bromgases ebenfalls mit steigender Temperatur, nach HaurerevieLe und Cnarpuis (bei Cnarpuis Ann. de l’&cole norm. (2). IT, 159, 1882) dagegen die Absorption des O, mit sinken- der Temperatur. Ob auch in diesen Fällen die Verstärkung der Absorption eine che- mische Veränderung anzeigt, scheint eine offene Frage zu sein. Für den Fall des Körpers Y sind wir in Anbetracht der großen Wirkung einer kleinen Temperatur- steigerung geneigt, dies anzunehmen. Warsure u. G. LerrnÄuser: Stiekstoffoxydation durch stille Entladung. 231 im Gaszustand nieht. Wurde darauf das erste Rohr abgeschlossen und wieder auf‘ Zimmertemperatur gebracht, so erschien das Spek- trum von Y auch in diesem Rohr nicht wieder. Y findet sich mit- hin auch nieht in dem Kondensat, welches also N,O, ist. Ob Y ur- sprünglich im Kondensat vorhanden war oder erst durch Ozonent- ziehung mittels des Sauerstoffstromes zum Zerfall gebracht wurde, läßt sich nicht entscheiden. $ 5. Hindurchleiten des Y enthaltenden Gasgemisches durch H,SO, oder P,O, brachte das Spektrum von Y zum Verschwinden, Hindurehleiten durch HNO, (spezifisches Gewicht 1.54) ließ es, wenn auch geschwächt, bestehen: doch tritt möglicherweise nach dem Durch- gang des Gasgemisches Neubildung von Y aus O, und N,0, ein. 8% 6. Bringt man zu dem Y enthaltenden Gasgemisch Wasser hinzu, so verschwindet das Spektrum von Y (HAUTEFEUILLE und CUnarpuns). Aus der dabei eintretenden, mittels eines Glasaneroids gemessenen Druckabnahme konnten wir die verschwundene Molzahl m, des Gases berechnen. außerdem bestimmten wir die Molzahl m, der gebildeten HNO, durch Titrieren mit NaOH. m,/m, ergab sich nur wenig größer, wenn bei starker Entwicklung des Absorptionsspektrums von Y N,O, zusammen mit O,, als wenn N,O, allein zugegen war.‘ Hierdurch wurde die Vermutung nahegelegt, daß die Konzentration von Y klein sei gegen die Konzentration des N,O,. Diese Vermutung wurde durch Versuche im Ultrarot bestätigt. $ 7. Das ultrarote Absorptionsspektrum des N,O, wurde zwischen den Wellenlängen 2.3 #» und 6.6 u mit einem Flußspatprisma und Steinsalzverschlüssen an einem 29.5 em langen Absorptionsrohr aufgenommen. Die ausgezogene Linie Fig. ı gibt das Spektrum beim Partialdruck des N,O, von etwa 50 mm. Man unterscheidet ein schwächeres Absorptionsgebiet zwischen 2.5 # und 5 # mit ver- schiedenen Absorptionsstreifen” und dem Absorptionsmaximum bei 3.29 #2 sowie ein daran anschließendes sehr starkes: die Absorption ist bei der benutzten Konzentration zwischen 5.5 » und 6 u beinahe vollständig. Versuche mit schwacher Konzentration (Partialdruck des N,O, ungefähr ı mm) ergaben, daß ein sehr intensiver Absorptions- streifen mit dem Absorptionsmaximum bei ungefähr 5.75 # vorliegt’ (Fig. 2, Kurve ]). ! In diesem Falle sollte m»/m; = 0.5 sein; tatsächlich wurde 0.55 gefunden. Doch ergab sieh eine.ähnliche Abweichung, als eine abgewogene Menge N,O, durch Wasser in HNO, übergeführt ward; das angewandte N,O, war also nieht ganz rein. ®2 Das kleine Maximum bei 4.25 # ist unsicher. ® Die genauere Bestimmung dieses Maximums, welches vielleicht als Fixpunkt für Wellenmessungen brauchbar ist, bleibt vorbehalten. In die Figur ist punktiert das Absorptionsspektrum des Ozons zwischen 2 und 7 x mit dem Absorptionsmaximum bei 4.75 # nach den Messungen der HH. Lavenwure und LenmAann' eingezeichnet; das von ihnen benutzte Ozon absorbierte auch in dem starken Absorptions- gebiet des N,O, bis zu 19 Prozent. Doch zeigt nach unseren Ver- suchen Ozon aus reinem Sauerstoff” dort keine merkliche Absorption, während die Absorption bei 4.75 « 54 Prozent betrug. Das Ozon der HH. LAavengure und Lenmann war also nicht rein und enthielt wahrscheinlich N,O,. Sie haben aus ihrem Ozon unter gewissen Um- ständen einen gasförmigen Körper erhalten, welcher auch Absorptions- streifen von Y zeigte, und schreiben diese, weil sie keinen Stickstoff in ihrem Präparat nachweisen konnten, einer allotropen Modifikation des Sauerstoffs zu. Dieser Schluß ist nach dem Vorstehenden so lange ! E. LavenguRrG und E. Leumann, Ann. d. Phys. 21, 305, 1906. 2 Dargestellt durch Erhitzen von KCIO,, über festes KOH und P,O, und über den ÖOzonapparat in die Absorptionsröhre geleitet. Warsurs u. G. Leirnävser: Stickstoffoxydation durch stille Entladung. 233 nicht zwingend, als nicht das Auftreten der Streifen in stiekstofl- freiem Ozon nachgewiesen ist.' $ 8. Das Versuchsrohr von 29.5 em Länge beschickten wir mit OÖ, und so wenig N,O,, daß die Absorption desselben bei 3.21 u nieht merklich war, während doch das Spektrum von Y im sicht- baren Gebiet stark zum Vorschein kam. In solcher Konzentration absorbiert also Y bei 3.21 » nicht merklich. Alsdann wählten wir die Konzentration des O0, und N,0, so, daß das Spektrum von Y im sichtbaren Gebiet stark zum Vorschein kam und die Absorption des N,O, bei 3.21 » 25 Prozent betrug, wobei die Absorption noch der Konzentration merklich proportional ist. Indem wir nun das Spektrum von F durch Erwärmen zuerst verstärkten und schließlich zum Verschwinden brachten, blieb die Ab- sorption bei 3.21 2, mithin auch die Konzentration des N,0, beinahe ungeändert. Nun ist, von N,O abgesehen, N,O, das einzige bekannte Stickoxyd, welches in Gegenwart von OÖ, bestehen kann. Durch den Zerfall von Y muß also N,O,, sei es primär, sei es sekundär, gebildet werden, wenn man Zerfall in N,O oder N, als zu unwahrscheinlich ausschließt. Daraus folgt, daß Y, ähnlich wie NO,, ein stark fär- bendes Gas und seine Konzentration klein ist gegen die Konzentration dies N,O.. $ 9. Zu der Frage zurückkehrend, welches Oxydationsprodukt des Stickstoffs durch die stille Entladung in atmosphärischer Luft gebildet wird, haben wir zunächst in dem aus dem Entladungsapparat kommenden Gase N,O, spektralanalytisch leicht nachweisen können. Als wir über eine mit 2.5-10°° Amp. betriebene Smenesssche Ozon- röhre trockene atmosphärische Luft langsam in das 29.5 cm lange Spektralrohr einleiteten, fanden wir bei 5.75 # ($ 7) eine Absorption von 90 Prozent. Das Spektrum von Y war dabei schwach sichtbar. Die Analyse des Gases ergab einen Partialdruck des N,O, von 1.7 mm. Kurve ı Fig. 2 zeigt die Absorption etwas schwächer ozonisierter atımosphärischer Luft im 2. Absorptionsgebiet des N,O.. Eine Wasser- vorlage, durch welche der Inhalt des Versuchsrohres ausgetrieben wor- den war, zeigte einen Gehalt von HNO, entsprechend o.2 cem NaOH ‘/. normal, was in dem Versuchsrohr von 181 ecem einem Partialdruck des N,O, von etwa ı mm entspricht. Kurve 2 zeigt die Absorption des mit N,O, von nahezu demselben Partialdruck beschiekten Ver- suchsrohres. Die Lage des Absorptionsmaximums stimmt in beiden Kurven genau überein, die Abweichung derselben voneinander rührt Was aus den Diehte- und Druckmessungen der HH. LavessurG und LEHMANN gefolgert werden kann, ist eine andere Frage, mit welcher wir uns hier nicht zu be- schäftigen haben. 234 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe v. 7. März 1907. wahrscheinlich von dem Zerfall des N,O, während der Messung im Fall 2 her, in welchem kein O, gegenwärtig war. Demnach läßt sich die gestellte Frage dahin beantworten, daß das in der trocknen atmosphärischen Luft durch die stille Entladung gebildete nitrose Gas der Hauptsache nach N,O, ist. Dadurch und durch das zugleich gebildete Ozon sind nach $ 2 die Bedingungen für die Bildung des Körpers Y gegeben. welcher sich aber als eine nur geringfügige Begleiterscheinung der Stiekstoffoxydation darstellt. Es ist nieht nötig, seine Bildung der stillen Entladung zuzuschreiben; auch ist die Bezeichnung desselben als N,O, nicht begründet, da die von HAUTEFEUILLE und Unarpuss angestellten Versuche, welche auf diese Formel führten, auf‘ der nicht zutreffenden Annahme beruhen. daß das einzige durch die Entladung gebildete Stickoxyd der Körper F ist. NO wird durch O, zu NO,, dieses durch O, zu N,O, oxydiert. Außer N,O, könnte allenfalls noch N,O bei der Entladung entstehen. Ob das der Fall ist, wird sich wahrscheinlich durch spektralana- lytische Versuche im Ultrarot entscheiden lassen. ! Als anstatt atmosphärischer Luft 98.2 prozentiger Sauerstoff aus einer Linpe- schen Bombe der stillen Entladung unterworfen wurde, ergab sich bei 5.75 # eine Absorption von 57 Prozent. Hierbei war das Spektrum von Y nicht sichtbar, wo- durch der Schluß des $ 8 bestätigt wird. — Die Gegenwart des N,O, wird hier auch an der beim Durchleiten des Gases durch Wasser eintretenden Nebelbildung kenntlich, welche bei reinem ozonisierten Sauerstoff ($ 7) nicht eintritt. Der gerade Stab auf elastischen Einzelstützen mit Belastung durch längsgerichtete Kräfte. Von H. ZImMERMANN. k- Jahre 1905 habe ich der Akademie die Ergebnisse einer Unter- suchung vorgelegt, die sich auf die Biegung des geraden Stabes mit stetiger, elastischer Stützung und beliebig gerichteten Einzellasten bezog. Dabei wurde das Anwendungsgebiet dieser Ergebnisse be- schrieben und als Beispiel der Fall eines Stabes mit überall gleichem Querschnitt behandelt, der nur an den Enden dureh Kräfte in der Achsenriehtung belastet ist. Dieselbe Aufgabe habe ich später im Zentralblatt der Bauverwaltung uud noch eingehender in einem er- weiterten Sonderdrucke für eine große Reihe verschiedener Längen- und Quersehnittsverhältnisse vollständig, d.h. nicht nur bis zur Klar- stellung der in Betracht kommenden Gesetze, sondern so weit zahlen- mäßig durehgerechnet. daß die gefundenen Werte unmittelbar technisch benutzt werden können.' Die wichtigste Verwendung bezieht sieh auf die Druckgurte oben offener Brücken. Diese Bauteile erfüllen aber die Bedingungen der Aufgabe insofern nur näherungsweise, als die Wirkung der einen Druckgurt in der Querriehtung stützenden Halbrahmen nicht stetig über die ganze Länge verteilt ist. sondern vielmehr in einzelnen ge- trennten Stellen angreift. Ferner ist auch der Querschnitt und die Spannung eines solchen Gurtes nicht in ganzer Länge gleich. Es besteht daher ein Bedürfnis, die Untersuchung noch weiter in der Riehtung auszudehnen, die die in der Wirklichkeit vorliegenden Be- dingungen angeben. Nun ließe sich dies zwar — wie schon auf S. 904 des am Fuße genannten Heftes der Sitzungsberichte ange- deutet wurde — mit Hilfe der dort entwickelten allgemeinen Glei- chungen erreichen. Dies wäre aber ein ziemlich mühsamer Weg. Während nämlich die Differentialgleichung der Biegungslinie des Stabes mit stetiger Stützung von der vierten Ordnung ist, genügt bei Einzel- ! Vel. Sitzungsber. d. Berl. Akad. d. Wiss. Heft XLIV, S.898. Das oben er- wähnte Schriftehen ist unter dem Titel »Die Knickfestigkeit eines Stabes mit elastischer Querstützung« im Jahre 1906 bei Wilhelm Ernst & Solın in Berlin erschienen. 236 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 7. März 1907. stützen eine Gleichung zweiter Ordnung. Es ist daher einfacher, von vornherein mit Einzelstützen zu rechnen. In den folgenden Zeilen soll eine ganz allgemeine und strenge Lösung der so umschriebenen Aufgabe vorgeführt werden. Vorausgesetzt ist dabei. daß die durch den Druck in der Achsenrichtung des Stabes erzeugten Längenände- rungen so klein sind, daß sie gegenüber den Formänderungen dureh Biegung verschwinden, und dal letztere ihrerseits so klein sind, daß der aus der Gleichung der Biegungslinie folgende Wert von (dy : dır)? gegen I vernachlässigt werden kann. Beides trifft bei allen techni- schen Anwendungen mit sehr großer Näherung zu. Ferner wird an- genommen, daß die Querschnitte des Stabes nur sprungweise ver- änderlich sind und daß die Änderungsstellen mit den Angriffspunkten der äußeren Kräfte (den »Knotenpunkten«) zusammenfallen. Diese Bedingung ist in der Wirklichkeit stets erfüllt. Jede solche Strecke, innerhalb der also der Querschnitt überall gleich ist und äußere Kräfte nicht angreifen, wird ein »Feld« genannt.' I. Belastungsannahmen. Um einen alle denkbaren Möglichkeiten einschließßenden Belastungs- zustand zu erreichen. wird angenommen, daß die an den Enden eines Feldes von der Länge @ wirkenden Längskräfte S nicht in die Stab- achse fallen, sondern etwas seitlich davon im Abstande ‚f angreifen. Jedes 5 wirkt also auf einen Knotenpunkt mit dem Hebelarme (»Fehler- hebel«) f. Da die S und f benachbarter Felder nicht gleich zu sein brauchen, so treten in den Knotenpunkten Unstetigkeiten auf. Um nun die Unbestimmtheit zu vermeiden, die hieraus beim Legen eines Schnittes durch einen Knotenpunkt entspringen würde, soll ange- nommen werden, die llebel f griffen nicht in den Knotenpunkten an, sondern zu beiden Seiten in unendlich kleinem Abstande da- von. Die stützenden Kräfte A dagegen werden als unmittelbar auf die Knotenpunkte wirkend gedacht. Außer den Kräften S und A wirken auf den Stab an den Enden Momente M. Se 3. 7 2 3 44 5 Sa S, 5. Se Is; N < Sys Sys Es | Zw A, RT: ER A, RS Abb. 1. Angriffsweise der äußeren Kräfte. R ! Um das Lesen der mathematischen Entwicklungen zu erleichtern, sind in den folgenden Abschnitten alle Größenbezeichnungen an dem Orte, wo sie zum ersten Male auftreten, durch fetteren Druck hervorgehoben. ZINMERMANN: Druckstab auf elastischen Einzelstützen. DT In Abb. ı ist beispielsweise rechts ein so belasteter Stab mit vier Feldern dargestellt. und links die Angriffsweise der Kräfte an den Knotenpunkten für Punkt 3 noch besonders veranschaulicht. Die Abbildung erläutert zugleich die Bezeichnungsweise, die fernerhin angewendet werden soll. Danach haben die Knotenpunkte und die darauf bezüglichen Größen, wie A und M, einfache Ziffern, die zu den Feldern gehörigen Werte, wie die Längskräfte S, Hebelarme f. Feldlängen a usw. die beiden Ziffern der Knotenpunkte. zwischen denen sie liegen. Die Pfeile in der Abbildung deuten an. in wel- chem Sinne alle gerichteten Größen positiv gerechnet werden sollen. Insbesondere sind die Längskräfte 5 hiernach als positiv angenommen. wenn sie als Druckkräfte auf den Stab wirken. II. Formänderung eines Feldes. Als Beispiel werde das Feld ı—2 gewählt, und zwar mit den Kräften, die an ihm wirken, wenn man es durch unmittelbar rechts vom Knotenpunkt ı und links vom Knotenpunkt 2 gelegte Schnitte aus dem Stab heraus- trennt. In diesen Schnit- ten sind die Kräfte an- gebracht, mit denen die angrenzenden Stabteile auf das herausgetrennte Feld wirken. Außer den Knotenpunktmomenten M, und M, sind das (Quer- kräfte @ von offenbar in- Abb. 2. Belastung und Formänderung des ersten Feldes. nerhalb jedes Feldes un- veränderlicher Größe. Für das gewählte Feld möge die Querkraft mit @,. bezeichnet und in dem Sinne positiv gerechnet werden, wie ihn die Pfeile in Abb. 2 angeben. Bezieht man nun das Feld auf ein rechtwinkliges Achsenkreuz, dessen X-Achse mit der ursprünglichen Lage der Stabachse zusammen- fällt, während die Y-Achse durch den linken Endpunkt des Feldes geht, und bezeichnet man die Abweichungen der Endpunkte ı und 2 von der X-Achse, wie in Abb. 2 angegeben. mit y, und y,, so ist für einen beliebigen Punkt w, 4 der Stabachse das Biegungsmoment M, N (1) M = S2y+ Q,,0+ S,, Se —Y: =r 2 2385 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 7. März 1907. Andererseits ist (bei Vernachlässigung von (dy:dx)’ gegen ı) für einen nach oben hohlgekrümmten Stab bei dem in der Abbildung angenommenen Sinne der positiven M: (2) ee da” Hierin bezeichnet E das Elastizitätsmaß, J das Trägheitsmoment des Stabquerschnittes bezogen auf die wagerechte Schwerpunktachse, wobei angenommen ist, daß diese eine Hauptachse sei. Für das Feld ı—2 ist J=J,. Damit folgt aus (1) und (2) d’y Sr S.. (AR M, =t= ’ V= A) en Tara 12 Ye chi core dr’ wahr mW nrlse Setzt man zur Abkürzung S Q M, 3 er ee Me —1 | (h (3) EIE Hı2 5 Ha: Ye =tz Sa > so erhält man die Differentialgleiehung der Biegungslinie in der Form Zune (4) dı? +4u.Y = 1,.(aC + b). Die Stammegleichung hierzu ist bekanntlich (5) y= Asinwe+ Beoswaetaxc+b, woraus dh (6) = — u,ÄA cos u,02—u,Bsinn,c+a folgt. Für die weitere Benutzung der Gleichungen (5) und (6) müssen die willkürlichen Größen A und B bestimmt werden. Ihr Wert ist durch die Bedingung festgelegt. daß rer 0 ME undShürns eu a: sein soll. Damit ergibt sich aus (5) zunächst B=y,—b und sodann weiter N u el) COS Mynlız sin 4,,4,. Hierin sind die Werte von a und 5 aus (3) einzuführen. Es 3 empfiehlt sich aber, vorher die in a enthaltene Querkraft Q,. durch rF : x ZINMERMANN: Druckstab auf elastischen Einzelstützen. 239 die übrigen am Feld ı—2 angreifenden Kräfte auszudrücken. Die Bedingung des Gleichgewichtes gegen Drehung ergibt ( N Yı = Y M,—M, (7) dl = Se 7 are IS a (2 +12 12 und hiermit wird, wenn man noch zur Abkürzung (8) [LOS An setzt, Be I M, I MEI A=JFf.|\-— = — Sacaer : sing, tane«, Sys bel 07 8, SINE, (9) « u (und Bi=if,, gar - Die Gleichung (6) soll nun dazu benutzt werden, die Neigungs- winkel v, und v, der Biegungslinie an den Enden (les Feldes 1—2 zu berechnen, wobei zur weiteren Vereinfachung (10) Kia fı2 = d. gesetzt werden möge. Dann ergibt sich aus (6) mit Rücksicht auf (3) und (7) für = 0: I I «4 M mey—,i\i. —— a re be sına.. tan, tang &,.) Q,.8:2 WE | Urs N, — — — I— Tz A, SZ, SSR Ähnlich wird mit = a, r I I M, (1 2) li —Z g ’, + Ferse _\sndz tang & Sim, )) OEL » tang &,,.) Q,,8:1. Aus allen hiermit für das Feld ı— 2 entwickelten Gleichungen lassen sich die einem anderen Felde entsprechenden offenbar ohne weiteres dadurch ableiten, daß man die zu diesem gehörigen Zeiger an Stelle von ı und 2 setzt. III. Der Stab als Ganzes. A. Bei beliebiger Abweichung der Knotenpunkte. Wenn die einzelnen Felder — wie hier vorausgesetzt wird in den Knotenpunkten stetig zusammenstoßen, so muß die Neigung v des rechten Endes eines beliebigen Feldes ebenso groß sein wie die Neigung des linken Endes des rechts daran grenzenden Feldes. Mit 240 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe v. 7. März 1907. Hilfe der Gleichungen (11) und (12) läßt sich diese Forderung beispiels- weise für den Knotenpunkt 2 dureh die folgende Bedingungsgleichung I I —i= = Pat SINd,, tang d,, sind, ausdrücken: u) A; S. re Ya & e (2 en Urn u En (13) / I I R == — = || . : 23 sin d,, tang &,, ng &,, ie li] 3 6 sin Fe Zn .; Eine ganz ähnliche Gleiehung läßt sich für jeden mittleren Knoten- punkt aufstellen. während für die Endknoten Gleichungen von der Form (11) und (12) gelten. Um die weitere Behandlung möglichst übersichtlich zu gestalten, bedienen wir uns dabei der nachstehenden abgekürzten Bezeichnungen: &ı2 I BI I ee Were Z=m; 1I— le \ sind, ); QL. Dı2 ı tanga,,) a„S,, 12 (14) \ d,, I &,, I —|ı ——m,; i— = m,.: sn @3S.. + tanga,,) a, 9. ”3 "23 23 "23 3 USW.; ferner 1 I \z —— 9, =®,; (15) sın 4, tang &,, I I ler Sr PD; — ®,,: sin &,, tang &,, usw.: und sehließlich in \ — z == Va . (16) 2 YaY; Een z —— = v3; Q usw. Die durch Einführung dieser Zeichen wesentlich vereinfachten Gleichungen (11), (12) und (13) sollen nun auf das m Abb.ı darge- stellte Beispiel eines Stabes mit vier Feldern angewendet werden. ! Für die Wahl dieser Bezeichnungen war der Umstand maßgebend, daß die auf den linken Seiten der Gruppe (16) stehenden Ausdrücke offenbar die Neigung der geradlinigen Verbindungen der Knotenpunkte ı und 2, 2 und 3 usw. gegen die X- Achse angeben. Zimmermann: Druckstab auf elastischen Einzelstützen. 241 Wenn man alle Glieder, die ein A7 als Faktor enthalten, auf die linke Seite, alle übrigen auf die rechte bringt, so erhält man die folgende Gleichungsgruppe: (!+m,)l M+mM,=v —v, +06.: m, M, + (m, + m,,) M, +m,M, Ya Ya td + Pa5: (17) Ach Des Abb. 3 Nun war aber früher schon für das Feld ı—2 Auflagerdruck (na ch Gleichung (7)) und Querkräfte & Y.— M,— M. Knot kt 2. a dar = 2 am Knotenpunkt 2 = a — een d2 A, gefunden. Ganz ähnlich ergibt sich für das Feld 2—3: ze AR, ur (SIE q,, z 2 Ö Damit folgt aus (18) und (19) Hiernach können die Gleichungen für die anderen Zwischenpunkte leicht durch Einsetzen der zugehörigen Zeiger gebildet werden. Bei den Endpunkten ist zu beachten, daß die Querkraft links vom ersten und rechts vom letzten Endpunkte Null ist. Demgemäß ergibt sich, wenn man noch von den Abkürzungen nach (16) Gebrauch macht, die folgende Gruppe von Gleichungen: Da M, m HER % 1). e DR, SS S MM MM RE — ve v.+ _ z D, er 2 5; BLU 0. ( Er ' L y ea en ia Dr ; Dr —M; E®, M,—M, £ i ; D, S 3 % d;; D, q;, D, ee a Ma mare 4 m) 34 } 45 a! a,D, SD M, —— ME Us D Yas u; D == 5 45 5 Wird die zweite Gleichung von der ersten abgezogen und das Ergebnis durch a,, geteilt, so enthält die neue Gleichung auf der ZINMERMANN: Druckstab auf elastischen Einzelstützen. 243 linken Seite die Größe —v,: durch die entsprechende Behandlung der zweiten und dritten Gleichung ergibt sich links die Größe —v,, usw. Aus den fünf Gleichungen (21) entsteht so eine Gruppe von nur vier, in denen die y nieht mehr auftreten. Um diese etwas weitläufigen Gleichungen übersichtlicher zu gestalten, sollen statt der D ihre rezi- proken Werte eingeführt und mit ö bezeichnet werden, so daß also - rd m: 0 AD3 =, USW. ist. Ferner bezeichnen wir die nur aus gegebenen Werten zusammen- gesetzten Ausdrücke, mit denen die M und v behaftet sind, durch besondere Buchstaben wie folet: N } +6, Ö, —-=iM.: —M,; (BE A,4,, N N N d,+ 0, I A ——= (le: — —=l;; (23) % es < N NN N Do OR .u,; u FE qa;,; Q,,4,; 0, +0, m; 2 5 Q,;; 0, +0, Ss ei %, \ . _ Er IT’ N. 1 I N . (2 Az er 0,40 ) pi Sec = s IS — = | | ”= IS = "DD; Im N: a, 3 = N,y: 24 SE N N N ng = 1.8 See a ne: ug —N,; 2a es: r 34 3 = 35% 34 34 % N N N d, +0. 4 ne k: 4 sad —— = Di —zN4: 5 Dt —N,;- 45 45 Damit erhält die in Rede stehende Gleichungsgruppe die Form — N Ya IN Va, = (+ 1m,) M, — (m, + m,) M,+ m, M, ; E) \ NY — Na Va HN Ya = MM + (m, + ,,) M, — (m, +1,) M, +, M, ; Day Vaz — Rz Ya) F Nas, = MM, + (m, + m,,)) M, — (m, + m) M, +, M, ; MV Nas Vas = m, M,-+ (m, +m,M,— (m,+0)M,. Durch diese vier Gleichungen zusammen mit den drei mittleren Gleichungen der Gruppe (17) sind jetzt die sieben Unbekannten M,, M,, M, und v,, , v33 > v3; v,, als Funktionen der gegebenen Größen, näm- lich der Abmessungen des Stabes, der an den Hebelarmen f wirken- den Längskräfte S, der etwa vorhandenen Endmomente M,,M, und der Widerstandskräfte D der Querstützen bestimmt. Nach Einsetzung 24* 244 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 7. März 1907. der Zahlenwerte dieser Größen bietet die Rechnung keinerlei Schwie- rigkeiten mehr. Ferner lassen sich die Gleichungen (25) offenbar ebenso leicht wie die der Gruppe (17) auf eine beliebige, größere Zahl von Feldern ausdehnen. Hiermit ist die Aufgabe, die Biegungslinie des Stabes zu be- stimmen, ganz allgemein gelöst. Denn die Gleichung dieser Linie ist z. B. für das erste Feld gegeben durch (5). Die hierin auftre- tenden Größen A und B folgen, sobald M, gefunden ist, aus (9). Mit demselben M, und mit (y, —Y,): a, = —v,, ergibt sich Q,, aus (7) und a aus (3). Der Wert von y, ist durch die erste Gleichung der Gruppe (21) gegeben und liefert in (3) eingesetzt die Größe b. Wie für das erste Feld, so läßt sich auch für jedes andere eine Gleichung wie (5) hinschreiben, in der nur die Zeiger entsprechend abzuändern sind, und die darin auftretenden unveränderlichen Größen A, B. a und 5 sind nach ganz ähnlichen Regeln zu bestimmen wie die des ersten Feldes. Im allgemeinen erhält man eine von der Geraden abweichende Biegungslinie nur, solange die Größen f nicht Null sind. Ist letzteres der Fall, wirken die Längskräfte S also in der Stabachse, so ist eine Biegung nicht möglich, es sei denn, daß gewisse Bedingungen erfüllt sind, die das Knieken kennzeichnen. Diese zu erörtern, behalte ich mir für eine weitere Mitteilung vor. 245 Bericht über Untersuchungen an den sogenannten „Gneissen“ und den metamorphen Schiefern der Tessiner Alpen. Von Prof. Dr. G. KrLemm in Darmstadt. (Vorgelegt von Hrn. Kreiın.) IV. AV. man von Ulrichen im Rhönethal durch das Eginenthal zum Nufenenpass emporsteigt, durchquert man zuerst eine Schichtenfolge hochkrystalliner Sedimente, die als eine Fortsetzung der in der »Ur- serenmulde« anstehenden Gesteine anzusprechen sind. Weiter ober- halb bemerkt man eine deutliche Injeetionszone, in der die genannten Schiefer von Granit durchtrümert werden. Die Aufschlüsse im Eginenthal können sich allerdings an Schönheit keineswegs mit den- jenigen vom Grimselpass messen, wo die Aufblätterung der Schichten durch die granitischen Intrusionen an den völlig unverhüllten Felsen dicht an der Strasse in unvergleichlich besserem Grade entblösst ist, oder mit denen an der Strasse von Gletsch nach Oberwald, wo sieh eine ganz erstaunliche Durchäderung der dunklen Hornfelse durch kleinkörnige, oft aplitische Granite beobachten lässt. Nach Durehwanderung der wenig mächtigen Mischgesteinszone des Eginenthales betritt man ein Gebiet granitischer Gesteine, das bis kurz vor Beginn des Aufstieges zur Passhöhe reicht. Die Structur dieser Granite zeichnet sich durch grösste Mannigfaltigkeit aus. Man findet jebensowohl porphyrische als auch ganz gleichmässig mittel- körnige Typen, die aber sämmtlich gut erkennbare Parallelstructur haben. Rein massige Formen konnten dort nicht beobachtet werden. Auch auf der Passhöhe durch Block- und Gehängesehuttmassen die genauere Feststellung der Verbandsverhältnisse sehr erschwert — grenzt unmittelbar an die auf der übrigens eine starke Überrollung metamorphen Sedimente ein stark flaseriger Granit. Ganz anders ist das Profil beschaffen, das man bei All’ Acqua im Val Bedretto studiren kann, wenn man in dem von der Alpe della Cassina baggio herabziehenden Bachtobel aufwärts steigt. 246 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 7. März 1907. Zuerst findet man daselbst helle. ziemlich steil nach N. ein- fallende Glimmerschiefer, die mit dunklen, sehr biotitreiehen sowie mit phyllitähnlichen Scehiefergesteinen wechsellagern. Auch Schichten, die ganz den »Soresceiagneissen« des Val Tremola gleichen, sind häufig. Und in der That dürften wohl die oberhalb All’ Acqua anstehenden Schichten den letztgenannten »Gneissen« auch stratigraphisch durch- aus entsprechen. Denn nach dem Verlaufe des weiter abwärts im Bedrettothale herrschenden Schichtenstreichens muss man erwarten, etwa auf der 'Thalsohle bei All’ Acqua im Liegenden der Glimmer- schiefer die Amphibolite und die Hornblendegarbenschiefer anzutreffen, die im Tremolaprofil das Liegende der »Soresciagneisse« bilden. vox Frırscn hat dieselben auch daselbst auf seiner Karte eingezeichnet. obwohl sie unter den ungeheuren Schuttmassen, die von Villa an auf- wärts den Boden und besonders das nördliche Gehänge des Tessin- thales bedecken. wohl kaum zu Tage ausgehend beobachtet worden sein dürften. Etwa 100” über dem Ospizio All’ Aequa sieht man in dem oben- erwähnten Bachtobel deutliche Granit- und Pegmatitgänge in den Schiefern. die um so häufiger werden. je höher man ansteigt. Schon bevor man die Steilkante überschreitet. in der der Boden eines grossen. in die Ausläufer des Kühbodenhornes einspringenden Kaares abbricht, befindet man sich in einer typischen Mischgesteinszone von Schiefer und Granit, die etwa 400— 500 m mächtig ist. Betritt man den Kaar- boden, dessen Rand etwa 300" über dem Ospizio liegt, so sieht man sich einer gewaltigen Steilwand von massigem Pizzo-Rotondo-Granit gegenüber, während die westliche Seitenflanke des Kaares noch aus dem Mischeestein besteht. Verfolet man dieselbe aufwärts. so steht man plötzlich an einer scharfen Gesteinsgrenze. jenseits deren sich. scheinbar ganz unvermittelt. der massige Granit einstellt. Erst bei senauerer Betrachtung dieser Grenze erkennt man, dass auch hier eine ganz schmale. nur wenige Uentimeter breite Randzone im Granit vorhanden ist, in welcher er eine starke. der Schiefergrenze parallele, unzweifelhaft primäre Flaserung angenommen hat. Denn es fehlt hier jedes Zeichen dafür, dass die Randzone ‚etwa das Product jüngerer Gebirgsbewegungen sein könnte: «die Gesteine zu beiden Seiten der- selben sind völlig intact und lassen auch nicht die schwächste An- deutung einer Rutschfläche erkennen. Das hier beschriebene Profil hat also die grösste Ähnlichkeit mit dem früher! vom Verfasser besprochenen aus dem Val Tremola, da in beiden massiger Granit unmittelbar, fast ohne Randzone an stark ! Diese Berichte, 1905, S. 448. G. Krens: Über die »Gneisse« und die Schiefer der Tessiner Alpen. IV. 247 injieirte Schiefer stösst. Dies Verhalten ist wohl am besten so zu erklären, dass man die rein massigen Granite der Gotthardgruppe, wie sie im Pizzo Rotondo und seinen Nachbarn, am Pizzo Lucendro, im Val Tremola sowie bei Oberkäsern und Alpe Caceiola südlich von Realp anstehen, als etwas jüngere Nachschübe auffasst. Den Mangel an Parallelstruetur, der dieselben den anderen Gotthardgraniten gegen- über auszeichnet, und der auch von Frırscn veranlasste, sie auf seiner Karte als »Granite« den »Protoginen, Granitgneissen und (rmneissen « gegenüber zu stellen, zeigt an, dass zur Zeit ihres Empordringens der Prozess der Gebirgsfaltung abgeschlossen war, während jene anderen noch unter Einwirkung des Gebirgsdruckes erstarrten und dadurch ihren piözokrystallinen Habitus erhielten. Ein Analogon zu den bekannten »archäischen« krystallinen Con- glomeraten von Obermittweida im Sächsischen Erzgebirge findet sich als Einlagerung in den hochkrystallinen Sedimenten nördlich von Ai- rolo. Dasselbe steht da an. wo der Fussweg vom Fort Airolo nach dem Tunnelportal eine kleine von Stuei herabkommende Schlucht kreuzt, an dem Punkte, wo auf der Sızerrıen -Karte das zweite o der Bezeiehnung Madirolo steht. Es wechsellagert daselbst mit den von Rorre' als »Chenopodite« bezeichneten Hornblendegarbenschiefern. In einem hellgrauen Bindemittel von der Beschaffenheit eines schuppigen, durch dunkle Glimmerblättehen getleeckten Museovitschiefers führt das- selbe namentlich weisse Kiesel sowie viele Gerölle — bis über faust- gross — eines phyllitartigen Gesteins. Da nun, wie aus den Profilen in dem Val Canaria hervorgeht, die Hornblendegarbenschiefer das Hangende der eigenthümliehen Zoi- sitphyllite und Zoisitknotenschieter bilden, die nach dem Vorkommen von Belemniten am Nufenenpass als liasisch anzusprechen sind, müssen die krystallinen Conglomeratschiehten von Airolo auch mindestens lia- sisches, wenn nieht noch jüngeres Alter besitzen. Dies gilt allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die Schichtenfolge bei Airolo die ursprüngliche ist, eine Voraussetzung, die sich zwar nicht sicher be- weisen lässt, die aber doch mit Rücksicht auf die analogen Lagerungs- verhältnisse im Südflügel des Tessiner Sattels als nieht unwahrschein- lich bezeichnet werden dürfte. Dass auch in diesem Südflügel die »Chenopodite« als Hangendes des obersten Dolomithorizontes auftreten müssten, hatte Verfasser ! Beitr. z. geol. K. d. Schweiz. XXIII. Liefer. S. 12. 248 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe v. 7. März 1907. früher aus dem Vorkommen einzelner Fragmente dieses Gesteines im Piumosnathal u. s. w. schliessen zu sollen geglaubt. Nach den im vergangenen Sommer ausgeführten Begehungen, in denen er das Han- gende jener Dolomite besonders am Campolungopass untersuchte, möchte der Verfasser aber jetzt jene Funde als glacial verschlepptes Material betrachten, auf dessen Häufigkeit auch RorrE a. a. O. hinweist. Es wird nämlich am Gampolungo- und am Cadonighinopass das oberste Dolomitband von Glimmerschiefern überlagert, die sich von denen seines Liegenden nicht unterscheiden lassen. Auf‘ dem östlichen Gehänge des Piumognathales steht das oberste Dolomitband, die direete Fortsetzung des am Campolungo- und Cado- nighinopass und am Piz Lambro aufgeschlossenen. bei der Alpe La Piotta an und fällt mit etwa 25° nach SW. in die Steilwände des Pizzo Forno ein. Auch hier treten in seinem Hangenden dieselben Glimmerschiefer auf wie im Liegenden, nicht aber die »Chenopodite « der Gegend von Airolo. Sie erreichen aber hier eine gewaltige Mächtigkeit, da sie, soweit bis jetzt festzustellen war, stets mit dem- selben zwischen WNW. und WO. schwankenden Streichen und süd- lichem, oft recht tlachem Einfallen die Hauptmasse des gewaltigen Pizzo Forno zusammensetzen. Bekanntlich ist die Alpe Campolungo, nicht aber das Val Tre- mola die Fundstätte der in allen Sammlungen verbreiteten schönen Tremolitkrystalle. Dieselben treten einzeln oder zu radialstrahligen Gruppen vereinigt in den Dolomiten des obersten Horizontes zwischen Alpe Gadonighino und Alpe Campolungo auf, und zwar überaus häufig und in gleichmässiger Vertheilung. Merkwürdigerweise scheinen in der Fortsetzung jenes Dolomithorizontes am Piz Lambro und der Alpe Piotta die Tremolite völlig zu fehlen: ebensowenig scheinen dieselben bei Airolo, Piora oder im Val Bedretto in dem analogen Dolomit- horizont vorzukommen. Da nun an der Alpe Piotta, am Piz Lambro und dem Cadonighinopass die Schichten unter durchaus analogen Lagerungsverhältnissen auftreten, nämlich einfache Aufriehtung bis zu etwa 40° erlitten haben, während sie am Campolungopass im stärksten Maasse gefaltet sind, kann hier offenbar der Gebirgsdruck nicht die Veranlassung für die Entstehung der Tremolitkrystalle gewesen sein. Es muss dieselbe vielmehr auf ursprüngliche Verschiedenheiten in der Zusammensetzung des Dolomites und contaetmetamorphe Umwandlung durch die benachbarten Granite zurückgeführt werden. Auf die Ein- wirkung der letzteren deutet auch das Vorkommen des Turmalins, der in verschiedenen Abarten im Dolomit auftritt. Auch Quarz- gänge, zum Theil mit Rutil und sulfidischen Erzen, kommen am Campo- lungopass in ihm vor. Die tadellose Erhaltung der so spröden Tre- G. Krens: Über die »Gneisse« und die Schiefer der Tessiner Alpen. IV. 249 molite auch in den stärkst gefalteten Dolomitschichten beweist deren Umkrystallisation nach Beendigung der Faltung und schliesst spätere Gebirgsbewegungen absolut aus. Analoge Verschiedenheiten in der Zusammensetzung der sedimen- tären Ablagerungen der Tessiner Alpen, die bis zu einem völligen Wechsel der Facies gehen, treffen wir dort vielerorts, ganz besonders aber im Südflügel des Tessiner Sattels; und zwar verschärfen sich diese Differenzen um so mehr, je weiter man von Nordwesten nach Südosten vorschreitet. In dem Profil Dalpe-Piumogna-Alpe Piotta sind noch drei deut- liehe Dolomithorizonte nachweisbar, die sich aber weiter nach Südosten völlig verlieren, wovon man sich beim Aufstiege von Lavorgo im Tessinthal über Chironico zum Südgehänge des Pizzo Forno überzeugen kann. (Blätter Peceia Nr. 507 und Biosca Nr. 508 des Siegfried- Atlas; Blatt XIX. Bellinzona-Chiavenna des Dufour- Atlas.) Auf dieser ganzen Linie findet man nirgends eine Spur der zu erwartenden Dolomit- ausstriche,. auch nicht einmal mehr weiter nordwestlich bei Gribbio und Monte Chesso. Ferner ist es sehr bemerkenswerth, dass die grauen Kalkphyllite. welehe das Südgehänge des Bedrettothales und zwischen dem Stalvedro bei Airolo und Rodi-Fiesso auch das des Tessinthales zusammensetzen, von der Gegend von Prato an durch helle, grosse Hornblendekrystalle führende Glimmerschiefer ersetzt werden. Diese auffälligen Änderungen im Aufbau des Südflügels des Tes- siner Sattels, die sich im Streichen der Schichten vollziehen, können aber nicht auf Verwerfungen zurückgeführt werden. Denn da, wo zwischen Rodi und Prato die Kalkphyllite aufhören und durch die hellen Glimmerschiefer mit Hornblendekrystallen ersetzt werden, zeigen die in ihrem Hangenden und Liegenden durchstreichenden Dolomit- horizonte keinerlei Störung. Ebenso ist in den Glimmerschiefern zwischen Gribbio und Dalpe, da, wo das unterste Dolomitband ver- sehwindet, keinerlei Verwerfung nachzuweisen, sondern es findet hier einfach ein Auskeilen des Dolomites statt, geradeso wie in höherem Niveau südlich von der Alpe Piotta. Die Glimmerschiefer dieser Gegend, speciell die am Südgehänge des Pizzo Forno, sind die Fundstätte des wohl in den meisten Mine- raliensammlungen der Welt unter der Fundortsbezeichnung »Monte Campione bei Faido« liegenden »Paragonitschiefers«, der sich durch seinen Reichthum an schönen Krystallen von Disthen und Staurolith auszeichnet. von Frrrscn erwähnt das Vorkommen nur ganz kurz.' Ausführlichere Mittheilungen über das schöne Gestein hat E. Wrix- ! Beiträge z. geol. K. d. Schweiz. XV.Lief. S. 122. 250 Sitzung der physikalisch - mathematischen Classe v. 7. März 1907. schenk' gemacht, mit dessen Anschauungen über die genetischen Ver- hältnisse desselben sich der Verfasser durchaus einverstanden erklären kann. Man besucht die Lagerstätte am besten von der Station Lavorgo (615”) der Gotthardbahn aus. Von dort führt ein Fussweg über das am rechten Tessinufer gelegene Dörfehen Nivo in ungefähr dreiviertel Stunden nach Chironieo (800”). Auf diesem Wege berührt man zahl- reiche Aufschlüsse in deutlich flaserigem Tessiner Granit, der von zahlreichen Aplit- nnd Pegmatitgängen durchsetzt wird und viele Schollen und kleinere Fragmente dunkler Schieferhornfelse umschliesst, die oft sehr schöne Resorptions- und Injectionserscheinungen zeigen. Vom Dorfe aus führt der Weg zunächst etwa 2“" weit auf der Sohle des Chironicothales hin. Hierbei stellen sich immer mehr Schiefer- schollen im Granit ein, und es resultirt schliesslich ein typisches Misch- gestein. Kurz vor Beginn des Aufstieges nach Sgnoi und Monte Cala” gelangt man in geschlossene Massen heller, Hornblendekrystalle von 12cm Länge führender Glimmerschiefer, die aber noch zahlreiche gra- nitische Injeetionen enthalten. Nach etwa einer Stunde steilen An- steigens ist das Bergdörfehen Monte Cala erreicht. Man hat hierbei stets südlich mit wechselnder Neigung einfallende Glimmerschiefer überschritten, deren Beschaffenheit wenig Abwechslung zeigt. Von Monte Cala aus geht der Weg nach Westen. bis man eine steile, von Norden herabziehende Schlucht erreicht, nach deren Überschreitung man an eine etwa 300" hohe Steilwand gelangt, die der Fusssteig langsam erklimmt. Hier findet man schon sehr staurolith- und disthen- reiche Glimmerschiefer mit pegmatitischen und quarzitischen Gängen, die oft Staurolith, Disthen und auch Turmalin führen. Nach ungefähr zwei Stunden von Monte Cala aus erreicht man die Alpe Sponda (1930), über der man am Rande einer etwa 400” höher gelegenen Terrasse zwei grosse von den Hirten errichtete Steinmänner bemerkt, nach denen man ansteigt. Hierbei trifft man überall Glimmerschiefer, deren Schicht- flächen zum "Theil mit mehrere Centimeter grossen. einfachen oder ver- zwillingten Staurolithkrystallen dicht bedeckt sind. Diese Schiefer werden nach allen möglichen Richtungen, häufig parallel, oft aber auch quer zur Schichtung von hellen Gängen durchsetzt, in denen man alle Übergänge von reinem Quarz bis zu den bekannten disthen- und staurolithreichen. manchmal auch turmalinführenden » Paragonit- schiefern« verfolgen kann. Oft sieht man Quarzgänge mit Disthen- sonnen, die häufig über deecimetergross werden. und man kann vielerorts ! Über einige bemerkenswertlie Minerallagerstätten der Westalpen. Ztschr. f. Krystallographie u. Mineralogie Bd. XNXII. 1900. S. 261— 263. ® Da der Weg — besonders von Monte Cala aus — schwer zu finden ist, em- pfiehlt sich dringend die Mitnahme eines Führers von Chironieo (Ristorante Camos) aus. G. Krenn: Über die »Gneisse« und die Schiefer der Tessiner Alpen. IV. 2a beobachten. dass namentlich die Salbänder soleher Gänge paragonit- reich sind. Diese Wahrnehmungen lassen keinerlei Zweifel an der Richtigkeit der von Wemsscnenk aufgestellten Ansicht aufkommen, dass die sogenannten Paragonitschiefer niehts Anderes sind als quarzreiche Pegmatitgänge, die aus den von ihnen durchsetzten Schiefern Para- gonit, Disthen und Staurolith resorbirt und dieselben wieder aus- geschieden haben, wobei sich als Wirkung «des während der Erstarrung fortdauernden Gebirgsdruckes eine deutliche Parallelstructur entwickelte. Das Vorkommen solcher paragonitschieferähnlichen Gänge mit Disthen und Turmalin ist übrigens nicht auf den Pizzo Forno be- schränkt. Verfasser fand ein ähnliches. allerdings weniger schönes Vorkommen an der Alpe Piotta bei Piumogna und erhielt durch Hrn. H. Preiswerk die Nachrieht, dass sie auch am Campo Teneia nicht selten seien. Ferner bemerkt man öfters an den verschiedensten Or- ten. dass Quarzadern, die in disthenführenden Schiefern aufsetzen, auch selbst Disthen in oft mehrere Centimeter langen Büscheln oder Einzel- krystallen ausgeschieden enthalten. Die Glimmersehiefer, die am Südfusse des Hauptgipfels des Pizzo Forno anstehen, haben oft amphibolitische Einlagerungen und schöne granitische Injeetionen, die im Verein mit den zahllosen Quarz- und Pegmatitadern auf das Anstehen granitischer Massen im Untergrunde schliessen lassen. Das Hauptaugenmerk des Verfassers bei den Exeursionen des letzten Sommers war darauf gerichtet. die Beschaffenheit und die Verbandsverhältnisse der bei Bellinzona anstehenden metamorphen Sedimente sowie ihre Lagerungsverhältnisse einerseits in Bezug auf den Tessiner Granit, andererseits auf den zwischen Bellinzona. Lo- @earno,. Luino und Lugano zelesenen Theil des Seegebirges festzu- stellen. Die Ausbildungsweise der Randzone des Tessiner Granites ist ja schon im vorjährigen Berichte des Verfassers besprochen worden. seine bei Claro fast rein massige Structur, die nach Süden zu mit Annäherung an die Sedimente wieder in deutliche Parallelstructur übergeht. So findet sich südlich von Claro am linken Tessinufer m Klippen an der Kreuzung der Landstrasse mit der Gotthardbahn ein schöner flaseriger, porphyrischer Granit, der noch zahlreiche dunkle Schiefer- schollen umschliesst. Weiter südwärts bietet das Steilgehänge durch, eine Anzahl jetzt theilweise aufeelassener Steinbrüche und zahlreiche 252 Sitzung der plıysikalisch- mathematischen Classe v. 7. März 1907. Klippen ein fast ununterbrochenes Profil in den saiger gestellten oder steil nach S. einfallenden Sedimenten. Dieselben setzen sich zusam- men aus dunklen Schieferhornfelsen, Amphiboliten, Kalksilicathorn- felsen und mehr oder weniger silicatreichen Kalken, auch reinen Mar- moren, welche letzteren mehrfach zur Gewinnung von Ätzkalk abge- baut werden. Von diesen so verschiedenartigen Gesteinen verdient besondere Erwähnune ein in den Brüchen der »Schweizer Granit- werke, A.-G. in Bellinzona« abgebauter, fast massiger, sehr silicat- reicher Kalk, der in der Steinindustrie als »rother Granit« gehandelt wird. Das Gestein bildet mächtige Bänke, die auch die Gewinnung der grössten Werkstücke erlauben, zumal auch der Gesteinscharacter sehr gleichmässig bleibt. Es hat graue Farbe, die durch zahlreiche Granatkrystalle röthliche Tönung erhält. welche besonders an polirten Platten hervortritt. Für seine technische Verwendung ist namentlich auch der Umstand werthvoll, dass es nur spärliche granitische In- jeetionen enthält, meist Pegmatitgänge. in deren Contact das Sedi- mentgestein oft eine Anreicherung an dunklem Glimmer zeigt. Auf‘ dem rechten, westlichen Tessinufer reicht der Granit, ent- sprechend dem N. 50°— 60° 0. messenden Streichen der Sedimente, bis zu dem Dorfe Gnosca. Auch hier ist seine Randzone stark tlaserig ausgebildet. Auch hier folgt dann eine typische Mischgesteinszone und dann, längs des Berggehänges an vielen Stellen, namentlich zwischen Gorduno und Bellinzona, prachtvoll aufgeschlossen, eine er- staunliche Mannigfaltigkeit von Sedimentgesteinen derselben Typen, die auch am anderen Ufer anstehen. Bei Gorduno sind den Amphi- boliten u. s. w. auch Serpentine und Peridodite eingeschaltet. Überall wechseln aber Zonen reiner Sedimente mit solehen ab, die von zahl- losen granitischen Injeetionen durehschwärmt werden. Es kann nach diesem Befunde keinerlei Zweifel darüber auf- kommen, dass die Grenze zwischen dem Tessiner Granit und den Sedimenten nördlich von Bellinzona ein Primärecontaet ist, nicht aber eine Verwerfung, wie dies Dirxer' annimmt. Er sagt nämlich von dem » Amphibolitzug von Ivrea«, zu dem er die Sedimente bei Bellinzona rechnet: »Die Umrandung dieses Amphibolitzuges bilden Grabenbrüche, und der letztere selbst verhält sich seiner Umgebung gegenüber wie ein gesenkter Streifen der Erdrinde.« Ebensowenig Berechtigung hat es auch, dass er auf der dem eitirten Buche beigegebenen Übersichts- karte der Structurlinien der Westalpen im Tessinthal nördlich von Bellinzona eine nordsüdlich verlaufende Struecturlinie einzeichnet, da dort weder eine Verwerfung noch eine Mulden- oder Sattelbildung ! C. Dieser, Der Gebirgsbau der Westalpen S. 176. G. Krena: Über die »Gneisse« und die Schiefer der Tessiner Alpen. IV. 299) irgendwie angedeutet ist. Vielmehr schliesst das Fehlen jeder Zer- rüttungszone in dem prachtvoll frischen und »ganzen« Gestein, das ungestörte Fortstreichen der Sedimente auf beiden Gehängen des Tessinthales und ihre saigere Schichtenstellung quer zur Richtung jener angeblichen tektonischen Linie die Berechtigung solcher An- nalıme kategorisch aus. Bereits im dritten Theil dieser Berichte! wurde eines schönen Aufschlusses gedacht, den ein grosser Steinbruch bei der Actien- brauerei Bellinzona an der Strasse nach Locarno in den injieirten Sedimenten geschaffen hat. Leider scheint unterdess hier der Betrieb eingestellt worden zu sein, und das Profil des Aufschlusses hat schon sehr an Sehönheit verloren, aber dafür bieten die Steinbrüche bei Arbedo, nördlich von Bellinzona am östlichen Bergabhange, reichli- ehen Ersatz. Hier sind die granitischen Intrusionen viel mächtiger als in dem früher beschriebenen Bruche, und hier lassen sich beson- ders die Resorptionserscheinungen der Schiefer durch erstere viel besser studiren. Hier sind alle Übergänge vorhanden von Sehiefer- schollen, die trotz reichlicher Durchtrümerung mit Granitadern sich doch ganz scharf von der Hauptmasse des Granites abheben, bis zu solehen Stellen. an denen sie gänzlich im granitischen Magma ver- schwimmen. Letzteres hat oft eine fast aplitische Beschaffenheit und besonders in den mächtigeren Apophysen eine massige oder nur ganz schwach angedeutete Parallelstruetur. die nur dicht am Contact mit Schiefer- schollen deutlich wird. Man sieht dann oft, wie um einen stark resorbirten Schieferrest in der hellen Granitmasse dureh reichlichere Ausscheidung von Biotitblättchen streifige oder wolkige Figuren ent- stehen. die ganz an das Bild erinnern, das ein Körnchen einer stark färbenden, leicht in Wasser löslichen Substanz hervorbringt, wenn es in jenem zu Boden sinkt. Ähnliche Aufschküsse bieten auch verschiedene Steinbrüche bei Giubiasco. südlich von Bellinzona, besonders einer am Fusse des Hügels, der das alte Kirchlein »Madonna di Cima« trägt. Im westlichen Streichen der Sedimente finden sich noch ver- schiedene Aufschlüsse zwischen Bellinzona und Locarno und, wie dies bereits im ersten Theil der Berichte” des Verfassers ausgeführt wurde, am westlichen Ufer des Lago Maggiore zwischen Ascona bei Locarno und Ganobbio. Ganz andere Gesteine treffen wir aber auf dem östlichen Ufer des Sees zwischen Luino und Magadino und in dem ganzen Seegebirge Sitzungsber. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1906. S. 429. Sitzungsberichte 1904, S. 55. 1 254 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 7. März 1907. zwischen Luino. Lugano, Bellinzona und Magadino. Es tritt uns hier ein recht monotones System von Glimmerschiefern und phyllitartigen Gesteinen entgegen, in denen amphibolitische Gesteine nur eine ganz untergeordnete Rolle spielen. Einen weiteren scharfen Gegensatz zwischen diesen Gesteinen und «denen bei Bellinzona bildet das Fehlen granitischer Injeetionen. Auf dem Blatt Lugano—Como des Dufour- Atlas hat allerdings Srrearıco an zwei Stellen. nämlich am Monte del Lago bei Camienolo. südöstlich von der Station Rivera-Bironieco der (otthardbahn. und am Monte Gheggio, westlich von Agno. Granit eingezeichnet, und Tarauerrı" erwähnt noch von einigen anderen Punkten Übergänge von Granit in elimmerarme »euritische« Gesteine und Glimmerschiefer oder in Gneiss. während A. Sterra” granitische Gesteine aus der Gegend von Lugano überhaupt nicht anführt. Der Verfasser konnte leider bis jetzt jene von SPrREAFICO und TaranmEruı bezeichneten Punkte noch nicht aufsuchen. bezweifelt aber «das Vor- kommen granitischer Gesteine daselbst nicht. weil das hochkrystalline Aussehen der Seegebirgsschiefer — das sich auch unter dem Mikro- skop deutlichst zu erkennen giebt — ihre Zurechnung zu den con- tactmetamorphen Gesteinen rechtfertigt. Hierfür spricht auch das Vor- kommen von Granatglimmerschiefern. untergeordneten Amphiboliten und Epidotschiefern, das Vorkommen von Turmalin und Staurolith als Gesteinsgemengtheile (STELLA, a. a. O. S. 91) sowie die Häufigkeit von Quarz in deutlichen Gängen und linsenförmigen Massen. Trotz- dem ist aber der petrographische Charakter der Seegebirgsschiefer völlig abweichend von dem der metamorphen Schiefer bei Bellinzona. Wenn man nun aber versucht, die genaue Grenze zwischen beiden Formationen festzulegen, stösst man doch in dem bis jetzt vom Ver- fasser genauer untersuchten Gebiet südlich von Bellinzona auf die grössten Schwierigkeiten. Zwischen Camorino und dem Nordende des Lago Maggiore ist dieselbe unter den diluvialen und alluvialen Ablagerungen des Tessin- thales verborgen. dessen nördliches Gehänge aus den Gesteinen des »Amphibolitzuges von Ivrea«. dessen südliches aber aus den See- gebirgsschiefern besteht. Und auch da, wo das Tessinthal aus der Westostrichtung, die es von Locarno bis südlich von Bellinzona hat, in Nordostrichtung umlenkt, wo also am Südgehänge jene Grenze liegen muss, sucht man sie, wenigstens bei Camorino, völlig ver- gebens. da hier die diluvialen Tessinschotter bis zu sehr beträcht- licher Höhe über der Thalsohle das Berggchänge überziehen. ! Materiali per la carta geol. della Svizzera. XVII, S.4o und 133 —135- * Contributo alla geologia delle formazione pretriasiche nel versante meridionali delle Alpi Centrali. Bolletino del R. com. geol. d’ Italia. XXV, 1894, S.83ff. G. Kreua: Über die »Gneisse« und die Schiefer der Tessiner Alpen. IV. 255 Ausserdem wird aber die Festlegung der Grenze durch die ge- waltige Zertrümmerung vereitelt, welche längs ihrer die Gesteme er- griffen hat. Wenn man sich dieser Grenze von Norden aus nähert, so be- merkt man schon in den Brüchen bei Arbedo und Bellinzona. auch an den Felsen am untersten Schlosse das vereinzelte Auftreten zweifel- loser Rutschflächen. eine Erscheinung, die, wie schon mehrfach betont wurde, in den Tessiner Alpen sonst nur da vorkommt, wo recente Bergstürze an den Thaltlanken stattgefunden haben. Die Häufigkeit dieser Rutschflächen nimmt in der Richtung auf Giubiasco stark zu, und wenn man von diesem Dorfe aus über Madonna di Cima am Süd- gehänge des Morobbiathales in die Höhe steigt. gelangt man bald in eine Zone stärkster Zermalmung. in der die contactmetamorphen Schieferhornfelse und Amphibolite mit ihren zahllosen granitischen Injeetionen zu schmutzigbraunen Gesteinen zerquetscht sind. die kreuz und quer von Rutschflächen durchzogen werden. Diese bis zur völligen Unkenntlichkeit mechanisch deformirten Gesteine lassen nur an ein- zelnen weniger stark gequetschten Brocken, die regellos in dem Zer- reibsel vertheilt sind, ihre Zugehörigkeit zu dem » Amphibolitzug von Ivrea« erkennen. Die besten Aufschlüsse hat man noch längs des Grabens für das Druckwasserrohr des Elektrieitätswerkes Bellinzona, der hier und da unter dem Diluvialschotter Klippen festen Gesteines erschürft hat. Auch bei dem — schätzungsweise mindestens 200” über der Thalsohle gelegenen — Ausgangspunkte dieser Leitung steht ein Gestein an. dessen Zugehörigkeit zur nördlichen Schieferzone die nähere Untersuchung ergab. Die Grenze gegen die Seegebirgsschiefer muss noch etwas weiter oberhalb liegen. Ihre genaue Festlegung dürfte ausserordentlich schwer sein. da auch die Seegebirgsgesteine längs der gesuchten Grenze bis zur Un- kenntlichkeit zermalmt sind. Wenn man die Gotthardbahnstrecke be- geht, die bei Camorino am Südgehänge des Tessinthales zum Monte Cenere-Tunnel emporzuklimmen beginnt, trifft man hier in zahlreichen Einsehnitten total zerquetschte und stark verwitterte schmutzigbraune (resteine, in denen man nur mit Mühe an weniger stark deformirten Partien die Seegebirgsschiefer wiedererkennt. Erst am Eingange des grossen Tunnels wird die Zertrümmerung schwächer, aber noch bedeutend weiter südlich beweisen in den Auf- schlüssen an der Bahn und an der Strasse nach Lugano zahlreiche Rutschflächen in den Glimmerschiefern, dass der ganze Gebirgstheil gewaltige tektonische Einwirkungen erlitten hat. Eben daraufhin deuten auch die im Carbon von Manno zu beobachtenden Quetsch- zonen und Rutschtlächen und besonders das in der Tresaschlucht 256 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 7. März 1907. zwischen Uremenaga und Creva östlich von Luino gelegene Vorkom- men von Trias und Porphyrit, die eine stark zerrüttete, grabenförmig in den Glimmerschiefer eingesunkene Scholle bilden. Das bekannte mittelearbonische Conglomerat von Manno, im Nor- den von Lugano, enthält zahlreiche Bruchstücke und Gerölle von Glimmerschiefern und Phylliten, die wohl sicher mit denen des See- gebirges identisch sind. Hieraus ergiebt sich also deren präcarboni- sches Alter. Jedenfalls geht aus den hier skizzirten Beobachtungen hervor, dass die krystallinen Gesteine des Seegebirges denen der Tessiner Alpen völlig fremd gegenüberstehen und ein wesentlich höheres Alter als jene besitzen. Beide werden durch eine gewaltige Dislocation getrennt, die zum Theil unter dem Nordende des Lago Maggiore und dem oberhalb desselben gelegenen westöstlich verlaufenden Stück des Tessinthales verborgen ist. Sie streicht sicher zwischen Giubiasco und Camorino hindurch. Wahrscheinlich geht sie im Morobbiathal weiter, über den San lorio-Pass nach der Gegend von Gravedona am Comer See. Wenigstens hat Rorır auf dem Blatte Bellinzona — Chiavenna (Nr. XIX des Durour- Atlas) auf der Nordseite des Morobbia- thales einen zusammenhängenden Zug von »Hornblendegneiss (Sagn)« ausgeschieden, und auch Taraueırıs” Beschreibung der Gegend zwi- schen dem Comer See und Bellinzona stimmt mit dieser Darstellung überein. W. Sıromox’ hat die Vermuthung ausgesprochen, dass die » Tonalelinie« sich nach Westen über den nördlichen Theil des Comer Sees nach dem Nordende des Lago Maggiore erstreckt und dass sie es ist, welche die Südgrenze der »pietre verdi von Ivrea« bildet. Diese Annahme wird also durch die oben mitgetheilten Beobachtungen sehr wahrscheinlich gemacht. Da die Seegebirgsschiefer präcarbonisch sind, ist die Verwerfung, die sie von den Randgesteinen des jungen Tessiner Massivs trennt, als echte Überschiebung anzusprechen. Die starke Zertrümmerung, welche die Granite südlich von Bellinzona sammt den von ihnen in- Jjieirten Schiefern erfahren haben, beweist die Entstehung der Über- schiebung nach der völligen Verfestigung der Granite. Eine genauere Festlegung ihres Alters, namentlich nach oben hin, ist jedoch wegen des Fehlens jüngerer Gesteine, als es die Schiefer und Granite sind, in dem vom Verfasser untersuchten Gebiete nicht möglich. ! Srerra (a. a. O.) betrachtet die krystallinen Gesteine des Seegebirges als archäisch. 2 1.2.0. 8. 165. ® Verhandlungen der k. k. Geol. Reichsanstalt 1905, S. 341. G. Kreun: Über die »Gneisse« und die Schiefer der Tessiner Alpen. IV. 257 Über den Bau der Tessiner Alpen und die Natur und das Alter des Tessiner Granites haben sich neuerdings P. Terweer', Ü. Schnipr’ und G. StEInmann” geäussert. Diese Autoren nehmen in übereinstimmender Weise in den Central- alpen mehrere übereinandergelagerte Überschiebungsdecken an, die sich noch weit nach Norden erstrecken. Während aber Schmmr den »Tessiner Gneiss« als »ein präcar- bonisches, wahrscheinlich noch viel älteres Gestein« betrachtet, »das unter gewissen, uns nicht näher bekannten Bedingungen aus dem Schmelzfluss erstarrt ist«, fasst Termier dasselbe Gestein als ein metamorphes carbonisches Sediment auf. Diesen Anschauungen gegenüber muss der Verfasser unbedingt auf der in diesen Berichten dargelegten Meinung beharren, dass der »Tessiner Gneiss« ein intrusiver Granit ist, der auch liasi- sche Gesteine injieirt und contaectmetamorph verändert hat, also mindestens jurassisches Alter besitzt. Da ferner in dem vom Verfasser untersuchten Gebiete — abge- sehen von den Randzonen — alle Spuren einer mechanischen De- formation des verfestigten (Gresteines fehlen, durch welche, wie StEm- MANN an mehreren Stellen seiner oben eitirten Abhandlung ausdrücklich hervorhebt, die Überschiebungsdecken charakterisirt werden, kann er in diesem Gebiete die Existenz solcher Überschiebungsdecken nicht zugeben. Der Verfasser hat schon mehrfach andernorts und in diesen Berichten nachzuweisen versucht, dass die primäre Parallelstructur granitischer Massen — speciell die der Tessiner Granite — eine Er- scheinung ist, die scharf von der durch mechanische Deformation des festen Gesteins erzeugten Parallelstructur getrennt werden muss und auch — namentlich im Felde — unschwer von jener zu unter- scheiden ist. Er glaubt aber, dass diese von ihm vertretenen Anschauungen recht wohl mit derjenigen vereint werden können, die STEINMANN ent- wickelt hat (a.a.O. S. 30), dass nämlich die nordwärts gerichtete Be- wegung der grossen, aus den Centralalpen hergeleiteten Überschie- bungsdecken eben durch die Auffaltung der ÜUentralalpen bedingt worden sei. Diese aber ist, wie der Verfasser nachzuweisen versuchte, dureh die Intrusion der grossen Granitlakkolithen erzeugt worden, ' La synthese geologique des Alpes. Conference, faite le 26 Janvier 1906, a Liege. ® Alpine Probleme. Rede, gehalten am Jahresfeste der Universität Basel, den 9. November 1906. ® Geologische Probleme des Alpengebirges. Zeitschrift des Deutschen und Öster- reichischen Alpen-Vereins, 37. Band, 1906, S. ff. Sitzungsberichte 1907. 25 258 Sitzung der physikalisch - mathematischen Classe v. 7. März 1907. welche die Erosion in den Tessiner Alpen, dem St. Gotthard u. s. w. blossgelegt hat.‘ Da der Flysch und die Molasse der Kalkalpenzone durch die Überschiebungsdecken noch in ihrer Lagerung gestört worden sind, steht das vom Verfasser im ersten Theile dieser Berichte be- hauptete jungtertiäre Alter des Tessiner Granites also nicht nur nicht in Widerspruch mit den modernen Anschauungen über die Tektonik der Alpen, sondern ist vielmehr geeignet, diese zu unterstützen. Sicherlich hat der durch die Granitintrusion bedingte Auffaltungs- process der Öentralalpen ausserordentlich lange gedauert, wohl schon in alttertiärer Zeit begonnen und bis in jungtertiäre Zeit angehalten. Als letzte Phase jener Bewegungen der Erdrinde, die vorher zur Intrusion der Centralgranite führten, müssen wir die erst nach deren völliger Erstarrung erfolgten Gebirgsbewegungen betrachten, welche die Seegebirgsüberschiebung im Süden und den mechanischen Contact der krystallinen Gesteine mit den nicht metamorphosirten Kalken im Norden bedingten. Von diesen Bewegungen aber sind die krystallinen Gesteine der Centralalpen nur ganz randlich beeinflusst worden, nicht aber in ihrem Innern, und sie haben sich jenen gegenüber als eine gewaltige, starre Masse verhalten. ! Vergl. hierzu die Ausführungen von W. Sıromon in diesen Berichten 1899 S.40: »Neue Beobachtungen aus den Gebieten des Adamello und des St. Gotthard«. Sıromon hat dort allerdings den Tessiner Granit im Gegensatz zu dem des St. Gott- hard als sehr alt erklärt. Ausgegeben am 14. März. 259 SITZUNGSBERICHTE 1907. AM. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 7. März. Sitzung der philosophisch-historischen Classe. Vorsitzender Secretar: Hr. VAHLENn. Hr. KrkurE von Stravontrz las über das Bildniss des Sokra- tes. (Abh.) Er erörterte die verschiedenen erhaltenen Portraittypen und die Frage nach ihrer Authentieität. 25* 260 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 7. März 1907. — Mittheilung v. 21. Febr. Neutestamentliche Bruchstücke in soghdischer Sprache. Von F. W. K. Mürner. (Vorgetragen in der Sitzung vom 21. Februar 1907 [s. oben S. 153].) Hierzu Taf. I und 1. Nee einer großartigen archäologischen Ausbeute hat die vor kurzem heimgekehrte Turfan- Expedition des Hrn. Anserr von Le Üog eine Fülle von Handschriftenfunden aufzuweisen. die durch ihre sprachliche und literarische Mannigfaltigkeit überrascht. Zu den wichtigsten Ergebnissen der letztgenannten Art gehören einige in syrischer Schrift abgefaßte Handschriftenbruchstücke, die sich bei genauerer Untersuchung als neutestamentliche, in die unter- gegangene Sprache der Soghdier übersetzte Texte erwiesen. Wenn auch zunächst noch lange nicht alles klar erscheint, so darf doch mit Recht behauptet werden, daß wir jetzt in diesen Übersetzungen inhaltlich bekannter christlicher Texte den Schlüssel zum Soghdischen besitzen. Sobald demnach erst einmal das ganze Material der Be- arbeitung zugänglich sein wird,' so wird auch mit mehr Aussicht an die Übersetzung der noch recht rätselvollen soghdischen Texte in manichäischer Sehrift, von denen ich die ersten Proben in den »Abhandlungen« der Akademie” 1904 gab und deren Bearbeitung Prof. AnpreAs unternommen hat, gegangen werden können. Jene manichäisch-soghdischen Sprachreste machen übrigens einen altertüm- licheren Eindruck als die hier vorliegenden syrisch -soghdischen.’ ! Mehrere inhaltreiche Texte, deren Blattschichten jetzt noch zusammenkleben, müssen erst von sachverständiger Hand präpariert werden. ?2 Aus dem Anlıang zu den Abhandlungen der Berl. Akad. d. Wiss. 1904 — Hand- schriftenreste usw. S. 96—ı03, 1Io. Die Bezeichnung dieser Sprache als »soghdisch« geht auf Anpreas zurück (ebenda S. ıır), der seinerzeit darüber in der Göttinger Aka- demie berichtet hat. ® Vgl. z.B. manichäisch-soghdisch: @# (und) — syrisch -soghdisch: at; ebenso san — 50, 02 zu. F.W.K. Möürrer: Neutestamentliche Bruchstiicke in soghdischer Sprache. 261 Die zu besprechenden Bruchstücke fanden sieh unter einer Anzahl rein syrischer Handschriftenreste aus Bulayiq' vor. Während der Untersuchung dieser soghdischen Stücke gelangen dem Unterzeichneten die folgenden Feststellungen: Ein in drei Stücke zerrissenes Blatt, vom Auffinder mit B. 46 bezeichnet, erwies sich als eine syrisch-soghdische Bilingue, die den Text Galater 3, 25—4.6 umfaßt. Es folgt darin auf jeden syrischen Satz die soghdische Übersetzung. Ist der daraus gewonnene Sprach- und Formenschatz auch nicht sonderlich umfangreich, so steht man dafür doch jetzt auf sicherem Boden, während man bisher für das Soghdische mehr oder minder aufs Raten angewiesen war. Noch wichtiger war ein gut erhaltenes, von Hrn. von Le Cog als »B. 38« bezeichnetes Blatt, das einen fast vollständigen längeren Text enthält. In diesem war der Satz: ’at sögänt gat vardärat gw- Abraham mdx, patri-sd — und der Eid ey, welehen er geschworen (223>) dem Abraham, unserm Vater leicht verständlich und konnte zum Ausgangspunkt der Untersuchung gemacht werden, welche ergab, daß hier eine wö rtliche” Über- setzung von Lukas ı, 63—80 vorlag. Anhangsweise sind des Wortschatzes’ wegen noch zwei Frag- mente beigefügt, welche die Vorder- und Rückseite eines jetzt noch nieht trennbaren zusammenklebenden Doppelblattbruchstücks bilden. Zur Transkription ist zu bemerken, daß in diesen mit syrischer Sehrift geschriebenen Texten neben dem schon von Sacmau“ entdeckten und von ihm mit < gleichgesetzten Zeichen 3 noch folgende neue Zeichen sich vorfinden: Das nach links zu unverbundene y = 2, belegt durch das aus den manichäischen Texten bekannte Wort ’azunt. ! Der Fundort ist Hrn. von Le Cog zufolge eine kleine unbedeutende Ruine unmittelbar bei dem Fleckchen Bulayiq, nördlich von Turfan, in den Vorbergen des T’ien -schan. ?2 Nur im Vers 79 ist ein Zusatz von drei Worten. 3 Die Bedeutung einzelner soghdischer Wörter wie "ind, med, -sä u.ä. m. war übrigens schon früher durch Anoreas aus den manichäisch-soghdischen Texten ermittelt und dabei auf die Wichtigkeit des Yaghnobi hingewiesen worden. — Vgl. jetzt zu Zabar (geben) das Yaghnoöbı: tfar, zu nı2ti (ging heraus) das Yaghnobi: n22-, niSt- (W. Geier im »Grundriß« usw. I, 2 S. 340) u.ä. m. Zu Zay- = sprechen vgl. ossetisch: zäy-, a. a. O. Anh. S. 58. — Ob mit kze& — Mund vielleicht der Name der Stadt Kutscha zusammen- hängt? Etwa = chines. [J Mund, Paß? Vgl. den Namen Sengimauz, Hrn. von Lr Coq zufolge = Sengim + zel (türkisch = Mund). * Litteraturbruchstücke aus Chinesisch-Turkistan. Von EpvAarp SacHav. Sitzungs- ber. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1905. Sitzg. der phil.-hist. Classe v. 23. November, p. 973 ff. Mittheilung v. 21. Febr. 262 Sitzung der phil.- hist. Classe v. 7. März 1907. Die Variante des p = & = f, belegt durch das Wort framän. Dasmase @ scheint für 2 zu stehen. Ich habe es, außer in den semitischen Namen, immer mit y umschrieben. Mit Rücksicht auf die manichäische Form %£pad ist in der ent- sprechenden syrischen Form %epat (= x,@pa®) und so immer 7 für &ı geschrieben worden. Wieweit > gleich dem manichäischen 5 = £, w ist, läßt sich mit Sicherheit nieht übersehen. In bezug auf die Vokale sind wir dank der nestorianischen Vo- kalisation etwas besser daran als in dem vokallos geschriebenen ma- nichäisch-soghdischen Texten; trotzdem muß noch vieles unklar bleiben, z.B. ob a=0 oder % sei. Die Pleneschreibung ist in der Transkription durch ” über dem Vokal ausgedrückt. r. wurde durch d, “- durch d, r<_’_ durch a, rx durch ä, -, durch £, » durch i wiedergegeben. Die über bzw. unter den Buchstaben stehen- den großen Punkte, d.h. Tonaccente, sind hier durch ° „ wiedergegeben. Ob „» als y + $ oder einfach $ aufzufassen sei, ist aus der Schrift allein nicht immer zu entscheiden. Einige der bemerkenswertesten grammatischen Formen mögen vorläufig hier zusammengestellt werden. pac-yaz-ti — empfanget! ı fasam-därat = er sandte pae-ydz-im = wir empfangen "’a-yeZ-därat = er richtete auf pae-yas-därat = er empfing vi-Cin-darat = er erwählte pac-yas-däristä — ihr habt vi-ree-därat = er goß empfangen Zayer-därat — er rief 4 R ac-govd-därat — er redete an tabar-dt — er gäbe Be ; vay,ds-dt — er kaufe, erlöse pat-yosi-därant — sie hörten süg-dit = er weile | ver-därant = sie sahen vi-däs-därant — sie wunderten sich yos-därant — sie wurden erfreut be-gd — du wirst werden büt-gd = er wird werden Savi-gd — er wird gehen Fra-md-i = befahl par-baysant-gäd — sie werden but-i = wurde übergeben ntzt-i = ging heraus barant-gd — sie werden bringen, ’dy,ast = stieg herab tragen | vdyast = ging hinein tabar-an-gä — ich werde geben el ae var-därat — er aß Sav-d — gehe! tabar-därat — er gab bü-td — seid! [bleibend) vay-därat = er sprach | säg-td — bleibet (sag-eq = F.W.K. Mürter: Neutestamentliche Bruchstücke in soghdischer Sprache. 263 b-em —= wir seien spays-u — Dienen spays-em = wir mögen dienen tabar-u — Geben ‚framäyam -sag = ich befehle (sage) bar-end = tragend bestimmt 3 \ , x : im = bin vdbam-saqy — ich sage bestimmt SR { S iS — bist fasdm-saqun = ich sende bestimmt ee . ist pür-ne — wurde voll | end ers-ni = reiste ee Reid nis-ne — setzte sich yant — sind Zayer-tE but — genannt war mäl — war vay-te but — genannt war | mät-ant — waren B. 46. Einzelblatt. Inhalt: Galater 3, 25 ff. Syrisch: Soghdisch: [Kapitel 3] [hau 23 Ahr aa] [25] ...|pa]t cand äyat..r [var-| Nun aber der Glaube aber, da gekommen ist der Glaube | ınüe, ‚kommen ist, l/h Bon A ni "imdy, rdt 1Std sind wir nicht mehr , \nicht wir weiter sind rich yanili cdäpdr ® unter dem Zuchtmeister. i Erzieher — unter Ta aala [26] pät saytman® Smdyo ‚Denn ihr seid alle denn *insgesamt ihr | wenler „adur Dis ‚bayänig "azüunt "iStä Gottes Kinder durch göttliche Söhne seid | Khamunms par varna gat par\den Glauben an durch den Glauben, welcher (ist) an | ‚ur rarı | tdv® yiso msıhä e Christum Jesum. ‚den Herrn Jesum, den Messias. ANGER [27]\24 smax, ..... ‚Denn wieviel euer denn ihr | Kurması msthä ndm? snä ‚auf Christum getauft des Messias Namen Taufe Darm „ ahımn ı pacyasdäristä, m..|sthä] |sind, die haben \ angenommen habt Messias | ‚ ahzal Basen patmoydaristi e Christum angezogen. | habt angezogen. | 264 Syrisch: I/II rocn» Sal [28] la ra /// N ‚han N zaala adur 15 ‚ur N azıs Dur „a|29] «f gat . adurd sadur nn Asa ha umtardı waalasıs [Kapitel 4] rd 1 |ı] wası wa //// „EN, win za \ ‚Klar on Soghdisch: nıst Cayüd? "at mi nicht ist da Jude Ramagäni | Aramäer. nıst banti° "at ni ’azatt. nichtistda Knecht und nicht Freier | OT 5 nisi marti? "at ne nieht ist da Mann und nicht | "ine. Weib pdät saytmän? Smdx,o denn *sämtlich ihr | ya "iStd par Yutdv | eins seid in dem Herrn .v—_e vA A yisö'msihd. ‚Jesu dem Messias msihd epat ‚und wenn des Messias Eigen > std Sındy, ihr | | | | seid ..br° "Abrahami huymi und nicht Sitzung der phil.-hist. Classe v. 7. März 1907. — Mittheilung v. 21. Febr. |Hie ist kein Jude noch | Grieche, hie ist | hie ist kein Mann noch Weib; denn ihr seid allzumal ‚Einer in Christo Jesu. Seid ihr aber Christi, so seid ihr ja | ‚Abrahams Same kein Knecht noch Freier, Abrahams Same | sta? Smäy,o at und | seid ihr und | ER gan oärt par ‚nach der Verheißung \vistiv o © ‘ ‚Erben. | Pıst väbamsay Ich sage aber Aber ich sage | (er [ga]t eäf Zamanu? gu solange der daß, wieviel Zeit, daß, | parm® vispusi Erbe Zeitpunkt der Haussohn | [Rückseite. ] rincag [xac]..ie, 'unmündig ist, ein Kind ist | ae: i ö yav.. ‚so ist zwischen ihm (Unterschied) ni yacı can banti e \und einem Knechte kein nicht ist von den Knechten Unterschied, F.W.K. Mürrer: Neutestamentliche Bruchstücke in soghdischer Sprache. Syrisech: an Kin a ._acalaı an ‚madur? aani\ar ‚a5 „oia ar wa Dan „manr‘ . ssard lan] // [3] <äel: [ns] / [Bush] /// nom alıı ‚mamaälor ganz ‚pam A »a „as manlar [er ‚oral Kon jan [4] Kama „hdur 0 ‚wamı dush Kama roamı dushn alor\a [5] Sitzungsberichte 1907. Soghdisch: ci..|ni]| eptivant xaci, obgleich Eigentümer er ist sat vesanti © aller ihrer yardr farmän- sondern den Befehls- rt) edmar® > 27 darti cäipar? acı habern - unter ist er "at spincär spante, ‘und den Hausverwaltern vıtur qu bis daß ..ealmanı....... t Sdvan Zeit der Vater? tabarddrat ..u ve..tr 2 gegeben hat par yonit..sryand | g % & ° canü rincag als Kind SO er (wir waren) ‚facambadi mardäspante Welt- Elementen- ‚cdpär farındn -unter Befehl- patyosi mmd zim ® gehorchend : vv.“ — > o pıst Canu par “ayal herbei kam =(NB aber als 2Unnyd > spunydgoo fasamedärat bayi° x,epdt schickte Gott den eigenen REDE Ort IR San can inc ® von einen Weibe ...[s]zgdärat nomi edpar o „ weilte Gesetz -unter gat vesanti q..|al] nomi daß er (die) sie, Gesetz 265 ob er wohl ein Herr ist ‚aller Güter: sondern er ist unter den ı Vormündern und ı Pilegern | bis auf die Zeit, die der Vater bestimmt hat. Also auch wir. ‚da wir unmündig waren, waren wir gefangen unter den äußerlichen Satzungen. Da aber die Zeit erfüllet ward. sandte Gott seinen Sohn. geboren von einem Weibe undunter das Gesetz getan, auf daß er die, so unter 26 266 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 7. März 1907. — Mittheilung v. 21. Febr. Syrisch: | Soghdisch: „an „ur eipär yant rin! @ dem Gesetz waren, erlöste, | — unter sind, loskaufte Aamıa at pacydzım ‚daß wir die Kindschaft | und wir empfingen | ‚io [ben] am ‚azım vidgaya ... empfingen. | Sohnes A | er zaasdurdıa [6] past galt std ... ' Weilihrdenn Kinderseid... ‚dıais Aber da ihr seid [Ende.] I. B. 38. Vgl. Tafel I. Einzelblatt. Inhalt: Lukas ı. 63 — So. ne yazdaıral° pidar, at nipis. al 2.22. [63] bat und sehrieb f Yohanan yaci vend ndm. "at vidäsdärant, vi Johannes ist sein Name, und sie wunderten sich > A > A Ko] N = Av ıo A A —v A e) 14 A A ade. at yoni? yvecay gati? vend quca at vene jeder [64] und alsbald geöffnet wurde sein Mund und seine Ten > vage nn N = Zabdg° . at Zädärat, "afrivan pateisdärat qu ° Zunge und er redete lobte -buyi-sd. at gati? pacgver, par sät vesanti doset. Gott. [65] und es ward eine Furcht über alle sie die Nachbarn (Freunde) ’at par sit° Yahudi? yari, yant est 2ätet beg° und auf aller Juden- Berg diese Dinge besprochen werdend mätant. ‘at sdt vesant gat patyösidaranto, at waren [66] und alle sie „die es hörten und Smäreg mätant? par vesanti Ziydvaro, at vdmi nachdenklich waren sie in ihrem Herzen und so väbentgan. eu mäys bülgd "ine rincdg°. "at sprachen sie: Was wohl wird werden dieses Rindchen? und Yutiv bayd dasti mät dan vene parö » at purni des Herm Gottes Hand war mit ihm dabei. [67] Und voll gati Zakaryd vene pitri® zapart vdto, ’at brongyd ward Zacharias sein Vater des heiligen Geistes und Prophezeiung gatärato, "at vanıı vayddrat. par "afrivan aci machte er und so sprach er [68]: im Segen ist (gelobt sei) yatde Yisra’el baye°. gat "ämbarz bardärat epat der Herr Israels Gott, denn er hat besucht sein Sitzungsber. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1907. Taf. I. Vorderseite. F.W.K. Mürzer: Neutestamentliche Bruchstücke in soghdischer Sprache. Sitzungsber. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1907. Taf. II. & ne TER ei, ae was 2 = a ern x 8 Rp &: 2 i = u er P ; a MI HERE Fralaan ee Hs Rückseite. F.W.K. Mürzer: Neutestamentliche Bruchstücke in soghdischer Sprache. F.W.K.Mörrer: Neutestamentliche Bruchstücke in soghdischer Sprache. 267 > ramiüi "at gatirat gu-vene-säi vaysd mante, al Volk und gemacht ihm Loskauf [69] und ’ay,ezdärat gu-mdy,-sd vaysd mante sari par David hat aufgerichtet uns der Erlösung Haupt in Davids xipat banle ydne. vdäncanı gat Zädärat par yipat seines Dieners Hause [70] so wie. er geredet hat durch seiner zapart bevneti gucd gat can aygun masd. gat heiligen Propheten Mund von Ewigkeit her [7:1] daß er vay,dsdt mäy,i® can mdy, sÄänt, ‘at can säf mdy, erlösete uns von unsren Feinden und von aller unsrer nisiryozeli dastyd. ’at gatirat? xepat zircani (darunter: qya) Nicht-Freunde Hand [72] und machte seine Barmherzig - keit [Rückseite:] Vgl. Tafel. .......... paruo, at Syd gatirat epat zapart (unsern Vätern) und gedachte seines heiligen RR n. at sögänt qgat yvardarat gü- Abraham (Bundes) |73] und des Eides, den er geschworen dem Abraham mdy, püri-sd. gat tabardt qu-märy,-sd gat unserm Vater, [74] daß er gäbe uns, daß zaraytei bem can mdy, sinti dasiyd. "at pu paegver? erlöset wir seien aus unsrer Feinde Hand und ohne Furcht spdysem ven per-namsd° sdt mäy, meito par wir dienten ihm -vor alle unsere Tage [75] in däteigya° at par "artiryd. ’at tayu° rincagd, samdn Gerechtigkeit und in Heiligkeit. [76] und du o Kindlein des himm- eg bayd biöne Zayerte begd. pät savigä° lischen Gottes Prophet genannt wirst werden, denn du wirst gehen yuldv bayd patgire? per-nam-sd, galt pastäje vene des Herrn Gottes Angesicht vor, daß du bereitest ihm rdt. gat tabarit nösac Zivdni patzin? güu-x£pal rami den Weg, [77] daß er gebe unsterblichen Lebens Erkenntnis seinem Volke WON, SuPEr TO ea KITe f x a az r) -sd“ par vesanli“ Yyavantı par,bäntydo par mdy, zärcanüq in ihrer Sünden [vgl.u.IV] Vergebung durch unseres barmherzigen baye zärisya mante, Vakanı. gat parivänt?] "ibarzbari mäyi vitäpä Gottes Gnade welchen darin besucht hat uns® der Aufgang -manle can samdn. par röysanydg tabarı qu- veSant- aus dem Himmel [79] durch Licht- gabe denen -si gat par lärE at par marci sayi gat meste die in Finsternis und in Todes-Schatten, denen nicht ist (wie den Juden) sögant. gat frezät mdy, pädet par dürtyd ein Eid, daß er richte unsere Füße auf den Friedens- rd = pet rincdg? yoseq mät, "at zävaragen weg. [80] Darauf das Kindlein groß wurde und stark 268 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 7. März 1907. — Mittheilung v. 21. Febr. bi sag par zapart vdit, "at day,styd sögeg mdälo , im heiligen Geist und Wüste bewohnend war es, vitur gu vene "iStyd manleE mel parm gat gü- bis zu seines sich Zeigens Tag Zeitpunkt zu Fisra’eligt-sä =» den Israeliten. (Es folgt ein rot geschriebener syrischer Titel, der die Überschrift des darauf folgenden — verloren gegangenen — Abschnittes Matth. ı bildete.) und wet ‚Am ln „ ara asinı Mazoını [schwarz:] mdhanılı ma.ha — Ende. — 111. B.7l. Vorderseite eines Doppelblattbruchstücks. Inhalt: Matth. ıo. ı4 ff. padit. ’at restä? framdyamsaqg zu güu-Smäy,-sä°, ... Füßen [15] Und wahrhaftig sage ich euch, gat Sdom°® "at gat "Amord zäyo pacdie-star batgd° ans daß Sodom und daß Gomorra Erde erträglicher sein wird ER, A RN: : > par pargä° met gadä ed kat: [Es folgen syrische Überschriften] am Gerichts Tage als dieser Stadt! 2 Nr 2 ss „ I b i D [rot:] Fi Wed uam Khsataı us 3 an : [schwarz:] » snaual ///// san ar (Es sprach Jesus zu seinen Jüngern.) vinu framdy yultdo Yisoc ku-y,epat- So sprach der Herr Jesus zu’seinen [2] : : Zusaganti-si ». aa ar iz wur in. Näy Jüngern: (Siehe, ich sende euch) Siehe, zu? fasdmamsaqun Smäyio, * vincinıa vardtt ich will senden euch so wie Schafe (in der) virgisti midäni, biüti nügar yarbägt? vandına Wölfe Mitte. Seid also klug so wie gqirmist, at taran ndäzant vÄäncinn gopodi.t ası die Schlangen und Falschheit unkundig so wie die Tauben, ! kat = x Vgl. die zahlreichen auf kat — keth endigenden Städtenamen, wie Binketh, Saburketh, Charaschketh usw. F.W.K. Mürrter: Neutestamentliche Bruchstücke in soghdischer Sprache. 269 pdätö sugld can martuymet. pät parbaysantgd® bleibet vor den Menschen, denn übergeben werden sie Smäyi, güu-datbart-sd. ’at par vesanti avdzet. sie euch den Richtern und in ihren Versammlungen patnübantgd Smiäygi. "at dätbart "at ysevaneti geißeln werden sie euch und die Richter und Könige Zi AO 40 K3 4 = er A —_ A per-namsd? pant barantgd? Smäxi, can mand pidäro, -vor beraten werden sie (über) euch um meinet- willen q..vesantı xepat° vicivagyd-sd° "at gat ramatt gl » 22 ? zu ihrem eigenen Zeugnis und zu der Völker EEE gat parbaysantgd Smäyli] - - - - - wenn sie übergeben werden euch BB. gadä Suzä..... [Rest fehlt] IV. B.71. Letzte Seite eines Doppelblattbruchstücks. Inhalt: Joh. 20. 19 ff. can Cayjudti° paegeeri pidäro [Fehlzeichen:] X [am Rande: *’ayat xiütdv um Juden Furcht willen. ‚ kam der Herr Yisoc? vdyst° vesanti medydni, ‘at cinü....... ] Jesus, trat ein (in) ihre Mitte und so sprach er: — A — A v A — >—__ 4 ww. A Aa Eee dürtä sogät dan Smäx, pard. me väy,s farmädärato, "tStd- „Friede weile bei euch dabei!« [20] Dieses Wort sprach er, er zeig- däral vesanti? epat dasti, "at yepat gost. "at te ihnen seine Hand und seine Seite. Und yosdärant Zuysagti gat vedädrant mäx, X,epal- froh wurden die Jünger, als sie sahen unsern Herr- -ivanti. pist van frimdy qu-vesant-sä t..... -en. [21] Aber so sprach zu ihnen wutdo Yisoc. durtäi sogdt dan Smdäy, par[d] ... der Herr Jesus: »Friede weile bei euch dabei!« vinednu gat fasamdärat mand mand bayı pitri? So wie gesandt ht mic mein Gott Vater, mas zü, fasimamsgun Smäyi. at dinü frimdy auch ich will senden euch. [22] Und als er gesprochen yänt“ ’esto, fatmdädärat° par vesant, ’at vdinı diese Worte, blies er auf sie und so Sitzungsberichte 1907. 27 270 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 7. März 1907. — Mittheilung v. 21. Febr. främdäy yu-vesant-sd. pacyazti zapart vdt. sprach er zu ihnen: »Empfanget den heiligen Geist (Hauch)!« [23] A A = 40 > A4O — A A A gat parmäntya vantd adei? yundnt, parmäntyä wenn Erlassung ihr macht Jemandes die Sünden, Erlassung ate bantgd gu-vene-sd. "at gat nıyastd? { { q } { yası ihm, und wenn nicht ihr nehmt (?) 'adei yundnt, ne matet bantgd. pest T’omä Jemandem die Sünden, nicht [24] Aber Thomas gatar can dvdtasnu° ed gat vayte but° T’ämdo, ? der von den ı2, derselbe, welcher genannt wurde N 9 ne mät dan vesanti paro cinu "ayat yutdv Yisöt. nicht war bei ihnen dabei, als kam der Herr Jesus, VE bant qu-vene-sa......... und (es sprachen) zu ihm (die andern Jünger: »Wir haben) Ay [x]leptevant. . : . - ... den Herrn (gesehen).« [letztes Drittel der Seite fehlt] ! An dem ersten n des Wortes yunänt ist an beiden Stellen korrigiert worden, als ob man yuvänt lesen sollte. Ausgegeben am 14. März. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei. 1907. XIV. SITZUNGSBERICHTE DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. Gesammtsitzung amı 14. März. (S. 271) von Wırasowırz- MoErLENDoORFF: Die Hymnen des Proklos und Synesios. (S. 272). | BERLIN 1907. VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. Aus dem Reglement für die Redaetion der akademischen Druckschriften. » Aus $1l. Die Akademie gibt gemäss $ 41,1 der Statuten zwei fortlaufende Veröffentlichungen heraus: » Sitzungsberiehte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften « und » Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften«. Aus $ 2. Jede zur Aufnahme in die »Sitzungsberichte« oder die »Abhandlungen« bestimmte Mittheilung muss in einer aka- demischen Sitzung vorgelegt werden, wobei in der Regel dasdruckfertige Manuscript zugleich einzuliefernist. Nicht- mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem Fache angehörenden oridentlichen Mitgliedes zu benutzen. 8 3. Der Umfang einer aufzunehmenden Mittheilung soll in der Regel in den Sitzungsberichten bei Mitgliedern 32, bei Nichtmitgliedern 16 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Sitzungsberichte, in den Abhandlungen 12 Druckbogen von je 8 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Abhand- lungen nicht übersteigen. Überschreitung dieser Grenzen ist nur mit Zustimmung der Gesammt-Akademie oder der betreffenden Classe statt- haft, und ist bei Vorlage der Mittheilung ausdrücklich zu beantragen. Lässt der Umfang eines Manuscripts ver- muthen, dass diese Zustimmung erforderlich sein werde, so hat das vorlegende Mitglied es vor dem Einreichen von sachkundiger Seite auf seinen muthmasslichen Umfang im Druck abschätzen zu lassen. 4. Sollen einer Mittheilung Abbildungen im Text oder auf besonderen Tafeln beigegeben werden, so sind die Vorlagen dafür (Zeichnungen, photographische Original- aufnahmen u.s. w.) gleichzeitig mit dem Manuseript, jedoch auf getrennten Blättern, einzureichen. Die Kosten der Herstellung der Vorlagen haben in der Regel die Verfasser zu tragen. Sind diese Kosten aber auf einen erheblichen Betrag zu veranschlagen, so kann die Akademie dazu eine Bewilligung beschliessen. Ein darauf gerichteter Antrag ist vor der Herstellung der be- treffenden Vorlagen mit dem schriftlichen Kostenanschlage eines Sachverständigen an den vorsitzenden Secretar zu richten, dann zunächst im Secretariat vorzuberathen und weiter in der Gesammt-Akademie zu verhandeln. Die Kosten der Vervielfältigung übernimmt die Aka- demie. Über die voraussichtliche Höhe dieser Kosten ist — wenn es sich nieht um wenige einfache Textfiguren handelt — der Kostenanschlag eines Sachverständigen beizufügen. Überschreitet dieser Anschlag für die er- forderliche Auflage bei den Sitzungsberichten 150 Mark, bei den Abhandlungen 300 Mark, so ist Vorberathung durch das Secretariat geboten. Aus $5. Nach der Varlerune und Einreichung des vollständigen druckfertigen Manuseripts an den Zum Lind’gan Secretar oder an den Archivar wird über Aufnahme der Mittheilung in die akademischen Schriften, und zwar, wenn eines der anwesenden Mit- glieder es verlangt, verdeckt abgestimmt. Mittheilungen von Verfassern, welche nicht Mitglieder der Akademie sind, sollen der Regel nach nur in die Sitzungsberichte aufgenommen werden. Beschliesst eine Classe die Aufnahme der Mittheilung eines Niehtmitgliedes in die dazu bestimmte Abtheilung der » Abhandlungen«, so bedarf dieser Beschluss der Bestätigung durch die Gesammt-Akademie. . gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch r Aus $6. Die an die Druckerei abzuliefernden Manuseripte müssen, wenn es sich nicht bloss um glatten Text handelt, aus- reichende Anweisungen für die Anordnung des Satzes und die Wahl der Schriften enthalten. Bei Einsendungen Fremder sind diese Anweisungen von dem vorlegenden Mitgliede vor Einreichung des Manuseripts vorzunehmen. Dasselbe hat sich zu vergewissern, dass der Verfasser seine Mittheilung als vollkommen druckreif ansicht. Die erste Correetur ihrer Mittheilungen besorgen die Verfasser. Fremde haben diese erste Correetur an das vorlegende Mitglied einzusenden. Die Correetur soll nach Möglichkeit nicht über die Berichtigung von Druckfehlern und leichten Schreibversehen hinausgehen. Umfängliche - Correeturen Fremder bedürfen der Genehmigung des redi- girenden Secretars vor der Einsendung an die Druckerei, und die Verfasser sind zur Tragung der entstehenden Mehr- kosten verpflichtet, Aus $ S 8. 7 Von allen in die Sitzungsberichte oder Abtiandiankdn aufgenommenen wissenschaftlichen Mittheilungen, Reilen, Adressen oder Berichten werden für die Verfasser, von wissenschaftlichen Mittheilungen, wenn deren Umfang im Druck 4 Seiten übersteigt, auch für den Buchhandel Sonder- abdrucke hergestellt, die alsbald nach Erscheinen des be- treffenden Stücks der Sitzungsberichte ausgegeben werden. Von Gedächtnissreden werden ebenfalls Sonderabdrucke für den Buchhandel hergestellt, indess nur dann, wenn die Verfasser sich ausdrücklich damit einverstanden erklären. 89. Von den Sonderabdrucken aus den Sitzungsberichten erhält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 50 Frei- exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke auf Kosten der Akademie weitere Faimplere bis zur Zahl von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis zur Zahl von 200 (im ganzen also 350) abziehen zu lassen, sofern er diess rechtzeitig dem redigierenden Seeretar. an- gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten ‚noch mehr Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so Hadareı es dazu der Genehmigung der Gesammt- Akademie oder der be- treffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 50 Frei- exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei ‚dem redigirenden Secretar weitere 200 Exemplare auf ihre Kosten abziehen lassen. 5 Von den Sonderabdrucken aus den Abhandlungen er- “ hält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 30 Frei- exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke a auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis zur Zahl von 100 (im ganzen also 230) abziehen zu lassen, sofern er diess rechtzeitig dem redigirenden Secretar : an- nehr Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazu der Genehmigung der Gesammt- Akademie oder der be- treffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 30 Frei- exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem redigirenden Secretar weitere 100 Exemplare auf ihre Kosten abziehen lassen. : A 8.17, RT Eine für die a deeehen Schrift en be-- 5 stimmte wissenschaftliche Mittheilung darf in keinem Falle vor ihrer Ausgabe ı an jener Stelle anderweitig, sei es auch nur ie (Fortsetzung auf S. 3 des mschlam): 3 v ; REINE 271 SITZUNGSBERICHTE 1907. XIV. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 14. März. Gesammtsitzung. Vorsitzender Secretar: Hr. VAHLen. l. Hr. von Wıramowırz-MorLLENDoRFF las über Die Hymnen des Proklos und Synesios. Würdigung des religiösen Inhaltes der Gedichte und Beiträge zur Erklärung und Verbesserung ihres Textes. 2. Folgende Druckschriften wurden vorgelegt: M. BErTHELoT, Traite pratique de l’analyse des gaz. Paris 1906, und W. WinDELBAND, Lehrbuch der Geschichte der Philosophie. 4. Aufl. Tübingen 1907. Die Akademie hat die correspondirenden Mitglieder der philo- sophisch -historischen Classe Hrn. Anrtonıo MaArıA Cerranı in Mailand am 2. März und Hrn. FrrevrıcH Brass in Halle a. S. am 5. März durch den Tod verloren. Sitzungsberichte 1907. 28 272 Gesammtsitzung vom 14. März 1907. Die Hymnen des Proklos und Synesios. Von ULrıcHh von WILAMOWITZ- MOELLENDORFF. een mit den epischen Hymnen von Homer, Orpheus und Kalli- machos sind uns auch sieben von Proklos erhalten. Besonders hohe Poesie oder auch nur sprachliche Kunst wird man von dem ge- schwätzigen Philosophen nicht erwarten und eine Erweiterung seiner philosophischen Lehren nicht von seinen Versen. Es ist also be- greiflich, daß die Hymnen wenig Beachtung gefunden haben; aber die Überlieferung des Textes ist doch jüngst von Arrnur Lupwich in einer Ausgabe bekanntgemacht,' und da sie fast vollkommen rein ist, bleibt nach dieser Seite wenig zu tun. Aber religiöse Poesie aus den letzten Zeiten der platonischen Schule, deren Philosophie gerade damals vielmehr Religion war, verdient doch einen Blick. Proklos hat die Hymnen von Homer und Orpheus vor sich, gewiß auch manche Produkte der zeitgenössischen Epik, deren Technik er teilt; aber von älteren Kultgedichten der Akademie wird er gar nichts gewußt haben. Und doch muß zu allen Zeiten das Bedürfnis befriedigt worden sein, das die Schule, von Haus aus ein Kultverein, für ihre gemeinsamen Mahle und Feste hatte. Die Musen und Eros verlangten Huldigung, und eben aus einem epischen Hymnos des Antagoras an Eros haben wir einen Rest: den rezitierte man am Tische des Krates zu derselben Zeit, wo die zenonische Schule in dem Zeushymnos des Kleanthes ein Werk von tiefer Religiosität erhielt. Wie reizvoll müßte es sein, wenn man wüßte, was die Jünger des Arkesilaos und Karneades, was dann Plutarch und Longin als Schulgebet gehört haben. Proklos hat seinen Jüngern im siebenten Hymnus ihr Gebet gemacht: an Athena gerichtet, die man trotz aller Mystik in der Herrlichkeit ihres Bildes und Tempels, in dem dauernden Bestande der athenischen Universität als Trägerin der väterlichen Religion und Kultur immer noch empfand und bekannte. Der Glaube an die persönliche Gottheit ı Eudociae, Procli, Claudiani ete. carmina, Leipzig 1897. Die Überlieferung muß sich der Leser aus dem Apparate selbst suchen; in Wahrheit gibt es nicht nur kaum Korruptelen, sondern weithin nicht einmal Varianten. von Wıramowrrz-MoeLLENDorrF: Die Hymnen des Proklos und Synesios. 273 war freilich dahin; der Eingang gibt zu verstehen, daß Airıöxoıo Aıöc texoc nur bedeutet renerfroc (des allertranszendentesten Gottes der Platoniker) HrAc Ermipoeeovyca Kal ÄKPOTÄTHC ATIO ceipfc. Da fallen die Schlagworte der Emanationslehre dieser Religion, mHrA, die »Quelle«, aus der alles Göttliche durch die mannigfachen Leitungen und Kanäle bis in das Reich der Materie herabströmt, die »Kette«, deren Glieder vom Olymp herabreichen; es könnte ebensogut noch die »Wurzel« dabeistehen, das dritte Bild. Wer ein wenig in den Kommentaren des Proklos herumgelesen hat, ist mit diesen Gedanken und Schlag- worten vertraut; die Quelle stammt schon aus den chaldäischen Orakeln', einem der inspirierten Bücher dieser Theologie; die Kette geht zwar über Orpheus auf Homer © ı9 zurück°; wer sie aber zu der Bedeutung erhoben hat, die sie bei Proklos hat und vor ihm, wie wir sehen werden, bei Synesios, bleibt zu suchen. Athena wird schon von Aristeides in seinem prosaischen Hymnus (37,28) als AYnamıc Alöc, TO? TIÄNTWN AHMIOYPrO? Kal BAcınewc (2) bezeichnet, wie denn die Gedanken alle im Kerne sehr viel älter sind.” Dann häufen einige Verse Prädikate der Göttin; das ist orphischer Stil, und es folgt eine Anzahl mystischer Geschichten; das homerisiert, aber auch Orpheus ist hier benutzt.‘ Dann geht es zu Speziellerem. »Du hast die Burg zum Besitz erhalten, als Symbol deiner höchsten ceırA (sie ist Ausgangspunkt für alle Glieder der Kette, die an ihr hängen), und die Stadt, mHTerA Bisnwun, geliebt, benannt, YrTO ceyPön oYPEoc ÄKPON den Ölbaum als Zeichen deines Sieges über Poseidon, der das Land überschwemmen wollte, aufsprießen lassen.« Da sind die alten echten Male vergessen: das Erechtheion und Pandroseion werden schon ent- weiht gewesen sein. Es folgen die Gebete, deren Hauptstück ist »gib mir die Kraft, die in das himmlische Reich des Vaters empor- führt; und wenn ich gesündigt habe (und ich weiß, daß ich es viel- fach getan habe), so laß mich nicht TToınaicın Eawp Kal KYPMA TENEceAl, ı Krorı de orac. Chald. 23 NoYc TIATPÖC EPPoIzZHce NOHCAC ÄKMAAI BOYAHI TIAMMÖPSOYC lAeac, TIHFÄAC A& MIAC Arıo TIACAI EzEeopon. Überliefert AriorıtAcaı, verkehrt dem Bilde nach, metrisch ein Ungetüm. ?2 Es wird genügen, auf eine Hauptstelle hinzuweisen, in Tim. 2, 24 Dırar, und auf KrorLr de orac. Chald. 22; die Indices von Dıear und Kroıı zu in R.P. liefern weitere Belege in Massen. ® Man braucht nur die Mythologie abzustreifen, so erhält man genau dasselbe Wesen für diese Gottheit, das der Sohn, die cosla Kocmotexnitic, bei Synesios hat. Den eeöc Aöroc als AYNAmIc ToY TIATPOC zu fassen, ist auch orthodoxeren Christen geläufig. * V.ıı—ı5, wie sie das Herz des Dionysos rettet, als ihn die Titanen zerrissen haben. Die folgenden Verse verstehe ich nicht Äc TIENEKYC BÄPEIA TAMON TIPOGEAYMNA KÄPHNA TIANAEPKOYC "EKÄTHC TIABEWN HYNHCE FENESAHN. 28* 274 Gesammtsitzung vom 14. März 1907. KEIMENON EN AATIEAOICIN, OTI TEÖC EYXoMAI EinAl.’« Also der Betende fühlt sich zur ceıraA Athenas gehörig. Endlich kommen irdische Bitten, um Gesundheit, günstigen Wind auf der Lebensfahrt TEKNA, AEXOC, KAEOC, OABON, EYBPOCYNHN EPATEINHN, TTIEIEW, CTWMYAIHN, ®INIHC NÖON ÄTKYAYMHÄTHN, so KAPTOC ETIT AÄNTIBIOICI, TIPOEAPEIHN EN! AADIc.” Weib und Kind, Rhetorenkunst, Urteil in der Freundschaft (den wahren Freund zu erkennen), Erfolg über die Feinde und vollends Avancement waren keine Güter, nach denen Proklos verlangte: das ist ein Gebet für Weltkinder, für die Schüler, die aus der Universität in das Leben treten wollen. Ein Eröffnungsgebet, gebunden an einen bestimmten Raum, doch wohl die Schule, ist VI. Es wendet sich mit drei Versen an "EKATH mpoeYpaioc, die mit der mArtHp gleichgesetzt wird, und an Janus, der Zevc Ymatoc ist. Die Schwelle und die Hekate vor ihr, das sind echte alte Träger des Hausfriedens; Hekate wird freilich schwerlich noch einen Altar draußen gehabt haben. Aber der Synkretismus verflüchtigt ihre konkrete Bedeutung, und gebetet wird um Erlösung aus der KAköTHc reneenuc und Eingang in den Hafen der Frömmigkeit. Zum Schluß werden die drei Verse des Anfangs wiederholt.’ Ganz persönlich ist V; der Lykier Proklos wendet sich an die Göttin seiner Heimat Xanthos, die KovraeroaitH, von der er sagt, daß man sie sehn "Onymmon, d. h. oypania, genannt hätte. Ihm soll sie die Seele aus irdischer Leidenschaft zur wahren Schönheit er- heben. Den Namen Koyra#roaitH, der eine Mischung ausdrückt, dürfen wir, wie Zunorioceıa@on in Karien, als einen Versuch betrachten, das Wesen einer nationalen Gottheit zu bezeichnen, dem kein einzelner griechischer Name kongruent war. I gilt der Aphrodite oder vielmehr ihrer ceırA; sie ist die Welt- seele (in dem Sinne, wie man es von der Venus des Lukrez sagen ! An der Messung öTI eeöc eYxomal sollte so wenig gerüttelt werden wie an II, ro Ännoı A& ramion ÖAPON. Daß notorisch interpolierte Handschriften ein Unwort ErrAaMion erfinden, macht doch nichts aus, und welche homerischen Freiheiten Proklos sich verstattete, kann man nur aus seiner Praxis lernen. V. 38 ist Epixeomai über- liefert: da soll man sich freuen, zu erfahren, daß Proklos e 83 Erixeun gelesen hat, eine in den Scholien bezeugte Variante. II, 6 steht icxanöwcın fehlerhaft für »streben«, weil Proklos wie auch andere (z. B. Gregor mehrfach) diese verbreitete Korruptel in seinem Homertext für IxanAn fand. 2 49 ist so geschraubt, daß man zweifeln mag; aber cTumYyAiH eIAiHc ist über- haupt unsinnig, A€ beim letzten Gliede einzuschieben zwecklos. 3 V.4 TEYxeTe A’ AITAHECCAN EMoi BIÖTOIO TIOPEIHN zu verbessern für EMoY verlangt der Stil; »mein Leben« würde er ebensowenig sagen, wie er zum zweiten Gliede, YYxAn, ein Possessiv setzt; dafür gilt &mol auch. von WiıramowItz-MOELLENDORFF: Die Hymnen des Proklos und Synesios. 275 könnte); aber auch sie soll mit ihren aıkaıö6TATa Benemna (die den Namen Aeroaicıa im wahren Sinne verdienen) die unheiligen Leiden- schaften bändigen. I gilt dem Helios, der zwar nur ein Abbild des Allerzeugers ist (34), aber doch den Schlüssel zum Quell des Lebens hat, dessen Strom er bis in die materielle Welt herableitet. Seine Wirksamkeit wird sowohl nach der Seite hin geschildert, die dem Gestirne zu- kommt,' das die Lichtquelle ist, wie nach der mystischen Seite, wo eine Anzahl von Götterpersonen in sein Reich gehören und die Dä- monen vor ihm zittern, die sich bemühen, die Menschenseelen in den Banden der Körperlichkeit festzuhalten.” Dann kommen die Bitten; wieder zuerst das Sündenbekenntnis, Bitte um Bewahrung vor den TToınai, Fürbitte bei Dike, Bitte um Erleuchtung der Seele, um Gesundheit und zuletzt EYKAEIHC T” ETTIBHCON EME& TIPOTÖNWN T EN! BECMOIC MoYvcAwN EPACITNOKAÄMWN AWPOICI MEAOIMHN, ÖNBON A AÄCTYSENIKTON ATT EYCEBIHC EPATEINÄC . . . AÖC. In den Satzungen der Väter will er studieren dürfen, angesehen werden, und das Glück auf Grund seiner Frömmigkeit soll uner- schüttert bleiben. Das ist Proklos persönlich, der Professor, das Schulhaupt, der Bekenner der bedrohten väterlichen Religion. Das alles soll ihm der Gott gewähren und erhalten. Hier ist eine hübsche Verbesserung zu machen, gerade indem die Änderungen abgewiesen werden. V.46 aynacaı A& ATIANTA Tereccai PHiaiwc. Den Hiatus kann man gewiß nicht ertragen; aber Teneccaı Amanta erzeugt zwei grobe Fehler, die Zäsur im vierten Trochäus und die Verkürzung des aı vor Vokal in der ersten Kürze des Daktylus.” Da die Zäsur un- UV. 5 MECCATIHN FAP &@N YTIEP AlBEPoc EAPHN KAl KÖCMOY KPAAIAION EXWN EPIBETTEA KY£kaon. Die Sonne hat drei Planeten über sich, drei unter sich, Helios befindet sich also über dem mittelsten Äthersitze und sein Kreis entspricht dem Herzen. Alles gut; man hat nur Yrıep mit Aieepoc verbunden, dann EAPHn nicht unterzubringen gewußt und schlechte Konjekturen gemacht. 2 V, 30 Ö®p’ Alel KATÄ AAITMA BAPYCMAPÄrTOY BIÖTOIO CWMATOC ÖTNEYÜCIN YTId ZYrö- AECMA TlAeoYcAl. Da steckt eine Verderbnis; aber die Besserungsversuche sind ab- scheulich. Es sollte klar sein, daß cwmAToc Yrö zyröaecma zusammengehört: dann liegt rrecofcaı auf der Hand. Im folgenden Verse stehen Vokative, zuletzt öngle AAlMoN. Das wird in önsıöaaımon geändert, weil dies Wort bei Homer steht. Es ist genau, als wenn man »seliger Gott« in »Gottseliger« ändert; Agamemnon hat einen AAiman, Helios ist einer. ® Natürlich verkürzt er überhaupt ganz selten, und dann Wörtchen wie kal, mol, mey, daktylische Verbalformen wie &PxeTAı (1, 50); XPelol ÄNATKAIHI 7,52 ist ho- merische Reminiszenz und steht im Versanfang. Am Anfang von 1,46 natürlich kor- rekt ei K &eenhıc; die Handschriften schwanken zwischen -eıc und -oıc, obwohl sie auf einen Archetypus zurückgehen. Solche Itazismen sind eben gleichgültig. Proklos konnte die Modi in der Schrift unterscheiden, wenn auch nicht mehr in der Rede. 276 Gesammitsitzung vom 14. März 1907. möglich war, mußte jeder Zeitgenosse des Proklos, der einige Schul- bildung hatte, richtig abteilen aynacaı a’ EA TIANTA TerEccAI, und EA — Ärack galt auch auf Grund von AürTor €Aun; bei Hesych steht es geradezu, Gelehrteres in den Scholien zu Pind. Nem. 7,25. Ebenso persönlich ist III an die Musen, denen zwar auch nichts wesentlich anderes beigelegt wird als den anderen Göttern; auch sie führen die Seelen, die in den befleckenden Strudel der Materie ge- raten sind, empor in ihre Heimat. Ihr Besonderes ist nur, daß sie die Läuterung AxPANToIcC TEAETÄICIN ErErcINö@N ATIO BiBAwN besorgen: jetzt besorgt das Studium der heiligen Bücher, was zu Platons Zeiten Sache des lebendigen aıanerecerı war. Proklos aber bittet zugleich darum, daß ihn nicht Aacıcıeewn renoc Anarön vom rechten Wege abführe: das sind die Christen, und daß seine Seele voll von dem Honig aus der Musen Waben den Ruhm der everih »renoeenrkc behalte: das ist das Gebet des Professors. Beinahe rührend wirkt IV: da sollen ihm die Götter, die zur Weisheit geleiten, dprıa Kal TeneTÄc iep@Ön MmYewn eröffnen‘, damit er emporstreben kann. Sie sind die großen Erlöser (cwrArec), die aus den heiligen Büchern ihm die Erleuchtung spenden, damit der böse Dämon ihn nicht von der Seligkeit fernhalten könne und seine Seele nicht in die Fesseln der irdischen Existenz geschlagen bleibe. Wie unhellenisch, wie unplatonisch ist das Gebet des Kommentators, den es nur nach fremden Gedanken verlangt. Aber die Sehnsucht nach dem reinen Leben jenseits ist doch platonisch, und eine Empfindung, die sich einen persönlichen Exponenten schafft, der als persönlich an- geredet werden darf, obgleich er namenlos und mythenlos bleibt, ist doch hellenisch. Marinos (24) erzählt uns, daß Proklos in schlaflosen Nächten seine Hymnen dichtete oder seine Dogmen fand; den Ertrag schrieb er des Morgens nieder. Sein Gebet ist Ausdruck einer echten Stimmung, aber konventionell durch die tote Sprache und Verskunst, die er an- wendet, konventionell auch durch die Theologie, die er bekennt. Die Adressaten seiner Bitten sind im Grunde nebensächlich, auch für ihn: sein Gebet gilt dem Göttlichen, zu dem er sich emporsehnt; es hat am Ende immer diese Sehnsucht zum Inhalt. Das Gefühl der Sündhaftigkeit, das so sehr unhellenisch anmutet (man vergleiche Kleanthes), ist doch dasselbe, aus dem heraus die Pythagoreer c@ma chma YYxfc sagten. Denn es handelt sich nicht um sittliche Ver- ! Der Schluß liefert die Verbesserung von V.4, die in interpolierten Hand- schriften gemacht ist. »Ihr zieht die Seelen zu den. Göttern empor Ymön APPHTOICI KABHPAMENAC TEAETÄICIN«. Der Archetypus hatte YMNnon: aber wer kann sich bei »un- aussprechlichen Mysterien« von Gedichten etwas denken? . N . li von Wıramowerz-MorLLEenDorFF: Die Hymnen des Proklos und Synesios. 277 fehlungen: die Materie, der irdische Leib, befleckt die Seele not- wendig; die Erbsünde, so zu sagen, drückt, nicht die eigenen Sünden. Es tritt aber die Furcht vor den bösen Geistern hinzu, den Erregern der rAeH. Gewiß hängt Proklos mit allen Fasern seiner echten Fröm- migkeit an den ererbten Formen und Namen. Und doch sind sie in Wahrheit leere Hülsen, und eigentlich paßt der Kern seines Glaubens nieht mehr hinein. Die Hymnen des Syuesios sind ziemlich ebensowenig bekannt und noch schlimmer vernachlässigt. Sehr viel schlechter erhalten, sind sie, weil sie nicht klassisch sind, von jener Philologie fast unbeachtet geblieben, die am Emendieren allein Vergnügen fand. Und der In- halt ist den Theologen zu philosophisch, den Philosophen zu christ- lich gewesen. Selbst der Biograph des Synesios, R. Vorkmann, kann die Gedichte gar nicht genauer gelesen haben, sonst hätte der Text- kritiker in ihm sich geregt; der christliche und der philosophische Maßstab, die er beide anlegt, führen beide zum Verdammen, nicht zum Verstehen. Am Ende muß man J. Fracn noch dankbar sein, daß seine Ausgabe der Hymnen (Tübingen 1875) wenigstens billig ist; sonst ist sie, wie man sie von ihm eben erwarten muß;' aber der Nachdruck Micenes (Bd. 66) nach Petavius ist nicht besser. Ich würde mich an die Textkritik nicht wagen, wenn ich nicht der Güte von Frl. M. Vocer die Vergleichung von zwei Handschriften, dem vor- trefflichen Laurent. 55, 8 (in dem ich mehreres auch selbst verglichen hatte) und Barberin. Sı (auch Vat. 64; aber der ist wertlos), dankte; das genügt, um die Lesarten bei Fracn richtig einzuschätzen. Synesios bezeichnet seine Gedichte wiederholt als bestimmt zum Gesang, den das eigene Saitenspiel begleitete; er rühmt sich, als erster solch ein Lied an Jesus zu richten;” er nennt es dorisch und gibt der Sprache diese Klangfarbe,® weil er sich als Kyrenäer fühlt; aber er zieht auch selbst die Parallele zu Anakreon und Sappho,' ! 1,53 druckt er TE ÖnTwN für T’ EöÖNTON; 4,33 CA TÄP Epr’ @ trÄTEP als ana- pästischen Monometer. & scheint allerdings allgemein überliefert, aber was tut das? 2 VII, ı mP@ToC NömoN EYPÖMAN Erli Col... 'IHCOY .... NEOTTAFECIN ÄPMOTAIC KPEEAI KIeAPAC MiToYc. VIII, ı YrIö AwPIon ÄPMOTÄN ENEBANTOAETON MIT@N CTÄCO NITYPÄN ÖTIA ermi col. 3 Über das A für H und ® versteigt sich sein Dorisieren nicht; hinzu tritt -oIcA für -ovcA, das ihm dorisch war, vielleicht als kyrenäisch. 4 ],ı Äre mol AIreIA ®ÖPMITE META THIAN AOIAAN META NEcBlAN TE MOATIÄN FEPA- PWTEPOIC Eb” YMNOIC KEAAAEI AWPION WIAAN, ÄTIANAIC OYK Erti NYM®AIC ABPOAICION FENWCAIC, BANEPÖN OYA’ EI KOYP@N TIOAYHPATOICIN HBaic: das sind die Stoffe der Sappho und des Anakreon. Bathyll oder Smerdies wirken auch, wenn es heißt 26 ErTEpwı A’ AranMA XAITH KATAEIMENH TENÖNT@N (wo ihm passiert ist, KAseımenoc so zu behandeln, als käme es von KATAENNYMI). 25 KAYE KAl TETTITOC @IAÄN APÖCoN ÖPeplan TIIÖNToc: da ist der 278 Gesammtsitzung vom 14. März 1907. die er ohne Zweifel beide gekannt hat, wenn seine Briefe auch nur Sappho' und Archilochos” zitieren. Sie beweisen aber auch, daß er die Musik wirklich übte, und ein Lied kennen wir, das er sang: den Hymnus des Mesomedes an Nemesis.” Er hatte ja auch Freude an den Volksliedern seines Gesindes:' auch hierin eine ebenso singuläre wie erfreuliche Erscheinung. Nach ihrem Vortrage sollten solehe Gedichte bei den Christen yanmol heißen. Die Juden hatten sich diesen Namen gesucht, damit es so aussähe, als wäre ihre religiöse Poesie etwas anderes als die der Griechen; sie hatten mit dem ganzen Gottesdienste ihrer Diaspora auch diese Gesänge den Christen vererbt; mehr noch als der Gesang der Gemeinde spielte der des einzelnen für sein religiöses Leben eine Rolle. Aber formell waren die Psalmen elende Übersetzerprosa; Gott weiß, wie sich die Musik mit ihnen abfand. Die Nachahmer hielten sich gleichwohl daran; schwerlich werden die Gedichte viel mehr bedeutet haben als die, welche in den ersten Kapiteln des Lukas- Dichter die Zikade, wie bei Archilochos 143: es geht nicht auf das über Gebühr be- rühmte Anakreonteum, auch nicht auf Platons- Phaidros, sondern eher auf eine Ana- kreonstelle, die das ganze Bild geschaffen hatte. Wenn man von Anakreon kommt, der xeönioc eigentümlich gleich cTyYrnöc Kal KATH#AC braucht (L. WEBER, Anacreon- tea 99), so kann bei Synesios I, 15 ÄTAN Xsoniun ®Yrein EP&ToNn anzuklingen scheinen; das täuscht aber. Es ist »irdisch«. MAKAP ÖcTIc I, 108. 112 erinnert an Eurip. Kykl. 495, Bakch. 72, die offenbar hieratische Vorbilder haben. ! Ep. 3 spielt er mit ihrem Spott über die eypwroi, Fragm. 98. ® Ep. ı30 (Fragm. ı), Ep. ı22 (Fragm. 110; dies könnte durch einen Paroemio- graphen vermittelt sein). Calwt. ır (Fragm. 29). Ep. 104 brandmarkt höchst ergötzlich die Feigheit eines Öffiziers Johannes, der sich schließlich verkriecht AIkHN AvoyPAloy myöc. Das kann nur Zitat sein, kann nur ein Dimeter sein. Da liegt der Gedanke an die Epoden des Archilochos am nächsten. ® Ep. 95 ...NEMECIN" AYTH MENTOI CABÖC ECTIN TIEPI Äc TIPÖC AYPAN AlAOoMen, folgt Mesomedes an Nemesis 9—ıI, aus dem Gedächtnis zitiert, denn er schreibt Yrmd 1TAXYN AEI BIOTÄN KPATEIC für BIoTon meTpeic, weil ihm V.13 ZYrön META xeiPa KPAToYcA hin- einspielt. Mesomedes beginnt den Hymnos an Helios eYeAmeito TIAC AleHP, TÄ Kal TIÖNTOC KAI TINOlAl. Synes. 3, 72 EYoAmelTo AlehP Kal TA, CTAT® IÖNToc. Das ist ein altes Motiv hieratischer Poesie. Bersk erinnert an Aristoph. Thesm. 39, Lukian Tragodopod. 129; aber für Synesios liegt wohl Mesomedes am nächsten. Seine Nach- ahmung der Technopägnien hat einen Vers des Simias geheilt, Textgeschichte der Bukoliker 246. Natürlich ist ihm auch Theokrit geläufig, aus dem (15,4) z. B. Ane- MATA TA II, 635 stammt; er versteht mit dem Scholion Emimönoy. * Ep.148 geschrieben auf seinem Landgut, das er Ai ArxemAxoy nennt, die Bewohner Arxemaxitaı (nicht -ATAı): welches Nomen zu ergänzen ist, weiß ich nicht. Es ist die Bezeichnung des Landgutes nach einem Besitzer, die meistens zu einer ab- geleiteten Bildung führt, die auch hier dem Ethnikon zugrunde liegt. Das Gut lag tief im Binnenlande, am Rande der Wüste. »Ecrtin ArXeMmAxITAIc AYPIÖN TI TIOIMENIKÖN ... . Sie singen von dem Bocke und dem Hunde, der die Hyänen scheucht, von der Ziege, die zwei Lämmer warf, vom Jäger, vom Feigenbaum und Weinstock. Und der In- halt der Lieder sind AiTAceic ÄArAeön ÄNEP@TIOIC KAl ®YTolc Kal BOTOIc.« Der ganze Brief ist von entzückender Frische und Lebenswahrheit trotz aller stilistischen Spielereien. . . - von Wıramowrrz-MoELLENDoRFF: Die Hyinnen des Proklos und Synesios. 279 evangeliums stehen und kaum mehr als ein Cento alter Phrasen sind. Da in dieser Sorte Poesie weder Takt noch Rhythmus war, mußte sich ihrer die Kunstprosa bemächtigen, sobald etwas gebildetere Leute in die Gemeinde traten. Das gab eine Gliederung in Kköna und KöMMATA nach dem Sinne, gab dann icökwna und Schlußkadenzen und Reime. Da aus dem Syrischen des Bardesanes und dann des Ephrem immer neue Übersetzungen zuströmten, war diesem Stile die Zukunft sicher. Aus der Prosa stammen die Verse des Romanos usw. Nicht die Hymnen, sondern die Reden und vollends die KatacTAceıc des Synesios gehören in diese Kategorie. Seit dem 2. Jahrhundert hatten einzelne Kreise der Christen auch wirkliche Verse gemacht; sie hatten die je- weils herrschenden Formen ergriffen; klassizistische Imitation lag ihnen noch fern. Der Art sind die bekannten Stückchen der Valentinianer und Naassener, die Hippolytos anführt, ist der anapästische Hymnus, den Clemens für seine Katechetenschule verfertigt hat', und etliches andere. Je nach der Bildung ist das sehr verschieden: ein Methodios sinkt schon bis zur akzentuierten Dichtung, nicht weil er’s will, son- dern weil er’s nicht besser kann. Klassizistische Formen werden erst angewandt, nachdem das Christentum siegreich ist; Apollinaris ver- sucht viel, aber die Homerisierung der Bibel hat keinen Erfolg; dieser Weg führte rasch bis zum Cento hinunter. Gregor von Nazianz dich- tet vornehmlich, weil er sich aussprechen muß, für sich; daher die rezitativen Formen, Elegie und lIambus. Es bleibt derselbe Inhalt, wenn er einmal ein Gedicht eic rtn ayTo? vyxAn in Hemiamben kleidet; aber ein wenig klingt es an die Anakreonteen an.” Einmal macht er auch einen Hymnus auf Gott in Anakreonteen, die er ganz richtig von den Hemiamben zu sondern weiß, und sein Stil, mit vielen Anaphern und parallelgebauten Kömmata, berührt sich mit Synesios ebenso wie seine Lobpreisungen der Trinität und die ganze Gedankenwelt.” Nur braucht ı Er war mißhandelt und athetiert. Bei Sräarın I, Lxxvı habe ich das Versmaß erläutert. 2 TI coı eeneic reneceal ist der Ausgangspunkt. Darauf werden Lebensziele auf- gezählt, darunter e&neic TÄ TYrew coı ToY nYaloy reneceal .... eeneic TA Minew coı. V.64 wieder die Frage TI coı eeneic ren&ceAl; und nun kommt, was Gregor will, eeneic geöc reneceal. Wozu ihm dann der Flug gewiesen wird. Dann wendet er sich aber wieder an den Leib, und seine gewöhnlichen, von den Kynikern entlehnten Emp- fehlungen der eyreneia folgen. Der Schluß, oYTwc Men AYTöc AYTOI TIÄC TIC co®öc AANANEI, zeigt, daß hier von einem Liede keine Rede ist. Der Gyges stammt erst über die Anakreonteen von Archilochos. 3 Nach der Anrede an Gott, AI” Ön YMNoc, AI” ÖN AINOC Al” ÖN ÄrTEAWwN XOPEIA, AI” ÖN AlÖNec ATIAYCTOI, Al?” ön HAloc TIPONÄMTIEI, Al ÖN Ö APÖMOC CEAHNHC, AI” ÖN ÄCTP@N META KANNOC, Al’ ÖN ANGPWTIOC Ö CEMNÖC ENAXEN NOEIN TO BEION, AOTIKÖN ZWION YTIÄPXWN. Es folgt eine Präkonisierung der Trinität und Gebete um Reinigung und Erlösung. Über das einzelne kann man ohne kritische Ausgabe nichts Sicheres sagen. Wirk- liche Poesie ist nicht darin. 280 Gesammtsitzung vom 14. März 1907. man an wirklichen Gesang bei ihm nicht zu denken. Immerhin war es kein ganz neuer Weg, den Synesios beschritt; er empfand ihn aber so, denn er erst griff wirklich nach der hellenischen Lyrik, um ihr eine christliche zur Seite zu stellen, nicht als ein archaistisches, formales Experiment, sondern weil für ihn zwischen jener Form und diesem Inhalte kein Widerspruch bestand. Das ist an dem aufrichtigen Manne das merkwürdigste, daß von einem Bruche, einer Bekehrung keine Spur ist, auch nicht von der Zuversicht, daß ihm durch die Zauberkraft der Taufe die Sünden vergeben und die Anwartschaft auf ewige Seligkeit oder besser darauf Gott zu werden (denn so sagten die Christen) verliehen wäre. Er hat sein Hellenentum niemals abgestreift; er hat auch sein Christen- tum nicht plötzlich als etwas Neues angezogen. Die Kirchenhistoriker berichten, er wäre zugleich getauft und zum Bischof geweiht worden: dann war er also vorher noch kein Christ. In seinen großen Prosa- werken sieht das auch so aus. Aber in den Liedern gibt er sich als Christen, und andererseits hat er als Bischof in seinen persönlichen Beziehungen oder in der Haltung seiner Privatkorrespondenz keine Änderung eintreten lassen. Die ehronologischen Fixpunkte sind, so- weit sie hier in Betracht kommen, sicher genug. Nach seiner Heim- kehr von Konstantinopel, wo er mit Hingebung und Erfolg für seine Heimat eingetreten war, 402, hat er sich in Alexandrien verheiratet; seine Frau hat ihm drei Söhne geboren; er hat als Großgrundbesitzer und Mitglied der Kurie in beständigem Kampfe mit der elenden Re- gierung und dem ebenso elenden Militär gelebt, daneben seinen lite- rarischen Studien, bis er 410 in der Not, die ebenso von den auf- ständischen Kabylen kam wie von den schurkischen Beamten, zum Bischof gewählt ward und trotz seiner Erklärung, das Glaubensbe- kenntnis nicht voll anzunehmen, die Bestätigung des Patriarchen er- hielt.‘ Dann hat er gegen all die Feinde mit äußerster Hingabe ge- stritten, nieht viele Jahre, wie es scheint, und weiß man auch von seinem Ende nichts, so macht es doch den Eindruck einer Kata- strophe, eines Falles in Ehren. Wenn er das Bischofsamt annahm, so war das ein Opfer, das er dem Vaterlande brachte. Der Staat versagte. Seinen Paschas standzuhalten besaß allein die Kirche Macht. Der an Besitz, Ansehen und Mut erste Notable der Provinz fand in dem Bischofsamte die Stelle, von der aus er seine Heimat verteidigen konnte. Der Kirche kann man es nur zur Ehre rechnen, wenn sie sich den besten Mann als Bischof gefallen ließ, obwohl er seine ! Wie es mit seiner Ehe gegangen ist, deren Lösung er auch verweigerte, scheint sich nicht klarstellen zu lassen. von Wıramowrrz-MOoELLENDORFF: Die Hymnen des Proklos und Synesios. 281 Bedingungen auch auf dem Gebiete des Glaubens stellte. Der Pa- triarch war jener Theophilos, der das Sarapeion zerstört hatte und den heiligen Chrysostomos hatte stürzen helfen; ihm werden die Philosophie und die Gewissensbedenken des Synesios als unbequeme Marotten erschienen sein; aber nicht nur der Politiker kam ver- ständigerweise darüber hinweg, er kannte auch den Synesios genug, um ihn als Christen gelten zu lassen: hatte er ihm doch selbst seine Frau angetraut (Ep. 105, S. 248‘), und das wird doch keine »ge- mischte Ehe« gewesen sein. Gewiß ist es für die Literatur der Zeit um 400 höchst cha- rakteristisch, daß Synesios in den Reden von dem Christlichen ganz absieht: von wie vielen Gedichten des Claudian und noch des Sidonius, der es doch auch bis zum Bischof gebracht hat, gilt nicht das gleiche. Gewiß lehren auch seine Briefe, daß die Gesellschaft durch die neue Staatsreligion nicht zerklüftet ward. Ganze große Gebiete des geistigen und gesellschaftlichen Lebens wurden eben von dem neuen Kultus gar nieht berührt. Um so wertvoller werden Bekenntnisse eines in- dividuellen Glaubens, der aus den verschiedenen Quellen der Bildung und der Religion gespeist ward. Der VIH. Hymnos redet seinen Gott an MmAKAP AseıTe, TÖNE KYAIME mapeenovy; den Eigennamen meidet er.' Er bittet um ein Leben ohne ryrıH; bei Tag und Nacht soll ihm das Licht aus der Quelle des Nus leuchten (noerAc Arıd marAc). Er bittet um körperliche und geistige Gesundheit in Jugend (er fühlt sich also noch jung) und Alter. »Er- halte mir meinen Bruder, den du eben auf meine Bitte aus tödlicher Krankheit errettet hast, bewahre mir meine beiden Schwestern und meine beiden Kinder, birg das ganze Hesychidenhaus unter deiner Hand (rnwTAn TE CYNWPiAA TEKNWN TE »YAAccoıc, Onon HcyxiaAn AÖMoN YITd cAı xepi Kpyrıtoic). Erhalte mir auch meine Frau gesund und treu. Und wenn meine Seele aus der Fessel des irdischen Lebens gelöst ist, EzAINYCO TIHMATWN Kal neyraneac AYac’ und gönne mir, in den Chören der Frommen Lieder zu singen zur Ehre deines Vaters und deiner ! Das geschieht aus Scheu vor dem Fremdwort, da “IHcoYc sich nicht gräzisieren ließ wie Jerusalem in Cönyma. VII, 2. 3 wiederholt diese Verse, fügt aber ‘IHucoY Co- AYMHIE zu; mittlerweile ist jene Scheu gewichen. XPictöc steht auch nur einmal V 5. 2 46 aYac wird sich in dem überlieferten ATAc verbergen: die Ähnlichkeit ist so groß, und den Verstoß gegen die Quantität konnte Synesios nicht begehen. AYH kommt sonst allerdings bei ihm nicht vor, wenn nicht 3, 678 zu lesen ist meeYoIcA TAYKEI KPHTÄPI, AYAc EYAYcA KAKÖN, wo FYlac oder rYA überliefert ist. V.27 &Bi@cAo Kal NEKYN; überliefert &siocac mit Zerstörung des Verses. Synesios kannte seinen Homer: © 468 cY rÄP m Esiöcao KoYpH. Dieselbe Emendation heilt VII 33 Kal TAN EkAoHPAo für @xAeHPpac; das ist allerdings ein katachrestisches Medium, das nur aus Nikander belegt ist; aber das Gedicht hat keine katalektischen Verse, so daß die Katachrese sicher ist. 282 Gesammtsitzung vom 14. März 1907. Macht. Vielleicht stimme ich dann meine Leier wieder als eine man- ak#ratoc (ihr Klang ist dureh nichts Irdisches mehr getrübt)«. Da ist die Adresse ganz christlich, und der Sohn Gottes und der Jungfrau erscheint als mächtig in das Geschick des einzelnen Menschen ein- greifend, wenn auch das Gebet nicht auf ein einzelnes bestimmtes Eingreifen gerichtet ist. Die Erleuchtung aus der noerA rarA würde dagegen Proklos genau ebenso an seinen Gott richten, und das Ent- rücken aus Schmerzen und Fluch nach dem Tode gilt keinen Höllen- qualen, sondern der Befreiung von der Materie und den Schädigun- gen, die sie der Seele bringt: der Einzug in die Scharen der From- men ist nur in der sinnlichen Ausmalung von dem Eingang in den Hafen der Frömmigkeit verschieden, den Ianus und Hekate dem Pro- klos gewähren sollen. Verfaßt ist dieser Hymnos, als Synesios zwei Söhne hatte, also vor der Geburt des dritten, lange vor seiner Be- rufung zum Bischof. Er fühlt sich als Haupt seines ganzen Geschlechtes, das er ja auch sonst mit Stolz bis auf Herakles zurückführt'; den Namen “Hcyxiaaı, den auch in Athen ein Adelsgeschlecht trug, lernen wir hier: es ist für die Vernachlässigung des Gedichts bezeichnend, daß die Akzente rnwrAn und Hcyxiaan hingenommen sind und gar ein Hevxiaac = Hcyxoc erfunden. Daß er nur den einen Bruder Eu- optios, aber mindestens zwei Schwestern hatte, konnte man auch den Briefen entnehmen.” II, in der richtigen Ordnung”, seinem Umfange entsprechend, der erste Hymnus, ist allerdings durch zahlreiche Zusätze erweitert; aber gerade was durch Wechselbeziehungen und einheitliche Stimmung zusammengehalten wird, datiert sich sicher. »Auf, meine Seele, laß schlafen die Stürme der Materie, wappne dich mit dem Drange des Intellekts: wir flechten dem Könige der Götter einen Kranz‘, ein ı Epist. 57 in dem vernichtenden Erlaß des Bischofs gegen Andronikos rIPöc &me TON EI MHAEN Anno EE EKEINDN TENÖMENON ON ÄTT EYPYca&noyYc TOY KATATATÖNTOC TOYC AwPI&ac Eic CIÄPTHN MEXPI TOYMOoY TIATPÖC Al AIAAOXAI TAIC AHMOCIAIC ENEKONABEHCAN KYpsecin. Ähnlich KATÄCT. 2, 5. ® Ep.75 erwähnt er ein Epigramm auf seine Schwester Stratonike und nennt diese ®IATÄTHN TÖN AAen®ön: neben ihr hatte er also mindestens zwei Geschwister. Er selbst und sein Bruder führen nur Signa als Namen: Stratonike hat einen alten vornehmen Namen bewahrt. Der Vers des Epigramms TÄc xPycAc eikön A KYrpiaoc A CTPATONIKHIc ist nach dem AckaHrAaoyY A Tloceiainmoy, Plan. 68, gemacht. Kympiaoc KA’ EIKON EP’ IAWMesA MH BEPENIKAC" AICTÄZW, TIOTEPAI #AI TIC ÖMOIOTEPAN. ® Die Vulgata scheint ganz willkürlich; die glaubwürdigen Handschriften ordnen 3—6. 2. 7—9. 1; daß ıo nur Subskription eines Schreibers ist, wird unten gezeigt. * Der Kranz stammt aus dem Gebete des euripideischen Hippolytos 73, wie sich 394 deutlicher zeigt: cT&»oc EYArewn ATI NEIMON@N Col TOYTO TINekw. Das iam- bische Gedicht auf den Pädagogus des Clemens I 339 ist ganz aus derselben Stelle genommen. Wenn es 92 vom Dämon der Materie heißt elawnoxareic (so Laur., -Ac Vulg.) eYxaic cKYAAKAc Emiewyccwn, so stammt das aus Hipp. 219. von Wıramowrrz-MoELLENDoRFF: Die Hymnen des Proklos und Synesios. 283 blutloses Opfer, eine Spende von Versen. Dich, Schöpfer der Welt, singe ich auf dem Meere und bei den Inseln, auf dem Festlande und den Städten, auf den Bergen und wenn ich in den xaeınA rreala wandle«: die Gefilde sind berühmt, weil es die seines Kyrene sind; denn er freut sich, wieder in diesen weiten ebenen Fluren zu sein, da er eben von der langen Reise nach Konstantinopel heimgekehrt ist. »Dich singe ich zu jeder Tages- und Nachtzeit. n?n &c EPHMmAc AYnONA METAN NIBYAC EMoAON TIEZAN NOTIAN«': er ist auf seinem Gute Anchemachos, tief im Süden, am Rande der Wüste (Ep. 148). »Hier stört kein Äseon TIne?ma, hier kommt kein profaner Städter her: hier habe ich die Sammlung für mein Lied. Schweigen mögen nun alle Elemente, die Schlangen mögen sich verkriechen, und auch die geflügelte Schlange, der Dämon der Materie, der die Hunde, die an Idolen Freude haben, gegen mein Gebet hetzt; Vater, halte diese Hunde von mir fern und laß deine Diener meine Bitten zu dir geleiten.« Hier ist die Absage an die eiawan, an die falschen AAimonec im Gegensatze zu den Ärrenoı Gottes, ganz deutlich. Nun kommt die Präkonisierung des Dreieinigen und die Lehre, wie die Emanation des Göttlichen die ganze Schöpfung durchdringt, die denn auch in allen ihren Erscheinungen, bis zu Pflanzen und Gräsern, Wurzeln und Kräutern und allem, was da fleugt und kreucht und schwimmt, herab, Gott ein ewiges Loblied singt. »So sieh denn auch diese schwache Seele in deinem Libyen, die zu dir betet. Jetzt hab’ ich meinen Geist durch dies Gebet gekräftigt, hilf mir weiter durch deine Erleuchtung, damit ich nicht in die Sorgen versinke, aus denen ich mich zu diesem Liede an dieh und deinen Sohn erhoben habe. Dies Lied trage dir die Dankesschuld ab für den Erfolg meiner Reise nach Konstantinopel, auf der ich in allen Kirchen, in Thrakien und in Chalkedon, gebetet habe. Was ich mit bitteren Mühen für mein Vaterland erreicht habe, erhalte ihm, ver- leihe mir ein ungeschädigtes Leben und erhalte mir Leib und Seele unbefleckt.« Das wird das ursprüngliche Gedicht sein, bis V. 548, und jedenfalls ist bis hierher der Zusammenhang der großen Teile ganz gesichert durch die Beziehungen auf den Ort und die Veran- lassung des Gebetes. Aus dem Trubel der großen Welt ist Synesios in die vertraute Einsamkeit, aus dem Zentrum an den Rand der Zivili- sation, aus den Sorgen um das Reich und um seine Heimat zu der Sorge um die eigene Seele zurückgekehrt: das sind echte Gefühle, die erwecken Sympathie, mag auch die Metaphysik, in der er schwelgt, noch so befremdend sein. Dieser Metaphysik gelten die Gedichte IV. V. VI. I, zum Teil auch I; sie werden alle älter als VII sein. IV ist in vielem nur ! rıeza habe ich eben zu behandeln gehabt, Berl. Klass.- Texte V ı, 175. 284 Gesammtsitzung vom 14. März 1907. Variation, ja Wiederholung von Ill. VI gilt der Trinität, vornehm- lich der Tätigkeit des Sohnes. V nennt Christus geradezu; II, in dem besonders viel steht was für moderne Kirchenlehre, zumal pro- testantische, ganz unchristlich klingt, führt die christliche Trinität gerade besonders deutlich vor: 25 mia Tara, Mia Piza, TPISANC Enamre MOP$A' INA TÄP BYeöc TIATPwioc, TÖeI Kal KYaImoc YIöc, KPAAIAIÖN TI AÖOXEYMA, CO®lA KOCMOTEXNITIC, ENOTHCIÖN TE »Erroc Ärlac Enamye TInoıAc (so sagt er immer, nie mne?ma). Auch in I, dessen Trinität (TPıköpymsoc AnkA 67) am wenigsten christlich gefärbt ist, fügt sich alles der sonstigen Dok- trin. Also überall wird die christliche dreieinige Gottheit bekannt, und schon in Konstantinopel hat Synesios sogar die Hilfe der niederen Geister des christlichen Himmels, der Märtyrer, aufgesucht. Die Tri- nitätslehre selbst ist freilich im Grunde nur eine Spielart der Spe- kulation, die wir neuplatonisch nennen, und die Gedanken ebenso wie die Bilder, die das Unvorstellbare erläutern sollen, führen auf Iam- blich und die chaldäischen Orakel zurück', während auf die heiligen Bücher der Christen höchstens einmal eine Wendung deutet.” Immer wieder ist die transzendente Gottheit (der Vater) Quelle, aus der die Kanäle hinabführen bis in die materielle Welt, und Wurzel, und Licht, das herunterstrahlt. Sehen wir zur Probe I. tmAnı »erroc, TIANIN Auc, TTANIN ÄMEPA TIPOAÄMTIEI METÄ NYKTISOITON ÖP@nAn. Von der Freude am jungen Tageslicht des Morgens schwingt sich der Hymnus empor zu der Quelle alles Lichts, der extramundanen Gottheit jenseits der achten Fixstern- sphäre. Er feiert sie mit den oben zitierten Versen als die christliche Trinität. ösen Erköcmioc HAH xoPöc Aveltwn AnAKTwN (der Erzengel oder auch der Sterngötter) rener#riön Te KPAoc T6 TE TIPWTöCTIOPON elaoc (Gott Vater und Gott der Sohn) noeroic Emenven YMNoIC TIEAAC EYMENÖN TOKHWN, CTPATOC ÄTTENWN ÄTHPWC, TÄ MEN EC NÖON AEAOPKÜC APETIETAI KAÄNAEOC ÄPXÄN (der Nus ist zugleich der Heilige Geist), TA A’ &c Äntyrac Aeaopküc AleTıei BENGEA KÖCMOY, TON YTIEPBE KÖCMON EnKWN NEÄTAC Kal MEXPIC Yaac. »Der An- blick gibt den Engeln Stärke, da keiner dich ergründen mag.« Wer der Sprache frei genug gegenübersteht und die Luft dieser Spekula- tionen atmen kann, wird die Parallele berechtigt finden. Die andere Parallele, mit dem Gebet des Proklos an die Sonne, wird noch eher einleuchten. ı Z.B. der mATPIköc gyeöc und die eeoepemmon cırA (Proel. in Tim. Il 92 Dıear) in Il 22. 27. Mit den Valentinianern hat das direkt nichts mehr zu tun; übrigens ge- hören diese Spekulationen philosophierender Christen natürlich mit der Theosophie des Chaldäers ebenso zusammen wie die christliche Trinität des 4. und 5. Jahrhunderts mit Jamblich und Proklos. Die aörIA werden in 11. EnYrinion oft zitiert. 2 ]V 124 heißt es von dem Sohne TIPoeoP@N AE MENEI TÖNOC EC TENETAN. Diese Wendung, in der eic eigentlich falsch ist, findet ihre Rechtfertigung in Ioh. 1, 1: 6 Aöroc ÄN TIPÖC TON BEON. von Wıramowırz-MoELLENDoRFF: Die Hymnen des Proklos und Synesios. 285 Rs liegt mir fern, die Metaphysik des Synesios im einzelnen zu erläutern. Die Emanation wird über Ärreroı und Hrwec und die Elementar- geister (IV 175) herabgeführt bis auf die bösen Dämonen (die sich auch zu der Einheit des christlichen Teufels verdichten, gegen den ein persönlicher Schutzengel erbeten wird, IV 264); das Schlagwort ceırA fehlt nicht.‘ Und unerschöpflich sind die Versuche, die unvor- stellbare monäc der Gottheit und ihren Übergang in die TPıÄc zu ver- anschaulichen. Dabei hat die Dreieinigkeit des Iamblichos” wesent- lich geholfen: der hatte ja diese Lehre ausgebildet, als die christ- liche Theologie sich noch sehr wenig bemühte, die Dreiheit ihres Taufformulars begrifflich auszugestalten. Man sieht leicht, wie un- berechtigt es ist, diese Theologie aus sich, womöglich gar aus der Bibel, abzuleiten, gleich als ob die Christen von der jeweilig neben ihnen gelehrten Philosophie hätten absehen können, auch wenn sie sich so gebärdeten. Sie dissimulieren die Herkunft ihrer Gedanken, ganz wie es der Jude Philon tut. Eben durch diese Übereinstimmung der theologischen Doktrinen ist Synesios zum Christen geworden. Ihm wurden die metaphysischen Abstraktionen des Neuplatonismus, an die sein Verstand glaubte, in der christlichen 'Trinität Konkreta, und da- nach verlangte seine Religiosität. Der echte Platon war für ihn, war eigentlich seit Speusippos und Aristoteles überhaupt verschlossen. Die Götter des Olymps mochte er sich nicht durch Umdeutungen, die einem Proklos genügten, gewaltsam halb lebendig machen. Sie waren ihm höchstens Metonymien; als persönliche Götter existierten sie seit Jahr- hunderten nur für den Pöbel der Griechen und Christen; denn auch dieser Pöbel glaubte an sie, wenn auch als Teufel. Und Dämonen, den rAeH ausgesetzt, waren sie auch für Proklos. Dagegen bekannten die Christen die Götter der Philosophie, den Vater, den platonischen Gott; aber er war ihnen eine Person, die Liebe finden und erwidern konnte, nicht in unnahbare Jenseitigkeit gebannt. Und vollends der stoische Gott (das ist, kurz gesagt, die zweite Person der Trias) war als Christus eine volle, göttliche Person. Wie sollte die Lehre nicht Wahrheit sein, die mit der philosophischen im Einklang zugleich das Bedürfnis einer Seele erfüllte, die eines persönlich helfenden ! 4, 192: die Seele hängt an Gottes ceiPA. 3, 289 die ArrenıkH ceIiPA ganz wie bei Proklos. »Stufenreihe« würde jene moderne Metaphysik sagen, die die Emanation als Evolution umgedreht bekennt. Tö ceipalon nennt es auch TI. EnYrin. 12 in einer wichtigen, aber korrupten Partie. ?2 Damaskios 11. APx@n 54 TIATHP A Yrrapzıc, AYnamıc TÄc YrIApzewc, NöHcic THC Aynämeuoc. Vel. 120. Dort auch in Kürze die Einheit trotz der Trennung. Ein Unter- schied ist in den Begriffen selbst kaum vorhanden; aber bei Iamblich sind es eben nur Begriffe, bei Synesios sind es Personen. Das aristotelische, das für lamblich sehr wichtig ist (das Seiende als oYcia, AYNaMmic, Enepreia gefaßt), ist ganz ausgeschaltet. 286 Gesammtsitzung vom 14. März 1907. Gottes bedurfte? Die unzähligen Mittelwesen, einschließlich der Stern- götter und der Heroen (die ja Heilige und Märtyrer sein konnten), fanden in dem christlichen Monotheismus genau ebenso Platz wie in dem philosophischen; der Gegensatz Monotheismus und Polytheismus, ein Erbe jüdischer Arroganz, hat überhaupt in dem Gegensatze von Griechentum und Christentum keinen Sinn. So war Synesios durch die Philosophie ein Christ geworden, lange, ehe er in die Kirche trat. Ob ihn heute ein Christ als Glaubensgenossen anerkennen mag, darf man verneinen. Was ihm das Mysterium Gottes erklärte, die Drei in der Eins, hat für keinen Menschen mehr Sinn und Wert. Anderer- seits existierte für ihn nicht nur das ganze jüdische Erbe im Christen- tum nicht, einschließlich Paulus, sondern auch die Lehre und das Leben und Sterben Jesu war ihm ohne Bedeutung: ihm war der Christus in seiner lebendigen Gegenwart nahe, der als Demiurg bei der Weltschöpfung tätig gewesen war und in dem die Seele der Welt und die des Menschen ihr Leben hatte. Auferstehung und Weltende verwarf er ausdrücklich. Und doch hat ihn die Kirche zu ihrem Bischof gemacht. Auch ihr lag eben damals mehr an der Metaphysik als an dem Evangelium von Jesus und vollends an der Lehre Jesu. . Allerdings entschied Theophilos; Chrysostomos würde wohl anders verfahren sein. Doch hat sicherlich den Ausschlag gegeben, daß Sy- nesios als tüchtiger Mann den gefährdeten Posten verteidigen konnte, wie bei ihm die Hingabe an sein Vaterland dafür bestimmend war, daß er in die Kirche trat. Diese als Selbstorganisation der Gesell- schaft hatte ihre Kraft und ihr Recht ganz unabhängig von aller Theologie; als solche hat sie den Sieg behalten, obwohl ihre Theo- logie sich ganz dem Neuplatonismus ergab. Menschen derselben Zeit und Bildung stehen einander in ihren religiösen Bedürfnissen sehr viel näher, auch wenn sie ihren Göttern verschiedene Namen geben, als denen, die in anderen Zeiten dieselben Namen anwenden. So denn auch Proklos und Synesios. Der Unter- schied ihrer Stellung und Sinnesart macht sich gewiß darin fühlbar, was sie für äußere Dinge erbitten. Aber nicht diese Anliegen treiben sie eigentlich zum Gebete; als Synesios den VII. Hymnos dichtet, ist ihm durch das Christentum Gott persönlich schon viel näher gerückt, so daß er ihm mit Fürbitten für seine Lieben zu nahen wagt; aber auch da ist doch sein Gebet noch im Sinne des Porphyrios (bei Proklos in Tim. I 203 DieHL): En @poypAı ÖnTec ol TÄC APETÄC ANTEXÖMENOI Kal YTTÖ TO? CWMATOC WC AECMWTHPIOY CYNEIAHMMENOI ACICBAI TÖN BEWN Öwelnoycı TIEPI TÄC ENTETSEN METACTÄCEWC. KAi WC TIAIAAC TIATEPWN ÄTIOCTTACBENTAC EYXECBAI TPOCHKEI TIEPI TÄC TIPÖC TOYC ÄnHEINOYC HM@N TIATEPAC ETTANÖAOY .. ... MEPOC ÖNTAC TO? TIANTÖC AeiceAlı TIPOCHKEI TO? TIANTÖC" TIANTI TÄP H TIPÖC TÖ OAoON . . m von Wıramowrrz-MortLtendorrr: Die Hymnen des Proklos und Synesios. 287 EIICTPOSN TIAPEXETAI THN CWTHPIAN. Darauf läuft bei beiden Dichtern jedes Gebet hinaus. Der Professor vor seinen Büchern und in schlaf- loser Nacht, der tatenfrohe Grundherr, wenn ihm auf der einsamen Farm am Wüstenrande oder auch an einem frischen Morgen in dem Trubel der Stadt eine stille Stunde gegönnt ist, beide sehnen sich hinaus aus dieser Welt, fühlen: sich schon durch ihre Leiblichkeit be- tleekt, und Heimweh packt sie nach dem reinen Liehte und dem Frieden Gottes, aus dem ihre Seele verstoßen ist. Wohl hatte einst Platon ähnlich empfunden; aber er trug den. Eros im eignen Busen, der seiner Seele die Fittiche wachsen ließ. Diese Menschen sind sich be- wußt, daß ihnen eine rettende Hand von oben kommen müßte; sie fühlen sich beschwert durch ihre Sündhaftigkeit (der Neuplatoniker weit mehr als der Christ), und sie fürchten sich vor den Teufeln ihrer Religionen, die für die reinere des Platon und Kleanthes nicht exi- stierten. Gegen die helfen wieder nur andere Dämonen, das sind die Mittler, die Proklos ruft: der Christ wendet sich an seine Gottheit selbst, aber er bittet sie, ihm einen Schutzengel zu senden. Die Sehnsucht richtet sich bei beiden noch nach dem Anschauen der ewigen Schönheit: platonisches Erbe. Es umgab sie eine fratzenhafte Welt und eine verschlissene Kultur; davon werden beide wenig empfunden haben. Aber die Natur ist immer schön: für sie hat nur Synesios Gefühl', wie ja nur er ein Dichter ist. An ihrem Busen hat auch Gregor Frieden gesucht; aber er fand ihn selten: wer gewöhnt ist, sich mit der Masse an lauten Festen und mehr noch an den eigenen Reden zu berauschen, dem wird bang in der Stille, auch wenn er sie sucht. Gregor hat dann kynische Anwandelungen, hat ja auch stark die kynischen Moralisten gelesen.” Bei den beiden anderen fällt auf, wie stark das Moralische zurücktritt. Den prächtigen Menschen Synesios zeigen dafür seine Briefe. Herz und Kopf auf dem rechten Fleck, steht er zwischen schwarzen und weißen Kutten, schurkischen Purpurträgern und federgeschmückten Wilden, furchtlos und treu. Er sagt uns, und wir glauben ihm, daß er den Tod nicht fürchtet, denn er fügt hinzu, daß er nicht versichern könne, für den Verlust von Weib und Kind unempfänglich sein zu können, wie es die starre Stoa verlangte.” ı TT.ENYTIn. 15 Er& A’ Er” EmAaYToY rÄP AlAw, Kal TAlcAE TAIC KYTAPITTOIC TIPOCAIAQ, YAwP A& TAYTI PEI AIÄITTON APÖMON 0Y MEMETPHMENON. ®2 Es wäre reizvoll, noch das Kathemerinon des Prudentius zu vergleichen; der Christ des Abendlandes, dessen Bildung in dem rhetorischen Formalismus der Lateiner wurzelt, steht dadurch zu den drei Griechen in demselben Gegensatze; aber man spürt auch ein anderes Christentum, das uns christlicher scheint, weil es okzidentalisch ist. 3 Ep. 132 AeÄcAN A& ÄTIOENHICKEIN, EYTAYEA TO EINOCOPlAC ÖBENOC, TO MHAEN Hreic- BAl AEINÖN TO ANAXWPÄCAI TOY BYnAkloY TÖN KPeyanion (da ist der Kynismus). ei ae TIPöC TÄN FYNAIKA KAl TÖ TIAIAION ATEFKTOC EcoMmAl, TOYTO AC 0Y CoÖAPA AlIErTYÖMAI. Sitzungsberichte 1907. 29 288 Gesammtsitzung vom 14. März 1907. Damals hatte er erst einen Sohn. Es war ihm beschieden, drei zu lieben und zu verlieren. Längst war er Bischof; da redet er ge- schäftsmäßig von der Gründung eines Klosters, aber wenn er sich über den Tod seines letzten Sohnes zu trösten versucht, so hilft ihm kein Bibelwort, sondern er greift nach Epiktet.' Es sind noch zwei Hymnen übrig, anderer Art, mythologische, denn die neue Religion hatte auch ihre Mythologie, und Synesios hatte gesagt, er könnte wohl Bischof sein, TA men oikoı sInoco@@N, TÄ A’ €zW #ınoMmye®n (Ep. 105). So hat er denn auch seine Poesie an diese MmFeoı gewandt, und es ist ihr nicht schlecht bekommen. In VII freilich kommt die Geschichte der Magier noch nicht recht heraus. Nach der stolzen Versicherung, daß er zuerst diesen nömoc, dieses lyrische Lied zum Saitenspiel, für Iuco?c ConymHıoc erfunden habe, und einer philosophisch-dogmatischen Präkonisierung seines Wesens läßt er die Magier bei dem Aufgange des Sternes fragen Ti TÖ TIKTÖ- MENON BPESOC; TIC Ö KPYTITÖMENOC GEÖC; BACINEYC, NEKYc A eeöc”; sie rufen nach Myrrhen, Gold und Weihrauch. Oeöc ei, niBanon AexoY. XPYcön BACINET HEPWw. CMYPNHI TAsoc Äpmöceı. Mit diesem frostigen Spiele ist die Geschichte abgetan. Es folgt eine Aufzählung der Taten des Gottes: KAl TÄN EKABHPAO KAl TIÖNTIA KYmaTA (genau wie Pindar und Euripides von Herakles reden) und Luft und Hölle, d.h. alle Reiche der Materie. Zum Schluß werden die drei letzten Verse des Proömiums wiederholt, wie bei Proklos VI. Sehr viel gelungener ist IX auf die Höllenfahrt Christi. Wie er die befreiten Seelen dem Vater als seine Kinder zuführt, und wie dann alle Elemente dem Sieger zujubeln, der in sein Reich heimkehrt, das entbehrt nicht der Großartigkeit; man muß nur der Sprache, die soviel aus einer andern Mythologie borgt, und dem Synkretismus der philosophischen Vorstellungen gerecht werden. Nicht Christi, wohl aber Mariä Himmelfahrt hat die Kunst in ähnlicher Weise zu einem jJubelnden Triumphzug durch das All gestaltet; an Correggios Kuppel- gemälde im Dome zu Parma mag man denken. Der Kunst gegenüber wird es uns nicht schwer, die Stimmung zu finden, die dem kirchlich- weltlichen, christlich-heidnischen Gemische gerecht wird. Ist es zu- viel, auch für Synesios dasselbe zu fordern? Ist das übersinnlich- sinnliche Bild nicht wahrhaft poetisch, wie sich der Gottessohn, der in die materielle Welt hinabstieg, nach errungenem Siege hinübersehwingt ! Ep. 126. Mit dem euripideischen oimoı' TI A’olmol; eNHTÄ rÄP TIETIÖNGAMeN be- ginnt er, dann teilt er die Trauernachricht mit, AnnA T6 re AörMma TIEPI TO? MHAEN EINAI TON oYK &®’ HMIN ATABON H KAKON ETI TIAP &Mmol cOITeTAl. Am Schluß erwähnt er KTizw TO ÄCKHTHPION KAl ÄTNÄ CKEYH TIAPEYTPETTIZOMAI. 2 Überliefert nexyc A eeöc A Bacınefc. von Wıramowırz-MorLLENDORFF: Die Hymnen des Proklos und Synesios. 289 über die äußerste Sphäre des Kosmos in das Jenseits, seine trans- zendente Heimat, aus dem Lichtmeere und den Akkorden der Sphären- harmonie in die zeit-, bewegungs-, handlungslose Ewigkeit? Der Hymnus ist in den meisten Ausgaben verstümmelt: ich bringe ihn als Probe zum Abdruck und lasse einen Teil in Übersetzung folgen. TTonYHPATE KYAIME, CE MAKAP TÖNE TIAPEENOY YMND CoAYMHIaoc. 4 ÖC TÄN AONIAN TIATAN, XEÖNION METAÄNWN ÖBIN TIATPÖC HAACAC ÖPXÄTUN, 7 ÖC KAPTIÖN ÄATI®MOTON, *TPO®ÖN APFTANEOY MÖPOY, TIÖPEN ÄPXEFÖNW@I KÖPUI. 10 CTEPANHPÖPE KYAIME, CE TIÄTEP, TIAl TIAPBENOY YMNÖ ConYMHIAoc. 13 KATEBAC MEXPI KAl XB0NdC ETTAHMOC EwAMEPOIC BPÖTEON SOPEWN AEMAC. 16 KATEBAC A’ YTIÖ TAPTAPA, YYXAN Öel MYPlA OAÄNATOC NEMEN Eonea. 19 $PIEEN CE TEP@N TÖTE AÄIAAC Ö TIANAITENHC, KAI AAOBÖPOC KYWN 22 ANEXÄCCATO BHNAOY. AYCAC A’ ATI TIHMATON YYXAN ÖcloYc XoPoYc 25 BIACOIC EN ÄKHPÄTOIC YIoYc ÄNArEIC TIATPI. 27 CTEBANHPÖPE KYAIME, CE TIÄTEP, TIAl TIAPGENOY YMND ConYMmHIAoc. 30 ÄNIÖNTA CE KOIPANE TA KAT” HEPOC ÄCTIETA TPECEN EeNEA AAIMÖNUN, 33 OÄMBHCE A’ AKHPÄTON XOPÖC ACTIETOC ÄCTEPWN, AIBMP A& FENÄCCcAC 36 CO®ÖC ÄPMONIAC TIATHP EZ ETITATÖNOY AYPAC EKEPÄCCATO MOYCIKÄN 39 ETIINIKION Ec Menoc. MEIAHCEN "EwcööPoc Ö AIAKTOPOC ÄMEPAC, 42 KAI XPYceoc "Ectiepoc KYeepHloc ÄCTHP. KA MEN KEPÖEN CEAAC 45 TIAHCACA POOY TIYPÖC ÄFEITO CenÄNA, TIOIMHN NYXION BEON. 48 TÄN A’ EYPYoAA KÖMAN TITÄN ETITETÄCCATO ÄPPHTÖN YTT” IXNION, sr EINW AE TÖNON 8E0% TON ÄPICTOTEXNAN NÖON, IAIÖY TIYPÖC ÄAPXAN. 54 CY A& TAPCON ENÄCCAC KYANÄNTYFOC OYPANO?F YTIEPHNAO NÖTON, 57 C®AIPHICI A” ETIECTÄEHC NOEPAICIN AKHPATOIC, AÄTABÖN del TIATA. 6o ENB’ OYTE BABYPPOOC ÄKAMANTOTIÖAAC XPÖNOC XEONÖC EKFONA CYPWN, 63 OY KÄPEC AnAlAeec BABYKYMoNoC YAaAc, AAN” AYTOC ÄTHPAOC 66 AION Ö TIANAITENNC NEOC ÜN ÄMA Kal TEPUN TÄC AENAOY MONÄC 69 TAMIAC TIENETAI BEOIcC. 7—12.15 fehlen in einem Teile der Codd. und den Ausgaben außer Boıss. 9 koYPpoy Laur., KoYPan Barb., noepAn Boıss. 15 BPÖTEION #EP@N verb. Boıss. Hinterher haben viele Codd. 6 BAPYceen#c AHmoBöroc, das letzte Variante zu nAoBÖPoc, das erste ergibt die Variante des Verses KYun Ö BAPYceenfHc. 26 Ymnoyc An. Codd. 27—30 er- halten wie 7—ı2; rATer fehlt in Laur. 56 nötwon Codd. 57 Erreräcenc Codd. »Hinabstiegst du bis auf die Erde, weiltest unter den Tages- menschen in sterblichem Leibe. Hinabstiegst du in die Unterwelt, wo der Tod die unzähligen Scharen der Seelen weidet. Da schauderte vor dir der greise Hades, der Urwelt Sohn, und von der Schwelle wich der völkerfressende Hund. Du erlöstest von ihren Qualen die Scharen der reinen Seelen und führst in seligen Reigen die Söhne dem Vater zu. Sieggekrönter ruhmvoller Vater, dich singe ich, Sohn der Jungfrau von Solyma. Als du emporstiegst, zitterte vor dir das unendliche Heer der Luftdämonen.' Es staunte der reinen? Gestirne ! Die unreinen, den TIÄ8eH unterworfenen Dämonen bewohnen den Afp, die sub- lunare Welt, nach der bekannten, am Ende posidonischen Lehre. * ÄKHPATOC brauchte er richtig für alles, was keine kAr verletzt (W. Scaurze qu. ep. 233). Die KArec YaHc (64) sind die mAeH. Weil die Materie ein TIASHTÖN und MeTa- BAHTÖN ist, ist alles, was zu ihr gehört, #8APTöN und EriikHron. Die Sterne sind schon jenseits der materiellen Sphäre, sind demnach auch göttlich. 29* 290 Gesammtsitzung vom 14. März 1907. unsterblicher Chor. Der Äther! lachte, der weise Vater der Harmonie, und ließ die Musik der sieben Saiten seiner Laute zusammenklingen in ein Siegeslied. Es lächelte Phosphoros, der Vorbote des Tages, und der güldne Hesperos, das Liebesgestirn. Der Mond füllte seine Sichel zum Rund und führte den Strom des Lichtes” als Hirt der nächtlichen Götter. Die Sonne breitete ihr weithinleuchtendes Haupthaar unter deinen unnennbaren® Schritt; sie erkannte den Gottessohn, den höchsten Weltenkünstler Nus', die Urquelle ihres eigenen Lichtes. Und du schwangest deinen Fuß, übersprangest den Rücken der blauen Him- melswölbung und betratest die ewigen Sphären des reinen Nus, wo die Quelle alles Guten ist, den Äther, von dem wir schweigen, wo weder der unermüdliche Lauf der Zeit die Kinder der Erde in seinem tiefen Strudel treibt, noch die mitleidlosen Keren der tiefströmenden Materie, sondern die Ewigkeit, ohne Alter vom Anfang her, jung und alt zugleich, den Göttern’ das ewige Leben spendet. « Anhang. Zur Textkritik der Hymnen des Synesios. Die Versmaße der Hymnen sind verschiedener Herkunft. VI kann seine Pha- läceen oder besser ionischen Trimeter vielleicht direkt von den Klassikern haben; wenigstens versagt die späte metrische Doktrin, aber da eine Inschrift der Kaiserzeit Ähnliches zeigt, mag die Praxis reicher gewesen sein.° Die Anakreonteen (I. II) waren vulgär; aber wenn neben den gemeinen Formen vo u-23u-- auch w-- -u-- auftritt, so wird man damit nicht Vereinzeltes bei späteren, was Nachlässigkeit sein ! Der Äther, das reine Feuerelement, aus dem die Sterne bestehen, kann daher als der Urheber der Melodie gelten, in der die Sphären der sieben Planeten zusam- menklingen. ®2 Der bofc mıypöc ist das Sternenheer, fließend gedacht wie der ranazlac. Pöoc ÄCTEPO@N 2, 16. TIOIMHN ACTEPwON vom Monde ist uns vertraut; im Griechischen fällt es auf. 3 Da die Prädikate des Göttlichen bereits für minder hohe Wesen verbraucht sind, ist die wirkliche Gottheit, wie sie in den Personen der Trinität sich darstellt, als AppHtoc und ähnliches prädiziert; das Errekeina, wie die Neuplatoniker sagen, das Reich der »transzendentalen« Gottheit oder auch des Nus, in das sich der heimkehrende Sohn schwingt, ganz eigentlich aus der Weltkugel hinüber, dorthin, wo auch der aristo- telische Gott zu Hause ist. Von diesem Reiche läßt sich nichts sagen, nur schweigen: es ist ein OYPANÖC CITWMENOC. 4 APICTOTEXNAC TIATEP hat Pindar den Zeus von Dodona angeredet; das hat Posei- donios auf seinen Gott angewandt, und so ist es bei dessen Ausschreibern, Dion, Plu- tarch, und weiter Neuplatonikern und Christen für den Demiurgen häufig (dies Ver- hältnis wird aus den Zitaten zu Pind. Fragın. 57 klar). Hier kommt es Christus zu, weil Synesios an der zweiten Person besonders die Tätigkeit als Schöpfer hervorhebt, mit der sich der Vater, der platonische Gott, nicht bemengen kann. ° Natürlich sind das nicht die drei Erscheinungsformen der monAc, sondern die in die Gottheit eingegangenen erlösten seligen Seelen. ° Ich habe das in den Melanges Weil zusammengestellt und erläutert. Von Sappho hat das Berliner Bruchstück wirkliche Phaläceen gebracht. Es ist nicht sicher, daß sie solche Trimeter gebaut hat, die gegen das äolische Gesetz der Silbenzählung verstoßen. von Wıranuowrrz-MoELLENDORFF: Die Hymnen des Proklos und Synesios. 291 kann!, sondern die Praxis der Tragödie vergleichen, d.h. aus ihr auf Anakreon schließen. Eigentümlich ist das Maß von VII—IX ss - wu - u -. Aristophanes hat es oft, KATÄ cxecın gebaut mit der Katalexe, die die Reihen abschließt; aber er baut es So: & -uu- u -, das ist das Telesilleion Aa’ "Arptemic & köpaı. Das Kolon, wie es Synesios hat, ist wohlbekannt: rö men Arxınöxoy menoc (Pindar, Ol. IX r), cr men ö matpic InıAc (Eur. Hek. 905); beides sind Spielarten eines ionischen Dimeters, aber die Form nicht identisch. Synesios wird es für hyperkatalektische Anapäste gehalten haben wie der Pindarscholiast. Die katalektische Form u u - vu -— - wendet er in VIII und IX regellos an, während VII sie meidet: er wird sie in den Vorlagen ge- funden und nicht als Katalexe erkannt haben.” V besteht aus spondeischen Parömiaei, also aus lauter Längen. Hier kennen wir eine Vorlage, die ersten Verse von Meso- medes Hymnus an die Sonne; aber dem ist der spondeische Bau bald zu schwer ge- worden. Daß klassische Vorbilder nicht gefehlt haben, zeigt eine Strophe im Mysten- chor der Frösche, 372: xöPpel NYN TIÄC ÄNAPEIWc eic TOYC EYWAEIC KÖATIOYC NEIMON@N ETKPOYWN KÄTIICKOTIT@N KAl TIAIZWN KAI XNEYAZON, APICTHTAI A” EEAPKOYNTWC.® III. IV sind anapästische Monometer der Form ss, ss =, also fälschlich ohne Synaphie, die überall wider die klassische Sitte von Synesios aufgegeben ist. Diese Monometer schon im Hyınnus des Clemens. Anapäste, aber noch in Synaphie, zeigt ein Gedicht aus dem offiziellen Kult bei Aristeides 47, 30. Gleichgebaute Gedichte unbestimmter Verwendung wird Heft V, 2 der Berl. Klass.-Texte bringen. Unserem Ohre ist das Geklapper der Monometer unausstehlich. Im ganzen ergibt sich, daß Synesios die Klassiker kannte, aber im wesentlichen an moderne lyrische Hymnen, z. B. Mesomedes, ansetzt; nur christliche Vorbilder hat er nicht gehabt. Rücksicht auf den Akzent, der seine Kunstprosa beherrscht, vermag ich nicht wahrzunehmen; dagegen ist die Assonanz einmal mit bewußtem Effekte ver- wandt, 5, 38: XAIPOIC &® TIAIAÖC TIATA, XAlPOIC ® TIATPÖC MOPoA, XAIPOIC ® TIAIAÖC KPHTIIC, XAlPOIC ® TIATPÖC C&PHFIC, XAlPOIC & TIAIAÖC KAPTOC, XAlPOIC ® TIATPÖC KAnnoc. Es wird recht deutlich, daß der Reim nur ein Schmuck der prosaischen Rede ist, die Sinnesglieder absetzt. Von den gelehrten Reminiszenzen der Sprache ein paar Proben. ZEIAWPOI TINOIAI 3, 303, ZEIAWPOC AIDA 5, 27 ist nach der herrschenden Etymologie von zAn her gesagt, nach der schon Euripides umgekehrt Bi6awroc xe&ön Hipp. 749, aber auch Empedokles 151 zeiawpoc AsPpoAitH sagte. 3, 335 entsetzt man sich über mATeIPA »Ycıc: das hat Synesios in seinem Homer £ 259 gelesen, wo Aristarch richtig AMmATEIPA ! G. Hermann, Bl. doctr. metr. 491. Wer die Gedichte, auch einzelne der Ana- kreontea, genau liest, wird solches Korrigieren unterlassen, wie z. B. Hanssen in Rosssacas Metrik IIP, 86r sich erlaubt. ? G. Hermann, El. doctr. metr. 420, der die Verse selbst für Anapäste hält, mißt vu - wu vu, eine Ungeheuerlichkeit, und schilt den Synesios, weil er die zwei Kürzen zusammengezogen hätte. 3 Die Ausgaben verkennen den einen katalektischen Monometer und geben daher Unmögliches. Der akatalektische Abschluß ist sehr bemerkenswert. Gedichte in Parö- miaci kennen auch die Lateiner; Prudentius, cathem. X, Anthol. Lat. 1523. 1524 Bücn. 292 Gesammtsitzung vom 14. März 1907. eeßn gegen Zenodot und Aristophanes herstellte. 3, 420 MEPIMNAI AIEPÖN MEPÖTION er- gibt mit keiner der anerkannten Bedeutungen von Alepöc (AIYrPoC, XAWPöc, ENAIMOC, ZÖN) einen Sinn. Alepöc BPoT6c steht z 201; da hat Kallistratos AYePröc, KAKOTIABHTIKÖC ge- schrieben. Das paßt; fraglich ist nur, ob zu ändern ist, wie ich vorziehe, oder Synesios alepöc so deutete. Die Analyse der Sprache, die viel mit der gleichzeitigen Dichtung gemein hat (mit Proklos z. B. KPAAIAloc 2, 39), anderes der Philosophie entnimmt und wieder anderes den Klassikern, würde viele Worte fordern; die Stilanalyse auch, und beides würde nur bei weiter Umschau nützen. Ich gebe nur noch kritische Bemerkungen und verzichte, wenn auch ungern, auf Herstellung aus Handschriften (wie 4, 123 MonÄc Ä TPIttYc in Laur. für moNAc El TPIÄC ON aus 3,211 in den andern, #eITAN 5,20 statt SNATAN in einem Monacensis) und die Angabe der zahlreichen Korruptelen, die ich nicht heilen kann. Die Überlieferung war mir äußerst befremdend; jetzt habe ich eben in Nonnos und den Epikedeia für die Professoren von Berytos Analoga gefunden und erläutert. Die Hymnen sind mit Varianten ediert; Wörter, Verse, vielleicht sogar Versreihen, standen am Rande. 3,75 CTATw A’ AHP vulgo richtig; A’ Yawp Laur. Barb. — 3, ıı5 TIÄTEP Inaei Mol Ei TIOY TIAPÄ KÖCMON, Ei TIOY TIAPÄ MOIPAN TON CÖN €eiron. Das sind zwei Fassungen, ei TIAPA K. und TIOY KATA Kk. Nach der zweiten hätte er alles richtig ge- macht; das liegt ferner und scheint anmaßend. Aber in dieser unperiodischen, unver- bundenen Rede ist der Gedankengang oft erst durch weiteren Umblick zu gewinnen, und das Absonderliche ist das Wahrscheinliche. »Wo (d.h. nie) habe ich über dich etwas Unpassendes gesagt? Niemand kann dich (freilich) fassen und deinen Glanz aus- halten. Ich habe mich (aber) an das mpwTosAanec elaoc gehalten, und so bringe ich dir (nur) das Deine wieder.« So ist denn alles KATÄ Köcmon: aus dem Sohn wird der Vater richtig erkannt. — 3, 346 oYPANöc AKMHc Alewn, da passen beide Epitheta, Varianten, für deren Wahl auch das nichts verschlägt, daß einzelne Codd. Alewn auslassen. — 9, 13 ist oben erwähnt. Von Varianten ganzer Verse hat Carısr 3, 292 co 295 bemerkt; sie sind gleichwertig und jeder einzeln steht an möglicher Stelle. 306. 7 sind wohl auch Varianten. Sicher 8, 50 [mAnın YMNorIoneYcw, TIANI Col Menoc Alcw] TAXA KAl KIBAPAN TIANIN TIANAKHPATON ÄPMöC@. Denn vor TAXA kann derselbe Sinn nicht ohne Einschränkung gestanden haben. Am wichtigsten sind die längeren Dubletten, die sich in III finden, der auch von den kleinen das meiste bietet. Dies muß eingehender gezeigt werden. 32 »Zeuge für mein Gebet ist die Sonne.« (36) öcIAn YYxAn Ärloc TAMIAC Erti CÄC AYNAC, EI CoYC KöNTIOYC TIPOMON@N IKÖMAN. So Laur. Der TAmIAC der reinen Seelen kann nicht die Sonne sein, sondern nur Gott; in dessen Schoß strebt die Seele zurück: das ist der Sinn, wo die Verse wiederkehren, 709. Io und 4, 292. Es befremdet, daß dieses Ziel hier erreicht sein soll. Im Laur. folgt dann unmittelbar 51 nYn &c EPAMAc AYAÖNA METAN AIBYAC EMONON, TIEZAN NOTIAN. Das gibt den Ort, wo er jetzt betet: es paßt durchaus; aber dann wünscht man alles fort, was auf 35 folgte. Im Monacensis und anderen (auch Barb.) steht eine ganz andere Fassung (38), Emm coYc KönTIoYc TON ATIÖCTPOSON TANAAC YNAC TAPCÖN ENAGPIZWN (-ZÖNT@N Codd., scheint im einzelnen so ver- bessert), XAIPoN INA coY (45) TIPOMonÄN IKÖMAn. Der letzte Vers ist identisch mit dem Schlußverse im Laur., aber rıPomoa®n in das hier ganz unverständliche Nomen TıPo- moAH geändert. Das kann erst geschehen sein, als die Versreihe vom Rande eindrang und das Zusammenhängende auseinander riß. Die Verstöße gegen das Versmaß lassen sich heben; man könnte Aroctpöslon und EnApPpön als Verbum wagen. »Auf deinen Schoß zu den Schritt leicht machend, der sich von der Materie abwendet«, das ist untadelhaft; aber xAipon INA coY läßt sich nicht unterbringen. Der Anstoß der ganzen Partie, die den Erfolg des Gebetes antizipiert, bleibt. Diese unpassende Reihe, von 35 ab, ist also nur unvollständig rezipiert: wir müssen sie auf den Rand zurückver- weisen. Es folgt in dieser Handschriftenklasse eine neue Versreihe (44) NYN Em cem- NÄC TENETHEOPIAC CHKOYC ÄFIOYC IKETAC Emonon (54), TIEZAN NOTIAN. Da 54 hier nicht paßt, sind 51—53 nicht mit Absicht ausgestoßen, sondern versehentlich, als die Rand- notiz eindrang. Deutlich sind zwei Parallelfassungen »jetzt bin ich in die Hürde der von Wıramowrrz-MorLLEenDorRFF: Die Hymnen des Proklos und Synesios. 293 Mysterien (d. h. die Kirche) gekommen« und »jetzt bin ich in das Tal von Libyen ge- kommen.« Eine dritte steht in den Ausgaben dazwischen, 48—50 NYN Er KAEINON KOPY®ÄN ÖPEWN IKETAC Emonon: also Gebirge neben dem Tal. Die handschriftliche Ge- währ für diese Verse ist mir unbekannt; sie können eine dritte selbständige Fassung sein, können aber auch versuchen, die Ortsangabe, die man in der kürzesten Fassung ganz konkret auffaßt, durch die Parallele von Berg und Tal zu verallgemeinern, daß es so aussähe, als wäre der Hymnus für jeden Ort bestimmt. Dann ist das aber eine nachträgliche Änderung und Verschlechterung: auf dem Gegensatze »ich habe zu dir an jedem Orte, nämlich meiner Reise, gebetet und nun tu ichs hier zu Hause« be- ruhte ursprünglich das ganze Proömium. Ebenso unvereinbar ist das Gebet in der Kirche. Wir werden also die Zusätze abweisen, nicht als Interpolation, sondern als spätere Fassungen des Synesios; die Erwähnung der Kirche zumal wird nicht älter sein als sein formeller Eintritt in die Christengemeinde. Daß Synesios dies sein längstes und, soviel wir sehen, ältestes Gedicht, mehr- fach erweitert hat, bestätigt sich im Fortgange. 357 »Schaue meine schwache Seele eri cAc AIBYAc=: das stimmt zu dem Lokal in der ersten Fassung. 361 Em cAc cerrÄc iePHTIoNlac: so konnte erst der Bischof reden; das stimmt zu dem Zusatz 44. Dann mag es erträglich sein bis 547. Danach aber folgt ein langes zusammenhängendes Stück, das unvereinbar ist, bis 644. Auf den abschließenden Wunsch »erhalte mir Leib und Seele gesund« paßt nicht das Bekenntnis »ich trage schon die Befleckung der Materie und Begierde, die irdische Fessel hält mich«. Aber wohl konnte Synesios sich so korrigieren, wenn er nach Jahren voll Bitternis sein Gedicht wieder sang. Auf das Bekenntnis der Sünde folgt die Bitte um Reinigung und Erlösung. Die Seele redet selbst, sich als Tochter Gottes bezeichnend, weil sie »ein Funke des ad- lichen Nus« (559)! ist, erzählt ihren Fall und bittet um Erleuchtung; sie wünscht gegen die Dämonen den Stempel des Vaters, und ein cYneHmAa an die Engel, damit sie ihr beistehen: das war beides schon 537. 38 erbeten; man sieht, wie der Dichter seinen älteren Schluß variiert und steigert. Denn jetzt geht seine Schlußbitte nicht mehr auf Gesundheit an Leib und Seele; er will auch im Leben nicht mehr der Erde angehören, sondern als Zeugnis und Frucht seiner TiYPlıaA EprA, der Werke des heiligen Feuers, deutliche Stimmen Gottes (ömeAl, bei dem Virtuosen des Träumens wird man an EnYTiNIa denken) und was in der Seele die himmlische Hoffnung nährt. Was hinter 644 weiter folgt, weist sich schon durch die Wiederholungen als einen anderen Zusatz aus, wohl in derselben Stimmung, aber doch nicht in einem Zuge geschrieben: 695.6 — 583.9, 697:3 — 592.3, 699 — 372, 709.10 — 37.38 (auch dort Zusatz, original 4, 292.93), 725—33 — 376—84. So stehen denn 691— 733 nur alte Gedanken, meist in alter Form, der Wunsch um Eingang der Seele ins himmlische Licht. Vorher aber steht »es reut mich des irdischen Lebens, fort ihr Ehren? der gottlosen Menschen, ihr Ämter im Staate, ErpeTe TIACAI ÄTAI TAYKEPAI AxAPIc TE XArıc. Danach wird nur noch die am letzten Ende platonische Lehre vorgetragen, daß jede HAon# eine AYTIH zum notwendigen Kom- plement hat.® Das ist er satt und möchte sich auf die Wiese* des Vaters flüchten, die keine Sorge betritt. Die Partie ist schön; aber so hatte der Verfasser von III das Leben ! Ep. 101, wo er stolz bekennt, daß er der einzige in Kyrene ist, der philo- sophiert und seine Schrift Ai KYNHreTikai (seltsames Feminin) demgegenüber herabsetzt, tröstet er sich über die ATyxofca »inocosla, der er treu bleibt, mit dem Zeugnisse Gottes, 0Y cTIEPMA 6 Nofc eic Anepwroyc Hkel. 2 647 Eprere TIMAI Laur. statt des aAmAaı der Vulgata. ® Das nennt er ATHn “ErtmHelAaA. Da ist der Titan so gefaßt wie von Proklos zu Hesiod Erg.84, als Vertreter der Acsenecrepai YYxAl, die mönıc Ek TÄC TIPÖC THN TENECIN KOIN@NIAC EIC ENNOIAN ÄTONTAI TON ATI” AYTÄC KAKÖN. * 684 EIC TÖN AKHAA AEIMONA TIATPÖC CIIEYAW (-wN Codd), TANYw PYFÄAAAC TAFCOYC, ®YTÄAAC AIAYMON YAAC AGPON. Das mythische Bild der himmlichen Aue ist den Religionen gemeinsam. 294 Gesammtsitzung voın 14. März 1907. noch nicht angesehen; das ist erst geschehen, als ihm auch das Bischofsamt eitel Ent- täuschungen gebracht hatte. In soleher Überlieferung muß einzelnes unsicher bleiben; im ganzen ist die Genesis unseres Textes unverkennbar und die Erhaltung der Varianten nun nicht mehr rätsel- haft. Er selbst wird diese Gedichte so wenig buchhändlerisch verbreitet haben wie seine anderen Gedichte; sie zirkulierten einzeln bei Bekannten!, und ein Freund hat dann einmal die Sammlung gemacht und für III wohl das Handexemplar des Dichters kopieren lassen. Nun noch einzelne Stellen, wo wieder III am meisten Nachhilfe fordert. III, 8o TIOTAMÖN TIPOXOAl, KPANÄN (KPANAAI Codd.) AlBAAec. — Unser Nus vermag Gottes Glanz selbst nicht anzuschauen, richtet also auf das rıpwtosan&c elaoc seinen Blick (öm- MAToC ÖAKAN mit Barb., nicht AAKAN), Ösen AINYMENoC Ertl coYc YMNoYC ANGBEA @WTÖC AOPICTOICAN ÄNETTAYCE BONAN, TÄ CA coI TIAnı AoYc. Darin ist nur die leichte Korruptel ANATTAYCAI berichtigt. Wollte das Auge Gott selbst schauen, so wäre das eine Ao- PICTOYcA BonA, ein Blick, der nichts zu unterscheiden vermag: KATATIECOYcA (H YYXH) AXAYOYTAI Kal ÄOPICTEI KAl YEeYAETAI, sagt Synesios selbst TI. Enyrin. 12. Nun richtet er sich auf den »farbigen Abglanz«, auf die Erscheinung der Gottheit, die die Vermitte- lung mit den niederen Regionen besorgt (christlich geredet, auf den Sohn, den Mitt- ler): dann kann er die Strahlen auffangen, die freilich auch aus Gott sind: er vermag das Unaussprechliche zu sagen. Es folgt die Präkonisierung der transzendenten Gott- heit. — 231 CEBOMAI NOEPÖN KPY$IAN TÄEIN. XWPEI TI MECON OYK ÄTIOTAXGEN: OY KATAXGEN Codd. »Es kommt etwas zwischen (die beiden Personen, Vater und Sohn), das doch nicht abgesondert ist,« die dritte Person. — 240 AMA TIATPI ®ANEIC IÖTATI TIATPÖC" IÖTAC A Ecael (c& a’ Acl Codd.) mAaPA celo TIATPI, vgl.219. I6THC — BOYAH ist der Heilige Geist. 300 CE MAKAIPA ®YCIC, BYCEWC TE TONÄA YMNEI ce MAKAP: YMNEeI M. oder schlechter Codd. — 322 Was einmal in den Kreis des Seienden gestellt ist, wird nie vergehen, Anno A’ Art’ AnnoY AIA T’ (A° Codd.) AnnHnoN TIANTA TIONEYEI (TIANT’ ATIONAYON -AY@N -naYeı Codd.), EE ÖNNYMENDN KYKnoc Alaloc: es ist die alte hellenische Lehre, für die man gern die Ana- päste des euripideischen Chrysippos 839 zitierte. Die Unzerstörbarkeit der Welt ge- hört zu den Erkenntnissen, die der Platoniker ausdrücklich festhielt, als er in den Dienst der Kirche trat. — 487 TNÄMoNn YYxÄı (TAAMoNI Codd.) MENOC EMTINEYCAC. — 528 »Vater, TArA ÄrNÄc co®@lac, AAMYOoN TIPATIICIN ATIO CÖN KÖATI@N NOEPÖN SETTOC, CTPAYON KPAAIAI (KPAAIAN Codd.) ATId cAc ÄNKÄC Co@lAC AYTÄN, Kal TAN Ermi c& (coli Codd.) iepÄn ATPATION (fehlt etwas wie ÖöAHroYcin Arrenoıc vgl. 627) CYNEHMA AlAoY, coparlaı TeAI (Laur., CoPATIAA TEAN vulg.; es wird das Zeichen des Kreuzes sein) KHPITPE®EAC AAIMONOC YAAC ceYoNn ZwWÄC YYxAc T’ArI EmAc. Für YYxAc steht eYxAc, das Parallelen genug hat; aber hier folgt das Schlußgebet für cöma und rIneYMma«. — 657 von der Seele Ä Mmera AcınA jalon [T° oder A’ Codd.] Erien aAsan. — 718 »oITÄc AnATIc: oYrAc Codd. 1 29 Em& A” AYöoHTON EIH BIOTÄN ACHMON ENKEIN, TÄ MEN EIC ANNOYC ÄCHMON, TÄ AE TIPdC geon elaöTa. Das letzte Wort ist schwer verdorben; gefordert wird etwas wie CA®HNA, das wahre finde ich nicht. Die Selbstkorrektur ist im sapphischen Stile, vgl. Demetrios T1. Epm. 168. — 40 MÖNoN Ei TÖCON TIAPEIH ÖCON APKION KANIHN (-Ac Codd.) ATIO TEITÖNWN EPYKEIN, INA MH XPEe® Me KAmrıToI (Laur.; besser als die Variante KöTTToI), »so viel Geld will ich haben, daß ich meine Hütte vor den Nachbarn bewahren kann«, d. h. mein eignes Haus behaupte. — 61 Enicaca für EN®cAcA. — Der NOfc KATAIBÄTHC, die in die Materie herabsteigende Göttlichkeit, teilt sich, ein Teil waltet in den Fahrten der Gestirne, einer in den Tänzen der Engel, ö a& kai PeronTi Aecm@l xeonlaN EYPETO ı Ep. ı4ı fordert er sich das Manuskript eines iambischen Gedichtes zurück, in dem er sich mit seiner Seele unterhält. 143 erzählt er, am Schlusse des TEeTPAAIon (des Quaternio; es war also eine Kkesanic, gefaltet wie bei uns) hätte er ız2 Verse gefunden, in denen die letzten vier nicht als ein Zitat aus alter Poesie bezeichnet wären, wie sie es sollten. Wie es sein Sport war, in allen Stilen den Originalen Nachahmungen an die Seite zu stellen, erzählt er höchst merkwürdig am Schlusse des Dion. von Wıranowriz- MoELLENDoRFF: Die Hymnen des Proklos und Synesios. 295 MOPPAN (96), ANOBEPÄN HPYce AABAN (95), ATI A’ ECTÄSH TOKH@N (97) ANA@TTÄICI MEPIMNAIC xaöna BAYMAcac Arepıi. Das Schöpfen der Vergessenheit seiner Herkunft gehört zur Annahme irdischer Gestalt; dann folgt als Parallele, daß er sich von seinen Eltern (d. h. dem syeöc TATPÖC) abwendet, weil er an dem in Wahrheit häßlichen Irdischen Gefallen findet. Die Umstellung hat auch daran einen Anhalt, daß 96 in Laur. fehlt. — 100 ENI MAN, ENEcTl (ENI TE Codd.) verroc. — 118 TrIöeoc (TTÖNoc Codd.) eiclce) önan TANYCCAI KPAAIAN ÖnoIci TAPCOIC ANATWTION EPOTWN * MÖNON EMTIEAWCON ANKAN (ÖPMAN Codd.) NOEPH@ÖPOICIN ÖPMAlc. Daran schließt sich 128— 32 Are mol YYxA, TIIolcaA ArABOPPYTOIO TIATÄC, IKETEYCACA TOKHA ANABAINE MHAE Menne; dann muß folgen 122—27 6 AE ToI TIENAC ©ANEITAI FENETAC XEIPAC ÖPETNYC* TIPO@EOICA TÄP TIC ÄKTIC KATANAMYEI MEN ÄTAPTIOYC, TIETÄCEI AE TOI NOHTÖN TIEAION, KAnneoc APXAN. Und der Schluß, ähnlich wie 8, 52 TAxA A” ÄNMITEICA TIATPI eedc EN sewl xoPeYceic. Dass der Dichter diese Ordnung allein beab- sichtigt haben kann, ist einleuchtend. Aber der Zusammenhang ist mindestens eben- sogut, wenn die Verse über die Handreichung Gottes fehlen: sie können also ein Nachtrag sein, als er durch seine nähere Beziehung zum christlichen Kultus die Gott- heit persönlicher empfand. II, 63 cY mATHP cY A’ Ecci MÄTHP, cY Men (AE Codd.) APPHN cY A& eAnyc, cY Ae SWNA CY AE cIrÄ, eYcewc ®Ycıc ronäca. Das letzte Wort ist überhaupt keins; es war ronofccA. So steht 3,460 nicht FTÖnImon, sondern FONden...TIeAION in den guten Codd. IV, 20 INA TAN TIANT@N KPY®lAN PIZAN YMNOoIC MEATIW. YMNOICA AErw oder noch korrupter Codd. Femininum unmöglich; Verlesung alter Buchschrift. — 92—116 steht die Hauptstelle über die Ärla tInoiA, die durch die Parallelen (II, 31. III, 218— 242. V, 53. 67) keine Erweiterung erhält, nur daß VI, 6 in der Bezeichnung Meccorrarhc NoYc die jamblichische Bezeichnung der dritten Person direkt gebraucht wird. Sie ist die MecATA APXA, Mutter, Schwester, Tochter zugleich, die rönımoc sovYnA des Vaters, die dem Sohne zum Lichte hilft. Ina rAP rIPoxyefi Emmi TIAIAI TTATHP, AYTA TIPÖXYCIC EYPETO BAACTÄN, ECTH AE MECcA BEÖC EK TE BE0Y AIA Tralaa 8e0Y (so Laur. AIA malar Te oder ce die andern): KAi AlA KAEINÄN TIATPÖC ABANATOY TIPÖXYCIN TIANI TrAIC (Laur. TIP. Yiöc die andern) EYPETO BAACTÄN. In der riröxycıc als Bezeichnung des BoyAA liegt die iamblichische ENEprelA, deren es bedarf, damit die AYnAamıc aus der oYciA hervorgeht. So betrachtet, kann der Geist nur vom Vater kommen; aber wo er christlich gefaßt zu den Men- schen gesandt wird, um die Heilsgaben effektiv zu machen (V, 68), kommt er von Vater und Sohn und wird als Kentpon beider bezeichnet, als Instrument ihrer Seelen- führung. Die katholische Lehre kann sich für ihr iliogue auf Synesios berufen. — 286 INA KAl ZWAC TAC (ZWÄN TAN Codd.) META MoIPAc, TAc (TÄN Codd.) META AccmoYc ToYc XEONOBPIBEIC KASAPÄN Ynac OAON (Laur. öcon die andern meist) EZANYw Em cÄc AYnAc. Als zelınten Hymnus rechnet man 19 Verse, die in den besseren Handschriften fehlen. Der Verfasser borgt seine Worte von Synesios und will anapästische Mono- meter machen, kann es aber nicht. Er läßt den Daktylus auch im zweiten Fuße zu TPÄYANTOC TÄAE, YYXAN TIAIONA (dies umzustellen ist arg), erlaubt sich böse Verlänge- rungen von Y, AYCIN TIABEWN, TA Mol E&moyAi, einen Hiat Aöc A& lacceml, eine Verkür- zung eines vokalischen Auslautes mearıw AolaAn. Das gibt es natürlich alles bei Sy- nesios nicht, der nur Kal verkürzt. Hier heißt der Heilige Geist rıneYma, ebenso unerhört. Und der Sinn »Christus, gedenke deines Dieners, der dies geschrieben hat. Erlöse mich usw.« Es ist die Subskription eines Schreibers, der sein Gebet in die Formeln der Gedichte zu kleiden versucht, die er eben kopiert hat. Ausgegeben am 21. März. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei. Sitzungsberichte 1907. 30 I 6 7 x . . ß u ee Re un ha 24 Eu f #3 De N 7 # 1 AA Tan: TPR pt Lie U EEE TAU ARE, ul a 2 CT ar (a Ti LE iM ia FETTE ln ir Be i j a er a eh ur. Kan 225 ' j ET RE bie NAT Ba Fe in [ven [a [ { i niri- Fr Ar % > ur re AR f K t Ba ae TE Fl Ta) 1: Bl 24 W; n PER Bra BR By R ” u ERTL f AI Rt h BR N Tu a ne rue ILL Y ı „. ER UT » ARE # a7 LACH. fi u HE wi Par Hrn fr TH ia rbaal Mi, u Iren TEE ARE DI R 2 u i I, MR; man une] a f 7 er f sie ar f rer 20 wur PT A 4 D 11 sch En | Ft . I > uni riet ia Mi t f j 7 RN 0 Iar . Hl 7 rg) 2 ı er (hr Bl ® D j i erg ' a I Kr ( Tr } ve aM r Bun 3 sr e> t + I Inu Fol kr j sh Far, ® 4 Ar, i Ki ’% k [E, wi fi jr train Yard ]% ! M TR TAT Er "Tr art u uis er ruslit H vs PRLDEHTTF TE se u Ka! An; nt GIVE en n Ol) pr Eri A LIKaUEY I% #47 u } AAbaılı > r na Der N (te oral N ua] tm? er RAN DRG HN. Din > url Fan aD Pe ER ii Las 2 aka LT ee RE: PTR a N st 4 ak We FALTER UNE null "%; Ulla nA! van DS; 0,5 ME Mal ea IT) a nr vs ee ra i ff AyF ji DEE 177 75 Eae i TE 7) ital Gras win, ‚sl ren er N} (a rn ET | ITE BE oh an “une Pau N lila) Aa A ck aA We u DH E EEe Aa j j f u 5 Se ne EX . PIE: E 7 v TE En ns Er . AR “ Mal, ii ı . De ER RR ez . 1907. SITZUNGSBERICHTE DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. Sitzung der philosophisch - historischen Classe am 21. März. (S. 297) Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe am 21. März. (S. 299) van’r Horr: Untersuchungen über die Bildung der oceanischen Salzablagerungen. L. Franklandit und eine neue, dem Boronatrocaleit verwandte Verbindung. (S. 301) An, Scamipr: Über die Bestimmung des allgemeinen Potentials beliebiger Magnete und die darauf begründete Berechung ihrer gegenseitigen Einwirkung. (S. 306) BERLIN 1907. VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. IN COMMISSION BEI GEORG REIMER, Aus dem Reglement für die Redaetion der akademischen Druckschriften. Aus $1l. Die Akademie gibt gemäss $ 41,1 der Statuten zwei fortlaufende Veröffentlichungen heraus: » Sitzungsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften « und » Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften«. Aus $ 2. Jede zur Aufnahme in die »Sitzungsberichte« oder die »Abhandlungen« bestimmte Mittheilung muss in einer aka- demischen Sitzung vorgelegt werden, wobei in der Regel das druckfertige Manuseript zugleich einzuliefernist. Nicht- mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen. $ 3. Der Umfang einer aufzunelimenden Mittheilung soll in der Regel in den Sitzungsberichten bei Mitgliedern 32, bei Nichtmitgliedern 16 Seiten in der gewöhnlielien Schrift der Sitzungsberichte, in den Abhandlungen 12 Druckbogen von je 8 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Abhand- lungen nicht übersteigen. Überschreifung dieser Grenzen ist nur mit Zustimmung der Gesammt-Akademie oder der betreffenden Classe statt- haft, und ist bei Vorlage der Mittheilung ausdrücklich zu beantragen. Lässt der Umfang eines Manuseripts ver- muthen, dass diese Zustimmung erforderlich sein werde, so hat das vorlegende Mitglied es vor dem Einveichen von sachkundiger Seite auf seinen muthmasslichen Umfang im Druck abschätzen zu lassen. SA. Sollen einer Mittheilung Abbildungen im Text oder auf besonderen Tafeln beigegeben werden, so sind die Vorlagen Ban (Zeichnungen, photographische Original- aufnahmen u.s. w.) gleichzeitig mit dem Manuseript, jedoch auf getrennten Blättern, einzureichen. Die Kosten der Herstellung der Vorlagen haben in der Regel die Verfasser zu tragen. Sind diese Kosten aber auf einen erheblichen Betrag zu veranschlagen, so kann die Akademie dazu eine Bewilligung beschliessen. Ein darauf gerichteter Antrag ist vor der Herstellung der be- treffenden Vorlagen mit dem schriftlichen Kostenanschlage eines Sachverständigen an den vorsitzenden Seceretar zu richten, dann zunächst im Seeretariat vorzuberathen und weiter in der Gesammt-Akademie zu verhandeln. Die Kosten der Vervielfältigung übernimmt die Aka- demie. Über die voraussichtliche Höhe dieser Kosten ist — wenn ces sieh nieht um wenige einfache Textfiguren handelt — der Kostenanschlax eines Sachverständigen beizufügen. Überschreitet dieser Anschlag für die er- forderliche Auflage bei den Sitzungsberichten 150 Mark, bei den Abhandlungen 300 Mark, so ist Vorberathung durch das Seeretariat gehoten. Aus $5. Nach der Vorlegung und Einreichung des vollständigen druckfertigen Manuseripts an deu zuständigen Secretar oder an den Archivar wird über Aufnahme der Mittheilung in die akademischen Schriften, un! zwar, wenn eines der anwesenden Mit- glieder es verlangt, ‚verdeckt abgestimmt. Mittheilungen von Verlassern, welche nicht Mitglieder der Akademie sind, sollen der Regel nach nur in die | Sitzungsberichte aufgenommen werden. Beschliesst eine Classe die Aufnahme der Mittheilung eines Niehtmitgliedes in die dazu bestimmte Abtheilung der »Abhandlungen«, Aus $6. Die an die Druckereiabzuliefernden Manuseriptemüssen, wenn es sich nicht bloss um glatten Text handelt, aus- reichende Anweisungen für die Anordnung des Satzes und die Wahl der Schriften enthalten. Bei Einsendungen _ Fremder sind diese Anweisungen von dem vorlegenden Mitgliede vor Einreichung des Manusceripts vorzunehmen. Dasselbe hat sich zu vergewissern, dass der Verfasser seine Mittheilung als vollkommen druckreif ansieht. Die ‚erste Correetur ihrer Mittheilungen besorgen die Verfasser. Fremde haben diese erste Correetur an das vorlegende Mitglied einzusenden. Die Correetur soll nach Mösgliehkeit nicht über die Berichtigung von Druckfehlern und leichten Schreibverschen hinausgehen. Umfängliche Correeturen Fremder bedürfen der Genelimignng des redi- girenden Seeretars vor der Einsendung an die Druckerei, und die Verfasser sind zur Tragung der entstehenden Mehr- kosten verpflichtet. e Aus $8. Von allen in die Sitzungsberichte oder Abhandlungen aufgenommenen wissenschaftliehen Mittheilungen, Reden, Adressen oder Berichten werden für die Verfasser, von wissenschaftlichen Mittheilungen, wenn deren Umfang im Druck 4 Seiten übersteigt, auch fürden Buchhandel Sonder- abdrucke hergestellt, die alsbald nach Erscheinen des be- treffenden Stücks der Sitzungsberichte ausgegeben werden, Von Gedächtnissreden werden ebenfallsSonderabdrucke für den Buchhandel hergestellt, indess nur dann, wenn die Verfasser sich ausdrücklich damit einverstanden erklären. 89. Von den Sonderabdrucken aus den Sitzungsberichten erhält ein Verfasser, welcher Mitglied der Kan ist, zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 50 Frei- exemplire; er ist indess berächter; zu gleichem Zweeke auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl von noch 100 und auf seine Kosten noeh weitere bis zur Zahl von 200 (im ganzen also 350) abziehen zu lassen, sofern er diess rechtzeitig dem redigierenden Secretar an- gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr Abfrueke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazu 2. der Genehmigung der Gesammt-Akadanie oder der be- treffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 50 Frei- esemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem &% redigirenden Seeretar weitere 200 Exemplare auf ihre 4 Kosten abziehen lassen, Von den Sonderabdrucken aus den Abhandlungen er- hält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 30 Frei- exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur / Zahl von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis b zur Zahl von 100 (im ganzen also 230) abzichen zu lassen, & sofern er diess rechtzeitig dem redigirenden Secretar an- gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr, Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazu der Genehmigung der Gesammt-Akademie oder der be- treffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten ‚30 Freie r exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige ‚beidem redigirenden Secretar weitere 100 Exemplare a auf hre iz Kosten abziehen lassen. er 17.8 - a eu Tun Eine-für die akademischen Schriften bei stimmte wissenschaftliche Mittheilung darf . un so bedarf dieser Beschluss der Bestätigung durcli die | in keinem Falle vor ihrer Ausgabe : an jener Gesammt-Akademie. Stelle anderweitig, sei es auch nur auszugs- (Fortsetzung auf s. Sides Umschlaas 3 sr Be SITZUNGSBERICHTE 1907. DER KÖNIGLICH. PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 21. März. Sitzung der philosophisch-historischen Classe. Vorsitzender Secretar: Hr. VAuten. l. Hr. Zmumer las über den Einschlag aus den Culturzu- ständen der vorkeltisehen Bewohner Irlands in dem in den Erzählungen deraltennordirischen Heldensage vorliegenden Culturbild aus dem alten Irland. (Ersch. später.) Verf. wendet sich gegen die Anschauung, dass die in den Erzählungen des Cuchulinnsagenkreises zu Tage tretenden Culturzustände in allen wesentlichen Punkten der altkeltischen Cultur des Continents entsprechen, und zeigt, dass, soweit die Stellung des Weibes in dem Culturbilde aus dem genannten Sagenkreis in Frage kommt, fremde Einschläge in die altkeltische Cultur angenommen werden müssen, die nur aus den Culturzuständen der vorkeltischen, nieht indogermanischen Bewohner der britischen Inseln Erklärung finden. 2. Hr. Erman legte von den wissenschaftlichen Veröffentlichungen der Deutschen Orient-Gesellschaft vor: Das Grabdenkmal des Königs Ne-User-Re. Von Lupwıs BorcHarvr. Leipzig 1907. Ausgegeben am 4. April. Sitzungsberichte 1907. al 299 SITZUNGSBERICHTE 1907. XVi. DER KÖNIGLICH. PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 21. März. Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe. Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers (\. V.). *]. Hr. Mösıus las über die ästhetische Betrachtung der Reptilien und Amphibien. Es wurden die anziehenden und die abstossenden Eigenschaften der Eidechsen, Krokodile, Schlangen, Schildkröten, Frösche, Kröten und Molche betrachtet, und ge- funden, dass das Schleichen und Kriechen, das unvermuthete Erscheinen, die feuchte und kalte Haut und die Giftigkeit vieler Arten stärker abstossend wirken, als die Formen, Farben und Bewegungen mancher Arten gefallen. Da aber unser ästhetisches Empfinden beim Anblick eines Thieres aus dem Gesammteindruck aller von uns er- kannten oder vorgestellten Eigenschaften desselben entspringt, so finden wir es häss- lich, wenn die unangenehmen Eigenschaften stärker auf unser Empfinden einwirken als die angenehmen. — Die ungewohnten ästhetischen Einwirkungen der Reptilien und Amphibien haben die menschliche Phantasie angeregt, in ihren religiösen Mythen, Heldensagen und Märchen derartigen Thierformen wichtige Rollen zu übertragen. 2. Hr. van'r Horr machte eine weitere Mittheilung aus seiner Untersuchung der oceanischen Salzablagerungen: L. Franklandit und eine neue dem Borocaleit verwandte Verbindung. Die einzige Probe Franklandit, welche Verf. erhalten konnte, zeigte sich als Boronatrocaleit. Bei Versuchen zu dessen künstlicher Darstellung, die ebenfalls negativ verliefen, stiess er auf ein neues Natriumcaleiumborat, dessen natürliches Vorkommen nicht ausgeschlossen ist und das ein gewisses Interesse beansprucht durch die hohe Bildungstemperatur von 51°. 3. Hr. Srruve legte eine Abhandlung des Observators an der hiesigen Sternwarte Dr. P. Gurunick vor: Photometrische Beob- achtungen der Jupitertrabanten von Juli 1905 bis April 1906. (Ersch. später.) Die mit einem Zörrner’schen Photometer am ırzölligen Refractor der Stern- warte in Bothkamp ausgeführte Beobachtungsreihe bildet eine Fortsetzung der früher veröffentlichten photometrischen Untersuchungen desselben Verfassers über die Ver- änderlichkeit der Helligkeiten der Jupitermonde und fasst die bisher erlangten Re- sultate zusammen. 4. Hr. Hermerr überreichte eine Abhandlung des Vorstehers des Erdmagnetischen Observatoriums in Potsdam Prof. Dr. Av. Scuupr: 31* 300 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe vom 21. März 1907. Über die Bestimmung des allgemeinen Potentials beliebiger Magnete und die darauf begründete Berechnung ihrer gegen- seitigen Einwirkung. Verf. behandelt das Problem der ponderomotorischen Einwirkung zweier Magnete auf einander ganz allgemein, indem er den magnetischen Zustand eines jeden als durch eine Reihe von charakteristischen Constanten definirt voraussetzt. Diese Constanten sind die Coefficienten einer Kugelfunetionenreihe, die das allgemeine Potential des betreffenden Magneten darstellt. Sie sind ihrerseits empirisch aus der beobachteten Sinwirkung der Magnete auf einander zu ermitteln. Aus diesen Constanten und den Grössen, die die gegenseitige Lage der Magnete definiren, wird das Potential des einen auf den andern berechnet, womit dann auch die Drehungsmomente und die Kräfte, die sie auf einander ausüben, bestimmt sind. Es findet sich für das allge- meine Glied der Reihenentwiekelung ein geschlossener, sowohl für numerische An- wendungen wie für theoretische Untersuchungen geeigneter Ausdruck. 5. Hr. Ensermann überreichte eine Mittheilung aus dem Physio- logischen Institut der Universität Athen: R. Nicorames und S. Dantos, Hemmende Fasern in den Muskelnerven. (Ersch. später.) Die Verfasser liefern den experimentellen Nachweis, dass der Gastroenemius des Frosches durch die vorderen Wurzeln des Nervus ischiadieus ausser motorischen auch hemmende Fasern erhält. 6. Hr. Prof. E. S. Faust in Strassburg i. E. übersendet als Be- richt über eine mit akademischer Unterstützung ausgeführte Unter- suchung einen Sonderabdruck: Über das Ophiotoxin aus dem Gifte der ostindischen Brillenschlange. Leipzig 1907. 301 Untersuchungen über die Bildung der ozeanischen Salzablagerungen. L. Franklandit und eine neue, dem Boronatrocaleit ver- wandte Verbindung. Von J. H. van’r Horr. Sehon vor längerer Zeit wurde von Reysoros ein Mineral beschrieben’, das als Borat von Natrium und Caleium dem Boronatrocaleit (Na,O) (Ca0),(B,O,),- 16H,O verwandt war, doch dureh seine Zusammensetzung, welehe der Formel (Na,0),(Ca0),(B,O,)-15H,0 entsprach, davon ab- wich und so mit dem Namen Franklandit bezeichnet wurde. Das Ergebnis der Analyse war: I II Berechnet BO 41.81 — 43.61 SED 12.10 11.94 11.63 NaROR@ rer. 1] — 122877 EROR. 2. 0..24827):02 27.66 28.04 (Na C 2.41 = (2.41) 0aS0,.2H.O.. 1.44 — (1.44) A. Untersuchung einer Franklanditprobe. Da mir bei wiederholten Versuchen zur künstlichen Darstellung von Franklandit, auf die nachher zurückzukommen ist, nie das Ge- suchte in die Hände kam, habe ich bei Hın. ReynoLns um eine Probe angefragt und dieselbe in dankenswerter Weise erhalten. Dieselbe sah unter dem Mikroskop wohl ausgebildet und wesentlich einheit- lich aus, in Nadelform, wie sie auch Boronatroealeit zeigt, jedoch tlächenreicher abgestumpft, soviel mich mein Vergleichsmaterial beur- teilen ließ. ! Short Reports from the Chemical Laboratory of Trinity College, Dublin, No. 2. 302 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe vom 21. März 1907. Die Analyse habe ich mit dem Mineral so wie es vorlag aus- geführt, weil sich auch darauf die obenerwähnte Analyse bezieht. Sie wurde in einer zum Teil früher' beschriebenen Weise ausgeführt, indem eine gewogene Menge in Zehntelnormallauge gelöst und dann mit Zehntelnormalbase zurücktitriert wurde, Methylorange als Indikator; dies gibt die an Borsäure gebundene Basenmenge. Dann wird, nach Zusatz von Mannit, mit Zehntelnormalbase die Borsäure bestimmt, Phenolphthalein als Indikator. Die Wasserbestimmung erfolgt in ge- wohnter Weise, und diejenige von Kalk, durch Lösen einer gegebenen Menge in Salzsäure, Abdampfen ihres Überschusses, Fällung als Kar- bonat und dessen Bestimmung durch Titrieren wie oben. Das Resultat dieser Analyse war: 42.2 Prozent B,0,, 33.1 Prozent H,O, 12.7 Prozent Ca0. Die an Borsäure gebundene Natronmenge wurde indirekt bestimmt aus dem gefundenen Verhältnis zwischen Borsäure und daran gebun- dener Gesamtbase 1.71 und ergab sich zu 7.9 Prozent. Auf die Ver- unreinigungen würde demnach 4.ı Prozent kommen wie auch in der obenerwähnten Analyse; mit dieser stimmt auch die von mir gefun- dene Chlormenge von 1.3 Prozent. Das Mineral selbst hätte demnach die Zusammensetzung: 43.9 Prozent B,O,, 13.3 Prozent CaO, 8.2 Prozent Na,O, 34.6 Prozent H,O, was von Franklandit mit: 45.3 Prozent B,O,, ı2.ı Prozent Ca0, 13.4 Prozent Na,0, 29.2 Prozent H,O wesentlich abweicht, aber sich mit der Zusammensetzung von Boro- natrocaleit praktisch deckt: 43.1 Prozent B,O,, 13.8 Prozent CaO, 7.6 Prozent Na,0, 35.5 Prozent H,O. Ich kann die zugesandte Probe also nur als einen etwas unreinen Boronatrocaleit betrachten. Auf meine Nachricht war Hr. ReysoLos so freundlich, mir das Resultat seiner erneuten Untersuchung mitzuteilen, das ich hier im Wortlaut wiedergebe: »I thought it would be useful to determine as direetly as pos- sible the ratio of Na to Ca in the mineral, as I note that you got Na,0 by difference. ! Mit MEYERBOFFER, LiEBEns Festschrift 233. van’r Horr: Öceanische Salzablagerungen. L. 303 For this purpose I took only the denser portion of the small piece which I retained and celeared away all partially deeomposed parts containing any carbonate. A weighed amount was dissolved in pure HCl, the solution was evaporated to dryness and the residue heated to 120°-—ı30° until no trace of HCl was evolved. The re- sidue, which consisted necessarily.of CaCl, and NaCl, with boriec acid, was dissolved in water plus suffieient HNO,, and the total Cl and Ca were direetly determined the Ol as AgCl, the Ca as CaCO, through oxalate; but the oxalate was first separated from a solution eontaining only free Acetie acid, the preeipitate was then dissolved in HCl and reprecipitated by ammonia, so as to remove all traces of borate carried down in the first instance. Results. Cl taken up per 100 parts mineral 26.7, CaO 11.85 per cent. Now 11.85 CaO require 15 Cl; and 26.7—15 =11.7 per cent Cl = 10.22 per cent Na,O. Ratio CaO to Na,O: Speeimen 1:0.8, Boronatrocaleite 1:0.5, Franklandite 1:1. On the whole it would appear that the mineral mass is a some- what variable mixture of two boronatrocaleites, the one being typi- fied by Boronatrocaleite (Ulexite) and the other by Franklandite.« Weiter in diesen Gegenstand einzudringen muß Dritten überlassen bleiben, da eine andere Bezugsquelle des in Rede stehenden Minerals nicht bekannt wurde. B. Ein neues Natriumealeiumborat. Die Untersuchung des Franklandits hat auch ein positives Re- sultat ergeben. Bei den Versuchen zu dessen künstlicher Darstellung nämlich, welche sich voraussichtlich durch Einwirkung von Boro- natrocaleit auf Borax verwirklichen ließe, nach der Gleichung: 2NaCaB,0,.8H,0 + Na,B,0,. 10H,0 = Na,Ca,B,,.0,,.15H,0+2BO,H, + 8H,O wurde eine geeignete Mischung der genannten Borate im Dilatometer erhitzt. Nachdem sich die Verwandlung von Borax in die oktaedrische Form (Na,B,0,.5H,0) oberhalb 60° vollzogen hatte, trat eine weitere langsame Ausdehnung ein, die noch bei 63° bemerkbar war, nicht dagegen bei 62°. 304 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe vom 21. März 1907. In der Erwartung, auf Franklandit gestoßen zu sein, ließ man die Ausdehnung sich vollziehen, um dann den Dilatometerinhalt zu untersuchen. Nach Auswaschen und Trocknen zeigte das in Nadel- büscheln kristallisierte Produkt sich als Boronatroealeit mit vier statt acht Molekülen Kristallwasser (NaCaB,0,.4H,0): B:O; CaO Na:0 H,O 53.2 16.1 (9-5) 21.2(8ef.) 16.4 » 52.4 16.8 9.3 21.5 (ber.) Natron wurde als Differenz ermittelt. C. Die Spaltung von Boronatrocaleit und die Bildung von Colemanit und Pandermit. Die früher beobachtete Spaltung von Boronatrocaleit' in oktaedri- schen Borax und Caleiumborat, welch letzteres je nach Einimpfen ver- schiedene Zusammensetzung haben kann, fällt durch Auftreten des neuen Doppelborats zu den labilen Erscheinungen zurück. Bei der tiefsten Temperatur vollzieht sich noch die Bildung von Colemanit: 2NaCaB,0,.8H,0O = Na,B,0,.5H,0 + Ca,B,0,..5H,0 + 6H,0. Aber auch diese Temperatur, die unweit 65° liegt, übersteigt noch die obige, und nur, wenn das niedere Hydrat von Boronatrocaleit ausbleibt, gelangt die erwähnte Spaltung zur Beobachtung. Entsteht dann aber das niedere Hydrat oder wird damit geimpft, so entwickelt sich dasselbe unter Aufzehrung von oktaedrischem Borax und Cole- manit. Hierdurch bekommt die beschriebene Verbindung auch eine ge- wisse mineralogische Bedeutung, indem mit der Möglichkeit ihres natürlichen Vorkommens gerechnet werden muß und mit dem damit zusammengehenden Fortfallen des Boronatroealeits bei noch tieferer Temperatur als früher erwähnt.” Damals wurde dieselbe, als von Spaltung in zwei Borate veranlaßt (bei Anwesenheit von Kochsalz, um die höchste natürliche Temperaturgrenze zu bestimmen) unterhalb 70° gefunden. Neue Dilatometerversuche zeigten, daß bei Einimpfen mit dem neuen Hydrat die Zerfallsgrenze des Boronatrocaleits unter- halb 60° liegt. Bei der Möglichkeit des natürlichen Vorkommens der neube- schriebenen Verbindung hat auch deren untere natürliche Bildungs- ! Diese Sitzungsber. 1906, 569. ®2 Ebenda 569. van'r Horr: Oceanische Salzablagerungen. L. 305 temperatur einiges Interesse. Sie wurde ermittelt durch Verfolgen der Bildung im Dilatometer im Kristallisationsendpunkt', wo die Bil- dung am ehesten erfolgt, bei Anwesenheit von Chlornatrium, Borax. Chlorkalium und Glaserit. Sie ließ sich noch bei 51° verfolgen. Da- dureh steht diese Verbindung in der kleinen Gruppe von oberhalb 25° sich bildenden Mineralien mit der höclısten Bildungstemperatur obenan, womit das seltene oder vielleicht «las Nichtvorkommen zu- sammenhängen dürfte; denn das nächstliegende MgNa,(SO,), mit einer Bildungstemperatur oberhalb 46° wurde erst 1902 von KUBIERSCHKY entdeekt” und seitdem nur noch einmal von Precar in Neu-Staßfurt wiedergefunden. Noch nach einer dritten Richtung hat die beschriebene Verbin- dung für die Untersuchung der natürlichen Borate einen gewissen Wert gehabt, und zwar zur Darstellung von Pandermit und Colemanit. Das leichteste Verfahren hierfür war bisher die Zerlegung von Boro- natroecaleit. Genau in derselben Weise” läßt sich dazu das neue Hydrat verwenden, und da es den erwähnten Mineralien näherliegt, erspart man sich hierbei Zwischenprodukte und Zeit. ! Fin der Figur auf S.1ı087 dieser Sitzungsber. 1905. ?2 Diese Sitzungsberichte 1902, 404. ® Ebenda 1906, 566 und 689. 306 Über die Bestimmung: des allgemeinen Potentials beliebiger Magnete und die darauf begründete Be- rechnung ihrer gegenseitigen Einwirkung. Von Dr. AvorLr Schumipr in Potsdam. (Vorgelegt von Hrn. HErLuerr.) Pier Messung der Horizontalkomponente des erdmagnetischen Feldes sind zwei selbständige Beobachtungen erforderlich und hinreichend. Die eine liefert das Verhältnis der gesuchten Größe zu der von einem magnetischen System, am einfachsten einem Stahlmagneten, ausgehen-. den Wirkung; die andere mißt den mechanischen Einfluß, den dieses System selbst im Erdfelde erfährt. Mit H als der gesuchten Horizontalintensität und M als dem Moment des Magneten führen diese beiden Beobachtungen zur Kennt- nis der Werte von H:M und H-M und damit zur Bestimmung von H wie auch von M. Die Ermittlung der letztgenannten Größe gibt dann, insoweit ihre Konstanz während einer gewissen Zeit als ver- bürgt oder ihre Änderung als bekannt gelten darf, die Möglichkeit, an einem andern Ort oder zu anderer Zeit weitere, sogenannte rela- tive Messungen von H durch eine einzige Beobachtung zu erhalten. Von den beiden Größen H:M und H.M wird indessen, und zwar gewöhnlich durch Schwingungsbeobachtungen, nur die zweite unmittelbar gewonnen, vorausgesetzt, daß gewisse Hilfsmessungen, vor allem die Bestimmung des Trägheitsmomentes des Magneten, ein für allemal im voraus erledigt worden sind. Die zur Ermittlung der Größe von H:M dienenden, gewöhnlich in Ablenkungsbeobachtungen bestehenden Messungen würden dagegen den gesuchten Wert unmittel- bar nur unter Bedingungen liefern, die aus praktischen Gründen un- zulässig sind — dann nämlich, wenn man den Ablenkungsstab aus einer im Vergleich mit seiner Länge sehr großen Entfernung wirken ließe. Nur unter dieser Voraussetzung ist ja sein Einfluß seinem magnetischen Moment proportional; gleichzeitig ist er aber dann zu klein, um mit Schärfe meßbar zu sein. Av. Scamiwr: Über die gegenseitige Wirkung zweier Magnete. 307 Man macht sich von diesem Übelstande bekanntlich dadurch frei, daß man die Ablenkungen mißt, die der Magnet auf eine Nadel bei einer bestimmten gegenseitigen Lage, gewöhnlich der ersten Haupt- lage, aus mehreren, meistens zwei, verschiedenen Entfer- nungen ausübt, und daß man daraus auf die dem Moment propor- tionale Wirkung aus sehr großer, theoretisch gesprochen unendlich großer Entfernung schließt. Dieses bisher nahezu ausschließlich an- gewandte Verfahren, das seinem Wesen nach auf eine Extrapolation, und überdies auf eine besonders ungünstige, hinauskommt, ist in- dessen nicht geeignet, der Messung diejenige Schärfe zu geben, die an sieh mit den jetzt verfügbaren technischen Hilfsmitteln zu er- reichen ist. Zweekmäßiger ist es, mehrere Ablenkungen bei verschiedener gegenseitiger Lage von Magnet und Nadel, im einfachsten Falle ohne Änderung ihrer Entfernung, zu benutzen. Beispielsweise können Beobachtungen in den beiden Hauptlagen kombiniert werden, ein schon von Lawonr eingehend behandeltes und früher auch gelegentlich an- gewandtes Verfahren, das aber anscheinend allmählich fast in Ver- gessenheit geraten ist. Auch die vorzügliche, von Börsen angegebene Methode zur genauen Bestimmung des Polabstandes eines Magneten ist hierher zu rechnen, da sie außer der Beobachtung in der für sie charakteristischen Lage noch eine solche in einer anderen Lage zur Be- stimmung des Moments verlangt. Der wichtigste Vorteil des zweiten Verfahrens, von dem die so- eben angeführten Beobachtungsmethoden spezielle Fälle sind, liegt außer in der für die Elimination günstigen Gestaltung der Gleichungen darin, daß es gestattet, durch beliebige Erhöhung der Anzahl der verschiedenen Lagen nicht nur die Genauigkeit der Resultate prinzi- piell unbegrenzt zu steigern, sondern auch Ergebnisse von allgemeinerer Bedeutung zu erlangen. In der Tat kommt ja dieses Verfahren darauf hinaus, die Wirkung des Magneten in allen Punkten einer ihn umgebenden, geschlossenen Fläche, etwa einer Kugel- fläche, zu ermitteln, wodurch nach den Sätzen der Potentialtheorie sein vollständiges Potential und damit sowohl seine eigene magne- tische Wirkung in allen nicht ihm selbst angehörenden äußeren Punk- ten, wie auch umgekehrt die ponderomotorische Wirkung, die er seinerseits in einem magnetischen Felde erfährt, bestimmt ist. Eine derartige eingehende Untersuchung der allseitigen Wirkung eines Magnets hat natürlich nicht allein, ja nicht einmal in erster Linie, die Bedeutung, eine verschärfte Messung der erdmagnetischen Kraft zu ermöglichen. Ihr Wert liegt vor allem darin, daß ihr Er- gebnis die vollständige und zugleich die einfachste Darstellung dessen 308 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe vom 21. März 1907. bildet, was sich überhaupt über den magnetischen Zustand des unter- suchten Körpers ohne jede Hypothese über seine innere Beschaffen- heit exakt aussagen läßt. Natürlich liefert sie so zugleich für die Aufstellung und Prüfung derartiger Hypothesen und damit für die tiefere physikalische Erforschung der Eigenschaften der magnetisierten Materie die zuverlässigste Grundlage. Es gilt dies um so mehr, als die Methode in ihrer Anwendung nicht auf permanente Magnete be- schränkt ist, sondern ebensowohl die induzierte Magnetisierung zu untersuchen gestattet. Übrigens bedarf es wohl kaum der besonderen Hervorhebung, dal die Bestimmung des Potentials eines Magneten an Stelle der ein- fachen Messung des Moments auch bei der Ermittlung der Wirkungen irgendwelcher äußeren Einflüsse angezeigt ist und einen tiefern Ein- blick in die damit verknüpften magnetischen Vorgänge verspricht. So wird man vor allem den Einfluß der Temperatur in dieser Weise zu untersuchen haben, ebenso denjenigen mechanischer Einwirkungen, wie der Dehnung, der Torsion usw.; man wird weiter feststellen können, wie sich ein Magnet unter verschiedenen Bedingungen seiner Magnetisierung, seiner Aufbewahrung und sonstigen späteren Behand- lung verhält — lauter Fragen, denen neben der theoretischen auch eine große praktische Bedeutung zukommt. Tatsachen wie die, daß der Temperaturkoeffizient sehr wesentlich von der Gestalt des Magneten abhängt, fordern geradezu dazu auf, die Untersuchung nicht auf das Verhalten des Moments zu beschränken, sondern auf die höheren Glie- der der Potentialreihe auszudehnen. Sind diese höheren Glieder doch in gewissem Sinne für die individuelle Beschaffenheit des einzelnen Magneten charakteristisch — sowohl für die zufällige tatsächliche Mag- netisierung, die von den besonderen äußeren Bedingungen abhängt, unter denen der Magnet gestanden hat und steht, wie auch für et- waige konstante Eigentümlichkeiten, die in seiner Gestalt und in der Heterogenität seines inneren Baues begründet sind und die vielleicht gewisse, für den betreffenden Magneten mit einem Minimum des Zwanges verknüpfte Magnetisierungszustände definieren. Die praktische Durchführung des Verfahrens, die natürlich in sehr mannigfaltiger Weise geschehen kann, verlangt die Berücksichtigung mancher Nebenumstände, so vor allem der Variation des erdmagne- tischen Feldes und der Temperaturschwankung während der Beob- achtung, ferner der gegenseitigen Induktion der benutzten Magnete und der ebenso wie diese mit der Lage wechselnden Induktion durch das erdmagnetische Feld. Im übrigen aber sind die dabei zu treffen- den Maßnahmen so vollständig durch die Natur der Aufgabe vorge- schrieben, daß ihre Darlegung am besten mit der Mitteilung wirklich * .,. 5 ” > An. Schnur: Über die gegenseitige Wirkung zweier Magnete. 309 ausgeführter Messungen verbunden wird, zu der hier der Raum fehlen würde. Nur in einer Hinsicht erscheint eine allgemeine theoretische Vor- arbeit erwünscht, und diese zu geben ist der Zweck der folgenden Ausführungen. Es ist dies die Ableitung der allgemeinen Formeln für die Einwirkung zweier Magnete aufeinander in einer von der bis- her üblichen etwas abweichenden, der vorliegenden Aufgabe ange- paßten Gestalt.‘ Zur Erleichterung des Überblicks über die dazu die- nenden Entwieklungen möge zunächst der allgemeine Gang der Rech- nung in großen Zügen geschildert werden. Es sei V das gegenseitige Potential der beiden Magnete M, und M,, deren Einwirkung aufeinander bestimmt werden soll. Ferner seien dw, und dx, unendlich kleine Verschiebungen nach einer gewissen Rich- tung, dr, und dr, ebensolche Drehungen um eine bestimmte Achse, die M, und M, erfahren. Dann sind die in jene Richtung fallenden Komponenten der Kräfte, die von M, auf M, und umgekehrt ausgeübt werden, we X. EM dw, dw, { und die auf jene Achse bezogenen Komponenten der entsprechenden Drehungsmomente a, = oV Zr ge Die aus den allgemeinen Grundsätzen der Mechanik folgenden Beziehungen X, +A,=0, 3,+3,= 0 ergeben sich auch unmittel- ı Man könnte sich natürlich auch der für diese Einwirkung bereits mehrfach — so von Lanmont, RıeckE, Fritsche, BÖRGEN — abgeleiteten Formeln bedienen. Be- sonders brauchbar sind die von BöRGEn in seiner letzten Arbeit (in Terrestrial Magne- tism, Vol.I S.176, wo man auch die frühere Literatur zusammengestellt findet) gege- benen Ausdrücke, die ohne jede beschränkende Annahme über die gegenseitige Lage der beiden Magnete soweit entwickelt sind, daß sie mit verhältnismäßig geringer Mühe zur numerischen Behandlung beliebiger Fälle benutzt werden können. Für die vorliegende Aufgabe erweist es sich jedoch als vorteilhaft, eine etwas andere Form der Darstellung zu wählen als die von den genannten Autoren benutzte, so zweckmäßig diese auch für die gewöhnlichen Anwendungen ist. Bei diesen handelt es sich immer um die Berechnung des von einem festen Magneten auf eine Nadel aus- geübten Drehungsmoments in einem bestimmten Falle; hier aber tritt die funktionelle Abhängigkeit der Wirkung von der wechselnden Lage des Ablenkungsstabes in den Vordergrund. Bei der allgemeinen Behandlung dieses Problems empfiehlt es sich, die für die numerische Auswertung freilich nicht wohl zu umgehenden weitläufigen trigo- nometrischen Formeln mit Hilfe von Kugelfunktionen in bequemere, geschlossene Aus- drücke zu verwandeln. Diese bieten überdies den Vorteil, daß die Entwicklung nach ihnen leicht bis zu jeder beliebigen Ausdehnung der Reihen fortgesetzt werden kann. Endlich läßt sich auf diesem Wege auch am leichtesten der allgemeine Fall, derjenige des rings um seine Achse ungleichförmig magnetisierten Magneten, behandeln. 310 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe vom 21. März 1907. bar aus den vorstehenden Ausdrücken, da jede Veränderung der gegen- seitigen Lage von M, und M,, die auf irgendeinen Wert von dV führt, in bezug auf die beiden Magnete entgegengesetzt gleichen Betrag hat, so daß für sie dv, +da, =0, 4, +d,—=o gilt.' Um nun V aus den als gegeben vorausgesetzten allgemeinen Po- tentialen II, und II, der beiden Magnete abzuleiten, denke ich mir diese durch eine geschlossene Fläche O voneinander getrennt. Es möge sich etwa 4, in dem von der Fläche umschlossenen Teile des Raumes, M, in dem außerhalb gelegenen Teile befinden. Dann läßt sich nach den allgemeinen Sätzen der Potentialtheorie auf O0 eine magnetische Oberflächenbelegung 0, angeben, deren Potential im ganzen Außen- raume mit demjenigen von M, übereinstimmt, ebenso auch eine solche, Q,, deren Potential im Innenraum mit dem von M, identisch ist. Das gegenseitige Potential von M, auf M, kann daher auch durch das- jenige von Q, auf M, oder, was dasselbe ist, von M, auf Q, ersetzt werden. Letzteres aber ist ohne weiteres anzugeben; es ist, wenn do ein Element der Fläche O0 und Q,, bestimmter gesagt, die Flächen- dichte der angenommenen Belegung bezeichnet, gleich dem über die ganze Fläche genommenen Integral (0) | Q,TL,do. u Man kann natürlich auch umgekehrt M, durch Q, ersetzen, wo- durch man zu einem zweiten Ausdruck gelangt. Zusammenfassend hat man also (0) (0) n=| DIE. do)— Q,I,do. Zur Auswertung dieser Integrale ist es nötig, die Potentiale H, und II, für jeden Punkt der Fläche O zu bestimmen und daraus ferner 2, und ©, gleichfalls für jeden dieser Punkte abzuleiten. Diese in allgemeiner Fassung gar nicht zu lösende Aufgabe läßt sich durch eine zweckmäßige Wahl von O der Rechnung zugänglich machen. Das einfachste, der Natur der Sache entsprechende Verfahren ist es offen- ! Die Drehungsmomente wird man bei allen praktischen Anwendungen natürlich auf Achsen beziehen, die durch den Magneten selbst hindurchgehen, die also für die beiden Magnete im allgemeinen verschieden sein werden. Dann verschwindet natür- lich, auch wenn die Achsen gleiche Richtung haben, die Summe 2, +, nicht mehr, sondern nimmt einen von den gegenseitig wirkenden Kräften und von der Entfernung der Magnete abhängigen Wert an. Hat man umgekehrt für jeden Magneten die Drehungs- momente berechnet, die er in bezug auf die durch einen seiner Punkte gehenden Achsen erfährt, so kann man daraus ohne weiteres die zur Verbindungslinie der beiden Punkte senkrechten Kraftkomponenten berechnen. Nur die in diese Verbindungslinie selbst fallende Kraft muß noch besonders bestimmt werden. An. Scamwr: Über die gegenseitige Wirkung zweier Magnete. 3 bar, dafür eine Kugelfläche zu wählen und zugleich das Potential eines jeden Magneten in der Form einer nach Kugelfunktionen fortschreiten- den Reihe anzusetzen. Die Aufgabe kommt dann im wesentlichen darauf hinaus, diese Reihen in solche zu verwandeln, deren Bezugs- system seinen Ursprung im Kugelmittelpunkt hat. Alle neben dieser Transformation noch auszuführenden Operationen — die Bestimmung der Dichte der Flächenbelegung und die Auswertung der Integrale — sind dann ganz einfache, fast ohne jede Rechnung zu erledigende Aufgaben." Das gegenseitige Potential der beiden Magnete und die daraus folgenden Kräfte und Drehungsmomente ergeben sich als Funktionen einerseits der Größen, die die gegenseitige Lage der beiden Magnete definieren, andrerseits der Koeffizienten der Kugelfunktionenreihen, die somit als die charakteristischen Konstanten der Magnete erscheinen. Umgekehrt ist hierdurch auch die Grundlage zur Lösung der Auf- gabe gewonnen, die den Ausgang dieser Betrachtungen bildete: aus den Einwirkungen, die man in verschiedenen, zweckmäßig gewählten Lagen beobachtet, rückwärts jene Konstanten und damit das allge- meine Potential für die dabei benutzten Magnete zu finden. Um nun die im vorausgehenden angedeutete Entwicklung durch- zuführen, denke ich mir mit jedem der zu untersuchenden Magnete ein System rechtwinkliger Koordinaten (x, y, 2) fest verbunden. Soweit die Lage der Koordinatenachsen nicht durch ihre Beziehung auf die Gestalt des Magnets definiert werden kann, ist sie durch Marken irgendwelcher Art auf seiner Oberfläche oder mit Hilfe anderer Körper, die zu ihm in bestimmter räumlicher Beziehung stehen (z. B. einer Fassung, eines Spiegels, auch wohl eines Fadens, an dem er hängt), festzulegen. An Stelle der rechtwinkligen Koordinaten x, y, 2, durch die hier- nach irgendein Punkt in bezug auf seine Lage zu dem Magneten definiert ist, führe ich nun die Polarkoordinaten r, o, r ein, die mit jenen durch die Gleichungen T=1rc0oso Yy=[trsinccosr 2=[rsincsint verknüpft sind. Das Potential des Magneten in jedem Punkte einer ! In manchen Fällen könnten auch andere Entwicklungen in Betracht kommen, so z.B. solche nach Lame£schen Funktionen, wenn es sich darum handelt, bei Magneten von gestreckter Forın das Potential auch für das dem Magneten seitlich eng benach- barte Gebiet darzustellen. Indessen kann man durch Transformation auf exzentrisch zur Magnetmitte gelegene Kugeln auch für diese Gebiete bei Zerlegung in einzelne Abschnitte Entwicklungen erhalten, die freilich im allgemeinen für numerische Berech- nungen nicht schnell genug konvergieren. 312 Sitzung der physikalisch - mathematischen Classe vom 21. März 1907. ihn ganz umschließenden Kugeltläche wie auch außerhalb dieser Fläche ist dann av n IT = > m (q,, eos mr + b,„ sin mr) ID (cos 0) nr" I o — Ia>n 0, Pom (COS 0)OsM(Fr+ Yun)". Die hierin auftretenden Größen a,, und b,, oder c,„ und y,, sind also die charakteristischen Konstanten des betreffenden Magnets.' Sie sind allerdings insofern nicht vollkommen bestimmt, als sie noch von der Wahl des Koordinatensystems abhängen. Indem man dieses mit Rücksicht auf die Lage der magnetischen Achse und andere magnetische Eigenschaften oder im Anschluß an Symmetrie- bedingungen der Gestalt des Magnets anordnet, kann man, wie hier nicht näher ausgeführt zu werden braucht, ausgezeichnete. kanoni- sche Konstantensysteme erhalten. Für die Komponenten des magnetischen Feldes in der Richtung der nach außen gerichteten Normale, d.h. im Sinne wachsen- ! Die mit ihnen verbundenen Kugelfunktionen P,„(coss) sind durch die Glei- - chungen n! d"P,(cosr) ra (co >))— er (n+m)! (dcoss)" a ı d"(a— 1)" Po(2) = Pe) = = 1)" definiert. Der Zahlenfaktor, in dem s,„ für m=o den Wert ı, sonst stets den Wert 2 bezeichnet, ist so gewählt worden, wie es für die durchzuführende Entwicklung und für die Gestaltung der Schlußformel am zweckmäßigsten erschien. Für die Anwendung auf wirkliche Beobachtungen wird es sich aber empfehlen, das Potential in der Form I = Zr 237 Pr (coss) cosm(r+yY,)r "—" mit Sog c, (n + m) !(n — m)! R Pj (cos 5) = V5,. Bin (cos 5) ’ Cm = TE= ’ Yan = Yım > Om — —r = Fr, no U nm Mn ” als die eigentlichen Konstanten des Magnets einzuführen. Der Vorteil dieses Verfahrens liegt darin, daß die Funktionen P} alle von derselben Größenordnung sind, so daß die unmittelbare Vergleichung der verschiedenen Koeffi- zienten c”, ein zutreffendes Bild ihrer Bedeutung gibt. Die beiden für das Folgende wichtigsten Sätze aus der Theorie der Kugel- funktionen, das Additionstheorem und der Mittelwertssatz, lauten bei der getroffenen Festsetzung so: anzusetzen und die Werte P, (cos: 6087, +Ssin o;Sinezcosr) = IM Om Prm (COS Tr) Pım (COS 72) cos mr , m 2r cosm («—L) I Bit FE je sins dr. Pam (cos r) cosm (r+ &) + Pım (COS 7) cosm (r+L) = Vera o o Benutzt man die Funktionen P", so werden die Formeln noch etwas einfacher, indem dann der Faktor wie der Divisor dm wegfällt. 2 Ar ; © An. Scnmior: Über die gegenseitige Wirkung zweier Magnete. 313 der Werte von r, weiter in der Richtung des wachsenden Bogens von so und ebenso desjenigen von r gelten die Formeln on h on a ı on R=—-,. DE — ar T=—- ——n. er 1 00: ’sıno 07 Das System R, S, T stimmt im Drehungssinn mit «, y, 2 über- ein: es ist also rechtsdrehend, wenn man dieses, wie üblich, rechts- drehend wählt. Bei einem regelmäßig gestalteten, homogenen Magneten wird im allgemeinen die Magnetisierung rings um seine geometrische Mittel- linie annähernd gleichmäßig verteilt sein. Macht man diese Linie, die dann auch sehr nahe mit der magnetischen Achse zusammenfällt, zur w-Achse, so sind die Koeffizienten der von r abhängigen Reihen- glieder gegenüber den anderen sehr klein und dürfen in erster An- näherung vernachlässigt werden. Das Potential reduziert sich dann auf den einfachen Ausdruck & IE > 207 PN (cono)ry 2 — D>=6,P,(coso)r "7 und unter der weiteren Voraussetzung symmetrischer Magnetisierung der beiden Hälften des Stabes oder bei Zusammenfassung der unter Vertauschung der Pole erhaltenen Resultate auf C N C [4 T=—P,(coso)+—P,(eoso)+— P,(cose)+.... m 1 r Um freilich die hierin auftretenden Koeffizienten möglichst genau und von Willkür frei zu bestimmen, wird man die Wirkung des Magneten in einer Anzahl von äquidistanten Halbebenen { Br) 27 27 eiwartürrr — Oo, — er = WU) beobachten und für jeden Wert von c das Mittel aus den v zugehörigen Ergebnissen ansetzen. Man wird also tatsächlich dieselben Beob- achtungen (nur vielleicht unter Einschränkung der Anzahl v) ausführen, die man zur vollständigen Koeffizientenbestimmung nötig hätte. Bei dieser selbst müßte man die zu jedem Werte von c bei konstantem r gehörigen Beobachtungsergebnisse in einer nach r entwickelten trigo- nometrischen Reihe darstellen und dann die einzelnen Koeffizienten dieser Reihe durch Kugelfunktionen von cos © ausdrücken, während man sich in jenem einfachsten Falle darauf beschränkt, das Anfangs- glied jeder trigonometrischen Reihe zu berechnen und als Funktion von co darzustellen. Als Beispiel und zugleich zur anschaulichen Deutung der allge- meinen Formel diene der Fall des schematischen Magneten, wie Sitzungsberichte 1907. 32 314 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe vom 21. März 1907. ich einen solehen nennen will. dessen Magnetismus in zwei Punkten konzentriert gedacht wird. Es mögen diese Punkte mit den Magne- tismusmengen +m und —m versehen sein und die Koordinaten Vet, y=o,2=o md =] os 2=—1orodermrkobr- system r=/!,o=o und r=/,c=r häben. Die Entfernungen r, und r, irgendeines andern Punktes (r, co, r) von diesen Polen sind dann durch = rn" +-l’— 2rlcosc rn =r+l’+2rlcos co gegeben und das Potential in jenem Punkte ist Die Fundamentalgleichung der Theorie der Kugelfunktionen liefert, wenn r>/ ist, I I 1 Ta I I l la =—-+— P,+—P,+..., ——=--—PR+-—P-+..., iR m r 1? 72 7 r 73 also ml 2ml> —- — Pi\eose)+- _ b,(eosso) +. = r M IE = P, (eos 0)+ = P,(eöse)+.. ) : Die in dem allgemeinen Potentialausdruck auftretenden Koeffi- zienten haben somit hier die Werte REN. NN Ge MM en Da nun die beiden als Moment M und Polabstand 2/ bezeich- neten Konstanten eines beliebigen Magnets gerade durch die Ein- führung eines ihm in bezug auf seine Fernwirkung gleichwertigen schematischen Magnets definiert werden, so ist allgemein, d. h. für Jeden Magnet, wenn seine magnetische Achse zur x- Achse gemacht wird, Gaza N We Bei einem linearen Magneten von der Länge 2a, der im Ele- mente dw seiner Achse die Magnetismusmenge mdx trägt, ist nach ! In Anlehnung an den Fall des schematischen Magnets könnte man allgemein statt @,n und d,m reine Zahlenfaktoren, die mit M2"—" multipliziert sind, einführen, also (zur Vermeidung unnötiger weiterer Bezeichnungen) dafür @,m Ml"—" und d,m MI": schreiben. Diese neuen Koeffizienten würden zusammen mit M und / die charakte- ristischen Konstanten des Magnets bilden. Es wäre dann allgemein bei der ange- nommenen Lage des Koordinatensystems @o=I und ao=1I, und der schematische Magnet wäre durch ao =0 und @..-+:1,0o =I definiert. An. Scunior: Über die gegenseitige Wirkung zweier Magnete. DD —n—I der vorstehenden Entwieklung der Faktor von r in der Poten- tialreihe gleich ta | ma'dı , —a d. h. nach Lamonts Bezeichnung gleich M,. Man hat also CE VE eG — M, u M, usw. Die nach dieser Abschweifung wieder aufzunehmende allgemeine Entwicklung führt nun zunächst ohne weiteres zur Berechnung der dem Magneten im Außenraume gleichwertigen Flächenbelegung, wenn der Mittelpunkt der als umschließende Fläche zu wählenden Kugel in den Koordinatenursprung verlegt wird. Nach den allgemeinen Sätzen der Potentialtheorie ist das Potential einer auf einer Fläche ausgebreiteten Masse auf beiden Seiten der Fläche in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft dasselbe, und das 4r-fache der Dichtigkeit gleich dem Unterschiede des Potentialgefälles auf beiden Seiten; in üblicher symbolischer Sehreibweise, wenn die positive Richtung der Normale nach innen geht: " . 6 on on — s ra = | „— il a; = ; on )ro on )_ Besitzt nun eine magnetische Massenverteilung auf der Kugelfläche vom Radius R im äußern Raume, d.h. fürr>R, das allgemeine Potential Er = >, >3, Cam Bi (cos 7) cos m (r Zum Ya) LE ex) Bu >: C, Top“ 57 E wofür auch R n-+1ı =. > (7) geschrieben werden kann, so ist, wie der letzte Ausdruck zeigt, ihr Potential im innern Raume, d.h. für r3; Im (zn tel ) Cum Tach (cos c) cos m (7 3 Yım) Me als die zu N, 7 >=, >, 6 1 (cos c) cos m (* Zum om) ar . (r = R) nm gehörige Massenverteilung. Nun sei andererseits, auf dasselbe Koordinatensystem bezogen, das Potential des außerhalb der Kugel vom Radius /2 gelegenen Magnets M, IL = >>>; Kong Pr, (cos ©) cosg(F+x,,) 7” ( 2n+ I 5 k = ISaSn Bern gg — , ds sin od — u AT Pq [a o o (cos 0) C0OSM(F-+ Yın) Pr, (COS 6) cos g(F+%,,)- PB. nm Von den in dieser vierfach unendlichen Summe auftretenden Inte- gralen verschwinden alle diejenigen, in denen die entsprechenden In- dizes nicht übereinstimmen. Nur die, in denen gleichzeitig n = p und m = g ist, besitzen einen im allgemeinen von Null verschiedenen Wert, nämlich AT cos m (Y —rG ) B N nm nm (2n-+ I oe Demnach wird die ganze Summe 5 I ‚= >3>7, D Emm Kan cos m Ver Eu Km) 2 nm Die in dieser einfachen Formel auftretenden Größen sind nun noch als Funktionen derjenigen Variabeln darzustellen, die die gegen- seitige Lage der beiden Magnete definieren. Wie schon bemerkt wurde, liegt in der Durchführung der dazu nötigen Koordinatentransformation die Hauptaufgabe bei der Lösung des vorliegenden Problems. Die Ableitung der Transformationsformeln würde hier zu weit führen; ich muß mich darauf beschränken, sie in der Gestalt, in der sie weiterhin Anwendung finden, mitzuteilen. Jeder Übergang von einem räumlichen Koordinatensystem zu einem andern, ihm kongruenten, läßt sich aus Drehungen um den An. Scunivr: Über die gegenseitige Wirkung zweier Magnete. 317 Anfangspunkt und Verschiebungen des Anfangspunktes zusammen- setzen. Dies gilt also auch im vorliegenden Falle; aber mit Rück- sicht auf die Natur der zu transformierenden Funktion unterliegt die Koordinatenumwandlung hier gewissen, nebenbei auch von der Art der gewählten analytischen Darstellung abhängigen Einschränkungen. Jene Funktion ist, soweit sie hier in Betracht kommt, nur für den nicht von Magnetismus erfüllten Raum, und bei der Darstellung durch Kugelfunktionen unmittelbar sogar nur für denjenigen Teil dieses Raumes definiert, der außerhalb einer den Magneten ganz umschließen- den oder innerhalb einer ihn ausschließenden Kugelfläche liegt. Bei einer Drehung um den Mittelpunkt der Kugel transformiert sich der Gültigkeitsbereich der Reihenentwicklung in sich selbst, und die Transformation ist daher, ohne daß eine neue Beschränkung hinzu- tritt, ausführbar. Formell spricht sich dies darin aus, daß sich die Umformung der Kugelfunktion Ä,,? oder Ä,„„r" in diesem Falle wegen der Konstanz von r auf eine solehe der Kugelflächenfunktion K,„ (wie der Kürze halber statt P,„(coso)cosm(r+y) geschrieben werden mag) reduziert. Bei einer Verlegung des Anfangspunktes dagegen bleibt die räumliche Funktion als Ganzes umzuformen, und die Gültigkeitsbereiche der beiden Darstellungen decken sieh nicht; derjenige der neuen, der einen Teil von dem der ursprünglichen bildet, muß daher besonders festgestellt werden. (Das schließt nicht von aus, daß jener manchmal nachträglich so erweitert werden kann, daß er über diesen stellenweise hinausragt.) Die Aufgabe umfaßt mehrere wesentlich verschiedene Fälle. Es können die beiden Kugelflächen ein- ander ausschließen oder es kann die eine von der anderen umschlossen werden, und es kann bei dieser wie bei jener entweder der Innen- oder der Außenraum in Betracht kommen. Hier tritt nur der folgende Fall auf: das Potential ist für den Raum außerhalb einer den Magneten um- schließenden Kugelfläche O, gegeben; es soll für den Innenraum einer zweiten, ganz außerhalb von 0, liegenden Kugel 0, entwickelt werden. Bei der Drehung sind zwei einfache Möglichkeiten zu unterscheiden, auf die sich jeder andere Fall durch Zerlegung zurückführen läßt. Eine Drehung im Betrage von A um die Polarachse des Systems ("= 0), bei der somit die neue Anfangsebene r=o mit der zu 7=ı gehörigen Ebene im alten System zusammenfällt, läßt c un- geändert und verwandelt P,„(coso)cosm(r-+y) in P,m (eos 0) eosm(r +y+R). Eine Drehung um den Winkel 4 um die zur vorigen senkrechte . ” . ” Tr T . Achse, die im ursprünglichen System durch = — ,r = bezeich- 2 2 318 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 21. März 1907. net ist, macht die Linie c=»,r=o zur neuen Polarachse und läßt die Anfangsebene ungeändert, so daß r=o in r’=o0 oder (für das zwischen den beiden Polen gelegene Stück) in = r übergeht. Die in diesem Falle zu verwendenden Transformationsgleichungen habe ich an anderer Stelle (Ztschr. f. Math. u. Phys. 44, 1899, S. 327) abgeleitet. In etwas veränderter Gestalt und in der hier gewählten Bezeichnungsweise lautet die allgemeine Formel, wenn eos7 = c und siny„=s gesetzt wird: P,„ (cos 6) cosm(r+Yy) = — 372 (eos o’) [(— 1)? PX ,(n) eos (pr + my) + (— 1)" =" P7,(#—n) eos (pr'—my)]. np Da mp Hierin bezeichnet P},(n) eine durch die Gleichung mp &„&,n!n! d’ da"P,() JB= — 2 ULF al i=(C MET I Et UEN IE J ‚) (n + m)! (n+p)! de? ) de" definierte, in bezug auf m und p symmetrische, ganze Funktion von c und s, die für m>n oder p>n verschwindet und für n=o in P,, (eos n) übergeht. “in wichtiger Spezialfall ergibt sich für m =o. Man findet durch Ausführung der Substitution, wenn man noch die Beziehung P,, (— cos n) = (—ı)""?P,(cosn) beachtet: np np np IBN(coso)— >r(—1)78 P,, (eos c’) P,, (cos n) cospr'. Es ist dies nichts anderes als das Additionstheorem; denn, wie man ohne weiteres einsieht, ist cose = eose’c0os7+sine’ siny cos(rT—T'). Bei der Verlegung des Koordinatenursprungs genügt es, den Fall zu betrachten, daß sie in der Richtung der Polarachse erfolgt; da diese stets durch eine vorherige Drehung in die Verbindungslinie des alten und des neuen Anfangspunktes übergeführt werden kann. Dabei bleibt r offenbar ungeändert. Die Polarkoordinaten in den beiden Systemen seien r,c,r und r,6,T, die zugehörigen Anfangspunkte, die zugleich die Mittelpunkte von O0, und O, sind, seien N, und N,. Dann ist die Entwicklung für den Außenraum von O,, wenn R der Radius dieser Kugel ist, II = > > CB, nm (cos 2 ,) cos m (F En Yan) LET Tr > R und diejenige für den Innenraum von O,, der bis zur Berührung mit OÖ, ausgedehnt werden darf, i— >>, > Cm Prm (€0S 6,) COSM(F+ Yn) 2. r, Ir Cm = DD; "> m Cam | (cos c,) cos m (F, + Yan) Da: und dasjenige von M, im System [N, 2, A,] zz Dr Kun = > > CRD, (coss,)eosg Hr, so dreht man zunächst die Anfangsebene dort um d, hier um A, so daß sie nun durch N,N, hindurchgeht. Die Ausdrücke ändern dabei ihre Form nicht; nur die Winkelkonstanten y,, und %,, wachsen um d und A. Hierauf sind die Polarachsen in den Anfangsebenen um die Winkel 1,,. zu drehen, so daß sie in die gemeinsame Richtung N,N, fallen. 320 Sitzung der physikalisch - mathematischen Classe vom 21. März 1907. Beschränkt man zur Erleichterung der Übersicht die Betrachtung zu- nächst auf je ein Glied C,,, X,, jedes Ausdrucks, so erhält man statt seiner durch die Transformation eine Summe von (r+1) oder (p+1) Gliedern, die mit ihm im oberen Index übereinstimmen. Die bei A, noch anzuschließende Drehung um $, durch die nur die Winkelkon- stanten um denselben Betrag vergrößert werden, ändert daran nichts. Nun ist endlich der für A, erhaltene Ausdruck noch durch Ver- legung des Anfangspunktes von N, nach N, zu transformieren. Dabei geht jedes einzelne Glied in eine unendliche Reihe über; aber von dieser kommt wieder nur ein Glied in Betracht, dasjenige nämlich, dessen oberer Index mit dem des bei I, gewählten, d.h. mit n, gleich ist. Jetzt sind C,, und X,, auf dasselbe Koordinatensystem bezogen, und es kann daher mit Hilfe der unter dieser Voraussetzung früher abgeleiteten einfachen Formel, die nur von den Koeffizienten und den Winkelkonstanten abhängt, ohne weiteres der daraus entspringende Teil von V hingeschrieben werden. Durch Summation über die In- dizes n,m,p,g ergibt sich schließlich V. Die angedeutete Rechnung, die ich mit Rücksicht auf den be- schränkten Raum übergehen will, führt leicht zu dem folgenden Ergebnis. Wird m (Yamt ö) Str q(x tr \)= On ’ MYam 0) = q(x = onm m 7 al. P7 P7 gesetzt, so ist x n+p)! ee =}: > DeDr n! p! — nm king p >: Be —n | Pula.) Prim.) eos i> + 07) + (— 1)" Pair +1) Pan) eos — 657) + (— 1)? Pan.) Pa(® +.) cos (iS + 67) + 177 Pu@+n) Pal + n,)cos( (iS —a7)]- Die Summation über ö ist von © bis zur kleineren der beiden Zahlen n und p auszudehnen. Es ist vielleicht nicht überflüssig, darauf hinzuweisen, daß der Faktor (— 1)?" deshalb auftritt, weil die Definition der gegenseitigen Lage der beiden Magnete durch », und 7, eine gewisse Asymmetrie einschließt. Um diese zu beseitigen, müßte man die Winkel », und #—n, einführen, was wegen der dadurch bedingten Verschiedenheit des Drehungssinns in den einzelnen Systemen unzweckmäßig wäre. Der für V gefundene Ausdruck läßt sich in mannigfacher Weise umgestalten, so z. B. durch die Substitution Cam cos Yım = Anm Cam sin Y. Nez, VErH Bon cos Kg — Ipg k sınX = h und dureh die Entwicklung nach cosiS$ und siniS. . .,. . ” © An. Scummpr: Über die gegenseitige Wirkung zweier Magnete. 321 Nach der Berechnung von V lassen sich zunächst leicht die in die Riehtung von N,N, fallende Kraft und die Drehungsmomente um die Achsen N,N,,N,L,, N,L,, sowie um die zu den Ebenen NN,L,, NN,L, senkreehten, durch N,, N, gehenden Achsen unmittelbar durch Differentiation nach e,$,08,%,r,,n, finden. Daraus ergibt sich weiter bei jedem Magneten auch das Drehungsmoment um die in der ge- nannten Ebene liegende zu N,N, senkrechte Achse, da zwischen den Momenten, die zu drei Achsen in einer Ebene und durch einen Punkt gehören, eine lineare Beziehung besteht. Die Ableitung versagt aller- dings, wenn r, oder x, gleich Null ist: indessen sieht man leicht durch Stetigkeitsbetrachtungen ein, daß das allgemeine Resultat auch in diesem Falle gültig bleibt. Die vorstehende Formel enthält die vollständige Lösung der Aufgabe, die gegenseitige Einwirkung zweier Magnete aufeinander in allgemeiner und zugleich zu numerischer Auswertung geeigneter Form darzustellen. Es mögen nun noch zum Schluß kurz die wichtigsten Spezial- fälle, die natürlich auch auf dem zuvor angedeuteten Wege selbständig abgeleitet werden könnten, daraus entnommen werden. Sind beide Magnete rings um ihre magnetische Achse gleich- mäßig magnetisiert, und macht man diese zur Polarachse des Koordi- natensystems. so ist allgemein Ge — Orfur Mm2>0r k,=0o für q>o. am Setzt man noch zur Vereinfachung der Schreibweise = Cn ? k = ki; po e no so nimmt der allgemeine Potentialausdruck die Gestalt an: ab — Nn—D—I ei — 1)? —- 3,8 > ir El ı Gnhze P >. = P,(n.) P,(n,) cos®. i Eine andere Form, die besonders hervorgehoben zu werden ver- dient, ergibt sich, wenn man den Winkel » der beiden Achsen N,Z, und N,L, einführt. Da cosw = eosn, 6087, + sinn, siny,cos$ ist und da P/,(n,) und P/(n,) die Faktoren siny, und sin», enthalten, während sie im übrigen ganze Funktionen von cosy, und cosn, sind, so läßt sich $ durch einfache Operationen eliminieren, und man sieht ohne weiteres ein, daß V eine ganze Funktion von cos 7, , c0S 7, und eos w wird. Die weitere Annahme, daß die Achsen der beiden Magnete in einer Ebene liegen, daß also $= 0 ist, führt auf den hiervon äußer- lich nur durch den Wegfall des Faktors cosiS unterschiedenen, tat- sächlich aber wesentlich vereinfachten Ausdruck (np)! ER Zr V=%2r = = ke : > €. ) P.(n) P«(n)- os Sitzungsberichte 1907. 322 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe vom 21. März 1907. Die in diesem praktisch besonders wichtigen Falle auf beide Magnete wirkenden Drehungsmomente um ihre zu jenen Ebenen senk- rechten Mittelpunktsachsen sind oV oV — -— und ———, [07 N Ir Iz während sie für jede in der bezeichneten Ebene liegende Achse ver- schwinden. Die in die Richtung von e fallende und die dazu senk- oV ) a ah: ’ on, 0m rechte Kraftkomponente ist de e oV +. - und = ( wobei das obere Zeichen für M,. das untere für M, gilt. Keane vB Setzt man schließlich 7, = © und betrachtet man ——», als Ah- 2 lenkungswinkel, so erhält man den Fall der ersten Gavssschen Haupt- 2 . ” - lage, während „,= — auf die zweite Hauptlage führt. Um die gewonnenen Resultate auf die übliche, für numerische - Bereehnungen unmittelbar geeignete Form zu bringen, hat man nur noch die Funktionen P/,; durch die entsprechenden trigonometrischen Ausdrücke zu ersetzen, die sich für sie aus den früher angegebenen allgemeinen Formeln ergeben. In den erwähnten speziellen Fällen gelangt man dadurch leicht zu den bereits bekannten Formeln, die- aber insofern eine erweiterte Bedeutung gewonnen haben, als sie nach der hier gegebenen Ableitung nicht nur für lineare, sondern für be- liebige körperliche Magnete gelten, wenn diese rings um die Achse gleichmäßig magnetisiert sind. Die Aufstellung einer ausführlichen Formeltafel der Funktionen P}; und die darauf gestützte Durchführung der angedeuteten Transfor- mation. wofür hier der Raum fehlt, mag einer anderen Stelle vor- behalten bleiben. Ausgegeben am 4. April. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei. 1907. XVII. XVIOI XIX. SITZUNGSBERICHTE DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. Gesammtsitzung amı 4. April. (S. 323) Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe am 11. April. (S. 325) Zimmermann: Das Stabeck auf elastischen Einzelstützen mit Belastung durch längsgerichtete Kräfte. (S. 326) P. Gurasıck: Photometrische Beobachtungen der Jupitertrabanten (hierzu Taf. IN). (S. 339) R. NicorAıpes und S. Doxtas: Hemmende Fasern in den Muskelnerven (hierzu Taf. IV und Vı). (S. 364) Sitzung der philosophisch - historischen Classe am 11. April. (S. 371) MIT TAFEL II, IV uno V. BERLIN 1907. VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. Aus dem Reglement für die Redaction der akademischen Druckschriften. Aus $1l. Die Akademie gibt gemäss $ 41,1 der Statuten zwei fortlaufende Veröffentlichungen heraus: »Sitzungsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften « und »Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften«. Aus $ 2. - Jede zur Aufnahme in die »Sitzungsberichte« oder die »Abhandlungen« bestimmte Mittheilung muss in einer aka- demischen Sitzung vorgelegt werden, wobei in der Regel dasdruckfertige Manuscript zugleich einzuliefernist. Nicht- mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen. 83. Der Umfang einer aufzunehmenden Mittheilung soll in der Regel in den Sitzungsberichten bei Mitgliedern 32, bei Nichtmitgliedern 16 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Sitzungsberichte, in den Abhandlungen 12 Druckbogen von je 8 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Abhand- lungen nicht übersteigen. Überschreitung dieser Grenzen ist nur mit Zustimmung der Gesammt-Akademie oder der betreffenden Classe statt- haft, und ist bei Vorlage der Mittheilung ausdrücklich zu beantragen. Lässt der Umfang eines Manuscripts ver- muthen, dass diese Zustimmung erforderlich sein werde, so hat das vorlegende Mitglied es vor dem Einreichen von saehkundiger Seite auf seinen muthmasslichen Umfang im Druck abschätzen zu lassen. SA. Sollen einer Mittheilung Abbildungen im Text oder auf besonderen Tafeln beigegeben werden, so sind die Vorlagen dafür (Zeichnungen, photographische Original- aufnahmen u.s. w.) gleichzeitig mit dem Manusecript, jedoch auf getrennten Blättern, einzureichen. Die Kosten der Herstellung der Vorlagen haben in der Regel die Verfasser zu tragen. Sind diese Kosten aber auf einen erheblichen Betrag zu veranschlagen, so kann die Akademie dazu eine Bewilligung beschliessen. Ein darauf gerichteter Antrag ist vor der Herstellung der be- treffenden Vorlagen mit dem schriftlichen Kostenanschlage eines Sachverständigen an den vorsitzenden Secretar zu richten, dann zunächst im Secretariat vorzuberathen und weiter in der Gesammt-Akademie zu verhandeln. Die Kosten der Vervielfältigung übernimmt die Aka- demie. ist — wenn es sich nicht um wenige einfache Textfiguren handelt — der Kostenanschlag eines Sachverständigen beizufügen. Überschreitet dieser Anschlag für die er- forderliche Auflage bei den Sitzungsberichten 150 Mark, 1 bei den Abhandlungen 300 Mark, so ist Vorberathung durch das Secretariat geboten. Aus $5. Nach der Vorlegung und Einreichung des || vollständigen druckfertigen Manusceripts an den zuständigen Secretar oder an den Archivar wird über Aufnahme der Mittheilung in die akademischen Schriften, und zwar, wenn eines der anwesenden Mit- glieder es verlangt, verdeckt abgestimmt. Mittheilungen von Verfassern, welche nicht Mitglieder der Akademie sind, sollen der Regel nach nur in die Sitzungsberichte aufgenommen werden. Beschliesst eine Classe die Aufnahme der Mittheilung eines Niehtmitgliedes in die dazu bestimmte Abtheilung der » Abhandlungen, so bedarf dieser Beschluss der Bestätigung durch die Gesammt-Akademie. re auf S. 3 des Umschlags.) Über die voraussichtliche Höhe dieser Kosten Aus $6. Die an die Druckerei abzuliefernden Manuseripte müssen, wenn es sich nicht bloss um glatten Text handelt, aus- reichende Anweisungen für die Anordnung des Satzes und die Wahl der Schriften enthalten. Bei Einsendungen Fremder sind diese Anweisungen von dem vorlegenden Mitgliede vor Einreichung des Manusoripts vorzunehmen. Dasselbe hat sich zu vergewissern, dass der Verfasser seine Mittheilung als vollkommen.druckreif ansieht. Br Die erste Correetur ihrer Mittheilungen besorgen die Verfasser. Fremde haben diese erste Correetur an das vorlegende Mitglied einzusenden. Die Correetur soll nach Möglichkeit nicht über die Berichtigung von Druckfehlern und leichten Schreibversehen hinausgehen. Umfängliche Correcturen Fremder bedürfen der Genehmigung des redi- ” girenden Secretars vor der Einsendung an die Druckerei, 4 und die Verfasser sind zur Tragung der entstehenden Mehr- kosten verpflichtet. Aus $ ‚8; ‘Von allen in die Sitzungsberichte oder Re. aufgenommenen wissenschaftlichen Mittheilungen, Reden, E Adıccan oder Berichten werden für die Verfasser, von wissenschaftlichen Mittheilungen, wenn deren Umfang i im Druck 4 Seiten übersteigt, auch für den Buchhandel Sonder- | abdrucke hergestellt, die alsbald nach Erscheinen des be- treffenden Stücks der Sitzungsberichte ausgegeben werden. Von Gedächtnissreden werden ebenfalls Sonderabdrucke für den Buchhandel hergestellt, indess nur dann, wenn die Verfasser sich AuHleckich damit einverstanden erkkren Ma 4 89. Von den Sonderabdrucken aus den Siena erhält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie, st, zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 50 Frei- exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis zur Zahl von 200 (im ganzen also 350) abziehen zu lassen, F sofern er diess rechtzeitig dem redigierenden Seeretar an- gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr ; Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazu der Genehmigung der Gesammt- Akademie oder der be- treffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten. ‚50 Frei- exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige beidem redigirenden Seeretar weitere 200 Exemplare auf De R. Kosten abziehen lassen. } ‘Von den Sonderabdrucken aus den Aha er- hält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 30 Frei- exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl von noch 100 und auf seine Kosten noch. weitere bis zur Zahl von 100 (im ganzen also 230) abziehen zu lassen, sofern er diess rechtzeitig dem redigirenden ‚Secretar an- gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch ‚mehr pbazueke zur en zu erhalten, so bedarf es dazu exemplare und Sn nach rechtzeitiger ee bei dem. redigirenden Secretar weitere 100 lee auf ihre, Kosten abziehen lassen. : ! ICE Fer s17. # \ ' 323 SITZUNGSBERICHTE 1907. XV. DER KÖNIGLICH. PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 4. April. Gesammtsitzung. Vorsitzender Secretar: Hr. VAHLEnN. *]. Hr. Auwers berichtete über den Fortgang seiner Bearbei- tung der älteren Braprrr'schen Meridianbeobaechtungen. Die Reduction der Fixstern-Beobachtungen am Passageninstrument 1743 —1750 ist vollendet bis auf einige längere Tagesreihen, die weder Fundamentalsterne noch andere Sterne des Catalogs für 1755 enthalten und für die deshalb Anschlusspunkte erst noch ermittelt werden müssen. Mit diesen Ausnahmen sind die scheinbaren Rect- ascensionen nebst Reduction auf Jalıresanfang vollständig, für die ersten 12 Stunden ferner die auf 1745.0 reducirten Werthe für die einzelnen Catalogsterne zusammen- gestellt, und für die Stunden o" bis 6" auch die in den Catalog aufzunehmenden Mit- tel gebildet. Durch Vergleichung mit diesen Mitteln (bis 6"36") hat sich als mittlerer Fehler einer Rectascensionsbeobachtung, aus 4884 Beobachtungen von 513 Sternen zwischen Decl. — 20° und + 30°, der Werth # 0:22 ergeben. Da der m. F. einer einmal mit Bradley’s neuem Passageninstrument beobachteten Rectascension sich in derselben Zone ==#0:18 gefunden hat, ergibt sich, dass das Gewicht einer Beob- achtung der alten Reihe 0.7 des später erreichten betragen hat. In höheren Deeli- nationen wird das Verhältniss indess, wegen der geringeren Sicherheit der Ermitte- lung der Instrumentalfehler, etwas weniger günstig für das alte Instrument; für dieses weicht der Ausdruck des m. F. durchweg, nach 6545 Beobachtungen von 772 Sternen, nieht merklich von # o°21 sec d ab, während bei der Reduction der späteren Reihe das Anwachsen des m. F. hinter dem von sec ö merklich zurückblieb. 2. Hr. Auwers überreichte die II. Abtheilung des von Hrn. Prof. N. Herz in Wien bearbeiteten Sterncatalogs für die Zone von 6° bis 10° südlicher Deelination. (Abh.) Die »Il. Abtheilung« bringt die mittleren Oerter 1890.0 der nur einınal in den Zonenbeobachtungen der Kuffner’schen Sternwarte 1888 — 1891 vorkommenden Sterne und einiger in der I. Abtheilung versehentlich ausgelassenen mehrfach beobachteten, unter 6941 Nummern. Darunter befinden sich gegen 4400 Sterne, die in dem dieselbe Zone umfassenden Stück des Catalogs der Astronomischen Gesellschaft nicht vor- kommen, indem Hr. Herz abweichend von dem für die Gesellschaftsarbeit aufge- stellten Programm nicht nur die Sterne bis 9"o, sondern alle für sein Instrument noch erreichbaren Objeete mitzunehmen suchte. Da die Anzahl der in der I. Abthei- lung catalogisirten Sierne durch einige inı Verlauf des Drucks noch gelungene Richtig- Sitzungsberichte 1907. 34 324 Gesammtsitzung vom 4. April 1907. stellungen auf 3310 gestiegen ist, wird der Herz’sche Catalog für die Zone — 6° bis — 10° insgesammt nahe 10250 Sterne enthalten. 3. Vorgelegt wurde vom Corpus inseriptionum Latinarum Vol. XII. Pars Il. Fase. II: Inseriptiones Germaniae inferioris ed. A. Domaszewskı. Miliaria Galliarum et Germaniarum ed. Tr. Monnsen (7), ©. Hırscn- FELD, A. Domaszewskı. Berolini 1907. Die Akademie hat das auswärtige Mitglied der physikalisch -mathe- matischen Classe Hrn. Marceuın BEerTHeLoTr in Paris am ı8. März und das eorrespondirende Mitglied der philosophisch-historischen lasse Hrn. TuEonor Aurrecnt in Bonn am 3. April durch den Tod verloren. Ausgegeben am 18. April. 325 SITZUNGSBERICHTE _ 1907. xXVvin. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 11. April. Sitzung der physikalisch-mathematischen Ülasse. Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers (1. V.). *]. Hr. Scuwarz las über den von Hrn. Prof. HrSsEenBERG neuerdings aufgefundenen reingeometrischen Beweis für das Bestehen der Pascan’schen Configuration. Die Bedeutung dieses neuen Beweises für das Bestehen der Pascar'schen Con- figuration beruht auf dem Umstande, dass bei ihm weder von der Voraussetzung der Geltung des Parallelenaxioms noch von Stetigkeitsbetrachtungen Gebrauch gemacht wird. Dies hervorzuheben ist deshalb nicht unwichtig, weil es möglich ist, auf diesen Beweis einen neuen reingeometrischen Beweis des Hauptsatzes der synthetischen Geometrie zu stützen, bei welchem weder von Stetigkeitsbetrachtungen Gebrauch gemacht wird, noch die Geltung des Parallelenaxioms eine der Voraussetzungen bildet. 2. Hr. Zınmermann überreichte eine Fortsetzung seiner Unter- suchungen über Stäbe, die durch längsgerichtete Kräfte belastet und in der Querrichtung in einzelnen Punkten elastisch gestützt sind. Die Mittheilung bezieht sich auf den nicht geradlinigen, aber aus einzelnen ge- raden Stücken zusammengesetzten Stab, dessen Theilstücke alle in derselben Ebene liegen. Die Stützung wirkt in den Eckpunkten, und zwar in der Ebene des Stab- ecks starr, rechtwinklig dazu elastisch. 3. Folgende Druckschriften sind eingereicht worden: von dem Kgl. Meteorologischen Institut zwei Bände der laufenden Veröflent- lichungen (Ergebnisse der Niederschlags-Beobachtungen im Jahre 1903. Berlin 1906, und Ergebnisse an den Stationen II. und III. Ordnung im Jahre 1901. Berlin 1906.) und ein Heft: Internationaler Meteoro- logischer Kodex. Bearbeitet von G. Hrrımans und H. HiınnEsrannsson. Deutsche Ausgabe. Berlin 1907; vom Verfasser Hrn. H. Ser ein Sonderabdruck aus Jahrg. XII der »Baumaterialienkunde«: San Marco. Eine venezianische Materialstudie. Stuttgart 1907. 34* 326 Sitzung der physikalisch - mathematischen Classe v. 11. April 1907. Das Stabeck auf elastischen Einzelstützen mit Be- lastung durch längsgerichtete Kräfte. Von H. ZımmErmann. km zwölften Stücke des gegenwärtigen Jahrganges dieser Sitzungs- berichte habe ich den Weg angegeben, auf dem die Formänderungen und Beanspruchungen eines geraden Stabes berechnet werden können, der in einzelnen Punkten in der Querrichtung elastisch gestützt und in der Längsrichtung durch gegebene (nicht mit der Stabachse zu- sammenfallende) Kräfte belastet ist. Solche Anordnungen treten im Brückenbau als Druckgurte oben offener Brücken auf, sofern deren ° Hauptträger sogenannte Parallelträger, d. h. Träger von überall gleicher Höhe sind. Nun kommen aber auch nicht selten offene Brücken mit Hauptträgern von wechselnder Höhe vor. Hier bilden die Obergurte keinen geraden Stab, sondern eine aus geraden Teilen zusammen- gesetzte vieleckige Anordnung, die wir kurz ein Stabeck nennen wollen. Die für den geraden Stab gefundenen Ergebnisse können selbstverständlich nicht ohne weiteres auf das Stabeck angewandt werden. Wohl aber kann man sie als Ausgangspunkte für die Unter- suchung dieses verwickelteren Gebildes benutzen. In den folgenden Zeilen soll gezeigt werden, daß sich auf diesem Wege allgemeinere Beziehungen gewinnen lassen, die den für den geraden Stab gültigen sehr ähnlich sind und sie als besonderen Fall mit umschließen. Da die Mittellinien der einzelnen Glieder von Trägern der in Rede ste- henden Art stets in derselben Ebene liegen, so soll die Betrachtung auch hier auf das ebene Stabeck beschränkt werden. I. Anordnung und Belastung des Stabecks. Bei der Untersuchung des geraden Stabes war es nicht erforder- lich, irgendwelche Annahmen über dessen Lage im Raume zu machen. Für das Stabeck empfiehlt sich dies aber, weil sich dann seine An- ordnung und Belastungsweise leichter beschreiben läßt. Wir beziehen es demgemäß auf ein räumliches Achsenkreuz mit lotrechter Z- Achse Zimmermann: Stabeck auf elastischen Einzelstützen. 327 und nehmen es als vor der Belastung in der X-Z-Ebene liegend an.! Die Formänderungen, um deren Ermittlung es sich hier allein händelt, erfolgen rechtwinklig zur Ebene des Stabecks, also in der Richtung der Y-Achse. In den Eckpunkten, die man gewöhnlich Knoten- punkte nennt, ist das Stabeck gegen Verschiebungen der bezeich- neten Art elastisch gestützt, und zwar durch die Enden von bieg- samen Stäben, die bei Brücken Teile der zur seitlichen Aussteifung angebrachten »Halbrahmen« sind und hier kurz Steifen genannt werden sollen. Die Steifen liegen in der Ebene des Stabecks und werden als lotrecht stehend angenommen. Die Knotenpunkte und alle darauf bezüglichen Größen werden durchlaufend mit einfachen Ziffern bezeichnet, die Seiten und alle zu ihnen gehörigen Werte erhalten die Ziffern der beiden Knotenpunkte, zwischen denen sie liegen. All- gemein ist / die Länge einer Seite des Stabecks, 3 ihr Neigungs- winkel gegen die X-Achse, @ = leos® ihre Grundrißlänge, die auch Feldlänge genannt wird. Die in den Knotenpunkten wirkenden Stützkräfte heißen A, die in der Richtung der einzelnen Seiten des Stabecks wirkenden Längskräfte S, die Hebelarme, an denen diese angreifen, f. Da es sich, wie schon bemerkt, hier nur um Biegungen rechtwinklig zur Ebene des Stabecks handelt, so werden auch die f sämtlich als im rechten Winkel zu dieser Ebene stehend, also in die Richtung der Y-Achse fallend, angenommen. Aus Gründen, die früher näher dargelegt sind, denken wir uns die Hebelarme f nicht an den Knotenpunkten selbst, sondern zu beiden Seiten in unendlich kleinem Abstande davon angebracht.” Demgemäß erhalten die f auch nicht Knotenpunkt-, sondern Seitenbezifterung, also je zwei Ziffern. An den beiden Enden des Stabecks werden Momente M angenommen, die in Ebenen wirken, die rechtwinklig zur X-Z-Ebene liegen und durch die letzten Seiten des Stabecks gehen. Die wagerechten Seitenkräfte der S werden zur Abkürzung mit 7’ bezeichnet und ebenso wie die S als positiv angenommen, wenn sie als Druckkräfte auf die Seiten des Stabecks wirken. In Abb. ı ist beispielsweise ein so angeordnetes und belastetes Stabeek mit vier Feldern oben im Aufriß und darunter im Grundriß dargestellt. Da die Stabkräfte S im Grundriß nicht in ihrer wahren Größe sichtbar sind, so erscheinen dort ihre wagerechten Seitenkräfte T= Scos®. Ferner stellen M, und M, die Abbildungen der wirk- lichen Endmomente auf die X-Y-Ebene dar. Die A und f erscheinen ! Der Kürze des Ausdrucks wegen schreiben wir dem Stabeck und seinen Seiten die räumlichen Eigenschaften zu, die eigentlich nur für die Achse oder Mittellinie gelten. Ähnlich bei den Steifen. ® Vgl. Sitzungsberichte 1907 S. 236. 328 Sitzung der physikalisch - mathematischen Classe v. 11. April 1907. Lane nike A, IE A, , A, Abb. 7. Stabeck mit den daran wirkenden Kräften (Aufriß und Grundriß). dagegen im Grundriß in ihrer wahren Größe: ebenso die Feldlängen a. Links ist die Angrifisweise der Kräfte für den Knotenpunkt 3 als Bei- spiel besonders veranschaulicht. Außer den bisher besprochenen Kräften wirken auf die Knoten- punkte des Stabecks auch noch Momente in Ebenen von der Rich- tung der Y-Z-Ebene, die in Abb. ı nicht dargestellt werden konnten. Diese Momente gehen von den Steifen aus. Näheres hierüber folgt an späterer Stelle. II. Formänderung einer Seite des Stabecks. Wenn man eine Seite des Stabecks in der Weise aus ihrem Zu- sammenhang mit den übrigen heraustrennt, daß die Schnitte die die Seite begrenzenden Knotenpunkte ausschließen, so kann die Form- änderung offenbar genau nach demselben Verfahren bestimmt werden, wie bei einem gleich gestalteten und belasteten Felde eines geraden Stabes. Die für eine Seite von der Länge 7 geltenden Gleichunger. ergeben sich also ohne weiteres aus den für ein Feld von der Länge a gefundenen, indem man überall ! an Stelle von a setzt. Außerdem ist aber auch noch eine kleine Änderung in den Bezeichnungen er- forderlich. Die Biegungsmomente, die in den Schnittstellen auftreten, liegen bei dem geraden Stabe alle in ein und derselben Ebene; bei dem Stabeck ist dies nicht mehr der Fall. Es müssen deshalb die Biegungsmomente, die in Querschnitten links und rechts von dem- selben Knotenpunkte wirken, voneinander unterschieden werden. Wir bezeichnen das Moment am linken Ende eines Feldes durchweg mit M', das Moment am rechten Ende mit M”. Hierzu tritt, je nach der Lage der Schnittstelle, die betreffende Knotenpunktziffer. Als Beispiel ist in Abb. 2 die erste Seite des Stabecks mit den daran wirkenden Kräften in die X—-Y-Ebene niedergeklappt dargestellt. Wendet man darauf das im 12. Stücke dieses Jahrganges der Sitzungs- berichte ausführlich entwickelte Verfahren an, und setzt man jetzt ZImMERMANN: Stabeck auf elastischen Einzelstützen. 320) Abb. 2. Belastung und Formänderung der ersten Seite des Stabecks (Grundriß). zur Abkürzung — unter #% das Elastizitätsmaß, unter J das Träg- heitsmoment des Stabquerschnittes, bezogen auf die zur X-Z-Ebene gleichlaufende Schwerpunktachse, verstehend / (1) De — ll x Be Ar — 1: = YA —y,+ BEL —hb, I 12 ? Se > I2 I S,. so wird die Gleichung der Biegungslinie wieder (2) y—= Asinu,0+ Beosu,0 + a0 +9. Führt man weiter die abkürzende Bezeichnung (3) Kuala —N, ein, so ergeben die Endbedingungen für A und 5 die Gleichungen ; I BA Me 1 MET \ A: SEES en rg SEGEN urn . ; sin, tangA, Sehlamg X. 308... Sina. (4) \ M 2 Fund 3 = j. +. ; S,, Hiermit können die Neigungen v, und v, der Enden der Seite 1—2 gegen die X-Z-Ebene leicht dureh Differenzieren der Gleichung (2) nach x bestimmt werden. Setzt man zur Vereinfachung (5) Bafas == P. > so ergibt sich für den Knotenpunkt ı mit @= 0: lee) ‚sinA, tangA,, Peer I NETSE ne: > Big m’ I. ST Ähnlich wird für den Knotenpunkt 2 mit «= |..: I 1 (7) Vz DIE Pr m Dre te I. SINLZ,.. tang A,, sinA,, L— nn — tang tang A,, — 330 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 11. April 1907 Um aus diesen für die Seite 1—2 geltenden Gleichungen die einer anderen Seite entsprechenden abzuleiten, braucht man nur die zu dieser gehörigen Seiten- und Knotenpunktziffern an Stelle von ı und 2 zu setzen. II. Gleichgewicht der Biegungsmomente an einem Knotenpunkt. Die auf die einzelnen Seiten des Stabecks einwirkenden äußeren Momente Sf liegen in Ebenen, die durch die zugehörigen Seiten gehen und zu der X-Z-Ebene rechtwinklig stehen. Aus den Gleichgewicehts- bedingungen folgt, daß auch die in den Stabeckseiten hervorgerufenen Biegungsmomente in diesen Ebenen liegen müssen. Die zu zwei ver- schiedenen Seiten gehörigen, in Querschnitten unmittelbar links und rechts von einem Knotenpunkte wirkenden Biegungsmomente M” und M’ liegen daher in verschiedenen Ebenen, können also nieht mit- einander im Gleichgewichte sein. Um das Gleichgewicht herzustellen, muß noch ein drittes Moment vorhanden sein oder angebracht werden. Ein solches könnte aus den Widerständen hervorgehen, die das Stab- eck einer Verwindung (Torsion) entgegensetzt; es können aber auch die in den Knotenpunkten des Stabecks angreifenden Steifen durch ihren Widerstand gegen Verbiegung das erforderliche dritte Moment erzeugen. Mit Rücksicht darauf, daß die Verwindungssteifigkeit der Stabarten, um die es sich bei Brücken handelt, meist viel geringer ist als ihre Steifigkeit gegen Verbiegung, soll hier von der ersteren sowohl bei dem Stabeck wie bei den Steifen ganz abgesehen und nur die Biegung in Betracht gezogen werden. Dann ergibt sich das zur Herstellung des Gleichgewichts der Momente an einem Knoten- punkte nötige dritte Mo- Mysufz ment, das mit M'" be- zeichnet werden soll und eh eine biegungsfeste (nicht gelenkige) Verbindung des AR”: ER, Stabeecks mit den Steifen 7," si ie sfr voraussetzt, aus dem Satze K-7- 3 3 Mm „ von dem Parallelogramm der Momente, oder — wenn man die Momente durch Kräfte- I u y y | paare mit dem Hebelarm ı P| C98 fi Ida: EN | ersetzt denkt — durch die 2 Zerlegung der Seitenkräfte Abb. 3. Gleichgewicht der Biegungsmomente M}, di Sp rd p und M3'" am Knotenpunkt 2 (Aufriß, Grundriß und Mes ae een DELL zn Querschnitt). rallelogramm der Kräfte. ZImmERMANN: Stabeck auf elastischen Einzelstützen. 331 So findet man z. B. für den Knotenpunkt 2 die beiden Gleich- gewichtsbedingungen \ M! eos 9,,— NM} cos ®,, © (8) m } und M/sin &,,— M! sin %,+ M, or Zu ihrer Veranschaulichung ist in Abb. 3 der Knotenpunkt 2 mit den angrenzenden Stabteilen und den daran wirkenden Momenten im Aufriß, Grundriß und Querschnitt dargestellt, und zwar der Quer- sehnitt so, wie er in der Richtung des negativen Astes der X-Achse (im Aufriß von rechts nach links) gesehen erscheint. Die den Knoten- punkt heraustrennenden Schnitte sind als ihm unendlich naheliegend zu betrachten, so daß die Hebelarme f mit den an ihnen wirkenden Längskräften S nicht dem Knotenpunkte, sondern den benachbarten Seiten des Stabeeks zufallen. Die Abb. 3 läßt erkennen, in welchem Sinne das Steifenmoment M/” positiv gerechnet werden soll. Zwischen dem Aufriß und dem Grundriß ist die den Gleichungen (8) entsprechende Zerlegung noch besonders aufgetragen. Weiterer Erklärungen bedarf die Abbildung wohl nicht. Die erste Gleichung der Gruppe (8) lehrt, daß die Abbildungen (Projektionen) der beiden in geneigten Ebenen liegenden Momente M/ und 1 auf die X-Y-Ebene einander gleich sind. Wir führen des- halb die neue Bezeichnung (9) M7 eos, — Mieosß. = ME: ein. Hiermit folgt dann aus der zweiten Gleichung der Gruppe (8) (10) M! = (tang 9. — tang ß,,)M, . Durch die vorstehende Betrachtung ist die Berechnung der drei in verschiedenen Ebenen liegenden Knotenpunktmomente 7’, M” und M” auf die Ableitung aus dem einzigen Momente M, zurückgeführt, das in einer durch den Knotenpunkt 2 gehenden wagerechten Ebene wirkt. Ganz dieselben Beziehungen, nur mit veränderten Zeigern, gelten für die übrigen Knotenpunkte, einschließlich der Endpunkte des Stabecks. IV. Die Stetigkeitsbedingungen. Die gebräuchliche Forderung, daß die einzelnen Teile, in die man einen Körper zur Ermittlung der Formänderungen zerlegt denken kann, stetig ineinander übergehen, wenn man sie nach Eintritt der Formänderungen wieder zusammensetzt, hat natürlich in dieser All- gemeinheit keinen Sinn bei einem Gebilde wie das Stabeck, dessen Seiten schon vor der Formänderung nicht stetig zusammenhängen, a Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe v. 11. April 1907. sondern endliche Winkel miteinander bilden. Es fragt sich daher, wie in diesem Falle die Forderung der starren Verbindung der Seiten in den Knotenpunkten zum Ausdruck gebracht werden soll. Dieser Forderung wird nun offenbar genügt, wenn die Winkel der Seiten nach der Formänderung ebenso groß sind, wie vorher. Statt der Un- veränderlichkeit der Winkel selber darf natürlich auch diejenige ihrer Abbildungen auf eine beliebige Ebene als Kennzeichen der Stetigkeit benutzt werden. vorausgesetzt, daß die Neigung des Stabecks oder seiner einzelnen Teile gegen die Abbildungsebene von der Formände- rung unabhängig ist. Als eine solche Ebene bietet sich im vorliegen- den Falle die X-Y-Ebene dar. Auf ihr bildet sich das Stabeck vor der Belastung als gerade Linie ab; die Eckwinkel erscheinen also in der Größe Null. Mithin läßt sich die Stetigkeitsbedingung durch den Satz ausdrücken, daß die Abbildung des Stabecks auf die X-Y-Ebene nach der Formänderung eine stetig verlaufende krumme Linie sein muß.' Dieser Satz soll jetzt beispielsweise auf den Knotenpunkt 2 angewendet werden. Die kleinen Winkel v, und v,, die die Enden der Seite ı und 2 unter dem Einfluß der Belastung im Raume mit der X-Z-Ebene bilden, sind dureh die Gleichungen (6) und (7) bestimmt. Im Grundriß er- scheinen diese Winkel in einer anderen Größe, die man erhält, indem man die wirklichen Werte durch den Kosinus des Neigungswinkels der Ebene der v gegen die X-Y-Ebene, also im vorliegenden Falle dureh cos ®,,, teilt. Führt man dies aus und ersetzt man die Mo- mente M/ und M/ gemäß (9) dureh M,:cos ®,, und M,:cos ß,,, so er- gibt sich mit Rücksicht darauf, daß L.c0sß.—=@. und 8.cosß,—= 1. 12 ist. für den Grundriß von v, der Wert (1 1 ) 2 jr .—— = Au " 5 ) aa —- IT — Be M, cos ß,; sin A, 12) €08 Br tang A.) a.T1. Uno: N Ne M, sin Ars A, Te Ebenso erhält man für den Grundriß von v, die Gleichung ! Diese Form der Bedingung ist nicht ganz streng, weil sich die Knotenpunkte wegen ihrer biegungsfesten Verbindung mit den Steifen etwas um eine zur X-Rich- tung gleichlaufende Achse verdrehen müssen, wenn sich die Steifen unter dem Einfluß der Stützendrücke A und der Einspannungsmomente M”' verbiegen. Diese Verdrehung ist im allgemeinen für die verschiedenen Knotenpunkte nicht gleich und hat zur Folge, daß die Ebenen der Eekwinkel nach Eintritt der Formänderung nicht mehr: lotrecht stehen. Die Fehler, die durch die Vernachlässigung dieses Umstandes ent- stehen können, sind aber jedenfalls kleine Größen höherer Ordnung, also bedeutungslos. Zimmermann: Stabeck auf elastischen Einzelstützen. 333 v, I ji Dr: Ar M, Ve 0 |... 000 = 7 cos ®,, sinA, tangA,)cos&, SINE ae Ye Ya 2 M, Fa = 2 = I - m [CER taner ae Je zwei solcher Gleichungen ergeben sich für jede Seite des Stab- ecks; sie lassen sich aus den vorstehenden einfach durch Einsetzung der entsprechenden Zeiger ableiten. Wenn man nun den Grundrißwinkel v,: eos &,, des rechten Endes der Seite 1—2 dem Grundrißwinkel v,:cos£,, des linken Endes der Seite 2—3 der oben ausgesprochenen Regel gemäß gleichsetzt, so er- hält man die gesuchte Stetigkeitsbedingung für den Knotenpunkt 2 in der Form I I Di. M —) ee ie tl: mg SID ano.) cos 9 Eine Nas. Yıdz ei An M, a5 DE n. tang r Re ur Ron BREI a) M. sin‘, tangA,) cos®, fang? au, DER -(1- Ne ER SIna, |) 0... Eine Gleichung dieser Art ergibt sich für jeden mittleren Knoten- punkt. Daneben bleibt für den ersten Endpunkt des Stabecks die Gleichung (11), für den letzten eine solche wie (12) bestehen. in der nur an Stelle der Zeigerziffern ı und 2 die Ziffern 4 und 5 zu setzen sind. Um nun diese sämtlichen Gleichungen übersichtlich zusammen- stellen zu können, führen wir, ähnlich wie es früher für den geraden Stab geschehen ist, die folgenden abgekürzten Bezeiehnungen ein: N I 2 Tr (14) N EN I ee h je RL Pe Sn: 1— te he an: SINA,, ) G,, Ya 2» tangı.) a, Ri —ua02315 usw.; ferner N u eure I -) Pı2 =: & e (15) ) sin A,, tang A COS ß.. 12 I je ln a = Pi sin, tangA,,) cosß, Mn und schließlich 334 Sitzung der physikalisch -mathematischen Classe v. Il. April 1907. Di A, (16) 12 ah EA N Bere 6” USW. Damit ergeben sich für das in Abb. ı dargestellte Beispiel eines Stabeeks mit vier Seiten (wenn man alle Glieder, die ein M als Faktor enthalten, auf die linke Seite, alle übrigen auf die rechte bringt und zur weiteren Vereinfachung »v, : cos ß,. = |v,] sowie v, : cos ß,, = |v.| setzt) die folgenden Gleichungen: (+ m,)M, + m, M, =|[v,| — v. oO: \ m, M, + (m, + m,)M, + m, M, = v,—v,+®. +® (17) Y,, enthalten. Diese Gleichungen werden zweckmäßig nach den vund M geordnet. Zur Vereinfachung dienen dabei die Bezeiehnungen v v 23 9 Zimmermann: Stabeck auf elastischen Einzelstützen. all &,T eiT, BE | Un 5 = =: 5; A, (dr &,T Ei ls; = —nn (22) On3 22 \ &,7 &G I —_n,; ei _ m; Q;; Qz4 ET &,T ml; el: q,, a +0, , _— m, ——m,; d;2 A,,@,; +, Ö, 2a, — m; (23) O3 '23 Az4 2 \ \ N \ , +9, ö, m, q,, Q,,4,; + _, u A;s I, +, „, Ö, 37 T,-1=n,;5 Ze N: Q,2 GA, 2: +: , 3 El m, "——T,-i=n,;; ES j a (24) Q,; a, 23 OR N N ro: d, +0, „ on I, _N.;: — I kn; Sun: 4;; U; 4;, N N N Gr —ı u, -ıen BiEoe 2440 45 no 45 45 Damit erhält die Gruppe stehende Form: — N. V. t N, V., = N,, V. 22 Va — Nyz Vz3 + N;4 v„= NazVaz —Nz4V PN Ve = n V n Vz Rus Vas (25) 0 m, —1,)H, —( — 1, M, + (m, + m, — 1.) M, — ( — 1m, M+ (m, +, —1,)M, — (m, + m, —1,)M,+m,M,; — wu, +. 0,9, —( der Auflagerbedingungen die nach- m, +0, —1,)M,+m, M, ; m,+10,—1,)M,+m,M, ; m,+0 —n,)M;. Durch diese vier Gleichungen zusammen mit den drei mittleren Gleichungen der Gruppe (17) sind jetzt die sieben Unbekannten M,, N und we 3? 34? 45 als Funktionen der gegebenen Größen be- 338 Sitzung der physikalisch - mathematischen Classe vom 11. April 1907. stimmt. Damit folgen die Abstände y der Knotenpunkte von der X-Z-Ebene aus den Gleichungen (21) und die aller übrigen Punkte des Stabeeks aus Gleichungen von der Form (2), nachdem die M’, M” und M” aus den nach (9) und (10) gebildeten Gleichungen be- stimmt sind. Auch hier wie beim geraden Stab erkennt man leicht, daß mit den f auch die y verschwinden, solange nicht gewisse Bedingungen erfüllt sind, die die Erreichung der Knickgrenze kennzeichnen. Weitere Mitteilungen hierüber behalte ich mir vor. Zum Schluß möge noch darauf hingewiesen werden, daß man natürlich zu denselben Ergebnissen gelangt, wenn man von vorn- herein statt der Gleiehung (2) der räumlichen Biegungslinie die leicht zu ermittelnde Gleichung ihrer Abbildung auf die X-Y-Ebene benutzt. 339 PhotometrischeBeobachtungenderJupitertrabanten von Juli 1905 bis April 1906. Von Dr. P. Gurunick in Berlin. (Vorgelegt von Hrn. Srruve am 21. März 1907 [s. oben S. 299].) Hierzu Taf, II. Vorliegende, auf der Sternwarte des Hrn. von BüLrow in Bothkamp in dem Zeitraum 1905 Juli 8 bis 1906 April ı erhaltenen 1123 Mes- sungen und 73 Schätzungen der Jupitertrabanten I—IV und der be- nutzten Vergleichsterne bilden die Fortsetzung einer im Winter 1904 auf 1905 ebendort angestellten photometrischen Beobachtungsreihe, über deren Ergebnisse in einer Mitteilung der Bothkamper Sternwarte berichtet worden ist. Mit Hilfe dieser Reihe waren die Beobachtungen von AUWERS, ENGELMANN, PICKERING u. A. neu reduziert worden, und aus diesen Beobachtungen ergab sich unzweifelhaft die Periodizität des Lichtwechsels der Trabanten und die Übereinstimmung der Perioden mit den Umlaufszeiten, was nicht wohl anders erklärt werden kann als dureh die Annahme, daß Rotations- und Umlaufszeit bei diesen Himmels- körpern gleich und daß ihre Oberflächen von ungleichförmiger Albedo sind; daneben kommt noch eine merkliche Abweichung der Figur der Trabanten von der Kugelgestalt in Betracht. Weiter ergab sich aber auch, daß der Lichtwechsel nicht vollkommen streng periodisch sein könne, daß vielmehr eine relativ geringe Unstabilität der Liehtkurven während des Beobachtungszeitraumes 1904 Dezember bis 1905 April bestanden haben müsse. Größere unzweifelhafte Veränderungen ließen sich ferner durch die Vergleichung der Auwzsschen Beobachtungen (1858-60) mit den übrigen feststellen. Insbesondere die Lichtkurve des Trabanten II hat 1359-60 einen merklich anderen Verlauf gehabt als 1870, 1877-78 und 1904-05; auch die übrigen Trabanten weisen Unterschiede auf, welche jetzt wenigstens teilweise als reell angesehen werden müssen. Die vorliegende neue Beobachtungsreihe bestätigt diese Ergebnisse und fügt denselben weitere Einzelheiten hinzu. Die Frage nach der Ursache des Lichtwechsels und der Veränderlichkeit der Sitzungsberichte 1907. 35 340 Sitzung der phys.-math. Classe v. 11. April 1907. — Mittheilung v. 21. März. Lichtkurven wurde damals noch offengelassen; es wurde jedoch auf die verschiedenen Möglichkeiten hingewiesen. Bezüglich der Ursache des Lichtwechsels stehen zwei Möglichkeiten im Vordergrund, nämlich 1. das Vorhandensein von Stellen ungleichen Reflexionsvermögens auf den Trabantenoberflächen, 2. eine Abweichung der Figur der Trabanten von der Kugelgestalt. Die Erörterung des ersten Punktes führte zu dem Schluß, daß der Verlauf der Lichtkurven durch alleinige Annahme diffuser Reflexion nicht erklärt werden könne, daß man vielmehr genötigt sei, partielle Spiegelung anzunehmen. Mit der zweiten Annahme läßt sich günstigenfalls nur ein Teil der Hellig- keitsbewegungen erklären; sie hat eine gewisse Stütze in der Form der Lichtkurven, welche durchschnittlich geringere Helligkeiten in den Konjunktionen, größere in den Elongationen der Trabanten auf- weisen. Dieses Gesetz tritt jedoch in den Kurven von 1904-05 nicht ganz klar zutage, weshalb darauf ein größeres Gewicht nicht gelegt worden war. Die Lichtkurven für 1905-06 dagegen zeigen jene Eigen- tümlichkeit in bedeutend stärkerer Ausprägung; ferner ergab eine Be- obachtungsreihe an den Saturntrabanten einen ähnlichen Verlauf der Lichtkurven bei mehreren derselben, so daß es nicht mehr möglich ist, demselben, falls er sich nicht auf physiologische Ursachen zurück- führen läßt, eine tiefere Bedeutung abzusprechen, sei es, daß man an eine Verlängerung der Trabanten bzw. ihrer Atmosphärenhüllen gegen den Zentralkörper hin oder an einen besonderen Einfluß des letzteren auf die tektonische Entwicklung derjenigen Oberflächenteile der Tra- banten denken will, welche in den beiden Konjunktionen der Erde zugewandt sind. Es wird beabsichtigt, bei nächster Gelegenheit eine eingehende Untersuchung darüber anzustellen, ob die Helligkeitsab- nahme der Trabanten in den Konjunktionen wirklich reell ist oder durch den Einfluß des nahen hellen Jupiter hervorgerufen wird. Zwar machen die bisherigen Erfahrungen mit dem Zörrserschen Photometer sowie die bei den vorliegenden Beobachtungen getroffenen Vorsichts- maßregeln eine solche Fehlerquelle, für deren Existenz sonst keine Anzeichen vorhanden sind, nicht wahrscheinlich; bei der prinzipiellen Bedeutung der Frage ist aber äußerste Vorsicht geboten. Die Kon- statierung (der Veränderlichkeit der Lichtkurven war von besonderem Interesse, da sie, falls starke Neigungen der Trabantenäquatoren gegen die Jupiterbahn bzw. Ekliptik ihre Ursachen sind, zu der Hoffnung Veranlassung gibt, diese Neigungen photometrisch bestimmen zu können. Die vorliegende Beobachtungsreihe hat diese Hoffnung nicht erfüllt, vielmehr scheint es nunmehr ziemlich sicher erwiesen, daß die Ver- änderungen der Lichtkurven in der Hauptsache physische Vorgänge auf den Trabantenoberflächen widerspiegeln; gleichwohl ist die Aus- P. Gurunıck: Photometrische Beobachtungen der Jupitertrabanten. 341 sicht, photometrisch zu einer Bestimmung der Neigungen zu gelangen, nicht ganz geschwunden, wie an Trabant II gezeigt werden wird. Das Beobachtungsverfahren ist in der vorliegenden Beobachtungs- reihe im wesentlichen dasselbe geblieben wie früher. Die Messungen wurden mit dem Zörnserschen Photometer in Verbindung mit dem ıızöll. Refraktor angestellt; das Objektiv war gewöhnlich auf 6.7 cm abgeblendet, die Vergrößerung betrug teils 1 30, teils 250. Einige Mes- sungen sind mit vollem Objektiv an den durch doppelte Reflexion an der Glasscheibe des Photometers entstehenden Stern- und Trabanten- bildern gemacht worden; dieselben wurden aber nicht benutzt, da sich herausstellte, daß sie, wohl infolge der teilweisen Polarisation des Trabantenlichts, mit starken systematischen Fehlern behaftet sind; doch sind sie in der Zusammenstellung der Beobachtungen mit aufgeführt. Die Zahl der Einstellungen ist von 4 auf 2 vermindert worden, in der Voraussetzung, daß die Genauigkeit der Messungen hierdurch keine wesentliche Einbuße erleiden würde, was sich auch bestätigt hat; dafür konnte die Zahl der Messungen vergrößert werden. Die Witte- rung war 1905-06 im allgemeinen äußerst ungünstig für photometri- sche Beobachtungen; um überhaupt einigermaßen vollständige Licht- kurven zu erhalten, mußte öfters bei einem Luftzustand beobachtet werden, der für solehe Beobachtungen als gänzlich unzureichend gelten muß; infolgedessen stellte sich nachher bei der Reduktion die Not- wendigkeit heraus, eine nicht unbeträchtliche Zahl von Messungen vorläufig ganz zu verwerfen. Da dieselben immerhin in Zukunft doch noch von einigem Nutzen sein könnten, so sind sie in der Zusammen- stellung der Beobachtungen mitgenommen worden. In dieser Zu- sammenstellung sind zunächst die Messungen mit dem Photometer, dann die Schätzungen am 3zöll. Fraunhofer (F.) und am ı1zöll. Re- fraktor (R.) gegeben. Die erste Kolumne enthält das Datum, die zweite die mittlere Beobachtungszeit, bezogen auf den Meridian von Berlin, die dritte das beobachtete Objekt, die vierte das Mittel der Einstellungen am Intensitätskreis, die fünfte den Logarithmus der hieraus abgelei- teten Intensität, korrigiert für Extinktion, die sechste die hiermit be- rechnete Helligkeit der Trabanten in Größenklassen, bezogen auf das System der Potsdamer Durchmusterung, die siebente die Längen oder Anomalien der Trabanten, gezählt von der jeweiligen nächsten geo- zentrischen oberen Konjunktion unter Voraussetzung kreisförmiger Bahnen. Bei den Schätzungen enthält die vierte Kolumne die in Größenklassen umgesetzten Schätzungen der Differenzen der Hellig- keiten gegen die kleinste, wobei ı Stufe gleich 010 angenommen ist. Den Beobachtungen folgt eine Übersicht über die Beobachtungs- umstände und eine Tafel der Reduktionskonstanten. Die Reduktion ar# bp 342 Sitzung der phys.-math. Classe v. 11. April 1907. — Mittheilung v. 21. März. der Messungen ist in derselben Weise wie früher vorgenommen wor- den: die mit Vergleichsternmessungen verbundenen Trabantenmessungen sind, sofern nicht die atmosphärischen Bedingungen während der Be- obachtung ein anderes Verfahren erforderten, durch Ausgleichungs- rechnung in Größen umgesetzt; & ist die Korrektion des schwächsten Vergleichsternes, y das Verhältnis der Potsdamer zur Bothkamper Messungsskala für die betreffenden Vergleichsterne. Die Tafel der Reduktionskonstanten enthält alle zur Reduktion der Trabantenmes- sungen verwendeten x und y nebst den Anfangs- und Endzeiten der so reduzierten Messungen; die wenigen übrigen Werte sind später bei der Untersuchung der Messungen angeführt; außerdem ist die jeweilige Reduktion der Trabantenhelligkeiten auf die mittlere Opposition des Jupiter und der Phasenwinkel gegeben, der für die Untersuchung des Phasenkoeffizienten notwendig ist. Alle nicht in der Tafel der Re- duktionskonstanten gekennzeichneten Messungen sowie die Schätzun- gen sind mit Hilfe der später zu besprechenden Lichtkurven der Trabanten in Größen verwandelt worden, in derselben Weise wie früher. In der Kolumne »Objekt« der Zusammenstellung der Beob- achtungen bezeichnen die römischen Ziffern die Trabanten, die arabi- schen die Nummern der Vergleichsterne im zweiten Potsdamer Hellig- keitskatalog; a ist der nicht in der Potsdamer Durchmusterung ent- haltene nächste Begleiter von Aleyone (BD +23°536). Ist eine Ab- lesung nur mit einer Dezimale angegeben, so liegt nur eine Einstellung zugrunde, die natürlich wegen Indexfehler korrigiert worden ist. Die Größen der 'Trabanten sind schon auf die mittlere Jupiteropposition reduziert; eine Korrektion wegen Phase, die sich als unmerklich klein herausgestellt hat, ist nicht angebracht. In einigen Fällen ist die Beobachtung unmittelbar nach dem Anzünden der Photometerlampe begonnen worden; die Änderung der Intensität des künstlichen Sternes wurde dann tunlichst ermittelt und berücksichtigt. Für den Tra- banten II sind die auf o0°ı angegebenen Anomalien in der Umgebung von 280° nach der in der Bothkamper Mitteilung aufgestellten Formel g=(E—-E)M+A+(,—l)+Y ermittelt, so daß dieselben unter- einander und mit den ebenso berechneten Anomalien für die älteren Beobachtungen des Trabanten streng vergleichbar sind. Folgende Angaben werden ein Urteil über die Genauigkeit der Messungen ermöglichen. Zu den in der Tafel der Reduktionskon- stanten angeführten Werten von x und y kommen noch folgende hinzu: Aug. 2 x= 0%00, y=1.09 Noy. 6 x= oNoo, y=0.9o Märzıo = —0%o5, y= 1.10 » 17 2= —0.08, y= 1.18 » 24 = —0.06, Yy = 0.96 » I9 2=-+0.02, Y= 0.90 Trotzdem viele der Bestimmungen von y nur auf 3 Sternen beruhen, zeigt die Vergleichung der Werte eines Abends, daß im allgemeinen P. Guranıck: Photometrische Beobachtungen der Jupitertrabanten. 343 die systematischen Fehler der Messungsskala, deren Ausdruck y ist, die zufälligen überwiegen, so daß es wohl berechtigt erscheint, die Größe y auch in den Fällen einzuführen, wo nur 3 Vergleichsterne gebraucht worden sind. Die Werte von y schwanken zwischen 0.88 und 1.18, sind mithin gegen die Bothkamper erste Reihe, in der die extremen Werte um 0.40 differieren, beständiger geworden. Im Mittel war y 1905-06 gleich 1.016 gegen 0.956 in dem Zeitraum 1904-05. Für die beiden verwendeten Vergrößerungen ergibt sich ein kleiner systematischer Unterschied in y; es ist nämlich für Vergrößerung 250 y=1.028 aus 18 Bestimmungen, für Vergrößerung 130 Y = 1.006 aus 23 Bestimmungen. Den Ausgleichungen wurden, abgesehen von dem nur einmal gebrauchten Vergleichstern 679, nicht die Größen der Potsdamer Durchmusterung zugrunde gelegt; es wurden vielmehr zunächst aus den Bothkamper Messungen provisorische Korrektionen der Vergleichsterne ermittelt und angebracht. Die aus den Ausglei- chungen sich ergebenden zweiten Korrektionen übersteigen 002 nicht und wurden deshalb nicht mehr berücksichtigt. Folgende Übersicht über die Helligkeitswerte der Vergleichsterne nach der P.D. und nach den Bothkamper Messungen bedarf keiner Erläuterung. Stern P.D. Bothk.I Bothk. II Zahl der Mess. Bothk. I—-P.D. 75 462 4.70 470 42 +0"08 677 6.15 6.15 6.13 68 0.00 678 6.71 6.72 6.73 53 +0.01 695 5.46 5.42 5.44 47 —0.04 699 6.36 6.37 6.37 3 +0.01 Die nach den Ausgleichungen übrigbleibenden Fehler betragen durch- schnittlich #0"'037; sie beziehen sich im Mittel auf 1.7 Messungen; der mittlere Fehler einer Messung würde sich daraus zu #0"060 er- geben. Aus den gemessenen Differenzen der Vergleichsterne: 675-695, 695-677, 677-678, 675-677 wurde der m.F. bzw. zu 5#0”065, 0.075, =0.075, =0”089 berechnet. Sämtliche den Stern 677 enthaltenden Differenzen geben also einen merklich größeren m.F. als die einzige, in welcher der Stern nicht vorkommt. Bildet man für jeden Vergleichstern getrennt die Fehlerquadratsumme aus den nach der Ausgleichung restierenden Fehlern, so erhält man für Stern 675 =E0:.046, 677 =0:.082, 6738 0.052, 695 =0.061. Während also die Sterne 675, 678 und 695 einen m.F. von durchschnittlich 0052 ergeben, ist der von 677 bedeutend größer. Auf eine Anfrage hin hatte Hr. Geheimrat Mürter in Potsdam die Gefälligkeit, auch seinerseits sowohl die Bothkamper wie die älteren Potsdamer Messungen des Sterns zu prüfen; er kam zu dem Schluß, daß man vorläufig nicht berechtigt sei, eine Veränderlichkeit anzunehmen. In Potsdam ist der Stern nämlich von Dezember 1898 bis März 344 Sitzung der phys.-math. Classe v. 11. April 1907. — Mittheilung v. 21. März, 1899 ı5mal gemessen worden, ohne daß sich eine Veränderlichkeit bemerkbar gemacht hat. Bei der Reduktion ist der Stern deshalb als konstant angenommen worden. Im Durchschnitt ist für alle 4 Ver- gleiehsterne der m.F. einer Messung #0'.062 gegen 0'066 1904-05. Die nicht ausgeglichenen Messungen der Vergleichsterne geben &0'076. Der mittlere Fehler einer Trabantenmessung ergab sich aus der Vergleichung der Messungen desselben Abends für die verschiedenen Trabanten wie folgt, indem zum Vergleich die entsprechenden Werte der ersten Bothkamper Reihe hinzugestellt werden: für 1905—06 1904-05 I +0%052 -too62 II =0.054 +0.055 j000 =0.062 +0.052 IV 0.076 +0.071 Im Mittel wird der m.F. für 1905-06 #0'061; für 1904-05 war er #0"060. Aus den Abweichungen der einzelnen Messungen gegen die Liehtkurven der Trabanten für 1905-06 berechnen sich die m.F., wenn die unsicheren Messungen den sicheren an Gewicht gleichgesetzt werden, wie folgt: für 1905—06 1904-05 I +oNo8Iı =+0%095 u +0.085 =+0.069 III 0.075 =0.070 IV =0.095 —+0.076 Sämtliche m.F. werden auf diese Weise also, wie für 1904-05, auch für 1905-06 beträchtlich größer, im Durchschnitt um 0023 gegen 0"oı8 in der ersten Beobachtungsreihe, gefunden, womit die Ver- änderlichkeit der Liehtkurven auch für 1905-06 konstatiert ist. Wäh- rend aber 1904-05 Trabant IV die stabilste, I die veränderlichste Licehtkurve besaß, war 1905-06 die Kurve von III am konstantesten, die von I und II ziemlich gleich stark veränderlich, wogegen die von IV eine mittlere Stellung einnahm. Der Einfluß der Phase hat sich 1905-06 als verschwindend klein herausgestellt. Wird das Vorzeichen des Phasenkoeffizienten so ge- wählt, daß der positive Sinn Abnahme der Helligkeit mit zunehmen- dem Phasenwinkel bedeutet, so wurde für I —0.0068, für II +0"0045, für III —0°0064, für IV +0'0040, im Mittel —o”oo12, gefunden. Ein Einfluß der Phase ist also noch gar nicht zu verbürgen. 1904-05 wurde aus einem viel kleineren Phasenintervall der offenbar viel zu große Mittelwert +0”024 gefunden; wäre dieser Wert richtig, so müßte 1905-06 der Einfluß der Phase etwa o”2 betragen haben, was trotz der Veränderlichkeit der Lichtkurven der Wahrnehmung nicht hätte entgehen können. P. Guranıck: Photometrische Beobachtungen der Jupitertrabanten. 345 Die Lichtkurven der Trabanten sind in folgender Weise kon- struiert worden. Die mit Vergleichsternmessungen verbundenen Tra- bantenmessungen, welche sich ohne weiteres in Größenklassen um- setzen lassen, gaben das erste Gerüst für die Kurven. Diese ersten Kurven wurden dann zur Reduktion der übrigen Messungen und der Schätzungen verwendet, indem .sie einen genäherten Wert für das Mittel der Trabantenhelligkeiten in Größenklassen für die Beobachtungs- zeiten lieferten, so daß die betreffenden Messungen bzw. Schätzungen hierauf bezogen werden konnten. Dieses Reduktionsverfahren hatte sich auch früher schon als sehr brauchbar erwiesen. Mit den sämt- lichen Größenwerten wurde darauf die Konstruktion der Lichtkurven wiederholt und für jeden Trabanten eine nach Anomalien geordnete Lichttafel aufgestellt, welche die Grundlage für die letzte definitive Reduktion bildete. Die Größen der letzten Reduktion wichen im allgemeinen nur noch um Hundertel Größen von der ersten Nähe- rung ab; eine dritte Näherung war also nicht mehr nötig. Mit den letzten Werten sind dann endlich die definitiven, hier reproduzierten Lichtkurven der Trabanten konstruiert worden, welchen die folgenden aus der Zusammenfassung der Beobachtungen bei benachbarten Ano- malien entstandenen Normalhelligkeiten zugrunde liegen. Unsichere Messungen sind mit halbem Gewicht eingeführt, Messungen desselben Abends bei sehr wenig verschiedenen Anomalien vorher vereinigt worden. Die Anomalien der Normalhelligkeiten sind infolge der Mittelbildung auf o°ı angesetzt; doch entspricht dies nicht der inneren Genauigkeit derselben, mit Ausnahme derjenigen von 254°0 bis 290°g9 bei Tra- bant II, welche, wie früher bemerkt, strenger berechnet wurden. a Zahl der = Zahl der = Zahl der Anom. Größe Einselwere Anom. Größe relwerte Anom. Größe Hizelwerke Trabant I 15008 5"50 5 Trabant II 1293 5759 5 156.0 5.64 5 JS 6710 I 20 5.78: I 165.7 5.70 3 36.0 5.64 4 27.0 5.53 5 168.7 5.80 4 43.0 5.71 6 29.0 5.42 3 193.4 5.79 5 53.0 5.62 5 32.0 5.39 5 200.7 5.59 6 68.5 5.57 2 40.8 5.33 4 207.0 5.51 2 75.0 5.58 4 48.0 5.41 8 217.2 5.54 4 79-5 5-47 4 53.6 5:44 3 222.3 5.70: 3 84-3 5.62 2 59.0 5.47 4 248.0 5.61 3 95.7 5.51 7 64.3 5.46 2 264 5.60 1 100.5 5.55 2 71.0 5.32 2 290.5 5.55 4 108.5 5.48 4 76.3 5.40 3 293.5 5.55 4 112.3 5.50 4 83.6 5.53 5 295.7 5.61 3 129.5 5-43 4 88.2 5.42 4 302.3 5.67 4 135.0 5.54 4 93.3 5-37 3 311.3 5.58 3 138.8 5.59 5 100.3 5.36 3 320.0 5.38 3 142.0 5.67 4 105.5 5.38 2 326.2 5.60 6 146.0 5.70 3 112.0 5.45 2 331.0 5.65° 4 153-5 5.72 2 126 5.82 1 335-3 5.68 6 161.0 5.74 3 135 5.60 I 341.0 5.69 3 194.7 5.96 3 144.3 5.53 3 344.0 5.68 5 211.5 5.85 4 346 Sitzung der phys.-math. Classe v. 11. April 1907. — Mittheilung v. 21. März. Anom. Größe N der Anom. Größe Zahl der Anom. Größe Zahl der Sinzelwerte Einzelwerte Einzelwerte 223°0 581 2 58° 5m15 4 Trabant IV 242 5.73 I 69.2 5.14 5 ET 637 3 254.0 SP 4 74-9 5.08 4 19.3 6.27 3 20° 30 5:09 4 78.3 4-94 3 29.3 6.41 3 271.0 5.79 3 88.7 4-91 3 38.7 6.30 6 275.9 5.86 13 102.0 5.00 3 57.0 6.33 3 279-7 5:94 19 105.7 5.00 3 67.0 6.32 7 232.9 5.92 7 155-3 5.10 5 83.8 6.33 12 286.7 5.88 35 161.8 5.12 4 115.4 6.37 7 290.9 5.84 20 168.8 5.20 5 127.3 6.34 3 299.6 5.32 4 173-9 5.23 9 143.7 6.38 3 310.0 5.82 2 189.0 5.25 3 165.7 6.37 5 319.0 5.83 2 212.0 5.15 5 174.0 6.33 2 331.5 5.74 4 222.0 5.18 2 196 6.30 I 338.0 5.83 2 232.8 5.18 5 207.5 6.06: 2 343-8 5.84 4 250 5.12 I 224.5 6.30 2 348.2 5.99 6 267.0 5.10 5 233.2 6.20 5 352 6.17 I 281.7 5.08 2 261.7 6.10 7 290.1 5.10 6 267.1 6.11 Trabant II 301.5 5 14 2 288 6.14 ! 4-5 5.32 4 317.2 5.06 4 309.2 6.20 6 8.5 5.28 4 331.0 5.18 3 323 6.20 1 15.0 5.12 2 338.1 5.03 6 332.7 6.35 7 44.0 5.02 3 345.1 5.27 7 346.7 6.34 9 51.0 5.05 2 357 5.29 I 353.0 6.47 2 Die vorstehenden Mittelwerte wurden in Millimeterpapier einge-. tragen und die Kurven dann möglichst eng an dieselben anschließend gezogen, da es bei diesen Untersuchungen darauf ankommt, jede auch nur einigermaßen verbürgte Unregelmäßigkeit in dem Verlauf derselben zu registrieren; daß auch die unbedeutenden sekundären Erscheinungen in den Kurven vielfach reell sind, hat die Vergleichung der drei Lichtkurven von 1858-60, 1870, 1877, 1878 und 1904-05, welche in der Bothkamper Mitteilung wiedergegeben sind, gezeigt. Zu den Liehtkurven ist folgendes zu bemerken. Die ausgezogenen Kurven stellen die mittleren Helligkeitsbewegungen der Trabanten für 1905-06, die gebrochenen die mittleren Helligkeitsbewegungen für 1904-05 dar, wie sie, abgesehen von einigen unwesentlichen Kor- rektionen, in der Bothkamper Mitteilung angegeben sind. Unsichere Mittelwerte sind beim Kurvenzug nur in geringem Grade berücksich- tigt worden. Bei I beruht der Wert für 126° nur auf einer Schätzung am Refraktor, die jedoch für zuverlässig gelten muß, da die Licht- schwäche des Trabanten ausdrücklich notiert wurde; Form und Tiefe des Minimums an dieser Stelle mögen freilich unkorrekt sein. Der Kurvenzug ist zwischen 220° und 290° infolge der geringen Zahl der Beobachtungen wahrscheinlich zu glatt. Bei II ist eine Messung (334° 6.17) nachträglich noch ausgeschlossen worden, da sie an- scheinend verunglückt ist. Der Kurvenzug ist von 160° bis 190° unsicher. Bei der Anomalie 280° ist oberhalb der Hauptkurve in gleichem Maßstab die graphische Darstellung der unter besonders Sützungsber. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1907. 1700 80 P. Gutmnick: Phot Sitzungsber. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1907. A Pe P. Guraniek: Photometrische Beobachtungen der Jupitertrabanten. P. Guranıck: Photometrische Beobachtungen der Jupitertrabanten. 347 günstigen Umständen gelungenen Beobachtungen des Minimums am ı. April 1906, welehe unter sorgfältiger Eliminierung der systemati- schen Einflüsse reduziert worden sind, eingezeichnet. Die durch- sehnittliche Abweichung dieser Messungen von der Kurve ist & 0'048. Die Lage des Minimums kann recht sicher auf 279°5 (Phase + 9°0) festgelegt werden; die Helligkeit im Minimum war 6.05, seine Form ist nach diesen letzten Beobachtungen am ı. April 1906 ungefähr wieder dieselbe gewesen wie im Februar 1905 (Phase + 9°5), während in dem Zeitraum 1905 August bis 1906 März der Verlauf im Durch- schnitt so war, wie die Hauptkurve ihn darstellt; wahrscheinlich war er aber einem steten Wechsel unterworfen: etwas Sicheres läßt sich leider nicht aussagen, da fast alle Beobachtungen bei dieser Phase dureh ungünstige Witterung stark beeinträchtigt worden sind. Die Tiefe des Minimums war aber auch zur Zeit der letzten Beobachtung immer noch wesentlich geringer als in früheren Jahren. Im Februar 1905 lag das Minimum bei etwa 279°, so daß eine starke Neigung des 'Trabantenäquators gegen die Jupiterbahn, die infolge des An- wachsens der Jupiterlänge um rund 35° sich durch eine merkliche Verschiebung der Lage des Minimums hätte bemerkbar machen müssen, nicht vorhanden zu sein scheint. Die Kurve von Ill ist zwischen 20° und 40° etwas unsicher, zwischen 110° und 150° unbekannt. Bei IV beruht der Wert für 208° auf unsicheren Messungen eines Abends; er ist wegen seiner starken Abweichung beim Kurvenzug nicht be- rücksichtigt worden. Die Vergleichung der alten und neuen Kurven ergibt, daß inner- halb eines Zeitraums von noch nicht einem halben Jahre ganz be- trächtliche Veränderungen stattgefunden haben, welche aber im all- gemeinen nieht auf starke Neigungen der 'Trabantenäquatoren gegen die Jupiterbahn zurückgeführt werden können, sondern offenbar phy- sische Vorgänge auf den Oberflächen bzw. in den Atmosphären der Trabanten widerspiegeln. Aus den Kurven sind wie früher die mitt- leren usw. Helligkeiten der Trabanten abgeleitet worden, welche im folgenden mit den Werten für 1904-05 zusammengestellt sind: a. 1905 —06 b. 1904—05 Trab. Mittl. Hell. Max. Min. Amplitude Trab. Mittl. Hell. Max. Min. Amplitude I BT Sa 056 I 5754 Sn 585 070 u 577 5.42 6.16 0.74 II 5.65 5.16 6.18 1.02 II 5.12 4.90 5.32 0.42 II 5.07 4.69 5.41 0.72 Lv 6.29 6.10 6.44 0.34 IV 6.27 6.09 6.45 0.36 €. 1905—06 (korrigiert) Trab. Mittl.Hel. Max. Min. Amplitude Differenz d.mittl. Hell. unter b und e I 553 528 5784 0756 —o"oI II 5:73 5.38 6.12 0.74 +0.08 III 5.08 4.86 5.28 0.42 +0.01 IV 6.25 6.06 6.40 0.34 —0.02 348 Sitzung der phys.-math. Classe v. 11. April 1907. — Mittheilung v. 21. März. Die Betrachtung von a und b zeigt, daß die mittleren Helligkeiten aller 4 Trabanten für 1905-06 sich etwas geringer ergeben haben als für 1904-05, im Mittel um 0055. Dieser Unterschied rührt haupt- sächlich von einem systematischen Unterschied zwischen den Ver- gleiehsterngrößen der beiden Reihen her, wie die Vergleichung der für die Reduktion benutzten Vergleichsterngrößen mit den von syste- matischen Unterschieden möglichst gereinigten Größen des Potsdamer Generalkatalogs, deren Mitteilung ich Hrn. Geheimrat Mürzer verdanke, gezeigt hat. Die Differenzen für die häufiger benutzten Vergleichsterne der ersten Bothkamper Reihe sind im Durchschnitt null, dagegen sämt- liche Differenzen in der zweiten Reihe im Sinne Potsdam -Bothkamp negativ, im Mittel —0”04, um welchen Betrag also die Orientierung der Liehtkurven zu korrigiren ist, um sie auf das Potsdamer System zu bringen. Diese Korrektion ist unter e berücksichtigt. Mit Aus- nahme von Trabant Il, dessen mittlere Helligkeit um einen zwar nur geringen, aber verbürgten Betrag kleiner geworden ist, hat sich bei keinem Trabanten eine merkliche Veränderung der mittleren Hellig- keit herausgestellt. Bei II ist offenbar der Fortfall der hellen Phasen die Ursache der Abnahme seiner durchschnittlichen Liehtstärke. Für die Ableitung der Albedowerte sei die Sonnenhelligkeit wie früher gleich — 2660 angenommen. Um sie auf das Pots- damer System zu beziehen, müßte sie eigentlich um +0%19 korri- giert werden. Bei der Unsicherheit ihres Betrages oder genauer des aus ihr abgeleiteten Intensitätsverhältnisses Sonne : Trabant ist es aber ganz gleichgültig, ob man sich für diesen oder jenen Wert entscheidet, da vorläufig doch nur eine Vergleichung der mit ihr bereehneten Albedowerte untereinander ratsam ist. Jedoch muß die aus den Potsdamer Beobachtungen folgende Helligkeit des Jupiter von — 2.23 um obigen Betrag vermindert werden, womit sich die Albedo des Planeten nach SeruLisers Definition zu 0.69 ergibt. In der Bothkamper Mitteilung war übersehen worden, daß die Hellig- keitsangaben des VIH. Bandes der Potsdamer Publikationen bzw. der Photometrie von Mürrer sich nicht auf das System der BPots- damer Durchmusterung beziehen. Die daselbst aus der Verglei- chung der Albedowerte für Jupiter und seine Trabanten bezüglich der hellen und dunkeln Vorübergänge der Trabanten vor der Pla- netenscheibe gezogenen Schlüsse werden durch diese Korrektur nur günstig beeinflußt. Nimmt man für die Sonnenhelligkeit — 2641, so müssen sämtliche Albedowerte, mit Ausnahme des Albedowertes von Jupiter in der Bothkamper Mitteilung, mit dem Faktor 1.19 multipliziert werden. Aus den obigen korrigierten Helligkeiten der Trabanten ergeben sich ihre Albedowerte wie folgt, indem gleich- P. Guranıck: Photometrische Beobachtungen der Jupitertrabanten. 349 zeitig die entsprechenden Zahlen für 1904-05 zum Vergleich hinzu- gefügt werden: 1905—06 1904—05 Mittl. Albedo 1 0.77 II 0.92 III 0.56 IV o.22 I 0.76 II 0.99 III 0.56 IV o.2ı Max. 0.97 1.28 0.69 0.26 1.09 1.56 0.80 0.25 Min. 0.57 0.64 0.47 0.19 0.57 0.61 0.41 0.18 Albedo bei 180° 0.57 0.74 0.50 0.21 0.66 0.86 0.42 0.18 Die Albedo von I ist im Maximum also 1905-06 wiederum be- trächtlich größer als die Einheit gewesen; bei 150° war sie kaum noch größer als die mittlere Jupiteralbedo, so daß dunkle Vorüber- gänge vielleicht nicht ganz ausgeschlossen gewesen sind; es scheinen bisher jedoch solche bei diesem 'Trabanten noch niemals beobachtet worden zu sein. Eine kritische Vergleichung der Lichtkurven von 1904-05 und 1905-06 führt zu folgenden Betrachtungen. Daß die Veränderungen zwischen den beiden Bothkamper Beobachtungsreihen wirkliche und nieht durch Beobachtungsfehler hervorgerufene sind, würde in An- betracht der Größe der Veränderungen auch dann zweifellos sein, wenn nicht die Untersuchung der mittleren Fehler für beide Reihen deut- lich gezeigt hätte, daß auch für den Zeitraum der Beobachtungen selbst absolute Konstanz der Kurven nicht angenommen werden darf. Be- trachtet man die Veränderungen im einzelnen, so wird ohne weiteres klar, daß sie durch Annahme beträchtlicher Neigungen der Trabanten- äquatoren gegen die Jupiterbahn nicht genügend erklärt werden kön- nen, ganz abgesehen davon, daß z. B. die unveränderte Lage des Mini- mums des Trabanten II bei 280° die Annahme für diesen Trabanten unstatthaft macht; und weitere Widersprüche ließen sich noch mehrere nennen. Auf einzelne der Veränderungen sei besonders aufmerksam gemacht. Trabant I: Das Maximum der Lichtkurve für 1905-06 bei 71° erscheint wie aus der Verschmelzung der beiden Maxima bei 65° und 78° und des Minimums bei 72° in der Kurve für 1904-05 her- vorgegangen; ähnliche Beziehungen könnte man bei den Maxima 100° und 320° vermuten. Trabant II: Die erste Kurve hatte drei wohl- ausgeprägte Maxima von steigender Intensität zwischen 0° und 180°; diese drei Maxima sind in der neuen Kurve zwar noch vorhanden, aber nur noch schwach ausgebildet und um den nahe konstanten Be- trag von 15°—20° verspätet; dies kann schwerlich ein Zufall sein, es besteht vielmehr wohl ein Zusammenhang zwischen den neuen und alten Maxima, wenn man dabei auch nicht an die Wirkung einer Neigung des Trabantenäquators gegen die Jupiterbahn denken darf, die dann jedenfalls mehr als 60° betragen müßte. Das Minimum bei 280° scheint, soviel die meist durch die Witterung beeinträchtigten Messungen erkennen lassen, während der zweiten Beobachtungsreihe 350 Sitzung der phys.-math. Classe v. 11. April 1907. — Mittheilung v. 21. März. einem steten Wechsel unterworfen gewesen zu sein; die Kurve gibt den mittleren Zustand. Das mittlere Minimum hat übrigens fast genau dieselbe Lage wie das vom ı. April 1906. Bemerkenswert ist noch die starke Ausprägung des Minimums in der oberen Konjunktion, das während der ersten Reihe nicht vorhanden war. Bei Trabant II fällt die Verflachung der Lichtkurve zwischen 150° und 320° auf, vor allem aber der fast völlige Fortfall des Minimums in der unteren Kon- Junktion. Die Kurve des Trabanten IV hat die geringsten Verände- rungen erlitten; das Maximum bei 30° ist, wenigstens in der alten ausgeprägten Form, nicht mehr vorhanden gewesen. Das Maximum in der Nähe der westlichen Elongation hat sich verschoben und fiel 1905-06 fast genau mit der Elongation zusammen; sein Verlauf war regelmäßiger und ähnelte sehr dem Verlauf zur Zeit der Auwezsschen Beobachtungen, doch war damals die Lage vielleicht eine etwas andere. Betrachtet man die Beobachtungsreihe 1905-06 für sich allein, so ist aus ihr ebenfalls mit Notwendigkeit die Übereinstimmung der Liehtwechselperioden mit den Umlaufszeiten zu folgern. Es bleibt noch übrig, auf einen möglichen Zusammenhang zwischen den Veränderungen der Liehtkurven, welche in der Hauptsache zwi- schen Frühjahr und Herbst 1905 stattgefunden haben müssen, und der großen Aktivität der Jupiteroberfläche während der zweiten Hälfte des Jahres 1905 und im folgenden Jahre hinzuweisen, im Verlauf derer das nördliche Äquatorealband des Planeten fast ganz verschwand. Die vielleicht nicht zufällige Gleichzeitigkeit der beiden Vorgänge, die möglicherweise auf solare Ursachen hindeutet, ist auch, wenngleich viel weniger auffallend, für die Zeit der Auwezsschen Beobachtungen angedeutet. Es wurde schon früher darauf aufmerksam gemacht, daß die Liehtkurve von II 1858— 1860 einen wesentlich anderen Verlauf gehabt hat als zur Zeit der Messungen von EnGELMANN, PIcKErInG und 1904-05. Es fehlte damals das Minimum bei 280°, das nach einer Scnrötzrschen Beobachtung schon 1797 vorhanden gewesen sein muß, und ferner war das Maximum bei 110° weit niedriger und schwächer ausgeprägt als 1870 und 1904-05. Auch die Kurve von IV weist Abweichungen gegen die Formen von 1870 und 1904-05 auf, welche an die Veränderungen von 1905-06 erinnern: das erste Maximum fehlt fast ganz, und das zweite ist von regelmäßigem Verlauf und starker Ausprägung. Damals befand sich die Jupiteroberfläche eben- falls gerade in einer Periode lebhafter Veränderung, die sich besonders durch das allmähliche Verschwinden beider Äquatorstreifen 1853-59 und das plötzliche Wiederauftreten des südlichen Bandes im Herbst 1859 bemerkbar machte. Zur Zeit der Ensermansschen und der wenig zahlreichen Pıcxerimneschen Beobachtungen sowie 1904-05 hatte Jupiter P. Gurnnıck: Photometrische Beobachtungen der Jupitertrabanten. 351 im großen und ganzen normales Aussehen; die aus diesen Beobach- tungen konstruierten Lichtkurven weisen keine auffallende Abwei- chungen auf, die sich nicht auf die Unsicherheit der Beobachtungen zurükführen lassen. Eine gewisse Periodizität der Veränderungen der Liehtkurven ist demnach nicht ausgeschlossen; daß die Periode aber nicht gleich der Umlaufszeit des Jupiter sein kann, ergibt sich aus der Vergleichung des oben Gesagten mit den heliozentrischen Längen des Planeten. Bezogen auf das Äquinox 1910 war die ungefähre Länge des Jupiter: 1859.7 99°, 1870.5 67°, 1877.38 279°, 1878.8 310°, 1905.2 36°, 1906.0 65°. Es müßten also die Kurven von 1870 und 1905-06 am besten übereinstimmen, was durchaus nicht der Fall ist. Aber auch eine Beziehung zur Sonnenfleekenperiode ist nicht deutlich genug ausgeprägt, um ihr Realität ohne weiteres zusprechen zu können. Sonnenfleekenmaxima fanden nämlich statt: 1860.1, 1870.6, 1883.9, 1906+. Die Auwzrssche und die beiden Bothkamper Reihen liegen also unmittelbar vor einem Maximum, die Engermanssche fällt genau mit einem solchen zusammen, während Pıexerises Beobachtungen zur Zeit eines Minimums angestellt worden sind. Ein strenger Pa- rallelismus zwischen den Erscheinungen auf Jupiter, den Veränderungen der Trabantenkurven und der Sonnenfleckenperiode wäre freilich von vornherein nicht zu erwarten, selbst wenn ein Zusammenhang wirk- lich bestehen sollte. Zur Beantwortung der hier aufgeworfenen Fragen würde es jedenfalls andauernder Beobachtung der Trabanten durch mindestens einen Jupiterumlauf hindurch bedürfen. Beobachtungen der Jupitertrabanten 1905-06. 1. Messungen. M.Z. 1905 Mz Objekt Abl. logJ Gr. Anom. 1906 Berl Objekt Abl. logJ Gr. Aug. 2 1352” 12 2172208.90:13347 5759:221790 Aug. 16 Tzurgn 695 26°15 9.4001 57 I- 15.45 9.0335 5.74: 254.9 20 699 17.65 9.0725 14 3 IV 12.38 8.8348 6.09: 269 28. 1 7725:85 794301 506 8 I 18.65 9.1739 5.49: 220 Bot 18.25: 9.1365: 5.85: 12 I 15.45 9.0086 5.80: 256.0 ı7 IV 12.42 8.8142 6.13: 270 Aug. ı7 13 24 675 (38.40) (9.6790) 25 a 13.32 8.8181 28 677 (22.80) (9.2651) 33 679 34.55 9.5942 31 678 (16.45) (8.9903) 48 695 21.65 9.2107 36 I 18.60 9.1412 5.77 39 II 19.15 9.1621 5.71 Aug. ı3 1258 I 11.95 8.8587 5.91 284.5 Bass II 2651509.4023, 5:71 13 0 a 15.05 9.0504 5.43 292 57 IV 15.50 8.9635 6.21 3 15.65 9.0772 3 10 5 GN le 8.7663 en 144 Sept. ı2 10 38 IV 10.10 8.7819 SE G72750,3.8752, 5.87 286.2 41 I 16.55 9.2108 13 I 14.60 8.9961 5.57 294 43 U 12.60 8.9743 ıs5 DI 16.40 9.0905 5.33 Io 46 IV 10.35 8.7941 ı8 IV 09.30 8.6006 6.55 144 5o II 17.20 9.2159 53 I 14.45 9.0600 Aug. 16 13 2 677 19.00 9.1431 58 TI 1 16.65 9.1660 6 678 15.15 8.9477 Dr vor IV 11.35 8.3341 10 675 39.05 9.7084 3 I 13.10 8.9494 Anom. 352 Sitzung der phys.-math. Classe v. 11. April 1907. — Mittheilung v. 21. März. 1905 Sept. 12 rem Sept. Sept. Sept. 21 M.Z. Ben. 8 Objekt Abl. INesr5°20 IVeskors I Z7815 II 18.05 I 14.65 I 14.85 LVPST.25 III 16.10 I 12.70 235 I 11.50 IV 6.50 I 10.55 u 9.85 IV 6.95 IV 11.00 I 12.20 IL 13.15: IVeRT:35 I 10.10 Inze72775 III 14.10 IV 8.40 I 20.05 10 = Ayse I 14.0: I 14.2: I 12.9: II 12.0: IV 9.2: Desaner: IV 8.4: IV 10.55 II 28.1: 1 32.2 IV 24.2 De324 IVgs245 2 I 24.25 I 27.70 II 30.05 IV 18.55 ITe22'05 675 44-95 677 18.90 II 8 I 12312: I 13.8: I 16.8: N17:o I 20.3 IV Fısa ers IV 12.0 I 1383 II 14.1 I 14.5: II 14.0: I 16.9: II 14.9: IV Seo: I 14.2: I 15.1 log J 9.0688 8.7680 9.2095 9.1991 9.0018 9.0092 8.7668 9.0683 8.8602 8.8164 8.7657 8.2225 8.6378 8.5774 8.2746 : 8.6581: : 8.7450: 8.8078: 8.3059 8.5781 8.7761 8.8596 8.4143 9.1485 9.2055: 8.9459: 8.9579: 8.8676: 8.8058: 8.5776: 8.7783: 8.4934: 8.6861 9.4862: 9.5934: 9.3618: 9.5935: 9.3622: 9.5775: 9.2428 9.3502 9.4175 9.0207 9.1974 9.7132 9.0360 8.3777: 8.6611:: 8.7733: 8.9407: 8.9507: 9.0993: 8.8405: 8.8617: 8.6547: 8.7431: 8.7929: 8.8167: 8.7873: 8.9468: 8.8402: 8.5816: 8.7998: 8.8520: Gr. 5°53: 6.28: BALL: 5.59: 6.35: 5.81: 5.67: Anom. 73° 67 1905 Sept. 28 Okt. Io M II I2 8 Berl. 17m * Objekt Abl. log J I 17°80 8.9914 U 17.45 8.9749 I 19.60 9.0726 IV 12.30 8.6785 I 14.85: 8.8394: II 17.1: 8.9604: II 15.3: 8.8677: I 17.6: 8.9860: I 16.0: 8.9056: II 15.9: 8.9007: I 18.4: 9.0241: II 22.8: 9.2024: u 15.3: 8.8709: 1 16.9: 8.9550: II 21.6: 9.1601: II 15.5: 8.8835: I 18.2: 9.0189: I 17.8: 9.0009: 675 44.50 9.7266 677 22.85 9.2126 678 16.90 8.9596 I 26.60 9.3542 II 27.50 9.3779 II 25.70 9.3234 IV 19.00 9.0729 II 35.75 9.5796 I 24.10 9.2672 I 25.50 9.3124 IV 19.55 9.2643 II 23.10 9.3963 IV 21.80 9.3412 III 30.85 9.6186 I 26.20 9.4844 Il 22.85 9.3688 IV 21.05 9.2956 U 19.15: 9.2055: IV 20.60 9.2663 I 19.10 9.1961 IV 18.10 9.1465 I 19:7: 9.2152; III (7.40) (8.3688) I 19.60 9.1983 IV 18.00 9.1240 II 19.70 9.1976 ll 23.58 9.3104 IV 18.15 9.0890 Il 25.20 9.3560 IV 18.65 9.1054 IV 20.30 9.1743 I 27.40 9.3926 II 30.15: 9.4669: I 27.15 9.3806 II 34.65 9.5705 IV 20.05 9.1303 I 28.35 9.4109 I 29.40 9.4398 IV 19.45 9.1015 I 27.05 9.3705 II 26.00 9.3386 II 35.95 9.5912 675 44.45 9.7193 677 21.20 9.1442 678 16.40 8.9285 695 28.45 9.3835 Anom. P. Gwrunicr: Photometrische Beobachtungen der Jupitertrabanten. 353 1905 nn. Objekt Abl. logJ Gr. Anom. 1905 . nn Objekt Abl. logJ Gr. Anom. Okt. ıo ı2Fıa® IV 20%o 9.1353 6017 312° Okt. ı8 136m I 32%0 9,4979 5W22 209° 16 I 28.15 9.3895 5.52 207 40 I 30.30 9.4618 5.31 30 20082. 1]0 7:26.1552.9:32872 5.68 38 22, IE 229.90. 29.43790.5-.38. 0127 2ER E20 930470 527438 44 II 29.50 9.4265 5.41 127 ? 24 II 36.80 9.5940 5.00 45 46 MI 37.15 9.6029 4.92 _ 87 49 II 3880 9.6341 4.84 37 Okt. 16 Ons2s 22.60: 9.2944: 6.02: 277.8 5st IV 19.00 9.0646 6.40 125 55 IV 1932: 91610: — 80 53 IV 18.60 9.0461 6.46 ı2 59 Il 23.95 9.3340 5.92: 278.3 57 1 30.05 9.4366 5.38 32 10, 05 117 24.20 9.3365 5.87 278-7 12. 102, 112522870, 29.3092. 5,48, 128 TEIVE 519.40 2g:1517, 6:33,80 3 I 30.20 9.4385 5.38 33 9 I 26.20 9.3968 5.72 330 7 I 29.02 9.4058 5.47 128 105 II 38 9.6006: 5.21: 343 ı1o MI 38.25 9.6167 4.89 88 22, 110 722.60 29.2637, 5.82: 279.9 127 1V7 2793590733, 16.38 12 23 IV 16.65 9.0075 6.46: 80 20 675 40.40 9.6416 25 II 22.80 9.2686 5.81: 280.1 23 675 44.55 9.7098 27 ITEE32:05° 19153988 5.13:0.343 26 677 22.50 9.1829 28 I 24.15 9.3128 5.70: 333 29 678 17.00 8.9488 2901 23.30 9.2829 5.92: 280.4 36 I 30.85 9.4471 5.35 38 31 IV 1805 9.1099 — 80 41 ]I7 30.25 79.4307 5.39 131 SS lVEEE78:4029:08350 5, 330 45 1 32.45 9.4847 5.25 39 a5 lt 23.80: 9.2953: 5.82: 280.8 13 35 I 31.35 9.4510 5.45 46 54 TI 25.45 9.3366 5.84: 282.2 38 TI 30.70 9.4344 5.49 135 58 IV 198 91294 — 81 40o IM aı125 9.6564 4.94 91 59 JI 24.90 9.3157 5.89: 282.5 433 IV 19.85 9.0797 6.38 126 ıı 2 IV 1925 9.1016 — 81 46 I (28.25) 48 At 24:55 9.3013 5.83: 282.8 48 II 29.60 9.4049 5.57 136 DT E50. 33100001340, 50 1 3135 94498 5.45 48 208. 11 23.40 9.2532 5.91: 284.0 52 IV 19.85 9.0791 6.38 126 44 II 23.70 9.2529 6.03: 285.7 58 I 32.65 9.4809 5.38 49 46 IV 20.35 9.1265 6.33 8ı 14 ı 11 30.80 9.4354 5.49 137 47 IV 19.60 9.0948 6.41 3ı aATTE36 49 U 24.55 9.2800 5.91 286.0 Dres UIEEE35210529:5613,5:20,346 Okt.23 10729 107 25.10, 9.3231. 5.712 °270.0 53 I 23.10 9.2285 6.02 286.3 322, IV 38211.65%..9:20025 16.02, 232 SS VE 20:20. om, 6.320 781 35 1022527:65:2.9:3974:0 5:53:32 318 56 IV 20.90 9.1451 6.26 3ı 38 TI 34.20: 9.5621: 5.12: 336 58 TI 23.60 9.2445 6.08 286.6 AT all 223:65079.26751 5.85 271144 NOTE 37:75, 89:61182 15:091,346 43) IV 19.85 9.1215 6.22 232 5 II 36.00 9.5757 5.18 347 46 1 30.60 9.4717 5.34 320 TE: 23.05 9.2223 6.06 287.3 48 II 37.65 9.6289 4.95 337 ıı IV 1910 9.0650 — 82 BOB IVE 221:00% 29.1647, 6.10..232 14 IV 190: 9.597: — 82 53 I 30.30 9.4603 5.37 321 16, 01 27.35 9515630 6.114 287.9 ST IS 372357 19:0,1875..4:95, 337 20 IV 1870 9.0445 — 82 5o IE 2723:502.,9:2525, 5:80) 272.7 za 22.70 9.2049 5.96: 288.4 ıı 6 675 42.15 9.6820 a 22.30 9.1895 6.00: 288.5 9 677 19.05 9.0550 34 IV 18.95 9.0522 — 82 ı1 678 16.45 8.9311 5 17.3: 8.9717: 6.12: 290.6 17, IV 20.20, '9.12027 76.22., 233 55 IV 15.5: 8.8789: — 82 Tor Sl] 24:25, 9.271005 5.85 274-1 53 IV 139 87356: — 82 23 DI 37.45 9.6094 5.00 338 58 I 16.1: 8.9103: 6.04: 290.9 25 I 26.65 9.3443 5.66 326 1310 ll 17.3: 8.9707: 6.05: 291.0 32 AIVZEE19:30%.9:0761126.330 233 o IV 150: 88501: — 82 33, IN 20:551 9.1287 6.20) 233 2 IV 12.10: 8.6666 — 82 36 II 22.80 9.2136 5.99 275.3 sa 14.85: 8.8411: 5.84: 291.2 49), 211E72223:00.9:23779% 5.937 276:2 5 IV 1155: 8.6262: — 83 s2 IV 19.90 9.0962 6.28 233 TE 15.40: 8.8712: 5.91: 291.5 DTL0715 46:25, .09:7361 9 IV 13.60: 8.7652: — 83 ı2 I 677 20.40 9.1024 - 4 678 15.90 8.8924 Okt. 18 ı1 14 675 41.00 9.6658 TORI 223:550 9.2310, 6:00. 277.7 ı8 677 22.85 9.2087 12 I 28.35 9.3806 5.57 332 20 678 16.55 8.9391 ı5 DI 36.95 9.5849 5.06 340 24 695 29.45 9.4141 18 IV 20.0 9.151 6.24 233 27 699 19.35 9.0713 2ı II 22.70 9.1988 6.03 278.5 32 675 44.50 9.7183 27 1 26.65 9.3284 5.69 334 1905 Okt. 23 Nov. ı Nov. 6 354 Sitzung der phys.-math MIZEe Ber), Objekt Abl. log J Gr. 12"30 8 II m I II IL IV ‚ I I IV IV I II I u II I IV II 677 678 677 26°75 9.3308 570 24.30 9.2527 5.89 36.95 9.5816 5.07 21.20 9.1399 6.17 24.90 9.3869 5.73 27.10 9.4517 5.56 33.40 9.6134 5.16 20.05 9.1995 6.19 19.80 9.1864 6.23 25.20 9.3826 5.74 27.55 9.4505 5-57 25.05 9.3414 5.73 29.50 9.4703 5.40 27.30 9.4199 5.52 24.65 9.3212 5.78 19.30 9.1182 6.31 34-45 9.5825 5.10 19.20 9.0792 16.15 8.9324 20.00 9.IIIO 42.50 9.7012 42.65 9.7036 (21.60) (9.1966) (6.10) 27.50 9.3913 5.60 35:055,9-519255-L1 18.82 9.0763 6.41 28.95 9.4273 5.50 41.20 9.6669 5.15 23.30 9.2231 6.28 35.50 9.5564 5-41 34-55 9-5355 5-47 49.20 9.7746 22.10 9.1669 18.55 9.0212 23.75 9.2256 52.90 9.8187 33-90 9.5163 5.53 41.60 9.6672 5.14 21.95 9.1680 6.41 34.25 9.5229 5-51 32.30 9.4763 5.50 30.35 9.4270 5.63 2135 ROM A 20m — 33.20 9.4962 5.45 31.10 9.4444 5.58 20.35 9.1008 — 37-85 9.5935 5-06 26.60 9.3196 5.74 27.00 9.3314 5.71 31.75: 9.4593: 5-39: 20.15 9.0913 6.30 25.95: 9.2990: 22.70: 9.1898: 19.00: 9.0419: 24.85: 9.2631: 5.51: 23.55: 9.2192: 5.62: 17.20: 8.9577: 6.27: 28.30 9.3958 5.83 42.40 9.6874 5.10 33.45 9.5115 5.54 23.65 9.2351 6.23 28.10 9.3742 5.88 33.60 9.5138 5.53 46.40 9.7363 Anom. 1905 Sn 335° Nov. 6 1123" 677 279.2 340 234 334 94 65 Nov. 10 8 26 Objekt Abl. 19?90 678 14.65 678 14.65 677 19.85 675 43-95 I 23.45 I 31.20 IIG2272: II, 7423 IV 33.7 IV; "32:8 II 40.2 II 9352 IV? 29:5 INz=e562 II 52.6 II 30.0 IV 26.9 IVE=27:0 I 33.5 II 48.1 NeeE3T65 IV 26.60 IV 26.40 II 42.75 U 28.55 II 29.65 1V 26.50 677 26.30 678 19.20 673 18.30 677 26.30 675 50.30 675 47.55 II 28.55 IVEE25285 II 41.30 II 40.80 IeF76:25 I 37-30 II 30.05 IV 26.40 675 43-50 677 21.75 678 15.60 695 30.15 699 19.52 I 30.70 I 27.65 IV 22.95 II 37.30 II 23570 I 30.15 II 26.10 IV 29022770 109290 INe2525 I 27:55 IV 23.05 I 32.00 IV 24.45 Is I 33.90 UI 39.05 IV 24.15 . Classe v. 11. April 1907. — Mittheilung v. 21. März. log J 9.0798 8.3214 8.8211 9.0768 9.6977 9.2229 9.4514 9.1696: 9.7700: 9.6023: 9.5668: 9.7308: 9.6291: 9.4923: 9.9461: 9.9056: 9.5020: 9.4152: 9.4162: 9.5859: 9.8443: 9.5375 9.3972 9.3892 9.7531 9.4466 9.4743 9.3820 9.3424 9.0828 9.0420 9.3396 9.8178 9.7809 9.4267 9.3448 9.7037 9.6937 9.6053 9.6254 9.4587 9.3550 9.6973 9.1585 8.3797 9.4229 9.0688 9.4456 9.3623 9.2107 9.5930 9.5600 9.4292 9.3138 9.1994 9.4957 9.2855 9.3554 9.2103 9.4725 9.2504 9.3640 9.5093 9.6151 9.2401 5-94 6.16 5.17 5.20 5.44 5:39 5.85 6.14 5-53 5-73 6.11 5-15 5.23 5.56 5-85 6.14 5-39 5-93 5-75 6.10 5-45 6.05 5.76 5.40 5.14 6.07 Anom. 256°3 299 256.7 : 287.9 260 260 288.1 288.3 260 159 159 288.6 : 260 ı 260 288.7 159 289.1 260 260 160 289.8 290.0 261 291.8 261 161 161 13 13 292.8 261 25 298.7 262 164 164 26 299.5 262 28 300.1 300.2 263 29 264 305 4I 168 264 #4 Fu P. Gurenıck: Photometrische Beobachtungen der Jupitertrabanten. 355 1905 TE Objekt Abl. logJ Gr. Anom. 1905 Anz: Objekt Ab. logJ Gr. Anom. Nov. ıo 146% IV 24885 9.2674 6708 265° Noy.24 ı2bz7m 28215 9.3650 5'"g2: 28725 2027117 727.60, 19.3525 5.87 312 39 IV 25.75 9.2936 6.07: 208 $ 24 HI 39.35 9.6256 5.19 172 43 IV 26.15 9.3062 6.10: 208 BEI 349009553665 5.412 56 44 II 28.40 9.3726 5.90: 288.0 30 IV 24.45 9.2559 6.11 266 47 I 33-6: 9.5043: 5.57: 13 1524 DI 36.25 9.5759 5.26 174 24 TI 36.35 9.5780 5.26 174 Dez. 9 ı0 9 2 36.75: 9.5720: 164 a1 33.009,9:5054 544 65 us SlVeEr 242: 9.2435: 171 30 U 27.40 9.3598 5.81 317 19 I 27.0: 9.3318: 166 32 IV 23.7 9.2429: 6.10: 266 20 IV 164: 8.9192: Sa t 25 I 28.95 9.3872) 167 Noy.ı2 1044 11 36.50 9.5771 5.63 140 28 I 28.15 9.3649) 5.66 167 47 1 42.25 9.6829 5.30 72 31 1 27.45 9.3447) 168 5t MI 49.20 9.7852 5.09 265 34 IV 720%0%9.037 — ını 53 IV 25.95 9.3089 6.21 306 37 I 27.80° 9.3547 5.74 168 N 39 IV 19.60 9.0685 6.48 ı72 4 I 38.95 9.6214 5.30 75 42 I 26.80 9.3253 5.81 169 6 MI 45.95 9.7373- 5.02 266 43 1 2535 9.2804 5.93 169 O0 alVER 24.15 9.2474 6.2 306 46 I 25.45 9.2834 5.92 170 12 I 31.65 9.4631 5.69 142 52 IV 20.10 9.0893 6.42 172 15 Ti 36.30 9.5676 5.43 76 54 I 27-I: 9.3341: 5.79: 171 17 II 44.65 9.7161 5.06 266 56 IV 2045 9.1038 6.38 172 21 IV 25.00 9.2740 6.16 306 59 Il 35.95 9.5546 5.22 188 31 677 27.85 9.3521 In 2, IT 34.00 95123 5.34 188 33 678 19.15 9.0449 7 677. 22.70 9.1846 36 695 37.10 9.5744 8 677 21.55 9.1417 40 675 49.95 9.7805 ıT 675 45.90 9.7241 42 675 51.60 9.8008 14 675 45.40 9.7168 47 1 34.70 9.5299 5.66 144 20 695 30.15 9.4142 50 I 38.45 9.6062 5.45 8ı 2 695 23.60 9.3725 Io gen 5.15 267 Dez. 16 951 I 10.20 8.5142 147 53. IV 27.30 9.3416 6.17 307 e W Eee 56 IV 26.00 9.3020 6.28 307 5 I aD EL) 323 58 II 44.30 9.7064 5.18 268 10 0 10.25 8,5181 148 ı2 o TI 36.0 9.5648 5.56 83 4 675 15.10 8.8429 SI E36 0152750 5.660 146 7 675 15.45 8.8624 I BR 13 677 11.00 8.5724 39 30.20 9.5590 5.44 90 42 Il 30.40: 9.4246: 5.77: 148 33 675 48.80 9.7643 16 26 36 677 22.40 9.1735 ee ER 40 1 36.40 9.5642 5.77 154 = 2 31: 9108.39 45 IV 23.00 9.2015 6.20 323 Nov. 14 932 IV 20.90 9.1529 6.30 348 48 II 23.30 9.2123 6.17 352 35 II 26.65 9.3506 5.81 338 56 IV 1035 8.5271 324 39 DI 36.55: 9.5953: 5.20 4 ıı 7 677 10.68 8.5489 42 I 31.60: 9.4826: 5.48 110 17 677 10.80 8.5591 45 II 32.80: 9.5107: 5.40 4 TV 1100785885 324 Nov.24 ı1ı 8 II 30.85 9.4382 5.91: 281.3 ae 2>272:3038 = a 1V3227:9009:3535 1206 Dez. ı7 62237 U 11.05 8.6380 75 24 ll 292 9.3940 6.02: 282.4 26 I 1165 8.6815 75 29 IV 28.00 9.3605 — 207 30 677 8.95 8.4330 33 I 31.85 9.4618 5.86: 283.0 31 677 9.90 8.5195 36 IV 29.15 9.3921 — 207 37 677 20.65 9.1408 37 U 30.85 9.4368 5.09: 283.3 38 677 20.10 9.1181 48 U 29.65 9.4055 5.86: 284.1 42 I 2840 9.4158 5.54 76 52 IV 27.00 9.3307 6.05: 207 44 Il 28.00 9.4033 5.56 76 55 DI 4405 9.7009 5.12: 153 46 I 28.80 9.4251 5.52 325 12 6 677 23.85 9.2251 48 IV 19.50 9.1052 6.30 342 8 678 16.40 8.9132 50 IM 35.12 9.5769 5.14 222 10 677 23.05 9.1972 53 WM 34.75 9.5673 5.16 223 13 675 49.95 9.7797 54 IV 19.45 9.0997 6.31 342 16 675 47-95 9.7535 56 I 27.75 9.3903 5.60 326 23 TI 30.45 9.4266 5.81: 286.6 IE 675 2 42.75219:7008 24 IV 26.55 9.3176 6.08: 208 5 677 19.45 9.0804 27 II 44.00 9.7007 5.12: 154 ı1 695 30.60 9.4493 Su 1 134:40739°5 2130. 5:57:, 10 13 695 30.55 9.4473 33 I 31.90 9.4634 5.72: ıı ı0 3 TI 18.50 9.0203 90 Sitzungsberichte 1907. 36 356 Sitzung der phys.-math. 1905-06 Dez. 17 Dez. 18 Jan. 24 M.Z. Berl. 10 1 h m Objekt Abl. III III ul u 695 695 695 695 677 675 21220 21.10 19.20 18.75 20.65 21.15 32.75 32.10 22.50 46.75 45.70 31.60 21.05 36.40 30.40 20.85 34.20 32.45 20.65 36.65 37-75 32.50 47.00 22.50 log J 9.1338 9.1299 9.0513 9.0315 9.1064 9.1264 9.4784 9.4629 9.1778 9.7312 9.7221 9.4575 9.1298 9.5660 9.4280 9.1225 9.5195 9.4803 9.1161 9.5735 9.5957 9.4831 9.7452 9.1830 (21.90) (9.1951) (20.20) (9.1281) (43.10) (9.7245) (28.30) (9.4084) 28.70 27-75 27.95 20.30 33.50 26.50 26.70 27-35 19.30 40.85 20.70 21.45 23.90 18.90 27-05 23.20 35-85 22.20 28.40 24.05 34.55 21.35 21.70 16.10 43-75 42.50 23.40 28.95 20.00 20.70 42.55 28.95 41.05 29.10 32.25 33-95 20.70 9.4377 9.4124 9.4201 9.1608 9.5656 9.3841 9.3919 9.3964 9.1137 9.7096 9.1240 9.1528 9.2324 9.0377 9.3331 9.2084 9.5528 9.1723 9.3723 9.2381 9.5253 9.1405 9.1480 8.8983 9.6922 9.6722 9.3678 9.3832 9.0877 9.1165 9.6785 9.3881 9.6530 9.3920 9.4724 9.5119 9.1146 Classe v. 11. April 1907. — Mittheilung v. 21. März. Gr. 5=52 6.37 5.24 5.51 6.27 5.28 5.48 0.39 5.25 5.19 5-47 in wıin in tin vn ku, -unıunb S1owuWw O0 Oo 6.35 6.27 4.89 5.63 4:94 5.62 5.41 5.31 6.36 Anom. 1906 Jan. 24 Febr. 7 NN EI os Be Objekt Abl. II 21205 24.45 18.35 19.15 23.70 50.80 51.65 40.65 42.25 19.80 19.85 16.35 16.85 30.00 22.25 26.60 16.95 17-45 20.35 17.50 44-15 28.80 22.05 16.35 16.55 20.50 21.00 28.65 27.20 28.10 18.85 19.65 14.00 16.85 15.85 18.70 13.70 13.95 18.65 43.80 41.15 36.45 37.39 24.85 23.45 19.15 18.00 26.90 23.60 30.35 31.00 17.20 24.80 24.55 17.90 43.95 48.60 30.90 29.45 17.00 21.85 27-35 (18.30) (9 22.25 log J 9.1284 9.2451 9.0074 9.0432 9.2195 9.7897 9.8001 9.6391 9.6667 9.0713 9.0735 8.9108 8.9363 9.4167 9.1754 9.3211 8.9487 8.9734 9.1114 8.9854 9.7171 9.4118 9.1957 3.9469 8.9583 9.1385 9.1594 9.4126 9.3742 9 4010 9.0743 9.1105 3.8260 8.9841 8.9336 9.0590 8.7968 8.8131 9.0592 9.7321 9.6893 9.6823 9.7022 9.3881 9.4999 9.1799 9.1311 9.4654 9.3624 9.5679 9.5913 9.1129 9.3782 9.3717 9.1136 9.8258 9.8963 9.5692 9.5354 9.0916 9.3045 9.5562 9.3952 Gr. 632 5.19 5.85 5-45 6.46 6.39 5.37 5.92 6.59 6.56 6.09 6.03 5.37 5.34 5.27 5.98 5.92 6.56 6.20 6.32 5.07 5.03 5.81 5.53 6.33 6.43 5.52 5.80 5.25 5.18 6.48 5.27 5.71 16.05 9.1275 6.44 Anom. 84° 332) 330 San 149 29 29 150 332 331 331 29 332 .2272) (6.17) 334 156 30 Febr. 22 Febr. 23 Febr. 28 M.Z. Be 64" 5 5 rl. 4 Ai 9 TEIKZ 4 6 8 I 10 8 9 31 85 9 P. Guranick: Objekt Abl. I u III IV I II III IV 35°50 31.05 42.20 20.80 36.70 31.40 41.00 21.40 35-05 35-35 27.90 29.90 20.45 28.75 26.10 27-45 20.05 19.25 56.55 38.40 38.80 27.05: 25.95: 25.95: 26.45: 17.35: 18.00: 25.75: 25. = (24.40) log J 9.5456 9.4426 9.6722 9.1186 9.5708 9.4518 9.6520 9.1425 9.5561 9.5635 9.3805 9.4362 9.1284 9.4069 9.3226 9.3639 9.1075 9.0742 9.8820 9.6263 9.6369 9.3727: 9.3407: 9.3505: 9.3673: 9.0192: 9.0516: 9.3488: a (9.2967) (24.35) (9-3033) (16.75) (8-9962) 24.90 17.70 24.30 34.00 33-35 24.75 17.80 25.15 (19.6) 24.80 18.70 23.50 18.85 22.25 17.60 21.90 26.80 20.50 16.25 22.30 21.95 16.50 29.30 19.65 16.20 19.95 27.20 22.25 27.50 19.40 14.90 9.3153 9.0334 9.2977 9.5653 9.5519 9.3171 9.0445 9.3321 (9.1142) 9.3036 9.0714 9.2619 9.0796 9.2186 9.0244 9.2071 9.3731 9.1465 8.9528 9.2184 9.2111 8.9734 9.4469 9.1379 8.9785 9.1545 9.4102 9.2479 9.4226 9.1371 8.9166 Gr. 5"45 5.71 5.14 6.52 5.44 5.74 5.24 6.51 5.30 5.28 5.74 5.60 6.37 5.68 nn soowunun o—-ın S-I1-1-1-[I 5.62 6.32 5.66 4.99 5.05 5.64 6.32 5.60 5-83 5-95 5.86 6.35 5.89 5.48 5.87 6.29 5-83 5.16 5.59 5.13 5-87 6.45 Aa = W-TO N Anom. 154° 153 61 68 156 154 61 68 289.0 118 289.3 301 83 301 289.8 118 1906 Febr. 28 März 5 März 7 M.Z. Berl. gusem 58 Io 0 7 7 na ın 1 au -0ao# & oO Dun a uw Wu ww DU Objekt Abl. I IV I 677 678 695 II IV I Sebe-sel--PB-bennel--ei-el=ei-i- 19°45 15.10 23.05 20.30 15.20 29.70 18.40 14.05 23.10 26.45 17.20 13.30 26.40 15.15 22.45 23.05 26.50 15.25 28.65 28.70 20.45 14.60 20.30 24.30 13.60 21.10 28.35 19.50 14.35 14.55 23.90 13.20: 17.30: 14.65: 20.85: 13.45: 24.90: 13.60: 16.10: 16.30: 13.15: 24.70: 18.60: 12.00: 15.30: 12.45: 22.70: 14.85: 12.20: 18.60: 18.75: 12.15: 15.00: 12725: 10.85: 12.90: 12.85: 11.35: 20.85: KN2SS: 13.40: 11.50: 10.05: 11.15: 36* Photometrische Beobachtungen der Jupitertrabanten. log J 9.1430 8.9318 9.2870 9.1673 8.9257 9.4802 9.1124 8.8867 9.3044 9.4185 9.0651 8.8503 9.3346 8.8735 9.2039 9.2267 9.3406 8.8823 9.3980 9-3997 9.1249 8.8423 9.1534 9.3022 8.8175 9.1894 9.4211 9.1172 8.8604 8.8886 9.3066 8.7461: 8.9761: 8.8356: 9.1328: 8.7640: 9.2798: 8.7741: 8.9175: 8.9235: 8.7465: 9.2753: 9.0414: 8.6699: 8.8874: 8.7121: 9.2188: 8.8642: 8.6975: 9.0557: 9.0633: 8.6959: 8.8758: 8.7041: 8.6170: 8.7665: 8.7645: 8.6587: 9.1743: 9.0454: 8.8039: 8.6741: 8.5698: 8.6607: 357 Gr. 586 6.41 5.49 5.94 6.53 5.44 5.14 6.06 6.62 5.20 6.27 5.50 5-45 Anom. 290°%0 118 85 358 Sitzung der phys.-math. 1906 März 7 März ı0 März ı3 M.Z. Berl. g'24" 6 Objekt Abl. I 14°40: II 18.85: IV 10.30: Neser265: 1 11.80: IV 10.55: IV 10.85: Ie72.25: II 12.60: IV222r70:65: IV 9.70: Neser2'75: I 15.45: I 13.85: II 12.25: Ie212975; IVE70:30: IVEss1oNS: 1IS171:90: I 12.80: IV 10.45: IV 10:30: Hu 11.90: IV 21.65 I 29.40 U 25.20 III 39.60 II 38.85 IV 19.10 IV 19.80 677 27-65 678 20.40 695 37.35 695 35.65 678 17.60 677 24.85 677 26.05 678 18.85 IV 16.90 I 23.80 ll 22.80 I 24.55 III 32.40 III 34.55 IV zenaıs I 23.35 Uns IV 16.60 Tor, 677 22.95 678 16.45 695 30.85 695 32.50 IV 16.10 I 23.05 IE 1970 III 32.60 IV 17.90 I 24.60 II 22.60 I 22.70 IE 22425 I 23.65 II 22.80 log J 8.8309: 9.1101: 8.5979: 8.7055: 8.7183: 8.6230: 8.6619: 8.8352: 8.7946: 8.6528: 8.5816: 8.7783: 8.9339: 8.8946: 8.7926: 8.7856: 8.6477: 8.6381: 8.7829: 8.8473: 8.6769: 8.6700: 8.7974: 9.1585 9.4069 9.2837 9.6346 9.6206 9.0559 9.0859 9.3553 9.1071 9.5886 9.5543 8.9850 9.2711 9.3098 9.0436 8.9581 9.2432 9.2087 9.2694 9.4910 9.5409 8.9732 9.2327 9.1519 8.9493 9.4903 9.2157 8.9382 9.4550 9.4962 8.9299 9.2304 9.1013 9.5098 9.0691 9.3351 9.2681 9.2234 9.2788 9.2597 9.2301 Classe v. 11. April 1907. — Mittheilung v. 21. März. M.Z. Gr. Anom. 1906 Beil. Sad Ko März ı3 8lro® 5.05: 292 12 — 268 14 5.91: 276.9 15 5.88: 277.0 17 — 268 19 — 268 21 5.74: 278.3 23 5.84: 278.4 25 — 268 2 6.20: 268 2 5.81: 279.3 32 5.35: 69 36 69 Du. 279.9 3 279.9 6 269 8 269 II 280.4 13 71 17 269 20 — 269 21 5.84: 281.0 23 25 6.18 330 32 5.56 290 2 5.87 209 4.99 77 März 19 7 22 5.03 77 25 6.36 330 2 6.44 330 29 31 33 36 38 45 47 50 8 46 6.37 330 49 5.65 295 53 5.74 211 59 5.59 295 9 5.04 78 3 4.91 78 4 6.33 331 6 5.68 297 9 5.88 212 11 6227 3 3jt 12 4.95 78 15 17 18 23 25 6.32 331 26 5.58 301 29 5.90 214 35 4.90 79 38 6.29 332 40 5.63 313 42 5.79 220 44 46 5.88 191 51 —, U 55 5.67 192 57 — 158 58 Objekt Abl. II I II III C) o\ ° DUONMD OUN-SIVO bu # DUND—- 20.65 log J 9.2933 9.3075 9.2169 9.4310 8.9950 9.2360 9.2258 9.4433 8.9794 9.2294 9.1835 9.1614 (18.40) (9.0601) - 18.95 14.10 27.90 28.40 14.05 19.20 26.40 18.90 17.50 13.05 13.65 17.2: Koran: 25.35 32.85 25.85 18.00 26.40 32.05 25.40 17.20 22.45 16.95 34.40 32.45 23.45 16.60 22.80 27-65 28.05 22.25 16.65 21.40 27-75 21.70 15.65 20.80 26.05 21.20 15.65 22.00 31.70 20.75 20.75 25.85 26.55 20.60 14.25 19.15 23.00 18.75 12.70 9.1019 8.8532 9.4212 9.4374 8.8566 9.1219 9.3968 9.1244 9.0604 8.8137 8.8541 9.0572: 9.0813: 9.3050 9.5116 9.3225 9.0243 9.3412 9.4957 9.3121 8.9896 9.2117 8.9782 9.5541 9.5427 9.2865 9.0020 9.2768 9.4353 9.4487 9.2620 9.0212 9.2347 9.4479 9.2491 8.9783 9.2193 9.4046 9.2359 8.9846 9.2706 9.5662 9.2408 9.2447 9.4280 9.4527 9.2480 8.9410 9.1983 9.3574 9.1915 8.8627 5.04 5.66 5.80 6.36 6.27 5.81: 5.75: 5.65 5.13 5.60 6.35 5-55 5.16 5.62 6.43 Anom. 169 327 170 165 339 173 173 50 166 341 173 50 166 342 173 344 345 174 174 53 167 347 175 54 167 1906 März 19 März 22 März 27 März 29 P. Guwnnier: Photometrische Beobachtungen der Jupitertrabanten. M.Z. Berl. roR A 677 5 678 9 695 9 695 NEW IV ı8 M 21 IL 2a2weN; 24 II 26 II Bey 36 I ao U 42 I 46 I 43 sog IV 52. IV 54 UI Sn 29 IV; U 008 12 I 1401 Gr Bl 19 I a5 uht 22V 25 IV 27 N 29 II? Szus ll Saas IV 8 IM TI I a! 7, lv: 22 695 25 677 28 678 3 ke 36 678 40 695 A N 46 IV 49 I Sea Sl 9 1 I BET GEM SEM 11 I Sal 180 2677 20 678 23 695 25 695 9772, SM Tal Tor ı8 IV 23 677 Objekt Abl. 18955 14.00 26.15 27.10 13:35 23.65 20.25 13.15 19.05 23.15 21.75: 24.90: 21.65: 24.15: 23.30: 25.35: 14.20: 14.45: 25.85: 23.02: 18.85 30.20 27.20 26.50 25.40 24.45 29.70 16.30 16.10 29.80 29.50 24.00 18.05 29.70 22.80 24.45 16.45 32.50 23.68 18.20 20.80 15.90 27.80 19.05 13.85 25.50 20.75 20.65 21.35 21.10 13.85 25.65 19.05 20.35 21.20 15.15 29.00 29.95 29.25: 21.55: 18.75: 15.10: 19.65 log J 9.1837 8.9485 9.4746 9.5036 8.9405 9.4266 9.3049 8.9456 9.2627 9.4278 9.2245: 9.3371: 9.2259: 9.3169: 9.2913: 9.3620: 8.8802: 8.8971: 9.3838: 9.2921: 9.0648 9.4499 9.3673 9.3473 9.3143 9.2842 9.4411 8.9481 8.9390 9.4469 9.4400 9.2753 9.0591 9.4693 9.2579 9.3167 3.9903 9.5512 9.3020 9.0861 9.2028 8.9802 9.4451 9.1386 8.8715 9.3843 9.2181 9.2206 9.2534 9.2463 8.8955 9.4128 9.1715 9.2295 9.2729 8.9952 9.5341 9.5630 9.5322: 9.2854: 9.1750: 8.9958: 9.2307 Gr. 644 5.23 5.54 6.44 5.64 5.23 SUR -OOMN suuwunwa oO D&D, wunpin BD N 6.38 5.11 5.12 5.54 6.28 5.12 5.71 5.54 6.46 5.75 6.50 5.06 5.53 5.68 5.60 5.61 6.45 5.22 5:79 5.66 Anom. 167° 175 164 336 214 138 166 139 139 336 214 168 140 315 214 343 19 1906 März 29 März April 30 M.Z. a ! Berl. Objekt Abl. los J oz; 678 28 695 aa Im Se Sa 40 W a2 IT 4 1 435 U 43 IV 49 II en s6 678 58 695 714 I 17 I Koss ZU EV? 22 I 2 I 2 IV 46 695 47 695 50 677 52 678 54 677 55 673 Sol 8 ı u ZEV 4, IV GET 8 I 10 I 12 II ST 19 I 21 u 23. u 26 I 28 I Boss Zu Lv; BT RS 911 I 11 1 Tl: 17 I 200 2 NV: 30 UI 30 I Bora 30 IV Bes IH SR Tor 24 AV: 5 I TE 11 I 12 I Ta AT 14°60 29.30 25.65 20.20 17.05 13.20 24.95 19.15 15.70 12.30 23.15 17.20 12.10 24.85 23.10 22.45 20.55 14.45 23.25 19.80 13.85 28.65 28.70 19.75 14.85 19.60 15.05 22.50 20.35 14.20 13-95 21.60 21.05 20.80 19.95 20.70 20.85 20.40 20.60 21.30 20.00 20.55 13-35 23.30 22.80 11.95: 12.95: 17.8: 177.8: 20.2: 12.5: 20.82: 17-72: 16.58: 12.08: 30.80 23.50 30.30 25.85 33.60 40.80 24.20 28.55 33.65 8.9841 9.5630 9.4631 9.2709 9.1330 8.9217 9-4593 9.2456 9.0799 8.8785 9.4140 9.1840 8.8908 9.4968 9.2390 9.2169 9.1449 8.8496 9.2482 9.1164 8.8164 9.4326 9.4349 9.1324 8.3938 9.1296 8.9076 9.2445 9.1623 8.8602 8.8467 9.2160 9.1962 9.1880 9.1551 9.1881 9.1978 9.1815 9.1909 9.2219 9.1716 9.1962 8.8344 9.3048 9.2899 8.7886: 8.8573: 9.1370: 9.1130: 9.2500: 8.8443: 9.2919: 9.1572: 9.1012: 8.83 18: 9.4647 9.2487 9.4543 9.3285 9.5368 9.6821 9.2792 9.4129 9.5425 359 Gr. [21] 3 [eo] o\ m owmumn am QrOn— I 18.25 9.1832 2 1 18.05 9.1796 10 21 I 14.05 9.1259 23 I 17.45 9.3186 25 IV 10.90 8.9276 28 IDI 19.70 9.4429 30 II 13.60 9.1405 NE Trab. Beob. Gr. ae ae re III Ta 23 ı2 26 IV 0.0 6.39 I 0.45 5.94 I 0.83 5.56 INGETrSw 5226 17 49. 1Vi220:00276.23 u 0.63 5.60 I 0.46 5.77 0 Fe Tran IV 20:008556:30 IL 0.65 5.74 I 0.80 5.59 10.2706 2 IVIE20:00886.21 u 0.55 5.66 I 0.58 5.63 III 251:042 577 I 250 01V 2770:00536:36 u 0.60 5.76 I 0.55 5.81 IlS 27.008. 55.36 9,302 2 IV 20:009 26.20 I 0.10 6.10 I 0.60. 5.60 UI 1.00 5.20 Gr. 594 5.31 5.03 6.23 5.81 5-43 4.89 6.24 6.05 5.34 5-87 6.20 5-83 5.34 4.92 6.24 5.74 5.41 5.71 5.72 5.86 5.42 6.40 5.11 5.82 Anom. Anom. 1905 Sept. ı8 F. 2 ver- deckt. Sept. 28 R. Okt. Sept. Okt. Nor. 25 10 16 Io P. Guranıcr: Photometrische Beobachtungen der Jupitertrabanten. 361 Berl Trab. Beob. Gr. Anom. 1905 I Trab. Beob. Gi. Anom. 102g" IV 0.00 630 196° Okt. 23 ı3t52% IV 0.0 6%ı7 236° I 0.45 5.85 319 R. 1 0.35 5.82 284.9 I 08 5.45 34 II 085 5.32 343 TTeE725025:050..13 Nov xor "8rın IV? 000 261 17 55 II 0.00: 5.85: 286.2 n ee I OROmES Sa 2 Nov. 24 1054 IV 0.00 — 208 II 0:6:1525.25:,.169 R. II 0.2 6.1 280.3 Dez. 18 ıı 13 IV 0.00 6.45 353 TOR TEE IV 0/0006.322 753 R. II 0.55 5.90 197 I 0.50 5.82 126 I 0.95 5.50 207 II 1.20 ;5.ı2 292 II (1.5) (4.95) 283 Bemerkungen zu den Beobachtungen. Zuletzt unruhig, letzte Messung durch Wolken gestört. Vergrößerung ı30, Kolori- meter 100°. Durch Wolken gestört, zuletzt durch Schleier beobachtet. Vergr. 250, Kolor. 100°, Scharfe, aber unruhige Bilder. Vergr. 250, Kolor. 100°. Unsichere Luft, zeitweise wolkig. Vergr. 250, Kolor. 100°. Bis ı2"9 stark verschleiert, dann klar und ruhig; Fernrohr stößt zuletzt an. Messungen größtenteils unbrauchbar. Kolor. 1025. Sehr ungünstige Luft, stets wolkig. Erste Messung von II ausgeschlossen. Vergr. 250, Kolor. 100°. Durch Wolkenlücken. Erste Messung von II ausgeschlossen. Vergr. 250, Kolor. 100°. Starker Nebel, von 17" ab stärker nebelig und bald wolkig; Dämmerung. 1735 heller Tag, ıS® klar. Messungen teilweise unbrauchbar. Vergr. 250, Kolor. 100°, Bald so verwaschene Bilder, daß nicht weiter beobachtet werden konnte. Vergr. 250, Kolor. 100°. Sehr verwaschene Bilder und unsichere Luft, zeitweise wolkig. III ist um 10" 4" und um aulz8" teilweise verfinstert. Nach ro" 9% Lampe frisch gefüllt. Vergr. 250, Kolor. 100°, Um ı1?27" Wolken, später klar. Vergr. 250, Kolor. 100°. Wolkig, zunächst, sehr unsichere Luft mit wechselnder Durchsichtigkeit. 10'10”, 10, 35 Wolken. Von ı10"358% ab die Messungen stets durch Wolken unterbrochen. 11 53, dunstig, später klar. ı2"r4" Wolken, darauf verwaschene Bilder. Von ı2 A a stark verschleiert. Nerpr: 250, Kolor. 100°, Klar, Mondschein. 13"35" Wolke in der Nähe, dann klar bis 14” 4". Letzte Messung durch Wolken. Vergleichstern 675 etwas zu hell zum Messen. Vergr. 250, Kolor. 95°. Ziemlich verwaschene Bilder; bei den ersten Messungen Wolke in der Nähe. Um ı1?35 vielleicht etwas dunstig, später ganz klar, am Schluß Wolken. III ist um 1352" auf- fallend schwach. Vergr. 250, Kolor. 95°. Bald sehr verwaschene Bilder, nach dem Horizont hin etwas dunstig. I um giscon teil- weise verfinstert. Von ı2" ab etwas verschleiert. Nach 10” 9” Lampe frisch gefüllt. Vergr. 250, Kolor. 100°. Heller Mondschein, etwas dunstig, zum Schluß Wolken. Seit 1126 weniger durch- sichtig als vorher. II ist auffallend rötlich, der in der Nähe stehende III viel weißer, etwa reingelb, I etwas mehr gefärbt als III. Kolor. 95°. Des Luft, sehr verwaschene Bilder, von S"3ı" ab besser. Heller Mondschein. Lampe kurz vor Beginn der Beobachtung AuBe indeie, bis 8%27" noch nicht konstant; nach ı1ıı5® und 14° 3 frisch gefüllt. Von als 34"— 45" Lampe rechts, sonst links. Vergr. 250, Kolor. 95°. Zuerst Wolken, Bilder wechselnd, letzte Messungen vielleicht durch Wolken, darauf bewölkt. Lampe kurz vor Beginn der Beobachtung angezündet, von rı?3 1" ‘ab aber sicher konstant. II mattgelb und klein; I glänzend gelb, etwas "rötlich, groß; III wie I gefärbt; IV graugelb und matt. II ist gegen I auffallend klein. Äußerst verwaschene Bilder, fliegende Wolken. h m 362 Sitzung der phys.-math. Classe v. 11. April 1907. — Mittheilung v. 21. März. Nov. 24 Dez. 9 16 15 Jan. 24 Febr. I Ne} D D je 5. 27) April ı Luft sehr verdächtig, Messungen fast stets durch Wolken gestört. Nach 12"'33”" Lampe verstellt. Letzte Messung durch Wolken abgebrochen. Vergr. 250, Kolor. 95°. Zuerst wolkig, dann dunstig, später klar, Durchsichtigkeit aber vielleicht wechselnd. Lampe kurz vor Beginn der Beobachtung angezündet. Bis 10'34"” der von der hintern Glasfläche reflektierte Alu Stern benutzt. Vergr. 250, Kolor. 95°. m Stets wolkig. Von o"sı —ı0”13” und von ı0"s6"—11"24” bei vollem Objektiv die von der Glasscheibe doppelt reflektierten Bilder der Sterne mit Diaphragma 3 gemessen; die übrigen Messungen wie gewöhnlich. Vergr. 130, Kolor. 100°. Anfangs etwas „EnnehE, „Später sehr an heller Mondschein. Nach 11"50" Lampe frisch gefüllt. 6"23"— 31" und 10" 3" 28” die doppelt reflektierten ‚Bilder gemessen bei vollem Objektiv und mit Diaphraga 3 bzw. 4. Von 10039" ie Bi mit Okular- prisma beobachtet, ebenso von a ab. Die Messungen von 13855" _14® 6” sind en und zu verwerfen. 623" ® Vergr. 250, ı0® zu — 28” Vergr. 250, 1039! —ı1" 9" Vergr. 250, dann bis Schluß Vergr. 130. Gute N Beobachtung mit Okularprisma. I weißgelb, II graubläulich. Vergr. 130, Kolor. 100°. Anscheinend ein wenig verschleiert, zent gleichmäßig und direkt nicht bemerkbar. Beobachtung mit Okularprisma. Bis Tazm Lampe links , dann rechts. Vergr. 130, Kolor. 100°, von 10'55" ab Vergr. 250. Luft feucht und Bilder sehr verwaschen, heller Mond, weißlicher Himmel. Vergr. 130, Kolor. 95°. Heller Mond, weißlicher Himmel, etwas dunstig, am Horizont Wolken, nach 7"3 dichter Schleier. Vergr. 130, Kolor. 95°. Luft klar, aber feucht und unsicher. Zwischen 9" 4” und ı2" sowie zwischen g"ı7" und 20” Wolken. Später höchst zweifelhaft und stets verschleiert. Lampe kurz vor Beginn der Beobachtung angezündet, Flamme nach Suygm niedriger geschraubt. Vergr. 130, Kolor. 95°. Letzte Messung durch Wolken abgebrochen. Vergr. 130, Kolor. 95°. Anscheinend klar, vorher streifig. Mondschein. Lampe kurz vor Beginn der Beob- achtung angezündet. Vergr. 130, Kolor. 95°. Etwas dunstig. Von 9" ab höchst verdächtig wegen Schleier. Vergr. 130, Kolor. 95°. Streifig, heller Mond, später verschleiert und dunstig, Bilder sehr verwaschen. Beob- achtungen teilweise unbrauchbar. Vergr. 130°. Zuerst sehr helle Dämmerung, sehr klar, am Horizont Wolken. Allmählich dunstig. Heller Mond. Vergr. 130, Kolor. 95°. Klar, um $?ı7" Wolke vermutet. Nach $"36” plötzlich sehr verwaschene Bilder und darauf Schneeböe, wobei das Objektiv Behlelee wird. 9" 2" wieder klar, zum Schluß bewölkt. Vergr. ı30, Kolor. 95°. Er Luft, etwas verschleiert. Von S"S ab sehr klar und Bilder gut. Vergr. 130, Kolor. « Bilder ik zerflossen und unruhig, sehr klar, aber unsicher. Um sh46" etwas dunstig, am Schluß Wolken. Messungen nicht befriedigend gelungen und zu verwerfen. Lampe kurz vor Beginn der Beobachtung angezündet. Sehr klar, Bilder sehr verwaschen. Vergr. 130, Kolor. 95°. Sehr klar; Lampe kurz vor Beginn der Beobachtung angezündet. Vergr. 130. Erste Messung durch Wolkenlücke. Helle Dämmerung; um 7"27® Wolken, dann klar. Von g"ı6" ab Dunststreifen und unsichere Luft. Vergr. 130. Klar und Bilder gut. Zuerst sehr helle Dämmerung. Nach 7" 7" neu fokusiert. I rötlichgelb, I weißlichgelb. Um pm ist II plötzlich ganz klein und schwach bei an- dauernd ganz klarer Luft. Mondschein. Vergr. 130. Reduktionskonstanten für die mit Verxwleichsternen reduzierten Trabantenmessungen. Zeit der mit den Red. auf Vergleichsternen a Yy mittl. Phase reduz. Messungen Opposition August 16 ı3" 2"-ı Buapın +003 1.07 —0734 1195 Oktober 3 ı2 ı —ı2 39 —0.04 1.06 —0.02 9.6 I0 II 24 —ı2 24 +0.03 1.03 +0.02 8.6 18 II I4 —I2 45 —0.02 1.10 +0.06 7-4 23 1029 —ı2 35 +0.06 1.00 +0.09 6.6 P. Gwrnsick: Photometrische Beobachtungen der Jupitertrabanten. November Dezember Januar Februar März April I I Zeit der mit den Vergleichsternen reduz. Messungen g"23 II 8 10 II 10 10 6 10 ıı 13 8 10 AO-1-1OD WWOmD MO =-I\ DO 7 \0 26 zı 26 zı 37 m hi — 10. 9 —ı2 Ba) —ı1 —ı2 —ı1 — Io —.l —II —II A — 8 —LI I) »0o0 DO m mOOD WON wo m Red. auf mittl. Opposition +02 Phase "0 + Ne) on» 00% suwnwmwmwnmnk Wa nwWwwh vDROoO000 a0 oO Oo wwuın 363 364 Hemmende Fasern in den Muskelnerven. Von R. NicoLAıes und 8. Donrtas. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität zu Athen. Vorgelegt von Hrn. Eneermanwn am 21. März 1907 [s. oben S. 299].) Hierzu Taf. IV und V. Y erschiedene Erfahrungen, die wir über die Einwirkung von Curare, Spartein und Atropin auf die Kontraktion des veratrinisierten Muskels gemacht haben', sowie Erfahrungen über die Beeinflussung der Er- regbarkeit der peripheren Nerven durch retlektorische Reize haben uns zu der Ansicht gebracht, daß in den Muskelnerven zwei Faser- arten existieren müssen: erregende und hemmende. Ganz besonders dazu geeignet waren folgende Beobachtungen. Wenn man an einem Frosche, dessen linker Gastroknemius mit dem Sehreibhebel des MArEv- schen Myographions verbunden ist, durch Metronomreizung des linken Ischiadikus Zuekungen hervorruft, welche eine konstante Höhe haben, so können retlektorische Reize, welche auf irgendeine Weise hervor- gerufen werden, die Zuekungshöhe wesentlich beeinflussen, und zwar können einige Kontraktionen kleiner werden oder voll- ständig ausfallen. Auch tonische Kontraktionen des linken Gastroknemius, welche durch Induktionsreize des rechten Ischiadikus hervorgerufen werden, können durch andere reflektorische Reize aufgehoben werden. Diese Erscheinungen, welche von vielen Autoren und neuestens auch von JÄpernorn” beobachtet wurden, legen die Annahme von ı S. Doxras, De l’action du curare, de la sparteine et de l’atropine sur la con- traction des museles veratrinises de la grenouille. Travail fait sous la direetion de M. le Prof. R. Nıcoraıpes (Compte-rendu du Vl® Congres international de Physiologie S. 72). Das Resultat dieser Arbeit wird in folgender Weise zusammengefaßt: »On peut done admettre que le curare, la sparteine et l’atropine paralysent la fonction de quel- ques fibres nerveuses, moderatrices ou inhibitrices, qui, A l’&tat normal, moderent la contraction et empechent les secousses brusques et fortes.« > JÄDERHOLN, Untersuchungen über Tonus, Hemmung und Erregbarkeit. PrLüsers Archiv Bd. 114, 5/6, S. 248. R. Nıcoraıpes und S. Dovras: Hemmende Fasern in den Muskelnerven. 365 Hemmungsfasern nahe, welche im Zentralnervensystem ihren Ursprung haben und in den Muskelnerven neben den erregenden Fasern ver- laufen. Derselben Ansicht ist auch Jäpernorm. Er sagt: »Die be- sehriebenen Phänomene zeigen, daß nicht alle Hemmungen rein intra- zentral verlaufen. Zu deren Erklärung sind entweder verschieden- artige Nervenprozesse oder ein Unterschied zwischen hemmenden und erregenden Fasern in den Muskelnerven anzunehmen.« (S. 300 seiner zitierten Abhandlung.) Von dieser Ansicht geleitet, haben wir folgenden Versuch ge- macht. Der Lumbalplexus führt bekanntlich beim Frosch in zwei Wurzeln Nervenfasern zum Gastroknemius. Verschiedene Erfahrungen an diesen Wurzeln, verschiedene Zuckungshöhe je nach der gereizten Wurzel, der oberen oder‘ der unteren, sowie nach Durchschneidung einer derselben (an einigen Fröschen der oberen und an anderen der unteren Wurzel) und Untersuchung der Muskelkurve nach Tagen und Monaten bei direkter und indirekter Reizung des Muskels (Gastrokne- mius), diese und andere Erfahrungen, von welchen wir in einer anderen Mitteilung berichten werden, haben uns zu der Meinung geführt, daß sie (die obere und die untere Lumbalwurzel) in verschiedener Weise auf die Kontraktionskurve einwirken. Wir haben nun durch Reizung des linken Ischiadikus mit einzelnen Öffnungsschlägen oder mit teta- nischen Reizen Zuckungen bzw. tonische Kontraktionen des rechten Gastroknemius reflektorisch hervorgerufen einmal bei intakten Wurzeln und das andere Mal nach Durchschneidung einer der Wurzeln des Lumbalplexus, der oberen oder der unteren desselben (rechten) Beines. Wir haben nun beobachtet, daß nach Durehschneidung der unte- ren Wurzel die Kurven bedeutend in die Höhe gehen. Die Kurven ı und 2 geben das Resultat eines solchen Versuches graphisch wieder. Fig. ı (Taf. IV). Rana temporaria. a,a zwei reflektorisch hervorge- rufene Zuckungen des rechten Gastroknemius bei intakten Wurzeln. d, b zwei Zrerensen desselben Muskels unter denselben Bedingungen nach De schneidung der unteren Wurzel hervorgerufen. Fig. 2 (Taf. IV). a tonische Bon des linken Gastroknemius reflektorisch hervorgerufen bei intakten Wurzeln, 5 nach Durchsehneidung der unteren Wurzel. Durch die untere Wurzel müssen hemmende Fasern ver- laufen. Nur aus einer solehen Annahme können diese Re- sultate erklärt werden. Wenn das so ist, so muß, sagten wir uns weiter, wenn man einen Tetanus des Gastroknemius durch Reizung der oberen Wurzel hervorruft und während des Verlaufes desselben auch die untere Wurzel 366 Sitzung der phys.-math. Classe v. 11. April 1907. — Mittheilung v. 21. März. durch zweekmäßige Stromstärke reizt, die Kurve sinken und nach Aufhören der Reizung der unteren Wurzel wieder in die Höhe gehen. Diese Vorhersage wurde bestätigt. Wir machten den Versuch auf folgende Weise. Wir haben die betreffenden Wurzeln sorgfältig präpariert und dicht am Rückenmark durehschnitten. Sodann legten wir jede derselben auf gut isolierte Platinelektroden, deren jede mit der sekundären Spirale eines Induktoriums verbunden war. Der Ga- stroknemius wurde in ein Gansches Myographion eingehängt. Als Be- lastung wählten wir 5g und manchmal ı0g, die an dem direkt an der Drehachse des isotonischen Hebels angebrachten Wirtel angehängt wurden. Wir reizten nun mit dem einen Induktorium die obere Wurzel tetanisch, und gleich nach dem Aufstieg der Kurve reizten wir auch die untere Wurzel mit dem anderen Induktorium. Bei geeigneten Präparaten (großen und gut ernährten Fröschen) und durch zweckmäßige Variation der Reizung sahen wir die Kurve sinken und nach Aufhören der Reizung der unteren Wurzel (die der oberen dauerte fort) wieder in die Höhe gehen. Die Figuren 3 —8 geben das Resultat solcher Versuche graphisch wieder. Fig. 3—5 (Taf. IV). Rana temporaria. Die obere Wurzel wurde mit Maximalreizen (übereinandergeschobene Rollen des Induktoriums) gereizt. Bei "T T wurde auch die untere Wurzel gereizt mit schwächerem In- duktionsstrome (38— 37 em Rollenabstand). Die Kurve sinkt, solange der Reiz der unteren Wurzel dauert und geht wieder in die Höhe nach Aufhören des Reizes. An der Kurve 5 ist nach Aufhören der Reizung der oberen Wurzel eine kleine Öffnungszuekung bemerkbar. Fig. 6—58 (Taf. IV). Rana temporaria. Die obere Wurzel wurde mit starken Reizen (Rollenabstand Iocm) gereizt. Bei ”T T wurde auch die untere Wurzel mit schwächerem Strome (32 — 29 cm Rollenabstand) gereizt. Die Kurve ist gesunken, und nach Aufhören des Reizes geht sie wieder in die Höhe. Das Sinken der Tetanuskurve nach Reizung der unteren Wurzel dauert, wie gesagt, solange der Reiz wirkt. Wenn dieser sehr lange fortgesetzt wird, kommen Oszillationen im Abstieg zum Vorschein, welche anfangs kleiner, allmählich aber größer werden. Die Kurven 9 und ıo geben dieses Resultat wieder. Fig. 9 (Taf. V). Rana temporaria. Bei a, wurde die obere Wurzel (Rollenabstand 0) gereizt, bei w,.| die untere. Die Kurve zeigt während der Reizung dieser Wurzel oszillatorische Bewegungen. Nach Aufhören des Reizes (|) steigt die Kurve in die Höhe und ist nunmehr ganz frei von Oszil- lationen. Bei ()) Aufhören der Reizung der oberen Wurzel. Fig. 10 (Taf. V). Bei 12 wurde die obere Wurzel (Rollenabstand 12) gereizt, bei (() die untere (Rollenabstand 35). Während der Reizung der- selben treten stärkere Oszillationen auf, welche beim Aufhören des Reizes ()) verschwinden, und die Kurve geht in die Höhe. Sützungsber. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1907. Taf. IV. Fig. 2. nn 0 Fig. 1. & 2 [7 > b b [Ü Fig. 3. Fig. 4 Bi Ai j o o en 1 38 38 Fig. 3. Ei Fig. 6. Fig. 8. 70 IT———m mm qq zyyj]jtt pn 23 30 R. Nicorames und S. Dontas: Hemmende Fasern in den Muskelnerven. TuRUNN a Een az I En fi 5 N f “ e D Di . BE vr & KAG ’ _ 7 x A zZ h au Pi T u { God En KT TE N RAT AUT, HT N u ET 2 Taf. V. Sitzumgsber. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1907. Fig. 9. Fig. 10. < > 5 2 en u.30 j . 12 35 Fig. 11. Fig. 12. < > Bo f > Ga < > < > u Be , a 11. X u. 24 Fig. 13. Fig. 14. a o < < > > 36 < > 1.35 Fig. 16. Fig. 15. Fig. 17. | | I ! | Bi) u < > —j < > 5 u.15 £ B 0 30 R. NicorLames und S. Dontas: Hemmende Fasern in den Muskelnerven. e 3 — = » Pr aa Dr MR na RT 1} USE «onkungle EN - i x E dr = . [} 7 R. Nicoraıpes und S. Dowras: Hemmende Fasern in den Muskelnerven. 367 Wenn nach Aufhören der Reizung der unteren Wurzel, wo dann die Kurve in die Höhe geht. dieselbe Wurzel wieder gereizt wird, so geht die Kurve gegen das Normalniveau nochmals zurück, um beim Aufhören des Reizes wieder in die Höhe zu gehen, und das kann an manchen Präparaten oft wiederholt werden. Die Kurven ıı und ı2 geben dies Resultat eines solchen Versuches wieder. Fig. ıı (Taf. V). Rana temporaria. Bei a,< die obere Wurzel mit maximalen Reizen gereizt, bei «,,| auch die untere Wurzel gereizt. Nach Aufhören des Reizes dieser Wurzel (|) ging die Kurve wieder in die Höhe. Dann wurde bei «,,;| dieselbe Wurzel (die untere) wieder gereizt; bei (|) Aufhören des Reizes der unteren und bei ()) der oberen Wurzel. Fig. ı2 (Taf. V). Rana temporaria. Bei «.< wurde die obere Wurzel gereizt. Die untere Wurzel zweimal bei «,,<) gereizt. Bei ()) Aufhören der Reizung der oberen Wurzel. Manchmal, wenn nach Reizung der oberen Wurzel mit sehr star- kem Strome die untere Wurzel mit schwächerem Strome gereizt wird, findet entweder keine Veränderung der Kurve statt oder es kommen nur kleine, aber regelmäßige Zacken während der Reizung zum Vor- schein, welehe nach Aufhören derselben verschwinden. Darüber unter- riehten die Kurven 13 und 14. Fig. 13 (Taf. V). Rana temporaria. Bei a,< Reizung der oberen Wurzel mit starkem Strom. Bei ( ) Reizung der unteren Wurzel mit sehr schwachem Strom (Rollenabstand 36cm). Keine Veränderung der Kurve bei der Rei- zung der unteren Wurzel. Fig. 14 (Taf. V). Rana temporaria. Bei «,< wurde die obere Wurzel gereizt mit starkem Strom (übereinandergeschobene Spiralen), bei X ) Reizung der unteren Wurzel (Rollenabstand 35): es erscheinen nur Zacken, welche nach Aufhören des Reizes verschwinden. Dabei ist eine kleine Öffnungs- zuckung bemerkbar. Die Zaecken der Kurve 14 können vielleicht erklärt werden aus der Hemmung der Kontraktion nur der roten Muskelfasern. Die Kon- traktionen der weißen Muskelfasern, deren zeitlicher Verlauf viel schneller ist, können dann nicht bei der vorhandenen Frequenz des Wechselstromes zu einer Summation verschmolzen werden, und die einzelnen Zuckungen treten isoliert für sich auf. Wenn nach Reizung der oberen Wurzel mit starkem Strome auch die untere Wurzel mit starkem Strome gereizt wird, sinkt die Kurve meistenteils nicht, sondern geht in die Höhe. Dies lehrt Fig. 15. Fig. 15 (Taf. V). Rana temporaria. Bei a wurde die obere Wurzel gereizt und gleich nachher auch die untere mit sehr starkem Strom. Die Kurve sinkt nicht, sondern geht im Gegenteil in die Höhe. Nach Aufhören des Reizes macht sie einen schroffen Abstieg und verläuft etwas unter das Anfangsniveau. 368 Sitzung der phys.-math. Classe v. 11. April 1907. — Mittheilung v. 21. März. Diese Erscheinung erklärt sich wahrscheinlich folgenderweise: Die untere Wurzel enthält nicht nur hemmende, sondern auch erregende Fasern. Auf schwache Ströme reagieren nur die ersteren. Wenn der Strom aber sehr stark ist, so überwiegen die erregenden Fasern, und die Kurve steigt in die Höhe anstatt zu sinken. Es ver- hält sich hier ähnlich wie mit den Vasokonstriktoren und den Vaso- dilatatoren, welche in demselben peripheren Nervenstamm verlaufen. Die Vasodilatatoren nämlich sind, wenn die Reizung schwach ist oder in langsamem Rhythmus erfolgt, erregbarer als die verengen- den Nerven. Dieser Eigenschaft ist es ja zuzuschreiben, daß man auch am frisch durehschnittenen Nerven durch zweckmäßige Variation der Reizung die Gegenwart von erweiternden Fasern demonstrieren kann. Die beschriebenen Erscheinungen können nicht anders erklärt werden als aus der Annahme, dal in der unteren Lumbalwurzel auch hemmende Fasern existieren. Dafür spricht: ı. Daß man nur durch zweckmäßige Variation der Reizung der unteren Wurzel die beschriebenen Erscheinungen hervorrufen kann. 2. Wenn nicht die zweckmäßige Reizung getroffen ist, wenn z.B. die Reizung der oberen Wurzel nicht maximal ist und die der unteren mit starkem Strome geschieht, steigt die Kurve nach Reizung der unteren Wurzel in die Höhe anstatt zu sinken. Wenn aber die zweekmäßige Reizung getroffen ist, sinkt die Tetanuskurve, welche durch Reizung der oberen Wurzel hervorgerufen wurde, nach Reizung der unteren Wurzel. Daß dieses Zurückgehen der Kurve gegen das Normalniveau nieht der Ermüdung des Muskels zuzuschreiben ist, folgt aus folgendem: Erstens sinkt die Kurve, auch wenn die untere Wurzel gleich nach der der oberen, also in einer Zeit gereizt wird, in welcher die Kurve im Aufsteigen begriffen ist und von einer Ermüdung noch keine Rede ist (Fig. 16, Taf. V). Zweitens, wenn die untere Wurzel gereizt in der Zeit wird, in welcher die Kurve auf der Maximalhöhe sich befindet, so wird bei zweekmäßiger Reizung die Kurve von ihrem normalen Wege unter einem Winkel abgelenkt, und dann macht sie einen sehr schroffen Abstieg und nach Aufhören des Reizes einen raschen Aufstieg, wie eine Blutdruckkurve nach Reizung des Vagus sinkt und nach Aufhören desselben wieder steigt (Fig. 3, 4, 5, Taf. IV). Wenn man nach einer solehen Kurve eine Tetanuskurve durch Reizung nur der oberen Wurzel mit demselben Strome hervorruft, so sinkt die Kurve trotz der Ermüdung, welche nunmehr größer sein muß, nicht schroff, sondern allmählich herunter, wie eine gewöhn- liche Tetanuskurve. : P R. Nıcoraıpes und S. Dontas: Hemmende Fasern in den Muskelnerven. 369 3. Daß das In-die-Höhe-Gehen der Kurve nach Aufhören der Reizung der unteren Wurzel dem Aufhören der Reizung der hemmen- den Fasern und nicht einer Reizung der erregenden Fasern bei der Öffnung des Stromes der unteren Wurzel zuzuschreiben ist, folgt dar- aus, daß ein In-die-Höhe-Gehen der Kurve nach Aufhören der Rei- zung der unteren Wurzel zum Vorschein kommt, nur wenn auch ein Zurückgehen der Kurve gegen das Normalniveau nach Reizung der- selben Wurzel vorausgegangen ist. Ist das nicht der Fall, d.h. haben wir nicht die hemmenden Fasern getroffen, was sehr oft geschieht aus Gründen, die wir vorläufig nicht angeben können, so folgt dem Aufhören der Reizung der unteren Wurzel entweder ein Abstieg der Kurve oder höchstens eine einfache und kleine Öffnungszuckung (Fig. 17. Taf. V), während der nach Aufhören der Reizung der hem- menden Fasern erscheinende Aufstieg sehr beträchtlich ist und die Höhe erreicht, auf welcher die Kurve sich befinden würde, wenn nur die Reizung der oberen Wurzel stattgefunden hätte. Wenn übrigens der Aufstieg der Kurve nach Aufhören der Reizung der unteren die Folge der Öffnung des Stromes wäre, so müßte er bei der Reizung mit stärkerem Strome größer sein. Das ist aber nicht der Fall, son- dern im Gegenteil, wenn der Strom, mit welchem die untere Wurzel gereizt wird, sehr stark ist (in welchem Falle die Reizung der er- regenden Fasern überwiegt und infolgedessen eine Summation und kein Abstieg der Kurve stattfindet), so sieht man nach Aufhören der Reizung der unteren Wurzel nicht ein Aufsteigen, sondern ein schroffes Fallen der Kurve (Fig. 15, Taf. V). Dies alles zwingt uns zu der Annahme von Hemmungsfasern in den Muskelnerven. Man kann diese allerdings nicht immer demon- strieren. Das kommt vielleicht daher, daß sie sehr leicht ihre Er- regbarkeit verlieren, was wir daraus schließen, daß das zweite Nerven- muskelpräparat desselben Frosches, eine Stunde nach dem ersten unter ganz denselben Bedingungen untersucht, sehr selten die beschriebenen Erscheinungen zeigt. Es kann aber sein, daß die hemmenden Fasern nicht immer nur in der einen, sondern in beiden Wurzeln gleichmäßig verteilt sind. Individuelle Verhältnisse müssen hier eine große Rolle spielen. Doch wenn man sich einige Mühe gibt, mehrere gute Prä- parate zu untersuchen, wird es am Ende sicher gelingen, solche zu finden, an welchen bei zweckmäßiger Variation der Reizung die hem- menden Fasern zu demonstrieren sind. Bei gelungenen Präparaten sind die Kurven sehr ähnlich den- Jenigen, die man erhält, wenn man während des Verlaufes einer regel- mäßigen Blutdruckkurve den Vagus reizt. Wie unter diesen Verhält- nissen die Blutdruckkurve beträchtlich heruntersinkt, so sinkt auch 370 Sitzung der phys.-math. Classe v. 11. April 1907. — Mittheilung v. 21. März. beträchtlich die Muskelkurve nach Reizung der unteren Lumbalwurzel. Beide Erscheinungen haben dieselbe Ursache. Die Abnahme des Druckes und infolgedessen das Sinken der Kurve ist durch die Reizung der hemmenden Fasern des Vagus bedingt, das Sinken der Muskelkurve durch die Reizung der neben den erregenden in der unteren Wurzel existierenden Hemmungsfasern. Wir haben also eine Analogie zwi- schen Vagus—+ Herz einerseits und Muskelnerven + Muskel anderseits. Die hemmenden Fasern des Vagus regulieren die Tätigkeit des Herz- muskels. Die hemmenden Fasern der Muskelnerven regulieren die Kontraktionen der Skelettmuskeln und folglich die Bewegungen der Glieder. Sowie aber die Vagushemmungsfasern einen Kern haben, aus dem sie entspringen, so müssen auch die hemmenden Muskel- nervenfasern ihren Ursprung im Zentralnervensystem haben. Über ihren Ursprung im Zentralnervensystem sowie über viele andere sie betreffende Fragen behalten wir uns weitere Mitteilungen vor. Ausgegeben am 18. April. 371 SITZUNGSBERICHTE 1907. XIX. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 11. April. Sitzung der philosophisch-historischen Classe. Vorsitzender Secretar: Hr. VAauren. *Hr. Dresser las über den angeblich die Göttin Sors dar- stellenden Denar des M. Plaetorius Öestianus (Conen Taf. XXXU n. 7; BAseron II S. 315 n. 10). Die Deutung als Brustbild der Sors ist im 16. Jahrhundert entstanden durch den Vergleich mit der Büstenform der Renaissancezeit und durch die irrige Annahme, dass der mit der Inschrift SORS versehene Theil der Darstellung eine Basis sei, auf der ein Brustbild stehe. Erst Caveoonı und Krücmann haben die Deutung des Münzbildes in die richtige Bahn geleitet. Dargestellt ist einer der beim antiken Orakel verwen- deten Knaben (in Halbfigur), wie er mit beiden Händen das von ihm gezogene Loos- täfelchen (sors) vor sich hin hält, damit der Orakelsuchende von dem ihm zu Theil ge- wordenen Spruche Kenntniss nehme. Genau ebenso hält auf einer Münze von Seleueia ad Calycadnum (Londoner Cat., Lycaonia etc. S. 135 n. 34) die Siegesgöttin eine be- schriftete Tafel vor sich hin; es ist die Eleutherie- Urkunde, die sie dem Volke zeigt. Ausgegeben am 18. April. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei. Sitzungsberichte 1907. 37 Don Zn Zn y LIaRUN wills et ERDE 0 ie Ku | hr Jun At irie« TE AT x x > harylas & f Ta 1907. XX. XXI RI SITZUNGSBERICHTE DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. Gesammtsitzung anmı 18. April. (S. 373) Sitzung der philosophisch -historischen Classe am 25. April. (S. 375) Harnack: Über die Zeitangaben in der Apostelgeschichte des Lukas. (S. 376) Erman: Zur ägyptischen Wortforschung. (S. 400) Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe am 25. April. (S. 417) H. Lunenoorrr: Die Bahn des spectroskopischen Doppelsterns ß Arietis. (S. 418) BERLIN 1907. "VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. Aus dem Reglement für die Redaetion der akademischen Druckschriften. Aus $1l. Die Akademie gibt gemäss $ 41,1 der Statuten zwei fortlaufende Veröffentlichungen heraus: » Sitzungsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften « und » Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften «. Aus $ 2. Jede zur Aufnahme in die »Sitzungsberichte« oder die » Abhandlungen« bestimmte Mittheilung muss in einer aka- demischen Sitzung vorgelegt werden, wobei in der Regel das druckfertige Manuscript zugleich einzuliefernist. Nicht- mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen. $ 3. Der Umfang einer aufzunehmenden Mittheilung soll in der Regel in den Sitzungsberichten bei Mitgliedern 32, bei Nichtmitgliedern 16 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Sitzungsberichte, in den Abhandlungen 12 Druckbogen von je 8 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Abhand- lungen nicht übersteigen. Überschreitung dieser Grenzen ist nur mit Zustimmung der Gesammt-Akademie oder Jder betreffenden Classe statt- haft, und ist bei Vorlage der Mittheilung ausdrücklich zu beantragen. Lässt der Umfang eines Manuscripts ver- muthen, dass diese Zustimmung erforderlich sein werde, so hat das vorlegende Mitglied es vor dem Einreichen von sachkundiger Seite auf seinen muthmasslichen Umfang im Druck abschätzen zu lassen. ga. Sollen einer Mittheilung Abbildungen im Text oder auf besonderen Tafeln beigegeben werden, so sind die Vorlagen dafür (Zeiehnungen, photographische Original- aufnahmen u.s. w.) gleichzeitig mit dem Manusecript, jedoch auf getrennten Blättern, reithen, Die Kosten der Herstellung der Vorlagen haben in der Regel die Verfasser zu tragen. Sind diese Kosten aber auf einen erheblichen Betrag zu veranschlagen, so kann die Akademie dazu eine Bewilligung beschliessen. Ein darauf geriehteter Antrag ist vor der Herstellung der be- treffenden Vorlagen mit dem schriftlichen Kostenanschlage eines Sachverständigen an den vorsitzenden Seeretar zu richten, dann zunächst im Secretariat vorzuberathen und weiter in der Gesammt-Akademie zu verhandeln. Die Kosten der Vervielfältigung übernimmt die Aka- demie. Über die voraussichtliche Höhe dieser Kosten ist — wenn es sich nicht um wenige einfache Textfiguren handelt — der Kostenanschlag eines Sachverständigen beizufügen. Überschreitet dieser Anschlag für die er- forderliche Auflage bei den Sitzungsberichten 150 Mark, bei den Abhandlungen 300 Mark, so. ist Vorberathung durch das Secretariat geboten. Aus $5. Nach der Vorlegung und Einreichung des vollständigen druckfertigen Manuscripts an den zuständigen Secretar oder an den Archivar wird über Aufnahme der Mittheilung in die akademischen Schriften, und zwar, wenn eines der anwesenden Mit- glieder es verlangt, verdeckt abgestimmt. Mittheilungen von Verfassern, welehe nicht Mitglieder der Akademie sind, sollen der Regel nach nur in die Sitzungsberichte aufgenommen werden. Beschliesst ‚eine Classe die Aufnahme der Mittheilung eines Nichtmitgliedes in die dazu bestimmte Abtheilung der » Abhandlungen«, so bedarf dieser Beschluss der Bestätigung dureh die Gesammt-Akademie. (Fortsetzung auf S. 3: ‚des Umschlags.) N EEE ea Es ar von noch gezeigt hat; Aus $ 6, Die an die Druckerei abzuliefernden Manuseriptemüssen, wenn es sich nicht bloss um glatten Text handelt, aus- reichende Anweisungen für die Anordnung des Satzes und die Wahl der Schriften enthalten. Bei Einsendungen Fremder sind diese Anweisungen von dem vorlegenden Mitgliede vor Einreichung des Manuscripts vorzunehmen. Dasselbe hat sich zu vergewissern, dass der Verfasser seine Mittheilung als vollkommen druckreif ansieht. Die erste Correetur ihrer Mittheilungen besorgen die Verfasser. Fremde haben diese erste Correetur an das vorlegende Mitglied einzusenden, Die Correetur soll nach Möglichkeit nicht über die Berichtigung von Druckfehlern und leichten Schreibversehen hinausgehen. Umfängliche Correeturen Fremder bedürfen der Genehmigung des redi- girenden Seeretars vor der Einsendung an die Druckerei, und die Verfasser sind zur Tragung der entstehenden Mehr- kosten verpflichtet. Aus $8. Von allen in die Sitzungsberichte oder Abhandlungen aufgenommenen wissenschaftlichen Mittheilungen, Reden, Adressen oder Berichten werden für die Verfasser, von wissenschaftlichen Mittheilungen, wenn deren Umfang im Druck 4 Seiten übersteigt, auch für den Buchhandel Sonder- abdrucke hergestellt, die alsbald nach Erscheinen des be- treffenden Stücks der Sitzungsberichte ausgegeben werden. Von Gedächtnissreden werden ebenfalls Sonderabdrucke für den Buchhandel her, ‚gestellt, indess nur dann, wenn die Verfasser sich ausdrücklich damit einv erstanden erklären. 89. ‘ Von den Sonderebardeken aus den Sienupahrene erhält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, zu unentgeltlicher Vertheilung olıne weiteres 50 Frei- exemplare; er ist indess berachligt, zu gleichem Zwecke a auf Kosten der Akademie weitere . Exemplare bis zur Zahl von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis zur Zahl von 200 (im ganzen also 350) abziehen zu lassen, " sofern er diess rechtzeitig dem redigierenden Seeretar an- gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch ‚mehr Aneoe zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazu der Genehmigung der Gesammt- Akademie oder ‚der be= x — Nichtmitglieder erhalten ‚50 Frei- Rn treffenden che exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem ' redigirenden Seeretar weitere 200 Exemplare” = ihre Kosten abziehen lassen. 5 Von den Sonderabdrucken aus den Abhandianeee er hält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 30 Frei- exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl 100 und auf seine Kosten noch weitere bis. zur Zahl von 100 (im ganzen also 230) abziehen zu lassen, u“ sofern er diess rechtzeitig dem redigirenden Secretar an- wünscht er auf seine Kosten noch mehr Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedar. der Genehmigung der ne -Akademie oder treffenden Clase, _ Nichtmitglieder erhalten 30 Frei- redigirenden Seeretar weitere 100 ‚Exemplare auf ihre “Kosten abziehen lassen. Ne s17.0 40 2 EE Eine für die rideineaknen Schriften be- stimmte wissenschaftliche Mittheilung darf. in keinem Falle vor ihrer Ausgabe an jener Stelle anderweitig, sei es auch nur EDEFUCRn ler be- . exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige ‚bei dem e SITZUNGSBERICHTE 1907. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 18. April. Gesammtsitzung. Vorsitzender Secretar: Hr. VAHLEN. *]. Hr. Burvacn las über zwei schlesisch-böhmische For- melbücher in lateinischer und deutscher Sprache aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts. Eine Sammelhandschrift des Prämonstratenserklosters Schlägl in Oberösterreich enthält ein lateinisches Briefmusterbuch oberlausitzisch -schlesisch - böhmischer Herkunft und ein grösseres aus dem Grenzgebiet zwischen Schweidnitz und Prag. Verfasser der theoretischen Abhandlung des zweiten i. J. 1407 entstandenen Formelbuchs, das für eine grosse Anzahl lateinischer Briefe auch eine deutsche Fassung gibt, ist wahr- scheinlich Anselm von Frankenstein. Beide Formelbücher sind wichtig für die Ge- schichte der ostmitteldeutschen Kanzleisprache. 2. Die Akademie genehmigte die Aufnahme einer in der Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe am 21. März von Hrn. Branca vorgelegten Arbeit von Hrn. Prof. Dr. GorRsANovIc-KrANBERGER in Agram »über die geotektonischen Verhältnisse des Agramer Ge- birges und deren Folgeerscheinungen« in den Anhang zu den » Abhandlungen «. Das Agramer Gebirge bildet einen Falten-Horst; und die Spalten, von denen dieser umgrenzt wird, gaben Veranlassung zur Entstehung von Eruptionen und Erd- beben. Aber andererseits wurden auch durch den unter dem Gebirge liegenden peri- pheren Magmaherd Dislocationen und in deren Gefolge Erdbeben erzeugt, die daher einen Beweis für die »vulkanischen Beben im weiteren Sinne« bilden. Alle stärkeren Agramer Beben, die stets an derselben Stelle, aber in wechselnder Tiefe ihren Sitz haben, sind hierher zu rechnen. 3. Die Akademie hat zu wissenschaftlichen Unternehmungen durch die philosophisch--historische Classe bewilligt: Hrn. Regierungs-Bau- führer Ernst Herzreip in Berlin zur Drucklegung seines Werkes »Sa- marra, Aufnahmen und Untersuchungen zur islamischen Archaeologie « Sitzungsberichte 1907. 3 [e +] 374 Gesammtsitzung vom 18. April 1907. 600 Mark; Hrn. Dr. Gror6 MÖLLER, z. Zt. in Kairo zur Aufnahme der Inschriften von Hatnub 600 Mark; Hrn. Pfarrer W. Tümrer in Unter- renthendorf zur Herausgabe von Band 4 des Werkes »Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts« nach den Materialien des verstorbenen Öberpfarrers D. ALzerr Fıscher 600 Mark. Ausgegeben am 2. Mai. 375 SITZUNGSBERICHTE 1907. AÄXI. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 25. April. Sitzung der philosophisch -historischen Ülasse. Vorsitzender Secretar: Hr. VAuLEn. *1. Hr. Pıscner las über »Das Kuntapasukta auf Pariksit.« Es wurde gezeigt, dass dieses im Volkstone gehaltene Lied ursprünglich auch in einem Volksdialekte abgefasst war, und dass es am Ende des Krieges gedichtet wurde, den das Mahäbhärata schildert. Dieser Krieg erhält durch das Lied seine historische Beglaubigung, und es wird wahrscheinlich, dass das Ur-Mahäbhärata wirk- lich unter Janamejaya, dem Sohne des Pariksit, entstanden ist. 2. Hr. Harnack legte eine Abhandlung vor: »Über die Zeit- angaben in der Apostelgeschichte des Lukas.« In der Abhandlung werden die Zeitangaben (die Verknüpfung mit der Zeitge- schichte; die bestimmten Angaben von Jahren, Monaten und Tagen; die Anführungen von Festzeiten; die unbestimmten Zeitangaben) untersucht, und es wird gezeigt, wel- che Bedeutung diese chronographischen Bemerkungen für die Bestimmung der Glaub- würdigkeit des Buchs und für die Erkenntniss seines streng -einheitlichen Charakters haben. 3. Hr. Pıscuer legte eine Abhandlung des Privatdocenten Hrn. Dr. E. Sırs in Berlin vor: Bruchstück einer Sanskrit-Grammatik aus Sängim Aghiz in Chinesisch-Turkistan. (Ersch. später.) Das Bruchstück enthält etwa drei Capitel einer Sanskrit-Grammatik, die sich in zwei Capiteln fast wörtlich mit dem Kätantra deckt, während ein Capitel seiner Herkunft nach zweifelhaft bleibt. Durch das Bruchstück wird die richtige Lesung einer Anzahl bisher unbekannter oder unsicherer Zeichen der Brähmi-Schrift festgestellt. 38* 376 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 25. April 1907. Die Zeitangaben in der Apostelgeschichte des Lukas. Von Apour HarnAck. Lukas hat in dem Prolog zu seinem zweiteiligen Geschichtswerk an- gekündigt, daß er alles »«asezAc« niederschreiben wolle. Das Wort sowie das gleichbedeutende, mehr klassische »&zAc« kommt im Neuen Testament nur bei ihm vor (Le.:1,3; 8, 1; Act. 3, 24; 11,45 18,235 ezfic: Le. 7, 11: 9,37; Act.21,1; 25,107,-27718:, diesfeitgedruckten Zahlen bezeichnen » Wirstücke«). Es braucht nicht notwendig eine chronologische Ordnung zu bezeichnen, aber in der Regel ist sie ge- meint, und sie ist wohl auch an unserer Stelle zu verstehen, wie der Gebrauch an den anderen Stellen nahelegt. Wie weit es Lukas ge- lungen ist, eine richtige chronologische Ordnung herzustellen, das vermögen wir nicht überall zu kontrollieren. Im Evangelium ist er offenkundig auch hinter bescheidenen Forderungen zurückgeblieben; in der Apostelgeschichte aber hat er, wie niemand bezweifelt, Besseres leisten können und geleistet als im Evangelium. Zusammenhängend ist sein chronologisches Verfahren meines Wissens noch nicht gründlich untersucht worden. Es näher kennen zu lernen, ist aber in doppelter Hinsicht von Interesse, sowohl was die Glaubwürdigkeit seiner Arbeit anlangt (bzw. seine schriftstellerische Gewissenhaftigkeit) als auch ihre Einheit. Zunächst enttäuscht das Buch aufs empfindlichste, sofern es ein zusammenhängendes chronologisches Gerippe überhaupt nicht gibt. Ein solches zu bieten, hätte dem Verfasser, selbst wenn er nicht der Be- gleiter des Apostels wäre, bei seiner Bildung und seinen Quellen min- destens für den Hauptteil seiner Erzählungen nicht besonders schwer fallen können!'. Er muß also kein Gewicht darauf gelegt und das »kaeezAc« nicht in diesem Sinne verstanden haben. In dieser Haltung zeigt er sich übrigens nur als ein Adept der damaligen Geschicht- schreibung., die, zumal wenn sie, sei es erbauliche, sei es unter- haltende Zwecke verfolgte, auch kein chronologisches Gerippe auf- stellte und in der Angabe absoluter Zahlen sparsam war. Wie sie, begnügt sich Lukas damit, an ein paar ihm passend scheinenden Stellen ! Doch — partikular, undurchsichtig und mißverständlich waren damals alle clronologischen Systeme. Harnack: Die Zeitangaben in der Apostelgeschichte des Lukas. 377 an die Zeitgeschichte zu erinnern — wenn diese wenigen Stellen so aufgefaßt werden dürfen —, sonst aber relative Zahlen zu geben. Aber auch die Anzahl der Stellen, in denen er Jahreszeiträume gibt, ist gering; dagegen hat er — wiederum der damaligen Gepflogenheit entsprechend — ein Interesse für Festzeiten und für Tage und Stunden. Durch diese Angaben soll die Erzählung Frische und Lebendigkeit erhalten, d.h. die Einzelerzählung. Daß er in der richtigen Reihen- folge die Dinge wiedergibt, das zu kontrollieren setzt er den Leser in der Regel nicht in den Stand: vielmehr verlangt er, daß man ihm das einfach glaube. Eben deshalb aber, weil er auf zusammen- hängende Mitteilungen von Jahren und auf die Konstruktion eines chronologischen Gerippes nicht bedacht gewesen ist, erhalten Stellen, an denen er chronologisches Material beibringt, einen besonderen Wert; denn sie gehören nicht zu einem System, sondern sind ohne Ten- denzen eingestreut. Wir betrachten die chronologischen Mittel, deren er sich bedient hat, der Reihe nach und unterscheiden dabei, was er in bezug auf die Geschichte des Christentums in Palästina und in der Diaspora beibringt. 1. Die Verknüpfung mit der Zeitgeschichte. In bezug auf die Geschichte in Palästina bringt er außer einigen Rückbliecken' und der Anführung einzelner illustren Personen, deren Zeit bekannt war oder sich leicht feststellen ließ’, nur die Mittei- lungen, daß die von dem jerusalemischen Propheten Agabus geweis- sagte allgemeine Hungersnot »unter Klaudius« wirklich eingetreten (11, 28) und daß »damals«® von dem Könige Herodes (Agrippa 1.) eine Christenverfolgung in Szene gesetzt worden sei (die Erwähnung ' Jesus unter Pilatus und Herodes (Antipas) hingerichtet (4. 27 usw.); in den Tagen »der Schätzung« (5, 37); Theudas (5, 36); Judas der Galiläer (5, 37); der »Ägyptier« (21, 38). Beiläufig sei hier bemerkt, daß Lukas einiges von Herodes Antipas und seinen: Hofe in bezug auf Christus und die neue Religion gewußt hat, was sonst niemand berichtet. Er datiert (Le. ı, 3) ausdrückliel das Auftreten Jesu auf die Zeit dieses Herodes; er erzählt (8, 3), daß unter den Frauen, die Jesus nachfolgten, das Weib eines Epitropos des Herodes, Joanna, sich befunden habe (vgl. 24, 10) und (Act. 13, 1) daß unter den geistlichen Spitzen der Urgemeinde von Antiochien ein Syntrophos (»Vertrauter«) des Herodes namens Menaen gewesen sei. Er teilt (Le. 13, 32) einen sonst unbekannten Ausspruch Jesu in bezug auf Herodes mit, und er läßt (Le. 23, 7ff.) Jesus von Pilatus zu Herodes zur Aburteilung geschickt werden. ® Gamaliel (5, 34; 22, 3); der Hohepriester Haunas und Kaiphas und Johannes [Jonathas] und Alexander (4, 6); der Hohepriester Ananias (23, 2; 24, 1f.); der Pro- kurator Felix (23, 6 usw.); die Gemahlin des Felix, Drusilla (24, 24); der Prokurator Festus (24, 27 usw.); der König Agrippas II. und Bernike (25, 13 usw.). Die Er- wähnung der äthiopischen Königin Kandake (8, 27) bietet kein indirektes chronologi- sches Datum, da die äthiopischen Königinnen damals, und auch später noch, so hießen. 3 KAT’ EKEINON TON KAIPÖN. 378 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 25. April 1907. des Herodes verführte ihn zu einer Digression über die Umstände, unter denen Herodes bald darauf gestorben ist: Feindschaft mit den Tyriern und Sidoniern. Der Kammerherr Blastus; der Übermut des Königs; mors persecutoris! 12, 20—23). Jene chronologische Mit- teilung ist lediglich aus dem Interesse geflossen, die prophetische Weissagung zu beglaubigen; diese ergab sich mit innerer Notwendig- keit, da Herodes selbst (aus Gefälligkeit gegen die Juden) in die Ge- schicke der jungen Gemeinde eingegriffen hatte. Ein wirkliches chro- nologisches Interesse ist mithin weder hier noch dort nachzuweisen. Auch in bezug auf die Geschichte in der Diaspora ist Klaudius der einzige Kaiser, der genannt wird, und seine Erwähnung die ein- zige direkte chronologische Notiz. Als Paulus nach Korinth kam, fand er daselbst das jüngst aus Italien gekommene Ehepaar Aquila und Priseilla; sie hatten ihren Wohnort verlassen müssen AA TO AIATETA- XENAI KAAYAION XWPIIECEAI TIÄNTAC TOYc lovaalovc Arıd TAc PomnHc (18, 2)'. Die Mitteilung ist auch hier nicht um der Chronologie willen ge- schehen, sondern ist eine beiläufige. Daß Lukas die Maßregel kennt und erwähnt, zeigt, daß er sich für die Geschicke und das Verhalten der Juden in der Diaspora interessierte. Außer dieser Nachricht wer- den ein paar illustre Personen erwähnt, wie der Prokonsul Sergius Paulus auf Cypern (13,7) und der Prokonsul Gallio in Korinth (18, 12f.). Sie mußten aus inneren Gründen genannt werden: mit chro- nologischen Absichten hat ihre Erwähnung nichts zu tun?. Es läßt sich somit nicht nachweisen, daß Lukas an irgendeiner der wenigen Stellen, wo er tatsächlich chronologisches Material aus der Zeitgeschichte beibringt, von einem chronologischen Interesse ge- leitet gewesen ist. Eine solche Stelle wie Le. 3, ı, welche die chronologische Situation grundlegend determiniert, fehlt in der Apostelgeschichte vollkommen. Auch ist die Behand- lung der Geschichte des Christentums in der Diaspora und in Palästina nicht verschieden. ! In beiden Fällen (hier und ır, 28) hat Lukas alle Titel weggelassen und nur den einen Namen des Kaisers genannt. Schon hier fällt die Konstanz seiner Aus- drucksweise auf. 2 In bezug auf das allgemein-geschichtliche und heidnisch-kultische Material vgl. noch den Chiliarchen Claudius Lysias (23, 26), den Hauptmann Julius (27,1); die crreipa "Irtanık# (10, 1) und die cmeipa Cesact# (27,1) — man beachte die Überein- stimmung —; die Epikuräer und Stoiker (17, 18; es fällt auf, daß die Akademiker nicht genannt sind; sollten sie in keinen Gegensatz zu Paulus gebracht werden?); den Areopag (17, 19); den Areopagiten Dionysius (17, 34); die CTPATHroI in Philippi (16, 20); die Politarchen in Thessalonich (17,6); die Asiarchen (19, 31), die Schule des Tyrannus (19, 9), die AroPaloı KAl AN8YTIATOI (19, 38) und die Ennomoc EkKkAHcia in Ephesus (19, 39); Zeus und Hermes (14, 12); die große Artemis (I9, 27); die TIÖnIc NewköPoc (19, 35); die Dike (28,4); die Dioskuren (28, 11); der unbekannte Gott in Athen (17, 23). Harnack: Die Zeitangaben in der Apostelgeschichte des Lukas. 379 2. Angaben von Jahren, Monaten und Tagen. Jahres- und Monatsangaben kommen nur an folgenden Stellen vor': ı1, 26 Barnabas und Paulus blieben (zur Pflege der jugendlichen Gemeinde) ein volles Jahr (Enıaytön önon) in Antiochien. 17,2 an drei Sabbaten (em cAssara TPia) predigte Paulus in Thessa- lonich in der Synagoge, war also fast einen Monat in dieser Stadt. ı8, ıı Paulus blieb bei seinem ersten Aufenthalt ein Jahr und sechs Monate (enıayTön Kal mAnac €z) in Korinth. 19,8 Paulus lehrte bei seinem Aufenthalt in Ephesus drei Monate (em mAnac TPeic) in der dortigen Synagoge, sodann 19, 10 lehrte er ebendort zwei Jahre (em EtH aYo) in der Schule des Tyrannus. Beide Zeiträume zusammen werden 20, 31 als ein Zeitraum von drei Jahren (trıetian) bezeichnet. 20, 3 Paulus verweilte zum zweitenmal drei Monate (moıAcac MA- nac Tpeic) in Hellas (Korinth). [24; 10 Felix ist zur Zeit, als Paulus zum erstenmal vor ihm stand, seit vielen Jahren (&x moanon E€rön) Prokurator in Judäa.] [24, ı7 Paulus ist nach Verlauf mehrerer Jahre (a1 &tan rmeıid- non) wieder nach Jerusalem zurückgekehrt, um eine Almosenspende zu überbringen.] 24,27 Nach zwei Jahren (aleTiac mAHPweeiche) — gerechnet von dem ersten Verhör des Paulus — wurde dem Felix in Festus ein Nach- folger gesetzt”. ! Außer Betracht können die Stellen bleiben, in denen bei Kranken Jahre an- gegeben werden, s. 4,22 und 9, 33. 2 ® Werruausen (Nachr. d. K. Gesellsch. d. Wissensch. z. Göttingen, ı2. Jan. 1907, S.8f.) bemerkt hier — er hat unter den Exegeten für diese Erklärung meines Wissens keinen Vorgänger — folgendes: »Man bezieht die AleTia allgemein auf den Aufenthalt des Paulus in Jerusalem (lies: Cäsarea), und findet es dann ganz folgerecht für die Erzählung des Lukas charakteristisch, daß er aus einem mehr als zweijährigen Zeit- raum im apostolischen Leben des Paulus nur über den Verlauf seines Prozesses zu berichten wisse. Die Annahme eines zweijährigen Stillstandes in dem eng zusammen- hängenden Verlauf des Prozesses, der naturgemäß und notwendig den eigentlichen Gegenstand der Erzählung bildet, ist aber vielmehr charakteristisch für die Ausleger, die allesamt sich auf eine exegetische Möglichkeit verbeißen. Es ist ebensogut mög- lich und liegt sogar viel näher, die zitierten Worte dahin zu verstehen, daß Felix nach Ablauf von zwei Jahren seiner Amtsführung abtrat, und dies Verständnis befreit von dem absurden Hiatus in dem Prozeß des Paulus. Man hat sich wahr- scheinlich durch die roaAA ETH in 24, Io täuschen lassen. Als ob es dem Lukas in den Reden auf historische Genauigkeit ankäme und nicht auf das, was ihm gerade zum Zweck paßt! Er widerspricht ja in den rhetorischen Referaten beständig seiner eigenen Erzählung (??). In 24, 10 aber braucht er noch gar nicht an 24,27 gedacht zu haben. Zu untersuchen, ob Felix wirklich schon Ende 54 oder Anfang 55 ab- gesetzt wurde, ist nicht meine Sache.« Diese Erklärung kann meines Erachtens nicht bestehen; denn ı. dem Lukas ist Paulus und nicht Felix die Hauptfigur; daß er die Amtsdauer eines Prokurators anzu- 380 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 25. April 1907. 28,11 Nach 3 Monaten (mertA TPpeic mAnac) verließ Paulus die Insel Malta. 28, 30 Paulus blieb in Rom zwei volle Jahre (Aletian OnHn) in eigener Mietswohnung. Hierzu kommen folgende Angaben von Tagen: 1,3 Vierzig Tage (a1 hmeron TeccerAKonta) ließ sich Jesus nach seiner Auferstehung sehen. [9,9 Drei Tage (Hmerac Treic) war Saulus nach der Christophanie blind.] 10, 30 Drei Tage vor dem Besuch des Petrus bei Cornelius (Am TETAPTHC Hmerac) hatte dieser die Vision. 20,6 Binnen fünf Tagen (Axpı Hmepön rriente) kamen wir von Philippi nach Troas. 20,6 Sieben Tage (kmerac ErıtA) blieben wir in Troas. 21,4 Sieben Tage (kmerac Errtä) blieben wir in Tyrus. 21,7 Einen Tag (kmeran mian) blieben wir in Ptolemais. 24,1 Nach fünf Tagen (merA mente Hmerac), gerechnet von der Über- führung des Paulus nach Cäsarea, kam der Hohepriester Ananias dorthin. 24, ı1 Nicht mehr als zwölf Tage (oY rınelovc eicin moı HMEPAI AU- acka) sind es, sagt Paulus, seitdem ich nach Jerusalem gekommen bin. 25, ı Drei Tage nach seinem Amtsantritt in der Eparchie (mertA Tpeic Hmerac) kam Festus nach Jerusalem. 25,6 Nach nicht mehr als acht bis zehn Tagen (Hmerac oY rraelovc öKto AH aeka) kehrte Festus nach Cäsarea zurück. 27,27 Die vierzehnte Nacht (TeccareckaiaekAtH nYz) in dem schwe- ren Sturm (27, 33). geben für nötig gehalten haben soll, wäre singulär und weder durch den Kontext noch durch sein allgemeines Verfahren als Erzähler motiviert; 2. die vorangehenden Worte: A1ö Kal 6 PANIE TIYKNÖTEPON TON TTAFAON METATIEMTIÖMENOC ÖMInel AYT@, bereiten die An- gabe, daß eine längere Zeit dabei verflossen sei, trefflich vor, während sie ohne jede Beziehung auf die supponierte Angabe der Amtsdauer des Felix sind; 3. Felix hat länger als zwei Jahre sein Aınt verwaltet, worüber ein Zweifel nicht bestehen kann, und Lukas selbst sagt das wenige Verse vorher. Ihm ohne Not einen exorbitanten Widerspruch aufzubürden, ist mißlich; 4. AletiaA kann aber auch nicht als allgemeiner technischer Ausdruck für die Zeitdauer der Prokuratur verstanden werden (so daß AIETIAC TIAHP@BEICHC einfach heißen würde: »nach dem Ablauf der Amtszeit«); denn die Zeitdauer war damals nicht festgelegt (s. Hırschrerp, Die kaiserl. Verwaltungs- beamten, 2. Aufl. 1905, S.445ff.), und aıeTia findet sich wenige Kapitel später (28, 30) in nichttechnischeın Sinn; 5. von einem absurden Hiatus im Prozeß des Paulus, der nach der herkömmlichen Interpretation entstände, darf man nieht reden; denn wo Lukas Jahresangaben macht, sagt er niemals, was in diesem Zeitraum an Einzelheiten passiert ist, sondern überläßt es dem Leser, dies aus dem Kontext bzw. der generellen Angabe über die Situation des Apostels zu entnehmen. Die Angabe in 24,27, auf Paulus bezogen, ist also den übrigen Jahresangaben, in bezug auf den Aufenthalt des Apostels in den großen Städten, konform (s. 0.). Harnack: Die Zeitangaben in der Apostelgeschichte des Lukas. 381 28,7 Drei Tage (Treic Hmerac) beherbergte Publius auf Malta den Paulus. 28,12 Drei Tage (Hmerac TPeic) blieben wir in Syrakus). 28,13 Nach einem Tag (meTA mian Hmeran) fuhren wir von Rhe- gium ab. 28,13 In zwei Tagen (aeyTteraloı) kamen wir nach Puteoli. 28,14 Sieben Tage (Hmerac ErıtA) blieben wir in Puteoli bei den Brüdern. 28, 17 Drei Tage nach seiner Ankunft in Rom (metA Hmerac TPeic) rief Paulus die Vorsteher der dortigen Judenschaft zu sich. Hinzu kommen endlich die Stellen, in denen der nächste Tag bezeichnet wird: 10,9 1% 26] 10, 2 16, 11 = 3% SE e H &miovch (auch mit Hmera 9 9 Ö 14, 20 21,18 | oder nv) 20 23,11) x H ETTAYPION (HMEPA) 3 21, 20,15 |... 1 22, 30 27,3 ji ETEPA (HMEPA) 9 23, 32 | 20,15 (21, 26 25,6 27,26 {| mit hmera, 13, 2,29 | [13, 44 LA “| 44 mit cABBA- 4,3 | sicher] Ton) ne \ AYPıon (Hmera) oder m |; ezfic Hmera (in 27, 18 [23; 15] 2, E26 AYPION | 27,18 | folgt # TPitH) 5 3 DE 22 Aus dieser Tabelle ergeben sich folgende Schlüsse: I. Genaue Angaben größerer Zeiträume finden sich in dem Buche ausschließlich in bezug auf das Verweilen bzw. die Wirksamkeit des Paulus an einem Hauptort: Paulus war ein volles Jahr in An- tiochien, fast einen Monat in Thessalonich, ı8 Monate in Korinth, 3 Monate + 2 Jahre (also eine rrıetia) in Ephesus, 3 Monate in Hellas (bei dem zweiten Aufenthalt), 2 Jahre (a1eria) in Cäsarea in der Ge- fangenschaft, [3 Monate auf Malta] und 2 volle Jahre (alerian OAHN) in Rom'. Die Dauer der Wirksamkeit des Apostels an diesen Plätzen war dem Lukas so wichtig, daß er sie ausdrücklich angegeben hat. Für die inneren Entwicklungen der Gemeinden hatte er, soweit sie ! Die zwei Stellen, die ich oben bei den Jahren und Monaten noch angeführt, aber eingeklammert habe, kommen nicht in Betracht; denn in 24, 10. 17 wird nur bei- läufig von mehreren Jahren, ohne nähere Angaben, gesprochen. 382 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 25. April 1907. es nicht mit Juden und Heiden zu tun hatten, bekanntlich kein Interesse in seinem Buch verraten; aber wie lange sie das Glück ge- habt haben, den Apostel in ihrer Mitte zu sehen, dafür hat er ein sehr lebhaftes Interesse besessen und hat es zum Ausdruck gebracht. Zur Feststellung der absoluten Chronologie sind diese pünktlichen An- gaben neben den Beziehungen auf die Zeitgeschichte fast allein brauchbar. An diese zehn Angaben über eine längere Wirksamkeit des Paulus an bestimmten Orten schließen sich gleichartig die fünf an, wo es sich nur um eine Zeitdauer von Tagen handelt: 7 Tage blieben wir in Troas, 7 Tage in Tyrus, einen Tag in Ptolemais, ıo Tage war Paulus das letzte Mal in Jerusalem, 7 Tage blieben wir in Puteoli (an allen diesen Orten waren Brüder). 2. Von diesen fünf Angaben aber gehören vier — und von den zehn eine — in einen anderen Zusammenhang, nämlich in die tage- buchartigen Aufzeichnungen des Wirberichts. Dieser umfaßt 21 Tages- angaben (inkl. einer gleichartigen Monatsangabe, des Aufenthalts in Malta, s. oben), und innerhalb dieses Berichts sind dem Verfasser die Zeiten, in denen die einzelnen Strecken der Reise zurückgelegt worden sind, scheinbar ebenso wichtig wie die Zeiten des Aufenthalts an einem Ort!. 3. Zu diesen beiden großen Gruppen chronologischer Angaben treten noch zwei kleinere Gruppen, nämlich die vier unbedeutenden, zum Erzählungstypus gehörigen Tagesangaben in der Corneliusgeschichte (e. 10)” und die vierzehn (13) wichtigen Tagesangaben in bezug auf den (letzten) Aufenthalt in Jerusalem und in Cäsarea (21, 26 — 26, 32). 4. Vereinzelt finden sich nur noch folgende chronologische An- gaben in dem Buch: ı. daß sich Jesus nach seiner Auferstehung 40 Tage lang hat sehen lassen (1, 3) —, 2. daß Petrus und Johannes bis zum nächsten Morgen gefänglich eingezogen blieben (4, 3. 5) —, 3. daß Paulus nach seiner Vision drei Tage blind war (9, 9) —, 4. die Erwähnung des nächsten Sabbats bzw. Tages in e. 13,44 und 14,20 —, 5. die Mitteilung, daß Paulus drei Tage nach seiner Ankunft in Rom die Spitzen der Judenschaft zu sich einlud (28, 17). Von diesen sind die 2., 3. und 4. unerheblich. Die 5. schließt sich eng an die Tages- angaben des unmittelbar vorhergehenden » Wirberichts« an; die I. — ! Zu den chronologischen Angaben im »Wirbericht« kommt auch noch die Stelle (27, 12), an der mitgeteilt wird, daß man sich auf der Schiffahrt, als man Kreta be- rührte, am Anfang des Winters befand. 2 Wer die Art, wie diese Geschichte erzählt ist, sorgfältig mit den Erzählungen der Vorgänge in Philippi, Korinth, Ephesus usw. vergleicht, kann nicht verkennen, daß Lukas hier aus der Anschauung oder aus primären Quellen geschöpft hat, dort aber einer bereits stilisierten Überlieferung folgt, in der die konkreten Züge größten- teils schon verwischt waren. Harnack: Die Zeitangaben in der Apostelgeschichte des Lukas. 383 sie findet sich sonst nirgends in der gleichzeitigen Literatur, und wo sie in der späteren vorkommt, ist sie aus unserer Stelle geschlossen — kann nur aus der messianischen Legende abgeleitet werden und ist gewiß konstruiert, aber nicht von Lukas selbst'. Überblickt man alle diese Zeitangaben in der hier gegebenen Gruppierung, so machen sie den günstigsten Eindruck und zeigen, daß, vom chronographischen Standpunkt aus gesehen, unser Geschichts- werk mit der Gattung der späteren apokryphen Apostelgeschichten und mit sonstigen Fabelbüchern schwerlich zusammengestellt werden darf”. Wo Lukas nicht selbst dabei war und daher Tages- angaben bieten konnte, hat er sich damit begnügt, die Zeit des Aufenthalts des Paulus in den Zentren seiner Wirksam- keit nach Jahren und Monaten zu ermitteln und anzugeben. Sonst hat er auf direkte chronologische Mitteilungen fast durchweg verzichtet. Eine Ausnahme bilden nur die Tagesangaben bei dem letzten Aufenthalt in Jerusalem und in Cäsarea; aber ı. ist es möglich, daß hier Lukas selbst Augenzeuge gewesen ist, 2. geben diese Mitteilungen zu Beanstandungen keinen Anlaß. War er nicht selbst zugegen — was mir wahrscheinlich ist —”, so hat er hier vor- treffliche Berichte zur Verfügung gehabt‘. Was aber die Angaben über den längeren Aufenthalt in den Zentren betrifft — sie setzen ein- gehende Erkundigungen voraus —, so können wir sie nur zum Teil und ungenügend aus den Briefen des Paulus kontrollieren’. Soweit ! Die Art, wie Paulus I. Kor. ı5 über die Christusvisionen berichtet und seine eigene miteinschließt, macht es ganz unwahrscheinlich, daß er die Abgrenzung von 40 Tagen gekannt bzw. gebilligt hat; auch das »En TIOANOIC TEKMHPIOIC ÖTTTANÖMENOC AYTOIC KAI AET@N TA TIEPI TÄC BACINEIAC TOY 9€0Y« wird von ihm ausgeschlossen. Dennoch kann sich die Legende bei dem flüssigen Charakter dieser ganzen Materie schon zu seiner Zeit in den palästinensischen Gemeinden gebildet haben. »Vierzig Tage« ist eine be- deutungsvolle heilige Zahl (s. die 40 Tage der Versuchung in der Wüste). Man wundert sich nur, daß man den Zeitraum nicht bis zum Pfingstfest (s. u.) erstreckt hat und dadurch einen Hiatus entstehen ließ. So viel gute Erinnerung in bezug auf die Zahl von 40 Tagen wird man annehmen dürfen, daß die Rückkehr der Jünger aus Galiläa nach Jerusalem innerhalb dieser Zeit (oder bei ihrem Ausgang?) wirklich erfolgt ist. Die jerusalemischen Visionen, die sich dann noch (aber vor dem Pfingst- fest) ereignet haben, sind von der späteren Legende in die Osterzeit verlegt worden. ® Deshallı hat auch das »Wir« der Apostelgeschichte nichts mit dem willkür- lichen stilistischen »Wir« in späteren Apostel- und Märtyrererzählungen zu tun. In einzelnen Fällen mag jenes »Wir« das Vorbild für diese erbauliche Novellistik ge- wesen sein. ® Vorbehalten bleibt dabei, das Lukas zur Zeit des Festus wieder nach Cäsarea gekommen ist. * Damit ist natürlich die Zuverlässigkeit der in diesem Abschnitt besonders zahlreichen Reden und mancher anderer Züge nicht gedeckt. ° Noch weniger vermögen wir die Zeitangaben in dem Wirbericht zu kon- trollieren; aber nach ihrer ganzen Haltung bedürfen diese auch einer Kontrolle nicht. 384 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 25. April 1907. aber eine Prüfung möglich ist, halten alle Angaben stand'!. Sie be- ziehen sich sämtlich oder fast sämtlich auf die Zeiten seiner Mit- arbeit mit Paulus und auf die zwischen ihnen liegenden Perioden. In jenen rechnet er nach Tagen, in diesen nach Jahren und Monaten; sonst verzichtet er fast durchweg auf chronologische Daten. Kann man einen vertrauenerweckenderen Tatbestand wünschen’? Aber die Kehrseite dieses Tatbestandes — keine erfundenen Zahlen! — ist, daß die Geschichte der Urgemeinde von Jerusalem und der ältesten Mission in Palästina von aller Chronologie so gut wie entblößt ist. Nur das Datum für den grundlegenden Auf- enthalt des Paulus in Antiochien® und die Erwähnung der ! Man hat aus den Thessalonicherbriefen schließen wollen, daß Paulus länger in der Hauptstadt Mazedoniens geweilt haben muß, als die Apostelgeschichte berichtet. Aber zur Beanstandung liegt auch hier kein durchschlagender Grund vor. 2 Der Vollständigkeit wegen mag hier noch ein Blick auf die Tageszeiten- und Stundenangaben geworfen werden. Die Mitteilung, daß das Erzählte in der Nacht geschah, ergab sich von selbst bei den Traumvisionen 16,9; 18,9; 23, II und 27, 23 (AA TÄC NYKTÖC, EN NYKTI, T. EMIOYCH NYKTI und TAYTH TA NYKTI), bei den wunderbaren Vorgängen im Gefängnis 5, 19; 12,6 und 16, 25. 33 (AA TÄC NYKTÖC, TÄ NYKTI EKEINH, _ KATÄ TO MECONYKTION und EN EKeinH TA WPA TÄC NYKTöc) und bei den heimlichen Ver- anstaltungen in Damaskus 9,25 (nYKTöc), 17,10 in Thessalonich (AA NnYKTöc) und 23,23. 31 in Jerusalem (Amö TPITHC @PAc TÄC NYKTöc und AIA NYKTöc). Sonst wird nur noch in dem »Wirbericht« (Schiffsbruchgeschichte) die 14. Nacht und die Mitter- nacht (KATÄ Mmecon TÄC NYKTöc) erwähnt (27,27) und ebendort von Pauli Predigt in Troas erzählt, daß sie mexPı meconYKTioy (20,7), ja AxPı AYrAc (20, 11) sich hingezogen habe. In 28,23 wird mitgeteilt, daß die Versammlung in Rom, in welcher Paulus den Juden die Lehre von Christus apologetisch dargelegt hat, Ar TIP@i Ewc Ecriepac gedauert hat; 22,6 bzw. 26, ı3 wird erzählt, daß Paulus die Christusvision TIEPI MecHM- BPIAN bzw. HMEPAc MEcHc erlebt habe (in c. 9,3 fehlt diese Angabe), und 4,3 hören wir, daß die Gefangensetzung der Apostel am Abend erfolgt sei, endlich 5,21, daß die befreiten Apostel Yrmö Tön Öreron in den Tempel gegangen seien; beide Angaben ergeben sich fast von selbst aus dem Zusammenhang. — Was die Stunden anlangt, so ist @A pleonastisch bzw. nicht streng technisch in 10, 30 (MExPı TAYTHC TÄC @PAC), 16,18 (AYTH TA ÖPA), 16,33 (EN EKeinH TA @PA) und 22,13 (AYTA TA PA). Als Ge- betsstunde kommt &rAa in 3,1 (EM T. &PAN T. TIPOCEYXÄC T. ENNATHN) IO, 3.30 (ücel ÜPAN ENNATHN T. HMEPAC bzw. ENATHN) und IO,9 (TIEPI @PAN EKTHN) vor, sonst nur noch an vier Stellen, nämlich 2, 15 (die Pfingsterscheinung erfolgte in der dritten Stunde des Tages; dies wird ausdrücklich berichtet, um den Verdacht, als seien die Jünger trunken gewesen, abzuweisen), 5,17 Sapphiras Betrug und plötzlicher Tod erfolgte drei Stunden nach dem ihres Gatten), 19,34 (der ephesinische Pöbel schrie &mi @PAC AYo) und 23,23 (die Stelle ist oben mitgeteilt). Gewiß sind nicht alle diese Nachrichten gleich glaubwürdig, aber weder liegt in ihnen irgendein tendenziöses System noch gehen sie auch dort, wo sie etwas Konventionelles haben, über die Mittel hinaus, deren sich auch die beste Geschiehtschreibung der alten Zeit be- dient hat. ® Daß dieses in der ersten Hälfte des Buches einzigartig ist, läßt vermuten, daß das über die Mission in Antiochien Überlieferte, seine Quelle betreffend, zu den Nachrichten des zweiten Teils gehört, und diese Vermutung bestätigt sich auch aus anderen Beobachtungen. Harnack: Die Zeitangaben in der Apostelgeschichte des Lukas. 385 Hungersnot unter Claudius und des Herodes' Agrippa heben sich aus dieser Leere heraus und verdienen darum besondere Beachtung und Anerkennung. Ob es dem Verfasser gelungen ist, die Ereignisse der ersten Periode in richtiger Reihenfolge mitzu- teilen, dafür besitzen wir also keine Gewähr”, und die absolute Chro- nologie wird für das Einzelne vollends schwierig. Was die Reihen- folge betrifft, so darf und muß man z.B. fragen, ob die Apostel- ergänzungswahl (wenn sie überhaupt und in dieser Weise stattge- funden hat) in die ersten 40 Tage fällt, ob die verschiedenen Gefangen- schaften von Aposteln wirklich zu unterscheiden sind, wann die Be- kehrung des Paulus stattgefunden hat, wann die Samariterbekehrung (bei der ganze Dörfer zahlreich christianisiert worden sein sollen; 8,25), wann die Mission des Philippus an der Küste und die Be- kehrung des Cornelius, vor allem aber ob die Reise des Paulus nach Jerusalem 11, 30; 12, 25 richtig von der Reise e.1ı5 unterschieden ist. Aber wenn hier auch noch mehr unsicher oder irrig sein sollte, als die durehschnittliche Kritik anzunehmen pflegt’, so fiele auf den Verfasser kein schwerer Vorwurf; denn er hat keine chronographische Plusmacherei getrieben, sondern uns deutlich gesagt, für welche Be- richte allein ihm Daten zu Gebote gestanden haben. Bevor wir aber abschließend sein chronologisches Verfahren würdigen können, ist es noch nötig, sowohl die Angaben ins Auge zu fassen, bei denen er Festzeiten anführt, als auch die unbestimmten chronologischen Mitteilungen zu würdigen. 3. Angaben von Festzeiten. Es ist die paradoxeste Erscheinung in chronologischer Hinsicht in der Apostelgeschichte, daß in diesem Buch eines Griechen, geschrieben für einen vornehmen Griechen‘, nicht selten auf die jüdischen Feste ! Diese Erwähnun: liefert uns das beste Datum für die absolute Chronologie der ersten Hälfte des apostolischen Zeitalter. Die Verfolgung der Apostel durch Herodes Agrippa (Herr über Judäa 41—44), der der Tod des Königs bald folgte, hat nicht lange vor dem Jahre 44, dem Todesjahre des Herodes, stattgefunden. Da- mals verließen die Apostel Jerusalem. Nun sagt eine sehr alte Überlieferung (s. meine Chronologie I, S. 243f.), die Apostel seien einer Anweisung Jesu gemäß zwölf Jahre in Jerusalem geblieben. Unzweifelhaft ist die Anweisung erfunden worden, um den Weggang der Jünger im 12. Jahr zu rechtfertigen. Sie führt auf das Jahr 42, und eben das wird durch Act. 12, ıff. 17 bestätigt: »Petrus ging an einen anderen Ort.« ® In 5, 36 (Theudas) liegt wahrscheinlich ein grober chronologischer Verstoß vor. ® Nach meiner Meinung ist das nicht der Fall. * Daß dieser vornehme Grieche »Theophilus« von Geburt an geheißen hat, ist möglich, aber wahrscheinlich ist es nicht. Entweder hat Lukas seinem Adres- saten neben dem hohen weltlichen Titel »«PATicroc« (Le.1,4) einen hohen geistlichen 386 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 25. April 1907. verwiesen wird und sie als bekannt vorausgesetzt werden. Nicht aus den Quellen stammen diese Angaben, oder höchstens zum Teil — sie sind in der zweiten Hälfte des Buches ebenso zahlreich wie in der ersten und fehlen auch in den » Wirstücken« nicht. Diese Beob- achtung legt die Erklärung nahe, daß Lukas schon vor seiner Be- kehrung zu Christus mit dem Judentum der Diaspora Fühlung gehabt hat! und daß er eime solche Fühlung auch bei seinem Adressaten und bei der großen Mehrzahl seiner Leser voraussetzen durfte. Von hier aus bestätigt sich der einst von Rexan ausgesprochene Satz, daß es im apostolischen Zeitalter nur wenige Heidenchristen gegeben haben wird, die nicht, bevor sie Christen wurden, mit dem Judentum in Berührung gekommen waren. Die Stellen, die hier in Betracht kommen, sind folgende®: ı,ı2 Die Distanz wird mit der Maßzahl »ein Sabbatweg« ge- geben, die Kenntnis der Länge eines solchen also vorausgesetzt. 20,7 Der christliche Feiertag heißt 4 mia TOn cassAtwn (wird also nach dem jüdischen Festtage benannt). 2,ı und 20,16 H Hmera TÄc menTakoctAc — wann Pfingsten fällt, wird als bekannt vorausgesetzt. 12, 3 und 20,6 Äcan Hmeraı TON AZYMWN UNd EZETINEYCAMEN META TÄc HMmerac TON AzYmon — wann diese Tage fallen, wird nicht gesagt, ist also bekannt. 12,4 Herodes wollte merä TO tAcxa den Petrus dem Volke preis- geben — die Zeit des Passah ist also bekannt. 27, 9 ÖNToc HAH Ericsano?c TOY TIMOÖC AIA TO KAl THN NHCTEIAN HAH TTaAPeAHnYeenaı — also selbst für die Schiffahrt ist die Fastenzeit ein bekanntes Datum, mit dem sie rechnet. 21, 23.27 Al EmTA Hmeraı (To? Ärnıcmo?) — die Leser wissen, daß ein solches jüdisches Gelübde sieben Tage dauert”. Was die Glaubwürdigkeit dieser nach dem jüdischen Festkalender gegebenen und in den verschiedensten Zusammenhängen auftretenden gegeben oder der Adressat nannte sich selbst als Christ »Theophilus«, wie sich wenige Jahrzehnte später der Christ Ignatius »Theophorus« genannt hat. ! Auch aus seiner unverächtlichen Kenntnis des Alten Testaments folgt dies mit. Wahrscheinlichkeit. 2 Abgesehen muß natürlich von den Stellen werden, wo erzählt wird, daß. Paulus am Sabbat in die Synagoge kam und dort lehrte. Den »Sabbat« kannte natür- lich jeder Leser, und der Bericht über die Sabbatspredigten des Paulus in den Syna- gogen (am Anfang der Missionstätigkeit in jeder Stadt) ist als glaubwürdige Tatsache- hinzunehmen (anders einige Kritiker der Apostelgeschichte), zumal da auch der » Wir- bericht« dies überliefert hat (16, 13). ®? Auch an 5, 37 (EN T. Hmeraic T. Arıorpa®Ac) dart vielleicht hier erinnert werden; doch genügt wohl die Verweisung auf Le. 2, ıf. Ferner an das hebraisierende nYKTA. KAl HMEPAN 20, 31; 26,7 (aber 9, 24 steht HMEPAC TE Kal NYNTÖC). Harnack: Die Zeitangaben in der Apostelgeschichte des Lukas. 387 Zeitbestimmungen betrifft, so kann man nur bei 2, ı Bedenken er- heben. Außer diesen Stellen muß aber noch auf‘ den meines Wissens ungriechischen, weitschichtigsten Gebrauch von »#Hmeraı« bei Zeitbe- stimmungen aller Art verwiesen werden. Im Lukasevangelium finden sich Hmera und Hmeraı S4mal, in der Apostelgeschichte g4mal (bei Matthäus 46mal, bei Markus 2Smal, bei Johannis 3ımal). Die zahl- reichen Verbindungen, in denen der Ausdruck steht, sind an vielen Stellen hebräische bzw. dem LXX-Griechisch nachgeahmte. Lukas hat dadurch — aber auch durch andere ähnliche Mittel, die ihm ganz geläufig gewesen sein müssen — seinem Stil wohl mit Absicht einen biblischen Charakter gegeben. Wir werden einen Teil dieser Stellen sofort kennen lernen, wenn wir uns zu seinen unbestimmten Zeit- angaben wenden‘. 4. Unbestimmte Zeitangaben. [1,5 Ihr werdet mit dem Heiligen Geist getauft werden oY meta ttoanÄc HmEPrac.] 1,15 En TAic Hmepaıc TAYTAıc stand Petrus auf und schlug die Er- gänzung des Apostelkollegiums vor. 5, 36 rırdö ToYTwn TON HMerön trat Theudas auf. 6,1 En TAlc Hmeraıc TAYTAIC trat eine Spannung zwischen Hebräern und Hellenisten in der Urgemeinde ein’. 8, II ikanö xpönw hat Simon M. seine Zaubereien in Samarien getrieben. 9,19 Paulus war nach seiner Bekehrung Hmerac TInAc mit den damaszenischen Brüdern zusammen und begann sofort dort seine mis- sionierende Tätigkeit. 9, 23 WC EmnHPoYnTo HMErAI IKanAl, bereiteten die damaszenischen Juden einen Anschlag auf Paulus vor. 9, 37 En TAIc Hmeraıc Ereinaıc geschah es, daß die Jüngerin Ta- bitha in Joppe starb. 9,43 Petrus blieb in Joppe bei einem gewissen Simon Hmepac IKANAC. 10,48 Petrus ließ sich erbitten, in Cäsarea Hme&rac TınAc zu bleiben. 11, 27 En TAYTAIC TAlc Hmeraıc, nämlich als Barnabas und Paulus in Antiochia wirksam waren, kamen Propheten aus Jerusalem dorthin. ! Im übrigen ist die Konkordanz sub »Hmera« zu vergleichen. ® Vgl. in der Rede des Stephanus 7, 41: En TAIC HMEPAIC EKEINAIC EMOCXOTIOIHCAN. — Bemerkt sei auch, daß Petrus in seiner Rede die Bekehrung des Cornelius als A®’ HMEPÖN APXAlon geschehen bezeichnet (15, 7) und daß Mnason im Wirbericht (21,16) ein ÄpxAloc MAsHTHc heißt. 388 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 25. April 1907. 12, I KAT’ EKEINON AC TON KAIpön, nämlich zur Zeit, als das in c.ı1ı von Antiochia Erzählte sich ereignete, wandte sich Herodes gegen die Kirche. [13, 31 Jesus zeigte sich nach seiner Auferstehung &mi Hmerac rınelovc.] E 14, 3 IkAnNön xPpönon wirkten Barnabas und Paulus in Ikonium. 14, 28 xPpönon oYk öniron blieben sie dann in Antiochien. 15, 33 moIHcanTec xPönon Seil. Judas und Silas in Antiochien. 15, 36 META a& Tınac HMerac regte Paulus bei Barnabas eine neue gemeinsame Missionsreise an (vorangeht das Apostelkonzil und die Erwähnung eines längeren Aufenthalts des Paulus in Antiochien). 16,12 Wir blieben in Philippi Hmerac Tınac. 16,18 Die Dämonische schrie uns Er monnAc Hmerac nach. 18, I metA TAYTA, d.h. nach dem Aufenthalt in Athen, kam Paulus nach Korinth. 18, 2 mroceAtuc war Aquila aus Rom nach Korinth gekommen. 18,18 Paulus blieb nach der Gerichtsverhandlung noch Hmerac ikanAc in Korinth. ı8, 23 Paulus blieb (das dritte Mal), xpönon TInA moiAcac, in An- . tiochien. 19, 22 Paulus blieb noch eine Zeitlang (xrönon) in Asien'. 19, 23 KATÄ TON KAIPON Ekeinon, nämlich in der letzten Zeit des Aufenthalts des Paulus in Ephesus, brach eine Straßenrevolte aus. 21,10 Wir blieben in Üäsarea Hmerac TInelorc. 21,15 metA ae TÄc Hmerac TAaYTac (nämlich dem Aufenthalt in Cä- sarea) begaben wir uns nach Jerusalem. 21,38 Paulus wird gefragt, ob er nicht der Ägypter sei, der Pd TOYTwn TOn Hmeron als Verführer aufgetreten sei. 24, 24 META ac HmErac TinAc ließ Felix den Paulus rufen, um von ihm über Christus zu hören. 25, 13 HMEePÖN A& AIArENOMENw@N TINOn kamen Agrippa und Bernike nach Cäsarea, 25,14 sie verweilten Hmerac rineloyc daselbst. 27, 7] EN IKANAIC AC HMEPAIC BPAAYTIAOOTNTEC, kamen wir mühsam nach Kreta. 27,9 IKANOY A& xPönoy Alarenomenoy fuhren wir von Kreta ab. 27,14 Mer oY mony trat ein schlimmer Wind ein. 27,20 Weder die Sonne noch die Gestirne schienen em rrrelonac ! In 19, 21 geht ein ganz unbestimmtes üc A& ErtaHpüeH TAYTA (der gute Fort- schritt der Mission in Ephesus) voraus. Harnack: Die Zeitangaben in der Apostelgeschichte des Lukas. 389 [28, 6 &m mony erwarteten sie, daß Paulus nach dem Schlangen- piß tot hinfallen werde.]' Zunächst ist es für die Identität des Verfassers des Wirberichts mit dem Verfasser des Ganzen von Wichtigkeit, daß die unbestimmten Zeitgaben in jenem nicht spärlicher sind und nicht anders lauten als in den übrigen Partien des Werkes. Davon wird im Anhang zu handeln sein. Sodann muß man die Stellen unterscheiden, in denen die Unbestimmtheit der Zeitgaben schlechterdings nicht auffallend ist und die, wo sie zunächst empfindlich erscheint. In jenem Sinn fallen die, stellen‘. 1725505436508, 11;19,137:5 13, 313/16, 185° 18, 25121,38; 27,7- 9. 14. 20; 28,6 einfach fort; teils hätte hier der Verfasser, wenn er gewollt hätte, nähere Nachrichten geben können, teils ver- langte oder gestattete der Kontext nur eine allgemeine Angabe. Aber auch von den übrigen Stellen ist in der Regel nicht auf Unkenntnis zu schließen. So wird die Dauer des Aufenthalts in Philippi und in Cäsarea (16,12; 21,10. 15) nur in unbestimmten Ausdrücken ge- geben, obgleich der Verfasser, wenn er gewollt hätte — wir sind hier im »Wirbericht« — genauere Daten hätte mitteilen können. Warum er es nicht getan hat, vermögen wir nicht zu sagen. Man hat aber zu beachten, daß er in bezug auf den Aufenthalt in Phi- lippi den Ausdruck #merac TınAc gebraucht hat, in bezug auf den in Cäsarea den Ausdruck Hmerac trneloyc, und (ebenfalls im » Wir- bericht« 27,7. 9) von ikanal Hmeraı (IKANÖN xPönon) spricht”. Wenn wir dieselben Unterscheidungen auch außerhalb des Wirberichts bei den Zeitangaben finden, so werden wir mit einer gewissen Wahr- scheinlichkeit annehmen dürfen, daß sie nicht willkürlich gewählt sind, sondern — wie das für den Wirbericht sicher ist — auf einer genaueren Kunde beruhen. Heißt es also 9,43 Petrus sei in Joppe HM&erac IKkanAc geblieben, dagegen in Cäsarea IO, 48 Hmerac TINÄC (dort hatte er zeitweilig seinen Aufenthalt, hier war er auf Besuch), ! röre findet sich in der Apostelgeschichte 2ımal (darunter viermal in den Wirstücken). Es hat aber nirgendwo eine chronologische Bedeutung im strengen Sinn des Wortes. In 17,14 ist es mit eYe&wc verbunden, in 27,21 folgt es einem Abl. absol., in 28,1 einem Partizip (AlACweenTec TÖTE ETIETNWMEN). — EYeewc, eroYc (letzteres nur 10,16) ist in der Apostelgeschichte nicht sehr häufig; es findet sich zehnmal (darunter fünfmal kai ereewc). Beliebt ist es bei Wundergeschichten und Visionen (10,16; 9,18. 34; I2, IO; 16, 10); sonst nur noch 9, 20; 17,I0.14; 2I, 30; 22.29. ® "IKanöc bei Zeitbestimmungen kommt im N. T. nur bei Lukas vor, nämlich zweimal im Evangelium (8,27; 20,9) und siebenmal in den Act. (darunter zweimal in den Wirstücken). Mit xrönoı verbunden steht es Lc. 8,27; 20,9, mit XPönoc Act. 8, II; 14,35 27,9, mit HMEpaI Act. 9,23. 43; 18, 18; 27,7. Die ungefähre Dauer der durch ikanöc bezeichneten Zeit ist stets aus dem Kontext zu entnehmen. Es können Jahre sein (8, ı1; 9,23; 9,43 PP]; 14, 3 [P]), aber auch wenige Wochen oder Tage (27, 7.9). Sitzungsberichte 1907. 39 390 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 25. April 1907. sodann 9, 19 Paulus habe bereits Hmerac TınAc nach seiner Be- kehrung die Missionspredigt in den Synagogen begonnen, die ganze Wirksamkeit in Damaskus habe aber 9,23 Hmeraı iKanai gedauert, ferner Paulus sei in Ikonium 14,3 iKAnön xrönon, das zweite Mal in Antiochien 14, 28 xPönon oYk öniron, das dritte und vierte Mal aber in Antiochien 15, 36 bzw. 18, 23 Hmerac TInAc bzw. XPÖNoN TINA und in Korinth 18,18 (nach der Gerichtsverhandlung) noch Hmerac ikanAc geblieben, weiter Felix habe den Paulus 24, 24 merA Hmerac tınAc rufen lassen, endlich Hmer@n Alarenomenon TIN®@N nach der ersten Verhandlung des Festus mit Paulus 25,13 seien Agrippa und Bernike nach Cäsarea gekommen und 25,14 mneloyc Hmerac geblieben, so wird man die zu Hmeraı gesetzten Beiworte schwerlich für müßige oder für ganz willkürlich gewählte halten dürfen — zumal da wir an mehreren Stellen beweisen können, daß sie zutreffend gewählt sind' —, vielmehr empfiehlt sich die Annahme, daß Lukas in diesen Fällen eine gute, wenn auch nicht bestimmte, sondern nur ungefähre Kunde besessen hat’. Diese Annahme wird auch auf die Fälle ı8,ı und 19, 21—23 auszudehnen sein; denn die Schilderung des Auf- enthaltes in Athen im Zusammenhang mit dem Kontext macht es an sich klar, daß Paulus nur ganz kurze Zeit in dieser Stadt ver- weilt hat, was durch die Briefe an die Thessalonicher bestätigt wird, und ebenso bedurfte es keiner bestimmten Zeitangaben, um er- kennen zu lassen, daß das ı9, 21ff. Erzählte sich am Ende der langen Wirksamkeit in Ephesus abgespielt hat. Somit bleiben nur vier Stellen übrig, bei denen die unbestimmte Zeitangabe möglicher- oder wahrscheinlicherweise das mangelnde Wissen ! Aus Gal. ı,17f£. ergibt sich, daß der Aufenthalt des Paulus in Damaskus, einschließlich einer gleich anfangs unternommenen Reise nach Arabien drei Jahre ge- dauert hat. Von der arabischen Reise sagt Lukas nichts; wahrscheinlich war sie un- bedeutend. Paulus erwähnt sie nur, um zu sagen, daß er, obwohl er gereist sei, doch nicht naclhı Jerusalem gereist sei. Daß Paulus bald (nach Hmerac TINAC) seine Missionstätiskeit »in den Synagogen« — sind darunter nicht auch solche außerhalb von Damaskus zu verstehen? Arabien lag fast vor den Toren der Stadt — begonnen hat, wird vom Galaterbrief nicht ausgeschlossen, und die Hmeraı IKANAI für den ganzen Zeitraum entsprechen den drei Jahren des Paulus. — Daß Paulus das letzte Mal in Antiochien nur kurze Zeit geblieben sein kann, läßt sich auch aus den Briefen wahr- scheinlich machen. Ebenso läßt sich nachweisen, daß die ungefähren Zeitangaben in bezug auf den Abschnitt »Paulus, Felix und Festus« zutreffend sind, zumal da sich neben ihnen zahlreiche bestimmte Angaben finden. 2 Natürlich kann er in einer Anzahl dieser Fälle auch eine ganz genaue Kunde besessen, aber es nicht für nötig gehalten haben, sie mitzuteilen. So sagt er 13, 31 Jesus habe sich nach seiner Auferstehung &rmi Hmerac Tinelovc sehen lassen; aber an einer früheren Stelle hat er die genaue Angabe gebracht: AI” Hmepön TECcEPAKONTA (I, 3). So heißt es ı,5, daß die Jünger die Geistestaufe 0oY META TIOANAC TAYTAC HMEPAC er- halten werden, und 2,ı wird das genaue Datum gegeben. Harnack: Die Zeitangaben in der Apostelgeschichte des Lukas. 391 verdeckt, nämlich 1,15; 6,1; 12,1;15.33 (die Zeit der Apostelergänzung und der Hellenistenerhebung; das zeitliche Verhältnis der Herodesver- folgung zur Geschichte der Pflanzung des Christentums in Antiochien; die Dauer des Aufenthalts des Judas und Silas in Antiochien). Das ist eine geringe Anzahl, und wir dürfen demgemäß behaupten. daß die Apostelgeschichte auch in bezug auf ihre unbestimmten und somit auf ihre chronologischen Angaben überhaupt ein sehr respektables Geschichts- werk ist (obgleich ihr ein chronologisches Gerüst fehlt). Sie kann in dieser Hinsicht einen Vergleich mit den Geschichtswerken des Zeit- alters sehr wohl aushalten. Daß sie hier noch manches zu wünschen übrig läßt, braucht nicht ausdrücklich gesagt zu werden; aber wenn z. B. die Erzählung der sogenannten ersten Missionsreise des Paulus im Vergleich mit der zweiten und dritten in bezug auf chronologische Daten viel vermissen läßt (während doch die einzelnen Hauptstationen pünktlich angegeben sind), so ist das nur ein Beweis dafür, daß der Verfasser, der für Reise- und Aufenthaltsdauer so interessiert war, doch nicht mehr sagen wollte, als er verantworten konnte, und daher hier geschwiegen hat. Die Erkenntnis der Glaubwürdigkeit des Buchs wird also durch eine genaue Untersuchung des chronographischen Ver- fahrens seines Verfassers, wo er redet und wo er schweigt, erhöht. Ein paar Begebenheiten sind in dem Buch konventionell erzählt, aber als Ganzes ist es nach den Absichten des Verfassers und in Wirklich- keit ein Geschichtswerk. Anhang I. Die Konstanz der chronographischen Ausdrücke in der Apostelgeschichte. Um die Konstanz der chronographischen Ausdrücke in der Apostel- geschichte festzustellen, geht man am besten von den Daten in den »Wirstücken« aus und vergleicht die übrigen mit ihnen. 16, 11; 20,15; 21,18 1A emioych [Hmera| (sonst noch zweimal im Buch). 20, 7: 21,8 TA Emavpıon [Hmera| (sonst noch achtmal im Buch). 20,15 TA Exomenn [Hmera| (s. 21, 26). 21,6: 27,18 TA &zAc [hmera| (s. 25, 17). 16, 12 Hmerac TInac (sonst noch fünfmal im Buch). 27,77 HMmerac ikanAc (sonst noch dreimal im Buch). 27, 20 Em TrAelonac HMmEpAac (13, 31: Em HMEPAc TINEIOYC). 21,10 HMmErac Traelovc (sonst noch 25,4; 24, IL: 0Y Traeiovc HmEraı 18‘, 25, 6: Hmepac 0% TIaelovc H', vV@l. 27,14: met’ 0Y monY, 18, 20: Em TIAEIONA XPÖNON). 39* 392 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 25. April 1907. 16, 18 Em mionnAc Hmepac (I, 5: 0% META TIoAnÄc TAYTAC HMErAc). 21,10; 28, 12.14 Emimeinaı HMerac (S. 10, 48). 16, 12; 20, 6 Aıatpigeın Hmerac (S. 25, 14). 27, 29. 33.39 HmEPAN rineceAa (sonst noch dreimal im Buch). 27, 9 XPÖNOY AIATENOMENOY (S. 25, I3: HMEPÖN AIATENOMENWN). 27, 9 ikanöc xPönoc (S. 8, II: IKAN® XPÖNW, I4, 3: IKANÖN XPÖNON). 21,15 Ai Hmepaı AayTaı [Ereinaı) (sonst noch siebenmal im Buch). 16,18; 20, 9.11; 27,20; 28,6 &m c. Acc. temp. (sonst noch acht- mal im Buch). 27,27 xatA c. Acc. temp. (sonst noch sechsmal im Buch). 16,13 H Hmepa TON CABBÄTON (S. 13, 14). 20, 6 ai Hmeraı TON AIYMwN (S. 12, 3). 20,16 H Hmera TÄC TIENTHKOoCTÄC (S. 2, I). 21, 16 Mnason ist ein Arxaloc MaeHTHc (S. 15, 7: Ä®’ HMEPÖN APXAiwN hat Gott die Rezeption des Heiden Cornelius befohlen). 20, 7 MECcoNYKTION (S. 16, 25). 21,13 und noch dreimal in den Wirstücken röte (sonst im Buch noch 17mal, in demselben Gebrauch). 16,10 eYe&wc (sonst noch neunmal im Buch). 27,22 TÄ n®n (sonst noch 4, 29; 5, 38; 17, 30; 20, 32). öc tempor. achtmal in den Wirstücken (sonst noch 2ımal im ganzen Werk verstreut)". Alle in den Wirstücken vorkommenden Zeitbezeich- nungen — und es sind nicht gewöhnliche darunter, auch solche, die sonst im N. T. vermißt werden — finden sich in den anderen Teilen des Buchs verstreut wieder: es fehlen nur TA Erera Seil. Hmepa (20,15; 27, 3), Axpı ayrAc (20,11) und AeYTe- paloı (im Sinne von »zwei Tagen« 28,13). Nur wenige konstante ehronologische Termini, die sich nicht in den Wirstücken finden, lassen sich in den übrigen Teilen des Buchs ermitteln. Verweisen kann man auf das sonst in der Gräcität nicht eben häufige &zayräc (10,335 11,11; 21,32; 23, 30), aufmapaxPpHMA (3,7, 5,10; 12, 23.072000 16, 26. 33), auf KAT’ EKeinon TON KAIPÖN (12,1; IQ, 23), auf moiAcac xPÖNON (15, 33; 18, 23), auf TeccAPOKoNTAETHC xPpönoc (7, 23; 13,18), auf das sonst nicht häufige (doch s. Deıszuass, Neue Bibelstudien S. 86) aleria und TPıETIA (24, 27; 28, 30; 20, 31), auf Hmeran TÄcceceai (12, 21; 28, 23); aber die Worte und ihre — mit Ausnahme von &zavyrAc und rrapaxpAma — ganz geringe Bezeugung zeigen bereits, daß man ! "Rc tempor. istim Neuen Testament, abgesehen von den lukanischen Schriften und dem Johannesevangelium, sehr selten. Es findet sich bei Matthäus niemals (e. 28, g init. ist unecht), bei Markus einmal (ce. 9, 21), in den 13 Paulusbriefen einmal (Gal. 6, 10), im Hebräerbrief, den katholischen Briefen und der Apokalypse niemals. HarnAck: Die Zeitangaben in der Apostelgeschichte des Lukas. 393 sie zum konstanten Sprachmaterial des Verfassers in den Akten kaum rechnen darf". Man darf also urteilen, daß sich die chronographische Terminologie der Wirstücke von der in den übrigen Teilen des Werks gebrauchten schlechterdings nicht unterscheidet und jene sich demgemäß in chro- nographischer Hinsicht nicht aus dem Werke als eine besondere Quelle ausgliedern lassen. Aber auch abgesehen von der Terminologie ist die Art und das Maß der Verwendung der Chronologie in dem gan- zen Buch durchaus gleichartig und konstant. Wenn dieser Autor schriftliche Quellen für die Apostelgeschichte gehabt hat, so hat er sie — soweit man nach dem chronographischen Verfahren urteilen darf — nicht schülerhaft zusammengeleimt und stümperhaft durch- korrigiert, sondern wie mündliche Quellen benutzt. Anhang II. Der ehronologische Ertrag der Apostelgeschichte. Der aufmerksame Leser der Apostelgeschichte konnte aus dem Buche nachstehende chronologische Kunde schöpfen: Aus dem Evan- gelium wußte er, daß Jesus, unter Augustus geboren, im 15. Jahr des Kaisers Tiberius aufgetreten und unter dem Prokurator Pilatus und dem Könige Herodes Antipas gekreuzigt worden ist. Daß Ti- berius im Jahre 37 gestorben, Antipas im Jahre 39 verbannt und Pilatus im Jahre 36 abberufen worden war, war nicht schwer festzustellen. Aus Act. 11,28; 12,1 ersah er, daß die Stiftung der ersten heiden- christlichen (der antiochenischen) Gemeinde in die Zeit des Claudius fiel, und daß die als gleichzeitig berichtete erste blutige Verfolgung der Apostel (zu unterscheiden von der Verfolgung der christlichen Hellenisten in Jerusalem) unter Herodes Agrippas stattfand. Da dieser von 41 bis 44 regierte, so war es offenbar, daß alles in den zwölf ersten Kapiteln der Apostelgeschichte Berichtete in einen Zeitraum von Iı bis 13 (14) Jahren gehörte und sich demgemäß in den letzten Jahren des Tiberius, unter Caligula und in den allerersten Jahren des Claudius abgespielt hatte. ' Die Zeitbestimmungen im Evangelium sind nur zum Teil vergleichbar; doch S. 13,33 TA EXOMENH — 7,II; 9,37 TA [T8] &zAc — 8,27; 20,9 XPÖönol IKANOI — (4, 25); 10, 35; 18,4 Emi c. Ace. temp. — IO0,3I KATÄA c. Acc. temp. [nur an dieser Stelle] — 9,8. 19 TIPOsÄTHC TON APXAlun — 2,36 En HMEPAIC TIONNAIC, 15, 13 MET’ 0Y TIOANAC HMEPAC — 4,42 HMEPAN TINECBAI — 1,245 1,39; 6,12; 23,7; 24, 18 Ai Hmeraı AYTAl — 4,16; 13, 14; 13,16; 14,5 H HMEPA TOY CABBATOY — 24, I TA MIA TÖN CABBA- TON — 22,7 H HMEPA TÖN ÄAZYMON — II,5 MECONYKTION — nur I4mal im Ev. T6Te — nur zmal im Ev. ere&uc — 1,48; 5, 10; 12,50 Ano To? NN (s. Act. 18,6) — üc temp. etwa ıgmal im Ev., also wie in den Act. 394 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 25. April 1907. Las der Leser nun weiter, so erkannte er aus ce. 18,2, daß die Erzählung sich noch immer in der Regierungszeit des Claudius be- fand, daß also alle Ereignisse, die zwischen e.ıı und 18 berich- tet waren, bis zur Ankunft des Paulus in Korinth in die Jahre 41 (44)— 54 gefallen sein mußten. Da er aber c. 23, 26 ff. auf den Namen des Prokurators Felix und dann auf den des Festus stieß, weiter erfuhr, daß Paulus zwei Jahre vor der Abberufung des Felix gefänglich eingezogen worden war (e. 24,27) — der Amtsantritt dieser Prokuratoren war damals ohne große Schwierigkeit festzustellen —, endlich ihm in den Kapiteln 18— 21 mehrere Jahresangaben mitgeteilt wurden, so empfing er in diesen Angaben eine ausreichende chrono- logische Kunde, selbst wenn er das Jahr, in welchem Claudius die Juden aus Rom vertrieben hatte, nicht mehr genau festzustellen vermochte. Er konnte, obgleich es im Buche nicht ausdrücklich gesagt ist, nicht daran zweifeln, daß es Nero war, an den Paulus appelliert hatte und zu dem er gesandt war', und daß die Sendung in der ersten Hälfte der Regierungszeit dieses Kaisers erfolgt sein mußte. Darüber hinaus erhielt der einzelne, in dieser oder jener Richtung besser orientierte Leser noch genauere Kunde. War er Judenchrist und Jerusalemit, so brachten ihm die Nachrichten, daß Paulus Schüler des Gamaliel gewesen sei, daß er in Jerusalem vor dem Hohenpriester Ananias gestanden habe und daß Petrus von dem Hohenpriester Hannas und von Kaiphas inquiriert worden sei, auch chronologische Anhalts- punkte. War er mit der römischen Verwaltungsgeschiehte vertraut, so konnte er wissen, wann Sergius Paulus in Cypern und wann der Bruder des Seneka, Gallio, in Korinth Prokonsul gewesen war. War er ein römischer Judenchrist, so konnte er leicht feststellen, in welchem Jahre Claudius die Ausweisung der Juden angeordnet hatte. War er ephesinischer Christ, so führte manches, was in Anlaß der Wirksam- keit des Paulus in Ephesus in dem Buche erzählt war, auf einen be- stimmten Zeitraum. Tritt man nicht mit modernen chronologischen Anforderungen an das Buch, so befriedigt es auch höhere Ansprüche ! Ist der Name des Nero nicht absichtlich weggelassen? Man nannte ihn in der Folgezeit nicht mehr gern. C. 25,8. 10. ıı. 12. 21; 26, 32; 27, 24; 28, ı9, wo er gemeint ist, steht nur ö Kalcap, c. 25,21. 25 öÖ Cesactöc. Dagegen wird umgekehrt Claudius ohne jeden Zusatz lediglich mit seinem Namen genannt (s. oben). Den Kaiser hat Lukas übrigens niemals, wie so viele Orientalen (auch der I. Timotheusbrief, der I. Petrusbrief [2, 13. 17] und die Apokalypse, aber nicht Paulus), ö Bacınerc genannt. Nur die Juden in Thessalonich, die den Paulus und die Christen vor dem Richter- stuhl anklagen, läßt er sagen, daß diese Leute wider die Satzungen des Kaisers han- deln, Bacınea ETEPoN AEroNTec EiNAI "IHcoYn. Man kann dieser Zurückhaltung gegen- über dem Ausdruck beinahe ein chronologisches Moment entnehmen, da sich ö BA- cınevc für den Kaiser im Orient sehr schnell — vollends seit den Tagen Domitians- — eingebürgert hat. Harnack: Die Zeitangaben in der Apostelgeschichte des Lukas. 395 in bezug auf die Zeitbestimmungen und erweist sich in den deter- minierten Angaben, soweit wir sie zu kontrollieren vermögen, als zuverlässig, so sehr der Mangel eines durchgehenden chronologischen Fadens zu beklagen ist. Der Leser sieht sich schließlich auch in ehronologischer Hinsicht ganz gut orientiert — vielleicht in höherem Grade, als dies der Verfasser selbst sich bewußt vorgenommen hat. Zum Schluß ist noch auf folgendes aufmerksam zu machen. Von e. I—5 und von ce. 13— 23 verläuft alles in der Erzählung auf einer Linie und folgt sich in strenger Sukzession'. Ob in den ce. 1—5 alles in dieser Sukzession in Ordnung ist, läßt sich mit Grund fragen, und auch in bezug auf ce. 15 ist das gefragt worden (s. oben). Aber in den ec. 6—ı2 verfolgt der Verfasser mehrere Linien zu- gleich. Erstlich hat er noch immer die Geschichte der jerusalemi- schen Gemeinde und der Urapostel (speziell des Petrus und seiner Missionswirksamkeit) im Auge. Zweitens setzt er in ce. 6, ı ff. mit einer Geschichte der hellenistischen Christen in Jerusalem und der Sieben- männer ein, die von Anfang an auf die Heidenmission und die Grün- dung der antiochenischen Gemeinde tendiert. Drittens verfolgt er die Wirksamkeit des Philippus in Samarien und an der Küste und be- handelt sie nicht als einen Teil der Geschichte der Hellenisten und Siebenmänner, sondern selbständig. Viertens endlich erzählt er die Geschichte des Paulus bis zu seinem Eintritt in den Dienst der jugend- lichen antiochenischen Gemeinde. In dem kleinen Raum von 7 Kapiteln verfolgt er alle diese Linien und sucht sie auch unter sich zu ver- binden, zugleich in diesen Kapiteln den großen Übergang des Evan- geliums vom Judentum zum Griechentum vorbereitend und schildernd (auf den man ce. ı—5 noch gar nicht gefaßt ist). Als Historiker hat er sich hier die größte Aufgabe gestellt, hinter der zurückbleibt, was er €. I—5 und 13— 28 gewollt und erzählt hat. Uns erscheint es, als seien in jenen 7 Kapiteln mehr Lücken gelassen, als Tatsachen erzählt, und auch die schriftstellerische Kunst scheint uns zwar an- erkennungswert, aber nicht sehr groß. KeinWunder, daß aus den Lücken für uns auch zahlreiche Fragezeichen entstehen, die sich an das Er- zählte anheften. Aber die Untersuchung darüber, ob das Erzählte nicht auch in diesen Partien doch die Hauptsachen enthält und wesent- lich zuverlässig ist, ist noch nicht abgeschlossen und wird, da wir nur ein äußerst geringes paralleles Material zur Kontrolle besitzen, wohl niemals abgeschlossen werden. ! Nur das über Apollos Berichtete fällt etwas aus dem Ganzen heraus. 396 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 25. April 1907. 5 I I I Anhang III. Die chronologische Schlußbemerkung der Apostel- geschichte. Die schwierigste chronologische Angabe in dem Buche ist die Bemerkung am Schluß (28, 30. 31): enemeinen [seil. in Rom] a& aıe- TIAN OAHN EN lAal® MICOWMATI KAl ATTEAEXETO TTÄNTAC TOYC EICTOPEYO- MENOYC TIPÖC AYTÖN, KHPYCCWN THN BACINEIAN TOP 8E0OF Kal AIAÄC- KON TA TEP] TOP KyYPpioy “IHco? XPIcTo? META TIÄCHC TIAPPHCIAC ÄKW- AYTWC. Zunächst ist festzustellen, daß das Gerippe dieser Worte sich mit den übrigen Angaben des Verfassers über die Dauer und Art der Wirksamkeit des Verfassers in den großen Zentren vollkommen deckt (s. 0... Von Antiochien hieß es, daß Paulus dort EnıayTtön Önon gewesen Sei KAl AIAAEZAI ÖxAäoN IKANÖN (II, 26), von Korinth, daß er ENIAYTÖN KA MÄnAc €x daselbst war, AIAACKWN EN AYTOIC TÖN AOTON To? eco? (18, ıı), von Ephesus, daß er erst emi mAnac TPeic dort im der Synagoge gewirkt habe, aıanerömenoc Kal Telewn TA Te) TAc BACInEelac TO% eEe0o% (I9, 8), dann noch zwei Jahre in dem Schul- gebäude des Tyrannus, Kae’ HMEpan AIANETÖMENOC, ÜCTE TTÄNTAC TOYC KATOIKOFNTAC THN Äclan AKOFCcAI TÖN AÖTON TO? KYPiov (19, Io), von Cäsarea endlich, daß er eine aıetia dort gewesen sei und Felix dem Hauptmann befohlen habe, mHaena KwWAYEIN TON TAluNn AYTOY YIIHPETEIN AYTw (24, 27. 23). Die Vergleichung lehrt, daß der Verfasser alles Interesse haben mußte, auch in bezug auf Rom mitzuteilen, wie lange Paulus dort gewesen sei und wie er dort gewirkt habe. Sie lehrt aber auch, daß das, was uns zunächst so befremdlieh ist — die Kürze der Angaben in bezug auf die Wirksamkeit des Apostels in Rom — nach der ganzen Anlage des Buches nicht auffallend ist. Denn in bezug auf die Wirksamkeit des Paulus in Antiochien, Korinth und Cäsarea ist Lukas nicht anders verfahren, sondern hat sich mit ein paar ganz allgemeinen Strichen begnügt. Nur für Ephesus hat er einige Details mitgeteilt. Für das innere Leben und das Wachstum der Gemeinden hatte er augenscheinlich im Rahmen seiner Aufgabe gar kein Interesse, soweit nicht die Feindschaft der Juden und die Haltung der Obrigkeit ins Spiel kam (s.0). Die Schwierigkeit liegt also an unsrer Stelle keineswegs in der Angabe an sich, sondern lediglich darin, daß das Buch mit ihr abbricht. Und zwar ist ein Doppeltes auffallend: erstlich, daß der Verfasser überhaupt hier abbricht, und zweitens, daß er abbricht, während er doch in demselben Mo- ment andeutet, daß die Geschichte des Paulus noch eine Harnack: Die Zeitangaben in der Apostelgeschichte des Lukas. 397 Fortsetzung gehabt hat; denn mit Recht haben Brass u.a. ge- urteilt, daß der Aorist enemenen zusammen mit der Zeitangabe besagt, daß nach zwei Jahren dieser Zustand aufgehört habe, sei es, daß Paulus Rom überhaupt verließ, sei es, daß er seine freiere Lage mit einer gedrückteren vertauschte. Daß letzteres gemeint ist, ist freilich wenig wahrscheinlich; denn dauerte diese gedrücktere Lage nur ganz kurze Zeit und führte sie zur Hinrichtung des Apostels, so ist schlech- terdings nicht abzusehen, warum der Tod des Apostels nicht berichtet ist; dauerte sie aber längere Zeit, so fragt man sich umsonst, warum diese Zeit nicht in die Zeit des Aufenthalts in Rom eingerechnet ist. Also bleibt nur die Annahme als die nächstliegende übrig, daß der Apostel Rom wieder verlassen hat', denn die Hypo- these, Lukas habe den schlimmen Ausgang des Prozesses des Paulus aus politischen Gründen nicht mitteilen wollene ist durch die Ge- samthaltung des Buches nicht nahegelegt (und an sich unglaublich), und die andere Hypothese, Lukas habe sein Buch am Schlusse jener s1etia verfaßt, muß ebenfalls abgelehnt werden; denn in diesem Falle hätte er schreiben müssen: »Paulus befindet sich nunmehr volle zwei Jahre in Rom;« statt dessen hat er aber ganz deutlich den römischen Aufenthalt in der Mietswohnung als eine abgeschlossene Episode zur Darstellung gebracht. Das Problem gestaltet sich also so: warum hat Lukas die Er- zählung der weiteren Geschicke des Apostels, die er im letzten Viertel seines Buchs so breit geschildert hatte, nicht fortgesetzt, sondern seinen Bericht mit dem zweijährigen Aufenthalt in Rom — den er so behandelt, wie er solehe Aufenthalte auch sonst in seinem Buche kurz abgemacht hat (Ankunft, Zeitdauer, Verhältnis zum Judentum 28,17ff., Verhältnis zur Obrigkeit 25, 31 [Akwnvrwc], Inhalt der Predigt) — abgeschlossen? Warum hat er nicht erzählt, was Paulus, nach- dem er Rom wieder verlassen, erlebt und getan hat? Das so gestellte Problem ist meines Erachtens lösbar, wenn man den Zweck des Buchs und seine Durchführung richtig erkennt, während das Problem unlösbar bleibt, wenn man der durch die Fassung der Schlußverse nicht nahegelegten Annahme folgt, das Ende der » aıetia« sei im Sinne des Verfassers die Hinrichtung des Apostels, die ver- schwiegen sei. Das Buch hat sich trotz dem nächsten Augenschein doch auch in der zweiten Hälfte nicht die Erzählung der Geschichte des Paulus als Aufgabe gestellt, sondern die Erzählung, wie nach dem Willen Gottes und durch seine Veranstaltung das Heil von den ! Daß diese Annahme durch die den Apostel betreffenden geschichtlichen Notizen im zweiten Timotheusbrief gestützt wird, sei hier nur erwähnt, aber nicht weiter in Betracht gezogen. 398 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 25. April 1907. Juden, die es verloren haben, zu den Völkern gekommen ist. (.28, 25—. 28 ist der wahre Schluß und der wahre Schlüssel des Buchs zugleich. Die hier plerophorisch verkündete Tatsache, die mit dem Posaunenton eines Jesajaszitats und in dem Satze verkündigt wird: FNWCTÖN OYN ECTW YMIN OTI TOIC EEnecın ÄTIECTAAH TOYTO TO CWTHPION TOYF 8E0F' AYTol Kal AKoYconTAI, ist, wenn auch nicht so laut, schon an verschiedenen Stellen des Buchs vorher ausdrücklich ausgesprochen worden (von c. 13,46 an; s. 18,6 usw.), und sie ist innerhalb der Ökonomie des Buchs sicher von ce. 6, ı ff. an der leitende Gedanke gewesen, liegt aber wahrscheinlich schon der großen Völkeraufzählung in e. 2 zugrunde. Nun schlägt am Schluß dieser leitende Gedanke wieder durch und behauptet souverän das Feld. Gewissermaßen sagt der Verfasser damit, daß er die Geschichte des Paulus nun am Schlusse ebenso fallen lassen müsse wie die des Petrus — denn hier steht es ja nicht anders, wenn sein Verschwinden auch längst nicht so auffallend ist —, denn Gottes Heilsplan ist nun erfüllt! Soli deo. gloria! nicht um Petrus und nieht um Paulus handelt es sich, son- dern um die von Gott herbeigeführte Verstockung der Juden und um die von Gott über Antiochien, Ephesus und Korinth bis nach Rom hin bewirkte Verkündigung des Evangeliums bei den » Völkern«, sowie um ihre ebenfalls von Gott bewirkte Empfänglichkeit': aYToi Kal AkoY- contaı! Paulus hat nach Lukas die Heidenpredigt ja auch nicht be- gonnen; das haben andere vor ihm getan; er ist nur mit einzigartiger Kraft in die Mission, die schon begonnen hatte, eingetreten. Fragen kann man trotz alledem, wie es der Verfasser übers Herz bringen konnte, den Tod des Paulus (und Petrus) nicht zu erzählen. Schon im 2. Jahrhundert hat man so gefragt, und das psychologisch- historische Problem ist in der Tat groß genug. Die Annahme, Lukas habe einen TPiroc röroc schreiben wollen, ist durch Act. ı, I meines Erachtens nicht sicher zu stützen und ist ein wenig wahrscheinlicher Notbehelf, weil man bei ihm zu der unzutreffenden Voraussetzung fast gezwungen ist, der zweite Teil sei im Sinne des Lukus eine Geschichte des (Petrus und) Paulus. Welchen Inhalt soll denn Lukas diesem angeblich beabsichtigten dritten Teil gegeben haben, wenn nieht den, die Endgeschichte des Petrus und Paulus zu erzählen? Nach der Geschichte Jesu, der Verstockung der Juden und der Be- kehrung der Heiden von Cäsarea bis Rom ist aber die Endgeschichte der beiden Apostel ein Finale, das schwerlich ein ganzes Werk aus- füllen konnte, und daß auch an Bedeutung die beiden ersten Teile nicht erreicht hätte. Also müssen wir uns bei der »Sachlichkeit« ! Siehe z.B. 16, 14: ö KYPloc AIÄNOIEeN THN KAPAIAN TAC Ayalac. Harnack: Die Zeitangaben in der Apostelgeschichte des Lukas. 399 des Lukas beruhigen, die so groß war, daß er es über sich brachte, den Faden der Geschichte des Paulus nach dem zweijährigen Wirken des Apostels in Rom abzubrechen, weil nun der Zweck des Buchs erfüllt war — aber nicht unmittelbar vor der Gewinnung der Mär- tyrerkrone; denn ein solches von dem Schriftsteller gebrachtes Opfer wäre gänzlich unnütz gewesen und auch psychologisch nicht glaub- haft zu machen; dazu: der Text fordert diese Annahme nicht, sondern schließt sie fast aus. Zwischen dem Ende der »aietTia önH« in Rom und dem Tode des Paulus muß noch eine längere Wirksamkeit des Apostels gelegen haben, die aber für den großen Gang der Missions- geschichte nicht mehr von hoher Bedeutung war. Daß Lukas selbst die Acta förmlich »ediert« hat, ist unwahr- scheinlich, denn (1) nicht wenige Stellen zeigen Unebenheiten, die die Sorgfalt der letzten Hand vermissen lassen, (2) die Textgeschichte des Buchs lehrt, daß es von frühester Zeit an zwei oder mehrere Editionen gegeben hat. Aber in chronologischer Hinsicht vermißt man die letzte Hand nicht (gegen Rausav). Es ist meines Erachtens hier keine Stelle nachzuweisen, an der eine ausgearbeitete chronolo- gische Angabe (wie Le. 3, ı.2) am Platze gewesen wäre. 400 Zur ägyptischen W ortforschung. Von Avour Erman. (Vorgetragen in der Sitzung vom 7. Februar 1907 [s. oben S. 141].) Wir haben im vorigen Jahr endlich mit der Verarbeitung des Ma- terials beginnen können, das wir in neunjährigen Vorarbeiten für das » Wörterbuch der ägyptischen Sprache « gesammelt haben. Dieser Wende- punkt, an dem wir stehen, mag es entschuldigen, wenn ich einmal von dem akademischen Herkommen abweiche und statt einer abge- schlossenen Untersuchung der Akademie darlege, wie es mit unserem Werke steht: was wir zu erreichen hoffen und welche Hindernisse wir dabei zu überwinden haben. Je mehr die Verarbeitung vorschreitet, desto klarer zeigt es sich, wie eigentümlich die Verhältnisse sind, unter denen wir arbeiten; es ist eine Lage, wie sie sich so in keinem anderen Zweige der Philologie wiederfindet, und schon deshalb ver- dient sie auch außerhalb des engsten Fachkreises Beachtung. Wir sind wohl zuweilen der Anschauung begegnet, unser Unter- nehmen verfolge ein gleiches Ziel wie der Thesaurus linguae latinae; es wolle eine abschließende Sammlung des gesamten ägyptischen Sprach- schatzes geben. Ich brauche demgegenüber wohl kaum zu sagen, daß uns eine solche Absicht ganz fern liegt; ein solches Werk kann ja nur da entstehen, wo es die Summe jahrhundertelanger philologischer Arbeit ziehen kann. Wollten wir versuchen, einen derartigen The- saurus heute für das Ägyptische zu schaffen, so wäre das nicht besser, als wenn jemand einem Hause das Dach aufsetzen wollte, ehe noch seine Wände stehen. Ja, wir bauen sogar in der ägyptischen Philo- logie noch nicht einmal an den Wänden, wir arbeiten noch an ihren Fundamenten, und wir wollen froh sein, wenn unser Wörterbuch der Ägyptologie endlich diese Grundlage gewährt, deren sie zum Weiter- bau bedarf. Das Ziel, das wir verfolgen, ist daher in der Hauptsache ein praktisches; wir wollen endlich soweit kommen, daß wir die ägyp- tischen Texte übersetzen können, ohne daß wir uns, so wie jetzt, fast bei jedem Satze auf das Raten verlegen müssen. Für die Gram- matik haben wir das durch die Arbeit der letzten drei Jahrzehnte Ernan: Zur ägyptischen Wortforschung. 401 so weit erreicht, als es zu erreichen war; jetzt gilt es, ein Gleiches für den Wortschatz zu tun. Freilich wollen wir uns dabei keinen Illusionen hingeben; wie wir in der ägyptischen Grammatik nicht über ein beschränktes Maß von Kenntnissen hinauskommen können — das erlaubt die vokallose Schrift nieht —., ebenso werden wir auch beim Wörterbuch sehr vieles ungelöst oder im Zweifel lassen müssen. Daß dem so sein wird, zeigt sich schon bei den jetzigen Anfängen unserer Arbeit: der Fortschritt ist ein beträchtlicher gegenüber dem bisherigen Stande unserer Kenntnisse, und im ganzen kommen wir auf sicheren Boden; aber wie viele Worte bleiben übrig, bei denen wir offenbar nie zu einem klaren Resultate kommen werden. Das mag verwundern, wenn» man die Menge des gesammelten Materiales erwägt. Rund 900000 Belegstellen sind bisher gesammelt; und mit dem, was noch aus den Tempeln der griechischen Zeit und anderswoher aussteht, werden wir die Million ohne Zweifel um ein beträchtliches überschreiten — da sollte man wirklich denken, daß wir daran übergenug hätten, um die Sprache bis ins einzelne hinein kennen zu lernen. Aber man muß bedenken, daß sich dieses Material auch über mehr als drei Jahrtausende verteilt; unsere ältesten religiösen Texte gehören sicher noch in das vierte Jahrtausend v. Chr., und noch im dritten Jahrhundert n. Chr. hat man Hieroglyphen geschrieben. Durch einen so gewaltigen Zeitraum, wie ihn kaum eine andere Schrift- sprache durchlebt hat, müssen wir die ägyptische Sprache verfolgen; da ist dieses Material durchaus nicht allzu reichlich. Und weiter ist sehr vieles von diesem Material nicht eben lehr- reich. Unsere Texte sind zum großen Teil einseitig. So lernen wir z.B. eine große Menge von Pflanzennamen kennen; aber so zahlreich die betreffenden Belege auch sind, weitaus die meisten stammen aus der medizinischen Literatur, und aus diesen ist dann meist nicht mehr zu ersehen, als daß es eben offizinelle Pflanzen sind. Ähnlich steht es mit den vielen Namen von Speisen in den Opferlisten oder mit den Namen der Kleider und des Hausrates in den geschäftlichen Schriftstücken des neuen Reiches; auch da können wir zwar unschwer konstatieren, daß dieses ein Gebäck sein muß und jenes ein Kleidungsstück, aber mehr eben auch nicht; erst wenn Belege aus Texten anderer Art dazu- kommen, pflegt sich eine genauere Bestimmung geben zu lassen. Schlimmer aber noch ist, daß in den meisten Texten ein eigen- tümlicher, hochtrabender Stil herrscht, der es verursacht, daß sehr viele Worte uns nur in übertragenen Bedeutungen vorliegen. So ist es z. B. keinem Zweifel unterworfen, daß das häufige Verbum AN N k>b zunächst »verdoppeln« bedeutet; denn das Substantiv Ab 402 Sitzung der phil.- hist. Classe v. 25. April 1907. — Mittheilung v. 7. Februar. bedeutet »das Doppelte«, und das Verbum selbst hat noch im Kop- tischen rw& die Bedeutung »verdoppeln«. Aber in all den vielen Beispielen', wo Ab als Verbum in unseren Texten vorkommt, sucht man diese natürliche Bedeutung vergebens; überall ist es nur als ein übertreibendes Wort für »vermehren« verwendet, und wüßten wir es sonst nicht besser, so würden wir ihm eben diese Bedeutung zuschreiben. Fälle dieser Art sind es, die dem ägyptischen Wörterbuch bisher die vielen Verba eingebracht haben, die sämtlich » vernichten« oder »ver- treiben« bedeuten sollen, oder all die Adjektiva, die man mit »herr- lich« übersetzt. Auch bei Substantiven mit konkreter Bedeutung sind wir manch- mal in der gleichen Lage. So besitzen wir bisher 27 Belegstellen für Au ” ze * a) das Wort x »der Schweiß«, kopt. wre. Von diesen 27 Stellen ZI wm gehören nicht weniger als 18 Ritualtexten an, die den dargebrachten Wohlgeruch »Schweiß« des Gottes nennen; vier andere, die religiösen Texten entnommen sind, benutzen »Schweiß« des Gottes als eine Be- zeichnung für Wasser. Drei sprechen von fdt als von etwas Bösem oder Krankhaftem, was an und für sich alles mögliche sein könnte, und nur zwei gebrauchen das Wort klar für »Schweiß«. Nur diese- zwei Belege unter 27 taugen also zur Feststellung der Bedeutung. Übrigens neckt uns wohl zuweilen auch der Zufall und läßt Worte ohne Grund in unseren Texten nicht vorkommen. Wie oft ist z. B. nicht vom Fährmann die Rede, und doch ist das besondere Wort, mit dem die Sprache seinen Lohn bezeichnete: f]] Aue hmt, nur zwei- mal in unserem Material belegt: einmal in den Pyramidentexten, ein zweites Mal, ein Jahrtausend später, in den Klagen des Bauern; dann kommt es zwei Jahrtausende hindurch überhaupt nicht vor. Und doch hat es auch da noch existiert, denn noch das Koptische kennt es als oHMe »naulum «”. So ist also bei aller Größe unseres Materials dafür gesorgt, daß unsere Bäume nieht in den Himmel wachsen. Und doch ergibt sich auch so ein sehr reicher Wortschatz, der noch weit über den hinaus- geht, den Bruscsch seinerzeit in seinem Wörterbuche zusammenstellte; wir haben z. B. bei den Anlauten DJ; T. N bisher etwa 39 Worte gegenüber von 18 bei Brusscn, bei dem Anlaut IN etwa 33 gegenüber von 23°. Die alte Vorstellung, daß die ägyptische Sprache ! Was ich hier und im folgenden anführe, bezieht sich natürlich immer nur auf den Teil des Materials, der schon alphabetisiert und eingeordnet ist. ® Vel. Leieoror, Ägypt. Zeitschr. 40, 133. 3 Solche Vergleichungen können natürlich nicht ganz genau sein, da Brucsch vielfach anders las oder Worte zusammenzog, die wir heute trennen, oder auch son- derte, was wir heute für eins halten. Ersan: Zur ägyptischen Wortforschung. 403 eine arme gewesen sei, ist eben ganz falsch; sie ist vielmehr sehr reich, so reich, wie es nur die Sprache eines Kulturvolkes sein kann, die in einem langen Leben wiederholt eine neue literarische Ausbil- dung erfahren hat. Diese wiederholte Erneuerung und Umgestaltung der Sprache tritt uns beim Wörterbuch klar entgegen. In uralter Zeit, sagen wir um 3000 v. Chr. oder früher, hat die Literatur eine erste Ausbildung er- fahren. Dieser Epoche gehören von religiöser Literatur die Pyramiden- texte an, die die Grundlage unserer Arbeit bilden; die entsprechende weltliche Literatur ist leider zum größten Teil verloren‘. Um 2000 v. Chr., in der Zeit des »mittleren Reiches«, der Epoche der Sesostriskönige, erblüht dann eine reiche weltliche Literatur, die, wie wir jetzt sehen, der Sprache sehr viele neue Worte und Bedeu- tungen gebracht hat. Und weiter zeigt sich, daß diese Literatur auf die spätere Sprache einen nachhaltigen Einfluß gehabt hat, denn das Sprachgut, das in ihr zuerst auftritt, hat sich meist lange im Ge- brauch erhalten. Auch wenn wir sonst nichts über die Achtung wüßten, die die Literatur dieser Epoche bei den späteren Ägyptern genossen hat, schon dieser lexikalische Befund würde uns berechtigen, von ihr als der klassischen Epoche zu sprechen. Die dritte Umwälzung hat die Sprache dann um 1400 v. Chr. erfahren, als die lingua volgare — das, was wir heute Neuägyptisch nennen — schriftfähig wurde. Der Zuwachs an Worten und die Um- bildung der Bedeutungen zeigt sich hier, wie das auch zu erwarten war, besonders groß; es ist eben damals vieles an die Oberfläche ge- treten, was bis dahin in der Volkssprache ein mißachtetes Dasein ge- führt hatte, eigenes Sprachgut sowohl als fremdes, vielfach Worte, von denen die Schreiber nicht wußten, wie sie sie schreiben sollten”. Außer diesen großen Abschnitten der Literatur können wir dann auch noch kleinere literarische Gruppen ausscheiden, die sich lexi- kalisch von den anderen abheben: so gehören, um ein besonders klares Beispiel anzuführen, die religiösen Texte der Königsgräber (wie Sonnen- litanei und Amduat) eng zusammen. Es ist interessant, diesem ständigen Wechsel des Sprachgutes in jenen drei großen Perioden im einzelnen nachzugehen, denn es zeigt ! Sicher geliören dieser an die alten Texte, die man im 16. Jahrhundert v. Chr. in Derelbahri mutatis mutandis zur Verherrlichung der Königin Hatschepsut benutzt hat (vor allem Urk.1V, 255ff.) und die schon einige Jahrhunderte früher für Sesos- tris III. ebenso verwendet worden sind. Das sind, wie Grammatik und Lexikon zeigen, nicht etwa nur archaisierende Texte, sondern wirklich uralte. * Sie schreiben sie dann vielfach »syllabisch«, d.h. phonetisch; in anderen Fällen wird sich das Vulgärwort einfach der Schreibung eines anderen ähnlichen Wortes an- geschlossen haben. 404 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 25. April 1907. — Mittlieilung v. 7. Februar. sich dabei, wie unrichtig es war, wenn wir bisher den ägyptischen Wortschatz im ganzen als eine Einheit angesehen haben. Er war vielmehr auch innerhalb der Literatursprache in ständigem Fluß be- griffen; nicht jedes Wort, das die bisherigen Wörterbücher anführten, darf man als ein altes Gut ansehen, für das man etwa nach einem semitischen Verwandten ausschauen könnte, und ebensowenig darf man eine Bedeutung, die für eine Epoche belegt ist, ohne weiteres auch auf eine andere übertragen. Da ist z.B. IN: Be smhj »links «, das man früher mit >87” zusammengestellt hat: das war an und für sich sehr bedenklich, ganz unmöglich aber wird es dadurch, daß smA7 überhaupt nur ein spätes Wort ist, das in der Vulgärsprache des neuen Reiches auftaucht, um dann wieder zu verschwinden. — EN UN 3$, das wir uns als ein zu allen Zeiten gültiges und sich immer gleiches Wort denken, ist in der ältesten Epoche noch ein feierlicher Ausdruck, ein Wort wie »wandeln« oder »schreiten«; dann schwächt sich seine Bedeutung ab, und in der Vulgärsprache des mittleren Reiches, wie sie im Papyrus Westcar vorliegt, ist es das gewöhn- liche Wort für »gehen« geworden, das man fast in jedem Satze ge- braucht, auch da, wo es eigentlich überflüssig ist. Aber damit er- schöpft es sich auch, und schon im neuen Reiche ist es kaum noch als lebendiges Wort zu belegen. — ıAJ= kb »der Um- kreis, die Umgegend« tritt uns als wirkliches Substantiv nur in den Pyramidentexten und im Totenbuch entgegen. Im mittleren Reiche benutzt man es noch in der Präposition n Ab »inmitten von«, deren Bedeutung allmählich zu »in« herabsinkt; die neuägyptischen Texte e : Ke =) verwenden dann auch diese nicht mehr. — B N fl »be- Ze schenken« ist im mittleren Reiche noch ein ganz seltenes Wort; im Anfang des neuen Reiches wird es desto häufiger gebraucht, in den eigentlichen Vulgärtexten der Dynastien 19 und 20 tritt es dann schon wieder sehr zurück. — NZ 3° »anfangen«, das jeder für einen alten und stets gleich häufigen Bestandteil des ägyptischen Sprachschatzes halten würde, läßt sich in der alten Sprache über- haupt nicht nachweisen; es tritt uns zuerst in der Literatur des mittleren Reiches entgegen und wird erst im neuen Reiche wirklich häufig. Noch jünger sind die von 5° abgeleiteten Präpositionen, von denen keine über Dynastie ı8 hinausgeht. Es liegt übrigens auf der Hand, daß Beobachtungen dieser Art uns in Zukunft erlauben werden, manche Texte unbestimmten Alters zu datieren. Wenn z. B. die N en e » Destruction des hommes« schon It ü N 83€ m gebraucht, =) so wird sie nach dem eben Gesagten mutmaßlich jünger sein als Erna: Zur ägyptischen Wortforschung. 405 das mittlere Reich, und wenn der interpolierte Text von Toten- buch Kap. 17, wie ihn die Handschriften des neuen Reiches haben, AN N $€ »beginnen« benutzt, so dürfte die fragliche Inter- ——— L polation erst aus dem mittleren Reiche stammen. All das mannigfache Sprachgut, das in einer jener Epochen dauernd oder vorübergehend üblich gewesen ist, tritt uns dann vereinigt ent- gegen in der toten Sprache, in der die unendlichen Inschriften der Tem- pel der griechiseh-römischen Zeit abgefaßt sind. Es ist das eine Sprache, die ihren reichen, wunderlich zusammengesetzten Wortschatz nur durch gelehrte Studien und Sammlungen gewonnen haben kann. Immer wieder können wir konstatieren, wie Worte, die sonst nur in den Pyramidentexten oder nur in der Literatur des mittleren Reiches oder nur im Neuägyptischen zu belegen sind, in Dendera oder Edfu wieder auftauchen, um dort so häufig vorzukommen, wie sie in alter Zeit selten waren. Und oft erkennt man noch den äußerlichen Grund, der sie so häufig verwenden ließ: wie in modernen Sprachen das Bedürfnis des Reimes einzelne Worte zu Unrecht verwenden läßt, so verführt hier die Alliteration dazu, für die ja diese Priester eine be- sondere Vorliebe haben. So wird ii hn »bewahren«, das in diesen Tempeln so unendlich oft vorkommt, fast immer da gebraucht, wo man mit J ht »Haus«, = nwt »Herrin« usw. zu spielen wünscht. Und ebenso wird 112 5’ »Wein« so gern verwendet, weil es mit Lir > »Flur« und dem » Weinberge « 2, sfjt alliteriert, und wenn ig U $ »die Pilanze« und LT $ »der Baum« in Dendera hier [Mm und da auch » Weinstock« bedeuten müssen, so verdanken sie diesen gelegentlichen Bedeutungswechsel wohl auch nur dem Bedürfnisse nach Worten, die mit $ anfangen. In anderen Fällen ist freilich kein äußerer Grund zu sehen, wes- halb ein bestimmter Ausdruck oder ein bestimmtes Wort in diesen Tempeln so sehr beliebt wird. Es muß z. B. lediglich die Willkür 1 ” Au 2f . - ” .. ” der Mode sein, wenn = fd »die vier«, das in älterer Zeit nur SIR einmal! mit der Bedeutung »die vier Seiten« vorkommt, nun in grie- chischer Zeit auf Schritt und Tritt so und ähnlich gebraucht wird. Nieht weniger als vierzigmal ist es allein aus dem Tempel von Den- dera belegt, von den »vier Ecken« eines Gebäudes und von den »vier Enden« der Welt. ! Pianchi 23 (von den vier Seiten eines Gaues). Sitzungsberichte 1907. 40 406 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 25. April 1907. — Mittheilung v. 7. Februar. Und auch vor eigenen Weiterbildungen des überkommenen Sprach- gutes scheinen diese Priester der griechisch-römischen Epoche nicht zurückgeschreckt zu sein. Natürlich darf man aber nicht jeden Fall so erklären wollen, wo zu einem Worte oder zu einer Bedeutung, die in Dendera und Edfu vorkommt, ein älterer Beleg fehlt: das mag oft genug nur an der Lückenhaftigkeit unseres Materiales liegen. Wenn . a u) m „. .i. man z. B. in Dendera A» sw »Nähe« ohne Präposition Mel für »in« und »an« verwendet, während es alt nur ein »n Ayw und ein r yw »in der Nähe von« gibt, so entsprechen das Fortlassen der Präpositionen und die Änderung der Bedeutung so ganz den Wegen, die das Ägyptische nach dem neuen Reich eingeschlagen hat, daß man an der Echtheit dieses Ayw nicht zweifeln wird: wüßten wir in der lebenden Sprache des ı. Jahrtausends v. Chr. besser Bescheid, so würden wir dort ohne Zweifel diesem /yw »in, an« begegnen. Anders aber liegt es in Fällen wie dem folgenden. Von alters her hat man es in Ägypten geliebt, die Edelsteine in Vergleichen zu ver- ea or A 2) A Re wenden, wobei N ne mfkst »Malachit« unter anderm bei fröhlich (N ° grünenden Feldern benutzt wird. So mag es denn auch noch auf alter Tradition beruhen, wenn man in Dendera häufig sagt »die Erde ist Malachit«, auch da, wo nach dem Zusammenhange gar nicht an das Grün der Pflanzen, sondern nur allgemein an heiteres, fest- liches Aussehen gedacht ist. Aber ganz künstlich sieht dann die weitere Entwicklung dieses Vergleiches aus, wie in dem Satze: » Wie sehr ist es Malachit, dich zu sehen! Wie sehr ist es süß, dir zu folgen .«', wo »Malachit« einfach für »fröhlich« steht. Oder gar die häufigen Fälle, in denen das Wort verbal als freuen und erfreuen gebraucht wird: »ihr Herz malachitet«° oder »sie malachitet dein Haus« (mit ihren Gaben)’. Dazu gibt es dann noch Seitenstücke: mit re !hn »Glas« wird der funkelnde unbewölkte Himmel verglichen, und so wird auch dies dann für »Freude« und »erfreuen« benutzt; mit = N »Quarz« vergleicht man den dürren Erdboden, und so muß <—>Iooo es für »Trauer« herhalten. So sagt man dann in Dendera auch: »man macht Glas ihren Tempel« (für »erfreut ihn« parallel zu: »man macht ihn Malachit«)' oder »euer Herz ist Glas bei ihrem Anblick und euer Antlitz Malachit«°. Und weiter: »der (Gott) setzt den Ma- ! Mar., Dend. II, 33d. Ebenda III, 59 m. 3 Düm., Hist. Inschr. 51. * Mar., Dend.IV, 16. 5 Mar., Dend. 1, 56b. Ernan: Zur ägyptischen Wortforschung. 407 lachit an die Stelle des Quarzes«', und wenn der Priester vor Hathor mit dem malachitenen Sistrum musiziert, so »verjagt er den Quarz von der Herrin und malachitet sie mit dem Malachit«, d. h. mit dem Sistrum®. Solche Spielereien und Künsteleien passen so ganz zu dem Geiste dieser spätesten Priester, daß wir gewiß nicht fehlgreifen, wenn wir sie ihnen zuschreiben‘. Auch wenn man diese künstliche Sprache der griechischen Tempel außer Ansatz läßt, so ergibt sich doch, wie ich schon oben bemerkte. daß die Schriftsprache des alten Ägyptens in allen Perioden eine reiche gewesen ist. Da ist es denn von besonderem Interesse, zu sehen, wie wenig von dieser Wortfülle in der Sprache der christ- lichen Ägypter, dem Koptischen, noch übrig ist. Von 33 Worten, die mit N 3 beginnen, sind im Koptischen noch vier nachzuweisen, von 35, die mit Jılı N % anfangen, noch sieben, und von [U A bis zu E Am können wir von 87 Worten nur noch zehn koptisch belegen. Gewiß wird sich dies Verhältnis noch etwas zugunsten des Koptischen verschieben, wenn erst einmal der koptische Wortschatz, der bisher aus der Bibel und der kirchlichen Literatur bekannt ist, aus den Pa- pyrus ergänzt sein wird; aber mögen so auch noch allerlei Namen von Dingen des täglichen Lebens hinzukommen, in der Hauptsache wird das Bild doch das gleiche bleiben; die Sprache ist kläglich verarmt und hat von ganzen Wortstämmen oft nur ein einzelnes Derivat er- halten. Die Erklärung dafür liegt auf der Hand; die Christen haben die Bibel nicht in die Sprache der heidnischen gebildeten Klassen übersetzt, sondern in die des niederen Volkes. Damit ist dann die ganze Tradition einer dreitausendjährigen Bildung verloren gegangen, und die Sprache hat gleichsam ihr Leben aufs neue beginnen müssen. Mit ägyptischer Sprache kann man sich ja leider nicht beschäf- tigen, ohne daß man sich auf Schritt und Tritt auch mit der hiero- glyphischen Schrift auseinandersetzt. So dürfen wir denn auch bei unserer Arbeit nicht an diesen Fragen vorübergehen und müssen das uns vorliegende Material auch unter diesem Gesichtspunkte durch- 2 Mar., Dend. II, 53b. 2 Düm., Kal. Inschr. 113. ® Wir beurteilen diese Dinge bisher im wesentlichen nach dem Tempel von Dendera; es wird interessant sein, beim Fortschreiten der Arbeit festzustellen, wie weit die Priester von Edfu und Philae lexikalisch etwa eigene Wege gehen, oder ob sich in den Tempeln der griechischen Zeit eine gemeinsame heilige Sprache ausge- bildet hatte. 40* 408 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 25. April 1907. — Mittheilung v. 7. Februar. arbeiten. Dabei zeigt sich dann zunächst — was ja Sachkundige immer gewußt haben, — daß wir bei einzelnen Wortzeichen gewohnheitsgemäß Lesungen anwenden, die der Prüfung nicht standhalten. Wenn wir z.B. das allbekannte Zeichen ! der Worte »Majestät« und »Diener« traditionell Ar lesen, so gründet sich das nieht, wie man gewöhnlich denkt, auf ein koptisches Wort hon der »Diener« (denn ein solches Wort gibt es nicht), sondern soweit wir bisher sehen können, allein auf die Schreibung | 1 ‚ die in einem Grabe von Gizeh (LD.II, 8) MWU sich vorfinden soll. Leider beruht diese aber auf einer falschen Er- —, und so AS gänzung von Lersıus — seine Vorlage gibt nur x müssen wir bis auf weiteres darauf verzichten, diesen häufigen Stamm N aussprechen zu wollen. Nur das können wir einstweilen sagen, daß er vermutlich auf m endete, denn in Namen des alten Reiches schreibt man oft N und daß er mit einem A begann, denn die Priester der griechischen Zeit benutzen | in Texten, die mit diesem Laute alliterieren. Ebenso zeigt sich, daß für die landläufige Lesung des Wortes | 7 »König« ein wirklicher Beleg fehlt; nirgends findet sich stn ausge- schrieben, und man kann nur sagen, daß das Wort auf tn endigt und mit irgendeinem s-Laut beginnt. In anderen Fällen hat sich an die Stelle des als falsch erkannten Lautwertes schon der richtige setzen lassen: so ist X» »Hirt« aus dem herkömmlichen sw zu einem mynw geworden', und die mit I: geschriebenen Worte haben sich aus km“ in sm‘ verwandelt. Überraschend ist uns ein anderes Ergebnis auf dem Gebiete der Schrift gewesen; die Determinierung, die man immer geneigt ist, als etwas Gleichgültiges, nach Belieben Behandeltes anzusehen, zeigt sich im Gegenteil als etwas, das in jeder Zeit recht fest geregelt war, wenigstens bis zum Ende des neuen Reiches. Es ist z. B. nicht richtig, wenn wir sagen, daß /37 »hoch sein« mit T determiniert wird, denn das alte Reich schreibt es stets IN ohne Determinativ; das mittlere Reich und die Inschriften der Dynastie 18 schreiben AST: die Pa- pyrus der Dynastie 18 bringen ANGE auf, und die Inschriften der Dynastie ıg behalten dies bei. Den Schweiß dt determiniert das ! Vgl. GArDInER, Ägypt. Zeitschr. 42, 116. ® Erman, Ägypt. Glossar S. 129. Erman: Zur ägyptischen Wortforschung. 409 alte Reich mit oo. oder 8; das mittlere und neue Reich mit www, die griechisch-römische Zeit mit —. Das Verbum shb »festlich machen« determiniert man im mitt- leren Reich mit 1); seit Dynastie 18 mit 7; dabei fügt man in Dynastie 18 zuweilen noch —> hinzu, in Dynastie 19 dagegen ©. U.a.m. Im ganzen lernen wir die Hieroglyphenschrift bei unserer Arbeit von ihren bösesten Seiten kennen, und es gibt kaum einen Artikel, bei dem uns aus ihr nicht Schwierigkeiten erwüchsen. Sie ist eben nur für Leser bestimmt gewesen, die Ägyptisch sprachen und dachten; für diese war sie leidlich verständlich. wenn schon selbst diesen noch manches unklar und mehrdeutig bleiben mußte. Auch wir werden uns der Unklarheiten der Hieroglyphen noch nicht voll bewußt, solange wir uns nur mit dem Übersetzen der Texte befassen. Dabei ist es ja einerlei, ob das mehrdeutige Wortzeichen für »Soldaten « so oder so zu lesen ist — die Bedeutung ist bei den verschiedenen Lesungen des Zeichens doch wohl immer die gleiche. Anders bei un- serer Arbeit, denn der Lexikograph muß wissen, ob er im einzelnen Falle das Wort mnfjt vor sich hat oder ms“ oder ein drittes, und das läßt sieh meist nicht ersehen. So gibt es neben dem häufigen Worte > jrt »das Auge« sicher auch ein männliches gleichbedeutendes Wort =; wir möchten dieses gern heraussondern, aber die Pyramidentexte zeigen leider, daß man auch das weibliche Wort gelegentlich > schreibt, so daß Ss Scheidung unmöglich wird. Es gibt drei Worte für die fa) > Nase: 3 Ind, zu und AN; t: wenn nun diese, wie Er mn nur ”s, 3 und as geschrieben ms so können @ und 3 allen drei Worten entsprechen und © den beiden letzteren; nur die Er- kenntnis, daß /nd das gewähltere alte Wort ist, läßt in vielen Fällen diese Lesung als die wahrscheinlichste erscheinen. Geradezu ver- zweifelt liegt der Fall des Zeichens C, das in alten Texten den Worten $ »Teich«, mr »Kanal«, grgt »Gründung« und vielleicht noch anderen mehr entspricht — es sind eigentlich drei verschiedene Zeichen MH, m und &&, die hier zusammenfallen'. Aus dem Zusammen- hange kann man natürlich nur selten sehen, ob ein = geschriebenes Gewässer ein Teich oder ein Kanal ist, und nur gelegentlichen vollen Schreibungen verdanken wir den Aufschluß, daß z.B. von den Himmels- x } B mis N gewässern das des A JR ein $ »Teich« und das des @ Ne ein mr »Kanal« ist. ! Später mischt sich auch noch CD Zw »Insel« hinein, und damit beginnt eine neue Verwirrung. 410 Sitzung der phil.- hist. Classe v. 25. April 1907. — Mittheilung v. 7. Februar. Andere Vieldeutigkeiten bieten die Abkürzungen, von denen die Ägypter einen so reichen Gebrauch machen. Wer könnte z. B. er- raten, was or n:n % 270.10 »10-10 Brote« heißt? Es ist die Ab- I « Ale j Ale kürzung von EN N Nn.n und das wieder von u, , |, n-n und 5 De) Re 5 das wieder von NINA 1 I.N, was 3 m fsw 10 m hk3t 1-10 O1 1 ı DAN „= : zu lesen ist: »ıo Brote von der Backart (bei der) IO aus einem Scheffel (hergestellt werden)«. Demnach möchte man nun auch in ” . = Aa le Bi) all der ähnlichen Abkürzung AN oder we [ 20 a UN zZ SIE = das N) fsw lesen, aber zum Glück läßt sich nachweisen, daß es hier dem Worte N »Feuer« entspricht und daß % pr m ht 3°/, »Brot, a das vom Feuer kommt 3'/,« und % n ht 3°), »Brot, des (sie) Feuers 3"/,« zu lesen ist: doch auch das können noch nicht vollständige Auflösungen sein. denn der Sinn muß sein, daß dieses Brot beim Backen einen Masseverlust von 3'/, erleidet. Noch schlimmer aber als dies alles sind die lautlichen Unvoll- kommenheiten der Schrift, die mangelhafte Bezeichnung der Kon- sonanten — des 5, des w, des Präfixes m! usw. — und die Vokal- losigkeit der Schrift, die die lexikalische Untersuchung ebenso lahm- legt wie die grammatische. Wenn wir z. B. bei —> rw »zufrieden E —— sein« neben dem verbalen Gebrauch auch einen adjektivartigen (zu- frieden) gewahren, ist das letztere dann nur ein Partizip oder ein R A , Re selbständiges Adjektiv? Und wenn bei a1 »belohnen« neben dem substantivisch gebrauchten Infinitiv f% nachweislich auch ein Substantiv /ksw »Lohn« vorkommt, wer kann diese auseinanderhalten, wenn das w, wie üblich, nicht ausgeschrieben ist? In vielen Fällen helfen uns ja die Determinative, die in den Konsonanten gleichen Worte zu unterscheiden, aber die scheiden vielleicht manchmal auch nur der Bedeutung nach, was der Form nach zusammengehört. So existiert neben 2 © Art »der Himmel« (etwa *höret nach on-oyYPic) ————J auch ein ® ° hrt »die Nekropole« und ein SiES hrt »der Weg« mM —# (etwa "hrejet nach gır). Das zweite dürfte »die obere« (d.h. die Wüste) ! Auf dieses Unterschlagen des Nominalpräfixes hat Hr. W. Max Mürrer schon vor Jahren aufmerksam gemacht; seine Bemerkung bestätigt sich durchweg und selbst . . . . ® aa. er . bei rein phonetisch geschriebenen Worten wie \N 4 mfkst schreibt man im ZRÜ ooo 5 3 era E i alten und mittleren Reich ruhig } Fkst. Das ist gerade so, als wenn man arabisch o0o für A nur A= schreiben wollte. Was ist das für eine Schrift! Ersan: Zur ägyptischen Wortforschung. 411 bedeuten und das dritte wird seiner Form wegen ursprünglich die gleiche Bedeutung »obere« gehabt haben; beide wären also identisch, während das erste Wort ein besonderes sein würde. Aber wer kann da sicher urteilen? Es bleibt für uns in solchen Fällen nichts weiter übrig, als äußerlich nach der Schreibung zu scheiden und im ganzen lieber einmal zuviel zu trennen als zuwenig". Damit berühren wir nun schon das Gebiet der Orthographie, das bei unserer Arbeit eine so große Rolle spielt und dessen Lage sich als verwickelter und schwieriger zeigt, als man es bisher ahnen konnte. Die erste Aufgabe, die wir hier zu lösen haben, ist die, aus den ältesten Texten den wirklichen Lautbestand der Wortstämme zu ermitteln, denn bekanntlich läßt sich schon im mittleren und neuen Reiche nicht mehr erkennen, ob ein Wort ursprünglich mit —— s oder Ns; mit S A oder #— A, mit d oder —= d, mit == ? oder >! gesprochen wurde. Ein guter Teil der Formen, an die wir ge- wöhnt sind, ergibt sich so als falsch; so wird z.B. Rt sft »schlachten« und »Messer« zu ZU sft, und das Wort für »lachen« hat sich so verwandelt, daß man es überhaupt nicht wiedererkennt. Es war zuerst als BE sb; aus Texten des neuen Reiches und der Äthiopenzeit bekannt; die Form schien unanstößig, da das Wort ja auch koptisch cw&e heißt. Auch als man Ned) sbt in älteren Texten kennen lernte, konnte man noch zur Not an der bisherigen Form festhalten, da das ? allenfalls irrig zugefügt sein konnte. Weiter >) . . . führte dann schon N] A in Derelbahri und jetzt ergibt sich als —— >) richtige Form in den Pyramidentexten sogar || E sbi. Es liegt auf der Hand, daß man erst auf Grund dieser Ermittelungen an eine methodische Untersuchung des Verwandtschaftsverhältnisses zwischen ! Wieviel Gelegenheit zu Verwechselungen es bei dieser vokallosen Schrift gibt, mag noch folgendes Beispiel zeigen. Wir glauben jetzt scheiden zu müssen: 1. Jelt U 3? »Baum, Gartenbaum«, 2. f ! RU 3 »Feldpflanzen, Blumen«, zuweilen auch für eßbare Pflanzen. 3. Ar AeU sw Pflanze in der medizinischen Literatur, Er ze e £ : vielleicht Koriander, 4. f N U Swt eßbare Pflanze, neben Linsen und Me- lonen genannt. 5. ll Aellet 3wjt Pflanze, als Medikament gebraucht. Also fünf Pflanzen, die sich für uns nur durch die Halbvokale w, j und durch die Femi- ninalendung scheiden und die man früher ohne Bedenken für identisch erklärt haben würde. 412 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 25. April 1907. — Mittheilung v. 7. Februar. dem Ägyptischen und den semitischen Sprachen wird gehen können; für ein $4) hätte man etwa bei *=aw nach einem Äquivalente suchen müssen, während die wirkliche Gestalt des Wortes sbf etwa auf ein *=37 führen würde!. Auch innerhalb der jüngeren Perioden fehlt es nicht an Ände- rungen der Orthographie, aus denen sich mit Sicherheit eine be- stimmte lautliche Umgestaltung erschließen läßt. Statt Ir IN, $d »graben« schreibt man seit dem Anfang des neuen Reiches \ | sd, offenbar weil das 3 dieses Wortes damals schon verloren war. Neben dem alten Sn fl »lösen« taucht seit Dynastie ı9 ein SS hf auf, das schon die Umstellung der Konsonanten zeigt, die a ji wir im koptischen wywej sehen. Wenn ein Schreiber des neuen Reiches statt des korrekten N EN kfsf »sein Hinterer« Tess kftf Se a schreibt, so läßt sich nach Analogie ähnlicher Fälle a SrschieR daß Af> nach dem Abfall seines 3 auf # endete und daß es demgemäß von der Sprache wie ein Femininum behandelt wurde. Wenn weiter das schon mehrfach hier angeführte Wort für »Malachit« in folgender Weise seine Schreibung wechselt: altes Reich N mfkst, mittleres Reich SAT N " möfht, neues ooo0 all 5 Do . a ° Reich NZ > mfkt, nach dem neuen Reiche nur noch : ZZ Il ZZ II so ergibt das mit Wahrscheinlichkeit folgende Entwicklung”: "m-fak-"et, ‘m-fa’-ket, "m-fä-ke oder 'mfak-ke, 'mfäk oder *mfak. Die merkwürdigste orthographische Erscheinung, die wir bisher beobachtet haben, ist aber der Wechsel von 3, >n, n, 3r, nr und r, der, wie ich an anderer Stelle darlegen werde, nur scheinbar ist”, der aber die Worte so entstellt, daß man zunächst kaum an ihre Identität zu glauben wagt. Zu dem schon vor Jahren von SETHE be- merkten SG d3g, —UA 7% d’ng, ey dng, neues Reich Fe BAY dnrg (mit nr = |) tritt z. B. jetzt das langgesuchte Wort für »süß«: ı Vgl. zu der Gleichung s = r, 3 das Wort —- 3b »Schakal« ası >. ® Ich setze als Vertreter des unbekannten Vokals auf gut Glück ein a ein. Er beruht in der Hauptsache auf dem Mangel eines Zeichens für /; diese Schreibungen sind Notbehelfe, die man in den verschiedenen Epochen anwendete. 3 Ersan: Zur ägyptischen Wortforschung. 413 alt YasgH 139, ! Um Ing, neues Reich TEN NTeNd hnrg (mit nr = l), gAos oder das Wort für den »Riegel«: INNZ! 93T, a a knt, ANZ kort, neues Reich — krt, HANE. Indessen über alle diese Verschiedenheiten in der Schreibung wäre noch hinwegzukommen, wenn nicht ein anderer Faktor mitspielte: die Unzuverlässigkeit der späteren Schreiber. Seit dem neuen Reiche und besonders seit der 19. Dynastie ist bei ihnen auf nichts mehr recht Verlaß. Wenn neben der Pflanze |; TAU sms beispielsweise =) auch eine Pflanze NN Smst steht, so kann das zwar eine besondere Nebenform sein, es kann aber auch nur ein Fehler sein. Wenn statt DNEN N hmhmwt »das Gebrüll«e im neuen Reiche auch TNENS hmhm gebraucht wird, so hält man dies zu- nächst für den substantivisch gebrauchten Infinitiv amhm »das Brüllen «, bis dann andere Varianten zeigen, daß der Schreiber doch ein weibliches Wort meint und daß er nur die Endung in seiner Gleichgültigkeit unterschlägt. Und diese Gleichgültigkeit bringt dann die Schreiber allmählich dazu, einander ähnliche Wörter gewohnheits- mäßig miteinander in der Schreibung zu vertauschen oder zu ver- mischen. Nur aus dem Zusammenhang kann man im neuen Reiche BER noch erraten, ob —s sd das Wort »nehmen« ist oder ob es für Na NONE 3d »graben« steht. TNJ A 7b »schieken« steht für m) A hb »betreten« und umgekehrt. — Die häufigen Ausdrücke Av N. »der Neuheit« (für adjektivisches »neu« gebraucht) und N en Ne »als Neuheit« (für adverbiales »neu« gebraucht) werden seit dem Ende des neuen Reiches, seitdem beide mit °mm- be- gannen, so miteinander verwechselt, daß wir oft nicht ermitteln können, 5 he h ] @ welcher von beiden gemeint ist: »ich erbaute NR 1. kann =&\ heißen »das Haus als neues«, d.h. von Grund aus, aber auch »das neue Haus«. — Es gibt ein altes Verbum | kfj »entblößen« und ein anderes altes Verbum N DO) kf, dessen eigentliche Bedeutung wir 414 Sitzung der phil.- hist. Classe v. 25. April 1907. — Mittheilung v. 7. Februar. 4 2 E 7 nieht kennen, das aber sicher in dem alten Ausdruck N EN, kf3-7b (etwa »sorgsam«) vorliegt. Wir würden die Bedeutung des letzteren gewiß auch ermitteln können, wenn uns die Texte des neuen Reiches dabei zu me kämen, aber Ze wirren beide Verben in eines zusammen, das sie N N) AS EIN. Bl Dr schreiben und dessen Sehr eschiedene B eh sich nicht mehr klar auf‘ zwei Stämme verteilen lassen. Daß solche Verwirrungen im neuen Reiche vorkommen, wird wohl sehon mancher im einzelnen Falle bemerkt haben, aber welchen Umfang sie haben, zeigt sich doch erst bei unserer Arbeit. Es ist das das Hindernis, auf das wir immer wieder stoßen, und wir würden sehr viel schneller und unbesorgter arbeiten können, müßten wir nieht stets vor diesen Verwechslungen auf der Hut sein und uns an ihrer Entwirrung abmühen. Selbst in die einfachsten und häufigsten Worte kann sich irgendein anderes hineinmischen. Das gewöhnliche Wort für den Kuchen an swt ergibt scheinbar ein ganz ein- al faches und glattes Resultat, auch für das neue Reich, das nur die e & ; ne Be: Fine ältere Schreibung allmählich durch die jüngere (l: ersetzt. Und. © da die ältere Schreibung auch später noch gelegentlich benutzt wird, so fällt es einem zunächst nicht auf, wenn in den langen Opferlisten s i ab: == von Medinet Habu hier und da neben dem gewöhnlichen Ile auch z en o° - =! 3 einmal ul) steht. Erst wenn man genau aufpaßt, bemerkt man, daß & diese =] 3o0o0o0 sein r eingebüßt, so daß es auf endet, und wird nun seit dem An- a a rl I >] Im fang des neuen Reiches auch % dk, dkt oder 7 ü ooo EReStoForD Sooo dk> geschrieben; da hinein mischt man dann ein ganz anderes Wort dk ‚ZI, das etwa Malz bedeutet. Oft umfaßt die Verwirrung auch eine ganze Gruppe von Worten. So haben wir zunächst zwei alte Worte, das häufige — O bw OOo » das Essen «, ein Derivat von wsb »essen« und das seltene Ih AUT Ersan: Zur ägyptischen Wortforschung. 415 $bw »die Mahlzeit«, wie man sie z.B. als Ehrengeschenk jemand zuschieckt. Beide haben nichts miteinander zu tun, fallen aber, da sie lautlich und dem Sinne nach einander nahe stehen, im neuen Reiche zusammen. Sind die Ausdrücke, in denen sie vorkommen, nicht älter belegt, so ist es uns unmöglich, sie auseinanderzuhalten, und niemand kann sagen, ob das bekannte Gebet um »Essen (bald $>bw bald $bw) von dem vielen Fleische auf dem Tische des Osiris« ursprüng- lich das bw oder das sbw enthielt. In diese Verwirrung hinein mischt sich dann weiter ein Wort —]| rer sb, das an den Stellen, wo es nicht für sbw »Essen« steht, Fleischstücke zu bezeichnen scheint und das vielleicht zu dem sdyw der Pyramidentexte gehört. Und da den A Sn = 7 EN Sehreibern bei sbw »Essen« auch das bekannte Verbum E j) sb » ver- mischen« in den Sinn kommt, so schreiben sie das »Essen« auch Fine » > E var =] ‚„ als käme das Wort von diesem Verbum. Damit nähert es 000 sich nun wieder bedenklich einem wirklichen Derivate dieses Verbums, a® XIDIEIE —| > Ö gbt, das etwa » Teig« bedeutet. Dieses aber hat wieder ein EN das zum Unglück auch Eßbares bezeichnet, dem Worte CI Il = x : 5 2 a es geschrieben ist, als gehöre es zu der Frucht —| o St. 11 Verwirrungen dieser Art ganz zu lösen, wird nur ausnahms- weise möglich sein, und gar manches wird zweifelhaft bleiben. Doch betrachten wir es ja auch nicht als unsere Aufgabe, um jeden Preis zu entwirren, was sich nicht entwirren läßt; wir wollen nur den Be- fund in den einzelnen Fällen klar und reinlich feststellen. Und das ist überhaupt das Ziel, dem wir bei dem Wörterbuche nachstreben. Wir wollen nicht ergründen, was sich nicht ergründen läßt, und wollen nicht ein Werk schaffen, das auf jede Frage eine phantasievolle Antwort bereit hat. Das » Wörterbuch der ägyptischen Sprache« soll so weit gehen, als man auf Grund des erhaltenen Materials mit Sicherheit gehen kann, aber auch nicht weiter. Wir dürfen hoffen (das können wir schon jetzt sagen), daß unsere Arbeit das Verständnis der ägyptischen Sprache um ein beträchtliches Stück fördern wird, aber unzählige kleine Fragen werden wir offen lassen. Und wie die Dinge nun einmal liegen, ist es auch nicht anzunehmen, daß eine spätere Zukunft sie einmal alle lösen wird. sbt neben sich, das vermutlich mit ihm identisch ist, während Ausgegeben am 2. Mai. 5 1 E & un IS far KIEFER “ v nie j A f ® IE a ee wir f 4 1. Ali STR a ’ 4 » ye6e LAN j % a er Yn 0 F nd NH 4 A | ae is BF. Pe |. N ’ i E - 2 nz ae! Re ww en ren 5 eo r 0 Sdarfı Mrz Fr vB Bra ul e_& j “ 3% 4: Ale U u ei 3 5 ‚ EN I BF: r u er i bi AT, G « ‘ 7) bail k PARCIE 8 |) m iX Tr ‚ I 4 u ee bi ER f u = . B4 a > ö > SU Da in ART UT: . ie zn! TER nz fr Ki win et all 417 SITZUNGSBERICHTE 1907. XXI. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 25. April. Sitzung der physikalisch-mathematischen (lasse. Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers (\. V.). *1. Hr. Voser las über die Construction eines neuen Spec- trographen. Die immer weiter sich steigernden Anforderungen an die Stabilität der Speetro- graphen, welche zur Bestimmung der Bewegung der Sterne im Visionsradius durch Messung der äusserst geringen Verschiebung der Spectrallinien Verwendung finden, hat den Vortragenden dahin geführt, einen Apparat zu construiren, dessen Gehäuse nicht aus einzelnen Metalltheilen zusammengesetzt ist, sondern aus einem einzigen Gusskörper besteht. Als Material hierzu wurde Nickelaluminium verwendet. Diese Metalllegirung besitzt neben dem Vortheil grosser Leichtigkeit eine grosse Steifigkeit. Der schwierige Guss des complieirten Gehäuses ist wohl gelungen, und der Apparat besitzt eine ausserordentlich grosse Stabilität besonders auch in Bezug auf Torsions- wirkungen. 2. Derselbe legte eine Abhandlung des Observators am Astro- physikalischen Observatorium zu Potsdam Dr. H. LupEnnorrr vor: Die Bahn des speetroskopischen Doppelsterns ßArietis. Der Stern wurde von H. C. VosgEL 1903 als spectroskopischer Doppelstern er- kannt. Auf Grund der Ausmessung von 76 Aufnahmen des Speetrums konnte Verf. die Bahnelemente ermitteln. Die Umlaufszeit ergab sich zu 107 Tagen, der Minimal- werth für die halbe grosse Axe der Bahn zu rund 23 Millionen Kilometer. Die Ex- centrieität 0.88 ist die grösste, die bisher bei einem spectroskopischen Doppelstern. gefunden wurde. 418 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 25. April 1907. Die Bahn des spektroskopischen Doppelsterns ß Arietis. Von Dr. H. LupENDORFF in Potsdam. (Vorgelegt von Hrn. Vocer.) Die Zahl derjenigen Sterne, welche als spektroskopische Doppelstern- systeme erkannt worden sind, hat infolge der intensiven Tätigkeit, die gegenwärtig auf dem Gebiete der Bestimmung der Radialgeschwindig- keiten herrscht, in den letzten Jahren eine große Zunahme erfahren und wird ohne Zweifel auch weiterhin noch stark anwachsen. Natur- gemäß hat aber die Bestimmung der Bahnen dieser Himmelskörper nicht annähernd mit den Neuentdeckungen Schritt halten können, so daß erst für 25 von den zur Zeit bekannten 180 Sternen mit ver- änderlicher Radialgeschwindigkeit die Bahnelemente mit mehr oder weniger großer Genauigkeit berechnet worden sind. Es ist daher, um allgemeinere Schlüsse über diese merkwürdigen Sternsysteme zu ermöglichen, dringend erwünscht, bei weiteren von ihnen die Bahnen näher zu untersuchen. In der vorliegenden Abhandlung geschieht dies für einen besonders interessanten spektroskopischen Doppelstern, 8 Arietis, dessen Bahn sich durch ihre sehr große Exzentrizität auszeichnet. Die Veränderlichkeit der Radialgeschwindigkeit von 8 Arietis wurde im Jahre 1903 von Hrn. Geheimrat VosEL angezeigt‘ auf Grund einer von ihm vorgenommenen Ausmessung von 14 Spektrogrammen, die von Dr. Esernarn, Dr. Scnorz und mir mit dem am photographischen 32.5 em-Refraktor des Potsdamer Observatoriums angebrachten Spek- trographen IV (3 Prismen) in der Zeit von Oktober 1902 bis Anfang Februar 1903 erhalten worden waren. Später habe ich auf. Wunsch von Hrn. Geheimrat Vosrr die Radialbewegung von ßArietis näher untersucht, indem ich die erwähnten ı4 Platten nochmals und außer- dem 23 weitere, die sich zeitlich bis zu Ende des Jahres 1904 er- strecken, ausgemessen habe. Die Resultate dieser Arbeit sind in den ! Astronomische Nachrichten Nr. 3898. H. Lupexvorrr: Die Bahn des spektroskopischen Doppelsterns ßArietis. 419 Astronomischen Nachrichten Nr. 4090 veröffentlicht. Da Bestimmungen der Radialgeschwindigkeit von ?%Arietis seitens anderer Beobachter nicht vorlagen, so war ich allein auf das hier gewonnene Material von im ganzen 37 Platten angewiesen; ich konnte daraus nur folgern, daß die Umlaufszeit 321°:n beträgt, wo n eine ganze Zahl, und zwar |+2| 8 2014 Nov. 6| 9 47 E +21 | 103 | A a | = 9 2016 8| 750 L +34 | Io5 | 292|54 | L |-ı ıo | 2017 8 | 9,10 L |-+27| 105 | 3I 9 42 E —ı 12 2020 a © 2 L +39 | 106 | Febr. 2| 60|EBS|-3 14 | 2022 o:| 8 55 |.E,E. | SAralro6 | 6u6r 2 EIS o ı8 | 2025 ıo| 7 8 L |+57 o | Sl ae RS se 2026 | 10, 1028522 E +57 ° D50 6224: E —5 2 2027 TA | 807 E +1 4 | 16| 613 | E,L|+6| 28 | 2028 | L |-8 5 | 19 6350| BE, L| -4| 31 2032 2oı 8565| EL|-;5 10: | 2000160230 SP EnlEnın 23232 2036 24 1x3 E |-2 14 | 24| 630 EL 7, 36 2040 Dez «7. | Kowsayı Ba —7 2I | März 2| 657 |E,S| o| 42 | 2043 | 7 © 8 E|-8 27 | ı|69|ES|-;5 44 2048 | 8 99| EL|-18 28. | 71658|ES|-6 47 2050 22 6 ı7 L — 2 42 Se —8| 48 | 2054 | 27.1 NIS Ve 2m Dez. 3 86 | EL|-+24| 104 2057 | 1907 Febr. ıı 641 E —7 93 4| 847 | E,L| +36 | 105 | 2058 | we E o 93. 22028227 EEE 2 er 2060 | 12 6 17 L +7 94 | 25% 680 —17 19 2061 12 29 EL | 2 94 28 734 | E,L|-3 22 2062 20 625 L +15 | 102 1994 Jan. 46 7 E | -4 29 | 2063 | 20o|7ı8 | L |+ı13| 102 Gel 9, Dr u | — 6) 36 2064 22 813 IESE +21 | 104 Febr. ı2 6 Io L|+4 68 2066 23 8ı8 |E,L| +25 | 105 Deziou nr6rs3 HL | 8 45 | 2067 25.| 6429 Ele o | 912 8205 | SERNES EEE 48 | 2068 25.| 7.13 | Deer62 o | 12 6 47 E |-ı0o 5I 2069 25 752 | E,L | +60 o | 13 | 6 32 Ib. | 52 | 2070 25 | 8 38 E | +65 o | 16 | 650 L —5 55 2073 März 3| 645 E |-3 6 | 1906 Sept. 27 | 10 ı5s | E | +10 63 2077 4 7590 ME —3 7 H. Lupexvorrr: Die Bahn des spektroskopischen Doppelsterns ßArietis. 421 die aus meinen Messungen resultierende, auf die Sonne reduzierte Radialgeschwindigkeit v und schließlich in der letzten Kolumne die nach Ermittelung der Periode durch Rechnung gefundene Phase ®, d.i. der Abstand von dem nächstvorangehenden Maximum der Radial- geschwindigkeit, in Tagen. ausgedrückt. Eine graphische Darstellung der Werte v der Radialgeschwindig- keit läßt positive Maxima an den folgenden Tagen erkennen: Julianischer Tag 1903 Januar 19 2 416 134 Dezember 6 2416455 1906 November 10 2417525 1907 Februar 25 2 417 632 von denen nur das zweite etwas unsicher ist. Die Abstände der drei letzten Daten von dem ersten betragen der Reihe nach 321", 1391", 1498° oder 3x107°0, 13X107%0, 14x107"0. Die Periode oder Um- laufszeit ist also: U=107.0. Ich bemerke noch. daß nach dem Verlauf der beobachteten Werte von v ein aliquoter Teil von 1070 als Wert der Periode nicht in Be- tracht kommen kann; namentlich kann die Periode nicht die Hälfte von 107'0 = 53"5 sein, da dann ein Maximum auf 1904 Dezember 14-15 hätte fallen müssen, was den Beobachtungen widerspricht. Aus den Beobachtungen kann man ersehen, daß der wahre Wert der Periode nur um einige Hundertstel des Tages von dem ange- gebenen Werte abweichen kann. Dies ergibt sich nicht nur aus der zeitlichen Lage der beobachteten Maximalwerte von v, sondern auch. wenn man bei der Periodenbestimmung gewisse Punkte des steil auf- steigenden Teiles der Geschwindigkeitskurve zugrunde legt. ÖOrdnet man nun die Beobachtungen nach der Phase, so zeigt sich, daß infolge der Unsicherheit der Messungen Beobachtungen gleicher Phase zum Teil ziemlich stark voneinander abweichen. Es erschien mir daher ratsam, durch Bildung von Mitteln aus Beobachtungen gleicher oder nahe benachbarter Phasen Normalwerte v, der Radialgeschwindig- keit zu bilden. Für die Phasen 105" bis 0" und o" bis 2" wurden nur die Beobachtungen gleicher Phase gemittelt, da in diesen Phasen die Änderungen von v sehr groß sind. Im übrigen wurden die den folgenden Werten von ® entsprechenden Werte von v zu Mitteln v, zusammengezogen: ®= 3% bis 51 ® = 27° bis 29% $ = 63% bis 68° A 31» 36 714 » 83 get 42 » 45 93u0>7,9% 144 EX277 47 » 48 1024 18 » 22 Sea 103% bis 104° Sitzungsberichte 1907. 41 422 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 25. April 1907. Bei der Mittelbildung erhielten die Werte von v, welche allein auf Messung der Mg-Linie beruhen, das Gewicht 2, die übrigen das Gewicht 1. Die bei ® = 0" aufgenommenen Spektrogramme ergeben alle ziem- lich nahe um den Mittelwert (+59.1 km) herumliegende Werte von ® (+53 km bis +65 km); keiner von diesen Werten weicht um größere Beträge von dem Mittelwerte ab, als es die Messungsunsicherheit zu- läßt. Selbst der an dem Abend des letzten Maximums in den vier Werten von v (+53 km, +62 km, +60 km, +65 km) angedeutete Gang kann nicht sicher als reell angesehen werden. Ich habe daher einfach angenommen, daß die ®= 0" entsprechenden Beobachtungen tatsächlich zur Zeit des Maximums gemacht worden sind. Die folgende Tabelle enthält die Resultate der Berechnung der Normalwerte v, der Radialgeschwindigkeit. Die erste Kolumne gibt die Phase ®, die zweite den Wert v,, die dritte die Anzalıl » der Platten, auf denen der betreffende Wert v, beruht, und die letzte Kolumne das Gewicht p. alas la ln 4301 2.3225 4n a3 1 +19 I I 48| — 1.7 4 33 2 | +12 ‚Se 53 | — 7.0 Gear 23; 4 | — 2.3 3.083 66-| — 0.2 | ;5 5 7 CS) | 3 | 3 TON riet 5 5 10 — 6.8 4 4 94 + 1.3 4 | 34 15 — 4-7 4 33 102 | +14.2 2 | 13 19 | — 6.2 6 54 104 | +22.0 le 28 — 5.8 5 5 105 | +31.0 Ser 34, E70 4 106 | +41.0 Sun 2} Um die Bahnbestimmungsmethode von Lennanv-Fırnes' anwenden zu können, wurden die &, als Ordinaten, die ® als Abszissen in ein rechtwinkliges Koordinatensystem eingetragen, und es wurde eine sich möglichst nahe an die so erhaltenen Punkte anschließende Kurve ge- zeichnet, welche als Grundlage für die Bahnbestimmung diente. Für die Radialgeschwindigkeit des Schwerpunktes des Doppelsternsystems ß Arietis ergab sich der Wert: V == — 0.6. km: Bei dem gewählten Maßstabe der Zeichnung (= 2mm, ı km = ımm) war: 2, —=+128, 3, — —424 (in Quadratmillimetern ausgedrückt). ! Astronomische Nachrichten Nr. 3242. Die von Leumann-Fırues gewählte und allgemein üblich gewordene Bezeichnungsweise ist hier durchweg beibehalten worden. H. Lupenvorrr: Die Bahn des spektroskopischen Doppelsterns BArietis. 423 Ferner ist: Ar-=159:7:km,:B=3.5km. In Anbetracht der Unsicherheit des Maximalwertes von o wurde A abgerundet zu 60 km angenommen. Nach den von Leumann-Fırnes abgeleiteten Formeln fand ich als- dann folgende Elemente: \ ur == 1746293 OT e = 0.88 n = 0.05872 = 3?364 T=+0olı asini= 22 880 000 km m? sin?i —— = 0.042 ©. (m + m,)” 4 Über die Massen läßt sich, da bei 8 Arietis nur das Spektrum der einen Komponente sichtbar ist, nichts weiter ermitteln als die oben angeführte Relation. Nimmt man m = m, an, so würde folgen: mUsın) —lo17, Or Für {= 90° wäre also m = m, = 0.17 ©, die Gesamtmasse des Systems würde also ungefähr ein Drittel der Sonnenmasse betragen. An die Berechnung der Elemente möchte ich noch einige weitere Bemerkungen knüpfen. Die Radialgeschwindigkeit von ® Arietis ändert sich zu der Zeit, wenn sie ihren größten negativen Wert hat, nur außerordentlich lang- sam, so daß die Geschwindigkeitskurve an der entsprechenden Stelle nahezu parallel der Abszissenachse verläuft. Die Folge davon ist, daß die Phase, zu der die größte negative Ordinate B gehört, äußerst unsicher bestimmt ist. Es wurde daher z, in der Weise gefunden, daß von dem ganzen unterhalb der Abszissenachse (nach ihrer Ver- schiebung wegen der Bewegung des Schwerpunktes) gelegenen Areal die Größe 2, abgezogen wurde. Die Exzentrizität e wurde nach den von Lennann-Fırnes aufge- stellten Formeln: 2 2YAB z,-+z, esinw = . A+B 2—z A—B Bes A+DB berechnet. Die sonst für große Exzentrizitäten anwendbare Formel: ann en Vı-e=r ME a ee > Kela erdn 424 Sitzung der physikalisch-matlıematischen Classe. vom 25. April 1907. ist im vorliegenden Falle wenig geeignet; die Zeit f,, zu weleher die Radialgesehwindigkeit des Sternes zum zweiten Male (von ihrem posi- tiven Maximum an gerechnet) gleich der Radialgeschwindigkeit des Schwerpunktes des Systems ist, kann nämlich hier nur ungenau be- stimmt werden, da die Gesehwindigkeitskurve die Abszissenachse unter einem sehr spitzen Winkel schneidet. Um zu prüfen, ob die Elemente die Beobachtungen in befrie- digender Weise darstellen, habe ich die folgende Ephemeride berechnet. Es wurde dabei kein Wert darauf gelegt, die Bruchteile «es Kilometers streng richtig zu geben, da sowohl die Ungenauigkeit der Beobach- tungen als auch die der Elemente dies überflüssig erscheinen ließ. + | w | N | km | km 0.09 | +59.0 60° — 3.7 0.5 +43.9 657 4agp1 1.0 +26.1 70 | — 24 1.5 +13.8 75 — 57 2.0 +83 80 — 0:8 3.0 + 2. 85 + 04 4.0 — 0.7 90 + 2.0 5.0 "2.4 95 +45 Er 97-5 +65 10 — 5.3 100.0 | # 09.5 15 — 6.0 101.0 +11.0 20 | — 6 102.0 | -+13.3 25 | — 6.0 103.0 | +16.3 30 1-58 104.0 | +20.7 35 — 5.6 105.0 +27.6 40 25:3 105-5 +33.3 45 4-9 106.0 +42.3 50 74:5 106.5 +33:3 55 — 4.1 107.0 +59.0 Die aus den Beobachtungen abgeleiteten Normalwerte v, der Radial- geschwindigkeit werden wie folgt dargestellt: &® Beob. —Rechn. & Beob.— Rechn. km | +1.9 +3.0 | —2.7 +2.8 | —0.1 } —2.7 +0.9 +1.3 +3.4 | —1.3 Die Darstellung ist durchaus befriedigend, da systematische Ab- weichungen nirgends deutlich hervortreten und auch die Beträge im allgemeinen gering sind. Zu beachten ist, daß die beiden stärksten Differenzen (bei ® = ı" und ® = 2") Werten von v, entsprechen, die +50 +40 +30 +20 +10 H. Lupenoporrr: Die Bahn des spektroskopischen Doppelsterns PB Arietis. 425 nur auf der Ausmessung je einer Platte beruhen. Als mittlerer Fehler der Gewichtseinheit, d.h. für eine Platte, auf der die Mg- und die Hy-Linie gemessen sind, ergibt sich der Betrag =4.05 km. Dieser Wert ist nieht größer, als man bei dem Charakter des Spektrums von vornherein erwarten mußte. Nach dem Gesagten liegt nun kein Anlaß vor, eine Bahnver- besserung vorzunehmen, ehe nicht noch mehr Beobachtungen an- gesammelt worden sind und namentlich auch solche, durch welche das Maximum der Radialgeschwindigkeit schärfer bestimmt werden kann. | EEHE EN \ ! l BE | [6) 10 20 30 40 50 60 79 80 90 100 110 120 Die hier eingefügte Figur gibt eine graphische Darstellung der Ephe- meride und der Normalwerte v, der Radialgeschwindigkeit. Die Ge- schwindigkeitskurve hat eine ungewöhnliche Form; dies erklärt sich durch die sehr große Exzentrizität der Bahn und durch die Tatsache, daß der Durchgang des Sternes durch den aufsteigenden Knoten nahezu mit dem durch das Periastron zusammenfällt. Nach den Beobachtungen ist es durchaus nicht ausgeschlossen, daß A noch etwas größer ist, als ich hier angenommen habe. In diesem Falle würde auch e einen größeren Wert erhalten, als er sich oben ergeben hat. Nimmt man z.B. A= 70 km an, so wird, wenn man 2, und 2, als ungeändert betrachtet, was wegen der sehr spitzen Sitzungsberichte 1907. 42 426 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 25. April 1907. Form der Geschwindigkeitskurve um das Maximum herum näherungs- weise zulässig ist: US—MTAS DE—WENSET e = 0.90. Unter den spektroskopischen Doppelsternen, deren Bahnen bisher bekannt sind, hat & Arietis bei weitem die größte Exzentrizität; auf ihn folgen &Hereulis mit der Exzentrizität 0.55 und ZUrsae majoris mit der Exzentrizität 0.52. Im allgemeinen scheinen bei den spek- troskopischen Doppelsternen, soweit man derartige Schlüsse aus dem geringen, bisher vorliegenden Material ziehen darf, die kleinen Ex- zentrizitäten vorzuwiegen. Bei den 26 Bahnen derartiger Sternsysteme, welche zur Zeit bekannt sind ($ Arietis eingeschlossen), verteilen sich die Exzentrizitäten in folgender Weise: e Anzahl 0.00 bis 0.15 15 0.16 » 0.30 3 0.31 » 0.45 2 0.46 » 0.55 5 > 0.55 I Zu bemerken ist noch, daß DesLanpees bei dem spektroskopischen Doppelstern $ Aquilae e= 0.60 gefunden hat; doch scheint die Bahn- bestimmung sehr unsicher zu sein, und ich habe daher $ Aquilae nicht mit in die obige Statistik aufgenommen. Unter den visuellen Doppelsternen sind mehrere vorhanden, deren Exzentrizitäten ebenso groß oder sogar noch größer sind als bei ®Arietis. Nach Arrkens »Catalogue of the orbits of visual binary stars'« ist bei y Virginis e = 0.90, bei 32525 sogar e = 0.96. Die Umlaufszeiten dieser Sterne betragen aber 194 bzw. 307 Jahre. Sonst besitzen noch Exzentrizitäten von 0.80 und darüber die Doppelsterne yAndromedae BC (e= 0.82, U= 55 Jahre), 99 Hereulis (e = 0.81, U= 65 Jahre) und yCentauri (e=0.30, U=38S Jahre). Es handelt sich hier also durchweg um Systeme von langer Umlaufszeit, während bei 8 Arietis die sehr starke Exzentrizität gerade im Hinblick auf die Kürze der Umlaufszeit besonderes Interesse bietet. ! Lick Observatory Bulletin Nr. 84 (1905). Ausgegeben am 2. Mai. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei. 90L, XXI. SITZUNGSBERICHTE DER - KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. Gesammtsitzung am 2. Mai. (S. 427) Frosextus: Über einen Fundamentalsatz der Gruppentheorie. II. (S. 428) BERLIN 1907. VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. Aus dem Reglement für die Redaction der akademischen Druckschriften. Aus $1l. Die Akademie gibt gemäss $ 41,1 der Statuten zwei fortlaufende Veröffentlichungen heraus: » Sitzungsberichte der Königlieh Preussischen Akademie der Wissenschaften « und » Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften«. Aus $ 2. Jede zur Aufnahme in die »Sitzungsberiehte« oder dis »Abhandlungen« bestimmte Mittheilung muss in einer aka- demisehen Sitzung vorgelegt werden, wobei in der Regel das druckfertige Manuseript zugleich einzuliefernist. Nicht- mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen. 83. Der Umfang einer aufzunehmenden Mittheilung soll in der Regel in den Sitzungsberiehten bei Mitgliedern 32, bei Nichtmitgliedern 16 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Sitzungsberichte, in den Abhandlungen 12 Druckbogen von je 8 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Abhand- lungen nicht übersteigen. Überschreitung dieser Grenzen ist nur mit Zustimmung der Gesammt-Akademie oder der betreffenden Classe statt- haft, und ist bei Vorlage der Mittheilung ausdrücklich zu beantragen. Lässt der Umfang eines Manuseripts ver- muthen, dass diese Zustimmung erforderlich sein werde, so hat das vorlegende Mitglied es vor «em Einreichen von sachkundiger Seite auf seinen muthmasslichen Umfang im Druck abschätzen zu lassen. SA. Sollen einer Mittheilung Abbildungen im Text oder auf besonderen Tafeln beigegeben werden, so sind die Vorlagen dafür (Zeichnungen, photographische Original- aufnahmen u.s. w.) gleichzeitig mit dem Manuseript, jedoch auf getrennten Blättern, einzureichen. Die Kosten der Herstellung der Vorlagen haben in der Regel die Verfasser zu tragen. Sind diese Kosten aber auf einen erheblichen Betrag zu veranschlagen, so kann die Akademie dazu eine Bewilligimg beschliessen. Ein darauf geriehteter Antrag ist vor der Herstellung der be- treffenden Vorlagen mit dem schriftlichen Kostenanschlage eines Sachverständigen an den vorsitzenden Seeretar zu richten, dann zunächst im Seeretariat vorzuberathen un. weiter in der Gesammt-Akademie zu verhandeln. Die Kosten der Vervielfältigung übernimmt die Aka- demie. Über die voraussichtliche Höhe dieser Kosten ist — wenn es sich nicht um wenige einfache Textfiguren handelt — der Kostenanschlag eines Sachverständigen beizufügen. Übeıschreitet dieser Anschlag für die er- fürderliche Auflage bei den Sitzungsberichten 150 Mark, bei den Abhanillungen 300 Mark, durch das Seeretariat geboten. Aus $5. Nach der Vorlesung und Einreichung des vollständigen druckfertigen Manuscripts an den zuständigen Seeretar oder an den Archivar wird über Aufnahme der Mittheilung in die akademischen "Schriften. und zwar, wenn eines der anwesenden Mit- glieder es verlangt, verdeckt abgestimmt. Mittheilungen von Verfassern, welche nicht Mitglieder der Akademie sind, sollen der Regel nach nur in die Sitzungsberichte aufgenommen werden. Beschliesst eine Classe die Aufnahme der Mittheilung eines Niehtmitgliedes in die dazu bestimmte Abtheilung der » Abhandlungen», so bedarf dieser Beschluss der Bestätigung dureh die Gesammt-Akademie. (Fortsetzung auf S. 3 des Umschlags.) so ist Vorberathung | Aus $6. Die an dieDruckereiabzuliefernden Manuseriptemüssen, wenn es sich nieht bloss um glatten Text handelt, aus- reichende Anweisungen für die Anordnung des Satzes und die Wahl der Schriften enthalten. Bei Einsendungen Fremder sind diese Anweisungen von deın vorlegenden Mitgliede vor Einreichung des Manuseripts vorzunehmen. Dasselbe hat sich zu vergewissern, dass der Verfasser seine Mittheilung als vollkommen druckreif ansieht. Die erste Correetur ihrer Mittheilungen besorgen die Verfasser. Fremie haben diese erste "Comebtir an das vorlegende Mitglied einzusenden. Die Correetur soll nach Möglichkeit nicht über die Berichtigung von Druckfehlern und leichten Sehreibversehen hinausgehen. Umfängliche Correeturen Fremder bedürfen der Genehmigung des redi- girenden Seeretars vor der Einsendung an die Druckerei, und die Verfasser sind zur Tragung der entstehenden Mehr- kosten verpflichtet. Aus $ S 8. Von allen in die Sitzungsberichte oder Abhandlungen ; aufgenommenen wissenschaftlichen Mittheilungen, Reden, Adresse oder Berichten werden für die Verfasser, von wissenschaftlichen Mittheilungen, wenn deren Umfang im Druck 4 Seiten übersteigt, auch fürden Buchhandel Sonder- abdrucke hergestellt, die alsbald nach Erscheinen des be- treffenden Stücks der Sitzungsberichte ausgegeben werden. Von Gedächtnissreden werden ebenfalls Sonderabdrucke für den Buchhandel hergestellt, indess nur dann, wenn die Verfasser sich ausdrücklich damit einverstanden erklären. $9. a Be Von den Sonderabdrucken aus den Sitzungsberiehten erhält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akadenaft ist, zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 50 Frei- exemplare; er ist indess berealiagh, zu gleichem Zwecke | auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl von noch 100 nnd auf seine Kosten noch weitere bis zur Zahl von 200 (im ganzen also 350) abziehen zu lassen, i sofern er diess rechtzeitig dem redigierenden Seeretar. an- gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazu, x der Genehmigung der Gesammt- Akademie oder der be- treffenden Da — Nichtmitglieder erhalten 50 Frei- exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei em redigirenden Secretar weitere 200 Exemplare Aue ihre Kosten abziehen lassen. er ; Von den Sonderabdrucken aus den Abbanllimiget er- hält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie i zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 30 Frei exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke r auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere. bis zur Zahl von 100 (im ganzen also 230) abzichen zu lassen, sofern er diess rechikeilie dem redigirenden Secretar au gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf“ es dazu der Genehmigung der Gesanmt-Aksdemie oder der be- treffenden Classe. — Niehtmitglieder erhalten. 30 Frei- . exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem ! redigirenden Secretar weitere 100 Exemplare auf ihre Kosten abziehen lassen. 2 Sl i Eine für die akademischen Schriften be- stimmte wissenschaftliche Mittheilung darf in keinem Falle vor ihrer Ausgabe an jener Stelle anderweitig, sei es auch nur AUERGERS 427 SITZUNGSBERICHTE 1907. XXIM. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 2. Mai. Gesammtsitzung. Vorsitzender Secretar: Hr. Diers. l. Hr. Frogenws las Über einen Fundamentalsatz der Gruppentheorie. I. Die Summe der Werthe, die ein Charakter einer Gruppe für die Wurzeln der Gleichung R" — A annimmt, ist durch den grössten gemeinsamen Divisor von » und 9 theilbar, wenn g die Anzahl der mit A vertauschbaren Elemente der Gruppe ist. 2. Vorgelegt wurde ein Heft der Ergebnisse der Plankton-Expe- Se 5 dition der Humgorpr-Stiftung: A. Borsert, Die Tripyleen Radiolarien. Medusettidae. Kiel und Leipzig 1906. Sitzungsberichte 1907. 43 428 Gesammtsitzung vom 2. Mai 1907. Über einen Fundamentalsatz der Gruppentheorie. II. Von G. FRoBENIVS. In ersten Teile dieser Arbeit (Sitzungsberichte 1903) habe ich unter verschiedenen Formen den folgenden Satz abgeleitet: Die Anzahl der Elemente einer Gruppe, die der Gleichung X" = genügen, ist durch den größten gemeinsamen Divisor von n und g teilbar, wenn g die Anzahl der mit A verlauschbaren Elemente der Gruppe ist. Dieser Satz läßt sich dahin verallgemeinern, daß an die Stelle der Anzahl dieser Elemente X = R die Summe 3 %(R) tritt, wo % irgendein Charakter der Gruppe 9 ist. Daraus ergibt sich dann das obige Theorem, indem man für % den Hauptcharakter wählt, der für - jedes Element A£ den Wert 1 hat. Es ist mir nicht gelungen, diesen allgemeineren Satz mit denselben einfachen Mitteln zu beweisen, wie den vorher behandelten speziellen Fall. Ich muß dazu Überlegungen zu Hilfe nehmen, wie sie Hr. Bricn- reLpr (Transactions of the American Math. Soc. 1901, p. 465) zum Beweise des speziellen Satzes benutzt hat. Das Wort Charakter kann hier im weitesten Sinne genommen werden. Denn wenn der Satz für jeden einfachen Charakter gilt, so gilt er auch für jede lineare Verbindung % dieser Charaktere, deren Koeffizienten positive oder auch negative ganze Zahlen sind. Im ersteren Falle nenne ich % einen zusammengesetzten Charakter, im anderen einen Charakter im weitesten Sinne oder auch einen uneigentlichen Charakter. Ist A= E das Hauptelement, so läßt sich der neue Satz auch auf die folgende bequeme Form bringen: Ist n ein Divisor der Ordnung h einer Gruppe 9, und setzt man Sl 2 ‚„ wenn R" = E ist, aber S(R) = 0, wenn nicht R" = E ist, so ist S(R) ein (uneigentlicher) Charakter von 9. 8 5- In einer endlichen Gruppe 59 der Ordnung h sei R ein Element der Ordnung r. Bei der normalen Darstellung der Gruppe dureh Sub- stitutionen von A Symbolen erscheint R als eine Permutation, die in Frosenıus: Über einen Fundamentalsatz der Gruppentheorie. I. 429 — Zyklen von je r Symbolen zerfällt. Die charakteristische Funktion u) ) h dieser Substitution ist (lI- x’). Denn die r charakteristischen Wurzeln einer zyklischen Substitution von r Symbolen sind die Wurzeln der Gleichung &’ = 1. Entwickelt man daher (1- x’) + nach Potenzen von X so ist für jedes n der Koeffizient von (-x)" ein (zusammengesetzter) reeller Charakter von 9, d.h. ein Ausdruck von der Form $(R) = S{(R") — 36x (R) = Ex (RT), wo c,(x = 0,1,--. k-1) eine positive ganze Zahl ist. (Über die Komposition der Charaktere einer Gruppe, 8 2; Sitzungsberichte 1899, 8. 3341.) Ist also w(R) irgendeiner der k ein- fachen Charaktere, so ist E Klo) (de) — >, = y(R) ()— — ehe wo die positive ganze Zahl c angibt, wie Fa der Charakter 4,(R) in S(R) auftritt. Folglich ist (1.) 3 x{R)(1-a). — hP(e). Hier ist ®(x) eine ganze Funktion A” Grades von x, worin der Koeffizient von (-x)” eine (positive) ganze Zahl ist. Ist y(R) nicht der Hauptcharakter, so ist ®(0) = 0. Ferner kommt die erste Potenz von x nur in dem Gliede vor, worin r—= | ist, und hat daher in ® («) den Koeffizienten -%(E) = -f. Ist r ein bestimmter Divisor von h, so ist in der obigen Summe (I-&’)7 mit zx(R)=b, multipliziert, wo R die Elemente von 5 durchläuft, deren Ordnung gleich r ist. Enthält 5 kein solches Element, so ist d, = 0 zu setzen. Dann ist h (2.) he(z) =3b,(1-x’)r, wo r die Divisoren von Ah durchläuft. Zunächst betrachte ich einen speziellen Fall: Sei 9 eine zyklische Gruppe der Ordnung m, gebildet von den Potenzen des Elementes A. Dann ist %(A) eine m“ Einheitswurzel 7, und wenn R = A" ist, so ist %(R) =?" DBezeichnet man die Funktion ®(x) für diesen Fall mit ®,(x), so ist (3.) m&,(2) = 3 pı(1-2%)@. Hier durchläuft d die Divisoren von m, und «#, ist die oben mit b, bezeichnete Größe. Ist p von 1 verschieden, so ist das konstante Glied dieser Funktion (4) aa: 43* 430 Gesammtsitzung vom 2. Mai 1907. Braucht man die Formel (3.) für verschiedene Werte von mn, so ist zu bedenken, daß 4, nicht nur von d, sondern auch von »n und von? abhängt. Wählt man aber für p eine primitive m“ Wurzel der Einheit, so ist u, die Summe der primitiven d“" Wurzeln der Einheit, also von m (und von .) unabhängig. Daher gilt dann die Formel (4.) für alle Werte von m, außer für ın =1, wo ®, (2) =1-ı und u, =| ist. Indem man darin der Reihe nach m =1,2,3,--:- setzt, kann man daraus die Größen 4,,%,,Y,,:-- sukzessive berechnen. Versteht man also unter > eine primitive m‘ Wurzel der Einheit, so ist ®,(x) nur von m, OR nicht von der Wahl von > abhängig. Der Koeffizient von x in ®,(&) ist -f=-1. Demnach ist, wenn d ein uset ie Divisor von m ist, da) = u(l-2)', die Summe erstreckt sich über alle Lösungen der Gleichung d = rs. Durchläuft daher d alle Divisoren von m, so ist Z ds,(# 8) = 3 u,(1-2° )*. Hier durchlaufen r und s alle Paare von Zahlen, deren Produkt rs in m aufgeht. Für ein bestimmtes s durchläuft folglich r die Divi- m Tu” m 5 soren von —, und mithin ist 3 u, = 0, außer wenn z—= 1 ist. Dem- nach ist (5.) Sderaa) 0 ARE d wo d die Divisoren von m durchläuft. Ich kehre nun zu der allgemeinen Untersuchung zurück. Wie eben gezeigt, ist h h (1-20) =Ztelee), t N wo t die Divisoren von - — st durchläuft, und mithin h h h het(z) =3b(1-2)r =3bt#(2t)= > b..®4(e”), > r,t 1,8 rs wo r und s alle Paare von Zahlen durchlaufen, deren Produkt rs = n in Ah aufgeht, oder h he(a) == b,— Salat), wo n die Divisoren von A, und r die von rn durchläuft. Setzt man also > DS n04: _ r wo r die Divisoren von n durchläuft, so ist (6.) #(2) = > Er (za), Frosentus: Über einen Fundamentalsatz der Gruppentheorie. 11. 431 Hier durchläuft n die Divisoren von A, und es ist (7-) nn —EX(R) (R"—=E), wo R alle Elemente von 5 durchläuft, deren Ordnung r in n auf- geht, oder die der Gleichung R" = E genügen. Entwickelt man die Summe (6.) nach Potenzen von x, so sind alle Koeffizienten ganze Zahlen. Daraus ist leicht zu schließen, daß auch die Größen a, alle rationale ganze Zahlen sind. Denn zunächst it a=/f, 4 —=0(, außer für den Hauptcharakter, wo , =1 ist. Seien 1,0. 0,m,-- 9,0: 8,2 die Divisoren von Ah, der Größe nach geordnet. Angenommen, für n = 1,:.--! sei schon bewiesen, daß a, ganz ist. Streicht man dann in jener Summe die Glieder, die den Werten n=1,---/ und dem Werte n = A entsprechen, so hat auch die übrigbleibende Summe A Ba(a") + +a,Ba(ar) +. +a,Ba(a°) m p $ die Eigenschaft, daß in ihrer Entwicklung nach Potenzen von x alle Koeffizienten ganze Zahlen sind. Die Potenz «" kommt nur im ersten Gliede vor und hat den Koeffizienten —a,. Folglich ist a, eine ganze Zahl. Ist x(R) ein Charakter einer Gruppe 9 der Ordnung h, ist n ein Divisor von h, und durchläuft R die Elemente von 5, die der Gleichung R" = E genügen, so ist 2 %,(R) eine durch n teilbare rationale ganze Zahl. Wählt man für % den Charakter 4”, so möge die (positive oder negative) ganze Zahl a, mit «a bezeichnet werden. Dann ist na) = 3.x®(R) (R"=E). R Sei e(Z) =1, aber e(R) = 0, falls R von E verschieden ist. Dann kann man auch schreiben na”) — 3 e(R")x®(R) («=0,1,.-.k—]), R wo Ralle % Elemente von 5 durchläuft. Mit Hilfe der zwischen den Werten der k Charaktere bestehenden bilinearen Relationen kann man diese Gleichungen auflösen, und erhält (8) ER) = x. x(R). n x Ist n ein Divisor von h, so ist —&(R) ein (uneigentlicher) Charakter von 9. Oder: 432 (resammtsitzung vom 2. Mai 1907. Ist n ein Divisor von h, so erhält man einen uneigentlichen Charakter Oo = » 1. hi X S(R) von 9, indem man, falls R"—= Eist, S(R) = —, für alle anderen 5 n Elemente aber S(R) — 0 setzt. 8 6. In der obigen Herleitung habe ich die Anwendung arithmetischer Hilfsmittel vermieden und die benutzten Hilfssätze durch gruppen- theoretische Betrachtungen erhalten. Sonst kann man den Beweis mit Hilfe des bekannten Satzes führen: Sei gp(rm) eine für jeden Wert der positiven ganzen Zahl m ein- deutig definierte Funktion, und sei (1.) fm) 3 old), wo d alle Divisoren von m durchläuft. Dann ist umgekehrt (2) em) = r/()- Die hier auftretenden Zahlen », nennt man die Mößrusschen Koeffi- zienten. Ist k durch ein Quadrat (> 1) teilbar, so ist 1, = (0, ist aber. k ein Produkt von x verschiedenen Primfaktoren, so ist u, = (- 1)*. Umgekehrt folgt aus der Gleichung (2.) die Relation (1.). Ist z.B. f(l) =1, aber f(m) = 0, wenn m > List, so ist ö(m) =. Da /(m) die Summe der m“ Wurzeln der Einheit ist, so ist demnach u, die Summe der primitiven n“" Wurzeln der Einheit, und es ist (3-) > Ma = 0 ’ falls d die Divisoren einer Zahl m > 1 durchläuft, aber u, —=1. Um eine andere Anwendung der obigen Formeln zu machen, sei (4.) m ®„(&) = 3 yall-a) a 1 d Setzt man ı lm o(m)=m&,(zn) , fm) =(1-xn) so besteht die Relation (2.), und mithin auch (1r.). Daher ist (5-) (1-z)P —=3ds,(z2). d Es ist $, (a) =1-x, ist aber m >|, so ist in ®,(x) das konstante Glied 0, und der Koeffizient von x gleich -1. Daß auch alle anderen Koeffizienten ganze Zahlen sind, kann man so einsehen: Sei p" die höchste in m aufgehende Potenz der Primzahl p. In der Entwicklung der Summe (4.) nach Potenzen von x sind dann alle Koeffizienten durch p" teilbar. Denn die Summe besteht aus Paaren von Gliedern der Form Frosentus: Über einen Fundamentalsatz der Gruppentheorie. II. 433 n n—l1 >27? I _(1- zrr)P® |, wo m=p"gr ist. Nun ist (1-2)P = 1-ar" (mod. p) und folglich n n—Ll Mel mer) 2 (mod. p"). Der Gleichung (5.) zufolge ist I) = N, 81(a”) - re) — gar x" m: >> Dar 5 wo s die Divisoren von = durchläuft. Dafür kann man auch schreiben \ All 7 (6.) ((-2), = R)euler), a n wo n die Divisoren von A durchläuft, und R ein Element der Ordnung r bedeutet. Denn e(/%") ist nur dann von Null verschieden, wenn n = rs h durch r teilbar ist. Da in der Entwicklung von (l-x’), nach Po- tenzen von x jeder Koeffizient ein Charakter der Gruppe 9 ist, so A : } h E \ = folgt aus dieser Gleichung, daß auch m e(R") ein Charakter von 9 ist. Denn für n=1 ist A e(R) ein Charakter, welcher der regulären Darstellung der Gruppe (durch Permutationen von A Symbolen) ent- spricht, (7) he(R)= Ex (R). h Kirn = A ist m elR") der Hauptcharakter. Seien 1, lm, p, sh die Divisoren von A, und sei für n = 1,.../ bewiesen, daß = e(K”) ein Charakter ist. Nimmt man dann in der Gleichung (6.) die Glieder, die den Werten n—= Ah und n = 1,..-/ entsprechen, auf die linke Seite, so ist in dem übrigbleibenden Ausdruck der Koeffizient 3 l RI i er _ von —x” gleich „&(Rr), und folglich ist dies ein Charakter von 9. Sei für einen bestimmten Divisor n von Ä (8) ER) =xax0(R), dann ist umgekehrt l > I e(Rr’) SA) = 10H R n oder x e(R")xO(R) = na, k 434 Gesammtsitzung vom 2. Mai 1907. oder in anderer Schreibweise Nas > x®(R) (die2r En wo die Summe über die Lösungen der Gleichung A" = E zu erstrecken ist. Ist %® der Hauptcharakter, so ist demnach na, die Anzahl der Lösungen der Gleichung R’ = E. Die Zahlen a, gehören zu einem bestimmten Divisor n von A. Entsprechen dem Divisor = die Zahlen a) und dem Divisor n’ die Zahlen a/, so ist DAR) Eon) „Ferry = Soi(R) * n A N und mithin M ELR”)e{R”) — = ala xO(R)x®(R). nm Nun ist ERROR) 0% R außer für <=, wo diese Summe gleich A ist. Folglich ist Die Summe links ist gleich der Anzahl der Elemente Zt, die gleich- zeitig den Gleichungen R" —= E und R"” —= E genügen, also der Glei- chung R" = E, won der größte gemeinsame Divisor von n’ und »” ist. "„ n'n 2 - 18 IP Ist also m = — das kleinste gemeinschaftliche Vielfache von n’ n 3 und »”, so ist (9.) u — > a,a! und speziell (10.) 2; — gr i en Die notwendige und hinreichende Bedingung dafür, daß die na, Lösungen der Gleichung R” —= E eine Gruppe bilden, besteht darin, daß der Öharakter (8.) ein eigentlicher ist, daß also die Zahlen a, sämtlich positiv sind. Dann ist entweder a, = 0 oder a,—= af, JIE In ähnlicher Weise lassen sich die übrigen Sätze verallgemeinern, die ich im ersten Teile dieser Arbeit entwickelt habe: Ist h die Ordnung und x, ein Charakter einer Gruppe 9, worin die Elemente A, B, C, --: ein invariantes System bilden, und durchläuft R die Elemente von 9, die einer der Gleichungen R" — A oder B oder C ... un Frogenıus: Über einen Fundamentalsatz der Gruppentheorie. 1. 435 genügen, so ist > %,(RR) eine ganze algebraische Zahl, die durch den größten gemeinsamen Divisor von n und h teilbar ist. Genau wie in $ 4 erkennt man, daß es genügt, den Satz für den Fall zu beweisen, wo n = p’ eine Potenz einer Primzahl p ist. Der invariante Komplex möge zunächst nur aus einem invarianten Elemente A der Ordnung % bestehen. Für A= Eist der Satz oben bewiesen. Ist % nicht durch p teilbar, also n = p’ zu k teilerfremd, so sei mn = 1 mod. A. Ist dann B= A", so ist B"= A. Als Potenz von A ist B ein invariantes Element von 9. Ist alsor RR. = Arzund R = 318, so ist S? = E und umgekehrt. Daher ist 3 %(S) durch den größten gemeinsamen Divisor d von n und A teilbar. Nun ist aber (Uber die Primfaktoren der Gruppen- determinante, $S 12, S. 1381, Sitzungsberichte 1896), falls 4 ein ein- facher Charakter ist, 1 2, x) — a XlBIXO) wo x) eine Einheitswurzel ist. Mithin ist auch 5 %(R) durch d teilbar. Ist zweitens & durch p teilbar, und ist R"—= A, so ist nk die Ordnung von R. Denn es ist R’""—= E; ist aber q irgendeine Prim- zahl, die in nk, also auch in %k aufgeht, so ist nk k k Daelemzeri von E verschieden. Ich teile nun die Lösungen der Gleichung R = A in Klassen, indem ich zwei Lösungen zu derselben Klasse rechne, wenn jede eine Potenz der andern ist. Ist 2= 1 (mod. A), so ist (R)" =4A'= A. Damit umgekehrt eine Potenz von R, S = R! der Gleichung 5” — A genüge, muß /=1 (mod. Ak) sein. Dann ist aber ! zu nk teilerfremd, und mithin kann man »n so bestimmen, daß Im =1 (mod. nk) und folglich Rt = S" wird. Der Teil der Summe 3 %(R), der sich auf die Lösungen einer Klasse erstreckt, ist daher gleich _ 2 Sl) Die Potenzen von R bilden eine zyklische Gruppe WR der Ordnung n%. Auch für diese ist % ein Charakter. Ist $ einer der einfachen Cha- raktere von RN, aus denen x, zusammengesetzt ist, so ist S(R) —E eine (nk)te Wurzel der Einheit. Daher ist = SIE FAR) En p A »NL also gleich on oder 0, je nachdem p* — | ist oder nicht. Mithin ist co durch r teilbar, also auch 3 %(R), erstreckt über alle Lösungen der Gleichung R" = A. Sitzungsberichte 1907. 44 436 Gesammtsitzung vom 2. Mai 1907. Ist A irgendein Element von 9, so bilden die mit A vertausch- baren Elemente von 95 eine Gruppe ® der Ordnung g, worin A ein invariantes Element ist. Jedes Element AR von 9, das der Gleichung ?" — A genügt, ist mit A vertauschbar, gehört also der Gruppe 6 an. Ein Charakter 4 von 9 ist auch ein Charakter von ®. Durch- läuft also A die Lösungen der Gleichung R"= A, so ist, wie eben gezeigt, oc = 2 (lt) durch den größten gemeinsamen Teiler d von n und y teilbar. Ist 5 = P"AP ein mit A konjugiertes Element von 9, und durchläuft A die Lösungen der Gleichung R" = A, so durchläuft S= P"RP die Lösungen der Gleichung 5" = B. Ein Charakter % hat für konjugierte Elemente denselben Wert %(R) = x(S). Sind i ANNE = — e : ee : ARBBN Cnadie m Elemente von 9, die mit A konjugiert sind, und durchläuft Zt jetzt die Elemente von 5, die einer der Gleichungen RR = A oder R”= Bi ooder R' (0, »..) genügen, so sw > Da h h — — og, also teilbar durch 7 d, den größten gemeinsamen Divisor I h : A : von A und n m also auch teilbar durch den größten gemeinsamen Divisor von 4 und n. Ist %, ein Charakter der Gruppe 9, und durchläuft R die Elemente der Gruppe, die der Gleichung R" = A genügen, und ist g die Anzahl der mit A vertauschbaren Elemente von 9, so ist =%(R) eine ganze alge- braische Zahl, die durch den größten gemeinsamen Divisor von n und g teilbar ist. Die über die Lösungen der Gleichung 5" = R erstreckte Summe (1.) Ex(S)=S(R) (MR) ist ein uneigentlicher Charakter von 9. Denn zunächst ist %(R”) = (R) ein solcher Charakter. Ein Charakter f“" Grades ist nämlich eine Summe von f Einheitswurzeln xR)=mnt+tp+t:+pr die einzeln dadurch bestimmt sind, daß für jedes n Ju x) ZZ pr past eo pr ion ist. Nun sind die elementaren symmetrischen Funktionen von p, ; Pa, ** Pr (zusammengesetzte) Charaktere von 5. (Uber die Komposition der Cha- raktere einer Gruppe, S 2; Sitzungsberichte 1899.) Die Potenzsumme o, ist aber eine ganze ganzzahlige Funktion dieser Ausdrücke und mit- hin ebenfalls ein Charakter (im weitesten Sinne). Frosentus: Über einen Fundamentalsatz der Gruppentheorie. II. 437 Für ein gegebenes n ist also (2.) xa(R")—= 8 c.x®(R) 0 wo die Koeffizienten c,, (positive oder negative) ganze Zahlen sind; und zwar ist kon = EXOS)XW(S). Ss In dieser Summe nehme ich die Glieder zusammen, worin 8” einen und denselben Wert R hat. Sei zx(S)=EnR) (=). Dann ist han. = 3 SW (R)xO (RT) R und mithin (3-) SUR) = 30x NR). A Der Wert S(R) ist durch den größten gemeinsamen Divisor von n und teilbar, wenn Ah, die Anzahl der mit R konjugierten Elemente I Ir [ame E S = TS die Anzahl der mit R vertauschbaren Elemente von 9. UR Die Größen A,S(R) sind alle durch den größten gemeinsamen Divisor von n und 4 teilbar. ist, also Ausgegeben aın 16. Mai. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei. a NEROAHINAN ZIELE SAHNE MORD Kir van Er; An; ER wi rl ” v KAPRRHN en. ur NEE En f x Sr Imatı) u WBITTZ (Er P N AIR Dur ‚\ Ar ERREON, a | n r \ % ST Pe - u 4 m fi U u h j N y RE Bi b | h ‚MT se ’ u i W j Prien h ATIy I j IE er n bs ar du vg fi . f 4 1% as, nr E| s 13 [3 M ha EN nf AN j M f N 5 | vaapN N u" ee van. et Fe Y Be i = & TE er % ö u a F Air h PR MIWEe uns ui } % eh Kuh rs Ya 7: r z Ne Kur an w | i 2 up FiLh “ A 12 al —_ kr 5e5252625250252525252525250520525aseseesesr ® 1907. XXIV. XXV. SITZUNGSBERICHTE DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe am 16. Mai. (S. 439) Fischer: Über Spinnenseide. (S. 440) 0. Neusers: Die Entstehung des Erdöls. (S. 451) Sitzung der philosophisch -historischen Classe amı 16. Mai. (S. 457) F.W.K. Mürtrer: Die »persischen« Kalenderausdrücke im chinesischen Tripitaka (hierzu Taf. VI). (S. 458) E. Sıes: Bruchstück einer Sanskrit-Grammatik aus Sängim Adiz, Chinesisch -Turkistan (hierzu Taf. VII und VII). (S. 466) MIT TAFEL VI, VII uno VII. BERLIN 1907. VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. Ges =I- E 72} Fr IF CONg) R gar EAN 1... SER 901507. I} u vi» Aus dem Reglement für die Redaetion der akademischen Druckschriften. Aus $ 1. Die Akademie gibt gemäss $ 41,1 der Statuten zwei fortlaufende Veröffentliehungen heraus: » Sitzungsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften « und »Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften«, Aus $ 2. Jcde zur Aufnahme in die »Sitzungsberichte« oder ie »Abhandlungen« bestimmte Mittheilung muss in einer aka- demischen Sitzung vorgelegt werden, wobei in der Regel das druckfertige Manuseript zugleich einzuliefernist. Nicht- mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen. S 3. einer aufzunehmenden Mittheilung soll 32 3, Der Umfane in der Regel in den Sitzungsberiehten bei Mitgliedern bei Nichtmitgliedern 16 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Sitzungsberichte, in den Abhandlungen 12 Druckbogen von je 8 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Abhand- lungen nicht übersteigen. Überschreitung dieser Grenzen ist nur mit Zustimmung der Gesammt-Akademie oder der betreffenden Classe statt- haft, und ist bei Vorlage der Mittheilung ausdrücklich zu beantragen. Lässt der Umfang eines Manuscripts ver- muthen, dass diese Zustimmung erforderlich sein werde, so hat das vorlegende Mitglied es vor «(em Einreichen von sachkundiger Seite auf seinen muthmasslichen Umfang im Druck abschätzen zu lassen, SA. Sollen einer Mittheilung Abbildungen im Text oder auf besonderen Tafeln beigegeben werden, so sind die Vorlagen dafür (Zeichnungen, photographiscle Original- aufnahmen u.s. w.) gleiehzeitig mit dem Manuseript, jedoch auf getrennten Blättern, einzureichen. Die Kosten der Herstellung der Vorlagen haben in der Regel «die Verfasser zu tragen. Sind Jiese Kosten aber auf einen erheblichen Betrag zu veranschlagen, so kann die Akademie dazu eine Bewilligung beschliessen. Ein darauf gerichteter Antrag ist vor der Herstellung der be- treffenden Vorlagen mit dem sehriftlichen Kosienanschlage eines Sachverständigen an den vorsitzenden Seceretar zu richten, dann zunächst im Seeretariat vorzuberathen und weiter in der Gesammt-Akademie zu verhandeln. Die Kosten der Vervielfältigung übernimmt die Aka- demie. Über die voraussichtliche Höhe dieser Kosten ist — wenn es sieh nieht um wenige eintuche Textfiguren handelt — der Kostenanschlag eines Sachverständigen beizufügen. Überschreitet dieser Anschlag für «lie er- forderliche Auflage bei den Sitzungsberiehten 150 Mark, bei den Abhandlungen 300 Mark, so ist Vorberathung durch das Sceretariat geboten. ; Aus 85. Nach der Vorlegung und Einreichnng des vollständigen druckfertigen Manuseripts an den zuständigen Seeretar oder an den Archivar wird über Aufnahme der Mittheilung in die akademischen Schriften. und zwar, wenn eines der anwesenden Mit- glieder es verlangt, verdeckt abgestimmt. Mittheilungen von Verfassern, welche nicht Mitglieder der Akademie sind, sollen der Regel nach nur in die Sitzungsberichte aufgenommen werden. Beschliesst eine Classe die Aufnahme der Mittheilnng eines Nichtmitgliedes in die dazu bestimmte Abtheilung der »Abhandlungen«, so bedarf dieser Beschluss der Bestätigung durch die Gesammt-Akademie. (Fortsetzung auf = 3 des Umschlags.) % ei 1 ein keinem Falle vor ihrer Aber Aus $6. 2 Die an die Druckerei nbzuliefernden Manuseripte müssen, wenn es sich nieht bloss um glatten Text handelt, aus- reichende Anweisungen für die Anordnung des Satzes und die Wahl der Schriften enthalten. Bei Einsendungen Fremder sind diese Anweisungen von dem vorlegenden Mitgliede vor Einreichung des Manuseripts vorzunehmen, Dasselbe hat sich zu vergewissern, dass der Verfasser seine Mittheilung als vollkommen druckreif ansieht. Die erste Correetur ihrer Mittheilungen besorgen die Verfasser. Fremde haben diese erste Correetur an das vorlegende Mitglied einzusenden. Die Correetur soll nach Mögliehkeit nicht über die Beriehtigung von Druckfehlern und leichten Schreibversehen hinansgehen. Umfängliche Correeturen Fremder bedürfen der Genehmigung des redi- girenden Seeretars vor der Einsendung an die Druckerei, und die Verfasser sind zur Tragnnz der entstehenden Mehr- kosten verpflichtet. % Aus $8. 5 Von allen in die Sitzungsberiehte oder Abhandlungen aufgenommenen wissenschaftlichen Mittheilungen, Reden, Adressen oder Berichten werden für die Verfasser, von wissenschaftlichen Mittheilungen, wenn deren Umfang i im Druck 4 Seiten übersteigt, auch für den Buchhandel Sener abdrucke hergestellt, die alsbald nach Erselieinen des be- treffenden Stücks der Sitzungsberiehte ausgegeben werden. Von Gedächtnissreden werden ebenfalisSonderahdrucke für den Buchhandel hergestellt, indess nur dann, wenn die Verfasser sieh ausdrücklich damit einverstanden. erkl kei, a 3 89. rt Von den Sonderabdrucken aus den Sitzungsheriehten: erhält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, zu unentgeltlicher Vertheilung olıne weiteres 50 Frei- exemplare; er ist indess berechtigt; zu gleichem Zwecke auf Kosten der Akademie weitere Exemplare‘ bis zur Zahl von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis zur Zahl von 200 (im ganzen also 350) abziehen zu lassen, sofern er diess rechtzeitig dem redigierenden Seeretar. an- gezeigt hat; wünselit er anf seine Kosten noch melır Adımeke zur Verteilung zu erhalten, so- "beda les. dazu der Genehmigung der Geammte Akademie oder ; er treffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 50 F ei exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeie ‚bei dem redigivenden Secretar weitere 200 Exemplare auf ihre Kosten abziehen lassen. L f x Von den Sonderabdineken aus den Abhandlungen er hält ein Verfasser, weleher Mitglied der Akademie ist, zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 30 Frei- exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl von noch 100 und auf seine Kosten noch‘ weitere bis zur Zahl von 100 (im ganzen also 230) abziehen zu lassen, sofern er diess BUueNE dem ‚reiligirenden Seeretar an- Abdknike zur Venen zu erhalten, so Bean es dazu. der Genehmigung ‚ler Gesammt-Akademie ale der be- treffenden Clässe _ Nichtmitglieder en ‚30 Frei- Er e und dü Kosten abziehen lassen. m ! $ 17. a j Eine für die akademischen Schriften ber Stelle anderweitig, sei es auch nu! 439 SITZUNGSBERICHTE 1907. XXI. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 16. Mai. Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe. Vorsitzender Secretar: Hr. WaLpever (1. V.). l. Hr. Fıscner las über die chemische Zusammensetzung der Spinnenseide, die von einer grossen Spinne auf Madagascar (Nephila madagascariensis) herstammt. Sie ist der gewöhnlichen Seide sehr ähnlich und unterscheidet sich nur durch die schöne Orangefarbe, den Mangel an wasserlöslichen Bestandtheilen (Leim) und den Gehalt au Glutaminsäure. Die grosse chemische Ähnlichkeit der Seerete von Organen, die morphologisch so verschieden sind wie die Drüsen der Seidenraupe und die Spinn- warzen, ist biologisch beachtenswerth. 2. Hr. Orrn legte eine Mittheilung von Professor Dr. C. Nrugers, Assistenten am Pathologischen Institute in Berlin, vor: »Die Ent- stehung des Erdöls«. Ausgehend von der Überlegung, dass bestimmte Eiweissbausteine, Aminosäuren, optisch active Umwandlungsproducte liefern können, hat Neusers die Hypothese aufgestellt, dass «die Eiweisskörper ehemaliger tierischer und pflanzlicher Lebewesen die Quelle der optischen Activität der Naphtha darstellen. Nachdem er dann nach- gewiesen hatte, dass bei der Verwesung von Proteinstoffen erhebliche Mengen stark optisch activer Fettsäuren entstehen. bringt er nunmehr den experimentellen Nachweis, dass man mit einer Mischung von reinster Ölsäure und etwas d-Valeriansäure sowohl beim Erhitzen unter Druck wie bei gemeinsamer trockener Destillation ein Product erhält, das nach entsprechender Reinigung alle Eigenschaften, auch Drehungsvermögen und -richtung der natürlichen Naphtha aufweist, dessen Drehungsvermögen auch mit steigendem Siedepunkt der Petroleumfractionen zunimmt und dessen hochmoleculare Fractionen wie die hochsiedenden Erdöldestillate Farbenreactionen des Cholesterins geben. Anschliessend wird über einige stereochemische Untersuchungen von Producten der Eiweissfäulniss berichtet. Sitzungsberichte 1907. 45 440 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 16. Mai 1907. Über Spinnenseide. Von Enmır Fischer. DE Hauptbestandteil der gewöhnlichen Seide, das sogenannte Seiden- fibroin, ist vor den anderen Proteinen dadurch ausgezeichnet, daß es zum größeren Teil aus den einfachsten Aminosäuren Glykokoll und Alanin zusammengesetzt ist und außer ihnen in erheblicher Quantität nur noch Tyrosin und Serin enthält. Wegen der äußeren Ähnlich- keit lag die Vermutung nahe, daß die Spinnfäden ein verwandtes Material seien; und es war deshalb längst mein Wunsch, sie einer genaueren chemischen Prüfung zu unterziehen. Aber ich bin bisher nicht in der Lage gewesen, eine ausreichende Menge in einem ge- nügend hohen Grade von Reinheit zu sammeln, da die meisten Spinn- gewebe derart mit Insekten, Staub und anderen Fremdkörpern be- haftet sind, daß eine Abtrennung unmöglich erscheint. Auf der Pariser Weltausstellung 1900 hatte ich nun Kenntnis erhalten von einem seideartigen Produkt (soie d’araignee de Mada- gascar), das von einer großen Spinne in Madagaskar herrührt. Ich habe mich längere Zeit vergeblich bemüht, eine größere Menge dieses Stoffes zu erhalten, bis es schließlich den eifrigen Bemühungen meines Freundes, des Hrn. Ernest Fourseau in Paris, gelungen ist, mir ungefähr 200 g davon zu verschaffen. Sie stammen von der letzten französischen Kolonialausstellung in Marseille her und waren zum größten Teil aufgespult. Über den Ursprung des Materials verdanke ich Hrn. Fourseau folgende Angaben: Es wird bereitet von »Nephila madagascariensis«, einer großen Spinne, die in den Wäldern von Madagaskar auf den Bäumen, be- sonders in der Nähe der Städte, z. B. in den alten königlichen Gärten zu Tananariva, lebt. Der französische Pater CamsouE ist zuerst auf den Gedanken gekommen, ihr seideähnliches Gespinst technisch zu verwerten' und hat zu dem Zweck eine Versuchsanstalt in Tanana- ı Von IIrn. Prof. Dant wurde ich darauf anfınerksam gemacht, daß mit euro- päischen Spinnen solche Versuche schon vor 200 Jahren angestellt worden sind. Eine Abhandlung von Reausur mit dem Titel »Examen de la Soie des Araignees« erschien im Jahre 1710 (M&moires de l’Academie Royal des Sciences); hier wird Hr. Box als Fiscner: Über Spinnenseide. 441 riva begründet, wo die Spinnen gezüchtet und von ihnen der Faden künstlich entnommen wird. Eine Spinne liefert 150—600 m Seiden- faden, im Durchschnitt 200 m jedesmal und kann in einem Monat 5—6 mal entleert werden, worauf sie dann stirbt. Die Gewinnung des Materials scheint aber doch so kostspielig zu sein, daß es mit der gewöhnlichen Seide nicht in- Wettbewerb treten kann. Nach einer gütigen Mitteilung des Hrn. Prof. Danz, hier zeichnet sich die Gattung Nephila, die in den Tropen weit verbreitet ist, durch die Größe aus; das gilt aber nur für das Weibchen, während das Männchen durch außerordentliche Kleinheit gekennzeichnet und so vor der Feindschaft der Gattin geschützt ist. Die Gespinste von Nephila haben meist eine natürliche gelbe Farbe, die bei Nephila madagascariensis in Orange hinüberspielt und besonders schön ist. Chemische Untersuchung. Soviel mir bekannt geworden ist, hat das mir überlassene Material keine Behandlung durch heißes Wasser, Seife u. dgl. erfahren. Ich glaube es demnach als den ursprünglichen Faden, wie er von der Spinnwarze der Nephila abgesondert wird, betrachten zu können. Ähnlich der gewöhnlichen Seide ist das Material hygroskopisch. Bei 110° verlor es zu verschiedenen Zeiten einmal 8.4 und ein an- deres Mal 8.3 Prozent an Gewicht. Es unterscheidet sich aber wesent- lieh von der Rohseide durch das Fehlen des Seidenleims, wie fol- gender Versuch zeigt: Verhalten gegen heißes Wasser. 3 g Seide (mit 8.4 Prozent Wassergehalt) wurden mit 75 ccm reinem Wasser im Porzellanbecher im Autoklaven drei Stunden auf 115— 120° erhitzt, wobei das Wasser sich schwach gelb färbte, während die Seide zu einem Klumpen zusammenballte und wohl den Glanz, aber nicht die Farbe verlor. Nachdem das Material durch Ausein- anderreißen wieder gelockert war, wurde die Behandlung mit Wasser in der gleichen Weise wiederholt. Diesmal war die Lösung kaum gefärbt und die Seide nicht mehr zusammengeballt. Die vereinigten wäßrigen Auszüge hinterließen beim Verdampfen nur 0.09 g trockenen Rückstand; das ist nur 3 Prozent der ursprünglichen Spinnenseide, während die gewöhnliche lombardische Rohseide bei dieser Operation ungefähr 30 Prozent löslichen Seidenleim liefert. Entdecker eines Verfahrens zur Herstellung von Geweben aus Spinnenseide genannt. Versuche mit tropischen Spinnen sind noch im ı8. Jahrhundert von Raynonp ve Ter- MEYER veröffentlicht worden. Die Methode des Abhaspelns wurde 1865 von B.G. Wirper vervollkommnet,-der auch schon mit einer Nephila-Art experimentierte. 45* 442 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 16. Mai 1907. Bestimmung der Asche. Beim Glühen hinterließ die Seide eine fast farblose Asche, und zwar 0.59 Prozent der trockenen Substanz. Die Asche ist in Wasser teilweise unlöslich und enthält Caleium, Phosphorsäure und etwas Schwefelsäure. Die letztere stammt vielleicht von dem Schwefelgehalt des Proteins her. Verhalten gegen Alkalien und Ammoniak. Übergießt man die Faser mit Normalkalilauge, so geht besonders bei ganz gelindem Erwärmen die orange Farbe in ein stark leuch- tendes, gelbstichiges Rot über und die Lösung nimmt die gleiche Farbe an. Beim Kochen der Flüssigkeit wird die Farbe sowohl in der Lösung als auf der Faser schwächer, es entwickelt sich Ammoniak, die Fär- bung der Faser verschwindet dann ziemlich bald und diese löst sich allmählich auf. Bei einer kleinen Probe war nach 20 Minuten langem Kochen eine fast klare, gelbrote Flüssigkeit entstanden. Mit verdünntem Ammoniak übergossen färbt sich die Spinnen- seide zunächst stärker orange; der Farbstoff geht aber schon bei ge- wöhnlicher Temperatur allmählich in die Lösung, welche rötlichgelb wird, und die Faser ist schließlich fast farblos. Ähnlich, nur etwas langsamer, wirkt kalte, wäßrige Seifenlösung. Verhalten gegen starke, kalte Salzsäure. Das gewöhnliche Seidenfibroin wird bekanntlich von rauchender Salzsäure rasch gelöst und beim Eingießen der Lösung in Alkohol fällt ein amorphes, in Wasser fast unlösliches Produkt aus, das leicht ehlor- frei erhalten werden kann und das von Tr. Weryr! den Namen Sericoin erhielt. Ähnlich verhält sich die Spinnenseide. Da aber die Lösung schwerer erfolgt, so ist es ratsam, mehr Salzsäure anzuwenden. 2 g Spinnenseide wurden mit 15 cem wäßriger Salzsäure, die bei 0° gesättigt war, übergossen und sorgfältig durchgerührt. Die "aser zerfiel bald, ihre Farbe verschwand und es entstand zunächst eine dicke, gallertige Masse, die allmählich dünnflüssiger wurde. Trotz sorgfältiger Mischung waren noch nach 20 Minuten einzelne gallertige Klumpen übrig. Die honiggelbe Lösung wurde deshalb ab- gesaugt und in 300 cem absoluten Alkohol eingegossen, der amorphe Niederschlag abgesaugt, mit Alkohol und Äther gewaschen und im Vakuum über Natronkalk getrocknet. Das fast weiße Produkt, das in recht guter Ausbeute erhalten wird, enthält etwas Chlor, das aber ! Berichte d. D. Chem. Ges. 21, 1407 und 1529 (1888). Fischer: Über Spinnenseide. 443 beim Behandeln mit Wasser fast völlig in Lösung geht. Beim Kochen mit Wasser quillt es auf und bleibt größtenteils ungelöst; die wäßrige Lösung gibt dann mit Alkali und Kupfersalz eine schwache Biuret- färbung. Auch in kaltem, verdünntem Alkali ist das Produkt größten- teils unlöslich. Man könnte es Spinnen-sericoin nennen, da es höchst- wahrscheinlich zur Spinnenseide in demselben Verhältnis steht, wie das Sericoin zur gewöhnlichen Seide. Analysiert wurde es bisher nicht. Hydrolyse der Spinnenseide mit Schwefelsäure. ıo g Faser, die 8.3 Prozent Feuchtigkeit enthielt, wurden mit einem Gemisch von 20 cem konzentrierter Schwefelsäure und 100 cem Wasser am Rückflußkühler gekocht. Sie verlor sehr bald ihre Farbe, zerfiel dann und ging im Verlauf von einigen Stunden in Lösung. Nach 18 stündigem Kochen wurde die gelbbraune Flüssigkeit von einem geringen schleimigen Rückstand durch Filtration getrennt und nach dem Verdünnen auf 500 eem mit einem geringen Überschuß einer konzentrierten Lösung von Baryumhydroxyd versetzt. Dabei schlug die Farbe in Rosa um, und ebenso war das gefällte Baryumsulfat ge- färbt. Der ursprüngliche Farbstoff der Spinnenseide wird also durch die Säure nicht ganz zerstört; außerdem verhält er sich wie die In- dikatoren der Alkalimetrie. Die Flüssigkeit wurde filtriert und der abgesaugte Niederschlag nochmals mit Wasser ausgekocht, um alles Tyrosin in Lösung zu bringen, dann aus dem Filtrat der Baryt genau mit Schwefelsäure ausgefällt, in der Hitze mit Tierkohle entfärbt und die abermals filtrierte Flüssigkeit auf etwa 75 cem eingedampft. Nach längerem Stehen in der Kälte betrug die Menge des auskristallisierten Tyrosins 0.65 g: die Mutterlauge gab noch 0.1 g. Mithin Gesamtaus- beute 0.75 g oder 8.2 Prozent der trocknen Spinnenseide. Zur Analyse und optischen Untersuchung war das Präparat durch Umkristallisieren aus heißem Wasser gereinigt. 0.753720 Subst. 0.3354 @ (00, -0.0831g H,O GH,O,N , Berechnet: C 59.64. H 6.12 Gefunden: 59.51 6.05 Die spezifische Drehung in 2 ı prozentiger Salzsäure betrug [a]y = —6.4°. Mithin handelt es sich um /-Tyrosin, dem aber eine erheb- liche Menge Razemkörper beigemengt war. Die vom Tyrosin abfiltrierte Flüssigkeit diente zum Nachweis der Diaminosäuren. Sie wurde mit Wasser auf 500 cem verdünnt und nach Zugabe von ıo cem konzentrierter Schwefelsäure vorsichtig mit einer Lösung von Phosphorwolframsäure (1:1) bei gewöhnlicher Temperatur so lange versetzt, bis kein Niederschlag mehr entstand, 444 Sitzung der physikalisch-matlıematischen Classe vom 16. Mai 1907. wozu ungefähr 15 cem nötig waren. Nach 5 Minuten wurde der flockige Niederschlag abgesaugt, mit Wasser gewaschen und im Vakuum- exsikkator über Schwefelsäure getrocknet. Erhalten 8.1 g, die nach einer Kjeldahlbestimmung 1.9 Prozent Stickstoff enthielten. Die Natur der Diaminosäuren wurde nicht fest- gestellt. Da bei Anwesenheit von viel Glykokoll und Alanin die Gefahr besteht, daß der Niederschlag mit Phosphorwolframsäure auch von diesen Aminosäuren etwas enthält, so ist es zur Vermeidung grober Irrtümer ratsam, ihn mit Baryt zu zerlegen und die Fällung in ver- dünnter Lösung zu wiederholen. Zu dem Zweck wurden 7 g des obigen Niederschlages fein zerrieben und mit 14 g kristallisiertem Barythydrat und etwa 50 eem Wasser bei gewöhnlicher Temperatur 8 Stunden auf der Maschine geschüttelt, dann abgesaugt, der Baryt mit Schwefelsäure gefällt, das Filtrat auf etwa 100 cem verdünnt, so viel konzentrierte Schwefelsäure zugefügt, daß die Lösung etwa 5 prozentig war, und dann wieder mit Phosphorwolframsäure gefällt. Dieser Niederschlag wog nach dem Trocknen im Vakuum 4 g. Da bei dieser wiederholten Fällung Verluste unvermeidlich sind, so kann man - aus dem Resultat schließen, daß der ursprüngliche Phosphorwolfram- säureniederschlag keine erhebliche Menge Monoaminosäuren enthielt. Die Menge der Diaminosäuren ist demnach ziemlich beträchtlich. Macht man die willkürliche Annahme, daß nur Arginin vorhanden sei, so würde sich dessen Menge aus dem Stickstoffgehalt auf 5.24 Prozent der Spinnenseide berechnen. Hydrolyse der Spinnenseide mit Salzsäure. 50 g (mit 8.8 Prozent Feuchtigkeit) wurden mit 200 cem rauchen- der Salzsäure (spez. Gew. 1.19) übergossen und zuerst gelinde auf dem Wasserbade erwärmt. Die Farbe verschwand sofort, die Faser zerfiel, und es entstand eine dickliche, gelbe Lösung. Die bei der gewöhn- lichen Seide unter den gleichen Bedingungen stets vorübergehend auftretende dunkelblauviolette Färbung wurde hier nicht beobachtet. Beim Kochen am Rückflußkühler ging die Farbe der Flüssigkeit von Gelb in Rotbraun über. Nach sechsstündigem Kochen wurde die Flüssig- keit völlig abgekühlt und filtriert. Der geringe Rückstand löste sich größtenteils in warmem Äther, und beim Verdampfen des Äthers wurden 0.3 g einer fettigen, halbfesten Masse erhalten, die wohl größtenteils aus höheren Fettsäuren bestand. Ihre Menge betrug also 0.66 Prozent der trockenen Spinnenseide. Die salzsaure Lösung wurde unter ver- mindertem Druck möglichst stark verdampft und in der üblichen Weise mit 150 cem Alkohol durch Einleiten von Salzsäuregas verestert. Die Fischer: Über Spinnenseide. 445 anfangs klare, dunkelbraune Flüssigkeit schied später schon in der Wärme einen Niederschlag von anorganischen Hydrochloraten aus, der nach raschem Abkühlen filtriert wurde, bevor die Kristallisation des Glykokollesterchlorhydrats begonnen hatte. Seine Menge betrug 2.1 g, und davon waren 1.66 g Chlorammonium, das entspricht 1.16 Prozent Ammoniak für die trockene Spinnenseide. Die Menge des Ammoniaks ist aber sicherlich etwas größer, da das Chlorammonium sich nur un- vollständig aus der alkoholischen Lösung abscheidet. Eine genaue Bestimmung des Ammoniaks mit Magnesiumoxyd wurde indessen nicht ausgeführt. Das salzsaure alkoholische Filtrat schied nach dem Impfen bei 16stündigem Stehen bei 0° Glykokollesterchlorhydrat ab, dessen Menge nach dem Absaugen, Waschen mit kaltem Alkohol und Trocknen über Natronkalk 26.8 g betrug. Die alkoholische Mutterlauge wurde unter vermindertem Druck verdampft und nochmals mit 75 ecem Alkohol und Salzsäuregas verestert. Sie gab dann bei 25stündigem Stehen bei 0° noch 2.2 g Glykokollesterchlorhydrat; mithin zusammen 29 g oder 34.19 Prozent Glykokoll berechnet auf die trockene Spinnenseide. Dazu kommen noch 0.43 g oder 0.94 Prozent Glykokoll, die später beim Alanin gefunden wurden; mithin 35.13 Prozent Gesamtausbeute an Glykokoll. Zur völligen Reinigung wurde eine Probe des Esterchlorhydrats aus der sechsfachen Menge heißen Alkohols unter Zusatz von Tier- kohle umkristallisiert. Die feinen farblosen Nadeln schmolzen bei 145° (corr.). 0.2934 g Subst. verbrauchten 20.83 ccm «nAgNO, Berechnet für C,H,0,N.HCl: Cl 25.40 Gefunden: DAT? Die vom Glykokollesterchlorhydrat getrennte Mutterlauge wurde in der üblichen Weise unter geringem Druck möglichst vollständig verdampft und die Ester durch Alkali in Freiheit gesetzt. Die al- kalische Salzmasse nahm hierbei eine starke himbeerrote Farbe an, die offenbar von dem ursprünglichen Farbstoff der Spinnenseide her- rührte. Die ätherischen Auszüge waren wie gewöhnlich gelbbraun gefärbt. Sie wurden, wie üblich, zuerst flüchtig mit Kaliumkarbonat, dann mit Natriumsulfat getrocknet und nach Verdampfen des Äthers unter vermindertem Druck fraktioniert. I. Fraktion (bei ız mm) Temperatur des Bades bis 85° erhalten 19.68 1. » (= 0.4 mm) » » » » 100° » 3:4 » II. » (» 0.3 mm) » » » 100—130° » 5.0 » Summa 28.08 Rückstand (dunkelbraune zähe Masse) 6.0g 446 Sitzung der physikalisch -mathematischen Classe vom 16. Mai 1907. Die I. Fraktion wurde durch mehrstündiges Erhitzen mit 100 cem Wasser am Rückflußkühler verseift und die Lösung bis zur beginnen- den Kristallisation eingedampft. Erhalten 5.6 g Alanin. 0.1778 g Subst. 0.2641 g CO, _o0.1227g H,O Berechnet für 6,H,O,N: C 40.40 H 7.92 (refunden: 40.51 on Die spezifische Drehung des Hydrochlorates betrug [lo = + 9.6° Mithin fast reines d-Alanin. Die wäßrige Mutterlauge wurde zur Trockne verdampft und mit Alkohol ausgekocht, der Rückstand betrug 5.498. Er wurde aus möglichst wenig heißem Wasser umkristallisiert und die Mutterlauge (etwa 3 g) auf salzsauren Glykokollester verarbeitet. Erhalten 0.3 g = 0.43g Glykokoll. Mithin berechnet sich die Gesamtmenge des Alanins auf 10.66 g, was 23.4 Prozent für die trockene Spinnenseide entspricht. Die II. Fraktion der Ester enthielt Derivate des Prolins, Leueins und sehr geringe Mengen von Alanin. Um die An- oder Abwesenheit von Phenylalanin darin festzustellen, bin ich von dem üblichen Gange der Untersuchung etwas abgewichen. Denn es wurde diese Fraktion der Ester mit der fünffachen Menge Wasser versetzt und das Gemisch mit dem doppelten Volumen Petroläther ausgeschüttelt, dann der Petrolätherauszug nochmal mit Wasser gründlich gewaschen. Die wäßrigen Lösungen wurden in der üblichen Weise am Rückflußkühler gekocht, bis die alkalische Reaktion verschwunden war, dann zur Troekne verdampft und die feste Masse mit absolutem Alkohol aus- gekocht. Hierbei ging der größere Teil (Prolin) in Lösung. Der Rück- stand betrug nur 0.4 g. Er enthielt sehr wenig Leuein und außerdem Alanin. Der Petrolätherauszug enthielt den Leueinester. Er wurde vor- sichtig verdampft, der Rückstand mit überschüssiger Salzsäure auf dem Wasserbade verseift und das /-Leuein in der üblichen Weise isoliert. Nach dem Umkristallisieren aus Wasser gab es folgende Zahlen: 0.1762 g Subst. 0.3532 g CO, 0.1553 g H,O C,H,0,N Berechnet: C 54.96 H 10.00 Gefunden: 54.67 9.86 0.1267 g Subst. gelöst in 20 prozentiger Salzsäure. Gesamtgewicht der Lösung 4.0099 g. d= ı.1ı. Drehung im ı-dm-Rohr bei 18° und Natriumlicht 0.55° nach rechts. Mithin [2]Jp = +15.8°. Fischer: Über Spinnenseide. 447 Die Gesamtmenge des Leucins einschließlich des kleinen Restes, der aus der II. Fraktion der Ester zu gewinnen war, betrug 0.3 g oder 1.76 Prozent der trockenen Spinnenseide. Für die Gewinnung des Prolins dienten die alkoholischen Auszüge, die, wie vorher beschrieben, aus den trocknen Aminosäuren bereitet wurden. Sie wurden verdampft, der Rückstand nochmals mit abso- lutem Alkohol aufgenommen und wieder verdampft. Die Menge des so resultierenden rohen Prolins betrug 1.68 g oder 3.68 Prozent der trocknen Spinnenseide. Es war ein Gemisch von viel aktivem und wenig racemischem Prolin; für die Identifizierung diente das Kupfer- salz des letzteren, das nach dem Umkristallisieren aus Wasser folgende Zahlen gab: 0.1436 g lufttroekne Subst. verloren bei 110° 0.0146 g H,O G.H,0,N,Cu+ 2H,0 Berechnet: H,O 10.99 Prozent Gefunden: 10.17 Prozent 0.1290 g trockne Subst.: 0.0352 g CuO C,H,.0,N,Cu Berechnet: Cu 21.8 Gefunden: DIES Die II. Fraktion wurde zunächst in der 5fachen Menge Wasser gelöst und mit Petroläther ausgeschüttelt. Die geringe Menge Ester, die in Lösung ging, war größtenteils Leueinderivat. Phenylalanin konnte nicht nachgewiesen werden. Die im Wasser löslichen Ester wurden in der üblichen Weise mit Baryumhydroxyd verseift und nach genauer Ausfällung des Baryts die Lösung eingedampft. Bei genügen- der Konzentration fielen Kristalle aus, die nach einmaligem Umkristal- lisieren aus warmem Wasser reine Glutaminsäure waren: 0.1750 g Subst.: 0.2609 g (0, 0.0973 g H,O BEEOSNT Berechnet: 0 40.79,. H-6.17 Gefunden: 40.66 6.22 Aus der Mutterlauge wurde der Rest der Glutaminsäure durch Einleiten von Salzsäure gefällt (erhalten ı.1ı g Hydrochlorat). Die jetzt bleibenden Mutterlaugen waren arm an Aminosäuren, denn sie hinterließen beim Verdampfen nur 0.6 g Rückstand. Ob Asparagin- säure darin war, kann ich nicht sicher sagen. Auch die Anwesen- heit von Serin war zweifelhaft, da das &-Naphthalinsulfoderivat nicht kristallisierte. Der bei der Destillation der Ester bleibende Rückstand wurde zunächst durch Lösen in Alkohol und längeres Stehenlassen nach Ein- impfen eines Kriställchens auf Serinanhydrid geprüft: das Resultat war negativ. Dagegen enthielt er Tyrosin und außerdem noch erhebliche Mengen von Glutaminsäure. Für ihre Gewinnung wurde er mit 100 cem 448 Sitzung der plıysikalisch- matliematischen Classe vom 16. Mai 1907. Wasser und 20 g kristallisiertem Barythydrat drei Stunden am Rück- flußkühler gekocht, aus der filtrierten Flüssigkeit der Baryt genau mit Schwefelsäure gefällt, die Mutterlauge mit Tierkohle entfärbt und die abermals filtrierte Flüssigkeit unter vermindertem Druck stark einge- dampft. Zuerst schied sich Tyrosin ab, und als die auf etwa 30 cem eingeengte Mutterlauge mit gasförmiger Salzsäure gesättigt war, fiel in der Kälte das Hydrochlorat der Glutaminsäure aus. Erhalten 1.3 g und aus der Mutterlauge noch 0.5 g. Nach dem Umkristallisieren gab das Salz folgende Zahlen: 0.2091 g Subst. verbrauchten 11.32 cem „n.AgNO, C,H,0,N.HC1 Berechnet: Cl 19.31 Gefunden: » 19.2. 0.2533 g Hydrochlorat gelöst in Wasser. Gesamtgewicht der 3.8772 g d= 1.02 Drehung im ı dm-Rohr bei 24° und Na- 7 triumlieht 1.62° nach rechts. Mithin auf freie Glutaminsäure berechnet: Ki o° Pl 3035% Die Gesamtmenge der Glutaminsäure, die aus dem Rückstand und der Fraktion III teils als freie Säure, teils als Hydrochlorat isoliert wurde, betrug 2.77 g oder 6.ı Prozent der trocknen Spinnenseide. Zusammenfassung der Resultate. I. ı00 Teile trockne Spinnenseide von Nephila madagascariensis gaben bei der Hydrolyse mit Säuren: 35.13 Teile Glykokoll 23-4 » d-Alanin 1.76 » I-Leuein 3.68. »° Prolım. 8.2 » I-Tyrosin 6.1 » d-Glutaminsäure 5.24 » Diaminosäuren (als Arginin willkürlich berechnet) 1.Id » Ammoniak 0.66 » Fettsäuren 85. 33 Teile ferner beim Glühen: 0.59 Teile Asche. H. Der schöne orangegelbe Farbstoff wird durch Alkalien viel intensiver, verschwindet aber bei der Wirkung von Säuren, ohne zer- stört zu werden. Er verhält sich also wie ein Indikator der Alkali- metrie. Fıscner: Über Spinnenseide. 449 II. Die Spinnenseide unterscheidet sich von der gewöhnlichen Seide durch den Mangel an wasserlöslichen Substanzen (Seidenleim). IV. Sie zeigt große Ähnlichkeit mit dem Seidenfibroin. Denn sie löst sich wie jenes in starker Salzsäure und gibt beim Fällen mit Alkohol ein Produkt von ähnlichen Eigenschaften wie das Sericoin. Ferner enthält sie annähernd die gleiche Menge an Glykokoll, Alanin, Tyrosin und Leuein. Etwas größer ist die Menge des Prolins und der Diaminosäuren. V. Hervorzuheben ist der ziemlich große Gehalt der Spinnen- seide an Glutaminsäure, die in dem Seidenfibroin bisher nicht beob- achtet wurde‘. Ein weiterer Unterschied besteht in dem Gehalt an Serin, das im Seidenfibroin in ziemlich beträchtlicher Menge vor- handen ist, aber in der Spinnenseide bisher nicht gefunden wurde und jedenfalls nicht in erheblicher Menge zugegen ist. Phenylalanin scheint auch in der Spinnenseide nicht zu sein, während im Seiden- fibroin davon ı$ Prozent gefunden wurden. VI. Trotz der zuletzt erwähnten Unterschiede ist im großen und ganzen die Spinnenseide dem Seidenfibroin, das den wesentlichen Be- standteil des Seidenfadens bildet, chemisch sehr nahe verwandt, so daß die äußerliche Ähnlichkeit beider Materialien nicht mehr als Zu- fall erscheint. Beide entstehen bekanntlich aus einem flüssigen Drüsen- sekret, das beim Austritt aus dem Körper des Tieres alsbald erstarrt und eine überraschende Festigkeit erlangt. Der Vorgang erinnert an die Gerinnung des Blutes. Allerdings sind die Spinnwarzen, die den Spinnfaden absondern und im Hinterteil des Tieres liegen, morpho- logisch wesentlich verschieden von den Drüsen der Raupe, die das Material des Seidenfadens liefern, und von den Zoologen als modifi- zierte Speicheldrüsen betrachtet werden. Um so beachtenswerter ist vom biologischen Standpunkte aus die chemische Ähnlichkeit der beiden Sekrete; aus diesem Grunde erscheint es mir auch wünschenswert, daß die Untersuchung auf die gleichen Produkte anderer Spinnen und Raupen ausgedehnt wird. Gegenüber den glänzenden Errungenschaften der vergleichenden Morphologie steht die vergleichende chemische Physiologie trotz zahl- reicher Anläufe” noch in den Kinderschuhen. Aber man darf erwarten, ! In der Rohseide habe ich neuerdings eine kleine Menge Asparaginsäure beob- achtet (gefunden 36.1 Prozent C, 5.0 Prozent H, berechnet 36.1 Prozent C, 5.3 Pro- zent H). Es bleibt aber noch zu entscheiden, ob sie vom Seidenfibroin oder vom Seidenleim herrührt. ® Eine sehr nützliche Zusammenstellung der Resultate für einen Teil der Tierwelt findet sich in dem Werk von Örro von Fürrk »Vergleichende chemische Physiologie der niederen Tiere«. 450 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 16. Mai 1907. daß mit der Verbesserung der chemischen Methoden, zumal auf dem Gebiete der Proteine, eine kräftige Entwicklung dieses Teiles der Biologie einsetzen wird, die zu ganz neuen Gesichtspunkten über die Verwandt- schaft und Genesis sowohl einzelner Organe wie auch ganzer Spezies von Lebewesen führen kann. Schließlich sage ich Hrn. Dr. WArrer Axnausen für die Hilfe, die er mir bei diesen Versuchen leistete, besten Dank. 451 Die Entstehung des Erdöls. (Künstliche Darstellung von optisch aktivem Petroleum.) Von Prof. Dr. C. NEUBERG in Berlin. (Vorgelegt von Hrn. Orrır.) Der Streit, ob das Petroleum anorganischer oder organischer Her- kunft sei, schien zugunsten der zweiten Annahme endgültig durch C. Ensrers bekannte Versuche entschieden zu sein. ENGLER' war es gelungen, durch Zersetzung von Fetten bei höherer Temperatur künst- lich ein Substanzengemisch zu erzeugen, das hohe Ähnlichkeit mit dem natürlichen Erdöl aufwies; Geologen und Chemiker haben fast allge- mein die von Enerer und Hörer formulierte Hypothese mit geringen Modifikationen für die Entstehung der meisten heutigen Naphthalager angenommen. Nach dieser Theorie ist das Petroleum aus dem Fette ehemaliger Meerbewohner (Fische, Muscheln usw.) derart hervorge- gangen, daß durch Verwesung die Eiweißkörper und Kohlehydrate der Leibessubstanz verschwanden, aus deren resistentem Fett bzw. Fett- säuren unter erhöhtem Druck oder gesteigerter Temperatur Erdöl her- vorging. In eine neue Phase trat die Frage der Petroleumbildung, als im Jahre 1900 P. Warven” eine in Vergessenheit geratene Beobachtung von Bıor” ans Licht zog, die das starke optische Drehungsver- mögen der Naphtha betraf. Da die Petroleumsorten verschiedener Herkunft optisch aktiv sind, mußte die Eserer-Hörersche Hypothese einer Revision unterzogen werden; denn da weder die Fette noch ihre Spaltungsprodukte ein Drehungsvermögen besitzen, können sie nur ein optisch inaktives Erdöl liefern. ! C. Esster, Ber. d. D. Chem. Ges. 21, 1816 (1888) und 22, 595 (1889). 2 P. Waren, Naturw. Rundschau 15, Nr. 12—ı6 (1900). ® Bıor, Memoires de l’Acad. 13, 140 (1835). 452 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 16. Mai 1907. Auf der Naturforscherversammlung zu Meran 1905 habe ich zu- erst die Hypothese entwickelt', daß die Eiweißkörper ehemaliger tierischer oder pflanzlicher Lebewesen die Quelle der optischen Aktivität der Naphtha darstellen; es wurde auf Grund von Beobachtungen an Leichenwachs ausgeführt, daß bestimmte Eiweißbausteine, Amino- säuren, optisch aktive Umwandlungsprodukte durch Desamidierung liefern können, die sehr wohl zu der Entstehung optisch aktiven Erd- öls beitragen könnten. Inzwischen? konnte ich diese Anschauung durch die Entdeekung stützen, daß bei der Verwesung von Proteinstoffen (Fäulnis) erheb- liche Mengen stark optisch aktiver Fettsäuren entstehen. Daß die bei der Eiweißfäulnis auftretenden Säuren ein Drehungsvermögen besitzen, war früher übersehen worden; in Gemeinschaft mit Hrn. cand. phil. E. Rosexngere, der mich auch bei der Fortführung dieser Versuche unterstützt hat, konnte ich u. a. die rechtsdrehende Form der Valeriansäure und der Capronsäure, CH,\ CH »CH—COOH und C,H, GH/ isolieren. Den Schlußstein der Beweisführung bildete nun die Aufgabe, aus den optisch aktiven Säuren der Eiweißfäulnis ein mit Drehungs- vermögen ausgestattetes Erdöl künstlich, aber unter Bedingungen dar- zustellen, wie sie den in der Natur obwaltenden Verhältnissen ver- gleichbar sind. Diese Aufgabe ist in folgender Weise gelöst: Man muß sich vorstellen, daß die bei der Fäulnis bzw. auto- lytischen Zersetzung der Pflanzen- oder Tierleiber aus den Protein- stoffen entstehenden Säuren, d.h. die Fettsäuren von der Ameisen- säure bis zur Capron- bzw. Caprinsäure und die aromatischen Säuren, sich zum Teil in den ursprünglichen Fetten oder Fettsäuren lösen. Das gilt namentlich für die mit Wasser nicht mehr mischbaren und schwerlöslichen optisch aktiven Valerian- und Capronsäuren®. Ein sol- ches Gemisch mußte zu den Versuchen dienen; sie wurden zum Bei- spiel ausgeführt mit einer Mischung von reinster Ölsäure und etwas d-Valeriansäure'. Sowohl beim Erhitzen unter Druck wie bei ge- EN CH—CH,— COOH, ! Vgl. C. Nevserg, Zeitschr. f. angew. Chem. 18, 1606 (1905). ? C. Nevsers, Biochem. Zeitschr. 1, 368 (1906). ® Die Bildung der drehenden Fäulnissäuren aus Eiweiß erfolgt in wenigen Tagen, d.h. schneller als wahrscheinlich die natürliche Verseifung der eigentlichen Fette eintritt. * Die angewandte Valeriansäure war ein Gemisch von lsopropyl-essigsäure und d-Methyl-aethyl-essigsäure; der Gehalt an letzterer betrug 17.4 Prozent. C. NeugerG: Die Entstehung des Erdöls. 453 meinsamer trockener Destillation entsteht ein Produkt, das nach ent- sprechender Reinigung alle Eigenschaften, auch Drehungsvermögen und -richtung der natürlichen Naphtha aufweist. Auch eine Erscheinung des natürlichen Erdöls, der man bisher eine besondere Beachtung geschenkt hat, findet sich bei dem Kunst- produkt wieder, die Zunahme des Drehungsvermögens mit steigendem Siedepunkt der Petroleumfraktionen'. Dieses Verhalten erklärt sich einfach dadurch, daß sich allem Anschein nach die optisch aktiven Radikale der d-Valeriansäure und d-Capronsäure mit Bruchstücken der Ölsäure (und ebenso anderer höherer Fettsäuren) besonders leicht zu hochmolekularen und hochsiedenden Kohlenwasserstoffen kondensieren. Diese letzteren geben nun überraschenderweise Farbenreak- tionen des ÜÖholesterins [Probe von Sarkowskı, Reaktion mit Me- thylfurfurol ete.], obgleich sie aus einem Material (Ölsäure und Valerian- säure) entstanden sind, das auf seine Reinheit und namentlich auf völlige Abwesenheit von Cholesterin besonders geprüft war. Die Farben- reaktionen sind gar keine Proben auf Cholesterin im engeren Sinne, sondern auf hochmolekulare Kohlenwasserstoffe. Durch diesen Befund verliert auch eine Hilfshypothese viel an Bedeutung, die im Cholesterin die Quelle für die mit der Dichte steigende optische Aktivität des Erdöls erblickte. Abgesehen davon, daß Cholesterin nicht einmal regelmäßig und nur in sehr kleinen Mengen die natürlichen Fette begleitet, haben die hiermit von Marcus- son” ausgeführten Versuche niemals eine optisch aktive »Naphtha«, sondern allenfalls ein Schmieröl ergeben, doch da dieses nach WALDEN’ von dem entsprechenden Petroleumdestillat recht verschieden ist, hat Waren die Cholesterintheorie abgelehnt. Der Stütze, die sie bisher in Racusıns® Befunden von schwachen Cholesterinreaktionen der hoch- siedenden Erdöldestillate erblicken konnte, ist durch die erwähnte Er- scheinung am Kunstprodukt aus Ölsäure und d-Valeriansäure der Boden entzogen. Die Menge optisch aktiver Fettsäuren, die durch Fäulnis ent- stehen können, ist beträchtlich; aus manchen Proteinen können allein bis 20 Prozent d-Capronsäure (aus Isoleuein) sich bilden. Bedenkt man, daß trotz der gewaltsamen Reaktionen, wie sie in den ange- führten Experimenten vorliegen, und trotz der absichtlichen Anwendung 1 Z. B. drehte ein gereinigtes Destillat im ganzen = -+ı°10'; die Fraktion bis 125=+0°2; die von ı25 bis 230°°—=+0°5; die von 230 bis 320°—= +0°7 (stets im 2-Dezimeter-Rohr beobachtet). Die natürliche Naphtha zeigt nach Racvsın (Journ. d. Russ. Physik.-Chem. Ges. 36, 554, 1904) entsprechende Drehungswerte von +0°2 bis 223. ® J. Marcvsson, Chemikerzeitung 1906, Nr. 65. ® P. Waren, ebenda 1906, Nr. 93. * M.A. Racusın, ebenda 1906, S. 1041. 454 Sitzung der physikalisch-mathernatischen Classe vom 16. Mai 1907. einer nur sehr kleinen Menge optisch aktiver Valeriansäure ein relativ stark drehendes' Petroleum künstlich erhalten wird, so kann man an der Anteilnahme der schwerlöslichen, drehenden Fäulnissäuren an der natürlichen Naphthabildung aus tierischem oder pflanzlichem Material nicht gut zweifeln. Tatsächlich führten die Versuche über die gleichzeitige Umwandlung einer gewöhnlichen Fettsäure und einer drehenden Fäulnissäure zu einem Produkt, das hin- sicehtlieh der Zusammensetzung, der Reaktionen und Ver- teilung der optischen Aktivität dem natürlichen Erdöl völlig gleicht. Das Petroleum ist als Rest einer ehemaligen Flora oder Fauna ein biologisches Dokument von hohem Interesse. Die der Naphtha- bildung voraufgehende Umwandlung von Eiweißspaltungsprodukten in Fettsäuren, die desamidierende Hydrolyse, ist ein Vorgang, der auch für die Stoffwechselprozesse der Organismen in Betracht kommt. Sie hängt aufs engste mit der Frage der normalen Bildung von Fett aus Proteinen zusammen, ferner mit der Frage des Eiweißabbaues beim Diabetiker, der Entstehung von Aceton sowie von B-Oxybuttersäure u.a. Deshalb sind die Produkte der Eiweißfäulnis einer erneuten Unter- suchung” unterzogen worden. Aus dieser seien hier nur folgende Punkte mitgeteilt: a) Die bei der Fäulnis (von Casein) auftretenden Säuren haben im Gegensatz zu den früheren Annahmen vielfach nicht normale Struktur, sondern eine verzweigte Kohlenstoffkette. Das gilt besonders von der Valeriansäure und Capronsäure. Neben den Säuren: CH, CH, : . >CH—CH,— COOH und »CH— CH, — CH,— COOH CH, GET sind auch die optisch aktiven Isomeren: CH, f CHR 3 »CH— COOH und >CH—CH,— COOH CHE G.H% zugegen. b) Unter den Fettsäuren aus gefaultem Casein überwiegt die nor- male Buttersäure, die ungefähr ein Drittel der gesamten Säuren aus- macht. Die entsprechende Aminosäure, die n-Aminobuttersäure, kommt nicht unter den Spaltungsprodukten des Caseins vor; die Buttersäure ! Bei Benutzung von Ölsäure plus 5 Prozent ihres Gewichtes an d- Capronsäure ist das künstliche Erdöl noch stärker drehend. 2 Diese wird nebst allen experimentellen Daten der im vorhergehenden beschrie- benen Versuche später an anderer Stelle mitgeteilt werden. C. Neugers: Die Entstehung des Erdöls. 455 entsteht durch Desamidierung und CO,-Abspaltung aus der Glutamin- = 1 säure': COOH—CH,—CH,— CH. NH,— COOH = C00H—-CH,—CH,—CH.,. c) Allem Anschein nach treten ferner kleine Mengen von optisch- aktiver Caprinsäure sowie von drehenden fettaromatischen Säuren auf. d) Auch an den Säuren aus gefaultem Leim wurde das Vor- kommen von optisch aktiven Isomeren mit verzweigter Kohlenstoff- kette festgestellt. Die große Bedeutung der stereochemischen Forschung für das Verständnis biologischer Erscheinungen tritt hier wieder zutage; sie verknüpft zwei scheinbar völlig verschiedene Vorgänge miteinander, die prähistorische Erdölbildung und die Umwandlung der Eiweißstoffe durch Fäulnis. ! Da sich Aminobuttersäure höchstens in Spuren am Aufbau der Proteine be- teiligt, ist gerade die erwähnte Entstehungsweise der Buttersäure aus Glutaminsäure von großer Bedeutung für die Bildung von Aceton und B-Oxybuttersäure im Organis- mus, welche über die Buttersäurestufe erfolgt. Ausgegeben am 30. Mai. Sitzungsberichte 1907. 46 457 SITZUNGSBERICHTE _ 1907. XXV. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 16. Mai. Sitzung der philosophisch-historischen Classe. Vorsitzender Secretar: Hr. Dies. l. Hr. Rorrne las über altdeutsche Worte mit langer Wurzel- und kurzer Mittelsilbe. (Abh.) im Auschluss an die Darlegungen vom 16. Juli 1903 wird namentlich an alt- hochdeutschem Material gezeigt, dass der scheinbare Widerspruch zwischen der metrisch erschlossenen Betonung hatusida, sälıda und den westgermanischen Synkopeerschei- nungen sich löst, wenn Ahausıda zu Grunde gelegt wird. Die Betonungsausgleichung der produetiven Bildungssilben, die schwachen Präterita ohne Bildungsvocal, vor Allem die Ekthlipsis (leitita > leitta, heriro > herro) und andere Momente wirkten zu dem sprachlichen Ergebniss zusammen. Ein Excurs behandelte Ekthlipsis zwischen ver- schiedenen Worten (mine nächgebüren, ahte du), die im mittelhochdeutschen Versbau eine grosse Rolle spielt. Die Betonung Era ist wohl erst entstanden, als viele ursprünglich dreisilbige Worte zweisilbig geworden waren, aber den im dreisilbigen Wort berech- tisten Nebenton beibehalten hatten. 2. Hr. F.W.K. Mürrer legte eine Mittheilung über »Die persi- schen Kalender-Ausdrücke im chinesischen buddhistischen Kanon« vor. Er wies nach, dass diese vor Kurzem von Huser aufgefundenen Glossen nicht neupersisch, sondern soghdisch sind. Im Anschlusse daran wurden die authentischen Formen der soelıdischen Monats-Namen, die wir bisher nur aus Al-Berüni kannten, aus drei manichäischen Fragmenten mitgetheilt. 3. Derselbe machte eine vorläufige Mittheilung über die Auf- findung buddhistischer Texte in einer neuen, vorläufig proto-uigurisch genannten Schrift und soghdischer Sprache. *4. Hr. Dies legte eine Mittheilung vor über ein antikes Ex- emplar der »Sprüche der sieben Weisen von Sosiades«. Die von F. W. Hastuck in dem Journal of Hellenie Studies XXVIl 1, 62 veröffent- lichte kleinasiatische Inschrift aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. ist die älteste Fassung der »Sprüche der sieben Weisen«, die Stobaeus unter dem Namen des Sosiades und andere byzantinische Fassungen anonym vollständiger erhalten haben. Es ergibt sich hieraus eine Anzahl von Verbesserungen und Ergänzungen der erwähnten Veröffent- lichung. Die Tafel ist vermuthlich im Schulunterrichte verwendet worden. 46* 458 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 16. Mai 1907. Die „persischen“ Kalenderausdrücke im chinesi- schen Tripitaka. Von F. W.K. Mürtzr. Hierzu Taf. VI. IR dem soeben erschienenen Band VI Nr. ı—2 des Bulletin de l’Ecole Francaise d’Extr&eme-Orient, Hanoi 1906 teilt E. Huser unter dem Titel »Termes persans dans l’astrologie bouddhique ehinoise« die »per- sischen« Namen der Planeten und Wochentage in chinesischer Um- schreibung mit. Es ist ihm gelungen, in astrologischen Werken des 8. Jahrhunderts n. Chr., die im chinesischen Kanon enthalten sind, eine interessante Glosse aufzuspüren, die außer den iranischen Namen den Beweis enthält, daß diese in China fremdartige Wocheneinteilung auf die Anhänger des Mäni' zurückzuführen ist. Die folgenden Zeilen sollen in ergänzender Erläuterung des Prof. Huser zu dankenden Materials nun zeigen, daß die in der chinesischen Verhüllung verborgenen iranischen Wörter nicht neupersisch sind, wie Hvser annimmt, und zugleich der Veröffentlichung eines Kalender- bruchstücks dienen, welches die Tätigkeit der Manichäer als Vermittler zwischen west- und ostasiatischem Wissen beleuchtet. Es mögen zunächst die in Frage stehenden chinesischen Zeichen nebst Transkription folgen (s. folgende Seite). In dieser Liste fällt auf, wie unvollkommen Mihr und Bahräm in der chinesischen Umschreibung wiedergegeben sind. Hırra und ScHtesEeL haben gezeigt, wie gut verhältnismäßig sich fremde Namen aus den chinesischen Transkriptionen rekonstruieren lassen, wenn man die altertümliche Aussprache der südchinesischen Mundarten bzw. des 1 RE JE » Mo-mo-ni« ist schon 1904 von Perrıor richtig als Transkription des manichäischen Mär Mäni erklärt worden. Vgl. Bulletin (s. o.), Bd.1V, S. 760. — Die koreanische Aussprache dieser Zeichen, die eine ältere Lautstufe widerspiegelt, ist Mal Ma-ni. Kantonesisch: Mut Mo-ne. Mürrer: Die »persischen« Kalenderausdrücke im chinesischen Tripitaka. 459 Pekinesische | Kantonesische Hakka- | Koreanische Aussprache: Aussprache: Aussprache: Aussprache: BerEn lung: E (oder er) mi | mit | mit (met) mi Mihr (Sonne) 210 mok mok mak: Mäh (Mond) DER yün-han wen-hon yun-hon | un-Aan Bahräm (Mars) ti (hsi) ‚dit eit (hi) | yel Tir (Merkur) an oder } wen-mo-sö wun-mut-si wun-mut-si \ on-mol-sä l On s Rt D | ee | & F a rmuzd (Jupiter) 3 odeı ( na-cie na-k'it na-kiet na-hil Nähtd (Venus) 3% EN — —_ —_ na-hel \ y2 oder di-huan kai-wun ke (kai)-fon (man) | kyei-oan ! Köwän (Saturn) A BE äi-huan | €i- (Cat-) wun | &i- (it-) fon (yen) | ki-oan \ £ | Annamitischen, Koreanischen und Japanischen zugrunde legt. Da ist eine Form wan-hon (oder un-han) als Wiedergabe der Laute Bahräm nicht gut denkbar. Die Erklärung Husers, daß die Chinesen beim Transkribieren des persischen Wortes Bahräm = Mars einen ihnen schon geläufigen astronomischen Ausdruck = & wen-hon (bzw. un-han), der »Milchstraße« bedeutet, hätten bevorzugen müssen, ist etwas ge- waltsam. Die Sache erklärt sich einfacher dadurch, daß die aus dem Chi- nesischen zu erschließenden Formen nicht neupersische, sondern sogh- dische Worte sind'. Zum Beweise vergleiche man das nebenstehende manichäisch-sogh- dische Bruchstück M. 115, dessen Inhalt in gemeinsamer Arbeit mit Prof. Anpreas schon vor Jahresfrist festgestellt wurde. Die Umschreibung ist hier eine doppelte. Um nämlich nicht mehr als das Original über die Vokale auszusagen, ist eine Umschreibung in arabischen Lettern der in lateinischen beigegeben worden. ! Auch die in den Namen der Wochentage (Huzer S. 42) steckenden Zahlen sind nieht persisch, sondern soghdisch: in BE „ kantonesisch: iz, koreanisch: yo, ist nicht das persische yek, sondern das soghdische yz (As), "Tu (Ari). 2 = 23008 kantonesisch: /au-wo, koreanisch: ru-hoa, ist soghdisch du-wa — dwä (as). 6— Sr, kantonesisch: sho, koreanisch: su, ist nicht das persische sag, sondern das soghdische (4,u)3%. Die übrigen im Chinesischen erhaltenen Zahlen scheinen aus Gründen der Sym- metrie abgekürzt zu sein (so 4, 5) oder passen in der chinesischen Verhüllung für beide Sprachen. 460 Umschreibung: mäkh sin wunkhän _Zim tir kwi wurmazt käp näkhid ir kewan piy mir tiy mäkh bü wunk[hlän Kıy Planeten der Wochentage: (b) Mond DI (ec) Mars [d) | (d) Merkur [9] | (1 (1) App |] (e) Jupiter [}] (f) Venus [®] (g) Saturn [$] (a) Sonne [©] | (b) Mond [D] (ec) Mars [<'] Vorderseite, M. 115. Blattfragment in manichäischer Schrift und soghdischer Sprache. Die chinesischen zehn Stämme: AH EORE OEL OL DL AG (8) sin [>£] (9) Zim |[=E] 0) kui [%&] )@ [4] (3) päng) |] n tüng) | J ] ) Bu=ou [kl kit] rechte Spalte: er als o[l»] [rot:] Arm > ydıw se u mid y e> [rot:] zern Br kharyii 8 es ndk El a [rot:] "tar za kirmi < 5 B ap] [rot:] ’@p N! pasiy ee > makarä | = >» [rot:] AMirm > muryiy Bu 0, Übersetzung: Der ostasiatische zwölfteilige Tier- kreis: [I] Maus [I] Kuh [IN] Tiger [IV] Hase [V] Drache [VI] Sehlange [VII] Pferd [VII] Schaf [IX] Affe [X] Hahn Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 16. Mai 1907. Die chinesischen Elemente: 6) ie (e/ ‚elek ehe Taf. VI. 7a ungsber. d. Berl. Akad. d. Wiss. 190 Sitz »419SIAPIOA ‚yongsyonaqaopuopey] SEyosrpysos-yostpyorueg 'GIT 'M oyrosyony "eyejrdia], uoyostsoungo um osfonapsnerspuofey „usyosisaod“ org :UaTıam "MM A Ra Mürrer: Die »persischen« Kalenderausdrücke im chinesischen Tripitaka. 461 Vorderseite, linke Spalte: ee ee k.[haryolsy [>] wunkhän pi.|y] ..Ind]k J] [sk oe; [rot:] Ahürm > fir tiy kirmiy un „b wurmazt bü ’as[ pli sl-]-\ » 7» [rot:] "tar za ndkhiö kiy pasi..[y] Be ae köwin Key m[akar]d [5% SEE [rot:] dar. .[ü]g ol2l>!> A er [Ne] BENTERaN OR En ah hd. oe, Übersetzung: s : RE Der ostasiatische Die der Wocheniage: | zehn Stämme: | ?wölfeilige Tier- | chinesischen reis: Elemente: SE RR [IV] Hase ee (ec) Mars [ pasi ae „> makard IS a sr [rot:] zern 2 muryiy er, © sl küti a een [rot:] ’dta..[r] [>JP!! k...[ds] BL müs 6 [rot:] "ap ol ya le ..[m]iö le] [rot:] A..[Rär|m €[>3>] ...[Ahar]yosi [>] Übersetzung: Dieschkeslchen Der ostasiatische | Die hn Stä j zwölfteilige Tier- | chinesischen un kreis: Elemente: (7) ketng) [3] | [VII] Pferd Erde: (8) sin [=£] [VOL] Schaf +] (9) &im [-] [IX] Alte Metall: (10) ku |%] [X] Hahn [#] (1) kap [HJ] [XI] Hund Feuer: [XII] Schwein Ik] [I] Maus Wasser: [I] Kuh [>K] [II] Tiger Erde: [IV] Hase ER! Mürrer: Die »persischen« Kalenderausdrücke im chinesischen Tripitaka. 463 Rückseite, linke Spalte: wurmazl[i] - ... - [lv: [rot:] A[Alürm e>:[>] nikhid fiy hdis 012 > EN köwin bi müs er Be als [rot:] "dtar za mir kiy ydı se 2 > mäkh key mio En 7 Zi [rot:] ddrük 33\5 wunkhän _|s]in kharyösiy > ot] GE, tir Zim ndk EN es rb [rot:] "ip | wurmazt kwi kirmi FE ER 23 [Ende] Übersetzung: aueten | Des iechen en ie der Wochentage: zehn Stämme: en Mniene (er JupitersPtl | 25220... 02, I REINE. IP EN | | | Erde (£) Venus @] | (4) &ng) [|J] , [XU] Schwein | [+] (g) Saturn [hl (5) Bu [IK] [I] Maus | | | Feuer (a) Sonne [OD] | 6) Kk|d] | [MT] Kuh 1 Sek] (b) Mond [DI] | (7) keing) [BE] [I] Tiger | | | Holz (ce) Mars [9] | (8) sm [>£] | [IV] Hase I" [ART (d) Merkur [7] (9) Zim |] [V] Drache | | Wasser: (e) Jupiter [4] (10) Aui |] ' [VI] Schlange IK] Aus diesen mehr oder weniger lückenhaften Reihen lassen sich demnach die folgenden Serien lückenlos wiederherstellen: 1. Die Namen der Planeten. mir, mäkh, wunkhän, tir, wurmazt, ndkhid, kewän. Vgl. hierzu die S. 459 gegebene Transkription in chinesischen Charakteren und die Umschreibungen auf Grund der südchinesischen 464 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 16. Mai 1907. Dialekte und des Koreanischen. Zu wunkhdän vgl. die Bemerkungen von AnprEAS und MArQuArRT über voroSrayna- usw. in Hüsscnmanns arımenischer Grammatik 1897, S. 509. Der Name des Gottes Ormuzd ist sonst in den soghdischen Texten Anirmazid (b;j3>), nicht wurmazt. 2. Die Namen der fünf (chinesischen) Elemente. ’ip, "dtar, ddrüg, zern, klirm. 3. Der zehnteilige chinesische Zyklus. kap, ir, ping], ting]|, vu, ki, kelng]. sin, Zim, Kui. 4. Der zwölfteilige (chinesische) Tierkreis. müs, ydı, miö, kharyösi, ndk, kirmi, ”’aspi, pasi, makard, muryi, küti, kds. Zur Bedeutung der soghdischen Wörter sei bemerkt, daß sie — abgesehen von dem bekannten iranischen Sprachgut aus der Auf- zählung in den obigen festen Serien erschlossen werden konnte. So khworm in der Reihe der Elemente. Miö für Tiger ist wohl als chi- nesisches Lehnwort aufzufassen: jj = Katze, alte Aussprache: myo (koreanisch), neo (annamitisch), mau (pekinesisch). Ndk = Drache ist wohl der indische Näga. Makard — Affe dürfte ebenso aus dem Sanskrit stammen. Äußerlich zwar —= makara (Meerungeheuer) ist es eher = markata (wovon auch unser »Meerkatze«). Bei der Wiedergabe der obigen chinesischen Wörter in mani- chäischer Schrift sind die sich ergebenden alten Lautformen des Chi- nesischen bemerkenswert. So HI durch kap, in Peking jetzt dia, Korea: kap, Annam: giap, Japan: kapu (jetzt kÖ ausgesprochen). Ferner Z dureh ir. Vgl. dazu koreanisch': i/, annamitisch: et, japa- nisch: ii), ou) (jetzt üdsi, otsu ausgesprochen). Auffällig ist in der manichäischen Transkription ferner die Aus- lassung der Nasale in den Wörtern ping, ting, keng, genauer: pin, tin, ken. Dieser Nasal wird sonst in den manichäisch-türkischen Texten durch n+g oder n+n-+g wiedergegeben. Vielleicht konnte aber eine eigentümliche Nasalierung nicht ausgedrückt werden wie in den Fukiendialekten ö oder ein palataler Laut wie im Annamitischen, worin die genannten Wörter lauten: bit, din, kan. ! Die koreanische Buchstabenschrift wird ja jetzt für verhältnismäßig jung an- gesehen (15. Jahrhundert), teilweise auch ihre indische Abstammung geleugnet. Val. z.B. Gare, A Korean-English Dietionary 1897, S. VI. Jedenfalls bleibt die Tatsache bestehen, daß sich in der koreanischen Buchstabenschrift eine recht altertümliche, gut init der japanischen und der weit abgelegenen annamitischen Tradition übereinstinnmende Aussprache des Chinesischen erhalten hat, die jetzt auch von Mittelasien her unter- stützt wird. Mürter: Die »persischen« Kalenderausdrücke im chinesischen Tripitaka. 465 Anhang. Im Hinblick auf die Wichtigkeit der Sache möchte ich hier, ohne den ausführlichen soghdischen Studien des Hrn. Prof. AnprEAs vorgreifen zu wollen, kurz die authentischen Formen der viel be- sprochenen soghdischen Monatsnamen, die wir Berunı verdanken, aus drei soghdischen Fragmenten mitteilen: Al-B&rünis Angabet: Transkription in arabischen Let- Transkription®: oe ö I tern der Angaben der manichäisch- soghdischen Fragmente: M.148: | M.59: | M.1At: I. 3»,27> 3» Nausard er! 2. >> Jirjin an» nm» 3. I, Nisanaj a | 4. SU, Ju Basäkanaj aa | /y-\ 5. [ja>t2ı Ashnäkhanda | ll eu 6. m >, 2% Mazhikhandä au ı eis 7. sw, Js Faghakän eu | | ex 8. Au Abhänaj eu | 9. & Fügh &>. > 10. gr Marsäfügh 2 des ec re II. a5, 4£5 Zhimadänaj Zt) | X) 12. 0 Khshum ae | IN > Demnach lauteten die Namen etwa: Nausard(ij), khirzan(ij) oder khürzan, nisan(ij), ndäsik, snäkhant(ij), v v yazindn(j) oder khazdndn(j), Bayakän(j)*, däbän(j), Büylij), mistüyli), Zimat(ij), khsüm(ij). ! Vgl. Sacnau, The chronology of ancient nations, an English version of the Arabie text of the Athär-ul-bäkiya of Albirüni, London 1879, S. 82, 56. Vgl. a. S. 384. ®? Ebenda S. 221. ® So richtig auch Marquar'r, Untersuchungen zur Geschichte von Eran II, 1905, S.198: Vayakän. 466 Bruchstück einer Sanskrit-Grammatik aus Sängim Asiz, Chinesisch-Turkistan. Von Dr. E. Sıre in Berlin. (Vorgelegt von Hrn. Pıscuer am 25. April 1907 [s. oben S. 375].) Hierzu Taf. VII und VIII. Der im folgenden behandelte Sanskrit-Text bildet einen der vielen wunderbaren Funde vox Lr Coo’s in der Umgebung von Turfan, Chi- nesisch- Turkistan. Während nämlich alle bisher aus Zentralasien be- kannt gewordenen Sanskrit- Texte buddhistischen oder medizinischen Inhalt hatten, behandelt das vorliegende Bruchstück Grammatik. Es handelt sich um vier doppelseitig beschriebene Blätter in Brahmı- Schrift, die vom Finder als TI, Sı4 bezeichnet wurden, und nach seiner gütigen Mitteilung »aus der Schlucht von Sängim Agiz' aus einem Schutthaufen (gänzlich zerstörten Stupa) auf dem rechten Ufer des Flüßchens gegenüber dem Naksatra-Tempel« stammen. Das Material ist gelbbraunes, bzw. durch die Zeit braun gewordenes Papier, nieht besonders diek und schon außerordentlich zermürbt. Die Form ist die indische Pothi-Form, 24 em lang, 6 cm breit, mit einem Schnürloch auf der linken Seite. Gleichwohl waren die Blätter, als sie von Le Coo fand, in der Mitte zusammengefaltet, woraus sich die vielen Beschädigungen in der Mitte erklären. Auch die Ränder haben häufig gelitten. Vom 4. Blatt fehlt auf der rechten Seite ein beträcht- liches Stück, auf dem in jeder Zeile durchschnittlich 8 Aksaras ge- standen haben müssen. Jede Seite enthält 5 Zeilen zu etwa 40 Aksaras. Die Blätter waren auf der Mitte des linken Randes der Rückseite paginiert, aber die Zahl ist nur auf dem einen, wie der Inhalt erweist, dem 2. Blatte, noch vollständig erhalten; auf dem ı. Blatt ist nur ! Bei Grünwever: Sengyma’uz, vgl. dessen »Bericht über archäologische Arbeiten in Idikutschari und Umgebung im Winter 1902/o3«, Abh. d. Kgl. Bayr. Akad. d. Wiss. 1. Kl., 24. Bd., Abt. ı (München 1906), S. 142ff., s. aber F.W.K. MürLer, Neu- testamentliche Bruchstücke in sogdhischer Sprache, Sitzungsber. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1907, S. 261 Anm. 3. E. Sıes: Bruchstück einer Sanskrit-Grammatik aus Sängim Agiz. 467 noch die Zehnzahl erkennbar, auf dem 3. ein Stück von der 4, auf dem 4. sind die Zahlen ganz weggerissen. Da das 2. Blatt die Zahl 13 zeigt und die Blätter inhaltlich einander folgen, haben wir also die Blätter 12—ı5 des Buches vor uns, was auch dem, was als voraufgegangen anzunehmen ist, entsprechen würde. Die Brahmı-Schrift unseres Manuskriptes gleicht am meisten dem Duktus, den Horrxre' als Central Asian Slanting bezeichnet. WEBERr- Mss. Nr. 5 und 6 und MacArrsey Set ı Nr. 2, die in diesem Duktus geschrieben sind, wurden von Horte” für das 5. Jahrhundert p. Chr. bestimmt. Wir wissen indessen nicht, wie lange sich dieser Schrift- typus in Zentralasien erhalten hat. Selbst die Blockdrucke” zeigen noch den gleichen Duktus. Für die Zeitbestimmung unseres Manu- skriptes kann also die Schrift nur geringen Anhalt geben. Nach An- zeichen, die andere Funde bieten, scheint man an den Anfang der Thang-Dynastie, also 7. Jahrhundert, denken zu dürfen. Einige Zeichen verdienen besondere Erwähnung, teils wegen ihrer eigenartigen Form, teils weil sie bisher noch unbekannt bzw. noch nicht richtig gelesen waren. 14° ı findet sich Smal anlautendes ?. An Stelle der bekannten pyramidenförmig angeordneten 3 Häkchen des anlautenden i (s. z. B. Taf. VII, 14° 4 u. 5) haben wir je ein Häkchen zu beiden Seiten eines in der Mitte stehenden r-artigen Zeichens, das wunderbarerweise 4mal mit einem nach links über den Rand hinaus- ragenden Längsstrich versehen ist, 4mal nicht‘. Anlautendes r’ findet sich z2mal, nämlich 12° 2 [3] rnnebhyas und ı5’ı[ı3] rfo. Ich habe diese Form des r, die dem Grantha-r merk- würdig ähnlich sieht, auch in der Inschrift aus dem buddhistischen Tempel der Klosteranlage Bäzäklik bei Murtuk gesehen, dessen Wand- gemälde nach Berlin gekommen sind, woselbst sie nach ihrer Auf- stellung den Glanzpunkt der vo Le Coo’schen Sammlung bilden werden. Bisher kannte man nur das Zeichen, welches wie ein r+r aussieht‘. ı Siehe J. A.S.B. 70 (1901) P.ı, Extra Number ı Table Il. ® Siehe ebenda. ® Siehe Pıscaer, Bruchstücke des Sanskritkanons der Buddhisten aus Idykutsari, Chinesisch - Turkestäan und Neue Bruchstücke ..., Sitzber. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1904, S. 807 fl. u. 1138ff., Srönner, Sanskrittexte in Brähmischrift aus IdikutSahri, Chinesisch- Turkistän II, ebenda S. 13 10ff. = RT oder “14: Vgl. das? der Bower-Mss. bei Bünrer, Tafeln zur Indischen Palaeographie T. VI, 4 1. & ° Siehe Hoernte a.a.0. App. S. ıf. und Faesimile Reproduction of Weber Mss., P.IX and Macartney Mss., Setrb. Caleutta 1902, S. ıf. 468 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 16. Mai 1907. — Mitth. v. 25. April. Anlautendes aö muß als letzter Buchstabe auf 14° 2 gestanden haben, ist aber leider nicht mehr zu erkennen. Anlautendes 0! findet sich 12” 4 [46] odantäd. Es steht hier zwar fälschlich für «, daß das Zeichen aber o zu lesen ist, darüber kann kein Zweifel sein. Es findet sich häufig in uigurischen Worten (dort natürlich — 6) in einer Sanskrit-uigurischen Glosse” der Sammlung von Le (og. Auch in den von Lrumann” und HorrkseEr* behandelten Texten in einer bisher unbekannten Sprache kommt es vor. Lrumann liest den Buchstaben noch als Aha’, während sich Horrnte für yd ent- schieden hat. Anlautendes au" steht 13° 2 [62] in aupamya°; ein selbständiges Zeichen war dafür bisher noch nicht bekannt, sondern nur das a mit den au-Strichen, s. Horrnte, J.R.A.S.B. 70 P. ı Extra-Nr. ı, Table II. Das Zeichen für den Upadhmanıya, der sich in unserem Text ebenfalls mehrfach findet (s. u.), ist schon aus dem von Pıscneın be- arbeiteten Blockdruck bekannt (s. a.a. 0. S. Sıı). Zum Jihvamulıya s. u. S. 470. Das von anlautendem &% sonst nicht zu unterscheidende ru wird hier durch einen kleinen Strich nach rechts differenziert, s.z.B. 13° 2 [61] Omäder urau, 13° 5 [4] purusanam. Eine merkwürdige Ligatur bildet das Aksara rbhi’ in garbhinyam 7203] 3W]: Die einzelnen Aksaras sind schwarz auf bzw. unter Linien ge- schrieben, die noch rötlich durchschimmern. Auch der linke Rand und der Platz für das Schnürloch sind mit roten Linien abgegrenzt. Trotz dieser äußerlich auf das Ms. verwendeten Sorgfalt und trotz- dem es Grammatik behandelt, wimmelt es geradezu von Fehlern, wie wir das freilich in den zentralasiatischen Mss. nicht anders gewohnt sind. Die Schreiber verstanden eben die Sprache nicht, die sie schrieben. Besonders schlecht sind die Vokale behandelt, wie die folgende Liste zeigen wird. ?2 Ganz ähnlich der von Srönner, Sitzber. 1904, S. 1288ff. publizierten. 3 Über eine von den unbekannten Literatursprachen Mittelasiens. Zapiski Imp. Akad. Nauk, VIII. Serie, T.4 Nr. 8, St. Petersburg 1900, S. 10. * Siehe J.A.S.B. 70 P. 1, Extra-Nr. ı App. und Facsimile Reproduction. 5 Siehe jedoch a.a.0. S. ıo Anm. I2. u LR. offenbar die Länge vom o. E. Sıeg: Bruchstück einer Sanskrit-Graminatik aus Sängim Agiz. 469 d für @: mandukat ı2" 4|ı7], kamukan ı2” 3 [36]', ced akhya 12°5 [50], ersakapi 13*1ı [53], rayata ebenda [54], anta ebenda [56], (kri)yabhavo ı 3” ı [9], paroksa ebenda [13], °karanavatyas ca ebenda [14], tam ı4°2 [26], antam ebenda, tasathe ı4” ı [30], siyastam 14” 3 [31], Sdaridrabhyas ı5” 3[19]. @ für d: wvadya 12° 4 [19], jatir ayo ı 3° ı [55], yasam 14" 2|31], karmanas ı5°4[4]. & für e: anta ı3” 5[24]. e für «: (sya)nte 15° 2[33]. & für z: vatandi ı2°5 [20], kritat ı2” 5|[5ı], astrita ı3°1[55], Onatite ız’ ı[ı2], as ı3’2[15], saptamö 13” 5 [25], pamcanı 14°2 [26], svastanö 14°5 [30], a 14° 2 [31], Zyadini ı4° 4 [32], dha- visyanti ebenda, dyadini 14" 5 [33], cekröyite 15” 2 [14], bhöhri® ı 5’ a[21]. v für &: de ı4"3 [27], sahtane 14° 4 [32]. © für e: eyi ı2*1 [2], san ebenda [4], dahuvriht 12° 3 [7], ersakapt 13° 1[53], Jar ebenda [55], jaar 13° 2[58]. e für i: namne 13" 5][5]|; wahe ı4*"1 [25], sivahe, stmahe 14° 3 [31]. ? für e: Ochilpe ı2°4 [42]. % findet sich richtig in bhuuta° ı3” ı [14] und an uta 13" 2 [59], falsch für & in asbhudo ı 5" 4[23], sonst steht regelrecht & für @: yunas ı2" 3 [13], Omandukat ı2*4 [17], bahuerihyudhasau ı2* 5 [24], °purco° ı2” 2 [35], °purvät ı2” 5 [s5ı], putakratu ebenda [52], °suta® ı3* 1 [54], Omäder urau ı13*2 [61]. ü für o: dhatur ı5*4 [4]. 0 für ü: odantad ı2°4[46]. e für ai: Oreca ız3*"1[52]. e für o: (afi)seg ca 13’ 3 [19]. o für au: anumato 13°2[18], °bhrdo ı5’4[23]. au für o: vanau 12°2 [4], padau ı2° 3 [10], udhasau 12"5 [24], °yogaupa° ebenda [25], nasikaudara® 12” ı [28], gaunäad ı2” 3 [39], dhucau 12” 5 [48], wrau 13° 2 [61]. Konsonantenverwechselungen habe ich folgende notiert: n für n: sani 12*1 [4], san ı5" 5 [25]. » fürn: @yanı 12*4 [16]. s für $: sakhyasisvos ı2” 5[49]. st für sth: sasta in der Unterschrift ı 2° 2, sistam 14° 3 [31]. s für $: sapha° ı3°2 [61]. sth für st: catusthayam in der Unterschrift 13*3. Diese werden wegen ihres ähnlichen Klanges auch in indischen Sanskrit-Mss. häufig verwechselt, die folgenden er- klären sich aus ihrem ähnlichen Aussehen in der Brahmı-Schrift”. d für t: avadya 12" 4|19], anidas ı5’5 [25]. g für $: gvastanya 13” 2 [15]. y für gh: layor ı5’ı [13]. » für bh: Osamani® ı5°2 [14]. Sonstige Fehler sind kumpat für kumbhat ı2” 4 [43], bahvadıbhyam für °bhyalh) 12° 5 [47], manusa® für manusya°® ı3*2 [58], adam für U sthalat für sthalat ı2b 3 [38] ist wohl nur ein scheinbarer Fehler; wahrschein- lich ist das Längezeichen aın /a nur auf die Silbe stha gerückt, weil es dort nicht Platz fand. Ich habe die gleiche Erscheinung, die übrigens nach Dr. SıesLines Mit- teilung im Tibetischen häufig sein soll, schon. auf der obenerwähnten Sanskrit-uigu- rischen Glosse beobachtet; auch die eigentümliche Form des Hakens (s. Taf. VII) scheint dafür zu sprechen. ® fund r sind nur in tu und nu (s. z. B. dhatur va 15%4 [4] und anupa° 12% 3 [t1]) ce und » überhaupt nicht zu unterscheiden. A7TO Sitzung der phil.-hist. Classe v. 16. Mai 1907. — Mitth. v. 25. April. adab ı3°5 [8], ta für tam! ı4"2 [26], athas für atham” 14° 4 [27], tästhat für tasthas ıa” ı [30], söstam für sısthas 14’ 3 [31], sayastam für Ostham ebenda, syara und syama für syavas und syamas 14’ 5 [32]; kriyatti für kriyati 14" 5 [33], syata für syat ı5° 1 [33], !(opa)m für lopa(}ı) ı5P ı [12], cekriyite für Otam ı5” 2 [14], bhado für °bhuvau 15”4 [23]. Sidaksan für sidantan 15” 5 [25]. Auch Auslassungen sind zu konstatieren: anuparjanät für anupasar- jJanat ı2° 3 [11], anuprajyate für anuprayujyate ı5” 4 [22], yatam fehlt zwischen y@t und yus 13" 5 [25], a zwischen yama und zyatam 14° 125]. Fälle wie anubandhatei für Cdhat tv T ı2*3 [9], "topadhatu für Sfopadhat tu 12”4 [45] und Sidaksanamyu° für Sidantan namyu° 15" 5 [25] sind nur Beispiele einfacher Schreibung für doppelte. Verdoppelung des Konsonanten nach r” habe ich nur in varita- mäand ı3”ı [11] gefunden. Eine besondere Besprechung verlangt die Behandlung des Visarga und des Virama. Der Visarga wird vor unverbundenen Zischlauten dem Zisch- laut assimiliert‘, d. h. er wird vor $ zu $: anidas sid° ı5” 5 [25], aber in valopa Svasurasya 13* 3 [64] und bhavisyantyasi-geastanya, verschrieben _ für svastanya ı3”° 2 [15], wird er weggelassen, offenbar weil dem Si- bilanten der Halbvokal folgte’. Vor s zu s: taddhitadhyäyas sasta(h) in der Unterschrift 12° 2 und vor s zu s: Cdhyayas saptama(h) in der Unterschrift 13° 3, sad adyas särva® 15° 2 [34], °kidbhyas san 15" 3 [2], @yis salo® 15° 5 [8]. Vor p tritt dafür der Upadhmanıya ein®: na yroh pada° 12*1 [5], duhituh putro 13° 1 [54], prathamah päada(h) in der Unterschrift 15° 3, pratyayah para(h) 15" 3 [1], aber para puru° für parah puru 13° 5 [4]. Vor %k sollten wir analog den Jihvamülıya erwarten’; danach müßte also 13” 2 [16] samjnabhih kala°® gelesen werden, und in der Tat habe ich dieses wie v© bzw. ce aussehende Zeichen in einem anderen Ms. der Sammlung vox Le Coo in dem Worte dulıkham angetroffen. Ein 2. Fall läge ı5”4 [22] vor, wo wir entsprechend @mah kra er- warten sollten, das Aksara hinter dem ma könnte aber eigentlich nur ! Es folgt ia. 2 Es gelıt /hAas vorher. ® Siehe WAckErnAGEL, Altindische Grammatik I $ 98a, Pänini 8. 4. 46 ff. * Siehe WAckERNAGEL ] $ 287a, Kätantra 1.5.6. 5 Siehe WAckERNAGEL 1 $ 287c. % Vgl. Pıscner, a. a. O. S. 8ır; WAckERNAGEL I $ 226, Kät. 1.5.5. ? WAcKERNAGEL 1 $ 226, Kät. 1.5.4. 8 — hka. E. Sıes: Bruchstück einer Sanskrit-Grammatik aus Sängim Asiz. 471 itrr gelesen werden; vermutlich haben wir nur lässige Schreibweise für kr, und der Visarga ist vor dem tonlosen Laut ausgefallen. Wo wir nämlich sonst vor tonlosen Lauten oder in Pausa Visarga zu er- warten hätten, wird er regelrecht weggelassen. Das ist eine Eigen- tümlichkeit, die ich auch in anderen Mss. der Sammlung von Lr Cog beobachtet habe. Die beiden übereinanderstehenden Häkchen oder Punkte, die wir häufig in unserem Text bemerken, und die man auf den ersten Blick für Visarga halten möchte, sind nur Pausazeichen, welche die einzelnen Sutren voneinander scheiden'. Der Virama wird durch einen Punkt bzw. ein Häkchen über dem betreffenden Buchstaben und durch einen Strich, der diesen mit dem voraufgehenden Aksara verbindet, bezeichnet. Beginnt der Buchstabe zufällig eine neue Zeile, so wird die Verbindung mit seinem Vorgänger, d. h. dem letzten Aksara der voraufgehenden Zeile, durch einen über den Rand hinausreichenden Strich an beiden Aksaras markiert (s. z. B. 13°2 und 3 “samhität). Dieses Verfahren, auf das mich Sırsume zuerst aufmerksam gemacht hat, ist aber nicht bloß eine Eigentümlichkeit un- seres Manuskriptes, es scheint vielmehr in diesem Duktus allgemein üblich gewesen zu sein. Auch in den von PıscHeL und Stönxer publizierten Blockdrucken liegt es vor, man sehe z.B. bei Stönxer, a. a. OÖ. Taf. XVII, Z. 4 därunam. Pıscnhers Annahme (a.a.0O. S. Sıı), daß bei Virama ursprünglich das Zeichen des Anusvara über und hinter den Buch- staben gesetzt wird, ist irrig, wie das reichere Material mit Sicher- heit ergibt. Der Punkt hinter dem Buchstaben hat mit dem Virama nichts zu tun, er ist an den betreffenden Stellen nur Pausazeichen. Pıscuen bemerkt selbst, daß er viel häufiger fehle, und daß dann Anusvara und Virama völlig zusammenfielen. Das ist eben nicht der Fall; denn an allen Stellen, wo Virama anzunehmen ist, findet sich auch der Verbindungsstrich. Der Verbindungsstrich ist sogar das wesent- liche, denn der Punkt bzw. das Häkchen über dem Buchstaben wird in manchen Mss. auch weggelassen und nur der Strich als Virama ver- wandt, wie das bereits Leumann” gesehen hat. Was nun den Inhalt unseres Ms. betrifft, so zeigt derselbe in seinem größten Teil vollkommene Übereinstimmung mit der bekannten Katantra-Grammatik‘. Es finden sich aber anderer- ! Wenn wir dafür auch manclımal kleine senkrechte Striche oder Kurven finden, so ist das eben auch eine Inkonsequenz des Schreibers (s. z. B. die Behandlung des anlautenden 7 S. 2), die ich nicht erst besonders aufzählen will, um nicht zu ermüden. 2 Siehe auch Srönner S. 1312. ® Siehe a. a. OÖ. S.ı5 und Ann. 16. * Siehe die Ausgabe von Esserıng in der Bibl. Ind. 1874 ff., von der noch immer der Schluß mit den nötigen Indices fehlt, sowie BörtLınses außerordentlich nützliche Zusammenstellung: Über die Grammatik Kätantra ZDMG. 4ı (1887), S. 657 ft. Sitzungsberichte 1907. 47 472 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 16. Mai 1907. — Mitth. v. 25. April. seits wichtige Unterschiede, die erweisen, daß wir trotzdem nieht Katantra vor uns haben. Die ersten 5 Sutren (von dem ersten steht allerdings nur noch die letzte Hälfte auf unserem ersten Blatt) sind mit Kät. 2. 6. 46— 50 identisch. Dann schließt das Kapitel genau an derselben Stelle wie im Kätantra, und daß es auch in unserem Text das sechste war, erweist die Unterschrift (s. 12° 2) taddhitadhyayas sast{h)a(h). Es folgt aber nunmehr in unserem Ms. noch ein 7. Adhyaya, der die Femininsuffixe behandelt, welcher im Katantra fehlt: erst dann schließt das Buch, welches wie im Käatantra ratustaya genannt wird; die Unterschrift lautet (s. 13°3—4) stripratyayadhyayas saptama(h) catusthayam samäptam. Das Folgende bis zum Schluß stimmt mit wenigen Ausnahmen wieder genau zu Kat. 3.1.1—3. 2.26. Auch der »Pada«- Schluß findet sich wieder an derselben Stelle, s. 15° 3. Im Unterschied vom Kätantra werden aber den Regeln 3. 1. 24 ff. die Personalendungen beigefügt, die im Kätantra vorausgesetzt, von Durca im Kommentar er- gänzt werden. Außerdem zeigen sich Abweichungen in den Regeln 3.2.4, 2.9 und 2.21'; ganz anders gefaßt ist die Regel, welche Kät. 3. 2. 18 entspricht, hier aber als ı9 erscheint, während Kat. 3. 2.19 in diesem Texte das 18. Sutra bildet. Näheres darüber bei der Erklärung. Ich gebe zunächst eine Umschrift des Textes. Zeile für Zeile, Seite für Seite, Blatt für Blatt, genau wie er in der Handschrift steht. Die Pausa-Häkchen bzw. -Punkte oder -Strich werden durch einen senkrechten Strich, große Pausa, dem Ms. entsprechend, durch zwei solehe Striche bezeichnet; ein fehlendes bzw. nicht mehr leserliches Zeichen wird durch einen Punkt markiert. Außerdem habe ich der Bequemlichkeit halber Sutra-Zählung eingeführt und die betreffenden Zahlen in eckiger Klammer über den Anfang der einzelnen Sutren gesetzt. In der Einzelerklärung, die ich dem Text folgen lasse, werden die Sutren nach diesen Zahlen zitiert, mit dem Katantra übereinstim- mende werden in der Regel durch einfachen Verweis auf die betreffende Kätantrastelle erledigt bzw. danach verbessert oder ergänzt. Das Kapitel über die Femininsuffixe und wo sich sonst Abweichungen vom Katantra finden, mußte natürlich ausführlicher behandelt werden. Die Beibringung von Parallelstellen war zur Ermöglichung des Verständnisses, zur Ver- besserung und namentlich auch zur Ergänzung der gerade in diesem Abschnitt recht zahlreichen Lücken unbedingtes Erfordernis, aber im allgemeinen hielt ich auch hier möglichste Kürze für geboten. Über- setzungen, die ich bisweilen beigefügt habe, sollen nur als Paraphrase 1ZUUnsicher. sind 3.7. 32, 3.2.12 nund 32221179: x - . . . Yar . u mr E. Sıes: Bruchstück einer Sanskrit-Grammatik aus Sängim Agiz. 473 angesehen werden; ein grammatischer Text läßt sich ja eigentlich kaum übersetzen, vollends wenn ihm der einheimische Kommentar fehlt. Eine Untersuchung über das Verhältnis der beiden Grammatiken zueinander und eine Hypothese über den Verfasser unseres Textes folgen zum Schluß. E] 2] ‚Bl 12° Z. ı stotvam @padya |eyi kadrvas tu lupyate karyav ava . -adesav ‚el 15] okaraukarayor api | vrddhir adau sani | na yvoh padadyo N del [2] 2.2 v-ddhir agama | | taddhitädhyayas sasta| | striya .... -yadantad Bl ‚es ‚BG 1] @p | rnnebhyas tv T vanau ra ca na sahkhyayd | Ke u] [8] 8) 2.3 .nas ca bahworthi | na yas tu d- .u...nubandhato i aan) va, [2] ent anuparjanät | närt | yunas li [z4] [fs] Gel [7] > nl A 222 ..kat| yat | präcam @yana.gama ..... rimandukät | lohitadi- [9] katantala | avadıa nel ler] Bß2]- 123] [24] Z.5 .|vatandi ca | vayasi prathame .-igo \..... -auräde | bahuvrihyu- 5] dhasau na ca | vasamyogaupadh@ [5] 7] sl 12° Z.1 .tat anas cällopi kandata näs-kaudara ... -ghadantaustha- 9] ‚bel srhgata savidyamanananpurvan na Ka B:] B33] 2. 2 . husvarat antarvato nu garbhinyam | De . bhartari | patyur B4] B5] nas ca samänäde | van a ae be B37] Z.3 nat| kamukan maithunecchayam .nägat sthaulye ale sthalat' Bs] [se] ‚be gaundd m Ki en | ama [4] 2.4 itre tu kundata | ohatze an krte kumpät | asitädes ca varnata [#5] topadhatu nakaras ca va odantad gunaväcina [7] e [48] Ä [49] 2 [5°] 2.5 | bahvadibhyam bhuvau nityam | sakhyasisvos ca | p-myogat tena ‚6 [52] ced akhya | kritat karanapurvat | putakratumano [53] 13° Z.1ı re ca| kusitägnivrsakapi du u va brahmasutabhojogra- [55] rajata | jatir ayopadhad astrita | Dkda Siehe indessen oben S. 469 Anm. 1. 47* 474 - Sitzung der phil.-hist. Classe v. 16. Mai 1907. — Mitth. v. 25. April. .2 © GE) 68] [60] [6:] ttathaiva ca | inta | manusajatir e 2 uta | pangukadruta ı sapha- [62] laksmanavamader urau | aupamyasamhitä ‚ [63] [64] t bahvantac caiva samjnayam \ valopa SvaSurasya ca | | stripra- Iyayadıyayas saptama | catustha i B-r- 1] [2] yam samäptam \ atha a | nava parany ütmane | B] trini trini prathamamadhyamottam@ ee ‚Bl 3 16] Ä -e para purusänam | nämne prayujyamäne pi.thama | yusmadi I] [8] madhyama | asmady uitama | adam- ädhau. s] [ro] [ra] le] [v3] . yabhavo dhätu | kale samprati varttamana | smenätite paroksa | en) bs] bhutakaranavatyas ca bhavi. ; h3 [1x6] [7] bhavisyantyasigvastanya | tasam svasamjnabhih' kalavisesa | prayo- [28] [rs] gatas ca pancamy anumato | a [2°] ses ca | vidhyadisu saptamt ca . ik samabhihare sarvakalesu ma- 2] dhyamaikavacanam pancamya . [23] ‚bl yoge dyatanı mäsmayoge hy yastanı ca |va.. mana | ti tas | anti | si| thas | tha | mi | vas mas te ' [25] _ ate | anta | se | athe dhve e| vahe| mahe | saptami | yat| yus | yas | yatam | yata | yam | ya. | yama | Tyatam | tran | ıthas | Tyatham | tdhvam | tya | Wwahe | ima.. [26] pamcami | tu | tam | antu | hi | ta | ta | ani | va | üma | tam | atam antam | sva | atham | dhvam N i [27] @vahai | amahai| | hyastant | di | tam | an | si | tam | ta | am | va ma ta | a. [28] . anta | thas | athas | dhvam |i| va-i | mahi | evam evadyatanı | [29] Daroksa ‚at | atus | u .-Z|athus | a | at | va|ma|e| ate | ire | se | athe | dhve e| vahe| ‚ Be] mahe | svastani | t@| .. Siehe oben S. 470. 1? 2 ı 15 - E. Sıes: Bruchstück einer Sanskrit-Grammatik aus Sängim Agiz. 475 . -aras | tasi | tasthat | tastha | tasmi | tasvas | tasmas | ta | tärau | taras | tase | tasäthe | 1a. Bst] . tahe | tasvahe | tasmahe | asi ya. yastam | yasus | yas | yastam | yasta | yasam | y@ sva | yasma | sista | sıyastam | sıran | sistam | suyastam | stdhvam | sıya Er | säma he | s oskfilenz tyadini bhavisyanti | syati | syatas | syanti | syasi_ syalhas | syatha | syami | sy@ va | syama | syate | syete | syante syase | syethe | syadhve | sye | sya- B3] vahe | syamahe | || dyadini kriyatti patti‘ syata | syatam | syan | syasi | syatam | syata | syam | syava | SYAMA. or. 0..- B4 nte | syathas | syetham | syadhvam | sye | syavahe | sy@mahe | || sad adyas s-rvadh-...... B- 2- 1] . p-akaranaprathamah pada | pratyayalı para ne: san | B] mamba se ‚Bl . Scabhyasasya | dhatur va karmanas tu ..diechatinaikakartrkat | 5] [6] MONO Or Mm [3] 19] . upamanad acare | kartur @yis salopas ca | in karitam ca dha- [ro] [ft] IL RE EN [2] Lı3] . lingasyanekaksarasyantasvarade-1- . m | rasabda rto layor [4] [15] [16] . . Scekriyite kriyasamanihare | gupu . pavicchipanipaner äya | te [e7] ANasamal| 2... [18] [:s] . am paroksayam | namyade-gurumato nrccha | asidayyayıdari- [eo] drabhyas- ....... [24] 2] bhyo va| bhihribhrhuvam särvadhätukavac ca | @mattrrn‘ anupra- [23] 4] Jyate | asbhudo ca pa.smai|....... B5] .5 san anidas Sidaksanamyupadhad adrsa | erir- srukamikäritänte- bhyas can kartari Siehe oben S. 470. 476 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 16. Mai 1907. — Mitth. v. 25. April. Die erste Regel ist die letzte Hälfte eines Sutra, das wahrschein- lich wie Kät. 2. 6. 46 (uvarna)s tv otvam @padyah gelautet haben wird. 2. Lies nach Kat. 2.6.47 eye "kadrvas tu lupyate. 3. Siehe Kät. 2. 6.48, 1. also karyav avavav ädesav okaraukara- yor api.. 4. Kat. 2. 6. 49 lautet vrddhir ädau sane, da i und e in unserem Ms. häufig vertauscht werden (s. o. S. 469) und der Terminus san in dieser Grammatik eine andere Bedeutung hat (s. 3. 2. 2), werden wir in unserem Text sani nur als Fehler für sane anzusehen haben (s. auch ZUw2.827 25): 5 ist wiederum nach Kat. 2. 6. 50 zu verbessern und zu ergänzen, l. na yvoh” padadyor? vrddhir agamah. Zur Unterschrift, 1. taddhitadhyayas sasthah, 5.0. S. 472; statt taddhi- tadhyayah hat Durga in der Unterschrift zu Katantra taddhitapadah. Das nun folgende Kapitel über die Femininsuffixe besteht nach meiner Zählung aus 64 Sütren, die sich unschwer als auseinander- gerissene Verse erkennen lassen, was für die Ermittelung der Lücken sehr nützlich wird. Im ganzen kommen ı2 Slokas heraus; doch finden sich auch Fehler, d. h. fehlende oder überschüssige Silben (s. im Verl.). Als Parallele sind herbeizuziehen vor allem Panini, der 4.1.3— 81 die Femininsuffixe behandelt, mit Varttikas, Karikas usw. und CGan- dra, bei dem der 3. Pada des 2. Adhyaya mit im ganzen 85 Sutren die Femininbildung lehrt. Regel ı wird zweifellos wie bei P.4.1.3 und (0.2.3.1 siriyam gelautet haben und muß als Adhikara für das ganze Kapitel gelten. 2. Der Anfang ist nicht mehr sicher erkennbar. Das ı. Aksara scheint aber ein a gewesen zu sein; was vom 2. noch zu sehen ist, könnte wohl ein Stück vom 7 sein; das 3. Zeichen muß eine Ligatur gewesen sein, deren letztes Glied ya ist, ich verbinde darum die Regel mit P. 4.1.4 ajadyatas tap und lese ajyadyadantad ap. »Im Fe- mininum tritt Suffix @an die Worte aja usw. und an Stämme auf -@«. 3. rnnebhyas tv ti, vgl. P. 4.1.5 rnnebhyo hip, »aber an Stämme auf -r oder -n«. 4. Kies’ mit P-4.1.7 vono Tarca. 5. Lies na sankhyayah und vgl. P. 4.1.10 na sat(svasrädibhyah); unsere Grammatik kennt nicht sas als Terminus technicus, sondern faßt sankhy@ in dem prägnanten Sinne von Kat. 2.1.75 vgl. mit P. ı. 1.24: 6. Lies, manah = P. 4.1.17: ı Bei Esseuıng ist vaukaraukara® natürlich Druckfehler. 2 Zum Upadhmäniya s. o. S. 470. 3 Das r scheint zu fehlen. E. Sıes: Bruchstück einer Sanskrit-Grammatik aus Sängim Agiz. 477 7. Vgl. P.4.1.1ı2 ano bahuworiheh, zu lesen ist also: anas ca ba- huvriheh'. 8 u.og sind leider nicht mehr sicher zu erkennen, ich vermute, daß 8 na yas tu dah gelautet hat, vgl. P. 4.1.13 dab ubhabhyam anya- tırasyam. Für die Bedeutung des Anubandha d bzw. da s. P. 6. 4.142 bzw. Kät. 2.6.42°. Der Sinn von 5—8 wäre also kurz folgender: »nicht tritt Femininsuffix an ein Zahlwort, das auf -s oder -n auslautet (5), an einen Stamm auf -man (6), an ein Bahuvrihi auf -an (7); aus- genommen ist aber (bei 6 u.7) der Fall, wo Schwund des letzten Vokals mit dem ihm folgenden Konsonanten stattfindet« (sanan und stma, bahurajan und bahuraja). Damit schließt der ı. Sloka°. Das Folgende wäre vielleicht mit P. 4. 1.6 ugitas ca zu verbinden; nehmen wir nämlich an, daß der Pratyahara u/ in dieser Grammatik so wenig wie im Katantra vorkommt, so könnten in der Lücke die 3 Buchstaben gestanden haben, die er vertritt, d.h. « (ut), r (rt) und I (lt); wir hätten also 9 udradldanubandhat‘ to ı zu lesen, was mit dem Platz wie mit dem Metrum stimmen würde: »an das, was den Anu- bandha (=P. it), d. h. indikatorisches u oder r oder / hat, tritt indessen im Femininum ?«. 10. Lies pado v@’ und vgl. P. 4.1.8 pado ’nyatarasyam. Zu pad und pada s. P.5. 4.140 und Kat. 2. 2. 52. ı1. Natürlich ist anupasarjanät zu lesen = P.4.1ı.ı4. Dieser Adhikara gilt bei P. bis 4. ı. 77. ı2. narı als Femininum zu nr oder nara wird hier ausdrücklich als richtig", d. h. nach unserer Auffassung als unregelmäßig, hin- gesetzt, s. auch Vop. 4. 26: bei P. wird es nicht direkt erwähnt, es steht aber im Gana S@rngarava zu P.4.1.73 nrnarayor vrddhis ca. 13. Dies yunasıtih" = PB. 41.77. 14. Wie diese Regel gelautet hat, vermag ich mit Sicherheit nicht zu sagen, dem Raume nach fehlen 3 Aksaras, von denen einer auf das Pausazeichen in Abrechnung zu bringen wäre. Nach dem Metrum fehlt aber nur ı Aksara; ich vermute, daß i dort gestanden hat, weil dieses einen großen Platz gebraucht (s. z.B. 13° 2 [57]). Die Regel wäre also ikät zu lesen und damit das Taddhitasuffix -ika (bei I fin e2s.70.28..400. 2 Siehe Börrrınsk, ZDMG. 41, S. 664. ® striyam ajadyadantad ab rnnebhyas tv T vano ra ca|na samkhyaya mano 'nas ca bahuvrrher na yas tu dah || * Sielie oben S. 470. 5 Siehe oben S. 469. ° Siehe Kırı.uorn, Notes on the Malıabhäsya, Ind. Ant. XVI (1887), S. 245 sub 2. Nipätana. ” Siehe oben S. 469. 478 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 16. Mai 1907. — Mitth. v. 25. April. i j P. thak bzw. than) gemeint, an welches nach P. 4. ı. 15 im Femininum 7 tritt (also aksikr, lavanikt). Kät. 2.6.8 heißt dieses Suffix ikan'. 15. nyat; Taddhitasuffix nya wird Kät. 2. 6. 2 gelehrt”: nya yar- gädeh, ein Nachkomme von Garga hat danach Gargya zu heißen. P. 4. 1. 105 gargadibhyo yan lehrt für denselben Fall Suffix yan, wir haben somit hier auf P. 4.1.16 yanas ca zu verweisen, während 16. P.4. 1.17 präcam spha taddhitah entspricht. spha vertritt nämlich das Suffix -@yana, das Kat. 2.6. 3 in der Form @yanan für kunja usw. gelehrt wird’. ayana dürfte in unserem Ms. nur Fehler für ayana sein. Das Aksara hinter dem na ist nicht mehr zu erkennen, der Anfang sieht wie s aus, vor gama aber dürfte @ zu ergänzen sein, denn ägama wird Kät. 2.1.6, 3.3.29 als Terminus technicus für Augment gebraucht‘. Unser Sutra dürfte somit wahrscheinlich pracam ayanas to äyamah gelautet haben: »nach der Meinung der östlichen Grammatiker kommt aber noch das Augment @yana hinzu«. Ein weib- lieher Nachkomme von Garga heißt also entweder Gargı (Suffix ya bzw. yan) oder Gärgyayanı (Suffix nya + @yana bzw. yan + spha). Die Regel ist bei einer dem Katantra mindestens sehr nahe verwandten Grammatik wegen Burserzs Ausführungen über die prancah” besonders interessant; daß Burserzs Ansicht über diesen Punkt irrig war, steht freilich längst fest. Damit schließt der 2. Sloka°. 17. Vgl. P.4. ı. 19 kauravyamandukabhyam ca: »ayana tritt im Femininum mit 7 auch an kauravya und mändüka«. Dazu gibt aber Kätyäyana das Varttika: kauravyamandükayor äsurer upasamkhyanam, unsere Regel dürfte also höchstwahrscheinlich kauravyasurimandukat gelautet haben, 4 Sloka, der merkwürdigerweise wörtlich bei Candra 2. 3. 21 wiederkehrt. 18. Lies lohitadikatantatah und vgl. P. 4. ı. 18 sarvatra lohitadi- katantebhyah. 19. Gemeint ist wohl @vaty@ ca, denn nach P. 4.1.75 Watyac ca + Va. 2 sind sowohl @vatya wie @vatyayant möglich. 20. P. lehrt 4.1.108, daß an vatanda das Suffix yar im Sinne eines Gotradeszendenten zu treten habe, wenn damit ein Angirasa ge- meint sei, und 4.1.109, daß im Femininum dieses Suffix zu schwin- den habe (also vätandyah, bzw. bei einem Nicht- Angirasa vatandah, Siehe Bömrriseck S. 662. Börruinek S. 664. BömrLinek S. 662. BönrrLinGok S. 660. 5 On tlie Aindra School of Sanskrit Grammarians 1875, S. 2r u. 24f. udrdldanubandhat tv ı pado vanupasarjanat|narı yunas lir ikan nyat pracam aya- nas tv agamah || » ou» - E. Sıes: Bruchstück einer Sanskrit-Grammatik aus Sängim Agiz. 479 und vatandı). Ist keine Angirası gemeint, so würde das Femininum aber als zu den lohita usw. gehörig vätandyayant zu lauten haben. Unser Sutra, 1. vatandt ca, dürfte also so zu deuten sein: »von vatanda kann ein weiblicher Nachkomme auch vatandz heißen«. 21. vayasi prathame = P. 4.1. 20. 22. Zweifellos ist doigoh zu lesen = P.4.ı. 21. Damit schließt Sloka 3'. 23. Nach dem Schluß ist an P.4. 1.41 sidgaurädibhyas ca zu den- ken. Ein Suffix mit indikatorischem s, auf welches P. sich bezieht, heißt bei P. svun, s. 3.1. 145, im Kaätantra vus, s. 4. 2. 61; ein zweites bei P. sakan, s. 3. 2.155, im Kätantra s@ka, s. 4. 4. 35°; wir dürften also vielleicht sanubandhac” ca gaurädeh zu ergänzen haben. 24. Siehe P.4.ı. 25 bahuvriher üdhaso nis. Zur Substitution von an für den Auslaut von Zdhas s.P. 5.4. 131; zu lesen ist also: bahu- vrthyudhaso na ca. 25. Vgl. P. 4.1.54 svängac copasarjanad asamyogopadhät (scil. v@). In unserem Ms. (12”ı) fehlt ein Aksara, was auch dem Metrum ent- spricht, die Regel dürfte also vielleicht so zu lesen sein: vzsamyogo’- padhangantat: » beliebig tritt im Femininum 7 an ein Bahuvrihi (Anuvrtti von 24, vgl. Va.ı zu P. 4.1.54), dessen letztes Glied ein Körperteil ist, der in der Pänultima keine Doppelkonsonanz hat« (candramukhr oder candramukhä@, aber nur suparsv@). bahuvrihi und v@ gelten weiter fort. 26. Vgl. P.4.ı. 28 ana upadhälopino 'nyatarasyam. Zum Schwund des a s. außerdem P. 6.4.134 allopo 'nah, vgl. Kat. 2. 2.53; zu lesen ist somit anas callope; »beliebig auch nach einem Bahuvrihi auf -an, wenn Schwund des a vorliegt« (bahurgjnt oder bahuraja). 27. Lies Aandatah. P.4.1ı. 23 kandantät ksetre lehrt, daß man an kända, wenn es »Feld« bedeutet, im Dvigu-Kompositum nicht Fe- mininsuffix 7 setzen dürfe, während es nach 4.1. 22, wenn es »Maß« bedeutet, auch ?7 bilden darf: hier werden beide Sutren zusammen und allgemeiner gefaßt: »beliebig tritt 7 an Aamda als letztes Glied eines Bahuvrıhi« (dvikandz [rajjuh] oder dvikanda [ksetrabhaktih]). Da- mit schließt Sloka 4°. 28. Vgl. P. 4.1.55 näsikodarausthajanghädantakarnasrngac ca, wo- nach unsere Regel so zu ergänzen sein dürfte: nasikodarakarnac ca® ! kauravyasurimandukal lohitadikatantatah | avatya ca vatandı ca vayasi prathame dvigoh | ?2 BörrLisek S. 665f. 3 anubandha für it, s. Sütra 9. ca des Metrums wegen. * Siehe oben S. 469. 5 sanubandhac ca gaurader bahuvrıhyudhaso na ca | vasamyogopadhangantad anas callope kandatah || © Des Metrums. wegen. 480 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 16. Mai 1907. — Mitth. v. 25. April. jahghadantausthasrhgatah »beliebig auch an näsika usw. als letztes Glied eines Bahuvrihi« (tunganäsiki oder tunganäasik@). 29. Vgl. P. 4.1.57 sahananvidyamanapurvac ca (seil. na), unsere Regel: savidyamanananpurvan na ist somit zu übersetzen: »nicht tritt 7 im Femininum an ein Bahuvrihi, dessen letztes Glied nasik@ usw. ist, wenn vorhergeht sa (bzw. saha'), vidyamana oder die Negation na (die im Kompositum zu a wird, s. P. 6. 3.73)«. so.WVelsB. A. 56 na krodädibahvacah, unsere Regel ist also zu ergänzen: krodadibahuscarät »nicht tritt ? im Femininum an ein Bahu- vrihi, dessen letztes Glied kroda usw. ist oder mehr als zwei Silben hat«. Schluß von Sloka 5°. 31—32. Siehe P. 4. ı. 32 antarvatpativator nuk und Va. ı: antar- vatpativad iti garbhabhartrsamyoge nebst Karika bei Patanjali: garblinyam Jivapatyam ca. Für nuk (Augment x) wird im Katantra nu gebraucht (s. 2.1.72, 2.11°); unser Text dürfte also folgendermaßen gelautet haben 31: antarvato nu garbhinyam und 32: pativatas ca bhartari: »an antarvat tritt im Femininum das Augment n mit Suffix 7 (nach dieser Regel oder nach 3), wenn es eine Schwangere bezeichnet, desgleichen an pativat, wenn pati »Gatte« bedeutet«. Bei Candra 2. 3. 28 und 29 sind die Regeln ebenfalls geteilt, aber bequemer gefaßt: antarvalnz garbhinyam und pativatnt bharyayam. 33. Vgl. P. 4.1. 33 patyur no yajnasamyoge und C. 2. 3. 30 palyur na üdhayam, unsere Regel: patyur nas ca wäre demnach zu übersetzen: »auch für den Auslaut von pati »Gatte« wird im Femininum 2 mit Suffix 7 substituiert« (patn? = Gattin). 34. P. 4.1. 35 lehrt: nityam sapatnyadısu, dazu gibt die Kasika die Bemerkung: samanddisv iti vaktavye ... Kırınorn hat Ind. Ant. XV (1886), S. ı83 ff. ausgeführt, daß die Verbesserungen und Zusätze der Kasika, die nicht dem Mahabhasya entnommen sind, größtenteils auf Candra zurückzuführen sind, und in der Tat lehrt ©. 2. 3. 33 in dieser Verbindung samamadibhyah. Unsere Regel ist also samanadeh zu lesen und zu übersetzen: »für den Auslaut von pati wird im Femininum (in jedem Fall, ohne Bedeutungsbeschränkung) » mit Suffix 7 substituiert, wenn die Worte sanana‘ usw. voraufgehen. 35. Siehe P. 4.1. 34 vibhas@ sapürvasya und Va.ı patyuh sapü- rvad upasarjanasamäsa upasamkhıyanam; unser Sutra vanyapurvopasarja- nat wäre also zu übersetzen: »beliebig findet dieses statt, wenn ihm ! Das im Bahuvrihi- Kompositum neben sa stehen kann (s. P. 6. 3. 82). 2 nasikodarakarnae ca janghadantausthasrngatah | savidyamanananpurvan na kroda- dibahusvarat || ® Böntrinsk S. 665. 4“ D.h. samana, eka, vıra, pinda, bhratr, putra oder dasa. . . x . . Red . no. > E. Sıes: Bruchstück einer Sanskrit-Grammatik aus Sängim Agiz. 481 ein anderes Wort im Kompositum voraufgeht und es dabei seine Selb- ständigkeit verliert (d.h. wenn pali das letzte Glied eines Bahuvrihi bildet)« (vrddhapatnt oder vrddhapatih). Schluß des 6. Sloka'. : U) b] B] 14 [5] eiege 36—43. Vel.P.4. 1.42 Janapada-kunda-gona-sthala-bhajya-naga-kala- M Bl [io] el) Di EL 7 Ö ndla- kusa-kamuka- kabarad vrtty- amatr@-"vapana-"kririm@-srana-sthaulıya- [7] [8] [9] [ro] [2] vornd@- 'nacchadand-"yovikara-maithunecch@- kesavesesu. Unserem 36 ent- spricht bei P. [10], zu lesen ist: kamukan maithunecchayam; 37 nagat sthaulye s. P. [6]; 38 arte sthalat” s. P. [4]: 39 1. gomnad avapane s. P. [3]; 40 pind@d anne fehlt bei P., dagegen findet es sich im Gana gaura zu P. 4.1.41, die Beschränkung der Bildung pind? für »Speise« ist ein Novum; 41 1. amatre tu kundatah s. P. [2]. Hiermit schließt SI. 7°. — 42 und 43 sind natürlich falsch getrennt, zu lesen ist 42 ghatäc chilpe' und 43 Arte kumbhät: für beide Regeln findet sich weder bei P. noch bei Candra Entsprechendes. ghat? wird Vop.4.26 als un- regelmäßig gelehrt: daß es dann aber ein Kunstwerk bedeutet, ist grammatisch neu, desgleichen kumbhr als Bezeichnung für ein Fabri- kat (s. indessen ayahkumbhr in Kasika zu P. 8. 3. 46)’. 44—45. Vgl. P. 4. ı. 39 varnad anudaättät topadhät to nah (seil. va): » Beliebig tritt im Femininum unbetontes 2 (np) an ein Farbwort, dessen Endvokal anudätta (unbetont) ist und als Pänultima ein ? hat, für das ! wird dann n substituiert« und P. 4. 1.40 anyato nis: »im andern Fall, d.h. an ein solches Farbwort, das kein ?/ als Pänultima hat, muß betontes 7 (his) antreten«. Unsere Regeln lehren im wesentlichen das- selbe in umgekehrter Reihenfolge, ohne sich, wie auch sonst, um den Akzent zu kümmern; 1. 44: asitades ca varnatah und 45: lopadhat” tu‘ nakaras ca va. Daß hier aber gerade asita als Stichwort des Ganas der Farbworte funktioniert, muß befremden: als fopadha hätte es unter 45 zu fallen, nach Va. ı und 2 zu P. 4. 1. 39 asitapalitayoh pratisedhah und chandasi knam eke nimmt es indessen eine Sonderstellung ein, die bei Candra auch in den Regeln 2. 3. 34 Syetaitaharitarohität to nah und 35 kno "sitapalität zum Ausdruck kommt. ! antarvato nu garbhinyam pativatas ca bhartari | patyur nas ca samanader vanyapurvo- pasarjanät || 2 Siehe oben S.469 Anm. 1. ®? kamukan maithunecchayam nagat sthaulye 'krte sthalat | gonad avapane pindad anne 'matre tu kundatahı | * 7 für e, s. 0. S. 469. ° Nach Prr.W. bedeutet gAat@ Bemühung, Versammlung, Menge usw., aber ghatı Topf, Krug; kumbha Hure, aber kumbhr Topf, Krug. 6 Siehe oben S. 470. " Oder to. 482 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 16. Mai 1907. — Mitth. v. 25. April. 46. Lies u'dantad gunavacinah und vgl. P. 4. 1.44 voto gunavacanät. Damit schließt der 8. Sloka*. 47. balhwädibhyäm ist sicherlich nur Fehler für bahvadibhyah, s. P. 4. 1.45 bahvadibhyas ca. Das Pausazeichen fehlt. 48. Lies bhuvo nityam und vgl. P. 4. 1.46 und 47 nityam chandasi und bhuvas ca. 49. Lies sakhyasisvos ca: »T tritt im Femininum an sakhi und asisu«, s.P.4. 1.62 sakhyasisvitibhasayam. Das Metrum ist hier nicht in Ordnung, es fehlen 3 Silben am Halbsloka. bhasayam würde ihn gerade füllen; da sich aber diese Grammatik, wie die anderen Regeln (s. z.B. eben 48) zeigen, um die vedische Sprache nicht kümmert, so wäre das Wort überflüssig. 50. Vgl. P.4. 1.48 pumyogad akhyayam, die Regel hat also pumyo- gät tena ced aklıya gelautet. 51. Lies Arztat karanapurcat = P. 4.1.50. Auch an diesem Halb- sloka fehlt eine Silbe’. 52. Vgl. P.4.1ı. 36 pütakrator ai caund 38 manor au v@', zu lesen ist also putakratumanor ai ca’. Die Bildung manavr neben manayı wird hier nicht gelehrt. 53. Vgl. P. 4. ı. 37 vrsakapyagnikusitakusidanam udattah, wonach in unserem Text kusilägnivrsakapeh zu verbessern ist. Merkwürdiger- weise ist die Regel hier nieht mit der vorhergehenden zu einer Regel vereinigt. Da sich diese Grammatik um die Akzente nicht kümmert, hätten eigentlich beide Regeln wie bei Candra 2. 3. 45° zusammen- gefaßt werden müssen; vielleicht ist also das Metrum Schuld daran, oder das Pausazeichen in unserem Ms. ist einfach zu streichen. 54. Va.9 zu P.6. 3. 70 lautet: sütograr@jabhojakulamerubhyo du- hituh putrad va: »putra kann beliebig substituiert werden für duhitr, wenn die Worte szta usw. vorhergehen«. Das Femininum von putra (putr?) ist in diesem Falle nach P.4. 1.15 zu bilden, nach einigen (s. Kasika a. a. O.) gehört putra zum Gana särngarava P. 4.1.73. Diese beiden Regeln fehlen aber in unserem Text’; unser Sütra, das natürlich duhituh putro v@ brahmasutabhojograrajatah zu lesen ist, ist also hier ! o für u s. o. S. 469, der Fehler beruht wohl auf der falschen Auflösung des Sandhi v@ + x, s. Anm. 2. ? ghatac chilpe krte kumbhad asitades ca varnatah | topadhat tu nakaras. ca voda- ntad gunavacinah || ® Für Sl. 9 würde sich also folgendes Bild ergeben: bahvadibhyo bhuvo nityam sakhyasisvos ca ... | pumyogat tena ced akhıya krıtat karanapurvat . * Bei Börrrinsk, Pänini 2. Aufl. irrtümlich ca. 5 e für ai s. o. S. 469. 6 C.2.3.45 putakratuvrsakapyagnikusitakusidanam ai ca und 46 manor au va. ? Siehe auch zu I4 und 1a. E. Sıes: Bruchstück einer Sanskrit-Grammatik aus Sängim Agiz. 483 durchaus aın Platz. drahmaputrt, das neben brahmaduhit@ gelehrt wird, ist bekanntlich der Name des Flusses; seine grammatische Erklärung ist bisher ein Novum. Damit schließt SI. 10". 55. Siehe P. 4. ı. 63 jater astrivisayad ayopadhät, 1. Jäter ayopadhäd astrttah. Dem Metrum nach ist die letzte Silbe überschüssig, was wegen der gleich (s. 56) folgenden Fliekworte Zathaiva ca besonders zu verwundern ist; vielleieht ist asi/rztah nur als Glosse für ein ur- sprüngliches astreh in den Text geraten. 56. SieheP. 4.1.64 p@akakarnaparnapuspaphalamiülavalottarapadäc ca, zu lesen ist also: pakadyantat tathaica ca. »t tritt desgleichen im Femini- num an einen Gattungsbegriff, der ausgeht auf die Worte paka usw.«. 57—58. P. lehrt 4.1.65 io manusyajäteh »i tritt im Femininum an einen Stamm auf -i, wenn er eine Gattung von Menschen be- zeichnet«. Dazu gibt Katyayana das Va.: ito manusyajäter ina upasam- khyanam, d.h. »7 tritt im Femininum an Worte, die mit dem Taddhita- suffix in (s. P. 4.2.80) gebildet sind (auch wenn sie nicht einen Gattungsbegriff bezeichnen)«. Im Katantra kommt das Suffix i2 nicht vor, dagegen wird 2.6. 5—6 in diesem Sinne das Suffix in gelehrt. Danach dürften also unsere Regeln so zu fassen sein: 57 intah: »T tritt im Femininum an einen Stamm, der mit Suffix ?n gebildet ist (auch wenn er nicht einen Gattungsbegriff bezeichnet) «, und 58 manusya°- j@er eh: »desgleichen an einen Stamm auf -i, wenn er eine Gattung von Menschen bezeichnet«. Auch bei Candra finden sich an dieser Stelle zwei Regeln, nämlich 2. 3.73 ifo nrjäteh und 74 inah, aber un- sere Fassung verdient entschieden den Vorzug, einmal weil darin die sonst fehlerhafte Wiederholung von jati (s. 55) beseitigt ist, zum an- dern, weil die Verbindung mit der folgenden Regel leichter wird. 59. Lies zn ulah = P. 4.1.66. 60. Lies pangukadrutah und vgl. P. 4.1.68 pangos ca und 71 kadrukamandalvos chandasi. Das Femininum Kadrz (Nom. propr.) wird hier mit Recht auch für die Umgangssprache gelehrt, vgl. auch (.2.3.77: bahvantakadrukamandalubhyo nämni. Damit schließt Sloka 11°. 61. Vgl. P. 4.1.70 samhitasaphalaksanavamädes ca (seil. uruttara- padat), zu lesen ist also: S’aphalaksmanavamader uro’h. — laksmana für Päninis laksana findet sich wunderbarerweise auch in der entsprechenden ! putakratumanor ai ca kusitagnivrsakapeh | duhituh putro va brahmasutabhojograra- iatah || 2 Oder manusa° > jater ayopadhad astreh (T.: astrıtah) pakadyantat tathaiva ca | into manusyajater er un ulah pangukadrutah || 2 sufürzs 800, 9..409: ° au für o ebenda. 484 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 16. Mai 1907. — Mitth. v. 25. April. Regel bei Candra (+ vrtti s. Liesıcn a. a.0.) 2. 3.79 @ror upama- samhitasahitasahasaphav@malaksmanäadeh und auch bei Vop. 4. 30 vama- laksmana°. 62. aupamyasamhität, s. P. 4.1.69 Wrüttarapadad aupamye, für samhita s. die vorige Regel. 63. Lies bäahrantac caiva samjnayam und s. P. 4. ı. 67 bähvantät samynayam. 64. valopa(h)‘ svasurasya ca, vgl. Kasika zu 4.1.68 (pangos ca): svasurasyokaräkäralopas ca vaktavyah und Candra” 2. 3. 78 panguh $va- sruh; zu übersetzen wäre also: »an $vasura tritt im Femininum zZ mit Schwund von v und a«. Damit schließt Sloka ı2°, das Kapitel der Femininsuffixe und das Buch, das den Namen catustaya, bei Durga zu Käatantra namni catustayam führt; 1. stripratyayadhyayas saptamahı | catustayam samaptam. 3.1. ı alha parasmaipadani — Kat. 3.1.1. 2. nava paräny atmane = Kat. 3.1.2. 3. Lies irmi trmi prathamamadhyamottamah — Kat. 3.1.3. 4. Lies yugapadvacane parah purusanaäm nach Kät. 3.1.4, merk- würdigerweise fehlt hier der Upadhmänıya, es muß ein Fehler des Schreibers vorliegen. 5. Lies namni prayuyyamane "pi prathamah — Rät. 3.1.5. 6. yusmadi madhyamah = Kat. 3.1.6. 7. asmady uttamah — Kat. 3.1.7. 8. Lautet im Kat. adabdädhau dä; offenbar haben wir unsern Text entsprechend zu verbessern und zu ergänzen, denn adam kann nur Schreibfehler sein. 9. Ergänze kriyabhävo dhätuh = Kat. 3.1.9. TO.2 kale— Rat 3,7. 10. 11. samprati vart(l\amana@ = Kat. 3.1.11; m wird in unserem Ms. vor Labialen bald geschrieben, bald durch Anusvara bezeichnet. 12. Lies smenättte = Kät. 3.1. 12. 13. Lies paroksa — Kat. 3.1.13. 14. Lies bhutakaranavatyas ca — Kat. 3.1.14. 15. Lies nach Kät. 3.1.15 bhavisyati bhavisyantyasıh)s 'vastanyah. 16. tasam scvasamjnabhih? kalavisesah = Kät. 3.1. 16. 17. prayogatas ca —= Kät. 3.1.17. Siehe oben S. 470. Siehe die Bemerkung zu 34. sahalaksmanavamader uror aupamyasamhitat | bahvantac caiva samjnayam_valc- pa(h) svasurasya ca || * Siehe oben S. 469. Jihvämüliya s. o. S. 470. 3 5 E. Sıes: Bruchstück einer Sanskrit-Grammatik aus Sängim Asiz. 485 18. Lies pancamy anumatau = Kat. 3.1.18. 19. Sicherlich ist nach Kat. 3. 1. 19 samarthanasisos ca zu lesen, e wird nur für o verschrieben sein. 20. vidhyadisu saplamt ca = Kat. 3.1.20. 21. Lies kriyasamabhihare sarcakälesu madhyamaikavacanam panca- myah = Kat. 3.1.21. 22. Ergänze nach Kät. 3. 1.22 mäyoge "dyatant. 23. mäsmayoge hyaslani ca = Kat. 3.1.23. 24. Lies vari(t)amana —= Kat. 3.1.24. Zu den Personalendungen hier und im folgenden s. Durga zu den entsprechenden Regeln des Kätantra sowie oben S. 472. Die Anordnung ist durch Sutra 3.1.3 bestimmt. Zunächst also die Endungen des Präsens. Parasmaip.: &, las', anti: si, thas, tha; mi, vas, mas; Atmanep.: te, ale, ante; se, athe, dhre; e, vahe, mahe. 25. Lies saptamı = Kät. 3.1.25, Endungen des Potentialis. Pa- 'asmaip.: yat, yatam’, yus; yas, yaltam, yala, yam, yäva, yäma; Atmanep.: ıta’, tyalam, tran; tthas, Tyatham, tdhvam; ya, tvahi, imali. 26. Lies pancami — Kat. 3. ı. 26, Endungen des Imperativs. Parasmaip.: fu, tam, antu; hi, tam, ta; @ni, @va, äma; Atmanep.: tam, alam, antam: sva, atham, dhwvam; ai, @vahai, amahai. 27. hyastanı = Kat. 3.1.27, Endungen des Imperfekts. Paras- maip.: dö?® (= Endung d(!) der 3. Pers. Sg., s. 3.1.33; vgl. Börruinex S. 665), fam, an; si (= Endung s der 2. Pers. Sg., ö@ wiederum als Stütze des Konsonanten. Entsprechend lesen wir zu 33 in unserem Ms. syasi für syas; Durga hat zu 27 ebenfalls s, zu 33 aber syas, was mir richtig erscheint, weil die Futurendung syasi lautet), tam, tar am a, mus Atmanep.: ta, atam, anta; thas, atham, dhvamız it, vahi, mahi. 25. evam evädyalanı = Kat. 3. 1. 28 »genau so die Personal- endungen des Aorists«. 29. paroksa = Kat. 3.1.29, Endungen des Perfekts. Parasmaip.: ga BEndume a) der 1. und, 3.“Bers;, Sg‘, s. Kat. 3.5.27 und 41; Bönrtrinsk S. 662), atus, us; thal (= Endung tha der 2. Pers. Sg., Ss. Kat. 3. 4. 52, Bönrtuinex S. 665), athus, a; at, va, ma; Atmanep.: e, äte, ire;: se, athe, dhve; e, vahe, mahe. 30. Lies svastane = Kät. 3.1. 30, Endungen des periphrastischen Futurums. Parasmaip.: i@, tarau, laras, täasi, tästhas, tästha: tasıni, tasvas, lasmas; Atmanep.: ta, tarau, taras;, läse, lasathe, tadhve; tahe, tasvahe, tasmahe. ! Das Pausazeichen zwischen 4% und Zas fehlt. 2 Ist ausgelassen, s. 0. S. 470. ®? So nach Durga für di des Ms., s. auch Kät. 3. 6.89 usw. 486 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 16. Mai 1907. — Mitth. v. 25. April. 31. Lies aseh = Kät. 3. ı. 31, Endungen des Prekativs. Paras- maip.: „at, yaslam, yasus, yas, yastam, yasta; yasam, yasva, yasma; Atmanep.: sista, siyastam, siran, sisthas, siyasıham, sidhvam; siya', stvaht, stmali. 32. Kat. 3. 1. 32 lautet syasamhitani tyadıni bhavisyantı, syasahi- tani unseres Ms. klingt eigentlich natürlicher. Zu iyadıni s. die Per- sonalendungen bei 24 Endungen des einfachen Futurums. Parasmaip.: syati, syatas, syanti; syasi, syathas, syatha; syami, syavas, syamas; At- manep.: syate, syele, syante;, syase, syethe, syadhve; sye, syavahe, syamahe. 33. Kat. 3. ı. 33 lautet dyadıni kriyatipattik, unser Text kann nicht anders gelautet haben, Ariyatti (bzw. kriyantı) ist also Schreib- fehler, das Pausazeichen dahinter wird nur Lückenbüßer sein. Ariya- tipatti bezeichnet die Personalendungen des Konditionals (vgl. auch P. 3. 3.139 und s. Bönruiner S. 661); zu dyadıni s. die Personal- endungen bei 27. Parasmaip.: syat, syatan, syan; syas”, syatam, syata; syam, syava, syama; Atmanep.: syata, syetam, syanta; syathas, syelham, syadhıvam; sye, sy@vahi, syamahi. 34. Ich lese und ergänze nach Kät. 3.1.34 sad adyas sarvadha- tukam. Damit schließt auch im Katantra der ı. Pada dieses Buches, das bei Durga a@khyata genannt wird: es dürfte also so zu ergänzen sein: akhyalaprakaranaprathamah päadah. .2.1. Lies pratyayah parah = Kät. 3.2.1. guptijkidbhyas san = Kat. 3. 2. 2. 3. Nach Kät. 3.2. 3 ergänzt: manbadhdansanbhyo dirghas cabhyäsasya. 4. Kät. 3. 2.4 lautet dhätor va tumantad icchatinaikakartrkät, P. 3.1.7 hingegen dhatoh karmanahı samänakartrkäad icchayam va. Dieses karınanah ist auch in unserer Regel erhalten; zu lesen ist demnach: dhator va karmanas tumantad icchatinaikakartrkät. Nach Kät. 3. 2.5 ergänzt namna ütmecchayam yin. DD 0 I* 6. In die Lücke paßt noch Kat. 3. 2.6 kamya ca. 7. upamänäd acare = Kat. 3. 2.7. 8. kartur a@yis salopas ca — Kat. 3. 2.8. 9. in karitam ca dhätvarthe, in Kat. 3. 2.9 fehlt das ca. 10—ıı. Die Lücke paßt genau für den Raum von Kat. 3. 2.10 dhätos ca hetau und 11 curädes ca. ı2. Kät. 3.1. ı2 lautet: ini lingasyanekaksarasyantyasvaräder lopah. In unserem Text steht anta für antya, was aber auch Schreibfehler sein kann; der Schluß hat wohl lopam gelautet, was sicher ein Fehler für Zopa(h) ist; 1. also: ini lingasyanekaksarasyanta (bzw. °lya°) svara- der lopah. ı Das Pausazeichen fehlt. 2 Zu syasi des Ms. s. o. bei 27. E. Sıes: Bruchstück einer Sanskrit-Grammatik aus Sängim Agiz. 487 ı3. Nach Kät. 3. 2.13 ergänzt: rasabda rto lagh'or vyanjanädeh. 14. Nach Kat. 3. 2.14 ergänzt und verbessert müßte die Regel dhator yasabdus cekriyitam” kriyasamabh'ihäre gelautet haben, aber die Lücke ist größer, bei P. 3. ı. 22 lautet die entsprechende Regel dhätor ekaco haladeh kriyasamabhihäre yah. halädeh brauchen wir nicht, weil vyaryanadeh aus 13 fortgilt. wohl aber eAkacah, das Durga künstlich in die Regel hineinerklärt: vermutlich hat also dhator ekäco yasabda in der Lücke gestanden. 15. Lies gupadhüpavicchipanipaner aya® — Rät. 3. 2.15. 16.” te dhatavah — Kät. 3210: 17. Nach Kät. 3.1.17 ergänzt: cakasakasapratyayantebhya am pa- roksayam. 18. Siehe Kät. 3. 2. 19 (sie!) und 1. namnyader gurumato "nrechah'. 19. Kat. 372. ı8 (sie!) lautet dayayasas ca (Ms. B mit P. 3. ı. 37 dayayasas ca), unsere Regel, die sich in der Reihenfolge ganz an Pänini anschließt’, dürfte qZsidayyayidaridrabhyas ca gelautet haben. day, ay und äs finden sich hier in anderer Reihenfolge als @si, dayi und ayi wieder. Neu ist daridr@, doch sehe man die Erörterungen Patanjalis zu P. 3. 1. 35 und Durgas zur entsprechenden Regel Kat. 2 Kr WE 20. Wiederum dürfte nach Kat. 3. 2. 20 zu ergänzen sein: usq- vidajagrbhyo väa. 21. Kat. 3. 2.21 lautet bhrhribhrhuvam tivac ca, unsere Regel bhr- hrıbhrhuvam sarvadhätukavac ca, die entsprechende Regel bei P. 3. ı. 39 bhrhribhrhuvam sluvac ca. Der Sinn des Sutra ist, daß die Wurzeln bhi, hri, bhr und hu auch das periphrastische Perfektum bilden können, aber mit Reduplikation der Wurzeln, wie im Präsens der 3. Klasse. Der Terminus technicus s/u bezeichnet nämlich bei P. den Schwund des Präsenscharakters a bei den Wurzeln der 3. Klasse, s. P. 2. 4.75 Juhotyadibhyah sluh, und vor demselben wird Reduplikation verlangt nach 6. ı. 10 sau. Dieser Regel entspricht nun Kät. 3. 3. 8 Juhotya- dinam särvadhätuke: unsere Lesart sarvadhatukavat scheint mir darum ursprünglicher zu sein als fivat, denn ti = särvadhätuka ergibt sich erst wieder aus der weiteren Regel Kat. 3. ı. 34 (s. 0... Der Aus- druck sarvadhätukavat kehrt auch Kät. 4. 1.5 wieder. ? Sielie oben S. 469. ? te für tam s. 0. S.470 wegen karitam in 9. ®? Bzw. ayah wie Kätantra Ms. B und Durga, was besser zu ayih 3.2.8 stim- men würde. * Richtig cch statt ch, welches der Text des Kätantra bietet, mit P. 3. 1. 36 ja- des ca gurumato 'nrechah. 5 ı8 (= Kät.ı9) entspricht P. 3.1.36; 19 (= Kät.ı8) P. 3.1.37; 20 (höchst wahrscheinlich — Kät. 20) P. 3. 1. 38. Sitzungsberichte 1907. 48 A488 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 16. Mai 1907. — Mitth. v. 25. April. 22. Lies nach Rät. 3. 2.22 @mah'! krn anuprayujyate. 23. asbhüdo ... ist sicherlich nur Fehler für asbhurau ca paro- Smau— Katam2r 23% 24. In die Lücke paßt Kat. 3. 2. 24 si) adyatanyam. 25. Kät. 3. 2.25 lautet san” anitah sidantan namyupadhad adrsah, es kann hier nichts anderes gemeint sein. san haben wir als Termi- nus technieus für den Desiderativcharakter schon 3. 2. 2 gehabt: da hier aber der Aoristeharakter gemeint ist”. ist eben hier Verwechse- lung von rn und z» anzunehmen. Der Schreibfehler sidaksan für si- dantan ist in der Brahmı-Sehritft nieht so hart.. wie er nach der Na- garı erscheint, 1. also: san anitas‘ sidantan n’amyupadhad adrsah. 26. Lies sridrusrukamikaritäntebhyas can" kartari = Kat. 3. 2. 26. Die Art der Unterschiede in den Regeln 3. 2.4, 2.9, 2.19 und 2.21 (3.1. 32, 2.12 und 2. ı4 mögen, weil nicht absolut sicher, außer Betracht bleiben) und die andere Anordnung in 3.2. 18—20 erweisen schon mit Sieherheit, daß wir in unserem Text nicht etwa bloß Varianten zur Katantra-Grammatik haben. sondern dal hier ein selbständiges Werk vorliegt. und zwar mul: dieses Werk, nach Panini, Katyayana, Karikas und Patanjali gemessen, die zweifellos als Quelle zu gelten haben, älter sein als unser Katantra-Text, s. besonders die Bemerkungen zu sarvadhätukavat für tivat zu 3. 2.21, karmanah zu 3. 2.4. daridrä zu 3. 2.19 und die Anordnung der Regeln 3. 2. 18—.20. Daß auch die Aufführung der Personalendungen nicht einfach als Entlehnung aus einem fremden Text betrachtet werden darf. da- für spricht — abgesehen von der Tatsache, daß auch bei Panini die Personalendungen ausdrücklich gelehrt werden (s. 3.4.78 ff.) — daß dabei Anubandhas gelehrt werden (di für die ı. Pers. Sg. Imp. Par., Ss. zu 3.1: 27,0 für ‚die 7. und. 3’Pers.Sg.!Berf. Par. sus aeral welche bei Panini nicht vorkommen, im Katantra aber gleichwohl als bekannt vorausgesetzt werden (s. Kät. 3.1. 33, 5.27 und 41‘). Auch in dieser Beziehung wird also die Auffassung, daß unser Text als älter zu gelten habe, bestätigt". Siehe oben S. 470. Die Hdss. A und B lesen san(a), s. EssELinG a. a. O. Vgl. auch BörrrLinoce sub san und san, ZDMG. ar, S. 666. d für Z, s. o. S. 469. ° Einfache Schreibung für doppelte, s. o. S. 470. n für n (s. 0. 8.469) wegen san in 25; Kät. Ms. B liest hier cana, während P. 3. 1.48 dafür den Terminus technieus can gebraucht. " thal für die 2. Pers. Sg. Perf. Par. (s. zu 3.1.27 sowie Kät. 3.4.52) kommt auch bei P. vor. ° Mit der Existenz einer älteren derartigen Grammatik erledigen sich die Be- merkungen Börtrinoks, ZDMG. 41, S. 658. ı E. Sıes: Bruchstück einer Sanskrit-Grammatik aus Sängim Agiz. 489 Was weiter das Kapitel der Femininsuffixe betrifft, das im Ka- tantra fehlt, so kann zunächst auch kein Zweifel darüber sein, daß es im Stil wie in der Technik durchaus genuin ist. Die Tatsache, daß wir hier Verse haben. darf uns nieht wundernehmen, auch im Katantra sind ganze Kapitel metrisch gehalten (s. z.B. Kät. 2. 5); die vedische Sprache und die Akzente werden so wenig, wie sonst im Katantra berücksichtigt, die Termini techniei [s. z.B. 2. 7.5 samkhy@ im Sinne von,sas bei P., vgl. mit Kät. 2.1.75 (s. 0. S.47 »Augment« 2.7.16 vgl. mit Kat. 2.1.6, 3. 3.29 (s. o. 8.478), nu 2.7.31 im Sinne von P.s nuk vgl. mit Kat. 2. 1. 72 (s. 0. S. 480): die Suffixe aya 2.7.15 im Sinne von P.s yan vgl. mit Kat. 2. 6. 2 (s. o. S. 478), @yana 2.7.ı6 im Sinne von P.s spha vgl. mit Kat. 2. 6. 3. (ebenda), n im Sinne von P.s iR 2.7.57 vgl. mit Kat. 2. 6. 3—6 (s. 0. S.483)] sind im Katantra genau die gleichen. Was scheinbar für x 6). agama eine Entlehnung dieses Kapitels aus einem anderen Werk spricht, ist, daß im Katantra die Femininbildung in 2.4. 49—50 (bzw. 51) gelehrt wird, und daß uns dabei keine Anubandhas begegnen, wie wir sie nach unseren Femininregeln erwarten sollten. Das Feminin- suffix @ heißt hier nicht @p, wie oben 2.7. ı in Übereinstimmung mit P.. sondern einfach @. denn die Regel 49 lautet: siriyam ad @; anc und vas, die bei P. mit dem Anubandha «x. d.h. als aneu und vasu bzw. kvasu erscheinen und somit unter die Regel P. 4. 1.6 (vgl. 2.7.9, S. 0. S. 477) ugitas ca fallen, heißen hier Kät. 2.4. 50' anei bzw. ansi” (= ams): ant, bei P. $air (Anub. r), heißt einfach ant”. Wer aber unbefangen die Fülle der Regeln über die Femininbildung bei Panini 4. 1. 3—8ı (= 79 Sutras), Candra 2. 3 (= 78 Sutras) und schließlich selbst bei Vopadeva 4. ı2 (= 31 Sutras) mit diesen beiden dürftigen Regeln vergleicht (nadadi ist ein Akrtigana, s. Durga zu Kät. 2. 4. 50), wird mit mir der Überzeugung sein, daß wir darin eben nur die Leistung des späteren Überarbeiters bzw. Kürzers haben, der sich bei seiner Umarbeitung nicht mehr der Anubandhas_ be- diente. Es darf schließlich auch nicht vergessen werden, daß unser Ms. doch zweifellos von so hohem Alter ist, daß es der Zeit, die man als Abfassungszeit des Katantra überhaupt vermuten darf, schwerlich sehr fern liegen dürfte. Es wäre demnach höchst wunderbar, wenn wir in Zentralasien schon in so alter Zeit eine Neubearbeitung dieses U nadady-anci-vah-vy (= u+ i) -ansy-ant-r-sakhi-nantebhya ?. i ist nach Konsonanten bedeutungslos. s. Börrrinsk S. 662 — aber Avwansı Kät. 4.4.1. ® Aber santr Kät. 4.4.72, s. Börwrisex S. 663. — vah, das in unseren Feminin- regeln felılt, wird P. 4. 1.61 gelehrt. 2 490 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 16. Mai 1907. — Mitth. v. 25. April. für jene Zeit ganz modernen Werkes hätten, eine Neubearbeitung, die noch dazu in Indien nicht bekannt ist. Nach des Lama Täranatha Geschichte des Buddhismus in Indien', A.D. 1608 verfaßt. stammt das Katantra, oder die Kalapa-Grammatik, wie sie dort genannt wird, aus der Zeit Kalidasas und Nagarjunas (s. S. 75f. und vgl. auch Burserr, Aindra school S. 5f.). Die dazu erzählte Geschichte deekt sich im wesentlichen mit der Erzählung So- madevas(ı1r. Jahrhundert) Kathäsar. 6. 109ff. (s. Bönruıex, ZDMG. 41 S. 657 .), nur daß nach der letzteren die Abfassungszeit schon in das 2. Jahrhundert n. Chr. zu setzen wäre. Bei Taranatha a. a. O. erfahren wir nun ferner, daß Saptavarman (bzw. Isvaravarman oder Sarva- varman, bei Somadeva und in der indischen Kommentarliteratur zu Kätantra heißt der Verfasser Sarvavarman) mit dieser Grammatik von dem Gotte Kumära das Indravyäkarana erbeten habe. Über dieses Indravyakarana berichtet Taranatha vorher (s. S. 54, BURNELL S. 5). »Obwohl es in Tibet heißt, daß das Indravyakarana älter sei (als Pänini). so wird unten gesagt werden, daß es, obwohl es viel- leicht in der Götterregion früher da war, in Aryadesa nicht früher erschien. Wenn auch die Panditas behaupten, daß das ins Tibetische übersetzte Candravyakarana mit Panini, das Kaläpavyakarana mit dem Indravyakarana übereinstimme, so sagt man doch allge- mein, daß besonders das Paniniyavyakarana durch die ausgedehnte Ausführliehkeit der Bedeutungen und die systematische, vollständige Einsicht etwas sehr Seltenes sei.« Hier wird uns mit klaren Worten gesagt, daß die Kalapa-Grammatik, d.h. das Katantra, nach Meinung der Pandits mit der Indra-Grammatik übereinstimme, ferner daß die Indra-Grammatik als die ältere anzusehen ist. Aus anderen buddhisti- schen Quellen erfahren wir außerdem, daß die Indra-Grammatik die Grammatik der nördlichen Buddhisten gewesen ist, s. BurNELL S.5. In unserem Ms. liegt uns nun eine Grammatik vor, die zweifellos sehr nahe mit dem Kätantra verwandt ist, die höchstwahrscheinlich älter ist als das Kätantra, und die bei den nördlichen Buddhisten in Ge- brauch gewesen ist, wie die Auffindung in einem buddhistischen Stupa von Zentralasien beweist. Der Schluß liegt darum meines Erachtens nahe, daß unser Text eben diese Indra-Grammatik repräs unse Diese Grammatik ist in Indien so gut wie ganz verloren gegangen’ Ä ! Ich zitiere nach der deutschen Übersetzung von Schierner, St. Petersburg 1369. 2 Prverson hat im Jahre 1883 (s. A second report of operations in search of Sans- krit Mss. in the Bombay Circle. April 1883— March 1884. Bombay 1884 (= J.R.A.S.B. Extra-Number) S. 65) wenigstens den Anfang dieser Grammatik entdeckt: Sütra r hat nämlich nach dem Jaina- Kommentar des Jhänavimala zu Mahesvaras Sabdabheda- prakäsa siddhir anuktanam rudheh gelautet; über zwei weitere Zitate bei KıEeLHorN, Ind. Ant. XV, S. 181 s. sogleich. E. Sıeg: Bruchstück einer Sanskrit-Grammatik aus Sängim Asiz. 491 was bei der außerordentlichen Übereinstimmung dieses Werkes mit dem Katantra nicht wundernehmen kann. Das Spätere hat wieder, wie so oft in Indien, das Frühere verdrängt. Taranatha hatte freilich recht, indem er gegen die verbreitete Ansicht das Indravyakarana im Verhältnis zu Panini für jung erklärte. Das hat bereits KreLnorvn, Indragomin and other grammarians (Ind. Ant. ı5 (1886), S. ı81ff.) überzeugend damit nachgewiesen, daß der Verfasser dieser Grammatik sowohl Indra wie Indragomin heißt, gerade so wie Candra auch Öandragomin genannt wird, daß ihm ferner (nach einem Kommentar zu Hemacandra) zwei Regeln zuge- wiesen werden, die einfach von Varttikas zu Pänini abgeschrieben sind, schließlich daß er als gleichwertige Autorität neben Candra zi- tiert wird. Auch die Behauptung der Pandits, daß das Candravyak. mit P., das Kalapavyak. mit dem Indravyak. übereinstimme, mit anderen Worten, daß die Ähnlichkeit zwischen C. und P. größer sei als die zwischen Indra-Kat. und P., besteht, nach unserem Text geurteilt, zu Recht, denn C.s Terminologie und im wesentlichen auch die Anordnung der Sutren stimmt mit P. überein, die unseres Textes und des Katantra aber nicht. Was speziell das Verhältnis unseres Textes zu Candra betrifft, so haben wir Übereinstimmung in 2.7. 34 samanddeh mit ©. 2. 3.33 samanäadibhyah, laksmana (für laksana bei P.) in 2.7.61 und C. 2. 3.79 und wörtliche Gleichheit in 2.7.17 =(.2.3.21 kauravyasurimandukat konstatiert. Da die letzte Stelle + Sloka ist, liegt die Vermutung nahe, daß C. der entlehnende Teil war, was auch zeitlich besser passen würde, da wir C. in die Zeit zwischen 465—544 n. Chr. an- zusetzen haben'. ! Siehe Lıiesıcn, WZKM. XIII, S. 308— 315. Cändravyakarana S. Vll. Ausgegeben am 30. Mai. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei. Sitzungsberichte 1907. 49 12° Sitzungsber. d. Berl. Akad. d, Wiss. 1907. E. Sıre: Bruchstück einer Sanskrit-Grammatik aus Sängim Agiz, Chinesisch-Turkistan. Taf. VII. N Wi; ML ART, Veen) ze er A L m, Sitzungsber. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1907. 14° E. Sırs: Bruchstück einer Sanskrit-Grammatik aus Sängim Agiz, Chinesisch - Turkistan. h we = a4 Pe A: uw h E35 en % Zee N En m a Br x \ 2 . Me ir 5 E Be RS DR FG m Bu i KR \L j fi, N - Ds 114:,0) su, ADD loan a a a 1907. XXVL SITZUNGSBERICHTE DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN - AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. Gesammtsitzung anı 30. Mai. (S. 495) Koser: Jahresbericht über die Herausgabe der Monumenta Germaniae historiea. (S. 496) Adresse zur Zweihundertjahrfeier des Geburtstages von KArı von Lınn# am 23.—25. Mai 1907. (S. 504) BERLIN 1907. VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. Aus dem Reglement für die Redaetion der akademischen Druckschriften. Aus $1. Die Akademie gibt gemäss $ 41,1 der Statuten zwei fortlaufende Veröffentlichungen heraus: » Sitzungsberielite der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften« und » Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften«, Aus $ 2. Jede zur Aufnahme in die »Sitzungsberichte« oder die » Abhandlungen« bestimmte Mittheilung ınuss in einer aka- demischen Sitzung vorgelegt werden, wobei in der Regel das «druckfertige Manuseript zugleich einzuliefernist. Nicht- mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen. 83. Der Umfang einer aufzunehmenden Mittheilung soll in der Regel in den Sitzungsberiehten bei Mitgliedern 32, bei Niehtmitgliedern 16 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Sitzungsberielite, in den Abhandlungen 12 Druckbogen von je 8 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Abhand- lungen nicht übersteigen. Überschreitung dieser Grenzen ist nur mit Zustimmung der Gesammt-Akademie oder der betreffenden Classe statt- haft, und ist bei Vorlage der Mittheilung ausdrücklich zu beantragen. Lässt der Umfang eines Manuscripts ver- muthen, dass diese Zustimmung erforderlich sein werde, so hat das vorlegende Mitglied es vor dem Einreichen von sachkundiger Seite auf seinen muthmasslichen Umfang im Druck abschätzen zu lassen. SA. Sollen einer Mittheilung Abbildungen im Text oder auf besonderen Tafeln beigegeben werden, so sind die Vorlagen dafür (Zeiehnungen, photographische Original- aufnahmen u.s. w.) gleiehzeitig mit dem Manuseript, jedoch auf getrennten Blättern, einzureichen. Die Kosten der Herstellung der Vorlagen haben in der Regel die Verfasser zu tragen. Sind diese Kosten aber auf einen erheblichen Betrag zu veranschlagen, so kann die Akademie dazu eine Bewilligung beschliessen. Ein darauf gerichteter Antrag ist vor der Herstellung der be- treffenden Vorlagen mit dem schriftlichen Kostenanschlage eines Sachverständigen an den vorsitzenden Secretar zu richten, dann zunächst im Seeretariat vorzuberathen und weiter in der Gesammt-Akademie zu verhandeln. Die Kosten der Vervielfältigung übernimmt die Aka- demie. Über die voraussichtliche Höhe dieser Kosten ist — wenn es sich nielıt um wenige einfache Textfiguren handelt — der Kostenanschlag eines Sachverständigen beizufügen. Überschreitet dieser Anschlag für die er- forderliche Auflage bei den Sitzungsberichten 150 Mark, bei den Abhandlungen 300 Mark, so ist Vorberathung durch das Secretariat geboten. Aus $5. Nach der Vorlegung und Einreichung des vollständigen druckfertigen Manuseripts an den zuständigen Seceretar oder an den Archivar wird über Aufnahme der Mittheilung in die akademischen Schriften und zwar, wenn eines der anwesenden Mit- glieder es verlangt, verdeckt abgestimmt. Mittheilungen von Verfassern, welche nicht Mitglieder der Akademie sind, sollen der Regel nach nur in die Sitzungsberichte aufgenommen werden. Beschliesst eine Classe die Aufnahme der Mittheilung eines Nichtmitgliedes in die dazu bestimmte Abtheilung der »Abhandlungen«, so bedarf dieser Beschluss der Bestätigung durch die Gesammt-Akademie. - (Kortsetzuns auf S. 3 des Umschlags.) 2 PER Aus $ 6. Die an die Druekerei abzuliefernden Manuseripte müssen, wenn es sich nicht bloss um glatten Text handelt, aus- reiehende Anweisungen für die Anordnung des Satzes und die Wahloder Schriften enthalten. Bei Einsendungen Fremder sind diese Anweisungen von dem vorlegenden Mitgliede vor Einreichung des Manuscripts vorzunehmen. Dasselbe hat sich zu vergewissern, dass der Verfasser seine Mittheilung als vollkommen druckreif ansieht. Die eıste Correetur ihrer Mittheilungen besorgen die Verfasser. Fremde haben diese erste Correetur an das vorlegende Mitglied einzusenden. Die Correetur soll nach Mösglielikeit nicht über die Berichtigung von Druckfehlern und leichten Schreibversehen hinausgehen. Umfängliche Correeturen Fremder bedürfen der Genehmigung des redi- girenden Seeretars vor der Einsendung an die Druckerei, und die Verfasser sind zur Tragung der entstelienden Mehr- kosten verpflichtet. Aus 88. Von allen in die Sitzungsberiehte oder Abhandlungen aufgenommenen wissenschaftlichen Mittheilungen, Reden, Adressen oder Berichten werden für. die Verfasser, von wissenschaftlichen Mittheilungen, wenn deren Umfang im Druck 4 Seiten übersteigt, auch fürden Buchhandel Sonder- abdrucke hergestellt, die alsbald nach Erscheinen des be- treffenden Stücks der Sitzungsberielite ausgegeben werden. Von Gedäcehtnissreden werden ebenfalls Sonderabdrucke j für den Buchhandel hergestellt, indess nur dann, wenn die Verfasser sich ausdrücklich damit einverstanden erklären. 89. ; Von den Sonderabdrucken aus den Sitzungsberiehten erhält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 50 Frei- exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke auf Kosten der Akademie weitere. Exemplare bis zur Zahl von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis zur Zahl von 200 (im ganzen also 350) abziehen zu lassen, sofern er diess rechtzeitig dem redigierenden Seeretar an- gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr Aare zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazu der Genehmigung der Gesammt- Akademie oder der be- treffenden Ge — Nichtmitglieder erhalten 50 Frei- exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem redigirenden Seeretar weitere 200 Exemplare auf ihre Kosten abziehen lassen. Von den Sonderabdrucken aus den ‚Abhandlungen er- hält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie i ist, zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 30 Frei- Exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis zur Zahl von 100 (im ganzen also 230) abziehen zu ‚lassen, sofern er diess rechtzeitig dem redigirenden Secretar an- gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazu der Genehmigung der Gesammt- Akademie oder der be- treffenden Clasae} — Nichtmitglieder erhalten 30 Frei- exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem redigirenden Seeretar weitere 100 Exemplare auf ihre Kosten abziehen lassen. > SW. Eine für die Ar deisischei Schriften nee stimmte wissenschaftliche Mittheilung darf in keinem Falle vor ihrer Ausgabe an jener Stelle anderweitig, sei es auch nur auszugs- 493 SITZUNGSBERICHTE _ 1907. XXVI. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 30. Mai. Gesammtsitzung. Vorsitzender Secretar: Hr. VauLen (1. V.). *]. Hr. Scnärer machte Mittheilungen aus seiner im Druck be- findlichen zweibändigen » Weltgeschichte der Neuzeit« über die Ent- wickelung der Beziehungen der europäischen Völker zu den überseeischen Gebieten im Laufe des 16. Jahrhunderts. 2. Hr. Koser erstattete den Jahresbericht über die Heraus- gabe der Monumenta Germaniae historiea. 3. Die Akademie hat anlässlich der Feier des zweihundertjährigen Geburtstages von Cart von Liss£, welche die Universität Uppsala und die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften zu Stock- holm veranstaltet haben, eine Adresse gewidmet, deren Wortlaut unten folgt. 4. Folgende Druckschriften wurden vorgelegt: Band 6, Hälfte 2 der von der Akademie unternommenen Ausgabe der Gesammelten Schriften Wiırnerm von Hunsoror's. Berlin 1907; R. SchnEiper, Ge- schütze auf handschriftlichen Bildern. Metz 1907 (der Verfasser ist für diese Forschungen von der Akademie unterstützt worden): F. R. Hermert, Die Ausgleichungsreehnung nach der Methode der kleinsten Quadrate. 2. Auflage. Leipzig und Berlin 1907. 5. Zu wissenschaftlichen Unternehmungen hat die Akademie be- willigt für die Zwecke der interakademischen Leiznız-Ausgabe 6000 Mark: weiter durch die physikalisch-mathematische Classe: Hrn. EnsLer zur Fortführung des Werkes »Das Pflanzenreich« 2300 Mark; dem von dem 2. Deutschen Kalitage für die wissenschaftliche Erforschung der norddeutschen Kalisalzlager eingesetzten Comite 1000 Mark; zum Zweck des Anschlusses eines Botanikers an die von dem Herzog Anorr Frieprıen zu Mecklenburg geplante Forschungs - Expedition nach Deutsch- Sitzungsberichte 1907. 50 494 Gesammtsitzung vom 30. Mai 1907. Ostafrica 3000 Mark; Hrn. Prof. Dr. Karı Bürow in Tübingen zur Fort- setzung seiner Untersuchungen über Dihydrotetrazin 600 Mark; Hrn. Prof. Dr. Frıepeıen Dan in Berlin zur Vervollständigung seiner Be- arbeitung der deutschen Spinnenfauna 250 Mark: Hrn. Prof. Dr. Erıon von Dryeanskı in München zur Vollendung des Öhinawerkes von Fervr- NAND VON RıcntuorEn 1500 Mark; Hrn. Leutnant Wırnerm Fincuner, z. Zt. in Berlin. zur Bearbeitung eines Werkes über seine in den Jahren 1902 — 1905 ausgeführte Reise in China und Tibet 1000 Mark: Hrn. Dr. Roserr Harrmever in Berlin zur Fortsetzung seiner zoologischen Studien und Sammlungen in Westindien 1500 Mark; Hın. Anxron SCHRANMEN in Hildesheim zur Bearbeitung einer Monographie der Kiesel- schwämme der oberen Kreide von Norddeutschland 1000 Mark; Hrn. Prof. Dr. Jomannes Stark in Hannover zum Bau eines liehtstarken Speetrographen für Untersuchungen über die Lichtemission der Kanal- strahlen 2000 Mark; Hın. Privatdocenten Dr. Frrıx 'TAnnHÄUSER in Berlin zum Abschluss seiner petrographisch - geologischen Untersuchung des Neuroder Gabbrozuges 750 Mark; Hrn. Privatdocenten Dr. FrieprıcH Tosgter in Münster i. W. zur Fortsetzung seiner Untersuchungen über die Vegetationsgemeinschaften im Meere 600 Mark: Hrn. Erssr Ute . in Berlin zur Fortsetzung seiner botanischen Studien im Amazonas- Gebiet 1500 Mark; Hrn. Prof. Dr. Enear Wenermp in Tübingen zu magnetochemischen Studien 700 Mark: Hrn. Dr. J. Wirnermt in Neapel zum Abschluss seiner Studien für eine Monographie der Seetrieladen 1300 Mark: dureh die philosophisch --historische Ulasse: Hrn. Koser zur Fort- führung der Herausgabe der Politischen Correspondenz Friedrich's des Grossen 6000 Mark; Hrn. von Wıramowırz- MOELLENDORFF zur Fortfüh- rung der Inseriptiones Graeeae 5000 Mark; der Deutschen Commission zur Fortführung ihrer Unternehmungen 4000 Mark; für die Bearbei- tung des Thesaurus linguae Latinae über den etatsmässigen Beitrag von 5000 Mark hinaus noch 1000 Mark und für die Herausgabe der mittelalterlichen Bibliothekskataloge (Unternehmen des Kartells der deutschen Akademien) 500 Mark. 6. Die Akademie hat auf den Vorschlag der vorberathenden Com- mission der Borr-Stiftung aus den Erträgnissen der Stiftung 900 Mark Hrn. Prof. Dr. Max Warteser in Säckingen in Anerkennung und zur Fortsetzung seiner Arbeit über die philosophische Grundlage des älteren Buddhismus und 450 Mark Hrn. Oberlehrer Dr. Jonannes Herten in Döbeln (Sachsen) zur Fortsetzung seiner Arbeiten über die Geschichte des Pancatantra zuerkannt. 1. Der Professor an der Universität München Dr. Carı GÜTTLER aus Reichenstein. Prov. Schlesien, hat derAkademie Stücke der 33 pro- Gesammtsitzung vom 30. Mai 1907. 495 centigen preussischen eonsolidirten Anleihe im Gesammtnennwerth von 50000 Mark übereignet, um damit eine Stiftung zu gründen, deren Ürträgnisse zur Förderung wissenschaftlicher Zwecke, insbesondere als Beiträge zu wissenschaftlichen Reisen, zu Natur- und Kunststudien, zu Archivforschungen, zur Drucklegung grösserer wissenschaftlicher Werke, zur Herausgabe unedirter Quellen und Ähnlichem verwendet werden sollen. Nachdem die Allerhöchste Genehmigung zur Annahme dieser Schenkung unter dem 13.Mai 1907 ertheilt worden ist, ist die Stiftung unter dem Namen »Dr. Cart GÜTTLER-Stiftung« in’s Leben getreten. Das im Einvernehmen mit Hrn. GürrrLEr aufgestellte Statut derselben, welches unter dem ı8. Mai 1907 die Genehmigung des vor- geordneten Ministeriums erhalten hat, wird in dem Jahresbericht der Abhandlungen 1907 mitgetheilt werden. Die Akademie hat in der Sitzung am 2. Mai zu eorrespondirenden Mitgliedern der philosophisch - historischen Classe gewählt den 2. Secre- tar des Kaiserlich Deutschen Archaeologischen Instituts in Rom Prof. Dr. Curıstıiayn Hürsen, den Direeteur d’etudes an der Seole des hautes etudes Bersarp Havssovrnier, Mitglied des Instituts, in Paris, den ordentlichen Professor der Archaeologie an der Universität Halle Dr. Karı Rogert und den ordentlichen Professor der elassischen Philologie an der Universität Göttingen Dr. Epuarp ScHWARTZ. 50* 496 Jahresbericht über die Herausgabe der Monumenta Germaniae historica. Von ReınnoLp Koser. Die Gentraldireetion der Monumenta Germaniae historica vereinigte sich in Berlin zu ihrer dreiunddreissigsten ordentlichen Plenarversamm- lung in den Tagen vom 29. April bis ı. Mai. Anwesend waren die HH. Prof. Bresstau aus Strassburg i. E., Geh. Justizrath Prof. Brunner und Geh. Regierungsrath Prof. HoLper-Esser von hier, Staatsarchivar Arehivrath Kruscn aus Osnabrück, Hofrath Prof. Luscnms Ritter von EBEnGREUTH aus Graz, Prof. von ÖTTENTHAL und Prof. Reprıcn aus Wien, (Geheimrath Prof. ScuÄrer von hier, Geh. Hofrath Prof. SteinmevEr aus Erlangen, Prof. Taner, der das Protocoll führte, Prof. Wernumenorr und Prof. Zrumer von hier; den Vorsitz führte Wirkl. Geh. Oberregie- rungsrath Koserr, dem das zuvor kommissarisch von ihm versehene Amt des Vorsitzenden nunmehr durch Kaiserliche Ernennung vom 31. Juli 1906 übertragen worden ist. Am Erscheinen verhindert war dureh dringende Berufsgeschäfte Hr. Geheimrath Prof. von Rıezrer in München. Die Versammelten wählten zum Mitegliede der Gentraldireetion Hrn. Geh. Hofrath Prof. von Sımson in Berlin. Die Arbeiten nahmen in allen Abtheilungen ihren geregelten Fort- gang. Veröffentlicht wurden seit Erstattung des vorigen Berichtes: In der Abtheilung Seriptores: Seriptorum qui vernacula lingua usi sunt tomi VI pars ı (ent- haltend die Österreichische Chronik von den 95 Herrschaften, heraus- gegeben von J. SEEMÜLLER). Seriptores rerum Germanicarum: Nithardi historiarum libri IV. Editio tertia. Post G. H. Prrrz recognovit Ernestus Mürrer. Accedit Angelberti Rhythmus de pugna Fontanetica. In der Abtheilung Leges: Constitutiones et acta publica. Tomi IV partis prioris particulus alter. Recognovit Jacosus ScHwaun. Vom Neuen Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde ; Bd. XXXI, Heft 3 und Bd. XXXI, Heft ı und 2. Ir n & - Q e vi Koser: Monumenta Germaniae historica. Jahresbericht. 497 Unter der Presse befinden sich sechs Quart- und drei Oktav- bände. Den Druck des fünften Bandes der Seriptores rerum Merovingi- carum hat Hr. Archivrath Krusen bis zum 10. Bogen gefördert. Für den seehsten Band wurde die Arbeit an Flildegers Vita des Bischofs Faro von Meaux, an der Passio Ragneberts von Bebrona und die höchst anziehend und originell geschriebenen alten Leidensgeschichten des Bischofs Praejeetus von Clermont durch Hın. Kruscn unter Heranziehung von Handschriften aus Amiens, Dijon, St. Gallen, Laon und Wien zum Abschluß gebracht. An der Durchsicht der Gorreeturbogen be- theiligte sich Hr. Privatdocent Dr. Levıson in Bonn; für die von ihm übernommenen Beiträge zu dem sechsten Merowingerbande wurde er von dem Director der Nationalbibliothek zu Madrid, Hrn. Mexennez v Paravo, dureh Übersendung zweier Handschriften der Historia Wambae des Julian von Toledo in dankenswerthester Weise unterstützt. Zur Vorbereitung seiner Ausgabe der noch ausstehenden Theile des Liber pontificalis hat Hr. Levıson im British Museum zu London die bisher von keinem Herausgeber benutzte Handschrift des ı2. Jahr- hunderts (Harley Nr. 633), in Bonn die beiden Pariser Codices aus dem 9. und dem 14. Jahrhundert verglichen, sowie dank der freund- lichen Vermittelung des Hrn. Jexkınson, Oberbibliothekars der Uni- versitätsbibliothek zu Cambridge, die gleichfalls bisher unbeachtet gebliebene Cambridger Handschrift des ı2. Jahrhunderts. Auch die der Gölner Dombibliothek (saee. IX) wurde erledigt. Weitere fran- zösische Handschriften, soweit sie versandt werden können, gedenkt Hr. Leviısox in Bonn, die italienischen. zumal die alte Handschrift von Lucca, auf einer für den Herbst d.J. in Aussicht genommenen Reise auszubeuten. In der Hauptserie der Abtheilung Seriptores ist der zweite Halb- band des Tomus XXXIH mit dem Schluss der von dem Abtheilungs- leiter Hrn. Geheimen Regierungsrath Prof. HoLper-Esser bearbeiteten Chronik des Salimbene bis auf die Vorrede zu dem ganzen Bande, die Appendices und Register fertiggestellt und wird um die Jahres- wende erscheinen können. Die von Hrn. HoLper-EssEr im vorigen Jahre unternommene Reise nach Italien galt im Wesentlichen der Sammlung weiteren Materials für die italienischen Geschichtschreiber des ı3. Jahrhunderts. So in Verona der Durchsicht der wichtigen Annales Veronenses de Romano und kleinerer Veroneser Annalen: in Bologna, wo der Vorsteher der Communalbibliothek, Hr. Prof. ArLsano SORBELLLI, die Arbeit mit Zuvorkommenheit unterstützte, der Collation der zum ersten Male von A. Gaupenzı herausgegebenen ersten Recension der Uhronik Ryccards von San Germano und der Cronica 5. Mariae de Ferraria; 498 Gesammtsitzung vom 30. Mai 1907. in Pistoia der Untersuchung einer angeblichen Handsehrift der Annales Pisani, die thatsächlich nur späteres Material zur Geschichte von Pisa, zum grössten Theil in italienischer Sprache, enthält. In Rom, wo der Präfekt der Biblioteca Apostolica Vaticana, Hr. P. Franz Enke, mit allzeit gleicher Bereitwilligkeit auch diesmal allen Wünschen weit entgegenkam, und in Florenz wurden neben den Arbeiten für die staufische Periode auch andere Aufgaben, so für die Merowinger- Serie und die Epistolae erledigt. Als nächstes Ergebniss der im vorjährigen Berichte erwähnten italienischen Forschungsreise des Mitarbeiters Hrn. Dr. Schmeivter, auf der ihn die Vorstände und Beamten des Staats- archivs und der Biblioteea Governativa in Lucca, der Ambrosiana in Mailand und der Nationalbibliothek in Florenz dureh ihre Unterstützung zu grösstem Danke verpflichteten, wird im N. A. XXXIU ı eine Unter- suchung über die Gesta Florentinorum und Lucanorum als Quellen des Tolomeus von Lucca mitgetheilt werden. Die anhaltende starke Nachfrage nach den Schulausgaben der Scriptores rerum Germanicarum legt der Gentraldireetion die Pflicht auf, dieser Serie eine immer gesteigerte Fürsorge zuzuwenden. Nachdem die zweite Auflage der Historiae des Nithard in der Bearbeitung des Hın. Dr. E. Mürıer, der hier eine von den früheren Herausgebern nicht beachtete merkwürdige Interpolation festzustellen in der Lage war, soeben erschienen ist, muss jetzt für die nach Anzeige der Ver- lagshandlung theils ganz, theils bald vergriffenen Ausgaben des Helmold, der Gesta Frideriei I. von Orro von Freısıng und Ranewın und des Chronicon Urspergense Ersatz geschafft werden. Die Ursperger Chronik hat der Abtheilungsleiter selber in Arbeit genommen. Für eine neue Auflage Helmolds hat Hr. Dr. Scnmeinter die Lübecker und die beiden Kopenhagener Handschriften verglichen, den Spuren der verschollenen Stettiner Handschrift ist er im Verein mit dem Stettiner Stadtbiblio- thekar Hrn. Prof. Warrer vergeblich nachgegangen. Inzwischen sind die Arbeiten an der Weltchronik Ottos von Freising, an den Annales Austriae und an dem Cosmas Pragensis durch die HH. Dr. Hormeıster in Berlin, Prof. Unzırz in Graz und Landesarchivar Dr. Breruorz in Brünn fortgesetzt worden. Im Druck befinden sich die Annales Mar- bacenses ed. Brocn, Johann von Vietring ed. Scuneiver und Albertus de Bezanis ed. HowLper-Eeseer. Für die von ihm übernommene Ausgabe der Monumenta Reinhardsbrunnensia hat Hr. HoLper-Eesrr dank dem Entgegenkommen der Gräflich Schönborn-Wiesentheidt'schen Biblio- theksverwaltung die einzige Pommersfelder Handschrift der Reinhards- brunner Briefsammlung hier in Berlin vergleichen können; die Arbeiten für die Neuausgabe der Annales Placentini Gibellini hat er bis auf Weiteres zurückstellen müssen. Koser: Monumenta Germaniae historiea. Jahresbericht. 499 In der Serie der Deutschen Chroniken gedenkt Hr. Prof. SermüLver in Wien die zweite Hälfte des sechsten Bandes, mit der Vorrede und den Registern zu der Österreichischen Chronik von den 95 Herrschaften, binnen Jahresfrist erscheinen zu lassen. Anschliessen wird sich die Drucklegung des von Hrn. Privatdocenten Dr. GrBuArRpDT in Erlangen übernommenen Gedichts von der Kreuzfahrt Ludwigs 1Il. von Thüringen. Nachdem Hr. Privatdocent Dr. Hemrıcn Meyer in Göttingen von der Bearbeitung der älteren deutschen Jüstorischen Lieder hat zurück- treten müssen, ist diese Aufeabe auf Vorschlag des Hrn. Prof. Dr. Rortne und unter dessen Aufsicht Hrn. Dr. Hrrmann Micner in Berlin übertragen worden. Einzelne Collationsarbeiten wurden für die Abtheilung Seriptores freundlichst ausgeführt durch die HH. Hexrı Lesbeur und Am£per Bomer in Paris, V. Samaner in Wien und F. SchxeEiper in Rom. Eine wesentliche Förderung erfuhren die einschlägigen Arbeiten durch die Bereitwilligkeit, mit der die österreichischen Klöster, an die wir uns wendeten, ausnahmslos ihre Handschriften leihweise übersandten. Dem hochwürdigsten Abt und dem Bibliothekar des Cistereienser- klosters Zwettl, HH. Sterman Rösster und P. Brxevıer HAnmmERL, so- wie den Herren Stiftsarehivaren und Bibliothekaren (der Klöster Ad- mont, Heiligenkreuz, Rein und St. Paul, PP. Frirprıen Fırnter, Frorıan Warzt, Anton Weis und SıEGrrien Umkistıan sei aus diesem Anlasse hier der wärmste Dank ausgesprochen. Für die Abtheilung Leges, soweit sie der Leitung des Hrn. Ge- heimrath Brunner unterstellt ist, blieb Hr. Prof. Freiherr von Scuwınno in Wien mit der Vorbereitung der neuen Ausgabe der Lex Baiuwario- rum beschäftigt. Hr. Prof. Dr. Seexen in Berlin gedenkt im Zusam- menhang der von ihm weitergeführten Forschungen zu den Quellen des Benrdietus Levita im Herbst d. J. in Rom die Handschriften der falschen Capitularien zu prüfen. Bei der für die ältere Zeit jetzt vollendeten Herstellung der Texte der Placita gelang es Hrn. Prof. Taseı den echten Kern des angezweifelten Plaeitums Sigibert's II. (N. A. XII, 157) mit Beihülfe des Hrn. Dr. Raucn aus der stark ver- derbten Überlieferung herauszuschälen und für die Gerichtsurkunde Karl’s des Grossen für Fulda über die Müntsacner'sche Textgestal- tung des ersten Bandes der Karolinger-Diplome noch hinauszukommen. In den von Hın. Prof. Zeuner geleiteten Serien der Abtheilung Leges hat Hr. Dr. Kranmer die Vorbereitung der Ausgabe der Lex Salica, zum Theil in gemeinsamer Arbeit mit dem Leiter der Ab- theilung, soweit gefördert, dass die CGonstituirung des Textes nun- mehr beginnen konnte; der eingehende Editionsplan für die im Druck vorzulegenden fünf Texte und der ihnen anzuhängenden Stücke wurde 500 Gesammtsitzung vom 30. Mai 1907. der Öentraldireetion zur Kenntniss gegeben. Von dem zweiten Bande der Coneilia ist der bis zum Jahre 843 führende Text jetzt auf 108 Bogen vollständig abgesetzt; nach Fertigstellung der Register wird Hr. Prof. Werumenorr im Herbst d. J. den zweiten Theil dieses Bandes dem im Herbst 1904 veröffentlichten ersten Halbbande folgen lassen. Die Arbeit an den Constilutiones et Acta publica ist durch Hrn. Dr. Scnwarn in Hamburg so rüstig gefördert worden, dass seit dem letzten Jahres- berieht nicht weniger als 70 Bogen gedruckt werden konnten. Bei der unerwartet grossen Fülle des Materials für den Römerzug Hein- rich’s VII. empfahl es sich, den vierten Band dieser Serie, dessen erster Theil im Vorjahre ausgegeben wurde, in zwei auch äusserlich selbständige llälften zu zerlegen. Es wurde also jenem bereits vor- liegenden Theil eine die Regierung Heinrich's VII. bis Ende 1311 begleitende zweite Lieferung, mit Titelblatt und Inhaltsverzeichniss für beide, hinzugefügt, während der andere Halbband, gleichfalls mit eigenem Titelblatt, bis zum Ausgang dieser Regierung führen und um- fangreiche Anhänge zum ganzen Bande bringen soll. Zum Abschluss kann er erst gelangen, sobald der Herausgeber auf einer im Laufe dieses Jahres auszuführenden nochmaligen Forschungsreise, die auch der _ Vervollständigung des für die Periode Ludwig’s des Bayern gesam- melten Materials zu dienen hat, noch einige Ergänzungen aus italieni- schen Sammlungen beigebracht haben wird. Für die Constitutiones Karl’s IV. ist der Leiter der Abtheilung mit seinen Mitarbeitern, Hrn. Dr. Lüpıcke und dem neu eingetretenen Hrn. Dr. SaLomox, unausge- setzt thätig gewesen. Der weitaus grösste Theil der in einem ersten Band zu vereinigenden Stücke ist bereits beisammen. Eine grosse Anzahl von Urkunden aus dem Hauptstaatsarchiv zu Dresden, das in Folge einer sehr dankenswerthen Anordnung seines neuen Directors, des Hrn. Geheimraths Possz, zum ersten Male die Aufgaben der Monu- menta Germaniae durch Ausleihung von Archivalien gefördert hat, und aus dem Staatsarchiv zu Coblenz, einzelne auch aus dem Reichsarchiv zu München und dem Ernestinischen Gesammtarchiv zu Weimar, konnten im hiesigen Geheimen Staatsarchiv verglichen oder abgeschrieben, zum Theil auch, dank der auch anderen Abtheilungen der Monumenta zu Gute gekommenen Mühewaltung des Hrn. Dr. Saromon, in trefflichen Liehtbildern vervielfältigt werden. An 150 zum Theil sehr umfang- reiche Stücke, die nach Auswahl der älteren und neueren Litteratur in Rom zu suchen waren, sind dort von dem früheren Hülfsarbeiter des Hrn. Prof. Zruner, Hrn. Dr. Kerv, verglichen worden. Einem im Vorjahre gefassten Beschlusse der Öentraldireetion ent- sprechend hat Hr. Zeuner einen Plan für die im Anschluss an die Veröffentlichung der Constitutiones zu bewirkende Herausgabe der Staats- Koser: Monumenta Germaniae historica. Jalıresbericht. 501 schriften des ausgehenden 13. und des 14. Jahrhunderts vorgelegt, nach welchem sich die Sammlung unter dem Titel Tractatus de üure imperü saeculorum XIII et XIV selecti auf das rein politische und un- mittelbar auf die Reichsgeschichte bezügliche Material zu beschränken haben wird. Zur Bearbeitung sollen zunächst die Traktate des Marsilius von Padua (Defensor paeis; De translatione imperii; De iurisdietione imperii in causa matrimoniali) gelangen. Auf eine im Jahre 1905 von Hrn. Prof. Repuicn gegebene An- regung und nach Prüfung einer auf unser Ersuchen inzwischen von Hrn. Prof. Dorscn in Wien ausgearbeiteten Denkschrift hat die Central- direetion eine Sammlung der Hof- und Dienstrechte des 11. bis 13. Jahr- hunderts (einschliesslich der niederländischen und tlandrischen) in ihren Arbeitsplan awfgenommen, die innerhalb der von Hın. Prof. Zeumer geleiteten Serien der Abtheilung Leges in den Fontes iuris Germaniei antiqui ihren Platz finden soll. Der Leiter der Abtheilung Diplomata Karolinorum, Hr. Prof. Taxeı in Berlin, hat eine Untersuchung über die verschiedenen Überliefe- rungen des sogenannten Testamentes Fulrads von St. Denis, die sich für das Verständniss einer Gruppe von Karolingerurkunden als uner- lässlich ergab, im N. A. XXXI veröffentlicht und wird ihr im Archiv für Urkundenforschung die im vorjährigen Berichte angekündigte, jetzt für die sämmtlichen Karolingerurkunden abgeschlossene Bearbeitung der tironischen Noten, deren Anwendung in den Diplomen Ludwig’s des Frommen ihren Höhepunkt erreicht, folgen lassen. Bei der Be- arbeitung der Originalurkunden dieses Herrschers machte sich das Bedürfniss nach Vervollständigung des früher gesammelten Facsimile- vorraths geltend. Der hochwürdigste Herr Bischof von Chur gestattete die photographische Aufnahme einer im Domschatze befindlichen Ur- kunde Lothar's I. Weiter haben die Herren Directoren der Archive zu Colmar, Marburg, München. Münster i.W., Stuttgart und Wien zur Ergänzung der Lücken durch Übersendung von Originalen oder (wie auch Hr. Staatsarchivar Dr. Krarocawır in Wien) photographischen Nachbildungen in bereitwilligster Weise beigetragen. Der ständige Mitarbeiter dieser Abtheilung, Hr. Dr. E. Mürrer, ist nach Abschluss seiner oben erwähnten Arbeit für die neue Nithart- Ausgabe vorzugs- weise mit einer Untersuchung über die wichtige Gruppe der Fäl- schungen von Le Mass beschäftigt gewesen. Im Bereiche des ı1. Jahrhunderts hat die Fertigstellung des vierten Bandes der Diplomata (für Konrad II.) durch eine Erkrankung des Hrn. Abtheilungsleiters Prof. Bressrau in Strassburg eine kleine Verzögerung erlitten, aber der Druck ist auf Bogen 40 bereits bis zum Schluss des Jahres 1036 geführt; über einen Turiner Fälscher des Sitzungsberichte 1907. 5l 502 Gesammtsitzung vom 30. Mai 1907. ı ı. Jahrhunderts haben im Zusammenhang der Editionsarbeit die beiden Herren Mitarbeiter der Abtheilung, Dr. Hessen und Dr. Wieser, im N. A. XXXU berichtet. Für Bd. V (Heinrich II.) sind, abgesehen von einer kleinen Gruppe Goslarer Urkunden, wegen deren Versendung nach Strassburg die Verhandlungen noch schweben, sämmtliche Ori- ginale gesammelt und auch photographirt worden. In der Abtheilung Diplomata saec. XII konnte dank dem Ent- gegenkommen sämmtlicher betheiligter Archivverwaltungen die Be- arbeitung der Originale durch Hrn. Prof. vov OrrTEntuAL und seinem ständigen Mitarbeiter, Hrn. Dr. Hırscn, unter Beihülfe des Hrn. Dr. SAmAnEK, durchweg in Wien erfolgen. Aufgearbeitet wurden für die Staufer des 12. Jahrhunderts folgende Gruppen: Basel (aus dem Staats- archiv zu Bern). St. Gallen und Pfäffers (Stiftsarchiv St. Gallen), Schaff- hausen (Staatsarchiv daselbst), Propstei Zürich und St. Martin auf dem Zürcher Berg (Staatsarchiv Zürich), Komburg (Staatsarchiv Stuttgart), Gurk (Sammlung des Geschichtsvereins zu Klagenfurt), Stift Rein und St. Florian (aus den Stiftsarchiven), Brauweiler, St. Pantaleon, Sieg- burg und Stablo (Staatsarchiv Düsseldorf), Bursfeld und St. Michael in Lüneburg (Staatsarchiv Hannover), Fulda und Hersfeld (soweit im Staatsarchiv Marburg vorhanden). Für Lothar harren in Deutschland nur noch einige norddeutsche Sammlungen und das Strassburger Diplom der Erledigung; das italienische Material wird Hr. Dr. Hırsc# im Herbst auf einer Rundreise durchforschen. Die Bibliographie wurde zum Abschluss gebracht, der photographische Apparat unter fortdauernder freundlicher Mitwirkung des Hrn. Staatsarchivars Dr. KrarocnwıL an- schnlich vermehrt. Die von Hrn. Dr. Prrers bearbeitete Sammlung der Briefe des Papstes Nicolaus I.. die den Schluss des Bandes VI der Abtheilung Zpistolae bilden soll, liegt nahezu druckfertig vor. Mit dem Satz wird im Laufe dieses Sommers begonnen werden können; die Anfertigung des Registers für den ganzen Band liegt gleichfalls Hrn. Dr. Prrers ob. Für den siebenten Band hat der neue Leiter dieser Abtheilung, Hr. Prof. Dr. Wermiseuorr, die Briefe Hadrians II., Johanns VIII. und der übrigen Päpste des 9. Jahrhunderts, vor Allem aber die Briefe aus dem Westfrankenreich bis 887 in Aussicht genommen, darunter die Hinkmars von Reims und seiner Zeitgenossen. Innerhalb der Abtheilung Antiquitates ist es den Bemühungen des Leiters, Hrn. Geheimen Regierungsraths Prof. HoLper-E6GEr, gelungen, für die von dem verstorbenen Prof. von WINTERFELD unvollendet ge- lassene Herausgabe der karolingischen Poetae latini in Hrn. Prof. STRECKER, dem Nachfolger von WINTERFELD's auf dem Lehrstuhl für mittelalterliche lateinische Philologie an der Berliner Universität, einen Koser: Monumenta Germaniae historiea. Jahresbericht. 503 Fortsetzer zu gewinnen. Für die Bearbeitung der St. Galler Sequenzen, die er als Erbschaft gleichfalls von Wiyterrenn’s übernahm, hat der Züricher Bibliothekar Hr. Dr. Jacoß WERNER auf der Nationalbibliothek zu Paris die Sequenzen-Manuscripte deutscher Herkunft (aus Prüm und Ecehternach) verglichen und aus den französischen Vorlagen (von Limoges und Nevers), die zum Theil älter sind als die St. Galler Handschriften, die Norker schen Texte sowie die Texte nach NorkeEr- schen Melodien herangezogen. Für die Ausgabe der Schriften Ald- helms von Sherborne hat Hr. Prof. Enwarn die Briefe, die rhythmischen und die kleineren hexametrischen Gedichte und die beiden Bücher de virginitate durchgearbeitet. Die Vorbereitung der Necrologien der Diöcese Passau hat der erzbischöfliche Bibliothekar Hr. Dr. Fasr- LINGER zu München, soweit sein Gesundheitszustand es gestattete, wieder aufgenommen. Wie den vorstehend bereits genannten wissenschaftlichen An- stalten und persönlichen Gönnern erstattet die Centraldireetion auch den hohen Reichsbehörden, dem Königlich Preussischen Historischen Institut zu Rom und den Herren Beamten der Handschriftenabtheilung und des Zeitschriftenzimmers der Berliner Königlichen Bibliothek ihren wärmsten Dank für die den Monumenta Germaniae fortgesetzt gewährte werthvolle Unterstützung. 504 Adresse zur Zweihundertjahrfeier des Geburts- tages von Karı von LInnE am 23.—25. Mai 1907. Mi dem schwedischen Volk feiert heute auch die Preußische Aka- demie der Wissenschaften, erfüllt von den gleichen Gefühlen hoher Verehrung, den zweihundertjährigen Geburtstag von Karı vox LisseE. Denn große Männer der Wissenschaft und der Kunst gehören nicht nur dem einzelnen Volk, das sie hervorgebracht hat, sondern der ganzen zivilisierten Welt an. welche an den durch ihre Schaffens- kraft hervorgerufenen Fortschritten teilnimmt. Wird doch mit Recht Karr vox Liss£, der während 37 Jahren als Professor der Botanik an der altehrwürdigen Universität Upsala- gelehrt hat, der Reformator der beschreibenden Naturwissenschaften genannt. Ausgerüstet mit einem umfassenden Wissen sowohl auf «dem Gebiete der Pflanzen- als auch der Tierkunde, begabt mit einem scharfen, ordnenden Verstand und außergewöhnlicher Beobachtungsgabe, hat er durch strenge Durchführung der binären Nomenklatur der Systematik der Organismen, ganz besonders aber der deskriptiven Botanik seiner Zeit, eine völlig neue Form gegeben. Wenn auch das von ihm mit Konsequenz ausgearbeitete Pflanzensystem, da er es hauptsächlich auf der von ihm ausgebildeten Lehre von den Sexualorganen begründet hatte. als ein künstliches bezeichnet werden muß. so hat er doch stets mit weitausschauendem Geist als die Hauptaufgabe und als das eigentliche Ziel der beschreibenden Botanik die Auffindung eines natür- lichen Systems hingestellt und auch in dieser Beziehung seinen Nach- folgern in der Systematik vorgearbeitet und den Weg gewiesen. Noch heute bewundern wir in Lisses Hauptwerken, in seiner Philosophia botanica, in seinen Species plantarum, in seinem Systema naturae die außerordentliche Kunst in der Stellung kurzer, prägnanter Diagnosen, durch die er alle seine Vorgänger weit übertroffen hat; nicht minder bewundern wir sein Geschick in der Zusammenfassung der Tatsachen und in der Prägung klarer Begriffe, überhaupt alle die Eigenschaften, vermöge deren er die noch heute gültige Nomenklatur zahlloser Pilanzenteile geschaffen hat. So ist denn Lmxe während mehr als eines Jahrhunderts für die zahlreichen Jünger der Sceientia Adresse zur Zweihundertjahrfeier des Geburtstages von Karı vox Linse. D0D amabilis in aller Herren Länder der allseitig anerkannte Meister ge- worden, das nachahmenswerte Vorbild für alle Systematiker. Wenn auch in unserer Zeit Botaniker und Zoologen mit wesent- lich anderen Aufgaben, die mehr auf dem Gebiete der mikroskopi- schen Anatomie und der Physiologie liegen, beschäftigt sind, so wird doch der vorurteilslose Forscher darüber nie vergessen, daß wir der Lebensarbeit Karı von Lisnes einen wichtigen Teil der unentbehrlichen Fundamente, die Ordnung des Wissens seiner Zeit und ein wohldurch- dachtes Pflanzensystem verdanken, auf dessen Grundlage dann eine tiefer eindringende morphologische und physiologische Forschung sicher weiterbauen konnte. Die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften. Ausgegeben am 6. Juni. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei. Sitzungsberichte 1907. 52 D K ü cY) Fr, FWIAFFER an Ne En j x P Atren j f Aline Zr IH IKFE) in, Dr RL ei “ et EN Far Park M\ iM a An #1 " sehn NR I re DAS KR Ri 7 {Di e nme AUT % u lhias Male Ar A r r .) ehem 7 ” Pr | u a ınAt Bl, jr alt TE MH, Dr R Ku urn nf Fear h r y“ N APUGIER MR, Hk f fl [ E vr mil | f \ I. f " j ik: v2 u | \ [ 1 L - ” k R LE 8 von # H > i 2, mus Te Be‘ i I Kr 2% | u _ ee. © j ] ch Idee ir Fo IE Be TE ICE eu Re) x Be ”- vi ir. - Ne u a E SARL => | (9 20 Zu Feuss STSISTSLSTZJSTJST-JSTSETSJET1ETz1STSETSETSISTS ET ET 1ET= 1721 1907. XXVU. XxVIM. XXI. SITZUNGSBERICHTE KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. Sitzung der philosophisch - historischen Classe am 6. Juni. (S. 507) Meyer: Über die Anfänge des Staats und sein Verhältniss zu den Geschlechtsverbänden und zum Volksthum. (S. 508) Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe am 6. Juni. (S. 539) Gesamnitsitzung am 13. Juni. (S. 541) Praner: Zur Dynamik bewegter Systeme. (S. 542) Adresse zur Feier des dreihundertjährigen Todestages von Urisse Arprovannı in Bologna, 12. und 13. Juni 1907. (S. 571) BERLIN 1907. _ VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. Aus dem Reglement für die Redaetion der akademischen Druckschriften. : Aus Sl. Die Akademie gibt gemäss $ 41,1 der Statuten zwei fortlaufende Veröffentlichungen heraus: »Sitzungsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften « und » Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften«. Aus $ 2. Jede zur Aufnahme in die »Sitzungsberiehte* oder die »Abhandlungen« bestimmte NMittheilung muss in einer aka- demischen Sitzung vorgelegt werden, wobei in der Regel das druckfertige Manuscript zugleich einzuliefernist. Nicht- mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen. 83. Der Umfang einer aufzunehmenden Mittheilung soll in der Regel in den Sitzungsberichten bei Mitgliedern 32, bei Nichtmitgliedern 16 Seiten in der gewöhnliehen Schrift der Sitzungsberichte, in den Abhandlungen 12 Druckbogen von je 8 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Abhand- lungen nicht übersteigen. Überschreitung dieser Grenzen ist nur mit Zustimmung der Gesammt-Akademie oder (ler betreffenden Classe statt- haft, und ist bei Vorlage der Mittheilung ausdrücklich zu beantragen. Lässt der Umfang eines Manuseripts ver- muthen, dass diese Zustimmung erforlerlich sein werde, so hat das vorlegende Mitglied es vor dem Einreichen von sachkundiger Seite auf seinen mutlimasslichen Umfang im Druck abschätzen zu lassen. SA. Sollen einer Mittheilung Abbildungen im Text oder auf besonderen Tafeln beigegeben werden, so sind die Vorlagen dafür (Zeichnungen, photographische Original- aufnahmen u.s. w.) gleichzeitig mit dem Manuseript, jedoch auf getrennten Blättern, einzureichen. Die Kosten der Herstellung der Vorlagen haben in der Regel «die Verfasser zu tragen. Sind diese Kosten aber auf einen erheblichen Betrag zu veranschlagen, so kann die Akademie dazueine Bewilligung beschliessen. Ein darauf geriehteter Antrag ist vor der Herstellung der be- treffenden Vorlagen mit dem schriftlichen Kostenanschlage eines Sachverständigen an den vorsitzenden Secretar zu richten, «dann zunächst im Seeretariat vorzuberathen und weiter in der Gesammt-Akademie zu verhandeln. Die Kosten der Vervielfältigung übernimmt die Aka- demie. Über die voraussichtliche Höhe dieser Kosten ist — wenn es sich nicht um wenige einfache Textfiguren handelte — der Kostenanschlag eines Sachverständigen beizufügen. Überschreitet dieser Anschlag für die er- forderliche Auflage bei den Sitzungsberichten 150 Mark, bei den Abhandlungen 300 Mark, so ist Vorberathung durch das Seeretariat geboten. Aus 85. Nach der Vorlegung und Einreichung des vollständigen druckfertigen Manuseripts an den zuständigen Sceretar oder an den Archivar wird über Aufnahme der Mittheilung in die akademischen Schriften und zwar, wenn eines der anwesenden Mit- glieder es verlangt, verdeekt abgestimmt. Mittheilungen von Verfassern, welche nieht Mitglieder der Akademie sind, sollen der Regel nach nur in die Sitzungsberichte aufgenommen en! Beschliesst eine Classe die Aufnahme der Mittheilung eines Niehtmitgliedes in die dazu bestimmte Abtheilung der » Abhandlungen», so bedarf dieser Beschluss der Bestätigung durch die Gesammt-Akademie. HG n = (Fortsetzung, auf Sn. 3 des Umsehlags.) 7 » Aaeszh oder Berichten werden für die Verfass: Kosten abziehen lassen. _ Ps Aus $6,. Die an die Druckerei abzuliefernden Manuseripte müssen, | wenn es sich nieht bloss um glatten Text handelt, aus- reichende Anweisungen für die Anordnung des Satzes und die Wahl der Schriften enthalten. Bei Einsendungen Fremder sind diese Anweisungen von dem vorlegenden Mitgliede vor Einreichung des Manuseripts vorzunehmen. Dasselbe hat sich zu vergewissern, dass der Verfasser seine Mittheilung als vollkommen druckreif ansicht. a1 Die erste Correetur ihrer Mittheilungen besorgen die Verfasser. Fremde haben diese erste Cosrentur an das vorlegende Mitglied einzusenden. Die Correetur soll nach . Möglielıkeit nicht über (lie Berichtigung von Druckfehlern und leichten Schreibversehen hinausgehen. "Umfängliche e“ Correeturen Fremder bedürfen der Genehmigung des redi- givenden Seeretars vor der Einsendung an die Druckerei, und die Verfasser sind zur raue der entstehenden Mehr- kosten verpflichtet. F* er Aus $8. Von allen in die Sitzungsberichte oder Abhandlungen aufgenommenen wissenschaftlichen Mittheilungen , Reden, ', von wissensehaftlichen Mittheilungen, wenn deren ‚Umfang i im 2 Druck 4 Seiten übersteigt, auch fürden Buchhandel Sonder- “ abdrucke hergestellt, die alsbald nach Erscheinen des be- treffenden Stücks den Sitzungsberielite ausgegeben werden. Von 3 es werden ebenfalls Sonderabäd. " Von den Sonderabdr ucken aus den Sitzungsberldilin erhält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, % zu BUSBEBLLIENEN N, ‚ohne weiteres 50° Frei- auf en der Akademie weitere - Exemplare bis zur Zahl von noch 100° und auf seine Kosten. noch: w rec Te en zur Vertheilung zu erhalten, ‚so Ba es der Genehmigung der Gesammt- Akademie 0 ode Krefenlen: Glassch A| ehtmitglieder n. exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige b redigirenden Sceretar weitere 200 Exemplare. auf ihre ar $ Von den Sonderabdrucken aus den Abhandlungen er- ® hält ein Verfasser, weleher Mitglied der Akademie ist, Y* zu unentgeltlicher Vertheilung Bine weiteres 30] oxemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem / auf Kosten der Akademie weitere ‚Exemplare bis zı 2 von noch 100 und auf ‚seine Kosten noch ‚weite bie zur Zahl von 100 (im ganzen also 230) ‚abziche zu 3 sofern er diess Fechtserle dem redigivenden Secretar au an gezeigt hat; wünscht er auf seine "Kosten noch“ Bee Abdrucke zur YVertheilung zu erhalten, so bedarı s dazu der Genehmigung ı trefienden Classe. — - Niehtmitglieder erh exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige ] redigirenden Seeretar weitere 100 I Kosten abziehen lassen. £ ö ; / I ‚Eine für die akademischen Sei ri 4“ Stelle anderweitig „sei es au Bnura 507 SITZUNGSBERICHTE 1907. XXVı. DER KÖNIGLICH. PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 6. Juni. Sitzung der philosophisch-historischen Classe. “ Vorsitzender Secretar: Hr. Dieıs. Hr. EpvArn Meyer las über die Anfänge des Staates und sein Verhältniss zuden Geschlechtsverbänden und zum Volksthum. Der staatliche Verband ist in seiner Urgestalt nicht eine Schöpfung des Menschen, sondern älter als die Entstehung des Menschengeschlechts, das sich in ihm entwickelt hat. Die Geschlechtsverbände und die Familie sind nicht Vorstufen des Staates, sondern vielmehr erst von diesem geschaffen; für die Ordnung des Geschlechtslebens (Ehe und Familie) ist nicht der geschlechtliche Verkehr, sondern das Recht auf die Kinder maass- gebend. Für die Bildung grösserer, zahlreiche staatliche Verbände (Stämme) um- fassender Gruppen, der Rassen, Sprachstämme, Völker, ist viel wesentlicher als die Spaltung ursprünglicher Einheiten der umgekehrte Process der Angleichung der einzelnen Stämme, die zu grösseren Gebilden zusammenwachsen, deren Bestand im Verlauf der geschichtlichen Entwickelung in fortwährendem Fluss ist und daher nicht als etwas von Anfang an Gegebenes und Unwandelbares, sondern als Ergebniss eines complieirten historischen Processes aufgefasst werden muss. Sitzungsberichte 1907. 53 508 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 6. Juni 1907. Über die Anfänge des Staats und sein Verhältnis zu den Geschlechtsverbänden und zum Volksthum. Von EpuArp Meyer. Sowohl nach seiner Körperbeschaffenheit wie nach seiner geistigen Veranlagung kann der Mensch nicht als Einzelwesen existiren, etwa mit zeitweiliger geschlechtlicher Paarung: der isolirte Mensch, den das Naturrecht und die Lehre vom contrat social an den Anfang der menschlichen Entwickelung stellte, ist eine Erfindung ohne jede Realität und daher für die theoretische Analyse der menschlichen Lebensformen eben so werthlos und irreführend wie für die geschichtliche Erkenntniss. Vielmehr gehört der Mensch zu den Herdenthieren, d.h. zu den- jenigen Thiergattungen, deren einzelne Individuen dauernd in festen Verbänden leben. Solche Verbände können wir, eben weil sie eine An- zahl gleichartiger Einzelwesen zu einer Genossenschaft vereinigen, als sociale Verbände bezeichnen. Jeder solche Verband (Rudel, Schwarm, Herde u. Ä.) — mögen wir ihn uns rein instinetiv durch einen an- geborenen Naturtrieb entstehend oder bereits mit einem, wenn auch noch nicht begrifflich formulirten und daher in unserem Denken nicht reprodueirbaren Bewusstsein gebildet vorstellen — dient der Ver- wirklichung eines bestimmten Zwecks, nämlich der Ermöglichung und Sicherung der Existenz seiner Glieder, und ist daher beherrscht von einer bestimmten Ordnung. Indem er eine Anzahl von Einzel- wesen zu einer socialen Einheit zusammenfasst, sondert er sie zugleich von allen anderen gleichartigen Gruppen derselben Gattung ab und ordnet sie einem Gesammtwillen unter. Nur innerhalb der von diesem gesetzten Grenzen hat, in scharfem Unterschied z. B. vom Raubthier, das Einzelwesen Bewegungsfreiheit; sollte es sich dem Gesammtwillen entziehen wollen, so wird es von diesem unter seine Gebote gezwungen, oder ausgestossen und vernichtet. Dadurch ist ein rein geistiges Moment gegeben, das zwar aus concreten Bedürfnissen erwachsen, aber nicht sinnlich wahrnehmbar ist; trotzdem hat es volle Realität und wirkt als solehe ununterbrochen, aber nur durch psychische (unbewusste oder bewusste) Vorgänge, durch die Einwirkung der Idee des Verbandes MEyvErR: Die Anfänge des Staats. 509 auf das Handeln des Einzelnen. Das gilt von allen Thierverbänden: das Einzelindividuum, z. B. die Biene oder die Ameise, ist nur als Glied eines grösseren Ganzen begreifbar, dessen Zwecken seine Hand- lungen dienen, oft genug bis zur Aufopferung seiner eigenen Existenz'. Von dem Leben des Menschen gilt das gleiche von Anfang an. Denn wenn wir entwickelungsgeschichtlich annehmen, dass der Mensch sich aus einem höheren Thier herausgebildet hat, und erwarten dürfen, dass die wenigen Spuren eines solehen Anthropoiden, die bisher ent- deekt sind, sich durch weitere Funde vermehren werden, so kann es nicht zweifelhaft sein, dass ein Wesen von der physischen Be- schaffenheit des Menschen überhaupt nur entstehen und sich erhalten konnte, wenn mit der körperlichen die geistige Entwickelung in fortwährender Wechselwirkung zusammenging. Diese geistige Ent- wickelung — physiologisch kann man sagen die Ausbildung der Gross- hirnrinde — bildet ja die Ergänzung der körperlichen Gestaltung und den Ersatz für die grossen Mängel, die dieser anhaften; vielleicht an erster Stelle kommt hier die sehr langsame Entwickelung des Kindes in Betracht, welche die Erhaltung der Gattung ausserordentlich er- schwert. Die gesammte geistige Entwickelung des Menschen hat nun aber das Bestehen abgegrenzter Gruppenverbände zur Voraussetzung. Vor Allem ist das wichtigste Werkzeug des Menschen, die Sprache, die ihn erst zum Menschen macht und die erst die Ausbildung unseres formulirten Denkens ermöglicht hat, nicht etwa im Einzelmenschen oder im Verhältniss der Eltern zu den Kindern geschaffen, sondern sie erwächst aus dem Mittheilungsbedürfniss Gleichstehender, durch gemeinsame Interessen und geregelten Verkehr Verbundener. Aber auch die Erfindung der Werkzeuge, die Gewinnung des Feuers, die Züch- tung der Hausthiere, die Ansiedlung in Wohnstätten u. s. w. sind nur innerhalb einer Gruppe möglich oder haben wenigstens Bedeutung nur dadurch gewonnen, dass, was einem Einzelnen zunächst geglückt sein mag, Eigenthum des ganzen Verbandes wird. Dass vollends Sitte, Recht, Religion und aller sonstige geistige Besitz nur in solehen Ver- bänden entstanden sein können, bedarf keiner Ausführung. Somit ist die Organisation in solehen Verbänden (Horden, Stämmen), welche wir empirisch überall antreffen, wo wir Menschen kennen lernen, nicht ı Wie weit die Ausbildung organischer Gruppen bei Thieren gehen kaun, habe ich vor 30 Jahren oft in Constantinopel an den Strassenhunden beobachtet: sie haben sich in scharf gegen einander abgegrenzten Quartieren organisirt, in die sie keinen fremden Hund hineinlassen, und jeden Abend halten sämmtliche Hunde eines jeden Quartiers auf einem öden Platz eine etwa eine halbe Stunde dauernde Versammlung ab, mit lebhaftem Gebell. Hier kann man also geradezu von räumlich umgrenzten Hunde- staaten reden. 510 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 6. Juni 1907. nur eben so alt, sondern weit älter als der Mensch: sie ist die Vor- aussetzung der Entstehung des Menschengeschlechts überhaupt!'. Ob unter den Verbänden, in denen sich das Menschengeschlecht entwickelt hat, von Anfang an physische und psychische Rassenunter- schiede bestanden haben, oder ob sie einmal alle so gleichartig ge- wesen sind, wie mehrere Herden derselben Thierspecies, wissen wir nicht. Zweifellos hat dagegen die weitere Entwickelung eine solche Differenzirung wenn nicht geschaffen, so doch ständig gesteigert. Jeder Verband gewinnt einen ererbten, von Generation zu Generation über- lieferten und gemehrten Besitz sowohl von körperlichen wie vor Allem von geistigen Eigenschaften, materiellen Erwerbungen, Vorstellungen, Sitten und Ordnungen, die wir unter dem Namen Cultur zusammen- fassen. Trotz der Übereinstimmung in den Grundzügen ist dieser Besitz im Einzelnen von dem jedes anderen specifisch verschieden. Damit tritt zu der äusseren Scheidung der Verbände ein innerer Unterschied hin- zu: anders als bei den Thieren, z. B. bei einem Rudel Hirsche oder einem Bienenschwarm, besitzt jeder menschliche Verband eine Eigenart, eine bestimmte Individualität. Diese Entwickelung findet ein Gegen- gewicht in dem ständigen physischen und geistigen Austausch, der sich - zwischen den einzelnen Verbänden vollzieht und sie wieder zu grösseren, in den wichtigsten Zügen homogenen Gruppen vereinigt — darauf werde ich nachher noch zurückkommen. Dieselben entgegengesetzten Tendenzen machen sich aber auch innerhalb jedes einzelnen Verbandes geltend: die sich entwickelnde Cultur schafft Unterschiede sowohl in der Lebensstellung der einzelnen ihm angehörigen Individuen, wie in der Fähigkeit, das ererbte Gut sich anzueignen und zu mehren; sie erzeugt zugleich eine immer grössere Mannigfaltigkeit der Lebens- bedingungen. Dadurch erhalten die individuellen körperlichen und geistigen Anlagen des Einzelnen immer grösseren Spielraum der Be- thätigung, der in sehr verschiedener Weise erkannt und ausgenutzt wird. Damit gewinnt der Charakter des einzelnen Menschen selb- ständige Bedeutung nicht nur für sein eigenes Leben, sondern wirkt zugleich auf die Gestaltung der Gesammtheit zurück. So bilden sich innerhalb der homogenen Gruppe Gegensätze der Leistungsfähigkeit, des Willens und der Ziele, die zu Gonflieten führen, die Ordnung des l Aus dieser Betrachtung erhellt zugleich die Absurdität der aus mythischen Vorstellungen entstandenen Ableitung des Menschengeschlechts als Ganzen oder gar der eines einzelnen Volks von einem einzelnen Paare. Ich würde sie überhaupt nieht erwähnen, wenn nicht noch Lanrreeer, Deutsche Geschichte I, 2. Aufl. 1894, S. 86 in der Darstellung der »Uranfänge« des deutschen Volkes behauptete, »als Keim aller späteren Bildungen lässt sich nichts anderes denken, als ein erstes Elternpaar«, und daraus die ersten Einrichtungen, speciell »eine durch keinerlei Unterschiede begrenzte Geschlechtsgemeinschaft« ihrer Nachkommen, Gesehwisterehe u. Ä. ableitete. Meyer: Die Anfänge des Staats. 511 Verbandes umgestalten, ja seine Einheit sprengen können. Gerade alsdann aber tritt die zwingende Gewalt der universellen Factoren, aus denen die Organisation in socialen Verbänden erwachsen ist, nur um so stärker zu Tage. Wohl mag ein Einzelner sich unter besonderen Verhältnissen einmal eine Zeit lang selbständig behaupten und ein Sonderleben, etwa als Räuber oder als einsamer Siedler, führen; schliess- lich erliegt er immer wieder den organisirten Verbänden, wenn es ihm nicht gelingt, selbst eine neue Gruppe um sich zu sammeln und so der Gründer eines neuen Verbandes zu werden. Auch für die Trümmer eines zersprengten Verbandes bleibt nur dann eine Existenzmöglichkeit, wenn sie sich zu einer neuen Bildung vereinigen oder an schon be- stehende anschliessen können. Wo immer wir von menschlichen Zuständen Kunde haben, treffen wir nicht, wie bei den Herdenthieren, einen einzigen, sondern eine grössere Zahl socialer Verbände, die in einander liegen, auch wohl sich kreuzen. Kleinere Stämme, Horden, Ansiedlungen sind mit ein- ander verbündet oder direet zu einem umfassenden Staat vereinigt, oder sie fühlen sich wenigstens als Theile eines grösseren Volks- ganzen. Innerhalb der Stämme bestehen Blutsbrüderschaften (Phra- trien), Clans, Geschlechter, die sich wieder durch mehrere Stämme oder Unterstämme hindurch verbreiten mögen und so zwischen An- gehörigen verschiedener Stämme ein gemeinsames Band schaften, ferner politische und militärische Abtheilungen, die Einflüsse des Wohnsitzes machen sich in Gauverbänden und Dorfgenossenschaften geltend u. s. w. Diese Verbände unterscheiden sich sowohl durch die Zwecke, denen sie dienen, wie durch den Grad der Intensität, mit der die zu ihnen gehörigen Menschen ihnen eingeordnet sind. Zu welchen Verbänden jeder einzelne Mensch gehört, ist niemals zweifel- haft, ebensowenig, welche Ansprüche jeder Verband an ihn zu stellen berechtigt ist'; wohl aber gerathen diese Ansprüche und die auf ihnen beruhenden Verpflichtungen des Individuums oft in scharfen Confliet, und dann ist es sehr fraglich, welcher Anspruch sich als der stärkere erweist. Sehr oft sind es die kleineren und darum individu- elleren und fester gefügten Verbände, die sich siegreich behaupten und alsdann die grössere Gruppe sprengen und vielleicht selbst an ihre Stelle treten können; oft setzt umgekehrt diese ihren Willen durch. Aber unter all diesen Verbänden ist einer der Idee nach der dominirende: derjenige, der alle kleineren Verbände als untergeordnete Theile, als Gruppirungen innerhalb einer Einheit betrachtet, und da- 1 Auch bei Neubildungen und freiwilligen Vereinigungen, etwa der Gefolgschaft eines Häuptlings oder Verbindungen zu Kriegszwecken, besteht über die Verpflichtung, die der Einzelne durch seinen Anschluss übernimmt, kein Zweifel. 5, Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 6. Juni 1907. her von allen seinem Machtbereich zugehörigen Gruppen und Indivi- duen Unterordnung unter seinen Willen und seine Zwecke fordert und nöthigenfalls erzwingt, mögen dieselben sonst mit ihren eigenen Bestrebungen und Zielen noch so weit aus einander gehen. Als Ganzes kann er selbst wohl zu anderen gleichartigen Verbänden vorüber- gehend oder dauernd in ein festes Verhältniss treten oder gezwungen werden, seinen Willen einem fremden, stärkeren unterzuordnen (z.B. als Vasallenstaat); für seine Glieder dagegen erkennt er im Falle eines Contlietes Verpflichtungen gegen einen fremden Verband nicht an, sondert sie vielmehr von allen anderen Menschen scharf ab. Diese dominirende Form des socialen Verbandes, in deren Wesen das Be- wusstsein einer vollständigen, auf sich selbst ruhenden Einheit ent- halten ist, nennen wir den Staat. Wir müssen daher den staatlichen Verband nicht nur begrifflich sondern auch geschichtlich als die primäre Form der menschlichen Gemeinschaft betrachten, eben als denjenigen socialen Verband, welcher der thierischen Herde entspricht und seinem Ursprung nach älter ist als das Menschengeschlecht über- haupt, dessen Entwickelung erst in ihm und durch ihn möglich ge- worden ist. Diese Auffassung des Staates ist im Grunde identisch mit der berühmten Definition des Aristoteles, dass der Mensch ein von Natur staatenbildendes Wesen und der Staat der alle anderen umfassende und an Leistungsfähigkeit überragende sociale Verband (koınwnia) ist, der anders als die übrigen durch sich selbst bestehen kann (mÄcHc Exovca TIEPAC TÄAC AYTapkelac). Dagegen widerspricht sie gegenwärtig weit verbreiteten Anschauungen. Der Staat hat sich im Verlauf der geschichtlichen Entwickelung ebensosehr zu immer complieirteren Gestaltungen umgebildet, wie der Mensch und das menschliche Leben überhaupt, so dass man sich vielfach sträubt, den Namen auf pri- mitive Gebilde anzuwenden. Rartzer z. B. hat für den Staatsbegriff das territoriale Moment in den Vordergrund gestellt und verlangt, dass man von einem Staat nur reden dürfe, wo ein geschlossenes, einheitlich organisirtes Gebiet vorhanden ist. Nun fehlen Beziehungen zum Boden beim Menschen niemals, und auch Stämme, die noch nicht sesshaft geworden sind, ja die mit ihrem Vieh je nach der Jahreszeit in ganz verschiedenen Gebieten hausen, betrachten doch dieses Gebiet mit seinen Weiden, Jagdgründen und Quellen als ihr Eigenthum, von dem sie jeden fremden Stamm fernzuhalten suchen; aber fest verwachsen mit dem Boden sind sie allerdings nicht. In- dessen der Besitz eines festumgrenzten Gebiets bildet auch keineswegs einen integrirenden Bestandtheil des Staatsbegrifis; vielmehr können wir uns sehr wohl auch einen entwickelten Staat denken, der sich, ohne MryEr: Die Anfänge des Staats. 513 seine Eigenart aufzugeben, ganz von dem Boden loslöst, wie es die Athener im Jahre 480 gethan und die Spartaner im Jahre 366 und die Holländer 1672 erwogen haben. Umgekehrt dagegen sind alle wirklich für den Staatsbegriff maassgebenden Momente, Einheit des Willens, Durchführung der Rechtsordnung', militärische und politische Organisation, und vor Allem das Bewusstsein der Ewigkeit des Ver- bandes, dessen Bestand von dem Willen der zu ihm gehörigen Unter- abtheilungen und Individuen unabhängig ist, wohl aber diese unter seinen Willen zwingt, auch bei den nomadischen und Jägerstämmen vorhanden, oft sogar in sehr entwickelten Formen: es fehlt mithin jeder Grund, hier den Ausdruck Staat oder staatlicher Verband zu vermeiden. Was viele Forscher stutzig gemacht und die Scheu erregt hat, den Ausdruck Staat auf primitive politische Organisationen anzuwenden, ist denn auch ein ganz anderes Moment. Bei vielen Völkern, und zwar gerade bei solchen, die zu grosser geschichtlicher Bedeutung gelangt sind, z.B. bei den Israeliten, den Griechen, den Deutschen, finden wir in der Zeit, wo wir sie zuerst geschichtlich genauer kennen lernen, die staatlichen Institutionen nur schwach entwickelt, während andere, kleinere Verbände ein sehr kräftiges Leben haben und als die eigent- lichen Grundelemente der soeialen Organisation erscheinen. Vorwiegend sind es Verbände, die auf der Idee der Blutsverwandtschaft und der gemeinsamen Abstammung beruhen, wie die Phylen, Phratrien, Clans, Geschlechter; und diese können sich, wie die Geschlechter (Clans, Sippen) der Indianer mit ihren Totems oder die Heirathsclassen der Australier, über verschiedene Stämme oder Staaten erstrecken, wie z.B. die vier ionischen und die drei dorischen Phylen jedenfalls in einem grossen Theil der ionischen und der dorischen Staaten und ursprünglich wahr- ! Jeder‘ Versuch, in der Entwickelung des Rechts einen Punkt zu bestimmen, von dem an man das Vorhandensein des Staats constatiren könnte, ist willkürlich und praktisch unausführbar. Dass von schriftlich fixirtem Recht hier nicht die Rede sein kann, ist evident; ohne eine Rechtsordnung aber, d. h. eine allgemein anerkannte und als unverbrüchlich geltende Regelung seiner äusseren Gestaltung, seiner Befugnisse und seiner Stellung zu den Einzelnen, ist auch der primitivste Staımverband nicht denk- bar, denn ohne solche wäre er eben nur eine ephemere Vereinigung selbständiger In- dividuen. So liegt denn auch, wie wir noch weiter erkennen werden, diese staatliche Rechtsordnung jeder, auch der primitivsten, Regelung des Geschlechtslebens zu Grunde. Die einzelnen Rechtssätze mögen oft nur latent im Bewusstsein des Verbandes leben; zu klarem Bewusstsein und fester Formulirung gelangen sie, sobald sie durch den Widerspruch eines Einzelnen oder durch äussere Eingriffe angefochten werden. — Vollends unmöglich ist eine Definition des Staats nach der Zahl der zu ihm gehörigen Individuen. Denn auch der kleinste selbständige Verband, z. B. eine Stadt von wenigen hundert Einwohnern, die eine unabhängige rıönıc bildet, ist ein Staat, während es viele sehr umfangreiche Verbände giebt, die doch nicht Staaten sondern nur Unterabtheilungen von solchen sind. 514 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 6. Juni 1907. scheinlich in allen vorkommen. Daneben finden wir ein völlig selb- ständiges Leben in den kleinsten localen Gruppen, Gaugemeinden und Dörfern, während die Autorität des Staats, dem sie angehören, nur sehr gering ist. In manchen Fällen, z. B. bei den Böotern, Phokern, Eliern, Aetolern, kann man schwanken, ob man von einem Einheits- staat mit sehr selbständigen Einzelgemeinden reden muss oder ob man vielmehr diese als die Staaten und die Gesammtheit als eine Föderation ansehen soll. Ganz gleichartig sind die Zustände der Israeliten in der sogenannten Richterzeit, wo sich innerhalb des Volks selbstän- dige grössere Einheiten auf localer Grundlage, die sogenannten zwölf Stämme, gebildet haben, vielfach aber die kleinsten Gruppen, die Geschlechter (mispachot), ganz selbständig handeln, bis dann die Noth der Zeit zur Bildung eines neuen kräftigen Einheitsstaats führt. Hier, und ebenso in der Geschichte des Mittelalters, sehen wir also den einheitlichen Staat und seine durchgebildete Organisation erst ganz allmählich im Verlauf des geschichtlichen Processes aus sehr be- scheidenen Ansätzen erwachsen. Da liegt der Gedanke sehr nahe, diesen Process nach oben in die Zeiten, von denen wir keine oder doch keine genauere Kunde haben, weiter fortzusetzen und anzu- nehmen, dass der Staat ursprünglich überhaupt nicht existirt habe, sondern die kleineren und kleinsten Gruppen die ursprünglichsten, vorstaatlichen Formen socialer Organisation gewesen seien, die Mole- küle, aus deren Zusammenschluss der Staat erst in einer verhältniss- mässig späten Epoche menschlicher Entwickelung entstanden sei. Man hat denn auch z. B. angenommen, dass die griechischen Phylen oder die römischen Stammtribus ursprünglich selbständige Stämme ge- wesen seien, man hat den römischen Staat aus einem Vertrage der ursprünglich souveränen Gentes unter Führung ihrer Familienhäupter abgeleitet. Dass diese Constructionen verkehrt waren, ist gegenwärtig wohl allgemein zugegeben. Die Phylen und Phratrien, die Tribus und Curien, die Geschlechter sind niemals Staaten, sondern immer nur Unterabtheilungen eines Staats oder eines Stammes gewesen; und wenn sich in geschichtlicher Zeit dieselben Phylen über mehrere Stadtstaaten, dieselben Totemgeschlechter über mehrere Stämme ver- breitet finden, so ist das nur ein Beweis, dass diese früher einmal eine staatliche Einheit gebildet haben, die sich in mehrere selb- ständige staatliche Verbände aufgelöst hat. Diese Einheit hat denn ! Dies Problem kehrt bekanntlich bei vielen hochentwickelten modernen Staaten. wieder, die auf föderativer Grundlage erwachsen sind, so bei der Republik der ver- einigten Niederlande [und da nochmals bei den einzelnen Provinzen in ihrem Verhältniss zu den Städten], bei der Schweiz, beim Deutschen Reich, bei den Vereinigten Staaten von Nordamerica. Meyer: Die Anfänge des Staats. 515 auch überall in den Stammnamen und in zahlreichen gemeinsamen Sitten und Anschauungen greifbare Spuren hinterlassen. Ebensowenig ist die Selbständigkeit der einzelnen Gaue und Städte, der localen Atome, das Ursprüngliche. Auch hier zeigen, bei den Griechen wie bei den Germanen, die Stammnamen deutlich die älteren, grösseren Einheiten, die sich aufgelöst, die sich gelegentlich aber auch zu grösseren Einheiten zusammengeschlossen haben, ein Process, den wir im Stammleben überall verfolgen können, am anschaulichsten vielleicht bei den Arabern. Überdies ist es bekannt, dass bei den Germanen wie bei den Griechen grössere staatliche Bildungen, zum Theil von sehr bedeutender Leistungsfähigkeit, der Zersplitterung vorangegangen sind. Die volle Atomisirung ist in den mittelalterlichen Zeiten der Israeliten, der Griechen, der Stämme Italiens, der christlichen Völker das Product eines bestimmten, und zwar eines bereits recht fortge- schrittenen Culturzustandes, des Übergangs zu voller Sesshaftigkeit, bei der die älteren, auf dem Stammverband beruhenden staatlichen Ordnungen nicht mehr funetioniren können. Daher zieht sich alsdann die Staatsidee auf die kleinsten, eng geschlossenen Elemente zurück, um hier neue Kräfte zu sammeln und dann von hier aus auf’s Neue expansiv vorzudringen. Aber der Gedanke, das Wesen des Staats dadurch zu erfassen dass man ihn in seine Elemente zerlegt und dann aus diesen geschicht- lich aufbaut, liegt allerdings nahe genug. Auch Aristoteles ist der Verloekung erlegen, wenn er den vollendeten Staat, der ihm die mönıc, die Stadtgemeinde ist, trotz seiner Definition! aus der Vereinigung von Dörfern ableitet und diese sich aus der Familie entwickeln lässt. Die moderne Ethnologie und die auf ihr fussenden anthropologischen und eulturhistorischen Darstellungen haben dann diese Betrachtungsweise ganz in den Vordergrund gestellt. Sie stehen bewusst und unbewusst in vielfachem Gegensatz gegen die Historiker, für die der Staat und seine Entwickelung und Schicksale den Mittelpunkt des Denkens und Forschens bildet; sie richten ihr Augenmerk vorwiegend auf die- Jenigen Institutionen und Schöpfungen der Menschen, bei denen der Staat nicht oder wenigstens nicht unmittelbar und sinnlich greifbar in Wirksamkeit tritt. Hier hat die vergleichende Ethnologie ein ausser- ordentlich reiches Material erschlossen und uns die grosse Mannig- ! Für Aristoteles liegt darin kein Widerspruch, da er die Definition dem TExoc, der vollendeten Entwickelung, entnimmt. Dikaearch hat dann in seinen sloc "EnnAAoc diesen Gedanken historisirend weiter ausgeführt, wie das Fragment bei Steph. Byaz. s. v. MATPA lehrt, wo er die Entwickelung der menschlichen Gesellschaft und der mensch- lichen Verbände aus der Familie (mit ursprünglicher Geschwisterehe) ganz in der Weise der modernen Culturhistoriker und Anthropologen darlegt. 516 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 6. Juni 1907. faltigkeit der socialen Institutionen, der Formen des Geschlechtslebens und der Blutsverbände kennen gelehrt. Es ist um so begreiflicher, dass sie auf diese Momente das entscheidende Gewicht legt, da sie durchaus empirisch vorgehen und voraussetzungslos das Material me- thodisch sammeln und ordnen, sich von ihm belehren lassen will. Thatsächlich freilich kann sie dabei Hypothesen und Schlussfolgerun- gen so wenig entbehren wie irgend eine andere Wissenschaft, operirt vielmehr oft genug mit den kühnsten Voraussetzungen, die in dem ethnographischen Material nur scheinbar eine Stütze haben, weil es eben schon nach diesen Voraussetzungen gesammelt und geordnet ist. So gehen denn auch die Theorien der einzelnen Forscher auf diesem Gebiet vielfach aufs stärkste aus einander, und Behauptungen, die eine Zeit lang als festbegründet und unwiderlegbar galten, haben sich oft genug bei tiefer dringender Untersuchung als völlig unhaltbar erwiesen. Dieser Betrachtungsweise kommt von ganz anderer Seite her eine Tendenz entgegen, welche in der politischen Entwickelung des 19. Jahr- hunderts ihre Wurzeln hat. Der moderne Liberalismus ist bekannt- lich von dem Streben beherrscht, wie in der Praxis die Macht, so in der Theorie die Bedeutung des Staats herabzudrücken und dem gegenüber einerseits die Rechte des Individuums auf freie Bewegung, andrerseits die Bedeutung der theils in Wirklichkeit, theils wenigstens scheinbar nicht vom Staate gebildeten und abhängigen Verbände und Genossenschaften zu betonen. Er verwirft die Auffassung der Historiker von der centralen Bedeutung des Staats für das menschliche Leben und stellt statt dessen den Begriff der menschlichen Gesellschaft und ihrer Wandlungen in den Vordergrund: die Anthropologie (oft auch Geschichtsphilosophie genannt), d.h. die Lehre von den allgemeinen Formen menschlichen Lebens und menschlicher Entwickelung, tritt daher vielfach unter dem Namen der Sociologie auf. Die starke Be- tonung des wirthschaftlichen Lebens, das sich dem äusseren An- schein nach im Wesentlichen selbständig, unbekümmert um staatliche Regelung, entwickelt, ja den Staat, wenn er den Versuch macht, ein- zugreifen, vielmehr umgekehrt in seine Bahnen zu zwingen scheint', hat diese Auffassung mächtig gefördert. In mannigfachen Variationen, bei denen oft der thatsächliche Zusammenhang mit den dennoch ihren Ausgangspunkt bildenden liberalen Prineipien ganz in den Hintergrund tritt, hat sie die Theorien der Gegenwart gestaltet. Die Ergebnisse der vergleichenden Ethnologie schienen damit auf’s Beste übereinzu- stimmen. So gilt es in weiten Kreisen als ein erwiesener und un- ' In Wirklichkeit liegt hier, wie in allem geschichtlichen Leben, eine ununter- brochene Wechselwirkung vor. Der Staat ist eben so abhängig von den wirthschaft- lichen Verhältnissen, wie diese von den Ordnungen und Willensakten des Staats. MEyER: Die Anfänge des Staats. 517 bestreitbarer Lehrsatz, dass der Staat eine junge Bildung der mensch- lichen Entwieckelung ist, und dass ihm eine Zeit vorhergegangen ist, in der die aus der physischen Blutsverwandtschaft und dem Verkehr der Geschlechter mit einander entstandenen soeialen Verbände die maass- gebende Gestaltung der menschlichen Gesellschaft bildeten und das Leben der einzelnen Individuen. bestimmten. Diese Theorie sucht die Wurzel, den Keim aller socialen Organisation in der Organisation des Geschlechtslebens, in dem Verhältniss zwischen Mann und Weib — sei es, dass man mit Aristoteles von der geschlossenen patriarchali- schen Familie ausgeht, sei es, dass man dieser ihr Gegenbild voran- gehen lässt, die Ordnung, die man als matriarchalische oder mutter- rechtliche Familie bezeichnet, sei es, dass man den Urzustand in der sogenannten Horde, der ungeregelten Vermischung von Männern und Frauen innerhalb eines socialen Verbandes, oder in der Gruppenehe, der promiseuen Heirath einer (angeblich durch Ahneneult in der Form des sogenannten Totemismus) geschlossenen Gruppe von Männern mit einer geschlossenen Gruppe von Frauen, zu erkennen glaubt. Diese älteste Ordnung des Geschlechtslebens, wie auch immer sie ursprüng- lich gestaltet gewesen sein mag, gilt als naturwüchsig, eyceı, und mit dem Dasein des Menschen unmittelbar gegeben. Sie gilt daher als der Embryo, aus dem alle anderen Verbände, und so auch der Staat, erst im Laufe des geschichtlichen Processes entstanden sein sollen. Aber diese Auffassung, so verbreitet sie ist und so selbstverständ- lich sie vielen erscheint, ist nicht haltbar, weder theoretisch noch em- pirisch. Denn sie fasst die Verbindung der Geschlechter ja keineswegs als den physischen Begattungsakt, der dann, je nach Umständen und Neigung, eventuell auch ein kürzeres oder längeres Zusammenwohnen von Mann und Weib zur Folge haben mag, sondern sie betrachtet sie als eine dauernde Lebensgemeinschaft von Männern, Weibern und Kindern, die bestimmten rechtlichen und allgemein anerkannten Ordnungen unter- stellt ist und dauernde rechtliche CGonsequenzen von höchster Bedeutung hat. Diese beiden Formen des Geschlechtsverkehrs, die freie ephemere Verbindung und die Ehe, sind aber streng auseinanderzuhalten; sie haben in Wirklichkeit gar nichts mit einander gemein, als den rein physischen Geschlechtsakt. Die freie und daher zugleich promiscue Ver- bindung der Geschlechter existirt ohne Ausnahme bei allen Völkern und in jeder Gesellschaft, sei es, dass der Verkehr völlig freigegeben ist, sei es, dass er bestimmten Satzungen unterstellt und z.B. nur zwischen Angehörigen bestimmter Gruppen gestattet ist, oder dass er den jungen Mädchen vor der Verheirathung erlaubt oder, wie bei der weit ver- breiteten religiösen Prostitution, direet geboten ist. Sehr gewöhnlich ist ein besonderer Weiheakt, z.B. die Beschneidung, durch den die 518 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 6. Juni 1907. Jungen Leute für die Ausübung des geschlechtlichen Verkehrs reif er- klärt und damit zugleich in die Verbände der erwachsenen Männer oder Frauen als vollberechtigte Mitglieder aufgenommen werden'. Bei den christlichen Völkern ist der freie Geschlechtsverkehr umgekehrt dureh freilich so gut wie wirkungslose Gebote der Religion und Moral officiell verpönt, wird aber darum nicht weniger eifrig geübt. Durch- weg aber ist diese Form des Geschlechtsverkehrs, die bei vielen Thieren die allein herrschende ist, social völlig wirkungslos: mit der Befrie- digung des Triebes und dem Erlöschen der individuellen Neigung ist das Verhältniss gelöst und hinterlässt social keine weiteren Folgen. Ganz anders steht es mit demjenigen Geschlechtsverkehr. auf den die hier besprochenen Theorien gegründet sind. Er setzt überall eine bestimmte, allgemein anerkannte Regelung voraus und schafft ein dauerndes Verhältniss. eine Ehe, die bestehen bleibt. auch wenn der sexuelle Verkehr aufhört und die Geschlechtstriebe anderweitig be- friedigt werden. und nur entweder durch einen bestimmten rechtlichen Akt, wenn auch in noch so einfachen Formen, oder durch den Tod gelöst werden kann — und oft überlebt sie selbst diesen, wenn die Wittwe dem Gatten in den Tod folgen muss, oder wenn sie mit seiner sonstigen Hinterlassenschaft in den Besitz des Erben oder in ein recht- liches Abbängigkeitsverhältniss zu diesem übergeht, oder wenn sie in der Leviratsehe dem Verstorbenen einen fietiven Nachkommen gebären muss. Dieses rechtliche Verhältniss der Ehe besteht auch, wenn in der Polyandrie die Frau mehreren Brüdern gemeinsam gehört, wenn in der Gruppenehe ein ganzer Verband promiscue mit einer bestimmten Frauen- gruppe verbunden ist, oder wenn die Sitte herrscht, dass die Frau neben dem Gatten noch eine beliebig grosse Zahl von Liebhabern haben kann — eine Sitte, die bei vielen Völkern ganz allgemein herrscht —, oder dass der Ehemann sein Weib dem Gaste überlässt, oder auch, wie es in Sparta und auch in Rom vorkommt, sie zeitweilig einem Freunde übergiebt, damit dieser von ihr Kinder zeuge. Immer handelt es sich um ein dauerndes und rechtlich geordnetes Verhältniss zwischen zwei oder mehreren Individuen der beiden Geschlechter, und zwar um ein Ver- hältniss, das allerdings auch der Befriedigung des Geschlechtstriebes dient und das im Einzelfalle vielfach daraus hervorgeht, für dessen Entstehung und rechtliche Gestaltung aber dieser Trieb nur :neben- sächlich in Betracht kommt’. Viel stärker fällt schon das Bestreben J ! Vergl. dazu, wie zu manchen anderen hier berührten Fragen, das (trotz ein- zelner Missgriffe) besonnene und inhaltreiche Werk von H. Scaurız, Alterselassen und Männerbünde, 1902. ® Das zeigt sich sehr deutlich bei den Ehen reicher und vornehmer Männer, und besonders der Könige, die ihren Geschlechtstrieb an Sklavinnen, Concubinen, Maitressen befriedigen, während sie ihre legitimen Ehen aus ganz anderen Gründen schliessen. Meyer: Die Anfänge des Staats. 9.9 der Männer in’s Gewicht, die Arbeitskraft der Frau auszunutzen für die Bereitung der Mahlzeit, die häuslichen Arbeiten, die Pilege des Viehs, die Bestellung der Felder, wozu dann oft noch die materiellen Vortheile der durch die Ehe geschlossenen dauernden Verbindung mit den An- gehörigen der Frau hinzukommen. Das eigentlich Entscheidende aber ist überall das Verhältniss zu den Kindern und die Frage, wem diese rechtlich gehören. Schon oben habe ich auf die entscheidende Bedeutung hinge- wiesen, welche für alle Entwickelung des menschlichen Lebens der Thatsache zukommt, dass die menschlichen Kinder sich sehr langsam entwickeln und jahrelanger Pflege bedürfen, bis sie selbständig existiren können. Andrerseits ist das Bedürfniss, ausreichenden Nachwuchs zu haben, für jeden menschlichen Verband unabweisbar: denn sein Ziel ist ja die Erhaltung der eigenen Existenz. Ihm liegt daher die Erzeugung und Aufziehung des Nachwuchses weit mehr am Herzen als dem einzelnen Menschen; denn diesem ist sein eigenes Leben die Hauptsache, für jeden Verband aber sind die gegenwärtig Lebenden an sich völlig irrelevant und nur die momentanen Vertreter der Ver- kettung der Generationen: er ist seiner Idee nach ewig und umfasst Vergangenheit und Zukunft ebensogut wie die Gegenwart. Daher die Sorge für die Erzeugung und Aufziehung einer Nachkommenschaft, der Zwang zur Ehe, die Entscheidung, ob ein neugeborenes Kind am Leben bleiben und als Glied des Verbandes anerkannt werden soll. Dass der umfassende staatliche Verband oder der Stamm die Ausführung dieser Aufgaben im Wesentlichen, wenn auch nicht aus- schliesslich, den in ihm stehenden engeren Gruppen, den Brüder- schaften oder Phratrien, den Clans und Geschlechtsverbänden über- lässt, ist nur natürlich: denn diese haben das lebhafteste Interesse daran, ihre Stellung und ihren Einfluss innerhalb des umfassenden Verbandes zu erhalten und zu mehren, und wenn sie ihren Nach- wuchs zahlreich und kräftig erhalten, sind damit zugleich die Be- dürfnisse der Gesammtheit befriedigt. Bei vielen Völkern — keines- wegs bei allen — ist aus dem Glauben an eine Fortexistenz der Seele nach dem Tode die Vorstellung erwachsen, dass diese Fortexistenz nur dann gesichert oder wenigstens einigermaassen behaglich gestaltet werden kann, wenn die Nachkommen für sie sorgen, ihr Speise und Trank, Kleidung und zauberkräftige Gebete darbringen'. Damit tritt ! Ich bemerke nur kurz, dass ich zu den herrschenden Anschauungen über Ahnen- cult und was damit zusammenhängt in scharfem Gegensatz stehe, ebenso zu der Hypothese, welche die Religion aus dem Seelencult entstehen lässt und z. B. den Thier- dienst daraus erklärt, dass man bestimmte Thiere als Incarnation der Seelen der Vor- fahren betrachtet habe. Ich habe mich darüber schon mehrfach ausgesprochen und 520 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 6. Juni 1907. ein für den Einzelnen sehr wirksames egoistisches Motiv hinzu, recht- zeitig für die Erzeugung eines Nachwuchses zu sorgen, der »seinen Namen lebendig erhält«; wenn aber die Sitte und die religiöse Anschau- ung der Gesammtheit diesen Glauben übernimmt und fördert, so ist das oft genug doch nur ein verhüllter Ausdruck ihres Bedürfnisses nach dauernder Erhaltung ihres Bestandes, die daher dem Einzelnen als religiöse, im eigensten Interesse liegende Pflicht auferlegt wird'. Eben darum kommen für diese Anschauung die Töchter (ausser im Falle der Erbtöchter) nicht in Betracht: mit der Sorge für die Erzeugung von Söhnen ist vielmehr sehr häufig die Aussetzung und Tödtung der weiblichen Nachkommenschaft verbunden. Die grosse Frage ist nun aber, wem die Kinder gehören; und sie hat bekanntlich die verschiedensten Beantwortungen gefunden und die grosse Mannigfaltigkeit der Eheformen erzeugt, die uns in der Ethnologie entgegentritt. Eine der am weitesten verbreiteten Formen ist die, welche mit einem sehr thörichten und irreführenden Namen als Mutterrecht oder gar als Matriarchat bezeichnet wird’. Hier ist werde meine Auffassung in der neuen Auflage des ersten Bandes meiner Geschichte des Alterthums ausführlicher darlegen. Der Todteneult ist, soweit ich sehen kann, niemals aus einem Glauben an eine gewaltige Macht der Todtengeister erwachsen, sondern umsekehrt aus dem Bedürfniss der Lebenden, ihre Fortexistenz nach dem Tode zu sichern; dafür treffen sie selbst Vorkehrungen und legen dieselben ihren Nachkommen als Pflicht auf. In Aegypten, wo wir die Entwickelung genau übersehen können, ist der Glaube an ein Fortleben der Seele in magischer Verbindung mit dem Leibe und dem Grabe immer vorhanden gewesen und hat veranlasst, dass man seit den ältesten Zeiten, aus denen wir Überreste besitzen, dem Todten Hausrath, Lebensmittel und Frauenpuppen in’s Grab legt; aber der ausgebildete Todteneult ist erst in geschichtlich erkennbarer Zeit aus den Zaubermitteln entstanden, durch die zunächst dem König dieses Fortleben mit magischen Kräften gesichert wird; dann macht er durch eineu Gnaden- akt diese Mittel seiner Umgebung zugänglich, und schliesslich werden sie, schrittweise hinabsinkend, Gemeingut des ganzen Volks. Zu wirklichen Göttern und Cultwesen aber werden die T'odten hier niemals, von einigen ganz secundären und auf einem Zusammenwirken zufälliger Momente beruhenden Ausnahmen abgesehen. ! Das tritt besonders deutlich darin zu Tage, dass, wenn kein Sohn, sondern nur eine Tochter da ist, der Staat eingreift und ihre Hand und damit das Erbgut vergiebt und so die Familie künstlich erhält. Die Fiction, dass dadurch dem Ver- storbenen der Todtencult und die Fortexistenz seiner Seele gesichert wird, ist dabei durchaus nebensächlich und nur Einkleidung; die Erhaltung der Zahl der begüterten und leistungsfähigen Familien ist das, worauf es in Wirklichkeit ankommt, und eben deshalb ist die Erzeugung des fietiven Nachkommen nicht der Pietät der Angehörigen überlassen — da würde das Pietätsgefühl oder die Furcht vor dem Zorn der Seele des Todten, in der die Modernen das Motiv sehen, sehr wenig erreichen, sondern in der Regel würden die Angehörigen das Erbgut für sich nehmen —, sondern wird vom Staat nach feststehenden Rechtssätzen erzwungen. ® Der Name ist bekanntlich von Bacnoren geschaffen, im Anschluss an die An- gabe Herodot’s I, 173, dass bei den Lykiern die Verwandtschaft nach der Mutter, nicht nach deın Vater gerechnet wird und die Rechtsstellung der Mutter sich auf die Kinder vererbt [danach Nic. Dam. fr. 129; Herakl. polit. 15, d. i. Aristoteles AYkıoı € TIANAIOY MEyErR: Die Anfänge des Staats. 521 das Weib ein werbender Besitz des Verbandes (der Gruppe, des Ge- schlechts, der Familie), in dem sie geboren ist und aus dem sie nie- mals ausscheidet. Die Kinder, die sie zur Welt bringt, gehören daher TYNAIKOKPATOYNTAI. Eine Aetiöologie bei Plut. virt. mul. 9]. Sehr auffallend ist, dass sich in den Iykischen Inschriften keine Spur dieser Sitte erkennen lässt. Rudimente derselben Ordnung bei den Karern und auf Kos hat Törrrer, Art. Amazonen bei Paury-WıssowA I, 1769 zusammengestellt. Wenn bei den Aegyptern in der Regel der Name der Mutter neben dem des Vaters oder sehr oft auch allein angegeben wird und die Frau hier eine sehr freie Stellung hat, vor Allem im Erbrecht, so ist darin offenbar eine Nachwirkung der Eheordnung; bei den stammverwandten libyschen Stämmen zu erkennen. Typisch findet sieh dann das »Mutterrecht« bei den Aethiopen (Kuschi- ten) von Meroe Nie. Dam. fr. 142: Alelorrec TÄC AAenvÄc MANICTA TIMÄCI, Kal TÄC AlA- AOXÄC MÄNICTA KATANEITIOYCI Oi BACINEIC 0Y TOIC EAYTÖN, ANNA TOIc TÜN ÄAAcAPON Yioic [damit wird die Angabe Herodot's III, 20 verbunden, dass der grösste Mann zum König bestellt werde; vergl. Diod. III, 5; Strabo XVII, 2,3]. Da bei dieser Ordnung das Anrecht auf das Königthum nur auf dem Blut der Mutter beruht, kann das dazu führen, dass sich bei solchen Stämmen ein Königthum der Frauen entwickelt. Das ist bei den Aethiopen von Meroe in späterer Zeit, in der Epoche der Kandake’s, ge- schehen, vergl. Strabo XVI, 4,8 sacıneYonTaı A’ Yrıö ryYnaıköc. Ebenso wird es zu er- klären sein, dass wir bei den Massageten in der Kyrossage (Herod. I, 205), bei den Sabäern zur Zeit Salomo’s, bei dem nordarabischen Stamm Aribi zur Zeit Tiglatpileser’s IV. Königinnen finden; das ist schwerlich lediglich Zufall. Die Privilegien der Königin- mutter bei anderen Völkern mit rein männlicher Erbfolge, z. B. bei den Osmanen, haben damit nichts zu thun. — Bei den Cantabrern »erhalten die Frauen von den Männern eine Mitsift, die Töchter beerben sie und statten ihre Brüder bei der Ver- mählung aus; denn hier besteht eine Art Weiberherrschaft« Strabo III, 4, 18. Hier sind also die Frauen die Repräsentantinnen der Staımmeseinheit und der Fortpflanzung des Stammes. Dagegen von den Lusitanern und anderen iberischen Stämmen berichtet er III, 3,7, dass sie ramoYcı ücrep oi "Ennunec. — Die Amazonen haben mit dem »Mutterrecht« nichts zu thun.» Das ist vielmehr ein Versuch, die Natur durch Heran- ziehung der Frauen zum Kriegsdienst zu meistern, der bekanntlich bei barbarischen Völkern mehrfach vorkommt. Aus dem Alterthum ist derartiges überliefert von den libyschen Stämmen der Auseer (Herod. IV, 180: blutige Waffenkämpfe der Jungfrauen beim Athenafest) und der Zaueken (Zeugitana, Her. IV, 193, Frauen als Lenkerinnen der Kriegswagen; vergl. Nic. Dam. fr. 133 &n ByAoıc Alsycın [sonst unbekannt] An#p MEN ÄNAPÖN BACINEYEI, TYNH AE TYNAIKÖN); daher die Versetzung der Amazonen nach dem westlichen Libyen in dem abgeschmackten Roman des Mythographen Dionysios bei Diod. III, 52ff. = Schol. Apoll. Rhod. II, 965 [wonach Zenothemis sie nach Aethio- pien versetzt hat. Am ausgebildetsten entwickelt war die militärische Gleichstellung von Frauen und Männern bei dem iranischen Volk der Sauromaten [daher CAyPoMmATAI TYNAIKOKPATOYMenoI Seyl. 70; Sceymn. peripl. 885; Plin. VI, ı9, vergl. 39 u. A.]; bei ihnen »sitzen die Frauen zu Pferde und kämpfen mit Pfeil und Speer, solange sie Juugfrauen sind; das müssen sie bleiben, bis sie drei Feinde getödtet haben; dann heirathen sie nach Darbringung der gesetzlichen Opfer und sitzen nicht mehr zu Pferde, wenn nicht ein allgemeiner Kriegszug des ganzen Volkes (MArKoINoc CTPATEIH) statt- findet. Sie brennen ihre rechte Brust aus [das ist aus der Amazonensage entlehnt]« Hippokr. de aer. 17, vergl. Herod. IV, ıı6f. Plato leg. VII, 8o4e. 8065. Nic. Daın. fr. 123,7. Daher haben die Griechen die Amazonen aus Kleinasien hierhin ziehen und die Sauromaten aus ihrer Verbindung mit den skolotischen Skythen entstehen lassen. Ähnliche Zustände bestanden bei dem gleichfalls iranischen (medischen) Volk der Si- gynnen, das Herodot V, 9 nördlich von der Donau kennt, während Strabo XI, ı1, 8 sie in der Nähe des Kaspischen Meers erwähnt und von ihnen erzählt: sie haben 522 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 6. Juni 1907. diesem Verbande an, d.h. sie stehen unter der Aufsicht ihres mütter- lichen Grossvaters oder ihrer mütterlichen Oheime, und beerben daher diese. Eine derartige Ordnung kann also rechtlich wohl den Begriff des Ehemanns kennen — falls die geschlechtliche Verbindung eine feste rechtliche Form angenommen hat —, aber nicht den des Vaters; ein rechtliches Verhältniss zwischen dem Erzeuger und seinen physi- schen Kindern existirt nicht, sondern statt dessen ein rechtliches Ver- hältniss zwischen dem Mann und den Kindern seiner Schwester. Bei solcher Ordnung kann das eheliche Verhältniss oft sehr locker sein, so dass die Forderung der Keuschheit der Frau ganz unbekannt ist und die Verhältnisse sich der Promiseuität nähern, die dann in unsern Berichten oft ganz in den Vordergrund tritt; bei andern Stämmen dagegen mag es sich immer fester gestalten, so dass das » Mutterrecht« nur noch in den für die Kinder geltenden Bestimmungen, vor Allem im Erbrecht, rudimentär fortlebt. Vielfach führt das dazu, dass die Ehe regelmässig im engsten Kreise der Blutsverwandten geschlossen wird (die sogenannte Endogamie), dass wie in Aegypten die Ehe zwi- schen Bruder und Schwester dominirend wird alsdann wird der Gatte auch rechtlich zum Vater seiner Kinder, aber nicht als Erzeuger, sondern als mütterlicher Oheim. Bei andern Stämmen ist umgekehrt die geschlechtliche Vermischung innerhalb der als blutsverwandt gel- tenden Gruppe verpönt, die sogenannte Exogamie' — es liegt für uns kein Anlass vor, auf diese Ordnungen des Näheren einzugehen. Eine rohere Form ist die vollständige oder nahezu vollständige Pro- miseuität innerhalb bestimmter Gruppen, sei. es endogam, sei es exo- gam, wie sie aus älterer Zeit vielfach glaubwürdig bezeugt ist und in Australien noch jetzt vorkommt’. Dem allem gegenüber stehen mit Ponies bespannte Wagen, HNIoXxoYcı AE TYNAlkec EK TIAIAWN HCKHMENAI, H A” APICTA ANIOXOYCA CYNoIkel & BOoYnETAl. Auf derartige Sitten redueirt sich das, was in den Berichten über eine Berührung Alexander’s (Arrian IV, 15,4; VII, ı3,2ff.; alle anderen Angaben sind Schwindel) und des Pompeius (Theophanes bei Strabo XI, 5, ır = Plut. Pomp. 35; Appian Mithr. 103) mit den Amazonen von Thatsächlichem entlialten sein mag. — Gleichartige Sitten müssen in Kleinasien in alter Zeit vorgekommen sein und zu den dort localisirten Amazonensagen sowie zu der Sage von dem Kampf mit Athen Anlass gegeben haben, vergl. Törrrer, Art. Amazonen bei Paury-Wiıssowa. ! Ich mache darauf aufinerksaın, dass die sogenannte Endogamie und Exogamie ınit den Stämmen und der Stammverfassung gar nichts zu thun haben, sondern nur für die Untergruppen der Stämme, die Heirathselassen, Geschlechtsverbände oder Clans gelten. * Die Berichte der Alten, die ich hier zusammenstelle, sind im Allgemeinen keineswegs so unzuverlässig, wie oft behauptet wird. Dass sie, von ihren eigenen Sitten ausgehend, meist nur die augenfälligen Abweichungen von diesen hervorheben und dabei übertreiben, theilen sie mit vielen ethnographischen Schilderungen der modernen Litteratur, und zu einem vollen Verständniss des Systems gelangt ınan auch bei der letzteren nur in seltenen Fällen. Volle Promiseuität, oft verbunden mit einer Vertheilung der Kinder auf die Männer, angeblich nach der Ähnlichkeit [das Meyer: Die Anfänge des Staats. 523 die Ordnungen, in denen der Mann auch rechtlich Mittelpunkt der Ehe und daher Herr der Frau und Vater und Eigenthümer seiner Kinder wird, eine Eheform, die bekanntlich sehr oft in Gestalt der Raubehe auftritt. Auch hier bestehen sehr verschiedene Formen, Poly- andrie, monogame, polygame Ehe, die eingehender zu betrachten nicht erforderlich ist. So tritt uns eine bunte Fülle oft diametral entgegengesetzter Ordnungen entgegen. Es ist Willkür und petitio prineipii, wenn eine von ihnen als die ursprünglich allgemein herrschende, alle anderen als spätere Umwandlungen angesehen werden, wie es von den ethnologischen Culturhistorikern bald mit dieser, bald mit jener ver- sucht ist — hier stehen die Theorien ebenso bunt einander gegen- über, wie die realen Erscheinungen, und jede von ihnen beansprucht für sich in derselben Weise absolute Gültigkeit, wie diese der be- stehenden Ordnung innerhalb eines bestimmten Stammes zusteht. sind dann also keineswegs »mutterrechtliche« Zustände], wird überliefert von den libyschen Stämmen der Auseer [wo auch ein kriegerisches Jungfrauencorps besteht] Herod. IV 180: MizIN A& ETIIKOINON TÖN TYNAIKÖN TIOIEONTAI, OYTE CYNOIKEONTEC (d.i. ohne eheliche Lebensgemeinschaft) KTHNHAÖN TE Micrömenol; wenn die Kinder bei der Mutter herangewachsen sind (ETIeÄN AE FYNAIKI TO TIAIAION ÄAPON FENHTAI), kommen die Männer im 3. Monat zusammen und vertheilen sie nach der Ähnlichkeit (vergl. Arist. pol. II 1, 13, der das Gleiche von TINEC TÜN Än® AIBYoN auf Grund der Schriften TÖn TÄc TAc rAc TIEPIÖAOYC TIPATMATEYOMEN@N erwähnt). Unterschiedslose Mischung der Geschlechter bei den, sonst unbekannten, Aavonisvec bei einem Herbstfest: Nie. Dam. fr. 135. Was Herodot von den Auseern berichtet, erzählt Nie. Daın. fr. ıır von den Liburnern in lllyrien, mit Vertheilung der Kinder im 6. Jahre. Bei den libyschen Gindanen erhält die Frau von jedem Liebhaber einen Knöchelring, je mehr Ringe sie hat, desto an- gesehener ist sie, Herod. IV 176. Bei den Trogodyten aın Rothen Meer sind ai rYnalkec KOINAI Kal ol TrAlaec, mit Ausnahme der Frau des Königs: Agatharchides V 6r, vgl. 31 — Diod. 111 ı5,2. 32,1; Strabo XVI4,17. Gleichartige Zustände scheinen nach Xen. Anab. V 4,33 bei den Mossynoeken am Pontos zu herrschen, wo sie denn auch von Apoll. Rhod. II 1023 und Melalıg berichtet werden (vergl. Hörer, Rh. Mus. 59, 546 ff.). Bei den Padaeern und anderen nichtarischen Indern des Südostens MizIc Em®Aanhc EcTi KATATIEP TON TIPOBAT@N Herod. III 101. Die Agathyrsen ErikoinoNn TÖN TYNAIKÖN THN MIEIN TIOIEYNTAI, INA KACITNHTOI TE AnAHAON Eucı Kal olKHIOI EÖNTEC TIÄNTEC MÄTE HBÖNW MAT” EXBel XPEWNTAI €c AnAahnovYc Herod.IV 104; im Übrigen herrschen bei ihnen die Sitten der Thraker, bei denen zwar Polygamie mit Frauenkauf und Absperrung des Harems besteht, aber den Mädchen vor der Vermählung der geschlechtliche Verkehr völlig freigegeben ist (Herod. V 6. 16, vergl. Strabo VII 3, 4 u. A.). — Mehrfach ist dann die Promiseuität des Geschlechtsverkehrs mit einer festen Ehe, d.h. mit dem rechtlich geordneten Zusammenleben von Mann und Frau verbunden; so polygam bei den libyschen Nasamonen Herod. IV 172, wo die Braut beim Hochzeitsfest allen Gästen beiwohnt (ebenso naclı Diod. V ı8, d.i. Timaeos, bei den Balearen) und dafür ein Geschenk erhält, und auch nach der Eheschliessung ganz ungebunden ist: wer sie besucht, stellt seinen Stock vor die Thür (vergl. die gleiche Sitte in der Polyandrie der Sabäer bei Strabo XVI4,25). Von den Massageten schildert Herod.I 216 die gleiche Sitte verbunden mit Monogamie (rYnaika MEN TAMEEI EKACTOC, TAYTHCI A& Erii- KOINA XPE@NTAI, der Besucher hängt seinen Köcher an ihren Wagen). Über gleich- artige Zustände bei Briten und Iren s. unten S. 17, 1. Sitzungsbericlite 1907. 54 524 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 6. Juni 1907. Vielmehr haben sich hier wie auf allen Gebieten menschlicher Ent- wiekelung die verschiedenen Stämme verschiedenartig entwickelt, bei den einen ist, aus dem Zusammenwirken gegebener Zustände und Anschauungen, diese, bei den anderen jene die herrschende geworden. Im Allgemeinen kann allerdings die patriarchalische Ordnung als die fortgeschrittenste gelten; aber auch aus ihr sind Übergänge in rohere Formen sicher nachweisbar. So ist es nicht zweifelhaft, dass bei den Indogermanen Ehe und Verwandtschaftsverhältnisse patriarchalisch geordnet waren; aber von den wahrscheinlich iranischen Massageten erzählt Herodot I, 216, dass zwar jeder ein Weib hat, dass diese aber promiscue benutzt wurden; also der Ehemann ist nur der dauernde, nicht der einzige Liebhaber des Weibes. Ähnliches erzählt Megasthenes bei Strabo XV, ı, 56 von den Stämmen des indischen Kaukasus, und von den Kelten Britanniens und Irlands wird uns die Weibergemeinschaft vielfach bezeugt' — da hat Zmmer nach- gewiesen, dass es sich um eine piktische, von den eingewanderten Kelten übernommene Sitte handelt. In Sparta und Kreta wachsen die Kinder gemeinsam in »Herden« auf, als Besitz der Gesammt- heit, nicht der Einzelfamilien, die Frauen haben in Sparta eine sehr freie Stellung, vor Allem Erbrecht, der Begriff des Ehebruchs ist dem spartanischen Recht fremd, dagegen Polyandrie und zeitweilige ! Caesar b. G. V, 14 uxores habent deni duodenique inter se communes, et maxime fratres cum fratribus parentesque cum liberis; sed si qui sunt ex his nati, eorum habentur liberi, quo primum virgo quaeque deducta est. Das wäre also Polyandrie, an der aber nicht nur Brüder, sondern auch der Vater betheiligt ist [dass eine Frau mit dem Vater in geschlechtlicher Verbindung gestanden hat, gilt hier für den Sohn ebensowenig als Ehehinderniss, wie in rein patriarchalischen Verhältnissen da, wo der Harem sich auf den Sohn vererbt, wie z. B. bei den Aegyptern, den Persern, den Israeliten; in der Türkei ist dagegen der Harem des verstorbenen Sultans für seinen Nachfolger unberührbar]. Dagegen erzählt Dio Cass. 76, 12, 2 von den Briten Alal- TÖNTAI . .. TAIC TYNAIEIN ETTIKOINOIC XPOMENOI KAl TÄ TENNWMENA TIÄNTA EKTPESONTEC [das ist im Gegensatz zu dem Recht des Vaters über Leben und Tod der Kinder die natür- liche Folge der freien Ehe]; ebenso Strabo IV, 5, 4 von den Iren »Aaneräc MicreceAl TAIC TE ÄAAnAIC TYNAIEI KAl MHTPÄCI Kal Aaenvalc. Nach Zimmer (Ztschr. der Savigny- Stiftung, romanist. Abth. XV, 209 ff.) ist der freie Geschlechtsverkehr der verheiratheten Frau in der irischen Sage eben so gewöhnlich, wie nach Herodot bei den Massageten und Nasamonen; er führt das Eindringen dieser Sitte auf die piktische Urbevölkerung zurück, bei deren Herrschern sich die Erbfolge in weiblicher Linie noch bis in späte Zeit erhalten hat: auf die Brüder folgt der Sohn der Schwester. Der freie Geschlechts- verkehr der verheiratheten Frau kann neben der von Caesar bezeugten Polyandrie ebensogut bestanden haben wie anderswo neben monogamischer oder polygamischer Ehe. Bei den Festlandskelten besteht dagegen die volle väterliche Gewalt: Caesar b. G. VI, ıg viri in uxores sieuti in liberos vitae neeisque habent potestatem, obwohl das Ehegut beiden Gatten gemeinsam gehört; vergl. Arist. pol. II, 6, 6, wonach bei den Kelten keine Gynaikokratie besteht, die sonst bei kriegerischen Stämmen die Regel ist. Meyer: Die Anfänge des Staats. 525 Überlassung der eigenen Frau an einen Andern sehr gewöhnlich‘. Ebenso besteht bei den Semiten und auch bei den Arabern im All- gemeinen durchaus Patriarchat, aber daneben kommt die umgekehrte Form der Ehe vor, und bei den Sabäern herrscht Polyandrie mit Vor- herrschaft des ältesten Bruders und Erbfolge des ältesten lebenden Geschlechtsgenossen’; von den Saracenen wird berichtet, dass »die Frauen nur auf eine bestimmte Zeit geheirathet werden: sie geben dem Mann, mit dem sie sich verbinden, Lanze und Zelt, und nach Ab- lauf der festgesetzten Zeit gehen sie von dannen« (Ammian XIV, 4, 4). Auch die obligatorische Prostitution der Töchter ist bekanntlich bei den Semiten wie bei den kleinasiatisch-armenischen Stämmen weit verbreitet. In diesen und allen ähnlichen Fällen ist es verkehrt, so oft es auch geschehen ist, die uns roher erscheinende Form als die ältere zu betrachten, die einmal allein geherrscht habe und dann durch fortgeschrittenere Formen verdrängt sei; die umgekehrte Ent- wickelung ist ebensogut möglich. Das Wesentliche aber ist, dass keine dieser verschiedenen Ord- nungen als naturnothwendig, als aus einem angeborenen Gefühl des Menschen erwachsen betrachtet werden kann’. Uns erscheint es als ! Xen. pol. Lac. I, 7f., Plut. Lye. 15, Nie. Dam. fr. 114, 6 (mit arger Über- treibung: AAKEAAIMÖNIOI . . TAIC AYTON TYNAIZI TIAPAKENEYONTAI EK TÖN EYEIAECTÄTWN KYECBAI KAl ACTÖN KAl ZEen@n); Polyb. XII, 65. 8, der daneben die Polyandrie als ganz ge- wöhnliche spartanische Sitte erwähnt. Vergl. auch Plato leg. I, 637€ und Aristot. pol. II, 6, 5 über die Zuchtlosigkeit der Weiber in Sparta, die eben nur ein anderer Ausdruck dafür ist, dass in Sparta das Recht eine eheliche Treue der Frau nicht kannte. Die zeitweilige Überlassung der Frauen an andere zur Kinderzeugung (vergl. Herod. V, 40. V1, 62) erzählt Strabo XI, 9, ı ebenso von den Tapurern am Kaspischen Meer: icToPofcın ÖTI AYTOIC EIH NÖMIMON TÄC TYNAIKAC EKAIAÖNAI TÄC FTAMETÄC ETEPOIC ANAPÄCIN, ETIEIMÄN EE AYTÜN ÄNENUNTAI AYO A TPIA TEKNA, KABÄTIEP Kai KATUN "OPTHCI® AEHBENTI EzEAwKe THN MAPKIAN €&” HMÖN KATÄ TIAMAIÖN "PoMmAlon Eeoc (vergl. Plut. Cato minor 25. 52. Appian civ. II, 99). ®2 Strabo’s Schilderung der sabäischen Sitten XVI, 4, 25 ist sehr exact und anschaulich: »Die Brüder stehen höher in Ehren als die Kinder; das Königthum wird mit dem Erstgeborenen des Geschlechts besetzt (vergl. 4, 3), ebenso alle Ämter; der Besitz ist allen Verwandten gemein, das Verfügungsrecht steht dem Ältesten zu; auch haben sie alle zusammen nur eine Frau, wer zuerst kommt, stellt seinen Stock an die Thür und geht zu ihr ein; ... sie wohnt aber zu Nacht bei dem Ältesten. Daher sind Alle Brüder von Allen [das ist natürlich übertrieben ausgedrückt und gilt nur von dem Geschlecht, renoc] und wohnen auch den Müttern bei; dagegen wird der Ehebrecher mit dem Tode bestraft, Ehebrecher aber ist, wer aus einem andern Geschlecht stammt.« — Gemeinbesitz des Geschlechts mit Verwaltung durch den Ältesten besteht auch bei den Iberern (Georgiern) am Kaukasus: Strabo XI, 3, 6. ® Gänzlich fern zu halten ist der Begriff der Blutschande, insofern er eine an- geborene Abneigung des Menschen gegen bestimmte geschlechtliche Verbindungen be- zeichnen soll. Auclı diese Vorstellungen sind vielmehr erst im Verlauf der Entwickelung geworden und daher überall verschieden. Geschwisterehe ist bekanntlich weit verbreitet, und die Ehe mit der Mutter (die auch bei den Sabäern — Strabo XV], 4, 25 — und den 54* 526 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 6. Juni 1907. unnatürlich, dass der Vater zu den Kindern kein rechtliches Ver- hältniss hat, dass selbst wenn ein dauerndes eheliches Zusammen- leben sich entwickelt hat, nicht seine eigenen Söhne, sondern die seiner Schwester ihn beerben. Aber wo eine solche Ordnung be- steht, gilt sie als selbstverständlich und unverbrüchlich, und wenn sie dem Einzelnen widerstrebt, vermag er sich doch nicht dagegen aufzulehnen, ebensowenig wie da, wo ein Seniorat, die Nachfolge des ältesten Familiengliedes, besteht, wie in der Türkei, auch der mächtigste Herrscher daran etwas zu ändern vermag, wenn nicht ganz besondere geschichtliche Momente seinem Vorhaben zu Hülfe kommen. Umgekehrt bilden wir uns ein, dass die patriarchalische Ordnung, die Herrschaft des Vaters über seine Familie, eine natür- liche Ordnung sei, ja, es giebt Forscher genug, die glauben, dass die ausgebildete patria potestas, wie wir sie in Rom finden, etwas Selbstverständliches und die eigentliche Wurzel aller staatlichen Ord- nung und des Staates selbst sei auch Aristoteles hat so gedacht. In Wirklichkeit ist schon die höhere Ehrung des Alters, die sich nur zum Theil auf die durch Lebenserfahrung gewonnene höhere Einsicht stützt, die man dem Greise zuschreibt, keineswegs bei allen Völkern vorhanden; vollends aber lässt sich kaum etwas Unnatür- licheres ersinnen, als dass der erwachsene vollkräftige Mann, der selbst wieder Besitz und Familie hat, von einem schwachen Greis völlig ab- hängig ist, dass dieser nach Willkür über seinen Besitz, ja über seine Freiheit und sein Leben verfügt, ohne dass der Sohn sich zur Wehre setzen kann. Bei uns ist denn auch diese patriarchalische Familie voll- ständig verschwunden; und in bäuerlichen Verhältnissen ist es die stän- dige Regel, dass der Vater, wenn er in’s höhere Alter eintritt, dem Sohne die Wirthschaft übergiebt und sich auf das Altentheil zurückzieht, also gerade umgekehrt in ein oft sehr drückendes Abhängigkeitsverhältniss vom Sohne tritt. Bei roheren Völkern ist die Sitte weit verbreitet, dass die alten Leute, die nicht mehr arbeitsfähig sind, von ihren Kindern getödtet, in manchen Fällen selbst verzehrt werden'; und da gilt dies Iren — Strabo IV, 5, 4 — überliefert ist) und der Tochter gilt der iranischen Religion als hervorragend heilig. Daher redet ein angebliches Citat aus Xanthos bei Clem. Alex. strom. lII, 2, ır von voller Promiscuität bei den Magiern. ! Dass die alten Leute getödtet werden, wird ausser von den Trogodyten über- liefert von Sardinien (Timaeos p. 171 GEFFcRENn, bei schol. Plat. rep. 337e — Aelian v.h. IV, ı. Tzetzes ad Lycophr. 796), von den Tibarenern (Euseb. praep. ev. ], 4, 7), von den Kaspiern (Strabo XI, ı1, 3. 8; Euseb. praep. ev. I, 4,7), von den Herulern (Proeop. Goth. II, 14, 2f.); dass sie von den Nachkommen verzehrt werden, von den Massageten (Herod. I, 216, vergl. Strabo XI, 8, 6), von den Rallatiern und Padaeern im inneren Indien (Herod. Ill, 38. 99), von Stämmen des indischen Kaukasus (Megasthenes bei Strabo XV, r, 56), von den Derbikern am Kaspischen Meer (Strabo XI, ır, 8; Aelian v.h. IV, ı; Euseb. praep. ev. 1, 4, 7: nur die über 70 Jalıre alten Männer werden MEyER: Die Anfänge des Staats. 527 als eine geheiligte Sitte, der Niemand sich zu entziehen versucht: »die Massageten preisen den glücklich, dem dies Ende beschieden ist und be- klagen die durch Krankheit Gestorbenen und daher Begrabenen, weil sie nicht zum Opfertod gelangt sind « (Herod. I, 216); für den Trogodyten ist es, wenn er alt geworden ist, Pflicht, sich selbst zu erhängen, und wenn er sich sträubt, wird er von einem beliebigen Stammgenossen zur Rede gestellt und erdrosselt (Agatharch. V, 63 = Diod. III, 33, 5). Bei den Semiten ist die väterliche Gewalt meist sehr schwach; schon der Knabe hat z.B. bei den Arabern grosse Selbständigkeit, und bei den Israeliten (und vermuthlich auch sonst) scheidet der erwachsene Sohn, wenn er ein Weib nimmt und damit einen eigenen Hausstand begründet, aus dem elterlichen Haushalt und der elterlichen Gewalt aus: »Darum verlässt der Mann Vater und Mutter und schliesst sich an sein Weib an« (tritt in feste unlösliche Verbindung mit ihm), »so dass sie zu einem Fleisch (Leib) werden« (Gen. 2, 24)". Analog liegen die Dinge überall: von den verschiedenen an sich gleichberechtigten und gleich zulässigen Möglichkeiten hat der eine Stamm diese, der andere jene ergriffen und zu einer unverbrüchlichen, durch die Sitte geheiligten Ordnung erhoben. Das entscheidende Wort hat hier schon Herodot gesprochen, wenn er eben an den Bräuchen der Todtenbestattung und Verzehrung der Eltern das pindarische Wort illustrirt, dass die Sitte, das Herkommen, der König über Alles ist (III, 38); die Sophisten, vor Allem Hippias, haben dann diesen Ge- danken an einem reichen ethnologischen Material weiter ausgeführt. Damit kommen wir zugleich auf den Ausgangspunkt dieser Betrachtun- gen zurück. Wir sehen, dass wir es in der Organisation des Geschlechts- lebens und der Gestaltung der Familie — das Wort im weitesten Sinne verzehrt, die alten Frauen gehängt und dann ebenso wie die früher gestorbenen be- graben). Nach Strabo IV, 5, 4 hätten auch die Iren die Leichen der Väter verzehrt. Den Raubvögeln und Hunden werden die Leichen vorgeworfen von den Kaspiern (s. 0.) und Baktrern, und zwar hier naclı Önesikritos (Strabo XI, ır, 3; Euseb. l.e., der auch die Hyrkaner nennt) die Alten und Kranken noch lebend. Daraus ist das bekannte Gebot der zoroastrischen Religion hervorgegangen (vergl. Justin 41, 3,5 über die Parther); nach Agathias Il, 23 war es auf Kriegszügen ganz gewöhnlich, dass Kranke noch lebend den Thieren überlassen wurden. Der Trogodytenstamm der Chelonophagen in Africa wirft die Leichen in’s Meer, den Fischen zum Frass: Strabo XVI, 4, 14, vergl. die indische Sitte, die Leichen in den heiligen Strom zu werfen. Die Sitte, dass die alten Leute freiwillig durch Gift aus dem Leben scheiden, hat auch auf Keos ge- herrscht: Heracl. pol. 9,5. Strabo X, 5,6. Aelian v.h. 3,37. Val. Max. II, 6, 8. — Das Gegenstück zu diesen Sitten ist einerseits die hohe Ehrung des Alters z.B. in Sparta und Rom oder bei den Albanern am Kaukasus (Strabo XI, 4, 8) oder bei den Australiern, andrerseits die sorgtältige Pilege und Bestattung der Leichen oder die feierliche Verbrennung. In allen diesen Dingen giebt es nichts, was für den Menschen allgemeingültig und naturnothwendig wäre, sondern NÖMOC BACINEYC. ! Dass die oft falsch gedeutete Stelle so zu verstehen ist, hat S. Raum in seiner Dissertation: Hebräisches Familienrecht in vorprophetischer Zeit, Berlin 1907, gezeigt. 528 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 6. Juni 1907. genommen — keineswegs mit naturnothwendigen Gebilden zu thun haben, die als die Wurzel aller menschlichen Gemeinschaft, aller socialen Verbände betrachtet werden könnten, sondern umgekehrt mit autoritativen Ordnungen, die innerhalb eines schon bestehenden socialen Verbandes das Geschlechtsleben und die Stellung der Kinder einer festen Regelung unterwerfen. Diese Regelung entsteht und wirkt nicht spontan, kraft eines Naturtriebes — der führt nur zum ungeregelten Beischlaf, zum freien Geschlechtsverkehr —, sondern sie wirkt durch die Sitte, und hinter dieser Sitte steht der äussere, staatliche Zwang. Wenn bei den Australiern der Geschlechtsverkehr streng geregelt ist, wenn Männer aus einer Gruppe A nur mit Frauen aus einer Gruppe B sich verbinden dürfen und umgekehrt, und die Kinder wieder bestimmten Heirathsclassen angehören, so ist das weder ein Product einer natür- lichen Vorstellung, noch lediglich durch Gewohnheit aufrecht erhalten; sondern es ist ein Gesetz, dessen Befolgung von der Gesammtheit (oder von jedem beliebigen einzelnen Mitglied derselben) durch strenge Be- strafung jeder Übertretung erzwungen wird. Das Gleiche gilt genau ebenso von der matriarchalischen und vollends von der patriarchalischen Familie. Das Pietätsgefühl und selbst die Sitte würden den römischen Bürger ebensowenig wie den Sklaven veranlassen, sich dem Haus- gericht zu stellen oder vom Vater über den Tiber zu Fremden ver- kaufen zu lassen, und die physische Gewalt des Alten spielt hier vollends gar keine Rolle; durchführbar ist jede solche Ordnung nur dadurch, dass sie geltendes Recht ist und dass die Zwangsgewalt der Gesammtheit, d.h. des Staats, ihre unweigerliche Befolgung durchsetzt. Mit anderen Worten, jede derartige Ordnung setzt das Bestehen des wie auch immer organisirten staatlichen Verbandes voraus, der um vitaler Bedürfnisse willen eine bestimmte Regelung des Verkehrs der Geschlechter und der rechtlichen Stellung der Kinder erzwingt. Diese Regelung kann sehr verschieden ausfallen; aber ohne irgend eine solche Regelung könnte der Verband überhaupt nicht existiren. Die Ge- schlechtsverbände und die Familie sind daher nie anders gewesen, als wie sie uns in den bestehenden Verhältnissen überall entgegentreten: nicht selbständige Verbände, sondern Unterabtheilungen des Staats. Der Staat ist nicht aus ihnen entsprungen, sondern sie sind vielmehr umgekehrt erst durch diesen geschaffen; und zwar scheint, soweit wir sehen können, die Zusammenfassung von einzelnen Gruppen innerhalb der Gesammtheit des Staatsverbandes als Brüderschaften, Heiraths- celassen, Clans, Sippen älter zu sein als die Familie (und ihre Erweite- rung zum Geschlecht im engeren Sinne), die wieder erst innerhalb dieser kleineren Verbände entsteht. Wie sehr alle diese Verbände und geschlossenen Gruppen lediglich rechtliche Institutionen sind, geht MEyErR: Die Anfänge des Staats. 529 schlagend daraus hervor, dass für sie alle die physische Blutsgemein- schaft, die Zeugung, gänzlich irrelevant ist, sondern immer durch einen symbolischen reehtlichen Akt (Adoption, Blutsverbrüderung, Zeugung des Sohns durch einen Stellvertreter des Ehegatten) ersetzt werden kann. Trotzdem gelangt in der Idee die Vorstellung zur vollen Herrschaft, dass alle diese Verbände auf realer Blutsgemeinschaft beruhen und daher Nachkommen eines gemeinsamen menschlichen Ahnen sind, weil das mythische Denken sich alles Bestehende, die soeialen Verbände so gut wie die Gegenstände der Aussenwelt, nur als durch Zeugung entstanden vorstellen kann; und damit verbindet sich die logisch total davon ver- schiedene, aber im Gefühl nicht gesonderte Vorstellung, dass jeder Verband von derjenigen Gottheit geschaffen oder gezeugt ist, die als der Urheber und Repräsentant seines dauernden Bestandes in ihm lebt und durch die er selbst lebt und existirt!. Diese Idee hat dann wie die alten Genealogen und Theoretiker so auch zahlreiche moderne For- scher in die Irre geführt: sie nahmen als Realität, was nur in der Vor- stellung der Menschen existirt. Ich will nur darauf hinweisen, wie viel höher die Anschauung der Römer steht, die ihren Staat aus der frei- willigen Einigung freier Menschen unter dem Willen eines Gesetzgebers entstehen lassen. Das ist der Vorläufer des contrat social. Diese An- schauung geht nur darum in die Irre, weil sie die richtig erkannten Grundtriebe, welche in einem jeden staatlichen Verbande sich ver- wirklichen, in einen geschichtlichen Akt umsetzt und daher für den Staat einen einmaligen historischen Ursprung postulirt, während er einen solchen überhaupt nicht hat, sondern, wie schon gesagt, in seiner Urgestalt älter ist als der Mensch und die Voraussetzung aller menschlichen Entwickelung bildet. Der sociale Verband mit seinen Ordnungen wird äusserlich er- halten durch Zwang, d.h. durch die von der Mehrheit seiner Mit- glieder (oder von bestimmten dazu bestellten Organen) gegen einen Widerstrebenden angewandte Gewalt. Noch weit stärker aber erweist sich die innere, in jedem Mitgliede lebendige Zwangsvorstellung, das, wenn nicht klar erkannte, so doch latente und darum nur um so unmittelbarer wirkende Bewusstsein, dass er ohne den Verband über- haupt nicht existiren, sich nicht von ihm loslösen kann, und sich darum auch seinen Forderungen und Ordnungen unterwerfen muss, mag ihm das im Einzelfalle auch noch so sehr widerstreben. Die innerhalb des Staates stehenden kleineren Verbände, Brüderschaft, Sippe, Familie u. A., werden vielfach fast ausschliesslich durch diese ! Diese Idee, die mit der physischen Zeugung gar nichts zu thun hat, ist die Wurzel des sogenannten Totemismus und aller verwandten religiösen Vorstellungen. 530 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 6. Juni 1907. Idee, ohne äussere Zwangsmittel, zusammengehalten. Aus diesen Vorstellungen erwächst eine grosse Zahl von Sätzen, welche das so- ciale Zusammenleben der Menschen regeln und als selbstverständlich und daher unverbrüchlich gelten. Sie scheiden sich in drei Gruppen, welehe wir unter den Namen der Moral, der Sitte und des Rechts zusammenfassen. Soweit ich sehen kann, besteht der Unterschied darin, dass Moral die Summe aller der Sätze bezeichnet, welche die Idee der socialen Gemeinschaft in dem einzelnen Individuum erzeugt und welche der Mensch als die Norm empfindet, nach denen er innerlich seinen Willen in seinem Verhalten gegen die übrigen leben- den Wesen (ausser den Menschen auch die Götter und die Thiere) regeln soll. Die Sitte dagegen umfasst die äussere Regelung dieses Verhaltens, und zwar ebensowohl in an sich gleichgültigen Dingen, in denen irgend eine Gewohnheit sich gebildet hat und für den Verband von Wichtigkeit erscheinen mag, wie in solchen, die für seine Existenz und seinen Zusammenhalt von entscheidender Be- deutung sind. Die Befolgung der Gebote der Moral kann daher niemals durch äusseren Zwang erreicht werden, wohl aber die der Sitte. Aber der Zwang der Sitte beruht nicht auf äusseren Gewalt- maassregeln, sondern auf der ununterbrochenen Einwirkung der Ge- sammtheit auf den Einzelnen: wer sie übertritt, fällt der Verachtung anheim, wird aber nicht strafbar — soweit nicht entweder das Recht sie unter seinen Schutz stellt und dadurch die Gebote der Sitte in Rechtssätze umwandelt, oder umgekehrt ein Willkürakt der Gesammt- heit, der aber rechtlich unzulässig ist, die Beobachtung der Sitte erzwingt und ihre Übertretung rächt. Das Recht dagegen tritt nicht nur mit dem Anspruch auf absolute Gültigkeit auf, sondern erzwingt diese durch die Macht der organisirten Staatsgewalt. Es umfasst die- jenigen Sätze — die gleichlautend in Moral und Sitte wiederkehren können —, die von dem organisirten socialen Verbande als für sein Bestehen und die Erfüllung seiner Aufgaben als unentbehrlich und un- verletzlich angesehen werden, und umschliesst daher ebensowohl die Er- zwingung von Forderungen, welche die Gesammtheit an den Einzelnen stellt, wie den Schutz von Rechten, die sie dem Einzelnen zuerkennt, vor Allem den des Eigenthumsrechts. — Inhaltlich sind die Sätze aller drei Gebiete von der zeitweilig bestehenden socialen Ordnung und den in der Gemeinschaft lebenden Anschauungen, mit anderen Worten von dem Stande der Cultur abhängig, und entwickeln und ändern sich daher mit dieser. Daher können sie in verschiedenen Gesell- schaften und verschiedenen Zeiten diametral entgegengesetzten In- halt haben; aber gemeinsam bleibt ihnen immer der Anspruch auf absolute Gültigkeit, die apodiktische Forderung der Unterordnung Meyer: Die Anfänge des Staats. 531 unter ihre Gebote, nur dass die Mittel, durch die diese Forderung verwirklicht werden soll, in den drei Gebieten ganz verschieden sind. Wenn die Anschauungen sich ändern, entsteht daraus ein schwer empfundener Gegensatz, der zunächst als Gegensatz des einzelnen Individuums gegen die Gesammtheit auftritt, von deren Anschauungen er sich losgelöst hat. Am schärfsten kommt dieser Gegensatz auf dem Gebiet des Rechts zum Ausdruck, weil dessen Zwangsgewalt die Befolgung des bestehenden Rechts erzwingt. Da gilt dies be- stehende Recht dem Betroffenen als Unrecht, an dessen Stelle eben dasjenige Recht treten soll, das er als das richtige und daher in der Idee allein gültige empfindet. Ich möchte diese Begriffe noch an einem Beispiele erläutern, das ich absichtlich aus uns ganz fremdartigen Anschauungen wähle. Bei manchen iranischen Stämmen herrschte die Sitte, die Leichen der Ver- storbenen den Hunden und Geiern zum Frass zu überlassen. Die zoroastrische Religion hat diese Sitte übernommen und religiös sanc- tionirt: jede andere Art der Leichenbehandlung, Verbrennung wie Bestattung, ist eine Befleckung der reinen Elemente und darum ein Frevel. Für den gläubigen Zoroastrier ist es daher ein religiös moti- virtes Moralgebot, die Leichen seiner Angehörigen nicht zu verbrennen noch zu bestatten, aber ein Gebot, dessen Befolgung lediglich seinem Willen, seinem moralischen Gefühl überlassen bleibt. Als dann aber unter den Sassaniden der Zoroastrismus zur Staatsreligion erhoben wird, wird auch dieser Satz ein rechtliches Gebot, dessen Befolgung erzwungen, dessen Übertretung bestraft wird. Den Ungläubigen da- gegen gilt dieser Rechtssatz als durchaus verwerflich und als ein Un- recht, das durch Einführung des richtigen Rechts, welches Bestattung oder Verbrennung erlaubt oder erzwingt, ersetzt werden sollte. Auf die Formen der Organisation des Staats kann ich hier nicht näher eingehen. Nur das sei hervorgehoben, dass uns auch hier die bunteste Mannigfaltigkeit entgegentritt, ebenso wie in den Sätzen der Sitte und Moral oder wie in der Organisation des Geschlechtslebens, doch keineswegs, wie man gelegentlich angenommen hat, in causalem oder auch nur thatsächlichem Zusammenhang mit diesem. All diese verschiedenen Formen gliedern sich in zwei Gruppen, den freien Staat, in dem der Theorie nach alle selbständigen Stammesglieder gleich- berechtigt neben einander stehen, und in dem die Staatsgewalt in der Wehrversammlung der Vollfreien und den von dieser bestellten Organen, darunter meist einem Rath der alten nicht mehr wehrfähigen Männer, ihren materiellen Ausdruck findet, und den despotisch re- ! Vergl. R. Sraunter, Die Lelıre von dem richtigen Rechte, 1902. 532 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 6. Juni 1907. gierten Staat, in dem die gesammte Staatsgewalt einem einzigen Ge- schlecht und dessen Oberhaupt übertragen ist. Zwischen diesen beiden Extremen stehen zahlreiche Abstufungen und Zwischenformen; und in jeder der beiden Grundformen kann die Staatsgewalt zu ungeheurer Intensität entwickelt sein, so dass sie alles Andere fast absorbirt, oder auch ausserordentlich schwach sein, so dass wichtige Aufgaben des Staats unerfüllt bleiben. Auch ein Übergang von der einen zur andern Form ist nieht selten; oft vollzieht er sich, unter bestimmten äusseren Einflüssen, ganz jäh im Verlauf einer einzigen (Generation. Aber im Allgemeinen gilt jede Staatsform da, wo sie besteht, als selbstverständlich und unabänderlich wie jede Sitte und jede herr- schende Anschauung. Am überraschendsten tritt uns das in den starr despotischen Staaten entgegen. Hier treten die Gebrechen der be- stehenden Staatsform immer wieder sehr drastisch hervor, und so verläuft ihre Geschichte in einer ununterbrochenen Folge von Em- pörungen, Mordthaten und Usurpationen; die Verfassung aller der- artigen Staaten ist in der That, nach dem bei der Ermordung des Kaisers Paul von Russland geprägten Witzwort, le despotisme tem- per@ par l’assassinat. Aber kaum je tritt der Gedanke hervor, dureh. eine Änderung der Staatsform bessere Zustände zu schaffen. Die Nothwendigkeit der Existenz des Staats lebt in dem Bewusstsein eines Jeden, in eultivirten so gut wie in ganz barbarischen Völkern; mithin kann er nur so sein. wie er bisher war. Und so sehen wir, dass eben die Männer, die einen unfähigen oder brutalen Herrscher gestürzt oder ermordet haben, einen andern auf den Thron erheben, der kaum besser ist, und sich ihm unweigerlich unterwerfen, weil sie sich vor der Allmacht der Staatsidee beugen. — Der Idee nach ist jeder menschliche Verband — Stammstaat, Stadtstaat, Territorialstaat so gut wie die kleineren von diesen um- schlossenen Verbände — nach aussen fest abgegrenzt und-von ewiger Dauer. Eben diese Idee verkörpert sich in seinem Cultus, in den ewigen Göttern, die ihn geschaffen haben und fortdauernd erhalten, und in dem Glauben an die Blutsgemeinschaft, die gemeinsame Ab- stammung, die alle seine Mitglieder verbindet und von allen anderen Menschen scheidet. Thatsächlich ist dagegen der Bestand eines jeden Verbandes in ständigem Fluss, er scheidet ununterbrochen eigene Ele- mente aus und nimmt fremde in sich auf, und er erhält sich in der Regel kaum ein paar Jahrhunderte lang. Ewig ist nur der Verband an sich, d. h. die Organisation der Menschen in abgegrenzten und rechtlich geordneten Einzelgruppen; jeder eoncrete Verband dagegen ist nur eine vorübergehende Erscheinungsform dieser Idee. So wenig wie der einzelne Mensch existirt eben auch der einzelne Verband und Meyer: Die Anfänge des Staats. 533 der einzelne Staat jemals isolirt, sondern er steht in fortwährendem Austausch, in unterbrochener physischer und psychischer Wechsel- wirkung mit andern gleichartigen Gebilden. Das Ergebniss dieses ununterbrochenen Austausches zwischen den Einzelverbänden ist die Entstehung der grösseren Einheiten, innerhalb deren diese stehen. Diese grösseren Einheiten scheiden sich in zwei Gruppen; diejenige, welche wir zunächst betrachten, umfasst Rasse, Sprachstamm und Volksthum. Freilich herrscht ganz allgemein die Ansicht, dass in diesen Ein- heiten die älteste und durchgreifendste Gliederung des Menschenge- schlechts zu suchen sei: und es mag wohl als Ketzerei erscheinen, wenn gegen die Richtigkeit dieser Vorstellung Zweifel erhoben werden. Zuerst, so meint man, sind die Hauptrassen entstanden, noch als weit kleinere, räumlich beschränktere Gruppen; dann haben sie sich bei weiterer Ausbreitung in Sprachstämme gespalten, diese in Einzelvölker, und zuletzt wieder diese in die einzelnen Stämme und localen Gruppen. Nun ist es ja zweifellos, dass der Process der Neubildung grösserer und kleinerer Gruppen sich sehr oft in dieser Weise abgespielt hat; aber der entgegengesetzte Verlauf, die Verbindung ursprünglich ge- trennter Elemente zu einer neuen Einheit, dürfte noch viel häufiger eingetreten und noch viel wirksamer gewesen sein. Was zunächst die Rasse angeht, so ist es gewiss möglich, dass das Menschengeschlecht von Anfang an in verschiedenen Varietäten aufgetreten ist oder sich sehr früh in solche gespalten hat; über diese Frage steht mir kein Urtheil zu. Völlig sicher ist dagegen, dass alle Menschenrassen sich fortwährend mischen, dass sie alle sich nur a potiori definiren lassen, dass eine scharfe Scheidung zwischen ihnen nicht gelungen, sondern ganz unmöglich ist — ein typisches Beispiel bilden die Volksstämme des Nilthals —, und dass sich ein sogenannter reiner Rassentypus nur da findet, wo Volksstämme durch äussere Umstände in künstlicher Isolirung gehalten worden sind, wie z.B. auf Neuguinea und Australien'. Nichts aber rechtfertigt die Annahme, dass uns hier die naturwüchsigen Urzustände des Menschengeschlechts entgegenträten; vielmehr scheint es weit näherliegend, dass die Ho- mogenität, die wir hier finden, umgekehrt das Ergebniss der Iso- lirung und der mangelnden Zuführung fremden Blutes ist. Prägnante Rassengegensätze finden wir da, wo im Verlauf der geschichtlichen Entwiekelung, in Folge von Wanderungen und Eroberungen, Völker ! Ebenso gewinnen diejenigen Menschenelassen einen besonderen plıysischen Typus, die zwar inmitten eines andern Volksganzen leben, mit denen aber eine ge- schlechtliche Vermischung streng verpönt ist, wie derartiges z.B. in Arabien bei den Schmieden u. A. vorkommt. 534 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 6. Juni 1907. aus weit getrennten Gebieten unmittelbar aufeinanderstossen. Aber dann tritt sehr rasch Vermischung ein, die in der Regel mannigfache Übergangsformen schafft, gelegentlich auch dazu führen kann, dass ein Volk seinen Rassentypus völlig verliert und einen fremden Rassen- typus annimmt, wie bei den Osmanen und den Magyaren oder bei den Falascha, den sogenannten schwarzen Juden in Abessinien. Solche Entwickelungen sind aber keineswegs ein Product fortgeschrittener Cultur und gesteigerten geschichtlichen Lebens, sondern sie herrschen auf Erden überall und zu allen Zeiten. Eroberungen, Unterjochungen fremder Völker, Frauenraub, Sklaverei sind in der Urzeit eben so häufig gewesen wie in den historischen Zeiträumen, und ebenso der fortwäh- rende Anschluss Fremder an einen Stamm, als Schutzsuchende und Beisassen: Gastrecht und Gastverkehr ist keinem Volke fremd, und ebensowenig Handelsverkehr und Waarenaustausch, wenn auch in noch so primitiven Formen. Wenn in entwickelten Culturverhältnissen manche dieser Formen zurücktreten, so gewinnen dafür die entwickel- teren Verkehrsverhältnisse nebst Einwanderung und Auswanderung einen um so grösseren Einfluss. Das alles schafft zwar langsam, aber mit ununterbrochener Stetigkeit eine körperliche und geistige Mischung, eine Angleichung der verschiedenen Verbände oder Stämme; und was in der Frist einer Generation geringfügig und irrelevant erscheint, ge- winnt gewaltiges Gewicht, sobald wir einen längeren Zeitraum über- sehen, zumal von Zeit zu Zeit immer wieder die grossen Krisen hin- zukommen, in denen bestehende Verbände sich von innen zersetzen oder von aussen zersprengt werden und neue aus verschiedenen Ele- menten zusammengewachsene an ihre Stelle treten. Diesen auf die Ausbildung einer homogenen Gattung hinwirkenden Tendenzen stehen auch hier die individualisirenden gegenüber, welche in jeder Einzel- gruppe eine Sonderart zu schaffen streben. Aus der Kreuzung und Wechselwirkung dieser beiden Tendenzen dürften sich die physischen Unterschiede zwischen den einzelnen Menschengruppen in viel höherem Maasse erklären als aus direeter und unvermischter Abstammung von ursprünglich geschiedenen Typen. Dass die Sprachstäimme mit den physischen Gruppen in keiner Weise zusammenfallen, dass die Sprachen auf fremde Völker, vielleicht von einer ganz anderen Rasse, übertragen werden können, dass z.B. indogermanische Sprachen gegenwärtig von vielen Völkern und Volks- elementen (wie den Negern in Amerika) gesprochen werden, die mit demjenigen Volksstamm, dem die Sprache ursprünglich angehörte, nichts gemein haben, ist so allbekannt, dass ich dabei nicht zu ver- weilen brauche. Ebenso aber auch, dass in jeder Sprache eine geistige Eigenart und ein Schatz eultureller Erwerbungen enthalten ist, der MEyErR: Die Anfänge des Staats. 535 sich, in grösserem oder geringerem Maasse, auf alle überträgt, welche diese Sprache sprechen. Wenn daher die reinen Anthropologen, welche lediglich die körperlichen Merkmale erforschen wollen, eine Einthei- lung der Menschenrassen nach Sprachstämmen und z.B. die Aufsuchung eines indogermanischen Rassentypus mit Recht verwerfen, so ist die Geschichte, einschliesslich der Culturgeschichte, dennoch eben so sehr in ihrem Rechte, wenn sie an dieser Eintheilung festhält und sie als grundlegend betrachtet. Denn ihr kommt es auf die geistigen Eigenschaften und den geistigen Besitz der Völker an, während die rein körperlichen Unterschiede im geschichtlichen Leben der Völker nur eine sehr geringe Rolle spielen. Volk und Volksthum gelten der Geschichtsbetrachtung als pri- märe Grössen, als gegebene ursprüngliche Elemente, mit denen sie als mit etwas Unabänderlichem operiren kann und deren weitere Ent- wickelung sie zu verfolgen hat. Und in der That scheint es, dass, wo unsere geschichtliche Kenntniss einsetzt, die Völker sich scharf und leicht von einander scheiden lassen, dass jedes von ihnen mit einer aus- geprägten Sonderart ausgestattet ist, die in Sprache, Sitte, Religion, Begabung und Charaktereigenschaften zu Tage tritt. Aber stutzig muss uns doch machen, dass wir sehen, wie im Verlauf der geschichtlichen Entwickelung Völker entstehen und vergehen, alle diese Eigenschaften erwerben und wieder verlieren, wie z. B. vor einem Jahrtausend, zur Zeit der Zersetzung der Karolingischen Monarchie, kaum ein einziges der Völker des gegenwärtigen Europas existirt hat, nicht nur seinem äusseren Bestande, sondern seinem inneren Wesen nach, wie nur die Elemente, die kleineren Gruppen vorhanden waren, aus denen es sich aufgebaut hat, wie diese bei einem anderen Verlauf des geschichtlichen Processes sich auch anders hätten gruppiren können, Norddeutschland z. B. mit Skandinavien hätte verschmelzen oder ein selbständiges Volk hätte werden können (wie es ein Bruchtheil desselben, die Niederländer, wirklich geworden sind), ebenso die Provencalen und die Catalanen zwischen Nordfranzosen und Spaniern, und wie die lebenskräftigsten Völker aus einem Zusammenwachsen der allerverschiedensten Volksele- mente entstanden sind, z. B. die Italiker, die Engländer, oder vor unseren Augen das nordamerikanische Volk. Und sehen wir uns in den Anfängen eines Volksthums näher um, etwa bei den Griechen oder den Deutschen der ältesten Zeit, so ist es verschwindend wenig und sehr wenig Greifbares, was uns übrig bleibt, um diese Gruppe von völlig selbständigen staatlichen Verbänden oder Stämmen als eine Einheit zusammenzufassen. Das Greifbarste ist noch die Sprache; aber diese ist in zahlreiche Dialekte gespalten, zwischen denen eine Verständigung oft kaum möglich ist, und sie sondert die eine grosse 536 Sitzung der philosophisch -historischen Classe voın 6. Juni 1907. Gruppe selten scharf gegen alle anderen ab: sollen wir z.B. die Latiner, Umbrer, Sabeller als ein Volk oder als drei verschiedene betrachten, und ebenso etwa Griechen und Makedonen, Deutsche und Skandinavier? Dazu kommt die Übereinstimmung in manchen rechtlichen Ordnungen, Sitten, Culten, eine gewisse Gleichheit in Charaktereigenschaften und Lebensweise; aber das Alles findet sich, oft kaum oder gar nicht ver- schieden, auch bei anderen Verbänden, die wir als stammfremd be- trachten müssen. Von einem Gefühl der Gemeinsamkeit ist keine Rede, es sei denn, dass es aus dem Gegensatz zu Fremdsprachigen durch die Erfahrung der Möglichkeit einer Verständigung entsteht. Wohl können sich innerhalb der Volksgruppe mehrere Stämme oder sonstige staat- liche Gebilde vorübergehend oder dauernd zu grösseren Coalitionen einigen, aber sehr oft umschliessen dieselben auch Stammfremde — solche Bildungen wie die Schweiz sind im Alterthum gar nicht selten, z. B. in Aetolien —, während gegen die nächsten Stammverwandten der erbittertste Gegensatz herrscht. Selbst ein gemeinsamer Volks- name ist nicht vorhanden, es sei denn, dass die Fremden ihn ge- schaffen haben. Erst ganz allmählich, im Verlauf der aufsteigenden geschichtlichen Entwickelung, bildet sich, zunächst halb unbewusst, ein Gefühl der engeren Zusammengehörigkeit, eine Vorstellung von der Einheit des Volksthums. Die höchste Steigung desselben, die Idee der Nationalität, ist dann das feinste und eomplieirteste Gebilde, welches die geschichtliche Entwickelung zu schaffen vermag: sie setzt die that- sächlich bestehende Einheit in einen bewussten, activen und schöpferi- schen Willen um, eine von allen anderen Menschengruppen speecifisch geschiedene Einheit darstellen und sich als solche bethätigen zu wollen!. Es kann kein Zweifel sein: auch das Volksthum ist erst durch einen langen geschichtlichen Process der gleichen Art geschaffen, wie wir ihn vorhin betrachtet haben. Was uns täuscht und die realen Momente verkennen lässt, sind auch hier die Vorstellungen, mit denen der Mensch an diese Bildun- gen herantritt. Ihm erscheint wie der staatliche Verband, in dem er lebt, so auch das diesen umfassende Volksthum als eine gegebene, von Anfang an vorhandene und unwandelbare Einheit, die er hier wie dort aus der Gemeinsamkeit des Blutes erklärt, unbekümmert um alle die Erscheinungen, welche beweisen, dass der geschichtliche Verlauf ein ganz anderer gewesen ist, ja oft selbst dann, wenn eine Kunde über die geschichtliche Entstehung dieser Volkseinheit noch erhalten ist — hat doch Mounsen sogar die durch Rom geschaffene Verbindung der ganz ı Eingehender habe ich das Wesen der Nationalität, im Unterschied von Volks- thum und Staat, in meiner Schrift: Zur Theorie und Methodik der Geschichte, 1902, S. zıfl. zu bestimmen versucht. MEyErR: Die Anfänge des Staats. 537 verschiedenartigen Volksstämme Italiens zu einer Einheit, zu dem neuen Volksthum der Italiei, als Verwirklichung einer latent von Anfang an vorhandenen Volkseinheit aufzufassen versucht. So werden Reinheit des Bluts und der Rasse zu Ruhmestiteln jedes Volksverbandes, der sich in seiner Individualität fühlt; alle Institutionen sollen bodenständig, aus dem inneren Genius des Volksthums erwachsen sein, selbst die Sprache sucht man von den fremden Bestandtheilen zu reinigen, die sie ununterbrochen in sich aufgenommen hat. In Wirklichkeit giebt es unge- mischte Völker schwerlich irgendwo auf Erden, und je höher die Cultur, desto stärker ist die Mischung. Reinheit des Bluts, Autochthonie, Fern- haltung der fremden Einflüsse ist so wenig ein Vorzug, dass vielmehr in der Regel ein Volk um so leistungsfähiger ist, je mehr fremde Ein- wirkungen es aufgenommen und zu einer inneren Einheit verschmolzen hat — nur wo das nicht gelingt, ist die Mischung verderblich. Alle Völker und vollends alle Nationalitäten unserer Öulturwelt sind die Producte eines complieirten, von den mannigfachsten geschichtlichen Einzelvorgängen beeinflussten Entwickelungsprocesses, und die Natio- nalität ist so wenig ein Ausdruck ursprünglichen Volksthums — ob- wohl sie mit dieser Prätension auftritt —, dass vielmehr auf dem Boden desselben Volksthums und derselben Sprache verschiedene Nationalitäten (Engländer und Amerikaner, Deutsche, Holländer, Schweizer) auftreten und umgekehrt innerhalb derselben Nationalität die in sie eingegangenen Völker einen Theil ihrer Sonderart behaupten können (so in England und Nordamerica oder in der von Rom geschaffenen Nation der Italiei). Die bisher besprochenen, grössere Gruppen verbindenden Ein- heiten, Rasse, Sprache und Volksthum, haben das gemeinsam, dass sie körperliche und geistige Wirkungen erzeugen, die dauernd in den Besitz der ihnen eingeordneten Verbände und jedes zu diesen gehörigen Individuums übergehen und ein erblicher Bestandtheil ihrer Eigenart, ihres Charakters werden. Daneben gehen andere Wirkungen des Austausches zwischen den Verbänden einher, die lediglich dem Bereiche der materiellen und geistigen Culturgüter angehören und daher eine Einwirkung auf die Charaktere und die äussere Erschei- nung nicht, oder wenigstens nur mittelbar, ausüben können. Diese Wirkungen führen zur Entstehung von Culturkreisen, welche über die Grenzen der Rasse, der Sprache und des Volksthums hinweg die einzelnen staatlichen Bildungen mit einander verbinden und zwischen ihnen eine Gemeinsamkeit der Lebensformen und der Anschauungen schaffen. So bedeutsam diese Culturkreise für den Verlauf des ge- schichtlichen Lebens sind, so würde es doch über die hier gestellte Aufgabe hinausführen, wenn wir auch diese noch in ihrer Entwicke- lung und Wirkung verfolgen wollten. 538 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 6. Juni 1907. Alle von uns besprochenen allgemeinen Faetoren wirken auf einen Ausgleich der Gegensätze zwischen den einzelnen Menschengruppen hin, auf die Erzeugung einer Homogenität, eines einheitlichen Typus, einer vollkommenen inneren und äusseren Gleichheit aller Menschen. Ihnen gegenüber stehen die Tendenzen zur Differenzirung, zur Aus- bildung der Sonderart jedes einzelnen Verbandes und innerhalb des- selben wieder jedes einzelnen Individuums. Die Momente, die in dieser Richtung wirken, vermögen wir nur zum Theil zu erkennen, die ge- gebenen politischen und eulturellen Sonderverhältnisse, unter denen jeder Verband und jeder Mensch lebt, die geographischen Bedingun- gen, die äusseren geschichtlichen Einwirkungen, die er erfährt. Aber daneben bleibt als das eigentlich Entscheidende ein Moment, das sich jeder Analyse entzieht: das ist die Art, wie sich ein Jeder, der grössere oder kleinere Verband und das Volk so gut wie der einzelne Mensch, unter den gegebenen Umständen verhält, wie er seine Individualität offenbart, kurz das, was wir als Anlage und Charakter bezeichnen. Das ist etwas, was wir wissenschaftlich niemals weiter erklären können, sondern als etwas schlechthin Gegebenes hinnehmen müssen; und doch ist dieses Individuelle, Singuläre eben dasjenige, was die Eigenart und das innerste Wesen jedes geschichtlichen Vorgangs bestimmt, während die allgemeinen Faetoren nur die Möglichkeiten enthalten, von denen eine einzelne durch das Hinzutreten dieses individuellen Mo- ments zur Wirklichkeit wird. Eben darauf beruht es, dass wir Ge- sehiehte niemals eonstruiren, sondern nur als Thatsache erfahren können. Zwischen diesen beiden Tendenzen, der ausgleichenden und der individualisirenden, bewegt sich alles menschliche Leben, und in ihrem ununterbrochenen Contliet besteht das innerste Wesen der Menschheit. Auf ihrem Widerstreit beruht es, dass die menschlichen Verbände, anders als die thierischen, eine Entwickelung und darum eine Ge- schichte haben. Käme jemals eine von beiden zur Alleinherrschaft, sei es die vollendete Anarchie des bellum omnium contra omnes, sei es die absolute Herrschaft einer homogenen, alle individuellen Unter- schiede aufhebenden und darum einer weiteren Entwickelung nicht mehr fähigen Cultur, so wäre damit das menschliche Dasein selbst aufgehoben und an Stelle des Menschen eine Rasse getreten, die uns so fremdartig und so gleichgültig wäre wie die Gattungen des Thier- reichs. Ausgegeben am 20. Juni. 539 SITZUNGSBERICHTE _ 1907. XXVIL DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 6. Juni. Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe. Vorsitzender Secretar: Hr. WALDEYER (\. V.). “ Hr. Herrwıe macht eine zweite Mittheilung über die gemeinsam mit Hrn. Dr. Porz, Assistenten am anatomisch -biologischen Institut, ausgeführten Untersuchungen »zur Biologie der Mäusetumoren«. Die Mittheilung handelt ı. über die Transplantation von Geschwülsten von der weissen auf die graue Maus und umgekehrt, 2. über die Frage, wie lange von Ge- schwulststücken, die von der Maus abgetrennt und aseptisch aufbewahrt worden sind, Theile sich lebend erhalten, so dass sie mit Erfolg auf gesunde Mäuse transplantirt werden können, 3. über das Vorkommen von Immunthieren und über Atrepsie, 4. über das Wachsthum der Geschwülste. Ausgegeben am 20. Juni. Sitzungsberichte 1907. 55 HE HAN wa * » 7 u Ki PETE ER SUR er - 5 Br j 5 R) a Ir BER FTNN i SEA IE ED RFFLNE mg . Kaya zz -WUTFEE f L Pr S Hi oa ar ul j a j . [ Sr ke = ’ Zr }. Ä Mar - . Barnrahe uf sFr 1 De} | | ie u Rn Et PATE AREA Be USE 5 Nee 8,8 0 re ge Du eh . e a Er PR: # 77 zur R oe. neh TERMIN B% inf ARTE re ak a NA Ds ur Teen A 4 nt ea KLEWEZC ie da 0 A Ar ae - 7 541 SITZUNGSBERICHTE _ 1907. XXIX. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 13. Juni. Gesammtsitzung. Vorsitzender Secretar: Hr. Diers. l. Hr. Pranck las: Zur Dynamik bewegter Systeme. Nach Aufzeigung der prineipiellen Unzulänglichkeit einiger gewöhnlich benutzter allgemeiner dynamischer Definitionen und Sätze werden die Folgerungen entwickelt, welche sich aus der Combination des Prineips der kleinsten Wirkung ımit dem neuer- dings von H. A. Lorentz und A. Eınsrein aufgestellten Princip der Relativität für ein bewegtes ponderables System ergeben. 2. Zu der in Bologna am ı2. und 13. Juni veranstalteten Feier des dreihundertjährigen Todestages von Uuisse Auprovannı hat die Akademie eine Adresse gewidmet, deren Wortlaut unten folgt. 3. Die Akademie hat durch die physikalisch - mathematische Classe Hrn. Prof. Dr. Luporr Kreutn in Heidelberg zu Untersuchungen über die Veränderung der Wasserausscheidung durch Haut und Lunge bei Aufenthalt an hoch gelegenen Punkten 2400 Mark, durch die philo- sophisch-historische Classe zur Bearbeitung der hieroglyphischen In- schriften der griechisch-römischen Epoche für das Wörterbuch der aegyptischen Sprache 1500 Mark und Hrn. Dr. GorruoLn Weir in Berlin zur Drucklegung seiner Ausgabe des Kitab al-insaf des arabischen Grammatikers Ibn al-Anbarı 1000 Mark bewilligt. 4. Vorgelegt wurde Band 9 des akademischen Unternehmens der Deutschen Texte des Mittelalters, enthaltend Tilos von Kulm Gedicht von siben Ingesigeln hrsg. von Kar KOCHENDÖRFFER. Berlin 1907. on an 542 Gesammtsitzung vom 13. Juni 1907. Zur Dynamik bewegter Systeme. Von Max PLaAnck. Einleitung. Deitdem die neueren Forschungen auf dem Gebiete der Wärmestrahlung von experimenteller wie auch von theoretischer Seite her überein- stimmend zu dem Ergebniss geführt haben, dass ein von jeglicher ponderabler Materie entblösstes, lediglich aus elektromagnetischer Strahlung bestehendes System sowohl den Grundgesetzen der Mechanik wie auch den beiden Hauptsätzen der Thermodynamik in einer Voll- ständigkeit gehorcht, die bei keiner einzigen der bisher aus diesen Sätzen gezogenen Folgerungen etwas zu wünschen übrig lässt. ist es nothwendig geworden, eine Reihe von Vorstellungen und (Gesetz- mässigkeiten, die bisher gewöhnlich als feste und fast selbst- verständliche Voraussetzungen allen theoretischen Speeulationen auf diesen Gebieten zu Grunde gelegt wurden, einer prineipiellen Revision zu unterziehen, und eine nähere Betrachtung zeigt, dass einige der einfachsten und wichtigsten unter ihnen in Zukunft nur mehr den Charakter von allerdings weitgehenden und praktisch sehr wichtigen Annäherungen, aber keineswegs mehr genaue Gültigkeit beanspruchen können. Einige Beispiele werden dies näher begründen. Man ist gewohnt, die gesammte Energie eines bewegten ponde- rablen Körpers aufzufassen als additiv zusammengesetzt aus einem Glied, welches, unabhängig von dem inneren Zustand des Körpers, nur mit seiner Geschwindigkeit variirt: der Energie der fortschreitenden Bewegung, und einem zweiten Glied, welches, unabhängig von der Geschwindigkeit, nur von dem inneren Zustand, nämlich von der Dichte, der Temperatur und der chemischen Beschaffenheit abhängt: der inneren Energie des Körpers. Diese Zerlegung ist von nun an, prineipiell genommen, in keinem einzigen Falle mehr gestattet. Denn ein jeder ponderable Körper enthält in seinem Innern einen endlichen angebbaren Betrag von Energie in der Form strahlender Wärme, und wenn dem Körper eine gewisse Geschwindigkeit ertheilt wird, so wird diese Wärmestrahlung zugleich mit in Bewegung gesetzt. Für bewegte Praner: Zur Dynamik bewegter Systeme. 543 Wärmestrahlung aber ist, obwohl deren Energie merklich von der Geschwindigkeit der Bewegung abhängt, eine Trennung der Energie in eine innere und eine fortschreitende Energie durchaus unmöglich; folg- lich ist eine solche Trennung auch für die Gesammtenergie nicht durch- führbar. Mag nun auch in den meisten Fällen die innere Strahlungs- energie weitaus überwogen werden von den übrigen Energiearten, so ist sie doch stets in nachweisbarer Menge vorhanden und unter wohlrealisirbaren Umständen sogar von derselben Grössenordnung wie jene. Am merkliehsten wird ihr Betrag für gasförmige Körper. Nehmen wir z. B. ein ruhendes ideales einatomiges Gas unter dem Druck p bei der Temperatur 7, so ist die im Gase vorhandene Strahlungsenergie a aVT“, wobei im absoluten ©. G. S.-System a = 7.061107" und V= — (N die Molzahl, R= S.31:10°). Dagegen ist die innere Energie des (ases, soweit sie von der lebendigen Kraft der Moleceularbewegungen herrührt: Ne,T+ eonst., wo «,. die Molwärme bei constantem Volumen. in dem nämlichen Maasssystem gleich 34.19: 10° = 1.257 10°. Führt man also dem Gase von aussen bei constantem Volumen Wärme zu, so vertheilt sich diese Wärme auf die beiden genannten Energiearten im Verhältniss: 4aVT® A4aRT" Ne, cp Für 0.001 mm Druck und die Temperatur «des schmelzenden Platins, also in absolutem Maasse p = 1.33 und 7 = 1790 + 275 = 2063 wird dies Verhältniss, mit Benutzung der angegebenen Zahlen, gleich 0.25: d.h. bei den angenommenen Werthen von Druck und Temperatur beträgt die bei der Erwärmung eines einatomigen Gases zur Vermehrung der Strahlungsenergie dienende Wärme bereits den vierten Theil der den Molecularbewegungen zu Gute kommenden Wärme. Ein weiteres Beispiel betrifft die träge Masse eines Körpers. Der Begriff der Masse als eines absolut unveränderlichen, weder durch physikalische noch durch chemische Einwirkungen irgendwie zu modi- fieirenden Quantums gehört seit Nrwros zu den Fundamenten der Mechanik. Wenn irgend einer Grösse, so scheint dieser vor allen anderen das Attribut der Constanz zuzukommen: sie ist es, welche bis in die neueste Zeit, auch noch in der Hxerrz’sehen Mechanik, als die Grundeigenschaft der Materie betrachtet und daher fast in jedem physikalischen Weltsystem als erster Baustein verwendet wird. Und doch lässt sich jetzt ganz allgemein beweisen, dass die Masse eines jeden Körpers von der Temperatur abhängig ist. Denn die träge Masse wird am direetesten definirt durch die kinetische Energie. Da es aber, wie vorhin gezeigt. unmöglich ist, die Energie der fort- 544 Gesammtsitzung vom 13. Juni 1907. schreitenden Bewegung eines Körpers vollständig zu trennen von seinem inneren Zustand, so folgt sogleich, dass eine Constante mit den Eigenschaften der trägen Masse nicht existiren kann. Der Grund hiervon liegt wiederum in der Energie der inneren Wärmestrahlung, welche an der Trägheit des Körpers sicher einen, wenn auch geringen, so doch angebbaren Antheil hat, und zwar mit einem von der Strahlungsdichte, d. h. von der Temperatur abhängigen Gliede. Will man aber die Masse, statt durch die kinetische Energie, durch die Bewegungsgrösse definiren, nämlich als den Quotienten der Bewegungs- grösse durch die Geschwindigkeit, so kommt man zu keinem anderen Resultat. Denn nach den Untersuchungen von H.A. Lorentz, H. Poıscar% und M. Apranam besitzt die innere Wärmestrahlung eines bewegten Körpers, ebenso wie überhaupt jede elektromagnetische Strahlung, eine bestimmte endliche Bewegungsgrösse, welche in der gesammten Be- wegungsgrösse des Körpers mit enthalten ist. Dieselbe hängt aber, ebenso wie die Strahlungsenergie, von der Temperatur ab, und in Folge dessen auch die durch sie definirte Masse. Der Ausweg, zwischen »wirklicher« und »scheinbarer« Masse zu unterscheiden, und der ersteren allein die Eigenschaft der absoluten Constanz beizulegen, stellt im Grunde nur eine veränderte Formulirung desselben Sachverhalts dar. Denn wenn der »wirklichen« Masse nun auch die Constanz gewahrt bleibt, so geht ihr dafür auf der anderen Seite ihre bisherige Bedeutung für die kinetische Energie und für die Bewegungsgrösse verloren. An diese Betrachtung schliesst sich. sogleich ein drittes Beispiel, nämlich die Frage nach der Identität von träger und ponderabler Masse. Die Wärmestrahlung in einem vollständig evacuirten, von spiegelnden Wänden begrenzten Raume besitzt sicher träge Masse; aber besitzt sie auch ponderable Masse? Wenn diese Frage zu ver- neinen ist, was wohl das Nächstliegende sein dürfte, so ist damit offenbar die durch alle bisherige Erfahrungen bestätigte und allgemein angenommene Identität von träger und ponderabler Masse aufgehoben. Man darf nieht einwenden, dass die Trägheit der Hohlraumstrahlung unmerklich klein ist gegen die der begrenzenden materiellen Wände. Im Gegentheil: durch ein gehörig grosses Volumen des Hohlraumes lässt sich die Trägheit der Strahlung sogar beliebig gross machen gegen die der Wände. Eine solche, durch dünne starre spiegelnde Wände von dem äusseren Raum vollständig abgeschlossene, im Übrigen frei bewegliche Hohlraumstrahlung liefert ein anschauliches Beispiel eines starren Körpers, dessen Bewegungsgesetze von denen der ge- wöhnlichen Mechanik total abweichen. Denn während er, äusserlich betrachtet, sich durch Nichts von anderen starren Körpern unter- Pranck: Zur Dynamik bewegter Systeme. 545 scheidet, auch eine gewisse träge Masse besitzt und dem Gesetz des Beharrungsvermögens gehorcht, ändert sich seine Masse merklich mit der Temperatur, ausserdem hängt sie in bestimmter angebbarer Weise von der Grösse der Geschwindigkeit ab sowie von der Richtung, welche die bewegende Kraft mit der Geschwindigkeit bildet. Dabei haben die Eigenschaften eines solchen Körpers gar nichts Hypothetisches an sich, sondern lassen sich quantitativ in allen Einzelheiten aus bekannten Gesetzen ableiten. Angesichts der geschilderten Sachlage, durch welche einige der bisher gewöhnlich als festeste Stütze für theoretische Betrachtungen aller Art benutzten Anschauungen und Sätze ihres allgemeinen Charakters entkleidet werden, muss es als eine Aufgabe von besonderer Wichtig- keit erscheinen, unter den Sätzen, welche bisher der allgemeinen Dynamik zu Grunde gelegt wurden, diejenigen herauszugreifen und besonders in den Vordergrund zu stellen, welche sich auch den Er- gebnissen der neuesten Forschungen gegenüber als absolut genau bewährt haben; denn sie allein werden fernerhin Anspruch erheben dürfen, als Fundamente der Dynamik Verwendung zu finden. Damit soll natürlich nicht gesagt werden, dass die oben als merklich unexact gekennzeichneten Sätze künftig ausser Gebrauch zu setzen wären; denn die enorme praktische Bedeutung, welche die Zerlegung der Energie in eine innere und eine.fortschreitende, oder die Annahme der ab- soluten Unveränderlichkeit der Masse, oder die Voraussetzung der Identität der trägen und der ponderablen Masse in der ungeheuren Mehrzahl aller Fälle besitzt. wird ja durch die hier angestellten Be- trachtungen überhaupt gar nicht berührt, und niemals wird man in die Lage kommen, auf die Benutzung jener so wesentlich vereinfachenden Annahmen Verzieht leisten zu können. Aber vom Standpunkt der allgemeinen Theorie aus wird man unbedingt und prineipiell unter- scheiden müssen zwischen soleben Sätzen, die nur als Annäherungen aufzufassen sind, und solchen, welche genaue Gültigkeit beanspruchen, schon deshalb, weil heute noch gar nicht abzusehen ist, zu welchen Consequenzen die Weiterentwicklung der exacten Theorie einmal führen wird: sind ja doch häufig genug weitreichende Umwälzungen, auch in der Praxis, von der Entdeckung fast unmerklich kleiner Ungenauigkeiten in einer bis dahin allgemein für exact gehaltenen Theorie ausgegangen. Fragen wir daher nach den wirklich exaeten Grundlagen der all- gemeinen Dynamik, so bleibt von allen bekannten Sätzen zunächst nur übrig das Prineip der kleinsten Wirkung, welches, wie H. vos Hrısmorzz' nachgewiesen hat, die Mechanik, die Elektrodynamik ! H. vow Heınsuorrz, Wissenschaftl. Abhandl. III, S. 203, 1895. 546 Gesammtsitzung vom 13. Juni 1907. und die beiden Hauptsätze der Thermodynamik in ihrer Anwendung auf reversible Processe umfasst. Dass in dem nämlichen Prineip auch die Gesetze einer bewegten Hohlraumstrahlung enthalten sind, habe ich im Folgenden (vergl. unten Gl. [12]) besonders gezeigt. Aber das Prineip der kleinsten Wirkung genügt noch nicht zur Funda- mentirung einer vollständigen Dynamik ponderabler Körper; denn für sich allein gewährt es keinen Ersatz für die oben als unhaltbar nach- gewiesene und daher hier nicht einzuführende Zerlegung der Energie eines Körpers in eine fortschreitende und eine innere Energie. Da- gegen steht ein solcher Ersatz in vollem Umfang in Aussicht bei der Einführung eines anderen Theorems: des von H. A. Lorexrz' und in allgemeinster Fassung von A. Einstein” ausgesprochenen Prineips der Relativität. Wenn auch von directen Bestätigungen der Gül- tigkeit dieses Prineips nur eine einzige, allerdings sehr gewichtige, zu nennen ist: das Ergebniss der Versuche von Micnersox und Mortey, so ist doch andererseits bis jetzt keine Thatsache bekannt, die es direet hinderte, diesem Prineip allgemeine und absolute Genauigkeit zuzuschreiben. Andererseits erweist sich das Prineip als so durch- greifend und fruchtbar, dass eine möglichst eingehende Prüfung wün-. schenswerth erscheint, und diese kann offenbar nur durch Untersu- chung der Consequenzen erfolgen, welche es in sich birgt. Dieser Erwägung folgend hielt ich es für eine lohnende Aufgabe, die Schlüsse zu entwickeln, zu welchen eine Combination des Prineips der Relativität mit dem Prineip der kleinsten Wirkung für beliebige ponderable Körper führt. Es haben sich dabei gewisse weitere Aus- blicke ergeben, sowie auch einige Folgerungen, die vielleieht einer direeten experimentellen Prüfung zugänglich sind. Erster Abschnitt. Dynamik einer bewegten schwarzen Hohlraumstrahlung. SET. Die schwarze Hohlraumstrahlung im reinen Vacuum ist unter allen physikalischen Systemen das einzige, dessen thermodynamische, elek- trodynamische und mechanische Eigenschaften sich, unabhängig vom Widerstreit specieller Theorien, mit absoluter Genauigkeit angeben lassen. Seine Behandlung ist daher der der übrigen Systeme vorange- schickt. Man denke sich die Strahlung eingeschlossen in ein rings von ! H. A. Lorentz, Versl. Kon. Akad. v. Wet., Amsterdam S. 309, 1904. A. Eıssrein, Ann. d. Phys. (4) 17, S. 891, 1905. A. A. Mıcaerson und E. W. Morrey, Amer. Journ. of Science (3) 34, S-. 333; 1887. Pranck: Zur Dynamik bewegter Systeme. 547 beweglichen absolut refleetirenden Wänden umgebenes Vacuum, dessen Volumen V so gross gewählt sein möge, dass der Eintluss der Masse der Wände nicht merklich in Betracht kommt. Alle mit dem System vorgenommenen Änderungen denken wir uns reversibel, d. h. so lang- sam vorgenommen, dass in jedem Augenblick ein stationärer Zustand besteht. Dann ist der Zustand des Systems vollkommen bestimmt durch die Geschwindigkeit qg, deren Betrag ein beliebig grosser Bruch- theil der Liehtgesehwindigkeit ce sein kann, das Volumen V und die Temperatur T. Bei einer unendlich kleinen Zustandsänderung ist nach dem ersten Hauptsatz der Thermodynamik die Änderung der Energie # der Strahlung: dE=A+Q, wobei A die von aussen auf die Strahlung ausgeübte mechanische Arbeit, Q die von aussen zugeführte Wärme bedeutet: und nach dem zweiten Hauptsatz ist die Änderung der Entropie S der Strahlung: dE-A Wir wollen nun mit Hülfe der letzten Gleichung die Eigenschaften der Strahlung in ihrer Abhängigkeit von den unabhängigen Variabeln q. V und T berechnen. Die Energie der Strahlung ist: > 1EaV, wenn & die räumliche Energiedichte bedeutet, welche nur von qg und 7 abhängt. Was ferner die äussere Arbeit A betrifft, so setzt sich die- selbe additiv zusammen aus der Translationsarbeit und der Üom- pressionsarbeit. Erstere ist gleich dem Product der Geschwindigkeit 9 und dem Zuwachs der Bewegungsgrösse G@, letztere gleich dem Pro- duet des Druckes p und der Abnahme des Volumens V, also: A— gdG —pdV. Nun ist der Druck': I Neth p 3c? + 4 ! Kurp vox MosEnGEIL, Ann. d. Phys. (4) 22, S. 867, 1907, giebt auf Grund einer von M. Arranım (Elektromagnetische Theorie der Strahlung. Leipzig, B. G. Teubner 1905, S. 351) für den Druck eines einzelnen Strahlenbündels auf einen bewegten Spiegel abgeleiteten Formel als Gleichung (42): IE 0) (' A IE 3e 2) und als Gleichung (44): Beide Gleichungen eombinirt liefern die obige Beziehung. welche übrigens allgemein gilt, nicht etwa nur für adiabatische Vorgänge. 548 Gesammtsitzung vom 13. Juni 1907. Ferner ist die Bewegungsgrösse': A 3c? + (7 Substituirt man diese Werthe in den Ausdruck von A, hierauf die Werthe von A und E in die Gleiehung für dS, so lautet die letztere: eV N 2 —g? A den) e2 )+ E = ed) ds — —— Keer n Die Bedingung, dass dieser Ausdruck ein vollständiges Differential der drei unabhängigen Variabeln g, V und 7 bildet, wobei zu beachten ist, dass e nur von g und 7‘, nicht von V abhängt, liefert als noth- wendige Folgerung die Beziehungen: ac Wach gen 2 ET (1) 3 (9?) und 3 Aaer DE) D N Du®5 ’ (2) 3 (2-92)? wobei die Öonstante a dadurch bestimmt ist, dass e für g = 0 in-aT" übergeht, entsprechend dem Sreran-Bourzuann’schen Strahlungsgesetz. Mit diesen Werthen ergeben sich für die Energie X, den Druck p und die Bewegungsgrösse @ der bewegten Hohlraumstrahlung als Funetionen der unabhängigen Variabeln q, V und T folgende Ausdrücke: ac“ J 30 5 F T+] £ E = TELTEZERNN 2 3 (ce? -q?)' * (3) ac! 7 Dr = "(e-g)% (4) ee (5) 3 (2 — 9?) Ertheilt man also z. B. der Hohlraumstrahlung eine Beschleunigung, während ihr Volumen V constant gehalten und keine Wärme von aussen zugeführt wird, so dass auch die Entropie S constant bleibt, so er- niedrigt sich nach (2) die Temperatur 7 der Strahlung im Verhältniss ! Nach K. von Mosenseıt, a.a. ©. Gleichung (24*) ist nämlich: Pranex: Zur Dynamik bewegter Systeme. 549 2 \"/a 1-%) :1. Dieses Resultat sowie verschiedene andere damit ver- C wandte Sätze stehen im Einklang mit den Schlüssen, zu welchen die Untersuchung von K. vox Mosexerın! geführt hat. Weiter unten (im $ 15) wird sich eine noch einfachere und direetere Ableitung für sie ergeben. Zweiter Abschnitt. Prineip der kleinsten Wirkung und Prineip der Relativität. 22 Wir betrachten im Folgenden einen beliebigen, aus einer gege- benen Anzahl” gleichartiger oder verschiedenartiger Moleküle bestehen- den Körper in einem stationären Zustand, der bestimmt ist durch die unabhängigen Variabeln® V, T und die Geschwindigkeitscomponenten x,%,2 des Körpers längs den drei Axen x,y.2 eines ruhenden gerad- linigen orthogonalen Bezugsystems. Die Grösse q der Geschwindigkeit ist dann gegeben durch: 7 == Pr + Un + Zn . Ändert man den Zustand des Körpers auf reversible Weise, so gelten nach H. vox Hrrunorrz’ die aus dem Prineip der kleinsten Wirkung fliessenden Differentialgleichungen: daH _ = OR i DET ae re und oH oH m Bi a (7) Hier bedeutet A das kinetische Potential des Körpers, als Function der oben genannten fünf unabhängigen Variabeln, wobei jedoch die Geschwindigkeitseomponenten &,%,2 nur in der Verbindung q vor- kommen, und %5 bedeutet die von aussen auf den Körper wirkende bewegende Kraft. Man kann diese fünf Differentialgleichungen auch zur Definition des kinetischen Potentials benutzen; doch ist durch sie, wie man sieht, die Function 7 noch nicht vollständig definirt, sondern es bleibt in ! K. von MosenskıL, a. a. O. Gleichung (47) u. Ss. w. ® Diese Anzahl kann auch gleich Null sein. Dann redueirt sich der Körper auf eine Hohlraumstrahlung, wie sie im vorigen Abschnitt behandelt wurde. 3 Über die Existenz einer Zustandsgleichung vergl. A.Byx, Ann.d. Phys. (4) 19, S. 441, 1906. - * H. von Heınsorız, Ges. Ablı. (Leipzig, J. A. Barth) III, S. 225, 1895. Dort ist das kinetische Potential mit dem entgegengesetzten Vorzeichen definirt. 550 Gesammtsitzung vom 13. Juni 1907. dem Ausdruck von H, bei bestimmtem %; p und 5, eine additive Constante, welche keinerlei physikalische Bedeutung besitzt, willkür- lich bestimmbar. Eine zweckmässige Verfügung über diese Constante werden wir weiter unten (im $ 9) treffen und damit die zur Vervoll- ständigung der Definition von H nothwendige Ergänzung vornehmen. Die Bewegungsgrösse des Körpers ist dann gegeben dureh die Componenten: oH oH oH G=-- ; 6, nt GI (8) ar 017 02 bez. durch die resultirende Bewegungsgrösse: > oA GG (9) og und die gesammte Energie des Körpers durch: Val al r 3 mg E=g- +T -H=x6.+936,+26.+7S-H, (10) dq 07 woraus sich für das Energieprineip die Gleichung ergiebt: el = S.de + S,dy + Bde — pdV+ TdS, (I1) welche auf ihrer rechten Seite die Translationsarbeit, die Compressions- arbeit und die von aussen zugeführte Wärme enthält. Alle diese Beziehungen besitzen natürlich auch Gültigkeit für den im vorigen Abschnitt behandelten speciellen Fall der reinen Hohl- raumstrahlung, wie man sich leicht überzeugen kann, wenn man für das kinetische Potential den Werth: Be (12) 3(c® — g°)- in die obigen Gleichungen einsetzt. In der Anwendung auf ponderable Körper wurde nun bisher, auch bei H. vox Heımnortz, stets so verfahren, dass man das kinetische Potential 7 in zwei Theile zerlegte: ‚ul = > Mg? — Jet, und M, die Masse des Körpers, constant, dagegen F, die freie Energie des Körpers, unabhängig von g annahm. Dann gehen die Gleiehun- gen (6) in die Gleichungen der gewöhnlichen Mechanik über, und die Gleichungen (7) in die der gewöhnlichen Thermodynamik. Wie aber das Beispiel der Hohlraumstrahlung zeigt, und wie oben in der Einleitung näher ausgeführt wurde, ist eine derartige Zerlegung. genau genommen, in keinem einzigen Falle zulässig: denn ein jeder ponderable Körper enthält in seinem Innern strahlende Energie Praner: Zur Dynamik bewegter Systeme. 551 in angebbarem Betrage. Wir wollen daher hier jene Zerlegung nicht vornehmen, sondern wollen uns statt dessen auf das Prineip der Re- lativität stützen und dessen Consequenzen für den betrachteten Fall entwickeln. S 3: Das Prineip der Relativität besagt, dass man statt des bisher benutzten Bezugsystems (x. %,2.t) mit genau dem nämlichen Recht auch das folgende Bezugsystem: für die Grundgleichungen der Mechanik. Elektrodynamik und Thermo- dynamik "benutzen und daher als »ruhend« bezeichnen kann. Wir wollen im Folgenden alle in dem neuen Bezugsystem gemessenen Grössen durch einen hinzugefügten Strich charakterisiren und dem- entsprechend auch die beiden Bezugsysteme als das »gestrichene « und das »ungestrichene« bezeichnen. Dann lässt sich der Inhalt des Relativitätsprineips auch so aussprechen: Alle Gleiehungen zwi- schen gestrichenen, ungestrichenen oder auch beiderlei Grössen bleiben riehtig, wenn man in ihnen die gestriche- nen Grössen durch die gleichnamigen ungestrichenen und zugleich die ungestrichenen Grössen durch die gleichnami- gen gestrichenen ersetzt. Dabei ist € = « und v’ = -v zu setzen. Dieser allgemeine Satz, der natürlich auch für die obigen De- finitionsgleichungen der gestrichenen Coordinaten gilt, liefert für jede gefundene Beziehung eine reciproke Beziehung, welche oft zur Veri- fieation nützlich ist. un le Unsere nächste Aufgabe soll es nun sein, die Beziehung zwischen einer jeden der bisher benutzten Grössen und der gleichnamigen ge- strichenen Grösse aufzustellen. Dies kann, wie sich zeigen wird, in vollkommen eindeutiger Weise geschehen, so dass wir schliesslich z.B. aus der Energie eines für ein Bezugsystem ruhenden Körpers die Energie desselben Körpers in dem anderen Bezugsystem, für welches er eine gewisse endliche Geschwindigkeit besitzt, berechnen können. Zunächst ergiebt sich für die gestrichenen Geschwindigkeits- da’ componenten (d = gg U S- w.) auf rein mathematischem Wege: dt Me. Seveay, n zeVe-w: Ava R-vR ee —vE Li | [| — - os = 552 Gesammtsitzung vom 13. Juni 1907. Ferner': % le eV — v: c? + va" Ve dt = rn 2 29: vi eVe-v V di’ | (14) : — Wir wollen jetzt nachweisen, dass die Entropie des von uns betrachteten Körpers in Bezug auf das gestrichene System den näm- lichen Werth besitzt wie in Bezug auf das ungestrichene System. Man könnte diesen Beweis ganz allgemein auf den engen Zusammen- hang der Entropie mit der Wahrscheinlichkeit gründen, deren Grösse unmöglich von der Wahl des Bezugsystems abhängen kann; indessen ziehen wir hier einen direeteren, von der Einführung des Wahr- scheinlichkeitsbegriffes ganz unabhängigen Weg vor. Wir denken uns den Körper aus einem Zustand, in welchem er für das ungestrichene Bezugsystem ruht, durch irgend einen rever- sibeln adiabatischen Process in einen zweiten Zustand gebracht, in welchem er für das gestrichene Bezugsystem ruht. Bezeichnet man die Entropie des Körpers für das ungestrichene System im Anfangs- zustand mit S,. im Endzustand mit S,, so ist wegen der Reversi- bilität und Adiabasie S, = 85,. Aber auch für das gestrichene Be- zugsystem ist der Vorgang reversibel und adiabatisch, also haben wir ebenso: S/ = Sı. Wäre nun S, nieht gleich S,, sondern etwa S/>S,, so würde das heissen: Die Entropie des Körpers ist für dasjenige Bezugsystem, für welches er in Bewegung begriffen ist, grösser als für dasjenige Bezugsystem, für welches er sich in Ruhe befindet. Dann müsste nach diesem Satze auch 8, > S/ sein; denn im zweiten Zustand ruht der Körper für das gestrichene Bezugsystem, während er für das un- gestrichene Bezugsystem in Bewegung begriffen ist. Diese beiden Un- gleichungen widersprechen aber den oben aufgestellten beiden Glei- chungen. Ebenso wenig kann S/55 Bezugesystem aus dem gegebenen Zustand reversibel, adiabatisch und Ssy ses z isobar zur Ruhe gebracht wird, so ist sein Volumen von V auf v T = ., seine Temperatur von T auf — —-— gewachsen. Wenn Ya q der Körper aber für das gestrichene Bezugsystem aus dem gegebenen Zustand reversibel, adiabatisch und isobar zur Ruhe gebracht wird. 7! I Vi gewachsen. Nun ist aber der so erhaltene Ruhezustand so ist sein Volumen von V’ auf ‚ seine Temperatur von 7’ ” 1 = " I; T_ = des Körpers im ungestrichenen System in allen Stücken identisch mit auf dem vorhin erhaltenen Ruhezustand im gestrichenen System. Denn die Bedingungen, unter denen der Satz des $ 5 gilt, sind hier alle erfüllt, wenn man sich den Körper aus dem Ruhezustand für das un- gestrichene System reversibel, adiabatisch und isobar durch den ur- sprünglich gegebenen Zustand hindurch in den Ruhezustand für das gestrichene System gebracht denkt. Folglich ist: als allgemein gültige Beziehung zwischen den gestrichenen und den ungestrichenen Variabeln. $ 8. Jetzt handelt es sich vor Allem um den Vergleich der Werthe des kinetischen Potentials in den beiden Bezugsystemen. Zu diesem Zwecke schreiben wir zunächst die Differentialgleichungen (7) nach dem Relativitätsprineip für das gestrichene System: oa ' EEE u , De Diese beiden Gleichungen liefern mit Rücksicht auf die Gleichungen (7) und die Beziehungen (17): Sitzungsberichte 1907. 56 556 Gesammtsitzung vom 13. Juni 1907. Ehe wir die Integration vornehmen, leiten wir noch die ent- sprechenden Gleichungen für die Geschwindigkeitseomponenten y und 2 ab. Dazu müssen wir ausser den Differentialgleichungen (6) in Be- zug auf das gestrichene System: a al ah GVel : a Val ; a en Va die Beziehungen zwischen den gestrichenen und den ungestrichenen Componenten der bewegenden Kraft % benutzen. Um diese zu finden, betrachten wir zunächst einen speciellen Fall, nämlich einen unendlich kleinen, mit der Elektrieitätsmenge e geladenen, diathermanen festen Körper, der sich in irgend einem evacuirten elektromagnetischen Felde befindet. Dann ist für das ungestrichene System: T. = e&,+ - (45. 25,) 3, — d&, + (29,- 49.) e 5: = ed. + = (#9, 79.) ; [4 wobei € die elektrische, $ die magnetische Feldintensität bezeichnet. Die nämlichen Gleichungen gelten nach dem Relativitätsprineip, wenn man sämmtliche Grössen, ausser e und c, mit Strichen versieht. Dar- aus ergeben sich mit Rücksicht auf die Relationen (13) sowie auf die Beziehungen': &—E€, = E,— — (&- 5) = (5. u e) i Ve-v die folgenden Gleiehungen zwischen den gestriehenen und den un- gestrichenen Krafteomponenten: are A N dr = 65 ev ap e— vi 5 es & eV _. ei eV = : dr > ce? ra d, x a me vr Ö: ö (2 2) Die beiden letzten Beziehungen (22) nehmen wir als allgemein gültig an; sie liefern mit (6) und (20) eombinirt: d al’ cyY&@-w doaH di yo ann de ' A. Einstein, Ann. d. Phys. (4), 17, S.909, 1905. Praner: Zur Dynamik bewegter Systeme. 557 Nun ist nach (13) und (14): au Ex aH E: e2 a cr = a | / ER (23) 07 9% 777 ıYy P+vs u und: Daraus folgt: a=g\ 34 ed a) we ebenso: Ze (" Mes .) a: (24) Die Integrätionsconstante, eine absolute Constante, verschwindet, weil für g’—=g H’ in H übergeht. S9. Nun liefern die vier Gleichungen (19) und (24) integrirt: ET H V I. — H+ const. Die Constante hängt nicht ab von V, T, %, 2; wohl aber kann sie E e—g° Rt = 2 noch von & oder, nach (14), von 2 gi abhängen. Wir schreiben daher: und bestimmen den allgemeinsten Ausdruck der Function f. Zunächst haben wir: Val H 1 ee nat): (5) Ve-9? Ve-@ Ye-g (eg? Da die Function H nur von g, V und 7 abhängt, und da V’ und 7’ mit V und 7 nur durch die Beziehungen (17) verbunden sind, so ist die rechte Gleichungsseite, ebenso wie die linke, von der Form': 1 (@- g ——-f(-——,| = Q'- V* =? F (: 4: a VRR, ! Man sieht dies am leichtesten ein, wenn man einen beliebigen Werth g” [4 „ ’ nimmt und die drei Ausdrücke SE Bern - ER = = nl Ve®-g” Ve—g: Ve—g’” ve2—g” H H’" ve-@ "Ver q” addirt. 558 Gesammtsitzung vom 13. Juni 1907. wobei @ allein von g abhängt. Daraus folgt nothwendig: 1 f CE Be C 3 C 153 Be el 12 I 2" Vezg \e=9?) Yazga Yazg wenn (€ eine absolute Uonstante bedeutet. Dies in (25) substituirt ergiebt als gesuchte Beziehung zwischen H'zund@H: H-C _H-C Ve-g”" r, Vve-2 ; Da nun die Function H—-C genau den nämlichen Differentialgleichun- gen (6) und (7) genügt wie die Function 7, so können wir uns ohne Weiteres in alle vorhergehenden Gleichungen statt H die Funetion H- gesetzt denken, und wollen fortan den letzteren Ausdruck ein- fach mit FM bezeichnen. Dann ergiebt sich: = (26) Mit anderen Worten: Wenn die Üonstante 0 = 0 wesetzt wird, so bedeutet das keinerlei physikalische Einschränkung, sondern nur eine zweekmässige Ergänzung der Definition des kinetischen Potentials, - welche durch die Differentialgleichungen (6) und (7), wie sehon dort hervorgehoben wurde, noch nicht vollkommen eindeutig festgelegt wird. $ 10. Nachdem nun die allgemeine Beziehung zwischen HZ’ und H ge- funden ist, ergiebt sich direct aus den Differentialgleichungen des Prineips der kleinsten Wirkung der Zusammenhang der Werthe, welche irgend eine physikalische Grösse für die beiden von uns benutzten Bezugsysteme besitzt. Betrachten wir zunächst die Bewegungs- grösse, deren Componenten im gestrichenen System sind: am" aH’ aH' = a (27) gY 2’ Während sich der Zusammenhang der y- und 2-Componenten ’ 6); = [UM 4 der Bewegungsgrösse direct aus der Vergleiehung mit (8) und (13) als EU, & — ©; (28) ergiebt, ist der zwischen den ®-Componenten 6, und 6, wesentlich verwickelterer Natur. Zunächst erhalten wir hierfür nach (27) in leicht verständlicher Bezeichnung: oH’ 9x j: au’ 9 VE ENEEREITE IE: ZU - = TE = E2 nu Fame 0: de 7 dr 02 9 98V 9 93T 38’ & — Praner: Zur Dynamik bewegter Systeme. 559 Dabei ist nach (26), (14) und (13): a’ ER ( V*) er eya=r u en Ve we m 20, —v& 2—v. fiR% da e—vi AR (e?— vw)? oH’ cVe-w aH 3H ceYe-w aH 7 Den 9, oa ern de 02 aH aH' cVe- AH av oT @ 0% 97 Or vy(e®— va) 02 vz(ce — va) 9 Zur (ce? — v2) : di 62(e® 02 Ll oT v (e?— De == v2) ’ A SE 2? (2 — v2) y Dies ergiebt «durch Substitution mit Rücksicht auf (8) und (7): (CM ER (ce? 2), + eH 16, — v26;.— cpV ots! ee eVya&-v oder mit Einführung der Energie # aus (10): Si C (6.- v(E Sl ) 25) C Wenn man statt der Energie # die Gisss’sche » Wärmefunetion bei eonstantem Druck« R einführt: R— Et pWV, (30) deren Änderung bei isobaren Processen die zugeführte Wärme an- giebt, so lautet die letzte Beziehung einfacher: I Ü Ü , — Ver—or (9 x) . (31) Sıı Differenziirt man die Gleichung (29) nach der Zeit £: dd; Ad, di cc \db, v (7 dV | ran dt DR Ve ! di & so folgt daraus mit Berücksichtigung von (27). (20), (14) und (11) die Beziehung zwischen den x-CGomponenten der Kraft 7, nämlich: ; = v er re hlerrie: Ge U: SER PETS). (32) Vergleicht man diese Beziehung mit der oben gefundenen (21), so ergiebt sich, dass jene keine allgemeine Bedeutung besitzt, sondern nur dann immer gilt, wenn p=0 und S— 0, d.h. wenn der Process isobar und adiabatisch verläuft. In der That ist diese Eigenschaft 560 Gesammtsitzung vom 13. Juni 1907. charakteristisch für den damals betrachteten Vorgang: der Bewegung eines elektrisch geladenen, diathermanen festen Körpers in einem eva- euirten elektromagnetischen Felde. Endlich mögen hier noch Platz finden die allgemeinen Beziehungen zwischen den Werthen, welche die Energie des Körpers sowie die geleistete äussere Arbeit und die zugeführte Wärme für beide Bezug- systeme besitzt. Für die Energie Z’ haben wir nach (10): E= +46, +26,+TS’-H, folglieh durch Substitution der bereits abgeleiteten Beziehungen: C v(E—v) _, Bl _|E-,6,— —-pV\. 3 Ve || 2 e—v& } (33) Für die in (30) definirte Wärmefunetion R gilt im gestrichenen Bezugsystem die einfache Beziehung: R © Jar) = Te — (R-v6,). (34) Ve —y2 J Die bei einer unendlich kleinen reversibeln Zustandsänderung des Körpers von aussen geleistete Translationsarbeit ist für das ge- strichene Bezugsystem: re es. Se Seller ZzERT. B Bode’ + Body + Bidet det ärdy + Bde ede(d + 04T). (6) BEZIET ni Ferner die Compressionsarbeit: eye — v2 2 —dR ( — v2)? endlich die zugeführte Wärme: 1. T S — S < —— a a 3 = Qu S u os a — — play — a [4 ®—v,, ö Tas a isn (37) Ce — VE S 12% Die im Vorigen abgeleiteten Beziehungen zwischen den gestriche- nen und den ungestrichenen Grössen lassen sich zum Theil einfacher darstellen, wenn man diejenigen Ausdrücke aufsucht, welche für die Transformation von einem Bezugsystem auf das andere invariant sind. N & S H or Solche Invarianten sind y,2,p9,5,6,,6®., en G= m“ ferner die Differentialausdrücke Ve — g’ dt, Hat, Vdt, Tat, $,di, %.dt, Edt- G,d, Rdt-® de, u.s.w. Alle diese Grössen ändern ihren Werth nicht, wenn man sie durch die entsprechenden gestrichenen Grössen ersetzt. Praner: Zur Dynamik bewegter Systeme. 561 Daraus folgt auch, dass das für das Princip der kleinsten Wir- kung charakteristische, von einem bestimmten Anfangszustand 1 bis zu einem bestimmten Endzustand 2 genommene Zeitintegral: I — [zıae, i welches man als die dem betreffenden Vorgang entsprechende » Wir- kungsgrösse« bezeichnen kann, für das gestrichene Bezugsystem den nämlichen Werth besitzt wie für das ungestrichene. Nimmt man hinzu den Satz, dass für die Wirkungsgrösse ein ganz bestimmtes Elementar- quantum! existirt: A = 6.55-10°” erg. sec., so kann man auch sagen: Einer jeden Veränderung in der Natur entspricht eine bestimmte, von der Wahl des Bezugsystems unabhängige Anzahl von Wirkungselementen. Es versteht sich, dass durch diesen Satz die Bedeutung des Prineips der kleinsten Wirkung nach einer neuen Seite hin erweitert wird. Doch soll an dieser Stelle auf‘ diese und verwandte Fragen nicht näher eingegangen werden. Dritter Abschnitt. Anwendungen. $ 13. Die wichtigste Folgerung aus den allgemeinen, im vorigen Ab- sehnitt aufgestellten Beziehungen betrifft die Abhängigkeit des physi- kalischen Zustandes eines Körpers von seiner Geschwindigkeit. Es lässt sich nämlich ganz allgemein zeigen, dass das kinetische Po- tential 7 und somit auch alle Zustandsgrössen sieh unmittel- bar als Funetionen der Geschwindigkeit, des Volumens und der Temperatur angeben lassen, sobald sie für die Geschwin- digkeit Null als Funetionen des Volumens und der Tempe- "atur bekannt sind. Wir wollen zu diesem Zwecke mit M,,p,, 8, &:': diejenigen Funetionen der beiden Variabeln V und 7 bezeiehnen, in welche die Funetionen H,p,S,E,--- der drei Variabeln q, V, T übergehen, wenn man in ihnen q = 0 setzt. Ferner wollen wir mit H,P9.8,K--- diejenigen Functionen der drei Variabeln 9, V, T bezeichnen, in welehe die Funetionen A,.P,; So; &,, :-; der beiden Variabeln V und 7 über- C r gehen, wenn man in ihnen statt V V’ = Veg V und statt T ®g ! M.Prasck, Vorlesungen über Wärmestrahlung (Leipzig. J. A. Barth). S. 162, 1906. 562 Gesammtsitzung vom 13. Juni 1907. Nun gehen wir von der Beziehung (26) aus und setzen darin q = 0. Dann folgt mit Rücksicht auf (17) in der soeben eingeführten Bezeichnung: EEE) (ec? — g° ee (38) E und hierdureh ist 7 als Funetion der drei Variabeln q, V und T dar- gestellt, falls #, als Funetion der beiden Variabeln V und T. bekannt ist. Durch 4 sind dann nach (6) und (7) alle anderen physikalischen Zustandsgrössen bestimmt. So erhält man zunächst für den Druck: p=Pps.- (39) Ist also der Druck des ruhenden Körpers durch die gewöhnliche Zustandsgleichung als Funetion von Volumen und Temperatur bekannt, so folgt daraus unmittelbar die Zustandsgleichung des bewegten Kör- pers. Ebenso ist die Entropie: SSı% (49) Ferner sind die Componenten der Bewegungsgrösse: fo} > &.=67, &=6%, &=6, q q q wobei @G, die resultirende Bewegungsgrösse, nach (38): ER): q Ve-g I " eqV aH\ cgT | q Ve-@ e (WU Le-r" BT)e-P% a By en q ST _ Tr gg Gz— ag ps ale eg TS, eye g Hs. (41) Ferner ist die a nach (10): ) ec? ec E= gN nt; - TS, — — EI 2 c Pi erg V®—-g (4 ) Bedenkt man, dass 4, = TS,-H, und a en ) e—g? kann man auch schreiben c (& = —— 5 + 3 4 0 Ve-g 0 ps (43) Endlich ist die Wärmefunetion R nach (30) n2 2 » ne nn ie ANCa SL eo 1 eg: Vpo+ eg? TS, Ve-g I (44) Pranck? Zur Dynamik bewegter Systeme. 563 oder, da: ee a (45) Mit Einführung der Wärmefunetion A schreibt sich die Bewegungs- grösse G@ nach (41) einfacher: GB Dr nn, (46) Die besonderen Beziehungen, welche in den vorstehenden Glei- ehungen enthalten sind, lassen sich alle zusammenfassen in eine einzige Differentialgleichung, welche für die Function A der 3 Variabeln 9,V, T ganz allgemein gilt. Setzt man nämlich in die Gleichung (46) für @ oH ne en H ; ; den Ausdruck - ag? und für £ den Werth E+pV, so ergiebt sich mit Rücksicht auf (10) die Gleichung: Hal eg aH am) Ta = Hr 08 (47) T Diese Differentialgleichung stellt den allgemeinen Ausdruck für die Anwendung des Relativitätsprineips auf das kine- tische Potential dar. Ihr allgemeines Integral ist durch (38) aus- gedrückt, wovon man sich auch leicht direet überzeugen kann. Danach ist das kinetische Potential 7/7 eine homogene Function ersten Grades der drei Variabeln T, V und Ve-@. S 15. Machen wir nun zunächst eine specielle Anwendung auf die schwarze Hohlraumstrahlung. Alle Bewegungsgesetze einer Hohlraum- strahlung ergeben sich hiermmach direet aus den bekannten einfachen thermodynamischen Formeln für eine ruhende Hohlraumstrahlung. Für eine solche ist nämlich nach dem Srerax-Borrzmann’schen Gesetz: { E, = aT'V. Ferner ist der Maxweıv'sche Strahlungsdruck : I ig al und die Entropie ruhender Strahlung: ö dE,+pdV 4 al T = zart. 564 Gesammtsitzung vom 13. Juni 1907. Aus diesen für g = 0 gültigen Werthen folgen definitionsgemäss ($ 13) die Ausdrücke: SE gr 4ac TV (c Fr P)” 3(c == pP) und mit deren Hülfe nach (39), (40), (43) und (46) die für eine be- liebige Geschwindigkeit 9 gültigen Werthe: LED 2. 4ac! T?V een S-— 3@-gy ’ 4922 2 E— En TV, G— 2 (E+pv) — Ay in Übereinstimmung mit den Gleichungen des $ 1. 16. Dureh die Bewegungsgrösse G@ eines Körpers ist auch dessen un träge Masse bestimmt. Diese Grösse, welche in der reinen Mechanik eine so fundamentale Rolle spielt, sinkt in der allgemeinen Dynamik zu einem secundären Begriff herab. Denn sobald die Bewegungsgrösse nicht mehr proportional der Geschwindigkeit ist, ist die Masse eines Körpers nieht mehr constant; ausserdem gelangt man zu einer ganz verschiedenen Abhängigkeit der Masse von der Geschwindigkeit, je nachdem man die Bewegungsgrösse @ durch die Geschwindigkeit q dividirt oder nach der Geschwindigkeit 9 differenzirt, wobei dann noch besonders anzugeben ist, in welcher Weise die Differenziation erfolgt: ob isotherm, ob adiabatisch u. s. w. Wiederum ein anderer Werth für die Masse ergiebt sich im Allgemeinen, wenn man von der Energie # ausgeht und diese nach 2 differenzirt. Wie man diese verschiedenen Ausdrücke benennt, ist natürlich Definitionssache. Wir wollen hier unter »Masse« M eines Körpers diejenige von der Geschwindigkeit des Körpers unabhängige Grösse verstehen, welche man erhält, wenn man die Bewegungsgrösse @ durch die Geschwindig- keit g dividirt und in diesem Quotienten g = 0 setzt, also in unserer B] r 7 ” PQ vn iQ D / I Bezeichnungsweise nach (46): ER Bo M a = (48) q A c2 ce? Diese Grösse hängt im Allgemeinen noch von der Temperatur 7 und dem Volumen V des Körpers ab. G : 2 : Setzt man in dem Ausdruck 7 die Geschwindigkeit g nicht gleich Null, so nennen wir den Quotienten, wie üblich', die »transversale« ! M. Asranım, Theorie der Elektrieität, II, S. 186. Prancr: Zur Dynamik bewegter Systeme. 565 rn 5 as : s GE Masse des Körpers, während dagegen der Differentialquotient n die aq »longitudinale« Masse vorstellt. Bei der longitudinalen Masse hat man jedoch die »isotherm-isochore« Masse zu unterscheiden von der »adiabatisch-isobaren« Masse u. s. w.; denn der Differential- quotient hat nur dann einen bestimmten Werth, wenn der Weg der Differenziation angegeben wird. Für die specielle Geschwindigkeit q7=0 gehen transversale und longitudinale Masse aller Arten in ein- ander, d. h. in (48) über. Die Masse einer ruhenden Hohlraumstrahlung ist daher nach (5): 4aT"V Ser TE, die transversale Masse einer bewegten Hohlraumstrahlung: > > G _ AacrT°V q ze Da) die longitudinale isotherm-isochore Masse derselben ': I ee 2 en D=, gg Be — gE)E die longitudinale adiabatisch-isochore Masse': (%) Ze 4ac! en 0) TV. eg SV 0) (e? = g)* die longitudinale adiabatisch-isobare Masse dagegen: 9 Be 4ac TV dq SE 3(®—g%)* 1y% II Auffallend ist an der Beziehung (45) vor Allem der enge Zu- sammenhang der Masse eines Körpers mit der Wärmefunction R,. Da die Masse M leicht in Gramm zu messen ist, so lässt sich danach die Grösse von AR, unmittelbar im absoluten CGS-System angeben. Doch kann dieser Werth nicht direet auf thermodynamischem Wege geprüft werden; denn die reine Thermodynamik lässt in dem Aus- druck der Wärmefunetion, wie auch in dem der Energie, eine additive Constante unbestimmt. In dieser Hinsicht kommt also die Beziehung (48) im Wesentlichen auf eine Ergänzung der thermo- dynamischen Definition der Energie hinaus. Dagegen eröffnet sich eine Aussicht zur experimentellen Prüfung der Theorie durch die Berücksichtigung der Veränderlichkeit der ! Vel. K. von Moseneeıt, a.a.0.809. Dort ist die Masse nicht, wie hier, durch g Sr die Bewegungsgrösse, sondern durch die Energie definirt. 566 Gesammtsitzung vom 13. Juni 1907. Wärmefunetion R, mit der Temperatur und dem Volumen sowie der chemischen Beschaffenheit. Denn nach der Gleichung (48) wird durch jede Wärmeaufnahme bez. -abgabe die träge Masse eines Körpers verändert, und zwar ist die Zunahme der Masse immer gleich der Wärmemenge, welche bei einer isobaren Veränderung des Körpers von außen aufgenommen wird, dividirt durch das Quadrat der Licht- geschwindigkeit im Vacuum'. Dabei ist besonders bemerkenswerth, dass dieser Satz nicht nur für reversible Processe, sondern ganz all- gemein auch für jede irreversible Zustandsänderung gilt; denn die Beziehung zwischen der Wärmefunetion R und der von außen zu- geleiteten Wärme gründet sich direet auf den ersten Hauptsatz der Wärmetheorie. In Folge der Grössenordnung von «* ist freilich die dureh einfache Erwärmung oder Abkühlung eines Körpers bedingte Massenänderung desselben so minimal, dass sie sich der directen Messung wohl für immer entziehen wird. Ein stärkerer Einfluss wäre schon von der Heranziehung chemischer Wärmetönungen zu erwarten, obwohl auch hier der Effeet kaum messbar sein dürfte. Berechnen wir z. B. die Abnahme der Masse von ı4 Mol Knall- gas (H, +40, = 18 gr), welches bei Atmosphärendruck und Zimmer- temperatur zu ı Mol flüssigem Wasser condensirt wird. Hierfür ist die Wärmeentwieklung im CGS-Maasssystem: 7 6841002195710, ST folglich die Abnahme der Masse: r = 3.2: 10°" mgr, eine immer > be) ce noch verschwindend kleine Grösse. $ 18. Nach der hier entwickelten Theorie hat man sich also im Innern eines jeden Körpers einen Energievorrath vorzustellen, dessen Betrag so kolossal ist, dass die von uns für gewöhnlich beobachteten Er- wärmungs- und Abkühlungsvorgänge, ja sogar ziemlich tief eingreifende, mit beträchtlichen Wärmetönungen verbundene chemische Umwand- lungen, ihn nur um einen unmerklichen Bruchtheil verändern. Das gilt bis herab zu den tiefsten erreichbaren Temperaturen; denn so- wohl die speeifische Wärme eines Körpers wie auch die Reactions- ! Wesentlich dieselbe Folgerung hat schon A. Eınsremın (Ann. d. Phys. 18, S. 639, 1905) aus der Anwendung des Relativitätsprineips auf einen speciellen Strahlungs- vorgang gezogen, allerdings unter der nur in erster Annäherung zulässigen Vor- aussetzung, dass die gesammte Energie eines bewegten Körpers sich additiv zusammen- setzt aus seiner kinetischen Energie und aus seiner Energie für ein in ihm ruhendes Bezugsystem. Dort findet sich auch ein Hinweis auf eine mögliche Prüfung der Theorie durch Beobachtungen an Radiumsalzen. Pranck: Zur Dynamik bewegter Systeme. 567 wärmen chemischer Processe behalten bis dicht an den absoluten Null- punkt heran ihre Grössenordnung bei. Lässt man also die 'Tempe- ratur eines ruhenden Körpers (bei constantem äusseren Druck) unbe- grenzt abnehmen, so convergirt seine innere Energie nicht etwa gegen Null, was übrigens auch sehon deshalb ausgeschlossen ist, weil die Reaetionswärme zweier chemisch auf einander wirkender Körper auch bei den tiefsten Temperaturen endlich bleibt, sondern sie behält im Gegentheil bis auf verhältnissmässig ganz unwesentliche Glieder den nämlichen Werth wie für beliebige endliche Temperaturen. Diesen Energievorrath, der dem Körper bei Null Grad absolut verbleibt, und dem gegenüber alle in den gewöhnlichen physikalischen und chemi- schen Processen vorkommenden Wärmetönungen minimal sind, wollen wir hier als die »latente Energie« des Körpers bezeichnen. Die latente Energie ist von der Temperatur und von den Bewegungen der chemi- schen Atome ganz unabhängig', ihr Sitz ist also innerhalb der chemi- schen Atome zu suchen; ihrer Art nach könnte sie potentieller, aber ebensowohl auch kinetischer Natur sein. Denn es hindert nichts, an- zunehmen, und wäre sogar, namentlich vom elektrodynamischen Stand- punkt aus betrachtet, sehr wohl verständlich, dass innerhalb der chemischen Atome gewisse stationäre Bewegungsvorgänge von der Art stehender Schwingungen stattfinden, die mit keiner oder nur mit unmerklicher Ausstrahlung verbunden sind. Die Energie dieser Schwin- gungen, welche sehr bedeutend sein kann, würde sich dann, solange die Atome unverändert bleiben, auf keine andere Weise verrathen als durch die Trägheit, welche sie einer translatorischen Beschleuni- gung des schwingenden Systems entgegensetzt, und durch die offen- bar damit in engem Zusammenhang stehende Gravitationswirkung. Zur weiteren Ausbildung dieser Vorstellungen reichen freilich die aus der kinetischen Gastheorie hergebrachten Anschauungen, welche die träge Masse als etwas primär Gegebenes und die chemischen Atome als starre Körper oder als einfache materielle Punkte voraussetzen, nicht mehr aus; namentlich müsste auch das Borrzmann sche Gesetz der gleichmässigen Energievertheilung im statistischen Gleichgewicht hier seine Bedeutung verlieren. Aber dass auf dem Gebiet der in- traatomistischen Vorgänge die einfachen Hypothesen der kinetischen Gastheorie tiefgreifender Ergänzungen bedürfen, wird ja schon durch den Anblick des Quecksilberspeetrums nahegelegt und ist wohl allseitig anerkannt. Wenn nach dem Gesagten die Existenz und die Grösse der latenten Energie in der Regel nur indireet aus theoretischen Überlegungen ! Vergl. hierzu z.B. die Betrachtungen von E. Bose, Physikalische Zeitschrift 5, S. 356, 8.731, 1904. 568 Gesammtsitzung vom 13. Juni 1907. erschlossen werden kann, so giebt es doch eine bestimmte Bedingung, unter der sie direet thermodynamisch in Wirksamkeit tritt: das ist der Eintritt einer Veränderung oder Zertrümmerung der chemischen Atome; denn in diesem Falle muss nach dem Energieprineip latente Energie frei werden. So gering die Aussicht auf die Realisirung eines derartigen radicalen Vorgangs noch vor einem Decennium er- scheinen mochte, so ist sie doch jetzt durch die Entdeekung der radio- activen Elemente und deren Umwandlungen in unmittelbare Nähe gerückt, und in der That liefert die Beobachtung der starken fort- dauernden Wärmeentwicklung radioactiver Stoffe geradezu eine direete Stütze für die Annahme, dass die Quelle jener Wärmeentwieklung eben nichts Anderes ist als die latente Energie der Atome. Mit einer grossen latenten Energie ist nach der Beziehung (48) auch eine grosse Masse verbunden. Damit steht gut in Übereinstimmung der Umstand, dass die radioaetiven Elemente ein besonders hohes Atomgewicht besitzen und auch, dass ihre Verbindungen zu den specifisch schwersten gehören. Nach J. Preenr' entwickelt ı gr Atom Radium, wenn es von einer hinreichend dicken Bleischicht umgeben ist, pro Stunde 134.4 - 225 — 30240 gr cal. Dies ergiebt nach (48) für die Stunde eine Ver- minderung der Masse um 30240 - 419 - 10° i nme 1.41 10° mer oder in einem Jahre eine Verminderung der Masse um 0.012 mgr. Dieser Betrag ist allerdings, besonders mit Rücksicht auf das hohe Atomgewicht des Radiums, immer noch so winzig, dass er wohl zu- nächst ausser dem Bereich der möglichen Erfahrung liegt. Übrigens könnte es von vorn herein zweifelhaft erscheinen, ob für eine solche Messung die Waage das richtige Instrument ist. Denn die Beziehung (48) gilt nicht für die ponderable, sondern für die träge Masse, und es ist schon in der Einleitung hervorgehoben worden, dass diese beiden Grössen keineswegs identisch sind, wenigstens dann nicht, wenn man einer Hohlraumstrahlung im Vacuum, welche doch sicher Trägheit besitzt, keine Gravitationswirkung zuschreibt. Indessen sind nach allen unseren Erfahrungen Trägheit und Gravitation in jeder Beziehung, für die verschiedenartigsten Stoffe, von den leichtesten bis zu den schwersten, so eng mit einander verbunden, dass man wohl ohne Bedenken den Ursprung dieser beiden Wirkungen an der nämlichen Stelle suchen darf, nämlich in der latenten Energie der chemischen Atome. Nimmt man die Gravitation als direet propor- tional der latenten Energie an, so wäre die von der Temperatur ab- ' J. Preenr, Ann. d. Plıys. 21, S. 599, 1906. Praner: Zur Dynamik bewegter Systeme. 569 hängige träge Masse ein wenig, aber nur äusserst wenig grösser als die von der Temperatur ganz unabhängige ponderable Masse. In jedem Falle aber müsste sich eine merkliche Verminderung der latenten Ener- gie auch in einer merklichen Verminderung der ponderablen Masse äussern. Ob nun ein solcher Einfluss jemals direet nachweisbar sein wird, muss ja die Zukunft lehren. Hier handelte es sich nur darum, die Öonsequenzen zu entwickeln, welche sich aus der Gombination des Relativitätsprineips mit dem Prineip der. kleinsten Wirkung für die Auffassung der Trägheit ergeben. Vierter Abschnitt. Einführung neuer unabhängiger Variabeln. $ 19. Der im vorigen Abschnitt für das kinetische Potential 4 ge- fundene Ausdruck (35) besitzt die nämliche Form wie der von mir in einer früheren Untersuchung' für das kinetische Potential eines einzelnen bewegten materiellen Punktes mit der constanten Masse M aufgestellte Ausdruck: 2 - Me&]/ 1-2, + const. (40) ce? Indessen ist die Übereinstimmung keine vollständige; denn dazu 4 0 wäre erforderlich, dass M=- , , was nach der Gleichung (48) keines- C wegs zutrifft. Der Grund dieses scheinbaren Widerspruchs liegt darin, dass die als kinetisches Potential bezeichnete Grösse H hier etwas Anderes bedeutet als dort, wie man am einfachsten aus der Betrach- tung der Bewegungsgleichungen (6) erkennt. Diese Gleichungen finden sich in meiner früheren Abhandlung genau in der nämlichen Form Ph: Del ß j oH al 9aH : wie hier, aber die Differenzialquotienten Fräser besitzen dort jur © x eine andere Bedeutung, weil die Differenziation dort nicht isotherm- isochor, sondern adiabatisch-isobar zu erfolgen hat. Denn der mate- rielle Punkt bewegt sich ohne Zuführung äusserer Wärme unter dem eonstanten äusseren Druck Null, also nach $ 6 mit veränderlichem Volumen und veränderlicher Temperatur. Um den genannten Unter- schied deutlich zu machen, will ich hier die frühere Grösse H mit K bezeichnen, so dass die Gleichungen entstehen: =), -& : (50) a I = = u. S.W, 5 ! Verhandlungen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft 8, S. 140, 1906. 570 Gesammtsitzung vom 13. Juni 1907. wobei nach (49): / 2 K= Me: V 1-7 + const. (51) Die vollständige Übereinstimmung dieser Beziehungen mit den Formeln des vorigen Abschnitts zeigt sich am deutlichsten. wenn wir in den Gleichungen (6) und (7) des Prineips der kleinsten Wirkung ganz allgemein die unabhängigen Variabeln V und 7 durch p und S ersetzen. Dieselben lauten dann: d [OK Er m \ = Ir, U. S. w. (52) oK : oh Pe wobei KK H—-pV-TS. (54) Dass (diese Beziehungen in der That mit (6) und (7) ganz gleich- bedeutend sind, erkennt man am einfachsten direet, indem man den Werth (54) von A in die Gleichungen (52) und (53) substituirt und die Differenziation von // bei den unabhängigen Variabeln p und S ersetzt durch die bei den unabhängigen Variabeln V und T. Bedenkt man nun, dass nach (10) und (30): e oH a Si K=qg— -pV-E=gG-R, gg so folgt durch Substitution in (46): 0 2 { Be K == _V 1a R, - 5 Um diese Beziehung mit der früher von mir gewonnenen (51) ver- gleichen zu können, müssen wir uns auf adiabatisch-isobare Vorgänge beschränken; denn nur für solche ist (51) abgeleitet worden. Für einen adiabatisch-isobaren Vorgang ist aber nach $6 V’’ = ——— — vi eonstant, und ebenso T’ = — - — eonstant; also ist dann R, unab- hängig von q. Wir schreiben daher ZR, statt R/, und erhalten dann nach (48): DE £ all IR, = -MeVe-g: ( in voller Übereinstimmung mit (51). Adresse zur Feier des dreihundertjährigen Todes- tages von ULisse ALDROVANDI in Bologna, 12. und 13. Juni 1907. An dem Tage, an welchem Bologna la dotta, die altberühmte Uni- versitätsstadt, das Andenken ihres großen Bürgers und Forschers Urisse Arprovannı in freudiger Begeisterung feiert, darf auch die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften nicht versäumen, ihre aufrichtige Teilnahme auszusprechen und ihre besten Glück- wünsche darzubringen. Der Name Aıprovanpı erinnert uns an das Wiederaufblühen der Wissenschaft im ı6. Jahrhundert, an jene goldene Zeit, in welcher Italien, die Wiege des Humanismus, dem übrigen Europa auch in naturhistorischer Richtung durch Gründung botanischer Gärten sowie durch Anlegung von Pflanzensammlungen und Museen als leuchtendes Vorbild wissenschaftlichen Strebens galt und mächtig zur Nacheiferung ansporınte. War doch Arprovanpı selbst einer der ersten, der in seiner Vaterstadt im Jahre 1567, nachdem Padua und Pisa als die allerersten vorangegangen, einen botanischen Garten einrichtete, worauf dann ı0 Jahre später der erste Garten außerhalb Italiens in Leyden und nach weiteren 16 Jahren die Gärten in Heidelberg und Montpellier entstanden; anderer, die erst im Laufe des folgenden Jahrhunderts hinzukamen, nicht zu gedenken. 3ologna ist aber nicht bloß durch die von Arprovannı in rast- loser Arbeit geschaffenen neuen Hilfsmittel, durch seine reichen Samm- lungen und seine schöne Bibliothek, sondern auch durch ihre erfolg- reiche Verwertung für die Wissenschaft in Lehre und Forschung eine Pilanzstätte biologischen Wissens geworden. Noch heute stehen die »Opera omnia« Arprovannıs, 13 Bände umfassend, hoch im Preise und dürfen in Bibliotheken, welche neben der neueren Literatur auch die klassischen Werke früherer Zeiten zu besitzen wünschen, nicht fehlen. Es ist bemerkenswert, daß Auprovannı, obschon er Professor der Botanik und Direktor des Botanischen Gartens war, in seinem Sitzungsberichte 1907. 57 N 572 Gesammtsitzung vom 13. Juni 1907. eben erwähnten großen Werke vorwiegend zoologische Gegenstände behandelt: Insekten, Fische, Vögel, Schlangen, Vierfüßer usw. Er bekundet damit jene beneidenswerte Vielseitigkeit des Geistes, die uns auch bei anderen Forschern seiner Zeit so häufig in Erstaunen setzt und die zu der heute herrschenden Arbeitsteilung einen charak- teristischen Gegensatz bildet. Das Spezialgebiet der Botanik wurde übrigens von ALDROVANDI keineswegs vernachlässigt; nur trat es im Vergleich mit der Zoologie mehr zurück. Dafür hat sein Nachfolger in der Leitung des Bota- nischen Gartens, der treffliche AnpreA ÖarsaLpıno, gleich ALprovannı ein Schüler Luca Gmisıs, sich ganz der Pflanzenwelt zugewandt und durch scharfsinnige Kombination induktiver Forschung mit aristote- lischer Philosophie, seinen Zeitgenossen weit vorauseilend, jene Grund- lagen der theoretischen Morphologie geschaffen, die bis auf Liwxe und seine Nachfolger sich unbedingter Anerkennung erfreuten. So verbinden sich mit der feierlichen Ehrung, welche die Stadt Bologna ihrem berühmten Bürger und Forscher ArLprovannı darbringt, die Erinnerungen an eine große Zeit, in welcher der Hauch eines neuen Geistes nicht nur auf alle Schichten des Volkes erfrischend und befreiend einwirkte, sondern auch in Kunst und Wissenschaft ein reges Leben entfachte und neue Anschauungen zeitigte. Mußten wir auch davon Abstand nehmen, bei dem schönen Feste am 12. Juni durch Delegierte vertreten zu sein, so werden wir doch nicht unterlassen, den frohen Gedenktag im Geiste mitzufeiern. Die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften. Ausgegeben am 20. Juni. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei. SITZUNGSBERICHTE DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe am 20. Juni. (S. 573) Fısc#er und E. Arpernarpen: Bildung von Polypeptiden bei der Hydrolyse der Proteine. (S. 574) A. Torxauist: Vorläufige Mittheilung über die Algäu-Vorarlberger Flyschzone. (S. 591) Sitzung der philosophisch - historischen Classe am 20. Juni. (S. 601) -H. Schärer und K. Scumipr: Die altnubischen christlichen Handschriften der Königlichen Biblio- thek zu Berlin. (S. 602) AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. BERLIN 1907. VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. e5 Aus dem Reglement für die Redaetion der akademischen Druckschriften. Aus $1. Die Akademie gibt gemäss $ 41,1 der Statuten zwei fortlaufende Veröffentliehungen h=raus: » Sitzungsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften« und » Abhandlungen deı Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften«. Aus $ 2. Jede zur Aufnahme in die »Sitzungsberichte« oder die »Abhandlungen« bestimmte Mittheilung muss in einer aka- demischen Sitzung vorgelegt werden, wobei in der Regel das druckfertige Manuscript zugleich einzuliefern ist. Nicht- mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen. $ 3. Der Umfang einer aufzunehmenden Mittheilung soll in ‚ler Regel in den Sitzungsberichten bei Mitgliedern 32, bei Nichtmitgliedern 16 Seiten in der gewöhnlichen Selırift der Sitzungsberichte, in den Abhandlungen 12 Druckhogen von je 8 Seiten in der gewöhnlichen Sehrilt der Abhand- lungen nicht übersteigen. Überschreitung dieser Grenzen ist nur mit Zustimmung der Gesammt-Akademie oder (der betreffenden Classe statt- haft, und ist bei Vorlage der Mittheilung ausılrücklich zu beantragen. Lässt der Umfang eines Manuseripts ver- muthen, dass diese Zustimmung erforderlich sein werde, so hat «as vorlegende Mitglied es vor «dem Einreichen von sachkundiger Seite auf seinen muthmasslichen Umfang im Druck abschätzen zu lassen, ga. Sollen einer Mittheilung Abbildungen im Text oder auf besonderen Tafeln beigegeben werden, so sind (die Vorlagen (Zeichnungen, photographische Original- aufnahmen u.s. w.) gleichzeitig mit dem Manuseript, jäloch auf gensahlen Blättern, einzureichen. Die Kosten der Herstellung der Vorlagen haben in der Regel «ie Verfasser zu tragen. Sind diese Kosten aber auf einen erheblichen Betrag zu veranschlagen, so kann die Akademie dazu eine Bewilligung beschliessen. Ein darauf gerichteter Antrag ist vor der Herstellung der be- treffenden Vorlagen mit dem schriftlichen Kostenanschlage eines Sachverständigen an den vorsitzenden Seeretar zu richten, dann che im Seeretariat vorzuberathen und weiter in der Gesammt-Akademie zu verhandeln. Die Kosten der Vervielfältigung übernimmt die Aka- demie. Über die voraussichtliche Höhe dieser Kosten ist — wenn es sich nicht um wenige einfache Texttiguren handele — der Kostenanschlag eines Sachverständigen beizufügen. Übersehreitet dieser Ansehlag für die er- forderliche Auflage bei den Sitzungsberichten 150 Mark, bei den Abhandlungen 300 Mark, so ist Vorberathung durch das Secretariat geboten. Aus $5. x : Nach der Vorlegung und Einreichuug des vollständigen druckfertigen Manuseripts an den zuständigen Secretar oder an den Archivar wird über Aufnahme der Mittheilung in die akademischen Schriften und zwar, wenn eines der anwesenden Mit- glieler es verlangt, verdeckt abgestimmt. Mittheilungen von Verfassern, welche nicht Mitglieder der NE sind, sollen der Regel nach nur in die Sitzungsberichte aufgenommen werden. Beschliesst eine Classe die Aufnalıme der Mittheilung eines Niehtmitgliedes in die dazu bestimmte Abtheilung der »Abhandlungen«, so bedarf dieser Beschluss der Bestätigung durch ‚die Gesammt-Akademie. (Fortsetzung auf S. 3 des Umsehlags.) | Aus $6. Die an die Druckereiabzuliefernden Manuseriptemüssen, wenn es sich nieht bloss um glatten Text handelt, aus- reichende Anweisungen für die Anordnung «es Satzes und die Wahl der Schritten enthalten. Bei Einsendungen Fremder sind diese Anweisungen von dem vorlegenden Mitgliede vor Einreichung des Manuseripts vorzunehmen. Dasselbe hat sich zu vergewissern, dass der Verfasser seine Mittheilung als vollkommen druckreif ansieht. Die erste Correetur ihrer Mittheilungen besorgen die Verfasser. Fremde haben diese erste Correetur an das vorlegende Mitglied einzusenden. Die Correetur soll nach Mösglielikeit nieht über die Berichtigung von Drucktehlern und leielhten Schreibversehen hinausgehen. Umfängliche 7» Correeturen Fremder bedürfen der Genehmigung des redi- girenden Seeretars vor der Einsendung an lie Druckerei, und die Verfasser sind zur Tragung der entstehenden Melır- kosten verpflichtet. | ; | Aus $8. a Von allen in die Sitzungsberiehte oder Abhandlungen aufgenommenen wissenschaftlichen Mittheilungen,, Reden, Adressen oder Berichten werden für die Verfasser, von wissenschaftlichen Mittheilungen, wenn deren Umfang i im Druck 4 Seiten übersteigt, auch für den Buchhandel Sonder- 3 abidrucke hergestellt, die alsbald nach Erscheinen ‚des he- treffenden Stücks der Sitzungsberichte ausgegeben werden. F Von Gedächtnissreden werden ebenfalls Sonderabdrueke 3 | für den Buchhandel hergestellt, indess nur dann, wenn die Verfasser sich alt ‚ainit einverstanden erklären. j 89. g KEN Von den Sonderrbdrucken aus (en Sitzungsberiehten erhält ein Ver: fasser, welcher Mitglied der Akademie ist, zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres | ‚50 Frei- exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke 4 auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zu von noch 100 und auf seine Kosten noeh weitere bis zur Zahl von 200 (im ganzen also 350) abziehen zu ı lassen, u sofern er diess rechtzeitig dem redigierenden Seereti an- gezeigt hat; wünselit er auf seine K\ sten. noch ı Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazı der Genehmigung der Gesammt- Akademie. oder der h treffenden Classe. = Nichtmitglieder erhalten. 50 Frei- exemplare un dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem . redigirenden Seeretar weitere 200 Exemplare“ fr Kosten abziehen lassen. 2 BR Von den Sonderabdrucken aus den Abhandlungen er hält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 30 Frei- exemplare; er ist indess berechtigt, zu ‚gleichem vecke b auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl von noeh 100 und auf seine Kosten noch weitere bis i zur Zalıl von 100 (im ganzen also 230) abziehen zu lassen, sofern er diess rechtzeitig dem redigirende jecretar an- gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten nc h mehr Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bed: es‘ der Genehmigung der Gesammt-Akademie oder der h- treffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 30 exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige ; beide redigirenden Secretar weitere 100 ‚Exemplare au hre:. ° Kosten abziehen lassen. : mehr Bla r 33 Eine für die ER, ee stimmte wissenschaftliche Mittheilung darf“ = in keinem Falle vor ihrer Ausgabe Ange ‚Stelle ‚anderweitig, sei es GrusiE nur auszu; 573 SITZUNGSBERICHTE _ 1907. XXX. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 20. Juni. Sitzung der physikalisch-mathematischen (lasse. Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers. l. Hr. Fıscner las über die Bildung von Polypeptiden bei der Hydrolyse der Proteine, die er in Gemeinschaft mit Dr. E. ÄBDERHALDEN untersucht hat. A Bei partieller Hydrolyse des Seidenfibroins durch kalte Salzsäure entsteht ausser den beiden früher gefundenen Dipeptiden ein Tetrapeptid, das aus Glykokoll, Alanin und Tyrosin zusammengesetzt ist und die Merkmale der Albumosen besitzt. Das Elastin gibt unter den gleichen Bedingungen d-Alanyl-1-Leucein und noch zwei an- dere Dipeptide, die als Anhydride isolirt wurden. 2. Hr. BrancA legte eine Arbeit von Hrn. Prof. A. Tornauist in Königsberg vor: Vorläufige Mittheilung über die Allgäu-Vor- arlberger Flyschzone. Wie überall am nördlichen Alpenrande, so sind auch in diesem Gebiete drei ver- schiedene tektonische Randzonen unterschieden: die leicht gefaltete der Molasse; die stark gefaltete des Flysch; die Zone der Kreideberge. Im Oligocän war aus den alpinen Decken die Kreidezone auf die Flyschzone herauf geschoben, wobei letztere in Falten gelegt wurde. Im Obermioeän ward diese Flysch-Kreidezone weiter nach N. über die inzwischen gebildete Molasse vorgestossen. Die exotischen Juraklippen und krystallinen Blöcke der Flyschzone entstammen nicht dem Untergrunde der nord- alpinen Kalkdeeke, sondern der Gipfelpartie der ersten alpinen Decke. 3. Hr. Herverr überreichte eine Veröffentlichung des Kgl. Geo- dätischen Instituts (N. F. Nr. 32): Beobachtungen an Horizontalpendeln über die Deformation des Erdkörpers unter dem Einfluss von Sonne und Mond von O. Hecker. Berlin 1907. an [0,.) Sitzungsberichte 1907. 574 Sitzung der physikalisch - mathematischen Classe vom 20. Juni 1907. Bildung von Polypeptiden bei der Hydrolyse der Proteine. Von Emm Fıscnher und EmiL ABDERHALDEN. Die drei Dipeptide, deren Entstehung durch partielle Hydrolyse des Seidenfibroins und Elastins wir in den beiden ersten Mitteilungen ' beschrieben haben, sind sämtlich Derivate des Glykokolls, und zwar Kombinationen mit d-Alanin, 1-Tyrosin und l-Leuein. Alle diese Produkte wurden in Form ihrer Anhydride isoliert. Da diese aber zwei Dipeptiden entsprechen, so blieb zunächst die Frage offen, welches davon in dem ursprünglichen Produkte der Hydrolyse ent-. halten sei. Auf indirektem Wege konnten wir allerdings für die Kombination von Glykokoll und d-Alanin mit einiger Wahrscheinlich- keit schließen, daß sie Glyeyl-d-Alanin sei, weil sie widerstands- fähig gegen Pankreassaft war. Wir haben für diese Ansicht jetzt den endgültigen Beweis gefunden, denn es ist uns gelungen, aus den ursprünglichen Produkten der Hydrolyse das Glyeyl-d-Alanin als ß-Naphtalinsulfoderivat zu isolieren und dessen Struktur durch Spaltung in Alanin und Naphtalinsulfoglyein festzustellen. Die Ver- wendung der Naphtalinsulfoverbindungen für Lösung von Struktur- fragen bei Polypeptiden ist neu und scheint uns allgemeinerer Anwen- dung wert zu sein. Sie beruht darauf, daß beim Erhitzen mit mäßig verdünnter Salzsäure die Polypeptidkette gesprengt wird, während die beständigere Bindung der Naphtalinsulfogruppe mit der Aminosäure erhalten bleibt. Im vorliegenden Beispiel wird der Vorgang durch folgende Gleichung dargestellt: C0,H,.SO,.NH.CH,.CO.NH.CH(CH,). COOH + H,O = (,H,.S0,.NH.CH,.COOH + NH,.CH.(CH,). COOH. Nach andern Beobachtungen mit den Naphtalinsulfoderivaten von komplizierteren Polypeptiden glauben wir, daß man auf dieselbe Art allgemein die am Anfang der Kette befindliche Aminosäure kenn- zeichnen kann. ! Ber. d. D. chem. Ges. 39, S. 752 und 2315 (1906). 9 75 DaLY Fischer und E. Asper#arven: Polypeptide aus Proteinen. 575 Bei der näheren Untersuchung der Spaltprodukte des Elastins sind wir ferner neuen Dipeptiden begegnet. Eins davon ließ sich direkt isolieren und hat sich als identisch mit dem synthetisch! be- reiteten d-Alanyl-l-Leuein erwiesen. Zwei weitere konnten bisher nur als Anhydride und auch dann nicht in ganz reinem Zustande abge- schieden werden. Das eine ist wahrscheinlich eine Kombination von Glykokoll mit Valin und das andre liefert bei der Hydrolyse d-Alanin und Prolin. Schließlich glauben wir noch ein interessantes Produkt aus Seiden- fibroin schon jetzt erwähnen zu dürfen, obschon seine völlige Homo- genität ungewiß ist. Nach dem Resultate der Molekulargewichts- bestimmung und der Hydrolyse halten wir es für ein Tetrapeptid, das aus Glykokoll, d-Alanin und l-Tyrosin zusammengesetzt ist. Trotz dieser einfachen Konstitution zeigt es aber in dem Verhalten gegen Ammonsulfat und Kochsalz bei Gegenwart von Salpetersäure oder Essigsäure die größte Ähnlichkeit mit den Albumosen. Bisher hat man wohl ziemlich allgemein angenommen, daß die durch Ammon- sulfat fällbaren Albumosen im Vergleich zu den nichtfällbaren Pep- tonen hochmolekulare Substanzen seien. Die vorliegende Beobachtung zeigt, daß diese Anschauung nicht für alle Fälle zutreffend ist, son- dern daß die Fällbarkeit durch Ammonsulfat in hohem Grade durch die Natur der im Molekül enthaltenen Aminosäuren, im vorliegenden Falle also durch das l-Tyrosin, bedingt sein kann. Die Erfahrung mit synthetischen Polypeptiden, welche Tyrosin enthalten, insbesondere mit dem I-Leucyl-Triglyeyl-l-Tyrosin, hat uns zu dem gleichen Schlusse geführt. Partielle Hydrolyse des Seidenfibroins. Ähnlich wie bei den früheren Versuchen? wurden 500g Seiden- fibroin mit 1500 cem rauchender Salzsäure (spez. Gew. 1.19) übergossen, von Zeit zu Zeit umgeschüttelt, bis Lösung eingetreten war. Diese Flüssigkeit haben wir aber absichtlich nur 4 Tage bei 16° aufbewahrt, während sie früher nachträglich noch einige Tage im Brutraum stehen blieb. Die kürzere Behandlung mit der Salzsäure hatte den Zweck, die Hydrolyse nicht zu weit zu treiben. In der weiteren Verarbeitung der Flüssigkeit haben wir ebenfalls eine Änderung eintreten lassen, indem wir zunächst eine Scheidung der zahlreichen Produkte durch Phosphor- wolframsäure vornahmen. Zu dem Zweck wurde die salzsaure Lösung ! Enmır FıscHer, Ber. d. D. chem. Ges. 40, S. 1766 (1907). ®2 Ber. d. D. chem. Ges. 39, S. 752 und 2315 (1906). 58* 576 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 20. Juni 1907. mit Wasser auf ı51 verdünnt und mit einer konzentrierten Lösung von Phosphorwolframsäure so lange versetzt, als noch eine Fällung er- folete. Der Niederschlag war zuerst flockig, ballte sich aber bald zu einem teigigen Kuchen zusammen. Er wurde zunächst mit kaltem Wasser unter Durchrühren gewaschen. Da erfahrungsgemäß solche Niederschläge auch einfachere Polypeptide und sogar Aminosäuren an- fänglich enthalten können, so wurde das teigige Produkt in der gewöhn- lichen Weise mit Wasser und Baryt zerlegt, die filtrierte Flüssigkeit mit überschüssiger Schwefelsäure versetzt und nach abermaliger Filtration von neuem mit Phosphorwolframsäure gefällt. Schließlich haben wir diesen ganzen Prozeß nochmals wiederholt. Die Menge der Flüssigkeit betrug bei der Fällung mit Phosphorwolframsäure jedesmal 15— 201. Der zuletzt erhaltene Phosphorwolframsäureniederschlag diente zur Ge- winnung des in der Einleitung erwähnten tyrosinhaltigen Tetrapeptides, wie unten beschrieben ist. ı. Durch Phosphorwolframsäure nicht gefällte Pro- dukte: Sie fanden sich zum allergrößten Teil in der ersten Mutter- lauge, so daß sich die Verarbeitung der beiden folgenden Mutterlaugen kaum lohnt. Wir wollen deshalb das Resultat nur für jene erste Flüs- sigkeit beschreiben. Zunächst wurde die darin enthaltene Phosphor- wolframsäure mit einem kleinen Überschuß von Baryt gefällt, dann der Baryt genau mit Schwefelsäure entfernt und nun das Filtrat mit überschüssigem Kupferoxydul geschüttelt, um den größten Teil der Salzsäure wegzuschaffen. Aus der abermals filtrierten Flüssigkeit wurde das Kupfer mit Schwefelwasserstoff gefällt, dann der über- schüssige Schwefelwasserstoff durch einen Luftstrom verdrängt und die Flüssigkeit nun unter geringem Druck aus einem Bade, dessen Tem- peratur nieht über 40° stieg, eingeengt. In einem kleinen Teil der konzentrierten Lösung haben wir die Salzsäure durch Schütteln mit überschüssigem Silberoxyd entfernt, dann im Filtrat das gelöste Silber quantitativ mit Salzsäure gefällt und nun die Flüssigkeit wiederum unter geringem Druck verdampft. Der Rückstand war ein gelber, dicker Sirup, der stark die Biuret- und Mirrossche Reaktion zeigte, aber aus konzentrierter wäßriger Lösung mit Ammoensulfat nicht gefällt wurde. 4g von diesem Sirup dienten zur Darstellung des ß-Naphtalin- sulfoglyeyl-d-Alanins. Sie wurden in der üblichen Weise in sehr ver- dünntem Alkali gelöst und mit einer ätherischen Lösung von 8-Naphta- linsulfochlorid behandelt. Beim schließlichen Ansäuren der alkalischen Lösung fiel ein Öl, das sich beim Abkühlen auf 0° langsam in eine zähe Masse verwandelte. Zur Reinigung wurde sie nach Entfernung der Mutterlauge zunächst in verdünntem Alkali gelöst, bei 0° durch Ansäuren wieder gefällt, dann zerrieben und mit ziemlich viel Äther Fıscner und E. Aspernarven: Polypeptide aus Proteinen. 577 ausgelaugt, wobei verhältnismäßig wenig in Lösung ging. Als der Rückstand in heißem Wasser gelöst und mit etwas Tierkohle gekocht war, schieden sich beim Abkühlen der filtrierten Flüssigkeit allmählich feine Nädelchen und glänzende Blättchen ab. Ihre Menge betrug aller- dings nur 0.75 g, aber aus der Mutterlauge wurden noch 0.25 g ge- wonnen. Der Schmelzpunkt lag bei 155° (korr.). Für die Analyse war bei 100° im Vakuum getrocknet. 0.1522 g Substanz gaben 0.3026 g°C0, und 0.0729g H,O, 0.1607 » » » Erseceme NA TSS, 770 mm]: Berechnet für C,,N,6 0,N,S Gefunden C 53.54 Prozent 54.22 Prozent H 4.80 » 5.36 » N 79.33 » 8.49 » Die Zahlen lassen bei Kohlenstoff und Wasserstoff an Überein- stimmung zu wünschen übrig, aber ähnliche Schwierigkeiten haben sich früher bei dem synthetisch erhaltenen 8-Naphtalinsulfoderivat des razemischen Glyeyl-d-Alanins gezeigt, ohne daß die Ursache auf- geklärt werden konnte'. Im übrigen war die Ähnlichkeit unseres Pro- duktes mit dem synthetischen 8-Naphtalinsulfoglyeyl-d-Alanin® sehr groß. Entscheidend ist zudem das Resultat der Hydrolyse, denn es entstehen dabei reichliche Mengen von P-Naphtalinsulfoglyein, wie folgender Versuch zeigt. 0.4 g Substanz wurden mit 20 cem 1oprozentiger Salzsäure zwei Stunden am Rückflußkühler gekocht. Beim Abkühlen, besonders nach dem Abstumpfen der überschüssigen Salzsäure mit Alkali, fiel ein bald erstarrendes Öl, das aus heißem Wasser in langgestreckten, meist zu Büscheln vereinigten Blättchen kristallisierte. Es zeigt nicht allein den Schmelzpunkt [159° (korr.)] und die übrigen Eigenschaften, sondern auch den Stickstoffgehalt des ß-Naphtalinsulfoglyeins. 0.1807 g Substanz gaben 7.9 cm N [14°, 769 mm]. Berechnet für C,,N,,O,NS Gefunden N 5.28 Prozent 5.22 Prozent Wir haben uns durch einen besonderen Versuch mit 3- Naphtalin- sulfoglyeylglyein überzeugt, daß die Hydrolyse unter ähnlichen Be- dingungen im gleichen Sinne verläuft. Als ı g mit 50 ecem IOpro- zentiger Salzsäure zwei Stunden am Rückflußkühler gekocht war, kri- stallisierten nach dem Abstumpfen der Salzsäure in der Kälte 0.75 8 ß-Naphtalinsulfoglyein, das nach dem Umkristallisieren ebenfalls unter ı E. Fıscrer, Ber. d. D. chem. Ges. 36, S. 2106 (1903). ” E. Fıscuer und P. Berseır, Ber. d. D. chen. Ges. 36, S. 2594 (1903). 578 Sitzung der physikalisch - mathematischen Classe vom 20. Juni 1907. vorherigem Sintern bei 159° (korr.) schmolz und dieselben äußeren Eigenschaften wie obiges Präparat besaß. 0.1628 g Substanz gaben 7.6 cem N [15.5°, 764 mm]. Berechnet für C,.H,,0,NS Gefunden N 5.28 Prozent 5.51 Prozent Wie erwähnt, wurde für die Darstellung der ß-Naphtalinsulfo- glyeyl-d-Alanins nur ein ganz kleiner Teil der Produkte verwendet, die nach der ersten Ausfällung mit Phosphorwolframsäure in den Mutterlaugen blieben. Die Hauptmenge diente zur Darstellung von Anhydriden der Dipeptide. Zu dem Zwecke wurde die Flüssigkeit, nachdem die Salzsäure, wie oben erwähnt, mit Kupferoxydul gefällt und das Kupfer wieder entfernt war, zum Sirup verdampft. Er enthielt natürlich etwas Salzsäure. Seine Menge betrug etwa 300 g. Dieses Rohprodukt wurde in der üblichen Weise verestert, die Ester in alko- holischer Lösung mit Natriumäthylat in Freiheit gesetzt und die Mono- aminosäureester durch Verdampfen unter sehr geringem Druck entfernt. Als der Rückstand wieder in Alkohol gelöst war und diese Lösung bei gewöhnlicher Temperatur stehen blieb, schieden sich allmählich die Anhydride als amorphe Massen ab. Die Abscheidung dauerte übrigens wochenlang fort, und die Menge der festen Produkte stieg auf ungefähr 200 g. Wir haben daraus durch systematisches Um- lösen große Mengen von Glyeyl-d-Alaninanhydrid und kleine Mengen von Glyeyl-l-Tyrosinanhydrid isoliert, die in den früheren Abhand- lungen! ausführlich beschrieben sind. Aus den späteren Mutterlaugen wurde auch ein Produkt isoliert, das kein Tyrosin, wohl aber Alanin enthielt und nach der Analyse ein d-Alanyl-l-Serinanhydrid sein könnte. Es löste sich in Wasser und Alkohol leicht, etwas schwerer in Essig- äther und schmolz gegen 225° unter Zersetzung. 0.1770 g Substanz gaben 0.2971 g CO, und 0.0987 g H,O 0.1212» » » 19.5 com N [758 mm, 16°]. Berechnet für C;H,,N,0; Gefunden 6 45.54 Prozent 45.77 Prozent E776.,37 » 6.24 » Nas » 18.75 » Wir legen jedoch darauf keinen besonderen Wert, da die Rein- heit nicht sicher war und seine Menge nicht ausreichte, um die An- wesenheit von Serin zweifellos festzustellen. 2. Niederschlag mit Phosphorwolframsäure: Für die fol- genden Versuche diente der Niederschlag, der bei der oben beschrie- benen dritten Fällung mit Phosphorwolframsäure entstand. Er wurde aa 0% Fıscaer und E. AspernaLden: Polypeptide aus Proteinen. 579 in der üblichen Weise mit Baryt zerlegt, der überschüssige Baryt mit Schwefelsäure quantitativ entfernt und die filtrierte Lösung unter ge- ringem Druck aus einem Bade, dessen Temperatur nicht über 40° stieg, eingedampft. Der Rückstand war ein schwach gelb gefärbter, bitter schmeckender Sirup. Er löste sich in heißem Methylalkohol (3—4fache Menge) völlig auf, aber beim Erkalten gestand die Lösung zu einer dicken Gallerte, und als diese nach einiger Zeit scharf ab- genutscht und mit kaltem Methylalkohol gewaschen wurde, hinter- blieb ein farbloses, fast aschefreies Pulver, das jetzt in Methylalkohol sehr schwer löslich war. Das Präparat zeigte alle Merkmale eines Gemisches. Ein Teil löste sich leicht in Wasser, ein anderer schwer, und die wäßrige Lösung des ersteren schied beim Erhitzen von dem schwer löslichen Produkt noch aus. Genau untersucht wurde nur der in Wasser leicht lösliche Teil. Seine wäßrige Lösung opaleszierte etwas, schäumte sehr stark und wurde von Ammonsulfat gefällt. Biuret- probe und Mirronsche Reaktion waren sehr stark. Auch dieses Präparat zeigte noch das Verhalten eines Gemisches. Für die Scheidung der ver- schiedenen Bestandteile haben wir die partielle Fällung mit Alkohol mit einigem Erfolg angewandt. Die ersten Fraktionen waren frei von Asche und ganz farblose, luftbeständige Pulver. Die späteren Fällungen zeigten eine leicht gelbe Farbe. Alle Fraktionen besaßen eine ähnliche elementare Zusammensetzung und gaben Mırrosns Reaktion und die Biuretprobe. Die Hydrolyse zeigte aber, daß in der Menge und Art der Aminosäuren erhebliche Differenzen bestanden. Alle Einzelheiten dieser mühsamen Untersuchung anzugeben, erscheint zwecklos. Wir begnügen uns deshalb mit der Beschreibung der Resultate, die mit dem reinsten Präparate erhalten wurden. Dieses war gewonnen als schwerst löslicher Teil bei wiederholter partieller Fällung der wäßrigen Lösungen mit Alkohol. Es war völlig frei von Asche. Die nachfolgen- den Beobachtungen deuten darauf hin, daß es ein Tetrapeptid aus zwei Molekülen Glykokoll, einem Molekül Alanin und einem Molekül Tyrosin ist. Da das Produkt aber nicht kristallisiert, so ist eine Garantie für seine Reinheit nicht gegeben, und diese erscheint sogar nach den Er- gebnissen der Elementaranalyse nicht einmal wahrscheinlich. Für die Analyse war bei 100° im Vakuum über Phosphorpentoxyd getrocknet. 0.1725 g Substanz gaben 0.3267 g CO, und 0.0937 g H,O 0.1810 » » 2 72,4=4° ccm IN 77°, 703 mm]. Berechnet für Tetrapeptid: 2 Glykokoll, ı Alanin u. ı Tyrosin: 0,6H,, 0;,N, Gefunden 0 52.43 Prozent 51.65 Prozent H 16.05 » 6.08 » NNFL5.30 » 15-7 2 580 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 20. Juni 1907. Da nach den Erfahrungen mit den synthetischen Produkten die Gefrierpunktserniedrigung der wäßrigen Lösung bei den Tri- und Tetra- peptiden noch recht brauchbare Werte für das Molekulargewicht gibt, so haben wir diese Methode auch bei dem vorliegenden Produkt ange- wandt. Die verschiedenen Bestimmungen ergaben ein Molekulargewicht von 335, 340, 346, 355. Berechnet für Tetrapeptid aus 2 Glykokoll, ı Alanin und ı Tyrosin: 366.2. Das Präparat ist in Wasser leicht löslich, in absolutem Alkohol ganz unlöslich. Aus der kalten wäßrigen Lösung fällt es auf Zusatz einer gesättigten Ammonsulfatlösung in dieken Flocken. Bei unreinen Präparaten bildet der Niederschlag manchmal eine zähe halbfeste Masse. Tanninlösung gibt ebenfalls einen dicken Niederschlag, der sich aber im Überschuß des Fällungsmittels wieder löst. Die wäßrige Lösung wird durch starke Kochsalzlösung allein nicht gefällt. Hat man aber vorher etwas Salpetersäure oder Essigsäure zugefügt, so entsteht eine starke Trübung. Das synthetische l-Leueyl-Triglyeyl-l-Tyrosin, dessen Darstellung erst später beschrieben wird, verhält sich ganz ähnlich. Mit Ferroeyankalium und Salzsäure oder mit Sublimat entsteht keine Fällung. Auch eine schwach salpetersaure Lösung von Merkuronitrat gibt nur eine ganz unbedeutende Fällung, während sie mit dem Roh- produkte und auch mit späteren Fraktionen, die bei der Fällung mit Alkohol entstehen, einen starken Niederschlag liefert. Biuretprobe und Mirronsche Reaktion sind sehr stark. Läßt man das Produkt in wäßriger Lösung mit Pankreassaft im Brutraum stehen, so beginnt schon nach mehreren Stunden die Abscheidung von Tyrosin. Es ist uns jedoch hier ebensowenig wie in vielen andern Fällen gelungen, das Tyrosin vollständig in Freiheit zu setzen. Diese Beobachtungen sind zwar zum Teil ganz wertvoll, aber sie genügen noch keineswegs, um ein solches polypeptidähnliches Pro- dukt scharf zu kennzeichnen. Wir haben deshalb noch die Hydro- lyse herangezogen und sowohl ihren totalen wie auch den partiellen Verlauf geprüft. Totale Hydrolyse: 2g wurden mit ı5 cem 25 prozentiger Schwefelsäure 18 Stunden am Rückflußkühler gekocht, dann die Schwefelsäure in der üblichen Weise genau mit Baryt entfernt und das Filtrat bis zur Kristallisation des Tyrosins eingeengt. Die Aus- beute an reinem, umkristallisiertem Tyrosin betrug 0.39 g. Die vom Tyrosin abfiltrierte Mutterlauge wurde unter geringem Druck zur Trockene verdampft und der Rückstand auf gewöhnliche Weise ver- estert. Beim zwölfstündigen Stehen auf Eis schied die alkoholische Lösung eine reichliche Menge von Glykokollesterchlorhydrat aus. Die Mutterlauge wurde unter geringem Druck zur Trockene verdampft und Fischer und E. AuperHALden: Polypeptide aus Proteinen. 581 der Rückstand zum zweitenmal verestert. Beim längeren Stehen er- folgte eine zweite Kristallisation von Glykokollesterchlorhydrat. Seine Gesamtmenge betrug nach einmaligem Umkristallisieren aus heißem Alkohol unter Anwendung von etwas Tierkohle 1.25 g, welche 0.67 g Glykokoll entsprechen. Die alkoholische Mutterlauge wurde abermals unter geringem Druck verdampft, mit Alkohol wieder aufgenommen und mit einer dem Chlorgehalt entsprechenden Menge Natriumäthylat versetzt, dann die Flüssigkeit vom Kochsalz abfiltriert und bei 12 mm Druck destilliert, bis die Temperatur des Bades auf 100° gestiegen war. Dabei blieb nur ein geringer Rückstand. Das in einer sehr gut gekühlten Vorlage aufgefangene Destillat wurde zur Gewinnung des Alanins mit wäßriger Salzsäure übersättigt und zur Trockene verdampft. Ausbeute an trockenem Hydrochlorat 0.5 g, die 0.35 8 Alanin entsprechen. Die optische Untersuchung des salzsauren Salzes D ed . B £ 2 gab [a] „o = +3.9°, was auf ziemlich reines d-Alanin hindeutet. Im folgenden stellen wir die Resultate der totalen Hydrolyse zu- sammen mit denjenigen Mengen der Aminosäuren, die aus reinem Te- trapeptid mit 2 Glykokoll, ı Alanin und ı Tyrosin entstehen müssen: Gefunden Berechnet Glykokoll 0.67 g 0.828 Alanin 0.358 0.488 Tyrosin 0.898 0.98 8 Die Übereinstimmung läßt zwar zu wünschen übrig; dies liegt jedoch sicherlich zum erheblichen Teil an der Ungenauigkeit der quan- titativen Bestimmungen. Wo diese am geringsten ist — beim Tyro- sin —, da zeigt sich auch die größte Übereinstimmung zwischen Beob- achtung und Rechnung, während beim Alanin das gerade Gegenteil der Fall ist. Partielle Hydrolyse: 5 g Substanz wurden mit der dreifachen Menge Salzsäure vom spez. Gew. 1.19 gelöst und sieben Tage bei 16° auf- bewahrt. Zur Trennung der Produkte diente wieder die Estermethode. Zuerst wurde die Salzsäure aus der mit Wasser verdünnten Flüssig- keit in der üblichen Weise durch Kupferoxydul größtenteils entfernt, dann nach Entfernung des Kupfers unter geringem Druck eingedampft, und der Rückstand verestert, die Hydrochlorate der Ester zerlegt und die Ester der Monaminosäuren durch Destillation entfernt. Alle diese Operationen sind früher wiederholt und eingehend beschrieben worden. Als dann die alkoholische Lösung der nicht flüchtigen Ester stehen blieb, erfolgte nach einigen Tagen die Abscheidung von Diketopipe- razinen, zunächst in amorpher Form. - Sie wurden abgesaugt und aus heißem Alkohol wiederholt umgelöst, wobei ziemlich bald ein kri- 582 Sitzung der physikalisch -mathematischen Classe vom 20. Juni 1907. stallisirendes Produkt resultierte. Seine Menge betrug 0.75g. Es gab keine Mırvonsche Reaktion mehr und besaß den Schmelzpunkt 242° (korr.) sowie die sonstigen wesentlichen Eigenschaften des Gly- eyl-d- Alaninanhydrids. 0.1621 g Substanz gaben 0.2755 g CO, und 0.0904 g H,O. Berechnet für C;H;3N, O0, Gefunden GC 46.84 Prozent 46.35 Prozent E62 » 6.24 » Die nicht unerhebliche Differenz im Kohlenstoff zeigt allerdings, daß das Präparat noch nieht ganz rein war. Aus der alkoholischen Mutterlauge von Glyeyl-d-Alaninanhydrid haben wir ein zweites Pro- dukt isoliert, das nach dem Umkristallisieren aus heißem Wasser unter Anwendung von Tierkohle den Schmelzpunkt 282° (korr.) und die sonstigen Eigenschaften des Glyeyl-l-Tyrosinanhydrids besaß. 0.1298 g Substanz gaben 0.0661 g H,O und 0.2335 g CO,. Berechnet für C,,H,;N,03 Gefunden GC 60.0 Prozent 59.57 Prozent TA > SanE > Faßt man die Resultate all dieser Versuche zusammen, so er- scheint es in der Tat recht wahrscheinlich, daß das von uns isolierte Präparat im wesentlichen ein Tetrapeptid aus Glykokoll, Alanin und Tyrosin ist. Seine völlige Reinheit können wir allerdings nicht garan- tieren, auch ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß ein Gemisch von Isomeren vorliegt, und endlich wissen wir nicht, in welcher Reihen- folge die Aminosäuren verkettet sind. Wir hoffen aber, daß die Syn- these der ähnlich zusammengesetzten Tetrapeptide, die eben in An- griff genommen ist, über diese Fragen bald Klarheit geben wird. Partielle Hydrolyse des Elastins. ı. Durch Schwefelsäure: 600 g Elastin wurden mit 3000 cem 7Oprozentiger Schwefelsäure übergossen und unter wiederholtem Um- schütteln bei 37° aufbewahrt. Am zweiten Tage trat völlige Lösung ein. Nach weiterem anderthalbtägigem Stehen im Brutraum und nach eintägigem Stehen bei gewöhnlicher Temperatur wurde die braun ge- färbte Flüssigkeit mit Wasser verdünnt, der größere Teil der Schwefel- säure mit Baryt gefällt, das Bariumsulfat filtriert, mit Wasser gründ- lich ausgewaschen und schließlich das auf etwa 301 verdünnte Fil- trat mit Phosphorwolframsäure gefällt. Der Niederschlag war nach scharfem Absaugen und starkem Pressen eine steinharte, leicht pulveri- Fischer und E. ArperHaLpen: Polypeptide aus Proteinen. 583 sierbare Masse, die in der üblichen Weise mit Baryt zerlegt wurde. Es ist uns bis jetzt nicht gelungen, aus dem offenbar sehr kompli- zierten Gemisch eine einheitliche Verbindung zu isolieren. Glücklicher waren wir mit dem durch Phosphorwolframsäure nicht fällbaren Teil der Spaltprodukte. Die Flüssigkeit wurde zur Entfernung der Phos- phorwolframsäure mit Baryt gefällt und aus dem Filtrat der über- schüssige Baryt genau mit Schwefelsäure entfernt. Als dann die filtrierte Flüssigkeit bei 12 mm Druck und einer 40° nicht übersteigenden Tem- peratur zur Trockene verdampft wurde, blieb ein hellgelber Sirup zurück, dessen Gewicht ungefähr 150 g betrug. Er löste sich klar in warmem absoluten Alkohol, und beim Abkühlen fielen amorphe Massen aus, die durch Filtration entfernt und wegen ihrer häßlichen Eigenschaften nicht weiter untersucht wurden. Die alkoholische Mutter- lauge wurde wiederum unter geringem Druck verdampft, der Rückstand mit Alkohol übergossen und von neuem verdampft, um das Wasser möglichst zu entfernen. Schließlich haben wir die dieke, sirupöse Masse mit 21 Essigäther etwa eine Stunde ausgekocht. Hierbei ging nur ein kleiner Teil in Lösung, aber darunter befand sich das d-Alanyl-l-Leuein. Beim Abkühlen der Essigätherlösung entstand zu- erst ein flockiger, amorpher Niederschlag und das Ausfallen solcher amorpher Massen dauerte auch fort, als das Filtrat eingeengt war. Je konzentrierter aber die Mutterlauge wurde, um so häufiger zeigten sich beim langsamen Eindunsten kristallisierte Massen, gemischt mit amorphen Produkten. Nach völligem Verdunsten der Flüssigkeit wurden diese Fällungen zuerst mit kaltem Alkohol ausgelaugt, wobei ein Teil der amorphen Substanzen in Lösung ging. Der nun verbleibende Rück- stand war in Alkohol und Essigäther sehr viel schwerer löslich als zuvor. Zur Lösung des kristallisierten Bestandteils bedurfte es un- gefähr 500 cem kochenden Alkohols. Aus der eingeengten Lösung schieden sich bei einigem Stehen wieder Kristalle ab, die unter dem Mikroskop als zugespitzte Blättehen erschienen. Die Gesamtausbeute betrug 2.25 g. Sie wurde zur weiteren Reinigung von neuem aus heißem Alkohol umkristallisiert. Schließlich zeigte das Präparat alle Eigenschaften des synthetisch gewonnenen d-Alanyl-l-Leucins. Schmelz- punkt gegen 256° (korr.). 0.3315 g Substanz in Wasser gelöst. Gesamtgewicht der Lösung 3.7770g.d 20° = 1.020. Die Lösung drehte Natriumlicht im ı dem- Rohr 1.49° links. [a] ee während für das synthetische Produkt [a] ni = —17.21° gefunden wurde‘. ! E. Fischer, Ber. d. D. chem. Ges. 40, S. 1767 (1907). 584 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 20. Juni 1907. Zur Analyse wurde bis zur @ewichtskonstanz bei 110° getrocknet. 0.1440 g Substanz gaben 0.2806 g CO, und 0.1180 g H,O 0.0915 » » Mr. eem' N: [755 mm,7202. Berechnet für C Hı30;N, Gefunden C© 53.41 Prozent 53.14 Prozent H 73.97 » 9.17 » N3:86 » 13.83 » In Übereinstimmung hiermit steht das Resultat der Hydrolyse: ı g Dipeptid wurde ı6 Stunden am Rückflußkühler mit 10 cem 25 pro- zentiger Schwefelsäure gekocht, dann die Schwefelsäure mit Baryt quantitativ entfernt und das Filtrat bis zur beginnenden Kristallisation eingeengt. Im ganzen wurden drei Fraktionen gewonnen. Die erste bestand aus reinem Leuein (0.25 g). 0.0802 g Substanz gaben 0.1608 g CO, und 0.0721 g H,O. Berechnet für C;H,,NO, Gefunden C 54.92 Prozent 54.68 Prozent EI 79.99 » 10.06 » Die zweite Fraktion enthielt gleichfalls fast ausschließlich Leuein (0.30 8). Aus der dritten Fraktion ließen sich 0.32 g d-Alanin ge- winnen. 0.1654 g Substanz gaben 0.2436 g CO, und 0.1124 g H,O. Berechnet für C;H, NO, Gefunden C 40.45 Prozent 40.17 Prozent ee A ec 2. Hydrolyse durch Salzsäure: 500 g fein zerteiltes Elastin wurde mit ı41 rauchender Salzsäure (spez. Gew. 1.19) übergossen und unter öfterem Umschütteln bei 36° gehalten. Schon am 2. Tage war Lösung eingetreten. Nach 4 Tagen wurde die Lösung in 131 kaltes Wasser eingegossen, die Salzsäure durch Zugabe von Kupferoxydul zum größten Teil gefällt, das Filtrat durch Schwefelwasserstoff vom Kupfer befreit und die Mutterlauge unter 15—20 mm Druck aus einem nicht über 40° erhitzten Wasserbade zum Sirup eingeengt, dann dieser noch 2—3zmal mit Alkohol angerührt und wieder unter vermindertem Druck verdampft, um das Wasser möglichst zu entfernen. Der so erhaltene Sirup war hellgelb gefärbt. Die Veresterung geschah mit der dreifachen Menge Äthylalkohol und wurde nach jedesmaligem Verdampfen des Alkohols unter geringem Druck noch zweimal in derselben Weise wiederholt. Schließlich haben wir das Gemisch der Hydrochlorate in absolutem Äthylalkohol gelöst, die dem Chlorgehalt entsprechende Menge Natriumalkoholat zugefügt und das ausgeschie- Fischer und E. Arper#AaLpen: Polypeptide aus Proteinen. 585 dene Kochsalz abzentrifugiert. Die Mutterlauge wurde wiederum unter einem Druck von ıo bis ı2 mm verdampft und schließlich die Tempe- ratur bis 70° des Wasserbades gesteigert, wobei eine kleine Menge von Monoaminosäureestern überging. Um den Rest der letzteren völlig zu entfernen, wurde die Masse mit Äther unter kräftigem Schütteln ausgelaugt, der Rückstand dann in der fünffachen Menge absoluten Alkohols aufgenommen und die filtrierte Lösung bei Zimmer- temperatur aufbewahrt. Schon am zweiten Tage begann die Ab- scheidung von Anhydriden in Form einer sehr voluminösen, amorphen Masse. Diese Abscheidung dauerte wochenlang, und durch Filtration der ausgeschiedenen Massen auf der Nutsche, die in Intervallen von 2—3 Tagen vorgenommen wurde, erreichte man schon eine teilweise Trennung der Produkte. Die ersten Fraktionen bestanden zum größten Teil aus dem schon früher isolierten l-Leueyl-glyeinanhydrid. Wie aus der damaligen Beschreibung hervorgeht, ist seine Reinigung ziemlich mühsam, denn in der amorphen gelatinösen Form hält es hartnäckig Mutterlaugen und Kochsalz zurück. Die späteren Fraktionen des Niederschlages, die aus der alkoholischen Lösung allmählich ausfielen, waren weniger gequollen und zeigten eine mehr krümelige Beschaffenheit. Sie dien- ten zur Gewinnung des l-Leueyl-d-Alaninanhydrids. Zu dem Zweck wurden sie zuerst in heißem Wasser gelöst, mit Tierkohle gekocht und durch Abkühlung wieder abgeschieden. Das Umlösen aus hei- Bem Wasser wurde 3—4mal wiederholt. Das Produkt war dann noch nicht deutlich kristallisiert, zeigte aber unter dem Mikroskop die Struktur einer fein verfilzten Masse, die wahrscheinlich aus äußerst dünnen Nädelchen bestand. Zum Schluß wurde noch aus heißem Essigäther umgelöst. Diese ganze umständliche Reinigung ist mit außerordentlichen Verlusten verknüpft, so daß wir schließlich aus etwa 20 g Rohprodukt nur 1.7 g erhielten. Für die Analyse war die Substanz bei 100° getrocknet. 0.1165 g Substanz gaben 0.2492 g CO, und 0.0900 g H,O 0.1107 » » » 074.1 ccm! [116°,.778 mm] Berechnet für C,H,s.N,O, Gefunden GC 58.63 Prozent 58.33 Prozent Hy 2875 » 8.64 » INBERS#25 » 15.24 » Das Präparat schmolz gegen 248° (korr.).. Für die Bestimmung der spezifischen Drehung diente die Lösung in Eisessig. 0.1511 g Substanz gelöst in trockenem Eisessig. Gesamtgewicht der Lösung 4.2122 g. Drehung in ı dm Rohr bei 20° und Natrium- licht 0.93° nach links. Mithin [a] , =—25-9°. 586 Sitzung der physikalisch - mathematischen Classe vom 20. Juni 1907. Daß die Substanz aus Leucin und Alanin zusammengesetzt ist, beweist das Resultat der Hydrolyse. Sie wurde in der üblichen Weise durch mehrstündiges Kochen mit konzentrierter Salzsäure ausgeführt. Die Aminosäuren wurden dann in die salzsauren Ester verwandelt, diese durch Natriumäthylat in alkoholischer Lösung in Freiheit ge- setzt und die alkoholische Lösung fraktioniert destilliert. Aus dem ersten Teil konnte das d-Alanin und aus der späteren Fraktion das l-Leuein isoliert werden. Das salzsaure Alanin zeigte eine spezifische Drehung von +9.4°. Das l-Leuein wurde durch die Kupferverbin- dung identifiziert. Die zuvor angegebenen Merkmale, Schmelzpunkt, spezifische Dre- hung und Hydrolyse, stimmen im wesentlichen überein mit den Eigen- schaften des synthetisch dargestellten 1-Leueyl-d- Alaninanhydrids!. Daß letzteres eine etwas höhere spezifische Drehung (—29.2°) zeigt, ist nicht auffallend, da wir auch in allen anderen Fällen bei den durch Hydrolyse mit Säuren erhaltenen Dipeptidanhydriden eine et- was geringere Drehung als bei den künstlichen Produkten beobachteten. Wahrscheinlich findet während der Hydrolyse eine geringe Razemi- sation statt. Mehr Beachtung verdient die geringe Neigung der aus Elastin gewonnenen Anhydride zur Kristallisation, denn das künstliche Pro- dukt ist leicht zu kristallisieren und auch in Wasser schwerer löslich. Es ist möglich, daß dem Präparat aus Elastin hartnäckig eine Ver- unreinigung anhaftet, die diese Abweichung verursacht. Es ist aber auch denkbar, daß bei diesen Anhydriden feine Isomerien existieren, auf die früher aus theoretischen Gründen schon hingewiesen wurde”. In der Tat haben wir beobachtet, daß das Produkt aus Elastin beim wiederholten Abdampfen der wäßrigen Lösung schwerer löslich wird, und daß bei diesem Präparat größere Neigung zur Kristallisation be- steht. Noch rascher erreicht man diese Veränderung durch Kochen mit Chinolin oder durch Sublimation. Im letzteren Falle geht aller- dings ein erheblicher Teil der Substanz zugrunde, aber der subli- mierte Teil bildet lange Nadeln, die dann den Schmelzpunkt des synthetischen Produktes zeigen. Unser Vorrat reichte nicht aus, um auf diese verlustreiche Weise größere Mengen des kristallisierten Materials herzustellen. Trotz dieser Lücke halten wir die vorliegenden Beobachtungen für einen ausreichenden Beweis, daß das Produkt aus Elastin ein 1-Leueyl-d-Alaninanhydrid ist. Sie zeigen aber auch, mit welch außerordentlichen Schwierigkeiten die Abscheidung solcher Körper aus den komplizierten Gemischen der Hydrolyse von Pro- ı E. Fıscuer, Ber. d. D. Chem. Ges. 39. S. 2917 (1906). ® Ber. d. D. chem. Ges. 39, S. 530 (1906). Fıscner und E. ArpernarLden: Polypeptide aus Proteinen. 587 teinen verbunden ist. Da bei der Hydrolyse mit Schwefelsäure das d-Alanyl-l-Leuein selbst isoliert wurde, so liegt die Annahme am nächsten, daß aus ihm das zuvor beschriebene Anhydrid entsteht. Trotzdem glauben wir an die Möglichkeit erinnern zu müssen, daß das gleiche Anhydrid aus dem isomeren Dipeptid 1-Leueyl-d-Alanin- anhydrid entstehen kann; denn wir halten es nicht für ausgeschlossen, daß bei der Hydrolyse des Elastins diese beiden Dipeptide gleichzeitig gebildet werden. Aus der obigen Beschreibung des d-Alanyl-l-Leueinanhydrids geht hervor, daß es nur einen ganz geringen Teil der Spaltprodukte des Elastins und selbst der daraus entstehenden Anhydride ausmacht. Viel größer ist die Menge der amorphen Massen, die sich aus den Lösungen in Essigäther, Aceton und auch Alkohol beim Stehen all- mählich abscheiden. Wie schon in der Einleitung erwähnt, ist es uns gelungen, daraus zwei weitere Produkte allerdings nicht im kristallisierten Zustand zu isolieren. Wir haben zu dem Zwecke 250g Elastin genau nach der zuvor geschilderten Methode verarbeitet und schließlich die Produkte in Alkohol gelöst. Beim längeren Stehen schieden sich daraus Anhy- dride als amorphe Massen ab, die abgesaugt und nach dem Waschen mit kaltem Alkohol und Äther 25 g eines farblosen, amorphen Pulvers bildeten. Dieses war ein Gemisch von einem Produkt, das in kaltem Alkohol leicht löslich ist, und von anderen in kaltem Alkohol schwerer löslichen Stoffen. Um das erstere leicht lösliche zu gewinnen, wurde das Rohprodukt mit der fünffachen Menge kalten absoluten Alkohols ausgelaugt und das Filtrat verdampft. Mit dem Rückstand wieder- holten wir das Abdampfen der alkoholischen Lösung nochmals und erreichten dadurch die weitere Abscheidung von schwer löslichen Produkten, die dureh Filtration entfernt wurden. Schließlich wurde nach Verjagen des Alkohols der farblose, pulverige Rückstand in heißem Essigäther gelöst. Beim Abkühlen schied sich die Substanz in glashellen, gallertigen Massen ab, die beim Trocknen sich wiederum in ein farbloses, lockeres Pulver verwandeln. Für die Analyse war bei 100° im Vakuum bis zum konstanten Gewicht getrocknet. 0.1832 g Substanz gaben 0.1197 g H,O und 0.3483 g CO, 0.1577 » » » 21.ıccm N [744 mm 17°]. Gefunden 51.85 Prozent C, 7.31 Prozent H und 15.23 Prozent N. Diese Zahlen würden leidlich mit der Formel (,H,,O,N, über- einstimmen. Berechnet 51.61 Prozent C, 7.58 Prozent H und 15.06 Prozent N. 588 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe vom 20. Juni 1907. Da die Substanz kein Kupfersalz bildet und bei der Hydrolyse durch ı6stündiges Kochen mit 25 prozentiger Schwefelsäure Prolin und Alanin liefert, so könnte man sie nach dem Resultat der Ana- Iyse als kristallwasserhaltiges Alanyl-prolinanhydrid (,H,,0,N, + H,O auffassen. Da uns aber der Nachweis des Kristallwassers nicht sicher gelungen ist und wir auch noch Zweifel an der Reinheit der Sub- stanz hegen müssen, so begnügen wir uns damit, ihre Existenz an- gedeutet zu haben. Entscheidende Merkmale für ihre wirkliche Zu- sammensetzung hoffen wir durch die Synthese des Alanyl-prolins und seines Anhydrids zu gewinnen. Etwas bestimmter können wir uns aussprechen über das zweite in kaltem Alkohol schwerer lösliche Produkt, das bei der oben be- schriebenen Trennung erhalten wird. Beim Auskochen des Rohpro- duktes mit Essigäther geht es in Lösung und scheidet sich beim Er- kalten des Filtrats ebenfalls als amorphe, farblose gequollene Masse ab. Auch hier waren alle Versuche, Kristalle aus Lösungen zu erhalten, vergeblich. Dagegen läßt sich die Substanz in kleinen Mengen, wenn man rasch erhitzt, ohne allzugroßen Verlust destillieren. Das De- stillat erstarrt dann vollständig kristallinisch, und diese Kristallmasse schmilzt bei raschem Erhitzen zwischen 245° und 250° (korr.). Sonder- barerweise erhielten wir beim Umlösen der Kristallmasse aus Essigäther oder anderen Lösungsmitteln immer wieder die gleichen amorphen ge- quollenen Massen wie bei der ursprünglichen Abscheidung aus Essigäther. Diese Erscheinung ist uns ganz neu, und wir haben sie bisher nur bei solehen aus den Proteinen dargestellten Dipeptidanhydriden beobachtet. Ob auf dem weiten Gebiet der organischen Chemie schon ähnliche Fälle bekannt geworden sind, ist sehr schwer aus der Literatur zu entnehmen. Es wäre uns deshalb sehr erwünscht, von Fachgenossen, die Ähnliches gesehen haben, darüber belehrt zu werden. Ob die Erscheinung bei unsern Substanzen durch geringe Verunreinigungen hervorgerufen wird, oder ob es sich hier um leieht verwandelbare Isomere handelt, von denen das eine besonders in der Hitze stabil ist, können wir nicht sagen. Man kann sich aber vorstellen, welche Erschwerung die ex- perimentelle Arbeit durch solche Umstände erfährt. Für die Analyse haben wir das amorphe Präparat benutzt, weil das destillierte Präparat, schon nach der leicht bräunlichen Färbung zu urteilen, weniger rein zu sein schien. 0.1203 g Substanz gaben 0.2365 g CO, und 0.0805 g H,O 0.1512 » » » 23.5 cem N 7.60 mm, 1321. Gefunden 53.61 Prozent C, 7.49 Prozent H und 17.99 Prozent N. Fıscner und E. Asvernanoen: Polypeptide aus Proteinen. 559 Diese Zahlen passen ziemlich gut auf ein Glyeyl-Valinanhydrid: GH.N.O;: 53.81 Prozent C, 7.75 Prozent H und 17.94 Prozent N. Auch der oben angegebene Schmelzpunkt würde damit überein- stimmen, denn das synthetisch erhaltene racemische Glyeyl-Valin- anhydrid schmilzt gegen 252° (korr.). Für die Hydrolyse konnte nur 1 g verwendet werden. Erhalten wurden 0.758 N Lallefchlorhyduit (144°, korr.), mithin etwa drei Viertel der für Glyeyl-Valinanhydrid berechneten Menge. Ferner wurde eine Aminosäure isoliert, die große Ähnlichkeit mit Valin zeigte, während Alanin und Leuein nicht nachweisbar waren. Leider reichte die Menge für völlige Reinigung des Valins nicht aus. Wir müssen deshalb auch bei dieser Substanz unser definitives Urteil zurückhalten, bis die Synthese des optisch-aktiven Glyeyl-l-Valinanhydrids beendet und der «direkte Vergleich mit dem vorliegenden Produkt möglich ist. Wir haben überhaupt die beiden letzten Substanzen nur deshalb an- geführt, um die Schwierigkeit dieser Untersuchungen an einem typi- schen Beispiel zu zeigen und mit der bestimmten Absicht, die lücken- haften Beobachtungen durch eine ausführliche Untersuchung zu er- gänzen. Sie genügen aber zum Beweise, daß es fast unmöglich ist, auf diesem Gebiete entscheidende Resultate ohne die Hilfe der Syn- these zu gewinnen. Um einen gewissen Maßstab für den Verlauf der Hydrolyse der Proteine durch starke Säuren zu gewinnen, haben wir ähnliche Ver- suche mit einigen Polypeptiden angestellt, die wir hier anhangsweise beschreiben wollen. Sie betreffen das Verhalten von Diglyeyl-glyein und Pentaglyeyl-glyein gegen rauchende Salzsäure. Im Laufe einiger Tage wurden beide gespalten und gaben große Mengen von Glykokoll und Glyeyl-glycin. Ob aus dem Hexapeptid vorübergehend Tripeptid gebildet wird, bedarf noch der näheren Untersuchung. ı. Hydrolyse des Diglyceyl-glyeins. Eine Lösung von 1.75 g Diglyeyl-glyein in 16 ccm Salzsäure vom spez. Gew. 1.19 wurde 24 Tage bei 25° aufbewahrt und dann im Vakuumexsikkator über Kalk und Schwefelsäure bis zum Sirup ein- gedunstet. Zur Isolierung des entstandenen Dipeptids diente die ge- ringe Löslichkeit des Hydrochlorats in starker Salzsäure. Der Sirup wurde deshalb in wenig konzentrierter Salzsäure gelöst, die Flüssigkeit noch bei 0° mit gasförmiger Salzsäure gesättigt, in einer Eiskochsalz- mischung einige Stunden abgekühlt und das als dicker Kristallbrei ab- Sitzungsberichte 1907. 59 590 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 20. Juni 1907. geschiedene Hydrochlorat abgesaugt. Das mit sehr wenig eiskalter Salzsäure gewaschene Produkt wurde zur Reinigung in wenig warmer Salzsäure gelöst und durch starkes Abkühlen, sowie Einleiten von gas- förmigem Chlorwasserstoff wieder kristallisiert. Das Präparat zeigte nieht allein die äußeren Eigenschaften des salzsauren Glyeyl-glyeins, sondern besaß auch den entsprechenden Chlorgehalt: 0.2084 g Substanz brauchten 12.5 cem 50 AgNO,. Berechnet für C,H,N,0,Cl Gefunden Cl 21.05 Prozent 21.26 Prozent Die Menge des reinen Salzes betrug 1.35 g oder 86 Prozent der Theorie. Das Filtrat vom salzsauren Glyeyl-glyein wurde zum Nachweis des Glykokolls erst im Vakuum verdampft, dann in der üblichen Weise mit Alkohol und Salzsäure verestert und das Glykokollester- ehlorhydrat kristallisiert. Seine Menge betrug 0.95 g oder 67 Prozent der Theorie. Das Präparat zeigte den Schmelzpunkt und die anderen Eigenschaften des Glykokollesterchlorhydrats. 2. Hydrolyse des Pentaglyeyl-glyeins. Als eine Lösung von 2 g des Hexapeptids in 7 eem Salzsäure vom spez. Gewicht 1.19 bei 16° aufbewahrt wurde, begann nach ungefähr ı2 Stunden die Abscheidung eines kristallisierten Salzes. Eine Probe desselben wurde nach ungefähr 24 Stunden analysiert und hatte einen Chlorgehalt von 17.6 Prozent, der in der Mitte zwischen dem Chlorgehalt des salzsauren Glyeyl-glyeins (21.05 Prozent) und des salz- sauren Diglyeyl-glyeins (15.72 Prozent) liegt. Nach 4 Tagen wurde die Operation unterbrochen. Zur Isolierung von Glykokoll und Gly- eyl-glyein diente hier ein anderes Verfahren. Zunächst wurde mit Wasser verdünnt, der größte Teil der Salzsäure mit Kupferoxydul weggenommen, das Filtrat mit Schwefelwasserstoff entkupfert, unter sehr geringem Druck zum Sirup verdampft und der Rückstand in der üblichen Weise mit Alkohol und Salzsäure verestert. Die Ester wurden in alkoholischer Lösung durch Natriumäthylat in Freiheit gesetzt, der Glykokollester dureh Destillation abgetrennt und der Glyeyl- glyeinester in Glyeinanhydrid verwandelt. Die Ausbeute an Glyein- anhydrid betrug trotz einiger Verluste 0.55 g. 591 Vorläufige Mitteilung über die Algäu -Vorarlberger Flyschzone. Von Prof. Dr. A. Tornauıst in Königsberg i. Pr. (Vorgelegt von Hrn. Branca.) Die große Zahl der Arbeiten über den Flysch ist vor kurzem um zwei besonders inhaltsreiche Publikationen bereichert worden, welche Hr. Dr. Arnornp Hem unter den Titeln: »Die Brandung der Alpen am Nagelfluhgebirge«' und »Zur Frage der exotischen Blöcke im Flysch «* herausgegeben hat. Die erste dieser Arbeiten beschäftigt sich vornehmlich mit der Molasse- und Flyschzone zwischen Thur und Linth und der Auf- lagerung der Säntisdecke auf beiden. Die zweite Arbeit behandelt allge- meiner die so verschieden gedeuteten exotischen Blöcke der Flyschzone. Es bestehen nun sehr viele Analogien zwischen der schweizeri- schen Flyschzone westlich des Rheintals und der Vorarlberg- Algäuer Flyschzone im Osten, und es ist nie bestritten worden, daß beide Zonen Teile einer und derselben Einheit im Gefüge des Alpengebirges darstellen. Da ich mich in den letzten Sommern mit einer Spezial- untersuchung des Vorarlberg- Algäuer Flysches beschäftigt habe, möchte ich in der vorliegenden vorläufigen Mitteilung über meine Beob- achtungen in Kürze einiges mitteilen’. Meine Untersuchungen be- schränken sich auf das Gebiet westlich des Illertals und greifen in das Vorarlberger Gebiet in die Gegend von Egg hinüber. Die weiter westlich gelegenen, interessanten Aufschlüsse in den Einschnitten der Bregenzer Ach und zum Hochälpele hinauf bis nach Dornbirn hinüber liegen einer in der Ausführung begriffenen Untersuchung des Hrn. ‘and. geol. Werrer in Straßburg-Königsberg zugrunde. ! Vierteljahrschrift der Naturf. Ges. in Zürich LI, 1906, S. 441 ff. Eelogae geologieae helvetiae IX, 1907, S. 413 ff. ® Die ausführliche Publikation muß ich wegen meiner Übersiedlung nach Königs- berg etwas hinausschieben. 59* 592 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 20. Juni 1907. Drei verschiedene tektonische Zonen sind auch hier zwischen Iller- und Rheintal zu unterscheiden, die Molassezone, die Flyschzone und die Kreidezone. Die Ansicht des Hrn. Dr. Arnorn Heım geht auf Grund seiner Beob- achtungen in der Schweiz dahin, daß drei zeitlich getrennte Vorgänge diese Zonen in ihre heutige Verbindung gebracht haben; der älteste Vorgang ist die Überschiebung des Kreidegebirges auf den Flysch; dann erfolgte die Faltung der Molassezone und eine Abrasion der so gebildeten Falten; und sodann soll erst die Flysch-Kreide-Zone auf lie Molasse, und zwar vornehmlich: in die durch die Abrasion ent- standenen Vertiefungen der Molassezone geschoben sein. Dabei soll die Faltung der Molasse schon ganz oder nahezu vollendet gewesen sein, als die alpinen Decken noch wanderten, sich falteten und über- falteten. In dieser Darstellung des Hrn. Dr. Arworn Hrm ist es besonders eine Vorstellung, welche vollkommen neu ist und von unseren bis- herigen Auffassungen nicht wenig abweicht: das mehrfach am nord- schweizerischen Alpenrand zu beobachtende, weite Vorgreifen der Kreide- ketten nach der Molasse zu soll dadurch zustande gekommen sein, daß die Kreidezone während des Schubes nach Norden hineingefallen sei in Vertiefungen der Molasse, welche sich vorher durch eine Abra- sion der Molassefalten gebildet hätten. Auch eine genauere zeitliche Bestimmung dieses Vorgangs ist von ArxoLp Hrım versucht worden. Muß man die Molasse als miozän ansehen, so müßte die Faltung des Molassezuges in die Zeit zwischen dem ÖObermiozän und dem Unter- pliozän versetzt werden; erfolgte die Brandung des Flysch-Kreide- Gebirges an und über die Molasse nach der Faltung der letzteren, wie es der Autor will, so ist diese jünger, d.h. sie muß sogar in die Zeit zwischen dem Oberstmiozän und Mittelpliozän stattgefunden haben. Es ist nun von großem Interesse, die Grundlagen zu diesen Schlüssen, die von ArsorLp Hrem gemachten Beobachtungen in dem Gebiete nördlich des Walensees, mit den im Algäu und im Bregenzer Walde von mir gemachten Beobachtungen zu vergleichen. Folgendes sind meine Beobachtungsresultate. 1. Die Grenze zwischen Kreide und Flysch. Die Kreide- ketten vom Schwarzenberg über den Besler, der Winterstaude bis zum Sattel am Durchbruche der Bregenzer Ach zeigen ausnahmslos an der Nordgrenze steil gestellte Schichtglieder, von denen besonders der Schrattenkalk und die Gaultsandsteine im O und Neokomkalke im W am Abfall der Winterstaude gut aufgeschlossen sind. An diese Schichten schließt sich nach N zu der Flysch an, dessen Bänke aber im all- gemeinen nicht dasselbe Einfallen zeigen, sondern mehr oder weniger A. Tornquisr: Die Algäu-Vorarlberger Flyschzone. 593 schief, oft nahezu rechtwinklig gegen die Kreide abstoßen. Die Grenze beider Zonen ist also sicher eine tektonische. Kann man auch östlich der Bregenzer Ach, wegen der Steilstellung der Grenzfläche zwischen Kreide und Flysch, von vornherein nicht die Annahme, daß es sich um eine einfache Verwerfung handelt, direkt in Abrede stellen, so wird man westlich der Bregenzer Ach eines andern belehrt; die in dieser Beziehung besonders wichtigen und in ihrer großen Erstreckung quer durch diese Grenze besonders seltenen Aufschlüsse im Canon der Bre- genzer Ach zeigen die äußerst komplizierte Lagerung zwischen Kreide und Flysch, bei welcher auch die Kreide auf dem Flysch liegt. Diesen wichtigen Aufschluß wird Hr. cand. geol. Werrer eingehend beschreiben; er dürfte beweisen, daß die Grenze zwischen Kreide und Flysch auch hier keine Verwerfung, sondern nur eine Überschiebung sein kann. Von dem Aufbau der Flyschzone soll hier in der vorläufigen Mit- teilung nicht weiter die Rede sein; ich möchte nur hervorheben, daß eine Anzahl von Querbrüchen aus der Kreidezone in die Flysch- zone hinübersetzen, und daß diese daher jünger sein müssen als die Überschiebung der Kreide auf den Flysch. Diese Quer- brüche besitzen den Charakter von Blattverschiebungen und be- wirken an einigen Stellen ein nicht unerhebliches Vorrücken bestimmter Teile der Kreidedecke. Sie dürften entstanden sein, als die Über- schiebungstläche zwischen Kreide und Flysch in ihre steile Lage ge- bracht wurde.! Das Resultat dieser Beobachtung wäre, daß zunächst die Kreide- scholle auf den Flysch geschoben wurde, daß dann später unter Aufrichtung dieser Überschiebungsfläche und gleich- zeitiger weiterer Faltung in beiden Zonen Blattverschie- bungen entstanden. Ich konnte bisher keine Beweise dafür finden, daß diese Blattverschiebungen auch in die Molassezone hineinreichen. Es scheint das nicht der Fall zu sein. 2. Die Grenze zwischen der Flysch-Kreide-Zone und der Molasse. Diese Grenze ist im ganzen untersuchten Gebiet außerordent- lich scharf und geradlinig. A. Röscn” hat diese Grenze von Sonthofen im Illertale bis zur Vorarlberger Grenze verfolgt: von hier läßt sie sich orographisch scharf am Südfuße des Hittisbergs über das Elmosholz bis südlich Egg verfolgen. Die Molasse sieht man mit sehr verschie- ! Eine große Anzahl ähnlicher, ihrem Sinn nach homologer Blattverschiebungen sind von ALzerr Heım auch in den Kreideketten des Säntis beobachtet worden und setzen auch hier in den unterlagernden Flysch hinein. ® Der Kontakt zwischen dem Flysch und der Molasse im Algäu. Dissertation. München 1905. 594 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 20. Juni 1907. denen Schichtgliedern, stets nach der Flyschgrenze zu fallend, meist gut aufgeschlossen, während der Flysch in der Nähe der Molasse leider fast nirgend gut entblößt ist. Diese Grenze läuft nun schief zu der oben beschriebenen Grenze zwischen Kreide und Flysch, dergestalt, daß sich die Flyschzone am Südfuße des Elmosholz fast vollständig aus- keilt und im Schmidlebache die Molasse fast direkt mit der Kreide in Berührung tritt. Auch hier bleibt aber der Verlauf der südlichen Grenze des Molassezugs der gleiche, d.h. von ONO nach WSW gerichtet. Diese Grenze setzt sehr regelmäßig bis zum Rheintal und über dieses hinüber, wofür eine sehr eigentümliche Erscheinung einen drastischen Beweis liefert. Der Schullehrer von Balderschwang im bayerischen Algäu (1045 m) machte mich auf die Tatsache aufmerksam, daß er von der Schwelle seiner im Talboden gelegenen Schule in weiter Ferne den Säntis sehen könne. Dieser sehr auffallende Ausblick von einem Talboden in Bayern bis zum fernen Säntis ist aus der orogra- phisch scharfen Ausprägung der Südgrenze der Molasseberge zu er- klären; das Auge kann dieser Molassegrenze bis zum Säntis den Tälern entlang oder über niedrige Pässe folgen. Sehr deutlich ist im Vorarlberger Teile des Gebiets zu erkennen, - daß die oben beschriebene Grenze zwischen Flysch und Kreide von der Südgrenze der Molasse abgeschnitten wird. Die Grenze zwischen Molasse und Flysch bzw. Kreide ist sicher jünger als die Überschiebung der Kreide auf den Flysch. Es dürfte daher die Überschiebung des Flysch-Kreide- Gebirges auf die Molasse zeitlich wahrscheinlich mit den obengenannten Querbrüchen, den Blattverschiebungen, in der Flysch-Kreide-Zone zusammenfallen. ös ist ja auch nur wahrscheinlich, daß bei dem Aufschub in der geschobenen Masse derartige Zerreißungen vorkamen, welche sich nicht in das basale Gebirge fortsetzten. Es sind aber die Blattversehiebungen und die Über- sehiebung des Flysch-Kreide-Gebirges auf die Molasse auch mit der Faltung der Molasse gleichzeitig erfolgt, denn die Grenze zwischen der Molasse und dem Flysch bzw. der Kreide ist jeden- falls eine sehr steil stehende Dislokation, welche unter den Flysch ein- fällt und demnach sicher eine Überschiebung darstellt. Da aber die Molasse, allerdings mit den verschiedensten Horizonten, stets nach dieser Überschiebung zu fällt, will es mir scheinen, daß die Faltung der Molasse zugleich mit der Entstehung der Übersehiebung erfolgt sein muß, denn die südliche Falte der Molasse, auf deren unter die Molasse einfallenden Südschenkel der Aufschub stattfand, gliedert sich A. Tornquist: Die Algäu-Vorarlberger Flyschzone. 595 dabei ganz normal den weiter nördlich liegenden Falten an. Daraus ergibt sich, daß nicht nur der äußerste Südschenkel, sondern daß die gesamten Molassefalten zugleich mit der Überschiebung der Flysch- Kreide-Scholle gebildet worden sind. Dieses Resultat steht in Widerspruch zu den Schlußfolgerungen von Arxorn Hem, da dieser vor der Überschiebung der Flysch-Kreide- Zone die Faltung und darauf sogar noch eine Abrasion der Falten an- nimmt. Es will mir nicht scheinen, daß die von Hrm beigebrachten Beobachtungen eine ganz zwingende Beweiskraft für seine Anschau- ungen besitzen. ArnoLp Hrm begründet seine Annahmen damit, daß der Stirnrand der Flysch-Kreide-Zone an vielen Stellen nicht unbe- trächtlich in das eigentliche Molassegebiet vorspringt und meint, daß an diesen Stellen auserodierte Löcher in den Molassefalten vorhanden gewesen seien. Zum Teil ist dieses Vorspringen wohl sicher auf Quersprünge zurückzuführen, welche jungen Datums sind und die Molasse mitbetroffen haben; so sehen wir im kleinen einen solchen Quersprung am Nordrande des Öhrlikopfes nach Nordweid zu sehr deutlich auf der neuen schönen Säntiskarte von ALgerr Hrm wieder- gegeben, ähnliche Quersprünge möchte ich in dem Sulzbachtal und am NO-Zipfel des Goggeien nach der Beschreibung und Skizze von Arsorp Hem vermuten. In diesen Fällen handelt es sich um graben- artige Einsenkungen am Molasserand, an welchen die Deckenschollen leichter erhalten geblieben sind als an den benachbarten Partien. Anderseits ist das Vorspringen der Kreideschollen auf der Flysch- unterlage wie in unserm Gebiet auch häufig auf den nicht parallelen Verlauf des Stirnrandes der Kreidescholle und des Ausbisses der Flysch-Molasse- Überschiebung zurückzuführen. Außerdem dürfte aber vielleicht in der Schweiz — in unserm Algäuer Gebiet ist das nicht der Fall — wegen der geringeren Aufrichtung der Überschie- bungsfläche zwischen Molasse und Flysch ein primäres Vorgreifen von Flyschlappen über die Molasse vorhanden sein. Das ist dann aber in gleicher Weise zu erklären wie die Tatsache, daß die Flysch- zone auf sehr verschiedenen Schichten der Molasseformation aufliegt. Ist die Überschiebung des Flysches bald nach der Bildung der jüng- sten Molasseschichten erfolgt, so muß die Bewegung über eben erst zur Ablagerung gekommene Gebilde geschehen sein, die waren noch nicht oder sehr wenig verkittet, und nur die festeren Nageltluhbänke hatten begonnen, sich zu verhärten. In diesem Falle mußten die weichen Schichten überall dort auf der Schubfläche schnell zerstört werden, wo sie über den älteren Nagelfluhbänken nur eine geringe Mächtigkeit besaßen, und konnten in verdrücktem Zustande nur dort noch erhaiten bleiben, wo sie größere Mächtigkeit besaßen. 596 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 20. Juni 1907. Weil die Nageltluhbänke aber nach Ansicht aller neueren. Autoren nur fazielle Einlagerungen in der Molasse darstellen, so muß die Er- haltung der Unterlage des Flysches eine sehr wechselnde sein. Und zwar müssen wir das auch ohne die Annahme einer der Überschie- bung vorausgegangenen Abrasion voraussetzen. Erkennt man diese Argumente Hrms für das Vorhandensein einer der Überschiebung vorausgegangenen Erosion der Molasse nicht an, so besteht auch kein Grund, an einem so außerordentlich jungen Alter der letzten Überschiebungen festzuhalten. Die Faltung der Mo- lasse, die Querverschiebungen in der Flyschzone und die Übersehiebung der letzteren auf die erstere könnten sodann alle in das oberste Miozän zurückversetzt werden, während die Überschiebung der Kreide auf den Flysch älter wäre. Es würde also das folgende von Arnorn Hrım entworfene Bild hinfällig: »Ich stelle mir vor, daß zu Beginn des Pliozäns vor der ersten Vergletscherung das jetzt subalpin genannte Nageltluhgebirge damals freistand und im Süden von einer tiefen Zone, vielleicht einem Wasserstreifen, begrenzt war, ähnlich wie heute das Jurage- birge gegen das flache Molasseland südlich abfällt. In dieser Zeit . fand Denudation am Südrande des Nagelfluhgebirges statt. Dann rückten die alpinen Überfaltungsdecken vor, glitten erleichtert in die Senkungszone hinein und brandeten an das rauhe angefressene Mo- lassegebirge hinauf. So wurde der Flysch an der Stirn zunächst in die Unebenheiten hineingepreßt, und die Kreide glitt auf Flysch weiter. « An Stelle dieses Bildes würde das folgende treten: Im Oligozän hatte sich die Kreidezone aus den alpinen Decken auf die Flyschzone geschoben, und diese letztere war durch den Schub in viele steile Falten gelegt. wodurch sich hier aus dem Meeresgrund eine neue, dem schon bestehenden Alpengebirge vorgelagerte Festlandskette anschloß. An dieser neuen Küste lagerten sich die Küstenbildungen der Molasse ab. Unterbrochen wurde die Bildung der Molasse im Obermiozän da- durch, daß nun die gesamte Flysch-Kreide-Decke weiter nach N vor- gestoßen wurde, zunächst die eben erst gebildeten und zum Teil wenig gehärteten Molassebänke in Falten legte und sich dann zugleich über diese hinüberschob, indem die weniger festen Bildungen dort,. wo sie eine geringere Mächtigkeit besaßen, über den festeren Nageltluhbänken zerstört wurden. Zugleich traten in dem geschobenen Gebirgsstücke quere Blattverschiebungen auf. Diese ganze Bildung war längst vor dem Beginne des Pliozäns zum Stillstand gekommen. A. Tornquist: Die Algäu-Vorarlberger Flyschzone. 597 Bei dieser Ausführung ist vollständig Abstand genommen von einer Beantwortung der Frage, woher die Kreidezone stammt, auch konnte die Erklärung für die Bildung des Flysches und seiner ihm fremden Einschlüsse, sowohl der Juraklippen als auch der Ablagerungen von kristallinen Breeeien, Geröllen und Blöcken, hier keinen Platz finden. Erklärlicherweise hat sich meine Untersuchung im Algäu in erster Linie auf diese Erscheinungen erstreckt, und ich möchte daher im An- schluß an die eben gemachten Ausführungen hier hierauf ganz kurz eingehen, indem ich die ausführlichen Beweise meiner mit Karten, Profilen und Photographien versehenen, ausführlichen Arbeit vorbe- halten muß. Die Juraklippen der Flyschzone sind nicht, wie sich aus der bis- herigen Darstellung ergab, isolierte Schollen; sie bilden vielmehr eine lange Zone, welche aber durch die oben besprochenen Querverschie- bungen in der Flyschzone in einzelne, nicht zusammenhängende Teile zerrissen ist. Diese auf beiden Seiten der bayerisch - vorarlbergischen Grenze zu verfolgende Zone taucht unter die Kreidedecke im O im Tale der Sehönberger Ach unter, muß also vor der Überschiebung der Kreide in den Flysch hineingepreßt sein. Ich leite den Ursprung dieser Scholle aus der Höhe der Algäuer Schubmasse ab und habe Beweise, daß dieser Oberjura durch die über die Algäuer Schubmasse wiederum aufgeschobene Lechtaler Schubmasse von ihrer Lage auf den Lias- mergeln der Algäuer Schubmasse abgeschoben, über den Stirnrand der Algäuer Schubmasse herübergestürzt und so in den Flysch ein- gefallen ist. Der heute durch die Erosion weiter nach S zurück- gewichene Stirnrand der Algäuer Scholle reichte ursprünglich um so viel nördlicher. Diese Klippenzone stellt nicht, wie STEINMANN will, die Reste einer älteren Klippenscholle dar, ist auch nicht der aufgeschürfte Untergrund einer alpinen Decke, sondern die durch die zweite alpine Decke von der Höhe der ersten Decke auf den weichen Liasmergeln abgeschobene Gipfelpartie der letzteren. Ich erkannte ferner in den kristallinischen Konglomeraten und Breecien und in den in den Flysch eingebetteten Blöcken wirkliche Einlagerungen des Flysches, sie stellen keine eingeschobene Schollen dar. Auch sie sind in einer mit der Juraschollenzone ein wenig di- vergierenden Zone über weite Erstreckung zu verfolgen. Auch in ihnen kann ich nicht die an der Basis einer alpinen Schubmasse mit- geschürften basalen Gebirgsstücke erkennen, sondern nur die Reste von Oberflächengeröllen, welche ursprünglich die intakte Algäuer Schub- masse in Form von Schottermassen bedeekten und nun noch vor dem Abschube der Juramassen über den Stirnrand zum Teil durch 598 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 20. Juni 1907. Abspülung hinübertransportiert wurden und in den Flysch hinein- gelangten. Ich schließe mich da der von Schweizer Autoren schon wiederholt geäußerten Ansicht an, daß die Ablagerung des Flysches gleichzeitig mit dem Beginne der ersten Decekenschübe erfolgte. Wollte ich die näheren Beweise für diese Anschauungen über den Ursprung der exotischen Blöcke und der kristallinischen Konglomerate im Flysch geben, so müßte ich für diese vorläufige Mitteilung viel zu ausführ- lich werden. Ich muß mich auf die bloße Anführung meiner An- schauungen beschränken. ArsorLp Hem hat nun in einer zweiten, im Eingange dieser Mit- teilung angeführten Arbeit auch eine neue Anschauung über den Ur- sprung der exotischen, im Flysch befindlichen Blöcke gegeben, welche in ihrem Endresultat von der meinigen wohl grundsätzlich verschieden ist, deren Begründung aber auf Beobachtungen und Auffassungen be- ruht, welche den meinigen durchaus entsprechen. Auch Arwornp Hem kommt auf Grund seiner Beobachtungen zu dem Schlusse, daß ein mechanisches Hineinkneten der exotischen Blöcke in den Flysch nicht stattgefunden hat, sondern, daß diese Blöcke dem Flysch eingelagert sind, also während des Absatzes des Flysches in das Sediment hineingerieten; sie sind »eine stratigraphische Erscheinung«. Die Blöcke sind in und mit dem Flysch »passiv von den Decken nach Norden getragen worden«. Auf die Frage, wie nun diese Blöcke in den Flysch hineinkamen, wirft ArnoLn Hrım die Frage auf, ob sie »im Schmelzgebiete von Treibeis abgelagert worden« seien. Das isolirte Vorkommen der Blöcke erscheint dem Autor nur durch die Wirkung von Treibeis erklärlich. Ohne zu dieser durch sonstige Vorstellungen wohl sicher eher zu widerlegenden als zu bekräftigenden Ansicht hier ausführlich Stellung zu nehmen, weil es sich nur um eine mehr oder weniger spekulative Diskussion handeln könnte, möchte ich doch meine oben vorgetragene Anschauung, daß die Blöcke und die vorwiegend oder rein kristal- linischen Flyschkonglomerate die in den Flysch zur Zeit seiner Bildung hineingestürzten Oberflächenbedeckungen bestimmter alpiner Decken darstellen, für entschieden wahrscheinlicher halten. Erstens sind diese Exotika nachweislich in ganz bestimmten Zonen der Flyschsedimente ein- gelagert, welche jeweils dem äußersten Stirnrande der höheren Decken entsprechen würden, und zweitens sind außer der isolierten Einlagerung der größeren Blöcke niemals irgendwelche Glazialerscheinungen auf oder in Verbindung mit den Blöcken beobachtet worden. Darüber aber, wo nun die Herkunft der auf den Decken vorhanden gewesenen Schotter- ablagerungen herzuleiten wäre, können wir uns heute wohl kaum eine bestimmte Vorstellung bilden; jedenfalls würde die von verschiedenen A. Torngquist: Die Algäu-Vorarlberger Flyschzone. 599 Autoren — auch von ArnoLn Hrm — vertretene Ansicht, daß dieses exotische Material des Flysches also der ursprünglichen Schotterablage- rungen der Decken aus dem Süden stammt und mit Gesteinen der Süd- alpen zu identifizieren ist, mit der hier gegebenen Erklärung von der Herkunft der Einlagerungen im Flysch in Einklang zu bringen sein. Die exotischen Blöcke des Flysches liegen also mit anderen Worten nicht mehr an der Stelle ihrer primären Ablagerung; sie stammen aus jungtertiären Schnttmassen, welche auf den später vorgeschobenen alpinen Decken ursprünglich zur Ablagerung gekommen waren und bei der Bewegung dieser Deeken von diesen herunter in die Flyschsedimente ver- schleppt wurden. Ausgegeben aın 27. Juni. REN, er 2 u Fe 2 a 1 y 1 A TE: > Er j > TeoK Sm ee 7 - % \ r 4 (% Yun; 5; Von, Te A Fe BUY a Bi L Fr Mer st 601 SITZUNGSBERICHTE 1%. XXX. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 20. Juni. Sitzung der philosophisch-historischen Classe. Vorsitzender Secretar: Hr. Dieıs. 1. Hr. W. Scuurze las über deutsche Lehnworte im Sla- vischen. (Ersch. später.) An einer Anzahl slavischer Worte ksl. penezp — pfennine, ©. mosaz — messinc, ocel — ecchol, opich — epfih, nebosez — nabager, hrabe — krauio — wird gezeigt, wie sich aus ihrem Verhalten zu bekannten Thatsachen der germanischen Lautgeschichte Indicien für die absolute oder relative Chronologie der Entlehnung gewinnen lassen. Sodann wird die Bedeutung des €. jahen “Diakon’ für das isolirte iacuno des keroni- schen Glossars und die Herkunft des aksl. Ausdrucks bo&j rabu aus ahd. gotes scalch oder gotes man erörtert. 2. Hr. Erman und Hr. Harnack legen die Abhandlung der Pro- fessoren Dr. H. ScuÄrer und Dr. K. Scmmipr vor: »Die altnubischen ehristlichen Handschriften der Königlichen Bibliothek zu Berlin«. In dieser zweiten Untersuchung der neuentdeckten nubischen Handschriften konnte das Lectionar (Handschrift A) und seine Eigenart genauer bestimmt werden, und der Inhalt der llandschrift B stellt sich nun als eine Belehrung Christi über das Kreuz dar, welche gewissen apokryphen Apostelschriften verwandt ist. Die griechische bez. syrische Vorlage, die für die Entzifferung des nubischen Textes sehr wichtig wäre, ist noch nicht entdeckt, jedoch sind bereits Schriften nachgewiesen, die auf dieselbe Quelle zurückgehen. 602 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 20. Juni 1907. Die altnubischen christlichen Handschriften der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Von H. ScHÄrer und K. Scuaipr. (Vorgelegt von HH. Ermay und Harnack.) Ass wir der Akademie unsern ersten Bericht über die neu entdeckten Reste altnubischer' christlicher Literatur vorlegten’, konnten wir nur das geben, was sich nach der Arbeit von wenigen Tagen sagen ließ. Dabei mußten wir uns bei der zweiten Handschrift mit recht allge- meinen Ausdrücken über ihren Inhalt äußern. Inzwischen hat sich der Charakter dieser Schrift genauer feststellen lassen. Da es sich für uns vor allem darum handelt, zu erfahren, ob der Urtext der Schrift griechisch oder in einer alten orientalischen Übersetzung schon irgendwo erhalten ist, möchten wir im Folgenden den Theologen, ins- besondere den Kennern der weit verzweigten Apokryphenliteratur, einen deutlicheren Begriff von dieser Schrift über das Kreuz Christi geben‘. Sie scheint sich als eine apokryphe Apostelschrift über die Offenbarung der Mysterien des Kreuzes durch Christus zu erweisen. Dabei müssen wir leider gestehen, daß, je mehr die Schrift durch diese Feststellungen an Wert gewinnt, um so geringer unsre Hoffnung ist, daß das Original schon irgendwo veröffentlicht ist. Es wäre gewiß in der theologischen Literatur nicht unerwähnt geblieben. Wir benutzen diese Gelegenheit, um auch über die erste, schlechter erhaltene Handschrift, das Lektionar, einiges nachzutragen. ! Es dürfte sich empfehlen, in Zukunft die mit griechischen Buchstaben ge- schriebenen Texte als mittelnubisch zu bezeichnen, im Gegensatz zu der heutigen neu- nubischen und der meroitischen altnubischen Spraclıe. ® Sitzungsberichte der philosophisch-historischen Klasse vom 8. Nov. 1906. XLII. ® In den Textproben, die wir geben, bezeichnet ein senkrechter Strich | An- fang oder Ende der Zeilen, aber nur, wenn sich nicht feststellen läßt, ob und wie viele Buchstaben fehlen. H. ScuÄärer und K. Scunmivr: Altnubische christliche Texte. 603 Handschrift A. Bruchstück eines Lektionars. Die Anordnung des vorhandenen Lektionarstückes läßt sich jetzt «enauer erkennen und seine Teile können schärfer bestimmt werden. Die allein erhaltenen Seiten 100—115 (P-pie) umfassen die Tage vom 24. bis 30. Choiakh. Auf jeden Tag fällt ein Abschnitt aus dem Apostolos (arıoc, den Briefen des Paulus) und eine Lektion aus dem Evangelium. Die Evangelien sind durch den Verfasser (mar: oder swy:) und die Nummern der Sektionen des Ammonius bestimmt!'. Bei den Briefen stehen im nubischen Text keine solche Sektionszahlen. [24. Choiakh.| Der Briefteil ist verloren. Er wird schon auf der [5.95] nicht erhaltenen S. 95 zu Ende gegangen sein, oder oben [5.99] auf S. 99. Das Evangelium des Tages ist nach der unter dem 28. Öhoiakh erhaltenen Angabe dasselbe wie das jenes Tages. Dort, auf S.ı12 wird sein Umfang bestimmt als Matth. ı, 18— 25, es umfaßt also die Lektionen @ und I, die letztere aber nur bis zu dem Sinnabschnitt am Schlusse von Kap. 1. $.ıc. Unsre Handschrift setzt auf S.ıoo mit Matth. ı, 22 ein. Die Schlußworte lauten Tan[TArcRa] Incoylcıa örelu nay- OYRA — Kal EKANECEN TO ÖNOMA AYToY IHcoYn. Der Anfang der Lektion dürfte unten auf S. 98 oder oben auf S. 99, die beide verloren sind, gestanden haben. [25. Choiakh.| Der Briefteil beginnt auf S. 100 nach der Überschrift [x orärfi:ke:] anoc: mit Phil. 2, ı2. Verfolgen läßt sich S.ror. der Text in Trümmern bis Phil. 2, ı8 auf S. ıo1. Das ent- spricht der Lektion #. Das Evangelium muß noch unten auf S. 101 ange- fangen haben, und zwar mit Matth.5, 13. Die Spuren reichen S.ıo. auf S. 102 von Matth. 5, 13 bis 5, 15. Der untere Teil der S.103. Seite ist ganz zerstört. Auf S. 103 ist Matth. 5, 18—19 er- halten. Das entspricht also den Lektionen Aa— Ne bis zu dem Sinnabschnitt bei Matth. 5, 20. [26. Choiakh.| Der Briefteil hat noch auf S.ı03 begonnen. Auf S.104. S. 104 ist Röm.ıı, 25 bis II, 29 zu verfolgen. Das ist die Lektion ZU, die bis ıı, 31 läuft. Der Evangelientext kann nur ganz kurz gewesen sein. Das Wahrscheinlichste ist, daß er nur zitiert war unter Hinweis auf eine frühere Stelle, ähnlich so wie es ! Für diese beziehen wir uns hier auf Horsers Ausgabe der bohairischen Bibel, Oxford 1898. 604 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 20. Juni 1907. unterm 28. Choiakh geschieht. Erhalten ist nichts von ihm. Er ging mit der letzten Zeile von S. 104 zu Ende. [27. Choiakh.]| Der Briefteil, der mit der ersten Zeile von S.ıo5 S.10s. beginnt, trägt die Überschrift: Xosärfi:fT:anoe: Man er- S.106. kennt Hebr. 5, 4—7, doch greift die Textstelle auf S. 106 über, wo Hebr. 5, 9—ı0 erhalten ist. Das entspricht der zweiten Hälfte der Lektion ®, ı6, und der Lektion i« bis zum Ende. Das Evangelium des Tages, das sich mit großen S.1061:0. Lücken über die Seiten 106 — 110 erstreckt. ist überschrieben xolarfi:fz:&$:wy:pme: Da sich die Verse Joh. 16, 33 bis Joh. 17, 26 erkennen lassen, umfaßt der Abschnitt die in der Überschrift genannte Lektion pit« samt den folgenden, bis pite einschließlich. 28. Choiakh. Der Briefteil hat auf einer der letzten Zeilen von S.ıı.. S. 1IO begonnen. Erhalten sind auf S. ııı die Verse S.ır.. Hebr. 9, ı Ende bis 4, und auf S.ıı2 der Schluß von Hebr. 9, 5. Das ist die Lektion KL. Das Evangelium des Tages ist so angegeben: XOIÄRHIRH: MATT: eıkapaAo | n|AARBRaNEN : ve :IHcoYcsÄören NHAYOYRA:!XOIÄKN:RR: map = Da die in der Überschrift genannte Lektion « des Matthäus mit Matth. ı, ı8 anfängt, müssen die Worte eıkapa‘o |, AAnPraneA dem To? a& "IHco? XPıctoY KH rene- cıc oYrtuc An entsprechen‘. Doch geht der Abschnitt über die Lektion @ hinaus, denn die mit fe = r&noc eingeleiteten Schlußworte incoyesa ören mayoyra haben wir in Matth.1,25 als der Lektion X angehörig unterm 24. Choiakh gefunden. Darauf verweisen denn in der Tat ausdrücklich die letzten Worte unsrer Textstelle: XONÄRMERI:MAP: Das ap ist eine Abkürzung für das nubische naprarecın »es ist ge- schrieben «*. 29. Choiakh. Die Briefstelle ist überschrieben: KONARM RD :ÄTIOC: Man erkennt Gal. 4, 4—6. Der Abschnitt entspricht also der zweiten Hälfte der Lektion it, die bis Gal. 4,7 reicht. Die Überschrift und die ersten Worte des Evangeliums müssen ebenfalls noch auf S. ıı2 gestanden haben. Das S.173. erhaltene beginnt auf S. 113 mit dem Schlusse von Matth. 2, 1. ! Die ersten Worte sind in der Tat die Übersetzung des griechischen oYTwc. ?2 Im Neunubischen ist das r zu j erweicht. H. Scuärer und K. Scamivr: Altnubische christliche Texte. 605 Die letzten auf S. 113 erhaltenen Worte gehören zu Matth. 2,5. S.114. 115. Die spärlichen Reste auf S. 114 und oben auf S. ı15 lassen erkennen, daß der Text wohl bis Matth. 2, ı2 gegangen ist. Er enthielt also den an das Evangelium vom 24. und 28. Choiakh anschließenden Teil der Lektion Q, die Lektion € und die Lektion TE bis zu dem Sinnabschnitt am Schlusse von Kapitel 3. [30. Choiakh]. Die Überschrift der Briefstelle ist zerstört. Die dürftigen Reste lassen Röm. 8, 3 von ö eeöc an bis 7 er- kennen, also die Lektion M. [S. 116]. Vom Evangelium des Tages, das auf S.ı 16 gestanden haben muß, ist nichts erhalten. Wir fassen noch einmal kurz den Inhalt des Lektionars zu- sammen: [24. Choiakh] Brief: verloren Evang.: Matth. ı, 18—25 (vgl. 28. Choiakh) [25. Choiakh] Brief: Phil. 2, ı2—ı8 Evang.: Matth. 5, 13 —20 [26. Choiakh] Brief: Röm. ı1, 25 bis ı1, 31 Evang.: verloren 27. Choiakh Brief: Hebr. 5, 4—ıo Evang.: Joh. 16, 33 bis 17, 26 28. Choiakh Brief: Hebr. 9, 1’—5 Evang.: Matth. ı, 18—25 (vgl. 24. Choiakh) 29. Choiakh Brief: Galat. 4, 4—7 Evang.: Matth. 2, 1ı— 12 [30. Choiakh] Brief: Röm. 8, 3—7 (oder mehr) Evang.: verloren Nach der vorliegenden Übersicht gehört das Fragment einem sogenannten Kati meroc-Lektionar an, das für jeden Tag der Woche die zu verlesenden Texte angibt. Wir kennen verschiedene Systeme für die Verteilung der Perikopen auf die Tage. Die Beantwortung der Frage, woher das hier angewandte System des Kata m&roc seinen Ursprung hat, würde zugleich eine festere Grundlage für die Be- stimmung des Alters des unsrer Handschrift zugrunde liegenden Originals liefern. Nubien ist unter Justinian um 545 durch Ab- gesandte der Kaiserin Theodora für das Christentum gewonnen worden. Demgemäß ist den Nubiern das Christentum in der Form der byzan- tinischen Reichskirche oder der ägyptischen Melkiten gebracht worden. Sitzungsberichte 1907. 60 606 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 20. Juni 1907. Aber seit der Eroberung Ägyptens durch die Araber im Jahre 641 und dem Verfalle der melkitischen Kirche in Ägypten haben die koptischen Monophysiten durch Besetzung der erledigten Bischofs- sitze die nubische Kirche in Abhängigkeit von dem Patriarchen von Alexandrien gebracht, ein Zustand, der bis zur Zerstörung des nu- bischen Königreichs und der Einführung des Islams im 14. Jahr- hundert angedauert hat. Da also der byzantinische Einfluß nur von kurzer Dauer gewesen ist und unsre Handschriften höchst wahr- scheinlich dem 10. oder 11. Jahrhundert angehören (nicht dem 8., wie ursprünglieh angenommen wurde), wird man wohl geneigt sein, auch unsre Manuskripte dem koptisch-monophysitischen Christentume zu- zuschreiben. Leider fehlen bis jetzt alle Vorarbeiten für eine Ge- schichte des Perikopensystems in der alten Kirche, auch stehen uns keine Lektionare in sahidischer Sprache, die ja älter wären als die vor- handenen bohairischen, zur Verfügung, um das vorliegende Lektionar- system identifizieren zu können. Nur das eine darf man mit Sicher- heit behaupten, daß das nubische Lektionar auf ein hohes Alter hinweist, da die Lektionen ausschließlich dem Apostolos, d.h. den Briefen des Paulus, und dem Evangelium entnommen werden, also nicht wie bei den Jakobiten späterer Zeit aus dem Katholikos neben dem Apostolos oder gar, wie bei den jüngeren Lektionaren in bo- hairischer Sprache, aus dem alten Testament. Die verschiedentlich überlieferten koptisch-bohairischen KatA meroc-Lektionare zeigen keine Verwandtschaft. Handschrift B. Wenn wir in unserm Vorbericht den Inhalt dieser Handschrift für einen Hymnus auf das Kreuz erklärten, so veranlaßte uns dazu vor allem das hervorstechende Mittelstück des Textes, das die Seiten ı8, ı2 bis 27,8 einnimmt'!. Es besteht aus 47 völlig gleich gebauten Aussagen über das Kreuz in der Form: 2. Das Kreuz ist der Toten Auferstehung 8. Das Kreuz ist der Kranken Arzt 9. Das Kreuz ist der Priester Vollendung ı0. Das Kreuz ist der Gresetzlosen Gesetz ıı. Das Kreuz ist der Sklaven Befreier usw. Abweichungen im Bau zeigen nur der 33. Ausspruch, wo auf den Genitiv zwei Aussagen folgen, sowie der 36. und 47., wo kein Genitiv steht. Solche Reihen von Aussagen über die mystischen Eigenschaften ! Den nubischen Text siehe in Anhang 1. H. Scnärer und RK. Scanivr: Altnubische ehristliche Texte. 607 des Kreuzes finden sich nun wiederholt in gewissen christlichen Litera- turwerken. So zeigt die Heiligenliturgie' der griechischen Kirche unterm 14. September, also am Feste der Yywcıc ToY Tımioy Kai IWOTIOI0% CTAYPOY eine durch xairoıc eingeleitete Reihe: Xairoıc d IWHeöroC CTAYPöc, TÄC EYCEBEIAC TO AHTTHTON TPÖTIAION, H 8YPA TOY TITAPAAEICOY, Ö TÖN TIICTÖN CTH- pırmöc usw. Auch byzantinische Prediger flechten in ihre Predigten zum Tage der Kreuzerhöhung gern solche Lobpreisungen ein. Hier sei nur auf ein Beispiel hingewiesen, das ebenfalls die Grußform mit xalpoıc anwendet, nämlich die Prediet eines Unbekannten bei GrETZER. de eruce Christi, Ingolstadt 1600, S. 192 ff. Viel näher als diese steht dem Hymnenteil unsrer nubischen Handschrift das entsprechende Stück aus einer Predigt über das Kreuz, die unter denen des Johannes Chrysostomus erhalten ist”. Dort stehen, wie in unserm Text, einfache positive Aussagesätze, im ganzen 52 an der Zahl, jedes Glied von neuem durch ctavypöc »das Kreuz ist...« eingeleitet. Zwar stimmen das Nubische und das Griechische weder in der Zahl noch in der Anordnung der Glieder genau überein, aber von den Aussagen selbst scheinen sich recht viele zu decken‘. Noch durch eine andre Eigentümlichkeit aber ist der Hymnus des Pseudo-Chrysostomus dem nubischen eng verwandt. Der Lobgesang auf’ das Kreuz wird nämlich bei Pseudo-Öhrysostomus eingeleitet durch die Worte: Kai ei eeneıc TNÖNAI, ÄTATIHTE, THN AYNAMIN TOY CTAYPOY, KA) ÖCA AH ETKWMIA TIEPI TOY CTAYPOY, AKOYE' Auch im Nubischen findet sich vor dem Hymnus eine fast wört- lich damit übereinstimmende Einleitung, nur daß die Worte Kal öca AN Erkomia TIepi TO? cTaypo? fehlen. So würde man also geneigt sein zu vermuten, daß auch unsre nubische Handschrift nichts weiter enthält als die Übersetzung einer byzantinischen Predigt auf die Kreuzerhöhung, zumal auch das erste Wort der Handschrift hinter dem Titel onrarpavoyere »Geliebte«' ist, also die Anrede an eine Gemeinde enthalten könnte. In Wirklichkeit aber ist es nicht irgendein beliebiger Prediger, sondern Christus selbst, der seinen Hörern, und zwar seinen Jüngern, diese Rede über die mystische Bedeutung des Kreuzes hält, und offen- bar ist es einer der Jünger, der in unsrer Schrift seiner Gemeinde den ganzen Vorgang erzählt. ! MunaAla, Ausgabe Venedig 1875. ?2 Den griechischen Text siehe in Anhang 11. ® Man darf wohl hoffen, daß wenigstens dieser Hymnus anderswo genau in derselben Form wie im Nubischen erhalten und uns nur entgangen ist. Für die Arbeiten an der altnubischen Sprache wäre auch das schon ein großer Gewinn. * ost »lieben«. 60* 608 Sitzung der philosophisch - historischen Classe vom 20. Juni 1907. Der Verlauf der Darstellung ist, soweit er sich erkennen läßt, nämlich in kurzem Abrisse folgender: Der Verfasser erzählt seinen mit »Geliebte« angeredeten Lesern, daß in den Tagen vor der Ilimmelfahrt des Herrn sie, die Apostel, mit ihm zusammen auf dem Ölberge' waren und er ihnen verborgene, vorher nie ausgesprochene Mysterien offenbarte, solehe vom Himmel und von der Erde, vom Richten (?) der Toten und der Lebendigen, und von der Auferstehung der Toten. Da habe Petrus den Herrn gebeten, nachdem er ihnen sonst schon alle Mysterien offenbart habe, ihnen nun auch das letzte nicht vorzuenthalten. »Der Lebende«, so wird Christus in unserm Texte stets genannt, wo er selbst auftritt, versprach, ihnen alles zu offenbaren, wonach sie ihn fragen würden: »kein Wort, wonach ihr mich fragt, habe ich euch verheimlicht und werde ich euch verheimlichen«. Drum will ich euch auch offenbaren, wonach ihr mich jetzt fragt. Nun habe Petrus gesagt, sie wünschten, daß er ihnen das Myste- rium des Kreuzes offenbare, damit sie diese Botschaft der ganzen Welt verkünden könnten. »Der Lebende « beginnt seine Rede mit den Worten: »Du mein.... Petrus, und ihr, meine Brüder«. Er erinnert sie an das, was die Juden ihm angetan hätten, bevor sie ihn ans Kreuz hängten, wie sie ihm ins Angesicht gespien, seine Kleider zerteilt, ihm die Dornen- krone aufgesetzt, ein rotes Gewand angezogen und ihn geschmäht hätten. Er kommt dann in längerer Rede auf seine Wiederkehr als Verklärter zum Gericht im 'Tale Josaphat® zu sprechen und erzählt, wie es denen ergehen würde, die von ganzem Herzen an das Kreuz glaubten, ihm dienten und in seinem Namen den Hungrigen speisten und den Nackten kleideten. Zu dem Anfange der Himmel würden sie emporgehoben werden und das ewige Leben haben. Die Worte »Ge- liebte, wenn ihr die Bedeutung des Kreuzes hören wollt, so hört seine Bedeutung« leiten den langen Hymnus ein, von dem wir ausgingen: Das Kreuz ist der Christen Hoffnung, Das Kreuz ist der Toten Auferstehung, Das Kreuz ist der Irrenden Weg usw. ! caitenvoyn FadAao. Vgl. nagi FM. »Wüste, Steppe, Gebirge«. Zu cast vgl. koptisch soert. Ein andres Fremdwort in unsern Texten ist Fomdı\, kormorA — KANAANA, candela »das Licht, die Kerze«. Die entsprechenden arabischen Formen oo) und As kommen für die mittelnubischen Worte gewiß noch nicht in Betracht, ebensowenig wie das arabische | für das mittelaubische ArAAw »Gott«. ? jweaparınaprAa. Vgl. /ärki FM. »Furche, Rinne«. & findet sich nicht, wie im ersten Bericht gesagt, nur in Fremdwörtern. Vgl. rospeB = uff »spucken«. H. Scnärer und K. Scnnmipr: Altnubische ehristliche Texte. 609 Eine kurze Schlußrede des Herrn folgt noch auf den Hymnus. Dann sagt der Erzähler kurz, daß unser Herr Jesus Christus darauf zum Himmel gefahren sei und sich mit dem Vater und dem Heiligen Geiste vereinigt habe. Mit der Doxologie schließt dieser Teil des Buches, der vom folgenden durch einen Strich abgetrennt ist. Die noch bleibenden fünf Seiten der Handschrift sind mit Er- örterungen des Verfassers gefüllt, die er an seine Erzählung anknüpft, die aber in ihrem Zusammenhange noch nicht verständlich sind. Es wird dabei wiederholt der Monat Choiakh genannt. Der Zustand der letzten Seite der Handschrift zeigt, daß der jetzt fehlende Schluß (von S.M an) erst in allerjüngster Zeit abgerissen worden ist. Er dürfte also noch irgendwo im Handel auftauchen. Man könnte im Hinblick auf die eigentümliche literarische Form, daß nämlich die geheimnisvollen Mitteilungen über das Kreuz in die Zeit des Verkehrs des Auferstandenen mit den Aposteln verlegt werden, an ein gnostisches Produkt denken, denn die Gnostiker haben ihre Geheimtradition sehr häufig auf die Zeit zwischen Auferstehung und Himmelfahrt zurückgeführt. Aber wir wissen aus einer Reihe von Beispielen, daß die Kirche den Gnostikern in dieser Art Schriftstellerei gefolgt ist; sie hatte ebenfalls eine Menge Fragen und Probleme, über die sie in den überlieferten Evangelien und Briefen vergebens Antwort suchte, und doch sollte alles Gut, das sie besaß, im letzten Grunde auf den Herrn oder doch die Apostel zurückgehen. Die Pseudepi- graphie hat sich des Stoffes bemächtigt und in Anknüpfung an Act. ı, 3ff. mit leichter Mühe ein Evangelium quadraginta dierum ge- schaffen. Zu dieser Gattung von Literaturprodukten gehören die Apo- kalypse und das Kerygma des Petrus und aus nachnizänischer Zeit das sogenannte Testamentum domini (vgl. Rammanı 1899), in dem alle einzelnen Rechtsbestimmungen Christus selbst in den Mund gelegt werden. Auch dem Inhalte nach erweist die vorliegende Schrift ihren rein kirchlichen Charakter. Dazu kommen die mannigfachen literarischen Berührungen mit byzantinischen Predigten, wie sie oben aufgezeigt sind, und die beweisen, daß der in der nubischen Handschrift ent- haltene Hymnus vom Kreuze sich einer besondern Beliebtheit erfreute. Überhaupt hat ja die mystische Verehrung des Kreuzes seit der Le- gende von der Auffindung des Kreuzes durch die Kaiserin Helena im 4. Jahrhundert und der Einführung eines besondern Festes, der Yruwcıc To? cTaypoY, in der griechischen Kirche große Verbreitung. Die apo- 610 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 20. Juni 1907. kryphe Schrift, deren Übersetzung die nubische Handschrift enthält, wird also frühestens im 5. Jahrhundert verfaßt sein. Eine nähere zeit- liche Bestimmung ist bis jetzt unmöglich, da sich weder die Predigt des Pseudo-Chrysostomus chronologisch fixieren läßt, noch die Predigt des Ephraem Syrus, die im Anhang Il, Anm. ı erwähnt ist, mit Sicher- heit dem Syrer als Verfasser zugeschrieben werden kann. Wir wissen nieht einmal. ob die nubische Handsehrift unmittelbar oder durch Ver- mittlung des Koptischen aus dem Griechischen übersetzt ist. Schwerlich aber wird der Entstehungsort des Apokryphons in Ägypten liegen, viel eher in Syrien, wo die Hymnendichtung ihren Ursprung hat. So müssen wir uns vorläufig mit diesen allgemeinen Resultaten be- scheiden. Anhang 1. Handschrift B S. 18, 6— 27. 8. ONTARPATOYERe// | Acc oypoy er[alypocitwerra e|ApıaoAAecır to | oYAtfinachd TANTDERRA' ı &TaypocA scrıano[lc|pıtoyia TeeWsaAo' (a)° IRIIR PITOY 2 craypocA A10AroYIHA FaleppaAo*b) so!= > CTAYpPCcA TEeyoAtoymt AayaAu* (e? oder etwa c?)? 4 Sraypock doytAroyma ERKTTAAWD*! s EraypocA HOROBMOYHA cOoYARaAnD' 6 EraypocA BSOYFOYTTPITOYHA MOYFAOTAA@* (etwa y?) 7 craypock WOR@RA Rotppa[Ao|* cv’ » @raypocA oaaÄvo[ynja jäTopwceaAo m) 9 craypocA jeöcpiroyma RPIFITaAw* (ar)“ 10 craypocA TEETKPPITOYHA TEETTAAD* (e8)" 1 craypock ÖWOFAEITOYM AEctRepaAm (eo) » CraypocA ArrapoAvoyn[a] cayAaranado." ! Zu oyAvninacw »hört« vgl. Matth. 2. 3: oyAupern nasnıtıcıa — ÄKOYCAC ETA- PAxeH. FM. uAk »hören«e.. KD. uluk »Ohr«. Die Buchstaben verweisen auf das Griechische in Anhang 11. ® FM. Dawi »Weg, Straße». * *ek-kit »bekleiden«? vgl. 27. FM. kogor »starke. Lies jepeoc. Vgl. Ebr. 5, 10: ap[x ]siepeöc. Zu xpirs vgl. Matth. 1, 22: “0... MECTAKOA RIPSFI] 777 100 107]10R — INA TIAHP@EeH TO PHeen. Rönı. II, 25: emmmoyn KIPIFIT — TO TIAHP@MA TÜN EBNÖN. ” Mattlı. 5, 18: Te&asAa — ATIO TOY NÖMOY. ° FM. osi »Sklave«. ° Vgl. 25, also etwa s? x? H. ScuÄrer und K. Scnnipr: Altnubische christliche Texte. 611 ‚s [ejraypocA Tozonaera oynppaAo un 4 Craypock aptbacl]a oyäuppado' 15 araypieÄ oypoyevoyna Foritmii eTnapkado' (co)? »s EraypocX AnocroAocpivoyma AltaddarnıEedo ii) 17 craypocA MAPTYpocpwoyna' ipa|raAo* 18 eraypoc| A| EIPTTIRAEITOYHA EccımTTado"" » raypock mul nt Aroyna OYTTO/MEPAAo' > &TAypocA Fanekacıtoyna TORAEPAAO N)! ai eraypock TEMTTAROATOYHA TEEITAAO* »» &TAaypocA'roöppiroyna ApoyeTrado »» &raypocA TowykıaroAuoyna ApoyeTrado" + Erayp[ock | neyamoyna wenrarrado' >: &raypock arahoAöch araprado'w’ :: &TAypocA EIPPTTIRAATOYHA cotopado' 7 &raypock rayeAuoyi KTTAAo Mb) 28 eraypock atueAocpiroyna OpwceAo' »» &TaypocA X epoybemel[oyjna nckanedo:" o eraypocA wapkenconma TOoparımado'' » &raypocA napAroyna napoy&ado' 32 raypoch veRkÄroyHaA AAcaNo' (ar)! so! 33 ETAYPOCH* TIMINITOYRA TOYAROHOMOEAOOPAAO*" PS pP s ETaypocA’ REENITOYHA coyamnoyTrado*" - ? s ETaypocA vuluım\unueoyna FeETA]Ao*'" 5 CTAYpPocA woyesa eANeREeTa‘enma‘o:” ! Kaus. von FM. ud »sich beugen«. Toronae ist das eine der beiden einzigen Worte, die, wie im vorigen Berichte erwähnt ist, den Buchstaben 7 enthalten. Das andere ist zapım »Himmel«. 2 Vgl. Joh. 17,1: enraA ekka Fortprosmmo[ä] — INA 6 Yiöc AOzÄcH ce. 2Vel220: * Vgl. B. 13, 11 — 13: TodaestosAnEe FanteracstoyAae — »die Gerechten und die Sünder«. Vgl. aber auch 41. ® Etwa g0g »schlachten«, also — ss? % Enthält das erste die Zahl »drei« ? Vgl. ı2. > Vgl.ı8, 40 und 42. Das A von craypoc‘ aus sı korrigiert. ” Etwa Abstraktum von nec »sagen« — »Beredsamkeit«? 10 Kemso »vier«? ı! Etwa gok »durstig sein«?? 2 Vgl. griechisch omoioc? om »und«. 13 Ein griechisches Wort? cyme....? Wohl »Der ....gen Heiligung«. BED rewiren nn « Vgl. Nr.45 und Joh. 17, 2: ardıeAden[re]raAAcerra — ZWHN AI@NION. 612 Sitzung der philosophiseh-historischen Classe vom 20. Juni 1907. > ETAYpPocA ORKIARTARRÄTOYHA AMcKRAaaA0' sol > CTAYpcA NarRkPiroyma TaraAo () » CTAYpocA SUIkPPIWOoYHA THYKBepaAo* () 40 eraypock' MERÖNTOYHÄ Ecouuaepado'' v &raypocA TAlwı u ım]PPıwoyna mel n]peAo"° 42 EraypocA SEerTARoAToYHA Ecouutaepado' 43 EraypocA eXNAHNOCTOYHA eiitiutaepa‘o' “ CraypocA x picroch Faiepaepa[Alo'' s &raypock nilw]Avoyna voyers‘do » [ejraypocA ronmacewolynja Tammarrado[] 47 craypocA AaPırepado' Anhang II. Aus einer Predigt des Pseudo -Chrysostomus, abgedruckt bei Mıcne, Patrologia graeca Bd. 50, 8. 819’. Kal ei eeneic TN@NAI, ATATIHTE, THN AYNAMIN TOY CTAYPOY, KAl OCA AN ErKWMIA TIEPI TO? CTAYPOF, Äkoye' | a CTAYPÖC XPICTIANDN Eariic (1)" e CTAYPÖC TIETTAANHMENWN ÖAÖc(3?) b » NEKPÖN ANACTACIC (2) | f » AAIKOYMENWN EKAIKOC © » TYen@n ÖdAaHröc (3?) g » XWAÖN BAKTHPIA a » ÄTIHATTICMENWN EATTIC h » TIENHTWN TIAPAMYBOIA ! Vgl.B.4,9. Petrus sagt zum Herrn: oystaeAtoyıa eo Ecoutiäepa »unsrer Herzen were ger. Auch Nr. 26 und 42 zu vergleichen. B. 5, rı. Christus redet die Jünger an: oypo» ceyae anmeadınmoyere »Ihr ..... NE oe « 22 ® Es könnte sein, daß hierin uu steckt. Vgl. Röm.ır, 26: ww | veıww miAAskıPz KANERO TAR[WB] | 777 477 v0 u u un u 1nmers A — AmocTpereı Acegelac Arıö "lAKbB. AceBeia — Gottlosigkeit? ® Vgl. Nr.40 und 26. ZVelaNT=?2. 5: Vgl. Nr. 36. 38 % Etwa an FM. daf »vergehen« zu denken? Vgl. Joh. 17, 12: vepsa oyeAenz ale] elsjon DATIIITMENHMAAD* BATTIIAEN TOT ACHKW — OYAEIC EE’ AYTÖN ÄTIONETO, El MH 6 Yiöc TÄC ÄTIWNEIAC. ” Ein nahe verwandter Hymnus stelıt in einer Predigt, die unter dem Namen des Ephraem von Syrien geht. Assemani, Ephr. Syr. opera omn., II. Band der griechisch- lateinischen Abteilung, S. 247 usw. Die Aussagen sind dort so geordnet: b; a; g; bh; ik; m+o+p;d;qg; r+s; tw; x+y+zHtaa, bb; ce+dd; e+ff; hHhn+iüi+kk; mm + nn; 00 + pp; qq + tt; vv+ ww; xx + yy; z2 + aaa; Il + bbb. Es fehlen ec; e; f; I; n; u; v; gg; vr; ss; uu. Aucl: sind die Worte öfter. entstellt, z. B. lautet p: Emmöron eyrıopfA. Den Hinweis auf Ephraem verdanken wir Hrn. Dr. P. Maas. In echten Predigten des Eplıraem finden sich ebenfalls Spuren von Kreuzhymnen derselben Form. ® Die Ziffern verweisen auf das Nubische in Anhang 1. i CTAYPÖC TINOYCIWN XAAINÖC k m cc dd » » YTIEPHPÄNWN KABAIPECIC (13?) AKONÄCT@N METÄNOIA TPÖTTAION KATÄ AAIMONWN AlABÖnOY Nikoc (25). NHTTION TTAIAATWFÖC ATTOPWN EYTIOPIA TIAEÖONTWN KYBEPNHTHC XEIMAZOÖNTWN AIMHN TIOAEMOYMENWN TEIXOC MATHP ÖPsANON (38) TIPOCTÄTHC xHPÖN (39) AAIKWN KPITHC AIKAION CTYAOC ONIBOMENWN ÄNECIC NHTIION @YaRE (6?) ANAPON KESAAH TIPECBYTEPW@N TEnoc (9?) ®ÖC TOIC EN CKÖTEI KA®- HMENOIC BACINEWN METANOTTPETIEIA (15) BAPBAPWN ®IAANBPWTIIA H. Scuhärer und K. Scamipr: Altnubische christliche Texte. 613 CTAYPÖC AOYWN Eneveepla (II) ÄTITAIAEYTWN COdlA ANOMWN NÖMOC (IO) TTIPO®HTÜÖN KHPYTMA ATTOCTÖAWN (16) MAPTYP@N KAYXHMA (17) KATÄTTEAMA MONAZÖNTWN ÄCKHCIC TTAPBENWN CWEPOCYNH TEPEWN XAPA EKKAHCIAC BEMENIOC OIKOYMENHC ÄCBÄNEIA NAQN KABAIPECIC BWM@N ANATPOTIH KNICCHC ABANICMÖC "loYAAalwn CKÄNAANON ACEBÖN ATIWNEIA (20) AAYNAMWN AYNAMIC (7) NOCOYNT@N TATPOC (8) AETIPÖN KABAPICMÖC TTAPANYTIKÖN COIFEIC TIEINONTWN APTOC (31) AIYONTON TIHFA (32?) TYMNON CKETIH (27) Ausgegeben am 27. Juni. Sitzungsberichte 1907. Beılin, gedruckt in der Reichsdruckerei. 61 ”s f hr en L len ee ini RR en E eur Mn went are Rare XXX XXX. SITZUNGSBERICHTE DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. Gesamnitsitzung am 27. Juni. (S. 615) Öffentliche Sitzung am 4. Juli. (S. 617) Wauıpever: Festrede. (S. 617) Orrn: Antrittsrede. (S. 624) Russer: Antrittsrede. (S. 628) WArDpeEver: Erwiderung auf die HH. Orın und Ruerxer. (S. 631) Pzxek: Antrittsrede. (S. 634) Mütter: Antrittsrede. (S. 641) Diwrs: Erwiderung auf Hrn. Mürzer. (S. 644) Verleihung der Leiextız-Medaille. (S. 645) Miroszewsky'sche Preisaufgabe. (S. 646) Eovarn Geriarn-Stipendium. (S. 648) BERLIN 1907. VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. Aus dem Reglement für die Redaetion der akademischen Druckschriften. “ Aus $1l. Die Akademie gibt gemäss $ 41,1 der Statuten zwei fortlaufende Veröffentlichungen heraus: » Sitzungsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften « und » Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften «. Aus $ 2. Jede zur Aufnahme in die »Sitzungsberiehte« oder die »Abhandlungen« bestimmte Mittheilung muss in einer aka- demischen Sitzung vorgelegt werden, wobei in der Regel das druckfertige Manuscript zugleich einzuliefernist. Nicht- mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen. 83. Der Umfang einer aufzunehmenden Mittheilung soll in’der Regel in den Sitzungsberichten bei Mitgliedern 32, bei Nichtmitgliedern 16 Seiten i in der gewöhnlichen Sehrift der Siiejingsbenehe in den Abhandlungen 12 Druckbogen von je 8 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Abhand- lungen nicht übersteigen. j Überschreitung dieser Grenzen ist nur mit Zustimmung der Gesammt-Akademie oder der betreffenden Classe statt- haft, und ist bei Vorlage der Mittheilung ausdrücklich zu beantragen. Lässt der Umfang eines Manuscripts ver- muthen, dass diese Zustimmung erforderlich sein werde, so hat das vorlegende Mitglied es vor dem Einreichen von sachkundiger Seite auf seinen muthmasslichen Umfang im Druck abschätzen zu lassen. Sa. Sollen einer Mittheilung Abbildungen im Text oder auf besonderen Tafeln beigegeben werden, so sind die Vorlagen dafür (Zeichnungen, photographische Original- aufnahmen u.s. w.) gleichzeitig mit dem Manuseript, jedoch auf getrennten Blättern, einzureichen. Die Kosten der Herstellung der Vorlagen haben in der Regel die Verfasser zu tragen. Sind diese Kosten aber auf einen erheblichen Betrag zu veranschlagen, so kann die Akademie dazu eine Bewilligung beschliessen. Ein ‚larauf gerichteter Antrag ist vor der Herstellung der be- treffenden Vorlagen mit dem schriftlichen Kostenanschlage eines Sachverständigen an den vorsitzenden Secretar zu richten, dann zunächst im Seeretariat vorzuberathen und weiter in der Gesammt-Akademie zu verhandeln. Die Kosten der Vervielfältigung übernimmt die Aka- Jemie. Über die voraussichtliche Höhe dieser Kosten ist — wenn es sich nicht um wenige einfache Textfiguren handelt — der Kostenanschlag eines Sachverständigen beizufügen. Überschreitet dieser Anschlag für die er- forderliche Auflage bei den Sitzungsberichten 150 Mark, bei den Abhandlungen 300 Mark, so ist Vorberathung durch das Seeretariat geboten. / Aus $5. Nach der Vorlegung und Einreichung des vollständigen druckfertigen Manuscripts an den zuständigen Secretar oder an den Archivar wird über Aufnahme der Mittlieilung in die akademischen Schriften und zwar, wenn eines der anwesenden Mit- glieder es verlangt, verdeckt abgestimmt. Mittheilungen von Verfassern, welche nicht Mitglieder der Akademie sind, sollen der Regel nach nur in die Sitzungsberichte aufgenommen werden. _Beschliesst eine Classe die Aufnahme der Mittheilung eines Niehtmitgliedes in die dazu bestimmte Abtheilung der » Abhandlungen«, so bedarf dieser Beschluss der Bestätigung durch die Gesammt-Akademie. (Fortsetzung auf S. 3 des Umschlags.) _ Bas FERE TE, Aus $ 6. Die an dieDruckereiabzuliefernden Manuseriptemüssen, wenn es sich nicht bloss um glatten Text handelt, aus- reichende Anweisungen für die Anordnung des Satzes und die Wahl der Schriften enthalten. Bei Einsendungen Fremder sind diese Anweisungen von dem vorlegenden Mitgliede vor Einreichung des Manuscripts vorzunehmen. Dasselbe hat sich zu vergewissern, dass der Verfasser seine Mittheilung als vollkommen druckreif ansieht. Die erste Correetur ihrer Mittheilungen besorgen die Verfasser. Fremde haben diese erste Correetur an das vorlegende Mitglied einzusenden. Die Correetur soll nach Möglielkeit nicht über die Berichtigung von Druckfehlern und leichten Schreibversehen hinausgehen. Umfängliehe Correeturen Fremder bedürfen der Genehmigung des redi- girenden Secretars vor der Einsendung an die Druckerei, und die Verfasser sin-] zur Tragung der entstehenden Mehr- kosten verpflichtet. - Aus $8. 3 Von allen in die Sitzungsberichte oder Abhandlunpel Be aufgenommenen wissenschaftlichen Mittheilungen, Reden, Adressen oder Beriehten werden für die Verfasser, von wissenschaftlichen Mittheilungen, wenn deren Umfane i im Druck 4 Seiten übersteigt, ER für den Buchhandel Sonder 2 abdrucke hergestellt, die alsbald nach Erscheinen des be- treffenden Stücks der Sitzungsberichte ausgegeben werden. 2 Von Gedächtnissreden werden ebenfalls Sonderabdrucke € für den Buchhandel hergestellt, indess nur dann, wenn die 3 Verfasser sich ausdrücklich damit einverstanden erklären. Pr a 89. } Von den Sonderabdrucken aus den Sitzungsberiehten erhält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, zu unentgeltlicher Vertheilung olıne weiteres 50 Frei- exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke ’ auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis zur Zahl von 200 (im ganzen also 350) abziehen zu a sofern er diess rechtzeitig dem ‚redigierenden Seeretar an- gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch ‚mehr x” Abdrreke zur Ver theilung zu erhalten, so bedarf es dazu der Genehmigung der Gesammt- Akademie ‚oder der be- treffenden Classe, — Nichtmitglieder ‘erhalten 5 Frei- exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei ‚dem redigirenden Seeretar weitere 200 Exemplare R uf ihre, Kosten abziehen lassen. _ = Von den Sonderabdrucken aus den Abhandlungen « er- hält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie® ist, zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 30 Frei- exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl von noch 100 und auf seine Kosten noeh weitere bis zur Zahl von 100 (im ganzen also 230) abziehen z lassen, sofern er diess Tech izeilie dem redigirenden Secretar ; Ann gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr - Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazu der Genehmigung der Gesammt- Akademie oder der be treffenden Classe. — Nichtmitglieder ‚erhalten 30 Frei- exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem redigirenden Secretar weitere 100 Exemplare 2 ihre Kosten abziehen lassen. x $ 17. a { Eine für die EAN Re NenN Schriften. hr stimmte wissenschaftliche Mittheilung dar f in keinem Falle vor ihrer Ausgabe an ‚jener Stelle anderweitig, sei es auch nur Sunsugr ds: Ex 615 SITZUNGSBERICHTE _ 1907. rs XXXI. KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 27. Juni. Gesammtsitzung. Vorsitzender Secretar: Hr. Diers. *]. Hr. Branpsu las über die Entstehungsgeschichte des Beowulfepos. Es wird in die Zeit um 700 und an den mereischen Königshof verlegt. Die realen Verhältnisse jenes Hofes sind noch durchzuspüren. Es ist nicht aus älteren Liedern zusammengesetzt, sondern stellt eine Mischung von zwei Stilen dar, einen Übergang vom liedmässigen Spielmannsepos zum breit angelegten Buchepos, wobei die Aeneide als ein Vorbild mit vorschwebte. 2. Vorgelegt wurden die Druckschriften: Friedrichs des Grossen Korrespondenz mit Ärzten. Hrsg. von G. L. Manroor. Stuttgart 1907 und R. Drrsrueck, Hellenistische Bauten in Latium. I. Baubeschrei- bungen. Strassburg 1907, jene mit Unterstützung der Akademie, diese mit Beihülfe der Envarp GernHarD-Stiftung bearbeitet; ferner zwei Werke von W. Nersst, Theoretische Chemie vom Standpunkte der Avogadrosehen Regel und der Thermodynamik. 5. Aufl. Stuttgart 1907 und Experimental and Theoretical Applications of 'Thermo- dynamies to Chemistry. New York 1907. Die Akademie hat in der Sitzung am 13. Juni den Professor der Aegyptologie an der University of Chicago Janes Henry BreAsten und den Direetor der Kaiserlichen Universitäts- und Landes- Bibliothek und Honorar-Professor der semitischen Philologie an der Universität Strass- burg Geheimen Regierungsrath Dr. Junıus Eurıss zu correspondirenden Mitgliedern der philosophisch -historischen Classe, den Chemiker Prof. Dr. Karır GraesE in Frankfurt am Main und den ordentlichen Pro- fessor der Chemie an der Universität Göttingen Geheimen Regierungs- Sitzungsberichte 1907. 62 616 Gesammtsitzung vom 27. Juni 1907. rath Dr. Orro Warvacn zu correspondirenden Mitgliedern der plıysi- kalisch-mathematischen Classe gewählt. Die Akademie hat das ordentliche Mitglied der physikalisch- mathematischen Classe Hrn. Karr Kreıy am 23. Juni durch den Tod verloren. Ausgegeben am 11. Juli. 617 SPRZENGSBERICH TE 1307. XXX DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 4. Juli. Offentliche Sitzung zur Feier des Lemsızischen Jahrestages. Vorsitzender Secretar: Hr. WALDEYER. Der Vorsitzende eröffnete die Sitzung, welcher der vorgeordnete Minister, Se. Exzellenz Hr. Dr. Horrr, beiwohnte, mit folgender An- sprache: Schon vor einigen Jahren nahm ich an dieser Stelle Veranlassung, der Vereinigung der großen Akademien und gelehrten Gesellschaften der Welt zu gemeinsamer Arbeit zu gedenken, und am Leisniız- Tage des vergangenen Jahres besprach ich das erste größere Unternehmen dieser Vereinigung, welches, soweit die Akademien dabei mitzuwirken haben, zu einem gewissen Abschlusse gekommen ist. Es handelt sich um die Errichtung von besonderen Instituten, die einer ziel- bewußten, planmäßigen Erforschung des Nervensystems, insbesondere unsers Denkorgans, des Gehirns, dienen sollen. In der diesjährigen Tagung der Assoziation haben die Beschlüsse, die im vorigen Jahre bei der statutenmäßigen Ausschußsitzung nur als vorläufige gefaßt werden konnten, ihre endgültige Bestätigung erhalten: die Sorge für Anträge zur Errichtung neuer Hirnforschungsinstitute und für das Zusammenarbeiten der bereits eingerichteten ist einer autonomen Kommission der vereinigten Akademien übertragen worden, von deren Geschäftsordnung die Vereinigung Kenntnis nahm und die unter Erstattung eines alle drei Jahre fälligen Berichts selbständig weiterar- beitet. Hoffentlich können in Bälde auch bei uns die Mittel zur Errichtung eines großen, alle Arbeitsweisen umfassen- den Hirnforschungsinstituts gewährt werden! Doch es war nicht diese Angelegenheit, welche mich veranlaßt heute, am Lemnız- Tage, abermals von der Assoziation der Akademien und deren Wirksamkeit zu sprechen — den, wie mir scheint sich gleichsam von selbst darbietenden Anlaß gab der Umstand, daß auf Sitzungsberichte 1907. 63 618 Öffentliche Sitzung vom 4. Juli 1907. der diesjährigen Versammlung in Wien ein weiteres Unternehmen der vereinigten Akademien zur endgültigen Ausführung gesichert worden ist, die Herausgabe der Gesamtwerke unsers wissenschaft- lichen Begründers, dessen Gedächtnis wir heute feiern, der Werke Lrıznızens! Hiervon wollte ich berichten, indem ich glaube, daß es sich zieme, in den öffentliehen Versammlungen der Akademien und gelehrten Gesellschaften bei passenden Veranlassun- gen Bericht von ihrer Tätigkeit zu geben, so diesmal am Lrisnız- Tage von dem nunmehr gesicherten großen Unternehmen, das Lebens- werk unsers Geistesheroen der Mit- und Nachwelt zu sichern. Leisnız, der als Student der Jurisprudenz in seinem 15. Lebens- jahre an der Universität seiner Vaterstadt Leipzig immatrikuliert wurde, begann bereits mit 17 Jahren seine erstaunliche literarische Tätigkeit, die er bis zu seinem 1716 in Hannover erfolgten Tode, also über 5o Jahre lang, ununterbrochen fortsetzte. Da er in dieser Zeit mit fast allen Herrschern, Staatsmännern und Gelehrten der europäischen Welt und darüber hinaus in Verbindung trat, so haben nicht nur seine größeren und kleineren wissenschaftlichen Abhandlungen, son- dern vor allem auch seine äußerst umfangreiche Korrespondenz einen hohen Wert und nicht nur für die Wissenschaft nach den verschie- densten Richtungen hin: Philosophie, Theologie, Rechts- und Staats- wissenschaft, Mathematik und Naturwissenschaften, sondern auch für die Zeitgeschichte und insbesondere die Politik seiner Epoche. So stellt sich Leiwsız mit Recht als einer der Größten in die Reihe jener Männer, denen man, wie DEScArTES, FRIEDRICH DEM GROSZEN und GOETHE längst das »Denkmal dauernder als Erz« durch eine würdige Gesamt- ausgabe ihrer Werke errichtet hat. Alle bisherigen Versuche aber — und es sind deren mehrere, insbesondere in Deutschland und Frankreieh, unternommen worden —, die Werke Leissızens vollständig herauszugeben, sind gescheitert; das Unternehmen übersteigt die Kräfte eines Einzelnen, selbst die einer Vereinigung von mehreren Gelehrten in einem Lande. Wie begreiflich, haben wir von einzelnen Wissensgebieten Sammelwerke der Leizsızischen Schriften, so die siebenbändige Ausgabe der philo- sophisehen Werke, besorgt von GeruARDT, eine Ausgabe seiner deut- schen Schriften von GuHrAavEr und manche andere, aber alle diese haben ihre Mängel und fast ebensoviel wie von Leissızens Werken bisher gedruckt wurde, ist noch ungedruckt geblieben. Hier bot sieh nun der Vereinigung der Akademien eine Aufgabe, an der sieh zur Evidenz zeigen ließ, daß diese Vereinigung eine Einrichtung darstellt, die notwendig war und kommen mußte, falls man überhaupt so große Aufgaben, wie die Herausgabe der Werke Leisiızens, lösen wollte. WALDEYER: Festrede. 619 Schon gleich bei der ersten Tagung der Assoziation der Aka- demien in Paris, in der Generalversammlung vom 16. bis ı8. April 1901, kam diese Angelegenheit zur Sprache, indem die Academie des Sciences morales et politiques den Antrag stellte, eine Ge- samtausgabe der Werke Lrissızens in Angriff zu nehmen. Durch Hrn. Coururar in Toulouse, der zu dem Zwecke nach Hannover gereist war, hatte die genannte Akademie bereits eine ungefähre Abschätzung des gesamten Schriftenmaterials vornehmen lassen und sagt schon in ihrem Antrage auf Grund dieser Ermittlungen: »L'@uvre est immense, evidemment au-dessus des forces et des ressources pecuniaires d’un partieulier: elle pourrait, au contraire, etre menee A bien gräce au patronage de l’Association internationale des Academies. « Der Antrag wurde in der Generalversammlung vom 153. April 1901 angenommen, und die Academie des Seiences sowie die Aca- demie des Sciences morales et politiques zu Paris und unsere Aka- demie wurden beauftragt, die Ausführung vorzubereiten. Die beiden Pariser Akademien ernannten die HH. Pomcar£ und Bourroux zu »Direktoren« der betreffenden Geschäfte, die Berliner Akademie wählte eine »Kommission«, bestehend aus Hrn. Diers als Vorsitzendem und den HH. Dirrurv, Harnack, Koser, Lenz. Pranck, ScumiDT, SCHWARZ und Sruner als Mitgliedern. Die Arbeiten wurden nun sofort in Angriff genommen; die beiden Pariser Akademien ließen auf Vorschlag ihrer zur Sache gewählten Direktoren von Hrn. Davınız die wichtigsten Bibliotheken und Archive Frankreichs, Belgiens, Hollands und Englands auf Leibnitiana, ins- besondere auf handschriftliches Material durehsuchen; von Berlin aus wurden die HH. Rırrer und Kasırz beauftragt, zunächst einen voll- ständigen Zettelkatalog der bereits gedruckt vorliegenden Leisnız- Stücke anzufertigen. Bis zum Oktober 1902 war diese Arbeit vollendet und ergab auf rund 25000 Oktavzetteln etwa 2200 gedruckte Schriften und Notizen von Leimnız nebst 6100 Briefen von ihm und an ihn. Daran schloß sich eine Durchsicht des in Hannover aufbewahrten großen Leissız-Schatzes. Am 29. Dezember 1902 fand dann eine Konferenz in Paris zur Verständigung über das weitere Vorgehen statt. An den Beratungen nahmen Teil von seiten der Academie des Sciences die HH. Darsoux und Pomcar£, sowie Hr. BerrueLor — dessen vor kurzem erfolgten Tod die gesamte wissenschaftliche Welt betrauert —; von seiten der Academie des Sciences morales et politiques die HH. Bourroux und (rEarnD, von Berlin Hr. Dies mit Hrn. Dr. Rırrer. Vereinbart wurde die Abfassung eines Aufrufs zur Entsendung an alle öffentlichen und privaten Sammlungen, die etwa Leibnitiana 63* 620 Öffentliche Sitzung vom 4. Juli 1907, besitzen konnten, dann, nach Einlauf aller Antworten und Beendigung der eignen Nachforschungen, die Ausarbeitung eines vorläufigen Katalogs, nach welchem man sich über den zu erwartenden Um- fang der Gesamtausgabe und deren einzelne Abteilungen eine bessere Schätzung machen könnte; endlich regelte man die Methode dieser Arbeit und ihre Verteilung auf die einzelnen Akademien. Die Versendung des Aufrufs erfolgte zu Ende des Winters 1903. Ich gestatte mir des großen Interesses halber, den der Erfolg des Aufrufs hatte, den betreffenden Abschnitt des Berichts, den die ver- einigten Akademien der Generalversammlung der Assoziation in London 1904 erstatteten, fast wörtlich hier mitzuteilen: »Die drei Akademien erkennen dankbar an, daß fast alle Insti- tute geantwortet haben. Ausführlicher erteilten Auskunft das Kgl. Geheime Staatsarchiv und die Kgl. Bibliothek in Berlin, die K. K. Hofbibliothek in Wien und die Kgl. Bibliotheken in Kopenhagen und in Stockholm. Ganz besondere Mühe haben sich gegeben die Kgl. Bibliothek in Dresden, die Herzogl. Bibliothek in Gotha und das K.K. Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien. Die Adelsfamilien, von denen seinerzeit Mitglieder mit Leisız in Verbindung gestanden haben, haben fast alle die besonderen Schreiben beantwortet, die von Berlin aus an sie gerichtet wurden. Das Ergebnis der ganzen Umfrage war, daß reicheres und wertvolleres Material für eine Leıgxız-Ausgabe, außer in Hannover, liegt in Berlin, Kassel, Frankfurt a.M., Göttingen, Gotha, Halle a.S., Hamburg, Ippenburg bei Osnabrück, Karls- ruhe, Leipzig, Wiesentheid bei Würzburg, Wolfenbüttel, Wien, London, Oxford, Leiden, Florenz, Mailand, Modena, Kopen- hagen und Linköping in Schweden. Das Jahr 1903 wurde nun zur Herstellung des vorläufigen Kata- logs der Handschriften verwendet; einen kritischen Katalog schon jetzt herzustellen, war wegen des Umfangs des Materials unmöglich. Die drei Akademien beauftragten mit der Ausarbeitung des vorläufigen Katalogs die HH. Davır.E, GrorTuUYsen, Harswachs, Kasırz, Rırrer, Rıvaup, Sırz und Wiırse; der so, hauptsächlich in Hannover ausge- arbeitete Katalog umfaßt 75000 Zettel in Folio. Darauf fand am 16. März 1904 eine abermalige Konferenz in Berlin statt, an der die HH. Bourroux und PomcAark sowie die genannten Mitglieder der Berliner Leissız-Kommission, nebst Hrn. Rırrer, teilnahmen. Man beschloß, das sorgfältig zu revidierende Material des Katalogs, gedrucktes wie ungedrucktes, in 4 Abteilun- gen zu bringen: I. Politik, Geschichte, Biographie; II. Metaphy- sik und Theologie; III. Logik und Jurisprudenz; IV. Mathematik und Physik. WALDEYER: Festrede. 621 Nach Beendigung des Druckes eines zu bearbeitenden kritischen Katalogs sollte diesem angefügt werden eine bibliographische, das ganze Leben und Wirken Lrisnızens annalistisch zusammenfassende Übersicht mit Verweisung auf die betreffenden Abteilungen des Katalogs. Ferner wurde folgender, der Generalversammlung der Akademien in London vorzulegender Antrag beschlossen: »Die Assoziation erneuert ihren am 18. April 1901 den 3 Aka- demien, der Academie des Seiences und der Academie des Sciences morales et politiques zu Paris sowie der Kgl. Akademie der Wissen- schaften zu Berlin gegebenen Auftrag, eine interakademische Lrisnız- Ausgabe vorzubereiten, und fordert sie auf, die Veröffentlichung des von ihnen begonnenen kritischen Katalogs der Lrıssız-Hand- schriften bis zur nächsten Generalversammlung der Assoziation 1907 zu bewirken. « Im Frühjahr 1906 legte Hr. Dies, der seine Mission nur provi- sorisch übernommen hatte, den Vorsitz der Berliner Kommission wegen Überhäufung mit andern Arbeiten nieder; an seine Stelle wurde Hr. Lenz zum Vorsitzenden gewählt. Hr. Dırrs vertrat aber noch bei der Aus- schußsitzung der vereinigten Akademien in Wien 1906 als Delegierter der Berliner Akademie die Angelegenheit und beriet dort zunächst mit dem Pariser Delegierten Hrn. Darsoux die wichtige Frage der Druck- legung des Katalogs. Sehriftlieh und auf einer Konferenz in Köln, an der die Pariser Direktoren und von Berlin die HH. Lesz und Srunper mit Dr. Rırrer teilnahmen, wurde nun festgestellt, daß der bloße kritische Katalog der Werke Leissızens gedruckt nicht weniger als ıo Bände zu je 60 Bogen in Quart umfassen und Kosten im Betrage von 80000 Mark bedingen würde. Auch würde diese Drucklegung den Beginn der Gesamtausgabe um mindestens 3 Jahre hinausschieben. Deshalb ver- einigten sich in Köln die drei Akademien dahin, im Mai des Jahres 1907 der Assoziation folgende Vorschläge bezüglich der Leissız-Aus- gabe zu machen: »Von der Drucklegung des geschriebenen Katalogs soll abgesehen werden, dagegen ist letzterer mechanisch zu verviel- fältigen insoweit, daß den Bibliotheken der zur Vereinigung gehöri- gen Akademien sowie einigen andern Bibliotheken Exemplare zuge- stellt werden können. Mit der vollständigen Ausgabe der Werke Leigsızens soll alsbald begonnen werden, und sind die genannten drei Akademien damit zu betrauen.« Dieser Antrag wurde von der Gene- ralversammlung der assoziierten Akademien in Wien 1907 einstimmig angenommen. Damit ist nun das immense Werk zur Ausführung gesichert, da die Mittel dazu, bei einer Verteilung auf eine Reihe von Jahren, von seiten der genannten drei Akademien bereitgestellt 622 Öffentliche Sitzung vom 4. Juli 1907. werden können. Die drei Akademien werden nun als sogenannte autonome Kommission der Assoziation der Akademien selbständig weiter arbeiten und haben sich schon über folgenden Arbeitsplan ge- einigt: Die beiden Pariser Akademien übernehmen die Leitung für die Herausgabe der mathematischen, erkenntnistheoretischen, logischen, naturwissenschaftlichen, medizinischen, juristischen und naturreeht- lichen Schriften. Die Berliner Akademie besorgt die Herausgabe der politischen, staats- und volkswirtschaftlichen, der historischen und philologischen Schriften einschließlich der ethnologisch- geologischen Protagaea, sowie der Schriften, welche sich auf die Organisation der wissenschaftlichen Arbeit in gelehrten Gesellschaften und andern Anstalten beziehen, endlich die der gesamten Briefe und Denkschriften. Eine Bestimmung über die Herausgabe der metaphysischen und theo- logischen Schriften wird später getroffen und bekanntgegeben werden. Ungeachtet dieser Teilung bleibt die Arbeit eine gemeinsame, so daß unter französischer Leitung deutsche, unter deutscher franzö- siche Arbeiter mitwirken werden. Es werden getrennte Verträge mit einem deutschen und einem französischen Verleger geschlossen werden, . so jedoch, daß in Format, Lettern und in andern typographischen Äußerlichkeiten Übereinstimmung bleibt. Der Umfang der ganzen Ausgabe stellt sich nach der letzten Berechnung auf rund fünfzig Quartbände zu je 60 Bogen! Mit der speziellen Leitung sind betraut worden französischerseits Hr. Rıyaup, deutscherseits Hr. Rırrzrr. Man hofft, bis 1911 die drei ersten Bände und in 30—40 Jahren das ganze Werk fertigzusttllen. Die gegebene Darstellung wird Jedermann, der mit solchen Sachen einigermaßen vertraut ist, überzeugt haben, daß die umfassende Leisnız- Ausgabe nicht eines Mannes Werk sein konnte, auch nicht etwa einer Akademie, auch kaum eines Landes. Hier mußte ein internationales Zusammenwirken eingreifen, und wenn ein wissen- schaftliches Unternehmen die hohe Bedeutung der internationalen Assoziation der Akademien zeigen kann, so ist es dieses; freuen wir uns, daß dieses Unternehmen, eines der ersten, welehe die Assoziation gezeitigt hat, der Verewigung des Lebenswerkes des großen wissen- schaftlichen Begründers unsrer Akademie, Lrısnız, dienen wird! Aber die Assoziation hat damit nicht geruht. Noch mehrere andere große, echt internationale Unternehmungen sind erheblich ge- fördert und zur Durchführung gebracht worden, so die Messung des durch ganz Afrika, Kleinasien und Rußland gehenden 30. Meridians, des längsten wohl, der auf der Erde gemessen werden kann, auf An- regung von Sir Davıp Girn in Kapstadt und der Royal Society in Lon- Warpever: Festrede. 623 don, die magnetische Aufnahme eines ganzen Parallelkreises auf‘ An- regung unsers jüngst verstorbenen Mitgliedes, des Hrn. vo Bezorn, durch die Berliner Akademie, die Herausgabe der wichtigsten griechi- schen und lateinischen medizinischen Schriftsteller auf Anregung der Berliner und Kopenhagener Akademie, eine internationale Vereinbarung zur Erleichterung des Leihverkehrs von Handschriften auf Anregung der Berliner Akademie; auch in dieser wichtigen Frage ist jetzt bei der jüngsten Generalversammlung in Wien ein zum guten Ende füh- render Abschluß erzielt worden. Ich berühre nur noch, da die Zeit kein weiteres Eingehen gestattet, die Herausgabe einer Enzyklopädie des Islam, die große neue kritische Ausgabe des Sanskritwerks Ma- habharata, welches man als das indische Nationalepos bezeichnen kann (Wiener Akademie). So findet man uns in reger Arbeit, sei es im Gebiete der Natur- wissenschaften, sei es in dem der Geisteswissenschaften. Abgesehen von der Förderung selbst, welche die einzelnen Disziplinen an sich durch diese gemeinsame Arbeit erfahren, fällt aber noch manche gute reife Frucht, ohne daß man sie gerade zu lösen gesucht hätte. Nicht spreche ich von den internationalen Beziehungen, nicht von dem großen Vorteile so mancher persönlichen Bekanntschaft; aber ich meine, daß in ganz bedeutsamer Weise die Diskussion solcher großen Pläne aus den verschiedensten Wissensgebieten, die jahrzehntelang immer wieder aufs neue angefacht wird in den einzelnen Akademien und zwischen den einzelnen Akademien, diese verschiedenen Wissens- gebiete wieder einander näher rücken muß. Klagt man, und nicht mit Unrecht, daß die gewaltige Ausdehnung unsers Wissens eine Zer- splitterung und Trennung in Einzelgebiete zur Folge habe, für welche das Interesse und Verständnis nur noch bei wenigen vorhanden sei, dann ist in unsrer Organisation wieder ein Mittel zur Vereinigung gegeben, welches dem Forscher Interesse auch an fremden Grebieten abzwingt und ihm manche Anregung gibt, sich mit diesen wieder mehr zu beschäftigen. Wenn ich mit diesem (Gredanken meine An- sprache am Leinız-Tage schließe, so wird man empfinden, daß ich damit wieder zum Gedächtnisse Lrigsızens zurückkehre, jenes Heroen, in dessen universellem Geiste noch alle Wissenschaften nicht nur Unterkunft, sondern auch fruchtbringende Pflege fanden. Darauf folgten die Antrittsreden der HH. Orru, Rusxer, Prnck und Mürrer. Den HH. Orru und Rusxer erwiderte Hr. WALDEvER, Hrn. Perxck antwortete Hr. Auwers, Hrn. MüLLer antwortete Hr. Diers. 624 Öffentliche Sitzung vom 4. Juli 1907. Antrittsreden und Erwiderungen. Antrittsrede des Hrn. Orrn. Es ist einigermaßen verwunderlich, wie schwer es gehalten hat, die Anschauung zur Geltung zu bringen, daß auch die medizinische Wissenschaft eine Naturwissenschaft ist, daß es eine medizinische Wissenschaft, die Pathologie, gibt, welche auch losgelöst von allen Beziehungen zur ärztlichen Praxis bestehen kann und rein wissen- schaftliche, naturwissenschaftliche Aufgaben zur Lösung zu bringen vermag. Selbst in gelehrten Kreisen ist diese Anschauung bis auf den heutigen Tag noch nicht überall zum Durchbruch gelangt, mußte ich doch auf dem internationalen Kongreß für Künste und Wissen- schaften in St. Louis im Jahre 1904 Verwahrung dagegen einlegen, daß man die Pathologie aus der naturwissenschaftlichen Gruppe aus- geschieden und damit völlig von der Anatomie und Physiologie, ja sogar von der Bakteriologie getrennt hatte. Erfreulicherweise nehmen unsre gelehrten Gesellschaften einen andern Standpunkt ein, haben sie doch durch die Tat, durch die Wahl von Pathologen zu Mitgliedern ihrer physikalisch-mathemati- schen Klasse, der Pathologie das Anerkenntnis zuteil werden lassen, daß auch sie zu den Naturwissenschaften gehört. Wie könnte es auch anders sein? Ist doch auch die Aufgabe der Pathologie in erster Linie die Erforschung des Lebensproblems, arbeitet doch auch sie mit denselben Mitteln, nach denselben Methoden wie jede andere biologische Wissenschaft. Krankheit ist Leben unter abnormen Bedingungen und mit abweichenden Erscheinungen; eine scharfe Trennung von dem Leben unter normalen Bedingungen und mit den typischen Erscheinungen ist nicht möglich, und ebensowenig ist es möglich, die morphologische und biologische Erforschung des pathologischen Menschen scharf zu trennen von derjenigen des nor- malen Menschen. Die Pathologen haben weiterzubauen auf den Grund- lagen, welche die normale Anatomie und Physiologie gewähren, und wo diese Grundlagen fehlten oder ungenügend waren, da haben sie stets redlich und nicht ohne Erfolg dabei geholfen, die Fundamente zu schaffen, zu vervollkommnen, auszubauen. Es gibt keinen ange- sehenen Pathologen, der nicht auch in normalbiologischen Fächern gearbeitet hätte, eine Abgrenzung der wissenschaftlichen Tätigkeit der pathologischen Anatomen, Physiologen, Chemiker gegen diejenige der normalen ist in keiner Weise möglich und tatsächlich nirgendwo zu finden. : urn :9F Antrittsreden und Erwiderungen. 625 Am wenigsten ist, von der Chemie abgesehen, eine Trennung durchzuführen für die Physiologie, und gerade bei dieser zeigt sich am deutlichsten die zweite Korrelation, welche zwischen patholo- gischer und normaler Biologie besteht, indem ein gut Teil unsrer physiologischen Kenntnisse aus pathologischen Beobachtungen, sei es am kranken Menschen, sei es am Versuchstiere, gewonnen worden ist. Zum Teil mag es hierin begründet sein, daß die pathologische Physio- logie noch nicht diejenige Selbständigkeit unter ihren Schwesterwissen- schaften gewonnen hat, welche ihr zukommt, und daß, wie früher die normale Anatomie und die normale Physiologie eine gemeinsame Vertretung hatten, so auch heute noch die pathologischen Anatomen an den Universitäten des Deutschen Reiches auch die pathologische Physiologie, wenigstens in ihrem allgemeinen Teile, mitzuvertreten haben, während die spezielle pathologische Physiologie unter den ÖOrdinarien eine besondere Vertretung überhaupt nicht besitzt. Das ist ein auf die Dauer unhaltbarer Zustand, und es kann gar nicht ausbleiben, daß über kurz oder lang sowohl bei den Fakultäten wie bei den gelehrten Körperschaften auch die pathologische Physiologie als ein selbständiges Fach ihre Vertretung findet. Wie es bei den normalen Fächern der Fall war, so hat auch bei ihren pathologischen Schwestern die Morphologie, die pathologische Anatomie, zuerst ihre Ausbildung und eine höhere Entwicklung er- fahren, aber zunächst doch noch völlig im innigsten Zusammenhang mit der normalen Anatomie. Dies zeigt besonders deutlich die Ge- schichte der Berliner Universität und der Berliner Königlichen Akademie der Wissenschaften: Jomanses MÜrLer vereinigte in sich noch den Ver- treter der Anatomie, der Physiologie und der pathologischen Ana- tomie sowohl bei der medizinischen Fakultät wie in dieser Akademie. Wenn auch Mürrer als Akademiker nur selten in seiner Eigenschaft als Vertreter der pathologischen Anatomie aufgetreten ist, so hat er doch der Hierhergehörigkeit dieses Faches dadurch unzweideutigen Ausdruck gegeben, daß er von seinen berühmten Untersuehungen über den feineren Bau der krankhaften Geschwülste der Akademie in einer Sitzung Mitteilung gemacht hat. Man hätte erwarten sollen, daß, nachdem MÜLLER zugunsten seines großen Schülers Vıremow im Rahmen der medizinischen Fakultät auf die Vertretung der pathologischen Anatomie verzichtet und der Errichtung einer ordentlichen Professur für dieses Fach zugestimmt hatte, auch in der Akademie dieser Tatsache Rechnung getragen und der pathologischen Anatomie eine Stelle eingeräumt worden wäre, aber erst nahezu 20 Jahre später öffneten sich dem ruhmvollen Ver- treter dieses Faches, Ruporr Vırcnow, die Pforten der Akademie, und 626 Öffentliche Sitzung vom 4. Juli 1907. noch dazu galt in weiten Kreisen die Anschauung, daß Vırenow nicht als Pathologe. sondern als Anthropologe den Mitgliedern der Akademie zugesellt worden sei. Diese Meinung konnte um so melır sich fest- setzen, als Vırcnow tatsächlieh nur zweimal eine Mitteilung über ein rein pathologisches Objekt hier gemacht, im übrigen aber nur anthropologiseh-ethnologische Fragen zur Erörterung gebracht hat. Trotzdem war die Meinung falsch, denn die Akademie hatte Vırcnow tatsächlich in seiner Eigenschaft als Pathologen aufgenommen und sonach schon damals anerkannt, daß die Pathologie überhaupt und die pathologische Anatomie im besonderen unzweifelhaft zu den- jenigen Wissenschaften gehört, zu deren Pflege und Förderung die physikalisch-mathematische Klasse der Akademie bestimmt ist. Aber, soweit ich sehe, war damit nicht eine Fachstelle für Pathologie bzw. pathologische Anatomie begründet, sondern Vırcnow nur als ein Ge- lehrter, dessen wissenschaftliche Tätigkeit in das Gebiet der Klasse fiel, in die mathematisch-physikalische Klasse aufgenommen worden; die Wahl galt mehr ihm persönlich, nicht seinem Fach als solchem. Das scheint mir jetzt anders zu sein, denn daraus, daß die Akademie, nachdem im Jahre 1906 neue Stellen begründet worden sind mit der. ausdrücklichen Bestimmung »und zur Anfügung noch nicht vertretener Fächer«, mich für eine dieser Stellen gewählt hat, glaube ich schließen zu dürfen, daß damit zum Ausdruck gebracht worden ist, daß das Fach, welchem ich angehöre, als solches in der Akademie vertreten sein solle. Darin sehe ich die für die Pathologie so erfreuliche, prin- zipiell wiehtige Bedeutung meiner Ernennung und ich glaube daher im Namen aller Pathologen der Akademie besonderen Dank für diese unserm Fache gezollte Anerkennung abstatten zu dürfen. Da es die Verhältnisse nun einmal gefügt haben, daß mir die Ehre der Ernennung zum Vertreter des Faches der Pathologie zuteil geworden ist, so sei es mir noch gestattet, in üblicher Weise ein paar Worte über meine wissenschaftliche Tätigkeit hinzuzufügen. Frühzeitig war mir durch die Einwirkung meiner Lehrer, Enuarn Rınprreiscn und Ruporr Vırenow, die Vorstellung in Fleisch und Blut übergegangen, daß die Pathologie eine Naturwissenschaft sei, bei der nicht Spekulationen, sondern Tatsachen das Fundament alles Forschens sein müßten; erst auf die Tatsachen dürfen sich Schlußfolgerungen aufbauen. Es war mein Bestreben, soviel ich vermochte, an der Feststellung von Tatsachen in den verschiedensten Gebieten der pa- thologischen Anatomie mitzuwirken und andre zu gleicher Tätigkeit anzuregen. Vieles so Gewonnene habe ich nicht besonders veröffentlicht, sondern in meinen Lehrbüchern mitverarbeitet, manches auch Schülern zur weiteren Verfolgung und späteren Veröffentlichung überlassen. Antrittsreden und Erwiderungen. 627 Ein besonderes Interesse habe ich den morphologischen Grund- lagen bei der Pathogenese zugewandt, der Bedeutung des Bodens, auf welchen die äußeren Krankheitsursachen einwirken, der Bedeutung der Krankheitsanlagen, der Dispositionen. Dabei kam ich notwen- digerweise auch auf die wichtige Frage, welche Rolle die Vererbung in der Pathologie spiele. Wiederholt habe ich mich bemüht, die neuen Erkenntnisse über die normale Vererbung auch für die Patho- logie nutzbar zu machen, leider noch nieht mit durchschlagendem Erfolge, so daß immer noch mit dem Worte »ererbt« von vielen, auch wissenschaftlich arbeitenden Ärzten ein arger Mißbrauch getrieben wird. Schon frühe wandte ich mein Interesse auch denjenigen äußeren Krankheitsursachen zu, welche in der überwiegenden Zahl der Krank- heitsfälle wirksam sind, den Mikroorganismen, den Erregern der Infek- tionskrankheiten, und wieder war es auch hier die Frage der Disposition, über die ich anatomische wie experimentelle Tatsachen beizubringen bestrebt war. Ganz besonders interessierte mich schon seit meiner Studentenzeit jene Infektionskrankheit, welche auch den Laien als die größte Geißßel des Menschengeschlechts bekannt ist, die Tuberkulose. Bereits durch die Unterweisung meines ersten Lehrers, Rıyprreiscen, war mir klar geworden, daß die Tuberkulose zu den Infektionskrank- heiten gehöre, und trotz der entgegengesetzten Meinung meines zweiten Lehrers, Vırcnow, war ich schon Jahre vor der Entdeckung der Tuberkel- bazillen ein Verteidiger der Ansicht geworden, daß nicht nur die mit Tuberkelbildung einhergehenden Erkrankungen, sondern auch zahlreiche andere, als käsige, skrofulöse usw. bezeichnete Veränderungen dem Ge- biete einer und derselben Krankheit angehören, daß alle diese Ver- änderungen der Krankheit, die wir Tuberkulose nennen, zuzurechnen sind. Die Morphologie der tuberkulösen Veränderungen, besonders der Lunge, die Genese der tuberkulösen Erkrankungen, die auch bei ihnen in Betracht kommenden Dispositionen, habe ich ununterbrochen zum Gegenstande meiner Studien gemacht, und wiederholt habe ich auch außerhalb meiner Lehrbücher die Resultate meiner Studien veröffentlicht. Auch in Zukunft gedenke ich in ähnlicher Weise wie seither die Wissenschaft zu betreiben; insbesondere werde ich nach wie vor der Erforschung der Tuberkulose meine Kräfte weihen. Hier liegt nicht nur eine große Aufgabe für die Wissenschaft, sondern auch eine nicht minder große für die Praxis vor — und warum soll die Wissenschaft nicht auch Rücksicht nehmen auf ihre praktische Verwertbarkeit? Daß sie auch nützlich war, so habe ich seinerzeit auf dem Kongreß der Künste und Wissenschaften in St. Louis mich geäußert, hat noch nie einer Wissenschaft geschadet, ihr an ihrer Wissenschaftlichkeit noch nie Abbruch getan. Daß die ärztliche Wissenschaft, die Pathologie, 628 Öffentliche Sitzung vom 4. Juli 1907. die Grundlage der ärztlichen Kunst, der ärztlichen Prophylaxis und der ärztlichen Therapie ist, kann ihrer Qualität als Wissenschaft ebenso- wenig eine Minderung geben, wie die Fortschritte der Technik auf allen Gebieten die ihnen zugrunde liegenden Naturwissenschaften und die Mathematik minderwertig gemacht haben. So wird denn auch die Akademie mir gestatten müssen, daß ich nicht nur reine pathologische Wissenschaft bei ihr vertrete, sondern auch, wo es geht, auf die Be- deutung der wissenschaftliehen Errungenschaften für den Kampf um das körperliche Wohlergehen der Menschen hinweise. Das ist auch Arbeit für den menschlichen Geist, denn — mens sana in corpore sano. Antrittsrede des Hrn. Rugner. Der Leinız-Tag gibt nach alter Sitte den neuberufenen Mitglie- dern der Akademie das erstemal Gelegenheit zu öffentlicher Rede. Indem ieh die Aufnahme in Ihre Körperschaft mir zur hohen Ehre rechne, müssen meine ersten Worte an dieser Stelle Worte des Dankes sein für die Auszeichnung und Anerkennung, die Sie mir erwiesen haben. Der heutige Tag stellt mir aber auch die Aufgabe, den Ent-_ wicklungsgang meiner wissenschaftlichen Tätigkeit in Kürze darzulegen. Die Neigung zu experimenteller Arbeit führte mich in die physio- logischen Laboratorien von Karr Vorr zu München und Karı Lupwie in Leipzig; erst später, als mir die Berufung auf einen hygienischen Lehrstuhl angeboten worden war, trat ich in dieses Fach über. Der Anfang meiner akademischen Studien fiel in die Ausläufer jener Periode, in der Justus von Liesıs durch seine chemischen Briefe in weiten Kreisen der Gebildeten den Sinn für naturwissenschaft- liches Denken geweckt, namentlich aber durch seine physiologisch- chemischen Arbeiten hochbedeutende Fortschritte in der Medizin an- gebahnt und durch seine Ideen über Leben und Ernährung befruch- tende Impulse gegeben hatte. Da war auch in der Physiologie nach langem und bewegtem Streit über Lirrıss Ernährungstheorien die besondere Epoche einer experimentellen Ernährungslehre angebrochen, die sowohl wegen ihrer wissenschaftlichen Erfolge als auch wegen der praktischen Tragweite ihrer Ergebnisse eine unverkennbare Anziehungskraft ausübte. Meine Tätigkeit als Experimentator nahm von da ihren Ausgangspunkt. Sie führte mich alsbald auf ein Problem, das durch die Aussicht allge- meinster Anwendung eine hohe Bedeutung besaß, nämlich auf die Erkenntnis der Tatsache, daß alle organischen Nahrungsstoffe für ge- wisse Zwecke der Lebenserhaltung sich in solchen Gewichtsmengen, welehe gleichen Summen von Spannkraft entsprechen, ersetzen. Antrittsreden und Erwiderungen. 629 Die Ernährungslehre, die bisher nur die chemische Art der Stoffe in Betracht gezogen hatte, mußte jetzt auch mit physikalischen Ver- hältnissen, mit dem Kraftinhalt der Stoffe als bedeutungsvollen Eigen- schaften rechnen, gewann aber damit die Möglichkeit, Leistungen ver- schiedener Nährstoffe in dem gemeinsamen Maß der Wärmeeinheiten als Gesamtleistung des Organismus zusammenzufassen und sich von den vielfach zufälligen oder willkürlichen Verschiedenheiten der Nahrungs- zufuhr freizumachen. Noch fehlte es aber an exakten Angaben über die Verbrennungswärme der Nahrungsstoffe und anderer physiologisch wichtiger Körper. Indem ich diese Lücke durch kalorimetrische Mes- sungen ausfüllte, erhielt die Physiologie und vor allem auch die klinische Medizin durch Berechnung des im Ernährungsprozesse sich vollziehenden Energieverbrauchs ein wichtiges Mittel zu vergleichen- den Feststellungen über die Ernährung des Menschen in gesunden wie krankhaften Zuständen. Bei näherer Betrachtung des Energieverbrauchs des Menschen wie der Tiere bin ich dann mit einem weiteren, innerhalb jeder Spezies gültigen Gesetze bekannt geworden, mit dem Gesetze, daß sich der Kraftwechsel bei verschieden großen, ausgewachsenen oder auch wachsenden Individuen nicht der Masse, sondern der Oberfläche proportional verhält. Ja, es ist dies offenbar ein Organisationsprinzip der Warmblüter überhaupt, wie man durch Vergleich verschiedener Spezies untereinander nachweisen kann. In diesem Gesetze liegt zu- gleich der Beweis der innigen verwandtschaftlichen Beziehungen unter den Warmblütern begründet, da es nichts anderes besagt, als daß die lebende Substanz aller dieser Organismen unter gleichen physio- logischen Bedingungen den gleichen Energieverbrauch besitzt. Alle diese Ergebnisse fußen auf der stillschweigenden Voraus- setzung von der Gültigkeit des Gesetzes von der Erhaltung der Kraft auch für die lebenden Organismen. Experimentell bewiesen aber war der Satz damals nicht. Ja, seit der Zeit, als Durons und DesprETZ zur Lösung einer im Jahre 1824 von der Pariser Akademie gestellten Preisaufgabe es unternommen hatten, die Frage zu prüfen, ob alle tierische Wärme von chemischen Prozessen herrührt und dies nach ihren experimentellen Ergebnissen negieren mußten, war ein weiterer Angriff auf das Problem nicht mehr unternommen worden. Es ist mir aber durch die Verbesserung der Untersuchungsmethoden, speziell dureh Herstellung eines Apparates, mit welchem die von einem Tiere erzeugte Wärme sicher gemessen werden konnte, im Jahre 1891 ge- lungen, den Beweis zu erbringen, daß die den tierischen Organismus verlassenden Energiesummen genau den aus Nahrungs- oder Körper- stoffen freiwerdenden Mengen derselben gleichkommen. 630 Öffentliche Sitzung vom 4. Juli 1907. Die Warmblüter und der Mensch besitzen Sommer und Winter, in den Tropen wie in der Polarzone, eine gleichbleibende Körper- temperatur. Dieses Wärmegleichgewicht kann, wie man durch Unter- suchungen der Lunwisschen Schule und durch PrrüsEer wie Vor er- fahren hatte, durch Regulierung der Wärmeerzeugung erhalten werden. Die Organismen, und darunter vor allem der Mensch, verfügen aber noch über andere, die Wärme regulierende Mittel. Meine Unter- suchungen führten mich zur Erkenntnis, daß die Änderung der Haut- temperatur und der Wasserverdunstung einem zweiten gerade beim Menschen vorkommenden Regulationstypus entsprechen. Die Wärmeregulation hat den Kampf mit den Einwirkungen der Außenwelt, wie er sich in den klimatischen Verhältnissen so mannig- faltig und für die Gesunderhaltung in so bedeutungsvoller Weise aus- prägt, durchzuführen. Ich habe daher auch die hygienisch so wichtigen Beziehungen der Luftwärme, Sonnenstrahlung, des Windes, der Luft- feuchtigkeit sowohl mit Bezug auf die Wärmebildung im allgemeinen als auch im Hinblick auf die dadureli bedingten Ansprüche an die Wärmeregulation geprüft und auch das wichtigste Mittel im Kampfe mit dem Klima, die Kleidung, nach ihren physikalischen Eigenschaften - und hygienischen Wirkungen untersucht. Wenn schon durch die Studien des Energieverbrauchs beim Warm- blüter, ja auch bei den Kaltblütern, ein tieferer Einblick in gewisse Grundzüge der biologischen Vorgänge geschehen war, so wurde durch die in meinem Fache gelegenen engeren Berührungen mit der Klein- lebewelt mein Interesse auch den einzelligen Wesen zugewandt. Das Leben der Bakterien bot so Eigenartiges, daß man anfänglich fast daran zweifelte, einem Zelleib mit analogem Aufbau wie bei anderen Wesen gegenüberzustehen, und ihre Zellarbeit schien sich in unge- heuerlichen Wachstums und Vermehrungsvorgängen zu erschöpfen. Die örnährungsweise war so bunt und wechselnd wie die Zahl der Spezies und das ewig schwankende Bild ihrer Lebensbedingungen. Und doch konnte man sich fragen, bieten nicht gerade ihre Stoffwechselgleichun- gen durch das Leben ohne Sauerstoff und durch die eigenartigen Gärungsvorgänge an sich eine Bestätigung dafür, daß die sonst im Reiche des Lebenden weitest verbreiteten Oxydationsspaltungen der Nahrungsstoffe nur den konkreten Fall maximalster Verwertung latenter Spannkräfte darstellen, daß aber Kräfte auch anderweitig aus belie- bigen Spaltungen ohne Oxydation gewonnen werden können? All dies legte den Gedanken nahe, über die Ernährungsphysio- logie der Warmblüter hinaus auf das Gebiet der Mikroorganismen vorzudringen, um auf diese Weise zu einer vergleichenden Stoffwechsel- physiologie zu gelangen. Dann mußte man aber auch alle Gesichts- Antrittsreden und Erwiderungen« 631 punkte, die uns dort im Experiment geleitet hatten, auf diese kleinsten Wesen übertragen. Die Schwierigkeiten einer experimentellen Bearbeitung schienen anfänglich unüberwindbar, doch ist es mir schon in den letzten Jahren möglich geworden, die Wärmebildung und sonstige Ernährungs- vorgänge bei den Mikroben durch neue Methoden ebenso zu studieren, als handle es sich nieht um mikroskopische Wesen, sondern um irgend welche Ernährungsprobleme bei Menschen und Tieren. Wir blieken in eine fremde Welt hinein, was die Größenverhält- nisse dieser Prozesse und vor allem das Wachstum anlangt, aber in vielen Dingen erkennen wir doch die Grundzüge, die bei den höheren Tieren vorkommen, wieder, Gesetzmäßigkeiten, die das Leben in den verschiedenartigsten morphologischen Substraten als eine Einheit be- trachten lassen. Manche Erscheinungen, deren Aufklärung bei den höheren Organismen fast unlöslich dünkt, wie die des Wachstums, erfahren durch die bei den Mikroben beobachteten Vorgänge, eine schärfere Deutung und Erklärung. Indem ich hoffe, daß es mir gelingen möge, soweit meine Kräfte es erlauben, auf diesem Wege auch in Zukunft der Wissenschaft einige Dienste zu leisten, sehe ich in dieser Tätigkeit zugleich die einzige Möglichkeit, Ihnen den Dank für meine Wahl als Mitglied der Aka- demie zum Ausdruck zu bringen. Erwiderung des Sekretars Hrn. WALpever auf HH. Orrn und Rusner. Durch die weitschauende Fürsorge ihres Hohen Protektors, Sr. Majestät des Königs, ist die Akademie seit dem Eintritt in ihr drittes J S Saeculum in den Stand gesetzt worden, berufene Vertreter neuer, in- zwischen machtvoll herangewachsener und selbständig gewordener Wissensgebiete in ihre Körperschaft aufzunehmen. Als solche habe fo} ich heute die Ehre, Sie, Hr. Orru und Hr. Rusxer, hier willkommen zu heißen. Obwohl es jedem Akademiker freisteht, zu seinen Mit- teilungen in der Akademie wissenschaftliche Themata zu wählen, welche fo] er will, so hat die Akademie doch den Wunsch, daß alle in ihr Be- reich gehörigen Wissenszweige ihre ausgiebige und regelmäßige Ver- tretung finden. Dies war, wie Sie, Hr. Orrm, mit Recht hervor- gehoben haben, für die pathologische Anatomie und Physiologie tat- sächlich bis jetzt nicht der Fall. Runorr Vırcuow, ruhmvollen An- denkens, war zwar als Vertreter der wissenschaftlichen Pathologie in die Akademie gewählt worden, wie er selbst in seiner am 2. Juli 1874 gehaltenen Antrittsrede und ebenso E. nu Bors-Reynoxp in der Er- 632 Öffentliche Sitzung vom 4. Juli 1907. widerung darauf es bemerken; aber Vırcnow hat nur ganz zu Anfang seiner akademischen Tätigkeit, 1875 und 1876, Mitteilungen patho- logischen Inhalts, über »Encehondrome« und über »Knochenzysten«, gebracht; später, 1396, las Virenow noch über das Thema » Anlage und Variation«, ein Problem, welches sowohl Anatomie, Physiologie und Entwieklungsgeschichte wie die Pathologie, berührt und hat im Jahre 1836 zwei Mitteilungen von Hrn. Arsıng, dessen Forschungs- reise nach Australien von der Hunsorpr-Stiftung unterstützt worden war, über »Lepra« der Akademie vorgelegt. Im 18. Jahrhundert, bis zur Wende desselben, haben freilich die dem Ärztestande angehörigen Mitglieder der Akademie, die zumeist auch Professuren an der da- maligen militärmedizinischen Lehranstalt bekleideten, häufiger Mittei- lungen nicht nur allgemein pathologischen und pathologisch -anato- mischen, sondern auch praktisch medizinischen Inhalts gebracht, so die Anatomen Buppe, J. Fr. MeckeL, J. G. WALTER, später, zu Anfang des ı9. Jahrhunderts, auch noch der Anatom Ruvorrn und die Ärzte ELrEer, RoLoFrr, COTHENIUS, MicnaeL MarrmaAs LunoLrr u. a. Seit einem Jahrhundert indessen sind, wenn wir von den sporadischen, auch von Ihnen, Hr. Orru, angeführten Mitteilungen Jomanses Mürzers und R. Vırcuows absehen, pathologische Arbeiten aus dem Forschungsfelde der Berliner Akademie gänzlich geschwunden. Von Ihnen, Hr. Orru, dürfen wir nun eine regelmäßige Pilege dieses so großen und so überaus wichtigen Zweiges der Biologie er- warten und begrüßen dies als zeitgemäßen und notwendigen Fort- schritt unsrer Tätigkeit. In Ihrer Antrittsrede legten Sie selbst soeben dar, wie die Pathologie durchaus in das Gebiet akademischer Forschung gehöre, und daß der wissenschaftliche Charakter einer Arbeit dadurch nicht geschmälert werde, wenn dieselbe Folgen hat, die dem Gemeinwohle der Menschheit in der Praxis des Lebens nutz- bringend sich erweisen. Ich brauche in dieser Hinsicht auch nur manche der von WERNER von SIEMENS hier gelesenen Mitteilungen anzuführen. Schon als Mitglied unsrer Schwesteranstalt, der Göttinger Ge- sellschaft der Wissenschaften, haben Sie gezeigt, daß Ihre Wissen- schaft sich würdig im Kreise der älteren biologischen Disziplinen vertreten läßt, und was Sie uns als Forscher in Schrift und Wort und in der Einrichtung und Leitung der großen pathologischen An- stalten in Göttingen und Berlin geboten haben, verbürgt eine erfolg- reiche Tätigkeit auch im Schoße unsrer Akademie. Ausgerüstet mit gründlichem, durch eigene Forschung und Arbeit, die auch ihre Frucht gebracht hat, erworbenen Wissen und Können auf den verwandten biologischen Gebieten der Anatomie, Entwicklungsgeschichte und Phy- siologie, Meister in der histologischen Technik, wie es Ihr geschätztes Antrittsreden und Erwiderungen. 633 Lehrbuch erweist, vermögen Sie den ungleich verwickelteren und schwierigeren Aufgaben, welche die pathologische Seite des Lebens stellt, gerecht zu werden, wie das Ihre Forschungen in den ver- schiedensten Kreisen der betreffenden Disziplin erweisen. Da seien nur von Fragen allgemein wissenschaftlicher Art erwähnt Ihre ge- haltvolle Abhandlung über »Entstehung und Vererbung individueller Eigenschaften« und über die »Bedeutung der Erblichkeit in der Pa- thologie«. Diesen schließen sich mit bemerkenswerten Ergebnissen an Untersuchungen auf dem Gebiete der Geschichte der Medizin, be- treffend die Pocken und die Diphtherie. Auf‘ rein pathologischem Gebiete finden wir Sie tätig an den größten und wichtigsten Problemen, die gestellt werden können: in der Entzündungslehre, in dem Gebiete der Tuberkulose und in dem der malignen Neubildungen, insbesondere der Krebsgeschwülste. Vor allem sind es die ätiologischen und pathogenetischen Momente, die Sie fesseln, und hier haben Sie auch der Bakteriologie experimentell Ihre Arbeitskraft gewidmet. Einmal aufgenommene Forschungen führen Sie konsequent weiter und wissen in den schwierigsten Ge- bieten die Fragen scharf zu stellen und scharf zu sondern sowie die Ergebnisse so fest zu begründen, dal sie als dauernder Gewinn der Wissenschaft bleiben. Das Festhalten an dem einmal in Angriff Genommenen, was ich als charakteristisch für Ihre Arbeitsart hervorhob, stellen Sie uns heute für die Tuberkulosefrage in Aussicht; was Sie erreichten, läßt uns noch manche reife Früchte in gemeinsamer Arbeit von Ihnen erwarten, und mit Freuden werden wir es begrüßen, wenn diese auclı der leidenden Menschheit zugute kommen sollten. Ein Vertreter der Hygiene, als den die Akademie heute Sie, Hr. Russer, willkommen heißt, war bis jetzt nicht unter uns. Auch sind Lösungen von Fragen aus dem Gebiete der Hygiene der Aka- demie fast noch niemals vorgelegt worden, es sei denn, daß die Mit- teilung von Coruexıus »Sur les preservatifs les plus efficaces contre la petite verole«, die er 1765 der Akademie machte, und die des Mathematikers Aususr LeoroLn» ÜUrerue: »Über die Mittel und die nötigen Bauwerke zur Reinigung der Städte und zur Versorgung der- selben mit Wasser, mit besondrer Rücksicht auf die Stadt Berlin als Beispiel«, Teil I, die er 1842 las, hierher zu rechnen wären. Mit Ihrem Eintritt in unsre Körperschaft, Hr. Rusxer, vollzieht sich somit eine bis dahin kaum vorgesehene Erweiterung unsres Arbeitsgebiets. Durch R. Kocus glänzende Entdeckungen hatte die Pilege der Lehre von den Mikroorganismen in ihrer Eigenschaft als Krankheitserreger Sitzungsberichte 1907. 64 634 Öffentliche Sitzung vom 4. Juli 1907. einen so großen Aufschwung genommen, daß die Hygiene fast in der Bakteriologie und Protozoologie aufzugehen schien. Gewiß sind hierdurch in wissenschaftlicher wie praktischer Beziehung durch eine Reihe hochbedeutender Forscher Erfolge erzielt worden, wie sie die Geschichte der Medizin lange nicht zu verzeichnen gehabt hat, wenn überhaupt jemals in so kurzer Spanne Zeit. Aber es durfte nicht außer acht gelassen werden, daß sich damit (das weithin sieh erstreckende Gebiet der Hygiene keineswegs er- schöpfte, und daß Aufgaben gleicher Wichtigkeit auch abseits der Forschungsstraße der »Mikrobiontologie« ihrer Lösung harrten, und für diese Arbeit erschienen Sie als in physiologisch-chemischer und physiologisch-physikalischer Forschungsmethode völlig bewanderter Arbeiter seinerzeit den medizinischen Fakultäten in Marburg und Berlin besonders berufen, wie Sie das denn auch alsbald in Ihrer umfassenden Tätigkeit als Forscher und Lehrer in Ihren Universitäts- stellungen bewahrheitet haben. Außer den von Ihnen erwähnten grundlegenden Untersuchungen im Gebiete der Ernährungsphysiologie, welche in dem Hauptwerke »Die Gesetze des Energieverbrauchs bei der Ernährung« niedergelegt sind, lieferten Sie eine nach allen Rieh- tungen hin durchgearbeitete Hygiene der Kleidung, ferner Unter- suchungen über Desinfektion, über den Einfluß verschiedener Wärme- und Liehtstrahlungen, der Feuchtigkeitsschwankungen und der Luft- bewegungen auf den Organismus. Dabei vernachlässigten Sie aber keineswegs die Bakteriologie, wie die Untersuchungen über verschie- dene Wasserbakterien, über die Schwefelwasserstoffbildung bei Bak- terien und die äußerst wichtigen und schwierigen Experimente über die Lebensprozesse der Mikroorganismen es dartun. Die auf dem Boden exakter physikalisch-chemischer Methodik von Ihnen herausgearbeiteten Forschungswege sowie die auf den- selben bereits erreichten Ziele lenkten denn auch die Wahl der Aka- demie auf Sie; wir freuen uns, Sie in unsrer Mitte zu sehen und hoffen, daß die Verbindung mit der Akademie es Ihnen erleiehtern werde, in der Lösung der vorgesteckten großen Aufgaben noch viele schöne und werte Erfolge zu erreichen. Antrittsrede des Hrn. Prnck. Nur acht Jahre sind verstrichen, seitdem von dieser Stelle Fer- DINAND Freiherr von Rıcnrnoren für die auf ihn gefallene Wahl zum Mitgliede dieser Akademie gedankt hat. Wenn mir heute als einem viel jüngeren dieselbe Aufgabe zufällt und ich, dem üblichen Ge- brauche entsprechend, einige Worte über meinen eigenen wissen- Antrittsreden und Erwiderungen. 635 schaftlichen Entwickelungsgang hinzufüge, so geschieht (dies, weil die Akademie dem Nachfolger Rıcırnorens im Amte die Auszeichnung zu Teil werden ließ, ihm auch dessen akademische Stelle anzuvertrauen. Hierin liegt eine Anerkennung der neueren Entwiekelung, die mein Fach nicht zum wenigsten unter dem Einflusse meines hervorragenden Vorgängers genommen hat. Seinem Eingreifen dankt die neuere (reo- graphie das Aufgeben des lange betonten anthropozentrischen Ge- sichtspunktes und die Formulierung ‚als Wissenschaft von der Erd- oberfläche. Dies Aufgeben hat sich ganz allmählich im Laufe der Jahre vollzogen. Äußerlich kommt dies darin zum Ausdrucke, daß Rıcnr- HOFEN, zwar als Mitglied dieser Akademie wenige Tage nach Heisrıcn Kırrerrs Tode bestätigt, nicht dessen Platz einnimmt. Nachdem die Geographie seit Karr Rırrer ihre Stelle unter den Wissenschaften der philosophisch -historischen Klasse gehabt hat, rückt sie mit Rıcmrnorexs Eintritt in die physikalisch-mathematische Klasse, und darin, dal sie nach Rıcnruorens Tode hier belassen wird, spiegelt sich der nach- haltige Einfluß, den die methodische Konzeption meines Vorgängers ausübt. Wie stark der anthropozentrische Standpunkt auch eine Zeitlang in der Geographie betont worden und wie sehr diese auch als eine historische Wissenschaft betrachtet worden ist, so hat doch die Be- schäftigung mit der Erdoberfläche nie aufgehört, den Hauptvorwurf geographischer Arbeit zu bilden. Die Wiedergabe ihrer großen und kleinen Züge durch die Karte war stets eine eminent geographische, durch praktische Notwendigkeiten diktierte Aufgabe. Allein die karto- graphischen Arbeiten haben ihre Vertiefung vornehmlich in der Ver- besserung von Aufnahme und Darstellungsverfahren gesucht und sind über die bloße Feststellung von Tatsachen nieht wesentlich hinweg- gekommen; die Wissenschaft verlangt mehr, sie drängt zur Aufhellung kausaler Beziehungen. Zur Wissenschaft im modernen Sinne des Wortes wird die Geographie erst, wenn sie die Entstehung der Formen der Erdoberfläche in den Kreis ihrer Untersuchung zieht und syste- matisch erörtert, welchen Einfluß die Erdoberfläche auf die auf ihr vonstatten gehenden Erscheinungen nimmt. Die erste Aufgabe be- dingt die überaus enge Fühlungnahme, welche sieh in den letzten Jahrzehnten zwischen Geographie und Geologie sehr zum Vorteile beider Wissenschaften entwickelt hat, denn wie die erstere bei der Erforschung der Erdoberfläche stets auf die darunter befindliche Kruste geführt wird, entschleiert die letztere beim Studium der Kruste immer neue ehemalige Erdobertlächen. Jede Schichtgrenze ist einmal Ober- tläche der starren Kruste, am Meeresboden oder auf dem Lande ge- wesen: welche Deformationen die Erdoberfläche erfahren kann, lehrt 64° 636 Öffentliche Sitzung vom 4. Juli 1907. der Vergleich geographischer und geologischer Forschungsergebnisse. Welche anderweitige Veränderungen die Erdoberfläche durch zerstö- rende Kräfte erfährt, haben Geographen von alters her beschrieben und Geologen eingehend studiert, um zu einem besseren Verständnisse der Gesteinsbildung überhaupt zu gelangen; es nachhaltig weiterzu- tun, ist dem Geographen unerläßlich, wenn er klaren Einblick in die sukzessive Formveränderung der Erdoberfläche gewinnen will. Kein Wunder daher, wenn zahlreiche neuere Geographen auf geologischem Boden wurzeln, wie vor allem Freiherr vox RıciruorEn. Auch ich habe als Geologe begonnen. Mit bleibender Dankbar- keit empfinde ich, was ich meinen Lehrern auf diesem Gebiete danke. FeErnınann Zırker erschloß mir das Verständnis der Gesteine, welche die Erdkruste bilden: oft habe ich bei meinen eigenen Arbeiten seiner anregenden, in Inhalt und Form gerundeten Vorlesungen gedacht. Hermann ÜREDNER drängte mich zur Betätigung als Beobachter und gewährte mir in früheren Jahren durch Verwendung bei der geolo- gischen Aufnalıme Sachsens die Gelegenheit dazu; wenn ich meine eigenen Schüler immer aufs neue veranlasse, sich in der Beobachtung im Felde zu üben, so ist es der Nachhall des von ihm empfangenen - Impulses. Eine Exkursion, die ich 1876 mit Epvarn Suess in die Alpen machen konnte, führte mich in diese Hochschule der Erdkunde ein, wo ich dann durch Jahrzehnte gearbeitet habe, und eröffnete mir die Bedeutung der Probleme der Gebirgsbildung. Es hat mich mit hoher Genugtuung erfüllt, durch beinahe zwei Jahrzehnte in Wien neben jenem Meister der Geologie als Geograph wirken zu können. Dort auch hatte ich das Glück, den befruchtenden Gedankenaustausch mit Mercnıor NEUMAYR genießen zu können. Zuvor hatte Karı von ZirteL, dessen frühes Ende ich mit so vielen beklage, meinen Blick von der Paläontologie, wegen deren Studium ich zu ihm gekommen, auf die Geographie gelenkt und mich auf die Richtung gewiesen, die auch mein Vater immer für meinen Werdegang gewünscht hatte, die aber von Anfang an zu betreten bei der damaligen Lage der Geo- graphie als akademisches Lehrfach mir nieht möglich war. Die Formen der Erdoberfläche, ihr Entstehen und Vergehen, haben mich von Jugend an beschäftigt und den eigentlichen Kern- punkt meiner Studien gebildet. Lyeuıs Prineiples of Geology er- schlossen mir die einschlägige Bedeutung allmählicher Veränderungen, GiLsertrs Henry Mountains den Einblick in die morphologische Pro- blemstellung, Hrms Untersuchungen über den Mechanismus der Gebirgsbildung das Gegeneinanderwirken von Krustenbewegung und Massentransporten, v. Rıcnruorens Darstellung von Asien kontinen- tale Probleme. Eine meiner ersten Arbeiten behandelt die Formen Antrittsreden und Erwiderungen. 337 der Erdoberfläche; ich habe sie als junger Student geschrieben und Fräulein Auguste de Wilde, einer Dame, gewidmet, welche in hoch- herziger Weise vieles, auch meine Studien, förderte. 1882 habe ich die Studie in umgearbeiteter Weise veröffentlicht. Sie wurde Veranlassung, daß mich Friedrich Ratzel aufforderte, den gleichen Gegenstand in seiner Bibliothek geographischer Handbücher zu be- handeln. Es hat mehr als ein Jahrzehnt gebraucht, bis meine Mor- phologie der Erdoberfläche erscheinen konnte. Dies Werk versucht den früher von Geographen gepflegten, morphographischen oder oro- graphischen Standpunkt mit einer auf geologiseher Grundlage wurzeln- den genetischen Auffassung zu verquicken: ich finde heute, daß ich zuviel morphographischen Ballast aufgenommen und das Geologische zu stark betont habe, indem ich mehr von Strukturen als von Formen sprach. Ich habe zuviel Gewicht auf das Starre und zu- wenig auf das Veränderliche der Gestalt gelegt. In späteren Einzel- untersuchungen habe ich mich bemüht, mehr der Goetheschen Auf- fassung der Morphologie gerecht zu werden, und, um zum leben- digen Anschauen der Natur zu gelangen, mich selbst so beweglich und bildsam zu erhalten, nach dem Beispiele, mit dem sie mit uns vorgeht. Außerordentlich viel danke ich in dieser Riehtung den Ar- beiten meines Freundes Wırzıam M. Davıs, mit dem zusammen zu sein auf dieser oder der anderen Seite des Ozeans mir immer ein hohes Vergnügen gewesen ist. Sein »geographischer Zyklus« ist die Anbahnung einer wirklich genetischen Morphologie; denn es genügt nicht, zu sagen, wie diese oder jene Form entstanden ist, sondern zu ihrem vollen Verständnis ist nötig, zu wissen, wie sie sich in eine Entwickelungsreihe fügt. Damit ist dann auch ihre systematische Stellung gegeben. Die volle Erreichung einer solchen genetischen Morphologie setzt aber voraus, daß wir nicht bloß die Aufeinander- folge von Formen der Zerstörung kennen; wir müssen auch gleiches von den Formen wissen, die die Krustenbewegung schafft. Zur Erreichung dieses Zieles ist es in erster Linie nötig, zu erkennen, welche Obertlächenveränderungen jene Bewegungen nach sich ziehen, die bestimmte Strukturtypen schaffen; heute läßt sich nur so viel mit Sicherheit sagen, daß wir häufig nicht an eine Konkordanz zwischen Struktur und der dazugehörigen ursprünglichen Oberfläche denken dürfen. Eng stehende überschlagene Falten können nie an der Erdoberfläche bestanden haben. Eine gewisse Spezialität meiner Studien hat von jeher die Eis- zeit gebildet. Veranlassung dazu hat die Lage meiner Vaterstadt Leipzig geboten, in deren Umgebung der beginnende Geologe erra- tische Blöcke sammelte und Aufschlüsse untersuchte. Die Auffindung 638 Öffentliche Sitzung vom 4. Juli 1907. eines Gletscherschliffes auf dem Porphyr von Taucha bei Leipzig er- schütterte meinen Glauben an die damals herrschende Drifttheorie. Eine Studienreise durch Norddeutschland und Skandinavien machte mich zum Anhänger der Gletschertheorie; Diskussionen mit Anmunn Herranp und das Studium von James Grikıes Great Ice Age lehrten mich, das Gesehene unter der Annahme verschiedener Eiszeiten zu verstehen. Eine Preisaufgabe der Münchener Universität, von Zırreu gestellt, förderte meine Neigung, mich auch im Süden Deutschlands mit Eiszeitbildungen zu beschäftigen, und ein Preisausschreiben der Sektion Breslau des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins, auf Anregung von Josern Parrscn ergangen, hat mich in Wien ver- anlaßt, auch von dort aus meine freie Zeit der Erforschung der Alpeneiszeit zu widmen, wobei ich seit 20 Jahren Hand in Hand mit meinem ältesten Schüler und nunmehrigen Freunde EpuAarn BrÜcKNER gehe. Die anhaltende Beschäftigung mit dem Eiszeitproblem hat mir persönlich den großen Reiz geboten, neben meiner akademischen Lehrtätigkeit mich der Erforschung der Natur zu widmen. Es handelt sich dabei um das Eindringen in eine großartige, der Ver- . gangenheit unseres Planeten angehörige Erscheinung, welche ihre Spuren auf das tiefste in die Oberflächengestalt der Länder ein- gegraben hat, und für deren Verständnis der stete Vergleich mit heutigen Verhältnissen unerläßlich ist. Das Ziel ist die Rekonstruktion aller geographischen, sowohl morphologischer wie klimatischer Zu- stände einer verflossenen Zeit. Hierfür die nötigen Grundlagen durch genaue Beobachtung zu schaffen, und daraus unter Verwendung des genannten Rüstzeuges geographischer Erkenntnis Schlußfolgerungen zu ziehen, das eine unter Aufbietung körperlicher Kräfte, das andere durch intensive geistige Tätigkeit, hat mir anhaltenden, großen Genuß bereitet; die Arbeit ist angespornt worden durch die Überzeugung, daß die Gewinnung einer Chronologie des Eiszeitalters und die Auf- hellung der Ursachen seiner klimatischen Schwankungen dazu führen kann, absolute Zahlenwerte wenigstens für die Größenordnung des letzten geologischen Zeitraums zu gewinnen; Ausblicke, die sich dann und wann auf das Alter des Menschengeschlechts ergaben, haben dadurch den Reiz gewonnen, Vorstellungen von der Dauer mensch- lieher Kultur erhalten zu können. Sind die einschlägigen Unter- suchungen auch noch nicht abgeschlossen, so hat doch jede neue Schätzung der Dauer des genannten Eiszeitalters mit seinen vier Eis- zeiten ergeben, daß dieselbe nur nach Hunderttausenden von Jahren zu messen ist; dabei sichern neuere Funde das Ergebnis, daß der Mensch schon Zeuge der vorletzten Eiszeit gewesen ist. Antrittsreden und Erwiderungen. 639 Die Versuche einer allseitigen Rekonstruktion früherer geogra- phischer Zustände beruhen auf der Korrelation einzelner geogra- phischer Erscheinungen, die uns allenthalben entgegentritt. Ober- tlächengestalt, Klima, Pflanzenkleid und Tierwelt eines Landes stehen in inniger Weehselbeziehung zueinander: Änderungen in einem haben solche in allem andern zur Folge. Es bieten daher die einzelnen Länder ganz bestimmte Bilder. Diese zu zeiehnen und die statt- findende Korrelation aufzudecken, erscheint mir heute als die eigent- liche Aufgabe der Länderkunde. Diese Konzeption weicht nicht un- erheblich von derjenigen ab, die mich vor 20 Jahren bei Abfassung meiner Jänderkundlichen Arbeiten, insbesondere über das Deutsche Reich, geleitet hat. Durchdrungen von der Überzeugung, daß alles in Entwieklung begriffen ist, habe ich damals den Boden Deutsch- lands als Endergebnis jener geologischen Entstehungsgeschichte, die Verteilung seiner Bewohner als die Folge ihrer geschichtlichen Ent- wicklung geschildert. Ich habe den gegenwärtigen Zustand gewisser- maßen als Querschnitt gezogen durch einen lebenden Stamm. Heute würde ich die geographische Korrelation in den Vordergrund stellen und zeigen, wie die Phänomene gegenwärtig unter sich zusammen- hängen. Es ist mir nicht vergönnt gewesen, diesen Gesichtspunkt selbst praktisch zu verwerten und mich durch eigene Arbeit neuer- dings zu beteiligen an dem jetzt eifrig erörterten Probleme geogra- phischer Länderbeschreibung. Ich habe mich beschränken müssen, auf diesem Gebiete als akademischer Lehrer auf die Jugend zu wirken, und mit Freude erfüllt mich, daß aus dem Kreise meiner Wiener Schüler Arbeiten hervorgegangen sind, welche die länderkundliche Darstellung wenigstens für kleinere Gebiete in dem Sinne behandeln, wie ich sie für größere gern selbst versuchen würde. Die Pflege länderkundlicher Arbeiten ist unerläßlich für den Geo- graphen; sie bilden für ihn den Prüfstein seiner geographischen Ge- samtauffassung, seines geographischen Systems. Wie befruchtend aber für die Pflege der neueren allgemeinen Geographie gewesen, daß die Erdoberfläche als ihr eigentlicher Vorwurf erkannt wurde, in der Länderkunde ist dieser Gesichtspunkt noch nicht durchaus zu Recht sekommen. Die Ursache dafür liegt sachlich in der Tatsache, daß die schöne Korrelation geographischer Einzelerscheinungen, welche uns in weiten unbewohnten oder dürftig besiedelten Gebieten entgegen- tritt, durch das Eingreifen des Menschen förmlich zerstört wird. Er dezimiert das jagdbare Wild und ersetzt es durch Nutztiere, er rodet die Wälder, nimmt ihren Boden unter den Pflug und bebaut ihn mit Pilanzen. Er reguliert Flüsse, legt Sümpfe trocken, bewässert trok- kene Ländereien, und deicht Küsten ein. Das Aussehen ganzer Länder 640 Öflentliche Sitzung vom 4. Juli 1907. gestaltet er um und drückt ihnen den Stempel seines Willens auf. Kein Wunder daher, wenn er auch jetzt noch das Zentrum landeskundlieher Schilderung geblieben ist. Allein, jene Umgestaltung ist so beschränkt, wie der Willen, der sie bewirkt. Im Grunde genommen handelt es sich bei jeder Kulturarbeit nur um die Selbsterhaltung. Das Nah- rungsbedürfnis fesselt den Menschen an die Scholle, und kann er seine Wohnstätte um so mehr von seiner Nährfläche räumlich trennen, über je ausgedehntere Verkehrsmittel er verfügt, er kann sich nie von ihr unabhängig machen, und ist in ihrer Ausnutzung beschränkt durch ihre natürliche Beschaffenheit, welche immer nur bestimmte Arten von Kulturen gestattet. Diese Abhängigkeit von der Scholle Land für Land klarzulegen, erscheint mir als die wahre Anthropo- geographie; ihre Pflege erheischt durchaus nicht die Beibehaltung einer anthropozentrischen Konzeption in der Geographie, sondern streng naturwissenschaftliche Behandlung. Der letzteren stellt sich auf länderkundlichem Gebiete auch for- mell eine Schwierigkeit entgegen. Nur für Darstellung kleinerer Länder ist möglich, daß der Geograph durchaus die eigene Beobachtung zu- grunde legt, je größer der Vorwurf, desto mehr ist er auf die Ver- wertung der Ergebnisse anderer angewiesen, und eine Schilderung der gesamten Erdoberfläche wird stets auf der systematischen Ver- arbeitung zahlreicher Quellen beruhen müssen. In der Methode wird dann die Arbeit des Geographen sehr ähnlich der des Geschichtsschreibers; die enge Fühlung, welche seit den Zeiten Herodots zwischen dem Greographen und dem Historiker bestand, beruht nicht zum geringsten hierauf. Allein, während der Historiker bei Behandlung entlegener Epochen der Geschichte ganz auf seine Perzeption angewiesen ist, die ihm die Quellen belebt, und er lediglich in deren Penetration und Kritik Mittel der Kontrolle besitzt, kann der Geograph heute die Vorstellungen, die er sich von fernen Ländern auf Grund gewissen- hafter literarischer Studien nach streng historischer Arbeitsmethode macht, durch Autopsie auf ihre Richtigkeit prüfen und seine wissen- schaftliche Phantasie an der Hand von Beobachtungstatsachen bilden. Die hochentwickelten Mittel des Weltverkehrs sind es, die den Geogra- phen mehr und mehr gestatten, ein Bild der Erde in ähnlicher Weise zu zeichnen, wie der Naturhistoriker ein Gesamtbild des Pflanzen- reiches oder Tierreiches entrollt: durch Verarbeitung der vorhandenen Quellen mit einer durch eigene Anschauung geschulten Kritik. So bleibt noch viele Arbeit zu leisten, um die Geographie in allen ihren Zweigen zu einer wirklichen Lehre von der Erdoberfläche auszugestalten. Noch ist in kühnem Wurfe ein Bild von der Erd- oberfläche zu zeichnen, das mit einem Male die methodischen Schwierig- Antrittsreden und Erwiderungen. 6Al > keiten behebt, an denen die Länderkunde heute noch krankt. Aber so sehr die Entwicklung der Wissenschaften dureh die Impulse von (Genies vorwärts getrieben wird, so wenig kann man auf ihr Ein- treten rechnen. Nicht vergeblich wird daher die Arbeit des Kärrners sein, der, Baustein auf Baustein herbeischleppend, zunächst Teilauf- gaben der länderkundlichen Darstellung löst und Einzelfunktionen der Erdoberfläche untersucht. Die ehrenvolle Wahl zum Mitgliede dieser Akademie ist mir ein mächtiger Antrieb, mich weiter zu betätigen auf dem großen Felde der Geographie, und ich werde es tun unter Aufbietung aller meiner Kraft und Begeisterung für das Fach. Allein, ich muß damit rechnen, daß die Summe dienstlicher Aufgaben, die mir hier in Berlin zuge- fallen ist, für mich eine sehr starke Inanspruchnahme bedeutet, und etwas von mir verlangt, für das ich mich mit ganzer Kraft einsetzen muß, nämlich Mitwirken an der Erziehung des Deutschen Volkes, indem ich seinen Blick auf das ländertrennende und völkerverbindende Weltmeer lenke.. Wie auch der Widerstreit der Pflichten ausfallen wird, wie auch sich in Zukunft die Bilanz zwischen meinem Wollen und Können gestaltet: bleibend wird sein meine Dankbarkeit für die Wahl, durch die Sie mich auszeichneten! Antrittsrede des Hrn. F.W.K. Mürrer. Für die hohe wissenschaftliche Auszeichnung, welche die Berufung in diesen Kreis hervorragender Gelehrter bedeutet, spreche ich der Akademie meinen wärmsten Dank aus. Da diese Ehrung meinen schwachen wissenschaftlichen Leistungen kaum gelten kann, sondern eine Anerkennung und Würdigung einer bisher nicht vertretenen mu- sealen wissenschaftlichen Richtung bedeutet, so möge es mir vergönnt sein, einen Blick auf meinen Werdegang zurückzuwerfen und einige Worte über die gesteckten Ziele zu sagen. Ein gütiges Geschick hat es gewollt, daß ich vor nunmehr 20 Jahren unmittelbar von der Universität, wo ich neben theologi- schen den orientalischen Studien, vor allem unter der Führung SacnAaus obgelegen hatte, in das damals neugegründete Museum für Völker- kunde als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter eintreten, die Arbeiten und Geschicke dieses Hauses teilen und das gewaltige Wachstum dieses in seiner Art einzigen Instituts miterleben durfte. Wenn auch der damalige Direktor Basrıay keine positive An- leitung auf dem Gebiet der Erforschung der asiatischen Kulturen gab, so muß doch rühmend hervorgehoben werden, daß er einen jeden als Mitarbeiter durchaus unabhängig gewähren und nach seiner Eigen- 642 Öffentliche Sitzung vom 4. Juli 1907. art arbeiten ließ, sobald er von dem wissenschaftlichen Ernst des Betreflenden überzeugt war. In medias res wurde der Neuling ge- führt, dem in den Kellern des Museums die Arbeit des Siehtens der ethnologischen Ausbeute von — man möchte sagen wiederent- deekten — tropischen Inseln oblag; überall starrten ihm die exo- tischen. Bezeichnungen aus auch dem Namen nach unbekannten, alfurischen Dialekten entgegen und verlangten wissenschaftliche Be- wältigung. So arbeitete ich 1892 die von den Reisenden Jacogsen und Künn mitgebrachte ethnologische Sammlung durch und suchte in der ver- wirrenden Fülle der Originalangaben wenigstens nach einer Seite hin, der religiösen, etwas Klarheit zu schaffen. Mein Bestreben war, durch Nachprüfen der sprachlichen Angaben mit Hilfe der reichen lingui- stisehen und ethnographischen Literatur der Holländer von den mehr oder minder unrichtigen Behauptungen der Reisenden unabhängig zu werden. Schon bei dieser Erstlingsarbeit wurde mir klar, wie reich an Mißverständnissen die ethnographischen Mitteilungen sprachlich ungeschulter, wenn auch sonst fleißiger und gutwilliger Reisender sind, auf wie schwachen Füßen daher die ganze Ethnologie stehe. Noch mehr bestärkten sich diese Anschauungen, als ich im folgenden Jahre die Beschreibung einer sumatranischen Sammlung herausgeben durfte, deren sprachliche und kulturgeschichtliche Durchmusterung mir das ungeheure Überwiegen der indischen Kulturelemente über- raschend zum Bewußtsein brachte. Mit Freuden ergriff ich denn auch wenige Jahre später die Gelegenheit, die überaus wertvollen samo- anischen, von O. Sturger gesammelten und übersetzten Texte heraus- zugeben, nachdem es mir gelungen war, Bastian zu überzeugen, daß die Sicherung derartiger Zeugnisse von sogenannten Naturvölkern eben- sogut zu den Aufgaben eines ethnologischen Museums gehöre als das Sammeln von Keulen und Matten, zumal bald die Zeit zur Bergung authentischer Dokumente bei schriftlosen, der europäischen Zivilisation ausgesetzten Völkern überhaupt für immer vorbei sein wird. Die neuen, beständig wechselnden Aufgaben, die durch das un- gewöhnlich schnelle Anwachsen der Museumssammlungen gezeitigt wurden, hatten mir inzwischen Gelegenheit gegeben, mein Lieblings- studium, das der Sprachen und der Kultur Ostasiens, wieder aufzu- nehmen. Der damals durch die Königliche Bibliothek abgeschlossene Ankauf der berühmten Hmrnschen Polyglotte Hua-i-yi-yü und die von Hırrn angeregten Probleme bezüglich der Pa-yi- und Pah-poh- Sprachen veranlaßten mich, das Studium des Siamesischen und der andern Tai-Dialekte zu unternehmen. Dazu kam die Erwerbung einer hervorragenden siamesischen Schattenspielsammlung, welche die An- Antrittsreden und Erwiderungen. 643 regung zur Entziflerung eines siamesischen Sehattenspieltextbuches gab, das sich als Bruchstück des berühmten Ramayana-Epos erwies. Während ich daneben dem Studium des Chinesischen und Japa- nischen, des Griechischen und des Lateins des Ostens, wie man es wohl genannt hat, oblag, flossen inzwischen dem Museum immer größere und bedeutendere Sammlungen aus Ostasien zu und reizten die Wißbegier. Seit der Gründung des Orientalischen Seminars konnte ich ferner die mündliche Unterweisung von Chinesen genießen. Da- mals bewog mich auch die immer stärker werdende Überzeugung, daß aus den leicht zu beschaffenden japanischen Quellen viel Neues zur wissenschaftlichen Erkenntnis Ostasiens gewonnen werden könnte, dazu, das Japanische privatim von Eingeborenen zu erlernen. “ine wesentliche Förderung meiner Studien bedeutete der ehren- volle Auftrag des Hohen Kultusministeriums, in der letzten Zeit des Boxeraufstandes in China die Interessen unsers Museums an Ort und Stelle wahrzunehmen. Manches wertvolle Gut konnte ich noch, be- sonders auf lamaistischem Gebiete, retten und als vorläufig noch un- ausgebeuteten Gewinn im Museum aufspeichern. Diese Reise, die mich auch nach Korea und Japan führte, erteilte mir den für die Beur- teilung jener fremden Kulturen unerläßlichen, lebendigen Anschauungs- unterricht. Es war eine wohl nie wiederkehrende Gelegenheit, die sonst streng abgeschlossenen Paläste und Tempel der Hauptstadt des uralten chinesischen Kulturvolks studieren zu dürfen. In jenen krie- gerischen Zeiten vermochte man innerhalb weniger Monate mehr Er- fahrungen und Eindrücke zu sammeln als sonst in Jahren. Die gewonnenen Resultate konnte ich leider nur in kleineren Ar- beiten niederlegen, denn die Museumsarbeit gewährt wenig wissen- schaftliche Muße, zumal wenn zur Bewältigung der täglichen Geschäfte äußerst wenig Kräfte vorhanden sind, von denen überdies encyklo- pädisches Wissen verlangt wird. An eine weitgehende Arbeitsteilung wie in älteren wohlfundierten Wissenschaften ist hier noch nicht ge- dacht worden. So muß man sich begnügen, unter Verzicht auf be- hagliches Ausführen, wie auf andern wohlbearbeiteten Feldern möglich, dem Nachfolgenden in kurzen Abhandlungen Ergebnis und Ziel zu weisen. Im Ganzen ging meine museale Betätigung dahin, im Anschluß an die Bestrebungen der Indischen Abteilung nach wissenschaftlicher Methode, d.h. durch Sammlung geeigneter Gegenstände und Benutzung der asiatischen Literaturen, den Beweis für die west-östlichen Kultur- zusammenhänge zu führen, im Gegensatz zur einseitigen, der wechseln- den Moderichtung unterworfenen bloß ästhetischen Bewertung ost- asiatischer Objekte. Zum Beharren auf diesem Wege ermutigt die 644 Öffentliche Sitzung vom 4. Juli 1907. Wahrnehmung, daß die wenigen zuverlässigen Pfeiler in der Erfor- schung der Kultur- und Kunstgeschichte Ostasiens bisher nur auf rein sprachlicher bzw. archäologisch-philologischer Basis, wie z.B. durch Hırvı, errichtet worden sind. Die so gewonnenen Resultate werden in der eindringlichen Sprache der Objekte selbst auch zu weiteren Kreisen reden, sobald erst einmal der Raumnot der asiatisch -ethno- logischen Abteilung abgeholfen sein wird. Über das jüngste Stadium meines Studiengangs, die sprach- liche und literarische Erforschung des aus dem Wüstensande Inner- asiens dureh die Turfanexpeditionen heimgebrachten Materials, kann ich hinweggehen, da ich gerade Ihrem Forum die ersten Arbeits- früchte vorlegen durfte. Es soll mein Ziel sein, durch rastlose Arbeit auf diesem teil- weise noch dunkeln, aber vielversprechenden Gebiete mich der hohen, durch die Aufnahme in die Akademie erwiesenen Ehre würdig zu erzeigen. Erwiderung des Sekretars Hrn. DırrLs auf Hrn. Mütter. Die Akademie freut sich, daß durch Sie, Hr. Mürter, eine emp- findliche Lücke unsers wissenschaftlichen Organismus endlich aus- gefüllt worden ist. Wenn wir es bedauern mußten, daß die durch Scuort und VON DER GABELENTZ bei uns begründete ostasiatische Phi- lologie längere Zeit hindurch unvertreten blieb, so begrüßen wir Ihren Eintritt jetzt mit besondrer Genugtuung. Sie bringen zu der sprach- lichen Schulung Ihrer beiden Vorgänger noch eine höchst wertvolle reale Ausbildung mit, wie sie Ihnen eine zwanzigjährige, an Mühen und Erfolgen reiche Museumstätigkeit verliehen hat. Sie erfüllen da- mit eine Forderung, die sich auch bei den übrigen Disziplinen der Philologie, von der klassischen angefangen, allmählich durchzusetzen beginnt, daß nur diejenige Art der Sprachbetrachtung den Aufgaben der Wissenschaft voll genügen kann, die Sprachliches und Sachliches in gleicher Weise zu berücksichtigen versteht. Aus dieser Verbindung historischer und archäologischer mit linguistischer Forschung, die sich bei Ihnen von Palästina bis Japan und Samoa erstreckt, erklärt sich der aufsehenerregende Erfolg Ihrer Arbeiten. Freilich, die ungewöhnliche Vielseitigkeit Ihrer Interessen und Kenntnisse, und die Zersplitterung der Arbeit, die mit der musealen Beschäftigung fast notwendig verbunden ist, birgt zwei Gefahren in sich. Die erste ist, auf Spezialgebieten zuweilen auf Abwegen zu geraten, und die zweite, größere, den angebornen und erworbnen reichen Schatz von Wissen und Können nur in kleiner Münze aus- zugeben und zu verzetteln. Antrittsreden und Erwiderungen. — Leınnız- Medaille. 645 Wenn Sie, geehrter Herr Kollege, nach dem Urteile der Sach- verständigen, der ersten Gefahr bisher glücklich entgangen sind und gerade die Treffsicherheit Ihrer auf den disparatesten Gebieten lie- genden Entdeckungen in Erstaunen setzt, so danken sie das einer eignen Gabe, die von Begabung und Fleiß unabhängig und doch gerade für einen Pionier auf unbetretenen und verworrenen Wissens- pfaden unerläßlich ist, ich meine jene schwer zu definierende Himmels- gabe, die man Takt, Instinkt, Intuition, Wahrheitsgefühl oder wie immer benennen mag. Diese ist Ihnen von einer gütigen Fee in die Wiege gelegt worden, und sie ist es, die auch der Fernerstehende als etwas für Ihre Arbeit Eigentümliches empfindet. In der kurzen Zeit, in der Sie in unsrer Mitte weilen, waren wir schon öfter Zeuge, wie die wissenschaftliche Wünschelrute in Ihren Händen erstaunliche Schätze der Tiefe anzeigte. Möge sie sich auch weiter in demselben Maße, namentlich den neugewonnenen Funden aus 'Turfan gegenüber, betätigen. Die zweite Gefahr Ihrer universellen Arbeit erkennen Sie selbst. an. Sie bedauern es, daß die Museumsarbeit Ihnen nicht gestattet, Ihre Forschungen weiter auszuführen und zu größern Darstellungen zusammenzufassen; Sie scheinen fast gegenüber der Ananke des Amtes sich in das Unvermeidliche fügen zu wollen. Wir würden diese Resignation beklagen. Die gelehrte Welt, die Sie durch Ihre Entdeckungen in Aufregung versetzt haben, traut Ihrer starken Kraft noch Größeres zu. Sie erwartet zunächst von Ihnen ein Doppeltes: einmal ein zusammenfassendes Werk über die durch die neuen Funde blitzartig erhellte Verbreitung der manichäischen Weltreligion nach dem äußersten Osten hin, und sodann eine aus der chinesischen Historiographie und Archäologie geschöpfte umfassende Darstellung der Geschichte Zentralasiens. Sie haben zu so großen Aufgaben, naclı dem Urteil Ihrer Fachgenossen die Kraft. Damit ist aber auch die Verpfliehtung gegeben, und wo der Wille nicht fehlt, wird sich auch der Weg zeigen. Hierauf sprach Hr. Scnwarz Worte der Erinnerung an LEonuarD Eurer. Verleihung der Lxıenız- Medaille. Seine Majestät der Kaiser und König hat an Allerhöchstseinem Geburtstage am 27. Januar 1906 der Akademie die Ermächtigung er- teilt, zur Ehrung besonderer Verdienste um die Förderung ihrer Aufgaben eine Leıgexız-Medaille zu verleihen, welche alljährlich an 646 Öffentliche Sitzung von 4. Juli 1907. ihrem Leissız-Tage zu vergeben ist. Unsere diesjährige Festsitzung ist dadurch besonders ausgezeichnet, daß wir heute die Verleihung des hohen kaiserlichen Ehrengeschenkes zum ersten Male vorneh- men dürfen. Es wird verliehen die Medaille in Gold Hrn. James Sınon in Berlin, Medaillen in Silber an Hrn. Dr. Kart ALEXANDER Von Marrıus in Berlin und Hrn. A. F. Liınpemann in Sidmouth (England). Die Akademie verfehlt nicht, auch in ihrer Öffentlichen Sitzung Seiner Majestät ihrem erhabenen Protektor für dies ihr verliehene könig- liche Gnadengeschenk ehrfurchtsvollen Dank auszusprechen. Schliesslich erfolgten Mittheilungen, betreffend die Preisaufgabe aus dem von MıLoszewsxyv'schen Legat und das Stipendium der EpvAarp GERHARD-Stiftung. Preisaufgabe aus dem von Mıroszewskr'schen Legat. In der Lewsız-Sitzung des Jahres 1900 und wiederholt in der- jenigen des Jahres 1903 hatte die Akademie folgende Preisaufgabe aus dem von Hrn. von MıroszEwsky gestifteten Legat für philosophische Preisfragen gestellt: »Die Entwickelungsgeschichte des Hrerr'schen Systems soll mit Benutzung der auf der Königlichen Bibliothek zu Berlin befindlichen Manuseripte Hecer's dargestellt und historisch verständlich gemacht werden. Hierbei soll insbesondere berücksichtigt werden die Aus- bildung seines Pantheismus, seiner dialektischen Methode, der An- ordnung der Kategorien in der Logik und seines Verfahrens, die (Gestalten des geschichtlichen Lebens in einen philosophischen Zu- sammenhang zu bringen. « Der Preis sollte im vergangenen Jahre ertheilt werden, und es war auch rechtzeitig eine Bewerbungsschrift eingelaufen, die indess unvollendet war; die Akademie hatte es deshalb für zwecekmässig ge- halten, die Preisertheilung um ein Jahr hinauszuschieben. Auch diesmal ist eine Bearbeitung des Themas eingelaufen. Sie trägt das Motto: »'t kömmt all torecht!« Es muss anerkannt werden, dass der Verfasser mit grossem Fleiss die vorhandenen Manuseripte durchgearbeitet hat. Er hat den Inhalt aller Handschriften angegeben sowie ihre Abhängigkeit von philosophi- schen Zeitgenossen festzustellen und ihre Zeit zu bestimmen versucht. Auch ist diese Arbeit nicht ganz ergebnisslos gewesen. Lrınsız-Medaille. — Mıroszewsky'’sche Preisanfgabe. 647 g Am besten ist dem Verfasser die Darstellung der religionsgeschicht- lichen Ausarbeitungen Hrsrr's gelungen, welche bis in den Herbst des Jahres ıSoo reichen. Hier sind seine Inhaltsangaben im Ganzen zutreffend und brauchbar. Roseskranz und Haym (die Abhandlung Dirruey’s hat der Verfasser nicht gekannt) haben drei Stadien dieser Entwiekelung unterschieden: der Verfasser schliesst sich mit Recht hieran an. Er sieht nun richtig, dass die Fragmente des dritten Stadiums nicht mit Rosenkranz und Hayn in den Schweizer Aufent- halt verlegt werden können. Aber obwohl die Zeit derselben durch ihre Beziehung auf zeitgenössische Schriften hätte festgestellt werden können, ist er zu einer solchen näheren chronologischen Bestimmung nicht gelangt. Er erkennt ganz richtig die Bedeutung des Grund- fragments (Bd. VII p. 76°—87b, Bd. XI p. 92°— 97) für den Ge- dankenzusammenhang in den Bruchstücken, er sieht auch die Zu- sammengehörigkeit der Fragmente in Bd. VII und Bd. XI und bemerkt einige Beziehungen, die zwischen den Bruchstücken bestehen. Aber er macht nicht den Versuch, diese Fragmente methodisch zu ver- knüpfen, und der Gedanke, dass Bd. XI p. 112— 115 und p. 116—119 den »Abschluss dieser ganzen Untersuchungen zu bilden scheinen « zeigt wieder, dass er den Sachverhalt nicht zureichend methodisch untersucht hat. Der Verfasser behandelt dann ebenso ausführlich die grösseren zu- sammenhängenden Manuscripte von philosophisch -systematischem Cha- rakter. Auch hier findet man beachtenswerthe Auseinandersetzungen. Die wichtigste derselben ist die Zeitbestimmung der Ausarbeitung des Systems bis zum Organischen, Bd. IX. Dieses Manuseript ist nach dem Verfasser (Preisschrift Bd. II, p. 21ı5ff.) zeitlich möglichst nahe heranzurücken an das System der Sittlichkeit, Bd. X; da nun (Preis- schrift Bd. I, p. 229) das System der Sittlichkeit mit Hayun und Morrar, über die Bestimmung von Rosenkranz hinaus, weitergerückt ist nach 1802, und zwar mit einer dem Verfasser eigenen Begründung, so ergiebt sich aus der Combination dieser beiden von ihm gegebenen chronologischen Bestimmungen für ihn die Möglichkeit die Abfassung des Systems in die Jenaer Zeit zu verlegen. Aber trotz solcher einsichtigen Absichten und richtigen Blicke ge- langt doch der Verfasser nicht zu befriedigenden Ergebnissen. Es ist dies darin gegründet, dass eine innere philosophische Durchdringung des Systems von Hecer's, dann auch der Schriften von ScueLuıne mangelt. Dies tritt schon in den Inhaltsangaben hervor. Aus demselben Grunde ist dann die Aufgabe nicht wirklich gelöst worden, die in der Beur- theilung des chronologischen Verhältnisses der Manuseripte und ihrer Stelle in der allmählichen Ausbildung der Structur des Systems be- 648 Öffentliche Sitzung vom 4. Juli 1907. stand. Hiermit hängt dann weiter zusammen, dass die Preisschrift überall einseitig mit Abhängigkeit Heser’s von einzelnen Schriften SCHELLING'S operirt. Wir besitzen noch in den theologischen Fragmenten den Aus- gangspunkt der Philosophie Heser's. Um die Entwickelung Hrser's von ihnen aus richtig zu verstehen, hätte die Preisschrift die in ihnen enthaltenen systematischen Bestandtheile feststellen und in innere Ver- bindung bringen müssen. Nun hat sie zwar (Preisschr. Bd. I, p. 105 ff.) eine Anzahl von Zügen zusammengestellt, welche das dritte Stadium in den theologischen Bruchstücken repräsentiren. Aber der Verfasser hat nicht vermocht, hinter sie zurückzugehen in den philosophischen Zusammenhang, den Hrser 1500 besessen hat und der die Grund- lage bildet für den Fortgang zu dem philosophischen System. So kann er der Ausarbeitung des Systems (Bd. IX) ihre Stelle als Mittelglied zur späteren Logik nicht zureichend bestimmen. Hierdurch ist nicht nur die Inhaltsdarstellung der Logik in Bd. IX nicht befriedigend, son- dern, indem der Verfasser das Verhältniss dieser Logik zu ScHELLınd's transcendentalem Idealismus einseitig auffasst und falsche Schlüsse daraus zieht, indem er ganz irrig an den Abhandlungen Hrerr's von- ıSoı und 1802 feststellen zu können glaubt, dass sie dem Bd. IX und dem System der Sittlichkeit in Bd. X nachfolgen müssten, so schliesst er an einer Stelle Preisschrift Bd. Il, p. 236 hieraus, dass »als Abfassungszeit von Bd. IX und Bd. X wohl die zweite Hälfte von 1500 in Betracht komme«. Hiernach wäre nun die mystische Meta- physik der Aufzeichnungen vom Herbst 1800 und das logische System Heser's gleichzeitig. Ebenso sind andere chronologische Bestimmungen, obwohl erwägenswerth, doch keineswegs zur Sicherheit gebracht. Ganz besonders muss aber bedauert werden, dass die Inhaltsangaben der ungedruckten Manuseripte Hzeer's aus den angegebenen Gründen dem Bedürfniss nicht entsprechen. Sonach kann dieser Preisschrift trotz der herausgehobenen Vorzüge derselben der Preis nicht zuerkannt werden. Die Akademie zieht nunmehr diese Aufgabe zurück. Stipendium der Epvarn GERHARD- Stiflung. Das Stipendium der Epvarp GERNARD-Stiftung war in der Leısnız- Sitzung des Jahres 1906 für das laufende Jahr mit dem Betrage von 3600 Mark ausgeschrieben. Von dieser Summe sind zuerkannt worden 2000 Mark Hrn. Privatdocenten Dr. Rıcnarn Drrgrück in Berlin zur geschichtlichen Bearbeitung der römischen Bauten hellenistischer Zeit und 1600 Mark Hrn. Prof. Dr. ALrken Bruserser in Berlin-Schöneberg, . a Are - ? Miroszewsey’sche Preisaufgabe. — Evvarv GeRmARD- Stipendium. 649 zur Zeit in Athen, zur Untersuchung der Gräberanlagen bei der Agia Triada in Athen. Für das Jahr 1908 wird das Stipendium mit dem Betrage von 2500 Mark ausgeschrieben. Bewerbungen sind vor dem 1. Januar 1908 der Akademie einzureichen. Nach $ 4 des Statuts der Stiftung ist zur Bewerbung erforderlich: I. 2» Nachweis der Reichsangehörigkeit des Bewerbers; Angabe eines von dem Petenten beabsichtigten durch Reisen bedingten archäologischen Planes, wobei der Kreis der archäo- logischen Wissenschaft in demselben Sinn verstanden und an- zuwenden ist, wie dies bei dem von dem Testator begründeten Archäologischen Institut geschieht. Die Angabe des Planes muss verbunden sein mit einem ungefähren sowohl die Reisegelder wie die weiteren Ausführungsarbeiten einschliessenden Kosten- anschlag. Falls der Petent für die Publication der von ihm be- absichtigten Arbeiten Zuschuss erforderlich erachtet, so hat er den voraussichtlichen Betrag in den Kostenanschlag aufzuneh- men, eventuell nach ungefährem Überschlag dafür eine ange- messene Summe in denselben einzustellen. Gesuche, die auf die Modalitäten und die Kosten der Veröffent- lichung der beabsichsigten Forschungen nicht eingehen, bleiben un- berücksichtigt. Ferner hat der Petent sich in seinem Gesuch zu ver- pfliehten: ı. vor dem 31. December des auf das Jahr der Verleihung fol- 19} os genden Jahres über den Stand der betreffenden Arbeit sowie nach Abschluss der Arbeit über deren Verlauf und Ergebniss an die Akademie zu berichten; falls er während des Genusses des Stipendiums an einem der ’alilientage (21. April) in Rom verweilen sollte, in der öffent- lichen Sitzung «des Deutschen Instituts, sofern dies gewünscht wird, einen auf sein Unternehmen bezüglichen Vortrag zu halten; . jede durch dieses Stipendium geförderte Publication auf dem Titel zu bezeichnen als herausgegeben mit Beihülfe des Enuarn GERHARD-Stipendiums der Königlichen Akademie der Wissen- schaften; drei Exemplare jeder derartigen Publication der Akademie ein- zureichen. Ausgegeben am 11. Juli. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei. Sitzungsberichte 1907. 65 = LE a4 A) j A * I Ye; ER: . ei Bi He Ru BR. a: re 5 er e TEE Br Se ir u NY, 5 Be Apr De HER AT 2 ii I - AHA), - | ah De « Er 5 I - s Me ji = & N N Bi % j ja a j Me - en Fe 77 Se F “ a - R is Bit 2 h £ ‚ Br, > > FT er { Pu Er N Ey, stiRin Br h ne ER ur N EL, [ u, 2 ua HE e 2 RER, "a E IB z ei) PA = Ile ö wu Boa 1 er it 5 er F, h, I Ir au Rn . Mr I BAU TAN vn RE Re, Is a { tet nee Le ap Ds ala kl ü u 2: Aare md ln N LE a Re Dar Er TER EHRT a, ale ri Zr In a Eu: a BEN A iDruih Sl el, £ ee » 5 R u. 5 2 u RR N VERZEICHNISS DER MITGLIEDER DER AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN Hr. AM 1. JANUAR 1907. I. BESTÄNDIGE SECRETARE. Auwers Vahlen . Diels Waldeyer . Gewählt von der phys.-math. Classe . phil. - hist. - phil. -hist. - phys.-math. - I. ORDENTLICHE MITGLIEDER der physikalisch -mathematischen Classe Hr. Arthur Auwers . Simon Schwendener Hermann Munk . Hans Landolt Wilhelm Waldeyer . Franz Eilhard Schulze Wilhelm von Bezold Karl Klein Karl Möbius . Adolf Engler der philosophisch historischen Classe Hr. Adolf Kirchhoff - Johannes Vahlen . - Eberhard Schrader - Alexander Conze . - Adolf Tobler - Hermann Diels - Heinrich Brunner . - Otto Hirschfeld - Eduard Sachau - Gustav Schmoller . - Wilhelm Dilthey . Datum der Königlichen Bestätigung 1878 April 10. 1893 April 5. 1895 Nov. 27. 1896 Jan. 20. Datum der Königlichen Bestätigung 1860 März 7. 1866 Aug. 18. 1874 Dec. 16. 1875 Juni 14. 1877 April 23. 1879 Juli 13. 1880 März 10. 1881 Aug. 15. 1881 Aug. 15. 1881 Aug. 15. 1884 Febr. 18. 1884 April 9. 1884 Juni 21. 1885 März 9. 1886 April 5. 1837 Jan. 24. 1887 Jan. 24. 1887 Jan. 24. 1887 April $6. 1888 April 30. 1890 Jan. 29 1 der physikalisch - mathematischen Classe '. Hermann Karl Vogel . Hermann Amandus Schwarz Georg Frobenius Emil Fischer Oskar Hertwig Max Planck . Emil Warburg Jakob Heinrich van’t HF Theodor Wilhelm Engelmann . Wilhelm Branca Robert Helmert . Heinrich Müller-Breslau . Friedrich Schottky . Robert Koch . Hermann Struve Hermann Zimmermann Adolf Martens Walther, Nernst . Max Rubner . Johannes Orth Albrecht Penck Ordentliche Mitglieder der philosophisch - historischen Classe Hr. Adolf Harnack Karl Stumpf . Erich Schmidt . Adolf Erman . Reinhold Koser Max Lenz . Reinhard Kekule von Stra- donitz Ulrich von Wilamowitz- Moellendorff.. Heinrich Zimmer . Heinrich Dressel . Konrad Burdach . Richard Pischel Gustav Roethe . Dietrich Schäfer Eduard Meyer . Wilhelm Schulze Alois Brandl - Friedrich Müller . (Die Adressen der Mitglieder s. S. VIII.) Datum der Königlichen Bestätigung Febr. 1890 1892 1892 1893 1893 1893 1894 1895 1895 1895 1895 1896 1896 1896 1898 1898 1899 1899 1900 1901 1902 1902 1902 1902 1903 1903 1903 1903 1903 1904 1904 1904 1904 1904 1905 1906 1906 1906 1906 März Dee. Jan. Febr. 10. 30. 13: 14. 6. April 17. Juni Febr. Febr. Febr. Ausg. Febr. Juli Dee. Febr. Juni Aug. Dee. Jan. Jan. Jan. Mai Mai Juli Jan. Jan. Aug. Aug. Nov. April Juni Aug. Aug. Aug. i Nov. Dee. Dee. Dee. Dee. ie 18. 18. 18. 13. 26. 12. 14. 14. II. AUSWÄRTIGE MITGLIEDER der philosophisch - historischen der physikalisch-mathematischen Classe Classe rn? Hr. Eduard Zeller m Stuttgart - Theodor Nöldeke in Strass- burg . - Friedrich Tenhaafz ner in Winterthur . - Theodor von Sickel ın ten - Pasquale Villari in Florenz . - Franz Bücheler in Bonn Hr. Wilhelm Hittorf in Münster i.W.. Lord Kelvin in Netherhall, Largs Hr. Marcelin Berthelot ın Paris . - Eduard Suess in Wien - Eduard Pflüger in Bonn N ol ET Rochus Frhr. von Lilieneron ın Schleswig 3 } Hr. Leopold Delisle in Paris R Sir Joseph Dalton Hooker in Sunningdale Hr. Giovanni Vir ‚ginio Schapareil in Mailand ; - Adolf von Baeyer in München IV. EHREN- MITGLIEDER. Earl of Crawford and Balcarres in Haigh Hr. Max Lehmann in Göttingen - Friedrich Kohlrausch in Marburg . Se. Majestät Oskar II., König von besdene Hugo Graf von und zu Lerchenfeld in Berlin Hr. Friedrich Althoff in Berlin ee: - Richard Schöne in Berlin Frau Elise Wentzel geb. Heckmann in Bein Hr. Konrad von Studt in Berlin : - Andrew Dickson White in Ithaca, N. . Hall, Wigan 008 Datum der Königlichen aheing 1895 Jan. 14. 1900 März 5. 1901 Jan. 14. 1902 Nov. 16. 1904 Mai 29. 1904 Oet. 17. 1905 Aug. Datum der Königlichen Bestätigung — 1883 Juli 30. 1887 Jan. 24. 1895 Aug. 13. 1897 Sept. 14. 1900 März 5. 1900 März 5. 1900 März 5. 1900 März 5. 1900 März 1900 Dec. 12. IV Hr. Alexander Agassiz in Cambridge, Mass. V. CORRESPONDIRENDE MITGLIEDER. Physikalisch-mathematische Classe. Henri Becquerel in Paris Ernst Wilhelm Benecke in Ss Eduard van Beneden in Lüttich . Oskar Brefeld in Charlottenburg . Heinrich?Bruns in Leipzig . Otto Bütschli in Heidelberg Stanislao Cannizzaro in Rom Karl Chun in Leipzig Gaston Darboux in Paris Richard Dedekind ın Braunschweig . Nils Christofer Duner in Upsala Ernst Ehlers in Göttingen . Rudolf Fittig in Strassburg Max Fürbringer in Heidelberg Albert Gaudry in Paris . Archibald Geikie in London . Woleott Gibbs in Newport, R.1. . David Gill in London . Paul Gordan in Erlangen Ludwig von Graf in Graz. Gottlieb Haberlandt in Graz . Julius Hann in Wien Victor Hensen in Kiel Richard Hertwig in München . William Huggins in London . Adolf von Koenen in Göttingen Leo Koenigsberger ın Heidelberg . Henry Le Chatelier in Paris Michel Levy in Paris. Franz von Leydig in Böiherkurg 0. Re T.. Gabriel Lippmann in Paris Moritz Loewy in Paris . Hendrik Antoon Lorentz in a Hubert Ludwig in Bonn . Datum der Wahl 1895 1904 1900 1887 1899 1906 1897 1888 1900 1897 1880 1900 1897 1896 1900 1900 1889 1885 1890 1900 1900 1899 1889 1898 1898 1895 1904 1893 1905 1898 1887 1900 1895 1905 1898 Juli Febr. Febr. Nov. Jan. Jan. März Dee. Jan. Febr. März Febr. Jan. Oct. Febr. Febr. Febr. Jan. Juni Febr. Febr. Juni Febr. Febr. -——— 18. 18. 18. le tl 22. 21. 29. 22. 8. 21. 29. 58 22. 8. 8. 21. 24. Dec. Mai Mai Dee. Juli Jan. Febr. Dee. Mai Juli 12. 4. 14. Physikalisch-mathematische Classe. Hr. Eleuthere Mascart in Paris . Dmitri) Mendelejew in St. Bee Franz Mertens in Wien . Henrik Mohn in Christiania Henri Moissan in Paris . . . Alfred Gabriel Nathorst in Selholm Karl Neumann in Leipzig . , Georg von Neumayer in Nest: a. A. Veraait | Simon Newcomb in Washington . Max Noether in Erlangen ERDE TSCHE ER 2 Wilhelm Ostwald ın oz Bathen, Ber Sachsen . Wilhelm Pfeffer in Leipzig . Emile Picard in Paris Ä Edward Charles Pickering in ee Mass, i Henri Poincare in Paris . 3 0: Georg Quincke in Heidelberg Ludwig Radlkofer in München Sir William Ramsay in London Lord KRayleigh in Witham, Essex . Hr. Hr. Friedrich von Recklinghausen in Sshirg Gustaf Retzius in Stockholm Wilhelm Konrad Röntgen in München Heinrich Rosenbusch in Heidelberg Georg Ossian Sars in Christiania Friedrich Schmidt in St. Petersburg . Hugo von Seeliger in München Hermann Graf zu Solms- Laubach in San, j Johann Wilhelm Spengel in Giessen . Eduard Strasburger in Bonn Johannes Strüver in Rom Julius Thomsen in Kopenhagen August Toepler in Dresden . Melchior Treub in Buitenzorg . Gustav Tschermak im Wien . William Turner in Edinburg . Woldemar Voigt in Göttingen . Karl von Voit in München . e Johannes Diderik van der Waals in ee Eugenius Warming in Kopenhagen Heinrich Weber in Strassburg . August Weismann in Freiburg i.B. . Julius Wiesner in Wien . Adolf Wüllner in Aachen 'erdinand Zirkel in Leipzig v Datum der Wahl 1895 1900 1900 1900 1905 1900 1893 1896 1883 1896 1905 1889 1898 1906 1896 1879 1900 1896 1896 1885 1893 1896 1887 1898 1900 1906 1899 1900 1889 1900 1900 1879 1900 1881 1898 1900 1898 1900 1899 1896 1897 1899 1889 1887 Juli Febr. Febr. Febr. Jan. Febr. Mai Febr. Juni Jan. Jan. Dee. Febr. Jan. Jan. März Febr. Oct. Oct. Febr. Juni März Oct. Febr. Febr. Jan. Juni Jan. Dee. Febr. Febr. März Febr. März März März Febr. Febr. Jan. Jan. März Juni März Oct. 18. ” l. 2a. VI Philosophisch-historische Classe. Datum der Wahl Hr. Wilhelm Ahlwardt in Greifswald. . . .2. „2. 2... 1888 Febr. 2. = "Rarlı von Arno, in Munchene ren - Graziadio Isaia Ascokh mn Maland . . . 2. 2 .2.....1887 März 10. - Theodor Aufrecht in Bonn . . . ee Een - Ernst Immanuel Bekker in Beideibere een 20) = Oo enndorp nV en Er SI3EN DER = Rniedrich Blass ın HalleranSsı Era Fugen, Bormann an Waen ee — ingtam) Beywater in Oxford 2 ee a8SaNoe - Rene Cagnat ın Paris. . . ee ION A - Antonio Maria Ceriani ın an ee ea LE6ISNo een - Louis Duchesne ın Rom. RZ FF IITEN - Benno Erdmann n Bonn. ! 2 222 TFT IF = Kuno Bıscher in kleidelbere, 2 Error - Paul Foucart in Paris . . lets: Ali, 117, - Ludwig Friedländer in Se, ee 1900FTanele - Theodor Gomperz m Wien. . . =. 1893707519 - Franeis Llewellyn Griffith in Ashton under a ee IS = Grstae Gröber in Strassburg . 2... mer ee = lgnoz1o) Gundı nm Rome rer =, Wiuühelm von Hartel n Wien 2 EEE IST ET = @eorgos. IN. Hatzıdalıs an Athen 2 zit: - Albert Hauck in Leipzig . OF Tamm - Johan Ludvig Heiberg in Kopenhagen ke 112. - Karl Theodor von Heigel in München . . . . . . . 1904 Nov. 3. - Max Heinze in Leipzig . . en. 1, - Antoine lleron de Villefosse in Paris ee ISIS aRehr SS reonHleuzey u Bars er rate - Edvard Holm in Kopenhagen . . „» . . 2... 1904 Nov. 3 = fiheophile) Homollesın Bars. EETN Se = Vomosloor Jagen Wien re - William James in Cambridge, Mas. . . . . . . . 1900 Jan. 18. - Karl Theodor von Inama-Sternegg im Innsbruck . . . . 1900 Jan. 18. = Adolf. Jühcher ın Marburg . . . 2 „ 20. 2 22.221906 Novegele - Ferdinand Justi n Marburg . . .». 2... 2.0... 1898 «le - Karl Justi n Bonn . . . ee SER SOBEN OVAESUN - Panagiotis Kabbadias in chen, el Nor NUT. - Frederic George Kenyon in London . . . . . . ... 1900 Jan. 18. - Franz Kielhorn in Göttingen . . ee ed 1 - Georg Friedrich Knapp in Sraseburg ent 1895 Deesnide - Basil Latyschew in St. Petersburg . . ». . » . . . 1891 Juni 4. - Friedrich Leon Göttingen 7, u Wr 3 90BEN orte Hr. Philosophisch-historische Classe. August Leskien in Leipzig . Emile Levasseur in Paris Friedrich Loofs in Halle a. S Giacomo Lumbroso in Rom Arnold Luschin von Ebengreuth in Gr az ‚John Pentland Mahaffy in Dublin Gaston Maspero in Paris ! Wilhelm Meyer- Lübke in Wien Adolf Michaelis in Strassburg . Ludwig Mitteis in Leipzig . Benedictus Niese in Halle a. S. Heinrich Nissen in Bonn (reorges Perrot in Paris . i Wilhelm Radlof in St. Bebörsburs Victor Baron Rosen in St. Petersburg . Anton E. Schönbach ın Graz N Richard Schroeder in Heidelberg . Emil Schürer in Göttingen . Emile Senart in Paris Eduard Sievers in Leipzig . Henry Sweet in Oxford . e Edward Maunde Thompson in Tokdon Ä . Vilhelm Thomsen in Kopenhagen . Girolamo Viteli in Florenz . Heinrich Weil in Paris { Julius Wellhausen in Göttingen Wilhelm Wilmanns ın Bonn. Ludvig Wimmer ın Kopenhagen . Wilhelm Windelband in Heidelberg Wilhelm Wundt in Leipzig . BEAMTE DER AKADEMIE. Bibliothekar und Archivar: Dr. Köhnke. Wissenschaftliche Beamte: Dr. Dessau, Prof. — Dr. Ristenpart.— Dr. Harms, Prof. — Dr. Czeschka Edler von Maehrenthal, Prof. — Dr. von Fritze. Schmidt, Prof. — Dr. Frhr. Fhller von Gaertringen, Prof. VII Datum der Wahl 1900 Jan. 18. 1900 Jan. 18. 1904 Nov. 3. 1874 Nov. 12. 1904 Juli 21. 1900 Jan. 18. 1897 Juli 15. 1905 Juli 6. 1888 Juni 21. 1905 Febr. 16. 1905 Febr. 16. 1900 Jan. 18. 1884 Juli 17. 1895 Jan. 10. 1900 Jan. 18. 1906 Juli 5. 1900 Jan. 18. 1893 Juli 20. 1900 Jan. 18. 1900 Jan. 18. 1901 Juni 6. 1895 Mai 2. 1900 Jan. 18. 1897 Juli 15. 1896 März 12. 1900 Jan. 18. 1906 Juli 5. 1891 Juni 4. 1903 Febr. 5. 1900 Jan. 18. — Dr. Karl VII Hr. Dr. WOHNUNGEN DER ORDENTLICHEN MITGLIEDER UND DER BEAMTEN. Auwers, Prof., Geh. Ober-Regierungs-Rath, Lindenstr. 91. SW 68. von Bezold, Prof., Geh. Ober-Regierungs-Rath, Lützowstr. 72. W 35. Branca, Prof., Geh. Bergrath, Maassenstr. 35. W 62. Brandl, Professor, Kaisern Augusta-Str. 73. W 10. Brunner, Prof., Geh. Justiz-Rath, Lutherstr. 36. W 62. Burdach, Professor, Grunewald, Schleinitzstr. 6. Conze, Professor, Grunewald, Wangenheimstr. 17. Diels, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Nürnberger Str. 65. W 50. Dilthey, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Burggrafenstr. 4. W 62. Dressel, Professor, Charlottenburg, Uhlandstr. 193. Engelmann, Prof., Geh. Medicinal-Rath, Neue Wilhelmstr. 15. NW 7. Engler, Prof., geh. Regierungs-Rath, Steglitz, Neuer Botanischer Garten. Erman, Professor, Stelle, Friedrichstr. 10/11. Fischer, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Hessische Str. 1—4. N 4. Frobenius, Professor, Charlottenburg, Leibnizstr. 83. Harnack, Prof., Wirkl. Geh. Ober-Regierungs-Rath, Fasanenstr. 33. W 15. Helmert, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Potsdam, Geodätisches Institut. Hertwig, Prof., Geh. Medicinal-Rath, Grunewald, Wangenheimstr. 28. Hirschfeld, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Charlottenburg, Carmerstr. 3. van’t Hoff, Professor, Lietzenburger Str. 54. W 15. Kekule von Stradonitz, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Landgrafen- str, 19. SW 62. Kirchhoff, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Matthäikirchstr. 23. W 10. Klein, Prof.. Geh. Bergrath,, Charlottenburg, Joachimsthaler Str. 39/40. Koch, Prof., Geh. Medicinal-Rath, Kurfürstendamm 52. W 15. Koser, Geh. Ober - Regierungs- Rath, Charlottenburg, Carmerstr. 9. Landolt, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Kaiserallee 222. W 15. Lenz, Professor, Augsburger Str. 52. W 50. Martens, Prof., Geh. Regierungs- Rath, Gross -Lichterfelde-West, Fontanestr. 22. Meyer, Professor, Gross-Lichterfelde-West, Mommsenstr. 7/8. Möbius, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Sigismundstr. 8. W 10. Müller, Professor, Wilmersdorf, Güntzelstr. 31. Müller-Breslau, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Grunewald, Kurmär- kerstr. 8. Munk, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Matthäikirchstr. 4. W 10. Nernst, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Am Karlsbad 26a. W 35. Orth, Prof., Geh. Medieinal-Rath, Grunewald, Humboldtstr. 16. Penck, Professor, Knesebeckstr. 48/49. W 15. Hr. Dr. IX Pischel, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Halensee, Joachim - Friedrich- Str. 47. Planck, Professor, Grunewald, Wangenheimstr. 21. Roethe, Professor, Westend, Ahornallee 30. Rubner, Prof., Geh. Medicinal-Rath, Kurfürstenstr. 99a. W. 62. Sachau, Prof., Geh. Ober-Regierungs-Rath, Wormser Str. 12. W 62. Schäfer, Prof., Grossherzogl. Badischer Geh. Rath, Steglitz, Fried- richstr. 7. Schmidt, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Augsburger Str. 57/58. W 50. Schmoller, Professor, Wormser Str. 13. W 62. Schottky, Professor, Steglitz, Fichtestr. 12a. Schrader, Prof., Geh. Regierungs-Ratlı, Kronprinzenufer 20. NW 40. Schulze, Franz Eilhard, Prof., geh. Regierungs-Ratlı, Invalidenstr. 43. NA. Schulze, Wilhelm, Professor, Kaiserin Augusta-Str. 722. W 10. Schwarz, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Grunewald, Humboldtstr. 33. Schwendener, Prof., (eh. Regierungs-Rath, Matthäikirchstr. 25. W 10. Struve, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Enckeplatz 3a. SW 48. Stumpf, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Augsburger Str. 61. W 50. Tobler, Professor, Kurfürstendamm 25. W 15. Vahlen, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Genthiner Str. 22. W 35. Vogel, Prof., Geh. Ober-Regierungs-Rath, Potsdam, Astrophysikali- sches Observatorium. Waldeyer, Prof., Geh. Medieinal-Rath, Lutherstr. 35. W 62. Warburg, Professor, Charlottenburg, Marchstr. 25b. von Wilamowitz- Moellendorff, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Westend, Eichenallee 12. Zimmer, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Halensee, Auguste-Vietoria-Str. 3. Zimmermann, Wirkl. Geh. Ober-Baurath, Calvinstr. 4. NW 52. zeschka Edler von Maehrenthal, Professor, Wissenschaftlicher Beamter, Stendaler Str. 3. NW 5. Dessau, Professor, Wissenschaftlicher Beamter, Charlottenburg, Car- merstr. 8. von Fritze, Wissenschaftlicher Beamter, Courbierestr. 14. W 62. Harms, Professor, Wissenschaftlicher Beamter, Schöneberg, Erd- mannstr. 3. Freiherr Hiller von Gaertringen, Professor, Wissenschaftlicher Beamter, An der Apostelkirche 8. W 30. Kölnke, Bibliothekar und Archivar, Charlottenburg, Goethestr. 6. Ristenpart, Wissenschaftlicher Beamter, Oldenburger Str. 42. NW 21. Schmidt, Karl, Professor, Wissenschaftlicher Beamter, Bayreuther Str. 20. W 62. weise oder auch in weiterer Ausführung, in deutscher Sprache veröffentlicht sein oder werden. Sollte eine dem zuwiderlaufende Veröffent- lichung dem redigirenden Secretar vor der Ausgabe in den akademischen Schriften zur Kenntniss kommen, so hat er die Mittheilung aus diesen zu entfernen. Wenn der Verfasser einer aufgenommenen wissen- schaftlichen Mittheilung dieselbe anderweitig früher zu veröffentlichen beabsichtigt, als ihm dies nach den gel- tenden Rechtsregeln zusteht, so bedarf er dazu der Ein- willigung der Gesammt -Akademie. Gedächtnissreden anderweitig zu veröffentlichen ist den Verfassern unbeschränkt gestattet. Aus $ 21. Die Sitzungsberichte erscheinen in einzelnen Stücken in der Regel Donnerstags acht Tage nach jeder Sitzung. Aus $ 22. Jeden Sitzungsbericht eröffnet eine Übersicht über die in der Sitzung vorgetragenen wissenschaftlichen Mitthei- lungen und über die zur Veröffentlichung geeigneten ge- schäftlichen Angelegenheiten. Hinter den Titeln der wissenschaftlichen Mittheilungen folgen in dieser Übersicht kurze Inhaltsangaben derselben, welche die Verfasser einreichen, und für welche sie ver- antwortlich sind. Diese Inhaltsangaben sollen sich in der Regel auf 5—6 Druckzeilen beschränken, keinesfalls 10 Zeilen überschreiten. Die nicht in den Schriften der Akademie erscheinenden Mittheilungen werden mit vorgesetztem Stern bezeichnet, bei den für die Abhandlungen bestimmten wird »(Abh.)« zugefügt. Wissenschaftliche Mittheilungen fremder Verfasser werden in dem Bericht über diejenige Sitzung aufgeführt, in welcher deren Aufnahme in die akademischen Sehriften endgültig beschlossen wird. Aus $ 27. Das Manuseript einer in einer akademischen Sitzung am Donnerstag zur Aufnalıme in die Sitzungsberichte zu- gelassenen Mittheilung, welche am nächsten Donnerstag gedruckt erscheinen soll, muss der Regel nach in der Sitzung selber, spätestens bis Freitag 10 Ubr Morgens dem redigirenden Secretar oder der Reichsdruckerei druck- fertig zugestellt werden. Später eingereichte Manuseripte werden, mit dem Präsentationsvermerk des redigirenden Secretars oder des Archivars versehen, für ein späteres Stück zurückgelegt. Dasselbe kann von vorn herein mit Mittheilungen ge- schehen, deren Satz aus irgend welchen Gründen be- sondere Schwierigkeiten erwarten lässt, oder welche den in$S$ 3 und 4 enthaltenen Bestimmungen nicht entsprechen, Die Reichsdruckerei versendet spätestens am Montag Abend die Correcturen an die hier wohnenden oder an- wesenden Verfasser, oder an die Mitglieder, welche die Mittheilung vorgelegt haben, mit der Angabe, dass sie dieselben am Dienstag Abend wieder abholen lassen werde; wünscht jedoeh die mit der Correetur betraute Person Revision zu lesen, so muss sie die Correctur bereits Dienstag früh an die Druckerei zurückliefern. Wird die Correcetur länger als bis Dienstag Abend von der damit be- trauten Person behalten, so hat diese es zu verantworten, wenn die Mittheilung in einem spätern Stück erscheint. Nach auswärts werden Coırreeturen nur auf Verlangen versandt; die Verfasser verzichten damit auf Erscheinen ibrer Mittheilung nach acht Tagen. Fremden Verfassern, deren Correeturen erst noch dem vorlegenden Mitgliede zur Revision unterbreitet werden müssen, kann das Er- scheinen am nächsten Ausgabetage überhaupt nicht zuge- sichert werden. Aus $ 37. Die Akademie behält sich das Recht vor, von einer ver- griffenen Abhandlung eine zweite Auflage zu veranstalten. Abhandlungen der Akademie. Abhandlungen aus dem Jahre 1905 . . ». .» . » Daraus: Physikalische Abhandlungen . . » Philosophische und historische Abhandlungen Re ee ers Einzelne Abhandlungen aus den Jahren 1904, 1905 und 1906. Hırsc#HreLp: Gedächtnissrede auf Tueopor MommsEen Dies: Latereuli Alexandrini aus einem Papyrus ptolemäischer DE ee Re Meyer: Aegyptische Chronologie . ScHärer: Zur Beurteilung des Wormser Konkordats . Srruve: Beobachtungen von Flecken auf dem Planeten Jupiter” am Refractor der r Königsberger Sternwarte Mırteis: Über drei neue Handschriften des syrisch - römischen Rechtsbuchs . . . . 2...» Branco und E. Fraas: Das kryptovulcanische Becken von Steinheim . . RER BL Wegen Dies: Die hin der antiken Ärzte. I. Theil. Hippokrates und Dalena Dirreer: Die Ju Kırın: Studien über versität Berlin . . eschichte Hegels . . . . Branco: Die Anwendung der Röntgenstrahlen i in der Paläontologie ER RR N BE‘ eteoriten, vorgenommen auf Grund des Materials der Sammlung. der Uni- Diers: Die Handschriften der antiken Ärzte. II. Theil. Die Mann griechischen Ärzte ausser or Hippo- krates und Galenos DeesseL: Fünf Goldmedailons aus dem Funde von " Abukir . a TAU RER DER FEN R. Krause und S. Kırspser: Untersuchungen über den Bau des ud der Affen. Das Nachhirn vom Orang Utan G. Frırsch: Die rkmalaments. und die Dreifarbentheorie WIE ee malen er et een Dein MED ee an A950, » 30.— R a AM. 1.50 1.50 P ES » 11.50 2 » 4. RL 2.50 3.50 8.— » 8.— Reis » 7.— I.— ». 5.50 FERN M 3.— 1.50 O. Franke: Beiträge aus chinesischen Quellen zur Kenntnis der Türkvölker und Skythen Zentral- asiens . . F R. Krause und’ $. Kıesiexer: Untersuchungen über den Bau des Centralnorvensystems der Affen. Das Hinter- und Mittelhirn vom Orang Utan { J. Rossere: Über die chemische Zusammensetzung der Bruptivgesteine in ‘den Gebieten von Predazzo und’ Monzoni : Mae B. Seurrert: Prolegomena zu einer Wırranp-Ausgabe . . F.'W. K. Mürrer: Handsckriften: Reste in Estrangelo-Schrift aus Turfan, Chinesisch-Turkistan. I. K. Hausmann: Magnetische Messungen im Ries und dessen in Ki E P. Rırter: Neue Leibniz-Funde . i J. SıeseL: Untersuchungen über die Ätiologie der Pocken und der Maul- und Klauenseuche . J. SırseL: Untersuchungen über die Ätiologie des Scharlachs . IRIMIROE URL J. Sieger: Untersuchungen über ‘die Ätiologie der Syphilis . J. Hirscreere: Die arabisch Lehrbücher der Augenheilkunde 2 O. Karısoner: Das Grosshirn der Papageien in anatomischer und physiologischer Beziehung Rus M. Sınter: Die geographische Verbreitung von Mysis relicta, Pallasiella DE NDRLEEN FOR affinis in Deutschland als Erklärungsversuch ihrer Herkunft B. Seurrert: Prolegomena zu einer WıeLanp-Ausgabe. II. IV . L. Borcnarpr: Nilmesser und Nilstandsmarken . - E. Lırrsass und D. Keescrer: Vorbericht der’ Deutschen Aksumexpedition : Sitzungsberiehte der Akademie. Preis, dos WAhruangs" 7.8 nn u dern He je ae ER ee Sonderabdrucke I. Halbjahr 1906. J. Franz: die Vertheilung der Meere auf der Mondoberfläche (hierzu Taf. I) van’tHorr; Untersuchungen über die Bildung der oceanischen Salzablagerungen. XLVIU VaArven: ‚über.Horatius’ Brief:an die Pisonen : - RAR EI EHE W. DeEckE: der Strelasund und Rügen BrAxDL: zur Scenenführung bei Shakespeare 2 van’T Horr und U. Brnx: die gegenseitige V erwandlung der Caleiummonoborate . Frosenıus: über das Trägheitsgesetz der quadratischen Formen. II . KoENIGSBERGER: über die Grundlagen der Mechanik L. Grunmacn: experimentelle Bestimmung der Oberflächenspannung von verflässigtem Sauerstoff und verflüssigtem Stickstoff er in van’T Horr: Untersuchungen über die Bildung der oceanischen Salzablagerungen. IL. Ensermann: zur Theorie der Contractilität Eseıer: über die Vegetationsverhältnisse von Harar und des Gallahochlandes auf Grund der Expedition von Kelkern voN ERLANGER und Hrn. Oscar NEUMANN . . A oe Schortrky: geometrische Eigenschaften der Thetafunctionen von drei Veränderlichen . H. Scnärer und K. Scumpt: die ersten Bruchstücke christlicher Litteratur in altnubischer Sprache Srruve: Bestimmung der Säcularbewegung des V. Jupitermondes L. Horzorn und S. VALENTINER: Temperaturmessungen bis 1600° mit dem Stickstoffthermometer und mit,dem Speetralphotometer - J. Mewaıor: Maximus Planudes und die Textgeschichte der Biographien Plutarch’s h F. GRAEBER: läufiger Bericht über Untersuchung der Pergamenischen Wasserleitungen . F. TansuÄuse®) Vorstudien zu einer petrographisch - geologischen ass des Neuroder Gabbrozuges in der Grafschaft Glatz k EEE A. Schuwantke: die Basalte des westlichen Nordgrönlands und das Eisen von Uifak . Ensrer: Beiträge zur Kenntniss der Pflanzenformationen von Transvaal und Rhodesia . H. Braus: zur Entwicklungsgeschichte niederer Haie . . Nernst: über die Mar zwischen a und maximaler Arbeit bei eondensirten Systemen . : ©. Zeıse: über die miocäne Spongienfauna Algeriens - Sonderabdrucke. IL Halbjahr 1907. von Wıramowırz- MOoELLENDORFF: zum Lexikon des Photios Mi. 450 zoAl50 » mb Be slaen ge ae. 2,50 FF PR „E40 ge ale . 2,50 4,50 350 AM 12 — A. 050 - 050 Se - 050 - 050 - 050 - 050 050 0.50 - 050 Fa a Ran ... 0,50 were 050 » 050 "050 .080 » 0,50 er: u a: 7.050 Ban A 050 weise oder auch in weiterer Ausführung. in deutscher Sprache veröffentlicht sein oder _ werden. Sollte eine dem zuwiderlaufende Veröffent- lichung dem redigirenden Seeretar vor der Ausgabe in den akademischen Schriften zur Kenntniss kommen, so hat er die Mittheilung aus diesen zu entfernen. Wenn der Verfasser einer aufgenommenen wissen- schaftlichen Mittheilung dieselbe anderweitig früher zu veröffentlichen beabsichtigt, als ihm dies nach den gel- tenden Rechtsregeln zusteht, so bedarf er dazu der Ein- _ willigung der Gesammt-Akademie. Gedächtnissreden anderweitig zu veröffentlichen ist den Verfassern unbeschränkt gestattet. Aus $ 21. Die Sitzungsberichte erscheinen in einzelnen Stücken in der Regel Donnerstags acht Tage nach jeder Sitzung. Aus $ 22. Jeden Sitzungsbericht eröffnet eine Übersicht über die in der Sitzung vorgetragenen wissenschaftlichen Mitthei- lungen und über die zur Veröffentlichung geeigneten ge- schäftlichen Angelegenheiten. Hinter den Titeln der wissenschaftlichen Mittheilungen _ folgen in dieser Übersicht kurze Inhaltsangaben derselben, ERS die Verfasser einreichen, und für er sie ver- antwortlich sind. Diese Inhaltsangaben sollen sich in der Regel auf 5—6 Druckzeilen beschränken , keinesfalls 10 Zeilen überschreiten. Die nieht i in den Schriften der Akademie erscheinenden Mittheilungen werden mit vorgesetztem Stern bezeichnet, bei den für die Khbandlungen bestimmten wird Narr )« zugefügt. _ Wissenschaftliche Mittheilungen fiemder Verfasser werden in dem Bericht über diejenige Sitzung aufgeführt, in welcher deren Aufnahme in die Akademischen Schriften endgültig beschlossen wird. 2 Aus $ 27. Das Manuscript einer in einer akademischen Sitzung am Donnerstag zur Aufnahme in die Sitzungsberichte zu- gelassenen Mittheilung, welche am nächsten Donnerstag gedruckt erscheinen soll, muss der Regel nach in der Sitzung selber, spätestens bis Freitag 10 Uhr Morgens ‚dem re-ligivenden Secretar oder der Reichsdruckerei druck- fertig zugestellt werden. Später eingereichte Manuseripte werden, mit dem Präsentationsvermerk des redigirenden Secretars oder des Archivars verschen, für ein späteres Stück zurückgelegt. Dasselbe kann von vorn herein mit Mittheilungen ge- schehen, deren Satz aus irgend welchen Gründen be- Sundere Schwierigkeiten erwarten lässt, oder welche den ins$$ 3 und 4 enthaltenen Bestimmungen nicht entsprechen. Die Reichsdruckerei versendet spätestens am Montag Abend die Correeturen an die hier wohnenden oder an- wesenden Verfasser, oder an die Mitglieder, welche die Mittheilung vorgelegt haben, mit der Angabe, dass sie dieselben am Dienstag Abend wieder abholen lassen werde: wünscht jedoch die mit der Correetur betraute Person Revision zu lesen, so muss sie die Correetur bereits Dienstag früh an die Druckerei zurückliefern. Wird die Correetur länger als bis Dienstag Abend von der damit be- trauten Person behalten, so hat diese es zu verantworten, wenn die Mittheilung in einem späten Stück erscheint. Nach auswärts werden Coıreeturen nur auf Verlangen versandt; die Verfasser verziehten damit auf Erscheinen ihrer Mittheilung nach acht Tagen. Fremden Verfassern, deren Correeturen erst noch dem vorlegenden Mitgliede zur Revision unterbreitet werden müssen, kann das Er- scheinen am nächsten Ausgabetage überhaupt nicht zuge- sichert werden. Aus $ 37. Die Akademie behält sich das Recht vor, von einer ver- griffenen Abhandlung eine zweite Auflage zu veranstalten. Abhandlungen der Akademie. Shbadihages Aus dem.Jahre 1905... 222. 227 2. 2..;% Ma: Physikalische Abhandlungen . . Be aus dem Jahre 1906 . » 2.2...» Daraus: Physikalische Abhandlungen ER SErK. 'n Mathematische Abhandlungen SER 1 4 Ki . Dıers: Die Handschriften der antiken Ärzte. I. Theil. _ Dıuraey:. Die sehe Hepels. „==... Kızıs: Studien über versität Berlin . . . Baanoh: Die Anwendung der Röntgenstrahlen in der Paläontologie . ROEG ”„ I = Philosophische und‘ historische Abhandlungen a Lie Hippokrates und Galenasi a na ee a SE VER a CR nn Vo, ee A EN) Pre Welosophischß und historische Abhandlungen” Be re » 80.— EN ee ee ee Pat dh BO IE Eee NETT SE KEN) » 41.50 a Einzelne een aus den Jahren 1905 und 1906. Me: Über drei neue Handschriften des syrisch-römischen Rechtsbuchs . . 2.2... 2 Braxco und E. Fraas: Das kryptovulcanische Becken von Steinheim . . . IE en Ra ee ae 2» of 8 oO 3 leteoriten, vorgenommen auf Grund des Materials der Sammlung. der Uni- RN E N r B Dieis: Die Handschriften der antiken Ärzte. II. Theil. Die übrigen griechischen Ärzte ausser Hippo- _ krates und Galenos . . Drxsszr: Fünf Goldmedaillons aus dam "Funde von "Abukir. er RE Meyer: Sumerier und Semiten in Babylonien . . Sruser: Erscheinungen und psychische Functionen . ‚Srumpr: Zur Eintheilung der Wissenschaften . . ROTER: RE Dt en STE ER HC ” 7 5 A NE ee a Macher Se ale UL ] 3 SE a EA a Es PT ” lo & “ 280 | 5 e J. Sıeerr: Untersuchungen über die Ätiologie der Pocken und der Maul- und Rlauenseuche . . MA. 2.50 J. Sırger: Untersuchungen über die Ätiologie des Scharlachs . aa = J. SıEGEL: Untersuchungen über die Ätiologie der Syphilis . n 2.— J. Hınscnpers: Die arabischen Lehrbücher der Augenheilkunde » 4.50 O. Kauıscner: Das Grosshirn der Papageien in anatomischer und physiologischer Beziehung „» To M. Sauter: Die geographische Verbreitung von Mysis relicta, Pallasiella quadrispinosa, ae affinis in Deutschland als Erklärungsversuch ihrer Herkunft . . BERG Eier A EN B. Seurrert: Prolegomena zu einer Wircaso - Ausgabe. I. IV. Te N Te En oh eh Gere L. Borcnarpr: Nilmesser und Nilstandsmarken . . DE REN Le: DERART NED E. Lirruass und D. Knzscxer: Vorbericht der Deutschen Aksumexpedition 2 ER a RB Den BEAT L. Enıneer: Über das Gehirn von My.rine glutinosa A EEE a ER N. Herz: Sterncatalog für die Zone von 6° bis 10° südlicher Deelination. Erste ONE Fa BE Po H. Bzexn: Die tibetische Übersetzung von Kälidäsas Meghadüta . . ». 4,50 K. Gorsanovi6-KrAnBERGER: Die geotektonischen Verhältnisse des Agramer € Gebir ‚ges und die mit denselben im Zusammenhang stehenden Erscheinungen . . . . .» ae || ; Sitzungsberichte der Akademie. Preis. des" Jahrgangar „en m Sa ale ne es Stel E RE u 62 en Fe u = Sonderabdrucke. I. Halbjahr 1907. M. Perısacn und J. Lurner: ein neuer Bericht über Luther’s Verbrennung der Bannbulle. . . M 0.50 K.Kocn: das Wolfenbüttler Palimpsest von Galens Schrift meri Tün En TAlc TPosAlc aynAmeun . » 0.50 \Waıoever: über Gehirne menschlicher Zwillings- und Drillingsfrüchte verschiedenen Geschlechtes - 0.50 \W.Vorz: vorläufiger Bericht über eine Forschungsreise zur Untersuchung des Gebirgsbaues und der Vulcane von Sumatra in den Jahren 104-196 - » 2. 22... » 0.50 -Atan H. Garpiser: eine neue Handschrift des Sinuhegedichtes a a - 0.50 K. Scensupt: der 1. Clemensbrief in altkoptischer Übersetzung . ER Varlile = -» 0.50 HırschreLp: die römischen Meilensteine » 2— ‘), Kauıscuer: Zur Function des Schläfenlappens des Grosshirns. Eine neue Hörprüfungsmethode 3 bei Hunden; zugleich ein Beitrag zur Dressur als physiologischer Untersuchungsmethode . » 0.50 \. Bicker: über den Einfluss des Morphiums und Opiuns auf die Magen- und Pankreassaftsecretion - 0.50 \VArgure und G. LeiruÄuser: über die Oxydation des Stickstoffs "bei der Wirkung der stillen Entladung auf atmosphärische Luft . . - 0.50 ZımsmERMANN: der gerade Stab auf elastischen Einzelstützen mit Belastung dureh ängsgerichtete Kräfte. . . - » 0.50 (+. Kızsıu: Bericht über Untersuchungen an den sogenannten „Gneissen« und nn metamorphen Schiefern der Tessiner Alpen. AR » 0,50 F.W.K. Mürrer: Neutestamentliche Bruchstücke in \ soghdischer Sprache (en: Taf. I und m. r 0,50 von WırAmowirz-MOoELLENDORFF: die Hymnen des Proklos und Synesios . . . nF van’T Horr: Untersuchungen über die Bildung der oceanischen Sälzablagerungen. 2% » 0,50 An. Scmupr: über die Bestimmung des allgemeinen Potentials beliebiger Magnete und die darauf begründete Berechnung. ihrer gegenseitigen Einwirkung . . .1.— Zamsersass: das Stabeck auf elastischen Einzelstützen mit Belastung durch längsgerichtete Kräfte » 0.50 P. Gurnsick: photometrische Beobachtungen der Jupitertrabanten (hierzu Taf. nn. 3 » 1.— R. Nicoraıpxs und S. Doxtas: hemmende Fasern in den Muskelnerven (hierzu Taf. IV und m » 0.50 Harnack: über die Zeitangaben in der Apostelgeschichte des Lukas . . » ». 2. vw... rn Lo Enrsan: zur ägyptischen Wortforschung > RR ar H. Lupesvorrr: die Bahn des speetroskopischen Doppelsterus BA Te B hy EN) Frosexius: über einen Fundamentalsatz der Gruppentheorie. I. . » . » 2» 2 2.2 2 2...” ..050 Fischer: über Spinnenseide. . TER EEE HR Drngae Sn Er A ..- 0,50 C. Neusere: die Entstehung des Erdöls » 0.50 F.W.K. Mürrer: Die „persischen « Kalenderausdrücke im Oitgeieken. Tripitaka (hierzu Tat. w ” 0.50 E. Sıes: Bruchstück einer Sanskrit- Grammatik aus Sen Agiz, Chinesisch -Tarkistan legt Taf. VI und VII) . . ” a Meyer: über die Anfänge des Staats und sein Verhältniss zu den Gerchechklv ts hiden "und zum Volksthum . . a E ET ER EN eee Fe Praxck: zur Dynamik bewegter Systeme SrE te a=55 Fischer und E. AnpenuArden: Bildung von Polypeptiden bei der "Hydrolyse der Proteine ee ae A. Torxauist: vorläufige Mittheilung über die Algäu-Vorarlberger Flyschzone . . » 0.50 H. Scnärer und K. Schwipr: die altnubischen christlichen Handschriften der Königlichen Bibliothek N? zu "Berlin.en 0% Wera Sun n ART SR Mae, ee RE, EI HUN) - EV) x u N % “ Fa a MM. Ya AR Re HR on) { NR ' Be; I ger x x J ‚3 Wr 4 Ki % I: Y 3 9088 01298 9687 . LI L